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Apollo and his Oracle in the Oresteia
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H Y P O M N E M A T A 112

V&R

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig

HEFT 112

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

LORENZ RUMPF

Extremus labor Vergils 10. Ekloge und die Poetik der Bucolica

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Verantwortlicher Herausgeber: Siegmar Döpp

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Rumpf, Lorenz: Extremus labor: Vergils 10. Ekloge und die Poetik der Bucolica / Lorenz Rumpf. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1996 (Hypomnemata; H. 112) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-525-25176-X NE: G T

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist die revidierte Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 1995 dem Fachbereich Klassische Philologie und Kunstwissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main vorgelegen hat. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Willibald Heilmann, der mich zu dem Projekt ermutigte. Er hat mich während der gesamten Entstehungszeit durch Rat und Kritik unterstützt und dabei sehr viel Mühe und Zeit aufgewandt. Den Herren Professoren Christoff Neumeister und Gustav Adolf Seeck danke ich für die kritische Lektüre und für die Übernahme des Zweit- und Drittgutachtens. Von 1991 bis 1993 konnte ich ein Stipendium der Graduiertenförderung des Landes Hessen in Anspruch nehmen, das mir konzentrierte Arbeit ermöglichte. Für die Gastfreundschaft während eines Forschungsaufenthaltes in Pisa im Studienjahr 1992/93 habe ich Professor Gian Biagio Conte zu danken. Er ermöglichte mir zusätzlich einen Aufenthalt in Princeton, wo Professor Elaine Fantham mich mit Herzlichkeit aufnahm. Den Herausgebern der Reihe, insbesondere Herrn Professor Siegmar Döpp, gilt mein Dank für die Aufnahme dieses Beitrages unter die "Hypomnemata" und für die damit verbundene Mühe; dem Verlag danke ich für die reibungslose Zusammenarbeit. Für Gesprächsbereitschaft, Belehrung, Ermutigung und Unterstützung weiß ich mich darüber hinaus zu besonderem Dank verpflichtet: Herrn Professor Ulrich Oevermann, Herrn Dr. Ludwig Burgmann, Herrn Andreas Franzmann, Herrn Sascha Liebermann, Frau Ann R. Rapp, Frau Dr. Sabine Schäfer, Herrn Dr. Peter Scholz, Herrn Johannes Süßmann. Für das Mitlesen der Abschlußkorrektur habe ich Frau Dr. Sabine Schäfer sehr zu danken. Nicht zuletzt danke ich meinen Eltern, die durch ihre Unterstützung wesentlich zur Verwirklichung des Vorhabens beigetragen haben.

Darmstadt, Juni 1996

Inhalt

Einleitung

9

1.

Zur Forschungsgeschichte

1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.1.1 1.2.1.2 1.2.2 1.3 1.4 1.5 1.6

Analyse und biographische Deutung 15 Franz Skutsch 16 Friedrich Leo 22 Die geisteswissenschaftliche Tradition Bruno Snell Snells Deutung von Vergils Bukolik insgesamt 26 Snells Deutung der 10. Ekloge als Programmgedicht . . . . 32 Friedrich Klingner 37 Michael Putnam 44 Der gattungstheoretische Ansatz: Gian Biagio Conte . . . . 54 Dichtung der Dichtung: Ernst A. Schmidts Theorie der poetischen Reflexion 60 Definition des Begriffes "Rahmung" 71

2.

Schrittweise Analyse des Gedichttextes

3.

Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3

Vorüberlegungen Rahmung in den Eklogen 1-9 Zum Aufbau des Eklogenbuchs Rahmungsvorgänge in den ungeradzahligen Eklogen Rahmungsvorgänge in den geradzahligen Eklogen (2, 4, 6, 8) Zusammenfassung zu ecl. 1-9 Rahmung in der 10. Ekloge Die Notwendigkeit der Rahmung in der 10. Ekloge Die Überschreitung der Rahmenform in der 10. Ekloge . . . Ausblick: Der a/nor-Exkurs im 3. Buch der Georgica . . . . Dichter, amor und poetische Reflexion bei Vergil

3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.5 3.6

73

201 203 205 221 239 240 241 251 257 262

8 Bibliographie Index: Textstellen antiker Autoren - Vergil - Andere Autoren Index: Moderne Autoren Index: Namen und Sachen

Inhalt

265 278 286 294 298

Einleitung Die zehnte Ekloge ist das Schlußgedicht von Vergils Bucolica. Sie ist dies aber nicht nur, insofern sie am Ende einer Sequenz steht, sondern in einem emphatischen Sinne. Sie ist als Schlußgedicht komponiert und thematisiert dies: Bereits ihr erstes Wort (ecl. 10,1: extremum hunc, Arethusa, mihi concede laborem) weist auf die Abschlußproblematik hin. Ziel dieser Arbeit ist es zu klären, welche Eigenschaften die 10. Ekloge inhaltlich zum Schlußgedicht machen, was in ihr auf die Spitze getrieben wird, inwiefern sie das Buch vollendet und das Bukolische möglicherweise schon überschreitet. Der Weg dorthin führt über eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Gedicht selbst. Der erste Teil der Arbeit ist der Forschungsgeschichte zur 10. Ekloge gewidmet. Er behandelt ausführlich diejenigen Beiträge, die als Meilensteine in der Diskussion des Gedichts gelten können. Mit Franz Skutsch, Friedrich Leo, Friedrich Klingner, Bruno Snell, Michael Putnam sowie Gian Biagio Conte soll jeweils wenigstens ein Vertreter der wichtigsten Epochen und Strömungen der Vergilinterpretation dieses Jahrhunderts zu Wort kommen. An die Darstellung der jeweiligen Position schließt sich jeweils eine Diskussion von offenbleibenden Fragen an. Den Abschluß des ersten Teils bildet eine Auseinandersetzung mit E.A. Schmidt, demjenigen Autor, der eine Anzahl von überkommenen Stereotypen der Eklogenforschung bewußt gemacht und auf ihre Adäquatheit hin geprüft hat, um auf dieser Grundlage eine neue, an Strukturen orientierte Theorie zu Vergils Bukolik zu entwickeln. Die Beobachtung bestimmter Grundvorgänge im Eklogenbuch, die aber nicht oder kaum ausdrücklich thematisiert sind, hat Schmidt dazu geführt, dem Phänomen der poetischen Reflexion ("Dichtung der Dichtung") den Charakter einer Grundstruktur aller Gedichte des Eklogenbuchs zuzusprechen. Poetologie und Poetik sind, auch wo dies nicht explizit zum Ausdruck kommt, die Essenz von Vergils Eklogendichtung. Schmidt selbst hat die 10. Ekloge nicht ausführlich behandelt. Der Verfasser dieser Arbeit verdankt dem Ansatz Schmidts dennoch viel, und die Auseinandersetzung mit ihm soll den Übergang zum Analyseteil, dem zweiten Teil der Arbeit, bilden. Am Ende des ersten Teils wird der für den Fortgang dieser Arbeit wichtige Begriff der Rahmung eingeführt, der in der Auseinandersetzung mit E.A. Schmidt gewonnen wurde und der als Ergänzung zu und Weiterführung von Schmidts Begriff der poetischen Reflexion gedacht ist. "Rahmung" ist dabei eine im Eklogenbuch allgegenwärtige, poetologisch ausdeutbare Grundstruktur. Mit "Poetik" ist in dieser Arbeit ganz wesentlich eine in diesem Sinne implizite Poetik gemeint.

10

Einleitung

Der zweite Teil besteht in einer ausführlichen textimmanenten Vers-fürVers-Analyse der 10. Ekloge. Ziel ist eine Beschreibung des Gedichts in seiner Eigengestalt. Im ersten Arbeitsschritt wird bei der Untersuchung des gegebenen Textes absichtlich auf die Hinzuziehung von literarhistorischem und philosophischem Hintergrundwissen verzichtet. Die Position, die der Analysierende bezieht, läßt sich als kontrollierte Naivität beschreiben. Er versucht zunächst, den Text so wörtlich wie möglich, d.h. das Gesagte möglichst voraussetzungsfrei und in einer möglichst elementaren und unabgeleiteten Bedeutung zu nehmen. Dabei hält er sich streng an die vom Gedichttext vorgegebene Sequenz der Gedanken- und Motiventwicklung und bezieht jeweils nur das schon Vorausgegangene, niemals aber das erst noch Folgende in seine Interpretation mit ein. Häufig hat man die 10. Ekloge als Grundlage für Rekonstruktionsversuche bezüglich der verlorenen Werke des Gallus verwendet und dabei die Eigengestalt und die besondere Stellung des Gedichts am Ende des Eklogenbuchs aus dem Blick verloren. G.B. Conte 1 hat dies in Anspielung auf die analytischen Arbeiten F. Skutschs 2 so formuliert: "L'interpretazione della decima egloga nasce, all'inizio del secolo, con un peccato originale ch'io credo non sia stato piü del tutto cancellato: in essa, a partire da Skutsch (e poi per suo effetto) la critica, prima di vedere Virgilio, ha cercato Gallo" (art. cit., S . l l ) . Die Tatsache, daß Gallus, ein ansonsten nahezu verlorener Dichter, in der 10. Ekloge einen umfangreichen Monolog spricht, war und ist eine philologische Versuchung. Angesichts des "peccato originale", das die Diskussion zur 10. Ekloge bis heute beeinflußt, dürfte der Versuch einer radikal textimmanenten Interpretation bei diesem Gedicht in besonderem Maße berechtigt sein. Ein Großteil der Arbeiten zur 10. Ekloge auch aus den letzten Jahren nimmt etwa wieder die berühmte Bemerkung des Servius zu v.46 der 10. Ekloge zum Ausgangspunkt (hi autem omnes versus Galli sunt, de ipsius translati carminibus). Man hat insbesondere die Partie v. 46-60 scharfsinnigen vergleichenden Analysen 3 mit dem Ziel unterzogen, einerseits Einzelgedichte

' II genere e i suoi confini: interpretazione della decima egloga; in: G . B . CONTE, II genere e i suoi confini, Torino 1980; dort: S. 11-43. 2

Aus Vergils Frühzeit, Leipzig 1901; Gallus und Vergil - A u s Vergils Frühzeit. Zweiter

Teil, Leipzig/Berlin 1906. 3

Z . B . D . O . R o s s JR., Backgrounds to Augustan Poetry: Gallus, Elegy, and Rome,

Cambridge 1975, S. 8 5 - 1 0 6 ; C. MONTELEONE, C o m e l i o Gallo tra IIa e le Driadi (Virgilio, Properzio e una controversia letteraria), Latoraus 3 8 ( 1 9 7 9 ) , S. 2 8 - 5 3 ; G. D ' A N N A , Cornelio Gallo, Virgilio e Properzio, Athenaeum 59 ( 1 9 8 1 ) , S. 2 8 4 - 2 9 8 ; R . M . ROSEN / J. FARRELI.. Acontius, Milanion, and Gallus, T A P h A

116 ( 1 9 8 6 ) , S. 2 4 1 - 2 5 4 ; W . STROH, Quid de

obsequio suo in amore poetae elegiaci senserint; in: Tredici secoli di elegia latina, Atti c o n v e g n o internazionale Assisi, 2 2 - 2 4 aprile 1988, Accademia properziana del Subasio, Assisi

Einleitung

11

des Gallus zu rekonstruieren und andererseits Rückschlüsse auf dessen Gesamtwerk zu ziehen (etwa über das in ecl. 6,72 erwähnte Gedicht über den gryneischen Hain und die Frage, ob Gallus neben den vier Büchern der Antares auch aitiologische Gedichte in Hexametern verfaßt hat, oder über die Frage nach möglichen bukolischen Elementen in der elegischen Dichtung des Gallus). Gewiß ist es berechtigt, die 10. Ekloge zum Ausgangspunkt für Vermutungen über die frühe römische Elegie, über das missing link zwischen Euphorion, Parthenios, Catull einerseits und Tibull und Properz andererseits zu machen. In dieser Arbeit aber soll die 10. Ekloge zunächst nicht von anderem her oder auf anderes hin gelesen werden. Mit diesem "anderen" sind einmal andere literarische Werke gemeint, darüber hinaus aber auch weltanschaulich-philosophische Gehalte. Sehr verbreitet ist in der Eklogendiskussion beispielsweise die Tendenz, unter Rückgriff auf Nachrichten der Vergilviten sowie auf Catalepton 5 die Eklogen als Zeugnisse des Epikureismus des jungen Vergil zu deuten4. Man trägt die Erwartung, Epikureisches zu finden, an die Werke heran und ist mit der vermeintlichen Entdeckung von Epikureischem darin entsprechend schnell bei der Hand. Die 10. Ekloge wird so etwa zum Gedicht eines Epikureers, der die maßlose Liebesleidenschaft seines Freundes Gallus tadeln will. Bestimmte Termini verselbständigen sich dabei in der Diskussion und werden ungeprüft weiterübernommen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit sind wieder die Ausführungen G. D'Annas (art. cit., vgl. Anm.3) zur Gesamtdeutung der 10. Ekloge: Er spricht (art. cit., S.297) von der "poesia bucolica come poesia della natura, come canto serenatore e liberatore dalla passione amorosa" und sagt zum Verhältnis Gallus-Vergil (art. cit., S.298): "Nell' ecloga decima il poeta non spera piü nel riscatto dell' amico, come mostra la conclusione che egli da al suo monologo, perche questi non comprende che la natura e salvifica solo se ad essa ci si accosta con il desiderio di vincere le proprie passioni". Bis in die Wortwahl hinein ist der Autor noch von Paratores Epikureismusthese beeinflußt5. Ein unvoreingenommener Blick auf die 10. Ekloge und auf das Eklo-

1989 (dort: S. 25-62; diese Arbeit von jetzt an zitiert als "STROH 1989"); P.-J. DEHON, Le cadre des plaintes de Gallus (Virg., Β., X, 9-69), Latomus 50 (1991), S. 364-370. 4 Ein wirkungsmächtiger Exponent dieser Richtung ist E. PARATORE (Virgilio, Roma 1945, Firenze 3 1969), einflußreich auch L. ALFONSI, Dalla II alia X ecloga, Aevum 35 (1961), S. 193-198. Dagegen A. GRILLI, Adesione Ο cultura? Aspetti della filosofia nelle Bucoliche, Maia 35 (1983), S. 23-27; füir "assimilierten" Epikureismus Vergils wieder J. FERGUSON, Vergil and Philosophy, PVS 19 (1988), S. 17-29; ähnlich A. MICHEL, Virgile et Gallus; in: Virgilio e gli Augustei (hg. v. M. Gigante), Napoli 1990 (dort: S. 57-68). 5 Z.B. PARATORE, op. cit. (s.o., Anm.4), S.120 (Abschnitt zu ecl. 5 und 10): "Virgilio identifica il canto purificatore con quello che trae ispirazione ed alimento dalla natura, dall' immane riserva atomica in cui 1' epicureismo faceva risiedere non solo la vita ma il principio

12

Einleitung

genbuch als ganzes zeigt aber6, daß für das Eklogenbuch die Annahme von Größen wie "natura salvifica" oder die Behauptung, Gesang diene dort der Befreiung von eigener Liebesleidenschaft, nicht zu halten ist. Diese Thesen können ihre Herkunft von außen nicht verbergen. Die große Gefahr bei einem solchen Vorgehen besteht darin, daß man nur entdeckt bzw. zu entdecken glaubt, was man schon von anderer Stelle her kennt. Die Einordnung eines Werkes in zeitgenössische literarische Auseinandersetzungen oder philosophische Strömungen muß in jedem Falle nach einer genauen Analyse des vorliegenden Textes erfolgen. Diese Arbeit versucht zunächst, explizit und ausführlich die elementare Analyse zu leisten, die im Falle der 10. Ekloge oft nicht geduldig genug durchgeführt wurde. Der Haupttext des zweiten Teils beschränkt sich im wesentlichen auf diese sparsame Textanalyse. Wenn gelegentlich innerhalb des Haupttextes auf ein vorhergegangenes Gedicht des Eklogenbuchs rekurriert wird, so ist dieser Schritt weg von der rein textimmanenten Analyse, die in jedem Falle den Ausgangspunkt bildet, als solcher deutlich kenntlich gemacht. Verweise auf Weiterführendes (d.h. auf die weitergehenden literarhistorischen Implikationen und die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die sich um diese ranken, sowie auf Realien) bleiben weitgehend auf Anmerkungen beschränkt. Dabei strebt der Verfasser aber durchaus an, in diesen Anmerkungen ein umfassendes Bild von Diskussion und Forschungsresultaten zur jeweils behandelten Textstelle zu geben, soweit diese (vor allem in Hinsicht auf Einzelprobleme) über das hinausgehen, was schon in den im ersten Teil der Arbeit behandelten Gesamtinterpretationen enthalten war - schon um einen methodischen Vergleich mit seinem eigenen Ansatz möglich zu machen7. Auf der Analyse baut der dritte Teil der Arbeit auf. Er hat die Abschlußproblematik, d.h. die 10. Ekloge als extremus labor, zum Gegenstand und nimmt dabei zunächst die ersten neun Gedichte des Eklogenbuchs in den Blick. Der Begriff der Rahmung, der zu Ende des ersten Teils in der Auseinandersetzung mit E.A. Schmidt als zentraler Terminus für die implizite Poetik

della vita del cosmo, e che egli, per giunta. scorgeva fornita di un misterioso potere di serenamento e di elevazione" oder S. 121: "... la puritä della natura in duolo che con questo suo dolore conforta e lenisce il dolore dei mortali, anzi lo annega nel suo abbraccio materno, non puö esssere turbata da alcuna vampa di passione." D'ANNA in einem früheren Artikel als dem oben (Anm.3) zitierten (Le 'Bucoliche' virgiliane, Cultura e scuola 8 11969], No.31, S.27-35; dort: S.32): "L' ecloga (sc. ecl.10)... si riconnette bene con la concezione epicurea dell' amore-passione nocivo al mantenimento dell' atarassia." 6 Vgl. E.A. SCHMIDT, Poetische Reflexion, München 1972, S. 144-146. 1 Die Numerierung der Anmerkungen beginnt in jedem der drei Teile der Arbeit neu. Verweise auf eine Anmerkung beziehen sich, wenn nichts anderes angegeben ist, jeweils auf den Teil der Arbeit, in dem sie selbst stehen.

Einleitung

13

des Eklogenbuchs eingeführt wurde, bildet dabei den Ausgangspunkt, nachdem der Analyseteil am Material deutlich gemacht hat, welche zentrale Bedeutung Rahmung und Rahmenstruktur für die 10. Ekloge besitzen. Ein Rückblick auf die Eklogen 1-9 untersucht diese Gedichte unter dem Gesichtspunkt der Rahmung und zeigt die Rahmungsphänomene, die schon in jedem von ihnen beobachtbar sind - in dem Sinne, daß mit dem Gesungenen zugleich immer eine Sphäre des Singens dargestellt wird, bukolischer Gesang in ihnen also immer schon ausdrücklich durch eine äußere Instanz vermittelt ist. Die Gerahmtheit des Hirtengesangs, die Darstellung einer Trennung von Praxis und Dichtung, ist nicht nur ein häufig oder regelmäßig beobachtbares Phänomen, sondern strukturelles Konstituens von Vergils Bucolica und entscheidend für deren implizite Poetik. Auf dieser Grundlage ist dann der erneute Übergang zur 10. Ekloge und zur extremus-labor-Vxob\cmal\Y. möglich. In welchem Verhältnis steht das Schlußgedicht zur impliziten Poetik des Buchs? Dort wird der scheiternde Dichter Gallus zum Gegenstand bukolischer Rahmung. Einerseits wird die bukolische Rahmungsstruktur, die Distanz verbürgt, dabei in einer echten Rahmenform noch einmal überdeutlich realisiert und auf eine extreme Bewährungsprobe gestellt, andererseits aber schafft der bukolische Dichter eine neue Nähe zwischen Rahmen und Gerahmtem, indem er eingesteht, daß amor, die Ursache von Gallus' Scheitern, zugleich auch das Element war, das sein Dichten zum Gelingen brachte. Mit dieser neuartigen, spannungsvollen Darstellung einer Gemeinsamkeit zwischen Rahmen und Gerahmtem bei zugleich ins Extrem getriebener Differenz bekräftigt und überschreitet er das, was seine Bukolik ausmachte. Den Abschluß der Arbeit bildet der Versuch, die besondere Poetik Vergils unter zusätzlicher Berücksichtigung des a/nor-Exkurses aus dem 3. Buch der Georgica als Poetik autonomer Dichtung zu beschreiben.

1. Zur

Forschungsgeschickte

1.1 Analyse und biographische Deutung Die Tatsache, daß in der 10. Ekloge mit C. Cornelius Gallus ein ansonsten nahezu verlorener Dichter ausführlich und in direkter Rede spricht, ließ das Gedicht vor dem ersten Weltkrieg in Deutschland vorrangig zu einem Gegenstand analytischen Interesses werden. Von wo aus sollte man sonst Rückschlüsse auf die Werke des Gallus ziehen können? Die in der Forschung jener Zeit herrschende analytische Richtung teilt in der Regel eine Grundannahme nicht, die in der klassischen Philologie erst im Zuge der geisteswissenschaftlichen Wende um 1930 allgemeine Anerkennung fand: nämlich daß man ein vorliegendes Gedicht zunächst als eigenständiges Gebilde untersuchen und ihm sehr weitgehend eine eigene, von den "Quellen" unabhängige Sinnstruktur unterstellen müsse. In jener analytischen Betrachtungsweise dagegen wurde das Gedicht tendenziell zur Kompilation, der Dichter zum Redaktor; das Gelingen des Werks bemaß sich nach der Bruchlosigkeit der Zusammenfügung von Vorlagen. Das Gedicht mit den geringsten Sinnlücken und den glattesten Übergängen war das gelungenste. Der wichtigste Vertreter dieser Richtung in der Forschung zur 10. Ekloge ist Franz Skutsch: Die 10. Ekloge ist für ihn ein Kataloggedicht. Doch es gab in jener Zeit auch Gegenstimmen, etwa Friedrich Leo mit seinem auf biographische Rekonstruktion zielenden Aufsatz "Vergil und die Ciris" (Hermes 37 [1902], S. 14-55) oder R. Helm (Vergils zehnte Ecloge, Philologus 61 [1902], S. 271-291). Wie es aber um das Ansehen des "Kompilators" Vergil in der damaligen deutschen Philologie im allgemeinen bestellt war, kann man aus der Tatsache entnehmen, daß Leo glaubt, sich förmlich entschuldigen zu müssen, wenn er dem jeweiligen Gedicht zunächst einmal eine eigene "poetische Absicht" unterstellt (art. cit., S.22; Thema ist hier die 6. Ekloge): "Immerhin ist es gerathen, auch dieses Gedicht nach seiner poetischen Absicht zu fragen. Man wagt kaum mehr es laut zu sagen, aber ich glaube immer noch, wenn ich Vergil tractire, dass ich es mit einem Dichter zu thun habe." Vieles aus jener Zeit ist schlicht überholt. Die Voraussetzungen, mit denen man als Philologe an ein vorliegendes Werk geht, haben sich nahezu vollständig gewandelt. Dennoch sollen im folgenden die Positionen und (vermeintlichen) Ergebnisse von Skutsch und Leo kurz dargestellt werden, schon da die Nachwirkungen ihrer Arbeiten beträchtlich waren.

1. Zur Forschungsgeschichte

16

1.1.1

Franz

Skutsch

Skutschs oft bestrittene und von ihm oft verteidigte Hauptthese war, die Ciris aus der Appendix Vergiliana sei ein Werk des Gallus. Ausgestattet mit dem analytischen Instrumentarium des 19. Jahrhunderts, benutzte Skutsch die 10. Ekloge fast ausschließlich als Quelle, aufgrund derer er Rückschlüsse auf die verlorenen weiteren Werke des Gallus glaubte ziehen zu können. Die Berechtigung dazu leitete er aus der berühmten Serviusstelle zu ecl. 10,46 (hi autem omnes versus Galli sunt, de ipsius translati carminibus)1 ab, an der der Bezug von hi versus omnes unklar bleibt. Skutsch nahm an, daß hier der ganze M o n o l o g des Gallus gemeint sei. Skutschs Werk "Aus Vergils Frühzeit" besteht aus zwei Teilen (Aus Vergils Frühzeit 2 , Leipzig 1901, Gallus und Vergil - Aus Vergils Frühzeit. Zweiter Teil 3 , Leipzig/Berlin 1906); im zweiten Teil "Gallus und Vergil" bekräftigt er seine früher aufgestellten Hauptthesen, revidiert jedoch Einzelheiten, beeinflußt durch F. Jacobys zwischenzeitlich erschienenen Aufsatz "Zur Entstehung der römischen Elegie" (RhM 6 0 [1905], S. 38-105). Die 10. Ekloge als Werk für sich ist für Skutsch kaum interessant. Sein analytisches Augenmerk gilt

1 Interessante Bemerkungen zu dieser Serviusnotiz finden sich bei J. HUBAUX, Les thfemes bucoliques dans la po£sie latine, Bruxelles 1930 (Acadimie Royale de Belgique, Classe des lettres et des sciences morales et politiques: M6moires 2,29 (19301), S. 90-91. H U B A U X zeigt, daß Servius das Verbuni transferre auch schon für die vagsten Formen der Anspielung verwendet und verweist auf Servius' irreführenden Eingangskommentar zur 7. Ekloge, einem Gedicht, das in Wahrheit sehr weit von Theokrit entfernt ist (Ecloga haec paene tota Theocriti est, nam et ipsam transtulit et multa ad earn de aliis congessit). Zu ecl. 9,23-25, einer Versgruppe, die in der Tat ein wörtliches Echo aus Theokrit (id. 3,3-5) darstellt, schreibt Servius hingegen: Theocriti sunt versus verbum ad verbum translati. HUBAUX (I.e., S.91): "Done lorsque Servius emploie le verbe transferre seul il ne lui donne pas le sens de 'traduire textuellement', mais plutöt celui de 'imiter', et e'est tout autre chose. 11 ne parle alors que de l'emprunt de th&ne ou de motif et l'on sait quelles libertis Virgile se permettait avec ses 'modfeles' lorsqu'il ne jugeait pas ä son gr6 de leur emprunter Ieurs expressions mais seulement leurs id6es. Rien ne permet de conclure de la formule de ipsius carminibus translati que Servius ait eu en vue une sine d'emprunts textuels faits par Virgile ä Gallus." H.J. R O S E (The Eclogues of Vergil [Sather Classical Lectures XVI), Berkeley 1942) zeigt darüber hinaus (S. 97-98), wie selbst Passagen, die Vergil nach Servius' Aussage verbum ad verbum übernommen hat, sich immer in Freiheit an das Vorbild anlehnen und selbstverständlich nicht "wörtlich übersetzt" sind (so z.B. Aen. 12,206-211 - II. 1,234-239). Vgl. aus jüngerer Zeit zum Problem S.T. KELLEY, The Gallus Quotation in Vergil's Tenth Eclogue, Vergilius 23 (1977), S. 17-20 (fur wörtliche Übernahme; d.h. auch für die Existenz hexametrischer Gedichte des Gallus); dagegen überzeugend J.C. YARDLEY, Gallus in Eclogue 10: Quotation or Adaptation?, Vergilius 26 (1980), S. 48-51 (für umformende Übernahme). 2 Dieser Teil wird von jetzt ab in diesem Kapitel als "1901" zitiert, später als "SKUTSCH

1901". 3

Von jetzt ab in diesem Kapitel als

"1906",

später als

"SKUTSCH 1 9 0 6 "

zitiert.

