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German Pages 768 [688] Year 2021
Simon Sebag Montefiore
Tim Mackintosh-Smith erzählt die reiche Geschichte der Araber erstmals von ihren Ursprüngen im 2. Jahrtausend v. Chr bis
heute, bis zum Nachbeben des Arabischen Frühlings. Es ist eine Geschichte zwischen Einheit und Spaltung. Als das erste ara-
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bische Buch, der Koran, erschien, einte es Araber in rasantem Tempo und befeuerte bald eine Welle der Expansion. Keine
300 Jahre später war die arabische Herrschaft nur noch eine
bittersüße Erinnerung, und während der nächsten tausend Jahre waren die Araber mit wenigen Ausnahmen untereinander zerstritten und wurden von Türken, Persern, Berbern und Europäern regiert.
Mit unvergleichlichem Gespür für die Dynamiken dieser
3000 Jahre langen Geschichte zeigt Tim Mackintosh-Smith immer wieder, wie die Sprache, wie Arabisch als Quelle gemeinsamer Kultur und Identität gewirkt hat.
Mackintosh-Smith
Tim Mackintosh-Smith ist ein renommierter Arabist, Übersetzer und freier Autor. Er gilt als einer der zwölf besten Reiseschriftsteller der letzten hundert Jahre und wurde mit dem Oldie Travel Award (Best Travel Writer) und dem Ibn Battutah Prize of Honour ausgezeichnet. Über die Reisen von Ibn Battūta hat er eine viel beachtete Trilogie verfasst. Er studierte an der Oxford University und lebte viele Jahre in Sanaa, der jemenitischen Hauptstadt. Seit gut 35 Jahren ist er in der arabischen Welt zuhause.
ARAB
»Meisterhaft. Hinreißend geschrieben und scharfsinnige Analyse zugleich.«
Tim Mackintosh-Smith
»Wer den Nahen Osten verstehen will, muss dieses Buch lesen.«
»Das vorliegende Buch ist eine Geschichte der Araber, nicht des Arabischen. Dennoch lässt sich kaum besser und facettenreicher analysieren, was es heißt, ›Araber zu sein‹, als wenn man diesen roten Faden verfolgt. Die Sprache ist das einzige Bindeglied, das ein dauerhaftes Band zwischen Arabern geknüpft, ihnen eine gemeinsame Identität gegeben und Einheit gestiftet hat. Selbst die Einheit, die der Islam brachte, basierte letzten Endes auf Worten. Die drei großen Elemente, die die Macht der europäischen Zivilisation begründet haben, sind laut Thomas Carlyle ›Schießpulver, Buchdruck und die protestantische Religion‹. Für Araber sind es Worte, Reime und Rhetorik. Problematisch dabei ist, dass Worte sowohl entzweien als auch verbinden können. Eben das geschieht im Jemen, genauso wie in vielen anderen arabischen Ländern, weswegen der Traum von der arabischen Einheit auch weiterhin eine Schimäre bleiben wird. Warum das so ist und sich wie ein Leitmotiv durch die gesamten 3000 Jahre arabischer Geschichte zieht, ist das Thema dieses Buches.« Tim Mackintosh-Smith
»Brilliant. Was dieses Buch ausmacht, ist die schiere Breite von Einblicken in die arabische Geschichte, allesamt faszinierend.« Steven C. Caton, Harvard University
Barnaby Rogerson
Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt / Main
wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4175-4
Einbandabbildung: © Shutterstock
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Tim Mackintosh-Smith
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3000 Jahre arabische Geschichte
Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Bertram, Colinda Lindermann und Ruben Schenzle
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Die englische Originalausgabe ist 2019 bei Yale University Press, New Haven und London unter dem Titel Arabs. A 3,000-Year History of Peoples, Tribes and Empires erschienen. © 2019 by Tim Mackintosh-Smith
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. © der deutschen Ausgabe 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Eva Berié, Berlin Gestaltung und Satz: Arnold & Domnick, Leipzig Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt / Main Einbandabbildung: © Shutterstock Karten im Buch: Peter Palm, Berlin Christian Saßmannshausen hat Zeittafel, Bibliografie und Register mit übersetzt.
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4175-4 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-4212-6 eBook (epub): 978-3-8062-4213-3
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Schaʿb: … Ansammlung oder Vereinigung; ebenso Trennung, Teilung oder Uneinigkeit … Nation, Volk, Rasse oder Menschheitsfamilie … Edward William Lane, An Arabic-English Lexicon
Und wenn dein Herr es gewollt hätte, hätte Er alle Menschen zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch sie hören nicht auf, uneins zu sein. Koran, Sure 11:118
Wir hatten also mehr als 1400 separate Stammes-„Regierungen“ in den beiden [hadramitischen] Staaten. Daneben existierten einige hundert autonome unbewaffnete Gemeinden … Insgesamt kam ich auf über 2000 einzelne „Regierungen“ im Hadramaut. Harold Ingrams, Arabia and the Isles
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Im Gedenken an einen vereinigten Jemen (1990–2014) sowie an Ali Husain Aschʿab (1998–2016) und alle anderen, die mit diesem Land gestorben sind.
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Inhalt Vorwort: Rad und Sanduhr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung: Die Stimme einen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
AUFSTIEG: 900 V. CHR. – 600 N. CHR.
1 Stimmen aus der Wüste: Früheste Araber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2 Völker und Stämme: Sabäer, Nabatäer und Nomaden. . . . . . . . . . . . . 78 3 Weit und breit verstreut: Die Grammatik der Geschichte im Wandel . . 103 4 An der Schwelle zu wahrer Größe: Die Tage der Araber . . . . . . . . . . . . 122
REVOLUTION: 600 – 6 30
5 Offenbarung als Revolution: Mohammed und der Koran. . . . . . . . . . . 148 6 Gott und Cäsar im Bunde: Der Staat von Medina. . . . . . . . . . . . . . . . . 182
DOMINANZ: 630 – 9 00
7 Die Halbmondritter: Erschließungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8 Das Königreich von Damaskus: Umayyadische Vorherrschaft. . . . . . . . 263 9 Das Weltreich von Bagdad: Abbasidische Souveränität . . . . . . . . . . . . 305
NIEDERGANG: 900 – 1 350
10 Gegenkulturen, Gegenkalifen: Das Imperium zerfällt . . . . . . . . . . . . 350 11 Der Geist in der Flasche: Die Horden rücken näher. . . . . . . . . . . . . . . 395
FINSTERNIS: 1350 – 1800
12 Meister des Monsuns: Araber im Indischen Ozean. . . . . . . . . . . . . . 428
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WIEDERAUFSTIEG: 1800 BIS HEUTE
13 Erwachen: Die Wiederentdeckung der Identität . . . . . . . . . . . . . . . . 460 14 Zeit der Hoffnung: Nasserismus, Baathismus, Befreiung, Erdöl. . . . . 507 15 Zeit der Ernüchterung: Autokraten, Islamokraten, Anarcharchen . . . 536 Nachwort: Auf dem Bahnsteig der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577
ANHANG
Anmerkung der Übersetzer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Bibliografie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663
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Vorwort Rad und Sanduhr
Ich dachte weder, dass der Lauf der Zeit das Neue verschleißen, noch dass ein geeintes Volk durch Wechselfälle gespalten würde. Dhū al-Rumma
Vor knapp 30 Jahren begann ich die Arbeit an meinem ersten Buch, einem geschichtlichen Abriss des Jemen, meinem damaligen Wohnort. Kurz zuvor, im Mai 1990, waren die zwei Teile des Landes wiedervereinigt worden – wenige Monate vor der deutschen Wiedervereinigung. Mauern stürzten ein, eiserne Vorhänge öffneten sich und inmitten der Wildnis löste man eine Grenzlinie auf. Im Jemen herrschte Optimismus. Zwar kam es 1994 zu einem erneuten Abspaltungsversuch und einem kurzen Krieg, in dessen Verlauf das ehemalige Regime im Süden beinahe so viele Scud-Raketen auf uns in Sanaa abfeuerte wie Saddam Hussein drei Jahre zuvor auf Israel, was unsere Herrscher im Norden damit beantworteten, dass sie eine Horde umherstreifender bärtiger Islamisten auf Aden hetzten, wo sie unter anderem die einzige Brauerei auf der Arabischen Halbinsel zerlegten. Doch der Jemen blieb vereinigt und es schien, als richte sich der Blick nun nach vorn. Mein erstes Buch war eine Hommage an ein Land, das an seiner gemeinsamen Vergangenheit, seiner jahrtausendealten kulturellen Einheit festhielt. Zwischen den Zeilen war das Buch damit wohl auch eine Hommage an seine nun wiederhergestellte politische Einheit. Denn es war nicht das erste Mal im Laufe der Geschichte, dass der Jemen als geeinter Staat auftrat: Staatliche Einheit hatte es bereits in vorislamischer Zeit, dann vorübergehend im 14. und wieder kurzzeitig im 17. Jahrhundert gegeben. Vielen Jemeniten und auch mir schien (und scheint) die politische Einheit einer natürlichen Einheit zu entsprechen. Dieses Gefühl herrschte auch schon im 14. Jahrhundert: „Wäre der Jemen unter einem Herrscher geeint“, schrieb ein Berichterstatter in Ägypten, „könnte er an Bedeutung gewinnen und eine stärkere Stellung unter den herausragenden Völkern einnehmen.“1 Allerdings ist der Jemen über neun Zehntel seiner Geschichte nicht vereint gewesen – ganz im Gegenteil. Auch heute, während ich dies schreibe, ist das Land wieder im Zerfall begriffen – dasselbe gilt, wie es den Anschein hat, auch
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Vorwort
für den Irak und Libyen. Und für Syrien, dessen Zusammenhalt nur noch mit blanker Gewalt aufrechterhalten wird. Die Einheit Ägyptens ist dem Anschein nach gesichert, doch die Gesellschaft zerrissen. In diesen fünf Ländern lebt immerhin die Hälfte der Bevölkerung der arabischsprachigen Welt. Einem aktuellen Bericht der Vereinten Nationen zufolge sind in dieser Welt nur fünf Prozent der Weltbevölkerung beheimatet, sie verursacht jedoch 58 Prozent der Flüchtlinge weltweit und 68 Prozent aller „durch Kampfhandlungen bedingter Todesfälle“.2 Man könnte meinen, das einzige einigende Band zwischen Arabern sei ihre Unfähigkeit, friedlich miteinander auszukommen. Woher diese Uneinigkeit? Warum diese selbstzerstörerische Gewalt? „Es liegt an der Abwesenheit von Demokratie und demokratischen Institutionen“, wird man im Westen (pragmatisch verkürzt) antworten. Klingt einleuchtend – allerdings haben die jüngsten Interventionen von außen, die angeblich auf die Stärkung von Demokratie abzielten, das Chaos wohl nur noch verstärkt. Und wenn es einmal freie und faire Wahlen gibt, gewinnen fast immer die Islamisten, mittels Militärputsch wird die Wahl für ungültig erklärt und der Westen verstummt wieder. Wenn es ums Geld geht, hat die Moral offenbar nichts mehr zu melden. „Es liegt daran, dass der Islam nicht zu religiöser Einheit findet“, werden die Islamisten (wiederum verkürzt) antworten. Nur dass es sich bei dieser viel beschworenen Einheit des Islam von Anfang an um eine Schimäre gehandelt hat. Schließlich sind ab dem Jahr 40 der islamischen Zeitrechnung Kämpfe um Macht und Anerkennung überliefert und sie wurden keineswegs mit der Waffe des Wortes allein ausgefochten. „Es liegt am Erbe des Imperialismus“, werden arabische Nationalisten (von denen es tatsächlich noch welche gibt) antworten. Nur dass in der postimperialen Epoche beinahe jeder Versuch, Einheit herzustellen, gescheitert ist, meist an innerarabischen Zwisten und Vorbehalten. In einer Analyse des arabisch-israelischen Krieges von 1948 schrieb ein arabischer Kommentator, dass „die Araber die Schlacht um Palästina hätten gewinnen können, wäre nicht etwas an ihnen selbst falsch und verkommen gewesen“.3 Dieses „Etwas“ bestand aus gegenseitigem Misstrauen, Argwohn und Angst. Aus dem bösen Blut, das sich durch die gesamte arabische Geschichte zieht. Selbstverständlich haben Araber kein Monopol auf Uneinigkeit. Auch die europäische Landkarte etwa bestand bis in die Neuzeit aus einem schillernden Mosaik von Kleinstaaten. Die deutsche Wiedervereinigung von 1990 – die ja selbst Folge eines gegenläufigen Prozesses, des Zerfalls der Sowjetunion, war – stellte eine Einheit wieder her, die zuvor gerade einmal zwei Generationen gewährt hatte. Damals war Europa ein zentraler Schauplatz von Kriegen gewesen,
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die zum gewaltsamen Zerfall des Osmanischen Reiches und Österreich-Ungarns geführt und den etwas weniger gewaltsamen Zusammenbruch des Britischen Empire eingeleitet hatten – immerhin entstanden daraus die Vereinten Nationen und die Europäische Union (beides bekanntlich Bastionen des friedlichen Miteinanders). Die ganze Welt ist ein Schmelztiegel, in dem vorübergehend stabile Gebilde wieder zerfallen und neue geformt werden. Ohne diesen steten Wandel gäbe es keine Entwicklung. Vereinigung und Spaltung sind zwei Seiten derselben Medaille. So erklärt sich auch das erste diesem Buch vorangestellte Zitat aus Lanes Arabic-English Lexicon: Schaʿb: … Ansammlung oder Vereinigung; ebenso Trennung, Teilung oder Uneinigkeit … Nation, Volk, Rasse oder Menschheitsfamilie …4 (Wie kann ein einziges Wort so viel Widersprüchliches bedeuten? Bei näherer Betrachtung wird es etwas klarer: schaʿb bedeutet neben „Volk“ und all den anderen aufgeführten Begriffen auch die Schädelnaht, also die Stelle, an der die beiden Schädelknochen aufeinandertreffen und sich teilen. Die Knochen selbst werden qabīlas genannt, was sich auch mit „Stämme“ übersetzen lässt. In der arabischen Sprache zeichnet der menschliche Schädel mit seinen „Völkern“ und „Stämmen“ demnach gleichsam ein Bild der Menschheit als Ganzes.) Und doch: Ist es nicht so, dass die Araber in vieler Hinsicht einen Sonderfall darstellen? Das beginnt damit, dass wir sie – und sie sich selbst – einfach als „die“ Araber bezeichnen, so als seien sie eine eigenständige und klar abgegrenzte Gruppe mit eindeutigen Merkmalen. Angenommen, das stimmt – wie genau sehen diese Eigenschaften dann aus? Und woher rührt der Eindruck, dass diese Gruppe sich so leicht spalten lässt, so schnell in Aufruhr zu versetzen ist? Sollte es nicht zumindest so etwas wie eine Arabische Union oder gar Vereinigte Arabische Staaten geben? … Aber halt! Auch wenn es in den meisten Geschichtsbüchern unerwähnt bleibt: Es hat tatsächlich die Vereinigten Arabischen Staaten (VAS) gegeben. Sie bestanden aus einer Konföderation der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) – einer politischen Union zwischen Ägypten und Syrien während der kurzen Blütezeit des Panarabismus – mit dem damaligen Königreich im Nordjemen. Diese Konföderation der drei Staaten hielt ganze 44 Monate, von 1958 bis 1961. Nun ließe sich einwenden, politische Einheit sei nicht per se ein erstrebenswertes Gut. Aber ich glaube, zumindest in einem weiteren Sinn des Wortes – nämlich verstanden als Harmonie, Abwesenheit von Zwietracht, friedliche Koexistenz und Kooperation – sind Einheit und Zusammenhalt für die Menschheit besser als Zersplitterung und der Kampf gegeneinander. Es ist die einzige Hoff-
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Vorwort
nung für uns auf diesem kleinen Planeten mit zu vielen Menschen und zu wenigen Ressourcen, insbesondere in dicht bevölkerten Ländern wie Syrien, Ägypten und Jemen. Es sei denn, wir ziehen es vor, uns gegenseitig umzubringen und noch einmal ganz von vorn anzufangen.
*** Historische Studien über Araber setzen für gewöhnlich mit dem Islam ein oder begnügen sich allenfalls mit knappen Vorbemerkungen über die Vorgeschichte. Sicherlich brachte der Islam eine bestimmte Gruppe von Menschen in einem großen Augenblick der Geschichte zusammen. Doch die Einheit, die dadurch entstand, war nur eine scheinbare, und hat nie wirklich Bestand gehabt. Traditionellen Berichten zufolge kamen die Stämme Arabiens im Jahr 630/631 zusammen, dem Jahr der Gesandtschaften, als Stammesvertreter den Propheten Mohammed aufsuchten, um ihm und dem von ihm gegründeten Staat die Treue zu schwören. Nur zwei Jahre später, nach Mohammeds Tod, waren die meisten dieser Stämme allerdings zu ihrer vormaligen Eigenständigkeit und ihren alten Zwistigkeiten zurückgekehrt. Die Risse zwischen ihnen ließen sich vorübergehend übertünchen, weil die aufsehenerregenden Eroberungen von Arabern außerhalb Arabiens einen wundersamen – um nicht zu sagen gottgegebenen – Korpsgeist unter ihnen entstehen ließen. Doch die unterschwelligen tribalen Verwerfungen vermochte auch das nicht zu heilen. Schon 300 Jahre später lebte die geeinte arabische Herrschaft nur noch in Erinnerungen fort, und in den folgenden rund 1000 Jahren standen die untereinander zerstrittenen Araber fast ausnahmslos unter der Herrschaft von Türken, Persern, Berbern, Europäern und anderen Völkern. Ihr eigenes Reich war ihnen wie durch Amputation abhandengekommen. Mit der Zeit klang der Schmerz ab, bestand in der Erinnerung jedoch als Phantomschmerz fort. Das hat zur Folge, dass große Teile der zeitgenössischen Literatur zur politischen Geschichte der Araber sich ab etwa dem Jahr 900 n. Chr. unmerklich zu einer arabischen Kulturgeschichte wandeln, bevor sie sich der Geschichte anderer Völker zuwendet – dabei verschwanden Araber mitnichten von der Bildfläche. Ein Grund dafür ist das Wort „Araber“ selbst. Diese Benennung ist wie jedes Wort nicht identisch mit dem, was es bezeichnet, sondern eine Art Etikett. Etiketten sind nützlich, aber manchmal auch irreführend. Mit ihnen lassen sich alle möglichen Unterschiede verschleiern, Risse verdecken und sogar Lügen verbreiten. Mit der Zeit verblassen sie und werden überschrieben, sodass ihre ursprüngliche Bedeutung – falls es je eine einzige Bedeutung gab – in Vergessenheit gerät. Tatsächlich sind wir alle wie die Reisekoffer früherer Zeiten
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mit vielen Aufklebern versehen, voller geografischer, genetischer, sprachlicher und vieler anderer Bezeichnungen (so bin ich etwa Brite, Engländer, Schotte, Angelsachse, Kelte, Europäer, Indoeuropäer, Jemenit, Bewohner der Arabischen Halbinsel, Araber …) – auch wenn nur wenige andere Gruppen mit so vielen Etikettierungen versehen worden sein dürften wie das weitgereiste Volk der Araber. Doch auch an ihnen bleibt, wie an den meisten von uns, letzten Endes nur ein einziges Etikett haften. Je weiter es gefasst ist, umso haltbarer erweist es sich. „Araber“ ist ein weit gefasstes Etikett, das sehr gut haftet (es ist nun schon beinahe 3000 Jahre in Umlauf) und doch aufs Glatteis führt. Zu unterschiedlichen Zeiten haben unterschiedliche Menschen sehr Unterschiedliches darunter verstanden. Es hat so viele Bedeutungsverschiebungen und Wandlungen erfahren, ist verblasst und hat immer wieder neue Konturen angenommen, dass es höchst irreführend wäre, von „den Arabern“ zu sprechen – weswegen im vorliegenden Buch auch darauf verzichtet wird. Der Begriff ist so schillernd wie der vielgestaltige Proteus – und der Versuch, ihn zu definieren, wäre ebenso aussichtslos wie das Unterfangen, die wahre Gestalt des Meeresgottes zu bestimmen. Dennoch lässt sich so viel festmachen: Das Wort bezeichnet, soweit wir in die Geschichte zurückblicken können, meist tribale Gruppen fernab sesshafter Gesellschaften. Diese Lebensform trifft aller Wahrscheinlichkeit nach auf Araber aus der Zeit vor dem Islam und mit Sicherheit auf Araber aus dem 2. Jahrtausend n. Chr. zu. Bei beiden Zeitspannen spricht vieles dafür, den Begriff wie einen kursiv zu setzenden Eigennamen zu behandeln und nicht als Bezeichnung für eine eigenständige Volksgruppe: als ʿarab, nicht als „Araber“. Es überrascht, dass jene randständigen, umherziehenden, zahlenmäßig unbedeutenden Stämme – die es nie zu einem Großbuchstaben, geschweige denn zu einer Großstadt gebracht haben – eine so identitätsstiftende Rolle gespielt haben. Denn gemeinhin beziehen Gesellschaften ihr Selbstverständnis aus der Abgrenzung zum Nomadischen, Unzivilisierten und Barbarischen, angefangen bei den griechischen Stadtstaaten im 5. Jahrhundert v. Chr. über das chinesische Reich bis hin zu den europäischen Kolonialmächten der jüngeren Zeit. Nur bei Arabern rührt sowohl ihr Name als auch ihre Sprache, das einzige ihnen allen gemeinsame Merkmal, aus dem Nomadentum und der Ungebundenheit schlechthin: aus den tribalen ʿarab. Was wir heute als „Araber“ bezeichnen, ist ein ethnisches Konglomerat, das auf semitischsprachige nomadische oder halbnomadische ʿarab-Stämme einerseits, sesshafte Volksgruppen in Südarabien andererseits zurückgeht, die vermutlich einen gemeinsamen prähistorischen Ursprung im Fruchtbaren Halbmond in der nördlichen Region der Arabischen Halbinsel haben und im Laufe
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Vorwort
der Zeit unterschiedliche Sprachen und Lebensweisen ausprägten: Die Bewohner der Südhalbinsel entwickelten sich auf der Grundlage von Bewässerungssystemen und Landwirtschaft zu sesshaften Gesellschaften (oder haben sich auch mit vor ihnen dort ansässigen Völkern vermischt), während ʿarab als Weidewirtschaft betreibende Hirten auf der Suche nach Wasserstellen und Niederschlag umherzogen und auf Raubzüge gingen. Wechselseitige Interessen, sowohl kommerzieller als auch politischer Natur, brachten beide Gruppierungen in den Jahrhunderten vor der Entstehung des Islam enger zueinander. In der frühislamischen Zeit wurde der Zusammenhalt dieses Konglomerats, da man gemeinsam an der Errichtung eines Großreichs beteiligt war, vorübergehend noch enger – zugleich aber auch komplizierter, weil in dem Völkergemisch nun auch Menschen von außerhalb der Arabischen Halbinsel aufgingen. Im Laufe dieser langen Entwicklung wurden die ʿarab-Stämme jedenfalls zu einem Teil – oder vielmehr zum eigentlichen Herzstück – der im weitesten Sinn als Volksgruppe verstandenen Araber. Das sind sie, ungeachtet ihrer geringen Zahl, bis auf den heutigen Tag geblieben. Allerdings haben sie auch einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass die arabische Geschichte voll innerer Widersprüche ist. Denn die Spannungen zwischen sesshaften und nichtsesshaften Elementen innerhalb des Konglomerats haben zwar viele positive Kräfte freigesetzt, aber auch für verheerende Instabilität gesorgt. In den folgenden Kapiteln werden wir diese positiven und negativen Entwicklungen näher untersuchen. Das Zustandekommen und der Erhalt dieses Völkergemischs verdanken sich mehr als allem anderen einer besonderen Kraft: der arabischen Sprache – nicht der Alltagssprache, sondern dem reichen, merkwürdigen, subtilen, hypnotischen, märchenhaft verzaubernden, wahnwitzig schwierigen „Hoch“-Arabisch, das die tribalen Wahrsager und Dichter auf ihren Zungen trugen. Es hat über weite Strecken und womöglich von Anfang an die Ausbildung einer umspannenden arabischen Identität ermöglicht und beschleunigt. Ethnische Identität kommt ohne eine gemeinsame Sprache nicht aus. Sie ist der Versuch, die von Gott geschaffene babylonische Sprachverwirrung rückgängig zu machen, die zu unüberwindlichen Verständigungsschwierigkeiten geführt und die Menschheit auseinandergebracht hat. Arabern dient ihre Sprache nicht nur als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, sondern sie macht sie vielmehr erst zu dem, was sie sind. „Es heißt“, so lautet ein Sprichwort, das bereits im 9. Jahrhundert n. Chr. altbekannt war, „dass göttliche Weisheit in Form dreier Körperteile vom Himmel auf die Erdenmenschen niederkam: dem Gehirn der Griechen, den Händen der Chinesen sowie der Zunge der Araber.“5 Auch daher spielen in der arabischen Geschichte anders als in der Geschichtsschreibung im Allgemeinen weniger die Taten großer Männer eine Rolle als
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wortgewaltige, sprachgewandte Männer (und einige Frauen) – Dichter, Prediger, Rhetoriker, Schriftsteller, allen voran der Verfasser (beziehungsweise für Muslime der Verkünder) des ersten auf Arabisch verfassten Buches, des Koran. Diese Personen und ihre Worte sind es, um die es in diesem Buch vor allem gehen wird. Denn ihnen ist es zu verdanken, dass Identität gestiftet, Einheit geschaffen und der Gang der Geschichte vorangetrieben wurde. Um zu überprüfen, inwiefern sie mit ihrer Sprache den Fortschritt der Geschichte befördert oder gehemmt haben, werden wir hin und wieder eine Zwischenbilanz ziehen. Denn noch ist es nicht vorbei mit den Fort- und Rückschritten. Aktuelle Ereignisse (nicht zuletzt der „Arabische Frühling“ und das Chaos, das auf ihn folgte) haben gezeigt, dass die Geschicke der arabischen Welt nach wie vor maßgeblich von der Sprache gelenkt werden – von Slogans, Gesängen, Propaganda, Lügen, Desinformation, dem von alters her faszinierenden Zauber von Schwarz und Weiß. Oder vielmehr: die Geschicke der arabischsprachigen Welt, der Arabosphäre. Denn auch heute ist die Sprache der Araber nicht nur einfach ihre Sprache, sondern das, was sie ausmacht. Es wäre daher präziser, nicht von „Arabern“ zu sprechen, sondern von „Arabisch sprechenden“ Menschen. Denn will man die Bevölkerung, die auf dem Gebiet zwischen der Straße von Gibraltar bis zur Straße von Hormus lebt, unter dem Begriff „Araber“ zusammenfassen, könnte man mit Fug und Recht auch alle Einwohner Nord- und Südamerikas, Australiens, Irlands und Großbritanniens ungeachtet ihrer Herkunft als „Engländer“ bezeichnen – oder vielmehr als „Angeln“, denn auch diese waren schließlich umherwandernde Stämme, deren Sprache als einziges Zeugnis eines längst untergegangenen Imperiums überdauert hat.
*** Um zu verstehen, woraus sich die arabische Identität speist – die ja bei aller Uneinigkeit und Differenz zwischen Arabern der Anlass dafür ist, dass sie das Traumgespinst von politischer Einheit wahrzumachen versuchen –, müssen wir darum auf ihre Sprache hören und weit in die Zeiten vor der Entstehung des Islam zurückgehen. Über die vorislamische Vergangenheit, die nur spärlich erforscht ist, wissen wir in der Regel wenig. Sie umfasst jedoch einen Zeitraum, der nach Quellenlage ebenso lang ist wie die Epoche seit dem schicksalhaften Beginn des Islam in Arabien. Die früheste bekannte Inschrift, in der Araber erwähnt sind, datiert auf das Jahr 853 v. Chr.6 Wir schreiben das Jahr 2017 n. Chr., als ich mit der Niederschrift dieses Manuskripts beginne. Zwischen dem Jahr 582 n.Chr., als nach islamischer Überlieferung zum ersten Mal prophetische Zeichen in Mohammed erkannt worden sein sollen, und dieser antiken In-
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Vorwort
schrift liegt damit exakt die gleiche Anzahl von Jahren wie zwischen dem Jahr 582 n. Chr. und heute. Der Islam setzte mit einem Blitz ein, der uns die Sicht auf das, was davor war, nimmt. Seine enorme Strahlkraft erstreckte sich zudem über alle nachfolgenden Ereignisse und hat vieles davon in den Schatten getaucht. Um uns ein Gesamtbild von den historischen Ereignissen zu machen und dabei für ausgeglichene Lichtverhältnisse zu sorgen, müssen wir versuchen, den Blickwinkel zu erweitern: Denn die Ereignisse nach dem Beginn der islamischen Zeitrechnung machen nur die Hälfte des Bildes aus. Was der Islam, und damit einhergehend das vermeintlich einheitliche arabische Narrativ, tatsächlich in Gang setzte, war die Entwicklung arabischer Kommunikationstechnik. Mit anderen Worten: Es bildeten sich neue Methoden im Umgang mit der Sprache und ihrer Kontrolle heraus und mit ihnen ein Identitätsgefühl. Während in der vorislamischen Zeit Literatur, Kultur, Geschichte und Identität überwiegend mündlich überliefert wurden, lösten die mit dem Islam aufkommenden Technologien so gut wie alle wichtigen Entwicklungen der arabischen Geschichte aus. Wir werden diese Technologien der Reihe nach genauer betrachten. Fürs Erste mag es reichen, eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie wichtig diese Technologien für unsere Untersuchung sind. Im frühen 7. Jahrhundert erscheint, vergleichsweise spät, das erste Buch arabischer Sprache – der Koran: Über Nacht (gemessen an den 3000 Jahren, mit denen wir uns hier beschäftigen) werden damit eine Sprache und die Menschen, die sie sprechen, zum ersten Mal sicht- und lesbar. Plötzlich sind sie präsent, schwarz auf weiß. Eine Vergangenheit haben sie bereits, jetzt betreten sie ihre historische Gegenwart mit einer Energie, die ihnen ein großes Reich bescheren wird. Um das Jahr 700, als man kurzerhand die Amtssprachen Griechisch und Persisch zugunsten des Arabischen über Bord wirft, wird dieses Reich mit all seinen Bewohnern in rasender Geschwindigkeit arabisiert: Arabisch ist das neue Latein. Im 8. Jahrhundert hängt das arabische Papierhandwerk das im Pergamentzeitalter eingemummelte Europa meilenweit ab und ein Strom an Worten und Ideen bricht sich auf Arabisch Bahn. Sieben Jahrhunderte später holt Europa mit dem Buchdruck auf. Die arabische Kursivschrift funktioniert nicht wirklich mit beweglichen Lettern, arabischer Bleisatz wird in den eigenen Landen misstrauisch beäugt wie Dosenspaghetti in Italien. Als zu guter Letzt im 19. Jahrhundert dann doch arabische Buchpressen langsam ihre Arbeit aufnehmen, geht damit eine arabische Renaissance einher, die Nahda beziehungsweise das „Erwachen“. Hundert Jahre später verbreiten grenzüberschreitende Transistorradios einen neuen, mitreißenden panarabischen Nationalismus über den Äther. Eine Generation später finden arabische Schriftsetzer endlich ein
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Gegenmittel zum Fluch der Kursivschrift – Textverarbeitungsprogramme. Zur gleichen Zeit startet das Satellitenfernsehen, Worte fliegen immer weiter und schneller. Mit dem Aufkommen der sozialen Medien im 21. Jahrhundert kann sich dann eine ganz neue, subversive Sprache Gehör verschaffen – zumindest bis die Reaktionären Facebook ebenfalls für sich entdecken. Jetzt sind es die digitalen Dinosaurier, die alles daran setzen, die Medien und Gedanken unter ihre Gewalt zu bringen. Über alldem sollten wir aber nicht vergessen, dass auch die vorislamische Hälfte der Geschichte ihre sozialen Medien und Wortführer hatte. Auch damals flogen bereits Worte, wenn auch die meisten mit dem Winde davon. Doch einige hat man eingefangen – auf Stein, im Gedächtnis – und mit etwas Anstrengung können wir sie immer noch hören.
*** Eine zeitgenössische Geschichte der arabischen Welt, die exakt in der Halbzeit einsetzt, also mit dem Beginn des Islam, stammt von dem berühmten Orientalisten Albert Hourani. Um seine Leser an die Vergangenheit heranzuführen, beginnt er seine Geschichte der arabischen Völker mit dem Porträt des großen arabischen Historikers Ibn Chaldūn aus dem 14. Jahrhundert n. Chr.7 Ibn Chaldūn hatte sich, der unablässigen Intrigen und Machtkämpfe müde geworden, die sein Leben über Jahrzehnte beherrscht hatten, nach Algerien in ein von Mauern geschütztes Dorf zurückgezogen, um sich dort in Ruhe seinen Studien zu widmen. Aufgrund eingehender Betrachtung der gesellschaftlichen Konflikte in seiner unmittelbaren Umgebung entwickelte er, mit „Worten und Ideen, die in meinem Kopf wie der Rahm in einem Butterfass aufsteigen“,8 wie er es ausdrückte (wie beneidenswert!), ein Modell für den Aufstieg und Fall von Dynastien. Demzufolge führt die ʿasabiyya – was wörtlich so viel wie „Zusammengehörigkeit“ bedeutet, aber häufig auch mit „Stammessolidarität“ übersetzt wird – unter Nomadenstämmen dazu, dass sie militärische Stärke erlangen, mit Gewalt die Herrschaft eines etablierten Staatsgebildes übernehmen und neue Dynastien begründen: Damit gelangen vormals randständige, frei umherziehende Stämme ins Zentrum und werden sesshaft. Im Laufe der Zeit allerdings – im Normalfall innerhalb von drei Generationen – zehrt das schöne Leben am Eifer einer Dynastie, woraufhin ein neues Herrschergeschlecht, das noch die nomadische Vitalität in sich trägt, an ihre Stelle tritt. Hourani war Wissenschaftler, ein Mann der Bücher aus dem Umfeld des St. Antonyʼs College in Oxford. Mit seinem akademischen Blick sah er in Ibn Chaldūn den Repräsentanten eines Zeitalters und einer Kultur. Als ich beide
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Autoren in meinem Wohnturm im Jemen einer neuerlichen Lektüre unterzog, wurde mir etwas bewusst: Hier, mittendrin, von Mörsern und Raketen am Schlaf gehindert (mein dritter bewaffneter Konflikt), Tag und Nacht mit Parolen, Predigten und Gedichten – politischen, keinen poetischen – bombardiert, sah ich in Ibn Chaldūn in seinem stillen Kämmerlein in Algerien meinen Leidensgenossen. Während um uns herum Stämme und Dynastien sich bekriegen, Intrigen schmieden und immer wieder neue Machtkämpfe austragen, schöpfen wir beide unsere Geschichtsphilosophie aus der unmittelbaren Erfahrung. Setzte Hourani Ibn Chaldūn als literarisches Mittel ein, so finde ich mich unbeabsichtigt als dessen Wiedergänger wieder. Mit anderen Worten erlebe ich Geschichte in situ, an Ort und Stelle. Ihre Überreste liegen genau unter mir, denn der Turm, in dem ich wohne, steht auf den Ruinen des vorislamischen Sanaa – eine der großen Städte Sabas beziehungsweise Schebas –, auf den Ruinen des Palastes des abbasidischen Statthalters und Gott weiß von was noch. In situ also und in Echtzeit: Ich muss nur aus dem Fenster schauen, um zu sehen, woraus Geschichte gemacht wird. (Gerade eben ist eine Gruppe Kinder vorbeigezogen, die „Tod Amerika!“ skandierten, begleitet von Trommelschlägen und dem Geknatter von Feuerwerkskrachern und einer hoch in die Luft gehaltenen roten Kiste mit einem weiteren Märtyrer darin. Erbärmlich klein ist die Kiste.) Die Geschichte unserer Zeit wird aus Stahl und Blei geschmiedet. Als ich neulich mit einer leeren Autobatterie liegen blieb und mir ein Autofahrer zu Hilfe kommen wollte, wir aber kein Überbrückungskabel hatten, kam uns beiden gleichzeitig dieselbe zündende Idee: Wir stoppten einen Wagen mit Stammeskriegern und liehen uns ihre AK47-Sturmgewehre aus, um die Batterien damit zu verbinden. Das Auto sprang beim ersten Versuch an. Fantastisch! „Also sind die Dinger doch für was gut“, sagte ich freudestrahlend, als ich die Waffen zurückgab. „Ja“, pflichtete mir einer der Stammeskrieger bei, „zum Töten.“ Was soll man dazu sagen? Man muss es möglichst auf die leichte Schulter nehmen. Zu sehen, wie das Land, das ich liebe, auseinanderfällt, gleicht, mit ansehen zu müssen, wie ein alter, geliebter Freund den Verstand verliert und langsam aber sicher Selbstmord begeht.
*** Meiner Meinung nach hat Ibn Chaldūns Modell, sein elegantes Paradigma, weiterhin Bestand. Wollen wir es jedoch auf drei Jahrtausende arabischer Geschichte anwenden, bedarf es einer gewissen Verfeinerung. Der zentrale Begriff bleibt ʿasabiyya, jene kollektive Kraft, die eine vorübergehende Einheit herbeiführt:
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Sie bildet die Grundlage für … erfolgreiche Raubzüge, Eroberungen oder, mutatis mutandis, Umstürze; … infolge von Raubzug/Eroberung/Umsturz und dem daraus resultierenden Monopol auf Ressourcen (Kamele, Steuern, Erdöl und -gas) erlebt die Stammesgruppe einen florierenden Aufschwung; … entweder reichen die Ressourcen für den stetig wachsenden Stamm nicht aus, und/oder die Anführer geraten über die Verteilung des Wohlstands in Streit, sodass die Einheit zerfasert. Letztendlich wird sich eine neue ʿasabiyya herausbilden und der Vorgang wiederholt sich. Wie Ibn Chaldūn bin ich der Meinung, dass der Wandel von Nomaden ausgeht. Ich würde sogar so weit gehen – so seltsam es auch klingen mag –, zu behaupten, dass sich das bis heute nicht geändert hat, obwohl es nur noch verschwindend wenige Araber gibt, die nomadisch leben. Die beiden von Ibn Chaldūn herausgearbeiteten Grundformen menschlicher Lebensweise trifft man aber noch heute an: Erstens: hadarī oder „sesshaft“, politische Gemeinschaften, (relativ) statische Systeme, die sich durch hadāra auszeichnen, ein Begriff, der häufig mit „Zivilisation“ im Sinne einer Ansiedlung von Menschen, einer Stadt (lat. civitas, griech. pólis) übersetzt wird; zweitens: badawī oder „beduinische“, apolitische Gemeinschaften, dynamische Systeme, in denen Menschen außerhalb ziviler Gemeinwesen leben, und die auf der „Institution“ ghazw, was „Raubzug“ (oder „Eroberung“ oder „Umsturz“) bedeutet, beruhen. Worauf ich hinaus möchte: Auch wenn Beduinen selbst vom Aussterben bedroht sind, so passen doch zahllose große Akteure und deren Vorgehen im arabischen Politikbetrieb in diese zweite, beduinische Kategorie. Beide Systeme, sesshafte Völker und beduinische Stämme, finden in einem berühmten Koranvers Erwähnung: O ihr Menschen, Wir erschufen euch aus Mann und Frau und machten euch zu Völkern und Stämmen, auf dass ihr einander kennet.9 Dieser Dualismus, der nicht immer unbedingt auch einen Gegensatz darstellt, ist bereits in den ersten dokumentierten Quellen der arabischen Zeit belegt. Die erste Erwähnung eines Arabers stammt aus dem Jahr 853 v. Chr. und betrifft einen gewissen Gindibu („Heuschrecke“), einen arabischen Stammesführer, der im Besitz großer Kamelherden war, und vom assyrischen Staat als Zwischenhändler beauftragt wurde: ein Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen sesshafter und beduinischer Gesellschaft zu beiderseitigem Nutzen. Sehr viel später
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verdankt sich der Erfolg des Propheten Mohammed bei der Errichtung des ersten islamischen Staates unter anderem seinem Geschick, sesshafte und beduinische Elemente zu verbinden. In jüngster Zeit wiederum ist das beinahe vollständige Scheitern der gefeierten demokratischen Revolutionen von 2011 nicht zuletzt auf das Wiedererstarken des beduinischen Systems und seine Auflehnung gegen sesshafte Strukturen zurückzuführen. Bis zum Sommer 2014 galt der Jemen als Erfolgsstory des Arabischen Frühlings, also des Versuchs, eine stabile zivile Gesellschaft aufzubauen. Seither ist der Norden des Landes in einen bewaffneten Aufstand verwickelt, in dem eine alte, über tausendjährige Fehde wiederauflebt, ein Bürgerkrieg ist ausgebrochen, in dem die Nachbarstaaten (die in der Terminologie Ibn Chaldūns von Beduinen-Dynastien beherrscht werden) mitmischen. Geschichte, wie ich schon sagte, in Echtzeit. Kriege gehören zum Schlimmsten, was die Geschichte zu bieten hat, und Bürgerkriege zur übelsten Form des Krieges: Sie werden nicht nur innerhalb der Zivilgesellschaft, sondern gegen sie geführt. Ibn Chaldūn kannte in der Frage nach den Hauptschuldigen keine Zweifel: „Überall dort“, so schrieb er, „wo die Beduinen gesiegt haben, bricht die Zivilisation zusammen.“10 Natürlich ist es heutzutage nicht so, dass tatsächlich Nomaden auf Kamelen staatliche Institutionen aus den Angeln heben, demokratische Aufstände kapern oder Bürgerkriege entfachen. Dennoch scheint das zentrale nomadische Verhaltensmuster – der Raubzug, der ghazw – immer noch ziemlich lebendig zu sein. Vielleicht war deswegen das Bild von den kamelreitenden Regimeanhängern, die 2011 unter den auf dem Tahrir-Platz in Kairo Protestierenden Angst und Schrecken verbreiteten, so wirkmächtig. Andernorts entfalten die neuesten, mit großkalibrigen Maschinengewehren bestückten Toyota-Pickups dieselbe Wirkung. Das Wort Raubzug ist natürlich mit allen möglichen negativen Assoziationen aufgeladen. Es trägt den Beigeschmack von Piraterie, Barbarei, vom Unzivilisierten im negativsten Sinne. Dabei sind Raubzüge durchaus ein bewährtes Mittel zur gerechteren Umverteilung von Vermögen. Die Art und Weise, wie diese Umverteilung umgesetzt wird, mag den ethischen Anschauungen mancher Menschen zuwiderlaufen, wobei sie bei nüchterner Betrachtung eigentlich rational sind: Du hast zu viel, ich habe zu wenig, also nehme ich mir, was du nicht brauchst. Es ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Denkweisen haben. Auch Kannibalen haben, wie Kulturforscher von Michel de Montaigne bis Marshall Sahlins herausstellten, ihre eigenen rationalen Denkweisen.11 Im Wesentlichen sind die Menschen auf der ganzen Welt gleich, doch sind sie es auf unterschiedliche Weise.
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Die arabische Geschichte zeichnet sich über weite Strecken durch die Koexistenz zweier unterschiedlicher Denkweisen aus. Sie ist geprägt von der scheinbaren Dichotomie zwischen Sesshaften und Beduinen, Völkern und Stämmen, vom ständigen Wechselspiel zwischen Streit und Umarmung, Liebe und Hass, Yin und Yang. Welche der beiden Denkweisen ist „typisch arabisch“? Diese Frage bringt das Problem der arabischen Identität auf den Punkt: Wie ich schon sagte, bezeichnet der Begriff „Araber“ im Wesentlichen tribale Gruppen, die abseits sesshafter Gemeinschaften und außerhalb ihrer zivilen Institutionen leben. In gewisser Weise sind Araber demnach umso weniger „arabisch“, je mehr sie sich in zivile Gesellschaften einfügen und je mehr sie infolgedessen von ihrem eigenen Ethos aufgeben. Im globalisierten Einerlei einer zunehmend urbanisierten Welt ist die Aussicht auf den dauerhaften Verlust eines wichtigen Aspekts der arabischen Identität äußerst schmerzhaft.
*** Mit Völkern und Stämmen ist allerdings noch nicht alles über die arabische Geschichte gesagt. Treten wir einen Schritt zurück, um die Landkarte als Ganzes und im Wandel der Zeit zu erfassen, sehen wir sofort, dass sich der gerade geschilderte historische Kreislauf aus Zusammenschluss und Spaltung innerhalb riesiger Imperien abspielt – in Assyrien, Rom, Persien, Byzanz und im Osmanischen Reich, in Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist nicht unbedingt ein Teufelskreis, aber ein Zahnrad mit Zähnen: Manchmal greifen Zähne und imperiale Interessen perfekt ineinander – wie im Falle der beiden Fruchtbaren Halbmonde (mehr dazu später) oder von Ägypten und Iran; manchmal verhaken sie sich. Jedes Mal aber entsteht dabei Reibung, Hitze oder ein Flächenbrand: Der Kreislauf ist eigentlich ein Feuerrad, das ebenso schöpferisch wie zerstörerisch die arabische Identität im Laufe von 3000 Jahren zum Schmelzen gebracht und neu geformt hat. Im Verlauf unserer arabischen Erzählung werden wir jene scheinbar ewig wiederkehrende, häufig tragische Abfolge aus Einheit und Fragmentierung näher betrachten. Ebenso wie die Kraft, die das Feuer nährt, Revolutionen entfacht und charakteristischer für Araber ist als ihre im Laufe der Geschichte häufig wechselnden und immer wieder neuen Identitäten: die arabische Sprache. Sie spielt eine entscheidende Rolle in allen wichtigen, auf Informationstechnologie beruhenden historischen Entwicklungen im Laufe der arabischen Geschichte, angefangen bei der schriftlich festgehaltenen wörtlichen Offenbarung Gottes über die Textverarbeitung bis hin zur Bewusstseinsmanipulation durch die autoritären Regime der jüngeren Zeit. Wie ein roter Faden zieht sich die
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Sprache durch alle Versuche arabischer Möchtegernmachthaber, ʿasabiyya zu schaffen, „Zusammengehörigkeit“ oder Einmütigkeit, um die Stimme der Völker und Stämme „zu einen“, wie es auf Arabisch heißt. Das vorliegende Buch ist eine Geschichte der Araber, nicht des Arabischen. Dennoch lässt sich kaum besser und facettenreicher analysieren, was es heißt, „Araber zu sein“, als wenn man diesen roten Faden verfolgt. Die Sprache ist das einzige Bindeglied, das ein dauerhaftes Band zwischen Arabern geknüpft, ihnen eine gemeinsame Identität gegeben und Einheit gestiftet hat. Selbst die Einheit, die der Islam brachte, basierte letzten Endes auf Worten. Die drei großen Elemente, die die Macht der europäischen Zivilisation begründet haben, sind laut Thomas Carlyle „Schießpulver, Buchdruck und die protestantische Religion“. Für Araber sind es Worte, Reime und Rhetorik. Problematisch dabei ist, dass Worte sowohl entzweien als auch verbinden können. Eben das geschieht im Jemen, genauso wie in vielen anderen arabischen Ländern, weswegen der Traum von der arabischen Einheit auch weiterhin eine Schimäre bleiben wird. Warum das so ist und sich wie ein Leitmotiv durch die gesamten 3000 Jahre arabischer Geschichte zieht, ist das Thema dieses Buches.
*** Ein letztes Wort in eigener Sache möchte ich noch vorausschicken, bevor wir uns den Stimmen der arabischen Welt zuwenden. Auf den folgenden Seiten werden nicht nur Menschen zu Wort kommen, sondern gelegentlich auch Objekte in Augenschein genommen. Man könnte auch von tangibilia sprechen, weil sie uns ermöglichen, in direkte Berührung mit der Geschichte zu kommen. In ihnen wird eine Zeit oder ein Zeitraum in verdichteter, metaphorischer Form anschaulich und Komplexes leichter verständlich. Manche dieser Objekte sind groß wie ein aus Ruinenresten zusammengefügtes Gebäude – eine Moschee, für deren Bau Steine aus heidnischen und christlichen Bauwerken verwendet wurden –, manche so klein wie eine in den englischen Midlands von König Offa geprägte arabische Münze. Einige geben Rätsel auf, wie ein Amulett mit Allah auf der einen und Krischna auf der anderen Seite, andere sind voller Ironie, wie der Colt, auf den der Name eines US-Präsidenten aus der Zeit des Kalten Krieges eingraviert ist. Es sind Objekte, die Jorge Luis Borges „Zahir“ genannt hat und damit einen alten arabischen Begriff neu prägte: ein eindringlicher, unvergesslicher Gegenstand, der je nach Ort und Zeit eine andere Gestalt annimmt.12 Weitere, literarischere Metaphern werden mir auf den folgenden Seiten einen nützlichen Dienst leisten. Eine davon ist das Feuerrad, ein aus der Mytho-
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logie und Literatur bekanntes Symbol für Leid – sowohl Ixion, der sich an der göttlichen Ordnung vergangen hat, als auch König Lear, der sein eigenes Königreich teilt, sind „gebunden / Auf einem Feuerrad“. Räder eignen sich natürlich grundsätzlich gut als Metapher in der Geschichtsschreibung: Sie bewegen sich linear vorwärts in der Zeit und drehen sich dabei zugleich im Kreis um sich selbst – ein Symbol für den Wandel und die Wiederkehr des immer Gleichen. Für die arabische Geschichte empfiehlt es sich jedoch, auch noch ein anderes Bild im Hinterkopf zu behalten. In meinem ersten Buch schrieb ich, im Jemen sei die Vergangenheit allgegenwärtig. Mir war zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, dass der Kolonialbeamte und Arabienreisende Harold Ingrams in seinem Jemenbuch fast wortgleich geschrieben hatte: „Es ist ein Land, in dem die Vergangenheit allgegenwärtig ist.“13 Obwohl ein Menschenalter und ein oder zwei Revolutionen zwischen unseren Aussagen liegen, war die Vergangenheit, über die wir beide schrieben, nicht nur ein und dieselbe, sondern auch gleichermaßen gegenwärtig. Das ist sie noch heute, eine Generation und ein paar Revolutionen später. Und nicht nur uns britischen Beobachtern kommt es so vor, als wolle die jemenitische Vergangenheit nicht vergehen. Auch der syrische Dichter und Literaturwissenschaftler Adonis bemerkt in seinem Werk Stillstand und Wandel, es sei in der arabischsprachigen Welt verbreitet, „das Vergangene allgegenwärtig zu halten“.14 Die Allgegenwart der Vergangenheit wiederum verleitete den scharfsinnigen Berichterstatter Jan Morris dazu, 1955 das Königreich Saudi-Arabien „eine altertümliche Autokratie“15 zu nennen – gerade einmal zwei Jahre nach dem Tod seines Gründungsautokraten. Was sich daraus ergibt, ist eigentlich eine Binsenwahrheit: In einer Vergangenheit, die immerzu gegenwärtig bleibt, ist auch die Zukunft bereits enthalten, und zwar im doppelten Wortsinn: Sie besteht aus der Vergangenheit, wird aber auch von ihr begrenzt. Die positiven Folgen sind feste Verwurzelung, die negativen die geringe Offenheit für Neues. Dann wird die Vergangenheit zu einem Dämon, der uns die Luft abschnürt und den wir wie einen Untoten durchs Leben schleppen. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Ereignisse des Arabischen Frühlings, in denen sich die revolutionären Hoffnungen einer jungen Generation Bahn brachen – und beinahe überall von den reaktionären rückwärtsgewandten Kräften erstickt wurden. Die arabische Geschichte zu ergründen, heißt folglich, dass man ab und an die lineare Chronologie verlassen muss, um einen Blick sowohl zurück als auch nach vorne zu werfen. Denn wie T. S. Eliot wusste:
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Zeit Gegenwart und Zeit Vergangenheit Sind vielleicht beide in Zeit Zukunft gegenwärtig, Und Zeit Zukunft enthalten in Vergangenheit.16 Dass Ursache und Wirkung, Aktion und Reaktion nicht schön sortiert aufei nanderfolgen wie die Seiten eines Buches oder ein Jahr auf das andere, macht allen Historikern das Leben schwer, aber jemanden, der über arabische Geschichte schreibt, kann es zur Verzweiflung bringen. Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende können vergehen, bis Ursachen, Umstände oder Schwachstellen, die vor sich hin schlummern, plötzlich zutage treten und – wenn überhaupt – einer Lösung zugeführt werden können. Ein vielleicht extremes Beispiel dafür ist eine kleine Begebenheit, die sich Mitte des 20. Jahrhunderts ereignete, als ein Dorfscheich von den britischen Kolonialbehörden in Aden forderte, sie sollten für die Ausgrabung und Instandsetzung eines alten Brunnen aufkommen. Als Argument brachte der Scheich vor, der Brunnen sei von einem römischen Expeditionskorps im Jahre 26 v. Chr. zugeschüttet worden und die Römer seien wie die Briten schließlich auch „Franken“ – was Europäer bedeutet.17 Ein ernsteres Beispiel ist die seit 1400 Jahren regelmäßig zu blutigen Auseinandersetzungen führende Frage, wer im nachmohammedanischen Staat die legitime Macht innehat und in welcher Form sie weitergereicht wird. Daran wird deutlich, dass wir außer der Metapher des Rades, das unbeirrt der Zeitläufte entlangtrudelt, noch ein anderes Bild benötigen: eines, das für Wiederholung steht, aber auch für einen unbestimmten Ausgang. Wie so oft hilft die Dichtung uns weiter. Der syrische Dichter Nizār Qabbānī beschrieb die allgegenwärtige arabische Vergangenheit als „die Sanduhr, die dich verschluckt,/ bei Nacht und bei Tag“.18 Die Vergangenheit ist dabei der Sand, der am Boden des Stundenglases liegt, bis es von den Ereignissen umgedreht wird. Qabbānī wusste, dass Geschichte nicht nur Zeit ist, die vergeht oder die wir uns vertreiben, sondern dass sie auch selbst aktiv werden kann, oft zu unserem Schaden. Die Geschichte gleicht einer Sanduhr, die die Zeit anzeigt, ohne sie zu messen – bis sie ein weiteres Mal umgedreht wird und sich zeigt, dass die Sandkörnchen Menschenleben waren oder vielmehr Tote. Denn wir Menschen sind sowohl der Treibsand wie auch dessen Opfer. Die Sandkörnchen lassen sich zählen: In meiner Wahlheimat hat der Krieg 6600 Opfer in der Zivilbevölkerung gefordert und mindestens 50 000 Kämpfer getötet, darunter viele beinahe noch Kinder. Schätzungsweise 85 000 Kinder und Kleinkinder sind still und leise verhungert, denn Krieg und Armut gehen Hand in Hand. Diese nackten Zahlen entnehme ich den Statistiken von UN, ACLED19 und Save the Children von 2018.
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Einleitung Die Stimme einen
„Die Hauptfunktion eines höchsten Scheichs besteht darin, die Stimme aller zu einen.“ Paul Dresch, Tribes, Government and History in Yemen1
Redner und Räuber An einem Wintermorgen zu Beginn des Jahres 630 beobachtete ein Gefangener in Yathrib, einer Stadt auf der Arabischen Halbinsel, eine Gruppe Männer, die sich schon vor Sonnenaufgang im Hof vor seiner Zelle versammelt hatte. Im schwachen Schein der Lampen war nur wenig zu erkennen. Als jedoch ihr Anführer auftauchte – er musste es sein, denn das Geflüster riss plötzlich ab – und die Männer die Reihen schlossen, schwante dem Gefangenen, dass etwas Bedeutendes vor sich ging. Ein Gedanke, eisiger als das Morgengrauen, durchzuckte ihn: „Ich glaube, sie wollen mich töten …“ Gründe dafür hätten sie gehabt. Schließlich hatte der Gefangene mehrere Vergeltungsschläge gegen die Männer aus Yathrib angeführt, die seit einigen Jahren immer wieder reiche Handelskarawanen seiner Landsleute überfielen. Es hatte viele Tote gegeben und die Blutfehde dauerte an. Erst unlängst hatten Verbündete seines Stammes ein Abkommen, das dem Blutvergießen vorübergehend Einhalt gebieten sollte, gebrochen. Was die Männer aus Yathrib nun also im Schilde führten, war wirklich nicht absehbar: Der Gruppe gehörten Mitglieder unterschiedlicher Stämme an, die von einem sonderlichen, aber charismatischen Seher angeführt wurden, einem Cousin des Gefangenen, um genau zu sein – und er hatte keine Ahnung, was sie da trieben. Was er beobachtete, war rätselhaft. Der Seher stand vor den aufgereihten Männern, stimmte seltsame Beschwörungsformeln an, beugte sich vornüber und warf sich dann zu Boden. Die Männer taten es ihm gleich. Etwas Ähnliches hatte der Gefangene bei einem Gottesdienst der Christen auf Handelsreisen nach Syrien beobachtet. Doch die Bewegungen dieser Männer waren so exakt aufeinander abgestimmt, geradezu militärisch gedrillt, dass sie sich wie ein einziger Körper bewegten. Während er ihnen zusah, murmelte der Gefangene einen Schwur auf den alten Hauptgott seines Stammes:
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Bei Allah! Niemals bin ich solch einer Disziplin wie heute ansichtig geworden, bei keinen Menschen, nicht hie, noch da, noch sonst irgendwo … Nein, weder bei den edlen Persern noch bei den Byzantinern mit ihrem geflochtenen Haar! Der Gefangene war kein anderer als Abū Sufyān, ein Clanführer aus Mekka.2 Sein sonderlicher Cousin wurde Mohammed gerufen, und die Männer, die Abū Sufyān zur Geisel genommen hatten, nannten sich seit einigen Jahren selbst „Muslime“. Was Abū Sufyān derart in Erstaunen versetzte, war die Einheit unter den Männern aus Yathrib (oder Madīnat Rasūl Allah, „die Stadt des Gesandten Gottes“ – kurz: al-Madīna oder Medina – wie sie den Ort zu Ehren ihres Anführers seit Kurzem nannten). Diese Menschen unterschiedlicher Abstammung waren nicht nur nicht durch Blut geeint, sondern versuchten noch nicht einmal, diesen Anschein zu erwecken, wie es bei Stammesgruppierungen sonst üblich war. Einige von ihnen gehörten sogar zu seinem eigenen Stamm der Quraisch, der sich über die letzten fünf Generationen in unterschiedliche, konkurrierende Clans aufgespalten hatte. Die meisten Männer waren jedoch mit ihren Stämmen aus Südarabien, aus al-Yaman, „dem Süden“, einer bergigen Gegend mit Schluchten, Wäldern und Feldern, fern und fremd in seinen Sprachen und Bräuchen, eingewandert und schon lange in Yathrib sesshaft. Sogar einige jüdische Landsmänner befanden sich unter ihnen. In diesem Augenblick aber bewegte sich der bunt zusammengewürfelte Haufen, als seien sie alle eins. Mohammed war also gelungen, wovon alle arabischen Möchtegernführer schon immer geträumt hatten: Er hatte die „Stimme“ vieler unterschiedlicher Männer „geeint“ – er hatte Einmütigkeit hergestellt und alle Zwistigkeiten zum Verstummen gebracht. Aus Abū Sufyāns Vergleich mit den Byzantinern und Persern lassen sich Rückschlüsse ziehen. Dem erfahrenen Kaufmann im Fernhandel waren die benachbarten Großreiche nicht fremd. Ihm war indes bewusst, dass in diesen Reichen aller selbstbekundeten inneren Einheit zum Trotz politische Unstimmigkeiten und sektiererische Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen an der Tagesordnung waren. Umso erstaunlicher war der Anblick der Szene, die sich vor seinen Augen, im Herzen der ewig zerstrittenen Arabischen Halbinsel, abspielte: ein mustergültiges Beispiel von Einheit – Einstimmigkeit, dem geeinten Wort –, das im Unterschied zu der lediglich vorgetäuschten Einigkeit der überheblichen imperialen Nachbarn tatsächlich überzeugend wirkte. Es war zu schön, um von Dauer zu sein. Kaum 30 Jahre später hatte sich zwischen Abū Sufyāns Sohn und Mohammeds Schwiegersohn bereits ein blutiger
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Machtkampf entsponnen – um die Macht über Menschen und die Kontrolle von Steuereinnahmen in geradezu schwindelerregender Höhe. Dieser Konflikt hält bis heute an, nur sind die Summen, um die es geht, inzwischen tatsächlich ins Schwindelerregende gestiegen und die Begleitumstände unendlich viel komplexer geworden. Um das zu übertünchen, wird so getan, als handele es sich um konfessionellen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten, aber in Wahrheit hat der Glauben damit wenig zu tun. Es geht immer noch um sehr irdische Macht: Macht über Ressourcen, Macht über Menschen, Macht über Macht. Doch zurück zu Mohammed. Er hatte die beiden Schlüssel zur Pforte der Eintracht gefunden. Der erste Schlüssel war, wie die geschlossenen Reihen der Betenden verdeutlichen, die ungeteilte Treue gegenüber einem einzigen Gott. Trotz des christlich anmutenden Gebets mitsamt den Niederwerfungen hatte Mohammeds Gottheit nicht sehr viel gemein mit dem Gott der Byzantiner und Äthiopier, deren Gezänk über das Wesen dieses Gottes kein Ende nehmen wollte. Ebenso wenig glich Er dem Gott der Juden, wobei sich die Dinge auch in diese Richtung hätten entwickeln können. Doch war die große Mehrheit der Juden in Yathrib bei Mohammeds Ankunft in der Stadt nicht auf seine Avancen eingegangen. Daher nahm Er den Namen des kultischen Hochgotts von Mekka an, der Stadt, aus der Mohammed stammte, eine der letzten Bastionen des Polytheismus in einem überwiegend christianisierten und judaisierten Nahen Osten. Was Sein Wesen betraf – ein minimalistisches, aller Attribute entledigtes Wesen, über das kein Streit entbrennen konnte –, so war es wie die Gottheiten aus Wüstensteinen, die die Beduinen entlang ihrer Wanderrouten aufstellten, einfach und in sich gekehrt. Ein Gott, von dem man sich im Grunde kein Bild machen konnte, allenfalls im Spiegel Seiner Schöpfung und durch Sein an Seinen Propheten offenbartes Wort. In täglichen Gebeten bestärkte dieses Wort den durch die Gottheit gestifteten Bund. Und es knüpfte eine sehr viel umfassendere, tiefere Einheit, die nicht auf Verwandtschaft beruhte, sondern auf Frömmigkeit. Der zweite Schlüssel war noch wichtiger, denn erst durch ihn konnte der erste funktionieren: Es war Mohammeds Gebrauch der Sprache – nicht der Alltagssprache, sondern des besonderen, orakelhaften, fast magischen Hocharabischen, das den traditionellen arabischen Sehern von Dämonen und vertrauten Geistern eingeflößt wurde. Mohammeds Worte hingegen wurden ihm von einem Engel eingegeben und kamen von dem abstrakten Gott, der ihn zu seinem „edlen Gesandten“3 erwählt hatte. Er hatte das Wort Gottes empfangen und vereinte die Worte der Menschen. Dennoch war ihm bewusst, dass die Einheit, die er stiftete, einmalig und dem Untergang geweiht war. Auch wenn er, was
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umstritten ist, nicht selbst vorhergesagt hat „Diese Gemeinde wird sich in 73 Konfessionen spalten“,4 so wusste er doch nur allzu gut aus seinem Koran, der Sammlung der von Gott herabgesandten und von ihm, Mohammed, verkündeten Rezitationen, dass Uneinigkeit eine Tatsache war: Bei der Nacht, wenn sie bedeckt, Beim Tag, wenn er erstrahlt, Bei Ihm, der Mann und Frau erschuf, Sage ich euch, euer Streben ist verschieden.5 Auch ein weiteres Dilemma konnte er nicht übersehen. Die orakelhafte, göttlich gewordene Botschaft aus seinem Munde war in erster Linie an die Menschen gerichtet, die am ehesten in der Lage waren, sie auch zu verstehen – seine auf der Halbinsel verstreut lebenden Landsleute, die des Hocharabischen der Seher und Dichter mächtig oder zumindest dafür empfänglich waren. Und das waren vor allem die in Stämmen lebenden Araber. Das mag banal erscheinen, doch im Koran selbst wird immer wieder darauf hingewiesen. Hier sei nur eine Stelle angeführt: „Wir haben ihn herabgesandt als einen arabischen Koran, damit ihr verstehen möget.“6 Doch ausgerechnet diese Menschen, die im Koran als Araber bezeichnet werden – diejenigen also, die am ehesten empfänglich für die Botschaft und ihren spirituellen Gewinn waren – beherzigten die Verkündigung am wenigsten: Die aʿrāb sind in Unglauben und Heuchelei am Schlimmsten, und neigen am Wenigsten dazu, die Vorschriften anzuerkennen, die Allah auf seinen Gesandten herabgesandt hat.7 Göttliche Worte also, die auf taube Ohren stießen. Aber: „Unter den aʿrāb finden sich einige, die an Allah und an das Jüngste Gericht glauben.“8 Gewiss, mit der Pluralform aʿrāb (während ʿarab ein Kollektivum bezeichnet, dies nur als kleine Spitzfindigkeit am Rande) werden in der Regel ausschließlich die Stämme mit einem nomadischen Lebensstil bezeichnet, die in Mohammeds Welt der sesshaften Händler zu den Randgruppen zählten. Auf ihrem räuberischen Ethos jedoch beruhte die militärische Schlagkraft der neuen Gemeinschaft, mit der sie sich im Laufe der Zeit gegen die umliegenden altersschwachen Reiche durchzusetzen gedachte. Die Nomaden mit ihrem Raubinstinkt mussten also in die Gemeinschaft der Gläubigen einbezogen werden. Dem ältesten Buch auf Arabisch, dem Koran, zufolge weist das Arabertum also zwei Facetten auf – die Zungenfertigkeit des Hocharabischen sowie das Un-
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gestüm derjenigen, unter denen sich diese Sprache entwickelte. Araber können mithin begnadete Redner, aber auch Räuber sein. Blickt man auf die arabische Geschichte vor und nach Mohammed, klingt das überzeugend. Diese machtvolle Kombination aus Rhetorik und Raubzügen treibt den Kreislauf aus Zusammenschluss und Zersplitterung seit jeher und bis in unsere Gegenwart an. Echte, anhaltende Einigkeit, das war Mohammed bewusst, war ohne absolute Gleichheit vor Gott unerreichbar. Denn um Teil einer größeren Einheit zu werden, mussten die einander bekämpfenden, aufsässigen Stämme und Clans in Arabien Macht abgeben. Keiner anderen Macht als der eines allmächtigen Gottes hätten sie sich unterwerfen können, ohne zugleich eine Niederlage oder Demütigung zu erleiden. Aber auch unter dem einen Gott hat sich das Prinzip der Gleichheit, eines der wichtigsten Fundamente des Islam, auf Erden nicht dauerhaft etablieren lassen. Und Einheit ebenso wenig: Sie schimmert als Fata Morgana am Horizont auf, während Anführer mit wortgewandter, überzeugender oder einfach nur sehr lauter Stimme vorübergehend alle Stimmen zeitweise einen und so einen bedrohlichen Gleichklang erzeugen, der sich dann unweigerlich im Getöse konkurrierender Stimmen verliert. Harmonie – der Zusammenklang vieler verschiedener Stimmen, die alle gleichberechtigt zu Wort kommen dürfen und das gleiche Recht haben, gehört zu werden – ist eine ausgesprochene Seltenheit. Mit Mohammed, Abū Sufyān und dem Islam befinden wir uns unversehens mittendrin in der arabischen Geschichte. Dabei habe ich noch im Vorwort gesagt, die Zeit davor gerate zu oft aus dem Blick – so schnell kann es gehen. Es handelt sich allerdings auch um einen (wahrscheinlich den) „lichten Augenblick“ der arabischen Geschichte, wenn es so etwas überhaupt geben kann. Er wirft ein Licht auf das, was davor war und was folgen wird. Auch Medina liegt in der Mitte: Es hat eine Mittlerposition inne zwischen dem nomadischen Nord- und Ostarabien und dem sesshafteren Südarabien, zwischen ʿarabStämmen und südarabischen Völkern – den beiden Grundelementen, die sich zaghaft zu einem „arabischen“ Ganzen fügten. Dabei war Medina keineswegs das einzige Zentrum in Arabien. Und Mohammed war zwar der größte Stimmenvereiniger, aber nicht der erste. Der Blick zurück auf die Anfänge dieser langen Suche nach Einheit bedeutet daher auch, die arabische Geschichte zum Teil zu ent-islamisieren und den Scheinwerfer auf Menschen zu richten, statt uns von der prächtigen und Aufmerksamkeit erheischenden Kulisse des Islam ablenken zu lassen. Es bedeutet auch, die Geschichte des Islam – und der Araber selbst – zu re-arabisieren, den Islam also nicht nur als die Weltreligion zu sehen, die er heute ist, sondern auch als eine einheitsstiftende Nationalideologie mit dem arabischen Nationalhelden Mohammed.9
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Noch etwas anderes wird beim Blick auf die Anfänge klar. In seiner umfangreichen, alten (aber weiterhin lesenswerten) History of the Arabs bezeichnet Philip Hitti die arabische Sprache als die „dritte Etappe in einer Reihe von Eroberungen“10 durch Araber, der die militärische Eroberung und der Eroberungszug des Islam vorausgegangen seien. Tatsächlich gehört die arabische Sprache aber an die erste Stelle, nur dass sie nicht von Arabern erobert wurde, sondern Letztgenannte von ihr erobert wurden. Ohne diesen Vorgang hätte es die militärische und die islamische Eroberung nie gegeben. Nicht einmal eine arabische Geschichte hätte ohne sie irgendwer zu Papier bringen können. Al-Masʿūdī, einer der vorzüglichsten frühen arabischen Historiker, verglich die Aufgabe, die arabische Geschichte niederzuschreiben, einmal mit der Aufgabe, „eine Menge verstreut liegender Perlen aller möglichen Formen und Farben aufzuspüren, sie zu sortieren, aufzufädeln und in eine wunderschöne Halskette zu verwandeln“.11 Elfhundert Jahre später ist dieser Schatz an Edelsteinen um einiges angewachsen und um einiges bunter, die Aufgabe jedoch ist die gleiche geblieben. Die Chronologie gibt grob vor, in welcher Reihenfolge die Steine aneinandergereiht werden müssen; die endgültige Gestalt der Halskette hängt aber davon ab, wie der Historiker die verschiedenen Formen und Farben aneinanderfügt, und zu einem gewissen Grad auch vom Zeitgeschmack. Ob das fertige Schmuckstück die Zeiten überdauert, hängt auch von der Stärke des verwendeten Fadens ab. Mein Faden ist die arabische Sprache, das „wichtigste Merkmal dessen, was ‚Araber zu seinʼ bedeutet“.12 Auf den nächsten Seiten werden wir die 3000 Jahre kurz Revue passieren lassen, ehe wir die oft eigenartigen, glanzvollen und verwirrenden Ereignisse auffädeln. Der verborgene Faden ist die Sprache, das Wort: das Band, entlang dessen sich die arabische Einheit am häufigsten zusammengefunden hat.
Im Anfang war der Dichter In den drei Jahrtausenden überlieferter arabischer Geschichte hat die geeinte Stimme drei Wellen der Einheit ausgelöst. Die treibende Kraft hinter diesen drei Wellen der ʿasabiyya, der Stammessolidarität, um es in Ibn Chaldūns Worten zu sagen,13 war ʿarabiyya, die arabische Hochsprache. Diese Wellen beschreiben weit umfassendere Ereignisse als Ibn Chaldūns Modell der zyklischen Abfolge von Stämmen und Dynasten. Die erste Welle breitete sich im Jahrtausend vor dem Auftreten des Islam ganz allmählich aus – ein ethnisches Selbstverständnis bildete sich heraus. Die zweite glich einem Tsunami, der sich mit den arabischen Eroberungen des 7. und 8. Jahrhunderts und deren Folgen geografisch weit ausdehnte, der dann aber ebenso rasch, wie er ent-
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standen war, zurückwich und dabei ein reiches, beständiges Sprachsediment hinterließ. Die dritte Welle war eine der Wiederentdeckung des ethnischen, kulturellen – und später des kultischen – Selbstverständnisses, getragen von zunächst noch vor sich hinschlummernden Kräften, die im 19. Jahrhundert von nationalistischen Bewegungen aus Europa geweckt wurden. Diese Welle umspült uns noch heute. Das vorliegende Buch ist entsprechend den drei Wellen in drei etwa gleich lange Abschnitte gegliedert, die drei unterschiedlich lange Epochen behandeln: „Aufstieg“ und „Revolution“ (900 v. Chr. bis 630 n. Chr.); „Dominanz“ und „Niedergang“ (630 bis 1350); „Finsternis“ und „Wiederaufstieg“ (1350 bis heute). Die Anfänge der ersten Welle, des erwachenden Selbstverständnisses, liegen im Dunkeln und sind schwer zu datieren. Aber es spricht einiges dafür, dass mit der Domestizierung von Kamelen, die als Lasttiere eingesetzt wurden, eine zunehmende Mobilität in Gang kam und immer mehr Araber in Fernhandel und Transportwesen tätig wurden. Das machte es unabdingbar, eine Sprache herauszubilden, mit der sich Sprecher unterschiedlicher nordarabischer Dialekte verständigen konnten (die Bewohner Südarabiens und die Menschen des Nordens gehörten unterschiedlichen Sprachfamilien an, die zwar verwandt waren, aber eine Verständigung unmöglich machten – einander etwa so nah wie das Deutsche und das Italienische). Allmählich bildete sich außerdem, wahrscheinlich über einen langen Zeitraum hinweg und lange vor dem 5. Jahrhundert n. Chr., im Zentrum der Halbinsel eine „Hochform“ dieser vereinheitlichten Sprache des Nordens aus, die ʿarabiyya. Sie hatte nur äußerst geringe Ähnlichkeit mit der im Alltag gesprochenen Sprache und diente als „mystische Zunge“ zur „Wahrsagung und Rezitation von Dichtung“.14 Wer diese besondere Sprachform beherrschte – in erster Linie der schāʿir, dem ältesten Wortsinn nach ein Seher oder Schamane, später dann ein „Dichter“ –, vermochte Anhänger um sich zu scharen. Kam es zu Raubzügen, wurde dem schāʿir gar die Rolle zuteil, für die auch Walt Whitman einen Dichter geeignet hielt: „Die tödlichste Kriegswaffe … mit jedem Wort aus seinem Mund vermag er Blut zu vergießen.“15 Der plötzliche Einschlag des Islam hat so viel Staub aufgewirbelt, dass der Blick auf vieles, was davor geschah, getrübt ist. Dennoch wissen wir einiges aus der Zeit vor dem schlagartigen Auftritt der Araber auf der Weltbühne, angefangen bei ihrer ältesten, dokumentierten Erwähnung im Jahre 853 v. Chr. In weiten Teilen Arabiens lebten Menschen in nicht sesshaften, schnell spaltbaren und reizbaren Gruppen; denn Stammesgruppen, die in einer lebensfeindlichen Umwelt umherziehen, müssen sich aufteilen, um Aussicht zu haben, den Kampf ums Überleben zu gewinnen. Zur Messung der Zeit dienten die Namen
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der Vorfahren, nicht Denkmäler oder Annalen. Gegen Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. nehmen die Ränder dieser heterogenen Gesellschaft (falls der Begriff hier schon angebracht ist) allmählich Kontur an, was vor allem ihren Kontakten mit den benachbarten Imperien zu verdanken ist – Rom, Persien und Südarabien, das fruchtbare Bergland an Ferse und Innenrist der Halbinsel, wo das Königreich Saba (das biblische Scheba) und dessen Nachfolger über eine überwiegend sesshafte Bevölkerung herrschten. Großreiche sind im Unterschied zu horizontal organisierten Stämmen und Clans hierarchisch und pyramidenförmig aufgebaut, um Arbeitsabläufe und Herrschaft effektiv organisieren zu können. Mit der Anerkennung durch die Imperien bildeten sich allmählich auch unter Arabern Hierarchien heraus, so finden sich etwa Belege für Phylarchen (Stammesführer) und später „Könige der Araber“. Das alte nomadische, unstete Leben nahm langsam – an den Rändern – sesshaftere Formen an: Arabische Könige herrschten in zwischen Wüste und urbar gemachtem Land gelegenen Zentren, die teils Feldlagern, teils Städten glichen. In den Gebieten Nord- und Zentralarabiens schien sich die Gesellschaft von außen nach innen zu festigen, wie Wachs in einer Gießform. Könige bedürfen aber nicht nur der Anerkennung durch ihre Nachbarn, sie sind auch auf die ihres eigenen Volkes angewiesen: Sie leben von Lobpreis und Propaganda, dem Handwerkszeug der Dichter (die damals noch nicht so hießen). In diesem Umfeld bildete sich die Hochsprache in ihrer eigenen, noch heute erhaltenen Form heraus. Diese Sprache hatte das Potenzial, eine tiefer empfundene Einheit zu stiften. Johann Gottfried Herder, einer der Vordenker des modernen europäischen Nationalbewusstseins, wusste um diese Macht der Poesie. „Ein Dichter“, schrieb er 1778, „ist der Schöpfer eines Volkes um sich: er giebt ihnen [sic] eine Welt zu sehen und hat ihre Seelen in seiner Hand, sie dahin zu führen.“16 In Europa war das zu Herders Zeiten neues Terrain. In manchen Teilen Frankreichs sorgte etwa „ein Tagesmarsch in jedwede Himmelsrichtung [dafür], dass man nicht mehr verstanden wird“.17 Das Ideal einer einheitlichen Nationalsprache lag also damals noch in weiter Ferne. Ganz anders in der arabischen Welt. Reynold Nicholson, einem ihrer besten Kenner, verdanken wir die Erkenntnis, dass es die Poesie war, die Araber „moralisch und geistig lange vor Mohammed zu einer Nation gemacht hatte“.18 Natürlich wurde die Sprache der Dichter im Alltag nirgends gesprochen. „Nationale Geschlossenheit“ war ein dichterisches, ein proklamiertes Ideal. So ist es immer gewesen.
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Das Wort verbreitet sich Als im 6. Jahrhundert n. Chr. dieser Prozess der ethnischen Selbstfindung, räumlichen Sesshaftwerdung und geistigen Nationenbildung an Fahrt aufnahm, zogen die Mächte rund um Arabien in den Krieg: Römer (mittlerweile Byzantiner) gegen Perser und das äthiopische Kaiserreich von Aksum gegen das himyarische Südarabien. Als die imperiale Schale um sie herum Risse bekam, fiel auch die noch nicht gefestigte arabische Gesellschaft in sich zusammen. Ohne die Rückendeckung ihrer Partner verloren die arabischen Könige ihre Raison dʼÊtre, „die Araber“ ihren bestimmten Artikel, und Arabien wurde re-beduinisiert. Es entstand ein Durcheinander und Wettstreit vieler Stimmen, denn jeder Stamm hatte nicht nur seine eigenen Dichter, sondern außerdem – da immer mehr Sachverständige und Spezialisten auf dem Felde der Sprache hinzugekommen waren – seine eigenen chātibs (Redner) und kāhins (Wahrsager und Seher). Das war der Nährboden aus Worten und Weissagungen, aus dem Mohammed erwuchs und von dem aus er die Redekunst auf neue, ungeahnte Höhen führte. Das Erstarken des Islam verdankt sich der Sprache: der mitreißenden Rezitation des dem alten, magischen Hocharabisch entsprungenen Koran, die den Hörern ein neues spirituelles Universum eröffnete, aber auch den Schlachtrufen und religiösen Formeln – allen voran die Beschwörung des allmächtigen alten mekkanischen Hochgotts: Allāhu akbar, Allah ist am größten. Bei Ibn Chaldūn heißt es: Mohammed „versammelte die Araber im Wort des Islam“.19 Mohammeds Leistung besteht darin, die Aufgabe, die jedem hohen Scheich zufällt, in besonders vortrefflicher Weise erfüllt zu haben – die Stimme zu einen. Und damit ein Musterbeispiel geliefert zu haben, wie es gelingen kann, Worte zur raschen Verbreitung von Ideen einzusetzen und mit diesen wiederum eine Bewusstseinsänderung herbeizuführen. Vielleicht ist der Islam in der Menschheitsgeschichte sogar das Beispiel schlechthin dafür, dass man mit den Mitteln der Sprache – statt mit Körperkraft oder im darwinistischen Konkurrenzkampf ums Überleben – zu Macht kommen kann.20 Denn nur 100 Jahre nach dem Schlüsselerlebnis Abū Sufyāns hatten die arabischen Streitkräfte des Islam ein Gebiet erobert – oder genauer gesagt geplündert und stellenweise besetzt –, welches die Fläche des Römischen Reiches auf dem Gipfel seiner Macht noch weit übertraf. Noch ein paar Jahrzehnte später waren Araber mit ihrer neuen Hauptstadt Bagdad – deren vier Haupttore in alle vier Ecken der bekannten Welt wiesen – zu Global Playern geworden. Und auch ihre Sprache expandierte in die Welt, indem sie das große und dauerhafte Kulturreich namens Islam zunächst begründete und dann zusammenhielt – fester und schneller, als jedes Dogma es je vermocht hätte.21
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Doch der eigene Erfolg wurde den Arabern zum Verhängnis. Dieselbe Sprache, die sie vor dem Islam kulturell und unter ihm politisch geeint hatte, zerstörte diese Einheit auch. Innerhalb weniger Generationen war die alte, magische, dichterische ʿarabiyya – das Hocharabische, das ethnische Erkennungszeichen schlechthin – zum Medium von Kultur, Gottesverehrung und Verwaltung im ganzen Reich geworden. Die einst vereinte Stimme zerstreute sich nun unter unzähligen arabisierten Völkern vom Pamir bis zu den Pyrenäen. Genetisch betrachtet gab es überall Araber. Aus linguistischer Sicht durchzog ihre Sprache diese weit gefasste Kultur mit ihrem unverwechselbaren Klang. Doch sie selbst verschwanden allmählich von der Bildfläche. In Eugene Rogans Die Araber: Eine Geschichte von Unterdrückung und Aufbruch, das die Epoche von 1500 bis 2000 abdeckt, tritt dieser Vorgang des allmählichen Verschwindens bildlich zutage: Die ersten beiden Bildtafeln in dem Buch zeigen nicht etwa Araber, sondern florentinische Porträts ethnischer Türken. Wie wir noch sehen werden, spielt sich im Schatten dieser unsichtbaren Jahrhunderte eigentlich eine arabische Expansion ab, deren Ausmaß der ersten Eruption des Islam beinahe ebenbürtig ist – oder vielleicht noch bemerkenswerter als diese ist, gerade weil sie sich so beiläufig vollzog. Allerdings fand diese Expansion nur im Hinterhof der arabischen Welt statt, im Indischen Ozean. Andernorts blieben Araber zu Hause und sahen mit an, wie andere Reiche errichtet wurden. Wenn es so etwas gibt wie eine „Grammatik“ der Geschichte, die sich analysieren lässt, ließe sich wohl sagen, dass die Mehrzahl der vormals so aktiven und nicht zu übersehenden Araber nun in Passivität verfallen waren und in der eigenen Vergangenheit lebten. Das grammatische Passiv in der arabischen Sprache jedenfalls wird tatsächlich auch als „unbekannte“ oder „namenlose“ Stimme bezeichnet – und es ist wohl nicht allzu weit hergeholt zu sagen, dass den Arabern ihr Name abhandengekommen war und sie in der größeren Gesamtheit der Muslime auf- beziehungsweise untergegangen waren.
Das wiedererweckte Wort Doch auch diese lang anhaltende Epoche der Anonymität wurde durch das Wort beendet. Ebenso wie die Deutschen und die Italiener ihre nationale Identität zunächst in der Literatur entdeckten, bevor sie sich an deren politische Umsetzung machten, so ertönte auch der arabische Weckruf zunächst aus dem Mund von Dichtern. So etwa bei Ibrahim al-Yāzidschī im Jahr 1868: Erwacht, o Araber, und erhebet euch! Des Unglücks Fluten umspülen eure Knie.22
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Dabei war der Weg zu nationaler Einheit ein sehr steiniger. Im 19. Jahrhundert entstand aus bereits vorhandenen europäischen Vorstellungen eines linguistisch-ethno-territorialen Nationalismus die Nahda, das „Erheben“ oder „Erwachen“ (in westlichen Quellen häufig auch als „Renaissance“ bezeichnet, was nicht ganz zutreffende Assoziationen weckt). Es erwachten allerdings zunächst vor allem die Intellektuellen; die überwiegende Mehrheit der Araber schlief weiter. Ein weiteres Problem stellte das dritte – territoriale – Element des europäischen Modells dar. Denn für al-Yāzidschī und seine intellektuellen und dichtenden Zeitgenossen waren Araber im Wesentlichen alle Menschen, denen die arabische Muttersprache gemeinsam war. Diese protonationalistischen Schriftsteller betrachteten sich selbst als Demiurgen: Mit dem einen Bein standen sie in der Tradition von europäischen Denkern wie Herder, mit dem anderen in der fernen vorislamischen Vergangenheit, der Zeit ethnischer Selbstfindung. Was damals auf der Halbinsel möglich gewesen war und sich jetzt in Europa vollzog, erwies sich jedoch in der arabischsprachigen Welt, die sich im Zuge der islamischen Eroberungen ausgedehnt hatte und inzwischen über ein Viertel des Erdballs erstreckte, als ungleich schwerer. Die Arabosphäre war einfach zu groß und vor allem auch wirtschaftlich zu disparat, um ein stabiles Ganzes zu bilden; das Osmanische Reich war nach den kräftezehrenden jahrhundertelangen Bemühungen, über große Teile dieses riesigen Territoriums zu gebieten, erschöpft zusammengebrochen. Auch die weitere Zerstückelung der von ihm übrig gebliebenen Reste durch die Siegermächte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs trug nicht eben dazu bei, die Hoffnungen auf territoriale Einheit zu beflügeln. Hinzu kam noch der durch das zionistische Projekt qualvoll ins Herz der arabischen Welt getriebene Keil und die Entdeckung riesiger Ölquellen in einigen der entlegensten Winkeln der Landkarte – und schon wurden Grenzen und Krummdolche gezogen. Der Nationalismus erwies sich damit als unbrauchbar, um die arabische Stimme oder die arabische Welt zu einen. In jüngerer Zeit hat es daher Versuche gegeben, einen anderen Pfad einzuschlagen, um den Traum von der Einheit wahrzumachen – und zwar denselben Pfad, der so erfolgreich in den Islam mündete. Zwar sind auch heute noch Sprache, Identität und das Einheitsideal so eng miteinander verflochten wie zu Zeiten der vorislamischen Lobpreisdichtung und der Offenbarung des Koran – ʿarabiyya, die Hochsprache, „gilt den meisten Arabern als das wichtigste, die arabische Welt einigende Band“23 –, nur spricht kein Mensch heute dieses klassische Hocharabisch oder hat es jemals als Muttersprache gesprochen, jedenfalls nicht seit den unvordenklichen Zeiten, in denen es sich entwickelte. Allenfalls wird es noch (mit wechselndem Erfolg) als Schriftsprache verwendet. Hocharabisch ist also ein imaginiertes Band, aber auch eine
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Fessel – ein unerreichbares Ideal, das auf einen freien Schreibfluss und Ausdruck eher hemmend wirkt. Die Wirklichkeit hingegen besteht aus Dialekten und Uneinigkeit. Eine Einigkeit unter Arabern hat es weder sprachlich noch anderswie gegeben – außer in Sonntagsreden und auf dem Papier. Dennoch berufen sich mehr als 400 Millionen Menschen auf Hocharabisch als die idealisierte literarische Form ihrer gesprochenen Sprache (und weitere 1,4 Milliarden Muslime auf Hocharabisch als liturgische Sprache). In der Praxis sieht es jedoch so aus: Selbst in einem relativ kleinen Land wie Tunesien mit seinen elf Millionen Einwohnern gibt es vier unterschiedliche dialektale Wörter für „Ich“ (auf Hocharabisch ʾanā): anī, ʾanī, nā und nāy.24 Einen weiteren Extremfall stellt (mit einer Fläche von 750 Quadratkilometern) der winzige Inselstaat Bahrain dar, wo die schiitische Mehrheit – die „Bahārna“ beziehungsweise einheimischen Bahrainer – einen „sesshaften“ Dialekt spricht, die herrschende sunnitische Minderheit – die „Araber“, wie sie seit ihrer Machteroberung im Jahr 1783 hier immer noch genannt werden – hingegen einen „beduinischen“.25 Vom Konfessionalismus einmal abgesehen: Welche Hoffnung auf Einheit kann es geben, wenn schon die Bewohner eines Königreichs, das kleiner ist als die Isle of Mull, zwei unterschiedliche Sprachen sprechen?
Das Buch vom Stock Al-Dschāhiz, ein Experte für das Arabertum aus dem 9. Jahrhundert n. Chr., war der Ansicht, die wichtigste „Nationaleigenschaft“ der Menschen, mit denen er sich befasste, sei ihre Sprache. Da er auch wusste, wie wichtig das „Einen der Stimme“ war, widmete er diesem Thema ein kurzes, aber bedeutendes Werk mit einem seltsamen Titel: Das Buch vom Stock. Es richtete sich gegen eine überwiegend von Muslimen persischen Ursprungs getragene Protestbewegung, die behauptete, die Botschaft des Propheten Mohammed von Gleichheit und Eintracht sei von arabischen Chauvinisten – in ihren Augen ungehobelten, herumzeternden und mit Stöcken fuchtelnden Stammesangehörigen – pervertiert worden. In seiner Schrift verteidigt al-Dschāhiz das traditionelle Arabertum und die Rute beziehungsweise den Stock, der zur körperlichen Züchtigung eingesetzt wurde. Der Stock, so sagt er, sei seit der wundersamen Verwandlung von Mosesʼ Stab in eine Schlange stets ein Zeichen der Macht gewesen, und führt eine Reihe von Belegen an: Der Stock sei des Magiers Zauberstab, des Herrschers Zepter sowie Symbol und Stütze des Redners – ein Taktstock, um die Massen zu führen, eine rhetorische Lehne im wörtlichen Sinn, ein Schwefelholz, um Revolutionen zu entfachen, ein Knüppel zu ihrer Unterdrückung. Andere fügten diesen Beispielen noch weitere hinzu – etwa das Schreibrohr des Schriftgelehrten, das sowohl Wunden lindern als auch Menschen vernichten könne:
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Fürchte das Rohr, und ersehne es doch, denn es ist dafür bekannt, Gift und Heilmittel zu speien.26 Für die Macht der Sprache, die Macht über Menschen und die Vereinigung von Stimmen dürfte sich wohl kaum ein geeigneteres Symbol finden lassen als der Stock, das Rohr, der Stab. Sind die Stimmen einmal gebündelt und ist Einheit hergestellt, dann trifft jeden, der den Kampf gegen die Einheit aufnimmt, der Vorwurf, „den Stab zu brechen“.27 Die persische Protestbewegung war keineswegs die einzige. Im ganzen arabischen Reich lehnten sich Muslime koptischen, berberischen, iberischen und sonstigen Ursprungs gegen Ungleichbehandlung auf und mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, sie brächen den Stab. Die meisten von ihnen erwiesen sich jedoch nur vorübergehend als Rebellen und integrierten sich im Laufe der Zeit in das arabische Reich oder assimilierten sich sogar vollständig. Das ethnische Gedächtnis ist weitaus vergesslicher, als man meinen könnte. Nur die Perser beharrten auf ihrer eigenen Geschichte und hielten an ihrer Sprache und Kultur fest. Das belastete die Beziehungen zu den arabischen Nachbarn und sorgt weiterhin für Spannungen. Mit einem anderen, grundsätzlichen und systemischen Problem haben die arabischen Länder bis heute zu kämpfen: Ob die Einung des Wortes erfolgreich verläuft oder nicht, hängt nicht unbedingt von der objektiven Wahrheit dieses Wortes ab. Das Arabische hat selbstverständlich kein Monopol auf die massenhafte Manipulation der Wahrheit, aber es ist bemerkenswert gut darin. Schon Ibn Chaldūn wusste: „Die Kunst der Poesie und der Prosa liegt in Wörtern, nicht in Ideen. Die Ideen sind für die Wörter zweitrangig.“28 Anders gesagt: Versteht sich jemand auf überzeugende Redekunst und stiftet Gruppensolidarität, dann hat er damit zugleich den Beweis für die Wahrheit seiner Worte erbracht. Das zeigt sich nirgends besser als im Wunder des Koran: Er ist Wunder und Wahrheit zugleich, weil so viele Menschen an ihn glauben. Aber nicht nur die religiöse Sprache erzeugt riesige Glaubensgemeinschaften. Wie der in Syrien geborene Dichter und Essayist Adonis einmal bemerkte, können Politik und Religion eine „organischen Verbindung“ miteinander eingehen, sodass „[…] Politik praktisch zu einer Art von religiöser Unterwerfung [islām] und einem Glaubensbekenntnis gegenüber dem herrschenden System [wird]. Alles andere wird automatisch als eine Art Abfall vom rechten Glauben und als Gotteslästerung hingestellt.“29 An anderer Stelle erläutert er, dass tauhīd (die Lehre von Gottes Einheit) ein sowohl theologischer als auch politischer Begriff sei: „Die Einsicht in die Wirkungsweise des tauhīd auf diesen beiden Ebenen bildet die Grundlage, um die
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Natur der Herrschaft im Islam zu begreifen und die arabische Geschichte nachzuvollziehen.“30 Damit ist das „Ja“ zu allem, was die Herrschenden sagen oder tun, dasselbe wie das „Amen“ zu Gottes Geboten. Die außerordentliche Disziplin, die Abū Sufyān in der Szene zu Beginn dieser Einleitung noch so bemerkenswert und erstaunlich fand, durchdringt inzwischen nicht mehr nur das sakrale Leben, sondern auch das säkulare. Widerspruch gilt als Häresie. Jedenfalls scheinen die säkularen Führer das zu denken. Dabei können sie sich auf die Etymologie berufen. Das arabische Wort für „Politik“, siyāsa, unterscheidet sich der Bedeutung nach grundlegend von dem griechischen pólis, dem Zusammenleben in der Stadt. Siyāsa lässt sich in etwa wiedergeben als „Haltung und Dressur von Pferden, Kamelen etc.“.31 Vor diesem Hintergrund kann es nicht wundern, dass eine Einzelstimme nichts zählt gegen ʿasabiyya, gegen das geeinte Wort. Natürlich gibt es auch anderswo auf dieser Welt Orte, an denen abweichende Meinungsäußerungen erstickt werden. Doch in der arabischen Welt, wo die Macht der Rhetorik und die Angst vor dem Brechen des Stabes auch heute noch groß sind, fällt das leichter als anderswo. Die Aufstände von 2011 waren eine Bühne, auf der vorübergehend einzelne Stimmen zu Wort kamen: „Jeder, wirklich jeder hier ist zum Redner geworden“, schrieb Ahdaf Soueif über die Demonstrierenden auf dem Befreiungsplatz in Kairo. „Wir haben unsere Stimme gefunden.“32 Fast alle von ihnen sind wieder zum Schweigen gebracht worden, übertönt vom geeinten Wort.
Arabesken Aber es gibt noch eine andere Form der Einheit, nicht nur die rhetorisch erzeugte Solidarität und Gemeinschaft, und sie hat sich tatsächlich als wesentlich beständiger erwiesen und größere Kreise gezogen. Eine Anekdote aus dem frühen 9. Jahrhundert mag das verdeutlichen. Ibn Arabī, der „Sohn des Beduinen“ (sein Name besteht aus dem Singular von aʿrāb, den Nomaden der oben zitierten Koranverse), ein anerkannter Experte für die reine arabische Sprache seiner beduinischen Namensvettern sowie Verfasser zahlreicher Werke über die Geschichte und Abstammung der arabischen Stämme, die arabische Poesie, die Stammbäume arabischer Pferde, den Anbau von Dattelpalmen und vieles andere mehr, pflegte im irakischen al-Kufa regelmäßig einen literarischen Salon abzuhalten. Einer seiner Schüler, der dem Salon schon über zehn Jahre beiwohnte, bemerkte einmal, er habe Ibn Arabī in all den Jahren nicht ein einziges Mal mit einem Buch in der Hand gesehen, wohl aber ganze „Kamelladungen an Werken“ aus dem Gedächtnis diktieren hören.
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Bei einem Treffen des Salons fielen Ibn Arabī zwei Fremde auf, die in eine Diskussion über seinen Vortrag vertieft waren, und er fragte sie, woher sie kämen: Wie sich herausstellte, war der eine aus Turkistan angereist, nahe der Grenze zum China der Tang-Dynastie, der andere aus al-Andalus im fernen europäischen Westen. Ibn Arabī hielt auch für diese Gelegenheit ein passendes Zitat bereit: Zwei Freunde, weit getrennt, hat uns das Schicksal geeint. So treffen weithin Getrennte zusammen und werden sich freund.33 Diese Verse bezogen sich auf zwei Männer aus entgegengesetzten Ecken Arabiens, während die beiden Bewunderer der arabischen Kultur in Ibn Arabīs Salon aus den gegenüberliegenden Enden Eurasiens kamen, zwischen denen beinahe 7000 Kilometer lagen. Noch erstaunlicher als diese beeindruckenden geografischen Entfernungen ist aber vielleicht die Herkunft des Beduinensohnes selbst. Er stammte weder von einem Nomaden noch von einem ethnischen Araber ab, sondern war Sohn eines Sklaven aus Sindh – eine Region im heutigen Pakistan. Sein Name verdankte sich also nicht seinem Vater, sondern seinen außergewöhnlichen Kenntnissen des Arabischen. Die größte Kulturleistung von Arabern ist nicht die kurzlebige Einigung ihrer Stimme, sondern vielmehr deren Zerstreuung. Seit über 1000 Jahren ist die Diaspora über den ganzen Globus verteilt. Der symbolische Rednerstab bildet somit auch den Grundstock einer im antiken Arabien verwurzelten Kultur, die sich horizontal durch den Raum und vertikal durch die Zeit ausgebreitet hat. Sie wächst in ihrer Gestalt wie eine Pflanze, wie eine dreidimensionale Ataurique oder Arabeske, die unablässig neue Triebe entwickelt, aber deren Wurzeln tief hinein in andere Kulturen wachsen und so auf dem Weg nach Andalusien, Turkistan, Sindh und weit darüber hinaus immer neue Kreuzungen hervorbringt. Als Sprache einer weltweiten Kultur ist das Arabische genauso wichtig gewesen wie Latein und Englisch. Das arabische Alphabet wird, was seine geografische Verbreitung anbelangt, nur noch vom lateinischen übertroffen. Womöglich war es immer schon dazu bestimmt, es weit zu bringen. Die Hauptbedeutung des arabischen Wortes für Schrift, chatt, ist: Linie, Reiseroute, Pfad. Das geschriebene arabische Wort ist also ebenso dazu angetan, neue Wege einzuschlagen wie Texte zu weben. Für seine arabischen Urheber, deren Identität wie die Vermählung von Odysseus und Penelope das Wandernde mit dem Webenden, das Umherstreifende mit dem Sesshaften verbindet, ist das geradezu bezeichnend. Und wie das arabische Wort durch Schriftgelehrte und Reisende Verbrei-
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tung fand, so breitete sich im gleichen Zuge die zugrundeliegende sozioreligiöse Ordnung aus. Auch hierbei kam es zu hybriden Kreuzungen, bis schließlich fernab der nach Arabien reichenden Wurzeln die Frucht des arabischen Geistes, von der als erstes Mohammed inspiriert worden war, zum Tragen kam: Harmonie, eine Frucht, die vielen Arabern versagt geblieben ist. Die Ironie der Geschichte will es, dass Araber, mit Ausnahme von zwei kurzen Jahrhunderten der Solidarität und Herrschaft, von Mohammeds Botschaft selbst scheinbar am wenigsten profitierten. Die Einheit, die Abū Sufyān in Medina so beeindruckt hatte, erwies sich als kurzlebige Schimäre. Die anhaltende Jagd nach dieser Schimäre hat Araber zuweilen an wilde und einsame Orte geführt, fernab der reichen Kultur, für die sie die Saat gelegt haben. Das gängige arabische Wort für „Einheit“ lautet wahda; etymologisch verwandt mit wāhid, „eins“. Die älteste belegte Bedeutung ist jedoch „Isolation, Exklusion, Abgeschiedenheit“: wahda ist Eins-sein, aber eben auch Einsamsein. Damit ist nicht die Isolation eines heroischen Einzelgängers gemeint, sondern die einer heroisch abgeschiedenen Gesellschaft. Auf einem übervölkerten Planeten wie dem unseren gibt es nicht mehr viele Orte, an denen eine ganze Gesellschaft in kultureller Autarkie leben könnte. Utopia ist längst zugebaut. Nichtsdestotrotz geben einige die Suche danach nicht auf. Das Königreich Saudi-Arabien (zugegebenermaßen ein Extrembeispiel) lehnt viele der im Rest der Welt gültigen Normen ab, nicht zuletzt demokratische Prinzipien und Meinungsfreiheit. Als im Jahr 2018 zum ersten Mal Kinos öffneten und Frauen die Erlaubnis erhielten, Auto zu fahren und Fußballspiele zu besuchen, wurde das geradezu als Riesenfortschritt gepriesen. In gewisser Weise ist es das auch für eine Gesellschaft, die so selbstbewusst darauf besteht, anders zu sein. Zahllose andere Verbote bestehen jedoch fort. Vielleicht hat das alles damit zu tun, dass Araber ursprünglich ein Inselvolk sind, was ja auch ihrem kulturellen Selbstbild entspricht. Doch die Wirklichkeit ist weniger schlicht und viel interessanter: Denn die Ursprünge sind mannigfach, das Volk ist kein Volk, und die Insel nicht einmal eine Insel.
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Kapitel 1 Stimmen aus der Wüste: Früheste Araber Die Insel der Araber Nehmen wir die Landschaft als Ausgangspunkt, zäumen wir das etymologische Pferd von hinten auf: Wahrscheinlich gab es schon Araber, bevor es einen Ort mit dem Namen Arabien gab, und ganz sicher schon lange, bevor die gesamte Halbinsel nach ihnen benannt wurde. Denn angesichts der rastlosen arabischen Geschichte geht es in ihr eher um Menschen als um Orte, eher um Kerle als um Karten, um es mit E. C. Bentley zu sagen.1 Es ist daher auch vergeblich, nach einem genauen Ursprungsort der Araber Ausschau zu halten, wir müssen uns mit einer Ursprungsregion begnügen – mit der Arabischen Halbinsel und den angrenzenden Gebieten. Denn diese Landschaft ist prägend gewesen für das Schicksal von Arabern, die mittlerweile über so gut wie den ganzen Erdball verstreut sind. Der Blick zurück auf die Ursprünge gibt wichtige Aufschlüsse, um ihre jetzige Lage zu verstehen. Das Wahrzeichen dieses arabischen Subkontinents, der Halbinsel selbst, ähnelt einem Klumpfuß, der auf die Unterseite des Iran zielt, beim Ausholen aber einen scharfen Rhinozeros-Stoß vom Horn von Afrika versetzt bekommt. Ein anderer Vergleich bietet sich vielleicht noch eher an: der mit Indien (einschließlich Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka) und Europa (ohne die europäischen Teile der ehemaligen Sowjetunion), den beiden anderen an Eurasien hängenden Subkontinenten.2 Denn einer möglichen Definition nach ist Arabien ebenfalls ein Subkontinent: Die Halbinsel liegt zusammen mit dem Fruchtbaren Halbmond des Irak und der Levante auf einer einzigen tektonischen Platte (vielleicht sollte man wegen der geringen Größe lieber von einem tektonischen Tellerchen sprechen), der arabischen Platte. Alle drei Subkontinente sind flächenmäßig mit etwas über vier Millionen Quadratkilometern in etwa gleich groß. Damit hört die Ähnlichkeit zwischen ihnen aber auch schon auf. Südlich des Himalayas stellt Indien menschlicher Bewegung und direktem Austausch nur wenige natürliche Barrieren in den Weg: Das Land ist wie geschaffen für Einheit, für langlebige Königreiche und Imperien, auch wenn diese von Kriegen unterbrochen werden, in denen die Spieler wie bei der Reise nach Jerusalem abwechselnd einen Platz abbekommen. Europa hingegen wird vom Kap Finisterre in Galicien bis hin zum Balkan von einer Gebirgskette durchzogen und geteilt, ist an den Rändern in immer kleinere Halbinselchen zerfranst und zerfasert und hat küstennahe Inseln wie
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Großbritannien hervorgebracht. Es ist der Kampfplatz weniger beständiger Reiche, ein Flickenteppich streitsüchtiger Stämme, die widerwillig und historisch erst spät zu Nationalstaaten zusammengewachsen sind.3 Der Großteil Arabiens ist wie Indien frei von physischen Barrieren, doch es gibt ein Hindernis, das größer ist als die Meeresbuchten und Berge Europas: der Wassermangel. Indien und Europa sind auf den Niederschlagskarten erfrischend blau eingefärbt, Arabien dagegen zeigt ein dürres Braun, das ein Maximum von 250 mm Niederschlag pro Jahr markiert. Nur an den äußersten Rändern geht es in jeder Hinsicht aufwärts: an der südwestlichen Spitze des Jemen, an einigen Flecken im Oman, vor allem am al-Dschabal al-Achdar, „dem grünen Berg“ im äußersten Osten, und in den Bergen oben im Nordwesten des Libanon. Ganz im Nordosten bilden Tigris und Euphrat mit ihren leicht zugänglichen Wassermassen die Ausnahme, doch der von ihnen bewässerte Fruchtbare Halbmond hebt sich von der riesigen unfruchtbaren südlichen Halbinsel deutlich ab. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Arabien sich in einer weiteren Hinsicht von den beiden anderen Subkontinenten unterscheidet. Der indische Teilkontinent mit einer Bevölkerungsanzahl von ca. 1,7 Milliarden war immer ein Migrationsziel, eine dicht bevölkerte Sackgasse. Ebenso der europäische mit seinen 540 Millionen Einwohnern, auch wenn ihm ein halbes Jahrtausend kolonialer Auswanderung etwas Entlastung brachte. Selbst wenn man die reicheren Länder des Fruchtbaren Halbmonds mitzählt, erreicht die Bevölkerung von Arabien weniger als ein Zehntel der Einwohnerzahl des indischen Subkontinents - rund 160 Millionen.4 Vor nur einer Generation – vor dem Zustrom der Petrodollars und der Expat-Spezies (Arbeiter aus Bangladesch, Bürohengste aus Kerala, texanische Ölcowboys, „Jumeirah Janes“ und die anderen Dauergäste von Downtown Dubai) –, betrug sie wohl nur ein Fünftel dessen, und auf der Halbinsel selbst lebten weniger als zehn Millionen Menschen. Bevölkerungstechnisch hing die trockenere Halbinsel immer am Tropf des Fruchtbaren Halbmonds. Sie hat die Menschen aber nie wirklich aufgenommen, sondern ist immer eher ein Etappenziel gewesen. Das ist der Geografie geschuldet. Die Halbinsel ist an drei Stellen durch strategische Meerengen von ihren Nachbarn getrennt. An der Ferse und der Zehe gibt es zwei Wasserpassagen: Bab al-Mandab, mit 26 Kilometern nur etwas breiter als die Überfahrt von Dover nach Calais, und die Straße von Hormus, die mit 54 Kilometern in etwa der Entfernung zwischen Cape Cod und Nantucket entspricht. Die dritte Trennlinie, die trockene Passage des Sinai, ist mit 200 Kilometern zwar breiter, aber leicht überbrückbar. Und das ist genau der Punkt: Alle drei trennen, aber vereinen auch. Sie laden zum Überqueren ein.
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Und überquert haben sie die frühen Hominiden und Menschen auf ihrer Reise aus Afrika wohl auch – sowohl der Homo erectus vor fast zwei Millionen Jahren als auch der Homo sapiens zu verschiedenen Phasen in der Zeitspanne zwischen 125 000 und 45 000 Jahren vor unserer Zeit, vielleicht sogar früher (Untersuchungen stehen noch aus). Eine Exodusroute führte sie durch den Sinai und über die Arabische Halbinsel; eine andere Route führte sie, als der Meeresspiegel viel niedriger und die Meeresstraße noch schmaler war als heute, über Bab al-Mandab südlich über die Halbinsel und weiter über die damals ebenfalls noch engere Straße von Hormus. Im Gegensatz zu diesen drei Straßen lädt die Sohle der Halbinsel, die Südküste, nicht zur Überquerung ein: Von hier bis in die Antarktis gibt es nicht gerade viel Land. Aber die Südküste liegt im Einzugsgebiet saisonaler Winde, die arabische Seeleute und Siedler schließlich in den Indischen Ozean treiben sollten, in einen wachsenden kommerziellen Halbmond, der sich von Mosambik bis zur Straße von Malakka und darüber hinaus erstreckte. Ihre Meereskamele waren so zäh und schnittig wie ihre Wüstenschiffe und sie zähmten die Winde: Monsun kommt vom arabischen mausim und bedeutet „(Segel-)Saison“. Zum Norden hin, wo die Halbinsel mit dem eurasischen Rumpf verbunden ist, gibt es keine Barriere, keinen Himalaya, der die Überquerung zum Fruchtbaren Halbmond und darüber hinaus verhindert. So verließen die Bewohner der Arabischen Halbinsel häufig, schon lange vor dem Aufkommen des Islam, ihr Durchgangslager auf der Halbinsel, um in Eurasien und in der Weltgeschichte zentralere Rollen einzunehmen. Einer „Wellentheorie“ zufolge gab es mehrere Auswanderungswellen von Nomaden, die zeitweise von der Halbinsel überschwappten und die Täler des Tigris, des Euphrats und des Nils erreichten.5 Obwohl es dafür klare Anhaltspunkte gibt – am deutlichsten für die letzte und größte Welle, den Tsunami nämlich, der vom Islam ausgelöst wurde – deutet nichts auf eine Regelmäßigkeit dieser Auswanderungsströme hin. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Bewegung auf der nördlichen Route in beide Richtungen stattfand: Sprachwissenschaftliche Belege zeigen, dass die Arabische Halbinsel historisch gesehen vor allem von Einwanderern aus dem Fruchtbaren Halbmond bevölkert wurde. Es steht nahezu zweifelsfrei fest, dass in der Levante, dem Gebiet östlich des Mittelmeers, die semitische Sprachfamilie ihren Ursprung hat, wobei das Arabische viele der frühesten Merkmale dieser Sprachen bewahrt hat. Dies ist ein weiterer Grund, beide Gebiete in der Zusammenschau zu betrachten, als einen Subkontinent sowohl in geologischer als auch in sprachwissenschaftlicher Hinsicht. Die Wanderungswellen stellt man sich also besser als Gezeitenwechsel vor – zuletzt wieder als steigenden Wasserpegel aus Eurasien und darüber hinaus, angezogen vom Magnetfeld der Petrodollars.
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All dies zeigt: Die „Insel der Araber“, wie arabische Geografen die Halbinsel ihrer Vorfahren bis zum Tal des Tigris und Euphrats nannten - in älteren arabischen Quellen wird nicht zwischen insula – „Insel“, und peninsula – „BeinaheInsel“ unterschieden –, ist bemerkenswert uninselhaft und in Wirklichkeit gut mit den benachbarten Landmassen verbunden. Die Isolation findet eher im Kopf als auf der Landkarte statt. Es deutet auch an, warum sich die Menschen in Arabien oft in Bewegung und untereinander in Auseinandersetzungen - befanden und warum Arabien immer ein Ort des Kommens und Gehens, der allmählichen Zuströme und plötzlichen Zerstreuungen war. In mancher Hinsicht ähnelt die „Insel“ der Araber damit einer anderen gut vernetzten „Insel“ - einer, die auch ein Imperium gründen und ihre Sprache und Menschen exportieren sollte: Großbritannien. Wie von Briten könnte man wohl auch von Arabern sagen, dass sie häufig etwas von ihrem Inselcharakter exportierten. Doch es gibt einen großen Unterschied: Abgesehen von seiner Funktion als Pilgerstätte wurde Arabien nach jenem größten Exodus, der islamischen Expansion, zum Randgebiet. Das ist in etwa so, als wäre mit dem Aufstieg des britischen Imperiums Großbritannien selbst zum Provinznest geworden.
Landschaften in Arabien Die Tatsache, dass unter dem Strich eine Abwanderung stattfand, erklärt sich zum Teil aus dem Braunton auf der Niederschlagskarte: Der Fruchtbare Halbmond bietet Möglichkeiten zur Bewässerung, aber der übrige Subkontinent ist auf den ersten Blick kein Land von Milch und Honig, geschweige denn von Öl und Gas. Und doch gibt es viel mehr Vielfalt, als es zunächst den Anschein hat. Die klassische Dreiteilung von Arabien gilt praktisch immer noch. Arabia Petraea, das „Felsige Arabien“, umfasste den nordwestlichen Teil, vorwiegend das Gebiet der Nabatäer mit der Hauptstadt Petra, was „Fels“ bedeutet (der ortsübliche Name ist nicht bekannt). Arabia Felix, das „Glückliche Arabien“, umfasste eine riesige Fläche – die südlichen zwei Drittel der Halbinsel, über die lokale südarabische Königreiche mehr oder weniger die Macht ausübten. Einige Teile dieses Gebiets waren klimatisch gesehen glücklicher als andere, doch das Glück hing in gleichem Maße ab von den großen Mengen ausländischer Devisen, die hineinströmten, wie von Weihrauch und anderen Harzen, die hinausströmten, sich in Tempeln rituell verbreiteten und als Parfum für die Lebenden und im Besonderen für die Toten rund um das Mittelmeer dienten. Die Duftstoffe aus Arabia Felix stammen von kümmerlichen, stacheligen Bäumen, die in einer trockenen und unwirtlichen Umgebung gedeihen. Hauptsächlich im Gebiet des heutigen Jemen ist die Halbinsel sehr wohl grün und menschen-
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freundlich, doch wie wir sehen werden, waren menschliche Eingriffe vonnöten, um Lebensmittel und Harze für den Export zu produzieren. Der dritte Name, Arabia Deserta, „Wüstenarabien“, bezeichnete die dünn besiedelten Regionen in Ostsyrien und Mesopotamien. Die klassische Einteilung folgte sowohl politischen wie topografischen Aspekten. Und dennoch vermittelt sie einen Eindruck von der Landschaft. Den Geografen des Mittelmeers war nicht bewusst, dass die steinigen und trockenen Landstriche Arabiens überwiegen: Klimatisch gesehen ist der größte Teil des arabischen Subkontinents absolut infelix. Moderne Forscher haben herausgefunden, dass es sich bei der Desertifikation um ein relativ neues Phänomen handelt. Arabien war früher insgesamt viel feuchter: Menschen wohnten und jagten im heute ausgetrockneten Herzen der Halbinsel, das jetzt das Leere Viertel genannt wird. In den Dünensenken, den Wasserlöchern des einst Wässrigen Viertels, durch die Flusspferde wateten, findet man heute noch Pfeilspitzen aus Feuerstein. Diese letzte „große Feuchtperiode“ wird auf zwischen 8000 und 4000 v. Chr. oder etwas später datiert und wurde von Schwankungen in diesem unberechenbaren und folgenreichen Wettersystem, dem Monsun, verursacht.6 Die große Dürre folgte auf dem Fuß. Selbst ohne menschliches Zutun kann Klimaveränderung rasant vonstatten gehen. Aber auch in der trockensten Wüste existiert Vielfalt: Leere Viertel sind für diejenigen, die sie genauestens kennen, nicht leer. Al-Hamdānī, der Geograf und Historiker aus dem frühen 10. Jahrhundert n. Chr., listet in seiner Beschreibung der Insel der Araber Merkmale der Wüste auf und klassifiziert mit beeindruckender Genauigkeit Dünen, Ebenen und Steppen.7 Nomen mit sich wiederholenden Konsonantenpaaren sind hierfür nur ein Beispiel: nafānif bedeutet „Landstriche, welche eine Reise durch ihr Auf und Ab in die Länge ziehen“, sabāsib oder basābis sind flache, „fließende“ Ebenen ohne Gras, Wasser oder Menschen, hinter dakādik verbergen sich sandige Hochebenen zwischen Bergen, insbesondere dort, wo der rimth-Strauch wächst. Die Liste setzt sich fort: fadāfid, athāʾith, salāsil, sahāsih …
Säer und Melker Diese relative Trockenheit, die auf der geologischen Zeitachse eine jüngere Entwicklung darstellt, setzte nicht lange vor dem Anfang menschlicher Geschichtsschreibung auf dem arabischen Subkontinent ein. Und doch hatte sie tiefgreifende Folgen für diese Geschichte. Die Umwelt und besonders die Art und Weise, wie Menschen aus trockenen und Menschen aus feuchten Umgebungen miteinander umgehen, war für diese Geschichte einer der folgenreichsten Faktoren, wenn nicht gar der folgenreichste.
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Arabien ist für sich genommen vielleicht keine echte Insel, aber es ist isoliert in einem anderen Sinn, der viel tiefer geht als der Meeresboden: Es liegt auf einer eigenen tektonischen Platte. Zudem bildet die Plattengrenze zur Westseite hin, entlang dem Roten Meer und darunter, die Fortsetzung einer der größten und aktivsten Bruchlinien der Erde, welche im Osten Afrikas den Großen Afrikanischen Grabenbruch und im Norden das Jordantal, das tiefste Tal auf Erden, hervorgebracht hat. Die tektonische Bewegung drückt die Ferse der Halbinsel nach oben und hebt und krümmt die südwestliche Spitze. Über Millionen von Jahren ist durch dieses Anheben eine lange Gebirgskette entstanden. Die gezackte Linie, von arabischen Geografen al-Sāra, „der Grat“, genannt, befindet sich für Schnee und Schmelzwasser zu weit südlich innerhalb des Nördlichen Wendekreises – und ist mit dem höchsten Gipfel auf 3700 m zudem nicht hoch genug. Dennoch sammelt sich auf den kühlen Gipfeln Niederschlag aus der unterhalb liegenden feuchten Küstenebene und, wichtiger noch, sie werden vom Monsun gestreift. Im Süden und Westen der Halbinsel gibt es also wie im Fruchtbaren Halbmond Wasser – allerdings weder einen Euphrat noch einen Tigris: Die Menschen müssen den Regen in arbeitsintensiven, meist sehr großen Anlagen nutzbar machen. Im folgenden, einem vorislamischen Herrscher des Jemen zugeschriebenen Vers werden solche Anlagen in Yahsūb, einer Hochebene in der Sāra-Kette beschrieben: Im grünen Garten des Landes Yahsūb fließt das Wasser reichlich, es strömt von achtzig Dämmen.8 Die Zahl ist nicht zu hoch gegriffen: Noch heute sind in dem Gebiet die Standorte von über 60 Dämmen aus vorislamischer Zeit bekannt.9 Nicht weit davon entfernt in Bāinūn gruben vorislamische Wasserbauingenieure durch den Fuß eines kleinen Berges einen 150 Meter langen Tunnel, der so groß war, dass man mit einem Auto durchfahren könnte, und leiteten so das Wasser von einem Tal zum nächsten. Die berühmteste Bewässerungsanlage liegt weiter nördlich in Maʾrib, wo ein riesiger Staudamm den Wasserablauf aus einem Einzugsgebiet von 10 000 Quadratkilometern regelte.10 Das Nutzbarmachen der Natur bedingt und verstärkt gesellschaftliche Ordnung und Stabilität. Desorganisation und Instabilität führen unweigerlich zu Zerfall. Mit der Zeit geschah das Unvermeidliche, der Damm von Maʾrib brach und hielt als Gleichnis für gesellschaftlichen Zusammenbruch im frühesten und immer noch verbindlichsten arabischen Buch, dem Koran, her.11 Die Moral der Erzählung ist also auch eine Moral der Geschichte insgesamt (wenn es so etwas überhaupt gibt): Möchtest du Dämme,
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Schleusen, Tunnel und Terrassen bauen und instand halten, so musst du auch eine funktionierende sesshafte Gesellschaft errichten und pflegen. Anders ausgedrückt: Das Ingenieurwesen basiert auf Recht und Ordnung ebenso wie auf Stein und Mörtel. Im Gegensatz zum Süden und Westen der Halbinsel ist der Niederschlag in den Wüsten und Halbwüsten gering und nie ganz vorhersehbar. Es kann plötzliches und überraschendes Grün wachsen: „Das Wurmkraut sprießt“, berichtete im 9. Jahrhundert n. Chr. ein rāʾid, ein Kundschafter der nomadischen Kamelhirten auf der Suche nach Weideland: Der Salzstrauch schlägt aus, der Dornenbusch trägt Blätter. Kräuter bedecken den Boden, die Wasserläufe grünen, die Talflächen sprießen. Die Hügelchen sind mit Gras bekleidet, das büschelweise austreibt. Burzelkraut, Klee und Malve keimen auf.12 Die Suche nach einem solch flüchtigen pastoralen Paradies bedeutet jedoch, ständig mit Herden und Zelten umherzuziehen – und wenn alle anderen das Gleiche tun, kommt es zum Kampf um Ressourcen und zu gesellschaftlichen Unruhen. Dies alles bringt eine Dualität hervor: einerseits hadāra, das sesshafte Leben des feuchteren Südens und Westens sowie des bewässerten Fruchtbaren Halbmonds, welches Stabilität bedingt (und auf der Kehrseite Stillstand und Stagnation); andererseits badāwa, das Wanderleben in der bādiya, der offenen Steppe und Wüste, die Mobilität geradezu erzwingt (und auf der Schattenseite politische und gesellschaftliche Fragmentierung hervorbringt). Das Wort Badawiyyīn, ein Pluraladjektiv von badāwa, taucht in anderen Sprachen als „Beduine“ auf. Darin spiegelt sich eine wesentliche menschliche Paarung, so alt wie Kain und Abel, die des sesshaften Bauern und des nomadischen Hirten. Nach einer einleuchtenden Theorie sind die Namen der beiden Söhne Adams mit dem arabischen qain, „Schmied“ – die prägende Beschäftigung sesshafter Völker seit der Bronzezeit – und ābil, „Kamelhirte“, verwandt.13 Das Arabische liebt Wortpaare, am liebsten reimende (Kain und Abel heißen auf Arabisch Qābīl wa-Hābīl), und bringt diese Dualität mit madar wa-wabar, „[Bewohner von Häusern aus] Ton und Kamelhaar“, oder zarʿ wa-darr, „Säen und Euter[melken]“ zum Ausdruck.14 Ein weiteres Wortpaar kommt im Koran vor: schaʿb, „ein Volk“, und qabīla, „ein Stamm“. Der Koranvers, auf den der Titel der englischen Ausgabe dieses Buches (Arabs. A 3,000-Year History of Peoples, Tribes and Empires) anspielt, suggeriert einen Dualismus, einen Gegensatz so grundlegend wie der Gegensatz der Geschlechter:
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Ihr Menschen! Siehe, wir erschufen euch als Mann und Frau und machten euch zu Völkern und zu Stämmen …15 Die meisten Kommentatoren gehen davon aus, dass damit auf sesshafte persische Völker und nomadische arabische Stämme verwiesen wird. Einige Forscher sind der Auffassung – und das ist wesentlich plausibler –, dass dieser Interpretation ein Anachronismus zugrunde liegt16 und sich die Zweiteilung auf die uralte gesellschaftliche Dualität im arabischen Milieu selbst bezieht. Wir werden auf diese beiden Gruppen noch zurückkommen: Ihr Zusammenwirken erklärt viele der Kräfte und Spannungen, die sich durch die arabische Geschichte insgesamt ziehen. Für den Moment mag die Feststellung genügen, dass ein schaʿb, ein Volk, durch Ortsansässigkeit und nicht durch Verwandtschaft definiert wird, und dass es offenbar von früher Zeit an in großen und relativ stabilen Blöcken durch die Bindung an eine Hauptgottheit geeint wurde. Qabīla, ein Stamm, definiert sich hingegen nicht durch den gemeinsamen Aufenthaltsort, sondern beruht auf dem Konzept verwandtschaftlicher Bindung. Bei näherer Betrachtung ist diese Vorstellung oft hinfällig, wie beispielsweise bei den Stämmen von ʿAsīr, die alle qahtanischer Abstammung waren, bis sie kurz vor dem 10. Jahrhundert plötzlich umschwenkten und nizārische Wurzeln reklamierten.17 Ein exaktes Äquivalent dazu gibt es für Europa nicht, womöglich wäre es vergleichbar mit einer alten angelsächsischen Familie, die ihre Herkunft plötzlich leugnet und behauptet, mit den Normannen nach England gekommen zu sein. Veredelungen des Stammbaums dieser Art finden immer noch statt: Vor nicht einmal zwei Generationen überwarfen sich zwei große Zweige des jemenitischen Großstamms Bakīl mit ihren Stammesgenossen und schlossen sich dem anderen Großstamm Hāschid an. Der Prozess wurde als muʾācha, „Verbrüderung“, bezeichnet.18 Ibn Chaldūn formulierte es ohne Umschweife: Die Sache der Abstammung, obgleich natürlich, ist doch etwas, was man sich vorstellt, und die eigentliche Bedeutung liegt in der engen Verbundenheit.19 Ebenfalls in Kontrast zum sesshaften schaʿb kann qabīla, der Stamm, gemeinsam die eine oder andere Gottheit anbeten, dennoch gilt die Loyalität hauptsächlich irdischen Anführern. Diese verflochtenen Dualitäten von hadar/badw, „sesshaft/nomadisch“, schaʿb/qabīla, „Volk/Stamm“, die niemals Dichotomien sind, zeigen sich erst im Laufe der Zeit. Schon in den im historischen Dunkel liegenden Anfängen, lange
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vor dem Islam und sogar vor der christlichen Zeitrechnung, wird deutlich, dass die ersten als ʿarab bekannten Menschen zu den mobileren Gruppen gehörten, die sich über ihre Abstammung definierten.
Wüste und Weide im Dialog Mobiler heißt nicht notwendigerweise vollständig nomadisch. Dennoch verlieh eine intrinsische Umtriebigkeit, das Gefühl, Lokalität und Loyalität seien beweglich, der arabischen Geschichte ihre besondere Würze. Die Geschichte ist ein Epos, aber ein Epos in Bewegung, mehr Odyssee als Ilias. Denn wie in der Odyssee geht es häufig um Begegnungen, von denen sich einige als produktiv, andere als destruktiv erweisen. In den jüngsten Kapiteln der Geschichte versuchen die Protagonisten, nach Hause zurückzukehren, zu ihrer Identität zurückzufinden. Dabei stellen sie wie Odysseus fest, dass die Zeit ihre Heimat verändert hat (oder sind sie es, die durch die Reise verändert wurden?). Auch wenn die Bewegung innehält, bleibt die Energie potenziell vorhanden, was vielleicht zum Teil erklärt, weshalb das auf Territorium basierende arabische Staatsexperiment, das seit dem 20. Jahrhundert im Gange ist, derart unter Beschuss steht. Denn was ist ein Staat anderes als statisch? Grenzen und Wanderlust sind nicht miteinander vereinbar. Zugleich teilen sich diese rastlosen ʿarab ihren Namen mit einer Reihe sesshafter Völker. ʿArab, die Bezeichnung für eine periphere, mobile Minderheit, wurde schließlich zu einem Sammelbegriff für die Menschen der Wüste und Weide und allem dazwischen. Heutzutage beläuft sich das Verhältnis zwischen nomadischen und sesshaften Arabern allerhöchstens auf 1:100, und doch verzerrt der nomadische Blick auf die arabische Vergangenheit weiterhin das Bild, das sowohl Araber von sich als auch andere von ihnen haben. Nomadentum und Mobilität machen nur einen Teil der Geschichte aus. Ohne das sesshafte Element hätten Araber, ähnlich wie Tuareg oder Roma, kaum Einfluss auf die Weltgeschichte genommen oder, ähnlich wie die Mongolen, höchstens eine Sturzflut ausgelöst, die zuerst verwüstet und dann versickert. Die Realität ist außerdem deutlich komplexer als die griffige Dualität. Badw entstammen höchstwahrscheinlich sesshaften hadar-Volksgruppen. Oft werden sie von solchen wieder aufgenommen. Im Allgemeinen packen sesshafte Völker auch nicht massenhaft ihre Koffer, sie können aber kulturell beduinisiert werden. Badāwa selbst hat so viele Gesichter wie die Landschaft, reicht von Teilzeit-Hirtentum über Wanderweidewirtschaft bis hin zum seltenen kompromiss- wie wurzellosen Steppenläufer-Nomadismus. Badw-hadar, Wüste und Weide, haben also nie einen unabänderlichen, gewissermaßen manichäischen Dualismus gebildet, kein „Sie-konnten-beisam-
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men-nicht-kommen“. Im Gegenteil: Sie kommen zusammen, überschneiden sich, tauschen sich aus, und zwar am fruchtbarsten an Raststätten, wo Ortsgebundenheit und Beweglichkeit aufeinandertreffen: Oasen und Suks, Karawansereien und Pilgerstätten, deren Locus classicus – und mitnichten der Prototyp – Mekka ist. Das Wort sūq selbst ist eine semantische Wegkreuzung: Es beschreibt den Ort, an dem man seine Kamele verkauft, aber der Wortwurzel nach die Handlung, sie dorthin zu treiben. Hadar und badw können sowohl gegeneinander- als auch zusammenwirken. Der oben zitierte Koranvers bringt wunderbar prägnant die zweideutige Beziehung zwischen sesshaftem schaʿb und umherziehender qabīla zum Ausdruck. Gott hat sie erschaffen, „damit ihr einander kennenlernt …“.20 Doch der Satz (im Arabischen ein einziges Wort, li-taʿārafū) ist doppeldeutig: Die vordergründige Bedeutung lautet, „sich kennenlernen, etwa durch wechselseitigen Kontakt“, aber im Hintergrund schwingt auch „sich unterscheiden/auseinanderhalten“ mit.21 Die Hoffnung auf Einheit und die lauernde Möglichkeit der Uneinigkeit existieren nebeneinander. Ernest Gellner hat die Soziologie des Islam im Rahmen eines binären Systems von „urbanen“ versus „tribalen“ Strukturen untersucht und dafür Kritik geerntet.22 Der Islam, verstanden als die Weltreligion, die er geworden ist, ist viel zu groß und vielfältig, um in binären Begrifflichkeiten (geschweige denn als Monolith) erfasst zu werden. Und dennoch ist die Geschichte Arabiens von einem „Dialog“ zwischen badw und hadar geprägt.23 Meiner Auffassung nach hält dieser Dialog bis heute an, und ist darüber hinaus einer der Schlüssel zum Verständnis der arabischen Geschichte als Ganzes, nicht nur in Arabien, sondern weit darüber hinaus, von den Anfängen bis heute.
Ein Volk für sich Die allerfrüheste Frühzeit entzieht sich uns weitgehend. Noch gibt es kaum Erkenntnisse über die Menschen des Paläolithikums, von denen nur hier und da Überbleibsel von Werkzeugen im Hochland der Arabischen Halbinsel aufgefunden wurden. Aber wir wissen, dass es nur sehr wenige Menschen waren, die weit verstreut lebten. Als gesichert gilt mithin, dass die Halbinsel nicht unbewohnt war und ihre Geschichte kein leeres Blatt. Jüngere Studien über paläolithische Stätten in Saudi-Arabien haben gezeigt, dass diese ersten Bewohner der Arabischen Halbinsel frühen Klimaveränderungen ausgesetzt waren und sich ihnen mit der Zeit angepasst haben.24 Fast genauso wenig wissen wir über die neolithischen Jäger des einst feuchten Leeren Viertels vor der großen Dürre. Allmählich können wir uns jedoch ein besseres Bild von anderen Aspekten neolithischen Lebens machen. Schon im 6. Jahrtausend v. Chr. hüteten
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Menschen Vieh; 2000 Jahre später betrieben sie Ackerbau und – was noch wichtiger ist, da es einen Hinweis auf gesellschaftliche Strukturen mit ständig enger werdender Zusammenarbeit gibt – entwickelten Bewässerungssysteme in den Gebieten, in denen das Hochland zum immer trockeneren Landesinneren abfiel.25 Ebenfalls im 4. Jahrtausend v. Chr. nutzten Menschen entlang der arabischen Küste, insbesondere am Persischen Golf, die Baumaterialien und Lebensmittel, die sie an der von Mangroven gesäumten und mit Schalentieren übersäten Küste vorfanden. In der frühen Bronzezeit exportierten die Küstenbewohner auch das wertvolle Nebenerzeugnis ihrer Schalentiere, die Perle, die zu einem der frühesten und kostbarsten Handelsgüter rund um den Indischen Ozean wurde. Während dieser Zeit blieben die Völker der Meeresküste politisch sowie geografisch zwar am Rande; ihr fruchtbarer Randbezirk war jedoch wirtschaftlich überlebenswichtig und damit Ziel von Angriffen aus dem Landesinneren. Er wurde außerdem zum Sprungbrett für die arabische Expansion rund um den Indischen Ozean. Die ältesten Darstellungen arabischer Geschichte entwerfen ein vages, geradezu fantastisches Bild von binnenländischen prähistorischen Bewohnern der Arabischen Halbinsel, die im Einklang mit zeitgemäßen Konzepten arabischer Identität als in Stämmen lebend gedacht werden. Als die wichtigsten dieser Stämme gelten Ād und Thamūd, über die kaum etwas auf uns gekommen ist, außer dass sie in großer Zahl zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Geschichte ausgelöscht wurden. Der Dichter Imruʾ al-Qais aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. spricht beispielsweise von einem Schlachtfeld, „als wäre es von Thamūd und Iram“ – Iram war die legendäre Hauptstadt der Ād, eine Art arabisches Atlantis oder Shangri-La.26 Beide Stämme werden überdies häufig im Koran erwähnt, in Gleichnissen über göttliche Vergeltung für menschliche Sünden: „Sahst du denn nicht, was dein Herr den Ād antat?“, fragt ein Vers.27 Ausgelöscht hat er sie mit einem Donnerschlag28 oder einem „verheerenden Wind“,29 als sie die monotheistische Botschaft ablehnten. Es ist verlockend, diesen himmlischen Blitzkrieg als dramatische Verdichtung eines langen Prozesses der Austrocknung und Wüstenbildung zu interpretieren und das Volk der Ād als eine Reminiszenz jener neolithischen Jäger zu sehen, dessen Lebensweise um 4000 v. Chr. mit der letzten niederschlagsreichen Periode endete.30 Ausschmückungen der koranischen Erzählung machen diese Idee noch attraktiver. Die vielleicht früheste erhaltene arabische Chronik, eine Sammlung, die angeblich aus dem 7. Jahrhundert stammt und Abīd ibn Scharya zugeschrieben wird, erzählt, dass die Ād vor ihrer Vernichtung eine dreijährige Dürrezeit erlitten.31 Danach rutscht der Bericht allerdings eher ins Spekulative ab: Als der vernichtende Wind schließlich zuschlägt, verschont er eine Frau namens Hazīla und
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trägt sie nach Mekka – eine vorislamische Version von Dorothy aus dem Zauberer von Oz –, damit sie Kunde von dem Unheil überbringen möge.32 Bei späteren Historikern stößt die Version verständlicherweise bereits auf Skepsis: „Die Leute, die über Ād berichten“, schrieb der zuverlässige Abū al-Fidāʾ im Syrien des 14. Jahrhunderts, „sind sich untereinander nicht einig und alles, was sie sagen, ist wirr und weitab von der Wahrheit, deshalb verzichten wir darauf, es weiterzugeben.“33 Mit dem ausgestorbenen Stamm der Thamūd befinden wir uns hingegen schon auf sichererem und datierbarem Terrain. Der Name ist bekannt als der eines historisch belegten Stammes aus dem Westen der Halbinsel, der im 2. Jahrhundert n. Chr. unter anderem Kontakte mit den Römern unterhielt und ihnen Steuern zahlte.34 Im Koran werden die Thamūd wie die Ād als ein Stamm erwähnt, der den Monotheismus ablehnte und dafür Tribut zollte; wie die Ād wurden die Thamūd im späteren arabischen Gedächtnis mythisiert. In Erwartung ihrer Nemesis pflasterten sie sich beispielsweise mit Myrrhe, hüllten sich in Leichentücher aus Leder und legten sich in selbstgehauene Gräber35 – eine recht anschauliche Volksätiologie für die in Leder gewickelten Mumien, die sich mutmaßlich einst in den in Fels gehauenen Gräbern im Hedschas befanden, wie es sie an einigen weniger zugänglichen Stellen weiter südlich immer noch gibt. Ād, Thamūd und vergleichbare mythische oder mythisierte Stämme werden von den Historiografen aus islamischer Zeit al-ʿarab al-ʿāriba, „die wahren/arabischsprachigen Araber“, genannt. Alle anderen nach ihnen wurden als ʿarab mutaʿarriba, „arabisierte ʿarab“, und ʿarab mustaʿriba, „arabisierende ʿarab“, bezeichnet. Diese Anhäufung von Affixen, arabischsprachig/arabisiert/arabisierend, spiegelt vermutlich eine Realität wider: Die Menschen, die als Araber bekannt wurden, erlangten ihre wie auch immer geartete Einheit durch einen graduellen Prozess der Akkulturation, in erster Linie durch die Einbindung in die Sprache. Wichtiger noch ist die andere Realität, die von den traditionellen Historikern stillschweigend akzeptiert wurde: dass Araber ursprünglich kein säuberlich vereintes Volk, sondern eine gründlich durchmischte Truppe waren. Wenn wir uns vom späteren arabischen historischen Gedächtnis abwenden und einen Blick zurück auf die frühesten schriftlichen Zeugnisse werfen, wird klar, was die Araber nicht waren. Keines der Völker des besiedelten Fruchtbaren Halbmonds, des fruchtbaren Küstengebiets oder Südarabiens bezeichnete sich ursprünglich selbst als Araber. Für die sesshaften Bevölkerungen des Halbmonds, der Küste und des Südens waren Araber offenbar ein Volk für sich.
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Der Blick von außen Für die Assyrer, die sie als erste erwähnten, waren „Aribi“ in der Tat sowohl geografisch als auch gesellschaftlich ein Volk für sich, das „weit weg in der Wüste lebt und weder Aufseher noch Amtsträger kennt“.36 Ein oder zwei biblische Referenzen könnten sogar aus noch früherer Zeit stammen, die Datierung ist durch die spätere Bearbeitung aber nicht mehr greifbar. Daher stammt die erste bisher bekannte, unstrittig datierbare Erwähnung von Arabern aus der Inschrift, die der assyrische König Salmanassar III. hinterließ: Der König zeichnete auf, dass er 853 v. Chr. eine syrisch-palästinensische Koalition im Kampf besiegte, die von jenem ersten bekannten Araber, Gindibu,37 und seinen Kamelen – nicht weniger als 1000 an der Zahl – verstärkt wurde.38 Nach dieser Zeit mehren sich die Erwähnungen von Arabern (und ihren Kamelen) und es kommen andere aus griechischen und hebräischen Quellen dazu. Aus der Tatsache, dass sich sowohl in assyrischen als auch in biblischen Texten – offensichtlich unabhängig voneinander – um etwa die gleiche Zeit Erwähnungen von Arabern finden, schließt Robert Hoyland, ein Historiker des frühen Arabiens, dass die betreffenden Menschen sich selbst als Araber bezeichnet haben müssen.39 Wenn dem so ist, haben sie erfolgreich dafür gesorgt, davon kein schriftliches Zeugnis zu hinterlassen.40 Bis zu ihrem epigrafischen Coming-out als Araber vergingen seit dieser ersten assyrischen Erwähnung immerhin weitere rund 1200 Jahre. Doch geht man nach ihrem Namen, so treten sie in diesen frühen Texten zweifellos als Araber hervor. Den ersten Eigennamen, „Gindibu“, oder in standardarabischer Umschrift Dschundub, trugen Araber in den späteren Jahrtausenden zwar eher selten, aber dennoch regelmäßig. Er bedeutet „Grille“ oder „Heuschrecke“ und ist Vorbote einer langen Tradition, in der Menschen mit Tiernamen belegt werden. Auf Stammesniveau leiten sich Namen wie „Kalb“ (Hund) oder „Asad“ (Löwe) wohl von Totems ab; auf persönlicher Ebene haben Tiernamen eine apotropäische, Unheil abwehrende Funktion. Wie der Historiker des alten Arabiens, Ibn al-Kalbī, sagte, hatten die Araber „ihre Feinde im Sinn, wenn sie ihren Söhnen einen Namen gaben“.41 Nicht untypisch war daher ein Stammesangehöriger mit dem Namen Wākiʿ („Starkes Pferd“), unter dessen Vorfahren sich ein „Hund Sohn des Löwen“ (oder des Wolfs oder Hahns oder Ähnliches) und „Wüstenratte Sohn der Koloquinte“ befanden.42 Letzteres ist der Name einer bitteren oder stachligen Pflanze, die Wüstenratten und andere recht unkuschelige Tiere vertreibt. Schade, dass solche Namen heute aus der Mode gekommen sind. Andere Namen aber, die auch in assyrischen Texten vorkommen, sind weiterhin in Gebrauch, zum Beispiel Hamdanu43 (mein erstes Haus im Jemen gehörte einem Herrn al-Hamdanī).
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Die Aribi der assyrischen Inschriften sind noch in anderer Hinsicht unverkennbar arabisch: vor allem im Gebrauch ihrer Kamele, auf die sie ein Monopol zu besitzen scheinen, aber auch in der Mobilität, welche die Kamele ihnen verschaffen. Sie bilden eine mobile Hilfstruppe, die, wie in dieser frühesten assyrischen Inschrift, mal für die eine, mal für die andere Seite kämpft. Ihre zähen Reittiere geben ihnen einen taktischen Vorteil, da sie Terrain durchqueren und zu ihrem Gewinn nutzen können, das großen, hungrigen Armeen auch ohne direkte Kampfhandlung bereits feind genug ist. Die Erwähnungen in Inschriften werden häufiger, als die Aribi als Transporteure im Überlandhandel von Duftstoffen in Erscheinung treten. Sie transportieren die aromatischen Harze von Südarabien nach Norden und werden später in diesem Handelsgeschäft zu Akteuren, die versuchen, die Handelsrouten unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Erwähnungen mehren sich, und mit ihnen die Kamele. Die Assyrer waren expansionsfreudig, wollten den Handel in Arabien kontrollieren und prahlten mit der Unterjochung unzivilisierter Nomaden. In einem Relief, das dem Sieg des assyrischen Königs Tiglath-Pileser III. über Schamsī, „Königin der Araber“, in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. gewidmet ist, sieht man eine stämmige, aber hübsche Aribi-Frau eine Kamelherde anführen oder vielmehr einen Bruchteil der 30 000 Kamele, die der König in der begleitenden Inschrift erobert zu haben behauptet.44 Im darauffolgenden Jahrhundert beschlagnahmte König Assurbanipal so viele Herden aus mat Aribi, dem arabischen Land, dass man „in meinem Land für ein paar Pennies am Markttor ein Kamel kaufen konnte“.45 Die Assyrer fielen nicht wie der Wolf im Schafspelz über Arabien her, sondern kamen als kamelstehlendes Kollektiv von multinationaler Dimension. Selbstverständlich war es äußerst sinnvoll, Araber ihres wichtigsten Transportmittels zu berauben. Dieser Fall von massenhaftem Viehdiebstahl (und der damit einhergehenden Versklavung von Menschen) aber war die Reaktion darauf, dass Araber, genauso wie Gindibu zwei Jahrhunderte zuvor, einen Feind der Assyrer unterstützten, in diesem Fall die größte rivalisierende Supermacht der Zeit, die Babylonier. Gleichzeitig jedoch hatten Araber sich untereinander zusammengetan, die eigene Stimme und Macht geeint. Hier klingen also bereits einige Motive an, die sich mit der Zeit noch häufiger wiederholen werden. Erstens gab es einen Kern, um den herum sich diese erste zaghafte Einheit bildete, ein Wallfahrts- und Kultort im Norden der Arabischen Halbinsel, Dūma, der für einige Stämme einen heiligen Ort darstellte. Der bekannteste dieser Stämme war ein Gemeinwesen, vielleicht eine Stammeskonföderation, mit den Namen Qīdār.46 Unser Wissen über Qīdār, das ungefähr zwischen 750 und 400 v. Chr. existierte, ist äußerst begrenzt, aber es könnte sich durchaus
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um den ersten Versuch einer – den auf Verwandtschaft basierenden Stammesverband übersteigenden – Einheitsbildung in der arabischen (im Gegensatz zur südarabischen) Geschichte handeln. Und es ist wohl nicht ohne Bedeutung für die arabische Geschichte insgesamt, dass dieser erste Versuch an einem Wallfahrtsort stattfand. Dieses Motiv entfaltet sich dann 1300 Jahre später und 1100 Kilometer weiter südlich an einem anderen Ort der tribalen Wallfahrt, in Mekka, in vollem Klang. Ein anderes Motiv, das immer wieder hervortritt, ist das von benachbarten Großmächten, die arabischen Stammesführern königlichen Status verleihen. Die Assyrer etwa erklärten die besiegte Schamsī sowie die qīdārischen Stammesführer Zabība (730 v. Chr., ihr Name bedeutet „Rosine“) und Hazael (frühes 7. Jahrhundert v. Chr.) zur „Königin der Araber“ bzw. zum „König der Araber“. Irgendwann in diesem 7. Jahrhundert dann drängten die Assyrer dem Gemeinwesen ihre eigene Marionettenkönigin auf, eine Frau der Qīdāriten mit dem Namen Tabūʿa.47 Dass externe Mächte Könige benannten und hin und wieder sogar ernannten, wird sich in drei Jahrtausenden arabischer Geschichte als durchgängiges und für die arabische Identität und Solidarität äußerst folgenreiches Leitmotiv herausstellen. Ein drittes, im Laufe der Zeit regelmäßig wiederkehrendes Motiv ist die Art und Weise, wie die Assyrer Araber, wenn sie sie nicht gerade bestraften, weil sie sich auf die Seite des Gegners geschlagen hatten, als Puffer zwischen sich und diesen Gegnern einsetzten. Dies wird besonders deutlich in Bezug auf Ägypten. Schon Herodot weist darauf hin, dass die Perser Araber benutzten, um im 5. Jahrhundert v. Chr. ihr Hoheitsgebiet gegen die Ägypter abzuschotten. Solche Symbiosen kommen im Jahrtausend darauf immer wieder vor. Alles in allem lässt sich sagen, dass Araber für ihre nördlichen Nachbarn, die Assyrer, Babylonier und später Perser, eine eher untergeordnete, aber dennoch äußerst nützliche Rolle spielten – wenn sie denn einmal keinen Ärger bereiteten. Man erwartete, dass sie, wenn schon nicht unterwürfig, wenigstens folgsam und dankbar waren. Assurbanipal lässt zum Beispiel nach seiner Kampagne gegen mat Arabi Folgendes dokumentieren: „Die Menschen in Arabien fragten sich: ‚Warum ist so ein Unheil über Arabien hereingebrochen? Weil wir die großen Schwüre von Assur nicht eingehalten und gegen die Güte von Assurbanipal gesündigt haben.‘“48 Viele Araber, die das heute lesen, interpretieren es als die frühe Ausformulierung eines anderen Motivs, das sich ebenfalls bis heute durchzieht und das sich in ihren Beziehungen zu Supermächten auch nach dem Kalten Krieg noch wiederholt: Tut, was wir euch sagen, sonst werdet ihr büßen. Im Norden gab es also eine Reihe von Reichen, deren Interessen mal mit denen von Arabern übereinstimmten, mal mit ihnen kollidierten. Auch im Sü-
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den, in den beregneten Bergen, Hochebenen und Wüstenmündungen, wo große Wadis in die Wildnis flossen, bestanden sesshafte Königreiche, die sich zu verschiedenen Zeiten während der anderthalb Jahrtausende vor dem Auftreten des Islam zu einem Imperium zusammentaten, das flächenmäßig nicht besonders groß, aber kulturell einflussreich war. Das Bedeutendste dieser südarabischen Königreiche war Saba. Eines vorneweg: Von Arabern ist in den Inschriften der südlichen Königreiche kaum jemals die Rede.49 Erst ab den letzten vorchristlichen Jahrzehnten spielen die Vagabunden aus dem Norden in den südlichen Annalen eine Rolle, und dann fast ausschließlich als Söldner. Daraus lässt sich recht deutlich ablesen, dass Araber sich zum Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. von den Wüstengrenzen des Fruchtbaren Halbmonds aus in den Süden ausbreiteten. Auch nachdem sie regelmäßig in den Inschriften aus dem Süden erwähnt werden, „steht außer Zweifel“, so der große Experte dieser Texte, A. F. L. Beeston, „dass sie eindringende Elemente sind, die nicht völlig in die typische [südarabische] Kultur integriert sind“.50 Wie im Norden waren Araber ein Volk für sich. Mit der Zeit kam es zwar zur Integration, aber in unerwartete Richtung: Südaraber wurden kulturell und sprachlich arabisiert. Diese Form der Integration wird zu einem weiteren, hier erstmals angeschlagenen, aber durchgängigen Leitmotiv, das dann mit der raschen Ausbreitung des Arabertums im Zusammenhang mit dem Islam stark in den Vordergrund tritt, bei der die sprachliche und kulturelle Bekehrung stets gründlicher – und wohl auch schneller – vonstatten ging als die religiöse Bekehrung.51 In der Tat gingen die Sabäer und andere Südaraber so tief im Arabertum auf, dass im 9. Jahrhundert n. Chr. in den Augen von al-Dschāhiz „Arabien“, die Halbinsel, gleichbedeutend war mit „Araber“: „Alle Araber sind ein und derselbe, da ihre Wohnstätte und ihre Insel, ihre moralischen Werte und Veranlagung, und ihre Sprache eins sind.“52 (Im Unterschied zu ihrer Politik, in der Hader und Zwist vorherrschen.) Aber Südaraber wurden nicht nur arabisiert, sondern arabisierten sich selbst, wie wir sehen werden. Das ging sogar so weit, dass sie einen völligen Imagewandel vollzogen und sich nun zu den einzig wahren Arabern erklärten. Gelehrte Historiker haben sich davon nicht verwirren lassen; ihnen ist der Unterschied zwischen eigentlichen Arabern und Südarabern stets im Gedächtnis geblieben. Ibn Chaldūn zählt zum Beispiel drei Hauptgruppen von „Semiten“ auf: „Von Sām [Sem] stammen die Araber, Hebräer und Sabäer ab“53 – mit den Sabäern meint er die Südaraber allgemein. Der Riss zwischen Arabern und Hebräern verfolgt uns noch heute. Die Unterscheidung zwischen Nord- und Südarabien jedoch ist Vergangenheit und nahezu vergessen. Hin und wieder werden die Geister zum Leben erweckt, wie zum Beispiel in dem Konflikt, der sich
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vor meiner Haustür abspielt und der gelegentlich als Konflikt zwischen Südund Nordarabern gedeutet wird. In einer Analyse des alten Nord-Süd-Zwiespalts heißt es etwa: „Diese zusätzliche Einsicht in die Frage, warum arabische Einheit so schwer zu erreichen ist, könnte sich für Politikwissenschaftler als nützlich erweisen.“54 Bei dieser Einsicht dürfte es sich allerdings höchstens um die Spitze eines ganzen Eisbergs von Einsichten handeln. Im Norden brauchten zum Beispiel, wie wir sehen werden, die ursprünglich nichttribal organisierten sesshaften Bauern des nördlichen Fruchtbaren Halbmonds in frühislamischer Zeit viel länger, um in das Arabertum aufgenommen zu werden, als ihre südlichen Nachbarn vor ihnen. Außerdem wurden sie nur widerwillig und unvollständig aufgenommen. Die schwelende Uneinigkeit äußert sich meist – wie im heutigen Irak – auf religiöser Ebene, im Streit zwischen Sunniten und Schiiten. So viel dazu, was erste Araber nicht waren. Um zu erfahren, wer oder was diese schwer fassbaren Menschen wirklich waren, müssen wir uns die knappen, aber beredten Zeugnisse anschauen, die sie selbst hinterließen. Für Personen ohne festen Wohnsitz und ohne erkennbaren Anspruch auf eine Schriftkultur hinterließen sie eine überraschend große Anzahl von Schriften.
S1lm war hier Tausende von Graffiti überziehen die Steinwüsten im heutigen Syrien, Jordanien und nördlichen Saudi-Arabien, wo die Halbinsel mit dem Fruchtbaren Halbmond verzapft ist, also genau dort, wo jene frühesten Araber mit ihren Herden umherzogen.55 Sie sind in die Felsblöcke gehauen, die überall in der Landschaft herumliegen. Verwendet wurde hauptsächlich die nabatäische Schrift, Vorläufer der arabischen Schrift. Die Inschriften sind viel jüngeren Datums als die frühen assyrischen und biblischen Reminiszenzen an Araber – wahrscheinlich stammen sie vom Ende des letzten vorchristlichen Jahrtausends und später. Ihre Verfasser hatten aber vor dem Aufkommen des Nabatäischen im letzten Drittel jenes Jahrtausends vermutlich keine Buchstaben, mit denen sie sich hätten ausdrücken können. Die Sprache entspricht nicht ganz dem Arabischen, das wir kennen, ist aber nahe dran – näher vielleicht als Altenglisch am modernen Englisch. Wenn wir die linguistische Taxonomie leicht verbiegen, könnte man fast sagen, dass dies unsere ersten authentischen Dokumente auf Arabisch sind. Und obwohl das Wort „Araber“ in ihnen nicht vorkommt,56 bestehen kaum Zweifel daran, dass dies die ersten einheimischen Dokumente von Arabern sind. Auf den ersten Blick erscheint es überraschend: Waren nicht frühe nomadische Araber, deren Arabischsein darin bestand, dass sie „weit weg in der Wüste
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leben und weder Aufseher noch Amtsträger kennen“,57 wie die Assyrer es ausdrückten, die Letzten, die Verwendung für eine Schrift hätten haben können? Dennoch haben sie wohl geschrieben, und die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass das Ganze ein Spiel war, ein Zeitvertreib. Wer den ganzen Tag im Schatten eines Felsens sitzt und Kamelen beim Grasen zusieht, wird kaum der Versuchung widerstehen können, ein Steinchen aufzuheben und damit am Felsen herumzukratzen. In Stein festzuhalten, was man in dieser minimalistischen Landschaft vor Augen hat – Kamele –, mag künstlerisch befriedigen, und in der Tat finden wir häufig Abbildungen von Kamelen. Doch ist es auf Dauer langweilig, immer nur Kamele zu zeichnen: Da ist es doch netter, den eigenen Namen und – fast immer – die eigene Abstammung in den Fels zu ritzen. Das ist sowohl eine Bekundung von Individualität als auch eine Erklärung von Mitgliedschaft, Familie, Stamm. Wenn man dafür Buchstaben von den nabatäischen Nachbarn einführt, ist das kaum anders, als wenn man andere Produkte der sesshaften Gesellschaft importiert, wie zum Beispiel Speerspitzen und Messerklingen. M. C. A. Macdonald zieht eine hilfreiche Parallele zu den heutigen Tuareg-Nomaden, die „ihr eigenes Schriftsystem haben, Tifinagh, dass sie ausschließlich für Unterhaltungszwecke verwenden“.58 Aber Schreiben jeglicher Art ist selten ausschließlich Unterhaltung und die archetypische Verkündigung „Ich war hier“ vereint Sprayer der gesamten Geschichte. Die Sprache der auf uns gekommenen Graffiti wird als „Nordarabisch“ eingestuft und es gibt sie in verschiedenen Varianten. Die häufigste Variante ist als „Safaitisch“ bekannt, nach „al-Safā“, dem arabischen Namen für die mit Lava übersäte Steppenlandschaft, wo die meisten solcher Inschriften gefunden wurden, ungefähr 18 000 safaitische Graffiti sind belegt.59 Die meisten Graffiti sind Namen und die meisten Namen sind mit Genealogien versehen – „A Sohn des B Sohn des C …“ Manche Genealogien gehen mehr als 15 Generationen zurück. (An wie viele Vorfahren erinnern Sie sich?) Allein die bloße Anzahl der aufgeführten Ahnen ist erstaunlich und in den Fällen, in denen diese Ahnenreihen mit anderen Graffiti verglichen werden konnten, stellen sie sich auch als konsistent heraus.60 Auf unsere Zeit übertragen ergäben sich daraus Abstammungslisten, die bis in die Zeit von Shakespeare oder der Pilgrim Fathers zurückführen. Die Graffitischreiber waren jedoch nicht nur wandelnde Stammbäume. Ihre Aufzeichnungen geben Einblicke in den Alltag, zum Beispiel eines Hirten, der „[den frühen Lenz] auf dieser [Ebene] verbracht und sich von Trüffeln ernährt hat“,61 und in den Alltag eines S1lm (da im Arabischen kurze Vokale nicht geschrieben werden, könnte er also Sālim, Sallām, Salīm, Aslam usw. geheißen haben), Sohn des Mn Sohn des S1lm Sohn des Bdr Sohn des Dhn vom Stamm
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oder Clan ʾlʿbs²t, der „den Ziegen beim Gebären geholfen hat und so möge Lt [die Göttin Lāt] Halt geben. Und er trauerte um Mnʿl, seinen Sohn, der unter Qualen, von Angst überschattet, gestorben war“.62 Die Trauer ist heute noch zu spüren. Aber der Alltag bot auch Erfreuliches: Ein anderer Felsritzer schrieb, „er war krank vor Liebe … zu einer Magd und hatte herrlichen Sex mit ihr“.63 Es finden sich anzügliche Sprüche, wenn die Graffitischreiber den Texten ihrer Rivalen „etwas Unanständiges“ hinzufügten.64 Heutige Deuter dieser antiken Stimmen zerbrechen sich den Kopf darüber, ob beispielsweise das Verb ʿtm „trauern“, „beenden“ oder „ficken“ bedeutet.65 Das Graffito, karg wie die Landschaft, in der es gefunden wurde, gibt darüber jedenfalls keine Auskunft. Umso mehr Aufschluss erhalten wir durch die Graffiti über die erstaunliche Kontinuität bestimmter Lebens- und Verhaltensweisen, die sich nicht nur in der Vergangenheit – „Dies ist Jahr für Jahr sein Zeltlager“66 –, sondern bis in unsere Zeit erhalten haben. Das Gleiche gilt für Redewendungen: In einem Graffito notiert der Schreiber, dass „ein Sturzbach ihn verjagte in [der Jahreszeit des] Suhail“, das heißt im späten August, wenn der Stern Suhail oder Canopus aufgeht. Zweitausend Jahre später im 20. Jahrhundert warnt das Sprichwort der Rwala-Beduinen: „Wenn Suhail am Himmel steht, traue nicht dem Bachbett.“67 Und es gibt noch ein Motiv, das in Sprüchen und Gebeten erwähnt und auf Abbildungen gezeigt wird, und das sich mit desaströser Regelmäßigkeit wiederholte und „offenbar kulturell wie auch wirtschaftlich eine Rolle spielte“:68 der Überfall auf anderer Leute Herden. Viehtrieb und Raubzug brachten diese Menschen zum Steppenland, hielten sie in Bewegung und stellten sicher, dass sie politisch uneins blieben. Und das Muster setzte lange vor diesen frühesten authentischen Stimmen ein, vor den Assyrern und vor der alttestamentarischen Genesis.
Ein Spross des Rimth-Strauches Ein uralter Mythos erzählt, dass das Kamel aus dem rimth-Strauch erschaffen wurde.69 Al-Dschāhiz erwähnt die Geschichte mit gebührender Skepsis, sagt aber dennoch, dass der unappetitliche rimth oder Saxaul, eine stark salzhaltige Pflanze, darin eine Rolle spiele, weil nur das Kamel ihn essen kann. Wenn wir also, wie es so schön heißt, „sind, was wir essen“, liegt unter all dem Salz ein Körnchen Wahrheit: Das Kamel ist schließlich das domestizierte Tier par excellence, das dort überlebt, wo andere nicht überleben können, und isst, was andere nicht essen können. Über die Geschichte des Kamels wurde viel geschrieben. Unbestritten ist, dass es irgendwann im 3. Jahrtausend v. Chr. wegen seiner Milch domestiziert wurde,70 wahrscheinlich im Südosten der Arabischen Halbinsel.71 Die Nutzung
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von Kamelen für den Transport entwickelte sich im Laufe des darauffolgenden Jahrtausends. Kein Zweifel besteht darüber, dass der Einsatz von Kamelen als Last- und Reittiere früh im 1. Jahrtausend v. Chr., als kamelreitende Nomaden in den Schriftzeugnissen ihrer Nachbarn aufzutauchen beginnen, bereits hoch entwickelt war und sich zum Norden der Halbinsel hin ausgebreitet hatte. Zum Zeitpunkt der ersten datierbaren Erwähnung von Arabern – 853 v. Chr.72 – wurde bereits im großen Stil mit ihnen gehandelt: Gindibu, der Araber, hatte 1000 Tiere verliehen (was er vermutlich nicht für Gotteslohn allein tat). Kurz darauf stahlen die Assyrer, wie wir bereits gesehen haben, Zehntausende Kamele – wobei nicht auszuschließen ist, dass sie bei der Angabe vielleicht den Mund etwas zu voll genommen haben. Die zentrale Stellung, die das Kamel im altarabischen Leben einnahm, wird aus der Bedeutung ersichtlich, die das Tier in arabischen Todesriten hatte: Dichter aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. spielen darauf an. Wenn der Verstorbene ein Krieger war, so wurde an seinem Grab ein Reitkamel laufunfähig gemacht und zum Sterben zurückgelassen oder manchmal geschlachtet und mit seinem Besitzer begraben.73 Wie verstorbene Mongolen und ihre Pferde – und verstorbene Wikinger und ihre Schiffe – benötigten verstorbene arabische Krieger vermutlich Transportmittel, um sich nach dem Tod fortbewegen zu können. Von den unzähligen Nutzungszwecken lebender Kamele zählte Hind bint al-Chuss – die angeblich einem Überbleibsel jenes archaischen Stammes der Ād angehörte – die drei wichtigsten auf: „Männerträger, Blutstiller, Frauenkäufer“.74 Kamele waren Lasttiere, aber auch die Währung, in der Blut- und Brautgeld entrichtet wurde. Vorrangig diente das Kamel jedoch als Last- und Zugtier, und das nicht nur auf der Arabischen Halbinsel, sondern fast auf der gesamten Halbkugel: Als der zweite Kalif des Islam, Umar, seine Generäle auf ihren Eroberungszügen ermahnte, sie sollten Orte vermeiden, die er nicht per Kamel erreichen könne,75 bedeutete das in der Praxis den Verzicht auf die Eroberung des größten Teils der afrikanisch-eurasischen Landmasse. Die Anfänge dieser Geschichte der Mobilität sahen selbstverständlich noch bescheidener aus. Dennoch war es das Kamel, das es den Menschen, die Araber genannt werden sollten, ermöglichte, sich vom Fruchtbaren Halbmond loszureißen, über die Ränder der Zivilisation hinauszugehen und sich in den barbarischen Süden, den Wilden Westen der sesshaften Semiten, zu begeben. Es war gewissermaßen das Kamel, das die Menschen überhaupt zu Arabern machte. Der Reiz der Wildnis erschloss sich vielen dieser sesshaften Völker wohl kaum, aber ein Araber erklärte sie dem persischen Herrscher Chosrau Anuschirwan im 6. Jahrhundert n. Chr.:
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[Araber] besitzen das Land, ohne dass es sie besitzt. Sie sind vor der Notwendigkeit geschützt, sich mit Mauern zu verstärken: ihre gewetzten Klingen und spitzen Speere sind der Rüstung und Festung genug. Ein Fleckchen Erden zu besitzen ist so viel wie alles zu besitzen.76 Es gab noch andere Anreize, die man vielleicht als psychosomatisch bezeichnen könnte: [Araber] wägten das Für und Wider von Städten und Gebäuden ab und befanden sie nicht nur für ungenügend, sondern auch für schädlich … denn Orte leiden wie Körper an Krankheiten … also lebten sie auf dem weiten Land … das von Verunreinigung frei, voller Frischluft und von Seuchen abgeschottet ist. Natürlich gehört zum gesunden Körper der gesunde Geist, denn „wo Frischluft generiert wird, so auch Vernunft und Auffassungsgabe“.77 Der Ruf der Wüste ist kein bloßer orientalistischer Topos. Dass die Menschen, die diesem Ruf der Wildnis folgten, ihre Ursprünge, wie die nordamerikanischen Cowboys und Grenzer, bei den Bauern und Händlern der sesshaften Völker haben, bleibt letztlich eine Spekulation.78 Araber zu sein mag anfangs eine Frage der Entscheidung oder der Not gewesen sein, nicht der Herkunft. Man wurde Araber. Und die Menschen, die es zu einer Ansiedlung auf dem weiten arabischen Land trieb, waren, wie ihre amerikanische Entsprechung, ein kunterbuntes Gesindel von überall her.
Araber oder ʿarab? Es ist denkbar und wird von den frühesten arabischen Historikern stillschweigend angenommen, dass „Gesindel“ genau das ist, was ʿarab im ältesten etymologischen Sinne bedeutet. Auch arabische Lexikografen formulierten als eine der Definitionen von ʿarab: „zusammengefügtes oder gemischtes [heterogenes Volk]“.79 In dieser Definition ist beides enthalten: sowohl die innewohnende Zerrissenheit der Gemeinschaft als auch der Versuch, sie zu einen. In der Tat finden viele altbekannte Namen von arabischen Gruppierungen ihren Ursprung in Wörtern mit der Bedeutung „verbinden, vereinen, verbünden“.80 Unter diesen Gruppen finden sich die großen südlichen Bündnisse der Hāschid (von haschada, „Menschen versammeln“) und Bakīl (bakala, „vermischen“), der Stamm des Propheten Mohammed, Quraisch (taqarrascha, „zusammenkommen, sich versammeln“) und vielleicht sogar das bedeutsame südarabische Volk, Himyar (sabäisch hmr, eine Art „Pakt, Allianz zwischen Gemeinschaf-
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ten“).81 Zugegebenermaßen ist semitische Etymologie ein gefährliches Terrain, eine Wildnis von Bedeutungen, die von faszinierenden Luftspiegelungen heimgesucht wird, und es ist leicht, die Bedeutungen zu erschaffen, die man erschaffen möchte. Doch eine solche Übereinstimmung im Sinngehalt dieser Namen ist mehr als Zufall oder Laune. Eine andere landläufige Sichtweise meint, dass ʿarab ursprünglich „Wüstenvolk, Nomaden“ bedeutete.82 Mit anderen Worten, badw, Beduinen, und ʿarab seien das Gleiche. Dies war gewiss der Fall in den frühen Inschriften, sowohl in den assyrischen als in den südarabischen. Es war gewiss auch später und bis vor Kurzem die Bedeutung: Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wären viele der Menschen, die sich heute stolz als „Araber“ bezeichnen, nicht erfreut darüber gewesen, ʿarab, Beduinentölpel, genannt zu werden. Ob dies die ursprüngliche Bedeutung des Wortes war, ist jedoch fraglich und wird in der Tat auch oft hinterfragt. Eine weitere Bedeutung von ʿarab, „Arabischsprechende“, ist zweifellos jüngeren Datums. Einige Forscher würden sie weit zurück in die islamische Zeit datieren.83 Wie sich jedoch noch zeigen wird, begann das arabische Identitätsgefühl als ethnische Gruppierung, deren Ethnizität zum Teil auf einer gemeinsamen Sprache beruhte, viel früher. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten. Wenn wir verwandte Wörter betrachten, könnte ʿarab eventuell „aus dem Westen“ bedeuten84 – vermutlich „von der Halbinsel“. Aber damit noch nicht genug: Der Arabist Jan Retsö hat sich die Mühe gemacht, ausführlich alles verfügbare frühe Material durchzuschauen und ist zum Ergebnis gekommen, dass ʿarab marginale Gemeinschaften waren, die von heldenhaften Anführern geleitet wurden, in Zelten wohnten, Kultzentren beschützten, als Wahrsager und Grenzwachen Berühmtheit erlangten, und vor allem diejenigen, „die in den Dienst einer Gottheit traten und deren Sklaven oder Eigentum blieben“.85 Das mag alles sein und ist ganz sicher so gewesen. Nur ist es für eine geeignete Definition gleichzeitig zu weit und zu eng: zu weit, weil es zu viele Prämissen gibt, die ein ʿarabī erfüllen müsste, um mit Fug und Recht dazugezählt zu werden; zu eng, weil viele der Menschen, die früher als ʿarab betrachtet wurden, ganz sicher nicht hinter jedem dieser Kriterien auch ein Kreuz hätten setzen können. Ich tendiere – aus linguistischen Gründen, die in den folgenden Abschnitten ausgeführt werden – zur ersten möglichen Bedeutung von ʿarab: Mischung oder Vereinigung. Die Ehrlichkeit gebietet aber zu sagen, dass wir den ursprünglichen Sinn des Wortes nicht kennen und vielleicht nicht kennen können. Der ägyptische Intellektuelle Taha Hussein hat es deutlicher formuliert: Wir befinden uns ob der Bedeutung „in höchster Verwirrung“.86 Was man aus den Tiefen des semantischen Brunnens hochzieht, ist meist mit Schlamm bedeckt.
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Dass wir nicht einmal mit Sicherheit sagen können, was der Name ʿarab bedeutet, scheint alles in allem nicht gerade ein verheißungsvoller Anfang für das Vorhaben zu sein, eine Geschichte von Arabern zu schreiben. Vielleicht empfiehlt es sich daher, nicht in semantische Brunnen hinabzuschauen und zu fragen, wer oder was genau Araber waren, sondern stattdessen den Horizont abzusuchen und zu klären, wem sie ähnlich sahen und wie sie in die menschliche Umgebung hineinpassten. Ein sinnvoller Hinweis kommt aus Asien: „Es ist fraglich, ob der Begriff arya jemals in ethnischem Sinne gebraucht wurde“, sagt die indische Historikerin Romila Thapar über die Arier87 – und sie hätte das Gleiche über „die Araber“ sagen können, oder besser über ʿarab, kursiv und klein geschrieben. Zwischen beiden Gruppen gibt es mehr als nur eine Übereinstimmung. Beide infiltrierten einen Subkontinent, beide sind bewegliche, wandernde, plündernde Hirten (die einen haben Kühe, die anderen Kamele); beide haben Seher und Experten für Übersinnliches (risis/kāhins). Wichtig ist auch, dass beide in Abgrenzung zu denen, die ihre Sprache nicht sprechen (mleccha/ʿadscham), ein starkes sprachliches Selbstverständnis und früh eine beeindruckende mündliche Literatur entwickelten, die viele Jahrhunderte später verschriftlicht wurde (die Veden beziehungsweise die vorislamische Dichtung), beide entwickelten eine prestigeträchtige und oft kryptische Sakralsprache, die sich als die Sprache der Schriftkultur weit verbreitet (Sanskrit und Hocharabisch), aber schließlich versteinert.88 Dies sind bloß grob skizzierte Parallelen zwischen ʿarab und arya. Vergleichbare Parallelen könnten wohl auch zwischen ʿarab und vielen anderen mobilen Gruppen – nordischen, mongolischen, keltischen usw. – gezogen werden. Solche Parallelen sagen dennoch etwas über die Position von Arabern in der Menschheitsgeschichte allgemein aus. Und wichtig ist auch, dass sie die zen trale Stellung von Sprache aufzeigen, indem sie das, was ursprünglich als Kollektivnomen erscheint (arya/ʿarab) in einen Eigennamen (Arier/Araber) verwandeln. Denn um zur Idee von ʿarab als „gemischtem“ Volk zurückzukehren: Wenn nicht durch ihr Erbgut, so schienen sie mit der Zeit immer mehr durch die Sprache verbunden.
Söhne von Sām Spätestens seit den ersten schriftlichen Zeugnissen bedienten sich nahezu alle Völker in Arabien und im Fruchtbaren Halbmond, ob sie nun sesshaft waren oder nomadisch, verwandter Sprachen, die alle zu einer Sprachfamilie gehören, die von deutschen Philologen im 18. Jahrhundert als die „semitische“ Sprachfamilie bezeichnet wurde. Der Name stammt von Sem, Sohn des Noah, der auf Arabisch „Sām“ heißt und den die traditionellen Genealogen als Ahnen der Ara-
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ber, Hebräer und anderer locker verwandter Gruppierungen beanspruchen. Spätere Philologen spielten das Proto-Spiel und konstruierten einen Stammbaum für semitische Sprachen, in der jede Sprache auf eine hypothetische Urfassung – protoarabisch, protohebräisch usw. – und anschließend auf einen gemeinsamen Wurzelstock – proto- oder ursemitisch – zurückgeführt wird. Außerdem lässt sich, auf Grundlage von Schätzungen der Geschwindigkeit, in der Sprachwandel sich heute vollzieht, und Projektionen in die Vergangenheit, grob berechnen, wie alt Sprachen sind. Mit anderen Worten: Man kann gewissermaßen die Jahresringe des linguistischen Baumes zählen. Für den Ursprung des Protosemitischen, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Levante liegt, wurden verschiedene Daten vorgeschlagen. Noch wahrscheinlicher ist, dass das Arabische einige Eigenschaften bewahrt hat, die älter sind als die der anderen semitischen Sprachen, und dass einige dieser Eigenschaften sich schon sehr früh von der semitischen Wurzel getrennt haben könnten, womöglich schon um 5000 bis 4000 v. Chr. Andererseits ist diese semitische Wurzel vielleicht nicht der Wurzelstock, sondern gehört wiederum einer größeren, afroasiatischen Familie an …89 Sie merken schon, wohin das führt. Das ist alles Gehirnjogging, Codeknacken, Zahlenkombinatorik und Wahrscheinlichkeitsstatistik. Doch da wir uns mit traditionellen Nomaden beschäftigen, die aufgrund ihrer Lebensart fast keine archäologischen Spuren hinterließen, besteht das arabische Äquivalent zu Troja oder Knossos eben aus dem großen Aushubhügel der Sprache. Ab und an gibt er erfreuliche Fundstücke frei, vor allem, wenn diese als Belege für eine Kontinuität der Gegenwart zur Vorzeit hindeuten. Der Arabist und Linguist Jonathan Owens nennt zum Beispiel zwei auffallend ähnliche Verbparadigmen, die er mit den Etiketten „irakisches“ und „nigerianisches Arabisch“ versieht, wobei das „Irakische“ in Wirklichkeit Akkadisch aus dem Jahr 2500 v. Chr. ist, während die nigerianische Variante aus dem Jahr 2005 unserer Zeitrechnung stammt:90 ein Beleg für geografische Kontinuität über 4500 Kilometer und zeitliche Kontinuität über 4500 Jahre. Andere interessante Beweisschnipsel verleihen der Kontinuität an den Stellen, wo der Baum fremdbestäubt wurde, Komplexität. Im Arabischen umfassen sie sehr frühe Lehnwörter, wie die Namen der beiden Waffen, die immer um die Vorherrschaft buhlen, jenes Urwerkzeug der Zivilisation und dessen Gegenstück, griechisch kalamos → arabisch qalam, „Rohr, Schreibrohr“, und (wahrscheinlich) griechisch xiphos → arabisch saif, „Schwert“.91 Und was ist mit dem lateinischen Wort taurus → arabisch thaur, „Stier“, und dem griechischen oinos, „Wein“ → arabisch wain, „schwarze Trauben“ und südarabisch wyn, „Weinberg“? Oder sollten die Pfeile in einigen Fällen in die andere Richtung zeigen? Oder in beide Richtungen? Die Fragen sind keine rhetorischen, da wir
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tatsächlich kaum eine sichere Antwort darauf haben. Deutlich ist, dass es nicht nur schon sehr früh Entlehnungen, sondern vielleicht auch ein präsemitisches „mediterranes Substrat“ gegeben hat:92 sprachliche Gemeinsamkeiten, die der Grenzziehung zwischen „Semitisch“ und „Indogermanisch“ zeitlich vorausgehen und derselben Sprachfamilie angehören. Die Ursprünge des Arabischen selbst liegen in einem „Dialektbündel“ des semitischen Sprachastes, der als Nordarabisch bezeichnet wird.93 Die Sprachen der Graffiti, Safaitisch, Thamudisch und andere, formen ein anderes Bündel von inzwischen abgestorbenen Zweigen, die von demselben nordarabischen Ast abstammen. Die Sprecher aller dieser nordarabischen Sprachen konnten einander wahrscheinlich problemlos verstehen. Auf der anderen Seite (oder auf dem anderen Ast) umfasste Südarabisch die Sprachen der sesshaften Völker im Süden und Westen der Halbinsel – Saba, Himyar usw. –, die für die Sprecher der nordarabischen Sprachen unverständlich waren. Der größte Teil des südarabischen Astes verdorrte und starb mit der schleichenden Arabisierung ab, die geraume Zeit vor dem Aufkommen des Islam stattfand. In abgelegenen Ecken tauchten jedoch ein paar neue südarabische Sprachen auf – das „Gälisch“ Arabiens, das heutzutage von einigen Zehntausenden im Jemen und im Oman gesprochen wird. Wenn ich ihnen zuhöre, beispielweise den Bergbewohnern auf der Insel Sokotra vor dem Horn von Afrika, stelle ich als Sprecher des Arabischen verwirrt die Ohren auf – ich müsste sie doch verstehen? Aber ich schnappe nur hin und wieder den Kern eines verwandten Wortes auf. Wie die verschiedenen Zweige am selben Ast einzuordnen sind, ist nicht ganz sicher. Allgemein sagt man, dass sich das Arabische durch den bestimmten Artikel „al-“ auszeichnet.94 Safaitisch und die Schwestersprachen verwenden dagegen den bestimmten Artikel „h-“ oder „hn-“. Eine der frühesten Erscheinungen des „al-“ finden wir im 5. Jahrhundert v. Chr. bei Herodot, der schreibt, dass „Alilat“ – al-Ilāt, sonst al-Lāt oder einfach Lāt geschrieben, die uns schon im oben erwähnten Graffito des trauernden S1lm begegnete95 – die Gottheit der Araber ist.96 Man vergleiche das männliche Gegenstück, Alilāh, alIlāh oder Allah, den Gott. Sprachen nach ihren bestimmten Artikeln zu klassifizieren ist jedoch, als würde man Schraubenzieher nicht nach der Form der Klinge, sondern nach der des Griffes gruppieren. Im heutigen Jemen benutzen beispielsweise viele Sprecher des Arabischen „am-“ als bestimmten Artikel. Auch vom Propheten Mohammed, der als der vollendetste Sprecher des Arabischen gilt, ist bekannt, dass er zu „am-“ wechselte, wenn er mit Leuten sprach, die diese Form des bestimmten Artikels gebrauchten.97 Wie heikel die Probleme der Klassifizierung selbst innerhalb der größeren semitischen Familie sind, zeigt sich an einem der ersten angeblich genuin ara-
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bischen Texte, einer Grabinschrift aus Hegra/Madāʾin Sālih aus dem Jahr 267 n. Chr., die jeden, der versucht, die Grabstätte zu schänden oder wiederzuverwenden, mit Flüchen überhäuft. Früher wurde die Sprache dieser Inschrift als Nabatäisch eingestuft, inzwischen wird sie als Arabisch mit nabatäischen Einflüssen klassifiziert.98 Und um zu illustrieren, wie hybrid sprachliche Praxis sein kann: Was heute als die älteste arabische Inschrift betrachtet wird – ein Gebet von drei Zeilen zum Dank für die Genesung von einer eiternden Wunde aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., das in En Avdat in der Negev-Wüste gefunden wurde –, ist in einem aramäischen Text eingebettet.99 Kurzum, wir müssen eingestehen, dass so etwas wie die eine arabische Sprache im Singular nicht existierte. Es gab und gibt stattdessen viele arabische Sprachen. „Arabisch“ war nie ein säuberlich am Spalier gezogener Zweig des Semitischen oder eine homogene Sammlung von Trieben, sondern ein verholzter und mehrfach wieder eingepflanzter Ableger, der einige sehr alte und sehr merkwürdige Merkmale aufweist.100 Genau diese Vielfalt des „Dialektbündels“, das Arabisch wurde, spiegelt die Bedeutung von ʿarab als bunte Truppe, als genetisches und linguistisches Sammelsurium wider, das seit frühester Zeit immer neue Mitglieder aufgenommen hat. Das wiederum liefert uns stichhaltige Hinweise in Bezug auf die früheste Epoche der arabischen Geschichte. Die alte „Wellentheorie“ von der Auswanderung von der Halbinsel erzählt nur einen Teil der Geschichte: Nicht nur ist deutlich geworden, dass Wellen von Menschen weiterhin hineinströmten – ein konstanter menschlicher Sog aus dem Fruchtbaren Halbmond –, sondern auch, dass dieses oben angedeutete grobe Zeitfenster von 5000 bis 4000 v. Chr., als die ältesten Merkmale ihrer Sprache sich vom protosemitischen Wurzelstock abzweigten, einen Hinweis auf die Anfänge der Wellenbewegungen und das wahre Alter unserer ersten ʿarab geben könnte. Handfeste Beweise liegen nicht vor. Doch Belege für diese sprachliche und genetische Vielfalt ebenso wie für den sesshaften Ursprung der Araber und ihrer Sprachen im Fruchtbaren Halbmond haben sich wohl im arabischen mythischen Gedächtnis bewahrt. Eine Geschichte erzählt zum Beispiel, wie nach dem Debakel in Babel und der Sprachverwirrung zehn Sprecher des Arabischen aus Mesopotamien ausschwärmten. Jeder von ihnen machte sich mit seiner Familie und Anhängern auf den Weg zu einem anderen Teil der Halbinsel und sprach dabei ein Gedicht über sich selbst. „Sie alle … waren badw und breiteten sich über das Land aus.“101 Dieser und andere Berichte erscheinen irreal wie Träume; doch wie Träume können sie aus langzeitgelagerten Erinnerungen hervorgehen und einen handfesten Hintergrund haben.
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Araber haben ein Wort dafür (und oft sehr viele Worte) Die ganze frühe und spätere Vielfalt und Akkumulation des Arabischen haben einen unfassbar reichen Wortschatz geschaffen. Es gibt 80 Synonyme für „Honig“,102 200 für „Bart“, 500 für „Löwe“,103 800 für „Schwert“104 und 1000 für „Kamel“.105 In einem alten Arabistenwitz heißt es, dass jedes arabische Wort drei Dinge bedeutet: es selbst, sein Gegenteil und Kamel. Das ist nicht ganz unrichtig.106 Es gibt Begriffe für Dinge, von denen man niemals vermuten würde, dass sie einen eigenen Begriff benötigen, wie zum Beispiel der Kot der Trappe und der des Vogelstraußes, sowie Bezeichnungen für verschiedene Arten von Fürzen, die nach dem Geräuschpegel eingeteilt werden,107 der Klang einer fressenden Heuschrecke108 und die Zwischenräume zwischen den Fingern, von denen jeder einen eigenen Namen hat.109 Diese Vielfalt ist einer der Gründe dafür, dass nicht weniger als 50 Dialekte, ganz abgesehen von acht fremden Sprachen, zum Vokabular des Koran beigetragen haben.110 Sie ist ebenfalls ein Grund dafür, dass qāmūs – eine arabisierte Form des griechischen okeanós, „Ozean“ – ein Synonym für Wörterbuch wurde. „Die arabische Sprache“, so schreibt al-Schāfiʿī, der große Gelehrte (* 767, † 820 n. Chr.), „ist die umfassendste Sprache mit dem reichhaltigsten Wortschatz. Wir kennen keinen Menschen, der sie vollumfänglich beherrschen kann, es sei denn dieser Mensch ist ein Prophet.“111 Al-Schāfiʿīs Zeitgenosse al-Dschāhiz geht noch weiter: Niemand könne alle Möglichkeiten des Arabischen erfassen, so heißt es bei ihm, „außer Ihm, der die Anzahl von Tröpfchen in den Regenwolken und die Anzahl der Staubkörner kennt – und das ist Gott, der weiß, was war und was sein wird“.112 Charles de Gaulle fragte sich, ob ein Volk, das 246 Sorten Käse produziert – die Franzosen –, imstande sei, sich regieren zu lassen. Die gleiche Frage kann man sich auch bei Menschen stellen, die 1000 Namen für das Kamel haben. Weniger flapsig formuliert: Diese offensichtliche Vielfalt in der Frühzeit ihrer Sprache – dieses dichte Dialektbündel, das am nordarabischen Ast wächst – wirft eine wichtige Frage auf: Hatten die frühesten ʿarab eine Ahnung davon, dass sie etwas miteinander verband?
Auf der Suche nach der geeinten Stimme Ihre Nachbarn im frühen 1. Jahrtausend v. Chr. fassten ʿarab gewiss als eine Art von Einheit auf, indem sie sie mit diesem Namen bezeichneten, ganz unabhängig davon, ob die Betroffenen sich nun selbst ʿarab nannten oder nicht. Von ca. 750 bis 400 v. Chr. gab es nachweislich eine multitribale Gruppierung namens Qīdār – eine Art Gemeinwesen, wenn auch keine Einheit. Einheit liegt oft im Auge des Betrachters, des Außenstehenden. Doch auch für ʿarab bedeutete die
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gleiche mobile Lebensweise – Kamelzucht, Suche nach Weideland, Handel auf dem Kamelrücken –, dass ihre Wege sich kreuzten und querten und wenigstens eine vorsichtige Ahnung von gemeinsamer Identität, von kultureller – wenn auch nicht politischer – Einheit bewirkten. Denn Sprache war für ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Einheit vermutlich genauso wichtig wie die Lebensweise: Die Tatsache, dass all diese Sprachzweige so schwer zu klassifizieren sind, zeigt, wie nah sie beieinanderlagen. Robert Hoyland sieht Sprache selbst im 1. Jahrtausend v. Chr. als das, was ʿarab verbindet und unterscheidet113 und als wichtigste Voraussetzung für die ʿarab-Identität.114 Das war lange vor der Entstehung der einheitlichen „Hochsprache“, der ʿarabiyya, die das herausragendste Merkmal der arabischen Einheit werden sollte und weiterhin ist. Gleichzeitig deuten die Stimmen der Wüstenfelsen – diese safaitische vox populi – auf Pluralität und Diversität hin: auf Stimmen von vielen unterschiedlichen Menschen, nicht auf die eines Volkes; auf Individuen in einer lose zusammenhaltenden und segmentierten Gesellschaft, die den immer verzweigteren Pfaden ihrer eigenen immer länger werdenden Abstammungslinien folgen. Die Sprecher der unterschiedlichen Zweige konnten sich untereinander verständlich machen, aber in einem weiteren politischen Sinne war ihre Stimme noch lange nicht geeint. Wir können nur mutmaßen, welche Dialektik zwischen ihren vielen Dialekten am Werk war und welche sprachlichen Besonderheiten sie voneinander trennten. In dieser Epoche spielen ʿarab als Söldner und Spediteure der sesshaften Völker höchstens eine Nebenrolle. Wie aus den Graffiti hervorgeht, war das Leben pastoral und provinziell. Doch mit dem Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. tun sich plötzlich neue Horizonte auf. Es wird eine neue Art von Kamelsattel entwickelt, der es Reitern ermöglicht, deutlich längere Strecken zurückzulegen.115 Zudem wächst in der Region die Einmischung von außen: Rūm, „Römer“, werden in Graffiti erwähnt. ʿArab erscheinen nun regelmäßig in den Inschriften der südarabischen Königreiche. Und die Graffiti selbst tauchen nun an unvorhergesehenen Orten auf – im heutigen Libanon116 und sogar an einer Wand in einem römischen Theater in Pompeji.117 Die Kamelhirten der Arabischen Halbinsel sahen sich allmählich nach neuen Weidegründen um.
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Kapitel 2 Völker und Stämme: Sabäer, Nabatäer und Nomaden „Wenn man in Zafār ist …“ In Yāqūts geografischem Lexikon findet sich unter dem Stichwort Zafār folgende Anekdote über die alte südwestarabische Stadt: Sie war der Sitz der Könige von Himyar und die Quelle des Sprichworts: „Wenn man in Zafār ist, sollte man wie die Himyaren sprechen.“ AlAsmaʿī zufolge kam dorthin einst ein arabischer Mann zu einer Audienz eines Himyarenkönigs. Der König, der sich gerade auf einer hohen Dachterrasse seines Palastes befand, sagte zu dem Mann: „Thib!“ [Arabisch für: „Spring!“] Der Mann sprang also hinunter und stürzte sich zu Tode. Da sagte der König: „Arabischt gibt es bei uns nicht. Wenn man in Zafār ist, sollte man wie die Himyaren sprechen.“ Auf Himyarisch heißt „thib“: „Nimm doch bitte Platz.“1 Der Gewährsmann der Geschichte, al-Asmaʿī, war ein geschätzter und im Allgemeinen sehr zuverlässiger Philologe des 8. Jahrhunderts n. Chr.; thib kommt von einem genuin altsüdarabischen Verb, das „sitzen“ bedeutet; dass der König ʿarabiyya als ʿarabiyyat ausspricht (oben mit „Arabischt“ nachempfunden) ist ebenfalls für diese Zeit verbürgt. Dennoch scheint diese Geschichte eher in die Kategorie islamischer Großstadtmythen zu passen. Ob der Sprung in den Tod nun wirklich stattgefunden hat oder nicht, die Szenerie ist auf jeden Fall stimmig. Zafār, die Stadt auf dem Hügel, ein König, ein Palast mit mehreren Stockwerken – das alles wäre einem arabischen Besucher, der nur steinige Steppen, schlichte Stammesführer und Zelte aus Kamelhaar kennt, sehr fremd gewesen. So weit entfernt von seinem sozialen und sprachlichen Kontext hätte er sich tatsächlich kaum zurechtzufinden vermocht. Die königliche Reaktion passt ebenfalls: Wir sehen förmlich vor uns, wie der Herrscher über die Brüstung schaut und kopfschüttelnd die Pointe ausspricht. Auch wenn der Araber ihn nicht beim (falsch verstandenen) Wort genommen hätte, wäre der Kommentar des Königs von oben herab gekommen, vom weltmännischen Gastgeber zum barbarischen Gast. Diese herablassende Haltung des zivilisierten Südens gegenüber dem nomadischen Norden findet sich auch in islamischer Zeit wieder: „Wenn ein Tamīmī [Araber] ankommt und behauptet, er sei besser als du“, sagte der Dichter Abū
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Nuwās, ein Zeitgenosse des al-Asmaʿī, zu einem Publikum südarabischen Ursprungs, dann sage ihm: „Es reicht, du Echsenfresser! Du traust dich, vor den Nachkommen von Königen zu prahlen, du Dummkopf, du Hosenpisser? Lassʼ den Adel sich messen in edlen Taten; und was dich betrifft: Nimm deinen Stock und treibe deine Ziegen fort, du Sohn einer Mutter mit Durchfall! Uns gehörte schon die Welt, Ost und West, als dein alter Anführer noch ein Tröpfchen in den Lenden seines Vaters war.2 Wir werden sehen, dass der Gegensatz Zivilisation versus Nomadentum, Nord gegen Süd, durch die Politik der islamischen Zeit noch verschärft wurde. Aber er entstammt einer alten Wirklichkeit. Wie die Geschichte von Zafār zeigt, waren die Menschen in Arabien durch einen Kontinent verbunden, aber durch eine Sprache geteilt: Ihre semitischen Wurzeln einten sie, doch die semantischen Verzweigungen trennten sie. Auf soziologischer Ebene waren die Unterschiede noch tiefgreifender. Die Gruppen, die ʿarab genannt wurden, gaben dem ethnischen Gemisch, das die Geschichte als „Araber“ kennt, seinen Namen. Dabei machen sie, neben den Sabäern, den Himyaren und anderen sesshaften Völker auf dem arabischen Subkontinent, mit denen sich dieses Kapitel beschäftigt, nur einen Teil dieses Gemischs aus. Es ist wichtig zu sehen, wie sich in dieser frühen Phase sesshafte und nomadische Bewohner der Arabischen Halbinsel unterschieden und wie sie allmählich zusammenkamen. Nur dann wird deutlich, wie die alten Gegensätze im kurzen Zeitraum der vom Islam herbeigeführten Einheit und in den darauffolgenden Perioden von Zerrissenheit Arabern ihre außergewöhnlichen Stärken und ihre folgenschweren Schwächen verliehen. Um noch einmal zusammenzufassen, was wir über die nomadischen Gruppen in der Frühzeit festhalten können: ʿarab waren zahlenmäßig nicht stark vertreten, wahrscheinlich von gemischter Herkunft und zeichneten sich – wenigstens in den Augen Außenstehender – seit dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. dadurch aus, dass sie ihr Leben in einer äußerst kargen Umgebung bestritten. Wir wissen nicht, wie sie sich selbst definierten oder ob sie sich überhaupt als eine Gruppe betrachteten. Doch zu der Zeit, da die ersten authentischen ʿarabStimmen zu vernehmen sind, die zum Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. in
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Wüstenfelsen geritzt wurden, finden sich genügend gemeinsame Merkmale, die einen Kern von Ethnizität bilden können: ein gemeinsamer Lebensstil und kontinuierlich sich kreuzende Wege, ein Interesse an – oder vielleicht gelegentlich eine Obsession mit – ihrer Abstammung sowie die Zugehörigkeit zu eng verwandten Sprachfamilien. Die offenkundigste Gemeinsamkeit der nomadischen Stämme besteht zunächst in ihrem Unterschied zu den sesshaften Völkern: Er ist so groß wie der zwischen „Spring!“ und „Nimm Platz!“. Doch das änderte sich während der ersten Jahrhunderte v. Chr. Unter den tribalen ʿarab bildete sich eine besondere Hochsprache für Prophetie und Poesie heraus. Diese neue Sprache der Dichtung und der alte mobile Lebensstil wurden zu den beiden wichtigsten ethnischen Markern – zum unverzichtbaren Zubehör der Nationaltracht der ʿarab. Die Metapher der Kleidung passt in zweierlei Hinsicht: Der Stil ethnischer Zugehörigkeit kann sich ebenso ändern wie ein Kleidungsstil; und was Mode ist, kann sich bis in Regionen verbreiten, die weit entfernt von ihrem Ursprungsort sind, und zum globalen Trend werden. Neben dieser Tracht begannen ʿarab zu dieser Zeit auch, mit einem gewissen Stolz das Label zu tragen, das ihnen andere schon lange vorher verpasst hatten: „Araber“ wurde ab jetzt großgeschrieben. Interessanterweise eigneten sich erklärte Nichtaraber der Halbinsel mit radikal unterschiedlichen Lebensstilen und Sprachen etwa ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. nicht nur diese Teile der arabischen Tracht an und schlüpften in das Kostüm und das Brauchtum hinein, sondern nahmen im 7. Jahrhundert schließlich zusammen mit dem Islam auch das Etikett „Araber“ an – und behaupteten sogar, das wäre immer schon ihr Label und ihre Sprache gewesen. Das war schon für die sesshaften, zivilisierten Völker des Südens – die Sabäer und ihre Nachbarn, darunter die Himyaren – erstaunlich. Aber selbst im großen Palast des überheblichen Königs von Zafār tauschte man die Sprachen der Vorfahren gegen das „Arabischt“ der kamelhaarzeltbewohnenden Viehhirten ein. Man schloss sich der wachsenden soziopolitischen Mischung des Arabertums an und schlüpfte mit Stolz in die arabische Nationaltracht. Ein späterer Beleg für dieses ethnische Crossdressing (und zwar im wörtlichen Sinn) ist der Himyarenkönig Dhū al-Kalāʾ, der dem ersten islamischen Kalifen Abu Bakr einen Besuch abstattete „mit tausend Sklaven … Er trug eine Krone und die Art von gestreiften Kleidern und anderen Gewändern, die wir beschrieben haben“, das heißt, aus schwerem Goldbrokat. Dagegen war der asketische Abū Bakr in schlichtestem arabischem Stil gekleidet: „Und als der König sah, was er trug, zog er seine feinen Kleider aus und kleidete sich wie der Kalif. Eines Tages wurde er sogar auf einem der Suks in Medina mit einem Schaffell auf den Schultern gesehen.“ Wir kennen so etwas Ähnliches von bür-
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gerlichen Revoluzzern aus dem 20. Jahrhundert, die im Mao-Anzug rumliefen. Natürlich hat diese Geschichte eine Moral: Wenn man Allah Gehorsam erweisen will, muss man in dieser Welt Bescheidenheit an den Tag legen, wie der fromme König in Vintage-Klamotten erkennt.3 Der Gehorsam gegenüber Allah war außerdem zu dieser Zeit bereits ein Aspekt des Araberwerdens. Dies alles lag jedoch damals noch in ferner Zukunft. Wie genau der arabische Stil eine ganze Halbinsel einkleidete, wird sich in den nächsten Kapiteln zeigen. Anfangs waren ʿarab, wie die Geschichte von Zafār zeigt, für die Leute aus dem Süden und besonders für den Vorzeigestaat von Saba alles andere als en vogue. Sie kauten auf gerösteten Eidechsen herum und waren vom gleichen Ungeziefer befallen wie ihre krätzigen Herden. Insbesondere für die Bewohner der sesshaften, zivilisierten südlichen Königreiche waren sie insofern eher eine Zumutung und im Prinzip unsichtbar.
Die ursprünglichen Araber (zumindest fast) Wie ʿarab stammten wohl auch die Sabäer, die wir bereits als die bekanntesten Südaraber kennengelernt haben, wenigstens teilweise aus dem Fruchtbaren Halbmond; das Gleiche gilt für andere südarabische Gruppierungen wie die Himyaren. Anders als bei ʿarab handelt es sich bei den Sabäern möglicherweise um eine ziemlich kohärente Gruppe. Wenn wir die sabäische Sprache nach Hinweisen auf ihre Anfänge durchforsten und mit anderen Zweigen des Semitischen vergleichen, liegt es nahe, dass „die Protosabäer die Randgebiete von Syrien-Palästina geraume Zeit nach 2000 v. Chr. verließen“.4 Auch die südarabische Schrift untermauert diese These. Sie „ist die Überlebende eines protokanaanitischen Alphabets, das um 1200 v. Chr. in Palästina ausgestorben war“.5 (Andererseits hält sich ein Nachfahre der südarabischen Schrift bis heute in Äthiopien für die Niederschrift von Amharisch und verwandten Sprachen.) Andere Analysen vermuten jedoch den Ursprung der Sabäer weiter östlich im Fruchtbaren Halbmond.6 In beiden Fällen ist unbekannt, auf welcher Route und wann die frühen Sabäer nach Südarabien ausgewandert sind. Wenn Linguistik und Epigrafik nicht weiterhelfen, kann wenigstens die Archäologie zur Aufklärung beitragen. Wie wir gesehen haben, gab es in der Region schon im 4. Jahrtausend v. Chr. künstliche Bewässerung. Der bereits erwähnte große Damm von Maʾrib stellte den Höhepunkt einer langen Entwicklung in den Bereichen Wassermanagement und Personalverwaltung dar. Wie genau die Sabäer und andere Gruppen sich zur verbleibenden lokalen Bevölkerung verhielten und mit ihr interagierten, wissen wir jedoch noch immer nicht genau, und einige Forscher gehen davon aus, dass die südarabische Kultur vor allem einheimischen Ursprungs ist.7 Es sind aber immerhin genü-
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gend Belege dafür vorhanden, um sagen zu können, dass die Sabäer, wie andere sesshafte Völker mit vergleichbaren Sprachen – die Minäer, Qatabanier, Hadramiten und später Himyaren – im Süden eine blühende sesshafte Zivilisation aufbauten. Zusammen bildeten diese Völker mit der Zeit ihren eigenen „Fruchtbaren Halbmond“ in Südarabien.8 Die beiden Fruchtbaren Halbmonde lagen an den äußeren Enden der riesigen Halbinsel. Ab dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. begannen die südarabischen Völker dank ʿarab und ihrer Lastkamele ungeachtet der großen Entfernung Handel mit dem Norden zu treiben. Die Südländer agierten dabei auch als Mittelsmänner oder Zwischenhändler und leiteten die Luxusgüter, die über das fruchtbare Küstengebiet aus der Region um den Indischen Ozean kamen, nach Norden weiter. Sie exportierten außerdem selbst, vor allem Duftstoffe. Doch die tragende Säule ihrer Existenz war stets der Ackerbau. Die positive Dynamik, die hier am Werke war, wurde bereits angesprochen: Die Notwendigkeit, sich den Niederschlag in Form künstlicher Bewässerung zunutze zu machen, machte die Entstehung einer sesshaften Gesellschaft erforderlich, wodurch wiederum die Entwicklung des Ackerbaus beschleunigt wurde.9 Im reichen Inschriftenmaterial, das die Sabäer und ihre Nachbarn hinterlassen haben, ist die Bedeutung von Wasser zahlreich bezeugt: Die frühesten sabäischen Inschriften, vermutlich aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., danken der Gottheit Athtar für den Regen.10 Einige der letzten sabäischen Inschriften aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. stammen von den christlichen Aksumiten aus Äthiopien, die damals den Süden der arabischen Halbinsel besetzt hielten, und dokumentieren Reparaturen am maroden Damm von Maʾrib im Namen der Dreifaltigkeit.11 Aus der Epoche zwischen dem 8. Jahrhundert v. Chr. und dem 6. Jahrhundert n. Chr. stammt eine typische Widmung für eine Statue im Awwam-Tempel – die wichtigste sabäische Kultstätte, unweit des Damms von Maʾrib –, die besagt, dass die Stifter dem Gott Almaqāh … Herrn von Awwam, diese vergoldete Statue schenken, zum Dank für seinen Segen für reiche Ernten vom bewässerten wie auch vom beregneten Land … und für die Ernte von ihren Terrassen und Feldern und Höfen, die durch Wasserkanäle und Deiche bewässert werden, und von allen Äckern ihrer Dörfer …12 Immer wieder kommen solche Inschriften im Laufe der Jahrhunderte sabä ischer Ernten vor. Das größte dieser Wasserwerke, der Damm von Maʾrib, erreichte wahrscheinlich seine endgültige Form und Größe im 6. Jahrhundert v. Chr. Er blieb
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über 1000 Jahre in Betrieb und war als eine Anlage, die eher für die Ableitung und Verteilung des aus den Bergen abfließenden Wassers denn als Sammelbecken entworfen wurde, wohl eines der erfolgreichsten Werke in der Geschichte des Bauwesens. Die Schlickablagerungen seiner „zwei Gärten“, die auch im Koran erwähnt werden,13 sind heute noch deutlich erkennbar, ebenso die beiden erhaltenen Schleusen, aus denen sie bewässert wurden (die Beckenwand ist nicht erhalten). Die Tiefe der Schlickablagerungen legt nahe, dass die Sabäer hier entweder schon 1000 Jahre vor den ersten erhaltenen Inschriften Ackerbau betrieben oder dass die Bewässerungsarbeit bereits von prä- (oder vielleicht proto-)sabäischen Bewohnern begonnen wurde.14 Die Ausdehnung des Schlicks zeigt, dass die beiden Gärten auf dem Höhepunkt ihrer Kultivierung eine Fläche von 9600 Hektar umfassten.15 Dies alles war das Ergebnis von Kooperation. (Moderne Bewässerung hingegen, die fast ausnahmslos aus artesischen Quellen stammt, begünstigt Konkurrenz und Konflikt, da benachbarte Bauern alle auf einen rasch zurückgehenden Wasserspiegel zugreifen.) Mit der Zeit wurde aber die Zusammenarbeit eingestellt, das Unheil brach herein und dem Damm von Maʾrib kam eine neue Rolle in der Geschichte der Arabischen Halbinsel zu – oder besser in einer Art Wandersage, einer arabischen Odyssee, in der sich die Wege von Fakt und Fantasie immer wieder kreuzten.
Ein Volk auf der Wallfahrt In Maʾrib gab es noch ein anderes großes Bauwerk, das jedes Jahr zur selben Zeit Ströme aus einem vergleichbar großen Einzugsgebiet vereinigte. Dieses Bauwerk war ein Tempel, der Awwam-Tempel aus der oben zitierten Inschrift, ein großes elliptisches Temenos mit Schreinen, und die Ströme waren Menschenströme. Sie kamen im Monat Abhay: Passend zu einer auf Wasser begründeten Zivilisation wie die der Sabäer war das die Zeit der Sommerregen.16 Die Anforderungen, die die Pilger erfüllen mussten – wie das Tragen bestimmter Kleidung und der Verzicht auf Geschlechtsverkehr und Kampfhandlungen –, übertrugen sich auf andere Wallfahrten in Arabien und finden sich bis heute in der Wallfahrt zu einer anderen großen Gottheit – wohl derselben – in Mekka wieder.17 Obwohl die Pilgerfahrt nach Maʾrib keinesfalls die einzige war, war sie doch sehr groß: „Das Haus von Almaqāh“,18 wie der Awwam-Tempel oft genannt wurde, war die Wohnstatt eines der großen, heute in Vergessenheit geratenen Götter Arabiens, des Schutzgottes von Saba, vielleicht ein Gott des Krieges oder der Vegetation.19 Ein Forscher betrachtet ihn als eine männliche Form der (üblicherweise weiblichen) Sonnengottheit.20 Im Koran wird in der Tat erwähnt, dass die Sabäer „die Sonne anbeteten“,21 doch dieser Verweis kann sich auch auf die eine oder andere weibliche Version dieser Gottheit beziehen. Der Name des Gottes
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hilft uns auch nicht viel weiter. Wie auch immer er vokalisiert werden sollte – vielleicht als „Ilmaqāh“ – der Name scheint aus „Il“, dem Standardnamen der höchsten semitischen Gottheit (wie in „al-Ilāh“ → „Allāh“) und einem weiteren Element zu bestehen, das womöglich vom sabäischen Verb wqh, „befehlen“, kommt:22 Almaqāh könnte also „Gott der Befehlshaber“ oder „der Verfüger“ bedeuten. Was auch immer sein Name bedeutet, es ist klar, dass Almaqāh von zentraler Bedeutung war für die Identität und Einheit des großen schaʿb oder Volks von Saba, das wiederum ein Bund kleinerer schaʿbs war. Aus theologischer Sicht „vertritt er funktional den kollektiven Willen des schaʿb“.23 Die Sabäer wurden als die „Kinder“ Almaqāhs betrachtet.24 Neue Mitglieder des Bundes mussten nach Maʾrib pilgern, um gewissermaßen als Adoptivkinder des Gottes angenommen zu werden. Eine aufschlussreiche Inschrift aus dem Hochland 130 Kilometer westlich von Maʾrib erlegt einem schaʿb mit dem Namen Sumʿay, anscheinend einem neuen Mitglied des sabäischen Bundes, diese Pflicht auf. Sumʿays eigener Schutzgott, Taʾlab, verordnet seinem Volk, die Wallfahrt nach Maʾrib nicht zu versäumen (die Gottheiten kannten ihren Platz in der göttlichen Befehlskette).25 Taʾlab ermahnt sein Volk auch, auf der Wallfahrt nach Maʾrib auf Geschlechtsverkehr und bestimmte Jagdarten zu verzichten und jeden zweiten Tag 700 Schafe zu schlachten.26 Wiederum erinnern die Verhaltensregeln und Hekatomben an das heutige Mekka. Taʾlab empfiehlt seinen Leuten sogar, ein Kamel, dass sie in Maʾrib zu schlachten beabsichtigten, behutsam dorthin zu reiten – ein Rat, der einige Jahrhunderte später vom Propheten Mohammed im mekkanischen Kontext wiederholt werden sollte.27 Allerdings gab es auch Besonderheiten, die im heutigen Mekka erstaunen und eine, die schockieren würde: nämlich die Tatsache, dass Almaqāh nicht der alleinige Gott war. Nicht nur Taʾlab steht hinter ihm zurück, sondern die Widmungen in Maʾrib galten einem ganzen Pantheon – oder vielleicht eher einer Konstellation, denn es handelte sich meist um Himmelsgottheiten – von kleineren Göttern. Trotz dieses erheblichen Unterschieds sollte inzwischen klar sein, wie falsch es ist, die „arabische Geschichte“ mit dem Islam oder mit „Arabern“ anfangen zu lassen. Das Fundament dieser Geschichte bilden Südaraber, die sich in ihrer Blütezeit nie auch nur entfernt als Araber betrachteten. Sowohl der Islam als auch Araber waren Teil eines sehr langen Kontinuums, das nicht in einen kurzen Prolog zur islamischen Geschichte gezwängt werden kann. Vielen muslimischen arabischen Historikern war dies auch sehr wohl bewusst: Wie wir sehen werden, räumten al-Masʿūdīs konzise Chroniken aus dem 10. Jahrhundert der vorislamischen Vergangenheit einen gebührenden Platz ein. Sein jemenitischer Zeitgenosse al-Hamdānī ließ die islamische Dynastiegeschichte weitgehend
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unberücksichtigt und sah die Entwicklungen seiner Zeit als Fortsetzung vorislamischer Machtkämpfe.28 Aus diesem umfassenderen Blick auf die Geschichte lassen sich noch weitere Erkenntnisse gewinnen. Beispielsweise ist die neuere Begriffsschöpfung „politischer Islam“ vor dem Hintergrund der alten sabä ischen Verknüpfung des Gemeinwesens mit dem Willen der Gottheit (eine Idee, die von der islamischen Gemeinschaft übernommen wurde) zumindest daheim auf der Arabischen Halbinsel eine reine Tautologie. Ein weiteres Merkmal des alten Südens, das in der größeren Zivilisation des Islam aufging, ist, dass er an Orten, nicht in Stammbäumen wurzelte. Ein südarabischer schaʿb definierte sich anders als ein Stamm durch sein Hoheitsgebiet – an das er durch die Notwendigkeit, das Wasser nutzbar zu machen, gebunden war – und durch die Heiligtümer und Städte. Seine Mitglieder waren die Kinder eines Gottes, der an einem bestimmten Ort ein Haus besaß, nicht die Nachkommen eines proklamierten wandernden Ahnen. Im Vergleich zur restlichen Halbinsel war der Süden hochurbanisiert. Die vorislamischen südarabischen Inschriften beschreiben über 100 Orte als hdschr, „Stadt“,29 auch wenn die meisten zweifellos sehr klein waren. Es ist wohl wahr, dass auch eine nordarabische Gruppe wie Qīdār an einem „städtischen“ Heiligtum wie Dūma zusammentreten konnte, doch im Fall der sesshaften südarabischen Völker war es im Grunde das Ziel der Heiligtümer, Gruppenzugehörigkeiten auszudrücken und zu definieren.30 Das tribale Selbstverständnis auf der Grundlage von Abstammung bildete einen weiteren Strang arabisch-islamischer Ethnizität, hätte aber für sich genommen den Islam nie über Araber hinaus tragen können. Auch ohne das Vermächtnis des Südens und seiner Zentren hätte der Islam vermutlich zu einer Weltreligion aufsteigen können – aber zu einer, die wie das Judentum, wenn auch locker, mit der Idee von Blutslinien verbunden geblieben wäre. Doch für den Islam gibt es keine Zwölf Stämme, keine Gojim, und der Grund dafür liegt zumindest teilweise im südarabischen Erbe. Südarabien legte auch ein Modell politischer Einheit vor, das in späteren Zeiten angestrebt, aber selten erreicht wurde. Auch darin hinterließ es dem Islam wohl ein wichtiges Vermächtnis. Frühe sabäische Inschriften enthalten oft den Titel mkrb, der möglicherweise als mukarrib zu lesen ist. (Die Grundbedeutung könnte die des arabischen muqarrib sein, „einer, der nahebringt, der jemanden als Teilhaber nimmt“; ein vergleichbarer arabischer Begriff, mudschammiʿ, wird im politischen Sinne als „Einiger“ gebraucht.31) Der mkrb war der König des mächtigsten schaʿb in einem Bündnis von schaʿbs – aber nur, wenn er sozusagen seine andere Krone trug, die des Oberhauptes des Bündnisses. Zum Vergleich für seine Rolle wurde einmal charmanterweise die britische Königin als Oberhaupt des Commonwealth herangezogen.32 Ein wichtiger Inschriftentypus, der in der
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Forschung als „Bündnisformel“ bezeichnet wird, erläutert die Rolle des mrkb als Einiger: „Er errichtete jede Gemeinschaft von Gott oder Schutzherrn, von Vertrag (hbl) oder Allianz.“33 Diese Vereinigungen wurden also im Namen des hohen Gottes Almaqāh und der kleineren Schutzgottheiten gegründet. In der Formel sticht ein Wort ins Auge, der Begriff für den göttlich sanktionierten „Vertrag“: Das sabäische hbl wird im Koran als habl wieder auftauchen: Haltet allesamt am Bande Gottes [Allahs habl] fest, und spaltet euch nicht auf!34 Auf Arabisch kann habl „Seil“, aber auch „bindende Übereinkunft“ bedeuten. Ich möchte nicht behaupten, dass Mekkaner aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. sabäische Verfassungsterminologie aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. studiert hätten, aber es gibt keinen Zweifel daran, dass der Begriff der gleiche ist und dass beide Gemeinschaften Vorstellungen von politischer Einheit im Namen einer oder mehrerer Gottheiten teilten – oder später, im Namen Gottes. Und darin liegt der Unterschied: Die Einheit, die vom Islam vorgeschlagen wurde, war – politisch wie theologisch – eindeutig, ultimativ, endgültig. Ein Gemeinwesen, eine Gottheit. Philip Hitti schreibt in seiner ausführlichen History of the Arabs, die erstmals 1937 veröffentlicht wurde, dass die muslimische Gemeinschaft von Medina „der erste Versuch in der Geschichte Arabiens war, eine gesellschaftliche Organisation auf der Grundlage von Religion anstatt von Blutsbanden zu begründen“.35 Er liegt mit seiner Datierung gut 1000 Jahre daneben. Natürlich war vieles von dem, was wir über Südarabien wissen (und auch das wenige, das wir über Dūma, das religiöse Zentrum des Qīdār-Bündnisses im Norden, wissen), noch nicht bekannt, als Hitti sein Werk verfasste. Spätere Historiker sind aber ähnlich islamozentrisch zu Werke gegangen und hatten dafür weitaus weniger gute Ausreden. Die akademische Trennung zwischen islamischen und vorislamischen Studien hat zur Folge, dass die meisten Forscher die Details nicht sehen, die das große Ganze ausmachen, geschweige denn sie zu verbinden versuchen. Wenn wir dennoch einmal einen längeren und weiteren Blick riskieren, entdecken wir, dass der Islam nicht etwa plötzlich in Mekka vom Himmel gefallen wäre. Er ist tief in der Zeit und auf der gesamten Halbinsel verwurzelt – besonders im Süden, wo seine Wurzeln von einem Volk gepflegt wurden, das sich nicht einmal als Araber bezeichnete. Heute wird der Koranvers über das Festhalten an Gottes Übereinkunft von Menschen zitiert, die sich auf der Suche nach den flüchtigen Zielen der arabischen und islamischen Einheit befinden. Ihnen ist weder bewusst, wie alt die-
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ser Ruf ist, noch dass er bereits vor dem Islam und weit über Araber hinaus erklang.
Die Umarmung der Kulturen Aus der Perspektive des antiken Mittelmeerraums waren Politik und Theologie des südarabischen Fruchtbaren Halbmonds ebenso sehr ein Buch mit sieben Siegeln, wie sie es bis vor Kurzem für moderne Historiker waren. Was Griechen und Römer an den Südarabern faszinierte, war die Herstellung und der Export von Duftstoffen, insbesondere von Weihrauch und Myrrhe. Plinius der Ältere errechnete zum Beispiel, dass ein Kamel, das Weihrauch von seinem Herkunftsort in Arabia Felix zur Mittelmeerküste transportierte,2 437 500 (menschliche) Schritte zurücklegen müsste, wofür der Weihrauchhändler 688 denarii auf seiner Reisekostenabrechnung zu veranschlagen habe.36 Solche Distanzen wurden bereits 1000 Jahre zuvor, im 10. Jahrhundert v. Chr., bei der in der Bibel geschilderten Reise der Königin von Saba zum Hof König Salomos überwunden, bei der ebenfalls Gewürze und andere edle Güter mitgeführt wurden. Obwohl die genaue Identität der Königin Generationen von Forschern Kopfzerbrechen bereitet hat, stimmen die meisten darin überein, dass sie aus dem südarabischen Saba kam. Bis heute wurde in ihrer Heimat nichts gefunden, das ihre Existenz bestätigen oder widerlegen könnte. Funde sabäischer Erzeugnisse im heutigen Jordanien beweisen jedoch, dass zumindest ihre Landsleute die Reise bereits spätestens 800 v. Chr. antraten. In den späteren vorchristlichen Jahrhunderten waren dann Nachbarn der Sabäer, die Minäer, die aktivsten und am weitesten gereisten Kaufleute. Einer von ihnen hinterließ zum Beispiel, vermutlich im 2. Jahrhundert v. Chr., auf der griechischen Insel Delos einen Altar für die Gottheit Wadd („Liebe“, später im Koran mit dem Bannfluch belegt).37 Ein anderer blieb gleich selbst – als Mumie – im ägyptischen Memphis zurück. Sein Sarkophag vermeldet, dass er Myrrhe für den Gebrauch in ägyptischen Tempeln importierte und im Gegenzug Tuch in seine Heimat exportierte.38 Später, während des Aufstiegs der Him yaren im 1. Jahrhundert n. Chr., schildert der Verfasser des griechischen Periplus, eines Handbuchs für den Seekaufmann, den enormen Verkehr in Muza, einer Hafenstadt am Zugang zum Roten Meer.39 Dieses rege Treiben unterstreicht, dass die Sabäer, „ein Volk in weiter Ferne“, wie sie im Buch Joel bezeichnet werden,40 in vielerlei Richtungen mit weit voneinander entfernten Wirtschaftssystemen verknüpft und in sie eingebunden waren. Damals mit Parfümen und Harzen, heute mit Öl und Gas. Ein anderes Volk, das durch den Handel mit größeren Wirtschaftsstrukturen verbunden war, waren die Nabatäer, deren Herrschaftsbereich die Handelsrou-
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ten nordwestlich der Halbinsel umfasste. Anders als die Sabäer und ihre südarabischen Nachbarn sprachen die Nabatäer höchstwahrscheinlich eine Form des Arabischen.41 Wie die Sabäer betrachteten auch sie sich jedoch höchstwahrscheinlich nicht als ʿarab. Sie waren nicht nur ein sesshaftes Volk, sondern ihre geografische Position in der Levante, mehr im Schoß des Mittelmeers als auf der Arabischen Halbinsel, hatte sie sogar zu wahren Kosmopoliten gemacht. Wie Geier pickten sie aus den benachbarten aramäischen, hellenistischen und römischen Kulturen auf, was ihnen gefiel, und kehrten zu ihren Nestern auf den Felsen zurück, um es zu verdauen und wieder hochzuwürgen. Die Ergebnisse waren fabelhaft: Das beständigste, die klassische Architektur ihrer Hauptstadt Petra, besteht zwar nur aus Fassaden, ist aber deswegen noch keine Augenwischerei, keine Hollywoodkulisse. Und die Tatsache, dass sie nicht gebaut, sondern in festem Fels gehauen wurde, verleiht ihr eine titanische Pracht – himmelhohe Kolonnadenklippen mit Giebelgipfeln, die enorme Urnen bergen. Zum Nordosten hin, in einer vergleichbaren Region an der Grenze zwischen Kulturen sowie zwischen fruchtbarem Land und Wildnis, lag der merkantile Stadtstaat Palmyra. Die Palmyrer waren ebenfalls arabischsprachige Nichtʿarab und wahre Kosmopoliten. Ihre eigene, von griechischen und römischen Vorbildern inspirierte Architektur bestand aus Rundbauten – die Menschen selbst aber legten sich überzeugend echte klassische Fassaden zu. So erschien der Prinz Wahballat („Geschenk von al-Lāt“, der höchsten weiblichen Gottheit) auf Münzen als „Caesar Wahballat Augustus“,42 während seine Mutter Zenobia (die latinisierte Form des bis heute gängigen arabischen Namens „Zainab“) den Eklektizismus noch weiter trieb und ihre Herkunft aus gleich mehreren Quellen schöpfte, indem sie nicht nur den Namen „Augusta“ annahm, sondern zudem behauptete, sie stamme auch von Kleopatra ab.43 Aus dieser multikulturellen Mischung ging zur gleichen Zeit ein Januskopf wie Philipp der Araber hervor, ein gebürtiger Damaszener, der in der Provinzverwaltung zum Prätorianerpräfekt avancierte und schließlich, im Jahr 244 n. Chr., römischer Kaiser wurde. Denn die Einflüsse gingen in beide Richtungen: Anderthalb Jahrhunderte zuvor hatte Juvenal schon beobachtet, dass Iam pridem Syrus in Tiberim defluxit Orontes Et linguam et mores. Längst ist der syrische Orontes in den Tiber geflossen in Sprache und Sitten.44 Das alles ist weit entfernt von einem Kampf der Kulturen, es ist vielmehr eine enge Umarmung der Kulturen.
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Selbstverständlich kann die Umarmung eines Mächtigen schwächere Verbündete ersticken, und mit der Zeit löschte Rom die Unabhängigkeit sowohl der Nabatäer als auch der Palmyrer aus. (Reiche gehen genauso gerne auf Raubzug wie Stämme: So kommen sie zustande.) Das nabatäische Hoheitsgebiet wurde 106 n. Chr. von Rom annektiert.45 Palmyra war bereits sehr früh von Marcus Antonius, dem Schänder des Orients, geplündert worden: Im Jahr 272 n. Chr. gliederte der römische Staat es sich dann ganz ein.46 Aber auch die Kulturplünderer fielen posthum gefährlichen Greifvögeln zum Opfer: Erst vor ein paar Jahren zerstörte der sogenannte Islamische Staat in einem Akt des Vandalismus die antiken Monumente der Stadt. Er hätte das Schicksal eines früheren (und viel milderen) Vandalen bedenken sollen: Der Umayyadenkalif Marwān II. soll in Palmyra die Statue einer Königin ausgegraben haben, deren Inschrift jeden verfluchte, der sie störte.47 Kurz darauf fiel die Dynastie der Umayyaden, der Kalif wurde zur Strecke gebracht und ermordet. Nun ist auch der „Islamische Staat“ gefallen. Die Nabatäer und Palmyrer mögen arabisch gesprochen haben, mit ihrer sesshaften, manchmal epikureischen Lebensart und dem importierten Luxus fehlte ihnen aber das vorrangige Merkmal des ʿarab-Seins – der karge, nomadische Lebensstil der Steppe. Mit der Zeit sollte nabat, der arabische Name für die Nabatäer, zu einem Antonym für ʿarab werden.48 Gegensätze können sich anziehen. All diese Facetten Arabiens hingen tatsächlich zusammen, waren miteinander und mit der übrigen Welt und mit der Zeit immer enger verbunden.
Karawanenstädte Wie die Sabäer und Nabatäer profitierten auch arabische Kamelnomaden von den Kontakten zur Weltwirtschaft. Während die Bewohner der Arabischen Halbinsel insgesamt durch Handel die Wirtschaftsräume des Indischen Ozeans und des Mittelmeers miteinander verbanden, wurden Araber zu den mobilen Mittelsmännern zwischen den beiden Polen des sesshaften Lebens in Arabien, den Fruchtbaren Halbmonden im Süden und Norden. Weit davon entfernt, ein Eremitenleben in der Wüste zu führen, waren auch sie mit der Außenwelt verbunden. Nicht nur werden nun die rm, Rum oder Römer, in ihren Graffiti erwähnt; auch Konflikte zwischen rm und frs, den Persern, zeichnet der safaitische Samisdat auf, außerdem Namen internationaler Persönlichkeiten – grmnqs (Germanicus), qsr (Caesar), flfs (Philippus).49 Das Interesse beruhte auf Gegenseitigkeit. Während der arabische Blick über die Halbinsel hinauswanderte, lugte man von außen begierig hinein. Die Römer sandten im Jahr 26 v. Chr. eine Expedition unter dem Präfekten Ägyptens, Aelius Gallus, bis nach Maʾrib, die dann aber scheiterte: Berichte, Arabia Felix
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sei ein wahres Eldorado, zerfielen buchstäblich zu Staub, als die Truppen sich tiefer in die ausgedörrte Steppe nahe der sabäischen Hauptstadt schleppten. An der Expedition nahmen auch Nabatäer teil, die schon in Eigenregie die Halbinsel überfallen und in Hegra (nun Madāʾin Sālih in Saudi-Arabien), das zu einer Art Klein-Petra wurde, Fuß gefasst hatten. Auch schon davor hatten Südaraber viel weiter nördlich ihres Lebensraums Handelskolonien betrieben, wie die Minäer in Dadan, etwas südlich von Hegra. Solche Karawanenstädte bildeten die Kulisse für den wachsenden Dialog zwischen hadar und badw, zwischen sesshaften und nomadischen Völkern. Vielleicht am Bedeutendsten für die sich entwickelnde arabische Identität waren die Kontakte, die sich ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. zwischen den Kinda, einem Stamm von Kamelnomaden, und den südarabischen Staaten entwickelten. Anders als das rosarote Petra wurde die Karawanenstadt der Kinda, Qaryat Dhāt Kahl (das heutige Qaryat al-Fau in Saudi-Arabien), nicht von viktorianischen Dichtern besungen, und zwar nicht weil der Name nicht ins Metrum passte, sondern weil ihre Bedeutung erst viel später, in den 1970er-Jahren, deutlich wurde.50 Die Belege, wenn auch weniger augenfällig als die Monumente von Petra und Palmyra, zeigen, dass genau zu dem Zeitpunkt, da Letztere hellenisiert und romanisiert wurden, Araber in Qaryat Dhāt Kahl südarabisiert wurden. Beispielsweise wurde dort eines Mannes mit unverwechselbar arabischem Namen, Idschl ibn Saʿd al-Lāt („Kalb Sohn des Glückes von al-Lāt“), dessen Patronym sich auf die höchste weibliche Gottheit des nomadischen Nordens beruft, mit einer Grabsäule gedacht, auf der eine sabäische Inschrift sich auf eine südliche Gottheit, Athtar Scharīqān, beruft.51 Die beiden in die Säule gravierten Szenen bringen auch die Begegnung von Arabisch und Südarabisch zum Ausdruck: Unten sieht man zwei Kamele, von denen eines den Verstorbenen trägt, der einen Stab und einen Speer in der Hand hält, Werkzeuge des Viehtriebs und des Überfalls. Oben sieht man den verstorbenen Idschl auf einem Stuhl an einem Tisch schmausen – Requisiten des sesshaften Lebens. Die ʿarab-Pfadfinder und Spediteure der Wüste gaben in geselliger Runde ihr gesellschaftliches Debüt. Bald sollten sie von Randfiguren zu bedeutenden Akteuren avancieren.
Das Archiv der Araber Obwohl der Tod des Idschl in lapidarer sabäischer Prosa notiert war, wurde er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch im lebhafteren gesprochenen Arabisch betrauert, vermutlich in der Dichtung. Die Kinda, die tribalen Anführer von Qaryat Dhāt Kahl, brachten einige der frühesten namentlich bekannten Dichter in dieser Sprache hervor. Es gibt zwar keine Elegie, die auf
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Lebzeiten des Idschl datiert werden kann, aber die älteste bekannte arabische Inschrift – das im ersten Kapitel erwähnte Gebet aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. – scheint einen sich wiederholenden Rhythmus aufzuweisen, woraus sich wichtige Hinweise ergeben.52 Es liegt auf der Hand, dass Gebete und Totenklagen in früher Zeit in poetischer Form abgefasst waren. Das Gleiche gilt für Lobeshymnen: Ein früher externer Verweis auf arabische Dichtung direkt nach der Blütezeit von Qaryat Dhāt Kahl findet sich in einer griechischen Chronik, die von Arabern aus dem 4. Jahrhundert berichtet, die ihre Siege in odai, „Volksliedern“, feiern.53 In den letzten vorislamischen Jahrhunderten begann die Dichtung für Araber allmählich jeden einzelnen Aspekt des Lebens und des Todes zu umfassen. Sie wurde zum „Archiv ihrer Geschichte, ihrer Weisheit und ihrer Vornehmheit“.54 Ein altes Sprichwort besagt wiederum, dass Araber sich durch vier Merkmale auszeichnen: „Turbane sind ihre Diademe, Gürtel sind ihre Ringmauern, Schwertklingen ihre Umfriedung, Verse ihre Archive.“55 Die Dichtung – der dīwān, das Archiv – ist ein ursprünglich rein mündliches Dokument in einer gereimten, rhythmischen und – das ist wichtig – flektierten Sprache; die Flexion der arabischen Hochsprache beeinflusste nicht nur die Endungen der Wörter, sondern auch ihren Anfang und sogar das Wortinnere, und sie ist verflucht schwer. Die Dichtung hatte ihren Ursprung jedoch höchstwahrscheinlich nicht im Besingen vergangener Taten, sondern im Vorhersagen zukünftiger Ereignisse, als Medium der Seher und Schamanen des Stammes. Eine bereits erwähnte Theorie besagt, dass die Sprache der entwickelten arabischen Dichtung ihren Anfang als mystische Orakelsprache nahm:56 Die erste Bedeutung des Wortes schāʿir, später „Dichter“, ist höchstwahrscheinlich „Wahrsager“ und in seiner grundlegendsten Bedeutung ist ein schāʿir „jemand, der wahrnimmt, was andere nicht wahrnehmen können“.57 Obwohl es in den Tausenden safaitischen Inschriften auf den Wüstenfelsen nichts gibt, was man als Dichtung bezeichnen könnte, tauchen dort viele der späteren Themen der Dichtung auf – Liebe, Lust, Verlust, Raubzüge, Sehnsucht. Und obwohl die ältesten vollständigen Oden von den Dichtern der Kinda aus dem 6. Jahrhundert stammen, scheint es undenkbar, dass sie in dieser Form, ab ovo, entstanden sind. Die Dichtung muss sich in jenen frühen nachchristlichen Jahrhunderten auf mündlichen Reisen entlang der Handelsrouten erst allmählich entwickelt und auf dem Weg ihr Material aufgenommen und ihren Charakter herausgebildet haben. In der Tat geht es in vielen der ältesten Verse um Aufbruch, Reisen, Reittiere. „Geht!“ mahnte früh im 6. Jahrhundert al-Schanfarā,
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Ihr habt all das, was ihr braucht: Der Mond steht hoch am Himmel, die Reittiere sind zur Abreise geschirrt, die Sättel auch. … Ja, bei deinem Leben! Die Welt hat Platz für den, der in der Nacht auf der Suche oder auf der Flucht ist …58 Das mag noch kein Epos sein, aber wie das homerische Griechisch bringt diese besondere, weit von der Alltagssprache entfernte Form des Arabischen unterschiedliche Elemente aus vielen Dialekten zusammen. Sie steigert sich zu einer schillernden sprachlichen Collage, feierlich und oft stark stilisiert, die sich aus vielen verschiedenen Fundstücken zusammensetzt. Arabischer Dichtung zu lauschen ist auch heute noch so, als betrete man eine geschmückte Höhle von Worten und Lauten, vertraut und unbekannt zugleich, und sie ist, in den schönsten Beispielen, immer noch mit dieser alten prophetischen Magie behaftet. In ganz Arabien, nicht nur in Karawanenstädten wie Qaryat Dhāt Kahl, sondern auch an den Lagerfeuern in den großen dunklen Wüsten dazwischen, verfielen Araber dem Zauber der Dichtung. Um ihre Macht zu verstehen, muss man die elitäre Außenseiterstellung vergessen, die die Dichtung etwa in der englischsprachigen Welt hat. Für Araber war die Dichtung (und ist es zum Teil bis heute) ein Massenmedium, so allgegenwärtig wie Satellitenfernsehen und so betörend wie Hollywood. Sie spielte eine gewaltige Rolle in der Errichtung einer Monokultur für ein gemischtes und mobiles Volk. Vor allem diese letzte Eigenschaft, Mobilität, gab den Anstoß zur arabischen Aufwärtsdynamik. Unterschiedliche, aber mobile ʿarab, die in ganz Arabien als Frachtführer arbeiteten, vermischten sich und mussten kommunizieren können. Gegenseitige Anleihen aus den Dialekten bewirkten eine Sprachnivellierung – besonders, so scheint es, im Nadschd, dem Gebiet, in dem sich Qaryat Dhāt Kahl befand.59 Die Dichtung schuf eine weitere Version, eine Sprache, die nicht nur nivelliert, sondern auch gehoben war – ein Hochplateau, nach dem Dichter, Redner und Anführer aller Stämme und ihre Leute mit ihnen strebten. Mit anderen Worten: Die Mobilität von ʿarab war die Mutter der arabischen Sprache, und die arabische Sprache war die Mutter von Arabern – weder eine Nation im modernen Sinne noch ein schaʿb, ein „Volk“ im südarabischen Sinne, sondern eine Ansammlung von Stämmen, die mehr war als die Summe ihrer Teile – eine ethnische Gestalt. Um die Terminologie des deutschen Nationalismus zu bemühen: Wenn auch eine Staatsnation noch in weiter Ferne lag, so bildete sich doch immerhin schon eine Kulturnation heraus.60 Die arabische Aufwärtsdynamik nahm Fahrt auf und im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. war die Karawanenstadt Qaryat Dhāt Kahl wohl zeitweilig ihre Hauptachse. Mit der
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Zeit legte die Dynamik einen Zahn zu und die Achse verschob sich – schließlich nach Mekka hin, einem anderen Handelszentrum für Waren und Worte, dessen Einwohner sich damit brüsteten, die beste und eleganteste Variante der ʿarab-Sprache zu sprechen.61 Dortselbst wiederum erklomm diese Sprache dann im Koran den höchsten Gipfel und war dem Himmel sehr nah. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten setzte noch eine weitere Veränderung ein. Während sich die Dialektunterschiede zwischen Arabern allmählich verringerten, drang die nomadische Sprache in sesshafte Bevölkerungen vor und ein. Nomadische Araber spielten überhaupt eine immer größere Rolle, etwa als Söldner im Dienste ortsansässiger Herrscher, aber auch als einflussreiche Strippenzieher, die tatsächlich über den Ausgang der Streitereien zwischen den sesshaften Südländern mitbestimmten. In den auf uns gekommenen Dokumenten zeigt sich die Unterscheidung von zwei unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen im Süden. Ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. sprechen beispielsweise die Inschriften der südarabischen Hamdān-Föderation, die zunehmend einflussreicher wird, von „den aʿrāb von Hamdān und deren hdschr-Volk“ [Stadtbevölkerung].62 Ab dem darauffolgenden Jahrhundert bezeichnen sich die Herrscher des größten südlichen Gemeinwesens als „Könige von Saba und Himyar … und von ihren aʿrāb im Hochland und in der Küstenebene“. ʿArab waren leibhaftig und gesellschaftlich akzeptiert im Süden angekommen. Die hochmütigen Könige in ihren gewaltigen Palästen wurden zunehmend abhängig von ihren schmuddeligen Gästen. Etwa in den letzten beiden Jahrhunderten vor dem Islam entwickelten sich ʿarab zur politisch wichtigsten Gruppe in der südlichen Gesellschaft. Ihre Sprache aber scheint schon viel früher andere Sprachen ausgelöscht zu haben. Bereits im 3. Jahrhundert n. Chr. könnten beispielsweise die Himyaren, die weiterhin ihre Inschriften auf Sabäisch, dem „Latein“ Südarabiens, verfassten, diese aber als rein epigrafische Sprache betrachtet und selbst eine andere gesprochen haben – die vermutlich immer mehr Arabisch enthielt.63 (Was der gelehrte jemenitische Historiker und Geograf al-Hamdānī im 10. Jahrhundert n. Chr. als die „himyarische“ Sprache bezeichnete, hat bis heute vereinzelt überlebt und ist im Prinzip Arabisch mit einigen sabäischen Zügen.)64 Wenn es zudem stimmt, dass es den meisten Südarabern kraft eines klerikalen Banns untersagt war, die sabäische Schrift zu verwenden, trug dieses Verbot ebenfalls nicht gerade zum Überleben der Schrift bei. Nicht nur nomadische Araber entwickelten eine Standardsprache, die Bewohner der Arabischen Halbinsel insgesamt waren auf dem Weg, arabischsprachig und so in einem neuen, vereinten und viel weiteren Sinne Araber zu werden. Auch heute noch werden die Menschen durch die Sprache vereint.
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Oder anders gesagt: Schon in den ersten Jahrhunderten n. Chr. galt: Wenn die Sprache das Wort Arabiens einte, rissen andere Kräfte es auseinander.
Lauter Diebe Denn Araber griffen zu dichterischer Sprache, um einander zu besingen, zugleich aber auch immer häufiger zu anderen Mitteln, um einander das Leben schwer zu machen. Wenn man sich noch mal die Grabsäule des Idschl ins Gedächtnis ruft, des speertragenden, kamelreitenden Kriegers, könnte die Frage auftauchen, ob das zweite, reiterlose Kamel neben ihm vielleicht erbeutet war. Schon in den Schilderungen der Genesis, wo Ismael als räuberischer Außenseiter dargestellt wird, ist der Raubzug offenbar untrennbar mit der Lebensart von Nomaden verbunden: Er wird ein Mensch wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen.65 Auch den Assyrern entging nicht, dass Araber eine besondere Vorliebe für Überfälle zu haben schienen (vielleicht schimpft hier aber auch nur ein besonders großer Esel den kleinen ein Langohr).66 Später stellten arabische Banksys auf ihren Graffiti Raubzüge dar und bedankten sich in dokumentierten Gebeten für das Beutegut.67 Als Lebensstil war der Raubzug keine planlose willkürlich Unternehmung: Mit der Zeit wurde er zu einer normierten wirtschaftlichen Institution mit festem Verhaltenskodex und Fixanteilen – meistens einem Viertel oder Fünftel für den Anführer des Raubzuges plus einer Sonderzulage sowie der ersten Wahl bei besonders beliebten Gegenständen.68 Raubzüge waren nicht einfach endemisch, sondern systemisch. Für moderne Menschen aus dem Westen ist es schwer vorstellbar, dass der Überfall als etwas anderes betrachtet wurde – und weiterhin wird – als Wegelagerei, als Festlandpiraterie. Bis zu einem gewissen Punkt hat er Ähnlichkeiten mit der alten Seemannspraxis der Kaperei und übrigens auch mit der Kultur der Prisennahme bei den regulären Seestreitkräften: Noch bis 1918 wies Großbritanniens Royal Navy dem Kapitän ein Viertel der Prise zu und der restlichen Bemannung kleinere Anteile. Die Prise sollte in Kriegszeiten selbstverständlich ein feindliches Schiff sein – doch was ist der Kriegszustand anderes als eine gesetzliche Erlaubnis für den Raubzug? Man könnte ebenso sagen, dass Stämme, die sich gegenseitig überfallen, im chronischen Kriegszustand miteinander stehen. In einem auf Viehtrieb und Raubzug begründeten Wirtschaftssystem wurde das Stehlen von Tieren als eine Möglichkeit zur Besitzerweiterung gesehen,
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wenn andere Maßnahmen der Viehzucht nicht genügten. Der innere Zusammenhang von Viehtrieb und Raubzug wird durch das Vokabular aufgedeckt: ghanam, „Schafe und Ziegen“, bedeutete wohl ursprünglich jede Art von Herdentieren. Das eng verwandte ghanīma bedeutet „Beute, Raubgut“. Um auf die Parallelen zwischen ʿarab und arya zurückzukommen: Das sanskritische Wort für „Kuh“ (das arya-Äquivalent des Kamels) ist go und bildet das erste Element von „Krieg“,69 gavisti, wörtlich „Kuhwunsch“. Krieg und Überfall dienten in beiden mobilen Hirtengesellschaften nicht dazu, den Grundbesitz zu erweitern, sondern den Bestand an mobilen Tieren, die darauf weideten. In einer Gesellschaft, die das Wort „Immobilie“ nicht kennt, wird womöglich auch Besitztum weniger eng verstanden: Das galt für die herrenlose Hohe See und die Prisen genauso wie für die Wüste und ihre „Schiffe“. Mit der Zeit wurde der Raubzug mit darwinistischer Abgeklärtheit als das Überleben des Stärkeren betrachtet. „Fruchtbarkeit“, schrieb al-Dschāhiz, einen anonymen Sprecher zitierend, „lädt zu Feindschaft ein, zum Überfall auf die Nachbarn. Es lädt den Starken dazu ein, jeden Schwächeren aufzufressen.“70 Die Ränge der Räuber brachten ihre eigene Aristokratie hervor, deren Legitimation dem alten Geld- und Landadel diametral entgegenstand: „Du magst mich kritisieren“, sagte der Dichter und Aristokrat des Raubzuges Duraid ibn al-Simma, dessen langes Leben um 530 n. Chr. begann und im Widerstand gegen Mohammed endete: Doch ich sage dir, dass neuer Wohlstand mir viel lieber ist als alter.71 Zugleich konnten Überfälle den Schwächsten in der Gesellschaft soziale Sicherheit bieten. Urwa ibn al-Ward, ein Bandenführer aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., versammelte die Kranken, Alten und Schwachen um sich, päppelte sie auf und nahm sie anschließend mit auf seine Raubzüge, sodass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten konnten.72 Raubzüge und Vermögensumverteilung gehen zusammen: Zuerst findet die Umverteilung zwischen Räuber und Beraubten und anschließend innerhalb des Räubers eigenem Stamm statt. Ein Herrscher von Mosul aus dem 11. Jahrhundert n. Chr. mit dem Namen Qirwāsch wird entsprechend als wahhāb nahhāb, „Spendierer und Schänder“ umschrieben – das heißt, Spendierer von Geschenken und Schänder anderer Leute Eigentum, „in Übereinstimmung mit den bewährten Bräuchen der ʿarab“. Obwohl die bewährte Praxis besagte, dass man Blutvergießen vermeiden sollte, musste Qirwāsch zugeben: „Das Blut von fünf oder sechs Beduinen klebt an meinen Händen. Was das Blut der Stadtleute anbelangt, von ihnen nimmt Gott
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keine Notiz.“73 Eine ähnliche Beschreibung wie die von Qirwāsch wird für einen modernen spendablen Schänder verwendet, für den Mann, der mein Adoptivland über drei Jahrzehnte lang regierte und den Löwenanteil seiner Wirtschaftsleistung abzweigte.74 Seine Anhänger sagen: „Yaʾkul wa-yuʾakkil“, „er isst und ernährt andere“. Oder sie nennen ihn sāriq ʿādil, „einen gerechten Dieb“. Seine hungrigen Gegner nennen ihn einfach einen Dieb. Überfälle auf Herden oder Staaten befeuern den ewigen Kreislauf von Einheit und Uneinigkeit. Essen und Ernähren, Spendieren und Schänden, Erobern und Umverteilen von Beute sind der schnellste Weg zur Bildung einer Einheit. „Seine Hände waren mit Beutegut gefüllt“, sagte man im 5. Jahrhundert n. Chr. von al-Barrāq, dem Anführer des großen Stamms der Rabīʿa, „und die Stämme der Araber fielen unter seine Herrschaft.“75 In den meisten Fällen ist die daraus entstehende Einheit jedoch nur sehr schwach. Selbstredend stand und steht ein System von Plünderung und Umverteilung nicht nur im Widerspruch zur Bildung eines zentralisierten, steuereintreibenden Staates, eines Gemeinwesens von Bürgern mit gleichen Rechten und Pflichten, sondern auch zu jeder Art von langfristiger Stabilität. Die Übertragung der Macht läuft unvermeidlich zerstörerisch, wenn nicht gar blutig ab. Das Plündern perpetuiert einen alten, internen Kampf der Kulturen: zwischen qabīla-Stamm und schaʿb-Volk, zwischen Wettbewerb und Zusammenarbeit, Segmentierung und Symbiose, Persönlichkeiten und Institutionen, Einklang und Vielstimmigkeit, zwischen einer Gesellschaft, die mehr auf Konkurrenz und geraubtem Gut, und einer Gesellschaft, die auf gegenseitiger Unterstützung beruht. Wie aber wurden ausgerechnet Araber unter allen mobilen Völkern zu Plünderern schlechthin?