Franz Skutsch

17

darin fast ausschließlich dem Monolog des Gallus und den darin feststellbaren Fugen, die er jeweils als Zeichen für das Aufeinandertreffen zweier mangelhaft verbundener Vorlagen - d.h. verschiedener Gedichte des Gallus aus den vier Büchern der Amores (vgl. Servius ad ecl. 10,1) - deutet. Bei der Gesamtbetrachtung des Monologs konstatiert Skutsch zunächst die fehlende Einheit von Ort und Handlung; z.B. (1901, S. 4-5): "Noch V.42 f. hic gelidi forties, hic mollia prata, hic tecum consumerer aevo muß nach dem Zusammenhang, wie ihn die Überlieferung giebt, auf Arkadien gehen. Aber im folgenden Verse heißt es auf einmal: nunc insanus amor duri me Mortis in armis / tela inter media atque adversos detinet hostes. Ja, ist denn Krieg in Arkadien? Und wie kommt Gallus plötzlich in Waffen und unter Feinde, er, den noch eben die friedlichen Schafe umstanden, wie er sola sub rupe lag (V.14, 16, 19 f., 24 ff.)? Weiter aber: wenn er in Arkadien ist, warum beklagt er sich denn in V.46, daß Lycoris procul a patria lebt? Was würde es ihm denn helfen, wenn sie im Vaterland wäre, da er ja selbst fern von Italien weilt?" Nachdem er einige weitere angebliche Unstimmigkeiten konstatiert hat, kommt Skutsch zu der für ihn zentralen Frage (1901, S.6): "Ist Vergil wirklich so wenig Herr seiner Gedanken gewesen, daß er nach zehn oder zwanzig Versen sich nicht mehr erinnerte, seinen Helden nach Arkadien in eine ganz scharf gezeichnete Situation des Hirtenlebens versetzt zu haben? Dazu kann doch wohl selbst eine so scharfe Kritik, wie man sie jetzt an des Dichters Denkkraft zu üben anfangt, nicht ja sagen." Für die "zunächst unerklärliche Disharmonie in der Anlage des Gedichtes" (ibid., S.7) gibt es nur zwei mögliche Erklärungen: tatsächliches - und dann unentschuldbares - dichterisches Unvermögen Vergils oder - eher entschuldbar - eine derart unüberbrückbare Disparatheit in dem zugrundeliegenden Vorlagenmaterial, daß eine fugenlose Verknüpfung unmöglich wird: "Von V.35 an erscheint Gallus und seine Lycoris in einer Reihe wechselnder Situationen: erst er als arkadischer Schäfer, dann als Krieger, den auch im Schlachtgewühl Amor nicht verläßt (V.44 f.), hernach sie im Schnee der Alpen (V.46 ff.), darauf wieder er, dem Walde sein Leid klagend (V. 52-54), im Parthenischen Gebirge jagend (V.55 ff.), endlich verzweifelnd an der Heilbarkeit seiner Liebe (V.60 ff.). Diese Bilder, einzeln für sich genommen, sind makelfrei, ja zum Teil vortrefflich gelungen. Aber untereinander sind sie nur notdürftig, bisweilen nur recht äußerlich verknüpft." Daß genau diese "Gedankensprünge und Widersprüche" (1906, S.166), die jeweils die angeblichen Fugen kennzeichnen, als solche vom Autor der 10. Ekloge beabsichtigt sein könnten, schließt Skutsch aus (1901, S . l l ) : "Es giebt wohl Interpreten, die hierin einen wunderbar ergreifenden Wandel in der Stimmung des Liebesiechen sehen; uns erscheint der Gallus Vergils vielmehr, solange wir nicht tiefer in den Sinn der Ekloge blicken, wie ein

18

1. Zur Forschungsgeschicbte

launisches Kind, das das verlangte Spielzeug, wenn man es ihm eben reichen will, verdrießlich wegweist, um nach einem andern zu greifen, dessen es ebenso schnell wieder überdrüssig wird" oder (1906, S. 169-170): "Man verteidigt ihn (sc. Vergil) nicht gut, wenn man auf das 'Schwanken der Stimmungen' in der Elegie Tibulls hinweist. Denn ganz abgesehen davon, daß wir auch diese künftig aus Kontamination d.h. eben schließlich doch aus einem Mangel der dichterischen Technik zu erklären uns bemühen müssen, handelt es sich bei Vergil nicht um ein Schwanken von Stimmungen, sondern um ein Schwanken von Entschlüssen, von denen Gallus normalerweise jeden erst durchprobiert haben müßte, um zu einem anderen gelangen zu können." Bruchlosigkeit der Übergänge bleibt oberstes ästhetisches Postulat; Vergil würde sie verwirklicht haben, wo es ihm möglich gewesen wäre, und wo sie fehlt, ist Vergil partiell an den Schwierigkeiten seiner "Vorlagen" gescheitert. Die immerhin notwendige minimale Kontinuität zwischen den verschiedenen Partien ist nur notdürftig ("äußerlich"; 1901, S.12) dadurch hergestellt, daß "die ganze Reihe disparater Stimmungen, Absichten, Situationen als Subjekt den Gallus hat und diesem als Monolog in den Mund gelegt ist" (I.e.) Skutsch bestimmt Abschnitte von Gallus' Monolog - jeweils von "Fuge" zu "Fuge". Jeder dieser Abschnitte stammt aus einem anderen der von Vergil in Katalogform zusammengefügten Gedichte des Gallus. Für jeden sucht Skutsch eine Parallelstelle bei einem der überlieferten Elegiker. Gelingt ihm dies, so genügt ihm das als Beweis, daß beide Stellen (die 10. Ekloge und die des anderen Elegikers) Gallus zum gemeinsamen Vorbild hatten. Die Abschnitte sind bei ihm die folgenden (Skutschs Bezeichnungsweise mit kleinen Buchstaben aus dem 2.Teil seines Werks [1906, S. 166-170) wird hier übernommen): a) v. 31-34, b) v. 35-36, c) v. 37-41, d) v. 42-43, e) v. 44-45, f) v. 46-49, g) v. 50-51, h) v. 52-54, i) v. 55-60a, k) v. 60b-69. Exemplarisch ist Skutschs Begründung dafür, daß Abschnitt "d" (v.42-43: hie gelidi forties, hie mollia prata, Lycori, / hie nemus, hie ipso tecum consumerer aevo) mit dem Vorhergehenden nicht vereinbar sei (1906, S.167). Er setzt sich hier von Leo (s.u. 1.1.2) und Voß ab, die geglaubt hatten, die Phantasievorstellung über Phyllis verwandle sich in die über Lycoris: "Wo ist da plötzlich Amyntas und der quicumque furor hin, die pari loco mit Phyllis genannt waren, Amyntas sogar mit besonderer Hervorhebung durch die Parenthese? Hat der fuscus auch die Züge der Lykoris angenommen? Ein schönes Kompliment! Nun überlege man noch, wie sonderbar jene Parenthese auch an sich ist, wenn Gallus wirklich von vornherein auf Lykoris hinauswollte! Wozu denn erst den braunen Teint des Amyntas so breit entschuldigen, wenn Gallus doch die Liebschaft mit ihm gar nicht als einen ernsthaft zu nehmenden Fall betrachtet, wenn doch Lykoris sein Sinnen erfüllt." Hier sind für Skutsch lediglich zwei Gallusstellen unvollkommen zusammengefügt. Der "katalog-

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artige" Monolog bleibt nach seiner Interpretation als ganzer poetisch mangelhaft. Die Parallelstellen bei den erhaltenen Elegikern, die Skutsch (1901, S. 12-16; 1906, S. 172-174) im Rahmen seiner Argumentation für die einzelnen Abschnitte ausfindig macht, seien kurz genannt: Abschnitt "b": Tib. 1,1,7 und 29 ff. sowie 2,3,5 ff., Abschnitt "d" und "e": Tib. 1,1 sowie Tib. 1,10 (z.B. v. 11: nunc), Abschnitt "f": Prop. 1,8 und Ovid am. 2,11,12, Abschnitt "h": Prop. 1,18, Abschnitt "i": Prop. 2,19,17 ff. (Milanion: Prop. 1,1,9 ff.), Tib. 1,4,49 ff., Ovid ars am. 2,187 ff. Die Euripidesparallele in "i" (Phaidra in Hippolytos 215 ff.) sei ebenfalls durch die Elegie vermittelt (1901, S.16). "Übrig" bleiben dabei zunächst die Abschnitte "a", "c", "g" und "k". Zu zweien dieser Partien finden sich jedoch bukolische Parallelen4 (1901, S. 1617; 1906, S. 174-175); nämlich zu Abschnitt "c" (Theocr. id. 7,132 ff. und 63 ff., Theocr. id. 10,26 ff.) und zu v. 64-69, dem 2.Teil von Abschnitt "k" (Theocr. id. 7,111 ff). Außerdem führt Skutsch (1906, S.17) zu v.42 aus Abschnitt "d" zusätzlich zu Tibull (s.o.) noch Theokrit 5,33 f. an5. Unbesprochen läßt Skutsch den Abschnitt "a" (v.31-34), da sich für ihn keine direkte Parallele ausfindig machen läßt. Gallus, dies war schon zuvor eine weitere Stoßrichtung von Skutschs Argumentation, hat zeitweise auch bukolisch gedichtet6. Als Indiz dafür sah er schon ecl. 10,17 (nec te paeniteat pecoris, divine poeta, was er [1906, S. 160] mit "denke nicht gering von deinen bukolischen Dichtungen" wiedergibt). Skutsch resümiert seine Analyse des Monologs folgendermaßen (1901, S.17): "So lösen sich also die Klagen des Gallus ganz in elegische und bukolische Elemente auf - bis auf die zwei

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SKUTSCH 1906, S.174: "Wo... die römische Elegie versagt, treten dafür Parallelen aus Theokrit ein." 5 SKUTSCHS Argumentation mit Phantomen wird besonders deutlich an der Stelle, an der er ecl. 10,18 (etformosus ovis ad fluminapavit Adonis) bespricht (1906, S. 177-178). DerVers hat eine Parallele in Tibull 2,3,11 (pavit et Admeti taurosformosus Apollo), also, so SKUTSCHS schon bekanntes Argumentationsmuster, war Gallus das gemeinsame Vorbild der beiden Stellen. Da sich zu diesem Passus aber auch noch zwei vergleichbare Stellen bei Theokrit bzw. Pseudo-Theokrit finden (id. 1,109: ωραίος χώδωης eirei και μήλα νομιί*ι, [id. 20],33: χώ «αλός Διόνυσος iv ayxem ττόρτιν «λαύρα). muB bereits Gallus den Vers von Theokrit übernommen haben, womit für SKUTSCH (1906, S.178) "kein Zweifel mehr" besteht, "daß Gallus den Theokrit übersetzt hat oder wenigstens in seinen Gedichten Theokritimitationen vorkamen". Was aber spricht hier gegen eine direkte Übernahme Theokrits durch Vergil oder Tibull - oder Vergils durch Tibull? Die Annahme, Gallus sei gemeinsames Vorbild für die 10. Hkloge und einen anderen Elegiker gewesen, mag bei denjenigen Stellen der 10. Ekloge gerechtfertigt sein, die eindeutig elegisch geprägt und bukolikfern sind. Aus bukolischen Parallelen zwischen Theokrit, der 10. Ekloge und (im vorliegenden Falle) Tibull jedoch auf Gallus als Zwischeninstanz zu schließen, ist unzulässig. 6 Daran zweifelt im übrigen auch J. HUBAUX (op. cit., S. 87-101; s.o., Anna. 1) trotz seiner Skepsis gegenüber der Serviusnotiz nicht.

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1. Zur Forscbungsgeschicbte

Verse, die wir noch nicht besprochen haben, 50 f." 7 . Diese Verse (ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu / carmina pastoris Siculi modulabor avena), die den dichterischen Sinneswandel des Gallus zum Ausdruck bringen, sind für Skutsch der unwiderlegliche Beweis dafür, daß die Theokritreminiszenzen im Monolog des Gallus bereits aus dessen Gedichten stammen (1901, S.17): "Es ist ohne weiteres klar, daß Vergil einen solchen Entschluß seinem Gönner nur in den Mund legen konnte, wenn der ihn schon selbst ausgesprochen oder auch zur Ausführung gebracht hatte"8. Skutschs abschließende Bemerkung zu Struktur und Funktion der 10. Ekloge lautet (1901, S.18): "Vergils zehnte Ekloge hat demnach ... den Zweck, einen Überblick über die elegisch-bukolische Poesie seines verehrten Gallus zu geben" 9 . Dies sei ein (I.e.) "an sich vortrefflicher Gedanke". Jedoch (1901, S. 18-19) "die Ausführung mußte... darunter leiden, daß eine Sammlung Elegieen nun einmal weder Einheit des Ortes noch der Handlung noch der Zeit noch der Stimmung hat und daß bei dem Mangel dieser Einheiten die Verknüpfung der einzelnen Gedichte untereinander nicht immer tadellos gelingen, nicht immer unfühlbar gemacht werden kann". Schließlich paraphrasiert Skutsch (1901, S. 19-20) die Einzelgedichte des Gallus, die er hinter dem Monolog aus ecl. 10 zu erkennen glaubt (dabei ist die Einteilung etwas gröber gewählt als die oben aufgeführte, aus dem 2. Teil des Werks von 1906 stammende): "So giebt also wohl V. 35-41 ein bukolisches Gedicht wieder, in dem Gallus sich nach Arkadien in die Arme einer Phyllis oder eines Amyntas gewünscht hatte." Mit v.42 sei (i.e.) "ein neues Motiv... ungeschickt genug an das Vorausgehende angeschlossen: das war ursprünglich

7 Darüber hinaus sind die Gm-Parallelen in der 10. Ekloge für SKUTSCH, der ja für die Cins von der Autorschaft des Gallus überzeugt ist, "Worte des Gallus" (1906, S.176) in der 10. Ekloge (die dann weder elegisch noch bukolisch sind). Eine Aufstellung: spelaea (ecl. 10,52) hat eine Parallele in Ciris 467 (466-467: (sc. C/OMS] infestumque suis dirae testudinis exit / spelaeum), lucosque sonantis (ecl. 10,58) in Ciris 196 (196-197: quae mare, quae viridis silvas lucosque sonantis / incolitis, gaudete... ), Partho (torquere Cydonia) cornu / spicula (ecl. 10,59-60) in Ciris 299 (Cnosia nec Partho contenders spicula cornu...) und omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori (ecl. 10,69) in Ciris 437 (omnia vicit amor: quid enim non vinceret ille?) 8 SKUTSCH (1901, S.2) glaubt den biographischen Angaben der Probusvita (8-9), Gallus sei zu Vergils Gönner geworden, indem er ihm bei der Wiedererlangung seines Gutes behilflich gewesen sei. ® Die Vorstellung vom (etwa durch Freundespflichten angeregten) "Kataloggedicht" hielt sich im übrigen auch in der amerikanischen Philologie recht hartnäckig. H.W. PRESCOTT (The Development of Virgil's Art, Chicago 1927, S.109) konnte zur 10. Ekloge noch schreiben: "Such catalogue poetry, in the most charitable estimate, reveals hardly more than a praiseworthy effort to relate the traditional literary type of the pastoral to some of the vital interests of the poet himself, his friends, and patrons".

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eine Elegie, in der Gallus mit Lykoris auf dem Lande zusammenzuleben sich wünschte, wie Tibull in den vorhin citierten Elegieen mit Delia." Weiter (I.e.): "Zu dem hie gelidi fontes V.42 gab nunc insanus Amor V.44 einen unversöhnbaren Gegensatz: mit V.44 hebt also eine neue Elegie an, in der Gallus seine selbst im Kxiegsgetümmel fortdauernde Liebessehnsucht schilderte." Skutsch zum weiteren Verlauf (1901, S.19): "Einen deutlichen Einschnitt erkannten wir sodann erst wieder zwischen V.49 und 50"; ibid.: "... es könnte also Gallus das Motiv: 'Lydia im Alpenschnee' mit jenem eben erwähnten: 'Liebe in Waffen' zu einer Elegie vereinigt haben"10. Wahrscheinlicher - und auch durch Properz 1,8 nahegelegt - seien jedoch getrennte Vorlagen für die beiden Abschnitte des Monologs. Die Verse 50-51 (ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu... ), "das Programm, das Gallus für eine neue Richtung seiner Poesie aufgestellt hatte" (1901, S.20), haben nach Skutsch wahrscheinlich eine gesonderte Vorlage für sich, möglicherweise "in dem Prologe eines der vier Lycorisbücher" (I.e.). Die Verse 52-54 sind wegen der durchgängigen Parallele mit Properz 1,18 zu sondern; die nächste Einheit bilden die an einer "Jagdelegie" (l.c) des Gallus orientierten Verse 55-60a: "Diese Elegie war also wohl auf den einheitlichen Ton einer Schwärmerei wie die der Phaidra gestimmt, und erst in einem andern Gedichte mit bukolischem Charakter wurde die schwermütige Resignation laut, in der die Klagen des Gallus abschließen" (I.e.). Der "jähe Stimmungsumschlag in V.60" (I.e.) fallt "wohl nur Vergil zur Last" (I.e.). Hinsichtlich der Datierung der 10. Ekloge stimmt Skutsch (1906, S. 187188) der communis opinio bei, die das Gedicht ins Jahr 39 setzt. Zur Frage nach dem Anlaß zitiert er (1906, S. 188) den mittlerweile erschienenen Aufsatz von Jacoby11, der eine unmittelbar vorhergegangene Veröffentlichung der vier Bücher Amores durch Gallus annahm. Einem so späten Ansatz der gesamten Liebesdichtungen des Gallus steht noch das Argument entgegen, errantem Permessi ad flumina Galium in der früheren 6. Ekloge (v.64) beziehe sich bereits auf diese, und die Muse (una sororum; ecl. 6,65) führe dort den Gallus von der Liebesdichtung hinauf zur aitiologischen als der Dichtung höherer Dignität12. Dies, so Skutsch (1906, S. 189-190), sei ihm aber zweifelhaft geworden, "seit ich bei Nikander (Ther. 12) gelesen habe: et ereov xep / 'Ασκραϊος μνχάτοιο μβλισσήεντος iv όχΰαις / 'Ησίοδος κατίΧβξβ παρ' υδασι Πβρμησσοϊο. (...) Wenn Nikander den Hesiod am Permessos singen

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SKUTSCH spricht unerklärlicherweise gelegentlich von "Lydia" statt von "Lycoris". " Art. cit., S. 103 (s.o., S.16): "40/39 ist das Geburtsjahr der römischen Elegie." 12 Vgl. Prop. 2 , 1 0 , 2 5 - 2 6 : nondum etiam Ascraeos norunt mea carmina fontis, / sed modo Permessi flumine lavit Amor. Grundlegend zum Problem E. MAASS, Untersuchungen zu Properz und seinen griechischen Vorbildern, Hermes 31 (1896), S. 375-434 (bes. S. 390-428).

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1. Zur Forschungsgeschichte

läßt, kann bei der notorischen Verehrung der Alexandriner für den Vater des Lehrgedichts der Permessos nicht eine relativ niedrige Stufe der Poesie oder auch nur eine andere Gattung als die hesiodische bezeichnen sollen." So kann Skutsch sein Datierungskapitel mit dem Satz beschließen (1906, S.190): "Ich finde also in der sechsten Ekloge keinerlei sichere Erwähnung der erotischen Poesien des Gallus mehr, und deren zeitlicher Ansetzung durch Jacoby steht darum von dieser Seite her nichts im Wege."

1.1.2 Friedrich Leo Als Erwiderung auf den ersten Teil von Skutschs Werk "Aus Vergils Frühzeit" erschien 1902 Friedrich Leos bereits erwähnter Aufsatz "Vergil und die Ciris" (Hermes 37, S. 14-55; alle Seitenangaben in diesem Abschnitt beziehen sich hierauf, wenn nichts anderes angegeben ist; später in dieser Arbeit wird der Aufsatz als "Leo" zitiert). Leo beabsichtigt, Skutschs These von der Autorschaft des Gallus für die Ciris Punkt für Punkt zu widerlegen und nachzuweisen, daß diese "ein Product des aus dem hellenistischen hervorgegangenen gebildeten römischen Dilettantismus" (S.50) ist. An allen Parallelstellen Vergils mit der Ciris habe jener die Priorität. Anders als Skutsch bemüht sich Leo, die Eigenart vergilischer imitatio als "frei und durch den gegebnen Stoff ungebunden" (S.52) und fern jedem "Plagiiren" (S.50) zu beschreiben. "Versgruppen zu übernehmen wie Cir. 59-61 ( = ecl. 6,75-77; d.Verf.), 402-406 ( « Aen. 2,405-406, ecl. 8,19-20; d. Verf.), 538-541 (=Georg. 1,406-409; d.Verf.), um nur diese Stellen zu nennen, ist ein Verfahren, das Vergil völlig fremd ist. Wenn er es gethan hätte, so wäre er freilich der Stümper, für den ihn - Horaz nicht gehalten hat" (S.54). Im ersten Teil des genannten Aufsatzes behandelt Leo die 10. Ekloge. Auch hier geht es ihm darum zu zeigen, daß das Gedicht nicht den von Skutsch behaupteten Stückwerkcharakter hat. Daß Leos Aufsatz diese Absicht zugrundelag, wurde in der weiteren Diskussion zur 10. Ekloge meist übersehen; die Arbeit blieb hauptsächlich wegen ihrer unglücklichen Versuche in Erinnerung, vom Werk auf Biographisches zurückzuschließen 13 . Leo versucht, dem Gedicht seine Einheit zu erhalten, indem er Gallus durchgängig zum Soldaten in Arkadien macht. Die Verse 44-45 (nunc insanus amor... ), die für Skutsch letztgültiger Beweis der mangelnden Einheit waren, stünden nicht im Widerspruch zu der Einleitungsszenerie des Gedichts, wenn man annehme, Gallus sei dort bereits als Soldat vorgestellt (S.22: "Gal-

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Kritik an LEO etwa bei K. BÜCHNER, P. Vergilius Maro, der Dichter der Römer, RE VIII A (1-2), Sp. 1021-1486, Stuttgart 1955/1958; dort: Sp. 1245. (Der Artikel wird von jetzt a n a l s "BÜCHNER, R E " z i t i e r t . )

Friedrich Leo

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lus, der als Krieger nicht als Hirt am arkadischen Felsen liegt... "). Bei Zugrundelegung einer einheitlichen Szenerie des Gesamtgedichts brächten die w . 44-45 dem Leser oder Hörer lediglich einen Erkenntnisfortschritt: "Dass Gallus nicht Hirt ist, wussten wir (sc. wegen v.17: nec te paeniteat pecoris, divine poeta; d.Verf.); nun hören wir, dass er Soldat ist. Kann ein Dichter sich deutlicher ausdrücken? und sind wir irgend berechtigt, ihn anders zu verstehen als er sich deutlich ausdrückt?" (S.17). Die Gedankensprünge im Verlauf von Gallus' Monolog, die Skutsch als die Fugen unzulänglich verbundener Vorlagen verstehen wollte, deutet Leo als den Ausdruck eines (elegischen) Stilprinzips: "Die alten Erklärer befinden sich im Irrthum, wenn sie meinen (zu V. 44. 45. 48. 54), Vergil wolle durch den Wechsel der Vorstellungen die inconstantia amantis charakterisiren. Es ist vielmehr der uns Allen aus Tibull und Properz, in individuell verschiedner Formung, vertraute elegische Stil, der den erregten Sinn wie unwillkürlich von Bild zu Bilde gleitend vorstellt" (S.16). Es wird allerdings nicht recht klar, weshalb nicht gerade das ein Ausdruck von "inconstantia amantis" sein sollte. Die für Skutsch "härteste" Fuge des Monologs, den Übergang von v.43 zu v.44 mit nunc insanus amor... , glaubt Leo ebenfalls als typisch elegische Erscheinung deuten zu können (S.17): "Der Gebrauch von nunc... ist charakteristisch für die Elegie, das Erwachen aus ausgesponnenem Traumwunsche einzuleiten. Ich begnüge mich an Tibull I 10 zu erinnern, wo der Schilderung der goldnen Zeit (7 sq.) und dem Wunsch damals zu leben (11) der Gedanke an die Gegenwart entgegentritt: nunc ad bella trahor." Dies soll als Beispiel für die Herangehensweise Leos genügen, die dem vorliegenden Gedicht zunächst einmal eine eigene, sinnvolle Struktur unterstellt und diese zu explizieren versucht. Die letzte Verankerung und Begründung des Gedichtes glaubt Leo aber nur in erschlossenen biographischen Fakten finden zu können. Hintergrund soll ein realer Aufenthalt des historischen Gallus als Soldat in Arkadien sein: Vorlage für die 10. Ekloge wäre dann (wegen der Bemerkung des Servius zu v.46) ein Gedicht des Gallus mit eben diesem Inhalt - anders als für Skutsch aber nur ein einziges Gedicht. Nun ist es nur konsequent, einen real-historischen Hintergrund für diese Konstruktion zu suchen: "Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Situation des Gedichtes, aus dem Vergil den Anlass zu seiner Erfindung genommen hat, historisch ist. Die Zeit der Ecloge lässt sich nicht über 715 hinausrücken. Nach 712 giebt es keinen griechischen Feldzug. Es folgt schon hieraus mit der grössten Wahrscheinlichkeit, dass Gallus bei Philippi mitgefochten hat" (S.18). Nach der Schlacht hat Gallus sich noch für eine Weile in Griechenland aufgehalten und ist bei dieser Gelegenheit auch nach Arkadien gekommen: "Man würde es auch ohne die 10. Ecloge wahrscheinlich finden müssen, dass Gallus im Heere Octavians an der Schlacht theilnahm; und es ist sehr möglich, dass er mit Antonius in Griechenland war

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1. Zur Forschungsgeschichte

und erst Anfang 713 nach Italien zurückkehrte (sc. um dort als Vertrauensmann Octavians bei der Landverteilung zu fungieren (vgl. Servius auctus ad ecl. 6 , 6 4 ] ; d. Verf.). In Griechenland handelte es sich wie in Gallien um die Brandschatzung der Städte" (S.19). Schwierigkeiten hat Leo dann bei dem Versuch, einen gleichzeitigen Germanienfeldzug auszumachen, den Lycoris begleitet haben könnte. Die Nach-

richt des Servius zu ecl. 10,1 (Antonium euntem ad Gallias est secuta) kann nicht richtig sein, so daß Leo schließlich vermutet, es könnte auch L. und nicht M . Antonius gemeint sein: "... um zu zeigen, dass es trotz der mangelnden Ueberlieferung kein Bedenken hat, eine mit Philippi gleichzeitige nördliche Kriegsfahrt der Lycoris anzunehmen" (S.19). Leo vergleicht die Situation des "Soldaten Gallus in Arkadien" mit der Tibulls in 1,3: Dieser " h a t . . . Messalla ins Feld begleitet, liegt krank auf Korkyra, sieht den Tod k o m m e n ; sein Gedanke ist Delia: sie sitzt in Rom, züchtig, und wartet auf ihn" (S. 18). Entsprechendes gilt jedoch nicht für Lycoris: "Wenn auch Lycoris in R o m sässe, so könnte auch Gallus sich eine sittsame Lycoris ausmalen und seine trüben Gedanken in Wiedersehenshoffnung ausklingen lassen; aber procul a patria u . s . w . - da giebt es keine Täuschung" (I.e.). Die Tatsache, daß es laut v. 44-45 ja amor selbst ist, der den Gallus in armis festhält, muß Leo unterschlagen bzw. er muß ein konzessives Verhältnis hinzukonstruieren: Die Liebe läßt den Gallus nicht los, obwohl sich dieser im Krieg befindet. Infolge der biographieorientierten Deutung fallt jeder innere Zusammenhang zwischen dem Kriegsbild und der Liebesthematik weg. Gallus' verschiedenartige arkadische Phantasien sind für Leo verschiedene Facetten einer Lebensf o r m , die seiner tatsächlichen als Krieger entgegengesetzt ist und von der er sich die Heilung erhofft, die ihm in seinem "unerträglich gewordne(n) bisherigein) Leben" (S.20) nicht zuteil wird: "... das neue Leben soll ihm... helfen, er will doch versuchen, ob ihn Amor, der ihn Mortis in armis detinet, im Waldesleben fahren lassen wird. Darum greift er, statt des idyllischen Schafehütens und Rebenpflanzens (v.36), zu den frischeren und wilderen Thaten des W a i d m a n n s " (S.21). Interessant sind Leos Überlegungen zu v. 50-51 (ibo et

Chalcidico quae sunt mihi condita versu / carmina pastoris Siculi modulabor avena). Gegen Skutsch konstatiert Leo (S.20) hier völlig zutreffend: "Dies bedeutet keineswegs: 'ich will fortan nicht mehr elegisch, sondern bukolisch d i c h t e n ' , sondern es heisst: 'ich will die Gedichte, die ich in Euphorions Stil gedichtet habe, nach der Weise Theokrits zur Hirtenflöte singen'; dieselben Gedichte, die fertig vorliegen, will er in Feld und Wald nach Hirtenweise singen." Gallus spreche hier demnach von einem andersartigen poetischen U m g a n g mit demselben poetischen Material. Die Identität der Stoffe sei auch durch die Konventionen der beiden Genera nahegelegt: "Zwischen Elegie und Bukolik ist kein wesentlicher Unterschied des Stoffes; nur das mimetische Ele-

Friedrich Leo

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ment unterscheidet Theokrits Bukolik von der Elegie. Die auftretenden Hirten singen Elegisches; so Gallus in dieser Ecloge" (S.20)' 4 . Mit dem "mimetischen Element" kann Leo nur die Tatsache meinen, daß die Hirten der bukolischen Dichtung, wenn sie von Liebe singen, in der Regel nicht von sich selbst sprechen, sondern bereits im Gedicht das Leiden anderer besingen. Leo äußert hier sehr früh einen Gedanken, der für die vorliegende Arbeit noch wichtig werden wird: nämlich daß der entscheidende Unterschied zwischen Elegie (als dem Medium des Gallus) und Bukolik (als dem Medium des Eklogenbuchs) nicht inhaltlicher Natur ist. Wesentliche und unterscheidende poetische Eigenschaft der Bukolik des Eklogenbuchs ist vielmehr die, daß sie rahmende Dichtung ist - und Leo bemerkt hier auch, daß Gallus als "elegische" Figur, die ein individuelles Erleben in der 1. Person zum Ausdruck bringt, in der 10. Ekloge wie ein Hirt innerhalb einer bukolischen Rahmung auftritt. Im Rahmen seiner Gesamtargumentation kann Leo dies jedoch nur als ein Lebenswahlmotiv verstehen (S.20): "Es bedeutet nur, dass Gallus aus dem Krieger und Poeten zum Hirten und Sänger zu werden vorhat." Im Vergleich zu Skutschs rein analytischer Betrachtungsweise weist Leos Ansatz insofern in die Zukunft, als er stets auf dem Eigenrecht des Gedichts besteht. Zu Ende des Abschnittes über die 10. Ekloge betont Leo noch einmal seine Überzeugung von der Stimmigkeit des Gedichts in sich (S. 21-22): "In diesem Gedicht ist keine Unebenheit, es ist nichts was eine Erklärung von aussen her verlangte; die nach Servius' Zeugniss aus Gallus entnommene Stelle könnte ebensogut auf Vergils Webstuhl gewoben sein, nicht Naht noch Fuge verräth sie." Bei Leo wird die biographische Erklärung mithin zum Versuch, auf zeittypische Weise die Einheit des Gedichts vor der analytischen Zergliederung zu bewahren: Diese Einheit war für ihn nicht anders als durch einen wahren biographisch-historischen Hintergrund verbürgt zu denken, und eben diesen Hintergrund bemüht sich Leo durch seine Konstruktion "Gallus als Krieger in Arkadien" herzustellen 15 . Leo (S.22): "Jenes Zeugniss (sc. das des Servius zu v.46; d. Verf.) aber giebt uns, wie wir gesehen haben, das Mittel, auch äussert ich zu begründen was Vergil zur Erfindung des Gedichts, seiner ϋτόϋεσις oder Idee geführt hat. Gallus, der als Krieger nicht als Hirt am arkadischen Felsen liegt, von den Pflanzen und Bergen betrauert, von den Schafen, Schäfern und Göttern besucht wird, das Widerspiel von Namen und Person des Gallus gegen die bukolische Umgebung: darin liegt die Pointe des Gedichts und der Punkt, um den sich sein Verständniss dreht." Man tut Leo unrecht, wenn man seinen Aufsatz auf den Versuch einer Biographierekon-

14

Dazu vgl. M. POHLENZ; S.U., Anm. 39. Noch sehr uahe an LEOS Argumentation befindet sich im übrigen H.J. ROSE, The Eclogues of Vergil, Berkeley Ί 9 4 2 (Sather Classical Lectures XVI), S. 104-116. 15

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1. Zur Forschungsgeschichte

struktion reduziert und nicht die dahinterliegende Absicht würdigt, einen Sinn des Gedichtes zu retten.

/. 2 Die geisteswissenschaftliche Tradition 1.2.1 Bruno Snell 1.2.1.1

Snells Deutung von Vergils Bukolik insgesamt

Eine der wichtigsten und folgenreichsten Arbeiten zur 10. Ekloge ist Bruno Snells zuerst unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg erschienener Aufsatz "Arkadien - Die Entdeckung einer geistigen Landschaft" 16 . Auch wegen ihrer Breitenwirkung und der Ausstrahlung auf andere Fächer ist Snells Arbeit in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. Snell faßt schon das Eklogenbuch als ganzes und dessen Schlußgedicht in noch einmal gesteigertem Maße als programmatisch auf: Vergil propagiere hier ein neues, in Absetzung von allem Griechischen nun typisch römisches Dichtungsmodell. Eine neue Dichtungssphäre werde hier geschaffen, und die 10. Ekloge thematisiere diese unter dem Namen Arcadia noch einmal in besonderer Weise 1 7 . Die 10. Ekloge wird für Snell nicht vorrangig als Einzelwerk zum Gegenstand der Betrachtung, sondern als programmatisches Schlußgedicht des Eklogenbuchs. Er sieht als ihre Substanz nicht eine Auseinandersetzung zwischen zwei Dichtern oder zwei Dichtungsgattungen. Im Zeichen der These, hier werde ein Dichtungsprogramm verkündet, treten bei Snell vielmehr alle Spannungen und Widersprüche innerhalb des Gedichts zurück. Die Figur des Gallus der 10. Ekloge steht in Snells Deutung vollkommen im Dienst des neuen poetischen Programms: Gallus wird für Snell zu einer Maske Vergils, zum Vertreter κατ εξοχήν eines neuen, gefühlsbetonten Dichtens, dem Vergil in seinem programmatischen Schlußgedicht aus Bescheidenheit den Vortritt lasse. Ungeachtet der Tatsache, daß die Namen Arcadia bzw. Arcades im Eklogenbuch nur äußerst spärlich belegt sind 18 , setzt Snell stets die bukolische Sphäre des Eklogenbuchs mit Arkadien gleich. Arkadien

16

Zuerst in A + A 1 ( 1 9 4 5 ) , S. 2 6 - 4 1 ; hier zitiert nach: B. SNEI.L, Die Entdeckung des

Geistes. Göttingen M 9 8 0 , S. 2 5 7 - 2 7 4 . Daraus in diesem Abschnitt alle Zitate, wenn nichts anderes angegeben ist; danach wird die Arbeit hier als "SNELL, Entdeckung" zitiert. 17

SNELL, art. c i t . , S . 2 6 6 : "Die 10. Ekloge führt uns wie keine andere... in das vergilische

Arkadien." 18

Siehe dazu unten Anm. 24 und 25.

Bruno Snell

27

als zivilisationsferne Sphäre, in der alles "im Schimmer des Gefühls" ( S . 2 6 2 ) steht und die v o n "empfindsamen" ( S . 2 6 1 ) Hirten (von Snell meist "Schäfer" genannt) bewohnt wird, ist v o n Vergil - insbesondere in der zehnten Ekloge "entdeckt" worden: Arkadien als Idyll 19 . D i e Lokalisierung dieser Sphäre gerade in Griechenland (und nicht mehr, w i e bei Theokrit, in Sizilien) verdankt sich dem Bedürfnis, in der Dichtung eine (von Italien aus gesehen) auch geographisch möglichst große Ferne zur "häßlicher gewordenen Wirklichkeit" ( S . 2 5 7 ) zu schaffen,

"ein Land, das im goldenen Dunst der Ferne ver-

schwamm" ( S . 2 5 8 ) 2 0 . D i e s e Ferne, dieses V e r s c h w i m m e n ist für Snell 21 ein

19 Z.B. S.257: "... das Land der Schäfer und Schäferinnen, das Land der Liebe und Dichtung." 20 Die Hinweise auf Zivilisationsflucht und -müdigkeit als Anlaß und Auslöser bukolischer Dichtung finden sich bei SNELL jedoch nur gelegentlich und verstreut; der Gedanke steht nicht im Mittelpunkt und ist nicht streng durchgeführt (z.B. noch S.261: "städtisch-zivilisiert" als Gegenbegriff zum Bukolischen oder S.266: Bukolik als "jenseits der rauhen Tatsachen" befindlich). Ein Zusammenhang zwischen bukolischer Welt und goldenem Zeitalter ist auf

S.266 angedeutet. 21 SNELL stellt sich damit in eine Tradition, die sich in Deutschland auf G. JACHMANNS Aufsatz "Die dichterische Technik in Vergils Bukolika" (NJbKlAlt 25 [1922], S. 101-120) zurückverfolgen läßt. JACHMANN ist dort noch ganz von dem defensiv-apologetischen Bestreben bestimmt, das Eigene Vergils zu zeigen und die Unabhängigkeit Vergils von Theokrit nachzuweisen. Bei dieser für die damalige Zeit neuartigen Gegenüberstellung von Vergil und Theokrit läßt er sich von dem Begriffspaar "naive" und "sentimentalische Dichtung" leiten (S.104). Vermeintliche Ungenauigkeiten des Eklogenbuchs, die von Philologen des 19. Jahrhunderts (z.B. P. JAHN, Die Art der Abhängigkeit Vergils von Theokrit, Berlin 1897, 1. Fortsetzung 1898, 2. Fortsetzung 1899) nur als Folge von Vergils Unverständnis und seiner künstlerischen Unreife gedeutet werden konnten, versteht Jachmann erstmals als beabsichtigte Folge des neuen "sentimentalischen" Dichtens, als Ausdruck einer besonderen, neuen Seelenverfassung des Dichters. Der "Nichtrealismus" (JACHMANN, art. cit., S.104) ist Ergebnis der Liebe, mit der der sentimentalische Dichter Vergil die ihm trotz der Landenteignungen geschenkte bukolische Welt wahrnimmt: "... er wirft sein Gefühl in die Welt hinaus, und was er mit ihm umfaßt, hat für ihn Realität, nicht das augenmäßig Geschaute" (art. cit., S.105). (Beispiele sind bei JACHMANN etwa die Darstellungen der Gesangswettstreite in der 3. Ekloge bzw. im 5. Idyll oder die Becher- ίκφράσας in ecl. 3,36-42 bzw. id. 1,27-56 oder auch die Unschärfe, mit der im Eklogenbuch Eigennamen verwendet werden [art. cit., S . l l l ] . ) Die Ungenauigkeit hat als bewußt gewählter Nichtrealismus nun eine ästhetische Funktion; sie dient der Erzeugung von "Stimmung" (S.104), "verhüllt" (S.114) Gegenstände und Vorgänge "hinter einem Schleier" (S.104), im "Zwielicht" (S. 118) oder bringt sie zum "Schillern" ( S . l l l ) . Weitere typische Verben: "verschwimmen" (S.107), "verwischen" (S.112), "verschwinden" (S.114). Eine ähnliche Aufstellung typischer Vokabeln bei E.A. SCHMIDT (Arkadien: Abendland und Antike, A + A 21 [1975], S. 36-57 [dort: S.43]), der gegen Jachmanns Grundthese richtig einwendet (Poetische Reflexion, München 1972, S.178; von nun an als "Schmidt, Poetische Reflexion" zitiert): "Es wird nicht recht verständlich, wie sachliche Unklarheiten Gefühl und Stimmung eines Gedichtes fördern können. Auch nicht, wieso Gefühlsrealität das Opfer der Klarheit im äußerlich Realen erfordere." Das Verbum "schimmern" findet sich im übrigen - ebenso wie der Begriff des Klassischen, der für SNELL ebenfalls

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1. Zur Forschungsgeschichte

Symptom von Gefühls- und Empfindungsbetonung (S.262): "Vergil sieht nur mehr (sc. im Unterschied zu Theokrit; d.Verf.) das Rührend-Bedeutungsvolle. In Arkadien rechnet man nicht, in Arkadien denkt man überhaupt nicht präzise und scharf. Alles steht im Schimmer des Gefühls". Vergils "Arkadien" ist für Snell eine Sphäre, die in einer eigenartigen, neuen Weise zwischen Mythos und Realität existiert: Er spricht (S.258) von einem "Zwischenland", das "weder mythisch" sei "noch ein Land der Erfahrung". Die "Entdeckung" dieser Sphäre mit ihrem eigenartigen Existenzmodus ist für Snell das spezifisch Römische und Vergilische (S.258): "In Vergils Arkadien fließt Mythisches und empirisch Gegebenes ineinander, und in einer für die griechische Dichtung höchst anstößigen Weise treffen sich hier Götter und moderne Menschen." Die Formulierung von den "modernen Menschen" bezieht sich dem Zusammenhang nach auf das Auftreten des Gallus in der 10. Ekloge. Eine ähnliche Existenzform zwischen Mythos und Realität beobachtet Snell auch bei Figuren der bukolischen Welt, besonders der des Daphnis, die im Eklogenbuch ständig zwischen mythischer Figur und Hirtenfigur hin- und herchangiere. Dessen Doppelcharakter allerdings war - wie auch Snell selbst ausdrücklich sagt - bereits von Theokrit vorgeprägt (S.261): "Nachdem Vergil seine Hirten einmal nach Arkadien versetzt hatte, war es kein großer Schritt, das Bukolische und Mythische ineinandergehen zu lassen - vollends da er Daphnis bei Theokrit in diesen beiden Bereichen fand." Snell macht wichtige Bemerkungen zu der poetischen Technik, mit deren Hilfe das konstituiert wird, was er den "Schimmer des Gefühls" und das "Seelenvolle" nennt. Dieser "Schimmer", der Eindruck vom "goldenen Dunst der Ferne" (s.o.), den der Leser des Eklogenbuchs gewinnt, entsteht wesentlich mit dadurch, daß hier Griechisches in römischer Dichtung wiederaufgenommen wird. Der besondere Existenzmodus der bukolischen Sphäre konstituiert sich nicht bloß inhaltlich (durch das vom Dichter beabsichtigte Verschwimmenlassen der Figuren und auch der Handlungen), sondern auch sprachlich. Die griechischen Namen erzeugen in römischer Dichtung eine ganz besondere Aura der Erhöhung; die Wahl griechischer Namen im lateinischen Text ist wie die Verlagerung des Schauplatzes von Sizilien nach Arkadien Zeichen einer Entrückung: "Für lateinische Dichter sind solch fremde, durch griechische Dichtung geadelte Namen ein wesentliches Mittel, die Sprache zu erhöhen, denn das Lateinische hat keine eigentliche Dichtersprache. Den Römern liegen diese Berge (zuvor war in Anspielung auf Theocr., id. 7,76-77

wichtig wird - auch bei W . Wili, Vergil, München 1 9 3 0 , S. 4 5 - 4 6 : "Ein altertümliches Schimmern lag (sc. im Eklogenbuch; d.Verf.) leicht über Vers und Worten und machte die Sprechweise gleich 'klassisch'; sie war der Hirtensprechweise in keinem derben Ausdruck angenähert (sc. wie bei Theokrit; d.Verf.), ihr nie verfallen."

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von Haimos, Athos, Rhodope und Kaukasos die Rede; d. Verf.) - um das Paradoxon zu wagen - alle in Arkadien - in dem Land von Corydon und Alexis, von Pan und Apoll" (S.260). Als Gräzist besitzt Snell besondere Sensibilität dafür, was es bedeutet, daß die lateinische Dichtung eine Dichtung zweiten Grades ist, die stets über das Griechische als eine Hintergrundsprache verfügt, mit der sie spielen kann und die den in ihr bezeichneten Gegenständen bzw. Örtlichkeiten etwas Uneigentliches verleiht. Lebte Theokrits Dichtung von einer bewußt erzeugten Spannung zwischen einer realen Hirtensphäre und dem hohen literarischen Anspruchsniveau von deren Figuren 22 (also dem Aufeinandertreffenlassen zweier in der Sprachpraxis unvereinbarer Sprachebenen innerhalb derselben Sprache), so dient im Eklogenbuch alles Griechische unterschiedslos der Erzeugung einer erhöhten, entrückten und "gefühlsbetonten" Sphäre (S.260): "Wenn Theokrit seine Schäfer diese Berge aufzählen läßt, klingt das fast, wie wenn etwa Menander Zitate aus der Tragödie nicht den Gebildeten, sondern den Sklaven in den Mund legt. Ironisch und bewußt läßt er die sizilischen Hirten geistig über ihre Kosten leben. Vergil aber nahm diese und ähnliche Stellen bei Theokrit als das, was sie ursprünglich gewesen waren, als Formeln pathetischen Inhalts, als Träger von Gefühl. Die Spannung zwischen Wirklichem und Literarischem, die für Theokrit ihren Reiz hatte, löst sich, und alles gerät auf die gleiche Ebene gehobener Feierlichkeit." Snell weist (S.258) den griechischen Götternamen in römischer Dichtung eine ähnliche Funktion zu wie den Ortsnamen: "Apoll und Pan sind für den Römer Vergil und sein römisches Publikum noch weniger als für Theokrit und die hellenistischen Griechen echte, geglaubte und damit als wirklich genommene Götter mehr." Im Zusammenhang mit den Götternamen führt Snell seine Überlegungen zu den griechischen Namen in lateinischer Dichtung ein Stück weiter, über den Gedanken einer bloßen sprachlichen Erhöhung hinaus: "In Arkadien wird alles zur Metapher, nichts ist wörtlich zu nehmen. Mythisches und Wirkliches spielt ineinander; das Genannte ist nicht zugleich existent und bedeutend, sondern nur bedeutend. Kunst wird zur Allegorie, zu einem Reich der Symbole" (S.273). Nach einem kurzen Exkurs zur griechischen Allegorie (zu der Möglichkeit, den Namen eines Gottes für dessen besonderen Bereich oder dessen Element zu setzen wie "Hephaistos" für "Feuer") schreibt Snell (S.273): "Für einen griechischen Dichter bezeichnet, solange er gläubig ist, solcher Name etwas Wirkliches; dem nicht mehr Gläubigen wird er ein Stilmittel oder dient dem poetischen Spiel. Die Römer aber schaffen sich mit solchen Namen ihr Arkadien, das Land des Geistes und der Dichtung." Die Eigennamen sind

22 Z.B. bei der Aufzählung der eben genannten "literarischen" Berge in der Klage um Daphnis im Lykidaslied des 7. Idylls.

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1. Zur Forschungsgeschichte

nicht mehr - wie in griechischer Dichtung noch viel eher - ernstgemeint; sie stellen vielmehr sprachliche Fremdkörper im lateinischen Text dar und machen das Besondere der poetischen Textsphäre aus. Ihrer ursprünglichen Bezeichnungsfunktion enthoben und nicht mehr an etwas als existent Geglaubtes gebunden, bekommen sie so - als literarische Reminiszenzen - eher Verweisfunktion auf eine literarische Tradition. Durch diese uneigentliche, nicht mehr naiv gegenstandsbezogene Verwendung der Namen werden gewissermaßen Bindungsenergien freigesetzt, die nun der Konstituierung eines neuen, aus eben diesen Namen bestehenden poetischen Kosmos dienen. Statt von "Allegorien" spricht Snell dann (S.273) auch von "Abbreviaturen der alten Götter"; als Beispiel dienen ihm die "göttlichen" Figuren des Eklogenbuchs (ibid.): "Bei Vergil verkörpern Nymphen und Musen, Pan und Apoll das idyllische Leben Arkadiens, seine friedvolle Natur und die gefühlvolle Dichtung, der die Hirten dort leben" - und weiter (ibid.): "... nicht mehr religiöses Staunen, sondern literarische Erinnerungen schaffen Wunschgestalten, die das Bedeutsame, Geistige, Seelenvolle verkörpern, das in einer 'aufgeklärten' Welt nicht zu finden ist." Die Kritik an Snells Sichtweise von Vergils Bukolik insgesamt muß schon beim Titel seines Aufsatzes ansetzen; d.h. bei der undifferenzierten Verwendung des Begriffes "Arkadien", der bei ihm zur pauschalen Bezeichnung der Sphäre des Eklogenbuchs wird, die als das Land der "Schäfer", der Liebe und der Dichtung verstanden und der Tendenz nach auch noch mit dem Goldenen Zeitalter ineins gesetzt wird 23 . Ε. A. Schmidt, einer der pointiertesten Kritiker Snells, weist dagegen immer wieder darauf hin, daß "Arkadien" bei Vergil eben keineswegs die bukolische Welt ist (worauf ja bereits die äußerst spärliche Verwendung dieses Namens im Eklogenbuch hindeutet 24 , ebenso die Tatsache, daß in römischer Dichtung

23 Dazu verleitet die vierte Ekloge; dazu ausführlich SCHMIDT in: Poet. Reflexion, S. 154172. Gerade in diesem Gedicht erweist sich aber nach SCHMIDT die "völlige Beziehungslosigkeit zwischen 'Saturnia regna' und 'Arkadien'" (op. cit., S.160). Gegen die Auffassung, Vergils Eklogendichtung wolle ein Ideal darstellen, wandte sich schon (wenn auch mit unhaltbarer Begründung) H. GOELZER, La po6sie pastorale de Virgile, AAM 22 (1931), S. 322 (dort: S.II): "Comme son devancier grec, Virgile a voulu peindre la vie des champs, la vie r6elle et non pas un certain id6al d'innocence et de bonheur qui n'a jamais existi que dans les rdveries de l'äge d'or." 24 Für SCHMIDT ist Arkadien im Eklogenbuch schlicht die Heimat des Pan, die Landschaftsbezeichnung lediglich Attribut, Chiffre, Kurzformel für Hirtengesang: In zwei Gedichten (ecl. 4,58 und 59; ecl. 10,26) steht der Name im Zusammenhang mit Pan, in ebenfalls zweien (ecl. 7,4 und 26 sowie ecl. 10,31 und 33) im Zusammenhang mit Hirtensängern. Mehr Belege gibt es im Eklogenbuch nicht. Auch G. JACHMANN setzte sich in einem späten Aufsatz noch mit SNELL auseinander (L' Arcadia come paesaggio bucolico, Maia 5 11952], S. 161174) und betonte dabei bereits die geringe Anzahl der Belegstellen von Arcadia bzw. Arcades

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nirgends ein Nachleben von Vergils angeblicher Entdeckung zu spüren ist25) und legt (Schmidt, Poet. Reflexion, S. 172-185; Arkadien: Abendland und Antike, A + A 21 [1975], S.36-57) dar, wie Snells gefühlsinnig-idyllisches Arkadienkonzept - unter Jachmanns Einfluß - durch eine Rückprojektion von Ideen der Renaissancebukolik (von besonderer Wichtigkeit Sannazaro26) auf die der Antike entstehen konnte (z.B. Schmidt, art. cit. [1975], S.42): "Daß die vergilische Bukolik ihre Welt ansieht 'wie etwas Verlorenes' (sc. Snell, S.263; d.Verf.), ist vom Vergiltext her unverständlich, wird aber erhellt, wenn man bei Panofsky liest: 'Arkadien ist nach Sannazaro wesentlich ein utopisches Reich, aber eben deshalb in den zarten Schleier der Melancholie gehüllt'"27 oder (Schmidt, Poet. Reflexion, S. 181): "In ihren Kategorien der Abwesenheit, der räumlichen und zeitlichen Ferne ist diese Arkadienvorstellung die Sehnsucht der Renaissance nach der Antike". Schmidt hat der Gefühls- und Verklärungsbegrifflichkeit der JachmannSnellschen Tradition in einer Weise, der sich der Verfasser dieser Arbeit anschließt, den Begriff der poetischen Autonomie entgegengesetzt. Die Eklogen beschreiben für ihn nicht auf verklärende (oder, wie Jachmann meinte, auf absichtlich verunklärende) Weise eine erträumte Realität; vielmehr sind sie

bei Vergil. Er deutete diese Beobachtung dahingehend, "Arkadien" sei bereits in spätalexandrinischer Zeit (z.B. Erykios, A.P. 6,96,2: ' Apκάδες αμφότεροι, als Vorbild für ecl. 7,4: Arcades ambo) eine eingeführte poetische Größe gewesen, und Vergil habe es somit keineswegs "entdeckt". Viel eher sei der Begriff zu Vergils Zeit tendenziell schon abgelebt und verbraucht gewesen: Gerade darauf weise die geringe Zahl der Belegstellen im Eklogenbuch. In ä h n l i c h e r W e i s e z w e i f e l t R . JENKYNS ( V i r g i l and A r c a d i a , J R S 7 9 [ 1 9 8 9 ) , S. 2 6 - 3 9 ) die

zentrale Bedeutung Arkadiens bei Vergil an. 25 SCHMIDT, Poetische Reflexion, S. 176: "Arkadien ist in der augusteischen Dichtung kein großes Symbol, sondern bleibt Heimat Pans wie in den Eklogen." Auch in der späteren Dichtung finden sich keine Spuren (ibid.): "Die Worte Arkadien, Arkader, arkadisch kommen in der neronischen Bukolik (Calpurnius, Carmina Einsidlensia) und bei Nemesian keinmal vor." 26 Dessen Arkadien-Umdeutung, die ecl.4, ecl. 10 und Tibulls Darstellung der campi Elysii in 1,3,57-66 kontaminiert, beschreibt SCHMIDT wie folgt (S.184): "Vergils Arkadien ist für ihn (sc. Sannazaro) Symbol der allgemeinen heidnischen Freiheit der Liebe." Auch R. POGGIOLI (The Oaten Flute, Essays on Pastoral Poetry and the Pastoral Ideal, Cambridge, Mass. 1975; von jetzt an als "POGGIOLI" zitiert) schließt sich der Deutung der gesamten Gattung Bukolik als Idyllendichtung an (S. 14): "The pastoral longing is but the wishful dream of a happiness to be gained without effort, of an erotic bliss made absolute by its own irresponsibility. " 27 Das PANOFSKY-Zitat gibt SCHMIDT in (offenbar eigener) Übersetzung aus: Ε. PANOFSKY, Et in Arcadia ego. On the Conception of Transience in Poussin and Watteau; in: Philosophy and History. Essays Presented to Ernst Cassirer, Oxford 1936, S. 223-254 (dort: S.231). Vgl. Ε. PANOFSKY, Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen; in: ders., Sinn und Deutung in der bildenden Kunst (Meaning in the Visual Arts), Köln 1978, S. 351-377 (dort: S.358).

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eine Realität, die keinem Dahinter verpflichtet ist. Gefühlskategorien bleiben aus diesem Modell konsequent ausgeschlossen (Poetische Reflexion, S.180): "Die reine Poesie der Eklogen ist nicht eine empfindsame Gegenwelt, zu welcher aus der realen Welt... Phantasie, Traum, Sehnsucht, Flucht, Gefühl hinführen, sondern poetische autonome Welt."

1.2.1.2

Snells Deutung der 10. Ekloge als Programmgedicht

Snell sieht ein neues Bild vom Dichter entstehen: Der römische vates, der den "Göttern näher" (S.271) ist, ist erst im vergilischen Arkadien geboren. Horaz ist für Snell schon mit Selbstverständlichkeit ein Bewohner dieses von Vergil entdeckten Arkadien. Zu c. 1,1,30-32 (... me gelidum nemus / Nympharumque leves cum Satyris chori /secernuntpopulo...) bemerkt er (S.271): "Der kühle Hain liegt in Arkadien - dort, getrennt von den gewöhnlichen Menschen, trifft der Dichter die göttlichen Wesen des griechischen Mythos." Im Eklogenbuch findet sich zweimal die Anrede divine poeta (in ecl. 5,45 an Mopsus und in ecl. 10,17 an Gallus gerichtet), die zwar ein Vorbild im homerischen deioq αοιδός hat, aber nach Snell erst bei Vergil zum Ausdruck der Überzeugung geworden ist, ein Individuum werde durch seine Sangesgabe tatsächlich vergöttlicht und vollständig verwandelt (S.271): "... wenn bei Homer der Sänger - oder auch der Herold - göttlich heißt, meint das nur, daß der Sänger unter besonderem, göttlichem Schutz steht, nicht aber leihen ihm seine geistigen und seelischen Vorzüge einen besonderen individuellen Wert. Für Vergil aber macht... das Dichten den Dichter zum übermenschlichen Wesen. (...) Theokrit kann einen sagenhaften Hirten 'göttlicher Komatas' anreden lassen - (7,89), aber nie apostrophiert ein Dichter den andern: 'du göttlicher Dichter'. Bei allem Kult von Freundschaft und Dichtung ist selbst im Kreis des Catull ein so hoher Ton nicht angeschlagen." Wie nach Snell in der 10. Ekloge Arkadien, die neue Entdeckung, noch einmal besonders pointiert und emphatisch beschworen wird, so auch das neue Bild vom Dichter: Für Snell ist Gallus, der divinus poeta, durchgängig der Exponent dieses neuen Dichtens. Da Snell sich dahingehend von Anfang an festgelegt hat, muß Gallus' gesamter Monolog für ihn unterschiedslos ein Ausdruck des neuen, divinen Dichtens sein. Snell findet dieses Neue bei Gallus nun, wie nicht anders zu erwarten, in dessen hochgesteigerter Gefühlsbetonung, in dessen "im Grunde lyrische(m) Verhältnis zur Welt" (S.266). Snell bezieht sich hier vor allem auf die arkadische Eingangsphantasie von Gallus' Monolog, und darin wiederum im besonderen auf die Hoffnung des Gallus, selbst zum Gegenstand eines Liedes der Arkader zu werden (S.267): "... daß ein Mensch sich voll Genugtuung aus-

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malt, wie man ihn wegen seines Unglücks bemitleidet, geschieht hier zum erstenmal" und ibid.: "Ich wüßte keine Stelle aus der gesamten griechischen Poesie, wo jemand so mit sentimentaler Wollust auf seinen Tod reflektiert." Gallus phantasiert (unter anderem!) über Arkadien, und so setzt Snell "Gallus" und "Arkadien" sehr schnell in eins und wertet auch die emotionale Hochsteigerung, die Gefühlsausbrüche im Monolog des Gallus als Ausdruck der Gefühlsbetontheit des arkadischen Ambientes. Die Phantasie des Gallus, von Arkadern besungen zu werden, ist "eine Flucht aus dem Leben, eine Flucht in das Gefühlvolle, Empfindsame" (S.267), also nichts von der dichterischen Produktion des Eklogenbuchdichters, der Arkadien entdeckt hat, grundsätzlich Verschiedenes. Gallus ist den Arkadern zutiefst seelenverwandt (S. 266): "Der Dichter Gallus tritt auf, wie denn der Dichter als einziger Sterblicher zu den arkadischen Hirten, die selbst Dichter sind, Zutritt hat." Nochmals stellt Snell hier den Kontrast zur klassischen griechischen Dichtung her (S.267): "Wenn ein tragischer Held des griechischen Dramas sein Leid zur Schau stellt und um Mitleid wirbt - etwa der an den Felsen geschmiedete Prometheus hinausruft: 'Seht, was ich leide!', dann ruft er Zeugen für das auf, was ihm im Kampf mit den Mächten der Welt widerfahren ist: genießt nicht die eigene zarte Zerbrechlichkeit, sondern stellt sich dar als Beispiel für das Empörende, das in der Welt geschieht" 28 . Gallus' Phantasien von einem wilden Wald- und Jagdleben in den Versen 50 ff. rechnet Snell fast unterschiedslos dessen Wunsch nach einem arkadischen Leben zu, wie er sich zuerst in v.35 ff. (atque utinam ex vobis unus vestrique fuissem / aut custos gregis aut maturae vinitor uvae!) aussprach: "Arkadisch dichten heißt für Gallus zugleich arkadisch leben - und das heißt: fern dem Getriebe der Menschen" (S.268). Dieses arkadische Leben hat in v.50 ff. die Gestalt eines Lebens in der Einsamkeit und Einöde angenommen. Snell benutzt den Kontrast zu Hesiod, dem "echten Hirten" (S.268), für den das Leben in der Einsamkeit "harte und bittere Notwendigkeit" (ibid.) war, um dagegen Gallus' Phantasie als "romantisches Erlebnis, um in Gefühlen zu schwelgen" (ibid.), zu charakterisieren. Im Rahmen der bukolischen Tradition wirke die Idee des Gallus, auf der Jagd Heilung von der Liebe zu finden, befremdlich (S.268: "Natürlicher sagt Theokrit, das einzige Mittel gegen unglückliche Liebe sei Singen und Dichten [2,1 und 17], und zweifellos haben 28 Von derartiger sentimentaler, "arkadischer" Selbstbespiegelung gekennzeichnet sei auch Daphnis' Epitaph in ecl. 5,43-44 ('Daphnis ego in silvis, hinc usque ad sidera notus, /formosi pecoris custos, formosior ipse') - insbesondere im Kontrast zu der entsprechenden Formulierung bei Theokrit (id. 1,120-121: Άάφης e-γών öSe τηνος ö τάς βόας ώδε νομίϋων, I Αάφνις ό τώς ταύρως καΐ ττόρτιας ώδί ποτίσδων). Der Hinweis auf die formositas bei Vergil im Vergleich zu der sachorientierten Nüchternheit bei Theokrit sei typisch für die neue Gefuhlsinnigkeit (S.267).