Aus dem geeinten Wind geboren Nach einer Volkssage wurde das Kamel aus dem rimth-Strauch geboren. Die Erschaffung des Pferdes ist bei einer höheren Autorität nachzulesen, vermutlich dem Propheten Mohammed selbst: Als Gott das Pferd schaffen wollte, sagte er zum Südwind: „Ich will aus dir ein Geschöpf schaffen, also sammle dich“, und der Wind sammelte sich. Da gab Gott Gabriel den Befehl und dieser nahm vom gesammelten Wind eine Handvoll. Dann sprach Gott: „Dies ist meine Handvoll.“ Dann schuf Gott daraus ein Pferd, ein kastanienbraunes. Und Gott sagte: „Ich habe dich als Pferd erschaffen und dich arabisch gemacht und dich vor allen anderen Tieren, die ich erschuf, begünstigt, indem ich dir eine breite Lebensgrundlage gewährt habe, denn auf deinem Rücken wird die Beute nach Hause getragen …76
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Die Erzählung hat viel Wahres. Das Pferd wehte mit dem frischen Wind von außerhalb (wenn auch aus dem Norden) auf den arabischen Subkontinent und wurde nicht nur zu einem wesentlichen Teil des arabischen Lebens, sondern „Araber“ durch und durch. Selbst im europäischen Sprachraum ist das Wort „Araber“, wenn es nicht auf einen Menschen verweist, schlicht ein Synonym für Pferd. Wann genau Pferde die Bühne Arabiens betraten, ist nicht bekannt. Neuere Funde deuten wohl auf eine Art von Domestizierung von Einhufern (wenn nicht von Pferden) während der großen Feuchtperiode, vor 6000 oder mehr Jahren, hin.77 Auf Petroglyphen im Norden der Halbinsel, die vielleicht auf 2000 v. Chr. datiert werden können, sind unzweifelhaft Pferde zu sehen, die Wagen ziehen.78 Reitpferde scheinen in der 2. Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrtausends aufgetaucht zu sein,79 einer Zeit, die einige auf das 4. bis zum 2. Jahrhundert v. Chr. eingrenzen.80 Sicher ist jedenfalls, dass Pferde rasch eine gewaltige Bedeutung für das arabische Leben erlangten – und für den Tod, denn wie Kamele wurden sie manchmal geopfert und mit verstorbenen Kriegern begraben.81 Wenn man einer Notiz von al-Balādhurī Glauben schenken kann, wurden Pferde in Bahrain sogar angebetet.82 In der Koransure „Die Laufenden“ schwört Allah bei den Pferden: Bei den Laufenden, wie sie schnauben! Bei den Ausschlagenden, dass die Funken stauben! Bei den Angreifenden im Morgengrauen …83 In der ältesten erhaltenen Dichtung werden sie ebenfalls gefeiert – vielleicht zum ersten Mal im berühmten crescendo ed accelerando des Imruʾ al-Qais, dem Dichter der Kinda aus dem 6. Jahrhundert n. Chr.: Angreifend, fliegend-flüchtend, mit dem Haupt vorne, kopfüber, alle zusammen, wie ein rauer Fels, den der Sturzbach von hoch oben hinunterschleudert …84 Als diese Zeilen verfasst wurden, verfügten manche Stämme über eine Kavallerie von 1000 Reitern und der Stammesführer war bisweilen als fāris bekannt – Reiter oder Ritter.85 Tausend Kavalleristen sind selbst für die größten Stämme jener Zeit eine überraschend hohe Anzahl, wenn man bedenkt, wie anspruchsvoll Pferde sind und wie schwierig es ist, sie in kargem Terrain zu füttern und zu tränken. Tatsächlich wäre das Pferd für sich genommen wohl ein reines Statussymbol geblieben, kostbar und in der Schlacht in etwa so nützlich wie ein
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Lamborghini. Doch nimm das Kamel zum Pferd dazu, und es ergibt sich das perfekte Gespann … Du trottest zum Kampf auf dem Kamel, das gleichzeitig Futter und Wasser für das Pferd trägt, und stürzt dich anschließend mit dem Ross ins Kampfgetümmel. Die Kombination wird in den späteren safaitischen Graffiti erwähnt, die sich vermutlich auf das 2. bis 4. Jahrhundert n. Chr. datieren lassen,86 sowie in den offiziellen Inschriften der im Verfall begriffenen südarabischen Staaten, deren ʿarab-Söldner auf sie vertrauten, während die regulären Armeen nur Infanteristen in den Kampf schickten.87 In frühislamischer Zeit war jeder Krieger, der etwas auf sich hielt, untrennbar mit seinen beiden Reittieren verbunden: „In wolkenverhangenen Nächten, in denen der Donner erklang, doch kein Regen fiel“, erinnerte ein Zeitgenosse des Propheten Mohammed den berühmten Anführer eines Überfalls, ging er auf einem langsam schreitenden Kamel hinaus mit einem scheuen Pferd an seiner Seite, einen schweren Speer in der Hand, den Umhang halb auf der Schulter, zwischen den Trinkschläuchen sitzend. So ritt er bis zur Dämmerung, den ganzen Weg lächelnd.88 Die Bedeutung dieses Paares, Kamel und Pferd, ein Alleinstellungsmerkmal von Arabern, lässt sich kaum überschätzen: Das Kamel ist der Speerschaft, der Reichweite verleiht, das Pferd die Speerspitze. Sie gibt dir schauka – Spitze, Kraft, Angel, den Stachel im Fleisch des anderen. In dieser Rüstung waren Araber den anderen auch militärisch überlegen. Diese Überlegenheit wurde durch die Erfindung des Sattels noch verstärkt, der den Kampf vom Kamelrücken aus ermöglicht.89 Eine andere technologische Entwicklung, die im Kampf und auf dem Raubzug behilflich war, der Steigbügel (am Anfang kann es sich durchaus nur um eine einzige, aus Holz gefertigte Fußstütze gehandelt haben),90 erreichte Araber jedoch erst ein wenig später, möglicherweise im 5. Jahrhundert n. Chr. Araber erkannten den Steigbügel sofort als „eines der besten Hilfsmittel für den, der einen Speer wirft oder ein Schwert schwingt“.91 Der Steigbügel war eine importierte Neuerung. Die Kombination von Kamel und Pferd jedoch war exklusiv arabisch und mag eine entscheidende Rolle in der Transformation von ʿarab von stapfenden Spediteuren zu flinken Kriegern gespielt haben. Diese Neuerung war möglicherweise der ausschlaggebende Faktor, der sie in engeren Kontakt mit den benachbarten Mächten im Norden und Süden brachte, zunächst als Söldner, dann als Strippenzieher – und der sie schließlich als Eroberer und Imperialisten auf die internationale Bühne katapultierte. Sie war aber vielleicht auch eine hamartia, ein tragischer Makel, der ihr Schicksal, ihre Uneinigkeit besiegelte: Als militärische Innovation, die sich
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rasch verbreitete und allen Arabern gemeinsam wurde, führte sie dazu, dass keiner von ihnen für längere Zeit die Oberhand gewinnen konnte. Sie verstetigte eine schwelende Pattstellung und zeitigte ein rapides Ansteigen der kriegerischen Auseinandersetzungen.
„Alle Araber“ Unter Arabern war eine Aufwärtsdynamik im Gange, aus der fortschreitenden Standardisierung der Sprache wuchs allmählich eine Kultur-Nation hervor. Doch die Gegenbewegung dazu ruhte ebenfalls nicht, viele kleinere tribale Dynamiken von Überfall und Gegenangriff hatten spaltende Dauerwirkungen. Mit der zunehmenden Verwendung von Pferden und dem allmählichen Rückgang des Transports auf dem Landweg wurden sowohl Kamele als auch Kamelführer arbeits- und mittellos. Besonders der Fall von Petra und Palmyra im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. sowie die Instabilität im südlichen Fruchtbaren Halbmond hatten den Handel auf der Halbinsel gestört.92 Doch bereits seit der Zeit Gindibus, des ersten namentlich erwähnten Arabers, dessen 1000 Kamele gegen die Assyrer eingesetzt wurden, waren Araber freiberuflich für ihre mächtigen Nachbarn tätig gewesen, zunächst in der Spedition, dann im Grenzschutz und im gewerblichen Transport. Nun, da der Handel immer mehr der Plünderei wich, ergaben sich Möglichkeiten für einen Laufbahnwechsel vom Spediteur zum Söldner. Die endgültige Eroberung Palmyras durch das Römische Reich im Jahr 272 n. Chr. brachte die beiden großen imperialen Mächte, Rom und Persien, näher zusammen als je zuvor. Für Araber barg diese Nähe Risiken, aber auch Chancen. „Die Araber wurden am meisten gestärkt, wenn es in der Epoche mehr als eine dominante [benachbarte] Macht gab“, heißt es bei Eugene Rogan.93 Rogan dachte an jüngere Mächte – Großbritannien und Frankreich, die NATO und den Warschauer Pakt –, aber seine Beobachtung lässt sich mit Fug und Recht auch auf die Epoche von Rom und Persien (sowie auf die Epoche von Assyrien und Babylon) übertragen. Ein Beleg für eine solche Stärkung im 4. Jahrhundert n. Chr. stellt die Grabinschrift dar, die 1901 in der Nähe der Burg von al-Namāra entdeckt wurde, 120 Kilometer südöstlich von Damaskus. Verfasst in „einer Entwicklungsstufe des nabatäischen Alphabets auf ihrem Weg zum Arabischen hin“, ist sie nicht leicht zu lesen.94 Doch trotz der möglichen Varianten und nicht entschlüsselbaren Wörter ist sie als grundlegender Text der arabischen Geschichte so wichtig wie die erste assyrische Erwähnung von Arabern. Die Grabinschrift von al-Namāra ist nicht nur eines der ersten Zeugnisse dessen, was später das einheitliche Standardarabisch werden sollte.95 Sie ist auch die erste bekannte Erwähnung von Arabern durch Araber, in
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ihrer eigenen Sprache. „Dies“, so lautet der Anfangssatz, „ist das Denkmal von Imruʾ al-Qais Sohn des Amr, König aller Araber …“ Dann wird erwähnt, dass der König vier große Stämme Arabiens unterwarf und Nadschrān überfiel, 1700 Kilometer südlich von al-Namāra, „im bewässerten Land“ des himyarischen Herrschers. Sie schließt mit der Aussage: „Kein anderer König war seinen Errungenschaften gleichgekommen …, als er im Jahr 223, am siebten Tag von Kislul starb.“96 Die Jahresangabe nach einem örtlichen Kalender entspricht dem Jahr 328 n. Chr. Soweit die in der Forschung nicht umstrittenen Teile des Textes. Der Rest birgt nicht nur sprachliche Unwägbarkeiten, sondern gibt auch ein historisches Rätsel auf. Imruʾ al-Qais nämlich kennen spätere arabische Historiker als den zweiten Herrscher von al-Hīra im persisch-dominierten Irak,97 und durch eine persische Inschrift liegt die Bestätigung dafür vor, dass sein Vater ein Vasall des sassanidischen Reiches war.98 Doch sein Grab in al-Namāra liegt 750 Kilometer von al-Hīra entfernt im römischen Einflussbereich. Es sind andere Erklärungen denkbar, aber die wahrscheinlichste ist, dass er abtrünnig geworden und gemeinsam mit zumindest einem Teil seines Stammes, Lachm, zur römischen Seite „übergelaufen war“.99 Nach Ansicht eines arabischen Historikers spricht einiges dafür, dass er aus religiösen Gründen übergelaufen und Christ geworden sei.100 Zudem besagt eine mögliche Lesart eines umstrittenen Satzes in der Inschrift, dass er die Aristokraten der schaʿbs, der Völker, als Vizekönige benannte, und dass „sie Anführer für die Römer wurden“.101 Wie dem auch sei, bei aller Unwägbarkeit der Interpretation wird doch zumindest eines deutlich: Die Politik der Supermächte hatte Einfluss auf die Region, und es ist mehr als nur vorstellbar, dass Imruʾ al-Qais die Großmächte benutzte, um sich selbst eine transarabische Bühne zu geben, vom nördlichen Fruchtbaren Halbmond bis zum „bewässerten Land“ des südlichen Gegenstücks. Deutlich ist auch, dass in dieser im 4. Jahrhundert stattfindenden Partie des „Großen Spiels“102, der scheinbar ewigen Konfrontation von Imperien nördlich der Arabischen Halbinsel, arabische Bauern das Brett überquerten und zu Königen, zu eigenständigen Hauptakteuren wurden. (Königinnen scheinen nach der an Extravaganz kaum zu überbietenden, aber besiegten Zenobia aus der Mode gekommen zu sein.) Das Spiel war so alt wie die älteste Erwähnung von Arabern, 1000 Jahre vor dem Fall von Petra und Palmyra, und es ist noch im Gange. Doch die Rolle, die Imruʾ al-Qais, „König aller Araber“, darin spielte, wirft eine Frage auf: Hat er selbst diesen königlichen Titel angenommen oder war er ihm von einem seiner imperialen Nachbarn verliehen worden? Es gibt spätere Beispiele von Supermächten, die Königstitel vergaben. Prokopios erwähnt zum Beispiel, dass die
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Römer im frühen 6. Jahrhundert n. Chr. ihren Klienten, den Ghassanidenherrscher, „König der Araber“ nannten, als Reaktion auf die persische Unterstützung für Imruʾ al-Qaisʼ Dynastie der Lachmiden (die zu diesem Zeitpunkt längst in den Schoß der Perser zurückgekehrt war). Andererseits bestätigen spätere arabische Quellen, dass die Perser diejenigen waren, die Lachmidenanführern während dieser Zeit den Titel „König der Araber“ verliehen.103 Es erscheint durchaus wahrscheinlich, dass Imruʾ al-Qais ein früher Nutznießer dieses titulären do ut des war, oder anders gesagt: dass er sich selbst als „König aller Araber“ sah, weil Rom oder Persien ihm gesagt hatte, dass er das sei. Wenn die Annahme korrekt ist, wirft sie eine weitere Frage auf: Kam die erste Vorstellung von allumfassender arabischer Einheit nicht von Arabern selbst, sondern von außen – von den nichtarabischen Nachbarn? Wenn die eine oder andere Supermacht (oder gar beide) einem offiziell sagt, man sei ein König, gibt einem das nicht leicht das Gefühl, man sei tatsächlich ein König und den Freibrief, dann auch so zu handeln und seine potenziellen Untertanen, wie gespalten sie in Wirklichkeit auch sein mögen, als Einheit, als „alle Araber“ zu betrachten? Nachdem ihre Nachbarn ihnen über ein Jahrtausend lang gesagt hatten, sie seien Araber, eine eigene Gruppe mit einer Identität, war die Botschaft vielleicht endlich angekommen. Gewiss, ich lese hier wirklich zwischen den Zeilen von Imruʾ al-Qaisʼ Grabinschrift. Aber wie wir sehen werden, ist es unverkennbar, dass ab dem Zeitpunkt seiner Herrschaft die Macht einer vereinten arabischen Kultur zu wachsen begann – und es ist von entscheidender Bedeutung, dass dies unter der Schirmherrschaft der imperialen Klientelkönige geschah, die ihm sowohl auf persischer als auch auf römischer Seite nachfolgten. Sicherlich haben Reiche und ihre Streiche in jüngerer Zeit die nationale Identität genährt und das Streben nach politischer Einheit beflügelt. Es ist ein Jahrhundert her, dass die Briten für den von ihnen ausgerufenen „König der Araber“ warben, Scherif Husain von Mekka.104 Das darauffolgende Doppelspiel und die zerstörten Hoffnungen befeuerten die Ressentiments und nährten den Nationalismus. Das wird in den Tagen von Rom, Byzanz und Persien nicht viel anders gewesen sein. Die imperialen Herren hielten ihren arabischen Protegés eine Krone vor die Nase, rissen sie ihnen aber genauso schnell wieder vom Haupt und untergruben so die Einheit, die sie symbolisieren sollte, indem sie Araber gegeneinander aufhetzten. Letzten Endes hat das alles das arabische Gefühl einer gemeinsamen Identität nur verstärkt. Der Keim der „Selbstheit“, wenn auch von imperialen Anderen gesät, gedieh durch die Abgrenzung von Anderen: Er wuchs zu einer Suche nach Selbstbestimmung. In der Zeit des Königs Imruʾ al-Qais war er aber noch ein Keim. Bestimmt hätte die große Mehrheit „aller Araber“ beim Gedanken, einer einzigen Gruppe
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von Menschen mit einem einzigen König anzugehören, höchstens mit den Augenbrauen gezuckt. Sowohl königliche Ansprüche als auch imperiale Politik, sei es Vereine-und-herrsche oder Teile-und-herrsche, wurden von der Realität überholt – von der Tatsache, dass Araber geteilt und unbeherrschbar blieben. Dennoch saßen die Nachfolger des Königs auf ihren geliehenen Thronen, während die Supermächte sie und Arabien drei weitere Jahrhunderte im Auge behielten und ihnen mit der einen Hand die Krone aufsetzen, um sie mit der anderen wieder wegzunehmen. Ein Beobachter in früher islamischer Zeit formulierte es so: Araber in dieser Zeit waren „auf einem Felsen zwischen zwei Löwen, Persien und Rom, eingeklemmt“105 – das dürfte noch etwas unbequemer gewesen sein als in einer Zwickmühle zu sitzen.
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Kapitel 3 Weit und breit verstreut: Die Grammatik der Geschichte im Wandel Nicht genug, dass Araber hoch oben zwischen den zwei imperialen Löwen, Persien und Rom, eingeklemmt waren, sie bekamen es auch häufig mit einem dritten Löwen zu tun: mit dem Königreich des Südens, Himyar. Sollte die Prahlerei des Imruʾ al-Qais, des „Königs aller Araber“, der Wahrheit entsprechen, dann hatten seine Leute den Löwen im Süden bereits einmal am Schwanz zu greifen bekommen, bevor sie in das bewässerte Land des Himyarenkönigs Schammar rund um Nadschrān eindrangen. Doch auch das wäre nur ein kurzes Zwischenspiel in der Löwenjagd gewesen, zudem wahrscheinlich angezettelt von einer der Mächte im Norden: Bei dem frühen islamischen Historiker al-Tabarī ist nachzulesen, dass der sassanidische Schah von Persien um diese Zeit eine Großexpedition gegen die Stämme der Halbinsel angeordnet hatte. Dabei kann es sich durchaus um die in Imruʾ al-Qaisʾ Grabinschrift erwähnte Kampagne gehandelt haben.1 Dann wäre der Überfall auf König Schammars fruchtbaren Süden wohl eher ein kleiner Nebenkriegsschauplatz gewesen – und aus persischer Sicht besonders nützlich, da Schammar selbst im späten 3. Jahrhundert n. Chr. in expansionistischer Stimmung gewesen war und sich weit nach Nord- und Ostarabien vorgewagt hatte.2 Berichte aus islamischer Zeit, wonach der König von Himyar bis nach Samarkand in Zentralasien (dem er der Legende nach seinen Namen gegeben haben soll: Schammar-kand, „Schammar vernichtete es“3) und bis nach Tibet vorgedrungen sein soll, gehören dagegen vermutlich eher ins Reich der Legende.4 Für die Perser, die gerade ihren eigenen Einfluss im Osten der Halbinsel zu erweitern suchten, war es schon Bedrohung genug, dass Schammar es bis nach Zentralarabien geschafft hatte. Es liegt also nahe, dass Imruʾ al-Qais, bevor er mutmaßlich zu den Römern überlief, als Löwentatze der Perser diente und aufsässige Stämme bändigte. Doch diese Expedition sollte weitaus verhängnisvollere Folgen für die Südaraber haben als ein einmaliger Überfall auf Nadschrān. Auf dem Weg dorthin, so sagt Imruʾ al-Qais, „züchtigte“ er ein wichtiges Stammeskonglomerat mit dem Namen Madhhidsch.5 Um diese Zeit wanderten Madhhidsch unter der Führung der Kinda, vermutlich infolge von persischem Druck, massenhaft aus Zentralarabien in den Süden.6 Wie wir gesehen haben, führten einige der Kinda in ihrer Karawanenstadt Qaryat Dhāt Kahl ein semiurbanes Leben. Im Herzen aber blieben sie und die mit ihnen assoziierten Stämme badw und, wenn ihre Chancen
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schlecht standen, pflegten sie dem Kampf auszuweichen, ihre Zelte abzubrechen und sich in Sicherheit zu bringen. Die Ankunft Zehntausender Nomaden und Halbnomaden im sesshaften Süden – Madhhidsch in den Gebirgsausläufern östlich des saftigen Hochlands von Himyar, Kinda im Herzen des fruchtbaren, von Himyar regierten Talkomplexes mit dem Namen Hadramaut – führte dort zu bleibenden Veränderungen. Zuvor waren Araber und ihre Sprache bereits in das alte sabäischsprachige Südarabien eingefallen. Nun stieg der Zustrom von Stammesnomaden und nagte am Fundament der sesshaften Zivilisation des alternden himyarischen Löwen. Nicht lange, und die Wolkenkratzer-Paläste von Zafār sollten ins Wanken geraten.
Die Ratte mit den Eisenzähnen Im Süden, einem wahren Flickenteppich von Königreichen, wurden Einheitsbestrebungen in der Sprache von Königstiteln zum Ausdruck gebracht. Saba war von alters her das bedeutendste Königreich. In seinem Schatten waren kleinere Königreiche an den Ufern der Wüste im Landesinneren emporgestiegen und gefallen – die kurzlebigen Staaten von Maʾin, Qatabān und Ausān. Früh im 1. Jahrtausend n. Chr. hatte sich das Volk der Himyaren, das in den Bergen zwischen der Wüste und dem Toten Meer lebte, hervorgetan; die nächsten Jahrhunderte waren Zeuge von Machtstreitigkeiten und hin und wieder Koalitionen zwischen Himyaren und Sabäern. Weiter östlich, hinter einem Golf von Sand, hatte die große Oase von sich verzweigenden Schluchten, Hadramaut, ihre Unabhängigkeit und ihre Bewässerungssysteme lange erhalten können, jedoch war sie zum Ende des 3. Jahrhunderts an den von Himyaren dominierten sabäischen Staat gefallen. Zur Zeit des Eroberers der Region Hadramaut, dem expansionistischen König Schammar, der im späten 3. Jahrhundert n. Chr. regierte, war Südarabien so vereint wie nur möglich – und sicherlich vereinter als zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe. Schammars Titel verkündete Folgendes: Er war „König von Saba, Dhū Raidān [dem Himyarenpalast, der das Himyarenreich symbolisierte], Hadramaut und Yamanāt“. Letzterer Begriff, Yamanāt, „die Südländer“, bezeichnet wahrscheinlich die früheren Königreiche von Ausān und Qatabān. Diese Liste ergänzten spätere himyarische Könige um den Zusatz „und ihrer Araber im Hochland und in der Küstenebene“,7 in dem Versuch, zumindest nominell ein wachsendes Problem in den Griff zu bekommen. Jenes letzte und neueste Element, das arabische, sollte die übrigen Elemente des königlichen Titels und die kurzlebige Einheit des Reiches zunichtemachen. Immer mehr Mitläufer schlossen sich aʿrāb-Söldnern im Dienste des Königs an – Stammesgenossen, die unter persischem Druck nach Süden und Westen
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getrieben worden waren. Unter einem starken König wie Schammar entwickelten sich die Söldner zu einer nützlichen Kraft. Später setzten schwächere Herrscher die aʿrāb ein, „um Blutfehden zu verfolgen … Das einzige Ergebnis für das Land war Vernichtung“8 und, zwei Jahrhunderte nach Schammar, die sukzessive Besetzung durch Äthiopien und Persien. Das Motiv des Söldners, der seinen Meister schwächt, zieht sich wie ein roter Faden durch die arabische Geschichte. So auch das Motiv des Nomaden, der die Lebensweise seines sesshaften Nachbarn zerstört. Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal an Ibn Chaldūns Bemerkung erinnert, der aus der Rückschau, 1000 Jahre nach der Zeit des Königs Schammar, beobachtete: „Überall dort, wo die [arabischen] Beduinen gesiegt haben, bricht die Zivilisation zusammen.“ Als weitere Belege führt er Südarabien und den späteren Irak, Syrien sowie seine eigene Heimat, Nordafrika, an.9 (Das Motiv wiederholt sich heute vor meiner Haustür, wo ein ehemaliger Herrscher, der auf Rache sinnt, tribale Revolverhelden aus dem nördlichen Hochland auf die Hauptstadt von Sabas Nachfolger losgelassen hat. Das Gleiche passiert, mutatis mutandis, im Irak, in Syrien und Libyen, über ein halbes Jahrtausend nach Ibn Chaldūns Beobachtung.) Die lange und brüchige Erzähllinie des Aufstiegs und Verfalls der sesshaften Gesellschaft in Südarabien wurde vom späteren arabischen Gedächtnis vereinfacht und kondensiert in der Erzählung vom Verfall des Damms von Maʾrib, die in Poesie, Prosa und heiliger Schrift immer wieder auftaucht. Die Fassung von al-Masʿūdī aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. beginnt mit einer Beschreibung des Königreichs von Saba in seiner Blütezeit: Die Sabäer genossen die höchsten und luxuriösesten Lebensstandards … im fruchtbarsten Land, das man sich vorstellen kann … Sie übten militärische Macht aus und ihre Stimme war geeint …10 Saba war also ein vereintes Volk, das mit einer Stimme sprach. Seinen Reichtum und die Fruchtbarkeit seines Landes verdankte es dem mächtigen Damm von Maʾrib, der den Wadi überspannte. Er war mit 680 Metern Länge und 18 Metern Höhe eines der größten Werke der Wasserbaukunst in der antiken Welt und leitete Niederschlag aus einem Einzugsgebiet von 10 000 Quadratkilometern ab, um damit ein ebenso großes Gebiet zu bewässern. Der Legende nach begannen die Probleme, als die kāhina oder Seherin des Königs nachts von der Zerstörung des Dammes träumte und tagsüber die natürliche Ordnung auf den Kopf gestellt sah: Drei Rennmäuse stehen auf ihren Hinterläufen und halten sich mit den Vorderpfoten die Augen zu; eine Schildkröte liegt urinierend auf dem Rücken; Bäume bewegen sich, obwohl es keinen Wind gibt. Sie interpre-
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tierte diese Zeichen und erzählte dem König, eine Ratte werde den Damm beschädigen. „Und es kommt eine Ratte, die mit den Pfoten einen Stein [aus dem Damm] herausrollt, den fünfzig Männer nicht hätten bewegen können …“11 Al-Masʿūdī, womöglich um seine Glaubwürdigkeit besorgt, stellt dieser Geschichte einen eher nüchternen Bericht voran, der allgemeine Vernachlässigung als Ursache für die Vernichtung des Dammes nahelegt. In der noch knapperen Darstellung im Koran gelten der Damm und seine Segnungen an sich schon als Vorzeichen genug. Sie sind eine Gunst und Gabe Gottes und wer den Herrn ignoriert, beschwört die Vernichtung herauf: Für die Sabäer lag einst ein Zeichen in ihrem Wohnort: zwei Gärten, rechts und links. … Ein gutes Land. Und ein Herr, der bereit ist zu vergeben. Sie aber wendeten sich ab. Da schickten wir gegen sie des Dammes Wassermassen und tauschten ihnen ihre beiden Gärten gegen zwei andere mit Dornbuschfrüchten, Tamarisken und wenig Lotosbäumen. … da machten wir sie zur Legende und rissen sie ganz und gar in Stücke …12 Der letzte Satz kann auch bedeuten: „Und wir zerrissen sie vollends in Stücke.“ Wie sowohl alte sabäische als auch moderne arabische Flüchtlinge zur Genüge wissen, ist das eine Warnung vor dem, was passiert, wenn man das Fundament einer sesshaften und vereinten Gesellschaft zerbröckeln lässt. Der Damm von Maʾrib erlitt wahrscheinlich zu Lebzeiten des Propheten Mohammed im frühen 7. Jahrhundert den letzten, irreparablen Bruch.13 Doch Inschriften vor Ort legen nahe, dass es bereits knapp 300 Jahre zuvor Probleme gegeben haben muss: Statt in regelmäßiger Wartung die Schlickablagerungen zu entfernen, wechselten sich lange Perioden von Vernachlässigung mit hektischen Notreparaturen ab. Dies alles deutet auf den allmählichen Zusammenbruch der zentralen Autorität, die früher die Instandhaltung des Baus organisiert hatte. Der Zusammenbruch wurde durch die äthiopische und persische Besatzung im 6. Jahrhundert beschleunigt, doch er war letztendlich auf das Eindringen und die wachsende Macht von aʿrāb-Stämmen während der vorangegangenen beiden Jahrhunderte zurückzuführen.14 Es waren „diese menschlichen Ratten“, so formuliert es ein moderner jemenitischer Historiker Südarabiens, bei dem die Wut über die Katastrophe offenbar immer noch nicht abgeklungen ist: „Die badw- und aʿrāb-Söldner … hatten den größten Anteil an
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der Zerstörung seines letzten [unabhängigen] Staates.“15 Ihre wachsende Zahl und militärische Stärke hatten dazu geführt, dass sie sich von Söldnern zu Drahtziehern und dann zu Drahtschneidern und Machtgrapschern entwickelt hatten. Sobald sie das Sagen hatten, waren ihre tribalen Herrscherstile, hauptsächlich basierend auf Arbitrage, nur noch arbiträr. Der Rattenzahn fraß sich in das Fundament der jahrhundertealten sesshaften Gesellschaft. Wie alle guten Gleichnisse funktioniert die Geschichte vom Niedergang und Fall des Damms von Maʾrib auf mehreren Ebenen zugleich. Für den Bauern und den Volkshistoriker gilt sie als eine Warnung vor dem, was passiert, wenn die Vorboten der Natur unbeachtet bleiben. Für den Propheten und sein Volk ist sie ein Beispiel dessen, was schiefläuft, wenn die gottgegebene Ordnung nicht aufrechterhalten wird. Der Sozialhistoriker liest sie als Gleichnis für die zunehmende Durchlässigkeit eines anderen legendären „Damms“ – der hochporösen Barriere zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit – und den daraus resultierenden Menschenfluten. Wenn es tatsächlich infolge des Zusammenbruchs der Bewässerung und Gesellschaft im Süden eine große Diaspora sesshafter Völker gegeben hat, wie die Erzählungen nahelegen, müssen sich Auflösungserscheinungen schon lange vor dem letzten Dammbruch in später vorislamischer Zeit angekündigt haben.16 Die Volkssagen erwähnen außerdem, wie wir noch sehen werden, die Auswanderung des großen Stammes Azd und seines wichtigen Unterstamms Ghassān aus Maʾrib, die ein paar Jahrhunderte zuvor erfolgt sein muss. Wir wissen nicht, ob es tatsächlich eine Massenabwanderung gegeben hat; wahrscheinlicher ist, dass die sesshaften Bevölkerungen in mehreren Wellen nach und nach abgewandert sind. Unbestreitbar aber sind die weitreichenden Folgen: Auch wenn es sich nicht gerade um eine Überschwemmung handelte, so bewirkte doch die Bewegung einer großen Anzahl sesshafter Menschen auf dem ganzen arabischen Subkontinent einen Wandel. Als Nomaden in das alte bebaute Land einsickerten und ehemals sesshafte Völker dieses Land verließen, lösten sich die alten einheitlichen Staaten auf und die Grenzen zwischen badw und hadar brachen nieder: „Die Könige haben ihre Heimat verlassen“, so heißt es in einem Gedicht, das einem vorislamischen Herrscher aus dem Süden zugeschrieben wird, „und sich zu anderen Ländern aufgemacht, in denen sowohl badw als auch hadar wohnen.“17 Arabien war in Bewegung und trat in eine Ära dynamischer Uneinigkeit ein – ein Stühlerücken, das letzten Endes die epochalen Wanderungen und Eroberungen des Islam in Gang setzte. Die großen alten Zivilisationen wurden dabei zwar nicht gänzlich zerstört, aber eines steht fest: Wo gehobelt wird, fallen Späne.
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Geschichte im Aktiv In der Geschichte von Maʾrib ist die einprägsamste Figur die kāhina oder Seherin Tarīfa, die den Zusammenbruch des Dammes prophezeit und schließlich die Auswanderung ihres Volkes der Ghassaniden anführt.18 Der Herrscher von Ghassān folgt ihr: Tarīfa wählt den Reiseweg und ruft ihr Volk zum Kampf auf, wenn Feinde ihm den Weg versperren. Ihre Vorhersagen sind in einer Form des Hocharabischen verfasst, die sadschʿ genannt wird, Prosa mit Reim und Rhythmus, aber ohne Metrum, die später im Koran wiedererscheinen wird. Ihre besondere, wohlberedte Sprache, bayān („Darlegung“ oder „das Entschleiern der Bedeutung“),19 wird für das Tätigen von Aussagen auf der Grundlage übernatürlicher Einsicht verwendet. Ihre Worte sind schlicht und ergreifend wahr, weil sie in diese besondere Sprache gekleidet sind – ein wasserfester Zirkelschluss. Das ist weit entfernt von der historisch jüngeren Wahrheitsauffassung, die vor etwa fünf Jahrhunderten in Europa aufkam und auf Empirie und quantifizierbare Fakten rekurriert. Tarīfas Aussage hingegen gilt dann als wahr, wenn genügend Menschen ihr Glauben schenken – und das wiederum wird hervorgerufen, indem die Sprecherin einen Eid schwört: Bei der Wahrheit meiner Kenntnis der beredten Sprache, die auf mich herabgekommen ist, und meiner Zunge und dessen, was von mir vorgetragen wird …20 Das Erzählen der Wahrheit ist wie das Erzählen eines Witzes: Es geht darum, wie man es macht. Als jemand, der sieht, was andere nicht sehen können, und spricht, wie andere nicht sprechen können – und damit inspirieren und anführen kann – deutet Tarīfa auf eine spätere, mit Prophetie, Redegewandtheit und Befehlsgewalt ausgestattete Figur voraus. Diese Figur ist Mohammed. Tarīfa mag von einer wahren Person inspiriert sein, an die es eine vage Erinnerung gibt, doch die oft an Grimmʼsche Märchen gemahnenden Details ihres Charakters gehören höchstwahrscheinlich tatsächlich dem Reich der Fantasie an. Aber das ist noch lange kein Grund, sie aus der Story zu verbannen. Die Art und Weise, wie die frühesten bekannten islamischen Volkshistoriker (wie Wahb ibn Munabbih, der im 1. islamischen Jahrhundert lebte) die Geschichte vom Damm und von Tarīfa erzählten, deutet an, dass sie verstanden, wie die neue Religion auf dem alten Boden Arabiens gewachsen war – der außerdem sowohl den alten, sesshaften Süden als auch Mohammeds direkte mekkanische Umgebung umfasste. Wahb selbst stammte aus dem Süden und es war zweifellos der Stolz auf die Vergangenheit seiner Heimat, der ihn und seine Landsleute dazu veranlasste,
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die Bedeutung der Region für die breitere und spätere Geschichte des Arabertums zu betonen. Und recht hatten sie. Die Ghassaniden und die anderen sesshaften Gruppen, die in Bewegung gesetzt worden waren, waren bereits keine Südaraber mehr, sondern Araber geworden. Sie hießen nicht mehr Sabäer oder Himyaren, selbstbezogen und selbstgenügsam in ihren fruchtbaren Landstrichen in weiter Ferne, sondern wurden nun aus einer panarabischen Perspektive als Jemeniten – Einwohner von al-Yaman, „dem Süden“ der Arabischen Halbinsel – betrachtet. Gewissermaßen ist die Geschichte der Diaspora vom Damm von Maʾrib – vom Aufrütteln von Bevölkerungsgruppen, vom Mischen der Menschen zu einer neuen kollektiven Identität – das arabische „National“Epos.21 Es ist so kurz, dass es auf ein oder zwei Seiten Platz hat und also schwerlich von epischer Breite. Aber die späteren Ereignisse geben ihm eine weit über es selbst hinausweisende Größe: Es ist der Prototyp für die im 7. Jahrhundert stattfindende Diaspora von Arabern auf drei Kontinenten und für das weltweite Epos des Islam. Auch wenn es sich bei der Geschichte von Maʾrib streng genommen nicht um eine Schilderung historischer Ereignisse handelt, vermag sie doch zu zeigen, wie wichtig eine Prise Mythos beim Zusammensetzen einer neuen Identität ist, einer gänzlich neuen Ethnizität für die diversen Völker und Stämme, die durch den Islam vereint werden sollten. Als Parahistorie ist sie so bedeutend wie die Mahabharata oder die Aeneis. In den Worten des französischen Orientalisten Ernest Renan sind Nationen das Ergebnis einer falsch interpretierten Geschichte.22 Doch vielleicht ist „falsch“ dafür das falsche Wort. Fiktion kann der Wahrheit entsprechen, auch wenn sie nicht wahr ist. Auch bei nationaler Identität geht es wie in der Religion letztlich eher um Fragen des Glaubens als um Tatsachen. Ein Historiker muss natürlich versuchen, zwischen beiden zu unterscheiden, auch wenn das oft schwer ist. Es gibt zum Beispiel keinen Zweifel an der Faktizität der riesenhaften Überreste der Schleusentore von Maʾrib, oder an den drei Jahrtausenden von Schlickablagerungen in den „zwei Gärten“, die sie bewässerten und die im Koran erwähnt werden. Eine weitere Tatsache ist der neue Maʾrib-Damm, der in den 1980er-Jahren von Scheich Zayid, dem ersten Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, finanziert wurde. Doch gehörten Scheich Zayids ferne, aber direkte Verwandte wirklich dem Stamm der Azd an, der, wie man sagt, zusammen mit den Ghassaniden und Tarīfa aus Maʾrib auswanderte? Das ist eine Frage des Glaubens, denn außer nachträglichen Gedichten und Geschichten gibt es nichts, was das beweisen könnte. Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass es während der letzten vorislamischen Jahrhunderte großflächige Bewegungen von Stämmen auf der gesamten Arabischen Halbinsel gab23 und dass diese Bewegungen Teil einer weit größeren
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Geschichte von Wanderbewegungen sind. Dafür liegen unabhängige externe Beweise vor: Stämme, die als Tanūch, Abd al-Qais und Banū Ulays identifizierbar sind, wurden beispielsweise im 2. Jahrhundert n. Chr. vom Geografen Ptolemäus im Nordosten der Halbinsel verortet, wo sie offenbar seit den Berichten des Strabon und Plinius aus dem 1. Jahrhundert angekommen waren.24 All diese Diasporas, seien sie Fakt oder Fiktion, betonen eine Eigenschaft der „Grammatik“ der arabischen Geschichte: die Idee, Araber seien aktiv, wenn sie in Bewegung sind, und passiv, wenn sie sesshaft sind. Araber könnten nur groß bleiben, sagte der frühislamische Redner und Weise al-Ahnaf, „wenn sie das Schwert umgürten, den Turban aufsetzen und auf ihren Pferden davonreiten“.25 Tatenlos zu Hause zu sitzen, heißt madschhūl zu bleiben – „unbekannt“, der arabische Begriff für die Leideform des Verbs, das Passiv. Wie in Jack Kerouacs On the Road, das die übliche Metapher des Lebenswegs umkehrt: „Der Weg ist das Leben“. Mobilität ist ein in der arabischen Geschichte allgegenwärtiges Motiv – seit dem ersten Auftritt von Gindibu und seiner Kamelexpedition, ja schon seit dem undokumentierten Tag, an dem die ersten Voortrekker das Siedlungsgebiet verließen und sich zur Steppe und zum ʿarab-Sein aufmachten, über die Hidschra oder „Auswanderung“ des Propheten Mohammed nach Medina und den Hunderttausenden von Hidschras aus Arabien hinaus, die in den darauffolgenden beiden Jahrhunderten stattfanden, bis hin zu den neuzeitlichen Reisen wie der des Dichters Dschubrān Chalīl Dschubrān nach bilād al-madschhar, „Hidschra-Land“, in seinem Fall dem Chinatown von Boston und der Lower West Side von New York, und den Reisen heutiger Flüchtlinge nach Europa und darüber hinaus. Fouad Ajami zitiert Friedrich Nietzsche: „Vertriebene sollt ihr sein … Euer Kinder Land sollt ihr lieben …“26 und gibt damit den rastlosen Zeitgeist der 1950er- und 1960er-Jahre wieder. Die Worte lassen sich ebenso auf die trikontinentalen Superüberfälle des frühen Islam anwenden, auf die frühesten bekannten Wanderbewegungen, die diesen vorausgingen, und auf die Flüchtlingsflut des 21. Jahrhunderts.
Ohne festen Wohnsitz Obwohl viele der frühen Wandergeschichten mythisiert sind, gibt es Orte, an denen sie in eine greifbare Vergangenheit führen. Eine der Fortsetzungen der Geschichte von Tarīfa und ihrem ghassanidischen Volk erzählt, dass sie ihre Zelte im von Byzanz regierten Syrien aufschlagen, sich niederlassen und umgehend ein Dokument erhalten, das der Inbegriff des Lebens in der Zivilisation schlechthin ist: den Steuerbescheid. Während ihrer Wanderjahre kannten die Ghassaniden, wie die Aribi der Assyrer, „weder Aufseher noch Amtsträger“.27
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Ohne Benjamin Franklin zu nahe treten zu wollen: In der badw-Weltsicht gehört zwar der Tod zu den Dingen, die uns sicher sind, nicht aber (wie in seinem berühmten Diktum behauptet) die Steuer. Die meisten der Ghassaniden verweigerten die Zahlung und kehrten zur Freiheit und Armut der Halbinsel zurück.28 Diese Fortsetzung zeigt nicht nur, wie beweglich Bevölkerungen waren, sondern auch wie fließend sich hadar-/badw-Identitäten zu dieser Zeit gestalteten. Die Stammesmitglieder von Ghassān, die behaupteten, sie hätten als sesshaftes Volk im Süden angefangen, hatten lange Zeit als Migranten – wenn auch nicht notwendigerweise als Nomaden – gelebt und teilten sich dann in zwei Gruppen auf, von denen die eine sich erneut niederließ und die andere das Wanderleben wiederaufnahm. Die sesshafte Gruppe war nun auch aus dem Wanderreich der Legenden auf festen historischen Boden gezogen. Um 490 n. Chr. ließ sich der Dschafna-Zweig von Ghassān tatsächlich in Syrien als Klient von Byzanz nieder und verdrängte dabei eine frühere arabische Gruppe, die als Puffer Konstantinopels gegen Perser und Nomaden gedient hatte. Ihre Anführer bekamen den Titel patricius (arabisch bitrīq; mit der Zeit erhielt das Wort auch die Bedeutung „hochmütig“ und, viel später, „Pinguin“ – vielleicht weil man an die äußere Ähnlichkeit dachte?) und die Krone der Klientelherrscher verliehen. Später, in der Mitte des 6. Jahrhunderts, angefangen mit dem Ghassaniden al-Hārith ibn Dschabala, erhielten sie den erhabenen Titel basileus, „König“.29 Die meisten von ihnen wurden zu eifrigen Christen, wenngleich von der monophysitischen Strömung, die sich von der imperialen Orthodoxie unterschied.30 Aber die Wurzeln gingen nicht tief. Die Ghassaniden standen mit einem Bein in beiden Lagern, nomadisch und sesshaft – oder besser gesagt: mit einem Bein im Zeltlager und dem anderen am Hofe. Trotz aller Insignien des Königtums (mit Inbegriff der Endung ihres Namens auf „-ide“, die für westliche Historiker eine Dynastie kennzeichnet) führten sie ein halbnomadisches Leben und hatten nie eine feste Hauptstadt.31 Einer Hauptstadt am nächsten kam noch ihr königliches Lager al-Dschābiyya auf den Golanhöhen, eine Zeltburg für Könige am Rande der Zivilisation, in die ortsfeste Gebäude wie zum Beispiel ein Kloster eingestreut waren.32 Auch sprachlich waren sie ohne festen Wohnsitz: Sie behielten das Arabische bei, benutzten aber für den Schriftverkehr auch Aramäisch,33 das lange die gesprochene Standardsprache der sesshaften Völker in der Levante gewesen war. Sie schrieben in nabatäischen Schriftzeichen, der gängigen Schrift in der Region,34 und hörten griechische Popmusik – jedenfalls, wenn man nach dem späteren Ghassanidenherrscher geht, der fünf Sklavinnen besaß, die zu seiner Unterhaltung „auf Rūmiyya“ sangen.35
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Die Wurzeln der Ghassaniden in Syrien mögen dünn gewesen sein, sie stellten sich aber als ausgesprochen zäh heraus. Nach dem Aufkommen des Islam schlossen einige ihrer Leute sich der neuen Religion an, andere jedoch hielten am christlichen Glauben fest. Einige syrische Christen und libanesische Maroniten der heutigen Zeit behaupten, von ihnen abzustammen. Für den Augenblick jedoch genossen diese zu Pufferstaaten gewordenen byzantinischen Grenzwachen, diese zu Söldnerkönigen avancierten Feudalherren Macht und ein hohes Maß an Autonomie. Natürlich waren sie nicht allein. Eugene Rogans Erkenntnis, dass die Rivalität der Supermächte die Araber stärkte,36 lässt sich auch auf den Osten, auf den persischen Einflussbereich übertragen. Die Wettbewerber der Ghassaniden im Kampf um die Macht waren die alteingesessenen Nachfolger von Imruʾ al-Qais ibn Amr, „König aller Araber“, die Lachmiden-Dynastie von al-Hīra im Irak, Klientelkönige des Sassanidenreiches. Und wieder scheint hier das Bild von Arabern, auf einem Felsen zwischen zwei imperialen Löwen eingeklemmt, zu einfach: Nicht nur befand sich, wie wir bereits gesehen haben, tief im Süden ein dritter Löwe, sondern die Araber saßen in Wahrheit auf zwei nebeneinander gelegenen Felsen, und statt die Löwen zu bekämpfen, bekämpften sie zunehmend einander.
Rivalen im „Großen Spiel“ Die Lachmiden, deren Vorfahren ebenfalls von der Halbinsel in den Norden gezogen waren, fungierten im Grunde bereits seit der Gründung der SassanidenDynastie im 3. Jahrhundert n. Chr. als halbnomadische Nachbarschaftswache für Persien. Wie bei den Ghassaniden war ihr Hof mobil, doch er hatte ein fes tes Zentrum in al-Hīra, südlich des späteren Bagdad. „Al-Hīra“ stammt vom aramäischen Wort hirta, was, passend für Halbnomaden, „Lager“ bedeutet.37 Wie das al-Dschābiyya der Ghassaniden war es ein Ort für Grenzgänge, an dem sich Kulturen trafen und miteinander verschmolzen, und so kam es, dass die Lachmiden, obwohl sie Araber blieben, zwangsläufig persische Einflüsse aufnahmen: Das Hauptsymbol ihres Königtums, die Krone, war etwa ein persisches Importprodukt, genauso wie das Lehnwort, mit dem sie bezeichnet wird, tādsch. Darüber hinaus waren sie offen für byzantinische Einflüsse, besonders in der Form des nestorianischen Christentums, das viele ihrer Leute annahmen.38 Außerdem verbanden sich in der Lagerstadt der Lachmiden nomadische und sesshafte Lebensart, wie die qariyas weiter südlich auf der Halbinsel – Siedlungen in nomadischem Gebiet, von denen das Qaryat Dhāt Kahl der Kinda die frühe Urform darstellte und Mekka, „die Mutter der Qariyas“, das spätere Musterbeispiel. Eine Anekdote aus der Zeit nach dem Fall
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von al-Hīra an die Muslime mag das veranschaulichen. Nomadische Araber verwiesen auf die sesshaften Bauern im Süden des Irak als nabat, „Nabatäer“, und als ein weiser Greis aus al-Hīra gefragt wurde, ob sein Volk aus Arabern oder Nabatäern bestehe, überlegte er kurz und sagte dann: „Wir sind nabatäisierte Araber … und arabisierte Nabatäer.“39 Das angebliche Alter des Informanten, 350 Jahre, verbürgt seine Weisheit. Zu Anfang des 6. Jahrhunderts n. Chr. waren die Lachmiden schon erfahrene Spieler im „Großen Spiel“. Wir haben gesehen, wie der Lachmidenkönig Imruʾ al-Qais im 4. Jahrhundert (wahrscheinlich) eine große, von Persien unterstützte Expedition auf die Halbinsel anführte und dann (wahrscheinlich) zu den Römern überlief. Zweihundert Jahre später, als Konstantinopel die Ghassaniden als den eigenen Hauptsatelliten in der Region nach vorne geschoben hatte, erhöhten die Perser ihre Unterstützung für die arabischen Herrscher von al-Hīra. Wenn die beiden Großreiche aneinandergerieten, was in dieser Zeit immer öfter passierte, wurde das in der Regel unter ihren arabischen Satelliten ausgetragen. Einige dieser Stellvertreter-Auseinandersetzungen waren extrem hässlich. Um 544 nahm der Lachmidenkönig al-Mundhir III. einen Sohn des basileus der Byzantiner, al-Hārith ibn Dschabala, gefangen und opferte ihn der arabischen Gottheit al-Uzza. Etwa ein Jahrzehnt später nahmen al-Hāriths beste Männer, von seiner Tochter persönlich parfümiert und mit dem Kettenhemd der Krieger sowie dem Leichentuch potenzieller Märtyrer ausgestattet, den Lachmidenherrscher in einer Vergeltungsoperation gefangen und richteten ihn hin.40 Diese Übertragung der Gewaltbefugnis passte zu der Art und Weise, wie die Perser die politische Entscheidungsfindung an Stämme im Nordosten der Halbinsel delegierten. Das Gebiet des heutigen Südirak, das wegen seiner dichten, dunklen Palmenhaine als al-Sawād, „die Schwärze“ oder vielleicht „das Dunkelgrüne“, bekannt war, war ein beliebtes Ziel von Überfällen. Im Versuch, diesen Einhalt zu gebieten, „vermieteten“ die Lachmidenherrscher Lehngüter an Nomadenanführer.41 Die Lachmiden versuchten auch, die Stämme zu besteuern: Wie zu erwarten, fanden Steuereintreiber oft unter ungeklärten Umständen den Tod (einer wurde zum Beispiel auf dem Boden eines Brunnens zu Tode gesteinigt). Die Geiselnahme war eine effektive Art, mit tribalem Ungehorsam umzugehen, und im 6. Jahrhundert beherbergte al-Hīra 500 Söhne von Stammesführern – eine Art Zwangsinternat, in dem die Jugendlichen nach einem Semester durch neue ausgetauscht wurden. Wenn alles nichts half, sandten die Lachmiden Karawanen in aufständisches Gebiet, die – passend zu ihrer Zwischenposition zwischen hadar und badw, Reich und Stamm – Raubzug mit Handel kombinierten.42
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Wie die Ghassaniden balancierten die Lachmiden auf dem linguistischen Grat zwischen sesshaften und nomadischen Sprachen: Sie sprachen Arabisch und schrieben Syrisch-Aramäisch.43 Ebenso wie die Ghassaniden verwendeten sie die nabatäische Schrift.44 Doch diese war im Wandel begriffen.
SCH KN VKL Quellen aus islamischer Zeit behaupten, dass Adam die Schrift verwendete, um auf Tontafeln zu schreiben.45 Unendlich viel früher in der Geschichte existierte sie im Himmel auf „einer Tafel, wohlverwahrt“,46 dem Original des Koran, die so alt war wie Gott selbst. Die etwas bodenständigeren Ursprünge der Schrift werden, ziemlich glaubhaft, in der Lachmidenhauptstadt al-Hīra und einer anderen Stadt, al-Anbār, weiter südlich im heutigen Irak, verortet.47 Wenn man die Formen der arabischen Buchstaben selbst betrachtet, ist offensichtlich, dass sie sich organisch aus der nabatäischen Schrift entwickelt haben,48 vielleicht mit Einflüssen von anderen Schriftsystemen Arabiens.49 Von al-Hīra aus verbreiteten sich die neuen Buchstaben zunächst relativ träge. Es gibt sehr wenige Graffiti in erkennbar arabischer Schrift aus der Zeit vor dem 5. Jahrhundert50 und die Vorstellung, dass sie „kurz vor dem Islam“ – zum Ende des 6. Jahrhunderts – Mekka erreichte,51 passt zu der Aussage, dass zum Zeitpunkt, da Mohammeds Prophetie ihren Anfang nahm, nicht mehr als zwei Dutzend Mekkaner schreiben konnten.52 Wenig verheißungsvolle Anfänge; doch während der folgenden Generationen wurde es notwendig, eine heilige Schrift zu bewahren, ein Imperium zu erweitern und eine Kultur zu propagieren, was dazu führte, dass die arabische Schrift sich rasant verbreitete. Sie schrieb sich in Raum und Zeit ein, um nach dem lateinischen Alphabet das am weitesten verbreitete Schriftsystem der Welt zu werden. Ein Experiment des Kalifen Hischām aus dem 8. Jahrhundert n. Chr. vermittelt einen Eindruck davon, wie die Schrift funktionierte.53 Der Kalif bemerkte einen Meilenstein am Wegesrand und bat einen schriftunkundigen aʿrābī in seiner Gesellschaft, diesen für ihn zu „lesen“. Denn aʿrāb, selbst die Analphabeten unter ihnen, waren dafür bekannt, dass sie lesen konnten: Sie lasen die Landschaft, die karge grüne Vegetation, die verborgene Wasserquellen verriet, Tierspuren von Kamelen bis hin zu Käfern und die Spuren, die ihre eigenen Wanderungen und die anderer hinterließen. Sie konnten aus den Palimpsesten verlassener Zeltlager eine ganze bewegende Geschichte entziffern. In der alten Dichtung der Wüste werden Spuren am Boden manchmal explizit mit Schriftzeichen verglichen. Der Dichter Labīd zum Beispiel, der kurz vor dem Islam lebte, konnte die Spuren der verlassenen Lagerstätte seiner Geliebten lesen:
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Die Spuren der Wohnsitze sind bloßgelegt, verwittert wie Inschriften auf alten Steinen.54 Nomadische Araber lebten in einer lesbaren Welt. Als er die Schrift auf dem Meilenstein betrachtete, sagte der Beduine: „Das ist der Stab eines Hirten, ein Ring, drei Teile wie der Kot einer Hündin und so etwas wie der Kopf eines Sandhuhns.“ Hischām setzte die Zeichen in Gedanken zusammen, oder, mit den Pünktchen, was sich als chamsa, „fünf [Meilen]“, lesen lässt. Alles herrlich logisch, dennoch gibt es systemimmanente Probleme. Anders als bei der lateinischen Schrift (die letztendlich derselben Inspirationsquelle entsprungen ist, dem antiken phönizischen Schriftsystem) werden die Kurzvokale in der Regel nicht geschrieben: Das oben erwähnte Wort für „fünf“ liest sich beispielsweise in Wirklichkeit als ch-m-s-h. In anderen Sprachen liest man also, um herauszufinden, was im Text steht, während es im Arabischen hilft, es zu wissen, was im Text steht, um lesen zu können.55 Die Überschrift dieses Abschnitts, „Schau, keine Vokale!“, in einer dem Arabisch ähnlichen Notierung, war also wohl etwas verwirrend. Und um es noch komplizierter zu machen, gibt es im Arabischen keine Großbuchstaben. (Ich weiß noch, wie ich, als ich gerade mit dem Arabischlernen angefangen hatte, versuchte, strtfwrd ʾbwnyfwn zu lesen … „Straightforward“ war es bestimmt nicht! Beim Versuch, Vokale hinzuzufügen, landete ich bei satarat fa-warada abū nīfūn – „Sie bedeckte [Wer war sie? Was bedeckte sie?], dann kam der Vater des Nīfūn [Wer zum Teufel sollte das sein?].“ Dann tauchte zum Glück ein Schnipsel Kontext auf – shyksbyr, offensichtlich der Barde – und die geheimnisvollen Worte wurden, da b und f die unarabischen Laute p und v ersetzen, „Stratford-upon-Avon“.) Mit der Zeit wurde eine Methode entwickelt, die Vokale darzustellen, die aber bis heute nur sporadisch verwendet wird; Großbuchstaben gibt es weiter-
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hin nicht. Mit etwas Übung wird Arabisch lesen einfacher. Doch es erfordert andere mentale Prozesse als das Entziffern lateinischer Buchstaben: Das Lesen der lateinischen Schrift ist wie ein Damespiel, Arabisch ist Schach. Und zu Anfang war Arabisch sogar noch weniger benutzerfreundlich, bis Punkte hinzugefügt wurden, um verschiedene Konsonanten mit der gleichen Form ausei nanderzuhalten: Ohne Vokalzeichen oder Punkte könnte eine einfache Gruppe von zwei Buchstaben,
theoretisch auf 300 verschiedene Arten gelesen werden.56 Heutzutage sind alle Texte mit Punkten versehen, außer im Koran werden die Vokalzeichen aber nie konsequent notiert. Dies fügt der ohnehin schweren Sprache einen zusätzlichen Schwierigkeitsgrad hinzu – nicht zu vergessen, dass geschriebenes Arabisch niemandes Muttersprache ist: Sprecher des Arabischen lesen und schreiben also alle in einer „Fremdsprache“.57 Im Ergebnis nähern sich Leser höchstens der Bedeutung dessen, was sie lesen, an und müssen hin und wieder schlicht und ergreifend raten. Das andere große Problem, das erst mit der Erfindung der Druckerpresse ans Licht kam, ist, dass Arabisch eine Kursive ist: wunderschön anzusehen, herrlich zu schreiben, aber eine elende Plagerei für Typografen und Setzer, und erst recht für Menschen, die eine altmodische Schreibmaschine verwenden. Wir werden noch auf das Problem zurückkommen. Für den Augenblick genügt es festzuhalten, dass sowohl die griechische Erfindung von separaten Zeichen für Vokale als auch die Tatsache, dass ihre Schrift die nichtkursive Form beibehielt, den Griechen und denen, die ihr Alphabet aus griechischen Zeichen ableiten, einen kleinen, aber entscheidenden Entwicklungsvorteil verschafft hat. Die arabische Schrift ist der Stolz und der Hauptbestandteil der islamischen Kunst, das wichtigste Emblem arabischer und islamischer Kultur, einer kalligrafischen Kultur, die – anders als ihr gewaltiges, aber letztendlich provinzielles Äquivalent in China – die Kontinente überspannen sollte. Wenn man jedoch sagen kann, dass Geschichten hamartias, tragische Fehler, aufweisen können, dann mag für Araber ihre Schrift eine davon sein, ebenso wie die schöne und tödliche Kombination von Kamel und Pferd.
Die begrabenen Gedichte des Königs Nicht nur Alphabete, auch Könige können einen bemerkenswert einenden Effekt auf die Kultur haben. Das galt zweifellos für die Lachmiden-Dynastie, die von der vermutlichen Geburtsstätte der arabischen Schrift, al-Hīra, aus herrsch-
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te. Mit dem Ziel, eine mächtige und reiche arabische Person zu preisen, strömten Dichter nach al-Hīra, begegneten sich dort und wetteiferten in Versen gegeneinander. Dies mag vermutlich bereits seit dem ersten bekannten persischen Klientelherrscher, Amr ibn ʿAdī,58 dem Vater des mutmaßlichen Überläufers Imruʾ al-Qais, der Fall gewesen sein. Auch gab es einen Dominoeffekt auf die sich herausbildende „Hochsprache“, die sich, wie wir gesehen haben,59 zunächst in Zentralarabien entwickelt zu haben scheint, genauer im Gebiet von Qaryat Dhāt Kahl, der Hauptstadt der Kinda. Nun gelangte Hocharabisch im Nordosten in seiner Eigenschaft als „Königsarabisch“ zu noch höherem Ansehen.60 Mit wichtigen Königen an zwei verschiedenen Orten gab es im 6. Jahrhundert einen der Sache dienlichen Wettbewerb zwischen den Lachmiden und Ghassaniden, wenn es um das „Sammeln“ von Dichtern ging.61 Diese Rivalität ähnelte, sagen wir, der zwischen den Dynastien der Medici und Sforza in der Kunstpatronage der europäischen Renaissance. Sie wirkte sich auf den Markt für Dichtung positiv aus: Noch heute sind Liebhaber der traditionellen arabischen Poesie der Ansicht, das Ende des 6. Jahrhunderts stelle ihre Blütezeit dar.62 Eine Auswahl zu treffen fällt schwer; noch schwerer ist es, die Kraft der arabischen Laute in Übersetzung wiederzugeben. Ein klassisches Beispiel von Panegyrik ist al-Nābighas Beschreibung des letzten Lachmidenkönigs, alNuʿmān III., die mit folgenden Versen abschließt: Gekrönt mit jeder Ehre, hoch deines Ruhmes Stirn und auf dem Kampfplatz ein sich aufrichtender Löwe – schön wie der Mond! Als er diesen Trompetenschall von Silben hörte, „erstrahlte Nuʿmāns Gesicht vor Freude. Er befahl, dem Dichter den Mund mit Edelsteinen zu füllen und sagte: ‚Wenn Könige gepriesen werden sollen, dann lass es so geschehen‘“.63 Für moderne Ohren mag Panegyrik hohl klingen. Doch ihre Kraft und ihr Wahrheitsgehalt liegen – wie immer in der Hochsprache – mehr in den Lauten als in der Bedeutung. Und ihre Bedeutung ging über die Lobpreisung der Könige weit hinaus. Im 6. Jahrhundert verbreitete sich die Hofdichtung wie ein Lauffeuer: Könige und Höfe setzen ein Vorbild, dem nachgeeifert wird, und es kann kaum überraschen, dass das am häufigsten verwendete Medium in diesem mimetischen Prozess die Dichtung war. Außerhalb der nur spärlich vorhandenen semiurbanen Siedlungen gab es so gut wie keine Kunsthandwerker oder künstlerische Produkte. Kulturprodukte mussten transportierbar und aus dem einfachsten verfügbaren Material sein – das waren Wörter. Weil die Gesellschaft zum größten Teil noch schriftunkundig war, mussten die verbalen
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Kunstwerke darüber hinaus auch gut im Gedächtnis zu behalten sein. Dichtung hat gleich zwei Eigenschaften, die das gewährleisten, das Metrum und den Reim: Aus der Zeit vor der Schriftkultur ist daher recht viel bis heute erhalten geblieben, ebenso eine beträchtliche Menge von sadschʿ – der Sprache der Seher, die zwar nicht metrisch, aber gereimt und rhythmisch ist. Schlichte Worte in Prosa sind nur dann auf uns gekommen, wenn sie unauslöschlich in unbeweglichem Stein gemeißelt wurden. Die Schirmherrschaft der Lachmiden und Ghassaniden half also dabei, die arabische Sprache weiter zu vereinheitlichen, indem ein einzelner prestigeträchtiger Maßstab festgesetzt wurde, nicht nur an den Königshöfen, sondern auch in Suks, Gästezelten und an Lagerfeuern – überall dort, wo Menschen einander begegneten, miteinander sprachen und Gedichte vortrugen. Damit trugen sie auch mehr als jeder andere zur Vereinigung von Arabern bei. Selbst wenn die Dichtung für die lachmidischen und ghassanidischen Mäzene zu einem Kulturprodukt, einem Kunstwerk geworden war, bewahrte sie mehr als nur einen Hauch des alten Übernatürlichen: Sie ist von Magie durchsetzt, die bald aufs Wirkmächtigste im Koran wieder zum Vorschein kommen sollte. Es wird erzählt, dass einer der Könige von al-Hīra so begeistert von einer Ode des al-Hārith ibn Hilliza war, dass er dem Dichter nur erlaubte, sie im wudūʾ vorzutragen64 – dem Zustand ritueller Reinheit, der später für das islamische Gebet als unerlässlich galt. Eine andere Geschichte des Lachmidenhofs ist weniger glaubwürdig, macht aber dennoch anschaulich, wie eng miteinander verwoben die Geschichte der Dichtung und die Geschichte der Schrift in alHīra waren. Al-Nuʿmān III. „befahl, dass die Dichtung der Araber für ihn in Bänden niedergeschrieben werde. Er ließ sie anschließend in seinem Weißen Palast begraben“. Etwa ein Jahrhundert später wurde einem frühen muslimischen Gouverneur des Gebiets gesagt, dass unter dem Palast ein Schatz begraben lag, also ließ er den Ort ausgraben und förderte die Gedichte zu Tage. Das ist der Grund, weshalb die Einwohner von al-Kūfa mehr über Dichtung wissen als die von al-Basra.65 Es stimmt zwar, dass die aus Kufa stammende Quelle dieser Erzählung mehr als einmal dabei erwischt wurde, Fälschungen im Stil Chattertons66 zu produzieren, um die Einwohner von al-Basra zu verunglimpfen, die großen Rivalen der Einwohner von al-Kūfa. Dennoch zeigt die Erzählung, dass spätere Araber die Poesie als den größten Schatz ihrer vorislamischen Vorfahren betrachteten. Sie ist das Gold in der Abraumhalde der Sprache.
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Die innere Identität Hocharabisch, „Königsarabisch“, wird hin und wieder nach dem griechischen Modell als „poetische Koine“, als Literatursprache einer großen Region, bezeichnet. Rasch entwickelte sich nebenher gewissermaßen eine ethnische Koine. Wenn, wie bereits vorgeschlagen, die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ʿarab die „eines gemischten Volkes“ von unterschiedlicher Herkunft ist,67 dann kann eine Sprache, die sowohl von ihnen geteilt als auch nach ihnen benannt wurde – ʿarabiyya – die ʿasabiyya, das Gefühl der Gruppensolidarität, nur verstärken. Anders ausgedrückt: Das Einen der Wörter – eine einheitliche Sprache – war ein wichtiger Beitrag zum Einen des Wortes – einer vereinten politischen Stimme. In der Dichtung des letzten vorislamischen Jahrhunderts erhob sich diese Stimme gegen die Stimmen anderer. Araber waren bereits dabei, eine eigene Identität zu bilden. Der nächste Schritt war es, diese Identität mit der Errichtung einer Grenze zu stärken. Das komplementäre Paar ʿarabiyya-ʿasabiyya wurde so mit einem Paar von gegensätzlichen Begriffen abgesichert: ʿarab/ ʿadscham, Araber/Nichtaraber. Der zweite Begriff ist eng mit aʿdscham verwandt, was „unfähig, korrekt zu sprechen“ bedeutet, weshalb sich das Paar mit arya/mleccha, griechisch/barbarisch und so weiter vergleichen lässt. Diese Art von linguistischem „Nationalismus“ unterscheidet sich vom ausgewachsenen territorial-linguistischem Nationalismus, der sich seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet hat,68 aber viel fehlt nicht. Und der Gegensatz in ʿarab/ ʿadscham bezeichnet sogar noch mehr: Beim marokkanischen Literaturwissenschaftler Mohammed al-Jabri ist nachzulesen: „Araber lieben ihre Sprache so sehr, dass sie sie nahezu als heilig betrachten. Sie sehen die Faszination dieser Sprache, der sie unterliegen, nicht nur als Ausdruck der Macht der Sprache, sondern auch ihrer eigenen Macht.“ Wie alle anderen Menschen auch, so fährt al-Jabri fort, sind Araber sprechende Tiere. Im Unterschied zu allen anderen Menschen jedoch betrachten sie sich als die einzigen wahrhaft „wohlberedten Tiere“. Da alle anderen ihnen an Sprachgewandtheit unterlegen seien, seien sie auch weniger mächtig und gewissermaßen weniger Mensch als sie selbst.69 Diese Argumentationskette mag nicht unbedingt logisch erscheinen. Wenn man aber wie das Volk von Tarīfa, der Seherin von Maʾrib, davon ausgeht, dass die Wahrheit in den Lauten und der syntaktischen Schlüssigkeit liegt, nicht in der Bedeutung des logos, des Wortes, ergibt sie durchaus Sinn. Auf Arabisch zu denken, so Ibn Chaldūn, ist eine Frage der göttlichen Inspiration, nicht eine der Logik. Nichtmuttersprachler sind deshalb im Nachteil, wenn es um die Gedankenprozesse von Arabern geht.70 Der Philosoph Abū Hayyān al-Tawhīdī aus dem 10. Jahrhundert n. Chr.
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brachte es auf den Punkt: „Syntax“, die Art und Weise, in der Wörter zusammen einen Sinn bilden, „ist die Logik der Araber. Logik ist die Syntax der Vernunft“.71 Andererseits erklärte der libanesische Sprachwissenschaftler ʿAbd Allāh al-Alaylī: „Ich denke arabisch, also bin ich Araber.“72 Ein deutlich trivialeres letztes Beispiel: „Bei Gott, ich bin Araber!“ schrie ein weniger philosophisch angehauchter Mensch, dessen Arabertum infrage gestellt wurde. „Ich habe keine Socken zu stopfen“, fuhr er in Anspielung auf die socken- und hosentragenden ʿadscham par excellence, die Perser, fort. „Ich trage keine Kniehosen, und fremdes Gebrabbel nehme ich auch nicht in den Mund!“73 (Old-School-Araber betrachteten das Tragen von Hosen als ein Zeichen von Verweichlichung und trugen wie die wilderen Schotten unter ihren Kilts nur den nackten Hintern.) Nicht nur sind anderer Leute Sprachen also weniger mannhaft, sie sind auch weniger sinnhaft. Wem all das nach sprachlicher „Herrenrasse“ riecht, der hat womöglich die richtige Nase. Je mehr Kontakt Araber zu brabbelnden Fremden hatten – besonders zu Persern am Klientelhof von al-Hīra –, desto stärker setzten sie in Opposition zu ihnen die eigene Identität durch. Das Prinzip Identität-durch-Antagonismus verstärkte sich im Laufe des 6. Jahrhunderts, als die Perser selbst gleich an mehreren militärischen Fronten immer durchsetzungsfähiger wurden: gegen die Byzantiner im nördlichen Fruchtbaren Halbmond, im Norden und Osten der Halbinsel und, wie wir sehen werden, selbst in jenem anderen Fruchtbaren Halbmond, dem fernen Südwesten der Halbinsel. Als brabbelnde, hosentragende Perser ihre „Insel“ umzingelten, wurde der Antagonismus zu einem weiteren wichtigen Merkmal des Araberseins. Bis dahin waren es die benachbarten Reiche, die Arabertum definiert – und unausweichlich die arabische Identität geformt – hatten, indem sie „Könige der Araber“ ernannt oder im Amt bestätigt hatten. Jene halbsesshaften Satellitenkönige wiederum, die Ghassaniden und Lachmiden, zogen nomadische Stämme in ihre eigene Umlaufbahn. Die Anfänge größerer politischer Einheiten waren gemacht: große Blöcke wie die Allianzen von Rabīʿa und Mudar, die aus mehreren Stämmen bestanden und lose mit den Byzantinern oder Persern verbündet waren.74 Gegen Ende des 5. Jahrhunderts hatte auch der dritte „Löwe“, das nun kränkelnde Himyarenreich im Süden, kurz vor Toresschluss genügend Energie gesammelt, um eine Expansion zu wagen und seinen eigenen neuen „König der Araber“ zu ernennen.75 Der Druck der drei benachbarten Mächte zwang Araber also in immer enger vereinte Blöcke, aber der Prozess verlief in zwei Richtungen: Arabische Solidarität wurde nicht nur von außen geformt, sondern entstand als eine Art Reflex, wie in einer Gussform, die aus den Nachbarn gebildet wurde. Wie bei den Zim-
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mern der Künstlerin Rachel Whiteread, in denen leerer Innenraum plötzlich Form annimmt und sichtbar wird, gewannen die lange übersehenen Völker von den Rändern und der scheinbaren Leere innendrin nach und nach an Identität und Sichtbarkeit. Die Metapher der vereinenden Gussform findet sich bei alDschāhiz: Als die ʿarab eins wurden, wurden sie gleich in Bezug auf Behausung, Sprache, Eigenschaften, Ziele, Stolz, Gewalt und Veranlagung. Sie wurden in einer Gussform geformt und in einem Guss gegossen.76 Das Gießen war kein plötzlicher Vorgang. Die Zementierung der Gesellschaft verlief vielmehr in einem Prozess, der Jahrhunderte in Anspruch nahm. Er begann an den Rändern, wo Araber Kontakt zu Nichtarabern hatten, und arbeitete sich nach innen vor. Damit die Identität schließlich gänzlich hervortreten konnte, musste die umschließende Form – jene umliegenden Imperien – zunächst zerschmettert werden. Das dauerte nicht lange: Die vereinheitlichte Hochsprache beflügelte eine neue Rhetorik, die wiederum mit der Zeit zur treibenden Kraft hinter der größten Diaspora der Geschichte und dem längsten Kreislauf von Einheit und Uneinigkeit der arabischen Geschichte wurde – dem des Islam. Für die Dauer von ein paar glorreichen Jahrhunderten zu Anfang dieses Kreislaufs brüteten Araber, die lange von anderer Völker Imperien in der Gegend herumgeschubst worden waren, ihr eigenes Imperium aus. Die Grammatik ihrer Geschichte verlief zusehends und unaufhaltsam im Modus des Aktivs, Großbuchstaben und der bestimmte Artikel traten hinzu. Eine Zeitlang waren Araber wirklich „die Araber“. Doch die Jahre vor dem Ausbrechen aus der Gussform waren eine Zeit besonderer Unruhe: Die Materie in der Form Arabiens entzündete sich wie in einem Verbrennungsmotor.
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Kapitel 4 An der Schwelle zu wahrer Größe: Die Tage der Araber Ein Vorhang fällt – und hebt sich Im 6. Jahrhundert n. Chr. wurde Arabien unweigerlich mehr zu dem, was es heute ist – arabischer und weniger südarabisch. Von heute aus blicken wir auf Saba/Sheba und seine südarabischen Nachfolger – wie bereits der Verfasser des Buches Joel – wie auf „ein Volk in weiter Ferne“, nur, dass die zeitliche Distanz inzwischen noch größer geworden ist. Die Denkmäler der Sabäer mit ihren Stier- und Steinbockfriesen, den gehörnten Monden aus Alabaster, den fremden, eleganten Semaphoren ihrer Schrift – all das erscheint altertümlich und fremd. Im Kontrast dazu sind leichte Schwingungen der Fäden spürbar, die von diesem arabisierten 6. Jahrhundert bis in die heutige Zeit hinüberreichen: Wir folgen einem solchen Faden, wenn wir einen Stamm wie die Anaza von seiner jetzigen Heimat in der Grenzregion von Irak, Syrien und dem nördlichen Saudi-Arabien nach al-Haddar im Osten der Halbinsel zurückverfolgen, eine Gegend, die seine Vorfahren lange vor dem Aufkommen des Islam verließen und die ihre stubenhockerischen Cousins immer noch bewohnen.1 Und wir spüren mehr als nur Schwingungen. Wir hören unterschiedliche Stimmen, laut und deutlich. Der marokkanische Gelehrte Mohammed al-Jabri nennt den Dichter Imruʾ al-Qais aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. – nicht dessen früheren Namensvetter, den (wahrscheinlich) übergelaufenen König – als den ersten auf seiner Liste großer Araber, „von denen wir spüren, dass sie immer noch bei uns leben oder vor uns stehen … auf der Bühne der arabischen Kultur, einer Bühne, auf der der Vorhang nie gefallen ist“.2 Wir werden auf Imruʾ al-Qais – den Dichter und gescheiterten Einiger von Stämmen – noch zurückkommen. Im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts fiel der Vorhang nach diesem früheren, südarabischen Akt. Der Akt endete damit, dass der Himyarenkönig Yūsuf Asʿar offiziell das Judentum annahm und Nichtjuden verfolgte. Seine Gründe waren wohl weniger religiöser als vielmehr politischer Natur, denn er war ein Gegner des Königreichs von Aksum. Um das Jahr 518 soll er in Nadschrān viele Christen niedergemetzelt haben,3 ein Ereignis, das sogar im Koran als Brandopfer erwähnt wird.4 Dem christlichen Königreich von Aksum in Äthiopien, das bereits in der Vergangenheit versucht hatte, in Südarabien militärisch zu intervenieren und in neuerer Zeit äthiopische Handelsenklaven in diesem Raum unterstützte, lieferte der Vorfall in Nadschrān den Vorwand für einen vollständigen Einmarsch.
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Aber es gab noch weitere, ältere Gründe für den südarabischen Niedergang. Während der vorangegangenen beiden Jahrhunderte hatten die Überfälle von ʿarab-Stämmen auf sesshafte Völker zugenommen;5 gleichzeitig verließen sich die Herrscher von Zentralstaaten für ihren Schutz immer mehr auf ʿarabSöldner.6 Diese badw-Stämme aber brachten das Fass zum Überlaufen und der bisher sesshafte Süden wurde immer unruhiger und immer beduinischer. Die Äthiopier wussten, dass dieses Mal der Widerstand gegen sie – anders als zu den Zeiten, als der alte sabäisch-himyarische Staat noch mächtig war – weitaus weniger gut koordiniert sein würde. Die Südaraber scheinen einen letzten Versuch unternommen zu haben, sich zu organisieren: Eine späte himyarische Inschrift prahlt beispielsweise mit der weiterhin „untrennbaren Verbindung“ der Paläste von Silhin und Dhū Raidān, Symbole des alten sabäischen Staates und des neueren von Himyar, vereinigt in einem Königreich.7 Doch in Wahrheit herrschte Uneinigkeit. Yūsuf Asʾar war durch einen Putsch an die Macht gekommen, was nie eine gute Voraussetzung für Stabilität ist, und das Königreich von Saba, Dhū Raidān, Hadramaut, Yamanāt sowie der Araber im Hochland und in der Küstenebene, brach auseinander. Im Jahr 525 soll König Yūsuf sein Pferd ins Rote Meer getrieben haben, über das seine Eroberer gekommen waren, und in den Wellen verschwunden sein.8 Die Äthiopier installierten zunächst einen folgsamen christlichen Herrscher, einen Himyaren, doch dieser wurde bald durch den äthiopischen General Abraha ersetzt. Mit der Zeit nahm Abraha, von seinem aksumitischen Meister getrennt durch den Graben des Roten Meeres und einen Festungswall von arabischen Bergen, die alten Königstitel des sabäisch-himyarischen Reiches an und startete seine eigenen Expeditionen in den Norden. Eine davon wird in einer sabäischen Inschrift erwähnt, die als Datum das Jahr 552 nennt.9 Es könnte sich um genau jene Expedition handeln, derer nicht in lakonischem Sabäisch, sondern im packenden „Kapitel des Elefanten“ im Koran gedacht wird, das erzählt, wie Scharen von göttlich geleiteten, mit Steinen bewaffneten Vögeln im Sturzflug einen Angriff zurückschlagen, den die Äthiopier samt Kriegselefanten auf die Mekkaner durchführen.10 Falls es sich in der sabäischen Fassung um denselben Feldzug handelt, werden diese Details dort jedenfalls ausgelassen. Das „Jahr des Elefanten“ könnte aber auch während eines anderen äthiopischen Feldzugs stattgefunden haben und wird in der Tat allgemein auf das Jahr 570 datiert. Doch wenn – wie die Tradition will – Abraha selbst ihn angeführt hat, muss er zu diesem Zeitpunkt bereits ein sehr alter Mann gewesen sein. Das alles wäre zu vernachlässigen, wäre nicht angeblich Mohammed in dem Jahre geboren, in dem der Angriff mit den Elefanten stattgefunden hat. Und es wäre schön zu wissen, wann genau das war.
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Die Himyaren waren noch Meister im Datieren. Später, in islamischer Zeit, kommt der Einordnung von vorislamischen Ereignissen dann die Präzision abhanden, um es freundlich auszudrücken: Sogar der überwiegend zuverlässige al-Masʿūdī sagt beispielsweise von König Yūsuf Asʾar (der immerhin im selben Jahrhundert wie der Prophet Mohammed lebte): „Er regierte 260 Jahre lang oder, wie man auch sagt, etwas kürzer …“11 Als der Vorhang für den alten Süden fiel, schien es, als wäre der ganze tausendjährige Akt des Dramas auf der Arabischen Halbinsel bloß ein Traum gewesen.
Golfe trennen sie Der Löwe im Süden, das alte himyarisch-sabäische Reich, war tot. Im Laufe des 6. Jahrhunderts ließ auch die Lebenskraft des byzantinischen und des persischen Reiches nach und ihre Unterstützung für die arabischen Klientelkönige im Norden schwand. Im Südwesten ergab sich hingegen eine einmalige Gelegenheit für den sassanidischen Schah. Kurz nach dem Jahr, in dem der Angriff mit den Elefanten stattgefunden hatte, trat Saif ibn Dhī Yazān, ein himyarischer Aristokrat, über seine lachmidischen Vasallen an den Schah heran, um sich über die äthiopische Tyrannei zu beschweren. Der Schah entsandte eine Kriegsflotte, die der Legende nach aus verurteilten Verbrechern bestand (was nicht schwer vorstellbar ist: die Marine sollte ja dafür bekannt bleiben, Sträflinge zwangszuverpflichten). Der nun unabhängige äthiopische König der alten himyarischen Gebiete, Abrahas Sohn, wurde pflichtgemäß besiegt und Saif an seiner Stelle als Herrscher mit Tributpflicht gegenüber den Persern angestellt. Als kurz darauf Saif einem Mord zum Opfer fiel, wahrscheinlich von äthiopischer Hand, wurde ein persischer Vizekönig ernannt – was die Sassaniden, die sich seit Anbeginn ihrer Dynastie gründlich in den arabischen Subkontinent eingemischt hatten, zweifellos schon von vornherein beabsichtigt hatten. Vielleicht hatte sie die fast mühelose Übernahme des südlichen Fruchtbaren Halbmonds (oder wenigstens dessen Ortschaften) beflügelt; jedenfalls begannen sie nun auch begierig auf dessen Gegenstück im Norden zu schauen. Dass sie dabei ihren Blick von der Halbinsel abwandten, sollte ihren Untergang besiegeln. Es ist unmöglich zu beurteilen, inwiefern durch die sassanidische Machtübernahme im Süden das Bewusstsein einer Kluft zwischen ʿarab und ʿadscham und genauer zwischen Arabern und Persern verstärkt wurde – und inwiefern diese Kluft zum Gefühl einer arabischen Identität, einer ethnischen Einheit beitrug, die die gesamte Halbinsel umfasste. Doch sicher ist, dass ein solches Bewusstsein an der wichtigsten Schnittfläche zwischen Arabern und Persern im Nordosten schnell gewachsen war. Dort hatten drei Jahrhunderte politischer
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Verbindung wenig für die Beziehungen zwischen den Ethnien getan: Als der sassanidische Schah seinen Klientelkönig von al-Hīra, al-Nuʿmān III., bat, dessen Schwester heiraten zu dürfen, soll al-Nuʿmān gesagt haben: „Reicht ihm das Vieh von al-Sawād nicht? Möchte er jetzt auch noch arabische Frauen haben?“ Allein der Gedanke, ein Perser könnte eine Araberin zur Frau nehmen, war ein „widerwärtiger Gräuel“,12 fügte er hinzu (selbstverständlich war aus alNuʿmāns patrilinearer Sicht der umgekehrte Fall vollkommen zulässig). Al-Nuʿmāns Erwiderung gehört in das schummrige Reich zwischen Geschichte und Mythos. Deutlich ist dennoch, dass das Motiv „Araber gegen Perser“ in Variationen durch die ganze Geschichte hindurch lebendig blieb: Stämme gegen Reiche, Scheichs gegen Schahs, arabischer Kulturreaktionismus gegen persische Kulturerweckung, Sunniten gegen Schiiten, Irak gegen Iran, und jetzt, vor meiner Haustür, zumindest zum Teil (oder zumindest in den Köpfen und der Rhetorik beider Seiten) ein Stellvertreterkrieg zwischen Riad und Teheran. Arabien und Persien mögen sich an der Straße von Hormus fast schon berühren, es trennt sie aber ein Abgrund von altertümlichen Antagonismen, älter als der Islam und tiefer als der Persische Golf … oder ist es der Arabische Golf? Es kommt darauf an, auf welcher Seite man steht. In späterer Zeit, als das Abbasiden-Kalifat von persischen Kriegsherren dominiert wurde, sagte al-Mutanabbī, der arabischste und berühmteste aller Dichter: Das Glück eines Volkes spiegelt das ihrer Könige – und nie werden Araber glücklich, wenn ihre Könige Perser sind.13 Es gibt sogar die Theorie, auf die wir noch zurückkommen werden, dass der ursprüngliche Islamische Staat in Medina die arabische Antwort auf die wachsende persische Präsenz in Arabien war.14 Obwohl es unmöglich ist, objektiv zu messen, inwiefern die persische Präsenz das wachsende Gefühl von Arabertum verstärkte, besteht doch kein Zweifel daran, dass die doppelte Destabilisierung des Südens, zunächst durch Äthiopier und dann, dicht auf ihren Fersen, durch Perser, den Elementen der badw – oder ʿarab – in der Gesellschaft mehr Macht verlieh. Spätere Abenteurer im Süden der Halbinsel, wie die Osmanen und die Briten (und wie die Amerikaner im Irak) sollten herausfinden, dass man durchaus in die Ortschaften hineinspazieren und sie regieren kann, dass aber das Gesetz des Außenseiters nicht weit in die oft undurchdringbare Landschaft hineinreicht. Das unwegsame ländliche Hinterland des Südens war schon lange von ʿarab infiltriert. Nun brachen mit der wiederholten ausländischen Einmischung die alten Institutionen der sesshaften Gebiete zusammen und das empfindliche Gewebe der Beziehungen
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zwischen hadar und badw, Stadt und Land – immer eine Frage des Vertrauens, nicht des Vertrages – wurde allmählich auseinandergerissen. Das alles stärkte die Macht der ʿarab und ihrer Anführer, Persönlichkeiten, deren Legitimierung vor allem auf ihrer Beherrschung nicht von Institutionen, sondern von Rhetorik beruhte.
Wälle und Waffen aus Worten Die damalige Bedeutung der Rhetorik ist heute nur schwer nachvollziehbar. In einem unruhigen Jahrhundert wie dem 6., da das Kräfteverhältnis sich von sesshaften Gesellschaften zu ʿarab-Stämmen verschob, waren Worte nicht nur das am einfachsten transportierbare Kulturprodukt; sie dienten auch als Schutzwälle und Angriffswaffen. Politisch wurden Stämme von den eloquentesten älteren Männern (oder manchmal Frauen) angeführt, die „die Stimme der Menschen einten“. Militärischen Zusammenstößen von Stämmen gingen Dichterwettstreite, gereimtes Gerangel, voran und ihr Ende wurde von den Siegern anschließend in Oden festgehalten. Drei Titel tauchen unter den Redner-Anführern immer wieder auf: saiyid, „Anführer, Herr“, chatīb, „Sprecher“ und schāʿir, „Dichter“. Diese Aufgaben konnten zusammengehen und waren oft in ein und derselben Person vereint. Ein saiyid kam meist aus einer Familie, die über besondere vererbte „Ehre“ verfügte, doch Herrschaft beruhte letzten Endes auf Persönlichkeit und Heldenmut – wie auch ganz erheblich auf Redegewandtheit, die in Prosa oder Poesie oder beidem zum Ausdruck kommen konnte. Ein saiyid war somit Schwertkämpfer und Wortkämpfer, Warlord und Wortlord – mit einem Hauch der alten schamanistischen Magie des bayān, des „Entschleierns von Bedeutung“ durch den Zauberer. In einem Stamm, der über eine Erblinie von chatībs verfügte, kombinierten diese ihre Rolle oft mit der von Stammesgenealogen und Historikern,15 in etwa wie die europäischen Herolde oder – wohl näher dran – wie die Griots in Westafrika. Was die reine Rhetorik anbelangt, so war die Rolle des Dichters historisch gesehen die wichtigste, doch sie verlor an Ansehen, als Dichter in das Geschäft der Lobpreisung von Königen und deren Nachahmer gegen Bares einstiegen.16 Allein die Kriegsdichtung verlor im Laufe der Zeit kaum etwas von ihrer magischen Kraft. Es war die Kraft eines übernatürlich inspirierten Fluches.17 Um den Fluch aufzuhalten, wurden gefangengenommene Dichter zum Schweigen gebracht, indem man ihnen mit einem Riemen die Zunge schnürte, selbst während sie abgeschlachtet wurden.18 (Feindliche Redner wurden auch bestraft, indem man ihnen die unteren Vorderzähne ausschlug und damit ihre Aussprache ruinierte).19 Diese Macht der Magie überlebte bis in das Zeitalter der Prophetie:
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Der Prophet Mohammed selbst gab zu, dass die Spitzen seiner Dichter „[für die Ungläubigen] tödlicher sind als eine Salve von Pfeilen im Dunkel der Nacht“.20 Und die Macht ist weiterhin mit uns: „Wir haben ihm die Hand abgehackt“, verkündete der Herrscher von Dubai unlängst über den vom Iran unterstützten Huthi-Anführer, dessen Parolen auf Bannern unter meinem Fenster wehen, und er hat der Niederlage ins Auge geblickt: seine Armee wurde im Geklirre zerschmettert – und, mit einer zusätzlichen Spitze gegen seine Hintermänner in Teheran (personifiziert in dem Namen „Chosrau“, den die besiegten vorislamischen Perserkönige erhielten), der Rückzug hat Chosraus Kampfbanner zusammengerollt!21 Die Behauptung war etwas voreilig: Die Banner flattern immer noch. In der Aristokratie der Rhetorik nahmen kāhins wie Tarīfa, die Anführerin der legendären Diaspora aus Maʾrib, ebenfalls einen wichtigen Platz ein. Der Titel – und die Funktion – sind mit denen des alten hebräischen kōhēn verwandt.22 Ihre Fähigkeit, vorauszusagen, was andere nicht wahrnehmen können, rührte, wie al-Masʿūdī meinte, von ihrer Gewohnheit, alleine an wilden Orten zu verweilen, viel Zeit in Einkehr zu verbringen und die Welt mit „dem Auge der Erleuchtung“ zu betrachten. Außerdem, sagt al-Masʿūdī, waren viele von ihnen körperlich entstellt und machten mit ihrem Geist wett, was ihrem Körper fehlte: Der gefeierte legendäre kāhin Satīh zum Beispiel hatte angeblich keine Knochen im Körper und konnte „wie ein Umhang zusammengerollt“ werden.23 Ihre gereimte und gehobene übernatürliche Sprache taucht, wie wir sehen werden, in den frühesten Offenbarungen des Koran wieder auf. Wie Ibn Chaldūn erklärt, unterscheidet sich jedoch die Wahrheit des kāhin von der des Propheten: Propheten sind in direktem Kontakt mit der Engelssphäre der Wahrheit; kāhins hingegen „durch teuflische Mächte“ inspiriert, weswegen ihre Wahrheit von Lüge durchdrungen ist.24 Ein bedeutsamer Unterschied, den die weit überwiegende Mehrheit der Menschen kaum wahrzunehmen vermag. Die Überzeugungskraft und Führungsqualität von Sehern und Propheten beruht letztlich nicht auf dem Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen, sondern auf ihrem rhetorischen Talent – nicht auf dem Was, sondern auf dem Wie dessen, was sie sagen. Mit dem Zusammenbruch der zentralen Institutionen ging vermutlich im sesshaften alten Süden ein Anstieg von Redner-Anführern einher. Im Verlauf des Auflösungsprozesses und der anschließenden Auflehnung gegen Fremd-
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herrschaft im 6. Jahrhundert bürgert sich für regionale Machthaber und Kriegsherren allmählich der Titel qwl ein. Er könnte auf ihre „das Wort einende“ Rolle hinweisen25 – im Arabischen hat die Wurzel qwl mit Sprechen zu tun (beispielsweise in qaul, „Rede“, qawwāl, „Sprecher, Redner“). Sicher ist: Je stärker die qwls, desto schwächer die Zentralregierung, und als sie sich ausbreiteten und um immer geringere Mengen verfügbarer Macht stritten, nahmen ihre eigenen Überfälle und Plünderungen zu.26 Die Rhetorik aller dieser Redner-Anführer einte die Stimme von Stämmen oder Völkern. Sie gebar ʿasabiyya, den Geist der Solidarität, und entfachte die Revolutionen des Feuerrads.
Die Anstifter Bei all diesen laut miteinander konkurrierenden Stimmen ist es nicht verwunderlich, dass das 6. Jahrhundert n. Chr. ein Zeitalter vieler „Tage“ war – der sogenannten Tage der Araber. Diese Schlachttage entstanden manchmal, wenn ein organisierter Überfall außer Kontrolle geriet; öfter hatten sie ihren Ursprung in kleinen Auseinandersetzungen über Weideland, in angeblicher Beleidigung oder ähnlichen Anlässen, die dann in Gewaltanwendung ausarteten. Doch ob es sich nun um kurze Geplänkel oder totalen Krieg handelte, immer waren sie einer Art von ritterlichem Verhaltenskodex unterworfen. Am Ende intervenierte eine neutrale Instanz und die Parteien schlossen Frieden oder einigten sich zumindest auf Reparationen: Die Anzahl der Gefallenen wurde ermittelt und der Seite Blutgeld entrichtet, die die meisten Opfer zu beklagen hatte. Manchmal war der finanzielle Verlust enorm, wie bei den Reparationszahlungen nach einem Krieg zwischen den Stämmen Abs und Dhubyān – 3000 Kamele für drei Jahre Kriegshandlungen.27 Der archetypische Zusammenstoß dieser Epoche war der Krieg von al-Basūs, der zwei „Bruderstämme“ gegeneinander aufbrachte – Taghlib und Bakr, deren Herrschaftsgebiete im Nordosten der Halbinsel sich bis nach Südirak und in die Syrische Wüste erstreckten und an die der Lachmidenkönige angrenzten. Beide Stämme beriefen sich auf denselben Urahn, Wāʾil. Der Konflikt hatte seinen Anfang vermutlich in den 490er-Jahren n. Chr., währte 40 Jahre und wurde von einem Ereignis nicht gerade welterschütternden Ausmaßes ausgelöst: Erschüttert wurden vielmehr Lercheneier in einem Nest in einer himā, einem Stück Privatweidegrund, auf den Kulaib, der Anführer der Taghlib, das Monopol innehatte. Als Verursacherin der Erschütterung machte dieser Kulaib eine ungeschickte Kamelstute namens Sarāb („Luftspiegelung“28) aus, die Eigentum eines Mitglieds des Bakr-Stammes war. Kulaib, der mit einer Frau der Bakr verheiratet war, bezichtigte nun ihren Bruder, die Kamelstute auf sein Weideland gelassen
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zu haben. Es entspann sich ein Wortwechsel, nicht mehr – bis sich eines schönen Tages die verdächtigte Kamelstute, hinter Kulaibs Kamelen an der Tränke anstehend, losriss und vordrängelte. Kulaib, den dieser Regelbruch aufs Äußerste erzürnte, griff kurzentschlossen zu seinem Bogen und schoss ihr in den Euter. Die Tante seines Schwagers, al-Basūs, nicht weniger erzürnt über diese an die Adresse des Kamelbesitzers, ihres Schützlings, gerichtete Beleidigung, riss sich daraufhin entrüstet das Kopftuch vom Haupt und feuerte ein paar Verse ab. Diese wurden als „die Anstifter“ bekannt und schließen wie folgt: Doch nun lebe ich unter solchen Leuten: wenn der Wolf kommt, sind es meine Schafe, die er reißt!29 Ab hier nimmt der Plot dieser altertümlichen Seifenoper eine hässliche Wendung: Kulaib wurde von al-Basūsʼ Neffe, Dschassās, getötet und zwischen den Bruderstämmen entbrannte ein totaler Krieg. Die Vorhut dieses Kriegs bestand zwar „nur“ aus Worten, verursachte dafür aber umso mehr Opfer: Ein stolzer Dichter nach dem anderen tat sich mit Oden hervor, um den Konflikt anzuheizen, und die Tage und Opferzahlen mehrten sich. Wer nun meint, die Macht der Dichtung anzweifeln zu können, sollte bedenken: Der Krieg von al-Basūs ist weder nach Kulaib noch seinem Mörder benannt, sondern nach der alten Dame, die ihn mit ihren Versen entfachte. Frauen waren nicht die Geringsten unter den Kriegern: Sie rissen ihre Kopftücher ab, entblößten ihre Häupter zum Kampf und schwangen Wörter: „Krieg! Krieg! Krieg! Krieg!“ schrie eine, Er ist aufgeflammt und hat uns verbrannt. Das Hochland ist gefüllt mit seinem Gebrüll!30 Nur die völlige Erschöpfung der Kombattanten und das Eingreifen des Lachmidenkönigs setzten dem Gebrüll nach 40 Jahren ein Ende.31 Der große ägyptische Schriftsteller Taha Hussein meinte, vieles im Bericht über diesen Krieg sei eine Projektion von Auseinandersetzungen aus islamischer Zeit.32 Ob er damit nun richtig liegt oder nicht, der Krieg von al-Basūs und vergleichbare Konflikte (wie der Krieg von Dāhis, der von einem angeblichem Betrug bei einem Pferderennen ausgelöst wurde)33 spiegeln die chronische gesellschaftliche Brüchigkeit und Uneinigkeit wider, von denen das Jahrhundert vor dem Islam heimgesucht wurde. Das zweite Miniaturepos des vorislamischen Arabertums deckt außerdem die destruktive Kehrseite der Di aspora vom Maʾrib-Damm auf: Sesshafte Völker sahen sich nach neuen Weidegründen um – und brachten einander dann im Kampf um das Weiderecht um.
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Der Vater von Kulaibs Mörder Dschassās erkannte, wie schwer die Tat seines Sohnes wog: „Du hast die Einheit deines Volkes gebrochen … Bei Allah, der Stamm von Wāʾil wird nie wieder eins sein, nicht nach dem, was du getan hast.“34 Im Grunde hat der Krieg von al-Basūs immer noch kein Ende genommen, obwohl er ein wirklich abschreckendes Beispiel gesetzt hat. Stattdessen ist er zum Vorboten einer sich als nahezu endlos herausstellenden Uneinigkeit geworden, die sich heute, 1500 Jahre später, als eine Abfolge von Déjà-vus darstellt. Damals riss sich al-Basūs aus Protest ihr Kopftuch vom Haupt. Das tun die Frauen heute noch immer, oder sie verbrennen es. Kulaib (dessen Name „Hündchen“ bedeutet) ist das Modell des erfolgreichen und geliebten Anführers, des „wohlmeinenden Diktators“, der Realitätsverlust erleidet und sich unweigerlich (man muss nur lange genug warten) als böswillig entpuppt. Mehr als einmal habe ich meine Freunde kopfschüttelnd über die Vendetta, die der hiesige und heutige einstmals „wohlmeinende“ Diktator gegen die Eindringlinge in seine Weidegründe führt, sagen hören: „Schon wieder der verdammte Krieg von al-Basūs.“
Der wandernde König Wie der „Vaterstamm“ Wāʾil sich in die gegnerischen „Bruderstämme“ Taghlib und Bakr aufspaltete, entzweiten sich auch andere Gruppen, deren Ursprung zumindest der Vorstellung nach eine Einheit war. Dieses Phänomen gilt nicht nur für Beduinenstämme: Bei dem Historiker und Geografen al-Hamdānī ist eine lange Liste von Ortschaften nachzuschlagen, die in zwei gegnerische Faktionen zerfallen sind.35 Die Tendenz zur Spaltung bringt ein weiteres, sich im Laufe der Jahrhunderte wiederholendes Szenario hervor: Stämme oder andere Parteien mit einem zumindest imaginierten gemeinsamen Ursprung zerstreiten sich; sie holen einen Anführer von außerhalb ihres eigenen Kreises – oder bekommen diesen zugewiesen; dieser neue Anführer führt eine neue Einheit herbei. Man wird des harmonischen Zusammenlebens schnell müde, feuert den neuen Anführer und zieht sich wieder in die jeweiligen Ursprungslager zurück. Noch unglücklicher endet es, wenn die Nachfolger des neuen Anführers anfangen, sich untereinander zu bekämpfen. Das bekannteste Beispiel dafür im langen 6. Jahrhundert ist das der Kinda und deren Beziehungen mit den Stämmen des Zentrums und Nordens der Halbinsel. Der Ursprung der Kinda liegt wahrscheinlich in Zentralarabien, wo der Stamm, wie wir gesehen haben, von der alten Handelsstadt Qaryat Dhāt Kahl heraus Beziehungen mit dem sesshaften Süden pflegte. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts unterstützten die Herrscher von Himyar-Saba den Anführer
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der Kinda, Hudschr, als Klientelkönig über die zersplitternden Stämme des Nordens. Die Einheit, die Hudschr herbeiführte, endete mit seinem Tod, doch ab etwa dem Jahr 500 stellte sein Enkel, al-Hārith, die Herrschaft der Kinda über die Stämme wieder her und vertrieb sogar kurzzeitig den von den Persern unterstützten lachmidischen Klientelkönig von al-Hīra. Die Lachmiden erlangten jedoch ihr Königtum wieder und al-Hārith wurde ermordet. Ab diesem Zeitpunkt lief für al-Hāriths Familie alles schief: Vor seinem Tod hatte er seine fünf Söhne zu Herrschern über die fünf wichtigsten Stämme im Gebiet ernannt. Zwei dieser Söhne zogen nun mit der Unterstützung ihrer jeweiligen Stammesgenossen gegeneinander in den Krieg, während ein dritter Stamm sich auflehnte und den dritten Bruder tötete.36 Unnötig zu erwähnen, dass die Einheit der nördlichen Stämme damit wieder dahin war. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs gewinnt eine bemerkenswerte Figur Kontur. Die Nachricht von der Ermordung des dritten Bruders erreichte dessen verstoßenen, verlorenen Sohn, einen Schürzenjäger, der seine amourösen Abenteuer in Versen festhielt, in volltrunkenem Zustand, wie es vor dem islamischen Alkoholverbot besser nicht ging. „Heute kann ich nicht nüchtern sein“, soll er gelallt haben, „doch morgen höre ich mit dem Trinken auf. Heute wird getrunken, morgen folgen Taten.“ Zu den Taten kam es dann nicht, doch der Versuch, seinen ermordeten Vater zu rächen, bescherte der arabischen Geschichte ihren ersten buchstäblich tragischen Helden – den Dichterprinzen Imruʾ al-Qais. Einerseits ist sein Leben in solch dichten Nebel gehüllt, dass er seiner Legende nie entkommen wird. Anderseits steht er, wie Mohammed alJabri sagt, heute noch auf der Bühne, ein monologisierender Hamlet im Chaos des 6. Jahrhunderts. Damit klingt er fast nach einem modernen Mann, und das ist er gewissermaßen auch. Teils war er ein altmodischer schāʿir-saiyid, ein tribaler DichterLord mit altmodischem Namen (Imruʾ al-Qais bedeutet wahrscheinlich „Diener des [Himmelgottes] Qais“).37 Teils aber auch schon ein Dichter nach eigener Fasson, der Frauen liebte und besang, wie jene Dame mit einem „Brustbein, das wie ein Spiegel poliert ist“ … Und Haar, das nach hinten fallend den Rücken schmückt, tiefschwarz und schwer und verknotet wie die Fruchtbüschel der Palme hängt es herunter, die Zöpfe um ihren Scheitel hochgeflochten – ein Labyrinth von geraden und gewundenen Wegen, wo Haarnadeln herumirren …38
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Kalif Umar nennt Imruʾ al-Qais einen „Vorreiter der Dichter“. „Er grub sich zur Quelle der Dichtung hervor und ließ sie strömen.“39 Der Kalif bezieht sich damit nicht auf die verfluchenden, kämpferischen Barden des Altertums, sondern auf Dichter in unserem heutigen Verständnis. Doch Imruʾ al-Qaisʼ Dichterruhm lenkt auch von der Tatsache ab, dass er wohl „der letzte Herrscher des Staates war, der den letzten Versuch vor dem Islam unternahm, die arabischen Stämme der Halbinsel zu vereinen“.40 Mit dieser Aussage wird ihm vielleicht ein größerer Plan zugeschrieben, als er ihn je bewusst gefasst haben dürfte. Außer Frage steht jedoch, dass er in dem Versuch, die Macht wiederzuerlangen, um byzantinische Unterstützung warb. Das genaue Datum ist unbekannt, aber es war wenige Jahre, bevor der himyarische Aristokrat Saif ibn Dhī Yazan gegen die mit den Byzantinern verbündete äthiopische Besatzung seines Hoheitsgebiets persische Hilfe suchte und fand. Saif entdeckte zu seinem Leidwesen – in Form eines äthiopischen Dolches zwischen seinen Rippen und der anschließenden persischen Übernahme des Südens –, dass das „Große Spiel“ ein Spiel mit dem Feuer war. Imruʾ al-Qais erhielt die byzantinische Unterstützung nie und starb enttäuscht – angeblich an den Folgen eines vergifteten Gewands: Das war die Quittung dafür, dass er nicht nur um politische Hilfe aus Byzanz, sondern auch um eine byzantinische Prinzessin geworben hatte. Es ist nicht einfach, Erfundenes von Nichterfundenem zu unterscheiden (mangels konkreter Beweise kann man ja kaum von Fakten sprechen). Saif ibn Dhī Yazan, Möchtegernerneuerer der Blüte von Himyar, wurde zum Helden fantastischer Volksagen. Imruʾ al-Qais, Möchtegernerneuerer der Blüte der Kinda, Hättegernvereiner arabischer Stämme, wird heutzutage nahezu ausschließlich als literarischer Löwe wahrgenommen. In ihren politischen Bestrebungen hatten beide sich mit den Supermächten angelegt, den umherschleichenden imperialen Löwen, und beide waren mit ihnen in Konflikt geraten. Doch wo der Patriot und der Poet gescheitert waren, sollte ein Prophet bald erfolgreich sein – und eine neue Supermacht gründen, die durch und durch der Arabischen Halbinsel angehörte. Wie beim Krieg von al-Basūs glaubt Taha Hussein auch in diesem Fall, dass vieles aus der Biografie des Imruʾ al-Qais eine Projektion ist, namentlich von ʿAbd al-Rahmān ibn Mohammed ibn al-Aschʿath, einem vertriebenen Anführer aus islamischer Zeit, der den Wunsch hatte, seinen Vater zu rächen.41 Vielleicht liegt er auch mit dieser These richtig. Doch genauso wie der Krieg von al-Basūs die Gewaltausbrüche zwischen Stämmen in einem Ereignis zusammenfasst, so vereint auch Imruʾ al-Qais, der Dichterprinz, der als Ausgestoßener endete – der sogenannte Wandernde Kö-
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nig –, in einer Person die vielen Verwerfungen der ruhelosen vorislamischen Zeit. Er wandert von Ode zu Ode, von Frau zu Frau und vom Hadramaut nach Kleinasien nach Bahrain;42 ein Leben und ein Jahrhundert in Bewegung, auf der Suche nach dem Unerreichbaren. Habe ich nicht meine Reittiere erschöpft in jeder vom Wind verwehten Wüste mit weitem Horizont und glitzernden Luftspiegelungen?43
Die Grenzstürmer Der junge Imruʾ al-Qais, der Freigeist, der von seinem strengen Vater fortgejagt wurde, versammelte eine Schar von suʿlūks, „Räubern“ oder „Vagabunden“, um sich.44 Es ist lohnenswert, sich diese Gruppe einmal genauer anzuschauen. Viele von ihnen waren Dichter wie Imruʾ al-Qais selbst. Auch sie verkörpern ein ruheloses, zersplittertes Zeitalter und geben ein eindrucksvolles Zeugnis von der Individualität und Pluralität, die, zumindest theoretisch, der Kommunalismus und Monismus des Islam dann auslöschte. Es ist verlockend und unter modernen arabischen Intellektuellen beliebt, die „Vagabunden“ zu romantisieren, denn in zweifacher Hinsicht scheinen sie geradezu den Inbegriff der Freiheit zu symbolisieren, sowohl als Dichter – in der Dichtung, so schrieb Adonis, ist der arabische Geist frei von Ideologie45 – als auch als Ausgestoßene ihrer Stämme. Sie gehören zu den „auffälligsten arabischen Beispielen von Antinomismus im Dienste der Entdeckung der Wahrheit“ (das andere Beispiel ist Sufismus, die spirituelle Strömung im Islam).46 Und tatsächlich umgibt sie in ihrem Individualismus, ihren starken Gefühlen, ihrer Nähe zur Natur ein Hauch von Romantik, wenn sie auch eher die hartgesotten-zähe Variante des Tramps und Landstreichers darstellen. Auf die Gefahr hin, noch anachronistischer zu werden: der amerikanische Journalist Hunter S. Thompson mag an die suʿlūks gedacht haben, als er seinen Bewunderern riet: „Gehe aufrecht, sei cool, lerne Arabisch, liebe Musik und vergiss nie, dass du aus einer langen Linie von Wahrheitssuchern, Liebhabern und Kriegern kommst.“ Das Arabische, das die suʿlūks lernten, war die Hochsprache der Rhetorik und Dichtung. Die meisten Araber, die dieses hohe Register verwendeten, waren Worteiner, Sprachrohr und Anführer ihres Stammes. Die suʿlūks waren die Refuseniks, die als Ausgestoßene betrachtet wurden, weil sie Verbrechen gegen die Ehre und somit gegen die ʿasabiyya, die verbindliche Stammessolidarität, begangen hatten. Manche von ihnen waren extrem in ihrer Ablehnung der Norm. Als Taʾabbata Scharran, der Räuberdichter aus dem frühen 6. Jahrhundert, im Kampf getötet wurde, ritten seine Verwandte zu dem
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Platz, wo sein Körper lag, um ihn zum Begräbnis mitzunehmen. Als sie den Ort erreichten, fanden sie den Körper umringt von den Kadavern wilder Tiere, Raubvögel und Ungeziefer, die an seinem Fleisch genagt hatten.47 Sein ganzer Körper, so hieß es, war von der toxischen Diät von Vipern und Kolokynthe giftig geworden. Die berühmteste und wortgewandteste Ablehnung von Stammeswerten findet sich in der klangvollen Ode von Taʾabbata Scharrans Zeitgenossen al-Schanfarā, den Ersterer umschrieb als ein Sager von Worten stark und gesund, der an die entferntesten Grenzen prescht …48 Al-Schanfarās Ode beginnt wie folgt: Söhne meiner Mutter, erhebt die Brust eurer Reittiere! Denn ich wähle eine andere Begleitung als euch. … Ich habe nähere Verwandte als euch: schneller Wolf, glattfelliger Leopard, langhaariger Schakal …49 Er fährt in dem gleichen kräftigen Ton der Ablehnung fort. Der Arabist Gifford Palgrave schrieb im 19. Jahrhundert, das Gedicht stelle „den absoluten Individualismus eines Geistes, der seiner Zeit und allem um ihn herum trotzt“, dar.50 Viele suʿlūks lebten und raubten jedoch in Banden oder, wie wir im Fall des Urwa ibn al-Ward gesehen haben,51 versammelten benachteiligte Individuen von den Rändern der Stammesgesellschaft um sich und nahmen sie mit auf Raubzüge, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Sie lehnten den eigenen Stamm ab, bildeten aber häufig eigene alternative, nichttribale Gruppen. Wenn wir der Stimmung seiner Gedichte Glauben schenken dürfen, war Urwas alternative Gesellschaft auf sozialer Gerechtigkeit gegründet: All jene reichen Anführer können nie nur mit Reichtum regieren: Ihre Herrschaft beruht nur auf Taten. Wenn mein Freund genug hat, eifre ich nicht mit ihm in Reichtum, noch weise ich ihn zurück, wenn sein Schicksal sich wendet. Wenn ich reich bin, ist mein Gewinn der des Nachbarn, mein Glück ist seines, dafür bürge ich.
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Und wenn ich arm bin, wirst du mich nie die Gunst meines Bruders erbitten sehen – denn ich halte sie in der Hand, bevor ich fragen kann.52 Die suʿlūks bildeten die Ausnahme, die den arabischen Stammeskodex bestätigte – und waren insofern gewissermaßen Vorläufer der alternativen, nichttribalen und nach sozialer Gerechtigkeit strebenden Gemeinschaft, die der Prophet Mohammed bald gründen sollte. Allerdings wirklich nur gewissermaßen. Der absolute Individualismus der suʿlūks, ihr an Don Quichotte oder Walt Whitman erinnerndes Beharren auf dem, was meist als moderne Form von Selbstsein betrachtet wird, stand im Widerspruch zu dem letztendlich sowohl theologisch als auch politisch-totalitären Charakter jener kommenden Gesellschaft. Es widersprach darüber hinaus der Idee der sunna in ihrer islamischen Form – der Auffassung, dass es ein perfektes Individuum gibt, dem alle anderen nachzueifern haben. Im 6. Jahrhundert boten die suʿlūks aber noch eine Alternative zu Stammeskonventionen und religiösen Normen, soweit vorhanden. Sie waren die Seher und Vorsteher eines anthropozentrischen Universums. Wie Whitman sahen sie „Ewigkeit in Mann und Weib“.53
Politik und Poetik Das Jahrhundert vor dem Islam erscheint oft gigantisch: große Krieger, große Dichter, archaische Helden, die auf der riesigen Bühne des Subkontinents schreiten und streiten, in Kriegsgewalt und gewaltigen Versen aufeinandertreffen, spendable Schänder. Teilweise trügt der Schein, denn es handelte sich um Giganten im Wasserglas. In den heroischen Auseinandersetzungen drehte es sich meist um Kamele, und für die namenlose Mehrheit hinter den Kulissen war das Leben eine Frage des Überlebens: Wie finden wir das Stück Weideland, wo der erste Regen seit Jahren gefallen ist, wie bleiben Besitz und Töchter sicher vor aksumitischen oder sassanidischen Truppen, wie verhindern wir einen Überfall oder eine Schändung durch den Nachbarstamm, was können wir tun, um nicht unter großen Qualen zu sterben? Dennoch entbehrt das heroische Kriegsethos jener Zeit nicht einer gewissen Realität. Überfall (und der daraus resultierende Kampf) war eine Lebensweise, eine zentrale Wirtschaftsaktivität, und Dichtung, in der diese Lebensweise gefeiert wurde, hatte nichts von der Exklusivität und Besonderheit, die sie für uns heute angenommen hat. Die berühmteste Ode des Amr ibn Kulthūm (Großneffe des Kulaib, dessen Ermordung den Krieg von alBasūs ausgelöst hatte) „wurde vom Stamm der Taghlib so sehr bewundert, dass alle, ob groß oder klein, sie aus dem Gedächtnis rezitieren konnten“54 – eine
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b eeindruckende Leistung, wenn man bedenkt, dass das Gedicht mehr als 100 Verse zählt. Für Araber lag die Idee einer politischen Vereinigung jenseits ihrer kühnsten Vorstellungen. Aber poetisch wurden sie in diesem 6. Jahrhundert untrennbar vereint in einer kulturellen Koalition, die alle „Tage“, die unzähligen Kriege, die seitdem stattgefunden haben, überlebte. Es ist die Zeit, in der Imruʾ al-Qais die Frauen, denen er nachstellt, bereits als „Araberinnen“ bezeichnen kann. In diesem Sinne wird auch der Koran Mohammed als „Araber“ bezeichnen – nicht als einen durch sein Nomadentum definierten aʿrābī, der Mohammed ganz bestimmt nicht war –, sondern als Mitglied einer subkontinentalen Kultur, deren Mitglieder alle vereint waren durch dieselbe übergeordnete Hochsprache. Bei Weitem nicht alle konnten diese Sprache selbst verwenden oder gar in ihrer Komplexität vollkommen verstehen. Aber alle bewunderten sie, erstrebten sie als Ideal und antworteten auf sie. Es war diese gemeinsame Antwort, die sie zu Arabern machte. Heute noch verbindet diese gemeinsame Antwort Araber überall: Sie sind Teil ein und derselben vereinten Kulturnation, sie lieben ihre Sprache, selbst wenn sie es hassen, ihre Grammatik erlernen zu müssen. Politische Einheit ist nach wie vor undenkbar, wie T. E. Lawrence bereits zu Robert Graves sagte: „Nur ein Wahnsinniger kann sich arabische Einheit vorstellen – für dieses [20.] Jahrhundert oder auch für das nächste. Englischsprachige Einheit wäre eine passende Parallele.“55 Doch im Bereich der Rhetorik, ob nun nationalistisch oder islamisch, bleiben Araber ein Volk, auch wenn zwischen der Politik und der Poetik ein Abgrund der Enttäuschung klafft. Natürlich verzerrt die Bedeutung, die wir der Dichtung beimessen, unsere Betrachtungsweise: Sie ist nahezu das einzige arabische Artefakt überhaupt, das aus der Zeit vor dem Islam auf uns gekommen ist (im Gegensatz zu all den Artefakten der sesshaften südarabischen Kultur – Dämmen, Idolen, Steinbockfriesen, Inschriften und so weiter). Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass Historiker hier im Nachteil sind. In vielen anderen Kulturen, die nur wenige oder gar keine Schriftzeugnisse hinterlassen haben, hilft uns die Archäologie, die Vergangenheit zu verstehen, indem wir Gebäude ausgraben und die Überreste der Lebensspuren darin untersuchen. Im Arabien der ʿarab sind physische Gebäude selten; arabische Gedichte jedoch sind metaphorische Strukturen, Bauwerke aus metrischen Einheiten, die asbāb („Zeltleinen“) und autād („Zeltpflöcke“) genannt werden, die wiederum Halbverse bilden, die einfach als schutūr („Hälften“) oder masāriʿ („Türflügel“) bezeichnet werden, von denen zwei zusammen einen Vers bilden, ein bait („Zelt, Raum, Haus“).56 Zusammen bilden die altarabischen Gedichte also das Knossos, das Pompeji des vorislami-
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schen Arabiens. Dies war Arabern auch selbst bereits früh bewusst: In ihren Gebäuden, so heißt es bei al-Dschāhiz, hinterlassen die Perser ein dauerhaftes Archiv ihrer Vergangenheit. Araber hinterlassen ihr Archiv in Gedichten, die sich am Ende als dauerhafter herausstellen könnten, da folgende Generationen häufig die physischen Monumente derjenigen, die vor ihnen kamen, zerstören.57 Mehr noch: In poetischen Bauwerken wird auch der Widerklang vieler Stimmen aus ihrer Entstehungszeit hörbar. „Ein Vers ist wie ein Gebäude“, sagt der Lehrer der Dichtkunst Ibn Raschīq aus dem 11. Jahrhundert und erweitert die Haus-Metapher: „Sein Fundament ist ein naturgegebenes Talent, sein Dach die Fähigkeit, Dichtung [von früheren Dichtern] zu überliefern, seine Säulen sind Wissen, seine Tür ist Praxis, und sein Bewohner ist Bedeutung. Ein ‚Haus‘, das unbewohnt ist, ist zu nichts nütze.“58 In Hinblick auf die Launen des Gedächtnisses und die Fälschungen späterer Überlieferer ist es natürlich denkbar, dass kaum etwas von der alten Dichtung in ihrem ursprünglichen Zustand überlebt hat. Einige Literaturwissenschaftler, darunter Taha Hussein, verwerfen bis auf wenige Verse alles als späteren Schwindel: Sie sprengen sozusagen den gesamten Kanon.59 Das geht zu weit. Die Lektüre der vorislamischen Dichtung mag tatsächlich eher wie das Betrachten einer viktorianischen gotischen Kirche sein, die mit großem Eifer und Können restauriert wurde: Manches an ihr ist weiterhin ohne Zweifel original, manches ein cleveres abbasidisches Pastiche, und die Verbundstellen sind kaum zu erkennen. Deswegen aber alles pauschal zu verwerfen, die Gebäude aus Worten zu zerstören, ist eben solcher Vandalismus wie Steine zu zertrümmern. Die Archäologie der Dichtung ist vielmehr – neben dem ältesten arabischen Buch, dem Koran, und ein paar Einblicken nichtarabischer Beobachter – das einzige und beste Bild des Lebens, Glaubens und der Ereignisse vor dem Islam.
Imagine thereʼs no heaven Es ist ein Bild, auf dem die Zeit im Unterschied zur ewigen islamischen Zeit als flüchtig erscheint: Wir kommen aus dem Nichts und enden im Nichts. Wir bezahlen für unsere Taten oder werden für sie belohnt – aber nicht im Himmel oder in der Hölle, sondern durch die Art, wie wir erinnert werden. Und weil die Ewigkeit hier nichts vernebelt, erscheint das Bild des Lebens oft in großer Schärfe: Es sind äußerst vollendete Beschreibungen der Natur, des Wüstenlebens, von Reisen bei Nacht und bei Tag mit ihren verschiedenen Ereignissen, vom Jagen und Anpirschen und Auflauern von Wild, vom Kamelhüten, vom Honigsammeln und vergleichbaren Tätigkeiten.60
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Der Dichter Imruʾ al-Qais erinnert sich beispielsweise, wie er auf das Lagerfeuer eines Freundes zulief, in der hungrigen, frostigen Dämmerung, als die alte großhöckrige Kamelstute in die fallende Nacht trottete, taub für die leisen Rufe der Melker in der Herde.61 Es ist eine völlig unscheinbare Szene, und doch ist sie so ursprünglich und lebendig erhalten wie die Illuminationen des Landlebens in den mittelalterlichen europäischen Stundenbüchern. Die Welt der vorislamischen Dichter kommt uns wild und provinzlerisch vor, in anderer Hinsicht aber wunderbar beweglich: große Distanzen überwindend und gleichzeitig über die moralische Skala taumelnd, von Lust und Betrunkenheit zu der striktesten Anwendung von murūʾa – virtus, „Ehre“ („Heute trinke ich, morgen folgen Taten“). Es gibt zu dieser Zeit noch keine organisierte Religion, nur eine verbindliche Ethik, die Freigiebigkeit, Tapferkeit, Gastfreundschaft und Loyalität der Familie, dem Stamm und den Vorfahren gegenüber beinhaltet. Menschen, die im Einklang mit dieser Ethik handeln, wird ein Denkmal für die Nachwelt gesetzt, wie Imruʾ al-Qais es für den Clan von Banū Thuʾal tat, der ihm auf seiner Wanderschaft Schutz verliehen hatte.62 Bei Verstößen gegen diese Ethik drohten andere Folgen: „Himyarī“, sagte Imruʾ al-Qais von einem Mann, der versäumt hatte, seinen ermordeten Onkel zu beschützen, war untreu, Udas ebenfalls – wie der Hintern eines Esels, der vom Schweifriemen juckt.63 Dichter nehmen damit die Rolle der islamischen Engel ein, welche die Taten der Menschen dokumentieren, und obwohl es keinen Himmel und keine Hölle gab, existierte ein Jenseits, in dem die Erinnerung an einen Menschen, wenn nicht gar seine Seele, belohnt oder bestraft wurde. Was auch immer nasab, die Abstammung, war, die Erinnerungen an edle oder unedle Taten summierten sich zum parallelen Konzept des hasab, einer Art Genealogie von guten und bösen Taten, die an zukünftige Generationen weitergegeben wurden.64 Alle diese Eigenschaften arabischen Glaubens waren im 6. Jahrhundert deutlich ausgeprägt. Sie überleben bis heute, zumindest im Reich der Ideale. Dasselbe gilt für Konzepte wie dīn, die Verpflichtung, dem Pfad seiner Vorfahren zu folgen, und sunna, den Praktiken jener Vorfahren.65 Der Islam hebt dīn auf eine neue Ebene und macht daraus einen Katalog von Verpflichtungen gegenüber Gott – kurzum, zu „Religion“ („Verpflichtung“ ist auch die Grundbe-
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deutung des lateinischen religio). Sunna bezeichnet nunmehr im Einzelnen die Praktiken des Propheten Mohammed. Noch in vorislamischer Zeit hatten die Begriffe jedoch nichts mit einer Doktrin, sondern mit Verhaltensregeln und Pflicht zu tun. Wenn wir versuchen zu verstehen, was dīn damals bedeutete, sollten wir die Vorstellungen aufgeben, die aus dem Begriff „Religion“ erwachsen, da diese aufs Engste mit jüdisch-christlich-platonischem Denken verknüpft sind – mit dem „kuriosen alexandrinischen Tuttifrutti“, als das Norman Douglas einmal so treffend das spätere Christentum bezeichnet hat. Dīn ist, ähnlich wie das buddhistische dharma, ursprünglich kein theologisches Konzept, sondern bezeichnet den Versuch, die Gesellschaft auf Spur zu halten:66 auf der Spur der Vorfahren. Genauso irreführend wäre es, die späteren und früheren Bedeutungen von dīn zusammenzuführen und sie als eine vorislamische „Anbetung“ von Vorfahren zu verstehen. Eine bessere Vorstellung davon, wa rum den Vorfahren so viel Respekt gebührte, geben uns vielmehr die Schreiber jener alten safaitischen Graffiti, welche die Namen ihrer Ahnen über 15 oder mehr Generationen dokumentierten, und der Blick darauf, dass Mohammeds Stamm, die Quraisch, Porträts aller Vorfahren in der vorislamischen Kaaba aufhängte (glich sie womöglich einem chinesischen Ahnenschrein?).67 Die ältesten Bedeutungen von dīn und sunna liegen wohl auch heute noch dem Denken vieler (vor allem arabischer) Muslime zugrunde: die tiefe Verwurzelung in der Vergangenheit, die Pflicht den Vorfahren gegenüber, die außergewöhnliche Hingabe an Mohammed – einen Mann, der, obwohl er darauf beharrte, nur ein Mensch zu sein, in den Umhang des Erzvaters gekleidet war, den Helden eines neuen Superstamms, der umma des Islam. Ein anderer Mohammed aus dem 20. Jahrhundert, der Dichter Mohammed Iqbāl, ging sogar so weit zu sagen, „Man kann Gott verneinen, aber nicht den Propheten“68 – und wenn Gott so absolut nichtmenschlich ist wie im Fall des Islam, nimmt es auch nicht weiter wunder, dass die Gefühle der Hingabe sich auf die etwas zugänglichere Figur richten. Gott zu verneinen ist ein theologisches Vergehen; den Propheten zu verneinen, verstößt jedoch gegen eine viel ältere und tiefere Idee. Es erhellt auch die Gegenwart, „Religion“ in diesem alten Licht zu betrachten.
Das kollektive Gedächtnis Auch die Dichtung der Gegenwart wurzelt noch tief in der Vergangenheit. Die literarischen Traditionen, die im 6. Jahrhundert n. Chr. festgelegt wurden, leben bis in die Gegenwart fort. Dazu gehört etwa die qasīda, eine Ode in einsilbigen Reimen, die in ihrer vollen Form mit einem Vorspiel über Liebe und Verlust beginnt, dann den Leser mit auf eine Reise nimmt, Beschreibungen der Reittiere des Dichters und der Landschaft, die er durchquert, enthält, und
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schließlich ihre „Bestimmung“ erreicht – Panegyrik, Elegie oder was auch immer. Einige poetische Traditionen haben noch viel ältere Wurzeln. Imruʾ alQais erinnert etwa zu Anfang seiner berühmtesten Ode an eine Liebe und eine Stätte am Rande der gewundenen Sandhügel zwischen al-Dachūl und Haumal, Tūdih und al-Mikrāt, deren Spuren trotz des Wirbelns der Südwinde und Nordböen noch nicht verwischt sind … Wo kann man sich noch anlehnen, wenn alle Spuren ausgelöscht sind?69 Das Motiv der Trauer, die einen bei der Rückkehr an eine verlassene Lagerstätte ergreift, wo man auf Spuren von einstmals dort versammelten geliebten Menschen stößt, findet sich bereits in zahlreichen safaitischen Graffiti, die immerhin ein halbes Jahrtausend vor diesen Zeilen verfasst wurden.70 Nostalgie ist nur eine der Stimmungen, für die die Dichter des 6. Jahrhunderts die treffenden Worte fanden. Weiter oben haben wir bereits ein anderes Motiv kennengelernt, Imruʾ al-Qais Lobpreis auf gegenwärtige Schönheit und vergangene Liebe. Auch der spätvorislamische Dichter al-Aʿschā galt als Meister der Beschreibungen weiblicher Schönheit; seine Dienste einer „Heiratsagentur“ für unscheinbare Mauerblümchen, deren Bild er mit Worten wirksam zu retuschieren verstand, waren äußerst nachgefragt.71 Im Laufe des 6. Jahrhunderts rückten aber nicht nur ihre Worte, sondern auch die Dichter selbst immer stärker ins Bild und in den Vordergrund: Als gegen Ende des Jahrhunderts Mohammeds Stamm Quraisch auf der wichtigsten Handelsroute vom Süden in mekkanisches Gebiet den panarabischen Jahrmarkt von Ukāz errichtete, gehörten Dichterwettstreite zu den Hauptattraktionen. Kandidaten trafen mit den teuersten Reittieren und in eleganteste Gewänder gekleidet ein, um sich dort Versduelle zu liefern.72 Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass Dichter die Popstars der damaligen Zeit waren. Und dass Orte wie Ukāz nicht nur literarisch bedeutsam waren: Es waren Orte des Waffenstillstands, an denen verfeindete Stämme zusammenkommen konnten, um vorübergehend ihre Fehden und Racheaktionen ruhen zu lassen. In einem chronisch geteilten Gebiet wurden die stammesübergreifenden Jahrmärkte zu so etwas wie kurzfristigen Enklaven des Friedens und der Einheit. Qasīdas gehören weiterhin zum festen Repertoire der traditionellen Gegenwartsdichtung. Auch Dichterwettstreite erfreuen sich heute noch großer Beliebtheit: In der Promi-Fernsehshow aus Abu Dhabi Schāʾir al-Milyūn, „Millionendichter“, die sogar einen eigenen Kanal hat, wird ihnen neues Leben eingehaucht.
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Dort geht es wie in Ukāz um mehr als bloßes Entertainment für die ganze Familie: In einem Land, in dem Herrscher ihre Feinde mit Oden bekämpfen, können Gedichte durchaus schicksalsträchtige und schlagkräftige Wirkungen entfalten. Noch bestimmender für die arabische Zukunft als die Dichter waren andere Inhaber der Wortgewalt, die Prediger nämlich, die von Treffpunkt zu Treffpunkt reisten. Der charismatischste unter ihnen in der späten vorislamischen Zeit war Quss ibn Sāʿida, der in Reimprosa über Moralität und Mortalität predigte. Er predigte gewöhnlich von seiner Kanzel auf einem Kamelrücken hinab zu den Besuchern auf Jahrmärkten wie Ukāz und anderen Stammestreffpunkten, etwa in Nadschrān, das ein Kultzentrum wie Mekka war. „Wo sind nun Thamūd und Ād?“ fragte er nach den längst ausgelöschten alten Stämmen, eine Frage, die später auch im Koran auftaucht. Wo sind die Väter und die Vätersväter? Wo ist die gute Tat, die ungepriesen blieb? Wo ist die böse Tat, die ungetadelt blieb? Quss hat bei Allah geschworen, dass Allah einen dīn hat, der ihm lieber ist als dieser dīn von euch.73 Quss war ein „freiberuflicher“ chatīb, ein Redner oder Prediger, der nicht an einen bestimmten Stamm gebunden war, was auch aus al-Masʿūdīs Bezeichnung für ihn als hakīm al-ʿarab, „den Weisen der Araber“, hervorgeht.74 Seine stammesübergreifende Bedeutung lässt sich auch der Tatsache entnehmen, dass Quss in seinen Versen Allah anspricht, die höchste Gottheit der Quraisch, die bereits Anhänger in ganz Arabien gefunden hatte. Quss hatte Verehrer von überall her, und zu einem seiner glühendsten Anhänger gehörte ein gewisser Prophet von Allah, [Mohammed], Frieden und Segen auf ihn, der die Rede des Quss, seine Predigt vom Kamel aus in Ukāz und seinen spirituellen Rat weitergab. Er war es, der sie an Quraisch und die Araber übermittelte und ihre Bewunderung für die Schönheit der Botschaft weckte und ihre Richtigkeit enthüllte … Quss war der Prediger aller Araber ohne Ausnahme.75 Und kein geringerer als dieser Prophet Mohammed sollte später dann ebenfalls zu ausnahmslos allen arabischen Stämmen und Völkern predigen und seine eigene Abschiedspredigt vom Kamelrücken aus halten. In einigen islamischen Quellen wird Quss wie Johannes der Täufer im Verhältnis zur Jesusfigur Mohammeds geschildert. „Auf der gesamten Erde“, so
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verkündete Quss, „ist keine Religion besser als die Religion, deren Zeit nun gekommen ist und deren Schatten euch schützen wird …“76 Aus islamischer Sicht ist Quss nur ein Bote, ein Verkünder der bevorstehenden Offenbarung, aber nicht selbst Teil dieser Offenbarung. Aus literaturkritischer Sicht ergeben sich auffallende Parallelen zwischen Qussʼ gnomischer Reimprosa und den ältesten Teilen des Koran. Doch aus dogmatischer Sicht ist Qussʼ Rhetorik menschlich und die des Mohammed göttlich: Sie kann also keine Vorgänger haben. Nach Jorge Luis Borgesʼ Diktum „erschafft jeder Autor sich seine Vorläufer“. Mit Ausnahme des Koran, denn er vernichtet seine Vorläufer – jedenfalls wenn wir die orthodoxe Sicht seiner Autorschaft übernehmen. Predigt und Poesie zusammengenommen, also die Gesamtheit der wortmächtigen Rhetorik des Jahrhunderts vor dem Islam, bilden „ein kollektives Gedächtnis“.77 Der Dichter Adonis formulierte es wie folgt: „[I]n ihr lagern weite Teile des kollektiven Unterbewusstseins der Araber … Diese Dichtung […] ist dabei nicht nur unser Gedächtnis, sondern auch die Urquelle unserer Phantasie.“78 Ohne diese kollektive Poetik und den rhetorischen Wortschatz hätte es den Koran (wenn wir den Glauben an seine Ewigkeit vorübergehend außer Kraft setzen), den Islam und wahrscheinlich die gesamte Vorstellung von Arabern als „Volk“ niemals geben können. Gedächtnis und Idiom sind das, was Araber noch heute überall dort vereint, wo Grenzen, Kriege und Doktrin sie trennen. Das hat einen Preis. Wenn das Wort von so zentraler Bedeutung für die Identität ist, haben Menschen mit Kontrolle über das Wort auch Kontrolle über alle, für die es den Kern ihres ethnischen und religiösen Ichs ausmacht. Poesie und Predigt lassen sich dann politisch verwerten und effektiv als Propagandamittel einsetzen. Das kann groteske Formen annehmen: Während ich dies schreibe, stacheln Prediger und Poeten vor meiner Haustür vierzehnjährige Jungen an, sich auf den Weg zu machen, um sich von ihren arabischen Brüdern in die Luft sprengen zu lassen. Sie gaukeln ihnen vor, diese anderen Araber seien eigentlich Amerikaner oder Juden. Und wenn die Kinder ihrem Wort bis in den eigenen Tod gefolgt sind, behaupten sie, Gott habe es so gewollt, und überreden deren Eltern, das „Märtyrertum“ ihrer Söhne zu bejubeln und trotz ihrer Tränen mit einem Lächeln auf den Lippen ihr eigen Leib und Blut zu Grabe zu tragen, wie mein Nachbar das unlängst mit den wenigen Überresten seines Sohnes getan hat. Wenn einer fragt, weshalb wir starben / sagt ihnen, weil unsere Väter gelogen haben …79 Doch vielleicht sind Lügen noch nicht die einzige und nicht die ganze Erklärung für diese Tragödie. Denn auch ohne Lüge können Wörter schuldig sein, und es ist bittere Ironie, dass ein einziges Wort, schahāda, sowohl „Märtyrertum“ als auch „[islamisches] Glaubensbekenntnis“ und „[Schul]Zeugnis“ be-
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deutet. Natürlich erhellt der Kontext den Sinn, aber Propagandisten spielen gerne mit dem Kontext. Sie veranstalten „Schahāda-Tage“ an Schulen, um Schüler zum Sterben aufzurufen: Was du in der Prüfung verlierst, gewinnst du im Himmel. Dies alles zeigt, dass von den drei herausragenden Eroberungen der arabischen Geschichte – die der Waffen, des Islam und des Arabischen – die erste und beständigste der Sieg über sie selbst war, der Sieg der Sprache, die ihren Namen trägt.
Visionen von Einheit Gegen Ende des 6. Jahrhunderts hatte sich ein Begriff davon herausgeschält, dass es sich bei Arabern um eine ganz Arabien umspannende, „stammesübergreifende … ethnokulturelle Gruppe“80 mit relativ einheitlichen ethischen Vorstellungen handelte. Araber hatten es weit gebracht seit ihren Anfängen als Wandervögel und Guerillakämpfer der semitischen Welt, als Strandgut der Wüstenränder, als wandernde und plündernde Ismaels aus der Genesis, als Hinterwäldler und Frachtführer, die zwischen den Imperien lebten. Wie unterschiedlich ihre Herkunft auch war, sie hatten nun genügend gemeinsame Werte und Sprache – und schlichtweg genügend gemeinsame Geschichte angesammelt, um sich für eine vereinte ethnische Identität zu qualifizieren. Vielleicht hätten sie sich mit dem begnügen können, was sie erreicht hatten. Sie hätten auf ihrer halbverbundenen „Insel“, dem Annex am großen Körper afroasiatischer Geschichte, bleiben und einander weiterhin zu Überfällen und Oden herausfordern können. Ihre Weiterreise von ethnischer und ethischer Solidarität zu politischer Einheit, von Kulturnation zur Staatsnation – ganz zu schweigen von der letzten Phase der Reise, zum Imperium –, war keineswegs unausweichlich. Tausend Jahre zuvor hatte Griechenland den Status einer Kulturnation und eine gemeinsame Hochsprache, ohne je umfassende politische Einheit durchzusetzen. Mehr als 1000 Jahre später wiederum, im 19. und 20. Jahrhundert, wurde die Welt Zeuge der Wiedergeburt arabischer kultureller Einheit und eines erneuten Sterbens der Idee arabischer politischer Einheit. Nichtsdestotrotz hatte es Zeiten gegeben, in denen Völker und Stämme, hadar und badw, Ideale und Interessen ein Gleichgewicht gefunden hatten und in denen die Stämme selbst zögerlich zusammengeführt worden waren. Kindas Versuche, Einheit zu propagieren, wurden bereits erwähnt, genauso wie die Stammesblöcke, die unter den Ghassaniden und Lachmiden zusammenwuchsen. Doch alle diese Experimente hingen mehr oder weniger von der Existenz und dem Willen externer, südarabischer, byzantinischer und persischer Mächte ab. Um weitere Einheit zu erlangen, musste ein innerer Wille hinzukommen.
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Wie das vereinte Indien nach der Unabhängigkeit, das Salman Rushdie schildert, war ein vereinter arabischer Subkontinent „ein mythisches Land, ein Land, das es nie geben würde außer durch die Anstrengungen eines phänomenalen kollektiven Willens – außer in einem Traum, den zu träumen wir alle einwilligten“.81 Für Araber gab es bereits die Vision einer möglichen größeren Einheit: Das Gegensatzpaar ʿarab/ʿadscham, Araber/Nichtaraber, war bereits vorhanden, als das 6. Jahrhundert sich dem Ende näherte, ebenso wie das Gefühl des „mia san mia“, anders als die anderen. Was noch fehlte, war der kollektive Wille, innerhalb dieses Andersseins zusammenzufinden, und ohne diesen Willen erwiesen sich die Visionen unweigerlich als Trugbild. Hin und wieder wuchsen sich diese Visionen auch zu Albträumen aus. Angefangen hatte das lange vorislamische Jahrhundert mit dem Krieg von alBasūs, an seinem Ende standen noch mehr Umdrehungen des Feuerrads. „Als ihre Nachkommen wohlhabend und zahlreich wurden“, heißt es von einem Versuch mehrerer Stämme, eine landwirtschaftliche Siedlung zu errichten, „vergaßen alle ihr Glück und zerbrachen die Bande der Loyalität, und zwischen ihnen tobte der Krieg, bis sie einander ausgelöscht hatten.“82 Noch katastrophaler traf es den Stamm Udwān, der einst so prosperierte, dass er „70 000 noch nicht beschnittene Heranwachsende“ umfasste, aber ebenfalls internem Krieg und gegenseitiger Plünderung zum Opfer fiel, bis er die eigene Einheit zerstörte. Überliefert ist die Schilderung des Dichters dieses Stammes: Autorität und Exzellenz und Weisheit waren ihre, bis schließlich das Schicksal sich wandte: Ihr Stamm wurde auseinandergerissen, seine Gliedmaßen abgetrennt, und ihr Volk weit und breit in Banden verstreut. Ödnis befiel das Land und die Schöße ihrer Frauen, die Wechselfälle des Schicksals hatten sie auf immer vernichtet.83 Die Wechselfälle mündlicher Überlieferung mögen der Bevölkerungszahl der Banū Udwān eine oder zwei Nullen hinzugefügt haben. Ein persönlicheres und daher vielleicht aussagekräftigeres Dokument eines Arabiens, das von Überfällen auseinandergerissen wurde, ist die Klage eines Mannes namens Hāritha um einen individuellen Verlust – den seines jungen Sohnes Zaid, der bei einem Überfall entführt wurde: Ich weinte um Zaid, nicht wissend, was aus ihm wurde: lebt er und kann ich auf ihn hoffen? Oder hat ihn der Tod ereilt? Die Sonne erinnert mich bei jedem Aufgehen an ihn,
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die Erinnerung an ihn wird bei jeder Dämmerung dunkel, ich denke an ihn bei jeder Brise, die weht – wie lange meine Trauer um ihn und wie ängstlich.84 (Beim Untergehen der Sonne und am Morgen/werden wir ihrer gedenken.85) Wie sich herausstellte, war Zaid am Leben, doch der Vater konnte nicht auf ihn hoffen: Der Junge war zum Sklaven gemacht worden und unwiderruflich verloren. Das Motiv der Verse kommt nur selten vor, im Gegensatz zu den Totenklagen für ruhmreiche Krieger: Kinder wurden im Privaten betrauert, aber sie konnten noch keinen hasab ansammeln, kein Archiv von edlen Taten, die sie des öffentlichen Gedenkens würdig machte. Die Zeilen sind vermutlich nur erhalten, weil sie vom späteren Besitzer und Adoptivvater des Kindes stammen, einem noch unscheinbaren Einwohner Mekkas, der allerdings schon bald die Bühne der großen Araber betreten – und ihnen allen die Show stehlen sollte.
Advent Gegen Ende des 6. Jahrhunderts fanden Entwicklungen mit weitreichenderen Folgen als nur für Individuen oder Stämme statt. Die Byzantiner wie die Perser verzichteten nun auf die Dienste der Pufferkönigreiche der Ghassaniden und Lachmiden und begannen, ihre Grenzen mit regulären, aus ihren eigenen Leuten rekrutierten Armeen zu schützen.86 Die dadurch arbeitslos gewordenen arabischen Könige wurden weiterhin von Panegyrikern besungen, mit einem neuen Beiklang von trotzigem Widerstand und „National“-Gefühl. „Eure Herrschaft in Syrien“, so preist etwa Hasan ibn Thābit den Ghassanidenkönig Dschabala ibn al-Aiham, „bis zu den Grenzen von Byzanz ist der Stolz eines jeden Jemeniten.“87 Die Lachmiden schnitten weniger gut ab. Im Jahr 602 ließ der sassanidische Schah den Lachmidenkönig – denselben al Nuʿmān III., der dem Schah die Bitte um eine Heiratsverbindung verweigert hatte –, von Elefanten zu Tode trampeln. Es scheint dabei nicht um hochpolitische Dinge gegangen zu sein, sondern eher um persönliche Feindschaft, eine schmutzige Palastverschwörung und Denunziation.88 Dass die Perser jedoch ihrer dreihundertjährigen Verbindung mit den Lachmiden ein so jähes Ende setzten, erwies sich als Fehler. Zwei Jahre später erlitten sie mitsamt einigen verbliebenen arabischen Verbündeten im „Krieg des Kameleuters“ in Dhū Qār eine schmerzhafte Niederlage, und zwar durch eine Vereinigung arabischer Stämme unter der Führung des Stammes der Bakr. Dieser Ausbruch tribaler Einheit erscheint auf den ersten Blick als einer von vielen groß angelegten Überfällen, die in die üblichen Scharmützel mündete. Tatsächlich sah es auch zunächst so aus, als hätte die Niederlage die Sassaniden zur Vernunft gebracht und sogar in die Offensive gedrängt. Ab 610 gelang
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ihnen eine letzte Erweiterung ihres Reiches, wobei sie die Byzantiner vernichtend schlugen und bis nach Syrien und sogar nach Ägypten vordrangen. Dennoch gab es eine Vorahnung, dass sich mit der persischen Niederlage bei Dhū Qār das Blatt gewendet hatte. Mohammed, immer noch ein unscheinbarer Einwohner Mekkas, soll am Tag des weit entfernten Kampfes gesagt haben. „Heute haben die ʿarab Rache an den ʿadscham geübt und gewonnen.“89 Ob diese Aussage das Ergebnis telepathischer Weitsicht oder historischer „Nach“-Sicht ist, bleibt offen. Außer Frage steht jedoch, dass Araber noch viel größere Siege davontragen sollten, und nicht nur über die Perser. Wenn wir auf das letzte vorislamische Jahrhundert zurückschauen, ist es, als hätte sich durch alle Wanderungen, Überfälle und Kampftage ein Druck aufgestaut, eine Energie, die freigesetzt werden musste, um eine Implosion zu verhindern. Diese Freisetzung kam, und die Energie wurde allmählich gebündelt. Die arabische Stimme und der arabische Wille waren im Begriff, geeint zu werden. Eine Zeitlang waren Araber bereit, denselben Traum zu träumen und ihn wahr zu machen. Der Dichter Hasan ibn Thābit besang bald einen neuen Herrn – keinen König, sondern jenen unscheinbaren, doch erkenntnisreichen Mekkaner, den arglosen Gründer eines Imperiums, das innerhalb einer Generation nach seinem Tod die stolzen ausgebürgerten Jemeniten des entfernten ghassanidischen Nordens, ihre weggezogenen Cousins im persisch kolonisierten Süden, ihre überlebenden lachmidischen Rivalen in al-Hīra und – überraschenderweise und kurzzeitig – alle ewig zankenden Stämme dazwischen umfasste. In Mohammed sollte sich nicht nur die Rhetorik des tribalen kāhin, chatīb, schāʿir und saiyid – Orakel, Redner, Barde und Herr – mit außergewöhnlicher Originalität und Charisma vereinigen; die rhetorischen Funktionen ergaben weitaus mehr als die Summe ihrer Teile: Prophetentum. Ein Prophet ist jemand, der „für eine Gottheit spricht“. In Mohammeds Fall ging es um eine Gottheit, die wie jene der alten Südaraber als kollektiver Wille ihrer Anhänger fungierte und diesen leitete. Der Unterschied lag darin, dass diese Gottheit keine Teilhaber, keine Rivalen duldete: Sie stellte einen rücksichtslosen theologischen Unitarismus dar und ordnete für eine kurze, aber berauschende Zeitspanne eine weitere Einheit an – nicht nur von Sprache und Kultur, sondern auch von Doktrin und sogar Kriegsführung –, und nicht nur für ein sesshaftes Gemeinwesen, sondern für die Gesamtbevölkerung der Halbinsel, hadar und badw, und sie sandte alle diese Araber von ihrer „Insel“ aus fort. Die „Tage der Araber“ waren noch lange nicht vorüber. Doch Araber waren im Begriff, ihre Tage in der größeren Weltgeschichte zu erleben.
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Kapitel 5 Offenbarung als Revolution: Mohammed und der Koran Der Schwarze Stein „Als Quraisch die Kaaba wieder aufbauten“, heißt es in der Geschichte vom Wiederaufbau des mekkanischen Heiligtums im Jahr 608, nachdem eine flutartige Überschwemmung das frühere Gebäude zerstört hatte, … schritt die Arbeit voran bis zum Standort des Schwarzen Steins … aber dann stritten die Quraisch darüber, wer den Stein an seinen Platz legen sollte. Am Ende einigten sie sich darauf, sich an die Entscheidung desjenigen zu halten, der zufällig als Erster aus dem Tor der Banū Schaiba auftauchte. Die erste Person, die durch dieses Tor vor ihren Augen erschien, war der [angehende] Prophet [Mohammed], Friede und Segen sei mit Ihm. Sie kannten ihn bereits als „al-Amin“ [der Vertrauenswürdige], sowohl aufgrund seiner Ernsthaftigkeit, seines guten Urteilsvermögens und der Wahrheit seiner Rede als auch, weil er Unreinlichkeit und Schmutz mied. Sie baten ihn, in ihrem Streit zu entscheiden, und willigten ein, sich seinem Urteil zu unterwerfen. Daraufhin legte er den Umhang ab, den er trug … breitete ihn auf dem Boden aus, nahm den Stein und legte ihn in die Mitte des Umhangs. Dann wies er vier der Männer der Quraisch, allesamt Oberhäupter und Anführer [verschiedener Unterclans des Stammes], an … den Umhang zu fassen, und jeder ergriff eine Seite von ihm. Sie hoben ihn hoch und brachten ihn herüber zum Standort des Steins, und der Prophet legte den Stein an seinen Platz, während alle Quraisch zusahen. Dies war die erste seiner öffentlichen Handlungen, bei denen er seinen Wert und seine Weisheit bewies.1 Der Schwarze Stein ist nach wie vor ein Schwerpunkt des zentralen Heiligtums des heutigen Islam, und jeder Mekkapilger verspürt den brennenden Wunsch, ihn zu küssen. Dabei sind die genauen Gründe dafür unbekannt. Etwa 30 Jahre nachdem Mohammed den Stein wieder zurückgelegt hatte, sagte sein zweiter Nachfolger, Kalif Umar, er wisse, „dass du ein Stein bist und weder nützen noch schaden kannst“. Warum also küssten er und andere fromme Leute den Stein? Weil es, versicherte der Kalif, die Gepflogenheit des Propheten war. Denn „hätte ich nicht gesehen, wie der Gottesgesandte dich küsste, hätte ich dich nicht
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geküsst“.2 Dass etwas eine sunna, eine etablierte Praxis oder Verhaltensweise Mohammeds war, ist für Muslime Grund genug, ihr nachzueifern. Aber wie die Geschichte seiner Neuplatzierung zeigt, hatte der Stein auch eine Vergangenheit, die möglicherweise sehr weit zurückreichte, über das Jahr Null hinaus, welches den Beginn der islamischen Zeit und, angeblich, die Vollendung aller bisherigen Geschichte markiert. Zur Zeit ihres letzten vorislamischen Wiederaufbaus beherbergte die Kaaba einen ganzen Schwarm von Kultbildern, welche die Gottheiten verschiedener arabischer Stämme symbolisierten. Wir wissen nicht, ob Allah – die höchste Gottheit von Mohammeds Stamm, den Quraisch – ein materielles Symbol hatte oder nicht. Hätte er überhaupt kein Symbol gehabt, so wäre er die große Ausnahme gewesen; hätte er umgekehrt tatsächlich irgendein Symbol gehabt, so wäre die Tatsache in islamischer Zeit natürlich verschleiert worden: Der Islam stellt die Kaaba als das älteste Heiligtum eines streng bildlosen Monotheismus dar, der bis zu Abraham oder in manchen Berichten bis zu Adam zurückreicht, vielleicht sogar bis in die Zeit vor der Erschaffung der Menschheit, als die Engel sich an ihrem Standort zur Andacht versammelten. Die Annahme, dass der Stein in irgendeiner Verbindung zu Allah stand, wäre plausibel, wenn auch nicht beweisbar. Gestützt wird sie möglicherweise durch das ungewöhnliche Wort, welches für das Küssen des Steins durch Mohammed benutzt wird – istalama. Es findet sich in antiken südarabischen Inschriften in der Bedeutung „bei einer Gottheit Sicherheit finden“.3 Immerhin ist der gleichfalls bildlose Gott der Juden bekanntlich mit heiligen Steinen in Verbindung gebracht worden. Wie im Fall des Schwarzen Steins handelte es sich auch bei diesen heiligen Steinen um unbearbeitete Steine, das heißt um nicht figürliche „Götzenbilder“. Ein Beispiel ist der Stein an der von Jakob als Bethel bezeichneten Stätte in der Genesis.4 (Das hebräische Bet-El und das arabische Bait Allāh, bezeichnen beide das Gleiche, das „Haus Gottes“, so der offizielle Name der Kaaba.) Ebenfalls bekannt ist, dass Araber unbearbeitete Steine verwendeten, um Gottheiten darzustellen. Wenn sie auf ihren Reisen Halt machten, berichtet der islamische Historiker und Genealoge Ibn al-Kalbī in seinem Kitāb al-Aṣnām, dem „Götzenbuch“, pflegten sie vier Steine auszuwählen. Drei von ihnen verwendeten sie als Stütze für ihren Kochtopf, der vierte Stein fungierte als ihr „Gott“. Solchen dieux trouvés brachten sie Opfer dar und umrundeten sie, so wie sie in einer rituellen Prozession die Kaaba zu umkreisen pflegten.5 Die verbindlichsten Eide wurden bei heiligen Steinen geschworen,6 und einmal taucht der Schwarze Stein in vorislamischer Zeit auf, als ein Bündnis von Quraisch-Clans mit dem Waschen des Steins, dem Trinken des verwendeten Wassers und dem Ablegen von Gelöbnissen besiegelt wurde.7
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Einige andere Manifestationen sind weniger überzeugend: dass Abrahams Sohn Ismael/Ismāʿīl den Stein während des Baus der Kaaba von dem Erzengel Gabriel erhielt8 (ein „himmlischer“ Ursprung ist nicht unmöglich – der Stein mag ein Meteorit gewesen sein, obwohl das nie bewiesen wurde); und dass er ursprünglich weiß war und dann durch die Sünden des vorislamischen „Zeitalters der Unwissenheit“ geschwärzt wurde.9 Doch welchen verlorenen vorislamischen Sinngehalt er auch immer hatte, seine enorme symbolische Bedeutung für die arabische Geschichte schöpft der Schwarze Stein aus jener ersten öffentlichen Handlung Mohammeds zwei Jahre vor dem Beginn seiner Offenbarungen. Es ist der Grundstein von etwas völlig Neuem, dessen Substanz jedoch aus einer uralten Vergangenheit stammt. Mehr als 20 Jahre später, als Mohammed von seiner neuen Machtbasis Medina zurückkehrte, bestand seine erste Handlung bei der Eroberung des heidnischen Mekka darin, erneut den Schwarzen Stein zu küssen;10 der Kuss besiegelte die Aussöhnung mit seiner Geburtsstadt und seiner heimatlichen arabischen Tradition. Als er anschließend die Götzenbilder der Kaaba zerschlug, war der Stein der Punkt der Kontinuität, welcher der größtenteils heidnischen Vergangenheit ermöglichte, in der monotheistischen Zukunft aufzugehen; sein traditioneller Platz in der östlichen Ecke des Heiligtums wurde ein Wendepunkt. Am wichtigsten war, dass der Stein dank der Weitsicht und Führungskraft, die Mohammed bei jenem früheren Anlass bewiesen hatte, aufhörte, ein Quell der Uneinigkeit, ein Hindernis zu sein. Stattdessen vermittelte er im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den streitenden Clans; er vereinigte sie, damit sie ihn trugen; und er wurde das Eigentum keines von ihnen und von ihnen allen, kein trennendes, sondern ein einigendes Element. Mohammed hatte die Stimme und den Willen der Menschen geeint. Von den Millionen Pilgern, die heute nach Mekka strömen, um, Mohammed nacheifernd, den Schwarzen Stein zu küssen, hat fast keiner eine Ahnung, warum er so bedeutsam ist; doch mit der Berührung jedes Lippenpaars wächst seine Bedeutung ein wenig.
Der Städte Mutter Wie jede andere dauerhafte Ansiedlung in Arabien ist auch Mekkas Standort vom Wasser abhängig. In Mekka wurde die Wasserversorgung nicht durch menschliche Zusammenarbeit gewährleistet, wie im besiedelten Süden, sondern durch die Natur – oder durch Gott, wie die Geschichte von Hagar und Ismāʿīl aus islamischer Zeit erzählt. Abraham, so heißt es in dieser Geschichte, brachte den jungen Ismāʿīl nach Mekka und ließ ihn bei seiner Mutter Hagar, Abrahams Nebenfrau (dass Hagar erfolgreich ein Kind entbunden hatte, erregte
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die Eifersucht von Abrahams frei geborener Ehefrau Sara, die bislang nicht hatte schwanger werden können). In ihrem mekkanischen Exil verspürte Ismāʿīl plötzlich heftigen Durst. Seine Mutter suchte nach Wasser – vergeblich, bis durch göttliche Vermittlung die wundersame Quelle Zamzam aufsprudelte. Später heiratete Ismāʿīl in den Stamm Dschurhum ein, der Mekka kontrollierte; in einer anderen Version erhielten die ursprünglich aus Südarabien stammenden Dschurhum von Hagar die Erlaubnis, sich an der Quelle Zamzam niederzulassen, als ihre südliche Heimat durch Dürre zerstört wurde. In allen Versionen der Geschichte lernte Ismāʿīl, der sich ursprünglich des Syrischen oder irgendeiner anderen semitischen Sprache bediente, entweder von den Dschurhum oder durch göttliche Eingebung Arabisch.11 So verworren die jeweilige Handlung auch ist, enthält jede Version wahrscheinlich doch einige Hinweise auf die Vergangenheit Mekkas – die Verbindungen der Stadt mit Südarabien, die durch Klimawandel verursachte Migration, die Anpassung an die arabische Sprache. Was die Quelle Zamzam betrifft, die noch heute als heiliger Brunnen gilt, so könnte sie schon früh heilig gewesen sein: Angeblich fand Mohammeds Großvater ʼAbd alMuttalib, als er den Brunnen ausschachtete, darin zwei goldene Gazellenfiguren.12 Es könnte sich um hastig versteckte Kleinode gehandelt haben, möglicherweise waren es aber auch Opfergaben für den Brunnen. Betrachtet man die weniger dunkle und weniger wundersame mekkanische Vergangenheit, so ist klar, dass die Stadt als quariya, als Karawanenhandelszentrum, eine Nachfolgerin von Petra, Palmyra und dem mit quariya stammverwandten Qaryat der Kinda war. Sie lag an einer bereits uralten Nord-Süd-Handelsroute, an einem geografischen Mittelpunkt zwischen den beiden Fruchtbaren Halbmonden; außerdem besetzte sie einen kulturellen Mittelpunkt zwischen dem sesshafteren Westen Arabiens und dem stärker nomadischen Osten, zwischen hadar und badw. Auch ihre Rolle als heiliger Ort reichte möglicherweise weit zurück: Auf Ptolemäusʼ Karte Arabiens aus dem 2. Jahrhundert stimmt eine Ortsbezeichnung, „Macoraba“, mehr oder weniger mit der Lage von Mekka überein.13 Der Name könnte für ein sabäisches Wort stehen, mkrb, dessen Vokalanordnung nicht bekannt ist, das aber anscheinend „Tempel“ bedeutet.14 Doch „Macoraba“ könnte ebenso für „Maghrabah“ stehen, ein arabisches Toponym für Orte wie Mekka, die zwischen Hügeln liegen.15 Das Einzige, was sich mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass Mekka, egal ob wir seine heilige Geschichte bis auf Ismael, Adam oder gar die präadamitischen Engel zurückführen, vor der Zeit Mohammeds wahrscheinlich mindestens mehrere Jahrhunderte lang ein Kultzentrum war. Wie andere Handelszentren in den vormohammedanischen Jahrhunderten scheint auch Mekka ein eigenes kaufmännisches Leben geführt zu haben, das
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die verschiedenen Perioden des „Schutzes“ (mit der mafiösen Bedeutungsnuance des Wortes) durch aufeinanderfolgende Stämme überstand. In den überlieferten Chroniken hatten Dschurhum und andere Stämme um Einfluss gekämpft,16 und danach, möglicherweise nicht später als im frühen 3. Jahrhundert, kam es zwischen den Stämmen der Mudar und der Iyād zu Auseinandersetzungen um die Stadt.17 Mittlerweile war der Schwarze Stein auf der Bildfläche erschienen und wurde – welche Bedeutung auch immer er gehabt haben mochte – bereits so sehr verehrt, dass er um seiner eigenen Sicherheit willen versteckt wurde; so gut versteckt, dass das Versteck anscheinend in Vergessenheit geriet. Ein weiterer Stamm trat auf den Plan, die Chuzāʿa, die gerade zufällig auf den Stein gestoßen waren … Sie würden die schmerzlich vermisste Reliquie gern zurückgeben, sagten sie, unter der Bedingung, dass sie ihre Wächter sein könnten. Vermutlich spielte bei dem Wächteramt Geld eine ebensolche Rolle wie Liebe. In dem späteren monotheistischen Narrativ waren es jedenfalls Chuzāʿa, welche die Attraktionen Mekkas erweiterten, indem sie im einstigen Haus des Einen Gottes die Götzenanbetung einführten.18 Namentlich ihr Oberhaupt, Amr ibn Luhaiy, brachte ein Kultbild der Gottheit Hubal („Geist“, „Dunst“ auf Aramäisch19) aus Syrien nach Mekka.20 Die Chuzāʿa behielten die Aufsicht über die Kaaba, bis im 5. Jahrhundert n. Chr. eine neue Ära mekkanischer Geschichte ihren Anfang nahm. Und diese Ära ist noch nicht beendet. Die neue Epoche begann mit der Ankunft eines Arabers namens Qusaiy in Mekka. Seine Herkunft liegt im Dunkeln, aber diejenigen, die behaupten, von ihm abzustammen, stehen seither im Rampenlicht: Die Angehörigen des als „Quraisch“ bekannten Stammes (nach dem mutmaßlichen Namen von Qusaiys eigenem Urahn) sind das erfolgreichste Geschlecht in der arabischen Geschichte, vielleicht sogar in der gesamten Menschheitsgeschichte. Was diesen früheren Namen betrifft, so gibt es keinerlei Gewissheit. Wie wir gesehen haben, sind Ahnenreihen meist „etwas, das man sich vorstellt, und die eigentliche Bedeutung, die in der engen Verbundenheit liegt, sind die Gemeinschaft, der freundschaftliche Umgang, die lange Erfahrung, die Kameradschaft durch gemeinsames Aufwachsen, die Milchbruderschaft und die anderen Gegebenheiten von Leben und Tod“.21 All dies scheint auch für Qusaiys Abstammung zu gelten. Qusaiy wird manchmal auch als al-Mudschammi bezeichnet, „der Versammler, der Einiger“; wie wir ebenfalls gesehen haben, heißt es oft, „Quraisch“ leite sich von dem Verb taqarrascha, „Menschen zusammenbringen“, her.22 All dies legt nahe, dass die Quraisch möglicherweise eine Gruppe von gemischter Herkunft waren. Allerdings haben andere den Namen abgeleitet von qarsh, „Geld verdienen“, 23 eine Tätigkeit, in der die Quraisch sich als überragend erweisen sollten. Wieder andere votieren für die wörtlichste Ableitung, von dem
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Gattungsnamen quraisch, „kleiner Hai“. Die folgenden Verse werden einem vorislamischen himyarischen Dichter namens al-Muschamridsch ibn Amr zugeschrieben:24 Ein quraisch ist das, was im Meer lebt, und von ihm erhielten die Quraisch ihren Namen. Er frisst Mageres wie Fettes und lässt von keinem zweiflügeligen Wesen auch nur eine Feder übrig. Und so gibt es an Land den Stamm der Quraisch: Sie verzehren Länder und schlingen sie hinunter. Einen Propheten werden sie haben am Ende der Zeiten – viele wird er töten und ins Gesicht schlagen. Seine Reiter und Fußsoldaten werden die Erde bevölkern und die Reittiere mit prasselndem Feuer antreiben. Oder vielleicht „… mit sich schlängelnden Schlangen“. Unabhängig von seinem etymologischen Wahrheitsgehalt ist das Gedicht zu seltsam, um echt zu sein. Wer auch immer Qusaiy war, jedenfalls schaffte er es, die Kontrolle über das mekkanische Heiligtum zu erlangen. Der überlieferte Bericht darüber, wie ihm dies gelang, ist, wie die obigen Verse, so erstaunlich, dass man ihn kaum glauben mag: Der ziemlich verwahrloste damalige Wächter vom Stamm der Chuzāʿa nagte am Hungertuch, und Qusaiy überredete ihn einfach, sich für ein Kamel und einen Weinrausch von den Schlüsseln für die Kaaba zu trennen.25 Ob die lange und noch immer ungebrochene Verbindung der Quraisch mit dem mekkanischen Heiligtum tatsächlich einen derart trivialen Anfang nahm oder nicht, sei dahingestellt. Jedenfalls wurde die Stellung der Quraisch als Wächter der Kaaba und Oberhäupter von Mekka laut den überlieferten Aufzeichnungen später durch Vereinbarungen bestätigt, die mit den drei arabischen Mächten, den Ghassaniden, den Lachmiden und den Himyaren, getroffen wurden.26 Falls dem so war, dann lag der letztendliche Ursprung des islamischen Staates in diesem uralten Geflecht aus arabischen Beziehungen mit fremden Supermächten – den byzantinischen Oberherren der Ghassaniden und den persischen Lehnsherren der Lachmiden. Außer Frage steht, dass das Schicksal der benachbarten Mächte sich unmittelbar auf die Geschicke der Quraisch auswirken würde. Diese beschränkten sich recht schnell nicht mehr nur auf die Verwaltung des Heiligtums, sondern betätigten sich auch im Handel. Schließlich sind Pilgerrouten fertige Fernstraßen für den gewerblichen Güterverkehr. Die dritten Garanten der Quraisch aus den obigen Vereinbarungen, die Himyaren, waren eine Supermacht aus eigenem
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Recht, doch im ausgehenden 5. Jahrhundert bereits im Niedergang begriffen. Der Untergang ihres im Süden beheimateten Reiches gereichte den Quraisch zum Vorteil, da die Neuankömmlinge nun die arabischen Handelsrouten generell besser kontrollieren konnten.27 Gegen Ende des darauffolgenden Jahrhunderts profitierte der quraischitische Handel zudem von den byzantinisch-persischen Feindseligkeiten der Zeit, die dazu führten, dass der Verkehr sich von den ostarabischen Routen auf die westarabischen verlagerte, die bereits von Mekka dominiert wurden.28 Die ganze Zeit hindurch pflegten die Quraisch eifrig ein Netz von Bündnissen mit den badw-Stämmen, die bezahlt und andernfalls überredet werden konnten, mekkanische Karawanen zu schützen und die Karawanen potenzieller Schleichhändler fernzuhalten oder zu überfallen. Das Netz dehnte sich aus, bis es einen Großteil der Arabischen Halbinsel bedeckte.29 Im Zuge dieser Entwicklung, vermutlich ebenfalls gegen Ende des 6. Jahrhunderts, verbesserte die – für die Mekkaner – neue Technologie der arabischen Schrift die buchhalterischen Möglichkeiten, ohne die groß angelegte kaufmännische Unternehmungen kaum zu überblicken waren.30 Ebenfalls in diesem Jahrhundert begann eine Praxis, die entscheidend sein sollte für die Expansion des Handels – Mudaraba („Spekulation“), eine Beteiligungsfinanzierung, bei der hohe Kapitalsummen zusammengelegt und in noch größere Karawanen investiert wurden, die noch weiter entfernt Handel trieben.31 Alle diese Entwicklungen machten Mekka zum gewerblichen Zentrum für den gesamten arabischen Subkontinent. Und, wie Holländer, Engländer und Franzosen 1000 Jahre später mit ihren Ostindien-Kompanien und global operierenden Flotten feststellen würden, konnte Handelskooperation in großem Stil imperialer Vorherrschaft den Boden bereiten. Die berühmtesten mekkanischen Karawanen waren „die Winter- und die Sommerkarawane“.32 Die Winterkarawane reiste nach Süden; ihr Ziel war die antike Hafenstadt Aden. Die Sommerkarawane steuerte in nördlicher Richtung die Levante und ihre wichtigste Hafenstadt Gaza an. Auf diese Weise verbanden beide Karawanen den Verkehr des Indischen Ozeans mit dem des Mittelmeerraums. Die Verbindung erneuerte bereite seit der Antike bestehende Handelsstrukturen: Schon lange vor der Jahrtausendwende hatten Kaufleute aus dem südarabischen Staat Maʼīn im Norden und Süden Handel getrieben und sich besonders enger Beziehungen zu Gaza erfreut.33 Doch die Mekkaner betonten zunehmend jene andere Dimension ihrer Außenbeziehungen – die eigenen Attraktionen ihrer Stadt als Anlaufpunkt für Pilger von der gesamten Arabischen Halbinsel. Handel und Pilgerfahrt ergänzten und befruchteten sich gegenseitig; beispielsweise pflegte Mohammeds Onkel al-Abbās im Jemen Parfüm zu kaufen und es während der Wallfahrt in Mekka zu verkaufen.34 Ebenso wichtig
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war, dass der kosmopolitische Handel der Mekkaner prägenden Einfluss auf die Strukturen ihrer künftigen imperialen Expansion haben sollte. Es ist kein Zufall, dass Amr ibn al-ʿĀs, der spätere Eroberer und Statthalter von Ägypten, früher in Gaza, dem Tor zum fruchtbaren Land des Nils, Handel getrieben hatte.35 Und es überrascht nicht, dass der erste Herrscher der ersten Dynastie im Islam, der Umayyaden, die Hauptstadt von Medina nach Damaskus verlegte, zumindest dann nicht, wenn wir uns klarmachen, dass sein wohlhabender Vater, Abū Sufyān, bereits in Grund und Boden in der fruchtbaren Bekaa-Ebene unweit von Damaskus im heutigen Libanon investiert hatte.36 Die Mekkaner unterhielten einen regen Außenhandel und verfügten mit der einheimischen Kaaba über eine Attraktion, die heidnische Pilger magnetisch anzog, sprich: Sie trieben Handel mit Gütern und Göttern. Und sie handelten mit Worten. Der alte Alltagsdialekt der Quraisch hatte vermutlich kaum Ähnlichkeit gehabt mit dem Hocharabischen;37 noch gegen Ende des 6. Jahrhunderts wies er möglicherweise sogar einige Gemeinsamkeiten mit den alten südarabischen Sprachen auf.38 Aber mit ihren zunehmend kosmopolitischen Verbindungen näherte sich auch die Sprache der Mekkaner immer stärker der arabischen Lingua franca von Reisen und Handel an und wurde dabei immer reicher. Es heißt, die Quraisch „wählten aus der Sprechweise und Dichtkunst [der Delegationen von Pilgern und anderen Besuchern Mekkas] das Beste der lokalen Varianten und die reinste Sprache aus und erweiterten dadurch ihre angeborenen sprachlichen Fähigkeiten“.39 Dies klingt, als sei der Prozess bewusster gewesen, als er es wohl tatsächlich war; eher dürfte er der bedachtsamen Art und Weise geähnelt haben, wie das Arabische in späteren Jahrhunderten vereinheitlicht wurde. Aber es steht außer Zweifel, dass, als die Hochsprache für formelle öffentliche Äußerungen gebraucht wurde, einige Mekkaner mit Worten umzugehen wussten: Ein Dichter, der zu Besuch in der Stadt weilte, verglich die Sprache ihrer Einwohner mit „Regen auf ausgedörrter Erde“.40 Mit dem wachsenden Reichtum mekkanischer Kaufleute und der mekkanischen Sprache wuchs auch die Bevölkerung der Stadt. Wenn es zutrifft, dass sie im frühen 7. Jahrhundert 15 000 bis 20 000 Einwohner zählte,41 dann hätte sie ihren koranischen Titel Umm al-Qurā, „der Städte Mutter“, nahezu sicher allein schon aufgrund ihrer Größe verdient.42 Aber mittlerweile übte Mekka sein Matriarchat sowohl als kultisches Zentrum wie auch als gewerblicher Handelsplatz aus. Die kleine Stadt war behaglich, einträglich, selbstgefällig; aber im Weltmaßstab war sie nach wie vor provinziell, ein Anhängsel von Ereignissen. Niemand wusste, dass Mekka im Begriff stand, sich von einer selbstgenügsamen Marktgemeinde in ein Epizentrum zu verwandeln, das Schockwellen um den Erdball senden würde.
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Der Nabel der Erde Etwa um die Zeit von Mohammeds Geburt war die Heiligkeit Mekkas verstärkt worden durch die offenbar wundersame Weise, wie im „Jahr des Elefanten“ die Äthiopier, nachdem die Stadt sich ihnen kampflos ergeben hatte, durch Vogelschwärme vertrieben wurden, die Steine auf die Soldaten herabregnen ließen;43 die Anziehungskraft der Stadt als Wallfahrtszentrum wuchs. Es gibt Hinweise, dass der Berg Arafāt, in der islamischen Version der Wallfahrt Schauplatz des Höhepunkts der Riten, in vorislamischer Zeit der Hauptmagnet war und dass die Kaaba selbst so etwas wie eine lokale Nebenvorstellung war.44 Die Pilger trafen in Stammesgruppen am Arafāt ein, schmetterten die jedem Stamm eigentümlichen Gesänge und imitierten die Schreie des jeweiligen stammeseigenen Totemtiers.45 Einer Deutung der knappen Informationen zufolge konzentrierte sich die „urbane“ Pilgerreise von Angehörigen sesshafter (hadar) Gesellschaften zumeist auf Stätten rings um die Kaaba, während es die Angehörigen nomadischer (badw) Stämme auf ihrer Wallfahrt in das Gebiet um den Berg Arafāt zog;46 erst der Islam sollte die hadar- und badw-Riten zu einer einzigen Wallfahrt vereinigen. Es ist unmöglich, in die Köpfe der vorislamischen Angehörigen arabischer Stämme zu blicken. Aber die Scheidelinie in ihrem Denken zwischen dem Spirituellen und dem Gewerblichen dürfte vermutlich ebenso durchlässig gewesen sein, wie es die Grenze zwischen dem Spirituellen und dem Politischen immer schon war. Für eine badw-Gesellschaft, in welcher Raubzüge und Überfälle der wichtigste Wirtschaftszweig waren, mag die spirituelle Zugkraft Mekkas sich kaum von den Attraktionen des Einkaufens und Vergnügens etwa auf dem Ukāz-Jahrmarkt südöstlich von Mekka unterschieden haben. Auch der Friede war eine weitere Verlockung: Die Wallfahrt fiel in die Mitte eines alljährlichen dreimonatigen Waffenstillstands,47 wenn der Handel die Raubzüge ersetzte und die der Überfälle und Fehden müden Krieger aufatmen und dem Wettstreit der Dichter und Predigern auf Kamelen lauschen konnten. Die drei Sphären des Politischen, Gewerblichen und Spirituellen überschnitten sich und genau dort, wo sie zusammentrafen, befand sich das mekkanische Temenos, der umgrenzte Bezirk des Heiligtums. Der derzeitige Mittelpunkt dieses Temenos, die Kaaba, der „Kubus“, scheint ewig, archetypisch. Muslimische Geografen haben sie den „Nabel der Erde“ genannt48 – denselben Ausdruck verwendeten die Griechen für ihr Pilgerzen trum Delphi (wo der exakte „Nabel“ – vielleicht nicht zufällig – durch einen heiligen Stein symbolisiert wurde);49 einige haben Mekka auch mit einem Mutterschoß verglichen, der sich ausdehnt, um die ständig größer werdenden Pilgermassen aufzunehmen.50 Beinahe scheint die Kaaba angekommen und
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nicht erbaut worden zu sein, wie die schwarzen außerirdischen Monolithen, die in 2001: Odyssee im Weltraum durch die Menschheitsgeschichte spuken. Aber auch die Kaaba war, nicht weniger als jedes andere Monument, Wandel, Verfall und Umbau unterworfen. Auch ihre Bewohner wechselten. Der Götze Hubal, angeblich irgendwann vor dem 5. Jahrhundert aus Syrien hergebracht, waltete über populäre und einträgliche Weissagungen: Zum Preis von 100 Dirham oder einem Kamel wurden mit „Ja“, „Nein“ oder anderen Wörtern beschriftete Pfeile vor dem Bildnis des Gottes in einem heiligen Köcher gerüttelt und Besuchern auf Grundlage der gezogenen Pfeile Rat erteilt.51 Qusaiy, der quraischitische Gründervater, vergrößerte die Bewohnerschaft des Heiligtums um die drei beliebtesten weiblichen Gottheiten Arabiens, al-Lāt, al-Manāt und al-ʿUzzā, die er dort versammelte.52 Es ist das Trio, das später in den berühmtberüchtigten Satanischen Versen vorkommt. Zur Zeit Mohammeds gab es einen geordneten alten Pantheon, und zu den Attraktionen der Kaaba gehörten zwei Standbilder namens Isaf und Naʼila, ein Paar, das angeblich in dem Heiligtum Unzucht getrieben hatte und zu Stein verwandelt worden war.53 Um diese Zeit diente die Kaaba außerdem als Porträtgalerie quraischitischer Ahnen,54 während sich in ihrem Umkreis die Häuser für die Zusammenkünfte der verschiedenen quraischitischen Clans erstreckten sowie ein Versammlungshaus, das allen Clans offenstand.55 Nicht zuletzt barg das Heiligtum ab dem Umbau im Jahr 608, möglicherweise aber auch schon früher, ein Bildnis von Jesus und Maria, das Mohammed später von seiner massenhaften Zerstörung vorislamischen Kultrequisiten ausnahm.56 Doch die Kaaba von Mekka war nicht einzigartig. Es gab eine Kaaba von Nadschrān, die unter äthiopischer Schirmherrschaft als Martyrion für die christlichen Opfer des jüdischen Königs Yusuf Asʼar Yathʼar entstand,57 sowie eine Kaaba von Sindād im südlichen Irak, über die anscheinend wenig bekannt ist.58 Aber gegen Ende des 6. Jahrhunderts entwickelte sich die mekkanische Kaaba zum wichtigsten Kult- und Wallfahrtszentrum. In jener Zeit der Uneinigkeit bot sie für jeden etwas, sozusagen alles Religiöse aus einer Hand, mit Hubal und seinen Weissagungen als Hauptattraktion. Allah war weithin anerkannt, scheint aber, was seinen aktiven Kult betraf, eine recht provinzielle Gottheit gewesen zu sein. Er wurde als der Schutz- oder Vatergott der Quraisch betrachtet: „Wir sind seit unvordenklichen Zeiten die Familie Allahs“, soll Mohammeds Großvater Abd al-Muttalib erklärt haben.59 Aber all das sollte sich demnächst ändern.
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Mohammed Mohammeds Leben überspannt den exakten Mittelpunkt der überlieferten arabischen Geschichte. Und so wie die erste, vorislamische Hälfte dieser Geschichte oftmals unklar ist, so ist es auch die erste Hälfte dieses Lebens. Als Geburtsdatum Mohammeds wird oft das Jahr 570 genannt. Es ist ein Schuss ins Blaue, aber die Zahl ist hängengeblieben; wie wir gesehen haben, hängt sie von der problematischen Datierung des „Jahres des Elefanten“ ab, und wir können – wie die Gruppe von Blinden in dem Gleichnis von den blinden Sufis und dem Elefanten – nicht mehr tun, als das Problem ertasten. Das überlieferte Datum 582 für die Reise des Jungen nach Syrien ist ebenfalls strittig. Erst mit dem Jahr 610 – gewöhnlich als Beginn der Offenbarungen Mohammeds ins Spiel gebracht – bewegen wir uns auf zeitlich sicherem Terrain. Danach haben wir es mit immer wahrscheinlicheren Daten zu tun: Einige der Anhänger Mohammeds gingen möglicherweise im Jahr 616 nach Äthiopien; seine erste Ehefrau, Chadīdscha, könnte 619 gestorben sein. Mohammeds Umsiedlung von Mekka nach Medina im Jahr 622 ist die erste unstrittige Wegmarke in seinem Leben und folglich der Anfang des islamischen Kalenders. Von da an sind die Daten gesichert: die Schlacht von Badr 624; die mekkanische Belagerung von Medina 627; der Waffenstillstand mit den heidnischen Mekkanern 628; die Eroberung von Mekka durch Mohammed 630; der Tod des Propheten 632. Spätere Frömmelei hat nicht nur das spärliche Gerippe der Biografie Mohammeds mit Leben gefüllt, sondern auch im Nachhinein vorausgesehen, in welchen Bahnen dieses Leben verlaufen würde, lange bevor es begann. Der „Tröster“, von dem Jesus verspricht, er würde kommen, um der Welt Mut zuzusprechen,60 wird vom Islam nicht als der Heilige Geist gedeutet, sondern als „Ahmad“ (Mohammed).61 Auch das Prophetentum wurde prophezeit. So soll Mohammed als Junge mit seinem Onkel auf eine Handelsreise gegangen und im südlichen Syrien einem christlichen arabischen Mönch begegnet sein, der in ihm die Zeichen göttlicher Gnade sah.62 In einer anderen Geschichte reist sein Freund Abū Bakr in den Jemen und trifft einen Mönch, der ihm ein Porträt „Mohammeds des Propheten“ zeigt; Abū Bakr ist verwirrt, stellt aber bei seiner Rückkehr nach Mekka fest, dass Mohammed tatsächlich sein Prophetentum verkündet hatte.63 Neben diesen Verschmelzungen mit der umfassenderen jüdisch-christlichen Vergangenheit gab es andere, die Mohammed in die spezifisch arabische Überlieferung einbanden. Einer Überlieferung zufolge wurde Mitte des 6. Jahrhunderts Satīh, der bereits erwähnte angeblich knochenlose Seher,64 um Rat gefragt bezüglich des Traums eines persischen Adligen von „störrischen Kamelen, die Araberpferde [über den Tigris] führen“ und sich im gesamten Sassanidenreich verbreiten. Wie zu erwarten, prophezeite Satīh die bevorstehende Eroberung
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des Perserreiches durch einfallende Araber und ihre unaufhaltsame Kombination von Kamel und Pferd; aber er sagte auch weiter: „Das arabische Schicksal wird erhöht werden: Ich glaube, die Geburt Mohammeds ist nahe.“65 Interpretationen der Evangelien und des Koran sind Glaubenssache und daher gewissermaßen über jede Skepsis erhaben. Doch gegenüber knochenlosen Sehern und telepathischen mönchischen Porträtisten ist durchaus Skepsis angebracht. Dasselbe gilt für Biografien Mohammeds. Selbst wenn sie nicht offenkundig aus der Luft gegriffen sind, sollte man ihnen zurückhaltend begegnen: Fast alle sind jünger als das erste islamische Jahrhundert; sie widersprechen einander in vielen Punkten; und am Fragwürdigsten ist, dass, „je jünger die Quellen sind, desto mehr behaupten sie über das Leben des Propheten zu wissen“.66 Auch die Hadith-Literatur ist mit Vorsicht zu genießen. Sammler von Hadithen – Berichte über die Aussprüche und Handlungen Mohammeds bzw. über Worte und Taten Mohammed betreffend – haben bis zu eine Million solcher angeblicher „Überlieferungen“ zusammengetragen, was etwa eine Überlieferung pro 80 Minuten seines wachen Lebens als Prophet ergibt. Von den eine Million Überlieferungen sollen etwa 5000 glaubwürdig sein – das macht vier oder fünf pro Woche seines Prophetenlebens.67 Diese letztere Zahl klingt realistischer. Aber diese sich auftürmende Masse an unzuverlässigen Zeugnissen – auf eine glaubwürdige „Überlieferung“ kommen 200 fragwürdige – ist eine Warnung davor, wie Frömmelei (oder Notwendigkeit – der Bedarf an prophetischen Präzedenzfällen) die Vergangenheit erfinden kann. Mohammed selbst war dieser Umstand, was seine eigenen Vorfahren betraf, durchaus bewusst. Auch wenn er später über Ismāʿīl, den jungen Asylsuchenden in Mekka, dem Stammbaum der biblischen Propheten aufgepfropft wurde, verbot Mohammed selbst jeden Versuch, seine Abstammung so weit zurückzuverfolgen:68 Er wusste, dass die Überlieferung über Maʼadd ibn Adnan, den mutmaßlichen Urahnen der nördlichen Stämme, hinaus unsicher war.69 „Genealogen“, sagte er freiheraus, „erzählen Lügen.“70 Andererseits kommen diese beiden Aussagen in Hadithen vor. Was kann man glauben? Ein Blick auf seine jüngeren Vorfahren zeigt, dass Mohammed nicht nur ein Waisenkind war, sondern auch einem ärmeren Clan der Quraisch entstammte.71 In der zweigeteilten Stammesüberlieferung hatten sich die beiden Enkel des Quraisch-Gründervaters Qusaiy zerstritten: Einem Bericht zufolge wurden Hāschim und Abd Schams als siamesische Zwillinge geboren und auf blutige Weise mit einem Schwert voneinander getrennt.72 Falls diese Geschichte nicht wahr ist, so müsste sie es sein, denn Unmengen von Blut besudelten in der Folge die Beziehungen zwischen den Nachfahren dieser beiden, den Haschimiten und den Umayyaden (der Name der Letzteren geht zurück auf Umāyya, den
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Sohn von Abd Schams, dessen eigener Name – „Sklave der Sonnengöttin“ – der zukünftigen Dynastie islamischer Kalifen merkwürdig zu Gesicht gestanden hätte). Das Blut fließt noch heute aus der offenen Wunde, die Sunna (ahl assunna, „Leute der Sunna“) und Schia, Sunniten und Schiiten, trennt, eine langfristige Folge jener ersten sagenumwobenen Trennung. Im Verlauf der beiden darauffolgenden Generationen begann die mekkanische Wirtschaft zu boomen, und in dem allgemeinen kapitalistischen Wettbewerb schlug die umayyadische Linie sich besser als die Haschimiten.73 Wohlstand bedeutete auch Macht, und während der Jugendjahre von Hāschims Urenkel Mohammed verdrängten die Umayyaden die Haschimiten erfolgreich aus der herrschenden Elite der Quraisch.74 Mohammed der Waise, posthumer Sohn von Abdallāh ibn Abd al-Muttalib ibn Hāschim, verlebte keine unterprivilegierte Kindheit. Von seinem Onkel väterlicherseits, Abū Tālib, wurde er liebevoll aufgezogen und von Haussklaven und einem äthiopischen Kindermädchen verwöhnt. Einigen Berichten zufolge sprach er Äthiopisch,75 das er wahrscheinlich von dem Kindermädchen lernte. Nicht genug damit, dass Mohammed mit der an „Regen auf ausgedörrter Erde“ erinnernden blumigen mekkanischen Sprache und vielleicht sogar zweisprachig aufwuchs, wurde er getreu mekkanischer Tradition als sehr kleines Kind außerdem in die bādiya, das badw-Land oder Steppenhinterland der Stadt geschickt, wo er bei dem Nomadenstamm Saʿd ibn Bakr lebte.76 Dieser Beduinenkindergarten diente sowohl dazu, mekkanische Kinder abzuhärten, als auch ihre sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern – Sprechtechnik durch Immersion. Nomadische Mobilität war die Mutter der arabienweiten gehobenen Form des Arabischen gewesen und sie wurde geradezu als ein angeborenes Merkmal der mobilen Stämme betrachtet. Im Gegensatz dazu galten Städte – selbst das relativ wortgewandte Mekka – als einer reinen Sprache abträglich, als Orte, wo die glottalen Hamzas eines Sprechers so gewiss verkümmern und nicht ausgesprochen würden wie die „H“s eines Cockney oder die Endkonsonanten eines Cajun. So merkwürdig die Sitte der Beduinenerziehung daher auch erscheint, so ist sie doch nicht merkwürdiger als die westliche Gepflogenheit, kleine Jungen von zuhause fort in Internate zu schicken. Außerdem existierte sie schon lange vor Mohammed und war nicht nur in Mekka verbreitet: In einer spätsabäischen Inschrift aus der Zeit, als der Süden in Schrift und Sprache weithin arabisiert wurde, erwähnt der Verfasser, dass er seine Söhne fortschickte, um sie von nomadischen aʿrāb aufziehen zu lassen.77 Die umayyadischen Kalifen setzten diese Praxis später, nach ihrem Umzug zu den Fleischtöpfen Syriens, fort: Kalif Abd al-Malik bildete eine Ausnahme, wenn er einräumte, dass er seinen Sohn al-Walīd verdorben habe, weil er ihn nicht in die bādiya schickte.78 Viel
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später – sogar noch in den 1920er-Jahren – schickten wohlhabende Mekkaner ihre Söhne noch immer hinaus ins Internat der bādiya.79 Die Erfahrung scheint Mohammed eine positive Auffassung über die benachbarten Nomaden und einen Eindruck von ihrer Symbiose mit Mekka vermittelt zu haben. Viel später, als seine Frau Aischa die Nomaden des mekkanischen Hinterlands einmal als aʿrāb bezeichnete, erwiderte Mohammed scharf: „Sie sind nicht aʿrāb. Sie sind die Bewohner unserer bādiya, und wir sind die Bewohner ihrer qariya.“80 Daraus wird aber auch deutlich, dass Mohammed, gelinde gesagt, auf der Hut war vor den weiter verstreut lebenden, wilderen Nomaden. Wie wir sehen werden, sollten seine Beziehungen zu Letzteren angespannt bleiben. Er war bereit, sich ihrer Taktiken zu bedienen, war sich der von ihnen ausgehenden Gefahren aber stets bewusst. Zunächst sollte Mohammeds kurze und anscheinend glückliche nomadische Erziehung – man könnte durchaus von Arabisierung in Sprache und Schrift, ja sogar von kultureller und ethnischer Arabisierung sprechen – eine weit größere als nur eine persönliche Bedeutung haben. Wenn man sich das umfassendere mekkanische Milieu und die breiteren Strömungen der arabischen Geschichte ansieht, so war Mohammed aufgrund seiner Herkunft perfekt geeignet, um in dem Langzeitdialog zwischen hadar und badw zu vermitteln und schließlich zu versuchen, Einigkeit zwischen ihnen zu erzielen. Er stammte aus einem urbanen, gewerblichen Umfeld, das jedoch in eine nomadische Umgebung eingebettet war und sich bei seinen Handelsaktivitäten auf die Nomaden verlassen musste. Es heißt, die Mekkaner ähnelten politisch, kulturell und religiös stark ihren nomadischen Nachbarn.81 Aber sie waren vornehme – oder, wenn man Begriffe verwendet, die Wörtern für „Stadt“ entlehnt sind, höfliche (engl. „polite“, vom altgriech. pólis) und urbane (vom lat. urbs) – Versionen von Nomaden. Falls die Visionen vom Paradies im Koran als Leitfaden verwendet werden können, dann erstrebten die Mekkaner einen Lebensstil, wie ihn ihre ferneren zivilisierten Nachbarn pflegten. Das Paradies des Koran wird geschildert, als handle es sich um ein immerwährendes hellenistisches oder vielleicht palmyrenisches Symposion, wo die Auserwählten seidene Gewänder tragen und, „an Ruhepolster angelehnt“, aus „Gefäße[n] aus Silber“ und „Becher[n], die wie Flaschen sind“, trinken, die von jugendlichen Mundschenken dargereicht werden.82 Die Gärten dieses Paradieses werden von Bächen bewässert, die stets unter der Erde fließen,83 wie die von den Persern entwickelten unterirdischen Qanate. Aber durch ihre Aufenthalte in beduinischen Gastfamilien lernten die Mekkaner von Kindesbeinen an die Realität des Nomadenlebens kennen – saure Milch aus Ziegenlederschläuchen und Brackwasser, das aus sandigen Löchern geschöpft wurde. Zu Hause bewohnten sie einen Kompromiss, die qariya
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in der bādiya, die Marktgemeinde im Steppenland, bewässert von der verehrten, wenn auch etwas bitter schmeckenden Quelle Zamzam. Über den Rest von Mohammeds Kindheit und Jugend ist nichts bekannt, abgesehen von jener möglichen Reise nach Syrien im Knabenalter, als er seinen Onkel, den Kaufmann, begleitete. Später, als junger Mann, reiste er im Auftrag einer älteren Frau, einer quraischitischen Witwe namens Chadīdscha, die selbst Geschäftsfrau war, erneut nach Syrien. Die Reise war ein Erfolg, und eines der Ergebnisse war die Heirat von Mohammed und Chadīdscha. Fünf Kinder wurden geboren – drei Mädchen und zwei Jungen. Die Letzteren starben jung, so wie auch Mohammeds späterer Sohn Ibrahim. Die Jungen wurden mit den Namen „al-Qasim“ und „Abdallah“ posthum islamisiert, aber nach seiner maßgeblichen Biografie hatte er einen von ihnen Abd Manāf genannt, „Sklave [der Göttin] Manāf“, der Vorname seines Onkels und Beschützers Abū Tālib.84 Wie diese Fakten belegen, war Mohammed fest verwurzelt in seinem heidnischen mekkanischen Umfeld. Bekanntlich brachte er den heidnischen Gottheiten mindestens bei einer Gelegenheit Opfergaben dar, als er der altarabischen Göttin al-ʿUzzā ein weißes Schaf opferte.85 Aber wie wir sehen werden, war Mekka nicht gefeit gegen die Veränderung des religiösen Umfelds, die im Lauf der vorangegangenen drei Jahrhunderte einen Großteil der Region erfasst hatte. Der Monotheismus hatte sich längs des gesamten Mittelmeersaums verbreitet und dabei antike Götterwelten gestürzt und war nordwärts bis zu den fernen Inseln Britanniens vorgedrungen (Augustinus brachte das Christentum etwa um die Zeit nach Canterbury, als Mohammed Chadīdschas Karawane nach Syrien brachte). Auch in den beiden Fruchtbaren Halbmonden hatte der Monotheismus Fuß gefasst. Im alten sabäisch-himyarischen Süden beispielsweise hatten seine unterschiedlichen Ausprägungen – Christentum, Judentum und eine einheimische, kaum zu durchschauende lokale Hervorbringung, der Rahmanismus – um die Vorherrschaft konkurriert und manchmal gekämpft. Mekka war nach wie vor eine Insel der Theodiversität, aber die Göttin al-Uzza und ihresgleichen waren eine gefährdete Art. Wir werden weiter unten auf diese religiöse Evolution zurückkommen. Irgendwann im ersten Jahrzehnt des 7. Jahrhunderts begann Mohammed anderen kontemplativen Mekkanern nachzueifern, indem er sich in Klausur begab; ein bevorzugter Ort dafür war Dschabal Hirāʾ, der Berg mit Blick auf Mekka.86 Das ist mehr oder weniger schon alles, was über diese Praxis bekannt ist. In den vorangegangenen paar Jahrhunderten war es zu einer starken Zunahme christlicher Säulenheiliger und anderer Eremiten gekommen, vor allem in Syrien und anderen Regionen nördlich der Arabischen Halbinsel. Über irgendeine von ihnen ausgehende Inspiration Vermutungen anzustellen mag be-
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rechtigt sein, aber es ist nichts weiter als Spekulation. Jedenfalls geschah es während einer dieser kontemplativen Retraiten, dass die Offenbarungen begannen. Zuerst hatte Mohammed Angst – Angst, wie er seiner Frau Chadīdscha anvertraute, dass er im Begriff stehe, sich in einen kāhin, einen Seher, zu verwandeln;87 sollte er bereits monotheistische Neigungen gehabt haben, dann wäre der Gedanke, dass er in die Fänge der dämonischen Geister des alten Arabien geraten sein könnte, in der Tat beängstigend gewesen. Dies war auch die Diagnose seines späteren Nachfolgers Umar 88 und anderer unvoreingenommener Beobachter: Eine quaraischitische Frau, die hörte, wie er erwähnte, dass er eine Zeit lang keine Offenbarungen erlebt habe, sagte später: „Sein schaitān [„Satan“ oder inspirierender Dämon] lässt ihn warten!“89 Aber Mohammed hatte inzwischen erkannt, dass seine Offenbarungen sich von denen der altarabischen Wahrsager unterschieden. Zunächst einmal war der übernatürliche Mittler, der sie brachte, kein schaitān, sondern ein Engel. In ihrer Gesamtheit würden die Offenbarungen den Koran ergeben. Er ist nicht nur das einzige unanfechtbare Dokument über das Leben Mohammeds, sondern auch sein wichtigstes Wunder als Prophet. Die rhetorische Kraft des Koran sollte das größte aller Feuerräder antreiben, einen Zyklus von Einheit und Zersplitterung, der noch heute im Gange ist. Er ist das Meisterwerk der arabischen Sprache und gewissermaßen das Herzstück der arabischen Erzählung – der plötzlich strahlend sichtbar gemachte verborgene rote Faden der Geschichte. Wir müssen eine Weile aus dem Dunkel von Mohammeds früherem Leben treten und einen Blick in dieses wunderbare Buch werfen.
Trag vor! Nach der späteren islamischen Legende hatte Ismāʿīl den Schwarzen Stein von Allah durch Gabriel erhalten. Nun erhielt Mohammed von Allah nicht einen dunkel symbolischen Gesteinsbrocken, sondern ein lebendiges Wort: Iqra oder al-ʿalaq, „Trag vor!“, ist das erste Wort des Koran (al-Qurʾān, „die Rezitation“), das Mohammed von Gabriel offenbart wurde.90 Die ersten fünf Verse der 96. Sure al-ʿalaq gelten gemeinhin als Anfänge der Offenbarungen. Der Koran ist der Beweis, sollte es eines solchen bedürfen, dass die Vorrangstellung nicht dem Wort allein gebührt, sondern dem Klang des Wortes. „Ich bin kein Rezitator“, erwiderte ein verwirrter und erschrockener Mohammed.91 Daraufhin stopfte Gabriel laut Ibn Hischāms Biografie Mohammed ein beschriftetes Stück Stoff in den Mund, an dem er beinahe erstickt wäre. Nach drei Versuchen bekam Mohammed die Worte heraus, im doppelten Sinne.92 Im unlängst monotheisierten Britannien schreckte Mohammeds Beinahe-Zeitgenosse, der Hymnendichter Cædmon, ebenfalls vor einem göttlichen Besucher zurück
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(„Sing!“ „Ich kann nicht singen“);93 und die schmerzhafte Verkündigung ist damit verglichen worden, wie ein Engel die Lippen des Propheten Jesaja mit einer glühenden Kohle berührt.94 Verkündigung deutet auf einen jüdisch-christlichen Kontext hin, was teils zutreffend ist: Nach Mariä Verkündigung durch Gabriel wurde das Wort Gottes Fleisch; mit der Verkündigung Mohammeds wurde das Wort Klang. Sowohl Maria als auch Mohammed waren Jungfrauen – Maria im wörtlichen Sinne, weil sie keine Fortpflanzungserfahrung hatte, Mohammed in dem Sinne, dass er keine Rezitationserfahrung hatte. Aber der Kontext verschleiert den tieferliegenden Subtext: Wie die quraischitische Frau, die von Mohammeds schaitān sprach, erkannte, übte Gabriel auch die Funktion einer Art Superdämon aus, vergleichbar jenen Dämonen, welche die antiken kāhins inspiriert hatten. Es war der kāhin-artige Charakter der frühen Offenbarungen, der für Mohammeds ursprüngliche Zuhörerschaft am offensichtlichsten war – aber auch für Mohammed selbst, der fürchtete, ein Seher zu werden. Um zu zeigen, wa rum, genügt es, den Schwur eines kāhin, der in einem Streit zwischen jenen frühen Quraisch, Hāschim und Umāyya, entscheidet, mit einem Eid zu vergleichen, der einer frühen Koransure vorausgeht. Zuerst der kāhin: Bei dem Mond, der hell scheint, Bei dem Stern, der klar zu sehen ist, Bei den Wolken, die Regen spenden, Bei allen Vögeln in der Luft …95 Dann der Koran: Bei der Sonne und ihrem Morgenlicht, beim Mond, wenn er ihr folgt, beim Tage, wenn er sie erstrahlen lässt, bei der Nacht, wenn diese sie bedeckt …96 Später jedoch äußerte Mohammed sein Missfallen an der reimenden Sprache der kāhins, um sich von ihnen zu distanzieren.97 Er habe ihre Tradition beendet und übertroffen, erklärte er: „Nach dem Prophetentum kann es kein Sehertum mehr geben.“98 Mohammed wurde nicht nur für einen kāhin gehalten, sondern von seinen frühen Kritikern auch beschuldigt, einer jener anderen Meister des Hocharabischen zu sein, der Poeten. Beide Anschuldigungen wurden im Koran zurückgewiesen:
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Ich schwöre bei dem, was ihr erblickt und was ihr nicht erblickt! Siehe, es ist wahrhaftig das Wort eines edlen Gesandten, es ist nicht das Wort eines Dichters – wie wenig glaubt ihr doch! – und nicht das Wort eines Wahrsagers – wie wenig lasst ihr euch doch mahnen! –99 Sprachlich wurden die Offenbarungen zweifellos in derselben hocharabischen Sprache geäußert, welche die Reimsprache der Seher mit der Dichtkunst gemeinsam hatte: Für ihre Hörer, einen Kreis von Mekkanern, der sich von Mohammeds unmittelbarer Familie nach außen erweiterte und für den die besondere Sprache eine Garantie für den übernatürlichen Ursprung der Botschaft war, gehörte all dies zum Beweis ihrer Wahrheit. Aber die Thematik des Koran unterschied sich eindeutig von der bereits klassischen Poesie des Aufschneidens, der Lobrede und der Liebe. „Hast du nicht gesehen“, fragt der Koran in Bezug auf die Prahlerei der Dichter, dass sie in allerlei Wadis umherirren und dass sie sagen, was sie nicht tun?100 Aber war die Thematik immer so anders? In Westarabien tauchte etwa um die Zeit Mohammeds eine neue, wenn auch seltene Spielart dessen auf, was man als Erbauungsdichtung bezeichnen könnte. Ihr bekanntester Vertreter war Umāyya ibn Abī al-Salt, der aus al-Tāʾif stammte, einer Stadt etwa 70 Kilometer südöstlich von Mekka. Er war ein leidenschaftlicher Hanīf, ein Begriff, der im Koran für jemanden verwendet wird, der den ursprünglichen, aber ein wenig nebelhaften vormohammedanischen Monotheismus praktizierte, der auf Abraham zurückging und frei geblieben war von späteren Zuwächsen, jüdischen wie christlichen. Von diesem Umāyya heißt es, er habe die älteren Schriften gelesen, ein Büßerhemd getragen, Alkohol gemieden und einen Hang zur Zerstörung von Götzenbildern gehabt. Zu den ihm zugeschriebenen Zeilen gehört die Art von Material, die auch im Koran auftaucht – über göttliche Einheit, die Schöpfung, Himmel und Hölle, die antiken Propheten, die untergegangenen Völker der Ād und der Thamūd sowie über Gegenstände von eher lokalem Interesse wie das „Jahr des Elefanten“.101 Einer seiner Verse lautet: Am Tag der Auferstehung wird Allah jeden Dīn – ausgenommen den Dīn der Hanīfen – für falsch erachten.102
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Man vergleiche diese Zeilen mit Koranversen wie dem folgenden: Und richte nun dein Antlitz auf die Religion, im rechten Glauben … Das ist die Religion, die Bestand hat. Jedoch die meisten Menschen haben kein Wissen.103 Abgesehen davon, dass er ein Zeitgenosse Mohammeds war, sind Umāyyas Lebensdaten unbekannt. Auf jeden Fall war und blieb er ein Widersacher Mohammeds:104 Nach der Gründung des Staates von Medina verfasste er Klagegedichte über jene, die bei Mohammeds Überfällen getötet worden waren.105 Für Gläubige ist der Koran das ewige Wort Allahs und kann keine Vorläufer haben. Doch wenn wir den Glauben einmal bewusst außer Acht lassen, lautet die naheliegende Frage, wer wen beeinflusste. Orientalisten wie Clément Huart versuchten nachzuweisen, dass Umāyya Mohammed beeinflusste; muslimische Freidenker wie Taha Husain versuchten das Gegenteil zu beweisen.106 Keiner ist überzeugend, und niemand kann überzeugend sein, solange wir nicht wesentliche Fragen zur Datierung und Echtheit von Umāyyas Gedichten beantworten können. Was Letztere betrifft, so herrscht allgemein Einigkeit darüber, dass unter den ihm zugeschriebenen Versen „durchaus manches authentische Material sein könnte“.107 Das ist alles. Und alles, was mit Sicherheit gesagt werden kann, ist, dass es in Westarabien in späterer heidnischer Zeit eine Art mündlich zirkulierende Bibliothek gab – bestehend aus Gleichnissen aus der Antike, bruchstückhaftem Wissen über die jüdischen und christlichen heiligen Schriften sowie Gedanken über die Schöpfung und den Charakter des monotheistischen Gottes. Alle Hanīfen – vorislamische Monotheisten – schöpften daraus, und der Versuch zu bestimmen, welchen Weg Einflüsse zwischen ihnen nahmen, ist wahrscheinlich ein sinnloses Unterfangen. Unzweifelhaft ist, dass Mohammed mit seinen Überzeugungen nicht allein dastand. Sogar das Verb aslama („sich ergeben, sich hingeben) und das dazugehörige Substantiv islām als Ausdruck für „Unterwerfung“ unter oder „Hingabe“ an den Einen Gott, „SichErgeben (in den Willen Gottes)“ war allen gemeinsam. Man vergleiche den Anfang des letzten oben zitierten Koranverses mit einigen Zeilen von Zaid ibn Amr ibn Nufail, einem mekkanischen Hanīf, der älter war als Mohammed und starb, als dieser etwa 35 Jahre alt war: Ich habe mein Gesicht Ihm hingegeben [aslamtu], dem sich die Erde hingab, schwere Felsen gebärend. Er breitete sie aus, und als Er sie glatt liegen sah auf den Wassern, setzte Er feste Berge darauf.108
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Wie Mohammed begab sich auch Zaid regelmäßig auf den Berg Hirāʾ in Klausur; und wie die späteren Anhänger des islām pflegte er im Gebet niederkniend sein Gesicht dem Einen Gott, Allah, hinzugeben,109 sich Seinem Haus, der Kaaba, zuzuwenden. Seinen Großbuchstaben erhielt „Islam“, „Unterwerfung“, „Hingabe“ oder „Ergebung“, erst als System der wortverwandten „Muslime“, der „sich Ergebenden“, nach dem Umzug nach Medina und der Verlagerung des Schwerpunkts vom Spirituellen zum Politischen.110 Bis dahin waren Mohammed und seine Anhänger und Vorläufer allesamt Hanīfen. Wenn der Koran auch in Inhalt und Denken nicht einzigartig ist, so ist er doch einzigartig in der Form. Er ging viel weiter als jede erbauliche oder andere Dichtung und weiter als die alte magische Sprache. Letztere scheint häppchenweise verbreitet worden zu sein. Genauso wurde auch der Koran „herabgesandt“. Aber er bildet in seiner Gesamtheit etwas viel Nachhaltigeres und etwas, das selbst neben den längsten vorislamischen Oden (die selten mehr als 100 Zeilen umfassten) wahrhaft episch wirkt: In seiner Gesamtheit stellt er nichts Geringeres dar als das allererste und für lange Zeit einzige arabische Buch.
Das buchgewordene Wort Es heißt, „mit einem Alphabet bricht ein Volk … zu einer Reise auf“.111 Und mit einem Buch – und insbesondere mit einem Sammelband wie dem Koran, der Himmel, Erde und alle Zeiten vom Augenblick der Schöpfung an einschließt – hat man ein Gefährt für die Reise. Der Koran ist daher nicht nur die heilige Schrift des Islam; er ist auch der Gründungstext des Arabertums, wie wir es kennen, mit dem ganzen Gewicht eines Pentateuch, einer Magna Charta und einer Unabhängigkeitserklärung. Jeder, der die arabische Geschichte erforscht, muss sich näher mit dem Koran befassen. Wie jenes andere Geschenk Gabriels, der Schwarze Stein, ist er ein Wendepunkt, von dem sehr viel Geschichte abhängt: Während auf den ersten Blick „die Einflüsse, die nach dem bloßen Urteil der Sinne und Augen die Weltgeschichte prägen … vor allem die Kriege, das Aufsteigen und Sinken der Dynastien“ sind, um noch einmal Whitman zu zitieren (der die Dinge gewöhnlich auf den Punkt bringt), wird [doch] vielleicht ein einziger neuer Gedanke, eine Idee, ein abstraktes Prinzip, ja, eine literarische Stilform, die für ihre Zeit passt und von einem großen Autor in Form gebracht und in die Menschheit geworfen wird, im rechten Augenblick Veränderungen, Werden und Vergehen bewirken, weit stärker als die längsten und blutigsten Kriege …112
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Doch auch die langen und blutigen Kriege sollten kommen und zwar schon bald. Aber es waren das Buch und der angeblich „analphabetische“ Autor, Mohammed, welche die Veränderung vollbrachten. Wie jene ersten offenbarten Worte – „Trag vor!“ – zeigen, meint quʼrān eigentlich einen mündlichen Text, der laut gelesen und gehört wird. Noch heute handelt es sich bei gedruckten und elektronischen Versionen um Nachdrucke bzw. Reproduktionen einer in den 1920er-Jahren in Ägypten hergestellten Standardausgabe, die sich selbst nicht auf Handschriften stützte, sondern auf mündliche Überlieferung.113 Einzelne Kopisten wurden immer schon für fehlbarer gehalten als das gebündelte Gedächtnis von Koran-Rezitatoren. Aber wie aus der Geschichte von Gabriel, der Mohammed das beschriftete Stück Stoff in den Mund stopft, ersichtlich ist, sind Rezitieren und Schreiben von Anfang an aufs Engste miteinander verknüpft. Zudem geht jene erste Offenbarung folgendermaßen weiter: Trag vor! Denn dein Herr istʼs, der hochgeehrte, der mit dem Schreibrohr lehrte …114 Rezitieren und Schreiben gehen vom Beginn der Offenbarungen an Hand in Hand, und Schreiben ist ebenso sehr wie Rezitieren eine göttlich inspirierte Handlung. Und einmal mehr ist nicht ausgeschlossen, dass Einflüsse aus der früheren Zivilisation Südarabiens im Spiel sind, wo Schreiben möglicherweise eine Tätigkeit war, die priesterlichen Schreibern vorbehalten war.115 Eine andere frühe Offenbarung, das „Schreibrohr“ (al-qalam), beginnt mit einem antiken heiligen Eid, der auf dieses Werkzeug der Moderne geleistet wird: Beim Schreibrohr und bei dem, was sie schreiben!116 Die alte mündliche, magische Welt der kāhins war mit der neuen Ära der Aufzeichnungstechnik vereinigt worden. Wenn der Ausdruck „Aufzeichnungstechnik“ Assoziationen mit Hi-Fi weckt, so sind sie nicht unangebracht. Im Arabischen „gilt das geschriebene Symbol als identisch mit dem von ihm angezeigten Klang“.117 Buchstaben sind nicht bloß phonetisch; sie sind phonisch, akustisch, „… Schrift, welche die Ohren dessen erfüllt, der sie sieht“, wie der Dichter al-Mutanabbī Buchstaben nannte.118 Robert Byron liegt goldrichtig, wenn er über Kufi, die früheste arabische Schrift, schreibt, sie besitze „eine funktionale Schönheit. Ihre besondere Gestalt hat etwas Rhetorisches, scheint hörbare in sichtbare Sprache zu transponieren.“119 In der Praxis bedeutet dies, dass die schriftliche Version eines münd-
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lichen Textes kein gesondertes Gebilde, eine nächste Kompositionsstufe ist; vielmehr sieht (oder hört) man sie als direkte Tonaufzeichnung, eher als Notation denn als Diktat, vergleichbar der Notation von Musik. Von daher ein altes Sprichwort: „Der Stift ist eine zweite Zunge.“120 Die Quraisch waren von Anfang stofflich, in Schriftform präsent. Die Offenbarungen wurden auf allem notiert, was gerade zur Hand war – Blätter, Knochen, Fetzen von Tierhaut oder Holzstücke, Tonscherben, Steine, wiederaufbereitete Fragmente eingeführter Papyri.121 Und irgendwann, vermutlich recht früh im zweiten Jahrzehnt des 7. Jahrhunderts, begannen beschriebene Teile davon zu zirkulieren. Von Umar, der davon ausgegangen war, dass Mohammed lediglich ein weiterer kāhin sei, heißt es in einigen Berichten, er habe sich für die Sache des Propheten begeistert, als er ein einzelnes Blatt las, das er zufällig im Haus seiner Schwester fand.122 Zunächst dienten solche Blätter den Anhängern Mohammeds unter seinen Familienangehörigen und Bekannten als eine Art Gedächtnisstütze beim Rezitieren.123 Später, in Medina, wurde systematisch aufgezeichnet und Mohammed diktierte „den Schreibern der Offenbarung“124 Koranverse – oftmals frisch aus dem himmlischen Äther. Einmal, als Mohammed ein bereits offenbarter Vers entfallen war, musste ein Schreiber ihm soufflieren,125 ein Fall, wo die aufgezeichnete Version mit der Live-Darbietung zusammenwirkte. In einem anderen Fall setzte einer der Schreiber in seinem Exemplar aus reiner Bosheit falsche Wörter ein; er wurde erwischt, flüchtete zurück ins heidnische Mekka – und prompt wurde ein Koranvers herabgesandt, der ihn kritisierte.126 Die Offenbarungen selbst tragen dieser Verlagerung vom Mündlichen zum Schriftlichen Rechnung: Ältere Offenbarungen sprechen gewöhnlich von quʼrān, „Rezitation“, spätere von kitāb, „Schrift, Buch“.127 Dass der Koran das erste arabische Buch wurde, ist nicht nur ein Faktum der Literaturgeschichte. Der Koran ist mehr als jene verschiedenen, zu einem Buch gebundenen Notizen; viel mehr als die Summe seiner Teile. Ein gewichtiger Einwand Mohammeds gegen die heidnischen Mekkaner lautete, dass sie keine heilige Schrift besäßen, um die Wahrheit ihrer eklektischen spirituellen Überzeugungen zu beweisen. Beispielsweise greift der Koran die Heiden an, weil sie behaupten, dass übernatürliche Wesen wie Engel die Töchter Allahs seien: Oder habt ihr eine klare Vollmacht? Dann bringt euer Buch herbei, wenn ihr wahrhaftig seid!128 Natürlich hatten die Heiden kein Buch, das sie herbeibringen konnten. Mohammed schlug sie vernichtend, indem er nicht nur die alte heilige Sprache hervorholte, sondern auch eine neue heilige Schrift vorlegte.
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Zum Wunder des Koran gehört ferner, dass sein Empfänger, Mohammed, ummī war, ein Wort, das oft als „analphabetisch“ gedeutet wird. Aber eine bessere Deutung könnte „heidnisch“ sein: Mit anderen Worten, Mohammed stammte aus einer Gemeinschaft – arabisch umma, lateinisch gens (daher das engl. „gentile“, nichtjüdisch, heidnisch) –, die, im Gegensatz zu Juden und Christen, keine heilige Schrift besaß.129 Es gibt einige Hinweise darauf, dass er schreiben konnte. In der oben erwähnten Geschichte von dem Mönch, der Mohammeds Porträt herzeigte und sein Prophetentum vorhersagte,130 bestand Abū Bakrs erste Reaktion darin zu sagen: „Aber Mohammed kann nicht gut schreiben.“ Er sagte nicht, dass er überhaupt nicht schreiben konnte.131 Geschichten aus der Zeit in Medina könnten bestätigen, dass Mohammed des Schreibens nicht gänzlich unkundig war.132 Sicher ist, dass Mohammed um die Macht der Schrift und des Schreibens wusste und dass er in den späteren Jahren der Gemeinschafts- und Staatsbildung in Medina umfassend davon Gebrauch machte. Wie Benedict Anderson in Die Erfindung der Nation behauptet, gibt es keine mächtigere grundlegende einigende Kraft für eine Gemeinschaft als Sprache.133 Dass die Sprache von einer Gottheit kam und erstmals in einem Buch verschriftlicht wurde, konnte diese Kraft nur exponentiell steigern. Die Genialität Mohammeds, ob er selbst nun schreiben konnte oder nicht, bestand teils darin, dass er das Potenzial der Schrift und des Schreibens erfasste – die irdische Macht, die Federn neben Schwertern ausüben können. In dieser Hinsicht, wenn auch nicht in anderer, mag er dem Häuptling des Nambikwara-Stammes geähnelt haben, bei dem Claude Lévi-Strauss sich in Brasilien aufhielt: „Das Genie ihres Häuptlings, der sofort verstanden hatte, wie hilfreich ihm die Schrift für den Ausbau seiner Macht sein konnte, und damit die Grundlage dieser Institution begriff, ohne ihre Verwendung zu beherrschen, flößte mir trotz allem Bewunderung ein.“134 Vielleicht glich er auch dem legendären König Kadmos, der angeblich das griechische Alphabet verbreitete – und sich außerdem eine Armee aus den ausgesäten Zähnen eines Drachen züchtete. (Es heißt, der König sei, wie die griechischen und arabischen Buchstaben, phönizischer Herkunft gewesen.) Wer also wusste im Mekka des frühen 7. Jahrhunderts, wie man vom Schreiben Gebrauch machte? Wie wir gesehen haben, war es dort wahrscheinlich eine ziemlich neue Technologie, eine, die bis zum ausgehenden 6. Jahrhundert über die Handelsrouten aus dem lachmidisch beherrschten Nordosten Arabiens durchgesickert war. Sie hatte die mekkanische Buchhaltung revolutioniert sowie Handel und Gewerbe auf ein neues Niveau gehoben.135 Angeblich beglückwünschte ein Dichter die Mekkaner in Versform zu den Vorzügen der kürzlich von ihnen übernommenen arabischen Schrift,
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mit deren Hilfe ihr nun Buch führen könnt über Reichtum, der verstreut und ungeordnet gewesen war. … Fleißig führt ihr eure Federn die Zeilen entlang so flink wie die Schreiber Chosraus und Caesars; ihr bedürft nicht der uralten Schrift der Himyaren.136 Die Verse treffen eine historische Aussage von großer Bedeutung. Nicht nur, dass die Mekkaner nun die Freuden der Buchführung entdeckten, erlangten auch endlich Araber als unabhängige Mitglieder Zutritt zum regionalen Klub der schriftkundigen Zivilisationen – Chosraus Perser, Caesars Römer/Byzantiner und die inzwischen von der Zeit überholten Himyaren Südarabiens. Fortan würden sich Araber mit diesen imperialen Nachbarn auf Augenhöhe messen. Und mit dem zusätzlichen Vorteil ihrer gottgegebenen (oder zumindest auf Allah gründenden) Solidarität würden sie jene bald überflügeln. Insgesamt sollen am Anfang von Mohammeds Prophetentum 17 Quraisch des Lesens und Schreibens kundig gewesen sein, aber die Zahl stieg recht schnell, und bald gehörten auch Frauen dazu.137 Bezeichnenderweise waren unter diesen 17 einige der engsten Weggefährten Mohammeds: Fünf von ihnen fungierten als seine Sekretäre,138 und es waren diese Fünf, die ihm schließlich reihum als Oberhäupter des neuen, von ihm gegründeten Staates nachfolgten. Zur Zeit des fünften Nachfolgers war aus dem Staat ein Imperium geworden. Nur eine auf Schriftlichkeit beruhende Verwaltung hat dieses Imperium in Gang halten und erweitern können; Glaube und Waffen allein hätten dazu niemals ausgereicht. Die Verbreitung der Schreibkunst, die sich bis dahin auf die Höfe der Klientelkönige im lachmidischen al-Hīra und im ghassanidischen Syrien beschränkt hatte, verwandelte die Araber. Indem sie lernten, in Hauptbüchern und heiligen Schriften ihre eigenen arabischen Schriftzeichen zu formen, formten sie auch ihren Charakter als Volk und verankerten ihn auf den Seiten einer größeren Geschichte.
Reim ist Vernunft Zu Lebzeiten Mohammeds meinte „Schrift“ oder „Manuskript“ eine ungebundene Loseblattsammlung von Texten. Sie zu einem einzigen Buch zusammenzustellen sollte lange Zeit dauern und erst fast 30 Jahre nach seinem Tod abgeschlossen sein. Ein Teil des Problems war die redaktionelle Bearbeitung: Die Redakteure mussten Textteile zusammenfügen, aber in Anbetracht der Göttlichkeit des Materials durften sie nicht kürzen. Der Band, der schließlich
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erschien, ist, wie nicht anders zu erwarten, voller Wiederholungen und interner Echos. Wer den Koran liest, darf nicht erwarten, eine folgerichtig aufgebaute Erzählung zu lesen, sondern muss davon ausgehen, eine Reihe von Themen und Variationen zu hören. Wenn man sich das Ganze bildlich vorstellt, so ist der Koran keine Übung in linearer Perspektive, sondern ein synoptischer Blick auf einen kosmischen Gegenstand durch ein Facettenauge und aus mehreren Perspektiven; anders ausgedrückt, man hat es beim Koran nicht mit einem Kubus, sondern mit einem unendlichen Polyeder zu tun. Und er ist sich seiner eigenen potenziellen Unendlichkeit bewusst: Selbst wenn auf Erden alle Bäume Schreibrohre würden, und wenn für das Meer, wenn es erschöpft ist, sieben Meere Nachschub brächten, so wären Gottes Worte unerschöpflich.139 Dabei ist der Koran als Buch keinesfalls besonders lang: Selbst in der Übersetzung, die zwangsläufig viel wortreicher ist als das Original, hat er die Länge eines durchschnittlichen Taschenbuchs. Aber er hat Anlass zu Hunderten von Kommentaren gegeben, die jeweils um ein Vielfaches länger sind als ihr Gegenstand, und die Geschichte von dem Kommentator, der 36 Jahre darauf verwendete, den Koran in einem mündlichen Vortrag auszulegen, aber niemals zu einem Ende kam, irritiert zwar, überrascht aber keineswegs. Diese ausufernde Exegese ist teils den zahlreichen immanenten Mehrdeutigkeiten des Koran geschuldet. Edward Said hielt seine Unerklärbarkeit für ein orientalistisches Klischee. Aber dennoch existiert diese Unerklärbarkeit im Koran: Einige seiner Verse sind klar zu deuten … andere sind mehrfach deutbar. Doch die, in deren Herzen Verirrung ist, die folgen dem, was darin mehrfach deutbar ist … Doch nur Gott kennt dessen Deutung. Und die im Wissen festgegründet sind, die sagen: „Wir glauben daran. Alles [das Klare und Unklare] kommt von unserem Herrn.“140 Worauf es am Ende im Koran mehr ankommt, ist nicht das, was er sagt, sondern wie er es sagt. Es ist nicht die Logik, die zählt, sondern die Magie – „Magie“ in ihrem ursprünglichen und heute vergessenen Sinne: Für die frühesten
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Griechen waren magoi die Hüter der mündlichen Überlieferung in der Region Medien im heutigen Iran.141 Mohammed verglich das Erlebnis des Empfangs der Offenbarungen mit dem lauten Hallen einer Glocke.142 Die Metapher des eindrucksvollen, abstrakten Klangs ist passend: Die Ideen sind, wie Ibn Chaldūn sagte, den Worten untergeordnet.143 Es ist eine merkwürdige Behauptung: Gewiss wohnt Wahrheit dem inne, was man sagt, nicht der Art, wie man es sagt … schon; aber nicht, wenn das, was man sagt, unmittelbar von Gott kommt. Für diejenigen von uns, die in einer Lebenswelt jenseits des Übernatürlichen leben, mag eine Analogie zur bildenden Kunst sich als nützlich erweisen: Man kann ein Porträt von, sagen wir, Francis Bacon betrachten und spüren, dass es, wenngleich alles andere als fotorealistisch, eine andere Art von Realität enthüllt – dass es eine tiefere Wahrheit über den Gegenstand enthält, dass es einzigartig und in gewisser Weise sogar beseelt ist. Im 7. Jahrhundert lebende Hörer des Koran, für die übernatürliche Wesen real und Worte die einzige Kunst waren, hegten keinerlei Zweifel hinsichtlich der Beseeltheit und Einzigartigkeit der Offenbarungen Mohammeds. Die Ironie daran ist, wie Geert Jan van Gelder gesagt hat, dass das Dogma vom göttlichen Ursprung des Koran „Mohammed einen Platz unter den talentiertesten und originellsten Autoren verwehrt hat“.144 Der Koran erbte die uralte Magie der Sprache der kāhins. Diese nun zur Göttlichkeit beförderte Magie ist der Beweis für die eigene Wahrheit des Buches. Herauskommen würde die Wahrheit am Ende in den Ereignissen der Geschichte. Der Sprachwissenschaftler Joshua Fishman hat darauf hingewiesen, dass Sprache „nicht bloß ein Träger von Inhalten ist … Sprache selbst ist Inhalt …“145 Der Koran ist ein besonders krasser Fall von Sprache als Inhalt. Das soll nicht heißen, dass die Inhalte, die er transportiert, unwichtig sind; ganz und gar nicht. Viele Muslime haben durch alle Zeiten hindurch die Inhalte ausgiebig studiert und die Botschaften des Koran aufrichtig und getreulich aufgesogen. Aber es ist möglich, mit viel weniger durchzukommen. Der Begründer der hanbalitischen Rechtsschule des sunnitischen Islam sagte: Ich sah den Allmächtigen in einem Traum und fragte: „O Herr, welches ist der beste Weg, um Dir nahe sein zu können?“ Er antwortete: „Mein Wort [d.h. der Koran], Ahmad.“ Ich fragte nach: „Mit Begreifen oder ohne Begreifen?“ Er sagte: „Mit oder ohne Begreifen.“146
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Und das Wort weilte unter uns und wir weilten in ihm Mit der Zeit sollten die dem Koran innewohnenden Unklarheiten zu widerstreitenden Auslegungen führen und erbitterte Konflikte hervorrufen; viele der erhabensten Botschaften Mohammeds würden hinter der Aufgabe zurückstehen, einen Staat zu führen und dann ein Imperium zu regieren. Am Anfang jedoch spielten die Unklarheiten keine Rolle. Was zählte – und immer noch vor allem zählt –, war nicht Logik, sondern der direkte Appell an Ohr, Herz und Seele unter Umgehung des Verstandes. Ibn Qutaiba, ein Universalgelehrter des 9. Jahrhunderts, sagte, die Zeit Mose sei „das Zeitalter der Magie“ gewesen (ein Stab wurde in eine Schlange verwandelt und das Rote Meer geteilt); die Zeit Jesu „das Zeitalter des Heilens“ (die Kranken wurden geheilt, die Toten wieder zum Leben erweckt); und die Zeit Mohammeds „das Zeitalter des bayān“, der klaren, beredten Sprache des Koran.147 Frühere Wunder waren übernatürlich; das Wunder Mohammeds war übersprachlich. Der Koran war Mohammeds größtes Wunder. Aber für Araber war das genug. Der Beweis des Wunders war und ist die große Anzahl von Menschen, die durch den Glauben an den Koran zusammengeführt wurden:148 Hättest du [Mohammed] alles, was es auf der Erde gibt, aufgewendet, du hättest zwischen ihren Herzen nicht Versöhnung stiften können. Gott aber hat unter ihnen Versöhnung gestiftet.149 Wie al-Masʿūdī es ausdrückte, „forderte [Mohammed mit dem Koran] das wortgewandteste aller Völker [Araber] heraus … und er betäubte ihr Gehör und lähmte ihren Geist“.150 Ein eindeutigerer Beweis ist nicht notwendig: Die arabische Sprache ist nicht nur der dritte einer Reihe von Siegen, die Araber über andere errangen – nach den Siegen der Waffen und des Islam. Sie war auch ihr erster Sieg über sich selbst,151 und ohne diesen Sieg wären die anderen nie passiert: Araber wären eine Fußnote in der Weltgeschichte geblieben, nicht ein fortgesetztes und wichtiges Kapitel. Die Sprache, die ihren Namen trägt, bezauberte („begeisterte“ ist nicht stark genug) sie und stärkte sie und ihr zukünftiges Imperium. Genau das muss man an dieser Stelle noch einmal betonen, weil die vielen Bücher, die durch das arabische Kapitel der Geschichte angeregt wurden, es nie ausreichend deutlich gemacht haben. Die arabische Sprache ist der Grund, warum wir von „der arabischen Welt“ – eigentlich der arabischsprachigen Welt, der Arabosphäre – sprechen können, und der Grund, warum diese Welt noch lebendig ist, während die römische Welt so tot ist wie ihre Sprache. Das Arabische wurde, wie ihr Lobpreiser des frühen 20. Jahrhunderts, Mustafā Sādiq ar-Rāfiʿī,
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schrieb, „auf einem magischen Fundament errichtet, das ihm ewige Jugend verleiht, sodass es niemals alt wird oder stirbt“.152 Was ihre ewige Jugend betrifft, würden einige widersprechen; dass die Sprache noch lebendig ist, kann niemand leugnen. Jan Retsö ist so weit gegangen zu behaupten, dass Mohammed und der Koran die gesamte Idee des Arabischseins wiederbelebten, die kurz davor gestanden hatte zu verschwinden.153 Retsö spricht von seiner eigenen komplexen Definition von ʿarab als traditionelle Wahrsager und Hüter lokaler Kulte.154 Es wäre zutreffender zu sagen, dass Mohammed ʿarab durch das Buch, das er ihnen gab, nicht nur als Hüter marginaler lokaler Kulte, sondern als Avantgarde einer globalen Kultur neu definierte, was auch immer sie zuvor gewesen oder geworden waren. Die Kultur würde Nichtmuslime einschließen und Menschen von außerhalb der Arabischen Halbinsel akzeptieren. Um noch einmal ar-Rāfiʿī zu zitieren: „Der Koran ist eine sprachliche Nationalität, die grundverschiedene Abstammungslinien zur arabischen Sprache vereint.“155 Um zu meiner eigenen früheren Metapher zurückzukehren, so hatte die formale Hochsprache der vorkoranischen Poesie den Arabern ihr auffallendstes Stück Nationaltracht verschafft. Im Koran diente sie jetzt auch dazu, einen transzendentalen Gott zu kleiden und Ihn auf diese Weise sichtbar zu machen, wenn auch verhüllt. (Es heißt zu Recht, der Koran sei das Gegenstück nicht der Evangelien, sondern von Christus, dem Logos:156 Die christliche Gottheit hüllte Sich in Fleisch und wurde Mensch; der alte Hochgott Mekkas hüllte Sich in einen Text, ein Gewebe aus Worten.) Aber die Folgen des Koran gingen weit über die Theologie hinaus. Das Arabische, die Nationaltracht, hatte locker gesessen. Mit dem Fortschreiten der islamischen Jahrhunderte sollten Exegeten und Lexikografen sie in etwas viel Uniformeres verwandeln – eine Uniform, die eingeführt werden konnte, um aus Menschen weit jenseits von Arabien Araber zu machen. Sie war und ist nach wie vor eine formelle Kleidung: Leute fühlen sich unbehaglich in ihr und sprechen im Alltag ein kunterbuntes Gemisch von Dialekten. Und doch ist diese schwierige und formelhafte Sprache, so steif sie von der Stärke der Jahrtausende auch ist, nach wie vor das Medium des Lesens und Schreibens. Und noch immer eint sie Araber „vom Ozean bis zum Golf“. Was auch immer der Begriff „Araber“ in der Vergangenheit bedeutet hat – randständige Kamelhirten, Kultwächter, Stammesräuber –, heute sind mit dem Wort in erster Linie Menschen gemeint, die die arabische Sprache benutzen. So schrieb der tunesische Intellektuelle Moncef Marzouki, von 2011 bis 2014 Interimspräsident Tunesiens: „Unsere [arabische] Gemeinschaft lebt, im Gegensatz zu allen anderen, nicht in einem Land; sie lebt in einer Sprache.“157 Er meinte die alte Sprache, die über den Koran letztendlich bis zur Poesie und magischen Sprache
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des vorislamischen Arabiens zurückreicht. Das Arabische ist etwas, das man annimmt, eine Gewohnheit in ihrer ältesten Bedeutung, aber auch etwas, in dem man wohnt.
Lā ilāha illā ʾllāh Auch wenn der Stoff des Koran dem Stil, der Inhalt der Form untergeordnet ist, ragen bestimmte Botschaften heraus, und eine Botschaft übertrifft alle anderen. Es ist der erste Satz des islamischen Glaubensbekenntnisses: Lā ilāha illā ʾllāh (Es gibt keinen Gott außer Gott). Doch für die an Götzenbildern reichen Mekkaner, deren augenblickliche wirtschaftliche Blüte zumindest teilweise dem Umstand geschuldet war, dass man von der Popularität der Kaaba als religiöser Großmarkt profitierte, dürfte der Satz kaum eine populäre Leitlinie gewesen sein. In Mekka gab es jede Menge Götter neben Allah: Der Ort war vollgestopft mit Bildnissen von Gottheiten aus ganz Arabien und darüber hinaus. Aber in einem umfassenderen Kontext betrachtet, folgte Mohammed lediglich dem regionalen Zeitgeist. Der Hedschas war die letzte bedeutende Insel des Heidentums in der mediterran-arabischen Welt,158 und Mohammed schwamm mit dem monotheistischen Strom. Aber welchen Weg würde er einschlagen? Der Eine Gott in seinen verschiedenen Erscheinungsformen war in einer langen, langsamen Zangenbewegung auf Westarabien vorgerückt. Es begann mit der Verbreitung des Judentums im Norden während des 1. Jahrtausends v. Chr. und vielleicht einem zaghaften frühen Monotheismus in Südarabien mit der Verehrung von Dhū al-Samāʾ, dem „Gott des Himmels“, in der Mitte jenes Jahrtausends.159 Spätestens im 4. Jahrhundert n. Chr. hatte das Christentum dauerhaften Einfluss auf die Regionen im Norden, während sich im Süden mit der Verehrung von al-Rahmān, dem „Barmherzigen“ (über den kaum mehr bekannt ist, als dass Er in Inschriften allmählich das alte Pantheon ersetzt), ein neuer einheimischer Monotheismus ausbreitete.160 Auch das Judentum fasste im Süden Fuß, wie wir bei dem Herrscher des frühen 6. Jahrhunderts Yūsuf Asʾar gesehen haben; die christliche Präsenz dort verstärkte sich mit der äthiopischen Machtübernahme, die Yūsufs Herrschaft beendete. Im selben Jahrhundert breitete sich das Christentum auch in den ghassanidischen und lachmidischen arabischen Klientelkönigreichen im Norden aus. Im Hedschas selbst gab es größere Inseln des Judentums, vor allem in Yathrib, Mohammeds zukünftigem Medina. Selbst im heidnischen Mekka machte das Christentum Fortschritte: Mehrere mekkanische Christen sind namentlich bekannt,161 und zur geweihten Einrichtung des Allerheiligsten, der Kaaba, gehörte eine Figur der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß.
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Vor allem aber war der Hedschas die Heimat der Hanīfen, deren monotheistische Erbauungsdichtung, wie wir gesehen haben, Merkmale mit Mohammeds Botschaft gemeinsam hat, unter anderem den Begriff islam. Die Gemeinsamkeiten gehen möglicherweise noch über Themen und einzelne Wörter hinaus. So heißt es gelegentlich, der Hanīf Chālid ibn Sinān al-Absī, der kurz vor Mohammeds Zeit lebte und von ihm als der vorletzte Prophet anerkannt wurde, sei ihm angeblich zuvorgekommen, indem er eine ganze Sure des Koran rezitierte, die als „Sure der Reinheit“ oder „Sure der Einheit“ bekannt ist.162 „Sprich“, beginnt sie, „Er ist Gott, der Eine …“163 Es ist eine der kürzesten Suren, aber es ist die nach der Eröffnungssure am häufigsten rezitierte und der reinste Ausfluss koranischer Theologie. Das Heidentum wirkte unter diesem vereinten monotheistischen Druck von außen und innen immer provinzieller; die alten Gottheiten verloren ihre Zuständigkeiten. Sie liefen Gefahr, grob behandelt zu werden, wenn sie ihre Aufgabe nicht erfüllten. Beispielsweise soll sich Mitte des 6. Jahrhunderts der Dichter Imruʾ al-Qais um die Genehmigung des Gottes Dhū al-Chalāsa bemüht haben, das Blut seines Vaters zu rächen, aber als die prophetischen Pfeile des Gottes wiederholt sagten: „Tu es nicht“, geriet der Dichter in Zorn und zerbrach sie.164 Und der Stamm der Banū Hanīfa besaß ein aus einem Gemisch aus Datteln, Mehl und Butterschmalz modelliertes Kultbild: Als der Gott sich während einer Hungersnot weigerte, ihre Gebete zu erhören, aßen sie ihn auf.165 Die wachsende Machtlosigkeit der alten Götzen bedeutete, dass einige merkwürdige Gruppen auftauchten. Ibn al-Kalbī beispielsweise erwähnt einen Eid, dessen Zeugen jene prophetische Gottheit Dhū al-Chalāsa, Allah und, um die Beteuerung dreifach abzusichern, der christliche Gott waren.166 Flexibilität und Eklektizismus waren das Gebot der letzten heidnischen Stunde. Für die Mekkaner jedoch war Allah die Standardgottheit. Ihre Eide wurden geleistet bei al-Lāt und al-ʿUzzā und jenen, die an sie glauben, Und bei Allah, wahrlich Er ist bedeutender als beide.167 Angenommen, die Zeilen sind echt, dann zeigen dieser und andere Eide, dass die Mekkaner, auch wenn Göttinnen wie al-Lāt und al-ʿUzzā ein Rückfall waren, auf Allah als ihren Hochgott bauten. Wie der Koran von den heidnischen Mekkanern sagt: Fragst du sie, wer sie erschuf, sagen sie: „Gott.“168
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Desgleichen: Fürwahr, wenn du sie fragst: „Wer ließ herab vom Himmel Wasser fließen, dass er damit belebe die Erde nach ihrem Tod?“ So sagen sie: „Der eine Gott!“169 Allahs Vorrangstellung in Mekka wurde sogar durch das Angebot – wenn auch nicht die tatsächliche Ausführung in einem berühmten überlieferten Fall – eines Menschenopfers bekräftigt. Mohammeds Großvater Abd al-Muttalib hatte Allah geschworen, sollte er zehn Söhne zeugen, die das Erwachsenenalter erreichten, er einen von ihnen opfern würde. Das Gebet wurde erhört, Lose wurden gezogen, und Mohammeds Vater Abdallah wurde als Opfer erlost – aber in letzter Sekunde durch die ersatzweise Opferung von 100 Kamelen errettet.170 Die Anklänge an die Bindung Isaaks sind stark, auch wenn die Inflation den Preis für die Auslösung – im uralten Fall Abrahams ein einziger Widder – inzwischen in die Höhe getrieben hatte. Bereits in den Jahrhunderten vor dem Islam bedeutete die überragende Stellung Allahs in Mekka und die Heiligkeit der Stadt, dass Er unter den Arabern insgesamt breites Ansehen genoss. Es ist unmöglich, unter den Göttern des veränderlichen altarabischen Pantheons Rangordnungen festzulegen, aber Er dürfte einen Platz ähnlich dem von Zeus/Jupiter und Brahma in ihrem je eigenen Pantheon eingenommen haben – als anerkannter, aber ziemlich distanzierter Vorstandsvorsitzender, und den meisten Menschen war wohler, wenn sie über Mittler Kontakt mit ihm aufnehmen konnten.171 Mohammeds Leistung bestand darin, so viele Araber dazu zu bringen, Allah nicht nur für den Supergott zu halten, sondern auch für den einzigen Gott. Und mit dem theologischen Unitarismus kamen sowohl die Idee der politischen Einheit als auch die Mittel, sie zu erreichen. Aber vielleicht war die Offenbarung auch in diesem Punkt nicht so revolutionär, wie es schien.
Die Schönen Namen Die alten Südaraber besaßen, wie wir gesehen haben, viele Jahrhunderte lang Vorstellungen von politischer Einheit, die von der Verehrung einer gemeinsamen Gottheit herrührten.172 Saba beispielsweise war das zentrale schaʿb oder „Volk“ eines umfassenderen Bundes. Andere Völker, die sich dieser größeren Einheit anschließen wollten, mussten der sabäischen „nationalen“ Gottheit, Almaqāh, in einer jährlichen Wallfahrt huldigen. Es ist wahrscheinlich, dass die islamische Einheitsidee zumindest indirekt, wenn auch nicht unmittelbar
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ein Erbe dieser alten Vorstellungen ist. Dass das koranische Konzept der habl Allāh, der einigenden und bindenden Übereinkunft mit Allah,173 dasselbe ist wie die sabäische Bezeichnung für eine göttliche Übereinkunft, hbl,174 ist mehr als ein Indizienbeweis. Dies gilt auch für die gemeinsame Vorstellung von den antiken schaʿbs als den Kindern ihrer Schutzgottheiten und von den Mekkanern als āl Allah, als Leute oder Familie Allahs, wie es sowohl der vorislamische Abd al-Muttalib als auch sein Enkel Mohammed ausdrückten.175 Es gibt keinen Beweis, der die Verbindung bestätigt; aber die Ähnlichkeiten zwischen den südarabischen und islamischen Systemen sind mehr als zufällig, wenn auch vermutlich alles andere als bewusst. Ein möglicherweise bewusster Import aus dem Süden jedoch ist der wichtigste alternative Name für Allah, „alRahmān“ („der Erbarmer“), der bei Monotheisten im Süden bereits seit mindestens drei Jahrhunderten in Gebrauch war. Mohammed empfing etwa zwei Jahre nach Beginn der Offenbarungen erstmals Verse, in denen dieser Name vorkam.176 Anfangs waren die Mekkaner unzufrieden, bis ein Vers herabgesandt wurde, der der Verwendung dieses Namens die Zustimmung Allahs erteilte: Sprich: „Ruft Gott an, oder ruft den Erbarmer an: Wie immer ihr ihn nennt, sein sind die Schönen Namen.“177 „Al-Rahmān“ („der Erbarmer“) taucht zusammen mit dem verwandten „alRahīm“ („der Barmherzige“) an prominenter Stelle in jenem Vers auf, der schließlich den gesamten Koran einleitete: Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers.178 Die Formel wird noch heute in der Kopfzeile aller von Muslimen geschriebenen Texte verwendet, die irgendeinen förmlichen oder offiziellen Anspruch erheben, und sie wird vor allen möglichen Handlungen gesprochen, vom Heiraten bis zum Frühstücken. Dass der göttliche Name „al-Rahmān“ zuerst in Südarabien verwendet wurde, ist unbestreitbar. Dies gilt möglicherweise auch für einige der anderen im Koran erwähnten „Schönen Namen“, die Aspekte von Allahs Wesen hervorheben: „Al-Bāri“ („der Schöpfer“, der 12. Name Allahs), „al-Mughīth“ („der Stärkende“, der 39. Name Allahs), und „al-Chāliq“ („der Erschaffer“, der 11. Name Allahs) und andere tauchen als Attribute des Einen Gottes in vorislamischen südarabischen Inschriften auf.179 War die Übernahme der Namen und Attribute Seines südarabischen Ich Teil einer bewussten Strategie – um die Menschen im Süden in Mohammeds Einigungsmission einzubinden? Die Hypothese ist einleuchtend, aber einmal mehr nicht zu beweisen.