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1. Zur Forschungsgeschichte

mehr Menschen diese Medizin genommen als auf Eberjagd zu ziehen"). Snell konstatiert (S.268) die Parallele zur Jagdhantasie der Phaidra im Hippolytos des Euripides (ν. 215-222; s.u., Teil 2, Anm. 148) und nimmt offenbar an, diese literarische Reminiszenz solle eine abermalige Erhöhung ermöglichen. Zur Funktion solcher Reminiszenzen in der neuen Dichtung deutet er abschließend an (S.268): "Es erübrigt sich, zu verfolgen, wie auch im Schluß der Gallusrede Motive der klassischen griechischen Dichtung dem sich äußernden Gefühl Größe und Würde geben." Ähnlich wie griechische Orts- und Götternamen stehen offenbar auch literarische Zitate nun ganz im Dienste des neuentdeckten Gefühls. Snell ist jedoch bei der Suche nach der Bestimmung des Neuen der neuen Dichtung gar nicht vorrangig am Inhalt des von Gallus Gesagten interessiert, sondern viel eher an der Form, an spezifischen Abläufen der Gedankenentwicklung, die nach seiner Deutung genau in das neuentdeckte vergilische Arkadien passen (S.268): "Welche Art Dichter stellt Vergil hier dar und was für ein Dichten? Woher gewinnt der Dichter das, was er sagt? Er phantasiert - es sind Träume. Er hängt seinen Gedanken und Sehnsüchten nach und äußert sie, wie sie gleitend und schwankend sein Gemüt durchziehen. Schon den augusteischen Dichtern, den jüngeren Zeitgenossen Vergils, ist es vertraut, daß der Dichter in der einsamen Natur sich seinen Gefühlen überläßt, vollends uns scheinen Träume und Phantasien wesentlich zum Dichter zu gehören: mit einigem Staunen entdecken wir, daß dieser Dichter erst geboren ist in dem von Vergil entdeckten Arkadien." Das neue, von "Träumen, Phantasien und Gefühlen" (S.269) getragene Dichten ist fundamental verschieden von dem alten, das sich seit der klassischen griechischen Dichtung vom "wache(n) Denken und Überlegen,... (der) eigene(n) bewußte(n) Tätigkeit" (ibid.) leiten ließ. Auch die hellenistische Dichtung hat ihren Ort eindeutig auf der Tagseite der Seele. Snell stellt ein Gegensatzpaar Erfinden - Träumen auf, um die unterschiedlichen Formen dichterischer Inspiration zu beschreiben: Der griechische Dichter ist ein wacher Erfinder, und seine künstlerisch entscheidenden Grundvermögen sind bis zum Hellenismus "Geschmack und Witz" (ibid.). Als Ursprungsort des neuen Dichtens sieht Snell dagegen "das dunkel quellende Unbewußte" (ibid.). Arkadien stand bei Snell sonst immer im Zeichen milder, sentimentaler Gefühlsverklärung, nicht des Dunklen, und so kommt dieser Hinweis, der im übrigen unausgeführt bleibt, einigermaßen überraschend. Es sei noch auf eine Thematik hingewiesen, die bei Snell zusätzlich zwischendurch aufscheint, nämlich die des Klassizismus in Vergils Eklogendichtung. Das neue Dichten ist zugleich ein Wiederfinden des Klassischen (S.263): "Daß Vergil in den Eklogen zur klassischen Kunst zurückkehrt, ist zunächst daran beobachtet, daß seine Gedichte nicht wie die Theokrits kleine Ausschnitte aus dem vorüberfließenden Leben sind, sondern gegliederte und

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wohlkomponierte Kunstwerke", oder (ibid.): "Es (sc. das Kunstwerk) ist nicht mehr bezogen auf eine bestimmte Situation, nicht auf einen bestimmten Kreis von Hörern oder Lesern, nicht auf irgendein wirkliches Stück Leben." Gerade diesen Klassizismus wertet Snell dann als arkadisches Symptom. Die neue Betonung des Formalen, des In-sich-Abgeschlossenen des Einzelgedichts im Eklogenbuch ermöglicht den Rückzug aus der Alltagssphäre (S.263): "Das Gedicht wird autonom, wird zu einem Bereich für sich, wird absolut - d.h. abgelöst von allem, was nicht Kunst oder Literatur ist. In seiner geschlossenen Form, in seiner Schönheit und in seinem Wohlklang wird das Gedicht zum erstenmal in der abendländischen Literatur zu einem 'Ding von Schönheit', das in sich ruht." An einigen Stellen befindet Snell es für nötig, seine Tendenz zur Ineinssetzung beider Dichterfiguren zumindest wieder zu relativieren (z.B. S.266: "Gewiß ist das, was Gallus hier vorträgt, nicht einfach Zeugnis dafür, wie Vergil allgemein den Dichter auffaßt..."). Dieses Unbehagen gegenüber der Vorstellung, Gallus sei das Sprachrohr Vergils, findet sich bei ihm jedoch nicht mehr expliziert oder weitergehend thematisiert. Aufgrund der besagten Ineinssetzung kann Snell auch nicht verschiedene Arten (oder auch nur verschiedene Intensitätsgrade) von Gefühlsbetontheit unterscheiden. S.262 sagt er noch über die dem Eklogenbuchdichter eigene, "arkadische" Form der Gefühlsbetonung: "Das Gefühl aber ist nicht wild und leidenschaftlich; zumal die Liebe ist eher empfindsame Sehnsucht." Seine Tendenz, die beiden Dichterfiguren als gleichgestimmt zu deuten, läßt Snell die Tatsache übersehen, daß das Gefühl und die Gefühlsäußerungen des Gallus sehr wohl wilde und leidenschaftliche Züge annehmen. Auch E.A. Schmidt weist auf die bei Snell fehlende Differenzierung zwischen Gallus und dem bukolischen Dichter hin, sowie darauf, wie außerordentlich problematisch es ist, gerade Gallus als Vertreter eines von Vergil entdeckten neuen Dichtens in Anspruch nehmen zu wollen: "Bedenklich ist... , die Worte des Gallus zum Konstituens des vergilischen Arkadien zu machen, nur weil Vergil ihn in Arkadien über Arkadien sprechen läßt... . Die Worte des Gallus zu den arkadischen Hirten sind ihrem Ton und ihrer Haltung nach elegisch und stellen gleichsam die elegische Variante zu Vergils poetischer Welt, zu seiner Bukolik dar. Sie sind, pointiert gesagt, das elegische Mißverständnis des vergilischen Arkadien" (Schmidt, art. cit., 1975, S.47 [s.o., S.31]). Alle Kritikpunkte an Snells Deutung der 10. Ekloge konvergieren hin auf das Grundproblem, daß er zwischen dem bukolischen Dichter einerseits und Gallus andererseits als Exponenten des neuen, zunächst gefühlsbetont, zuletzt klassizistisch genannten Dichtens nicht hinreichend unterscheidet. Die "Gefühlsbetonung" (im Gegensatz zu einer klaren Gegenstandsbezogenheit) ver-

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mischt sich bei Snell zunächst ständig mit den wichtigen Beobachtungen zur sprachlichen Erzeugungsweise der poetischen Sphäre, insbesondere zur Uneigentlichkeit der griechischen Namen in lateinischer Dichtung, zur Verwendung des Griechischen als einer literarischen Hintergrundsprache. Diese Uneigentlichkeit ermöglicht nach Snell zunächst die Entrückung, die Erzeugung einer Sphäre im "goldenen Dunst der Ferne" und kann damit schließlich das Gedicht zu einem tendenziell autonomen "Ding von Schönheit" werden lassen. Dies alles sind Eigenschaften der poetischen Sphäre des Eklogenbuchdichters, im Sinne Snells Ausdrücke von dessen Gefühlsinnigkeit. In Snells Augen steht dann dieselbe Gefühlsbetontheit auch hinter dem phantasieförmigen Monolog des Gallus. Der Eklogenbuchdichter schafft nach seiner Interpretation mit der Figur des Dichters Gallus nichts anderes als ein überdeutliches Abbild seiner selbst: Wie er selbst die überlieferte Sphäre der Bukolik schwärmerisch verklärt und zu "Arkadien" stilisiert, so ist auch Gallus in seinem Monolog wesentlich von Traum und Sehnsucht bestimmt. Dabei bleiben wesentliche Unterschiede verdeckt: Vor allem muß Snell vollkommen die Tatsache übergehen, daß Gallus, der sich tatsächlich "... von Träumen, Phantasien und Gefühlen (tragen)" (S.269) läßt, am Ende seines Monologs (v. 62-63: iam neque Hamadryades rursus nec carmina nobis / ipsa placent... ) schließlich dem Dichten ausdrücklich absagt und daß zuvor schon die Traumerscheinung Arkadien für Gallus binnen kurzem (mit v.43) wieder in sich zusammenbrach. Snell bemerkt selbst, daß Vergil in seinen späteren Dichtungen ja gerade nicht den träumenden und phantasierenden Weg weitergegangen ist: "Vergil freilich hat in seinen späteren Dichtungen, den Georgica und der Aeneis, den hier (sc. im Eklogenbuch) betretenen Weg nicht verfolgt. Wohl aber folgen seine jüngeren Zeitgenossen diesem neuen arkadischen Pfad - zumal Tibull geht wie träumend dahin und läßt die empfindsamen Bilder vorüberschweben" (S.269). Gallus phantasiert: Hierin hat Snell vollkommen recht. Gerade durch diesen Phantasiecharakter seines Monologs aber wird "Arkadien" für ihn zu einer bloß erträumten, unerreichbaren Sphäre. Der bukolische Dichter der 10. Ekloge dagegen präsentiert sich in deren Prolog und Epilog als festen Bewohner einer funktionierenden Sphäre bukolischen Charakters. Was berechtigt also zu der Annahme, der phantasierende Gallus der 10. Ekloge sei eine Dichterfigur, mit der der Eklogenbuchdichter sich nahezu vorbehaltlos identifizierte, und das Phantasieren die neue Form des Dichtens, die dieser selbst propagierte? Muß man nicht vielmehr das Augenmerk auf die Differenz und die Spannung zwischen den beiden Figuren richten?

Friedrich Klingner

1.2.2

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Klingner

In seinem großen "Virgil"- Buch (Zürich/Stuttgart 1967; daraus in diesem Abschnitt alle Zitate, wenn nichts anderes angegeben ist29) verfolgt Friedrich Klingner, was den Grundansatz bei der Interpretation der Bucolica betrifft, eine ähnliche Richtung wie Bruno Snell. Die Terminologie beider ist über weite Strecken nahezu identisch 30 . Nur einige Beispiele aus Klingners Einleitung zu seinen Einzelinterpretationen der Eklogen seien aufgeführt: "War das Hirtenwesen für Theokrit noch ein vergleichsweise handfestes Stück Wirklichkeit gewesen, so wurde es für Virgil 'Arkadien', entrückter Bereich eines höheren, geweihten Daseins inmitten einer brutalen, mörderisch-seellosen Wirklichkeit, Traumlandschaft, Seelenheimat" (S.14). Klingner übernimmt Snells Arkadienbegriff ebenso wie die These von der neuen Gefühlsbetonung, deren Beginn aber schon vor Vergil anzusetzen sei: "Viel von dem, was man beim Vergleich zwischen Theokrit und Virgil als Eigenheit des Römers anzusehen geneigt ist, findet man auch bei den späteren griechischen Bukolikern: das weiche, gegenständlich vage, gefühlvolle Wesen" (S.14). Ganz wie Snell sieht auch Klingner in der Distanz des Römers vom Griechischen einen begünstigenden Faktor für die Entrückung und Idealisierung "Arkadiens": "Die griechische Kunstwelt im ganzen ist für diese Römer Raum eines erhöhten, geweihten Daseins. Das gilt nun auch für Virgils Verhältnis zur bukolischen Kunstwelt. Sie wird ihm zum Raum seines eigenen inneren Lebens. Und in dem Maße, in dem die große äußere Welt sein Inneres trifft, geht auch sie in sein bukolisches Gedicht ein" (ibid.). In seinen früheren Schriften betont Klingner, von Snell abweichend, vor allem die Bedeutung der "Heilsproblematik" bei Vergil: Den Daphnis der fünften Ekloge beispielsweise nennt er (Virgils erste Ekloge, Hermes 62 [1927], S. 129-153; dort: S.146) einen "Menschen, an dem das Heil der Welt hängt", die Vorstellung von einem solchen Menschen eine, von der Vergil "voll gewesen sein muß" (ibid.). Die "Zeitwende- und Heilbringer-Vorstellung" sei "die zentrale Idee im Lebenswerke Virgils" (art. cit. [1927], S.147). In den Bucolica sei diese Idee angelegt; Schauplatz sei dort jedoch ein unhistorischer Raum, die "geschichtslose Hirtenwelt" (ibid.), die erst in den Georgica mit der historischen "zusammen-

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Später in dieser Arbeit als "KLINGNER, Virgil" zitiert. Die Gleichsetzung "Arkadiens" mit der bukolischen Sphäre des Eklogenbuchs findet sich schon (vgl. dort besonders S.254, S.262) in KLINGNERS Aufsatz "Virgil. Wiederentdeckung eines Dichters"; in: F. KLINGNER, Römische Geisteswelt, München 5 1965 (dort: S. 239-273; danach zitiert); zuerst erschienen in: Das neue Bild der Antike; hg. v. H. Berve (Bd.2: Rom), Leipzig 1942 (dort: S. 219-245). 30

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wachse" (dieser Begriff z.B. art. cit. [1927], S . 1 4 7 und S.148) 3 1 . Ein neuer Begriff, den Klingner in die Eklogendiskussion einführt, ist der der (poetischen) "Verwandlung", der bei ihm noch sehr stark mit d e m "Heile-Welt"Gedanken verquickt ist (Virgil, S.15): " W a s . . . an Welt und Daseinswirklichkeit Einlaß findet, wird in den Hirtengedichten eigentümlich verwandelt. Die Bukolik ist für ihn (sc. Vergil) ein verwandelndes M e d i u m . Urbild von dessen Kraft ist Orpheus. ... Die Kunst des Hirtengedichts läßt, oft ausdrücklich, etwas von heiler Welt aufleuchten (besonders in den Gedichten 1.4.5.9). Leid wird schöne Klage (2.6.8.10), wird ' a u f g e f a n g e n ' in ' A r k a d i e n ' , Gegeneinander wandelt sich in Miteinander (3.7.)". Auf den Seiten 167-174 des "Virgil"-Buches widmet sich Klingner eingehend der 10. Ekloge. Eine kaum verhüllte Wertung bezüglich des Gedichts findet sich gleich zu Eingang des Abschnitts: "Das zehnte der Hirtengedichte ist das seltsamste, so seltsam, daß sich die Ausleger zum guten Teil darüber vergeblich den Kopf zerbrochen haben. Gerade deshalb darf man ihm Zeit und Mühe zuwenden, selbst wenn es einem weniger als andere gefallen sollte" (S.166). Er konstatiert die interpretatorischen Irrtümer von F. Skutsch und Leo, die er den "unbesehenen Voraussetzungen, mit denen sie an ein Kunstwerk gingen" (ibid.), zuschreibt, die "einem solchen Gedicht nicht gemäß waren, in dem Raum und Zeit, Dinge und Menschen ihre Einheit verloren zu haben scheinen" (ibid.). Klingner beschließt seine Einleitung mit der Hoffnung: "Vielleicht setzen uns die Erfahrungen, die wir mit der Kunst unserer Zeit machen, besser instand, dieses Gedicht zu verstehen" (ibid.). Er leugnet nicht den Wert der traditionell-philologischen Vorgehensweisen, hält sie offenbar jedoch gegenüber der 10. Ekloge für unzureichend. Auch in ihrer Nähe zu moderner Kunst 32 , die Klingner nur kurz andeutet, scheint er der

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Vgl. noch C.A. DISANDRO, Virgilio y su mundo poitico, Semanas de estudios romanos (Valparaiso) 1 (1977). S. 49-66: "... el 'canto' de los pastores ha descubierto el rostro venidero de las cosas, el rostro que estä oculto en la aparente caducidad de sus rasgos. Y este descubrimiento es el triunfo de la Arcadia" (S.56). Dieses Mißverständnis der vergilischen Bukolik unterscheidet sich von den bislang dargestellten insofern, als in ihm die Hirtenwelt keine Fluchtsphare ist, sondern zur Verkörperung eines von der historischen Welt erst noch teleologisch zu erreichenden Ideals wird. In diesem "eschatologischen" Modell ist bukolische Dichtung mehr als der bloße Ausdruck von Sehnsucht, auch mehr als Utopie: Sie wird - gewiß hauptsachlich wegen ecl.4 - zur Prophetie. G. BINDER (Grenzüberschreitungen: Von Rom nach Arkadien, vom Mythos zur Geschichte, Lampas 28 [1995|, S. 82-101) betont demgegenüber das ständige "Neben- und Ineinander von bukolischer und geschichtlicher Welt" (S.98); zu ecl. 2, 6 und 4 dort S. 83-89. 52 Vgl. H.C. RUTLEDGE, The Surrealist Tenth Eclogue, Vergilius 18 (1972), S. 2-9. der sich weitgehend darauf beschränkt, relativ willkürlich wirkende Parallelen zu Werken der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts zu ziehen und zu dem Ergebnis kommt (S.8): "In its fluidity, in its eroticism, in its expression of several thoughts simultaneously, the Tenth

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10. Ekloge in der antiken Literatur eine gewisse Sonderstellung zuzuschreiben. Zu dieser Sonderstellung führt, so Klingner, ein Verlust an Einheit (s.o.), der - so darf man hinzufügen - in der Antike nicht seinesgleichen hat. "Raum und Zeit, Dinge und Menschen" (s.o.) haben in der 10. Ekloge anscheinend ihre Einheit verloren; das heißt, das Gedicht bildet weniger als andere eine äußere, historisch oder biographisch verortbare Wirklichkeit ab. Zusammengenommen kann das nur heißen: Die 10. Ekloge läßt sich in einem für ein antikes Gedicht ungewöhnlichen Maß nicht an einer äußeren Wirklichkeit messen, sondern folgt - denn der Verlust an Einheit ist ja nur ein scheinbarer - ihren eigenen, inneren Gesetzen und ist insofern ein autonomes Kunstwerk im Sinne der Moderne. Diese einleitenden Bemerkungen Klingners wurden hier deshalb so betont, weil sie vom Rest seines Kapitels auffällig abstechen. Am ehesten deutet Klingner den Autonomiegedanken noch einmal in seinen Ausführungen zu den Figuren Gallus und Lycoris an. (Vorausgegangen ist die Feststellung, daß Gallus in ecl. 10 nicht "Staats- und Kriegsmann" [S. 166] ist und auch nicht etwa der "Privatmann" [ibid.], dessen "Privatleben in das Licht... [sc. von Vergils] Hirtenpoesien gezogen" [S.167] würde.) Anschließend schreibt Klingner (ibid.): "Also auch mit dem Privatmann Gallus kann es das Gedicht kaum zu tun haben. Nein, es handelt sich um den Dichter und sein Werk. Lycoris ist nicht ohne weiteres die Kurtisane Cytheris. Sie ist die Figur, die die vier Bücher der Liebeselegien des Gallus beherrscht hat wie Cynthia und Delia die des Properz und Tibull. ... Privates und politisch-öffentliches Leben sind als Stoff vorausgesetzt und spielen herein, aber sie gehen in einer höheren Form des Daseins auf - der dichterischen, in der andere Maße gelten." Immer wieder finden sich bei Klingner zur Beschreibung des Dichterischen Begriffe wie "höhere Form des Daseins" oder der schon genannte der "Verwandlung". Klingner sieht die 10. Ekloge nicht als eine "bukolisch-elegische Stilmischung" oder ähnliches, sondern die Essenz des Gedichts liegt für ihn darin, daß die Fähigkeit der Dichtung, Leiden in Schönheit, in Kunst zu verwandeln, hier am Ende des Eklogenbuchs noch einmal paradigmatisch vorgeführt wird (S.169; anläßlich der Besprechung der vv. 31-34): "Nicht das im Leben entbehrte rückhaltlose, treue Gefühl der Geliebten ist es, was ihn (sc. Gallus; d. Verf.) trösten soll und was er im Tod genießen will, sondern die Verwandlung seines Leids in Hirtengesang. Das ist nun ein Hauptaspekt der Kunst in Virgils Bucolica: sie vermag das Leid in die höhere Form der schönen Klage hinaufzuführen und ihm dadurch erquickenden Zauber zu verleihen, so wie sie auch Zank in der Harmonie des Zwiegesangs aufgehen läßt. Diese Gesinnung

Eclogue bears comparison with works of the modern surrealists". Ähnlich wieder ders., A Late Twentieth-Century Reading of Vergil's Eclogues·, in: The Two Worlds of the Poet: New Perspectives on Vergil, Detroit 1992 (dort: S. 467-477).

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gehört zum Eigensten des Dichters der Bucolica." Die Verwandlungsbegrifflichkeit gewinnt bei Klingner zusehends die Oberhand. Das Strukturprinzip der Rahmung, das grundlegend für die 10. Ekloge ist, k o m m t dabei in der gebührenden Deutlichkeit heraus. Wie charakterisiert Klingner nun das Gerahmte, die Klage des Gallus, und wie die Figur des Gallus im Verhältnis zu "Virgil", dem bukolischen Dichter? Das arkadisch-bukolische Grundprinzip der Verwandlung des Leids in Gesang hat Gallus selbst v o l l k o m m e n durchschaut. Er bringt dies in seiner Phantasie

"o mihi tum quam molliter ossa quiescant...

" (v. 33-34), die das elegische

Todes- und Klagemotiv ins Arkadische verwandelt, zum Ausdruck. Bei seiner Diskussion des Monologverlaufs läßt sich Klingner noch sehr stark von der Auseinandersetzung mit Franz Skutsch bestimmen, denn sein Interesse ist vorrangig auf den Nachweis des trotz fehlender Einheit von Ort, Zeit und Handlung vorhandenen "sinnvollen Ablaufs" (S. 171) des Monologs gerichtet, den Skutsch bestritten hatte. Klingner beschreibt diesen Ablauf als von zwei Anläufen und zweimaligem Wiederinsichzusammensinken geprägt (S. 170-171): "In den Worten des Gallus läuft die Bewegung in zwei Bögen ab (19 und 20 Verse). Zweimal ist der Versuch gemacht, von der kranken Liebe loszukommen, einmal durch schwächlichen Wunsch, das andere Mal durch Willensentschluß, der sich erhitzt und überschlägt. In beiden Teilen steigert sich das bewegte G e f ü h l . Der zweite ist über den ersten hinaufgesteigert." Den ersten Phantasieabschnitt - den "schwächlichen Wunsch" - setzt Klingner somit von v.31 bis v . 4 9 an: "Indem Gallus dem Gedanken an die Gesänge der Arkader nach seinem T o d e nachhängt, versetzt er sich in deren Dasein. Das wird unvermerkt zum W u n s c h , der das eigene nun vergangene Leben fort von der Wirklichkeit in jenes andere hineinträumt (35 f f . ) , kraftlos noch und sich der Unwirklichkeit des Gewünschten bewußt, aber doch eben schon Wunsch und auf dem W e g von der reglosen Träumerei der ersten Verse zum Willen" (S.169). Mit einiger Berechtigung - und auch um der Symmetrie willen 3 3 schlägt Klingner die Verse 4 4 - 4 9 (nunc insanus amor... ) noch d e m ersten Phantasieabschnitt zu, an dessen Ende die Schwächlichkeit des W u n s c h e s darin zum Ausdruck k o m m e , daß das Einbrechen der Realität nicht verhindert werden könne. Z u m Übergang von v . 4 3 zu v . 4 4 schreibt Klingner (S.170): "Aber der Gedanke: 'Hier wäre es nichts als der natürliche Ablauf des Le-

bens, der mich mit dir ans Ende brächte', hie ipso tecum consumerer aevo, enthält schon insgeheim den anderen in sich, der nun hervortritt: ' S o a b e r . . . ' , und damit bricht die höchst unarkadische, unglückselige Wirklichkeit ganz über ihn herein, die beständige G e f a h r eines unnatürlichen Todes zwischen

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So entstehen die nahezu gleichlangen Monologabschnitte v. 31-49 und v. 50-69.

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Feinden und Mordwaffen. Und dahin hat ihn der Wahn seiner verzweifelten Liebe getrieben (44)." An dieser Stelle macht sich eine generelle Tendenz von Klingners Interpretationen zu den Bucolica und zu Vergil insgesamt bemerkbar, nämlich die hin zu einer manchmal vorschnellen Glättung und Harmonisierung. Der kurze Hinweis auf den Einbruch der "Wirklichkeit" in v.44 deckt das Problem eher zu: Weshalb liegt diese Wirklichkeit für Gallus in der "bestandige(n) Gefahr eines unnatürlichen Todes zwischen Feinden und Mordwaffen" (s.o.)? Klingner hat zu Beginn selber darauf hingewiesen, daß Gallus in ecl.10 nicht "Staats- und Kriegsmann" (S.166; s.o.) ist. Das Problem bleibt unerörtert. Die erste Gedankenbewegung in Gallus' Monolog, die mit v.49 zu Ende kommt, charakterisiert Klingner abschließend (S. 170) als "schweigendein) Vorgenuß, der in Wünsche übergeht und in dem Augenblick, wo er die Unwirklichkeit des Erträumten vergißt, mit der übermächtigen Wirklichkeit zusammenstößt und in die alte Schwäche zurücksinkt". "Schwäche" wird zu einem beherrschenden Begriff in Klingners Charakterisierung des Gallus - eine Schwäche, die Gallus selbst fortlaufend, aber schließlich vergeblich zu bekämpfen sucht. Klingner beschreibt die zweite Phantasiebewegung in Gallus' Monolog, die er ab v.50 ansetzt, folgendermaßen (S.170): "Jetzt rafft er sich

zu männlichen Entschlüssen auf: ibo... , certum est... , iam mihi... videor." Crescent illae, crescetis, amores (v.54) ist Ausdruck einer kurzzeitig schon wieder durchbrechenden träumerischen Tendenz: "Aber sogleich reißt er sich davon los, um sich in den Willen zu kräftigerem Tun hinein zu steigern" (ibid.); gemeint ist die Phantasie zu jagen. Das "Kräftige" ist jedoch nicht Gallus' Element (ibid.): "Aber schon dieses Übermaß ist gefahrlich und verdächtig. Und nun schon gar das vorwegnehmende (58 f.) 'schon fühl ich mich zwischen Felsen und rauschenden Wäldern... ', iam mihi per rupes videor lucosque sonantis / ire, verrät die unglückselige Schwäche des Dichters, dessen Gedichte in Phantasien leben". Gallus' vorübergehender Aufschwung bricht wieder in sich zusammen. Das Ende des Monologs kommentiert Klingner nur kurz (ibid.): "Es ist vergeblich. Der Unbarmherzigkeit des Liebesgottes entgeht man nicht; und wenn man sich in den eisigen Norden oder den heißen Süden flüchtete: er ist allmächtig. Gallus ergibt sich." Somit bringt Schwäche den Gallus zum Verstummen. Im folgenden gerät Klingner selbst dann wieder zunehmend in das Fahrwasser der analytisch-gattungsorientierten Betrachtungsweise. Er stellt die Frage, weshalb Gallus sich derart von seiner "Vorbildfigur", dem Daphnis aus Theokrits 1. Idyll, unterscheidet (S.172): "Gallus ist wie Daphnis der Hinsiechende; das τάκίοΰαι hat er mit ihm gemeinsam. Aber er widerstrebt nicht bis zum bitteren Ende hart und trotzig der Leidenschaft, die ihn verzehrt. Er versucht in zwei Ansätzen, davon loszukommen, aber vergeblich, ohne Gnade der Liebe verfallen und sich ihrer Allmacht am Ende ergebend." Weshalb nun

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diese Wendung vom Widerstand hin zu einem bedingungslosen Bekenntnis zur Liebe? Klingner, S.172: "... der Grund (liegt) schwerlich in einer Vorliebe Virgils, der sich ja nirgends als einen der Verherrlicher der unbedingten Geschlechtsliebe zeigt. Die Wendung muß mit der Hauptperson, Gallus, zusammenhängen oder darf ihr wenigstens nicht widersprechen, sondern muß mit ihr harmonieren. Sie entspricht der Rolle, in der Cornelius Gallus in seinen Lycoris-Elegien aufgetreten ist." Klingner versucht unter Zuhilfenahme der erhaltenen, späteren Elegiker Tibull und Properz, "das Elegische" im Monolog des Gallus nachzuweisen und rekonstruierende Schlußfolgerungen über dessen verlorene Werke zu ziehen. Sein Vorgehen dabei unterscheidet sich von dem streng-analytischen Skutschs nur darin, daß Gegenstand des Rekonstruktionsinteresses nicht mehr so sehr einzelne Bilder oder Motive, sondern eher bestimmte Formen umfangreicherer, typisch elegischer und damit wahrscheinlich schon von Gallus stammender Gedankenbewegungen sind. Klingner will aufgrund der 10. Ekloge nicht mehr Einzelgedichte des Gallus rekonstruieren. Zur Gesamtcharakteristik des Monologs sagt er (S.168): "Elegie in Arkadien könnte man sie (sc. die Klage) nennen. Daß sie sich in der charakteristischen Art der römischen Liebeselegie auf und ab bewegt, wird im folgenden zu zeigen sein." Ein Beispiel ist Klingners Interpretation zu der Gedankenentwicklung von v.46 bis v.49. Schon vorher hat er auf die Ähnlichkeit der Properzelegie 1,8 (Tune igitur demens, nec te mea cura moratur? / an tibi sum gelida vilior Illyria... ?) mit diesem Abschnitt hingewiesen. Aber nicht nur der "stoffliche Inhalt - Reise, Alpen, Rhein - " (S.172), sondern auch die "innere Bewegung" (ibid.) sei hier "typisch elegisch" (ibid.): "In dem Augenblick, als der Verlassene der Treulosen Vorwürfe zu machen beginnt, steigt bei dem Gedanken an Schnee und Frost auf ihrer Reise anstatt des Zorns das Mitleid mit ihr auf, und die Liebe hat ihn wieder. Die Wendung von Klage und Vorwurf zu zärtlich fürsorgenden Wünschen ist nicht von Virgil dazugetan, sondern bei Gallus vorgezeichnet gewesen. Properz in dem genannten Gedicht hat das Motiv nicht aus Virgil, sondern aus Gallus" (ibid.). Klingners Aufmerksamkeit im verbleibenden Abschnitt gilt im wesentlichen diesen und ähnlichen Motivvergleichen zwischen Gallus' Monolog und den Elegien von Tibull und Properz. Wenn eine Parallele zwischen diesen erhaltenen Elegikern und dem Monolog des Gallus in ecl.10 zu beobachten ist, vermutet Klingner stets, die verlorenen Gedichte des Gallus seien "gemeinsames Vorbild" (S.173) gewesen. Tibull 1,10,13-14 (nunc ad bella trahor, et iam quis forsitan hostis / haesura in nostro tela gerit latere) lehnt sich nach seiner Analyse ebenso an Gallus an wie ecl. 10,44-45 (nunc insanus amorduri

me Mortis in armis / tela inter media atque adversos detinet hostis). Auch in der Passage v. 50-69 (ibo et Chalcidico... ), in der keine Parallelen mehr zu Tibull oder Properz feststellbar sind, kann Klingner typisch elegische Abläufe

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wiederfinden (S. 173): "Für die zweite Bewegung der Worte des Gallus (50-69) wiißte ich nichts gleichermaßen Ähnliches aus den erhaltenen römischen Liebeselegien beizubringen. Aber einmal der 'elegischen' Eigenart innegeworden, werden wir sie auch da wiedererkennen, wo es an vergleichbaren Einzelheiten fehlt. Wunschtraum und Phantasie, Zusammenstoß mit der Wirklichkeit, Umbrechen eines selbstherrlich schweifenden Gefühls, Zurücksinken in die alte Abhängigkeit der Liebe; das ist in der zweiten wie der ersten Hälfte der Worte des Gallus das, was die Bewegung auszeichnet und von virgilischen Abläufen unterscheidet." Klingners philologisches Interesse war es zu zeigen, daß Vergil mit dem Monolog des Gallus auf gelungene Weise eine typisch elegische Gedankenbewegung in sein Gedicht mit aufgenommen hat. Hinsichtlich der Funktion dieser Hineinnahme spricht Klingner abschließend (S.174) nur - wie schon zu Anfang - einmal von "Huldigung" an Gallus, zum anderen von "Beherbergen" (ibid.): "Virgil beherbergt den Elegiendichter in seiner so ganz verschiedenen arkadischen Welt. Er nimmt ihn, den er als Leidenden hinstellt, zart bei sich auf, ähnlich wie Tityrus in der ersten Ekloge den armen Meliboeus gern bei sich aufnehmen möchte." Der Vorgang dieses Beherbergens ist ein Bild für jene poetische Verwandlung in Gesang (ibid.): "Ähnlich wie die Leidenschaft, die die Elegien des Gallus erfüllte, waren früher, in der Silenus-Ekloge, die Sagen der Liebesleidenschaft, bis zu den grausigsten, an Virgils Arkadien herangezogen, darein einbezogen und verwandelt, so daß sie erquickende, Liebe erweckende Schönheit wurden . . . . Etwas der Art scheint sich hier zu begeben, wo Virgil den Jammer des Elegiendichters mild auffängt in der schwerelosen, musisch verwandelten Welt seiner Hirtenlieder". In seiner Glättungstendenz neigt Klingner dazu, zugunsten eines immer vorausgesetzten Harmoniegedankens34 konfliktträchtige Konstellationen oder auch Entwicklungsdynamiken unterzubewerten oder schlicht zu übersehen. Im Zusammenhang mit ecl.10 ist ein Beispiel hierfür die Art und Weise, wie Klingner die bukolische Dichterfigur von Prolog und Epilog behandelt. Die Frage, ob diese im Verlauf des Gedichts eine Entwicklung erlebt, stellt Klingner nicht: Der bukolische Dichter, "Virgil", bleibt von Anfang bis Ende mit sich identisch. Auch die bukolische Sphäre - mit "Arkadien" fraglos ineinsgesetzt - ist stets die gleiche: Den Schatten, der im Epilog unerwartet als bedrohliches Element in sie einbricht (v. 74-75: dreimalige Wiederholung von umbra) und den bukolischen Sänger zum Aufstehen veranlaßt, erwähnt Klingner wohlweislich nicht. Er thematisiert nicht das Problem, weshalb hier und gerade hier die

34 Ahnlich B. CHWALEK, Elegische Interpretationen zu Vergils zehnter Ekloge, Gymnasium 97 (1990), S. 304-320 (dort z.B. S.318; S.320: "... eine Welt der Harmonie... , die sich dem Zerfallen in Dissonanzen zu entziehen vermag").