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Noch fragwürdiger wäre die Vorstellung, dass Mohammeds Vorhaben irgendeine bewusste Anregung von den benachbarten Reichen des Nordens, denen der Byzantiner und Sassaniden, erfahren hätte. Allerdings darf man nicht vergessen, dass auch diese Reiche zunehmend den politischen Zusammenschluss durch religiöse Orthodoxie, die christliche wie die zoroastrische, förderten.180 Dass Mohammed von diesen Tendenzen im Detail wusste, ist unwahrscheinlich. Aber seine Anhänger würden binnen weniger Jahre nach seinem Tod weite Gebiete dieser Reiche übernehmen und mit ihnen eine unermessliche Anzahl von Menschen, die es gewohnt waren, dass man ihn sagte, der Gehorsam gegen Gott und gegen Caesar oder gegen Ahūrā Mazdā und den Schah seien ein und dasselbe. Ihnen dürften islamische Vorstellungen über die Befolgung einer einzigen geistlich-säkularen Linie keineswegs sonderbar vorgekommen sein; ebenso könnte der noch höchst formbare Islam selbst von byzantinischen und persischen Vorstellungen über politische und theologische Orthodoxie geprägt worden sein. Dies sollte noch kommen. Vorläufig waren sämtliche Merkmale dessen, was einmal der Islam wäre, lokalen Ursprungs. Das Genie Mohammeds (oder, wenn Sie so wollen, Allahs) führte diese Ingredienzien in einem berauschenden Cocktail zusammen, in dem die politische Theologie Südarabiens mit der metaphysischen Theologie des importierten Christentums und Judentums vermischt und in der übernatürlichen, fesselnden Sprache der alten aʿrāb-Dichter und -Seher zusammen ausgeschenkt wurde. Das Gemisch durchströmte entlang der Verkehrsadern von Handel und Raub ganz Arabien und erreichte die Gebiete, die keine anderen Ideen hätten erreichen können. Kein Wunder, dass das Gehör der Menschen betäubt und ihr Geist gelähmt wurde, wie al-Masʿūdī es ausdrückte. Und das alles ging noch weiter – bis zu einer endgültigen Einheit sowohl im Himmel als auch auf Erden. Zu verstehen, dass dieser Unitarismus auf beiden Ebenen funktioniert, wie Adonis erkannte, heißt, den Schlüssel zur arabischen Geschichte in Händen halten:181 Mohammed einte nicht nur die Stimme der Araber, sondern die der Engel und Allahs Selbst. Da die Menschen nun einmal sind, wie sie sind, war die irdische Einheit zum Scheitern verurteilt. „Hätte Gott gewollt“, räumt der Koran ein, hätte er die Menschen zu einer einzigen Gemeinde gemacht, doch sie sind noch immer untereinander uneins.182 Dabei ist die Spannung zwischen himmlischem Ideal und irdischer Realität eine der großen Triebkräfte der Menschheitsgeschichte.
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Erste Anhänger, erste Gegner Die Macht des Koran ist augenfällig in der Art und Weise, wie er seit den frühesten Anfängen eine kleine, aber leidenschaftliche und wachsende Gruppe von Gläubigen in seinen Bann zog. Lange bevor der organisierte Kult begann, verbrachten die Gläubigen einen Großteil der Nacht wachend im Gebet.183 Anfangs zeigte sich das Ancien Régime der Quraisch belustigt über diesen übermäßigen Eifer, dann – als die Auswirkungen der Botschaft Mohammeds allmählich ins Bewusstsein drangen – war man erschrocken. Es war gerade der Pluralismus der Kulte in Mekka, der den Ort für so viele Bewohner der Arabischen Halbinsel so attraktiv gemacht hatte – zu einer Anlaufstelle für Götzendiener jeglicher Couleur, die sich selbst mit dem ganzen Geschäftssinn der Händler vermarktete, welche die Stadt ausgebaut und entwickelt hatten. Und hier war nun jemand, der direkt gegen diesen Pluralismus predigte, wie es auch Zaid ibn Amr getan hatte, der agitierende Hanīf; ihn hatte man aus der Stadt gejagt. Und Mohammeds Mission ging noch weiter: Viele der „ökonomischen“ Botschaften im Koran sind wahrhaft revolutionär. Zum Beispiel: Wehe jedem Stichler, Lästerer, der Reichtum sammelte und zählte! Er denkt, sein Reichtum mache ihn unsterblich. O nein! Hinabgestoßen wird er in den Trümmergrund.184 Mohammeds Biograf Ibn Hischām erzählt, dass das Establishment der Quraisch die anderen Bewohner der Stadt warnte, dass Mohammeds Offenbarungen sihr seien, „[schwarze] Magie“, die Väter und Söhne entzweien und dadurch die Gemeinschaft zerstören würde.185 In dem letzteren Punkt hatten sie ganz recht. Mohammed, schon vor seiner Geburt Waise, hatte keinen Vater, dem er sich entfremden konnte; aber eine ganze Sure des Koran wurde herabgesandt, um seinen Onkel väterlicherseits Abū Lahab und dessen Gemahlin zu verfluchen und sie dem ewigen Höllenfeuer zu überantworten.186 Und als ein Sohn von Abū Bakr, einem der ersten Anhänger Mohammeds, in der bevorstehenden Schlacht von Badr gegen seinen eigenen Vater kämpfte,187 war das längst nicht der einzige Fall seiner Art. Die alte Garde der Quraisch hatte richtig vorausgesehen, dass ihre ʿasabiyya aufgelöst, ihre behagliche und blühende Gemeinschaft zerstört werden würde. Aber eine andere Gemeinschaft würde entstehen. Das Feuerrad drehte sich erneut, und es sollte seine allergrößte Revolution sein. Die Nebeneffekte – kleinere Zyklen von Einheit, Zusammenbruch und Umgestaltung – treten noch heute auf und betreffen mehr oder minder uns alle.
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Kapitel 6 Gott und Cäsar im Bunde: Der Staat von Medina Trennung Abū Sufyān, der heidnische Kaufmann und Stammesführer aus Mekka, war erstaunt über den Anblick der Reihen von betenden Gläubigen in Medina. Eine solche Disziplin habe er noch nie erlebt, sagte er, „weder bei den edlen Persern noch bei den Byzantinern mit ihrem geflochtenen Haar!“1 Ein anderer Beobachter, Urwa ibn Masʿūd, war gleichfalls verblüfft. Er habe die Herrscher von Äthiopien, Persien und Byzanz besucht, berichtete er, aber ich habe niemals folgsamere Leute gesehen … Sie umstehen [Mohammed, so reglos], als hätten Vögel sich auf ihren Köpfen niedergelassen. Auf seine bloße befehlende Geste hin beeilen sie sich zu handeln. Wenn er die rituelle Waschung vollführt, teilen sie das [benutzte] Wasser unter sich auf [weil sie es für gesegnet halten]. Wenn er ausspeit, reiben sie sich ihre Gesichter, ihre Bärte und ihre Haut mit seinem Auswurf ein.2 Mohammed war nicht länger nur ein harmloser Hanīf – ein Verfechter des Monotheismus – oder gar, was er in jüngerer Zeit in mekkanischen Augen geworden war, ein subversiver Andersdenkender, der nicht allein gegen Mekkas heidnische Traditionen, sondern auch gegen die Händler-Plutokratie der Stadt predigte. Nachdem er erkannt hatte, dass er ein Prophet war, den eine Kraft außerhalb seines Selbst und seiner Kontrolle zum Sprechen aufforderte, hatte er, wie alle Propheten, darüber hinaus festgestellt, dass er in seinem eigenen Land ohne Ehre war. Und er hatte die logische, wenngleich extreme Lösung gefunden: die hidschra, den Umzug in ein anderes Land. Und in diesem anderen Land hatte er nicht nur Ehre gefunden, sondern auch Gehorsam und Bewunderung: Er hatte eine Super-ʿasabiyya geschaffen, ein Gefühl von Solidarität und Einheit, wie es noch niemals zuvor existiert hatte. Die Stärke und das Potenzial dieser neuen Einheit waren für Abū Sufyān und Urwa einige Jahre nach der Hidschra, dem Umzug ins ferne Medina, klar ersichtlich. Doch anfangs waren Mohammeds Verwandte alles andere als beeindruckt gewesen, als sie sahen, wie er ihre alte ʿasabiyya zerstörte – die Sozialstruktur des heidnischen Mekka zerschlug. „O Allah“, rief der Mekkaner Abū Dschahl kurz darauf aus, als er bei Badr gegen Mohammeds Angreifer kämpfte, „bringe Leid über ihn, der mehr als irgendeiner von uns die Bande des Blutes
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durchtrennt hat!“3 Das Wort Hidschra sollte später noch weitere Bedeutungen annehmen, aber für die Mekkaner bedeutete es „Trennung“,4 und in einem Stammesumfeld, in dem reale oder eingebildete Verwandtschaftsbande als der Hauptschutz gegen sozialen Verfall und Anarchie fungierten, war Mohammeds Spaltung schockierend. In ein fernes Land ziehen, das tat man, wenn man innerhalb des Stammes einen Mord begangen hatte. Der Umzug war aber auch der erste Schritt auf einer Reise, die Arabern eine entschieden aktive Stimme in der „Grammatik“ der Weltgeschichte verleihen sollte. Obwohl Hidschra Trennung bedeutete, meinte der Begriff am Ende auch Mobilität, Anstrengung, Rettung – nicht unähnlich dem Ethos der alten andersdenkenden Verweigerer des Stammessystems, der suʼluks oder „Vagabunden“, aber umgesetzt in eine Massenbewegung. Die Hidschra wurde sofort so sehr mit dem Islam gleichgesetzt, dass einige frühe Aktivisten glaubten, man könne „kein Muslim sein, wenn man keine Hidschra unternimmt“. Mohammed selbst verwarf diese Vorstellung und sagte, man könne Muslim sein, egal wo man lebe. Aber wie wir sehen werden, wurde die Hidschra bald nach seinem Tod, als die fernen Eroberungszüge begannen, erneut – und diesmal offiziell – als faktische Voraussetzung für den Islam angepriesen. Umgekehrt galt die Rückkehr in die alte Heimat und zu den alten Sitten – taʼarrub, wörtlich „ReArabisierung“ – geradezu als Abfall vom Glauben.5 Es würde zu einer gänzlichen Neudefinition dessen kommen, was es bedeutete, Araber zu sein: Die arabische Mobilität würde enorme Ausmaße annehmen; Araber würden von ihren Stämmen, ihren Wurzeln, ihren angestammten Wegen und Weiden, sogar von ihrer „Insel“ Arabien, von allem, was sie von jeher zu Arabern gemacht hatte, getrennt werden. Das zumindest war die Theorie.
Yathrib Allerdings folgten Mohammed und seine wenigen Hundert Anhänger mit ihrer Hidschra des Jahres 622 einer uralten Praxis, indem sie sich davonmachten und ein Bündnis mit einer anderen Stammesgruppierung eingingen. Als klar wurde, dass die alte Garde Mekkas plante, ihn zum Schweigen zu bringen – vielleicht durch Verbannung oder Schlimmeres –, hatte Mohammed zunächst Verhandlungen mit den Einwohnern von Taʼif aufgenommen, in der Absicht, dorthin zu ziehen, aber die Gespräche waren gescheitert.6 Bei den Bewohnern von Yathrib, einer Stadt 350 Kilometer nördlich von Mekka, war er erfolgreich. Er hatte bereits eine nützliche Verbindung zu dem Ort: Der Vater seines Vaters, Abd al-Muttalib, war dort im Haus seiner eigenen yathribischen Mutter großgezogen worden.7 Diese Verbindung könnte für die Einwohner von Yathrib bedeutsam gewesen sein. Viele von ihnen (einschließlich der Familie von
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Mohammeds Urgroßmutter) waren südarabischer Herkunft und vielleicht weniger glühende Anhänger der männlichen Erbfolge als die Mekkaner; es gibt Anzeichen, dass Frauen im antiken Südarabien eine viel unabhängigere Rolle spielten als in den nördlichen Stammesgesellschaften. Möglicherweise waren die Yathriber auch weniger leidenschaftliche Polytheisten. Letzteres galt ganz gewiss für die andere große Bevölkerungsgruppe in Yathrib – mehrere Stämme judaisierter Araber oder vielleicht arabisierter Juden. Mehrere Monate nachdem ein Voraustrupp seiner Hanīfen-Mitstreiter es nach Yathrib geschafft hatte, traf Mohammed im September 622 dort ein. Es ist das erste gesicherte Datum in seinem Leben und im wahrsten Sinne des Wortes epochal (obwohl der offizielle Epochenanfang auf den 16. Juli 622 gelegt wurde, den Beginn des Mondjahres). Die Migranten fanden sich an einem Ort wieder, der sich stark von ihrer Heimatstadt unterschied: Während Mekka eingeschlossen zwischen zwei Bergketten lag, dem Ritual verhaftet war und vor Göttern und Pilgern überquoll, war Yathrib ein sehr viel offenerer Ort, ein Art aufgelockerte Gartenstadt, deren unterschiedliche Bewohner in Weilern inmitten der Felder und Dattelhaine lebten, von denen ihr Auskommen abhing. Statt mit natürlichen Schutzwehren oder Stadtmauern war die Landschaft durchsetzt mit kleinen Türmen, in denen die Menschen Schutz vor einem Angriff suchen konnten.8 Und Yathrib war offen für Zuzügler: Seine beiden Hauptstämme, Banū Aus und Banū Chazradsch, waren selbst ursprünglich aus Südarabien zugewandert; auch die jüdischen Bewohner waren Immigranten, möglicherweise unterschiedlicher Herkunft, obwohl die Legende in ihnen Flüchtlinge vor den Feldzügen des babylonischen Königs Nebukadnezar im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. sieht.9 Der religiösen Überlieferung nach wurde Mohammed in Yathrib wie ein Held begrüßt. „Der Vollmond ist über uns aufgegangen!“, skandierten die Yathriber, und noch heute wird ein Bräutigam von den Gästen mit diesen Worten empfangen, wenn er auf seiner Hochzeitsfeier eintrifft. Die Bürger wetteiferten um Mohammeds Bewirtung und übertrugen ihm sogleich die Verantwortung für ihre Stadt. Warum sie den Anführer einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen auf diese Weise behandelten – ganz zu schweigen davon, dass sie sich mit seinem Sputum einrieben –, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Für die religiöse Überlieferung ist es natürlich Grund genug, dass Mohammed der war, der er war; eine weitere Erklärung ist nicht notwendig. Aber Mohammed selbst bot eine Erklärung an, als er sagte: „Medina wurde vom Koran erobert.“10 Die Behauptung ergibt Sinn: Yathrib – oder Medina, wie die Stadt bald heißen sollte – war einer der am stärksten alphabetisierten Orte in Arabien außerhalb des Einflussbereichs der Lachmiden und Ghassaniden, und es ist mehr als wahr-
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scheinlich, dass die Vorhut der Anhänger Mohammeds sich emsig bemüht hatte, den Yathribern in Vorbereitung auf die Ankunft Mohammeds die faszinierenden Botschaften der mekkanischen Suren des Koran nicht nur zu erzählen, sondern sie auch in ihrer schriftlichen Form – der neuartigen Form der arabischen heiligen Schrift – zu übermitteln. Aber man ist kein totaler Zyniker, wenn man sich vorstellt, dass die Yathriber sich vom schnöden Mammon nicht minder beeinflussen ließen wie von Gott. Schließlich stammte Mohammed aus Mekka, der Boomtown des arabischen Handels. Eine seiner ersten Maßnahmen bestand dann auch darin, den Markt von Yathrib zur steuerfreien Zone zu erklären;11 der traditionelle Markttag dort war der Freitag, der Tag, den er nun für Gemeindegebete bestimmte.12 Allerdings wurde dieser Gebetstag nicht zu einem Sabbat, an dem alle Geschäfte geschlossen blieben; vielmehr sorgte der Zustrom von Gläubigen für einen lebhaften Aufschwung des Freitagshandels im Suq. Die schlichte Moschee mit ihren Palmensäulen und ihren Palmwedel-Vordächern, die Mohammed errichten ließ,13 wurde auch Yathribs neue politische Zentrale. Wie von jeher im heidnischen Mekka überschnitten sich auch hier die politische, die kommerzielle und die spirituelle Sphäre. Diese dritte Sphäre nahm in Yathrib allmählich eine unverwechselbare Form und Färbung an. Zunächst begann der grob skizzierte Inhalt von Mohammeds Monotheismus festere Gestalt als Glaubenslehre anzunehmen; diese Gestalt ist großenteils vergleichbar mit der des Materials in christlichen und insbesondere jüdischen heiligen Schriften.14 Im Koran selbst heißt es, er bestätige „das Buch Moses … in arabischer Sprache“.15 Das Volk Mose war augenscheinlich derselben Ansicht: Bereits im ausgehenden 7. Jahrhundert wurde „die Botschaft Mohammeds“ in einem weithin zirkulierenden jüdischen Dokument als „ein Akt göttlicher Gnade – das heißt als eine wahre Religion – bezeichnet“.16 Doch als die Jahre vergingen und Yathrib als Madīnat an-Nabī, „die Stadt des Propheten“ (oder einfach als al-Madīna/Medina, „die Stadt“) bekannt wurde, entfremdete sich der Koran den anderen monotheistischen Religionen. Denn der Erfordernis, eine Gemeinschaft aufzubauen und sie zu einer wiedererkennbaren Marke zu machen, wurde man am leichtesten gerecht, wenn man sagte, was diese Gemeinschaft nicht war – sie war bestimmt nicht wie die Polytheisten; aber auch nicht gerade wie die Juden oder die Christen. Die islamische Identität festigte sich, wie zuvor die arabische Identität, durch den Kontakt mit anderen: erst durch Anziehung, dann durch Abstoßung. Etwa um diese Zeit geschah es, dass der Begriff „Muslim“ sich allmählich als offizieller Name für die Anhänger von Mohammeds Monotheismus durchsetzte und die vielschichtige alte Bezeichnung Hanīf ablöste. Dabei zerrten die Realitäten weltlicher Herrschaft an den universalistischen Idealen des Monotheismus: Der Eine Gott
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verbindet die Menschheit, während die Menschen in ihrem Streben nach irdischen Befugnissen unweigerlich sich – und ihren Gott – auseinanderreißen. Eine Frage schwebt über dieser für den Islam und für die gesamte arabische Geschichte ungemein prägenden Periode: Welche Rolle spielte das ursprünglich südarabische Element der Einwohner von Yathrib/Medina in diesem ganzen Prozess? Die beiden Stämme, Banū Aus und Banū Chazradsch, werden von der traditionellen Geschichtsschreibung stets in einer dienenden Rolle gesehen, als Ansār, als „Helfer“ Allahs und Mohammeds. Es gibt jedoch Hinweise, dass möglicherweise auch sie die Entwicklung der islamischen Glaubenspraxis beeinflusst haben. So waren beispielsweise rituelle Waschungen Bestandteil der antiken südarabischen Gottesverehrung, und zu den Tempeln in Maʼrib und anderswo gehörten Wasserrinnen und Zisternen;17 wie es aussieht, hatten die Menschen aus dem Süden diese Praxis nach Yathrib mitgebracht.18 Auch in diesem Fall – wie bei dem Gottesnamen „al-Rahmān“ und der ganzen Idee der einigenden „politischen Theologie“, habl, der bindenden Übereinkunft mit einem Gott –, könnte sich die alte südarabische Praxis mit dem gedeckt haben, was islamische Sitte war oder wurde. Der erfolgreichste aller Versuche, Araber zu einen – der islamische Staat von Medina –, hat möglicherweise seine tiefsten Wurzeln in der nichtarabischen Vergangenheit des alten Südens, Wurzeln, die unter dem Nullpunkt der neuen Ära, dem Jahr 0 d. H.19 verborgen sind. Die übliche „orientalistische“ Ansicht lautet, dass es in Medina „in unmittelbarer Reaktion auf die Ablehnung Mohammeds durch die Juden“ zu einer Arabisierung kam.20 Aber man sollte statt von Arabisierung richtigerweise von Entjudaisierung sprechen. Der Islam war bereits fest verankert in seinem arabischen Umfeld und wurde die ganze Zeit von ihm geprägt.
Die Supergesellschaft Die politische Gestalt Medinas wurde außerdem von traditionellen arabischen Vorbildern geprägt. Das neue Gemeinwesen ähnelte der Art von Stammesallianzen, wie sie in der vorislamischen Vergangenheit gebildet worden waren, und räumte Mohammed Vorrang bei der Streitschlichtung und Entscheidungsfindung ein.21 Zuvor waren die meisten derartigen Bündnisse durch Eide und um Feuer vollzogene Rituale besiegelt worden;22 Mohammed, der nur allzu gut um die Macht des Schriftlichen wusste, ließ seine Allianz zwischen den alten Gruppen der yathribischen Gesellschaft und den Neuankömmlingen aus Mekka in Dokumenten niederlegen, die heute als Gemeindeordnung von Medina bekannt sind. Allerdings folgte er auch darin der Tradition: Es heißt, sein Großvater, Abd al-Muttalib, habe einen schriftlichen Bündnisvertrag mit dem Stamm der Chuzāʿa aufgesetzt und ihn in der Kaaba aufgehängt.23
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Aber die neue umma oder Gemeinschaft, die Mohammed gründete, ging über das alte Modell der Stammesallianz hinaus. Es war ein Superstamm, der seine Einheit nicht einem realen oder imaginierten Vorfahren verdankte, sondern der Supergottheit, Allah. Die heidnischen Mekkaner hatten sich als „das Geschlecht Allahs“ verstanden;24 die alten südarabischen Völker waren die „Kinder“ ihrer jeweiligen Schutzgottheiten gewesen. Allah in Seiner islamischen Gestalt ist Schöpfer, aber – Gott bewahre! – nicht Erzeuger. Stattdessen wird als Urheber der neuen Gemeinschaft symbolisch Abraham, der erste Monotheist, genannt; Mohammeds eigene Ehefrauen sind die „Mütter“ der Gemeinschaft, und die Individualität ihrer Mitglieder wird ersetzt durch die Person Mohammeds, denn „der Prophet ist den Gläubigen näher als diese sich selbst“.25 Es gab jedoch ein paar unbrüderliche Uneinigkeiten. Nicht alle Stammesangehörigen der Banū Aus und Banū Chazradsch waren den Zuzüglern wohlgesonnen, und diese Andersdenkenden bauten ihre eigene konkurrierende Moschee-Zentrale. Ihr Anführer, Abū Āmir, wurde rasch vertrieben; er floh ins heidnische Mekka und von dort nach Syrien, wo er angeblich zum Christentum konvertierte.26 Aber zu Anfang war die Gemeinschaft generell pragmatisch und offen: Mohammeds ursprüngliche Gemeindeordnung schloss nicht nur die Juden von Medina ein, sondern sogar die Polytheisten der Stadt.27 Für sich betrachtet mochte die Gründung revolutionär wirken, wie ein Neuanfang, beginnend in jenem Jahr Null. Berücksichtigt man jedoch den Kontext und nimmt die longue durée als Bezugsrahmen, so erkennt man, dass der Staat von Medina ein Produkt seiner arabischen Vorgeschichte war. Zwar war alles an Mohammed und seiner Gemeinschaft überragend: Er war ein Superwahrsager mit einem Superdämon – dem Erzengel Gabriel –, der ihn inspirierte; Allah war die Supergottheit, und die umma war Mohammeds Superstamm, Allahs Super-schaʿb; sie besaßen eine Super-ʿasabiyya, eine Gruppensolidarität, die sie sehr bald schon auf Superraubzüge führen würde, nicht um Kamele, sondern um Imperien zu stehlen. Zugleich aber war all dies lediglich eine überragende Version von etwas, das in der arabischen Vergangenheit bereits existiert hatte. Was arabische Historiker selbst durchaus anerkennen: Während nichtarabische historische Darstellungen der Araber gewöhnlich damit beginnen, dass ihre Protagonisten plötzlich unter großem Geschrei mit dem neuentstandenen Phänomen des Islam auf die Bühne der Weltgeschichte stürmen, denken arabische Historiker in der Regel längerfristig, indem sie die vormohammedanischen Jahrtausende mit einbeziehen und „die Insel der Araber“ als Teil eines Archipels von Kulturen und Reichen betrachten. Meist entscheiden sie sich sogar für die längstmögliche durée und fangen mit der Schöpfung an.
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Allerdings gab es einen bedeutsamen Punkt in der arabischen Vergangenheit, an dem man ansetzen konnte. Wir wissen nicht, wie viel Autorität von den Anführern der alten südarabischen schaʿb-Bünde, den mkrb, ausgeübt wurde, aber es scheint unwahrscheinlich, dass ihre Herrschaft absolut war. In der Stammestradition des Nordens, deren direkteres Erbe die neue Gemeinschaft antrat, war die Herrschaft der Stammesführer selten autokratisch – sie regierten per Konsens und trafen Entscheidungen nach Rücksprache mit anderen Ältesten. Diktatorische Vollmachten anzunehmen – wie es Kulaib tat, der jenen verhängnisvollen Pfeil abschoss, der den „Krieg des Kameleuters“ auslöste28 – hieß Verderben heraufzubeschwören. Mohammed hingegen, der im Namen Allahs sprach, konnte nicht nur eine Super-, sondern eine Hyperautorität ausüben, und es wurde bald klar, dass es dagegen keinen Widerstand geben konnte. Als beispielsweise die Frage aufkam, wer die traditionellen Stammesweidegründe nutzen dürfe, erklärte er, dass sie von jetzt an Allah und Seinem Propheten gehörten; das heißt, die ganze Gemeinschaft, die umma, durfte sie nutzen.29 Um es mit dem wortverwandten modernen Begriff auszudrücken, er hatte sie ammama, „verstaatlicht“. Mit der Errichtung umfassender Kontrolle wurde alles, was sich ihr widersetzte, zum Widerpart, zum „Anderen“, das im Gegenzug wiederum die neue Gemeinschaft prägte. Der ursprüngliche Pluralismus der umma verkümmerte, und an seiner Stelle gedieh eine Kultur des Gegensatzes, gar der Gegnerschaft. Der Gegensatz war wortwörtlich: In der Anfangszeit in Yathrib hatten Mohammed und seine Hanīfen ihre Gebete in Richtung Jerusalem verrichtet. Jetzt, im zweiten Jahr nach der Hidschra, vollzogen sie eine Kehrtwende um fast 180 Grad, und die neuerdings Muslime, „die sich Ergebenden“, genannten Gefolgsleute wendeten Zion den Rücken zu und wandten ihr Antlitz stattdessen Allah, dem Herrn der mekkanischen Kaaba, zu.30 Es war eine „Konversion“ im fundamentalsten Sinne: eine Wende. Aber es war auch eine Rückbesinnung: Das spezifisch Arabische der neuen Ideologie verschaffte sich Geltung. Die Feindseligkeit gegen andere Versionen des Monotheismus nahm zu. Im Gegensatz zu frühen versöhnlichen Verkündigungen wurden nun neue, streitbarere Koranverse herabgesandt: O ihr, die ihr glaubt! Nehmet euch die Juden und die Christen nicht zu Vertrauten! Sie sind untereinander Vertraute. Und wer von euch sie zu Vertrauten nimmt, der gehört fürwahr zu ihnen.31
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Vor Ort in Medina spitzte sich die Feindseligkeit im Jahr 626 mit der Vertreibung einer der beiden jüdischen Stämme, Banū al-Nadīr, und der Beschlagnahme seines Eigentums zu. Im darauffolgenden Jahr wurden 600 Angehörige des anderen jüdischen Stammes, Banū Quraiza, getötet, weil sie angeblich als fünfte Kolonne für die heidnischen Mekkaner agierten. Letztere hatten, nachdem ihnen bewusst geworden war, wie gefährlich ein rivalisierendes Medina wurde, eine Armee entsandt, um die Stadt zu belagern; die überlebenden Banū Quraiza wurden vertrieben.32 Koranverse zur Rechtfertigung wurden herabgesandt.33 Was diesen letzten Punkt betrifft, so ist klar, dass, obwohl die Form der Offenbarung so erhaben blieb wie eh und je, der Inhalt in der Medina-Periode eindeutig sehr viel bodenständiger wurde. Die Notwendigkeit zu entscheiden, wer zu der neuen Gemeinschaft gehören sollte, und diese Gemeinschaft dann aufzubauen, verlangte nach ständiger göttlicher Intervention. Manche KoranAusgaben räumen diesen Wandel stillschweigend ein, indem sie Suren als „mekkanisch“ oder „medinensisch“ bezeichnen. Ein selten moderner Revisionist und Visionär, der Sudanese Mahmud Muhammad Taha, ging so weit zu behaupten, dass „die Letzteren von Charakter und Inhalt her eindeutig historisch sind und keine Bedeutung für heutige Gegebenheiten haben“.34 Er wurde 1985 mit Mitte 70 in Khartoum wegen Apostasie gehängt. Und noch immer provoziert er starke Reaktionen: Der Jahrestag seiner Hinrichtung, der 18. Januar, wird heute (von manchen) als arabischer Menschenrechtstag gefeiert; umgekehrt habe ich es erlebt, dass sich ein Raum bei der Erwähnung einer seiner Ideen im Nu leerte. Mit dem Wechsel von Mekka nach Medina stand Mohammed vor der Herausforderung, eine Gemeinschaft zu gründen und sie zugleich zu einem Staat mit ihm selbst an der Spitze zu formen. Wo frühere Religionsstifter, wie etwa Jesus während seiner Zeit in der Wildnis, verlockende Angebote irdischer Macht zurückgewiesen hatten, nahm Mohammed sie wahr und machte sie zum Bestandteil seiner Mission. Jesus war König der Juden nur in der sarkastischen Inschrift am Kreuz; als Mohammed starb, war er de facto Herr über die Bewohner der Arabischen Halbinsel – ihr saiyid, ein Ehrentitel, den seine Nachfahren sich noch immer verleihen. Die zwangsläufigen Fragen hinsichtlich Machtaufbau und Machtbehauptung in Medina waren durch göttliche Offenbarung beantwortet worden: Der Koran kann daher, obwohl seine Kernbotschaften des alttestamentarischen „Friede-Fürsten“ würdig sind, durchaus Gegenstände berühren, die man eher im Fürsten von Machiavelli suchen würde. Dies – und nicht die Ablehnung von Vorstellungen über die Kreuzigung oder die Dreifaltigkeit – ist der größte Streitpunkt mit dem Christentum. Und er hat ein dauerhaftes Erbe hinterlassen. Für die meisten islamischen Moralisten stand die
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Aufgabe der Machtgewinnung und des Machterhalts an sich niemals unter Sündenverdacht; sie lassen Herrscher gewähren und nehmen stillschweigend hin, was oftmals wie moralische Uneindeutigkeit wirkt. Figuren wie Thomas Becket und Thomas More sind im Christentum selten genug; im Islam sind sie beinahe unbekannt.
Sie kommen mit einem Schwert Doch als der neue Staat expandierte, war Mohammed froh, dass Juden anderswo blieben, wo sie waren – vor allem wenn sie das Land als Teilpächter bestellen konnten, wie sie es in Chaibar, 150 Kilometer nördlich von Medina, taten.35 Und es gab noch weitere Kontinuitäten zur Vergangenheit. Eine davon existierte an der militärisch-ökonomischen Front. Als Mohammed militärisch schwach war, riet Allah ihm zunächst: „So gewähre schöne Verzeihung [den Ungläubigen]!“36 Doch mit seiner zunehmenden Macht in Medina änderte sich dies bald. „Die Anthropologie“, betont Daniel Varisco, „hat … eine Rolle bei dem Nachweis gespielt, woher der Islam bestimmt nicht kommt“, nämlich aus „der Wüste“, mit ihrem „unaufhörlichen Kreislauf aus Fehden und Raubzügen, die den neueren Monotheismus als gewalttätig und unzivilisiert charakterisieren“.37 Die Geschichte bestätigt dies: Der Islam entstammt dem urbanen Umfeld von Mekka und – wie ich hoffentlich zeigen konnte – verdankt etwas der antiken und ausgesprochen zivilisierten, wenn auch nicht immer gewaltlosen südarabischen Vergangenheit. Aus all dem kommt der Islam und darin entspringt er einem tiefen Quell der Spiritualität, einem Gefühl des unaussprechlichen Staunens über die Majestät der Schöpfung, das Geheimnis der Ewigkeit und die vollkommene Einheit des göttlichen Urhebers all dessen. Der leidenschaftlichste Atheist hätte Probleme, die Existenz von etwas Übernatürlichen in den frühesten Offenbarungen zu leugnen; der heftigste Zyniker wird entwaffnet durch die Schönheit der Heiligkeit. „Niemals – nirgendwo – etwas so Erhabenes, so Eindrucksvolles wie das hier“, verkündete der Erzzyniker Richard Burton beim ersten Betrachten der Kaaba.38 Genau daher kommt der Islam, und er wird zu dieser vollkommenen Einheit seines Ursprungs zurückkehren. „Jeder, der auf ihr [der Erde] weilt, der muss vergehen“, sagt der Koran vom Ende der Zeiten, und es bleibt das Antlitz deines Herrn, des Herrn der Majestät und der Ehre.39 Bislang jedoch hat der Islam auf dieser großartigen Rückreise Perioden durchlaufen, in denen er, da er sowohl eine gesellschaftspolitische Ideologie als auch
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eine Religion ist, Gebrauch von der militärischen Option gemacht hat. Eine dieser Perioden begann ein paar Jahre nach der Hidschra. Zusammen mit der Macht des Koran, der persönlichen Anziehungskraft Mohammeds und dem Pendeln von Gesandten war der erfolgreiche Einsatz der Stoßtrupptaktik ein Grund für den Aufstieg Medinas zur Macht. Und genau in diesem Licht sehen die frühesten arabischen Quellen diesen Aufstieg: Die frühesten Biografien Mohammeds werden kutub al-maghāzī genannt, „Bücher der Feldzüge“, und es sind Fortsetzungsberichte über seine bewaffneten Expeditionen. Es gab fast 30 bedeutende Operationen, und an etwa einem Drittel davon nahm Mohammed aktiv teil.40 In den „Büchern der Feldzüge“ geht es um mehr als um Wagemut und Heldentum, aber im Kern gehören sie in die Tradition der „Tage der Araber“, der Berichte über vorislamische Kampftage, welche die älteste arabische Geschichtsschreibung ausmachen.41 Das erste größere Gefecht war in vielerlei Hinsicht das folgenreichste, und es war Mohammeds Erfolg bei diesem Zusammenstoß mit einem zahlenmäßig überlegenen Feind, der ihn und seine Leute davon überzeugte, dass Allah auf ihrer Seite war, sowohl militärisch als auch moralisch. Im Jahr 2 d. H. war eine reiche mekkanische Karawane unter der Führung Abū Sufyāns (des heidnischen Granden, der sich so erstaunt über die muslimische Disziplin zeigte) auf dem Heimweg von Syrien. Mohammed, der über ungefähr 300 Männer verfügte, beschloss, die Mekkaner an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen – der Hauptverkehrsader ihres lukrativsten Handels. Er beabsichtigte, die Karawane an einer Wasserstelle namens Badr abzufangen, an der Handelsroute von Mekka nach Syrien, südwestlich von Medina; aber Abū Sufyān bekam Wind von dem geplanten Angriff und schickte voraus nach Mekka um Verstärkungen. Bis die mehr als 900 Mann starke mekkanische Streitmacht in Badr eintraf, hatte Abū Sufyān die Karawane schon über eine andere Route geführt; die mekkanischen Verstärkungen entschieden jedoch, dass sie den Abtrünnigen von Medina eine Lektion erteilen müssten. Ihr Plan misslang total. Siebzig Mann wurden getötet und etwa die gleiche Anzahl gefangen genommen, während Mohammeds Verluste sich auf 15 Tote beliefen. Das Gefühl des gerechten Triumphs auf medinensischer Seite kann man sich vorstellen. Das Jahr 0 d. H. war der Beginn der Epoche; das Jahr 2 d. H., das Jahr von Badr, als Mohammeds Schicksal sich wendete, war der wahre Beginn des Epos. Die populäre Erinnerung zeichnet ein Schwarzweißbild solcher Schlachten – als Kampf der Guten gegen die Bösen. Aber die Realität war, wie immer, komplexer. Wie bereits erwähnt, kämpfte ein Sohn von Abū Bakr, Mohammeds rechter Hand, auf der heidnischen mekkanischen Seite.42 Und ebenso al-Abbās, Mohammeds Onkel und namensgebender Stammvater der zukünftigen fünf-
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hundertjährigen Kalifen-Dynastie.43 Und es gab noch weitere Verschmelzungen zwischen der heidnischen Vergangenheit und der islamischen Zukunft. So wie in den vorislamischen „Tagen der Araber“ spielte die Schlachtendichtung in Badr und bei späteren Konfrontationen auf beiden Seiten eine Rolle. In dem Gefecht bei Uhud im Jahr 3 oder 4 d. H., einem der seltenen Rückschläge für die Muslime, war der heidnische Erfolg teils Abū Sufyāns Gemahlin Hind geschuldet, der Mutter des ersten Kalifen der zukünftigen Umayyaden-Dynastie. „Wir sind die Tāriq-Mädchen“, skandierte sie (die Bedeutung von „Tāriq“ ist hier unklar), die Mekkaner anstachelnd: Wir laufen auf schönen Teppichen Unsere Hälse sind mit Perlen behängt Und Moschus ist in unserem Haar Wenn ihr vorrückt, werden wir euch umarmen Oder falls ihr flieht, werden wir euch meiden Und wir werden euch nicht länger lieben.44 Damit sie nicht wie eine pubertierende Cheerleaderin wirkt, muss man hinzufügen, dass die islamische Überlieferung sie in schaurigerem Licht darstellt: Ein anderer Onkel Mohammeds, Hamza, wurde in der Schlacht von Uhud getötet, wo er für seinen Neffen kämpfte, und es heißt, Hind habe seinen Leichnam verstümmelt und in seine Leber gebissen.45 Der berühmteste Dichter auf Mohammeds Seite war der schon für seine Oden zum Lob der Ghassanidenkönige gefeierte Hasan ibn Thābit. Wie der Prophet und seine Offenbarungen, so der Dichter und seine Verse: Der Erzengel Gabriel, der als Medium für die Übermittlung des Koran fungierte, verdoppelte sich angeblich in den Schlachtengedichten als Hasans poetischer Dämon oder poetische Muse anstelle eines unzeitgemäßen Dschinn.46 Wir wissen nicht, was Mohammed von anderen Kontinuitäten hielt, etwa, dass Hasan ihn preist, indem er ihn in einer traditionellen Metapher mit einem „edlen Wein“ vergleicht,47 obwohl der Prophet angeblich sagte: „Schleudert den Panegyrikern Staub ins Gesicht.“48 Ein anderer Möchtegernlobredner, al-Aʿschā – dem wir bereits im Zusammenhang mit jungen Mädchen begegnet sind, deren Heiratschancen er mit schönfärberischen poetischen Beschreibungen verbesserte –, wurde von den heidnischen Mekkanern davon abgebracht, für Mohammed zu arbeiten. Sie bestachen ihn mit Kamelen und schreckten ihn mit Warnungen vor dem abstinenten Leben in Medina ab.49 Es gab noch eine weitere Kontinuität zur arabischen Vergangenheit. Die Raubzüge erbrachten nicht wenig Beutegut; Mohammed oblag als traditionel-
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lem Anführer bei den Raubzügen die Verteilung des Gewinns, und von dem Fünftel, auf das er Zugriff hatte, ließ er seiner Sippe, den Nachfahren Hāschims, Anteile zukommen. Es heißt, er habe Wert darauf gelegt zu erklären, dass er der einzige Prophet sei und ihm daher rechtmäßig Beutegut zustehe.50 Aber es war ohnehin alles von der arabischen Tradition gedeckt und überdies vom Koran sanktioniert, beispielsweise durch die Sure al-anfāl („Die Beute“).51 Alles, was mit den Anteilen und deren Verteilung zusammenhing, wurde sorgfältig kontrolliert: Warnungen vor dem Höllenfeuer wurden herabgesandt, um zu gewährleisten, dass niemand betrog.52 Klugerweise bestimmte Mohammed erhebliche Summen aus seinem Fünftel als Anführer zur Verteilung an Gegner, um sie für seine Sache zu gewinnen – „für Leute, deren Herz gewonnen werden soll“,53 wie der Koran sie beschreibt. „Kommen Propheten mit einem Schwert?“,54 fragte im 9. Jahrhundert ein christlicher irakischer Kommentator, während er an die weitgehend quietistischen Anfänge seines eigenen Glaubens dachte und sie mit denen der beiden anderen bedeutenden monotheistischen Religionen verglich. Die Antwort des Autors war ein klares „Nein“. In Mohammeds Fall lautet eine fairere Antwort jedoch, dass er zunächst nicht mit einem Schwert kam, dass die Präzedenzfälle der arabischen Vergangenheit, die Bedrängnisse der Gegenwart und die Versprechen der Zukunft sich jedoch alle verschworen, ihm ein Schwert in die Hand zu geben; und dass andere, augenscheinlicher friedliche Propheten vielleicht zum Schwert gegriffen hätten, wenn sie ihre Länder verlassen hätten, Länder, in denen sie ohne Ehre waren, und auf ihre eigenen Hidschras gegangen wären – mit anderen Worten, wenn sie ihre Revolutionen zu Ende gebracht hätten. Denn die Hidschra war eine Trennung, aber auch ein Übergang vom spirituellen und moralischen Aktivismus zur politischen Aktion. Damals hieß politische Aktion, was sie auch heute noch in der Region gewöhnlich bedeutet, nämlich eine neue ʿasabiyya zu gründen, eine neue Solidargemeinschaft, dann zu den Waffen zu greifen, so viel wie möglich zu erobern und es so lange wie möglich zu behaupten. Tatsächlich sollte mit dem Wort Hidschra sehr bald schon die Umsiedlung von Stammesangehörigen in Garnisonsstädte gemeint sein.55 Eine Quelle deutet Hidschra selbst irreführend rundheraus als „Militärdienst“.56 In gewisser Hinsicht ist eine Religion ein Kult mit einer Armee; aber während die meisten Kulte eine Weile brauchen, um eine aufzutreiben, bekam der Islam seine Armee fast auf Anhieb. Dass Mohammed in seinen politischen und militärischen Rollen in Medina so erfolgreich war, sollte niemals irgendjemanden, ob Muslim oder nicht, dazu verleiten, den spirituellen und moralischen Unterbau seiner Mission zu vergessen, die mekkanischen Jahre. Sie sind das Herzstück der Religion des Islam; sie
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sind das, was Bestand haben wird. Jene paar ereignisreichen Jahre in Medina führten zur Entwicklung des Islam als gesellschaftspolitisches Phänomen. Aber sie bilden auch die zweite der drei Fortsetzungsfolgen der arabischen nationalen Familiensaga, zusammen mit den legendären Wanderbewegungen aus dem alten Süden und mit den kommenden Eroberungen über drei Kontinente. Es ist ein Drama in drei Etappen und auf drei Bühnen – Maʼrib, Medina und die Welt –, und es ist Teil dessen, was heute einige junge europäische Muslime veranlasst, aus den Ländern der Ungläubigen abzuwandern und über den sogenannten Islamischen Staat und Träume von Welteroberung Kurs auf die vierte, letzte und ewige Etappe zu nehmen: den Himmel. Ich habe das Ziel erwähnt, die arabische Geschichte zu „ent-islamisieren“.57 Nach Ansicht von Samir Kassir würde ein solcher Schritt Araber von einem „Mühlstein“ befreien und ihre Geschichte aus ihrer gegenwärtigen Misere herausholen.58 Doch wenn ich mir Mohammed in Medina ansehe, so wird mir klar, dass dies vollumfänglich nicht möglich ist. Wie ein Kommentator geschrieben hat, ist der „Islam eine Religion, aber er ist auch eine Form von religiösem Nationalismus … Einige sind so weit gegangen, Arabismus und Islam als „ungetrennte siamesische Zwillinge“ zu bezeichnen.59 Die Trennung kann blutig sein, wie im Fall der Trennung jener mekkanischen Ahnen, der siamesischen Zwillinge Hāschim und Abd Schams, wie im Fall von Mohammeds Hidschra. Und manchmal sieht es so aus, als seien die arabische und die islamische Geschichte nicht nur an der Hüfte miteinander verbunden, sondern auch am Herzen. Was wir nichtsdestoweniger tun können und nach wie vor tun sollten, ist, den Islam nicht für den Anfang von allem zu halten, sondern für einen Teil von allem. Nicht nur ist der „Mühlstein“ kein Monolith, er wurde auch aus weit älterem und vielfältigerem Gestein gemeißelt, als es zunächst scheinen könnte.
Die lächelnden Wächter Mekka kapitulierte im Januar 630. Medina hatte militärisch die Oberhand gewonnen, allerdings nicht den entscheidenden Sieg errungen; es hatte Verhandlungen und Waffenstillstände gegeben; es hatte diese Aussöhnung von Herzen und Köpfen gegeben mit den Erlösen aus Raubzügen, und in den vergangenen zwei Jahren waren die Kämpfe allmählich abgeflaut. Am Ende wusste die alte Garde der Quraisch, dass, auch wenn man vielleicht imstande wäre, Mohammed irgendwann zu bezwingen, es unter dem Strich wahrscheinlich lohnender wäre, sich ihm anzuschließen. Es sollte nicht das letzte Mal in der arabischen Geschichte sein, dass ein Ancien Régime, um sein Leben zu verlängern, sich einer jungen Ideologie in die Arme warf. In jüngerer Zeit fällt einem das Beispiel der Dynastie Al Saʼūd und der Wahhabiten ein.
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Indem es sich Mohammeds Revolution anschloss, hatte das mekkanische Establishment sie nicht unbedingt gekapert; aber immerhin war man nun ein Teil von ihr und wahrscheinlich zufrieden, dass sie den eigenen Zwecken diente. Allah allein kennt die wahren Absichten von Abū Sufyān, seinem Sohn, dem zukünftigen Kalifen Muʿāwiya I., und all den anderen, die sich auf Mohammeds Seite schlugen. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass der eigene Vorteil bei ihrer Entscheidung ebenso eine Rolle spielte wie die spirituelle Botschaft (und das verfügbare Bargeld zur Versöhnung der Herzen). Immerhin hatten zwei bedeutende Gestalten der mekkanischen Vergangenheit die Stadt zu einem erfolgreichen Wallfahrtszentrum gemacht – Amr ibn Luhaiy und Qusaiy, die gemeinsam die Götter der Levante und Arabiens an einem Ort zusammengeführt hatten. Mohammed führte gewissermaßen ihre Idee eine Stufe weiter, indem er diese Götter in einem Gott vereinigte. Möglicherweise spürten die alten mekkanischen Stammesführer, dass in einem Zeitalter, wo der Monotheismus die antiken Götterwelten überlagerte, Mohammeds Plan noch mehr Pilger – und Bargeld – in ihre Stadt locken würde. Außer Zweifel steht, dass die heidnischen Mekkaner eine weise Entscheidung getroffen hatten: Ihre Anerkennung Mohammeds und Mohammeds Bestätigung der zentralen Bedeutung der Kaaba haben seitdem und für den absehbaren Teil der Ewigkeit das Gedeihen ihrer Stadt gewährleistet. Mit dem Aufstieg Mekkas zum Heiligtum des vollendeten Monotheismus wurde der Bestimmungsort der Wallfahrt zwar optimiert und erhielt ein neues Image, aber die Verwaltung blieb in denselben Händen. Und in einem Bereich ist sie seitdem dieselbe geblieben. Der quraischitische Clan der Banū Schaiba, der zunächst als Wächter der Göttin al-ʿUzzā anfing, 60 bevor ihm die Schlüssel zur Kaaba anvertraut wurden, besitzt diese Schlüssel noch heute.61 Eine alte mekkanische Redensart lautete: „Der Schaiba-Clan strahlt, offenbar ist es ein Tag, an dem die Kaaba geöffnet wird“,62 denn natürlich kassierten sie Eintrittsgeld. Das Strahlen dürfte nach so langer Zeit Teil ihrer genetischen Ausstattung sein, ein Risus sardonicus. Auch in anderer Hinsicht stellte sich heraus, dass Mohammeds Revolution eher den Charakter einer Evolution hatte. Mekkas herrschende Clans hatten eine radikale Veränderung durchgemacht, und der Reichtum der Stadt wurde, bis zu einem gewissen Grad, auf die Zweige des quraischitischen Stammbaums umverteilt. Aber das Leben ging weiter, Pilger umrundeten die Kaaba wie eh und je, und der Handel blühte entlang der gewerblichen Lebensadern Mekkas. Für die Einwohner der Stadt war das Annus Hegirae, das Jahr Null, alles andere als ein Neustart der Geschichte im Stil der Roten Khmer. Aber noch in anderer Hinsicht hatte die Revolution gerade erst begonnen. Mohammed, der die alten Stimmen von kāhin, chatīb, schāʿir und saiyid in sich
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vereinte, sie aber auch transzendierte, ging nun daran, permanent abweichende arabische Stimmen zu vereinen wie niemand sonst vor ihm oder seitdem.
Medinensische Medien Noch vor der Kapitulation Mekkas hatte ein Waffenstillstand mit der heidnischen Stadt im Jahr 628 Mohammed ermöglicht, seine wachsenden Kräfte auf fernere arabische Horizonte zu richten. Bisweilen wurde militärische Gewalt eingesetzt. Im Fall von al-Tāʾif, dem befestigten urbanen Zentrum eines fruchtbaren Gebiets südöstlich von Mekka und Machtbasis des Stamms der Thāqif, stieß die herkömmliche leichte Stoßtrupptaktik jedoch an ihre Grenzen; hier bedurfte es schwererer Waffen. Ein Belagerungskatapult und eine dabbāba aus Kuhhaut – eine testudo, eine Schutzvorrichtung für Pioniere – wurden eingesetzt, um im Jahr 631 die Stadt zu belagern.63 Der Einsatz solcher Militärtechnik zeigt, wie sehr der Staat von Medina an Selbstvertrauen gewonnen hatte und dass er militärischer Innovation gegenüber aufgeschlossen war (dabbāba, wörtlich „Kriecher“, ist heute das arabische Wort für einen Panzer). Aber auch andere Kampagnen waren im Gange, die sich anderer Taktiken und Technologien bedienten. Zumindest vorerst sollte der Islam den größten Teil Arabiens ohne den Einsatz von Waffengewalt erobern. Mohammeds quraischitische Vorfahren hatten im Lauf des vorangegangenen Jahrhunderts den Großteil der Arabischen Halbinsel mit einem Handelsnetz überzogen.64 In diesem Netz verband sich ein Kettfaden aus Handelsrouten mit einem Schussfaden aus Stammesbündnissen; der Ausgleich sich gegenseitig ergänzender Interessen – derjenigen nomadischer Frachtführer und Bewacher auf der einen und der führenden Köpfe der quraischitischen Kaufmannschaft auf der anderen Seite – verliehen dem System elastische Stärke und Beständigkeit. Es war dieses Netz, das Mohammed nutzte, um seine Botschaft zu verbreiten, womit er das Netzwerk letztendlich in einer Weise auf sich selbst neu ausrichtete, die vielleicht vergleichbar ist der Art und Weise, wie die Bolschewisten des frühen 20. Jahrhunderts ihre eigenen engen Kontakte zu Arbeitern am Eisenbahnnetz des Russischen Reiches nutzten, um ihre Ideologie überall in den Herrschaftsgebieten des Zaren zu verbreiten. Mohammed erreichte diese Neuausrichtung durch Diplomatie und auch mit technischer Hilfe. Wie er es auch im Fall des Koran machte, spannte der angeblich „analphabetische“ Prophet die Medien ein und machte sich vor allem die bislang kaum ausgeschöpfte Entwicklung der arabischen Schrift zunutze, um mit fernen Stämmen und Völkern zu kommunizieren. „Das einzige Phänomen, das sie [die Schrift] immer begleitet hat“, schrieb Claude Lévi-Strauss, „ist die Gründung von Städten und Reichen, das heißt die Integration einer großen
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Zahl von Individuen in ein politisches System …“65 Mohammed erfasste bereits die Möglichkeiten der Schrift als Instrument der Kontrolle: Während seiner Zeit in Mekka waren schriftliche öffentliche Verlautbarungen (wie die der Stammesallianz seines Großvaters) manchmal an der Mauer der Kaaba angebracht worden66 – vermutlich nicht in der Erwartung, dass irgendjemand außer den etwa 20 lese- und schreibkundigen Mekkanern sie tatsächlich lesen könnte, sondern eher als eine Form öffentlicher Bekanntmachung, wie die Veröffentlichung in einem Amtsblatt. Aber für die meisten Araber, vor allem Stammesaraber, war Schrift in jedweder Form ein neues und noch mächtigeres Phänomen, das Magie und Mana besaß. Ihr politisches Potenzial war enorm, und Mohammed machte uneingeschränkten Gebrauch davon. Auch Medina besaß eine junge Tradition der Schriftlichkeit,67 und Mohammed ging daran, sie auszubauen. Zusätzlich zu seinen eigenen muslimischen mekkanischen Schreibern, die bereits dabei waren, die Worte Allahs im Skriptorium der koranischen Offenbarung aufzuzeichnen, gab er Anweisung, dass jeder lese- und schreibkundige heidnische Gefangene aus der Schlacht von Badr sich sein Lösegeld in die Unterrichtung von zehn medinensischen Jungen in der Schreibkunst wechseln lassen solle.68 Angebliche Originale von Dokumenten, die von Mohammed ausgegeben wurden und angeblich bis in spätere Jahrhunderte erhalten blieben, vermitteln eine Vorstellung von den Zwecken, zu denen er die Schrift nutzte. So wurden nicht nur göttliche Offenbarungen schriftlich festgehalten, sondern in einem Fall auch Mohammeds eigene Weisheit an Ort und Stelle konserviert – in einem Hadith über das Wesen des Glaubens, den er seinem Cousin und Schwiegersohn Ali diktierte.69 Andere Dokumente hingegen waren prosaischer, wie etwa eine Landschenkung, schriftlich festgehalten auf dem Stängel eines Palmzweigs,70 Tributforderungen von einer jüdischen Gemeinschaft und vom Herrscher der Kinda in Dūma,71 ein Brief an die Hadramiten, der ihnen befahl, zu Allah zu beten und ihre Abgaben an Medina zu zahlen.72 Viele Texte von Briefen wie diesem letzten sind erhalten geblieben, und auch wenn es sich bei einigen um fromme Fälschungen handelt, so spiegeln sie doch vermutlich die Produktion des medinensischen Sekretariats wider. Solche Sendschreiben, verfasst in einer Schrift, die mit überirdischer Scheu betrachtet wurde, und vorgetragen von redegewandten Glaubensboten, müssen eine bestechende Wirkung auf ihre Empfänger gehabt haben. Den Jemeniten, die die archaische südarabische Schrift verwendet hatten, sie aber angeblich um die Zeit des Islam aufgaben,73 schickte Mohammed nicht nur Briefe, sondern auch einen Lehrer für arabische Schriftzeichen. „Ich habe euch einen Schreiber geschickt“, sagte er ihnen und meinte seinen Abgesandten Muʿādh ibn Dschabal.74
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Weniger klar ist die Rolle, die bei dieser Integrationskampagne das höchste Beispiel des verschriftlichten Übernatürlichen, der Koran, spielte. Mohammed ist bereits mit dem Satz zitiert worden, dass Medina vom Koran „erobert“ wurde.75 Natürlich wurde er in irgendeiner Form auch in weiter entfernten Gegenden verbreitet. Seine Sprache war den meisten Arabern zugänglich, ganz gleich welchen Alltagsdialekt sie sprachen, da es die gleiche ist wie die Hochsprache der Dichtung, die jahrhundertelang in jeden Winkel der Arabischen Halbinsel eingedrungen war: Wie al-Masʿūdī sagte, „betäubte er ihr Gehör und lähmte ihren Geist“.76 Aber anfangs betäubte er sie wahrscheinlich in kleinen Häppchen, die mündlich übermittelt wurden, es waren vor allem die kürzesten, frühesten und eindringlichsten Suren. Der Text als Ganzes ist zu weitschweifig und oftmals zu schwierig, um als Propaganda zu funktionieren, abgesehen davon, dass es einen Text-als-Ganzes, eine Gesamtausgabe erst lange nach Mohammeds Tod gab. Aber Mohammed hatte in seiner medialen Kampagne noch mehr Worte aufzubieten. Während ich die Geschehnisse draußen vor meinem Fenster beobachte und über die extreme Schnelligkeit nachdenke, mit der Menschen immer schon für eine neue Sache gewonnen wurden, so ist klar, dass nicht lange und feinsinnige heilige Texte – und gewiss nicht logische Argumentation – sie derart benebelt haben, dass sie daran glauben, sondern ein schlichteres Instrument: der Schlachtruf. Hier haben wir den aus dem Iran stammenden sarcha, den „Schrei“: Allah ist groß! Tod Amerika! Tod Israel! Allahs Fluch über die Juden! Sieg dem Islam! Bei öffentlichen Anlässen – Freitagsgebeten, Kundgebungen, Beerdigungen – geschlossen gebrüllt, „eint er die Stimme“ durch brachiale Gewalt. (Das arabische Wort für „Wurfgeschoss“, sārūch, „Schreier, Brüller“, ist verwandt mit sarcha.) Es mag nicht immer eine vernünftige Vorgehensweise sein, rückwärts zu extrapolieren, aber ich vermute, dass, wenn Medina durch den Koran erobert wurde, die meisten Araber durch Schlachtrufe und prägnante Aussprüche erobert wurden, die beredter und aussagekräftiger waren als die, die ich heute höre. Den Anfang machte Allāhu akbar / Allah ist groß/am größten (das heißt, eure alten Stammesgottheiten sind kümmerlich). Dann kam das wohlklingende, einprägsame Lā ilāha illā ʾllāh / Es gibt keinen Gott außer Allah (eure Stam-
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mesgottheiten existieren eigentlich gar nicht). Und dann Muḥammadun rasūlu ʾllāh / Mohammed ist der Gesandte Allahs (also ist alles, was er sagt, unbezweifelbar). Der Teufel mag die allerbesten Lieder haben, aber Allah hat noch bessere Liedtexte. Die Texte haben eine extrem lange Laufzeit gehabt. Genau dieselben Schlachtrufe funktionieren noch heute perfekt, und die Gemeinschaft ist nach wie vor auf Linie: Die ersten Worte, die ein neugeborener Muslim hört, sind der zweite und dritte der obigen Sätze, die ihm ins rechte Ohr geflüstert werden; und auch einem sterbenden Muslim haucht man sie ins Ohr. Christen werden von Glocken zum Gottesdienst gerufen, erfreulich, aber inhaltsleer; Muslime werden durch Worte zu ihren häufigeren Gebeten gerufen – darunter jene der drei Sätze oben, die heute verstärkt werden (die Worte aus den 4000 Lautsprechern des kürzlich in der mekkanischen Moschee neu eingebauten Systems sind noch neun Kilometer entfernt hörbar).77 Sie werden ständig als Zwischenrufe geäußert. Sie erscheinen auf der Flagge Saudi-Arabiens und auf dem piratenhaft wirkenden schwarzweißen Banner des sogenannten Islamischen Staates. Ein Muslim hört und spricht sie im Lauf seines Lebens unzählige Male: Wenn er nur eine einzige Moschee in Hörweite hätte und 70 Jahre alt würde, so würde man ihm eine dreiviertelmillion Mal sagen, dass Gott groß ist. Aufzuhören zu glauben ist fast so schwer wie aufzuhören zu atmen. Mohammed war also der Gesandte Allahs und auch Sein Verkünder. Er und seine Anhänger verbreiteten das Wort Allahs in Schriftform und fassten es außerdem zu mündlichen/akustischen Schlachtrufen zusammen. Dies waren innovative Wege zur Schaffung eines bislang nie dagewesenen esprit de corps unter Arabern, einer Super-ʿasabiyya. Und die Schlachtrufe haben ihre Rolle nicht nur beim Erhalt der ʿasabiyya, sondern auch bei der Bewahrung der ʿarabiyya, der arabischen Sprache, gespielt. Als Beobachter von Nichtarabern vermerkte al-Bīrūnī, der selbst iranischer Herkunft war, im 11. Jahrhundert: Wie oft haben sich Untertanenstämme versammelt, um dem Staat einen nichtarabischen Charakter zu verleihen. Aber sie konnten ihr Ziel nicht erreichen, und solange ihnen fünf Mal am Tag der Ruf zum Gebet in den Ohren klingt … müssen sie sich hingeben.78 Mohammeds mediale Botschaften, mündliche wie schriftliche, ergossen sich aus seiner Medina. Koransuren und heilige Schlachtrufe machten die Runde im arabischen Netzwerk. Desgleichen schriftliche Aufforderungen oder Vorladungen, die Stammesführern von lese- und schreibkundigen Boten überbracht wurden. Die Anführer waren fasziniert, reagierten auf den Ruf und begaben
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sich nach Medina. Wie Abū Sufyān und Urwa waren auch sie dort gebannt von Mohammeds Macht und Persönlichkeit – und wenn man in einer hierarchischen Gesellschaft den Anführer in seinen Bann zieht, ködert man den ganzen Stamm. Insgesamt ging es vielleicht weniger darum, dass Mohammed „die Stimme einte“, als dass er das Schweigen mit seinen eigenen Worten, seinen Botschaften ausfüllte. Etwas Vergleichbares war niemals zuvor vernommen worden. Um noch einmal Martin Nowaks Formulierung zu verwenden, Sprache ermöglicht Herrschaft, weil sie Ideen transportiert,79 und wie viel mächtiger sind die Ideen erst, wenn, wie im Arabien des frühen 7. Jahrhunderts, keine festen Vorstellungen existieren, um ihnen zu widersprechen. Vor allem in den Jahren 630/31 kamen scharenweise Delegationen aus noch ferneren Gegenden zu Mohammed. Einige, insbesondere christliche Araber aus Nadschrān und aus Nordostarabien,80 kamen nicht, um zu „konvertieren“, sondern um ihre Loyalität gegenüber der aufstrebenden Macht zu bekunden: islām, „Unterwerfung“, Hingabe“ oder „Ergebung“ war (und ist in gewisser Weise noch heute) in mehr als einer Hinsicht ebenso eine Frage der Politik wie des Dogmas. Diplomatische Kontakte mit dem christlichen Äthiopien und Konstantinopel wurden geknüpft: Der byzantinische Kaiser schickte Mohammed einen Pelzmantel, den der Prophet anprobierte, bevor er ihn an den Negus, den König von Aksum, weitergab, der ihn in seinem kühlen äthiopischen Hochland wahrscheinlich besser gebrauchen konnte.81 Stämme und Völker von weit her wurden Verbündete Mohammeds, nicht zuletzt durch zahlreiche Eheschließungen.82 Etwas von der Spannung zwischen den aufsteigenden und untergehenden Mächten Arabiens zeigt sich in einer Anekdote über Mohammeds Hochzeitsnacht mit Asmāʼ, einer Tochter der alten herrschenden Familie der Kinda. Ins Brautbett eingeladen, erwiderte sie zuerst: „Gibt das Königtum sich nun dem Handel hin?“83 Aber das Charisma des Propheten wirkte auch bei ihr. Es schien bei allen zu wirken. Immer mehr Bewohner der Arabischen Halbinsel schlossen den Vertrag, der sie verpflichtete zu beten, zu schwören und zu zahlen – zu Allah zu beten, Seinem Propheten auf Erden Treue zu schwören und die Mitgliedsbeiträge zu zahlen. Es ist unklar, auf wie viel letztere sich am Anfang beliefen; Regeln hinsichtlich der Höhe der zakāt, der „Almosensteuer“, wurden erst später formuliert. Aber wahrscheinlich waren die Summen nicht bedeutend. Dennoch war die bloße Vorstellung irgendeiner Zahlung vielen Bewohnern der Arabischen Halbinsel – den badw ganz gewiss – ein Gräuel, und die Tatsache, dass sie ihr zustimmten, zeigt, wie bezwingend Mohammeds Persönlichkeit einfach war. Und wenn die Kraft seiner Persönlichkeit allein nicht ausreichte, konnte er stets darauf zurückgreifen, eine Gruppe mit Hilfe einer anderen unter Druck zu setzen. Vor allem Nomadenstämme wie die Hawāzin,
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die seit Langem den Westen und das Zentrum der Arabischen Halbinsel durchstreiften, setzte er ein, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen.84 Großer Überredung bedurfte es nicht. Erfolg gebar Erfolg, dazu kam die Furcht, von dem fahrenden Zug zurückgelassen zu werden – auch wenn in der weitgehend schienenlosen Welt der Arabischen Halbinsel der Zug eine Karawane war. Anführer auf Anführer, Stamm auf Stamm schloss sich der immer länger werdenden Reihe an, die sich um Arabien schlängelte, in dem Wissen, dass man kurzfristig in der Menge sicher war und sich längerfristig eine Chance auf Profit bot, sei er nun irdisch oder himmlisch. Der Karawaneneffekt funktionierte prächtig, und das Arabien der Halbinsel war zum ersten Mal in seiner Geschichte vereint. Es sollte auch das letzte Mal sein.
Ein persischer Faktor? Was den letztendlichen Grund hinter dieser noch nie dagewesenen Einheit betrifft, gibt es eine verlockende Möglichkeit: dass der Staat von Medina eine Reaktion auf das persische Vordringen auf dem arabischen Subkontinent war.85 Diese These ist von mindestens einem jüngeren Historiker zur Debatte gestellt worden, und auf den ersten Blick ist es ein absolut überzeugender Gedanke. Im Südwesten, im Jemen, waren die Perser machtvoll vertreten – mit keinem Geringeren als einem Vizekönig; im Osten, in dem Gebiet von Bahrain, waren sie seit Langem aktiv und einflussreich; im Norden hatten sie gegen die Byzantiner vor Kurzem in der Levante und sogar in Ägypten beachtliche Erfolge errungen. Das Ganze sieht aus wie ein Angriff mit drei Spitzen – so ähnlich mag den heutigen Herrschern Saudi-Arabiens und der Anrainerstaaten am Persischen Golf auf der arabischen Seite der Einfluss des schiitischen Iran im Libanon und Irak, in Bahrain und jetzt im Jemen vorkommen. Weitere vereinzelte Befunde können den Eindruck einer umfassenden persischen Infiltration untermauern, etwa die Behauptung, dass Chālid ibn Sinān al-Absī (von Mohammed als der letzte Prophet vor ihm selbst anerkannt)86 Arabien vor dem massenhaften Übertritt zur persischen Staatsreligion, dem Zoroastrismus, bewahrte: Er hatte reihum die wachsende Zahl zoroastrischer Feuertempel auf der Arabischen Halbinsel besucht und die heiligen Flammen gelöscht, die im Mittelpunt ihres Kultes standen.87 Der Eindruck, dass es sich bei Mohammeds Einheitsstaat um einen arabischen Schulterschluss angesichts der aggressiven Politik Persiens handelte, mag daher nicht unbegründet sein. Doch es sind Indizienbeweise. Wie Kornkreise treten auch die großartigen Entwürfe der Geopolitik oft erst aus der erhöhten Perspektive künftiger Historiker hervor; damals vor Ort können sie unsichtbar gewesen sein. Zudem waren die großen Entwürfe vielleicht niemals
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das, was sie vorgaben zu sein, auch hierin ähneln sie Kornkreisen. In Mohammeds Kopf mag der Gedanke, den Persern die Stirn zu bieten, durchaus ein Faktor bei seiner Planung eines neuen Staates gewesen sein. Er verfolgte die klare Absicht, die Stämme zu einen, wie die Kinda es versucht hatten, und außerdem eine größere Einheit zu schaffen, in welche auch Platz für die Völker der alten südlichen Zivilisationen war. Ein Teil der neuen, allumfassenden arabischen Identität kam in der Gegenüberstellung von ʿarab und ʿadscham, von Arabern und Nichtarabern, womit vor allem die Perser gemeint waren, zum Ausdruck. Und im wichtigsten Beweisstück, dem Koran, gibt es eine Andeutung, welche die Vorstellung von den antipersischen Anfängen Medinas stützt – eine Äußerung, wonach die Muslime über einen kommenden Sieg der Byzantiner, vermutlich über ihre Hauptfeinde, die sassanidischen Perser, jubeln werden.88 Am Ende ist es jedoch nur eine Andeutung. Überdies sollte Mohammeds Nachfolger Abū Bakr die persischen Eindringlinge im Jemen aktiv umwerben und sie gegen seinen arabischen Gegenspieler al-Aswad benutzen.89 Vor Ort, in Echtzeit, ist es die Realpolitik, die zählt, nicht der großartige Entwurf.
Am wenigsten gläubig Innerhalb der beispiellosen Einheit, die Mohammed schuf, lauerten systemimmanente Gefahren. Die neue Gemeinschaft erbte die Stärken des transarabischen Netzwerks der Mekkaner, jener Übereinkunft zwischen städtischen Kaufleuten und nomadischen Händlern; sie erbte aber auch deren Spannungen. Ein Charakteristikum der aʿrāb, der echten badw, war immer schon ihre Liebe zur Unabhängigkeit gewesen, sie ist als die Grundprämisse ihres Lebens bezeichnet worden. Aber dieser Unabhängigkeitsdrang würde sich zweifelsohne nicht gut einfügen in die neue, allumfassende umma mit ihrem totalen Gehorsam gegenüber Allahs Willen, wie er durch Mohammed zum Ausdruck gebracht wurde. Mohammed nahm sich in Acht vor den aʿrāb. Es wird behauptet, dass er sagte: „Ich habe nie von einem aʿrābī erzählen hören, den ich zu Gesicht bekommen wollte, es sei denn, es wäre Antara gewesen“,90 ein berühmter Dichter und Held, Sohn einer schwarzen Sklavenmutter. Um zu expandieren, brauchten Mohammed und seine umma allerdings die Fähigkeiten der aʿrāb als Räuber und Plünderer; zugleich galt es, diese Qualitäten sorgfältig zu kontrollieren, um nicht die umma selbst zu gefährden. Um das Dilemma anders auszudrücken, die beduinischen aʿrāb waren dynamisch, aber auch potenziell störend und zerstörerisch; die sesshaften Mitglieder der umma steuerten Sicherheit und Stabilität bei, aber auch die Wahrscheinlichkeit von Stillstand. Die beiden Kräfte zogen in verschiedene Richtungen, und es bestand die Gefahr, dass die umma auseinandergerissen würde. Mohammeds enger Weggefährte und zweiter
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Nachfolger, Umar, bezeichnete die Beduinen als „den Ursprung der Araber und das Material des Islam“.91 Aber viel von diesem Material war ungeschlacht und sehr sprunghaft. Allah Selbst bezeichnete sie im Koran als „am wenigsten gläubig und am heuchlerischsten“.92 Mohammed hingegen sagte: „Glaube ist Yamanī, Weisheit ist Yamanī“, und mit „Yamanī“ meinte er mit ziemlicher Sicherheit die traditionelle Antithese der aʿrāb, die sesshaften, zivilisierten Völker von al-Yaman, „dem Süden“.
Dazugehören und glauben Die aʿrāb brachten Mohammed zur Verzweiflung, weil sie sein Vereinigungsprojekt um eine weitere Spannung bereicherten – zwischen islām und imān, „Ergebung/Hingabe/Unterwerfung“ und „Glaube“: Die Beduinen [aʿrāb] sagen: „Wir glauben.“ Sprich: „Ihr glaubt noch nicht! Sagt vielmehr: ‚Wir nahmen den Islam an [aslamna]!‘ Denn noch drang der Glaube nicht in eure Herzen ein.“93 Die Vorstellung von glaubenslosen oder ungläubigen aʿrāb taucht in der islamischen Hälfte der arabischen Geschichte immer wieder auf. Manchmal nimmt sie eine komische Wendung. So wurde beispielsweise Anfang des 8. Jahrhunderts eine Gruppe von Beduinen belauscht, wie sie in Versform um Regen beteten: Herr, die Dinge zwischen uns sollten sich wirklich bessern – Wie in den alten Zeiten, als Du unser Wetter regnerischer machtest. Schick uns Regen, O Du ohne Erzeuger!94 In der letzten Zeile machen die ungezogenen Beduinen abfällige Bemerkungen über Gottes Abstammung: „Du ohne Erzeuger!“ meint, freiheraus, „du Bastard!“ (Natürlich treffen sie auch den theologischen Nagel auf den Kopf: Gott ist ungeschaffen, ungezeugt.) Auch in den vergangenen Jahren gingen viele urbane Muslime, denen die Vorstellung fremd war, dass das Leben in der Wildnis zum Nachdenken über das Ewige anrege, im Allgemeinen davon aus, dass die wilderen nomadischen Araber zwar nominell Muslime gewesen sein könnten, aber in etwa so viel Sinn für das Göttliche hatten wie die wilderen Tiere. Um auf den Koranvers zurückzukommen, so ist er einerseits aufschlussreich, was die Einstellungen gegenüber den Beduinen betrifft, hat aber darüber hinaus eine weitere und sehr überraschende Bedeutung: dass jemand anscheinend ein muslim, ein „Sich (Gott) Ergebender“, sein konnte, ohne ein muʼmin,
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ein „Glaubender“, zu sein. Islām, besagt der Vers, ist nach außen gerichtet, öffentlich, unpersönlich, hat mit Gesellschaft und Politik zu tun; imān, im Herzen wohnend, ist nach innen gerichtet und privat, hat mit dem persönlichen Verhältnis eines Menschen zu Allah zu tun. Mohammed, der dabei war, eine Gemeinschaft und einen Staat aufzubauen, war das zweigleisige Wesen von Religion durchaus bewusst. Man hat sogar, vielleicht zu Recht, behauptet, es sei „sehr fraglich, ob Mohammed sich die sozioreligiöse Gemeinschaft, die er in Medina gründete, jemals als universale Religion vorstellte“.95 Sehr viele Koranverse belegen, dass man glaubte, Juden und Christen hätten kraft ihres Monotheismus teil am imān, an jenem tiefempfundenen Glauben; außerdem konnten sie tributzahlende Bundesgenossen des islamischen Staates werden. Umgekehrt konnte ein glaubensloser Beduine ein vollwertiges, „eingetragenes“ Mitglied dieses Staates als muslim, Sich (Gott) Ergebende, sein, ohne innerlich an seine spirituellen Wahrheiten zu glauben. Aber vielleicht könnte es angesichts dessen, was in dem das Wort „Religion“ mitschwingt, sogar irreführend sein, die Gemeinschaft von Medina als „sozioreligiös“ zu bezeichnen: Wissenschaftler, die sich mit der Reaktion zeitgenössischer Dichter – sie kamen objektiven Beobachtern am nächsten – auf Mohammeds Revolution beschäftigt haben, glauben, dass sie den Islam mehrheitlich „für eine soziale und politische Bewegung und nicht für eine tiefgreifende spirituelle Erfahrung hielten“.96 Als tiefgreifende spirituelle Erfahrung begann der Islam mit Mohammeds mekkanischen Offenbarungen. Zu gegebener Zeit und am gegebenen Ort sollte er diesen spirituellen Kern wiedererlangen. Aber insbesondere während des ersten staatsbildenden Jahrzehnts in Medina konnten materielle Erwägungen bisweilen schwerer wiegen als spirituelle: Wichtig war, jeden, auch die Mitglieder der mekkanischen Aristokratie und die aʿrāb, auf die eigene Seite zu ziehen – sei es durch Unterwerfung, finanzielle Unterstützung oder Bestechung mit dem Lockmittel der Beute –, ganz egal was der Einzelne im Innersten seines Herzens glaubte. Es spielte keine Rolle, dass der Geist schwach war, solange das Fleisch willig war. Sofern das öffentliche Betragen korrekt war, man sich den Reihen der Betenden anschloss, „Ja“ zum irdischen Führer und „Amen“ zu Gott sagte, konnte das Gewissen Privatsache bleiben. Es ist das Gegenteil des heutigen Zustands im individualistischen Westen, wo die institutionalisierte Religion rapide an Bedeutung verloren hat, sich viele Einzelne aber eine tiefe Spiritualität bewahren. Die Soziologin Grace Davie hat ihre innere Verfassung als „glauben, ohne dazuzugehören“ beschrieben.97 In Mohammeds Arabien gehörten die aʿrāb aus dem zitierten Koranvers dazu, ohne zu glauben. Doch es gibt noch einen größeren Unterschied zwischen dem Arabien des 7. Jahrhunderts – vielleicht zwischen der Vergangenheit der Welt insgesamt –
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und dem Westen heute. In Ersterem waren Dazugehören und Glauben kontrapunktische, aber komplementäre Begriffe, zwei Pole derselben Kugel; zwischen den Polen lag eine verschiebbare Skala, von Politik zu Frömmigkeit. Das arabische Wort dīn, das sanskritische dharma, das lateinische religio können alle mit „Religion“ wiedergegeben werden, aber dieses letzte Wort mit seinem nachprotestantischen Fokus auf persönlicher Frömmigkeit richtet den Leser an einem der beiden Pole aus, sodass er Religion in erster Linie als Glaubenssache betrachtet. Doch Glauben macht nur einen Teil aus. Dazugehören ist der andere Teil, und Menschen haben im selben Atemzug „Amen“ zu Gott und „Ja“ zu Cäsar gesagt, solange es Götter und Cäsaren gibt. Der Islam mit seiner Lehre vom totalen politischen und theologischen tauhīd, Unitarismus,98 ist nur ein gesteigertes Beispiel für dieses Phänomen.
Der Tod Mohammeds Doch eine unitaristische Lehre ist nicht dasselbe wie eine dauerhafte Einheit. Mohammed sollte ein Ausmaß an gesellschaftlichem und politischem Zusammenhalt hinterlassen, das in der gesamten, bereits langen arabischen Geschichte beispiellos war. Aber er hinterließ auch eine schwebende Frage – die eines Nachfolgers. Eindeutig beantwortet, hätte sie die Einheit zumindest für einen Teil der ebenso langen arabischen Geschichte nach ihm garantieren können. Die Frage ist noch heute unbeantwortet. Gegen Ende Februar 632 führte Mohammed in der später sogenannten Abschiedswallfahrt seine Anhänger von Medina an seinen mekkanischen Geburtsort. Die Predigt, die er auf ihrem Höhepunkt hielt – vom Kamelrücken aus, im Stil seiner alten Inspiration, des Wanderpredigers Quss ibn Sāʿida –, begann mit einer Vorahnung seines eigenen Todes: „Ich weiß nicht, ob ich euch nach diesem Jahr hier jemals wieder treffen werde.“ Anschließend sprach er in seiner Predigt über die Unantastbarkeit von Abstammung und Eigentum sowie über Themen wie eheliche Beziehungen und Vermächtnisse. Aber die bemerkenswerteste Passage ist vielleicht die folgende: Allah, sei auch Du mein Zeuge! O ihr Menschen! Ihr habt nur einen einzigen Herrn, nur einen einzigen Vater. Gemäß dem Islam sind alle Menschen gleich. Ihr seid alle Kinder Adams und Adam wurde aus Lehm erschaffen. Vor Allah sind die Wertvollsten unter euch diejenigen, die bei ihm Zuflucht nehmen, sich eng an seine Befehle halten, sich von Sünden reinigen und sich vor seinem Zorn hüten. Ein Araber ist nicht mehr wert als ein Nichtaraber, noch ist ein Nichtaraber mehr wert als ein Araber; weder ist ein Schwarzer mehr wert als ein Rothäutiger, noch ein Rothäu
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tiger mehr als ein Schwarzer; das einzige Maß der Überlegenheit ist taqwā (Gottesfurcht, Frömmigkeit).99 Sollte Mohammed sich die Gemeinschaft, die er gründete, nicht immer schon als universell vorgestellt haben, dann war dies vielleicht eine weitere Vorahnung – dass seine Botschaft eines Tages weltumfassend sein würde. Andererseits war die Gemeinschaft von Medina bereits heterogen und schloss Perser, schwarze Sklaven und Freigelassene mit ein. Was immer sie sonst noch bedeutete, sie ist jedenfalls ein klares Bekenntnis zur Inklusivität. Trotz dieser ersten Andeutung seiner eigenen Sterblichkeit war der Gegenstand, den Mohammed in seiner Predigt nicht berührte, die Nachfolgefrage. Doch sie kam allzu bald und allzu plötzlich auf: Zwei Monate nach seiner Rückkehr nach Medina erkrankte Mohammed an dem Fieber, das ihn umbringen würde. Während seiner letzten zehn Tage war er nicht mehr in der Lage vorzubeten und wies seinen Gefährten Abū Bakr an, es an seiner Statt zu tun. Dies und die Tatsache, dass eben dieser engste Gefährte auch die Pilgerfahrt im vergangenen Jahr geleitet hatte, wurde von vielen als Hinweis verstanden, dass es Mohammeds Wunsch war, Abū Bakr möge ihm als Oberhaupt der Gemeinschaft nachfolgen. Doch nicht alle sollten sofort einverstanden sein, und obwohl die Konfliktlinien innerhalb der Gemeinschaft anfangs nicht mehr als Haarrisse waren und bald schon durch das Gebot der Einigkeit überdeckt wurden, sollten die Sprünge sich in weniger als 30 Jahren zu Abgründen erweitern. Mohammed starb in den Armen seiner jüngsten Frau, Abū Bakrs Tochter Aischa. Angesichts all der frommen Erinnerungen, die sein Leben liefern sollte – jener möglichen Millionen Überlieferungen –, wäre es schwer, einen völlig objektiven Nachruf auf Mohammed den Propheten zu verfassen. Beinahe noch schwerer ist es, des Menschen Mohammed in dieser Form zu gedenken, außer in Bruchstücken: Er liebte Pferderennen, aber es machte ihm nichts aus, wenn er verlor; er pflegte auf dem Boden sitzend zu essen und sich die Finger abzulecken; er schlug niemals einen Sklaven; niemals sah man ihn aus vollem Halse lachen.100 Was den letzten Punkt betrifft, so ermangelte er nicht eines Sinns für Humor, und er muss einen ziemlich trockenen Humor gehabt haben. So fragte ihn einmal eine alte Frau, ob Allah alte Frauen ins Paradies lasse, und als er ihr sagte, das tue er nicht, weinte sie – woraufhin Mohammed sagte: „Er verwandelt sie zuerst in heiratsfähige Jungfrauen!“101 Auch für Spaß war Mohammed zu haben, und einmal sah man ihn auf allen Vieren mit seinen kleinen Enkeln al-Hasan und al-Husain auf dem Rücken, während er ihnen zurief: „O, was für ein feines Kamel ihr habt!“102 Diese flüchtigen Eindrücke haben etwas Anekdo-
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tisches, man könnte und würde sie nicht erfinden. Aber viele der weniger impressionistischen Elemente des Bildes fehlen – selbst Hinweise auf sein Alter. Die Vorschläge, was letzteres betrifft, schwankten zwischen 60 und 65 Mondjahren,103 aber Zweifel hinsichtlich der Datierung des Jahrs des Elefanten104 könnten bedeuten, dass er älter war. Es heißt, dass Mohammed, wie einige der berühmten vorislamischen Krieger, selten unverschleiert in der Öffentlichkeit erschien. Mit der Zeit ist er immer unsichtbarer geworden, in immer dichtere Schichten von Frömmigkeit gehüllt. Für die meisten Muslime ist schon der bloße Gedanke, ihn leibhaftig zu porträtieren, ein Sakrileg. Selbst in der lockereren Tradition des schiitischen Iran dürfen andere Propheten dargestellt werden, aber Mohammeds Gesicht wird immer als Leerstelle gezeigt.
Vermächtnis Ein Forscher, der sich ausführlich mit dem Thema beschäftigte, hat behauptet, dass vor Mohammed „der Begriff ʿarab kurz davor [gewesen war], völlig zu verschwinden“.105 Und doch war der Begriff nicht verschwunden: In der vorislamischen Dichtung tauchte er regelmäßig, wenn auch selten auf; es war selten artikulierter Begriff, aber keinesfalls ein aussterbender. ʿArab, Stammesnomaden, und Bewohner der Arabischen Halbinsel im Allgemeinen waren bereits Araber geworden, eine ethnische Gruppe mit einer Sprache und einer Identität; der Kontakt mit ʼadscham, jenen, die nicht Arabisch sprechen konnten, hatte sie im Gegenzug solidarisch untereinander werden lassen; und jetzt hatte die Prophetie ihnen – zumindest vorläufig – zur Einheit verholfen, zu einem kollektiven Willen, der wie bei den alten südarabischen, nichttribalen Völkern von einer gemeinsamen Gottheit geleitet wurde. Die Leistung Mohammeds bestand darin, dieser arabischen Identität, deren tiefstes Fundament die Sprache war, eine neue und dauerhafte Bedeutung verliehen zu haben. Sein größtes Vermächtnis, der Koran, erinnert seine Hörer immer wieder daran, dass Allah sein letztes Wort an die Menschheit in arabischer Sprache spricht. Mohammed „versammelte die Araber im Wort des Islam“106 und einte die politische Stimme der Araber wie niemand davor oder seitdem. Dieses geeinte Wort und der geeinte Wille verschafften Arabern letztendlich wiederum das Potenzial, über andere zu herrschen. Noch allerdings war das Potenzial unverwirklicht, vielleicht sogar unerkannt. Angeblich predigte Mohammed für den Sturz der Ghassaniden und Kinda, aber nicht für den Sturz von Persien und Byzanz.107 Doch wie weit sein geistiger Horizont auch war, sein politischer Wirkungsbereich scheint auf die arabischsprachige Welt beschränkt gewesen zu sein.
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Die Frage war nun, was als Nächstes passieren würde. Wie es bei den beduinischen ʿarab der Fall war, hatten keineswegs alle derjenigen, die Mohammeds Ruf gefolgt waren, den spirituellen „Glauben“ – imān – angenommen, der diesen Ruf auslöste. Aber alle hatten sie einen Gesellschaftsvertrag unterzeichnet. Es war kein weltlicher Vertrag, wie ihn die Europäer der Aufklärung aufsetzten, in dem Bürger als Gegenleistung für Sicherheit durch staatliche Institutionen Freiheiten preisgeben, sondern ein Vertrag mit Allah: Er würde Sein Volk schützen und leiten und dabei als kollektiver Wille dieses Volkes fungieren, als Gegenleistung für dessen Hingabe – islām – an Ihn und die Zahlung von Abgaben in Form von Gebeten, Wallfahrten und Vermögenssteuern. Der Gedanke der habl Allāh, jenes heiligen Gesellschaftsvertrags oder Bundes mit einer höchsten Gottheit, hatte im alten sabäischen Süden jahrhundertelang ziemlich gut funktioniert. Dort durften verbündete Völker, die ihn unterschrieben, an ihrer eigenen Identität und Unabhängigkeit in Gestalt ihrer alten Götter festhalten: Es war ein theokratischer Staat, aber theologisch locker und dezentral. Auch der Bund der Juden mit Jehova hatte einigermaßen erfolgreich funktioniert: Die Gottheit war unangreifbar die Einzige, aber solange die Juden einen unabhängigen politischen Staat hatten, spornte Er eine Reihe von Wortführern – Propheten – an, Seinem Volk Seinen Willen durch wechselnde Zeiten und Verhältnisse hindurch zu offenbaren. Was Mohammed gegründet hatte, war anders: Es war ein theokratischer Staat, und der war nicht nur streng monotheistisch, sondern auch monoprophetisch. Mohammed war das „Siegel der Propheten“, und wenn die Offenbarung mit Adam begonnen hatte, so hatte sie mit ihm aufgehört. In der Staffel der Offenbarung war er der letzte Empfänger des Staffelstabes. Es existierte kein Konzept eines Heiligen Geistes, um die Gemeinschaftswelt ohne Ende zu inspirieren und die Offenbarung durch aufeinanderfolgende und wechselnde Zeitalter hindurch neu zu deuten. Mohammeds Staat war daher ungemein zentralisiert, nicht geografisch, aber zeitlich. In gewisser Hinsicht war die Geschichte an ihr Ende gelangt oder in eine ewige Gegenwart eingetreten, die zu einer ständig präsenten Vergangenheit werden würde. Doch wie bei Francis Fukuyamas Erklärungen aus jüngerer Zeit sind Gerüchte über das Ende der Geschichte meist übertrieben. Mit dem Ende der Offenbarung war ein bedeutendes Thema der Geschichte – Gottes Verhältnis zu Seiner Schöpfung – zugegebenermaßen beendet. Aber die irdischen Ereignisse hörten nicht auf. Die Uhr war stehengeblieben, aber die Zeit lief weiter. Ibn Chaldūn sollte 750 Jahre später in der Rückschau schreiben, dass „Araber das Königtum nur durch Prophetie erlangen können“. Bis dato erstreckte sich dieses Königtum nicht weiter als die zentrale westarabische Region Hedschas,
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allerdings mit einem Netz von Vertragsbeziehungen, das sich über den größten Teil der übrigen „Insel“ der Araber erstreckte. Und da Mohammed der größte Prophet aller Zeiten war, würde dann auch dieses Königtum mit ihm sterben? Beinahe wäre es so gekommen. Doch für den unmittelbaren Moment zerbrach nichts. So wenig wie die Geschichte endete. Aber man könnte sagen, dass sie den Atem anhielt, denn es war klar, dass eine Veränderung das Arabertum erfasst hatte, auch wenn die Veränderung den Zeitgenossen nicht so radikal erschienen sein mochte, wie sie jenen vorkam, die den Islam später weiterentwickelten. Etwas vom Charakter dieser Veränderung war und ist immer noch 100 Meter entfernt von dem Ort, an dem ich diese Zeilen schreibe, zu sehen.
Aus den Trümmern Die Große Moschee von Sanaa wurde im Jahr 627 von Mohammeds Vorauskommando im Garten des persischen Vizekönigs erbaut. Die vizekönigliche Residenz überragte sie – der mehrstöckige sabäische Ghumdan-Palast, selbst schon 400 Jahre alt, mit seinen Alabasterfenstern und hohlen bronzenen Vögeln und Tieren auf seinen Brüstungen, die kreischten und röhrten, wenn der Wind hindurchblies. In der Großen Moschee wurde Material aus der niedergerissenen Großen Kirche von Sanaa verbaut, die ein Jahrhundert früher von den christlichen äthiopischen Bewohnern errichtet worden war (Mosaike und Säulen aus der Kirche wurden auch in der mekkanischen Kaaba wiederverwendet108). Ein Großteil des geborgenen Baumaterials mit seinen Akanthuskapitellen und anderen klassischen Motiven war selbst von byzantinischen Vorbildern inspiriert; ein Kapitell trägt noch heute ein verstecktes christliches Kreuz. Mohammed fixierte die Größe der Sanaa-Moschee an einem Stein namens al-Mulamlama, der aufgrund späterer Erweiterungen und Anbauten heute unter dem Fußboden verborgen ist, doch weist eine Markierung noch darauf hin. Vermutlich hatte der Stein irgendeine uralte Bedeutung, denn der Name, den man ihm gegeben hatte, war bis nach Mekka bekannt. Die Moschee enthielt auch das Grab eines verehrten örtlichen Monotheisten, Hanzala ibn Safwān, angeblich ein zu den Sabäern entsandter Prophet.109 Das Gebäude und seine Ausrichtung nach Mekka waren neu. Aber es wurde zwischen und aus den Überresten von Reichen erbaut – jenem der mit den Byzantinern verbündeten Äthiopier und dem der sassanidischen Perser. Zudem war es auf einer alten und einheimischen arabischen Vergangenheit errichtet, von der es sowohl begrenzt als auch überschattet wurde. Die Sanaa-Moschee ist ein maßstabgetreues Modell des von Mohammed bewirkten Wandels: Es ist ein Bauwerk, das im Einklang mit einer völlig neuen Gesellschaft stehen sollte, aber aus uralten Materialien und in einem vertrauten Umfeld errichtet wurde.
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Um nach Medina, zum Prototyp dieser neu-alten Moschee und zu den sich verbeugenden Reihen Betender zurückzukehren, die Abū Sufyān und Urwa in Erstaunen versetzt hatten: Was sie so nachdrücklich beeindruckt hatte, waren weder die Fremdheit eines andersartigen Ritus noch die im Rahmen dieses Ritus verwendeten Substanzen gewesen, sondern der neue Eifer, der ihre arabischen Landsleute antrieb und einte – Menschen, die Zeit ihrer Existenz untereinander uneins gewesen waren. Vielleicht hatten die zwei Beobachter auch gespürt, dass diese unlängst geeinten und energiegeladenen Araber aus den Trümmern der derzeitigen Territorialreiche – denen der „edlen Perser und der Byzantiner mit ihrem geflochtenen Haar“ –, sogar ihr eigenes Reich aufbauen könnten. Wenn ja, dann hatten sie eine grundlegende Antriebskraft der Geschichte gespürt – dass eine gemeinsame Ideologie eine Gesellschaft sehr viel besser in die Lage versetzt, andere zu unterwerfen. Was sie niemals hätten ahnen können, war, wie schnell all das einfach passieren würde oder dass der lokale Allah-Kult eine Kultur werden und anschließend eine globale kulturelle Hegemonie entfalten würde, die alle anderen Weltreiche lange überdauern sollte.
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Kapitel 7 Die Halbmondritter: Erschließungen Die Huren von Hadramaut Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass Mohammed die beherrschende Gestalt des Mittelpunkts der arabischen Geschichte ist und eine der überragenden Gestalten der gesamten Menschheitsgeschichte. Allerdings muss man einschränkend feststellen, dass er kein typischer Araber war. Er war das Produkt seiner Herkunft, aber er ließ sie weit hinter sich. Und von der kollektiven Ergebenheit seiner im Lauf der Zeit in die Milliarden gehenden Anhängerschaft ist er noch viel weiter getragen worden, sodass er heute mit einem Fuß in der Geschichte und mit dem anderen in einer Fantasiewelt steht. Angesichts ihrer Verschiedenartigkeit von Anfang an und der herrschenden Ungewissheit über die eigentliche Bedeutung ihres Namens ist schwer zu sagen, wer ein „typischer Araber“ ist. Aber der Strom der Ereignisse, der um und an Mohammeds Leben vorbei wogte, riss viele seiner arabischen Zeitgenossen mit sich fort und führte sie auf ähnlichen Wegen in ein neues Leben, das sich oft in jeder Hinsicht fundamental von ihren angestammten Lebensverhältnissen unterschied. Die Lebensbahnen, auf denen sie sich bewegten, verstreuten sie räumlich, bereicherten sie aber auch um eine gemeinsame Erfahrung. Auf vergleichbare Weise hatten Jahrhunderte später die Söhne armer schottischer Handwerker und reicher englischer Gutsbesitzer teil an derselben imperialen Erfahrung im Rahmen des britischen Empire. Der Prozess ist schwer zu fassen, aber gelegentlich scheinen sich die Lebenswege vieler im Leben eines einzelnen Arabers zu verdichten. Eine solche Gestalt war Abū Muhammad al-Aschʿath ibn Qais al-Kindī. Den Beinamen al-Aschʿath, „der Zerzauste“, erhielt er wegen seiner stets ungekämmten Haare. Er wurde in der südarabischen Region Hadramaut geboren, vermutlich gegen Ende des 6. Jahrhunderts. Wie der bedeutende Dichter jenes früheren Jahrhunderts, Imruʾ al-Qais, gehörte al-Aschʿath (oder Maʼdīkarib ibn Qais, wie sein eigentlicher, aber selten benutzter Name lautete) zum Regentengeschlecht des Stammes der Kinda. Nach Wanderungen über die Arabische Halbinsel, einer langen halbsesshaften Periode in und im Umkreis der mittelarabischen Karawanenstadt Qaryat Dhāt Kahl, eigenen Versuchen in vorislamischer Zeit, einen Bund arabischer Stämme zu schaffen und anzuführen, und dem letztlichen Scheitern dieser Bemühungen, waren die meisten Kinda nach Süden gezogen und hatten sich im Hadramaut niedergelassen. Hier, in einem Gewirr von
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Schluchten, die sich tief in eine Hochebene von mondähnlicher Kargheit gruben, begannen sie ein von den arabischen Ereignissen abgeschnittenes Leben zu führen – bis Mohammeds Gesandte eintrafen. Beflügelt vom Ruf des Propheten, sich der wachsenden Stammesunion anzuschließen, begleitete al-Aschʿath an der Spitze einer Gruppe aus dem Königreich Kinda die Gesandten im Jahr 631, dem „Jahr der Gesandtschaften“, zurück nach Medina. Dort erlag er, wie so viele, dem Charisma des Propheten. Und wie viele andere willigte auch er ein, seine Schwester mit Mohammed zu verheiraten. Doch der Prophet starb, noch bevor die Brautkarawane Hadramaut überhaupt verlassen hatte. Wir kennen die Reaktion der Schwester auf die Nachricht von ihrer vorzeitigen Witwenschaft nicht. Aber al-Aschʿaths Reaktion auf den Tod Mohammeds war dieselbe wie die der meisten Araber: Er kündigte Medina jegliche Loyalität auf. Viele in seinem einheimischen Hadramaut waren hocherfreut. Islamische Historiker erwähnen besonders „die Huren von Hadramaut“, eine Gruppe von Frauen, die zur Feier des Bruchs mit Medina sangen und tanzten. Offenbar stammten sie aus vornehmen Familien, eine der Frauen war angeblich Jüdin;1 bei den anderen handelte es sich möglicherweise um Priesterinnen der antiken Kulte, die mit ihren Gottheiten „verheiratet“ waren (daher der Vorwurf der Hurerei).2 Wie die anderen Kinda wähnten sich auch diese Frauen in ihrem abgeschiedenen Wadi, 1500 Kilometer von Medina entfernt, möglicherweise sicher – bis mit bemerkenswerter Schnelligkeit eine Armee aus der fernen Stadt sie überfiel und Rache an den ungehorsamen Hadramiten übte. Den „Huren“ wurden die Hände abgehackt und, gemäß einer alten Form der Bestrafung für aufrührerische Redner,3 die Vorderzähne ausgeschlagen.4 Al-Aschʿath selbst wurde belagert, ergab sich aber unter Zusicherung freien Geleits. Beinahe wäre es seine letzte Tat gewesen: Er vergaß, seinen eigenen Namen in die Kapitulationsurkunde einzusetzen. Im letzten Moment gerettet, wurde er nach Medina gebracht, wo Mohammeds Nachfolger Abū Bakr ihn begnadigte und, wie in feinen Kreisen üblich, mit seiner Schwester verheiratete. Im Anschluss an diese slalomartige Serie von Wendungen des Schicksals und der Treue nahm Al-Aschʿath an zahlreichen Eroberungszügen teil, die ihn weit über Arabien hinaus führten. Im Jahr 636 kämpfte er am Fluss Yarmūk, in der glanzvollen arabischen Entscheidungsschlacht gegen die Byzantiner, in der er ein Auge verlor. Bald darauf nahm er bei al-Qādisiya an der glanzvollen arabischen Entscheidungsschlacht gegen die Perser teil. Er ließ sich in al-Kūfa nieder, der neuen Garnisonsstadt im Südirak, und von dort begab er sich in den Jahren 646/47 auf einen erfolgreichen Feldzug nach Aserbaidschan, wo er eine Zeitlang als Statthalter amtiert haben könnte.5 Nach dem großen Schisma, welches die arabischen Reihen spaltete, übernahm er die Rolle von Mohammeds
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Cousin ersten Grades und Schwiegersohn Ali gegen Muʿāwiya I., Oberhaupt des mekkanischen Ancien Régime und Statthalter von Syrien. Und im Jahr 657 kämpfte er für Ali in der ruhmlosen, nichts entscheidenden innerarabischen Schlacht von Siffīn. Nach dem monatelangen Gemetzel gehörte er zu denjenigen, die Ali überredeten, sich einem faulen Kompromiss zu fügen, der sich als Schlichtung zwischen den Gegnern ausgab. Al-Aschʿath starb 661 in al-Kūfa, und wegen seines verheerenden Ratschlags wird er seitdem von der Pro-AliFraktion – der sogenannten Schīʿa oder Partei Alis (schīʿat ʿAlī) – geschmäht. „Typisch“ ist daher vielleicht nicht das richtige Attribut für Maʼdīkarib den Zerzausten; vielmehr ist er ein Mikrokosmos des Arabertums in dessen aktivster historischer Phase. Nur wenige andere Araber packten ebenso viel in ein einziges Leben, aber die Leben vieler wurden binnen einiger Generationen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Am Ende des ereignisreichen ersten islamischen Jahrhunderts war ein Araber alter Schule nach wie vor in der Lage, Glück als „eine schöne Gemahlin, ein weitläufiges Haus, ein im Hof angebundenes gutes Pferd“ zu definieren. Doch sein Sohn definierte Glück neu; für ihn bestand es aus „Fahnen, die wehen, Thronen in der Höhe, und Menschen, die ‚Gepriesen sei unser Herr!‘ rufen“.6 Bislang waren Araber mit ihren Versuchen, sich gegenseitig zu regieren, mit anderen Worten, unter sich Einheit zu stiften, stets gescheitert – al-Aschaʿths vermeintlicher Herrenstamm der Kinda ist ein typisches Beispiel. Es schien leichter zu sein, Nichtaraber zu regieren, und man fand schnell Geschmack daran. Was nicht heißt, dass die schönen Frauen und rassigen Pferde vergessen waren. Aber das Leben wurde in anderer Hinsicht komplizierter. Stammesaraber hatten immer auf dem Boden demokratischer Entscheidungsfindung oder zumindest des Interessenausgleichs gestanden. Auf Thronen zu sitzen mag die neue Mode gewesen sein, aber um Throne muss man kämpfen, und je erhöhter der Sitz, umso größer die Gefahr von Stürzen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass mit dem gebräuchlichen Wort im Arabischen für Thron, ʼarsch, auch eine Bahre für einen Leichnam gemeint sein kann.
Bestürmt von Geiern Die eine große Ausnahme vom dauernden Scheitern arabischer Versuche, zu innerer Einheit und Geschlossenheit zu finden, war Mohammed gewesen. Nun, bei seinem Tod, mussten seine Weggefährten versuchen, sein Projekt zu Ende zu bringen. Die erste Frage drehte sich um die Auswahl und Beschaffenheit eines Anführers, der dem Propheten nachfolgen sollte. Die Quraisch, sein Stamm, steckten die Köpfe zusammen und wählten einen der ihren. Zwar gehörte ihr Auserwählter, Abū Bakr, nicht zum Establishment der Quraisch, aber er war der
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engste Gefährte Mohammeds, und der Prophet selbst hatte ihn ausgewählt, damit er während seiner tödlichen Krankheit als Vorbeter der Gemeinschaft fungierte. (Der bloße Gedanke an einen Kandidaten aus der nichtquraischitischen einheimischen Bevölkerung Medinas scheint kurzerhand fallengelassen worden zu sein.) Abū Bakrs „Wahl“ war, wie so vieles andere, eine Fortsetzung vorislamischer Stammespraxis; und auch seine Rolle als Vermittler, nicht als Alleinherrscher, knüpfte an diese Praxis an.7 Aber sein Titel – chalīfa, „Nachfolger“, daher das deutsche „Kalif“, des Gesandten Allahs – war neu. Faktisch würde er mehr Autorität ausüben als der alte tribale saiyid. Und faktisch übernahm Abū Bakr die Macht, und anschließend einigte man sich auf ihn. Es war eine nachträgliche Wahl, mit der eine vollendete Tatsache abgenickt wurde,8 wodurch das Ganze einen üblen Beigeschmack bekam. Denn keineswegs alle prominenten Weggefährten Mohammeds akzeptierten das Ergebnis: Ali und andere Mitglieder von Mohammeds haschimitischem Zweig der Quraisch verweigerten dem Nichthaschimiten Abū Bakr sechs Monate lang ihre Anerkennung.9 Es war nicht der erste umstrittene Machtwechsel in der arabischen Geschichte, und es sollte nicht der letzte sein. Die zweite Frage folgte der ersten auf dem Fuß, und sie war noch dringlicher: Gäbe es überhaupt noch irgendjemanden zu führen? Denn binnen ein oder zwei Wochen nach Mohammeds Tod, als die Nachricht im arabischen Netzwerk allmählich die Runde machte, begann diese beispiellose Einheit, die großartige gesellschaftspolitische und religiöse Karawane der Ideen, die er in Bewegung gesetzt hatte und der sich Stämme von der gesamten Arabischen Halbinsel mit sichtlicher Begeisterung angeschlossen hatten, sich aufzulösen.10 Wie alAschʿath und sein Stamm der Kinda im Hadramaut lehnten die meisten von ihnen, jetzt wo Mohammed nicht mehr da war, die ganze Idee irgendeiner zentralen Herrschaft völlig ab. Es war nicht so, dass sie ihre alten Götter besonders vermissten. Mohammed war bewusst gewesen, dass die Risiken, dass Araber in eine heidnische Vergangenheit zurückfielen, real, aber gering waren: „Diese Welt wird erst untergehen“, soll er gesagt haben, „wenn die Frauen der Daus [vor dem Götzen] Dhū al-Chalāsa [wieder] mit dem Hintern wackeln und sie ihn anbeten, wie sie es zu tun pflegten.“11 Der Stein, der Dhū al-Chalāsa symbolisierte, war unterdessen zur Türschwelle einer Moschee umfunktioniert worden, damit auf ihm herumgetrampelt werden konnte. Andere heidnische Überbleibsel waren ohne viel Federlesens aus der Welt geschafft worden. In einem Exorzist-artigen Ende erschien die Göttin al-Uzza angeblich dem muslimischen Helden Chālid ibn alWalīd in Gestalt einer schimpfenden und ungepflegten abessinischen Frau. Chālid spaltete ihr den Kopf, und sie zerfiel vor seinen Augen zu Staub und
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Asche.12 Damit versetzt die islamische Legende ihr nicht nur den Todesstoß, sondern entarabisiert sie auch und macht sie zu einer Abessinierin. Sie wird im wahrsten Sinne des Wortes und bildlich gesprochen geschwärzt, sprich: diffamiert und verleumdet. Viele Araber hatten eine pragmatische und bisweilen ungezwungene Beziehung zu ihren alten Gottheiten gepflegt. Wenn die Götter nicht rüberkamen mit den Gütern, zerbrach man ihre göttlichen Pfeile, wie es der Dichter Imruʾ al-Qais getan hatte,13 oder man schimpfte sie Bastarde, wie die frevlerischen Beduinen in ihrer im vorherigen Kapitel zitierten Regenhymne.14 Unterwegs klaubte man Steine für den Kochtopf und einen Stein für den Gott auf, und wenn man das Lager abbrach, ließ man sie zurück. Die Götzen und ihre Anbeter hatten wenig füreinander übrig. Das Problem nach Mohammeds Tod war kein die Glaubenslehre betreffendes. Es war vielmehr so, dass die meisten Araber, die sich auf sein Projekt verpflichtet hatten, die politische Tragweite der Abmachung schlicht nicht erfasst hatten. Die wichtigste Funktion der alten Götter war ihre politische Rolle gewesen: Sie hatten als „Totems“ für Stämme oder, auf einer viel umfassenderen und formelleren Ebene, für die schaʿbs oder Völker des Südens gedient. Jetzt war Allah das Toten eines Superstammes, eines Gesamtstammes, eines Stammes, der totalitäre Disziplin verlangte – und Abgaben. Und just zu dem Zeitpunkt, als all diese Folgen ins Bewusstsein drangen, verbreitete sich die Nachricht von Mohammeds Tod. Mit wenigen Ausnahmen bekräftigten die alten Stämme und Völker Arabiens stillschweigend erneut ihre jahrhundertealte Autonomie, die für die letzten ein oder zwei Jahre aufzugeben Mohammed sie überredet hatte. Oftmals beteten sie weiter auf muslimische Weise; augenscheinlich war es ratsam, sich mit dem höchsten Gott gutzustellen. Was die Zahlung von Abgaben an Seine Stellvertreter auf Erden betraf, so ließen sie die Angelegenheit stillschweigend fallen. Im Fall der Oberhäupter der Quraisch, die Mohammeds Projekt geerbt hatten, würde das natürlich nicht gehen. Um eine Vorstellung davon zu vermitteln, was geschah, lohnt es, einen Wortwechsel im vollen Wortlaut zu zitieren, der angeblich im Jahr 11 d. H. zwischen dem heldenhaften Exorzisten vorislamischer Göttinnen, Chālid ibn al-Walīd, und einem prominenten vermeintlichen „Abtrünnigen“, Mālik ibn Nuwaira, einem Oberhaupt des Stammes der Yarbuʿ, stattfand. (Bei Letzterem handelt es sich um den in Kapitel 2 erwähnten lächelnden Stammesführer.) Es existieren unterschiedliche Versionen der Geschichte,15 aber laut der gängigsten war Mālik einer der Delegierten gewesen, die den Propheten besuchten, und dieser hatte ihn zum Eintreiber der „Almosensteuer“ seines Stammes bestimmt. Nach dem Tod des Propheten entrichteten Stammesführer, darunter auch Mālik, keine Abgaben mehr und brachen
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damit ihre Abmachung. Chālid ibn al-Walīd wurde losgeschickt, um den Zahlungsunwilligen zu drohen, und er stellte Mālik zur Rede. „Ich verrichte nach wie vor die [islamischen] Gebete“, sagte Mālik, „auch wenn ich die Abgaben nicht zahle.“ Chālid sagte: „Weißt du nicht, dass Gebete und Abgaben Hand in Hand gehen? Das eine ist nicht ausreichend ohne das andere.“ Woraufhin Mālik sagte: „Das ist es, was dein Gefährte [Mohammed] zu sagen pflegte.“ Und Chālid erwiderte: „Hältst du ihn denn nicht auch für deinen Gefährten? Bei Allah, du weckst in mir den Wunsch, dir den Kopf abzuschneiden!“ Auf diese Weise lagen sie sich lange in den Haaren, bis Chālid schließlich sagte: „Ich werde dich wahrhaftig töten.“ Woraufhin Mālik sagte: „Ich nehme an, dein Gefährte hat dir auch das befohlen.“ Chālid sagte: „Du machst das Ganze nur noch schlimmer! Jetzt werde ich dich wirklich töten.“ Bevor einer von Chālids Männern Mālik den Kopf abschlug, wandte sich [Mālik] an seine Gemahlin, Umm Mutammim, und sagte zu Chālid: „Sie hier ist mein Tod“, denn sie war eine außerordentlich schöne Frau. Chālids „Urteil“ wurde vollstreckt; Māliks Kopf benutzte er als Untersetzer für einen Kochtopf, bis er zur Unkenntlichkeit verbrannt war (eine weitere posthume Schwärzung); und er nahm, wie Mālik vorausgesehen hatte, Umm Mutammin zu seinem Eheweib. Zwar verursachte die Affäre einen Skandal in Medina, schließlich hatte Mālik, auch wenn er seinen Beitrag nicht geleistet hatte, seine Andachten vollzogen und bis zum Schluss beteuert, er sei noch immer Muslim, aber der Kalif, Abū Bakr, weigerte sich, Chālid zu bestrafen. Er war einfach zu wertvoll als Befehlshaber, als dass Abū Bakr es sich mit ihm verscherzen wollte,16 und tatsächlich bewies Chālid seinen Wert kurz darauf in dem größten Kampf um die Existenz des im Werden begriffenen Staates. Andere Stämme beteten weiter, zahlten aber nicht.17 Sie waren es gewohnt, Glaubensdinge auf die leichte Schulter zu nehmen; aber Loyalität zu erweisen, noch dazu in barer Münze – oder, wie im größten Teil Arabiens, in Form von Kamelen und anderen Tieren –, war eine viel schwerere und unangenehmere Last. (Wenn man bei einem Stammesüberfall Kamele verlor, hatte man immer-
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hin die Chance, sie zurückzubekommen; war der Kameldieb ein Zentralstaat, hatte man schlechte Karten.) Bei ihrem Aufstand hatten sie oft starke und inspirierende Anführer. Zu diesen zählten nicht nur altmodische Stammesoberhäupter wie Mālik ibn Nuwaira, sondern auch eine gerade erst mit Befugnissen versehene Art von Anführern. Denn ein Aspekt von Mohammeds Mission war fast zu erfolgreich gewesen, und die Hauptgefahr für sein Projekt erwuchs nicht aus alten falschen Götzen, sondern aus neuen falschen Propheten. In gewisser Hinsicht waren sie die aufrichtigste Form von Schmeichelei; aber weil die neuen „Propheten“ ausnahmslos kāhins alter Schule waren, kann man sich andererseits unschwer vorstellen, wie ungehalten sie über einen Mann gewesen waren, den sie als einen der ihren ansahen – Mohammed – und der sich so gut schlug. Das große, helle Feuerrad, das er in Bewegung gesetzt hatte, begann nun zahlreiche brandstiftende Ableger hervorzubringen. Der prominenteste der Nachahmer war Musailima, islamischen Historikern bekannt als „der Lügner“ – der falsche Prophet par excellence. Er gewann eine große Anhängerschaft im Osten der Arabischen Halbinsel; wie Mohammed hatte auch er einen Muezzin, der seine Anhänger zum Gebet rief,18 und einen „Koran“, den sie rezitieren konnten. Dieser äffte die unnachahmliche rhythmische Reimprosa des Originals nach, aber anscheinend mit völlig anderen Inhalten. Die wenigen angeblichen erhaltenen Passagen aus dem Buch wirken einmal mehr wie schwarze Propaganda. Zum Beispiel: Frosch, Tochter von zwei Fröschen! / Quake! Was quakst du? / Mit deiner obere Hälfte im Wasser weichst du, / mit deiner unteren Hälfte im Schlamm steckst du! / Den Trinker ärgerst du nicht, / das Wasser verschmutzt du nicht. / Wir haben die Hälfte der Erde und die Quraisch die andere Hälfte, aber uns wohlgesonnen sind die Quraisch nicht.19 Der letzte Vers war jedoch eine Zeit lang nicht sehr weit entfernt von der Wahrheit, zumindest nicht in der begrenzten Welt der Arabischen Halbinsel. Am Anfang stand die Wunschvorstellung Musailimas, der Mohammed zu Beginn des Jahres 632 vorschlug, Arabien im Verhältnis 50:50 zu teilen; andernfalls würde Musailima seine Loyalität davon abhängig machen, dass er irgendwann von Mohammed die Führung übernähme.20 Angesichts des totalitären Charakters von Mohammeds Ideologie machte dieser Vorschlag keinen Eindruck. Doch der Tod des „wahren Propheten“ war ein Ansporn für die Sache des „falschen Propheten“, und zu einem bestimmten Zeitpunkt sah es so aus, als wäre Musailima ein ernsthafter und unausrottbarer Konkurrent des Staates von Medina. Abū Bakr entsandte seinen unermüdlichen Problemlöser, Chālid ibn al-
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Walīd. In dem abschließenden Waffengang wurde Musailima getötet, aber auch viele Muslime – nach unterschiedlichen Berichten 700 oder 1700 – fanden den Tod.21 Musailimas Sache war auch gestärkt worden, als er sich – nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch beim Kult und einigen Berichten zufolge sogar in ehelicher Gemeinschaft – mit Sadschāh zusammentat, die selbst eine falsche Prophetin war. Es ist schwierig, die seriöse Wahrheit von den sensationsheischenden Details zu trennen, mit denen Historiker der Siegerseite diese Verbindung dokumentierten, aber Sadschāh könnte Christin gewesen oder zumindest vom Christentum ihres Stammes beeinflusst worden sein. Wie auch immer, jedenfalls wurde sie nach Musailimas Niederlage eine gute Muslimin.22 Ein guter Muslim wurde auch Tulaiha, ein weiterer angeblicher Prophet mit einem weiteren „Koran“, als er ebenfalls unterlag.23 Tulaiha unterschied sich allerdings insoweit von seinen „Mitpropheten“, als er als nomadischer Stammesführer und kāhin begonnen hatte; Musailima und Sadschāh waren beide hadar, entstammten sesshaften Gemeinschaften, in denen monotheistische Ideen schon vor langer Zeit Fuß gefasst hatten. Musailima schätzte die Nomaden gering, falls man seinem Pseudo-Koran glauben kann: „Ihr seid besser“, erzählte er seinen Anhängern, „als die Bewohner von Zelten aus Haar … Ihr habt Felder bestellt, verteidigt sie!“24 Umgekehrt wurden Tulaihas prophetische Heucheleien von seinen eigenen Beduinen geringgeschätzt, die schlicht darum herumkommen wollten, Kamele an Medina bezahlen zu müssen.25 In Anbetracht dieser Fehlschläge ist einmal mehr klar, wie sehr der Erfolg von Mohammeds Projekt der Art und Weise geschuldet war, wie es hadar und badw, sesshafte Volksgruppen und Nomaden, zusammenbrachte, ganz egal wie prekär das Gleichgewicht zwischen ihnen war. Auch der Süden der Arabischen Halbinsel hatte seinen eigenen Möchtegernpropheten, den kāhin al-Aswad al-Ansī. Sein Vorname ist strittig, weshalb er allgemein unter seinem Spitznamen – „al-Aswad“ bedeutet „der Schwarze“ – bekannt ist. Ansonsten wurde er auch Dhū al-Chimār genannt, „der mit dem Schleier“ – jenem Kleidungsaccessoire heldenhafter Anführer alter Schule. Die islamische Polemik entfernte später aus diesem Namen einen punktierten Buchstaben, wodurch aus Dhū al-Chimār Dhu al-Himār wurde, „der mit dem Esel“, und erklärte den Spitznamen damit, dass al-Aswads prominentester Anhänger ein Esel gewesen sei, der sich vor ihm niederwarf;26 außerdem bezeichnete man ihn als Zauberkünstler, „der Herzen durch seine Rede betörte“.27 Wie Musailima errang auch al-Aswad einige beachtliche Erfolge: Er verjagte den muslimischen Bevollmächtigten und verfolgte die persischen Bewohner des Südens, die den Islam so bereitwillig angenommen hatten.28 (Genau aus diesem
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Grund rehabilitierten in den 1970er-Jahren die marxistischen Ideologen der kurzlebigen Demokratischen Volksrepublik Jemen al-Aswad als arabischen Nationalisten.29 Der falsche Prophet des einen ist des anderen Freiheitskämpfer; das betörte Herz des einen ist des anderen gelähmter Verstand.) Am Ende kollaborierte Medina mit den Persern des Südens, und al-Aswad wurde besiegt und anschließend von seiner eigenen persischen Ehefrau – à la Mata Hari – getötet. Die ridda, die „Abkehr“ von dem Abkommen mit Medina (theokratisch ausgedrückt, die „Apostasie“), hatte ganz Arabien wie ein Buschfeuer erfasst. Genauso schnell gingen die Streitkräfte aus Medina daran, es auszutrampeln. Allerdings dürfen wir uns das Ganze nicht wie einen umfassenden bewaffneten Konflikt vorstellen: In dem Krieg, in dem ich mich heute befinde, haben sich Tausende von Stammesangehörigen in Tausenden von Quadratkilometern schwierigen Geländes bislang über mehr als drei Jahre gegen die modernsten luftgestützten, Laser- und GPS-gesteuerten Waffen behauptet; dass das Regime von Medina nicht Tausende, sondern Millionen von Quadratkilometern in weniger als zwei Jahren mit den damals verfügbaren Waffen, Transportmitteln und Nachschublinien militärisch unterwerfen würde, war völlig ausgeschlossen. Vielmehr gab es ein paar allgemein stark beachtete militärische Niederlagen, wie die von Musailima; ein paar Fälle von exemplarischer Bestrafung, wie die der „Huren von Hadramaut“; ein paar politische Morde, wie den an al-Aswad; und gelegentliche Fälle von Stoßtrupptaktik, wie etwa in Bahrain, die in blutigen Versen publik gemacht wurden, um anderen, die möglicherweise Widerstand leisten wollten, Angst einzujagen: Wir ließen Schuraih tot zurück, mit blutigen Striemen wie die gefärbten Streifen am Saum eines Gewands aus Jemen. Wir ließen die Mutter von Ghadbān um ihren Sohn weinen und zerbrachen unsere Lanze in Habtars Augenhöhle. Wir ließen Musmaʿ auf den Boden hingeworfen zurück, Geisel für Hyänen, bestürmt von Geiern.30 Ansonsten wurden Abmachungen getroffen und Stammesführer eingeschüchtert oder beschwatzt, und den Rest erledigte jener altehrwürdige, aber oft vergessene Faktor der Geschichte – die Apathie und Trägheit der großen Masse. Allah war eindeutig auf der Seite Seines Volkes. Die oben erwähnten Ableger der islamischen Einheit waren nie allzu weit gediehen. Mohammeds Karawane war wieder auf dem richtigen Weg. Überdies waren seine quraischitischen Anführer inzwischen sowohl kampferprob-
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te Feldherren als auch erfahrene Verhandlungsführer, die den Blick über ihre unmittelbare „Insel“ hinaus auf den weiteren, nördlichen Teil des Subkontinents und in die Zukunft richten konnten. Abū Bakr, der zweifellos spürte, dass die unlängst unterworfenen Araber eine zügige gemeinsame Aktion brauchten, um ihre erneute Einheit zu festigen, bediente sich einmal mehr der neuen Kommunikationstechnik und schickte Briefe quer durch Arabien, in denen er Leute aufforderte, gegen die Byzantiner zu kämpfen.31 Sein Ruf sollte unvorstellbaren Erfolg haben, aber er selbst erlebte ihn nicht mehr. Er starb im August 634 eines natürlichen Todes. Wenn die Abschiedspredigt seines Freundes Mohammed dunkel die Art und Weise angedeutet hatte, wie der Islam zu einem universellen, brüderlichen Glauben werden würde, dann deutete Abū Bakrs letzte Rede an, wie er sich zu einem weltlichen Imperium entwickeln könnte, aber einem, das von den Gespenstern der Uneinigkeit seines eigenen Volkes heimgesucht werden würde: Ihr lebt heute in einem Zeitalter, das dem der Prophetie nachfolgt, an einer Gabelung auf dem Weg der Pilgerschaft. Nach mir werdet ihr despotische Herrschaft, abartige Herrschaft, eine mutige Gemeinschaft, Blutvergießen erleben … Also klammert euch an die Orte des Gebets und nehmt den Koran als euren Berater. Haltet fest am Gehorsam und gebt die Einheit nicht auf … Und so wie die näheren Länder sich euch öffneten, werden sich euch dann auch die ferneren Länder erschließen.32
Die Unbeschnittenen beschneiden Abū Bakr und seine Befehlshaber und Gesandten hatten die Peitsche geschwungen, um die Aufrührer wieder auf Linie zu bringen. Unter seinem Nachfolger Umar, den Abū Bakr wahrscheinlich vor seinem Tod bestimmt hatte,33 kam das Zuckerbrot, die Eroberung, welche die Karawane weiter locken würde … und immer weiter, in noch fernere Länder. Sie gelangte bis ans Ende der Welt und nahm Mitreisende auf, wohin auch immer sie sich wendete. Bald übertrafen die neuen Anhänger die ursprünglichen, arabischen Mitglieder zahlenmäßig. Und doch entledigten sich die Letzteren niemals vollständig ihres weniger nützlichen Gepäcks – des tribalen und rassischen Ballasts, den sie aus Arabien mitgebracht hatten. Bei einigen sorgte diese Last dafür, dass sie irdischen Dingen verhaftet blieben, und hielt sie davon ab, zum Himmel aufzublicken. Allerdings könnte der Islam zu Beginn von Umars Kalifat ohnehin als rein arabisches Projekt betrachtet worden sein, dessen Hauptziel ein politisches war: die Einigung Arabisch sprechender Menschen – möglicherweise angesichts der „persischen Gefahr“, glaubt man jener weiter oben diskutierten verlockenden,
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aber unbeweisbaren Theorie.34 Die ersten Feldzüge jenseits der eigentlichen Arabischen Halbinsel verfolgten zweifellos das Ziel, Menschen, die Arabisch sprachen, zu einen.35 In den nördlichen Gebieten des Subkontinents schob sich die randständige Welt Arabiens in den Hauptteil Eurasiens mit seinem griechischen, achämenidischen, hellenistischen, römischen, sassanidischen und byzantinischen Erbe. Der Übergang selbst, der nördliche Fruchtbare Halbmond, besaß sein eigenes, noch älteres und reicheres Erbe; doch in jüngeren Jahrhunderten waren unter ghassanidischer und lachmidischer Herrschaft Arabisch sprechende Menschen in diese Länder eingewandert (oder zurückgekehrt, wenn man sich die längere Wanderungsgeschichte ansieht) und hatten sich unter die Sprecher der verwandten Sprache, des Aramäischen, gemischt. In noch jüngerer Zeit hatten die Mekkaner das Gebiet schließlich über den Handel gut kennengelernt; der Begründer jener vermögenden Säule des mekkanischen Establishments, Abū Sufyān, hatte sogar Landgüter auf byzantinischem Territorium gekauft.36 Araber mochten als Hauptwohnsitz eine „Insel“ gehabt haben; aber diese Insel war, um einen Ausdruck aus der Immobilienbranche zu verwenden, nicht freistehend, und die meisten der unmittelbaren Nachbarn waren zumindest Sprachfamilie. Im westlichen Teil des Halbmonds und in seiner ägyptischen Verlängerung hatte Byzanz neue und blamable Niederlagen durch ein kurzzeitig wiedererstarkendes Persien erlitten. In den 620er-Jahren jedoch, während Mohammed die heidnischen Mekkaner bekämpfte, drängte der oströmische Kaiser Herakleios die Perser zurück, und bis zum Ende des Jahrzehnts hatte er verlorenes byzantinisches Territorium wiederhergestellt.37 Aber während die alten imperialen Goliaths aus ihrem Ringen angeschlagen, erschöpft und einander finster beäugend hervorgingen, stand die junge arabische Bewegung nach ihrem eigenen Konflikt stärker da denn je. Als im Jahr 633 ihre gesamte Halbinsel endlich (zumindest in der Theorie) unter der Führung gewiefter Taktiker, ehemaligen Karawanenführern, durch eine Ideologie geeint war und ihnen der Sinn nun vor allem nach Raub und Eroberung stand, waren Araber nicht länger die kümmerlichen Hirtenjungen, die den Assyrern und ihren Nachfolgereichen ein Dorn im Auge gewesen waren. Diese Entwicklungen waren den Byzantinern noch nicht ins Bewusstsein gedrungen, und als eine 24 000 Mann starke Streitmacht in ihrem Herrschaftsgebiet erschien – nicht aus Richtung der üblichen östlichen Front mit den Persern, sondern aus dem Süden, Arabien, einer entlegenen Gegend –, da wurden sie überrumpelt.38 Und auch wenn die arabischen Truppen nur leicht bewaffnet waren, verschaffte ihnen ihre Kombination von Kamel und Pferd die unschlagbaren Waffen Schnelligkeit und Beweglichkeit. Die meisten der weit verstreiten
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byzantinischen Garnisonen fielen ab; die tribale arabische Bevölkerung schlug sich sang- und klanglos auf die muslimische Seite.39 Die „Einheimischen“ – die Aramäisch sprechenden Bauern – glänzten lediglich durch ihr Schweigen. Sahen die Arabisch und Aramäisch sprechenden Christen der Region in den muslimischen Eindringlingen leicht verschrobene Glaubensbrüder? Das ist gut möglich. Der Islam mag damals als Glaubenslehre sehr viel formbarer gewesen sein, als seine eigenen späteren Historiker, die ihn zu einem starren Dogma machten, uns glauben machen möchten. Außerdem waren die äußeren Formen des Gebets einander nicht unähnlich; so hatten Muslime mit Christen in der Region die Praxis der Prostratio gemeinsam, das Sich-Niederwerfen (das in der Syrisch-Orthodoxen Kirche noch heute Teil des Ritus ist).40 In größeren Städten, darunter Damaskus und Homs, aber auch in ländlichen Gebieten wie der Wüste Negev teilten sie sich auch Kirchen – etwas, das unangenehm gewesen wäre, wenn jede Seite die andere für einen Haufen zur Hölle verdammter Häretiker gehalten hätte. In Damaskus, bald die neue Kalifenhauptstadt, währte dieses Zusammenleben nicht weniger als 70 Jahre:41 Muslime und Christen „betraten ihre Moschee-Basilika durch denselben Eingang … Dann strebten die Christen nach Westen ihrer Kirche zu, und die Muslime wendeten sich nach rechts, um ihre Moschee zu erreichen.“42 Das Zusammenleben erstreckte sich außerdem über den Bereich des religiösen Grundeigentums hinaus: Der künftige heilige Johannes von Damaskus beispielsweise arbeitete nicht nur als Steuerbeamter für die Muslime, sondern wurde auch zum Höfling und Zechgenossen der Kalifenfamilie. Unterdessen nahm eine lange Geschichte des intellektuellen Transfers ihren Anfang, als ein Prinz der Familie einen griechischen Mönch namens Marianus anstellte, der ihn in Medizin und Alchemie unterweisen sollte.43 Wenig Zweifel besteht daran, dass die örtliche monophysitische christliche Mehrheit der Region, auf die Konstantinopel als Häretiker herabsah, unverhohlen die muslimische Herrschaft der byzantinischen vorzog. Was die Juden betrifft, so heißt es, dass sie in Homs auf die Thora schworen, niemals einen weiteren byzantinischen Statthalter zuzulassen.44 Worauf es all diesen Gruppen ankam, war, dass sie ihr gewohntes Leben fortsetzen konnten, ohne allzu sehr schikaniert zu werden, was übrigens für die meisten Menschen zu allen Zeiten gilt. Genau darauf kam es auch den christlichen und anderen Bewohnern persisch beherrschter Länder und den Kopten Ägyptens an, die allesamt bald durch den Staat von Medina besiegt werden würden. Obwohl „besiegt“ vielleicht nicht das richtige Wort ist: Verteidigende Armeen kämpften sicherlich und wurden besiegt, aber die nicht kämpfende Mehrheit beugte sich der neuen Herrschaft, meckerte wegen der neuen Abgaben, erkannte, dass sie so schlimm nicht waren, und machte weiter.
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Das heißt nicht, dass das Ganze ein Kinderspiel für die arabischen Streitkräfte war. Es gab Belagerungen: Die Araber mussten die Stadt Caesarea an der Küste Palästinas Berichten zufolge sieben Jahre lang einschließen, bevor sie 640 kapitulierte (sie war gut geschützt, aber in die „100 000“ Mann, die ihre Mauern bewachten, haben sich ohne Zweifel ein oder zwei Nullen eingeschlichen;45 auch die „sieben Jahre“ dürften eher sieben Monate gewesen sein). Es gab Heldentum und Gemetzel: Eine Araberin, frisch verheiratet und dann in der Schlacht von Mardsch al-Suffar gleich zur Witwe gemacht, lief mit einer Zeltstange Amok und tötete sieben byzantinische Soldaten.46 Und da war alYarmūk. Benannt nach einem Fluss, der westwärts zum Jordantal in der Nähe des Sees Genezareth abfällt, wurde für die Schlacht am Yarmūk die gesamte arabische Armee in einer Stärke von 24 000 Mann zusammengezogen, und sie traf auf eine mindestens ebenso starke byzantinische Streitmacht. Einen Monat lang flackerten im Sommer 636 überall in den Ausläufern der Golanhöhen heftige, aber sporadische Kämpfe auf und erstarben wieder, bevor es zu einem abschließenden geballten Zusammenstoß kam, bei dem Chālid ibn al-Walīd – jener erfolgreiche, aber nicht unbedingt skrupulöse Feldherr der Ridda-Kriege – die byzantinischen Reihen durchbrach und das Blutbad leitete, bei dem die Byzantiner in den Yarmūk-Schluchten niedergemetzelt wurden.47 Einmal mehr leisteten arabische Frauen ihren Beitrag, darunter die feuerspuckende, leberkauende Dichterin Hind, die Gemahlin Abū Sufyāns, die nun für die Muslime Partei ergriff und die Kämpfenden anfeuerte. Diesmal ermutigte sie die Soldaten mit dem Ruf „Los! Beschneidet die Vorhautträger mit euren Schwertern!“48 Aber wenn in Hinds Kopf der Kampf einer zwischen „Rundköpfen“ und „Kavalieren“ war, um die streitenden Parteien in Kategorien des Englischen Bürgerkriegs zu fassen, oder zwischen Beschnittenen und Unbeschnittenen, so waren die Dinge in der Realität nicht so eindeutig. Al-Yarmūk war keine Schlacht zwischen Arabern und Nichtarabern. Ganz und gar nicht: Die byzantinische Seite stützte sich auf arabische Truppenkontingente der Ghassaniden, Lachmiden, der Dschudhām, Tanūch, Iyād und anderen Stämmen.49 Befehlshaber der byzantinischen Vorhut war der arabische Ghassanidenkönig Dschabala ibn al-Aiham, dessen angestammtes Palastlager alDschābiyya eine Aussicht das Schlachtfeld gewährte. Um die Dinge weiter zu verwirren, wechselte Dschabala angeblich mitten in dem Konflikt die Seiten, mit der Begründung, dass seine Gegner von den medinensischen Stämmen der Aus und Chazradsch eigentlich seine „Brüder“ seien (entfernt waren sie alle südarabischer Herkunft). Es heißt, er habe sich außerdem zum Islam bekannt, sei dann aber, als Kalif Umar ihm mit Bestrafung drohte, weil er einen Mann geschlagen hatte, in den Schoß Konstantinopels und des Christentums zurück-
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gekehrt: „Ich werde nicht in einem Land bleiben, wo andere über mich herrschen“, erklärte er, immer noch königlich. Wie so viele andere hatte er die politischen Implikationen des Islam nicht begriffen.50 Für Dschabala waren Blutsbande wichtiger als politische Loyalitäten; aber am Ende waren persönliche Ehre und Unabhängigkeit wichtiger als der ganze Rest, einschließlich des Islams.
Der Westen des Orients In ihren frühen Gefechten mit den Byzantinern stellten Araber sehr oft fest, dass sie es mit ihren vorislamischen Ichs zu tun hatten, Männern wie Dschabala, dem Ghassaniden. Bei ihrem großen gleichzeitigen Zusammenstoß mit Persien kämpften Araber gegen das Andere, das sie so lange definiert hatte. Die Andersartigkeit wird anschaulich in Geschichten wie der von dem arabischen Stammesführer al-Mughīra, der mit dem inthronisierten sassanidischen General und praktischen Regenten Rustam verhandelt und dabei gedankenverloren mit seinem Speer Löcher in den großen und kostbaren persischen Teppich des Letzteren sticht – und anschließend versucht, es sich neben dem fassungslosen Paladin auf dessen Thron gemütlich zu machen.51 Araber mögen Rowdys gewesen sein, sagen ihre Historiker gern, aber irgendwann wären auch sie an der Reihe und würden auf dem Thron sitzen; die protokollversessenen Perser seien so dekadent wie ihr Reich. Mit dieser Einstellung teilten Araber unbewusst die Meinung der alten Griechen und Römer von den Persern als verweichlicht und liederlich; sich selbst sahen sie, wie es schon ihre Vorfahren getan hatten, als gewaltige Helden im Kampf gegen unmännliche Orientalen. Schon in diesen frühen Jahren waren sie der „Westen des Orients“, wie LéviStrauss den Islam bezeichnet hat.52 Angesichts von Unterhändlern wie al-Mughīra ist es nicht verwunderlich, dass der arabische Vorstoß auf persisches Territorium zu einer weiteren großen Schlacht führte, die letztendlich für die Sassaniden noch verhängnisvoller war, als es die Schlappe am Yarmūk für die Byzantiner gewesen war. Byzanz überdauerte noch weitere acht Jahrhunderte, bisweilen setzte es sich zur Wehr, andere Male benahm es sich wie ein widerspenstiger Satellitenstaat der Araber. Der letzte der sassanidischen Schahs hingegen, Yazdegerd III., leistete eine Weile Widerstand, aber nach etwas mehr als einem Jahrzehnt wurde er schließlich erstochen und in einen zentralasiatischen Fluss geworfen.53 Mit ihm starb auch das Altpersische Reich. Schlichte Geografie trug ihren Teil bei: Die persische Hauptstadt Ktesiphon lag am arabischen Ende des Reiches, direkt im Weg des arabischen Vorstoßes, Konstantinopel hingegen war vom arabischen Subkontinent durch beinahe 1000 Kilometer Kleinasien abgeschirmt.54
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Über das Datum der Entscheidungsschlacht ist bis heute keine Einigkeit erzielt worden, aber es liegt irgendwo zwischen 636 und 638.55 Sicher hingegen ist, dass es entweder wahnsinnig oder genial von Medina war, es beinahe zur gleichen Zeit mit den beiden Supermächten aufzunehmen. Auch der Schauplatz der Schlacht steht nicht infrage – ein Ort namens al-Qādisiyya, etwa eine Tagesreise von der lachmidischen Hauptstadt al-Hīra entfernt, dort, wo der Fruchtbare Halbmond in unfruchtbare Steppe übergeht. Die aus Medina eintreffenden arabischen Truppen könnten 12 000 Mann stark gewesen sein.56 Hinter sich hatten sie ihre unwirtliche, lichte „Insel“, vor sich den legendären Sawād des Irak, jene Schwärze aus dunkelgrünen Palmenhainen, feuchter Erde und gewundenen Kanälen, die arabische Räuber seit unvordenklichen Zeiten angelockt hatte. Ebenfalls vor sich hatten sie eine persische Armee unter Rustam, die sehr viel größer war als ihre eigene – 120 000 Mann nach einigen Berichten,57 obwohl man vermutet, dass unter islamischen Historikern einmal mehr das David-und Goliath-Syndrom am Werk ist, wie es bei Caesarea der Fall gewesen war. Wie üblich waren Geschwindigkeit und Beweglichkeit am Anfang sehr wichtig, doch im dichtesten Getümmel wurde größtenteils zu Fuß gekämpft, und am Ende waren es die Bogenschützen, die sich als schlachtentscheidend erwiesen. „Spindeln! Spindeln!“, schrien die persischen Soldaten, wenn wieder ein Schwarm wütender arabischer Pfeile auf sie zuflog. Aber diese Spindeln „durchschlugen jedes Mal die schweren Brustharnische und doppellagigen Kettenhemden, die wir trugen“.58 Al-Qādisiyya war das arabische Azincourt. Die Kunst des Bogenschießens, die seit alten Zeiten von arabischen Scharfschützen perfektioniert worden war, die in den kahlen Gebieten der Arabischen Halbinsel Wild jagten, hätte auch in einiger Entfernung todbringend sein können, aber der Horizont der meisten Araber beschränkte sich nach wie vor darauf, die Nachbarn zu überfallen. In al-Qādisiyya stand eine einzelne Palme, und als verwundete arabische Krieger sie erblickten, fragten sie: „Sind wir schon in der Nähe des Sawād?“59 Das waren sie, und dieses Palmenland gehörte nun ihnen. Aber das bedeutendere Reich, das sich bis zum persischen Kernland Fars erstreckte, die weiten Ebenen, die zum Hochland Armeniens anstiegen und durch ganz Asien bis zum Oxus (Amudarja) und zu den Grenzen des Sindh wogten – ein Gebiet so groß wie der gesamte arabische Subkontinent –, all das lag vorläufig jenseits der Vorstellungswelt der meisten Araber. Es macht den Kontrast zwischen den beiden Seiten umso größer, den Tiefpunkt des Untergangs einer antiken Macht umso bedeutsamer. Dies tun auch Vignetten des Nachspiels der Schlacht: der gefangen genommene persische Reichsbäcker, auf einem Maultier sitzend, gewandet in Seidenbrokat und mit einer Mütze aus
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Goldstoff auf dem Kopf, umgeben von Prunkschatullen voller Sahnetorten und Honigwaben;60 der letzte der 30 persischen Kriegselefanten, gekauft von einem Unternehmer, um mit ihm auf Tournee zu gehen und das verdrossene Tier glotzenden Arabern zu zeigen.61 Der Untergang des Geschlechts der Sassaniden brachte auch die Überreste ihres alten arabischen Ablegers, der Lachmiden-Dynastie, zu Fall. Mit ihnen ging ihre Hauptstadt, al-Hīra unter, die antike Heimat arabischer Dichtkunst und Literatur und möglicherweise die Wiege einer vereinigten arabischen Identität. Huraqa, die Tochter von al-Nuʿmān III., dem Schutzherrn der Dichter, die früher über mit Seide bedeckte Straßen zu ihren Gütern geritten war, erschien nun in Sackleinen, um von dem arabischen Sieger von al-Qādisiyya Almosen zu erbetteln.62 Al-Hīra selbst verfiel bald zur Ruine, die häufig von Mönchen besucht wurde; eine andere Prinzessin, Hind, nun eine blinde Nonne, genoss dort einen zwielichtigen Ruf als Expertin für das antike Arabien.63 Aber schließlich verblassten auch diese Gespenster der arabischen Vergangenheit, und die antike Metropole war nur noch die Heimat von Eulen und sada, Geistervögeln, die aus den Schädeln der Toten aufsteigen.64 Von ihren Bewohnern aufgegeben, verrottete Al-Hīra wie Babylon oder Tschernobyl. Der expandierende Staat von Medina schuf in der Folge noch weitere Ruinen und weitere Gespenster. Im fernen Südwesten Arabiens, dort, wo die alte Zivilisation von Saba und Himyar zuerst von den Äthiopiern und dann von den Persern erobert worden war, hatte der antike sabäische Ghumdan-Palast mit seinen Alabasterfenstern und Bronzetieren überdauert. In der Zeit Mohammeds wurde er dann teilweise und in der seines dritten Nachfolgers Uthmān fast vollständig abgerissen.65 Manchmal war die Vernichtung persönlich und mutwillig. Ein junger und eifriger Islam-Neuling traf zufällig den betagten Krieger und Helden Duraid ibn al-Simma,66 der an seinen heidnischen Gebräuchen festgehalten hatte. Der Jüngling versuchte, ihn zu töten, indem er ihm mehrere ungeschickte Schläge versetzte. „Mach es mit meinem Schwert“, sagte Duraid. Die Klinge des Helden tötete ihren Besitzer augenblicklich. Als er tot und entblößt dalag, war zu sehen, dass Duraids Gesäß und Oberschenkel von Jahren des Reitens ohne Sattel wie Papyrus waren. „Der Mann, den du getötet hast“, erzählte die Mutter des Glaubenseiferers ihm später, „hat drei Generationen deiner Ahninnen aus der Gefangenschaft freigelassen.“67 Die Geister von Stammeshelden, von al-Hīra und Himyar, waren Familiengeister; aber die neue islamische Generation verließ ihr angestammtes Zuhause, in dem es spukte, ohne Bedauern. Sie wendete sich von einer Vergangenheit ab, die der Islam als Dschāhiliyya, als „Zeitalter der Unwissenheit“, abgestempelt hatte. Dschāhl ist die kindliche Unwissenheit, und Araber waren erwachsen geworden.
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Später, obwohl eigentlich nicht viel später, als der jugendliche Eifer des Islam auf andere überzuspringen begann – wiedererstarkende Perser, aufständische Türken –, blickten Araber zurück und empfanden die „Unwissenheit“ als glückselig, als „Goldenes Zeitalter“, ein Glühen vor der Morgenröte, das ganz ihnen gehörte, vor der universalen Erleuchtung des Islam. Es war die Erinnerung an dieses Morgenglühen, die während des langen Jahrtausends, als die Fackel des Islam in den Händen anderer war, einen Schimmer von Arabertum am Leben erhielt. Es war derselbe Schimmer, der im 19. Jahrhundert erneut ein Gefühl von arabischer Größe und Einheit entfachen würde, ein „Erwachen“. Aber in der ersten Blüte jener Jugend gingen Araber weg aus Arabien, ohne sich umzusehen, als gehorchten sie der vorislamischen Vorstellung, dass ein Reisender, der beim Aufbruch hinter sich blickte, seine Reise nie beenden würde. Die Keckheit – die Widerspenstigkeit – funktionierte: Die ungestüme Eroberung persischer und byzantinischer Länder verdankte sich lustlosem Widerstand und jener stets unterschätzten militärischen Größe: Glück (oder nach islamischer Lesart: Allah). Sie verdankte sich nicht konventionell kluger Strategie, es sei denn, gegen zwei Reiche auf einmal anzutreten ist Klugheit. Aber sie verdankte sich auch schierer Wucht. Quraischitische Heerführer hatten in den Ridda-Kriegen jede Menge praktische Erfahrung gesammelt, aber sie besaßen auch ein gehöriges Maß an Chuzpe. So heißt es etwa, Chālid ibn al-Walīd habe, als er seine Männer durch die Syrische Wüste führte, ihre Kamele schlachten lassen, damit sie die Säfte in ihren Mägen trinken konnten. Am Ende jedoch musste die unnachgiebige Vorwärtsstrategie einfach funktionieren. Die futūhāt, die arabischen Eroberungen des ersten islamischen Jahrhunderts – in ihrer grundlegendsten Bedeutung die „Erschließungen“ –, waren die Superüberfälle von Gewohnheitsräubern, die nun, da sie geeint waren, nicht länger die sesshaften Bewohner der Arabischen Halbinsel oder sich gegenseitig überfallen konnten. Wenn man miteinander betet, sollte man einander nicht berauben; das zumindest ist die Theorie. Man könnte durchaus fragen, ob Stammesaraber nicht eine andere wirtschaftliche Existenzgrundlage als Räuberei hätten finden können. Anscheinend nicht – oder noch nicht. Außerdem zogen die mekkanischen Generäle nur allzu gern Nutzen aus der räuberischen Neigung der arabischen Stämme. Hugh Kennedy drückt es folgendermaßen aus: „Die Führer des neuen Staates waren sich vollkommen bewusst, dass er expandieren oder zusammenbrechen musste.“ Gewöhnlich meint man, dass Imperien ebenso wie Andrew Marvells „pflanzliche Liebe“ zwar gewaltig, aber langsam wachsen. Das Imperium der Araber jedoch ging auf wie ein Soufflé.
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Die Söhne von al-Abbās Der Aufstieg der arabischen Macht folgte nicht den Regeln, welche die Entwicklung von Imperien bestimmen; er war, wie Ibn Chaldūn sagte, außergewöhnlich und wunderbar.68 Gewiss war die Verknüpfung von Umständen, welche die Expansion ermöglichten – die Kriegsmüdigkeit der benachbarten Reiche, die Kampfesstärke der Araber, Unzufriedenheit und Uneinigkeit unter der byzantinisch und persisch regierten Bevölkerung, durch eine islamische Ideologie mit einer unwiderstehlichen Rhetorik geeinte Araber –, mehr, als irgendjemand im Gebet zu erbitten gewagt hätte. Aber der schnelle Aufstieg sollte einen Preis haben: Es scheint eine Regel von Imperien zu sein, ob wunderbar oder nicht, dass sie von umso kürzerer Dauer sind, je schneller sie gewonnen werden (das makedonische, das mongolische, das napoleonische Reich). Und ebenfalls nach dem Soufflé-Prinzip brechen sie recht bald zusammen, wenn sie nicht zuvor von anderen Machthungrigen verschlungen werden. Umgekehrt leben langsam gewachsene Reiche (das römische, das chinesische, das russische) länger. Araber beherrschten ihr eigenes geeintes Reich etwa 200 Jahre lang. (Das von ihm inspirierte kulturelle Reich besteht natürlich nach wie vor.) Während der ersten etwa 100 Jahre hatten Araber eine Glückssträhne, bei der sie ihre Stoßtrupptaktik mit förmlicheren Arten der Kriegführung kombinierten. Nach einer gewonnenen offenen Feldschlacht pflegten sie sarāyā zu entsenden, Stoßtrupps nach Beduinenart, um flüchtende Gegner zu verfolgen und ganz allgemein dem nichtkämpfenden Landvolk zu zeigen, wer das Sagen hatte.69 Es war ein Erfolgsrezept, das Hartnäckigkeit und Schwung verknüpfte. Darüber hinaus ist es ein weiterer Fall, wo Besonderheiten der sesshaften hadar- und der mobilen badw-Gesellschaft – in diesem Fall ihre jeweilige militärische Taktik – zusammen angewendet werden, und das außerordentlich wirkungsvoll. Im Allgemeinen jedoch lag die Betonung auf Leichtigkeit und Mobilität, ohne die Belastung durch einen schwerfälligen Tross. Eine kamelgestützte Kolonne ist ihr eigener Tross; und ohnehin war die Ausrüstung eines arabischen Kriegers einfach: ein Schild, ein Kettenhemd, ein Helm, eine große und fünf kleine Nadeln, Leinenzwirn, Säbel, Schere, Futtersack und ein Helm aus Palmblättern sowie seine anderen Waffen – gewöhnlich Lanze und Bogen – und sein Pferd.70 Da Reichtümer aus den vor Kurzem geplünderten und besteuerten Provinzen in das zentrale Schatzhaus in Medina zu fließen begannen, war Kalif Umar bestrebt, Kriegern im Voraus 4000 Dirham (mehr als zehn Kilogramm Silber) zu zahlen – je 1000 für sein Herumreisen, seine Waffen und sein Reittier, und 1000, die er bei seiner Familie lassen sollte.71 Dieser letzte Punkt unterstreicht die Tatsache, dass das eine „Ausrüstungsstück“, welches arabische Soldaten anfangs nicht mitnahmen, ihre Frauen
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aren. Von seiner Gemahlin gefragt, ob sie sich mit ihm auf den Weg machen w könne, antwortete ein badawi in Versform: Wenn du reist, wird der Sattelschmerz dich um den Verstand bringen. Die Meilen werden deine Schenkel weich machen und dich zum Spagat zwingen. Und dir wird zumute sein, als würde ein Hahn in deinen unteren Gefilden singen.72 Kommandeure nahmen manchmal ihre Ehefrauen mit, insbesondere wenn sie, wie wir im Fall von Hind, der Gemahlin Abū Sufyāns, gesehen haben, ein oder zwei gute Verse formulieren konnten, um die Krieger in der Schlacht anzustacheln. Aber im Allgemeinen ließen die Eroberer ihre Frauen zu Hause. Sie brauchten sie nicht mitzunehmen; dort draußen waren jede Menge zu haben. Arabische Armeen reisten mit leichtem Gepäck, und auch zahlenmäßig waren sie „leicht“. Wie bei dem angeblichen Missverhältnis von 10:1 oder sogar 20:1 bei al-Qādisiyya hat das Goliathbezwinger-Syndrom islamische Historiker verleitet, die Stärke feindlicher Kräfte zu übertreiben. In Wahrheit mussten arabische Strategen mit dem umgekehrten und sehr realen Problem einer ständigen und allgemeinen Unterzahl auf der eigenen Seite fertigwerden. Nach dem Untergang der persischen Hauptarmee bei al-Qādisiyya konnten arabische Streitkräfte ein paar Jahre lang Atem schöpfen. Sie sicherten sich den Sawād und den Rest des irakischen Tieflands; doch oben im Iranischen Hochland versuchte Yazdegerd III., der entschlossene Schah, Unterstützung zu mobilisieren, um den Rest seines Reiches zu schützen. Das zweite maßgebliche Kräftemessen sollte bei Nehāwand stattfinden, einer Schlüsselstellung, die den Zugang zum Iranischen Hochland und zu Ländern weit im Osten ermöglichen würde; am Ende brachte die Schlacht dort im Jahr 642 den arabischen Streitkräften tatsächlich den entscheidenden Sieg, der ihnen Asien weiter öffnete.73 Aber zeitweise war Kalif Umar ratlos, wie er es mit einer weiteren großen persischen Armee aufnehmen sollte. Er erwog, Männer aus Syrien und dem Jemen zu mobilisieren, erkannte aber, dass diese beiden Länder dadurch Gefahr liefen, von den Byzantinern beziehungsweise den Äthiopiern zurückerobert zu werden. Am Ende brachte er genug Krieger aus den Garnisonsstädten des vor Kurzem eroberten Irak zusammen.74 Es war ein Dauerproblem dieser Jahre der Expansion, in denen die Männer der dünn bevölkerten Arabischen Halbinsel sich den Armeen bevölkerungsreicherer Länder entgegenstellten: Es gab nie genug arabische Stiefel auf dem Boden oder Sandalen im Sand. In den Hauptzentren neuer Herrschaftsgebiete wurden Garnisonen eingerichtet, aber anderswo
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war die arabische Präsenz in der Regel bestenfalls schwankend. Die Antwort bestand, wie wir sehen werden, darin, mehr Araber zu produzieren, mit verschiedenen Mitteln. Aber selbst dann gab es immer noch nicht genug. Und daher war das, was als tolle Eroberungen angepriesen wird, oft kaum mehr als Raubzüge, die niemals konsolidiert wurden. Und es war zumindest einer der Gründe, warum das zeitliche Reich der Araber auch ein zeitweiliges sein würde. Eine einzige Generation von Arabern wurde „fächerartig“, wie Philip Hitti es treffend ausdrückte,75 über 6000 Kilometer der Alten Welt verstreut; aber das Material des Fächers war nur allzu spärlich. Einer „sehr vorsichtigen“ Schätzung zufolge wanderte in den ersten gut ein Dutzend Jahren der Eroberungen ungefähr eine halbe Million Menschen von der Arabischen Halbinsel ab.76 Die Zahl klingt gewaltig. Ibn Chaldūn beziffert die Gesamtzahl der Angehörigen der nördlichen und südlichen arabischen Stämme zur Zeit Mohammeds auf 150 000 Menschen.77 Diese Zahl mag eher auf die erwachsene männliche Bevölkerung zutreffen, berücksichtigt aber möglicherweise nicht alle sesshaften Bewohner des Südens. Andererseits wanderten längst nicht sämtliche dieser 150 000 aus. Wenn es stimmt, dass Umar es schaffte, in der Schlacht bei Nehāwand 30 000 Mann ins Feld zu führen,78 und dass er so viele Männer aus den irakischen Garnisonen ins Gefecht warf, wie er entbehren konnte, dann ist klar, dass er nicht reich an Truppen war. Mit ziemlicher Sicherheit zogen diese frühen Eroberungen die Abwanderung einer insgesamt sechsstelligen Zahl von Menschen von der Arabischen Halbinsel nach sich, bei denen es sich fast durchweg um Männer handelte. Mehr als das lässt sich kaum sagen. Es waren die Größe des Fächers selbst und die Plötzlichkeit seiner Öffnung, die bemerkenswert waren. Fünf von Mohammeds Cousins ersten Grades, allesamt Söhne seines Onkels al-Abbās von derselben Mutter, Umm al-Fadl, waren keineswegs Einzelfälle: Sie starben auf verschiedene Weise in Medina, al-Tāʼif, Syrien, Tunesien und Samarkand.79 „Wie weit zwischen seiner Geburt und seinem Tod“, sagte ein weniger weitgereistes Geschwister über den letzten dieser Brüder, Qutham.80 (Wie Mohammed sollte sich auch Qutham einer weitreichenden posthumen Existenz erfreuen: Der Sage nach befindet sich sein Grab in der Nekropole Shohizinda („Der lebende Herrscher“), einem Komplex von Gräbern und Mausoleen im nordöstlichen Teil von Samarkand, der noch heute das Hauptziel in der Stadt am Ende der „Goldenen Straße“ ist.) Die Söhne von alAbbās zogen nicht nur von Westarabien nach Nordafrika und Zentralasien fort, sondern vermehrten sich auch: Im Jahr 200 d. H. stellte man fest, dass al-Abbāsʼ Nachfahren 33 000 Köpfe zählten – eine achtbare, aber belastbare Zahl.81 In jenen ersten islamischen Jahrhunderten machten Araber ihre mangelnde zahlenmäßige Stärke wett. Aber sie taten es fast ausschließlich durch Konkubinat und
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Eheschließungen mit Frauen aus den eroberten Ländern – Berberinnen, Koptinnen, Aramäerinnen, Iranerinnen, Kurdinnen, Türkinnen und viele andere. Das Etikett „arabisch“ wurde in männlicher Linie weitergegeben, aber das Material des „Fächers“ wurde von Generation zu Generation immer spärlicher. Die fünf abbasidischen Brüder waren besonders denkwürdig, weil ihr Vatername der einer zukünftigen 500 Jahre währenden Dynastie war. Aber auch von den anderen, die über weite Gebiete verstreut wurden, können wir noch „Fußabdrücke“ der einen oder anderen Art verfolgen. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Spuren um Stammbäume, derer man sich ehrfürchtig erinnert und die gegenwärtige Generationen auf Borneo oder in Brooklyn mit dem Mekka des 7. Jahrhunderts verbinden. Manchmal gibt es schwächere Spuren zu verfolgen, sprachliche Ley-Linien: Beispielsweise stammt dieselbe sehr ungewöhnliche Dialekt-Besonderheit, die sich unabhängig voneinander im heutigen Arabisch Usbekistans und in einer Region in der Nähe des Tschadsees findet, aus einem kleinen Gebiet in Ostarabien und mit ziemlicher Sicherheit aus der Zeit der Wanderungen des 7. Jahrhunderts.82 Die Wanderungen fanden fast vollständig auf dem Festland statt: Kalif Umar hatte seine Generäle gewarnt, nirgendwohin zu gehen, wohin man nicht mit dem Kamel gelangen könne.83 Aber gelegentlich wurden Expeditionen zur See unternommen, so etwa in den späten 630er-Jahren eine Abkürzung von Oman über das Arabische Meer nach Sindh, den Tieflandregionen des heutigen Pakistan. Umar war nicht erfreut über die Nachricht und sagte, Männer auf Schiffen seien nichts weiter als dūd alā ūd, „Zecken an Stecken“.84 Dieser erste Angriff auf Sindh wurde zurückgeschlagen, aber zu Beginn des 8. Jahrhunderts wurde es erobert und gehalten.85 Anderswo entfaltete sich der durchlässige arabische Fächer weiter, bis seine Spitzen Mitte des 8. Jahrhunderts die zentralasiatischen Grenzen Chinas erreichten und kurz jene Frankreichs durchdrangen. Araber mögen wunderbar motiviert gewesen sein, unverwundbar waren sie nicht. In den 660er-Jahren wurde eine 10 000 Mann starke arabische Armee südlich des Kaspischen Meeres in den Schluchten Tabaristans vernichtet.86 Sechzig Jahre später hatte ein arabischer Feldzug gegen türkische Streitkräfte in Zentralasien beträchtlichen Erfolg, die Truppe versäumten es jedoch nachzufassen und wurde zurückgeschlagen. Glaubt man einem Spottgedicht auf den arabischen Befehlshaber, dann lag das daran, dass er und seine Männer zu sehr mit den weiblichen Gefangenen beschäftigt waren: Ihr habt den Feind bekämpft, bevor im Sturmschritt euch verlockten Spaß und Tanz: In der Scheide blieb euer Schwert, derweil ihr zogt den Schwanz.87
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Der letztendliche Grund für arabische Fehlschläge in Zentralasien war Uneinigkeit, man zückte irgendwann die Schwerter gegeneinander. Doch trotz der Pausen für Ruhe und Erholung waren in diesem ersten berauschenden Expansionsschub die einzigen ernsthaften Hindernisse dort und am fernen westlichen Ende der bekannten Welt physischer Natur. „O Herr“, soll der quraischitische General Uqba ibn Nāfiʿ ausgerufen haben, als er in den 680er-Jahren in Marokko mit seinem Pferd in die atlantische Brandung ritt, „wenn das Meer mich nicht aufhielte, würde ich die Länder durchqueren wie Dhū al-Qarnain, Deinen Glauben verteidigen und die Ungläubigen bekämpfen!“88 Dhū al-Qarnain, „Der mit den zwei Hörnern“, ist eine undurchsichtige Gestalt, die im Koran auftaucht und manchmal für einen antiken südarabischen König gehalten wird, dem legendäre ferne Eroberungen gelangen, und manchmal mit Alexander dem Großen assoziiert wird. Was auch immer seine wahre Identität war, der quraischitische Kommandeur des 7. Jahrhunderts bezog seine Inspiration aus einer machtvollen Vergangenheit – der südarabischen Vergangenheit, die dem Islam zugrunde liegt, und vielleicht auch der hellenistischen Vergangenheit, deren Erben Araber wurden, geografisch und kulturell. Zur Zeit seiner maximalen Ausdehnung war das arabische Reich so groß wie Alexanders kurzlebiges Imperium und ebenso groß wie das Römische Reich oder größer.89 Dazu war es seiner Gestalt nach etwas komplexer und seinem Wesen nach etwas organischer geworden als Hittis sich entfaltender Fächer: Es hatte sich zu jener kraftvollen, pflanzlichen Ataurique oder Arabeske entwickelt, die neue Triebe entwickelte, deren neue Wurzeln aber auch tief hinein in andere Kulturen wuchsen, und die dabei überall in der Alten Welt immer neue Kreuzungen hervorbrachte.90
Al-Balādhurī lesen Die ergiebige Komplexität und die Fähigkeit, Kreuzungen hervorzubringen, sollten jedoch erst später kommen. Vorerst haben die älteren Berichte über den arabischen Ausbruch trotz der Rhetorik Uqbas bei seinem atlantischen „Nicht mehr weiter“ wenig mit Glauben zu tun und mehr damit, die Ungläubigen zu besteuern statt sie zu bekämpfen. Schrift und Schriftlichkeit hatten in den Anfangsphasen von Mohammeds Projekt eine wichtige Rolle gespielt. Aber die große säkulare Schriftrevolution fand erst vom zweiten islamischen Jahrhundert an statt, sodass es kaum zeitgenössische Schriftquellen zu den Eroberungen in Arabisch gibt. Historiker des dritten islamischen Jahrhunderts behaupten jedoch, mündliche Aufzeichnungen bewahrt zu haben. Einer der sorgfältigsten Autoren war al-Balādhurī, der 892 n. Chr. in Bagdad starb (und seinen Familiennamen einer Abhängigkeit
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von balādhur verdankte, einer tropischen Nuss, die angeblich das Erinnerungsvermögen stärkt). Seine Geschichtsschreibung beginnt mit Mohammeds Umzug von Mekka nach Medina, folgt den eigenen Feldzügen des Propheten und anschließend den nachmohammedanischen Schlachten der Ridda-Kriege, welche die gesamte Arabische Halbinsel wie in einem Strudel erfassten. Daran an schließt sich die fächerartige Entfaltung über zwei Kontinente und die Ecke eines dritten: die Levante, Mesopotamien, Armenien, Ägypten, Nordafrika, Spanien, gefolgt von der Ausbreitung nach Osten quer durch das Persische Reich ins Innere Aserbaidschans und Chorasans und weiter nach Sindh. Als Uqba sagte, er „verteidigt den Glauben“, verkehrte er in Wirklichkeit die Wahrheit in ihr Gegenteil: Schließlich sprach er an der westlichen Grenzlinie der längsten gemeinschaftlichen Offensivaktion seit den Eroberungszügen Alexanders des Großen 1000 Jahre zuvor. „Propagiert den Glauben“ wäre vielleicht treffender gewesen; aber wenn man al-Balādhurīs Text untersucht, so fällt auf, wie wenig der Kampf gegen die Ungläubigen darauf abzielte, sie in einer einzigen wahren Universalreligion zu vereinigen, und wie viel er damit zu tun hatte, sie auszuplündern und ihnen Steuern und Abgaben aufzuerlegen. Die Eroberungen waren weniger eine Sache von Herzen und Hirnen als eine von Geldbeuteln und Portemonnaies. Mehr als vier Jahrhunderte später hatte die im christlichen Kreuz symbolisierte Ethik wahrhaftig wenig genug zu tun mit den sogenannten Kreuzzügen der europäischen Staaten. (Arabische Beduinen besitzen kein Monopol auf Raub, Plünderung und Mord.) Über den Vierten Kreuzzug im Jahr 1204, aus dem die zivilisierten venezianischen Kaufleute eine Ausplünderung ihrer christlichen Glaubensbrüder in Konstantinopel machten, schrieb Gottfried von Villehardouin: „Niemals seit Erschaffung der Welt war in irgendeiner Stadt so viel Beute gemacht worden“91 – und das mag keine Übertreibung sein.) Genauso verhält es sich mit dem Halbmond und dem, was man – wenn auch ein wenig anachronistisch, da die Mondsichel erst später eng mit dem Islam assoziiert wurde – die „Halbmondritter“ nennen könnte.92 Der mutmaßliche Text der Schutzvereinbarung, die den Christen von alRaqqa in Nordsyrien im Jahr 639 oder 640 von Iyād ibn Ghanm aufgezwungen wurde, vermittelt eine Vorstellung von den Prioritäten der Eroberer: Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Mitfühlenden. Dies ist, was Iyād ibn Ghanm den Einwohnern von al-Raqqa an dem Tag, an dem er die Stadt betrat, gewährt hat: Er hat ihnen Sicherheit für ihre Person gewährt, und ihr Besitz und ihre Kirchen sollen ebenso wenig weder zerstört noch besetzt, vorausgesetzt sie zahlen die ihnen auferlegte Kopfsteuer, und vorausgesetzt, sie verhalten sich nicht verräterisch, und vorausgesetzt, sie
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bauen keine neue Kirche oder Abtei und benutzen nicht öffentlich Gebetsklöppel oder feiern Ostern oder stellen Kreuze zur Schau. Gott ist Zeuge dafür. Und „Gott genügt als Zeuge.“93 Al-Balādhurī fügt hinzu, dass die jährliche Kopfsteuer vier Golddinar pro männlichem Erwachsenen betrug. (Exakt die gleiche Kopfsteuer – vier Dinar im klassischen Gewicht von je 4,233 Gramm oder 17 Gramm Gold, Wert: etwa 650 US-Dollar – wurde Christen in dem Gebiet im Jahr 2014 vom sogenannten Islamischen Staat auferlegt.94 Auch sie haben ihren al-Balādhurī gelesen, auch wenn sie es mit der Gewährung von Sicherheit nicht so genau nahmen.) Die Steuer zu verweigern, nachdem man zugestimmt hat, sie zu zahlen, wird oft als kafāra bezeichnet.95 Das Verb hat eine allgemeinere Bedeutung, „Nicht-Muslim sein“ (und ist der Ursprung des abfälligen südafrikanischen Ausdrucks „Kaffer“). Aber die Tatsache, dass es sich in frühen Berichten gewöhnlich auf die Nichtzahlung von Steuern und nicht auf den Nicht-Übertritt zum Islam bezieht, zeigt, wo die Interessen der Eroberer lagen. Der Pragmatismus des Systems tritt in den gelegentlichen Steuerbefreiungen klar zu Tage. Beispielsweise wurde den mardaitischen Christen Nordsyriens, die einwilligten, zusammen mit den Muslimen auf Raubzüge zu gehen, die Kopfsteuer erlassen.96 Auch der christliche arabische Stamm der Taghlib musste keine Steuer entrichten, nachdem er erfolgreich eingewendet hatte, dass man von ihnen als Arabern nicht verlangen dürfe, denselben Tribut zu zahlen, der unterworfenen Barbaren auferlegt wurde.97 In seiner expansiven Periode hatte der Islam mit Wirtschaft und ethnischer Zugehörigkeit ebenso viel zu tun wie mit Ethik. Und Araber waren meistens „religiös“ – in der anderen, älteren Bedeutung von „gewissenhaft“ –, wenn es um die Anwendung ihrer Regeln ging: Der Wert des aus dem christlichen al-Hīra mitgenommenen Mauerwerks, das in der nahe gelegenen neuen Stadt al-Kūfa wiederverwendet werden sollte, galt als steuerabzugsfähig.98 Auch körperliche Gewalt gegen Zivilisten (im Gegensatz zu ökonomischer Gewalt einschließlich Versklavung wegen Widerstands oder Nichtbezahlung von Steuern) war eher die Ausnahme. Eine dieser seltenen Ausnahmen war Istachr, die Hauptstadt des persischen Kernlands Fars, die kapitulierte, dann revoltierte und langen und hartnäckigen Widerstand leistete. Angeblich wurden 40 000 ihrer Einwohner niedergemetzelt.99 Aber im Allgemeinen kannten sich Araber perfekt aus mit Gänsen und goldenen Eiern. Es wäre unfair, die Eroberungen als Mafia-Schutzgelderpressung in großem Stil zu bezeichnen. Aber genau das ist zu einem Gutteil das Wesen von Eroberung und Imperium. Ein Zyniker würde sagen, dass genau das auch das Wesen des Gesellschaftsvertrags in seiner im Zeitalter der Aufklärung geprägten
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edeutung ist: Man zahlt Steuern, und wird dafür vom Staat beschützt; zahlt B man die Steuern nicht, wird man vom Staat bestraft (aber wahrscheinlich nicht getötet oder versklavt). Zudem fordert die arabische Terminologie den Vergleich heraus, da Kopfsteuer zahlende Nichtmuslime streng genommen ahl adh-dhimma, „Schutzbefohlene“, sind. Eigentlich wird das ganze Geschäft der Religion in seiner entwickelten, „politischen“ Form durch die Idee von Abgaben und Zahlungen untermauert, denn immerhin ist dīn, „Religion“, stammverwandt mit dayn, „Schuld“. Aber es gab elegantere Möglichkeiten, aus den Eroberungen Geld herauszuholen, als eine Kopfsteuer zu erheben. Außerdem gab es charadsch, eine Steuer auf Agrarland. Ein Beispiel in großem Maßstab für eine solche Besteuerung war die Abgabe, die dem fruchtbaren, Datteln produzierenden Sawād des Irak mit seinem antiken und sorgfältig instand gehaltenen Bewässerungssystem und seinen nichtarabischen „nabatäischen“ Kleinbauern auferlegt wurde. Letztere zählten eine halbe Million,100 womit ihre Zahl möglicherweise nicht weit entfernt war von der für die gesamte arabische Bevölkerung. Der Sawād, seit den Tagen Babylons bis zur Schlacht bei al-Qādisiyya ein Magnet für Räuber und Plünderer, wurde als öffentliches charadsch-Land besonders behandelt. Kalif Umar, der die Neigungen der Stammesaraber nur allzu gut kannte, sagte: „Ich fürchte, dass, wenn ich den Sawād aufteilte, ihr über das Wasser streiten würdet.“ Ali ibn Abī Tālib sagte es ihnen noch unverblümter: „Ich hätte den Sawād unter euch aufgeteilt, wenn ihr euch dann nicht gegenseitig die Fresse polieren würdet.“101 Unter den gegebenen Umständen fielen die jährlichen Einkünfte der Region von 100 Millionen Dirham zur Zeit der Eroberung auf 40 Millionen am Ende des 7. Jahrhunderts.102 Die Eroberer verwendeten auch nachhaltigere Mittel, um Einkünfte zu erzielen und Profite zu maximieren. Absoluten Vorrang bei der „Öffnung“, sprich: Eroberung einer Stadt genoss oftmals die Eröffnung eines Marktes gemeinsam mit den Stadtbewohnern. Beispielsweise öffneten die Einwohner von al-Ruhā, dem heutigen Urfa in der Südosttürkei, „die Tore der Stadt und richteten beim [Haupt]tor einen Markt für die Muslime ein“.103 Wie wir später bei der Gründung neuer arabischer Städte sehen werden, war dies eine wichtige Phase in dem langen und noch immer andauernden Prozess der sozialen Steuerung, durch den Hirtennomaden zu sesshaften Händlern, Beduinen zu Geschäftsleuten wurden. Es war ein Prozess, der mindestens seit der Zeit des BeduinenHandelsplatzes Qaryat Dhāt Kahl im 3. Jahrhundert im Gang gewesen war. Jetzt hatte er neuen Schwung erhalten. Er war die andere „Bekehrung“, die zwar weniger offensichtlich, aber nicht weniger wichtig war als die durch den Islam herbeigeführte religiöse Konversion. Schließlich stammte Mohammed aus dem
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handeltreibenden Mekka – der koranischen Umm al-Qurā, „der Städte Mutter“ – und war selber ein Kaufmann, ein Prophet, der sich mit Profiten auskannte. Seit Medina existierten Märkte und Moscheen einträchtig nebenei nander. Auch Beutegut blieb immens wichtig. Kalif Umar gelang es, mit der Aussicht auf Anteile an der erwarteten Kriegsbeute zusätzliche Stammesverbände für den Irakfeldzug zu mobilisieren. Dem Oberhaupt des Stammes der Badschīla, Dscharīr, bot er ein Drittel des Beuteguts an (natürlich nachdem das übliche Drittel für den Kalifen einbehalten worden war). Derselbe Dscharīr und ein weiterer arabischer Stammesführer stritten später heftig darüber, wer in der Schlacht von al-Nachīla einem persischen Befehlshaber den tödlichen Hieb versetzt hatte – der Mörder hatte das Recht, die Leiche auszuplündern.104 Sehr vereinzelt werden höhere Motive vorgebracht: Al-Mughīra, der mutwillig Rustams kostbaren Teppich beschädigte, sagte dem persischen General angeblich, dass er sein Geld nicht wolle – Rustam und seine Leute sollten lediglich den Islam annehmen; aber wenn sie sich weigerten, fuhr er fort, würden sie bekämpft, „bis sie erniedrigt den Tribut aus der Hand entrichten!“105 Oft hatte die Beute menschliche Gestalt, wie beispielsweise die mindestens „40 000 Stück“ Sklaven, die in einem Zeitraum von 30 Monaten in der iranischen Region Sistan gemacht wurden.106 Und wie weit sich das Raubzugsunternehmen inzwischen von seinen provinziellen Ursprüngen auf der Arabischen Halbinsel entfernt hatte, kann man an den Zahlen von der zweiten, erfolgreichen Expedition nach Sindh im frühen 8. Jahrhundert ersehen, die von al-Hadschādsch geplant worden war, dem Statthalter des Irak. Er räumte ein, dass der Feldzug 60 Millionen Dirham kostete, aber netto doppelt so viel einbrachte: „Wir haben unsere Wut abgekühlt“, sagte er, „und Rache genommen und unser Gewinn waren 60 Millionen Dirham und Dahirs Kopf.“107 Dahir war der besiegte Herrscher von Sindh. Raubzüge und Plünderungen waren zu einem multinationalen Gewerbe geworden; Rache war weniger wichtig als Ertrag. Arabische Schulkinder lernen heute, dass es bei den futūhāt, den Eroberungen oder „Erschließungen“, darum gegangen sei, „den Islam zu verbreiten“. Das sind schöne Reden, und tatsächlich war die Verbreitung des Islam eines der Endresultate dieser außergewöhnlichen Epoche. Doch die damalige Realität vor Ort sah so aus, dass es nicht viel Anreiz gab, den Islam zu verbreiten, zumindest nicht in dem Sinne, andere Menschen zum Übertritt zu bewegen; stattdessen fungierte der Islam als einigende Ideologie zur Autorisierung der arabischen Eroberung und des arabischen Kolonialismus. Al-Hadschādsch, stets darauf bedacht, Reichtümer wenn schon nicht Himmel, so doch auf Erden zu mehren, riet den Bauern des Sawād unverhohlen davon ab zu konver-
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tieren.108 Einmal wies er sogar Konvertiten aus den neuen arabischen Städten aus und zwang sie, die Kopfsteuer der Ungläubigen zahlen.109 Zwar ist der besonders gemeine al-Hadschādsch nicht typisch für Verwaltungsbeamte im ersten islamischen Jahrhundert. Doch der fromme umayyadische Kalif Umar ibn Abd al-Azīz, dessen Bescheidenheit, Frömmigkeit und glückliche Hand bei der Auswahl der Statthalter zu Konversionen in großem Stil sowohl in Sindh (nach der Eroberung) 110 als auch unter den Berbern Nordafrikas führten,111 war es ebenso wenig. Beide bilden die Extreme, die Ausnahmen; die Regel, die dazwischenliegt, besagt, dass der Handel dem Raubzug auf dem Fuße folgt, während der Glaube weit hinterherhinkt. Einer Zahl zufolge hatten bis 750 n. Chr. nur etwa zehn Prozent der Bewohner der eroberten Länder den Islam angenommen.112 Zwar ist diese Zahl nur eine Vermutung, doch steht außer Zweifel, dass man al-Balādhurīs vierhundertfünfzigseitige Geschichte der Eroberungen größtenteils vergeblich auf Forderungen nach moralischer oder spiritueller Motivation durchsuchen wird. Vielleicht soll diese Motivation einfach als Tatsache hingenommen werden; aber vielleicht war sie aber auch schlicht nicht vorhanden.
Die Bräute von Medina Die Erschließungen funktionierten in beide Richtungen. Mit der arabischen Doppelbedeutung spielend, meinte ein Kommentator, sie seien nicht bloß eine fath im Sinne einer Eroberung von Ländern gewesen, sondern auch eine fath im Sinne einer Öffnung arabischer Köpfe für das geistige Erbe dieser Länder.113 Aber die umgekehrte oder ergänzende Eroberung war nicht nur hochgeistig. Medina, die neue Bastion islamischen Arabischseins, wurde von persischen Bräuten „überfallen“ – die ersten und bemerkenswertesten waren drei Töchter des letzten Sassanidenherrschers, die in die erste Generation der neuen Aristokratie einheirateten: Ihre Ehemänner waren die Söhne von Abū Bakr, Umar und Ali, des ersten, zweiten und vierten Kalifen. Die Folgen sollten weitreichend sein. Beispielsweise geht von den durch seine Enkel al-Hasan und al-Husain (den Söhnen Alis) begründeten zwei Abstammungslinien Mohammeds die gesamte husainische Linie, deren Angehörige heute in die Millionen gehen, auf jene persische Mutter zurück. Das neue Blut schien schwächelnde quraischitische Geschlechter wiederzubeleben, denn die Kinder aus jenen ersten Verbindungen erwiesen sich als „die rechtschaffensten und gebildetsten“ Leute in Medina. Zudem setzten die Eheschließungen einen umgehenden Trend zur Zeugung von Kindern mit gefangenen persischen Frauen;114 zuvor waren solche Sprösslinge als gesellschaftlich niedrig gestellt betrachtet worden.115 Die Kehrseite war, dass das reine Arabisch von Medina und auch von Mekka in kürzester
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Zeit durch Persianismen aus der hineindrängenden Muttersprache verunreinigt wurde.116 Und nicht nur persische Morpheme und persische Mütter begannen die allerheiligsten arabischen Stätten zu erobern, sondern auch persische Manieren – die angebliche Liebe zum Luxus, die entmutigende Trägheit jener Erz-„Orientalen“: Als Umar sah, dass die Emigranten [aus Mekka] und die Ansār [die gebürtigen Medinenser] luxuriös lebten und dass viele von ihnen die persische Lebensweise nachäfften, saget er ihnen: „Ihr müsst richtige Maʿadd-Araber sein und zusehen, dass ihr hart bleibt.“117 (Maʿadd ist eine der pauschalen Bezeichnungen für die „nördlichen“, überwiegend beduinischen Stämme.) Umars Appell sollte vergeblich sein. Was er als kulturelle „Rassen“-Mischung in Medina betrachtete, war in seiner Gesamtheit eine Andeutung jener arabisch-persischen Massenhochzeit, die ein Jahrhundert später stattfinden sollte. Doch schon zu dieser Zeit hatte eine weitere umgekehrte Invasion begonnen – eine Unterwanderung der arabischen Stämme, und nicht bloß durch gefangene Frauen, sondern auch durch konvertierte Männer. In der Frühzeit des Islam konnte ein Nichtaraber fast durchweg nur Muslim werden, wenn er zuerst ein maulā wurde, oft mit „Klient“ übersetzt; genauer bezeichnet der Begriff jedoch ein Neumitglied eines arabischen Stammes.118 Freigelassene Sklaven wurden meist die maulās der Stämme ihrer früheren Besitzer, aber im Prinzip konnte jeder einvernehmlich in eine solche Beziehung eintreten. Angesichts der geringen Zahl von Stammesarabern im Verhältnis zu den Bevölkerungen der Länder, die sie besetzt hatten, waren die maulās den ursprünglichen Arabern bald zahlenmäßig überlegen. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts liefen Araber in der neuen irakischen Stadt al-Kūfa bei offiziellen Anlässen jeweils begleitet von zehn bis 20 maulā-Gefolgsleuten herum.119 In der Theorie waren maulās vollkommen in den Stamm als politisches Gebilde integriert und hatten teil an seiner ʿasabiyya, seiner Gruppensolidarität. Aber Unterscheidungen des Blutes wurde streng aufrechterhalten. Es hieß sogar, die Unterscheidungen würden sich selbst aufrechterhalten: Wenn eine Gruppe von Angehörigen des Stammes der Schaibān und ihre maulās von Rivalen gefangen genommen und geköpft wurden, schwor ein Zeuge, dass die Lachen aus tribalem und maulāBlut sich nicht hatten vermischen wollen.120 Doch mit der Zeit geschah das Unvermeidliche, und sogar das Blut verschwamm; schließlich trugen maulās und Stammesangehörige dieselbe Art von Namen – „A Sohn von B Sohn von C … zum Beispiel al-Schaibānī‘“. Binnen weniger Jahrhunderte nach dem Moment
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ihrer höchsten Definition und größten Sichtbarkeit war die arabische Identität – als Gruppe nicht nur mit ihrer eigenen unverwechselbaren Sprache, sondern auch mit einer Schrift, einer Mission und grenzenloser Energie – abermals im Fluss. Wie Ibn Chaldūn es ausdrückte, waren die südarabischen schaʿbVölker von Anfang an durchmischt gewesen. Was die angeblich reinblütigen Nordaraber betrifft, jene Hüter tribaler Stammbäume und Beschneider von Vaterlinien, so „verschwanden die Stämme“ mit der Expansion des Islam und ihrer Vermischung mit Persern und anderen Völkern.121 Manchmal war offensichtlich, wie Nichtaraber zu ihrem arabischen Stammbaum kamen, etwa im Fall der dreisten Fälschung einer rein arabischen Ahnentafel durch den vermutlich ethnischen Perser Yahyā ibn Hubaira, der auf diese Weise versuchte, seine eigene Person aufzuwerten, als er die Stelle als wazīr, „Wesir“, oder leitender Minister des späteren abbasidischen Kalifen al-Muktafī bekam.122 Doch in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle blieb der Vorgang unsichtbar – es sei denn, ein satirischer Blick fiel darauf, wie der des Dichters Abū Nuwās, der sich über einen „auf dem Marktplatz fabrizierten Araber“ lustig machte, der in der Stadt ein bescheidener maulā sei, seine Rolle als „echter“ Beduine aber perfekt spiele, wenn er sich auf dem Lande aufhalte. Gelegentlich kam die nichtarabische Herkunft eines „Arabers“ unverhofft ans Licht: Als der Grammatiker al-Farrāʼ in der Ahnenreihe seines Kollegen al-Sikkīt „etwas Schreckliches“ entdeckte – dass die Vorfahren des armen Mannes aus der unwürdigen persischen Provinz Chuzestan stammten –, zog er sich für 40 Tage zurück, um jede Begegnung mit ihm zu vermeiden (doch wie so oft, galt auch hier: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen – al-Farrāʼ selbst war nichtarabischer, dailamitischer Herkunft).123 Aber in späteren Jahren würde, wer arabisch war, sich im Allgemeinen eher fühlen wie ein cives romanus oder ein Bürger der Vereinigten Staaten; und mit der Zeit, als die „Anderen“ – Dailamiten, Türken, Mongolen – die Führung des Reiches übernahmen, das Araber sich erkämpft hatten, war es immer weniger von Bedeutung, echt arabisch zu sein. Die Genealogie, mindestens seit den Tagen der safaitischen Wüstengraffiti eine der großen Leidenschaften von Arabern, sollte sich mehr zu einer Kunst als zu einer Wissenschaft entwickeln, und zu einer ziemlich abstrakten noch dazu. Abgesehen davon sind die arabisch-persische Ehe im Besonderen und das gesamte Verhältnis von Arabern zu anderen generell niemals konfliktfrei oder paritätisch gewesen. Es waren größtenteils Nichtaraber, die den Islam „öffneten“, ihn formten und entwickelten und ihn zu der Weltreligion machten, die er geworden ist. In gewisser Hinsicht haben Araber sich immer gegen diese reflexive Öffnung gewehrt, haben gekämpft, nicht um irgendeine eingebildete „ras-
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sische Reinheit“ zu erhalten, die sie in der Realität niemals hatten, sondern um wenigstens ihre Vorrangstellung und ihr Patriarchat zu bewahren – um ihre Missionarsstellung in beiderlei Bedeutungen zu wahren. Wie bei dem persischen Schah, der die Schwester des arabischen Königs al-Hīra heiraten wollte,124 würde es niemals angehen, dass der Nichtaraber derjenige wäre, der an der Spitze stand. Der Fachterminus für die Ehe eines arabisches Mannes mit einer nichtarabischen Frau lautet hudschna, was lediglich „Kreuzung“ meint. Der Begriff für die entgegengesetzte Vereinigung ist iqrāf, 125 was auch „abscheuliche Ansteckung“ bedeutet.126 In der Schlacht von al-Yarmūk hatte Hind die arabischen Truppen mit dem Ruf angestachelt, sie sollten die unbeschnittenen Byzantiner mit ihren Schwertern „beschneiden“. Eine andere arabische Kriegspoetin, Azda, ging in einer Schlacht gegen die Perser noch einen Schritt weiter: „Wenn ihr verliert“, schrie sie, „werden uns die Unbeschnittenen penetrieren!“127 Sie spielte mit einer alten und schrecklichen Angst, einer Angst, die niemals ganz begraben worden ist.
Himmel aus Datteln, Erde aus Gold Es war nicht nur die gefährliche Begegnung mit anderen, die Araber veränderte. Weitere Veränderungen kamen von innen heraus und waren geplant. Nachdem die große arabische „Apostasie“ im Jahr 633 niedergeschlagen worden war, kam eine bewusste Politik der sozialen Steuerung ins Spiel. Die islamische Gemeinschaft war (zu Anfang) ein arabischer Superstamm, wie die alten südarabischen schaʿb oder Völker geeint durch die Treue zu einer gemeinsamen Gottheit. Nun wurde die Hidschra zu einer Art Supermigration, sie bedeutete für den Einzelnen eine Trennung nicht bloß vom Geburtsort, sondern überhaupt von seinen arabischen Wurzeln. Die Trennung ermöglichte ferne Eroberungen oder Superraubzüge. Es war Mohammeds Umzug nach Medina im Großen. Im sehr Großen, genau genommen. Die Idee der Hidschra weist einige Ähnlichkeiten mit der modernen zionistischen Idee der Massenmigration in ein reales Gelobtes Land auf. Aber sie ist diese Idee in mächtig aufgeblähter Form: Alle Länder sind gelobte Länder. Der „wandernde Zionist“ lässt sich irgendwann an einem Ort nieder, den er als das Land seiner Ahnen betrachtet; der „wandernde Araber“ verlässt das Land seiner Ahnen und ist potenziell immer unterwegs. In einer der vielen Passagen, die zum Reisen ermutigen, drückt der Koran es so aus: Gott machte euch die Erde zu einem Teppich, damit ihr auf ihr gehen könnt, auf Wegen und auf Bergespässen.128
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In gewissem Sinne war diese neue und erheblich erweiterte Hidschra eine Fortsetzung der vorislamischen Stammeswanderungen; sie war ganz Teil einer alten, sich stetig ausdehnenden Figur in dem sich entrollenden Teppich. Und sie war nicht willkürlich: Sie wurde sorgfältig und zentral geplant und kontrolliert. Die Kontrolle stützte sich auf den zunehmenden Gebrauch der Schrift und auf ein wachsendes Netz von Posten. Ziel der zentralen Politik war es vor allem, lenkbare Massen von Menschen zu schaffen, die umgesiedelt und in Garnisonsstädten neu angesiedelt werden konnten. Wie wir gesehen haben, wurde die Hidschra stark gefördert, und ihr Gegenteil – taʿarrub, „Re-Arabisierung“ – mit Apostasie gleichgesetzt.129 Es wurde sogar behauptet, Mohammed habe jeden verflucht, der nach der Hidschra „Beduine [badā] wurde“.130 Ein Ergebnis all dessen war, dass ein uralter Aspekt des Arabischseins allmählich verkümmerte. Man zog von seiner alten dār aʿrābiyya, „beduinischen Heimat“, in seine neue dār hidschra, „Wanderheimat“:131 Dabei gab man seine ʿarab-Lebensweise auf und war nicht länger ʿarab in der ältesten, auf Herdenhaltung und Raubzüge verweisenden Bedeutung des Wortes. Im linguistischen Sinne war man nach wie vor ʿarabi, arabischsprachig. Aber, wie wir sehen werden, war auch das gefährdet. Die geplanten Massenumsiedlungen begannen, sobald im Jahr 636 Syrien erobert worden war. Araber, die dort schon seit vorislamischen Zeiten lebten, wurden innerhalb des Landes neu angesiedelt, und neue Nomaden wurden von der Arabischen Halbinsel in Siedlungsgebiete verbracht.132 Aber richtig in Gang kam die Bevölkerungsbewegung erst mit der Gründung der neuen Städte, der sogenannten amsār, was im Grunde „Außenposten im Grenzgebiet“ bedeutet. Offenbar dienten die amsār dem Zweck, diese Grenzgebiete zu erweitern. Da rüber hinaus sollten sie aber auch den Ausgleich zwischen hadar- und badwVolksgruppen weiter befördern. Dies geschah vor allem auf zweierlei Weise. Indem man die Beduinen zusammen mit anderen Auswanderern von der Arabischen Halbinsel in die neuen Städte schickte, wurden sie erstens „kollektiviert“ und ihr schauka – ihr „Stachel“ oder kriegerisches Potenzial – von Medina abgelenkt. Nach dem Beinahe-Scheitern ihres Projekts in den Ridda-Kriegen dürften Umar und die anderen Anführer in der arabischen Hauptstadt erleichtert aufgeatmet haben, als sie sahen, dass die größeren Unruhestifter unter den Stämmen sich zu neuen Eroberungen hinter dem Horizont davonmachten, weit weg vom Zentrum der Macht. (Natürlich verbreitete diese Politik die Saat der Zerstörung für das künftige Imperium; man kann nicht für alle Eventualitäten planen.) Zweitens sorgte die Niederlassung in den neuen Städten dafür, dass Beduinenstämme sich von Raubzügen nicht nur auf reguläres Kriegshandwerk ver-
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legten (oder wenigstens künftig nur noch andere überfielen statt sich gegenseitig), sondern auch auf Handel (oder zumindest darauf, andere zum Handel anzuhalten und sie dann zu besteuern). Die futūhāt, waren, wie wir gesehen haben, nicht bloß militärische Eroberungen, sondern auch „Erschließungen“ neuer Märkte. Für Stammesaraber gab es nun Möglichkeiten, ihr Leben zu bestreiten, die lukrativer und geruhsamer waren, als Kamele zu stehlen. Laut einem enthusiastischen Bericht über die neuen Städte al-Basra (gegründet 638) und ihre Zwillings- oder etwas jüngere Schwester al-Kūfa waren die Straßen der amsār mit Gold gepflastert: „Unsere Dickichte sind Zuckerrohr, unsere Flüsse sind ein Wunderwerk, der Himmel über uns sind frische Datteln, die Erde unter uns ist Gold.“133 Der Kontrast zu der kargen Arabischen Halbinsel hätte größer nicht sein können. Nicht, dass man jetzt in schwelgerische Untätigkeit verfallen konnte; noch nicht. Die amsār mögen golden gewesen sein, aber es waren vergoldete Garnisonen. Es war unerlässlich, seine Söhne im Schwimmen und in der Reitkunst zu unterweisen,134 und man selbst konnte ebenso wie sie jederzeit aus dem relativ milden al-Kūfa fortgeschickt werden, um im stickigen Sindh zu sterben, oder aus dem unbeschwerten al-Basra, um sich in Zentralasien vor Sehnsucht zu verzehren.135 Gelegentlich erfolgten solche Umsiedlungen in militärisch-industriellem Maßstab: Bei der größten wurden im Jahr 671 50 000 Männer aus dem übervölkerten, unzureichend ausgestatteten al-Basra ins fast 2000 Kilometer entfernte Merw umgesiedelt.136 Umsiedlung, Kollektivierung und Massenmobilisierung riechen nach Stalin. Aber das Ethos in den neuen Städten – das Ethos von Militarismus in Verbindung mit Marktfreiheit, alles in Diensten eines jungen Imperiums – hat andere Parallelen. Bernard Lewis sah in al-Kūfa, al-Basra und den anderen bedeutenden Garnisonsstädten, al-Fustāt in Ägypten und al-Qairawān (Kairouan) in Tunesien, treffend die „Gibraltars und Singapurs“ von Arabern, die sich auf ihre „Wüstenmacht“ stützten, so wie die Briten späterer Zeiten auf ihre Seemacht vertrauten:137 Britannien beherrschte die Wellen; Arabien beherrschte die Wildnis. Aber vielleicht liefert einmal mehr die Britische Ostindien-Kompanie eine noch näherliegende Parallele: Die amsār sind zugleich inländische Bombays und Madras und funktionieren wie die Faktoreien im Schutz von Festungen, die an den Rändern des Indischen Ozean entstehen sollten. Quraischitische Kaufleute hatten ein Jahrhundert vor den großen arabischen Eroberungen die Idee der mudaraba gehabt, des Zusammenlegens von Kapital, und diese Kapitalkonzentration bildete dann auch die Grundlage jener zukünftigen europäischen Handelsunternehmungen. Mit den amsār und ergänzt um militärische Stärke trat die Expansion nun in eine neue, imperiale Phase ein, wie sie es auch im Fall der Britischen Ostindien-Kompanie tun würde.
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Für arabische Führer des 7. Jahrhunderts war das alles ein triumphales Ergebnis des Langzeitdialogs zwischen badw und hadar, nomadischen und sesshaften Volksgruppen. Und wer hätte besser verstehen können, dass die Brandrodungsmethode von aʼrab-Räubern vielleicht kurzfristig ergiebige Beute abwarf, aber dass man für nachhaltigen Ertrag städtische Märkte fördern musste, als Männer aus Mekka, der Handeltreibenden, „der Städte Mutter“? Es ist sogar behauptet worden, dass der entwickelte islamische Gebrauch des Wortes Hidschra – Übersiedlung in neue Städte – sich unter südarabischem Einfluss ergeben haben könnte: Die sabäische Wurzel hdschr bedeutet nicht „Trennung“, sondern „Stadt“.138 Die These ist verlockend, aber strittig: Jedes Wort, das wir benutzen, wird verfolgt von semantischen Gespenstern, aber einige dieser Gespenster sind sehr zart. Wahrscheinlicher ist, dass Einflüsse – ökonomische, nicht sprachliche – von den anderen alten imperialen Nachbarn kamen. Die mekkanische Kaufmannselite, deren Angehörige nun als Oberhäupter des islamischen Staates von Medina firmierten, steuerten die durch Mohammeds Revolution freigesetzten ungeheuren Energien und die beispiellose Einheit, die sie geschaffen hatte, um das tribale Arabertum zu etwas umzugestalten, das wirtschaftlich, militärisch und auch gesellschaftlich eher den früheren Supermächten Rom/Byzanz und Persien in deren Blütezeit glich. Persien war inzwischen untergegangen, Byzanz dezimiert, und Araber würden beider Nachfolge antreten. Blicken wir weit voraus auf andere imperiale Unternehmungen, so stoßen wir auf jene Parallele zum arabischen Weg im britischen Empire und insbesondere in seinen sich auf Aktienkapital und Handel stützenden Anfängen. Richten wir den Blick noch weiter voraus – und es gibt zugegebenermaßen sehr viele mutatis mutandis –, so unterschied sich der islamische arabische Weg vielleicht auch nicht grundsätzlich von dem des kommunistischen China im 20. Jahrhundert. Die Chinesen richteten ihre ideologische Revolution neu aus, um dem Markt Rechnung zu tragen, und das Land stellte sich neu auf, um die Nachfolge jüngerer Supermächte anzutreten.
Getrennte Häuser Anfangs funktionierte alles. Die amsār entstanden als strategische Orte. Im Irak wurde al-Basra unweit der Mündung des Persischen Golfs erbaut und alKūfa in dem lange umkämpften Grenzland zwischen Wüste und Saatflächen, in der Nähe der Ruinen des antiken Babylon und des jüngeren al-Hīra. In Syrien, das eine alteingesessene arabische Bevölkerung und vorislamische Verbindungen zur mekkanischen Aristokratie hatte, wurden die alten Städte, wie etwa Damaskus, als Verwaltungszentren beibehalten und das Land in Militärbezirke
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untergliedert. In Ägypten, erst 631 von den Persern zurückerobert, waren die Byzantiner verstört und demoralisiert durch das Schicksal ihrer Genossen in Syrien und leisteten nur begrenzte Gegenwehr, als im Jahr 639 arabische Einfälle begannen. Die kosmopolitische Hafenstadt Alexandria harrte länger aus, aber die Festung Babylon (Alt-Kairo) im Inland unterlag 641 einer arabischen Streitmacht. In der Nähe, neben dem Nil, wo Ober- und Unterägypten aufei nandertreffen und der Keil des Deltas am tiefsten landeinwärts vordringt, wurde eine weitere misr (der Singular von amsār) gegründet – al-Fustāt, „das Zelt“ auf Arabisch, oder möglicherweise vom griechischen fossaton, „Graben“, abgeleitet. (Das Wort misr ist auch der arabische Name für Ägypten, wenngleich sich hier die Frage stellt, was zuerst da war, die Henne oder das Ei: Misr ist ein uraltes semitisches Wort, das im Grunde „Grenze“ bedeutet,139 und Ägypten war das semitische misr-(„Grenz“-)Land gewesen, lange bevor Araber dort ihre misr(„Grenz“-)Städte gründeten. Fast unverzüglich drangen Araber auf Raubzügen von Ägypten aus nach Westen bis in die ehemalige römische Provinz Africa vor (im Wesentlichen das heutige Tunesien). Eine vierte bedeutende Grenzstadt wurde dort allerdings erst im Jahr 670 gegründet. Ihr Name, al-Qairawān/Kairouan (vom persischen karwan) wird im Arabischen gewöhnlich als „Garnisonslager“ erläutert; dass man bei dem deutschen Wort gleicher Abstammung „Karawane“ gleich an Handel denkt, ist jedoch durchaus angebracht. Keine der amsār ist typisch; sie alle entwickelten sich in ihren unterschiedlichen Umgebungen unterschiedlich. Aber ein kurzer Blick auf die erste von ihnen vermittelt eine gewisse Vorstellung davon, wie die anderen waren. AlBasra war anfangs ein riesiges Militärlager, das problemlos „abgebrochen“ werden konnte: Sogar die öffentlichen Gebäude waren aus gewaltigen Schilfbündeln errichtet (wie die Häuser der benachbarten „Sumpf-Araber“), die leicht zerlegbar waren, wenn die Garnison auf ausgedehnte Raubzüge ging.140 Aber recht bald wurde aus dem Lager eine feste Stadt, und ihre Einwohnerschaft schwoll an und wurde vielfältiger: In den frühen Jahren umfasste sie nicht nur Perser, sondern auch viele vorislamische Zuwanderer indischer Herkunft, vor allem „Zutt“ oder Dschāt, die sich mit arabischen Stämmen verbündeten. Sie sorgten für die dringend erforderliche Verstärkung der Kampfkraft und erhielten eine Zeitlang die gleichen Rechte und den gleichen Armeesold wie Araber. Sie wurden vertrieben, als gegen Ende des 7. Jahrhunderts die arabische Bevölkerung wuchs, der Chauvinismus sich verfestigte und die Staatskasse sich leerte.141 Al-Basra hatte zu dieser Zeit eine – nach den Weltmaßstäben der Zeit – gewaltige Bevölkerung von 80 000 Kriegern und 120 000 Angehörigen.142 Und trotz der zunehmenden „kleinarabischen“ Denkweise ihrer Statthalter und deren Intoleranz gegenüber Nichtarabern wurde die Stadt sichtlich kosmo
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politisch: Gefangene aus Afghanistan errichteten eine Moschee „im KabulStil“,143 was zu jener Zeit bedeutet haben könnte, dass sie Einflüsse buddhistischer Bauwerke aufwies. Nicht zuletzt al-Basras Lage am Schatt al-Arab, der durch den Zusammenfluss von Euphrat und Tigris entstandenen Wasserstraße, die zur nahen Mündung des Persischen Golfs führt, machte die Stadt auch in gewerblicher Hinsicht kosmopolitisch. Ein späterer Einwohner von al-Basra prahlte mit „unserem Teakholz und Elfenbein, unserem Brokat, unseren Grundsteuern und unserem brausenden Fluss“.144 Es ist eine akkurate Zusammenfassung der Quellen des Wohlstands der Stadt, die aus der halben Welt stammten – indische Wälder, afrikanische Elefanten, chinesische Seide, ihre eigenen ausgedehnten Palmenhaine und der Sawād –, und mitgebracht wurden alle diese Produkte von der wichtigsten Verkehrsader der Stadt, dem Fluss. Al-Basra war von der Geografie gesegnet. Aber die Stadt wies Gemein samkeiten mit den anderen amsār auf – provisorisch wirkende Anfänge, Spannungen zwischen Arabern und anderen Bewohnern, unweigerliche Diversifizierung, wild wucherndes Wachstum. Und alle hatten sie einen Konstruktionsfehler, der die organische urbane Entwicklung der Städte bremsen und, was noch viel schlimmer war, den Zusammenhalt ihrer arabischen Bewohner dauerhaft verhindern würde. Zunächst einmal wurden Araber nomadischer Herkunft nur äußerlich Städter: Als beispielsweise eine Hungersnot al-Kūfa heimsuchte, zogen die meisten Leute um und zerstreuten sich, um im Steppenland nach Nahrung zu suchen.145 Dass sich mithin der alte Überlebensmechanismus einstellte, war wenig verwunderlich. Aber sie bildeten auch, und das war weit verhängnisvoller, nur eine oberflächliche Gemeinschaft: Die Kollektivierung war niemals radikal genug, um Unterschiede zu verwischen. Schon zur Zeit von Abū Bakrs geplantem syrischen Feldzug kämpften die Truppen unter Stammesfarben: Er „befahl den Kommandeuren, jedem Stamm ein Banner zuzuweisen, das in ihrer Mitte bleiben würde“.146 Bei den späteren Eroberungen blieben die Banner in ihrer Mitte: Jeder Stamm marschierte unter seinen eigenen Farben, während die kleinsten Stämme sich unter einer gemeinsamen Flagge zusammentaten147 – eine Art Black Watch Tartan (das schottische Karomuster, das ohne Clanzugehörigkeit von jedem getragen werden darf). Dieser Vergleich ist keineswegs respektlos; aber er ist fehlerhaft. Der Superstamm des Islam war und blieb ein Ideal; die Verwandlung von Stammesbannern in Regimentsfarben, die Sublimierung des Tribalismus durch Sport – Veränderungen wie diese würden erst mit dem Aufstieg des europäischen territorialen Nationalstaats stattfinden. Araber realisierten sie niemals vollständig. (Angesichts des offenkundigen Scheiterns des jüngeren Ideals – jenes importierten Nationalstaats – ist momentan ein Trend zur Re-Tribalisierung zu beobachten, zu-
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mindest draußen vor meinem Fenster.) Und Stammesbanner flatterten nicht nur unterwegs auf dem Marsch. In den amsār selbst existierten räumliche Trennungen: So wurden beispielsweise in al-Kūfa Jemeniten („Süd-Araber“, als solche galten sie trotz jahrhundertelanger Verwischung der Grenzen noch immer) im Osten der Stadt angesiedelt und Nizārīs („Nord-Araber“) im Westen; diese großen Wohnviertel waren selbst wiederum unterteilt in Stammesquartiere, und jeder Stamm hatte seine eigene Moschee.148 Somit wurde selbst im Wesenskern des islamischen Ideals – dem Gemeindegebet – die Uneinigkeit aufrechterhalten. Das Haus Gottes hatte viele Räume, und sie kommunizierten nicht miteinander. Taha Husain listet penibel die Klüfte auf, die das Arabertum nur allzu bald trennen würden, nachdem jene kurze Einmütigkeit der Expansionsphase aufgezehrt war. Adnaniten [ein anderer Begriff für „Nord-Araber“] verbündeten sich gegen Jemeniten, Mudar gegen den Rest der Adnaniten, und Rabīʿa gegen Mudar. Die Mudar selbst spalteten sich, und Qais, Tamīm und Quraisch hatten jeweils ihre eigene ʿasabiyya. Auch die Rabīʿa spalteten sich, und Taghlib und Bakr bildeten ihre je eigene ʿasabiyya. Und dasselbe lässt sich von den Jemeniten sagen – Azd, Himyar und Qudāʿa hatten jeder ihre eigene ʿasabiyya.149 Das Ergebnis war, dass „in allen amsār des Islam Araber in einen Zustand der Rivalität und des Konkurrenzdenkens zurückfielen, der noch erbitterter war als der des [vorislamischen] ‚Zeitalters der Unwissenheit‘“.150 Die arabische Einheit ähnelte eher einer Suspension denn einer Lösung: Wie bei einem Salatdressing vermischten sich die Bestandteile problemlos, solange die Mischung durch Raubzüge und Eroberungen in Bewegung gehalten wurde. Aber sobald die Bewegung aufhörte und die Mischung sich setzte, begannen die Bestandteile sich zu trennen. Ein Teil des Problems war, dass die gesamte moralische Gesittung tribal und vorislamisch blieb. Zwar sollte sich in den neuen Städten und neuen Ländern eine am Islam orientierte moralische Infrastruktur entwickeln, aber erst in den folgenden Jahrhunderten. Vorläufig waren Araber so sehr mit dem Versuch beschäftigt, die Territorien zu sichern, die sie erobert hatten, dass ihnen keine Zeit blieb, die ethischen Folgen des Islam zu erkennen, geschweige denn sie geistig zu verarbeiten. Um es in Kategorien christlicher Geschichte auszudrücken, es war, als hätten die Kreuzzüge zu Lebzeiten der ersten Apostel begonnen. Diese Faktoren – fortgesetzter Tribalismus, der zeitliche Abstand zwischen dem Bau
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von Städten und dem Aufbau von Zivilgesellschaften – würden bedeuten, dass auf der Arabischen Halbinsel lebende Araber vom alten Schlag in dem von ihnen gegründeten Reich versprengt und verloren wären, in jeder Hinsicht an den Rand gedrängt. Womit die Araber-Erzählung jedoch keineswegs zu Ende wäre. Denn aus der imperialen Vielfalt sollten allerlei neue Araber hervorgehen, die ein ebensolches Völkergemisch bilden würden, wie Araber es immer schon gewesen waren. Und sie wären sowohl untereinander als auch mit der Vergangenheit durch den alten Katalysator Sprache vereinigt. Denn die neuen Städte der Eroberungen waren über ihre anderen Funktionen hinaus Sprachhochburgen, von denen aus das Arabische sich verbreitete und zum Medium von Handel, Kultur und Alltagsleben wurde. Viele Eroberer – zum Beispiel Goten, Vandalen, Mongolen – werden selbst von den Kulturen, die sie erobern, bezwungen. Bei den Arabern sollte es sich umgekehrt verhalten: Sie selbst „verschwanden“, aber ihre Sprache und Kultur blieben auf der Erfolgsspur. So konnte der Dichter Ahmed Schauqī vom frühen 20. Jahrhundert aus zurückblicken und sich wundern: Wir kennen weder andere Rassen noch Sprachen wie diese: Die Menschen schieden dahin, und doch lebt ihre Sprache! Die Linie der Hāschim ist zerfasert, die der Nizārīs vergangen; aber Ihre Zunge spricht weiter in nicht endender Beredsamkeit.151
Wie man auf Thronen sitzt Diese neuen, akkulturierten Araber sollten erst noch kommen. Vorläufig bedeutete der Exodus alter Araber aus Arabien nicht bloß eine Trennung der Menschen von einem Land und von ihrer ferneren Vergangenheit. Er markierte auch den Beginn der eigenen Reisen des Islam fort von seinem arabischen Nährboden. Araber und Islam würden, wie wir gesehen haben, in ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten reisen. Anfangs hinkte der Islam hinterher; aber er würde aufholen und letztendlich von den beiden derjenige sein, der viel weiter ging. Zu Hause war die Wirkung des Exodus unmittelbar. Die Arabische Halbinsel wurde ein Ort, den man verließ, ein heiliges Land, dessen Heiligkeit mit der Entfernung zunahm. Wie es aussieht, war die Migration aus Arabien selbst größtenteils schon zur Zeit des Todes von Kalif Umar im Jahr 644 vorüber; spätere Abwanderungen, bei denen die amsār im Irak und in Ägypten als Sprungbretter dienten, waren zweitrangig. Außer Zweifel steht, dass Arabien in kaum mehr als einem Jahrzehnt einen Gutteil seines „Talents“ verloren hatte und dass es eine kulturelle Versteppung erfuhr. Diese sollte sich beschleunigen, als in
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den 650er-Jahren die Kalifenhauptstadt nach Damaskus im fernen Norden des arabischen Subkontinents verlegt wurde. Sieht man sich eine Überblicksdarstellung der arabischen und Araber-Kultur an, wie etwa Ibn Challikāns großartiges biografisches Handbuch Wafayāt al-aʿyān (Die Söhne der Zeit. Auszüge aus dem biographischen Lexikon „Die Großen, die dahingegangen“) aus dem 13. Jahrhundert, so fällt auf, dass die Arabische Halbinsel im Leben derer, die ungefähr nach dem ersten islamischen Jahrhundert starben, kaum vorkommt, außer als Wallfahrtsort. Die amsār und insbesondere al-Basra und al-Kūfa wurden die neuen intellektuellen wie militärischen Zentren: „Außer in diesen beiden Städten besitzen die Araber keine gelehrte Tradition“, klagte im 10. Jahrhundert ein Kritiker.152 Schon im frühen 9. Jahrhundert konnte der Antiquar und Literaturkritiker al-Asmaʿī über Medina sagen: „Ich habe lange Zeit dort verbracht und nicht eine einzige korrekte antike Ode gefunden. Alle waren voller Fehler oder waren Fälschungen.“153 Noch älter und am vernichtendsten war die Antwort des kufanischen Gelehrten Ibn Schubruma im 8. Jahrhundert auf die Prahlerei eines Gelehrten in Medina: „Die Gelehrsamkeit ging von unserer Stadt aus!“ „Ja“, sagte Ibn Schubruma, „und sie kam nie zu euch zurück.“154 Es ist klar, dass Arabien einen schweren kulturellen Aderlass erlitt. Den Einfluss des Exodus auf den arabischen Genpool kann man nur vermuten, nicht beziffern. „Die Seelen der Ehrgeizigen“, sagte ein anonymer Dichter, sind bestrebt, hohe Positionen zu erlangen, während die Glücklosen bestrebt sind, zu Hause zu bleiben.155 Ein anderer Dichter ging noch weiter: Die Daheimbleibenden, sagte er, seien wie „die Bewohner von Gräbern“.156 Persische Bräute mögen in der ersten Eroberungswelle frisches Blut gebracht haben, aber vom Ende des 7. Jahrhunderts an wurde der größte Teil der Insel der Araber immer abgeschiedener. In Mekka kam es im Zuge der Pilgerreisen zu genetischen Vermischungen, ebenso in den nach außen orientierten Teilen der arabischen Küste, der antiken fruchtbaren Randzone. Aber die Berge und Täler des Südens und Ostens und die Steppe des Landesinnern wurden stetig inzüchtiger und in sich gekehrter. Für die nächsten 1000 und mehr Jahre verabschiedete sich die Arabische Halbinsel aus der Geschichte. Was die ehrgeizigen Seelen betrifft, so entfiel ein Ansporn für ihren Ehrgeiz beinahe augenblicklich, als Kalif Umar ein Fürsorgesystem einrichtete, mit
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Z uwendungen und Pensionen, die aus den reichlichen Erträgen der Eroberung finanziert wurden. In deren Genuss kamen alle Muslime, die beim Aufbau des Staates von Medina, in den Ridda-Kriegen und nun bei den Eroberungen im Zuge der weiteren Expansion irgendeine Rolle gespielt hatten. Die Summen bewegten sich meist zwischen 500 und 1000 Dirham jährlich und waren vererbbar.157 Es ist schwer zu sagen, welchem Kaufwert sie heute entsprächen, aber seinerzeit konnte man von ihnen leben. Wie zu erwarten, wurde Umar gewarnt, dass Leute irgendwann von Almosen abhängig würden, worauf er mit entwaffnender Offenheit erwiderte: „Das ist unvermeidlich.“158 Seine Vision eines Wohlfahrtstaates war weitreichend und umfasste auch Unterhaltszahlungen für Kinder;159 seine wirtschaftlichen Neuerungen gingen so weit, dass er erwog, „Banknoten“ in Form von Kamelhaut-Dirhams auszugeben.160 Falls der Text seiner Empfehlung an seine Nachfolger echt ist, dann hegte Umar die besten Absichten: Seine Ratschläge zeigen, dass er beabsichtigte, die revolutionären sozialen und ökonomischen Perspektiven von Mohammeds Projekt weiterzuentwickeln, durch Investitionen in die neuen Städte und durch Besteuerung der Reichen und Umverteilung zugunsten der Armen. Er schloss mit einem Koran-Zitat: Was Gott seinem Gesandten als Beute von den Stadtbewohnern gab, das ist für Gott, für den Gesandten, für die Verwandten, die Waisen, die Armen und den Kämpfer, damit es nicht herumgereicht wird unter den Reichen von euch.161 Und den Worten: „Und verschließt eure Tür nicht im Angesicht der Menschen, damit der Starke nicht den Schwachen verschlingt.“162 Natürlich wurde Umars Ratschlag nicht beachtet. Die Schwachen wurden vielleicht nicht vollständig verschlungen – irgendjemand musste da sein, um die Drecksarbeit für die Starken zu verrichten; aber die Reichen begannen ihr unvermeidliches Spiel, den Reichtum, der aus den eroberten Ländern in die imperiale Hauptstadt Medina floss, untereinander hin und her zu schieben. (Das koranische Wort für „etwas, das herumgereicht wird“, dūla, ist fast identisch mit dem Wort, das bald für „Dynastie, Staat“ benutzt werden würde, daula.) Weil so viel Beute und Macht im Spiel waren, spaltete die Verteilung des Raubguts außerdem die Loyalitäten und zersetzte die alte Kultur der Großzügigkeit. Araber würden nur groß bleiben, prophezeite der Weise al-Ahnaf etwa um diese Zeit, „wenn sie das Schwert umgürten, den Turban aufsetzen und auf ihren Pferden davonreiten. „Und“, fuhr er fort, „wenn … sie niemals gegenseitige Großzügigkeit für einen Fehler erachten.“163 Doch irgendwann wurden die
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alten Tugenden ein Opfer der schieren Menge an schnödem Mammon. Die Reichtümer in eroberten Ländern wurden „de-thesauriert“ – aus den Schatzkammern geholt und in Münzgeld verwandelt –,164 und nicht wenig von dem Bargeld fand den Weg zurück nach Arabien und in die geräumigen Taschen der Wenigen. „An dem Tag, als Uthmān getötet wurde“, berichtet al-Masʿūdī über Umars Nachfolger als Kalif, befanden sich 150 000 [Gold-]Dinar und 1 000 000 [Silber-]Dirham in Händen seines Schatzmeisters. Der Wert seiner Landgüter … betrug 20 000 Dinar. Der achte Teil des Gutes von al-Zubair belief sich nach seinem Tod auf 50 000 Dinar. Dazu hinterließ er 1000 Pferde und 1000 Dienerinnen. Talhahs Einkünfte aus dem Irak betrugen 1000 Dinar pro Tag, und seine Einkünfte aus der Region von al-Schāra betrugen mehr als das …165 Und so geht die Liste immer weiter. Zwar war Uthmān schon in jungen Jahren ein vermögender Kaufmann gewesen, aber immerhin waren dies die Revolutionäre, die bei Mohammeds Vorhaben von Beginn an mit von der Partie gewesen waren; ihnen haftet ein Hauch von etwas an, das man unter anderen Umständen als „Champagner-Sozialismus“ bezeichnen würde. (Umar hingegen, das muss man sagen, teilte die Verachtung des Propheten für Reichtum. Als er einmal als Kalif auf Pilgerfahrt ging und 16 Dinar ausgab, hielt er sich für extravagant.166) Die Parameter für Reichtum und Wohlstand erweiterten sich mit den Horizonten des Reiches. Zu einer anderen Gesellschaftsschicht als die Nomenklatura des frühen Islam und zu einer späteren Zeit gehörte ein Richter, der im 9. Jahrhundert von der Gemahlin eines Kalifen ein Geschenk von Gold und Silber erhielt. Seine Einstellung dazu veranschaulicht den Wandel, der Araber erfasst hatte. Ein Freund des Richters wies ihn auf die Aussage des Propheten hin, wonach Geschenke mit den engsten Freunden zu teilen seien. „Ach“, sagte der Richter, sein Präsent fest umklammernd, „das war in den Zeiten, als Geschenke aus saurer Milch und Datteln bestanden.“167 Doch solche Knauserigkeit war besonders unklug, wenn der Freund ein Dichter war und sie für die Nachwelt dokumentieren konnte: „Sei gegrüßt, großer amīr!“, sind Worte, die zu dir, Zaid Ich niemals sagen werde. Nein; eher fändest du mich tot. Köstliche Puddings verschlingst du im Privatgemach Und bewirtest deine Gäste mit der Armen Gerstenbrot.
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Ein Schaffellmantel und Rohhautsandalen waren einst der ganze Putz, den du hofftest zu besitzen. Aller Ruhm sei Ihm, der Macht dir gab, Und dich lehrte, auf einem Thron zu sitzen!168
Viele Bücher in einem Buch Wenn die gerechten Ideale des antiken Arabien und des eben erst entstandenen Islam Opfer der neuen Sitten waren, so würde ihr größtes Opfer die Einheit sein, die Mohammed zustande gebracht hatte. Das Feuerrad würde weiterrollen, und einen ordentlichen harten Schubs würde es von Uthmān erhalten, jenem ersten Plutokraten der islamischen Hälfte der überlieferten arabischen Geschichte. Umar wurde unter undurchsichtigen Umständen von einem Sklaven umgebracht.169 Weitsichtiger als seine Vorgänger hatte der ermordete Kalif ein Komitee zur Nominierung eines Nachfolgers berufen.170 Der von seinen Mitgliedern ausgewählte Uthmān war ein Nachfahre von Umāyya, dem im 6. Jahrhundert lebenden Stammvater des Clans, der Mekka in den letzten Jahrzehnten der „Unwissenheit“ geführt hatte. Er war somit der erste umayyadische Kalif, ist aber zumindest in sunnitischen Kreisen der Schmach entgangen, welche die kommende Dynastie der Umayyaden heimsucht. Doch wie wir sehen werden, erlangte er selbst traurige Berühmtheit; aber sein Anspruch auf Ruhm gründete sich hauptsächlich darauf, dass er den Koran in die Form brachte, in der wir ihn heute besitzen, womit er einen unschätzbaren Beitrag zur arabischen kulturellen Einheit leistete. Der erste Kalif, Abū Bakr, hatte „den Koran zwischen Buchdeckeln zusammengetragen“171 – zusammengetragen, aber nicht inhaltlich strukturiert. Uthmān und ein redaktionelles Kernteam, allesamt Leute, die Mohammed persönlich gekannt hatten, machten sich nun daran, einen einheitlichen Text der heiligen Schriften zusammenzustellen, aufzubereiten, zu kanonisieren und zu verbreiten. Anfangs waren all jene unzufrieden, die eine Generation lang als Koran-Rezitatoren fungiert hatten. Gestützt auf ihre Erinnerungen (und zweifellos ergänzt um nicht gesammelte, unkanonische geschriebene Texte), hatten sie die Kontrolle über das „Wort Gottes“ ausgeübt. „Der Koran war viele Bücher“, sagten sie. Jetzt, klagten sie, „hast du [Uthmān] außer einem alle abgeschafft“.172 Ihre Klagen blieben unerhört. Originalkopien, wahrscheinlich im Großformat und sicherlich auf Pergament geschrieben in der später „Kufi“ genannten kantigen Monumentalschrift, wurden in alle Ecken des Reiches verschickt; davon wurden Zweitkopien angefertigt und an Moscheen verteilt, wohin Einzelpersonen Blätter brachten, zum stückchenweisen Kopieren durch moscheeeigene
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Schreiber.173 Die arabische Verlagsbranche hatte bislang nur ein einziges Buch produziert. Aber den Auftrieb für die Lese- und Schreibfähigkeit kann man sich vorstellen. Ebenso wichtig war, dass dieser einzelne autorisierte Text die zentrale Rolle wenn auch nicht der Vereinigung der Araber, so doch bei der Vereinheitlichung des Arabischen spielen würde: Wie uneins sie auch untereinander sein mochten, die umma, der Superstamm, besaß nun eine standardisierte schriftliche Fassung ihres Superdialekts, in dem man sich Wortgefechte liefern konnte. All dies war notwendig, weil das Arabische, wie wir gesehen haben, allmählich seine „Reinheit“ verlor – oder, um ehrlich zu sein, fortfuhr, sich zu verändern –, und zwar auch in Mekka und Medina, jenen Bastionen der Eloquenz.174 Für Araber in der Diaspora war die Gefahr der Veränderung noch größer. Die Sprache hatte ihnen Identität geschenkt und anschließend, über Mohammed und den Koran, Einheit. Aber gerade der Erfolg dieser Einheit hatte sie in alle Winde zerstreut – und ausgedünnt: Sie liefen Gefahr, durch ihre eigene Mobilität aufgelöst zu werden. Jene oben erwähnten 33 000 Nachfahren von al-Abbās waren in der männlichen Linie arabisch, aber in ihren weiblichen Linien waren sie verwirrend gemischtrassisch; Muttersprachen vervielfachten sich über Generationen hinweg – Aramäisch, Persisch, Türkisch, Koptisch, Griechisch, die Berbersprachen und weitere. (Wir werden auf dieses Thema der Verzweigung von Muttersprachen und die Fähigkeit, Kreuzungen hervorzubringen, zurückkommen.) Uthmāns autorisierte Koran-Ausgabe stellte zumindest sicher, dass eine einheitliche Form des Schriftarabischen und somit der arabischen Kultur nicht nur überdauern, sondern auch gedeihen würde. „Koran und Sunna … bewahrten die arabische Sprache“, wie Ibn Chaldūn es formulierte.175 Aber die politische Einheit der Diaspora-Araber zu bewahren sollte eine weit beängstigende Herausforderung sein. Und die vorerst größte Herausforderung von allen wäre der Erhalt der Einheit zu Hause, in Medina.
Die Einheit zerbricht Während arabische Armeen weiter über die Kontinente vorrückten, begann der Konsens ihrer Führer in Medina zu zerbrechen. Es ist großartig, Dinge in Dichotomien zu betrachten, wie Sunna versus Schia, und Gründe zurückzuverfolgen bis zu einzelnen letztendlichen Ursachen, wie der legendären blutigen Trennung der als siamesische Zwillinge verbundenen Ahnen Hāschim und Abd Schams.176 In Wahrheit gibt es natürlich zahllose ergänzende Faktoren, die zu der heraufziehenden Uneinigkeit beitragen; ebenso wie sich saubere Dichotomien in einem diskursiven Delta verzweigen. Doch wenn man sich die ersten Jahre nach Mohammed ansieht, so war das Hauptproblem kein programmati-
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sches oder religiöses, es ging nicht um die Doktrin oder Glaubenslehre; all das wurde vom segensreichen Willen Allahs kontrolliert. Das Problem war eines von Macht und Autorität, das um die Frage kreiste, wer König der Burg sein sollte. Es gibt eine Geschichte über Mohammeds ersten Nachfolger, den gesetzten und frommen Abū Bakr, die den Charakter des kommenden Machtkampfs andeutet. Zu Anfang seines Kalifats hatte er Grund, sich über Abū Sufyān zu beschweren. Abū Bakrs Vater lebte damals noch, ein alter Mann von über 90. Als er die erhobene Stimme seines Sohnes hörte, fragte er: „Wen schreit mein Sohn an?“ „Abū Sufyān“, sagte man ihm. Daraufhin ging der alte Mann zu Abū Bakr und sagte: „Atiq Allāh [der Name, mit dem sein Vater ihn immer gerufen hatte], du erhebst deine Stimme also gegen Abū Sufyān, der noch gestern in der ‚Unwissenheit‘ der Gebieter der Quraisch war? Du hast die Schwelle guten Benehmens überschritten und bist über deine Stellung hinausgegangen!“ Bei diesen Worten lächelten Abū Bakr und die Mekkaner und Medinenser, die bei ihm waren, und Abū Bakr sagte: „Vater, mit dem Aufkommen des Islam hat Allah manche Menschen erhöht und andere erniedrigt.“177 Wie sich herausstellte, würden die vorübergehend erniedrigten Umayyaden bald wieder zu ihrer früheren Stellung erhöht werden. Aber für den Augenblick sah es so aus, als hätte der Islam gleiche Rahmenbedingungen geschaffen, auch wenn alle Akteure aus Mohammeds Stamm der Quraisch kamen. Abū Bakr, der dem recht entfernt verwandten quraischitischen Clan der Taim gehörte, hatte in seinem zweijährigen Kalifat weder besondere Feindseligkeit gegenüber den Umayyaden noch eine spezielle Vorliebe für die Haschimiten an den Tag gelegt; mit einigen der Letzteren hatte er es sich sogar verscherzt, als er Mohammeds nächste Angehörige von einem Anteil an dem für den Kalifen bestimmten Fünftel der Beute ausschloss.178 Auch Umar, der einer anderen Nebenlinie der Quraisch angehörte, war ein unparteiischer Herrscher gewesen. Mit dem wohlhabenden Uthmān, dem ersten aus dem umayyadischen Clan der Quraisch, der wieder aufstieg, begannen die Dinge sich zu ändern. Obwohl Uthmān einer der „Rechtgeleiteten Kalifen“ war (wie die ersten vier Nachfolger Mohammeds auch genannt werden), scheint ihm nach etwa der Hälfte seines zwölfjährigen Kalifats das Gespür für die Richtung abhanden gekommen zu sein: Dass er just zu diesem Zeitpunkt das zur Beurkundung staatlicher Dokumente verwendete Siegel Mohammeds verlor, das er in einen Brunnenschacht fallen ließ, galt manchen als Symbol für diesen Orientierungs-
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verlust.179 Abgesehen von bösen Vorzeichen, unternahm er nichts gegen die sich ausbreitende Korruption und verbannte Hinweisgeber.180 Schlimmer war, dass er seine eigene umayyadische Verwandtschaft mit Traumjobs begünstigte. Die Statthalterschaft Syriens lag bereits in umayyadischen Händen, denen von Abū Sufyāns Sohn Muʿāwiya; auch die Herrschaft über die irakischen Machtbasen al-Basra und al-Kūfa und über Ägypten übertrug er seinen Verwandten. In Medina umgab er sich mit umayyadischen Ratgebern. Man könnte versuchen, ihn mit der Begründung zu verteidigen, dass er über seine eigenen engen Verwandten bessere Kontrolle ausüben konnte, aber keiner seiner zwei Vorgänger als Kalifen hatte solche Maßnahmen für notwendig gehalten und für viele war es unverhohlener Nepotismus. Der ironische Kommentar von Amr ibn al-Ās, der die Eroberung Ägyptens federführend geplant hatte, fasst die allgemeine Haltung zusammen. Wegen seines extravaganten Lebensstils von Umar als Statthalter von Ägypten abgesetzt, wurde Amr nun die Stelle als Militärbefehlshaber am Nil angeboten, während Uthmāns umayyadische Stellen Ausgaben kontrollieren würden. „Dann“, sagte Amr, „wäre ich wie jemand, der die Kuh bei den Hörnern hält, während euer Statthalter sie melkt.“181 Die großen arabischen Eroberungen wirkten allmählich wie ein riesiges Lehen für einen kleinen vorislamischen Herrscherclan eines einzigen arabischen Stammes. Als einer von Uthmāns Statthaltern im Irak die riesigen und seit Langem begehrten Palmenhaine des Sawād als „den Garten der Quraisch“ bezeichnete, änderte diese Äußerung kaum etwas an dem Bild. Im Jahr 656 meuterten arabische Truppenkontingente in den Provinzen. Sie klagten über Korruption und Ungleichbehandlung, und viele marschierten nach Medina: Sie hofften, ihr Anliegen dem Kalifen vortragen zu können, der schließlich zu den ersten Anhänger Mohammeds gezählt hatte und ungeachtet dessen, was spätere Apologeten seine „entschuldbaren Fehler“ nennen würden, für seine Frömmigkeit bekannt war. Führend unter den Marschierenden waren Soldaten aus der Milchkuh Ägypten. Uthmān gab ihren Forderungen statt und schickte sie nach Hause. An dieser Stelle wird die Geschichte hässlich: Er hatte den Anführern der ägyptischen Araber einen Brief mitgegeben, und als sie diesen öffneten, so heißt es, fanden sie die Anweisung, dass sie, die Überbringer, bei ihrer Rückkehr in das Land des Nils ergriffen und hingerichtet werden sollten. Nun machten sie stattdessen kehrt, marschierten auf Medina zu – und nicht bloß dorthin –, belagerten Uthmān in seinem Haus und töteten ihn schließlich im Juni 656. Eine solche Folge von Ereignissen – schleichende Korruption und Nepotismus, die Trägheit und das Schweigen der Mehrheit, die lautstarke Unzufriedenheit der wenigen, Konfrontation, Beschwichtigung, Betrug, das gewaltsame
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Ende, das mehr Gewalt hervorbringen wird … – sie ist kaum auf die arabische Geschichte beschränkt. Aber der außerordentlich monistische Charakter des Islam hatte ihr nun eine zusätzliche Dimension verliehen: Allah ist Einzig, Allah ist die Wahrheit, daher ist die Wahrheit Einzig. Dies war der unverblümte Syllogismus, mit dem Disputanten angefangen hatten, einander zu bearbeiten, jeder davon überzeugt, dass er absolut, unerschütterlich im Recht sei. Das Muster zieht sich durch die Geschichte und ist heute überall in der arabischen Welt vielfach sichtbar; ich kann es hier beobachten, in meinem Adoptivland. „Die Ermordung des Kalifen Uthmān“, schrieb Adonis, war das Signal für das Leben des Islam, einen Kampf einzugehen, in dem jede Seite [einer Debatte] die andere zurückwies. Politik und Kultur waren weniger geprägt durch Wortstreit … als durch Ablehnung, und jede Seite glaubte, gemäß der absoluten Wahrheit zu handeln, während ihr Gegenüber vollkommen im Unrecht sei.182 Aber wenn die Ansprüche auf die Wahrheit auch neu waren, so folgen die Ereignisse, die zur Ermordung Uthmāns führten, zugleich dem klassischen Zyklus des Feuerrads: ein Streit über Raubgut, ein Riss in der Nabe des Feuerrads, der sich verbreiternde Riss, ein Ende der Einheit. In diesem Fall wurde der Riss direkt proportional zu Mohammeds Erfolg bei der Schaffung dieser ersten großen Einheit vergrößert. Der Riss zieht sich durch die alle Zeiten bis in die Gegenwart, und wenn wir uns saubere dogmatische Dichotomien wie Sunna/Schia ansehen, dann untersuchen wir lediglich Symptome. Das Grundproblem ist, wer bekommt die Macht – und das Geld, das Prestige und alles andere, was damit einhergeht. Diese Frage beherrschte die nächsten vier Jahre arabischer Geschichte. Ein Teil des Problems war, dass der neue Kalif – Mohammeds Cousin ersten Grades und Schwiegersohn Ali – anscheinend weder an Geld noch an Macht interessiert war. Wie Umar machte er sich an die gerechte Verteilung von Reichtum, aber im Gegensatz zu Umar leerte er dabei die Staatskasse; und er machte von Uthmān vorgenommene Landschenkungen für seine Kumpane rückgängig.183 Und wiederum wie Umar erfasste auch er die geistlichen Implikationen des Islam; aber besser als irgendeiner seiner Zeitgenossen konnte er diese Implikationen auch in Worte fassen. „Wie weit ist es von der Erde bis zum Himmel?“, wurde er gefragt. „Ein erhörtes Gebet.“ „Und von Ost nach West?“ „Eine Tagesreise für die Sonne.“184 Der Islam, meinte Ali, habe den Himmel nahe gebracht und die Winzigkeit der Welt in ihrem kosmischen Kontext offenbart. Aber der Islam hatte den Keim zu einem ausgedehnten und wachsenden weltlichen Reich vol-
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ler Reichtum gelegt, in dem himmlische Angelegenheiten nicht oben auf der Tagesordnung standen. Ali war der perfekte Kandidat, um zu regieren, was Ibn Chaldūn die „seltene und ferne … Hypothese“ nennen würde, die Idealstadt der Philosophen.185 Andere jedoch trachteten danach, ein Gemeinwesen zu führen, das eher einer quraischitischen AG ähnelte. Zwei dieser anderen, Talhah und al-Zubair, nahmen eine herausragende Position in al-Masʼūdīs „Liste der Reichen“ ein, jener Gefährten Mohammeds, die Vermögen anhäuften.186 Die dritte im Bunde war Mohammeds Lieblingsfrau Aischa, die Tochter von Abū Bakr. Auch sie waren unzufrieden gewesen mit der Herrschaft Uthmāns, hatten sich jedoch von der Gewalt gegen ihn distanziert. Nun konnten sie Ali der Komplizenschaft an der Ermordung des alten Anführers bezichtigen; der hatte sich unklugerweise von einer Gruppe ins Kalifat wählen lassen, zu der auch einige der Mörder seines Vorgängers gehörten. Aischa, Talhah und al-Zubair riefen nun nach islāh, „Reform“ – jenes schwammige, aber wirkmächtige Schlagwort von Solidaritätsschöpfern durch alle Zeiten –, scharten eine Gruppe von Anhängern um sich und machten sich auf den Weg in den Irak, um dort eine Machtbasis zu errichten. Ali verfolgte sie, und alles mündete in weitere Gewalt, für welche die Formel „für beide Seiten verlustreich“ hätte geprägt worden sein können. Auf dem Höhepunkt dieser Gewalt, der sogenanntem Kamelschlacht im Dezember 656, stellte sich Mohammeds Lieblingscousin, der Witwer seiner Lieblingstochter, seiner Lieblingsfrau entgegen, der Tochter seines besten Freundes. Die Schlacht hat ihren Namen von Aischas Anwesenheit im dichtesten Kampfgetümmel, in der Tradition vorislamischer Seherinnen,187 „auf einem Kamel in einer aus Brettern gezimmerten Sänfte, bedeckt von dickem Haarstoff und Rinderhäuten, worunter sich eine Schicht Filz befand, das Ganze bedeckt von einem Kettenhemd“.188 Bis zum Ende der Kämpfe „waren 70 Männern die Hände abgehackt worden, während sie versuchten, das Halfter des Kamels zu packen … und die Sänfte war derart gespickt mit Wurfspießen und Pfeilen, dass sie aussah wie ein Stachelschwein“.189 Die Nachricht von der Schlacht flog zurück nach Medina – im wahrsten Sinne des Wortes, wie es heißt, in Gestalt einer jener abgehackten Hände, die den Siegelring ihres Besitzers trug und von einem Geier befördert wurde.190 Aber die Bewohner der Hauptstadt wurden über das Ergebnis im Unklaren gelassen. Auf dem Schlachtfeld jedoch war es eindeutig: Unter den 7000 Toten – eine „vorsichtige“ Schätzung191 – waren Talhah und al-Zubair, die streitlustige Aischa überlebte, kämpfte aber niemals wieder. (Obgleich sie bald nach der Schlacht versuchte, sich in einen anderen Streit einzumischen, als sie auf einem Maultier mitten ins Kampfgetümmel ritt. Aber einer der Medinenser nahm sie sanft beiseite und sagte: „Bei Allah,
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wir haben uns noch nicht den Staub von der Kamelschlacht von unseren Köpfen gespült, und bald schon wird man über die Maultierschlacht reden.“ Und Aischa lachte und ritt davon.192) Fürs Erste war es ein Sieg für Ali; vielleicht für die egalitäreren Aspekte des Islam über ältere maßgebliche Kreise. War es auch die Niederlage eines möglichen Wiederauflebens weiblicher Autorität? Gewiss hatten Frauen in vorislamischen Zeiten größere öffentliche Macht ausgeübt; auch in der „Apostasie“ hatte die Prophetin Sadschāh eine eindrucksvolle Anhängerschaft um sich geschart. Im Fall von Aischa ist die Frage reinste Spekulation. Aber diese Spekulation scheint damals in Umlauf gewesen zu sein: Einem Bericht zufolge sagte ein Kämpfer auf Aischas Seite, als er starb, dass er „von der Frau, die ‚Kommandeur der Gläubigen‘ sein wollte, betrogen“ worden sei.193 Ein weiblicher Kalif … das ist allerdings ein Was-wäre-wenn, wie es im Buche steht.