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bukolische, in seiner Terminologie arkadische Dichtung zu Ende kommt 35 . Die Frage nach der Herausgehobenheit der 10. Ekloge aus dem Eklogenbuch als dessen Schlußgedicht, nach deren Funktion als Ausgang aus der bukolischen Dichtung spielt keine Rolle. Extremus labor der Bukolik ist die 10. Ekloge für Klingner offenbar nur aus dem äußeren Grunde, daß sie dem verehrtesten der Freunde gewidmet ist und damit besonders hohen Ansprüchen genügen muß. Die Frage nach der Überschreitung des Bukolischen auch durch den bukolischen Dichter stellt Klingner nicht. Seinen anfänglichen Hinweis auf die Affinität der 10. Ekloge zu moderner Kunst und auf die Autonomieproblematik verfolgt er nicht ausdrücklich weiter. Festzuhalten bleibt bei Klingner vor allem der Gedanke der Verwandlung, wobei er die bukolische Dichtung offenbar als ein zum Verwandeln besonders geeignetes Medium ansieht. Bukolik ist das poetische Medium schlechthin, in dem und durch das auch menschliches Leiden und "Grausiges" (s.o.) sich in "Schönheit" (s.o.) verwandeln können 36 . Im bukolischen Rahmen wird zur Kunst, was für sich Schmerzensausdruck und Klage ist. Kiingner betont somit treffend die rahmende Funktion, die das Bukolische innerhalb der 10. Ekloge wahrnimmt. Er fragt jedoch nicht explizit, ob die Klage des Gallus notwendigerweise so gerahmt sein muß (die Klage also ohne diese Rahmung nicht bestehen könnte) oder ob die Rahmung einzig und allein eine bukolische Zugabe "Virgils" aus freundschaftlicher Verehrung für Gallus ist. Die Andeutung über die "unglückselige Schwäche des Dichters, dessen Gedichte in Phantasien leben" (s.o.), spricht für ersteres. An dieser Stelle muß man weitergehen.

1.3 Michael Putnam Die umfangreichste Einzel interpretation zur 10. Ekloge aus der amerikanischen Schule ist die von Michael C. J. Putnam (Virgil, The Eclogues, Princeton 1970 [dort: S. 342-394]; alle Zitate in diesem Abschnitt hieraus, wenn nichts anderes angegeben ist [später zitiert als "Putnam, Virgil"|). Putnams Interpretationen sind manchmal irritierend assoziativ, manchmal unstimmig, oft aber auch originell und anregend. Sein Kapitel zur 10. Ekloge soll hier

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In seiner insgesamt äußerst zustimmenden Würdigung "The Eclogues: A reconsideration in the light of Klingner's book" (in: Vergiliana. Recherches sur Virgile, publi6es par H. Bardon et R. Verdifere, Leiden 1971, S. 246-259) bemerkt auch Β. OTIS (S.258), daß Klingner kaum auf den besonderen Charakter der 10. Ekloge als Schlußgedicht des Eklogenbuchs und auf die Problematik der Schlußstellung überhaupt eingeht. 36 Vgl. H.F. BAUZA, La Bucölica X y la taumaturgia de lo poitico, Actas del VII Simpösio nacional de estudios cläsicos 1982, Buenos Aires 1986 (S. 81-91; dort: S.91): "Virgilio... ha 'transubstanciado' la pena de su aniigo en canto bucölico... ".

Michael Putnam

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ausführlich in Für und Wider besprochen werden, schon um der Reverenz an die amerikanische Vergilforschung willen, die in den letzten Jahrzehnten der Beschäftigung mit dem Dichter entscheidende neue Impulse gegeben hat. Der Grundgedanke von Putnams Interpretation ist der von einer fundamentalen, bislang im Eklogenbuch so nicht dagewesenen Störung, die der bukolischen Sphäre in ihrem Schlußgedicht durch die elegische Figur des Gallus widerfahre. Putnam strebt nicht mehr die Harmonisierung und die Betonung von Gemeinsamem zwischen den Sphären und Dichterfiguren an; im Mittelpunkt seines Interesses steht vielmehr der Konflikt. Stets weist er auf die unüberbrückbare Differenz der Lebensformen zwischen dem bukolischen Dichter, dem Ich von Prolog und Epilog, einerseits und Gallus andererseits hin; z.B. S.344: "Gallus is an elegiac poet, and Lycoris his mistress. Their poetic world depends on an urbane and sophisticated view of love's trials and delights. None of this is compatible with the 'rustic' life." Entsprechend deutet Putnam die anfangliche Selbstdefinition des Gedichts als extremus labor als Ausdruck für äußerste Spannung, für die schwere, wenn nicht unerfüllbare Aufgabe, die der bukolische Dichter sich diesmal gestellt hat: "The poet's trial is rightly, therefore, in extremis" (S.344). Den Anruf an die unter dem Salzwasser hindurchfließende, gefährdete Arethusa in den Versen 4-5 interpretiert Putnam als Bild für die Bedrohung der bukolischen Reinheit durch fremde Einflüsse: "This spring is, we must suppose, Virgil's emblem for all bucolic poetry as he begins to write his final eclogue. The pastoral is a form of song which ideally should maintain a course free from the 'stain' of foreign elements and remain the offspring of a remote world" (S.345)37. Zur Bekräftigung zieht er dabei den zugrundeliegenden, aber in der 10. Ekloge nicht erwähnten Mythos von der Verfolgung der jungfräulichen Arethusa durch den Flußgott Alpheios heran. ("Pastoral is a 'virginal' form of poetry"; S.344, Anm.3). Die Kontrastsphären, die in der 10. Ekloge aufeinandertreffen, beschreibt Putnam anschließend wie folgt: "... the presence of love's madness within the shepherd's retreat suggests the mingling of bitter with sweet against which the poet prays". Seine nun folgenden Ausführungen über den bukolischen Sänger und dessen emotionale Distanz zum Dargestellten sind sehr folgenreich für die ganze Interpretation: "The subject matter of the shepherd's song, even if it is love, is of little importance so long as the shepherd himself is not the victim of the trials he imputes to others" (S.345).

57 Diese Vorstellung findet sich in der Literatur immer wieder. Prägnante Formulierung bei P.-M. MARTIN, L'imitation de Th6ocrite par Virgile dans les Bucoliques (importance et limites), Caesarodunum 7 (1972), S. 187-199 (dort: S.199): "La passion, έΐέπκηΐ de d6sordre, est une monstniositf: qui rompt le pacte d'harmonie conclu entre l'homme et la nature, qui interdit au po£te de rdaliser son salut par la beauti."

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D e r Vergleich mit d e m Vorbildgedicht, T h e o k r i t s e r s t e m Idyll, läßt f ü r Putn a m d e n C h a r a k t e r bukolischer Dichtung als "virginal" (ibid.) noch deutlicher w e r d e n , wobei er griechische und vergilische Bukolik w i e selbstverständlich als Einheit betrachtet ( S . 3 5 0 ) : "The Daphnis of Idyl I is the ideal s h e p h e r d , b e l o v e d by all nature, w h o v o w e d to give love a fall and not yield to the m a i d e n w h o w a n d e r s about, searching for h i m . " T h e o k r i t s D a p h n i s wird f ü r P u t n a m zum Sinnbild des Bukolischen ü b e r h a u p t , das bei einer direkten B e g e g n u n g mit A p h r o d i t e z u m Untergang verurteilt ist ( S . 3 5 7 ) : "The presence of A p h r o d i t e would ordinarily spell disaster for the rustic life" und (ibid.): " A p h r o d i t e entered into D a p h n i s ' life and destroyed him b e c a u s e he r e m a i n e d f a i t h f u l to a v o w of Artemis-like p u r i t y . " Gallus in der 10. E k l o g e stehe daher in e i n e m antithetischen Verhältnis zu Daphnis, der die Liebe flieht: " H e r e is the p o e t of elegy par excellence, s u f f e r i n g the e l e g i s t ' s stock malady of unhappiness b r o u g h t o n by his love for Lycoris w h i c h , at the m o m e n t , she chooses not to return" (S. 350). D i e Verse 9 - 1 0 , den A n r u f an die puellae Naides, paraphrasiert Putnam ( S . 3 4 8 ) wie folgt: " W h e r e were the pastoral M u s e s w h e n Gallus needed help, is the question Virgil a s k s . " Daß es sich bei d e n puellae Naides um spezifisch "pastorale M u s e n " handelt, ist allerdings nirgends gesagt: D i e f ü r sie g e n a n n ten m ö g l i c h e n Aufenthaltsorte Parnasus, Pindus und Aonie Aganippe sind g e r a d e nicht typisch bukolisch. Diese A n n a h m e wird a b e r f ü r P u t n a m zur G r u n d l a g e weitreichender S c h l u ß f o l g e r u n g e n . Er sieht den G r u n d k o n f l i k t des G e d i c h t s - das scheint in seinem Kapitel zur 10. E k l o g e z u m i n d e s t immer w i e d e r durch - darin, daß Gallus zur Rettung vor seinen L i e b e s q u a l e n f ü r die j u n g f r ä u l i c h e bukolische Dichtung e m p f ä n g l i c h g e m a c h t w e r d e n solle: "In s o m e w a y , yet undisclosed to the reader, the inspiration of bucolic song to G a l l u s is going to be a crucial element in the a t t e m p t to save him f r o m the love-death that peribat implies" (S.348). Diese E m p f ä n g l i c h k e i t soll darauf h i n a u s l a u f e n , daß auch Gallus zur Linderung seines Leidens z u m bukolischen D i c h t e r wird (S.355) 3 8 : "Can the writer of subjective love elegies also e m b r a c e a 'rustic' world and write pastoral p o e t r y ? " In ihrem ersten Teil ist die 10. E k l o g e in P u t n a m s Augen also ein W e r b u n g s g e d i c h t : das Z e u g n i s einer W e r b u n g f ü r die bukolische Sphäre und D i c h t u n g . Explizit k o m m e die praxisnähere G e g e n s p h ä r e , f ü r die G a l l u s stehe, in d e n V e r s e n 22-23, den W o r t e n des Apollo an Gallus, z u m A u s d r u c k ('Galle, quid

insanis ?' inquit. 'tua cura Lycoris / perque nives alium perque horrida castra

38 Diese Annahme wird von der aktuell diskutierten Stelle v. 9-10 in keiner Weise nahegelegt, sondern kommt lediglich durch einen unausgesprochenen Vorgriff auf v. 50-51 (ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu / carmina pastoris Siculi modulator avena) zustande.

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secuta est.'): "Apollo's words sound a note which is elegiac, yet practical and Roman" (S. 358). Die Worte des Pan (v. 28-30) versteht Putnam als Fortsetzung und Ergänzung der noch nicht befriedigenden Äußerung des Apollo: "Pan takes up where Apollo left off, but with more understanding of the manner in which Gallus suffers" (S.359). Da Pan die Frage nach der Meßbarkeit des amor aufwirft (er führt den Begriff des modus ein), ist für Putnam klar, daß hier der (per definitionem maßlose) elegische amor und kein anderer gemeint ist, was er mit dem Verweis auf Prop. 2,15,30 (verus amor nullum novit habere modum) begründet zu haben glaubt. Die Verse 29-30 (nec lacrimis crudelis Amor nec gramina rivis / nec cytiso saturantur apes nec fronde capellae) sind für Putnam eine Manifestation der Sphärenunvereinbarkeit. An dieser Stelle wird seine Deutung des in der Ekloge Gesagten unverständlich, da er keine exakte Textparaphrase gibt: "Pan compares Love's craving for tears with the desire bees have for clover, goats for foliage, and pastureland for water. ... By defining its cruelty in these terms, Virgil proposes reasons why elegiac love is essentially antagonistic to 'pastoral' and is indeed quite uncreative when seen from the shepherd's viewpoint" (S.360). Putnam legt ein Gegensatzverhältnis zwischen - in seiner Terminologie elegischem - amor und bukolischer Sphäre als gegeben zugrunde, das an dieser Stelle (Amor, gramina, apes und capellae stehen hier parallel) vom Text in keiner Weise nahegelegt wird. Bei der Besprechung des Einsatzes von Gallus' Monolog (v.31: tristis at ille 'tarnen cantabitis. Arcades' inquit) macht Putnam folgende sehr wichtige Bemerkung: "He (sc. Gallus) first observes what for him probably would have been a paradox, that the shepherds can happily and unceasingly sing of love as long as it is not their own" (S.361) 39 . Die Ausführungen Putnams zur Distanziertheit des bukolischen Sängers hätten viel eher an dieser Stelle ihren Platz gehabt als bei der Besprechung des Prologs. Putnam verfolgt das Problem nicht weiter; vielmehr steht nun auch seine Interpretation zum Monolog des Gallus ganz im Zeichen des Interesses, elegische Motive und Wörter aufzuspüren. Die Verse 31-34 sieht er als Ausdruck eines Mißverständnisses der bukolischen Sphäre durch Gallus, denn dessen Wunsch ο mihi tum quam molliter ossa quiescant, / vestra meos olim si fistula dicat amores! (v. 33-34)

" Vgl. M. POHLENZ, Das Schlussgedicht der Bucolica; in: Studi virgiliani ( = AAM 9 [1930]), S. 207-225 (zitiert nach: ders., Kl. Schriften II [hg. v. H. Dörrie), Hildesheim 1965, S. 97-115) in Auseinandersetzung mit LEO (S.O., S. 24-25): "... mimetisch ist die Bukolik deshalb, weil der Dichter nur von fremder, nicht von eigener Liebe singt, und das ist tief in seiner seelischen Eigenart begründet" (art. cit., S. 113). POHLENZ macht seine Beobachtung im folgenden zur Grundlage biographischer Spekulationen (S. 114): "Auch Vergil mag seine Myrto gehabt haben; aber die starke Leidenschaft, die Catull, vielleicht auch Gallus zum Dichter machte, hat er nie verspürt."

1. Zur Forschungsgeschichte

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sei gegenüber arkadischen Hirten, Vertretern der angeblich liebesfernen bukolischen Welt, gänzlich unangebracht. Gallus' Vorstellung vom Bukolischen sei "mistaken" (S.361), da sie noch elegische Elemente, die Vorstellung von einem "elegiac comfort" (ibid.), einschließe 40 . Die folgende Passage, in der Gallus für sich ein Hirtendasein in der bukolischen Sphäre imaginativ vergegenwärtigt, deutet Putnam als eine vorübergehende Vereinigung der Kontrastsphären des Gedichts in der Phantasie. Dabei gebe Gallus sich zunächst auf sehr konventionelle Weise "pastoral" (S.364): "The figures are typical." (Gemeint sind Phyllis und Amynlas.) Das schließliche Eindringen der Figur der Lycoris in die arkadisch-bukolische Phantasiesphäre versteht Putnam als Vollendung von Gallus' Phantasie: "we pass... to the possibility of Lycoris herself coming into the countryside, to unite the elegiac and pastoral worlds and give final shape to Gallus' momentary dream of perfection" (S. 366). Dieses Eindringen ist nach Putnam nicht die unheilverkündende Vorausdeutung auf das bevorstehende Scheitern eines Fluchtversuchs, nicht ein Schon-wiederAbweichen von dem, was mit der bukolischen Phantasie vereinbar ist, sondern im Gegenteil die momentane Vollendung der bukolischen Phantasie durch eine Einbeziehung ihrer Gegensphäre. Dementsprechend kann Putnam den Neueinsatz in v.44 (nunc insanus amor...) auch nicht als Fortsetzung von etwas am Ende der bukolischen Phantasie schon Vorbereitetem verstehen, sondern nur als den Übergang zu etwas vollkommen Neuem. Dieses vollkommen Neue stellt er her, indem er ohne jede Diskussion in v.44 einen Bezug von insanus amor auf duri Martis annimmt, womit ein Themenwechsel in der Phantasie des Gallus "from his passion for Lycoris to another aspect of his life, his career as a soldier and politician which he characterizes as an insane love for harsh Mars" (S.368) gegeben wäre. Diese nicht haltbare Deutung der vv. 44-45 wird im 2. Teil (Anm. 119) ausführlich diskutiert. Der Bezug auf Lycoris entstünde dann erst wieder in den Versen 46-49 (tu procul a patria... ). Wozu die Annahme des insanus amor duri Martis führt, zeigt Putnams Resume der vv. 44-49 (S.370): "Taken as a whole, these six lines reflect the two sides of Gallus, his two loves, one for durus Mars and the other for dura Lycoris. Each is a hard taskmaster but essential in Gallus' life." Putnam sprengt die Entwicklung von Gallus' bukolischer Phantasie über das Kriegsbild bis hin zur

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Als Beweise für den elegischen Charakter der Passage 33-34 dienen PUTNAM Belegstellen für die Schlüsselwörter molliter /mollis und quies in Properz 1,3 (v.7, 12, 17 und 34), wobei man sich allerdings fragt, was Ausdrücke wie molliter impresso conor adire toro (v. 12) und in mollifixa toro cubitum (v.34) mit der fraglichen Passage der 10. Ekloge zu tun haben. In seiner Argumentation macht PUTNAM es sich häufig zu einfach: Wenn ein Motiv, manchmal auch nur ein Begriff aus der 10. Ekloge bei einem (zeitlich späteren) elegischen Dichter vorkommt, genügt ihm das als Beweis dafür, daß hier bei Vergil ein elegisches und damit unbukolisches Element eingedrungen sei.

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Phantasie von Lycoris im germanischen Norden in drei voneinander weitgehend isolierte Komplexe auf. Den darauffolgenden neuen Plan der vv. 50-54, den Chalcidicus versus in sizilische Hirtendichtung zu verwandeln, kommentiert er wie folgt (S.371-372): "The elegiac pattern of unhappiness will be replaced by the stability of pastoral endurance." Bei der Behauptung, es gebe eine von "endurance" gekennzeichnete, typisch bukolische Liebe, stützt Putnam sich allein auf das Verbum pati, das in certum est in silvis inter spelaea

ferarum / malle pati (ecl. 10,52-53), das Corydons nonne fuit satius tristis Amaryllidis iras / atque superba pati fastidia?... in ecl. 2,14-15 aufgreife (S.372). Dieses Konzept einer typisch bukolischen Liebe dringt nach der anfanglichen Annahme, die bukolische Sphäre sei "virginal", ganz unvermerkt ein. Die Definition dieser Liebe ist, abgesehen davon, daß sie nirgends deutlich gegeben wird, außerordentlich problematisch, denn Putnam muß immer wieder auch das Vorkommen von "unbukolischer Liebe" im Rahmen bukolischer Gedichte zugestehen (siehe z.B. ecl.2 und ecl.8). Die Bestimmung einer Liebe aus dem Eklogenbuch als bukolisch beziehungsweise unbukolisch wird damit aber zum Willkürakt. Gallus' Vorstellung, seine amores sollten zusammen mit den Bäumen wachsen (v.54: crescent illae [sc. arbores], crescetis, amores), sei wiederum elegisch 4 ' und verstoße gegen bukolische Grundgesetze: "The image of potentiality in cresco can only be disastrous. 'Pastoral' confines and orders all things, especially emotion" (S.373). Auch die Vorstellung zu schreiben sei unbukolisch (ibid.) und verrate, daß die zuvor geäußerten bukolischen Absichten des Gallus zum Scheitern verurteilt seien. Der folgenden Jagdphantasie des Gallus erkennt Putnam (wegen des einleitenden interea) nur den Status einer Zwischenphase zu: "... an intervening stage between his double life as elegiac poet and soldier and his imagined future existence as pastoral poet and rational lover" (S. 374-375). Die Verse 60-69 (den Widerruf der vorhergegangenen Phantasien, die Aufgabe der carmina und die Anerkennung von Amors Sieg) behandelt Putnam zunächst unter dem Gesichtspunkt des Kontrastes zum Ende der 2. Ekloge: "Corydon is the shepherd who returns to his country occupations after a bout with an unsatisfactory love. Gallus may pretend to embrace the pastoral spirit but his final decision is to renounce its aloofness and return to the battleground of love and war" (S. 377-378). Die Gegenüberstellung der 10. und der 2. Ekloge ist angebracht und überzeugend. Ungewöhnlich ist Putnams These, der Schluß von Gallus' Monolog sei in

41 S.373: "... the thought that love can grow, whether from presence or absence, is basically an elegiac topos." Dazu führt PUTNAM Prop. 3,21,3-4 an (crescit enim assidue spectando cura puellae). Die Parallelisierung wirkt, vorsichtig gesagt, wieder recht gezwungen.

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1. Zur Forschungsgeschichte

erster Linie Zeugnis einer überzeugten Rückkehr des Elegikers in die eigene Welt und nicht etwa in erster Linie Ausdruck von Resignation und Scheitern. Die Erkenntnis, daß Amor kein Heilmittel kennt und offenbar unbesiegbar bleibt, sei in der Substanz ein Bekenntnis des Gallus zu einer eigenen, von der bukolischen verschiedenen Form der Liebe: "Were Amor to relent, Gallus might embrace a refined and restrained pastoral love. But this is as impossible for the elegist as the discovery of a cure" (S.378). Vom Text überhaupt nicht mehr gedeckt ist dann Putnams Behauptung (S.378-379): "For him (sc. Gallus; d. Verf.) love is life with its sufferings and joys". Zur Liebe in diesem umfassenden Sinne kehre Gallus am Ende seines Monologs zurück. Putnams Vergleich von Gallus' Konklusion mit dem Ende des Damonliedes der 8. Ekloge (wo der unglückliche Hirte seinen Selbstmord ankündigt) enthält unausgesprochen eine demgegenüber veränderte Aussage zum Verhältnis zwischen bukolischer Sphäre und Liebe (S.379): "For the troubled shepherd unrequited love pushed to an extreme spells suicide." Hier gibt Putnam nun ohne weiteres das Vorkommen unbukolischer, da extremer Liebe auch in der bukolischen Sphäre zu und verlagert den Unterschied in die betroffenen Subjekte. Die unterschiedlichen Konstitutionen des bukolischen und des elegischen Liebhabers werden ausschlaggebend; der elegische Mensch sei nicht nur imstande, die extreme Liebe zu ertragen, sondern zur Erfüllung seiner Existenz geradezu auf sie angewiesen, während der bukolische Mensch an ihr zugrundegehen müsse. Die bukolische Sphäre ist für Putnam nun nicht mehr als solche ein Bereich von schmerzfreier Liebe, die immer ein Stück Distanz impliziert, sondern sie ist ein Bereich von besonders veranlagten Menschen, die keine andere Form von Liebe als diese zu ertragen vermögen. Dadurch aber, daß Putnam die Begriffe "bucolic" oder "pastoral" unterschiedslos für das gesamte bisherige Eklogenbuch wie auch für die flüchtige bukolische Phantasie des Gallus verwendet, bleibt seine Argumentation unscharf; z.B. in dem Satz "Love and its imaginative vehicle, elegy, easily win the day over 'pastoral'" (S.380). Der Begriff "victory" (in Anlehnung an omnia vincit Amor) erscheint im Schlußteil von Putnams Interpretation noch häufiger. Die Lebensrealität trage den Sieg davon, während die bukolische Sphäre als Fluchtwelt enttarnt werde und das Nachsehen habe: "... the final victory of love over Gallus' withdrawal is the victory of endurance over escape" (S.382). Wichtig sind Putnams Bemerkungen zur Bedeutung des Epilogs für das Gesamtgedicht. Er legt Wert auf den Wandel, dem der bukolische Dichter ("Virgil") unterliegt. Indem dieser sich dem Gallus nicht verschließe, werde er instandgesetzt, einen ihm selbst bislang fremden, neuen Typus von Liebeserfahrung mitzuvollziehen. Gallus nehme den bukolischen Dichter aus dessen

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wirklichkeitsfernem Idyll42 in neue Regionen mit (S.388): "Instead of rejecting Gallus when he has rejected 'pastoral', the poet himself makes the burgeoning of love his final theme. In so doing he merges the emotion of Gallus' tale with his own, making the inner story part of the poem's outer frame." Dies sei im Eklogenbuch neu, offenbar weil die früher vorgekommenen Rahmensänger stets strikte Distanz zum Gesungenen wahrten (ibid.): "He thus concludes his Eclogues with a denial of part of the apparatus the other poems have always assumed." Ebenso (S.390): "In the tenth, however, the same Virgil who at first seems to tell only the tale of Gallus' woes, ends by involving himself closely with the protagonist of his tale." Gallus als Vertreter der Liebe, so Putnams Grundthese zur Gesamtstruktur des Gedichts, ist somit der eindeutige Sieger im Gedicht43 (ibid.): "Not only do the pastoral Muses not work their charm over Gallus, it is Gallus and love who win the day". Der bukolische Dichter werde am Ende von Gallus zu der Erkenntnis gebracht, daß die weit- und praxisferne bukolische Dichtung auf die Dauer unzureichend sei, daß er nach neuen Ausdrucksformen suchen müsse (S. 392-393): "... the poet hints at new fields to conquer, new poetic forms to work with, and states, indirectly, that man must take responsibility for the world around him." Es folgt (S.393) eine Vorausdeutung auf Vergils nächstes Werk: "... The lesson of the Georgics, disguised behind the mask of practicality, is essentially moral." Ein Grundfehler in Putnams Argumentation betrifft die Distanziertheit der bukolischen Sängerfiguren. Ein für Putnam offenbar typisches Zeichen dieser Distanziertheit (die er gelegentlich mit den Wörtern aloof, aloofness bezeichnet44) im Eklogenbuch ist die dort typische Darstellungsform von unglücklicher Liebe. Er bemerkt zu Recht, daß die Liebesklagen im Eklogenbuch auch schon vor ecl.10 stets gerahmt sind: Sie sind - als Klage eines Hirten - Teil des Liedes, das ein anderer Hirte singt. Zwischen dem unglücklichen Hirten und dem Rezipienten des Eklogenbuchs steht somit jeweils eine Vermittlungsinstanz, die die Liebesklage auf eine ästhetische Distanz bringt. Dieser Ästhetisierungsvorgang findet bereits innerhalb der Ekloge statt und ist somit selbst Gegenstand des Gedichts. Putnam findet aber aloopiess nicht nur in dieser formalen ästhetischen Distanzierung, die in der Tat ein Grundmerkmal von Vergils bukolischer Sphäre ist, sondern erhebt aloofness darüber hinaus zu

42 Z.B. S.386: "bucolic Stillpoint of unconcern". PUTNAMS Gesamtdeutung beruht auf dem hergebrachten Mißverständnis von Vergils Bukolik als Idyllendichtung. 43 Indem er so ausschließlich Gallus und das Neue von dessen Erfahrung ins Zentrum seiner Deutung stellt, trifft sich PUTNAM mit SNELL. 44 PUTNAM, S.378 (s.o.). Aloof als Adjektiv zur Charakterisierung der "bukolischen" Sängerhaltung: S.386, dort auf ecl.10 und S.390, dort auf ecl.8 bezogen.

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einem allgemeinen inhaltlichen Charakteristikum dieser Sphäre und zu einem Charakterzug von deren Figuren. Das Resultat ist eine beträchtliche Begriffsverwirrung. Den gleitenden Übergang vom einen zum anderen sieht man sehr deutlich an folgender Stelle (S.387): "That Virgil is about such humble work as he sings the sollicitos amores of Gallus would seem to imply that he, too, is fully a part of the shepherd's world, that he is only the inspired vehicle of song - like Damon and Alphesiboeus in Eclogue 8 - and in no way responsive to the cares of those about whom he sings." Hier schleicht sich eine pejorative Note ein; die Distanzierung der bukolischen Sänger von ihrem Gegenstand wird tendenziell als charakterlicher Mangel aufgefaßt 45 . Putnams Neigung, aloofness als Charakterzug der bukolischen Figuren zu deuten, wirkt sich besonders verhängnisvoll aus bei seinem Versuch, der "elegischen" Liebe des Gallus einen eigenen, andersartigen, von aloofiiess gekennzeichneten Typus von "bukolischer" Liebe entgegenzustellen. Seinen anfanglichen Versuch, die bukolische Sphäre unter Berufung auf Theokrits 1. Idyll als gänzlich liebesfern und "virginal" darzustellen, gibt er stillschweigend recht bald wieder auf. Auch im Eklogenbuch gibt es Liebe (auch solche, die nicht von aloofiiess gekennzeichnet ist), und auch die Liebenden im Eklogenbuch sind ja - obgleich von Hirten aus ästhetischer Distanz dargestellt selbst wieder Hirten, die ästhetisch Darstellenden und die ästhetisch Dargestellten also Wesen einer und derselben Sphäre 46 . Dies gesteht auch Putnam zu, was bei ihm nun aber zur Folge hat, daß er aloofness - da sie bei ihm zum Charakterzug geworden ist - auch als "eigentlich" vorhandenen Charakterzug nicht nur der darstellenden, sondern auch der dargestellten Hirten voraussetzt. Diese Dargestellten (vor allem Corydon und das Ich des Damonliedes der 8. Ekloge) fielen mit der Liebe dann einer Macht zum Opfer, die der konstitutionellen aloofiiess der Hirten zuwiderlaufe und "eigentlich" unbukolisch sei. Dieser Schluß ist zirkulär: Putnam hat lediglich am Anfang aloofiiess als Charakterzug der bukolischen Hirten postuliert und erklärt nun willkürlich alles, was dem entgegensteht, für unbukolisch. Immer wieder suggeriert er, Liebe sei im Eklogenbuch und in den Liedern der bukolischen Sänger nur eine Art Grenz- oder Sonderfall (S.345; s.o.): "The subject matter of the shepherd's song, even (Hervorhebung vom Verf.) if it is love, is of little importance so long as the shepherd himself is not the victim of the trials he imputes to others." Putnam kommt nie ohne jene nicht recht klar definierte zusätzliche

JS Noch deutlicher wird diese Tendenz in dem Ausdruck "the careless unconcern of die pastoral life" (S.389). 46 Dies herausgestellt zu haben, ist das Verdienst von E.A. SCHMIDT (Poetische Reflexion;

v . a . S.

107-119).