Korane an Lanzen Am Ende sollte es nicht der Geist des vorislamischen Matriarchats sein, der den Führungstitel errang, sondern der Lieblingssohn der vorislamischen mekkanischen Oligarchie. Muʿāwiya – der Sohn von Abū Sufyān, „der erst gestern“, wie die ältere Generation sich große Mühe gegeben hatte, die jüngere zu erinnern, „… der Gebieter der Quraisch gewesen war“ – hatte sich bereits als Statthalter von Syrien fest etabliert. Jetzt forderte er Rache für die Ermordung seines umayyadischen Verwandten Uthmān, und Ali hielt er für einen der Beteiligten an der Tat. Vergessen wir für einen Moment spätere Dogmen und Glaubenslehren, Sunna und Schia: Es war eine altmodische Clan-Blutfehde, allerdings in vergrößertem Maßstab – Superclans tragen Superfehden aus. Und es war eine Kehrseite von Mohammeds Wunder: je bedeutender das Zusammenkommen, desto schlimmer das Auseinandergehen. Denn gegen den Kampf um den Titel des Kalifen würden die erbittertsten antiken „Tage der Araber“ im Vergleich wie ritterliche Geplänkel anmuten und die ausschlaggebenden Schlachten und Überfälle, die den islamischen Staat begründeten, wie Sandkastenraufereien. Die „Kamelschlacht“ würde daneben wirken wie ein vorbereitendes Handgemenge. Selbst die entscheidenden, Reiche ruinierenden Schlappen von alYarmūk und al-Qādisiyya waren weniger blutig. Die Schlacht von Siffīn wurde im Jahr 657 über fast vier Monate auf dem rechten Ufer des Euphrats gegenüber von al-Raqqa ausgetragen.194 Sie begann wie eines jener antiken Geplänkel, mit kleineren Scharmützeln und poetischen Hänseleien. Ali beispielsweise verspottete Muʿāwiya (und seine berüchtigte, leberkauende Mutter Hind):
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Wo steckt dieser Muʿāwiya? Ich will ihn bezwingen Im Kampf und sehe ihn doch nirgendwo ringen. Wo steckt dieser schlitzäugige Fettbauch? Keiner tut es mir kund: Seine Mutter schleuderte ihn und sich in den Höllenschlund!195 Bald wurde das Ganze zu einem verzweifelten Ringen um ein bereits zu diesem Zeitpunkt gewaltiges Reich. „Es waren Kampfhandlungen“, sagt al-Masʿūdī, … wie sie noch nie stattgefunden hatten. In einem bestimmten schriftlichen Bericht über die Ereignisse bei Siffīn entdeckte ich, dass Hāschim al-Mirqāl, nachdem er zu Boden geworfen worden war … in seiner Nähe Ubaid Allāh ibn Umar erblickte, ausgetreckt und verwundet. Haschim kroch herüber zu ihm, und da er keine Waffen und auch keine Kraft mehr hatte, begann er an seinen Brustwarzen zu kauen, bis er sich in eine von ihnen verbiss. So wurde er gefunden, tot, auf Ubaid Allāh liegend.196 Es wäre schwer, diese Art von Details zu erfinden. Andere Angaben – dass Ali zum Beispiel an einem Tag und in einer Nacht höchstpersönlich 523 Feinde erschlug197 – klingen weniger glaubhaft. Doch als die Schlacht weiterwütete, ihrem Höhepunkt entgegen, verschwanden alle Details in einer sich herabsenkenden Dunkelheit: Der Tag brach an, und sie kämpften immer noch. Dann wurde die Sonne verfinstert, und der Staub stieg auf, und die Banner und Standarten wurden eingeholt, und sie wussten die Zeiten des Gebets nicht mehr.198 Mit den „Farben“ und dem Licht verschwanden auch die Stammes- und sogar die persönliche Identität. Die Erleuchtung des Glaubens wurde für ungültig erklärt, der Ablauf der Zeit selbst aufgehoben. Die Dunkelheit hält sich dort noch heute: Es ist ein tausendjähriger Kriegsschauplatz, von den Zusammenstößen zwischen Babyloniern und Assyrern bis in die jüngste Gegenwart, als entfernte, mutierende Nachkommen von Ali und Muʿāwiya – ein schiitisch dominierter irakischer Staat und ein hypersunnitischer „Islamischer Staat“ – auf den endlosen, staubigen Ebenen um den endgültigen Sieg kämpften, und Raketen in al-Raqqa, der Hauptstadt des „Islamischen Staates“ in Syrien, einschlugen. Denkt man über Orte nach, so ähneln sie Menschen: Manche tendieren zum Glück, andere zum Leid.199
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Es ist schwer, durch die Düsternis hindurchzusehen, aber wahrscheinlich war Muʿāwiya dabei zu verlieren. Und dann entsann er sich einer Waffe in seinem Arsenal, die bislang noch nicht zum Einsatz gekommen war: das Buch Allahs. Jeder Mann auf Muʿāwiyas Seite, der ein Exemplar des Koran dabeihatte – 500 von ihnen –, befestigte es an seine Lanze und hielt es in die Höhe.200 (Die Idee fällt auch modernen arabischen Führern wieder ein, wie leicht abgenutzt ihr Glaube auch ist. Hier im Jemen kann man immer noch abgeblätterte und verblichene Fotos unseres früheren Präsidenten finden, wie er ein Exemplar des Koran schwenkt.) In Muʿāwiyas Fall scheint es angesichts des Großformats erhaltener früher Korane unwahrscheinlich, dass „Taschenausgaben“ existierten und dass die Krieger vollständige Exemplare des Buches an ihren Waffen befestigt haben könnten. Wahrscheinlich ist eher gemeint, dass sie einzelne Seiten oder Abschnitte, die sie als Amulette bei sich trugen, auf die Spitzen ihrer Lanzen steckten. Ali zeigte sich jedenfalls unbeeindruckt. „Sie sind keine KoranGläubigen“, betonte er.201 Aber seine Männer waren entschlossen, sich einem Schiedsspruch auf der Basis von Allahs Buch zu unterwerfen, und Ali fügte sich ihnen.202 Wie immer hatte das bezwingende arabische Wort gewonnen: Es übertrumpfte die Gewalt der Waffen auf Alis Seite und die Kraft des Arguments. Und die Szene auf dem Schlachtfeld von Siffīn lässt die widerstreitenden Wahrheitsansprüche ahnen, die im Lauf der Zeit von Sunna und Schia geltend gemacht werden sollten: auf der einen Seite die rhetorische Wahrheit, das geheiligte Wort, ebenso sehr Amulett oder Talisman wie Bedeutung; auf der anderen die apostolische Wahrheit, die einem lebendigen Menschen, einem lebenden Imam, verliehene Autorität. Als der Staub von Siffīn sich setzte, stellte man fest, dass im Lauf der 110 Tage dauernden Kämpfe 70 000 – die am häufigsten genannte Zahl – getötet worden waren, 45 000 auf Muʿāwiyas, 25 000 auf Alis Seite.203 Einige Experten jedoch schätzen die Gesamtzahl der Opfer des Gemetzels auf um die Hälfte mehr.204 Alle diese Zahlen sind wie immer zweifelhaft; aber es besteht kein Zweifel, dass Siffīn außerordentlich blutig und dass die Schlacht der Höhepunkt einer langen Serie von Gefechten zwischen den Kontrahenten war.205 Es wird behauptet, dass der Einsatz von Allahs Wort durch Muʿāwiya die Kämpfe beendete; ebenso wahrscheinlich ist, das es pure Erschöpfung war – jener unermüdliche Beförderer des Friedens. Von vielen seiner eigenen Anhänger unter Druck gesetzt, die alle von der Wahrheit seines Anspruchs überzeugt waren, stimmte Ali der Idee eines Schiedsverfahrens zu: Mit dem Koran als Leitfaden würden zwei Richter entscheiden, wer Kalif sein sollte.206 Die ganze Sache führte zu keinem Ergebnis. „Die Schlichter“, wie das prägnanteste Urteil es ausdrückt, „einigten sich auf
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gar nichts.“207 Die syrischen Araber erkannten Muʿāwiya als Kalifen an; die Iraker waren wütend, und einige widersetzten sich nun Ali wegen seines angeblichen faulen Kompromisses. Angesichts der gespaltenen Reihen der Opposition erfuhr Muʿāwiyas Kalifat allgemeinere Anerkennung. Immerhin hatte das Gemetzel ein Ende gefunden, zumindest vorläufig. Aber jene wunderbare, durch den Islam gestärkte erste und letzte arabische Einheit war nun dauerhaft zerrüttet worden. Die Bruchlinien sollten entlang tribaler und religiös motivierter Grenzen verlaufen – nicht dass die beiden immer klar zu unterscheiden sind: Eine Sekte ist oft eine Metapher für einen Stamm. Mohammed hatte angeblich prophezeit, dass seine Gemeinschaft sich in 73 Sekten aufspalten würde208 – eine vorsichtige Schätzung. Das möglicherweise längste Gedicht auf Arabisch, eine verlorenen Ode aus dem 9. Jahrhundert, deren 4000 Zeilen auf dem langweiligen Monoreim -nā enden, war ein Katalog von Sekten und Sektierern.209 Bedauerlicherweise könnte diese Ode ein weiterer Kandidat für die Rolle des Nationalepos sein. Der taktische Einsatz des „Wortes“ hatte Muʿāwiya in der Schlacht von Siffīn eine Atempause verschafft; sein letztendlicher Sieg in der Schlacht um das Kalifat hatte wenig zu tun mit Glaube, Wahrheit, Recht oder vielleicht auch nur mit Macht. Es war ein Sieg des Alten über das Neue, des Ancien Régime der Quraisch über einen Zweig des Regimes, der etwas weniger ancien war; des – wie es in einem arabischen Sprichwort heißt – Dschinn, den man kennt, über den Menschen, den man nicht kennt. Muʿāwiya kannte die schlichte Tatsache hinter diesem entscheidenden Umschwung in der arabischen Geschichte: „Die Quraisch“, sagte er, „mochten mich mehr als Ali.“210 Weniger als 30 Jahre zuvor war Muʿāwiyas Vater in Medina Zeuge jener außerordentlichen Einheit gewesen. Jetzt hatte der Körper des Islam seine erste große Zellteilung durchgemacht, den Anfang eines Zerfalls- und Erneuerungsprozesses. Es hat Mutationen gegeben im Lauf der Zeit, aber die generellen Konturen blieben unverändert und haben, wenn auch nicht Arabern selbst, so doch der arabisch-islamischen Geschichte zu ihrer eigenen Einheit verholfen. Wenn man sich eine frühe Darstellung wie die von al-Masʼūdī ansieht, so fragt man sich manchmal, ob man ein Geschichtswerk oder einen Bericht über gegenwärtige Ereignisse liest. Sunniten bekämpfen Schiiten aus demselben Grund, buchstäblich und bildlich gesprochen, wie sie es heute tun. Gegnerische Seiten beanspruchen unter schwarzen oder weißen, grünen oder gestreiften Bannern dieselben Monopole auf Authentizität, auf Wahrheit. Das einfache Volk leidet und stirbt. George Santayanas berühmter Leitsatz lautet: „Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Doch manchmal
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ist das Problem, dass Geschichte nicht vergessen wird oder Menschen sich auf ihre am wenigsten erbaulichen Kapitel versteifen. Es ist ein Problem nicht bloß in Mesopotamien, sondern auch in Ulster und im Kosovo; die Banner können orangefarben sein oder sie können weiße Adler und schwarze Schrift zeigen. Dann wiederum kann die andere Option – den Schmutz der Vergangenheit unter den Teppich zu kehren – ebenfalls gefährlich sein. Arabische Schulkinder wissen Bescheid über al-Yarmūk und al-Qādisiyya, aber die Kamelschlacht und die Schlacht von Siffīn könnten durchaus auf ausdruckslose Gesichter stoßen. Der strahlende Glaube wird verbreitet, die dunklere Wahrheit wird verborgen. Vielerorts ist das Erbe eine Touristenattraktion; in der arabischen Welt „ist das Erbe … ein gesellschaftspolitisches Problem“.211 Nur selten wird es mit Abstand, mit Ironie untersucht; wie kann man eine Autopsie vornehmen, wenn ihr Gegenstand noch lebt? In Ländern wie den Vereinigten Staaten und Großbritannien, wo die Geschichte angeblich zu Ende ist, können Enthusiasten sie derzeit ohne Risiko wiederaufleben lassen: „Reenactment“-Gruppen, Neo-Ritter und Neo-Konföderierte, Neo-Unionisten und Neo-Roundheads (die „Rundköpfe“ des Englischen Bürgerkriegs), ausgerüstet mit Waffen aus der Zeit und Theaterblut, tragen die Schlachten vergangener Bürgerkriege aus. Die Enthusiasten von Siffīn tun dasselbe – aber das Blut ist echt und die Waffen sind hochmodern.
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Kapitel 8 Das Königreich von Damaskus: Umayyadische Vorherrschaft Eine Sammlung von Köpfen Gegen Ende des Jahres 691 reiste Abd al-Malik, Muʿāwiyas vierter Nachfolger als umayyadischer Kalif, von seiner Hauptstadt Damaskus in die irakische Stadt al-Kūfa. Musʿab, Bruder und Feldherr des langjährigen Rivalen der Umayyaden, des mekkanischen Gegenkalifen Abdallah ibn al-Zubair, war in der Nähe im Kampf getötet worden. Jetzt saß Abd al-Malik in der Audienzhalle des Statthalterpalastes und betrachtete nachdenklich Musʿabs abgetrennten Kopf. Einer der Kūfaner, die ihn begleiteten, erinnerte sich später: Abd al-Malik bemerkte, dass ich beunruhigt war, und fragte nach dem Grund. „O Herrscher der Gläubigen“, sagte ich, „ich kam in diesen Palast und sah, wie genau an dieser Stelle der Kopf von al-Husain vor Ibn Ziyād hingelegt wurde. Dann kam ich erneut und sah, wie der Kopf von Ibn Ziyād genau an dieser Stelle vor al-Muchtār hingelegt wurde. Dann kam ich abermals und sah, wie der Kopf von al-Muchtār vor Musʿab ibn al-Zubair hingelegt wurde. Und jetzt liegt hier der Kopf von Musʿab vor Euch – möge Allah Euch vor dem Bösen beschützen, O Herrscher der Gläubigen!“ Daraufhin erhob sich der Kalif und befahl, das Gewölbe über der Halle zu zerstören.1 Die Anekdote bringt einen Gutteil der ereignisreichen umayyadischen Geschichte auf den Punkt beziehungsweise auf vier Punkte. Der Besitzer des ersten Kopfes, al-Husain, war der Sohn des Kalifen Ali; sein Tod im Jahr 680 während eines schlecht geplanten Versuchs, Unterstützung gegen die Umayyaden-Dynastie zu mobilisieren, verschaffte der „Partei“ seines verstorbenen Vaters, schīʿat ʿAlī – kurz Schia –, ihren bedeutendsten Märtyrer. Al-Husain wurde gerächt, als sein Erzfeind, der umayyadische Statthalter Ubaid Allāh ibn Ziyād selbst 686 bei einem von dem frühen schiitischen Extremisten al-Muchtār angeführten Aufstand den Tod fand. Al-Muchtār wurde im darauffolgenden Jahr getötet, als große Teile des Irak unter die Herrschaft von Abdallah ibn al-Zubair fielen, der ein mit dem der Umayyaden konkurrierendes Kalifat mit Sitz in Mekka errichtet hatte. Jetzt, im Oktober 691, war Abdallahs Bruder und Statthalter im Irak, Musʿab, trotz Aussöhnungsangeboten aus Damaskus kämpfend untergegangen.
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All das war weit entfernt von dem drei Jahrzehnte zurückliegenden Jahr, als der erste Kalif der Umayyaden-Dynastie, Muʿāwiya, schlussendlich als der am breitesten anerkannte Führer des Arabertums aus dem unruhigen und blutigen Kampf um die Nachfolge hervorgegangen war. An jenes Jahr, 661, erinnerte man sich – ironischerweise, wie es jetzt aussah – als ʼam al-dschamāʿa, das „Jahr der Einheit“.2
Die Nase der Araber Das „Jahr der Einheit“ war von Anfang an Wunschdenken. Was es bedeutete, war erstens, dass das vormohammedanische mekkanische Establishment sich in Muʿāwiya, dem Sohn des prominentesten Anführers im heidnischen Mekka, erneuert und abermals Geltung verschafft hatte, auch wenn die Hauptstadt des Kalifats nach Damaskus verlegt wurde. Und zweitens, dass die meisten Menschen sich einfach in die Rückkehr zum Status quo ante fügten. Eine Generation früher war der Spieß von Mohammed umgedreht worden. Jetzt wurde er abermals umgedreht; die Revolution des Islam hatte eine vollständige Kehrtwende vollzogen, und Araber schritten zeitlich voran in ihre eigene Vergangenheit. Muʿāwiya bekräftigte erneut die erbliche Vorherrschaft seiner Familie, indem er seinen Sohn zu seinem Nachfolger bestimmte. Die Idee eines Kronprinzen kollidierte mit der islamischen Tradition, soweit vorhanden (bis dato verschiedene Formen von Wahl oder Ernennung, aber niemals eines Mitglieds der engsten Familie des vorherigen Amtsinhabers). Doch Widerspruch gegen die Ernennung regte sich nicht in Appellen an noch vage islamische Ideale, sondern an die festgefügte traditionelle Vorstellung von Adel. „Du würdest also“ beklagte sich der spätere Gegenkalif Abdallah ibn al-Zubair bei Muʿāwiya, „deinen Sohn gegenüber jenen fördern, die besser sind als er?“ „Ich nehme an, du meinst dich selbst“, sagte Muʿāwiya. „Nun ja unter den Geschlechtern Mekkas ist die Linie meines Sohnes der deinen überlegen.“ „Aber“, erwiderte Ibn al-Zubair, „mit dem Aufkommen des Islam erhöhte Allah bestimmte Abstammungslinien. Meine Linie ist eine von denen, die Er erhöhte.“ „Stimmt“, sagte Muʿāwiya. „Zusammen mit der Linie von Hātib ibn Abī Baltaʿa.“3 Muʿāwiyas abschließende scharfe Erwiderung hat drei Haken: Nicht nur war dieser Hātib südarabischer Herkunft und damit nach quraischitischen Kategorien von vorneherein gesellschaftlich gehandicapt, sondern er hatte seine Unterlegenheit auch selbst eingeräumt, indem er sich zum Klienten und damit
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zum Abhängigen von Abdallah ibn al-Zubairs Vater machte. Am treffendsten jedoch ist sein Name, der im Arabischen noch alberner klingt als in seiner deutschen Übersetzung: „Feuerholzsammler, Sohn des Vaters von Beißzange“. In der Theorie – zumindest in der späteren Theorie – hatte Mohammeds Revolution das gesamte Fundament und die Ausrichtung der arabischen Gesellschaft verlagert, von einer tribalen zu einer theokratischen Organisationsform. Dīn und sunna hatten einen Bedeutungswandel erfahren: Statt wie einst die Ehrung der Ahnen und Stammesgottheiten meinte dīn nun die Verehrung des Einen Gottes, und sunna bedeutete jetzt, dass man statt den Stammeshelden dem Propheten Gottes nacheiferte. Die Revolution hatte Massenwanderungen ausgelöst und große Siege gebracht. Sie hatte die Völker Südarabiens unter ihre Schirmherrschaft gezwungen und Perser und Ägypter zu Mitgliedern der Familie des Islam gemacht. Sie hatte diese Völker Arabern gleichgestellt und Araber untereinander gleichgemacht. Überlegenheit, Vornehmheit, Adel konnten künftig nur noch aus Frömmigkeit, nicht mehr aus der Abstammung erwachsen. Und dennoch stritten hier zwei Angehörige desselben kleinen Stammes darüber, wessen unmittelbare Familie vornehmer sei. Es war derselbe Streit, den die quraischitischen Vorfahren Hāschim und Umāyya im vorislamischen „Zeitalter der Unwissenheit“ ausgetragen hatten, derselbe Disput, der durch die Jahrhunderte hindurch zu eitlen Gedichten angeregt und Blutfehden zwischen Cousins entfacht hatte.4 Die Revolution des Islam mochte die Dinge entlang der Peripherie umgekrempelt haben; die Umwälzung in der Mitte der Quraisch war weit geringer gewesen. Sie ist V. S. Naipauls Vorstellung von der Durkheimschen „konstanten Innenwelt“ nicht unähnlich – Naipaul spricht von den „äußeren und inneren Welten“ Indiens, wo Moguln und Briten, Buddhismus und Imperialismus kommen und gehen, ohne dass sich an den Lebensumständen des Einzelnen etwas ändert.5 Außerdem gibt es innere Welten innerhalb der inneren Welten, und die innerste kann recht klein sein und sich um Fragen drehen, wer ein feiner Pinkel ist und wer ein Prolet. Mohammed hatte vorausgesehen, was mit seiner Revolution passieren würde. „Nach mir“, soll er gesagt haben, „wird es für 30 Jahre ein Kalifat geben, und dann wird es einen König oder Könige geben.“6 Selbstredend können solche angeblichen Äußerungen von anti-umayyadischen Empfindungen spätere Autoren beeinflusst sein. (Die schriftliche arabische Geschichte begann erst unter den Abbasiden, die ihre umayyadischen Cousins an den Pranger stellten und verteufelten.) Aber es ist nicht zu leugnen, dass Muʿāwiya die von Mohammed geschaffene ʿasabiyya hernahm und sie neu auf sich selbst als Oberhaupt nicht des inklusiven und egalitären theokratischen Gemeinwesens, welches das islamische Ideal war, sondern als traditioneller arabischer König ausrichtete. Man
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könnte sich die Umayyaden, die erste der islamischen Dynastien, sogar ebenso als die letzte der vorislamischen arabischen Dynastien vorstellen. Die Umdeutung ist sichtbar in einer Legende über Muʿāwiyas Mutter Hind, die leberessende Xanthippe: Von ihrem ersten Ehemann des Ehebruchs beschuldigt, wurde sie von einem kāhin für unschuldig erklärt, der sodann prophezeite, dass sie einen König zur Welt bringen würde.7 Die Ankündigung sollte sich als wahr erweisen; sie übersieht lediglich die Rahmenbedingungen dieses Königtums, die Sache des Islam, der dazwischenkam. König Muʿāwiya machte da weiter, wo die vorislamische königliche Dynastie der Ghassaniden aufgehört hatte. (Der letzte ghassanidische König, den wir dabei erlebt haben, wie er den Islam annahm und dann wieder aufgab, zeugte ein Geschlecht, das den Kaiser Nikephoros I. hervorbringen sollte.8) Muʿāwiyas Untertanen in Syrien bestanden aus der derselben, größtenteils Aramäisch sprechenden, größtenteils christlichen Bevölkerung, über welche die Ghassaniden unter ihren byzantinischen Oberherren geherrscht hatten; weiter östlich waren die Menschen ebenfalls nicht islamisiert und nicht arabisiert. Natürlich folgten Muʿāwiya und seine Nachfolger der Linie von Mohammeds Ideologie. Schließlich war sie es, die das ganze imperiale Unternehmen autorisiert und den Umayyaden an der Spitze von allem die nötige Legitimität verschaffte. Aber die ideologische Grenze konnte sehr dehnbar sein, und viele der Umayyaden gaben sich unislamischen Freuden hin, wie etwa der „Tochter der Traube“ – Kalif al-Walīd ibn Yazīd beispielsweise soll einmal beim Hören eines Liedes so von Alkohol und Gefühl überwältigt gewesen sein, dass er darauf bestand, jedes Körperteil des Sängers zu küssen, einschließlich seines Penis.9 Allerdings überschritt al-Walīd die Grenze des Schicklichen, als er angeblich Pfeile auf eine Ausgabe des Koran abschoss und Mohammed einen Scharlatan nannte.10 Nicht umsonst wurde er chalīʿ der Banū Umāyya genannt, das schwarze Schaf einer ohnehin schon finsteren Dynastie. Man muss bei der Beurteilung der Umayyaden stets berücksichtigen, in welcher Weise sie rückblickend dämonisiert wurden. Aber es besteht kein Zweifel, dass alles in allem die weltliche Seite ihrer Herrschaft schwerer wog als die spirituelle. Die Religion hatte ihren Platz in dieser Herrschaft, aber sie war eine Verpflichtung und kein Vergnügen. Beispielsweise gehörte zu den Aufgaben des Kalifen, dass er beim Freitagsgebet eine Predigt hielt, und als Abd al-Malik – der uns bereits zuvor begegnet ist, als er nachdenklich Musʿabs abgetrennten Kopf betrachtete – sich beklagte, die öffentliche „Zurschaustellung seines Verstandes“ einmal pro Woche habe seinen eigenen Kopf vor der Zeit ergrauen lassen,11 hat man den Eindruck, dass er ehrlich war. (Wenn es einen Bereich gab, wo Religion tatsächlich zu einem Vergnügen – sogar einer Leidenschaft – wurde, dann war
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es, wie wir sehen werden, in den erbauten Monumenten der islamischen Legitimität der Umayyaden.) Verglichen mit seinen Nachfolgern war Muʿāwiya in seiner öffentlichen Rolle glücklicher; aber es war die Rolle des traditionellen arabischen Führers, nicht des Oberhaupts eines geistlichen Staates. Historiker, welche die Umayyaden schief ansehen, können nicht leugnen, dass der Erste aus ihrer Dynastie ein fähiger, zupackender Herrscher war. Er schlief wenig und lauschte ständig erbaulichen Geschichten aus der antiken arabischen Geschichte; selbst beim Essen hörte er sich die Beschwerden seiner Untertanen an; und er besaß eine Eigenschaft, die man nur bei den erfolgreichsten Anführern findet – hilm, eine Mischung aus Nachsicht, Gerechtigkeit, Klugheit, Gelassenheit und Mäßigung, ähnlich der gravitas der Römer.12 Und Muʿāwiyas Herrschaft verschmolz nicht nur mit der vorislamischen arabischen Vergangenheit: Für einen christlichen Mönch aus Mesopotamien weckte sie Erinnerungen an die byzantinische Herrschaft in ihrer guten alten Zeit: Die Gerechtigkeit blühte in seiner Zeit, und es herrschte ein großartiger Friede … Weder von unserer Vätern noch von unseren Großvätern haben wir jemals von einem solchen Frieden überall auf der Welt gehört.13 In erster Linie erinnert man sich an die Umayyaden, wie Patricia Crone es ausdrückt, wegen ihrer „pietätlosen Abweichung von einer bestehenden Tradition“.14 Dabei war diese „bestehende Tradition“ keine drei Jahrzehnte alt, als Muʿāwiya an die Macht kam; sie war noch dabei, sich langsam vorzutasten. Die Tradition des arabischen Königtums, von der er und sein Haus nicht abwichen, reichte gut drei Jahrhunderte zurück bis zum Anfang der lachmidischen Dynastie von al-Hīra. Und er ist außerdem Teil eines noch längeren Kontinuums. Muʿāwiya hätte der erste muslimische Dynast und der fünfte Kalif oder Nachfolger Mohammeds sein können; aber er war auch anf al-ʿarab, „die Nase der Araber“15 – ihr hervorstechendstes Merkmal, ihr Anführer –, und die arabische Geschichte unter ihm folgte weiter älteren Entwicklungslinien, so natürlich, wie man seiner Nase folgt.
Bei den Feigenbäumen! Bei den Olivenbäumen! Wie die Ghassaniden standen auch die Umayyaden mit einem Bein in jeder Welt, jener der badw und jener der hadar. Auch al-Dschābiyya, die ghassanidische Zelthauptstadt auf den Golanhöhen, wurde zur umayyadischen Machtbasis;16 dieselben nomadischen Araberstämme der Syrischen Wüste, die vor dem Islam für die Ghassaniden gekämpft hatten17 – und in der Schlacht von
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al-Yarmūk gegen die Muslime –, stellten ihre militärische Stärke nun in den Dienst der Umayyaden. Zu den umayyadischen Freizeitbeschäftigungen gehörten die beduinischen Aktivitäten der Rennbahn und der Jagd. Unter den von ihnen erbauten Monumenten befinden sich etliche verschwenderische „Jagdhütten“ – Miniatur-Lustschlösser mit Badehäusern und Fresken (einschließlich der gelegentlichen nackten Dame), die sich überall in der Syrischen Wüste finden, als wären sie von wunscherfüllenden Dschinn dorthin gesetzt worden. Auch darin waren ihnen die Ghassaniden zuvorgekommen.18 Aber ein umayyadischer Wüstenpalast wie Qusair Amra belegt, wie viel weiter die Horizonte nun geworden waren. Erbaut in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts von alWalīd, dem Sohn und Nachfolger Abd al-Maliks, sind seine Wandmalereien sowohl in Arabisch als auch in Griechisch beschriftet; sie zeigen nicht nur die allegorischen Darstellungen von „Geschichte“, „Dichtkunst“, „Philosophie“ und „Sieg“, sondern auch die Kaiser von Byzanz und Abessinien, den lange verstorbenen Schah von Persien und den erst unlängst besiegten Roderich, König der Westgoten in Hispanien.19 Die Kuppel des zum Badehaus gehörenden Caldariums versinnbildlicht noch weitere Horizonte, denn sie zeigt das Himmelsgewölbe. Qusair Amra ist eine von Menschenhand geschaffene Oase, in der während der Jagd getafelt und gebadet wurde. Der Palast fungiert aber auch als eine Art Camera obscura, denn er entwirft ein Panorama des arabischen Reiches während seiner überstürzten Expansion und zeigt, dass Araber nun Mitglieder des internationalen Klubs vergangener und gegenwärtiger Könige und Kulturen unter dem Himmel waren. Doch das Gewicht der Umayyaden, ihre Bedeutung, ruhte auf dem anderen, dem urbanen Bein – auf Damaskus, der in der gewaltigen Bewässerungsoase Ghuta gelegenen antiken Metropole. Angeblich erreichte Mohammed auf einer Handelsreise die Außenbezirke der Stadt, schreckte jedoch davor zurück, einen Fuß in ihre Fleischtöpfe zu setzen.20 Jetzt hatten die Kalifen, seine leichtsinnigen Nachfolger, gewagt, was der erfahrenere Prophet vermieden hatte. Verglichen mit Mohammeds Medina, war Damaskus Schlaraffenland oder Las Vegas, eine irdische Parodie des Paradieses. Einer von Muʿāwiyas Befehlshabern gegen Ali in der Schlacht von Siffīn, al-Nuʿmān ibn Dschabāla, brachte dies in einer ironischen Anspielung auf den Koran zum Ausdruck: „Bei den Feigenbäumen! Bei den Olivenbäumen! …“, schwört eine der frühen mekkanischen Suren, Wir erschufen den Menschen in vollendeter Gestalt, alsdann machten wir ihn zum Niedrigsten der Niedrigen – außer denen, die glauben und gute Werke tun, denen wird Lohn zuteil, nicht unverdient –21
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Weil er ahnte, dass er jene endlose Belohnung im Himmel verpassen könnte, indem er sich auf die Seite der weltlicheren der beiden Rivalen schlug, sagte alNuʿmān zu Muʿāwiya: „Wir werden für die Feigen- und Olivenbäume von Ghuta kämpfen, da wir uns der Früchte und Flüsse des Paradieses beraubt haben.“22 Ein anderer derjenigen, die ein Auge auf die von den Umayyaden gebotenen irdischen Versuchungen geworfen hatten, war Amr ibn al-Ās, Eroberer der Milchkuh Ägypten, der später aber seines Statthalteramtes enthoben wurde. „Ich werde niemals irgendetwas von meiner himmlischen Belohnung für dich aufgeben“, sagte er zu Muʿāwiya, der um seine Unterstützung feilschte, „wenn ich nicht einen Anteil an deinem weltlichen Reichtum bekomme.“ Muʿāwiya bat um Erklärung. Amr antwortete: „Beködere deinen Haken mit Ägypten.“23 Er wurde als Statthalter von Ägypten wiedereingesetzt. Imperiale Statthalter wussten, sie hatten dafür zu sorgen, dass der Strom der Geldmittel nach Damaskus nicht verebbte. Ziyād, Muʿāwiyas Statthalter im Irak, sagte zu dem Kalifen: „Ich habe den Irak für dich unterworfen und die Steuern aus seinem Land und Meer eingebracht und dir sein innerstes Vermögen und seinen verborgenen Reichtum gebracht.“24 Der Reichtum musste einen höfischen Lebensstil finanzieren, der weit entfernt war von dem bescheidenen Leben, das Mohammed und seine ersten Nachfolger geführt hatten. Ein Kenner vorislamischer Dichtkunst, Hammād al-Rāwiya, erinnerte sich, dass er vom Kalifen Hischām den ganzen Weg vom Irak nach Damaskus beordert wurde: Ich fand ihn in einem geräumigen, mit Marmor gepflasterten Palast vor, jede Fliese mit einem Streifen Gold eingefasst. Hischām saß auf einem roten Teppich, gekleidet in rote Seide und triefend von Moschus und Ambra. Ich begrüßte ihn, und er erwiderte meinen Gruß und befahl mir, näher zu kommen. Ich tat es und küsste ihm die Füße. Er hatte zwei Sklavinnen, wie ich noch nie welche gesehen hatte. Jede trug zwei Ohrringe in jedem Ohr, und an jedem Ohrring funkelte eine Perle … Der Kalif sagte: „Weißt du, warum ich nach dir geschickt habe?“ Ich sagte: „Nein.“ Er sagte: „Ich habe nach dir geschickt, weil mir eine Gedichtzeile einfiel, und ich weiß nicht, wer der Dichter ist.“ Ich sagte: „Wie lautet die Zeile?“ Und er rezitierte: „Sie verlangten eines Tages nach dem Morgentrank, und es kam eine Gesangssklavin, die einen Krug in der rechten Hand hielt.“25
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Zum Glück, wenn man bedenkt, dass der wunderliche Einfall des Kalifen ihn auf eine zweiwöchige Reise geführt hatte, kannte Hammād nicht nur den Dichter, sondern auch den Rest des Gedichts. (Und wenn nicht, so hätte der kundige Hammād ihn auf der Stelle erfunden.) In der antiken arabischen Königstradition waren die Umayyaden auch Mäzene zeitgenössischer Dichter, von denen einige es zum Poeta laureatus brachten, wie etwa der trinkfeste christliche Beduine al-Achtal, Hofdichter von Abd al-Malik.26 Kraftvolle, traditionelle Lyrik erlebte eine Blütezeit; aber das Zeitalter der Umayyaden war auch eine Zeit des Übergangs. Sinnbildlich für den Wandel war der chronisch liebeskranke Dschamīl. Er konnte eine Versdichtung verfassen, deren erste Hälfte umschrieben wurde als „ein aʿrabi in einem zerlumpten Lendenschurz in der tiefsten Provinz“ – „Vorwärts, ihr schlafenden Kamelreiter, auf und weg!“ – und deren zweite Hälfte, „dass ich euch vielleicht fragen darf: Könnte ein Mensch getötet werden – durch Liebe?“ als „einfältig und weibisch“ galt.27 Nicht alle Dichter konnten so mühelos vom Zeltplatz auf „manieriert“ umschalten; aber die arabische Kultur als Ganzes hatte ihre Wanderung von der rauen bādiya zu einem angenehmeren, urbanen Umfeld angetreten. Die Umayyaden waren nicht nur die Erben dieses bedeutenden poetischen Vermächtnisses arabischer Kultur, sondern nun qua Aneignung auch Erben anderer Traditionen. Unter ihnen ragten, wie wir gesehen haben, besonders die architektonischen und bildlichen Traditionen heraus, die von den Kalifen in ihren Wüstenpalästen übernommen wurden. Ihren Höhepunkt erreichte die künstlerische Anpassung in den religiösen Monumenten der Umayyaden, von denen die Umayyaden-Moschee in Damaskus das großartigste ist. An dem Standort – früher der des Heiligtums des Jupiter Damascenus und davor der seines lokalen Pendants, der Gottheit Hadad – war in jüngerer Zeit die Hauptkirche der Stadt errichtet worden. Nach der Niederlage der Byzantiner teilten sich muslimische und christliche Gläubige nicht weniger als 70 Jahre lang den geweihten Bezirk. Doch im Jahr 708 zogen die Christen in eine neue Kirche in der Nähe um, und Kalif al-Walīd ibn ʿAbd al-Malik begann eine siebenjährige Bautätigkeit. Deren Höhepunkt war die Verzierung der Mauern rings um den inzwischen gewaltigen Innenhof der Moschee mit Mosaiken, für die Tausende byzantinischer Künstler und Handwerker beschäftigt wurden. Die Millionen schillernder tesserae – kleinste Bildelemente aus Gold, Grün, Purpur und vielen anderen Farben – verwandelten die Mauern in eine schimmernde Traumlandschaft aus Villen und Dörfern, Wasserläufen und Auen. Wegen der islamischen Einschränkungen in Bezug auf bildliche Darstellungen, zumindest an einer Andachtsstätte, fehlen Menschen und Tiere, dafür gibt es Bäume in Hülle und
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Fülle. Inmitten der Mosaiken von Feigen- und Olivenbäumen in diesem Simulacrum des Himmels auf Erden schuf al-Walīd einen Ort, wo das Hier und das Hiernach, Diesseits und Jenseits, sich überschnitten. Es war der weltliche Aspekt, der eine byzantinische, nach Damaskus gesandte Delegation beeindruckte, nur wenige Jahre nachdem die Moschee vollendet worden war. Der neue Kalif, der asketische und fromme Umar ibn Abd al-Azīz (den wir als Werber für den Übertritt zum Islam in Südasien und Nordafrika erlebt haben28) beschloss angeblich, die Mosaiken zu entfernen und die gewaltigen Mengen an Gold für wohltätige Zwecke zu verwenden. Die byzantinischen Gesandten trafen gerade rechtzeitig ein und wurden in der Moschee herumgeführt. Ihre Reaktion veranlasste Umar, seine Meinung zu ändern: „Ihr Anführer sah sich um und erbleichte. ‚Wir Byzantiner wähnten, dass ihr Araber nicht lange Bestand haben würdet. Jetzt habe ich etwas anderes gesehen.‘“29 Die Neuankömmlinge waren gekommen, um zu bleiben. Obendrein könnte ihre bildlose islamische Herangehensweise an den byzantinischen Stil die Geschmäcker ihrer Nachbarn beeinflusst haben. Es ist nicht bekannt, ob diese erste byzantinische ikonoklastische Periode irgendetwas direkt der islamischen Abneigung gegen die Darstellung von Lebewesen verdankt, aber als in der Mitte des 8. Jahrhunderts der ikonoklastische Kaiser Konstantin V. Mosaiken, die menschliche Gestalten zeigen, aus der Blachernen-Kirche in Konstantinopel entfernte, ersetzte er sie durch Bäume und Landschaften, die direkt aus Damaskus hätten verpflanzt worden sein können.30 Die Mosaike von Damaskus sind wunderbar und außerdem symptomatisch für das Verhältnis der Umayyaden zum Islam: Er sollte öffentlich und überschwänglich gefeiert werden, hatte er sie doch dahin gebracht, wo sie jetzt waren; aber letztendlich war seine Herrlichkeit oberflächlich, eine funkelnde Fassade. Ein moderner Kommentator hat es präziser ausgedrückt, als er feststellte, dass der umayyadische Staat aus „einer islamischen Schicht mit einem vorislamischen Kern“ bestand, „alles versehen mit einem byzantinischen imperialen Glanz“.31 Sofern jene fromme Ausnahme, Umar ibn Abd al-Azīz, durch das Gold hindurch, das dieser vordergründig bestechenden Oberfläche den Glanz verlieh, den wahren Wert des Glaubens verstanden hatte, erkannte auch er, dass es den meisten Menschen nur um die Oberflächen ging. Umars seliges Kalifat war nicht von Dauer. Er schickte eine Gegengesandtschaft nach Konstantinopel, wo sein frommer Ruf bestens bekannt war. Wie es sich traf, erreichte, während die arabischen Gesandten in der byzantinischen Hauptstadt weilten, den Kaiser die Nachricht, dass der Kalif gestorben war. Die arabischen Repräsentanten waren noch nichtsahnend; der Kaiser ließ sie rufen, empfing sie – „er war von seinem Thron herabgestiegen und hatte die Krone
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vom Haupt genommen; seine Gesichtszüge hatten sich verändert … als hätte er einen Schicksalsschlag erlitten“ – und berichtete ihnen die Neuigkeit. Als sie die Todesnachricht vernahmen, weinten die Gesandten. „Weint nicht um Umar“, sagte der Kaiser, weint um euch und um das, was euch widerfahren ist. Denn er ist an einen besseren Ort gegangen als der, den er verlassen hat … Was mich erstaunt, ist folgendes: dass die Welt unter seinen Füßen hätte liegen müssen, und dass er dennoch distanziert von ihr blieb und wie ein Mönch wurde. Gute Menschen können sich nur eine kleine Weile unter bösen Menschen aufhalten.32 Umars mönchisches Kalifat hatte kaum mehr als zwei Jahre bestanden und wenig getan, um den weltlichen Tenor der umayyadischen Herrschaft zu ändern. Ob es sich bei der Lobrede um einen tatsächlichen wortgetreuen Bericht handelt, ist fraglich, obwohl es durchaus den Anschein hat, als habe während seiner kurzen Zeit als Kalif ein besonderer gegenseitiger Respekt zwischen den imperialen Nachbarn bestanden. Und Umars asketisches Gebaren wird durch andere Berichte bestätigt. Während er ihn beobachtete, wie er eine Freitagspredigt hielt, schenkte einer der Anwesenden der Qualität seiner Kleidungsstücke Beachtung – und schätzte, dass sie zusammen nicht mehr wert waren als ein Zwölf-Dirham-Schnäppchen.33 Der Kontrast zu Hischāms roter Seide hätte größer nicht sein können; oder zu Kalif Sulaimān ibn Abd al-Malik, der den Vormittag damit zubrachte zu überlegen, mit welchem Turban er predigen solle, und der selbst seine Köche in eine farbenprächtige Livree kleidete. Fast zwei Jahrhunderte später besaß der abbasidische Kalif Harūn al-Raschīd eine Sammlung umayyadischer Kalifengewänder: Die Ärmel von denen, die Sulaimān gehört hatten, waren immer noch fleckig von Fett, wegen seiner Angewohnheit, in gebratene Schafböcke zu greifen, um an ihre Nieren zu kommen.34 Wie immer müssen wir uns davor hüten, Personen rückblickend anzuschwärzen oder zu verunglimpfen. Ebenso gefährlich ist es aber auch, in dem seligen Umar das weiße Schaf zu sehen, die Ausnahme, welche die anderen Umayyaden als Abweichler von der islamischen Tradition bloßstellt. Noch einmal: Diese Tradition hatte noch gar keine Gestalt angenommen. Zwar existierte der Koran als der kanonische Text, aber darauf musste erst noch ein umfassender theologischer, rechtlicher und moralischer Überbau errichtet werden. Die tragenden „Säulen“ des Islam – Glaubensbekenntnis, Gebet, Pilgerfahrt, Fasten und Almosengeben – wurden gewissenhaft gestützt; seine noch vorhandenen Überlieferungen und Legenden wurden sorgsam mündlich
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bewahrt und manchmal aufgeschrieben; aber die Sprüche und Taten Mohammeds und seiner Gefährten waren noch nicht in irgendeine Ordnung gebracht, geschweige denn zu einem ethischen System zusammengefasst worden. Der früheste derer, die an einer solchen Zusammenfassung arbeiteten, der bedeutende islamische Rechtsgelehrte Mālik ibn Anas, wurde während des Baus der Umayyaden-Moschee geboren und erlangte erst nach dem Untergang der Dynastie Berühmtheit. Wie ihren stark beachteten Bauwerken, die halfen, Araber nachhaltig ins internationale Bewusstsein zu rücken, ging es den Umayyaden mehr um etwas, das man als ethnische Architektur bezeichnen könnte – die Schaffung einer arabischen Identität, die zu ihrer neuen Rolle und Umwelt passte –, als darum, ethische Strukturen zu fördern, in denen diese Identität verloren gegangen wäre. Wie wir im vorangegangenen Kapitel gesehen haben, waren Araber nun die Herren eines gewaltigen Teils der zivilisierten Welt geworden, von Portugal bis zum Pamir und von Aden bis Aserbaidschan. Sie brauchten nicht nur die neue Integrationsideologie des Islam und den weit älteren Integrationsfaktor, die hocharabische Sprache, sondern auch verbindliche und uralte Gründungsmythen, mit denen sie unter den schon länger bestehenden Zivilisationen ihre Ansprüche vertreten konnten. Es war die Zeit, als Geschichten aus der fernen vorislamischen Vergangenheit in vollem Umfang zur Sprache gebracht wurden: Muʿāwiya lauschte nicht nur Berichten über die ayyām al-ʿarab, die antiken „Kampftage“ der Beduinen, sondern auch mündlichen Historikern aus dem alten sesshaften Süden wie Abīd ibn Scharya. Abīds Erzählungen vom Bruch des Staudamms von Maʼrib und den anschließenden Wanderungen integrierten Menschen aus dem Süden in eine umfassendere Geschichte der Arabischen Halbinsel, die jetzt eine arabische Geschichte war. Als Teil dieses Prozesses der Kooptierung wurden Mythen ausgearbeitet, denen zufolge die südarabischen Eroberungen weit über ihre tatsächlichen Grenzen hinaus (Zentral- und Ostarabien) durchgeführt und bis nach Samarkand und an die Grenzen Chinas ausgeweitet wurden. Das imaginäre antike Reich spiegelte somit Vergangenes und Zukünftiges wider – das tatsächliche Reich Alexanders und das des Islam. Als er einem farbig ausgeschmückten Bericht Abīds darüber lauschte, wie die Himyaren nach Kabul und darüber hinaus gelangt waren, sagte Muʿāwiya: „Allah hat uns zu Erben ihres ganzen Reiches gemacht. Heute ist es unseres.“35
Die Legende von Ismāʿīl Araber wurden Erben nicht nur der Reiche anderer Völker, sondern auch der Vorfahren anderer Völker. Einer dieser Vorfahren war dazu bestimmt – wenn man im Nachhinein zu etwas bestimmt sein kann –, Araber zu einen und sie zu
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„einem Volk“ zu machen. Wie wir gesehen haben, könnte mit ʿarab in seiner frühesten Bedeutung durchaus „ein zusammengefügtes oder gemischtes Volk“ gemeint gewesen sein.36 Dies scheint die Realität widerzuspiegeln: Genealogisch sind Araber kein aus einem einzigen Stamm wachsender Familienstammbaum, sondern seine im Wasser gespiegelte Reflexion oder vielmehr der Fluss selbst, der durch mehrere Zuflüsse gespeist wird. Unter den Umayyaden begann dann die Suche nach dem letztendlichen Ursprung des Flusses. Sie fanden ihn in Ismāʿīl, dem wandernden Verstoßenen. Auch die Römer des neuen imperialen Zeitalters hatten einen Ursprung gebraucht, einen Stammvater. Sie entdeckten ihn in der Person des Aeneas, des Immigranten aus Troja, des Vertriebenen, der sowohl eine Verbindung mit einer anderen älteren Kultur herstellt als auch sich von ihr unterscheidet, der ein neues Geschlecht und eine neue Einheit in einem fremden Land begründet.37 Ebenso brauchten auch Araber Geschichten über Migration, über Stammväter, Akkulturation und Einigung, um ihre eigene historische Vielfalt vernünftig zu erklären. Und so wie Augustus sich auf die Abstammung von Aeneas berief,38 wurde auch Mohammeds Herkunft bis zu Ismāʿīl zurückverfolgt. Es geschah im Zeitalter der Umayyaden, dass alle Elemente der Legende schließlich zusammenkamen. Sie erzählt, dass die Nordaraber von Ismāʿīl/Ismael, dem Sohn Ibrahims/Abrahams, abstammten, und zwar über dessen Nebenfrau, die Sklavin Hagar; Hagar selbst kam der Überlieferung zufolge aus einem Dorf auf dem Sinai namens Umm al-ʿArab, „die Mutter der Araber“.39 Wir haben bereits gesehen, wie in der islamischen Legende Hagar und Ismāʿīl nach Mekka verbannt wurden, wo sie beinahe vor Durst starben, aber durch die wundersame Quelle Zamzam gerettet wurden. Wir haben auch gesehen, dass Ismāʿīl, der ursprünglich nicht Arabisch sprach, die Sprache von Südarabern, die in Mekka lebten, beigebracht wurde, und dass er in die Gemeinschaft der Bewohner des Südens einheiratete.40 Inspiriert von in groben Zügen geschilderten Auftritten Ismāʿīls im Koran, projiziert die Erzählung bis dahin für mehrere Elemente einen Ursprung zurück in die geweihte Landschaft Mekkas. In der Zeit der Umayyaden jedoch wurde der Bericht vollständig ausgestaltet und verschaffte darüber hinaus Arabern selbst und ihrem wichtigsten Propheten, der, wie wir ebenfalls gesehen haben, Spekulationen über seine entfernteren Vorfahren zu verhindern gesucht hatte, eine Herkunft.41 Irgendwann – wahrscheinlich unmittelbar vor oder nach dem kurzen Kalifat von Umar ibn Abd al-Azīz oder während seiner Herrschaft42 – wurden dann vollständige Ahnentafeln ausgearbeitet, die einen jüngeren Vorfahren Mohammeds und der nördlichen Stämme, Maʼadd ibn Adnan, direkt mit dem biblischen/koranischen Ismāʿīl verbanden.
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Dass es mindestens drei verschiedene Versionen der Abstammungslinie von Ismāʿīl zu Adnan gibt, ist wenig vertrauenerweckend.43 Und dennoch funktioniert die Ismāʿīl-Legende aus vielen Gründen: Sie pfropft Mohammed dem monotheistischen Stammbaum auf; sie pfropft die Südaraber dem linguistischen Baum auf (und umgeht dadurch das Problem, dass sie eigentlich nicht Arabisch sprachen); sie datiert die Allianz zwischen den Völkern Nord- und Südarabiens um Jahrtausende zurück; sie bietet in Ismāʿīl ein Paradigma für den Wanderer, der sich ansiedelt (hilfreich in einer Zeit, als Beduinen zu Kolonisten gemacht wurden); und, was am Wichtigsten ist, sie akkulturiert nicht nur Völker, sondern eine ganze Vergangenheit – die jüdische und die monotheistische – und macht sie arabisch. Wollten Araber ihren Platz in der umfassenderen Gemeinschaft von Königen und Kulturen geltend machen, die in al-Walīds Wüstenpalast anschaulich dargestellt wird, dann konnte man keine perfektere Ahnengestalt auswählen als Ismāʿīl. Andere Vorfahren wurden aus noch dünnerer Luft herbeigezaubert. Die Südaraber erhielten einen geisterhaften Urahn namens Yaʿrub, was bedeutet „Er spricht Arabisch“. Seine ursprüngliche Sprache war, wie die Ismāʿīls, vermutlich „Syrisch“, aber wie durch ein Wunder wurde er von einem starken Wind, der von Babel herwehte, zur Sprache des Himmels bekehrt:44 Die gesamte Familie der realen südarabischen Sprachen, das Sabäische und seine Geschwister, fiel auf diese Weise dem Vergessen anheim. Zudem wurde angenommen, dass Yaʿrub der Enkel der koranischen Gestalt Hūd war, eines antiken arabischen Propheten, der gesandt worden war, den gottlosen Stamm der Ad vor seiner bevorstehenden Vernichtung zu warnen; auch die Menschen im Süden bekamen ihren eigenen Anteil an ererbter prophetischer Ehre ab.45 Um Nägel mit Köpfen zu machen, wurden schlussendlich die Abstammungslinien sowohl von Ismāʿīl als auch von Yaʿrub so weit zurückgeführt, bis sie sich bei Noahs Sohn Sem/Schem vereinigten. All das ist schwerlich Historie; es ist schöpferische und einfallsreiche Autobiografie. Aber auf einer tieferen Ebene ist es Teil des arabischen Kollektivgedächtnisses. Heutzutage kommt Ismāʿīl im allgemeinen arabischen Bewusstsein nur noch als unbedeutender koranischer Prophet vor und Yaʿrub, wenn überhaupt, als fragwürdige Erfindung der frühen Genealogen. Aber gemeinsam verkörpern sie die Kräfte, die eine expandierende arabische Welt geschaffen und zusammengehalten haben. Legendenhaft oder erfunden wie sie sind, spielen sie daher für die Geschichte der arabischen Einheit eine ebenso wichtige Rolle wie nachgewiesenermaßen historische Gestalten wie Mohammed oder, in jüngerer Zeit, Ägyptens Präsident Nasser. Ein moderner Kommentator meinte, als er die Bedeutung der Ismāʿīl-Legende hervorhob, dass sie eine „einigende ‚ethnische‘
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Identität für Araber schuf, die es vorher nicht gegeben hatte“.46 Genauer gesagt verschaffte sie einer ethnischen Identität, deren Entwicklung lange vorher, im 1. Jahrtausend v. Chr., begonnen hatte, eine vermeintliche biologische Basis. Was stattfand, war so etwas wie die uralte Eingliederung von Außenseitern in einen vermeintlich abstammungsorientierten Stamm, aber in großem Stil: So wie, sagen wir, ein ehemaliger Sklave persischer Herkunft in einen arabischen Stamm aufgenommen werden konnte, zuerst dessen Sprache und Gebräuche und dann seinen angestammten Namen übernahm, konnten das auch ganze nichtarabische Völker – in diesem Fall die sesshaften Himyaren, Sabäer und andere aus dem Süden. In einem Prozess, der Jahrhunderte vor dem Islam begann, waren sie sprachlich und kulturell bereits Araber geworden; jetzt bekamen sie die endgültige Imprimatur, einen Platz im tribalen Adelskalender. Damit ging jedoch einher, dass die historischen Sprachen und die historische Vielfalt dieser Völker geleugnet wurden; sie wurden „tribalisiert“, in ein System eingepasst, in dem politische Einheit sich von gemeinsamen menschlichen Vorfahren ableitete, nicht nur von einer gemeinsamen Gottheit. In gewisser Hinsicht war es der Triumph der qabīla über den schaʿb, des Stammes über das Volk. Zugleich war es eine Leugnung jenes Grundgedankens der Revolution Mohammeds, der Idee der Einheit in der Vielheit oder zumindest in der Dualität: Ihr Menschen! Siehe, wir erschufen euch als Mann und Frau und machten euch zu Völkern und zu Stämmen, damit ihr einander kennenlernt …47 Dass die arabische nationale Einheit das irdische arabische Reich kontrollieren musste, lief Mohammeds Vision von der supertribalen, supranationalen Einheit des Islam zuwider. Aber die Einheit war ohnehin zum Scheitern verurteilt. Die Zweige eines Stammbaums streben zwangsläufig auseinander, wenn sie um das Licht konkurrieren. Ebenso mögen zwar alle Straßen nach Mekka und zum Einssein in Allah führen, aber wenn die Wallfahrt vorüber ist, gehen die Pilger ihrer sich stets gabelnden Wege und die irdischen Realitäten kehren das himmlische Ideal um. Wenigstens waren jetzt, im ausgehenden Zeitalter der Umayyaden, alle Bewohner der Arabischen Halbinsel automatische Araber. Sie mussten es sein: Trotz jener angeblichen Gleichheit unter dem Islam waren Araber in der Praxis die „Herrenrasse“ eines rasch expandierenden Reiches, und ohne die Menschen aus dem Süden gäbe es nicht ausreichend Herren; wie wir gesehen haben, war dem ersten Kalifen Umar das Defizit nur allzu bewusst gewesen.48 Von den Bewohnern des Südens sagte ein Dichter:
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Gäbe es die Schwerter und Lanzen Yaʿrubs nicht, hätten Ohren niemals den Ruf gehört: Allahu akbar!49 Er dürfte nicht sonderlich übertrieben haben. Die Söhne Yaʿrubs, die alten Südaraber, waren die unerlässlichen Verstärkungen, ohne die das ganze imperiale Projekt gescheitert wäre.
Flotte Federn Die Bewohner der Arabischen Halbinsel selbst wurden unter den Umayyaden durch die sorgfältige Ausgestaltung der Legende kulturell-ethnisch sowie in Schrift und Sprache arabisiert. Aber die Arabisierung erfasste noch einen anderen Bereich, mit ebenso weitreichenden Konsequenzen. Die Umayyaden hatten dort weitergemacht, wo die vorislamische ghassanidische Dynastie aufgehört hatte. Aber es gab einen großen Unterschied: Im Gegensatz zu den Ghassaniden oder zu den Lachmiden im altpersischen Machtbereich waren die Umayyaden nicht bloß Klientelkönige – sie hatten das Sagen. Anfangs übernahmen sie das imperiale Know-how vom byzantinischen und vom persischen System. Die Amtssprachen ihrer Verwaltung waren Griechisch und in den ehemals sassanidischen Gebieten das aus dem Altpersischen hervorgegangene Mittelpersisch (Pahlavi); ihr Zahlungsmittel war byzantinisches und persisches Münzgeld. Aber sie waren nicht willens, für immer in den bürokratischen Ruinen ihrer Vorgänger zu kampieren. Sie hatten eine Vision, eine Mission, und wenn es auch keine islamisierende Mission war, so doch eine, die auf eine Arabisierung in Schrift und Sprache abzielte. Im Jahr 700 traf Kalif Abd al-Malik – dessen Kopf ihm trotz des Fluchs all der Enthauptungen in al-Kūfa immer noch fest auf den Schultern saß und der das Reich souverän regierte – eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen:50 Er ließ neues Münzgeld schlagen, das arabische Beschriftungen trug, und, was noch wichtiger war, er verfügte, dass das Reich nicht in den lokalen Sprachen verwaltet werden sollte, sondern in Arabisch. Wer fortan irgendwo im Einflussbereich zweier Kontinente emporkommen wollte, der musste sich auf den Hosenboden setzen und diese zum Verzweifeln schwierige, aber unendlich bereichernde Sprache erlernen. Eine jener fragwürdig klingenden, aber schwer zu erfindenden Geschichten erklärt den Wandel in der Amtssprache: Der Grund war, dass einer der byzantinischen Schreiber etwas schreiben musste, und weil er kein Wasser [zum Verdünnen der Tinte] finden konnte, urinierte er in das Tintenfass. Abd al-Malik hörte davon,
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b estrafte den Schreiber und gab Anweisung … die Akten [ins Arabische] zu ändern.51 Ob es weniger wahrscheinlich ist, dass Leute, die in Arabisch schreiben, in Tintenfässer urinieren, als Leute, die in Griechisch schreiben, darüber kann man streiten; ohnehin dürfte es schwierig sein, in ein Tintenfass zu urinieren. Aber man sollte die Geschichte nicht abtun, nur weil sie trivial oder unlogisch ist: Die Chaostheorie lässt sich auf die Geschichtswissenschaft ebenso anwenden wie auf jede andere Disziplin. (Vielleicht hatte Jorge Luis Borges recht mit seiner Behauptung, „dass nichts so unscheinbar ist, dass es nicht das Werden des Alls und die unendliche Verkettung von Ursache und Wirkung in sich birgt“.52) Außer Zweifel stehen jedenfalls die Auswirkungen von Abd al-Mailks Dekret. Von diesem Punkt an, schreibt Ibn Chaldūn – und da ist etwas Wahres dran, auch wenn er einen viel längeren Prozess vereinfacht, verkürzt und verallgemeinert –, „wendeten sich die Menschen vom niedrigen Standard des Wüstenlebens der Pracht der ortsgebundenen Kultur und von der Einfachheit des Analphabetentums der Raffinesse des Gebildetseins zu“.53 Wie ein modernerer Kommentator es ausdrückte, „zügelte und bereicherte das Dekret des Kalifen eine Sprache der Poesie, Redekunst und Sprichwörter und machte sie zu einer Sprache von Zivilisation und Wissenschaft“.54 Doch nicht alle profitierten. Als Abd al-Malik seinen obersten Schreiber, Sergius, über die Entscheidung informierte, beunruhigte sie ihn [Sergius], und er schied in einem Zustand tiefster Niedergeschlagenheit vom Kalifen. In dieser Verfassung fanden ihn einige der byzantinischen Schreiber, und er sagte ihnen: „Gehe und suche dir ein anderes Mittel zum Unterhalt, denn Gott hat dich dieses Berufs beraubt.“55 Andere waren anpassungsfähiger und fanden ihren Platz in dem neuen System: Im nördlichen Fruchtbaren Halbmond – diesem Schnittpunkt von Sprachen und Kulturen – lebten bereits Menschen, die mehrere Sprachen sprechen und schreiben konnten, wie etwa der junge Hasan al-Tanūchī, ein christlicher Araber, der Persisch, Syrisch und Arabisch in Wort und Schrift beherrschte. Er diente dem Staat später als Schreiber und Übersetzer.56 Es war ganz einfach: Entweder man änderte sich, oder man zog den Kürzeren. Die Veränderungen kamen schnell. Die ältere, kantigere arabische Schrift, später allgemein als „Kufi“ bekannt, hatte ihrem nabatäischen Vorläufer geähnelt.57 Weil jetzt plötzlich viel mehr und viel schneller geschrieben werden musste, entstand eine neue und gerundete Form von Kursivschrift, die im Prin-
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zip den meisten heute verwendeten Handschriften und Schriftarten entspricht.58 „Sie kann mit einer Schnelligkeit geschrieben werden, die in anderen Schriften unmöglich ist“, bemerkte der Philosoph al-Kindī über den neuen und flotten Schreibstil.59 Um das Lesen zu erleichtern und zu beschleunigen, wurden nach und nach auch mehr diakritische Zeichen benutzt; aus dem Syrischen übernommen, waren sie im Arabischen wohl erstmals schon in einem auf das Jahr 22 d. H./643 n. Chr. datierten Papyrus aufgetaucht.60 Wie wir sehen werden, sollte die Arabisierung der Verwaltung noch weitere Auswirkungen haben. Dass sehr viele Menschen plötzlich die Feinheiten einer sehr komplizierten Sprache erlernen mussten, brachte die formale Analyse dieser Sprache in Gang. Grammatik, Syntax und Philologie waren die ersten arabischen Formalwissenschaften,61 und sie prägten die gesamte arabische „wissenschaftliche Methode“ – ein ganzheitlicher Ansatz zur Untersuchung und zum Verständnis komplexer Systeme. Stellt man dies den Anfängen der klassischen wissenschaftlichen Methode in der Beobachtung der „Natur der Dinge“ und der Spekulation darüber seit Anaximander gegenüber, so ist der Rahmen für abweichende Auffassungen abgesteckt:62 Es sind zwei Blickwinkel, aus denen das Universum betrachtet wird, ein rhetorischer, der auf die Autorität von Worten, von Texten baut; der andere ein empirischer, der Nullius in verba, „auf Niemandes Wort“ vertraut, wie das Motto der britischen Royal Society es ausdrücken würde. Was das Münzgeld betrifft, so gab Abd al-Malik anstelle der zuvor benutzten byzantinischen Münzen eine neue arabische bildlose Währung aus, deren Münzen fromme Sprüche trugen. Der Kalif habe so entschieden, sagt Ibn Chaldūn, „weil beredte Worte allein Araber offenbar mehr ansprachen“63 als Abbildungen – als werde für Araber die Redensart über den relativen Nutzen von Worten und Bildern auf den Kopf gestellt. Natürlich bedeckten ansprechende Darstellungen die Wände umayyadischer Paläste und Moscheen; aber es ist behauptet worden, dass im Jahr 695 eine byzantinische Ausgabe von Goldmünzen, die das Antlitz Jesu trugen, offenbar allzu deutlich in Widerspruch zu islamischen Einschränkungen hinsichtlich der Darstellung von Propheten stand. Al-Balādhurī jedoch erklärt die neue Ausgabe mit einer anderen zweifelhaften, aber keineswegs unglaubwürdigen Geschichte: Die sichtbaren äußeren Enden von Papyrusrollen, die aus Ägypten als Beschreibstoff nach Konstantinopel exportiert wurden, hatten vor der arabischen Invasion stets Kreuze und andere christliche Symbole und Worte getragen. Die neuen arabischen Herrscher von Ägypten ließen diese durch islamische Botschaften ersetzen, wie etwa den folgenden, gegen die Dreifaltigkeitslehre gerichteten Koranvers: „Sprich: ‚Er ist Gott, der Eine …‘“64
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Als Vergeltung drohten die Byzantiner, die Dinare, die sie an Damaskus lieferten, mit Anti-Mohammed-Beschriftungen zu versehen – daher Abd al-Ma liks Entscheidung, seine eigenen Münzen zu prägen.65
Lingua sacra, Lingua franca Abd al-Maliks Arabisierung von Bürokratie und Münzwesen war für die Grundlegung einer dauerhaften arabischen Kultur ebenso wichtig, wie es der Koran gewesen war: Sie war das zweite Kapitel einer Schriftrevolution. Der Koran war das erste Kapitel gewesen: Er war das erste Buch und am Beginn des 8. Jahrhunderts mit ziemlicher Sicherheit noch immer das einzig real existierende. Im Zuge der wuchernden Bürokratie sollten sich nun jedoch – basierend auf dem einzigen geschriebenen Arabisch, das weithin zirkulierte, dem Hocharabisch des Koran – Schrift und Schriftlichkeit stark ausbreiten. (Das dritte Kapitel war die Papierrevolution, die später im 8. Jahrhundert begann, als Pergament und Papyrus aus Kostengründen durch den sehr viel billigeren neuen Beschreibstoff aus China ersetzt wurden.) Ohne Abd al-Maliks Dekret wäre der Koran ein verehrter heiliger Text geblieben, aber einer, der sich allmählich vom alltäglichen Leben der Gemeinschaft gelöst hätte, zu deren Gründung er beigetragen hatte. Das Hocharabisch des Koran und der Poesie hätte, wie das Lateinische, einen langen, unausweichlichen Niedergang erlebt – um am Ende dann wenn auch nicht eine tote Sprache, so doch ein schöner Zombie zu werden, wie das altindische Sanskrit bestimmt für den Dienst einer Priesterkaste. In der Tat hätte ohne diese plötzliche und intensive Arabisierung die heutige arabische Welt – eigentlich die arabischsprachige Welt, eine durch Worte definierte Welt – niemals entstehen können. Imperien, die auf Verwaltung in der Sprache der imperialen Herren bestehen, können ungeheuer langlebig sein, wie das der Chinesen, oder können ein beachtliches Nachleben haben, wie das der Briten; Imperien, die sich mit den Sprachen der von ihnen unterworfenen Völker begnügen, neigen, wie das der Mongolen, zu Auflösung und Zerfall. Die Langlebigkeit der arabischsprachigen Welt – des arabischen Wortes – ist erstaunlich. Keine andere vergleichbare Diaspora-Gemeinschaft – Skythen, Türken, Mongolen – verfügte über einen so starken und haltbaren soziolinguistischen „Leim“. Das Griechisch der hellenistischen Welt und das Latein der römischen (und römisch-katholischen) Welt verschwanden im Lauf der Zeit. Das Standardenglisch des britischen Empire ist gegenwärtig im Verschwinden begriffen. Ein heutiger Bewohner von Kingston in Jamaica hätte sprachlich und auch sonst vermutlich wenig gemein mit einem Stammesangehörigen aus dem angelsächsischen Northumbria des 7. Jahrhunderts; im Gegensatz dazu könnte ein gebildetes Mitglied der schwarzen marokkanischen Gnawa in Tanger trotz
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der zeitlichen und räumlichen Distanz ein Gespräch mit einem Mekkaner des 7. Jahrhunderts führen. Sprachliche Verbindungen sind stärker als genetische; Tinte ist dicker als Blut. Dafür haben wir dem Islam zu danken, der niemals ein Pfingsten, eine Offenbarung in vielen Sprachen hatte.66 Zu danken haben wir auch den amsār, den kolonialen neuen Städten, die Sprachhochburgen waren. Vielleicht müssen wir außerdem jenem namenlosen byzantinischen Schreiber danken, der knapp an Tinte war, dringend mal musste und dabei ertappt wurde. Die arabische Lingua sacra wurde nun auch zur Lingua franca, und zwar in jedem Winkel eines ständig wachsenden Gebiets. Doch langlebige, weit verstreute Kulturen können auch einen Preis fordern: Die Besiegten eigneten sich gewöhnlich die Sprache der Sieger an, drangen in ihre Reihen ein und überwältigten sie am Ende. Ein frühes Beispiel für einen solchen Eindringling ist der aus Dailam südlich des Kaspischen Meeres gebürtige Hammād al-Rāwiya (Hammād „der wortreiche Rezitator“), den wir bereits kennengelernt haben, wie er dem Kalifen Hischām half, indem er den Verfasser einer vorislamischen Versdichtung identifizierte. Eine menschliche Suchmaschine, wenn es um antike arabische Poesie und die Kampftage des alten Arabien ging, war Hammād angeblich in der Lage, 2900 vorislamische Oden zu rezitieren – 100 für jeden Buchstaben des Alphabets67 (das heißt 100, in denen alif der Reimbuchstabe ist, 100 für baʼ und so weiter). Ob so viele echte antike Gedichte überliefert worden waren oder nicht, ist fraglich. Wichtiger ist, dass Hammād und andere Nichtaraber die Gedichte aller Stämme zusammen bewahrten, während traditionelle arabische Übermittler von Dichtungen sich nur um die poetischen Werke ihrer eigenen Stämme kümmerten. Damit entwickelten ironischerweise Nichtaraber die Vorstellung von Arabern als einem kulturellen Ganzen weiter.68 Wie in den nachhaltig prägenden vorislamischen Jahren, als nichtarabische imperiale Nachbarn bestimmt hatten, wie Araber sich selbst definierten, formte der andere das Selbst. (Aber vielleicht ist das gar keine Ironie, denn man könnte einwenden, dass es gerade die Existenz der anderen ist, die uns – als Menschen oder als Völker – das Gefühl dafür vermittelt, wer wir sind.) Die Akkulturierten definierten die Kultur, der sie sich angeschlossen hatten. Aber sie fingen auch an, Beiträge zu ihr zu leisten. Nichtaraber traten nicht mehr nur als Übermittler von Dichtungen in Erscheinung, sondern auch selbst als Dichter. Sogar ein Sklave aus Sindh, Abū Atāʾ, konnte die antike Magie erlernen und unter der Schirmherrschaft der späteren umayyadischen Kalifen Dichter werden.69 Traf es ihn unvorbereitet, konnte seine Aussprache schrecklich sein. Aber sogar bei falscher Aussprache machte die arabische Sprache die fehlende arabische Abstammung wett. Wie der schwarze Sklave und Dichter Nusaib ibn al-Rabāh sagte:
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Manche werden erhöht durch ihre Abstammung; Die Zeilen meiner Gedichte sind meine Abstammung.70 Jetzt waren es nicht nur die alten südarabischen Völker, die durch die arabische Sprache akkulturiert wurden. Die futūhāt – die „Erschließungen“ oder Eroberungen – kehrten sich um; das gesamte kulturelle Reich der Araber wurde von Außenstehenden besetzt. Und wie wir sehen werden, half es Arabern auch nicht, dass ihre Reihen niemals ganz geschlossen waren: Denn trotz der Vereinigungsrhetorik des Islam und der Bemühungen, die Bewohner der Arabischen Halbinsel in all ihrer Verschiedenartigkeit zusammenzufassen und sie zu Arabern zu machen, war die alte spalterische Tendenz wieder am Werk.
Die „Nord-Süd“-Spaltung Es ist immer leicht, Dinge in kontrastierenden Gegenüberstellungen zu beschreiben, und das Gegensatzpaar Nordaraber/Südaraber war bislang brauchbar. Für etwas viel Komplexeres greift diese Gegenüberstellung allerdings zu kurz. Was die Genealogie angeht, ist sie wenig fundiert. Wie wir oben gesehen haben, hatte sich eine Theorie zweiter Hauptgruppierungen entwickelt – jene der Nachkommen Ismāʿīls (oft Adnaniten oder Nizārīs genannt, nach Vorfahren weiter oben im Stammbaum, die tatsächliche Stämme verkörpern könnten) und jene von Yaʿrub (oft als Qahtānīs bezeichnet, aus demselben Grund). Aber hierbei handelte es sich um die Rationalisierung einer viel komplexeren Realität, und der Versuch, in islamischer Zeit Araber als „nördliche“ Adnaniten oder „südliche“ Qahtānīs zu klassifizieren, wäre in etwa so nutzlos wie der Versuch, die britische Bevölkerung des 21. Jahrhunderts nach Kelten und Angelsachsen zu sortieren. Natürlich hatte es eine sprachliche Spaltung gegeben, aber die war mit dem langsamen und stetigen Sieg des Arabischen über die südarabischen Sprachen fast verschwunden. In rein geografischer Hinsicht entbehrte die Spaltung fast jeder Grundlage: Es gab südarabische Gruppen wie die Ghassaniden im hohen Norden des arabischen Subkontinents, und Nordaraber hatten sich seit Langem auch im Süden angesiedelt. Ursprünglich scheinen sie alle jedenfalls nicht lange vor dem Beginn der überlieferten arabischen Geschichte – das heißt gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. – aus dem nördlichen Fruchtbaren Halbmond gekommen zu sein. Der Realität am nächsten kam die Nord-Süd-Spaltung in der Art und Weise, wie sich Topografie und Klima von Anfang an auf die Gesellschaft ausgewirkt hatten und dabei die Dualität von badw und hadar, von qabīla, „Stamm“, und schaʿb, „Volk“, schufen. Diese soziologische Spaltung tauchte in islamischer Zeit wieder auf. „Was seid ihr Jemeniten?“, fragte bei einem Wortwechsel im
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Bagdad des 8. Jahrhunderts ein Bewohner des Nordens jemanden aus dem Süden. Ich werde es dir sagen. Ihr seid nichts als Gerber von Häuten, Weber gestreifter Hemdenstoffe, Ausbilder von Affen und Reiter von Schindmähren. Ihr wurdet von einer Ratte ersäuft und von einer Frau beherrscht, und die Leute hatten nicht einmal vom Jemen gehört, bis ein Wiedehopf ihnen davon erzählte.71 Die Ratte ist die, die angeblich den Staudamm von Maʼrib angenagt hatte, die Frau ist die Königin von Saba/Sheba, auf die in dem koranischen Bericht ein sprechender Wiedehopf Salomo aufmerksam macht. Die Affen sind die Paviane, die im südlichen Hochland leben; die „Schindmähren“ sind die kräftigen Pferde, die sich für Reisen im Gebirge besser eignen als die Vollblüter der arabischen Steppe. Was Gerben und Weben betrifft, so könnten die beiden berühmten Luxusgewerbe des Südens die Zielscheibe von in Rohhaut und Filz gewandeten Plünderern gewesen sein, aber sie waren auch Kennzeichen einer sesshaften Gesellschaft von Konsumenten und Exporteuren. Die Bewohner des Südens hielten ihrerseits die nördlichen Stammesaraber für brüllende gimal – die himyarische (noch heute südlich von meinem Wohnort geläufige) Aussprache von dschimal – „Kamele“, die ständig versuchten, sie herumzukommandieren: „Wir können diese großmäuligen Kamele nicht ertragen: Sie meinen, sie müssten ihren Worten Worte folgen lassen, während wir den Taten Taten folgen lassen.“72 Der „Handel“ sah herab auf den „Raub“ und umgekehrt. Scheinbar war der uralte Dialog zwischen badw und hadar noch immer nicht über den Austausch von Beleidigungen hinausgekommen. Die jüngste und erstaunlichste Vereinigung von Nord und Süd hatte Mohammed bewerkstelligt: Theologisch hatte er nachgewiesen, dass der Allah der Quraisch und al-Rahmān, „der Erbarmer“, die lokale Gottheit der Menschen im Süden, ein einziger Gott waren;73 politisch und gesellschaftlich hatte er die beiden Gruppen durch die „Verbrüderung“ der quraischitischen Migranten und der ursprünglich südlichen Ansār, der einheimischen Bevölkerung von Medina, geeint. Doch bei seinem Tod waren die Ansār von jeglichen Ansprüchen auf Führung der neuen Gemeinschaft ausgeschlossen worden. Dieser Ausschluss wurmte sie gewaltig.74 Die alten Trennlinien waren bereits während der frühesten Eroberungen verstärkt worden, als syrische Provinzen und irakische Garnisonsstädte entlang vorislamischer Stammesgrenzen aufgeteilt wurden. Jetzt, unter den Umayyaden, waren alle Bewohner der Arabischen Halbinsel Araber – hadar und badw, Menschen aus dem Süden und aus dem Norden; aber manche waren
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mehr Araber als andere. Und ein aufgeblasener nördlicher Stammesdichter wie al-Farazdaq konnte Hadramiten aus dem Süden der Halbinsel als bloße Klienten der Quraisch abqualifizieren,75 als Stammesangehörige zweiter Klasse, wie der bedauernswerte „Feuerholzsammler“ aus Muʿāwiyas herabsetzender Bemerkung. Angesichts dieser Art von nördlicher ʿasabiyya hatten sich die Bewohner des Südens etwas von ihren eigenen uralten Solidaritäten und Gesellschaftsstrukturen bewahrt: Beispielsweise bildete der Clan der Dhū al-Kalāʾ, der von einem Geschlecht später vorislamischer qwls oder Warlords abstammte, einen Kristallisationspunkt südlicher Einheit im Syrien der Umayyaden.76 Aber das Gesellschaftsmodell der nördlichen Stämme war das beherrschende, und solche Überbleibsel aus dem alten Süden verschwanden bald. Auch wenn die Nord-Süd-Spaltung der islamischen Zeit uralte – manchmal legendenhafte – Verwerfungslinien aufriss, so wurden die Bewegungen in diesen Verwerfungen doch von Kräften in der Gegenwart verursacht. Das Ganze ähnelt ein wenig der Gegenwart des 21. Jahrhunderts, in welcher die schottische Grenze nach wie vor mehr oder weniger entlang des Hadrianswalls verläuft, in welcher der schottische Nationalismus indes mehr mit Öleinnahmen, Besteuerung und der Europäischen Union zu tun hat als damit, ob irgendjemandes Vorfahren Pikten, Kelten, Römer, Engländer, Gälischsprecher, Jakobiten oder sonst was waren. Die Nord-Süd-Spaltung war ein Streit zwischen Superclans, das letzte und bedeutendste Beispiel für jene alte Tendenz von Einheiten, sich zweizuteilen – die Hāschim-versus-Umāyya-Tendenz. Wie wir sehen werden, verschärfte sie die Machtkämpfe der umayyadischen Zeit und wurde ihrerseits durch sie verschärft. Und sie entfachte örtlich und zeitlich weit entfernte Kriege – unmittelbar bevorstehend in Chorasan, später im Indien des 9. Jahrhunderts,77 im Libanon des 18. Jahrhunderts,78 im Oman des 20. Jahrhunderts.79 Aber es gab andere unmittelbarer verhängnisvolle Verwerfungslinien.
Herzen und Schwerter Ein Riss war anfangs nur für einige der Familienangehörigen und Anhänger – die Schīʿa oder Partei – Alis verhängnisvoll. (Doch 70 Jahre später sollte er sich zu einem großen Graben öffnen und die Umayyaden-Dynastie verschlingen; und weitere 1270 Jahre später verhindert er, so verhängnisvoll wie eh und je, noch immer die arabische und islamische Einheit.) Nach dem faulen Schlichtungskompromiss, der seinen Krieg mit Ali beendet hatte, erlangte Muʿāwiya die erforderliche kritische Unterstützungsmasse, um sich nicht nur theoretisch, sondern auch faktisch Kalif nennen zu können. Die Masse wuchs weiter, schwoll an durch die stets schweigende Mehrheit – all jene
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Nullen, die für sich genommen nichts bedeuten, aber die „1“ an ihrer Spitze in eine Million verwandeln können. Alis rivalisierendes Kalifat hingegen war geschrumpft, bis es sich im Jahr 660 territorial auf die Gegend von al-Kūfa beschränkte. Im darauffolgenden Jahr wurde er von einem Charidschiten ermordet, der ein vergiftetes Schwert schwang: Ein geschmähter Kamerad kann wütender sein als eine betrogene Frau, und die Charidschiten, die „Aufgeber“, hassten Ali, weil er nicht weiter gegen Muʿāwiya gekämpft hatte. Doch 20 Jahre später war al-Kūfa noch immer der harte Kern von Alis Schīʿa. Beim Tod Muʿāwiyas und der Besteigung des nun eindeutig erblichen Kalifenthrons durch seinen Sohn Yazīd entschloss sich die Schīʿa zu dem Versuch, die Dynastie im Keim zu ersticken und ihre eigene zu begründen. Zu diesem Zweck forderte man al-Husain, einen der beiden Söhne Alis von Mohammeds Tochter Fatima, auf, von Medina herzukommen und sich an die Spitze eines Aufstands zu stellen. Husains Freunde in Medina rieten ihm, Bevollmächtigte zu entsenden und den Boden im Irak vorzubereiten, bevor er sich selbst dorthin wagte. Aber er war sich seiner Unterstützung sicher und marschierte im September 680 ohne große Vorbereitung und mit einer kleinen Truppe von Gefolgsleuten los.80 Schließlich gäbe es vor Ort die moralische Unterstützung; die kriegerische Unterstützung würde sich verflüchtigen. Wie der Dichter al-Farazdaq Husain angeblich sagte, als Letzterer sich bei ihm nach dem Stand der öffentlichen Meinung erkundigte: „Die Herzen sind mit dir, aber die Schwerter sind gegen dich. Der Sieg ist im Himmel.“81 Wie immer waren es die Schwerter, auf die es ankäme. Husain und seine kleine Unterstützerschar wurden von einer durch den umayyadischen Statthalter des Irak entsandten Streitmacht vernichtet; der Kopf des Propheten-Enkels wurde die erste jener vier düsteren Trophäen, die wir zu Anfang dieses Kapitels im Palast des Statthalters gesehen haben. Bald danach ging der Kopf auf Tour, als grausiger Beweis, dass der Aufstand niedergeschlagen worden war, und als Warnung an alle anderen Möchtegernrebellen. Als er in Damaskus eintraf, wendete sich Kalif Yazīd ibn Muʿāwiya angeblich in Versform an ihn: Wir spalten die Köpfe von Männern, die geliebt wurden von uns – und sich dann tyrannisch empörten! Während er diese Worte sprach, stieß er sein Zepter in den mumifizierten Mund. Aber einer der Anwesenden, ein alter Mann, der Mohammed als Kind gekannt hatte, tadelte den Kalifen: „Nimm dein Zepter da weg! Bei Allah, oft sah ich den Gesandten Allahs, Friede und möge Gott ihn segnen, wie er seinen Mund auf diesen Mund drückte, um ihn zu küssen.“82
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Herzen hatten nicht ausgereicht. Nachdem sie seinen Aufstand provoziert hatte, ließ die Schīʿa von al-Kūfa ihn im Regen stehen. Sie sahen, dass sie eine große Sünde begangen hatten: Husain hatte sie zu Hilfe gerufen, und sie hatten nicht reagiert; er war unmittelbar neben ihn getötet worden, und sie waren ihm nicht zu Hilfe gekommen.83 Die Schīʿa von Ali trauert bis heute um ihren ermordeten Gründer und ersten Imam; doch sein Sohn Husain, der glorreich im Kampf starb, schenkte den Anhängern Alis ihren Erzmärtyrer, ihr größtes und bleibendstes Stück Propaganda. Wenn in unserem gegenwärtigen Krieg Jungen, die ich kenne, in Stücke gesprengt werden – Märtyrer einen die Heimat! lautet die Parole, ein betäubender Cocktail aus Nationalismus und politischem Islam, der auf TV-Bildschirmen und in Kurznachrichten ausgeschenkt wird –, dann ist das eine Wiederaufführung jenes Opfers aus dem Jahr 680. Die anhaltende schiitische Tragödienstimmung ist nicht nur dem Verlust geschuldet, sondern auch einer Last, vergleichbar Petrusʼ Verleugnung Jesu vor dem letzten Hahnenschrei. Es ist eine kollektive Last und eine erbliche. Iranische Pilger zum Beispiel in der Umayyaden-Moschee in Damaskus zu beobachten, wie sie weinend eine Stelle küssen, wo angeblich Husains Kopf auf seiner langen Via Dolorosa (vielleicht nach Kairo, vielleicht zurück in den Irak, keiner weiß es sicher) ruhte, heißt einem fortwährenden Spiel der Leidenschaften und Emotionen zuzusehen, zu denen ein unauslöschliches Schuldgefühl gehört.84
Kalif – Gegenkalif Kollektivschuld gebar Kollektivrache, und am Ende wurde der Kopf des Statthalters der Umayyaden in seinem eigenen Palast zur Schau gestellt. Aber eine weitere Herausforderung für die umayyadische Herrschaft entstand weit südwestlich in Mekka. Auf lange Sicht zwar weniger verhängnisvoll als die Bedrohung vonseiten der Anhänger Alis, stellte sie in der unmittelbaren Gegenwart doch eine viel größere Gefahr dar. Fünfzig Jahre nach dem Tod Mohammeds – des Mannes, dessen Revolution Freiheit von der „Unwissenheit“ der Vergangenheit, Gleichheit unter Allah und Bruderschaft mit allen Menschen geboten hatte – waren Araber wieder in ihrem alten Kreislauf befangen, dem Feuerrad. Zu allem Übel wurde das Feuerrad jetzt von konkurrierenden Ansprüchen auf eine einzige, letztgültige Wahrheit, ein göttliches Recht angetrieben – Ansprüche, die erstmals mit der Ermordung Uthmāns im Jahr 656 aufeinandergetroffen und im folgenden Jahr in der Schlacht von Siffīn überaus blutig zusammen-
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gestoßen waren; zudem macht das Arabische aus „Wahrheit“ und „Recht“ ein Wort, haqq. Husain hatte lediglich einen unbedachten Führungsanspruch angemeldet; Abdallah ibn al-Zubair, Zielscheibe von Muʿāwiyas verächtlicher Bemerkung über den „Feuerholzsammler, Sohn des Vaters von Beißzange“, schaffte es tatsächlich, sich zum Gegenkalifen mit Mekka als Hauptstadt aufzuwerfen. Außerdem schaffte er es, in einem weiten Gebiet des Reiches die Kontrolle zu übernehmen, darunter befand sich ein Großteil des Landes, das sich als dessen Kern erwiesen hatte – Irak, Dreh- und Angelpunkt zwischen Arabien und Persien, zwischen dem Subkontinent und Eurasien; ibn al-Zubairs Kalifat wurde sogar in Teilen des umayyadischen Kernlandes Syrien anerkannt. Zum großen Teil gelang ihm dies, indem er sich die Verwerfungslinie zwischen „Nord“ und „Süd“ geschickt zunutze machte: Muʿāwiya war hauptsächlich durch die Bevölkerung des Südens in Syrien an die Macht gebracht worden; Abdallah ibn alZubair umwarb die Bewohner des Nordens und gewann ihre Unterstützung.85 Auf dem Totenbett räumte Muʿāwiya ein, dass es mehr bräuchte als Sticheleien, um Ibn al-Zubair auszuschalten. Dem abwesenden Kronprinz, Yazīd, ließ Muʿāwiya ausrichten: Sagt Yazīd von mir … Ibn al-Zubair ist chabb wa-dabb: Wie ein Hexer wird er dich täuschen und wie eine Echse dir entfleuchen … Wenn du ihn zu fassen kriegst, zerhacke ihn Glied für Glied.86 Dies waren des sterbenden Kalifen-Königs letzte Worte. Ibn al-Zubairs reptilienartiges Gegenüber, die dabb, ist eine Eidechse, die von altmodischen Arabern gegessen wird, aber bekanntermaßen schwer zu fangen ist: Sie zieht sich mit dem Kopf voran in ihr Loch zurück und kann nur an ihrem stacheligen und flegelartigen Schwanz, den sie als schmerzhafte Waffe einsetzt, herausgezogen werden.87 Es sollte sich zeigen, dass der Gegenkalif ebenso schwer aus seiner Hochburg Mekka herauszubekommen war. Muʿāwiya hatte bereits eine Armee unter dem eigenen Bruder des Gegenkalifen, Amr ibn al-Zubair, gegen die heilige Stadt entsandt. Die Streitmacht war besiegt und Amr am Tor des Kaaba-Bezirks entkleidet und zu Tode gepeitscht worden.88 Der neue Kalif in Damaskus, Yazīd, schickte eine viel größere Truppe. Mekka wurde erneut belagert; diesmal wurde die Kaaba selbst zum Opfer, als sie von Katapultmaschinen, sogenannten Mangonellen, in Stücke geschossen und von Brandstiftern angezündet wurde. Während dies geschah, starben kurz hintereinander Yazīd und dann sein eigener Sohn und Nachfolger Muʿāwiya II., beide eines natürlichen Todes.89 Unbeirrt von diesen unheilschwangeren Ereignissen wählte die Umayyaden-Familie in geheimer Klausur einen ziemlich entfernten,
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aber mächtigen Cousin, Marwān ibn al-Hakam, zum neuen Oberhaupt der Dynastie, während der Gegenkalif das zentrale Heiligtum des Islam wiederaufbaute.90 Doch Marwāns Kalifat währte nur einige Monate. Gerüchten zufolge starb er durch Gift, das ihm von seiner Gemahlin Fāchita („Turteltaube“) verabreicht wurde. Sie war davor mit Yazīd verheiratet gewesen, und ihr Sohn von ihm war von der Thronfolge ausgeschlossen worden.91 Wenn das stimmt, dann war die Ermordung vergebens: Alle kommenden umayyadischen Kalifen waren Nachfahren Marwāns und sind daher oft als Marwaniden bekannt. Eine Zeitlang war Unordnung an der Tagesordnung. Wieder einmal war die von Mohammeds Revolution erreichte außergewöhnliche Einheit in Schutt und Asche gelegt worden, wie ihr Symbol, die Kaaba. Und auch wenn der Gegenkalif diesen „Nabel der Erde“92 wiederaufbaute, sah es so aus, als würde das Symbol nie wieder die Realität widerspiegeln: So gab es etwa im Jahr 688 vier getrennte mekkanische Wallfahrten von Anhängern des Kalifen, des Gegenkalifen, einer protoschiitischen Gruppe, die das Andenken Alis hochhielt, beziehungsweise einer charidschitischen Gruppe, die es schmähte.93 Ein abschließender Pflock wurde in das Herz der Einheit getrieben, als Marwāns Sohn, der neue Damaszener Kalif Abd al-Malik die Pilgerreise nach Mekka sogar verbot: Angeblich hatte der Gegenkalif begonnen, mekkanische Pilger zu zwingen, ihm selbst Treue zu schwören. Abd al-Malik erklärte Jerusalem zum Ersatzziel und erbaute den Felsendom,94 der 691 fertiggestellt wurde und künftig als Zentrum der umgeleiteten Wallfahrt dienen sollte. Dieses goldene architektonische Symbol des Islam, errichtet auf dem verwaisten Tempelberg der Juden und von christlichen byzantinischen Kunsthandwerkern ausgeschmückt, erwuchs aus arabischer Uneinigkeit. Doch der Felsendom war beinahe augenblicklich dazu verurteilt, ein großartiger nutzloser Prunkbau zu werden. Denn ausgerechnet jetzt, im Jahr 692, startete Abd al-Malik eine weitere Großoffensive gegen die Eidechse in ihrem mekkanischen Schlupfwinkel. Die Kaaba wurde erneut beschossen, aber diesmal fiel auch die Stadt, und prompt begab sich der Kopf von Abdallah ibn alZubair nach Damaskus.95 Die gemeinsame mekkanische Wallfahrt war wieder auf dem richtigen Weg. Und ironischerweise trat die Arabische Halbinsel jetzt, wo sich die Frömmigkeit der Pilger abermals allein an ihr, sprich: Mekka ausrichtete, politisch und in jeder anderen Hinsicht in den Hintergrund, bis dort 1300 Jahre später Öl entdeckt wurde. An das Jahr der Niederlage des Gegenkalifen erinnert man sich als an das zweite umayyadische „Jahr der Einheit“96 … Wie beim ersten drei Jahrzehnte zuvor war der Wunsch der Vater des Namens. Denn das mekkanische Gegenkalifat hatte Uneinigkeiten erzeugt, die seine Niederschlagung lange überdau-
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erten. Vor allem verschärfte es die „Nord-Süd“-Spaltung, die bald weit entfernt, aber mit katastrophalen Folgen, in der östlichen Provinz Chorasan wieder auftauchen sollte. Allerdings entstanden schon längst in größerer Nähe zur Heimat Probleme, nämlich in jenem äußerst wichtigen Land, dem Schmelztiegel Irak.
Der wortgewandte Tyrann Nicht nur die Hauptverlierer in diesem ersten großen Schisma, die Schīʿa von Ali, sammelten im Irak erneut ihre Kräfte. Das taten auch ihre noch stureren Erzfeinde, die Charidschiten – die „Aufgeber“, die Ali unterstützt und sich dann gegen ihn gewendet hatten. Die Anwesenheit beider Gruppen machte nicht nur den Einheitsgedanken zu einem Hirngespinst, sondern stellte auch eine unmittelbare Gefahr für die Stabilität des Umayyaden-Kalifats dar. Daher ließ Abd al-Malik seinen imperialen Rottweiler, al-Hadschādsch, auf sie los, einen Vizekönig, dessen Biss genauso schlimm war wie sein Bellen. Al-Hadschādsch ibn Yūsuf war als Schulmeister von der prügelnden Sorte ins Leben getreten; später jedoch fand er seine wahre Berufung als Soldat und „Gauleiter“. Längst berüchtigt wegen seiner Strenge, war er es, der die Niederlage des Gegenkalifen federführend geplant hatte. Im Lauf der folgenden paar Jahre fungierte er als umherziehender Problemlöser und schlug in verschiedenen Teilen der Arabischen Halbinsel Widerstand gegen die Umayyaden nieder. Jetzt, gegen Ende des Jahres 694, entsandte Abd al-Malik ihn, damit er in jenem schwierigsten Land von allen, Irak, für Ordnung sorgte.97 Der neue Vizekönig war außerdem berüchtigt für seine Rhetorik: AlHadschādsch auf der Kanzel – die Moschee bildete wie immer den politischen Mittelpunkt – lässt Hitler auf den Nürnberger Reichsparteitagen blass aussehen. Seine Grundsatzrede hielt al-Hadschādsch, inkognito, nach seiner Ankunft in al-Kūfa, das zu der Zeit eine Hochburg der charidschitischen Opposition war. Das Haupt nach Art der Charidschiten in einen roten Turban gehüllt, erklomm er die Stufen der Kanzel, ließ seinen Blick über all die anderen roten Turbane vor ihm gleiten und begann mit einer Gedichtzeile: Ich bin der Sohn der Helligkeit, Bezwinger der Pässe des Faltengebirges: Wenn ich mich entschleiere – werdet ihr mich erkennen! Solcherart als Luzifer, finsterer Bringer des Lichts, offenbart, fuhr er fort: Ich komme und überbringe Böses für Böses, Last für Last. Ich messe die Sandalen des Bösen an ihren Profilen. Ich vergelte Böses mit Bösem. Und
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ich sehe Köpfe, die reif sind zum Abhacken, Köpfe, die abzuhacken an mir ist. Zwischen Turbanen und Bärten sehe ich Blut hervorsickern …98 Bewaffnete Männer bewachten die Ausgänge und warteten darauf, dieses Blut zu vergießen. Oft begann er eine Rede leise, beinahe unhörbar, um sich dann in ein Crescendo zu steigern, bis er auch die Gläubigen in den fernsten Winkeln der Moschee in Angst und Schrecken versetzt hatte.99 Doch es war nicht alles Blut und Donner. Er könne so sanft überzeugend sein, sagte einer seiner Zuhörer, dass man am Ende meinte, er persönlich wäre von den Irakern schlecht behandelt worden und seine Ausbeute an Köpfen wäre vollauf gerechtfertigt.100 Mit anderen Worten, er besaß die höchste Qualifikation des Rhetorikers: Er konnte einen eine übertrieben dramatische Wahrheit glauben machen, die der beobachtbaren Realität fundamental widersprach. „Dieser Feind Allahs“, bemerkte ein anderer Zeitgenosse nach seinem Sturz, pflegte das knallbunte Gewand einer Hure anzulegen, auf die Kanzel zu steigen und die feinen Worte feiner Männer zu sprechen – und dann, wenn er herabstieg, den Pharao zu spielen. Er log in seiner Rede schlimmer als der Antichrist.101 Im Irak den Pharao zu spielen, bedeutete einigen Schätzungen zufolge, 120 000 Charidschiten und andere Gegner der Umayyaden kaltblütig töten zu lassen. Dann waren da noch die Opfer – 50 000 Männer und 30 000 Frauen –, die in seinen Kerkern starben, und die Zahllosen, die bei Kämpfen getötet wurden.102 Sind diese Zahlen übertrieben? Selbst um das Zehnfache reduziert, wären sie noch immer entsetzlich. Wie manche anderen Schulmeister und Diktatoren genoss auch alHadschādsch seinen Ruf als schwarzer Mann: „Ich bin hartherzig und bösartig, grausam und eifersüchtig“, gab er einmal zu.103 Als Redner-Despot war er eine finsterere Version der alten tribalen saiyids und chatībs, die mit Worten herrschten, und seine berauschende Mischung aus Eloquenz und Gewalt hat eine dunkle Faszination ausgeübt: In Ibn Challikāns großartigem biografischen Wörterbuch der arabischen Welt aus dem 13. Jahrhundert ist der dreizehnseitige Eintrag zu al-Hadschādsch, dem Mann, den man gerne hasst, einer der längsten.104 Er war ein Vorbild für den modernen Herrscher des Irak, Saddam Hussein, und hat, wie dieser Jünger des 20. Jahrhunderts, heute sehr viele Bewunderer. „Niemand außer al-Hadschādsch und Saddam konnte diese grässlichen Iraker unter Kontrolle halten!“ ist eine Ansicht, die ich mehr als einmal gehört habe.
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Bei all seiner Grausamkeit war al-Hadschādsch einer der großartigsten arabischen Redner in der Geschichte. Der Überlieferung nach brachte ihn nur eine Person zum Verstummen – die Gemahlin des Kalifen al-Walīd ibn ʿAbd al-Malik, die, während al-Hadschādsch gemütlich bei ihrem Mann saß, eine Dienerin zu ihrem Gemahl schickte, um ihn zu fragen: „Wie kannst du mit diesem vor Waffen starrenden aʿrabi dasitzen, während du nichts als eine leichte Tunika trägst?“ Als der Kalif eine Nachricht zurückschickte, die klarstellte, dass der aʿrabi in Wirklichkeit al-Hadschādsch sei, sein Statthalter im Irak, „war sie entsetzt und sagte ihm: ‚Bei Allah, ich sehe dich nicht gerne allein mit einem Massenmörder!‘“ Al-Hadschādsch, der den Wortwechsel mit der Magd mitbekam, erteilte dem Kalifen eine Lektion darüber, wie wichtig es sei, nicht auf das Geplapper von Frauen zu hören. Dies wiederum wurde al-Walīds Frau hinterbracht, und am folgenden Tag forderte sie al-Hadschādsch auf, ihr seine Aufwartung zu machen. Sie ließ ihn warten; und als er schließlich ihrer verschleierten Gegenwart für würdig erachtet wurde, musste er stehen bleiben – und erhielt seinerseits eine Lektion, die so begann: Wenn Allah dich nicht zum Elendesten Seiner Schöpfung gemacht hätte, dann hätte er dich nicht ausgewählt, um die Kaaba zu beschießen! In diesem Stil ging es weiter, und sie schloss mit abfälligen Bemerkungen über seine Männlichkeit. Al-Hadschādsch flüchtete zum Kalifen und gestand: „‚Sie hörte nicht auf, bis ich wünschte, die Erde würde mich verschlucken.‘ Und al-Walīd lachte so sehr, dass er mit den Füßen auf dem Boden scharrte.“105 Dem Mann selbst, der so viele Tote zu verantworten hatte, war es bestimmt, im Bett zu sterben. Aber sein Ende kam nicht ohne eine schaudererregende Wendung. Als er spürte, dass der Tod nahte, ließ al-Hadschādsch angeblich einen Astrologen kommen und fragte, ob er den bevorstehenden Tod eines Herrschers vorhergesagt habe. „Das habe ich“, sagte der Astrologe, „aber du bist es nicht … denn derjenige, der sterben soll, heißt ‚Kulaib‘.“ Und al-Hadschādsch erwiderte: „Nein; das bin ich. Denn so pflegte meine Mutter mich zu nennen.“106 Wenn man einer anderen Anekdote glauben kann, so war es Kulaibs, des „Welpen“, frühe Kindheit, die seine zukünftige Laufbahn beeinflusste. Nachdem er
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sich geweigert hatte, die Milch seiner Mutter oder die von Ammen zu saugen, wurde er gezwungen, Tage hintereinander das Blut zweier schwarzer Lämmer, eines schwarzen Zickleins und einer schwarzen Schlange zu lecken. Das Mittel wirkte, „aber danach konnte er dem Blutvergießen nicht widerstehen, weil ihm dies am Anfang seines Lebens zugestoßen war“.107 Al-Hadschādsch hinterließ dem Irak ein blutiges Erbe, das zu dem hinzukam, welches der Krieg zwischen Muʿāwiya und Ali hinterlassen hatte. Außerdem hinterließ er ein Erbe der Spaltung. Wie wir gesehen haben, wurden die ursprünglich kosmopolitischen neuen Städte des Irak, die amsār, auf seinen Befehl in Apartheid-Reservate verwandelt, zu denen nur Zutritt hatte, wer Arabisch sprach.108 Als al-Hadschādsch seine eigene neue Stadt gründete, Wasīt, „Mittelweg“ – weil sie auf halbem Weg zwischen al-Basra und al-Kūfa lag –, sprach ein Einfaltspinsel angeblich die Wahrheit aus, die niemand sonst zu äußern wagte: „Al-Hadschādsch ist ein Narr. Er erbaute die Stadt im Land der [einheimischen] Nabatäer, dann sagte er ihnen, sie dürften sie nicht betreten!“109 All das war Teil des zum Scheitern verurteilten Versuchs sozialer Steuerung, der darauf abzielte, Araber als die herrschende Kaste zu erhalten. Aber der Trend, gegen den Al-Hadschādsch und seine umayyadischen Oberherren sich zu stemmen versuchten, war unaufhaltsam.
Mischsprache Die Flut war nirgendwo sichtbarer – oder vielmehr hörbarer – als in der Art und Weise, wie das gesprochene Arabisch sich veränderte. Nichtaraber lernten die Geheimnisse der alten Hochsprache; gleichzeitig verloren Araber selbst die Stimme, die sie der Einheit nähergebracht hatte, als sie es die längste Zeit ihrer Geschichte gewesen waren. Dass Araber in den amsār zusammenblieben, hatte zunächst gewährleistet, dass sie ihre Sprache behielten: Im Irak, in Ägypten und in Tunesien über neue und blühende Städte zu verfügen, die geballte Zentren des Arabischseins waren, bedeutete, dass die Menschen außerhalb dieser Städte im Lauf der Zeit in Schrift und Sprache arabisiert wurden und nicht umgekehrt aus den dortigen Arabern Perser, Kopten oder Berber wurden. Das Gegenteil geschah in Regionen, wo es keine amsār gab: In der riesigen östlichen Provinz Chorasan beispielsweise sprachen die meisten ethnischen Araber spätestens Mitte des 8. Jahrhunderts Persisch.110 Aber in den Herzen der amsār, in ihren innersten Räumen, veränderte sich das Arabische. Abgesehen vom Hocharabischen der Poesie und des Koran hatte das Alltagsarabisch immer in unterschiedlichen Varianten existiert, aber diese waren überall in Arabien für beide Seiten leicht verständlich gewesen. Was jetzt
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geschah, war, dass die Sprache muwallad, eine Mischsprache wurde – denn auch wenn man die einheimischen Männer von den amsār fernhalten konnte, die einheimischen Frauen konnte man nicht aussperren. ʿArab-Sein kam von der Vaterlinie, aber was als Arabisch galt, kam sehr oft von der anderen Seite des Familienstammbaums; der Begriff „Muttersprache“ spricht für sich. Man füge der verstümmelten Sprache von Nebenfrauen/Müttern darüber hinaus das Küchenarabisch von Ammen und Haussklaven hinzu, und die Sprache der Engel wird auf die Erde fallen. Al-Dschāhiz sammelte ein Kapitel voll ausgesuchter Verballhornungen. Dazu gehört, wie die persische Mutter der Söhne des Dichters Dscharīr einem von ihnen zu sagen versucht, dass Ratten (dschirdhān) an ihren Teig (ʿadschīn) gegangen seien – was herauskam als: „Zwei Truppen Berittener (dschurdhān) sind an meinen Hintern (ʿidschān) gegangen.“ Die Jungen baten sie, still zu sein, wenn sie Gäste hätten. Ein anderer berühmter Schnitzer war der eines persischen Klienten von Muʿāwiyas Statthalter im Irak, Ziyād. Der Mann brauchte ein Grautier (ḥimār), bat Ziyād jedoch, weil er in die ḥ/h-Dauerfalle tappte, um einen sinnlosen himār. „Was zum Teufel redest du da?“, fragte ihn Ziyād. „Ich bat dich, mir einen air zu geben“, sagte der Mann, erfreut darüber, dass ihm ein Synonym eingefallen war; nur dass er statt um einen ʿair, „einen Esel“, mit einem stimmhaften Rachen-Reibelaut ʿain, nun um einen stimmlosen air, „einen Penis“, gebeten hatte: „‚Das zweite ist schlechter als das erste‘, sagte Ziyād.“111 Tatsächlich verschlechterte sich das Arabische immer weiter. Gerade die Geschlechter ließen sich leicht beugen. Dscharīrs Nebenfrau mag den Mund gehalten haben, wenn Gäste zum Essen kamen, aber, seufzte er, „das erste, was ich von ihr höre, wenn ich mit der Sonne aufstehe, ist, dass Feminina vermännlicht werden und Maskulina verweiblichen“.112 Es war, als hätten die Briten in Indien, die ursprünglich ihre eigenen regionalen Varianten des Englischen sprachen – Schottisch, Irisch, Cockney und so weiter –, sich aber untereinander alle verstanden und alle ein mustergültiges reines Englisch schrieben, ihre Söhne nicht nur niemals zurück in die Heimat zur Schule geschickt, sondern sich selbst auch nicht von den einheimischen Frauen fern gehalten. Nachfolgende Generationen von „Kims“ wären immer dunkelhäutiger geworden und immer stärker in ein Anglo-Indisch verfallen, in dem nicht nur das Vokabular, sondern auch die grundlegendste Grammatik auf das Niveau einer Pidgin-Sprache reduziert wurden. Selbst das reine Arabisch ließ nach. Al-Walīd ibn ʿAbd al-Malik neigte zu Flüchtigkeitsfehlern, weil er, wie erwähnt, niemals Sprechunterricht im traditionellen Beduinen-„Internat“ erhalten hatte.113 Seine Ausrutscher, klagte ein
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Zuhörer, untergruben seine Würde.114 Das ist wahrscheinlich keine Übertreibung, denkt man an seinen berühmtesten Fauxpas, als er jemanden fragen wollte: „Man chatanuka?“ – „Wer ist dein Schwiegervater?“, aber stattdessen fragte: „Man chatanaka?“ – „Wer hat dich beschnitten?“115
Verlorener als Waisen Zwar beherrschten Araber selbst ihre eigene ausdrucksstarke, jedoch an Fallstricken reiche Sprache immer weniger, dafür aber spitzten Nichtaraber ihre Federn und begeisterten sich schnell für die vermehrt geschriebene Hochsprache. Das Arabische fand Eingang in den exklusiven Klub der bedeutenden Weltsprachen. Was die geografische Verbreitung betraf, sollte es seine verbrauchten Artgenossen, Griechisch und Latein, weit hinter sich lassen. Auch Araber ließ es hinter sich; nicht nur das, vielmehr nahm die ganze Sache mit dem Arabischsein allmählich ungeahnte Dimensionen an. Arabisierung bedeutete nicht immer Islamisierung: Es gab sehr viele Arabisch sprechende Menschen, die keine Muslime waren – und daran hat sich bis heute nichts geändert. Doch anfangs bedeutete Muslim zu werden in der Regel, „Araber“ zu werden, in dem Sinne, dass der frischgebackene Muslim sich als maulā einem arabischen Stamm anschließen musste.116 Aber Neumitglied eines Stammes zu werden machte einen nicht plötzlich zu einem Stammesaraber: Maulās hatten ihre eigenen konstanten „inneren Welten“, um V.S. Naipauls Begriff noch einmal aufzugreifen, und maulās waren die Mehrheit. Was geschah, war, dass die arabische Sprache und der Islam eine neue kulturelle Einheit zuwege brachten, aber eine von der Art, wie sie in dem alten (bis 1956 gültigen) Motto der Vereinigten Staaten von Amerika (und des Gentlemanʼs Magazine) angestrebt wurde: E Pluribus Unum, „Aus vielen eines“. Araber hatten sich lange durch Abgrenzung von anderen definiert, vor allem sprachlich – ʿarab versus ʿadscham –, nun aber bezogen die anderen sich in die Definition ein und verwirrten sie so mit zusätzlichen Bedeutungen. Ein frühes Beispiel für diese Verwirrung ist das von Ziyād, dem bereits erwähnten umayyadischen Statthalter des Irak. Unter Historikern ist er meist als Ziyād „ibn Abīhi“ bekannt – „der Sohn Seines Vaters [soll heißen: wer auch immer sein Vater gewesen sein mag]“. Sein nomineller Vater war ein persischer Sklave; man hat behauptet, sein richtiger Erzeuger sei das alte heidnische Oberhaupt von Mekka ge-
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wesen, Muʿāwiyas Vater Abū Sufyān, und tatsächlich erkannte Muʿāwiya später Ziyād als seinen Halbbruder an. Was auch immer dran ist an der Behauptung, in Ziyāds Fall war es seine Redegabe, die ihm die Macht verschaffte, die er später ausübte. „Bei Allah, gehörte dieser Bursche zu den Quraisch, würde er die Araber mit seinem Stock vor sich hertreiben“, sagte ein Quraisch, der ihn als Jugendlicher reden hörte. Zu guter Letzt mogelte sich Ziyād nicht nur in den Stamm des Propheten, sondern endete auch als Bruder des Kalifen und Vizekönig – und das vor allem wegen „seines edlen Charakters und seiner Wortgewandtheit“.117 Das Arabische hatte Araber ethnisch geeint, noch bevor Mohammed ihre Stimme politisch einte; nach ihm begann es sie zu scheiden. Wie eine vermeintlich uralte Prophezeiung es ausdrückte, machte sayyid al-kalam – das Arabische, „der Herr der Rede“ – Herren aus seinem Volk;118 aber es befähigte auch andere. Die traditionelle Lösung bestand darin, diese anderen in das Stammessystem aufzunehmen, wenn schon nicht als wirkliche Brüder, dann als eingegliederte maulās. Das funktionierte auf altarabischer Ebene bis zu der Zeit von Ziyād und seinen Brüdern. Es funktionierte nicht, als die frisch Befähigten der unterworfenen Länder die Eroberer zahlenmäßig zu übertreffen begannen. Angesichts der Tatsache, dass die „Herrenrasse“ unter sich gespalten und ihre herrschende Dynastie fest entschlossen war, traditionelle Vorstellungen von Arabischsein und Königtum beizubehalten, stellte sich die Frage, wie sie mit der Pluralität eines Imperiums zurechtkommen konnten. Viele konnten es nicht und fanden Zuflucht in jener Bastion umkämpfter Imperien, dem Chauvinismus. Trotz Mohammeds berühmter Erklärung in seiner Abschiedspredigt, dass kein Araber einem Nichtaraber überlegen sei, außer an Frömmigkeit,119 sahen sich einige Völker, die nicht auffallend unfromm waren, besonderer Schmähung ausgesetzt: Berber und Slawen [barābira wa-saqāliba], Dscharmaqīs und Dschardschūmīs [persische Wüstenbewohner und antiochenische Marschbewohner], Kopten und Nabatäer [aqbāt wa-anbāt] und der Abschaum der Menschheit …120 Mit diesen Worten qualifizierte ein arabischer Krieger diese Gruppen in einem Anfall von schrillem Nationalismus ab. Daraus sprach Hochmut, aber auch Furcht. Die Furcht war wohlbegründet. Das Reich wurde immer größer und vielfältiger: Der Superüberfall hatte eine Eigendynamik entwickelt, es kam zu einer Eroberungskettenreaktion, und die Überfallenden waren in zunehmendem Maße
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Nichtaraber. Der Eroberer Spaniens, um ein besonders ungeheuerliches Beispiel zu nennen, war Tāriq ibn Ziyād, und er war der maulā eines maulā. Indirekt begann seine Geschichte, als in den 630er-Jahren der quraischitische Befehlshaber Chālid ibn al-Walīd eine Kirche im Irak überfiel und eine bemerkenswerte Schar Gefangener machte. Unter ihnen waren der Großvater von Mohammeds berühmtestem Biografen, der zukünftige Begründer der Kunst islamischer Traumdeutung und ein arabischer Christ namens Nusair.121 Letzterer wurde Sklave und dann freigelassener maulā des umayyadischen Clans,122 und sein Sohn, Mūsā ibn Nusair, erbte folglich den Status eines maulā. Mūsā sollte später die Streitkräfte anführen, die überall in Nordafrika Überfälle verübten und dabei im ersten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts bis nach Tanger gelangten. Seine arabischen Krieger schienen eine unaufhaltsame Glückssträhne zu haben – außer dass sie inzwischen das Ende der damals bekannten Welt erreicht und unterwegs so viele Berber aufgenommen hatten, dass die Streitmacht kaum noch eine „arabische“ genannt werden konnte. Und es gab ein weiteres Problem: Die ganzen zusätzlichen Räuber mussten bezahlt oder ihnen zumindest Bett, Tisch und Beute (und Bettgenossinnen) gegeben werden. Notgedrungen richtete sich Mūsās Blick nordwärts, über die Straße von Gibraltar, nach Spanien, und es war sein berberischer Stellvertreter und maulā Tāriq ibn Ziyād, den er im Jahr 711 über das Wasser schickte, um die Iberische Halbinsel den Westgoten zu entreißen. (Unterwegs gab Tāriq dem an eine Haifischflosse erinnernden Berg im Meer seinen Namen, „Dschabal Tāriq“, was spanische Zungen zu „Gibraltar“ verdrehten.) Die lange und ruhmreiche Geschichte des arabisch-muslimischen al-Andalus begann folglich mit einem berberischen ExSklaven des Sohnes eines christlichen Ex-Sklaven. Ungefähr so wie die arabischen Minderheiten der heutigen Golfstaaten es Massen nichtarabischer Arbeitskräfte, meistens aus Südasien, überlassen, ihre Länder am Laufen zu halten und für das Wachstum ihrer Volkswirtschaften zu arbeiten, lagerten Araber des umayyadischen Zeitalters die Aufgabe der imperialen Expansion an Subunternehmer aus. Es scheint unwahrscheinlich, obschon nicht unmöglich, dass Tāriq der Berber auf Hocharabisch die Ansprache hielt, die ihm vor der Entscheidungsschlacht mit dem Westgotenkönig Roderich (einem der in Qusair Amra, dem Wüstenpalast der Umayyaden, dargestellten Herrscher) in den Mund gelegt wurde. Aber sie ist es wert, zitiert zu werden, denn sie zeigt, wie Historiker in der Rückschau die Eroberung Spaniens arabisierten: Männer, wohin könnt ihr fliehen, wenn das Meer hinter euch und der Feind vor euch ist? Alles, was ihr tun könnt, ist treu und standhaft zu
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sein. Denn ihr müsst wissen, dass ihr auf dieser Insel [d.h. der Iberischen Halbinsel] verlorener seid als Waisen bei den Gelagen böser Männer … Bald verfällt die Ansprache in jene älteste arabische Form von Hochsprache, die rhythmische Reimprosa: … Ihr habt gehört von diesen liebreizenden Huris, die diese Insel hervorgebracht hat, / Töchter der Griechen [sic] kraft Geburt, / Jungfrauen, umrankt von Perlen und Edelsteinen / und Goldbrokat vom Kopf bis zu den Beinen; / einsam in ihren Palästen, wo an Königen Diademe scheinen. / Aus seinen Streitern hat [der Kalif] al-Walīd ibn ʿAbd al-Malik jeden von euch ausgewählt / zum arabischen Ritter, für den Kampf gestählt, / erfreut, dass ihr und die königlichen Damen dieser Insel sich werden verbinden, / und hofft, die Penetration wird Freude finden …123 Der letzte Satz bezieht sich auf die Penetration sowohl der Männer Roderichs mit Stahl in der Schlacht als auch der einsamen „Töchter der Griechen“ danach im Bett. Das Wortspiel dürfte, wenn es denn in der Realität umgesetzt wurde, über die Köpfe der berberischen Truppen weitergegeben worden sein, wie wohl die gesamte Ansprache. Aber bei der Ansprache geht es gar nicht um Realität: Sie ist eine imaginäre Arabisierung vermutlich nicht nur Tāriqs, der hier als arabischer Anführer und Redner alter Schule auftritt, sondern gewiss auch seiner berberischen Truppen, die zu „arabischen Rittern“ gemacht werden. Um das Imperium zu erobern und zu beherrschen, waren Südaraber bereits in Araber verwandelt worden; Historiker fabrizierten im Nachhinein noch mehr Araber aus noch weiter entfernt beschafften Materialien. Es war gut, dass Araber ihre zukünftigen Eroberungen auslagerten und den imperialen Impuls an andere weitergaben: Entlang so vieler Fronten verteilt, gab es einfach nicht genug Araber, um den Impuls alleine aufrechtzuerhalten. Es war ein Mangel, der in den ersten Jahren der Eroberungen verspürt worden war, als zu der ursprünglichen syrischen Front jene zweite, persische hinzugekommen war. Aber es bedeutete, dass Araber selbst in ihrem eigenen expandierenden Reich immer isolierter wurden. In den kommenden Jahrhunderten, als der Unterschied zwischen Ersatz- und echten Arabern sich verwischte und als offensichtliche Nichtaraber – Dailamiten und Türken – nicht nur den Impuls, sondern auch das Imperium selbst übernahmen, sollten diese ursprünglichen Araber mehr als bloß isoliert sein in der neuen Welt, die sie geschaffen hatten: Sie sollten verloren sein, verlorener als Waisen.
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Der Untergang des Hauses der Umayyaden Mit der Eroberung Spaniens im ersten Teil des 8. Jahrhunderts hatte die arabische Welt ihre Neuausrichtung auf einer völlig neuen Achse abgeschlossen. Sie war nicht länger nord-süd-orientiert, vom einen Fruchtbaren Halbmond zum anderen. Stattdessen verlief die neue Achse in Ost-West-Richtung, vom Maschrek zum Maghreb, vom Land der aufgehenden Sonne zu dem, wo sie unterging. Es war die Orientierung hin zu einer größeren, älteren Bühne der Geschichte, dem riesigen afro-eurasischen Ereignisschauplatz, und die Besetzung war gleichermaßen interkontinental. Ihre Herrscher, das Haus der Umayyaden, standen auf dem Gipfel ihrer Macht – und sie sollten bald von ihm herabstürzen, kopfüber. Denn die Bedrohungen vervielfachten sich: Mit dem Gegenkalifat in Mekka mochte man fertiggeworden sein, aber im gärenden Tiefland des Irak stellten Pro- und Anti-Ali-Gruppen eine doppelte Gefahr für die Herrschaft von Damaskus dar, die selbst der grausame al-Hadschādsch nicht hatte eindämmen können. Und weit im Osten, jenseits der zentraliranischen Wüste und nahe bei Afghanistan, stieg die Temperatur in einer anderen Brutstätte der Revolte, der Provinz Chorasan. Schon zu Zeiten des Kalifats von Muʿāwiya waren Araber in Chorasan nicht willens gewesen, die im Zuge ihrer Eroberungen angehäufte Beute auszuhändigen.124 Chorasan schien eine Welt für sich zu sein, eingeklemmt zwischen Fluss, Wüste und Gebirge. Ein eigenständig denkender Führer dort konnte das Land praktisch als sein eigenes riesiges Lehen beherrschen. Wenn man, wie ein Statthalter des späten 7. Jahrhunderts, al-Muhallab, 300 Kinder zeugte, war das nicht nachteilig für den Aufbau einer treuen Gefolgschaft. Sein Nachwuchs bildete einen ganzen arabischen Unterstamm, die Mahāliba.125 Ein späterer Statthalter, Qutaiba ibn Muslim, fand es weniger anstrengend, seine Hausmacht zu importieren, statt sie selbst zu zeugen. Wie al-Muhallab, aber anders als die formbareren gleichzeitigen Befehlshaber im Westen des Reiches, war Qutaiba der Herkunft nach ein Araber von der Arabischen Halbinsel, und viele der Männer unter ihm waren unerfahrene Neulinge aus der Golfregion – „Aʿrāb“ nannte Qutaiba sie, als er ihnen eine Predigt hielt: Und was sind die aʿrāb? Allahs Fluch über die aʿrāb! Ich habe euch aufgelesen, wie die Spreu der Erntezeit aufgelesen wird, von den Orten, wo Wermut und Zitronenkraut wachsen, von den Orten, wo der Mannabaum wächst, von der Insel Abarkavan [Qeschm]. Ihr seid auf Rindern geritten und habt von Tierfutter gelebt. Und ich habe euch auf Pferde gesetzt und euch mit Waffen gegürtet, damit Allah durch eure Bemühungen dieses Land unüberwindbar macht und seine Kriegsbeute häuft!126
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Die Teambuilding-Rhetorik funktionierte, und im ersten Teil des 8. Jahrhunderts führte Qutaiba seine Streitkräfte über den Fluss Amudarja, den antiken Oxus, und in die reichen Länder Transoxaniens. Irgendwann stieg ihm der Erfolg zu Kopf: Er schrieb an den unlängst eingesetzten Kalifen Sulaimān ibn Abd al-Malik und drohte, „die Gefolgschaftstreue abzustreifen wie in Paar Sandalen“ und ein Heer gegen ihn zu entsenden.127 Aber keiner seiner Männer wollte ihm folgen, und im Jahr 715 wurde Qutaiba umgebracht.128 Der nächste Statthalter von Chorasan, Yazīd ibn al-Muhallab, war einer der 300 Sprösslinge jenes früheren Statthalters. Ungemein tüchtig, war er bereits einmal auf den Statthalterposten nachgefolgt, war aber in Ungnade gefallen, gefangen gesetzt worden und später entflohen. Nun wieder in den Posten eingesetzt, machte er sich daran, seinen Ruf aufzupolieren, indem er das Reich weiter vergrößerte, vor allem in den an das Kaspische Meer angrenzenden Regionen. Wie so oft war das Problem die Aufteilung der Kriegsbeute: Er wurde von Damaskus beschuldigt, Beutegut zurückzuhalten, abermals ins Gefängnis geworfen, aus dem er abermals entfloh. Und diesmal schlug er zurück, indem er, wie Qutaiba, den Umayyaden die Gefolgschaft aufkündigte. Im Jahr 720 besiegt, hatte Yazīd einigen Berichten zufolge beabsichtigt, selbst nach dem Kalifat zu greifen.129 Ob die Behauptung stimmte oder nicht, es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Chorasan als Sprungbrett für Aufstände diente. Das nächste Mal jedoch sollte die Erhebung ein eindrucksvoller Erfolg sein, der eine neue Herrscherdynastie begründete. Die Anfänge dieser neuen Dynastie, der Abbasiden, und das Ende der Umayyaden sind mit dem dritten jener abgetrennten Köpfe in der Audienzhalle in al-Kūfa verbunden, dem des Ur-Schiiten al-Muchtār. Während seines kurzen, aber blutigen Aufstands im Irak hatte al-Muchtār sich für Mohammed, den Halbbruder von al-Husain ibn Ali, der den Märtyrertod gestorben war, als Imam stark gemacht. Mohammed war nach seiner Mutter bekannt als Ibn alHanafiyya. Bei seinem Tod im 1. Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts war das imaginäre Imamat auf seinen Sohn, Abu Hāschim, übergegangen. Im Namen dieses Letzteren etablierte sich überall im Osten des Reiches und insbesondere in Chorasan, das traditionell ein fruchtbarer Boden für Splittergruppen war, eine revolutionäre Bewegung, die sich Hāschimiyya nannte. Abu Hāschim starb 716 oder 717, ohne irgendwelche Söhne zu hinterlassen; allerdings vermachte er das Imamat großzügig dem lebenden Oberhaupt eines anderen Zweigs der Familie – dem, der von al-Abbās abstammte, dem Onkel väterlicherseits sowohl seines Großvaters Ali als auch des Propheten Mohammed … oder zumindest war es das, was die Herrscher des abbasidischen Zweigs später behaupteten. Die Behauptung hinsichtlich des „Vermächtnisses“ mag ein Versuch gewesen sein,
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den gewöhnlichen unverhüllten Griff nach der Macht mit einem Feigenblatt der Legitimität zu bemänteln. Was auch immer die Wahrheit war, jedenfalls begann der abbasidische Feldzug im Jahr 747 in Chorasan im Namen der Hāschimiyya. Es war eine Revolution, die ein ganzes Sammelsurium von Unzufriedenen zusammenführte – kompromisslose Haschimiten, persische Kleinbauern und Adlige (größtenteils noch nicht islamisiert), in der zweiten und dritten Generation persianisierte Araber, arabische Ankömmlinge aus jüngster Zeit aus jener anderen Brutstätte, Irak, und sie alle hatten genug von ihren abwesenden Grundherren im fernen Damaskus –, und sie wurde federführend geplant von einem maulā, Abū Muslim. Es ist unklar, ob Abū Muslim persischer, arabischer oder kurdischer Abstammung war, 130 aber er sprach Arabisch und Persisch131 und höchstwahrscheinlich handelt es sich bei ihm um einen persischen Sklaven. Jedenfalls war er ein weiteres jener komplexen Produkte imperialer Verwischung, einer der hybriden Akteure, die allmählich den arabischen Impuls und die alte arabische Sprachfertigkeit erbten. Wenn Abū al-Abbās, der spätere erste abbasidische Kalif, seine Rolle in der Revolution pries, pflegte Abū Muslim unweigerlich in makellosen arabischen Versen zu antworten: Ich habe erreicht, da verschlossen und verschwiegen, Was Marwāns Söhne nicht konnten kriegen. Ich machte – nie erlahmte mein Eifer – viel Kummer Denen, die zu Syrien sich wiegten im Schlummer. Dann meines Schwertes Hiebe sie erschreckten Und aus nie tiefer geschlafenem Schlaf erweckten. Wer seine Schafe weidet auf bestienvollem Land Und achtlos ist, gibt sie dem Löwen in die Hand.132 Damals versuchte der Statthalter der Umayyaden in Chorasan, seinen Herrn auf die Gefahr aufmerksam zu machen – ebenfalls in jenem pointierten Medium, dem Vers, und ebenfalls die Metapher des Schlafs verwendend, allerdings vermischt mit der des Feuers: Unter Asche sehe ich Feuersglut, Bald wird sie Zündstoff erhalten. Ein Feuer entsteht aus Feuerstein, Aus Worten Krieges Gewalten. Wenn die Verständʼgen nicht löschen alsbald – In Köpfen und Körpern wird sichʼs entfalten.
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Ich wolltʼ, ich wüsstʼ, ob Umayyaden Schlafen oder Wache halten. Und sollten sie schlafen zurzeit, so sag: Erhebt euch und trefft zum Löschen Anstalten!133 Der Weckruf verhallte ungehört. Doch keineswegs schlummernd, war Kalif Marwān II. ibn Mohammed mit dem Versuch beschäftigt, einen charidschitischen Aufstand im Nordirak zu ersticken und mehreren anderen Ausbrüchen in diesem aufrührerischen Land beizukommen. Unterdessen verbreitete sich von Chorasan aus das Feuer größerer Umwälzung, bis es zu spät war, es auszutreten. In kaum mehr als zwei Jahren beseitigten die aufrührerischen Armeen die umayyadische Herrschaft in Persien und im Irak. In einem letzten Versuch, sein Reich zu retten, stellte Marwān II. sich ihnen im Januar 750 am Großen Zab, einem Nebenfluss des Tigris, entgegen. Muʿāwiya, der erste der umayyadischen Kalifen von Damaskus, war bei Siffīn am Euphrat aus der apokalyptischen Dunkelheit des Kampfs gegen Ali hervorgegangen. Jetzt senkte sich mit düsterer Symmetrie in einer Schlacht an einem Fluss auf der anderen Seite der mesopotamischen Ebene Dunkelheit über den letzten der Erben Muʿāwiyas. Die Revolutionäre hatten Schwarz zu ihrer Farbe gewählt, und in ihrer Vorhut flatterten schwarze Banner, getragen von Männern, die auf baktrischen Kamelen ritten … Marwān sagte zu denen in seiner Nähe: „Seht ihr, dass ihre Lanzen so dick wie Palmenstämme sind? Seht ihr die Feldzeichen an ihren Kamelen, schwarz wie Fetzen von Sturmwolken?“ Während er sprach, flogen aus irgendwelchen nahe gelegenen Gärten etliche schwarze Vögel auf und ließen sich zusammen auf dem ersten der Banner von Abdallah Ibn Ali [dem abbasidischen Feldherrn] nieder … Marwān verstand dies als böses Omen und sagte: „Sehr ihr nicht, dass Schwarz mit Schwarz verbunden ist und dass diese Vögel so schwarz wie Gewitterwolken sind?“ Dann wandte er sich an seine Kämpfer, und auch sie hatten das Leid, den Schrecken und das Verhängnis gespürt. „Ihr seid wahrlich eine ausgezeichnete Streitmacht“, sagte er. „Aber was nützt eine Streitmacht, wenn die Zeit an ihr Ende gekommen ist?“134 Alles war im Umsturz begriffen: Dunkelheit war aus dem Osten heraufgezogen, und die Tatsache, dass sie es auf den Rücken dieser absonderlichen zweihöckrigen Kamele getan hatte, unterstreicht, wie fremdartig die gegen Marwān aufgestellten Streitkräfte waren. Araber selbst waren, zuweilen von der Realität, an-
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sonsten durch Propaganda in jene nördlichen und südlichen arabischen Blöcke gespalten worden. Doch ihr Imperium verlief nun auf jener anderen, afro-eurasischen Achse: In Konflikten standen sich jetzt gewöhnlich Ost und West gegenüber – Ali im Irak bekämpfte Muʿāwiya in Syrien, Abbasiden in Chorasan traten Umayyaden in der Levante entgegen; später bekämpften Abbasiden in Bagdad neue Gegenkalifate sowohl in Ägypten als auch in al-Andalus. Das letztendliche Verderben sollte sowohl von Westen als auch von Osten über das arabische Reich hereinbrechen – das geringere Verderben der Kreuzzüge, dann das aus dem Osten drohende dunklere Verhängnis in Gestalt der Mongolen. Auch der – reale oder eingebildete – Konflikt unserer Tage verläuft tendenziell entlang einer Ost-West-Achse. Die Umayyaden hatten sich nie umorientiert, um sich den neuen Bedrohungen, der beängstigenden Pluralität zu stellen. Natürlich hatte ihr Untergang zahlreiche Gründe. Einer der wenigen Überlebenden des Geschlechts listete einige davon mit außerordentlicher Offenheit auf: die Liebe zum Luxus; die Unterdrückung des Volkes und die folgerichtige Unwilligkeit des Volkes, Steuern zu zahlen; die Plünderung der Staatskasse; unbesoldete Truppen, die auf die revolutionäre Seite gelockt wurden … insgesamt eine Mustervorlage für Niedergang und Sturz einer Dynastie. Vor allem aber, gestand der namenlose Überlebende, sei der Untergang der Umayyaden ihrem Realitätsverlust geschuldet: „Denn eine der wirkmächtigsten Ursachen unseres Ruins war die Tatsache, dass niemand uns sagte, was sich abspielte.“135 Oder vielmehr sagte man es ihnen, mit jenen Warnungen vor Feuer und Köpfen und Leichen; aber erst, als es zu spät war. Die Realität hatte Marwān II. in Gestalt der Niederlage am Großen Zab eingeholt. Nun verfolgte sie ihn nach Ägypten, wo er erfolglos versuchte, die Insignien des Kalifats – Gewand, Zepter und Stab – zu verstecken; sie wurden gefunden und er ebenfalls.136 Sein Kopf wurde an Abū al-Abbās geschickt, der in al-Kūfa sein Kalifat proklamiert hatte. Ein weiterer Kopf, eine weitere Symmetrie. Abū al-Abbās hatte unterdessen den ersten von vielen Brüchen mit der Vergangenheit vollzogen, indem er einen Kalifentitel annahm, „al-Saffāh“. Es ist ein eigentümlich passender Titel, da er vorausdeutet auf all die Asymme trien, die inneren Widersprüche, die seine Dynastie charakterisieren sollten, denn er bedeutet sowohl „der Geschenkemacher“ als auch „der Blutvergießer“. (Wie man es vom vieldeutigen Arabischen ja gewohnt ist, kann „al-Saffāh“ außerdem „der Wortbeherrscher“ bedeuten.) Was in gewisser Hinsicht die „arabischste“ Periode der arabischen Geschichte war – die Herrschaft der Umayyaden –, war auch die kürzeste, sie währte kaum mehr als ein Menschenalter. Aber es war eine Periode, in welcher, durch den Kniff mit der Abstammung, die Südaraber dem tribalen Stammbaum bei-
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gefügt und alle Bewohner der Arabischen Halbinsel endlich und unwiderruflich als Araber definiert wurden; eine Periode, in welcher ihr inzwischen riesiges Reich nach wie vor in der vielfältigen Landschaft ihrer subkontinentalen Heimat wurzelte. Was die Umayyaden selbst betrifft, so heißt es: Sie waren die Hauptader der Monarchie, und nur unten ihnen konnten Araber als echte Araber leben.137 Al-Dschāhiz, der bedeutende „Arabist“, der diesen Vers zitiert, sollte an dieser Stelle das letzte Wort zu den Umayyaden haben. Die Mitglieder der abbasidischen Dynastie, unter der er lebte, waren ʿadschamiyya churāsāniyya, Nichtaraber und Chorasaner. Die Angehörigen der umayyadischen Dynastie waren ʿarabiyya aʿrābiyya, Araber und beduinische Araber.138 Noch arabischer geht es nicht.
Hischāms Palast Die Umayyaden waren immer schon auch eine höchst spalterische Dynastie gewesen, wovon die vier Köpfe am Beginn dieses Kapitels Zeugnis ablegen – ganz zu schweigen von den Zehn-, wenn nicht Hunderttausenden anderer Köpfe, die im Verlauf ihrer 90 Jahre an der Macht fielen. Die Spaltungen sollten sich weit in Zukunft erstrecken. Nördlich der palästinensischen Stadt Jericho liegt eine weitere jener „Jagdhütten“ oder ländlichen Paläste wie Qusair Amra mit seinem Himmelsgewölbe und den Herrscherfresken. Das Jerichoer Monument heißt Chirbat al-Mafdschar, ist aber allgemein bekannt als Hischāms Palast. Zwar verbinden keinerlei Inschriften oder Dokumente den Ort tatsächlich mit Hischām, aber die prächtige Ausgestaltung des Bauwerks hätte zu diesem Kalifen gepasst, der die Poesie ebenso liebte wie den Luxus, und den wir bereits, gekleidet in rote Seite, triefend von Moschus und umgeben von Marmor und Gold, kennengelernt haben. Heute liegen die Trümmer des Palastes gegenüber denen einer jüngeren Anlage, eines palästinensischen Flüchtlingslagers, al-Nuwaiʿima. Perfekter könnte das falsche Pathos der Geschichte nicht veranschaulicht werden. Ein Beobachter, Sharif S. Elmusa, sieht das Ganze so: „Ein erschütternderes Sinnbild für den Kontrast zwischen der damaligen und heutigen Verfassung der Araber hätte der wildeste Dichter sich nicht ausdenken können.“139 Elmusa sollte es wissen: Er ist selbst Dichter, und er wuchs im Lager al-Nuwaiʿima auf. Aber die Keimzellen des Niedergangs – die familiären, sippenmäßigen, tribalen und sektiererischen Rivalitäten – waren schon da, bevor der Palast erbaut wurde. Das Lager
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mag ein architektonischer Kontrast sein, aber historisch gehört es in ein Kontinuum der Uneinigkeit, von dem auch der Palast ein Teil ist. Die Umayyaden errichteten Paläste; aber sie errichteten auch politische Lager, darunter jene „nördlichen“ und „südlichen“ Blöcke, deren Rivalitäten sie gerne gebrauchten und missbrauchten. Ihre Dynastie gründete nicht zuletzt darauf, eine Seite gegen die andere auszuspielen. Diese Taktik rettete sie vor dem Gegenkalifen in Mekka. Aber sie trug letztlich auch zu den Unruhen in Chorasan und zum Verderben der Dynastie bei. Die „Nord-Süd“-Uneinigkeit erwies sich als langlebiger denn irgendeine Dynastie und auf ihre Weise als ebenso schädlich wie jene anderen, manchmal damit verbundenen Rivalitäten, die entlang der Ost-WestAchse verliefen. Hitti hat darauf hingewiesen, dass im Libanon und in Palästina das [„Nord-Süd“]-Problem bis in die Neuzeit ein lebendiges geblieben zu sein scheint, denn von offenen Schlachten, die zwischen den beiden Parteien ausgetragen wurden, wissen wir erst seit dem frühen 18. Jahrhundert.140 Und das Problem ist nicht verschwunden. Es lebt unter anderen Namen weiter, und das gravierendste ihm zugrunde liegende Problem – der Dialog zwischen badw und hadar – ist alles andere als vorüber. Hischāms Palast und das Lager al-Nuwaiʿima sind Sinnbilder des Kontrastes, aber auch der Kontinuität, zwei Punkte auf der gleitenden Skala von Luxus zu Elend.
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Kapitel 9 Das Weltreich von Bagdad: Abbasidische Souveränität Am Mittelpunkt der Welt Im Jahr 871 segelte ein abenteuerlustiger Bürger aus al-Basra namens Ibn Wahb, „erfasst von einem plötzlichen Verlangen“, nach China. Bei seiner Ankunft wurde er von einem weiteren Verlangen erfasst und begab sich in die kaiserliche Hauptstadt Changʼan (Xiʼan), um den Kaiser der Tang-Dynastie zu besuchen. Nach langem Warten und nachdem er viele Gesuche geschrieben und sich schließlich am kaiserlichen Hof erkundigt hatte, zahlte sich Ibn Wahds Beharrlichkeit aus, und er wurde zum Kaiser vorgelassen. Da Fürstlichkeiten besessen sind von ihrem eigenen Vorrang, lautete eine der ersten Fragen, die der Kaiser seinem Besucher stellte: „Wie werden all die Könige euch Arabern zufolge eingestuft?“ Ibn Wahb heuchelte taktvoll Unwissenheit und erwiderte: „Ich weiß nichts über sie.“ Da sagte der König zu seinem Dolmetscher: „Sag ihm, wir erachten fünf Könige für bedeutend. Der mit dem ausgedehntesten Reich ist der, der den Irak beherrscht, denn er residiert am Mittelpunkt der Welt, und die anderen Könige sind um ihn herum angeordnet; wir kennen ihn unter dem Namen ‚König der Könige‘. Als Nächstes kommt dieser König von uns …“,1 womit er sich selbst meinte. Dann kamen die Könige der Turkvölker, von Indien und von Byzanz. Die Antwort des Kaisers ist erstaunlich. War nicht China das „Reich der Mitte“ und Changʼan der Mittelpunkt der zivilisierten Welt? Hätte der Tang-Kaiser wirklich den abbasidischen Kalifen im barbarischen „Bangda“ – Bagdad – für wichtiger gehalten als sich selbst? Es scheint alles höchst unwahrscheinlich. Außerdem ist der weise ungläubige König, der sich pointiert zur Gesellschaft seines Gegenübers äußert, eine wiederkehrende literarische Figur:2 So legt zum Beispiel al-Masʿūdī, der selbst diese chinesische Anekdote wiederholt, auch dem christlichen König der Nubier eine glühende Kritik an den umayyadischen Vorgängern der Abbasiden und deren Gottlosigkeit in den Mund.3 Aber ob die Audienz in Changʼan tatsächlich stattfand oder nicht, die dort geäußerte Ansicht ist deshalb nicht weniger gültig. Bagdad beherrschte das größte Imperium auf der Welt; und
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die Stadt liegt tatsächlich genau auf halbem Wege an einer vom fernen Westen Afrikas bis zum fernen Osten Chinas gezogenen Linie – den Extremen des belebtesten Siedlungs- und Gewerbestreifens auf dem afro-eurasischen Megakontinent, eines Himmelsstrichs, der Ägypten, die Levante, Persien, Nordindien und China selbst umfasst. Bagdads Seehafen, Ibn Wahds Geburtsstadt al-Basra, liegt am Schatt al-Arab, dem Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, unmittelbar landeinwärts von dessen Mündung in den Persischen Golf. Diese Mündung liegt auf halber Strecke am westlichen Rand des Indischen Ozeans und ist zugleich die Stelle, wo der fruchtbare Küstenstreifen des bedeutendsten Handels„Teichs“ der Alten Welt am tiefsten in ihre Landmasse vordringt. Ein kleines, aber greifbares Beweisstück, dass das arabische Großreich nun im Zentrum der Alten Welt lag, und das mehr als nur geografisch, stammt aus der fernen nordwestlichen Ecke dieser Welt. Dort, in England, gab im Jahr 774 König Offa eine Goldwährung aus, welche die Dinare des ersten bedeutenden abbasidischen Kalifen al-Mansūr nachahmte: Zusätzlich zum Rest der arabischen Inschrift trägt die Mitte der Münze die Worte „OFFA REX“, die in römischen Buchstaben und auf dem Kopf stehend eingezwängt sind zwischen das arabische
„Mohammed ist der Gesandte Allahs“. Das islamische Glaubensbekenntnis klimperte in englischen Geldbörsen; selbst der latinisierte Name der Münze, mancus, ist möglicherweise abgeleitet aus dem arabischen manqūsch, „eingeschrieben, geprägt“. Es war nicht so, dass die Angelsachsen von Mercien plötzlich zum Islam konvertiert wären; aber es war die plastische Anerkennung der Tatsache, dass der abbasidische Dinar der US-Dollar seiner Zeit war – dass es jetzt eine neue Supermacht gab, eine neue Superkultur, und dass das alte klassische Zeitalter endgültig zu Ende gegangen war.4 Zugegeben, es ist wahrscheinlich das Arabische, das imaginär auf dem Kopf steht: Ein Münzmeister in den englischen Midlands dürfte kaum gewusst haben, wie herum die Schrift lief, geschweige denn, was sie bedeutete. Aber wenn sich darin ein allgemeineres Unverständnis in Bezug auf die neue kulturelle Macht widerspiegelt, dann ist die Widerspiegelung zutreffend.
Runde Welt, runde Stadt Wie alle, die nach Macht strebten, hatten auch die Abbasiden in den 740er-Jahren begonnen, eine neue ʿasabiyya, ein neues Feuerrad, zu schmieden. Der umayyadische Statthalter ihrer Machtbasis in Chorasan hatte gewarnt:
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Ein Feuer entsteht aus Feuerstein, Aus Worten Krieges Gewalten. Wenn die Verständʼgen nicht löschen alsbald – In Köpfen und Körpern wird sichʼs entfalten.5 Das Feuer hatte sich fächerförmig aus dem Osten ausgebreitet und alles in seinem Weg verzehrt. Doch schon bald fing es an, sich selbst zu verzehren: Seit der Ur-Titan, Kronos, seinen Vater kastriert und dann seinen eigenen Nachwuchs verschlungen hatte, neigen Revolutionen dazu, ihre Kinder zu fressen. Und tatsächlich schlossen auch die Abbasiden ihre Mitrevolutionäre – die Haschimiten und generell die Pro-Ali-Fraktion – von der Macht aus und wendeten sich anschließend gewaltsam gegen sie. Einmal mehr hatte ein kleiner Unterclan des mekkanischen Stammes der Quraisch die mit der Tradition brechende Botschaft des Islam genommen und sie umgestaltet, um die Macht für seine eigenen Zwecke zu monopolisieren. Einmal mehr wurde die ideale, universelle Einheit des Islam durch eine partikulare Einheit, die Loyalität gegenüber einer irdischen Macht untergraben. Allerdings gab es einen Unterschied. Die Umayyaden waren vor Mohammed das Establishment gewesen, und sie hatten für beinahe ein Jahrhundert der neuen islamischen Ära größtenteils im Stil antiker arabischer Könige geherrscht; ihre Unnachgiebigkeit, sprich: ihr Widerstand gegen Pluralität, hatte großen Anteil an ihrem Verderben gehabt. Die Abbasiden waren aus biegsamerem Holz geschnitzt. Ihr Urahn und Namensgeber, Mohammeds Onkel väterlicherseits al-Abbās, war einer der Kontrahenten des Propheten gewesen und hatte in der Schlacht von Badr gegen ihn gekämpft. Doch als klar war, dass der Sieger Mohammed heißen würde, waren al-Abbāsʼ Söhne voll und ganz in das ständig expandierende Unternehmen des Propheten eingestiegen: Am Ende waren sie, wie wir gesehen haben, von Nordafrika bis nach Zentralasien verstreut.6 Was den daheimgebliebenen Sohn Abdallah betrifft, den Urgroßvater der ersten beiden abbasidischen Kalifen, so erinnert man sich an ihn als an den ersten Interpreten der islamischen heiligen Schrift. Die Abbasiden ordneten sich der Linie des Islam nicht bloß unter: Sie folgten ihr auch, egal, wohin sie sie führte, ob auf die Pfade der Gelehrsamkeit oder der Eroberung. Zeit ihres Bestehens erwies die Dynastie sich als flexibel, womit sie ihr eigenes Überleben garantierte – auch wenn diese Flexibilität paradoxerweise die Endstation für die arabische Macht bedeutete. Außerdem bedeutete sie, dass die Abbasiden eine Dynastie vielfacher innerer Widersprüche waren. Obwohl sie ein Dreivierteljahrtausend lang formell das Kalifat innehatten, regierten sie als Kalifen nur ein Jahrhundert lang; vier weitere Jahrhunderte lang übten sie eine Art Ersatz-
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Kalifat von Gnaden des Mamluken-Sultans aus und lebten den Rest ihrer Zeit in einem goldenen Käfig in Kairo. Die bedeutendste arabische Dynastie sollte zugleich die letzte bedeutende arabische Dynastie und in vielerlei Hinsicht die am wenigsten arabische sein. Die Anpassungsfähigkeit der Abbasiden war beinahe vom Beginn ihrer Herrschaft an sichtbar. Die Umayyaden hatten sich ihren Platz in der afro-eurasisch-mediterranen Welt gesichert, sich aber nie von Arabien und der langen arabischen Vergangenheit gelöst. Damaskus war die Oase arabischer Träume, ein gemäßigtes irdisches Paradies, angesiedelt in einem Land der Feigen- und Olivenbäume. Es war aber auch eine Stadt aus zweiter Hand, einer der vielen Regierungssitze in einem tausendjährigen Reise-nach-Jerusalem-Spiel. Die Abbasiden machten einen Neuanfang. Sie begannen, indem sie ihre Vorgänger systematisch auf die denkbar hässlichste Weise auslöschten, nämlich ihre sterblichen Überreste wieder ausgruben und entweihten. Der die Poesie liebende Hischām wurde aus Rache dafür, dass er einen alidischen Revolutionär, Zaid ibn Ali, gekreuzigt und verbrannt hatte, einer besonders strengen Post-Mortem-Bestrafung unterzogen: Hischāms Leichnam, der noch halbwegs unversehrt war, erhielt 80 Peitschenhiebe, bevor man ihn ebenfalls verbrannte.7 Zum Glück für zukünftige Liebhaber islamischer Kunst verschonte diese damnatio memoriae sowohl die bedeutenden religiösen Monumente der Umayyaden als auch ihre entlegeneren ländlichen Paläste. Die Abbasiden wendeten sich von Syrien ab und herrschten, angefangen mit Abū al-Abbās al-Saffāh, dem Aushängeschild der abbasidischen Bewegung und ersten Kalifen ihrer Dynastie, von al-Kūfa aus. Aber die Stadt war das Zentrum des Schīʿa-Aktivismus geblieben, und auch wenn die Anhänger der Partei Alis noch immer Mitrevolutionäre waren, sollten sie das nicht mehr lange bleiben: Sie waren benutzt worden, und in Kürze sollten auch sie ausgelöscht werden. Al-Saffāh gründete daher eine neue Hauptstadt in bequemer Entfernung – in der Nähe von al-Anbār, 200 Kilometer euphrataufwärts. Doch der Kalif war kaum dorthin gezogen, als er 754 an Pocken starb. So kam es, dass der echte abbasidische Neuanfang unter al-Saffāhs Bruder und Nachfolger, Abū Dschaʿfar, erfolgte, der den Titel al-Mansūr, „der Siegreiche“, annahm. An al-Mansūr erinnert man sich vor allem als Gründer von Madīnat as-Salām, der „Stadt des Friedens“ – und der Träume und Alpträume –, die gewöhnlich unter dem Namen einer kleinen früheren Ansiedlung an dem Standort bekannt ist, Bagdad. Im Prinzip nur eine weitere neue Stadt im Kernland zwischen Arabien und Persien, bestimmte ihr Standort sie dazu, anders zu sein. Wie die altpersische Hauptstadt, das nahe gelegene Ktesiphon, wurde Bagdad am Tigris erbaut, dem östlichsten der beiden großen Flüsse Mesopotamiens; im Gegensatz
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zu Ktesiphon erstreckte die neue Stadt sich zu beiden Ufern des Flusses. Ihr östlicher Außenbezirk am linken Ufer lag am Anfang der Straße, die nach Chorasan führte. Bislang waren die wichtigen arabischen Städte – das antike al-Hīra und das jüngere al-Kūfa und, weit im Süden, al-Basra – auf der arabischen Seite des westlichen Flusses, des Euphrats, erbaut worden. Al-Mansūrs neue Hauptstadt orientierte das Imperium geografisch, politisch und psychologisch um, nach Osten wie nach Westen. Mit ihrer ersten Eroberungswelle waren Araber in die eurasische Mitte vorgedrungen; mit dem Umzug der Umayyaden nach Damaskus hatten sie im Norden und Westen die alte klassische Welt anvisiert, während sie im Süden das antike Arabien im Auge behielten. Doch von Bagdad aus blickten Araber nun auch nach Osten – und in die Zukunft. Bagdad war kosmopolitisch, imperial und eigentümlich: Seine globale Orientierung spiegelte sich in seiner städtebaulichen Anlage wider, die um die großartige „Rundstadt“ kreiste. Geplant in konzentrischen Kreisen wie eine Zielscheibe mit dem Kalifenpalast als Scheibenmittelpunkt, waren 50 000 Arbeiter und Handwerker zeitgleich damit beschäftigt, sie zu bauen.8 In guter mekkanischer Handelstradition befahl al-Mansūr den Kaufleuten, zu kommen und Geschäfte zu eröffnen; ihre Niederlassungen bildeten eine eigene Gewerbevorstadt, das Stadtviertel al-Karch.9 Damaskus war eine uralte Stadt an der Weihrauchstraße gewesen; Bagdad wurde rasch zum Mittelpunkt mehrerer Seiden- und Gewürzstraßen, die Land und Meer kreuzten. Die „Rundstadt“ war die Kalifenhauptstadt, aber sie war keine in sich gekehrte „Verbotene Stadt“: Ihre Tore an den Himmelsrichtungen führten zu den vier Vierteln des Großreichs, und al-Mansūr ließ über jedem Tor einen luftigen Pavillon errichten, von dem aus er das Kommen und Gehen überblicken konnte.10 Auch war er sich der umfassenderen Welt und der Stellung seines eigenen ausgedehnten Reiches in ihr bewusst. Das angelsächsische Mercien mag in seinem Denken keine Rolle gespielt haben außer als Teil eines allgemeinen diffusen Bildes von den „Franken“, aber das andere Extrem kam durchaus vor: „Hier ist der Tigris“, sagte er eines Tages, während er den Verkehr auf Bagdads Fluss musterte, „und nichts versperrt den Weg zwischen ihm und China.“11 Doch Bagdad wurde erst 762 gegründet, als al-Mansūr bereits acht Jahre Kalif war. Während dieser Zeit war er damit beschäftigt gewesen, den politischen Boden zu ebnen und alle Hindernisse, die seiner Alleinherrschaft im Wege standen, zu beseitigen. Deren erstes war der Militärbefehlshaber der abbasidischen Revolution und Sieger der Schlacht am Großen Zab mit seinen baktrischen Kamelen und schwarzen Bannern, al-Mansūrs eigener Patenonkel. Er griff nach dem Kalifat, wurde belagert, gefangen genommen und unter Hausarrest gestellt – und kam dann ums Leben, als das Haus über ihm zusammen-
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brach. Es war die Art von Zufall, die passiert, wenn Potentaten das Sagen haben (verlässliche Zeugen wurden aufgeboten, die aussagten, dass keine Absicht im Spiel gewesen sei).12 Nachdem er mit seinem Onkel fertiggeworden war, wendete sich al-Mansūr dem loyalen Stellvertreter zu, der Abdallah ibn Ali gefangen genommen hatte, dem revolutionären Vordenker Abū Muslim. Es gab Anzeichen dafür, dass die alte Geschichte sich wiederholen und Abū Muslim in seinem heimischen Chorasan, jener reichen, fernen und unruhigen Provinz, nach der Unabhängigkeit greifen würde. Al-Mansūr ließ ihn ermorden – und musste sich anschließend auf blutige Weise mit einer revolutionären Splittergruppe auseinandersetzen, die im Namen dieses abbasidischen Trotzki auftrat.13 Als Nächstes zettelte, gerade als al-Mansūr endlich die Arbeiten an seiner neuen Hauptstadt in Angriff nahm, ein alidisches Element der früheren abbasidischen revolutionären Koalition selbst einen Aufstand an. Die Anführer, zwei Ururenkel Alis, wurden binnen Kurzem ausgeschaltet, einer in Medina, der andere unweit von al-Kūfa; der Letztere wurde an dieser Stätte fallender Köpfe natürlich enthauptet.14 Indem sie tote Umayyaden auspeitschten, aus Rache für deren Behandlung der Nachfahren Alis, hatten die Abbasiden ihren Vorgängern die Lektionen der Geschichte buchstäblich eingeprügelt. Für all die Lektionen, die sie selbst lernten, hätten sie ebenso gut tote Pferde auspeitschen, sprich: tauben Ohren predigen können. So sehr es auch auf Heuchelei, mutwilligem Erinnerungsverlust, Verrat und Onkelmord errichtet war, blieben Bagdad und das umfassendere abbasidische Großreich doch eine Zeit lang stabil. Die futūhāt, die bewaffneten arabischen „Erschließungen“, hatten in den zwei Jahrzehnten vor dem abbasidischen Staatsstreich ihre fernsten Grenzen erreicht. Jetzt wurden die Reichsgrenzen gefestigt und ein Kontroll- und Kommunikationsnetz aufgebaut. Jene fünf weit verstreuten abbasidischen Brüder der ersten islamischen Generation waren an so verschiedenen Orten wie Nordafrika und Samarkand gelandet. Genauso gut konnte es in der Frühzeit der Abbasiden passieren, dass zwei Brüder, Yazīd ibn Hātim und Rauh ibn Hātim, sich als Statthalter in Nordafrika beziehungsweise Sindh wiederfanden; der Unterschied war, dass der zweite beim Tod des ersten auf dessen Posten berufen wurde – eine Versetzung von einem Ende des Reiches zum anderen und über die halbe Weite der damals bekannten Welt.15 Die „Rundstadt“ war das Kontroll- und Kommunikationszentrum für dieses gewaltige, aber mobile Imperium: Al-Mansūrs Enkel al-Raschīd wurde belauscht, wie er sich an eine Wolke wandte: „Geh und regne, wo auch immer du willst, denn deine Ernteabgabe wird zu mir kommen.“ Der Befehl hatte nichts Skurriles. Einkünfte, Berichte und Beamte kamen mit immer größerer Geschwindigkeit aus immer größerer Entfernung. Beispielsweise war es möglich, per Express zu reisen und
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in nur zwölf Tagen vom hinteren Ende Chorasans nach Bagdad zu eilen – eine Distanz von mehr als 1500 Kilometern.16 Sogar die Ernteerträge selbst konnten mit dem Pendant von FedEx verschickt werden: So trafen beispielsweise Myrobalanen, eine pflaumenartige Frucht, nach einer 2500 Kilometer langen Reise von Kabul nach Bagdad frisch an ihrem Bestimmungsort ein.17 Angesichts dieser umsichtig geförderten Vernetzung und der Tatsache, dass das Amt für das Postwesen zugleich als effektivster Nachrichtendienst des Kalifen fungierte, musste man weit laufen, um sich vor den Abbasiden zu verstecken. Überlebende regimekritische Nachfahren Alis endeten folglich verstreut über einen weiten Bogen von den Grenzen Indiens bis zu den Küsten des Atlantiks.18 Viele sollten im abgeschiedenen Niemandsland bleiben: Einmal besuchte ich den mauretanischen Stammsitz eines alidischen Geschlechts, eine Lehmziegelfestung, von Bagdad aus am äußersten Rand der Sahara gelegen, wo Angehörige des Clans sich noch immer gegen ihre 3500 Kilometer entfernten Verfolger von vor 1250 Jahren behaupteten.19 Einige Aliden jedoch konnten unabhängige Staaten aufbauen, wie etwa den der Idrisiden in Marokko, gegründet im Jahr 788. Am bemerkenswertesten war, dass ein abenteuerlustiger junger Überlebender der verdrängten Umayyaden es schnurstracks nach Spanien schaffte und einen westlichen Ableger der alten Dynastie begründete, noch bevor in Bagdads „Rundstadt“ der erste Ziegel verlegt wurde. Der „König der Könige“ in Bagdad mochte das größte Reich auf Erden regiert haben, doch er stellte bald fest, dass, je größer das Reich, desto brüchiger die Ränder.
Die Welt vermessen Wenn es ihren umayyadischen Vorgängern nicht klar gewesen war, so war es für die Abbasiden beinahe von Anfang an offensichtlich, dass ein solches Imperium nicht durch militärische Gewalt allein zusammengehalten werden konnte. Es brauchte etwas Zentraleres, viel Mächtigeres – Schwerkraft, nicht Druck. Die Herrschaft der Umayyaden über ihr ständig wachsendes Großreich war exklusiv und abgehoben gewesen. So wie die Basis der imperialen Pyramide immer pluralistischer geworden war, hatte die Spitze sich erhoben, bis sie die Bodenhaftung verloren hatte. Eine neue imperiale Architektur war vonnöten – eine Gesamtstruktur, die Pluralität beinhalten würde, die den Kalifen in den Mittelpunkt stellen und ihn feiern würde, die aber auf fairem Ausgleich errichtet wäre; eine Struktur nicht unähnlich der „Rundstadt“. Es war – natürlich – nicht so, dass das abbasidische Großreich ausgeglichen in irgendeinem politischen Sinne gewesen wäre; vielmehr gab es die Vorstellung, dass der Kalif eine gemeinsame kulturelle Grundlage mit seinen Untertanen hatte, ob diese nun
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von persischen Adligen, schwarzen Sklaven, umherziehenden indischen Kleinbauern oder beduinischen Arabern abstammten. Unter den Umayyaden war die vorherrschende Kultur arabischsprachig, in der Arabischen Halbinsel wurzelnd und elitär gewesen. Nun war sie arabisch, islamisch und zunehmend offen. Es spielte eine immer geringere Rolle, ob jemand ein „echter“ Stammesaraber war oder ein maulā, ein Klient und Neumitglied eines Stammes; wie in den antiken nichttribalen südarabischen Gesellschaften war es die Unterwerfung unter die einigende Gottheit, die einen zum Mitglied machte. Lange davor hatte das Arabische seinen Sprechern ein Gefühl der Einheit vermittelt. Mit Mohammed hatte seine Rhetorik Arabern ein Zielbewusstsein vermittelt und unter seinen Nachfolgern die das Imperium begründenden Superüberfälle angestoßen. Nun endlich begann nach den Eroberungen durch Sprache und Waffengewalt die dritte Eroberung – die durch den Islam. Bis zur Zeit von al-Saffāh und al-Mansūr blieb die Konversionsrate sehr niedrig: Die meisten Perser zum Beispiel waren noch immer Zoroastrier.20 Dies änderte sich unter ihren Nachfolgern: Der Islam vollendete nun seine Verwandlung vom Kult zur kulturellen Hegemonie. Bei alledem spielten die nachfolgenden Kalifen eine zentrale Rolle, die allerdings gewöhnlich stärker der Rolle britischer Monarchen als Oberhäupter der Kirche von England von Amts wegen ähnelte denn der Rolle mittelalterlicher Päpste als faktische weltliche Fürsten oder der von Päpsten jüngeren Datums als unfehlbare Interpreten göttlichen Willens: Kalifen waren Verteidiger des Glaubens, aber nicht unbedingt Vorbilder, was die Glaubenspraxis betraf. Der Umgang mit Alkohol ist ein gutes Beispiel, hätten doch von den Umayyaden nur wenige einen Promilletest bestanden. AlMaʾmūn, ihr größter Denker, brachte die diesbezügliche Grundeinstellung treffend auf den Punkt: Trinkt, aber wisset stets, dass es eine Sünde ist, und sucht Vergebung von einem gütigen Gott.21 Ihren Untertanen genügte es, dass sie da waren, dass sie den Mittelpunkt von allem bildeten und dass sie ihren Namen und ihre Abstammung von Mohammeds Onkel herleiteten. Die Untertanen deckten derweil die ganze imperiale Bandbreite ab. Etwas von dieser demografischen Vielfalt kommt in der Liste von Leuten zum Ausdruck, die im späten 9. Jahrhundert von dem Bagdader Komiker Ibn alMaghāzilī nachgeäfft und verspottet wurden:22 aʿrabi-Beduinen, Angehörige der Turkvölker, Mekkaner, Nadschd aus Zentralarabien, einheimische nabatäische Bauern aus Mesopotamien, schwarze Zandsch aus dem Irak, Sindhis aus
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dem Tal des Indus, Dschāt-Inder und „Typen“, wie etwa tuntige Homosexuelle, Gerichtsherren, Eunuchen und Grammatiker. Araber machten nur wenige dieser Charaktere aus, und sollten sie irgendeinen Vorrang genossen haben, dann hauptsächlich in ihren eigenen Augen. Im Bagdad des 9. Jahrhunderts Araber zu sein, war nicht unähnlich der Existenz eines WASP – eines weißen angelsächsischen Protestanten – im New York des 21. Jahrhunderts: vielleicht sich selbst wichtig, aber für die Demografie des „Baghdad on the Subway“ (wie O. Henry seine Stadt treffend nannte) zunehmend irrelevant. Diese Vielfalt unter den frühen Abbasiden schürte eine intellektuelle Erregung, die vor Fragen pulsierte – nicht zuletzt Fragen über jene im Nachhinein bindende Kraft, den Islam. Bagdad selbst war nicht das Epizentrum der Gelehrsamkeit: Seine Bewohner wurden von einem Gelehrten als „die Marketender der Armee des Kalifen“ abgetan.23 Vielmehr waren es al-Kūfa und al-Basra, die als die, oftmals rivalisierenden, intellektuellen Doppelhauptstädte fungierten, eine Art abbasidisches Oxbridge oder Harvard und Yale. Der Wortstreit war lebhaft, das Denken frei. Wie ein moderner Autor schrieb: Die wichtigste Phase der arabischen intellektuellen Entwicklung fiel in die Zeit der Abbasiden. Damals wurde ein Großteil der Fragen gestellt, die auch heute noch gestellt werden. Die Debatte war von solch außerordentlicher Furchtlosigkeit gekennzeichnet, dass sogar Häretiker ihre Ansichten vorbringen konnten. Heute wagen wir nicht, den kleinsten Bruchteil der Fragen zu stellen, die einige unserer Vorfahren stellten, und in dieser Hinsicht haben wir uns von diesen Zeiten zurückentwickelt.24 Unter den Fragen waren solche über das Wesen Gottes, über Prädestination und freien Willen, Sünde und Buße. Tonangebend in der Debatte waren in den Anfängen der abbasidischen Periode Gelehrte, die man unter dem Namen Muʿtazila kannte. Sie tendierten dazu, die Rolle des Individuums hervorzuheben und insbesondere die ethischen Pflichten und die Fähigkeit des Einzelnen, sich selbst einen Reim auf die heiligen Schriften zu machen.25 Sie betonten die Bedeutung des idschtihād – ein Wortverwandter von dschihad, „Kampf“, mit seinen vielfältigen Implikationen –, aber für die Muʿtazila war damit das individuelle Ringen um das Verständnis dessen gemeint, was Allah der Menschheit durch Seinen Gesandten Mohammed mitteilte. Ihre Ideen erhielten gewaltigen Auftrieb, als Kalif al-Maʾmūn sie befürwortete; gleichzeitig wurden sie zutiefst gefährdet, denn im Jahr 833, nur vier Monate vor seinem Tod, vollzog al-Maʾmūn eine „päpstliche“ Wende und machte sie zum offiziellen Dogma, womit er, was bis dato Auffassungen und Standpunkte gewesen
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waren, in richtige und falsche Sichtweisen verwandelte. Vor allem unterstützte al-Maʾmūn die Ansicht der Muʿtazila, dass der Koran von Allah geschaffen wurde und nicht ewig neben Ihm bestanden hatte. Auf den ersten Blick mag die Aussage wie eine theologische Feinheit erscheinen. Aber wenn man die theologischen und politischen Kämpfe bedenkt, die über die entsprechenden christlichen Fragen in der byzantinischen Frühzeit ausgefochten wurden – über die genaue Beziehung von Gott und Seinem Logos, Jesus, und das Wesen der Dreifaltigkeit –, so wird einem klar, dass der Weg bereitet war für erbitterten Streit, Anschuldigungen und Gegenanschuldigungen wegen Häresie, ja sogar für Glaubensgerichte. Der Islam hatte zwei Jahrhunderte gebraucht, um seine erste Orthodoxie hervorzubringen. Doch in dieser Zeit hatte Allah es weit gebracht von Seinen Anfängen als die Stammesgottheit der Quraisch; andererseits gilt das auch für die Quraisch. Indem die Kalifen ihres umayyadischen Clans die bedeutenden Herrscher der Welt an den Wänden ihrer Paläste abbildeten, hatten sie signalisiert, dass sie ihr Anrecht auf Territorium auf der Weltkarte der Könige angemeldet hatten. Für die Kalifen des abbasidischen Clans war dieses Anrecht nun abgesichert: Sie wollten einen Anteil an Wissen und Gelehrsamkeit ebenso wie an Land, um sowohl ein Reich des Geistes als auch eines auf der Landkarte zu errichten. Etwa so wie imperiale Römer über das Meer auf Griechenland zurückgeblickt hatten und imperiale Russen Jahrhunderte später auf Frankreich blickten, so blickten die Herrscher des arabischen Großreichs bei der Schaffung ihres Portfolios an geistigem Eigentum auf ihre gegenwärtigen und früheren Nachbarn. Die damaligen theologischen Debatten waren folglich Teil einer allgemeinen intellektuellen Erschließung, einer Öffnung, die ihre größte Weite während der Anfangszeit von al-Maʾmūns Kalifat erreichte. Eine Anekdote versucht zu erklären, warum das so war. Unter der Überschrift „Der Grund, warum Bücher über Philosophie und die anderen antiken Wissenschaften in diesem Land stark zugenommen haben“, schrieb der Buchhändler und Bibliograf Ibn al-Nadīm aus Bagdad: Eines Nachts träumte al-Maʾmūn, dass ein Mann … auf seinem Kalifenthron saß. „Es war, als stünde ich vor ihm“, sagte er, „und als erfüllte er mich mit Ehrfurcht. Ich fragte ihn, wer er sei, und er sagte: ‚Ich bin Aristoteles.‘ Ich war hocherfreut und sagte: ‚Großer Weiser, darf ich dir eine Frage stellen?‘ ‚Ja‘, sagte er. ‚Also fragte ich ihn: ‚Was ist Güte?‘ Er erwiderte: ‚Das, was die Vernunft für gut erachtet.‘ Und ich sagte: ‚Und dann was?“ Er erwiderte: ‚Das, was das Gesetz für gut erachtet.‘ Und ich sagte: ‚Und dann was?‘ Er erwiderte: ‚Das, was die Masse der Menschen
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für gut erachtet.‘ Und ich sagte: ‚Und dann was?‘ Und er erwiderte: ‚Und dann gibt es kein ›dann‹ mehr.‘“26 Zumindest in al-Maʾmūns Träumen sah es so aus, als könnte Bagdad jene hypothetische Stadt der Philosophen werden. 27 Im Streben nach dem Ideal „schrieb [al-Maʾmūn] an den byzantinischen Kaiser [Leo V., der Armenier] und bat ihn, der Sendung einer Auswahl solcher Werke über die antiken Wissenschaften zuzustimmen, wie sie in den byzantinischen Ländern erhalten und überliefert worden seien. Dem stimmte der Kaiser nach anfänglichem Widerstreben zu.“28 Der Traum mag selbst ausgedacht worden sein, um al-Maʾmūns Interessen vernünftig zu begründen; aber die Interessen waren real, und an der Art, wie er einige davon in die Praxis umsetzte, ist nichts Hypothetisches. „Al-Maʾmūn war fasziniert von den Wissenschaften der Alten aus klassischer Zeit und wollte ihre Theorien beweisen“, heißt es in einer Biografie der drei Söhne von Mūsā ibn Schākir, die gemeinsam ein berühmtes Buch über mechanische Vorrichtungen verfassten. Im Verlauf seiner Prüfung jener „antiken“ Wissenschaften – das heißt griechischer und hellenistischer Studien über die physische Welt – hatte der Kalif zum Beispiel gelesen, dass der Umfang der Erdkugel 24 000 Meilen betrage, und er beauftragte die Banū-Mūsā-Brüder, die Zahl zu überprüfen. Sie sahen sich nach dem denkbar flachsten und großflächigsten Gebiet um und entschieden sich für die Wüste in der Nähe von Sindschār. Dort maßen sie die Höhe des Polarsterns und reisten dann genau nach Norden, bis sie einen Punkt erreichten, wo die Höhe um ein Grad zugenommen hatte. Die zurückgelegte Distanz mit Pflöcken und einem Seil messend, stellten sie fest, dass sie 66 2/3 Meilen betrug. Dann wiederholten sie das Experiment, indem sie genau nach Süden reisten, bis die Höhe des Pols um ein Grad abgenommen hatte, und stellten fest, dass die Distanz dieselbe war. Dann prüften sie ihre Zahl nochmals in der Wüste rund um al-Kūfa. Multipliziert mit 360 Grad, ergab sie ein Ergebnis von 24 000 Meilen – quod erat demonstrandum.29 Der Witz liegt nicht in der Originalität des Experiments, „die antiken Messtechniker hatten es selbst bereits durchgeführt“, sondern in der Tatsache, dass die Banū-Mūsā-Brüder unter der Schirmherrschaft von al-Maʾmūn „die Einzigen in der Gemeinschaft des Islam waren, die sich der Frage widmeten und sie aus dem Reich der Theorie in die Praxis überführten“.30 Soweit der Autor wusste, war das Experiment in islamischen Ländern niemals wiederholt worden, und er schrieb sein Buch 450 Jahre später. Nach seiner Zeit sollten mongolische und mogulische islamische Herrscher zu begeisterten Unterstützern der angewandten Wissenschaften werden, aber unter arabischen Herrschern markiert al-Maʾmūns Kalifat einen Höhepunkt für die Forschungspraxis.
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Neben den Wissenschaften der Nichtaraber (oft als al-ʿulūm al-ʿaqliyya, „die rationalen Wissenschaften“ bezeichnet) blühten auch die arabischen Wissenschaften (al-ʿulūm al-naqliyya oder „traditionelle Wissenschaften“).31 Die Letzteren waren eigentlich die arabischsprachigen Wissenschaften, da sie um Texte kreisten – den geschriebenen Text des Koran und die gewaltige Masse der Sprüche und Taten Mohammeds und seiner Gefährten, die als mündliche Texte oder Notizen existierten. In der Anfangszeit der Abbasiden begann man mit der Kodifizierung dieses zweiten Korpus und seiner Übertragung auf Papyrus und zunehmend, wie wir sehen werden, auf Papier. Daraus begannen sich – endlich – formelle ethische und rechtliche Strukturen für den Islam zu entwickeln. Von den vier Begründern der wichtigsten „Schulen“ der sunnitischen Rechtswissenschaft – also der auf der sunna oder Praxis Mohammeds und seiner Anhänger beruhenden Rechtslehre –, waren drei „genetische“ Araber; der vierte, Abū Hanīfa, war ein maulā und der Enkel eines Sklaven aus Kabul. Doch die nächste Generation, diejenigen, welche die Ideen der Begründer ausarbeiteten und verbreiteten, waren meist so kosmopolitisch wie das Großreich. Nicht untypisch ist al-Qāsim ibn Sallām: Geboren in Herat, Afghanistan, wurde der Sohn eines byzantinischen Sklaven am Ende Richter in Tarsus am Mittelmeer und starb kurz nach der Zeit von al-Maʾmūn in Mekka.32 Ebenso wurden auch die schiitische Ethik und Rechtslehre von Imamen aus dem Hause Alis aufgezeichnet, aber von ihren nichtarabischen Anhängern weiterentwickelt. Es waren diese „Ausländer“, die den Kern des Koran und das gestaltlose Rohmaterial aus seinem Umfeld nahmen und alles in die Form einer in sich geschlossenen Religion gossen. Al-Maʾmūn war auch der Nutznießer der traditionellen arabischen Wissenschaften, denn er war als Jugendlicher in der im Entstehen begriffenen hanafitischen Rechtsschule unterrichtet worden.33 Mit dieser Vorgeschichte, seinen aristotelischen Träumen und seiner Vermessung des Erdkreises war er zweifellos gut gerüstet, um als aufgeschlossener Denker in Erscheinung zu treten, auch wenn er gegen Ende seines Lebens zu päpstlichen Schlussfolgerungen kommen sollte. Doch nichts bereitete das Reich auf ein anderes Experiment von ihm vor – eines, das bis zum 20. Jahrhundert an keinem Ort und in keiner Form wiederholt worden zu sein scheint. Es war ein politisches Experiment, und es zielte darauf ab, den großen Graben in der arabischen und islamischen Einheit zu überbrücken: den zwischen der Schīʿa, der Partei Alis, und dem Rest. Es war ein Graben, der als einfacher, wenn auch gefährlicher Riss in der arabischen Machtbasis begonnen hatte, aber einer, der seit der Schlacht von Siffīn schon ungeheuer viele Leben verschlungen und Loyalitäten aufgebraucht hatte. Außerdem hatte er längst neue Dimensionen angenommen – als Spaltung im in-
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nersten Wesen der Autorität, zwischen Kalifat und Imamat, zwischen einer Autorität, die in Texten und deren Interpretation durch gelehrten Konsens existierte, und einer anderen, stärker esoterischen, apostolischen Art von Autorität, die mit dem Blut der den Märtyrertod gestorbenen Ali und al-Husain geerbt wurde. Al-Maʾmūns Vorfahren aus jüngster Zeit, die ersten abbasidischen Kalifen, hatten die Liebe zwischen den beiden Blöcken kaum gefördert, als sie sich, nachdem sie mit Unterstützung der protoschiitischen Haschimiten an die Macht gekommen waren, gegen ihre einstigen Mitstreiter wandten und die ganze Macht für sich beanspruchten. Aber im Jahr 816 entschloss sich al-Maʾmūn anscheinend, auf das abbasidische Herrschaftsmonopol zu verzichten: Er bestimmte Ali al-Ridā, den achten Imam der Schiiten, zum Erben des Kalifats und gab ihm seine Tochter zur Frau.34 Verwirrt von der Entscheidung, aber pflichtgetreu, stimmten jene, die dem Kalifen am nächsten standen, ihr zu; einige Schiiten witterten Morgenluft, zumindest für ihre Sache; andere schöpften Verdacht; abbasidische Hardliner waren entsetzt. Wie es sich traf, starb Ali al-Ridā zwei Jahre später, und die Angelegenheit wurde sang- und klanglos vergessen – außer von den Schiiten, die seinen Tod einer Verschwörung und einem vergifteten Granatapfel zuschrieben. Sie könnten recht haben. Was auch immer Wahres daran ist, der Kalif begrub Ali al-Ridā neben seinem Vater, dem verstorbenen Kalifen al-Raschīd, dort, wo der Letztere während eines Feldzugs nach Chorasan gestorben war. Bei den iranischen Schiiten wurde Ort bekannt als al-Maschhad, „der Schrein“, und er ist noch heute die heiligste Stätte in Iran. Verschwörungstheorien schossen ins Kraut und tun es immer noch. Es gab sogar ein quälendes Gerücht, dass al-Maʾmūn die beiden Leichname heimlich ausgrub und vertauschte.35 Falls das stimmt, dann sind die Gebete und Flüche schiitischer Pilger, wenn sie am Grabmal ihres achten Imam stehen und für seine Seele beten und dann hinüberwechseln und al-Raschīds Grab dreimal verfluchen,36 an den jeweils Falschen adressiert. Gott allein weiß es. Der nächste offizielle Versuch einer Aussöhnung von Sunniten und Schiiten sollte erst in den 1940er-Jahren stattfinden, mit der Gründung einer ökumenischen Gesellschaft, der Dschamaʿat al-Taqrīb; nach zwei Jahrzehnten hatte auch diese die Erwartungen nicht erfüllt und ging wieder ein.37 Aber für eine kurze Periode im frühen 9. Jahrhundert sah es so aus, als könnte der große hemiglobale Organismus, der in Arabien herangereift und in der Zeit Mohammeds geboren worden war, endlich erwachsen geworden und die Streitereien seiner arabischen Anfangsphase hinter sich gelassen haben. Aber erneut stand die Gemeinschaft des Islam, wie schon in den Jahren unmittelbar nach dem Propheten, „an einer Gabelung auf dem Weg der Pilgerschaft“.38
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Nun, zwei Jahrhunderte weiter, galt es zwischen intellektuellen Wegen zu wählen: dem der Tradition, mit seinen textlichen, rhetorischen Wahrheiten einerseits, und dem der Vernunft, mit seinen empirischen Wahrheiten andererseits; und zwischen politischen Richtungen – der Autorität des sunnitischen abbasidischen Kalifats oder des schiitischen alidischen Imamats … Oder man hätte, wie der launenhafte al-Maʾmūn es vorgemacht hatte, indem er den Imam zum Erben des Kalifats machte, Pionierarbeit für Mittelwege leisten können, für Wege des Kompromisses, aber auch Wege zur Einheit. Jedoch wie immer war es leichter, sich darauf zu einigen, dass man uneins war, als Kompromisse einzugehen, und die Zukunft die Konsequenzen tragen zu lassen.
Found in Translation Trotz intellektueller und politischer Divergenzen verschaffte vor allem ein Band dem ausgedehnten und komplexen Organismus noch immer Einheit und Identität: Auch wenn er es selten sprach, so schrieb dieser Organismus doch nach wie vor in der alten hocharabischen Sprache. Das gesprochene Arabisch mochte sich in neue Dialekte aufspalten, aber als der Islam im Zuge seiner Expansion Weltreligion und Weltkultur wurde, lieferte das Arabische die Wörter für diese Welt. In der koranischen Version einer biblischen Geschichte lehrte Allah Abraham die arabischen Namen aller Dinge der Schöpfung.39 Jetzt, wo der Islam die Welt nach seiner eigenen Vorstellung neu erschuf, lieferte das Arabische abermals das Vokabular. Dabei kam es zu vielen spontanen Wortschöpfungen: Das Arabische war immer geschmeidig, subtil und wandlungsfähig gewesen, wobei sein Wurzelwerk spontan Ableger hervorbrachte. Aber so wie aus Ehen mit Frauen aus den eroberten Ländern neue hybride Araber und neue hybride Arabischsprecher hervorgegangen waren, so wurde auch das Arabische durch andere Sprachen bereichert. Die eigene Wortwelt des Arabischen expandierte. Bei dieser Expansion spielte die offizielle Übersetzung eine ebenso wichtige Rolle wie die Alltagskommunikation. Die Übersetzungsbewegung hatte in der Zeit der Umayyaden langsam begonnen, als in Alexandria für einen schwärmerischen umayyadischen Fürsten Texte über Chemie aus dem Griechischen und Koptischen ins Arabische übersetzt wurden.40 Nun nahm das Programm Fahrt auf, und mit der neuen abbasidischen Orientierung Richtung Osten kamen neue Ursprungssprachen dazu: den ersten drei Sprachen, die man nutzte – Griechisch, Koptisch und das Gelehrten-Syrisch des Fruchtbaren Halbmonds –, wurden die mittelpersische Sprache, Pahlavi, und Sanskrit hinzugefügt. Auch die Bandbreite der Wissenschaften nahm zu, als Werke über Medizin, Botanik, Arzneikunde, Astronomie, Astrologie, Geografie, Geometrie, Technik, Musik, Mathematik und weitere Wissensgebiete übersetzt wurden. Und nicht nur das
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Arabische und in dieser Sprache denkende Köpfe erfuhren eine Bereicherung, sondern auch das Weltwissen als Ganzes. Nicht zuletzt die arabische Übernahme der sifr, der „Ziffer“ – der Zahl Null, bis dahin auf Indien begrenzt –, und ihre Übermittlung an den Rest der Alten Welt auf dem Wege über „arabische“ Zahlen dürfte viel dazu beigetragen haben, diese Welt in die Moderne zu befördern. Doch die arabische Zivilisation selbst war keine Ziffer, kein bloßer Bindestrich zwischen Ost und West, zwischen Antike und Moderne. Arabisch sprechende Wissenschaftler fügten dem antiken Wissen zahlreiche ihrer eigenen Kenntnisse hinzu, insbesondere auf den Gebieten der Medizin, Trigonometrie, Mathematik und Astronomie – wie arabische Lehnwörter mit der Silbe al- belegen, beispielsweise „Alkohol“, „Algebra“ und „Algorithmus“, und Sternennamen wie „Altair“ (al-tair, „der Vogel“). Andere Entlehnungen sind weniger offensichtlich: Als Hollywood sich den Namen eines Sterns, Beteigeuze, für den Titel eines Films, Beetlejuice, auslieh, war den Filmleuten da klar, dass es das arabische ibt al-dschauzā, „Orions Achselhöhle“, war? Wie al-Maʾmūns Traum zeigt, wurden philosophische Texte fleißig rezipiert, vor allem die von Aristoteles, aber auch die Platons und der Neuplatoniker. Al-Maʾmūn war der bedeutendste Förderer von Übersetzungen und wissenschaftlichen Bestrebungen, und er strafte die Spöttelei Lüge, wonach Bagdad nichts weiter sei als eine aufgeblasene Garnisonsstadt, indem er in der Stadt eine Art Royal Institution gründete, das Bait al-Hikma oder „Haus der Weisheit“. Das abbasidische Institut legte den Schwerpunkt auf Übersetzungen, richtete sein Augenmerk aber auch auf den Himmel, mit astronomischen Observatorien in Bagdad selbst und in Damaskus. Auch auf weniger hochrangigen Ebenen wurde Förderung betrieben, auch wenn sie nur selten der Summe gleichkam, welche die drei Banū-Mūsā-Brüder ihren hauseigenen Übersetzern zahlten – 500 Golddinar im Monat,41 zu einer Zeit, als der Sold eines Fußsoldaten 20 Dirham monatlich betrug, etwa zwei Dinar.42 Irgendwann war, wie Dimitri Gutas geschrieben hat, „die Mehrzahl der heidnischen griechischen Bücher über Naturwissenschaft und Philosophie … die in der Spätantike überall im östlichen Byzantinischen Reich und im Nahen Osten verfügbar waren, ins Arabische übersetzt worden“. Der Übersetzungsbewegung war nicht die Kraft ausgegangen; ihr waren die Texte ausgegangen. Doch selbst dann endete der literarische Tatendrang nicht. Er verlegte sich lediglich auf einen anderen Schwerpunkt, denn die Übersetzungen hatten angefangen, ein breites Spektrum originären Denkens in Arabisch anzuregen, und diese Gedanken und Ansichten wurden nun auf eine für das Arabische vollkommen neuartige Weise niedergelegt – in schlichter Prosa ohne Reim und Rhyth-
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mus, die unmittelbar beim Schreiben verfasst wurde: Prosa wie die, die ich jetzt schreibe. Ein völlig neues Ausdrucksmedium entfaltete sich. Endlich konnten Benutzer des Arabischen sowohl in Tinte als auch in Klang denken: Die Sprache konnte Intellektuellen ebenso dienen wie Dichtern, Rednern und imperialen Buchhaltern. Zugegeben, nur wenige der Intellektuellen waren „richtige“ Araber, vielmehr deckten sie das ganze genetische Spektrum des Großreichs ab. Aber in der Philosophie war der erste und einer der bedeutendsten „der arabische Philosoph“ des 9. Jahrhunderts al-Kindī, ein produktiver Wissenschaftsautor und Verfechter der Wissenschaft in all ihren Formen. Er gehörte zu jenem ungeheuer talentierten Clan von Fürsten, Dichtern und Vordenkern, dem alten Herrscherhaus vom Stamm der Kinda, die im 4. Jahrhundert den König Imruʾ al-Qais, Verfasser eines der frühesten bekannten arabischen Texte, im 6. Jahrhundert seinen Namensvetter, den Wanderer und bedeutendsten der vorislamischen Poeten, und im 7. Jahrhundert jenen mit dem Islam versöhnten Aufrührer, den weit gereisten Krieger al-Aschʿath, hervorgebracht hatten. Es ist oft gesagt worden, dass die Europäer keine Renaissance gehabt hätten, wenn Araber nicht gewesen wären. Besser könnte man sagen, dass die Abbasiden und insbesondere al-Maʾmūn – ein großzügiger Förderer, bedeutender als Gaius Maecenas oder die Medici und zeitlich in der Mitte zwischen ihnen – selbst Fürsten der Renaissance waren, von der die spätere europäische Episode lediglich eine Fortsetzung nach einer langen Unterbrechung war.
Eine Revolution auf Papier Papier war die Triebkraft für die abbasidische Renaissance und das damit einhergehende Entstehen schriftlicher Gelehrsamkeit auf Arabisch. Dies war die dritte Phase in einer Schriftrevolution, die mit der Aufzeichnung des Koran begonnen und sich dann mit der Notwendigkeit, das Großreich in der Sprache seiner Herrscher zu verwalten, ausgebreitet hatte. Der Wechsel vom wenigen und langsamen Schreiben auf kostspieligem Pergament und Papyrus zum Viel- und Schnellschreiben auf deutlich billigerem Papier war ein Sprung in der Informationstechnologie, der nicht weniger bedeutsam war als der Sprung von Papier zu Bildschirmen in unserem eigenen Zeitalter: Auch er brachte Wörter hervor, die nicht alle wert waren, hervorgebracht zu werden, die aber durchweg das literarische Stimmengewirr der Zeit anschwellen ließen. Überlieferten Berichten zufolge kam Papier mit chinesischen Papiermachern, die im Jahr 751 von Arabern in der Schlacht am Talas oder Taras östlich des Flusses Syrdarja gefangen genommen wurden, in den Westen. Dieser Zusammenstoß markierte das weiteste Vordringen arabischer Streitkräfte nach Asien. Mit ziemlicher Sicherheit simplifiziert diese Geschichte einen längeren
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und verworreneren Prozess; der Bibliograf Ibn al-Nadīm beispielsweise sagt, dass aus Flachs hergestelltes „chorasanisches Papier“ in umayyadischer Zeit im Westen bekannt war.43 Außer Zweifel steht die plötzliche Verbreitung von Papier unter den Abbasiden. Angeblich ordnete al-Maʾmūns Vater, al-Raschīd, die Verwendung des Materials in Regierungsämtern an, um das „Frisieren der Bücher“ zu verhindern:44 Schrift auf Papier ist schwer zu tilgen, im Gegensatz zu der auf Pergament und Papyrus, die vergleichsweise leicht weggeschabt werden kann. Aus der Zeit al-Raschīds stammt das älteste bekannte erhaltene Papier aus dem arabischen Reich, ein etwa um das Jahr 800 in Damaskus geschriebenes griechisches Manuskript.45 Es ist nicht bekannt, wo die Blätter dafür hergestellt wurden, aber spätestens zu diesem Zeitpunkt existierte im Irak ein Papiermachergewerbe, das im Begriff stand, sich westwärts auszubreiten. Die Glätte von Papier im Vergleich zu anderen Beschreibstoffen war darüber hinaus der Zunahme runderer und kursiver arabischer Schriften förderlich, die ursprünglich von umayyadischen imperialen Schreibern entwickelt wurden, um das Abarbeiten ihrer wachsenden Stapel zu kopierender Schriftstücke zu beschleunigen. Und genau wie in seinem Ursprungsland China verbesserte Papier außerdem eine ganze kalligrafische Ästhetik, eine, welche die Welt des Islam künftig verband und dafür sorgte, dass sie in ihren arabischen Ursprüngen verwurzelt blieb: Eine Menge „islamischer“ Kunst ist eigentlich arabische kalligrafische Kunst. Was die Skulptur für die antiken Griechen war und der Film für die modernen Vereinigten Staaten ist, das ist die Kalligrafie die zweite Hälfte ihrer langen Erzählung hindurch für Araber gewesen. Auch als sie aus dieser Hälfte „verschwinden“, als aus ihrer aktiven Rolle eine passive wird, prägt die Schrift sich unablässig ein – dabei sagt sie vielleicht nichts Neues, bietet aber eine Kontinuitätslinie, eine Rettungsleine für die arabische Identität, die Araber bis zu ihrem Wiedererscheinen in der Weltgeschichte im 19. Jahrhundert leiten sollte. Die kalligrafische Ästhetik ist allumfassend: Sie beschreibt und prägt im wahrsten Sinne des Wortes sowohl das Göttliche, in der Offenbarung des Koran, als auch das Menschliche – die Schmachtlocke des Geliebten ist der Buchstabe wāw:46 Und die verschlungenen Liebenden sind ein lam-alif der raffinierten „kufischen“ Art:47
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Und, um den ästhetischen Kreis zu schließen, Buchstaben in ihrer umfassenderen Bedeutung werden in Begriffen menschlicher Schönheit beschrieben: Parfümiere die Literatur, die du schreibst, nur mit der feinsten Tinte, denn literarische Werke sind sinnliche Mädchen, und Tinte ist ihr kostbarer Duft.48 Noch hatten die meisten Autoren in der abbasidischen Phase der Schriftrevolution keine Zeit für solche Wunderlichkeiten. Die schriftliche Gelehrsamkeit hatte eine Menge nachzuholen, und sie fing jetzt an, es in industriellen Mengen zu tun. Ein Gelehrter aus Nischapur im Iran beispielsweise pflegte offene Vorlesungen über Hadithe abzuhalten, bei denen 500 Tintenfässer aufgestellt wurden, damit diejenigen, die teilnahmen, seine Worte aufschreiben konnten.49 Der Tintenfluss war anscheinend unaufhaltsam: Zu Beginn des 10. Jahrhunderts stellte der wazīr Ibn al-Furāt bei der Rückkehr aus dem Krankenurlaub in sein Amt fest, dass 1000 Briefe darauf warteten, dass er sich mit ihnen befasste, und weitere 1000 Belege darauf, dass er sie unterzeichnete50 – das Pendant zum überquellenden E-Mail-Postfach der Gegenwart. Hin und wieder geriet der Amtsschimmel außer Kontrolle, wie in der Geschichte von einem Beamten mit lockerem Stuhlgang, der einen schriftlichen Antrag einreichen musste, um die einzige verfügbare Toilette benutzen zu dürfen. Als der Antrag zurückkam, genehmigt, und der des Lesens und Schreibens unkundige Hauswart nach einem Sekretär schicken musste, um ihn vorzulesen, war es beinahe zu spät: ein Fall von Logorrhoe und Diarrhoe, die miteinander haderten.51 Am anderen literarischen Extrem dieser schreibenden Gesellschaft gab es zahlreiche Bibliotheken, die auf ihre Weise den kulturellen Zusammenhalt gewährleisteten. Der im 9. Jahrhundert lebende Dichter Abū Tammām beispielsweise zog sich, vom Schnee in der iranischen Stadt Hamadan eingeschlossen, in die Bibliothek eines der ortsansässigen Honoratioren zurück, wo er sich in vorislamische Lyrik vertiefte.52 Die Szene ist eine Miniatur des kulturellen Großreichs: Ein arabischer Dichter von unklarer, aber wahrscheinlich griechischer Herkunft, der durch Persien reist und die Werke seiner antiken arabischen Vorgänger liest. Mit dem beachtlichen Ausstoß an Worten entstanden rasch Bibliotheken. Dem großen Staatsmann des 10. Jahrhunderts al-Sāhib ibn Abbād wurde eine verlockende berufliche Veränderung angeboten, aber er lehnte sie ab, teils mit der Begründung, dass allein zum Transport seiner Privatbibliothek 400 Kamele nötig seien.53 Dies war auch das Zeitalter, als gewichtige Einzelwerke erschienen, die selbst ein Versuch waren, der niemals verebbenden Tintenflut Herr zu werden – Bücher wie die Geschichtswerke von
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al-Tabarī und al-Masʿūdī aus dem 10. Jahrhundert, die jeweils viele Bände umfassten. Al-Masʿūdīs Werk ist verloren, aber seine erhaltene vierbändige Kurzfassung Murūdsch al-dhahab, Die Wiesen aus Gold, ist allein schon umfangreich. Sie ist eine meiner Hauptquellen: Sie vermittelt eine abbasidische historische Weltauffassung, in welcher das arabische Großreich sowohl Teil eines mit Adam beginnenden Kontinuums als auch von zentraler Bedeutung (wie der Tang-Kaiser bemerkte) für eine Humangeografie ist, die Kopten und Perser, Franken und Chinesen einschließt. Al-Masʿūdī hatte selbst einen ordentlichen Teil dieser Geografie beobachtet und war daher in hohem Maße qualifiziert, die abbasidische Perspektive darzulegen. Als arabischer Nachfahre von Mohammeds gelehrtem Weggenossen Abdallah ibn Masʿūd wuchs er in Bagdad auf, besuchte aber in seinem späteren Leben viele Länder – Ägypten, Persien, Sindh, Indien, Sarandib (Sri Lanka) und möglicherweise Indochina, China, Ostindien (Malaiischer Archipel) und dann Madagaskar und Ostafrika auf seinem Weg nach Hause über die Arabische Halbinsel. Später bereiste er den Norden und Westen des heutigen Iran und die Länder der Levante.54 Als Personifizierung eines zunehmend belesenen und mobilen Zeitalters hat man ihn mit Herodot verglichen. Aber er verkörpert auch eine Ruhelosigkeit, die in Arabien immer schon heimisch war, nach Mohammed freigesetzt wurde, als Araber sich daranmachten, einem politischen Großreich den Weg zu ebnen, und nun ihr Ventil in Bildungsreisen fand. Territoriale und informationelle Doppelreiche, wie Edward Said sie in seinem erstmals 1978 auf Englisch erschienenen Buch Orientalism beschreibt, waren nicht auf spätere westliche Eroberer beschränkt. Wenn überhaupt, hätten es nur wenige Menschen mit al-Masʿūdīs Erkundungsreisen vor Ort oder auf dem Papier aufnehmen können. Aber die arabische Sprache und Kultur, die er und andere benutzten und exportierten, reiste noch weiter. Wie wir gesehen haben, brachte lange vor al-Masʿūdīs Zeit der Salon des Dichters Ibn Arabī – „der Sohn des Beduinen“, der in Wirklichkeit aus Sindh stammte – Besucher aus al-Andalus und Turkestan, den äußersten Rändern des Reiches, zusammen.55 Die Begegnung war nicht die einzige ihrer Art. „Eines Tages rezitierte ich in der Eingangshalle meines Hauses“, erinnerte sich der spätere Bagdader Dichter Ibn Nubāta, als es an der Tür klopfte. „Wer ist da?“, sagte ich. „Ein Besucher aus dem Maschrik [dem Osten des Reiches]“, kam die Antwort. „Wie kann ich dir helfen?“, fragte ich. Er sagte: „Dieser Vers ist von dir, nicht wahr:
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‚Auch wer nicht durch das Schwert stirbt, den wird der Tod ereilen: der Gründe mag es viele geben, aber einer ist das Leiden.‘“ „Ja“, sagte ich, „er ist von mir.“ „Darf ich ihn dann mit deiner Genehmigung vortragen?“, fragte er. „Gewiss“, erwiderte ich. Er ging seiner Wege. Am Ende des Tages klopfte es erneut an der Tür. „Wer ist da?“, sagte ich. „Ein Besucher aus Tahart im Maghreb [in Algerien]“, kam die Antwort. „Wie kann ich dir helfen?“, fragte ich. Er sagte: „Dieser Vers ist von dir, nicht wahr: ‚Auch wer nicht durch das Schwert stirbt, den wird der Tod ereilen: der Gründe mag es viele geben, aber einer ist das Leiden.‘“ „Ja“, sagte ich, „er ist von mir.“ „Darf ich ihn dann mit deiner Genehmigung vortragen?“, fragte er. „Gewiss“, erwiderte ich. Und ich war erstaunt, dass dieser Vers sowohl den Osten als auch den Westen erreicht hatte.56 Ein anderer Dichter, al-Buhturī, erfasste die weltumspannende Stimmung der Zeit: Die Karawane meiner weit reisenden Lyrik wird euch gewiss immer folgen …57 Das abbasidische Zeitalter war mobil, physisch, künstlerisch, intellektuell. AlKindī, Abkömmling einer Familie, die schon lange vor dem Islam zu den begabtesten arabischen Familien gehört hatte, nahm energisch Stellung gegen intellektuelle Spielverderber, Aufklärungsfeinde, die im Namen der Religion die Philosophie angriffen.58 „Es ist richtig und angemessen“, schrieb er, „dass wir niemals davor zurückscheuen, den Wert der Wahrheit [al-haqq] anzuerkennen und sie uns anzueignen, wo auch immer sie herkommen mag – auch wenn sie von Rassen kommt, die fern von uns sind, und von Gesellschaften, die ganz anders sind als unsere eigene.“59 Ein solcher Gedanke konnte nur in einer Gesellschaft und Kultur gedacht oder gar geäußert werden, die sich ihrer eigenen Stärke sicher war. Der Einfluss dieser neuen und kosmopolitischen Superkultur reichte nicht nur bis zu chinesischen Kaisern und angelsächsischem Münzgeld. Auch im schrumpfenden kümmerlichen Rest der klassischen Welt, in Konstantinopel,
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imitierte man Bagdader Architektur und Kleidung: Der Kaiser Theophilos, der in den 830er-Jahren auf dem Schlachtfeld gegen Araber gekämpft hatte, erbaute am Bosporus einen Palast im Bagdader Stil, während wohlhabende Byzantiner à lʼarabe herumliefen, mit Turban und Kaftan.60 Sogar auf den Straßen von Guangzhou war während der Tang-Ära der Kaftan oder hufu nach arabischer Art, die „Ausländertracht“, in Mode.61 Aber während die Welt immer kleiner und arabischer wurde – sowohl in den Wörtern, die sie sprach und schrieb, als auch in den Lebens- und Kleidungsstilen –, wurde sie zugleich, zumindest für die traditionell Gesinnten, immer weniger arabisch.
Die lange Finsternis beginnt Der letzte umayyadische Statthalter von Chorasan hatte seine Herren in Damaskus vor der abbasidischen Revolution gewarnt.62 Wenn sie es versäumten, sie jetzt zu ersticken, schloss sein poetischer Feueralarm, dann „Islam und Araber – lebt wohl!“63 Der abbasidische Sieg hatte nicht zum Ende des Islam geführt; stattdessen hatte er ihn in vielerlei Hinsicht bereichert. Aber was war mit dem Arabischsein? Wie wir gesehen haben, brandmarkte der bedeutende Arabist al-Dschāhiz die abbasidische Dynastie als ʿadschamiyya khurasaniyya, nichtarabisch und chorasanisch.64 Gewiss hatte die Revolution der Abbasiden in Chorasan begonnen, und sie hatten stets Truppen aus dieser Region eingesetzt; in dieser Hinsicht waren sie „Chorasaner“. Aber ʼadschami? Al-Dschāhiz überbewertete wohl einen rhetorischen Gesichtspunkt: ʿadschami hatte immer als der Gegenpol fungiert – sprachlich, aber auch was ererbte Herkunft und Lebensweise betraf und in jeder anderen vorstellbaren Hinsicht –, durch den ʿarabi sich definierten. Natürlich waren die Abbasiden sprachlich und was die hochwichtige männliche Abstammungslinie betraf noch immer Araber. Aber bei der Lebensweise hatten sie es in kurzer Zeit weit gebracht. Al-Mughīra, diese Verkörperung derben beduinischen Arabischseins, der gut ein Jahrhundert vor dem Aufstieg der Abbasiden mit dem Vizekönig des Schahs verhandelte, hatte den kostbaren Teppich des Persers mutwillig beschädigt und sich auf den vizeköniglichen Thron gedrängt.65 Jetzt waren die Abbasiden die mit den Teppichen und den Thronen. Die arabischen „Könige der Könige“, wie der chinesische Kaiser sie nannte, auch wenn sie diesen persisch anmutenden Titel nicht offiziell angenommen hatten, machten sich den persischen „Ornamentalismus“ zu eigen.66 Im Gegensatz zur Zugänglichkeit der altarabischen und der meisten frühen islamischen Herrscher hatte der erste abbasidische Kalif, al-Saffāh, die persische Sitte übernommen, bei einer öffentlichen Audienz hinter einem Vorhang zu sitzen. Zwar hatten es einige der Umayyaden ebenso gehalten,67 aber die späteren Abbasiden gingen
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viel weiter. Sie fingen an, den tadsch zu tragen, ein persisches Wort für „Krone“, aber bei den Abbasiden vielleicht ein mit Edelsteinen verzierter Turban.68 Sie beschäftigten Hofastrologen – in al-Mansūrs Fall ein Zoroastrier, der ihm im Land der „Mager/Magier“ 69, wo die Mehrheit nach wie vor der alten Religion anhing, einen Anschein von Legitimität verlieh.70 Auch die Politik wurde persianisiert: Der Mord an Abū Muslim durch al-Mansūr wurde angeblich angeregt durch eine ähnliche Ermordung eines zuverlässigen Stellvertreters durch einen der sassanidischen Schahs.71 Es war eine Tat, die kaum vorstellbar gewesen wäre unter den Umayyaden, die, auch wenn sie ihre Feinde auf Leben und Tod bekämpften, gegenüber ihren Freunden im Allgemeinen loyaler waren. Ein metaphorischer Vorhang senkte sich zwischen den Herrschern und ihrer Herkunft herab, zwischen dem neuen, kosmopolitischen Araber und dem aʿrabi alter Schule. Die Kluft tritt zutage in einer Geschichte über den dritten abbasidischen Kalifen, al-Mahdi, der sich während der Jagd in der Wildnis verirrt und Zuflucht bei einem Beduinen sucht. Der Beduine nötigt ihn, Wein zu trinken, und Becher um Becher enthüllt der Kalif langsam, wer er ist: zuerst, dass er vom Hof komme; dann, dass er einer der Kommandeure des Kalifen sei; dann, dass er der Kalif selbst sei. Der Beduine blickt derweil misstrauisch. „Beduine“, sagte al-Mahdi, „schenke mir noch einen Becher ein.“ „Nein, bei Allah“, erwiderte der Mann, „ich werde dich keinen Tropfen mehr trinken lassen.“ „Warum?“, fragte der Kalif. „Weil ich fürchte, dass, wenn du einen vierten trinkst, du mir erzählen wirst, dass du der Prophet Allahs bist.“ Als er das hörte, lachte al-Mahdi. In diesem Moment finden die Begleiter des Kalifen ihn endlich. Zunächst ist der Beduine erschrocken, fasst sich dann aber und sagt zu dem Kalifen: „Also hast du die Wahrheit gesagt. Aber wenn du den vierten Anspruch – und den fünften – erhoben hättest, wärst du zu weit gegangen.“ Und al-Mahdi lachte so sehr über „den vierten Anspruch – und den fünften“, dass er beinahe vom Pferd gefallen wäre. Der fünfte Anspruch wäre vermutlich gewesen, dass der Kalif Gott sei … Schlussendlich befahl al-Mahdi, dass dem Beduinen eine Pension gezahlt werde, und nahm ihn in seinen Kreis enger Gefährten auf.72
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Die Geschichte liest sich wie eine Parabel über die Verwandlung von Arabern alter Schule in Stadtbewohner, die mit dem Islam begonnen hatte und nun Fahrt aufnahm: Der aʿrabi, der Randständige, der Außenseiter aus der Wildnis (wenn auch einer ausreichend mit Wein versorgten Wildnis), wird in den Mittelpunkt des Kreises gebracht – hinter den Vorhang des Kalifats gelassen, in das Herz der neuen urbanen Gesellschaft befördert. Auch kommt es einem vor wie das Ende einer Ära. Die Zukunft des Kalifentums wäre nicht die von al-Mahdi, dem in der Wildnis Unerkannten, sondern die seines Sohnes al-Raschīd in seiner berühmten Tausendundeine-Nacht-Rolle, inkognito in der urbanen Wildnis Bagdads; nicht angezweifelt in der Wüste, aber verkleidet in der Stadt. Was folglich die Lebensweise betrifft, hatte al-Dschāhiz recht: Die Abbasiden, in ihrer gesamten langen Ära das erste Geschlecht des Arabertums und das wichtigste Symbol arabischer Solidarität, waren weit entfernt vom traditionellen arabischen Leben. Aber auch in jenen beiden Sphären, in denen sie noch als rein arabisch hätten erscheinen können, in Sprache und Abstammung, wurde ihr Arabischsein untergraben; oder, um genau zu sein, ihre Sprache und Abstammung wurden ebenfalls aus dem alten Milieu entfernt. Umayyadische Kalifen mochten Fehler bei den Kasusendungen des Hocharabischen gemacht haben; viel schlimmer war, dass al-Mahdis Enkel, al-Muʿtasim, zugab, dass er „ungebildet“ war, als er die Bedeutung des Wortes kalaʼ nicht kannte73 – es ist das wichtigste Wort im traditionellen arabischen Leben nach māʼ, Wasser, denn es bedeutet „Weideland“. Obwohl nun die Vaterlinie die Abstammungslinie war, auf die es ankam, war in der altarabischen Gesellschaft die Herkunft mütterlicherseits von beinahe ebenso großer Bedeutung gewesen. In vorislamischer Zeit wurden die Kinder von Sklavinnen von ihren Vätern oft nicht anerkannt, außer wenn es Söhne waren, die ihren eigenen Nachwuchs gezeugt hatten.74 Aber von den 37 abbasidischen Kalifen im Lauf der 500 Jahre bis zur faktischen Auslöschung des Abbasiden-Kalifats durch die Mongolen sollten nur drei frei geborene arabische Mütter haben. Die anderen Mütter waren Sklavinnen-Konkubinen unterschiedlichster Herkunft, darunter afghanische, choresmische, byzantinische, slawische, berberische, persische, turkische, armenische und abessinische Frauen.75 „Die Welt hat sich vermischt“, vermerkte der Dichter al-Maʿarrī im 11. Jahrhundert, „die Bewohner des Flachlands mit den Töchtern des Gebirges; die Mutter des Geschlechts der Numairiden ist eine Turk-Frau; die der Uqailiden ist eine Sklavin aus Samarkand.“76 All das spiegelte exakt die komplexe Vielfalt des Großreichs wider, war aber sehr weit entfernt vom Familienleben des altarabischen Subkontinents. Hadāra, die erfolgreiche Koexistenz unterschiedlicher Lebensformen in der Sesshaftigkeit, hatte sich einstweilen gegen badāwa, das Beduinenleben in der
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bādiya, der offenen Steppe und Wüste, durchgesetzt; das schaʿb oder „Volk“ in seinem umfassendsten, kosmopolitisch-islamischen Sinne hatte die qabīla, den Stamm, auf eine untergeordnete und marginale Rolle verwiesen. Die Gesellschaft – der Teil der Gesellschaft, auf den es ankam – war nicht länger tribal; die Abstammung mochte für manche nach wie vor bedeutsam gewesen sein, aber Menschen mit weitgehend unterschiedlichen Genen konnten dennoch innerhalb der Familie des Islam zusammenleben. Wichtig war, dass Nichtaraber nicht mehr nur Klienten, Sekretäre oder Konkubinen waren, sondern zu Menschen von Bedeutung aus eigenem Recht wurden. Während des Abbasiden-Kalifats war der wazīr oder „Wesir“ zunehmend verantwortlich für die aktive Leitung des Reiches. Führend unter den Wesiren der ersten Abbasiden waren die aus dem persischen Geschlecht der Barmakiden, deren Vorfahren erbliche Hüter des Tempels von Nawbahār in der Stadt Balch im Norden des heutigen Afghanistan gewesen waren („Barmak“ ist das sanskritische parmak, „Überlegener, Oberhaupt“, „Nawbahār“ das neue, nava vihāra oder buddhistische Kloster).77 Drei Generationen der Familie dienten den Abbasiden in unterschiedlichen Funktionen, am berühmtesten wurde Dschaʿfar al-Barmakī, der Gefährte von Hārūn al-Raschīd in der Sammlung von Erzählungen, die zu Tausendundeiner Nacht zusammengefasst wurden. Die beiden hatten ein enges Verhältnis, so eng, dass al-Raschīd der Legende nach ein spezielles „Siamesischer-Zwilling“-Gewand besaß, welches ihnen beiden Platz bot, wobei ihre Köpfe aus getrennten Kragen hervorschauten.78 Damit enden die Legenden nicht: Perser und Araber kamen einander angeblich so nahe, dass gegen das alte Tabu – so alt wie die vorislamischen lachmidischen Könige79 – verstoßen wurde und al-Raschīd Dschaʿfar mit seiner Schwester Abbasa verheiratete. Und dann, so wird erzählt, ging die Sache schief: Die Vereinigung, die eine mariage blanc, eine Scheinehe, sein sollte, wurde vollzogen und ein Sohn geboren.80 Al-Raschīd, erzürnt beim Gedanken an den persischen „Bräutigam auf dem Papier“, Busenfreund oder nicht, der die arabische Reinheit seiner Schwester besudelt hatte, ließ Dschaʿfar hinrichten, kerkerte den Rest der Familie ein und konfiszierte ihre enorm wertvollen Besitztümer. Ist die Geschichte wahr? Wahrscheinlich nicht. Vor allem Ibn Chaldūn tut sie als lächerlich ab – dann weicht er seinen Standpunkt allerdings ziemlich auf, indem er in Bezug auf Abbasa fragt: „Wie konnte sie … ihren arabischen Adel mit einem persischen Schutzbefohlenen entehren?“81 Ibn Chaldūn mag der Vater der Soziologie sein; was die Vorgänge im Schlafzimmer betrifft, ist auf seine Informationen weniger Verlass. Überzeugender ist da schon seine Behauptung, dass die Familie der Barmakiden sogar einen Putsch gegen al-Raschīd plante.82 Zwar gibt es dafür keine eindeutigen Beweise, aber in den probarmakidischen
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Elegien, die erhalten geblieben sind, finden sich möglicherweise verschlüsselte Hinweise darauf. Eine Elegie beinhaltet beispielsweise die folgenden Zeilen: Die ganze Welt war, als du hier warst, eine Braut; nun ist sie des Gemahls wie auch des Kindes gleich beraubt.83 Will sagen, Dschaʿfar war nicht nur mit der Schwester des Kalifen verheiratet, sondern auch mit seinem Reich. Jetzt war die persische Hochzeit mit der Welt abgeblasen. Der Sturz des Hauses der Barmakiden ist niemals genauer dargestellt worden.84 Boshafte höfische Rivalitäten waren im Spiel, vor allem zwischen den Barmakiden und einem anderen engen Berater al-Raschīds, al-Fadl ibn alRabīʿ.85 Aber vielleicht befiel al-Raschīd am Ende auch wieder die uralte Furcht – davor, dass der ʿadschami, der Nichtaraber, an der Spitze stünde, ob im Bett oder auf dem Thron. Es mag nicht unerheblich sein, dass im Arabischen die beiden Möbelstücke mit einem Wort, sarīr, bezeichnet werden können (wie wir gesehen haben, bedeutet ein anderes Wort für „Thron“, ʿarsch, auch „Bahre“). Und es ist vielleicht ebenso wenig unerheblich, dass der Kalif, kurz bevor er gegen die Barmakiden losschlug, die Pilgerfahrt nach Mekka unternommen hatte, jene rituelle Wiederverbindung mit den arabischen Wurzeln. Er war der letzte abbasidische Kalif, der diese uralte Verbindung erneuerte.86 Die Furcht vor dem Anderen, wenn auch uralt, war berechtigt: Die arabische Vormachtstellung sollte bald verlorengehen. Perser –Turkvölker gar – standen im Begriff, ihre Herrschaft nicht nur über die Körper arabischer Frauen und folglich die arabische „Ehre“ durchzusetzen, sondern auch über das ganze arabische Gemeinwesen. So richtig beginnen sollte ihr Aufstieg zur Macht in der nächsten Kalifengeneration; innerhalb von nur einer weiteren Generation danach würden sich diese Nichtaraber in einen 1000 Jahre währenden Alptraum verwandeln.
Die Unfruchtbarkeit der Königsherrschaft Große Abstiege und Untergänge – vielleicht die der Dinosaurier ausgenommen – haben immer viele Ursachen, die oftmals so trivial sind, dass man sie nur schwer ausmachen kann; aber manchmal befinden sich darunter tragische Fehler und Schwachstellen, unerwartete Wendungen bei Personen oder Umständen, von denen ausgehend das Unheil seinen Lauf nimmt. „Wenn Allah der Allmächtige“, schrieb Ubaid Allāh ibn Sulaimān, „die Vernichtung eines Volkes und das Ende seines Glücks beabsichtigt, dann liefert Er einen Grund dafür.“87 Mit anderen Worten, Er würfelt nicht. Bei Arabern trägt der übliche
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Verdächtige – die dauernde interne Uneinigkeit, die sie aus Arabien mitbrachten – viel dazu bei, ihren Machtverfall zu erklären. Es ist unnötig zu sagen, dass Rivalität innerhalb einer Herrscherfamilie keine ausschließlich arabische Schwachstelle ist: Die kurdische Ayyubiden-Dynastie „tat sich zusammen und erlebte eine Blütezeit, dann entzweite sie sich und ging unter“,88 so der Vertraute ihres Begründers, Saladin; ebenso erging es ihren Beinahe-Zeitgenossen in Indien, den Herrschern des Sultanats von Delhi, die „sich zusammentaten, um ihre Feinde zu vernichten, und sich entzweiten, um sich selbst zu vernichten“.89 Ebenso wenig ist sie eine für muslimische Herrscherfamilien typische Schwachstelle: In Spanien sorgte sie für Zwietracht zwischen Peter I. (Pedro) von Kastilien und seinem illegitimen Bruder Heinrich (Enrique) von Trastámara und in England stürzte sie die verwandten Häuser von York und Lancaster in die Rosenkriege. Interne Machtkämpfe sind Teil der dynastischen Dynamik. Aber sie werden verschlimmert durch Polygamie, Konkubinat und die daraus resultierende Vielzahl an Stiefmüttern und Halbbrüdern. Und im Fall der Abbasiden waren die Folgen, als das letzte bedeutende Symbol ihrer Solidarität und Kontinuität – die Kalifenfamilie – durch Geschwisterrivalität auseinandergerissen wurde, furchtbarer als jemals zuvor, weil Araber als Ganzes ohnehin bereits zerstreut und zerstritten waren. Al-Maʾmūn, der Philosoph auf dem Kalifenthron und Schirmherr der Wissenschaften, hatte es durch das althergebrachte Mittel eines Kampfes auf Leben und Tod mit denen, die ihm die Nächsten, wenn auch nicht die Liebsten waren, dahin gebracht, wo er war; weder Abbasiden noch Araber sollten sich jemals von diesem Kampf erholen. Zwischen der „goldenen Hochblüte“ des Hārūn alRaschīd und dem intellektuellen goldenen Zeitalter seines Sohnes al-Maʾmūn lag ein Krieg, in dem die Einheit des ganzen Reiches erschüttert wurde. Etwa so wie die Legende von der blutigen Trennung der siamesischen Zwillinge Hāschim und Abd Schams auf die Spaltung innerhalb ihres angestammten QuraischClans vorausdeutete, ist eine Anekdote über den jungen Abdallah (al-Maʾmūn) und seinen Bruder Mohammed (al-Amīn) ein böses Vorzeichen ihres zukünftigen Zerwürfnisses. Der Gelehrte al-Kisāʾī war zu Besuch bei al-Raschīd, und der vernarrte Kalif ließ seine beiden jungen Söhne kommen, um mit ihrer Rezitation von Koran-Passagen und Lyrik zu prahlen. Das kaum bemerkenswerte Couplet, das Mohammed vortrug, handelte von Reichtum, Großzügigkeit und Ehre. Abdallahs Gedicht jedoch war anders. Es drehte sich um Schicksal und Geduld im Unglück und endete mit einem sonderbaren Bild: Du wirst sehen, dass der Schaft meiner Lanze, eingespannt in die Begradigungsvorrichtung, lange braucht, um zu brechen.
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Al-Kisāʾī war voll des Lobes und der Gebete für die Jungen. Aber, erinnerte er sich, al-Raschīd zog sie beide an sich und hielt sie fest. Als er seinen Griff lockerte, sah ich, dass ihm Tränen bis über die Brust liefen. Er schickte die Jungen weg, und als sie gegangen waren, kam er nahe zu mir und sagte: „Es ist, als hätte deine Gegenwart ihr Los herbeigeführt, ihre Schicksale vom Himmel gesegnet und was geschrieben steht, zum Abschluss gebracht. Denn sie sprechen nicht mehr wie früher mit einer Stimme, ihre Wege haben sich geteilt, ihre Feindschaft ist offenbar geworden. So werden sie bleiben, bis Blut vergossen worden ist, bis viele tot daliegen, bis die Schleier der Frauen zerrissen sind, bis viele Lebende wünschten, sie wären niemals geboren worden.“90 Was auch immer wahr ist an der Geschichte – und an der angeblichen Existenz eines Buches, auf das al-Raschīd anspielt, in dem das Schicksal der gesamten Abbasiden-Dynastie vorhergesagt wurde –, was das Zerwürfnis der Prinzen betrifft, scheint es tatsächlich eine Zwangsläufigkeit zu geben. Mohammed alAmīns Mutter Zubaida („Butterspachtel“), eine Förderin großartiger gemeinnütziger Werke und Liebhaberin von Edelsteinen (sie trug sogar edelsteinbesetzte Stiefel91), gehörte zu den wenigen Kalifengattinnen, die sowohl frei geboren als auch arabisch waren. Sie selbst war ein Mitglied der abbasidischen Familie. Besorgt um die Zukunft der Dynastie, als ihr heranwachsender Sohn eine ausgeprägte Vorliebe für Sklavenjungen statt für Sklavenmädchen an den Tag legte, fing sie an, die Letzteren in Jungenkleider zu stecken – in der Folge kamen sowohl ghūlamiyyāt, „knabenhafte Frauen“, als auch mit Pailletten besetzte Stöckelschuhe in Mode.92 Abdallah al-Maʾmūn, der etwas ältere der beiden, war auf die üblichere Weise geboren worden – von einer Sklavin-Konkubine. Die beiden Mütter waren einander nicht grün: Das Sarah-versus-Hagar-, Isaak-und-Ismael-Syndrom war im Spiel.93 Wie so oft in der arabischen Geschichte verkomplizierten die Existenz rivalisierender Mütter und das Fehlen des plumpen, aber brauchbaren Instruments der Primogenitur die Machtübergabe. In diesem Fall fand al-Raschīd eine katastrophale „Lösung“, die eines König Lear würdig gewesen wäre: Er machte al-Amīn zum ersten Erben des Kalifats und al-Maʾmūn zum zweiten, teilte die Verantwortung für das Reich aber zwischen ihnen und einem dritten Bruder, al-Muʿtamin, auf. Al-Amīn erhielt Bagdad und die Gesamtmacht; al-Maʾmūn wurde zum Herrscher über das ursprüngliche abbasidische Machtzentrum, Chorasan, berufen; al-Muʿtamin wurde die Verantwortung für die byzantinischen Marken übertragen.94 In einem außerordentlich symbo
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lischen Akt mit Parallelen zur vorislamischen Praxis der Quraisch, des Stammes der Abbasiden, wurde in der Kaaba in Mekka ein Schriftstück aufgehängt, welches die Aufteilung verkündete.95 Und es heißt, dass bei einem weiteren unheilschwangeren Vorfall die Proklamation, als man sie hochzog, gleich wieder he runterfiel.96 Es bedurfte indes keiner bösen Vorzeichen, damit die von al-Raschīd vorgenommene Aufteilung des Reiches scheiterte. Bei seinem Tod trat al-Amīn die Nachfolge des Kalifats an und bestimmte dann (der Trick mit den knabenhaften Frauen hatte funktioniert) seinen kleinen Sohn zu seinem Erben, anstelle seines Bruders al-Maʾmūn und entgegen den Wünschen ihres Vaters. Viele waren bestürzt. So fremdartig war das Konzept der Primogenitur und der Krönung eines Prinzen im Säuglingsalter, dass ein Dichter sagen konnte: Am erstaunlichsten ist, dass wir einem kleinen Kind Treue schwören sollen, das noch nicht gelernt hat, sich die Nase zu putzen!97 Al-Maʾmūn hatte sich bereits in Chorasan niedergelassen, jener Brutstätte von Kriegen, und von dort marschierten seine Streitkräfte auf Bagdad zu, wo sein Halbbruder auf kriegerische Kraftanstrengungen schlecht vorbereitet war (er interessierte sich mehr für Innendekoration und Zierfische, seinen Lieblingsfisch schmückten goldene Kiemenringe98). Es begann ein langer und brutaler Häuserkampf, der sich über mehr als ein Jahr hinzog: „Bruder kämpfte gegen Bruder, und der Sohn gegen den Vater, Aministen gegen Maʾmūnisten. Häuser wurden zerstört, Paläste niedergebrannt, bewegliche Güter geraubt.“99 Dichter, die Kriegskünstler der Zeit, dokumentieren krasse Bilder des Zerfalls, einer ganzen Gesellschaft, die zerbricht. „Durchtrennt“, beginnt eine Ode, sind die Bande der Geburt, die Verwandte zusammenfügten. … Bagdad mag nie der schönste Anblick gewesen sein, der reizendste Erholungsort, den Augen erschauen. So war es; aber nun ist seine Schönheit dahin, seine Harmonie zerstört durch des Schicksals Beschluss. Ihrer ist nun das Los, das einst die Menschen der Vergangenheit ereilte: Auch sie sind Legenden, die anderen fern und nah erzählt werden.100 Diese „Menschen der Vergangenheit“ sind all jene, deren Schicksal durch Uneinigkeit besiegelt wurde – angefangen, wie der Dichter andeutet, bei den anti-
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ken Sabäern, von denen es im Koran heißt: „… da machten wir sie zur Legende und rissen sie ganz und gar in Stücke“.101 Wenn ich mir Bagdad und Damaskus heute ansehe und aus meinem eigenen Fenster blicke, so ist klar, dass die Legenden noch nicht vorüber sind. Am Ende wurde al-Amīn gefangen genommen, während er versuchte, per Boot zu entkommen. Seine letzten Stunden wurden von einem Mitgefangenen, einem alten maulā namens Ahmed, dokumentiert: Al-Amīn sagte: „Komm her zu mir. Umarme mich. Ich verspüre eine schreckliche Einsamkeit.“ Ich umarmte ihn und spürte das heftige Klopfen seines Herzens … Dann sagte er zu mir: „Ahmed, ich bezweifle nicht, dass man mich zu meinem Bruder bringen wird. Glaubst du, mein Bruder wird mich töten?“ „Nein“, erwiderte ich, „denn das Band der Verwandtschaft wird dafür sorgen, dass er Mitleid mit dir hat.“ Und er sagte: „Vergiss das. Königsherrschaft kennt keine Verwandtschaft. Sie ist unfruchtbar.“102 In gewisser Hinsicht hatte er im wahrsten Sinne des Wortes recht: Das Wort für „Verwandtschaft“ – in dem obigen Gedicht im Plural mit „Bande der Geburt“ übersetzt – lautet rahīm, was auch „Mutterschoß“ bedeutet: Angesichts ihrer unterschiedlichen Mütter war ein Mutterschoß, ein Band qua Geburt, genau das, was die beiden Brüder nicht gemeinsam hatten. Einige anti-aministische Historiker „tilgen“ sogar ihre gemeinsame Abstammung von einem Vater und nennen al-Amīn nach dem Namen seiner Mutter „Mohammed ibn Zubaida“.103 Al-Amīn wurde nicht zu seinem Bruder geschickt. Er wurde an Ort und Stelle getötet, und man schickte stattdessen die übliche Trophäe, seinen Kopf. (Der dritte Bruder und gemeinsame Herrscher, al-Muʿtamin, hatte sich klugerweise aus dem Kampf verabschiedet und verbrachte den Rest seines Lebens zurückgezogen.) Al-Maʾmūn war siegreich und pflegte fortan seine philosophischen Interessen; aber die Familienbande – von denen des Clans, des Stammes oder des Volkes gar nicht zu reden – waren, wie der Dichter und der Kalif erkannten, unwiderruflich durchtrennt worden. Fortan gingen Herrscher verstärkt dazu über, sich Loyalität zu erkaufen, und bauten dabei auf nichtarabische Anhänger und Söldner. Der Trend hatte bereits mit dem zweiten abbasidischen Kalifen, alMansūr, eingesetzt, der sich auf seine Sklaven und Freigelassene gestützt hatte, statt auf Araber.104 Aber al-Maʾmūn beschleunigte diese Entwicklung, indem er
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transoxanische Truppen nach Bagdad holte und sie auf die offizielle Soldliste setzte.105 Wie wir sehen werden, sollte die militärische und politische Macht bald arabischen Händen entgleiten. Von den ganzen gegenläufigen futūhāt – umgekehrte „Invasionen“ durch jene, deren Länder von Arabern erobert worden waren – war dies die entscheidendste, denn sie beendete ein für alle Mal die arabische Vormachtstellung und jeden Anschein politischer Einheit. Im Verein mit der sprachlichen Infiltration des Arabischen durch Nichtaraber und der genetischen Invasion auf jeder Ebene der Gesellschaft durch das ungeheuerliche Regiment von Konkubinen bedeutete all dies, dass die arabische Identität allmählich verschwamm. Aber nicht, bevor eine offizielle Version der arabischen Vergangenheit – was Arabischsein bedeutet hatte und einst wieder bedeuten könnte – bewahrt worden war.
Zur Ruhe kommen und niederschreiben Während der mehr als einhundertjährigen wilden imperialen Expansion seit den 630er-Jahren war der arabische Blick durch das schiere Tempo der Bewegung getrübt worden. Die Notwendigkeit, den Schwung aufrechtzuerhalten und den Zusammenhalt zu bewahren (letzteres gelang nicht ganz so gut), hatte die ganze arabische Kraft beansprucht. Eine Zeit lang konnten Araber nun Bilanz ziehen: Wie Astronauten, die sich nach dem Nervenkitzel und den Gefahren des Starts im Orbit einrichten, konnten sie sich Gedanken über das Erreichte, über ihre Anfänge und vor allem über sich selbst machen. In ihren Versuchen, den Bezug zu der Welt, die sie kannten, nicht zu verlieren, taten Araber das, was sie auch in späteren Zeiten taten und was viele noch heute tun: Sie klammerten sich an die Vergangenheit. Nicht nur an die jüngere, revolutionäre Vergangenheit der Zeit Mohammeds, sondern auch an die frühere arabische Vergangenheit, aus welcher der Islam hervorgegangen war – jene alte, selbstgenügsame Vergangenheit ihrer angestammten „Insel“. Nostalgie ist eine in der Geschichte unterschätzte Kraft: Die Zeit schreitet voran, aber Menschen flüchten oft rückwärts, von Krise und Komplexität zu eingebildeter Einfachheit und Reinheit. Die Vergangenheit kann ein anderes Land sein, sie kann aber auch eine Heimat sein. Für Araber in abbasidischer Zeit musste diese Vergangenheit zuerst wiedergefunden und aufgezeichnet werden. Man hat die Bewegung ʿasr al-tadwīn, „Zeitalter der Niederschrift“, genannt. Sie war eine Art Hintergrund oder Folie der Übersetzungsbewegung – Folie beinahe im wörtlichen Sinne der Folie, welche die Rückseite des Spiegels bedeckt, denn die Übersetzung kam nicht von außen, sondern war nach innen und zurück in das arabische Selbst gerichtet. Es war auch der Beginn einer Verzögerung, die das Leben des Islam noch heute
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beeinflusst – zwischen jener Innenschau auf der einen Seite und einer größeren Aufgeschlossenheit gegenüber der Welt jenseits von Arabien auf der anderen. Diejenigen, die der umfassenderen Welt aufgeschlossen gegenüberstanden, nutzten das Medium des Arabischen und das Material des Islam, um eine globale Zivilisation zu schaffen, in welcher ererbte arabische Rituale durch die einheimischen Weisheiten anderer Länder aus der Zeit vor der Eroberung bereichert wurden. Das Ergebnis ist treffend mit der hellenistischen Zivilisation verglichen worden.106 Aber es war und ist eine Zivilisation, von der aus viele am liebsten wieder auf Pilgerfahrt zurück in ihre arabische Vergangenheit gehen würden.
Die Erschaffung eines Vermächtnisses Das Problem war, dass ein Großteil der Vergangenheit verloren war. Die Kontinuität, der Spiegel der Erinnerung, war zerbrochen: In der neuen sesshaften Gesellschaft war es nicht nur der Kalif, der die Bedeutung von „Weideland“ vergessen hatte. Um die Sache wieder ins rechte Lot zu rücken, wandten Gelehrte sich jenen zu, deren Leben sich nach wie vor um Weideland drehte – den Beduinen. Vom späteren 8. Jahrhundert an überfielen Philologen, Lexikografen und Ethnologen aus den Städten die verbliebenen Araber, deren Leben angeblich nicht von städtischer Lebensart und Sprache verunreinigt war. Ihr Ziel war es, Folklore in ihrem umfassendsten und etymologischsten Sinne zu sammeln – das gesamte ererbte Wissen eines Volkes. Die Bewegung erinnert manchmal an die in dem sich wandelnden Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Cecil Sharp und Béla Bartók volkstümliche Tänze und Melodien sammelten. Aber die arabische Version war nicht bloß von künstlerischer Neugier oder Liebe zum Volkstum inspiriert: Es handelte sich um Rettungsarchäologie, vorgenommen an den lebenden Überresten der Vergangenheit eines Volkes. Und in einer mobilen Gesellschaft, in der Worte immer schon wichtiger gewesen waren als Orte oder Artefakte, richtete sie ihr Hauptaugenmerk auf die Sprache. Wie einige andere, spätere Archäologien – beispielsweise die des Zionismus und des Hindu-Nationalismus – hatte sie ein Programm und präsentierte gerne eine spezielle Sicht der Vergangenheit. Im arabischen Fall war es die beduinische Vergangenheit oder zumindest der Teil davon, der unter den Nomaden des Nordostens der Arabischen Halbinsel, jener Gegend, die dem irakischen Oxbridge von al-Kūfa und al-Basra am nächsten lag, bis in die Gegenwart überdauert hatte. Die andere große arabische Vergangenheit, jene Vergangenheit sesshafter nichttribaler Gesellschaften, großartiger Dämme und Tempel, lag weit entfernt und vergessen im tiefen Süden, auf der dunklen Seite des arabischen Mondes.
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Die beduinischen Objekte dieser Forschungen waren oft verwirrt von den Fragen, die man ihnen stellte: Ob man zum Beispiel „Isrāʿīl“ mit einem Knacklaut aussprechen solle oder „Isrāyīl“ mit einem y, und ob „Filastin“, „Palästina“, einen Genitivfall habe107 … „Wie lange“, fragte ein aʿrabi-Informant, „wirst du mich noch weiter nach diesem Unsinn fragen? Wie lange werde ich mir schöne Antworten für dich ausdenken? Kannst du nicht sehen, dass dein Bart schon grau wird?“108 Ein Lexikograf profitierte davon, dass er von einem Beduinenstamm für mehrere Jahre entführt wurde.109 Manche Forscher bezahlten bar für ihre Informationen,110 während manche Informanten in die Städte zogen, um ihr Wissen zu verkaufen.111 Oft gingen Forscher nicht übertrieben achtsam mit ihren Informanten um. So sagte al-Maʿarrī über sie: Und wie oft haben die Grammatiker Wörter von einem Kind überliefert, das noch nicht mit Bildung und Literatur in Berührung gekommen war, und von einer Frau, die in der Verstoßung niemals Besuch erhielt?112 Natürlich war es Sinn und Zweck, Personen zu finden, die ihre Literatur nicht kannten; zudem sind Frauen oft die besten Informanten, weil sie sich beim Reden mehr zurückhalten als Männer. Das überlieferte Wissen war im Wesentlichen sprachlicher Natur. Aber das Studium der Sprache beinhaltete oftmals das Sammeln von Gedichten, und wollte man die Gedichte verstehen, musste man wiederum Informationen über die Topografie und Genealogie der vorislamischen Vergangenheit sammeln. Und all das hatte Rückwirkungen weit über die Interessen der Forscher und die Bewahrung eines reichen und eigentümlichen Erbes hinaus: Genau genommen definierte und verfeinerte es für alle Zeiten die gesamte arabische „Marke“. Die Marke gibt es heute noch, und sie wird den verschiedenartigsten Menschen, von Mauretanien bis Maskat, eingeprägt. Wie bei jenen frühen Wanderern unterschiedlicher Herkunft, die von ihren Nachbarn vor fast 3000 Jahren unter derselben Bezeichnung zusammengefasst wurden, hat das Etikett „arabisch“ einmal mehr seine Widerstandskraft und Langlebigkeit bewiesen.
Die Rückkehr des Nomaden Die abbasidische Realität war die einer überwiegend städtischen, agrarischen und sesshaften Gesellschaft, die immer pluralistischer und vielfältiger wurde. Beduinische Araber hatten ihren Zweck als Speerspitze der Eroberungen erfüllt; seitdem waren sie in die neue Gesellschaft aufgenommen worden oder, wenn sie ihr altes Leben beibehalten hatten, wieder in die politischen und geografischen Randzonen entschwunden. Wenn sie doch in Erscheinung traten, dann
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entweder als sprachliche Informanten oder als subversive Kraft – indem sie sich beispielsweise an einem zweijährigen Krieg zwischen „nördlichen“ und „südlichen“ Stämmen in Syrien in der Zeit von al-Raschīd beteiligten113 oder die Karawanen mekkanischer Pilger überfielen, wie es eine Streitmacht von 6000 Tayyiʿ-Nomaden im Jahr 898 tat.114 Das letztere Phänomen zeigte sich über mehr als 1000 Jahre immer mal wieder, bis zum Aufstieg der zentralisierten Macht der Al Saʿūd. Arabische Piraten, die muslimische Pilger angreifen … eine bessere Veranschaulichung der Kontinuität zur alten Hirten- und Räubervergangenheit oder der Kluft zwischen dem Islam und seinen Ursprüngen auf der Arabischen Halbinsel konnte es nicht geben. Zugleich war es genau diese Hirten- und Räubervergangenheit, die im Zuge der Aufzeichnung der Vergangenheit für die Nachwelt berühmt gemacht und glorifiziert wurde. Das badw-Ethos wurde tief im arabischen kulturellen Gedächtnis verankert. Es wurde zum Ideal, wie auch immer die Realität aussehen mochte. Mit anderen Worten, es wurde zu einer Art nationaler Persona. Wie es ein moderner Kritiker ausdrückte, geschah es jetzt, im Zeitalter der Niederschrift, dass „die arabische Persönlichkeit anfing, sich ihrer selbst bewusst zu werden“.115 Aber wenn es der Beginn von Selbstbewusstsein war, so war es zugleich auch die letzte Phase in einer langen Entwicklungsperiode. Diese arabische Persönlichkeit hatte im Keim seit Jahrhunderten existiert; sie begann vor der christlichen Ära erkennbare Züge anzunehmen; sie wurde vor dem Islam geboren, etwa um die Zeit der lachmidischen Könige, und durch ihr Umfeld weiter geprägt – insbesondere durch die Präsenz mächtiger nichtarabischer Nachbarn; sie wurde entwöhnt mit einer Kost aus postmohammedanischen Eroberungen und in umayyadischer Zeit mit der Transfusion südarabischen Blutes weiter genährt. In der Vielfalt des Großreiches sah sie sich nun einer komplexeren und bedrohlicheren Welt gegenüber, als sie sie jemals gekannt hatte, und zur Selbstverteidigung hatte sie sich im Nachhinein darangemacht, ihre eigene Identität aufzubauen. Faktisch war die Persönlichkeit erwachsen geworden, und wenn mit dem Selbstbewusstsein eine gewisse Selbsttäuschung einherging, dann sind es solche Änderungen, mittels derer Erwachsene der Welt die Stirn bieten. Die vermeintlich unveränderliche beduinische Welt füllte eine wachsende Bibliothek aus poetischen Kommentaren, Werken über Philologie und Geschichte und den ersten Wörterbüchern. Doch in der „nichtarabischen, chorasanischen“ Realität der abbasidischen Gesellschaft wurden Araber, die tatsächlich versuchten, zu ihren aʿrabi-Wurzeln zurückzukehren, verspottet. Zu ihnen gehörte der Dichter Hais-Bais, der die archaische Redeweise der Beduinen liebte: Sein eigener Spitzname war ein lange überholter beduinischer Ausdruck,
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der oft von ihm benutzt wurde und „arge Not“ bedeutete. Er behauptete, ein Angehöriger des bedeutenden Stammes der Tamīm zu sein, und wurde beschieden: Du hast nicht ein tamīmisches Haar auf dem Kopf! Aber geh und iss Eidechsen, knabbere getrockneten Bitterapfel, Und, wenn du wirklich willst, trink Straußenpisse …116 Aber der altmodische Beduine hielt sich hartnäckig als die schlummernde Identität, die vorgegebene Persönlichkeit. Über 1000 Jahre, vom 9. bis zum 19. Jahrhundert, vom „Zeitalter der Niederschrift“ bis zur „arabischen Renaissance“, hatte „arabisch“ eine gespaltene Bedeutung: Einerseits waren all jene, welche die arabische Sprache benutzten, im kulturell-linguistischen Sinne Araber; andererseits, und im allgemeinen Sprachgebrauch, waren Araber unzivilisierte, Eidechsen fressende Nomaden, auch wenn ihre Vorfahren Helden gewesen waren. Exakt die gleiche Spaltung ist im heutigen Jemen zu beobachten: „O, sie sind bloß qabīlīs, Stammesleute“, sagt vielleicht jemand abschätzig über unzivilisierte, bewaffnete Landeier. Aber wehe man deutet an, der Sprecher könnte selbst keine Stammesherkunft haben, dann ist er tief beleidigt. Die Beziehung zwischen den beiden Hälften dieser gespaltenen Persönlichkeit ist ganz Teil des fortdauernden Dialogs zwischen hadar und badw. Die außerordentliche Aufwertung der beduinischen Vergangenheit bedeutete, dass jeder, der literarische Ambitionen hegte oder eine Stelle in der Bürokratie finden wollte, ein Wissen über die „Tage der Araber“, die Raubzüge und Kämpfe der vorislamischen Stämme haben musste.117 Es gab sehr viele solcher „Tage“: Al-Isfahānīs Sammlung schilderte 1700 von ihnen.118 Die Obsession setzte sich fort über Zeit und Raum. Dichter im urbanen Andalus des 14. Jahrhunderts feierten das Beduinentum, und der libanesisch-brasilianische Dichter Ilyās Farhāt tat es ihm gleich, als er im São Paulo des 20. Jahrhunderts Zelte und Kamele pries.119 Oft setzte und setzt sich das beduinische Ethos über die islamische Moral hinweg; die Überfälle auf mekkanische Pilger sind nur das Extrembeispiel für eine Vielzahl mehr oder weniger offensichtlicher Fälle, bei denen traditionelle Gesetze und Gebräuche die koranischen übertrumpfen. Oft sah sich das beduinische Ethos aber auch scharfer Kritik ausgesetzt. „Es mag keine Übertreibung sein“, behauptete der verstorbene marokkanische Literaturwissenschaftler Mohammed al-Jabri, zu sagen, dass der aʿrabi tatsächlich der Schöpfer der „Welt“ des Arabers ist, der Welt, die von Arabern auf der Ebene von Worten, Ausdrucksfor-
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men, Visualisierung und Vorstellungskraft oder sogar des Verstandes, der Werte und Emotionen bewohnt wird; und dass diese Welt unzulänglich, ärmlich, oberflächlich und ausgedörrt ist, eine Welt des Gefühls und der Natur, ahistorisch, die „Vorgeschichte“ der Araber widerspiegelnd – das „Zeitalter der Unwissenheit“ vor den Eroberungen und der Gründung des Staates.120 Heute liegt diese andere Welt der sichtbaren zugrunde. Selbst in den arabischen, an Gotham City erinnernden urbanen Milieus von Doha und Dubai preisen Dichter-Prinzen noch immer das heldenhafte Beduinentum. Zu behaupten, wie Fouad Ajami es tat, dass Wüstennostalgie „der Kultur fremd“ sei,121 ist verwunderlich: Wüstennostalgie ist seit der Zeit der Abbasiden in der Kultur verankert worden. Das „traditionelle“ arabische Selbstbild ist dem in den 1700 „Tagen“ sehr viel näher als seiner urbanisierten, persianisierten Version in Tausendundeiner Nacht. Durch die gesamte arabische Geschichte seit den Abbasiden geistert ein Gefühl des Bruchs mit der übrigen Welt und ihrem Weg, und sie ist durchzogen von einer chronischen Rückbesinnung – bisweilen auf die vermeintliche Nichtkomplexität des Islam, bevor er Arabien verließ, bisweilen auf diese enge, nostalgische Sichtweise der tieferen arabischen Vergangenheit. Diese Massennos talgie ist nicht unbedingt schlecht: Sie bietet eine Art Einheit, die das Leben der Kulturnation verlängert, und ist ein weiterer Grund, warum wir „Geschichten der Araber“ schreiben können, aber nicht der anglophonen Welt (die angeblich ihre nationalen Mythen aufgegeben und sich mit den globalen auseinandergesetzt hat). Aber wie Sprache ist auch Nostalgie ein Band im doppelten Sinne – von Bruderschaft, aber auch von Knechtschaft. Aus diesem Grund konnte der Dichter Nizār Qabbānī sagen: … Ich bin erschöpft von meinem Arabischsein. Ist Arabischsein ein Fluch, eine Strafe?122
Hüter des Wortschatzes Unter den Abbasiden blickte der Islam nach vorn, auf immer breitere Horizonte; der Blick zurück in die arabische Vergangenheit wurde mit den Jahren immer enger. Der Elan der Expansion war verbraucht, und Araber fingen an, sich auf ihren eigenen nationalen Mythos zu konzentrieren. Folglich schritt die arabische Persönlichkeit vom Erwachsenenalter rasch voran zum mittleren Alter, zum Klimakterium, dem Alter, wo alles unweigerlich nachzulassen und zu ver-
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fallen beginnt. Wie bei dem „gigantischen Bluff“,123 der das Britische Weltreich war, braucht die kleine und bunt zusammengewürfelte Bevölkerung einer abseits gelegenen Insel (oder, im arabischen Fall, einer Halbinsel), wenn sie es schafft, ein paar Hundert Jahre lang einen großen Teil der Welt zu beherrschen, Erzählungen über heldenhafte Vergangenheiten; umso mehr, wenn ihre Herrschaft von anderen bedroht wird. Es sollte uns nicht überraschen, dass die Gelehrten, die diese Vergangenheit dem Vergessen entrissen, Philologen und andere, größtenteils Nichtaraber waren. Ein moderner Kommentator hat es frei heraus gesagt: Indem sie das Wissen der Vergangenheit sammelten und ordneten, „waren die nichtarabischen mawālī [maulās] diejenigen, die in Wirklichkeit die arabische Identität für die arabische Gemeinschaft konstruierten“.124 „Rekonstruierten“ wäre zutreffender. Aber in beiden Fällen ist es eine Aussage, der Ibn Chaldūn beipflichtete: Er widmete ein ganzes Kapitel der Monopolstellung von Nichtarabern in der Wissenschaft.125 Wie im Fall der alten nichtarabischen Reiche, die mit der Erschaffung von „Königen der Araber“ ein erstes Gefühl arabischen Selbstseins schufen, wurde die arabische Identität wieder einmal von anderen geprägt. Diese Prägung beeinflusste auch diesen ständigen und bedeutsamen Akteur in der arabischen Geschichte, die arabische Sprache. Das Arabische war durch die Übersetzungsbewegung außerordentlich bereichert worden; aber nur wenig von diesem Reichtum fand den Weg in die Wörterbücher, die nun nach und nach erarbeitet wurden. Städtische Intellektuelle blickten nach außen auf die Völker des Großreiches und seine ferneren Nachbarn in Indien, China und Konstantinopel; Sprachkundler blickten zurück auf die Welt der Beduinen, die gewöhnlich nicht mit aus dem Sanskrit abgeleiteten mathematischen Ausdrücken oder Gräzismen, wie etwa sūlūjismus, „Syllogismus“, um sich warfen, während sie ihre Kamele molken. Zudem verengten die Philologen und anderen Hüter des Wortschatzes die Sprache weiter, indem sie die vielen Varianten glätteten, die zwischen den Dialekten verschiedener Stämme existierten. Ein Beispiel für solche Varianten nannte der für sein erstaunliches Gedächtnis berühmte al-Asmaʿī, ein Antiquar und Philologe mit arabischen Stammeswurzeln, der im Jahr 828 starb: Zwei Beduinen stritten über das Wort für „Falke“. Einer sagte, es sei ṣaqr, mit einem [betonten] ṣ, der andere meinte, es sei saqr, mit einem [nicht betonten] s. Sie einigten sich darauf, sich an die Entscheidung der ersten Person zu halten, die des Weges käme. Als jemand auftauchte, legten sie ihm ihren Streit dar. Er sagte: „Ich stimme keinem von euch zu. Es ist ẓaqr.“126
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Am Ende hat es nur ṣaqr in das Wörterbuch geschafft. Und zwar, weil der Philologe nach dem Grundsatz verfuhr, darauf zu sehen, welche Variante mehrheitlich in Gebrauch war, und diese dann zur einzig zulässigen zu erklären.127 In der realen Welt erweiterte und veränderte sich das Arabische folglich: Es hatte immer sowohl in vielen Stammesvarianten als auch in der Hochsprache von Poeten und Propheten existiert; im Zuge von Eroberung und ethnischer Vermischung hatte es sich weiter verzweigt in neue Dialekte; außerdem war das schriftliche Vokabular der Intellektuellen durch Übersetzung und die Entstehung neuer Wissenschaften erweitert worden. Nun aber war das geschriebene Hocharabisch dabei zu schrumpfen. Der Ausdruck dafür, fushā, ist abgeleitet von dem Wort fushā, das reine, schaumfreie Milch bedeutet. Die Milch ist immer noch köstlich, aber seit dem Zeitalter der Niederschrift ist sie homogenisiert und pasteurisiert worden. Das Schriftarabisch ist somit ein Konstrukt, und indem sie diese panarabische Sprache synthetisierten, werteten Sprachkundler die Idee auf, dass verschiedene Stämme und Völker eine einzige Ethnie seien – „die Araber“. Aber wie die Sprache ist auch die ethnische Zugehörigkeit ein Konstrukt.
Ein Gott aus Buchstaben Das alte nationale Kleid der Sprache war vorübergehend buntscheckiger gemacht worden. Aber die Sprachforscher wirkten dem Trend entgegen und machten das Arabische zu einer Uniform in den begrenzten Farben der Beduinen. Mit der Zeit wurde daraus eine Zwangsjacke, die die literarische Bewegung und schließlich das Denken selbst einschränkte. Die Umayyaden hatten mit der Arabisierung von Regierung und Verwaltung in Sprache und Schrift eine Masse von Nichtarabern angeregt, ihre schwierige Sprache zu erlernen. Dies hatte bedeutet, dass die Sprache analysiert werden musste; folglich bildeten Grammatik, Syntax und die anderen linguistischen Forschungszweige die ersten formellen arabischen Wissenschaften.128 Als nun unter den Abbasiden weitere arabisch-islamische – im Gegensatz zu importierten – Fachrichtungen entstanden, entwickelten sie sich nach dem Vorbild dieser Sprachwissenschaften und nicht nach dem Vorbild der Natur- und spekulativen Wissenschaften der nichtarabischen „Alten“ aus klassischer Zeit, die al-Maʾmūn inspiriert hatten. Die Regeln der Grammatik wurden insbesondere auf fiqh, die islamische Rechtswissenschaft, angewendet und prägten künftig deren gesamte Gedankenwelt.129 Al-Maʾmūn, al-Kindī und ihresgleichen hatten sich auf eine ganze Welt des Denkens eingelassen, al-Maʾmūn hatte die Welt sogar vermessen. Konfrontiert mit dieser intellektuellen Weggabelung, schlug die arabische Welt nach ihnen allerdings den Weg
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der Textwahrheit ein und blieb darauf. Natürlich gab es in den kommenden Jahrhunderten viele bedeutende arabische empirische Geister, die sich von der Sprache, in der sie dachten, nicht einschränken ließen, aber sie arbeiteten isoliert oder in Randgebieten.130 Im Allgemeinen blieb das Denken an das Studium von Texten gebunden, und die Wahrheit war eher rhetorischer denn empirischer Natur. Abd al-Samad ibn al-Fadl beispielsweise, dessen Vorfahren erbliche Redner am persischen Hof gewesen waren, konnte drei lange und brillante Vorträge über die Stechmücke halten; aber die Brillanz lag in der Redegewandtheit, nicht in der Beobachtung.131 Letztere würde auf Robert Hooke und das Mikroskop warten müssen. Jeder, der die zentrale Bedeutung der stark zu Introspektion und Nabelschau neigenden arabischen Sprache für das arabische Denken bezweifelt, der sollte über die Tatsache nachdenken, dass „wir aus der Periode zwischen 750 und 1500 die Namen von mehr als 4000 Grammatikern kennen“.132 Selbst mit einer so reichen Sprache wie dem Arabischen hatten nur wenige von ihnen irgendetwas Neues zu sagen; die meisten bereiteten wieder auf, was bereits gesagt worden war, ein Rad aus Worten. Die Zahlen von Naturkundlern, Medizinern, Chemikern, Astronomen, Geografen und anderen mochten sich während desselben Zeitraums immerhin im dreistelligen Bereich bewegen; aber sie werden bei Weitem überflügelt von Grammatikern. Von al-Sāhib ibn Abbāds oben erwähnter, 400 Kamelladungen umfassender Bibliothek133 enthielten nicht weniger als 60 Kamelladungen Bücher über arabische Philologie.134 Wieso diese Besessenheit? Spätestens in abbasidischer Zeit kostete es die meisten Menschen im arabischen Einflussbereich sichtliche Mühe, Hocharabisch zu sprechen135 – abgesehen von den wenigen noch übriggebliebenen sprachlich „unverseuchten“ und intensiv erforschten Beduinen, die es aber auch nur sprachen, wenn sie Gedichte rezitierten. Selbst in vornehmen höfischen Kreisen war das Bemühen etwa um das Jahr 900 aufgegeben worden.136 In weniger gehobenen Milieus war das Hocharabische unbekannt: Von einem Philologen, der im Suq hochgestochene Wörter benutzte, nahm man an, er sei von einem Dschinn besessen, der Indisch sprach;137 ein Dichter, der am Nil seine hocharabischen Verse deklamierte, wurde von einem Rüpel hineingestoßen und ertränkt, weil er angeblich den Fluss verhexe;138 ein Grammatiker, der in einem Palmenhain die Imperative einer seltenen Verbform konjugierte, wurde von den Datteln pflückenden Bauern attackiert, weil er, wie sie meinten, den Koran parodiere.139 Diese letzte Anekdote gibt einen Hinweis darauf, warum es so viele Grammatiker gab. In einer Kultur, in der auch den Ungebildetsten die Idee eingeschärft wurde, dass die Wahrheit in Texten ruhe, wurde ganz besonders von einem Text, dem Koran,
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angenommen, das er die Summe aller Wahrheiten enthielte: Nun, da Hochund Niederarabisch sich auseinanderentwickelten, waren die Sprachgelehrten die einzigen, die Zugang zur Hochsprache gewähren konnten. Daher monopolisierten eierköpfige Grammatiker zunehmend die Wahrheit, wurden zu alleinigen Vermittlern zwischen dem Menschen und einem textbasierten Gott und nahmen allmählich einen Platz ein, der dem der Priesterschaft in einem christlichen Umfeld nicht unähnlich war. Seit der Zeit der Abbasiden wurden die Gelehrten sogar als besonderer Stand behandelt, wie eine Priesterschaft, und sie waren an ihrer Kleidung erkennbar.140 Zu letzterer gehörten oftmals ein voluminöser Turban und eine Taillenschärpe, in der im kecken Winkel ein Federkästchen steckte, wie ein Dolch. Sie waren Priester nicht des Geistes, sondern des Buchstabens. Die Entwicklung war irgendwie folgerichtig, wenn man bedenkt, dass die Abbasiden selbst von Abdallah ibn al-Abbās abstammten, dem ersten bedeutenden Exegeten des Koran. Entscheidend für das Entstehen dieser neuen „Hierarchie“ – und für die gesamte Zukunft der arabischen Geistesgeschichte – war die Kehrtwende in der Glaubenslehre unter al-Maʾmūns drittem Nachfolger, al-Mutawakkil. Vermutlich um sich durch die Unterstützung, die traditionalistische Gelehrte genossen, allgemein anzubiedern, wurden die Muʿtazila-Intellektuellen und ihre Debatten und Diskussionen verboten, die bloße Vorstellung vom Koran als einem erschaffenen Buch, offen für individuelle Auslegung, wurde verdammt und das Prinzip der taqlid, der „Nachahmung“, zwangsweise eingeführt; fortan durfte man das Wort Gottes nur nach Maßgabe der offiziell anerkannten Interpretationen verstehen. Nazar und raʼi – zwei Wörter, die „gucken, schauen“ bedeuten, aber mittlerweile die Bedeutung von „mutmaßen und sich eine Meinung bilden“ angenommen hatten – waren nun mit dem Verdacht der Häresie behaftet.141 Es war ein weiterer Fall von Verengung: So wie Lexikografen als verbale Rausschmeißer agierten, indem sie alles, was sie für outré, für überspannt oder unkonventionell, hielten, aus dem Wörterbuch verbannten, so schloss sich „das Tor des idschtihād“, des individuellen Ringens, das darauf abzielte, Sinn und Bedeutung aus der Offenbarung Gottes abzuleiten. Und, wie ein moderner Kommentator es ausgedrückt hat, „das Tor der Bedeutung zu schließen heißt, das Denken einzustellen“.142 Wie so oft tauchten angebliche Sprüche Mohammeds auf, die den Politikwechsel stützten. Einer erklärt beispielsweise: Wer den Koran auf der Grundlage seiner eigenen Meinung interpretiert, der wird im Irrtum sein, auch wenn seine Interpretation zufällig richtig ist.143
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Manche Dichter, Sufis und Sektierer sind immer schon unter- oder oberhalb des dogmatischen Radars geflogen und haben auf eigene Faust versucht, das Wort Allahs verstehen, ohne irgendwelche Deuter oder Vermittler. Doch im Großen und Ganzen hat sich die Gemeinschaft des Islam, die sich von je her etwas darauf einbildet, keine Priester zu haben, seit der Mitte des abbasidischen Zeitalters dem Göttlichen vermittels jener Hierarchie aus Sprachgelehrten, Exegeten und Autoritäten genähert, von denen die meisten vor mehr als 1000 Jahren gestorben sind. Sinn und Bedeutung wurden mumifiziert. Diese alten Autoritäten waren zumeist gewissenhafte und scharfsinnige Gelehrte. Aber Gott steckt oft im Detail, und mit der Zeit und der Wiederholung geht die Scharfsinnigkeit verloren. Ein Beispiel ist al-fātiha, das Eröffnungskapitel des Koran. In gewisser Weise die Entsprechung zum christlichen Vaterunser, wird es von den Gläubigen bei jedem der fünf förmlichen täglichen Gebete und bei vielen anderen Anlässen mehrmals wiederholt und schließt mit der Bitte an Allah: Leite uns den rechten Weg, den Weg derer, denen du gnädig bist, nicht derer, denen gezürnt wird, noch derer, welche irregehn!144 In meiner Ausgabe des Koran mit einem parallelen englischen Text und Kommentar – eine Ausgabe, auf die sich viele Muslime stützen, die kein Arabisch können (auch wenn sie es lautmalerisch rezitieren können) – heißt es an dieser Stelle: Leite uns den rechten Weg, den Weg derer, denen du gnädig bist, nicht (den Weg) derer, denen gezürnt wird (wie etwa den Juden), noch derer, welche irregehn (wie etwa die Christen)!145 Eine Fußnote erläutert, dass die eingeschobenen Bemerkungen über Juden und Christen aus einer angeblichen Erklärung Mohammeds stammen, die in den Werken zweiter Autoritäten des 9. Jahrhunderts – al-Tirmidhī und Abū Dāwūd – zitiert werden. Alles schön und gut: Die Autoritäten sind beide ausgezeichnet. Aber die bloße Tatsache, dass die Bemerkungen sich in den Hauptteil des englischen Textes der heiligen Schrift eingeschlichen haben, wenn auch zwischen Klammern, verschafft ihnen einen nahezu göttlichen Status. Und in der Praxis werden die Klammern gewöhnlich vergessen, wie ich feststelle, wenn ich mus-
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limische Freunde frage, und ebenso die Worte „wie etwa“. Selbst bei rein arabischsprachigen Muslimen haben die Ergänzungen in Klammern den eigentlichen Inhalt der Sure so wirkungsvoll verdeckt, dass die beiden Gruppen für sie einfach die Juden und die Christen sind. Hinweise etwa, dass Terroristen, die im Namen des Islam Menschen töten, durchaus ebenso würdig sein könnten, unter jene aufgenommen zu werden, die Allahs Zorn auf sich ziehen und irre gegangen sind, werden gewöhnlich mit verwirrter Überraschung quittiert. Folglich gewannen vom Zeitalter der Niederschrift an, aber vor allem seit alMutawakkils Kehrtwendung geschriebene Texte und die Hüter ihrer Bedeutungen einen immer stärkeren Einfluss auf die Denkweise der arabischen Zivilisation. Von den drei großen Eroberungen in der arabischen Geschichte erwies sich die erste – die Eroberung durch die arabische Sprache – auch als die unbarmherzigste, weil die Sprache über das Imperium, das zu gewinnen sie geholfen hatte, sozusagen rücksichtslos hinwegschrieb. Was diesen ersten, unnachahmlichen Text betrifft, so lautete die offizielle Linie nun, den Koran als unerschaffen zu betrachten und als genauso alt wie Allah, den Logos als im wahrsten Sinne des Wortes buchstäbliche logoi – Worte, die schon vor dem Beginn der Zeit geschrieben wurden, und zwar „auf einer Tafel, wohlverwahrt“, die im Koran erwähnt wird.146 Einer der extremsten Verfechter der Idee der koranischen Apotheose, ein Schiit des 8. Jahrhunderts mit hermetischen Neigungen namens al-Mughīra ibn Saʿīd al-Badschalī war so weit gegangen, sich die unbegreifliche Gottheit als „Gliedmaßen nach Anzahl und Form der Buchstaben des arabischen Alphabets“ vorzustellen.147 Das „Wort war bei Gott“, wie es das Evangelium ausdrückt, und das „Wort war Gott“. Dies war eine zugegebenermaßen extreme und schockierende Sichtweise. Aber in der neuen abbasidischen Orthodoxie des 10. Jahrhunderts hatte der Buchstabe über den Geist triumphiert. Jene, die vom Geist bewegt waren, mussten auf der Hut davor sein, wie weit er sie brachte.
Der Tod von al-Hallādsch Die zweihundertjährige Flutwelle von Arabern war verebbt oder in die Länder integriert worden, die sie erfasst hatte. Aber sie hatte eine reichhaltige Sprachschicht zurückgelassen. Und diese war es, die der abbasidische Staat zu kon trollieren suchte. Die Abbasiden betrieben eine neue Version der alten „DieStimme-einen“-Politik und sie strebten danach, nicht nur Stimmen zu einen, sondern auch Bedeutungen und Gedanken. Denn gegen die gerade erste geeinte Stimme wurden abweichende Stimmen laut, und eine davon war im frühen 10. Jahrhundert die des unangepassten alHallādsch, der im Jahr 922 hingerichtet werden würde. Al-Husain ibn Mansūr
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al-Hallādsch war in mehrerlei Hinsicht ein Mensch seiner Zeit. Geboren in Fars 857 oder 858, scheint Arabisch seine Muttersprache gewesen zu sein, aber seine Herkunft ist unklar – vielleicht war er Araber, aber niemand ist sich sicher. Wie sein Zeitgenosse al-Masʿūdī zog er Nutzen aus der Mobilität des Zeitalters und ging auf Reisen, unter anderem nach Indien. Und ebenso wie al-Masʿūdī war er kulturell unternehmungslustig, so wenn er etwa buddhistische und hinduistische Gesellschaften beobachtete.148 Warum also zahlte al-Hallādsch die Höchststrafe? Seine berühmte Erklärung „Ich bin al-Haqq!“ – zu verstehen als behauptete hulūl, „Einwohnung“, durch den Gott unter Seiner Bezeichnung al-Haqq, der Wahrhaft Existierende – genügte ganz gewiss, damit Dogmatiker große Augen bekamen. Aber alHallādschs Ausruf, dass er auf seinem haqq, seinem „Recht“, bestehe, „die Wahrheit“, al-haqq, wie er selbst sie wahrnahm, zu sagen, enthält möglicherweise eine mehr als unterbewusste, etymologische Andeutung – dass er das Monopol von Herrschern und Gelehrten darauf, was wahr sei, durchbreche. In den 920er-Jahren wurde Wahrheit nicht länger in den Träumen eines Kalifen über Aristoteles offenbart oder, wie al-Kindī behauptet hatte, „von Völkern […], die fern von uns sind, und von Gesellschaften, die ganz anders sind als unsere eigene“, übernommen. Das war 100 Jahre früher möglich gewesen, als die arabische Identität weniger in Frage stand; jetzt, wo sie sich auflöste, klammerte sich diese Identität an immer enger werdende Definitionen ihrer Sprache, ihrer Geschichte, ihrer Religion, sogar der Wahrheit selbst. Wahrheit lebte allein in al-Haqq, dem Wahrhaft Existierenden Gott, und der Zugang zu ihr wurde streng kontrolliert. Einsame Stimmen und Gedanken waren gefährlich. „Einwohnung“ bedeutete Anarchie. Doch es gab noch einen anderen Grund, warum al-Hallādsch sich den Zorn der Autoritäten einhandelte. Er befürwortete die Praxis einer symbolischen Ersatzwallfahrt, die jeder, der sich nicht imstande sah, nach Mekka zu pilgern, in seinem eigenen Haus durchführen konnte, indem er irgendein Objekt seiner Wahl umrundete (wie es die alten Beduinen mit ihren Gott-Steinen taten) und anschließend 30 Waisen speiste und kleidete.149 So pragmatisch, sogar lächerlich, wie das klingt, war es in gewisser Hinsicht die ultimative Häresie, denn wie al-Hallādschs berühmt-berüchtigte Erklärung von der „Einwohnung“ machte dieser Vorschlag das Individuelle gegenüber dem Gemeinschaftlichen geltend: Er untergrub die physische Inszenierung der Einheit-im-Göttlichen, die via Mekka zurückreichte bis zu den ältesten vorislamischen Wallfahrten, wie etwa der südarabischen Pilgerreise nach Maʼrib, Jahrhunderte vor Mohammed.150 So wie Christen ihre Einheit im gemeinsamen Brechen des Brotes ausdrücken, so tun es Muslime und Vormuslime am eindringlichsten im Sakra-
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ment des Zusammen-Reisens. Al-Hallādschs Votum für das Individuum – der Gedanke, dass Gott einen bestimmten Menschen „besuchen“ könne und dass Menschen auf einer persönlichen, spirituellen Pilgerfahrt Ihn besuchen könnten – galt als Subversion der gefährlichsten Sorte.151 Al-Hallādsch blieb noch lange nach seiner Ermordung eine kontroverse Figur: Wie über Jesus seien auch über ihn die Ansichten auseinandergegangen, schrieb Ibn Challikān 350 Jahre später.152 Bisweilen war er auch eine proteische Gestalt. Während seiner abschließenden Inhaftierung wartete ihm ein Sklave auf, und der erinnerte sich: „Eines Tages brachte ich ihm seinen Teller mit Essen, wie ich es jeden Tag tat, und als ich in seine Zelle ging, stellte ich fest, dass er sie von der Decke bis zum Boden und von Wand zu Wand mit sich selbst ausgefüllt hatte, ohne Raum frei zu lassen. Ich war entsetzt und warf den Teller hin und rannte weg.“ Der Schrecken dessen, was der Sklave gesehen hatte, rief ein Fieber in ihm hervor, das lange Zeit andauerte, aber man glaubte ihm nicht …153 Es klingt unglaublich, außer im Sinne der veränderten Physik in Alice im Wunderland. Oder besaß Al-Hallādsch Kräfte des Mesmerismus? „Eines Tages“, schrieb al-Maʿarrī, „bewegte al-Hallādsch die Hand, woraufhin der Geruch von Moschus zu den Leuten zog. Ein anderes Mal bewegte er sie, und Dirham wurden verteilt …“,154 wie bei den „Gottmenschen“ Indiens, die er, wie man vermuten könnte, beobachtet hatte. Scheich oder Scharlatan, Märtyrer oder Magier, al-Hallādsch untergrub die abbasidische Ordnung. Als einzelne erhobene Stimme wäre er in den Tagen der vorislamischen suʾluks oder „Vagabunden“-Dichter155 nicht als so gefährlich erschienen. Aber er würde als ebenso subversiv gelten, lebte er in der heutigen arabischen Welt, wo Wahrheit noch immer ist, was sie laut Anweisung zu sein hat, und jene, die unabhängig ihre Stimme erheben – wie der sudanesische Visionär Mahmud Muhammad Taha156 – noch immer mit ihrem Leben bezahlen können. Wahrheit galt immer schon als Störung der sozialen Ordnung, angefangen beim ersten Diebstahl vom Baum der Erkenntnis über Ödipus, der das Rätsel der Sphinx löste, bis in die Gegenwart. Aber für die abbasidische Gesellschaft gab es noch präsentere Gefahren als die, die von eigenwilligen Theologen ausgingen. Erinnern wir uns an den zu Beginn dieses Kapitels erwähnten Ibn Wahb. Der Bewohner von al-Basra, der den Kaiser von China traf, reiste nicht gänzlich zum Vergnügen, aus „einem plötzlichen Verlangen“ heraus: Tatsäch-
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lich war er ein Flüchtling aus dem Kernland des Reiches. Mochte der arabische „König der Könige“ auch die Spitze der internationalen Königsrangliste erreicht haben, so zerfiel sein Reich doch nicht bloß an den Rändern: Es verrottete bereits von innen.
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Kapitel 10 Gegenkulturen, Gegenkalifen: Das Imperium zerfällt Der Mann mit dem Medaillon Ende September 938, anderthalb Jahrzehnte nach der Ermordung des Visionärs al-Hallādsch, machte sich der Privatlehrer des Kalifen al-Rādī auf den Weg, um seinem ehemaligen Schüler seine Aufwartung zu machen. Es war zur Zeit von Mihradschān, einem vorislamischen persischen Fest, das von der vergnügungssüchtigen Bagdader Bevölkerung gefeiert wurde. „Ich befand mich auf einem Schiff auf dem Tigris“, erinnert sich der Privatlehrer, und als ich am Haus des Türken Badschkam vorbeifuhr, sah ich Szenen von schamlosem und frivolem Feiern, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte. Als ich weiter zu al-Rādī bi-Llāh ging, fand ich ihn alleine und in schwermütiger Stimmung. Zunächst zögerte ich, zu ihm zu gehen, doch er winkte mich zu sich. Als ich näherkam, sah ich, dass er einen goldenen Dinar und einen silbernen Dirham in der Hand hielt. Beide waren um einiges schwerer als üblich und beide trugen das Bildnis des Badschkam, waffenstarrend und umgeben von folgenden Worten: Wisset: Keine Macht hat so einen Bann, wie ich als Emir sie gewann, Herrscher der Menschen, Badschkam. Auf der Rückseite der Münzen war Badschkam ein zweites Mal abgebildet, diesmal in seiner Empfangshalle, wo er mit nachdenklichem, unergründlichem Blick vor sich hinschaute. Al-Rādī sagte: „Siehst du nicht, was diese … diese Person macht? Wie weit sein Ehrgeiz reicht? Wohin sein Stolz ihn trägt?“ Und ich wusste nicht, was ich erwidern sollte.1 Es gab nichts zu erwidern. Die Münzen, ein Geschenk von Badschkam anlässlich des Mihradschān-Festes, sagten schon alles: Hüte dich vor den Türken, die Geschenke bringen. Ein türkischer Militärsklave – der ja eigentlich den Kalifen schützen sollte – hatte sich nicht nur auf die Währung, das Symbol der Souveränität, gedrängt. Er hatte dies sogar mit einem persönlichen Porträt getan, im Kontrast zur keuschen kalligrafischen Münzprägung, die ein Vierteljahrtausend lang als Symbol arabischer Macht gegolten und sogar in Mittelengland Nachahmer gefunden hatte. Er hatte die Münzen zu protzigen Medaillons auf-
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gemotzt und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, die frommen Texte der arabischen Münzen durch einen krassen Werbespruch ersetzt, mit dem er sich selbst feierte: Badschkam … Der fremde Name beendet den Reim mit einem Paukenschlag: Für arabische Ohren klingt er komisch und leicht unheimlich – etwa wie „Buhmann“ im Deutschen. Der Name bedeutet in der Turksprache „Schachtelhalm“ oder „Yakschwanz“.2 Dagegen bedeutet der Thronname des Kalifen „al-Rādī bi-Llāh“ – passend für jemanden, der sich sonst an niemanden wenden konnte – „der, dem Allah genug ist“. Die gemeinschaftliche Feier des Mihradschān-Festes zeigt, dass Araber und Perser – diese archetypischen Nichtaraber – sich arrangiert hatten. Türken hingegen schienen immer noch jenseits von Gut und Böse zu sein. Porträts früher türkischer Krieger auf erhaltenen Medaillons zeigen sie bewaffnet, den Betrachter durch schmale, fremde Augen fixierend: wer achzar, „schlitzäugig“ war, wie angeblich alle Türken, war vom Aussehen her denkbar unarabisch.3 Türken waren nicht einfach nur ein anderer Typ von Nichtarabern, sondern eine Art Anti-Araber, und schon in der Vergangenheit war immer wieder vor ihnen gewarnt worden. Der Vorfahre der Abbasiden, Ali ibn Abdallah ibn alAbbās, soll vorhergesagt haben, dass seine Nachkommen die arabische Herrschaft erben werden, aber nur „bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihre Sklaven sie besitzen werden, Sklaven mit schmalen Augen und breiten Gesichtern, Gesichtern wie gehämmerte Schilde“.4 Noch älter ist eine Aussage, die Mohammed zugeschrieben wird: „Utrukū lTurka mā tarakūkum“, „Lasst die Türken in Ruhe, solange sie euch in Ruhe lassen.“5 Sie hat die sprichwörtliche Bedeutung „Schlafende Hunde soll man nicht wecken“. Doch statt sie in Ruhe zu lassen, weckten die arabischen Herrscher des Imperiums sie auf, richteten sie als Wachhunde der Kalifen ab, ließen sie in das Zentrum der Macht hinein, dem Auge der „Rundstadt“ – und mussten anschließend ohnmächtig zusehen, wie sie die Macht übernahmen. Von nun an dominierten die Türken auf die eine oder andere Art für die nächsten 1000 Jahre den größten Teil des arabischen Reiches. Aber zurück zum Privatlehrer: Er versuchte, den Kalifen zu trösten, indem er ihm historische Präzedenzfälle aufzeigte: Herrscher, die von ihren eigenen Anhängern zur Seite gedrängt wurden und sich dann doch wieder behaupteten. Das konnte al-Rādīs Stimmung nicht heben. Erst als der Lehrer ihn in Versen daran erinnerte, dass schließlich ein Festtag war und dass er, wenn er Badschkam schon nicht schlagen, er es ihm doch wenigstens gleichtun könnte, indem er mit ein paar Freunden eine oder zwei Flaschen eines guten Jahrgangs köpfte, wurde er munter. Die Freunde und Flaschen mehrten sich, bis die Feier des Kalifen der türkischen Party am Tigris in nichts mehr nachstand.6 Doch für
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a l-Rādī, seine Abbasiden-Dynastie und die arabischen Herrscher des Reiches war es eine Abschiedsfeier von der tatsächlichen Macht. „Und so“, sagte der Historiker al-Masʿūdī, der nun nicht mehr vergangene, sondern zeitgenössische Ereignisse beschrieb, „fielen und starben die Araber. Ihre Macht verschwand und ihre Bedeutung war dahin.“7 Es waren gerade einmal drei Jahrhunderte vergangen seit der Zeit, als sie ihre „Insel“ verlassen und sich mit zwei Reichen angelegt hatten.
Die Strahlung wird schwächer Unter den Abbasiden war das Feuerrad – jener alte Kreislauf von Einheit und Uneinigkeit, der Araber wiederholt zusammengeschweißt und anschließend gegeneinander aufgehetzt hatte – zu etwas Größerem und zeitweilig anscheinend Stabilerem gewachsen: zu etwas, das mehr und mehr einem Sonnensystem glich und immer mehr Völker in das Gravitationsfeld der arabischen Kultur und des Islam zog. Gleichzeitig hatte sich der Charakter arabischer Herrschaft stark gewandelt. Die direkten Nachfolger Mohammeds hatten wie vorislamische arabische Scheichs regiert; die Umayyaden wie vorislamische Könige. Die Abbasiden verhielten sich eher wie die vorislamischen persischen Schahanschahs, Könige der Könige: gekrönt, inthronisiert, auf die Bühne gehoben und hinter einem Vorhang verborgen wie die Darsteller in einem Königsdrama, dabei aber über ein Reich gebietend, das so gigantisch war, dass selbst die zusätzliche Anziehungskraft des Islam es nicht lange zusammenhalten konnte. Die Stabilität währte also nur kurz: die Strahlung des Kalifen im Zentrum der „Rundstadt“ wurde allmählich schwächer und Araber schwebten immer weiter entfernten Umlaufbahnen entgegen. Wie wir sehen werden, gewannen einige von diesen Arabern an Stärke und begannen, den Nukleus ihrer eigenen neuen Systeme zu bilden. Zur gleichen Zeit aber wurde die Macht im Kalifat von genau den Leuten ausgehöhlt, die zu ihrem Erhalt eingesetzt worden waren – Mitgliedern der türkischen Sklavenleibgarde wie Badschkam. Sehr erfolgreich forderten sie die arabischen Machthaber heraus. Aber schon zuvor hatten sich Risse im imperialen System gezeigt, war der arabische Herrschaftsanspruch bedroht gewesen. Er hatte darauf beruht, so argumentierten die Araber, dass aus Arabien sowohl der Prophet gekommen sei, dessen Inspiration und Revolution das Reich überhaupt erst gegründet hatte, als auch die Sprache, die alles zusammenhielt. Unter den Abbasiden hatte das Reich aber eine solche Größe erreicht, dass Spannungen zwischen Arabern und den anderen Völkern unausweichlich waren. Manchmal fanden sie in Worten ihren Ausdruck; ein andermal in blutigen Auseinandersetzungen.
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Sklaven und Bauern Der erste und vielleicht schockierendste Schlag gegen die arabischen Vorherrschaft war der sogenannte Aufstand der Zandsch in den Jahren 869 bis 883. Dabei war weniger schockierend, dass sich Araber gegenseitig bekämpften: Das hatten sie schließlich seit einer halben Ewigkeit getan und werden es auch bis zum Jüngsten Tag tun. Doch die Verwüstungen, die die Zandsch – das war der übliche Name für schwarze Ostafrikaner – im irakischen Herzen des Reiches anrichteten, kamen einem Umsturz gleich. Sie waren Sklaven, nicht einmal Militärsklaven wie die Türken, sondern einfache Feldsklaven. Und dennoch schafften sie es, Angst und Schrecken zu verbreiten. Ibn Wahb, der uns im vorigen Kapitel während seiner Audienz mit dem Kaiser von China begegnet ist, war ein Flüchtling aus den Ruinen seiner Heimatstadt al-Basra: Die Zandsch hatten sie völlig zerstört. Aus innenpolitischer Sicht war Sklaverei immer ein Merkmal der arabischen Gesellschaft gewesen. Probleme entstanden mit den großen Eroberungen und dem Wunsch, riesige Landflächen mit billiger und theoretisch leicht zu kon trollierender Arbeitskraft zu bestellen. Die Einnahmen aus der Landwirtschaft waren unter den Umayyaden dramatisch zurückgegangen8 und mit Sklavenarbeit war es am einfachsten, die Gewinne wieder zu steigern. Die reichen Kaufleute von al-Basra kauften deshalb Tausende von ostafrikanischen Sklaven und ließen sie die Sümpfe nahe der Stadt trockenlegen. Ausbeutung des Bodens bedeutete jedoch auch Ausbeutung der Menschen: Sie lebten unter entsetzlichen Umständen und rebellierten mit der Zeit. Andere Gruppen, denen das arabische Monopol über Macht, Geld, Land und Leben zuwider war, schlossen sich ihnen an, und eine zwielichtige Figur mit dem Namen Ali ibn Mohammed vereinte sie – vielleicht war er Iraner, vielleicht Araber, vielleicht sogar ein Nachkomme des Cousins und Schwiegersohns des Propheten Ali, wie er selbst behauptete. Keiner wusste es genau. Es gab jedoch keinen Zweifel daran, dass er derjenige war, der die brodelnde Unzufriedenheit in der Region in einem gewaltsamen und erfolgreichen Aufruhr zusammenführte. Belastbare Statistiken über das Ausmaß der Verwüstung, die der Aufstand verursachte, gibt es nicht. Al-Masʿūdīs vermutlich eher konservativer Schätzung nach belief sich die Gesamtzahl der Opfer auf 500 000, darunter 300 000 allein während der Plünderung von al-Basra.9 Er gab jedoch zu, dass niemand die genauen Zahlen kannte und sich vielleicht eine Null zu viel eingeschlichen hatte. Unbestritten ist jedoch, dass die Zandsch die Ordnung der Dinge zeitweilig auf den Kopf stellten: Sklaven wurden zu Sklavenhaltern, die freigeborene Araber für einen Apfel und ein Ei kauften und verkauften, weibliche Nachfahren Mohammeds als Konkubinen nahmen oder sie als Dienstmädchen für ihre eigenen
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Frauen arbeiten ließen. Wenn eine dieser arabischen scharīfas, Edelfrauen, es wagte, sich über den Missbrauch durch ihren eigenen früheren Sklaven zu beschweren, sagte man ihr: „Jetzt ist er dein maulā!“10 – eine nette Ironie, denn maulā ist ein Antonym, das sowohl „Abhängiger, Klient“ als auch „Herr“ bedeutet. Das gesellschaftliche Vokabular von Sklaven und Herren blieb gleich, lediglich die Zuschreibungen hatten sich geändert. Die Revolte wurde schließlich von Truppen aus Bagdad unter Führung von Befehlshabern aus der Kalifenfamilie blutig niedergeschlagen und riss ein Loch in die Staatskasse. Unzufriedenheit schien nun in der Ebene des Südirak – einer Region, die schon vor dem Islam von Arabern überfallen, mit harter Hand regiert, im ersten islamischen Jahrhundert landwirtschaftlich ruiniert und neuerdings durch Aufstände heimgesucht wurde – endemisch zu sein. Nur einige Jahre, nachdem die Rebellion der Zandsch niedergeschlagen worden war, lehnten sich die leidgeprüften einheimischen „nabatäischen“ Bauern unter Anführung eines anderen Demagogen, Hamdān Qarmat, auf. Hamdān Qarmat war vermutlich iranischer Abstammung und opponierte ebenfalls gegen den Supremat der Araber und das arabische Monopol auf das Wohl und den Reichtum des Imperiums. Er war ein früher Anhänger des anwachsenden ismailitischen Zweigs der Schiiten, der sich im späten 8. Jahrhundert von der Partei Alis, der schīʿat ʿAlī, abgespalten hatte. Über die Frage, welcher von Alis Nachkommen ihn als Anführer beerben sollte, war es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Die treibende Kraft für die Revolte fand er in der unter der Steuerlast leidenden, an den Rand gedrängten Bauernbevölkerung, die nun nach Jahrhunderten der Unterwürfigkeit durch den Aufstand der Zandsch aufgerüttelt worden war. Seine Anhängerschaft mobilisierte noch andere Gruppen, einschließlich Arabern in Ostarabien, die schon länger das Gefühl hatten, im Reich nur eine Statistenrolle zu spielen. Dort gründeten die „Qarmaten“ eine Republik, die einen Egalitarismus propagierte und möglicherweise verwirklichte, der im arabischen Imperium seinesgleichen nicht kannte: Besucher bewunderten die zivilen Einrichtungen, die unter anderem soziale Sicherheit für Bürger bedeuteten. „Es gibt Mühlen“, schrieb im 11. Jahrhundert ein Reisender aus dem Iran, „die der Obrigkeit gehören und gratis Mehl für die Bevölkerung mahlen. Die Autoritäten übernehmen die Kosten für ihren Unterhalt und die Löhne der Müller“.11 Spätere Generationen finden es wohl weniger lobenswert, dass das Ganze auf der Arbeitskraft importierter afrikanischer Sklaven beruhte. Die Republik sollte bis weit ins 11. Jahrhundert hinein überdauern. Doch in ihren frühen und aktivsten Jahrzehnten, ab dem Ende des 9. Jahrhunderts, gelang es den Qarmaten, im Irak, in der Levante und auf einem großen Teil der
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Arabischen Halbinsel Unruhe zu stiften. Ihr gewagtester Coup (oder ihr niederträchtigstes Verbrechen) war ein Überfall auf Mekka im Jahr 930, bei dem sie den heiligen Schwarzen Stein, das dunkle Juwel aus dem „Nabel der Erde“, der Kaaba, stahlen.12 Er sollte 20 Jahre in ihrem Besitz bleiben, bis der aufstrebende Gegenkalif der Fatimiden sie überreden konnte, ihn zurückzugeben. (Wie wir sehen werden, waren sowohl die Fatimiden als auch die Qarmaten ismailitische Schiiten, wobei die Fatimiden die Abstammung von Mohammed für sich behaupteten und als Nachfahren der Quraisch verpflichtet waren, den geheiligten Status ihres Ahnenschreins in Mekka zu achten. Für sie waren die Qarmaten rückständige Spalter, „verirrte Linke“ der Ismailiten.) Doch das Unglück war bereits geschehen: der Raub oder die Befreiung des Steins hatte das Reich bis ins Mark erschüttert, denn die Tat legte nahe – wenn auch nur symbolisch und zeitlich begrenzt –, dass die quraischitische Achse des gesamten kultischen und kulturellen Systems alles andere als unantastbar war. Auch zweifelten die Qarmaten nicht nur die zentrale Stellung der Quraisch für den Islam an, sondern stellten auch die grundlegendere Frage, ob das gesamte kulturelle Gebäude, das ja erst kurz zuvor im Zeitalter der Niederschrift für alle Zeit verankert worden war, vom Wesen her überhaupt arabisch war. Unter ihrer Schirmherrschaft hatte eine Gruppe mit den Namen Ichwān alSafāʾ, „die Brüder der Reinheit“, in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts eine enzyklopädische Sammlung von Traktaten verfasst, die darauf abzielte, alle damals in der bekannten Welt vorhandenen Wissenschaften zusammenzubringen. Die Traktate oder „Episteln“ waren zur höheren Ausbildung der Qarmaten und anderer Ismailiten gedacht. Die Interessengebiete der „Brüder der Reinheit“ ähnelten denen des weltoffenen Kalifen al-Maʾmūn im 9. Jahrhundert, schöpften aber aus mehr Quellen als ihr Vorgänger. In der Philosophie dominieren bei beiden die griechischen Quellen, unter anderen die Pythagoräer, Aristoteles, Platon und die Neuplatoniker, aber in anderen Bereichen ist das Spektrum der Brüder breiter: Astrologische Ideen kommen beispielsweise aus Persien, Indien und dem alten Babylon, während die Traktate zur göttlichen Offenbarung sich sowohl der hebräischen Bibel als auch des Neuen Testaments bedienten. Anleihen aus dem Mithraskult sind auch zu erkennen.13 Die „Brüder der Reinheit“ drückten sich zwar in der arabischen Sprache aus, aber ihre Quellenauswahl war global. Wie schon mit dem Raub des Schwarzen Steins hatten die Qarmaten gezeigt – diesmal mithilfe des gebildeten Flügels – dass die Achse der alten arabozentrischen Welt aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnte.
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Die Gleichmacher Während des gesamten 9. und 10. Jahrhunderts gab es noch andere Herausforderungen für die arabische Vorherrschaft. Im Gegensatz zu den Provokationen der Zandsch und der Qarmaten wurde dabei aber meist kein Blut vergossen. Aber sie waren dennoch bitter, und in der einen oder anderen Form tauchten sie im gesamten Reich, von Spanien bis nach Transoxanien, auf und drohten dabei, das neue Pflänzchen des Arabertums auf diesen drei Kontinenten zu ersticken. Unzufriedenheit kam zunächst bei den Persern auf, die schon seit dem Beginn des Islam eine Hassliebe mit Arabern verband: Die Eroberungen, die auf Mohammeds Revolution gefolgt waren, hatten Araber und Perser in einer Art Ehe verbunden – oft im buchstäblichen Sinne, als beispielsweise die drei gefangen genommenen persischen Prinzessinnen mit den drei bedeutendsten Mitgliedern der neuen medinensischen Aristokratie verheiratet worden waren.14 Doch die Beziehung war nicht gleichberechtigt, sie war eine Verbindung von Eroberer und Gefangenem, zwischen männlicher Dominanz und vermeintlich weiblicher Unterwürfigkeit, und so sollte sie auch bleiben. Die Geschichte des Kalifen Hārūn al-Raschīd beruht vielleicht nicht auf Fakten, ist aber ein eindringliches Gleichnis für die arabisch-persischen Beziehungen und die arabischen Ängste: Der Kalif drehte die üblichen Geschlechterrollen um, indem er seine Schwester Abbasa mit seinem persischen Busenfreund Dschaʿfar alBarmakī verheiratete und den Ehemann anschließend hinrichten ließ, als das Paar es wagte, die Ehe zu vollziehen.15 Es waren also nicht nur die körperlich Ausgebeuteten und wirtschaftlich Geschundenen, die Sklaven und Bauern, die wider den arabischen Stachel löckten, sondern auch die gebildeten Perser, die es langsam satt hatten, dass Araber immer die Oberhand behielten. Mit dem Fortschreiten des abbasidischen Zeitalters und der zunehmenden Verbreitung der arabischen Sprache und des Islam in den alten sassanidischen Gebieten wuchs ihre Unzufriedenheit. Immer mehr Perser waren nun durch eine Schrift, ein Buch und einen Glauben, der die Gleichheit aller Gläubigen predigte, mit Arabern verbunden. Hatte nicht der Prophet selbst in der Predigt, die er während seiner letzten Wallfahrt hielt – vielleicht das Gegenstück zu Jesu Bergpredigt –, verkündet: „Ein Araber ist nicht mehr wert als ein Nichtaraber … das einzige Maß der Überlegenheit ist taqwā (Gottesfurcht, Frömmigkeit)“?16 Die Reaktion erfolgte in der frühen Abbasidenzeit. Baschār ibn Burd, der erste große nichtarabische Dichter, feierte sein Nichtarabersein, indem er verkündete:
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Mein Vater hat nie ein räudiges Kamel mit einem Lied angetrieben; … Ich habe nie im Felsen nach Echsen gegraben und nie eine gegessen. Und nach vielen weiteren beduinenschmähenden Versen schloss er mit einer Lobpreisung des Islam ab – allerdings als persischer Muslim mit seiner eigenen glorreichen Vergangenheit: Unser Zorn ist ein höchst würdiger Zorn für Gott und für den Islam. Ich, Sohn von doppelter persischer Abstammung, verteidige ihn mit Eifer. Wir tragen Kronen und die stolze Souveränität des Starken.17 An der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert breitete sich diese Haltung aus. Sie inspirierte eine Bewegung mit einem Namen Ahl al-Taswiyya, „die Gleichmacher“,18 weil sie Gleichheit zwischen Arabern und Nichtarabern forderte. Doch bald wurde sie unter einem anderen Namen bekannt: Schuʿūbiyya. Das lässt zunächst an den Koranvers denken, der erzählt, wie Allah die Menschen erschuf: „aus Mann und Frau und machten euch zu Völkern [schuʿūb] und zu Stämmen [qabāʾil], damit ihr einander kennenlernt.“ Der Vers fährt im Geist von Mohammeds letzter Predigt fort: „Siehe, der gilt bei Gott als edelster von euch, der Gott am meisten fürchtet.“19 Indem sie mit ihrem Namen diesen Vers heraufbeschworen, identifizierten die Anhänger der Schuʿūbiyya sich selbst als „Völker“, Gesellschaften auf der Grundlage einer gemeinsamen geografischen Herkunft (wie die alten Südaraber) und nicht auf der Basis einer angeblich gemeinsamen Abstammung (wie die in Stämmen organisierten Nordaraber). Doch es schwingen noch weitere Konnotationen mit: Sie sind sesshaft, „zivilisiert“ – nicht nur dem Wortsinn nach, sondern auch, weil sie keine räudigen Kamele besingen oder Echsen knabbern. Während Araber ihr Image als natürliche Anführer von rauer und ausdauernder, aber von Natur aus edler Abstammung pflegten (man vergleiche den Stolz des alten Rom auf die eigenen derben Helden früherer Zeiten und den Stolz Hollywoods auf die Grenzer des amerikanischen Westens), tat die Schuʿūbiyya ihr Bestes, dieses Image zu verleumden. Die arabischen Ahnen, so
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sagten sie, waren keine edlen Wilden: Sie waren schlicht und einfach Wilde. Ihre Ungeschlachtheit haftete ihnen an wie der Geruch ihres Viehs: Ihr wart Hirten, die mit Kamelen, Schafen und Ziegen lebten … und da ihr es gewohnt wart, mit euren Kamelen zu sprechen, wurde eure Sprache herb und eure Stimmen heiser. Noch heute, selbst wenn ihr mit Menschen im selben Raum sprecht, klingt es, als würdet ihr mit Schwerhörigen reden.20 Von den Schuʿūbīs selbst ist sehr wenig erhalten geblieben. Doch wie dieses Zitat (das von einem ihrer Erzfeinde überliefert wurde) andeutet, richteten sich wohl viele ihrer Angriffe auf die Kraft, die einen so großen Teil der arabischen Geschichte geformt hatte: die arabische Sprache. Die Schuʿūbiyya war eine literarische Bewegung: Die meisten ihrer Anhänger entstammten der großen und wachsenden Klasse der Nichtaraber, die das Arabische so perfekt beherrschten, dass sie die Schriftsprache praktisch zu ihrer eigenen gemacht hatten. Araber hatten die gesprochene Sprache und ihre Rhetorik geprägt und waren selbst durch sie geprägt und vereint worden. Wie wir gesehen haben, waren es aber die Nichtaraber, die sich der noch jungen geschriebenen Sprache annahmen – die gewissermaßen noch dabei war, die Buchstaben ihres Alphabets zu erlernen – und sie in den Dienst ihrer imperialen Herren stellten. Eine fast ausschließlich mündliche Kultur von Dichtung und Beschwörung fand zunächst im Koran das einzige regelgerecht geschriebene arabische Schriftzeugnis. Unter den Umayyaden hatten sodann meist nichtarabische Schreiber angefangen, geschriebenes Arabisch für Dokumentationszwecke zu nutzen. Erst in abbasidischer Zeit begann arabische Prosa als schriftliche Literatur zu erscheinen. Der wichtigste Pionier auf diesem Gebiet war ein Perser, Ibn al-Muqaffaʿ. Perser und andere Nicht-Araber waren maßgeblich an ihrer Entwicklung beteiligt. Diese gebildeten Nichtaraber waren der Meinung, dass sie, so wie sie den Islam teilten, auch einen gleichberechtigten Anspruch auf die arabische Sprache als die ihre haben sollten. Araber sahen das anders. Es begann ein Kampf, bei dem zwar kein Blut, aber jede Menge Tinte floss. Als rückständig angefeindet und als großmäulige, echsenfressende Beduinen beschimpft, gingen Araber zum Gegenangriff über. Oder besser gesagt: Andere Nichtaraber konterten in ihrem Namen; denn mit wenigen Ausnahmen hatten „genetische“ Araber ihre Federn immer noch nicht gespitzt. So wie sie sich für die militärische Verteidigung zunehmend auf türkische Soldaten verließen, so waren sie für ihre Verteidigung in der Auseinandersetzung mit der Schuʿūbiyya auch auf ihre Nichtaraber angewiesen. Der größte Ideologe des tra-
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ditionellen Arabertums, der Vielschreiber mit dem Spitznamen al-Dschāhiz, war kein edler Abkömmling eines alten arabischen Stammes, sondern der „glupschäugige“ (dschāhiz) Enkel eines schwarzen Sklaven in al-Basra. Al-Dschāhiz glaubte, dass der Hass auf Araber, den die Anhänger der Schuʿūbiyya schürten, tatsächlich das Reich und den Islam in Gefahr bringen könnte.21 Seine heftigste Streitschrift, Das Buch vom Stock, wurde bereits erwähnt.22 Darin greift er die Herablassung der Schuʿūbiyya gegenüber eingebildeten, mit Stöcken fuchtelnden, wortfechtenden Beduinen auf und nutzt sie für seinen Gegenangriff. Mit dem Stock hatten sowohl er als auch die Schuʿūbiyya ein mächtiges Bild gefunden. Stöcke sind ein wesentlicher Bestandteil der traditionellen Ausrüstung auf der Arabischen Halbinsel: Sie tauchen in vorislamischen Reliefs auf,23 in den Händen von Kamelreitern aus dem 9. vorchristlichen Jahrhundert24 und in späteren Jahrhunderten als Accessoire bei rituellen Tänzen. Heute werden sie immer noch von konservativen Stammesgenossen wie Offiziersstöckchen getragen. Als Kamelpeitschen kann man sie auf dem Armaturenbrett des neuesten SUV entdecken (auf dem Schaltknauf steckt vielleicht eine Falkenkappe). Der Stock ist aber auch ein Werkzeug arabischer Herrschaft und arabischer Rhetorik, ein Symbol der Befehlsgewalt. In den Augen der Schuʿūbiyya setzten Araber Stöcke und Schreie ein, um ihre Kamele anzutreiben, und dachten, sie könnten mit Menschen in der gleichen Weise verfahren. In seinem eigenwilligen Stil, der an einen Bewusstseinsstrom erinnert, verteidigt al-Dschāhiz jedoch den Stock – und damit die gesamte arabische Sache. Stöcke, so sagt er, können in der Tat dazu verwendet werden, Tiere anzutreiben, aber auch dazu, Menschen zur wahren Religion zu führen, so wie Araber mithilfe der Botschaft Mohammeds Perser führten (im christlichen Kontext ist der Hirtenstab auch der Bischofsstab). Vor allem aber ist der Stock für alDschāhiz das Werkzeug des arabischen Redners und das Symbol der Rhetorik. Wie der Taktstock des Dirigenten dient er als Verlängerung der Hand des Redeführers und unterstreicht seine Gesten.25 Er ist das unverzichtbare Accessoire der arabischen öffentlichen Rede und – wichtiger als alles andere – einer Rhetorik, die nur Araber selbst beherrschen. „Zwar gibt es Redner unter den Persern“, gesteht er ein, „doch für sie kann alle Rede, und für Nichtaraber im Allgemeinen alle Bedeutung, nur aus langem Nachdenken und geistiger Übung erwachsen; aus Perioden einsamer Kontemplation und anderen Perioden, in denen Ideen diskutiert und mit anderen ausgetauscht werden; aus Meditation und Bücherstudium … Für die Araber hingegen ist alles eine Sache der Intuition und der Improvisation, gleichsam der Inspiration …“26
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Ist al-Dschāhiz zu einem innersten Kern „des arabischen Geistes“ vorgedrungen? Nein, denn einen solchen hat es nie gegeben. Gewiss hat er eine Menge über die alte Hochsprache und ihren Ursprung als besondere, übernatürliche Sprache verstanden – ein Beweis für die „Inspiration“ von Dichtern und Sehern. Doch seine Annahme, Araber besäßen eine Art angeborene Gabe der Beredsamkeit, ist Wunschdenken im Dienste der arabischen Kultur, und entspringt seiner Sorge um die Zukunft dieser Lebensart. Je mehr Arabern die politische Kontrolle entglitt, desto vehementer wurden er und andere Verfechter des Arabertums.27 Dieser Verlust ließ sich unmöglich verbergen: Bei helllichtem Tage übernahmen Türken wie Badschkam die Macht und verwandelten sich von Sklavensoldaten in Prätorianerprinzen. Den Verlust ihrer Sprache würden Araber anderen jedoch niemals eingestehen. Denn sie war es, die sie zu Arabern gemacht hatte und durch die gesamte Geschichte hindurch bewirkt hatte, dass sie Araber blieben. Es gibt ein Sprichwort, angeblich von Mohammed zur Verteidigung seines persischen Gefährten Salmān ausgesprochen, das von der Schuʿūbiyya häufig zitiert wurde: „Wer Arabisch spricht, ist Araber.“28 Die wenigsten Araber beeindruckte das. Sie hatten nichts dagegen, dass Nichtaraber ihre Sprache für das Gebet, die Buchhaltung und die Dokumentation der heroischen arabischen Vergangenheit nutzten. Aber die weit darüber hinausgehenden Ansprüche der Schuʿūbiyya erweckten den Anschein, sie wollten die Seele des Arabertums entwenden. Die Haltung von Arabern zur arabischen Sprache kann auch heute noch besitzergreifend sein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Sprechen der arabischen Sprache zunächst gelobt und ermutigt wird – bis man sie gut genug spricht, um ihren Besitzern widersprechen zu können. Das wird von vielen nicht als Diskutieren, sondern als Illoyalität betrachtet – das „Brechen des Stocks“,29 der geeinten Stimme. Nur selten aber wird dieses Gefühl in Worte gefasst: Eine Ausnahme ist der zeitgenössische marokkanische Gelehrte Abdelfattah Kilito, der in einem seiner Bücher zugibt, dass er es nicht mag, wenn Ausländer seine Sprache beherrschen,30 weil es ihm das Gefühl gibt, sie hätten ihn seiner Sprache „beraubt“.31 Der englische Titel des Buches ist vielsagend: Thou Shalt Not Speak My Language, „Du sollst nicht meine Sprache sprechen“. (Professor Kilito lehrt Französisch und spricht diese Sprache vermutlich auch.) Wie ein altes spanisches Sprichwort warnt: „Sprich nicht Arabisch im Hause des Mauren.“32
Der schwankende Sockel Auch anderenorts gaben Gefühle von Ungleichheit Anlass zu ähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Arabern und anderen. In Ägypten und Nordafrika gab es koptische und berberische Schuʿūbīs.33 Im fernen spanischen Westen
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führte die Diskriminierung von örtlichen Konvertiten zum Islam zeitweilig zu Aufständen und Blutvergießen. Nichtarabische Muslime behielten häufig ihren alten Familiennamen in arabisierter Form bei, wie die Banū Baschkuwal (Pascual), Banū Gharsiya (Garcia) und Banū Quzman (Guzman). Manche arabischen „Herrenmenschen“ gaben ihnen jedoch abfällige Namen wie banū l-ʿabīd, „Söhne der Sklaven“. Im 2. Jahrhundert der arabischen Herrschaft, als diese Diskriminierung immer noch gang und gäbe war, erhoben sich einige der Muslime vor Ort und schafften es, ihre eigenen kurzlebigen Ministaaten zu errichten.34 Mit der Zeit wurden die Aufstände eingedämmt und die Rebellen besänftigt. Doch das islamische Ideal der Gleichheit war wieder einmal nicht realisiert worden. Arabischer Chauvinismus hatte wieder einmal den Ausschlag gegeben. Im 11. Jahrhundert entstand eine späte, literarische Schuʿūbiyya unter spanischen Muslimen berberischer und europäischer Abstammung, die der früheren Bewegung im Osten stark ähnelte.35 Auch in der südlichsten Ecke des Reiches, an der Spitze ihrer eigenen „Insel“, stellten Araber fest, dass sich sogar ihre schon längst arabisierten südarabischen Brüder gegen sie auflehnten – oder zumindest gegen ihre engstirnige, beduinisierte Auslegung des Arabertums, die im Zeitalter der Niederschrift propagiert worden war. Wir hörten bereits, wie der Dichter Abū Nuwās, selbst kein ethnischer Sohn des Südens, sondern maulā von Südländern, sich über rückständige Beduinen lustig machte.36 Manchmal sind seine Attacken unverschämt: Abū Nuwās war wegen seiner homoerotischen Gedichte bekannt und seine Satiren auf die ungehobelten aʿrāb kennzeichnet hin und wieder eine tuntige Boshaftigkeit, wie wenn er meint, dass die alten machohaften Beduinendichter, hätten sie in seinem Bagdad gelebt, wie parfümierte persische Bordellbesitzer nach hübschen Knaben gelechzt hätten.37 Seine Respektlosigkeit machte auch nicht vor den Quraisch, dem Stamm des Propheten und seiner abbasidischen Nachfolger, halt und der Dichter verbrachte auf Anordnung des Kalifen Hārūn al-Raschīd lange Zeit im Gefängnis.38 In Tausendundeiner Nacht wurde der Kunstfigur des Abū Nuwās, dem amüsanten Begleiter des al-Raschīd, dieser Giftstachel genommen. Abū Nuwāsʼ Angriffe waren zum Teil ein Symptom der „Nord-Süd-Kluft“, die durch die Kämpfe der Umayyadenzeit noch vertieft worden war.39 Nun, da das 9. Jahrhundert fortschritt und die persische Schuʿūbiyya ihre eigenen literarischen Attacken verschärfte, lebte im tiefen Südarabien der alte Stolz auf Saba und seine Schwesterzivilisationen – die ursprünglichen schuʿūb – wieder auf. Lokale Herrscher begannen, sowohl ihre politische Unabhängigkeit vom Kalifen im weit entfernten Bagdad als auch ihre Abstammung von der einheimischen vorislamischen Aristokratie wieder geltend zu machen. Lokale Schriftsteller wie
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der Historiker und Geograf al-Hamdānī versuchten, den verlorengegangenen Ruhm des Südens wiederzubeleben. Ihre Bemühungen hatten jedoch kaum Einfluss auf das größere kulturelle Ganze des Arabertums: Sie setzten bloß den Ruinen im hinterletzten Winkel ein Denkmal. So wie Stammesnomaden in den Jahrhunderten vor dem Islam den alten Süden infiltriert und arabisiert hatten, so wurde in den darauffolgenden Jahrhunderten, und besonders im abbasidischen Zeitalter der Niederschrift, das Narrativ der Geschichte insgesamt erfolgreich beduinisiert. Die Versuche der Schuʿūbīs, Arabern auf Augenhöhe zu begegnen, stellten sich als aussichtsloses Unterfangen heraus. Es gelang ihnen nie, die Araber von dem Sockel zu stoßen, auf den sie sich als Volk des Propheten und als ursprüngliche Besitzer der Sprache des Koran selbst gesetzt hatten. Auch politisch waren Araber die Herren des Hauses – wenn auch nur nominell. Sie saßen oben auf ihrem Felsen, während die lauernden Löwen sich für einen Augenblick davongeschlichen hatten. Dennoch war der arabische Hochsitz sowohl politisch als auch kulturell nicht sehr stabil. Und die vorgeblich von Arabern beherrschten Völker taten ihr Äußerstes, um ihn zu stürzen. Schuʿūbiyya-Tendenzen kamen immer mal wieder an die Oberfläche. Städtische Satiren auf echsenmampfende Stammesleute hatten über Jahrhunderte Konjunktur.40 Auf arabischer Seite ließ das „Erwachen“ des 19. Jahrhunderts die Debatte wiederaufleben. Osmanische Nationalisten,41 später Gegner des arabischen Nationalismus,42 und sogar Marxisten43 wurden beschuldigt, der Schuʿūbiyya verpflichtet zu sein. Saddam Husseins iranische Gegenspieler wurden im Krieg der 1980er-Jahre als Schuʿūbīs gebrandmarkt.44 Auch jetzt, in dem Konflikt vor meiner Haustür, bezichtigt man die vom Iran beeinflussten Huthis, dass sie eine Schuʿūbī-Agenda verfolgen. Das ist in etwa so anachronistisch, wie wenn man die Deutschen im Ersten Weltkrieg als „Hunnen“ bezeichnet hätte, aber gänzlich falsch ist es wohl nicht. Wie alle Konflikte ist der Kampf, den ich hier beobachte, auch ein Kampf um Identität. Die Huthis haben sich aus den Bruchstücken mehrerer nonkonformistischer konfessioneller, kultureller und politischer Vergangenheiten eine idiosynkratische Identität zusammengebastelt. Ihre Gegner, Saudi-Araber und andere, betrachten sich selbst als Teil des beduinisch-arabischen Narrativs der Geschichte. Sie schwingen immer noch ihre Offiziersstöckchen. (Andererseits wurden die Huthis, denen zum Ende des Jahres 2016 vorgeworfen worden war, eine Rakete in Richtung Mekka abgefeuert zu haben, auch mit den Qarmaten verglichen, die den heiligen Schwarzen Stein geraubt hatten, und sogar mit dem noch früheren Angreifer der heiligen Stadt, Abraha dem Äthiopier aus dem 6. Jahrhundert.45 Die Geschichte bietet zu viele Themen und
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Variationen, um jemals zu einer akkuraten Darstellung zu gelangen. Die Rhetorik wiederholt sich.)
Kuckuck im Kalifennest Obwohl Araber ihr kulturelles Imperium nach bestem Können verteidigten, schien nichts den langsamen Verfall der politischen Macht aufhalten zu können. Badschkam der Türke, dessen Medaillons mit Selbstporträt den Kalifen al-Rādī so aufgeregt hatten, bildete das Paradigma des neuen Machthabers: Er war vom Militärsklaven in der Provinz zum Polizeipräfekten im Dienste von alRādī aufgestiegen, bevor er sich im Jahr 938 dem Kalifen als Oberbefehlshaber und de-facto-Herrscher aufdrängte. Er mag der erste Eindringling ins Zentrum der Macht gewesen sein, aber auf der Lauer gelegen hatten schon andere. Fast 200 Jahre zuvor hatte der zweite Abbasidenkalif al-Mansūr einen Präzedenzfall geschaffen, indem er sich auf eine Garde verließ, die statt aus freien Arabern aus Sklaven und Exsklaven bestand. Im 9. Jahrhundert brachte al-Maʾmūn eine immer größere Anzahl von nichtarabischen Truppen von seiner ursprünglichen Machtbasis in Chorasan nach Bagdad.46 Al-Maʾmūns Bruder al-Muʿtasim ging sogar noch weiter. Während seiner Regierungszeit, die 833 begann, führte er immer mehr Militärsklaven ein, besonders Türken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese große und wachsende Gruppe bewaffneter Männer sich auch politisch einmischen würde. Militärsklaven machen Sinn: In Ermangelung eines starken abstrakten Staatsgebildes, auf das die Loyalität fokussiert werden kann, lässt sich die Treue von freien Soldaten – besonders von bereits mit Waffen ausgestatteten Stämmen, aus denen arabische Soldaten gewöhnlich rekrutiert wurden – vom höchsten Bieter oder überzeugendsten Redner kaufen. (Ich sehe gerade, wie aus diesem Grund ein Land zusammenbricht: die jemenitische Armee verwandelte sich über Nacht in einen Haufen privater Milizen; vielleicht war sie auch nie viel mehr als das gewesen.) Die Loyalität von Sklaven hingegen ist unverhandelbar, wenigstens in der Theorie. Für al-Muʿtasim waren Türken die Crème de la Crème des Militärsklaventums: „Türken … sind die Beduinen unter den Nichtarabern“,47 schrieb alDschāhiz zu jener Zeit – aus seinem Mund ist das ein hohes Lob. Ihre Fähigkeiten als Reiter und Bogenschützen waren legendär, ihre Wachsamkeit fast übernatürlich: „Der Türke hat zwei Paar Augen, eines auf der Vorderseite, eines auf der Rückseite des Kopfes.“48 Wir wissen nicht, ob al-Muʿtasims Präferenz für Türken von dem Umstand beeinflusst war, dass seine Mutter selbst eine türkische Sklavenkonkubine war;49 aber es hat sehr wahrscheinlich eine Rolle gespielt. So wie die saudischen Herrscher die neuesten lasergelenkten Raketen
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horten, so hortete er erstklassige türkische Krieger. Nach drei Regierungsjahren hatte er bereits 4000 um sich geschart. Doch die schlitzäugigen Kentauren weigerten sich, in ihren Kasernen hocken zu bleiben. Stattdessen galoppierten sie durch Bagdad und richteten Chaos und Verwüstung an. Al-Muʿtasims Lösung bestand in einer Kombination von Querdenkertum und großangelegtem Entwurf: Er baute ihnen ein zweites Bagdad. Im Jahr 836 gründete al-Muʿtasim seine neue Hauptstadt, Samarra, 125 Kilometer flussaufwärts von Bagdad am Tigris und verlegte seine Türken und andere ausländische Truppen dorthin.50 Samarra ist mit Versailles verglichen worden,51 aber es war auch ein bombastisches Aldershot oder Fort Hood, eine Militärmetropole aus Lehmziegeln und Staub, bewohnt von zentralasiatischen Kavalleristen und Gefolgsleuten des Kalifen, wie zum Beispiel seinem Hofnarr, Ali dem Schuster, der seine Fürze im Puffärmel aufsammelte und sie anschließend über dem humorlosen Hofstaat ausschüttelte.52 Die Truppen – nicht nur Türken, auch Chorasaner, Ferghaner aus dem Tienschan-Gebirge, Nordafrikaner und andere – wurden nach Herkunft in Quartiere aufgeteilt, deren Anordnung der geografischen Lage ihrer Heimatländer entsprach: Samarra war ein maßstabgetreues Modell des Reiches53 und entwickelte sich zu einer der größten Städte der Welt, zumindest flächenmäßig. Doch auch ihre Zeit als Hauptstadt war nur knapp bemessen – es dauerte weniger als 60 Jahre, bevor die Stadt aufgegeben wurde. Dass es im Arabischen sechs verschiedene Schreibvarianten für den Namen der Stadt gibt, scheint ihre Unbeständigkeit nur zu bestätigen.54 Und doch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass, während nahezu alle Spuren des abbasidischen Bagdad unter späteren Schichten von Besiedlung begraben sind, die Umrisse der Großen Moschee von Samarra immer noch sichtbar sind und das merkwürdige Spiralminarett weiter aus dem Staub emporragt und das Zentrum dieses nun schweigenden Babels markiert. Die großangelegte Türkifizierung der Armee brachte noch eine weitere Ironie mit sich. Im Jahr 838 drang al-Muʿtasim tief in byzantinisches Gebiet ein, verwüstete die Stadt Amorium südwestlich von Ankara und nahm zahlreiche Gefangene. Die Heldentat wurde von Abū Tammām ibn Aus in einem der berühmtesten und klangvollsten arabischen Gedichte gefeiert. Es beginnt wie folgt: Schwerter erzählen mehr Wahrheit als Bücher; ihre Schneide trennt den Ernst vom Spiel; in hellstrahlenden Klingen, nicht auf dunkelbeschrifteten Seiten, finden sich Texte, die Unsicherheit und Zweifel vertreiben. Das Wissen liegt im Glitzern von Lanzen, die zwischen verfeindeten Reihen funkeln, nicht in den sieben funkelnden Lichtern des Himmels.55
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Es ist ein Loblied auf den martialischen Heldenmut des arabischen Beduinen, eine Demonstration der messerscharfen Rhetorik von Schwert und Speer, die rein schriftliche, prosaische Wahrheiten (natürlich von Persern und anderen ausländischen Schundschriftstellern verfasst) in den Schatten stellt – eine Hommage an die Anciennität jener anderen, schärferen Wahrheit. Wie ein moderner Kommentator sagte: „Der Dichter … transformiert die moralischen Werte seiner [al-Muʿtasims] heidnischen Stammesahnen zum moralischen Grundgerüst des islamischen Staats.“56 Doch bei näherer Betrachtung zeigen sich Ungereimtheiten. Der Dichter selbst war bei Geburt nicht der durch und durch arabische klingende „Ibn Aus“, sondern tatsächlich ibn Thadaus – Sohn des Thaddäus, eines christlichen Wirts aus Damaskus. Und er kehrt unter den Tisch, dass der alte arabische Heldenmut von Türken bewiesen wurde.57 Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass al-Muʿtasims Neffe al-Abbās ibn al-Maʾmūn in der Zwischenzeit daheim unheroisch und hinterlistig nach dem Kalifat griff und dabei den Plan seines Onkels vereitelte, dem Sieg einen Marsch auf Konstantinopel folgen zu lassen.58 Der Überfall auf die Nachbarn – ein vorislamischer Stammeskrieg, wie er im Buche steht – war herrlich traditionell und oldschool, genauso wie es der Feind im eigenen Haus gewissermaßen auch war. Doch im Fall des Ersteren war die arabische Tradition ins Ausland verlagert worden, und letztendlich scherten sich die Ausländer, die Türken, einen Dreck um die Tradition. Sie interessierten sich selbstverständlich nur für die Macht. Sie besaßen die Waffen, die Männer, und nach und nach auch die Art von ʿasabiyya oder Gruppensolidarität, die Araber groß gemacht hatte. Und ob nun Macht vor Recht geht oder nicht, Macht macht Angst – sogar dem Kalifen.
Beim Trommelwirbel geblendet Zur Krise kam es im Kalifat von al-Muʿtasims Sohn und zweitem Nachfolger, al-Mutawakkil. Inzwischen hatten die türkischen Bauern sich in spielentscheidende Figuren verwandelt. Die Familie der Abbasiden hingegen, Ursprung von Ehre und Arabertum, bestand nun nur noch aus Bauernopfern. Ab jetzt wechselte sich eine Reihe von Kalifen mit verwirrend ähnlichen Regierungsnamen auf dem Thron ab; sie sollten fast alle ein ähnlich gewaltsames Ende finden. Al-Mutawakkil favorisierte seinen Sohn al-Muʿtazz als Nachfolger. Ein anderer Sohn (von einer anderen Mutter), al-Muntasir, verschwor sich mit der türkischen Leibgarde, um sich selbst den Thron zu sichern. Die Verschwörer wählten für den Putsch eine Nacht im Dezember 861. Der Kalif zechte mit seinen engsten Vertrauten am Hof. „Er war außerordentlich betrunken“, erinnerte sich der Dichter al-Buhturī, einer der Anwesenden.
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Es war ungefähr drei Uhr morgens, als plötzlich Bāghar [einer der türkischen Kommandanten] mit zehn anderen Türken erschien, alle vermummt und mit Schwertern in der Hand, die im Kerzenschein glänzten. Sie sprangen auf uns zu, hatten es auf al-Mutawakkil abgesehen. Al-Fath [ibn Chāqān, al-Mutawakkils Schreiber und selbst ein arabisierter Türke] rief: „Wehe euch! Dies ist euer Herr!“ Die anwesenden Mundschenke, Hofleute und Trinkbrüder flohen Hals über Kopf, als sie die Türken sahen. Nur al-Fath blieb im Saal und versuchte sie abzuwehren. Plötzlich hörte ich al-Mutawakkil aufschreien: Bāghar hatte ihn – mit einem Schwert, das al-Mutawakkil ihm selbst geschenkt hatte – auf der rechten Seite getroffen und ihn bis zur Taille aufgeschlitzt. Dann versetzte er ihm auf der linken Seite einen ähnlichen Hieb. Al-Fath war aufgesprungen und versuchte, die Türken vom Kalifen wegzuschlagen, doch einer von ihnen stieß ihm sein Schwert in den Bauch, bis die Spitze am Rücken wieder heraustrat. Dennoch hielt er stand, ohne mit der Wimper zu zucken. Nie habe ich einen tapfereren Menschen, einen nobleren Mann gesehen. Er warf sich auf al-Mutawakkil, um ihn zu beschützen, doch sie starben zusammen. Sie wurden in den Teppich eingerollt, auf dem sie ermordet wurden. So lagen sie die restliche Nacht und den Großteil des folgenden Tages, bis al-Muntasir als Kalif im Amt bestätigt wurde. Er ordnete an, dass sie gemeinsam beerdigt werden.59 Es gibt eine Fortsetzung. Makabererweise machte es sich al-Muntasir zur Gewohnheit, auf diesem Teppich, dem ersten Leichentuch seines Vaters, zu sitzen – bis ihm erklärt wurde, dass darauf ein alter persischer Prinz abgebildet sei, der seinen eigenen Vater, den Schah, ermordet hatte. Dieser frühere Vatermörder, so informierte eine Inschrift auf dem Teppich, überlebte nach seinem Verbrechen nur sechs Monate. Genauso ging es al-Muntasir. Er starb angeblich an einer Erkältung, die er sich nach einem schweißtreibenden Polospiel bei einer Übernachtung in der Kammer eines Windturms eingefangen hatte. Gerüchten zufolge könnte sein Tod durch eine weitere türkische Verschwörung und ein vergiftetes Skalpell beschleunigt worden sein – er hatte nämlich unklugerweise versucht, seine Mitverschwörer herumzukommandieren.60 In weiser Voraussicht hielt sich al-Muntasirs kaltgestellter Bruder, al-Muʿtazz, aus dem Kampf um die Nachfolge heraus. Selbst als seine Mutter ihm das blutbefleckte Hemd seines Vaters vor die Nase hielt und ihn drängte, sich an den Türken zu rächen, sagte er nur: „Mutter, gib auf, sonst hast du bald zwei Hemden statt einem“61 – mit dem zweiten meinte er selbstverständlich sein eigenes. Zeitweilig wurde ein Cousin, al-Mustaʿīn, auf den Thron gehievt. Die Macht war
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in den Händen zweier türkischer Kommandanten: Bughā des Jüngeren, der führende Kopf hinter dem Mord an al-Mutawakkil, und eines anderen Generals, Wasīf. Über diese beiden sagte ein zeitgenössischer Dichter: Bughā und Wasīf übertreffen jede Frechheit Sie sind die Herren der Zeit, im Käfig sitzt der Kalif! Was sie reden, wiederholt sein Geschrei Er spricht ihnen nach wie ein Papagei.62 Doch schon bald wurde wieder Blut vergossen und die abbasidischen Annalen verwandelten sich in eine langatmige Version des Endes von Titus Andronicus. Al-Masʿūdī, der mitten in diesem Drama in Bagdad geboren wurde und Zeuge einiger seiner späteren Akte war, geizt nicht mit spektakulären Details und Tratsch vom Suk. Besonders wertvoll aber sind die zeitgenössischen Verse, die er zitiert: Dichter waren die Chronisten der Zeit, sie reflektierten die Reaktionen auf die Geschehnisse und nahmen so Einfluss auf die öffentliche Meinung. Als die Türken schließlich al-Mustaʿīn zum Rücktritt zwangen – um ihn dann sicherheitshalber noch zu enthaupten63 –, zitiert al-Masʿūdī: Wie herrlich, die türkischen Horden zu sehen, wie sie dem Schicksal mit dem Schwert zu Leibe gehen – es gleich für den nächsten Königsmord nutzen, und alle in Angst und Schrecken versetzen! Sie erschufen ein Reich, das den Herrscher hier zum Gast im eigenen Kalifat reduziert.64 Gewalt gebiert Gewalt. Al-Muʿtazz, der Bruder des Vatermörders, wurde schließlich von den Türken dazu überredet, seine Scheu vor hohen Ämtern zu überwinden. Sie steckten ihn in den goldenen Kalifenkäfig, schienen aber bald in Erwägung zu ziehen, ihn durch einen anderen Bruder, al-Muʾaiyad, zu ersetzen, der sich zu dieser Zeit im Gefängnis befand. Geistesgegenwärtig ließ al-Muʿtazz diesen Bruder an einem vergifteten Bettlaken ersticken.65 Besorgt, dass Bughā der Türke nun „vom Himmel auf ihn herabstürzen oder vor ihm aus dem Boden wachsen würde“, beauftragte al-Muʿtazz eine Gruppe nordafrikanischer Sklavensoldaten damit, ihn umzubringen. Zunächst schienen die anderen Türken verblüfft zu sein. Doch dann rafften sie sich auf und setzten alMuʿtazz ab: Er wurde ein paar Tage später im Kerker ermordet.66
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Auch der nächste Kalif wurde ein Opfer der Türken, doch aus anderen Gründen. Obwohl (oder gerade weil) er der Sohn von al-Wāthiq war, des verrufenen Antihelden aus William Beckfords Schauerroman Vathek, besaß al-Muʿtazzʼ Cousin al-Muhtadī eine unter den Abbasiden seltene Eigenschaft: Er war ein Puritaner, der sein Leben nach dem Beispiel des Umar ibn Abd al-Azīz einzurichten suchte, der frommen Ausnahme in der Dynastie schwarzer Schafe, den Umayyaden. Kaum auf dem Thron, gelang es ihm, die öffentliche Unmoral zu erschüttern. Es war ja schön und gut, dass er die figurativen Wandmalereien im Palast weiß übermalen ließ und das Orchester feuerte, die Kampfhähne und Kampfwidder des Kalifen abschaffte und die Tiere in der Menagerie schlachten ließ. Wenn er in einem Büßerhemd schlafen wollte, so war das seine Sache.67 Aber im gesamten Hoheitsgebiet Alkohol und singende Sklavinnen zu verbieten, das ging zu weit. Das Gebiet war ja nur noch dem Namen nach das seine. Laut al-Masʿūdī bereiteten einige seiner hedonistischeren Untertanen zusammen mit den wahren Herrschern, der türkischen Garde, die inzwischen in solchen Fällen übliche Lösung vor.68 Tatsächlich soll es ein veritablen Machtkampf zwischen dem Kalifen und verschiedenen türkischen Lagern gegeben haben.69 Was auch immer der Grund war, das Ende war dasselbe: Der asketische Kalif wurde von einem betrunkenen Türken getötet, der dann angeblich das Blut seines Opfers trank.70 Einige Zeit zuvor war al-Muhtadī gefragt worden, weshalb er solche unpopulären Reformen durchzusetzen suchte. Er antwortete: „Ich möchte die Menschen auf den Weg des Propheten Allahs – Friede und Segen seien mit ihm – und seiner Familie und der vier rechtgeleiteten Kalifen führen.“ Worauf ihm entgegnet wurde: „Der Prophet Allahs – Friede und Segen seien mit ihm – war von Menschen umgeben, die dieser Welt entsagt hatten und nach der Welt des Jenseits verlangten … Deine Männer sind Türken, Chasaren, Ferghaner, Maghribīs und andere Arten von Nichtarabern … deren einziges Ziel es ist, schnellstmöglich so viel von dieser Welt zu erlangen, wie sie nur in die Hände bekommen können.“71 Diese Erwiderung, zynisch aber ehrlich, zeigt einmal mehr, wie weit es Araber gebracht hatten, seitdem sie weniger als 250 Jahre zuvor ihre „Insel“ verlassen hatten, und wie verloren einige von ihnen sich nun in der großen weiten Welt fühlten – und wie jene alte, kleinere Welt selbst ein verlorenes Ideal war. Al-Muhtadī sollte nicht der letzte Araber bleiben, der eben dieses Ideal wiederherstellen wollte. Eine Zeitlang herrschte relative Stabilität. Al-Muhtadīs Cousin, al-Muʿtamid, überlebte sagenhafte 22 Jahre als Kalif. Sein Neffe al-Muʿtadid hielt zehn Jahre durch und schaffte es tatsächlich, einiges von den Gebieten und der Autorität
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zurückzuerlangen, die in den Aufständen der Zandsch und der Qarmaten verloren gegangen waren, jedoch nur im Irak. Die Gebiete weiter draußen – Persien, Ägypten und anderenorts – waren nun, wie wir sehen werden, für immer der Herrschaft von Bagdad entglitten. Nach der sechsjährigen Regierung von al-Muʿtadids Sohn kehrte das blutige Gerangel um die Thronfolge jedoch mit voller Wucht zurück. Einige der türkischen Prätorianer waren unzufrieden mit dem offiziellen Amtsinhaber, dem Enkelsohn al-Muʿtadids, trieben dessen Onkel, al-Muʿtazzʼ Sohn Abdallah, auf und installierten diesen als ihren Kandidaten. Ibn al-Muʿtazz (er war nicht lange genug im Amt, um einen Regierungsnamen zu erhalten) war ein Connaisseur erlesener Weine und eleganter Verse und selbst ein Dichter der ersten Generation der Modernen. Man sieht ihn förmlich vor sich, wie er im Morgengrauen klagend aus seinem elfenbeinernen Turm geschleppt wird: Noch ein Glas! Das Krähen des Hahns beerdigt die Nacht. Der nackte Horizont eines geplünderten Morgens erscheint. Über nächtlichen Wegen: Canopus, Haremswächter der Sterne.72 Für Ibn al-Muʿtazz stellte sich das Kalifat als der übliche Giftbecher heraus, aber wenigstens konnte er ihn in einem Zug leeren: Als müsste er die beiden langen Regierungszeiten vor seiner Zeit wieder wettmachen, hielt es ihn nicht einmal einen Tag im Amt, bevor er von den Anhängern seines Neffen erdrosselt wurde.73 Ironischerweise hatte Ibn al-Muʿtazz selbst mit seiner eleganten dichterischen Stimme die Dekadenz des Kalifats kritisiert.74 Auch andere, etwas derbere Stimmen bannten ihre Gedanken über das Chaos im Palast in Verse. Ibn Bassām beispielsweise nahm kein Blatt vor den Mund. Eine beißende Ode, in der er den regierenden al-Muwaffaq und jeden hohen Offizier im Staat namentlich angriff, beschloss er mit folgenden Worten: Lasst uns dieses Zeitalter vergessen, lasst die Verbrecher die Früchte ernten Bis Gott sie mit seinen Flüchen in die feurige Grube verbannt.75 Das klingt sehr modern: Wir wollen Gerechtigkeit! Aber wir wissen ja, die gibt es erst nach dem Tod. Türken und andere ausländische Machthaber entkamen dem Gift von Ibn Bassām nicht:
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Unser fremder amīr mit Namen Esel und Sohn eines Grautiers. Als er die Macht errang, entfloh als erstes der Islam!76 Die Esel saßen dennoch fest im Sattel. Als Badschkam, der Münzpräger, aufstieg, reflektierte bereits sein Titel diese Tatsache: amīr al-umarāʾ, amīr der amīre, oder generalissimo. Sein nomineller Herr, al-Rādī, erlag im Alter von 31 Jahren der Wassersucht.77 Doch mit al-Rādīs Bruder und Nachfolger al-Muttaqī verschlechterten sich die Beziehungen zu den Türken wieder und das Kasperletheater ging weiter. Nach nur wenigen Jahren im Amt wurde er abgesetzt und geblendet, während man Trommeln schlug, um seine Schreie zu übertönen.78 „Nun“, sagte sein Onkel al-Qāhir, ein früherer Kalif, der ebenfalls abgesetzt und geblendet worden war, „sind wir schon zu zweit. Jetzt brauchen wir noch einen dritten.“79 Tatsächlich wurde al-Muttaqīs Sohn und Nachfolger al-Mustakfī ebenfalls entthront und geblendet – nicht von Türken, sondern von einer Bande iranischer Bergbewohner.80 In den endlos sich wiederholenden Chroniken des abbasidischen Niedergangs war dies schon fast eine erfrischende Abwechslung. Immerhin sah es danach aus, als könnte die türkische Macht gebrochen werden. Bald stellte sich jedoch heraus, dass der eine Kuckuck im Kalifennest einfach durch einen anderen, ebenso machthungrigen, ersetzt worden war.
Iranisches Intermezzo Die drei Buwaihidenbrüder, die große Teile des westlichen Iran, des Irak und um 945 den Kalifensitz Bagdad einnahmen, kamen aus den Bergen von Dailam, südlich des Kaspischen Meeres. Politisch jedoch schienen sie aus dem Nichts zu kommen. Es tauchten Geschichten auf, die ihr plötzliches Erscheinen zu erklären suchten. Die gängigste Variante besagt, dass sie aus bescheidenen Verhältnissen stammten – der Vater, Buwaih oder Buya, der ihrer Dynastie den Namen gab, war ein Fischer –, dass sich ihr Schicksal aber gewandelt hätte, als einer von ihnen einen vergrabenen Schatz fand.81 Was auch immer an den Legenden wahr gewesen sein mag, die Brüder waren erst kürzlich konvertiert und nutzten ihren neuen Glauben als Eintrittskarte zur Macht, indem sie zunächst in den Armeen aufstrebender lokaler Herrscher im Iran dienten, um sich dann nach ganz oben zu orientieren.82 Dass sie schiitische Muslime waren, war nicht überraschend. Im steil abfallenden Dailam und an der angrenzenden feuchten Küste des Kaspischen Meers fiel die Botschaft schiitischer Missionare, die an angenehmeren Orten nicht willkommen waren, auf fruchtbaren Boden. Jedenfalls machte es kaum einen
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Unterschied, dass sie Schiiten waren. Unter den erbittertsten Feinden der Buwaihiden waren die Hamdaniden, eine arabische Dynastie im Nordirak und Syrien, die im Allgemeinen proschiitisch eingestellt waren.83 Außerdem versuchten die Buwaihiden gar nicht erst, Bagdad ihre womöglich nur vage ausformulierten religiösen Überzeugungen aufzuzwingen, denn es blieb für sie immer nur die zweite Stadt: Ihre Hauptstadt war Schiras im Südwesten des Iran. Tatsächlich befanden sie sich als Andersgläubige in einer perfekten Lage: Sie konnten den Kalifen glauben lassen, dass er weiterhin die Welt des orthodoxen sunnitischen Islam beherrschte, und empfanden als Schiiten keine moralische Pflicht, seine Autorität zu respektieren – eine Autorität, die inzwischen ohnehin nur noch auf dem Papier bestand. Letztendlich waren konfessionelle Etiketten nicht so wichtig. Religion war, wie so oft, ein Täuschungsmanöver, das von den wahren Motiven – allem voran dem Machthunger – ablenken sollte. Hinsichtlich der abbasidischen Kalifen-Dynastie machten die Buwaihiden dort weiter, wo die Türken aufgehört hatten. Ihr erster zahmer Kalif war ein weiterer Bruder von al-Rādī mit dem passenden Namen al-Mutīʿ, „dem Gehorsamen“ – streng genommen in Bezug auf Allah, aber in Wirklichkeit gehorchte er jedem, den Allah ihm vor die Nase setzte. In diesem Fall war das Fana-Chosrau ibn Buwaih, dem der Kalif den Titel Muʿizz al-Daula gab, „Festiger des Staates“. Etwas anderes blieb ihm auch nicht übrig: Die Quelle der Ehre vergab Titel und Ämter, doch der Strom wurde von anderen kanalisiert. „Al-Mutīʿ“, so schrieb al-Masʿūdī in einem späten Zusatz zu seiner Geschichte, „war ein Spielball des Muʿizz al-Daula, ohne irgendwelche Entscheidungsgewalt.“84 Wie die meisten türkischen Emire vor ihm sprach der Dailamit Muʿizz alDaula kein Arabisch.85 Dennoch, wie das Suffix „-iden“ zeigt, schafften die Buwaihiden es, eine Dynastie zu begründen und, wie es ein Forscher ausdrückte, Teil eines „iranischen Intermezzos“86 zwischen den aus den Turkvölkern stammenden Warlords und den kommenden Turk-Dynasten zu werden. Sie waren also lange genug vor Ort, um wie so viele andere von der arabischen Sprache erobert zu werden: Adūd al-Daula, („Stütze des Staates“), der Buwaihidenherrscher von Bagdad in zweiter Generation, sprach sie so gut, dass er arabische Verse zum Lob des Weins schmieden konnte.87 Hineindrängende Machtgrapscher waren einmal mehr durch den Klebstoff der Sprache fest in die etablierte Gesellschaft eingefügt worden. Doch die Beziehung war nicht von Dauer: Innerhalb einer Generation nach der Übernahme von Bagdad durch die Buwaihiden rollte eine neue Welle von Türken aus dem Nordosten heran. Sie waren alles andere als Sklavensoldaten: Sie waren ihre eigenen Herren und rückten unter dem Schutz ihrer eigenen, ständig wachsenden Macht langsam näher.
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Herrscher der Welt Die Seldschuken bildeten einen Clan des großen Superstamms der Oghusen, eines Turkvolks, das sich bis ins 8. Jahrhundert und in die Region des Baikalsees zurückverfolgen lässt. Im frühen 10. Jahrhundert führten sie ein Nomadenleben zwischen der Wolga und dem Aralsee. Etwa zur gleichen Zeit wie die Buwaihiden nahmen sie den Islam an und nutzten ihn als Eintrittskarte zum Militärdienst in den aufstrebenden muslimischen Staaten weiter südlich – sowie als Reisepass zur eigenen Macht. Anders als die Buwaihiden hatten sie es aber nicht eilig: Sie betraten das Gebiet des Kalifen um 970 und erreichten Bagdad erst im Jahr 1055. Auch ihre sunnitische Orientierung unterschied sie von den Buwaihiden. Die Übernahme der Kalifenstadt rechtfertigten sie damit, dass sie dem Sektierertum ein Ende setzen wollten. Als gute orthodoxe Gläubige, so sagten sie, wollten sie das Kalifat vor den schiitischen Ketzern, den Buwaihiden, retten. Es gab noch einen weiteren Unterschied zu den Buwaihiden, die ja ebenfalls „Beschützer“ des Kalifats gewesen waren. Wie sein buwaihidischer Vorgänger Muʿizz al-Daula konnte Tughril, der erste Seldschukenherrscher Bagdads, sich nur mit der Hilfe eines Dolmetschers mit dem Kalifen verständigen.88 Doch während ihrer langsamen, aber stetigen Übernahme des alten iranischen Reiches hatten die Seldschuken das damals wieder aufkommende Persisch als ihre Sprache angenommen. Außer in seiner Rolle als Liturgiesprache, so schien es, waren die Tage des alten Hocharabischen, des letzten Überbleibsels arabischer Vorherrschaft in der sich ausdehnenden Welt des Islam, gezählt. Überraschenderweise erlebte jedoch, wie wir sehen werden, die arabische Sprache und ihr gesamtes kulturelles Imperium gerade unter den Seldschuken den denkbar größten Aufschwung. Zunächst aber schwand das arabische Ansehen weiter. Tughril war so mächtig, dass er es schaffte, die alte rote Linie zu überschreiten, die spätestens seit der Zeit der vorislamischen Lachmidenkönige, ein halbes Jahrtausend zuvor, unüberwindbar gewesen war: Er, ein schmaläugiger Türke mit flachem Gesicht, zwang die Tochter des Kalifen,89 eine reinblütige Nachfahrin der Quraisch und, wenn auch ziemlich weit entfernt, väterlicherseits Cousine ersten Grades von Mohammed (mütterlicherseits war sie durch und durch interkontinental – dafür hatte 400 Jahre lang Sklavinnen-Konkubinen aus der gesamten Alten Welt gesorgt), ihn zu heiraten. Wenn irgendein Ereignis den Fall des Arabertums symbolisierte, dann dieses. Selbst Alp Arslan, Tughrils Neffe und späterer Nachfolger, war beschämt. Nachdem sein Onkel gestorben war, gab er die Tochter kleinlaut ihrem Vater zurück.90 Alp Arslan selbst überschritt jedoch noch eine weitere rote Linie, sowohl symbolisch als auch geografisch: er war der e rste
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Türke, der den Euphrat überquerte91 – Grenze und Schutz der unbefleckten und unberührten „Insel“ der Araber. Falls es noch Zweifel an der Macht dieses immer siegreichen Clans aus der fernen asiatischen Steppe gegeben hatte, so räumte Alp Arslans Sohn und Nachfolger mit diesen auf. Malik Schah, ein Türke, dessen Name passenderweise die arabischen und persischen Wörter für „König“ vereint, und der den Ehrennamen Abū al-Fath, „Vater des Sieges“, trug, herrschte über ein so ausgedehntes Reich, wie kein König des Islam es seit den Tagen der frühen Kalifen getan hatte. Es war ein Gebiet, das das gesamte Transoxanien, die Länder der weißen Hunnen des Oxus, das Tor der Tore [den östlichen Kaukasus], Anatolien und Diyar Bakr, Mesopotamien und die Levante umspannte. Für ihn wurde in allen Moscheen gebetet – mit Ausnahme derer im Maghreb –, denn er herrschte über ein Reich, dass sich in Ost-West-Ausrichtung von Kaschgar bis nach Jerusalem erstreckte, und in der Nord-Süd-Ausrichtung von Konstantinopel bis zum Land der Chasaren und der Küste des Indischen Ozeans. Es war so groß, dass er als Herrscher der Welt betrachtet wurde.92 Sollte es zuvor noch Zweifel daran gegeben haben, ob Araber den Staffelstab imperialer Herrschaft weitergegeben hatten, so waren sie jetzt ausgeräumt. Dem Kalifen war „nichts als sein Titel“ geblieben. Unter den Seldschuken blieb ihm jedoch, anders als bei den früheren türkischen Garden, meist auch sein Leben (eine Ausnahme bildete 1138 die Ermordung des Kalifen al-Mustarschid durch Ghiyāth al-Dīn, den Seldschuken-Sultan).93 Doch auch wenn die Amtsinhaber bedeutungslos und leicht auszutauschen sein mochten, das Amt des chalīfa selbst – jene Verbindung mit der arabischen Vergangenheit durch die chilāfa, „Nachfolge“, von Mohammed – war immer noch von großer symbolischer Bedeutung. Dieser Titel war es, der es Kalifen ermöglichte, Seldschukenprinzen zu krönen und mit anderen Symbolen weltlicher Autorität auszustatten, wie die zeremoniellen Armreifen,94 die sie mit der europäischen Monarchie gemeinsam haben sollten. Unter nicht ganz unähnlichen Umständen war Otto, der Warlord aus dem hohen germanischen Norden, im Jahr 962 von einem machtlosen Papst zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt worden. Aber der Vergleich hinkt etwas: Der nun offizielle Titel der Seldschuken – sultān, „Macht“ – war ausgesprochen profan. Sultane, besonders fremde aus der Steppe, brauchten den Hauch von Heiligkeit, der die Kalifen immer noch als gleichsam apostolische Nachfolger des arabischen Propheten umwehte. Das Kalifat und das Arabertum hatten ihre weltliche Macht verloren. Doch ein Rest von spiritueller Macht blieb erhalten. Weiter entfernt und etwas später – im
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12. Jahrhundert, im Syrien und Ägypten der turkmenischen Zangiden und des kurdischen Sultans Saladin, selbst im Indien des Sultanats von Delhi im 14. Jahrhundert – fungierten Abbasiden weiterhin als praktische arabisch-islamische Maskottchen, eine lebendige Verbindung zum alten Mekka. Doch sie waren kaum mehr als das. Die nichtarabischen Herrscher, schrieb Ibn Chaldūn, „… beugten sich dem Kalifen gehorsam, um des Segens willen [den das mit sich brachte], doch die weltliche Herrschaft mit all ihren Titeln und Attributen gehörte ihnen, und der Kalif hat keinen Anteil daran“. Außerdem war der Machtverlust der Kalifen ein weiteres Symptom, vielleicht das entscheidende, von nichts geringerem als „dem Dahingehen der arabischen Gruppensolidarität [ʿasabiyya], dem Verschwinden ihrer Rasse und dem Zusammenbruch ihrer Lebensbedingungen“.95 An anderer Stelle revidiert Ibn Chaldūn jedoch diese melodramatische Diagnose: Was bei der seldschukischen Übernahme passierte, war, dass „Araber sich nach innen wandten“.96 Das sollte sich als genauere und gerechtere Analyse erweisen und von Ereignissen lange nach Ibn Chaldūn bestätigt werden. Darüber hinaus war diese Wendung nach innen die jüngste Hinwendung zur Innenschau, die im ersten abbasidischen Jahrhundert begonnen hatte, als Araber, verloren im Reich, das sie erschaffen hatten, zum ersten Mal auf sich und auf ihre Vergangenheit geblickt hatten. Die umgekehrte futūhāt, die Gegeneroberung, schien nun abgeschlossen: Die besiegten Völker, vor allem die Türken, hatten sich revanchiert. Was noch blieb war der alte arabische Eroberungszug, der erste von allen, der noch nicht ganz vorüber war.
Pfeile auf den Thron Gottes Ab der Mitte des 11. Jahrhunderts waren persianisierte seldschukische Türken die Herren im alten arabischen Machtzentrum sowie im Großteil seines riesigen asiatischen Flügels. Auch jenseits des seldschukischen Herrschaftsgebiets war die iranische Kultur im Wiederaufbau begriffen. Der persische Dichter Abu al-Qāsim Firdausī widmete sein Schāhnāme oder „Buch der Könige“, das erste große Werk der persischen Renaissance aus dem 10. Jahrhundert, Mahmūd von Ghazni im heutigen Afghanistan. Doch die Wiederbelebung der arabischen Sprache und Kultur sollte bald erfolgen – durch eine Bewegung, die ebenfalls im Osten begann, sich aber in den folgenden Jahrhunderten über das gesamte vormals arabische Reich und darüber hinaus erstrecken würde. Sie stellte sicher, dass das alte Hocharabisch überlebte und dabei mehr blieb als eine bloße Liturgiesprache. Mehr als vier Jahrhunderte nachdem Ibn Chaldūn auf den Zusammenbruch des Arabertums zurückgeschaut hatte, waren es letzten Endes diese schlummernde, aber weiterhin lebendige Sprache und ihre Kultur, welche die Wiederauferstehung von Arabern als „Ethnie“ bewirken sollten.
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Heutige Araber sollten deshalb vielleicht dem Iraner Nizām al-Mulk dankbar sein, dem Wesir der beiden großen Seldschuken, Alp Arslan und Malik Schah (und Patron des Omar Chayyam, des großen Mathematikers, der im Westen als persischer Dichter besser bekannt ist). Al-Mulk wurde im Jahr 1019 oder 1020 in Chorasan geboren und war schon früh von den Hadith-Studien fasziniert, der Disziplin, die sich mit den Mohammed zugeschriebenen Aussprüchen beschäftigt. Obwohl er sich nicht als Spezialist sah, wurde er dennoch in den elitären Kreis mündlicher Hadith-Überlieferer aufgenommen: „Ich möchte mich“, so sagte er, „der Karawane derer anschließen, die die Aussprüche des Propheten Allahs – Friede und Segen seien mit ihm – weitergegeben haben.“97 Mit der stetig wachsenden Kette von Überlieferern – Nizām al-Mulks „Karawane“ – einte Mohammed noch vier Jahrhunderte nach seinem Tod die Stimme. Die Bedeutung von Nizām al-Mulk lag darin, dass er die ersten großen madrasas, Medresen, Schulen für arabische und islamische Studien, gründete und damit das Weiterziehen der Karawane in die Zukunft sicherte. Als er für die Finanzierung seiner neuen Einrichtung bei seinem Herrn Malik Schah warb, verwendete er jedoch eine andere Metapher, eine, die besser zu einem kriegerischen Türken passt: „Die besten Schützen Eurer Armee können keine Meile weit schießen … Doch mit diesem Geld könnte ich eine Armee rekrutieren, deren Pfeile des Gebets den Thron Allahs erreichen würden …“ Und der Sultan weinte und sprach, „Mein Vater, mache diese Armee noch größer … und du sollst allen Reichtum der Welt besitzen.“98 Die Ursprünge der Medrese liegen weit vor der Zeit Nizām al-Mulks.99 Doch die Tradition will, dass er es war, der den Unterricht in arabischen und islamischen Studien in einem dafür bestimmten Gebäude unterbrachte, das verbindliche Curriculum festlegte und, sehr wichtig, der Schule eine solide finanzielle Basis verschaffte. Nizām al-Mulks erste Schule, die 1065 bis 1067 gegründete und nach ihm benannte Nizāmiyya in Bagdad, bot den Schülern Kost und Logis und Unterricht im Koran und den heidnischen Klassikern – der vorislamischen Dichtung – als Grundlage allen Wissens.100 An der Nizāmiyya wurde auch Rechtswissenschaft nach der sunnitischen Schule des al-Schāfiʿī gelehrt; spätere Medresen boten häufig Unterricht in allen vier sunnitischen Hauptschulen und anderen Fächern an, manchmal auch im Sufismus.101 Das Gebäude der Medrese umfasste immer einen Gebetsort und häufig das Grabmal ihres Gründers. Die Finanzierung wurde bald zum perfekten Vehikel für augenfällige Wohltätigkeit. Die Erbauer der Medresen in den mittleren Jahrhunderten des Islam
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waren die Vorläufer der Balliols, Yales und Wafic Saïds unserer Zeit (manche Aspekte des europäischen Universitätssystem sollen sogar bewusst von den Medresen kopiert worden sein).102 Für die weltlichen Herrscher war der Bau einer Medrese auch eine ideale Methode, die eigene Seele zu retten, eine Art spirituelle Geldwäsche. So sagte ein Dichter in Kairo vor dem Grabmal eines Mitglieds der Ayyubiden-Dynastie Saladins in der Medrese, die dieser errichtet hatte, augenzwinkernd: Du hast schöne Schulen gebaut, um die Gelehrsamkeit zu bewahren; Vielleicht hast du dich selbst, wenn die Stunde kommt, vor der Verdammnis bewahrt.103 Medresen erwiesen sich neben Moscheen als die beständigsten Baudenkmäler der arabisch-islamischen Welt. Vom abbasidischen Bagdad beispielsweise, in seiner Glanzzeit das Zentrum der Alten Welt, ist oberirdisch nur wenig übrig geblieben. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Mustansiriyya-Medrese, die von einem Kalifen aus dem frühen 13. Jahrhundert in der Tradition der Nizāmiyya gebaut wurde. Sie wurde oft restauriert, ist aber immer noch vorhanden und trotz acht Jahrhunderten zeitweise allzu bewegter Geschichte kann man, an einem neuen Standort, immer noch an der Mustansiriyya-Universität studieren. Bedeutsamer ist vielleicht, dass das Curriculum der Medrese bis heute Bestand hat. Traditionelle Rechtswissenschaft wird immer noch nach den Prinzipien der alten Medresen gelehrt. Was die qawāʿid anbelangt, die „Grundlagen“ oder die Grammatik des Hocharabischen, das Fundament der einzig wirklichen Einheit der arabischen Welt, so heißt es: „Dem Universitätsstudierenden unserer Zeit wird im Wesentlichen der gleiche Kurs in arabischer Grammatik angeboten wie dem Studenten einer spätabbasidischen Medrese.“104 Man sollte nicht vergessen, dass diese große und beständige Tradition von einem Iraner begründet und von einem Türken finanziert wurde. Vielleicht ist dies das größte Vermächtnis des Nizām al-Mulk: dass die Medresen so viel dazu beigetragen haben, die kulturelle Einheit und Kontinuität des alten arabischen Reiches zu bewahren,105 das zu jener Zeit so augenfällig auseinanderfiel und in einem grundlegenden Wandel begriffen war. Doch Medresen waren nicht nur Rettungsanker, sondern auch ein Hemmnis: Ihre Ausrichtung auf die vorislamischen Klassiker perpetuierte das alte beduinische Erbe, das zur arabischen Identität geworden war. Und auch durch einen weiteren Aspekt nährten sie die Uneinigkeit. Vom Prinzip her waren Medresen prosunnitisch und antischiitisch,106 und in ihren Unterrichtsräumen sollte sich diese Dichotomie genauso verhärten wie auf dem Schlachtfeld.
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Ein arabischer Nachsommer Ihr Imperium hatte Araber also auf einen west-östlichen, Maghreb-MaschrikSchauplatz der Ereignisse geführt. Aber Ibn Chaldūn sah die arabische Herrschaft bloß als eine Phase in einer längeren Geschichte. Vom 7. Jahrhundert bis zu seinem eigenen 14. Jahrhundert ließ sich die Zeit auch auf einer anderen Achse messen, in großen, von Nord nach Süd schwingenden Pendelbewegungen zwischen Arabern und Türken, erstere in den südlichen Ländern, letztere im Norden. Im Laufe der Zeit wechselten sie sich in der Herrschaft über die Welt ab, so dass eine Zeit lang die Araber die Kontrolle hatten und die Nichtaraber in den äußersten Norden verdrängten, während zu einer anderen Zeit die Araber selbst von Türken und anderen Nichtarabern an die Enden des Südens verdrängt wurden.107 Als Ibn Chaldūn dies schrieb, steckte das Osmanische Reich noch in den Kinderschuhen: Er konnte nicht wissen, dass das Pendel auf der türkischen Seite stehenbleiben würde. Doch schon die frühesten Phasen türkischer Dominanz, fast 500 Jahre zuvor, boten ein weitaus komplexeres Bild: nicht nur eine große imperiale Pendelbewegung, sondern auch lokale Machtschwingungen. Bei einigen davon behielten Araber ihre alte Vorherrschaft. Eine Familie, bei der dies der Fall war, war die der Hamdaniden, die für den größten Teil des 10. Jahrhunderts im Nordirak und in Nordsyrien sehr bedeutend war. Sie führte ihre Abstammung auf den Nomadenstamm der Taghlib zurück, eine der Parteien im vierzigjährigen Konflikt von al-Basūs, dem trojanischen Krieg des alten Arabiens. Gruppen von Taghlib, unter ihnen auch die Vorfahren der Hamdaniden, waren lange vor dem Islam nach Nordirak ausgewandert. In jüngerer Zeit hatte die Familie eine schiitische Färbung angenommen – nicht, dass es einen großen Unterschied machte: al-Muttaqī beispielsweise, der Bruder und Nachfolger des Kalifen al-Rādī, Galionsfigur des Sunnismus, bot ihr die Macht an, um seine türkischen Beschützer beziehungsweise Belagerer loszuwerden.108 Umgekehrt waren es die Hamdaniden, die die erbittertsten Kämpfe gegen die schiitischen Buwaihiden austrugen. Die Hamdaniden pflegten das alte arabische Brauchtum, Raubzug und Dichtung. Von ihrem berühmtesten Anführer, Saif al-Daula, „Schwert des Staates“, hieß es, er wurde mit seiner Wange auf einem Backstein beerdigt, der aus dem Staub gefertigt war, den man nach seinen vielen Überfällen auf byzantinisches Gebiet aus seinen Kleidern geklopft hatte.109 Und wie die alten heidnischen Krieger konnte er ebenso gut mit Worten umgehen wie mit Schwertern. Seine
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Dichtungen zeigten jedoch eine weichere Seite an ihm, denn er verglich einen Regenbogen mit den Schleppen eines schönen Mädchens, einem bunten vielschichtigen Zug.110 Wie dieses elegante Bild andeutet, waren die Hamdaniden genauso sehr ein Produkt des urbanen abbasidischen Zeitalters wie ihrer Vergangenheit in Kamelhaarzelten: Sie waren Poeten und Plünderer. Als Mäzene kosmopolitischer Gelehrter umgarnten sie Männer wie al-Fārābī, einen ungemein talentierten Türken aus dem entfernten Tienschan-Gebirge, der bei christlichen Aristotelikern in Bagdad studiert hatte und über Philosophie und Musik schrieb. Saif al-Daulas Hof in Aleppo wurde zum Treffpunkt von Schriftstellern, zur Arena von Dichtern. Man sagt, dass nach dem Kalifen kein anderer Herrscher so viele Dichterfürsten und literarische Berühmheiten des Zeitalters versammelte.111 Vor allem aber förderte Saif al-Daula den noch heute wohl berühmtesten arabischen Dichter der islamischen Zeit, al-Mutanabbī. Die Großzügigkeit des Herrschers entsprach des Dichters Liebe zum Geld, vorzugsweise in Mengen, die so groß waren, dass sie gewogen, nicht gezählt wurden. Ein Besucher erinnert, dass er al-Mutanabbī sah mit einer großen Menge Bargeld, einem Geschenk von Saif al-Daula. Die Münzen waren auf einer von ihm ausgebreiteten Matte aus Palmenfasern ausgeschüttet. Sie wurden gewogen und zurück in den Sack gelegt. Eine Münze jedoch, die kleinste des Schatzes, war in einem kleinen Loch in der Matte stecken geblieben und der Dichter widmete sich der Aufgabe, sie wieder herauszupulen, mit so viel Hingabe, dass er seine Gäste völlig vergaß.112 Vor diesem Hintergrund überrascht es also nicht, dass neidische Rivalen den Hof gegen ihn aufhetzten und er bei einem anderen Herrscher Zuflucht suchen musste. Wie wir sehen werden, hätten die arabischen Hamdaniden und der neue Schirmherr nicht unterschiedlicher sein können – und dennoch war er typisch für das Kulturreich, das Araber begründet hatten.
Eine persische Purdah Während die Autorität im Zentrum ausgehöhlt wurde, schwand die Macht an den Rändern mit beängstigender Schnelligkeit. Im äußersten Osten war die arabische Stellung immer schon unsicher gewesen. Wie wir gesehen haben, gingen
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die Nachfahren der arabischen Stämme, die sich in Chorasan niedergelassen hatten, bald in ihrer Umgebung auf und nahmen die persische Sprache an.113 In Buchara, jenseits des Oxus, hatten sich die arabischen Invasoren gezwungen gesehen, die örtlichen Herrscher im Amt zu belassen. Bevor der Islam dort Fuß fasste, hatten sie sogar damit experimentiert, den Einheimischen zwei Dirham pro Person zu zahlen, damit sie zum Freitagsgebet gingen, und ihnen erlaubt, eine persische Fassung des Koran zu verwenden.114 Arabisch setzte sich als Sprache für das Gebet und den Schriftverkehr bald überall durch. Doch für die mündliche Kommunikation bedienten sich die meisten Menschen in den alten persischen Gebieten östlich vom Irak weiterhin iranischer Sprachen. Die iranische Unzufriedenheit hatte schon früh in der SchuʿūbiyyaBewegung und auf Arabisch eine breite literarische Stimme gefunden. Eher später bildeten sich unabhängige Staaten. Besonders erfolgreich war der Staat der Saffariden in Sistan, einem Gebiet an der heutigen Grenze zwischen dem Iran und Afghanistan. Etwa zur Zeit der Ermordung al-Mutawakkils durch die türkische Leibgarde im Jahr 861 – jenem schicksalshaften Wendepunkt der arabischen Geschichte – ernannte Yaʿqūb ibn al-Laith al-Saffār sich selbst zum Gouverneur von Sistan. Bagdad war nicht mehr in der Lage, Einspruch zu erheben, als das Gouverneursamt innerhalb Yaʿqūbs Familie erblich wurde. Ihre während der folgenden anderthalb Jahrhunderte weiterhin dem Kalifen gegenüber bekundete Loyalität war aber nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis, denn sie führten keine Steuern mehr an ihn ab. Yaʿqūb schickte dem Kalifen al-Muʿtazz immerhin eine mobile Moschee zur Selbstmontage aus Silber, groß genug für 15 Gläubige.115 Es war vielleicht ein Geschenk mit symbolischem Unterton – als wäre der Islam auf Reisen gegangen und mit einem Wertzuwachs zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt. Die Bedeutung einer anderen Tat Yaʿqūbs war hingegen glasklar: Er führte eine Armee in das Herz des Kalifengebiets und beanspruchte die Herrschaft über ganz Persien und den Irak.116 Der Anspruch ging über einen Überfall nie hinaus, doch die Tatsache, dass Yaʿqūbs Drohung genau zu dem Zeitpunkt erfolgte, als die Zandsch-Sklaven den Süden des Irak verwüsteten, zeigt, dass die abbasidische „Rundstadt“ von Bagdad sich von einem Bollwerk in eine Zielscheibe verwandelt hatte, in deren Mittelpunkt – sozusagen als Volltreffer – der Kalif stand. Dass Bagdad schließlich von den Buwaihiden erobert wurde und seinen Status als wichtigste Stadt an das persische Schiras verlor, war ein weiteres Symptom des iranischen Wiederaufstiegs. Mit der anschließenden Persianisierung der „Weltherrscher“, der langlebigen Seldschuken, entglitt der gesamte Ostflügel des Reiches nicht nur der arabischen Kontrolle, sondern verlor auch auf lange Sicht die arabische Kultur. Geistliche und andere Gelehrte beherrschten
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selbstverständlich weiterhin fließend die arabische Sakralsprache: Das stellten die neuen Medresen sicher. Auch wurde das Neupersisch stark von der arabischen Sprache beeinflusst und entwickelte sich zu einem bunten Sprachteppich, durchsetzt mit arabischen Wörtern. Doch die Ausrichtung, das Fundament, der Kultur war iranisch. Vom Kaspischen Meer bis zum Golf senkte sich ein kultureller Vorhang, eine persische Purdah. Dahinter erblühten dann die Dichter Firdausī, Saʿdi, Hafis und die ganze persische Zukunft bis hin zum safawidischen Iran, dem Indien der Moguln und zu Ayatollah Chomeini. Im Westen bestand das Arabertum fort und erstarkte sogar. Politische Einheit brachte das aber nicht mit sich. Ganz im Gegenteil.
Die Alchemie des Arabertums Der Verfall der arabischen Herrschaft beschleunigte sich durch die Verflechtungen des Imperiums. Selbst in Ägypten waren es die lästigen mobilen Türken aus dem fernsten Zentralasien, die als Erste die Souveränität Bagdads infrage stellten: Im Jahr 868, als die Saffariden ihre eigene Macht im Osten konsolidierten und die Wut der Zandsch im Südirak überzukochen drohte, erklärte der Statthalter von Ägypten seine Unabhängigkeit vom Kalifen.117 Ahmed ibn Tulūns Vater war ein Militärsklave aus Ferghana im Dienst des Kalifen alMaʾmūn gewesen. Wieder einmal brachte die Auslagerung der Sicherheitsaufgaben mit sich, dass Sklaven und Freigelassene die Macht über Araber erhielten. Schlimmer noch, innerhalb von wenigen Jahrzehnten überrannten tulunidische Kräfte Syrien und stießen auf irakischen Boden mit dem Kalifen zusammen.118 Mit den iranischen Saffariden aus dem Osten, den türkischen Tuluniden aus dem Westen, den ostafrikanischen Zandsch im Süden und den leidigen Leibgarden in der Mitte gereichte es den Abbasiden nicht mehr zum Vorteil, dass sie – wie der Tang-Kaiser betont hatte – „mittendrin“ waren.119 Die Minidynastie der Tuluniden währte aber nicht lange und der Kalif konnte sich vorübergehend wieder in Ägypten und Syrien behaupten.120 Doch im Jahr 935 sorgte das weit entfernte Ferghana ein zweites Mal für unabhängige Herrscher in Ägypten, als ein anderer Gouverneur aus den Steuerverpflichtungen und der Staatstreue ausbrach: Wie die Tuluniden übernahmen die Ichschididen neben Ägypten auch Syrien und fügten ihrem Herrschaftsgebiet sogar Teile von Westarabien hinzu. Letzten Endes waren sie eine Mikrodynastie – und ein Mikrokosmos der Geschichte insgesamt, denn sie wurden von ihrem eigenen Kuckucksei, Kāfūr, verdrängt. Der schwarze Eunuch und Sklave Abū al-Misk Kāfūr („Vater des Moschus Kampfer“) war über 20 Jahre lang die treibende Kraft hinter dem ichschididischen Thron und für die Dauer von zwei Jahren, von 966 bis 968, der alleinige
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Herrscher. Dass er im arabischen Kapitel der langen Geschichte Ägyptens überhaupt eine bedeutende Rolle spielt, liegt vor allem an der Dichtung, im Besonderen an einer Reihe von Oden von al-Mutanabbī, dem wir zuletzt begegneten, als er auf der Flucht vor seinem alten Schirmherrn in Aleppo war. Kāfūr – unlogischerweise ein gebräuchlicher Name für schwarze Sklaven, da Kampfer so weiß ist121 – schien als neuer Schirmherr eine eher ungewöhnliche Wahl. Er war für läppische 18 Dinar gekauft worden,122 aber schnell im ichschidischen Herrscherhaushalt aufgestiegen; als die Ichschididen die Kontrolle über Ägypten übernahmen, zeigte sich sein wahrer Wert. Passend für jemanden, dessen Name seine Farbe von Schwarz in Weiß verwandelte, war ihm die Macht der Meinungsmache wohl bekannt und er scheute keine Kosten, sie einzusetzen. Als ein Erdbeben Ägypten erschütterte und ein cleverer Versemacher deklamierte: Nicht ein Übel darinnen brachte Ägypten zum Beben. Nein, aus Beglückung ob des Herrschers sie zu tanzen anheben …123 zahlte Kāfūr ihm dafür 1000 Dinar. Vermutlich war es das Glitzern dieses Goldes, das al-Mutanabbī an den Nil zog und ihn eine Reihe von Oden zur Lobpreisung von Kāfūr verfassen ließ. Poetische Primadonna, die er war, verkrachte sich al-Mutanabbī jedoch schon bald mit seinem neuen Mäzen, wie er sich auch mit Saif al-Daula entzweit hatte. Im letzten Augenblick wechselte er von Lob zu Spott, nachdem er heimlich bereits seine Flucht geplant hatte. Das letzte, was er Kāfūr hinterherwarf, war: So istʼs, selbst weißen Helden fällt Gutes tun schwer, Wie könntʼ man Edelmut im schwarzen Eunuchen bilden?124 Die Zerstückelung des Reiches bedeutete vielleicht den Tod der einheitlichen arabischen Herrschaft, aber sie schenkte der arabischen Kultur neues Leben: mehr Mäzene, mehr Wanderpoeten wie al-Mutanabbī und mehr fahrende Gelehrte wie al-Fārābī. Der Kraft und Beweglichkeit dieser Kultur – bestens verkörpert in al-Mutanabbīs kraftvollen Sprache und der Behändigkeit, mit der er von Hof zu Hof und von Lob zu Spott wechselte – verdanken wir es, dass wir Kāfūr und viele andere unter einem arabischen Blickwinkel in Erinnerung bewahren. Man könnte argumentieren, es sei auch der Islam gewesen, der diese so verschiedenen Menschen, diese Poeten und Prinzen, Gelehrten und Sultane verschiedener Herkunft, vereinte. Theoretisch stimmt das. In der Praxis aber hatte der Islam eine ebenso entzweiende wie vereinende Wirkung. Eine seiner
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wichtigsten Funktionen war jedoch die Bewahrung und die Weitergabe der arabischen Sprache und Kultur. Das ist der Triumph der Araber: ihr Imperium ging verloren, doch ihre Kultur gewann schlussendlich. Ägypten ist ein glänzendes Beispiel für diesen Sieg, ein Schmelztiegel der Arabisierung, der eine außergewöhnliche Vielfalt vereint hat. Die Tuluniden und Ichschididen aus dem heutigen Dreiländereck Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan, und Kāfūr aus dem subsaharischen Afrika waren nicht die einzigen fremden Herrscher Ägyptens, die in die arabische Geschichte eingingen. Die Alchemie wirkte auch bei späteren Neuankömmlingen: Fatimiden (eher zweifelhafte Araber, wie wir sehen werden), kurdischen Ayyubiden, Kiptschaken und anderen Mamluken, Osmanen vom Balkan. Noch im 19. Jahrhundert erklärte der Sohn des albanischen Vizekönigs Mohammed Ali Pascha: „Die Sonne Ägyptens hat mein Blut verwandelt und ganz und gar arabisch werden lassen.“125 Als Araber nach der Revolution von 1952 Ägypten wieder selbst regieren durften, war das Arabischsein komplizierter denn je, ein vielschichtiger Tell, ein Siedlungshügel, oder ein Troja der Identität. Unbeirrt von dieser Komplexität propagierte Nasser, der große Entertainer, Ägypten als das Kernland von ʿurūba, Arabertum. In gewisser Hinsicht hatte er Recht: Ägypten war der tausendjährige Schmelztiegel, ein pharaonisch-ptolemäisch-hellenistisch-römisch-byzantinisch-koptischer Kessel mit Zutaten, die aus dem gesamten Mittelmeergebiet, dem nördlichen Fruchtbaren Halbmond und Schwarzafrika stammten. Aber während der 1000 Jahre vor Nasser war die vorherrschende Geschmacksrichtung eindeutig Arabisch gewesen. Als Kāfūrs Herrschaft endete und eine neue Macht Ägypten im Sturm eroberte – zur Abwechslung kam sie diesmal aus dem Westen – schien das zweifelhafte Arabertum der Neuankömmlinge also keine große Sache.
Blutlinien und Flutlinien An den sprichwörtlichen Eiern hatte es Kāfūr nicht gemangelt: Unter den vielen Bedrohungen, die er erfolgreich abgewehrt hatte, waren die Fatimiden, eine ismailitische Dynastie, die sich seit einigen Jahrzehnten in Tunesien etabliert hatte. Seine Unerschütterlichkeit hatte Kāfūr bei ihren Mittelmännern in Ägypten den ironischen Beinamen „Schwarzer Stein“ beschert.126 Ihre extremistischen schiitischen Kollegen, die Qarmaten, hatten kurz zuvor den echten Schwarzen Stein aus Mekka entwendet. Um Kāfūr loszuwerden, mussten sich die Fatimiden hingegen noch bis zu seinem Tod im Jahr 968 gedulden. Diese Nachricht war das Signal für den Oberbefehlshaber der Fatimiden, auf Ägypten vorzurücken. Als Freigelassener von vermutlich osteuropäischer, möglicherweise sizilianischer Abstammung mit dem Namen Dschauhar, „Juwel“, stand er
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in einer langen Reihe von Fremden, denen die Fatimiden, wie die Abbasiden, die Verteidigung und die Verwaltung übertragen hatten. Dass ihre neue Stadt Kairo, im Jahr 969 von Dschauhar gegründet und während 800 Jahren ihrer tausendjährigen Geschichte von Fremden – Kurden, Türken und Albanern – regiert, Bagdad als Metropole des Arabertums nachfolgte, ist ein weiterer Beleg für die Alchemie der arabischen Kultur: sie absorbiert und verwandelt. Was die Fatimiden anbelangt, wird sogar das angestammte Arabertum ihrer Vorfahren angezweifelt. Ihr dynastischer Name verrät zwar, dass sie nicht bloß Araber, sondern sogar Quraischiten und, durch die Ehe von Mohammeds Tochter Fatima mit seinem Cousin ersten Grades Ali, Nachfahren des Propheten sind. Nur wenige Außenstehende nahmen diesen Stammbaum jedoch ernst. Die Kritiker wussten nur zu genau, dass Arabertum und im Besonderen die Mitgliedschaft im Stamm der Quraisch ein weiteres hilfreiches Täuschungsmanöver war: Wie auch die Zugehörigkeit zu einer religiösen Strömung konnte es ein nützliches Mittel sein, um an die Macht zu gelangen. Bestehende Machthaber gaben sich selbstverständlich alle Mühe, die Rivalen aus dem Weg zu räumen, indem sie deren angebliche Abstammung anzweifelten. Das mag auch den Fatimiden passiert sein. Es ging das Gerücht, dass ihr Vorfahre nicht nur Perser, sondern obendrein einer aus al-Ahwaz gewesen war – dem ʿadschamGebiet, das Arabien am nächsten lag. Diese Nähe hatte die herablassende Haltung der Araber im Grunde noch gesteigert. Eine andere Version behauptete, der Gründer der Dynastie der Fatimiden, Ubaid Allah, sei in Wirklichkeit nur der Stiefsohn seines angeblichen Vaters gewesen und sein richtiger Vater ein Jude.127 Es gibt auch eine Anekdote, die, wenn sie stimmt, andeutet, dass die Fatimiden selbst etwas empfindlich auf dieses Thema reagierten. Bei seiner Ankunft im neu gegründeten Kairo – al-Qāhira, „der Siegreichen“ – kamen dem Fatimidenherrscher al-Muʿizz schon bald die Gerüchte über seinen Stammbaum zu Ohren: Als er sicher in der Zitadelle untergebracht worden war, berief er eine Versammlung … Er zog sein Schwert halb aus der Scheide und sagte: „Dies ist mein Stammbaum.“ Dann streute er große Mengen Gold unter die Leute und sagte: „Und dies ist die Niederschrift meiner edlen Taten.“ Und alle riefen aus: „Wir hören und gehorchen!“128 Zugegebenermaßen könnte es sich bei der Geschichte auch um ein Stück Propaganda handeln. Der einzige Weg, den Namen der Fatimiden reinzuwaschen – oder ihn vielleicht für immer zu vernichten –, wäre letztendlich die Entdeckung irgendeines verloren geglaubten fatimidischen Grabs (es ist keines bekannt)
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mit genetischem Material, das dann mit den Genen der (vorgeblich) unbestrittenen Nachfahren der Aliden und Fatimiden verglichen wird. Doch wer würde sich trauen, diese Büchse der DNA zu öffnen? Einmal in Kairo etabliert, waren den Fatimiden Schwert und Gold, Macht und Bargeld wichtiger als ihr Name. Die Macht, eine gehorsame Bevölkerung und, auch nicht ganz unwichtig, der Reichtum und Handel Ägyptens ermöglichten es ihnen, sich als Rivalen der unglücklichen, von Türken beherrschten Abbasiden zu positionieren. Sie traten in vollem Kalifen-Ornat auf, komplett mit edelsteinbesetztem Turban;129 den Titel des Kalifen hatten sie schon während Ubaid Allahs Zeit in Tunesien angenommen. Da sich ein weiterer Amtsprätendent – in Reaktion auf Ubaid Allahs Annahme des Titels – im äußerst westlichen Flügel des Reiches breitgemacht hatte, gab es nun drei Kalifen gleichzeitig. Eine Weile sah es so aus, als seien die Fatimiden die bei Weitem Aktivsten von allen; sobald sie sich jedoch das bequeme, pulsierende Ägypten gesichert hatten, geriet die fatimidische Vorwärtsstrategie ins Stocken. Sie degenerierten zu einer Dynastie von Dilettanten, die sich abwechselnd mit Büchern, Edelsteinen, Alkohol, Renntauben, bizarren alternativen Heilmethoden, unorthodoxen Sexpraktiken und regelrechtem Sadismus amüsierten.130 Das Regierungsgeschäft überließen sie einer Reihe von Wesiren unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Obwohl selbst ismailitische Schiiten, griffen sie in Konfessionsfragen selten durch und ließen die sunnitische Mehrheit in Ruhe. Diese lässige Haltung erstreckte sich auch auf andere Religionen: So war einer ihrer Wesire ein Armenier, der, obwohl Christ, in seiner Funktion als Oberbefehlshaber den Titel Saif al-Islam, „das Schwert des Islam“, trug.131 Trotz der Zweifel an ihren Vorfahren leisteten die Fatimiden einen nachhaltigen Beitrag zur arabischsprachigen Zivilisation. Nicht nur gründeten sie Kairo, das noch heute Umm al-Dunyā, die arabische „Mutter der Welt“, genannt wird, auch wenn sie inzwischen eine etwas ungepflegte Dame ist. Sie gründeten auch die große Moschee und Lehranstalt, al-Azhar, die im priesterlosen sunnitischen Islam dem Vatikan heutzutage noch am nächsten kommt. Doch ihr wichtigster Beitrag zur Zukunft der arabischen Welt war ungeplant. Unter ihren weniger gehorsamen Untertanen befand sich ein riesiger, halbnomadischer und ungehobelter arabischer Stamm, Banū Hilāl. Lange zuvor hatten sie Nadschd in Zentralarabien unsicher gemacht, doch irgendwann im 8. Jahrhundert waren sie nach Ägypten gezogen. Den Fatimiden galten sie bald als Störenfriede, als sie die Qarmaten, jene mobilen und lästigen Schismatiker, unterstützten. Wegen ständiger Unruhen wurden die Banū Hilāl zunächst nach Oberägypten umgesiedelt, im 11. Jahrhundert in noch weiter westlich gelegene Gebiete verbannt.132 Durch die erzwungene Migration dieses und eines weiteren
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widerspenstigen Stammes, der Banū Sulaim, erfolgte die späte, aber weitreichende Arabisierung von Nordafrika, das bis dahin außerhalb der von Arabern gegründeten Ortschaften in Sprache und Kultur fast gänzlich berberisch geblieben war.133 Ibn Chaldūn drückte es so aus: „Die Araber waren den Berbern zahlenmäßig überlegen, überwältigten sie und beraubten sie des Großteils ihres Landes.“134 „Zahlenmäßig überlegen“ ist übertrieben: Selbst wenn, wie zeitgenössische Quellen behaupten, die arabischen Massenwanderungen eine (höchst unwahrscheinliche) Million betrugen135 – die spärlicheren Wanderungen frühislamischer Zeit eingeschlossen –, waren die Berber immer noch locker in der Überzahl. Aber sie überwältigten die Region sehr wohl, sowohl militärisch als auch sprachlich, in einer langsamen, aber unaufhaltsamen Welle, die einige Jahrhunderte brauchte, um in den äußersten Westen Algeriens zu rollen. Die Berbersprachen überlebten nur in den Hochlandgebieten, die für Araber und Arabisch unerreichbar blieben.136 Das alles stand in einem großen Kontrast zur Sturmflut der Eroberungen im 7. Jahrhundert und ähnelte viel stärker der schleichenden Arabisierung des Südens der Arabischen Halbinsel, die in den Jahrhunderten vor dem Islam stattgefunden hatte. Doch in allen drei Fällen erwies sich die arabische Sprache als ebenso durchschlagend wie die arabischen Waffen. Wenn das Prinzip vom Überleben des Stärksten sich auf Sprachen übertragen lässt, dann gehört die arabische Sprache zu den stärksten: Sie fügte ihren Eroberungen die ganze stumpfe Seite eines Kontinents hinzu. Mit der Ankunft der Banū Hilāl, Banū Sulaim und anderer Gruppierungen wurde das alte sesshafte Leben Nordafrikas nachhaltig gestört. Ibn Chaldūn merkt an: Vorher war die ganze Gegend zwischen dem Sudan und dem Mittelmeer besiedelt, wie man aus den Überresten der dortigen Kultur ersehen kann, zum Beispiel aus Denkmälern, Bauskulpturen und den sichtbaren Überresten von Ortschaften und Dörfern. Mit der Ankunft von arabischen Nomaden wurde die Region jedoch „entvölkert und zerstört“.137 Das Urteil Ibn Chaldūns ist hart. Andere Faktoren wie Klimawandel hatten die Region ebenfalls beeinträchtigt. Dennoch gibt es keinen Zweifel daran, dass die Neuankömmlinge zusammen mit ihrer Sprache auch den alten Fluch der Raubzüge mitbrachten. Er sollte die Region über Jahrhunderte heimsuchen. Der marokkanische Pilger al-Abdarī aus dem späten 13. Jahrhundert klagte zum Beispiel, dass „der Reisende, ab dem Zeitpunkt, an dem er marokkanischen Boden verlässt, bis er in Alexandrien ankommt,
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ständig dem Tod durch die Hand von Übeltätern ins Auge blickte“.138 Diese Übeltäter waren arabische Stammesräuber. Da das Mittelmeer genauso bösartig war – bei seiner Erschaffung hatte es angeblich gedroht, gottesfürchtige Reisende zu ertränken und wurde deshalb von Allah verflucht139 – standen diejenigen, die zwischen dem fernen Westen und den zentralen arabischen Ländern reisten, vor der Qual der Wahl: zwischen den badw und dem tiefen blauen Meer. Ibn Chaldūn selbst vertraute seine Familie dem Meer an, als sie aus dem Westen zu ihm nach Kairo reisen wollte: Das Schiff ging unter und seine Frau und fünf Töchter ertranken.140 Die westwärts gerichtete Migrationswelle rollte weiter. Ein anderer großer Nomadenstamm, al-Maʾqīl, zog ebenfalls früh durch Ägypten und folgte den Stämmen der Hilāl und Sulaim. Doch die Maʾqīl wollten weiter: Ab dem 15. Jahrhundert begannen sie, nach Mauretanien einzusickern und das Gebiet bald zu dominieren. Die arabische Migration erreichte den äußersten Rand der Alten Welt, als Europäer in See stachen und in die Neue Welt zu gelangen suchten – ein weiterer imperialer Staffelstab, der weitergereicht wurde. Diese letzte Verschiebung der Grenzen der arabischen Welt vervollständigt einen historischen Bogen und eine geografische Flugbahn. Al-Maʾqīl, deren Nachfahren in Mauretanien als Hassanīs bekannt sind, führen ihren Stammbaum auf die große arabische Gruppe namens Madhhidsch zurück141 – jenen alten umherziehenden Stamm, wohlbekannt sowohl aus den südarabischen Inschriften als auch aus dem bedeutenden Epigraf von al-Namāra. Und für mich schließt sich mit ihrem gesprochenen Arabisch ein sprachlicher Kreis: Die städtische Mundart von Marokko ist für mich nur mühsam zu verstehen; im Hassanī-Dialekt von Mauretanien jedoch, durchsetzt von Berbersprachen und Wolof, höre ich die Rhythmen und Klangfarben Arabiens, und merke, dass ich verstehe. Doch zu der Zeit, als die Hidschra, die „Auswanderung“ der al-Maʾqīl in den äußersten Westen stattfand, waren die Tage der großen Stammeswanderungen bereits vorüber. Eine andere Art von Mobilität war an ihre Stelle getreten – eine, die während Jahrhunderten arabischer Innenschau helfen würde, die Kulturnation aufrechtzuerhalten und sie in neue und überraschende Richtungen weiterzuentwickeln: die Mobilität von Kaufleuten und Missionaren. Aber es gab noch ein weiteres Land im Westen, eine weitere „Insel“, auf der die arabische Kultur blühte.
Der Falke und der Pfau Wenn auch die arabische quraischitische-Herkunft der Fatimiden in Frage gestellt wurde, so gab es keinen Zweifel an der Herkunft ihrer Rivalen im äußersten Westen. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts erhielt der dritte der
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drei Kalifen, der über Córdoba und den Großteil der Iberischen Halbinsel herrschte, einen Brief von seinem fatimidischen Rivalen in Kairo. Es war ein höchst undiplomatischer Brief, bösartig und verächtlich. Der Kalif von Córdoba schrieb in seiner Replik kein Wort zu viel: „Mein Herr: Ihr wisst, wer wir sind und habt uns verspottet. Wenn wir wüssten, wer Ihr seid, hätten wir in gleicher Weise geantwortet. Seid gegrüßt.“142 Das bissige Arabisch ist nur halb so lang wie die Übersetzung. Vielleicht wäre eine treffendere Übersetzung also ein naserümpfendes „Und Sie sind …?“ Zugegeben, wenn irgendjemand im westlichen Teil der arabischen Welt zu Recht die Nase rümpfen konnte, dann war es der Umayyadenkalif von Córdoba. Etwa 250 Jahre zuvor waren nahezu alle seine Vorfahren von den Abbasiden liquidiert worden. Ein junger Überlebender jedoch – Abd al-Rahmān, Enkel des syrischen Umayyadenkalifen Hischām, der so versessen war auf Seide und Moschus – entkam und floh an den Rand des Reiches nach Spanien. Sein Mut und seine weite Flucht brachten ihm sogar die Bewunderung seiner Feinde ein: al-Mansūr, der zweite Abbasidenkalif, nannte den jungen Prinzen den „Falken der Quraisch“. Über fast zwei Jahrhunderte waren die Nachkommen des Falken damit beschäftigt, ihr westliches Herrschaftsgebiet zu vergrößern. In den 920er-Jahren jedoch begann der Staat der Fatimiden, der weiterhin seine Basis in Tunesien hatte, Spanien zu drohen: Als Reaktion darauf und aus Verärgerung über den anmaßenden Gebrauch des Kalifentitels durch die Fatimiden, meldete Abd al-Rahmān III. aus der Umayyadenlinie von Córdoba im Jahr 929 selbst Ansprüche auf das heilige Amt an.143 Das bedeutete, dass es nun drei konkurrierende Kalifate gab – und eine semantische Laune will es so, dass der arabische Plural, chilāfāt, „Kalifate“, auch „Kontroversen“ bedeutet. Aus der Perspektive Bagdads, das sich immer noch als den Mittelpunkt des Reiches betrachtete, war al-Andalus der hinterletzte Winkel. Zudem gab es die alte Vorstellung, dass die Karte der bewohnten Welt „die Form eines Vogels habe, bei dem die östlichen Länder den Kopf, Süden und Norden die Flügel und die Gebiete dazwischen den Körper bildeten, während der Westen der Schwanz war“. Araber aus dem Westen, die nach Osten reisten, ließ man nie vergessen, dass sie vom Hinterteil des Vogels kamen. Ein Opfer dieser Hänselei hatte jedoch eine beredte Antwort: „Schäm dich! Weißt du nicht, was für ein Vogel das ist, mit dem die Welt verglichen wird? Es ist ein Pfau, sein schönster Teil ist der Schwanz.“144 Er hatte recht: die Nachkommenschaft des Falken von Quraisch stellte die arabische Kultur stolz wie wie ein Pfau zur Schau. So wie Britisch-Kolumbien und andere Zipfel des Britischen Weltreichs ein Konzentrat des alten Vaterlands bewahren, wurde al-Andalus in mancher Hinsicht arabischer als Arabien. Das
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Arabischsein war echt: Im Gegensatz zum Großteil von Nordafrika zog das fruchtbare Spanien in den frühen, mobilen Jahrhunderten des Islam Araber an, und auf Tāriq ibn Ziyāds hauptsächlich mit Berbern ausgeführten Einfall145 folgte alsbald eine Welle arabischer Siedler.146 Die Verzeichnisse arabischer Werke zu al-Andalus strotzen nur so vor Namen von Stämmen und Völkern von der Halbinsel, die Spanien kolonisiert hatten, insbesondere aus dem Süden – Azd, al-Aus, al-Hārith, Himyar, al-Chazradsch, Chaulān, wenn man sich nur die ersten arabischen Buchstaben einer solchen Liste anschaut.147 Kanada zog schottische Siedler an, die arabische Neue Welt lockte Kolonisten vom „keltischen“ Rand des südlichen Arabiens. Anders als die Massenbewegungen der Banū Hilāl fand die arabische Wanderung nach Spanien meist in Schüben statt. Ibn Chaldūns eigene Familiengeschichte illustriert die Bewegungsmuster, die sich herausbildeten. Sein entfernter Vorfahre Wāʾil ibn Hudschr kam aus Hadramaut in Südarabien und war somit ein Nachfahre des legendären südlichen Stammvaters Qahtān. Mit den ersten Wanderungen des Islam verschlug es diesen Wāʾil in den Südirak, in die neue Stadt al-Kūfa. Von dort zog ein Nachfahre der siebten Generation nach Spanien, wo sich dessen Abkömmlinge wiederum einer Gemeinschaft anschlossen – zunächst in Carmona, dann im nahegelegenen Sevilla –, die ebenfalls, wenn auch entferntere, hadramitische Wurzeln hatte. Sie mischten in der Politik mit und überlebten als Staatsdiener mehrere Regimewechsel. Nach der christlichen Übernahme von Sevilla im Jahr 1248 zogen Ibn Chaldūns jüngere Vorfahren nach Nordafrika:148 ein Mikrokosmos arabischer Mobilität über sechs Jahrhunderte und drei Kontinente. Der wachsende Reichtum von al-Andalus zog auch die Arabisierten an. Einige von ihnen brachten die Samen der neuen abbasidischen persisch-arabischen Stadtkultur in den Westen, wie Ziryāb, „Goldwasser“, ein hipper persischer Lautenspieler und Musikerneuerer, der Mozart oder Prince des 9. Jahrhunderts, der vom Hof in Bagdad zum Hof in Córdoba wechselte. (Córdobas musikbegeisterter Herrscher Abd al-Rahmān II. schickte wiederum seine Orchesterleiterin, Qalam, „Schreibrohr“, eine Sklavin aus Navarra, zum Studium an die Musikhochschule nach Medina.)149 Der wachsende Glanz des neu ausgerufenen Kalifats im 10. Jahrhundert lockte noch weitere Kosmopoliten nach Spanien. Einer von ihnen war der berühmte Philologe al-Qālī, geboren in Armenien, ausgebildet in Bagdad und ausgestattet mit einer enzyklopädischen Kenntnis des Hocharabischen, wie es von allen Stämmen in der alten Heimat auf der Arabischen Halbinsel gesprochen wurde.150 Sein Wissen war stark nachgefragt: Das Interesse spanischer Araber an Land und Sprache ihrer Vorfahren war unersättlich und führte zu bemerkenswerten Buchveröffentlichungen und Buchkäufen. Der Kalif von Córdoba
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gab zum Beispiel Werke zur alten arabischen Geschichte und Genealogie beim Bagdader Gelehrten al-Isfahānī in Auftrag. Bücher und Bezahlungen wechselten hin und her über die 4500 Kilometer, die beide Hauptstädte trennten.151 Auch der wissenschaftliche Geschmack war kosmopolitisch: Wie früher al-Maʾmūn in Bagdad bestellte der zweite spanische Kalif al-Hakam Bücher aus Byzanz – unter anderem eine hübsche Kopie von Dioskuridesʼ berühmtem De materia medica.152 Agenten in Kairo, Bagdad, Damaskus und Alexandria versorgten ihn mit Kopien aller wertvollen Büchern, alten und neuen. Sein Palast quoll über von Büchern und glich einer Produktionsstätte, in der es von Kopisten, Buchbindern und Buchmalern nur so wimmelte.153 Al-Hakams Bibliothek soll am Ende 400 000 Bände umfasst haben154 – wenn die Zahl stimmt, ist sie erstaunlich: Die British Library beispielsweise erreichte diese Zahl erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Kalif war im Übrigen nicht der einzige Bücherfreund. In Córdoba, einer Stadt mit 113 000 Haushalten, soll es unzählige Buchläden und nicht weniger als 70 Bibliotheken gegeben haben.155 Dieser intellektuelle Hochsommer setzte sich auch nach dem Untergang des Kalifats von Córdoba fort, das ab etwa 1030 durch ein Puzzle muslimischer Kleinstaaten ersetzt wurde, die von einem eklektischen Haufen regiert wurden, den Taifa-Königen. Wie damals im Osten, befeuerte der Wettbewerb zwischen den rivalisierenden Herrschern das literarische Mäzenatentum noch.156 Anders als im Osten jedoch, wo nach einer kurzen Blüte unter al-Maʾmūn und seinen direkten Nachfolgern das freie Denken stark eingeschränkt wurde, herrschte in Spanien Wissenschaftsfreiheit. So gediehen im 11. Jahrhundert Rationalismus und Individualismus im Denken und Schreiben des Ibn Hazm, der überzeugt war, dass „jedes Individuum in der Lage ist, nach seinem jeweiligen Vermögen sein eigenes Urteil zu bilden“, und dass selbst das ungebildete „gemeine Volk“ nicht gehalten war, der anerkannten Autorität zu folgen.157 Im folgenden Jahrhundert untersuchte auch der revolutionäre Denker Ibn Ruschd die alte Dualität der Wahrheit – der Wahrheit des Glaubens und der Wahrheit der Vernunft – und akzeptierte deren einvernehmliche Koexistenz. Mit dem lateinisierten Namen Averroes gewann er im christlichen Europa Anhänger. Sein Denken blieb über Jahrhunderte und bis in die europäische Renaissance einflussreich.158 Die Geschichte der Araber in Spanien währte fast 800 Jahre, von den ersten Schritten des maulā-Generals Tāriq ibn Ziyād auf den nach ihm benannten Fels, Gibraltar, bis zum Verlust der letzten Festung in Granada. Diese Zeit war von einer tiefen Nostalgie für das alte Land, die Arabische Halbinsel, geprägt. Der Falke von Quraisch selbst soll sich einem anderen „Exilanten“ anvertraut haben – einer einsamen Dattelpalme in seinem spanischen Garten.
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O Palme, Du bist, wie ich, im Westen fremd, von deiner orientalischen Heimat weit entfernt. Du weinst, aber weinen tust du leise, denn Gott erschuf dich nicht auf meine Weise. Wenn du Vernunft besäßest, so würdest du weinen, um das Wasser des Euphrats und die Palmenhaine. Doch die großen Haine erinnerst du nicht, so wie für mich durch Feindschaft jeder Freund verblich.159 Die andalusische Nostalgie fand ihren Ausdruck in unzähligen Versen, die der Vergangenheit auf der Arabischen Halbinsel gedachten, und in der merkwürdigen Gattung von Briefen, die an Mohammed in seinem Grab in Medina gerichtet waren.160 Die tatsächlichen Wallfahrten von spanischen Muslimen nach Arabien brachten eine reichhaltige Reiseliteratur hervor. Doch nur wenige konnten die Reise überhaupt antreten, so dass iberische Araber unter einer chronischen Sehnsucht nach der Heiligkeit und den Traditionen jener anderen Halbinsel litten. War ihr Fleckchen Erde am Ende der Welt noch so herrlich, dahinter gab es in der einen Richtung nur die Länder der Franken und in der anderen Richtung den allumfassenden Ozean. Von der Gefahr und dem Unbekannten in Schach gehalten, blickten sie sehnsüchtig auf das Altbekannte und Altvertraute zurück. Die Kombination von Nostalgie und dem Gefühl, ein Außenposten zu sein, machte al-Andalus zu einer Bastion des Arabertums. Trotz der ethnischen und konfessionellen Mischung vor Ort war eine alchemistische Arabisierung am Werke, die sogar noch wirkmächtiger war als das ägyptische Äquivalent. In einer seltsamen Umkehrung von König Offas arabischsprachigen Münzprägungen161 trugen die ersten Goldstücke, die Muslime in Spanien fertigten, einen lateinischen Text: In Nomine Domini: Non Deus Nisi Deus Solus,162 „Im Namen des Herrn [Gottes]“ – das ist die arabische Anrufung bismillāh, gefolgt von der größten aller Botschaften, schwerfällig auf Latein und Deutsch, aber hypnotisierend auf Arabisch: lā ilāha illā llāh / Es gibt keinen Gott außer Allah. Mitte des 9. Jahrhunderts hatte sich das Blatt jedoch gewendet: Die Christen waren ganz und gar arabisiert – „berauscht“, wie einer von ihnen schrieb, „von der arabischen Beredsamkeit“163 – und studierten zusammen mit Muslimen in der prächtigen neuen Moschee von Córdoba.164 Bald konnten sie ihre eigene heilige Schrift nicht mehr auf Lateinisch lesen, und es musste eine arabische Bibel für die „mozarabische“ Bevölkerung hergestellt werden.165 Dieser Terminus, eine spanische Verballhornung von mustaʿrib, „arabisiert“, wurde für die
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alten arabisierten Völker der anderen Halbinsel, Arabien, verwendet.166 Die arabische Sprache eroberte und absorbierte weiterhin. Die arabische Unterwerfung Spaniens hat sich als dauerhaft erwiesen; zwar ist der Islam ausgerottet worden, die heilige Sprache des Islam lebt aber immer noch im Land und in der Sprache fort. Neben ungefähr 4000 zweifelsfrei arabischen Lehnwörtern im Spanischen167 hält sich wohl auch der Name des alten Stammesgottes der Quraisch in einem typisch spanischen Kontext. Wenn der Matador (vom spanischen matar, „töten“, möglicherweise wiederum vom arabischen māta, „sterben“) mit seinem Opfer tanzt und die Menge „Olé!“ ruft, höre ich jedenfalls das Echo eines anderen Wortes: Die Silben, die Intonierung und die Ehrfurcht, die mitschwingt, gleichen denen arabischer Fußballfans, die gebannt auf einen Topstürmer schauen und „Allah!“ ausrufen. Doch Er weiß es am besten, in der Etymologie wie in allem anderen.
Eine Zeitverschiebung Die arabische Identität blieb in Spanien und Ägypten stark, doch es war eine neue Art von Identität: städtisch, sprachlich, gemischt. Araber alten Stils, die räuberischen, viehhütenden badw, hatten das Imperium wie Hefe aufgehen lassen und dann zerteilt. In jedem einzelnen Stück hielt sich das Aroma des alten Arabertums, doch die Substanz war nun viel komplexer und größer geworden. Die Millionen Mitglieder der kosmopolitischen arabischsprachigen Welt nannten sich nicht länger „Araber“: Der Begriff war zu seiner alten Bedeutung zurückgekehrt, nämlich die einer marginalen, stammesgebundenen Minderheit, die oft ein mehr oder weniger nomadisches Leben führte. Er verlor seinen Großbuchstaben und wurde wieder zu ʿarab. Das Verhältnis zwischen diesen marginalen ʿarab und dem zivilisierten Zentrum war wieder so, wie es in den Tagen der früheren assyrischen, babylonischen, römischen und persischen Reiche gewesen war. ʿArab stellten wieder eine heterogene Gruppe, die sich durch ihre Abgeschiedenheit vom sesshaften Leben definierte. Wenn man sich, wie der Abbasidenkalif al-Qāʾim, aus der eigenen Hauptstadt ausgesperrt sah, während die türkischen Militärsklaven mit den fatimidischen Rivalen Geschäfte machten, an wen wandte man sich dann, um in der Wüste Asyl zu finden? An den lokalen amīr der ʿarab, alMuhārisch ibn al-Mujallī ibn Ālith ibn Qabbān.168 Schon sein Name, der in etwa „Streitsüchtiger (oder Hundekämpfer) Sohn des Leitpferdes (oder Adlerauges) Sohn von Gerstenbrot Sohn von Handwaage“ bedeutet, zeigt an, dass er der kosmopolitischen islamischen persianisierten Zivilisation des Kalifen fremd war. Es gab nun eine Lücke zwischen der großen Mehrheit der „sprachlichen“ Araber und der marginalen Minderheit der „Lifestyle“-ʿarab. Während
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die ersteren weiterhin ein mächtiges Kulturreich bildeten, waren letztere nun nahezu überall von der politischen Macht an den Rand gedrängt worden: Sie waren für die Kultur zentral, aber politisch marginal. Mit anderen Worten, die arabische Staatsnation war wieder zu einer Kulturnation geworden169 – und, um die Worte von Emile Enriot zu paraphrasieren: Kultur ist das, woran sich die Menschen klammern, wenn sie alles andere verloren haben.170 Darüber hinaus waren Araber in eine neue Zeit eingetreten – eine Art von passiver ewiger Gegenwart, die sich stark von der fernen, flüchtigen Gegenwart des vorislamischen Stammeslebens, einer brutalen und kurzen Gegenwart, unterschied, aber auch anders war als die aktive, dynamische Gegenwart des frühen Islam, eine Gegenwart, die jede Menge Möglichkeiten für die Zukunft geboten hatte. Die Energie und Geschwindigkeit jener Expansion im 7. Jahrhundert hatten sie auf Dauer unmöglich beibehalten können: Araber hatten beim Abbremsen den Motor fast abgewürgt und waren, wie al-Masʿūdī es formulierte, gefallen.171 Es war kein Fall in die Vergessenheit, sondern ein Fall zurück auf die Erde, in die Unauffälligkeit. Wie Salman Rushdie sagte, kann „Menschen wie Nationen und fiktiven Charakteren einfach die Puste ausgehen“,172 und in gewisser Weise ist eine Nation selbst ja eine Fiktion. Aber eine Fiktion kann selbstverständlich eine Fortsetzung haben. Und wenn die Feuerräder auch zwischenzeitlich verglüht waren, so wuchs doch das Kulturreich weiter aus der Asche.
Der stolze Palast von Qābūs Eben dieses Wachstum kann man verfolgen, wenn man sich auf die Spuren der arabischen Schrift begibt, deren unaufhaltsame Arabeske über die Kontinente mäanderte. Sie verbreitete sich nicht nur auf Papier, sondern auch auf Keramik, Textilien, Gips, Holz, Stein, Metall, Münzen, Edelsteinen, Waffen, Rüstungen, Amuletten, Einbänden und Bauwerken. Sie behielt die alten Rhythmen und Reime bei: In jedweden Gegenstand wurden Gedichte eingraviert oder gestickt, von Tintenfässchen über Sättel bis hin zu Ärmeln von Gewändern.173 Dies machte die arabische Kultur sichtbar und lesbar. Die Schrift verband Nichtaraber mit dem frühen Arabien durch eine Verkettung von Worten: Wie Nizām al-Mulk sich der Karawane der Hadith-Überlieferer angeschlossen hatte, so schrieben sich Kalligrafen in „Genealogien“ von Schülern und Meistern ein, die ihre Schrift mit der von Mohammeds Sekretären und Gefährten und mit den vorislamischen Schreibern von al-Hīra verknüpften. Solche Abstammungslinien, keine Blut- sondern Tintenlinien, kann man auch heute noch 1500 Jahre zurück in die Vergangenheit verfolgen.174
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Einer der erstaunlichsten Schreibkünstler war Qābūs ibn Wuschmagīr, ein iranischer Herrscher der Region Gorgan südöstlich vom Kaspischen Meer im 10. Jahrhundert, der sich als Tyrann, Dichter, Astrologe und Kalligraf einen Namen gemacht hatte. Er war ebenso bewandert im Schmieden von Versen wie im Abschneiden von Köpfen, aber sein größtes Talent war die arabische Schreibkunst. Beim Betrachten einer Probe dieser Kunst rief al-Sāhib ibn Abbād – der als Besitzer der berühmten, 400 Kamelladungen umfassenden Handschriftenbibliothek175 die Sache wohl beurteilen konnte: „Ist das die Hand des Qābūs oder der Flügel eines Tāwūs [Pfaus]?“176 Es sind keine Beispiele seiner Kalligrafie überliefert, aber ihm ist ein prächtiges steinernes Denkmal gewidmet: das Gunbadh-i Qābūs, ein hoch aufragendes Turmgrab, in dem sein Körper in einem von der Decke hängenden Glassarg in der Luft „geschwebt“ haben soll. Der freischwebende Leichnam ist verschwunden, der Turm aber steht noch. Robert Byron, strenger und brillanter Kritiker von Gebäuden, schrieb über die „außergewöhnliche Wucht … anders als alles andere in der Architektur … steht [es] auf einer Stufe mit den großartigen Gebäuden der Welt“.177 Die 50 Meter hohe, im ewigen Abheben begriffene Grabrakete in der kaspischen Steppe war sehr weit von Arabien und von der jüngeren urbanen Welt von Damaskus oder Bagdad oder Kairo oder Córdoba entfernt. Aber mit jener Welt verbindet sie ein Band in kufischer Schrift über der Tür und ein weiteres weit oben unter dem Gesims, die beide höchstwahrscheinlich von Qābūs selbst entworfen wurden. Die untere Inschrift vermeldet, dass der Turm der „stolze Palast“ von Qābūs ist und im Jahr 397 der Hidschra oder im Jahr 375 nach dem iranischen Sonnenkalender gebaut wurde. Nach christlicher Zeitrechnung im Jahre 1006. Wie sein früherer Zeitgenosse, der Philosoph al-Fārābī (und so viele andere), war Qābūs ein brillantes Beispiel für die kulturelle Anpassung an die arabischsprachige Welt. Doch seine Reise ging in die entgegengesetzte Richtung: alFārābī kam vom Rand und wurde in das Zentrum der Kultur aufgenommen. Menschen wie Qābūs trugen die Kultur an den Rand. Die kalligrafischen Bänder, die seine Ruhestätte schmücken, sind Teil eines riesigen und sich konzentrisch ausbreitenden kulturellen Kreises. Der Kreis dehnte sich immer weiter aus und entfernte sich so von seinem Ausgangspunkt in der magischen poetischen mündlichen Kultur des alten Arabiens. In gewisser Hinsicht stellt der machtlose Kalif al-Rādī, mit dem dieses Kapitel begann, die letzte direkte Verbindung zu diesem Ausgangspunkt dar: Arabische Historiker nennen ihn „den letzten echten Kalifen“,178 was bedeutet, dass er der letzte war, der die Freitagspredigt in der Hauptstadt des Reiches gehalten hat. Sein Tod ließ den Redner-Anführer – chalīfa, den Nachfolger der
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chatībs und kāhins, der Prediger und Seher vorislamischer Zeit sowie des Propheten Mohammed – für lange Zeit verstummen. Dies ist ein kleines, aber aussagekräftiges Symptom des arabischen Niedergangs selbst. Die alte Rhetorik hallte nach – doch nun erklang sie von grandiosen Türmen aus Ziegel und Stein, vom „stolzen Palast“ des Qābūs, vom Minarett von Dscham in den Bergen Afghanistans, vom Qutb Mīnār in Delhi. Es sind Ausrufezeichen, die die Marschroute des Arabischen über einen Kontinent markieren.
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Kapitel 11 Der Geist in der Flasche: Die Horden rücken näher Schattenfantasie Kairo war schon immer die Filmhauptstadt der arabischen Welt. Kostümdramen auf Hocharabisch vor vorislamischer Kulisse machten die Stadt zum muslimischen Hollywood oder „Mollywood“. Seit langem sind ägyptische Seifenopern die geläufigste Fernsehkost der Region. Und erstaunlicherweise geht die ägyptische Filmgeschichte auf die Frühzeit mamlukischer Herrschaft im 13. und 14. Jahrhundert zurück. Das war die Zeit, als Tausendundeine Nacht und andere vor Publikum aufgeführte Erzählzyklen die Gestalt annahmen, in der wir sie heute kennen. Und in der auch die beliebte Straßenunterhaltung namens chayāl al-zill, „Schattenfantasie“ aufkam. Dabei wurden klappbare, zweidimensionale Puppen, ähnlich denen, die bereits in Südostasien bekannt waren (vielleicht ihre ursprüngliche Heimat), hinter einer hell erleuchteten Leinwand bewegt, auf die dann ihre Schatten fielen. Die überlieferten Drehbücher sind auf Hocharabisch, aber sie strotzen nur so vor plattem Humor, scharfer Satire und etwas Schweinkram.1 Auf einer solchen Leinwand muss man sich den Kalifen jenes Zeitalters vorstellen. War der Abbasidenkalif al-Rādī aus dem 10. Jahrhundert der „letzte echte Kalif“,2 Gottes Schatten auf Erden, so war sein Nachfolger al Mustakfī Sulaimān aus dem 14. Jahrhundert nicht einmal der Schatten eines Schatten. Er war ein echter Abbaside, doch seine Familie, wie wir sehen werden, hatte sich nach der Ankunft der Mongolen 1258 in Bagdad ins ägyptische Exil geflüchtet. Seitdem waren die Abbasiden bloße Schattenfiguren in den Händen eines neuen Turkvolkes, der Militärdynastie der Mamluken nämlich. Schlimmer noch: Sulaimān hatte sich mit dem Mamlukensultan in Kairo zerstritten und wurde in ein zweites Exil nilaufwärts nach Qūs in der Nähe von Luxor geschickt. Über seine Lage machte er sich keinerlei Illusionen und klagte wie ein Kairoer Kasperle in Versform: Solche wie ich sind beim Leben schon tot. / Das Schicksal befreit uns höchstens aus der Not / Wie luxuriös ist ihr Lebensstil / Für mich gibt es außer Gerede nicht viel. / Die Mamluken sitzen auf dem prächtigen Thron / Sulaimān bleibt nur ihr Hohn.3
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Al-Rādī und die auf ihn folgenden Kalifen in Bagdad waren machtlos, aber dies wenigstens auf heimischem Boden. Sulaimān befand sich im zweifachen Exil, und war so knapp bei Kasse, dass er und seine Familie ihre Kleider verkaufen mussten.4 Der Islam war auf dem Vormarsch: Auf seiner langen Reise hatte er neue Gebiete erschlossen, besonders in den tropischen Breiten von Westafrika südlich der Sahara bis zu den ostindischen Gewürzinseln. Arabisch war die Sprache der heiligen Schrift und Mekka für die muslimischen Pilger der Nabel der Welt. Gleichzeitig war die Nabelschnur, die den Islam mit seiner arabischen Mutter verband, durchtrennt worden: Der Islam war zu einer Weltreligion erwachsen. Die arabische Kultur kam in die Obhut einer neuen, hybriden Pflegemutter: Kairo, die fruchtbringende „Mutter der Welt“. Die beiden früheren Gegenkalifate waren längst untergegangen, aber Sulaimān, der Abbaside, wurde von einigen wenigen immer noch als das nominelle Oberhaupt des Glaubens und des Arabertums betrachtet, als Familienoberhaupt jener sechshundertjährigen Dynastie, die von Mohammeds mekkanischem Onkel abstammte. Dennoch war er so bedeutungslos geworden, dass man ihn einfach so, mittellos, nach Sibirien am Nil abschob. Wie konnte es soweit kommen?
Von allen Seiten bedroht In den zwei Jahrhunderten, bevor die Abbasiden zu Asylsuchenden wurden, hatten neue Kräfte das arabische Reich – oder besser: das fragmentierte, aber wenigstens dem Namen nach den Nachkommen der arabischen Gründer verpflichtete Imperium – zunehmend unter Druck gesetzt. Das Christentum bedrohte die arabischsprachige Welt von zwei Seiten: in der Levante mit den Kreuzzügen, in Spanien mit der Reconquista. Die Araber in Spanien sahen sich gar einer doppelten Bedrohung gegenüber – den Christen aus dem Norden und muslimischen Berbern aus dem Süden. Die Kreuzzüge hatten auch Einfluss auf Ägypten, das seit der erneuten Persianisierung des Ostens und dem Aufschwung der Fatimiden ein neues Zentrum der arabischsprachigen Welt geworden war. Anders als die Reconquistadoren wurden die Kreuzritter zurückgeschlagen. Der Aufruhr, den sie verursachten, gab jedoch einem anderen nichtarabischen Volk Aufwind: der kurdischen Dynastie Saladins. Die herrschenden Kurden entstammten einer winzigen Minderheit, die sich gut in die aktuellen Geschehnisse einfügte: In der Levante und insbesondere in Ägypten war man schon lange an muslimische Herrscher jeglicher Couleur gewöhnt. Doch nach nur einem Jahrhundert an der Macht fanden auch sie ein Kuckucksei im Nest und wurden von einer anderen Subspezies türkischer Sklavenherrscher ersetzt – den mamlukischen Aufpassern des Schattenkalifen Sulaimān.
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Ab 1250 avancierte diese sich selbst perpetuierende Militärkaste für zweieinhalb Jahrhunderte zur dominanten Kraft in der Region. Ihr Einfluss überdauerte selbst den Aufstieg ihrer entfernten osmanisch-türkischen Cousins zur großen imperialen Macht (erst Napoleon und Mohammed Ali Pascha vertrieben die Mamluken endgültig von der Bildfläche). Doch nicht einmal die Mamluken waren das Ende vom Lied: Kaum hatten sie die Macht übernommen, tauchten aus dem Osten die Mongolen auf. Als der Großvater des Schattenkalifen Sulaimān Bagdad und den Mongolen entflohen war, ging die politische Bedeutung der Araber also bereits gegen Null. Als neue Galionsfigur bot sich ironischerweise ausgerechnet Sulaimān an, der in seinem mamlukischen Gulag feststeckte, 600 Kilometer nilaufwärts von Kairo und der restlichen Zivilisation entfernt. Araber blickten auf eine grandiose Geschichte zurück, als sie noch umherzogen: eine Geschichte in Bewegung. Nun waren sie jedoch von anderen wandernden Völkern umzingelt, die sich alle an den überaus bedeutenden Knotenpunkten zusammenfanden, an denen Afrika und Europa, Afrika und Asien, Asien und der arabische Subkontinent aufeinandertrafen. Da der Geist wieder in der Flasche gebannt und fest verschlossen war, schienen die aktiven Tage der Araber endgültig vorüber: Nun waren sie die passiven Zuschauer der Geschichte – und ihr Opfer.
Fränkische Feinde und Freunde Ein kurzer Blick auf die Wanderbewegungen der anderen Völker zeigt, dass die europäischen Invasoren, die als Kreuzritter bezeichnet werden und die auf Arabisch allgemein „Firandsch“, „Franken“, heißen, sehr überraschend auftauchten. Im Gegensatz zu den nomadischen Neuankömmlingen, die meist aus den Turkvölkern stammten und in Wellen aus dem ausgedehnten Inneren Asiens nach Westen in den nördlichen Fruchtbaren Halbmond gezogen waren, kamen die Franken aus einem engen, zerklüfteten Kontinent, der durch Meeresbuchten und Gebirgsketten in Kleinstaaten aufgespalten war und seine Einwohner durch Geografie und Lebensweise an ihren Heimatboden band. Man ist versucht, die Wanderung zum Ende des 11. Jahrhunderts, als einige von ihnen im Namen der Religion ostwärts zogen, als verspätete Antwort auf die frühere arabische Expansion zu verstehen: die Kreuzzüge als Reaktion auf die Halbmondzüge. Dass die Europäer selbst als Grund anführten, sie wollten das heilige Land der Christenheit von muslimischer Herrschaft befreien, scheint diese Sichtweise zu bestätigen. Die Kreuzzüge erwiesen sich der arabischen Expansion alles andere als ebenbürtig. Die kleinen und kurzlebigen Staaten, die in der Levante daraus hervor-
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gingen, waren keine Neuauflage des arabischen Reiches, sondern eher ein Vorgeschmack auf den späteren europäischen Imperialismus. Nichtsdestotrotz gibt es Parallelen zwischen der arabischen Geschichte im 7. und 8. Jahrhundert und der europäischen Geschichte im 12. und 13. Jahrhundert, als Europa seine eigenen Feuerräder schmiedete. Mit Halbmondrittern war Kreuzrittern ihr Widerspruchsgeist gemein, die Taktik, unter der sie sich einten und die Baronenkriege (das europäische Äquivalent der vorislamischen Stammeskriege in Arabien) beendeten.5 Im Jahr 1095 verkündete Papst Urban II., der den Kreuzzügen Pate stand: „Jene, die leichtfertig einen persönlichen Krieg gegen die Gläubigen zu führen pflegen, mögen nun gegen die Ungläubigen in einen Krieg ziehen, der jetzt begonnen und siegreich zu Ende gebracht werden sollte.“6 Für Urban war Jerusalem, gleich Mekka, „der Nabel der Welt“, und die Kreuzritter sollten, wie vor ihnen die Halbmondritter, die Reichtümer jener Welt einheimsen: „Die Besitztümer des Feindes sollen ebenfalls euch gehören, denn ihr werdet seine Schätze zur Beute machen.“7 Wieder einmal diente die Religion nicht nur dazu, eine große, wenn auch vorübergehende Einheit zu erschaffen, sondern sie fungierte auch als Feigenblatt für die blanke Gier – nach Land, Beute und Macht. Die Plünderung der Schätze gestaltete sich jedoch oft viel gewalttätiger als zur Zeit der Halbmondritter. Selbst europäische Historiker gaben zu, dass es bei der Einnahme von al-Maʿarra in Nordsyrien gegen Ende des Jahres 1098 nicht nur zu Massakern, sondern sogar zu Kannibalismus gekommen war.8 Das Abschlachten von Muslimen und Juden in Jerusalem im darauffolgenden Jahr stand in schockierendem Kontrast zur friedlichen Besetzung der Stadt durch arabische Streitkräfte 360 Jahre zuvor.9 Aufgrund der Uneinigkeit unter den Muslimen war an Widerstand nicht zu denken. Als die Einwohner von Damaskus im Jahr des Falls von Jerusalem beispielsweise eine Delegation mit der Bitte um Hilfe nach Bagdad sandten, war der Seldschuken-Sultan im Iran gerade damit beschäftigt, sich den eigenen Bruder vom Leib zu halten: „Die Sultane lagen sich in den Haaren und so konnten die Franken das Land besetzen.“10 Der Kalif räusperte sich teilnahmsvoll, zeigte sich aber machtlos. Der Konflikt ließ sich aber keineswegs immer auf „Christen gegen Muslime“ herunterbrechen. Etwa zehn Jahre später, im Jahr 1111, erreichte eine weitere Bitte Bagdad, diesmal von einem Glaubensgenossen der Kreuzritter, dem byzantinischen Kaiser Alexius: Auch sein Hoheitsgebiet war von den Franken besetzt worden, woraufhin er die Muslime um Hilfe bei deren Vertreibung ersuchte.11 Diesmal mobilisierte der Seldschuken-Sultan seine Truppen, doch ein anderer Bruder, der Herrscher von Aleppo, schob der Unterstützungskampagne mit seiner Weigerung einen Riegel vor.12 Ein weiteres Jahrhundert später lenkte der Doge Enrico Dandolo bekanntermaßen den Vier-
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ten Kreuzzug gegen die eigenen Glaubensbrüder in Konstantinopel und füllte die Schatztruhen Venedigs mit byzantinischem Gold. Das Feigenblatt war gefallen, die Gier bloßgestellt. Auch wenn im Zuge der Eroberungen Köpfe abgeschlagen, Länder verwüstet und Gold geraubt wurde, schufen die Kreuzzüge auch eine Grundlage für den Aufbau neuer Märkte. Die Europäer und ihre Kolonien sowie der Eintritt ausländischer Kaufleute in den levantinischen Handel brachte den Verkehr im gesamten Mittelmeerraum in Schwung. Während Krieger kämpften und starben, kauften und verkauften Kaufleute; und abgesehen von den entsetzlichen frühen Massakern brachten die Konflikte das öffentliche Leben nicht unbedingt zum Erliegen: „Die Soldaten beschäftigen sich mit ihrem Krieg, während die Menschen in Frieden leben und die Welt an den geht, der sie erobert“,13 bemerkte im späten 12. Jahrhundert Ibn Dschubair, ein Beobachter aus Spanien, der die Wallfahrt nach Mekka unternahm (angeblich zur Sühnung der Tatsache, dass sein Sultan ihn gezwungen hatte, Alkohol zu trinken).14 Ibn Dschubair berichtete auch von allgemein freundschaftlichen Beziehungen zwischen Christen und Muslimen vor Ort, die sogar gegenseitige Almosen umfassten.15 Um Informationen für seinen Reiseführer für muslimische Pilger zu erhalten, löcherte sein Zeitgenosse al-Harawī gar Kreuzritter.16 Der freimütigste arabische Beobachter der Franken war Usāma ibn Munqidh, Feind und Freund der Invasoren und Angehöriger einer mächtigen Familie in Syrien. Er war beeindruckt von den militärischen Fähigkeiten der Kreuzritter, nicht jedoch von ihren anderen Qualitäten: „[Sie kennen] nur die Tugend der Tapferkeit und des Kampfes, wie auch Tiere, die die Tugend der Kraft und des Duldens haben.“17 Er gab jedoch zu, dass der Kontakt mit den Muslimen einige ältere Franken etwas zivilisierter hatte werden lassen.18 Usāma kam einigen dieser Ritter näher, manchmal so nahe, dass es schwierige Situationen zeitigte. Er erzählte von einem seiner fränkischen Gefährten: [Er nannte] mich „Bruder“. Zwischen uns bestanden Liebe und Freundschaft. Als er sich über das Meer in sein Land begeben wollte, sagte er zu mir: „Mein Bruder! Ich ziehe in mein Land zurück. Ich möchte, dass du deinen Sohn (mein Sohn, der damals vierzehn Jahre alt war, war nämlich bei mir) mit mir in mein Land schickst, damit er die Ritter sieht und Verstand und Ritterlichkeit erlernt. Wenn er dann zurückkehrt, wird er das Muster eines verständigen Mannes sein.“ Mein Ohr erreichten da Worte, wie sie aus dem Kopf eines Verständigen nicht kommen können. Wenn nämlich mein Sohn gefangengenommen würde, könnte ihm die Gefangenschaft nicht Schlimmeres bringen, als in
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das Land der Franken gebracht zu werden. Ich antwortete also: „Bei deinem Leben! Genau das habe ich im Sinn gehabt. Doch ein Hindernis sehe ich darin, dass seine Großmutter ihn so liebt und ihn selbst mit mir nicht ziehen lässt, ohne mir den Eid abverlangt zu haben, dass ich ihn zurückbringe.“ „Und deine Mutter lebt noch?“ „Ja!“ „Dann darfst du ihr nicht zuwiderhandeln!“19 Die meisten Franken blieben jedoch unter sich und waren zwar anwesend, aber kulturell jenseits von Gut und Böse. Usāma arabisierte einige ihrer Namen: Benedikt wurde zu „Ibn al-Daqīq“, „Sohn des Schlanken“, Bohemond wurde zu „Abū al-Maimūn“, „Vater des Glücklichen“ (oder vielleicht „des Affen“).20 Hin und wieder arabisierten sie sich selbst: So sprach der fränkische Fürst von alSchaqīf, nahe der syrischen Küste, fließend Arabisch und studierte nicht nur arabische Geschichte, sondern sogar die Aussprüche Mohammeds.21 Einige wenige Franken blieben für immer und wurden Stammväter von Familien, deren Namen die Erinnerung an ihre ausländische Herkunft bewahrten, wie die libanesischen Dikīz (De Guise), Schanbūr (Chambord),22 Franjieh (Firandschiyya, „fränkische Frau“), Salībī („Kreuzritter“ von salīb, Kreuz) und Bardawīl (Baldwin).23 Doch waren gegen Ende des 13. Jahrhunderts fast alle von ihnen verschwunden. Die arabische Sprache samt ihrer Kultur hatte ein Volk nach dem anderen erobert, absorbiert und in Besitz genommen. Mit den christlichen Neuankömmlingen gab es zwar Berührungspunkte und Annäherung, aber auch viel Gegensätzliches, was Feindschaft und Abstoßung auslöste. Als die Franken in ihren kalten Norden zurückkehrten, hatten sie, wie wir noch sehen werden, sprachliche und kulturelle Souvenirs der zum Scheitern verurteilten Beziehung im Gepäck. Vielleicht ist das Verhältnis seitdem durch die Erinnerungen an die Feindschaft geprägt.
Reconquista In der Zwischenzeit erhöhten auf der anderen Seite des Mittelmeers andere Christen den Druck auf das auseinanderfallende muslimische Spanien. Die Umayyadenkalifen von Córdoba, Nachfahren des Falken der Quraisch, waren ebenfalls von Kuckucken aus dem Nest geworfen worden – in ihrem Fall von rasch aufeinander folgenden Strömen berberischer Söldner. Die letzte Umayyadenherrschaft war 1031 in einem Durcheinander von Volksaufständen geendet und die bunte Truppe von Machthabern, die Taifa-Könige, hatte den Kuchen
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des Kalifats von al-Andalus unter sich aufgeteilt. Manche dieser Herrscher waren arabischer Abstammung: Die abbadidische Minidynastie von Sevilla zum Beispiel bestand aus Nachfahren der vorislamischen Lachmidenkönige aus alHīra.24 Andere waren berberischer Herkunft oder „Saqāliba“ – „Slawen“: ein Begriff, der in Spanien Sklaven europäischen Ursprungs bezeichnete. Doch wie wohl zu erwarten war, prügelten sich die Taifa-Könige bald untereinander. In der Zwischenzeit preschte die Reconquista auf die Iberische Halbinsel vor. Als es nach dem Fall von Toledo im Jahr 1085 so aussah, als wäre Córdoba das nächste Ziel, kam eilig eine Gruppe muslimischer spanischer Gelehrten zusammen, um auszusprechen, was offensichtlich war: „Während unsere Könige damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu bekämpfen, haben die Franken die Städte des Islam erobert.“25 Der gleiche Stoßseufzer war auch bald in der Levante zu hören. In Spanien gab es jedoch keinen Kalifen mehr, nach dem man rufen konnte, nicht einmal einen machtlosen. Daher richtete sich der Hilferuf an die einzige vereinte muslimische Macht in der Region, ein Konglomerat von Sanhādscha-Berbern auf der anderen Seite der Meerenge in Nordafrika. Sie nannten sich selbst al-Murābitūn, „die Verteidiger der Grenzfestungen“, und wählten somit, ähnlich wie etwas später die Tempelritter, einen Namen mit sowohl religiösen als auch militärischen Konnotationen. Für den spanischen Islam stellten sie, auf Deutsch besser bekannt unter ihrem spanischen Namen „Almoraviden“, das kleinere von zwei Übeln dar. Mit ihrer fremden Sprache und ihrer Mode der männlichen Verschleierung kamen sie arabischen Ohren und Augen genauso fremd vor wie die Franken. Doch wie es der arabische Herrscher von Sevilla, al-Muʿtamid ibn Abbād, formulierte: „Unsere Kinder sollen lieber die Kamele der Verschleierten als die Schweine der Franken hüten.“26 Letztere Option war realistisch: Ein deutscher Besucher berichtete, dass die spanischen Christen später während der Reconquista ihren muslimischen Untertanen drohten, sie zum Schweinehüten zu zwingen.27 Tatsächlich erwartete al-Muʿtamids Erben ein anderes Schicksal, als die Almoraviden die Macht übernahmen und die Taifa-Könige entthronten. Sein junger Enkelsohn, der den Ehrentitel Fachr al-Daula, „Ruhm des Staates“, trug, musste nach Marokko fliehen und verdingte sich als Handlanger bei einem Goldschmied, um seine Familie am Leben zu erhalten.28 Mit diesem Jungen fiel ein weiterer Zweig des 800 Jahre alten und 4000 Kilometer langen Stammbaums, der mit dem alten lachmidischen Herrscher Imruʾ al-Qais ibn Amr, „König aller Araber“,29 begonnen hatte, der Vergessenheit anheim. Spanien war das letzte Herrschaftsgebiet des arabischen Reiches, das unter unbestritten arabischer Herrschaft geblieben war. Ibn Chaldūn schrieb über die Übernahme durch die Almoraviden, dass nun „die arabische Herrschaft dahin-
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schwand und die arabischen Stämme verblassten“.30 Es erschien wie das Spiegelbild des arabischen Untergangs im Osten.31 Doch dem Dahinschwinden ging ein kleines, aber grandioses Finale voraus: Ein fulminanter Schwanengesang auf die Nachfolger des Falken der Quraisch am Ende der Welt. Für den Augenblick waren nicht nur Christen – darunter auch muslimische Berber – dabei, die Araber aus Spanien zu vertreiben. Im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts erhöhte sich der Druck auf Araber auch in Sizilien, einem anderen Außenposten des arabischen Reiches und der „Tochter von al-Andalus“.32 Die jüngere Geschichte Siziliens stellte sich in der Tat als ein Mikrokosmos der Geschichte Spaniens dar: Die arabische Dynastie der Kalbiden war untergegangen und durch wechselnde Kriegsherren ersetzt worden. Diesmal kam der Druck von anderer Seite: von den Normannen, den ehemaligen Nordmännern (die zur gleichen Zeit auf einer etwas abgelegeneren europäischen Insel, Britannien, die Macht übernahmen). Das Ergebnis war, dass die Migration in umgekehrte Richtung zunahm und Asylsuchende von Spanien und Sizilien über das Meer zu den Stadtzentren von Nordafrika brachte, wo sich Araber konzentrierten. Die Migranten hatten eine schier unerträgliche Nostalgie im Gepäck, die sich vor allem auf ihr verlorenes andalusisches Paradies bezog, „das Weideland der ganzen Welt, denn alles andere ist Wildnis …“.33 Wenn die Araber selbst auch auf dem Rückzug waren, so war ihre Kultur und Sprache jedoch weiterhin im westlichen Teil ihres alten Reiches auf dem Vormarsch.
Transformieren und Exhumieren Die berberischen Almoraviden besetzten nicht nur arabisches Gebiet: sie übernahmen auch die arabische Geschichte, indem sie sich selbst genealogisch zu Sprösslingen der Arabischen Halbinsel machten. Die arabische politische Macht war abgeebbt, aber als Gründer einer großen Religion und Kultur besaßen Araber immer noch eine gewaltige Ausstrahlung: Indem sie diese numinose Kraft anzapften, suchten Berber – Reservespieler der Geschichte – ihren Ruf und ihre Legitimität zu steigern. Sie nahmen die losen Enden von Legenden wieder auf, in denen vorislamische Expeditionen der Himyaren mit Eroberungszügen Alexanders des Großen und mit der noch älteren phönizischen Kolonisation verwoben worden waren, und sponnen ein Netz von Mythen, in denen sie Anspruch auf südarabische Wurzeln erhoben. Der almoravidische Eroberer Spaniens, Yūsuf ibn Taschfīn, wird deshalb in den traditionellen Chroniken immer „al-Himyarī“ genannt.34 Nüchterne Historiker wie Ibn Chaldūn wischten diese Ansprüche beiseite.35 Der Mythos der Verbindung zwischen Arabern und Berbern lebt jedoch in unserer weniger nüchternen Gegenwart weiter.36
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Im folgenden Jahrhundert verdrängte ein anderes großes Berberkonglomerat, allgemein unter seinem spanischen Namen als Almohaden bekannt, die Almoraviden in Spanien. Ihr arabischer Name – al-Muwahhidūn, „die Einiger“ oder „Unitarier“ – verrät, dass auch sie die Religion nutzten, um einen starken politischen Block zu bilden: Wie im frühen Islam lieferte ihnen die wichtigste Botschaft des Koran, die von tauhīd oder der Einheit des Göttlichen, eine totalitäre Vorlage für das Leben auf Erden. Mit dem Ausrufen einer sowohl theologischen als auch politischen Einheit schmiedete der Gründer der Almohaden, Mohammed ibn Tumart, eine stammesübergreifende Einheit unter Berbern, die zum Ziel hatte, die arabische Geschichte seit der Zeit des Propheten Mohammed zu wiederholen.37 (Die Vorlage und sogar der Name „alMuwahhidūn“ wurde 600 Jahre später vom Reformator Mohammed ibn Abd al-Wahhāb aus Arabien wiederverwendet: Dessen Unitarier sind weiterhin aktiv, auch wenn sie unter dem Namen ihres Gründers besser bekannt sind als „Wahhabiten“.) Innerhalb einer Generation entwickelte sich die Almohadenbewegung zu einer Dynastie und die Dynastie zu einem neuen Gegenkalifat: Zum ersten Mal in seiner fünfhundertjährigen Geschichte wurde der Titel „Kalif“ von Männern angenommen, die ganz offensichtlich keine Araber und keine Quraischiten waren. Doch ihre ungehobelte Kinderstube im tribalen berberischen Nordafrika ließen die Almohaden bald hinter sich und gingen in der urbanen arabischen Kultur von al-Andalus auf. Insbesondere Yūsuf ibn Abd al-Muʾmin, der zweite Almohadenkalif, der von 1163 bis 1184 regierte, war gelehrt in Hadith und Philosophie und verkehrte mit einigen der größten und liberalsten Denker seiner Zeit.38 So wiederholten die Almohaden nicht nur den frühen Islam, sondern auch 300 Jahre arabischer Geschichte – von der tribalen Schnelllebigkeit Arabiens zum kultivierten, kosmopolitischen Hof von al-Maʾmūn in Bagdad –, sie wiederholten sie prestissimo. Die Geschwindigkeit und Befremdlichkeit der Transformation schien die Berber selbst zu erstaunen. Eines Tages besuchten der berberische Dichter al-Dscharāwī, der seine Verse auf Arabisch verfasste, und der berberische Arzt al-Ghumārī den Kalifen. Als dieser hörte, dass sie an seinem Palasttor standen, rief er aus: „Ah, die Wunder der Welt: ein Dichter von [dem Berberstamm] Dscharāwa und ein Arzt von [dem Berberstamm] Ghumāra.“ Al-Dscharāwī parierte die Spitze [mit einem Zitat aus dem Koran]: „Ein Gleichnis prägte er für uns, vergaß dabei jedoch, dass er geschaffen ist – denn bei Allah, noch wundersamer als wir beide ist ein Kalif von [dem Berberstamm] Kumya.“39
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Araber waren nun zu passiven Zuschauern der Geschichte geworden, doch inmitten der Ruinen ihres Imperiums plagiierte man ihre grandiose Vergangenheit stets aufs Neue. Während der Regierungszeit des Almohaden Yūsuf zog 1169 am anderen Ende des Mittelmeers sein mächtiger kurdischer Namensvetter Yūsuf ibn Aiyūb in jenes andere große Zentrum der arabischen städtischen Kultur ein, in Kairo. Zunächst hatte sein Onkel Schirkūh und anschließend Yūsuf selbst – besser bekannt als Salāh al-Dīn oder Saladin – das Amt des Wesirs des fatimidischen Kalifen inne. Dann war aber Schluss mit der Höflichkeit. Wie andere vor ihnen spielten die Kurden die Konfessionskarte: Als orthodoxe Sunniten passten sie wunderbar zur sunnitischen Mehrheitsbevölkerung und übertrumpften bald die heterodoxen ismailitischen Fatimiden. Im Jahr 1171 schaffte Saladin das Fatimidenkalifat ab und stellte die nominelle Souveränität des abbasidischen Kalifen in Bagdad wieder her. Die zweifelhafte arabische Abstammung der Fatimiden war immer die Leiche im Keller der Dynastie gewesen. Saladin machte aus seiner eigenen Abstammung jedoch keinen Hehl: Wie bei den Almoraviden gab es Versuche, den ayyubidischen Stammbaum zu arabisieren, aber Saladin selbst lehnte dies ab.40 Der große Befehlshaber sprach ordentlich Arabisch und konnte Poesie zitieren;41 sein jüngerer Bruder dichtete elegante arabische Verse.42 Doch wie für die meisten Völker des früheren arabischen Reiches war auch für diese kurdischen Dynasten des neuen postarabischen Zeitalters die arabische Blutlinie nicht länger von Bedeutung. Was zählte, war die arabische Mentalität, die man sich mit stetigen Schlucken aus dem heiligen Kelch des Koran und der sich immer weiter ausdehnenden Literatur des Islam einflößte, häufig trank man auch aus dem noch älteren Becher der vorislamischen Dichtung. Ungehobelte Emporkömmlinge wie die berberischen Almoraviden hatten immer gerne behauptet, eine Transfusion mit arabischem Blut hätte ihren Stammbaum veredelt, doch nun war die Herkunft nicht mehr so wichtig. Dies wird deutlich in Die Großen, die dahingegangen, dem großen biografischen Nachschlagewerk der arabischsprachigen Welt, das Ibn Challikān (selbst iranischer Abstammung) im 13. Jahrhundert kompilierte und aus dem viele der großen Toten in diesem Kapitel exhumiert wurden. Hin und wieder gibt das Buch lange Stammbäume an, die in älteren Einträgen bis nach Arabien zurückreichen, doch im Laufe der Jahrhunderte werden es immer weniger. Arabische Ursprünge wurden so irrelevant wie arabische Kalifen. Nichtsdestotrotz blieb Arabien selbst aber das heilige Land. Saladin exhumierte seinen Onkel Schirkūh und seinen eigenen Vater, Ayyūb, aus ihren Grabstätten in Kairo und ließ sie nach Medina umbetten.43 Die beiden toten
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Kurden waren nicht die einzigen, die diese Reise unternahmen. In einigen Fällen trug man Leichname um die Kaaba und zelebrierte andere mekkanische Riten, bevor sie beerdigt wurden.44 Solche posthumen Wallfahrten spiegelten wider, was dem Arabertum und dem Islam widerfahren war. Früher hatten die Ägypter darum gekämpft, den Leichnam von Nafīsa, eine Nachfahrin von Mohammed in der fünften Generation, behalten zu dürfen, als ihr Ehemann sie in ihre Heimatstadt Medina zurückbringen wollte:45 So wollten sie ein Fleckchen ihres ausländischen Bodens für immer zu Arabien machen, für immer heilig. Nun begaben sich im Gegenzug ägyptische Leichname von kurdischer Herkunft auf den Weg in Mohammeds Stadt und internationalisierten den Boden Arabiens. Dies war ein weiterer Aspekt der umgekehrten Eroberung, der Erschließung, die nicht nur arabische Geister und Gene, sondern sogar die heilige Erde ihrer „Insel“ umfasste. Lebende Kurden fanden hingegen auf der Halbinsel keine Ruhe. Den Ayyubiden gelang es, im Jemen eine Niederlassung ihrer Dynastie aufzubauen. Ihr Herrscher, Saladins Bruder Tūrān Schāh, bekam bald Heimweh nach Kairo und beschwerte sich darüber, dass es an seinem provinziellen Außenposten kein Eis gab.46 Ein anderer ayyubidischer Herrscher im Jemen verlor den Verstand.47 Außer als Pilgerziel hatte sich die „Insel“ der Araber in einen Zustand der Isolation zurückentwickelt, aus der einige Gebiete erst in jüngerer Zeit wieder aufgetaucht sind. (Ein Echo von Tūrān Schāhs Beschwerden hörte ich von Kairoer Bürgern, die in den 1960er- und 1970er-Jahren als Soldaten und Lehrer im Jemen dienten.) Die Rückwärtsbewegung war schon viel früher eingetreten, als die arabische Macht nach Damaskus und anschließend nach Bagdad verlagert wurde. Aber sie nahm Fahrt auf, als Araber die Macht gänzlich verloren und „sich nach innen wandten“,48 wie Ibn Chaldūn es formulierte. Nun jedoch hatte die Innenschau eine nachteilige Wirkung auf Araber überall auf der Welt. Symptomatisch dafür ist, dass die fränkischen Historiker der Kreuzzüge Araber nur selten erwähnen: Sie nennen ihre Gegner fast immer „Sarazenen“ – ein Wort von umstrittener Herkunft, das vor gegensätzlichen Etymologien nur so strotzt, aber bereits viele Jahrhunderte in Gebrauch war. Für die Franken war der berühmteste Sarazene Saladin kein genetischer Araber, sondern jenes grenzenlose Produkt des postarabischen arabischen Reiches. Anderthalb Jahrhunderte nach seinem Tod wurde er in Europa als Musterbeispiel sarazenischen Rittertums romantisiert: Englands Schwarzer Prinz, Edward of Woodstock, ließ Saladins Heldentaten auf seine Bettvorhänge sticken49 und Boccaccio verarbeitete Saladins Leben in Worten im Dekameron.50 In seiner Heimat wurde er zum Mythos – Mitglied einer iranischen Ethnie, geboren im Irak, ausgebildet im Dienst türkischer Herrscher in Syrien, selbst Herrscher über
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Ägypten und Syrien, kämpfend in der Levante und gestorben in Damaskus. Ihm ist der längste Eintrag in Die Großen, die dahingegangen gewidmet, länger als der irgendeines anderen Herrschers oder Dichters, Kalifen oder Kommandanten von genuin arabischer Herkunft.51 Wie Kāfūr, der schwarze Eunuch, der zwei Jahrhunderte vor ihm über Ägypten herrschte, erinnern wir Saladin als Araber. Er brauchte keine imaginäre Transfusion arabischen Blutes. Stattdessen war er das vollkommene Produkt der Fusion, die von Mohammeds Revolution und dem noch älteren Katalysator, der Sprache, beschleunigt wurde.
Halali Franken, Kurden, Berber mögen die Reste der arabischen Staatsnation vernichtet haben. Doch die arabischsprachige Kulturnation war weiterhin in guter Verfassung und im Wachstum begriffen. Ihr Einfluss erstreckte sich nicht nur auf Muslime wie Saladin, sondern auch auf die Christenheit. Spanien, Sizilien und der Süden des italienischen Festlands fungierten seit langem als Schnittstellen für den Transfer arabischer Kultur. Das geht aus der Anzahl und Art von arabischen Wörtern hervor, die in ihre Sprachen übernommen wurden. Wir erwähnten bereits, dass die spanische Sprache rund 4000 arabische Lehnwörter enthält.52 Sie beschränken sich keineswegs auf den Wortschatz für exotische Gegenstände, sogar etwas so Grundlegendes wie das „Sie“, usted, kommt vom arabischen ustādh, „Meister, Professor“, das wiederum auf das persische ustād zurückgeht. Der alte sizilianische Dialekt enthält weitere bodenständige Lehnwörter. Bauern verwenden viele Begriffe, die ihren Ursprung im Arabischen haben.53 Unter den merkwürdigeren sizilianischen Arabismen findet sich der Name Piazza Ballarò in Palermo, einst der arabische Sūq Balhara, ein Markt für ausländische Luxusgegenstände, der seinen arabischen Namen einem berühmten indischen Monarchen, Balhara, entlehnt hat.54 Die Kreuzzüge beschleunigten den Transferprozess und verbreiteten arabische Wörter und levantinisches Gedankengut in ganz Europa. Es überrascht nicht, dass viele militärische und anverwandte Innovationen aus dem Osten importiert wurden, wie Armbrüste, Brieftauben und vielleicht sogar heraldische Wappenfiguren. Doch die Inspiration ging noch weiter. Die ersten organisierten europäischen Krankenhäuser waren vermutlich von levantinischen Vorbildern inspiriert, und das Leben im Allgemeinen wurde durch Warenimporte bereichert, beispielsweise von Anbauprodukten wie Reis, Zitronen und Zuckerrohr und von neuen Textilien und Farbstoffen.55 Und da immer mehr Europäer aus der Peripherie an den Kreuzzügen teilnahmen, verbreiteten sich Technologie und Vokabular über den gesamten Kontinent. Daher gibt es sogar im Englischen über 2000 Wörter arabischer Her-
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Könige tragen Kufisch Diese Art von sprachlicher Durchdringung vollzog sich organisch und langsam. Aber es gab auch schnelle und straff durchorganisierte Transfers von arabischer Kultur und arabischem Wissen nach Europa. Als Alfons VI. von Kastilien-León im Jahr 1085 Toledo einnahm, stellte er sicher, dass die alte arabische Bildung fortbestand und nannte sich selbst gar „König der zwei Religionen“,60 eine Zuschreibung, die beim heutigen britischen Thronerben, Prinz Charles, Zustimmung fände (dieser möchte „Verteidiger der Religionen“ sein). Als der König von Aragón fast zwei Jahrhunderte später Murcia einnahm, war er ähnlich beeindruckt von einem Gelehrten der Stadt, Mohammed ibn Ahmed alRaqūtī,
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einem Gelehrten edler Abstammung, wohlbekannt mit den alten Künsten der Logik, Geometrie, Mathematik, Musik und Medizin, der auch ein Philosoph, ein versierter Arzt und ein Gottesgeschenk [wörtlich „ein Zeichen Gottes“ – ein āyat allāh oder „Ayatollah“] für die Sprachen war … Der Tyrann der Römer [d.h. der König von Aragón] erkannte seinen Wert, als er Murcia einnahm, und baute ihm eine Schule, in der er Muslime, Christen und Juden unterrichten konnte, und der König betrachtete ihn weiterhin mit großem Wohlwollen.61 Den christlichen Rückeroberern war bewusst, dass ihnen mit dem Landgewinn ein Verlust des Wissens drohte, das bis dahin immer zu ihnen durchgedrungen war. Deshalb starteten sie Übersetzungsprojekte aus dem Arabischen und behielten die alten arabischen akademischen Traditionen bei, die sich im restlichen Europa weiter verbreiteten. So studierten Medizinstudenten an der Universität von Paris arabische Texte über die Heilkunst in lateinischer Übersetzung und profitierten hin und wieder von Lehrern – „Mohren“, die im Zuge der Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte nach Norden kamen. Ihre Studenten waren als arabizantes bekannt.62 Arabische Gelehrsamkeit erhielt ein solches Monopol auf die medizinischen Fakultäten Europas, dass Petrarca sich über italienische Arabophile lustig machte: Wir [Italiener] sind den Griechen oft ebenbürtig, hin und wieder übertreffen wir sie und damit alle Nationen – außer den Arabern, wie ihr sagt! Ach, welcher Wahnsinn, welcher Schwindel! Ach, gelähmter oder ausgelöschter Genius Italiens!63 Seine arabophobe Haltung soll so extrem gewesen sein, dass er sich weigerte, Medikamente mit arabischem Namen einzunehmen.64 Wie Petrarcas Wehklage andeutet, war Italien wie Spanien ein wichtiger Kanal für den Transfer arabischer Wissenschaft in das übrige Europa. Dies galt besonders für Sizilien und Süditalien unter der Herrschaft der proteischen Normannen- und Stauferkönige. Vor allem das normannische Sizilien sprengte räumlich und zeitlich die eigenen engen Grenzen: Es war nicht bloß Anhängsel des italienischen Festlands, sondern eine mediterrane Drehscheibe – sie vermittelte zwischen Territorien und deren Kulturen. Eine anschauliches Beispiel dafür ist die alte griechisch-italienische Windrose der Seefahrer. Das Zentrum „liegt scheinbar irgendwo nahe Sizilien, im Herzen des Mittelmeers“, denn sie vermischt Termini von lateinischer Herkunft wie „Levante“ („Aufgehen [der Sonne]“) für den Ostwind mit arabischen Termini – scirocco für den Südostwind
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(schurūq, auch „Sonnenaufgang“).65 Ein anderes Beispiel ist der prachtvolle Mantel, der für Roger II. gefertigt wurde, den von 1130 bis 1145 regierenden Normannenkönig von Sizilien, der bestickt ist mit Löwen, Kamelen und einem Palmbaum, gesäumt von einer arabischen Inschrift in monumentaler kufischer Schrift, welche die Herstellung in der königlichen Werkstatt sowie das Datum dokumentiert: 528 nach der Hidschra oder 1133/34. Der Mantel befindet sich nun in Wien, nachdem er fünf Jahrhunderte lang als Krönungsmantel für Rogers Nachfolger, die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, diente. Im heiligsten Augenblick ihres Lebens hüllten sie sich in Arabisch. Für einige Jahrzehnte schien Sizilien das Zentrum einer Welt mit nur wenigen Grenzen zu sein. Seine zentrale Stellung wurde mit einer enormen Planisphäre – einer flachen Hemisphäre – zelebriert, die 400 Pfund wog, vor Toponymen nur so strotzte und die ein nordafrikanischer Gelehrte, al-Idrīsī, für Roger angefertigt hatte. Die Planisphäre selbst, die Summe des verfügbaren geografischen Wissens der Zeit, ist nicht erhalten, aber al-Idrīsīs zugehöriges Buch, eine Karte aus Worten, existiert noch. Die Insel von Anqiltarra („England“) ähnelt zum Beispiel dem Kopf eines Straußes (von dem Cornwall der „Schnabel“ ist). Auch Humangeografie ist ein Thema, so heißt es: „Das Volk ist standhaft, bestimmt und resolut. Es regnet immer.“66 (Schon damals waren die Stiff Upper Lip und das nasse Wetter wichtige Merkmale Englands.) Um die Ortsnamen auf Arabisch wiederzugeben, musste al-Idrīsī sie frisieren: Hastings wurde zu Hastinkasch und mein eigener Wohnort, wenn ich in England bin, Grimsby, zu Aghrimas.67 Bedeutsamer ist, dass er auch den Namen seines normannischen Gönners in vornehm gereimter Prosa und mit Regierungsnamen arabisierte, die er von den Abbasiden und den Kumpanen des Sultans geliehen hatte, und ihn pries als „Rudschar al-muʿtazz bi-llāh wa-l-muqtadir bi-qudratih … Muʿizz Imām Rūmiyya“ – Roger, der Ruhmreiche durch Allahs Kraft, legitimiert durch die Macht Allahs … der Unterstützer des Imam [Papstes] von Rom.68 Ein anderer Araber im normannischen Sizilien war Ibn Dschubair, der uns bereits bei den Kreuzzügen begegnet ist. Er ist eine Art spiegelverkehrter Usāma ibn Munqidh: Usāma bekämpfte und beobachtete die Einwohner der Christenwelt und freundete sich auf eigenem Boden und zu seinen eigenen Bedingungen mit ihnen an. Ibn Dschubair reiste durch ihre Parallelwelt. Er besuchte Sizilien in der Zeit des Enkels von Roger II., Wilhelm II., der von 1166 bis 1189 regierte. Beide lasen und schrieben gut Arabisch und verfügten über einen ganzen Palast voller muslimischer Beamte: sogar der Küchenchef war Muslim.69 Für Ibn Dschubair war Sizilien ein Land von „stattlichen Schlössern und gepflegten Gärten, namentlich in seiner Residenz Palermo“. Und
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ebenso wie Roger, der Großvater des Königs, Gelehrte wie al-Idrīsī angezogen hatte, galt auch Wilhelm als deren Mäzen: Wenn er erfährt, dass ein Mediziner oder Astrologe durch sein Land reist, [ordnet er an,] er möge warten. Dann versorgt er ihn reichlich mit allen Gütern, damit er seine Heimat vergessen möge. Möge Gott die Muslime vor dieser Verführung bewahren!70 Vielleicht ist der letzte Satz ein Seitenhieb auf Menschen wie al-Idrīsī, die dazu verführt wurden, dem Nazarener zu dienen. Vielleicht verrät er auch einen Hauch von Neid angesichts des Verfalls, der in großen Teilen von Ibn Dschubairs arabischer Heimat so bedrückend offensichtlich war. Der Reisende hatte nämlich Bagdad, im Kontrast zu seiner vorsichtigen Begeisterung für Palermo, wie folgt charakterisiert: Obwohl sie immer die Hauptstadt des ʿabbâsidischen Kalifats und Angelpunkt der Ansprüche der quraischitischen und haschemitischen Imame gewesen ist, sind die meisten dieser Spuren vergangen; nur ein berühmter Name ist geblieben.71 Bagdad, im 9. Jahrhundert noch Mittelpunkt einer grenzenlosen Welt, hatte danach seine zentrale Stellung an die neuen Knotenpunkte Kairo und Córdoba verloren. Nun aber verschob sich das Zentrum der Schwerkraft auf der Halbkugel erneut, in Richtung eines langsam wieder aufwachenden Europas. Es schwebte einige Zeit mitten über dem Mittelmeer, über Sizilien, und die offenen Seewege lockten offene Geister – Geografen wie al-Idrīsī, Reisende wie Ibn Dschubair, Universalgelehrte wie der syrische Ibn Wasīl,72 sogar arrivierte Hofdichter wie der ägyptische Ibn al-Qalāqis73 – aus der arabischsprachigen Welt an den Hof von Palermo und dessen Zweigstelle in Kalabrien. Die Bagdader, die Ibn Dschubair einmal für einnehmend, dann wieder für vereinnahmend und arrogant hielt, wollten ihre Marginalisierung noch nicht wahrhaben, denn „es ist, als seien sie davon überzeugt, dass Gott kein Land und kein Volk außer dem ihren kennt“.74 Für den aktuellen Kalifen, al-Nasīr, den er beim Überqueren des Tigris beobachtet hatte, fand er freundlichere Worte: Er ist jung an Jahren, mit einem leichten kurzen, doch vollen Bart, von hübscher Statur und gutaussehend, hellhäutig, mittelgroß und angenehm anzusehen. Er ist ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt. Er trug ein weißes Gewand, mit Gold bestickt, auf seinem Kopf eine vergoldete Kappe,
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umrankt von schwarzem Pelz kostbarer und wertvoller Art, wie es für königliche Gewänder benutzt wird, von Mardern oder noch kostbareren Tieren. Mit dem Tragen dieses türkischen Gewandes bezweckt er, seinen Status zu verbergen.75 Ein solch wortreiches Porträt ist in arabischer Prosa selten und es lässt den hübschen jungen Kalifen vor dem dunklen Hintergrund Bagdads noch stärker hervortreten. Es ist dennoch das Porträt eines Jugendlichen ohne Zukunft in einer dem Untergang geweihten Stadt, in der man, um unbemerkt zu bleiben, die Kleidung des türkischen Eindringlings tragen muss. Nicht einmal ein Menschenleben später sollte Bagdad und seinen arabischen Kalifen noch viel Schlimmeres widerfahren.
Die Erzählung, die alle Erzählungen verschlingt Wenn Ibn Dschubair, der genaue Beobachter der Franken, als eine Art gespiegelter Usāma zu verstehen ist, so kann der etwas spätere Yāqūt al-Rūmī („der Römer“, das heißt „der Byzantiner“) als Spiegelbild von al-Idrīsī gelten, denn er war – neben seinen anderen Fähigkeiten – ein beschreibender Geograf, und zwar einer, der aus der christlichen in die Welt des Islam überwechselte. Anders als al-Idrīsī hatte Yāqūt sich diesen Wechsel nicht selbst ausgesucht, denn er war im Alter von fünf oder sechs Jahren als Sklave von byzantinischem Boden nach Bagdad verbracht worden. Ein ungebildeter Händler kaufte ihn, merkte bald, dass Yāqūt ungemein intelligent war, und gab ihm eine Ausbildung. Der junge Sklave ging für seinen Meister auf Dienstreisen, insbesondere um den Golf. Später entzweiten sie sich und Yāqūt wurde freigelassen. Da begann er seine eigene Karriere mit Reisen und Schreiben. Auf Außenseiter wie ihn entfaltete die arabische Sprache und Kultur noch lange nach dem Ende der arabischen politischen Macht ihre Wirkung, assimilierte ihn und führte ihn in die von ihnen erschaffene weite Welt ein. Yāqūt war der Inbegriff eines Wandergelehrten, ein Mann, der die alten Redensarten über den Segen der Mobilität auswendig zitieren konnte: Fī al-haraka baraka wa-l-ightirāb dāʿiyat al-iktisāb, „Im Bewegen liegt Segen und weit weg von zu Hause warten Gewinne.“76 In den gutgefüllten Bibliotheken von Merw im heutigen Turkmenistan fand er Bücher, „die mich die geliebte Heimat vergessen ließen … Ich machte mich wie der gierigste Vielfraß über sie her …“77 Er reiste sein ganzes Leben lang und verbrachte passenderweise den letzten Teil seiner Expeditionen in einer Karawanserei außerhalb von Aleppo.78 Die Reise, die zu unternehmen ihm nie gelang, war jedoch eine Reise weg von seinen Wurzeln: Er sehnte sich danach, sich von Yāqūt, „Rubin“ – einem Namen, den
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nur Sklaven trugen – zu Yaʿqūb zu wandeln, doch der neue Name schlug keine Wurzeln.79 Letzten Endes war das literarische Ansehen, das er sich verdiente, viel bedeutender. Seine Lexika arabischer Dichter und Prosaschriftsteller sind fast 800 Jahre nach seinem Tod noch unentbehrlich. Wir kennen den rastlosen Gelehrten heute vor allem wegen seines großen geografischen Wörterbuchs, Muʿdscham al-buldān, das „Lexikon der Länder“. Und doch war Yāqūts Art der Mobilität, die so sehr ein Merkmal und ein Grund für die anhaltende Verbreitung der arabischen Kultur war, plötzlich tödlich bedroht. Im Jahr 1219 ereignete sich eine doppelte Katastrophe. Die Kreuzritter eroberten den wichtigen ägyptischen Hafen von Damiette und – „das größte Desaster von allen“80 – die Mongolen fielen in das Gebiet des Islam ein. Es gibt verschiedene Erklärungen für das Auftauchen von Dschingis Khan und seinen mongolischen Reitern in Chorasan, das zum damaligen Zeitpunkt zu Choresmien mit seiner Hauptstadt südlich des Aralsees gehörte. Eine mögliche Erklärung ist, dass der expansionsfreudige choresmische Schah seine Pufferstaaten im Osten Zentralasiens vernichtet und so die Mongolen hineingelassen hatte.81 Eine andere legt nahe, dass der gescheite junge Abbasidenkalif al-Nāsir, in diesem Fall nicht ganz so gescheit, die Mongolen ermutigte, in Choresmien einzufallen, um eine choresmische Invasion des Irak abzuwenden.82 In einer weiteren Erklärung heißt es, dass die choresmischen Generäle die anrückenden Mongolen zurückschlugen, sich dann aber über die Beute zerstritten und die Mongolen hineinließen.83 Wie auch immer, sie wären wahrscheinlich ohnehin gekommen. Ihre Ankunft hatte etwas Apokalyptisches. „Die Kunde von den Tataren“ – so nannten sie arabischsprachige Autoren nach einem Turkvolk, das sie unterworfen hatten und das sich dann ihren Feldzügen angeschlossen hatte – „ist eine Erzählung, die alle Erzählungen verschlingt, ein Bericht, der alle Berichte verblassen lässt, eine Geschichte, die alle Geschichten vergessen macht.“84 So kam es Abd al-Latīf, einem Arzt in Bagdad, vor. Ibn al-Athīr hingegen, der große zeitgenössische Chronist, sah die Mongolen im Licht einer dunklen Zukunft: „Bis ans Ende der Zeiten wird man sicher keine größere Katastrophe mehr erleben.“85 Einer, der die Katastrophe direkt miterlebte, war Yāqūt. Wie er im Jahr 1220 aus Mosul an einen Gönner in Aleppo schrieb, war seinem bibliophilen Aufenthalt in Zentralasien östlich des Kaspischen Meeres ein abruptes Ende gesetzt worden, als die Mongolen einfielen, ein Unheil, das einem die Haare ergrauen lässt und die Eingeweide der Tapferen herausreißt, das Herz schwärzt und bis ins Mark erschüttert … Ich erreichte, schwer mitgenommen, gerade noch den sicheren Hafen von Mosul, nachdem ich viele Gefahren und Prüfungen überstanden und
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für meine Sünden gebüßt hatte. Oftmals beobachtete ich Tod und Ver derben, denn mein Weg führte mich zwischen gezogenen Schwerter hindurch, durch die Reihen besiegter Armeen … Ich watete durch vergossenes Blut, das nach Rache schrie … Kurzum: wäre die mir bemessene Zeitspanne nicht länger gewesen, hätte ich mich den Tausend, Tausend, Tausend, Tausend, Tausend oder mehr Opfern der gottlosen Tataren angeschlossen.86 Wie viele Nullen die Anzahl der Toten nun wirklich umfasst haben mag, selbst die Apologeten der Mongolen bestritten nie, dass in den Städten furchtbare Blutbäder angerichtet wurden. Gleichzeitig führten die erhebliche Entvölkerung der ländlichen Gebiete und die daraus resultierende Vernachlässigung der empfindlichen Bewässerungssysteme zum Zusammenbruch der ländlichen Gegenden. Teile von Zentralasien haben sich davon wohl nie erholt. Die alte Welle des Arabertums, die weiter und weiter gerollt war und fast alle, die sie erreichte, aufgesogen hatte, wurde schließlich gestoppt, oder besser gesagt, von einer Kraft zurückgerollt, die größer war als sie.
Der Sturz der Galionsfigur Nach der Invasion des Ostens brachen die Mongolen ihren Vormarsch zunächst ab. Doch im Jahr 1258 stießen sie unter Dschingis Khans Enkel Hülegü bis zur alten Hauptstadt des arabischen Reiches vor und ließ dessen letztes lebendes Symbol der Vergessenheit anheimfallen. Der Irak hatte bereits Probleme. Es litt nach dem Zeitalter der Größe nicht nur unter einem allgemeinen Niedergang, den Ibn Dschubair in Bagdad bereits konstatiert hatte. Die Gesellschaft selbst war im Verfall begriffen. Derselbe Reisende passierte al-Kūfa und sah, wie mehr als die Hälfte der Stadt durch die Überfälle des Stammes der Chafādscha vernichtet worden war.87 Im darauffolgenden 13. Jahrhundert suchte die Bagdader Stadtbevölkerung häufig ihr Heil in gewaltsamen Aufständen, bei denen sich die Stadtviertel gegenseitig bekämpften.88 Doch all das war nur ein kurzes Vorspiel zu der Verwüstung, die die Mongolen anrichten sollten. Die gängige Version besagt, dass es der Wesir des letzten Kalifen in Bagdad, al-Mustaʿsim – ein Urenkel des al-Nāsir mit dem schönen Bart – war, der die Mongolen dazu anstiftete, Bagdad einzunehmen. Der schiitische Wesir, so geht die Geschichte, war ob einer Vergeltungsaktion des Kalifen gegen eine schiitische Ortschaft erzürnt.89 Wenn das stimmt, wäre dieser Bericht ein krasses Beispiel dafür, wie Uneinigkeit zur Vernichtung führt: Getrennt gehen wir unter. Doch es könnte sehr wohl ein Beispiel antischiitischer Propaganda sein. Wie auch immer, die mongolische Dynamik
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schien nun unaufhaltsam. Wobei die Mongolen weniger eine geschichtliche Größe, als vielmehr eine Naturgewalt waren. Das genaue Schicksal von al-Mustaʿsim ist unbekannt. Er wurde entweder erwürgt, im Tigris ertränkt, oder in einen Sack gesteckt und zu Tode getreten.90 Zu sagen, das Abbasidenkalifat wäre auf diese Art von seinem Leiden erlöst worden, klingt grausam, aber seine Zeit war ohnehin abgelaufen. Sie hatte exakt 500 Jahre zuvor begonnen, als der erste der 36 Kalifen in Bagdad und Gründer der Stadt, al-Mansūr, sich auf Sklaventruppen verließ. Weniger als 200 Jahre später hatten die fremden Leibgarden die arabische Macht erstickt. Seitdem befand sich das Kalifat in einem vegetativen Zustand, nur von den eigenen türkischen und iranischen Aufpassern am Leben erhalten. Doch sogar zu seiner Blütezeit waren die Anzeichen der Vergänglichkeit schon vorhanden. Über den arabischen Philosophen und Astrologen al-Kindī sagt man, dass er schon im 9. Jahrhundert umfassende Vorhersagen über die Abbasiden-Dynastie traf. Er deutete an, dass ihr Untergang und der Fall von Bagdad in der Mitte des 7. [13.] Jahrhunderts stattfinden würden. Wir haben keine Informationen über al-Kindīs Buch und niemanden gesehen, der es gesehen hat. Vielleicht war es unter den Büchern, die Hülegü, Herrscher der Tataren, in den Tigris geworfen hat.91 „Nur in Zeiten des Kriegs“, wusste Mandelstam, findet unser Schicksal Vollendung Und die Weissagung endet dann auch.92 Die Abbasiden fristeten ihr schattenhaftes Nachleben in Ägypten. Die Vernichtung von al-Mustaʿsim und Bagdad aber war ein enormer Schicksalsschlag für das Arabertum: Sie radierte sowohl das kulturelle als auch das geografische Arabertum aus. Und nicht nur das: Obwohl die politische Macht der Araber bereits lange zuvor verschwunden war, hatte sich die arabischsprachige Kultur immer weiter erfolgreich ausgebreitet. Nun schien die Ankunft der Horden diese 600 Jahre währende Vorwärtsbewegung in den Rückwärtsgang zu zwingen. Die Mongolen trieben Yāqūt und andere Bannerträger der arabischsprachigen Kultur vor sich her und drängten sie zurück in den Westen; sie überwältigten die städtischen Zentren dieser Kultur und zerstörten die Bibliotheken, in denen Yāqūt sich – und seine Sklavenherkunft – im Studium der glorreichen arabischen Vergangenheit verloren hatte. Sie radierten die Geschichte selbst aus.
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Ebenso schienen die Mongolenhorden den Zeitraum von 600 Jahren ausgelöscht zu haben, in denen hadāra, die sesshafte Zivilisation, über badāwa, das Beduinentum, die Oberhand gewonnen hatte. Von nun an überfielen arabische Stämme immer wieder das besiedelte Kernland des Irak und machten Jagd auf Bauernhöfe und Dörfer.93 Solche Veränderungen waren Teil einer viel umfassenderen Tendenz. Ibn Chaldūn verstand rückblickend die Umayyaden und Abbasiden nicht nur als eine einzige quraischitische Dynastie, sondern auch als den Gipfelpunkt einer Reihe von Gemeinwesen, die mit denen des prähistorischen sesshaften Südarabien ihren Anfang genommen hatten und in die des Islam übergegangen waren – als Bewegung, die das Sesshafte und das Nomadische, die Völker und Stämme, zusammengeführt hatte: [Es gab] Ād und Thamūd, die Amalekiter, Himyar und die Tubbaʼ [die späteren Himyarenkönige] … und dann gab es die [nordarabische] Mudar-Dynastie im Islam, die Umayyaden und Abbasiden.94 Doch mit dem Fall der letzteren, „als die Religion vernachlässigt wurde, waren die Beduinen von der Herrschaft abgeschnitten. Sie vergaßen die Staatsherrschaft, kehrten in die Wüste zurück und wurden wieder so wild, wie sie einstmals gewesen waren“.95 Es ist bemerkenswert, dass Ibn Chaldūn Araber ihre „Religion“ verlieren sah … Er meint keinesfalls, dass Araber sich auf einmal nicht mehr als Muslime bezeichneten oder das Beten einstellten (obwohl Beduinen, zumindest in den Augen der Stadtbevölkerung, immer nahezu Ungläubige gewesen waren). Eher geriet nun das Gleichgewicht, das der Islam zwischen den arabischen Völkern und den arabischen Stämmen hergestellt hatte, ins Wanken. Außerdem hatten Araber, für die der Islam immer neben einer Religion auch ein soziopolitisches Phänomen gewesen war, in ihrer Gesamtheit etwas anderes verloren – nicht nur das Gleichgewicht, sondern den Drehpunkt, auf dem es austariert worden war. Al-Rādī, seit über 300 Jahren tot, war der „letzte echte Kalif“ gewesen, der letzte also, der die Freitagspredigt gehalten hatte.96 Doch das Amt des Imam, des Vorbeters, hatte weiter existiert, so lange es eine Linie von Kalifen in Bagdad gegeben hatte. Für die große sunnitische Mehrheit waren die Abbasiden immer „die Imame aus dem haschimitischen Clan der Quraisch“ gewesen,97 wie Ibn Dschubair sie beschrieben hatte. Ein Imam ist zunächst – in jeder Definition – der Vorbeter des Gemeindegebets. Nun war mit der Tötung al-Mustaʿsims die Linie der Imame abgebrochen. Zum ersten Mal seit Abū Sufyān gesehen hatte, wie sein haschimitischer Cousin Mohammed die sich verbeugenden Reihen in Medina anführte, staunend über den Anblick der Disziplin, die er nie zuvor unter Arabern gesehen hatte,98 gab es
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keinen Anführer dieser, wenn auch symbolischen, Einheit mehr. Es spielte keine Rolle, dass die Kalifen jahrhundertelang nicht viel mehr als Galionsfiguren gewesen waren. Nun, da sie verschwunden waren, wurde den Menschen eines bewusst: Gleichgültig, wie groß und unterschiedlich die Schar der Gläubigen gewesen war, die Galionsfigur, der Frontmann, der Imam hatte sie alle zusammengehalten.
Die verlorenen Jungen Nach dem Fall Bagdads und der Abbasiden deutete alles darauf hin, dass die Mongolen Ernst machen und auch ohne Hilfe der Kreuzfahrer und Reconquistadoren den Islam von der Landkarte tilgen würden. Wo blieb der Retter, der Saladin dieser schreckensreichen Zeiten? Saladins Nachkommen hatten das gemacht, was praktisch jede Dynastie vor ihnen getan hatte, nämlich türkische Militärsklaven mit dem Thema Sicherheit zu beauftragen und sich anschließend fatal zu zerstreiten. Und als das Kuckuckssyndrom erneut zuschlug und die Türken die Macht übernahmen, waren sie es, die im Jahr 1260 den Islam retteten, indem sie dem Vormarsch der Mongolen nahe den Toren Afrikas, in Ain Dschālūt in Palästina, Einhalt geboten. Mehr noch, sie taten das, was keine rein militärische türkische Macht je zuvor getan hatte und verwandelten sich selbst in eine Dynastie, oder eher in ein System – das der Mamluken oder Militärsklaven. Das System war selbsterhaltend, und zwar in einer Art, die seine Langlebigkeit viel erfolgreicher garantieren konnte als das risikoreiche Geschäft der Zeugung von Söhnen: Mamluken-Emire brachten ständig neue Rekruten ins Land, meist von kiptschakischen Stämmen, die nördlich und östlich des Schwarzen Meeres wohnten, und später von den tscherkessischen Völkern des Kaukasus. Diese Rekruten stiegen in der Hierarchie auf und rekrutierten ihre eigenen Nachfolger, und so weiter in saecula saeculorum, oder zumindest in den nächsten über 500 Jahren, bis die letzten Mamluken 1798 von der napoleonischen Horde besiegt und dann 1812 von Mohammed Ali Pascha erledigt wurden. Wie bei allen erfolgreichen Herrschercliquen basierte das System auf einer Eliteausbildung und der Aussicht auf glitzernde Belohnungen. Die Rekruten wurden in Kasernenschulen untergebracht, die in „Häuser“ mit Eunuchen„Müttern“ eingeteilt waren, und sie wurden in Arabisch und den Grundlagen des Islam unterrichtet. Den Schwerpunkt bildeten Schießübungen, Mannschaftssportarten wie Polo und selbstverständlich ordentlicher Drill. Die Ausbildung sollte die Mamlunken zu natürlichen Herrschern und Ehrenmännern formen, zu
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Meister[n] in der Verwaltung von Königreichen, Anführer[n] im gerechten Kampf auf dem Weg Allahs, Männer[n], die wissen, wie man regiert, und denen alles daran gelegen ist, gute Manieren zu zeigen und Tyrannei und Aggression abzuwehren.99 Die Beschreibung lässt an das britische Selbstbild während der Hochzeit des Empire denken. Kiptschaken standen Schlange, um ihre Söhne nach Kairo in die mamlukischen Eliteinternate zu schicken. Und sie mussten nicht einmal Schulgeld zahlen! Stattdessen wurden die Väter bezahlt (es gab aber einen Nachteil: Sie sahen ihre Söhne nie wieder). Hin und wieder wurde die Nachfolge aber auch familienintern geregelt. Das beste Beispiel ist der mamlukische Sultan al-Nāsir mit der langen Regierungszeit (mit einigen Unterbrechungen von 1293 bis 1340), dessen acht Söhne, zwei Enkelsöhne und ein Urenkelsohn nach ihm regierten.100 Die durchschnittliche Regierungszeit dieser jüngeren Generationen betrug jedoch nur drei Jahre, und viele von ihnen standen unter dem Pantoffel von mamlukischen Emiren, die nicht zur Familie gehörten. Es war ein einzigartiges System. Aber es funktionierte, denn unter den Mamluken waren Ägypten und Syrien relativ stabil und Kairo florierte: „[Es] besitzt unzählig viele Bauten“, so heißt es Ibn Battūtas Reisen über Kairo unter Sultan al-Nāsir in den 1320er-Jahren, „und ist stolz auf seine Schönheit und Anmut … Die Massen der Einwohner gleichen den Wellen des Meeres, und es fehlt nicht viel, daß ihnen die Stadt trotz ihrer Ausdehnung und ihres Umfangs zu eng wird.“101 Nimmt man China aus, so war Kairo damals wohl die größte Stadt der Welt. Sein Wohlstand lag größtenteils in der Tatsache begründet, dass es eine zweifache Metropole war – sowohl der mamlukischen Staatsnation als der arabischsprachigen Kulturnation. Die türkischen Soldaten und ihre tscherkessischen Nachfolger waren zwar politisch dominant, aber die maßgebliche kulturelle Macht war stets die des Hocharabischen, jenes ersten und immer noch ungeschlagenen Eroberers. Die arabische Alchemie Ägyptens entfaltete nämlich auch auf Mamluken ihre Wirkung. Türken und andere wurden arabisiert, niemals andersherum. Mischten sich die Arabisierten unter die Untertanen, verloren sie ihre erhabene Distanziertheit und gehörten nicht länger der Herrscherklasse an. Die Elite wurde andererseits immer wieder mit neuen Rekruten aufgefüllt – verlorene Jungs von jenseits der Krim und dem Kaukasus, deren eigenen Nachkommen schließlich ihren Platz in einer neuen Welt finden würden, die immer diverser wurde, aber doch durch die arabische Sprache geeint blieb. Dennoch waren „echte“ Araber nicht vollständig von der Bildfläche verschwunden, und einige hatten ein gewisses Maß an politischer Unabhängigkeit
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behalten. Aber sie waren wieder dort, wo sie angefangen hatte, „auf einem Felsen zwischen zwei Löwen“. Eine Zeitlang, nachdem die Mamluken den Mongolen Einhalt geboten hatten, standen sich die beiden militärischen Großmächte im nördlichen Fruchtbaren Halbmond gegenüber, die Mamluken in Ägypten und Syrien, die Mongolen im Irak. Araber aus Stämmen in der Region und der angrenzenden Wüste waren inzwischen wieder zu ihrer Stellung aus alten (und noch folgenden kolonialen) Zeiten zurückgekehrt, als rivalisierende Reiche „Könige der Araber“ ernannten. Ein Beispiel war Muhannā ibn Īsā, der von den Mamluken ernannte amīr der ʿarab in den Beduinengebieten Syriens. Muhannā war der Anführer des Stammes Taiyiʾ, der schon lange vor dem Islam eine Macht in der Region war. Nun begann er, wie die alten Lachmiden von al-Hīra und andere, noch viel ältere Söldnerstämme am Rande des Fruchtbaren Halbmonds, die Großmächte gegeneinander auszuspielen und die Seiten nach Belieben zu wechseln. Im Namen der Mamluken bekämpfte er die Mongolen, zerstritt sich dann mit den Mamluken und lief zu den Mongolen über, für die er Aleppo mit 25 000 Stammesbrüdern angriff. Eine Zeitlang war er weder für die einen noch die anderen tätig, sicherte seinen Unterhalt mit altbewährten Raubüberfällen auf Pilger in der Wüste und kehrte dann wieder in den Schoß der Mamluken zurück.102 Sein Sohn und Nachfolger Faiyād bekam wegen seiner Überfälle auf Kaufleute Ärger mit den Mamluken und flüchtete sich wieder zu den Mongolen. „Er hatte keine Manieren“, heißt es in seiner Biografie knapp.103 Die mongolischen Horden mochten die meisten Araber fest im Griff haben; einige jedoch blieben beweglich – zumindest war ihre Loyalität betraf.
Mongolen und Mikroben Die vorrückenden mongolischen Kolonnen glichen in ihren geschuppten Rüstungen einem Krokodil, das Eurasien verschlang. Was die Religion betraf, erinnerten sie eher an Chamäleons. In ihrer Frühzeit waren sie, zumindest nominell, buddhistisch, und hingen außerdem älteren schamanistischen Praktiken an. In der Zeit nach Dschingis Khan durchliefen sie eine ganze Reihe von Konfessionen einschließlich verschiedener Schattierungen des Christentums. Doch gegen Ende des 13. Jahrhunderts, als ihr fernöstlicher Flügel sich in China zur buddhistisch-konfuzianischen Yuan-Dynastie transformierte, nahmen ihre drei westlichen Flügel eine islamische Färbung an. Wie jene erste Eroberin aus Arabien, die arabische Sprache, schien auch der Islam unermüdlich, wenn auch die Menschen, die sich als erste zu ihm bekannt hatten, von einer Niederlage erschüttert wurden. Die Mongolen aber waren der letzten Welle von Nomaden aus dem Osten, den seldschukischen Türken, in einer Hinsicht ähnlich: Sie zogen das Persische dem Arabischen vor.104 So errichteten die Horden von Dschin-
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gis und Hülegü eine weitere Barriere zwischen den arabisch- und persischsprachigen Teilen der islamischen Welt: Die Seldschuken hatten dem südwestlichen Zugang zu Asien einen sprachlichen Vorhang vorgezogen, die Mongolen machten daraus einen Fensterladen und schwächten so die Stellung des Arabischen als wichtigste Sprache der islamischen Welt weiter.105 Gleichzeitig aber öffneten sie eine Tür. Als sie sich von ihren Siegen erholt hatten, ließen sie sich in relativem Frieden zum Regieren nieder und verwalteten die sogenannte Pax Mongolica. Zum ersten Mal seit der kurzlebigen Blütezeit des arabischen Reiches im abbasidischen 9. Jahrhundert kamen Handel und Reiseverkehr zwischen den Hemisphären wieder richtig in Schwung … Und dann, gerade als es so aussah, als könnte man wieder gefahrlos die Seidenstraße betreten, schlug der Schwarze Tod zu. Der erste Pestausbruch in den 1340er- und 1350er-Jahren tötete in einer Schneise von Eurasien bis Nordafrika womöglich ein Drittel der Menschheit, und Schuld daran war wenigstens zum Teil die Mobilität, die sich auf den neuen Land- und Seerouten Menschen und Mikroben nun gleichermaßen eröffnet hatte. Der Schwarze Tod schien eine weitere Horde aus dem Osten zu sein: Ach, wehe dem, den er ruft! / Er fand die Risse in den chinesischen Mauern / gegen seinen Aufmarsch waren sie wehrlos. / Er stolzierte nach Cathay, machte Reibach in Hind / zerstörte Seelen in Sind. / Er spießte die Goldene Horde auf, durchbohrte Transoxanien, durchstach Persien. / Die Krim erschauderte und sackte zusammen …106 So schrieb der syrische Gelehrte Ibn al-Wardī. Und auch im Original findet sich ein Hauch von Leichtigkeit, schwarzer Humor im Angesicht des schwarzen Grauens. Die Geschichte, aus der die Passage stammt, endet mit einer Reihe von Nachrufen und hört dann mitten im Kapitel auf – die Pest hatte auch den Verfasser geholt. Die Seidenstraßen mochten wieder begehbar sein, aber auf ihnen, so formulierte es Ibn Chaldūn, ging auch „die allesverzehrende Pest, die den Teppich der Erde und alles, was sich darauf befindet, zusammenrollt“.107 Es schien alles so endgültig wie das Schicksal der Kalifen. Doch damit noch nicht genug: Im späten 14. Jahrhundert ereignete sich ein verzögertes mongolisches Nachbeben, ausgelöst durch Timur Leng oder Tamerlan, der einen Vorfahren mit Dschingis Khan gemeinsam hatte. Seine Invasionen schlugen eine weitere Schneise des Todes, der sich unter den sesshaften arabischsprechenden Bevölkerungen der Levante als besonders grauenvoll erwies. In Aleppo ließ er beispielsweise die Köpfe der Toten in Pyramiden auftürmen, bei denen alle 20 000 Gesichter nach außen schauten. (Unglückliches
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Aleppo: Hülegü im Jahr 1260, Muhannā im Jahr 1311, Timur im Jahr 1400; Baschar al-Assad im Jahr 2016.) Dann folgte Damaskus. Ibn Chaldūn war in der Stadt, als die Mongolen ihr zu Leibe rückten,108 zurückgelassen vom geflohenen Mamluken-Sultan, mit dessen Entourage er dort eingetroffen war. Timur hatte jedoch eine Schwäche für Gelehrte und schonte den Historiker. Dafür war aber eine Gegenleistung fällig: Ibn Chaldūn wurde beauftragt, einen Reiseführer für Nordafrika zu verfassen, der anschließend ins Mongolische übersetzt wurde. Um die Eroberungen von Dschingis Khan zu toppen, wollte Timur mit einem „Baedeker“ in der Hand den gesamten Westteil der islamischen Welt angreifen. Ibn Chaldūn beruhigte jedoch sein Gewissen mit einem Brief an den berberischen Sultan von Marokko, in dem er ihm eine nützliche Beschreibung von Timur und seinen Horden lieferte und erklärte, was ihm bevorstand.109 Der Meister der historischen Rückschau war zu nah an den Ereignissen, um das große Ganze erfassen zu können. Aber er bietet zwei flüchtige Blicke darauf, wozu es Araber in diesem jüngsten furchtbaren Augenblick gebracht hatten. An einem Ende der gesellschaftlichen Skala scharwenzelte ein abbasidischer Opportunist um Timur herum und versuchte, vom Warlord als Rivale der Marionettenkalifen der Mamluken anerkannt zu werden.110 Am anderen Ende wurde Ibn Chaldūn, gerade noch den Mongolen entkommen, auf dem Weg zurück nach Ägypten von beduinischen Arabern überfallen und nackt in der Wüste zurückgelassen.111
Die Ära der Fassaden Sollte Timur mit Ibn Chaldūns Reiseführer in der Hand tatsächlich eine Invasion des Maghrebs geplant haben, so kam es nie zur Ausführung. Hätte er es getan, so hätte er herausgefunden, dass im fernen Westen, weit weg von Mamluken und Berbern, Araber ihren Schwanengesang sangen und sich an den letzten Sonnenstrahlen ihres langen imperialen Tages wärmten – an der Costa del Sol und im Schoß der Sierra Nevada. Spaniens berberische Herrscher, die Almoraviden, hatten ihren Berbergefährten, den Almohaden, Platz gemacht. Doch die vorrückende Reconquista hatte auch sie vertrieben und in Granada einen spärlichen Rest arabischer Kultur zurückgelassen. Vielleicht lag es daran, dass Granada der letzte arabische Staat in der großen Diaspora jenseits der Arabischen Halbinsel war, der verkümmerte Rest des Reiches am Schwanz des andalusischen Pfaus, abhängig von seinen kastilischen Nachbarn, denen er immer wieder Tribut entrichten musste; jedenfalls klammerte sich Granada an sein Arabischsein. Die nasridischen Herrscher brüsteten sich damit, dass sie von den Chazradsch abstammten, einem der zwei großen Stämme von Yathrib, bevor es zu Mohammeds Medina wurde,
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und örtliche Geschichtsschreiber unterstrichen die arabische Identität der Bevölkerung.112 In Wirklichkeit war Granada von Berbern gegründet worden. Selbst wenn seine Familie über neun Generationen gründlich arabisiert worden war, konnte es passieren, dass nachtragende Biografen jemanden als „einen [berberischen] Masmūdī-Klienten [des arabischen quraischitischen Clans] der Banū Machzūm“ klassifizierten.113 Diese Art von genealogischer Apartheid war anderenorts weitgehend aufgegeben worden, sie spiegelte die hybride Realität nicht wider, auch nicht in Granada, das eine ethnische Paella aus Berbern, Gothen, „slawischen“ ehemaligen Sklaven aus ganz Europa und Juden und Muslimen aller Art, die der Reconquista entflohen waren, war. Im Granada des 14. Jahrhunderts begegneten Ibn Battūta sogar Immigranten aus Westafrika und Indien.114 „Echte“ Araber (also Araber in der männlicher Linie, wie exotisch auch immer ihre Vorfahren mütterlicherseits waren) lieferten jedoch die Garnierung und das vorherrschende Aroma; in dieser Hinsicht war Granada ein eingekochter Mikrokosmos des arabischen Reiches und seine letzte Bastion. Auch sein Ende war typisch: Kastilische Truppen marschierten auf einen Staat, in dem ein Onkel und ein Neffe um das Sultanat stritten.115 Granada fiel gleichermaßen seiner eigenen Uneinigkeit wie der christlich-spanischen Einheit zum Opfer. Der Fall von Granada im Jahr 1492 kam nur einige Jahrzehnte nach dem Fall seines Spiegelbilds am östlichen Ende des Mittelmeers, Konstantinopel, das von den Osmanen erobert worden war. Dort, im Oströmischen Reich, das ebenfalls auf einen Stadtstaat zusammengeschrumpft war, walteten die Kaiser der Palaiologen-Dynastie über ein letztes Aufbäumen künstlerischer Aktivitäten. Das gleiche passierte unter den Nasriden in Granada. Ihr berühmtestes Denkmal hätte nicht passender sein können. Der ausladende Palast der Alhambra ist deshalb bedeutsam, weil es die einzige Anlage dieser Art ist, die überlebt hat; sie kann auch als perfektes Beispiel für die Inszenierung des arabischen Staates, zu dem Granada geworden war, gelten. Es ist eine Architektur der Fassaden, ein Pop-up-Palast im prächtigen, bombastischen maurischen Stil. In den brutal-schönen Gebäuden des mamlukischen Kairos – der Sultan-Hasan-Moschee und ihren Medresen aus dem 14. Jahrhundert – offenbart sich dagegen eine solide architektonische Kraft. Demgegenüber gehört die Alhambra einer Ära von Fassaden an, sie ist ebenso sehr Text und Textil wie Gebäude. Wie der granadische Dichter und Wesir Ibn Zamrak in einer Ode schrieb, die als Selbstreferenz in der „Halle der zwei Schwestern“ im Palast eingemeißelt wurde: Das Schicksal will dass ich alle andere Denkmäler überstrahle.
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Welch ein Vergnügen bereite ich den Augen! … Gekleidet in einem gewebten Gewand so fein vergisst du die fleißigen Webstühle des Jemen.116 Gebäude sind zu Gewändern geworden und die Verse, ihre Stimme, sind ebenfalls aus feinem Tuch. Nur der Verweis auf die Webstühle des Jemen ist etwas abgedroschen – 800 Jahre zuvor hatte der Dichter Imruʾ al-Qais seine Muʿallaqa mit einem Bild von jemenitischem Stoff abgeschlossen und seine Nachfolger hatten das gute alte Gleichnis immer wieder bemüht. Thematische Originalität ist das letzte, das man in der hocharabischen Dichtung sucht: Es geht um Form, nicht um Inhalt. Doch selbst der freundlichste Kritiker musste zugeben, dass die arabische Sprache, die ewig junge erste Eroberin, langsam ein bisschen in die Jahre gekommen war. Sie hatte die Kontinente durchquert, nun saß sie am Fenster und häkelte.
Inschriften auf Ruinen Der Verlust der literarischen Vitalität hatte schon Jahrhunderte zuvor mit dem Verlust der Herrschaft angefangen. Schwert und Schreibrohr waren gleichermaßen stumpf geworden. Nichtarabische Kommentatoren sagen der großen arabischen Kunstform der Dichtung oft nach, sie hätte seit dem Tod al-Maʿarrīs im Jahr 1058 wenig bis nichts Scharfes oder Strahlendes mehr zu bieten.117 Ein belesener Kritiker aus der arabischen Welt selbst gesteht ein: „Würde man mich bitten, einen Dichter [aus der Zeit nach dem 12. Jahrhundert] zu nennen, ich müsste die Antwort schuldig bleiben.“118 Verse gab es zur Genüge, doch immer weniger davon war Dichtung im ursprünglichen Sinne einer inspirierten, „magischen“ Äußerung. Wie ein Beobachter es formulierte: Die Dichtung „konnte nicht über den eigenen Schatten springen“.119 Der Schatten blieb ihr voraus. In der arabischen Literatur insgesamt erloschen die alten Feuer. Dieser Zeitraum wird häufig ʿasr al-inhitāt, „Zeitalter des Verfalls“, genannt; andere haben ihn als ʿasr al-tarādschuʿ, „Zeitalter des Rückgangs“, bezeichnet.120 Aber ob es nun abwärts oder rückwärts ging, es war auch ein Zeitalter, in dem man sich im Kreis drehte, und das Ergebnis war eine Abwärtsspirale, nicht ein Rad aus Feuer, sondern aus Geschwätz: „Es war ein Zeitalter von Verdichtung und Exegese, von Verdichtungen von Verdichtungen und Exegesen von Exegesen und Kommentaren dazu.“121 Der Prozess beschleunigte sich mit den Jahrhunderten immer mehr. Nun schien es, als hätten die Araber mit dem Überfall der Mongolen und dem Fall des Kalifats nicht nur ihr großes Symbol der Einheit, sondern auch ihren literarischen Schutzgeist verloren, ihren genius linguae. Die „Innen-
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schau“ des Ibn Chaldūn122 hatte das leere Herz der Helix erreicht, kulturell wie politisch. Ein Jahrhundert nach Ibn Chaldūn war der Niedergang noch offensichtlicher und beschämender. In Erinnerung an die große Bibliothek des alSāhib ibn Abbād aus dem 10. Jahrhundert, die allein 60 Kamelladungen von Büchern über die arabische Philologie enthielt,123 schrieb der Literaturkritiker al-Suyūtī im 15. Jahrhundert: „Die meisten Bücher verschwanden im Tumult, den die Tataren und andere verursachten, sodass die Werke über die Philologie, die heute noch existieren … nicht einmal eine einzige Kamelladung ergeben würden.“124 Die Spirale drehte sich weiter abwärts – bis heute, wie einige Beobachter meinen. In der Diagnose des syrischen Dichters Adonis begann die arabische Gesellschaft mit der Eroberung Bagdads durch die Mongolen von dem Weg abzukommen, den ihr die Moderne eröffnet hatte.125 In der Diagnose von al-Jabri wurde sie während dieser Jahrhunderte von dem beherrscht, was er „den resignierten Geist“ nennt.126 Und der Dichter Nizār Qabbānī spricht vielleicht vom gleichen Kontinuum, von der Verwüstung Bagdads über den Fall von Granada bis zu den neueren Ruinen von Beirut – und noch einmal Bagdad, Mosul, Palmyra, Aleppo – wenn er sagt: Die Hälfte unserer Verse sind Inschriften … und was bringen Inschriften, wenn das Gebäude einstürzt? Oder wenn es gar von den Bewohnern selbst abgerissen wird?127
Abschied von den Kriegsfanfaren Nicht alles stürzte ein. Wenn al Maʿarrī, geboren im Jahr 973, der letzte große arabische Dichter war, so fiel sein Leben auch mit der Geburt einer ganz neuen Gattung zusammen. Maqāmāt, Erzählungen von pikaresken Helden in gereimter Prosa, sind die Nachfahren der magischen Rede alter Seher und des Koran, dienen nun aber einem ganz anderen Zweck, dem Geschichtenerzählen. Sie sind mit solcher Wortakrobatik vollgepackt, dass sie sich manchmal wie Finnegans Wake lesen. Die Geschichten und ihre Protagonisten erreichten bald die hintersten Winkel der arabischen Welt. Der Einfluss ihrer teuflisch klugen Prosa ist in vielen späteren arabischen Texten spürbar – wie in jenem bereits zitierten Bericht über den Vormarsch der Pest –, und sogar eher minimalistische moderne Autoren können sich ihm kaum entziehen. Die maqāmāt zogen Nachahmungen auf Persisch und sogar Hebräisch nach sich.128 Ihr magischer Realismus führte noch zu einem weiteren Novum: der Bebilderung – Grafik und Illustration –, die in früheren arabischen Büchern (mit Ausnahme von wissenschaftlichen Texten) so gut wie unbekannt waren.
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Das berühmteste Beispiel ist eine Handschrift von al-Harīrīs Maqāmāt, wahrscheinlich in Bagdad illustriert und auf das Jahr 1237 datiert, ein paar Jahrzehnte vor dem Fall der Stadt an die Mongolen. Alle Bilder sind brillant, doch das kraftvollste und einprägsamste von allen zeigt eine kleine Gruppe von Reitern, die berittenen Bannerträger des Kalifen. Die Fahnenstangen und Kriegsfanfaren sind diagonal angeordnet, die Augen der Reiter schauen über den Bildrand hinaus, als wären sie zum Losreiten bereit, die Pferde und Kamele schnauben und scharren mit den Hufen. Die alte Energie des Imperiums scheint in diesem Gemälde eingefangen. Das Bild ist herrlich, aber das, was es zeigt, ist dem Untergang geweiht. Der Kalif, der Hof und die Hauptstadt, die es feiert, sind dem Untergang durch die nahenden Horden geweiht und das gilt auch für eine größere arabische Welt, die immer noch das Banner des Kalifen als Fluchtpunkt fixiert. Das Bild selbst ist dazu verdammt, Gefangener des eigenen Erfolgs zu werden. Ein ums andere Mal wurde es auf den Einbänden und Schutzumschlägen von Büchern zur arabischen Geschichte und Kultur reproduziert (darunter auch eines von mir). Das zeigt natürlich, wie brillant es ist, doch es ist eine Brillanz, die die bevorstehende lange Finsternis nur betont. Als hätte jedes arabische Buch zur westlichen Geschichte und Kultur (nicht, dass es viele gibt) die Mona Lisa auf dem Umschlag. Im Laufe der Zeit folgten selbstverständlich noch viele brillante „islamische“ Miniaturmalereien, doch sie waren persisch, osmanisch, mogulisch. Die Malerei in den arabischen Gebieten erreichte nie wieder die Wucht und Strahlkraft dieser Bannerträger. Schon bald verblasste sie zu Nichts. Die Reiter ziehen weiter, fahnenschwingend, ins Nirgendwo. In den Sphären der politischen Macht, der Prosa, Poesie und nun auch Malerei schienen Araber in einer sich wiederholenden Gegenwart gefangen, einem Pilgerweg folgend und nie den Bildrahmen verlassend. Natürlich half es nicht, dass Mongolen und Mamluken, Berber und Franken jene unumgängliche Grenze bildeten, die ihnen den Zugang zur großen eurasischen Bühne der Ereignisse blockierte, ganz zu schweigen von Timur und den Osmanen, die auf der Lauer lagen, als Eurasien sich gerade von der ersten Attacke des Schwarzen Todes erholte. Es gab aber einen Ausweg, eine Hintertür, die über den fruchtbaren Rand der Küste Arabiens führte. Denn auch wenn auf dem Kontinent die Sicht versperrt war, gab es immer noch einen Ozean, der sich südlich der Arabischen Halbinsel erstreckte: eine ganze Monsunwelt, von Mozambique zur Malakkastraße und darüber hinaus. Der Held von al-Harīrīs Maqāmāt, Abū Zaid, wagte sich durch diese Hintertür. Eine Illustration in der berühmten Handschrift zeigt ihn in einer Reihe von seekranken Gesichtern an Bord einer etwas undicht aussehenden Dhau. Ein an-
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deres Bild zeigt die Dhau neben einer Insel, die von Affen und Papageien, aber auch von fantastischen Kreaturen mit menschlichen Gesichtern bewohnt wird. Diese Insel gehört zwar ins Reich der Fantasie, doch es gab jede Menge reale Inseln und Küstenregionen, die von echten Abenteurern, Händlern, Gelehrten, Sufis, Opportunisten und Strandräubern entdeckt wurden: Personen, die verspätet der großen arabischen Diaspora des 7. und 8. Jahrhunderts folgten. Zusammen lösten sie eine zweite, langsame, friedliche Welle von Eroberungen aus, eine transozeanische Woge arabischer Kultur. Diese Eroberungen kennen nur wenige Helden, denn die Abenteurer stachen in See und kamen oft genug nie wieder; einer der wenigen, der zurückkehrte und darüber schrieb, war Ibn Battūta.