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Vorstellung von einer spezifisch bukolischen Liebe aus47. Er nimmt das Phantasieprodukt des Gallus aus ecl. 10 (v. 37-41), das doch von einem Fluchtwunsch getragen ist, für bare Münze und glaubt, es als gültige Beschreibung emotional distanzierter bukolischer Liebe ansehen zu können. Für ecl.2 setzt Putnam (S.372) einen Unterschied zwischen "ordinary love", die anscheinend jetzt der bukolischen Liebe gleichzusetzen ist, und "the more excruciating torture to which unpastoral Alexis is subjecting him (sc. Corydon)" an. Die angeblich unbukolische Liebe des Corydon wird somit zu einer Vorstufe der "elegischen Liebe" des Gallus. "Unbukolisch" aber heißt bei Putnam letztlich nicht mehr als mit dem unvereinbar, was er als bukolisch anerkennt. Daß Putnam nicht zwischen Distanziertheit als einem formalen Grundmerkmal des bukolischen Singens und Distanziertheit als einem inhaltlichen Aspekt, einem Charakterzug oder einem Wesensmerkmal der bukolischen Figuren, unterscheidet, führt dazu, daß er auch den bukolischen Rahmendichter der 10. Ekloge Gallus gegenüber zunächst mit emotionaler Distanziertheit ausgestattet sein läßt. Er bezeichnet den bukolischen Dichter als "in no way responsive to the cares of those about whom he sings" (S.387). Die Entwicklung des Gesamtgedichts liegt für Putnam nunmehr darin, daß der bukolische Dichter von ecl. 10, angeregt durch Gallus, in zunehmendem Maße seinen bukolisch-emotionsfernen Standpunkt verlasse48. Putnam kann die Entwicklung innerhalb der 10. Ekloge nur als eine freiwillige Selbstauflösung der bukolischen Sphäre beschreiben. Am Ende verlöre sich nach seinem Modell diese Sphäre, indem sie in einem ihr fremden Element aufginge. Die Konsequenzen dieser Gesamtdeutung lassen sich durch einen Rückgriff auf den Eingang des Prologs illustrieren: Putnam deutete dort den untermeerischen Süßwasserstrom der Arethusa als Symbol für die jungfräuliche bukolische Dichtung, die durch die zerstörerische Kraft der Leidenschaft bedroht werde. Träfe seine Deutung zur Entwicklung des Gesamtgedichts zu, so könnte er die Entwicklung, die im Verlauf des Gedichts erfolgt, nicht anders beschreiben denn als eine erfolgreiche Vermischung von Süß- und Salzwasser. Das sinnfällige Bild vom schützenswerten und kostbaren Süßwasser, das über der Ekloge steht, verlöre

47

Dagegen sei SCHMIDTS nüchterne Feststellung gesetzt (Poetische Reflexion, S. 144-145): "Dementia, insania, malus error charakterisieren das Selbstgefühl dieser liebenden vergilischen Hirten; fem ist ihnen epikureische securitas, quies, beatitudo, Sattheit. ... Daß die bukolische Welt kein Reich epikureischen Seelenfriedens ist, erfährt auch Gallus in ecl.X. Auch in der Hirtenwelt kennt Amor, der Grausame, kein Genüge an Tränen, und Maßlosigkeit ist ihm so eigen wie den Ziegen und den Gräsern." 48 Diese Aufhissung hat in der amerikanischen Philologie eine gewisse Tradition; vgl. E.K. RAND, The Magical Art of Virgil, Cambridge, Mass. 1931, S.159: "... (Virgil) writes a panegyric of Gallus to show that the latter's love-poetry is deeper and richer than pastoral can be."

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1. Zur Forschungsgeschichte

in deren Verlauf allmählich seinen Sinn, da das Gedicht nichts anderes schilderte als das zunehmende "Eindringen des Salzwassers" in Form der "elegischen Liebe" des Gallus. Putnam müßte am Ende, wenn er diesen Faden noch einmal aufnähme, konstatieren, daß der Arethusastrom sich aufgelöst hat und salzig geworden ist. Die 10. Ekloge stellte somit die Entwicklung hin zum Versiegen der Arethusa, zum Scheitern des bukolischen Dichtungskonzepts an dessen emotionaler Unzulänglichkeit dar. Diese Deutung wird aber der außerordentlich selbstbewußten Haltung des bukolischen Dichters im Epilog nicht gerecht, der dort die eigene Liebe eingesteht und zugleich seine Position klar von der des Gallus absetzt. Zwei Aspekte von Putnams Interpretation sind aufrechtzuerhalten. Zum einen betont er gebührend das Wachstum und die Entwicklung, die der bukolische Dichter selbst im Verlauf der 10. Ekloge erfahrt und deutet den Epilog nicht wie die meisten anderen Autoren als bloßen bukolischen Aus- und Nachklang. Zum anderen weist er immer wieder, wenn auch unsystematisch, auf ein Rahmungsphänomen als Grundprinzip der bukolischen Sphäre hin: auf die Tatsache, daß Liebesleiden innerhalb der bukolischen Sphäre des Eklogenbuchs nirgends unmittelbar, sondern stets schon als be- und gesungene erscheinen. Diese beiden wichtigen und ausbaufähigen Ansätze verlieren sich bei Putnam jedoch wieder: einmal, da er in ecl.10 undialektisch einen Sieg der Elegie, von "emotion", "love and life" (s.o.) über die Bukolik sieht, und außerdem, da er nirgends klar zwischen ästhetischer und emotionaler Distanziertheit unterscheidet und das ästhetische Prinzip des bukolischen Gesangs, die Rahmung von Liebesleiden durch Hirtengesang, auf ein emotionales Defizit der Hirtensänger und der bukolischen Figuren insgesamt zurückführt.

1.4 Der gattungstheoretische

Ansatz: Gian Biagio Conte

Die jüngste umfangreichere Einzelinterpretation zur 10. Ekloge stammt von dem Pisaner Philologen Gian Biagio Conte (II genere e i suoi confini: Interpretazione della decima egloga; S. 11-43 in: ders., II genere e i suoi confini, Torino 1980; daraus in diesem Abschnitt alle Zitate, wenn nichts anderes angegeben ist). Der Titel läßt bereits deutlich werden, daß hier keine antiquarisch-quellenkritische Position eingenommen wird, sondern eine an der eher abstrakt-literaturtheoretischen Größe des Genos orientierte Betrachtungsweise angestrebt ist. Die Konfrontation elegischer und bukolischer Traditionsstücke in der 10. Ekloge ist nun nicht mehr eine einfach gegebene, möglicherweise nur biographisch zu erklärende Tatsache. Conte sieht vielmehr in dem Faktum dieser Konfrontation selbst den eigentlichen Sinn des Gedichts. Nach seiner Deutung werden hier am Ende des Eklogenbuchs zwei Genera, zwei litera-

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rische Codes in ein Spannungs- und Reibungsverhältnis gebracht, in dem sie einander gegenseitig relativieren. Contes programmatischer Satz "L' interpretazione della decima egloga nasce, all' inizio del secolo, con un peccato originale ch' io credo non sia stato piü del tutto cancellato: in essa, a partire da Skutsch (e poi per suo effetto) la critica, prima di vedere Virgilio, ha cercato Gallo" (S. 11) wurde bereits in der Einleitung zitiert. "Vedere Virgilio" ist hier ein anderer Ausdruck für "den Eigenwert der 10. Ekloge wahrnehmen"; die Philologen, die in der 10. Ekloge vorrangig "Gallus suchten", erlagen in nur allzu verständlicher Weise einer Verführung: "II miraggio di riavere, della perduta poesia di Gallo, brani formati e compiuti nel senso, quasi venissero dalla sua stessa voce, e non piü echi indiretti e malcerti questa lusinga convinse Skutsch che Virgilio... aveva concepito Γ egloga sesta e la decima come 'cataloghi' di quelle opere perdute alia storia... " (S. 11-12). Seine genosorientierte Interpretation beginnt Conte mit Überlegungen zum Bukolischen in der 10. Ekloge - und das heißt: zu der Partie (v. 9-30), die sich in überdeutlicher Weise an eine bukolische Tradition (Theokrits erstes Idyll) anlehnt. Was bedeutet die breit ausgesponnene Identifikation des Gallus mit dem Daphnis des theokritischen Thyrsisliedes? Contes Argumentationslinie verläuft zunächst ähnlich der Putnams: Der Daphnis des 1. Idylls verkörpert mit seinem konsequenten, bis in den Tod durchgehaltenen Widerstand gegen Aphrodite ein Modell angeblich typisch bukolischer Enthaltsamkeit; Gallus, der Elegiker, der sich ganz dem servitium amoris verschrieben hat, ist die exakte Gegenfigur dazu. Contes Charakterisierung des Daphnis aus id.l ist ganz auf dessen elegisches Pendant in der 10. Ekloge, Gallus, zugeschnitten (S. 17): "La sua (sc. des Daphnis) resistenza έ paura non dei piaceri dell' amore, e paura di trovarsi poi preda e schiavo dell' amore." Gallus dagegen finde gerade hierin seinen Lebensinhalt (S.17): "... per lui (sc. Gallus), quel che per Dafni e aborrita schiavitü, altro non e che il senso stesso dell'esistenza, il servitium amoris". Conte greift die Idee auf, Theokrits Daphnis (S.15: "l'eroe bucolico") sei in seinem Widerstand gegen die Liebe (die sich für ihn ja leicht erfüllen könnte 49 ) ein typischer Vertreter bukolischer Liebesferne und damit ein Inbegriff der bukolischen Sphäre: "II rifiuto... di Dafni, e la sua scelta di sofferenza, e di fatto ricusarsi all'eros come al giogo che lo priverebbe della sua libera natura di pastore-cacciatore: di una natura che e padrona di se stessa" (S.17). Die widersprüchliche Vereinigung von Gallus und Daphnis im Eingangsteil der 10. Ekloge bündelt nach Conte sämtliche Spannungen zwischen dem elegi-

49 Id. 1,81-85:... T/ei?' ό Πρίηχος / κηφα Άάφνι τά\αν, τί τϋ τάκίαι; ά 6ί τυ κώρα / πάσας Μ κράνας, τάντ' άλσία -ποσσϊ φοράται - / ... / ζάπισ'... '.

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1. Zur Forschungsgeschichte

sehen und dem bukolischen Genos, die als einander diametral entgegengesetzt erscheinen: "II fatto e che Virgilio non si e limitato, questa volta, ad esercitare il suo raffinatissimo talento combinatorio incrociando questo ο quelio. Qui non si tratta solo di riecheggiamenti stilistici, bensi di identificazione di personaggi, di funzioni drammatiche (Gallo si fa Dafni)" (S.18). Wird diese Einheit Bestand haben können? Conte faßt sie als das Ergebnis von Vergils Versuch auf, Gallus zu einer "bukolischen" Abstandnahme - ähnlich der des Daphnis zu bewegen (S.16): "Virgilio, illustrando a Gallo con tanta minuziosa cura Γ identificazione con Dafni nel soffrire, gli propone (sarebbe questo il suo dono) di ripetere la resistenza di Dafni all'amore, l'antagonismo di lui a Cupido." Oder (S.18): "La dafnizzazione di Gallo e il dono di Virgilio all' amico, dono di salvazione." Symmetrisch einander entgegengesetzt sind wiederum die Äußerungen des Priapos und des Apollo bei Theokrit (id. 1,82-91) beziehungsweise Vergil (ecl. 10,22-23) (S.17): "... I' avvertimento di Apollo... suona rovesciato rispetto a quelio di Priapo. II contrasto fra queste due esortazioni (per Dafni. di accettare l'amore e tornare cosi alia serenita pastorale; per Gallo, di rassegnarsi lucidamente all'avvenuto discidium) riproduce esattamente l'opposizione fra i generi letterari: il bucolico e l'elegiaco si contrappongono qui." Es ist richtig, daß zwischen den Äußerungen der beiden Götter ein genauer formaler Gegensatz besteht. Bedenken muß man jedoch gegen die stillschweigend vorgenommene Umdeutung des Bukolischen anmelden, die es Conte erst ermöglicht, in den gegensätzlichen Äußerungen der Götter exakt den Gegensatz der beiden Genera widergespiegelt zu finden: Sah es nämlich zuvor noch so aus, als sei gerade der Widerstand des Daphnis gegen die Liebe Zeichen seiner bukolischen Grundbefindlichkeit, so soll nun offenbar die Aufgabe dieses Widerstandes eine Rückkehr in die bukolische Sphäre bedeuten ("tornare... alla serenita pastorale"; s.o.). Nach Contes Auffassung deutet der Eingangsteil von Gallus' Monolog darauf hin, daß dieser (vorerst) das bukolische Geschenk Vergils annimmt (S.19: "Gallo accetta di vestire la maschera del pastore Dafni"). Die Eingangsverse des Gallus (v.31 ff.: tristis at ille 'tarnen

cantabitis, Arcades,' inquit / montibus haec vestris... ) sind für Conte der Beweis des "carattere sostanzialmente metaletterario" (S.19) des Gedichts. Gallus sei in seiner "dafnizzazione" (s.o.) selbst in einen Arkader verwandelt worden und reflektiere von dieser Position aus, als Figur des Gedichts, über eben diesen Verwandlungs- und Dichtungsvorgang, dessen Urheber der bukolische Dichter, "Vergil" (ebenfalls ein Arkader), sei: "Gallo, insomma, comprende, dall'interno, l'operazione di Virgilio, e ad essa aderisce" (S. 19). Aber nicht nur der bukolische Rettungsversuch sei ein literarischer, sondern auch das Leiden des Gallus sei bereits literarisch: "... le sue (sc. Gallus') sofferenze sono state ordinate ad un' esperienza specifica che ha la forma dell'elegia."

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Conte befindet sich hier nach wie vor in der berechtigten Abwehrposition gegenüber biographieorientierten Deutungen, die als Ausgangskonstellation immer nur eine kontingente Krisensituation annehmen können, nicht aber einen notwendigen, strukturbedingten Konflikt: "Se Virgilio ha una sollecitudine affettuosa per Gallo, egli non l'ha solo per l'amico, l'ha sopratutto per Tamico-poeta elegiaco: le sofferenze di lui sono i suoi carmi, e salvarlo vuol dire salvarlo dall'elegia" (S.19). Aus "salvare dall'elegia" (s.o.) wird eine Rettung vor der elegischen Lebensform. Contes Begründung hierfür ist, daß elegisches Dichten wie kein anderes an eine bestimmte Lebensform, eine "scelta di vita" (S.20) gebunden sei bzw. daß umgekehrt auch diese Lebensform sich an dem spezifischen Code der elegischen Dichtung 5 0 zu orientieren habe: "Se dolorosa e la vita reale del poeta elegiaco, la colpa non sarä di quella ideologia letteraria - statuto artistico e esistenziale - che, come un modello, detta le leggi stesse del comportamento ai suoi adepti?" (S.20). Festzuhalten bleibt hier: Gallus erscheint in der 10. Ekloge als eine Figur, für die Lebensrealität und Dichten unauflöslich miteinander verschlungen sind. Dementsprechend kann er sich auch nicht vorstellen, seine Leiden auf andere Weise zu beenden als indem er sein elegisches Dich-

ten aufgibt (v.50-51: ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu / carmina pastoris Siculi modulabor avena). Conte (S.23): "... I'evasione dal dolore di questa vita non puö che essere - parallelamente - rifiuto di quei versi che la rappresentano, cio£ abbandono del poetare elegiaco. (Ed e necessariamente cosi per una poesia che vuole essere anzitutto adesione alia vita - che di tale adesione anzi fa la 'finzione' prima del suo essere, la norma distintiva del suo cod ice letterario)." Der hypothetischste Teil von Contes Interpretation ist derjenige, der die folgende Partie von Gallus' Monolog, nämlich die Wald- und Jagdphantasie (v. 52-60) behandelt. Conte vermutet hier die Umkehrung eines elegischen Motivs, das Gallus im Sinne seines oben zitierten Vorhabens (v. 50-51) verwandle. Bei den erhaltenen römischen Elegikern findet sich j a gelegentlich das Jagdthema, aber dergestalt, daß dort der Liebende die Absicht äußert, zum Jäger zu werden, um gerade der (oder dem) Geliebten nahe zu sein (eindeutig in Prop. 1,1,9-16 [Milanion], "Tib." 4 (de Sulpicia], 3,11-14 [sed tarnen, ut

tecum liceat, Cerinthe, vagari, / ipsa ego per monies retia torta feram, / ipsa

50 Vgl. auch G.B. CONTE, L'amore senza elegia: I 'Remedia amoris' e la logica di un genere; in: Ovidio - Rimedi contro l'amore (a cura di C. Lazzarini), Venezia 1986 (dort: S. 9-53); engl. Fassung: Love without Elegy: The Remedia amoris and the Logic of a Genre, Poetics Today 10:3 (Herbst 1989), S. 441-469. Einen ähnlichen Grundansatz wie CONTE verfolgt wieder A. ALVAREZ HERNANDEZ, LOS amores de Galo en la Arcadia de Virgilio, Anales de Filologia Cläsica (Buenos Aires) 12 (1991), S. 5-22.

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1. Zur Forschungsgeschichte

ego velocis quaeram vestigia cervi / et demam celeri ferrea vincla cani\). Das zugrundeliegende Motiv beschreibt Conte wie folgt (S.26): "Non c ' e dubbio dunque che l'elegia erotica romana, nel suo complesso, tra i motivi che si accentrano intorno al grande tema del servitium amoris annovera quello dell' amante che per obsequium e disposto a farsi persino seguace di Diana" 51 . Gallus sei der Erfinder, der "capostipite" (I.e.) dieses Motivs. Zu dieser Annahme glaubt Conte sich insbesondere wegen des unverkennbaren Anklangs der Verse 55-60a an die Phantasie der Phaidra im Hippolytos des Euripides (ν. 215-222; s . o . , S.34, und u., Teil 2, Anm. 148) berechtigt: Wie Phaidra dem Jäger Hippolytos, so habe ursprünglich auch Gallus in seinen Elegien auf der Jagd seiner Geliebten gerade besonders nahe sein wollen - und eben dieses Motiv kehre er im Zeichen seines Versuchs, das Elegische bukolisch zu modulieren, zur Fluchtphantasie um: "... come l'elegia inverte il suo segno per farsi bucolica, cosi anche quel tema di Fedra (dell' amante che fra i boschi ricerca l'amore) puö mutarsi nel gesto di chi fra quegli stessi boschi tenta di sfuggirlo" (S.29). Im Rahmen seines "bukolischen" Versuchs, Gallus von seiner "elegischen" Liebesverfallenheit zu befreien, nehme Vergil somit eine "affettuosa ri-scrittura di ciö che l'amico aveva giä cantato" (I.e.) vor 52 .

Mit Gallus' Einsicht der vv.60 ff. (... tamquam haec sit nostri medicina furoris /...) werde endgültig das Scheitern des (bukolischen) Heilungsversuchs und damit die Unvereinbarkeit der beiden konfrontierten Sphären und literarischen Genera festgeschrieben, und Gallus' abschließender Satz (v.69: omnia

vincit Amor: et nos cedamus Amori) sei als "formulazione piü compiutamente elegiaca" (S.31) ein unwiderrufliches Bekenntnis zur Lebensform des servitium amoris. Die beiden literarischen Sphären träten hier in klarer Scheidung wieder auseinander: "La rinuncia di Gallo interrompe in maniera definitiva il contatto fra l'elegia e la bucolica: e negata ogni possibilita di risolvere in termini bucolici il conflitto elegiaco" (S.31). Nachdem das eigentliche Vorhaben Vergils (nämlich Gallus eine wirksame "bukolische" medicina zu verabreichen) gescheitert sei, trennten sich die beiden Dichterfiguren nunmehr voneinander: "Gallo ha ripreso la sua strada, e Virgilio, rimasto solo, non puo che rivolgersi alle sue Muse" (S.31). Hier liegt der Unterschied zwischen den Interpretationen Putnams und Contes. Da Conte als die Hauptabsicht des Gedichts tatsächlich die einer Heilung unter-

51 Ist es tatsächlich zwingend, dai! die Jagdthematik bei Gallus diese Ausprägung gehabt hat? An der Stelle Ovid, rem. am. 199-208 beispielsweise, die auch CONTE zitiert (v. 199200: vel tu venandi Studium cole: saepe recessit / turpiter a Phoebi victa sorore Venus), soll die Jagd im Gegenteil ein Heilmittel sein. 52 STROH 1989, z.B. S.56, sieht bis ans Ende von Gallus' Monolog eine solche Umkehrung der "elegischen" "obsequii munera" in "amoris remedia" durch Vergil.

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stellt, muß der Epilog des bukolischen Dichters in seiner Deutung zum Kompromißprodukt und zum Ausdruck eines Sichbescheidens werden: "Ma il dono del poeta bucolico non e svanito nel nulla; fallita la medicina, resta il canto donato all'amico" (S.31). Die ursprüngliche Absicht des Gedichts - nur so kann man diesen Satz Contes verstehen - war lebenspraktischer Natur: Die Lösung dieser Aufgabe ist gescheitert, und so bleibt der Gesang, der aber sein ursprüngliches Ziel verfehlt hat. Das Elegische erweist sich somit - dies das Ergebnis am Ende von Gallus' Monolog - als bukolikresistent. Die beiden Gattungen sind nicht ineinander überführbar, die eine nicht in der anderen auflösbar. Der vorübergehende Angleichungsversuch zwischen den beiden, den die 10. Ekloge darstelle, lasse deren unüberbrückbare Differenzen nur umso deutlicher hervortreten. Dieses Angleichungsbestreben lasse sich nicht nur - wie schon dargestellt - im Mono-

log des Gallus (mit v. 50-51: ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu / carmina pastoris Siculi modulabor avena) von Seiten der Elegie beobachten, sondern auch bereits im Prolog des Gedichts von seiten der Bukolik: In sed quae legat ipsa Lycoris (v.2) kündige sich an, daß das bukolische Gedicht sich für dieses Mal den Anspruch der Elegie zu eigen machen wolle, werbende Dichtung zu sein - und diesen Anspruch habe es mit der Einbeziehung von Gallus' Monolog auch durchaus eingelöst (S.31): "... in quel canto Gallo, se ha deluso le affettuose premure di Virgilio, non ha forse per ciö stesso soddisfatto Licoride mostrando l'irresistibile forza del proprio amore per lei?" Zumindest ein elegisches Ziel sei also, obgleich der Heilungsversuch scheitere, am Ende des Gedichts erreicht worden. Contes abschließende Bemerkungen über das Verhältnis der beiden Gattungen zueinander lassen einige Spielräume offen: Sind sie einander nun in einer Opposition entgegengesetzt oder liegen sie doch eher benachbart, bleiben dabei aber durch unauflösliche Differenzen geschieden? Für letzteres spräche die Aussage: "La stessa dimensione metaletteraria deH'egloga... permette che in essa si realizzi come una esplorazione dei confini di un genere poetico, dei tratti che - limitrofi a quelli di un altro genere - sono perö, per esso, propri e distintivi" (S.32), für ersteres die Feststellung (I.e.) "L'analoga e parallela opposizione fra Venere e Diana... funziona ora, sul piano della prassi e della scelta di vita, come mediazione simbolica tra la coppia oppositiva elegia bucolica e i rispettivi referenti citta - campagna." Die Gefahr, aufgrund des verfügbaren Gesamtwissens über den Gattungsbestand (das sich ja im wesentlichen auf die späteren Dichter Tibull und Properz stützt) Konstruktionen vorzunehmen, die die 10. Ekloge aus dem Blick verlieren, ist außerordentlich groß. Wo beispielsweise spielen in der 10. Ekloge in eindeutiger Weise die Gegensätze "citta - campagna" (s.o.) oder "Storia - campagna" (S.34) eine Rolle - und vor allem: Wo ist Gallus in der 10. Ekloge in eindeutiger Weise

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1. Zur Forschungsgeschichte

"uomo d' armi e di stato" (S.34)? Wenn man bei der Interpretation Genera als feste Ausgangsgrößen zugrundelegen will, ist die These von der gegenseitigen Relativierung zweier Gattungen in der 10. Ekloge sicherlich richtig. Man muß dann aber fragen, ob diese im Schlußgedicht des Eklogenbuchs tatsächlich als gleichberechtigte erscheinen. Ist eine derartige Gleichberechtigung in einem Gedicht, das sich (in Prolog und Epilog) eindeutig als bukolisch ausweist, überhaupt denkbar? Bei echter Gleichrangigkeit und vollständiger gegenseitiger Relativierung ergäbe doch (gedankenexperimentell) beispielsweise die Gegenüberstellung einer bukolischen Eröffnung mit einem elegischen Beschluß einen viel adäquateren formalen Ausdruck der Sinnstruktur des Gedichts. Aber wäre ein solches Gedicht überhaupt denkbar? Conte selbst relativiert seine Gleichrangigkeitsbehauptung schließlich stillschweigend wieder - bezeichnenderweise in seiner abschließenden Charakterisierung des bukolischen Dichters ("Virgilio"): "Virgilio stesso, anche se si rappresenta al di fuori, non e fuori del dramma, ma ne costituisce un termine necessario: e partecipe e coinvolto - anche se in modo diverso da Gallo, anche se capace di qualche distacco - tanto che senza di lui non potrebbe esistere la dialettica essenziale della composizione" (S.34). Conte erkennt somit an, daß die Funktion des "Virgilio" im Gedicht eine andere ist als die des Gallus: Er betont die Distanzierungsfähigkeit des bukolischen Dichters, die diesen von Gallus unterscheide und die eine essentielle Funktion für das Bestehen der Gesamtkomposition habe. In der vorliegenden Arbeit soll der Versuch gemacht werden, Bukolik und Elegie nicht vorrangig inhaltlich und als Träger zweier verschiedener Lebensmodelle (belegt etwa mit Begriffen wie "serenitä pastorale" [s.o.] oder servitium amoris) zu verstehen. Dagegen soll als das Besondere der bukolischen Gattung, wie sie sich im Eklogenbuch darstellt, das formale Spezifikum jener Distanzposition des Dichters betont werden. Die Annahme einer Gleichrangigkeit von Bukolik und Elegie als zweier einander bloß relativierender Gattungen in der 10. Ekloge läßt die dort gegebene Hierarchie untergehen: Gallus spricht dort eben nicht unmittelbar, sondern nur durch den Mund des bukolischen Rahmendichters, der sich selbst durch die Einbeziehung dieser konträren Figur eine neuartige Herausforderung auferlegt hat.

1.5 Dichtung der Dichtung: Ernst A. Schmidts Theorie der poetischen Reflexion Den bislang wichtigsten (wenn nicht den einzigen) Versuch einer systematischen Deutung von Vergils Bukolik insgesamt hat Emst A. Schmidt mit seinem Buch "Poetische Reflexion" (München 1972; zuerst: Heidelberg 1969)

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geliefert. Dieses Werk stellt mit seiner Suche nach einem einheitlichen theoretischen Entwurf zur Beschreibung des Besonderen der Eklogendichtung ein Wagnis dar. Der Mangel an Differenzierung, den man Schmidt gelegentlich vorgeworfen hat53, bleibt dabei relativ unerheblich gegenüber dem Gewinn, den die neuen theoretischen Begrifflichkeiten "Poetische Reflexion" und "Dichtung der Dichtung" bedeuten, die Schmidt in die Eklogendiskussion eingeführt hat. Auch Schmidts eingehende Auseinandersetzung mit gewissen unausrottbaren Vorurteilen in der Eklogenforschung, die er in seinem Kapitel "Mißverständnisse der vergilischen Bukolik" (S. 120-185s4) eingehend (auch in ihrer Genese) darstellt und überzeugend widerlegt, ist von großer Bedeutung. Die vorliegende Arbeit setzt voraus, was Schmidt dort gegen die HauptmißVerständnisse der vergilischen Bukolik vorgebracht hat. Er beschreibt sie unter den drei Titeln "Allegorie und Panegyrik"55, "Lob des Landlebens und Epikureismus"56 sowie "Goldenes Zeitalter und Arkadien"57. Schmidt lehnt mit der notwendigen Radikalität die Idee ab, Vergils Eklogen seien letzten Endes doch ein Vehikel zum Transport weltanschaulicher oder philosophischer Überzeugungen oder aber zum Ausdruck von Fluchtwünschen und -Sehnsüchten. So kann er mit gereinigtem Blick die Gestalt der Gedichte untersuchen -in der Absicht, eine Strukturformel zu finden, die allen Gedichten gemeinsam ist, und ein theoretisches Modell zur Beschreibung von Vergils Bucolica zu entwickeln. Schmidt hat die 10. Ekloge nicht ausführlich behandelt. Das Rahmungsmodell, das in dieser Arbeit entwickelt werden soll, ist aber aus einer Auseinandersetzung mit Schmidts Reflexionsmodell hervorgegangen, die hier zum Schluß des Literaturkapitels nachgezeichnet werden soll. Schmidt geht von einigen Überlegungen zum Gattungsbegriff aus (Α. I. Literaturgeschichtliche Aspekte der vergilischen Bukolik: Die grundlegenden Gattungsmerkmale der Bukolik, S. 9-56). Seine Grundthese ist, daß die antike Bukolik mit ihren Hauptvertretern Theokrit und Vergil eine einheitliche literarische Gattung bilde, die sich von aller späteren Hirten- oder gar Idyllendichtung deutlich scheiden lasse. Bei der Definition seines Gattungsbegriffs orientiert Schmidt

53

So beispielsweise P. DAMS in seiner (im ganzen aber zustimmenden) Rezension (in: Gnomon 47 |1975], S. 449-453; dort bes.: S.451). Äußerst positiv im übrigen die Rezension von H. HOFMANN in Gymnasium 83 (1976), S. 143-146. 54 Die Seitenangaben bezieben sich in diesem Abschnitt, wenn nichts anderes angegeben ist, stets auf SCHMIDTS "Poetische Reflexion". 55 S. 120-138. * S. 139-153. 57 S. 154-185.

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1. Zur Forschungsgeschichte

sich an Vertretern moderner Literaturtheorie 5 8 . "Gattung" ist danach nicht als Inbegriff eines hypostasierten nominal istischen Regelsystems zu verstehen; d . h . ein Gedicht gehört einer Gattung nicht durch die Erfüllung von Forderungen dieser Gattung an. Der dynamische Gattungsbegriff, den Schmidt zugrundelegt, bestimmt das Zugehörigsein eines Einzelwerks zu einer Gattung vielmehr grundsätzlich durch dessen (S.12) "Veränderung einer früheren Dichtung" (S.12), wobei aber die neue, verändernde Dichtung "dieselben grundlegenden Kennzeichen" (ibid.) wie die frühere haben muß, um als Veränderung derselben erkennbar zu sein. Das wichtigste dieser unveränderten, grundlegenden Kennzeichen der antiken Bukolik beschreibt Schmidt folgendermaßen: "Bukolik handelt nicht schlechthin von Hirten, sondern von Hirten, insofern diese Sänger sind" (S.17). In Vorbereitung seines theoretischen Entwurfs hat er schon darauf hingewiesen, daß ein herausgehobenes "grundlegendes Charakteristikum der Bukolik" (ibid.) darin besteht, "daß sie die Dichtung ist, für die es typisch ist, daß sie sich über sich selbst äußern kann" (ibid.). Antike Bukolik ist nicht einfach Dichtung über Hirten, sondern durchgängig Dichtung über den Gesang von Hirten 59 . In der Antike ist dies nach Schmidts Darstellung stets ganz selbstverständlich so empfunden worden. Er geht der Verwendung des griechischen Wortes βουκολικός nach, das er erstmals bei Theokrit und dort nur in Verbindungen mit άοιδά (z.B. id. 1,64) oder μοΐσα (z.B. id. 1,20; 7,49) belegt findet 60 . "Bukolik, τά βουκολικά, ή τών βουκολικών -κοίησις, το βουκολικον ποίημα... kann also kaum Dichtung, die von Hirten handelt, meinen, sondern bedeutet Hirtenlied bzw. Dichtung, die Hirtenlieder und insofern auch Hirtensänger zum Gegenstand hat" (S.18).