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Kapitel 12 Meister des Monsuns: Araber im Indischen Ozean Die Lampe in der Nische Der in Marokko geborene Ibn Battūta war wohl der reiselustigste Mensch vor Anbruch des Dampfmaschinenzeitalters. Im 14. Jahrhundert schlug er sich nach Mekka durch und von dort kreuz und quer durch die Alte Welt – vom Niger bis zum Großen Kaiserkanal in China, von der Wolga bis in den Süden Tansanias. Der von unvorhergesehenen Zwischenfällen heimgesuchte, dabei aber stets optimistische Held kann als Odysseus der arabischen Reiseliteratur gelten. „Genetisch“ ein Berber, war er kulturell betrachtet durch und durch Araber, erfüllt vom Arabisch des Koran und der islamischen Rechtswissenschaft, den Blick gerichtet gen Kairo, den intellektuellen, sowie gen Mekka, den spirituellen Pol seiner Welt. Für seine eigenen Kinder war Ibn Battūta allerdings kein Held. Zwischen Damaskus und den Malediven hinterließ der große Forschungsreisende, der mindestens zehnmal verheiratet war und unzählige Konkubinen hatte, seine Nachkommenschaft. Als er 1341 Delhi verließ, gab er seinen Sohn Ahmed in die Obhut eines Freundes, wobei er später eingestand: „Jetzt weiß ich nicht, was Gott aus beiden hat werden lassen.“1 Der nachlässige Vater war unermüdlich um gesellschaftlichen Aufstieg bemüht. Und so wählte er unter seinen arabischen Freunden in Indien Ghiyāth al-Dīn zum „Taufpaten“: Ururenkel des vorletzten abbasidischen Kalifen in Bagdad und somit ein – in jederlei Hinsicht – entfernter Cousin des mamlukischen Marionettenkalifen in Ägypten.2 Auch er war wie Ibn Battūta den Avancen des Sultans, die darauf abzielten, Araber nach Delhi zu locken und dadurch seinen Herrschaftsanspruch zu festigen, gefolgt. Aber dazu später mehr. Inwieweit der entfernte Abbaside sich zum Vormund eignete, ist indessen unklar: Zwei volle Seiten widmet Ibn Battūta in seinem Buch dessen Geiz.3 Bis heute ist nicht bekannt, was Gott aus Ghiyāth al-Dīn oder dem zurückgelassenen kleinen Ahmed hat werden lassen. Dank glücklicher Umstände wissen wir jedoch, was mit Ghiyāth al-Dīns eigenem Sohn Abdallah geschah: Nahe der Küste im Norden Sumatras fand man seinen Grabstein auf einem alten Königsfriedhof am Ufer des Pasaiflusses. Einst lag dort die Hauptstadt von Samudra-Pasai, dem ersten islamischen Staat auf indonesischem Boden, dem Land, das heute die größte muslimische Bevölkerung weltweit beheimatet. Dort ist der heimatlose Abdallah gestorben. In seinem Grabmal vermengen sich der
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Prunk eines großen Namens mit dem Pathos des Exils: In arabischen Lettern ist darauf als Todesjahr 809/1406–07 zu lesen, die Ahnen des Verblichenen werden über fünf Generationen aufgeführt, bis zurück zu al-Mustansir, dem Kalifen von Bagdad.4 In Abdallahs Fall, der wie ein russischer Prinz aus dem 20. Jahrhundert nach seiner Vertreibung aus der Heimat weiterhin mit seiner noblen Abkunft hausieren ging, wendete sich offenbar alles zum Guten: Im Nachbargrab ruht die Tochter des Sultans, die mit großer Wahrscheinlichkeit seine Ehefrau war.5 Während Abdallah ibn Ghiyāth al-Dīn am Ende wohl sogar eine Prinzessin heiratete, ereilte einen seiner Halbbrüder in der alten Heimat Bagdad ein völlig anderes Schicksal. Bei seiner Rückkehr in die zur Geisterstadt gewordene Me tropole erschütterte Ibn Battūta der Anblick eines bettelnden Imam vor einer Moschee. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem jungen Mann, der flehentlich um seinen ausstehenden Lohn in Höhe eines mickrigen dirhams bat, um den älteren Sohn von Ibn Battūtas abbasidischem Freund in Delhi. Ibn Battūta notierte: Bei Gott, wenn sein Vater ihm eine einzige Perle von den Juwelen geschickt hätte, welche die Ehrenkleider schmückten, die ihm von dem Sultan [in Delhi] zukamen, er hätte ihn reich gemacht. Gott bewahre uns vor ähnlichen Lagen!6 In Anbetracht von Ibn Battūtas eigenen väterlichen Versäumnissen kommt einem unweigerlich das Gleichnis vom Splitter und Balken im Auge in den Sinn. Das gegensätzliche Schicksal der beiden Halbbrüder versinnbildlicht die Erfahrung von Arabern in den nachmongolischen Jahrhunderten: In der alten Heimat herrschte Stillstand, während der Aufbruch in fremde Länder neues Glück versprach. Doch war Indien mit dem heimatlosen Abbasiden von Sumatra nur ein Teil eines größeren Ganzen. Er mag wie ein Einzelfall erscheinen, doch innerhalb eines 12 000 Kilometer weit gespannten Bogens wimmelte es nur so von Hochseevagabunden wie Abdallah. Ihn und seinesgleichen verbindet der arabische Grabstein, der aus Cambay in Indien stammt, einem Hafen im Meeresbusen der nordindischen Westküste. Hier hatten die wohl einflussreichsten Steinmetze aller Zeiten ihre Werkstätten. Aus dem handverlesenen Marmor vor Ort (den sie zuweilen von alten Gebäuden abschlugen, wie die Rückseiten einiger Gedenktafeln offenbaren) stellten die Handwerker von Cambay Grabstelen und -platten sowie andere Denkmäler mit arabischen Inschriften her, die von Ostafrika bis Südostasien im gesamten Indischen Ozean gehandelt wurden. Grabsteine aus Cambay sind in Kilwa Kisiwani, ganz im
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Süden an der Küste Tansanias gefunden worden, außerdem in Mogadischu, Aden, Dhofar im Südoman, Lar im Iran, in Cambay selbst, Goa, Kollam in Kerala, Trincomalee auf Sri Lanka, auf der maledivischen Insel Kinolhas (wo ich selbst unter wildwachsendem Dschungeldickicht verborgen einen Gedenkstein fand), auf Sumatra oder in Gresik auf Java.7 Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, weshalb eine Familie in, sagen wir, Tansania mit enormem Kosten- und Zeitaufwand einen Grabstein 5000 Kilometer über den Ozean aus Indien ordern sollte. Die Sache wird allerdings klarer, wenn wir uns vor Augen führen, dass die Verstorbenen und ihre Hinterbliebenen sich diese Art des Gedenkens auch leisten konnten (die Familie auf Kilwa kontrollierte den Goldhandel aus Südafrika), und dass die Verbindungen über den Ozean dank des alljährlichen Monsunwechsels so verlässlich waren wie ein langsames, im Takt der Sonne tickendes Uhrwerk. Mit dem Südwestmonsun schickte man die Grabinschrift auf Reisen, zurück kam der Stein mit dem Nordostmonsun. Schon war der geliebte Verwandte unauslöschlich in arabischer Schrift verewigt, die über die Gebirgspässe Zentralasiens bis nach Nordindien Verbreitung gefunden hatte und von dort entlang der tropischen Küstenlinien am Saum des Indischen Ozeans ihre Wurzeln schlug. Ein solches Denkmal stellte die eigene Zugehörigkeit zu einem wohlhabenden und kosmopolitischen Kulturraum zur Schau. So wie heutzutage chinesische Plutokraten Aston Martins fahren, ließen sich Überseesultane und Handelsprinzen Grabsteine aus Cambay liefern. Mit dem Stein aus Cambay und einem Koranvers der Wahl, gefertigt von den begabtesten Kunsthandwerkern Indiens, kam Arabien direkt zu ihnen nach Hause – was sich alles in allem weit weniger umständlich gestaltete, als die Toten nach Arabien umzubetten, wie es Saladin einst mit seinem Vater und Onkel getan hatte. Die Grabmale aus Cambay zeigen mehr als nur arabische Worte. Häufig befindet sich in der Spitze das Abbild einer gewölbten, vasenartigen Glaslampe, die in einer Nische hängt.8 Mit ziemlicher Sicherheit spielt dieses auffällige Detail auf ein eindrückliches Bildnis aus dem Koran an: Allah ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht gleicht einer Nische, in welcher eine Lampe steht – die Lampe befindet sich in einem Glas, das Glas gleich einem funkelnden Stern – entzündet von einem gesegneten Baum, einer Olive, weder aus dem Osten noch dem Westen. … Allah leitet zu Seinem Lichte, wen er möchte.9
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Die Steine überliefern bisweilen auch unerwartete Botschaften, wie beispielsweise Zitate aus einem persischen Gedicht von Saʿdī oder andere künstlerisch dekorative Elemente aus der Umgebung von Cambay, insbesondere aus den Jain-Tempeln.10 In ihrer Gesamtheit halten die Grabsteine eine vielfältige Erinnerung wach: An Araber wie Abdallah ibn Ghiyāth al-Dīn ebenso wie an NeuMuslime – Bewohner der Ostküste Afrikas, Somalier, Nordinder, Tamilen, Indonesier. Die arabischen Feuerräder mochten längst erloschen sein, doch vom späten 13. bis zum 15. Jahrhundert war der ozeanische Bogen selbst eine Nische, mit Arabien im Zentrum, das das Licht des Islam verströmte und Araber mitsamt ihrer Sprache nach Osten und Westen zerstreute. Die arabische Finsternis war von einem hell erleuchteten Kranz gesäumt.
Götzenbilder, Elefanten und Arabisch In ihrem Kernland waren Araber von den Horden aus dem weiten Asien und Europa in die Enge getrieben worden. Doch gab es, wie Ibn Battūtas Reisen zeigen, an den Rändern weiterhin Bewegung, ja Expansion. In der Folge der ersten großen mongolischen Eroberungen des 13. Jahrhunderts drängte es Araber und Arabisierte immer weiter fort, diesmal nicht als militärische Eroberer, sondern als geschäftstüchtige Händler, Missionare und Abenteurer. Wie Mohammed sagte: „Zwei Formen der Gier lassen sich niemals befriedigen: Die Gier nach Wissen sowie die Gier nach weltlichen Dingen.“11 Im Halbrund des Ozeans gründeten die neuen Grenzgänger ein informelles Handels- und Kulturimperium unter den Vorzeichen der arabischen Sprache und des Islam. Im Jahr 1258 war mit dem abbasidischen Kalifat in Bagdad, dem ältesten und langlebigsten arabischen Gemeinwesen, die letzte Fassade arabischer Einheit gestürzt worden. In den darauffolgenden etwa 250 Jahren, bis zur Ankunft der Europäer, war die unauffällige arabisch-islamische Präsenz im Indischen Ozean genauso bedeutsam und weitreichend wie das militärische Feuerwerk des 7. und 8. Jahrhunderts: Die Landkarte der heutigen islamischen Welt wurde von der dortigen Diaspora entschieden geprägt. Es war das alte Lied von der Kraft der Uneinigkeit, die das Ei erst zerbricht, damit ein Omelett daraus wird. Die neue Expansion stellte die Weichen dafür, wie ein Gutteil der Weltbevölkerung zukünftig sprechen, schreiben und denken würde, denn im gleichen Zuge breitete sich die arabische Sprache aus – und das nicht nur auf muslimischen Grabsteinen. Selbst den großen Forschungsreisenden Ibn Battūta überraschte es teilweise, wie weit das Arabische schon vorgedrungen war. Es begab sich wahrscheinlich nach seiner Abreise aus Samudra-Pasai im Jahr 1346, auf dem Weg zu den arabischen und persischen Auslandsgemeinden im
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Süden Chinas, dass er an einem Ort landete, der bei ihm Kailukari heißt. Die Menschen dort beteten Götzenbilder an, hielten Elefanten und wurden von einer Prinzessin namens Urduja regiert, die eine Leibgarde aus Kriegerinnen um sich scharte. Die Prinzessin war selbst eine Kriegerin und hatte geschworen, nur zu heiraten, wenn der Anwärter sie im Zweikampf besiegen würde. Bisher war sie unbesiegt (niemand hatte gewagt, sie herauszufordern) und aus Überzeugung Jungfrau geblieben.12 Einige Kommentatoren kamen zu dem Schluss, Kailukari habe nur in Ibn Battūtas hitzigen Fantasien existiert, andere wiederum meinten, dass sich Fakt und Fiktion vermischten, wie in den Erzählungen al-Harīrīs, wo Papageien und Affen mit einer Harpyie und einer Sphinx zusammenleben.13 Die Geschichte ist aber auch nicht frei von Seemannsgarn: Von der sagenhaften Prinzessin erfährt Ibn Battūta durch den Kapitän seines Schiffes. Eher beiläufig erwähnt Ibn Battūta nicht minder aufsehenerregende Einzelheiten: Um den Reisenden zu beeindrucken, befahl die Prinzessin einem Bediensteten: „Dawāh wa-batak kātūr“, was etwa bedeutet: „Bringe Tintenfass und Papier“. Es wurde gebracht, woraufhin die Prinzessin schrieb: Bismi ʾllāh alrahmān al-rahīm, „Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Erbarmers“.14 Das erste überraschende Detail – mit Ibn Battūta parliert sie in einer Art Türkisch – ist schwer erklärbar. Das zweite, dass „sie sehr wohl arabisch zu schreiben verstand“, ist hingegen weit weniger unerklärlich. Auch wenn das Treffen auf einer wahren Begebenheit beruht, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, wo es sich zugetragen haben könnte. Die Philippinen haben Urduja für sich reklamiert, andere Orte im Süden Vietnams oder Borneo kämen eventuell eher in Frage. Wo auch immer sich die Szene letztlich abgespielt haben mag, höchstwahrscheinlich handelt es sich bei Kailukari um eine Kolonie des langgedehnten malaiischen Küstenreichs von Majapahit, dessen Hauptstadt im Osten Javas lag. Die Arabischkenntnisse der Prinzessin lägen in diesem Fall zumindest nicht jenseits des Möglichen. Das Altmalaiische, die Sprache einiger Besitztümer von Majapahit, wurde zunehmend in arabischer Schrift geschrieben.15 Interessanterweise existieren Münzen aus Majapahit – oder besser gesagt Anhänger beziehungsweise Amulette –, die auf einer Seite in Schattenpuppenmanier den javanesischen Schutzgeist Semar zusammen mit Krischna und einem Elefanten zeigen und auf der anderen das islamische Glaubensbekenntnis in arabischer Schrift: „Es gibt keinen Gott außer Allah: Mohammed ist der Gesandte Allahs.“16 Ein wunderbarer Synkretismus. Und zumindest der Beweis, dass solide archäologische Befunde ebenso erstaunlich sein können wie Seemannsgarn oder Erzählungen aus fernen Ländern.
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Das gesegnete Meer Neben dem wiederkehrenden Monsun beförderte der Reichtum des Ozeans und seiner Anrainer die Reisen von Arabern – mit ihnen reiste die arabische Sprache. Im Gegensatz zum tückischen, von Gott verfluchten Mittelmeer war der Indische Ozean mit wertvollen Waren gesegnet.17 In der ältesten arabischen Reisebeschreibung heißt es, das Meer von Indien und China, in seinen Tiefen liegen Perlen sowie graue Ambra, auf seinen felsigen Inseln warten Juwelen und Goldminen, aus den Mäulern seiner Ungeheuer ragt Elfenbein, in seinen Wäldern wachsen Ebenhölzer, Sappanholzbäume, Rattanpalmen und Bäume von Agarholz, Kampfer, Muskat, Nelken, Sandelholz sowie alle Arten wohlriechender und aromatischer Gewürze, wo fafagha (das heißt Papageien) und Pfauen leben, und auf dessen Erde Zibetkatzen und Moschusgazellen kreuchen, und alles Andere, das niemand aufzuzählen vermag, so zahlreich sind seine Segnungen. 18 Auch war der Ozean von einem weiten Netz umspannt, wie der persische Dichter Saʿdī im 13. Jahrhundert feststellte. Seine eigenen Verse begegnen uns an völlig unerwarteten Orten, nicht bloß auf einem auf Sumatra gefundenen Grabstein aus Cambay, sondern auch in Form eines Liedes, das Ibn Battūta auf einem Boot in der chinesischen Stadt Hangzhou zu Ohren kam.19 Saʿdī selbst legte Zeugnis davon ab, wie er auf der Insel Kisch im Persischen Golf einen Händler traf, der von seiner letzten und ultimativen Handelsreise tagträumte: Persischen Schwefel will ich nach China führen … von da chinesisches Porzellan nach Griechenland, und griechisches Seidenzeug nach Indien, und indischen Stahl nach Haleb, und halebische Glaswaren nach Jemen, und gestreiftes Tuch von Jemen nach Persien; danach werde ich das Reisen aufgeben.20 In Wahrheit hatte der Händler längst nicht mehr die beste Ausgangslage auf Kisch. Mit den Verwüstungen der Mongolen hatte sich der Handel vom Golf, aus Persien und dem Irak nach Westen auf das Rote Meer und Ägypten verlagert. Dennoch erwies sich das späte 13. Jahrhundert für den internationalen Warenverkehr insgesamt als günstig. Zunächst war durch das Wüten der Mongolen an Land der Überseehandel „beflügelt“ worden.21 Als die Erben Dschingis Khans schließlich eine Verschnaufpause einlegten und sich friedlich niederließen, erlebte auch der Handel an Land einen wahren Energieschub. Unter den
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Mongolen war vom Norden des Fruchtbaren Halbmonds bis zum Gelben Meer ein breiter Landstrich Asiens lose geeint, wodurch Einzelpersonen ebenso wie Handelsgesellschaften von den neuen halbglobalen Warenströmen profitierten. Am einträglichsten war das Geschäft für das Familienunternehmen der Kārim, die in Ägypten und der Levante ihren Sitz hatten. Die Bedeutung ihres Namens ist unklar: Zwar handelte es sich bei der Familie um Muslime, ihre Ursprünge jedoch liegen im Ungewissen. Häufig werden sie als „Gewürzhändler“ bezeichnet, aber ihr Geschäftsfeld war eigentlich viel weiter gefasst. Nachdem ihr Haus bereits mehrere Jahrhunderte existiert hatte, erlebten auch sie durch die Pax Mongolica einen neuen Aufschwung und machten sich mit einem vom Atlantik bis zum Pazifik den halben Globus umspannenden Handelsnetz daran, den Traum von Saʿdīs Händler in die Tat umzusetzen.22 Manchmal folgt die Flagge eben dem Handel. Wie schon in der Frühgeschichte des Arabischen Großreiches sowie in der kommenden Geschichte der europäischen Imperien erwuchsen Besitzansprüche erst aus Wirtschaftsbeziehungen. Die Familie, die jenes ganz im entlegenen Südwesten des Ozeanhalbrunds entdeckte Grabmal aus Cambay in Auftrag gegeben hatte, herrschte über ein winziges Inselsultanat – Kilwa Kisiwani. Dort hatte sie sich im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts niedergelassen. Ursprünglich handelte es sich um Araber aus dem Jemen, womöglich sogar aus dem haschimitischen Clan Mohammeds.23 In Kilwa wurden sie Teil der grenzüberschreitenden Kultur des Ozeansaums: Ihre Grabsteine kamen aus Indien, ihr Tischgedeck – feinstes Qingbai-Porzellan neben Seladon-Keramik – aus China und der Quell ihres Vermögens, das Gold, kam aus dem Landesinneren Südafrikas. Mit Exportbeschränkungen auf das Edelmetall avancierten sie zu Vorläufern von Cecil Rhodes. Allerdings war ihr Sultanat kein Rhodesien: Statt Rassentrennung und kultureller Segregation erlebte es eine rasche Kreolisierung und ging vor Ort in dem vielfältigen afro-arabischen Mix der sawāhil, der „Küsten“, auf. Obwohl nur einige Kilometer lang, gehörte Kilwa sowohl zur „Swahili“-Sphäre Ostafrikas als auch zum großen Ganzen des Ozeanbogens, was der Insel ähnlich wie Sansibar, Singapur und Hongkong eine aufstrebende Zukunft verhieß. Das Quasimonopol auf Gold in Kilwa blieb dennoch eher die Ausnahme, organisch und offen florierte der Überseehandel. Mit den Reichtümern, von denen die Insel überschwemmt wurde, errichteten die Sultane Bauten für die Ewigkeit. So beispielsweise die über viele Jahrhunderte größte, aus Stein errichtete Moschee im subsaharischen Afrika sowie ein weit verzweigter Komplex, eine Kombination aus Palast und Handelszentrum. Der Palast, zu dem auch ein Infinity Pool mit Blick auf das gesegnete Meer gehörte, entsprach ganz dem erlesenen Geschmack eines reichen Mannes.
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Das Schattenimperium Wie schon im sich formierenden Großreich des 7. und 8. Jahrhunderts trugen nicht bloß Araber, sondern ebenso Perser, Berber, Türken und andere zu dem informellen Kulturimperium der nachmongolischen Ära bei. Und ebenso wie die einstige militärische Expansion setzte das kulturelle Reich ganz eigene Kräfte in Gang. Muslimische Händler verbreiteten die Nachricht von der hoch entwickelten Zivilisation der islamischen Gebiete. In immer ferneren Ländern nahmen Gewaltherrscher den Islam an und versuchten Araber, darunter insbesondere muslimische Gelehrte, an den eigenen Hof zu locken, um sich mit dem Glanz der Gelehrsamkeit und dem Flair des Heiligen zu schmücken. Markt und Mission gingen Hand in Hand, der Islam breitete sich in der Horizontalen über die Halbkugel aus und sickerte ins Innere der Gesellschaft. Die Länder rund um die Straße von Malakka sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich dieses kulturelle Großreich im 14. und 15. Jahrhundert ausdehnte. Wie wir bereits sahen, hatten die Herrscher von Samudra-Pasai im Norden Sumatras (dessen Name vom Sanskritwort Samudra herrührt, das „Ozean“ bedeutet) den Islam schon früh, spätestens zum Ende des 13. Jahrhunderts, angenommen. Hundert Jahre später freute sich die Sultansfamilie über einen blaublütigen Abbasiden als Schwiegersohn. Im Verlauf der Geschichte, so munkelt man, rieten Händler aus Sumatra dem Fürsten von Melaka (Malakka), auch Muslim zu werden, um die Wirtschaft anzukurbeln.24 Die genauen Anfänge der Islamisierung auf den Ostindischen Inseln liegen im Dunkeln. In den Geschichtsbüchern vor Ort heißt es, Missionare seien direkt aus Mekka nach Sumatra entsandt worden.25 Islam und Araber sind wahrscheinlich aber nicht auf direktem Weg über den Ozean nach Südostasien gelangt, sondern über Indien. Indien diente ebenfalls von Kontinentalasien aus als Durchgang zum indischen Meeresbogen. Im späten 12. Jahrhundert war Delhi von turko-muslimischen Glücksrittern eingenommen worden. Bald darauf setzte im Windschatten des mongolischen Wirbelsturms ein Menschenstrom auf den Subkontinent ein, der sich vor allem aus Muslimen aus Zentralasien zusammensetzte und über das gesamte 13. Jahrhundert anhielt.26 Die Kunde von den Möglichkeiten in Indien verbreitete sich wie ein Lauffeuer über die merkantilen Netzwerke und im Zuge der Pilgerfahrten nach Mekka. Im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts hatte unter Mohammed Schah ibn Tughluq, dem Sultan von Delhi und Gastgeber von Ibn Battūta und Ghiyāth al-Dīn, der Zustrom das Ausmaß einer Flut angenommen. Mohammed Schah, selbst gemischter turko-mongolischer Herkunft, war – wie auch die späteren indischen Herrscher mongolischen Ursprungs, die „Moguln“ – auf die Eroberung des gesamten Subkontinents aus. Feldzüge im Süden
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machten Delhi zum reichsten muslimischen Staat auf Erden, überschwemmt von Gold und Sklaven. Gleichzeitig setzte eine – zum heutigen Exodus von Indern an den Golf geradezu spiegelbildliche – Abwanderung ein. Mohammed Schah ließ keine Gelegenheit verstreichen, um ganze Schiffsflotten an den Golf zu schicken, um Araber anzuwerben.27 „Wie Nachtfalter um eine Kerze“ scharten diese sich um Mohammed Schah, wie es ein Zeitgenosse zu Papier brachte.28 Den Saal der tausend Säulen, den königlichen Audienzsaal, schmückten arabische Höflinge, die mit ungeheuren Vermögen überhäuft wurden. So beherbergte Ghiyāth al-Dīn in seinem Palast in Delhi eine für seinesgleichen standesgemäße Spielerei: einen goldenen Badezuber. Die Knöpfe seines Mantels – von denen nur ein einziger seinem Sohn in Bagdad finanziell wieder auf die Beine geholfen hätte – bestanden aus Perlen in der Größe von Haselnüssen. Natürlich genoss Kalifenspross Ghiyāth al-Dīn eine besondere Bevorzugung, doch Mohammed Schah war in alle Araber geradezu vernarrt. Jeder wurde von ihm mit „mein Gebieter“ angeredet und mit Geschenken überschüttet.29 Zum Vergnügen seiner Majestät war ein Jüngling namens Ghadā stets mit von der Partie. Der Enkel Muhannā ibn Īsās, dem amīr der Araber in Syrien,30 dessen Loyalität zwischen der Übermacht der Mamluken und Mongolen hinund hergeschwankt hatte, gehörte im Delhi der 1330er-Jahre zur Hautevolee. Mohammed Schah überließ dem jungen Mann die Einkünfte ganzer Provinzen von mindestens der Größe des modernen Bundesstaates Gujarat. Die arrangierte Hochzeit mit der Schwester des Schahs geriet zum gesellschaftlichen Großereignis. Er [der Sultan] erwies ihm außerordentliche Gunstbezeugungen, aber [Ghadā] war ein grober Araber, der dieser Würden gar nicht wert war. Die Flegelei der Beduinen behielt stets wieder die Oberhand in ihm, und sein Benehmen brachte ihn zwanzig Tage nach seiner Hochzeit ins Unglück.31 Das Beduinenprinzchen landete im Kerker des Sultans, nachdem er mit Fäusten auf hochwohlgeborene Würdenträger losgegangen war. Letzten Endes wurde er jedoch begnadigt und eignete sich „Bildung und Manieren“ an.32 Im Vergleich dazu konnte der versierte Abbaside Ghiyāth al-Dīn gar nichts falsch machen. Der Sultan teilte sogar seinen Betel mit ihm, eine Gunst, der sich kein anderer erfreute. Der Stadtteil Delhis, in dem Ghiyāth al-Dīn logierte, erhielt den Namen „Wohnort des Kalifats“. Und einmal, nachdem er ihn unabsichtlich brüskiert hatte, warf sich Mohammed Schah sogar vor ihm auf den Boden und zwang Ghiyāth al-Dīn seinen Kalifenfuß auf seinen Sultansnacken zu legen.33 Die fast schon manische Obsession des Sultans betraf nicht nur die
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von ihm favorisierten Abbasiden. Vor der Ankunft Ghiyāth al-Dīns in Delhi hatte Mohammed Schah, der reichste muslimische Monarch auf Erden, sein ganzes Reich dem mamlukischen Marionettenkalifen al-Mustakfī Sulaimān abgetreten – dem verarmten Exilanten in Ägypten, jenem Mann, der zum Überleben seine letzten Kleider hatte verkaufen müssen.34 Pflichtbewusst übersandte der irritierte Sulaimān dem Sultan von Delhi eine Garnitur schwarzer Gewänder, der Farbe der Abbasiden-Dynastie, mitsamt einem Schreiben, in dem er Mohammed Schah zu seinem Vasallen erklärte. Der nominelle Titel half dem neuen Oberherrscher über Indien wenig: Der Kalif war längst gestorben, als die Ernennungsurkunde Mohammed Schah im Jahr 1343 schließlich erreichte, woraufhin er Sulaimāns Namen auf den Münzen durch seinen eigenen ersetzen ließ. Kurzerhand ließ Mohammed Schah nach einer neuen Urkunde von Sulaimāns Sohn und Nachfolger schicken.35 Das alles war, rein pragmatisch betrachtet, noch unbedeutsamer als die Tatsache, dass Elisabeth II. Staatsoberhaupt von Australien ist. Für Mohammed Schah bedeutete es jedoch die Welt. In materieller Hinsicht besaß er schon alles. Als Zweiter eines Herrschergeschlechts von erst kurz zuvor zum Islam konvertierten turkomongolischen Marodeuren fehlte ihm zu seiner weltlichen Macht jedoch eine geeignete Legitimation. Während das die wenigsten Herrscher je groß interessiert hat, stürzte es Mohammed Schah, einen der faszinierendsten, furchteinflößendsten und schillerndsten Monarchen der Weltgeschichte, in Zweifel. Wie ein autobiografisches Fragment enthüllt, plagte ihn ein tiefes spirituelles Unbehagen, ja fast eine Existenzkrise: Mein Vater hinderte mich an der Suche nach dem rechtmäßigen Imam … Meine Lage spitzte sich derart zu, dass keines meiner Ansinnen in die Tat umgesetzt werden konnte … [und ich] es (dem Islam zum Trotz) vorgezogen hätte, ein Götzenanbeter zu werden.36 Muhammad Schah rettete sich vor dem Götzendienst, indem er seinen rechtmäßigen Imam fand. Wie ein Phantom hielt das alte Arabische Reich auf diese Weise den wohlhabendsten Herrscher der Welt mittels eines bedeutungslosen Schattenkalifen in Ägypten, schwarzer Roben und des Abbasidenfußes im Sultansnacken fest im Griff.
Ein zentrifugales Jahrhundert Der rätselhafte, arabophile Mohammed Schah mag einen Sonderfall darstellen, denn das Delhi seiner Zeit war für unternehmungslustige Araber nur eines von vielen Zielen in diesem Teil der Erde. Unter den zahlreichen Vagabunden und
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Glücksrittern befanden sich allerdings nicht nur Nachkommen der Abbasiden oder anderer Stammesemire. Der berberblütige Ibn Battūta stammte aus respektablen, aber bescheidenen Verhältnissen aus Tanger. In Delhi lief ihm einmal ein marokkanischer Landsmann über den Weg. Der Reisende mit Namen al-Buschrī war von vergleichbarer Herkunft aus Sabta (dem heute von Spanien regierten Ceuta), gerade mal einen Steinwurf von Ibn Battūtas eigenem Geburtsort entfernt. Später trafen sich die beiden in China wieder. Eines Tages begegnete Ibn Battūta dem Bruder al-Buschrīs am nordwestlichen Rand der Sahara.37 „Welche Entfernung zwischen den Geschwistern!“, entfuhr es ihm (etwa 12 500 Kilometer Luftlinie).38 Auf die gleiche Weise, wie im Zuge der Diaspora im 7. und 8. Jahrhundert ganze arabische Familien, wie zum Beispiel die fünf von Tunesien bis Samarkand verstreut lebenden Söhne von al-Abbās und die Gebrüder Gouverneure aus Tunesien und Sindh, auseinandergerissen worden waren,39 wirkten in den 100 Jahren nach dem mongolischen Unglück erneut zentrifugale Kräfte. Abenteuer- und Reiselustigen eröffneten sich nicht allein im Indischen Ozean neue Welten. Südlich der Sahara im Sahel – dem sāhil, der Wüsten„küste“ – war, wie Ibn Battūta feststellte, das westafrikanische Riesenreich Mali (das viel größer war als der moderne gleichnamige Staat) vielen Arabern zur Heimat geworden. Die meisten von ihnen kamen aus Nordafrika, andere aus noch ferneren Ländern. Die Gräber bedeutender Persönlichkeiten, wie das des Gelehrten und Architekten al-Sāhilī aus Granada oder von al-Kuwaik, einem Händler irakischen Ursprungs, erregten in Timbuktu Ibn Battūtas Aufmerksamkeit.40 Die meisten Araber blieben jedoch einfach zu Hause. Anders als bei der Massenmigration der ersten islamischen Jahrhunderte bildete der Kreis von Unternehmungslustigen – Schätzungen über deren Zahl liegen keine vor – eine eher randständige Minderheit. Araber, allen voran Jemeniten, stellten neben zahlreichen Persern und Türken einen gewichtigen Anteil unter den fremdländischen Muslimen in Fernost. Zumindest legen die verbliebenen islamischen Grabsteine in Quanzhou, dem Hongkong jener Tage in Chinas Provinz Fujian, dies nahe.41 In der Stadt, die von den Chinesen „die Reichste unter den Himmeln“42 genannt wurde, waren unter der mongolischen Yuang-Dynastie nicht weniger als zwölf der 22 Statthalter Muslime gewesen. Nicht alle arabischen und arabisierten Weltenbummler waren indes Muslime. Ibn Battūta begegnete einmal einem Juden, der in vier Monaten auf dem Landweg aus al-Andalus über Konstantinopel bis in den Nördlichen Kaukasus, heute der Süden Russlands, gelangt war – die zurückgelegte Strecke hielten die Quellen vor Ort nicht einmal für erwähnenswert.43 Immer wieder tauchen weit herumgekommene Händler und Reisende auch in Dokumenten der Kairoer Geniza auf, einem im Anbau einer Synagoge gefundenen Altpapierspeicher. Dieser Papierkorb gigan-
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tischen Ausmaßes entpuppte sich in Bezug auf ägyptische und andere jüdische Gemeinden ab dem 11. Jahrhundert als unerschöpfliche Fundgrube. Indem sie sich geduldig durch die Papiere wühlen, spüren Forscher dem Leben von Menschen nach, die von Historikern üblicherweise außer Acht gelassen werden: Abraham ibn Yidschū beispielweise, ein im Indienhandel tätiger, jüdisch-tunesischer Geschäftsmann, oder Abū Zikrī ha-Kohen: Ursprünglich aus Sidschilmāsa im Süden Marokkos, handelte er von Kairo aus mit Waren aus dem Indischen Ozean und unterhielt im sudanesischen Sawākin mit seinem Schwager eine Dependance.44 Auch wenn diese weitgereisten Menschen nicht denselben Glauben oder genetischen Ursprung gemein hatten, war ihnen doch eine globale oder zumindest halbglobale Geisteshaltung eigen und sie sprachen deren Hauptsprache fließend. Die Verbreitung des Islam und der arabischen Sprache führte dazu, dass sich Menschen wie Ibn Battūta an so weit entfernten Orten wie dem westafrikanischen Mali, dem maledivischen Malé und sogar am Rande der bekannten Welt im Land der kämpferischen Prinzessin Urduja zu Hause fühlen konnten.
Virile Wortschöpfungen So wie man heutzutage mit Englisch und ein bisschen Französisch oder Spanisch für die allermeisten Eventualitäten beim Reisen gewappnet ist, waren für Globetrotter im 14. Jahrhundert Arabisch und ein paar Brocken Persisch und vielleicht Türkisch unabdingbar. Arabischkenntnisse machten, so wie heute Kenntnisse des Englischen, unterwegs vieles einfacher. Ironischerweise war die alte Hochsprache in ihrer Heimat im Verfall begriffen. Als Ibn Battūta im Jahr 1327 der Freitagspredigt in al-Basra beiwohnte, der irakischen Stadt, in der die größten Gelehrten einst die Regeln der Sprache festgelegt hatten, erlitt er einen Schock: „Als der Prediger sich zu seiner Ansprache erhob und sie vortrug, beging er zahlreiche und auffällige Fehler.“ Als Ibn Battūta sich daraufhin bei einem ortsansässigen Gelehrten darüber ausließ, entgegnete dieser ihm ganz unverblümt: „In dieser Stadt gibt es keinen Menschen mehr, der etwas von der Grammatik versteht.“45 Der politische wie gesellschaftliche Zusammenbruch, unter dem die ehemaligen arabischen Kerngebiete im Zuge des mongolischen Ansturms über Jahrhunderte litten, hatte allem Anschein nach die älteste und beständigste Grundlage für die Einheit zersetzt, die arabische Sprache. Der Niedergang der qawāʾid – der „Grundlagen“ sowie der „Grammatik“ – war besorgniserregend. Wie zur Kompensation expandierte das Arabische indes in Übersee. Das Persische sowie die Turksprachen waren bereits kolonisiert worden, in jüngerer Zeit waren arabische Lehnwörter sogar in europäische Sprachen vorgedrungen. Nun
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machte sich die arabische Sprache daran, neue Länder und Zungen in Subsahara-Afrika, Indien und Südostasien zu erobern. Im Gleichschritt mit Handel und Islam sowie den damit verbundenen materiellen Kulturgütern erweiterte auch die arabische Schrift ihre Gebietsansprüche: In ihr drückte sich die neue Kultur buchstäblich aus. Kurz nachdem die ersten Grabmale mit arabischen Inschriften aus Cambay auf Sumatra eintrafen, entstand der älteste noch vorhandene altmalaiische Text in arabischer Schrift. Das Schriftstück, das auf der von Sumatra durch eine Meerenge getrennten malaiischen Halbinsel gefunden wurde, datiert womöglich bereits aus dem Jahr 1326.46 Die Liste der in arabischer Schrift geschriebenen Sprachen wurde immer länger und umfasste bald weite Teile der Alten Welt: Neben Arabisch, Persisch, die Turksprachen und Malaiisch traten das Kurdische, Paschtu, Sindhi, Kaschmiri und Urdu, Uigurisch in ChinesischTurkestan, Swahili in Ostafrika, Fulfulde und Hausa in Westafrika. Zeitweilig gehörten sogar Kroatisch auf dem Balkan, Kapmalaiisch – eine von südafrikanischen Muslimen im 19. Jahrhundert gesprochene Form des Afrikaans – sowie bestimmte im Süden Madagaskars verbreitete „Geheimsprachen“ dazu.47 Häufig bedurfte es zusätzlicher Buchstaben, manchmal entwarf man einen komplett neuen Schrifttyp wie das persische nastaʿlīq – dessen Entstehung angeblich auf einen Kalligrafen zurückgeht, dem Mohammeds Schwiegersohn Ali ibn Abī Tālib im Traum eingab, sich am Körperbau von Enten zu orientieren.48 Der Entwicklung von eckig in Stein gemeißeltem Nabatäisch und Kufisch hin zum kursiv geschwungenen Schreibrohrstil der Kalifenkanzleien fügte man im fernen Osten noch chinesisch-arabische Schrifttypen hinzu, die mit Tinte und Pinsel geschrieben wolkigen Schneckengebilden ähnelten. Inwieweit das Arabische die anderen Sprachen durchdrang, lässt sich an der Anzahl an Lehnwörtern ablesen. 1931 waren im postosmanischen Türkisch 51 Prozent des Zeitungsvokabulars arabisch. Selbst nach der Entarabisierung lag der Anteil im Jahr 1965 noch immer bei 26 Prozent. In Farsi gab es im 19. Jahrhundert Versuche, den Wortschatz zu persianisieren, doch mindestens 30 Prozent der Wörter blieben auch hier arabisch.49 Über das Persische gelangte Arabisch auf den indischen Subkontinent, wo nicht bloß Hindi und Urdu, sondern auch zahlreiche mit ihnen verwandte Sprachen reich an arabischen Lehnwörtern sind. So stellte sich zum Beispiel heraus, dass eine ganz eigentümliche Sikh-Tradition wie chālsā eine Entsprechung im Arabischen hat – chalīsa heißt „rein“.50 Im Zuge der jüngeren Kolonialgeschichte Indiens gelangte auch eine kleine, nachgelagerte Woge arabischer Wörter bis nach Europa wie beispielsweise „Nabob“ (die nawāb, arabisch für „Stellvertreter“) oder „Blighty“ – Letzteres wurde vom arabischen wilāya, „Ländereien, Reich“, über das Persische zum indischen bilāyatī für „aus dem Ausland kommend, besonders Europa/Britan-
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nien“.51 In zumindest einem Teil des indischen Subkontinents hält die Arabisierung sogar an, da in Bangladesch Entlehnungen aus dem Sanskrit durch neue arabische Termini in Bengalisch ersetzt werden.52 Entlang des Ozeansaums gen Süden und Osten hat das Arabische dem modernen Indonesisch nicht weniger als 3000 Lehnwörter hinterlassen.53 Von den Ostindischen Inseln führte der Weg dann weiter – über Ibn Battūtas sagenumwobenes Kailukari hinaus nach Elcho Island vor Arnhemland in Australien: Der dort bei den Aborigines gebräuchliche Name für Gott, „Walithaʼwalitha“, rührt offenbar durch Kontakt mit Muslimen aus Makassar von der arabischen Wendung Allāhu taʿālā, „Allah, erhaben ist Er“.54 In der entgegengesetzten Himmelsrichtung trugen die Banū Hilāl das Arabische ins afrikanische Tiefland, wobei es sich auch in den Berbersprachen einnistete, deren Vokabular heute zu zwei Dritteln daraus besteht.55 Kaufmänner, Missionare und Stammesleute aus dem Maghreb brachten Arabisch bis nach Bornu in Nordnigeria, wo noch heute die arabischstämmigen Bewohner eine Abwandlung davon sprechen.56 Durch Handel breitete sich gleichsam von den sawāhil, den Küsten des westlichen Ozeanbogens, Swahili ins Landesinnere aus, wo es sich zur Landessprache Kenias und Tansanias wandelte. Swahili gehört zu den Bantusprachen, doch etwa der halbe Wortschatz ist dem Arabischen entlehnt.57 Swahili wurde wie auch das Türkische und viele weitere Sprachen, die lange mit arabischen Lettern geschrieben wurden, mittlerweile romanisiert. Aber ebenso wie beim Bengalischen in Bangladesch hält der lexikalische Mix an: Das ursprünglich griechische saikolojia wird z. B. zunehmend vom arabischstämmigen elimunafsi (ʿilmu n-nafsi, „Die Wissenschaft der Seele“) verdrängt.58 Da Sprache stets Geschlechtereinteilungen – besonders in „männlich“ und „weiblich“ – trifft, erlaube ich mir an dieser Stelle den gesamten Prozess, in dem arabisches Vokabular (es ist stets das Vokabular und nie die Grammatik) in fremde Sprachsysteme eindringt, egal ob in indoeuropäische, turkische, hamito-semitische, austronesische Sprachen oder in Bantu, als einen typisch virilen Vorgang männlicher Zeugungskraft zu bezeichnen. Im 7. und 8. Jahrhundert zeugten arabische Männer in aller Welt begnadete muwallads, im weiteren Verlauf war es ihre Sprache, die eine reiche, expandierende, kreolische Welt schuf. Zumindest rückblickend mag das die politische Ohnmacht wettmachen.
Fernes Mekka Auch der Islam drang in eine Kultur nach der anderen ein und bereicherte sie. Seinem Ursprung auf der Arabischen Halbinsel war er längst entwachsen. Doch über die Jahrhunderte hatte sich ein Netz entspannt, das die weite islamische Welt an Arabien mit Mekka als ihren Nabel band. Die Unantastbarkeit des Ara-
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bischen sowohl im Koran als auch im gottesdienstlichen Ritus sorgte für eine starke Rückbindung. Ein weiteres physisches Bindeglied bildete die Pilgerfahrt, die als eine der fünf „Säulen“ des Islam sogar verpflichtenden Charakter hat, wenn auch nur für diejenigen, die finanziell und körperlich dazu in der Lage sind (was nur wenige waren, und noch weniger dann auch taten). Verbundenheit bestand aber auch auf andere, bisweilen auf leibliche Personen bezogene Weise, wie die Grabstätten von arabischen Schutzheiligen in der Ferne zeigen: Nafīsas Schrein in Kairo ist bereits genannt worden, ebenso der des Qutham, einem der fünf Söhne von al-Abbās, in Samarkand (wo der Abbaside Ghiyāth al-Dīn auf seinem Weg nach Delhi vorübergehend als Hauptverwalter tätig war).59 Mitunter war jedoch wie im Falle von „Abū Waqqās“ der Wunsch Vater des Gedankens. Denn angeblich liegt der Gefährte Mohammeds, Saʿd b. Abī Waqqās, gleich an zwei Orten begraben und wird sowohl in Tamil Nadu als auch in Guangzhou verehrt. Wie der Heilige Thomas im Christentum führt er also ein posthumes Doppelleben – oder eigentlich ein dreifaches, denn der echte Saʿd wurde in Medina bestattet.60 Und auch die im als Kababolon, „Vorhof zur Kaaba“, bekannten heiligen Haus im malischen Kangaba aufbewahrten Reliquien eines nicht näher bestimmbaren mysteriösen Wesens, die ein malischer Herrscher im 14. Jahrhundert angeblich aus Mekka mitgebracht hat, halten die Verbindung zu Arabien aufrecht.61 War Arabien auf konventionellem Wege unerreichbar, konnte man Zeit und Raum immer noch auf übernatürliche Weise überwinden. Nizām al-Dīn, der große Sufi-Heilige von Delhi, ist hierfür ein Extrembeispiel. Von ihm wird behauptet, er habe die Kaaba jede Nacht auf einem fliegenden Kamel besucht.62 Vergleichbare Erfahrungen sind auch einfachen Sterblichen möglich. An einer tief im sri-lankischen Dschungel gelegenen Stätte namens Daftar Dschailānī existiert eine Höhle, die im 12. Jahrhundert für zehn Jahre Wohnstatt des in Bagdad beheimateten Heiligen Abd al-Qādir al-Dschailānī gewesen sein soll, der ebenfalls für übernatürliche Pilgerreisen bekannt war. Noch heute überzeugen sich Tausende Besucher davon, indem sie durch die engste Stelle der Höhle zu einem Guckloch, einer Art telepathischem Fernrohr, kriechen, um das 5000 Kilometer entfernte Mekka zu erblicken.63
Den Islam übersetzen Ungeachtet all dieser vielfältigen Berührungspunkte mit Arabien nahm der Islam – weit mehr als die durch Arabisch bereicherten Sprachen – „kreolische“ Formen an. Bereits im Bagdad des 9. Jahrhunderts hatte sich der Islam unter al-Maʾmūn von einem System übernommener Glaubensinhalte, einer arabischen religio, zu einem kosmopolitischen Glauben gewandelt, in dem Philoso-
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phie und Ethik den Kult ergänzten. In den nachmongolischen Jahrhunderten wuchs die Welt des Islam stetig weiter, wobei er sich örtlichen Gegebenheiten anpasste und so an Bedeutung gewann. Der Islam wurde zum Global Player und damit an neuen Orten heimisch. In der alten Heimat blieb der Islam allerdings eher eine unitarische Ideologie, die ihre einigende Kraft längst verloren hatte. Das lebendige Wort des Koran lag in seiner Heiligkeit einbalsamiert unter dicken Schichten von Exegesewerken begraben. Den Hadithen erging es nicht anders. Von Sufis und Esoterikern einmal abgesehen galt das Augenmerk eher öffentlich zur Schau gestellten Ritualen als persönlicher Spiritualität. Der wissenschaftliche Diskurs hielt sich an textlichen Details auf – an einzelnen Wörtern, Silben, Buchstaben, Zeichen – und generierte nur noch mehr Text. Auf sein eigenes 14. Jahrhundert gemünzt, überschrieb Ibn Chaldūn ein Kapitel mit „Die große Zahl wissenschaftlicher Werke ist eine Behinderung des wissenschaftlichen Studiums“. Den akademischen Overkill brandmarkte er als „ein Übel, das nicht geheilt werden kann, da es sich als Gewohnheit fest verwurzelt hat“.64 Vor lauter Bäumen sahen viele Gelehrte den Wald nicht mehr – oder hörten das Wort vor lauter Lärm nicht. Die heiligen Klänge allein reichten nichtarabischen Muslime hingegen nicht aus: Ihnen lag daran, nach der umfassenden Bedeutung, dem Sinn, zu graben, was bei Übersetzungen unumgänglich ist. Interessanterweise hat das letzten Endes dazu geführt, dass einige nichtarabische Muslime die Botschaft des Koran genauso gut, wenn nicht gar besser, verstehen wie ihre arabischen Glaubensgenossen. Ein Soziolinguist unserer Zeit bekam einmal zu hören, Letztere „sind Araber und sprechen schon Arabisch, [folglich] bedarf es keiner Übersetzungen“.65 Dabei sprechen Araber gar kein „Arabisch“ – das heißt, sie sprechen nicht das Hocharabisch des Koran und haben es nie getan, zumindest nicht als Mutter- oder Alltagssprache. Darin liegt die Krux des Koran: Er entzieht sich der menschlichen Ausdruckskraft. Dass sich die zahlreichen Exegeten derselben hohen Sprachform des Textes bedienen, den sie eigentlich erklären möchten, hilft da nur unwesentlich weiter. Wahrscheinlich reagieren arabischsprechende Hörer auf die mystische Substanz des Koran wie niemand sonst. Doch die eigentliche Botschaft entzieht sich gelegentlich auch ihnen. Die essenziellen Texte, Rituale und Glaubensdoktrinen des Islam haben den Transport über Ozeane und Wüsten hinweg unbeschadet überstanden und sind mittels Übersetzung zugleich verständlich gemacht worden. Im gleichen Zuge sind sie fast immer auf den Grundlagen bestehender lokaler Bräuche, die im Verborgenen fortbestanden und nur selten ganz ausradiert wurden, neu verortet worden. Ein neuer Überbau entstand, der – kulturell, ethisch, philosophisch, mystisch – weniger dem Arabien des 7. Jahrhunderts oder dem Bagdad
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des 9. Jahrhunderts verhaftet war als vielmehr den neuen Schauplätzen des Islam. Die stacheligen Lehmmoscheen in Mali (darunter die Große Moschee von Djenné), die hindutempelartigen Moscheen von Kerala, die mit kunstvollen Holzschnitzereien verzierten und auf den Fundamenten buddhistischer Tempel errichteten Moscheen auf den Malediven sowie die Mondtorbögen und geschwungenen Dachgesimse chinesischer Moscheen stehen allesamt in Einklang mit der historischen Tradition vor Ort. Auch wenn sich die lokalen Glaubenspraktiken in ihrer „Architektur“ unterscheiden, bleiben die Worte im Gottesdienst doch dieselben wie in Arabien. Unterschiede im Überbau sind leicht ausfindig zu machen, wie beispielsweise bei den indo-muslimischen Asketen, die das Eremitenleben von ihren buddhistischen Kollegen und die Atemtechnik des pranayama von Yogis übernommen haben.66 Im 14. Jahrhundert beobachtete Ibn Battūta in Khajuraho muslimische Fakire beim Studium asketischer Techniken der Schaiwa-Sadhus.67 Ansichtig wurde er ebenfalls Haydarī-Derwischen, die wie die Askese übenden sanyasin des Naga-Kultes ihren Penis piercten.68 Der Unterbau aus älteren Glaubenspraktiken ist hingegen nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Dschalāl al-Dīn Tabrīzī, der im frühen 13. Jahrhundert Bengalen missionierte, stellt deswegen wohl keinen Einzelfall dar: Er funktionierte einen Hindutempel zu seinem Hauptgebetsplatz um und verlieh selbigem den indo-arabischen Namen „Deva Mahal“, wobei er die ansässigen Hinduanhänger, die „vermutlich“ mit dem Gebäude mitkonvertierten, kurzerhand übernahm.69 In den darauffolgenden zwei Jahrhunderten bedienten sich ismailitische Missionare in Indien zur Veranschaulichung islamischer Persönlichkeiten beim hinduistischen Pantheon: Adam entsprach Schiwa, Mohammed war Brahma und Ali wurde zu Vishnu.70 Durch derartige „Übersetzungen“ ging unvermeidlich etwas verloren, und Neues kam hinzu. Befördert wurde diese Entwicklung durch den Sufismus, der ganz oben auf der Welle, die den Islam immer weiter in die Welt trug, mitschwamm. Im 13. Jahrhundert befreite der großartige, andalusische Auserwählte Ibn Arabī den Islam auf unvergleichliche Weise von – was in Anbetracht seines Namens geradezu ironisch anmutet – dessen arabischem Gerüst. Zwar bildete Mekka für ihn noch immer die geliebte Mutterstadt, die Kaaba den Nabel der Welt,71 ohne dass er deswegen zur Nabelschau neigte oder andere Liebschaften verschmähte: Mein Herz ist jeder Form fähig geworden Ein Weideplatz für Gazellen, ein Kloster für Mönche Ein Tempel für Götzenbilder, die Kaaba dessen, der den Umgang verrichtet,
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Die Tafeln der Thora und das Buch des Koran. Ich folge der Religion der Liebe; wohin auch immer sich ihre Kamele wenden mögen, da ist meine Religion und mein Glaube.72 Bisweilen brachte die Kreolisierung des Islam neue Glaubensrichtungen hervor, wie beispielsweise die der Sikh oder der Bahai, die vom Mainstream der Muslime nicht anerkannt oder als ganz neue Religionen betrachtet werden. Manchmal überdauerte die Heiligkeit islamischer Symbole den rituellen Wandel auch. Die metamorphen Masken des Poro-Bundes in Guinea – eine ziert ein menschliches Gesicht mit dem Schnabel eines Nashornvogels – sind gesäumt von mit arabischen Buchstaben beschriebenen Blättern und Verweisen auf die Koransure, in der Mohammeds Onkel verflucht wird.73 Weitere verblüffende Fälle kultureller Verschwippschwägerung ließen sich aufzählen. Unweit des Kababolon, jenem westafrikanischen Aufbewahrungsort für islamische Reliquien, befindet sich ein ähnliches, etwas kleineres traditionelles vorislamisches Fetischhaus, vermutlich von einem Diener des nach Mekka gereisten Kaisers von Mali errichtet. Man sagte mir dort, dass Auswärtige „hierher kamen und den Islam mitbrachten und unsere Könige nach Mekka zogen, um den Islam dorthin zurückzubringen, wobei die Menschen ihre eigenen Glaubensüberzeugungen zusätzlich beibehalten haben.“74 Promisk, aber pragmatisch.
Die Reiche der Anderen Obwohl Ibn Battūta und zahlreiche andere Reisende und Händler im Süden fast bis nach Mosambik gelangten, hatte man vom übrigen Afrika nur schemenhafte Vorstellungen. Es bestand Einigkeit darin, dass sich der Kontinent, wie die Weltkarte al-Idrīsīs illustriert, nach Osten ausdehnte, um an seinem fernen Ende wieder auf Eurasien zu treffen und so den Indischen Ozean wie das vergrößerte Spiegelbild des Mittelmeeres einmal komplett zu umschließen. Erst im 16. Jahrhundert korrigierte der arabische Navigator Sulaimān al-Mahrī seine Seefahrerkollegen. In einem Bericht über eine kürzlich erfolgte Entdeckung der Franken enthüllte er, dass Afrika sich viel weiter südlich erstrecke, als bisher angenommen – nämlich bis sieben „Finger“ unterhalb des Sternbilds des Großen Bären. Von dort dehne sich die Küstenlinie eben nicht nach Osten aus, sondern mache einen scharfen Bogen nach Nordwesten, Kap Bunasfarans hätten die Fremden die Stelle getauft: Boa Esperança oder Gute Hoffnung.75 Afrika war wieder geradegebogen, der Indische Ozean kein Binnenmeer mehr, und mit einem Schlag war die liebliche See Arabiens und der indischen Inseln für Eindringlinge offen.
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In China waren die Häfen nach der Ming-Revolution, die 1368 der mongolischen Herrschaft ein Ende gesetzt hatte, für ausländischen Verkehr geschlossen worden. Der Überseehandel zwischen West und Fernost war also bereits 100 Jahre zum Erliegen gekommen, als die Portugiesen 1488 über die ungeahnte Südwestroute auftauchten, um das bisherige mare liberum in ein weiteres mare nostrum zu verwandeln.76 Dafür entpuppte sich der Ozean zwar doch als zu groß, nichtsdestotrotz setzten sie alles daran, arabische Zwischenhändler auszubooten, indem sie entlang des Ozeanhalbrunds einen Ring an Befestigungsanlagen errichteten und ihre neuartigen, rahgetakelten Schiffe mit quadratischem Achterdeck, die zudem mit Nägeln zusammengehalten wurden (im gesamten westlichen Indischen Ozean wurden Schiffe noch immer mit Seilen aus Kokosnussfasern „vernäht“), auf Patrouillen schickten. Auch andere direkte Nachbarn wurden von den Europäern in die Enge getrieben. Im Jahr 1453 hatten die osmanischen Türken die wichtigsten Stellungen in ihrem eurasischen Großreich gesichert und Konstantinopel eingenommen – den heißersehnten, zentralen Umschlagplatz zwischen den beiden Kontinenten. Der Fall Konstantinopels war dabei eher von symbolischer denn strategischer Bedeutung. Dennoch bescherte er den Osmanen eine neue, prächtige Hauptstadt, das Juwel im Sultansturban. Unerschrocken, wie sie waren, rissen sie die uneingeschränkte Kontrolle über den Ost-West-Warenverkehr der Alten – und zu dem Zeitpunkt noch immer einzigen – Welt an sich. Zumindest bis die Portugiesen mit der Umrundung des Kaps die Hintertür zu den Reichtümern Indiens aufstießen und der gesamte Überlandhandel zwischen Ost und West in weniger als einem Menschenleben zusammenbrechen sollte. Zeitgleich stiegen im fernen Westen wider Erwarten zwei ganze Kontinente auf einmal aus dem Ozean empor. Vom Amerikahandel waren die Osmanen ausgeschlossen – sie wurden zu Kunden, die sich mit dem Tabak trösten mussten. Waren die Osmanen im sich wandelnden Welthandel auch ausgestochen worden, so ließ ihr imperialer Ehrgeiz noch lange nicht nach. Ihre Ambitionen gerieten allerdings, wie Araber es zuvor ständig erlebt hatten, zwischen zwei sich erhebenden Löwen ins Stocken – den zunehmend wohlhabenden und mächtigen europäischen Staaten im Westen sowie dem neuerlich nationalistisch orientierten safawidischen Persien im Osten. Es gab also nur eine Stoßrichtung, um den Ehrgeiz zu befriedigen: Die Trümmer des alten Arabischen Reiches. Mit rasender Geschwindigkeit fielen den Osmanen die ehemaligen arabischen Herrschersitze in die Hände: Im Jahr 1516 Damaskus, im Jahr 1517 Kairo mitsamt den Territorien Mekka und Medina auf der Arabischen Halbinsel, im Jahr 1534 Bagdad. Darüber hinaus auch die ferneren Winkel der arabischen Welt: Algier ergab sich bald nach dem Fall von Kairo, im Jemen musste
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um jeden Höhenpass gekämpft werden. Im Laufe der vorangegangenen 600 Jahre waren Araber wie bei einer Reise nach Jerusalem immer wieder von entfernten, turksprachigen Cousins der Osmanen aus den wichtigsten Herrschaftssitzen gedrängt worden. Diesmal kam es anders. Mittlerweile besaßen die Türken ihren eigenen Thron am Bosporus: Aus dem Kuckuck im arabischen Nest war ein ausgewachsener Reichsadler geworden. Die neueste Generation Feuerwaffen beflügelte die Eroberungen noch. Der mamlukische Historiker Ibn Iyās erinnerte die Art und Weise, wie die Türken plötzlich vor Kairo auftauchten: „Sie kamen wie Wolken aus allen Richtungen … der Lärm ihrer Musketen war ohrenbetäubend und ihr Angriff wild und entschlossen.“77 Innerhalb weniger Monate beendeten die Osmanen die zweihundertfünfzigjährige Vorherrschaft der Mamluken in Ägypten und Syrien. Bald darauf sollte eine noch längere Ära zu Ende gehen. Die Eroberer brachten den abbasidischen Marionettenkalifen der Mamluken, al-Mutawakkil III. (der Vorrat an neuen Thronnamen war versiegt), nach Konstantinopel, inzwischen Istanbul, womit „das Kalifat und die mit ihm verbundenen Treuegelübde aufgehoben waren“.78 Zu Beginn wurde al-Mutawakkil in der osmanischen Kapitale noch mit Ehrfurcht behandelt, später jedoch der Veruntreuung religiösen Stiftungsvermögens bezichtigt und unehrenhaft nach Kairo zurückgeschickt, wo er im Jahr 1543 starb. Da lag die Revolution von Chorasan, die seinen Vorfahren einst den Thron beschert hatte, 800 Jahre zurück. Sechshundert Jahre lang war kaum noch Macht mit dem Thron verbunden gewesen, in den letzten 300 Jahren war er zu einem Witz verkommen. Die Saga der Abbasidenfamilie fasst die ganze mittlere Periode der arabischen Geschichte gut zusammen: Auf zwei Jahrhunderte der Macht folgten jeweils drei voller Pathos und drei weitere voller Bathos. Die Türken waren maßgeblich am sich lange hinziehenden Niedergang der Abbasiden beteiligt gewesen, nun holten sie zum Gnadenstoß aus. Der Griff nach dem Kalifentitel schien der probate Folgeschritt, wenngleich die osmanischen Sultane zögerten: Man war vielleicht Sultan, padischa, Gebieter der Welt, der zweite Alexander, aber „Kalif“ war kein Titel, den man leichtherzig überstreifte.79 Dazu war er zu geschichtsträchtig und, trotz allem, voll arabischen Manas. Nun aber schienen sich auch diese letzten numinosen Assoziationen verflüchtigt zu haben.
Fremde Brüder Das Verhältnis der Osmanen zu ihren arabischsprachigen Untertanen lässt sich schwer auf einen Nenner bringen. Für Verallgemeinerungen war das Staatsgebiet vom westlichen Mittelmeer bis zum Südzipfel des Roten Meeres zu vielfältig
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und die Zeitspanne zu lang. Überwiegend waren die drei, in manchen Gegenden vier Jahrhunderte von wechselseitiger Toleranz beziehungsweise Indifferenz geprägt, sieht man von gelegentlichen Entgleisungen einmal ab. Araber und Türken teilten Religion und Schrift sowie zahlreiche Wörter miteinander, sprachen aber sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne niemals eine Sprache. Wie die Seldschuken, jene Turkherrscher früherer Tage, waren auch die Osmanen, noch ehe sie die arabische Schrift übernahmen, auf ihrem Weg aus dem Osten persianisiert worden. Im Gegensatz zu den Seldschuken und all den anderen Fremdherrschern regierten sie allerdings von einer von Rom geerbten Hauptstadt außerhalb des ehemaligen Arabischen Reiches aus. Nominell betrachteten die meisten Araber die Osmanen als Brüder-im-Islam, fremd blieben sie einander dennoch – je nach Wetterlage kollaborierte man mit ihnen, erduldete sie oder lehnte sich gegen sie auf. Tatsächlich übten die Türken häufig nur in den Städten die Kontrolle aus, und auch dann nur in stillschweigendem Einvernehmen mit lokalen Notabeln. Beim geringsten Anzeichen von Schwäche waren arabische Stammesfürsten schnell in der Lage, vor Ort ein Feuerrad zu entfachen. Doch im Allgemeinen behielt die Mohammed zugeschriebene Redewendung ihre Geltung: „Lasst die Türken in Ruhe, solange sie euch in Ruhe lassen.“80 Vereinzelt ließen sich Türken, aber auch Tscherkessen, Albaner und andere in ihren Diensten, in der arabischsprachigen Peripherie nieder, wo sie innerhalb kurzer Zeit in ihrer neuen Nachbarschaft aufgingen. Doch im großen Ganzen war das Osmanische Reich einfach zu riesig und heterogen, als dass die arabische Kultur wie einst bei den Berberregenten im Westen oder den kurdischen Herrschern in Ägypten und der Levante die Oberhand hätte gewinnen können. Darüber hinaus war ihre Stellung um 1500, kurz vor der Machtübernahme der Osmanen, an einem Tiefpunkt angelangt, wie das denkwürdige Gleichnis al-Suyūtīs von der alten, dahintrottenden Wissenskarawane belegt, die auf ein einziges, mit einer dürftigen Ladung zweitklassiger Bücher beladenes Kamel geschrumpft war.81 Während Araber durchaus mit den Türken oder für sie arbeiten konnten, führte der einzige Weg zu Rang und Namen im fremden Osmanentum über Versklavung – ein Ding der Unmöglichkeit für Araber, da sie wie ihre Herrscher Muslime waren. Während der dewschirme, der unter nichtmuslimischen Untertanen durchgeführten „Knabenlese“, stand versklavten bulgarischen Christen der Weg zu einem Spitzenjob, egal ob in den militärischen oder zivilen Behörden, hingegen offen.82 Über 300 Jahre lang murrte man von der Wiege bis zur Bahre über osmanische Steuereintreiber. Während der Freitagsgebete beließ man es bei Lippenbekenntnissen für den in der Hohen Pforte am Bosporus entrückten Sultan kalifen, ohne dabei auch nur einen Gedanken an Araber in anderen Ländern,
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geschweige denn an irgendwelche Einheitsfantasien zu verschwenden. In Wahrheit betrachteten sich wohl die wenigsten Araber selbst als solche. Sie waren Muslime oder Christen oder Juden, Bewohner von Fes, Damaskus oder Maskat, einer Region zugehörig, zudem Untertanen der Hohen Pforte. Die Worte, die ein Experte hierfür einmal fand, treffen allerdings nicht ganz zu: „Die Araber verfielen in eine Lethargie und waren sich ihres Arabertums nicht mehr bewusst.“83 Denn auf verschiedene Weise sprachen und schrieben sie Arabisch und die wenigen Intellektuellen, die sich mit solchen Fragen beschäftigten, waren sich durchaus bewusst, dass sie ʿarab, arabischsprachig, waren und nicht ʿadscham.84 Im allgemeinen Sprachgebrauch waren ʿarab als solche jedoch wieder einmal diejenigen, die jenseits der Zivilisationsgrenze lebten, Schafe hüteten und die gottesfürchtigen Söhne Adams überfielen. Eugene Rogan schreibt in seiner Geschichte der Araber unter den Osmanen über die türkische Eroberung Ägyptens: „Es war zu früh, um von einer eindeutigen arabischen Identität zu sprechen, die sich einer ‚Fremdʼherrschaft‘ widersetzt hätte.“85 Richtet man den Blick ab diesem Zeitpunkt nur nach vorne, mag er damit richtig liegen. Im Rückblick war es längst zu spät, um von einer solchen Identität überhaupt zu sprechen – einer Identität, die sich vor der christlichen Zeitrechnung herausbildete, unter den Ghassaniden- und Lachmidenkönigen zusammenfloss, sich mit dem Islam verfestigte und unter den Umayyaden und frühen Abbasiden eine feste Form annahm, dann aber zerfiel und dahinsiechte, nachdem Mitte des 10. Jahrhunderts der letzte „echte“ Kalif gestorben war. Seitdem war die arabische Identität auf ihre Anfänge – auf Herdehüten und Plündern – zurückgeworfen worden. Das Konzept von ʿurūba, Arabertum, erwies sich im Laufe der Zeit als ebenso unstet und vielschichtig wie die Menschen und Stämme, denen es angeheftet wurde. Während der Herrschaft der Osmanen verschwand es für 300 Jahre in der Versenkung. Eine Sache gab dem Arabertum jedoch auch in dieser Talsohle Aufschwung. Den Menschen in Fes und Maskat war sie gemein, den gottesfürchtigen Städtern ebenso wie den scheinbar gottlosen Beduinen, jüdischen Jemeniten genauso wie christlichen Syrern: Alle sprachen sie auf irgendeine Weise Arabisch, und wenn sie des Schreibens mächtig waren, versuchten sich zumindest die Muslime unter ihnen im alten Hocharabisch. In ihrem eigenen Reich hatten sie die unterworfenen Völker einst mit der arabischen Sprache kolonisiert, in scharfem Gegensatz dazu lernte im Osmanischen Reich weniger als ein Prozent der Arabischmuttersprachler jemals Türkisch.86
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Imperiale Ironien Nach dem Schock der portugiesischen Kapumsegelung erlangten auch im Indischen Ozean altbewährte Kräfte Aufwind. Die eingespielten Migrations- und Handelsbeziehungen waren durch die europäische Expansion zwar gestört und auf den Kopf gestellt worden, doch Araber passten sich dem neuen Strom schnell an und schwammen mit: Im alten Kernland mochte das Arabertum durch eine Talsohle gehen, auf dem Ozean befand es sich auf einem Höhenflug. Die Pioniere dieser neuen Welle waren nicht sehr zahlreich, aber genauso mobil und abenteuerlustig wie ihre Vorläufer im 7. und 14. Jahrhundert. In einem Fall, als nämlich am Ende des 17. Jahrhunderts die Herrscher im Oman eine Marineflotte aufstellten und an die ostafrikanische Küste entsandten, nahmen sie sich europäische Reiche zum Vorbild. Mit seinem späteren Zentrum Sansibar knüpfte dieses arabische Minireich an den 400 Jahre zuvor gegründeten Küstenstaat von Kilwa an und sollte bis in die 1960er-Jahre fortbestehen. Die wirtschaftliche Grundlage bildete diesmal nicht der Export von Gold, sondern der Handel mit Sklaven und Gewürznelken. Andernorts nahm das informelle Kulturimperium seine Expansion wieder auf. Besonders taten sich bei diesem Wachstumsschub sayyids – Nachkommen Mohammeds – aus dem im Süden Arabiens liegenden Hadramaut hervor, deren Familienahn sich dort im 10. Jahrhundert niedergelassen hatte. Indem sie sich weiter verzweigten, nahmen sie vor Ort als Vermittler und Unterhändler eine wichtige Stellung ein. Während der relativen Ruhe nach der stürmischen Ankunft der Portugiesen im Indischen Ozean ritten sie als Händler auf der neuen Woge mit, wobei sie als religiöse und manchmal auch politische Führer mancherorts ihre eigenen kleinen Reiche gründeten. Mit ausgesprochenem Erfolg, der in Teilen bis heute anhält, tat sich dabei die al-Dschufrī-Familie hervor. Im 18. Jahrhundert etablierte sie sich entlang der Malabarküste Indiens und erwarb in der einheimischen muslimischen Bevölkerung rasch hohes Ansehen (womit eine alte Verbindung wiederbelebt wurde: Schon zu Pliniusʼ Zeiten hatten Araber hier als „Meister der Küste“ gegolten).87 Mit Handelsvertretungen im ganzen Ozeanhalbbogen von Sues bis Surabaya sollte ein Stück weiter gen Osten Sayyid Muhsin al-Dschufrī im 19. Jahrhundert einer der großen Magnaten im aufstrebenden Singapur werden. Joseph Conrad diente auf einem Dschufrī-Kreuzer (beziehungsweise „Joofree“) und porträtierte die Familie in seinen Romanen. Noch heute finden sich Mitglieder des Clans sogar im Nordosten Borneos, wo sie in Ortschaften mit Namen wie „Kampong Arab“ leben und mit Rattanpalmen und Agarholzbäumen Handel treiben – mit denselben Produkten, die in den frühesten arabischen Reiseberichten Erwähnung gefunden hatten.88 Auch andere hadramitische sayyid-Familien landeten entlang des Ozeansaums: die Kaffs und
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Saqqāfs an entgegengesetzten Enden, an der Swahiliküste sowie in Singapur, die Aidīd-Familie in Mogadischu, die Aidarūs in Ahmadabad und Kerala, die Bā Faqīhs in Kalikut (dem heutigen Kozhikode) sowie Colombo.89 Im 18. Jahrhundert trugen Missionare aus dem Hadramaut die Botschaft des Islam in immer entlegenere, fernöstliche Gefilde wie zum Beispiel zu den seefahrenden Bugis von Sulawesi und angrenzende Regionen.90 Stammeskrieger aus dem südlichen Jemen kehrten dem kargen Land ihrer Vorfahren den Rücken, um im wohlhabenden indischen Hyderabad als Söldner fettere Beute zu machen. Bisweilen wurden Araber in der Fremde zu eigenständigen Herrschern: Einer der seltenen Männer aus dem Norden unter den Glücksrittern, Sayyid Mohammed Schams al-Dīn aus Hama in Syrien, schaffte es Ende des 17. Jahrhunderts bis auf die Malediven und gelang durch Heirat auf den Thron des Inselsultanats.91 Allerdings starb er, bevor er eine Dynastie hätte gründen können. Andere Auslandssultanate bestanden länger, darunter das der hadramitischen sayyid-Familie mit Nachnamen Dschamāl al-Lail, „Kamel der Nacht“ (da ihr Vorfahr aus Frömmigkeit nachts die Waschbassins in der Moschee zu füllen pflegte). Verschiedene Zweige der „Nachtkamele“ herrschten über die Komoren, über Aceh auf Sumatra (wie der umherstreifende Abbaside, der 300 Jahre zuvor ein paar Kilometer die Küste aufwärts in die lokale Herrscherfamilie eingeheiratet hatte) sowie über das malaiische Perlis, wo sie bis zum heutigen Tage als Radschas die Macht innehaben.92 Die Überseediaspora hielt sich in ihrer Größenordnung stets in Grenzen: 1905 zählte man in Indonesien 30 000 Hadramiten.93 Allerdings waren die Länder des südlichen Arabiens, aus denen fast alle Emigranten kamen, selbst nur dünn besiedelt und die Auswahl an Reisezielen war riesig. Derartige Erhebungen können die zum Teil handfeste Macht dieser arabischen Expats in ökonomischer wie spiritueller Hinsicht gar nicht widerspiegeln. Trotz fortschreitender Kreolisierung blieben sie im Herzen doch Araber. Nicht das Eindringen der Portugiesen in den Indischen Ozean setzte dem informellen Reich in Übersee ein Ende, sondern erst die Aufteilung der formellen wie informellen Hoheitsgebiete in Nationalstaaten infolge des Zweiten Weltkriegs. Kreole zu sein, Bürger der Meeresküste, war nicht mehr vorgesehen: Es bedurfte einer Nationalität. Arabisches Blut, egal wie stark verdünnt, war schon immer dicker als Wasser gewesen. Letzten Endes erwies sich der Reisepass jedoch als beständiger als Blut und Wasser zusammen. Über 300 Jahre und darüber hinaus haben diese ausgedehnten, aber oft unbemerkten arabischen Migrationsbewegungen, die im postmongolischen 13. Jahrhundert begannen, die islamische Welt geprägt – auch wenn sie sich im Schatten anderer Großreiche vollzogen: dem Imperium der Portugiesen, dicht
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gefolgt von anderen Europäern, an deren Spitze sich wiederum die Briten in Indien und die Holländer auf den Ostindischen Inseln festsetzten. Das Haus Windsor mit seinem Herrschaftsgebiet über Kairo, Jerusalem, Damaskus, Bagdad und Indien wurde so – wenn auch nur für einige wenige Jahre nach 1917 – zur größten „islamischen“ Dynastie, zumindest was die Anzahl ihrer muslimischen Untertanen betraf: Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie.94 Darüber hinaus warteten diese Jahrhunderte mit einer weiteren imperialen Ironie auf: Der Höhepunkt der arabischen Einheit – das heißt, die längste Vereinigung einer größtmöglichen Bevölkerung unter einer einzigen Herrschaft bei weitester geografischer Ausdehnung – wurde unter osmanischer Herrschaft erreicht. Diese Einheit ging freilich auf Kosten der arabischen Unabhängigkeit und in vielerlei Hinsicht auch zu Lasten der arabischen Identität mit ihrem zeitweilig überhitzten Potenzial: Wie ein sich selbst verzehrendes Feuer, das durch Legierung eine Einheit hervorbringt – um sie daraufhin zu pulverisieren. Die arabische Stimme, ihre Welt, war am stärksten und dauerhaftesten geeint, als – oder auch weil, sie am wenigsten hörbar war. Eine unter Diktatoren jahrtausendealte Binsenweisheit lautet, dass Streit und Uneinigkeit nur dann auftreten, wenn man die Stimme erheben kann. Doch die anbrechende neue Welt barg noch ein ganz anderes Reich. Es war auf keiner Landkarte sichtbar, aber von ebenso großem Gewicht wie ganze Kontinente. Nicht bloß Araber, auch ihre osmanischen Gebieter und alle, die die arabische Schrift nutzten, verloren darin fast vollständig ihre Stimme.
Ein technisches Desaster Dieses neue Reich war das gedruckte Wort. Unerwartet und fast gleichzeitig vollzogen sich die geografischen wie typografischen Fortschritte. Gutenbergs Bibel erschien zwei Jahre nach dem Fall Konstantinopels an die Türken im Jahr 1455. Als die Portugiesen 1488, zeitlich dicht gefolgt vom Fall Granadas und Kolumbusʼ Landung in der Neuen Welt im Jahr 1492, das Kap der Guten Hoffnung umsegelten, war die Drucktechnik in Europa schon allgegenwärtig. Bewegliche lateinische Schrifttypen gingen mit dem europäischen Imperialismus in Übersee Hand in Hand. Bis an die Grenzen der Alten Welt war das Arabische – in Form von Koran, Grabsteinen, als Schriftsystem nichtarabischer Sprachen, ja sogar bis ins Lande Urdujas, der streitbaren Prinzessin – den Eroberern aus Europa vorausgeeilt, hatte bei der nächsten lebenswichtigen Etappe aber das Nachsehen: dem Buchdruck. Unter den Nutzern der arabischen Schrift herrschte von Beginn an Skepsis. Von den Religionsgelehrten vor die Wahl gestellt, verboten die Osmanen Druckerzeugnisse auf Arabisch bereits im Jahr 1485 und erneuerten dieses Verbot in
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der Folgezeit immer wieder.95 Natürlich zur Freude der Kopisten, deren Zahl allein in Konstantinopel in die Zehntausende ging.96 Von Streitigkeiten um Arbeitsplätze oder um die innige Heiligkeit arabischer Buchstaben als Medium der göttlichen Botschaft einmal abgesehen, entpuppte sich das Arabische in gedruckter Form als ästhetisches wie technisches Desaster. Das Grundproblem war simpel: Kursivschrift und bewegliche Lettern sind miteinander unvereinbar. Hinzu kommt die Schwierigkeit, Vokale darzustellen, die keine eigenständigen Buchstaben sind, sondern über oder unter die dazugehörigen Konsonanten gesetzt werden. Das bedeutet, dass ein kompletter arabischer Schriftsatz aus mehr als 900 unterschiedlichen Lettern besteht.97 Ein englischer Standardsatz enthält etwa ein Zehntel davon. Um einmal wahllos ein Beispiel zu geben, hat der arabische Buchstabe sād mit all seinen möglichen Ligaturen und Vokalen dutzende Formen:
Der mit am häufigsten verwendete Buchstabe mīm sieht wie eine unscheinbare Kaulquappe aus
nimmt aber mehr als 37 unterschiedliche Formen an.98 Das lateinische Äquivalent zu mīm hat hingegen nur zwei, m und M. Die getrennten Buchstaben im lateinischen sind vom griechischen Alphabet übernommen worden, das Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. seine Gestalt annahm.99 Die griechischen Lettern gingen ihrerseits wiederum, wie das Arabische letzten Endes auch, auf das vokallose Phönizisch zurück. Allerdings hatte irgendein hellsichtiger Grieche die Idee, einige Zeichen aus der Mutterschrift zu variieren, um Klänge in die Konsonantenzeile zu mogeln – fünf Zusatzbuchstaben verliehen Texten plötzlich eine Stimme. Die Handhabung unvokalisierter, semitischer Handschriften blieb hingegen, wie Lippenlesen im Vergleich zum Hören, komplizierter. Eigentlich ein weiteres Beispiel für das Wirken der Chaostheorie in der Historie: Ein Geistesblitz in der Ägäis zur Zeit Homers zeitigte 2000 Jahre später, als der Buchdruck mit beweglichen Lettern aufkam, weitreichende Konsequenzen. Wie sich zeigen wird, wirkte sich dieser unvermittelte Einfall in den 500 da rauffolgenden Jahren womöglich noch viel stärker aus. Die mit arabischem Schriftsatz verbundenen technischen Probleme hätten mit Lithografie, dem Druck mittels einer handbeschriebenen Platte, umgan-
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gen – und die Arbeitsplätze der Kopisten gerettet – werden können, doch wurde die Technik erst im Jahr 1798 erfunden. Genau in dem Jahr, als der Buchdruck schließlich in der arabischen Welt durchstartete: Napoleon sei Dank, der Kairo zuplakatierte. Für gewöhnlich wurde bei den gedruckten Texten an den Vokalen gespart, wodurch sie schwerer lesbar waren als Manuskripte. Ein eklatanter Widerspruch: Einerseits versprach man sich eine größere Reichweite, andererseits wurde das Lesevergnügen noch „undemokratischer“. Meine bescheidene Bibliothek enthält zahlreiche mehrbändige Druckausgaben, in denen Vokale selten bis gar nicht auftauchen. Mit dem Verlust der Vokale geht ein Verlust der Flexionsendungen, der inneren „Logik“, einher. Dadurch fällt das Lesen ein Quäntchen schwerer, statt eines „schnellen“ Zusammenpuzzelns wie in den vokalisierten Manuskripten wird es zu einem eher kryptischen Unterfangen. Noch schrecklicher ist das Erscheinungsbild von Schreibmaschinenarabisch – es erinnert an Fußabdrücke verkrüppelter Käfer. Also Finger weg! Auch im 19. und 20. Jahrhundert liefen Experimente ins Leere, das Arabische durch Verwendung voneinander separierter Buchstabenformen druckfreundlicher zu gestalten.100 Ebenso die Versuche, Großbuchstaben einzuführen, die sich bei der Orientierung in lateinischen Texten als so hilfreich erweisen (schauen Sie sich diese Seite an: ein Eigenname wie „Arabisch“ springt dank des Großbuchstabens sofort ins Auge).101 Die türkische Lösung rief 1928 hingegen tiefe Empörung in einigen Teilen der arabischen Welt hervor: Die arabische Schrift zugunsten des lateinischen Alphabets auszurangieren war schlimmer als Vandalismus. In einer anikonischen Kultur beinahe schon eine Form von Ikonoklasmus. „Die arabische Schrift“, schäumte einer ihrer namhaftesten Vertreter zu der Zeit, hatte sich ihnen [d.h. den Türken] gegenüber keinerlei Sünde schuldig gemacht. Es war einfach ihre Art, einer zweifelhaften „Zivilisation“ nachzueifern … Die Entscheidung baute nicht auf einer soliden Theorie oder logischen Schlussfolgerung auf … Da war nichts, außer einer berauschenden Idee in den Köpfen ihrer großen Anführer.102 Atatürk hätte sich eine solche Undifferenziertheit wohl verbeten: Die Logik des türkischen Führers fußte ja gerade auf einer kulturellen Neuorientierung der postosmanischen Türkei weg von der arabisch-islamischen Welt sowie einer zeitlichen Neuausrichtung vom 14. Jahrhundert nach der Hidschra auf das 20. Jahrhundert n. Chr. Für ein Urteil, ob seine Theorie solide war, ist es möglicherweise noch zu früh.
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Seit Atatürk hat jedoch eine weitere Revolution stattgefunden, mit der die letzten Hoffnungsfunken der Kopisten zerstoben – und mit ihnen all die Zweifel an der Überlebensfähigkeit der arabischen Schrift in der Gegenwart. Vor gerade einmal 20 Jahren habe ich noch die Dienste eines Kalligrafen statt eines Typografen in Anspruch genommen, um die Epigrafe für mein erstes Buch zu veredeln. Das war vor dem Aufkommen elektronischer Textverarbeitung: Jetzt können wir alle Kalligrafen sein, jederzeit drucken, mit Vokalen, Ligaturen, Rüschen, Firlefanz und allem Drum und Dran:
Doch mehr als 500 Jahre, von Gutenberg bis Microsoft, stellte das Drucken der arabischen Schrift ein großes technisches Problem dar. Zu den Herausforderungen dieser 500 Jahre, die nicht allein mit technischen oder ästhetischen Gesichtspunkten zu tun hatten, zählte auch, dass der bewegliche arabische Schriftsatz in seiner Heimat sehr gemächlich in die Gänge kam. Das älteste erhaltene arabische Buch, ein Band mit christlichen Gebeten, ist 1514 in Italien gedruckt worden.103 Von da an nahmen Orientalisten in Europa den Druck arabischer Texte in die Hand. In den arabischen Ländern experimentierten Christen im Libanon erst 100 Jahre später, in Aleppo noch einmal 100 Jahre darauf, mit der neuen Technik, ohne dass der Buchdruck auf die muslimische Mehrheit übersprang.104 In Konstantinopel wurde die erste Presse 1722 in Betrieb genommen.105 Nimmt man die beiden fruchtlosen Versuche in der Levante einmal aus, blieb die Technik in der arabischen Welt bis 1798 unbekannt, als während Napoleons Ägyptenabenteuer auf den kalligrafiebedeckten Mauern Kairos erstmals Propagandaplakate auftauchten: Der Amīr der Streitkräfte, būnābārta [Bonaparte] … ist ein Mann von vollkommenem Verstand, barmherzig und gütig gegenüber den Muslimen, voller Hingabe für die Armen und Bedürftigen!106 Darauf folgte im Jahr 1822 die Einführung einer vollwertigen staatlichen Druckerpresse durch Mohammed Ali Pascha.107 Erst jetzt fasste die Typografie in arabischen Landen Fuß. Über 350 Jahre, in denen sich der Buchdruck bis in die letzten Winkel Europas ausgebreitet hatte, waren gedruckte Worte den meisten Sprechern des Arabischen vorenthalten geblieben. Die Auswirkungen lassen
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sich nur schwer beziffern. Zweifellos hat diese zeitliche Verzögerung den wissenschaftlichen wie technologischen Fortschritt ungemein gebremst. Ausgebremst wurde indes nicht bloß die Verbreitung neuer Ideen. Man geht davon aus, der europäischen Buchdruckrevolution habe die neuartige Vorstellung vom empirischen Faktenbeweis im Gegensatz zum „Beweis“ rhetorisch versierter, göttlicher oder menschlicher Autoritäten zugrunde gelegen – worauf schließlich die gesamte naturwissenschaftliche Revolution fußte.108 Sollte dem so sein, dann ist diese Zeitenwende an der arabischen Welt vorbeigegangen. Sowohl Bacon als auch Carlyle zählten den Buchdruck neben Schwarzpulver – und Kompass respektive Protestantismus – zu den drei weltbewegenden Erfindungen der Moderne.109 An einer Stelle schrieb Carlyle: Derjenige, der als erster die Arbeit der Kopisten mit der Hilfe von beweglichen Lettern verkürzte, löste Söldnerheere auf, kassierte die meisten Könige und Senate und schuf eine vollkommen neue demokratische Welt: Er hatte die Kunst des Buchdrucks erfunden.110 Einem beträchtlichen Teil der Menschheit blieb der Zugang zu dieser neuen Welt auf unbestimmte Zeit verwehrt. Schuld war nicht allein der Konservatismus der Kopisten und Könige, sondern die äußerst schöne, aber leider im Druck kaum umsetzbare arabische Schrift. Man stelle sich vor, den Sprechern des Arabischen wäre über die Dauer eines Dritteljahrtausends das Internet verwehrt geblieben. So weit ist es natürlich nicht gekommen. Araber sind begeisterte Internetnutzer, vor allem seit Verbreitung des Smartphones – ein weiterer Auswuchs der 3000 Jahre zurückliegenden griechischen Erfindung der Vokale. Denn allem Anschein nach haben weite Teile der arabischen Welt das Zeitalter des Buchdrucks einfach übersprungen und sind direkt im Zeitalter der Informationstechnologien gelandet – oder besser gesagt, der Desinformationstechnologien, da wieder einmal mehrere Versionen der „Wahrheit“ parallel existieren, die neben rhetorischer, menschlicher oder göttlicher Autorität ebenfalls von empirischen Fakten abhängt. Mit einem Satz sind viele Araber von der „Vorwahrheits-“ in der „Postwahrheitszeit“ gelandet, ohne das entsprechende Zwischenstadium zu durchlaufen.
Der heimtückischste Menschenschlag Nicht nur der wissenschaftliche Fortschritt scheint in den gut 300 Jahren unter den Osmanen behindert worden zu sein, auch die arabische Identität hat offenbar unter ihnen gelitten. Vor dem Beginn der osmanischen Herrschaft hatte Ibn
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Battūta (genetisch Berber, kulturell Araber) in seinem ausschweifenden Reisebuch (knapp 700 Seiten in der deutschen Übersetzung) nur einige Dutzend Male Bezug auf „Araber“ genommen, und das obwohl seine Streifzüge, einschließlich aller arabischsprachigen Länder, eine Spanne von 33 Jahren und etwa 120 000 Kilometern abdecken. Die Bezüge lassen sich grob in drei Kategorien teilen: In einem Drittel wird „Araber“ als ethnisch-linguistischer, kultureller Marker verwendet, wie beispielsweise in dem Satz „arabische, persische, türkische und griechische Faqīre [Sufi-Asketen]“.111 Ein weiteres Drittel bezieht sich auf Araber als Randerscheinungen der von Ibn Battūta überwiegend durchstreiften zivilisierten Welt, als Beschützer und Führer in der Wildnis wie zum Beispiel in der östlichen Arabischen Wüste Ägyptens.112 Das letzte Drittel beschreibt Araber als Gefahr, wie die marodierenden arabischen Stammesangehörigen, die während Ibn Battūtas Aufenthalt Tunis belagerten.113 Häufiger als Ibn Battūta bezieht sich gegen Ende der dreihundertjährigen osmanischen Herrschaft im frühen 19. Jahrhundert der Ägypter al-Dschabartī (genetisch Äthiopier, kulturell Araber) – der wohl bekannteste Historiker seiner Zeit – in seiner knapp 2000 Seiten umfassenden Chronik Ägyptens auf Araber, selten jedoch in kultureller oder gar sprachlicher Hinsicht. Fast immer sind sie wie Gog und Magog eine Bedrohung jenseits von Gut und Böse. „Diese verfluchten aʿrāb“, heißt es zum Beispiel, „sind der heimtückischste Menschenschlag und die größte Plage der Menschheit.“114 Es genügte, wenn die Gerüchtehändler in Kairo durch die Straßen riefen: „Ihr Leute! Die ʿarab sind über euch hergefallen!“115, um eine Massenpanik auszulösen, bei der Frauen zu Tode getrampelt wurden. Doch all das sollte sich ändern. Eine neue arabische Identität war im Erwachen begriffen, die vom Indischen Ozean bis zum Atlantik eine Vielzahl an Völkern und Stämmen einschließen und – wie eh und je – keine Einheit stiften würde.
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Kapitel 13 Erwachen: Die Wiederentdeckung der Identität Der Hübsche mit dem wehenden Gewand „Die Menschen unserer Zeit“, schrieb Abd al-Rahmān al-Dschabartī an der Wende zum 19. Jahrhundert in der Einführung seiner Chronik, „haben die Niederschrift der Geschichte von sich gewiesen, vernachlässigt und beiseite geschoben.“1 Al-Dschabartī, der Araber als „den heimtückischsten Menschenschlag“ betrachtete, pflegte einen ebenso düsteren Blick auf die Geschichte: Die Zeit hat sich auf den Kopf gestellt, ihre Schatten haben sich verdichtet … ihre Grundlagen lassen sich in keinem Register oder Buch mehr ordnen. Sich heute mit Arbeiten abzugeben, die keinen Nutzen bringen, gilt als Verlust; was vorbeiging und vergangen ist, kann nicht zurückgebracht werden.2 Dieses Vergessen habe, so meinte er, die vergangenen 50 Jahre angehalten. Die glorreichen Zeiten seien vorbei und die Geschichtsschreibung ebenso wie die Literatur Gefangene dieser selbstverschuldeten Abwärtsspirale. Einer Abwärtsspirale, in der heimtückische badw wieder hilflose hadar sowie die Pilgerkarawanen nach Mekka überfielen und Mamluken seit einem halben Jahrtausend unverändert, 300 Jahre osmanische Herrschaft inbegriffen, die Macht in Kairo innehatten.3 Ehe sich das 18. Jahrhundert ganz seinem Ende zugeneigt hatte, setzte eine Kehrtwende ein und die Geschichte drehte sich kopfüber in eine unstete Zukunft. In Kairo brach Panik aus, als Beduinen in die Stadt einfielen. Doch wie heißt es so schön in einem Sprichwort: Lieber altbekannte Dschinnen, als unbekannte Menschen. Denn im Juli 1798 fiel eine andere brandschatzende Horde über Ägypten her, nicht die üblichen plündernden Plagegeister, sondern die zuletzt vor über 500 Jahren im Delta als Kreuzfahrer eingefallenen Franken. Damals waren sie zurückgedrängt worden, dieses Mal war das Kräfteverhältnis weniger ausgeglichen: Eine übermächtige Artillerie riss die Mamluken in Stücke, mit nichts als Gebeten und Stöcken bewaffnet trat die Bevölkerung Kairos den neuen Franken entgegen, und Napoleon marschierte ein.4 Er wollte nicht nur seinem imperial-expansionistischen Ehrgeiz Befriedigung verschaffen, sondern den Nachschub Großbritanniens im östlichen Mittelmeer unterbinden, allem voran die kurze, aber lebenswichtige Überlandstre-
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cke durch Ägypten ins prosperierende indische Empire. Al-Dschabartī beobachtete die modernen Franken mit der Faszination eines Anthropologen. Als erstes machten sie sich an die Eröffnung von Restaurants mit Table dʼHôte und prix fixe Speisekarten. Typisch französisch eben: In jedem Speiseraum war eine Anzeige mit der Anzahl an dirhāms, die man darin zu zahlen hatte … nachdem sie sich gesättigt hatten, zahlten sie, was sie schuldeten, nicht weniger und nicht mehr.5 „Nicht weniger und nicht mehr …“: In der Hauptstadt des Feilschens eine kleine Sensation. Neben Speisesälen inspizierte al-Dschabartī auch Schlafgemächer und hielt fest, dass die Franzosen sich nicht bitten ließen, wenn es darum ging, mit den Konkubinen verstorbener Mamluken anzubandeln, „weiße, schwarze und Äthiopierinnen … Die meisten hatten sich gekleidet wie ihre fränkischen Frauen“.6 Dem modischen Einfluss der revolutionären Besatzer war hingegen weniger Erfolg beschieden, als sie die drei großen religiösen Scheichs dazu bewegen wollten, anstelle ihrer traditionellen, dunkelgrauen taylasāne, einer Art akademischem Überwurf, eine dreifarbige, blau-weiß-rote Schärpe zu tragen.7 Indes ließ man eine kleine Montgolfiere in den Farben der Trikolore aufsteigen. Ein überambitionierter Flop, da der – was sich als Glück herausstellen sollte – unbemannte Ballon in der Luft auseinanderfiel. Entgegen al-Dschabartīs Erwartung, „daß Menschen darin sitzen könnten, um darin in ferne Länder zu reisen … zeigte sich vielmehr, daß es nur eine Art Drachen war, wie ihn die Diener bei Festlichkeiten und Freudenfeiern anfertigen“.8 Ebenso wenig hob das Spektakel von wild galoppierenden Französinnen, die mit dem Expeditionskorps gekommen waren und in ihrer Pariser Mode „lachend und kreischend mit den Eselsjungen und Halbstarken ihre Späße trieben“, al-Dschabartīs Stimmung.9 Einige der fränkischen Neuheiten hinterließen hingegen bleibenden Eindruck bei ihm. Unter anderen die geniale Erfindung der Schubkarre10 sowie die von den Franzosen eingerichtete öffentliche Bibliothek. Hier verbrachte er viele Stunden und fand heraus, dass „sogar ihre niedrigsten Soldaten“ dort verkehrten.11 Darüber hinaus fand er Gefallen an einer interaktiven Ausstellung mit naturwissenschaftlichen Experimenten, darunter ein Elektroschockgerät: „Im gleichen Augenblick wird sein Körper von einer plötzlichen Erschütterung geschüttelt, und die Knochen seiner Schulter und seines Armes knacken.“12 Von derartigen Technologien und Moden abgesehen, brachte Napoleon einen neuen Wind in das vom Staub der Vergangenheit bedeckte Land. Erst ließ er zwischen den Kairoer Wohnvierteln die Tore niederreißen, dann die Straßen
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ausfegen und beleuchten, um daraufhin alle Grundstücke zu katastrieren.13 Mentale Spinnweben kehrte er dabei gleich mit aus. Die Kairoer Juristenklasse, deren Rechtsschulen zum größten Teil vor 1000 Jahren entstanden waren, geriet in Staunen darüber, dass die französische Prozessordnung auf Vernunft statt auf Religion basierte.14 Außerdem führte Napoleon politische Neuerungen ein, darunter die Urnenwahl und eine Abgeordnetenkammer.15 Um das entfesselte Bewusstsein im Zaum zu halten, schuf er zudem in Form der erwähnten Plakate, auf denen er sich zum Freund des Islam erklärte, die erste gedruckte Propaganda in der arabischen Welt.16 Die Freundschaft beruhte nicht immer auf Gegenseitigkeit: Das Kataster bereitete nämlich einer Grundsteuer den Weg, was wiederum zu einem Volksaufstand führte, woraufhin die Franzosen postwendend die geheiligte al-Azhar-Moschee entweihten.17 Ungeachtet solcher Provokationen behielt al-Dschabartī einen unvoreingenommenen und urteilsfreien Blick auf die Franzosen. Offenbar betrachtete er sie als ungeahnte Kuriosität, als Sensation für seine Chronik (sie hatten schließlich die todgeweihte Geschichtsschreibung zu neuem Leben erweckt) sowie als Überbringer göttlicher Vergeltung: „Dein Herr“, zitiert er an mehreren Stellen den Koran, hätte keinesfalls unrechtmäßig Städte vernichtet, während ihre Bewohner rechtschaffen waren.18 Mit anderen Worten waren die Franzosen das menschgewordene Pendant zu den Naturkatastrophen, mit denen Gott die irrenden Völker aus finsteren Zeiten – Ād, Thamūd und Saba – gestraft hatte. Weniger philosophisch orientierte Kairoer betrachteten die Franzosen einfach als „ungläubige Hunde“19, wieder andere hießen sie willkommen. In einem Volkslied wurden Napoleon und sein Sieg über die ungeliebten Mamluken (die „Ghuzz“ – die Türken) sowie die anschließende Unterdrückung der beduinischen Räuber (hier ʿurbān – eine andere Pluralform der alles-andere-als-urbanen ʿarab) sogar gepriesen: Wir ersehnten dich, o General, O Hübscher du mit wehendem Gewand, Dein Schwert hat in Ägypten verheert Die Ghuzz und die ʿurbān.20 Weitere Verheerungen zeichneten sich ab: Der ersten folgte eine weitere Horde Franken auf dem Fuß. Gerade einmal einen Monat nachdem Napoleon Kairo im Handstreich eingenommen hatte, segelte Lord Nelson in der Bucht von Abu-
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kir ein und zerstörte in der Seeschlacht am Nil die französische Flotte. Nun war Napoleon vom Nachschub abgeschnitten. Zwar schaffte es der General im da rauffolgenden Jahr zu entkommen, doch konnten die Franzosen ihre Stellung nicht länger halten und wurden im Sommer 1801 mit geeinter Kraft von Osmanen und Briten aus Ägypten vertrieben. Wie schon in der fernen vorislamischen Epoche, als sie „eingeklemmt auf einem Felsen zwischen zwei Löwen“21 saßen, fanden sich Araber einmal mehr zwischen den Reichen anderer Völker gefangen. Diesmal waren sie sogar gleich von dreien umzingelt: Zwischen der Hohen, mittlerweile bröckelnden Pforte der Osmanen sowie den streitlustigen Feinden Britannia und Marianne – von denen die eine danach trachtete, ihre kurze, aber lebensnotwendige Landbrücke durch Ägypten nach Indien offen zu halten, und die andere, sie zu blockieren. Ursprünglich hatten sich Araber durch ihre Mittlerrolle zwischen den Handelszonen der Alten Welt, dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean in einer günstigen Lage befunden. Nun standen sie gleich zwei europäischen Mächten im Weg, die beide Zonen gleichzeitig unter ihre Kontrolle bringen wollten. (Und das nicht zum letzten Mal: Seit jeher waren Cäsar und Hülegü, so taufte der größte arabische Dichter einmal die beiden rivalisierenden Großmächte des Kalten Krieges, auf Beutezug im Nahen Osten, und das sollte auch so bleiben.22)
Völker, Stämme und Imperien Wieder einmal wirkte sich der Druck fremder Imperien auf die arabische Identität aus. Die Ankunft der Franzosen in Ägypten wird meist als Zeitenwende, mit der sich die arabische Welt der modernen, westlichen Welt zuwandte, verstanden. Auch wenn es seit der Renaissance die bisher einschneidenste Begegnung von Arabern mit Europa war, so war es doch nicht die erste. Bereits das Übersee-Imperium des Oman war über ein Jahrhundert lang von aufstrebenden europäischen Seemächten inspiriert und geprägt worden.23 In jüngster Zeit hatte sogar das wachsende Britische Empire Kriegsschiffe an den Golf entsandt. Ihre Mission bestand darin, nach Indien reisende, britische Kaufleute vor der Küste der heutigen Vereinigten Arabischen Emirate vor Überfällen durch arabische Boote zu schützen.24 Ob die Räuber nun Piraten, Dschihadisten oder Freiheitskämpfer waren, bleibt Ansichtssache. Nicht zur Debatte steht hingegen, dass die britischen Manöver auf hoher See nur einen Vorgeschmack auf die bis heute anhaltenden Interventionen des Westens im Golf boten. Diese frühen Begegnungen hatten sich an den Rändern der arabischen Welt abgespielt. Die in Ägypten gelandeten Armeen waren von anderem Kaliber: Die Moral von Napoleons Streitkräften war seit ihrem aufsehenerregenden Feldzug in Italien ungebrochen, während die britische Mittelmeerflotte die
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Seegefilde im Westen beherrschte. Und nachdem Bagdad vor mehr als 500 Jahren an die Mongolen gefallen war, bildete Ägypten – prädestiniert durch seine Lage zwischen zwei Kontinenten, dem Scharnier von Maschrik und Maghreb, Heimat der größten arabischsprachigen Bevölkerung im ganzen Osmanischen Reich – das kulturelle Herz der arabischen Welt. Doch im Jahr 1798 lag das arabische Bewusstsein Ägyptens im Dornröschenschlaf, das kulturelle Herz pochte, falls überhaupt, nur zaghaft. Die Zeiten, als intellektuelle Vorkämpfer wie Ibn Chaldūn nach Kairo gekommen waren, um in den herausragenden madrasas, Medresen – den vor über 400 Jahren entstandenen geistigen Kraftzentren – zu lehren, und große ägyptische Wissensschöpfer wie der Enzyklopädist al-Qalqaschandī oder der Literaturhistoriker al-Suyūtī ihre breit angelegten Wissenskompendien kompilierten, lagen da längst in ferner Vergangenheit. Im osmanischen Dämmerzustand hatte, wie al-Dschabartī anmerkte, nichts von Wert mehr Bestand. Schlimmer noch, die Vergangenheit ging verloren: Die restlichen Bestände der großen alten Medresen-Bibliotheken waren zu al-Dschabartīs Bedauern entwendet oder weiterverkauft worden.25 Der Inbegriff arabischer Geschichte und Identität war gestohlen worden. In der Vormorgenröte der sogenannten al-Nahda, dem „Erwachen“, rissen die rauen Küsse der Franzosen und Briten Araber aus ihrem langen Schlaf. Im Laufe des 19. Jahrhunderts übte schließlich auch das in seinen arabischen Territorien lange Zeit handlungsunfähige Osmanische Reich Druck aus – woraufhin sich die fragmentierten arabischen Völkerschaften und Stämme zusehends wieder als eigenständige, durch Sprache und Geschichte verbundene Gruppe sahen. In ihrer ganzen Vielfalt sollten Araber auf ein Neues zueinanderfinden, wenngleich nicht „im Wort des Islam“, wie Ibn Chaldūn es ausgedrückt hatte, sondern in einem neuen Begriff: qaumiyya, Nationalismus. So wie in Europa zu jener Zeit Deutsche, Italiener und andere Volksgruppen ihre Wurzeln wiederentdeckten (beziehungsweise neu erfanden) und zu dem Ergebnis kamen, dass sie Nationen mit weit zurückreichenden gemeinsamen Sprachen und Traditionen seien, sollte es auch Arabern ergehen. Wobei für sie der Begriff „Nationalismus“ zwar neu, die Idee dahinter hingegen alt war: Schon der Islam hatte versucht, sesshafte Menschen und umherziehende Stämme zusammenzubringen und in einer umma, einer „Nation“ in der Bedeutung einer umfassenden, inklusiven Gemeinschaft, zusammenzuschweißen. In diesem Sinne fußte der arabische Nationalismus auf der Vorstellung einer umma ʿarabiyya, einer geeinten arabischen „Nation“.26 Schon vor dem Islam definierte die gemeinsame Sprache deren Sprecher gewissermaßen als „nationale“ Entität, als ʿarab im Gegensatz zu ʿadscham. Wenn also das Erwachen im 19. Jahrhundert „den Keim für eine
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Vorstellung [säte] … dass die Araber eine Nation seien, die durch eine gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte definiert ist“,27 so geschah das nicht zum ersten Mal. Der Keim war bereits in vorislamischer Zeit gesät, in den ersten islamischen Jahrhunderten umgetopft und während der frühen Abbasidenzeit, als die gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte erstmalig niedergeschrieben wurden, großgezogen worden. Die älteren Setzlinge waren mittlerweile welk. Und so erwuchs aus der Saat im 19. Jahrhundert zuallererst ʿasabiyya, ein neues Solidaritätsgefühl, stark wie niemals zuvor seit Aufkommen des Islam. In der Mitte des 20. Jahrhunderts entfachte diese Solidarität mit Ägypten im Zentrum ein Feuerrad, dessen Flammen über panarabische Grenzen hinweg züngelten. Doch wieder einmal blieb Einheit für Araber unerreichbar: Die Flammen nährten nur sich selbst.
Das Haus der Sprachen Im Ägypten des frühen 19. Jahrhunderts lag all das noch in unvorstellbarer Ferne. Die Ägypter waren nach wie vor von dem plötzlichen, durch Napoleon herbeigeführten Wandel schockiert. Schenkt man dem Bericht eines europäischen Besuchers aus dem Jahr 1806 Glauben, so wirkte die kurze Begegnung mit den Franzosen durchaus wie ein erster Weckruf: Die Expedition der Franzosen … führte einen glücklichen Wandel der unter den Menschen herrschenden Vorstellungen herbei. Die beträchtlichen zivilisatorischen Vorzüge der Nationen Europas, in Militärtaktik, politischer Organisation, in den Künsten und Wissenschaften, welche sie kennenlernen durften; die allen gesellschaftlichen Klassen zugutekommenden philanthropischen Ansätze, in deren Genuss sie kamen; all dies hat ihnen Achtung vor denjenigen Nationen eingeflößt, die – gegenüber den Arabern und Türken, deren Unterlegenheit sie in Hinblick auf die Europäer freimütig eingestehen – derart große Vorzüge hervorgebracht haben.28 Man könnte das als Eurozentrismus abtun, wären da nicht der implizite Beleg durch den einheimischen Beobachter al-Dschabartī und, was mit Blick auf die anbrechenden Dekaden relevanter erscheint, der explizite Verlauf der ägyptischen Geschichte unter dem bahnbrechenden Mohammed Ali Pascha. Er und seine Nachfolger machten eine Unmenge jener Vorzüge, Wissenschaften und Vorstellungen in Ägypten heimisch. Neben einem Gefühl der Unterlegenheit hinterließen die Franzosen in Ägypten eben auch ein Nationalgefühl sowie Ansätze einer eigenständigen Identität.
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Von Beginn an hatte Napoleon proklamiert, „allen Bewohnern Ägyptens … der ganzen umma“ gegen die „importierten“ Mamluken zur Seite zu stehen.29 Das war neu. Ägypten bestand aus einem vielschichtigen Konglomerat von Völkern und Prinzen. Von all den importierten und aufgezwungenen Herrschern währten die Mamluken am längsten. Sie hielten sich so lange an der Macht, weil sie sich im Gegensatz zu all den anderen vor ihnen eben nicht integrierten. Mohammed Ali, der osmanische Vizekönig Ägyptens, hob sich hiervon ab. Er und seine Nachfolger nahmen sich des Unterlegenheitsgefühls an und kehrten Istanbul den Rücken, um im modernen Westeuropa nach Halt zu suchen. Das war keine bloße Neuorientierung (oder besser gesagt „Neuokkzidentierung“), stattdessen sollte die Vorstellung von Ägypten als einer Nation gefestigt werden – einer „ganzen umma“, wie es in Napoleons Proklamation hieß –, und eben nicht als Anhängsel der Hohen Pforte. Unweigerlich erwachte auch das Arabertum in Ägypten wieder. Mohammed Ali war seinerseits selbst ein „Import“, ein in Mazedonien geborener Albaner, der innerhalb des osmanischen Militärs Karriere gemacht hatte. Doch wie schon die fremden Dynasten von vor 1000 Jahren, die Tuluniden, Ichschididen und wie sie alle hießen, arabisierte sich auch Mohammed Alis Nachkommenschaft: „Die Sonne Ägyptens hat mein Blut verwandelt und ganz und gar arabisch werden lassen“, erklärte sein ältester Sohn Ibrahim Pascha.30 Indem sie die Amtssprache Türkisch gegen Arabisch austauschten, setzten sie die Rearabisierung Ägyptens in Gang.31 Nachdem der arabischen Sprache so lange nur eine Außenseiterrolle zugefallen war – einerseits als liturgische Hochsprache, andererseits als niedere Mundart –, verschaffte ihr das wieder eine solide Ausgangsposition. Zuvor war mit einfachem Arabisch ein geringeres Ansehen verbunden gewesen: Zur Aufrechterhaltung der Ordnung sah sich Napoleon veranlasst, Türken einzusetzen, da die Ausdrucksweise von Arabern zu wenig Autorität ausstrahlte.32 Den nötigen gebieterischen Respekt stellten Mohammed Ali und seine Nachfolger durch ihre Politik wieder her. Um das Ansehen der Sprache zu heben, griff der Pascha zudem auf eine französische Neuerung zurück. Napoleon hatte den Suk mit gedruckten Plakaten zugekleistert, sein zweiter Nachfolger Jacques-François de Menou im Jahr 1800 vorübergehend die erste arabische Zeitung Al-Tanbīh, „Die Ankündigung“, herausgebracht.33 Daran knüpfte Mohammed Ali im Jahr 1828 mit seiner eigenen Zeitung Al-waqāʾiʿ al-misriyya, „Ägyptische Ereignisse“ an. Der Titel bringt, auch wenn er nicht nach direkter Unabhängigkeitserklärung klingt, dennoch ein mächtiges Selbstbewusstsein gegenüber Istanbul zum Ausdruck. Außerdem beendete Mohammed Ali die unter den Osmanen seit Jahrhunderten andauernde Isolation von Europa. Im Jahr 1826 entsandte er junge
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Ägypter zum Studium nach Paris. Der spirituelle Anführer der Gruppe, ein kluger Kopf der Lehranstalt al-Azhar namens al-Tahtāwī, brachte seine gemischten Gefühle über die französische Hauptstadt in Versform zum Ausdruck: Hat Paris auf Erden ihresgleichen, wo die Sonne der Gelehrsamkeit nie erstarrt? Oder wo – erstaunenswerterweise – die gottlose Nacht keines neuen Tages harrt?34 Ihm schien es unbegreiflich, dass so begabte Menschen wie die Pariser nicht zum Islam übergetreten waren. Wie dem auch sei, er kehrte nach Kairo zurück voller Bewunderung nicht nur für die französische Gelehrsamkeit, sondern auch für die politischen Freiheiten in Frankreich, und der Erkenntnis, dass „Gerechtigkeit das Fundament einer florierenden Kultur bildet“ wie in der islamischen Theorie – wenn auch nicht, wie er andeutete, in der Praxis.35 Darüber hinaus kam al-Tahtāwī auch als gestandener Sprachwissenschaftler wieder nach Hause und wurde zum Gründungsdirektor des 1935 von Mohammed Ali zur Übersetzung europäischer Schriften eingerichteten „Hauses der Sprachen“ ernannt – eine Neuauflage des exakt 1000 Jahre zuvor, im Jahr 832, vom abbasidischen Kalifen al-Maʾmūn in Bagdad gegründeten „Hauses der Weisheit“.36 Unter den Nachfolgern von Mohammed Ali Pascha ging der Übersetzungsprozess weiter. Allerdings erfolgte er in beide Richtungen und umfasste nicht nur Bücher, sondern auch die Stadt selbst, die Kultur, das gesamte Kommunikationswesen und den West-Ost-Handel. Die unmittelbaren Erben des Paschas brachten die Dampfkraft nach Ägypten und Robert Stephenson (Sohn des legendären Lokomotivkonstrukteurs und Eisenbahningenieurs George „Rocket“ Stephenson), der Bahnlinien und Schienenfahrzeuge zu planen begann.37 In den 1860er-Jahren unterzog Mohammed Alis Enkel Ismail Kairo einer Haussmannʼschen Kur, errichtete zahlreiche Boulevards und Alleen und mit dem Opernhaus ein unmissverständliches Symbol für Offenheit gegenüber anderen (europäischen) Traditionen. In der Zwischenzeit schritt die Arbeit am Sueskanal voran, der buchstäblichen Öffnung zwischen den beiden Welten. Die Einweihung im Jahr 1869 geriet – zumindest für den kurzen Moment der Eröffnungszeremonie, was auch immer Kipling davon halten mochte – zum Beweis dafür, dass Ost und West doch zusammen kommen konnten: ein verrückter Reigen … mit Kaisern und Derwischen, Reichsführern und Dirnen, Patriarchen und Possenreißern, Emiren und Ingenieuren,
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muselmanischen Hohepriestern und italienischen Seeleuten, alle Hals über Kopf durcheinandergewürfelt …38 Als erste passierte eine ganze Regatta aus Dampfbooten den Kanal, darunter auch Ismails gigantische El Mahrūsa – bis heute die ägyptische Präsidentenyacht, von einigen Modifizierungen abgesehen. Doch all das hatte seinen Preis. Den ägyptischen Staat hatte Ismail in den Bankrott getrieben und damit den Weg für einen anderen, weniger willkommenen Vertreter Westeuropas geebnet: den hartnäckigsten aller Schuldeneintreiber, den britischen Gerichtsvollzieher.
Das Wenden der Sanduhr Zur gleichen Zeit spielte sich am anderen Ufer des Roten Meeres ein diametral gegensätzliches Erwachen ab: Ein Aufbruch in Vergangenheit und Selbstbezogenheit nämlich. Den Wahhabiten auf der Arabischen Halbinsel wäre ein Haus der Sprachen dem Turm zu Babel gleichgekommen, ein Opernhaus dem Boudoir der Hure Babylons. Ihnen galt jegliche bidʿa, Neuerung, als Häresie. Und dennoch bereitete ihre Bewegung, ebenso wie die Ereignisse in Ägypten, dem Arabischen Erwachen an sich den Weg.39 Die Ursprünge der Wahhabiten reichen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück, doch erst 1798, dem Jahr, als die Franzosen in Ägypten einfielen, wurden die Osmanen auf diese neue, hauseigene Bedrohung ihres Herrschaftsanspruches aufmerksam. In die irakischen Siedlungsgebiete eindringende Beduinen – schon lange vor dem Islam das Anzeichen für schwelenden Ärger auf der arabischen „Insel“ – versetzten die Türken in Unruhe. Doch das 10 000 Mann starke Heer, das sie daraufhin in Marsch setzten, musste sich den Beduinenkriegern schmachvoll geschlagen geben.40 Was wie ein zusammengewürfelter Haufen wirkte, war in Wirklichkeit eine überraschend disziplinierte Stammesarmee. Zudem eine unerwartet große, die sich innerhalb einer Generation rekrutiert hatte. Die von einem osmanischen Autor in den 1880er-Jahren vorgebrachte Meinung, der Wahhabismus sei von einem britischen Agenten namens „Mister Hempher“ in Arabien eingepflanzt worden, können wir wohl verwerfen. Wahrscheinlich ist die Bewegung von einem Kleriker aus den schroffen Bergregionen des Nadschd in Zentralarabien inspiriert worden und übernahm dessen Namen: Mohammed ibn Abd alWahhāb. Geboren um das Jahr 1720, bereiste er in seiner Jugend die schwülen Breiten jenseits seines Heimatbergs, wo er über die Heiligenverehrung und andere infektiöse „Verderbtheiten“, die den Islam infiziert hatten, in Entsetzen geriet.41 Angeregt von den Schriften eines anderen notorischen Puritaners aus
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dem 14. Jahrhundert, Ibn Taimiyya, übernahm er die Mission, den Glauben zu desinfizieren. Die Mission war gleich mehrfach in der Vergangenheit verhaftet: in den Ideen von Ibn Taimiyya ebenso wie in der koranischen Botschaft des tauhīd – wovon sich die offizielle Eigenbezeichnung der Wahhabiten, „alMuwahhidūn“ oder Unitarier, herleitet – das heißt, der Glaubenslehre im Koran von der göttlichen Einheit, wonach Gott frei von allen beigesellten Partnern und Mittlern sei.42 Die Muwahhidūn Arabiens erwiesen sich als Neuauflage der berberischen al-Muwahhidūn, den „Almohaden“, aus dem 12. Jahrhundert in Nordafrika und Spanien.43 Wenngleich eine äußerst sittenstrenge Neuauflage, die zudem bis heute verbreitet ist. Wie so oft bei Unitariern war der Monismus der Wahhabiten theologischer wie politischer Natur: Das „Ja“ zu einem weltlichen Herrscher war gleichbedeutend mit dem „Amen“ gegenüber dem himmlischen Schöpfer.44 Auch die wahhabitischen Neo-neo-Unitarier teilten die Meinung, dass selbst wenn Gott nur Einer sei, eine Legion Dämonen die Welt im Griff halte. Die wachsende Bewegung nahm den Kampf wider den göttlichen Willen als auch die Natur des Menschen auf und schmiedete eine stammesübergreifende, panarabische Einheit. Falls sich diese Geschichte irgendwie bekannt anhört, dann deswegen, weil die Wahhabiten ganz bewusst die Anfänge des islamischen Staatswesens in Medina reinszenierten. Wie schon die ersten Muslime bezogen sie sich auf ihr Leben vor dem Wahhabismus als al-Dschāhiliyya, „die Unwissenheit“.45 Auf ihrer Suche nach Reinheit bedienten sie sich der nur für Araber gültigen, längst überholten Version eines von fremden Zueignungen und Entstellungen freien Islam. Arabische Identität schälte sich einmal mehr im Wechselspiel mit Außenstehenden heraus: Nicht allein in Reaktion auf die verkommenen osmanischen Herrscher Arabiens und die verdammenswerten schiitischen Perser, die sich wie schon vor dem Islam im Osten der Halbinsel auf dem Vormarsch befanden,46 sondern auch in Reaktion auf die ganze restliche, in Heiligenverehrung, Götzendienst und Erneuerung schwelgende Welt. Mohammed ibn Abd al-Wahhābs Ideen hätten die felsige Hochebene des Nadschd vielleicht nie verlassen, wäre da nicht Mohammed ibn Saʿūd47 des Weges gekommen, ein früh zum Wahhabismus Bekehrter und lebhafter Anführer einer wichtigen Familie im Nadschd. Ibn Saʿūd witterte seine Chance: Genauso wie das Ancien Régime der Quraisch sich der vom Propheten Mohammed ibn Abdallah geeinten Stimme bemächtigt hatte, festigten auch die Al Saʿūd mithilfe von Mohammed ibn Abd al-Wahhābs Anhängerschaft ihre Herrschaft und bauten sie aus. Infolge der weltlichen Unterstützung durch die Al Saʿūd und der wachsenden Zahl von Stammesangehörigen, die sich der Sache andienten, uferte die reformorientierte Mission in Randale aus: Auf der gesamten Halb-
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insel setzten wahhabitische Räuber eine Woge regelrechten Vandalismus in Gang, dem alles, was auch nur auf schirk, „Polytheismus“, hindeutete, zum Opfer fiel. Insbesondere Gräber, die mehr als eine Hand breit über den Erdboden ragten, wurden dem Erdboden gleichgemacht, um zu verhindern, dass deren Besucher auf Abwege – von der reinen Ehrerbietung hin zu Fürbitten oder Heiligenverehrung – gerieten. Die noch zugänglichen Spuren der Vergangenheit wurden während der Besatzung Medinas (1805–1812) von den Wahhabiten großteils zerstört. Die lange verehrten Ruhestätten der Prophetengefährten verwandelten sie in anonyme Schutthaufen. Selbst der Prophet kam nicht ungeschoren davon: Gespendete Wertgegenstände, die sich im Laufe der Jahrhunderte an seinem Grab angesammelt hatten, wurden geraubt, die darüber liegende Kuppel beinahe zum Einsturz gebracht.48 Verglichen mit der Gewaltorgie von 1802 im Irak, hielten sich die Wahhabiten aber geradezu zurück. Dort hatten sie im schiitischen Kerbela, als sie das als heilig verehrte Grab Husains, Mohammeds Enkel und Märtyrer, zertrümmerten, bei der Leichenfledderung nicht Halt gemacht und anschließend gleich die ganze Stadtbevölkerung massakriert.49 Die Wahhabiten stellten die vom Staub der Jahrhunderte bedeckte Sanduhr, und mit ihr die seit Anbeginn des Islam verheerende Zeitenfolge, auf den Kopf und entfachten alte Kämpfe neu. Seitdem haben ihre Erben – sowie im Gegenzug ihre Kontrahenten – die Sanduhr stets von Neuem umgedreht und gedreht und wieder gedreht. Als die Wahhabiten Bagdad bedrohlich nahe rückten, sahen sich die Osmanen zum Handeln gezwungen. Die Niederlage von 1798 hatte allerdings gezeigt, dass der einstige kaiserliche Löwe in Wirklichkeit ein Papiertiger war. Hilfesuchend wandte sich die Hohe Pforte schließlich an Mohammed Ali Pascha, ihren Vizekönig im mittlerweile franzosenfreien Ägypten – was dem ägyptischen Selbstbewusstsein natürlich Auftrieb verlieh. Ein neuer Zweikampf war eingeläutet: Auf der einen Seite ein der nationalen Unabhängigkeit zustrebender, neuer Menschenschlag, auf der anderen ein nach Vollendung der seiner Meinung nach unvollendeten Geschichte trachtender, frisch vereinigter Superstamm. Kurz gesagt prallten Fortschritt und Reaktion aufeinander, eine ungewisse Zukunft auf eine imaginierte Vergangenheit. Im Jahr 1818, nach einem fünfjährigen erbitterten Arabienfeldzug, obsiegte mit Mohammed Alis Truppen die Zukunft. Die gefangen genommenen Wahhabitenführer wurden in Istanbul hingerichtet, ihre Leichen für drei Tage zur Schau gestellt, ehe man sie ins Meer warf.50 (Ob die Amerikaner sich dieser Begebenheit bewusst waren, als sie 200 Jahre später Osama bin Laden, den geistigen Spross der Wahhabiten, in der Tiefe des Ozeans versenkten?) Allem An-
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schein nach hatten die Wahhabiten ihr Waterloo erlebt. Um einiges schwerer ließ sich jedoch der Einfluss dieser räudigen Räuber ausmerzen: Einen epidemischen Enthusiasmus, der aus menschenfeindlicher Skrupulosität und kriegerischem Blutdurste zusammengesetzt war, und der (bei einem Volke, das sich aus Trägheit auf seine eigenen Meinungen einschränkte, und das, weil es bloß unter sich selbst Umgang pflegte, keine Minderung seines Eifers aus dem stufenweisen Einflusse neuer Meinungen schöpfte) lange Zeit hindurch in seiner völligen Stärke von den Alten auf die Jungen fortgepflanzt wurde.51 So beschrieb Samuel Johnson im Jahr 1775 die schottischen Calvinisten. Ebenso gut hätte er über die wahhabitischen Zeitgenossen schreiben können. In den dampfgetriebenen Dekaden unter Mohammed Alis Nachfolgern stand Ägypten in ständigem Dialog mit Europa, die letzten 30 Jahre des 19. Jahrhunderts sogar in einem besonders regen. Dennoch befand der englische Reisende Charles Doughty, fünf Jahre nachdem Aida 1871 in der Kairoer Oper Premiere gefeiert hatte: „Der finstere wahhabitische Fanatismus hat heutzutage das Gemüt der Nomaden verkümmert.“52 Das verkümmerte Gemüt (im Original spricht Doughty weitaus archaischer von „verstockten Herzen“) machte sich neue Bewegungen zu eigen – die im 20. Jahrhundert wiedererweckten Ichwān („die Gebrüder“)53, al-Qaida, der „Islamische Staat“ und weitere, die da noch kommen werden. Allesamt Muwahhidūn, auf der Suche nach göttlicher wie menschlicher Einheit. Die Einheit, nach der sie streben, ist indes niemals frei von einer anderen, dem Begriff eigenen Nuance: wahda heißt Eins-Sein, aber ebenso Einsam-Sein, introvertiert, isoliert. Das wahhabitische Erwachen erscheint, ohne die Ereignisse verklären zu wollen, an keinem anderen Ort in der arabischen Welt vorstellbar als dem entlegenen Bergland im Herzen der Halbinsel, einer Insel inmitten der „Insel“ der Araber sozusagen. Im Gegensatz dazu erwachte Ägypten – im Angesicht seiner selbst, seiner arabischen Wurzeln und darüber hinaus der weiten Welt – gerade dort, wo der größte afrikanische Fluss sein Delta zum Mittelmeer hin öffnet.
Wiedergeburt Der im 19. Jahrhundert aufziehende Nationalismus strebte, wie der Wahhabismus auch, nach Einheit. Allerdings war nicht arabisch-muslimische Isolation, sondern panarabische Integration das Ziel, kein Unisono, sondern eine wohlklingende Polyphonie aller arabischen Stimmen. In der Wirklichkeit erwies
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sich ein so riesiger und farbenfroher Chor, der in Aida vielleicht funktioniert, als kaum dirigierbar. Ägypten hatte unter Mohammed Ali Pascha und dessen Erben seine Identität zurückerobert und de facto seine Unabhängigkeit von den Osmanen unter Beweis gestellt. Insbesondere der erfolgreich geführte Krieg gegen die Wahhabiten demonstrierte, dass Mohammed Ali kein Büttel des Sultans, sondern ein souveräner, hochgerüsteter Herrscher war. Indem sie Arabisch erneut zur Amtssprache erhoben und einem arabischsprachigen Pressewesen den Weg ebneten, gaben er und seine Nachfolger Ägypten die arabische Stimme wieder. Auch in angrenzenden Regionen war diese Stimme zu hören – in der Levante mit ihrer konfessionellen Vielfalt als eindeutiger Ruf nach Einheit. Natürlich lebte auch in Ägypten eine große Minderheit koptischer Christen, die zwar Arabisch sprachen, aber nie völlig arabisiert worden waren: Man nahm sie noch immer als Fremdkörper, als unterworfene Eingeborene wahr. Im Gegensatz dazu waren die zahlreichen Christen in Großsyrien mehrheitlich Araber ab ovo, oder zumindest gaben sie es vor. Ihre Abstammung führten manche gar auf die vorislamischen Ghassaniden zurück. In diesem Umfeld nahm die Idee einer neuerlich geeinten Stimme Gestalt an, einer neuen panarabischen Vereinigung, einer nicht auf Religion, sondern auf Sprache beruhenden umma. Gerade der zweite Nenner erwies sich als besonders langlebig: Tausend Jahre vorwiegend türkischer Fremdherrschaft hatten Araber weder türkisiert noch ihrer altehrwürdigen Sprache beraubt. Bei der Wiedergeburt ganz vorne mit dabei war Ibrahim al-Yāzidschī, libanesisch-maronitischer Christ und Spross einer Gelehrtenfamilie. Für ihn bildete die arabische Sprache nicht bloß eine die umma einigende Kraft, vielmehr „ist Sprache die umma selbst“.54 Mit anderen Worten: Das Arabische mache Wesen und Kern der arabischen Nation aus. Sie überwiege, so glaubte er, bei Weitem die Bande aus Blut, Religion und Brauchtum, für Araber stehe sie jenseits geografischer, sozialer und politischer Trennlinien. Und darin lag mehr als reine akademische Theorie: Aktivisten wie al-Yāzidschī nutzten das altbewährte Mittel der Dichtung, um aus Ideen Taten entspringen zu lassen. Bis in die 1860erJahre hatte sich Ägypten, zumindest per vorläufigem Scheidungsdekret, von den Osmanen getrennt und losgesagt. Die zerfaserte Levante war jedoch noch immer an Istanbul gebunden. Der osmanische „kranke Mann Europas“ lastete schwer auf dem arabischen Fortschritt. Al-Yāzidschīs bombastische Ode von 1868, „Erwacht, o Araber, und erhebet euch!“ erklang als Appell, nicht bloß in neuem Glanz aufzustehen, sondern sich zu regen, die Türken abzuschütteln und sich eine komplett verloren gegangene Identität wiederanzueignen:
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Die Türken stahlen, was von Geburt euch zugedacht, ihre Augen schenken euch keinerlei Acht. Ohne Recht auf Dasein, Ansehen, Renommee, liegen eure Ruhm und Ehre vergessen, passé.55 Beinahe 1000 Jahre zuvor hatten Türken wie Badschkam mit fremd anmutenden Namen und Gepflogenheiten Araber vom Throne gestoßen und von Münzen getilgt.56 Nun ertönte der Aufruf, den arabischen Namen, das arabische Ansehen wiederherzustellen. Im Verlauf der darauffolgenden 100 Jahre gewann die nationale Sache durch zahlreiche weitere christlich-arabische Denker an Schwung. Der die zweite Hälfte der arabischen Geschichte durchziehende Strom des Islam stellte dabei kein Hindernis dar. Ganz im Gegenteil war für Nationalisten wie Michel Aflaq, dem Gründer der Baath-Bewegung in den frühen 1940er-Jahren, der Islam „ein großes historisches Ereignis … [das] nicht das alleinige Eigentum der arabischen Muslime, sondern aller Araber“ darstellt.57 In gewisser Weise lag er mit seiner holistischen Sicht richtig: Der Islam ist ein Glaube, ein Bekenntnis, doch nach Mohammeds Auszug nach Medina entwickelte sich daraus ebenfalls ein politisches Gemeinwesen, das Araber aller Glaubensrichtungen aufnahm. Die Wahhabiten dagegen versuchten, den Frühislam so zu rekonstruieren, wie er ihrem Tunnelblick nach hätte sein sollen. Dem von europäischen Vorbildern und zum Teil vom Wiedererstarken Ägyptens inspirierten arabischen Nationalismus schwebte hingegen das Goldene Zeitalter der Abbasiden vor. Die Epoche also, als die arabische Identität, Geschichte und Sprache mit ganzen Tintenergüssen auf Papier vor den verheerenden Angriffen persischer Schuʿūbīs und anderer kultureller Unabhängigkeitsbewegungen bewahrt worden waren. Jetzt, im verspäteten Zeitalter des arabischen Buchdrucks, konnten die Schriftsteller endlich wieder das Arabische feiern und sich mit anderen Nationalitäten messen. Mit dem Druckwesen erwachte die Sprache zu neuem Leben und die Literatur kam, nach den eingangs in diesem Kapitel erwähnten unfruchtbaren Jahren, ruckartig wieder in die Gänge. Die Wahhabiten hatten den Türken mit ihrer Wiedergeburt des Islam die Stirn geboten, die Nationalisten taten nun dasselbe mit der Wiedergeburt des Arabischen, wobei ihre Konversionsbestrebungen linguistischer Natur waren – und teils wundersame Blüten trieben: Sātiʿ al-Husrī beispielsweise, dessen Wurzeln ursprünglich in Aleppo lagen, der aber in Istanbul auf Türkisch erzogen worden und sich lange im Dienste der Osmanen auf dem Balkan aufgehalten hatte, schwor in seinem 40. Lebensjahr der türkischen Sprache ab und wandte sich dem Arabischen zu. In der Folge avancierte er zu einem der wichtigsten Theoretiker des arabischen Nationalismus.58
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Wieder einmal brach mit einer neuen Technologie ein neues Stadium arabischer Geschichte an. Durch Schriftkundige war einst der Koran überliefert, durch umayyadische Buchhalter das Reich arabisiert, und mittels Papier – da war das Imperium schon wieder im Zerfall begriffen – die arabische Identität festgehalten worden. Der lange verzögerte Buchdruck verhalf Letzterer jetzt zu neuem Leben. Die Geschichte dreht sich im Kreis, wie ein Kenner der arabischen Kultur einmal schrieb: „Mit dem arabischen Nationalismus kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück.“59 Dieser Ausgangspunkt liegt vor dem Islam und reicht in eine Zeit zurück, als eine Vielzahl von Völkern und Stämmen nach einer einigenden Identität suchte. Nun bildete das alte Hocharabisch, ʿarabiyya, wieder den Kern von ʿasabiyya, Solidarität. Wie schon in der europäischen Renaissance eine klassische Vergangenheit neuentdeckt worden war, erwachte die Nahda im Angesicht gigantischer Sprachschätze – als wären Araber auf die vom König von al-Hīra60 vergrabene Truhe voll antiker Oden gestoßen, die sie nun für ihre eigene, für eine bessere Zukunft öffneten.
Die gespaltene Zunge Um es vorwegzunehmen, das Arabische Erwachen bestand weitgehend aus einem Erwachen christlich-levantinischer Intellektueller. Die meisten Araber, diese lose miteinander verwandten Sprecher verschiedenartigster Dialekte in dem disparaten Gebiet zwischen Atlantik und Golf, schliefen einfach weiter. Erst allmählich dämmerte über der Region das wiederbelebte Gefühl, Araber zu sein. Der Jemen ist davon fast die gesamten, auf al-Yāzidschīs Ode von 1868 folgenden 100 Jahre so gut wie unberührt geblieben. Heute, nach wiederum 50 Jahren, scheint das Land wieder in sein altes, fiebriges Koma zu versinken. In den 1980er-Jahren schrieb der marokkanische Kulturhistoriker Mohammed alJabri, dass „das Arabische Erwachen der Moderne … noch seiner Verwirklichung harrt“.61 Heute mehr denn je. Dass die moderne Erweckungsbewegung so tief in der so alten wie schweren Hochsprache wurzelte, ist Teil des Problems. In Europa hatte die Renaissance damit eingesetzt, dass Menschen ihrer Fantasie in ihrer Umgangssprache freien Lauf ließen. Mit dem darauffolgenden Aufstieg des Protestantismus und der Übersetzung der heiligen Schrift lösten die vorherrschenden Vernakularsprachen das Lateinische und Griechische schließlich in geschriebener wie gesprochener Form ab. Im Gegensatz dazu wurde in der arabischen Renaissance, die eine gemeinsame Basis für alle Araber suchte, die alte Hochsprache zum einzig schriftlichen Medium erkoren. Als hätte man, um einen europäischen Vergleich zu bemühen, Virgil wiederentdeckt, ohne dafür jemals einen Dante oder Chaucer hervorzubringen, die lateinische Vulgata-Bibel wäre unangefochten
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geblieben, Luther und Wycliffe hätten nie das Licht der Welt erblickt. In der Mehrheit haben Araber nie im Dialekt geschrieben – von jüdischen, christlichen und anderen nichtmuslimischen arabischen Minderheiten einmal abgesehen, die nicht in der Hochsprache gebildet waren und daher in ihren Alltagsidiomen schrieben (allerdings mit hebräischen, syrischen und anderen Buchstaben, nicht in arabischer Schrift). Seit ein paar Hundert Jahren hatte man – insbesondere in der von al-Dschabartī beschriebenen, historischen wie literarischen Talsohle des 18. Jahrhunderts – das Schreiben gar ganz aufgegeben. Statt Neues zu Papier zu bringen, wurde Altes einfach aufgewärmt. Mit dem Erwachen schnupperte auch die literarische Schöpfungskraft Morgenluft – wenn auch mithilfe des alten Idioms und überkommener Ausdrucksformen. Al-Yāzidschīs Ode hätte bei Abū Tammām oder anderen, 1000 Jahre alten Dichtern sprachlich weder Bedenken, noch Stirnrunzeln hervorgerufen. Vergleichbar wäre das mit Byron, der an Sprache und Stil des altenglischen Beowulf-Epos festhalten würde. Das führte dazu, dass man „vom Weg der Moderne“ abkam, wie es der Dichter und Zeitkritiker Adonis ausgedrückt hat.62 Mit anderen Worten weckte das Erwachen nichts als die bloße „Rückkehr des Gegenwärtigen in die Vergangenheit“.63 Bis zum heutigen Tage entspricht die Art und Weise, wie Araber sich ausdrücken, zumindest wenn sie formell in der Öffentlichkeit auftreten oder Prosa schreiben, weitestgehend dem Idiom vergangener Zeiten. Denjenigen, die Arabisch als Fremdsprache lernen, wird gern erzählt, sie lernten sogenanntes modernes Standardarabisch. Was neu und aufgewertet klingt, verhält sich zum Hocharabischen in Wirklichkeit wie mittelalterliches Latein zum Latein der Goldenen Zeit: Syntaktisch zwar ein wenig vereinfacht, stilistisch schwerfälliger, lexikalisch breiter aufgestellt, aber im Wesentlichen dasselbe. Selbst ein moderner Dichter, der sich in Versmaß und Reim nicht an alte Konventionen hält, verwendet die altehrwürdige Sprache: Wer heute Nizār Qabbānī [gest. 1998] liest, ist ebenso in der Lage al-Abbās ibn al-Ahnaf zu lesen … Ein seltsames und gleichermaßen erstaunliches Phänomen, das in kaum einer anderen Kultur eine Entsprechung findet.64 In dem verworrenen Geflecht, das Araber gegenüber anderen auszeichnet, bildet dieses Phänomen einen Wesenskern. Es hält sie zusammen und das nicht allein räumlich, sondern gerade auch im zeitlichen Verlauf. Auch wenn dieser Zusammenhalt zum Teil darin besteht, einander an die Gurgel zu gehen. Wann immer Araber schreiben oder in der Öffentlichkeit auftreten, benutzen sie daher eine Sprache, die nicht unbedingt „fremd“, aber doch unnatürlich
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ist.65 Dabei können Alltags- und Schriftsprache im Arabischen – zum Beispiel in Casablanca – so voneinander abweichen wie Petrarca und Petronius, oder Romanisch und Latein.66 Die korrekte Wortwahl hat Vorrang, der Inhalt ist sekundär. (Die Grammatik der Zahlen ist dermaßen kompliziert, dass im Jemen Abermillionen Münzen in Umlauf gebracht wurden, ehe ein kleiner, aber schrecklicher Fehler auffiel: Da stand ʿischrūna riyālin, „zwanzig Rial [Genitiv]“, anstelle von ʿischrūna riyālan, „zwanzig Rial [Akkusativ]“. Der Teufel steckt im Detail.) In solch einem diglossischen Dilemma entscheiden sich viele gebildete Araber für den Weg des geringsten Widerstands, indem sie Arabisch zwar sprechen, aber in anderen Sprachen schreiben. Fast alle wissenschaftlichen Arbeiten werden auf Englisch oder in einer anderen nichtarabischen Sprache verfasst. Sich sowohl korrekt als auch mit dem passenden Vokabular auf Arabisch auszudrücken, ist gleich doppelt schwer und abschreckend. Aber fällt die sprachliche Zweiteilung wirklich so ins Gewicht? Möglicherweise schon, sofern sich die Warnung bewahrheiten sollte, dass die derart gespaltene arabische Zunge Muttersprachler in die Lage versetzt, mit gespaltenem Verstand zu denken. Ein Kritiker hat in diesem Sinne vom „idealen Selbst“ gesprochen, das er in „den höchsten moralischen Tönen“ des Hocharabischen verortete, wohingegen die „niederen Gefilde moralischen Verhaltens“ in der Umgangssprache ihren Ausdruck fänden.67 Ich weiß, was gemeint ist. Zum Beispiel hörte ich einen Bekannten, wie er sich lauthals über fasad, die (hochsprachliche) „Korruption“ von Regierungsministern ausließ, und im selben Atemzug die Fähigkeit seiner Frau, einer Ministerialbeamtin, pries, sich haqq Abī Hādī, ein „bisschen was zur Seite“ zu schaffen (alltagssprachlich ausgedrückt). Soviel dazu. Solch zweierlei Maß findet sich auch in anderen Sprachen. Doch bräuchte es zur abschließenden Klärung, ob Arabisch tatsächlich einen Sonderfall darstellt, intensivere Nachforschungen. Es lauert eine unzweifelhaft größere Gefahr. Sogar heutzutage, wo die Alphabetisierungsraten viel höher liegen als noch vor 30 Jahren, schreiben nur wenige Araber tatsächlich gerne in ihrer „Nationalsprache“, noch weniger sprechen sie auch. Mit der Zeit hat es den meisten Arabern im Angesicht der Sprache, die ihren Namen trägt, selbige geradezu verschlagen. Ein ums andere Mal werden sie von Diktatoren – im etymologischen Wortsinn diejenigen, „die stets laut sprechen“ – zum Schweigen gebracht, ihrer individuellen Stimme beraubt. In ihrer eigenen Sprache sind die meisten Araber außen vor, wie ein Kritiker treffend formulierte: „In der Sprache, bin ich nicht gegenwärtig – nicht als Person, die meinem individuellen Selbst Ausdruck verleiht.“68 Eventuell führen soziale Medien, in denen Araber gewöhnlich in Umgangssprache schreiben, einen Wandel herbei – wobei dieser in Richtung Diversität,
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nicht Einheit tendiert. Für ein Urteil ist es noch zu früh: Die meisten Tweets sind mittlerweile im Dialekt geschrieben, die meiste Staatspropaganda weiterhin auf Hocharabisch. Und die Propaganda wirkt: Die althergebrachte heilige Zunge, die „tote Sprache, die nicht sterben will“,69 um Paul Bowles zu zitieren, verzaubert, mystifiziert und erstickt die Massen noch genauso wie zu der Zeit, als sie aus dem Mund der vorislamischen Dichter und Seher kam. Durch ihr Gewicht und ihre Stimmgewalt verstummt jegliches Twitter-Gezwitscher. Als mächtigstes Symbol einer längst verflüchtigten Einheit hat sie weiter Bestand: „Wir leben nicht in einem Land, sondern in einer Sprache.“70 Der Abschied von diesem einig Land, dieser unglaublich schweren Sprache, würde das Ende des einzigen Aspekts der Einheit bedeuten, der keine reine Luftspiegelung ist.
Das hinkende Lexikon Von der neuzeitigen Hoffnung erfüllt, der bewährte Einheitskatalysator Sprache würde Araber wieder zusammenschweißen, erweckten die treibenden Kräfte hinter dem Erwachen im 19. Jahrhundert die arabische Schrift zu neuem Leben. Wäre da nicht ein Problem mit der Sprachbasis gewesen – den Wörtern: Es war lange her, dass der arabische Adam, wie sein hebräisches Pendant in der Genesis übrigens auch, die Namen der gesamten Schöpfung beigebracht bekommen hatte.71 In der Zwischenzeit war das arabische Wörterbuch beinahe uneinholbar ins Hintertreffen geraten. Al-Dschabartī bewertete das umfangreiche Lexikon seines Lehrers al-Zabīdī, das 1767 fertiggestellt worden war und in der Ausgabe, die ich davon besitze, 40 Bände umfasst, als das größte literarische Zeugnis der jüngsten Vergangenheit.72 Dabei handelte es sich um eine erweiterte Ausgabe des bereits beachtlichen Qāmūs aus dem späten 14. Jahrhundert, dem „Okeanos“ der Wörter – erweitert um neue Zitate und Definitionen, nicht um neue Einträge. Alles Postklassische erschien nicht „keusch“ und wurde wie eine Dirne aus dem Nonnenkloster ausgeschlossen.73 Längst spiegelte das Lexikon nicht mehr die Realität des Dampf- und Opernzeitalters wider. Im Alltag wurden alte arabische Wörter organisch angepasst, neue geprägt und viele aus europäischen Sprachen eingebürgert. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gingen die führenden nationalistischen Intellektuellen in der Levante dazu über, ihr Vokabularium auf den neuesten Stand zu bringen und Wortschöpfungen zu standardisieren: Ihnen war klar, dass die Vereinheitlichung des arabischen Vokabulars – das Einen der Wörter – einen großen Schritt hin zum „Einen des Wortes“, zu panarabischer Einheit bedeuten würde. Die guten Absichten der Reformer waren in den weitläufigen, überwiegend buchdruckfreien Breiten zwischen der Straße von Gibraltar und der Straße von Hormus, wo jegliche außerhalb von Koranschulen vermittelte Bildung bestenfalls
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lückenhaft vorhanden und das Reisetempo meist so langsam wie in der Zeit des ersten uns bekannten Arabers aus dem 9. vorchristlichen Jahrhundert, dem Kamelbesitzer Gindibu war (im frühen 20. Jahrhundert brauchte man für die Strecke von Damaskus nach Bagdad drei Wochen)74, geradewegs zum Scheitern verurteilt. Die vermeintlich einende Sprache entwickelte folglich einen uneinheitlichen neuen Wortschatz. „Pendel“ heißt in Ägypten zum Beispiel bandūl (französisch pendule), im Irak hingegen raqqās („Tänzer“) und in Syrien nawwās („Schwenker, Gehänge“).75 Für „Reifen“ begegnet einem häufig tair (wie im Englischen tyre), manchmal dūlāb (eigentlich „Rad“), zuweilen kafar (angeblich von englisch „cover“, obwohl die Wortwurzel im Arabischen dieselbe Bedeutung hat), im sogenannten Standardarabisch ist es hingegen itār („Felge“) und in Ägypten kawitsch („Gummi“, französisch caoutchouc, was letztlich aus dem Quechua stammt). Hin und wieder gab es Erfolge, wie zum Beispiel hātif für „Telefon“, was ursprünglich eine körperlose, in der Wildnis oder aus den Innereien eines dem Götzendienst geopferten Kalbs rufende Stimme bezeichnete und das weniger ansprechende irzīz („Erzittern, Donner“) verdrängte.76 Qitār („Kamelzug“) für mechanische Züge lag nahe, doch dschammāz („trabendes Kamel, springender Esel“) für „Tram“ wich bald dem Lehnwort taramwai.77 „Revolution“ hielt Einzug als fitna („Verbrennen, Probe, Versuchung, Zwietracht, Gemetzel, Wahnsinn“) und endete als das weit weniger bezeichnende thaura, „eine Erregung“.78 War die Sache, die sie benannten, komplex und abstrakt, kam es bei solchen Entlehnungen jedoch vor, dass das zugrundeliegende Konzept in der Transliteration verloren ging: dīmūqrātiyya ist ein prominentes Beispiel dafür. Auch in der Übersetzung und im Gebrauch kam es zu Reibungsverlusten. Das Wort „Republik“, das in Ägypten unter Napoleon seltsamerweise als maschyacha („Scheichtum“)79 aufkam, sich bis in die 1870er allerdings zu dschumhūriyya oder „Massen[-herrschaft]“ wandelte, ist heute offizieller Bestandteil vieler arabischer Ländernamen. Dabei standen die herrschenden Verhältnisse zu fast keiner Zeit auch nur annähernd in Einklang mit der Bedeutung des Wortes. Um ein anderes Beispiel zu nennen: ein „Bürger“ wurde zunächst als raʿiyya („Untergebener“ – ursprünglich „Schar, Herde“) bezeichnet, dann treffender als schaʿb (das urzeitliche Wort für ein „Volk“ im Gegensatz zu einem Stamm) und schließlich unprätentiös als muwattin, „Landsmann“.80 Nichtsdestotrotz gehören Bürger – als zivilrechtliche Körperschaften innerhalb einer auf wechselseitigen Rechten und Pflichten beruhenden Beziehung mit dem Staat, in dem sie leben – einer beinahe völlig unbekannten Spezies an, scheue Säuger, die das Aussterben von Tyrannosaurus Rex abwarten. Aus politischer Sicht ist die arabische Welt ja auch ein riesiger Jurassic Park. Selbst in den „Republiken“, und
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darin ist die allgegenwärtige Vergangenheit besonders ausgeprägt, leben in Wirklichkeit Untertanen und keine Bürger.81 „Wann werden wir unsere Rechte und Verantwortlichkeiten verstehen lernen?“, fragte im Jahr 1867 der libanesische Schriftsteller Fāris al-Schidyāq, ein führender Kopf der literarischen und nationalen Wiedergeburt und ein Wortschöpfer ersten Ranges.82 Auch 150 Jahre später lautet die Antwort wie fast immer auf derartige Fragen: „Bis jetzt noch nicht.“ In Anbetracht der innigen und kausalen Bindung von Wort, Gedanke und Tat ist die arabische Lexikografie eben nicht bloß die Aufzeichnung des Wortschatzes der Sprache. Sie spiegelt auch politischen Aktivismus wider, den Stoff, aus dem Geschichte gemacht wird. Doch nicht bloß Lexika hinkten hinterher. Auch die Zeitungen. Von 1828 an waren Mohammed Ali Paschas Ägyptische Ereignisse landauf, landab die einzige Pressestimme, bis 30 Jahre später der syrische Garten der Neuigkeiten83 hinzustieß: Zwei Zeitungen in der gesamten arabischen Welt im Vergleich zu 3000 im gleichen Zeitraum in den USA.84 Zwar wuchs ihre Zahl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig an, doch der journalistische Stil befand sich nicht gerade auf der Höhe der Zeit. Eine Zeitung erschien beispielsweise in Versen85 und bis ins 20. Jahrhundert hinein galt: „Kein Autor von Rang würde einen politischen Artikel anders als in Reimprosa verfassen.“86 Aber immerhin verschafften sich Araber durch die Presse Gehör. Bis eine neuartige Stille einkehrte: Gerade als Wortschatz und Zeitungen sich verbreiteten, führten die osmanischen Behörden eine strikte Zensur ein. Mit Anbruch des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts wurden Begriffe wie „Revolution“, „Freiheit“ und „Arabisches Erwachen“ aus der Presse verbannt.87 Die Hohe Pforte sah in der Mitteilsamkeit ihrer halbwachen – arabischen wie auch anderen – Untertanen eine Gefahr. Um die Kontrolle im Reich aufrechtzuerhalten, setzten die Osmanen, deren eigener türkischer Nationalismus zeitgleich aufkeimte, zunehmend ihre eigene Sprache durch.88 Die Revolution der Jungtürken im Jahr 1908 gipfelte darin, dass Istanbul den arabischen Gebieten das Türkische aufzwang. Was knapp 1000 Jahre natürlicher Sprachauslese unter türkischer Herrschaft nicht vermocht hatten, wollten die Jungtürken jetzt mit Gewalt durchsetzen. In der Folge wurde Arabisch an Schulen, außer im „Fremdsprachen“-Unterricht, verboten.89 So wie einst der abbasidische Arabismus dem Kräftemessen mit der mächtigen persischen Schuʿūbī-Bewegung ausgeliefert war, sah sich der arabische Nationalismus mit einem jungen und aggressiven türkischen Gegenüber konfrontiert.90 Allerdings bildete die Unterdrückung der arabischen Sprache, des Kerns arabischer Identität, kein Alleinstellungsmerkmal der Osmanen.
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Das andere „Große Spiel“ Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ging das „Große Spiel“ zwischen Großbritannien und Russland im Norden des indischen Subkontinents in die Schlussphase. Doch während die britischen Sahibs die zentralasiatischen Ausläufer ihres Raj verteidigten, stand ihre zweite Mannschaft weiter im Westen auf dem Feld. Eine neue Runde in dem einst von Napoleon vom Zaun gebrochenen Wettstreit begann. In dieser wie ein „Freundschaftsspiel“ anmutenden Begegnung stand für die Briten nicht weniger als beim Sichern der Grenzen von Indien auf dem Spiel – nämlich der freie Zugang dorthin. Liegen zwischen deinen beiden Hauptstädten London und Kalkutta 16 000 Kilometer Seeweg (selbst mit der Abkürzung über Sues), dann musst du dafür sorgen, dass die Verbindungsrouten frei bleiben. Im Spiel um den Nahen Osten war Großbritanniens napoleonischer Widersacher 1801 enttäuscht aus Ägypten abgezogen. Doch der imperiale Drang der Franzosen ließ nicht nach. Im Jahr 1830 landeten sie unter dem Vorwand eines Handelszwists in Algerien, das wie Ägypten nominell ein Vasall der Osmanen war. Es dauerte, sich ein derart großes Gebiet einzuverleiben, doch 1883 ging es mit Tunesien weiter. Dem folgte 1912 ein Protektorat über weite Teile Marokkos. Schließlich rundete im Jahr 1920 nach dem Ersten Weltkrieg ein Mandat über Syrien inklusive dem Libanon die französische Einflusssphäre in der arabischen Welt ab. Zwischenzeitlich bekamen die Briten mit einem kleinen, aber feinen Landgewinn im Süden Arabiens wieder den Fuß in die Tür. Aden war 1839 die erste viktorianische Erweiterung des Empire und das erste dampfgetriebene Großereignis in der Region: Für ihre frisch aus der Taufe gehobene neue Dampferflotte Richtung Indien hatten die Briten nach einem Kohlendepot Ausschau gehalten, wobei Aden mit seinem Naturhafen direkt an der Mündung ins Rote Meer strategisch ideal lag. Zumindest so lange man sich nichts aus Trinkwassermangel, sengender Hitze und vulkanischen Untergrundaktivitäten machte, was Kipling zu dem Vergleich verleitete: „Wie ein gusseiserner Ofen, den seit Jahr und Tag niemand mehr befeuerte.“ Für Generationen von Briten war Aden sowohl Kohlenhalde als auch Höllenloch. Mit der Zeit verwuchs Aden mit den Briten, insbesondere als 30 Jahre nach der Hafenübernahme die Eröffnung des Sueskanals das Rote Meer aus einer Sackgasse in einen pulsierenden und bedeutenden Handelsweg verwandelte. Auf diese Weise schoben die Briten ihren Fuß immer weiter in die neue, praktische Hintertür nach Indien. Ägypten war aufgrund der horrenden Schulden, die der Kanalbau verursacht hatte – nicht zu sprechen von der städtebaulichen Erneuerung Kairos, dem Empfang der Kaiserin Eugénie und des Kaisers von Österreich-Ungarn, der Anstellung Stephensons, Verdis sowie einem ganzen
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Firmament großer Opernstars und der Umwandlung des mamlukischen Militärs in eine Paradearmee – bankrott. Die Gläubiger saßen in Europa und so erlegte ein ganzer Trupp europäischer Mächte dem Land ab 1876 eine eigene Finanzaufsicht auf. Zeitgleich ernteten die Erben Mohammed Alis die bitteren Früchte der vom Pascha in Ägypten kultivierten Unabhängigkeit und arabischen Identität. Sowohl gegen die Europäer als auch die noch immer machthabende türkische Elite regte sich nationalistischer Widerstand, der 1881 darin gipfelte, dass der Urenkel des alten Paschas, Taufīq, dem Willen seiner einheimischen ägyptischen Offiziere nachgeben musste. Als die Wirren im darauffolgenden Jahr in Gewalt umschlugen, marschierte Großbritannien auf Geheiß der Hohen Pforte ein und nahm die Bürde des Weißen Mannes91 pflichtbewusst auf sich – hocherfreut darüber, den Franzosen zuvor und in Besitz dieses funkelnagelneuen Kanals zu kommen. Gibraltar, Bab al-Mandab an der Mündung zum Roten Meer und jetzt Sues: Die Briten hielten alle neuralgischen Punkte entlang des langen Seewegs nach Indien fest im Griff. Der höchste Bürdenträger in Ägypten – der anglisierte, entfernt deutschstämmige Evelyn Baring – war auf dem Papier Finanzaufseher über den – arabisierten, entfernt albanischstämmigen (mit dem persischen Titel eines Khediven oder „Prinzen“ ausgestatteten) – Vasallenkönig des türkischen Sultankalifen in Istanbul. Doch schon bald flog ihm der Rang des britischen Generalkonsuls zu – ebenso wie der Spitzname „Over-Baring“ (zu deutsch „Herr Herrisch“) – und als neuer wahrer Gebieter reihte er sich nahtlos in die Ahnenfolge pharaonengleicher, fremdländischer Würdenträger ein, die bis auf Kāfūr zurückreichte, den schwarzen Eunuchensklaven, der vor 900 Jahren über Ägypten geherrscht hatte. Und mit Ägypten fiel den Briten gleich der zugehörige Hinterhof in die Hände, der Sudan. Der Form halber übernahmen sie die Herrschaftstracht alla turca, wie zum Beispiel den mit Quasten behangenen Fes oder Ehrentitel wie „Bey“ und „Bimbaschi“. In Richtung der wachsenden nationalen Bestrebungen der arabischen Bevölkerungsmehrheit sendeten die neuen Defacto-Herrscher eine klare Botschaft, indem sie den Anführer der aufständischen Offiziere, Ahmed Urabi – den sie mit kleinem, womöglich Freudʼschen Versprecher häufig als Ahmed Arabi anredeten – zum Tode verurteilten. Zu guter Letzt wurde Urabis Urteil in Verbannung umgewandelt. Auch gegenüber weniger offensichtlichem Aufbegehren zeigten sich die Briten nachsichtig. Kairo blieb mit einer steigenden Zahl an Zeitungen und Zeitschriften – herausgegeben unter anderem von Einwanderern auf der Suche nach Meinungsfreiheit, die in Ländern unter direkter osmanischer Herrschaft unauffindbar war – die Hauptstadt des arabischen Pressewesens.92 Die neuen Presseorgane bedienten alle politischen Lager, das nationalistische einge-
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schlossen.93 Weiter westlich hingegen schwangen die Franzosen nicht minder rigoros als die Osmanen das Sprachschwert. In ihren nordafrikanischen Besitztümern schoben sie dem Bau neuer Koranschulen einen Riegel vor.94 Indem sie in Algerien Unterricht auf Hocharabisch zu unterbinden versuchten, setzten die Franzosen alles daran, den Maghreb vom zunehmend politisierten Lager der Nationalisten im Rest der arabischen Welt abzuschneiden.95 Stattdessen förderten sie den Dialekt und begünstigten die Berbersprachen und -kulturen in der Region.96 Im Falle Nordalgeriens gingen sie 1881 sogar so weit, das gesamte Gebiet verwaltungstechnisch dem französischen Mutterland einzuverleiben. Sowohl sprachlich, kulturell als auch politisch zielten sie darauf ab, diesen Teil Afrikas zu entarabisieren. In sprachlicher Hinsicht waren sie besonders erfolgreich. Im Maghreb mündeten die Kämpfe gegen Frankreich in den erbittertsten aller Entkolonialisierungskriege. Auch an der nordafrikanischen Sprachfront erwies sich das Idiom der Imperialmacht, das Französische, als Hauptwaffe – in etwa so wie beim Widerstand der persischen Schuʿūbīs gegen die arabischsprachige Vorherrschaft. Nach der Unabhängigkeit, so wird erzählt, habe selbst die Belegschaft der marokkanischen Behörde zur Re-Arabisierung bei der Arbeit Französisch gesprochen.97 Doch in Algerien – wo das Hocharabische angesichts des ausgedehnten Hinterlands und nur weniger urbaner Zentren sowie wegen der zahlreichen Berbersprachigen nie wirklich Fuß gefasst hatte – wirkte sich der französische Feldzug gegen die Sprache am tiefgreifendsten aus. Als einziges Land in der arabischen Welt sendete der algerische Rundfunk fast ausschließlich im Dialekt.98 Ahmed Ben Bella, der erste Ministerpräsident im unabhängigen Algerien, benötigte einen Arabischlehrer, und die algerische Nationalversammlung nahm ihre Arbeit 1963 auf Französisch auf.99 In der Zwischenzeit hatten Araber in Ägypten und dem Maschrik, den arabischen Ländern gen Osten, ihre Stimme wiedergefunden und waren immer lauter zu hören. Die anfangs vor allem im Bereich der Kultur und der Sprache aktive Nationalbewegung trat immer unverhohlener politisch auf. Bereits mit der einsetzenden Türkisierung in den 1880er-Jahren waren im osmanisch beherrschten Syrien Banner und Plakate aufgetaucht, die neben der Anerkennung des Arabischen als Amtssprache eine weitere Forderung (die bis heute ihrer Umsetzung harrt) aufstellten: Rede- und Meinungsfreiheit.100 Gegen das von den Jungtürken 20 Jahre später wie ein Maulkorb übergestülpte Sprachverbot in öffentlichen Schulen wehrte sich die Kairoer Presse jedoch vehement. Außer Bannern und Zeitungsartikeln fiel zunehmend der Poesie – in ihren Metren und Monoreimen der vorislamischen Epoche verhaftet – eine aufrührerische Rolle zu, die bisweilen drakonische Reaktionen heraufbeschwor: Zum Bei-
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spiel attackierte der ägyptische Dichter Ahmed Schauqī mit seinen Versen das britische Vorgehen im Land, woraufhin man ihn 1914 durch Verbannung nach Barcelona mundtot machte.101 Während der antibritischen Aufstände 1920 im Irak trugen Volkspoeten – Wiedergänger der berittenen Dichter und Kamelprediger der vorislamischen Vergangenheit – ihre politischen Gedichte auf Autodächern stehend vor.102 Auch wenn die Franzosen ihren nordafrikanischen Besitzungen ein wütendes Schweigen auferlegt hatten, im Osten sammelte sich die arabische Stimme in lauter werdendem Protest.
Idiom und Nation Die Vorstellungen von Idiom und Nation hatten arabische Intellektuelle von Fichte, Herder und anderen europäischen Vordenkern übernommen. Dabei hatten Araber lange vor den Spätzündern in Europa eine eigene Spielart von sprachlichem „Nationalismus“ hervorgebracht. Wenn auch mit einem Unterschied: Vor und mit dem Islam kreiste das Nationalbewusstsein um Sprache und Kult, nun, während das osmanische Territorialreich vor sich hindämmerte, lag das Augenmerk auf Sprache und Land. Dieser neue Fokus war nicht unproblematisch. Zwar existierte eine einigende Sprache, doch niemand sprach sie als Muttersprache und aufgrund des weit verbreiteten Analphabetismus sahen sich nur wenige imstande, sie tatsächlich zu lesen, noch weniger, sie zu schreiben. Bildung versprach hier Abhilfe. Allerdings war für die zweite Zutat eines modernen Nationalismus keine Lösung in Sicht: Land. Die arabische Welt bildete kein sauber umhegtes Gelände wie die Mehrzahl der von Flüssen, Gebirgszügen und Meeresbusen begrenzten Nationalstaaten in Europa. Sie umfasste ein Gebiet, das größer als ganz Europa zusammengenommen war und ebenso vielgestaltig wie seine Bewohner, nicht zuletzt in ökonomischer Hinsicht. Hinzu kam ein drittes Problem: Eine der potenziellen Kohäsionskräfte, der Islam, schien den Nationalstaatsgedanken sogar zu unterlaufen. „In der islamischen Theorie und Praxis“, hat ein Kritiker jüngst einmal gesagt, „war der Nationalstaat ein völlig unbekanntes Konzept.“103 Das liegt daran, „dass sich islamische Verfassungstheorien allein mit dem Gemeinwesen und nicht mit dem Staatsgebiet befassen“.104 „Islamische Verfassungstheorie“ ist nicht in Stein gemeißelt. Es ist schon schwer genug, sie auf Papier zu bannen. Aber im Allgemeinen trifft zu, dass sich muslimische Gelehrte in ihren Gedanken über das Wesen von Herrschaft mit Menschen und nicht mit Ländern beschäftigten, mit Kerlen und nicht mit Karten. Daher verwundert es kaum, dass die treibenden Kräfte eines modernen Staatsnationalismus vor allem nichtmuslimische Araber waren.
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Vielleicht spiegeln die der Idee von arabischen Nationalstaaten inhärenten Probleme auch nur die unabgeschlossene Auseinandersetzung zwischen qabīla und schaʿb wider, zwischen umherziehendem Stamm und sesshaftem Volk. Letzten Endes leitet sich der Begriff Staat von der urspünglichen Bedeutungen des griechischen stásis, „Stillstand“ her und nicht von Mobilität: Er ist statisch. Die Behauptung, der antike südarabische schaʿb hätte irgendetwas von einem modernen Nationalstaat, ist irreführend, ja sogar weit gefehlt, soweit wir wissen (was noch immer nicht sehr weit ist). Dennoch besaßen schaʿbs ausgeprägte territoriale Eigenheiten und ihre Wirtschaftsform beruhte mehr auf Kooperation als Konkurrenz, auf geteiltem, nicht geraubtem Gut. Beduinische Mobilität mag in den Anfangsstadien der Reichsbildung von Nutzen sein, bei der Konsolidierung eines Territorialstaates erweist sie sich als hinderlich. Grenzen, die einen Staat ausmachen, haben für Beduinen keine Bedeutung. Ein Territorialstaat ohne Grenzen bildet jedoch einen Widerspruch in sich. Und auch innerhalb gefestigter Grenzen besteht die Gefahr, dass Beduinen – beziehungsweise beduinisch gesinnte Kreise – den eigenen Staat ausplündern. Für Araber waren die Aussichten auf solch einen Staat oder gar Staaten nicht gerade vielversprechend. Doch ob sie wollten oder nicht, so wie das 20. Jahrhundert auf seinen ersten großen Konflikt zusteuerte, rückte der Moment näher, an dem auch ihre Welt nach territorialen Gesichtspunkten aufgeteilt werden würde: Mit Linien auf Landkarten, die sie nicht selbst zogen, sondern wieder die anderen, vor denen es offenbar kein Entrinnen gab.
Dampfgetriebene Hidschras In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg kam es zu neuen Wanderbewegungen in einer – bis dato – noch ungeteilten Welt. Die anhaltende Abwanderung von Arabern wuchs sich zu einer neuen Hidschra aus und wirkte, wie schon in den Legenden um den Damm von Maʾrib und in der frühislamischen Geschichte, als Katalysator und Antriebsfeder für den Wandel. Dank der Dampfkraft gerieten neue Welten, weit entlegener als der Indische Ozeanbogen, in Reichweite. Obwohl dieses neue Stadium der Migration im Grunde an prähistorische Zeiten anknüpfte, muteten die Anfänge des arabischen bābūr-Zeitalters (von Französisch vapeur, „Dampfer“) durchaus modern an: Ab den 1870er-Jahren gab es im Libanon einen Seidenboom, Bauern und Händler verbrachten die Sommerferien zu Tausenden in Frankreich. Doch um 1890 waren der Boom und mit ihm die Ferien vorbei. In der Folge brachen Araber aus der Levante auf, um ihr Glück als Händler, Krämer und Hilfsarbeiter in Europa, Westafrika, Nord- und Südamerika zu suchen. Auch andernorts begaben sich Araber auf
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die Reise: Jemeniten, die arabischen Pioniere in den Ländern des Monsuns, gelangten von Adens Dampferhafen – dieses Mal als Heizer und Schauermänner, nicht als Kaufleute und Missionare – und weiter durch den Sueskanal gen Norden, wo sie die ersten arabischen Gemeinden in Großbritannien begründeten. Die meisten Emigranten gingen jedoch in Häfen im östlichen Mittelmeer an Bord. Anfang des 20. Jahrhunderts war Hidschra in der Levante, insbesondere im Libanon, „quasi zu einer Epidemie“ geworden.105 Schätzungen darüber, wie viele Libanesen auswanderten, schwanken zwischen „etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung“106 bis zu „fast der Hälfte“.107 Ein anderer Experte schätzte die Gesamtzahl der libanesischen Migranten nach Nord- und Südamerika bis 1914 auf 300 000.108 Wie dem auch sei, darin liegt der Grund, weshalb in den Vereinigten Staaten in „Nayy Yark“109 – wie die Neuankömmlinge zu sagen pflegten – ein syrisch-libanesisches Viertel aus dem Boden schoss, wieso in jüngerer Zeit Salman Rushdie in Matagalpa, Nicaragua, auf von Männern namens Ar mando Mustafa oder Manolo Saleh betriebene (eigentlich libanesische) „Ägypterläden“110 stieß, und warum mir bei meinem Besuch in Dakar das Frühstück bestehend aus franko-levantinischem pain au chocolat und türkischem Kaffee von Marlboro rauchenden Libanesinnen mit kunstvollen Frisuren serviert wurde. Emigration ist auch der Grund, weswegen Argentinien und Brasilien von arabischstämmigen Präsidenten regiert wurden (Carlos Menem und Michel Temer) und in letzterem Land 2018 ein weiterer Politiker arabischer Abstammung das Präsidentenamt anstrebte (Fernando Haddad). Mittlerweile haben zwölf Millionen Menschen in Brasilien einen arabischen Hintergrund, was das Land zum neuntgrößten arabischen Staat macht – größer noch als der Libanon. Die Auswanderer zogen von dannen, vermehrten sich und ließen die alte Heimat in jeglicher Hinsicht hinter sich. Mit dieser dampfgetriebenen Hidschra drang zu guter Letzt auch die Moderne in die erwachende arabische Literatur ein: Nicht durch Imitation schriftstellerischer Formen aus anderen Kulturkreisen, sondern durch das ruckartige Ablegen überkommener Maulkörbe und den Aufbruch zu neuen Ufern. Ein zum Schreiben Berufener war der im Libanon geborene Dschubrān Chalīl Dschubrān, der im Jahr 1912 in New York eintraf.111 Er, der als mystischer Autor von Der Prophet auch im Westen Berühmtheit erlangen sollte, begründete den Modernismus in der arabischen Lyrik.112 Mit dem Abschied von der alten Heimat schienen er und andere Emigranten die passive Vergangenheit abzustreifen: Die Jahrhunderte unter osmanischer Isolation ebenso wie das dichterische Kraftfeld Altarabiens. Seit jeher ist mit Hidschra Aktivität und Schöpferkraft einhergegangen. An seine dem alten Stil verhafteten Dichterkollegen und damit an seine arabischen Zeitgenossen in der alten Heimat gewandt, schrieb
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Dschubrān: Ihr wohnt mit Gestern Tür an Tür, wir neigen einem Tage zu, der durchdrungen vom Verborgenen herangraut. Ihr strebt nach den Geistern der Erinnerung, während wir dem Geist der Hoffnung folgen. Ihr seid bis an die Ränder der Welt gewandert, in unserer Reise entspinnt die Weltenkuppel sich.113 Falls die „mit Gestern Tür an Tür“-Wohnenden sich irgendwohin wendeten, schrieb Dschubrān an anderer Stelle in Prosa, so bewegten sie sich nur „von Ort zu Ort einen Weg entlang, den schon tausendundeine Karawane, ohne jemals von ihm abzuweichen, vor ihnen einschlug, aus Angst davor, sich in der Wüste zu verlieren“. Auch wenn das der sicherste Weg sei, so handele es sich zugleich um den kürzesten zwischen „der Wiege eines Gedankens und seinem Grab“.114
Herrscher und Lineale Im Gegensatz zu unseren grenzbesessenen Tagen – wo selbst mit gültigen Visa und Green Cards versehene syrische Reisepässe keine sichere Einreise nach „Nayy Yark“115 garantieren – mussten sich 1876 Reisende aus und nach Syrien kaum um Papierkram kümmern. „Der Pass“, so war im Baedeker Palästina und Syrien zu lesen, „wird dem Fremden überall in den syrischen Häfen abgefordert; aber ein anständig gekleideter Reisender wird auch ohne solchen gewöhnlich durchgelassen, indem er dem Beamten bloß seine Visitenkarte in die Hand steckt.“116 Nach dieser Devise richteten sich auch Osmanen und (erstaunlicherweise) Briten, als sie sich 1849 in Südarabien plötzlich in direkter Nachbarschaft wiederfanden. Es dauerte 50 Jahre, ehe sie sich dazu bemüßigten, zwischen dem Protektorat von Aden und dem – nach zweihundertjähriger Absenz wiedereroberten – osmanischen Jemen eine Grenze zu ziehen. Während eine gemeinsame Kommission über mehrere Jahre (1902–1904) eine Grenzlinie ausarbeitete, die sich vom Bab al-Mandab allmählich über die Berge ins Landesinnere schlängelte, nahm man auf der von den dicht bevölkerten Höhenlagen abgewandten Seite lieber ein Lineal zur Hand, um durch die dünn besiedelte Steppe eine schnurgerade Linie zu ziehen – die dann durchs Leere Viertel führte und Arabien 1000 Kilometer in nordöstlicher Richtung bis zum Golf durchschnitt. Die Linie sollte keine Hoheitsgebiete, sondern bloß „Einflusssphären“ abstecken, doch wenige Monate nach der Ratifizierung im Jahr 1914 zogen die beiden Mächte in den Krieg, und der südwestliche Abschnitt hatte bis ins Jahr 1990 als Grenzlinie des in Nord und Süd geteilten Jemen Bestand.117 Auch jetzt,
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30 Jahre später, scheint sich diese Grenzziehung wieder wie von Geisterhand durchzusetzen. Die imperialen Linienzieher haben in dieser Hinsicht eine Menge zu verantworten. Wenn auch nicht alles: Letzten Endes lag es vor allem am Erdöl, dass sich Grenzen in Barrieren und Einflusssphären in Hoheitsgebiete verwandelten. Der Weltkrieg der Großmächte tat sein übriges, die Linien auf der Landkarte zu zementieren. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war die arabische Identität durch den Kontakt mit externen Mächten wieder einmal neu geformt worden. Zogen diese Mächte in den Krieg, hofierten sie arabische Potentaten – nicht anders als zuvor Assyrer, Perser, Römer und andere auch. Nun stieß zu den Großmächten Großbritannien, Frankreich und der osmanischen Türkei allerdings ein vierter Mitbewerber hinzu: Das von seinem neubegründeten Nationalismus und dem Drang nach Osten beseelte Deutsche Reich. Ausdruck fand dieser Drang unter anderem darin, dass Kaiser Wilhelm II. den Osmanen bereits 1898 die Zustimmung abgerungen hatte, das anatolische Schienennetz in Richtung Golf auszubauen. Eine durchgängige Verbindung Berlin-Bagdad, so die Vorstellung, sollte dem Deutschen Reich auf direktem Wege Palmen gesäumte Ufer erschließen – und vielleicht auch eine Palmen bekränzte Zukunft als Imperialmacht.118 Aufgrund unsteter Bauarbeiten und Finanzierung fuhr der erste Direktzug Istanbul-Bagdad erst 1940. Es sollte ein kurzes Intermezzo bleiben: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Strecke in kleine Abschnitte zerteilt und schließlich dem Verfall preisgegeben.119 Mehr Erfolg war den Osmanen mit der von ihnen selbst gebauten Hedschasbahn beschieden, die durch Spenden aus der ganzen islamischen Welt finanziert wurde, um Pilger – und selbstverständlich Truppen – aus Damaskus nach Medina zu befördern. Im Jahr 1900 wurde das Projekt angekündigt, im Jahr 1908 fertiggestellt: die erste Verbesserung in der arabischen Personenbeförderung im Überlandverkehr seit der Königin von Saba120 – oder vielmehr: seit der Domestizierung des Kamels. Vom Lastenkamel zum Pilgerexpress waren 3000 Jahre vergangen, die Hedschasbahn blieb gerade einmal neun Jahre in Betrieb. Als die Mühlen des Ersten Weltkriegs zu mahlen begannen, zerstörte Großbritannien die nagelneue Eisenbahn der Türken und brachte deren Drang nach Süden so zum Entgleisen. Außerdem lenkten die Briten die Osmanen weg vom Kriegsschauplatz im Fruchtbaren Halbmond auf ein Nebengleis, indem sie unter den Stämmen der Halbinsel einen Aufstand anzettelten, der als Arabische Revolte in die Geschichte einging. Zu diesem Zweck traten die Briten mit dem arabischen Regenten im Hedschas in Kontakt, durch dessen Gebiet die Bahnstrecke über weite Teile verlief: Scherif Husain ibn Ali, der den Osmanen wohlgesinnte Emir von Mekka, hatte sich den Briten durch geheime Kontaktaufnahme bereits als ja-
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nusköpfiger Osmanengegner zu erkennen gegeben.121 Die Briten zeigten selbst ihr anderes Gesicht, indem sie Husain ganz im Sinne des gerade erst von ihnen in Ägypten zurückgedrängten Nationalismus dazu anstachelten, das türkische Joch abzuwerfen und die arabische Unabhängigkeit zu erobern. Neben altbewährten Lockmitteln, Gold und Waffen, winkte die Anerkennung von Husain als König des Hedschas. Wie schon zu Zeiten der Römer und persischen Sassaniden erkaufte ein Imperium das Bündnis mit einem arabischen Stammesfürsten allein mit dem Versprechen eines Lehens als König. Doch damit nicht genug. Im Jahr 1916 ernannte sich Husain – wie einst Imruʾ al-Qais ibn Amr, der Lehenskönig der Perser (oder der Römer, beziehungsweise von beiden, denn wie wir schon gesehen haben, besaß auch er mehr als ein Gesicht), über den das erste groß angelegte Monument in arabischer Sprache, die Inschrift von alNamāra aus dem Jahr 328 n. Chr. Zeugnis ablegt – eigenmächtig zum „König der Araber“.122 Wobei er, als wolle er dem neuen territorialen Nationalismus Tribut zollen, bisweilen die Form „König der arabischen Länder“123 verwendete. Die Vergangenheit hallte aus allen Ecken wider. So zeigt der Ehrentitel alscharīf, der Adlige, Husains Zugehörigkeit zu Mohammeds haschimitischem Clan der Quraisch an. Als Emir von Mekka, der Heimatstadt der Quraisch, war sein Anspruch auf die Führerschaft des Stammes, dem schon die beiden großen arabischen Kalifen-Dynastien der Umayyaden und Abbasiden entsprungen waren, nicht unberechtigt … woraus sich im Laufe der Zeit natürlich auch ein Anspruch auf den Kalifentitel ableiten sollte. Für den Moment beschränkten sich Husains Träumereien aber auf die Herrschaft über ein geeintes arabisches Königreich, das alle arabischsprachigen Länder östlich von Sues mitsamt ihrer Bevölkerung umfasste: Also im Großen und Ganzen der gesamte Maschrik. Im britischen Hochkommissariat in Kairo kauten sie unterdessen auf ihren Pfeifenstielen und stocherten im Tabaksatz herum. Gegenüber Husain erging man sich in nichts- und vielsagenden Worten zugleich.124 Man hatte auf der Halbinsel, diesem Nebenschauplatz im Weltkrieg, nach militärischer Unterstützung gesucht, nun musste man sich mit dem wiederauferstehenden Arabertum in Person des maßlos auftretenden Husain herumschlagen. Für den Augenblick ließ man ihn träumen. An diesem historischen Scheideweg schien das Arabische Erwachen – das Gewicht von 1000 Jahren türkischer Vorherrschaft über Arabien tat ihr übriges – sowohl politisch als auch poetisch in einen „Rückzug aus der Moderne“ umzuschlagen: Husain wirkte wie die personifizierte Vergangenheit, die eingedampfte Version all der Könige und Kalifen, Quraisch und Haschimiten. Auf kurze Sicht zerschlugen sich Husains Hoffnungen. Langfristig ließen sich die Briten jedoch tatsächlich einspannen, „die Gegenwart in die Vergan-
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genheit zu kehren“, indem sie seinen Söhnen arabische Thronsessel überließen. Einerseits erweckte die Ernennung der Quraischsprösslinge zu Lehensherren den Anschein von Stabilität und Beständigkeit. Andererseits begann sich das Netz der sich im Widerstreit befindlichen Kräfte – Stillstand und Bewegung, Tradition und Veränderung, Früher und Heute – zu verheddern, bis sich auch die arabische Zukunft darin verfangen würde. In dem doppelten Spiel verwickelte sich das Netz immer tückischer. Noch während die Briten ihren König in spe in Arabien umgarnten, fielen sie ihm in den Rücken. Anfang 1916 wähnte sich Husain seiner Krönung zum König der Araber nahe. Doch einige Monate später traf Großbritannien mit seinem alten Rivalen Frankreich eine Übereinkunft, wie das Osmanische Reich nach dessen Niederlage zu zerstückeln sei. Im November 1917, gerade als die von Husains Sohn Faisal geschickt geführte Arabische Revolte Erfolge zeitigte, kam es zu einer neuen scharfen Wendung in der Geschichte – in Form der Balfour-Deklaration, in der es heißt: Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina … wobei, wohlverstanden, nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina … in Frage stellen könnte.125 Mit der Wende des Ersten Weltkrieg zugunsten Großbritanniens und seiner Verbündeten schien sich den Juden plötzlich eine Antwort auf die Frage zu bieten, über die Araber sich noch den Kopf zerbrachen: Wie konnte man ein „Volk“ schaffen, mit – in den modernen Begrifflichkeiten des europäischen Nationalismus gesprochen – eigenem territorialen Nationalstaat? Zudem aus einer völlig unterschiedlichen Menschenschar, im jüdischen Fall Rothschild-Barone aus London-Mayfair und barfüßige Ziegenhirten aus dem Jemen, die kaum mehr als die Hingabe an einen antiken Text (im arabischen Fall die Hingabe an die Sprache eines antiken Textes) verband. Viele Juden, zumindest aus der Mayfair-Fraktion, pflichteten Balfours (jüdischem) Kabinettskollegen Edwin Montagu bei, der den Zionismus als „‚eine schädliche politische Überzeugung‘, die Antisemitismus befördere“ brandmarkte.126 Seine Worte klingen prophetischer, als ihm lieb gewesen sein dürfte. Wie dem auch sei, einige Elemente des europäischen Nationalmodells, wie zum Beispiel gemeinsame Sprache, Bräuche, Geschichte (wenigstens in den letzten paar Tausend Jahre), ließ der Zionismus vermissen. Doch das würde sich mit der Zeit geben, und für den Moment konnte man diesen Mangel mit der Vorstellung von einem Gelobten Land über-
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spielen. Das Problem lag eher in dem Wort „wohlverstanden“ im zweiten Teil der Erklärung. Die Balfour-Deklaration stellte eine unlösbare Gleichung auf, ein Ding logischer Unmöglichkeit. In etwa so, als wollte man einen Staudamm bauen, ohne das Leben in den zu flutenden Dörfern zu beeinträchtigen. Auf Arabisch heißt die Balfour-Deklaration waʿd Balfūr, wörtlich „das Balfour-Versprechen“ (wobei in waʿd auch „etwas Bedrohliches“ mitschwingt). Ob das Land nun von Gott oder Balfour versprochen wurde, spielte keine Rolle: „Ein Versprechen“, so lautet ein arabisches Sprichwort, „ist wie Donnergrollen, seine Erfüllung ein Regenguss.“ In diesem Fall kündigte der unheilvolle Donner eine Sturmflut an. Die Anzeichen bewahrheiteten sich: Sintflutartige Schauer setzten ein. Der zweite Teil der Deklaration – das ist 100 Jahre später offenkundig – war zum Scheitern verurteilt. An allen anderen Orten, die als jüdische Heimstätte im Gespräch waren, unter anderem die zum Jemen gehörende Insel Sokotra, wäre es nicht anders gekommen.127 Mit Ausnahme vielleicht der Antarktis.
Wirre Träume Im Nahen Osten widmeten sich die Sieger nach dem Ende des Ersten Weltkriegs dem Aufteilen der Kriegsbeute, in diesem Fall die Länder des Osmanischen Reiches. Während Britannia und Marianne nicht nur die arabische Identität, sondern auch die Landkarte der arabischen Welt neu zeichneten, fielen die unverbindlichen Absprachen mit Scherif Husain über die arabische Unabhängigkeit klammheimlich unter den Tisch. Mancher Experte vertritt die Ansicht, das nach den beiden Unterhändlern genannte Sykes-Picot-Abkommen könne als Beleg gewertet werden, dass „Großbritannien sich gegen den Widerspruch Frankreichs für die arabische Unabhängigkeit und Einheit einsetzte. Mit anderen Worten war das Sykes-Picot-Abkommen ein Mittel zur Einigung und nicht zur Spaltung, für das es heutzutage gemeinhin gehalten wird.“128 Das sind Spitzfindigkeiten. Das Abkommen sah die arabische Unabhängigkeit zwar tatsächlich prinzipiell vor, allerdings nur unter der Bedingung, dass der Einfluss der beiden Großmächte dauerhaft gewahrt bliebe.129 Ein Häftling ist nicht frei, bloß weil er, anstatt im Kerker zu sitzen, unter Hausarrest steht. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Scherif Husains Vision von sich selbst als alleinigem und unangefochtenem Herrscher über Arabisch-Asien wie das Traumgesicht vom Pharao im Koran „wirre Träume“ waren.130 Husains Sohn Faisal, der den Großteil seiner Ausbildung in Istanbul genossen und die Arabische Revolte im Feld angeführt hatte, verstand indes mehr von Realpolitik als sein Vater. Er war es auch, der die unaufhaltsam wachsende Bedeutung des arabischen Nationalismus erkannte und der Pariser Friedenskonferenz in ei-
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nem Brief nahelegte, „die Araber schließlich in einem Staat zu vereinen“.131 Aufgrund der enormen Unterschiede in der Region gestand er jedoch ein, dass dies auf kurze Sicht unmöglich sei. Dennoch, so fasste er sein edles Ansinnen zusammen, „wenn uns die Unabhängigkeit gewährt wird und wir unsere kommunalen Angelegenheiten selbst regeln können, werden die natürlichen Einflüsse der Abstammung, der Sprache und der Interessen uns bald zu einem einheitlichen Volk werden lassen.“132 Auch wenn es sich beim Begriff „Abstammung“ schon immer um ein Konstrukt von Genealogen gehandelt hat und „Interessen“ Araber öfter gespalten als geeint haben, umwehte den allmächtigen Einiger „Sprache“ noch ein Hoffnungsschimmer. Faisals Anliegen fand, vom Siegestaumel übertönt, kein Gehör. Im Jahr 1922 sprach der Völkerbund den arabischen Ländern provisorisch die Unabhängigkeit aus – vorbehaltlich der bereits an Großbritannien und Frankreich erteilten Mandate. Dereinst mit Bleistift skizzierte Grenzen waren nun mit Tinte verewigt worden. Vormals nebulöse „Einflusssphären“ verfestigten sich zu scharfkantigen Blöcken imperialer Schutzherrschaft. Auch Faisals Kamerad in der Arabischen Revolte, Oberst T.E. Lawrence – der junge Mann aus Nordoxford, der sich selbst als Byron im arabischen Gewand betrachtete und sich von Ausgrabungen hethitischer Ruinen zur Sprengung der Hedschasbahn hochgearbeitet hatte –, war vom doppelten Spiel der Briten restlos, oder zumindest von einigen Aspekten davon, enttäuscht. Er entwarf eine Karte mit seiner eigenen Idealvorstellung des postosmanischen Reiches: Auf der nördlichen Halbinsel sowie dem irakischen und transjordanischen Inland ist darauf ein riesiges Gebiet mit „ARABER: Faisal“ gekennzeichnet. Kleinere Abschnitte entlang der Mittelmeerküste sind mit „SINAI“, „PALÄSTINA“ (natürlich ohne Zionisten), „LIBANON“ und um den Golf von Alexandretta interessanterweise mit „ARMENIER“ markiert. Die mehrheitlich kurdischen Gebiete in Anatolien und dem Nordirak sind hingegen mit „??“ beschriftet, ein Gutteil des oberen Mesopotamiens ist mit dem Vermerk „ARABER: Zaid (unter britischem Einfluss)“ für Faisals jüngeren Bruder vorgesehen. Der ältere Bruder bekäme hingegen den Großteil des Irak: „IRAK: Abdallah (unter direkter britischer Verwaltung)“. Entlang der Grenzlinie zum riesigen, südlich von Faisals Teil gelegenen Rest der Halbinsel vermerkte Lawrence: „In dem Land südlich dieser Linie steht keiner fremden Macht außer Großbritannien die Beteiligung an den Regierungsgeschäften zu.“133 Selbst der loyale Lawrence teilte also die Ansicht der doppelzüngigen britischen Schreibtisch-Wallahs, dass seine arabischen Freunde der strengen Aufsicht des Kindermädchens Britannia bedurften. Für die Franzosen galt in Lawrenceʼ Gedankenspiel jedoch … rien ne va plus.
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Weder Husains Traum von einer Megamonarchie im Maschrik noch Lawrenceʼ Vision einer Region ohne Franzosen und Zionisten hatten den Hauch einer Chance. Doch die jungen Scherifen sollten ihren Spielzeugthron bekommen. Faisal wurde als König von Syrien eingesetzt, woraufhin er – die Gunst der Stunde nutzend: Es war gerade kein Kindermädchen vor Ort – einen Generalkongress einberief, der ihn außerdem zum König des Libanon und Palästinas kürte. Postwendend schickten die Franzosen ihre Truppen aus Nordafrika, um ihn wieder zu entfernen.134 Im Gegenzug nahmen sich die Briten seiner an und verpflanzten ihn 1921 auf den Thron im Irak, wo ihre eigene Herrschaft auf breiten Widerstand der Stämme gestoßen war. Im selben Jahr wurde Faisals Bruder Abdallah zum König Transjordaniens ernannt. Ihr Vater Scherif Husain schmorte unterdessen verbittert auf seinem Thron im Hedschas. Mit drei Königtümern stand die Familie Hāschim (die „Haschimiten“) nicht schlecht da, wenngleich – wie Lachmiden und Ghassaniden vor über 1400 Jahren gegenüber Persern und Römern – nur als Vasallenkönige. Wieder einmal waren Araber zwischen räuberischen Mächten auf ihrem Felsen gefangen – nur saßen die Mächte in Person britischer und französischer Beamter, die obligatorische „Ratschläge“ erteilten und nach Belieben Herrscher inthronisieren und wieder absetzen konnten, diesmal mit auf demselben Felsen. Mit ihrer Anwesenheit festigten die Europäer die Grenzen und weiteten sie aus. Das hatte zur Folge, dass geografisch benachbarte Landstriche sich völlig unterschiedlich entwickelten. Die hadar-badw-Trennung zwischen sesshaften Völkern und Stämmen hatte es immer gegeben, doch war die Trennlinie nie klar gezogen worden. Ganze Ortschaften, die nun – wenn auch bloß oberflächlich – „verwestlichten“, wurden den tribalen Bewohnern der – meist unverändert gleichbleibenden – Umgebung noch fremder. Zur Verdeutlichung der Diskrepanzen, die die imperiale Herrschaft verursachten, sei Aden am entferntesten Zipfel der Halbinsel als Extrembeispiel angeführt: „Die britische Kolonialherrschaft“, gestand einer ihrer letzten Vertreter vor Ort, Hochkommissar Sir Kennedy Trevaskis, „hat Aden in eine Insel verwandelt, die genauso gut durch einen Hunderte Meilen weiten Ozean vom südarabischen Festland getrennt sein könnte“.135 Aden, die seit dem Altertum kosmopolitisch eingebundene Minihalbinsel, war mit dem Jemen und der Arabischen Halbinsel stets bloß lose vertäut gewesen. Indem die Stadt von Bombay aus verwaltet wurde, driftete sie unversehens in Richtung Indien ab. (Der daraus resultierende entwicklungstechnische – um nicht zu sagen geistige – Graben, der Aden vom Rest des Landes trennt, trägt nun zu dem Chaos vor meiner Haustür bei. Als die Bewohner Adens sich ab 1990 unter einer Regierungsclique aus Stammeskriegern wiederfanden, war „Wikinger“ noch einer der netteren Bezeich-
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nungen für die Bergbewohner. Keine günstigen Ausgangsbedingungen für die Wiedervereinigung.) Andere halbinsulare Orte wie Bahrain und Kuwait traf diese Entwurzelung weniger heftig. Durch Grenzen sind Integrationsprozesse nicht allein in sozialer und politischer Hinsicht behindert worden. Sie lieferten fortlaufend Vorwände für Konfrontationen, die manchmal – zum Beispiel als eine von britischen Offizieren angeführte Streitmacht aus Oman und Abu Dhabi die von Amerika unterstützten Saudi-Arabier aus der Oasenstadt al-Buraimi vertrieb – unblutig verliefen, um dann umso blutiger an die Oberfläche zu treten – als man beispielsweise Saddam Hussein 1991 den „Highway of Death“ entlang aus Kuwait bombte. Egal wo, jede arabische Grenze bildet einen Bruch und keine Naht: Angefangen bei der offenen Wunde zwischen Jemen und Saudi-Arabien bis zum seit 1994 abgeriegelten Grenzland zwischen Marokko und Algerien, die sich wie bei einem außer Kontrolle geratenen Nachbarschaftsstreit Terrorvorwürfe und Kriegshetze an den Kopf werfen. „Daß ein Mensch, wenn er überhaupt eines Haßgefühls fähig ist, seinen nächsten Nachbarn haßt“, war schon Samuel Johnson aufgefallen.136 Und manchmal scheint es, als würden all die Streitigkeiten und der Hass von der Mutter aller Trennlinien, der israelischen Grenzmauer, ausgehen. Dabei halten Grenzen Menschen nicht allein fern und auseinander, sondern auch gefangen und begraben, wie der syrische Schriftsteller Chalīl al-Nuʿaimī weiß: „Die uns verdammen, nicht zu reisen … liefern uns einem langsamen Tod in einem geräumigen Grab aus.“137
Keile und Risse All das wirft die Frage auf, warum Araber die von taktierenden Imperialisten hinterlistig gezogenen Grenzen nicht einfach ausradiert haben, als sie endlich ihre Unabhängigkeit erlangten. Warum strebten sie nicht die lang ersehnte Einheit an? Nichts hatte die Einheitsrhetorik so entfacht wie die doppelte Schande von Balfour und Sykes-Picot, der dunkle Schulterschluss des perfiden Albion mit dem heimtückischen Gallien.138 Die Antwort sollte mittlerweile auf der Hand liegen. Nicht Linien auf Landkarten haben die Einheit vereitelt. Zwar waren sie nicht gerade behilflich, doch herrschten unter Arabern selbst genügend Fliehkräfte, die zur Spaltung beitrugen. Mögen sie die Schuld noch so sehr auf fremde Imperien abwälzen, Araber waren niemals eine glückliche Familie. So ist es seit der Aufteilung der unter dem Islam erbeuteten Gebiete gewesen, und im Grunde schon seit dem vierzigjährigen, vorislamischen Großen Krieg von al-Basūs, bei dem es um Weiderechte ging. Überhaupt haben Araber, außer in Stammeslegenden, niemals
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eine Familie gebildet. Wenn andere Großreiche eine Schuld traf, dann dafür, dass sie die Mythen und Trugbilder einer unerreichbaren Einheit nährten. Natürlich haben Imperialisten geteilt und geherrscht, meistens trieben sie ihre Keile jedoch in bereits vorhandene Risse. Wie der Unabhängigkeitsaktivist Mohammed Ali Dschauhar in den 1920er-Jahren zu den britischen Herrschern in Indien sagte: „Wir teilen und ihr herrscht.“139 Die postimperialen, postnationalistischen arabischen Herrscher drehten den Satz um: Es erwies sich als einfacher, überschaubare Gebiete zu kontrollieren, die durch alte imperiale Grenzen fest umrissen waren. Mittlerweile haben wir hoffentlich die nötige Distanz, um ungetrübt auf den Imperialismus und seine Begleiterscheinungen zurückzublicken. Da wäre zum Beispiel die Niedertracht sowie das Vermächtnis aus Hass und Zersplitterung. Die imperialistische Niedertracht ist unbestritten. Kann man sich beispielsweise etwas Infameres vorstellen als den Dinschawai-Zwischenfall von 1906? Eine friedliche Aue im Nildelta, im Taubenturm des Dorfes gurren die Tauben, manche von ihnen schwirren über die nahe gelegenen Felder … als plötzlich eine Gruppe ungehobelter britischer Offiziere mit geschulterten 12er-Karabinern die Szenerie betritt und auf die Tauben anlegt. Die Jagd kann beginnen! Kurz darauf stürmen die Männer aus dem Dorf heran – Geschrei – Fäuste – Schläge mit nabbūts und den Butzen der Gewehrkolben … einer zu stark, trifft den Schädel eines Effendi, ein Brite stirbt. Das Dorf wird auf den Kopf gestellt, es kommt zum Prozess, die aufsässigen Fellachen bekommen eine Lektion erteilt: Vier Todesurteile durch den Strang, zwei Verurteilungen zu lebenslanger Zwangsarbeit, darüber hinaus geringere Haftstrafen und Peitschenhiebe.140 Eine fraglos niederträchtige Überreaktion. Anhand des verursachten Leids müsste Niedertracht eigentlich quantifizierbar sein, und wenn die Briten in Palästina spürbar arglistiger als in Ägypten und die Franzosen in Algerien heimtückischer als alle zusammen agierten, dann trifft das heute für die Ägypter in Ägypten ebenfalls zu, wo das gegenwärtige Regime einen jungen Menschen wegen eines T-Shirts mit der Aufschrift „Keine Folter“141 für zwei Jahre hinter Gitter sperrt und islamistische Oppositionelle zu Hunderten zum Tode verurteilt. Noch infamer verhielt sich Saddam Hussein im Irak, als er auf einen Schlag mindestens 3000 irakische Kurden in dem Dorf Halabdscha vergaste. Dem steht Baschar al-Assad in nichts nach, unter dessen Regentschaft schätzungsweise 18 000 Menschen in syrischen Folterkerkern getötet wurden, während seine Armee und Miliz im Verlauf der ersten fünf Jahre des Bürgerkriegs mutmaßlich für den gewaltsamen Tod von 92 000 bis 187 000 Zivilisten verantwortlich sind.142 Der Geist des umayyadischen Vizekönigs und Massenmörders al-Hadschādsch ibn Yūsuf lebt, voll Niedertracht, unversehrt fort, und wird von manchen Ara-
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bern noch bewundert: „Er ist stark!“, sagen sie. Um dies ins Verhältnis zu setzen, darf der Umstand, dass sowohl al-Hadschādsch als auch Baschar al-Assad Araber sind, die Araber töten, wohingegen der Henkerrichter von Dinschawai ein Brite war, der Araber tötete, logischerweise keine Rolle spielen. Tut er aber. Wo bürgerliche Freiheiten nicht existieren, füllt meist Nationalstolz die Lücke. Und ein – von Außenstehenden – verletzter Nationalstolz kann ungleich größeren Schmerz wachrufen als alle Todesopfer.
Könige und Glücksritter Nach ihren Erfolgen im Wettlauf um Afrika stiegen Großbritannien und Frankreich nun auch im Nahen Osten als Sieger aus dem Ring. Für den arabischen Nationalismus bedeutete das allerdings keinen Schlussstrich. Im Gegenteil beflügelte es die Bewegung sogar noch. Ununterbrochen schwelten und brodelten in den 1920er- und 30er-Jahren Proteste, die teils in gewaltsamen Aufständen gegen die imperialen Besatzer aufflammten. In Marokko, wo Spanien entlang der nördlichen Küste und in der südwestlich gelegenen Wüste (später unter dem Namen „Spanisch-Sahara“ bekannt) Protektorate errichtete, führten von 1921 bis 1926 die Berber des nördlichen Rif gleichzeitig gegen die spanischen wie auch die französischen Kolonisatoren einen blutigen Krieg – der jedoch nicht auf die restliche Bevölkerung übergriff und durch konzertierte Anstrengungen der beiden europäischen Mächte niedergeschlagen wurde. Währenddessen wurde am levantinischen Rand des Mittelmeers im Drusengebirge schon die nächste Bergenklave zum neuen Krisenherd. Im Jahr 1925 brach sich der bewaffnete Widerstand gegen die Franzosen dann Bahn. Die Rebellion griff auf Syrien über und konnte erst 1927 bezwungen werden, als französische Streitkräfte von den in Marokko abflauenden Kämpfen anrückten. Den Briten verursachte Palästina, wie wir sehen werden, ab den späten 1930er-Jahren am meisten Kopfzerbrechen. Unterdessen hielten die Konfrontationen im Irak infolge der stammesgeführten Revolte von 1920 latent an. Schockwellen gingen gelegentlich auch von Ägypten aus, wo zum Beispiel 1924 Nationalisten den Generalgouverneur des Anglo-Ägyptischen Sudans, Sir Lee Stack, ermordeten. Der antikoloniale Widerstand konnte jedoch nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Köpfchen umgehen und so kam es auf dem Weg zur Unabhängigkeit neben Kämpfen auch zu Kooperationen – mit dem ein oder anderen Haken. Den vielversprechendsten Fortschritt verzeichnete Ägypten, wo 1923 nach der Einführung der konstitutionellen Monarchie die politischen Parteien nur so aus dem Boden schossen, wobei die Wafd-Partei die dominierende Kraft war. Zugegeben, der König und die Briten waren weiter mit von der Partie, was ernsthaften pluralistischen Debatten jedoch keinen Abbruch tat.
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Insgesamt ähnelte die Arabosphäre in diesen Zwischenkriegsjahren einem Kaleidoskop: Die Kolonialmächte spiegelten sich gegenseitig, wobei sie vor Ort jeweils auf ein Mosaik aus sich beständig neu zusammensetzenden Gegenkräften stießen. In der Vielschichtigkeit dieses Bildes gingen Befürworter einer höheren arabischen Einheit – dieser während des Arabischen Erwachens geweckten, prächtigen, aber vergleichsweise simplen Vision – einfach unter. Im Zuge der vielen Königsrochaden nach dem Ersten Weltkrieg sahen sich die panarabischen Nationalisten zudem einem alten Dauerproblem ausgesetzt: Selbst wenn Araber irgendeine Form von Einheit zustande brächten, wer sollte dann wohl die Führung übernehmen? Einem wackeren Anwärter auf die Führungsrolle, Scherif Husain, war sein Zusatztitel „König der arabischen Länder“ streitig gemacht worden, woraufhin er zu einem neuen Coup ansetzte: Als der seines Throns entledigte osmanische Ex-Sultan Abdülmecid II. im Jahr 1924 auch noch seinen Kalifentitel verlor und aus der Türkei verbannt wurde, griff Husain zu. Eintausend Jahre nach dem „letzten echten Kalifen“143 al-Rādī war mit dem Kalifat – abgesehen von einer vage definierten spirituellen Oberhoheit über die Muslime oder wenigstens die Sunniten in der Welt – keine klare Aufgabe verbunden. Sowieso erkannte den Anspruch des Scherifen niemand an.144 Diese Schmach wäre Husain erspart geblieben, hätte er den in Indien entbrannten Protesten Beachtung geschenkt, als ihm der geschlagene osmanische Kalifensultan 1920 die Hoheit über Mekka überließ.145 Die Reaktion der indischen Muslime – weltweit immerhin die größte Gruppe – führte einen Wandel vor Augen, der vielen Arabern entgangen war. Husain war nicht irgendein alter Araber: Er war ein Quraisch, ein Haschimit, ein Nachkomme des Propheten. In seinen eigenen Augen und denen einiger anderer adelte ihn seine Abstammung und rechtfertigte seinen ungebrochenen Herrschaftsanspruch auf die heilige Stadt. Doch der Islam war seiner arabischen Vergangenheit längst entwachsen: Seit der Mamlukenzeit war Mekka eine internationale Enklave, ein wahrer Weltennabel. Für die überwältigende Mehrheit der Muslime war der Islam kein Familienunternehmen mehr, sondern ein globaler Konzern. Mekka einem lokalen Herrscher abzutreten, war so, als würde man den Vatikan der Stadtverwaltung von Rom unterstellen. Dass Husain darüber hinaus Anspruch auf den Kalifentitel erhob, war ein Akt überbordenden Hochmuts vor dem Fall. Die Quittung folgte auf dem Fuße aus dem benachbarten Nadschd. Bereits die Beförderung Husains vom Emir von Mekka zum König des Hedschas hatte auf der Halbinsel Neider auf den Plan gerufen. Um nicht nachzustehen hatte Ahmed ibn Yahyā, entfernter Scherifencousin und Imam des südlichen Nachbarn Jemen, sein Imamat im Jahr 1920 zu einem Königreich
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erhoben. In Reaktion auf Husains Griff nach dem Kalifat warf nun auch ein anderer Nachbar seine Kopfbedeckung in den Ring. Es handelte sich nicht um einen scharīf, dafür aber um einen Clanfürsten der Al Saʿūd aus den rauen Höhenzügen des Nadschd, ein echter Haudrauf: Der hochgewachsene Abd al-Azīz ibn Abd al-Rahmān mit seinen schroffen Gesichtszügen, bekannt als Ibn Saʿūd, genoss den Rückhalt der seit Langem mit seiner Familie verbündeten wahhabitischen Stämme. Mit ihren ehrgeizigen Zielen waren sie 100 Jahre zuvor an Mohammed Ali Pascha gescheitert. Nun erweckten der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches sowie das Charisma und militärische Geschick von Ibn Saʿūd die Allianz zu neuem Leben. Den Nadschd hielten sie bereits unter Kontrolle, als sie über den Hedschas und den glücklosen Husain herfielen. Der scharīf floh nach Zypern und verlor sein Land samt Königstitel an Ibn Saʿūd, der im Laufe der kommenden Jahre weite Teile der Arabischen Halbinsel eroberte. Bis auf die Pilgerstätten im Hedschas konnte er allerdings keine wirklich nutzbringenden Gebiete – wie beispielsweise den Jemen oder Oman – sein Eigen nennen. Er thronte über einer namenlosen Wüste ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen. Und obwohl Ibn Saʿūd die Halbinsel zum ersten Mal seit dem Frühislam mehrheitlich geeint hatte, schreckte seine brachiale konfessionelle Gewalt, mit der er dabei vorging, nicht bloß die Haschimiten, sondern die ganze arabischsprachige Welt extrem ab. Als er das Land 1932 nach seiner eigenen Familie in „Königreich Saudi-Arabien“ umbenannte, schien das wie ein weiterer ultimativer Akt von Hochmut. Doch diesmal folgte kein tiefer Sturz, sondern Erdöl. Nachdem kurz zuvor rund um den Golf Vorkommen entdeckt worden waren, vergab Ibn Saʿūd im Jahr 1933 die ersten Förderkonzessionen an die Standard Oil aus Kalifornien. Es dauerte fünf Jahre, ehe bei Dhahran an der Golfküste lukrative Ölvorkommen aufgespürt wurden. Von hier an gab es kein Zurück mehr. Ibn Saʿūds nicht gerade vielversprechendes Königreich sollte sich als größtes Erdölreservoir der Welt entpuppen. Die amerikanischen Firmen, die ihm nun die Tür einrannten, verschafften ihm zugleich direkten Zugang zum bald größten Absatzmarkt für das schwarze Gold. Den alten europäischen Mächten, die ihre Größe dem Überseehandel und kohlebetriebenen Industrien verdankten, ging hingegen langsam die Puste aus. Im imperialen Staffellauf ging der Stab – auch wenn die Expansion in der Levante einen anderen Eindruck vermittelt – an eine neue Weltmacht über: die Vereinigten Staaten. Als das Benzin schluckende Automobil-Imperium erkannte, was da unter Ibn Saʿūds Königreich schlummerte, ging man aller Aversion gegen absolutistische Monarchien zum Trotz auf Tuchfühlung. Mit diesem ungewöhnlichen Schulterschluss zwischen Absolutismus und dem Land of the
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Free begann zwischen Stämmen und Imperien ein neues Kapitel. Der amerikanische Einfluss löste die britisch-indische Einflussnahme ab, trödelnde Boxwallahs wichen zielstrebigen Glücksrittern und dem globalen Jetset, der sich die Koffer mit Petroriyāls von Aramco füllte – der Arabian-American Oil Company, ein riesiges, in der Folge des Zweiten Weltkriegs entstandenes Konsortium. Im Jahr 1939 belief sich der britische Anteil an der Erdölproduktion im Nahen Osten auf 60 Prozent, der amerikanische auf 13 Prozent. 1954 lag der britische Anteil bei 30, der der Amerikaner bei 65 Prozent.146 Die Geschäftsbeziehung zwischen Amerikanern und dem saudischen Herrscherhaus war und ist eine überaus eigenartige Angelegenheit. Ein Foto in dem 1935 von Richard Halliburton veröffentlichten Reiseband Seven League Boots gibt einen Vorgeschmack: Untertitelt mit „Der König posiert mit dem Autor“ (sollte es nicht andersherum sein?) zeigt es den pharaonengleichen Ibn Saʿūd mit seiner markanten Kopfbedeckung neben einem gewitzten Yankee in blütenweißem Anzug, beide fühlen sich in der Gesellschaft des jeweils anderen sichtlich wohl – wie Saturn und Merkur, zwei entfernte Planeten im selben Sonnensystem. Eine eigenartige Mischung aus Wandel und Stillstand ging mit der Begegnung einher. Ibn Saʿūds wahhabitische Krieger waren in den 1920er-Jahren die letzten ihrer Art, die bei ihren Eroberungszügen auf die überkommene, nichtsdestominder verheerende Kombination aus Kamel- und Pferdereitern setzten.147 In den 1930er-Jahren traten sie aufgrund der Verheißungen des Erdöls, neuer Geldströme sowie mit Hilfe ihrer eigennützigen Berater am Hofe, die wie St. John Philby Fordautomobile verhökerten, dann doch ins motorisierte Zeitalter ein. Einem Experten zufolge „neigte sich das Zeitalter der von Stämmen geführten Raubzüge dem Ende zu“.148 Diese zweitausendjährige Tradition ließ sich allerdings nicht einfach abstellen. Als Institution lebte der Raubzug weiter und trieb neue Blüten. Darum hielten die Al Saʿūd in dem spannungsreichen Netz, das sie zwischen sich, den Amerikanern und den eigenen Stammeskriegern spannten, stets selbst die Fäden in der Hand. Gerade das Verhältnis zu Letzteren nahm verstärkt die Züge der Beziehung an, die zwischen Mohammeds Staat in Medina und seinen berüchtigten, aber unersetzlichen Beduinenräubern bestanden hatte.149 Zweifellos ging Gefahr von ihnen aus: 1921 plünderten und massakrierten wahhabitische Stammesleute den Haupttross der jemenitischen Pilgerkarawane auf ihrem Weg nach Mekka.150 In Anlehnung an die frühislamische Geschichte versuchte Ibn Saʿūd, dessen Macht stetig wuchs, die widerborstigen Nomaden in Siedlungen zu pferchen, die er hidschras nannte – dasselbe Wort, das einst Mohammeds Übergang in ein neues Leben bezeichnete.151 Doch erging es Ibn Saʿūd nicht anders als den ersten Kalifen, die es bei der Ansiedlung ihrer
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muhādschirūn – „hidschra-Migranten“ – in den neuen Garnisonsstädten nicht geschafft hatten, die Stämme zu durchmischen.152 Die tribalen Bindungen hielten wie eh und je, und in den Jahren 1920 bis 1930 erhoben sich die Extremisten unter den wahhabitischen Stämmen, die Ichwān oder „Gebrüder“, gegen den König, der mit blutiger Repression reagierte.153 Von Ibn Saʿūds Warte aus entsprachen manche der aʿrāb ganz der ihnen im Koran zugedachten Charakterisierung als „in Unglauben und Heuchelei am schlimmsten“.154 Für die aʿrāb im Königreich war es im Grunde einerlei, ob man sie nun im 20. Jahrhundert oder im 7. Jahrhundert von ihrem Wanderleben abbrachte – der nomadische Bevölkerungsteil sank in Saudi-Arabien von 40 Prozent in den 1950er-Jahren auf weniger als 5 Prozent im Jahr 1998 –,155 denn nicht alle wurden deswegen zu braven Staatsbürgern. Der unberechenbare Geist der „Gebrüder“ lebte fort, wurde jedoch, soweit möglich, in die Nationalgarde sowie in das Komitee zum Gebot der Tugend und Verbot von Lastern – die „Sittenpolizei“ – integriert. Dennoch zeitigt ihr volatiler Geist von Zeit zu Zeit extremistische Auswüchse, von denen al-Qaida nur der erste war. Die Briten sahen sich weiter südlich mit ähnlichen Stammesproblemen konfrontiert, als sie sich in den 1930er-Jahren dazu durchrangen, gegen die ausufernde Anarchie im Hinterland von Aden vorzugehen. Wobei mit Blick auf den Hadramaut „entfesselte Polyarchie“ wohl die treffendere Wortwahl wäre: Der zu Verhandlungen entsandte Harold Ingrams berichtete, dass in der Provinz ungefähr 2000 eigenständige „Regierungen“ existierten, von denen jede – manche bestanden nur aus einigen Gehöften oder bloß einem Haus – für sich beanspruchte, keiner höheren Autorität Rechenschaft schuldig zu sein.156 Ingrams schmiedete mit den Unterhändlern vor Ort – traditionell, wie so oft, Nachfahren Mohammeds – einen Friedensvertrag, der den anhaltenden Kämpfen zwischen den größeren Splittergruppen Einhalt gebot. Die beduinischen Stämme bereiteten indessen die größten Schwierigkeiten: Noch immer lebten sie als Hirten, Lastentransporteure und Räuber. Erst durch den Einsatz von Bomben konnten die Briten sie zum Verzicht auf dieses dritte, aus alten Zeiten stammende Standbein bewegen. Doch führten die britischen Regierungsbeschlüsse und Bomben – ebenso wenig wie bei den Stammesanhängern im saudischen Norden – keineswegs dazu, dass sich badw über Nacht zu gesetzestreuen hadar wandelten. Erhellend sind hier die Bezeichnungen der badw des Hadramaut für ihre nichttribalen Nachbarn: Sesshaftes Volk wird masākīn genannt, von der Wurzel sakana, was wie hadāra „niedergelassen, ruhend“ heißt, aber ebenso „bedauerlich, elend“; darüber hinaus findet hirthān Verwendung, „Pflüger“, aus der Wurzel haratha „anbauen, pflügen“, was ursprünglich „für den eigenen Unterhalt arbeiten“
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bedeutete.157 Stammesangehörige arbeiten jedoch nicht für ihren Lebensunterhalt – zumindest bewirtschaften sie kein Land. Sie hüten Vieh, transportieren Lasten, plündern auf Raubzügen, und blicken wie alte europäische Adlige hochnäsig auf jede Form von „Handel“ herab. (In modernen Staaten erhalten Stammesangehörige durchaus Gehaltszuwendungen, vorzugsweise als nominell Bedienstete der Armee oder Polizei, doch in der Regel ohne dafür stundenlang stramm zu stehen und Wache zu schieben: Nichts zu tun und dafür bezahlt zu werden, ist auch eine Art Plünderung – in diesem Fall der Staatskasse.) Das Kamel durch einen LKW der Marke Bedford zu ersetzen, war für traditionelle badw im Hadramaut und andernorts keine große Sache. Aus dem eigenen Schwert oder Gewehr aber Pflugscharen zu machen, war ihnen hingegen ein Gräuel. Denn das hieße nicht mehr ehr- und wehrhaft zu sein. Friede, Passivität, Sesshaftigkeit, Geruhsamkeit, Ackerbau, Furchen ziehen, im Schweiße des eigenen Angesichts leben, käme – mit Francis Fukuyama gesprochen – dem Ende der Geschichte gleich. Für einige Jahrzehnte schienen die alten Zeiten tatsächlich vorbei zu sein. Ein Beobachter, der die badw des Hadramaut zu kennen glaubte, meinte während des von den Briten ausgehandelten Friedens: „Sie sind tot.“158 Ein Trugschluss, der Lauf der Zeit hielt nur kurz inne.
Der verworrene Osten Während der letzte Osmane in seinem Pariser Exil seine Schmetterlingssammlung sichtete, trauerten viele Araber den behäbig dahinplätschernden Jahrhunderten im Halbschatten der Hohen Pforte nach. Jetzt war das gleißende Licht des 20. Jahrhunderts auf sie gerichtet und der Nahe Osten entwickelte sich für westliche Betrachter mehr und mehr zum verworrenen Osten. Ein zweiter hochtechnisierter Weltkrieg wurde geschürt, was sowohl Begeisterung als auch Angst angesichts der Zukunft auslöste. Würden noch mehr Imperien untergehen? Und falls dem so wäre, würde das endlich die Stimmen der wetteifernden Verfechter der arabischen Einheit zusammenbringen? Letzteres schien unwahrscheinlich. Die arabischsprachige Welt zeigte sich zersplittert wie eh und je und nahm in den 30er- und 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts sozial sowie politisch geradezu vortizistische159 Züge an: … ein Gemisch aus vom Ausland gestützten Monarchien und kolonialen Interventionen – manchmal sanft wie im Hadramaut, wo Harold Ingrams mit Sandalen, Lendenschurz und silbernen Armreifen bekleidet, Frieden schloss, und die Royal Air Force höflich warnende Flugblätter abwarf, ehe sie Bomben hageln ließ; manchmal auch rabiat, wie in Mussolinis neunjährigem Krieg in Libyen, wo er sich sein eigenes Stückchen arabische Welt sichern wollte; manch-
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mal auch in Form eines immer hartnäckigeren Fußes in der Tür, wie beim wachsenden Zustrom auswärtiger Juden nach Palästina; … ein befremdliches Nebeneinander von fanatischen badw-Räubern und amerikanischen Erdölmagnaten am saudischen Hofe, von aufgetakelten Memsahib-Fräuleins und indigobemalten Stammesangehörigen in Aden, von Freya Stark und ihren Kameltreibern, die mit ihrer Gesichtscreme aus der Bond Street die Dolche polierten;160 … mit Ibn Saʿūd gegen die Haschimiten, die Haschimiten gegen sich selbst und alle gegen den Haschimiten Abdallah, die britische wie zionistische Marionette von Transjordanien mit eigenen imperialen Ambitionen auf Großsyrien;161 … mit den Franzosen, die Truppen aus dem Maghreb gegen Aufständische im Maschrik einsetzten und dabei hüben wie drüben von Berbern und Drusen aufgemischt wurden, und mit den Briten, denen es mit den Arabern und Juden nicht anders ging, während die Widersprüche der Balfour-Deklaration sich in Palästina in einem offenen Konflikt entluden;162 … mit Ägyptens postosmanischem Khediven, der eine Königskrone von britischen Gnaden trug und dessen antibritische Regierung einem eigenen nilotischen Nationalismus anhing – „Was erhält man, wenn man lauter Nullen miteinander addiert?“, soll Ministerpräsident Saad Zaghlūl seine Zweifel an der Idee einer geeinten arabischen Welt in Worte gefasst haben.163 … aus all diesen Gründen schwanden die Aussichten auf eine arabische Einheit immer weiter dahin.
Der Feuerdieb Mochte die politische Einheit auch wie ein zerplatzter Traum wirken, so „erwachte“ zumindest die arabische Kulturnation wohlausgeruht aus ihrem jahrhundertelangen Schönheitsschlaf: Neue, kreative Schriftsteller und Dichter hauchten der arabischen Identität Leben und Gemeinschaftssinn ein. Aber auch hier machten sich Risse bemerkbar. Ausgehend von Ägypten, dem Zen trum der arabischsprachigen Welt, machten sich Zweifel intellektueller wie politischer Natur breit, die das gesamte kulturelle Fundament des Nationalismus zu untergraben drohten. Wie der Syrer al-Maʿarrī aus dem 11. nachchristlichen Jahrhundert – häufig als größter arabischer Dichter neuerer Zeit gepriesen – war auch der ägyptische Gelehrte Taha Hussein blind, aber dennoch auf beunruhigende Weise hellsichtig. Während des Ersten Weltkriegs hatte er in Frankreich studiert und eine Französin geheiratet und vertrat die Ansicht, Ägypten solle sich sowohl die hellenistisch-europäische Kultur wiederaneignen als auch den Einflüssen aller
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„ zivilisierten Völker im Osten und Westen“164 – wie im bisherigen Verlauf seiner Geschichte – offen begegnen. Damit brachte er auf den Punkt, was viele ägyptische Intellektuelle seinerzeit glaubten. Einerseits erkannte Taha Hussein an, dass das Arabische „mit [unserem] Leben auf eine Weise verbunden ist, die es geformt und die seinen Charakter geschaffen hat“,165 andererseits schreckte er nicht davor zurück, die Gründungstexte kritisch zu hinterfragen: Zwar nicht gleich den sakrosankten Koran, dafür fühlte er aber in seinem 1926 erschienenen Buch Über die vorislamische Poesie dem tief verwurzelten – muslimischen wie nichtmuslimischen – arabischen Erbe und seiner Sprache, die dem ganzen Erwachen erst eine Stimme verliehen hatten, auf den Zahn: „Die überwältigende Masse dessen, was wir vorislamische Poesie nennen, ist überhaupt nicht vorislamisch. Sie ist ausgedacht und nach dem Aufkommen des Islam falsch datiert worden.“166 Wie er anhand einer nahtlosen Argumentationskette aufzeigte, hätte der dichterische Goldschatz – der sprachliche Goldstandard und antike Vorschuss auf eine neue Zukunft als Nation – fast nur aus Plunder bestanden, die frühislamischen Überlieferer antiker Oden wären lauter Chattertons, die antiken Dichter allesamt Ossiane gewesen. Die arabische Vergangenheit und somit die arabische Identität wären in der Epoche der Umayyaden und Abbasiden nicht einfach neu geprägt, sondern in „Dichtungsmanufakturen“ massenweise ausgedacht worden.167 Gelangt war er zu dieser Schlussfolgerung durch eine gründliche, interne wie externe Analyse der Gedichte sowie durch „kartesische Distanz“, wie er es nannte – das heißt, indem er seine eigene Nationalität und Religion „vergaß“. In dieser Distanz, erklärte Husain, läge „das Alleinstellungsmerkmal der Moderne“.168 Es war eine moderne Schlussfolgerung, aber in einer Kultur, in der Worte beinahe den einzigen Stoff für Kunstwerke bilden und Gedichte das höchste Kulturgut sind, entsprach das Vorgehen Taha Husseins eher einem Schlag mit dem Vorschlaghammer vor den Pergamonaltar der Sprache. Oder schlimmer noch: Die Ikonen, die er zertrümmerte, waren Ahnenporträts, durch Rezitation wiedererwecktes Fleisch und Blut, kein kalter Marmor. Im Prinzip ist es nebensächlich, ob Taha Hussein Recht hatte oder nicht. Dass einiges an Dichtung neu erschaffen wurde, steht außer Frage. Und wahrscheinlich wurde in der islamischen Periode vieles einfach noch mal hervorgeholt und aufpoliert. Viele seiner Kritiker teilen daher das Gefühl, dass sein Fehler darin lag, „die überwältigende Masse“ der vorislamischen Poesie zu verwerfen. Doch gab es kein Zurück mehr. Das Buch goss nicht nur das Kind, die Poesie, mit dem Bade aus, sondern warf zugleich einige irritierende Fragen auf. Zwar wandte Taha Hussein seine „kartesische Distanz“ nicht direkt auf die heilige Schrift an, doch ging er mit einer Reihe seit alters her bewahrter Ge-
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schichten, die im elliptischen Korantext Lücken füllten, hart ins Gericht:169 traditionellen Erzählungen vom Volke Ād, vom Dammbruch bei Maʾrib und manch anderen aus der apokryphen Genesis der Araber.170 Unter dem Vorwand, die öffentliche Ordnung sei – da bestimmte Aspekte des Koran und der Prophet in Frage gestellt würden – bedroht, wurde das Buch verboten und im Jahr 1927 ein Verfahren wegen Häresie gegen Taha Hussein angestrengt.171 Unter anderem beschuldigte ihn der Scheich al-Azhar, die höchste muslimische Autorität, die Familie Mohammeds „herabzuwürdigen“ – was „kein Ungläubiger oder Polytheist jemals gewagt“ habe – sowie unterschwellig zu behaupten, es handle sich bei der ursprünglichen, von Arabern gepflegten Religion nicht um einen abrahamitischen Monotheismus.172 Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens bildeten die Rolle und Historizität Abrahams/Ibrāhīms und von dessen Sohn Ismael/Ismāʿīl, die beide seit der Zeit der Umayyaden zum Schmieden einer geeinten arabischen Identität so wichtig gewesen waren.173 Bloß „Schmieden“ in welchem Sinne: „mit dem Hammer herausarbeiten“ oder „nachbilden“? Taha Hussein selbst war im wahrsten Sinne des Wortes zwiegespalten. In der Anhörung vor Gericht gab er zu Protokoll, dass er als Muslim nicht an der Existenz von Ibrāhīm und Ismāʿīl oder irgendeines anderen mit den beiden in Zusammenhang stehenden koranischen Stoffes zweifelte. Doch als Gelehrter sah er sich den Methoden wissenschaftlicher Forschung verpflichtet, weswegen er die Existenz Ibrāhīms und Ismāʿīls nicht als Fakt historischer Geschichtsschreibung akzeptieren konnte.174 Die altbekannte Falle zwischen Glaube und Vernunft, rhetorischer Wahrheit und empirischer Faktizität. Nun saß Taha Hussein in der Grube, blickte aber wacker auf. Für die arabisch-muslimische Welt bildete dieser Prozess womöglich den lange hinausgezögerten „Galileo-Moment“. Dabei war er keinesfalls der erste muslimische Denker, der in dieser binären Falle saß. Die meisten hatten vor diesem Dilemma jedoch die Augen verschlossen, so wie al-Sidschistānī, der Logiker, der im 10. Jahrhundert kurzerhand die Behauptung aufstellte, der Koran wäre frei von Logik.175 Dass der faktisch blinde Taha Hussein eine so weitblickende Sicht vertrat, war in der Tat „modern“, und darüber hinaus zutiefst subversiv. Er öffnete den Blick in eine bislang unbeleuchtete Kammer im Herzen der arabischen Identität: „Das Wesen des Arabers“, schrieb in jüngerer Zeit der gleichsam scharfsinnige Beobachter Mohammed al-Jabri, „gründet in allen Belangen auf Dualismen“.176
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Man muss sich vor psychologischem Grätenlesen hüten. Doch bietet diese Form von Dualismus – die Fähigkeit, ein Phänomen gleichzeitig aus zwei entgegengesetzten Perspektiven, in zweierlei Licht zu betrachten – für eine Reihe von Anomalitäten offensichtlich eine Erklärung: zum Beispiel warum eine Menge arabischer Wörter sowohl eine Sache als auch deren Gegenteil bedeuten (dschaun = schwarz/weiß, dschalal = groß/klein177), oder weshalb die Menschen einen politischen Führer trotz dessen unverhohlener Bestechlichkeit verehren und ihn zugleich sāriq watanī, „einen patriotischen Dieb“, oder sogar – wie wir bereits sahen – sāriq ʿādil, „einen gerechten Dieb“178 schimpfen. Kubismus trifft auf Orwellsches „Zwiedenken“. Davon einmal abgesehen, existieren die großen, unbestreitbaren Dualitäten: Völker/Stämme, geistiges Mekka/weltliches Medina, hadsch/hidschra, harām/halāl, die unreine, dunkle linke Hand/die reine, aufrichtige Rechte, zurückhaltende Sufis/militante Wahhabiten, ʿarab/ ʿadscham, Hocharabisch/Dialekt … in dieser nimmer endenden Dialektik, die Gesellschaft, Religion und Sprache durchzieht, besteht die Welt aus einer Abfolge von Widersprüchen, aus These und Antithese. Bedeutende arabische Denker haben in diesen Untiefen ihre Netze ausgeworfen. Auch Adonis konnte auf einen ordentlichen Fang solch widersprüchlicher Dichotomien blicken und schloss mit „… Land/Stadt, Araber/Griechen, Araber/Westen, Prophetie/Technologie“. All das, so Adonis, seien „einander entgegengesetzte Dualitäten, die schöpferische Bewegung lähmen“,179 gerade so als befänden sich Araber nicht bloß auf einem Felsen zwischen Löwen gefangen, sondern auch – wie Buridans Esel, der sich nicht zwischen zwei Futtertrögen entscheiden kann und verhungert – zwischen die Boxen in einem Stall gepfercht. In diesen manichäischen Begrifflichkeiten erscheint die Welt wohlgeordnet, letztlich jedoch allzu vereinfacht. Aber Mohammed al-Jabri lag mit seiner Einschätzung wohl richtig, dass ein spezifischer Dualismus den Kern dessen ausmacht, wovon dieses Buch hier handelt: dem Problem der arabischen Einheit. Anhand des Begriffspaares „Einheit/Eigenheit“ beobachtet er, wie regionale Eigenarten mit dem pannationalen Ganzen konkurrieren – wobei die Teile beziehungsweise das Ganze nicht darauf aus sind, das jeweils andere abzuschaffen oder zu verneinen. Eine solche Negation wäre kontraproduktiv, da die Existenz des einen von der des anderen abhängt und bedingt wird.180 Das Konzept der arabischen Einheit wirkt – wie einst die Dualität von hadsch und hidschra, Mekka und Migration auf der Arabischen Halbinsel – sowohl als Magnet wie Zentrifuge: anziehend und abstoßend zugleich. Hoffnungsfroh be-
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geben sich Pilger auf die Reise, erreichen ihr Ziel, aber können nicht bleiben. Mekka ist der Schoß, der sie nicht alle und nicht für immer in sich bergen kann. In der Masse werden selbst fromme Wallfahrer zur Qual. Auch einheitsliebende Unitarier sind ewige Pilger, die – auf ihrem Weg von Hoffnung beseelt – vor den Massen stets nach Hause in die Realität zurückfliehen. Der Richter in Taha Hussein Prozess war der Wissenschaft gegenüber aufgeschlossen, das Verfahren wurde eingestellt. Sein Buch kam allerdings nicht ungeschoren davon: Es durfte erst, nachdem die Anstoß erregenden Passagen geschwärzt worden waren, wieder veröffentlicht werden. Galileo harrt seiner Befreiung. Die entscheidenden Fragen Taha Husseins über Bipolarität, Dichotomie und Distanz liegen offen auf dem Tisch, im Grunde ist seine Botschaft heutzutage aktueller denn je. Denn je weiter die politische Einheit entfernt scheint, desto beruhigender sind die alten poetischen Grundlagen der Kultur. Und je mehr untereinander zerstrittene Extremisten dem Islam zusetzten, desto wichtiger wird der stabile, unbestreitbare Kern – der Prophet und der Koran. Taha Hussein entfachte Vorstellungen, die noch immer glimmen. Der Dichter Nizār Qabbānī hielt ihn als „den Dieb des Feuers“ in Erinnerung und sehnte seine Rückkehr herbei.181 Ob man Taha Hussein heute freisprechen würde?
Eine Vielfalt an Einheiten Ungefähr zeitgleich mit dem Prozess von Taha Hussein kam T.E. Lawrence, der Vorkämpfer für einen geeinten arabischen Osten, zu dem Schluss: „Nur ein Wahnsinniger kann sich arabische Einheit vorstellen.“182 Eine Folgerung, zu der wir Romantiker alle gelangen, sofern wir lange genug in der echten arabischen Welt leben. Die arabische Einheit, könnte man sie herbeizaubern, bestünde weder aus Saad Zaghlūls ägyptozentrischer, nihilistischer Summe von Nullen, noch aus irgendeiner binären Schimäre. Ausgehend von den Versuchen der 1930er- und 40er-Jahre wäre sie wohl eher ein mehrköpfiges Monster, eine Hydra mit multipler Persönlichkeitsstörung. Ab 1936 brachte König Abd al-Azīz Ibn Saʿūd eine panarabische Föderation ins Gespräch – unter seinem Vorsitz. Zur selben Zeit, und bis zu seiner Ermordung im Jahr 1951, machte sich König Abdallah von Transjordanien für die Einheit mit Syrien und letztendlich auch Palästina sowie dem Irak stark – die unter seiner Ägide stehen sollte. Später versuchte der irakische Premier Nūrī al-Saʿīd die Briten von einer Union mit Syrien, Palästina und Transjordanien zu überzeugen – mit dem Irak in der Führungsrolle.183 Aus diesen Ideen wurde – wen überraschtʼs? – nichts. Überraschenderweise wagte sich aber Ägypten aus seiner sphinxhaften Deckung und aus dem Vorstoß ging 1945 die Arabische Liga hervor. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten nebst Ägypten die quer-
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köpfige Quadriga aus Syrien, Irak, Transjordanien und Palästina, außerdem der Libanon, Saudi-Arabien und der Jemen. Am erstaunlichsten daran: Mit Ausnahme der Zeitspanne, als Ägypten nach dem Camp-David-Abkommen aus der Liga ausgeschlossen wurde und ihr von 1979–1990 ein Tunesier vorstand, stammten alle Generalsekretäre aus Ägypten.184 Es liegt wohl auf der Hand, dass die anderen Mitglieder einem Quasimonopol Ägyptens niemals zugestimmt hätten, wäre die Liga jemals etwas anderes als eine wirkungslose Quasselbude gewesen, ein exklusiver Diplomatenklub, in dem die Mitglieder stets „der Widerspruch eint“.185 Immerhin kam man zu Beginn in einigen zaghaften Zielsetzungen überein, die auch den letzten paranoiden Herrscher beschwichtigten: Die Bindung unter den teilnehmenden Staaten stärken, ihre politischen Programme koordinieren, um echte Zusammenarbeit zu begünstigen, ihre Unabhängigkeit und Souveränität wahren sowie im Allgemeinen die Interessen und Belange der arabischen Länder berücksichtigen.186 Die Liga ist mittlerweile auf 22 Mitglieder angewachsen. Arabisch als Amtssprache ist das Aufnahmekriterium,187 was dazu führt, dass sich eigenartige Bettgenossen unter einer Decke tummeln, unter anderem Somalia und die Komoren. Auf die alte Frage, wer oder was ein Araber ist, lautet die Antwort der Liga: Jemand, der Arabisch spricht und der in einem arabischsprachigen Land lebt (was Somalier und Komorer augenscheinlich ausschließen würde), darüber hinaus, „wer dem Streben der arabischsprachigen Völker Sympathien entgegenbringt“. Worin dieses Streben besteht und wie Sympathien dafür zum Ausdruck gebracht werden sollen, bleibt unklar. Lebenszeichen gibt die Liga, wie ein Wollmammut ohne Stoßzähne, sowieso kaum von sich, was ihr schon die Bezeichnung „Totgeburt“188 oder „Anstalt der aussterbenden Tyrannen“189 einbrachte. Pränatale Todesmeldungen sind wohl übertrieben, denn alles in allem hat die Liga die Welt vielleicht sogar zu einem etwas besseren als schlechteren Ort gemacht. Die Ägypter behielten jedenfalls, wie alle guten Taschenspieler, ein weitaus größeres Ass im Ärmel. Das Arabische Erwachen hatte sich zuerst in Ägypten geregt, der Feuerdieb dort das Licht der Welt erblickt. In den 1950er-Jahren brachte das Land den „Ritter der Träume“ schlechthin hervor – ein Mann, der für ein kurzes, erleuchtetes Jahrzehnt das größte arabische Feuerrad seit Mohammed entflammen würde.
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Kapitel 14 Zeit der Hoffnung: Nasserismus, Baathismus, Befreiung, Erdöl Der leere Thron Im Frühsommer 1952 zog ein korpulentes Kamel in Begleitung einer Ehrengarde und einer Blaskapelle in einem Festzug durch Kairo. Auf seinem Höcker erhob sich eine aufwendig gearbeitete, im Takt der Musik schunkelnde Sänfte mit pyramidenförmigem Dach. Dieser Palankin glich einem kleinen, aber prächtigen Pavillon.1 Der mahmal, wie die „Trage“ auf Arabisch genannt wird, war leer, aber dennoch voller Symbolik – eine Chiffre für Souveränität, Bewegungsfreiheit, Wallfahrt, seine kalligrafisch verzierte Hülle stand für die Macht und Schönheit der arabischen Sprache. Ein wandernder Miniaturthronsaal, der in früheren Zeiten nach Mekka gezogen war, um dem Hause Allahs die Hochachtung des ägyptischen Herrschers zu erweisen – eine Pilgerfahrt im Lehnstuhl, wobei allein der Sessel die Reise auf sich nahm. Der mahmal war außerdem voller Geschichte. Unter den ersten Mamluken entwickelte er sich im 13. Jahrhundert in Ägypten zu einer regelrechten Institution, seine Ursprünge reichen womöglich bis in die Umayyadenzeit zurück.2 Auch aus anderen Regionen – aus dem Jemen, Syrien und später der osmanischen Türkei – entsandte man bald darauf mahmals nach Mekka, um dem antiken Nabel der Erde in Arabien, dem Symbol für Einheit, Tribut zu zollen, zugleich aber auch als Ausdruck der eigenen Unabhängigkeit. Wie die übrige Pilgerkarawane auch kehrte der mahmal nach der Wallfahrt nach Hause zurück. Dieses Hin und Her, das die arabische Welt zusammenhielt und gleichsam trennte, trieb auch die Reise nach Mekka und zurück an. Die Reise des mahmal begleitete die Pilgerfahrt genauso wie die Lokalpolitik. Während seines kurzen Intermezzos als ungläubiger Verteidiger des Glaubens hatte Napoleon ein neues mahmal anfertigen lassen und nach Mekka geschickt.3 Der feierliche franko-ägyptische Straßenumzug, der den Auszug aus Kairo begleitete, erschien dem Historiker al-Dschabartī wie eines der seltsamsten und erstaunlichsten Wunder, weil er sich aus so vielen verschiedenen Bestandteilen zusammensetzte, aus aller Art Figuren und Gruppen von Religionen, indem er die Niedrigen erhöhte und die Massen zusammenbrachte, die unterschiedlichsten Geschöpfe und die Gegenteile, Leute gegensätzlicher und feindlicher Standpunkte vereinigte.4
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Bald nach dem Abzug der Franzosen ging es wieder traditioneller zu. Wobei einige Traditionen für sich genommen mehr als wundersam anmuteten. Zum Beispiel folgte dem mahmal gewöhnlich ein alter „Kamelscheich“: Der langhaarige Mann trug nichts außer einer Pyjamahose. „Er ritt auf einem Kamel und warf unablässig seinen Kopf von einer Seite zur anderen … allem Anschein nach tat er das während der gesamten Reise.“5 Auf einem weiteren Kamel folgte dem Mann bisweilen eine spärlich bekleidete alte Frau, die „Katzenmutter“: Ein halbes Dutzend Kätzchen leistete ihr auf dem Ritt nach Mekka und zurück Gesellschaft.6 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war für derart märchenhafte Gestalten jedoch kein Platz mehr. Seit 1884 fuhr der ägyptische mahmal in einem eigens hergerichteten Waggon mit dem Zug nach Sues, dann mit dem Dampfer weiter über das Rote Meer nach Dschidda, wo er schließlich traditionsgemäß einem Kameltier aufgezurrt wurde. Vielleicht sicherten gerade diese Anpassungen dem ägyptischen mahmal das Überleben. Der jemenitische verschwand im 17. Jahrhundert, während der türkisch-syrische mahmal dem Ersten Weltkrieg zum Opfer fiel.7 Doch auch der ägyptische war dem Tode geweiht. Im Jahr 1926 attackierten die neuen Hüter Mekkas, Ibn Saʿūds wahhabitische Ichwān, den mahmal mit Steinen, verprügelten die Blaskapelle und griffen die Ehrengarde an: Den puritanischen Stammesmännern galt die Prozession als bidʿa, eine häretische Neuerung – ungeachtet dessen, dass diese „Neuerung“ 600, vielleicht sogar 1200 Jahre alt war.8 Seit diesem Vorfall zog der mahmal nur noch durch Kairo, geschmückt wie immer, doch ohne Ziel. Die Parade von 1952 jedoch sollte die letzte sein. Denn im selben Sommer stürzte eine Gruppe ägyptischer Offiziere den von Großbritannien gestützten König. Die Vergangenheit samt ihrer überkommenen Symbole, darunter der mahmal, wanderte daraufhin in die Rumpelkammer der Geschichte. Seit dem Angriff von 1926 hatte das Kamel mit dem leeren Palankin sowieso nur noch die bittere Gegenwart vor Augen geführt. Eigentlich hätte die arabische Welt näher zusammenrücken müssen: Reisen war weniger beschwerlich, Kamelzüge waren von Dampflokomotiven und Dampfschiffen abgelöst worden, und der Imperialismus stellte mitsamt seinem neuen launischen Stiefsohn – dem Zionismus – eine gemeinsame Bedrohung dar. Doch die neuen Gebieter von Mekka hatten das letzte Symbol alter Verbundenheit auf seinen Platz verwiesen, ihrem Beispiel folgten nun die neuen Herren über Ägypten: Nur dass ihnen der mahmal geradezu als das Gegenteil einer Neuerung galt – als Anachronismus. Der leere Sänftenthron entbehrte mittlerweile jeglicher Symbolik. Er war noch sinnentleerter als die Sonntagsreden der Arabischen Liga, dem neuen Symbol arabischer Verbundenheit in Kairo.
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Damit setzte sich Ägypten, zwischen Maghreb und Maschrik gelegen, ohne zum einen noch zum anderen zu gehören, von den anderen arabischen Staaten ab. Die Revolution folgte einem von Napoleons Befreiungspropaganda entfesselten und seither stetig stärker werdenden Sog. Einem ägyptischen, keinem arabischen Nationalismus nacheifernd, begab sich Ägypten auf eigenen Wegen in eine ungewisse Zukunft. Seit den Pharaonen waren, wie allseits betont wurde, zum ersten Mal waschechte Ägypter an der Macht. Wobei im Dunkeln blieb, wer in einem Land, das über mindestens drei Jahrtausende Sammelbecken der Völker dreier Kontinente gewesen war, mit „waschechten Ägyptern“ gemeint sein könnte. Kopten waren damit sicherlich nicht gemeint; deren Name leitete sich ja ursprünglich von der Bezeichnung der Einwohner Ägyptens ab (etymologisch betrachtet ist ein Kopte ein „Gypte“). Nein, gemeint war, dass die neuen Führer keine „Neu“ankömmlinge waren – Mamluken, Osmanen, Albaner oder, Gott bewahre, Briten. Sie stammten, wie schon 70 Jahre zuvor der Revolutionär Ahmed Urabi, von arabischen beziehungsweise arabisierten Siedlern ab, wobei im Land der longue durée 1300 Jahre genügten, um aus arabischen Eindringlingen einheimische Ägypter zu machen. Vier Jahre nach der Revolution von 1952 leiteten die neuen Regenten in Ägypten einen Kurswechsel ein und proklamierten fortan nicht mehr nur ihr eigenes Arabertum, sondern rissen gleich die Führungsrolle über alle Araber an sich. Wie schon so oft entpuppte sich Arabertum als etwas, das verlegt und dann wiedergefunden, abgestreift und wieder angezogen wurde, von Neuem erinnert und neu geformt. Etwas, das mit den Gezeiten und der politischen Großwetterlage aufwallte und wieder verebbte. Jetzt kündigte sich eine Springflut an.
Der Dolch in der Landkarte Vier Jahre vor der Revolution von 1952 waren Arabertum und arabische Einheit hingegen an einem Nullpunkt angelangt. Der Zionismus hatte Kolonialismus mit Religion in einen Hut geworfen … und einen territorialen Nationalstaat hervorgezaubert. Diese Entwicklung hatte sich vor dem Hintergrund sowohl vorhersehbarer als auch unvorhersehbarer Ereignisse vollzogen. Vorhersehbar war die vollkommene Untauglichkeit der Balfour-Deklaration gewesen. Aufgrund der unkontrollierten jüdischen Einwanderung nach Palästina sowie des damit einhergehenden Landerwerbs flammte in der Zwischenkriegszeit die Gewalt auf.9 Wie nicht anders zu erwarten, revoltierten die Palästinenser gegen die britische Mandatsmacht, die mit drakonischen Kollektivstrafen reagierte. Was war bloß aus dem „netten, gerechten, jungenhaften Gebieter“10 der Welt geworden, wie George Santayana Großbritannien
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zehn Jahre zuvor beschrieben hatte? Später, als die Briten den Zustrom eindämmen wollten, waren die Juden mit Revolte an der Reihe. Am gewalttätigsten gingen die zionistischen Extremisten, die Irgun und die sogenannte SternBande, vor: Mit dem Einsatz von Terrormethoden, um politische Ziele zu erreichen, schufen sie … einen gefährlichen Präzedenzfall in der Geschichte des Nahen Ostens – ein Muster, unter dem die ganze Region bis heute leidet.11 Als locus classicus des Terrors erwies sich das King David Hotel in Jerusalem. Als es 1946 zum Ziel eines Bombenanschlags der Irgun wurde, starben fast 100 Menschen.12 Die Explosion hallt über die Jahrzehnte nach und ist außer in der heiligen Stadt bis nach Beirut, Bagdad und Manhattan zu spüren. Mittlerweile sind die Israelis vom Bombenlegen jedoch zum zivilisierteren Abwerfen derselbigen fortgeschritten. Derweil begünstigten auch unvorhersehbare Ereignisse den Wandel von einer zionistischen Kolonie zum israelischen Nationalstaat. Niemand hätte das den europäischen Juden vom Nationalsozialismus zugefügte Leid zu prophezeien vermocht. Angesichts dieser schieren Ungeheuerlichkeit blieb die Nachkriegswelt dem Leid der Palästinenser gegenüber stumm. Für Araber war es hingegen unübersehbar, wobei ihr Blick auf Palästina allerdings jeweils von ganz eigenen, höchst unterschiedlichen Interessenlagen verzerrt wurde. Als es 1948 zum Showdown – zum Krieg zwischen den Zionisten und den Nachbarn Ägypten, Transjordanien, Syrien, Libanon und Irak und Saudi-Arabien – kam, waren sich die arabischen Verbündeten auf fatale Weise uneins. Das höchste Maß an Einigkeit brachten sie zustande, als sich die vier anderen gegen den Haschimitenkönig Abdallah von Transjordanien verschworen, um dessen Herrschaftsambitionen über die palästinensisch-arabischen Gebiete einen Riegel vorzuschieben.13 Die Angst war begründet: Abdallah stand mit den Zionisten bereits in Verbindung, um zu diesem Zweck Garantien zu erwirken. Ein zeitgenössischer Beobachter drückte es so aus: Abgesehen vom konzertierten Vorgehen gegen Abdallahs Ansprüche „lahmte der Feldzug der arabischen Staaten aufgrund mangelnder Geschlossenheit … [und] gegenseitigem Misstrauen“.14 Aus eben diesem Misstrauen erwuchs das „Falsche und Verkommene“15 in den arabischen Reihen, was sich für die Fünf gegen Zion als ebenso tragisch herausstellte wie im aischylischen Drama Sieben gegen Theben. Die gespaltenen Reihen zerstörten sich selbst – wie damals, als die ersten Kreuzritter in der Levante auftauchten: „Die Sultane lagen sich in den Haaren und so konnten die Franken das Land besetzen.“16
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Mit dem israelischen Sieg gingen enorme Migrationsbewegungen einher, unter anderem von zehntausenden jüdischen Arabern nach Palästina. Die entgegengesetzte Abwanderung muslimischer und christlicher Palästinenser war hingegen eine Flucht, eine Vertreibung. Hagar und Ismael fanden sich einmal mehr, in ungekannter Größenordnung allerdings, im Exil wieder: 750 000 palästinensische Flüchtlinge verteilten sich nach dem Krieg von 1948 auf die benachbarten Länder und darüber hinaus.17 Die mythische Gestalt des Ewigen, Wandernden Juden aus dem Mittelalter wich der modernen, nur allzu realen Variante vom Ewigen, Wandernden Palästinenser. Die Nakba beziehungsweise „Katastrophe“ von 1948 wird die Geschichte so lange in Atem halten, wie Palästinensern ihr Heimatland verwehrt bleibt. Wie der palästinensische Anwalt und Autor Raja Shehadeh gesteht: Wir sind noch immer fassungslos und fragen uns, wie und warum es dazu kommen konnte, wie das zu erklären und zu verstehen ist. Davon kriegen wir nie genug. Ist es wie für die Juden, die betroffen waren, der Holocaust?18 Wenn wir auch alle die einbeziehen, die nur indirekt betroffen waren, so sind auch nach über 70 Jahren nur wenige Juden von diesem Holocaust unberührt geblieben. Auf ähnliche Weise haben nur die wenigsten Araber keinen Anteil am Leiden Palästinas genommen. Der im Werden begriffene Staat Israel schwelt wie eine Wunde im Norden des arabischen Subkontinents. Auf der Landkarte gleicht seine Form einem antiken Dolch, der Griff zieht sich entlang der Mittelmeerküste, die Spitze berührt das Rote Meer an dessen oberem Zipfel, die keilförmige Klinge dringt zwischen Ägypten und die Levante. Eine kleine, aber tiefe Wunde, die nie verheilt ist, und deswegen weiterhin schmerzt.
Fürchte die Amerikaner, auch wenn sie Geschenke bringen In den Nachwehen des Zweiten Weltkriegs traten die alten europäischen Großmächte in die Fußspuren von Ninive und Tyros.19 Die Briten hatten Indien blutig entzweit zurückgegeben. Nun zogen sie sich auch aus dem Durcheinander im geteilten Palästina zurück. Bereits 1930 hatten sie dem Irak formal die Unabhängigkeit gewährt, behielten dank des handzahmen haschimitischen Königs jedoch die Außenpolitik des Landes sowie einige nützliche Luftwaffenstützpunkte unter ihrer Kontrolle.20 Die Franzosen waren unterdessen bis Ende 1945 aus Syrien und dem Libanon abgezogen, klammerten sich aber bis auf Weiteres an ihre nordafrikanischen Besitztümer.
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Unter der Regentschaft ihres Vasallenkönigs Farūq I. zogen die britischen Streitkräfte nach 1945 aus Ägypten ab, behielten die Kanalzone jedoch im militärischen Würgegriff. Ihre anhaltende Präsenz sorgte innerhalb der ägyptischen Armee für Unmut, insbesondere unter den sich aus den berittenen „Yeomanry“ rekrutierenden mittleren Offiziersrängen – Männer also, die sich dem ägyptischen Heimatboden verpflichtet fühlten, was auf die höheren Schichten nicht unbedingt zutraf. Zusätzlich befeuerte die Katastrophe von 1948 unter den Offizieren die Wut über die Untauglichkeit des korrupten Königs sowie der herrschenden Wafd-Partei.21 Die Unzufriedenheit gärte außerdem unter den Armen in den Städten, bis sie im Januar 1952 überkochte und sich in einem gewaltsamen Aufruhr entlud, bei dem es in Kairo zu Übergriffen auf Briten und andere Ausländer kam, deren Eigentum in Flammen aufging. Die herbeigerufene Armee sollte dem Chaos Einhalt gebieten. Das spielte den Offizieren in die Karten: Denn mit ihrer Befehlsgewalt hielten sie die Zügel für politische Aktionen in Händen – und zur Machtergreifung. In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 1952 zogen die „Freien Offiziere“, wie sie sich selbst nannten, zum Königspalast. Farūq wurde abgesetzt und an Bord der El Mahrūsa – der Königsyacht, die mehr als 80 Jahre zuvor den Sueskanal eröffnet hatte – außer Landes gebracht. Um den mit dem Putsch einhergehenden radikalen Einschnitt abzufedern, wurde der neugeborene Sohn des Königs in absentia auf den Thron erhoben. General Muhammad Nagib, der ältliche Frontmann der Junta, wurde zum Ministerpräsidenten ernannt. Ein Jahr später endete das royale Schauspiel und Ägypten wurde zu einer Republik mit Nagib als Präsidenten. Ganz im Stile von Tausendundeiner Nacht begann mit dem Ende des einen schon ein neues Schauspiel: Über die Schulter des Generals schielte bereits der nächste Anwärter verschmitzt auf die Macht und den republikanischen Thron. Zudem legten sich bereits neue Imperien auf die Lauer und es dauerte nicht lange, bis ihr erster Gesandter auftauchte. Im Mai 1953 kam US-Außenminister John Foster Dulles nach Kairo und überbrachte General Nagib ein Geschenk von General Dwight D. Eisenhower: Einen vernickelten Colt-Revolver mit einer persönlichen Gravur.22 Welche Intention auch immer dem Geschenk zugrundegelegen haben mag, im Kalten Krieg war ein double entendre unvermeidlich: Verteidige amerikanische Interessen oder gehe in Ehren. Dullesʼ Treffen mit Oberst Dschamāl Abd al-Nāsir, dem eigentlichen Strippenzieher der Revolution und Machthaber im Land, verlief hingegen ohne solche Doppeldeutigkeiten. Gamal Abdel Nasser, wie er in der nichtarabischen Welt genannt und bekannt wurde, forderte größere Schießeisen, Panzer und Kriegsflugzeuge. Selbstverständlich würden die Amerikaner liefern, sagte Dulles ihm zu – vorausgesetzt Ägypten trete mit den USA und dem Vereinigten Königreich in ein Verteidigungsbünd-
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nis gegen die UdSSR und gebe Garantien für die britische Präsenz in der Kanalzone.23 Für Nasser und die Revolution wäre das politischem Selbstmord gleichgekommen. Er lehnte das Angebot rundheraus ab. Stattdessen wandte sich Ägypten dem Ostblock zu und erhielt die gewünschten Waffen von den Sowjets ohne Bedingungen. Darauf reagierten die Amerikaner mit der Offerte, den Assuan-Staudamm zu finanzieren, jenes ambitionierte und enorm kostspielige Revolutionsprojekt, das Ägypten zuverlässig mit Wasser und Elektrizität versorgen sollte. Allerdings unter einer neuen Bedingung: Keine sowjetischen Waffen mehr.24 Widerwillig verabschiedeten sich die europäischen Mächte allmählich aus der Region, da stiegen bereits die neuen Weltreiche in den alten Machtpoker ein, unterstützend, abweisend, Kredite und Waffen in Aussicht stellend, um dann einen Rückzieher zu machen. Ägypten und seine arabischen Nachbarn saßen weiterhin auf ihrem Felsen fest. Wollte man lieber US-Marionette oder Sowjet-Pinocchio sein? Sich zwischen dem östlichen oder westlichen Block zu entscheiden, war reines Glücksspiel, russisches Roulette mit einem amerikanischen Revolver. Und somit blieb alles beim Alten, wie der freimütigste arabische Dichter jener Zeit zu bedenken gab, so lange wie wir uns als zerrieben, zerstreute Stämme geben, die von verschütteter Tücke und Blutfehden leben … Denn im Osten wartet Hülegü, im Westen wartet Cäsar.25 Es sei der dichterischen Freiheit gestattet, die Geschichte so hinzuquetschen, und die beiden Kalten Krieger des 20. Jahrhunderts mit den Namen eines Mongolen aus dem 13. Jahrhundert und eines Römers aus dem ersten Jahrhundert v. Ch. zu benennen. Denn um nichts anderes geht es ja. Zeit lässt sich als Sanduhr betrachten, aber ebenso als eine Ziehharmonika – eine, die Variationen sehr alter Motive spielt.
Der Musselin-Vorhang Die Zeilen stammen aus einer Ode von Nizār Qabbānī zu Ehren von Nassers Geburtstag im Jahr 1971. Bloß dass die Ode kein Freudenlied war, sondern eine Elegie, denn des Dichters „Ritter der Träume“ war zu dem Zeitpunkt bereits gestorben. Lange vor dem kritischen Alter waren sowohl der Mann als auch die Träume der Ernüchterung erlegen. Dabei war der verstorbene Führer, dessen Anhänger ihn wie die säkulare Variante eines Verborgenen Imam in einem
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wundersamen Zustand der Entrückung wähnten, allem Anschein nach von körperlichem Verfall verschont geblieben. Lag es am Lächeln? (Der von einer Titelseite strahlende Nasser war meine erste Begegnung mit der arabischen Welt.) Es war das Lächeln einer Grinsekatze, aber auch das eines Filmstars. Nasser, der den Putsch von 1952 geplant und durchgeführt hatte, gab sich mit nichts Geringerem als der Hauptrolle zufrieden. Im März 1954 entließ er General Nagib aus dem Amt, stellte ihn unter Hausarrest und übernahm im Alter von 36 Jahren das Präsidentenamt selbst. Und das war erst der Anfang. Ab wann er sich nicht mehr nur als Anführer Ägyptens, sondern des Arabertums selbst betrachtete, ist unklar. Es heißt, dass er vor 1956 „von sich selbst stets nur als Ägypter sprach“.26 Eine größere Rolle schwebte ihm aber wahrscheinlich von Beginn an vor, denn gerade einmal drei Monate nach der Machtübernahme sagte er in einer Rundfunkübertragung: „Das Ziel der Revolutionsregierung besteht darin, den Arabern dazu zu verhelfen, eine Nation zu werden, deren Söhne auf das kollektive Gemeinwohl hinarbeiten.“27 Um dieses hehre Ziel zu erreichen, hatte er für den Moment jedoch in den eigenen vier Wänden genug zu tun – Nasser musste sein eigenes Volk (das in den väterlichen General Nagib vernarrt gewesen war) mit seinem Charme umgarnen, sich gegen die Israelis rüsten, Finanzquellen für den Assuan-Damm erschließen und den korrupten Augiasstall Kairo ausmisten.28 Die einschneidende Veränderung aber, durch die Nasser auf die interkontinentalen Bretter, die die Welt bedeuten, gehoben und weltweit zum Einheitsstifter der arabischen Stimme wurde, kam mit Sues. Im Juli 1956 machten die Amerikaner ihre Drohung wahr und zogen das Finanzierungsangebot für den Assuan-Staudamm zurück. Eine Woche später verstaatlichte Nasser die Sueskanal-Gesellschaft, um mit deren Einkünften die 200-Millionen-Dollar-Lücke bei der Fianzierung des Staudamms zu stopfen. Daraufhin setzten sich Großbritannien, Frankreich und Israel an einen Tisch, um einen Geheimvertrag auszuhandeln. Im Oktober rückten die Israelis an den Kanal vor. Erwartungsgemäß drangen ägyptische Einheiten zur Verteidigung in die Kanalzone ein. Die beiden Teilhaber an der Kanal-Gesellschaft, Großbritannien und Frankreich, forderten nun beide Seiten zum Rückzug auf. Als die Ägypter nicht von der Stelle wichen, ging ihr Plan auf. Jetzt bliesen Franzosen und Briten zum Angriff, um mit ihren Streitkräften Teile der Kanalzone zu besetzen. So weit, so Machiavelli. Das gesamte Vorgehen erinnerte nicht unwesentlich an die erfolgreiche Operation von 1882, als während der Urabi-Revolution ein anglo-französisches Marinegeschwader in Ägypten landete und am Ende die Briten die Kontrolle des Landes übernahmen.29 Damals waren Frankreich und Großbritannien noch Supermächte gewesen. Nun, 70 Jahre später,
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hatten sie in ihrem Vorgehen – einer Kombination aus Kanonenboot-Diplomatie, Kamikazeunternehmen und schnell gedrehtem Ding nach Gangsterart – eine Sache jedoch übersehen: Die neuen Supermächte würden die Machenschaften ihrer Vorgänger nicht einfach so hinnehmen. Der Nahe Osten hatte ungeachtet der vielen anderslautenden Bezeichnungen seit der Zeit, als Araber die beiden Handelssphären der Alten Welt – Mittelmeer und Indischem Ozean – verbanden, eine Mittlerstellung inne. In den 1950er-Jahren erwiesen sich die arabischen Länder noch immer als zentral und neuralgisch – gerade auch, weil kein Eiserner Vorhang, sondern bloß ein durchsichtiger Schleier sie trennte, ein zwischen den Ost- und Westflügeln des Kalten Kriegs oszillierender Musselin-Vorhang. Und so stürzten sich die Supermächte ins Getümmel. Die UdSSR drohte mit einer militärischen Intervention zugunsten Ägyptens, die USA drohten, ihre britischen Währungsanleihen abzustoßen und durch den daraus resultierenden Einbruch des Pfund Sterlings die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs zu zerstören. Die Sues-Eskapade wurde gestoppt: Die britische Bulldogge schlich davon, der gallische Gockel krächzte ein letztes Mal. Die Israelis kämpften noch einen Tag länger, doch blieb auch ihnen keine Wahl. Für Frankreich und Großbritannien endete die Aktion im Desaster. Wunden wurden geleckt, der britische Premier stürzte, sein französischer Amtskollege geriet ins Wanken. Davor aber war es Arabern wieder einmal gelungen, sich unter Druck zu einen. Der Sueskanal verband das Mittelmeer mit dem Roten Meer, die Sueskrise vereinte Araber vom Atlantik bis zum Golf.
Transistorgasmus In Sues bäumten sich die beiden todgeweihten Mächte ein letztes Mal auf, was bei Arabern Überraschung, aber auch Schadenfreude – im Arabischen schamāta – auslöste. Ein Zeitzeuge in Großbritanniens letzter arabischer Bastion, der Journalist David Holden, drückte sich unverblümter aus: „Die unbändige Freude über den arabischen Sieg strömte wie ein Orgasmus durch die Gassen von Aden.“30 Nasser hatte für den Höhepunkt gesorgt. Obwohl der Druck der Supermächte die Aggressoren von Sues besiegt hatte, machte er aus der Niederlage seinen größten Triumph.31 Als erfahrener Offizier, der einen Putsch initiiert und angeführt hatte, wusste er mit Worten umzugehen. Nun trat er in die Fußstapfen einer langen rhetorischen Tradition. In der Antike waren Araber von charismatischen kāhins, Dichtern und Propheten, angeführt worden. Jetzt hatten sie einen charismatischen Ägypter zum Präsidenten, der mit seiner Redegewandtheit aus Sues eine mächtige, neue ʿasabiyya schuf, ein Feuerrad, das weit über Ägypten hinausragte – und zwar mithilfe eines anderen Elements: der Luft.
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Hatte der Buchdruck einer neuen arabischen Einheit den Weg geebnet, so war das Druckwesen doch dem Erdboden verhaftet und von begrenzter Reichweite. In ihren aufständischen nordafrikanischen Kolonien hatten die Franzosen ein striktes Verbot ägyptischer Presseerzeugnisse verhängt, die Nassers Soldaten in bedrohlich verführerischen Posen zeigten – „bei der Unterweisung von Studenten im Handgranatenwerfen … in kurzen Khakihosen beim Marsch durch die wundervollen Straßen von Kairo. Alle sahen glücklich und gesund aus; die Frauen und Mädchen winkten aus den Fenstern der Mietshäuser.“32 Der Sauerstoff aus dem Äther ließ sich hingegen nicht verbieten. Exakt zur selben Zeit, als Nasser 1954 das Präsidentenamt übernahm, begann die Massenproduktion des Transistorradios, des kleinen, umso mächtigeren Abkömmlings des alten Röhrenempfängers. 1956, im Jahr der Sueskrise, war es bereits überall günstig zu haben. Den Kolonialmächten waren die Hände gebunden, als die körperlosen Stimmen aus den kleinen, aber penetranten Lautsprechern die arabische Welt durchdrangen und von der Internationalen Zone in Tanger bis zur Freihandelszone von Aden Nassers Stimme zu hören war. Wieder einmal bahnte eine technologische Neuentwicklung im Bereich der Kommunikation eine neue Ära an: Die Entstehung der einenden Hochsprache, die Niederschrift des Koran, umayyadische Buchhaltung, abbasidische Papierherstellung, der Buchdruck im 19. Jahrhundert und nun der Transistor im 20. Jahrhunderts – alle eröffneten sie in der langen arabischen Geschichte neue Kapitel. Die Sendeleistung des Kairoer Rundfunks stieg von 73 Kilowatt zur Zeit der Revolution 1952 auf annähernd 6000 Kilowatt im Jahr 1966. Zu Spitzenzeiten sendete Ägypten 589 Stunden in der Woche – auch in vielen nichtarabischen, vor allem afrikanischen Sprachen – und lag damit nur knapp hinter der BBC mit 663 Stunden.33 Nassers Mission nahm neue Dimensionen an, wobei das Arabische stets im Zentrum stand. Gemäß Nasser – sowie der Arabischen Liga, dem Arabischen Erwachen und der altbewährten Einteilung der Menschheit in ʿarab und ʿadscham – definierte vor allem die Sprache einen Araber.34 Und das Radio zeichnete sich gerade dadurch aus, dass keine anderen Festlegungen interessierten: Der Rundfunk erhob sich über konfessionelle Schranken und koloniale Grenzen und einte das sprachliche Heimatland. Der altehrwürdigen Kraft des gesprochenen Arabisch hauchte das Radio neues Leben ein, es einte die arabische Stimme im großen Stil. Der Ruf zur Einheit war mit den Wahlsprüchen des Frühislam vergleichbar. Der Rundfunk bot das ideale Medium: Die Zuhörer konnten nicht mitreden. Zwar konnten sie jederzeit abschalten, doch war die Technik zu neuartig, zu aufregend und drang außerdem geradewegs in die eigenen vier Wände, den eigenen Stand auf dem Suk. Nassers Publikum schnellte in die Millionen, wobei er eine beneidenswer-
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te Gabe an den Tag legte – weniger volksnah im Ganzen, dafür umso nahbarer für den Einzelnen, und von einer natürlichen heldenhaften Coolness: Während einer Ansprache am 26. Oktober 1954 feuerte ein unbeholfener Attentäter aus den Reihen der Muslimbruderschaft acht Schüsse auf Nasser ab. Keiner traf. Wo die meisten anderen Präsidenten wohl das Weite gesucht hätten, stand Nasser seinen Mann, hielt kurz inne und reagierte spontan: Ich werde für euch leben, für eure Freiheit und Ehre sterben. Sollen sie mich doch töten; das macht mir nichts aus, solange ich euch Stolz, Ehre und Freiheit gebracht habe. Wenn Gamal Abdel Nasser sterben sollte, wird jeder Einzelne von euch Gamal Abdel Nasser sein!35 Das war Panarabismus, populistisch zwar, aber äußerst persönlich, direkt aus dem Munde des Mannes, der gutes Aussehen, einen Schlafzimmerblick, betörende Reden und eine verlockende Botschaft in sich vereinte, der ultimative Star unter den Politikern. Männer lagen ihm zu Füßen, Frauen sanken schmachtend dahin. Das Wort erlangte seinen einstigen Zauber, ja beinahe seine Göttlichkeit wieder. In seiner posthumen Geburtstagsode auf seinen „Ritter der Träume“ sprach Nizār Qabbānī im Namen des kleinen Mannes auf dem panarabischen Suk von Nasser als demjenigen, „von dessen Liebe wir berauscht waren wie ein von Gott trunkener Sufi …“36 Das ist alles andere als blasphemisch, und genau das ist der Punkt. Die Liebe pulsierte in immer höherer Kilowattzahl durch den Äther. Alle unabhängigen arabischsprachigen Länder erhöhten ihre Sendeleistung. Auch Möchtegernführer erkannten die überragende Bedeutung des Rundfunks. Jeder Putsch, wie 1958 der Sturz der Monarchie im Irak,37 begann von nun an mit dem Appell: „Besetzt das Rundfunkgebäude!“ In Gesellschaften, wo Fakten einer menschlichen oder göttlichen Autorität untergeordnet werden, ist die Kontrolle über die rhetorische Wahrheit viel wichtiger als die über den Palast. Für Berufsputschisten avancierte schließlich das Satellitenfernsehen zur Waffe der Wahl. Doch auch Nassers Ära besaß bereits einen audio-visuellen Aspekt, denn das arabische – zu dem Zeitpunkt eigentlich rein ägyptische – Kino gelangte zur Blüte. Neben dem panarabischen Einheitsgedanken streuten die ägyptischen Kinofilme Bilder einer ungeahnten Vielfalt: Plötzlich sahen Araber andere Seiten ihrer selbst – nicht nur anständig gekleidete Fellachen vor bukolischer Kulisse, sondern auch Frauen mit Dauerwelle und Cocktailkleidchen in gemütlich eingerichteten Kairoer Wohnzimmern. Außerdem hörten sie zum ersten Mal en masse, wie fremdartig ihre ägyptischen Vettern in Wirklich-
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keit redeten. Bedenkt man, dass der Ausdruck für „Nein“ im Dialekt von Sanaa, den ich spreche, māschī gesprochen wird, und dass māschi im Kairoer Dialekt „Ja, okay“ bedeutet, wird klar, wie hoch das Potenzial für Missverständnisse ist.
Araber werden Nasser verstand es, die heikle Diglossie im Arabischen für seine Zwecke zu nutzen. Zum Anfang und Schluss seiner Reden wandte er sich auf Hocharabisch an die Ägypter, wechselte dazwischen jedoch in den Dialekt.38 Diese sprachlichen Gangwechsel hoben „den lokalen [ägyptischen] Nationalismus gegenüber dem Panarabismus“39 hervor. In seinen Ansprachen an die gesamtarabische Welt verwendete er hingegen allein die Hochsprache.40 Ein Thema, das sich durch fast alle Reden zog, handelte von der Bedrohung durch den Imperialismus und dem vorrangigen Ziel, Einigkeit herzustellen, um sich zur Wehr zu setzen. Ganze 2500 Jahre nach Assyrern und Babyloniern lauerten nun andere Imperien wie Löwen auf ihre Beute. Der Fels der ʿurūba, des Arabertums, lag mittlerweile jedoch fest in Ägypten verankert. Meisterhaft mimte Nasser den Dompteur, wobei er – bestärkt durch die Bewegung der Blockfreien Staaten – selbst löwen hafte Züge annahm. Als neuen Block fügte er der Bewegung die panarabische Welt hinzu, mit Ägypten und sich selbst im Zentrum. Nicht jedermann teilte die Freude über den neuen, großen arabischen Monolithen, wobei sich selbst Ägypter unter die Kritiker mischten. Taha Hussein hatte zwar die Authentizität der antiken Poesie in Frage gestellt und sich für den Erhalt des vielfältigen Erbes Ägyptens eingesetzt, feierte aber stets das Hocharabische und hatte als einer der großen modernen Stilisten den Platz des Landes im Herzen der modernen arabischen Literatur bestätigt.41 In den 1940er- und 50er-Jahren tauchte hingegen eine Schar radikaler Abweichler auf wie Louis Awad, das Enfant terrible unter den ägyptischen Nationalisten. In seinem Buch Plutoland lancierte der Kopte, Cambridge-Absolvent und geborene Aufwiegler eine heftige Attacke wider die „Besatzung“ Ägyptens durch Araber und das Arabische.42 Die Haltung erinnerte an die literarischen Seitenhiebe der Schuʿūbīs, die sie zu ihren Hochzeiten gegen Araber vorgebracht hatten.43 Wie damals provozierte auch Awad mit seiner Polemik heftige Gegenreaktionen. Unter anderem wurde er als „tückischer Scharlatan, Hochstapler, Nestbeschmutzer, Marionette, Abschaum, Irrer, Widerling, verkommener, verdorbener, unnützer, missionarisch eifernder Junge …“44 an den Pranger gestellt. Einige Neo-Schuʿūbīs, wie Awads Kollege, der Kopte Salama Moussa, sprachen sich gar dafür aus, das einigende Hocharabisch ganz über Bord zu werfen. Moussa predigte, dass Ägypter im ägyptischen Dialekt schreiben sollten, nicht in der
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panarabischen Hochsprache – um dann selbst in eben diesem Hocharabisch weiterzuschreiben.45 Nach mehreren solch intellektueller Schierlingsbecher auf der einen und Hasstiraden aufseiten der Verfechter der arabischen Kultur auf der anderen Seite, setzte sich die ägyptische ʿurūba siegreich durch. Siebenhundert Jahre nach dem Fall von Bagdad und dem langen Dornröschenschlaf unter den Osmanen war Ägypten zum Zentrum arabischer Kultur emporgestiegen. Während des Arabischen Erwachens hatte das Land eine zentrale Rolle gespielt, nun baute Nasser Ägypten zur politischen Schaltstelle der arabischen Welt aus. Nassers Reden verkündeten die Losung, die Lieder der großen Diva Umm Kulthūm lieferten die Titelmelodie. Die Radiokonzerte mit ihrer grandiosen Stimme drangen häufig als Vorspann zu Nassers Reden durch den Äther. Es war beinahe so, als sänge sie nur für ihn – das Idol – und das im Namen jedes Einzelnen der Millionen Liebestrunkenen: Nein, dich vergessʼ ich nicht, hast du mich doch verführt Mit einem Mund voll süßer, zarter Lockworte Und einer Hand, die sich mir bot, wie eine Hand Die dem Ertrinkenden sich durch die Wogen reicht … Sah je die Liebe Trunkene wie uns In wieviel Phantasien haben wir uns eingerichtet.46 Zum ersten Mal seit dem 7. Jahrhundert ritten Araber auf einer Woge der Einheit. Ein rauschhaftes, aber im wahrsten Sinne des Wortes auch fantastisches Erlebnis. Trotz der hocharabischen Magie Um Kulthūms und dem panarabischen Eifer Nassers gab es auch unter Ägyptern manche, die ihr Arabertum in Zweifel zogen. Aber Abweichler hat es immer gegeben. Eine solche Skeptikerin war Leila Ahmed, die sich in einem mit „On Becoming Arab“ (Wie man Araber wird) überschriebenen Kapitel ihrer Memoiren an eine aufgebrachte Lehrerin erinnert, die sie in den 1950er-Jahren beim Lesen des Hocharabischen korrigierte: „Du bist Araberin!“, schrie sie mich schließlich an, „Araberin! Aber kannst deine eigene Sprache nicht!“ „Ich bin keine Araberin!“, entgegnete ich wutentbrannt. „Ich bin Ägypterin! Und wir sprechen nicht so!“ Dann knallte ich mein Buch zu.47
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Eine Kurzzeitehe Die Balfour-Deklaration, Mandate und Militärstützpunkte, Vasallenkönige, Günstlingshöfe und -kabinette, in Palästina die Briten, die Franzosen in Algerien, wo 1954 ein blutiger Unabhängigkeitskrieg ausbrach, in Sues 1956 Großbritannien, Frankreich und Israel unter einer Decke … Die Liste der Doppelzüngigkeit, der zerschlagenen Hoffnungen und gebrochenen Versprechen, wurde immer länger, weswegen Araber den Absichten Außenstehender misstrauischer begegneten und Ansätze aus dem Westen, die angeblich die Wogen glätten sollten, mit Skepsis betrachteten – woran sich seit nunmehr 60 Jahren nichts geändert hat. Daraus resultiert auch das fortwährende Streben nach der Schimäre der Einheit, sei es unter der Führung eines lebendigen Helden wie Nasser oder, wie jüngst wieder, der des längst verstorbenen Propheten des Islam. Aber wenigstens jagten Arabern dabei ihrem eigenen Traumbild nach und nicht den Wahnvorstellungen anderer. Gamal Abdel Nasser war nicht der Einzige, der innerhalb des Panarabismus eine Vorreiterrolle für sich beanspruchte. Zehn Jahre vor seiner Machtergreifung war in Syrien und im Irak die Baath-Bewegung entstanden. Ihre Anfänge klingen wie der Einstieg in einen Witz: „Es waren mal drei Syrer, ein Christ, ein Sunnit und ein Alawit …“ Aber diese drei – Michel Aflaq, Salah al-Din al-Bitar und Zaki al-Arsuzi – machten ernst. Baʿth bedeutet „Auferstehung“ und in der Vorstellung ihrer Gründer sollte die Bewegung eine Art apokalyptisches Arabisches Erwachen einläuten, eine säkulare Endzeit, in der sich Araber geschlossen erheben und in einen seligen Zustand der Einheit treten würden. Als Zeichen der Auserwähltheit diente der Baath-Partei, wie Nasseristen und Protonationalisten auch, in erster Linie die Sprache.48 Sie definiere einen Araber und weise zugleich den Weg: „Unsere Sprache“, so ein baathistischer Wissenschaftler im Jahr 1956, „ist wie die Flagge, unter der Soldaten marschieren.“49 Ebenso wie eine Fahne benötigten die eher kopflastigen Baathisten einen populären Flaggenträger. Nasser, der sich – mit fremden Federn aus Sues geschmückt – in Ruhm sonnte, schien perfekt geeignet. Am 12. Januar 1958 flog eine Gruppe hochrangiger Offiziere, darunter auch Baathisten, von Damaskus nach Kairo, um Syrien und Ägypten einander politisch anzunähern. Mit strahlenden Augen kehrten sie nach Hause zurück, im Gepäck ein Abkommen über eine umfassende Union mit Ägypten – natürlich mit Nasser in der Führungsrolle. Den Politikern in Damaskus wurde ein fait accompli vorgesetzt. Das seit zwölf Jahren unabhängige Syrien war fortan nicht mehr selbstständig: Es wurde Teil der Vereinigten Arabischen Republik (VAR). Und wenn das den politischen Entscheidungsträgern nicht gefiel, mussten sie sich wohl oder übel damit abfinden – im Gefängnis.50
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Erstaunlicherweise führte der reaktionäre, hochexzentrische und absolutistische Imamkönig des Jemen, Ahmed ibn Yahyā, sein Land auf der Stelle in eine Föderation mit der VAR. Diese schrullige ménage à trois nannte sich Vereinigte Arabische Staaten (VAS). Bei näherer Betrachtung erscheint der Beitritt des Jemen gar nicht mehr so abwegig. Wie schon sein Vater, Imam Yahyā, hatte Ahmed stets mit dem Gedanken geliebäugelt, die Briten aus Aden und dem angrenzenden Protektorat zu jagen, um Großjemen wiederzuvereinigen – unter seiner Regentschaft versteht sich. Zu diesem Behuf strömten nun ägyptische Berater und Waffen ins Land. Und auch die Rethorik hielt Einzug. Aus jemenitischen Radiosendern, die, zumindest in bescheidenem Maße, ebenfalls ihre Sendeleistung erhöht hatten, ertönte die Stimme Kairos: „Der arabische Riese wird den Imperialismus im Graben versenken. Die Klauen des Todes recken sich schon nach den Imperialisten.“51 Während mit VAR und VAS gleich zwei Vereinigungen um Nasser kreisten, bildeten die beiden verbliebenen haschimitischen Königreiche Jordanien und Irak ihre eigene Union.52 Für den historischen Bruchteil einer Sekunde schien es wieder einmal so, als bewege sich die arabische Welt nicht auf eine Einheit, sondern auf eine neue Dualität zu, auf ihren eigenen Kalten Krieg womöglich. Es sollte anders kommen. Im Juli 1958 zettelten Offiziere in Bagdad – ganze sechs Jahre nach der ägyptischen Revolution, aber dafür mit einer Extradosis Blut, was dem dortigen Geschmack ja seit jeher entsprochen zu haben scheint – einen Putsch an und töteten den jungen König und den Großteil der Königsfamilie. Das Blut war noch nicht getrocknet, da dachten die Baathisten unter den Offizieren schon laut darüber nach, den Irak in die VAR zu überführen.53 Der Anführer des Putsches, Abd al-Karim Qasim, befürchtete jedoch einen Hinterhalt von Syrien und Ägypten und wies die Idee brüsk zurück.54 In dieser Welt männlicher Alphatiere waren manche eben mehr Alpha, wobei alle wussten, dass einer Alpha-hoch-Zwei war: Nasser. Letzten Endes waren VAR und VAS dem Untergang geweiht. In der Theorie mochten sich Araber hinter der Standarte der Hochsprache sammeln lassen, im echten Leben marschierten Araber sowohl in sprachlicher als auch politischer Hinsicht in ungleichmäßigem Rhythmus zur Kakofonie ihrer verschiedenen Dialekte. Das klang nicht wie die schlichte Marschmusik eines John Philip Sousa („Keeping Step With The Union“), sondern eher nach der hinreißenden Komplexität eines Charles Ives. Die Missverständnisse traten in Syrien – wo Nassers Funktionäre die Baathisten an den Rand drängten, die Ländereien entsetzter Grundbesitzer verstaatlichten und die Bevölkerung mit bürokratischem Papierkram quälten (für Ägypter, die Erfinder des Papyrus, ist Schreibarbeit immer auch eine Herzensangelegenheit) – bald offen zutage. Am 28. September 1961,
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kaum vier Jahre nach ihrem ersten Besuch in Kairo, erhoben sich syrische Offiziere und setzten die Ägypter mit einem Tritt vor die Tür.55 Im Jemen kündigte Imam Ahmed, der hinsichtlich der VAS von Beginn an Hintergedanken gehegt hatte, die Verbindungen mit der VAR auf (wehmütig behielt Ägypten den Namen bis 1971 für sich bei). Um mit Nassers Sozialismus abzurechnen, griff Ahmed – vormoderner Monarch, der er war, falls so etwas in modernen Zeiten denn existiert – zur altgedienten Klinge der Verskunst: Zwischen Arm und Reich die Ungleichheit aufgelöst im Namen der „Gerechtigkeit“, Eigentum entwendet und „verstaatlicht“, welch Frevel vor Gottes heiligem Gericht.56 Die Ägypter konterten mit einem Kinofilm, der den Imam als Konkubinen hörigen Tyrannen darstellte, der sich einen an den Thron geketteten Löwen hielt.57 Nassers Traum von der Einigung war vorbei. Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. Die beiden größten Baath-Parteien in Syrien und dem Irak schlugen getrennte Wege ein und bekämpften sich am Ende sogar gegenseitig. „Rein gar nichts ist mit uns wiederauferstanden“, meinte Sami al-Dschundi, ein frühes Mitglied der „Auferstehungs“-Partei, „außer der Mamlukenzeit.“58 Unter dem Baathisten Saddam Hussein im Irak war es wohl eher die Zeit von alHadschādsch ibn Yūsuf, dem umayyadischen Schreckgespenst. Der gegenwärtige Zustand der syrischen Baath wirkt da wie ein letzter müder Kalauer, der die witzlose Anekdote von den drei Gründern und ihren hehren Absichten abschließt. Ihre Parole „Einheit, Freiheit und Sozialismus“ hätte zutreffender in „Uneinigkeit, Tyrannei und Faschismus“ geändert werden sollen.59 Dass sowohl die Einheitsappelle der Nasseristen als auch der Baathisten zu einer derartigen Spaltung geführt haben, ist mehr als ironisch: Wie Magneten ziehen die Anführer des arabischen Nationalismus die Unterstützung der breiten Masse an, um dann, wenn sie sich mit anderen Führern an einen Tisch setzen, festzustellen, dass sich gleiche Pole untereinander abstoßen. Einige Anführer mussten gar nicht erst an einen Tisch kommen, um sich abzustoßen. Im Jahr 1958 machte das (vom syrischen Geheimdienst in die Welt gesetzte) Gerücht die Runde, König Saʿūd von Saudi-Arabien, der Sohn und Nachfolger von Abd al-Azīz, habe zwei Millionen US-Dollar Kopfgeld auf Nassers Ermordung ausgesetzt.60 Ob es nun stimmte oder nicht, der Hass entlud sich auf schreckliche Weise im Jemen. Im September 1962 hatten dort, wie auch im Irak, von Nasser begeisterte Offiziere die Monarchie zu Fall gebracht. Aller guten Dinge waren drei, denn 1955 und 1961 waren republikanische Um-
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sturzversuche gegen den alten Imamkönig Ahmed fehlgeschlagen. Beim zweiten Versuch hatte er sogar die Bleiladungen dreier Revolver abbekommen und dennoch überlebt. Der Putsch von 1962, sieben Tage nach Ahmeds „natürlichem“ Tod (aber was ist für einen Herrscher „natürlicher“ als ein Attentat?), war zunächst erfolgreich. Doch als Saudi-Arabien dem nach einer Woche im Amt abgesetzten Imam Mohammed al-Badr den Rücken stärkten, eilte Nasser den Republikanern zu Hilfe und marschierte ein. Jemand hat einmal behauptet, der ägyptische Führer habe sich aufgrund einer „Verwechslung von Rhetorik und Realpolitik“ in den Konflikt gestürzt.61 Das lässt sich freilich über fast jeden Krieg sagen. Dass Konflikte rhetorische Ursachen haben, hatte der letzte umayyadische Statthalter in Chorasan lange zuvor erkannt: Ein Feuer entsteht aus Feuerstein, Aus Worten Krieges Gewalten …62 Der Krieg im Jemen wurde bald zu Ägyptens Vietnam auf, mit Napalm und allem Drum und Dran. Nasser mochte mit Worten ein glückliches Händchen haben, mit Kriegen hatte er keines.
Eine Schwalbe im Regen Soviel zur arabischen Einheit unter Nasser. Der Antiimperialismus jedoch, das zweite Element auf Nassers Agenda, erwies sich im Zeitalter der weltweiten Dekolonialisierung als vielversprechenderes Thema. Im Jahr 1956 entließen die Franzosen Tunesien und Marokko in die Unabhängigkeit. In beiden Fällen gaben sie dem Widerstand nach, der nach der Revolution von 1952 in Ägypten aufgebrandet war. Nur von Algerien, dem ersten ihrer arabischen Besitztümer, ließen sie trotz hohen Blutzolls nicht ab. Beide Seiten verübten Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, am grausamsten vergingen sich französische Siedler an ihren arabischen Nachbarn. Die Kolonialbehörden setzten Folter und Festnahmen ohne rechtliche Grundlage als Waffen ein, und – als der Konflikt seinen Höhepunkt erreichte – zusätzlich eine halbe Million Bodentruppen. Die Gräuel bewirkten, dass Araber, vielleicht zum ersten Mal, sowohl im Maghreb als auch Maschrik von einem grenzenlosen Gefühl der Solidarität, einem kollektiven Mitleiden mit ihren algerischen Landsleuten erfasst wurden. Eine Einheit im Geiste sozusagen, die Grenzen überwand und sich über die Zwiste ihrer Anführer hinwegsetzte. Bei der Herausbildung dieses Bewusstseins spielte wiederum das Radio eine entscheidende Rolle. Doch anders als in der Sueskrise war im erbittert geführten Algerienkrieg kein Eingreifen Nassers nötig: Die eigenen Helden und Heldinnen boten Inspiration genug. Den größten
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Ruhm erlangte Dschamila Bouhired, eine Frau in ihren Zwanzigern, die für den Widerstand Sprengsätze und Nachrichten schmuggelte und deren Gefangennahme und Folter 1957 sie zur säkularen Märtyrerin in der gesamten arabischen Welt machte: Dschamila, im Kugelhagel, eine Schwalbe im Regen. Ihr dunkelweinroter Körper von Stromstößen durchzuckt, Verbrennungen auf ihrer linken Brust Auf ihrer Brustwarze Auf … auf … welch Schande … … Revolutionärin aus dem Atlas Flieder und Narzisse gedenken deiner Zitronenblüten halten die Erinnerung wach Wie klein doch die Jeanne dʼArc Frankreichs Neben der Jeanne dʼArc meines Landes!63 Frankreich hatte versucht, sich Algerien einzuverleiben. Mit der Stilisierung Djamila Bouhireds zu Johanna von Orléans verleibte sich die arabische Dichtung das ureigene Nationalepos der Kolonisatoren ein. Die Jungfrau von Algier wurde zur Guillotine verurteilt, der Richterspruch im Nachhinein in lebenslängliche Haft umgewandelt. Nachdem die Franzosen 1962 Algerien verlassen hatten – zermürbt vom Krieg und dem öffentlichen Druck im Heimatland –, heiratete Dschamila ihren französischen Anwalt und Verteidiger.64 Das ist wahre Unabhängigkeit. Unterdessen stellte sich am anderen Ende der arabischen Welt die erste arabische Besitzung Großbritanniens, die wie Algier in den 1830er-Jahren eingenommen worden war (das 1662 als Mitgift Katharina von Braganzas in die Ehe mit Karl II. eingebrachte – und 1684 wieder abgetretene – Tanger einmal ausgenommen), zugleich als die letzte heraus: 1967 zogen die Briten aus Aden ab, herausgebombt vom lokalen Widerstand, herausgespart von den heimischen Rüstungskürzungen durch Premierminister Harold Wilson. Sie hinterließen einen Royal Flush an Vasallen und stahlen sich, wie Oberbefehlshaber Brigadegeneral James Lunt es ausdrückte, „wie Diebe in der Nacht“ davon.65 Auf der Halbinsel neigte sich der britische Einfluss dem Ende zu. 1966 hatte die verknöcherte Hand des Empires bei der Inthronisierung Scheich Zayids zum Herrscher von Abu Dhabi noch einmal die Finger im Spiel. Im Jahr 1970 half sie Sultan Qābūs im Oman auf den Thron. Dass fremde Imperien Könige krönten,
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war auch nach 1000 Jahren noch gang und gäbe. Für die jeweiligen Staaten – das Sultanat Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate, bestehend aus Abu Dhabi und seinen sechs kleineren Nachbarn – war damit keinerlei Bestandsschutz verbunden: Im Laufe der Geschichte ist der Oman ungefähr so einig gewesen wie der benachbarte Jemen. Und in Abu Dhabi sind von Zayids 15 Vorgängern acht ermordet und fünf abgesetzt worden.66 Zur Stabilisierung beigetragen haben hingegen die geringe Bevölkerungszahl und die Erdöldevisen. Derweil kündigte sich eine weitaus unheilvollere Nachwehe des Kolonialismus an. Dass der Sündenfall von Balfour und Sykes-Picot, aus Sicht vieler internationaler Beobachter, durch das Opfer der Juden im Holocaust reichlich gesühnt worden sei, erschloss sich Arabern nicht. In ihrer Wahrnehmung kamen einfach Fremde und ließen sich auf Land nieder, auf dem sie selbst seit Menschengedenken lebten. Gleichzeitig beförderte auch das Eindringen der Zionisten eine neue arabische Solidarität. 1948 hatten Araber wegen dem „falschen und verkommenen Etwas“, das sie in sich trugen, den Krieg mit den Zionisten verloren. Doch womöglich würde sich der Staat Israel ja wie das Sandkorn in einer Muschel als unerwartete Wohltat erweisen.
Die Katastrophe Im Juni 1967, während ein Drittel seiner Streitkräfte noch im Jemen stationiert war, sah sich Nasser plötzlich einem feindlichen Nachbarn gegenüber. Mit sow jetischen Panzern und Jagdflugzeugen (Kavallerie und Kamellerie des Kalten Krieges) hatte der ägyptische Präsident seine Schlagkraft erhöht, erst vor kurzem waren Verteidigungsabkommen mit Syrien und Jordanien unterzeichnet worden. Alle sannen sie auf Rache für die Niederlage von 1948 und es sah danach aus, als steuerten Araber auf eine neue Einheit, neue Größe zu. Doch auch die Israelis ließen militärisch ihre Muskeln spielen, insbesondere durch ihre Luftstreitkräfte.67 Am 5. Juni schlugen sie als Erste zu und zerstörten die ägyptische Luftwaffe noch am Boden. Innerhalb weniger Tage nahmen sie nicht nur die gesamte ägyptische Sinaihalbinsel bis zum Sueskanal, sondern auch den Dschaulān, die Golanhöhen in Südsyrien, ein, sondern auch – was sich als weitaus verhängnisvoller erwies – die verbliebenen arabischen Gebiete Palästinas: den Gazastreifen und das von Jordanien gehaltene Ostjerusalem mit dem Westjordanland. Nasser war, katastrophaler noch als bei dem schleichenden Debakel im Jemenkrieg, seinen eigenen Träumen, seiner eigenen Rhetorik zum Opfer gefallen. Die Lektion daraus: Rhetorik verhält sich zur Wahrheit wie ein Traum zur Realität. Das Unheil gab Anlass für zahlreiche Klagelieder, aber auch das seltene Pflänzchen namens Aufrichtigkeit traute sich hervor. Ein Verlust dieser Grö-
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ßenordnung, da half auch keine Alchemie, war eine vollständige Niederlage. Poesie wurde zur Beichte. Die Einsicht griff um sich, dass Worte zwar Kriege lostreten konnten, im tatsächlichen Kampfgeschehen modernen Waffentechnologien jedoch unterlegen waren. 1798 waren die Ägypter Napoleon mit Worten und Stöcken als rhetorischem Zierrat entgegengetreten.68 Im Jahr 1967 sah es nicht anders aus: Wenn wir den Krieg verlieren, kein Wunder, denn wir ziehen in den Krieg Mit dem Redetalent eines Orientalen, Mit den Balladen Antars, die keiner Fliege jemals Leid antaten …69 Wenn Verse über antike Krieger wie Antar keiner Fliege etwas zuleide tun konnten, was sollten sie gegen israelische Kampfjets ausrichten? Nizār Qabbānī führt in dieser äußerst bitteren Ode „Randbemerkung im Notizheft der Naksa“ – der „Tragödie“, die Katastrophe Nummer Zwei – aus, wie das vermeintlich talentierte Gerede, die Rhetorik, die eigentliche Sprache der Menschen, den Ausdruck ihrer tatsächlichen Gedanken, Hoffnungen und Ängste, übertönt hat: Oh mein Gebieter … Oh Sultan, mein Gebieter Ihr habt den Krieg zweimal verloren Weil die Hälfte unseres Volk keine Stimme hat …70 Wie so oft war das Einen der Stimme mit dem Verstummen der Masse einhergegangen. Dabei waren sich Araber im Klaren darüber gewesen, wie Edward Atiyah mehr als zwölf Jahre vor dem Krieg von 1967 geschrieben hatte, dass die Schlagkraft der unwillkommenen Gestalt in ihrer Mitte möglicherweise groß genug ist, dass die Israelis (falls die arabischen Staaten außer Stande wären, sich adäquat zu verteidigen) sich ein weiteres Stück der arabischen Gebiete – in Jordanien oder Gaza – ungeschoren unter den Nagel reißen.71 Derart nüchterne Prophezeiungen waren in der Kriegseuphorie des Augenblicks, der Zeit des Aufrüstens und von Nassers großspurigen Bühnenauftritten, längst in Vergessenheit geraten. Nun war der allerschlimmste Fall eingetreten, denn die Israelis hatten sich neben den beiden genannten Gebieten noch einiges mehr unter den Nagel gerissen. Eine Niederlage, die den arabischen Gang der Zeit zum Stillstand brachte. Die einzige Bewegung bestand in einer
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neuen Flüchtlingsflut, mitunter von doppelt Geflüchteten, die 1948 aus ihrer alten Heimat und nun 1967 aus ihren vorübergehenden Unterkünften vertrieben wurden. Der Urheber der ganzen Misere, der „Ritter der Träume“, verwandelte sich laut seinem Vizepräsidenten und Nachfolger Anwar al-Sadat unterdessen in „eine lebende Leiche“.72 Für seinen späteren Biografen Said Aburish war Nasser The Last Arab.73 So anmaßend der Titel auch klingt, Nassers Hinterbliebene, die mehr als 100 Millionen Araber, hatten in der Tat etwas Großes verloren: Nasser hatte ihnen das Gefühl vermittelt, ein Volk zu sein, „die Araber“. Nun geriet der bestimmte Artikel und mit ihm womöglich gar das großgeschriebene „A“ wieder in Zweifel. Ein erneutes, aber unsanftes Erwachen. Die Lieder Umm Kulthūms klangen jetzt wie der unbarmherzige Morgen nach dem Rausch: Wir merkten auf, nachdem zu Ende der erlesene Wein sich neigte, Und kamen zu uns, ich wünschte, nie wärʼn wir erwacht Erwachen, das des Schlummers Träume löschte Die Nacht – sie ist ein Freund – wandte sich ab.74 Die Nacht wandte sich ab und ihr Ritter tat es ihr gleich. Kein Traum, wie edel er auch sein mochte, konnte solch eine Vielzahl rauer Tagesanbrüche – der Zusammenbruch der VAR und der VAS, der Jemenkrieg und nun diese totale Niederlage – überstehen. Das Ideal des Panarabismus und sein großer Vorkämpfer lebten wie Untote weiter, vereinnahmt von einer neuen Generation Möchtegernidole. Als Nasser im Jahr 1970 dann tatsächlich starb, bot der junge, durch Erdöl reich gewordene Muammar al-Gaddafi, der ein Jahr zuvor den von Großbritannien eingesetzten König von Libyen entthront hatte, Ägypten für Nassers Leichnam 500 Millionen US-Dollar.75 Ein inflationärer Betrag könnte man meinen, seit König Saʿūd angeblich zwei Millionen Dollar auf Nassers Kopf ausgesetzt hatte. Doch al-Gaddafi hegte die Absicht, in Libyen einen Schrein für den größten säkularen Heiligen des Arabertums zu errichten. Der Panarabismus ging zwar den Bach hinunter, doch behauptete alGaddafi, von Nasser zum Nachfolger als „Treuhänder“ der Bewegung bestimmt worden zu sein.76 Für den Augenblick wirkte er wie ein cooler Wiedergänger Nassers, ein jugendlicher Mick Jagger im Vergleich zu dem Publikumsschwarm von einst. Mit der Zeit verwandelte sich der neue junge „Ritter der Träume“, als den er sich selbst betrachtete, jedoch in einen in die Jahre gekommenen „Ritter der Albträume“. Als wäre nichts geschehen, öffnete im Kairoer Vorort Heliopolis der Qasr al-ʿUrūba, der „Palast des Arabertums“, für Empfänge arabischer Delegationen
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seine Pforten. Dass ʿurūba kein Traumpalast war, sondern aus einer Ansammlung sich bekriegender Lager bestand, war den Dichtern – diesen unverbesserlichen Fürsprechern der Wahrheit – längst bewusst: Ihr Stämme der ʿurūba Fallet und zerstreuet euch wie trockenes Laub. Kämpfet untereinander Und befehdet Und tötet euch, Ihr Wiedergänger von Andalus, dem Bezwungenen.77 Wieder das Bild des Akkordeons, das das 15. bis zum 20. Jahrhundert einfach zusammenquetscht. Kampf und Fehde entspringen hier allerdings nicht dichterischer Freiheit: Im sogenannten Schwarzen September von 1970 floss in den Straßen von Amman tatsächlich Blut, als Jordaniens Haschimitenkönig mit seiner radikalisierten palästinensischen Gastbevölkerung einen Bürgerkrieg ausfocht.
Die Pilgerfahrt zum Erdöl Auch vom 67er-Krieg sollte es eine Neuauflage geben. Allerdings hielten Araber im Jahr 1973 eine neue Waffe in Händen, mächtiger noch als Worte und zerstörerischer als MiGs oder Mirage-Jets. Diese neue Waffe hieß Erdöl, und um sie einzusetzen, zogen Araber „ausnahmsweise“ – wie Mohammed Hasanain Haikal, der Redenschreiber des verblichenen Präsidenten Nasser, meinte – an einem Strang.78 Die Hoffnung war nicht gestorben, noch nicht. Zeitgleich starteten Ägypten und Syrien im Oktober 1973 eine Offensive gegen Israel. Die Ägypter überquerten den Sueskanal, die Syrer griffen im besetzten Golan an. Das Überraschungsmoment bescherte rasche Bodengewinne, doch die Israelis schlugen zurück und die USA und UdSSR intervenierten, um die Kampfhandlungen zu beenden. Es gab keine wirklichen Gewinner oder Verlierer, aber die arabische Ehre war wiederhergestellt, zum Teil wenigstens. Nachhaltiger als der plötzliche Überfall und dessen Abwehr waren jedoch die indirekten, aber massiven und anhaltenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Parallel zu dem Zweifrontenangriff hatten die arabischen Erdölexporteure nämlich ihre Produktion reduziert und mit einer dauerhaften Drosselung gedroht, sollte sich Israel nicht aus den 1967 unter eklatantem Bruch des Völkerrechts und der UN-Resolutionen besetzten Gebieten zurückziehen.
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Saudi-Arabien ging sogar noch weiter und setzte all seine Erdöllieferungen in die Vereinigten Staaten sowie in die Niederlande, den in ihren Augen proisraelischsten Staat in Europa, aus. Bis Ende des Jahres stiegen die Erdölpreise um mehr als 50 Prozent, von weniger als zwei US-Dollar pro Barrel im Jahr 1972 auf fast drei US-Dollar. Doch das war erst der Anfang. Allem Anschein nach war noch Luft nach oben für weitere Preiserhöhungen: Die OPEC, die Organisation erdölexportierender Länder, hatte erkannt, dass die vermögenden Abnehmer auf dem Weltmarkt sie – gelinde gesagt – über den Tisch gezogen hatten. Sie versuchte, die Situation auszureizen. Das Ergebnis war, dass im Jahr 1974 ein Barrel 10,41 US-Dollar kostete.79 In diesem Stadium ging den Verbraucherländern wirtschaftlich die Puste aus – Stromausfälle unterbrachen mich bei den Hausaufgaben sowie bei Monty Python – und die OPEC lockerte den Griff wieder. Allerdings pressten sie im Vergleich zu zwei Jahren davor das Fünffache an Devisen aus ihren Abnehmern heraus. Nicht nur auf die Weltwirtschaft, sondern auch auf die Welt„ordnung“ – nicht zuletzt in der arabischsprachigen Welt – zeitigte dies einen unumkehrbaren Effekt. Noch im Jahr 1967 hatte ein Kenner der erdölfördernden arabischen Staaten bemerkt: „Selbst diejenigen mit Geld sind kleine Fische, zu klein, um viel Einfluss auszuüben.“80 Das war jetzt anders. Die arabischen Petrokraten in Saudi-Arabien, Kuwait und anderen Orten schwammen plötzlich im Geld und aus ihrem kleinen Nebenstrom in den Mainstream. Auf einmal bevölkerten vermögende Araber das internationale Parkett. Schleier, Kopftücher und Wasserpfeifen tauchten in der Londoner Edgware Road auf. Der bärtige saudische Ölminister Ahmed Zaki Yamani hielt verschmitzt Einzug ins Fernsehen. Die Bilder der Jetset-Beduinen hatten etwas Karikatureskes: Ölscheiche, die den Bauchtänzerinnen in Kairos Pyramidenstraße Hundertdollarscheine in den Ausschnitt stopften, Petropotentaten, die ihre vollverschleierten Harems außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten in die Kaufhäuser Harrods und Saks Fifth Avenue ausführten. Araber, zumindest manche, waren im Ausland so präsent wie niemals zuvor. Doch damit änderte sich auf einmal die Wahrnehmung: Araber waren nicht mehr wie in der Kreuzfahrerzeit Gegenstand von Feindseligkeit oder in späteren Jahrhunderten von Legenden und Filmromanzen (dank David Lean und Omar Sharif), oder Urheber unliebsamer Ärgernisse (wie der Geiselnahme eines Kanals und in zunehmendem Maße von Flugzeugen). Sie traten jetzt als Menschen mit einer eigenen Geschichte und Kultur – vielleicht gar als ein Volk – in Erscheinung, wie das „World of Islam“Festival 1976 in London demonstrierte. Nasser ist nicht Der letzte Araber gewesen. Araber waren zurück auf der Bühne der Welt, mit einer viel tragenderen Rolle als in den mehr als 1000 vorangegangenen Jahren.
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Über Nacht wurden aus den ölschwangeren Landschaften Arabiens Baustellen. Fördertürme, Paläste, Regierungsgebäude, Schulen, Wohnungen schossen wie Pilze aus dem Boden. Ausländer zog es nach „Saudi“ – was sie in Unkenntnis des pharyngalen Rachenlauts wie einen Reim auf „Howdy!“ aussprachen –, um ihre Hypotheken abzustottern. Aber das Erdöl versetzte auch die arabische Welt in Bewegung und brachte wechselseitige Annäherung. Als kehrte die Diaspora des 7. Jahrhunderts nun zurück, schwärmten aus den bevölkerungsreichen Ländern mit besseren Schulsystemen und Ausbildungsmöglichkeiten Facharbeiter, Angestellte, Lehrer und andere Arbeitskräfte auf die erdölreiche Halbinsel. Das alles wühlte die arabische Identität neu auf. Sieht man vom sakralen Rahmen der Pilgerfahrt nach Mekka einmal ab, lernten Araber nun zum ersten Mal seit der frühen Trennung ihre fernen Cousins und Vettern leibhaftig kennen. Die Erdölmigration war folglich eine Art säkularer hadsch, bei dem die Ölquellen von Dhahran die heilige Quelle von Zamzam ersetzten und es nur darum ging, Reichtümer in dieser Welt anzuhäufen.81 Die Pilgerfahrt zum Erdöl nahm gigantische Ausmaße an: Die Volkszählung von 1975 ergab, dass sich 1,23 Millionen Nordjemeniten im Ausland aufhielten, fast ausschließlich in den benachbarten Erdölstaaten, hauptsächlich in SaudiArabien. Das waren 19 Prozent der Gesamtbevölkerung oder, da allein die Männer zum Arbeiten ins Ausland zogen, annähernd die Hälfte der männlichen Bevölkerung.82 Die hehre arabische Solidarität nahm also unter Männern im Feld Form an, dem Ölfeld, nicht dem Schlachtfeld. Ganze Familien blieben über viele Jahre ohne Väter, dafür schickten die Migranten Geld und kehrten schließlich mit funkelnden, protzigen Uhren und dem der heiligen Pilgerfahrt entlehnten Ehrentitel „Hādsch“ heim. In Erinnerung an seinen Vater, der vor der Zeit des Erdöls nach Argentinien ausgewandert war, um dann nach Syrien in seinen alten Beruf als Ziegenhaarzeltmacher zurückzukehren, sagte der Bildhauer und Schriftsteller Asim al-Bascha: Meinem Vater verschlug es angesichts der „Vermögen“, die Bauarbeiter in Saudi-Arabien und den Golfstaaten in nur wenigen Jahren verdienen konnten, den Atem. Er verglich den Lohn ihrer Anstrengungen mit dem, was er sich in den 28 Jahren, die er am Ende der Welt verbrachte, erarbeitet hatte.83 Zu einem gewissen Grad halfen die Devisen, die ökonomische Ungleichheit sowohl innerhalb der arabischen Welt als auch – in Form von Rücküberweisungen in die Dörfer – zwischen Stadt und Land, Regierungen und Regierten zu lindern. Die arabische Welt war „bis Ende der 1970er-Jahre in sozioökonomischer
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Hinsicht enger miteinander verbunden, als sie es je in ihrer modernen Geschichte gewesen war“84, um genau zu sein, sogar seit der frühen Abbasidenzeit vor mehr als 1100 Jahren. Gleichzeitig bestätigte sich, was schon die ägyptischen Kinofilme offenbart hatten: Je näher Araber einander kamen, desto mehr wurden ihnen ihre Unterschiede bewusst. Außerdem empfanden viele den plötzlichen Reichtum nicht gerade als der Gleichheit und Vetternliebe zuträglich. Die Pilgerfahrt nach Mekka wahrt mit ihrer Uniform aus ungenähtem weißen Stoff im Gandhi-Stil zumindest einen Schein von Gleichheit. Die Erdölpilger glichen hingegen den alten tribalen maulās oder halīfen der affiliierten Neumitglieder oder Verbündeten eines Stammes. Das heißt, dass sie sich im Einsatzland einem kafīl andienen mussten, entweder einer Einzelperson oder einer Firma, die als „Bürge“ oder „Vormund“ fungierte. Da es sich hierbei jedoch um eine zeitlich begrenzte Abmachung handelte, gingen weniger Rechte als für die alten Stammesaffiliierten und -verbündeten damit einher. Das schmerzte, vor allem, weil viele der Migranten aus in ihrer Sicht zivilisierteren Gesellschaften kamen. Ein Syrer meinte über die Arbeit auf dem Bau am Golf: „Warum sollten wir da hinziehen und Kachel für Kachel legen, bloß damit dann Kamele darauf herumstehen?“85 Auch sein Landsmann, der Dichter Nizār Qabbānī, war im Hinblick auf die nivellierenden Auswirkungen des Erdöls pessimistisch gestimmt: Die arabische Welt hortet ihr Öl In ihren Klöten … und dein Herr ist der gütige Segensreiche! Während die Menschen, egal ob Vor Petrolus oder Nach Petroli, Gleichwohl ausgetrocknet sind, von ihren Herren ausgeblutetes Vieh.86 Manchmal schäumte die Wut über: Hielte ich in meiner Hand eine Peitsche Ich würde diesen Wüstenzaren die Kleidung der Zivilisation vom Leibe reißen … Ich würde ihre Markenlederschuhe im Staub zermahlen Und ihre Golduhren … Und ihnen die Milch ihrer Kamele zurückgeben …87 Das klingt herablassend – de haut en bas. Oder genauer gesagt, da es sich um eine Fortsetzung des hitzigen Dialoges zwischen zivilisierten Völkern und unzivilisierten Stämmen handelt, de hadar en badw.
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Die dunkle Perle Der Krieg von 1973 erfüllte viele Araber für kurze Zeit mit Stolz und machte einige auf lange Sicht steinreich. Was folgte, war dennoch eine Kapitulation. Der Krieg war real gewesen und kein bloßer rethorischer Schlagabtausch. Ein paar Hitzköpfe mochten nach 1967 und dem Ableben des Panarabismus noch darüber schwadroniert haben, die Zionisten ins Meer zu treiben, doch Anwar al-Sadat war bescheidener in seiner strategischen Ausrichtung: Sadat hatte den Krieg von 1973 nicht geführt, um einen militärischen Sieg zu erringen; er wollte den Supermächten einen Schock versetzen, damit sie die Führungsrolle bei der Lösung der israelisch-arabischen Probleme übernahmen.88 Das Problem war nur, dass sein Fingerzeig unbeachtet blieb. Also begab sich alSadat 1977 auf eigene Faust zu direkten Gesprächen nach Jerusalem. Der Besuch, ein Tanz aus der Reihe, jenseits der Regeln, zeitigte schockierendere Effekte als der Krieg selbst – denn auch wenn sie sich hinter der Fassade auf Hauen und Stechen bekämpften, so versuchten die Araber doch angesichts des Zionismus, den Anschein der Einigkeit aufrechtzuerhalten. Aber Ägypten ging ja seit jeher eigene unerklärliche Wege. Im Gegensatz zum Sonnengott Nasser, der alles überstrahlte und dann unterging, entsprang al-Sadat der Schattenwelt Ägyptens: Er war wie ein Sphinx, ein Rätsel. Auf den Jerusalembesuch folgte im Jahr darauf der von den Amerikanern ausgerichtete Gipfel von Camp David, bei dem Ägypten von Israel den Sinai zurückerhielt. Die zentrale Frage über die Zukunft des besetzten Westjordanlandes und des Gazastreifens überging man fatalerweise. Vage stellten die Israelis eine Selbstverwaltung der Gebiete in Aussicht, ohne sich jedoch auf Einzelheiten festzulegen.89 Die Amerikaner bekamen ihren Handschlag vor den Kameras und wuschen wie einst der römische Sonderbeauftragte in Palästina, Pontius Pilatus, ihre Hände in Unschuld. Al-Sadats „kalter Friede“ mit Israel jagte der arabischen Welt Schauder des Abscheus über den Rücken. An der Zukunft verzweifelnd schrieb Nizār Qabbānī: Sie haben uns die Pille verabreicht Die unsere Geschichte am Kinderkriegen hindert …90 Die anderen arabischen Staaten zeigten Ägypten die kalte Schulter. Sogar die Arabische Liga erwachte aus ihrer Lethargie und verlegte ihren Sitz von Kairo
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nach Tunis. Die Gruppen, die wie die 1959 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) den bewaffneten Kampf im Namen der Palästinenser fortsetzten, gewannen in ihrer Heimat an Popularität und im Ausland an Anerkennung. Die Ägypter schmorten dagegen im Saft ihres Verrates. Die Ermordung al-Sadats im Jahr 1981 durch wiedererstarkte islamische Militante – ein weiterer Schauder, der die arabische Welt befiel – wirkte da wie eine Art Strafe für die Sünden Ägyptens. Die Zeit heilte die Wunden auf ihre Weise. Fast genauso schlimm wie mit Camp David, wenn nicht schlimmer, kam es 1993 mit den Oslo-Abkommen zwischen Palästinensern und Israel, in denen Israel sich endlich dazu herabließ, den besetzten Gebieten „Autonomie“ zuzugestehen. Wie vereinbart zogen die Israelis ab und übergaben den Palästinensern eingeschränkte Entscheidungsbefugnisse. Weiter ausgeklammert wurden jedoch die lebenswichtigen Fragen: die Zukunft der israelischen Siedlungen im Westjordanland, der Grenzverlauf, die Rückkehr von Flüchtlingen, der Status von Jerusalem. Die Siedlungsfrage war von allen Fragen die umstrittenste. „In den Abkommen von Oslo“, so Raja Shehadeh, der sich als palästinensischer Anwalt mit Landstreitigkeiten bestens auskennt, erklärte sich die PLO, mittlerweile als Repräsentant des palästinensischen Volkes, damit einverstanden, eine als „Zone C“ bezeichnete Fläche von der Größe eines Drittels des Westjordanlandes aus der Zuständigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde auszuklammern … Die israelische Regierung präsentierte das so, als hätte die PLO stillschweigend anerkannt, dass das Land – von dem Israel bereits weite Teile bei derselben Behörde registriert hatte, bei der auch staatlicher, israelischer Grundbesitz eingetragen ist – bei Israel bleiben werde. Das gab der Siedlungspolitik großen Auftrieb.91 Die Oslo-Abkommen bildeten demnach „die schlimmste Kapitulationserklärung unserer Geschichte“.92 In diesem einen Punkt lagen moderate Palästinenser und radikale Israelis auf einer Wellenlänge. Für Jigal Amir, Israeli mit jemenitischem Hintergrund, stellte jedes noch so kleine Autonomiezugeständnis von Ministerpräsident Yitzhak Rabin an die Palästinenser Hochverrat dar. Amir erschoss Rabin 1995. Ein Lichtblitz im langgezogenen Spiegelkabinett der Geschichte, in dem das Opfer Sadats wieder aufschien. Abkommen und Vereinbarungen setzen stets Zugeständnisse von beiden Seiten voraus. Dass die Palästinenser die größeren Kompromisse machten, wurde erst mit der Zeit deutlich. Heute, mehr als 20 Jahre nach Oslo und 40 Jahre nach Camp David, sind aus den besetzten Gebieten belagerte Gebiete
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geworden. Der Gazastreifen steht nach Singapur und Hongkong an dritter Stelle der am dichtesten bevölkerten Landstriche auf der Erde. Der Zugang wird strikt von außen geregelt und für die meisten Einwohner – oder Insassen – gibt es keinen Ausweg, außer eben Tunnel zu graben. Das Westjordanland, wo es nicht durch die israelische Trennmauer entstellt und zerstückelt wird, ist von israelischen Siedlungen wie von einem sich immer weiter ausbreitenden Ausschlag übersät. Wie bei einem Gelähmten, der Schmerzen leidet, aber nichts dagegen tun kann, gleicht die Autonomie der palästinensischen Behörden einem Kopf, der möglicherweise noch selbstständig denkt, dessen Rumpf aber Amputationen und Qualen ausgesetzt ist. Dieser Schmerz strahlt von Palästina in die arabische Welt aus. Für arabische Diktatoren ist Israel ein Geschenk, solange das Land ein aggressiver, provokanter Nachbar bleibt. Das „zionistische Gebilde“, das störende Sandkorn, ist in der Muschel zu einer wertvollen schwarzen Perle herangewachsen, ein unnahbarerer Widersacher, dessen Existenz zum Gegenstand endloser Sonntagsreden und gelegentlicher symbolischer Akte geworden ist. Zum Beispiel erntete Saddam Hussein von vielen Arabern Bewunderung, als er Anfang 1991 Scud-Raketen auf Israel abfeuerte. Saddams bombastisches Trommelfeuer richtete materiellen Schaden an und tötete unmittelbar zwei Israelis (weitere starben an Herzattacken und Ähnlichem).93 Den Tod von zehntausenden niedergemetzelten Irakern sah ihm der kleine Mann im Suk, sofern er überhaupt davon Wind bekam, hingegen nach. In Syrien gefielen sich die Assads, Vater und Sohn, darin, Israel – das ja das angestammte Gebiet der Ghassaniden, den Golan, besetzt hält – mit kämpferischen Worten herauszufordern, schweres Gerät fuhren sie hingegen, wie wir noch sehen werden, gegen ihre Gegner im Innern auf: Massenvernichtung unter dem Schleier der Massenablenkung. Im Jemen hat der Kopf des Revolutionsrates der Rebellen angekündigt, den Lehrplan in den Schulen zu überarbeiten, „weil er von Amerika und Israel diktiert wurde“,94 was die ehemaligen Bildungsminister des Jemen zweifellos überrascht haben dürfte. Und damit nicht genug: Kurz darauf verkündete der nun von den Rebellen ernannte Bildungsminister gar, der Lehrplan sei vom sogenannten Islamischen Staat geplant worden. All das trägt zu einer seltsamen, dunklen Symbiose bei: Die anhaltende, aggressive Präsenz Israels, das gegen internationales Recht verstoßende Vorgehen gegen die Menschen in den besetzten Gebieten, trägt ausgerechnet zur Langlebigkeit des Tyrannosaurus rex arabicus bei – der ebenso aggressiv und ungerecht gegen seine eigenen Landsleute vorgeht. „Tod Amerika! Tod Israel!“, skandieren kleine Kinder auf dem Platz unterhalb meines Hauses. Wissen die Leute, die ihnen diese Parole beibringen, dass sie
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selbst die nächsten wären, sollten diese beiden Feindbilder je das Zeitliche segnen? Dabei werden Araber wahre Freiheit erst erlangen, wenn ihre eigenen Saurier ausgestorben sind. Und darin liegt die eigentliche Ironie: Nur dann werden sie in der Lage sein, gegen die israelische Ungerechtigkeit aus einer Position echter – moralischer, nicht militärischer – Stärke vorzugehen, wobei jeder Schritt in Richtung Freiheit von den Diktatoren wiederum als israelisches Komplott gebrandmarkt werden wird.95 Catch 22 lässt grüßen. So haben die reaktionären Kräfte den „Arabischen Frühling“, wie wir noch sehen werden, erfolgreich zum „Zionistisch-Arabischen Frühling“ umgedeutet. Es ist ein Kreuz mit all dem, aber eben auch Teil eines großen Kontinuums: Seit der Zeit Assyriens und Babyloniens prägen fremde Imperien die arabische Identität und Geschichte. Das israelische Minireich, die dunkle Perle, der sich in der Landkarte windende Dolch, prägte sie hingegen von innen heraus. Ganz so wie das schwarze und flüssige Gold, das in rauen Mengen unter der arabischen „Insel“ liegt – der unfruchtbaren, von nördlichem und südlichem Fruchtbaren Halbmond umklammerten Ödnis. Das Verhältnis der zwischen Arabia Deserta und Arabia Felix seit der Antike ungleich verteilten Segnungen hat sich umgekehrt, die Gier neue Höhen erreicht, neue Herrschaftsformen haben sich herausgebildet – insbesondere seit dem Boom von 1973, in dessen Folge Stammesscheichs zu Monarchen, so absolutistisch wie eh und je in der Menschheitsgeschichte, wurden. In den frühen 1980er-Jahren, etwa zehn Jahre nach dem Tod Nassers und des Panarabismus, schien die arabische Welt fest im Griff unterschiedlichster Diktatoren und Monarchen. Natürlich gab es Ausnahmen: Der zerstückelte Libanon implodierte und im Südjemen wurde die islamische Rechtsprechung zugunsten marxistischer Dialektik und eines in stalinistische/maoistische Gruppierungen zersplitterten Tribalismus über Bord geworfen. Die Region wirkte, wie so oft, in einem kreuz und quer gespannten Fadenspiel verheddert, bei dem sich die Machthaber, wie es in der Natur des Spiels liegt, niemals die Hände reichten. Bis dann, wie aus dem Nichts, die Einheit wieder auf den Plan trat, spalterischer als jemals zuvor.
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Kapitel 15 Zeit der Ernüchterung: Autokraten, Islamokraten, Anarcharchen Guernica-am-Orontes Vor ungefähr 20 Jahren stattete ich der syrischen Stadt Hama einen Besuch ab. Verwunschene Obsthaine prägen das Stadtbild, das kreischende Krächzen riesiger Holzmühlräder liegt über dem sonst verschlafenen Ort. Sie schöpfen Wasser aus der Talsenke des Orontes. Ich befand mich auf der Suche nach dem altehrwürdigen Bait al-Kailānī, ein direkt am Flusslauf gelegenes Haus, das mir auf einer alten Fotografie aufgefallen war. Mit seinem gigantischen Wasserrad wirkte es halb wie ein Palazzo, halb wie ein Raddampfer. Doch es war verschwunden: An der Stelle befand sich ein mit riesigen Plastikfliegenpilzen übersäter öffentlicher Park. Immerhin stieß ich in der Großen Moschee auf etwas Interessantes. In dem Gebetsraum fiel mir eine alte Inschrift ins Auge – unerklärlicherweise die ersten Worte aus der Odyssee: Α Ν Δ ΡΑ Μ Ο Ι Ε Ν Ν Ε Π Ε …
Erzähle mir von dem Mann …
Es folgte weder Homer noch Odysseus, sondern ein Mann namens Elias.1 Mehr konnte ich mit meinen eingerosteten Griechischkenntnissen nicht in Erfahrung bringen. Griechisch in einer Moschee, und Homer, der nicht Homer war? Eine doppelte Dislokation. Plötzlich erschien mir auch alles andere hier fehl am Platze. Mir war bewusst, dass die Umayyaden vor 1300 Jahren den Grundstein für die Große Moschee der Stadt gelegt hatten, aber von der Patina eines antiken Bauwerks war nichts zu spüren, es schien, als wäre das Gebäude erst gestern fertiggestellt worden. Schrille Details stachen mir ins Auge, darunter eine Aluminiumtür, auf deren Klinke „PUSH“ stand. Sie führte in die Grabkammer eines lokalen Herrschers aus dem 13. Jahrhundert, eines Verwandten Saladins. Aber auch diese Krypta wirkte wie eilig neu errichtet. Das ursprüngliche Ehrengrabmal des Fürsten fehlte und war durch ein schäbiges, pappkartonähnliches Ding ersetzt worden. „Ich hätte nicht gedacht, dass hier so viel … wiederhergerichtet worden ist“, sagte ich zu den Moscheebesuchern, die mich herumführten. Sie erwiderten nichts. Fünfzehn Jahre vor meinem Besuch in Hama waren weite Teile der Großen Moschee, das gesamte Bait al-Kailānī und vieles mehr durch Bombardements
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aus der Luft und Beschuss durch Panzer und Artillerie zerstört worden: Hama im Februar 1982 war ein arabisches Guernica, ein Beispiel modernen automatisierten Gemetzels. Der Angriff galt den Parteigängern eines aufkeimenden militanten Islam, die Muslimbruderschaft hatte die Stadt vier Tage zuvor eingenommen. Unter den Getöteten befanden sich natürlich auch deren Familien, Nachbarn und alle anderen, die zufällig im Weg standen. Für die Zerstörung verantwortlich zeichnete Hafiz al-Assad, Vertreter einer neuen – in mehrerlei Hinsicht altbekannten – Autokratenbrut. Er hatte die Macht in Syrien 1970 an sich gerissen und den lauter werdenden Forderungen islamischer Hardliner nie nachgegeben. Der Angriff auf Hama kostete zwischen 8000 und 25 000 Menschenleben2 – also mindestens fünfmal mehr als Guernica und wahrscheinlich mehr Menschenleben als der deutsche „Blitz“ auf London, niemand weiß es so genau. Geschichte, selbst wenn sie sich vor unseren Augen abspielt, beruht häufig auf solch ungenauen Variablen. Außerhalb Syriens erinnert sich kaum jemand an Hama: Kein Picasso verewigte die syrischen Opfer, kein Churchill nahm sich der Überlebenden an. Eine Mauer des Schweigens durchzieht das Land, in Hama erinnern bloß die Baulücken und eilig wiedererrichteten Altertümer daran. Es ist schön und gut, klar Schiff zu machen (beziehungsweise den Laden sauber zu halten: Das omnipräsente Foto von Hafiz al-Assad erweckt weniger den Eindruck eines tyrannischen Staatslenkers als vielmehr den eines freundlichen Gemüsehändlers an der Ecke). Aber offensichtlich stimmt etwas nicht, wenn man sich genötigt fühlt, 8000 oder mehr der eigenen Landsleute auf einen Streich umzubringen. Seit Hadschādsch ibn Yūsuf, der zu der Zeit, als die Große Moschee in Hama zum ersten Mal erbaut wurde, seine Widersacher im Irak massakrierte, hatte es – von der Pest und den Mongolen einmal abgesehen – keine Vernichtung von Menschenleben in dieser Größenordnung gegeben. Auf kurze Sicht mag es der Einheit zuträglich sein, Gegner durch Terror zum Schweigen zu bringen. Aber auf lange Sicht macht es alles nur schlimmer – wie der von Hafiz al-Assads Sohn losgetretene Krieg in Syrien unter Beweis stellt, bei dem die Zahl der Toten gegenwärtig bei etwa einer halben Million liegt.
Nach Orpheus Auf die Zeit vor al-Assad Seniors Machtergreifung zurückblickend schrieb der palästinensische Autor Samir Kassir, die arabische Welt habe in den 1960erJahren „ein weitgehend optimistisches Gesamtbild [abgegeben], die Araber wirkten wie Vertreter einer sich weiterentwickelnden Welt“.3 Noch befanden sich Araber in der mit ihrem Erwachen aufgekommenen Aufbruchsstimmung. Solange man selbst kein altmodischer Tyrann, Chauvinist oder mittelloser
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P alästinenser war, erschienen die mittleren Dekaden des 20. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht wie eine Zeit der Hoffnung. „In den Zwischenkriegsjahren“, führt Eugene Rogan aus, „erreichte Ägypten den höchsten Grad eines Mehrparteiensystems in der modernen Geschichte der arabischen Welt.“4 Frauen erhielten in Syrien, wie Kassir anmerkt, das Wahlrecht früher als die Frauen in Frankreich.5 Mitte der 1950er zeichnete sich für den Irak eine ungemein vielversprechende Zukunft als „eine Art orientalisches Kanada“6 ab.7 Kuwait zeigte sich allem Anschein nach für eine liberale Demokratie bereit. Nasser hatte trotz all seiner Fehler Hoffnung ausgestrahlt. Zugegebenermaßen hat der Optimismus durch die Tragödie – den Sechstagekrieg von 1967 mit Israel – schweren Schaden genommen, die Explosion der Erdölpreise und die Arbeitsmigration in die Ölstaaten in den 1970er-Jahre verliehen Arabern jedoch neuen Schwung und frische Hoffnung. Selbst über meine von den Bergen und der Vergangenheit gefangengehaltene Wahlheimat erschien in den frühen 1980er-Jahren ein Buch mit dem Titel Yemen Enters the Modern World.8 Überall sprachen Araber von al-taqaddum, „Fortschritt“. Als in den 1980er-Jahren im islamischen Kalender das 15. Jahrhundert anbrach, geriet die Vorwärtsbewegung ins Stocken. Es handelte sich nicht bloß um ein kurzes Zögern an einer Weggabelung, für viele vollzog sich eine komplette Kehrtwende. Gerade so, als machte sich unter Arabern das Gefühl breit, der Pfad des Fortschritts führe sie auf Abwege – in die „Welt der Moderne“ – und gleichzeitig aus ihrer eigenen arabischen Welt heraus. Vor dieser Gefahr warnte sie zumindest das neumodische Duo aus außerordentlich reaktionär gesinnten Auto- und Islamokraten. Ihr Aufstieg wurde durch den wachsenden Wohlstand der Region, die Machenschaften der Supermächte sowie vom klassischen Ferment der arabischen Geschichte befördert: den Entwicklungen der Informationstechnologie. Dabei griffen sowohl Auto- als auch Islamokraten in ungekannt kreativer und überzeugender Weise in die rhetorische Mottenkiste. Sie mochten noch so neumodisch wirken, die Macht, die sie antraten und keinesfalls aus den Händen geben wollten, war mit einer Hypothek belastet. Im Nachwort der zehnten Auflage seines über 30 Jahre lang aktuell gehaltenen Werks History of the Arabs schrieb Philip Hitti 1979: „Die größten Aufgaben der gegenwärtigen Generation bleiben der Neuaufbau der arabischen Gesellschaft auf demokratischer Basis sowie Islam und Moderne in Einklang zu bringen.“9 Über mehrere Neuauflagen seines Werks hinweg sind das die größten He rausforderungen gewesen. Eigentlich hatte sich seit Anbruch des Erwachens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits ein halbes Dutzend Generationen arabischer Denker an Reformen versucht. Dieser Prozess war auch im Jahr 1980 noch weit entfernt von seinem Abschluss. In den letzten 40 Jahren haben Auto-
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und Islamokraten jedoch jeden Schritt in Richtung gesellschaftlichen Neuaufbaus und religiöser Aussöhnung blockiert. Erwartungsgemäß ist der Machtverlust das Letzte, was sie wollen. Es überrascht, dass Araber diese Kehrtwende größtenteils stumm und gehorsam mitgemacht haben. Die Einheitsvision, das schimmernde Phantom, dessen Araber zu Lebzeiten Nassers – ihrem Ritter, ihrem Orpheus, ihrem Schwarm – habhaft zu werden versuchten, schwand dahin und ist vielleicht für immer verloren.
Die Leute der Höhle Außer jenem flüchtigen Phantom verloren viele Araber mit Nasser offensichtlich auch den Faden ihres ureigenen Arabertums, die Selbstsicherheit, die er ihnen als ein Volk, als die Araber, verliehen hatte. Im Irrgarten der Moderne wartete – um auf einen weiteren subterranen Mythos anzuspielen – ein anderer Faden auf sie: „Haltet allesamt“, spricht der Koran, „am Bande Gottes [habl] fest und spaltet euch nicht auf!“10 Wie wir bereits sahen, bedeutet habl „ein Band, ein Seil“, kann aber ebenso „eine bindende Übereinkunft, einen Vertrag“ bezeichnen.11 Offensichtlich ist es derselbe Begriff, der in den ältesten Inschriften für Verträge verwendet wird, die unter der Schirmherrschaft einer Schutzgottheit geschlossen wurden und die vorislamischen Einheitsstaaten Südarabiens banden. Würde der Islam erneut den Faden zur Einheit stiften? Die Vorstellung war verlockend, die Realität komplexer. Das Band, das den islamischen Staat von Medina zusammengehalten hatte, war nach Mohammeds Tod innerhalb einer Generation gelöst worden und seither verschlissen. Mehrere Konfessionen bestanden darauf, das einzig wahre Ende des Fadens in Händen zu halten, was die Entscheidung unmöglich machte, welchem davon man nun in eine zunehmend ungewisse Zukunft folgen sollte. Alternativ stand zur Wahl, was Almohaden und Wahhabiten – beides Muwahhidūn, Unitarier – versucht hatten: umzukehren zur kurzlebigen, aber ruhmreichen Einheit des Islam in Mohammeds Medina. Dieser rückwärtsgewandte Trend nahm im ausklingenden 20. Jahrhundert derart überhand, dass das Phänomen mit spezifischen Begriffen wie „Wahhabismus“ und „Salafismus“ (das heißt, dem Beispiel der salaf, den frommen Vätern des Glaubens, zu folgen) zu sehr eingeengt wird. So wie säkulare Politik für gewöhnlich vereinfachend in links und rechts eingeteilt wird, läge eine Lösung möglicherweise darin, Religionspolitik als vorwärts- oder rückwärtsgewandt zu denken. Die rückschrittlichen Muslimbrüder aus Hama, die davon träumten, Syrien in einen islamischen Staat zu verwandeln, erscheinen manchmal wie die arabische Vorhut eines neuen politischen Islam – insbesondere vor dem säkularen Hintergrund des baathistischen Syrien und dessen junger, nationalistischer
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Vergangenheit. Der Islam ist stets politisch gewesen, seit Mohammed nach Yathrib zog und es zu Medina wurde, seiner madīna, seiner pólis. Die späteren arabischen Führer haben den Islam immer für politische Zwecke genutzt – von Abū Bakr al-Siddīq, der in den 630er-Jahren die „abtrünnigen“ (in anderen Worten oppositionellen) Stämme Arabiens besiegte, bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Abd al-Azīz Ibn Saʿūd, der mit seinen brandschatzenden, wahhabitischen Stammeskämpfern den Großteil der Halbinsel in Beschlag nahm. Oder nutzten sie die Politik für islamische Zwecke? Für Normalsterbliche ist das kaum zu unterscheiden. In seiner gegenwärtigen Erscheinungsform trägt der politische Islam, seines Zeichens ein Produkt der zeitgenössischen Globalisierung sowie des gescheiterten, säkularen Panarabismus, etwas Neuartiges, Anderes in sich. Deswegen schien er einem Beobachter wie Ali Allawi, der in den 1950er-Jahren im Irak aufwuchs, auch so fremd: „Ich entsinne mich nicht, dass mir in einem zeitgenössischen Kontext jemals das Wort dschihād untergekommen wäre.“12 Der Keim war nichtsdestotrotz schon vorhanden. Doch musste erst ein amerikanischer Romancier ins ferne Ende der arabischen Welt reisen, um das klar zu erkennen. Paul Bowles wusste, als er 1954 über eine Zelle der marokkanischen Unabhängigkeitsbewegung schrieb, die Mehrheit hinter Nasser. Einer jedoch, Benani, vertrat andere Ansichten: Sie träumten von Kairo mit seiner unabhängigen Regierung, seiner Armee, seinen Zeitungen und Kinos, während [Benanis] Träume in dieselbe Richtung gingen, nur ein wenig weiter als Kairo … nach Mekka. Sie dachten in Schlagworten wie Beschwerden, Zensur, Gesuche und Reformen; er aber … in den Begriffen von Schicksal und göttlicher Gerechtigkeit … Sie sahen Fabriken und Kraftwerke aus den Feldern wachsen; er sah den Himmel in Flammen, die Schwingen rächender Engel und totale Vernichtung.13 Im grellen Licht der Ereignisse vom September 2001 und dem Angriff auf New York ist das eine erschreckend prophetische Vision. Kurz nach Bowles sagten auch die ersten politischen Beobachter den Aufstieg eines neuen politischen Islam vorher. Im Jahr 1955 schrieb beispielsweise Edward Atiyah: „Falls westliche Demokratie und reformorientierte Militärdiktaturen scheitern, wäre die Alternative ein wiedererweckter theokratischer Islam.“14 Bis dahin schien der politische Islam das genaue Gegenteil von gegenwartsbezogen und weltgewandt zu sein – er war unzeitgemäß und provinziell. Der jüngste politische wie militärische Erfolg, die Eroberungen der saudisch-wahhabitischen Allianz, be-
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schränkte sich auf das weithin von Stämmen geprägte arabische Kernland vor der Entdeckung des Erdöls, wo sich die Gesellschaft seit dem frühen 7. Jahrhundert kaum verändert hatte. Im Gegensatz dazu präsentierte sich der neue politische Islam alles andere als provinziell: Sein Gelobtes Land sollte die ganze Welt umfassen. Ein logischer Schritt: Mohammed hatte auf der „Insel“ der Araber tauhīd, Einheit, sowohl in politischer als auch theologischer Hinsicht geschaffen. Seine unmittelbaren Nachfolger dehnten diese auf den arabischen Subkontinent aus. Die nachfolgenden Eroberungen zielten auf die restliche, bekannte Welt ab. Heutzutage, in einer mehr oder weniger globalisierten Welt, wird das Einheitsideal sogar noch weiter gefasst. Kollidiert das Ideal mit der Realität unseres trotz Vernetzung von immensen und irreversiblen Unterschieden geprägten Planeten, ist die Wut über das Scheitern groß. Drei, allesamt nach den saudischen Eroberungen und außerhalb der arabischen Arena liegende Hauptfaktoren verliehen dem politischen Islam sein Momentum. Zuallererst die niederschmetternden, aber lehrreichen politischen und militärischen Siege des Judentums von 1948 und 1967.15 Als nächstes kam im Januar 1979 die Islamische Revolution im Iran. Hier betrat ein Islam die Bildfläche, der mit seiner einigenden Kraft keine verarmten Stammesanhänger an die Macht brachte, sondern einen mit Wohlstand gesegneten Staat einnahm, dem mit den Vereinigten Staaten zudem noch einer der beiden jüngsten „Löwen“ zur Seite gestanden hatte. Der altmodische Kampf gegen den Kolonialismus war in den auf den Zweiten Weltkrieg folgenden Jahrzehnten gewonnen worden, nun stand der Kampf gegen den kulturellen wie wirtschaftlichen Imperialismus des Kalten Krieges vor dem Triumph – mit Allahs Segen (oder zumindest dem Segen Ayatollah Chomeinis in Seinem Namen) anstelle dessen von Nasser oder Che Guevara. Der dritte Faktor kam Ende desselben Jahres ins Spiel, als sich 1979 der zweite, der sowjetische Löwe auf Afghanistan stürzte. Ab 1983 schlossen sich arabische Kämpfer dem afghanischen Widerstand, diesmal mit dem Segen sowohl Allahs als auch der Vereinigten Staaten, an. Afghanische und „afghanisch-arabische“ Mudschāhidīn waren die Helden des Westens, deren finstere Vettern, die „Dschihadisten“, harrten noch ihrer Entstehung. In allen drei Fällen wirkte sich der von fremden Imperien – den USA, der UdSSR sowie dem dritten, hineinimplantierten Miniaturimperium Israel – ausgeübte Druck auf die Region und die arabische Identität aus. Eigentlich wurde letztere als muslimische Identität gänzlich neugeformt, was nicht nur auf die relativ wenigen arabischen Männer zutrifft, die es nach Afghanistan verschlug. Im Jahr 1981 führte das Middle-East-Magazin unter Arabern eine Umfrage zur arabischen Einheit durch. Dem Empfinden der Befragten nach hatte sie sich als Mythos entpuppt. Dennoch fühlten sie sich im Herzen als Araber – auch wenn
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sie das außer als „vages, aber intensives Gefühl“ nicht genauer definieren konnten. Die Ergebnisse legten offen, wie gefährdet die arabische Identität war: „Araber zu sein bedeutet heute auf persönlicher oder gar nationaler Ebene, sich in einer Krise zu befinden, die vielleicht akuter ist, als es in den vergangenen 50 Jahren jemals der Fall war.“16 Die Erhebung beruhte auf einer kleinen Stichprobe und lieferte ihrerseits vage und subjektive Schlussfolgerungen, die jedoch nahelegten, dass der arabische Faden lose vor sich hin baumelte, wenn er nicht gar schon ganz verloren gegangen war. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts spitzte sich die Krise der arabischen Identität rasant zu. In einer 2005 in sechs arabischen Ländern erhobenen Befragung zur Identität bezeichnete sich fast die Hälfte der Teilnehmenden zuerst als „Muslime“, nur ein Drittel gab an erster Stelle „Araber“ an und eine kleine Minderheit empfand sich als „Staatsangehörige eines bestimmten Landes“. Arabisch zu sein scheint aus der Mode gekommen. In späteren Umfragen definierten sich bis zu 79 Prozent der Befragten als „Muslime“ (in Ägypten) und gerade mal zehn Prozent oder weniger als „Araber“ (in Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, Marokko, Irak und Algerien).17 Nasser war also nicht Der Letzte Araber,18 doch mit seiner Bestattung war auch das Arabertum unter einer neu belebten – und in mancherlei Hinsicht neuartigen – islamischen Identität begraben worden. Wahrscheinlich tröstete es, dass einer der Löwen des Kalten Krieges 1991 selbst abgelebt war, zum Teil infolge der Erschöpfung durch sein AfghanistanAbenteuer. Seither scheint der geopolitische Kompass falsch auszuschlagen und der Pfad in Richtung „Fortschritt“ und „Moderne“ mehr denn je in die Irre zu führen. Links und rechts haben ihre Bedeutung verloren: In den ehemals sowjetischen Staaten hielten sich Führer der Kommunistischen Partei an der Macht, schwenkten aber nach „rechts“ um. Rein technisch betrachtet war China kommunistisch, wechselte aber zu einem zügellosem Kapitalismus. Zur gleichen Zeit kam die Vorwärts-Rückwärts-Achse ins Spiel: In Amerika wandte sich die religiöse „Rechte“ ihrer puritanischen Vergangenheit zu und von der Politik der „toleranten“ Nachkriegsjahrzehnte ab. In Russland tauchten Traditionalisten mit der Forderung nach der Heiligsprechung der Zarenfamilie aus der Versenkung auf. Welche Richtung würden Araber, gefangen inmitten dieses Strudels, einschlagen? Würden sie an einem Strang ziehen? Es sah ganz danach aus, dass der wiedererstarkte, rückwärtsgewandte Islam obsiegen und dort, wo der säkulare Panarabismus gescheitert war, die arabische Solidarität neu schmieden würde. Diese Solidarität, die ideologisch – das Suffix deutet es an: Islamismus statt Arabismus – nun in neuem Gewand auftrat, ist seit jeher Teil der weltweiten Einheitsmission des Islam gewesen.
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Allerdings stieß der Versuch, das arabische 7. Jahrhundert in globalem Maßstab auf das 21. Jahrhundert zu übertragen, auf zahlreiche Hindernisse. Im 7. Jahrhundert hatten Islam und Arabien noch die gleiche „Kragenweite“ besessen, war der Islam doch aus Arabien sowie aus alten arabischen Glaubensvorstellungen und Bräuchen hervorgegangen. Aber längst reichte der Islam weit über seine Ursprünge hinaus und hatte die Welt erobert. Dasselbe gilt für Araber, die – ganz ungeachtet der offensichtlichen Tatsache, dass nicht alle Araber Muslime sind – infolge der über Kontinente und Jahrhunderte reichenden Diaspora immer diverser geworden waren. In einem vorangegangenen Kapitel bin ich auf zwei Brüder aus dem 8. Jahrhundert eingegangen, die fernab voneinander als Statthalter im Sindh und in Nordafrika lebten.19 Heute herrschen andere Dimensionen: Ich könnte zwei Brüder anführen, Bekannte von mir, einer ein begnadeter Golfspieler, der andere ein al-Qaida-Sympathisant. Sie haben nicht dieselbe „Kragenweite“. Für die politischen Islamisten unserer Tage lässt sich daher konstatieren: Zwar lassen sich Schlachten und Martyrien neu inszenieren, die Sanduhr wenden, doch selbst mit Allahs Segen läuft die Zeit nicht zurück in die utopische Einheitlichkeit von Medina. Die extremeren Vertreter des Islamismus – zum Beispiel die Anhänger des „Islamische Staats“ – ähneln daher den „Leuten der Höhle“, von denen im Koran berichtet wird.20 (Es ist eine Erzählung, die der Islam mit dem Christentum teilt: Die „Sieben Schläfer von Ephesus“, wie sie in der christlichen Variante heißen, wurden wegen ihrer monotheistischen Glaubensüberzeugungen im 3. Jahrhundert unter dem römischen Kaiser Decius verfolgt. Als sie Zuflucht in einer Höhle suchten, versetzte Gott sie in eine Art Winterschlaf – in der Version des Koran über 309 Jahre, wobei es den Schläfern nur wie ein Tag vorkam –, so dass sie wohlbehalten unter dem monotheistischen Kaiser Theodosius II. wiedererwachten.21) Worauf ich hinausmöchte: Das Arabische Erwachen im 19. Jahrhundert war dem eigentlichen Wortsinn nach eine säkulare Bewegung, die die Notwendigkeit erkannte, sich dem Wandel nach dem ein ganzes saecula, „Zeitalter“, währenden Dauerschlaf anzupassen. Im Gegensatz dazu halten die vor kurzem erwachten Islamisten mit der veränderten Welt nicht Schritt (wobei aus ihrem Blickwinkel natürlich die Welt aus dem Tritt geraten ist). Ihre Losung lautet, den Wandel auszublenden, die dem Universum zugrundliegenden Gesetzmäßigkeiten von al-kaun wa-l-fasad, Werden und Verderben, zu negieren, die Geschichte und den Lauf der Zeiten zu leugnen. Jemand hat einmal vom „Gefühl für Geschichte als einem Gefühl für Verlust“ gesprochen.22 Dabei handelt es sich aber auch um ein Gefühl für Veränderung. Indem die politischen Islamisten unserer Zeit die Geschichte zurückweisen, verneinen sie die organische und flexible Lebensstärke des Islam, der sich in
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einer sich wandelnden Welt fortwährend erneuerte, sich der Komplexität anpasste, heranreifte. Die Sicht, der Islam sei „ein sich entwickelndes, dynamisches, kulturabhängiges Set aus Glauben und Verhaltensweisen“23, teilen nicht nur Historiker und Anthropologen. Wäre der Islam jemals ein Monolith gewesen, so wäre er bereits beim Auftreten erster Risse zerbröckelt. Die Wahhabiten halten den Anbeginn des Islam auf der Arabischen Halbinsel in wacher Erinnerung. Der arabische Nationalismus bewahrte hingegen ʿasr al-tadwīn im Bewusstsein, das abbasidische „Zeitalter der Niederschrift“, als ein arabisches Ethos in Tinte gebannt wurde. Auf ihre jeweils eigene Weise erhoben sich sowohl Wahhabiten als auch Nationalisten gegen die nichtarabischen, kulturellen Alternativen – gegen die Schuʿūbiyya-Bewegung im 8. und 9. Jahrhundert und gegen die europäischen Imperien. In jüngerer Zeit strebt der politische Islam in weitaus größerem Maße nach einer Wiederholung: Denn im Grunde kämpfen die Islamisten von heute gegen die Schuʿūbiyya der gesamten verlotterten, modernen, multikulturellen, komplexen, verwirrt verworrenen, festgefahrenen, abgehängten, miteinander vernetzten Welt. Sie kämpfen für ein himmlisches Ideal und gegen die vielfältige Realität auf Erden. Eben deshalb wirkt dieser Kampf auf manche so anziehend, weil er statt Komplexität Einfachheit verspricht, einen Monismus wider den Pluralismus. Doch verbirgt sich dahinter eben auch ein Kampf für Totalitarismus und – wie in fast allen Totalitarismen – gegen Individualismus. Nach den Braun- und Schwarzhemden haben wir nun die Langhemden (allerdings dürfen sie auch nicht zu lang sein – lang genug, um die Knie zu bedecken, aber keine Unreinheiten vom Boden mitzuschleifen). Aber Moden gehen mit der Zeit, ebenso wie Uniformen. Und der politische Islamismus der Gegenwart wird bald zu einem alten Hut und neue Trends werden aufkommen. Wie zum Beispiel im Jemen, wo die neo-zaiditischen, haschimitisch-chauvinistischen Huthis in die Totale gegangen sind und den Rückwärtsgang eingelegt haben. Ihr Anführer ist übrigens dafür bekannt, in einer Höhle zu nächtigen, geschützt vor saudischen Raketen und der fortschrittlichen Welt.
Keine guten Nachbarn Parallel zum neuen Islamismus feierten auch tieferliegende Identitätsmuster fröhliche Urständ. Mit dem Untergang des alles überragenden „Ismus“ – des Panarabismus –, nahm die alte Gewohnheit des Aufspaltens und Plünderns wieder überhand, manchmal mit der Hilfe Dritter. Der Extremfall trat ab 1975 im Libanon ein, wo ausnahmslos alle – Sunniten, Schiiten, Maroniten, Drusen, Palästinenser – sich gegenseitig an die Gurgel gingen. In die Kampfhand-
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lungen schaltete sich 1978 und 1982 auch Israel ein, beim zweiten Mal auf besonders mörderische Weise, als das israelische Militär dem Massaker der mit ihnen verbündeten maronitischen Phalange-Miliz an den Palästinensern in den Lagern von Sabra und Schatila tatenlos zusah. Die Raubzüge kamen nicht von ungefähr. Im Jahr 1980 kam es zu einer Neuauflage der uralten Geschichte: Araber, die Perser ausrauben. Diesmal in Form eines irakischen Überfalls auf den Iran. Der Unterschied bestand darin, dass das antike Ziel der arabischen Angriffe im östlichen Sawad – dem aufgrund seiner tiefdunklen Dattelpalmhaine sogenannten Schwarzen Land – mittlerweile zum Schwarzen Land der iranischen Erdölindustrie avanciert war. Den neuen irakischen Diktator Saddam Hussein trieb außerdem verständlicherweise die Sorge um, die Islamische Revolution im Iran könne auf die schiitische Mehrheit seiner Untertanen übergreifen.24 Unterstützt wurde er bei diesem Abenteuer von einer fremden Großmacht, den Vereinigten Staaten, die sich glücklich schätzten, dass statt ihrer nun Saddam Rache an den revolutionären Iranern für die Absetzung des von ihnen unterstützten Schahs nahm. Der als Blitzkrieg angelegte Überfall geriet jedoch bald zu einem Grabenkrieg. Als der Krieg 1988 ergebnislos endete, gab es keine Gewinner, aber mehr als eine Million Tote.25 Über den nächsten Raubzug ihres irakischen Vasallen 1990 in Kuwait zeigten sich die Amerikaner weniger erfreut. Natürlich hielt Saddam dagegen, dass der souveräne Staat Kuwait eine Schöpfung britischer Lobbyarbeit gewesen sei und überhaupt erst 1961 Mitglied der Arabischen Liga geworden war. Zudem hatte das Land, historisch betrachtet, immer wieder zum Irak gehört. Doch als souveräner Staat war der Irak – in Abgrenzung zu der geografisch verschwommen definierten Tiefebene, die vom Zusammenfluss zweier Ströme in den Golf umrissen wird (wie Geografen herausgestellt haben, handelt es sich bei dem Nomen ʿirāq um „den Fond eines Wasserschlauches“) – ja selbst das Ergebnis britischer Krickelkrakel-Kartographie. Womöglich haben die Briten hier zu viel Fantasie walten lassen, das Erdöl hatte während der vergangenen 70 Jahre die Grenzen jedenfalls verfestigt und eine neue Realität geschaffen. Saddam versuchte, einen imaginären, „natürlichen“ Irak wiederzuvereinigen. Erfolg war ihm allerdings allein darin beschieden, Araber zu entzweien. Die Mehrzahl der arabischen Regime stellte sich gegen ihn, um ihn aufseiten der unter amerikanischer Führung stehenden Koalition 1991 aus Kuwait zu vertreiben. Alle anderen sprachen sich entschieden gegen die Intervention aus. Vor allem in den an der Koalition gegen den Irak beteiligten Staaten kam es zu tiefgreifenden Rissen zwischen Regierung und Regierten: In den Suks wusste der starke Mann aus dem Irak eine Mehrheit hinter sich.26 Auch wenn solche Aussagen schwer
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quantifizierbar sind, kann man davon ausgehen, dass Saddams Kuwait-Abenteuer genauso zur Spaltung beitrug wie jedes andere Ereignis in der arabischen Geschichte seit dem schicksalhaften Krieg zwischen dem alten und neuen Regime der Quraisch unter Muʿāwiya und Ali. Was folgte, war der bei Weitem weitreichendste Eingriff einer Supermacht seit den Tagen von Byzanz und des sassanidischen Persiens: Die Anti-Saddam-Koalition mit über einer Million Kämpfer zählte allein 650 000 US-Soldaten.27 Die zahlenmäßig kleinere, aber umso schicksalsträchtigere US-geführte Intervention im Irak von 2003 verfolgte schließlich das Ziel, den unbeugsamen Saddam ganz zu entmachten. Soweit, so gut. Doch nicht alles lief nach Plan: Es gab nämlich gar keinen. US-Präsident George W. Bush und seine neokonservativen Berater wollten einfach einen Herrscher loswerden, den sie unter fadenscheinigen Gründen als Bedrohung für den Westen brandmarkten. Darüber hinaus gaben sie vor, die Iraker von einem Diktator befreien zu wollen. So lobenswert dieses zweite Ziel auch klingt – zweifelsohne stellte Saddam für viele seiner Untertanen eine Gefahr dar – hätte Bush doch besser daran getan, James Baldwins Diktum zu beherzigen: „Freiheit kann niemandem gegeben werden; Freiheit nimmt man sich, und jeder ist so frei, wie er will.“28 Im Falle des Irak war es nicht so, dass die Iraker nicht „frei“ sein wollten. Aber für die meisten von ihnen bedeutete Freiheit etwas anderes als für Bush. Für Iraker, wie für viele andere Araber auch, bezeichnet „Freiheit“ das Recht, von seinesgleichen – egal ob von Stammes-, Religions-, Konfessionsgenossen oder Gleichsprachigen – beherrscht zu werden, oder, sofern das nicht möglich ist, eben eine Schutzgarantie vonseiten Dritter. „Freiheit“ ist in der arabischen Welt nicht wie andernorts konnotiert, das Wort besitzt nicht den Beigeschmack von Individualismus. Für eine Supermacht mag ein „Regimewechsel“ im Handstreich geschehen, ein tatsächlicher Wandel ist ungleich schwerer herbeizuführen. Noch ist es zu früh, um die Langzeitwirkungen der Invasion von 2003 zu benennen. Kurzfristig zeitigte der Druck der Supermacht (im Gegensatz zu den mit dem innerarabischen Überfall auf Kuwait einsetzenden Spaltungstendenzen von 1990/91) den bewährten Effekt, Araber zusammenzuschweißen: In trauter Eintracht verdammten Regierungen und regiertes Volk das US-Vorgehen.29 Der Einmarsch im Irak zeigte auch, dass Araber und die arabische Sprache auf rein rhetorische „Wahrheit“ kein Monopol halten: Pflichtversessen wiederholten die US-Alliierten im Chor die Behauptungen von der „Bedrohung“ durch Saddam für den Westen. Von West nach Ost brodelten und wüteten die Konflikte auch ohne beziehungsweise mit geringem Zutun von außen. In diesem zunehmend zerfaserten und deprimierenden post-panarabischen Zeitalter machten Marokko und Al-
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gerien als besonders schlechte Nachbarn von sich reden. Algerien unterstützte den Frente Polisario, eine Bewegung, die seit 1975 danach strebt, die marokkanische Kontrolle über die ehemalige spanische Kolonie der Westsahara abzuschütteln. In Algerien gewannen Ende 1991 Islamisten die erste Runde der Nationalwahlen, woraufhin die Regierungspartei die zweite Runde absagte und einen Bürgerkrieg lostrat, dem mindestens 100 000 Menschen zum Opfer fielen.30 Im benachbarten Libyen hielt sich der Schauspieler-Diktator Muammar al-Gaddafi so lange auf der Bühne der Macht – über 40 Jahre –, dass er das gesamte Zeitalter der Ernüchterung in seiner Person zu verkörpern schien: Er gab den Nasseristen, den Postnasseristen, spielte den Islamisten, den tribalen Neonomaden und zu guter Letzt den alternden und vereinsamten Autokraten. Über all die Jahre gelang es ihm, mit den meisten seiner Nachbarn und darüber hinaus mit ganz Afrika und der Welt in Konflikt zu geraten. Die weiter östlich gelegenen Nachbarn Ägypten und Israel hatten sich derweil die Hände gereicht und Olivenzweige ausgetauscht. Davon einmal abgesehen destabilisierte das israelische Miniimperium die Region auch weiterhin von innen heraus. Als sich die in Aussicht gestellte „Autonomie“ der seit 1967 besetzten Gebiete schließlich als bloßes Hinhaltemanöver entpuppte, erhob sich zwischen 1987 und 1993 sowie erneut von 2000 bis 2005 die palästinensische Bevölkerung gegen ihre Besatzer. Unseren Wörterbüchern fügten sie eine neue arabische Vokabel hinzu – intifāda, was auf Arabisch „Abschütteln“ bedeutet. Die Israelis reagierten mit unverhältnismäßiger Gewalt, Kugeln gegen Steine. Doch die Steine wichen ihrerseits tödlicheren Geschossen. Die Wut und Bedrängnis der Insassen im gigantischen „Gefängnis“ von Gaza veranlasste die neugewählten, islamistischen Herrscher aus den Reihen der Hamas dazu, Raketen über die Grenze nach Israel zu feuern. Gazas Kerkermeister überreagierten wieder: Auf palästinensischer Seite belief sich die Zahl der Todesopfer während des Feldzugs von 2014 auf über 2100, überwiegend Zivilisten, auf israelischer Seite wurden 73 Menschen getötet, darunter sieben Zivilisten.31 Zwar wurde die palästinensische Opferzahl in Zweifel gezogen, doch selbst israelische Quellen machen das Mißverhältnis deutlich: Zwischen 2000 und 2018 sind 9456 Palästinenser durch israelische Sicherheitskräfte zu Tode gekommen und 1237 Israelis verloren ihr Leben – ein Verhältnis von etwa 8:1.32 Der europäische Kolonialismus des 19. Jahrhunderts sowie die Apartheid im 20. Jahrhundert erscheinen im Vergleich mit der israelischen Politik im „autonomen“ Westjordanland geradezu liberal. Als Beispiel mag das israelische Eigentumsgesetz dienen, nach dem jegliches Land, das vom Besitzer nicht bewohnt wird, an den „ursprünglichen“ Eigentümer zurückgeht – an den israelischen Staat also.33 Da der Staat Israel erst seit 1948 existiert, mutet „ursprünglich“
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in diesem Zusammenhang seltsam an. Selbstredend wird dabei auf die jüdische Präsenz in Palästina in der Antike Bezug genommen, sowie auf die zionistische Deutung, die Palästina als heiliges „Gelobtes Land“ versteht. Auf England übertragen, würde dieses Denken dazu führen, dass abwesende Landeigentümer ihren Besitz an eine im Ausland ansässige Sekte aus wiedererweckten Druiden verlören mit der Begründung, das Land sei diesen bereits vor der Invasion Julius Cäsars heilig gewesen. Der historische Tunnelblick des israelischen Staates, das Leugnen der Zeit, stellt in mancherlei Hinsicht sogar den sogenannten Islamischen Staat in den Schatten.
Der Triumph der Stämme Während dieser unruhigen Jahrzehnte bildete die Arabische Halbinsel, die „Insel“ der Araber, eine Oase relativer Ruhe. Zwar flackerten in den 1970er-Jahre Grenzkriege zwischen den beiden Teilen des Jemens auf und im Oman bedrohte ein groß angelegter Aufstand in der südwestlichen Provinz Dhofar die neu errungene Einheit des Sultanats, doch spielte sich dies, auch wenn es sich keineswegs bloß um kleine Scharmützel handelte, an der Peripherie ab. Als jedoch militante Islamisten im November 1979 den Haram in Mekka, den großen Pilgerkomplex rund um die Kaaba, besetzten und nur durch eine blutige Belagerung wieder vertrieben werden konnten, entfesselte der repolitisierte Islam seine gefährliche Energie an seinem Ursprungsort. Islam und Politik gingen wieder Hand in Hand. Selbst die säkularen Bewegungen jener Jahre vermochten sich nicht komplett von religiösen Verbindungen zu lösen. Der in den 1970er-Jahren in der Demokratischen Volksrepublik Jemen (DVRJ), dem Südteil des gespaltenen Landes, entwickelte glühende wissenschaftliche Sozialismus wirkt aus heutiger Sicht geradezu irreal: Man erörterte die Verstaatlichung von Fahrrädern, an Schulen wurden Akrobatik- und Ballettunterricht eingeführt, Frauen traten in die Armee ein.34 Gleichzeitig aber spann man Fäden in die Vergangenheit. Zwar wurden traditionelle muslimische Geistliche verfolgt, doch einige der Hauptverfechter des wissenschaftlichen Sozialismus entstammten der alten religiös-politischen haschimitischen Elite, während der Oberexeget im Politbüro, Abd al-Fattāh Ismāʿīl, ein Experte auf dem Gebiet sozialistischer Doktrin, ironischerweise als al-faqīh (wörtlich ein Gelehrter der heiligen Schrift) bekannt war. Unter seiner Federführung wurden die frühen Kalifen des Islam gemäß ihrer linken oder rechten Neigungen eingestuft.35
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Wie der Jemen selbst, so war auch die Sozialistische Einheitspartei in der Volksrepublik gespalten. Zwischen den linken, rechten, traditionalistischen und reformistischen Flügeln hin- und hergerissen, machte sich „Spaltismus“ breit, die internen Zwiste wurden immer hitziger, bis sie sich 1986 in Gewalt entluden und Tausende Tote forderten. Wie bei vielen solcher „religiöser“ Glaubenskämpfe standen die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen sozialistischen Glaubensrichtungen stellvertretend für alte, tribale Unterschiede, die wieder hochkochten. Die panarabische Einheit war gescheitert, nun zerfielen – all den Linien auf der Landkarte zum Trotz – die untergeordneten Glieder, die territorialen Nationalstaaten, so schnell, wie sie zusammengeschustert worden waren. Neue Grenzen zu ziehen, ja sogar Stammeskrieger zu entwaffnen, war den Kolonialmächten relativ leichtgefallen. Die Institutionen zu etablieren, die Nationalstaaten zum Überleben zwingend brauchen, gestaltete sich indes weitaus schwieriger. Mit Blick auf Aden vertraute 1967 der britische Minister Richard Crossman seinem Tagebuch an: „Chaos wird nach unserem Weggang herrschen, wir werden alles auf einmal abziehen – Gott sei Dank.“36 Das „Chaos“ beschränkte sich nicht auf Aden. Es herrschte in weiten Teilen der arabischen Welt, wo alle möglichen Menschen nach Macht und Einfluss trachteten und dabei von staatlichen Institutionen ungehindert auf die seit Jahrtausenden bewährten Verwandtschafts- und Stammesbande, auf Raubzug und Fehde zurückgriffen. Mit anderen Worten: Sie schufen neue Feuerräder. Dichter, auch 1500 Jahre nach Imruʾ al-Qais und al-Schanfarā immer noch oft die einzigen Verkünder der Wahrheit, brachten es auf den Punkt. 1980 fasste Nizār Qabbānī das Schauspiel so zusammen: Vom Golf bis zum Atlantik schlagen Stämme um sich, frei von Denken und Kultur …37 Qabbānīs Tirade, ein langer und erbitterter Angriff gegen überhebliche arabische Ansprüche auf Einheit und Zivilisation, wirkte wie ein Donnerschlag – denn er trug ihn keinem Intellektuellenzirkel vor, sondern verlas sie auf der 35. Geburtstagsfeier der Arabischen Liga.38 Nur ein Dichter konnte damit ungeschoren davonkommen. Bisweilen deckte sich der Umfang eines Feuerrads mit den Strichen auf der Landkarte. Wie zum Beispiel bei einigen Golfstaaten, die klein und reich genug waren, um ihre Integrität zu bewahren. Oder am entgegengesetzten Ende der arabischen Welt in Marokko, wo auf der Basis einer gemeinsamen Geschichte – bestehend aus einer dreihundertjährigen Haschimiten-Dynastie sowie dem
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kürzlich gemeinsam ausgefochtenen Kampf gegen die Franzosen – Herrscher und Beherrschte kooperierten. Aber genauso oft waren Staatsgrenzen und Loyalitätsbeziehungen nicht so leicht in Einklang zu bringen. So zum Beispiel im Irak und in Syrien, wo herrschende Cliquen Bevölkerungsmehrheiten – Kurden und Schiiten im Irak, Sunniten in Syrien – nur durch Waffengewalt und Terror in Schach hielten. Ob Staaten nun Bestand hatten oder nicht, was insgesamt mehr als deutlich wurde: „Stämme“ als solche beziehungsweise im Gewand religiöser oder politischer Sekten oder einer Kombination aus beidem bestimmten weiterhin das Narrativ. Der alte Streit zwischen hadar und badw, Völkern und Stämmen, lebte mit neuer Wucht auf. Die hadar-badw-Konfrontation setzte sich zumeist zwischen schwachen Institutionen und starken Männern fort, wobei letztere ihre Macht durch ein Netz aus Blutsbanden, Geschäftsbeziehungen und militärischer Loyalität ausübten. Ab ungefähr 1980 gewannen die starken Männer die Oberhand und wurden immer mächtiger – auch in Ägypten, dem Land, das zuvor einen hohen Grad an Staatlichkeit erlangt und stabilere Institutionen als überall sonst in der arabischen Welt hervorgebracht hatte. Unter Präsident Husni Mubarak herrschte das Militär mit Verfügungsgewalt über wachsende Waffenbestände und Wirtschaftszweige 30 lange Jahre – mit absehbaren schwerwiegenden Folgen: Institutionen zerfielen und das Hauen und Stechen um Patronage und Begünstigung nahm immer drastischere Ausmaße an. In einem gut geführten Staat – anders als in einer absolutistischen Erbmo narchie – besteht die Hauptaufgabe des Machthabers darin, das Amt ohne viel Aufsehen abzugeben und das Land in geordneten Verhältnissen zu hinterlassen. In schlecht geführten Ländern kommt es jedoch weitaus häufiger dazu, dass die Befehlshaber aus dem Amt gejagt oder abgesetzt werden, sofern sie nicht praktischerweise vorher sterben. In den postkolonialen arabischen Staaten ist es über mehrere Jahrzehnte so gelaufen. Aufgrund technologisch hochgerüsteter und effizienter Sicherheitsapparate ist diese gesunde Fluktuation mittels Putsch mittlerweile jedoch zurückgegangen. Als im Jahr 2000 das neue Millennium anbrach, befand sich fast die ganze arabische Welt entweder unter der Herrschaft absolutistischer Monarchien oder langlebiger Diktaturen. Und in allen Ländern galt eines: Für den Einzelnen zählte nicht so sehr seine Beziehung als Bürger zu einem unpersönlichen Staat, als vielmehr die eigenen Verbindungen zu den Netzwerken führender Persönlichkeiten. Ob diese Bindungen tribaler Natur waren oder nicht, unterschied sich von Land zu Land. Doch selbst dort, wo sie es nicht waren, hatten Bluts- und sonstige Loyalitätsbande – walāʾ – zusehends an Bedeutung gewonnen: Wie einst bei den alten Stämmen mit ihren mutmaßlichen Blutsverwandschaften und durch walāʾ affiliierten
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maulās. Staaten haben sich zu regelrechten walāʾ-Netzen mit hungrigen und unersättlichen Spinnen in ihrem Zentrum entwickelt.
Demonarchien Bis auf einen bezeichnen sich alle arabischen Staaten, die Erbmonarchien ausgeschlossen, offiziell als dschumhūriyya, „Republik“. Nominell geht die Herrschaft vom dschumhūr aus, von „der Masse des Volkes“. (Die einzige Ausnahme bildete Libyen, das bis zum Fall Muammar al-Gaddafis eine dschamāhīriyya war, abgeleitet vom Plural „Massen“ – wobei es sich bei der Größe des Landes und der geringen Bevölkerung womöglich um einen Fall von horror vacui handelt. Jetzt sagt man wohl einfach „Staat Libyen“.) In jüngster Zeit ist von diesen Scheinrepubliken auch augenzwinkernd von dschumlakiyya die Rede: ein Amalgam aus dschumhūriyya und malakiyya, „Monarchie“ – im Deutschen vielleicht „Rexpublik“ oder, um das vermeintlich demokratische Element zu bewahren, „Demonarchie“. Wie zum Beispiel meine Wahlheimat. Wenn ich auf den nächsten zwei bis drei Seiten den Fokus auf sie lege, dann deshalb, weil ich hier die jüngere Geschichte am eigenen Leib erfahren habe. Und außerdem liegt der Jemen, ebenso wie die Länder des geplagten Fruchtbaren Halbmonds im Norden, auf einer der größten Bruchlinien zwischen Völkern und Stämmen. Er steht modellhaft für die erstaunliche Langlebigkeit dieser Stämme. Bis 1990 war der Jemen zweigeteilt: In die postbritische, sowjetgestützte Demokratische Volksrepublik Jemen (DVRJ, kurz Südjemen) und die reichere, dichter bevölkerte und irgendwie blockfreie Arabische Republik Jemen (ARJ, kurz Nordjemen). Die Briten hatten den Südjemen im „Chaos“ zurückgelassen, nach dem Zerfall der stützenden UdSSR war das Land ein kurzes Menschenleben später noch weniger lebensfähig als zuvor und vereinigte sich im Mai 1990 mit der ARJ, woraufhin beide fortan die Republik Jemen (RJ) bildeten. Die Vereinigung beziehungsweise Wiedervereinigung schien folgerichtig und stimmig: al-Yaman, „der Süden“ auf der „Insel“ der Araber, fühlt sich – anders als beispielsweise der moderne Staat im Irak – geografisch, kulturell und historisch wie ein natürliches Ganzes an. Bereits in der Antike beheimatete das Gebiet die sesshaften Gesellschaften Südarabiens, seither ist es in den vergangenen Tausenden Jahren mit der politischen Einheit stets auf- und abgegangen – zugegeben öfter ab als auf. Die jüngste Wiedervereinigung lässt sich als Gleichung wie folgt darstellen: (DVRJ – UdSSR) + ARJ = RJ
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Damit ist ein Großteil der arabischen Geschichte auf den Nenner gebracht: Der geballte Druck zweier im Widerstreit stehender Supermächte ist verschwunden, die arabische Identität ebenfalls. Der entstandene neue Staat ist sichtbar und nominell weniger arabisch: Das „Arabische“ aus der ehemaligen Arabischen Republik Jemen wurde fallen gelassen. Waren Araber etwa wieder im „Verschwinden“ begriffen, drohten sie in den neuen Nationalstaaten unterzugehen? Keinesfalls: Ägypten heißt noch immer Arabische Republik Ägypten, Syrien ist die Syrische Arabische Republik, die Emirate nennen sich weiterhin Vereinigte Arabische Emirate (wobei sie genaugenommen wie das Königreich Saudi-Arabien eigentlich als Vereinigte Emirate Arabiens bezeichnet werden sollten, der Begriff ist im Arabischen austauschbar). Schulbücher im Jemen zeigen auf Innenseiten des Umschlags noch immer eine Karte des al-Watan alʿArabī, der „Arabischen Heimat“, sowie eine Weltkarte, auf der Jugoslawien und die UdSSR verzeichnet sind. Hat es bisher niemand für nötig gehalten, die alten Namen zu entfernen? Bald nach der Vereinigung des Jemen kam es 1994 zu einem kurzen „Einheitskrieg“ (ein Oxymoron), zu einem Abspaltungsversuch der alten DVRJ-Herrscher. Die Einheit wurde gerettet – was aber seinen Preis hatte: Der Krieg besiegelte die Vormachtstellung der alten ARJ und ihres Führers Ali Abdullah Salih. Als dann ein weiterer Faktor – nämlich Zeit – in die Gleichung einfloss, schrumpften die Freiheiten. Zu Beginn übte Salih eine einigermaßen milde Diktatur aus. Doch in einer Welt der Veränderung und des Verfalls, der Machenschaften und Korruption, haben Diktatoren, wie mild sie sich auch geben, eine ziemlich kurze Halbwertszeit. Mit zunehmendem Alter neigen sie zu immer weniger Milde. Der Soldat Salih mit seinem Stammeshintergrund trug den Spitznamen tais aldubbāt, „der Ziegenbock im Offizierskasino“: Dickschädelig, mit gesenktem Kopf, bahnte er sich seinen Weg.39 Es entsprach seiner störrisch bockigen Art, mit Stammesführern auf persönlicher, informeller Ebene nach Lösungen zu suchen. „Der Staat“, so sprach er 1986, „ist Teil der Stämme, und unser jemenitisches Volk besteht aus einer Ansammlung von Stämmen.“40 Geht man von den Begrifflichkeiten des antiken Arabiens und des Koran aus, wo schaʿbs und qabīlas, Völker und Stämme, wie Schafe und Ziegen zwei unterschiedliche Spezies sind, so lag darin genaugenommen ein Widerspruch. Oder unternahm Salih etwa einen neuen Anlauf, die beiden endlich miteinander zu versöhnen? Nein, das tat er nicht. Die Gesellschaft wurde nach 1990 vorsätzlich retribalisiert – auch im ehemaligen Süden, der dem Namen nach bereits enttribalisiert worden war. Dort hatten erst die Briten und dann die Sozialisten versucht, die Stämme abzurüsten und zu Bürgern ohne Waffen zu machen (was für die Betroffenen bedeutete: „ohne Ehre“). Da die Stammesleute nie auch nur daran
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gedacht hatten, stattdessen zu Pflugscharen zu greifen, bewaffneten sie sich nach 1990 wieder bis an die Zähne. Dieser Sinneswandel war, wie einer seiner Apologeten mit eloquent unglücklicher Wortwahl schrieb, alles andere als anachronistisch: Diejenigen, die vor den Gefahren althergebrachten Tribalismus in modernen Staaten warnten, könnten „genauso gut auf U-Bahnhöfen nach Kamelzügen Ausschau halten!“41 – um dann sehenden Auges von einer ganz anderen Art von Zug überrollt zu werden … Mit Stämmen verhält es sich wie mit Zügen, heutzutage sind sie motorisiert und gefährlicher als je zuvor. Die Demokratie welkte dahin, nicht jedoch Salihs Popularität – denn je unfreier die Presse, desto geeinter die Stimme. Letzten Endes ergab die Gleichung nur noch dem Namen nach eine „Republik“: Das Land wurde zu einer dschumlakiyya, einer „Demonarchie“, und Salih bereitete seinen Sohn Ahmed auf die Thronfolge vor. Plakate mit Fotos beider, uniformiert mit verspiegelten Pilotensonnenbrillen, waren bald in immer größeren Formaten überall zu sehen. Spätere zeigten schon die dritte Generation, Ahmeds kleinen Sohn – aus den Windeln direkt in den Kampfanzug. Die „Demonarchie“ wurde immer „tribaler“, mit dem Präsidenten als Patriarchen: „Aber er ist mein Vater!“, wandte ein Freund von mir ein, als ich den Führer kritisierte. Zuweilen gestaltete sich die Beziehung noch viel komplizierter: „Ali [Abdullah Salih], du bist mein Bruder, mein Sohn, mein Vater!“, war auf einem Plakat zu lesen. Unter einem solchen Führer bedarf es keiner Verfassung oder Gesetze geschweige denn eines gemeinsamen Glaubens, die Gesellschaft fußt, wie in tribalen Gemeinschaften üblich, auf herbeifantasierter Blutsverwandtschaft. Als hätten sich die 1000 Jahre antiker südarabischer Zivilisationsgeschichte – göttlicher Beistand, keine vermeintlichen Blutsbande hatte die schaʿbs geeint – sowie die darauffolgenden 1400 Jahre islamischer Geschichte niemals zugetragen. Salih zog Schwerter Pflugscharen vor und gab sich einer Aufrüstungsorgie hin, das Kommando übertrug er seinen Nächsten und Liebsten. Er selbst blieb natürlich Oberbefehlshaber, überantwortete die Republikanische Elitegarde jedoch seinem Sohn Ahmed, die Luftwaffe seinem Bruder und so weiter. Waffen und Loyalität zeichnen ehrenvolle Stammesmänner aus, und Salih entwickelte sich zum Superstammeskrieger. Der zivile Staat wurde komplett ausgehöhlt. Sogar Schuluniformen wurden in militärisches Grün getaucht. In der ganzen arabischen Welt machten sich um den Millenniumswechsel vergleichbare Prozesse bemerkbar. Ausländische Beobachter der Region, vom Aufstieg al-Qaidas abgelenkt, sprachen hingegen von einem internationalen Kampf der Kulturen, wobei sie den internen Zusammenprall der Kulturen – Völker gegen Stämme, Agrikultur gegen Armeekultur – übersahen. Mühelos entschieden Stämme und Waffen die Schlacht für sich.
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Der Jemen ist ein armes Land und dennoch wurden erschreckend hohe Summen für Rüstungsgüter ausgegeben. Im Norden tat Saudi-Arabien genau dasselbe (da sie viel reicher sind, taten sie es in einem wesentlich größeren Umfang). Als die Saudis 2015 eines von Salihs in einem Berg untergebrachten Scud-Raketensilos zerstörten, brachte die seismische Schockwelle mein sieben Kilometer entfernt stehendes Haus drei Mal zum Schwanken. Dann jagten sie ein weiteres, näher gelegenes Waffendepot in die Luft, woraufhin Raketen – dem Himmel sei Dank kleinere ohne Sprengköpfe – auf uns herabregneten. Ein apokalyptisches Schauspiel, wie beim großen Erdbeben am Ende der Zeit, wenn „die Erde ihre Lasten ausspeit“.42 Mit den meisten, wenn nicht gar allen Waffendeals gingen voraussichtlich fette Schmiergeldzahlungen einher. Es herrschte, im wahrsten Sinne des Wortes, Korruption. Das heißt, das System war nicht bloß korrupt, Korruption war das System. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, handelt es sich um eine aktualisierte Spielart der alten Plünderwirtschaft, wobei der Anführer den von ihm beherrschten Staat schröpft und dabei ein Viertel oder Fünftel der Beute in die eigenen Taschen streicht.43 Aus einem noch etwas anderen Blickwinkel gehört das Staatsvermögen eben nicht dem Volk, sondern dem führenden Stamm, der Loyalitätsgruppe, und somit letzten Endes dem jeweiligen Patriarchen, der zufälligerweise den missverständlichen Titel „Präsident“ trägt. Anfang 2015 prangerten die Vereinten Nationen öffentlich an, dass der „Ziegenbock“ in seiner über dreißigjährigen Regierungszeit über die ARJ sowie die RJ durch Erdölund Erdgaskonzessionen sowie allseitige Korruption zwischen 30 und 62 Milliarden US-Dollar angehäuft hatte.44 Er tat es mit einem Lächeln ab: als ob er so viel Geld auf der Bank hätte! Das meiste davon war in die Wirtschaft reinvestiert beziehungsweise untergepflügt worden (endlich ein Pflug) oder in den Kauf von noch mehr Waffen geflossen. (Natürlich machten die benachbarten Erdölmo narchien genau das gleiche, nur gaben sie nicht vor, eine Republik zu sein. Und sie können es sich in der Regel auch leisten, ohne dass ihre Untergebenen deswegen am Hungertuch nagen.) Im Jemen schien sich kaum jemand um die Betrugsvorwürfe zu scheren. Wer es doch tat, schätzte die Vorwürfe prinzipiell als unglaubwürdig ein – stammten sie doch aus zwielichtigen ausländischen Quellen. Ein arabischer Herrscher, der sich selbst bereichert, ist nicht der Rede wert. Und die Armen, denen am meisten vorenthalten wird, haben keine Stimme, um sich zu beschweren. Ganz nüchtern betrachtet, verhält sich eine mittels Plünderung umverteilende „Demonarchie“ recht ähnlich wie ein Steuern eintreibender Staat. Der Hauptunterschied besteht darin, dass im erstgenannten Fall keine Kontrollund Ausgleichsmechanismen existieren, keinerlei checks and balances, bloß
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Scheckbücher und Bankbilanzen, die letztendlich in den Händen eines einzelnen Mannes liegen. Nichtsdestotrotz haftet diesem System scheinbar ein auf Dauerhaftigkeit geprüftes Gütesiegel an. Schon der Schriftführer des Almoravidenführers Yūsuf ibn Tāschfīn riet seinem Gebieter, bevor dieser Ende des 11. Jahrhunderts auszog, um Spanien zu erobern: Man dschāda sād, / wa-man sāda qād, / wa-man qāda malak al-bilād. Eine geöffnete Hand gibt dir die Oberhand, / mit der Oberhand führe die Bande, / führst du die Bande, herrschst du im Lande.45
Ruinieren oder regieren Ähnliches spielte sich in den anderen angeblichen Republiken ab. Auch in den großen Ländern des nördlichen Fruchtbaren Halbmonds, Irak und Syrien, sowie in dessen westlichem Fortsatz Ägypten wurden Präsidentensöhne darauf vorbereitet, in die Fußstapfen ihrer Väter zu treten – angespornt durch den Sieg von George W. Bush, dem Sohn von Präsident George Bush, bei den US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000: Wenn Amerikaner es vormachten, warum sollten Araber da hintanstehen? Der liberalen Demokratie erwies George Bush II. mit der Invasion des Irak – was auch immer er damit bezweckt hat – allein damit einen Bärendienst, indem er der war, der er war, nämlich der Sohn seines Vaters: Būsch ibn Būsch (in manchen arabischen Dialekten „Unsinn Sohn des Unsinns“, nach einem türkischen Lehnwort, dass auch dem Englischen „bosh“, „Quatsch“, zugrunde liegt). Nur mit sehr viel gutem Willen lässt sich in den Pseudorepubliken eine „dynamische, politische Ordnung [erkennen] … eine alternative Vorstellung von Demokratie“, verursacht durch die „Pattsituation … [zwischen] Liberalismus, Republikanismus und Islamismus“.46 Diese alternativen, von freier Presse, einem unparteiischen Rechtswesen und jeglichem dīmūqrātiyya-Verständnis unbefleckten Demokratievorstellungen sind allenfalls blasse Schatten ihrer selbst. Man käme der Sache näher, wenn man dīmūqrātiyya als Synonym dafür verwendete, was in der arabischen Welt seit Menschengedenken vor sich geht: Nämlich auf immer gleiche, althergebrachte Weise, aber in immer neuem Gewand „die Stimme zu einen“. Im Arabischen gibt es für die „Stimme“ und die „Wahlstimme“ nur ein Wort, saut, und Wahlergebnisse mit Zustimmungswerten von über 90 Prozent, die Führer für sich reklamieren, sind ein Zeichen für Einstimmigkeit. Zum Beispiel gewann Ägyptens aktueller Präsident 2014 bei den Wahlen, die den Putschisten ein Jahr nach seiner Machtergreifung im Amt bestätigten, 97 Prozent der Stimmen.47 Diejenigen, die 2012 in einer freien und fairen Wahl für Mohammed Mursi gestimmt hatten, hielten sich zwei
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Jahre später aus gegebenem Anlass zurück – es stand für sie niemand zur Wahl. Dīmūqrātiyya ähnelt daher eher einer Monarchie in Raten – wie der unter Napoleon (der Kaiser wurde mit neunundneunzigprozentiger Mehrheit gewählt) oder der unter den römischen Kaisern (Augustus wurden ohne Gegenstimme monarchische Privilegien für die Dauer von fünf bis zehn Jahren zugesprochen). Hinter dem Begriff verbirgt sich eine komplett andere semantische Welt als die der antiken demo-kratia, „Volks-Macht“, von moderner Demokratie ganz zu schweigen. Ein „Volk“ hat die Macht, seine Führer zu „wählen“. Die Macht – oder vielleicht die Vorstellung –, sie nicht zu wählen, ist ihnen noch verwehrt. Weitaus treffender wäre es, das fremdklingende Wort dīmūqrātiyya einfach fallen zu lassen und stattdessen zum alten arabischen mubāyaʿa zurückzukehren, was üblicherweise mit „Treuegelübde“ übersetzt wird. Die Bezeichnung entspringt der Wortwurzel für „verkaufen oder kaufen, einen Vertrag abschließen“, wobei mitschwingt, es handle sich um einen einvernehmlichen Vertrag, einen Gesellschaftsvertrag: Man verkauft seine politische Freiheit und erhält im Gegenzug Rechtssicherheit und ein Leben in Geborgenheit und Wohlstand. Im Alltagsgebrauch bedeutet mubāyaʿa indes „Ausverkauf“. Das Lexikon drückt es so aus: Bāyaʿ al-amīr: Er gelobte oder schwor dem Fürsten Treue; das heißt, er schloss einen Bund mit ihm, um ihm das Urteil in seiner Sache zu überlassen und … in keinster Weise mit ihm darüber zu streiten, sondern jeglichem Befehl, den er verhängte, ob angenehm oder unangenehm, Folge zu leisten.48 Da Macht mit der Zeit korrumpiert, überwiegt unvermeidlich das Unangenehme. Der Fürst wird fürstlicher und mächtiger und hält sich nicht mehr an seinen Teil der Abmachung. Er nimmt sich Freiheit, ohne Gerechtigkeit walten zu lassen. Sein Volk lässt er außen vor, missachtet in zunehmendem Maße auch seine Ratgeber, holt zu übereilten Schlägen gegen Widersacher aus. Er kehrt sein autoritäres, häufig militärisches Ich nach außen und gebietet mit List, nicht mittels Konsens und Voraussicht. Die wachsende Zahl an Lakaien lobt indes seine „Klugheit“ – wie Bacon treffend sagte: „Nichts gereicht einem Staate mehr zum Schaden, als dass die Listigen als klug gelten.“49 Unter der zunehmend selbstherrlichen wie willkürlichen Herrschaft verkommen die eventuell vorhandenen Institutionen, nicht zuletzt das Gesetz. Der Führer hält den Deckel auf der Gesetzlosigkeit und kann – wie Ali Abdullah Salih – mit Fug, doch ohne Recht behaupten: „Ohne mich wird aus dem Land ein zweites Somalia.“
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Was wie eine Warnung klingt, ist eigentlich eine Drohung. Diese Anführer sind sich der Gefahr, die ihre Herrschaft birgt, vollauf bewusst. Sie brauchen die Angst – vor konfessionellem Extremismus, tribalen Plünderern, dem Zusammenbruch der Gesellschaft, der bevorstehenden Sintflut –, um alles unter Kontrolle zu halten. Sie sind keine Geschäftsführer, die einen geordneten Betrieb am Laufen halten, sondern Dompteure des Chaos, „Anarcharchen“, um ein Wort dafür zu schöpfen. Denn ihre Philosophie entspricht der von John Miltons gefallenem Satan: „Besser istʼs der Hölle Herr zu sein, als des Himmels Sklave“50, ihr Grundsatz dem von John Drydens Achitophel, Als formloser Klumpen geboren, wie die Anarchie, In Freundschaft falsch, erbarmungslos im Hassen: Entschlossen, im Staate zu herrschen oder ihn zu schassen.51
Eine Geschichte aus Asche Zu Beginn des neuen, nachchristlichen Millenniums schien das arabische Zeitalter der Hoffnung nur noch eine ferne Erinnerung zu sein. Radikale, militante Islamisten wagten sich immer ungenierter hervor und schlugen 2001 am säkularen Nabel der Welt zu, dem World Trade Center in New York mit seiner in die Länge gezogenen Zwillingskaaba des Kapitals. Daheim, in ihren eigenen vier Wänden, zogen Erdölmonarchen und „Anarcharchen“, die sich zusehends ähnelten, die Daumenschrauben immer fester an – wie in der Geschichte von Sindbad und dem Greis, jenem beredten Schmarotzer, der den nichtsahnenden Wanderer so lange beschwatzt, bis dieser ihn Huckepack nimmt, um daraufhin seine Beine um dessen Hals zu schlingen und sein Opfer als Reittier zum Pflücken der erlesensten Kirschen und Früchte zu benutzen. Das amerikanische Experiment von 2003 – Stichwort „Regimewechsel“ – entfernte den Greis vom Rücken seiner irakischen Untertanen, zugleich lüftete es jedoch den Deckel und zum Vorschein kam Anarchie. In der ganzen arabischen Welt schüttelten die Suk-Philosophen die Köpfe und sprachen wie eh und je: „Der Irak braucht einen Saddam, einen Hadschādsch ibn Yūsuf. Das Land braucht den Stock.“ Hartes Durchgreifen, ein Deckel, der Stock, sie alle sind nach so langer Zeit nicht mehr wegzudenken. Sie scheinen die Dinge im Innersten zusammenzuhalten. Araber befanden – befinden – sich in einer Zeit der Ernüchterung, „einer Geschichte aus Asche“, wie es der Dichter Adonis nannte.52 Und da der Glaube an ein Leben vor der Geburt ebenso tröstlich sein kann wie der Glaube an ein Leben nach dem Tod, schwelgten sie in vergangenen, vermeintlich goldenen Zeiten. Manche fanden ihr herrliches, aber unerreichbares Ideal, wie wir s ahen,
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im frühen 7. Jahrhundert in Medina. Andere in Hadschādsch ibn Yūsufs Irak des ausgehenden 7. Jahrhunderts, dessen blutrünstiger Polizeistaat mit modernen Waffen und Überwachungsmethoden leicht wiederherzustellen war. Das andere goldene Zeitalter, die während des Arabischen Erwachens im 19. und 20. Jahrhundert hochgelobte kulturelle wie intellektuelle Synthese der frühen Abbasidenzeit, schien mit dem panarabischen Traum untergegangen. Die einstige Herrlichkeit schien der trüben Gegenwart zu spotten. Selbst die Nostalgie war nicht mehr das, was sie zu sein pflegte. Bildung war als Ausweg ebenfalls versperrt. Überall in der arabischen Welt erwarben junge Menschen höhere Abschlüsse, doch die Gesellschaft bot den erworbenen Fähigkeiten und Erwartungen nicht den notwendigen Raum. In einem System undurchdringlicher Vetternwirtschaft stießen die meisten Absolventen nicht gegen gläserne Decken, sondern solche aus Granit. Im Dezember 2010 hielt ich ein Motorradtaxi an, auf der Fahrt verwickelte mich der Fahrer in fließendem Englisch in eine Diskussion über die Metaphysik in Eliots Waste Land. Er war der Beste seines Jahrgangs gewesen, hatte dann aber keinen anderen Job gefunden. Ich wünschte ihm viel Glück. Er zuckte nur mit den Schultern: „Hier im Jemen fühle ich mich wie im Gefängnis.“ Kurz darauf sollten dieser junge Mann und Millionen seiner Altersgenossen den Lauf der arabischen Geschichte ebenso bestimmen wie die „Demonarchen“ und Diktatoren. Denn just in diesem Augenblick wandten junge Leute wie mein metaphysischer Motorradfahrer ihren Blick in die andere Richtung, aus dem Gefängnis, der Vergangenheit heraus, einer goldenen Zukunft entgegen. Weshalb sollte man sich dem Wurf einer Münze mit Autokraten auf der Kopf- und Islamokraten auf der Zahlseite aussetzen und den Ausgang allein dem freien Fall der Anarchie überlassen? Natürlich gibt man nach, wenn all die höllische Feuerkraft in Händen von Autokraten und Islamokraten liegt. Doch wie schon die ältesten arabischen Dichter und Redner wussten und vor allem der Koran auf höchst beredte Weise darlegt, vermögen auch Worte zu Waffen zu werden.
Der Frühling, auf den kein Sommer folgte Bereits vor über 40 Jahren bezeichnete der marokkanische Schriftsteller Abdallah Laroui die Zeit der Ernüchterung als „den langen Winter der Araber“.53 Schon damals fühlte er sich lange an, dabei hatte die kalte Jahreszeit erst begonnen. Mit den Ereignissen um die Jahrtausendwende – die al-Qaida-Angriffe auf die Vereinigten Staaten, der amerikanische „Krieg gegen den Terror“, die Destabilisierung des Irak – erreichte dieser Winter seinen dunklen Wendepunkt. Zu guter Letzt kommt jede Jahreszeit zu einem Ende, und Ende 2010 schien der Zeitpunkt endlich gekommen zu sein.
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Und wie bei einem Frühlingsritus musste ein Opfer dargebracht werden. Die Geschichte von Mohammed Bouazizi, dem jungen tunesischen Straßenverkäufer, der sich aus Protest gegen Polizeiwillkür selbst in Brand steckte und im Januar 2011 verstarb, ist vielfach erzählt worden.54 Im ganzen Land machte sich Zorn über seinen Tod breit, der auf weite Teile der arabischen Welt übergriff und einen Massenaufstand gegen Tyrannei, Korruption und die Willkürherrschaft autoritärer Regime lostrat. Sprache und technischer Fortschritt, jene zwei beständigen Werkzeuge der Revolution, sollten auch dieser spontanen Erhebung Form und Richtung geben. Altbekannte Parolen kombiniert mit den brandneuen sozialen Medien bereiteten den Weg für das, was bald darauf und, wie sich zeigen sollte, vorschnell als Arabischer Frühling bekannt wurde. („Weil man den Frühling nie vergisst und noch nach fünfzigmal vermisst …“55) Protestpotenzial war natürlich stets vorhanden gewesen – meist im Verborgenen schlummernd, brach es doch von Zeit zu Zeit und an wechselnden Orten hervor. Saisonale und regionale Faktoren beeinflussten den Anbruch des Frühlings. Das Besondere war seine geografische Ausdehnung, von Marokko bis Oman, und seine Gleichzeitigkeit. Von der ungeahnten Geschwindigkeit und Reichweite der Revolution einmal abgesehen, spielte Altbewährtes mit hinein. Zum einen die zentrale Lage Ägyptens – für Protest immer schon ein fruchtbares Land – als Bindeglied zwischen Maghreb und Maschrik. Blickt man ein wenig zurück, war es bereits 1977 in Ägypten zu sogenannten Brotunruhen gekommen. Infolge der Niederlage im Krieg mit Israel demonstrierte im Jahr 1968 „eine Generation, die systematisch belogen worden war“, wie Fouad Ajami sie nannte, gegen die in ihren Augen Scheinheiligkeit von Nassers Regime.56 Noch früher, während des Aufstands von Ahmed Urabi in den Jahren 1881/82,57 hielten Antiregierungssoldaten, die die Bevölkerung vor den Herrschenden beschützten, den Abdin-Platz besetzt, seinerzeit der zentrale öffentliche Ort in Kairo. Und in frühmamlukischen Zeiten protestierten dort die sogenannten harāfīsch oder „Gauner“ öffentlich und lautstark gegen die Ausschweifungen des langlebigen Sultans al-Nāsir.58 Und deren (von den Chronisten) zuʿʿār, „Schläger“, genannten Nachfolger zettelten gelegentlich Aufstände gegen die osmanischen wie mamlukischen Machthaber an.59 Von all diesen Ereignissen unterschied sich der Protest des Jahres 2011 durch die Geschwindigkeit, mit der die Saat der in Tunesien zu Tage getretenen und in Ägypten ausgebrüteten Unzufriedenheit sich über alle Grenzen hinweg ausbreitete: In der gesamten arabischen Welt konnten Fernsehzuschauer und Internetnutzer die Entwicklung der Proteste live mitverfolgen. Die Mehrzahl blieb, wie eh und je, reglos, untätig sitzen. Die sich mitreißen ließen, lösten jedoch eine Bewegung aus.
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Der Einsatz neuer Technologien zur Artikulation von Protest war dagegen nicht neu. Die Vorfahren der Demonstranten in Kairo waren während des Urabi-Aufstands durch die politischen Kolumnen der neuen Kairoer Zeitungen mobilisiert worden, 2011 mobilisierten die Aktivisten über Facebookseiten.60 (Vom Einsatz der neuen Schrift zur Verbreitung der islamischen Revolution im 7. Jahrhundert ganz zu schweigen.) Doch überragte die Technik im Jahr 2011 mit ihrer geografischen wie auch gesellschaftlichen Reichweite alles bisher Dagewesene. Während des Arabischen Frühlings „trafen Gedanken aufeinander“61 – aber auch Haartrachten: Auf dem Tahrir-Platz in Kairo gestand ein islamistischer Demonstrant seinem neuen linken Protestgefährten, „dem säkularen und zotteligen Adam“: „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal mit jemandem mit so langen Haaren reden würde.“ Worauf Adam erwiderte: „Ich hätte mir genauso wenig vorstellen können, mit jemandem mit einem so langen Bart befreundet zu sein.“62 Linke und Fundamentalisten kamen zusammen. Ebenso Worte und Freiheit. Die neuen Technologien waren unkontrollierbar und unzensierbar, genau wie die Menge. „Wir sind alle gemeinsam hier“, stellte die ägyptische Schriftstellerin Ahdaf Soueif auf dem Tahrir-Platz fest, „und tun, was uns über Jahrzehnte hinweg verwehrt geblieben ist: Jeder einzelne spricht, handelt, drückt sich aus.“63 Dabei kamen zahlreiche, von der offizielen Linie abweichende Wahrheiten zur Sprache. „Dieses [ägyptische] Regime lügt mit jedem Atemzug.“64 Alle Regime taten das. Allerorten wärmten die Regierungsmedien die uralte Lüge auf, die Demonstrierenden seien „ausländische Agenten“.65 Manchmal präzisierten die staatlichen Stellen ihre Desinformation: Als am 18. März 2011 – dem Tag, den die Protestbewegung später „Freitag der Würde“ nannte –, in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa über 50 Demonstranten von Heckenschützen getötet wurden, brachte Salihs Regime die Nachricht in Umlauf, bei den Scharfschützen habe es sich um in ihrer Ruhe gestörte Anwohner gehandelt. Wie bei jeder ordentlichen Revolution seit dem Islam durften Parolen nicht fehlen. Mit ihrer jahrhundertelangen Protesterfahrung erwiesen sich die Kairoer als beherzte Meister des politischen Haiku. Eine gängige, skandierte Forderung war die nach ʿAīsh! Hurriyya!
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Karāma insāniyya! Brot! Freiheit! Und Menschenwürde!66 Da war er wieder, der Ruf nach Würde. Wenngleich dem Slogan die ganz eigene Würze des pro-osmanischen Schlachtrufs aus der Zeit, als Napoleon Kairo besetzt hielt, abgeht: Gott schütze den Sultan! Gott verderbe Fart al-rummān!67 Fart al-rummān, der „Granatapfelkern“ (oder als lyrische Metapher die „Brustwarze“), war die Verballhornung von Bartulmīn, der Name eines prominenten Christen aus Kairo im Dienst der Franzosen. Auch die unverfrorenen „Gauner“, die sich im 14. Jahrhundert zu Tausenden unterhalb der Zitadelle von Kairo versammelten, forderten den chronisch hinkenden Sultan mit ihrem Schlachtruf „Hinkendes Elend, lass ihn gehen!“68 dazu auf, ihren Anführer freizulassen – mit Erfolg. Als man den Mann kurze Zeit später wieder verhaftete, protestierten Kairoer Waisenkinder in Scharen – woraufhin man ihn erneut auf freien Fuß setzte. Um aber auf 2011 zurückzukommen, so erhob sich in jedem vom Arabischen Frühling erfassten Land die einfache, aber rhythmische Parole: Al-schaʿb yurīd isqāt al-nizām. Das Volk Will Den Sturz des Regimes. Auf den ersten Blick scheint es dieselbe Forderung zu sein, die auch in Lateinamerika Diktatoren gestürzt und in Europa Throne ins Wanken gebracht hat. Doch für die Bewohner der Region und Historiker ist al-schaʿb, „das Volk“, ein Begriff mit ganz anderen Bezügen: Es erinnert an jene antiken südarabischen Inschriften, in denen schaʿb die sesshafte, nicht stammesgebundene, plurale Gesellschaft meint, aber auch an die Schuʿūbiyya, die pluralistischen „Volksbewegungen“ des 8. Jahrhunderts im arabischen Reich, in denen verschiedene Völker nach Gleichstellung mit der herrschenden, imperialen Elite strebten.
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Eine Parole also, die mit vergangener Bedeutung aufgeladen ist, aber auch Gefahren für die Gegenwart birgt. Beim letzten Wort nizām handelt es sich um eine Lehnübersetzung des französischen régime, im Arabischen ein „bipolarer“ Begriff: In seiner entlehnten Bedeutung bedeutet er „(schlechte) Regierung, Herrschaft“, doch im althergebrachten Sinne „(gute) Ordnung, Recht und Ordnung“. Als die Konterrevolution anlief, behaupteten die reaktionären Herrscher einfach, die Jugend des Arabischen Frühlings würde zu Anarchie aufrufen … Die Demonstrierenden waren mit Verlaub keine „ausländischen Agenten“. Aber war ihre Sprache nicht an sich schon fremd, eine Art semantische fünfte Kolonne womöglich? Es war das alte Spiel: Demonstranten importieren neue Wörter, Diktatoren verzerren sie wieder: Ihre „gute“ nizām dient als Fassade für die Anarchie, ihre eigentliche Ordnung ist das Durcheinander. Aber lassen wir die Semantik beiseite. Der bloße Akt des Sprechens verhieß bereits Befreiung. Dabei erhoben nicht allein wütende junge Männer ihre Stimmen. Während des Protests auf dem Tahrir-Platz in Kairo wurde Ahdaf Soueif von einer älteren Frau angesprochen, die gesehen hatte, dass sich die Schriftstellerin Notizen machte: Schreiben Sie, schreiben Sie, dass mein Sohn bei den schabāb [den jungen Leuten] mitmischt. Dass wir es satthaben, was unserem Land angetan wird. Schreiben Sie, dass dieses Regime Muslime und Christen, Arme und Reiche spaltet. Ein Land für Korrupte ist es geworden. Dass es Hunger über uns gebracht hat. „Jeder“, wurde Soueif bewusst, „wirklich jeder hier ist zum Redner geworden. Wir haben unsere Stimme gefunden.“69 Die Stimme war entfesselt. Das Redemonopol des Diktators – in der Grundbedeutung „derjenige, der ununterbrochen spricht“ – war gebrochen. Einzelne Menschen trauten sich, ihre Stimme zu erheben, wie einst die ersten Araber, die Graffiti in Wüstensteine ritzten, oder die suʿlūks, die vagabundierenden Dichter und Freibeuter der Wahrheit, oder wie al-Hallādsch, der Urmärtyrer der freien Rede. Jeder war nun ein Redner und in den bevölkerungsreichen „Demonarchien“ forderten die Menschen – nicht im gehorsamen Gleichklang, wie ihn die Diktatoren lieben, sondern in ihrer ganz eigenen kakofonen Vielstimmigkeit – einen Rechtsstaat ein, einen Staat mit einer Zivilregierung, einen Staat, in dem vor dem Gesetz alle gleich sind. Für den Begriff „zivil“ verwendeten sie das Wort madanī, abgeleitet von madīna, „Stadt“. Ein anderes Wort mit antiken Anklängen wäre ebenfalls naheliegend gewesen: hadarī, schließlich brachte der Arabische Frühling eine neue Variation eines sehr alten Motivs auf die Bühne – die Auseinandersetzung
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nämlich zwischen hadar und badw, zwischen denjenigen, die eine Gesellschaft erschaffen, und jenen, die diese ausplündern wollen. Zwischen Völkern und Stämmen. Allerorten spross die Hoffnung. Noch im Mai 2013 trat ein ägyptischer Dichter im Fernsehen auf, seines Zeichens ein unverbesserlicher, Panglossʼscher Optimist, und prophezeite „bis 2017“ eine geeinte arabische Welt. („Wie ich ihn bewunderte!“, sagte – wie Candide zu Pangloss – Raja Shehadeh über ihn.)70 Doch die meisten hielten sich mit der Hoffnung zurück, die Mehrheit – der kleine Mann im Suk – blieb wie gewohnt stumm und unbewegt, beobachtend, aber teilnahmslos, oftmals ohne überhaupt zu erfassen, worum es bei den Protesten eigentlich ging. Am Ende brachte der Arabische Frühling nichts als einen oberflächlichen Wandel. Adonis, dem als Dichter bewusst war, dass Araber „zwischen den Jahreszeiten feststeckten“,71 beschrieb die arabische Ausweglosigkeit bereits 1980, dem Jahr, als der anhaltend lange Winter begann, prosaisch mit den Worten: Die gegenwärtigen arabischen Regierungen bilden, ungeachtet ihrer tatsächlichen Zahl, im Grunde genommen ein einziges Regime … ein Regime, das im Wesentlichen auf Unterdrückung beruht. Dieses Regime muss entschieden abgelehnt und auf allen Ebenen bekämpft werden. Jedoch bedingt der Kampf gegen das Regime und dessen Sturz nicht notwendigerweise die Entstehung demokratischer Herrschaft. Das liegt daran, dass die gesellschaftliche und wirtschaftliche Infrastruktur selbst repressiv ist … und von Grund auf dekonstruiert werden muss … Die politische Ebene einer Revolution ist die niedrigschwelligste … Die Machtergreifung sollte nur den krönenden Abschluss des umfassenden Demontageprozesses bilden. Ohne diesen Prozess verändert die Machtübernahme nichts.72 Schon die frühislamischen Revolutionäre wussten: „Allah ändert an einem Volk nichts, ehe die Menschen sich nicht selbst ändern.“73 All die Einzelstimmen sind wieder zum Verstummen gebracht worden. Ein weiterer Frühling ohne Sommer. Wie so viele Revolutionen, die von Mohammed inbegriffen, war auch diese von den nach Gerechtigkeit Hungernden angestoßen, aber dann von den Machthungrigen gekapert worden. In einigen Fällen, insbesondere in Ägypten, gleich auf doppelte Weise: Zuerst von den selbsternannten Verfechtern der ancienne révolution, den Islamisten – die langen Bärte hatten bald die langen Haare verdrängt – und dann von den anciens régimes selbst, den unersättlichen Tyrannosauriern.
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Ich möchte es so ausdrücken: Die arabische Geschichte besteht aus einer Serie geraubter Revolutionen.
Der Tyrannosaurus schlägt zurück Ein Jahr nachdem die Muslimbruderschaft in Ägypten durch eine Wahl an die Macht gelangt war, trommelten die alten Herrscher aus dem Militär zum Putsch. Jegliche Opposition, egal ob islamistisch oder unabhängig, wurde zum Schweigen gebracht, viele landeten im Gefängnis und Hunderte wurden zum Tode verurteilt. In Syrien begann Baschar al-Assad, „Demonarch“ in zweiter Generation, damit, Widersacher gnadenlos auszuschalten und einen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen, dem bislang ungefähr eine halbe Million Menschen zum Opfer gefallen sind. In Bahrain walzten saudische Panzer den Aufstand der schiitischen Bevölkerungsmehrheit kurzerhand nieder. In den anderen Monarchien wurden bereits viel dezentere Vorboten des Frühlings im Keim erstickt. Tunesien, wo der Frühling seinen Ausgang nahm, bildet vielleicht die einzige Erfolgsgeschichte. Wir werden noch darauf zurückkommen. Auch im Jemen schien sich eine Erfolgsgeschichte anzubahnen – die aber nach kurzer Zeit in eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes mündete, deren Ursachen in der Vergangenheit zu suchen sind. Ich habe dieses Scheitern miterlebt und, wie alle anderen auch, darunter gelitten. Zuallererst trat Ali Abdullah Salih, der gealterte „Ziegenbock“ und Langzeit-„Demonarch“, geordnet zurück, und überließ das Amt seinem Vizepräsidenten. Im Gegensatz zum ExDiktator Tunesiens, Ben Ali, begab sich Salih jedoch nicht ins vergoldete Exil. Unter garantierter Immunität blieb er zu Hause und schwor – stets listig, nie klug – Rache: Er wollte, wie man auf Arabisch sagt, „seine Leber reinwaschen“. Seine Mitverschwörer, die sich selbst „die Helfer Allahs“ nennen, gehörten einer vom schiitischen Iran beeinflussten, neoimamistischen Bewegung an. Besser bekannt sind sie als Huthis nach dem Nachnamen einiger ihrer Anführer, die alle miteinander verwandt sind und, wie fast die ganze Führungsriege der Gruppe, dem haschimitischen Clan der Quraisch entstammen, um genau zu sein, dem Zweig von Mohammeds Tochter und deren Ehemann, seinem Cousin Ali ibn Abī Tālib. In den vorangegangenen zehn Jahren hatte Salih in nicht weniger als sechs Kriegen gegen eben diese Huthis eine Menge Menschenleben und Ressourcen vergeudet. Nachdem ihm die Macht entglitten war, vollzog er – Ziegen, egal welchen Alters, sind anpassungsfähig – einen Sinneswandel um 180 Grad und schloss ein Bündnis, um die Konsensregierung, die seit dem Arabischen Frühling an der Macht war, mit Waffengewalt aus dem Amt zu jagen – gemäß der Maxime eines Lord Beaverbrook: „Ich will Macht. Küss sie an einem Tag, am nächsten jag sie davon.“74 Jetzt ist der Jemen aufs Neue gespalten, im
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Krieg sowohl mit sich selbst als auch – wie die Huthis – mit allen Nachbarn auf der Halbinsel (außer dem neutral gebliebenen Oman) und einer noch größeren arabischen Koalition. Die Wirtschaft liegt am Boden, Armut und Krankheiten greifen um sich, Unschuldige sterben in Scharen, abweichende Wahrheiten dringen nicht durch und Diskussionen anzuregen wird mit fitna, „Häresie“, gleichgesetzt. Vielfalt und Einheit sind dahin. („Scheiß auf die Einheit!“, rief ein alter Freund von mir, der jetzt mit den Huthis sympathisiert. Das mag zwar nicht die offizielle Linie sein, aber es kam von Herzen.) Drei Rückkopplungen aus der langen arabischen Geschichte verschafften sich während dieser Ereignisse neue Geltung. Einigen älteren Städtern kam es wie ein déja vu vor, als die Armeeeinheiten, die Salih trotz seiner Amtsenthebung treu ergeben waren, den Stammeskämpfern der Huthis – von denen einige kaum älter als zehn oder elf Jahre alt und kaum größer als eine Kalaschnikow sein mochten – die Hauptstadt sowie weite Teile des Landes überließen: Denn bereits im Jahr 1948 hatte der herrschende Imam Ahmed ibn Yahyā die Stämme dazu aufgerufen, die Hauptstadt als Strafe für die Ermordung seines Vaters zu schleifen. Diese Trumpfkarte wird seit altersher ausgespielt. Seit dem Untergang des vorislamischen Saba stützen sich gescheiterte Machthaber bei ihren Rachefeldzügen gegen ihre Widersacher auf marodierende Stämme.75 Dieses Mal sollte Salih seinem eigenen Komplott zum Opfer fallen, denn viele der Stammesmänner fühlten sich ihm nicht wirklich verbunden. Loyalität ist eine Ware, die an den Höchstbietenden geht. Und in diesem Fall wurde Salih von den Huthis überboten. Womit wir bei der zweiten Rückkopplung aus einer fernen Vergangenheit wären: In Gestalt der Huthis stellt der haschimitische Zweig der mekkanischen Quraisch auch 1400 Jahre nach der islamischen Revolution seine Unverwüstlichkeit unter Beweis. Salih hatte sich selbst als Superstammeskrieger in Stellung gebracht, doch die Quraisch, ihre umayyadischen wie abbasidischen Verzweigungen eingeschlossen, haben sich stets aufs Neue als der eigentliche Superstamm erwiesen. Das dritte altbekannte Motiv kehrt in der unerbittlichen Reaktion der arabischen Koalition gegen die Huthis wieder, wobei die Nachbarn des Jemen die am Iran orientierte Bewegung als neue Vorhut eines tausendjährigen Feldzuges der Perser zur Unterjochung des arabischen Subkontinents betrachten. Auch dieses dritte Motiv hat sich kaum gewandelt: In der plumpen Propaganda am Golf werden die iranischen Unterstützer der Huthis als „Madschūs“ bezeichnet, „Magier“ oder Zoroastrier, als hingen sie fast 1400 Jahre, nachdem ihre Vorfahren sich dem Islam zuwandten, noch immer der Staatsreligion der antiken persischen Schahs an … Man muss kein Romancier sein, um wie Lawrence Durrell Geschichte als „ein weites Feld aus Analogien“ zu betrachten.76
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Die Wiedervereinigung des Jemen knapp 24 Jahre vor all diesen katastrophalen Ereignissen war ein Anlass zum Feiern gewesen. Wenn sich das Land nun selbst wieder entzweit, folgt es damit allenfalls einer Art Mode. Fast überall in der arabischen Welt herrscht Unfrieden. In Ägypten liegt die Uneinigkeit verdeckt unter einem Mantel des Schweigens, die Opposition ist juristisch geknebelt oder steht mit dem Rücken zur Wand. Andernorts herrscht offene Zwietracht: Wie der Jemen zerfällt Libyen in seine Bestandteile, die entweder von einer legitimen Regierung kontrolliert werden oder von Milizen und bewaffneten Banden, die nicht mal diese Bezeichnung verdienen. Im Libanon existiert die Hisbollah als Staat im Staate. In Palästina schneidet der israelische Dolch den von der Hamas regierten Gazastreifen vom Westjordanland ab, das von der Fatah regiert wird, wobei beide untereinander die Dolche zücken. In Syrien, gegen das die Büchse der Pandora wie eine Dose Mehlwürmer wirkt, wüten neben der aktuellen Supermacht, den Vereinigten Staaten, gleich drei ehemalige Supermächten – die Türkei, Iran und Russland. Das Hornissennest im Irak ist durch die erstgenannte Großmacht wieder zu giftspritzendem Leben erweckt worden. Der Sudan hat sich, aus durchaus nachvollziehbaren Gründen, in einen arabischen und einen nichtarabischen Teil aufgespalten. In Algerien könnte die Lage schlimmer sein, wenn nicht die Algerier nach dem verhängnisvollen Bürgerkrieg in den 1990er-Jahren mit sechsstelligen Todeszahlen des Tötens müde wären. Überhaupt scheinen nur noch die absolutistischen Monarchien zu funktionieren – und damit ausgerechnet das System, das im überwiegenden Rest der Welt als überwunden gilt. Möglicherweise behalten die Wahrsager in den Suks also Recht: Araber sind anders – sie müssen von alHadschādsch, von Saddam mit Stöcken regiert werden und das Gerede von Freiheit und Wahrheit und Frühling ist alles nur wieder westliche Augenwischerei. Wird der Stock gar vererbt wie ein Zepter – nun denn, so erspart dies jede Menge Blutvergießen. Allerdings gibt es bislang eine Ausnahme: Tunesien, das einzige Land, in dem der Arabische Frühling relativ erfolgreich endete. Das Land ist nicht frei von Problemen, darunter sporadische islamistische Terroranschläge, aber eine grundlegende Stabilität scheint vorhanden. Warum gerade dort und nicht anderswo? Vielleicht liegt es zum Teil daran, weil dort die erste Frühlingsrevolution stattfand und der alte Diktator aus persönlicher Schadensbegrenzung das Weite suchte, ehe er dem Beispiel seiner Tyrannosaurus-Genossen folgen und zurückschlagen konnte. Zum Teil liegt es aber auch an einer aufgeklärten Führungsriege: Munsif al-Marzūqī, Tunesiens erster Präsident nach der Revolution, galt schon 20 Jahre zuvor als Sacharows und Solschenizyns Bruder im Geiste.77 Wahrscheinlich lag es aber auch, um ehrlich zu sein, am von alters her
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bestehenden Übergewicht von hadāra gegenüber badāwa, sesshafter Zivilisation gegenüber Nomadentum. Im 1. Jahrtausend v. Chr. verwandelten die Phönizier Tunesien in einen Handelsknotenpunkt. Das Land bildete die wohlhabende römische Provinz „Africa“, aus der Weizen und Olivenöl nach Italien exportiert wurden. Im Zuge der arabischen Machtübernahme und der Gründung der Garnisons- und Handelsstadt Kairouan entwickelte es sich zum administrativen Zentrum im Maghreb. Die Wanderbewegungen und Verheerungen der Banū Hilāl und anderer arabischer Stämme im 11. Jahrhundert gingen glimpflicher als andernorts vorüber. Auch die französischen Kolonialherren fassten, da die mission civilisatrice seit der Antike abgeschlossen war, das Land weniger hart an als den Rest der Region und die Trennung von Frankreich verlief weit weniger gewalttätig als im benachbarten Algerien. In die Unabhängigkeit führte Tunesien der fortschrittliche Habib Bourguiba, der ein Viertel des Haushaltbudgets für Bildung ausgab, die Emanzipation der Frauen anstieß und sogar per Gesetz versuchte, wenn auch erfolglos, die arbeitende Bevölkerung im Ramadan vom Fasten abzuhalten.78 Zudem fehlt das ausgedehnte, unterentwickelte tribale Hinterland, das in den meisten anderen arabischen Staaten flächenmäßig den Löwenanteil ausmacht. Und zu guter Letzt ist das Land, im Gegensatz zu den meisten arabischen Ländern heutzutage, geografisch wie kulturell immer nach außen gewandt gewesen: Tunesiens Herz schlägt an der Küste. Vielleicht ist Tunesien also die passende Antwort auf all die Suk-Wahrsager und Kasba-Kassandras. Zunächst einmal ist deren Prämisse, „die Araber“ seien anders als alle anderen, falsch. Araber sind zu vielfältig, zu unterschiedlich, haben sich zu lange und zu tiefgreifend mit den Völkern eines Großreichs vermischt, um in einen Topf geworfen zu werden oder gar ein „die“ vorangestellt zu bekommen. Was sie dagegen tatsächlich von anderen unterscheidet, ist das historische Umfeld, insbesondere ihre Ausgangslage auf dem arabischen Subkontinent. Diese begünstigte das Yin und Yang aus hadar und badw, das siamesische Zwillingspaar, das streitet und dennoch aufeinander angewiesen ist, wobei die sesshafte Kultur niemals wie im Rest der Welt den entscheidenden Sieg davongetragen hat. Die Kriege der Gegenwart werden am erbittertsten dort ausgetragen, wo es die meisten Kontakte und Konflikte zwischen diesen beiden Gesellschaftsformen gibt: Hier im Jemen, dem kleineren Fruchtbaren Halbmond im Süden, sowie im großen Halbmond im Norden in Syrien und dem Irak. Weniger vehement tritt der Konflikt in Ländern zu Tage, wo im Laufe der Zeiten Sesshaftigkeit und Offenheit vorherrschten. Natürlich lässt sich das Gesamtbild nie vollkommen eindeutig mit „nomadisch“ gegen „sesshaft“, Stämme gegen Völker umreißen. So ist es nie gewesen.
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Doch allem Anschein nach liegt der Geschichte dieser Dualismus zugrunde und wirkt sich auf die Gegenwart aus, in der eine abgewandelte Form von badāwa überwiegt. Wo sie herrührt, liegt nicht direkt auf der Hand, da „badw“ unserer Tage für gewöhnlich keine Kamele mehr reiten oder in Zelten leben. Nehmen wir zum Beispiel Hafiz al-Assad, der im Vergleich zu seinem Sohn Baschar, der in London Augenheilkunde studierte, wie ein Gemüsehändler wirkte. Nichtsdestotrotz sind beide, wie auch viele ihrer Autokraten-Kollegen, nicht weniger Räuber und Hirten als die rauen Wüstendynasten in Ibn Chaldūns klassischer Theorie. Durch Raubüberfälle ergreifen sie die Macht und halten sie aufrecht, ihr Volk – ihre raʿiyya, „Untergebenen“ oder gemäß der früheren Bedeutung, ihre „persönliche Herde“79 – kontrollieren sie, indem sie das Denken einpferchen.
2021/1443 Das Einpferchen gestaltet sich – durch Propaganda und Rhetorik – mit den Fortschritten in der Informationstechnik immer effizienter. Das Volk, die Herde, weidet gleichmütig auf einem buchstäblich fantastischen Feld: Es schluckt, was die Machthabenden ihm vorfantasieren. Aber wie ist das in einer von unterschiedlichsten Informationsquellen durchdrungenen Welt möglich? Selbst die repressivsten arabischen Regime haben weder das Satellitenfernsehen noch das Internet verboten – mit dessen Hilfe ein neues Stadium arabischer Geschichte anbrechen sollte. Die technologischen Entwicklungen sollten dem lange unterdrückten arabischen Volk die in liberalen Demokratien herrschenden Freiheiten vor Augen führen. Darin lag zumindest die Hoffnung des Arabischen Frühlings. Die neuen Wahrheiten prallten jedoch auf eine allgemeine Trägheit, eine Art Schutzwall. Denn viele Araber, wenn nicht die Mehrheit, leiden unter einem kollektiven Stockholm-Syndrom. Dahinter verbirgt sich ein „Bewältigungsmechanismus“: Wer unter dem Bann allmächtiger Männer steht, wird, anstatt sich die eigene Schwäche und Ohnmacht einzugestehen und somit den Respekt vor sich selbst, seine „Ehre“ zu verlieren, seine Herren als gut und gerecht wahrnehmen. Mit der Zeit entsteht daraus eine rhetorische Wahrheit, ganz egal, wie sehr die Empirie dem widerspricht. Weite Teile des arabischen öffentlichen Lebens funktionieren auf diese Weise, die Realität wird vorsätzlich und bewusst ausgeblendet: „Wir wissen, dass er böse ist, aber wir lieben ihn trotzdem!“ Der Idee, dass jemand „für öffentliche Ämter ungeeignet“ ist, existiert einfach nicht: Wie hoch die persönliche Moral der Menschen im Privaten auch sein mag, das öffentliche Leben ist erwartungsgemäß unmoralisch. Die verdreckten Schuhe streift man vor der Tür ab. Drinnen wird alles rein gehalten. Eine der großen Bipolaritäten der arabischen Existenz.
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Natürlich musste sich das Gros der Menschheit in der Geschichte mit Autoritäten, ob bösartig oder nicht, abfinden. Das ist oft eine Frage des Überlebens. Dass Araber diesem Überlebenskampf bis auf Weiteres ausgesetzt sind, hängt nicht nur an ihren repressiven Machthabern oder an ihren persönlichen Bewältigungsstrategien. Es liegt auch an der Rolle, die der Islam in dieser gezielt verworrenen Gemengelage aus religiösen Überzeugungen und Politik einnimmt. So wie es einen „politischen Islam“ gibt und immer schon gab, existiert auch „islamische“ Politik – und zwar nicht in irgendeinem spirituellen, moralischen oder ideologischen Sinne von islām, sondern in der grundlegendsten Bedeutung des Wortes von „demütiger Unterwerfung“. Von meinem Fenster aus lässt sich das beobachten. Auf den Bannern mit Loyalitätsbekundungen für den Huthi-Führer stehen die Worte: Labbaika Yā Qāʾid Al-Thaura! Zu deinen Diensten, o Führer der Revolution! Dieses erste Wort labbaika ist im Arabischen alles andere als ein Alltagsbegriff, sogar im Hocharabischen gebraucht man es selten. Es findet normalerweise nur in zwei Kontexten Anwendung: Zum einen in Tausendundeine Nacht als Ausspruch eines Dschinns, der aus einer verzauberten Lampe oder einem Ring steigt, um seinem jeweiligen Herrn zu dienen, zum anderen als Pilgerformel auf dem Weg nach Mekka, um sich an Gott zu wenden. Sowohl Dschinn als auch Pilger befinden sich in einem unterwürfigen, dienenden Verhältnis. Ausländer meinen oft, Araber wollten oder sollten zumindest „Freiheit“ von ihren Tyrannen erlangen. Einige tun das ja auch, doch das sind diejenigen, die bereits die Sprache der Fremden sprechen. Die reglose, stumme, apathische Masse stimmt insgeheim mit dem Tyrannosaurus überein und kollaboriert. Beide sind, wie Samuel Johnson schon sagte, Komplizen: „Die Wirkung der List ist vielmehr der Leichtgläubigkeit anderer zuzuschreiben.“80 Die Leichtgläubigkeit beruht auf Gegenseitigkeit: Die Erzählung von „Des Kaisers neue Kleider“ scheint einem arabischen Publikum heutzutage auf den Leib geschneidert. Die arabischen Freidenker – mit anderen Worten die Dichter – sind sich des kollektiven Stockholm-Syndroms lange gewahr. Im 6. Jahrhundert schmähte Imruʾ al-Qais die Mörder seines Vaters als „des Stockes Sklaven“ und somit als servile Deppen ihrer Anführer.81 Ein späterer Dichter sprach verbittert: Wenn Taugenichtse Thröne zieren, sich Herrscherroben umdrapieren,
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Dann hast du dich der Macht zu beugen, zu buckeln, nicken, kuschen, kreuchen. … Wenn Löwen verschwinden und Affen sich winden – dann tanze im Takte des Äffchens.82 Als Ibn Challikān diesen Vers im 13. Jahrhundert zitierte, war die letzte Zeile als Redewendung geläufig. Diesem Sprichwort neues Leben einzuhauchen, ist mehr als überfällig. Ob Araber sich dem Taktstock und dessen Rhythmus, dem hypnotisierenden Tanz zur Musik der Zeit, jemals entziehen werden, steht seit beinahe 200 Jahren, seit dem Erwachen im 19. Jahrhundert, regelmäßig zur Debatte. Der Bruch wird sich nicht ewig hinauszögern lassen, braucht aber wohl noch Hunderte weiterer Frühlinge. „Gebt mir fünfhundert Jahre“, lauteten 1949 die berühmt gewordenen Worte des syrischen Führers Husnī al-Zaʿīm, „und ich mache aus Syrien ein so florierendes und aufgeklärtes Land wie die Schweiz.“83 Wahrscheinlich hatte er recht. Die Geschichte lässt sich nicht hetzen. Vielleicht kennen unterschiedliche Entwicklungen ein je unterschiedliches Zeitmaß: Während heute (2021 n. Chr./1443 nach der Hidschra) Araber laut der Datumsanzeige ihrer Smartphones mehrheitlich im Jahr 2021 n. Chr. leben, befinden sie sich, was soziopolitische Entwicklungen angeht, fast allesamt noch im Jahr 1443 n. Chr.: Das heißt noch vor Gutenberg, Reformation, Aufklärung, Französischer und Russischer Revolution, Weltkrieg, Frühling (wenigstens einem siegreichen). Ich urteile keineswegs herablassend oder gar böswillig. Aber die Geschichte scheint in unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit dahinzufließen – was sich innerhalb der arabischen Welt selbst beobachten lässt. (In Dubai war ich im höchsten Wolkenkratzer der Welt bei Prinzen zu Gast; auf der jemenitischen Insel Sokotra, wo ich ebenfalls fürstlich empfangen wurde, habe ich mich wiederum mit Höhlenbewohnern an rohen Ziegennieren gütlich getan.) Bisweilen bilden sich auch Strudel, innerhalb derer der Fluss zurückströmt. Wahrscheinlich war in den vergangenen Jahrzehnten genau das in der arabischen Welt zu beobachten. Im Vergleich mit der gesamten Menschheitsgeschichte wirkt der vergangene, knapp sechshundertjährige Leerlauf beinahe nichtig. Im Vergleich zur menschlichen Politik- und Geistesgeschichte – sofern wir deren Anfänge auf die Zeit legen, als die Menschen vor 100 000 bis 50 000 Jahren zu sprechen begannen84 – machen diese 600 Jahre gerade einmal ein Prozent oder sogar noch weniger aus. Gleichzeitig war diese Zeitspanne eine Art historisches accelerando. Europa durchlief seine politische Pubertät. Der Arabische Frühling ist Teil des verzögerten und nun auf
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unbestimmte Zeit aufgeschobenen Beginns des Erwachsenwerdens, der Beginn des Vertrauensverlusts in „paternalistische“ Herrschaft („Er ist mein Vater!“) – wenn auch bei Weitem nicht für alle. Der Rest verharrt in altbekannten Mustern, in einer beunruhigenden Unschuld wie Peter Pan. Selbstredend muss der Wandel kein halbes Jahrtausend in Anspruch nehmen. In Osteuropa und Südamerika sind in jüngerer Zeit viele Diktaturen innerhalb weniger Jahre durch relativ funktionstüchtige Demokratien ersetzt worden, in Spanien nach Francos Tod fast von einem Tag auf den anderen. Es liegt jedoch im Interesse der Tyrannen, dass der Wandel sich hinzieht: Das verschafft ihnen eine Galgenfrist. Momentan schlafen sie noch ruhig. Oder zumindest mit einem offenen Auge, denn voreinander müssen sie sich mehr fürchten als vor ihrem eigenen Volk.
Ein Freudenfeuer der Wahrheit Es gibt noch eine weitere Antwort auf die Frage, warum die Tyrannen so ruhig schlafen können. Der Arabische Frühling mag eine „Facebook-Revolution“ gewesen sein, wurde aber bald Opfer der neuen Technologien. Während vor einem Jahrzehnt nur eine überschaubare Zahl Araber in sozialen Medien aktiv war, nutzen heute mehr Araber soziale Medien – darunter mittlerweile auch die Herrscher. Aus ihnen sind passionierte mufasbikūn, „Facebooker“, sowie mugharridūn, „Zwitscherer“, „Twitterer“, geworden. Denn es war schon immer ihre Stärke, die Stimme zu einen. Nun halten sie die idealen Instrumente in Händen, um diese Stimme unmittelbar in all die durch Smartphones miteinander verbundenen Köpfe einzupflanzen. „Worte“, sagte Nizār Qabbānī, sind Morphiumspritzen, seit dem 7. Jahrhundert Rauschgift für massenbetäubende Machthaber.85 Heute gelangen die Worte direkt in die Köpfe der Massen. „Lie-Fi“ statt „Wi-Fi“ sozusagen (von englisch lie für „lügen“). Die Nutzer rauschen so in die Tiefen von Benedict Andersons Erfindung der Nation, von Martin Nowaks Buch Kooperative Intelligenz oder Wittgensteins „Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“.86 Als Endprodukt erhalten wir ein programmiertes Proletariat, eine gehirngewaschene Masse. Auch ältere Methoden, um die Stimme zu einen beziehungsweise abweichende Meinungen zu unterdrücken, kommen weiter zum Einsatz. Zum Beispiel schreckt das Herrscherhaus von Katar, immerhin Begründer des hochmodernen Medienunternehmens Al Jazeera, nicht davor zurück, einem stichelnden
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Poeten „die Zunge herauszuschneiden“. Als der katarische Dichter Mohammed al-Adschami moderat kritische Verse zu Gehör brachte, machte man ihm den Prozess und verurteilte ihn zu einer fünfzehnjährigen Gefängnisstrafe.87 Nach drei Jahren Haft wurde er zwar begnadigt, dennoch zeigt sein Fall, inwieweit die alte Magie der Poesie die Inhaber von eher prosaischer Macht immer noch das Fürchten lehrt. Für die Poetik der Macht hingegen liefert Dubai ein Beispiel: Eine der drei künstlichen Inselgruppen der berühmten Palmenarchipele soll nach der Fertigstellung von einem Inselring in der Form eines Gedichtverses des Herrschers umfasst werden: „Es braucht einen Visionär, um auf Wasser zu schreiben …“ Eintausend Jahre nachdem Sultan Qābūs von Gorgan im gläsernen Sarg in seinem kalligrafischen Grabesturm88 aufgehängt wurde, dienen monumentale Bauwerke mit hochtrabenden Inschriften noch immer dazu, die Macht von Fürsten sowie die Magie der gewundenen, gebundenen arabischen Buchstaben zur Schau zu stellen. Lateinische Großbuchstaben hätten niemals denselben Effekt: Ihnen würde immer etwas vom HOLLYWOOD-Schriftzug anhaften. Die Macht der arabischen Redekunst ist ungebrochen. In Anbetracht der miteinander über den Äther in Wettstreit stehenden Wahrheiten nimmt sie sogar einen höheren Stellenwert ein als jemals zuvor. Wie zur Zeit Tarīfas, der legänderen, vorislamischen Seherin, ähnelt das Aussprechen der Wahrheit dem Erzählen eines Witzes: Es kommt darauf an, wie man erzählt. Ein alter Vers bringt es auf den Punkt: Nenn es „süßen Honigbienensaft“ oder „Stechinsektenspucke“: Es ist die Kunst, die beim Hörer Bilder schafft, die Tageslicht spinnt aus dunkelster Nacht.89 Zugegebenermaßen bedarf es bei der Ausübung der Kunst keiner großen Finesse. Auf Radio Sanaa kam mir kürzlich zu Ohren: Moderator [in oberlehrerhaftem, spöttisch unbeteiligtem Tonfall]: Anders als viele Menschen annehmen, sind die USA kein christlicher Staat. Sie sind eigentlich ein jüdischer Staat.90 Auf öffentlichen Plätzen sind die Wände zugepflastert mit meterhohen, akkurat kalligrafierten Propagandasprüchen. Ein etwas neuerer aus dem Jahr 2017, als es zu einem massiven Choleraausbruch im Jemen kam, lautet: DIE CHOLERA IST DAS GESCHENK AMERIKAS.
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Solche „Fakten“ erhalten durch Wiederholung ihre ganz eigene, surreale Aktualität, insbesondere dann, wenn niemand sie öffentlich in Frage stellen darf. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, die Lügen so laut und so oft wie nur möglich hinauszuspeien – wer darüber hinaus Radio- und Fernsehsender unter seine Kontrolle bringt und sich einen oder zwei Satellitenkanäle leisten kann sowie die technischen Voraussetzungen, um Millionen Smartphones zu erreichen, der vermag alles andere zu übertönen. Die Auswirkungen sind erschreckend. Zum Beispiel sind mittlerweile auch die Nachbarn in den im Jemen tobenden Bürgerkrieg involviert. Aus Interviews mit gefangen genommenen ausländischen AntiKoalitionskämpfern ging hervor, dass viele davon ausgegangen waren, gegen „Amerikaner und Israelis“ zu kämpfen, und nicht gegen andere Araber und Muslime.91 Kein Wunder also, dass die arabische Einheit unerreichbar scheint. In den 1950er-Jahren beschrieb Claude Lévi-Strauss die Empfänglichkeit der Menschen für Lügen, „welche die schriftlichen Dokumente in noch größerem Maße verbreiteten als das gesprochene Wort. Ohne Zweifel sind die Würfel gefallen.“92 In der Tat sind sie das. Die Kontrolleure der Wahrheit haben mit Transistorradios und Fernsehen, dem Internet und Smartphones ihre eigens geschmiedeten Wahrheiten immer weiter gestreut und sind immer direkter und unmittelbarer in die Köpfe der Menschen eingedrungen. Egal ob von 2021 oder 1443 aus betrachtet, Neunzehnhundertvierundachtzig ist längst Vergangenheit.
Flug ins Nirgendwo Sich im Stillen zu widersetzen und in einer Art innerem, sprachlosen Exil weiterzuleben, ist eine Möglichkeit. Man kann sich aber auch Luft machen, abweichende Wahrheiten aussprechen und dann die Konsequenzen tragen. Die meisten Menschen schlagen einen bequemeren Weg ein: Sie sagen und denken gar nichts. Das ist besser, als den Verstand oder gar das Leben zu verlieren. Unwissenheit, ob vorgespielt oder echt, macht nicht glücklich, sichert aber zumindest das Überleben. Es gibt jedoch noch einen anderen Fluchtweg, die hidschra. Der in Paris ansässige Schriftsteller Chalīl al-Nuʿaimī, der diesen Weg beschritt, erinnerte sich kurz vor dem vermeintlichen Arabischen Frühling an die provinzielle Eintönigkeit seiner syrischen Kindheit und kontrastierte diese mit seiner gegenwärtigen Bewegungsfreiheit und Schöpferkraft: Da stehe ich, weit gekommen … und hinter mir am fernsten Horizont sehe ich die Szenen meiner frühesten Kindheit … Ich sehe al-Tawīla mit seinem roten Hügel, der sich stolz aus der Ebene erhebt. Unmittelbar unterhalb fließt der Chabur, dessen rot gefärbtes Wasser voller Pflanzen-
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reste, Schlamm und Baumwollstängel war, die wir tags zuvor noch aufgelesen hatten. Die Baumwolle war für die riesigen Karawansereien von Aleppo bestimmt, von dort ging ihre Reise weiter – während wir blieben, wo wir waren, ausgestreckt wie herrenlose Leichen. Und jetzt stehe ich hier, räche mich mit meiner weiten Reise für all die unkreative Trägheit … Brich auf! In die Ferne! Deine Vergangenheit wird dich erquicken, denn sie ist es, die dich bis an diesen Ort gebracht hat.93 Dabei reitet er auf derselben Welle, die 100 Jahre zuvor seine Landsleute – wie Dschubrān Chalīl Dschubrān – nach Europa und die beiden Amerikas trug. Heute ist das Reisen für viele Syrer kein schöpferischer Flug mehr, sondern eine Flucht aus der Hölle. Ihre Geschichte liegt zerstört und verloren darnieder und vergießt, wenig erquicklich, Tränen aus Blut. Im Angesicht seines eigenen Untergangs drohte Muammar al-Gaddafi damit, Europa mit Flüchtlingen zu überschwemmen. Seine Drohung entpuppte sich als Prophezeiung, allerdings in einer Größenordnung, die selbst der libysche „Anarcharch“ nicht hatte kommen sehen. Allein aus Syrien sind mehr als fünf Millionen Menschen geflohen – beinahe ein Drittel der Bevölkerung.94 Es scheint fast so, als verwandele sich die arabische Geschichte in eine düstere Parodie ihrer eigenen Anfänge: Die ehemals sporadischen Fluchtwellen aus dem nördlichen Fruchtbaren Halbmond sind mittlerweile zu einer unaufhaltsamen Menschenflut angewachsen. Auf ein Neues erleben Millionen den Leidensweg Ismāʿīls, des legendären arabischen Ahnen. Europa und Amerika schließen ihre Tore, da die neue Diaspora Ängste schürt, die in Frankreich, den Niederlanden, in Großbritannien, das wiederum Europa entflieht, und in den Vereinigten Staaten der Ära Trump von Populisten und antiliberalen Politikern noch angefeuert werden. Die Reaktion arabischer Demagogen und ihrer hörigen demoi auf den Arabischen Frühling findet weltweit Nachahmer: Die Tage der Dinosaurier sind keineswegs gezählt, und das gilt nicht nur für die arabische Welt. Nichts ist sicher: Weder die liberale Demokratie im Westen, noch das Leben eines einzigen Kindes in Syrien oder dem Jemen. Diejenigen von uns, die wir in der arabischen Welt zurückbleiben, vor allem in den bewegten Regionen des Fruchtbaren Halbmonds im Norden wie im Süden, befinden uns momentan im Übergang vom Zeitalter der Ernüchterung in ein Zeitalter der Hoffnungslosigkeit. Uralte Ortschaften, antike Kulturzentren inmitten tribaler Gebiete, sind am heißesten umkämpft: Im Jemen Sanaa und Taizz, im Irak Mosul, in Syrien al-Raqqa und Aleppo. Im seit der Zeit der Akkader stets umkämpften Aleppo zum Beispiel sind heute viele der riesigen Ka-
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rawansereien, zu denen die Baumwolle in al-Nuʿaimīs Kindheit verbracht wurde, bis zur Unkenntlichkeit zerbombt. Die Zitadelle, al-Schahbāʾ, „die Graue“, in der im 10. Jahrhundert die hamdanidischen Gönner al-Mutanabbīs den Dichter mit Gold überhäuften, und die später einer Belagerung durch Hülegüs Mongolen standhielt: Sehet! Ihr fester, massiger Felsen lacht trutzend den Schlägen der Feindesmacht,95 ist von modernster Artillerie zerschossen und lacht nur noch lückenhaft. Die Zerstörung der Moschee von Hama durch Hafiz al-Assad, den Gemüsehändler, hat sein Sohn, der Augenarzt Baschar, in Aleppo wiederholt (wenngleich in dem Fall strittig ist, welche der beteiligten Konfliktparteien dafür verantwortlich ist). Zwanzig Jahre zuvor war beim Anblick dieser zweiten Moschee in Aleppo, diesem von Licht und Zeit durchdrungenen Ort, die tiefe Melancholie, die mich während meines Ausflugs zu den Altertümern Syriens seit Hama verfolgt hatte, endgültig von mir gewichen. Vor dem Bau der Ummayydenmoschee lag an dieser Stelle der Garten der byzantinischen Kathedrale und davor die hellenistische Agora. Ich war auf Spurensuche nach dem, was der Reisende Ibn Battūta im 14. Jahrhundert als „eines der schönsten Gebäude überhaupt“ beschrieb. Insbesondere war ich gespannt auf das „ringsum weiträumige Pflaster, die Kanzel von einzigartiger Kunstfertigkeit mit Elfenbein und Ebenholz ausgelegt“.96 Gut 600 Jahre später fand ich das Pflaster, den Boden des Innenhofes, im selben Zustand wie mein Vorgänger vor. Die Rechtecke aus hellem und dunklem Stein breiteten sich wie eine riesige Ansammlung polierter Gebetsteppiche unter dem schriftumkränzten, seldschukischen Minarett aus. Ältere Bewohner Aleppos genossen auf Stühlen sitzend oder lesend die Sonne. Die Predigerkanzel, der minbar, ein Geschenk des mamlukischen Herrschers al-Nāsir, war zu Ibn Battūtas Zeit nagelneu gewesen – und sie war immer noch erhalten, hölzerne Stufen, die ins Nirgendwo führten, zu nichts als hochfliegenden Worten: Die Oberfläche, bestehend aus ineinander verschränkt gelegten, fruchtbaumhölzernen Polygonen, durchwirkt von tief eingeschnitzten Kleeblättern aus Elfenbein sowie detailreichen Wandverzierungen aus kreuz und quer verlaufenden Ebenholzstreben, auf deren Knotenpunkten winzige Elfenbeinknäufe saßen. Ein paar wenige Einzelteile der Einlegearbeiten waren verlustig gegangen, davon abgesehen war alles so, wie Ibn Battūta es mit seinen Augen gesehen hatte. Die Kunstfertigkeit war in der Tat
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einzigartig. Die ineinander übergehenden, vielfarbigen Teile bildeten eine Bachfuge für die Augen.97 Und da stand ich nun und sah es mit den Augen Ibn Battūtas: ein ungebrochenes zeitliches Kontinuum. Einen Moment lang war ich in einer Geometrie gefangen, die ewig so hätte weitergehen können. Jetzt, zwei Jahrzehnte sowie sieben Jahre Bürgerkrieg später, liegt auch die Moschee von Aleppo in Trümmern. Das kalligrafisch verzierte Minarett wurde 2013 zum Einsturz gebracht, der mit Steinteppichen ausgelegte Innenhof sowie der Gebetsraum sind zerstört, die Kanzel verschwunden. Womöglich wurde sie „abgebaut und an einen unbekannten Ort verbracht“98, aber gesichert ist das nicht. Wenn die Kriege vorüber sind und der Augenarzt, der „Ziegenbock“, der „Islamische Staat“, die „Helfer Allahs“ und ihresgleichen eins mit Umayyaden und Gindibu dem Araber geworden sind, vielleicht werden sich die Überlebenden von Aleppo dann zurücktrauen und ihr Leben und ihre Stadt wiederaufbauen. Vielleicht auch ihre Kanzel samt dem kunstfertigen Zusammenspiel aus Elfenbein und Ebenholz. Ich hoffe es. Sie bildet das Symmetrie gewordene Wort, einen harmonischen Dialog zwischen Dunkelheit und Licht.
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Nachwort Auf dem Bahnsteig der Geschichte Hätte ich dieses Buch vor zehn Jahren geschrieben, wäre es anders ausgefallen. Die jüngsten Ereignisse haben es düsterer gemacht, als es hätte sein können. Im Rückblick wird sich vielleicht herausstellen, dass auch diese Zeit der Enttäuschung und Ernüchterung von kürzerer Dauer war, als es sich anfühlt, wenn man sie durchlebt. Doch sie zieht sich. In der Einleitung sprach ich von einem Gedicht Nizār Qabbānīs, in dem die Sanduhr als Symbol für arabische Zeit auftaucht. In einem anderen Gedicht greift Qabbānī auf ein anderes Bild für das Vergehen der Zeit zurück: In „Warten auf Ghudu“ - dem arabischen „Godot“ heißt es: Wir warten auf den Zug Wir warten auf einen Reisenden, unbegreiflich wie das Schicksal, der aus dem Gewand der Jahre schlüpft, der aus Badr kommt, aus Yarmūk, aus Hittīn, der aus dem Schwert des Saladin kommt. Die Vergangenheit wird hier in Schlachten und Helden gemessen. In Bezug auf die Gegenwart heißt es weiter: Wir warten auf den Zug Kaputt ist, seit wir eintrafen, die Uhr und die Zeit vergeht nicht … Komm, Ghudu, befreie uns von den Tyrannen und der Tyrannei, denn wir sind wie Schafe gefangen auf dem Bahnsteig der Geschichte.1 Darin klingt Augustinusʼ Interpretation der Zeit als einer immerwährenden Gegenwart an, der ewigen, infernalischen Zeitachse der Hölle.2 Tatsächlich aber ist die Hölle aus einer immerwährenden Vergangenheit, die nicht vergehen will, gemacht - bei Max Weber als „ewiges Gestern“ bezeichnet,3 aus der unerbittlichen, gnadenlosen Autorität der Tradition. Es ist vielleicht kein Zufall, dass das arabische Wort hadīth zwei Bedeutungen hat: „Tradition“ und „modern“.
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Nachwort
Heute, es liegt inzwischen ein Arabischer Frühling zwischen uns und Qabbānīs Gedicht, ist die Uhr immer noch kaputt. Doch die Sanduhr wird weiter gedreht und die Ziehharmonika spielt die immer gleichen Lieder. Wieder hat sich ein Greisenkönig in Saudi-Arabien daran gemacht, „die Stimme zu einen“, das heißt, die Opposition zum Schweigen zu bringen, indem er seinen Sohn zum Kronprinzen ernannt hat und königliche Cousins unter dem Vorwand des Korruptionsverdachts verhaften ließ. Gleichzeitig haben sich SaudiArabien und seine Verbündeten gegen den Nachbarn Katar zusammengerottet, weil das Land es gewagt hat, „den Stab zu brechen“, das heißt, von der geeinten Stimme des Golfstaatenclubs abzuweichen. Ein besonderer Dorn im Auge ist dabei die unabhängige Stimme Katars in den Medien, Al Jazeera Arabic. Mit der Einführung bislang ungeahnter Innovationen in der arabischen Medienlandschaft – investigativer Journalismus – werden dort andere Nachrichten verbreitet als die Kunde vom Glückwunschtelegramm, das der Herrscher dem Präsidenten von Ruritanien zum Nationalfeiertag geschickt hat. Die benachbarten Regime sind der Ansicht, der Kanal habe die giftigen Ideen des Arabischen Frühlings weiter verbreitet. Sie meinen auch, Katar habe eine seit alters her bestehende rote Linie überschritten, als es dem Iran, dem jahrtausendealten Feind, die Hand reichte. In einigen dieser Staaten wurde „ein wohlwollender Umgang mit Katar“ sogar zur Straftat erklärt. Ägyptens Präsident al-Sīsī ließ verlautbaren, er werde Al Jazeera „die Zunge abschneiden“ – mit denselben Worten drohten vorislamische Tyrannen, aufmüpfige Dichter zum Schweigen zu bringen. Während ich letzte Hand an mein Buch legte, traf die Bestätigung des Königshofs in Riad ein, dass der saudi-arabische Staatsbürger und Journalist Jamal Khashoggi, der sich regimekritisch geäußert hatte, beim Besuch des saudi-arabischen Konsulats in Istanbul ermordet wurde.4 Man hatte sich offenbar nicht damit begnügt, ihm die Zunge abzuschneiden: Nach Aussage der türkischen Behörden wurde sein Leichnam zerstückelt und in Säure aufgelöst. Arabische Verbündete Saudi-Arabiens verurteilten die internationale Kritik an dem Mord als Verletzung der Souveränität des Königreichs und der ʿurūba, des Arabertums …5 Viele Stäbe, sehr eng zusammengebunden: Symbole für Autorität, Folter- und Vollstreckungsinstrumente. Wer die europäische Vergangenheit kennt, kann nicht anders als an die Fasces denken, die zum Bündel zusammengeschnürten Ruten, in denen ein Beil steckte, das Amtssymbol der höchsten Machthaber im Römischen Reich. Aber keine Waffe ist so scharf wie das Wort. Seit jeher bildet die Sprache den Kern von Identität, Gemeinschaft und Kontinuität. Die israelische Regierung weiß das ebenso gut wie alle arabischen Herrscher und schnitt im Juli 2018 gleich vielen Menschen gleichzeitig die Zunge ab, als sie dem Arabischen den Status
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einer Amtssprache des Staates Israel aberkannte.6 Für die arabischen 17,5 Prozent der israelischen Bürger, die nicht nur in einem Land, sondern auch in einer Sprache leben, bedeutet das einen weitreichenden Angriff auf ihre Identität. In großen Teilen, wenn nicht sogar im überwiegenden Teil der arabischen Welt scheint die Uhr nicht nur kaputt zu sein, sondern sogar rückwärts zu laufen. Selbst in Tunesien, dem einzigen Land, in dem die Revolutionen von 2011 einigermaßen dauerhafte Wirkungen zu zeitigen schienen, ist der Fortschritt ins Stocken geraten: Weder hat der Arabische Frühling der schwächelnden Wirtschaft wieder auf die Beine verholfen, noch Autokraten, Islamokraten, Tyrannosaurier und Terroristen für immer erledigt. In Syrien scheint der Augenarzt Baschar al-Assad sich dauerhaft an die Macht zu klammern – mit Unterstützung von zwei alten Imperien, die sie ihm vorübergehend überlassen, Russland und Iran. Die Große Moschee von Aleppo, die dem Krieg zum Opfer fiel, der al-Assads Herrschaft verlängerte (und die vermutlich Opfer seiner eigenen Artillerie wurde), wird mit tschetschenischem Geld wiederaufgebaut.7 Der Verbleib der prächtigen Kanzel ist weiterhin ungewiss. In meiner Ecke der arabischen Welt, dem früheren Arabia Felix, dem Glücklichen Arabien, musste ich mitansehen, wie die Bevölkerung eines einigermaßen vereinten Jemen schlafwandelnd – oder im Schlaf geführt – Schritt für Schritt dem ultimativen Albtraum entgegentaumelte, dem Bürgerkrieg. Ich lag im Bett, lauschte den Raketen und fragte mich, ob dies das letzte Geräusch war, das ich hören würde. Das alles war im wahrsten Sinne des Wortes eine Tragödie. Während ich mit der Arbeit an meinem Buch zum Ende kam, lag auch die Herrschaft von Ali Abdullah Salih, dem „Ziegenbock im Offizierskasino“, nach über 30 Jahren an der Macht in den letzten Zügen. 2014 hat er sich aus Rache an denjenigen, die ihn vom Thron gestoßen hatten, auf die Seite der noch skrupelloseren Huthis geschlagen, um gemeinsam mit ihnen die neuen Machthaber im Jemen zu stürzen. Es kann kaum überraschen, dass die Huthis, die sogenannten Helfer Allahs, keine Helfer Alis sein wollten: Schließlich hatte er sechs Kriege gegen sie geführt. Dennoch hielt dieses Bündnis wider jede Logik immerhin drei Jahre, bevor es in gegenseitige Anschuldigungen und dann in Gewaltexzesse ausartete. Der Beschuss von Salihs Haus in Sanaa durch Huthis erreichte in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 2017 einen Höhepunkt. Am nächsten Tag wurde bekannt, dass der alte „Ziegenbock“ tot war. (Ich sagte doch, dass es im wahrsten Sinne des Wortes tragisch war: Wurde nicht die tragōidia ursprünglich beim Opfern eines tragos, eines Bocks, aufgeführt?) In jüngerer Zeit war Ali Abdullah Salih jedoch eher für seine Verbindung zu einem anderen Lebewesen bekannt. Lange bevor die widersinnige und zum Scheitern verdammte Allianz öffentlich wurde, hatte ich geschrieben,
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Ali Abdullah Salih, der das Regieren des Jemen angeblich mit einem „Tanz auf den Köpfen von Schlangen“ verglichen hat, hätte ein viel älteres jemenitisches Sprichwort bedenken sollen: „Am Ende kriegt die Schlange den Beschwörer immer.“8 Diese Lebensweisheit bewahrheitete sich auch in diesem Fall. Der Schlangenbeschwörer endete im beschuppten und verwickelten Wirrwarr seiner eigenen Schöpfung – wie Laokoon, der alte Trojaner, der nach einer Fassung der Sage dafür bestraft wurde, dass er eine unheilige Ehe geschlossen hatte. Wie er starb Salih im Kampf mit einem übermächtigen Schicksal, das er selbst herbeigeführt hatte. Dennoch bot er ihm bis zum Ende die Stirn: Er leistete Widerstand und starb wie der Soldat, der er nie aufgehört hatte zu sein. Sein Körper liegt vermutlich in irgendeiner Gefriertruhe: Die Geschichte bleibt unbestattet, die Vergangenheit liegt auf Eis. Im Tod dürfte er jedenfalls mehr Menschen vereint haben als zu seinen Lebzeiten. Inzwischen, da es mindestens drei Machtzentren gibt, scheint das Gemeinwesen der Republik Jemen jedoch endgültig verloren. Die Einheit ist, wie immer schon, bloß eine Fata Morgana gewesen, die sich einen kurzen Augenblick lang erhaschen ließ. Ein paar Ausnahmen gibt es immerhin. Die Vereinigten Arabischen Emirate machen ihrem Namen und der rhetorischen Vergangenheit immer noch Ehre. So wie der Herrscher von Dubai die Pfeile seiner Verse im Kampf gegen die Jahrtausenddrohung auf der anderen Seite des Golfs richtet, eint sein Sohn die Stimme des Landes in Versen wie diesen, Teil einer langen Ode, die von ihm in einem geschmeidig produzierten und sehr populären Video vorgetragen wird: Wir waren bereits vor ʼ71 vereint: in unseren Herzen und danach in unseren Heimen. Wir sind vereint in den Gedanken der Männer, wahrer Araber, In unseren Blutlinien, die bleiben und nie vergehen. … Möge Allah unsere Völker stärken! (Alle sagen „Amen!“) Möge Allah uns nie trennen, bis ans Ende der Zeit!9 Inmitten von Wolkenkratzern und Einkaufszentren nehmen die Herrscher einer neuen Generation den alten Faden der Sprache wieder auf und spinnen die altehrwürdige Magie des Wortes weiter. Nur, dass diese Worte und die Taten, die aus ihnen hervorgegangen sind, die Gesellschaften fast überall gesprengt
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statt vereint haben. Es schmerzt mich zu sehen, was mit dem Land passiert, das ich liebe, und zu sehen, wie darüber hinaus die arabische Welt sich selbst so viel Leid zufügt. Aber ist dieser Schmerz nicht vielleicht noch stärker aufgrund meiner eigenen Herkunft und meines kulturellen Erbes, also durch das Gefühl, dass es besser um die arabische Welt stünde, wenn die Dinge dort – um es ganz offen auszusprechen – so geordnet wären wie in dem Land, in dem ich geboren wurde und dem ich meine Bildung zu verdanken habe? Vor einem halben Jahrhundert schrieb die weise Doreen Ingrams, die letzte und größte weibliche Arabienreisende des Empires und eine Pionierin des Postimperialismus, nach dem britischen Rückzug aus Aden: Einigermaßen verblüffend an der britischen Haltung gegenüber ihren kolonialen Untertanen war ihre Ansicht, den „Eingeborenen“ müssten die Ordnung und Gerechtigkeit unserer Regierung doch letztlich lieber sein als die Unordnung und Ungerechtigkeit ihrer eigenen.10 Fünfzig Jahre später befindet sich vielleicht nicht die ganze arabische Welt, aber, gemessen an der Bevölkerungszahl, doch gut die Hälfte in Unordnung, und die Ungerechtigkeit sitzt fast überall fest im Sattel – in den Augen liberaler Demokratien sogar eine Ungerechtigkeit ungeheuren Ausmaßes. Aber lassen sich diese liberalen Standards überhaupt anlegen, oder ist die Hoffnung, auch Araber könnten eines Tages nach ihnen leben, nicht bereits eine Form von intellektuellem Kolonialismus? Vielleicht lag Samuel Huntington mit seiner These vom Kampf der Kulturen doch richtig. Das jedenfalls behaupten Diktatoren, der „Islamische Staat“ und unsere eigenen Huthis, es gehört zum festen Bestandteil ihrer Machterhaltungsstrategie. Doreen Ingrams, die ich persönlich kannte und in bester Erinnerung bewahre, war hellsichtig und klug. Dasselbe trifft auch auf Taha Hussein zu, der etwas früher als Ingrams, im Morgengrauen des westlichen Imperialismus, schrieb: Wir leben in einer Zeit … in der Menschen und Nationen nicht nach Freiheit und Unabhängigkeit an sich streben, sondern sie nur als Mittel zu höheren Zwecken betrachten, die von größerer Dauer sind und mehr Ertrag bringen.11 Und zu diesen höheren Zielen oder Zwecken zählt vermutlich die Ordnung und Gerechtigkeit in jenen freien, demokratischen Gesellschaften. Natürlich haben beide recht. Für Araber, die ihn noch kennen, ist Taha Hussein eine ambivalente Persönlichkeit: Er galt als gebildet und wortgewandt, aber
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auch als Kosmopolit, der von einer hellenistisch-islamischen Kultur träumte. Er war Araber, aber auch Ägypter, und mit Europa verheiratet, nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch ganz wörtlich. Er glaubte an Umarmung, nicht an Kampf: „Mit der Zeit strebt [unsere arabische Mentalität] nach Veränderung, die im Kontakt mit Menschen aus dem Westen beschleunigt wird“12, heißt es einmal bei ihm. Aber das ist nun über 90 Jahre her. In der jüngeren Vergangenheit ist aus der Beschleunigung ein Rückwärtsgang geworden. Es herrscht Angst vor kultureller Homogenisierung, dem globalen Einheitsbrei, dem Verlust von ethos – nicht nur im irgendwie nebulösen Sinn einer vagen „arabischen Mentalität“, sondern in der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes. Im Griechischen bedeutet ethos Temperament, Gemütsart, Sinnesart, sittlicher Charakter und moralische Gesinnung, bezeichnet also den „Charakter“ eines Menschen oder einer Gruppe, ihren Geist, ihren Dämon und ihr Schicksal. Es ist mithin eine ursprünglichere und elementarere Kraft als die organisierte Religion. Es ist diese Angst vor dem Verlust des eigenen Charakters, die zumindest teilweise für die Unordnung unserer Gegenwart verantwortlich ist. Ein altes arabisches Sprichwort besagt, dass Menschen dem Zeitalter, in dem sie leben, mehr ähneln als ihrem Vater.13 Doch viele Menschen wollen ihrem Vater ähneln, um das ethos beizubehalten. Das Ergebnis ist eine zeitliche Verschiebung: Sie kämpfen gegen das Zeitalter, in dem sie leben, und halten an einer ewig gegenwärtigen Vergangenheit fest, dem ewigen Gestern. Sie weigern sich, die kaputte Uhr zu reparieren. In einer globalisierten Welt, als Teil der größten Superhadāra der Geschichte, in der alle Menschen gleich werden, fürchten sie um ihre Auflösung. Dabei war es von alters her doch gerade charakteristisch für das ʿarab- oder Arabersein, am Rande zu stehen, unabhängig, eben nicht wie alle anderen zu sein. So sehr, dass man, wenn man die hadāra, die „Zivilisation“, betritt, in einer der ältesten Bedeutungen des Wortes aufhört, „Araber“ zu sein. Schließlich waren es Araber, die mit dem Islam die damals größte Super-hadāra auslösten und an ihren Rändern gelandet sind. Was wäre, wenn sie von den Rändern zurückkehren und eine aktive Stellung einnähmen in der heutigen, breiteren hadāra der Zivilgesellschaften, die demokratisch zu sein versuchen, frei von Tyrannosauriern und nicht enden wollenden Konflikten, mit funktionierenden Institutionen, Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungs- und Religionsfreiheit und Eiscreme in 31 Geschmacksrichtungen (die es, wie ich mir habe sagen lassen, inzwischen sogar am Eingang des heiligen Temenos der Kaaba käuflich zu erwerben gibt)? Würde sie das zu bloßen „Westasiaten“ und „Nordafrikanern“ machen? Sie hätten dann nichts anderes mehr außer ihrer gemeinsamen Sprache und Geschichte – kurz: ihrer Kultur. Würde das reichen? Nur sie selbst kennen die Antwort.
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Dennoch währt keine hadāra ewig, nicht einmal die größte. Andererseits haben einige Tyrannosaurier tatsächlich das massenhafte Aussterben überlebt. Manche von ihnen laufen weiterhin frei herum und bieten recht vielen Arabern zumindest ein Mindestmaß an Sicherheit – auch wenn es bedeutet, überfallen, auf dem Bahnsteig der Geschichte zusammengepfercht und in regelmäßigen Abständen geschlachtet zu werden. Aber dasselbe gilt für die meisten Menschen im Verlauf der langen Menschheitsgeschichte. Doch die Uhr muss nicht kaputt bleiben. Sie kann wieder zum Laufen gebracht und auf die arabische Zeit eingestellt werden. Sie kann synchron mit dem Rest der Welt ticken, in der Araber nicht nur häufig auf einem Felsen zwischen zwei Löwen eingeklemmt, sondern oft auch das zentrale Rädchen im globalen Uhrwerk waren. Die Tatsache, dass es vor allem der Westen war, der in den letzten Jahrhunderten im Wesentlichen den Takt vorgegeben hat, hat die Welt aus dem Lot gebracht. Mit der Folge, dass der Blick auf die westliche Hemisphäre (genauer gesagt, die Demi-Hemisphäre, den Nordwesten) nun auch aus einer schiefen Perspektive erfolgt. Vor allem viele Araber haben ein ambivalentes Verhältnis zum Westen: Mag sein Anblick vielleicht nicht gar so tödlich sein wie der der Medusa, so ist sein Gesang doch zumindest so betörend und lebensgefährlich wie der der Sirenen. Vielleicht sollten Araber lieber den Blick auf sich selbst richten und auf ihre eigenen Stimmen hören. Ganz sicher jedenfalls ist es weder sinnvoll, sich im „Blick der Anderen“ zu spiegeln, „[einem] Blick …, der unsere Hoffnungen von vornherein zum Scheitern verurteilt“,14 noch, alle „westlichen“, „kosmopolitischen“ Ideen als „Kreuzzug“ gegen den islamischen Geist weit von sich weisen, wie es Mohammed Galal Keschk, ein Gründer des modernen politischen Islam, formulierte.15 Was zählt, ist die Idee selbst – nicht, woher sie stammt. Dies wusste al-Kindī, der „Philosoph der Araber“, der im 9. Jahrhundert n. Chr. lebte: Er strebte nach Wahrheit, „wo auch immer sie herkommen mag – auch wenn sie von Rassen stammt, die fern von uns sind, und von Gesellschaften, die ganz anders sind als unsere eigene“.16 Das wusste auch Ibn al-Arabī, der große Sufi, aus dem 13. Jahrhundert: Er sieht den Blitz im Osten, und nach dem Osten sehnt er sich; und wenn es im Westen leuchtet, so wendet er sich gen Westen. „Meine Liebe“, sagte er, „gilt weder Orten noch Ländern. Meine Leidenschaft gilt dem Lichtblitz allein.“17 Im Rückblick auf die Vergangenheit werden Araber dann Blitze im Spiegel ihrer eigenen Geschichte sehen – in ihrer gesamten Geschichte, nicht nur jenen hell
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leuchtenden Blitz in der Blütezeit der Mitte. Sie werden entdecken, dass Individualismus, Liberalismus, Kosmopolitismus, Inklusivität, Zivilgesellschaft, objektive Wahrheit nicht Teil eines „westlichen Kreuzzuges“, sondern Teil ihrer eigenen Vergangenheit sind. Sehen werden sie beispielsweise: … die Suche nach Freiheit und Unabhängigkeit, die bunt zusammengewürfelte erste Pioniere antrieb, den nördlichen Fruchtbaren Halbmond zu verlassen, um in den wilden Süden der Halbinsel zu ziehen – die wahrscheinlich ersten ʿarab; … die sesshaften, produktiven, nichttribalen vorislamischen Gesellschaften des anderen Fruchtbaren Halbmonds in Südarabien; … die kosmopolitischen Netzwerke von Handel und Kultur, die sich auf große Karawanenstädte wie Palmyra, Qaryat Dhāt Kahl und Mekka zentrierten, Orte der Begegnung zwischen badw und hadar; … den eloquenten Individualismus der vorislamischen „Vagabunden“-Dichter wie al-Schanfarā, Sucher und Sprecher der Wahrheit über Stammesgrenzen hinaus; … den alles umspannenden Himmel der frühen koranischen Offenbarungen Siehe, diejenigen, die glauben, die sich zum Judentum bekennen, die Christen und die Sabier [eine gnostische Sekte in Mesopotamien] – wer an Gott glaubt und an den Jüngsten Tag und rechtschaffen handelt, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn;18 … die Inklusivität von Mohammeds erster Gemeindeordnung in Medina und seiner Abschiedspredigt, der Synthese seiner Mission; … die kurzlebige, aber wundervolle Offenheit der abbasidischen Gesellschaft auf ihrem Höhepunkt, besonders unter dem Philosophenkalifen alMaʾmūn (bevor er unfehlbar wurde); … das zeitgleich florierende „kultivierte, intellektuelle, aufgeschlossene“ Kalifat von Córdoba, wo das Leben „an sich etwas Glorreiches war, das mit Gelehrsamkeit veredelt und mit jeder Art von Freude aufgeheitert wurde“;19 … die befreienden Theologien des Sufismus; … die Anpassungsfähigkeit und spirituelle Tiefe des Islam im expandierenden 14. und 15. Jahrhundert und darüber hinaus; … die Intellektuellen, die sich im Erwachen des 19. Jahrhunderts zwischen den Konfessionen bewegten; … die Befürworter der kulturellen Zusammenarbeit im 20. Jahrhundert wie Taha Hussein, der „mit dem Westen verheiratet“ war;
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… die Dichter auf der Suche nach Wahrheit im Exodus unseres eigenen Zeitalters, geistige Nachkommen der „Vagabunden“; … die heute und in künftigen Tagen nach Freiheit, Würde und dem täglichen Brot Strebenden.
*** Es ist längst überfällig, dass Araber ihre Vergangenheit überdenken. Der prominenteste „Vagabund“ der letzten Jahre rief mit deutlichen Worten dazu auf, sich der Herausforderung zu stellen: „Wir wollen eine Generation, die wütend ist … die die Geschichte bei den Wurzeln packt.“20 Geschichte ist menschlich und lebendig. Manchmal erscheint sie als Alraune und kann tödlich sein für denjenigen, der sie anpackt. Doch um an die Wahrheit ihrer Vergangenheit zu gelangen, wäre eine eigene intifāda vonnöten, das Abschütteln des Staubes, um daraufhin die Wurzeln wieder in Augenschein zu nehmen und als gemeinsamen Besitz zu teilen, was mit dem Gedenken an eine kurze Zeit imperialer Größe und der langen Trauer über deren Verlust aus dem Blick geraten ist – für Araber wäre all dies mehr als die bloße Bewahrung des eigenen Erbes und der eigenen Kultur. Die Wahrheit kommt eben nicht immer ans Licht, auch wenn ein altes Sprichwort das behauptet. Manchmal liegt sie einfach zu tief vergraben. Um sie wieder ans Tageslicht zu bringen, müssten auf dem Lehrplan für arabische Schulkinder nicht nur al-Yarmūk, Hittīn und die erfolgreichen Schlachten gegen Byzantiner, Perser und Franken stehen, sondern auch alle unrühmlichen Kämpfe, die Araber gegen Araber geführt haben: die 70 abgetrennten Hände und 7000 Toten in der Kamelschlacht, dem Kampf zwischen Mohammeds Schwiegersohn und seiner Lieblingsfrau; die 70 000 Toten von Siffīn im Kampf zwischen der alten und der neuen Führung von Mohammeds Stamm; all die anderen interarabischen Kämpfe, die seitdem stattfanden, mit ihren schier unermesslichen Opferzahlen. So könnten Araber sich die Vergangenheit wieder aneignen, nicht als Themenpark für die Gegenwart, sondern als Grundlage für eine bessere Zukunft. Das würde ihnen die Möglichkeit eröffnen, sich zugleich neu zu erfinden und treu zu bleiben, ohne dafür der antagonistischen Positionierung gegen einen sirenenhaft-medusischen „Westen“ zu bedürfen. Noch immer drückt sich arabische Identität in Abgrenzung und Opposition aus (im doppelten Sinn des Wortes „ausdrücken“: Sie artikuliert sich darin und sie wird heraus„gepresst“). „Allah ist groß“, steht auf den Bannern vor meinem Fenster,
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Tod Amerika Tod Israel Allahs Fluch über die Juden Sieg dem Islam. Immer noch definiert sich arabische Identität aus der Negation und der Opposition gegenüber dem großen Imperium außerhalb und dem kleinen Imperium im Innern (und die Ironie ist, dass das Bild der „alten Gussform“ selbst von einem der ältesten prägenden Reiche kommt: Es ist ein Schlagwort der Khomeini-Revolution). Allahs eigenes Buch propagiert nicht Opposition, sondern Apposition, ein Nebeneinander: „Euch“, so wurde Mohammed angewiesen, denen zu sagen, die nicht an seine Botschaft glaubten, „eure Religion und mir die meine!“21 Das heißt in anderen Worten: Wir können alle unser eigenes ethos haben, sein, wer wir sind. Die Rückkehr zu den Wurzeln der Geschichte eröffnet vielleicht sogar Möglichkeiten, die Völker und Stämmen zu versöhnen. Badāwa und hadāra können nebeneinander existieren, wie das Gift und das Gegengift in den beiden Flügeln der Fliege aus dem Mohammed zugeschriebenen Sprichwort. Das Geheimnis liegt darin, das Übel – nicht das Heilmittel – zu besiegen, und nicht das „Verkommene“ überhand nehmen zu lassen.22 Was den Bruderhass der heutigen Zeit anbelangt, so kann man sich der Versöhnung nur über die Wahrheit annähern: Die Probleme der Gegenwart können nur dann beigelegt werden, wenn zuvor die Ereignisse der Vergangenheit ausgegraben und untersucht wurden. Das vermag niemand anderer als die Araber selbst. Sie können sich nicht mehr lange Zeit damit lassen und darauf warten, dass andere für sie die Geschichte ausgraben – wie die in meinem Vorwort erwähnten Dorfbewohner, die 2000 Jahre warteten, bis die Briten kamen, um einen Brunnen auszugraben, den die Römer zugeschüttet hatten.23 Meine Ausgrabungen kommen hier an ihr Ende. Für das Handwerk des Archäologen hat mich meine eigene Geschichte, das hoffe ich jedenfalls, ausreichend gut gerüstet. Als jemand, dessen erste arabische Erinnerungen ein Por trät des lächelnden Nasser und der Rückzug der Briten aus der Kolonie Aden sind, den ich auf den unscharf flackernden Bildern eines Schwarzweißfernsehers verfolgte, bin ich natürlich Postimperialist. Als studierter Arabist und Historiker, aber auch als langjähriger Bewohner der Arabischen Halbinsel – der in einem Land, nicht in einer Bibliothek lebt, im Krieg wie im Frieden in meinem Turm auf dem tell, in einer Gegenwart, die auf vielen Schichten der Vergangenheit errichtet ist –, bin ich außerdem überzeugter Postorientalist: Der „Orient“ ist für mich nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung
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(aber, Gott behüte, kein Gegenstand einer politischen Parteinahme), er ist meine Heimat. Aus all diesen Gründen weiß ich sehr genau – während ich von Unordnung und Ungerechtigkeit und dieser Tage von Märtyrerplakaten umgeben bin, auf denen im Kampf gefallene Jugendliche mit im doppelten Sinne explosiven Lachen auf mich herabblicken –, dass es nicht die geringste Rechtfertigung für territorialen oder kulturellen Imperialismus geben kann, sei er nun „westlich“ oder wie auch immer geartet. Seine Tage sind lange vorbei. Eine andere Sorte von Imperialismus ist hingegen quicklebendig. Die besten (vielleicht die einzigen) Antworten auf die arabischen Fragen heute gehen aus der arabischen Vergangenheit hervor. Einer Vergangenheit, die immer wieder von einheimischen, machthungrigen Plünderern annektiert, kolonisiert und ausgebeutet wurde, um die Herrschaft über die Gegenwart zu rechtfertigen – und nicht nur über die Gegenwart. Wie George Orwell so treffend bemerkte: Wer die Vergangenheit beherrscht, beherrscht die Zukunft. Die arabischen Länder haben sich zwar auf der Landkarte der alten Besatzungsmächte entledigt, die arabische Vergangenheit aber steht immer noch unter der Herrschaft einer Besatzungsmacht – wenn sie auch nicht mehr von außen kommt. Kommende Generationen müssen lernen, dass die Vergangenheit ein Land ist, das ihnen gehört, das von ihnen erst befreit und dann erkundet werden will, mit offenen Augen und mit offenem Geist. Nur so kann eine bessere Zukunft aufgebaut werden.
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ANHANG
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Anmerkung der Übersetzer Die Umschrift arabischer Begriffe und Eigennamen orientiert sich im Text im Wesentlichen an den Aussprachekonventionen des Deutschen. Wo möglich, wurde eine gängige oder vom Duden empfohlene Schreibweise gewählt (z. B. Mohammed, Hidschra, Ahmed). Um allen, die des Arabischen nicht mächtig sind, eine Aussprache möglichst nah am Original zu ermöglichen, sind betonte Vokale in der Regel diakritisch hervorgehoben (ā, ī und ū). Darüber hinaus sind folgende Besonderheiten zu beachten: ʾ Knacklaut (oder Glottisschlag, Stimmabsatz), wird im Deutschen vor jedem vokalisch anlautenden Wort gesprochen, ʾanders, ʾunter, besonders deutlich in ja ʾaber, aber beispielsweise auch in beʾachten ʿ ʾʿ
dem Arabischen eigener, im Rachen gebildeter Reibelaut
dh
stimmhaftes englisches th, wie in the, this
th
stimmloses englisches th, wie in thin, thick
gh
weiches g, annähernd wie das ungerollte deutsche Zäpfchen-r
z
stimmhaftes s, wie in summen, sausen
q
tiefes, emphatisches k
w
englisches w, wie in water, William
In den Anmerkungen sowie der Bibliografie sind die arabischen Eigennamen und Titelangaben gemäß der wissenschaftlichen Umschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) gehalten.
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Zeittafel Zeit
Ereignisse
Hominiden verlassen Afrika über Sinai-Halbinsel und Bab al-Mandab Mehr als Moderne Menschen verlassen 125 000 J. bp? Afrika über Sinai-Halbinsel und Bab al-Mandab 8.−5. Jtd. v. Chr. Jüngste „große Feuchtperiode“ in Arabien 6. Jtd. v. Chr. Viehtrieb in Südarabien 5. Jtd. v. Chr.
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
2 Mio. J. v. Chr.?
Dem Arabisch ähnlichen Merkmale zweigen von einer semitischen Sprachwurzel ab
4. Jtd. v. Chr.
Ackerbau und Entwicklung von Bewässerungssystemen in Südarabien Besiedlung der Küste der Arabischen Halbinsel, Verwendung von Mangroven für den Bau und Schalentiere als Nahrung 3. Jtd. v. Chr. Domestizierung des Kamels für Milch, wahrscheinlich in Südostarabien Ausfuhr von Perlen durch Bewohner der Küste des Arabischen / Persischen Golfs spätestens 2000 Von Pferden gezogene Wagen v. Chr. finden in Verwendung in Nordarabien 2. Jtd. v. Chr. Kamele werden als Last- und Reittiere genutzt Erste Nomaden wandern von Fruchtbarem Halbmond zur Arabischen Halbinsel? Protosabäer verlassen Syrien / Palästina und machen sich auf den Weg nach Südarabien
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
spätestens 1000 Kameltransport verbreitet in v. Chr. großen Teilen von Arabien Kamelkultur verstärkt badāwa, nomadische Gesellschaft Großflächige Bewässerungsprojekte in Südarabien Bewässerung führt zur Entwicklung der hadāra, sesshafter Gesellschaft 1. Jtd. v. Chr.
10. Jh. v. Chr.
Saba wird wichtigste Macht in Südarabien Vergrößerung des Damms von Maʾrib (vielleicht vorsabäischen Ursprungs) Der Bibel nach besucht die südarabische Königin von Saba Solomon
853 v. Chr. spätestens 800 v. Chr. ab 750 v. Chr. 730er-Jahre v. Chr. 7. Jh. v. Chr.
Früheste bekannte Inschrift (assyrisch) mit Erwähnung von Arabern Sabäer treiben Handel mit dem Fruchtbaren Halbmond Qīdār, vielleicht ein Stammesverband, aktiv in Nordarabien Assyrer besiegen Schamsī, „Königin der Araber“ Assyrer oktroyieren Qīdār eine Marionetten-„Königin“, Tabūʿa Bündnisse in Südarabien durch die Treue an eine einzige Gottheit vereint
5. Jh. v. Chr. 4. Jh. v. Chr.? ab 3. Jh. v. Chr.
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Perser setzen Araber zur Verteidigung ihrer Grenzen gegen Ägypten ein Anfang der Verwendung von Reitpferden in Arabien Arabischsprachige Nabatäer treiben von Petra aus Handel
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
2. Jh. v. Chr.
Südarabische Minäer treiben Handel mit Ägypten und der Ägäis ab 1. Jh. v. Chr. Arabischsprachige Palmyrer treiben von Tadmur (Palmyra) aus Handel ab 26 v. Chr. Eine römische Expeditionstruppe dringt kurzzeitig in Südarabien ein spätestens um Verbesserte Kamelsättel erlauben die Zeitenwende weite Reise Protoarabische Graffiti in Nordarabien weit verbreitet Araber werden von südarabischen Mächten in großem Umfang als Söldner eingesetzt Es bildet sich eine eigene arabische Identität heraus Früheste bekannte arabische Inschrift in einem aramäischen Text im Negev
1. Jh. n. Chr.
106 2. Jh. ab 2. Jh.
Himyaren werden bedeutende Macht in Südarabien Rom annektiert nabatäische Gebiete Westarabischer Stamm Thamūd zahlt den Römern Steuern Kombination von Pferd und Kamel: einzigartige Mobilität und Vorteile beim Überfall Araber und die arabische Sprache werden führend in Südarabien
ab 3. Jh.
Nomaden der Kinda entwickeln Qaryat Dhāt Kahl zu ihrem Handelszentrum Sabäisch etc. weiterhin Schriftsprache, mündliche Kommunikation in Südarabien jedoch auf Arabisch
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Der Stamm der Chuzāʿa regiert Mekka Mekka bereits Kultzentrum 226 244
Sassaniden-Dynastie in Persien Philipp der Araber, geboren in Damaskus, wird römischer Kaiser
267 273 spätes 3. Jh.
Frühester vollständig arabischer Text, Inschrift von Madāʾin Sālih (Saudi-Arabien) Rom übernimmt palmyrenische Gebiete Hadramaut geht an den von Himyaren dominierten Staat von Saba Südarabien unter dem himyarisch-sabäischen Staat vereint Der Stamm Lachm bildet eine persische Klienteldynastie in al-Hīra (Irak) Lachmiden haben sich zu einem Kern entwickelt, um den herum sich die arabische Identität festigt
frühes 4. Jh.
Perser dehnen Einfluss über Ostarabien aus Arabischsprachige sickern in aramäischsprachigen Fruchtbaren Halbmond ein
328 vor 400?
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Stämme der Kinda und Madhhidsch wandern von Zentralnach Südarabien Himyaren senden Expeditionen in den Norden und Osten Arabiens Nach seiner Grabinschrift ist Imruʾ al-Qais „König aller Araber“ Entwicklung einer „Hochform“ der arabischen Sprache
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
um 490
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität Die arabische Schrift entwickelt sich aus der nabatäischen Schrift Hocharabische Dichtung wird panarabisches Kulturprodukt
ab 5. Jh.
5. Jh.
595
Einführung des Steigbügels vergrößert arabische Kampfkraft Nomadische arabische Stämme dringen vermehrt in Südarabien ein Azd und dessen Unterstamm Ghassān wandern von Maʾrib nach Norden und Osten Qusaiy, Ahne von Mohammeds Stamm der Quraisch, kommt nach Mekka Anfang der Kontrolle der Quraisch über die Handelsrouten Arabiens Ein Zweig der Ghassaniden bildet eine Klienteldynastie der Byzantiner in Syrien Ghassaniden und Lachmiden sind rivalisierende Schirmherren der Dichtung Arabischsprachige Kultur und Identität durch Rivalität zwischen den Dynastien verstärkt
490−530 frühes 6. Jh.
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Der angeschlagene Staat Himyar fördert eigenen Klientelkönig der Kinda „Krieg von al-Basūs“ wütet mit Unterbrechungen in Nordarabien Byzantiner geben ihrem Klientelherrscher den Titel „König der Araber“ Kampfhandlungen zwischen von Himyaren und Persern unterstützten Klientelkönigen
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
6. Jh.
Häufige Stammeskriege in ganz Arabien
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Älteste überlieferte arabische Gedichte von Dichtern der Kinda Verbreitung von saʿālīk – verstoßene Stammesmitglieder, die als „Vagabunden“ und Dichter umherziehen
frühes 6. Jh um 518 525 Mitte 6. Jh.
Große Teile der ghassanidischen und lachmidischen Gebiete werden christlich Monotheismus (christlich, jüdisch, indigen) verbreitet sich in Südarabien Himyarenkönig nimmt jüdischen Glauben an Massaker durch Himyaren an Christen in Nadschrān Christliche Äthiopier erobern den himyarisch-sabäischen Staat Der Dichter-Anfüher der Kinda Imruʾ al-Qais umwirbt Byzanz Kriege zwischen Ghassaniden und Lachmiden Ansehen des Hocharabischen fördert arabisches kulturelles Selbstbewusstsein
570
um 575 um 582
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Mekkanische Anführer investieren in Karawanenhandel offizielles Datum des Angriffs der Äthiopier auf Mekka offizielles Datum der Geburt Mohammeds Perser begründen Herrschaft über Südarabien Der Junge Mohammed wird als Prophet erkannt
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
spätes 6. Jh.
frühes 7. Jh.
602 604 um 608
619? Vor 620
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität Arabische Schrift erreicht Mekka Mekka erlangt große Beliebtheit als Pilgerziel Charismatischer Prediger Quss ibn Sāʿida, von Mohammed bewundert Gefestigter Begriff von Arabern als Kulturgemeinschaft auf der gesamten Arabischen Halbinsel
Byzanz und Persien lassen beide ihre arabischen Klientelkönige fallen Mohammed beginnt seine kontemplativen Retraiten Endgültiger Zusammenbruch des Maʾrib-Damms Perser töten letzten Klientelkönig der Lachmiden Arabische Stämme besiegen persische Truppen bei Dhū Qār Kaaba in Mekka wird nach Überschwemmung wiederaufgebaut Mohammed vermittelt in einem Streit über den Wiederaufbau
ab ca. 610
616?
597
Mohammeds Offenbarungen Perser besetzen byzantinisches Gebiet in Syrien und für kurze Zeit Ägypten Einige von Mohammeds Anhängern nehmen Zuflucht in Äthiopien Tod von Chadīdscha, Mohammeds erster Ehefrau Der Koran, das erste arabische Buch, nimmt Gestalt an
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
620er-Jahre
Byzantiner erlangen Gebiete von den Persern zurück Mohammed wandert mit Anhängern von Mekka nach Yathrib (Medina)
622
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Hidschra, Auswanderung, bildet den Anfang des islamischen Kalenders 624
Mohammed überfällt eine mekkanische Karawane bei Badr Mohammed ändert die Gebetsrichtung von Jerusalem nach Mekka
625 626 627
628 630 630–631 631
632
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Medinenser werden bei Uhud von den Mekkanern besiegt Der jüdische Stamm Banū al-Nadīr wird aus Medina verstoßen Die Mekkaner belagern Medina Viele medinensische Juden werden wegen angeblicher Unterstützung der Mekkaner getötet Persische Kolonisten im Jemen unterwerfen sich medinensischer Herrschaft Waffenstillstand zwischen Medina und Mekka Mohammed nimmt Mekka ein Stammesanführer in Arabien schwören Mohammed die Treue Medinenser belagern die Stadt al-Tāʾif „Falsche Propheten“ Musailima (Ostarabien) und al-Aswad (Jemen) Mohammeds „Abschiedswallfahrt“ nach Mekka und letzte Predigt Tod Mohammeds
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Zeit
Ereignisse
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Abū Bakr als chalīfa, Kalif oder Nachfolger, Mohammeds gewählt Abū Bakr sammelt die verstreuten Teile des Koran
633–634
634 635 – ca. 750
Die meisten Stämme Arabiens „werden abtrünnig“, d.h. beenden die Verbindung mit dem Staat Medina „Falsche Propheten“ vermehren sich stark Musailima wird von einer Truppe aus Medina besiegt Al-Aswad wird ermordet Andere „falsche Propheten“ kapitulieren Die „Abtrünnigkeit“ in ganz Arabien wird durch Gewalt und Diplomatie niedergeschlagen Die Halbinsel ist theoretisch unter der Herrschaft Medinas vereinigt Tod des Abū Bakr, Nachfolge von Umar als Kalif Araber erobern ein Reich von Westeuropa bis nach Zentralasien Große Völkerwanderungen aus Arabien (hauptsächlich 636–644) Alle Araber sind theoretisch vereint durch Schrift und Reich
636 636/637/638 638 638 oder später
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Arabischer Sieg über Byzantiner bei al-Yarmūk (Syrien-Jordanien) Arabischer Sieg über Perser bei al-Qādisiyya (Irak) Gründung von al-Basra, Garnisonsstadt im Irak Gründung von al- Kūfa, Garnisonsstadt im Irak
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
639
Araber beginnen, in Ägypten einzudringen Araber nehmen ägyptische Festung von Babylon (Alt-Kairo) ein Gründung von al-Fustāt, Garnisonsstadt in Ägypten Schlacht bei Nehāwand öffnet den Arabern das ostpersische Reich Tod des Kalifen Umar, Uthmān als Nachfolger benannt
641
642 644 ab 644
656
ab 657
661
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Ein Komitee stellt einen kanonischen schriftlichen Koran her Nichtkanonische mündliche Varianten des Koran weiterhin im Umlauf Einige arabische Truppen in den Provinzen meutern und marschieren auf Medina Uthmān von den Meuterern getötet Ali, Mohammeds Cousin und Schwiegersohn, wird Kalif „Kamelschlacht“ zwischen Ali und der Pro-Uthmanischen Fraktion Ali und das alte Regime der Quraisch kämpfen bei Siffīn (Syrien) Ende der Kampfhandlungen, uneindeutige Schlichtung rivalisierender Ansprüche Ali wird von unzufriedenen Unterstützern seiner Schia, „Partei“ ermordet
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Zeittafel
Zeit
670 680
680er-Jahre
Ereignisse
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Muʿāwiya, Mitglied der alten mekkanischen Führung, mit breiter Akzeptanz zum Kalifen gewählt Muʿāwiya erster Kalif der Umayyaden-Dynastie Seine Hauptstadt, Damaskus, wird Hauptstadt des arabischen Reiches Gründung von Kairouan, Garnisonsstadt in Tunesien Tod von Muʿāwiya Al-Husain b. Ali rebelliert gegen Umayyadenherrschaft und wird getötet Er wird zum ersten großen Märtyrer der Schia, der Partei Alis Von Arabern angeführte Truppen erreichen die Atlantikküste Nordafrikas Abdallah ibn al-Zubair errichtet Gegenkalifat in Mekka Zwischen Arabern von der Halbinsel kommt wieder eine „Nord-Süd-Teilung“ auf Ibn al-Zubair wirbt um „Nordländer“, gewinnt sogar in Syrien an Boden
691 692
601
Felsendom in Jerusalem vollendet Mekkanisches Gegenkalifat von Abdallah ibn al-Zubair besiegt Arabische Halbinsel politisch kaltgestellt Arabische Halbinsel kulturell kaltgestellt
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
ab 694
Al-Hadschādsch versucht antiumayyadische Opposition im Irak auszumerzen Bevölkerungszahl von al-Basra, Irak, erreicht 200 000
spätes 7. Jh. um 700
frühes 8. Jh.
711 715 um 720
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Gesprochenes Arabisch mischt sich Große Zahl von Nichtarabern werden arabischen Stämmen angegliedert Währung mit arabischer Aufschrift wird eingeführt Hocharabisch wird zur Sprache der Reichsverwaltung gemacht Aufschwung der Schriftkultur bringt Verbesserungen in der arabischen Schrift hervor Verwendung von Hocharabisch verbreitet sich schnell unter Nichtarabern Sprachwissenschaften (Grammatik, Philologie) entwickeln sich Arabisch angeführte Streitkräfte setzen sich im zentralasaiatischen Transoxanien fest Araber etablieren eine begrenzte Herrschaft über Sindh (Pakistan) Tāriq b. Ziyād führt mehrheitlich berberische Kampfverbände auf die Iberische Halbinsel Fertigstellung der UmayyadenMoschee in Damaskus Erfindung der nordarabischen Abstammungslinie von Ismāʿīl Alle Araber sind nun zumindest theoretisch durch ihr genetisches Erbe, wenn auch nicht politisch geeint
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
732
Arabisch geführte Kampfverbände treffen in Schlacht nahe Poitiers mit karolingischen Streitkräften aufeinander Abbasisidische Revolution die von Chorasan (Ostiran) aus in Gang gesetzt wurde Verbündete Revolutionäre umfassen Anhänger der Schia von Ali (Schīʿat Ali, den „Parteigängern Alis“) Abbasisdische Streitkräfte besiegen und löschen die Dynastie der Umayyaden aus Al-Saffāh wird zum ersten abbasidischen Kalifen Abbasiden beginnen, sich gegen ihre Mitrevolutionäre zu wenden und sie zu beseitigen Arabisch geführte Streitkräfte treffen östlich des Flusses Syrdarja (Jaxartes) in einer Schlacht mit den Chinesen aufeinander Al-Mansūr folgt al-Saffāh als abbasidischer Kalif nach
747
750
751
ab Mitte 8. Jh.