58 Siehe SCHMIDT, S.10, Anm.4. Insbesondere bezieht er sich auf den russischen Formalismus (z.B. J. TYNJANOV: Dostoevskij und Gogol (Zur Theorie der Parodie] |1921), Das literarische Faktum [1924], Über die literarische Evolution [1927]; in: Texte der russischen Formalisten, Band I [hg. v. J. Striedterl, München 1969) sowie die Rezeptionsästhetik (H.R. JAUSS: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft [Konstanzer Universitätsreden 3], Konstanz 1967). Zustimmend zitiert er des weiteren E. LÄMMERT (Bauformen des Erzählens, Stuttgart 31968) und K. VLETOR (Probleme der literarischen Gattungsgeschichte. DVjs 9 |19311, S. 425-447). Aus jüngerer Zeit vgl. zum Gattungsproblem etwa R. COHEN, History and Genre, New Literary History 17 (1986), S. 203-218. M Diesen Sachverhalt hat man unsystematisch auch schon vor SCHMIDT beschrieben; z.B. E.E. BEYERS, Vergil: Eclogue 7 - A Theory of Poetry, Acta Classica 5 (1962), S. 38-47 (dort: S.43): "... Vergil is writing primarily about poets and poetry, not about farms"; R.D. WILLIAMS, Virgil (Greece and Rome - New Surveys in the Classics 1). Oxford 1967, S.12: "The singer is the unifying theme of the Eclogues". 60 Vgl. auch noch βουκολικούς ύμνους in Theocr. epigr. 2,2.

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Schmidt bringt bei der Untersuchung des antiken Gattungsnamens 6 1 bereits deutlich seine Grundthese zum Ausdruck: "Der N a m e Bukolik der Dichtgattung ist identisch mit dem Namen ihres Gegenstandes, der wiederum bukolisches Lied ist. S o w i e die Hirtendichter innerhalb der Bukolik singen, s o ist auch das Dichten des Bukolikers Singen" (ibid.). Bukolische Dichtung hat bukolischen Gesang zum Gegenstand. Im Abschnitt S. 120-185 erteilt Schmidt den traditionellen Versuchen eine Absage, Vergils bukolische Dichtung allegorisch zu interpretieren 62 , sie als epikureisch 6 3 oder als Idyllen-

" Vgl. G.A. SEECK, Dichterische Technik in Theokrits "Thalysien" und die Theorie der Hirtendichtung; in: Dorema. Festschrift für H. Diller zum 75. Geburtstag, Athenai 1975 (dort: S. 195-209); F. MUECKE, Virgil and the Genre of Pastoral, AUMLA 44 (1975), S. 169-180; J. IRMSCHER, Zum griechischen Bukolikbegriff; in: Studi di fiiologia classica in onore di Giusto Monaco, Bd.4, Palermo 1991 (dort: S. 1379-1380). 62 Diese besondere Form des Mißverständnisses betrifft die 10. Ekloge nur wenig (am stärksten ecl.l und ecl.5). Immerhin ist aber erst jüngst S. KOSTERS Versuch einer allegorischen Deutung der 10. Ekloge erschienen (Cum Gallus amore peribat: Der Tod des praefectus Aegypti im Spiegel der 10. Ecloge; in: Das antike Rom und der Osten, Festschrift für Klaus Parlasca, hg. v. C. Börker und M. Donderer [Erlanger Forschungen R. A No. 56), Erlangen 1990 [dort: S. 103-123]). KOSTER glaubt, der 10. Ekloge Sinn verleihen zu können, indem er sie erst nach dem Tode des Gallus im Jahre 26 entstanden sein läßt und amor darin als Verschlüsselung für Augustus deutet. Das Extrembeispiel für die allegorisierende Interpretation des Eklogenbuchs ist L. HERRMANN, Les Masques et les Visages dans les Bucoliques de Virgile, Bruxelles 1930: Alle Namen des Eklogenbuchs sind Pseudonyme, und "ä chaque Pseudonyme correspond un nom riel et un seul" (op. cit., S.7; Kursivdruck von HERRMANN). Nach HERRMANN ist etwa in eel. 10 (wie überall) Menalcas Vergil und Amyntas Tibull. 63 Die wichtigsten Partien aus anderen Werken der römischen Literatur, die das Vorurteil fördern, Vergils Eklogen seien epikureische Dichtung, sind (da sie tatsächlich in epikureischen Farben ein ländliches Idyll zeichnen) Lucr. 5,1379 ff. und Georg. 2,458 ff. Vgl. auch Hör. c. 3,1,21-25 sowie das Lob des Landlebens im Culex (58-97). In Italien wirkt E. PARATORES epikureische Deutung der Eklogendichtung (Virgilio, zuerst: Roma 1945) bis heute nach (deutlich z.B. noch bei G. D' ANNA, Virgilio e Cornelio Gallo - un contrasto ideologico, AAM 53 [1985], S. 29-40); auch V. PÖSCHLs Interpretation geht in diese Richtung (Die Hirtendichtung Virgils, Heidelberg 1964; von jetzt an als "PÖSCHL" zitiert): "Die entschiedene Hinwendung der Anhänger Epikurs zu individueller Daseinserfüllung machte auf den jugendlichen Dichter starken Eindruck. Aus der grausamen Wirklichkeit flüchtet er sich in das Land der sizilischen und arkadischen Hirten wie die Epikureer in die sapientium templa Serena. Seine Hirtenwelt bekommt so etwas von dem Charakter einer Heilsbotschaft, die mit der epikureischen nicht unverwandt ist. Der Verwandtschaft hat der Dichter selbst Ausdruck gegeben, indem er an der berühmten Stelle des zweiten Georgicabuches das Glück des Landlebens dem Glück der epikureischen Philosophie zur Seite stellte" (op. cit., S. 25-26). SCHMIDT (S. 147) dagegen: "Dieser Hinweis scheint mir aber gerade den Unterschied zwischen Georgica als Preis des Landlebens und Bucolica zu erhellen. Vergils Eklogen sind nämlich weder durch 'secura qui es et nescia feilere vita' noch durch 'frigida Tempe', 'flumina amem silvasque' oder 'umbra' zu charakterisieren, sondern solche Elemente bilden als epikureisierende poetische Symbole dichterischer Existenz einen bestimmenden Aspekt der Dichtungsreflexion der Bukolik." Zur Goldzeitkonzeption der Georgica vgl. W. HEILMANN, 'Goldene Zeit' und geschichtliche Zeit im Dialogus de oratoribus, Gymnasium 96 (1989), S. 385-405 (dort: S.

1. Zur Forschungsgeschichte

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d i c h t u n g 6 4 zu d e u t e n . Im G r u n d e handelt b u k o l i s c h e D i c h t u n g v o n s i c h selbst und transportiert nicht Inhalte: D i e s ist d a s P r i n z i p der p o e t i s c h e n xion65.

Refle-

In V o r w e g n a h m e d e s m ö g l i c h e n E i n w a n d e s , T h e o k r i t s 4 . Idyll (die

Ν ο μ β ί ς ) und V e r g i l s 1. E k l o g e e n t h i e l t e n k e i n e b u k o l i s c h e n L i e d e r , m o d i f i ziert S c h m i d t s e i n e B e s c h r e i b u n g der G a t t u n g B u k o l i k g e r i n g f ü g i g

(S.19):

" M a n sagt zur B e s c h r e i b u n g b u k o l i s c h e r G e d i c h t e b e s s e r , d a ß s i e a l l e o h n e A u s n a h m e d a s M o t i v d e s G e s a n g e s b z w . der M u s i k e n t h a l t e n " , w o m i t er dann auch den beiden genannten Gedichten gerecht werden kann66. D i e durchgäng i g e T h e m a t i s i e r u n g v o n Hinensängern

und H\nenliedern

ist in S c h m i d t s Ein-

t e i l u n g das erste in der A n t i k e u n v e r ä n d e r t e b u k o l i s c h e G a t t u n g s m e r k m a l ; a l s w e i t e r e diskutiert er d a s k a l l i m a c h e i s c h e Stilideal ( S . 1 9 - 3 1 ) , d i e K ü r z e (S. 3 2 3 7 ) und d e n H e x a m e t e r ( S . 3 8 - 4 4 ) . D e r A b s c h n i t t " R o l l e n w e c h s e l " ( d i e s e r w i r d S . 4 5 - 5 6 a l s letztes der Gatt u n g s k e n n z e i c h e n b e h a n d e l t ) hat e n t s c h e i d e n d e B e d e u t u n g für d i e T h e o r i e der p o e t i s c h e n R e f l e x i o n . D o r t treten R o l l e und S e l b s t d a r s t e l l u n g d e s b u k o l i s c h e n D i c h t e r s ( d . h . "Theokrits" b z w . " V e r g i l s " ) in s e i n e n e i g e n e n G e d i c h t e n in d e n M i t t e l p u n k t . D i e b u k o l i s c h e D i c h t u n g d i e s e s b u k o l i s c h e n D i c h t e r s ist selbst nicht g r u n d s ä t z l i c h v o n ihrem G e g e n s t a n d , d e m b u k o l i s c h e n G e s a n g ,

ver-

s c h i e d e n , und s o g l e i c h t s i c h der b u k o l i s c h e D i c h t e r in s e i n e r S e l b s t d a r s t e l l u n g

389-391). Typisch für das Epikureismusvorurteil bezüglich der EkJogen ist wieder R.O.A.M. LYNÜ, Servitium Anions, CQ 29 (1979), S. 117-130 (dort S. 121 zu ecl. 10: "Virgil's picture of Gallus in the tenth Eclogue seems in many respects a fun-poking parody - the pastoral poet, advocate of ordered Epicurean emotions, rallying the Elegiac tool of passion"). Diese Form des Mißverständnisses steht letzten Endes auch hinter allen Deutungen, die annehmen, es gebe eine typisch bukolische Emotionsferne. " Über dieses "arkadische" Mißverständnis der vergilischen Bukolik s.o. den Abschnitt 1.2.1 zu SNF.I.I.. Dieser Mißverständnistypus hängt mit dem vorgenannten engstens zusammen. Seine Vertreter vermuten hinter Vergils Bukolik aber nicht so sehr ein philosophisches Ideal, sondern betonen das angeblich Träumerisch-Gefühlsinnige. 65 An anderer Stelle (S.243) behandelt SCHMIDT das Symbol wort silvae, das im Eklogenbuch immer bukolische Dichtung und bukolische Welt bezeichnet: "Es ist bezeichnend, dal) Vergil auch mit diesem Wort, das am ehesten die Bukolik von ihrem Stoff her zu charakterisieren scheint, nicht eigentlich auf etwas Stoffliches deutet. Die 'silvae' sind der Wesensraum der Bukolik, von welchem die Dichtung u.a. die Strukturen der Teilnahme, Resonanz und Reflexion erhält bzw. in den hinein sich diese Strukturen projizieren lassen." Das Wesen der vergilischen Bukolik ist Echo und Reflexion, zu denen die silvae das materielle Substrat bilden. In eine ähnliche Richtung deutet schon C. PIETZCKER, Die Landschaft in Vergils Bukolika, Diss. Freiburg 1965, S.171: "Die Landschaft der Bukolika ist gesprochene Landschaft. " 66 Z.B. Theocr. id. 4,28: χ ά σνρι-γξ tvpCm irctkvveται, &ι> ττοκ' eiräijor (Battos über die Syrinx des nach Olympia gezogenen Aigon; anschließend |v. 29-37) Widerspruch und Selbstpreis des Korydon: bCipov ίμοί n e «XeiTec- έγώ &ί τις ίίμϊ μίλικτάς [ν.30]), sowie in ecl.l die ständige Thematisierung bukolischen Singens durch Tityrus und Meliboeus. das aufgrund der Umstände jedoch aktuell nicht vollzogen werden kann (z.B. v. 2, 5, 10, 77).

Ernst Α. Schmidt

65

dort, wo er in seinen eigenen Gedichten in Erscheinung tritt, den von ihm darin dargestellten bukolischen Sängerfiguren an: "Unter Sängerrolle verstehe ich die Rolle, die der Vortragende einnimmt. Dieser aber tut als Sänger der bukolischen Gedichte nichts anderes, als deren Dichter, der sein Dichten als Singen auffaßt, nachzuahmen" (S.45), oder: "So hat denn Vergil auch seine bukolischen Gedichte nicht gedichtet, sondern gesungen: 'Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi' (in Anm.: Georg. IV 566; d. Verf.). Der Begriff Sängerrolle ist also gewählt, weil er dem Liedcharakter der epischen Bukolik und ihrer fiktiven Mündlichkeit (Dichter als Sänger) angemessen erscheint" (S. 45-46). Schmidt betont die Einheitlichkeit der Eklogen, und so kann er Versuchen nur skeptisch gegenüberstehen, auf der Grundlage der jeweiligen "Erzählhaltung" des bukolischen Dichters in den einzelnen Gedichten eine Typologie der Eklogen zu entwerfen 67 . Um die Enstehung solcher Typologien zu rekonstruieren, greift er auf einen Abschnitt der antiken Theokritprolegomena zurück (Wendel, p. 4,11-5,2):... τάσης τοιήσβως τράς βχούσης χαρακτήρας, διη·γηματικόν, δραματικον και μικτόν, το βουκοΚικον τοίημα μΐ-γμά εστι ταντός βΐδους, ώστερ σιτγκεκραμίνον. Das kurz darauf folgende TOT« μίν yap διη-γηματικόν βστι, Tore δϊ δραματικον, Τore δϊ μικτόν macht nach Schmidt deutlich, daß μίγμα keine Stilmischung innerhalb der einzelnen bukolischen Gedichte meint, sondern darauf zielt, "daß manche Gedichte rein erzählenden, andere rein dramatischen, andere gemischten Typs seien" (S. 47). Schmidts Interesse ist es zu zeigen, daß dieser Einteilung antiker Kommentatoren ein Schema zugrundeliegt, das letztlich auf Piatons Politeia zurückgeht 68 und der Bukolik nur "aufgezwungen" (S.52) wurde. Vor allem wendet er sich gegen die Position von Steinmetz (op. cit.; vgl. Anm. 67), der die Eklogen 1,3,5 und 9 als dramatisch im strengen Sinne versteht und diese Gedichte tatsächlich im Hinblick auf eine Befolgung von "Gesetzen der dramatischen Dichtung" (Steinmetz, art. cit., S. 117) untersucht. Die Gruppierungen, die sich aus der Einteilung gemäß den Kategorien der Theokritprolegomena ergäben, bezeichnet Schmidt zu pauschal als "absurd" (S.52). Die Beobachtung beispielsweise, daß im Eklogenbuch eine klare Einteilung zumindest nach dialogischen (ungerade Zahl) und nichtdialogischen Gedichten (gerade Zahl) existiert, die man als ein formales Strukturierungsprinzip ansehen kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Nach Schmidt sind all diese Unterscheidungen gegenüber der fundamentalen Einheit des Eklogenbuchs

61

Gegenstand der Auseinandersetzung ist fur ihn dabei aus jüngerer Zeit vor allem der Aufsatz von P. STEINMETZ: Eclogen Vergils als dramatische Dichtungen, A + A 14 (1968), S. 115-125. 68 392 d, 5-6: Einteilung der Dichtung nach Typen άτλή διηγήσίΐ, Βιά μιμήσεως, δι'

άμφο τίρων.

66

1. Zur Forschungsgeschichte

unerheblich. Die bukolische Dichtung ist eine, auch wenn der Gesang des bukolischen Dichters in ihr verschiedene Ausprägungen annimmt: "Der bukolische Dichter ist durchgehend Sänger, ob er erzählt, ob er jemanden anredet, zum Publikum spricht oder ein eigenes Lied singt, ob ein anderer erzählt, mit jemandem oder zum Publikum spricht oder ein Lied singt" (S.52). Es gebe "kein bukolisches Gedicht ohne derartige Rollenfolge" (ibid.). Der Hexameter garantiere als einheitliches Versmaß, das sich jenseits aller Rollenvertauschungen durchhält, die "Einheit" der Bukolik "als Gesang des Dichters" (ibid.). Für die gesamte antike Bukolik (Schmidt zeigt dies an Beispielen aus Theokrit, Bion und Vergil) gelte der Grundsatz, "daß zwischen den Rollen des Dichters (Sängers) als Erzählers, Sprechers, Sängers und den entsprechenden eines Hirten ebensowenig ein fundamentaler Unterschied besteht wie zwischen den Rollen des Erzählens, Redens und des Singens untereinander. Daher die Eignung des Wortes 'Rolle', welches diese relative Indifferenz (durch das einheitliche Metrum erleichtert) nahelegt. Der Dichter übernimmt Rollen des Dichters nicht anders als Rollen anderer" (S.54). Wichtig sind Schmidts Bemerkungen zu Theokrits Komos (id.3). Er unterscheidet (S.53) drei Sprechebenen: v. 1-2: "Der... Hirt führt seinen Gesang und dessen Umstände selber ein. Er ist sein eigener TrpoXoyifap"69, ν. 3-5: "Anrede des Hirten an einen Tityros, unterdessen auf die Herde zu achten"70, ab v.6: Ständchen für Amaryllis71. Das Lied wird somit nicht einfach präsentiert, sondern in eine bukolische Rahmensituation eingelagert: "Dem Lied für Amaryllis wird dadurch der Charakter genommen, ein selbständig in sich ruhendes fertiges und als vorhanden verfügbares Produkt zu sein. Es wird Teil einer bukolischen Szene, aktuelles Singen, insofern als es sich erst in konkreter Situation entwickelt." Schmidt kommt es hier, wie er im folgenden klarmacht, vor allem auf den Rollentausch an, der darin liegt, daß der bukolische Dichter seiner Figur die Gedichteinführung als Selbsteinführung überläßt, daß die Figur also an seiner Statt spricht, womit der Unterschied zwischen Dichter und Figur unerheblich wird. Schmidts Ausführungen sind nun in wachsendem Maße von der Vereinseitigung bedroht, daß das Verhältnis des Rollentauschs als das einzig relevante zwischen dem bukolischen Dichter und seinen bukolischen Figuren anerkannt wird und folglich diese bukolischen Figuren einzig in ihrer Funktion

69 V. 1-2: Κωμάσδαι τοτϊ τet ν ' ΑμαρυΧΚίδα, ται δί μοι alytq / βόσκονται κατ' όρος. και ό Τίτνρος αύτάς ίΧαύνα. 70 V. 3-5: Τ ί τ υ ρ \ ίμιν το καλόν ττίφι\τ\μίνί, βόσκί τάς αΐ-γας. / καi τοτϊ τάν κράναν άγί, T'iTvpc και τον ίνόρχαν, / τον Αιβυκόν κνάκωνα, φνλάσσίο μή τυ κορύψη. " ν. 6-7: Ό χαρίίοσ' ' ΑμαρυΧλΐ, τι μ' ούκίτι τοΰτο κατ' ämpov I τταρκύτττοισα

καλβϊς, τον ίροπνΧοκ η ρά με μισ «γώ κρΰττων οσον αιγών βίχς') als "nur einmalige spontane Gestaltung des Hierarchiemotivs" (art. cit., S.45) aufzufassen ist, inspiriert vielleicht durch den in der bukolischen Dichtung durchaus üblichen Spott gegenüber dem Ziegenhirten. Einen gewissen Sonderstatus des Ziegenhirten in der antiken Bukolik betont SCHMIDT jedoch an anderer Stelle selbst (v.a. E.A. SCHMIDT, Die Leiden des verliebten Daphnis, Hermes 96 [1968], S.539-552; zitiert nach: Bukolische Leidenschaft, S. 57-70). D o n (S.63-64) behandelt er die Spottverse, die Priapos in Theocr. id. 1,86-

88 an Daphnis richtet ('βούτας μίν tXtytv,

νϋν δ' αίττόλφ άνδρΐ ίοικας. / ψπόλος, όκκ'

kaoprj τάς μηκάδας οία βαηννται., / τάκιται όφΰαΧμώς ότι ού τράγος αύτός eyttno') und kommt (ganz im Sinne des oben zitierten Aufsatzes) zu dem Ergebnis, daß αίπόλος hier nicht die Bezeichnung einer niedrigen Rangstufe ist, daß vielmehr "Ziegenhirten, als bekannt für ihre Verliebtheit und ihr Liebesleid und sich dadurch von anderen Hirten unterscheidend, auch damit gefoppt werden" (S.63). Ferner weist SCHMIDT an dieser Stelle auf die ausführliche

v. 16-18

107

Gallus, um ihm den Übergang zu erleichtern, die mythisch besser fundierbare Tätigkeit des Schafhirten ins Auge. Sie bekräftigt ihre immer wieder ostentativ vorgebrachte Überzeugung, die bukolische Sphäre sei in einem g e w i s s e n Sinne niedrig. Dabei stellt sich aber j e w e i l s wieder die Frage, ob im Niedrigen nicht Hohes verborgen liegt, das dem Gallus entgangen ist 64 .

Charakterisierung des Sängers Lykidas in den Thalysien - einer zentralen Figur der theokritischen Sammlung - als Ziegenhirt hin (id. 7,11-14:... καί τιν' όδίταν I eirdXov συν Μοίσαισι Κυδωνικον ίϋρομίς άνδρα, / οϋνομα μίν ΑυκΟαν, ης δ' αίτόλος, ούδί κί τις νιν / ή-γνοίησΐν ί&ων f x i i αίτόλψ έξοχ' ίψ*ίι). Die folgenden Verse beschreiben die schäbige Kleidung und den typischen strengen Geruch des Ziegenhirten. (A.S.F. Gow, Theocritus, ed. with a translation and commentary, Bd.2, Cambridge 1965, S.20, übernimmt das Hierarchiemodell.) Offenkundig kann also, auch wenn die Hierarchievorstellung nicht zu halten ist, gerade der Ziegenhirt gelegentlich in besonderer Weise einerseits zum Träger des Anstößigen der bukolischen Welt, andererseits aber auch zum bukolischen Liebenden und Sänger schlechthin werden. Unabhängig von einer Hierarchievorstellung ist er für eine gewisse zweischneidige Herausgehobenheit prädisponiert. Als Beispiel für die anstößige Seite wäre außer den bereits zitierten Spottversen bei Theokrit (die die triebhafte Seite betonen) aus dem Eklogenbuch ecl. 8,33-34 anzuführen: dumque tibi est odio mea fistula dumque capellae /hirsutumque supercilium promissaque barba, wo gerade die Ziegen zum besonderen Makel (wohl wegen der Unsauberkeit und des Geruchs) werden. Geruch und Geilheit lassen die Ziegen einerseits anstößig wirken; ecl. 10,7 andererseits beschreibt den bei Ziegen (und deren Hirten) gelegentlich durchbrechenden "Hang zum Ästhetischen": dum tenera attondent simae virgulta capellae faßt ein charakterliches Spezifikum der Ziegen im Vergleich zu den anderen Herdentieren. ZiegeD sind am ehesten Individuen; sie bleiben ungern in der Herde (vgl. VarTo, rust. 2,3,9 und Colum. 7,6,9) und eignen sich auch deshalb als einzige für das Bild des wählerischen Umherstreifens und genießerischen Aussuchens in v.8. 64 In Theokrits id.l entsprechen ecl. 10,16-18 die Verse 109-110: ώραϊος χώόωνις, ίτti και μη\α νομίύΐΐ / καί ττώκας ßaXkti και &ηρία τάντα διώκει. Diese Stelle steht in id.l später als die bisher angeführten, die fast durchgängig aus dem Anfang des Thyrsisliedes stammten. Sie gehört in den Zusammenhang der letzten Prahlerei und Koketterie des sterbenden Daphnis, der an die Attraktivität verschiedener Hirten (z.B. des Anchises) auch für Aphrodite erinnert. Unter Berücksichtigung des in id. 1,112-113 folgenden Diomedes-Exemplums (Verwundung der Aphrodite; vgl. II. 5,330-351) kann man als den großen Zusammenhang "Schwäche auch der als übermächtig empfundenen Aphrodite; demonstriert an mythischen exempla" benennen. Aus den Worten des Daphnis spricht also ein gewisser Hirtenstolz, ganz im Sinne des Adonis-Exemplums in ecl. 10, das der Erhöhung der Würde des Hirtendaseins und der Annäherung der beiden Kontrastsphären dient. CLAUSEN (ad loc.) weist auf die Stelle (Theocr.), id. 8,51-52 als das eigentliche "formal model" hin: it?*, ω «cöXe, και Xtyt, 'Μίλων, / ό Πρωτίϋς φώκας και Λος ων eveßtv.' Zur Imitation durch Tibull (2,3,11: pavit et Admeti tauros formosus Apollo) vgl. J.H. GAISSER, Tibullus 2.3 and Vergil's Tenth Eclogue, TAPhA 107 (1977), S. 131-146.

108 v. 19-20:

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

venh et upilio, tardi venere subulci, uvidus hiberna venh de glande Menalcas.

Nach der präsentischen Partie der vv. 16-18" setzt wieder das (hier möglicherweise resultative) Perfekt ein. Die vv. 16-18 dienten der Herstellung eines Rapports der Dichterinstanz mit ihrer Figur Gallus und, damit verbunden, der Herausarbeitung des Konflikts; 19 und 20 setzen die Klageszenerie fort. Mit dem mythischen Hirten Adonis wird ein echter arkadischer Schafhirt konfrontiert, der hier mit dem ungewöhnlichen Wort upilio bezeichnet ist66. Es dürfte einen eher technisch-fachmännischen Klang haben, also innige Vertrautheit mit der echten Hirtensphäre suggerieren. Die Tendenz zur eher derben, unverfälschten Darstellung der Hirtenrealität setzt sich in der zweiten Vershälfte tardi venere subulci fort67. Den Sauhirten wird das Attribut tardi beigelegt, das - gleich ob als Bezeichnung der physischen oder der geistigen Schwerfälligkeit - jeder Idealisierungstendenz zuwiderläuft und Ausdruck eines bukolischen Realismus ist. Auch die Konnotation besonderen Schmutzes stellt sich ein. Unterstützt wird der Eindruck von Schwerfälligkeit durch die Häufung dunkler, meist langer u- und o-Vokale: upilio, subulci6*. Die Hirten von v.19 werden nicht als Individuen wahrgenommen, sondern als Angehörige von Gruppen. Die Individualität dieser

65 Das Perfekt des v.18 steht im Rahmen des in einer fiktiven Gegenwart erzählten mythischen exemplum. 66 Das Wort kommt im Eklogenbuch sonst nicht vor. Belege aus dem Thesaurus s.v. opilio (die gängigere Form): Plautus, Asiu. 539, Cato, de agr. 10.1, Varro, rust. 2, pr.4, Colum. 7,3,13 sowie 11,1,18; später noch bei Gellius (16.6,11) und Apuleius (Apol. 10,6 |s.u., Anni. 67]; 87,7; Met. 5,25,5). In der Dichtung ist das Wort ansonsten offenbar nicht gebräuchlich; öfters erscheint es bei landwirtschaftlichen Fachschriftstellern. 67 Zum einzigen MaJ im Eklogenbuch ist hier von Schweinehirten die Rede. Die Belegsituation für subulcus ist ähnlich wie die für upilio/opilio-, z.B. Cato, de agr. 10,1: bubulcos III, asinarium /, subulcum I, opilionem /, Varro, rust. 2,4,15, Colum. 1, pr. 26, Gellius 13,9,5, Hygin., fab. 126,1; in Dichtung bei Martial 10,98,8-10 als Inbegriff des Abscheuerregenden: praesta de grege sordidaque villa / tonsos, horridulos, rüdes, pusillos / hircosi mihi filios subulci. PERRET läßt im Text zwar subulci stehen, konjiziert im Kommentar (ad loc.) jedoch (wie auch andere) bubulci: "ni dans les B(ucoliques) ni chez Th(6o)cr(ite), il n'est ailleurs question de porcs et de porchers; de plus ce sont les bouviers, non les porchers, qui peuvent etre tardi. Sans doute, correction ancienne appottfie dans un vers dont le vocabulaire technique a exciti les scoliastes." Er verweist dazu auf die Stelle Apuleius, Apol. 10,6 (sed Aemilianus. vir ultra Vergilianos opiliones et busequas rusticanus), die auf eine Version des Eklogentextes mit der entsprechenden Variante hindeuten könnte. Die Lesart subulci ist aber mit Sicherheit vorzuziehen; Argumente folgen in der Textanalyse. 68 Vgl. KLINGNER, Virgil, S.167: "... die Worte upilio und subulcus (19), offenbar unfein und 'unpoetisch' und von leicht komischem Klang, sind im Scherz geflissentlich gewählt."

v. 19-20

109

echten Hirten spielt - anders als bei dem für einen Augenblick herausgehobenen, mythisch-einmaligen Adonis - keine Rolle. Das einleitende Verbum venit läßt offen, ob von ihnen Teilnahme und Empathie zu erwarten sind. Jeder Hinweis auf ein besorgtes Herbeieilen der Hirten bleibt vermieden. Grund für ihr Kommen könnte pure Neugier sein; ein gewisses Unverständnis der Hirten ist wahrscheinlich. Das Attribut tardi mit den genannten Implikationen erhärtet diese Vermutung. Tarditas ist ein typischer Wesenszug ausgewachsener, gemästeter Schweine, was darauf deutet, daß die Hirten sich im Verhalten ihren Tieren angenähert haben. V . 1 9 betont also die für einen verfeinerten, gebildeten Städter abstoßenden, bäurischen Seiten des Land- bzw. Hirtenlebens. In v . 2 0 erscheint mit Menalcas schließlich doch ein Individuum, das einen Namen aus der bukolischen Sphäre trägt6'. Das Attribut uvidus in v . 2 0 verstärkt den Eindruck von Erd- und Bodennähe der Hirten 70 . (Die Erklärung des Servius ad loc., der für uvidus eine abgeleitete Bedeutung "pinguis" annimmt, ist wahrscheinlich nicht zu halten.) Die Nahrung des Menalcas ist die hiberna glans. Die Eichel ist - abgesehen von ihrer Rolle als Symbol für eine frühe Kulturstufe71 - typische Schweinenahrung. Sollte die erwähnte