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603
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Die Fertigkeit der Papierherstellung verbreitet sich in der arabischen Welt Arabische Schrift breitet sich aufgrund des preiswerten Papiers aus Die zunehmend glatte Oberfläche von Papier ermöglicht die Weiterentwicklung und Verfeinerung der arabischen Schrift Beginnende Systematisierung des islamischen Rechts und Ethik
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604
ANHANG
Zeit
Ereignisse
756
Abd al-Rahmān, ein Überlebender der Umayyaden-Dynastie, gründet einen Ableger der Dynastie in Spanien Arabische Migration auf die Iberische Halbinsel nimmt zu Al-Mansūr gründet Baghdad Al-Mansūr beseitigt oppositionelle Kräfte innerhalb der abbasidischen Herrscherfamilie aus
762 ab 762
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Er beseitigt mögliche Widersacher innerhalb der Elite der abbasidischen Revolution Er beginnt die Praxis, auf nichtarabische Sklaven als Soldaten zurückzugreifen 774 788 ab dem späten 8. Jh.
König Offa von Mercien ahmt abbasidische Münzen nach Ein Nachkomme Alis begründet die Dynastie der Idrisiden in Marokko „Zeitalter der Niederschrift“ Während dieses Zeitalters wird das arabische kulturelle Erbe und Identität mit Erfolg bewahrt Die eigene “beduinische” Vergangenheit wird aufgewertet (wobei Beduinen in dieser Zeit bereits marginalisiert sind) Die Perser erhalten in höherem Maße als andere (eroberte) Völker ihre eigene Kultur aufrecht Persische „Schuʿūbī”-Bewegung fordert die arabische, kulturelle Hegemonie heraus
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
809
Tod des Kalifen al-Raschīd Aufteilung des Reiches unter den drei Söhnen al-Raschīds Zwei seiner Söhne, al-Maʾmūn and al-Amīn, bekriegen einander Al-Maʾmūn geht siegreich aus Konflikt hervor und stellt seine Herrschaft über das gesamte Reich sicher Al-Maʾmūn lässt Truppen aus Transoxanien nach Bagdad bringen
ab 813
frühes 9. Jh.
816 818
836
9. Jh.
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Geistige Offenheit unter dem Kalifen al-Maʾmūn Die Muʿtaziliten lösen eine theologische Debatte aus Niedergeschriebene arabische Dichtung gewinnt an Bedeutung Al-Maʾmūn ernennt den schiitischen Imam al-Ridā zu seinem Nachfolger Al-Ridā verstirbt und die Aussöhnung mit den Schiiten scheitert
832 833
605
Al-Maʾmūn gründet das „Haus der Weisheit“ (bait al-hikma) in Bagdad Al-Muʿtasim wird Kalif und stützt seine Macht auf türkische und andere Militärsklaven Die Truppenverbände richten Chaos in Bagdad an Al-Muʿtasim verlegt die nichtarabischen Streitkräfte in seine neugegründete Hauptstadt Samarra Al-Balādhurī schreibt die arabischen Eroberungen nieder
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
Al-Dschāhiz studiert das Arabertum und brüskiert die Schuʿūbīs Islamisierung des gesamten Reiches nimmt mit Verspätung an Fahrt auf „Arabersein“ spielt von nun an eine untergeordnete Rolle: Das Reich wird immer kosmopolitischer Byzantiner und Chinesen ahmen arabische Kleidungsstile nach Christen Spaniens werden arabisiert Unter dem Kalifen al-Mutawakkil wird die spekulative Theologie (der Muʿtazila) verboten
Mitte des 9. Jh. 861
868
869–883 ab 890
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Al-Mutawakkil wird durch einen Komplott seines Sohnes im Bunde mit türkischen Leibgarden ermordet Die eigentliche Herrschaft liegt in den Händen türkischer Truppenkommandeure Die persische Dynastie der Saffariden (östlich von Bagdad ansässig) erklärt sich für unabhängig Ägypten erkennt unter den aus Zentralasien stammenden Tuluniden die Oberherrschaft Bagdads nicht mehr an Aufstände der Zandsch (Plantagensklaven aus Ostafrika) im Irak Bauernaufstände im Irak und in anderen Teilen des Reiches angeführt von Hamdān Qarmat
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Zeittafel
Zeit
spätes 9. Jh. frühes 10. Jh.
10. Jh.
Ereignisse
607
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Die Rebellion verbündet sich mit der schiitischen Splittergruppe der Ismailiten Samarra wird als Hauptstadt wieder aufgegeben Von nun beschränkt sich der politische Machtbereich des Kalifats in Bagdad nur noch auf den Irak Das arabische Reich fällt auseinander Aber die Kultur des Zentrums und im Westen ist immer noch arabisch geprägt, Mäzenatentum nimmt stark zu Mehrbändige Anthologien und Geschichtswerke bewahren das arabische, kulturelle Erbe
910
922 929 930 938
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Dynastie der arabischen Hamdaniden entsteht im Nord-Irak und Nord-Syrien Dynastie der Fatimiden (zweifelhaften arabischen Ursprungs) wird in Nordafrika gegründet Fatimiden nehmen den Titel „Kalif“ an Hinrichtung des nonkonformistischen Visionärs al-Hallādsch Abd al-Rahmān III. (Umayyaden in al-Andalus /Spanien) beansprucht den Titel „Kalif“ Qarmatische Rebellen plündern Mekka und stehlen den heiligen Schwarzen Stein Badschkam, türkischer Oberbefehlshaber der Truppen, ist der tatsächliche Herrscher über Bagdad
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608
ANHANG
Zeit
Ereignisse
940
Tod al-Rādīs, „letzter echter Kalif“ (wenn auch ohne wahre Macht) Nun existieren drei dem Namen nach rivalisierende Kalifate: Bagdad, Kairo, Córdoba
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Idee der arabischen Einheit ist – 300 Jahre nach ihrem Höhepunkt – an einem Tiefpunkt angelangt 945
Persische Buyiden übernehmen die Macht in Bagdad
Mitte 10. Jh. 966–968 968 969 ca. 970
Córdoba von nun Hauptzentrum der arabischen Kultur Der Eunuchensklave Kāfūr erklärt sich zum Herrscher Ägyptens Fatimiden erobern Ägypten Kairo (al-Qāhira) wird als neue fatimidische Hauptstadt gegründet Türkische Seldschuken beginnen das Gebiet des Kalifats unter ihre Herrschaft zu bringen
spätes 10. Jh.
1031
1055 Mitte 11. Jh.
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Der „geistige Flügel“ der qarmatischen Ismailiten tragen das naturwissenschaftliches Wissen zusammen und synthetisieren es Umayyaden-Kalifat in Spanien zerfällt Die „Taifa-Könige“ (mulūk altawāʾif, A.d.Ü.) herrschen über zahlreiche iberische Kleinkönigreiche und -fürstentümer Seldschuken erobern Bagdad Banū Hilāl und andere große arabische Stammesverbände werden aus Ägypten vertrieben
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
609
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität Verspätete Arabisierung der ländlichen Gebiete Nordafrikas
ab 1061 spätes 11. Jh.
Die Normannen erobern das von Arabern beherrsche Sizilien Seldschuken beherrschen den gesamten Ostteil des ehemals arabischen Reiches Seldschuken nehmen Persisch als ihre Kultursprache an Seldschukischer Wesir Nizām al-Mulk fördert Medresen und arabische Wissenschaften
1085
Die Christen Spaniens erobern Toledo zurück Christen in Spanien führen die Traditionen arabischer Gelehrsamkeit fort
ab 1086
Die berberischen Almoraviden halten das militärische Vordringen der Christen auf und bringen Südspanien unter ihre Kontrolle Almoraviden beanspruchen eine arabische Abstammung
1099
Die Kreuzritter erobern Jerusalem und massakrieren dessen Bevölkerung
1130er-Jahre
Der Hof Roger II., normannischer König Siziliens, ist von der arabischen Kultur geprägt Kreuzfahrer bringen arabische Worte und Ideen nach Europa Arabische Gelehrsamkeit verbreitet sich von Sizilien und Süditalien nach Europa aus
12. Jh.
Mitte 12. Jh.
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Berberisches Almohaden-Bündnis erobert Südspanien
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Almohadischer Herrscher nimmt als erster erklärtermaßen Nichtaraber den Titel „Kalif“ an Almohaden wenden sich der städtischen arabischen Kultur zu 1169 1171
1219
Kurdischstämmige Ayyubiden-Dynastie in Kairo errichtet Der Ayyubide Salāh al-Dīn (Saladin) setzt dem Kalifat der Fatimiden ein Ende Saladin stellt die nominelle Suzeränität des abbasidischen Kalifats wieder her Kreuzfahrer erobern Damiette (Ägypten) Mongolen tauchen in der islamischen Welt auf Mongolen verüben Massaker in den Städten und verwüsten ländliche Gebiete
13. Jh.
1248 1250 1258
Ibn Challikān verfasst sein biographisches Handbuch Die Söhne der Zeit: Auszüge aus dem biographischen Lexikon “Die Großen, die dahingegangen” Christen Spaniens erobern Sevilla zurück Die türkischen Mamluken (Sklavensoldaten) herrschen über Ägypten und Syrien Mongolen unter Hülagü nehmen Bagdad ein und richten den Kalifen al-Mustaʿsim hin Arabische Einheit kommt zu einem Ende
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
611
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität Sozialer Zusammenbruch: Stammesaraber plündern Gebiete der sesshaften Bevölkerung
1260 spätes 13. Jh.
Abbasidisches Kalifat in Ägypten und Duldung der Mamluken Mamluken halten das militärische Vordingen der Mongolen in Ain Dschālūt (Palästina) auf Araber gründen das Sultanat von Kilwa Kisiwani (Tansania) Westmongolen nehmen den Islam und die persische Kultur an
frühes 14. Jh.
14. Jh.
Die meisten Kreuzfahrer verlassen die Levante Arabische Stämme laufen von den Mamluken zu den Mongolen über und Wechseln dann erneut die Seiten „Mongolischer Frieden“ (Pax Mongolica): Handel und Reisetätigkeit um den halben Erdball floriert In Ägypten ansässiges Unternehmen der Kārim ist vom Atlantik bis zum Pazifik im Handel tätig Arabische Kultur und der Islam breiten sich zwischen Westafrika und Ostindien aus Arabische Schrift wird in vielen Sprachen von Afrika bis Asien verwendet Beginn der zweihundertfünfzigjährigen Diaspora von Araber entlang der Küsten des Indischen Ozeans
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612
ANHANG
Zeit
Ereignisse
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität Der Marokkaner Ibn Battūta unternimmt eine sich über drei Kontinente erstreckende Reise Kairo wird zur größten Stadt außerhalb Chinas und zur Hauptstadt arabischer Kultur Arabische Kultur blüht in Granada (Spanien) auf
1343 ab 1340er-Jahre
Sultanat von Delhi ist nominell Vasall des abbasidischen Marionettenkalifen Pest fordert Leben von einem Drittel der Weltbevölkerung zwischen China und Europa
1375–1379 ca. 1400 15. Jh.
Ibn Chaldūn arbeitet an seiner Universalgeschichte Mongolenführer Timur Leng (Tamerlan) verwüstet die Levant Der arabische Stamm der Maʿqil fällt in Mauretanien ein Verspätete Arabisierung durch diese letzte große Migrationsbewegung
1453
Osmanische Türken nehmen Konstantinopel ein
1485 1488
1492 1516
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Osmanen verbieten den Buchdruck auf Arabisch Portugiesen umsegeln das Kap der Guten Hoffnung Beginn des Versuchs Europas, den Handel im Indischen Ozean zu monopolisieren Granada wird von christlichen Kräften aus Kastilien eingenommen Osmanen erobern Damaskus
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
1517
Osmanen erobern Kairo und dessen Schutzgebiete Mekka und Medina Osmanen verschleppen den abbasidischen Marionettenkalifen nach Konstantinopel Algerien unterwirft sich der osmanischen Suzeränität Osmanen etablieren ihre Herrschaft über den Jemen Osmanen nehmen Bagdad ein Großteil der arabischen Welt steht für die nächsten 300 Jahre unter osmanischer Herrschaft Araber sind politisch vereint, aber auf Kosten ihrer Eigenständigkeit
1519 1520er-Jahre 1534 ab 16. Jh.
613
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Jede Form einer weit geteilten arabischen Identität erreicht einen Tiefpunkt 1543
Tod des letzten abbasidischen Marionettenkalifen Osmanischer Sultan nimmt den Titel „Kalif“ an
frühes 17. Jh. 1630er-Jahre
1662–1684 spätes 17. Jh. ca. 1720
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Libanesisch-christliche Araber experimentieren mit dem arabischen Buchdruck Widerstand gegen osmanische Herrschaft im Jemen Osmanischer Rückzug aus dem Jemen Englische Kontrolle über Tanger (Marokko) Omanen gründen ein Reich an der Küste Ostafrikas Geburt des späteren puritanischen Reformers Muhammad ibn Abd al-Wahhāb
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
1722 18. Jh.
Mitte 18. Jh.
spätes 18. Jh. 1783 1798
Erste arabische Buchpresse in Konstantinopel Erneute Diaspora von Arabern entlang den Küsten des Indischen Ozeans Südarabische Auswanderer im Ozean beherrschen Handel, Religion und Politik Persischer Einmarsch in Ostarabien Aufstieg des Wahhabismus in Zentralarabien Bündnis der Wahhabiten mit Muhammad ibn Saʿūd Britische Marine beschützt Kaufleute im Golf vor arabischen Überfällen Beduinische Plünderer erobern Bahrain Wahhabiten besiegen die osmanische Armee, die zu ihrer Unterwerfung entsandt worden war Franzosen unter Napoleon marschieren in Ägypten ein und besiegen die Mamluken Franzosen führen den arabischen Buchdruck in Ägypten ein Franzosen drucken in Kairo die erste, wenn auch kurzlebige Zeitung
1800 1801 1802 1805–1812
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Osmanische und britische Streitkräfte vertreiben die Franzosen aus Ägypten Wahhabiten zerstören schiitische heilige Stätten im Südirak Wahhabiten erobern Mekka
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
1812
Mohammed Ali Pascha beendet Mamlukenherrschaft in Ägypten Mohammed Ali besiegt die Wahhabiten auf der Arabischen Halbinsel
1813–1818 19. Jh.
1826 1828 Franzöischer Einmarsch in Algerien
1835 1839 Mitte 19. Jh.
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Mohammed Ali richtet Ägypten geistig neu auf Europa aus Arabisch verdrängt Türkisch als Amtssprache in Ägypten Buchdruck beginnt sich langsam in der gesamten arabischen Welt zu verbreiten Arabisches Erwachen Wiederbelebung des geschriebenen Hocharabisch durch arabische Intellektuelle Idee einer arabischen „Nation“ kommt auf, teils von europäischen Nationalismen inspiriert Errichtung einer Regierungsdruckerei in Kairo Entsendung einer Gruppe junger Ägypter zum Studium nach Paris Herausgabe der ersten regelmäßig erscheinenden Regierungszeitung in Kairo
1822
1830
615
Gründung des „Hauses der Sprachen“ in Kairo zur Übersetzung europäischer Werke Einnahme Adens durch Briten teilweise Rückeroberung des Jemen durch Osmanen Einführung der Dampfeisenbahn in Ägypten
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616
ANHANG
Zeit
Ereignisse
erste arabische Zeitungen außerhalb Ägyptens Kairo erhält eine an Paris angelehnte Straßenerneuerung sowie ein Opernhaus
1860er-Jahre 1869 ab den 1870erJahren
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Eröffnung des Sueskanals Blüte im von den Briten regierten Aden durch erhöhtes Dampfschiffahrtsaufkommen Osmanen belegen das aufblühende arabische Pressewesen mit strikter Zensur
1876 1881 ab 1881
Bankrott Ägyptens: Europäische Mächte veranlassen Finanzaufsicht Aufstand ägyptischer Offiziere unter Ahmed Urabi Nordalgerien wird der direkten französische Kontrolle unterstellt Franzosen unterdrücken Hocharabisch, insbesondere in Algerien
1882
Auf Betreiben von Osmanen marschieren Briten in Ägypten ein und übernehmen die Verwaltung
1883
Einnahme Tunesiens durch Franzosen Auswanderung von Arabern aus der Levante nach Europa, Westafrika sowie Nord- und Südamerika
ab den 1890erJahren
Entstehung erster jemenitischer Gemeinden in Großbritannien Deutsche Einflussnahme auf Osmanen zugunsten einer Präsenz in den arabischen Ländern
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
1908
Abschluss der Hedschasbahn (Damaskus – Medina) Revolution der nationalistisch gesinnten Jungtürken
617
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Durchsetzung des Türkischen als alleinige Amtssprache in arabischen Ländern 1912
1916
1917 ab 1918 1920
1920er-Jahre
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Französisches Protektorat über weite Teile Marokkos Spanisches Protektorat in Nordund Südwestmarokko Anerkennung Scherif Husains als König des Hedschas durch Briten Scherif Husain ernennt sich selbst zum „König der Araber“ Von Briten gestützte „Arabische Revolte“ Husains gegen Osmanen Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien über die Nachkriegsteilung osmanisch beherrschter arabischer Länder (Sykes-Picot-Abkommen) Balfour-Deklaration zur Förderung jüdischer Ansiedlung in Palästina Aufteilung des Osmanischen Reiches durch Siegermächte Französisches Mandat über Syrien (inklusive Libanon) Britisches Mandat über Palästina, Transjordanien, Irak Ernennung Faisal b. Husains zum König von Syrien Antibritischer Aufstand im Irak Anstieg jüdischer Einwanderung nach Palästina Erste Erdölfunde in der Golfregion
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
1921
Verbannung Faisals aus Syrien durch Franzosen Ernennung Faisals zum König des Irak durch Briten Ernennung Abdallah b. Husains zum König von Transjordanien durch Briten Massaker von wahhabitischen Stammeskriegern an jemenitischen Pilgern Kampf marokkanischer Berber gegen französische und spanische Kolonialisten Völkerbund garantiert vorläufige arabische Unabhängigkeit Die Unabhängigkeit unterliegt britischen und französischen Mandaten Konstitutionelle Monarchie mit politischem Pluralismus in Ägypten Osmanischem Ex-Sultan wird Kalifentitel aberkannt Gescheiterter Versuch Scherif Husains auf Anspruch des Kalifentitels Invasion von Abd al-Azīz Ibn Saʿūd im Hedschas, Absetzung Husains Aufstand der Drusen gegen die Franzosen greift auf Syrien über
1921–1926 1922
1923 1924
1925–1927 1926
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Taha Hussein stellt Authentizität vorislamischer Poesie in Frage Angriff der Wahhabiten auf ägyptische Pilgerprozession in Mekka
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
1928 1929–1930 1930 1930er-Jahre 1932 1934 ab 1936
1938 frühe 1940erJahre 1945
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619
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität Postosmanische Türkei ersetzt arabische durch lateinische Schrift
Unterdrückung der extremistischen Wahhabi-„Ichwān“ durch Ibn Saʿūd Briten garantieren formal Unabhängigkeit des Irak Britischer Anlauf zur Befriedung des Hinterlandes von Aden Ibn Saʿūd benennt sein Herrschaftsgebiet in „Königreich Saudi-Arabien“ um Italiener errichten Kolonie in Libyen Briten geraten erst mit Palästinensern, dann mit Zionisten in Konflikt Vorstoß Ibn Saʿūds zu arabischer Einheit unter seinem Vorsitz Vorstoß Abdallahs (Transjordanien) zu arabischer Einheit unter seinem Vorsitz Vorstoß von Irakern zu arabischer Einheit unter ihrem Vorsitz Kommerziell verwertbare Erdölfunde in Dhahran, Saudi-Arabien Gründung der Baath („Wiedergeburt“)-Partei, Syrien Gründung der Arabischen Liga auf Initiative Ägyptens Rückzug Frankreichs aus Syrien und dem Libanon Abzug britischer Streitkräfte aus Ägypten, jedoch Verbleib in Sueskanalzone
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620
ANHANG
Zeit
Ereignisse
1946
Bombenattentat militanter Zionisten auf das King-David-Hotel in Jerusalem Krieg zwischen Zionisten und arabischen Nachbarstaaten Der Krieg macht 750 000 Palästinenser zu Flüchtlingen Antibritische Aufstände in Kairo Revolution der Freien Offiziere in Ägypten bringt britisch gestützten König zu Fall König Abd al-Azīz Ibn Saʿūd stirbt Nasser wird Präsident von Ägypten Attentatsversuch auf Nasser von Muslimbrüdern scheitert Beginn des Befreiungskriegs in Algerien Vertreibung der Saudi-Arabier aus al-Buraimi (an der Grenze zwischen Abu Dhabi und Oman)
1948
1952
1953 1954
1955
1956
ab 1956
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Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Nasser verstaatlicht Sueskanal Großbritannien, Frankreich und Israel greifen Ägypten in der Kanalzone an UdSSR und USA zwingen Großbritannien, Frankreich und Israel zum Rückzug Franzosen entlassen Tunesien und Marokko in die Unabhängigkeit Transistorradios werden erschwinglich Arabische Führer entdecken Radioübertragungen für sich
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Zeittafel
Zeit
Ereignisse
621
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität Ägypten wird politisches und kulturelles Zentrum der arabischen Welt
1958
1961 1962
ab 1962
1964 1967
1969 1970
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Ägypten und Syrien bilden die Vereinigte Arabische Republik (VAR) Jemen tritt der VAR bei, Bildung der Vereinigten Arabischen Staaten (VAS) Kurzzeitig bilden Irak und Jordanien eine eigene Union Sturz der Monarchie im Irak durch nasseristische Revolution Auflösung der VAR sowie der VAS Ende der französischen Herrschaft in Algerien Sturz der Monarchie im Jemen durch an Nasser orientierte Revolution Bürgerkrieg im Jemen In dem Krieg unterstützt Ägypten Republikaner, Saudi-Arabien Monarchisten Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Präventivangriff Israels auf arabische Nachbarn Israel besetzt den Sinai, Golan, Gaza, Ostjerusalem und das Westjordanland Rückzug Großbritanniens aus Aden und den umliegenden Territorien Führung des Südjemen schwenkt auf sozialistischen Kurs um Tod Nassers
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622
ANHANG
Zeit
1970er-Jahre
1973
bis 1974 Mitte der 1970er-Jahre ab 1975 1977 1979
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Ereignisse
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Krieg in Jordanien zwischen Regierung und palästinensischer Bevölkerung („Schwarzer September”) Hafiz al-Assad ergreift in Syrien die Macht Grenzstreitigkeiten zwischen Nord- und Südjemen Unruhen in der omanischen Provinz Dhofar Ägypten und Syrien greifen zeitgleich Israel an Arabische Erdölexporteure drosseln Produktion: Erdölpreis steigt Intervention von USA und UdSSR, Arabisch-Israelischer Krieg endet im Patt Erdölpreis steigt innerhalb von zwei Jahren um mehr als 500 Prozent Zustrom von Arbeitskräften auf die Arabische Halbinsel Bürgerkrieg im Libanon Ägyptischer Präsident al-Sadat fährt zu direkten Gesprächen nach Israel „Islamische Revolution“ stürzt Monarchie im Iran Camp-David-Abkommen zwischen Ägypten und Israel Militante Islamisten besetzen Moschee in Mekka und nehmen Geiseln, Befreiung erst nach zwei Wochen Invasion der UdSSR in Afghanistan
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Zeittafel
Zeit
1979–1990 1980–1988 1981 1982
ab 1983 1980er-Jahre 1985 1986 1987–1993 1990
1991
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Ereignisse
623
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Islamistische Bewegungen erleben Auftrieb Ausschluss Ägyptens aus der Arabischen Liga Invasion des Irak im Iran, Iran-Irak-Krieg Islamistische Militante ermorden al-Sadat in Kairo Hafiz al-Assad schlägt islamischen Aufstand in Hama nieder Invasion Israels im Libanon Arabische Kämpfer schließen sich anti-sowjetischem Widerstand in Afghanistan an Bau des modernen MaʾribStaudamms Hinrichtung des islamischen Reformers Mahmud Muhammed Taha im Sudan Kurzer, blutiger Bürgerkrieg im Südjemen Erste palästinensische Intifada gegen die israelischen Besatzer Vereinigung des Nord- und Südjemen Irakische Invasion und Besetzung Kuwaits Saddam Hussein wird von US-geführter Koalition aus Kuwait vertrieben Islamisten gewinnen ersten Wahlgang der Parlamentswahlen in Algerien, daraufhin wird die Wahl abgebrochen Ausbruch des algerischen Bürgerkriegs
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ANHANG
Zeit
Ereignisse
ab 1990
1993 1994 seit 1994 1995
2000–2005 2001
2003 2007–2008
Textverarbeitung erleichtert Satz und Druck des Arabischen Verbreitung des Satellitenfernsehens Oslo-Abkommen zwischen Palästinensern und Israelis Abspaltungsversuch des ehemaligen Südjemen („Einheitskrieg“) Schließung der algerisch-marokkanischen Grenze Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Rabin durch zionistischen Extremisten Zweite palästinensische Intifada gegen die israelischen Besatzer Anschläge auf die USA, Strippenzieher ist der saudische Extremist Osama bin Laden US-geführte Invasion des Irak Israelischer Feldzug gegen Militante in Gaza
frühes 21. Jahrhundert 2011
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Neue soziale Medien legen den Grundstein für Massenbewegungen Demonstrationen in Tunesien stürzen den autokratischen Präsidenten Volksbewegungen gegen Diktaturen („Arabischer Frühling“) Mit saudischer Hilfe zerschlägt Bahrain die schiitische Opposition Beginn des syrischen Bürgerkriegs Unabhängigkeit des Südsudan Arabische Regime machen sich soziale Medien als Kontrollwerkzeug zunutze
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Zeittafel
Zeit
2012 2013 2014
ab 2015 2017
Ereignisse
625
Sprache, Kultur, Gesellschaft, Identität
Infolge des „Arabischen Frühlings“ kommt es zu anwachsender Migration - nach Europa sowie weltweit Muslimbruderschaft gewinnt die Wahlen in Ägypten Ägyptischer Militärputsch beendet Herrschaft der Muslimbrüder Israelischer Feldzug gegen Militante in Gaza Der „Islamische Staat“ besetzt Gebiete im Irak und in Syrien Huthi-Rebellen und Expräsident Salih erobern den Westjemen Bürgerkrieg im Jemen Golfstaaten verhängen Embargo über ihren Nachbarn Katar Rückeroberung der meisten Gebiete vom „Islamischen Staat“ Jemenitischer Expräsident Salih von vormaligen Huthi-Verbündeten getötet
2018
Israel schafft Arabisch als Amtssprache ab Syrisches Regime scheint mit militärischer Hilfe durch Russland und den Iran Bürgerkrieg zu überstehen Saudi-Arabien erlässt begrenzte soziale Reformen, bringt Widerspruch aber umso strikter zum Schweigen
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Anmerkungen Soweit nicht ausdrücklich anders vermerkt, sind Koranstellen zitiert nach: Der Koran. Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin unter Mitarbeit von Katharina Bobzin.
Vorwort: Rad und Sanduhr 1 Ibn Faḍl Allāh al-ʿUmarī zitiert nach MackintoshSmith, Introduction, in: Searight/Taylor, Yemen, S. 12. 2 UNDP, Arab Human Development Report 2016, zitiert nach The Guardian vom 2. Januar 2017. 3 Atiyah, The Arabs, S. 185. 4 Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: šʿb. 5 Al-Ǧāhiẓ zitiert nach Ibn Ḫallikān, Wafayāt al-aʿyān III, S. 163. 6 Hoyland, Arabia and the Arabs, S. 59. 7 Hourani, Die Geschichte der arabischen Völker, S. 27. 8 Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. viii-ix; Arabisch in Ibn Chaldūn, Riḥla, S. 266. 9 Koran, Sure 49:13; übs. von R. Schenzle. 10 Ibn Ḫaldūn, Die Muqaddima, S. 174. 11 Montaigne über Kannibalen zitiert nach Rennie, Far-Fetched Facts, S. 52; Sahlins zitiert nach London Review of Books vom 9. Mai 2013, S. 29. 12 Borges, Der Zahir, S. 5. 13 Ingrams, The Yemen, S. 36. 14 Adonis, Ṯābiṭ I, S. 19. 15 Morris, Sultan, S. 23. 16 T.S. Eliot, Vier Quartette, S. 9. 17 Ingrams, The Yemen, S. 36. 18 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 760. 19 Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) bereitet Daten und Statistiken zu Krisengebieten auf und stellt diese unter www. acleddata.com zur Verfügung. (Anm. d. Übers.)
Einleitung: Die Stimme einen 1 Dresch, Tribes, S. 100. 2 Die Geschichte von Abū Sufyān in Yathrib/ Medina stammt aus al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 47. Nach anderen Quellen ist Abū Sufyān nicht als Gefangener, sondern wegen Verhandlungen mit Mohammed in Yathrib/Medina gewesen. Vgl. EI², Stichwort: Muʿāwīya. 3 Koran, Sure 69:40. 4 Erwähnt in den Hadithsammlungen von Abū Dāwūd, Ibn Māǧa und al-Tirmiḏī. 5 Koran, Sure 92:1-4; übs. von R. Schenzle. 6 Koran, Sure 12:2; übs. von R. Schenzle. 7 Koran, Sure 9:97; übs. von R. Schenzle. 8 Koran, Sure 9:99; übs. von R. Schenzle.
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9 Vgl. die Sicht von al-Arsuzi in Suleiman, Arabic Language, S. 157. 10 Hitti, History, S. 361. 11 al-Masʿūdī, Muruǧ IV, S. 386. 12 Siehe Vorwort. 13 Siehe Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. viii-ix. 14 Retsö, The Arabs, S. 40. 15 Whitman, Portable, S. 334. 16 Herder, Über die Wirkung der Dichtkunst, S. 133. 17 Robb, Discovery, S. 14. 18 Nicholson, Literary History, S. 72. 19 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 391. 20 Vgl. die Vorstellungen von Nowak, Kooperative Intelligenz. 21 Vgl. Versteegh, Arabic Language, S. 93. 22 al-Yāziǧī, Dīwān, zitiert als Eingangszitat in Antonius, Arab Awakening. 23 Versteegh, Arabic Language, S. 196. 24 Vgl. al-Marzūqī, Ayy luġa sa-yatakallam al-ʿarab al-qarn al-muqbil? [Welche Sprache werden die Araber im kommenden Jahrhundert sprechen?], Beitrag auf aljazeera.net vom 6. November 2011. 25 Vgl. Owens, Handbook, S. 434 und 437. 26 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 431. 27 Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: ʿṣw. 28 Ibn Ḫaldūn, Die Muqaddima, S. 492. 29 Adonis, Wortgesang, S. 126. 30 Ders., Ṯābiṭ I, S. 31. 31 Lane, Arabic-Englisch Lexicon, Stichwort: sws. Darüber hinaus bedeutete siyāsa über lange Zeit „nichtkanonische Strafen, die ein Herrschender zum Erhalt seiner Macht auferlegte“: EI², Stichwort: Siyāsa. 32 Soueif, Cairo, S. 145f. 33 Die Biografie Ibn Arabīs mitsamt dieser Geschichte findet sich in Ibn Ḫallikān, Wafayāt al-aʿyān II, S. 375f.; deutsche Übersetzung nach Fähndrich, S. 163.
1 Stimmen aus der Wüste: Früheste Araber 1 Anspielung auf ein Zitat des englischen Autors Edmund Clerihew Bentley: „The art of Biography | Is different from Geography. | Geography is about maps, | But Biography is about chaps.“ (Anm. d. Übers.) 2 Siehe z. B. den Vergleich zwischen Indien und Europa in Keay, India, S. xxii-xxiii.
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Anmerkungen 3 Siehe Keay, India, S. xxiii. 4 Die Zahlen entsprechen Schätzungen aus dem Jahr 2015. 5 Siehe z. B. Hitti, History, S. 11f. 6 Hoyland, Arabia, S. 10, und Parker / Rose, „Climate Change“, S. 29 und 33. 7 al-Hamdānī, Ṣifa, S. 270f. 8 Ders., Iklīl VIII, S. 29. 9 Mausūʿa, Stichwort: Yaḥṣub. 10 Daum, Jemen, S. 60. 11 Koran, Sure 34. 12 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 229. 13 Hess, Studies, S. 24f. 14 Z. B. in al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 174. 15 Koran, Sure 49:13. 16 Z. B. Piotrovsky, Yaman, S. 136, und al-Iryānī, Nuqūš, S. 311. 17 al-Hamdāni, Ṣifa, S. 230. 18 Dresch, Tribes, S. 329f. 19 Ibn Ḫaldūn, Muqaddima, S. 205 (leicht angepasst, Anm. d. Übers.). 20 Koran, Sure 49:13. 21 Vgl. al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 37. 22 Z. B. von Varisco, Islam, S. 65. Siehe auch Zubaida, Beyond Islam, S. 34-38 und 65. 23 Vgl. ʿAbdallāh, Aurāq, S. 260f. 24 Siehe insbesondere die Arbeiten von Rémy Crassard. 25 Siehe Harrower, Water Histories. 26 Imruʾ al-Qais, Dīwān, S. 161. 27 Koran, Sure 89:6. 28 Koran, Sure 41:17. 29 Koran, Sure 51:41. 30 Vgl. Mackintosh-Smith, Yemen, S. 192. Alle Verweise beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf die Erstausgabe 1997. 31 ʿAbīd, Aḫbār, S. 344. 32 Ebd., S. 353f. 33 Abū al-Fidāʾ, Muḫtaṣar I, S. 98. 34 Macdonald, Development, S. 19. 35 ʿAbīd, Aḫbār, S. 401. 36 Hoyland, Arabia, S. 8. 37 Siehe Vorwort. 38 Hoyland, Arabia, S. 59. Bei Hoyland findet sich ein guter Überblick über alle frühesten Verweise auf Araber, S. 59ff. 39 Hoyland, Arabia, S. 5-8. 40 In der al-Namāra-Inschrift, siehe dazu Kapitel 2. 41 aṯ-Ṯaʿālibī, Fiqh, S. 257. 42 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 408. Wākiʿ wurde für den Posten des Gouverneurs von Chorasan übergangen, weil er „zu ungehobelt und zu sehr Wüstenaraber“ war. Al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 410. 43 EI², Bd. I, S. 562.
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44 Hoyland, Arabia, S. 60. 45 Ebd., S. 61. 46 Macdonald, Development, S. 14. 47 Hoyland, Arabia, S. 134. 48 Ebd., S. 62. 49 Eine vereinzelte Erwähnung von aʿrāb findet sich in einer sabäischen Inschrift aus dem 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr.: Hoyland, Arabia, S. 230. 50 Beeston, „Kingship“, S. 257. 51 Vgl. Versteegh, Arabic Language, S. 93. 52 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 112. 53 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 389. 54 Keall, „Rezension von Jan Retsö“, S. 98. 55 Macdonald, Development, S. 16. 56 Ders., „Nomads“, S. 304. 57 Siehe Hoyland, Arabia, S. 8. 58 Macdonald, Development, S. 7. 59 Ders., „Nomads“, S. 304. 60 Ebd., S. 384. 61 Ders., „Seasons“, S. 3. 62 Ders., „Nomads“, S. 366. 63 Hoyland, Arabia, S. 207. 64 Macdonald, Development, S. 16. 65 Winnett, Studies, S. 239. 66 Hoyland, Arabia, S. 206. 67 Macdonald, „Seasons“, S. 2. 68 EI², Bd. VIII, S. 761f. 69 al-Ǧāḥīẓ, Bayān I, S. 232. Über die Geschichte des Kamels wurde viel geschrieben, am interessantesten von Richard Bulliet. 70 Siehe z. B. Diamond, Arm und Reich, S. 91. 71 Hoyland, Arabia, S. 90. 72 Siehe ebd., S. 59. 73 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab III, S. 149; Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: blw. 74 as-Suyūṭī, Muzhir II, S. 455. 75 Zitiert in Lewis, Arabs in History, S. 126. 76 al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab II, S. 121. 77 Ebd., S. 120. 78 Vgl. EI², Bd. I, S. 872. 79 Vgl. Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: ʿrb. 80 Vgl. al-Ḥamdānī, Ṣifa, S. 197. 81 Beeston et al., Sabaic Dictionary, Stichwort: ḤMR II. 82 Z. B. Dunlop, Arab Civilization, S. 5f.; Hitti, History, S. 41; Lewis, Arabs, S. 2f. 83 Z. B. Retsö, Arabs, S. 51. 84 Ebd., S. 52f. 85 Ebd., S. 598. 86 Ḥusain, Fī aš-šiʿr, S. 27. 87 Romila Thapar zitiert in Keay, India, S. 19. 88 Zu arya siehe Keay, India, S. 20, 24, 34ff. 59, 132, 151 und 153.
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ANHANG 89 Andere Auffassungen siehe Owens, Handbook, S. 15f. 90 Owens, Linguistic History, S. 29f. 91 Vgl. Van Gelder, Classical Arabic Literature, S. 400, Fußnote 717. 92 Garbini in Daum, Jemen, S. 109. 93 Macdonald, Development, S. 16f. 94 Hoyland, Arabia, S. 201. 95 Siehe Macdonald, „Nomads“, S. 366. 96 Hoyland, Arabia, S. 607. 97 Ein Beispiel findet sich im Hadith Laisa mina m-birri m-ṣiyāmu fī m-safar, „Es ist nicht fromm, auf Reisen zu fasten.“ Al-Ḥibšī, Yaman, S. 22. 98 Healey und Smith, „Jaussen Savignac 17“; Macdonald, Development, S. 19. 99 Versteegh, Arabic Language, S. 32. 100 Z.B. Ebd., S. 18-21 und 24. 101 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 132-136. 102 as-Suyūṭī, Muzhir I, 320f. 103 Ebd., S. 257. 104 Chejne, Arabic Language, S. 10. 105 Hitti, History, S. 22. 106 Z. B. rāša: „viel essen, wenig essen, ein Kamel mit haarigen Ohren“. Hava, al-Farāʾid, Stichwort: rwš. 107 aṯ-Ṯaʿālibī, Fiqh, S. 92f. 108 Ebd., S. 152. 109 Ebd., S. 66. 110 al-Wāsiṭī zitiert in Rabin, Ancient West Arabian, Kap. 3. Vgl. as-Suyūṭī, Muzhir I, S. 209-212. 111 as-Suyūṭī, Muzhir I, S. 53. 112 al-Ǧāḥiẓ, Bayān II, S. 11f. 113 Hoyland, Arabia, S. 230. 114 Ebd., S. 254. 115 Versteegh, Arabic Language, S. 24. 116 Hoyland, Arabia, S. 65. 117 Gysens, „Safaitic Graffiti“.
2 Völker und Stämme: Sabäer, Nabatäer und Nomaden 1 Yāqūt al-Ḥamawī, Muʿǧam al-buldān, Stichwort: Ẓafār. 2 Abū Nuwās, Dīwān, S. 510f. 3 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 305. 4 Knauf, „Migration“, S. 84. 5 Ebd., S. 79. 6 Z.B. Müller in Daum, Jemen, S. 50. 7 Z.B. Maigret, „Arab Nomadic People“, S. 220-224. 8 Vgl. Beeston, Descriptive Grammar, S. 1. 9 Siehe Kapitel 1. 10 Daum, Jemen, S. 50. 11 Mausūʿa, Stichwort: Abraha. 12 al-Iryānī, Nuqūš, S. 287.
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13 Koran, Sure 34:15. 14 EI², Bd. VI, S. 559. 15 Ebd., S. 563. 16 Hoyland, Arabia, S. 137 und 161. 17 Ebd., S. 161. 18 al-Iryānī, Nuqūš, S. 339. 19 Garbini in EI², Bd. VIII, S. 665. 20 Ryckmans in Daum, Jemen, S. 111. 21 Koran, Sure 27:24. 22 Beeston et al., Sabaic Dictionary, Stichwort: WQH. 23 Beeston, „Kingship“, S. 262. 24 Ebd., S. 267. 25 Robin, Hautes-Terres, S. 96; Ghul, „Pilgrimage“, S. 147. 26 Ghul, „Pilgrimage“, S. 148. 27 Ebd., S. 152. 28 Vgl. Wilson, Gazetteer, S. 23. 29 ʿAbdallāh, Aurāq, S. 341. 30 al-Iryānī, Nuqūš, S. 447. 31 Ebd., S. 330. 32 Beeston, „Kingship“, S. 264f., vgl. Beeston in EI², Bd. IV, S. 747. 33 Serjeant, South Arabian Hunt, S. 109, Fußnote 358. 34 Koran, Sure 3:103. 35 Hitti, History, S. 120. 36 Mackintosh-Smith, Yemen, S. 39. 37 Dunlop, Arab Civilization, S. 7. 38 EI², Bd. I, S. 887. 39 Mackintosh-Smith, Yemen, S. 143. 40 Joel 4:8. 41 Macdonald, „Nomads“, S. 381; Ders., Development, S. 19. 42 Hoyland, Arabia, S. 1930–1934. 193–194. 43 Ebd., S. 75f. 44 Juvenal, Satiren 3, 1.62. 45 Hoyland, Arabia, S. 73. 46 Ebd., S. 74f. und 76. 47 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 73. 48 EI², Bd. VII, S. 836; al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 227. 49 Macdonald, „Nomads“, S. 341f. 50 ʿAbdallāh, Nuqūš, S. 266. 51 Hoyland, Arabia, S. 232. 52 Ebd., S. 211f.; siehe auch Kapitel 1. 53 EI², Bd. IX, S. 225f. 54 Zum Beispiel Ibn Ḫaldūn, Muqaddima, S. 485. 55 as-Suyūṭī, Muzhir I, S. 273. Die „Gürtel“ sind um die Lenden gebundene Schals oder Riemen, die eine niederhockende Person trägt, um diese Position beibehalten zu können. 56 Retsö, Arabs, S. 40. 57 as-Suyūṭī, Muzhir II, S. 416. 58 Irwin, Night, S. 19.
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Anmerkungen 59 Versteegh, Arabic Language, S. 39. 60 Grunebaum, „Nature“, S. 5. 61 as-Suyūṭī, Muzhir I, S. 166. 62 ʿAbdallāh, Nuqūš, S. 286. 63 EI², Bd. VIII, S. 663. 64 Rabin, Ancient West-Arabian, Kap. 5. 65 Genesis 16:12 (in der Übersetzung von Martin Luther). 66 EI², Bd. I, S. 525. 67 Ebd., Bd. VII, S. 761f. 68 Ebd., Bd. II, S. 1005. 69 Keay, India, S. 25. 70 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 232. 71 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 769. 72 Ebd., S. 892-906. 73 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 135. 74 Siehe Kapitel 14. 75 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 144. 76 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 227. 77 Harrigan, „Discovery“, S. 2-11. 78 Ebd., S. 7ff. 79 EI², Bd. I, S. 884. 80 Hoyland, Arabia, S. 188. 81 Ebd., S. 175. Vgl. Kapitel 1. 82 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 85. 83 Koran, Sure 100:1-3. 84 Zitiert in Irwin, Night, S. 10. 85 EI², Bd. IV, S. 1144. 86 Ebd., Bd. I, S. 884. 87 al-Iryānī, Nuqūš, S. 242. 88 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 216. 89 Versteegh, Arabic Language, S. 24. 90 al-Ǧāḥiẓ, Bayān II, S. 9. 91 Ebd., S. 7. 92 Piotrovsky, Yaman, S. 158f. 93 Rogan, Arabs, S. 8. 94 Bellamy, „A New Reading“, S. 33. 95 ʿAbdallāh, Nuqūš, S. 293; Owens, Linguistic History, S. 20f. 96 Zitiert in Hoyland, Arabia, S. 79. 97 Zum Beispiel al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 98. 98 Hoyland, Arabia, S. 79. 99 EI², Bd. V, S. 632. 100 aṭ-Ṭabarī in Hoyland, Arabia, S. 79. 101 Nach Bellamy, in Versteegh, Arabic Language, S. 31. 102 Mit dem „Großen Spiel“ wird der Kampf zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien im 19. Jahrhundert bezeichnet. 103 Sizgorich, „Prophets“, S. 1012. 104 Atiyah, Arabs, S. 133. 105 Qatāda zitiert in Kister, „al-Ḥīra“, S. 143.
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3 Weit und breit verstreut: Die Grammatik der Geschichte im Wandel 1 ʿAbdallāh, Aurāq, S. 275. 2 Mausūʿa, Stichwort: Šammār. 3 Z. B. Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 262. 4 Mackintosh-Smith, Yemen, S. 33 und 46. 5 Hoyland, Arabia, S. 79. 6 ʿAbdallāh, Aurāq, S. 276. 7 Daum, Jemen, S. 54. 8 al-Iryānī, Nuqūš, S. 329. 9 Ibn Ḫaldūn, Muqaddima, S. 174f. 10 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 181. 11 Ebd., S. 186f. 12 Koran, Sure 34:15-16 und 19. 13 EI², Bd. VI, S. 563f. 14 Ebd., S. 564. 15 al-Iryānī, Nuqūš, S. 329. 16 EI², Bd. VI, S. 564. 17 al-Ḥamdānī, Ṣifa, S. 325. 18 ʿAbīd, Aḫbār II, S. 287. Ṭarīfa erscheint in manchen Quellen mit einem punktierten Buchstaben als Ẓarīfa. 19 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 35. 20 ʿAbīd, Aḫbār II, S. 290. 21 Hoyland, Arabia, S. 233. 22 Zitiert in Suleiman, Arabic Language, S. 27. 23 EI², Bd. I, S. 528. 24 Hoyland, Arabia, S. 26 und 231. 25 Zitiert in al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 203f. 26 Nietzsche, Also sprach Zarathustra, „Von alten und Neuen Tafeln“, 12, zitiert in Ajami, Dream Palace, S. 70. 27 Hoyland, Arabia, S. 8. 28 ʿAbīd, Aḫbār II, S. 294-97. 29 Hoyland, Arabia, S. 81. 30 EI², Bd. II, S. 1020f. 31 Nicholson, Literary History, S. 53f. 32 EI², Bd. II, S. 360. 33 Hitti, History, S. 78. 34 Hoyland, Arabia, S. 241f. 35 EI², Bd. IV, S. 820. 36 Rogan, Arabs, S. 8. 37 EI², Bd. II, S. 360. 38 Ebd., Bd. III, S. 462. 39 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 227. 40 Hitti, History, S. 79. 41 Kister, „al-Ḥīra“, S. 153. 42 Ebd., S. 155f., 161f. und 167. 43 Hitti, History, S. 84. 44 Hoyland, Arabia, S. 241f. 45 as-Suyūṭī, Muzhir II, S. 293. 46 Koran, Sure 85:22. 47 al-Kurdī, Tārīḫ, S. 18f. und 41.
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ANHANG 48 Macdonald, Development, S. 20f. 49 Jones, „Rezension zu Beatrice Gründler“, S. 429. 50 Versteegh, Arabic Language, S. 33. 51 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 163f. 52 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 453. 53 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 299. 54 Nicholson, Literary History, S. 120. Deutsche Übersetzung aus Gottfried Müller: Ich bin Labīd und das ist mein Ziel. Zum Problem der Selbstbehauptung in der altarabischen Qaside. Wiesbaden: Franz Steiner 1978, S. 32. 55 Haeri, „Form“, S. 74, und Shouby, „Influence“, S. 297. 56 300 klingt übertrieben, aber das erste Häkchen kann fünf verschiedene Konsonanten darstellen, mit jeweils drei möglichen Kurzvokalen; das zweite Häkchenpaar könnte noch einmal fünf Konsonanten und drei Kurzvokalen plus das Zeichen für Vokallosigkeit darstellen: und (5x3) x (5x4) = 300. 57 Vgl. Ibn Ḫaldūn, Muqaddima, S. 337f. 58 EI², Bd. IX, S. 450. 59 Siehe Kapitel 2. 60 Anspielung auf „The Kingʼs English“, eine englische Grammatik der Brüder Fowler aus dem Jahr 1906 (Anm. d. Übers.). 61 EI², Bd. IX, S. 226. 62 Vgl. Ebd., Bd. VIII, S. 119. 63 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 99f. 64 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 417. 65 as-Suyūṭī, Muzhir I, S. 197. 66 Thomas Chatterton (1752-1770): englischer Dichter, der von ihm selbst verfasste Gedichte einem Mönch aus dem 15. Jahrhundert zuschrieb (Anm. d. Übers.). 67 Siehe Kapitel 1. 68 Z. B. Suleiman, Arabic Language, S. 32. 69 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 75. 70 Ibn Ḫaldūn, Muqaddima, S. 403f. 71 Zitiert in al-Ǧābirī, Takwīn, S. 258. 72 Zitiert in Suleiman, Arabic Language, S. 121. 73 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 207. 74 Vgl. Hoyland, Arabia, S. 240. 75 EI², Bd. I, S. 526. 76 Leicht angepasst übernommen aus Retsö, Arabs, S. 21f.
4 An der Schwelle zu wahrer Größe: Die Tage der Araber 1 EI², Bd. I, S. 482f. 2 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 38f. 3 Daum, Jemen, S. 54. 4 Koran, Sure 85:4–10. 5 Zum Beispiel al-Iryānī, Nuqūš, S. 136ff.
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6 Ebd., S. 46. 7 Ebd., S. 324 und 345. 8 Mackintosh-Smith, Yemen, S. 42. 9 Hoyland, Arabia, S. 55. Es werden auch andere Daten vorgeschlagen, wie z. B. 547 in Daum, Jemen, S. 55. 10 Koran, Sure 105. 11 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 78. 12 Ebd., S. 100f. 13 Zitiert in Suleiman, Arabic Language, S. 236. 14 Retsö, Arabs, S. 17. 15 Vgl. al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 147. 16 Ebd., S. 105f. 17 Vgl. Nicholson, Literary History, S. 73. 18 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 79. 19 al-Ǧāḥiẓ, Bayān, Bd. 1, S. 134. 20 Ebd., S. 117. 21 Šaiḫ Muḥammad b. Rašīd al-Maktūm, Ode mit dem Anfang Usūd al-ǧazīra ḥimat ad-diyār, 2015. 22 EI², Bd. IV, S. 421. 23 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 179. 24 Ibn Ḫaldūn, Muqaddima, S. 463. 25 Vgl. Rabin, Ancient West-Arabian, Kap. 11, Fußnote 6; Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: zʿm. 26 Zum Beispiel al-Iryānī, Nuqūš, S. 151. 27 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 526. 28 Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: srb. 29 Nicholson, Literary History, S. 57. 30 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 241. 31 Hitti, History, S. 90. 32 Ḥusain, Fī aš-šiʿr, S. 240. 33 Nicholson, Literary History, S. 61. 34 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 155. 35 al-Ḥamdānī, Ṣifa, S. 237. 36 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 1–6. 37 EI², Bd. IV, S. 803f. 38 Übersetzung in Mackintosh-Smith, „Interpreter of Treasures: A Portrait Gallery“, S. 39. 39 as-Suyūṭī, Muzhir II, S. 405. 40 ʿAbdallāh, Aurāq, S. 296. 41 Ḥusain, Fī aš-šiʿr, S. 206f. 42 Vgl. Imruʾ al-Qais, Dīwān, S. 55–60. 43 Ebd., S. 43. 44 Ebd., S. 5. 45 Adonis, Poetics, S. 72. 46 Ders., Ṯābit IV, S. 163. 47 Übersetzt in Mackintosh-Smith, „Interpreter of Treasures: Food and Drink“, S. 40. 48 Irwin, Night, S. 19. 49 Ebd. 50 Dunlop, Arab Civilization, S. 28. 51 Siehe Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 892-906.
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Anmerkungen 52 Ebd., S. 906. 53 Whitman, Portable, S. 335. 54 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 203. 55 Liddell Hart, Oberst Lawrence: der Kreuzfahrer des 20. Jahrhunderts. Ins Deutsche übertragen von Theodor Lücke. Berlin: Otto Schlegel 1935. 56 Vgl. Adonis, Wortgesang. 57 Pellat, Life, S. 132. 58 Van Gelder, Classical Arabic Literature, S. 278. 59 Vgl. Ḥusain, Fī aš-šiʿr. 60 Lane, Arabic-English Lexicon, Bd. I, Vorwort, S. x. 61 Imruʾ al-Qais, Dīwān, S. 81. 62 Ebd., S. 141. 63 Ebd., S. 80. 64 Vgl. EI², Bd. III, S. 239. 65 Grunebaum, „Nature“, S. 15. 66 Vgl. Keay, India, S. 97 und 149. 67 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 278. 68 Zitiert in EI², Bd. VII, S. 377. 69 Irwin, Night, S. 7. 70 EI², Bd. VIII, S. 762. 71 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 360f. 72 EI², Bd. IX, S. 226. 73 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 131. 74 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab I, S. 69. 75 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 25f. 76 Van Gelder, Classical Arabic Literature, S. 111. Dīn wird hier mit „Religion“ übersetzt. 77 Hoyland, Arabia, S. 242f. 78 Adonis, Wortgesang, S. 55. 79 „If any question why we died, / Tell them, because our fathers lied.“ Rudyard Kipling, Epitaphs of War, „Common Form“ (Anm. d. Übers.). 80 Versteegh, Arabic Language, S. 37. 81 Rushdie, Mitternachtskinder, S. 145. 82 al-Ḥamdānī, Ṣifa, S. 331. 83 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 625–639. 84 Abū al-Fidāʾ, Muḫtaṣar, Bd. 1, S. 100. 85 „At the going down of the sun and in the morning / We will remember them.“ Vierter Vers des Gedichtes „For the Fallen“ (1914) des englischen Dichters Laurence Binyon (1869–1943) (Anm. d. Übers.). 86 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 368f. 87 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab II, S. 108. 88 EI², Stichwort: al-Nuʿmān b. al-Mundhir. 89 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 136.
5 Offenbarung als Revolution: Mohammed und der Koran 1 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 278f. 2 EI², Bd. IV, S. 320. 3 Beeston u.a., Sabaic Dictionary, Stichwort: S1LM.
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4 1. Mose 28:11–19. 5 Ibn al-Kalbī, Book of Idols, S. 28f. 6 z.B. Ebd., S. 15. 7 EI², Bd. III, S. 389. 8 Hitti, History, S. 100. 9 EI², Bd. IV,S. 321. 10 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 49. 11 Zu all diesen Geschichten siehe al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 46–49. 12 Ebd., S. 127. 13 Hitti, History, S. 103. 14 Beeston u.a., Sabaic Dictionary, Stichwort: KRB. 15 z. B. Piamenta, Dictionary, Stichwort: ghrb. 16 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 49–51. 17 EI², Bd. III, Stichwort: Iyād. 18 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 56; Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 286. 19 Hitti, History, S. 100. 20 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 238. 21 Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 205; vgl. auch Kapitel 1. 22 Vgl. Kapitel 1. 23 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 135. 24 as-Suyūtī, Muẓhir I, S. 273f. 25 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 58. 26 Ebd., S. 59f. 27 Ibrahim, „Social and Economic Conditions“, S. 344. 28 EI², Bd. X, S. 789; Lewis, Araber, S. 35f. 29 Serjeant, South Arabian Hunt, S. 62. 30 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 59f. 31 Ibrahim, „Social and Economic Conditions“, S. 344. 32 Koran, Sure 106:2. 33 Mackintosh-Smith, Yemen, S. 39. 34 Lecker, „Kinda on the Eve of Islam“, S. 349. 35 Vgl. Kennedy, Great Arab Conquests, S. 73. 36 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 131. 37 Vgl. Ferguson, „Rezension“. 38 Rabin, Ancient West-Arabian, Kap. 1. 39 Ibn Faris zitiert nach as-Suyūtī, Muẓhir I, S. 166. 40 Van Gelder, Classical Arabic Literature, S. 199. 41 Atiyah, Arabs, S. 21. 42 z. B. Koran, Sure 6:92. 43 Siehe Kapitel 4. 44 EI², Bd. III, S. 31f. 45 Ibn al-Kalbī, Book of Idols, S. 4–6; EI², Bd. IX, S. 424. 46 EI², Bd. XI, S. 441. 47 Ebd., Bd. III, S. 31f. 48 Yāqūt, Muʿǧam al-buldān, Stichwort: al-Kaʼbah. 49 Hornblower und Spawforth, Oxford Classical Dictionary, Stichwort: omphalos.
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ANHANG 50 z.B. Ibn Ǧubair, Riḥlat ibn Ǧubair, S. 148. 51 EI², Bd. IV, S. 263f. 52 Ebd., Bd. V, S. 692. 53 Ibn al-Kalbī, Book of Idols, S. 8. 54 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 278; siehe auch Kapitel 4. 55 Ebd., S. 277. 56 al-Harawī, al-Išārāt, S. 85. 57 EI², Bd. VII, S. 872. 58 Ibn al-Kalbī, Book of Idols, S. 38f. 59 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 129. 60 Neues Testament, Das Evangelium nach Johannes 14:16. 61 Koran, Sure 61:6. 62 al-Masʿūdī, Murūǧ I, S. 75. 63 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 32. 64 Siehe al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab II, S. 179. 65 al-Ibšīhī, al-Mustaṭraf, S. 467f. 66 EI², Bd. IX, S. 662. 67 Die Zahl von einer Million wird Ahmed ibn Hanbal zugeschrieben (Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 40). Al-Buchari soll etwas glaubhaftere 600 000 Hadithe gesammelt haben (Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 324). Abu Dawud durchforstete seine eigene halbe Million und kam auf 4800 „verlässliche“ Hadithe (Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 383.) 68 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 270. 69 Ebd., S. 274. 70 Ebd., S. 270. 71 EI², Bd. VI, S. 146. 72 Ebd., Bd. X, S. 841. 73 Ibrahim, „Social and Economic Conditions“, S. 347. 74 Ebd., S. 353. 75 EI², Bd. VII, S. 862. 76 Lane, Arabic-English Lexicon I, S. viii. 77 al-Iryānī, Nuqūš musnadīya, S. 138. 78 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 251. 79 EI², Bd. VI, S. 160. 80 Zitiert nach ʿAbdallāh, Aurāq fī tārīḫ, S. 294. 81 z.B.EI², Bd. VI, S. 145f. 82 Z.B. Koran, Sure 76:12–21. 83 Z.B. Koran, Sure 61:12. 84 EI², Bd. VII, S. 362. 85 Ibn al-Kalbī, Book of Idols, S. 16f. 86 EI², Bd. X, S. 98. 87 Karsh, Islamic Imperialism, S. 11. 88 EI², Bd. VIII, S. 93. 89 Ebd., Bd. IX, S. 407. 90 Koran, Sure 96:1. 91 Kilito, Thou Shalt Not Speak, S. xix-xx. 92 EI², Bd. VIII, S. 96. 93 James Sutherland (Hg.): The Oxford Book of Literary Anecdotes, Oxford 1975, S. 1.
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94 EI², Bd. IX, S. 450. 95 Zitiert nach Jones, „Quʼran“. 96 Koran, Sure 91:1–4. 97 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 123 und 124. 98 EI², Bd. V, S. 99. 99 Koran, Sure 69:38–42. 100 Koran, Sure 26:225–226. 101 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 219–231. 102 Ebd., S. 219. 103 Koran, Sure 30:30. 104 al-Masʿūdī, Murūǧ I, S. 70f. 105 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 222–225. 106 Ḥusain, Fī aš-šiʿr, S. 147–152. 107 EI², Bd. X, S. 839. 108 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 621f. 109 EI², Bd. XI, S. 474f. 110 Ebd., Bd. III, S. 165. 111 Ascherson, Black Sea, S. 204. 112 Whitman, Walt Whitmans Werk, Bd. 2, S. 24. 113 EI², Bd. V, S. 426. 114 Koran, Sure 96:3–4. 115 Vgl. Kapitel 2. 116 Koran, Sure 68:1. 117 Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 31 (nicht in der deutschen Ausgabe, bei der es sich um eine „Auswahlübersetzung“ handelt, Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 8). 118 Zitiert nach Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 51. 119 Byron, Weg, S. 369. 120 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 37. 121 Rabin, „Beginnings“, S. 28, Anm. 2. 122 EI², Bd. VIII, S. 835. 123 Schoeler, „Writing and Publishing“, S. 430. 124 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 453f. 125 al-Zamachscharī zitiert nach Jones, „Word Made Visible“, S. 7f. 126 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 454f. 127 Versteegh, Arabic Language, S. 55. 128 Koran, Sure 37:156–157. 129 EI², Bd. V, S. 403. 130 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 32. 131 Ebd. 132 z.B. Jones, „Word Made Visible“, S. 5f. 133 Anderson, Erfindung der Nation. 134 Lévi-Strauss, Traurige Tropen, S. 295f. 135 Vgl. al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 59f. 136 as-Suyūtī, Muẓhir II, S. 297. 137 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 453f. 138 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 60. 139 Koran, Sure 31:27. 140 Koran, Sure 3:7. 141 Hornblower und Spawforth, Oxford Classical Dictionary, Stichwort: magus.
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Anmerkungen 142 Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 70 (nicht in der deutschen Ausgabe). 143 Ebd., S. 492. 144 Gelder, Classical Arabic Literature, S. xxvii. 145 Zitiert nach Kaye, „Rezension“, S. 147. 146 Zitiert nach Chejne, Arabic Language, S. 12. 147 Zitiert nach Adonis, Ṯābit II, S. 172. 148 Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 182f. 149 Koran, Sure 8:63. 150 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 299. 151 Vgl. Vorwort. 152 Zitiert nach Adonis, Ṯābit IV, S. 114. 153 Retsö, Arabs, S. 626. 154 Vgl. Retsö, Arabs, S. 598. 155 Zitiert nach Adonis, Ṯābit IV, S. 114. 156 EI², Bd. V, S. 427. 157 Marzouki (aljazeera.net). 158 EI², Bd. VIII, S. 155. 159 al-Iryānī, Nuqūš musnadīya, S. 412. 160 Ebd., S. 395f. 161 Z .B. Ubayd Allah ibn Jahsh (EI2, Bd. VII, S. 862f), Adi ibn Hatim (Ibn al-Kalbī, Book of Idols, S. 52) und Waraqah ibn Nawfal (Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 616–618). 162 al-Masʿūdī, Murūǧ I, S. 67f.; al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 226f. 163 Koran, Sure 112. 164 Imruʾ al-Qais, Dīwān, S. 12. 165 al-Ibšīhī, Mustaṭraf, S. 463. 166 Ibn al-Kalbī, Book of Idols, S. 30f. 167 Ebd., S. 15. 168 Koran, Sure 43:87. 169 Koran, Sure 29:63. 170 EI², Bd. I, S. 42. 171 Vgl. al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 126. 172 Vgl. Serjeant, South Arabian Hunt, S. 109, Fußnote 358. 173 Koran, Sure 3:103. 174 Serjeant, South Arabian Hunt, S. 109, Anm. 358. 175 Zu den Worten von Abd al-Muttalib siehe al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 129. Mohammeds Satz findet sich in Hamdani, Sifah, S. 41. Vgl. Abū Bakr, zitiert nach al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 114. 176 EI², Bd. V, S. 411. 177 Koran, Sure 17:110. 178 Koran, Sure 1:1. 179 al-Iryānī, Nuqūš musnadīya, S. 414. 180 Vgl. Hoyland, Arabia, S. 27. 181 Vgl. Adonis, Wortgesang, S. 126. 182 Koran, Sure 11:118. 183 EI², Bd. X, S. 97. 184 Koran, Sure 104:1–4. 185 Zitiert nach Adonis, Ṯābit II, S. 170.
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186 Koran, Sure 111. 187 EI², Bd. I, S. 110.
6 Gott und Cäsar im Bunde: Der Staat von Medina 1 Vgl. Einleitung. 2 al-Maʿarrī, Epistle, S. 37. 3 al-Tabari zitiert nach Nicholson, Literary History, S. 158. 4 EI², Stichwort: Hidjra. 5 Crone, „The First-Century Concept“. 6 Nicholson, Literary History, S. 158. 7 EI², Bd. I, S. 80. 8 Ebd., Bd. V, S. 994. 9 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 25. 10 Ebd., S. 17. 11 Ebd. 12 EI², Bd. VII, S. 368. 13 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 16. 14 Siehe dazu z.B. Hitti, History, S. 125f. 15 Koran, Sure 46:12. 16 Carmichael, Shaping, S. 53. 17 Doe, Southern Arabia, S. 163 und 166 f. 18 Vgl. Koran, Sure 9:108; al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 14. 19 Im Jahr der Hidschra (Anno Hegirae). [Anm. d. Übers.] 20 EI², Bd. VII, S. 368; vgl. Hitti, History, S. 118. 21 EI², Bd. V, S. 995f. 22 Ebd., Bd. III, S. 388f. 23 Schoeler, „Writing and Publishing“, S. 425. 24 Siehe Kapitel 5. 25 Koran, Sure 33:6. 26 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 13f. 27 EI², Bd. VII, S. 367. 28 Siehe Kapitel 4. 29 EI², Bd. XII, S. 694. 30 Vgl. die Verse von Zaid ibn Amr ibn Nufail in Kapitel 5. 31 Koran, Sure 5:51. 32 Hitti, History, S. 117. 33 Vgl. z.B. al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 28. 34 Allawi, Crisis, S. 130. 35 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 43. 36 Koran, Sure 15:85. 37 Varisco, Islam Obscured, S. 10. 38 Burton, Personal Narrative, Schlussworte von Kap. XXXI. 39 Koran, Sure 55, 26–27. 40 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 287f. 41 EI², Bd. IX, S. 661. 42 Ebd., Bd. I, S. 110. 43 Ebd., Bd. I, S. 9.
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ANHANG 44 Zitiert nach Gelder, Classical Arabic Literature, S. 94. 45 EI², Bd. VII, S. 264. 46 Ḥusain, Fī aš-šiʿr, S. 116. 47 al-Maʿarrī, Paradies und Hölle, S. 101. 48 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 300. 49 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 365f. 50 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 114. 51 Koran, Sure 8. Siehe z.B. 8:41. 52 Koran, Sure 3:162. 53 Koran, Sure 9:60. 54 Vgl. den Titel von David Sizgorich in American Historical Review. 55 Hoyland, Arabia and the Arabs, S. 102; Crone, „First Century Concept“, S. 367. 56 EI², Bd. II, S. 1006. 57 Siehe Vorwort. 58 Kassir, Das arabische Unglück, S. 34 und 92. 59 Pintak, „Border Guards“, S. 202. 60 al-Ibšīhī, al-Mustaṭraf, S. 464. 61 EI², Bd. IV, S. 320. 62 Ebd., Bd. IX, S. 389. 63 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 63. 64 Vgl. Serjeant, South Arabian Hunt, S. 62. 65 Lévi-Strauss, Traurige Tropen, S. 294. 66 EI², Bd. VIII, S. 835. 67 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 60f. 68 Ebd, S. 61. 69 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 171. 70 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 23. 71 Ebd., S. 67–69. 72 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 181. 73 Ibn Ḫallikān, Wafayāt, S. 163f. 74 Adonis, Ṯābit IV, S. 22. 75 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 17. 76 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 299. 77 BBC, „News From Elsewhere“, 14. Juli 2014. 78 Zitiert nach Chejne, Arabic Language, S. 14. 79 Nowak, Kooperative Intelligenz. 80 EI², Bd. XI, S. 219. 81 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 377. 82 Elf nach Rogerson, Prophet, S. 109. 83 Lecker, „Kinda on the Eve of Islam“, S. 353. 84 EI², Bd. XI, S. 219f. 85 Retsö, Arabs, S. 17. 86 al-Masʿūdī, Murūǧ I, S. 67f.; Ders., Murūǧ II, S. 226f. 87 Ders., Murūǧ I, S. 67f. 88 Koran, Sure 30:3–4. 89 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 110. 90 Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 797. 91 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I1, S. 188. 92 Koran, Sure 9:97. 93 Koran, Sure 49:14.
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94 Serjeant, South Arabian Hunt, S. 12. 95 EI², Bd. VII, S. 372. 96 Ebd., Bd. IX, S. 452. 97 Davie, Religion. 98 Vgl. Adonis, Ṯābiṭ I, S. 31. 99 Mohammeds Abschiedspredigt (al-Khutba al-Wada), zitiert nach derletzteprophet.info; https://www.derletzteprophet.info/abschiedspredigt-al-khutba-al-wada. 100 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 182. 101 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 9. 102 Hadith über die Autorität Jabirs. 103 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 290f. 104 Siehe Kapitel 4. 105 Retsö, Arabs, S. 626. 106 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 391. 107 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 181. 108 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 92. 109 ar-Rāzī, Tārīh madīnat Ṣanʿāʾ, S. 254.
7 Die Halbmondritter: Erschließungen 1 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 106f. 2 Beeston, „So called Harlots“, S. 20f. 3 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 134. 4 Beeston, „So called Harlots“, S. 19. 5 Lecker, „Kinda on the Eve of Islam“. 6 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 237. 7 Vgl. Lewis, „Concept“, S. 6. 8 Ebd., S. 7. 9 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 307f.; EI2, Bd. IX, S. 420. 10 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 306. 11 Ibn al-Kalbī, Book of Idols, S. 32. 12 Ebd., S. 21f. 13 Imruʾ al-Qais, Dīwān, S. 12. 14 Serjeant, South Arabian Hunt, S. 12. 15 EI², Bd. VI, S. 267f. 16 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 215f. 17 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 99. 18 Ebd., S. 96. 19 Gelder, Classical Arabic Literature, S. 112. 20 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 93f. 21 Ebd., S. 98. 22 Ebd., S. 104; EI2, Bd. VIII, S. 738. 23 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 101f. 24 Gelder, Classical Arabic Literature, S. 112f. 25 EI², Bd. X, S. 603. 26 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 109. 27 Abū al-Fidāʾ, al-Muḫtaṣar, Teil 1, S. 155. 28 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 109f. 29 Mackintosh-Smith, Yemen, S. 44. 30 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 90f. 31 Ebd., S. 111. 32 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 187f.
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Anmerkungen 33 Lewis, „Concept“, S. 7. 34 Vgl. Retsö, Arabs, S. 17. 35 Versteegh, Arabic Language, S. 93. 36 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 131. 37 Hitti, History, S. 147f. 38 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 112. 39 Ebd., S. 119f. 40 Vgl. William Dalrymple, From the Holy Mountain, HarperCollins, 1997, S. 105. 41 Vgl. Kennedy, Great Arab Conquests, S. 86. 42 Ibn Schakir, zitiert nach EI2, Bd. I, Stichwort: Architecture. 43 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 300. 44 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 139. 45 Ebd., S. 144. 46 Ebd., S. 121. 47 Vgl. Kennedy, Great Arab Conquests, S. 83–85. 48 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 137. 49 Ebd., S. 136 und 164. 50 Ebd., S. 137f. 51 Ebd., S. 253; Kennedy, Great Arab Conquests, S. 83–85. 52 Lévi-Strauss, Traurige Tropen, S. 401. 53 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 190f. 54 Vgl. Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 129 (nicht in der deutschen Ausgabe). 55 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 109. 56 Ebd., S. 108. 57 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 252. 58 Ebd., S. 256. 59 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 326. 60 Ebd., S. 320f. 61 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 282. 62 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 102–104. 63 Ders., Murūǧ III, S. 33f. 64 Ders., Murūǧ II, S. 102–105. 65 Mausūʿa, Stichwort: Ghumdān. 66 Vgl. Šaiḫū, Šuʿarāʾ, S. 769. 67 Ebd., S. 772f. 68 Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 284. 69 Z.B. al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 224. 70 Ebd., S. 310; „Säbel“ ist vorläufig, weil ich den mchff der Ausgabe, die ich zur Verfügung habe, als michfaq deute (die Vokale sind unklar). 71 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 434. 72 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 121. 73 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 171f. 74 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 296. 75 Hitti, History, S. 259. 76 Atiyah, Arabs, S. 35. 77 Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 198. 78 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 171. 79 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 31. 80 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 398.
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81 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 28. 82 Bei der Besonderheit handelt es sich um eine nichtetymologische Silbe zwischen Partizipien und Pronominalsuffixen. Owens, Linguistic History, S. 160–162. 83 Vgl. Lewis, Arabs in History, S. 126. 84 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 416. 85 Keay, India, S. 183. 86 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 326. 87 Ebd., S. 412. 88 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 214. 89 Vgl. Dunlop, Arab Civilization, S. 18. 90 Siehe Einleitung. 91 Mathews, Byzantium, S. 41. 92 Es hat mir gefallen, diesen Begriff („Crescades“ – „Halbmondritter“) zu prägen, allerdings musste ich dann feststellen, dass andere mir zuvorgekommen waren. Das Problem mit dem Internet ist, dass man sehr schnell herausfinden kann, dass man nicht so originell ist, wie man dachte. 93 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 174; der letzte Satz stammt aus dem Koran, Sure 13:43. 94 Daily Telegraph, 27. Februar 2014. 95 Z.B. al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 176 und 379. 96 Ebd., S. 161f. 97 Ebd., S. 181–183; Suleiman, Arabic Language, S. 56f. 98 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 280. 99 Ebd., S. 378; Kennedy, S. 184. 100 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 266. 101 Ebd., S. 261–264. 102 Ebd., S. 266; es ist außerordentlich schwer, solche Vergleiche anzustellen, aber ein Dirham dürfte ungefähr einige US-Dollar oder vielleicht etwas mehr wert gewesen sein. 103 Ebd., S. 174. 104 Ebd., S. 250f. 105 Ebd., S. 253; das Koranzitat stammt aus Koran, Sure 9:29. 106 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 382. 107 Ebd., S. 423. 108 EI², Bd. VII, S. 971. 109 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 355. 110 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 425f. 111 Ebd., S. 228f. 112 Karsh, Islamic Imperialism, S. 43. 113 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 141. 114 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 127f. 115 Lewis, „Crows“, S. 89. 116 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 10f. 117 Ders., Bayān III, S. 9. 118 EI², Bd. X, S. 846. 119 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 208. 120 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 24.
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ANHANG 121 Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 100 (nicht in der deutschen Ausgabe, wo es nur eine Inhaltsangabe dieses Abschnitts gibt, Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 150f.). 122 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 397. 123 Ebd., S. 290. 124 al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab II, S. 100f. 125 Z.B. Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 47. 126 Hava, Arabic-English Dictionary, Stichwort: qrf. 127 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 334. 128 Koran, Sure 71:19–20. 129 Crone, „The First-Century Concept“. 130 Ebd., S. 356. 131 Ebd., S. 363. 132 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 151. 133 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 205. 134 Ebd., S. 239. 135 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 249f. 136 Vgl. Kennedy, Great Arab Conquests, S. 237. 137 Lewis, Araber, S. 54. 138 Crone, „First-Century Concept“, S. 375; ʿAbdallāh, Aurāq, S. 341. 139 Vgl.EI², Stichwort: Misr. 140 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 337f. 141 Ebd., S. 362–365. 142 Ebd., S. 340f. 143 Ebd., S. 384. 144 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 150. 145 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 149. 146 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 113. 147 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 63. 148 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 270–273. 149 Husain, Fī aš-šiʿr, S. 130. 150 Ebd., S. 120. 151 Zitiert in al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫa, S. 53. 152 Zitiert nach as-Suyūṭī, Al-muẓhir II, S. 353. 153 Zitiert ebd. 154 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 142. 155 Zitiert in Rosenthal, „The Stranger“, S. 51. 156 Zitiert in Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 193. 157 EI², Bd. I, Stichwort: ʼAṭā. 158 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 440. 159 Ebd., S. 441. 160 Ebd., S. 452. 161 Koran, Sure 59:7. 162 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 188f. 163 Ebd., S. 203f. 164 Vgl. Kennedy, Great Arab Conquests, S. 173. 165 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 341–343; Übersetzung aus Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 163 (nicht in der deutschen Ausgabe). 166 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S.343. 167 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 393; vgl. al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 351.
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168 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 167; Dichter und amīr sind unbekannt, obwohl Zaid die arabische Entsprechung von „Otto Normalverbraucher“ sein kann. In einigen Darstellungen richten sich die Verse an einen Statthalter aus dem 8. Jahrhundert, Maʿn ibn Zāʾida. 169 Z.B. al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 370. 170 Lewis, „Concept“, S. 7. 171 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 33. 172 al-Tabarī, zitiert nach Schoeler, „Writing and Publishing“, S. 431. 173 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫa, S. 446. 174 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 10f. 175 Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 129 (in der deutschen Ausgabe gibt es von diesem Kapitel lediglich eine knappe Zusammenfassung: Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 337f). 176 Siehe Kapitel 5 und EI², Bd. X, S. 841. 177 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 306. 178 EI², Bd. IX, S. 420. 179 Ebd., Stichwort: Uthmān. 180 Z.B. Abu ʼl-Dharr: EI2, Bd. I, S. 382. 181 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 221. 182 Adonis, Ṯābiṭ I, S. 316f. 183 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 362. 184 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 106. 185 Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 257 (nicht in der deutschen Ausgabe). 186 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 341–343; Übersetzung aus Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 163 (nicht in der deutschen Ausgabe). 187 Carmichael, Shaping, S. 91. 188 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 370f. 189 Ebd., S. 375f. 190 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 10. 191 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 360. 192 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 9. 193 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 379. 194 Ebd., S. 384. 195 Ebd., S. 396. 196 Ebd., S. 397. 197 Ebd., S. 399. 198 Ebd., S. 399. 199 al-Maqrīzī, Kitāb, S. 348; ins Deutsche übersetzt nach der englischen Übersetzung in MackintoshSmith, Tangerine, S. 226. 200 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 400. 201 Ebd., S. 401. 202 Ebd., S. 400f. 203 Ebd., S. 361. 204 Ebd., S. 404. 205 Ebd., S. 361. 206 Ebd., S. 402f. 207 EI², Bd. VII, S. 265.
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Anmerkungen 208 Erwähnt in den Hadithsammlungen von Abū Dāwūd, Ibn Māǧa und al-Tirmiḏī. 209 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 40. 210 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 215. 211 Adonis, Ṯābiṭ IV, S. 207.
8 Das Königreich von Damaskus: Umayyadische Vorherrschaft 1 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S.117. 2 EI2, Bd. VII, S. 265. 3 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 185. 4 Vgl. Kapitel 5. 5 Naipaul, Finsternis, S. 72. Mit Durkheim gesprochen, „artikuliert“ die sich wandelnde (islamische) Zivilisation die maßgebliche (arabische) Kultur. Vgl. Zubaida, Beyond Islam, S. 124. 6 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 225; Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 281. 7 al-Ibšīhī, al-Mustaṭraf, S. 468. 8 Hitti, History, S. 300. 9 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 227f. 10 Ebd., S. 228f. 11 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 60. 12 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 39–41. 13 EI², Bd. VII, S. 267. 14 Crone, „First Century“, S. 387. 15 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 221. 16 EI², Bd. II, S. 360. 17 Ebd., Bd. VII, S. 267. 18 Ebd., Bd. II, S. 1021. 19 Hitti, History, S. 271. 20 Mackintosh-Smith, Tangerine, S. 166. 21 Koran, Sure 95:1 und 4–6. 22 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 395. 23 Ebd., S. 363. 24 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 379. 25 Ders., Wafayāt I, S. 294. 26 EI², Stichwort: al-Akhtal. 27 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 472; vgl. as-Suyūṭī, ʿAl-muẓhir, S. 459. 28 Siehe al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 228f. 29 Yaqūt al-Rūmī zitiert in Mackintosh-Smith, Tangerine, S. 144. 30 Mathews, Byzantium, S. 58. 31 Adonis, Ṯābit I, S. 317. 32 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 195. 33 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 336. 34 Ders., Wafayāt II, S. 83; al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 184–186. 35 ʿAbīd in: Wahb, Kitāb al-tīǧān, S. 484. 36 Vgl. Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: ʿrb. 37 Vgl. Husain, Fī aš-šiʿr, S. 91. 38 Hornblower und Spawforth, Classical Dictionary, Stichwort: Aeneas.
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39 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 39; Yāqūt, Muʿǧam, Stichwort: Umm al-ʼArab. 40 Siehe al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 46–49. 41 Siehe ebd., S. 270. 42 Retsö, Arabs, S. 33; Serjeant, „Rezension zu René Dagorn, S. 52. 43 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 273. 44 as-Suyūṭī, ʼAl-muẓhir I, S. 29f. 45 Vgl.EI², Bd. IV, S. 448. 46 Macdonald, Development, S. 22. 47 Koran, Sure 49:13. 48 Siehe al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 296. 49 Zitiert in al-Akwaʿ, al-Yaman, S. 103. 50 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 192. 51 Ebd., S. 192f. 52 Borges, Der Zahir, S. 13. 53 Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 199; in der deutschen Ausgabe ist das entsprechende Kapitel („Das Ministerium [Dīwān] für Finanzen und Steuern“) nur als Zusammenfassung enthalten, vgl. Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 239. 54 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 68. 55 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 193. Sergius war der Vater des zukünftigen Heiligen Johannes von Damaskus; Sergiusʼ eigener Vater hatte unter den Byzantinern die Steueraufsicht innegehabt. 56 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 287. 57 al-Kurdī, Tārīḫ, S. 111. 58 Versteegh, Arabic Language, S. 57. 59 al-Kurdī, Tārīḫ, S. 160. 60 Jones, „Word Made Visible“, S. 15; Macdonald, Development, S. 1. 61 Vgl. al-Ǧābirī, Takwīn, S. 76. 62 Vgl. Hornblower und Spawforth, Classical Dictionary, Stichwort: Anaximander. 63 Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 217; in der deutschen Ausgabe ist das entsprechende Kapitel („Die Münze“) nur als Zusammenfassung enthalten, vgl. Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 242. 64 Koran, Sure 112:1. 65 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 237f. 66 Für diese Formulierung bin ich Professor Kamal Abdel Malek zu Dank verpflichtet. 67 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 293. 68 Vgl. Drory, „Abbasid Construction“, S. 42. 69 Huart, History, S. 57. 70 Lewis, „Crows“, S. 95 (nach der leicht modifizierten englischen Übersetzung ins Deutsche übertragen). 71 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 143; al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 183; vgl. Mackintosh-Smith, Yemen, S. 5 und Anm. 72 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 165. Der letzte Satz lautet wörtlicher: „Sie müssen das Reden erledigen, während wir das Tun übernehmen müssen.“
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ANHANG 73 Vgl. Kapitel 5. 74 EI², Bd. I, S. 545. 75 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 395f. 76 Piotrovsky, Al-Yaman, S. 304f. Zu qwls siehe Rabin, Ancient West-Arabian, Kap. 11, Fußnote 6; Lane, ArabicEnglish Lexicon, Stichwort: zʿm; al-Iryānī, Nuqūš, S. 151. 77 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 428. 78 Hitti, History, S. 281. 79 EI², Stichwort: Hinā. 80 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 64–66. 81 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 243. 82 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 70f. 83 Ebd., S. 100. 84 Mackintosh-Smith, Tangerine, S. 144. 85 Hitti, History, S. 280f. 86 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 221. 87 Freya Stark (1893–1993), die englische Forschungsreisende, hatte eine lebende Uromastyx, „ein liebes Haustier und sehr zahm und hört auf den Namen Himyar“. Freya Stark, Seen in the Hadhramaut, John Murray, 1938, S. 116. 88 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 85. 89 Ebd., S. 81f. 90 Ebd., S. 92. 91 Ebd., S. 97f. 92 Vgl. Yāqūt, Muʿǧam al-buldān, Stichwort: al-Kaʼbah. 93 EI², Bd. I, S. 55. 94 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 35 95 Hitti, History, S. 193. 96 EI², Bd. X, S. 842. 97 Hitti, History, S. 207. 98 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 288–290. 99 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 213. 100 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 163. 101 Ebd., S. 164. 102 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 175f. 103 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 99. 104 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 213; in der deutschen Ausgabe (Ibn Challikān: Die Söhne der Zeit) nicht enthalten. 105 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 167–169; Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 214. 106 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 217. 107 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 132. 108 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 355. 109 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 153. 110 EI², Bd. I, S. 530. 111 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 34 und 254. Ebenso wie „Membrum virile“, wie Havas Wörterbuch das männliche Glied bezeichnet, kann air (ohne den stimmhaften Rachen-Reibelaut) auch „der Nordwind“ und „der Ostwind“ bedeuten. Seeleute müssen furchtbare Probleme gehabt haben.
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112 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 34. 113 Ebd., S. 251. 114 Ebd. 115 Suleiman, Arabic Language, S. 54. 116 EI², Bd. X, S. 846. 117 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 378. 118 ʿAbīd, Aḫbār, S. 43. 119 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 183; vgl. Mohammeds Abschiedspredigt (al-Khutba al-Wada), zitiert nach derletzteprophet.info; https://www.derletzteprophet.info/abschiedspredigt-al-khutba-al-wada. 120 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 125. Dscharāmiqa stammen aus einer Oase in der großen Wüste des Zentraliran; Dscharādschama sind die mardaitischen Christen Nordsyriens. 121 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 244. 122 Ebd., S. 228. 123 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 161. 124 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 285. 125 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 177f. 126 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 221. Abarkavan, heute Qeshm genannt, ist eine Insel direkt in der Straße von Hormus. 127 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 348; vgl. die deutsche Ausgabe: Ibn Ḫallikān [Ibn Challikān], Söhne der Zeit, S. 142–144. 128 Kennedy, Great Arab Conquets, S. 274f. 129 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 351–354. 130 Ibn Ḫallikān [Ibn Challikān], Söhne der Zeit, S. 127. 131 Ebd., S. 117. 132 Ebd., S. 124f. „Marwāns Söhne“ sind die späteren Umayyaden, die von Marwān ibn al-Hakam abstammten. 133 Ibn Ḫallikān [Ibn Challikān], Söhne der Zeit, S. 120. 134 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 265. 135 Ebd., S. 241. 136 Ebd., S. 265. 137 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 138. 138 Ebd., S. 139. 139 Johnson/Shehadeh, Seeking Palestine, S. 36. 140 Hitti, History, S. 281.
9 Das Weltreich von Bagdad: Abbasidische Souveränität 1 al-Sīrāfī und Ibn Faḍlān, Travel Books, S. 79–81. 2 Ebd., S. 11. 3 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 296f. 4 Vgl. Henri Pirennes Auffassung in Dunlop, Arab Civilization, S. 18f. 5 Vgl. Ibn Ḫallikān [Ibn Challikān], Söhne der Zeit, S. 120.
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Anmerkungen 6 Vgl. Hitti, History, S. 259. 7 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 219–225; Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 260. 8 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 318. 9 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 289. 10 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 299f. 11 Yaʿqūb zitiert in George Hourani, Arab Seafaring, S. 64. 12 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 302 und 315f. 13 Ebd., S. 303–306. 14 Ebd., S. 307–311; Hitti, History, S. 290. 15 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 337f. 16 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 397. 17 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 415. 18 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 307f. 19 Mackintosh-Smith, Landfalls, S. 252–254. 20 EI², Bd. X, S. 226. 21 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 337f. 22 Ebd., S. 253. 23 as-Suyūṭī, Al-muẓhir II, S. 354. 24 Adonis, Ṯābit III, S. 149. 25 EI², Bd. I, S. 326. 26 Zitiert in al-Ǧābirī, Takwīn, S. 222. 27 Vgl. Ibn Ḫaldūn, The Muqaddimah, S. 257 (nicht in der deutschen Ausgabe). 28 Zitiert in al-Ǧābirī, Takwīn, S. 222. 29 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 83f. 30 Ebd., S. 83. 31 Chejne, Arabic Language, S. 72; al-Ǧābirī, Takwīn, S. 135. 32 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 265f. 33 EI², Stichwort: al-Maʾmūn. 34 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 28f. 35 al-Qazwīnī, Āṯār al-bilād, S. 392. 36 EI², Bd. XII, S. 605. 37 Ebd., Bd. X, S. 139f. 38 Vgl. al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 187f. 39 Koran, Sure 2:31. 40 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 194. 41 Ibn al-Nadīm zitiert in Nicholson, Literary History, S. 359, Anm. 2. 42 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 124. Zur Übersetzungsbewegung im Allgemeinen siehe zum Beispiel al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 314f., Carmichael, Shaping of the Arabs, S. 167–170, Nicholson, Literary History, S. 358–360. 43 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 92. 44 EI², Bd. X, S. 139f. 45 Bloom, „Introduction“, S. 17. 46 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 351. 47 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 326. 48 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 421. 49 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 398.
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50 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 201. 51 Ders., Wafayāt III, S. 256f. 52 Ders., Wafayāt II, S. 42. 53 Ders., Wafayāt I, S. 124. 54 al-Masʿūdī, Murūǧ I, S. 7 und 10. 55 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 375f.; siehe auch Einleitung. 56 Ders., Wafayāt II, S. 92. 57 Zitiert in Gelder, Arabic Literature, S. 280. 58 EI², Bd. V, S. 122. 59 Zitiert in al-Ǧābirī, Takwīn, S. 240. 60 Mathews, Byzantium, S. 77 und 91. 61 Whitfield, Life, S. 89 und 107. 62 Vgl. Ibn Ḫallikān [Ibn Challikān], Söhne der Zeit, S. 120. 63 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 255. 64 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 139. 65 Vgl. al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 253; Kennedy, Great Arab Conquests, S. 83–85. 66 Vgl. David Carradines Studie Ornamentalism, Oxford University Press, 2002. 67 al-Masʿūdī, Murūǧ I, S. 247. 68 EI², Bd. X, S. 57. 69 Angehörige der zoroastrischen Priesterkaste. [Anm. d. Übers.] 70 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 246; EI2, Bd. X, S. 226f. 71 al-Ǧāḥiẓ, Kitāb al-Bayān III, S. 140f. 72 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 321f. 73 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 48f. 74 Vgl. die Geschichte des Dichters Antara, z.B. in Nicholson, Literary History, S. 115. 75 Vgl. Hitti, History, S. 332. 76 Zitiert in Baerlein, Singing Caravan, S. 105. 77 al-Masʿūdī, Murūǧ II, S. 238f.; EI2, Bd. I, S. 1033. 78 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 170. 79 Vgl. al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab II, S. 100f.. 80 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 170f.; al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 385–391. 81 Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 90. 82 Ebd., S. 89f. 83 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 391. 84 EI², Bd. I, S. 17. 85 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 256. 86 Ibn Ǧubair, Riḥlat, S. 152. 87 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 256. 88 Ebd., S. 200. 89 Zitiert in Keay, History, S. 243. 90 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 360f. 91 Ders., Murūǧ IV, S. 318. 92 Ebd. 93 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 400. 94 EI2, Bd. III, S. 234.
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ANHANG 95 Vgl. Schoeler, „Writing and Publishing“, S. 425. 96 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 364. 97 Ebd., S. 404–406. 98 Ebd., S. 403. 99 Ebd., S. 409. 100 Ebd., S. 409f. 101 Koran, Sure 34:19. 102 al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 421. 103 Z.B. al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 234. 104 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 315. 105 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 415f. 106 Z.B. Carmichael, Shaping of he Arabs, S. 58 und 154. 107 al-Ǧāḥiẓ, Bayān I, S. 256f. 108 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 530. 109 Lane, Arabic-English Lexicon I, S. xxxiv. 110 as-Suyūṭī, Al-muẓhir II, S. 431. 111 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 84. 112 al-Maʿarrī, Paradies und Hölle, S. 217. 113 Abū al-Fidāʾ, al-Muḫtaṣar II, S. 13. 114 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 261–265. 115 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 192. 116 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 363. 117 Ders., Wafayāt III, S. 316. 118 EI², Stichwort: Abū ʼl-Faradj. 119 EI², Bd. V, S. 1256f. 120 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 88f. 121 Ajami, Dream Palace, S. 128. Zufällig bedeutet Ajamis Nachname „Nichtaraber“: Seine Vorfahren zogen aus dem Iran in den Libanon (Ajami, Dream Palace, S. 14). 122 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 857. 123 Der Ausdruck stammt aus Philip Ziegler, Soldiers, Plume/Penguin, 2003, S. 324. 124 Drory, „Abbasid Construction“, S. 42. 125 Ibn Ḫaldūn [Khaldūn], Die Muqaddima, S. 488 (nur Zusammenfassung des Kapitels). 126 as-Suyūṭī, Al-muẓhir I, S. 207. Vgl. den deutschen Saker, Saker- oder Würgfalken. 127 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 223 und 232; as-Suyūṭī, Al-muẓhir I, S. 146. 128 Vgl. al-Ǧābirī, Takwīn, S. 76. 129 Ebd., S. 124–127. 130 Vgl. Ebd., S. 344f. 131 al-Ǧāḥiẓ, Kitāb al-Bayān I, S. 131. 132 Versteegh, Arabic Language, S. 74. 133 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 124. 134 Suyūṭī, Al-muẓhir I, S. 74. 135 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 239. 136 EI², Bd. I, S. 570. 137 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 232. 138 Ders., Wafayāt I, S. 58. 139 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 239f.
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140 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 389. 141 al-Masʿūdī, Murūǧ IV, S. 86 und 319. 142 Adonis, Ṯābit III, S. 218. 143 Ders., Ṯābit I, S. 16. 144 Koran, Sure 1:6–7. 145 Version in Translation of the Meanings of the Noble Qurʼan in the English Language, Medina, AH 1417, 1:6–7, [hier ins Deutsche übersetzt, Anm. d. Übers.]. 146 Koran, Sure 85:22. 147 Zitiert in al-Ǧābirī, Takwīn, S. 226. 148 EI², Bd. III, S. 82–102. 149 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 262; Abū al-Fidāʾ, al-Muḫtaṣar, Teil 2, S. 70f. 150 Siehe Robin, Hautes-Terres, S. 96; Ghul, „Pilgrimage“, S. 147. 151 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 262. 152 Ebd., S. 261. 153 Ebd. 154 al-Maʿarrī, „The Epistle of Ibn al-Qarih“, zitiert aus al-Maʿarrī, Epistle, S. 23 (das Zitat ist nicht in der deutschen Ausgabe Paradies und Hölle enthalten). 155 Imruʾ al-Qais, Dīwān, S. 55–60. 156 Siehe Allawi, Crisis, S. 130.
10 Gegenkulturen, Gegenkalifen: Das Imperium zerfällt 1 al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab IV, S. 337. 2 EI², Stichwort: Badjkam. 3 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 167. 4 Ders., Wafayāt II, S. 131. 5 Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: trk. 6 al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab IV, S. 337f. 7 Ebd., S. 315. 8 al-Balāḏurī, Futūḥ, S. 382. 9 al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab IV, S. 207f. 10 Ebd., S. 208. 11 Ḫosrau, Safarnāme, S. 143. 12 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 264f. 13 EI², Bd. III, S. 1075f. 14 Vgl. Kapitel 7. 15 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 170f.; al-Masʿūdī, Murūǧ III, S. 385–391. 16 Mohammeds Abschiedspredigt (al-Khutba al-Wada), zitiert nach derletzteprophet.info; https://www.derletzteprophet.info/abschiedspredigt-al-khutba-al-wada. 17 Van Gelder, Classical Arabic Literature, S. 35f. 18 al-Ǧāḥiẓ, Bayān 3, S. 3. 19 Koran, Sure 49:13. 20 al-Ǧāḥiẓ, Bayān 3, S. 6. 21 Vgl. EI², Bd. IX, S. 514f. 22 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 431.
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Anmerkungen 23 Serjeant, South Arabian Hunt, S. 66 und 104. 24 Hoyland, Arabia, S. 92. 25 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 46. 26 Ebd., S. 11. 27 Vgl. Ḥusain, Fī aš-šiʿr, S. 183. 28 Adonis, aṯ-Ṯābit II, S. 182f. 29 Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: ʿṣw. 30 Kilito, Thou Shalt not, S. 87. 31 Ebd., S. 91. 32 Zitiert in Patrick OʼBrian: HMS Surprise, London: HarperCollins 1993, S. 89. 33 Suleiman, Arabic Language, S. 60. 34 EI², Bd. VII, S. 807f. 35 Ebd., Bd. IX, S. 515. 36 Siehe Kapitel 7. 37 Abū Nuwās, Dīwān, S. 559. 38 Ḥusain, Fī aš-šiʿr, S. 176. 39 Vgl. Kapitel 8. 40 Z.B. Van Gelder, Classical Arabic Literature, S. 107f. 41 EI², Bd. IX, S. 515. 42 Suleiman, Arabic Language, S. 238. 43 EI², Bd. IX, S. 515. 44 Suleiman, Arabic Language, S. 63. 45 Vom Großmufti des Irak 46 al-Balāḏurī, Futūḥ al-buldān, S. 415f. 47 al-Ǧāḥiẓ zitiert in Pellat, Life, S. 97. 48 Ebd., S. 93. 49 Hitti, History, S. 466. 50 al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab IV, S. 53f.. 51 Nicholson, Literary History, S. 263. 52 al-Masʿūdī, Murūǧ aḏ-ḏahab IV, S. 49f. 53 Ebd., S. 54f. 54 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 29. 55 Zitiert in Irwin, Night, S. 132. 56 Pinckney Stetkevych, „The ʿAbbasid Poet“, S. 64. 57 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 60. 58 Ebd. 59 Ebd., S. 120f. 60 Ebd., S. 133f. 61 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 494. 62 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 145. 63 Ebd., S. 164f. 64 Ebd., S. 169. 65 Ebd., S. 176. 66 Ebd., S. 177. 67 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 189f. 68 Ebd., S. 183. 69 EI², Stichwort: al-Muhtadī. 70 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 186. 71 Ebd. 72 Zitiert in Irwin, Night, S. 145. 73 EI², Stichwort: Ibn al-Muʿtazz.
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74 Irwin, Night, S. 143. 75 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 298. 76 Ebd., S. 299. 77 EI², Stichwort: al-Rāḍī. 78 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 342f. 79 Ebd., S. 343. 80 Ebd., S. 371. 81 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 190f. 82 EI², Stichwort: Buwayhids. 83 Ebd., Stichwort: Ḥamdānids. 84 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 371f. 85 Karsh, Islamic Imperialism, S. 64. 86 Minorsky zitiert in EI², Stichwort: Buwayhids. 87 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 264. 88 Hitti, History, S. 474. 89 Ibn Ḫallikān, Die Großen, die dahingegangen, S. 193. 90 EI², Stichwort: Alp Arslan. 91 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 36. 92 Ebd., S. 143. 93 Ebd., S. 102. 94 Ebd., S. 38. 95 Ibn Ḫaldūn, Die Muqaddima, S. 221. 96 Ders., Riḥla, S. 394. 97 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 255. 98 Ders., Wafayāt III, S. 145. 99 Hourani, Geschichte, S. 163. 100 Vgl. Hitti, History, S. 410. 101 Hourani, Geschichte, S. 163. 102 Hitti, History, S. 410. 103 al-Maqrīzī, Ḫiṭaṭ II, S. 375. 104 Rabin, „Beginnings“, S. 19. 105 Vgl. Hodgson, Venture II, S. 48. 106 EI², Bd. I, S. 20. 107 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 386. 108 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 340. 109 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 193. 110 Ebd., S. 191. 111 Ebd. 112 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 454. 113 Vgl. EI2 I, S. 530. 114 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 261f. 115 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 402. 116 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 200-202. 117 Hitti, History, S. 452f. 118 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 210-13. 119 Vgl. al-Sīrāfī und Ibn Faḍlān, Travel Books, S. 79–81. 120 Hitti, History, S. 455. 121 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 449. 122 Ebd., S. 283. 123 Ibn Ḫallikān, Die Großen, die dahingegangen, S. 154.
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ANHANG 124 Ebd., S. 153. 125 Zitiert in Suleiman, Arabic Language, S. 80. 126 EI², Stichwort: Kāfūr. 127 al-Maqrīzī, Ḫiṭaṭ I, S. 348f. 128 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 40. 129 Ders., Wafayāt III, S. 187. 130 Siehe die einzelnen fatimidischen Kalifen in Ibn Ḫallikān, Wafayāt. 131 EI², Stichwort: Fāṭimids. 132 Ebd., Stichwort: Hilāl; Kennedy, Great Arab Conquests, S. 205. 133 Vgl. Owens, „Dialect History“, S. 732. 134 Ibn Chaldūn, al-Muqaddima, S. 119. 135 Vgl. Versteegh, The Arabic Language, S. 96. 136 Ebd. 137 Vgl. Ibn Chaldūn, Die Muqaddima, S. 174f. 138 al-Abdarī zitiert in Mackintosh-Smith, Tangerine, S. 52. 139 al-Maqdisī, Aḥsan at-taqāsīm, S. 28. 140 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 295 und n. 1364. 141 EI², Stichwort: al-Maʿqil. 142 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 162. 143 EI², Stichwort: ʿAbd al-Raḥmān III. 144 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 162. 145 Siehe Kapitel 8. 146 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 309f. 147 al-Maqqarī, Nafḥ aṭ-ṭīb VIII, S. 231-235. 148 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 50-58. 149 EI², Bd. IV, S. 822. 150 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 122; Ders. Wafayāt III, S. 522. 151 Ders., Wafayāt II, S. 146. 152 Mathews, Byzantium, S. 91. 153 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 302. 154 EI², Bd. VI, S. 198. 155 Atiyah, Arabs, S. 71. 156 Vgl. Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 158. 157 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 309. 158 Ebd., S. 322f. und 344. 159 Nicholson, Literary History, S. 418. 160 Z. B. Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 286. 161 Siehe Kapitel 9. 162 Kennedy, Great Arab Conquests, S. 316f. 163 Hitti, History, S. 515f. 164 Ebd., S. 530f. 165 Lewis, Arabs, S. 134. 166 Vgl. Kapitel 1. 167 Versteegh, Arabic Language, S. 228. 168 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 105. 169 Grunebaum, „The Nature“, S. 8. 170 Zitiert in al-Ǧābirī, Takwīn, S. 38. Das Original lautet: „La culture, cʼest ce qui demeure dans lʼhomme lorsquʼil a tout oublié.“
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171 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 315. 172 Rushdie, Mitternachtskinder, S. 427. 173 Z.B. Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 119 und 482f. 174 Siehe z.B. den Stammbaum des modernen Autors in al-Kurdī, Tārīḫ, S. 211-216. 175 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 124. 176 Ders., Wafayāt II, S. 275. 177 Byron, The Road, S. 198f. 178 Hitti, History, S. 469f.
11 Der Geist in der Flasche: Die Horden rücken näher 1 Vgl. EI², Stichwort: Khayāl al-Ẓill. 2 Hitti, History, S. 469f. 3 Abū al-Fidāʾ, Muḫtaṣar IV, S. 132. 4 Ibn Ḥaǧar, ad-Durar II, S. 142. 5 Atiyah, Arabs, S. 44. 6 Fulcher von Chartres 1, III, übers. von Manfred Hiebl; http://www.manfredhiebl.de/Fulcher-von-Chartres/fulcher-von-chartres.htm. 7 Fulcher von Chartres, zitiert in Karsh, Islamic Imperialism, S. 73f. 8 Maalouf, Der Heilige Krieg, S. 52-55. 9 Ebd., S. 66f. 10 Ibn al-Aṯīr zitiert in Qarsh, Islamic Imperialism, S. 77. 11 Maalouf, Der Heilige Krieg, S. 100. 12 Qarsh, Islamic Imperialism, S. 77. 13 Ibn Ǧubair, Tagebuch eines Mekkapilgers, S. 213. 14 al-Maqqarī, Nafḥ aṭ-ṭīb II, S. 385f. 15 Ibn Ǧubair, Tagebuch eines Mekkapilgers, S. 212f. 16 al-Hawarī, Išārāt, S. 31. 17 Usāma Ibn Munqiḏ, Die Erlebnisse des syrischen Ritters Usāma Ibn Munqiḏ, übersetzt von Holger Preißler, S. 148. 18 Ebd., S. 151 und 157. 19 Ebd., S. 148. 20 Ebd., S. 5 und 75. 21 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 506. 22 Maalouf, Der Heilige Krieg, S. 293. 23 Hitti, History, S. 670. 24 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 12. 25 Ebd., S. 16. 26 Ebd., S. 469. 27 Suchem, Description, S. 8. 28 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 20f. 29 Zitiert in Hoyland, Arabia, S. 79. 30 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 56. 31 al-Masʿūdī, Murūǧ a̱ḏ-̱ḏahab IV, S. 315. 32 Ibn Ǧubair, Riḥla, S. 297. 33 al-Maqqarī, Nafḥ aṭ-ṭīb I, S. 210. 34 Norris, Saharan Myth, S. 35. 35 Ibn Chaldūn, Die Muqaddima, S. 87.
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Anmerkungen 36 Z.B. in Muḥammad Ḥusain al-Faraḥ: ʿUrūbat al-barbar, Sanaa 2004. 37 Vgl. EI², Bd. III, S. 1064. 38 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 477-479. 39 Ebd., S. 480. Bei dem Zitat aus dem Koran handelt es sich um Sure 36:78. 40 Ebd., S. 481f. 41 Ebd., S. 501 und 513. 42 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 152. 43 Ders., Wafayāt I, S. 137f. 44 Z.B. ebd., S. 180. 45 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 211. 46 Ders., Wafayāt I, S. 160. 47 Ebd., S. 436f. 48 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 394. 49 Tuchman, Distant Mirror, S. 294. 50 Boccaccio, Dekameron (erster Tag, dritte Geschichte), S. 51-54. 51 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 481-519. 52 Versteegh, Arabic Language, S. 228. 53 Carmichael, Shaping, S. 256. 54 Yule, Hobson-Jobson, S. 241. „Balhara“ kommt von einem prakritischen Titel, der „geliebter König“ bedeutet. 55 Hitti, History, S. 663-668. 56 Cannon, Arabic Contribution. 57 Die Beispiele sind aus Cannon, Arabic Contribution, einige werden vom Oxford English Dictionary nicht anerkannt. 58 Vgl. Elizabeth Bishop und Robert Lowell: Words in Air. New York: Farrar, Straus, Giroux 2008, S. 317. In den französischen Kolonien in der Karibik im 18. Jahrhundert war ein mamélouc eine Person mit einem schwarzen Ururahnen. Patrick Leigh Fermor: The Travellerʼs Tree. London: Penguin 1984, S. 243. 59 Vgl. Gavin Young: Slow Boats Home. London: Penguin 1986, S. 322-324. 60 Atiyah, Arabs, S. 66. 61 Ibn al-Ḫaṭīb, Iḥāṭa III, S. 48. 62 Versteegh, Arabic Language, S. 1f. 63 Zitiert in Kilito, Thou Shalt Not, S. 2. 64 Kilito, Thou Shalt Not, S. 38. 65 Patrick Leigh Fermor: Mani. London: Penguin 1984, S. 275f. 66 al-Idrīsī, Nuzhat al-muštāq II, S. 944. 67 Ebd., S. 880. 68 al-Idrīsī, Nuzhat al-muštāq II, S. 3f. Genau genommen war er der Unterstützer des Gegenpapstes Anaklet II. 69 Ibn Ǧubair, Tagebuch eines Mekkapilgers, S. 243. 70 Ebd., S. 244. 71 Ebd., S. 162. 72 Abū al-Fidāʾ, Muḫtaṣar IV, S. 38f.
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73 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 310. 74 Ibn Ǧubair, Tagebuch eines Mekkapilgers, S. 162. 75 Ebd., S. 168f. 76 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 270. 77 Ebd., S. 270. 78 Ebd., S. 268. 79 Ebd., S. 273. 80 Abū al-Fidāʾ, Muḫtaṣar III, S. 122. 81 al-Baġdādī, Ifāda, S. 126f. 82 Abū al-Fidāʾ, Muḫtaṣar III, S. 136. 83 Ebd., S. 128. 84 al-Baġdādī, Ifāda, S. 136. 85 Zitiert in Maalouf, Der Heilige Krieg, S. 252. 86 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 271. 87 Ibn Ǧubair, Tagebuch eines Mekkapilgers, S. 170. 88 Serjeant, South Arabian Hunt, S. 23-25. 89 Abū al-Fidāʾ, Muḫtaṣar III, S. 193f. 90 Ebd., S. 194. 91 Ibn Ḫaldūn, al-Muqaddima, S. 261. Es ist bekannt (Dunlop, Arab Zivilisation, S. 178), dass al-Kindī ein etwas späteres Datum für die Vernichtung vorhergesagt hatte – 693 der Hidschra / 1293 n. Chr. Seine Fehlermarge beträgt also respektable 7 Prozent. 92 Ossip Mandelstam, Tristia, 1921. 93 Carmichael, Shaping, S. 246. 94 Vgl. Ibn Ḫaldūn, Die Muqaddima, S. 194. 95 Ibn Ḫaldūn, Die Muqaddima, S. 176. 96 Hitti, History, S. 469f. 97 Ibn Ǧubair, Tagebuch eines Mekkapilgers, S. 162. 98 Siehe Einleitung. 99 al-Maqrīzī, Ḫiṭaṭ II, S. 214. 100 Vgl. Hitti, History, S. 673. 101 Ibn Battūta, Reise I, S. 36. 102 Ibn Ḥaǧar, Durar, Stichwort: Muhannā. 103 Ebd., Stichwort: Faiyāḍ. 104 Vgl. Chejne, Arabic Language, S. 81. 105 Vgl. Nicholson, Literary History, S. 446f. 106 Ibn al-Wardī in Abū al-Fidāʾ, Muḫtaṣar IV, S. 152. 107 Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 74. 108 Ebd., S. 408. 109 Ebd., S. 416. 110 Ebd., S. 409f. 111 Ebd., S. 413. 112 Z.B. Ibn al-Ḫaṭīb, Ifāda I, S. 36. 113 Ibn al-Ḫaṭīb, Ifāda III, S. 231. 114 Vgl. Arié, LʼEspagne, S. 303. 115 Hitti, History, S. 553. 116 Zitiert in Irwin, Night, S. 306f. 117 Z.B. Baerlein, Singing Caravan, S. 17; Huart, History, S. 98. 118 Kilito, Thou Shalt Not, S. 8.
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ANHANG 119 Stetkevych, „Some Observations“, S. 9. 120 Z.B. al-Ǧābirī, Takwīn, S. 328. 121 Ibn Šaqrūn, Maẓāhir, S. 104. 122 Vgl. Ibn Ḫaldūn, Riḥla, S. 394. 123 as-Suyūṭī, Muẓhir I, S. 74. 124 Ebd. 125 Adonis, Wortgesang, S. 116. 126 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 328. 127 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 785. 128 EI², Stichwort: Maḳāmāt.
12 Meister des Monsuns: Araber im Indischen Ozean 1 Ibn Baṭṭūṭa, Travels III, S. 683; deutsche Übersetzung nach Mžik, S. 135. 2 Siehe Kapitel 11. 3 Ibn Baṭṭūṭa, Travels III, S. 683-685; vgl. Mžik, S. 135-137. 4 Hurgronje, Verspreide Geschriften, S. 101f. 5 Lambourn, „From Cambay to Samudera-Pasai“, S. 235. 6 Ibn Baṭṭūṭa, Travels III, S. 684f.; deutsche Übersetzung nach Mžik, S. 137. 7 Mackintosh-Smith, Landfalls, S. 34; Lambourn, „From Cambay to Samudera-Pasai“. 8 Siehe zum Beispiel Daum, Jemen, S. 234f. 9 Koran, Sure 24:35; übs. von R. Schenzle. 10 Lambourn, „From Cambay to Samudera-Pasai“, S. 229f. sowie 233. 11 Zitiert in Mackintosh-Smith, Landfalls, S. 339. 12 Ibn Baṭṭūṭa, Travels IV, S. 884-887; vgl. Mžik, S. 408-411. 13 Siehe Kapitel 11. 14 Ibn Baṭṭūṭa, Travels IV, S. 886; vgl. Mžik, S. 410. 15 EI², Bd. IV, S. 1128. 16 http://masterpieces.asemus.museum/masterpiece/ detail.nhn?objectId=11280 (letzter Zugriff 30.01.2020). Der herrliche Synkretismus lebt fort. Anthony Burgess, der Mitte des 20. Jahrhunderts über jene Schattenpuppengottheiten schrieb, schildert einen Puppenspieler, der vor einer Aufführung unterschiedliche Götter und Teufel anrief mit der Bitte, „sie sollen an der profanen Darbietung ihrer Handlungen keinen Anstoß nehmen … Er unterwarf sich ihrer Größe. Und er gedachte der einen wahren Religion, indem er die vier Erzengel des Koran beschwor“. Siehe Anthony Burgess, The Malayan Trilogy, Vintage: London 2000, S. 346. 17 al-Maqdisī, Aḥṣan at-taqāsīm, S. 28. 18 as-Sīrāfī, Two Arabic Travel Books, S. 125. 19 Ibn Baṭṭūṭa, Travels IV, S. 903; vgl. Mžik, S. 435. 20 Saʿdī, Der Rosengarten, S. 159.
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21 Vgl. Ho, Graves of Tarim, S. 100. 22 Abu-Lughod, Before European Hegemony, S. 228-230 EI², Bd. IV, S. 641. 23 Levtzion/Pouwels, History of Islam in Africa, S. 255. 24 Ho, Graves of Tarim, S. 102. 25 EI², Stichwort: Indonesia. 26 Vgl. Hardy, Historians of Medieval India, S. 33. 27 Dunn, Adventures of Ibn Battuta, S. 226. 28 ʿIṣāmī zitiert in Dunn, Adventures of Ibn Battuta, S. 183. 29 Ibn Baṭṭūṭa, Travels III, S. 681, 683, 745f.; vgl. Mžik, S. 133, 135, 216. 30 Vgl. Ibn Ḥaǧar, Durar, Stichwort: Muhannā. 31 Ibn Baṭṭūṭa, Travels III, S. 689f.; deutsche Übersetzung nach Mžik, S. 141. 32 Ebd., S. 692; deutsche Übersetzung nach Mžik, S. 143. 33 Ebd., S. 680, 619, 682f.; vgl. Mžik, S. 132, 61, 134f. 34 Ibn Ḥaǧar, ad-Durar II, S. 142. 35 Jackson, The Delhi Sultanate, S. 272. 36 Husain, Rise and Fall, S. 173f. 37 Ibn Baṭṭūṭa, Travels IV, S. 899f., 946; vgl. Mžik S. 430. 38 Ibn Baṭṭūṭa, Travels IV,, S. 900; deutsche Übersetzung nach Mžik, S. 431. 39 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 31; Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 337f. 40 Ibn Baṭṭūṭa, Travels IV, S. 969; vgl Grün II, S. 288. 41 Mackintosh-Smith, Landfalls, S. 199; vgl. a. Cheng/Kalus, Corpus dʼinscriptions I. 42 Chen/Kalus, Corpus dʼinscriptions I, S. 28. 43 Ibn Baṭṭūṭa, Travels II, S. 480; vgl. Grün I, S. 324. 44 Ghosh, Antique Land; Chaudhuri, Trade and Civilisation, S. 59. 45 Ibn Baṭṭūṭa, Travels II, S. 277; deutsche Übersetzung nach Grün I, S. 182. 46 EI², Bd. IV, S. 1128. 47 Zum Beispiel Macdonald, Development of Arabic, S. 22 (Anm. 47); EI², Bd. IV, S. 1113; al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 47-53; Versteegh, Arabic Language, S. 232. 48 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S. 363f. 49 Versteegh, „Linguistic Contact“, S. 495 sowie 491; Chejne, Arabic Language, S. 4. 50 Yule/Burnell, Hobson-Johnson, Stichwort: Khalsa. 51 Cannon, Arabic Contribution, Stichwort: Blighty; Yule/Burnell, Hobson-Johnson, Stichwort: Bilayut. 52 Versteegh, Arabic language, S. 237. 53 Ebd., S. 238. 54 „When Islam came to Australia“, in BBC Magazine vom 24. Juni 2014.
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Anmerkungen 55 Owens, „Dialect History“, S. 732; Versteegh, „Linguistic Contacts“, S. 482; siehe auch Kapitel 10. 56 Versteegh, „Linguistic contacts“, S. 483. 57 Um die 40 Prozent gemäß Versteegh, „Linguistic Contacts“, S. 487; um die 50 Prozent gemäß Versteegh, Arabic Language, S. 231. 58 Versteegh, Arabic Language, S. 230. 59 Siehe Kapitel 7 und Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 211; Ibn Baṭṭūṭa, Travels III, S. 679; vgl. Mžik, S. 131. 60 Hussein, Sarandib, S. 472. 61 Mackintosh-Smith, Landfalls, S. 276. 62 Rizvi, History of Sufism, S. 9f. 63 Mackintosh-Smith, Landfalls, S. 156f. 64 Ibn Ḫaldūn, Die Muqaddima, S. 483. 65 Haeri, Form and Ideology, S. 75. 66 Rizvi, History of Sufism, S. 88, 95f. sowie 189. 67 Ibn Baṭṭūṭa, Travels IV, S. 790; vgl. Grün II, S. 149. Unter Schwaiwa-Sadhus versteht man Eremiten und Asketen, die sich dem Gott Schiwa verschrieben haben. 68 Ibn Baṭṭūṭa, Travels III, S. 583; vgl. Grün I, S. 385; Rizvi, History of Sufism, S. 307. 69 Lawrence, „Early Indo-Muslim Saints“, S. 123. 70 Rizvi, History of Sufism, S. 110. 71 Yāqūt, Muʿǧam al-buldān, Stichwort: al-Kaʼbah. 72 Bürgel, Tausendundeine Welt, S. 138f. 73 Levtzion/Pouwels, History of Islam in Africa, S. 499, Abb. S. 500; bei der besagten Koranstelle handelt es sich um Sure 111; vgl. Kapitel 5. 74 Mackintosh-Smith, Landfalls, S. 278f. 75 Tibbetts, Arab Navigation, S. 43. 76 Vgl. Abu-Lughod, Before European Hegemony, S. 259. 77 Rogan, Die Araber, S. 32. 78 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār I, S. 37. 79 Vgl. Hitti, History of the Arabs, S. 705. 80 Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: trk. 81 as-Suyūṭī, Muẓhir I, S. 74. 82 Rogan, Die Araber, S. 42f. 83 Chejne, Arabic Language, S. 83. 84 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār I, S. 462. 85 Rogan, Die Araber, S. 35. 86 Versteegh, Arabic Language, S. 175. 87 Cherian, „Genesis of Islam“, S. 1. 88 Young, In Search of Conrad, S. 269, 244; as-Sīrāfī, Two Arabic Travel Books, S. 125. 89 Mackintosh-Smith, Thousand Columns, S. 287. 90 Ho, Graves of Tarim, S. 162-168. 91 Tāǧ ad-Dīn, Islamic History of the Maldives, S. 34 sowie 45f. 92 Ho, Graves of Tarim, S. 168 sowie Anm. 15. 93 Versteegh, „Linguistic Contacts“, S. 499. 94 Vgl. Mather, Pashas, S. 240.
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95 EI², Bd. VI, S. 795. 96 Ebd. 97 Abu-Absi, „Modernization of Arabic“, S. 340. 98 Ebd. 99 Hornblower/Spawforth, Oxford Classical Dictionary, Stichwort: Alphabet; siehe auch Kapitel 3. 100 al-Kurdī, Tārīḫ al-ḫaṭṭ, S.128f. 101 Ebd. S. 109f. 102 Ebd. S. 72 sowie 160. 103 EI², Bd. VI, S. 795. 104 Ebd., S. 796; Hitti, History of the Arabs, S. 747. 105 EI², Bd. VI, S. 795. 106 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 226f.; vgl. Hottinger, S. 154. 107 EI², Bd. VI, S. 797f.; Carmichael, Shaping of the Arabs, S.287. 108 Zum Beispiel Woottoon, Invention of Science. 109 Francis Bacon: Neues Organon. Erstes Buch, 129. Aphorismus; Thomas Carlyle: Critical and Miscellaneous Essays. Boston 1838, im Kapitel „The State of German Literature“. 110 Thomas Carlyle: Sartor Resartus. Leben und Meinungen des Herrn Teufelsdröckh. Übersetzung aus dem Englischen, Nachwort und Anmerkungen von Peter Stengle. Manesse: Zürich 1991, S. 57f. 111 Ibn Baṭṭūṭa, Travels II, S. 479; deutsche Übersetzung nach Grün I, S. 324. 112 Ders., Travels I, S. 68; vgl. Grün I, S. 55. 113 Ders., Travels IV, S. 922; vgl. Grün II, S. 252. 114 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 350. 115 Ebd., S. 257; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 203.
13 Erwachen: Die Wiederentdeckung der Identität 1 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār I, S. 9; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 21. 2 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār I, S. 12; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 21. 3 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār I, S. 12 sowie 309f. 4 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 186; vgl. Hottinger, S. 91. 5 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 196; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 105f. 6 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 251; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 194. 7 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 203f.; vgl. Hottinger, S. 117. 8 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 230; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 160. 9 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 436f. 10 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 232; vgl. Hottinger, S. 162f.
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ANHANG 11 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 233; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 164. 12 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 234-236; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 169. 13 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 206-210; vgl. Hottinger, S. 125-130. 14 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 359; vgl. Hottinger, S. 327. 15 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 215 sowie 238; vgl. Hottinger, S. 135 sowie 172. 16 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 226f.; vgl. Hottinger, S. 154. 17 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 219-221; vgl. Hottinger, S. 140-144 18 Zum Beispiel al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 351; Koran, Sure 11:117; übs. von R. Schenzle. 19 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 318; vgl. Hottinger, S. 277. 20 Pryce-Jones, Closed Circle, S. 63. 21 Qatāda zitiert in Kister, „al-Ḥīra“, S. 143. 22 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 782. 23 Siehe Kapitel 12. 24 Parry, „The Pearl Emporium“, S. 35. 25 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār I, S. 11; vgl. Hottinger, S. 22. 26 EI², Stichwort: Ḳawmiyyah. 27 Rogan, Die Araber, S. 194. 28 Ali Bey, Travels I, S. 311f. 29 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 182f.; vgl. Hottinger, S. 86f. 30 Suleiman, Arabic Language, S. 80; siehe Kapitel 10. 31 Chejne, Arabic Language, S. 102. 32 Carmichael, Shaping, S. 250. 33 EI², Bd. II, S. 465. 34 Adonis, Ṯābiṭ IV, S. 29-34. 35 Ebd., S. 32f.; Rogan, Die Araber, S. 123f. 36 Suleiman, Arabic Language, S. 169f. 37 Searight, Steaming East, S. 110. 38 Aus The Spectator über die Eröffnungsfeierlichkeiten zum Kanal, zitiert nach Searight, Steaming East, S. 117f. 39 EI², Bd. I, S. 554. 40 Rogan, Die Araber, S. 85. 41 Nicholson, Literary History, S. 466. 42 Siehe Einleitung. 43 Vgl. EI², Bd. III, S. 1064 und Kapitel 11. 44 Vgl. Adonis, Ṯābiṭ I, S. 31. 45 EI², Bd. III, S. 1064. 46 Ebd., Bd. I, S. 554; Parry, „The Pearl Emporium“, S. 35; vgl. auch Kapitel 3. 47 Genau genommen müsste der Nachname mit „Suʿūd“ vokalisiert werden. „Al Saʿūd“ bedeutet „die Familie/das Haus Saʿūd“.
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48 EI², Stichwort: Wahhābiyyah. 49 Nicholson, Literary History, S. 466, gibt die Zahl der Opfer mit 5000 an. 50 Rogan, Die Araber, S. 102. 51 Samuel Johnson: Reisen nach den westlichen Inseln bei Schottland. Nach einer anonymen Übertragung aus dem Jahr 1775. Insel: Frankfurt/Main 1982, S. 16. 52 Zitiert nach Tidrick, Heart-beguiling Araby, S. 151; deutsche Übersetzung nach C.M. Doughty: In Arabiens Wüsten. Übersetzt von Irmhild und Otto Brandstädter. edition ost: Berlin 1996, S. 38. 53 Die al-Ichwān al-Muslimūn, „die Muslimbruderschaft“, aus Ägypten teilen sowohl Namen als auch wahhabitische Anleihen mit den saudischen Ichwān, jedoch nicht unbedingt deren wahnwitzige Tobsucht. 54 Suleiman, Arabic Language, S. 99f. 55 Siehe auch Einleitung. 56 Siehe Kapitel 10. 57 Hourani, Geschichte der arabischen Völker, S. 497. 58 Suleiman, Arabic Language, S. 127-132. 59 Dunlop, Arab Civilization, S. 25. 60 Siehe Kapitel 3. 61 al-Ǧābirī, Takwīn al-ʿaql, S. 347. 62 Adonis, Wortgesang, S. 116. 63 Ders., Ṯābit I, S. 41. 64 Kilito, Thou Shalt Not, S. 10. 65 Ibn Ḫaldūn, Die Muqaddima, S. 337. 66 Über die Unterschiede unter den Dialekten selbst sagt Versteegh, sie seien „so groß wie die zwischen germanischen und romanischen Sprachen … wenn nicht gar größer.“ Versteegh, Arabic Language, S. 98. Ich halte das für übertrieben. 67 Shouby, „Influence“, S. 301f. 68 Adonis, Ṯābit III, S. 220f. 69 Bowles, Haus der Spinne, S. 365. 70 al-Marzūqī auf al-jazeera.net. 71 Koran, Sure 2:31. 72 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 105-108. 73 EI², Bd. X, S. 240. 74 Atiyah, The Arabs, S. 89. 75 Chejne, Arabic Language, S. 157. 76 Versteegh, Arabic Language, S. 181. 77 Chejne, Arabic Language, S. 152; Versteegh, Arabic Language, S. 181. 78 Versteegh, Arabic Language, S. 174. 79 EI², Bd. VI, S. 725f. 80 Versteegh, Arabic Language, S. 174. 81 Kassir, Das arabische Unglück, S. 33. 82 Zitiert nach Kilito, Thou Shalt Not, S. 68. 83 Abu-Absi, „Modernization of Arabic“, S. 347, Anm. 3. 84 Whitman, Portable, S. 355. Die Zahl gilt für 1856.
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Anmerkungen 85 Suleiman, Arabic Language, S. 89. 86 Huart, History of Arabic Literature, S. 444f. 87 Cioeta, „Ottoman Censorship“. 88 Carmichael, Shaping, S. 304f.; Rogan, Die Araber, S. 205f. 89 Suleiman, Arabic Language, S. 79 und S. 85-88. 90 Vgl. Suleiman, Arabic Language, S. 91. 91 The White Manʼs Burden („Die Bürde des Weißen Mannes“) ist ein Gedicht von Rudyard Kipling. [Anm. d. Übers.] 92 Vgl. Ajami, Dream Palace, S. 297; Atiyah, The Arabs, S. 84. 93 kursiv, Bd. II, S. 466f. 94 Haeri, „Form and Ideology“, S. 70. 95 Versteegh, Arabic Language, S. 132. 96 Atiyah, The Arabs, S. 137f. 97 Versteegh, Arabic Language, S. 198-200. 98 Atiyah, The Arabs, S. 204. 99 Chejne, Arabic Language, S. 109; Versteegh, Arabic Language, S. 200f. 100 Suleiman, Arabic Language, S. 83. 101 EI², Bd. IX, S. 229. 102 Ebd. S. 230. 103 Allawi, Crisis, S. 46. 104 EI², Bd. X, S. 127. 105 Ebd., Bd. V, S. 1253. 106 Rogan, Die Araber, S. 295. 107 EI², Bd. V, S. 1253. 108 Hourani, Geschichte der arabischen Völker, S. 370. 109 Rawaa Talass, „Nayy Yark“, Dubai 2014 (unveröffentlichte Dissertation). 110 S. Rushdie: Das Lächeln des Jaguars. Eine Reise durch Nicaragua, Piper: München 1987, S. 60. 111 Häufiger ist die anglisierte Schreibweise Gibran Khalil Gibran, die er auch selbst wählte. [Anm. d. Übers.] 112 Vgl. Adonis, Ṯābit IV, S. 140-142. 113 Zitiert nach Adonis, Ṯābit IV, S. 146. 114 Zitiert ebd., S. 187. 115 Eine der ersten Amtshandlungen Donald Trumps als Präsident der Vereinigten Staaten bestand in einem Einreiseverbot für Menschen aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern. 116 Unter „Pass- und Zollwesen“ in K. Baedeker: Palästina und Syrien, Leipzig 1875, S. 9. 117 Dresch, History of Modern Yemen, S. 10f. 118 Carmichael, Shaping, S. 302. 119 Searight, Steaming East, S. 249f. 120 Siehe Kapitel 2 121 Atiyah, The Arabs, S. 91f. 122 Carmichael, Shaping, S. 319. 123 EI², Bd. III, S. 263. 124 Atiyah, The Arabs, S. 92-94.
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125 Zitiert nach Atiyah, The Arabs, S. 102f.; deutsche Übersetzung nach Rogan, Die Araber, S. 215. 126 Zitiert nach Gilmour, Curzon, S. 481. 127 Ingrams, Records of Yemen IX, S. 737f.; Mackintosh-Smith, Yemen, S. 239. 128 Karsh, Islamic Imperialism, S. 193. 129 Hourani, Geschichte der arabischen Völker, S. 399. 130 Koran, Sure 12:44. 131 Rogan, Die Araber, S. 219. 132 Ebd. S. 219f. 133 Die Karte war 2005 in der Ausstellung „Lawrence of Arabia: the Life, the Legend“ im Imperial War Museum, London, zu sehen. 134 Rogan, Die Araber, S. 227f. 135 Trevaskis, Shades, S. 94. 136 J. Boswell: Das Leben Samuel Johnsons. Übertragung aus dem Englischen von Jutta Schlösser. Insel: Leipzig 1984, S. 87. 137 Zitiert nach al-Ǧarrāḥ, Arḍ at-taʿāruf, S. 290. 138 Vgl. Atiyah, The Arabs, S. 124. 139 Zitiert nach Keay, India, S. 464. 140 Rogan, Die Araber, S. 203f. 141 „One protesterʼs story: Paying the price for seeking freedom in Egypt“, in BBC Report vom 25. Januar 2017. 142 Amnesty International nach Angaben aus BBC Report im August 2016; sowie Guardian vom 12. Oktober 2016. 143 Hitti, History, S. 469f. 144 Atiya, The Arabs, S. 133. 145 Keay, India, S. 479. 146 Morris, Sultan, S. 36. 147 EI², Bd. I, S. 885. 148 Ebd., Bd. III, S. 1068. 149 Siehe Einleitung und Kapitel 6. 150 al-ʿArašī, Bulūġ al-marām, S. 93. In dieser Quelle ist von 3000 Todesopfern die Rede. 151 EI², Bd. III, S. 361; Atiyah, The Arabs, S. 133. 152 Ebd., S. 361. 153 Ebd., S. 1067f. 154 Koran, Sure 9:97; übs. von R. Schenzle. 155 EI², Bd. XII, S. 465. 156 Ingrams, Arabia, S. 25. 157 Bujra, Politics. 158 Bubakr ibn Scheich al-Kaff in Ingrams, Arabia, S. 36. 159 Der Vortizismus (englisch Vorticism, von lat. vortex „Wirbel, Sturm“) war eine kurzlebige modernistische Bewegung in der britischen Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, die teilweise vom Kubismus und Futurismus inspiriert war.
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ANHANG 160 Freya Stark (1893–1993) war eine englische Forschungsreisende; vgl. Stark, Südtore, S. 106f. 161 Atiyah, The Arabs, S. 135f.; Carmichael, Shaping, S. 335. 162 Rogan, Die Araber, S. 227f. 163 Zitiert nach Karsh, Islamic Imperialism, S. 149. 164 Zitiert nach Hourani, Geschichte der arabischen Völker, S. 426. 165 Zitiert nach ebd., S. 425. 166 Ḥusain, Fī al-šīʿr al-ǧāhilī, S. 70f. 167 Ebd., S. 162f. 168 Ebd., S. 74f. 169 Ebd., S. 79. 170 Ebd., S. 171. 171 Ebd., S. 254f. 172 Ebd., S. 257f. 173 Vgl. Kapitel 8. 174 Ḥusain, Fī al-šīʿr al-ǧāhilī, S. 289f. 175 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 261. 176 Ebd., S. 52. 177 al-Suyūṭī, Muẓhir I, S. 305f. 178 Siehe Kapitel 2. 179 Adonis, Ṯābit IV, S. 139f. 180 al-Ǧābirī, Takwīn, S. 52. 181 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 808. 182 Liddell Hart: Oberst Lawrence: der Kreuzfahrer des 20. Jahrhunderts. Ins Deutsche übertragen von Theodor Lücke. Berlin: Otto Schlegel 1935. 183 EI², Bd. VIII, S. 246. 184 Ebd., Bd. XII, S. 240f. 185 Ebd., Bd. VIII, S. 246. 186 Zitiert nach Atiyah, The Arabs, S. 169. 187 Kassir, Das arabische Unglück, S. 70. 188 Pryce-Jones, Closed Circle, S. 223. 189 al-Marzūqī auf al-jazeera.net.
14 Zeit der Hoffnung: Nasserismus, Baathismus, Befreiung, Öl 1 Vgl. die Abbildungen in Chekhab-Abudaya/Bresc, Hajj, S. 104-119. 2 Hitti, History, S. 135f. 3 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 203; vgl. Hottinger, S. 116. 4 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 259; deutsche Übersetzung nach Hottinger, S. 206. 5 Lane, Account of the Manners, S. 440. 6 Ebd., S. 441. 7 EI², Bd. VI, S. 44-46. 8 Ebd., Bd. III, S. 1067. 9 Rogan, Die Araber, S. 275f. 10 Zitiert nach Mackintosh-Smith, Yemen, S. 152. 11 Rogan, Die Araber, S. 350. 12 Ebd., S. 347.
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13 Ebd., S. 364. 14 Atiyah, The Arabs, S. 180. 15 Ebd., S. 185; siehe auch Vorwort. 16 Ibn al-Aṯīr zitiert nach Karsh, Islamic Imperialism, S. 77; siehe auch Kapitel 11. 17 Rogan, Die Araber, S. 371. 18 Shehadeh, Diaries, S. 74. 19 Anspielung auf Rudyard Kiplings Gedicht „Recessional“ (dt. Das warʼs): In der Ferne schmelzen unsere Flotten dahin – / Auf Dünen und Riffen sinkt das Feuer – / Dahin all unser Pomp von gestern, / Vereint jetzt mit Ninive und Tyros! (Übersetzung Eric S. Margolis) [Anm. d. Übers.] 20 Hourani, Geschichte, S. 412. 21 Atiyah, The Arabs, S. 190. 22 Vgl. G. Lyttleton/R. Hart-Davis: The Lyttelton Hart-Davis Letters 1955-1962. A Selection. Murray: London 2001, S. 18. 23 Rogan, Die Araber, S. 399. 24 Ebd., S. 411. 25 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 782. 26 Carmichael, Shaping, S. 351. 27 Karsh, Islamic Imperialism, S. 155. 28 Vgl. Atiyah, The Arabs, S. 193. 29 Rogan, Die Araber, S. 181f. 30 Holden, Farewell, S. 23. 31 Rogan, Die Araber, S. 418f. 32 Bowles, Haus der Spinne, S. 465f. 33 EI², Bd. III, S. 1014f. 34 Suleiman, Arabic Language, S. 125. 35 Rogan, Die Araber, S. 397. 36 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 780. 37 Rogan, Die Araber, S. 430. 38 Versteegh, Arabic Language, S. 196. 39 Clive Holes zitiert nach Owens, „Arabic Sociolinguistics“, S. 442. 40 Versteegh, Arabic Language, S. 196. 41 Ḥusain, Fī al-šīʿr al-ǧāhilī, S. 74f. 42 Suleiman, Arabic Language, S. 198. 43 Siehe Kapitel 10. 44 Zitiert nach: Suleiman, Arabic Language, S. 248, Anm. 15. 45 Suleiman, Arabic Language, S. 182. 46 Aus der Ballade von Ibrāhīm Nāǧī: al-Aṭlāl, deutsche Übersetzung nach Umm Kuḻtūm: Das Herz liebt alles Schöne. Die Lieder der Umm Kulthum, Arabisch-Deutsch. Ausgewählt und aus dem Arabischen übersetzt von Stefanie Gsell. Schiler & Mücke: Berlin 2009, S. 73. 47 L. Ahmed: A Border Passage, zitiert nach Haeri, „Form“, S. 79. 48 Suleiman, Arabic Language, S. 125. 49 Aǧlānī zitiert nach Chejne, Arabic Language, S. 21.
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Anmerkungen 50 Rogan, Die Araber, S. 421-424. 51 Zitiert nach Dresch, History, S. 82. 52 Hourani, Geschichte, S. 457; Rogan, Die Araber, S. 426. 53 Pryce-Jones, Closed Circle, S. 246. 54 Ebd., S. 342; Rogan, Die Araber, S. 435. 55 Rogan, Die Araber, S. 438f. 56 Adaption der Fassung aus Dresch, History, S. 82. 57 Der Film aus den späten 1960er-Jahren trägt den Titel „Ṯaurat al-Yaman“. 58 Zitiert nach Ajami, Arab Predicament, S. 42. 59 Ajami, Arab Predicament, S. 180. 60 Pryce-Jones, Closed Circle, S. 278. 61 Rogan, Die Araber, S. 455. 62 Ibn Ḫallikān, Wafayāt II, S. 71f.; deutsche Übersetzung nach Fähndrich, S. 120; siehe auch Kapitel 8. 63 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 695. 64 Wikipedia (englisch), Stichwort: Djamila Bouhired. 65 Zitiert nach Mackintosh-Smith, Yemen, S. 158. 66 Morris, Sultan, S. 123f. 67 Hourani, Geschichte, S. 506f. 68 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-ā̱ṯār II, S. 186; vgl. Hottinger, S. 91. 69 Qabbānī, Alaʿmāl, S. 699. 70 Ebd., S. 703. 71 Atiyah, The Arabs, S. 235. 72 Zitiert nach Karsh, Islamic Imperialism, S. 171. 73 So der Titel seiner Biografie S. Aburish: Nasser. The Last Arab. St. Martinʼs/Dunne: New York 2004. 74 Aus der Ballade von Ibrahīm Nāǧī: al-Aṭlāl, deutsche Übersetzung nach Umm Kulṯūm: Das Herz liebt alles Schöne. Die Lieder der Umm Kulthum, Arabisch – Deutsch. Ausgewählt und aus dem Arabischen übersetzt von Stefanie Gsell. Schiler: Berlin 2009, S. 77. 75 Ajami, Arab Predicament, S. 14. 76 Ebd., S. 93. 77 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 762. 78 Rogan, Die Araber, S. 514. 79 EI², Bd. VII, S. 886ff.; Hourani, Geschichte, S. 512. 80 Carmichael, Shaping, S. 357. 81 Rogan, Die Araber, S. 543f. 82 Swanson, Emigration, S. 55. 83 al-Bāšā, aš-Šāmī al-aḫīr, S. 160. 84 Saʿʿd ad-Dīn Ibrāhīm zitiert nach Rogan, Die Araber, S. 544. 85 al-Bāšā, aš-Šāmī al-aḫīr, S. 160. 86 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 858. 87 Ebd., S. 738f. 88 Hourani, Geschichte, S. 512f. 89 Ebd., S. 514.
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90 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 813. 91 Shehadeh, Wanderungen, S. 143. 92 Ders., Diaries, S. 160. 93 Statistiken gemäß der Webseite der Jewish Virtual Library. 94 Bericht auf baraqish.net vom 14. September 2016. 95 Abdallah Laroui zitiert nach Pryce-Jones, Closed Circle, S. 214.
15 Zeit der Ernüchterung: Autokraten, Islamokraten, Anarcharchen 1 Die Inschrift ziert einen leerstehenden Sockel, der an einen Mann namens Elias erinnert, welcher ein öffentliches Bad errichtete, wahrscheinlich um 500 n.Chr.; R. Mouterde/C. Mondésert: „Deux inscriptions grecques de Hama“, in Syria 34 (1957), S. 284-287. 2 Rogan, Die Araber, S. 562; Haag, Syria and Lebanon, S. 153. 3 Kassir, Unglück, S. 37. 4 Rogan, Die Araber, S. 267. 5 Kassir, Unglück, S. 66. 6 Morris, Sultan, S. 83. 7 Atiyah, The Arabs, S. 222-224. 8 I. Rashid: Yemen Enters the Modern World, Chapel Hill 1984. 9 Hitti, History, S. 755. 10 Koran, Sure 3:103. 11 Siehe Kapitel 2. 12 Allawi, Crisis, S. ix. 13 Bowles, Haus der Spinne, S. 129. 14 Atiyah, The Arabs, S. 240. 15 Vgl. Ajami, Arab Predicament, S. 69f. 16 Pryce-Jones, Closed Circle, S. 373. 17 Pintak, „Border Guards“, S. 196. 18 Siehe Kapitel 14. 19 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 337f.; siehe Kapitel 9. 20 Koran, Sure 18:9-26. 21 In der christlichen Fassung liegen zwischen Decius und Theodosius II. knapp 200 Jahre. 22 Naipaul, Land der Finsternis, S. 187. 23 Varisco, Islam Obscured, S. 125. 24 Hourani, Geschichte, S. 529. 25 Rogan, Die Araber, S. 568. 26 Vgl. ebd., S. 618-621. 27 Ebd., S. 621. 28 J. Baldwin: Schwarz und Weiß oder Was es heißt, ein Amerikaner zu sein. 11 Essays. Aus dem Amerikanischen von Leonharda Gescher-Ringelnatz. Reinbek: Rowohlt 1963, S. 66. 29 Vgl. Rogan, Die Araber, S. 676.
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ANHANG 30 Hourani, Geschichte, S. 524f., 595. 31 UN-Statistiken aus einem BBC-Bericht vom 1. September 2014. 32 Zahlen stammen von der israelischen Menschenrechtsorganisation BʼTselem, zitiert nach The Guardian vom 14. August 2018. 33 Shehadeh, Wanderungen, S. 34. 34 Mackintosh-Smith, Yemen, S. 165. 35 Ebd. 36 Ebd., S. 158. 37 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 857. 38 Ebd., S. 853. 39 Den Spitznamen erhielt er von seinem ermordeten Vorgänger im Präsidentenamt des Nordjemen Ibrahim al-Hamdi. 40 Dresch, Tribes, S. 7. 41 al-Muʿallimī, Kitāba, S. 37. 42 Koran, Sure 99:2; übs. von R. Schenzle. 43 Siehe Kapitel 2. 44 BBC-Bericht vom 26. Februar 2015. 45 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 469. 46 Volpi, „Pseudo-Democracy“, S. 1061. 47 Guardian-Bericht vom 20. März 2018. 48 Lane, Arabic-English Lexicon, Stichwort: byʿ. 49 Vgl. F. Bacon: Essays, im Kapitel „Über die List“. Neu übersetzt aus dem Englischen von Michael Siefener. Wiesbaden: Marix 2012. 50 J. Milton: Paradise Lost, Buch I, Zeile 261; deutsche Übersetzung nach Adolf Böttger: Das Verlorene Paradies. Leipzig: Ph. Reclam jun. 1921; vgl. Ajami, Dream Palace, S. 142. 51 J. Dryden: Absalom and Achitophel, Teil I, Zeile 173. 52 Adonis, Ṯābit III, S. 229. 53 Zitiert nach Pryce-Jones, Closed Circle, S. 14. 54 Vgl. Rogan, Die Araber, S. 8-11. 55 Der Vers stammt aus dem Gedicht „Loveliest of Trees“ (dt. „Schönster aller Bäume“) von A. Housman: A Shropshire Lad. London 1896. [Anm. d. Übers.] 56 Ajami, Arab Predicament, S. 88. 57 Siehe Kapitel 13 58 Ibn Baṭṭūṭa, Travels I, S. 54; vgl. Grün I, S. 44. 59 EI², Stichwort: Zuʿʿār. 60 Zum Beispiel Soueif, Cairo, S. 155; vgl. Zubaida, Beyond Islam, S. 168. 61 Shehadeh, Diaries, S. 112. 62 Ebd., S. 116. 63 Soueif, Cairo, S. 56. 64 Ebd., S. 133. 65 Ebd., S. 144. 66 Frei nach ebd., S. 18. 67 al-Ǧabartī, ʿAǧāʾib al-al-ā̱ṯār II, S. 326; vgl. Hottinger, S. 278.
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68 Ibn Baṭṭūṭa, Travels I, S. 54; vgl. Grün I, S. 44. 69 Soueif, Cairo, S. 145f. 70 Shehadeh, Diaries, S. 133. 71 Zitiert nach Ajami, Arab Predicament, S. 1. 72 Adonis, Ṯābit III, S. 165. 73 Koran, Sure 13:11; übs. von R. Schenzle. 74 Zitiert nach Kipling Journal 38/180 (1971), S. 6. 75 Vgl. al-Iryānī, Nuqūš, S. 329. 76 L. Durell: Reflections on a Marine Venus. Faber&Faber: London 1953, S. 80. 77 Pryce-Jones, Closed Circle, S. 401. 78 EI², Stichwort: Tunisia. 79 Siehe Kapitel 13; Versteegh, Arabic Language, S. 174. 80 J. Boswell: Tagebuch einer Reise nach den Hebridischen Inseln mit Doctor Samuel Johnson. Aus dem Englischen übersetzt von Albrecht Wittenberg. Donatius: Lübeck 1787, S. 279. 81 Imruʾ al-Qais, Dīwān, S. 183; deutsche Übersetzung nach Rückert, Amrilkais, S. 72. 82 Ibn Ḫallikān, Wafayāt III, S. 236f.; wird manchmal aš-Šāfiʿʿī zugeschrieben. 83 Pryce-Jones, Closed Circles, S. 4. 84 Diamond, Arm und Reich, S. 46f. 85 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 759. 86 L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, Teil I, Absatz 109. 87 BBC-Berichte vom 30. November 2012 sowie 22. Oktober 2013. 88 Siehe Kapitel 11. 89 Ibn Ḫallikān, Wafayāt I, S. 24f. 90 Radio Sanaa im Februar 2017. 91 Bericht auf baraqish.net vom April 2017. 92 C. Lévi-Strauss: Traurige Tropen. Aus dem Französischen von Susanne Heintz. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1960, S. 264. 93 al-Ǧarrāḥ, Arḍ al-taʿāruf, S. 290f. 94 UN-Statistik gemäß The Guardian vom 31. März 2017. 95 Nach der englischen Übersetzung von H.A.R. Gibb in Ibn Baṭṭūṭa, Travels I, S. 96. 96 Ibn Baṭṭūṭa, Travels I, S. 97f.; vgl. Grün I, S. 73. 97 Mackintosh-Smith, Tangerine, S. 188. 98 http://www.unesco.org/new/en/safeguarding-syrian-cultural-heritage/situation-in-syria/ built-heritage/ancient-city-of-aleppo/, letzter Zugriff: Juni 2018.
Nachwort: Auf dem Bahnsteig der Geschichte 1 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 754-757. 2 Vgl. Alberto Manguel, The Library at Night. New Haven und London: Yale University Press 2009,
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Anmerkungen
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S. 331, Fußnote 23. 3 Max Weber, Gesammelte politische Schriften. München: Drei Masken Verlag 1921, S. 507. 4 Laut Berichterstattung in der BBC und im Guardian, 20. Oktober 2018. 5 Vgl. etwa Stellungnahmen der legitimierten jemenitischen Regierung auf sahafah.net, 16. Oktober 2018. 6 The Guardian, 19. Juli 2018. 7 Bericht von Reuters, Januar 2018. 8 Mackintosh-Smith, Yemen (Ausgabe von 2014), Nachwort. 9 Von Scheich Ḥamdān b. Muḥammad al-Maktūms Ode al-Ǧār li-l-ǧār, https://lyrics-on.net/en/1096426el-jar-lil-jar-lyrics.html, letzter Zugriff am 20. April 2020. 10 Ingrams, A Time, S. 153. 11 Zitiert in Suleiman, The Arabic Language, S. 191. 12 Ḥusain, Fī aš-šiʿr, S. 109. 13 al-Ǧāḥiẓ, Bayān III, S. 113. 14 Kassir, Das arabische Unglück, S. 11. 15 Ajami, Arab Predicament, S. 52f. 16 Zitiert in al-Ǧābirī, Takwīn, S. 240. 17 al-Ǧarrāḥ, Arḍ at-taʿāruf, S. 41. Ich danke Dr. Khaldun al-Shamʾah, dass er mir als Erster diese Verse vorgetragen hat. 18 Koran, Sure 2:62. 19 Jan Morris, Spain. London: Penguin 1982, S. 14. 20 Qabbānī, Al-aʿmāl, S. 703. 21 Koran, Sure 109:6. 22 Atiyah, The Arabs, S. 185; siehe Vorwort. 23 Ingrams, The Yemen, S. 36; siehe Einleitung.
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Register Abarkavan (Qeschm), Insel 288 Abbasa 328, 356, Abbasiden, Dynastie und Zeit 125, 265, 299, 302, 304, 306 ff., 310 f., 313, 316, 320 f., 325 ff., 330 ff., 339, 341, 343, 345, 351 f., 356, 363, 365, 368, 374, 380, 383 f., 387, 391, 395 f., 409, 412, 414 ff., 429, 435, 437 f., 447, 449, 465, 473, 488, 502, 531, 558, 603 Abd al-Azīz Ibn Saʿūd, König 505, 522, 540, 618, 620 Abd al-Fattāh Ismāʾīl 548 Abd al-Latīf al-Baghdādī 412 Abd al-Malik, Kalif 277 ff., 288, 289 Abd al-Muttalib 151, 157, 178, 179, 183, 186 Abd al-Qādir al-Dschailāni 442 Abd al-Qais (Stamm) 110 Abd al-Rahmān ibn Mohammed ibn alAschʿath 132 Abd al-Rahmān I. („der Falke der Quraisch“) 387, 604 Abd al-Rahmān II. (Herrscher von Córdoba) 388 Abd al-Rahmān III., Kalif (von Córdoba) 387, 607 Abd al-Samad ibn al-Fadl 342 Abd Schams 159 f., 194, 253, 330 Abdallāh ibn Abd al-Muttalib 160 Abdallah ibn al-Abbās 343 Abdallah ibn Ali (abbasidischer Feldherr) 301, 310 Abdallah ibn al-Zubair, Gegenkalif 263 f., 287, 288, 601 Abdallah ibn Ghiyāth al-Dīn (Abbaside in Sumatra) 428 f., 431 Abdallah ibn Husain ibn Ali, König (von Transjordanien) 301, 310 Abdallah ibn Masʿūd 323 Abdallah ibn Mohammed (Sohn des Propheten) 162 Abdülmecid II., Sultan 496 Abel 56
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Abessinien siehe Äthiopien und Äthiopier Abīd ibn Scharya 273 Abraha 123 Abraham ibn Yidschū 439 Abraham siehe Ibrāhīm Abs (Stamm) 128 Abū al-Abbās al-Saffāh, Kalif siehe al-Saffāh, Abū al-Abbās, Kalif Abū al-Fidāʾ 61 Abu al-Qāsim Firdausī 374 Abū Āmir 187 Abū Aṭāʾ 281 Abū Bakr al-Siddīq, Kalif 80, 158, 180, 191, 202, 206, 213 ff., 221, 238, 252, 254, 257, 540, 599 Abū Dāwūd 344 Abu Dhabi 493, 524 f., 620 Abū Dschahl 182 Abū Ḥanīfa 316 Abū Hāschim ibn Mohammed ibn Ali 299 Abū Lahab 181 Abū Muslim 300, 310, 326 Abū Nuwās 240, 361 Abū Sufyān 34, 37, 46, 48, 155, 182, 191 f., 195, 200, 210, 222, 224, 230, 254 f., 258, 295, 415 Abū Tālib 160, 162 Abū Tammām 322, 364, 475 Abū Zaid (Figur aus den Maqāmāt) 424 Abū Zikrī ha-Kohen 439 Abukir, Seeschlacht bei 463 Aburish, Said 527 Aceh (Indonesien) 29, 451 Ād (legendäres vorzeitliches Volk) 60 f., 69, 141, 165 Adam 114, 149, 151, 205, 208, 323, 444, 477, 560 Aden (Jemen) 9, 24 f., 27 f., 31, 154, 430, 492, 499, 501, 515 f., 524, 549, 581, 586, 616, 619, 621 Aden, Protektorat von 480, 486, 521 Adnaniten (Nordaraber) 247, 282
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Adonis (Ali Ahmed Saʿīd Isbir) 23, 45, 133, 142, 180, 256, 423, 475, 504, 557, 563 ʿadscham (Nichtaraber) 72, 119 f., 124, 144, 146, 202, 294, 383, 449, 465, 504, 516 Adūd al-Daula 371 Aelius Gallus 90 Aeneas 274 Afghanistan 246, 298, 379, 541 f., 622 f. Aflaq, Michel 473, 520 Afrika und Afrikaner, subsaharisch 50, 74, 382, 434, 440, 445 Ägypten und Ägypter 11 f., 25, 30, 64, 146, 156, 168, 201, 243, 245, 248, 255, 269, 279, 292, 302, 360 f., 369, 374, 380 ff., 384, 386, 391, 396, 406, 414, 417 f., 420, 428, 434, 437,447, 460 ff., 470 ff., 478, 480 ff., 488, 494 f., 501, 505 ff., 518 f., 520 ff., 527 f., 532, 538, 542, 547, 550, 552, 555, 559, 563 ff., 592 f., 597, 600, 606, 608 ff., 614 ff. Ahl al-Taswiyya (die „Gleichmacher“) 357; siehe auch Schuʿubīs Ahmadabad (Indien) 29, 451 Ahmed ibn Tulūn 380 Ahmed ibn Yahyā Hamīd al-Dīn, Imam 496, 521, 565 Ahmed ibn Mohammed Ibn Battūta 421, 425, 428 f., 431 ff., 435, 438 f., 444 f., 457, 575, 612 Ahmed, Leila 519 Ahūrā Mazdā (Gottheit) 180 Ahvaz (Iran) 27 Aidīd, Familie 451 Ain Dschālūt 416, 611 Aischa 161, 206, 257 f. Ajami, Fouad 110, 339, 559 Akkader 574 Aksum 25, 41, 122, 200; siehe auch Äthiopien und Äthiopier Ali Abdullah Salih 553 Al Jazeera siehe Jazeera, Al Al Saʿūd (Saud) (Clan) 337, 469, 497 f. al-Abbās ibn Abd al-Muttalib 229, 231, 307 al-Abbās ibn al-Ahnaf 475 al-Abdarī 386 al-Achtal 270
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al-Adschami, Mohammed 571 Ahmad ibn Yahyā, Imam 496, 521, 565 al-Ahnaf 110, 250, 475 al-Aidarūs, Familie 451 al-Amīn, Kalif 330 ff., 605 al-Anbār 25, 114, 308 al-Andalus 47, 296, 302, 323, 387 f., 390, 400, 402 f., 438, 607 al-Ansār siehe Aus; Chazradsch al-Arsuzi, Zaki 520 al-Aʿschā/Aʿschā 140, 192 al-Aschʿath 212 ff., 320 al-Asmaʿī 78 f., 249, 340 al-Assad, Baschar 420, 494 f., 564, 579 al-Assad, Hafiz 537, 568, 575, 622 f. al-Aswad al-Ansī 219 Alawiten 520 al-Alayli, Abd Allāh 120 al-Azhar Moschee 384, 462, 467 al-Azhar, Scheich 503 al-Balādhūrī 97, 233 ff., 238, 279, 605 Albanien und Albaner 382 f., 448, 466, 509 al-Barrāq 96 al-Bascha, Asim 530 al-Basra und Basrier 27 f., 31, 118, 243 ff., 249, 255, 292, 306, 309, 313, 335, 347, 353, 359, 439, 599, 602 al-Basūs 128 ff., 135, 144, 377, 493, 595 al-Bīrūnī 199 al-Bitar, Salah al-Din 520 al-Buhturī 324 al-Buraimi (Oman) 31, 493, 620 al-Buschrī, Gebrüder 438 Alcatraz 407 al-Dschabal al-Achdar (Oman) 25, 51 al-Dschabartī, Abd al-Rahmān 460 al-Dschābiyya (Syrien) 25, 111 f., 224, 267 al-Dschāhiz 44 f., 65, 68, 76, 95, 121, 137, 293, 303, 325, 327, 359 f., 363, 606 al-Dscharāwī 403 al-Dschufrī, Sayyid Muhsin 450 al-Dschufrī-Familie 450 al-Dschundi, Sami 522 Aleppo 26, 31, 378, 381, 398, 411 f., 418 ff., 423, 455, 473, 573 ff., 579
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Alexander der Große 233 f., 402 Alexandretta, Golf von 31, 491 Alexandria (Ägypten) 25 f., 31, 245, 319, 389 Alexius, Kaiser 398 al-Fadl ibn al-Rabīʿ 329 al-Fārābī 378, 382, 393 f. al-Farazdaq 284 f. al-Farrāʾ 240 al-Fath ibn Chāqān 366 Alfons VI., König 407 al-Fustāt (Ägypten) 26, 243, 245, 600 al-Gaddafi, Muammar 527, 547, 551, 574 Algerien 17 f., 385, 480, 482, 493 f., 520, 523 f., 546 f., 566 f., 613, 615 f., 620 f., 623 al-Ghumarī 403 al-Ghuta (Syrien) 269 Algier (Algerien) 26, 30, 446, 524 al-Haddar (Saudi-Arabien) 122 al-Hadschādsch ibn Yūsuf 237 f., 289 ff., 298, 494, 522, 566, 602 al-Hakam (Kalif von Córdoba) 389 al-Hallādsch (al-Husain ibn Mansūr alHallādsch) 345 ff., 350, 562, 607 Alhambra 421 al-Hamdānī 54, 84 f., 93, 130, 392 al-Harawī 399 al-Harīrī 424 f., 432 al-Hārith (Stamm) 388 al-Hārith ibn Dschabala, König 111, 113, 131 al-Hārith ibn Hilliza 118 al-Hīra (Irak) 25, 27, 100, 112 ff., 116 ff., 120, 125, 131, 146, 171, 226 f., 235, 244, 267, 309, 392, 401, 418, 474, 594 al-Hīra, König 241 al-Husrī, Sātiʿ 473 Ali al-Ridā, Imam 317 Ali ibn Abdallah ibn al-Abbās 351 Ali ibn Abī Tālib, Kalif 236, 440, 564 Ali ibn Mohammed (Rebellen-Anführer) 353 al-Ichwān (extremistische Wahhabiten) 355, 471, 499, 508, 619 Aliden 311, 384 al-Idrīsī 409 ff., 445 al-Isfahānī 338, 389
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al-Jabri, Mohammed 119, 122, 131, 338 f., 423, 474, 503 f. Al Jazeera 572, 578 al-Kaff, Familie 451 al-Kaida siehe al-Qaida al-Karch (Irak) 309 al-Kindī, Abū Yūsuf Yaʿqūb 279, 320, 324, 341, 346, 414, 583 al-Kisāʾī 330 f. Alkohol 312, 319, 368, 384, 399 al-Kūfa (Irak) 27, 46, 118, 213 f., 235, 239, 243 f., 246 f., 249, 255, 263, 277, 285 f., 289, 292, 299, 302, 308 ff., 313, 315, 335, 388, 413, 599 al-Kuwaik 438 al-Lāt (Gottheit) 74, 90, 157, 178 Allāt (Gottheit) siehe al-Lāt Allawi, Ali 540 al-Maʿarra (Syrien) 398 al-Maʿarrī 327, 336, 347, 422, 501 al-Madīna/Madīnat Rasūl Allah siehe Medina al-Mahāliba, Familie 298 al-Mahdi, Kalif 326 f. al-Maʾmūn, Kalif 312 ff., 330 ff., 341, 343, 355, 363, 380, 389, 403, 442, 467, 584, 605 al-Manāt (Gottheit) 157 al-Mansūr, Kalif 306, 308 ff., 312, 326, 333 f., 363, 387, 414, 603 f. Almaqāh 82 ff., 86, 178 al-Marzūqī, Mohammed Munsif siehe Moncef Marzouki al-Masʿūdī 38, 84, 105 f., 124, 127, 141, 174, 180, 198, 251, 259, 305, 323, 346, 352, 354, 367 f., 371, 392 Almohaden 403 f., 420, 469, 539, 610 Almoraviden 401 ff., 420, 609 al-Muʾaiyad ibn al-Mutawakkil 367 al-Muchtār al-Thaqafīy 263, 299 al-Mughīra ibn Saʿīd al-Badschalī 345 al-Mughīra ibn Schuʿba 225, 237, 325 al-Muhallab 298; siehe auch al-Mahāliba al-Muhārisch ibn al-Mujallī ibn Ālith ibn Qabbān 391 al-Muhtadī, Kalif 368 al-Muʿizz (Fatimidenkalif) 383
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ANHANG
al-Muktafī, Kalif 240 al-Mundhir III., König 113 al-Muntasir, Kalif 365 f. al-Muschamridsch ibn Amr 153 al-Mustaʿīn, Kalif 366 f. al-Mustakfī II. ibn Sulaimān („Marionettenkalif”) 437 al-Mustakfī, Kalif 370 al-Mustansir, Kalif 429 al-Mustarschid, Kalif 373 al-Mustaʿsim, Kalif 413 ff., 610 al-Muʿtadid, Kalif 368 f. al-Muʿtamid ibn Abbād 401 al-Muʿtamid, Kalif 368 al-Muʿtamin ibn Hārūn al-Raschīd 331, 333 al-Mutanabbī 125, 168, 378, 381, 574 al-Muʿtasim, Kalif 327, 363 ff., 605 al-Mutawakkil III. („Marionettenkalif“) 447 al-Mutawakkil, Kalif 343, 345, 365 ff., 379, 606 al-Muʿtazz, Kalif 365 ff., 379 al-Mutīʿ, Kalif 371 al-Muttaqī, Kalif 370, 377 al-Muwaffaq 369 al-Nābigha 117 al-Nachīla, Schlacht von 237 al-Nadīr, Banū (Stamm) 189, 598 al-Nahda (arabisches „Erwachen“ im 19. Jh.) 464 al-Namāra, Inschrift 25, 99 f., 386, 488 al-Nāsir, Kalif 410, 412 f., 417, 559, 575 al-Nāsir, Muhammad ibn Qalāwūn, Sultan 417, 559, 575 al-Nuʿaimī, Chalīl 573 al-Nuʿmān ibn Dschabāla 268 f. al-Nuʿmān III. (Abū Qābūs), König 117 f., 125, 227 al-Nuwaiʿima 303 f. Alp Arslan 372 f., 375 al-Qadhāfī, Muʿammar siehe al-Gaddafi, Muammar al-Qādisiyya, Schlacht von 27, 226 f., 230, 236, 258, 262, 599 al-Qāhir (Abū al-Mansūr Muhammad ibn Ahmed al-Muʿtadid al-Qāhir bi-llāh), Kalif 370
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al-Qaida 471, 558 al-Qāʿida, siehe al-Qaida; al-Kaida al-Qāʾim, Kalif 391 al-Qalī 388 al-Qalqaschandī 464 al-Qāsim ibn Muhammad (Sohn des Propheten) 162 al-Qāsim ibn Sallām 316 al-Rādī bi-Llāh, Kalif 350 ff., 363, 393 ff., 415, 496, 608 al-Rahmān (Lokale Gottheit und Name Allāhs) 176, 179 f., 186, 283 al-Raqqa 26, 31, 234, 258 f., 574 Mohammed ibn Ahmed al-Raqūtī, 407 f. al-Raschīd, Hārūn, Kalif 272, 310, 317, 321, 328 ff., 337, 356, 361, 605 al-ridda (Abfall vom „medinensischen Staat“; „Apostasie“) 220, 224, 228, 234, 243, 250 al-Sadat, Anwar (al-Sādāt, Anwar) 527, 532 f., 622 f. al-Safā 67 al-Saffāh, Abū al-Abbās, Kalif 302, 308, 312, 325, 603 al-Sāhilī 438 al-Saʿīd, Nūrī 505 al-Saqqāf, Familie 451 al-Sarāh (Bergkette) 25 al-Sawād 25, 27, 113, 125 al-Schāfiʿī, Abū ʿAbdallāh Muhammad ibn Idrīs 76, 375 al-Schanfarā 91 f., 134, 549, 584 al-Schaqīf 400 al-Schāra 251 al-Schidyāq, Ahmed Fāris 479 al-Sidschistānī 503 al-Sikkīt 240 al-Sīsī, Abd al-Fattāh 555, 578 al-Suyūtī 423, 448, 464 al-Tabarī 103, 323 al-Tahtāwī 467 al-Tāʾif 165, 196, 598 al-Tawhīdī, Abū Hayyān 119 f. al-Tawīla 573 al-Tirmidhī 344 Altmalaiisch 432, 440 al-Uzza (altarabische Göttin) 113, 163, 216
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al-Walīd ibn ʿAbd al-Malik, Kalif 270, 291, 293 f., 297 al-Walīd ibn Yazīd, Kalif 266 al-Wathīq, Kalif 368 al-Yarmūk, Schlacht von 26, 224, 241, 258, 262, 267 f., 85, 599 al-Yāzidschī, Ibrahim 472, 474 f. al-Zabīdī 477 al-Zaʿīm, Husnī 570 al-Zubair 251, 257 Amalekiter 415 Amerika und Amerikaner 15, 18, 70, 126, 133, 142, 198, 358, 446, 470, 484, 485, 493, 497 ff., 501, 511 ff., 532, 534 f., 540, 542, 545 f., 555, 559, 572 ff., 586, 617 amharische Sprache 81 Amir, Jigal 532 Amman (Jordanien) 528 Amorion 26 Amr ibn Adī, König 117 Amr ibn al-Ās 255, 269 Amr ibn al-Zubair 287 Amr ibn Kulthūm 135 Amr ibn Luhaiy 152, 195 amsār (Garnisonsstädte) 292 ff., 242 ff., 281 Anatolien; siehe auch Kleinasien 373, 491 Anaza (Stamm) 122 Anderson, Benedict 170, 571 Angeln, Angelsachsen 15, 282, 306 Ankara (Türkei) 25, 31, 365 Ansār Allāh siehe Huthis Antar/Antara 202, 526 Antiochia 26 „Apostasie“-Kriege siehe al-ridda Araber/ʿarab/aʿrāb/aʿrābī, Bedeutungen und Gebrauch der Begriffe 10 ff., 19, 21 ff., 28, 36ff., 47 f., 50 ff., 58, 61, 70 ff., 75 ff., 84 ff., 96 ff., 103 f., 109 f., 112 f., 115 f., 117 ff., 149, 152, 159, 167, 171, 174 ff., 178, 180, 183 f., 186 f., 191 f., 194, 197 ff., 202 f., 205, 207 ff., 212 ff., 221 f., 224 ff., 231 ff., 235 f., 239 ff., 253, 255, 258, 261, 264 f., 267 f., 271, 273 ff., 281 ff., 286 f., 292, 294 ff., 305, 309, 312 f., 316, 318, 320 f., 323, 325 ff., 333 ff., 345 f., 351 ff., 356 ff.,
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365, 368, 373 ff., 377, 380, 382 f., 385, 387 ff., 396 f., 401 ff., 408 f., 413 ff., 417 f., 420 ff., 424, 428 ff., 449, 457, 460 ff., 504, 509 ff., 514 ff., 523, 525 ff., 534 f., 537 ff., 541 ff., 545 f., 548, 551 f., 555, 557 f., 562 f., 566 ff., 573, 576, 578, 580 ff., 585 f., 592 ff., 587, 599 ff., 606, 609 ff., 613 f., 616 f. Arabia Deserta 54, 535 Arabia Felix 53, 87, 90 f., 535, 579 Arabia Petraea 53 Arabian American Oil Company (Aramco) 498 „arabische Identität“ siehe ʿurūba Arabische Liga 505, 532 arabische Literatur siehe Bücher, arabische; Maqāmāt; Prosa auf Arabisch; sadschʿ Arabische Republik Jemen (ARJ) 551 Arabische Republik Ägypten siehe Ägypten Arabische Revolte (1917) 487 f., 490, 617 arabische Schrift 16 f., 81, 114, 116, 169, 197, 278, 358, 440, 448, 452, 454, 455 f., 477, 595, 597, 603, 611 Arabische tektonische Platte 50, 55 „Arabischer Frühling“ 558 ff., 570 f., 573 f., 578 f., 624 f. Arabisches „Erwachen“ siehe al-Nahda arabisches Reich 27, 45, 233, 276, 302, 374, 396, 438, 607 arabisch-islamisches „Kulturreich“ 41, 378, 392 Arabisch-Israelischer Krieg von 1948 510 ff. Arabisch-Israelischer Krieg von 1967 526 ff. Arabisch-Israelischer Krieg von 1973 532 ff., 622 Arabisierung 74, 161, 183, 186, 277, 279 f., 294, 297, 341, 382, 385, 390, 441, 609, 612 ʿarabiyya siehe Arabisch, Hochsprache Arafāt, Berg 156 Aragón 407 f. Aralsee 372, 412 aramäische Sprache 112, 114, 222 f., 253, 266 Architektur 88, 273, 312, 325, 393, 421 Argentinien 485, 530 Aribi 62 f., 110
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ANHANG
Aristoteles 315, 319, 346, 355 Armenien, Armenier 27, 226, 234, 384, 389, 491 Arnhemland (Australien) ar-Rāfiʿī, Mustafā Sādiq 174 f. arya/Arier 72, 95, 119 ʿasabiyya („Bindung“, Gruppensolidarität) 17 ff., 22, 38, 46, 119, 128, 133, 181 f., 187, 193, 239, 247, 265, 284, 306, 365, 374, 465, 474, 515 Aserbaidschan 27, 213, 273 Asīr 57 Asmāʾ 200 ʿasr al-inhitāt („Zeitalter des [literarischen] Verfalls“) 422 ʿasr al-tadwīn („Zeitalter der Niederschrift“) 334 Assuan-Staudamm 513 f. Assurbanipal, König 63 f. Assyrer 62 ff., 67 f., 69, 94, 99, 110, 222, 259, 487, 518, 592 Astrologie 318 Astronomie 318 f. Atatürk 454 f. Äthiopien und Äthiopier 35, 81 f., 105, 122 f., 125, 156, 158, 182, 200, 209, 227, 230, 362, 457, 461, 596 f. Athtar (Gottheit) 82 Athtar Scharīqān 90 Atiyah, Edward 526, 540 Augustinus von Canterbury, Heiliger 162 Augustinus von Hippo, Heiliger 577 Augustus 274, 566 Aus (Stamm) 184, 186 f., 224, 388 Ausān 104 Averroes siehe Ibn Ruschd Awad, Louis 518 Awwam-Tempel 82 f. „Ayatollah“, Bedeutung 408 Ayyubiden-Dynastie 330, 376, 382, 405, 610 Azd (Stamm) 107, 109, 247, 388, 595 Azda 241
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Bā Faqīh, Familie 451 Baath-Bewegung 473, 507 ff., 619, Bab al-Mandab 25, 27, 31, 51 f., 481, 486, 591 Babel siehe Babylon (Irak) Babylon (Ägypten) 25, 245, 600 Babylon (Irak) und Babylonier 63 f., 99, 184, 227, 236, 244, 259, 355, 391, 468, 518, 535 Bacon, Francis (Maler) 173 Bacon, Sir Francis 456, 557 badāwa („Beduinentum“, nomadische Gesellschaft) 566 f., 586, 592; siehe auch Stämme badāwa–hadāra-Beziehungen (d.h. zwischen nomadischen und sesshaften Gruppen) 56, 58, 327 f., 415 Badr, Schlacht von 27, 158, 181 f., 191 ff., 197, 307, 598 Badschīla (Stamm) 237 Badschkam 350 f., 360, 363, 370, 473, 608 badw (Beduinen) siehe badāwa Bagdad (Irak) 112, 234, 283, 302, 305 ff., 350, 354, 361, 363 f., 367, 369 ff., 375 f., 378 ff., 383, 387 ff., 393, 395 ff., 403 ff., 410 ff., 423 f., 428 f., 431, 436, 442 f., 446, 452, 464, 467, 470, 478, 487, 510, 519, 521, 605 ff., 613 Baghar 366 Bahārna (Bevölkerung Bahrains) 44 Bahrain 25, 27, 30 f., 44, 97, 133, 201, 220, 492, 564, 614, 624 Baikalsee 372 Bāinūn 55 Bakīl (Stamm) 57, 70 Bakr (Stamm) 128, 130, 145, 160, 247 Balch (Afghanistan) 27, 328 Baldwin, James 546 Balfour-Deklaration 489 f., 493, 501, 509, 520, 525, 617 Balkan 51, 382, 440, 473 Bangladesch 50 f., 441; siehe auch Bengalen Banū-Mūsā-Brüder 315 f., 319 Barcelona (Spanien) 483 Baring, Evelyn (Lord Cromer) 481
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Register
Barmakiden, Familie 328 f. Bartulmīn 561 Bartók, Béla 325 Baschār ibn Burd 356 f. bayān (Sakralsprache) 108, 126, 174 Bait al-Hikma siehe Haus der Weisheit Beaverbrook, Lord 564 Becket, Thomas 190 Beduinen siehe badāwa Beeston, A.F.L. 65 Beirut (Libanon) 26, 31, 423, 510 Bekaa-Ebene 25, 155 Ben Bella, Ahmed 482 Bengalen 29, 444 bengalische Sprache 441 Berber 12, 45, 232, 238, 293, 296 f., 327, 361, 385, 388, 396, 400 ff., 406, 420 f., 424, 428, 435, 448, 457, 469, 495, 501, 602, 609 f., 618 Berbersprachen 253, 385 f., 441, 482 Berlin (Deutschland) 487 Bethel 149 Bewegung der Blockfreien Staaten (Non-Aligned Movement) 518 Bibel 87, 355, 391, 452, 475, 592 bidʿa („Neuerung“) 468, 508 Bin Laden, Osama 470 f., 624 Boccaccio 405 Bolschewisten 196 Bombay (Indien) 29, 244, 492 Borges, Jorge Luis 22, 142, 278 Borneo 232, 432, 450 Bornu (Nigeria) 441 Bosporus 325, 447 f. Boston (Vereinigte Staaten von Amerika) 110 Bouazizi, Mohammed 559 f. Bourguiba, Habib 567 Bowles, Paul 477, 540 Brahma (Gottheit) 178, 444 Brasilien 170, 485 Britannien und Briten 53, 101, 125, 162 ff., 243 f., 265, 280, 293, 402, 452, 463 f., 480 f., 486 ff., 491 f., 494 f., 499 ff., 505, 509 ff., 514 f., 520 f., 524, 545, 551 f., 586, 615 ff.; siehe auch Großbritannien
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British Broadcasting Corporation (BBC) 516 Buchara (Usbekistan) 27, 379 Bücher, arabische 138, 191, 252 f., 314, 322 f., 337, 340, 342, 360, 364, 389, 411, 414, 423 f., 435; siehe auch Bibliotheken Buddhismus 265 Bugha 367 Bugis 451 Bürgerkriege 20, 224, 262, 494, 528, 547, 564, 566, 573, 576, 579, 621 ff. Burton, Sir Richard 190 Bush, George H. W. 555 Bush, George W. 546, 555 Buwaih, Buwaihiden 370 ff., 377, 379 Buya siehe Buwaih Buyiden, Dynastie 608 Byron, Lord 475, 491 Byron, Robert 168, 393 Byzantinisches Reich und Byzantiner 21, 34 f., 41, 101, 110 f., 112 f., 120, 124, 132, 145, 182, 207, 209, 222 ff., 228, 244, 266 ff., 270 f., 277 ff., 281, 288, 305, 314 ff., 319, 327, 331, 364, 377, 389, 398 f., 411, 546, 575, 596 ff., 606 Caedmon 164 Caesarea (Palästina) 26, 224, 226 Calvinisten 471 Cambay, Grabmonumente von 429 ff., 433 f. 440 Camp-David-Abkommen 506, 532 ff., 622 Carlyle, Thomas 22, 456 Carmona 388 Casablanca (Marokko) 30, 476 Ceuta siehe Sabta Chabur, Fluss 573 Chadīdscha 158, 162 f., 597 Chafādscha (Stamm) 413 Chaibar (Saudi-Arabien) 27, 190 Chālid ibn al-Walīd 215 ff., 224, 228, 296 Chālid ibn Sinān al-Absī 177, 201 chalīfa, chilāfa siehe Kalifat Chang’an (Xi’an) (China) 29 charadsch (Grundsteuer) 236 Charidschiten 285, 289 f. Charles, Prinz von Wales 407
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ANHANG
Chasaren 368, 373 chatīb (Redner; später Prediger) 41, 126, 141, 146, 195, 290, 394 Chaulān (Stamm) 388 chayāl al-zill (Schattenspiel) 395 Chazradsch (Stamm) 184, 186 f., 224, 388, 420 Chile 407 China und Chinesen 14, 47, 116, 232, 244, 273, 280, 305 f., 309, 321, 323, 340, 348, 353, 418, 428, 432 ff., 438, 446, 542, 603, 606, 612 Chirbat al-Mafdschar (Palästina) 303 Chomeini, Ayatollah 380, 541 Chorasan 234, 284, 289, 292, 298 ff., 306, 309 ff., 317, 321, 325, 331 f., 363 f., 375, 379, 412, 447, 523, 603 Choresmien (Zentralasien) 27, 412 Chosrau Anuschirwan, Schah 70 Christentum und Christen 34, 111 f., 122, 139, 162, 170, 176, 180, 185, 187 f., 189 f., 199, 204, 219, 223, 234 f., 270, 344 ff., 390, 396, 398 f., 400 ff., 406, 408, 418, 442, 448 f., 455, 472, 543, 561 f., 584, 596, 606, 609 f. Chuzāʿa (Stamm) 152 f., 186, 594 Chuzestan (Iran) 27, 240 Colombo (Sri Lanka) 29, 451 Conrad, Joseph 450 Córdoba (Spanien) 26, 387 ff., 393, 400 f., 410, 584, 608 Cromer, Lord siehe Baring, Evelyn Crone, Patricia 267 Crossman, Richard 549 Dadan 25, 90 Daftar Dschailānī (Sri Lanka) 442 Dahir, König (von Sindh) 237 Dāhis, Krieg von 129 Dailam und Dailamiten 27, 240, 281, 297, 370 f. Dakar 28, 485 Damaskus 25 f., 31, 100, 155, 223, 244, 249, 263 ff., 308 f., 319, 321, 325, 333, 365, 389, 393, 398, 405 f., 420, 428, 446, 449, 452, 478, 487, 520, 594, 601 f., 612, 617
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Damietta 26 Dandolo, Enrico, Doge 398 Daus (Stamm) 215 Davie, Grace 204 Decius, römischer Kaiser 543 Delhi 27, 29, 394, 428 f., 435 ff., 442 Delhi, Sultanat von 330, 374, 437, 612 Delos 87 Delphi 157 Demokratie 10, 538, 540, 553, 555 f., 568, 571, 574, 581 Demokratische Volksrepublik Jemen (DVRJ) 220, 548 f., 551 Deutschland und Deutsche 9 f., 42, 72, 92, 362, 401, 464, 487, 537, 616 deutsche Sprache und Übersetzungen 39, 215, 245, 265, 351, 457, 551 Dhahran 31, 497, 530, 619 dhimma (Schutz) 236 Dhofar (Oman) 27, 29, 31, 430, 548, 622 Dhū al-Chalāsa (Gottheit) 177, 215 Dhū al-Kalā 80, 284 Dhū al-Qarnain 233 Dhū al-Rumma 9 Dhū al-Samāʾ (Gottheit) 176 Dhū Qār 145 f., 597 Dhū Raidān 104, 123 Dhubyān (Stamm) 128 Dienné (Mali) 28 Diktatoren 290, 452, 477, 534 f., 552, 558, 561 f., 581 dīn, Bedeutungen 138 f., 141, 165, 205, 236, 265 Dinschawai-Zwischenfall (1906) 494 f. Dioskurides 389 Diyarbakir 27 Doha (Katar) 31, 339 Doughty, Charles 471 Douglas, Norman 139 Dresch, Paul 33 Drusen 501, 544 Drusenaufstand 618 Dschabala ibn al-Aiham, König 145, 224 Dschaʿfar al-Barmakī 328, 356 Dschafna (Stamm) 111
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Register
Dschāhiliyya (vorislamisches „Zeitalter der Unwissenheit“) 227, 469 Dschalāl al-Dīn Tabrīzī 444 Dschām, Minarett von 394 Dschamaʿat al-Taqrīb 318 Dschamal al-Lail, Familie 451 Dschamīl 270 Dscharāwa (Berberstamm) 404 Dscharīr 237, 293 Dschassās 129 f. Dschāt (indische Volksgruppe) 245, 313 Dschauhar 382 f. Dschauhar. Mohammed Ali 494 Dschaulān siehe Golan Dschibrāʾīl siehe Gabriel (Erzengel) Dschidda (Saudi-Arabien) 31, 508 dschihād 313, 540 Dschingis Khan 412, 419 f. Dschubrān Chalīl Dschubrān 110, 485, 574 Dschudhām (Stamm) 224 Dschurhum (Stamm) 151 f. Dubai 31, 51, 127, 339, 570 ff., 580 Dulles, John Foster 512 Dūma 25, 63, 85 f., 197 Duraid ibn al-Simma 95, 227 Durrell, Lawrence 565 Edward of Woodstock, der „Schwarze Prinz“ 406 Eisenbahn 488 Eisenhower, Dwight D. 513 Elcho Island (Australien) 441 Eliot, T.S. 23 f. Elisabeth II., Königin 85, 437 Elmusa, Sharif S. 303 En Avdat (Israel) 75 England siehe Großbritannien Enriot, Emile 392 Erdöl siehe Öl Erster Weltkrieg 480, 484, 487, 489, 496, 508 Eugénie, Kaiserin 481 Euphrat 25 ff., 31, 51, 55, 246, 301, 306, 373
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Fāchita 288 Fachr al-Daula, Abbadidenprinz 402 Faisal ibn Husain ibn Ali, König des Irak 489 f., 492, 617 Farhāt, Ilyās 338 Fars 226, 235, 346; siehe auch Persien (Iran) und Perser Farsi siehe Persien (Iran) und Perser Farūq I., König 512 Fatah siehe Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) Fatima 285, 383 Fatimiden, Dynastie 355, 382 ff., 386 f., 396, 404, 607 f., 610 Ferghana 380 Fes (Marokko) 26, 449 f., 481 Fichte, Johann Gottlieb 483 fiqh (islamische Rechtswissenschaft) 341 Firandsch siehe Franken Fishman, Joshua 173 Flüchtlinge 10, 106, 110, 184, 511, 533, 574, 620; siehe auch Migration Franco, Francisco 571 Franken 24, 310, 323, 390, 397 ff., 405 f., 411, 424, 445, 460 f., 510, 585 Frankreich und Franzosen 26, 40, 76, 99, 154, 232, 314, 461 ff., 468, 470, 480 ff., 484, 487, 489 ff., 501, 508, 511, 514 f., 516, 520, 523 f., 538, 549, 561, 567, 574, 614, 616 f., 618 ff., Frente Polisario 547 f. Fruchtbarer Halbmond 13, 21, 50 ff., 53, 55 f., 61, 65 f., 69, 72, 75, 81 f., 87,90, 99 f., 120, 124, 151, 162, 222, 226, 279, 283, 298, 318, 382, 397, 418, 434, 487, 535, 551, 555, 568, 574, 584, 592, 594 Fujian (China) 438 Fukuyama, Francis 208, 500 futūhāt (arabische Eroberungen) 228, 237, 243, 282, 310, 334, 374 Gabriel (Erzengel) 96, 150, 163 f., 167 f., 187, 192 Gaius Plinius Secundus Maior siehe Plinius der Ältere
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ANHANG
Galilei, Galileo 504 f. Gaza und Gazastreifen 25, 31, 154 f., 526, 532, 534, 547, 566, 621, 624 f. Gellner, Ernest 59 Genezareth, See 26, 224 Geniza, Kairo 438 Ghadā (Enkel Muhannā ibn Īsās) 436 Ghassān und Ghassaniden 25, 101, 107 ff., 117 f., 120, 143, 145 f., 153, 171, 176, 184, 192, 207, 222, 224 f., 266 ff., 277, 282, 449, 472, 492, 534, 595 f. Ghazni (Afghanistan) 27 Ghiyāth al-Dīn (Abbaside in Indien) 428, 435 ff., 442 Ghiyāth al-Dīn, Seldschuken-Sultan 373 Ghumāra (Berberstamm) 403 Ghumdan-Palast (Jemen) 209, 227 Ghuzz siehe Oghusen Gibraltar 15, 26, 30, 243, 296, 389, 478, 481 Gibran Khalil Gibran siehe Dschubrān Chalīl Dschubrān Gindibu 19, 62 f., 69, 99, 110, 478, 576 Goa (Indien) 29, 430 Golan, Golanhöhen 25 f., 31, 111, 224, 268, 525, 528, 534, 621 Golf, Arabischer/Persischer 25, 28, 60, 125, 175, 201, 245 f., 306, 380, 433 f., 436, 464, 486 f., 497, 591, 614 Golfstaaten 296, 530, 549, 578, 625 Gonbad-e Qābūs 27 Gorgan (Iran) 27, 393, 572 Goten siehe Westgoten Gottfried von Villehardouin (franz. Geoffroi de Villehardouin) 234 Grammatiker siehe Arabische Sprache Granada (Spanien) 26, 389, 420 f., 423, 438, 452, 612 Graves, Robert 136 Gresik (Indonesien) 430 Griechenland und Griechen 14, 87, 116, 143, 156, 173, 225, 297, 314, 321, 408, 433, 504 Grimsby 409 Großbritannien 15, 21, 51, 53, 94, 99, 262, 460 f., 480 f., 485, 487, 489 ff., 495, 508 ff.,
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514 f., 520, 524, 527, 574, 616 f., 620 f.; siehe auch Britannien und Briten Großer Krieg siehe Erster Weltkrieg Großer Zab, Fluss und Schlacht 27, 301 f., 309 Guadalquivir, Fluss 26, 407 Guangzhou (China) 29, 325, 442 Guevara, Ernesto „Che“ 541 Guinea siehe Poro-Geheimbund (Guinea) Gujarat (Indien) 29, 436 Gutas, Dimitri 320 Gutenberg, Johannes 452, 455, 570 Hadad (Gottheit) 270 Haddad, Fernando 485 Hadīth (Bericht über Mohammeds Reden und Taten) 159 f., 197, 322, 375, 392, 403, 443, 578 Hadramaut und Hadramiten 28, 82, 104, 123, 133, 197, 212 ff., 284, 388, 450 f., 499 f., 594 hadsch siehe Mekka und Mekkaner, Pilgerfahrt Hafis 380 Hagar 150 f., 274, 331, 511 Haikal, Mohammed Hasanain 528 Hais-Bais 337 Halabdscha (Irak) 31, 495 Halliburton, Richard 498 Hama (Syrien) 28, 451, 536 f., 539, 575, 623 Hamadan (Iran) 27, 322 Hamas 547, 566 Hamdān (Stamm) 93 Hamdān Qarmat 354, 607 Hamdaniden 371, 377 f., 607 Hammād al-Rāwiya 269, 281 Hamza ibn Abd al-Muttalib 192 Hanafiten (Rechtsschule) 316 Hangzhou 433 Hanīfa, Banū (Stamm) 177 Hanīfen (vorislamische Monotheisten) 165 ff., 177, 184, 188 Hanzala ibn Safwān 210 Hāritha 145
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Hārūn al-Raschīd, Kalif siehe al-Raschīd, Hārūn, Kalif Hasan al-Tanūchī 278 Hasan ibn Thābit 192 Sultan-Hasan-Moschee 421 Hāschid (Stamm) 57, 70, Hāschim 159, 164, 193 f., 248, 253, 265, 284, 330 Hāschim al-Mirqāl 259 Haschimiten 159 f., 215, 254, 300, 307, 317, 415, 434, 488, 492, 496 f., 501, 510 f., 521, 528, 544, 548, 550, 564, 565 Hāschimiyya-Bewegung 299 f., Hassāniyya siehe al-Maʿqil Hastings (England) 409 Hātib ibn Abī Baltaʿa 264 Haus der Sprachen (Kairo) 465 ff. „Haus der Weisheit“ (Bagdad) 319, 605 Hawāzin (Stamm) 200 f. Haydarī-Derwische 444 Hazila 61 f. Hebräer 65, 73 Hebräische Sprache und Schrift 62, 73, 127, 149, 356, 423, 475 Hedschas 61, 176 f., 208, 487 f., 492, 496 f., 617 f. Hedschasbahn 31, 487 f., 491, 617 Hegra (Madāʾin Sālih) 25, 75, 90 Heliopolis 528 Hellenismus 88, 90, 161, 222, 233, 280, 315, 335, 382, 501, 575, 582, Herakleios, oströmischer Kaiser 222 Herat (Afghanistan) 27, 316 Herder, Johann Gottfried 40, 43, 483 Herodot 64, 74, 323 Hidschra 110, 182 f., 188, 191, 193 f., 241 f., 244, 386, 393, 409, 454, 484 f., 498, 504, 570, 573, 598 Hilāl, Banū 384 ff., 388, 441, 567, 609, Himyar und Himyaren 25, 78 ff., 87, 93, 103 f., 109, 120, 123 f., 153, 171, 273, 276, 402, 415, 593 ff. Hind (Gemahlin des Abū Sufyān) 192, 224, 230, 241, 259 f., 266, 419
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Hind (Lachmidenprinzessin) 227 Hind bint al-Chuss 69 Hindi, Sprache 440 Hinduismus 346, 444 Hirāʾ, Berg 163, 167 Hisbollah 566 Hischām, Kalif 114, 269, 272, 281, 303 f., 308, 387 Hitti, Philip 38, 86, 231, 233, 304, 538 Hittīn, Schlacht von 577, 585 Holden, David 515 Holland siehe Niederlande Holocaust 511, 525 Homer 92, 453, 536 Homs 26, 223 Hongkong 434, 438, 534 Hormus, Straße von 15, 25, 27, 29, 31, 51 f., 125, 478 Hourani, Albert 17 f. Hoyland, Robert 62, 77 Huart, Clément 166 Hubal (Gottheit) 152, 157 Hudschr (Anführer der Kindī) 130 f. Hülegü 413 f., 419 f., 463, 513, 575 Huntington, Samuel 581 Huraqa 227 Husain ibn Ali ibn Abī Tālib Husain ibn Ali, Scherif (König des Hedschas) 101, 487, 490, 492, 496, 617 f. Hussein, Saddam 9, 290, 362, 493 f., 522, 534, 545, 623 Hussein, Taha 71, 132, 137, 501 ff., 518, 581, 584, 618 Huthis 362, 544, 564 f., 579, 581 Ibn al-Athīr 412 Ibn al-Furāt 322 Ibn al-Hanafiyya siehe Mohammed ibn Ali ibn Abī Tālib Ibn al-Kalbī 62, 149, 177 Ibn al-Maghāzilī 312 Ibn al-Muqaffaʿ 358 Ibn al-Muʿtazz, Abdallah (Eintageskalif) 369 Ibn al-Nadīm 314, 321
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ANHANG
Ibn al-Qalāqis 410 Ibn al-Wardī 419 Ibn Arabī 46 f., 323, 444 Ibn Bassām 369 Ibn Battūta 417, 421, 425, 428 f., 431 ff., 435, 438 f., 441, 444 f., 457, 575, 612 Ibn Chaldūn 17 ff., 38, 41, 45, 57, 65, 105, 119, 127, 173, 208, 229, 231, 240, 253, 257, 278 f., 328, 340, 374 f., 377, 385 f., 388, 401 f., 405, 415, 419 f., 423, 443, 464, 568, 612 Ibn Challikān 249, 290, 347, 404, 570, 610 Ibn Dschubair 399, 409 ff., 413, 415 Ibn Hazm 389 Ibn Hischām 163, 181 Ibn Iyās 447 Ibn Nubāta 323 Ibn Qutaiba 174 Ibn Raschīq 137 Ibn Ruschd 389 Ibn Saud, König siehe Abd al-Aziz Ibn Saud, König Ibn Schubruma 249 Ibn Taimiyya 469 Ibn Wahb 305, 347, 353 Ibn Wāsil 410 Ibn Zamrak 421 Ibrāhīm (Abraham) 274, 503 Ibrahim ibn Mohammed 162 Ibrahim Pascha 466 Ichschididen 380 ff., 466 Ichwān al-safāʾ („Brüder der Reinheit“) 355 Idrisiden 311, 604 Idschl ibn Saʿd al-Lāt 90 idschtihad 313, 343 Il (Gottheit) 84 Ilmaqāh (Gottheit) siehe Almaqāh Imamat 299, 317 f., 496 imān (Glaube) 203 f., 208 Imruʾ al-Qais ibn Amr, „König aller Araber“ 112, 401, 488, 594, 596 Imruʾ al-Qais ibn Hudschr (Hundudsch ibn Hudschr) 212, 216, 320, 422, 549, 569
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Indien und Inder 50 f., 144, 265, 284, 293, 305 f., 311, 313, 319, 323, 330, 340, 346 f., 356, 374, 380, 421, 428 ff., 433 ff., 437, 439 ff., 444, 446, 450, 452, 463, 480 f., 492, 494, 496, 511, 611 Indischer Ozean 42, 52, 60, 82, 243, 428 ff., 463, 612 Indonesien 451 Ingrams, Doreen 581 Ingrams, Harold v, 23, 499 f. Kinolhas, Insel 30, 430 intifāda 547, 585, 623 Iqbal, Mohammed 139 Irak und Iraker 10, 30, 50, 66, 100, 105, 112 ff., 123, 125, 157, 201, 226, 230, 236 f., 245, 248, 251, 255, 257, 261, 263, 269, 285 ff., 296, 298 ff., 306, 312, 321, 354, 369 f., 379, 405, 412 f., 415, 418, 433, 470, 478, 483, 491 f., 494 f., 505, 510 f., 517, 520 ff., 537 f., 540, 542, 545 ff., 550 f., 555, 557 f., 566 f., 574, 594, 599, 602, 606 f., 617 ff., 621, 623 ff. Iram (verschollene Stadt) 60 Iran und Iraner 127, 173, 198 f., 201, 207, 230, 232, 237, 286, 317, 322 f., 353 ff., 362, 370 ff., 379 f., 393, 398, 405, 414, 430, 541, 545 f., 564 ff., 578 f., 603, 622 f., 625-; siehe auch Persien (Iran) und Perser; Sassanidenreich Iran-Irak-Krieg (Erster Golfkrieg) 623 Irgun 510 Isāf (Gottheit) 157 „Islamischer Staat“ 89, 125, 194, 199, 235, 259, 471, 534, 543, 548, 576, 581, 625 Isle of Mull (Schottland) 44 Ismael siehe Ismāʿīl Ismāʿīl (Ismael/Ishmael) 150 f., 159, 163, 274 ff., 282, 503, 548, 574, 602 Ismail Pascha 468 Ismailiten 355, 607 f. Israel und Israelis 9 f., 30 f., 493, 510 f., 514 f., 520, 525 f., 528, 532 ff., 538, 542, 545, 547 f., 559, 566, 573, 578 f., 620 ff. Istachr (Iran) 27, 235
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Istanbul; siehe auch Konstantinopel 31, 147, 466, 471 ff., 479, 481, 487, 490, 578 Italien und Italiener 16, 39, 42, 406, 408, 455, 464, 468, 567, 609, 619 Iyād (Stamm) 152, 224, 234 Iyād ibn Ghanm 234 Jain-Tempel 431 Java (Indonesien) 430, 432 Jeanne d’Arc 524 Jemen und Jemeniten Jericho 26, 303 Jerusalem 25, 26, 31, 50, 188, 288, 373, 398, 447, 452, 510, 525, 532 f., 598, 601, 609, 620 f. Jesaja 164 Jesus 157 f., 176, 189, 314, 347, 357 Johannes von Damaskus, Heiliger 223 Jordanien; siehe auch Transjordanien 31, 66, 87, 521, 525 f., 528, 542, 599, 621 f. Juden und Judentum 35, 85, 122, 142, 149, 162, 170, 176, 180, 184 ff., 187 ff., 198, 204, 208, 223, 288, 344 f., 398, 408, 421, 438, 449, 489, 501, 510 f., 525, 541, 584, 586, 598 Jugoslawien 552 Jungtürken 479, 482, 617 Jupiter (Gottheit) 178, 270 Juvenal (Dichter) 88 Kaaba in Mekka 139, 148 ff., 152 f., 155 ff., 167, 176, 186, 188, 190, 195, 197, 209, 287 ff., 291, 332, 355, 405, 442, 444, 548, 583, 597 Kaaba von Nadschrān 157 Kaaba von Sindād 157 Kabul 27, 246, 273, 311, 316, Kadmos (König) 170 Kāfūr, Abū al-Misk 380 ff., 406, 481, 608 kāhin und kāhina (Wahrsager und Wahrsagerinnen) 41, 72, 105, 108, 127, 146, 163 f., 168 f., 173, 195, 218 f., 266, 394, 515 Kailukari 432, 441 Kain 56
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Kairo 20, 26, 31, 46, 286, 308, 376, 383 f., 386 f., 389, 393, 395 ff., 404 f., 410, 417, 421, 428, 438 f., 442, 446 f., 452, 454 f., 457, 460 ff., 467, 471, 480 ff., 488, 507 f., 512, 514, 516 ff., 520 ff., 527, 529, 532, 540, 559 ff., 567, 608, 610, 612, 613 ff., 620, 623 Kairouan (al-Qairawān) 243, 245, 601 Kalabrien 26, 410 Kalbiden 402 Kalif, Bedeutung 215 Kalifat, Institution 125, 221, 254, 257, 261, 263 ff., 271 f., 274, 285, 287 ff., 298 f., 302, 307 f., 314 f., 317 f., 327 f., 331 f., 352, 365, 367, 369, 372 f., 387 ff., 396, 401, 403 f., 410, 414, 422, 431, 437, 447, 496, 584, 601, 607 f., 610 f. Kalikut 451 Kalkutta 29, 480 Kalter Krieg 22, 64, 463, 512, 514 f., 521, 525, 541 f., Kamele 19 f., 39, 46, 56, 59, 62 f., 67 ff., 72, 76 ff., 82, 84, 87, 89, 90, 96 ff., 110, 114, 116, 128 f., 135, 137 f., 141, 153, 156 ff., 178, 187, 192, 217 ff., 222, 228 ff., 232, 243, 250, 301, 309, 322, 338, 340, 342, 357 ff., 393, 401, 409, 423 f., 442, 448, 451, 478, 487, 498, 500 f., 507 f., 525, 531, 567, 591 ff. Kangaba (Mali) 28, 442 Kapmalaiisch 440 Kārim, Händler 434, 611 Karl II., englischer König 524 Karmaten siehe Qarmaten Kaschgar (China) 27, 373 Kaspisches Meer 232, 281, 299, 370, 380, 393, 412 Kassir, Samir 537 f. Kastilien-León 407 Kastilien und Kastilier 26, 330, 408, 612 Katharina von Braganza 524 Kaukasus 373, 416 f., 438 Kenia 441 Kennedy, Hugh 228 Kerala (Indien) 51, 430, 444, 451 Kerbela (Irak) 27, 31, 470 Kerouac, Jack 110
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ANHANG
Khajuraho (Indien) 29, 444 Khartum 31 Khashoggi, Jamal 578 Kilito, Abdelfattah 361 Kilwa Kisiwani (Tansania) 28, 429, 434, 611 Kinda (Stamm) 90 f., 97, 103 f., 112, 117, 130 ff., 143, 151, 197, 200, 202, 207, 212 ff., 320, 593 ff. Kipling, Rudyard 467, 480 Kiptschak (auch: Qiptschaq, Kiptschaken) (Turkvolk) 382, 416 f. Kirgisistan 382 Kisch, Insel (Iran) 433 f. Keschk, Mohammed Galal 583 Kleopatra 88 Klientelkönige, -königinnen und -dynastien 101, 111 f., 117, 120, 124 f., 131, 171, 176, 277, 594 f., 597 Kollam (Indien) 29, 430 Kolumbus, Christoph 452 „Komitee zum Gebot der Tugend und Verbot von Lastern” 499 Komoren 28, 451, 506 Konstantin V., byzantinischer Kaiser 271 Konstantinopel, siehe auch Istanbul Kopfsteuer 234 f., 236, 238; siehe auch dschizya Kopten 223, 292, 295, 323, 509 Koran 15 f., 36, 41, 43, 45, 55 f., 60 f., 76, 83, 86 f., 93, 106, 108 f., 114, 116, 118, 122 f., 127, 136 f., 141 f., 148 ff., 184 f., 189 ff., 196, 198, 202 f., 207, 221, 233, 241, 250, 252 f., 260, 266, 268, 272, 274, 280, 292, 314, 316, 320 f., 330, 333, 342 ff., 358, 362, 375, 379, 403, 423, 428, 430, 442 f., 445, 452, 462, 469, 474, 490, 499, 502 f., 505, 516, 539, 543, 552, 558, 597, 599 f. Kreuzzüge und Kreuzritter 247, 302, 396 ff., 405 f., 412, 510, 609 Krim 26, 417, 419 Krischna (Gottheit) 22, 432 Ktesiphon 25, 27, 225, 308 f. Kulaib (Anführer der Taghlib) 128 ff., 135, 188, 291 Kumya (Berberstamm) 403
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Kurden 383, 397, 404 ff., 494, 550 Kuwait 30 f., 492 f., 529, 538, 545 f., 623 Labīd 115 Lachm (Stamm) und Lachmiden 100 f., 112 ff., 116 ff., 120, 124, 128 f., 131, 143, 145 f., 153, 170 f., 176, 184, 222, 224, 226 f., 267, 277, 328, 337, 372, 401 f., 418, 449, 492, 594 ff. Lar (Iran) 28 f., 430 Laroui, Abdallah 558 Latein 16, 47, 73, 93, 114 ff., 139, 170, 205, 280, 294, 389 f., 408, 452 ff., 474 ff., 561, 572, 619 Lawrence, T.E. 136, 491, 505, 565 Lean, David 529 Leeres Viertel 54, 486 Leo V., der Armenier, byzantinischer Kaiser 315 Levante 50, 52, 73, 88, 111, 154, 195, 201, 234, 302, 306, 323, 354, 373, 396 f., 401, 406, 420, 434, 448, 455, 472, 477, 484 f., 497, 510 f., 611, 616 Lévi-Strauss, Claude 170, 196, 225, 573 Lewis, Bernard 243 Libanon und Libanesen 455, 480, 484 f., 491 f., 505, 510 f., 535, 544, 566, 618 f., 622 f. Libyen 10, 30, 105, 500, 527, 547, 551, 566, 619 London 480, 489, 529, 537, 568 Lunt, James 524 Luxor (Ägypten) 395 Maʿadd (Stamm) 239 Macdonald, M.C.A. 67 Machzūm, Banū (Clan) 421 „Macoraba“ (=Mekka?) 151 Madāʾin Sālih siehe Hegra Madhhidsch (Stamm) 103 f., 386, 594 Maghreb und Maghrebiner 298, 324, 373, 377, 441, 464, 482, 501, 509, 523, 559, 567 mahmal (symbolische, von Kamelen getragene Pilgersänfte) 507 f. Mahmud von Ghazni 374
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Register
Maʿīn (Jemen) siehe Minäer Majapahit, Reich 432 Makassar (Indonesien) 441 Malabarküste (Indien) 450 Malakka (malaiisch Melaka) 29, 52, 424, 435 Malé (Malediven) 29, 439 Malediven 428, 444, 451 Malerei 424 Mali 438 f., 444 f., Mālik ibn Anas 273 Mālik ibn Nuwaira 216, 218 Malik Schah 373, 375 Mamluken (Militärdynastie) 308, 382, 395, 397, 416 ff., 420, 424, 436, 447, 460 ff., 466, 507, 509, 610 f., 614 Manāf (Gottheit) 162 Mandelstam, Ossip 414 maqāmāt (Erzählungen in rhythmischer Reimprosa) 423 f. Maʿqil (Stamm) 612 Marcus Antonius 89 Mardsch al-Suffar, Schlacht von 224 Maria 157, 164, 176 Marianus 223 Maʾrib 55, 81 ff., 105 ff., 108 f., 119, 127, 129, 484, 503, 592, 595, 597, 623 Marokko und Marokkaner 30, 119, 122, 233, 280, 311, 338, 360, 385 f., 401, 420, 428, 438 f., 474, 480, 482, 493, 495, 523, 540, 542, 546 f., 549, 558, 559, 604, 612 f., 617 f., 620, 624 Maroniten 112, 544 Marwān ibn al-Hakam, Kalif 288 Marwān II. ibn Mohammed, Kalif 89, 301 f. Marwaniden (Umayyaden-Dynastie) 288 Marxismus und Marxisten 220, 362, 535 Marzouki, Moncef 175 Maschhad (Iran) 27, 317 Maschrik 324, 377, 464, 482, 488, 491, 501, 509, 523, 559 Maskat (Oman) 27, 31, 336, 449, 450 Masmūda (Berberstamm) 421 Matagalpa (Nicaragua) 485
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aulā („Klient“ oder Neumitglied eines arabischen Stammes) 239 f., 294 ff., 300, 312, 316, 333, 340, 354, 361, 390, 531, 550 Mauretanien 26, 30, 336, 386, 612 Mazedonien 466 Medien (antike Region) 173 Medina (al-Madīna/Madīnat Rasūl Allah) 27, 31, 34, 37 f., 48, 80, 86, 110, 125, 150, 155, 158, 166 f., 169 f., 176, 182 ff., 213, 215, 218 ff., 223, 226 f., 229, 231, 234, 237 ff., 241 f., 244, 249 ff., 253, 255, 257, 261,268, 283, 285, 310, 388, 390, 404 f., 415, 420, 442, 446, 469 f., 473, 487, 498, 504, 539 f., 543, 557, 584, 598 ff., 613, 617; siehe auch Yathrib Medresen 375 f., 380, 421, 464, 609 Mekka und Mekkaner 25, 27 f., 31, 34 f., 59, 61, 64, 84, 86, 93, 112, 114, 123, 141, 145 f., 148, 150 ff., 165, 169 ff., 175 ff., 181 ff., 199, 202, 204 f., 209, 214, 222, 228, 232, 234, 237 ff., 244, 249, 252 ff., 258, 263 f., 268, 274, 276, 281, 287 f., 295, 298, 304, 307, 309, 312, 316, 329, 332, 337 f., 346, 355, 362, 374, 382, 396, 398 f., 428, 435, 441 f., 444 ff., 460, 487 f., 496, 498, 504, 507 f., 530 f., 548, 569, 584, 594 ff., 601, 607, 613 f., 618, 622 Melaka siehe Malakka Memphis (Ägypten) 87 Menem, Carlos 485 Mercien (England) 306, 309, 604 Merw (Turkmenistan) 27, 243, 411 Mesopotamien 25, 27, 31, 54, 75, 234, 262, 267, 308, 312, 373, 491, 584 Midlands (England) 22, 306 Migration 51, 151, 241 f., 248, 274, 384 ff., 402, 438, 450 ff., 484, 504, 511, 530, 538, 604, 612, 625 Mihradschān (Iran) 350 f. Milton, John 557 Minäer 82, 87, 90, 593 Ming-Revolution 446 Mithraskult 355
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ANHANG
Mittelmeer 25, 52, 53 f., 87 ff., 154, 162, 316, 382, 385 f., 399 f., 404, 408, 410, 421, 433, 445, 447, 463, 464, 472, 485, 491, 495, 511, 515 mkrb (Titel sabäischer Herrscher) 85, 151, 188 Mogadischu (Somalia) 28, 430, 451 Moguln 265, 380, 435 Mohammed al-Badr ibn Ahmed Hāmid alDīn, Imam 523 Mohammed Ali Pascha 382, 397, 416, 455, 465, 467, 470, 472, 479, 497, 615 Mohammed ibn Abd al-Wahhāb 403, 468 f. Mohammed ibn Ali ibn Abī Tālib (Ibn al-Hanafiyya) 299 Mohammed ibn Saʿūd 469 Mohammed Schah ibn Tughluq, Sultan von Delhi 435 ff. Mohammed ibn Tūmart 403 Mohammed Schams al-Dīn, Sultan (der Malediven) 451 Mohammed, Prophet 12, 16, 20, 34 ff., 40 f., 44, 48, 70, 74, 84, 95 f., 98, 106, 108, 110, 123 f., 127, 135 f., 139, 141 f., 146, 148 ff., 182 ff., 212 ff., 221 f., 231, 236, 242, 252 f., 261, 264 ff., 268 f., 275, 280, 283, 285, 295, 299, 306 f., 312 f., 323, 346, 351, 355, 360, 372 f., 375, 390, 394, 403, 405, 431 f., 444, 448, 469, 506, 540 f., 563, 586, 596 ff. Mongolen 58, 69, 240, 248, 280, 302, 327, 395, 397, 412 ff., 416, 418 ff., 433 f., 436, 464, 513, 537, 575, 610 f. Monophysiten 111, 223 Monsun 52, 54 f., 433 More, Sir Thomas 190 Morris, Jan 23 Mosambik 28, 52, 445 Moses 45, 185 Mosul 27, 31, 95, 407, 412, 423, 574, Moussa, Salama 518 Mozaraber 391 Muʿādh ibn Dschabal 197
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Muʿāwiya ibn Abū Sufyān, Kalif 195, 214, 255, 258 ff., 263 ff., 273, 284 f., 287, 292, 295, 298, 301 f., 546, 601 Muʿāwiya II. ibn Yazid, Kalif 287 Mubarak, Husni 550 mubāyaʿa (Treueeid) 556 Mudar (Stamm) 120, 152, 247, 415 Muhannā ibn Īsā 418, 436 Muʿizz al-Daula 371 f. Münzprägung 350, 390 Murcia (Spanien) 26, 407 f. Mursi, Mohammed 555 murūʾa (Ehre) 138 Mūsā ibn Nusair 296 Mūsā ibn Schākir 315; siehe auch BanūMūsā-Brüder Musʿab ibn al-Zubair 263 Musailima 218 ff., 598 f. Muslimbruderschaft 517, 537, 564, 625 Muslime siehe Islam Mussolini, Benito 501 Mustansiriyya-Medrese 376 Muʿtazila 313 f., 343, 606 Muwahhidūn (Unitarier) 403, 469, 471, 539; siehe auch Almohaden, Wahhabiten Muza (Jemen) 25, 87 Myrrhe 61, 87 nabat („Nabatäer“, z. B. Nichtaraber im Irak) 89, 113 Nabatäer 53, 78 ff., 113, 292, 295, 592 Nadschd 92, 312, 384, 468 f., 496 f. Nadschrān 25, 100, 103, 122, 141, 157, 200; siehe auch Kaaba von Nadschrān Nafīsa, Saiyida 405, 442 Nagib, Muhammad, General 512, 514 Naipaul, V[diadhar] S[urajprasad] 265, 294 Napoleon Bonaparte 229, 397, 455, 460, 462 ff., 478, 480, 507, 509, 526, 555, 561, 614 nasab siehe Genealogie Nasriden-Dynastie 420 ff. Nasser, Dschamāl Abd al-Nāsir (Gamal Abdel Nasser) 275, 382, 507 ff., 538 ff., 547, 559, 586, 620 f.
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Nationalismus 16, 43, 92, 101, 119, 194, 284, 286, 295, 335, 362, 464, 471, 473 f., 479, 483, 487 ff., 490, 495, 501, 509, 518, 522, 544 Nationalsozialismus 510 Nava Vihāra siehe Nawbahār Navarra (Spanien) 388 Nawbahār (Nava Vihāra) 328 Nebukadnezar 184 Negev 25 ff., 75, 223, 593 Nehāwand, Schlacht bei 27, 230 f., 600 Nelson, Horatio, 1. Viscount Nelson 463 Nestorianer 112 Neuplatoniker 319, 355 New York 541, 557 Nicaragua 485 Nicholson, Reynold 40, 390 Niederlande 529, 574 Nietzsche, Friedrich 110 Niger (Fluss) 428 Nigeria 73, 441 Nikephoros I., Kaiser 266 Nil 25, 26, 31, 245, 255, 342, 381, 396, 463 Nischapur 27, 322 Nizām al-Dīn, Sufi-Heiliger von Delhi 442 Nizām al-Mulk 375 f., 392, 609 Nizāmiyya-Medrese 376 Nizārīs („Nord-Araber“) 247 f., 282 Noah 73 Nomaden 19 f., 36, 46 f., 52, 63, 67, 71, 73, 69, 79 ff., 104 f. 107, 111, 161, 219, 242, 335 ff., 385, 418, 471, 499, 591, 593; siehe auch badāwa Nordafrika siehe Maghreb und Maghrebiner Normannen 57, 402, 408, 609 Nowak, Martin 571 Nubier 305 Nusaib ibn al-Rabāh 282 Nusairier siehe Alawiten Offa, König von Mercien 22, 306, 390, 604 Oghusen (türkischer Stammesverbund) 372 O. Henry 313 Öl siehe Erdöl
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Oman 30, 51, 74, 232, 284, 450, 463, 493, 497, 524 f., 548, 559, 564, 620 Omar Chayyām 375 Organisation erdölexportierender Länder (Organization of Petroleum Exporting Countries, OPEC) 529 Orontes (Fluss) 25, 31, 88, 536 Orwell, George 504, 587 Oslo-Abkommen 533, 624 Osmanisches Reich und Osmanen 11, 21, 43, 126, 362, 377, 382, 421, 424, 446 ff., 452, 456 f., 460, 463 f., 466 ff., 479 ff., 486 f., 489 ff., 496 f., 500, 507, 509, 519, 559, 612 ff. Ostindien-Kompanie 154, 243 Ostindische Inseln 396, 435, 441, 452 Otto I., römisch-deutscher Kaiser 373 Owens, Jonathan 73 Oxford 18, 491 Oxus (Fluss) 27, 226, 299, 373, 379 Pahlavi (Pehlewi) mittelpersische Sprache 277, 318; siehe auch Persien (Iran) und Perser Pakistan 47, 50, 232, 602; siehe auch Sindh Palaiologen-Dynastie 421 Palästina 10, 30 f., 81, 224, 304, 416, 486, 489, 491 f., 494 f., 501, 505, 509 ff., 520, 525, 532, 534, 548, 566, 591, 611, 617 Palästinensische Befreiungsorganisation (Palestine Liberation Organization, PLO) 533, 621 Palermo 26, 406, 409 f. Palgrave, Gifford 134 Palmyra und Palmyrer 88 ff., 99 f., 151, 161, 423, 584, 593 f. Pamir (Gebirge) 42, 273 Panarabismus 12, 16, 471 ff., 477, 496, 505, 517 f., 520, 527, 532, 535, 540, 542, 544, 549, 558 Papier, Herstellung und Verwendung von 16, 280, 316, 320 ff., 474, 516, 603 Papyrus, Herstellung und Verwendung von 279 f., 316, 320 f., 521 Paris 573, 615 f.
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ANHANG
Pasai (Fluss) 29, 428 Periplus Maris Erythraei 87 Perlis (Malaysia) 29, 451 Persien (Iran) und Perser 21, 40, 99, 101 f., 103, 105, 112 f., 125, 182, 201, 207, 222, 225, 244, 268, 287, 301, 306, 308, 322 f., 355, 369, 379, 419, 433, 446, 546, 594, 597; siehe auch Iran; Sassanidisches Reich Petra 25, 53, 88, 90, 99 f., 151, 592 Petrarca, Francesco 408 f., 476 Philby, Harry St. John Bridger 498 Philipp der Araber (Philippus Arabs), Kaiser 88, 594 Philippinen 29, 432 Phönizier 566 Pilgerfahrt 83, 154, 206, 251, 272, 329, 335, 347, 435, 442, 507, 528, 530 f.; siehe auch Maʾrib; Wallfahrt; Mekka und Mekkaner Platon 319, 355 Plinius der Ältere (Gaius Plinius Secundus Maior) 87, 110, 450 Pompeji 77, 136 Pontius Pilatus 532 Poro, Geheimbund (Guinea) 445 Portugal und Portugiesen 273, 446, 450 ff., 612 Prediger siehe chatīb Prokopios, griechischer Historiker 100 Propaganda, arabische 15, 40, 142, 198, 218, 286, 302, 383, 413, 455, 462, 477, 565, 572 Prophetie und Propheten 16, 80, 92, 108, 114, 127 f., 146, 153, 159, 164 f., 177, 193, 201, 207 ff., 218 ff., 234, 237, 258, 275, 279, 341, 353, 504, 515, 598 f. Prosa auf Arabisch 45, 108, 118, 126, 141 f., 218, 297, 319 f., 258, 409, 411 f., 423 f., 479, 486 Protestantismus 456, 474 Ptolemäus, Claudius 110, 151 Pyrenäen 42 Pythagoräer 355 Qabbānī, Nizār 531 f., 549, 571, 577 f. qabīla und qabīlīs (Stämme und Stammesan-
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gehörige) 11, 56 f., 59, 96, 276, 282, 328, 338, 484, 552 Qābūs ibn Saʿīd, Sultan 524 Qābūs ibn Wuschmagīr, Sultan 392 ff., 572, Qahtānīs („Südaraber“) 57, 382; siehe auch Südaraber Qais (Gottheit) 131 Qais (Stamm) 247 Qalam (Musikerin aus Córdoba) 388 Qarmaten 354 ff., 362, 369, 382, 384 qariya (Karawanenhandelsplatz) 112, 161 f. Qaryat al-Fau 90; siehe auch Qaryat Dhāt Kahl Qaryat Dhāt Kahl 25, 90 ff., 103, 112, 117, 130, 212, 236, 584, 593 qasīda (Gedicht) 140 f. Qasim, Abd al-Karim 521 Qatabān und Qatabanier 82, 104 qaumiyya siehe Nationalismus Qīdār (Stammesverband) 63 f., 76, 85 f., 592 Qirwāsch 95 f. Quanzhou (China) 29, 407, 438 Qudāʿ a (Stammesverband) 247 Quraisch (Stamm) 34, 70, 139 ff., 148 ff., 152 ff., 157, 159 f., 162, 164, 169, 171, 181, 194 ff., 214 ff., 218, 220, 228, 233, 238, 243, 247, 254 f., 257 f., 261, 265, 283 f., 295 f., 307, 314, 330, 332, 355, 361, 372, 383, 386 f., 389, 391, 400, 403, 410, 415, 421, 469, 488, 496, 546, 564 f., 595, 600 Quraiza, Banū (Stamm) 189 Qurʾān siehe Koran Qūs 26, 395 Qusair Amra 26, 268, 296, 303 Qusaiy 152 f., 157, 159, 195, 595 Quss ibn Sāʿida 141, 205, 597 Qutaiba ibn Muslim 298 Qutb Mīnār 394 Qutham ibn al-Abbās 232, 442 Qwls (Warlords) 128, 284 Rabīʿa (Stamm) 96, 120, 247 Rabin, Yitzhak 533, 624 Rahmanismus 163 Rauh ibn Hatim 310
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Register
Recife 407 Reconquista („Rückeroberung“) 396, 400 ff., 420 f. Religion, vorislamische 86, 138 f., 149 ff., 156 f., 166, 205, 216, 236, 326, 346, 418, 503 f. Renaissance, europäische 320, 389, 463, 474 Renan, Ernest 109 Retsö, Jan 71, 175 Rhetorik 15, 22, 37, 46, 121, 126 ff., 133, 136, 142, 146, 229, 234, 282, 289 f., 299, 358 f., 365, 394, 493, 526, 568 Rhodes, Cecil 434 Riad (Saudi-Arabien) 31, 125, 578 Ridda-Kriege siehe al-ridda Rifkrieg 495 Roderich, König der Westgoten in Hispanien 268, 296 f. Rogan, Eugene 538 Roger II., König (von Sizilien) 409, 609 Rom, Römer und das Römische Reich 21, 24, 40 f., 61, 77, 87, 89, 99, 100 ff., 113, 171, 222, 225, 229, 233, 244 f., 267, 274, 284, 314, 358, 391, 409, 421, 448, 487 f., 492, 496, 543, 556, 578, 593 f.; siehe auch Byzantinisches Reich und Byzantiner Romanow-Dynastie 542 Rostam siehe Rustam Rotes Meer 123, 174, 433, 480, 508, 511 Royal Air Force (Luftstreitkräfte des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland) 500 Rundfunk 482, 516 Rushdie, Salman 144, 392, 485 Russland und Russen 314, 438, 480, 542, 566, 579, 625 Rustam (Rostam) 225 f., 237 Rwala (Stamm) 68 Saba (Sabāʾ) und die Sabäer 25, 65, 74, 78 ff., 81, 83 ff., 104 f., 122 f., 130, 178, 227, 283, 361, 462, 565, 592, 594 Sabier 584 Sabra und Schatila, Massaker in den Lagern von 545
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Sabta (Ceuta) 28, 438 Sacharow, Andrei 566 Saʿd ibn Abū Waqqās 442 Saʿd ibn Bakr, Banū (Stamm) 160 Saddam Hussein (Saddām Husain) 9, 290, 362, 493 f., 522, 534, 545 f., 557, 623 Saʿdī 380, 431, 433 f. sadschʿ (rhythmische arabische Reimprosa) 108, 118 Sadschāh (selbsternannte arabische Prophetin) 219, 258 Safaitische Sprache 67, 74, 77, 89, 91, 98, 139 f., 240 Safawiden-Dynastie 380, 446 Saffariden-Dynastie 379 f., 606 Sahara 30, 311, 396, 438, 495, 547 Sahel 438 Sāhib ibn Abbād 322, 342, 393, 423 Sahlins, Marshall 21 Said, Edward 172, 323 Saif al-Daula 378, 381 Saif ibn Dhī Yazan, himyarischer Aristokrat 124, 132 saiyid (Stammesführer, vornehmer Herr) 126, 131, 146, 189, 195, 215, 290 Saladin (Salāh al-Dīn Yūsuf ibn Ayyūb), Sultan 330, 374, 376, 396, 404 ff., 416, 430, 536, 577, 610 Salafismus 539 Salih, Ali Abdullah siehe Ali Abdallāh Salih Salmān al-Fārisī 360 Salmanassar III., König 62 Salomo, König 87, 283 Samarkand (Usbekistan) 27, 103, 231, 273, 310, 327, 438, 442 Samarra 27, 364, 605, 607 Samudra-Pasai (Sultanat Pasai) 29, 428, 431, 435 Sanaa 9, 18, 25, 27, 31,209, 518, 560, 572, 574, 579 Sanhadscha (Berberstammesgruppe) 401 Sansibar 28, 434, 450 Sanskrit 72, 95, 205, 280, 318, 328, 340, 435, 441 Santayana, George 261, 510 sanyasin des Naga-Kultes 444
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São Paulo 338 „Saqāliba“ (europäische Sklaven in al-Andalus) 295, 401 Sarah 332 Sarandib siehe Sri Lanka Sarazenen 405 Sassanidenreich 112, 124, 145, 158, 180, 225, 227, 238, 488, 594; siehe auch Persien (Iran) und Perser Satīh 127, 158 f. Saudi-Arabien und Saudi-Araber 363, 493, 497, 499, 505, 510, 522 f., 528 ff., 542, 552 f., 578 f., 594, 619, 621 Sawākin (Sudan) 28, 439 schaʿb (sesshafte Bevölkerung) v, 11, 56 f., 59, 84 f., 92, 96, 100, 178 f., 187 f., 216, 240 f., 276, 282, 328, 478, 484, 552 f., 561 schahāda, Bedeutung von 142 f. Schāh-i-Zinda/Shohizinda siehe Quthām Schaiba, Banū (Clan) 148, 195 Schaibān (Stamm) 239 schāʿir (Wahrsager; später Dichter) 39, 91, 126, 131, 146, 195 Schamsī, Königin 63 f., 592 scharīf (Titel für einen Prophetennachkommen) 354, 488, 497 Schauqī, Ahmed 248, 283 Schia (Schīʿa) und Schiiten 35, 66, 125, 160, 253, 256, 258, 260, 264, 384, 544, 550, 600 f., 605; siehe auch Sunna und Sunniten Schiras 27, 371, 380 Schīrkūh, kurdischer Militärführer 404 Schiwa (Gottheit) 444 Schuʿūbiyya / Schuʿūbīs (kulturelle Unabhängigkeitsbewegung) 357 ff., 379, 544, 561 „Schwarzer September“ (1970) 528, 622 Schwarzes Meer 416 Seidenstraßen 419 Seldschuken (Dynastie) 372 f., 375, 379, 398, 419, 448, 608 f. Sem (Sām) 65, 72, 275 Semar (javanischer Geist) 432 Semiten 66, 69, 84 Semitische Sprachen 52, 71 ff., 79, 81, 151, 245, 441, 453, 591; siehe auch einzelne Sprachen dieser Sprachgruppe
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Sergius 278 Sevilla 26, 388, 401, 610 Schammar, Himyarenkönig 103 ff. Sharif, Omar 529 Sharp, Cecil 335 Shehadeh, Raja 511, 533, 563 Sidschilmāsa (Marokko) 28, 439 Sidschistān siehe Sistan „Sieben Schläfer von Ephesus“ 543 Siffīn, Schlacht von 214, 258 f., 260 ff., 268, 286 f., 301, 316, 600 Sikh 441, 445 Silhin 123 Sinai 25 f., 31, 51 f., 274, 532, 591, 621 Sindh 47, 226, 232, 234, 237 f., 243, 281, 310, 312, 323, 438, 440, 543, 602 Sindschār 27, 315 Singapur 29, 434, 450 f., 534 Sistan 237, 379 siyāsa (Haltung und Dressur von Pferden und Kamelen etc.); in weiterem Sinne „Politik“) 46 Sizilien und die Sizilianer 26, 382, 402, 406, 408 ff., 609, Sklaven und Sklaverei 71, 145, 160, 203, 206 f., 237, 239, 252, 293, 296, 300, 312, 316, 331, 333, 351, 352 ff., 356, 359 ff., 363, 367, 371, 379 ff., 391, 396, 401, 412, 414, 416, 421, 436, 450, 481, 604 f., 606, 610; siehe auch Mamluken Slawen 295, 401 Sokotra (Insel) 25, 74, 490, 570 Solschenizyn, Aleksandr 566 Somalia 506, 556 Soueif, Ahdaf 46, 562 soziale Medien und Massenmedien, arabische 17, 196 ff., 477, 559 f., 571, 578, 624 Sozialismus 251, 522, 548 f. Spanien 234, 268, 296, 298, 311, 330, 356, 387 ff., 396, 399 ff., 406 ff., 420, 438, 469, 495, 555, 571, 604, 606 ff., 612; siehe auch al-Andalus Spanisch-Sahara siehe Westsahara Sri Lanka 50, 323, 430 Stack, Sir Lee 495
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Stämme, arabische v, 11 ff., 17 ff., 33 f., 36 ff., 46, 51, 57, 60 f., 63 f., 78 ff., 103 f., 106, 109 ff., 120, 123, 125 f., 128, 130 ff., 140 f., 143 ff., 149, 152, 154, 156, 159 f., 183 f., 186 ff., 196 f., 200, 202, 207, 212 f., 214 ff., 228, 231, 236 ff., 242 f., 245 ff., 259, 265, 267, 274, 276, 281 ff., 294 f., 312, 333, 337 f., 340 f., 357, 362, 379, 386, 388, 402, 415 f., 418, 448, 457, 463 ff., 469 f., 474, 487, 492, 497 ff., 504, 508, 513, 531, 540 f., 548 ff., 551 ff., 561 f., 565, 567, 586, 595 ff., 602, 609, 611, 618, ; siehe auch qabīla und qabīlīs sowie einzelne Stämme nach Namen Standard Oil Company 497 Stark, Freya 501 Stephenson, Robert 467, 480 Stern-Bande 510 Strabon (Strabo) 110 suʾ luks siehe „Vagabunden“ Sudan und Sudanesen 30, 189, 347, 385, 439, 481, 495, 566, 623, 625 Südaraber 65, 81, 84, 87, 90, 94, 103, 109, 123, 146, 179, 274 f., 277, 282, 297, 302, 357; siehe auch Himyar und Himyariten; Saba und Sabäer Südostasien 395, 429, 435, 440 Sues 31, 450, 480 f., 488, 508, 514 f., 520, Sufis und Sufismus 133, 158, 344, 375, 425, 443 f., 504, 584 Sulaim, Banū (Stamm) 385 f. Sulaimān al-Mahrī 445 Sulaimān ibn Abd al-Malik, Kalif Sulawesi 29, 451 sultān, Bedeutung von 373 Sumatra 429 f., 433, 435, 440, 451 Sumʿay 84 Sunna und Sunniten 35, 66, 125, 160, 253, 256, 258, 260 f., 317, 404, 496, 544, 550; siehe auch Schia (Schīʿa) und Schiiten sunna, Bedeutung von 135, 138 ff., 149, 265, 316 Surabaya (Indonesien) 29, 450 Swahiliküste (sawāhil) 434, 441, 451 Sykes-Picot-Abkommen 490, 493, 525, 617
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Syrdarja, Fluss 27, 321, 603 syrische (mittelostaramäische) Sprache und Schrift 114, 151, 275, 278 f., 318, 407, 419, 475 Syrien 10, 12, 30, 33, 45, 54, 61, 66, 81, 105, 110 ff., 122, 145 f., 152, 157 f., 160, 162, 171, 187, 191, 214, 230 f., 234 f., 242, 244 f., 255, 258 f., 266, 284, 287, 300, 302, 308, 337, 371, 374, 377, 380, 398 f., 405 f., 417 f., 436, 447, 451, 472, 478, 480, 482, 486, 492, 495, 501, 505, 507, 510 f., 520 ff., 525, 528, 530, 534, 537 ff., 550, 552, 555, 564, 566 f., 570, 574 f., 579, 591, 595, 597, 599 ff., 607, 610, 617 ff., 621 f., 625 Syrisch-Orthodoxe Kirche 223 Taʾabbata Scharran 133 f. Tabaristan 27, 232 Tabūʿa, Königin 64, 592 Tadschikistan 382 „Jahr des Elefanten“ 123 f., 156, 158, 165, 207 Taghlib, Banū (Stamm) 128, 130, 135, 235, 247, 377 Taha, Mahmud Mohammed 189, 347, 623 Tahart (Algerien) 26, 324 Taifa-Könige (in al-Andalus) 389, 400 f., 608 Taim (Clan) 254, Taizz 31, 574 Taʾlab (Gottheit) 84 Talas, Schlacht am 27, 320 Talhah 251 Tamerlan siehe Timur Leng Tamil Nadu (Indien) 29, 442 Tamīm (Stamm) 79, 247, 338 Tang-Dynastie und -Periode 47, 305, 323, 325, 380 Tanger 26, 28, 280, 296, 438, 516, 524, 613 Tansania 428, 430, 441, 611 Tanūch (Stammesverbund) 110, 224 Tarīfa 108 ff., 119, 127, 572 Tariq ibn Ziyād 296, 388 f. Tarsus 26, 316 Tataren siehe Mongolen
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ANHANG
Taufīq Pascha 481 tauhīd (Lehre von der Einheit Gottes) 45 f., 205, 403, 469, 541 Tausendundeine Nacht 327 f., 339, 361, 395, 512, 569 Tayy siehe Tayyiʿ Tayyiʿ(Tayy) (Stamm) 337 Temer, Michel 485 Tempelritter 401 Thamūd (Stamm) 60 f., 141, 166, 415, 462, 593 thamūdische Sprache 74 Thapar, Romila 72 Thāqif (Stamm) 196 Theodosius II., oströmischer Kaiser 543 Theophilos, byzantinischer Kaiser 325 Thomas, Apostel, Heiliger 442 Thuʾal, Banū (Clan) 138, Tibet 103 Tienschan-Gebirge 364, 378 Tifinagh, Schrift 67 Tiglath-Pileser III., assyrischer König 63 Tigris (Fluss) 25, 27, 31, 51 ff., 55, 158, 246, 301, 306, 308 f., 350 f., 364, 410, 414 Timbuktu 28, 438 Timur Leng 419 f., 424, 612 Toledo 26, 401, 407, 609 Trafalgar Square (öffentlicher Platz in London) 407 Transjordanien 492, 501, 505, 510, 617 ff. Transoxanien und Transoxanier 299, 334, 356, 373, 419, 602, 605 Trevaskis, Sir Kennedy 492 Trincomalee (Sri Lanka) 29, 430 Troja 73, 274, 377, 382, 580 Trump, Donald 574 Tschadsee 26, 232 Tscherkessen 448 Tschetschenen 579 Tuareg (Berbervolk) 58, 67 Tughril, Seldschukenherrscher 372 f. Tulaiha ibn Chuwailid ibn Naufal al-Asadi 219 Tuluniden (Dynastie) 380 ff., 466, 607 Tunesien und Tunesier 30, 44, 175, 232,
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243, 245, 292, 382, 384, 387, 438, 480, 506, 523, 559, 564, 566 f., 579, 601, 616, 620, 624 Tunis 26, 30, 457, 533 Tūrān Schāh, Sultan 405 Türkei 237, 454, 487, 496, 508, 566, 619 Türken und Turkvölker 12, 42, 228, 240, 280, 297, 305, 312, 329, 350 f., 353, 360, 363 ff., 371, 374 ff., 380, 383 f., 397, 416 ff., 435, 438, 446 ff., 452, 454, 462, 465 f., 468, 472 f., 487, 612; siehe auch Osmanisches Reich und Osmanen; Kiptschaken; Seldschuken-Dynastie; Turkmenen; Turksprachen Turkistan 47 Turkmenen (Turkvolk) 374 Turkmenistan 411 Turko-Mongolen 435, 437 Turksprachen 439 f. Ubaid Allāh, Gründer der Fatimiden-Dynastie 383 f. Ubaid Allāh ibn Sulaimān 329 Ubaid Allāh ibn Umar 259 Ubaid Allāh ibn Ziyād 263 UdSSR siehe Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Udwān (Stamm) 144 Uhud, Schlacht von 27, 192, 598 Ukāz 140 f., 156 Ulays, Banū (Stamm) 110 Umar ibn Abd al-Azīz, Kalif 132, 148, 163, 169, 203, 221, 224, 229 f., 232, 236 ff., 242, 248 ff., 254, 271 ff., 274, 276, 368, 598, 600 Umāyya 160, 164 ff., 252, 265 f., 284 Umāyya ibn Abī al-Salt 165 Umayyaden-Dynastie und umayyadische Periode 89, 156, 160, 192, 238, 252, 254 f., 258, 263 ff., 305 ff., 314, 318, 321, 325 ff., 337, 341, 352 f., 358, 361, 368, 387, 400, 415, 449, 474, 488, 494, 502 f., 507, 516, 522 f., 536, 565, 576, 601 ff., 607 f. Umayyaden-Moschee 270, 273, 286, 602 Umm al-Arab 274 Umm al-Fadl 231
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Register
Umm Kulthūm 519, 527 Umm Mutammim 217 umma (Gemeinschaft) 139, 170, 187 f., 202, 253, 464, 466, 472 ummī, Bedeutung von 170 Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) 513, 515, 528, 541, 551 f., 620, 622 Uqailiden 327 Uqba ibn Nāfiʿ 233 Urabi, Ahmed 481, 509, 514, 559, 616 Urban II., Papst 398 Urdu, Sprache 440 Urduja, Prinzessin 432, 439 Urfa siehe al-Ruha ʿurūba (Arabertum, Arabischsein) 382, 449, 518 f., 527 f., 578 Urwa ibn al-Ward 95, 134 Urwa ibn Masʿūd 182 USA siehe Vereinigte Staaten von Amerika Usāma bin Lādin siehe Bin Laden, Osama Usāma ibn Munqidh 399, 409 Usbekistan 232, 382 Uthmān ibn Affān, Kalif 227, 251 ff., 286, 600 van Gelder, Geert Jan 173 Varisco, Daniel Martin 190 Verdi, Giuseppe 480 Vereinigte Arabische Emirate (VAE) 31, 552 Vereinigte Arabische Republik (VAR) 11, 520 ff., 527, 621 Vereinigte Arabische Staaten (VAS) 11, 521, 527, 621 Vereinigte Staaten von Amerika 479, 512, 515, 528, 541, 572, 620, 622, 624 Vereinte Nationen (United Nations, UN) 10 f., 24, 528, 554 Vishnu (Gottheit) 444 Völkerbund 491, 618 Wadd (Gottheit) 87 Wafd-Partei 495, 512 Wahb ibn Munabbih 108 Wahballat, Prinz (von Palmyra) 88
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wahda (Isolation; Einheit) 48, 471 Wahhabismus und Wahhabiten 194, 403, 468 ff., 497 ff., 504, 508, 539 f., 544, 614 f., 618 f.; siehe auch al-Ichwān Wāʾil (Stamm) 130 Wāʾil ibn Hudschr 128, 388 Wasīf 367 Wasīt 27, 292 wazīr (Wesir, oberster Minister) 240, 322, 328 Weber, Max 577 Weihrauch 53, 87, 309 Wesir siehe wazīr Westgoten (Visigothen) 268, 296, Westjordanland 525, 532 ff., 547, 566, 621 Westsahara 30, 547 Whiteread, Rachel 121 Whitman, Walt 39, 135, 168 Wien 409 Wilhelm II., normannischer König von Sizilien 410 Wilhelm II., deutscher Kaiser 487 Wilson, Harold 524 Windsor-Dynastie 452 Wittgenstein, Ludwig 571 Wolga (Fluss) 27, 372, 428, Wolof, Sprache 386 „World of Islam“-Festival (London, 1976) 530 Xi’an siehe Chang’an Yahsūb 55 Yahyā ibn Hubaira 240 Yamanāt 104, 123 Yamani, Ahmed Zaki 529 Yaʿqūb ibn al-Laith al-Saffār 379 Yaqūt al-Rūmī 411 Yarbuʿ (Stamm) 216 Yaʿrub 275, 277, 282 Yathrib (das spätere Medina) 25, 33 ff., 176, 183 ff., 188, 420, 540, 598 Yazdegerd III. (Yazdgard III.), Schah 225, 230 Yazīd ibn al-Muhallab 299
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ANHANG
Yazīd ibn Hatim 310 Yazīd ibn Muʿāwiya, Kalif 285 Yuan-Dynastie und -Periode 419 Yūsuf Asʾar, König 123 f., 176 Yūsuf ibn Abd al-Muʾmin, almohadischer Kalif 403 Yūsuf ibn Aiyūb 404 Yūsuf ibn Tāschfīn 402, 555 Zabība 64 Zafār (Jemen) 78 ff., 104 Zaghlūl, Saad (Zaghlūl, Saʿd) 501, 505 Zaid ibn Ali 308 Zaid ibn Amr ibn Nufail 166, 181 Zaid ibn Hāritha 144 f. zakāt („Almosensteuer“) 201 Zamzam, Quelle von 151, 162, 274, 530 Zandsch, Aufstände der 312, 353 f., 356, 369, 379 f., 606
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Zayid ibn Sultān, Scheich 109 Zeitungen und Zeitschriften, arabische 479, 481, 540, 559, 616 Zenobia 88, 100 Zeus (Gottheit) 178 Zionismus 43, 241, 335, 489, 491, 501, 508 ff., 525, 532, 534 f., 548, 619 f., 624 Ziryab 388 Ziyād ibn Abīhi 269, 293 ff. Zoroastrismus und Zoroastrier 180, 201, 312, 326, 566 Zubaida 331, 333 Zutt siehe Dschāt Zweiter Weltkrieg 451, 487, 498, 500, 511, 541 Zypern 31, 497
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Simon Sebag Montefiore
Tim Mackintosh-Smith erzählt die reiche Geschichte der Araber erstmals von ihren Ursprüngen im 2. Jahrtausend v. Chr bis
heute, bis zum Nachbeben des Arabischen Frühlings. Es ist eine Geschichte zwischen Einheit und Spaltung. Als das erste ara-
ARAB 3000 Jahre arabische Geschichte
bische Buch, der Koran, erschien, einte es Araber in rasantem Tempo und befeuerte bald eine Welle der Expansion. Keine
300 Jahre später war die arabische Herrschaft nur noch eine
bittersüße Erinnerung, und während der nächsten tausend Jahre waren die Araber mit wenigen Ausnahmen untereinander zerstritten und wurden von Türken, Persern, Berbern und Europäern regiert.
Mit unvergleichlichem Gespür für die Dynamiken dieser
3000 Jahre langen Geschichte zeigt Tim Mackintosh-Smith immer wieder, wie die Sprache, wie Arabisch als Quelle gemeinsamer Kultur und Identität gewirkt hat.
Mackintosh-Smith
Tim Mackintosh-Smith ist ein renommierter Arabist, Übersetzer und freier Autor. Er gilt als einer der zwölf besten Reiseschriftsteller der letzten hundert Jahre und wurde mit dem Oldie Travel Award (Best Travel Writer) und dem Ibn Battutah Prize of Honour ausgezeichnet. Über die Reisen von Ibn Battūta hat er eine viel beachtete Trilogie verfasst. Er studierte an der Oxford University und lebte viele Jahre in Sanaa, der jemenitischen Hauptstadt. Seit gut 35 Jahren ist er in der arabischen Welt zuhause.
ARAB
»Meisterhaft. Hinreißend geschrieben und scharfsinnige Analyse zugleich.«
Tim Mackintosh-Smith
»Wer den Nahen Osten verstehen will, muss dieses Buch lesen.«
»Das vorliegende Buch ist eine Geschichte der Araber, nicht des Arabischen. Dennoch lässt sich kaum besser und facettenreicher analysieren, was es heißt, ›Araber zu sein‹, als wenn man diesen roten Faden verfolgt. Die Sprache ist das einzige Bindeglied, das ein dauerhaftes Band zwischen Arabern geknüpft, ihnen eine gemeinsame Identität gegeben und Einheit gestiftet hat. Selbst die Einheit, die der Islam brachte, basierte letzten Endes auf Worten. Die drei großen Elemente, die die Macht der europäischen Zivilisation begründet haben, sind laut Thomas Carlyle ›Schießpulver, Buchdruck und die protestantische Religion‹. Für Araber sind es Worte, Reime und Rhetorik. Problematisch dabei ist, dass Worte sowohl entzweien als auch verbinden können. Eben das geschieht im Jemen, genauso wie in vielen anderen arabischen Ländern, weswegen der Traum von der arabischen Einheit auch weiterhin eine Schimäre bleiben wird. Warum das so ist und sich wie ein Leitmotiv durch die gesamten 3000 Jahre arabischer Geschichte zieht, ist das Thema dieses Buches.« Tim Mackintosh-Smith
»Brilliant. Was dieses Buch ausmacht, ist die schiere Breite von Einblicken in die arabische Geschichte, allesamt faszinierend.« Steven C. Caton, Harvard University
Barnaby Rogerson
Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt / Main
wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4175-4
Einbandabbildung: © Shutterstock
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