69

Es bleibt offen, ob hier und in ecl. 3, S und 9 derselbe Menalcas gemeint ist. Besonders in 5 und 9 bezeichnet der Name einen herausgehobenen Hirtendichter, wobei er in ecl. 5,8687 momentweise explizit zu einer Maske des Eklogenbuchdichters werden konnte. Dafür spricht in ecl. 10 das Verbum venit, das cum venerit ipse (ecl. 9,67: Hoffnung auf die Wiederkehr des großen Sängers) aufnimmt, dagegen Menalcas' bäurisches Auftreten und die Tatsache, daß er stumm bleibt. A. CARTAULT, Etude sur les Bucoliques de Virgile, Paris 1897 (von jetzt an als "CARTAULT" zitiert), S.394, zu ecl. 10,26 mit implizitem Rückbezug auf 10,20: "Virgile s'est personnifii sous ce nom; mais ici, au v.26, il parle de lui-möme ä la premiere personne. II n'est done pas probable qu'il faille l'identifier avec Menalcas. II y a du reste, dans tout ce passage, un certain nombre d'incertitudes qu'il ne faut pas trop presser. Nous n'avons pas ä expliquer ce que Virgil a laissi dans le vague." Die bukolischen Namen sind eher sprachliche Spielsteine des Eklogenbuchdichters als daß sie sich durchgängig auf feste Individuen beziehen. Menalcas heißt außerdem eine Nebenfigur in ecl. 2,15. 70 COLEMAN, ad loc.: "Menalcas is uvidus either from gathering the acorns on the wet ground or from steeping them in water" unter Verweis auf Cato, de agr. 54: ubi sementim patraveris, glandem parari legique oportet et in aquam conici; d.h. im Spätherbst oder frühen Winter. CLAUSEN, ad loc., schließt sich letzterer Deutung an. " Vgl. Lucr. 5,965; Verg., Georg. 1,148; Ovid, Met. 1,106. Eichelnahrung bleibt typisches Merkmal der Arkader. Sie wird regelmäßig im Zusammenhang mit deren Abkunft von Bäumen oder ihrer Autochthonie als erste, noch antelunare Menschen und somit als sehr archaisches Merkmal gesehen. Vgl. M.L. WEST, Hesiodea, CQ n.s. 11 (1961), S. 130-145 (dort: S. 142-145); R. MERKELBACH / M. WEST, The Wedding of Ceyx, RhM 108 (1965), S. 300-317 (dort: S. 307-317) zum Rätsel in Hes. fr. 266 Merkelbach/West (Κτ/υκος yάμoς): "Die Mutter (= die Eichel) der Mutter (= der Eiche)" ist Nahrung der Pelasger-Arkader. Abstammung von der Eiche ist weiterhin vorgestellt bei Lykophron 480-483 (|sc. Agapenor) χερσαίος αύτόδαιτος ίγγόνων δρυός I ... / των irpooöt μήνης φη-γίνων -κόρνων όχήν / σπληδφ κατ' άκρον χύμα ΰαλψάντων τυρός); Stat., Theb. 4,279-280; Α.Ρ. 9,312,6 (Zonas

110

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

Deutung des Servius für uvidus

doch zutreffen, s o würde d e m Menalcas eine

weitere typische Eigenschaft der S c h w e i n e zugesprochen, denn w i e diese wäre er "von der winterlichen Eichel fett gemästet" 7 2 . D i e bukolische Sphäre ist in v. 1 9 - 2 0 in derb realistischen Farben gezeichnet; eine entidealisierende Tendenz herrscht vor. M e n s c h e n und Tiere bilden e i n e G e m e i n s c h a f t , in der die M e n s c h e n W e s e n s z ü g e ihrer Tiere annehmen. Das "Niedrige" des Bukolischen wird deutlich vor A u g e n geführt. D a s bukolische Szenario ist jetzt zu einer g e w i s s e n Vollständigkeit gelangt: Das Panorama begann mit Bäumen und Bergen; der Blick wanderte weiter über die Herdentiere zu den Hirten als Gesamtheit und schließlich zu einem Hirtenindividuum 7 3 . A u f f a l l i g ist dabei, daß in v. 9 - 1 5 die Bäume und Berge,

v. Sardes); Wachstum aus dem Boden wie bei Bäumen bei "Pindar", fr. 985,7 Page (btvbpoφυύς άναβλαατάνοντας: die ersten Menschen), ibid. 8 (προσίλη^αϊοΐ' YltXaayof : als Stammvater der Arkader), Plutarch. Mor. 286 a (im Fragesatz: οίς |sc. Arkader| ίση ης avyytvtia τρος την δρϋν; πρώτοι yäp άνϋρώτων ytyovivai δοκοΰσιν (κ γ ή ς . ώα-Ktp ή δρυς τω ν φυτών). Die Arkaderais Eichelesser im übrigen im pyth. Orakel bei Herodot 1,66 (πολλοί if ' Αρκαδίη ßa\atnj2 Die Reminiszenz an den ebenso irrealen Wunsch des Achilleus in der Unterwelt, der dem Schattendasein jede Tagelöhnerexistenz auf der Erde vorziehen würde, drängt sich auf. (Od. 11,489-491: βουλοίμην κ' ίτάρουρος toif ΰητίυίμ(ΐ> άλλψ, / άνδρϊ παρ' άκΧήρφ, ψ μη βίοτος ττοΧύς eΙη, / η πάσιν vinbtoai καταφϋιμίνοιαιν avaaativ.) 103 Nochmals sei an die geringe Zahl der Belegstellen von Arcadia bzw. Arcades im Eklogenbuch erinnert (s.o., Teil 1, Anm. 24); vgl. dazu noch E.A. SCHMIDT, Zur Chronologie der Eklogen Vergils, SHAW 6/1974; dort: S.37-40. In ecl.4 wird das wiederholte Arcadia (ν. 58 u. 59) zun» Epitheton für Pan wie in ecl. 10,26; besonders interessant ist ecl. 7,4-5 (über Thyrsis und Corydon: ambo florentes aetatibus. Arcades ambo, / et cantare pares et respondere parati), wo Arcades ganz offenbar nicht den Volksstamm, sondern allgemein den Hirtensänger als den Teilhaber an der potentiell allgegenwärtigen Macht von Gesang und Dichtung bezeichnet, was die alsbald folgende (Schein-) Lokalisierung der Szene in Italien, am Mincius (v. 13) bei Mantua, demonstriert. In ecl.10 dagegen ist die ganze Szenerie mit den Bergnamen Maenalus und Lycaeus geographisch stimmig ins echte Arkadien verlegt: Arkadien ist eben nicht mehr allgegenwärtig, sondern für Gallus ein unerreichbares Reservat. R. JENKYNS (Virgil and Arcadia, JRS 79 119891, S.26-39; dort: S.34) schreibt im Rahmen seiner Argumentation, Arkadien sei bei Vergil eher eine ςιωηΐίΐέ negligeable. zu ecl. 10: "It would be strange indeed if Virgil were to be creating in Arcadia a new symbol for pastoral at the very moment diat he is affirming his intention to abandon it henceforth." "Das" Symbol vergilischer Bukolik ist "Arkadien" gewiß nicht; ein "neues Symbol" ist es allerdings in ecl. 10 sehr wohl noch einmal. "Arkadien" wird dort zur idealisierend von außen gesehenen bukolischen Sphäre und die Verwendung der Begriffe Arcadia/Arcades durch Gallus zum Zeichen der Entfernung und Unerreichbarkeit der bukolischen Welt als einer vitalen Sphäre für ihn. D.F. KENNEDY (Arcades ambo: Virgil, Gallus and Arcadia, Hermathena 143 (1987), S.47-59) liest die 10. Ekloge wieder in der Absicht, aus ihr Schlüsse auf die verlorenen Dichtungen des Gallus zu ziehen (die ganze bukolische Sphäre der 10. Ekloge ab v.9 ist nach seinen Kon-

V. 3 7 - 4 1

129

Totenperspektive festgeschrieben, aus der heraus Gallus phantasiert, und darüber hinaus wird sie sprachlich durch den irrealen Konjunktiv Plusquamperfekt markiert. Gallus versucht auf dem Wege des Phantasierens, für sein Leben, das er als gescheitert ansieht, eine andere, einfache, handfeste Lebenspraxis zu substituieren. Dabei wird seine Entfernung von einem Leben im Hirten- oder auch im bäuerlichen Milieu erst recht unabweisbar. Die Entfremdung von einer gelingenden Lebenspraxis, das Phantasieren und der Tod bilden für Gallus eng verwoben einen einzigen Komplex. An dieser Stelle sei nochmals an das Liegen des Gallus (iacentem; v.14) erinnert. In dieser Körperposition waren verdichtet bereits die drei genannten Momente angelegt: Das Scheitern hat Gallus stürzen lassen, ihn in die Liegeposition gebracht, in der keine lebenspraktische Arbeit ausgeführt werden kann, die die typische Position des Träumens und Phantasierens und schließlich auch die Position des Toten ist.

v. 37-41:

certe sive mihi Phyllis sive esset Amyntas seu quicumque furor (quid tum, si fuseus Amyntas? et nigrae violae sunt et vaccinia nigra), mecum inter salices lenta sub vite iaceret; serta mihi Phyllis legeret, cantaret Amyntas.

Der Übergang vom Konjunktiv Plusquamperfekt zum Konjunktiv Imperfekt, vom irrealen Konjunktiv der Vergangenheit zu dem der Gegenwart, markiert ein neues Stadium von Gallus' Phantasietätigkeit. Die Arkadienidee ist so drängend, daß nun aus dem fiktiven Lebensrückblick eine wieder gegenwärtige, aber dennoch als unerfüllbar erkannte Phantasie wird. Die Verse 37-38a (d.h. bis zur Penthemimeres: furor) nehmen in ihrer Struktur (sive - sive - seu) nochmals das bukolische Versschema in seiner

struktionen eine "Gallan landscape"; art. cit., S.S2), und muß so die prägnante Verwendung von Arcadia/Arcades in ecl. 10, die ja erst im Zusammenhang mit Pan bzw. dann emphatisch im Monolog des Gallus einsetzt, übersehen. Ihm entgeht, daß die bukolische Sphäre in ecl. 10 in verschiedenen Modi erscheint, deren einer Arcadia heißt. Dementsprechend erwähnt er die unbestreitbare Tatsache, daß Gallus gerade kein Arkader ist, ebensowenig wie den daraus resultierenden Konflikt, sondern spekuliert über die Dichte rfreundsc ha ft zwischen Gallus und Vergil, deren Symbol Arcadia gewesen sei (art. cit., S.56). G. JACHMANNS Aufsatz "L' Arcadia di Virgilio come paesaggio bucolico" (Maia 5 11952], S. 161-174; s.o., Teil 1, Anm. 24) ist im wesentlichen von der genetischen Fragestellung nach der Herkunft der Arkadienidee bei Vergil bestimmt. JACHMANN hält Vergil nicht für den Entdecker Arkadiens, gibt aber SNELL hinsichtlich der herausgehobenen Bedeutung Arkadiens im Schlußgedicht recht wie auch wieder G. BARRA, Ancora sull' "Arcadia" di Virgilio, Vichiana n.s. 1 (1972), S. 220-230.

130

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

dreigliedrigen Grundform und mit nur geringfügig variiertem Wiederholungswort auf. Gemeinsam ist den drei Gliedern das Prädikat (mihi) esset; das Subjekt wechselt (Phyllis, Amyntas, quicumque furor). Gallus entwirft in seiner Phantasie einen Typus von Liebe, der frei ist von dem Leid, das der crudelis Amor über ihn gebracht hat. Deren Objekte sollen beliebige Bewohner Arkadiens sein. Die Namen Phyllis und Amyntas sind nichts als bukolische Versatzstücke 1 0 4 ; auch das Geschlecht wäre Gallus gleichgültig. Im abschließenden seu quicumque furor erklärt er, daß Identität und Individualität in der Form von Liebe, die er in seiner Notsituation imaginiert, keine Rolle spielen. Die Partie wird von den beiden Dativen mihi in v . 3 7 und 41 eingerahmt; außerdem steht in v . 4 0 mecum. Vor allem der Dativ der 1. Person Singular läßt erkennen, daß Gallus' "Arkadien" keine funktionierende Lebenssphäre ist, sondern ein nur auf ihn selbst bezogenes und für ihn existierendes Phantasieprodukt. Die Wiederholung der bukolischen Namen Phyllis und Amyntas verstärkt ebenso wie die Wiederholung sive - sive - seu nur den Eindruck einer Spannungslosigkeit der vorgestellten arkadischen Sphäre 1 0 5 . Das bukolische Versschema wirkt plötzlich abgelebt. Zusammen mit den Namenswiederholungen wird hier auch dieses Schema zum Ausdruck eines Stillstandes. V.41 wiederholt die beiden Namen (wie auch das mihi) aus v . 3 7 in gleicher Reihenfolge - mit der einzigen Variation, daß mihi Phyllis in Richtung Versanfang rückt. Die beiden Wörter stehen jetzt nicht mehr vor Penthemimeres und Hephthemimeres, sondern vor Trithemimeres und Penthemimeres. Bemerkenswert ist die metrische Struktur von v. 37-40: Die vier Verse sind in ihrer Silbenabfolge völlig gleich gebaut (die ersten fünf Versfüße sind SpondeusDaktylus-Spondeus-Spondeus-Daktylus wie auch schon in v.36). Die Caesuren sind nicht genau identisch, jedoch haben die Verse allesamt Penthemimeres und Hephthemimeres. Diese für Vergil ganz ungewöhnliche Variationsarmut in der Versstruktur 1 0 6 weist ebenfalls auf den paralyseartigen Vitalitätsverlust, den die bukolische Sphäre in Gallus' Phantasie erleidet. Die metrische Spannungslosigkeit wirkt ähnlich wie die unveränderte Wiederholung der Namen Phyllis und Amyntas in v.41. Die bukolische Welt, wie sie in diesen

104 Belege für Amyntas im Eklogenbuch vor ecl.10: ecl. 2,35, 39; 3,66. 74, 83: 5.8, 15, 18; für Phyllis: ecl. 3,76, 78, 107; 5,10; 7,14, 59, 63 (2x). 105 Vgl. auch die Attributwiederholung in v.39: et nigrae viotae sunt et vaccinia nigra. 106 Nur hier und in Georg. 1,46-50 (Abfolge Daktylus-Spondeus-Spondeus-SpondeusDaktylus) folgen im Werk Vergils fünf Verse mit identischer Verteilung von Daktylen bzw. Spondeen aufeinander (vgl. G.E. DUCKWORTH, Vergil and Classical Hexameter Poetry, Ami Arbor 1969, S.12). Die Passage bildet die Mitte von ecl.10; bei Β. KYTZLER, 'In medio mihi Caesar erit' III: Zu den Zentren der Eklogen Vergils, Journ. of Ancient Civilizations 9 (1994). S. 75-81, fehlt offenbar durch ein Versehen die (S.77) angekündigte Erörterung der Stelle.

v. 37-41

131

Versen aufscheint, hat (anders als noch in den w . 35-36) mit einer ländlichen Lebens- und Arbeitswelt nicht mehr viel zu tun. Die Arkadienphantasie ist eine Versöhnungsphantasie, jedoch eine egozentrische, in der alles sich um Gallus drehen soll. Der oder die Geliebte soll in einer jetzt als reines Idyll verstandenen Natur 107 bei ihm liegen; d.h. Gallus behält in seiner Phantasie die Körperposition des iacere bei, womit die kurzzeitige Hinwendung zum Gedanken an aktive lebenspraktische Tätigkeit in v. 35-36 schon wieder vergessen ist. Mögliche Konflikte werden schlichtweg geleugnet: In v.41 sollen Phyllis und Amyntas, die anfanglich als Alternative zueinander und damit auch als mögliche Konkurrenten erschienen, sich gemeinsam um Gallus kümmern. Auch die phantasierten Tätigkeiten der beiden (für Gallus Kränze zu winden und zu singen: cantare als Privileg und Auszeichnung der Arcades wird wiederaufgenommen) haben nichts mehr mit realer Landarbeit zu tun. Nur wie in einer fernen Erinnerung taucht in v.38 im Zusammenhang mit Amyntas' Hautfarbe noch einmal (bereits in negierter Form) das Problem einer möglichen Unvereinbarkeit zweier Liebender auf. Die Baum- und Blumennamen, die Gallus in seiner Arkadienphantasie verwendet, sind wohleingeführtes bukolisches Material 108 . Gallus zitiert gewissermaßen Vergils Eklogen (v. 38b-39 spielen teilweise wörtlich auf ecl. 2, Π -

Ι 8 an: oformose puer, nimium ne crede colori: / alba ligustra cadunt, vaccinia nigra legunturJ09).

Die bukolischen Sprachelemente wirken in der als

107 Die salix wächst am Wasser (Georg. 2 , 1 1 0 - 1 1 1 .ßuminibus salices crassisque paludibus atni / nascuntur), was auf eine Beziehung zum locus amoenus hindeutet. Zur Weide als Schattenspender siehe Georg. 2 , 4 3 4 - 4 3 5 : salices humilesque genistae, / aut illae pecori frondem aut pastoribus umbram / sufficiunt saepemque satis et pabula melli. Mit vitis spricht Gallus, wie schon in seiner Phantasie, maturae vinitor uvae ( v . 3 6 ) zu sein, noch einmal den

Wein an. Nach einer kurzzeitigen etwas realistischeren Zeichnung des bukolischen Lebens tritt der Wunsch zu genieBen - exemplifiziert jeweils am Wein - in den Vordergrund. Das ähnlich verklärende Bild vom Landleben in Hör. epod. 2 (Beatus ille, qui procul negotiis... ) wird (nach forumque vitat et superba civium / poteruiorum limirta in v. 7 - 8 ) bezeichnenderweise eingeleitet mit ergo aut adulta Vitiumpropagine/alms maritatpopulos (v. 9 - 1 0 ) . KIESSLINGHEINZE (Q. Horatius Flaccus - Oden und Epoden, Berlin '1955, ad loc.) bezeichnen das ganze Gedicht als "Gemälde, das... die Mühen und Sorgen der Landwirtschaft kaum andeutet und alles ins rosigste Licht des Vergnügens und Behagens taucht". In "Vergil's Pastoral Modes" (Ramus 4 [1975], S. 140-162) stellt R. COLEMAN bei seinen Bemerkungen zu ecl. 10 (S. 148150) den Gegensatz "urban" - "ländlich" in den Mittelpunkt, wobei der Grundgedanke der ist, Vergil wolle den Städter Gallus von seinen "Arcadian ideals" (art. cit., S.150) überzeugen. 108

Salix in ecl. 1,78; 3,65; 5,16 (außerdem salictum in ecl. 1,54), vitis in ecl. 1,73; 2,70; 3,11 und 38; 7,61; 9,42, vaccinia in ecl. 2,18 und 50, viola in ecl. 2,47 und 5,38. 105 Vorhergegangen sind dort die Verse (ecl. 2,14-16): normefuit satius tristis Amaryllidis iras / atque superba pattfastidia? nonne Menalcan, / quamvis ille niger, quamvis tu Candidus esses? Zur Verbreitung des (in Anspielung auf das Hohelied so genannten) "Nigra sedformosa"- Motivs vgl. J. HUBAUX, Les thfemes bucoliques dans la podsie la tine, Bruxelles 1930,

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

132

irreal markierten Phantasie wie Versatzstücke" 0 . Sie sind nicht mehr Kon-

S.82-85; er weist auf die Martialstelle 7,29,7-8 hin, die das M o t i v auch für Domitius Marsus bezeugt (Et Maecenaü

Maro

cum caruaret Alexin

/ nota tarnen Marsifusca

Melaenis

Im

erat).

Eklogenbuch sind die Schwarzen (Menalcas in eel. 2,15-18 und Amyntas in ecl. 10.38) aber in beiden Fällen Männer

in homosexuellen Beziehungen.

Auch für die über das Eldogenbucb hinausgehende Betrachtung besteht die Phantasie

110

des Gallus ganz wesentlich aus Zitaten, nämlich aus Theokritanklängen,

aber auch aus

Anklängen an Dichter der Anthologia Graeca ( v g l . J. HUBAUX, art. cit., s . o . , A n m . 109). Die Vorbildstelle für ecl. 10,37 (certe ist T h e o c r . , id. 7,105: (έίτ (\quid tum. si fuscus

έατ

sive mihi Phyllis

Amyntas?

sive esset Amyntas

Φ ι λ ί α ς ό μαλϋακός

apa

/ et nigrae

violae

sunt et vaccinia

eine verwandte Theokritstelle anfuhren (id. 10,26-28: Οόμβυκα τάρτες,

/ ισχνά?,

•γραπτά

ύάκινΰος).

έ γ ώ δέ μόνος

άΧιόκαυστον,

/ seu quicumque

furor)

είτε τις ά λ λ ο ς ) ; zu ecl. 10,38-39

μελίχλωρον.

läßt sich ebenfalls

nigra])

χαρίεσσα,

Σύραν

καλέοντί

/ καί το ίον μίλα ν εστί,

τν

καϊ ά

In beiden Fällen ist die Satzstruktur der j e w e i l i g e n Theokritstelle nach-

gebildet: sive - sive - seu in ecl. 10,37-38 dem είτε - (Ire aus id. 7,105, et - et in ecl. 10,39 dem καί - καί aus id. 10,28. Außerdem haben hier M e l e a g r o s epigr. 98 Page Κ λ ε ό β ο υ λ ο ς ; ό δ' ά ι σ ί α τοϋδε μελιχρούς μοί τα'ιδων

έτεται

τόϋος

oi yap

οί δισσοί

/ Σώτολις,

"Ερωτες

/ τλέξαι

Asklepiades epigr. 5 Page ( ί τ ψ ι ? α λ λ ψ + Διδύμη κηρός

τάρ

τυρί

ϋάλψωμεν,

κ ά λ λ ο ς όρων.

λάμιτουσ'

Κντρώος

κάκ λενκοΰ φασί

με συνήρτασεν,

I ει δε μ έ λ α ι ν α , τί τοντο;

(Αενκαν&ης

ανθοφόροι.

/ τ ου νίκα sowie

με και μέλανος)

ώμοι,

εγώ δε ί τήκομαι

και άνόρακες-

ώς

ά λ λ ' ότε κείνους /

Pate gestanden. Der erste T e i l des Liedes im Lied

ώς ρό&εαι κάλυκες)

(mindestens ecl. 10,9-21) lehnte sich in Freiheit, jedoch auch in unverkennbarer Bindung und Verpflichtung relativ durchgängig an eine längere Partie v o n Theokrits erstem Idyll an - und nur an dieses. D i e Parallelen, die sich für die Partie v. 9-30 aus anderen Theokritgedichten anführen lassen ( v g l . POSCH, S.22), wirken demgegenüber allesamt sehr fern: zu v. 9-12 id. 7,148 ( Ν ύ μ ^ α ι άμφετονεϊ ώρεαι

Κασταλίδες

ΤΙαρνάοιον

το και ώς δρύες αυτόν

μηλα

/ ούχ ούτως

νομεΰων

9), 19-20 (έν τυρί

δέ δρυίνφ

άίτος

έΰρήνευν),

έχοισαι),

" Ο δ ω « ς έτι

πλέον

ζει,

δ' αυαι

χόρια

zu v. 13-15 id. 7,74 ( χ ώ ς

zu ν . 18 id. 3,46-47 (τάν

έν τυρί

äyayt

όρος

δε καλά ν ΚυιΤερειαν εν

λύσσας)

sowie zu v . 2 0 (id. Diese Par-

/ ψά-yoi χειμαίνοντος).

allelen beschränken sich j e w e i l s meist auf einzelne W ö r t e r ; metrische Anklänge oder syntaktische Ähnlichkeiten größerer Partien gibt es nicht. Nachdem in diesem Eingangsteil offensichtlich auf die durchgängige Reminiszenz an ein Theokritgedicht W e r t gelegt wurde, besteht der M o n o l o g des Gallus dann eher aus fragmentarischen bukolischen Erinnerungen (ein wenig vielleicht vergleichbar dem Zitieren in der 9. E k l o g e ) . Schon Gallus' Verse ecl.

10,35-36

hatten den Charakter einer Erinnerungsspur an ein Verspaar des Theokrit - unter völliger Absehung v o n dessen Inhalt: atque utinam ex vobis unus vestrique fuissem out maturae

vinitor

uvae gegenüber id. 7,86-87: αϊι?' έτ'

/ ώ ς τοι έyώv ένόμευον in einer λάρναξ

άν' ώρεα τάς

καλάς

έμεϋ {ωοίς

/ aut custos

έναρίϋμιος

ώφελες

gregis ημεν

α ί γ α ς . (Bei Theokrit ist der Angesprochene der

auf wunderbare W e i s e überlebende göttliche Sänger Komatas.) Gemeinsam

ist den beiden Stellen nur die grammatische Kategorie des Irrealis. Im Vergleich zum bukolischen Dichter, der in den Versen 9 f f . eine nahe, unmittelbare Verbindung zu Theokrits id. 1 herstellte und aufrechterhielt, setzt Gallus sich mit der bukolischen Tradition w i e aus träumerisch-phantasierender

Entfernung in Beziehung, wobei sich seine Erinnerung daran mit Zitaten

anderer Dichter durchsetzt. D i e Parallelen aus Theokrit, die POSCH (I.E.) darüber hinaus zu v.

40-41 anführt, zeigen kaum metrische oder satzstrukturelle Ähnlichkeiten mit

Versen, sondern nur motivische Verwandtschaft (id. 7,88-89: τύ δ' ϋτό δρυσίν / άδύ μελισδόμενος σχοίνοιο

χαμευνίσιν

κατεκέκλισο, έκλίνύημες

όείε

η ϋτό

Κ ο μ ά τ α , id. 7,132-133: έν τε βαϋείαις

/ εν τε νεοτμάτοισι

γεγαύότες

οίναρέοισι

diese» τεύκαις

/

άδειας

|wobei ν . 133 eine

v. 42-43

133

stituentien einer lebendigen poetischen Welt, sondern nur noch Erinnerungen. Die bukolische Sphäre wird im Monolog des Gallus unter dem Namen Arcadia zu einer nur noch in der Phantasie existierenden: ideal, aber leblos. Die Erstarrung ist bis in die Versstruktur hinein zu beobachten.

v. 42-43:

hic gelidi fontes, hic mollia prata, Lycori, hie nemus; hic ipso tecum consumerer aevo.

In diesem Verspaar, in dem das bukolische Versschema erneut auf vier Glieder erweitert ist, gipfelt die Arkadienphantasie des Gallus. Die arkadische Sphäre (durch das viermalige vergegenwärtigende hic geradezu beschworen) hat in Gallus' Phantasie nun einen nicht mehr zu übertreffenden Grad an Präsenz erreicht. Ausdruck der Unmittelbarkeit dieser Phantasie ist die Zusammenstellung des Phantasierten mit dem hic ohne Kopula in den ersten drei Gliedern. Gallus hat, von der Phantasie überwältigt, den bis dahin sorgfaltig gewahrten irrealen Modus für den Augenblick aufgegeben. Die beiden ersten Glieder des bukolischen Schemas (in Vers 42), deren Grenze durch die Penthemimeres markiert ist, zeigen vollständig parallelen Aufbau (Wiederholungswort hic; Attribut und Subjekt im Plural). Fontes und prata - bestimmt durch die Attribute gelidi und mollia - sind Schlüsselbegriffe für die bukolische Sphäre als Idyll 1 ". Die Natur ist dem Menschen freundlich; die bukolische Sphäre verwandelt sich in der Phantasie des Gallus in einen einzigen großen locus amoenus. Dieser zeit- und moduslosen Versöh-

gewisse strukturelle Ähnlichkeit mit ecl. 10,40 aufweist: Das Verbum des Liegens steht am SchluB, die Ortsangabe davor], id. 7,63-64: κή-γώ τηνο κατ' αμχχρ άνήτινον η poSöevra / η και λίυκοίων σήφανον -wepi κρατι φυλάσσων [sc. οίνο ν... ά^>υ£ώ], id. 7,72: ό δί Τίτνρος tyyiöev qtaei). '" Der verklärende Blick des Gallus läßt sich durch einen Vergleich mit den übrigen Belegstellen von pratum im Eklogenbuch (das dort nur im Plural vorkommt) illustrieren. Dort sind die Wiesen jedesmal näher mit der Leben- und Arbeitspraxis verbunden: In 3,111 (claudite iam rivos, pueri; sat prata biberunt) müssen sie bewässert werden; in 4,43 (in pratis aries) und 7,11 (hue ipsi potum venient per prata iuvenci) sind sie Aufenthaltsort weidender Tiere, und in 8,71 (frigidus in pratis cantando rumpitur anguis) bergen sie Gefahr. Mollia in v.42 erinnert allerdings auch an Gallus' Todesphantasie (wo in v.33 moltiter ebenfalls vor der bukolischen Dihärese steht). E.W. LEACH (Vergil's Eclogues: Landscapes of Experience, Ithaca/London 1974) bemerkt (S.162) zu Gallus' arkadischer Phantasie richtig: "His (sc. Gallus') actions follow old literary formulas. ... be sums up that ideal of pastoral withdrawal whose futility Vergil has already exposed" - allerdings ein weiteres Mal (ähnlich wie PUTNAM) im Rahmen der problematischen Gnindthese, Vergils Eklogen drehten sich in ihrem Kern um ein bukolisches Ideal des Rückzugs ("escape", op. cit., passim; z.B. S.276), das allmählich als unrealistisch erkannt werde.

134

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

nungsphantasie steht am Ende des v.42 der Vokativ Lycori gegenüber: der Name der Frau, von der das Leid und so auch die Phantasie des Gallus ihren Ausgang genommen haben. Auf dem Höhepunkt des Phantasierens dringt mit diesem Namen schon wieder die Erinnerung an die Realität und damit an das Scheitern in ihr ein; zunächst in einem Syntheseversuch. Gallus will Lycoris in seine Phantasie miteinbeziehen. Der Anfang des nächsten Verses (das dritte Glied hic nemus) läßt bereits spüren, daß das bukolische Schema aus dem Rhythmus und aus dem Gleichgewicht gebracht ist. Es ist gegenüber den beiden ersten Gliedern durch seine Attributlosigkeit verkürzt. Implizit fügt nemus, der Hain, dem locus amoenus nach den Quellen und der weichen Lagerstätte mit dem Schatten den letzten unentbehrlichen Bestandteil hinzu.

Mit dem vierten Glied des Schemas (hic ipso tecum consumerer aevo) endet die bukolische Phantasie des Gallus. Die überwältigende Präsenz, die diese Phantasie in den ersten drei Gliedern besaß, läßt sich nicht aufrechterhalten. Das Bewußtsein von der Irrealität und Unreal is ierbarke it - sichtbar am Konjunktiv Imperfekt - hat Gallus eingeholt. Die Wendung von der phantasierten konfliktfreien, einzig auf Gallus bezogenen bukolischen Sphäre wieder hin zur aussichtslosen Verfallenheit an die Geliebte ist sprachlich markiert durch den Wechsel vom Personalpronomen der

1. Person Singular (v.37 und 41: mihi, v.40: mecum) hin zu dem der 2. Person (v.43: tecum, das in einem Kontrastverhältnis zum mecum des v.40 steht). Das Gegenüber erhält in der Rede wieder einen höheren Rang. Die 1. Person Singular des Verbums (consumerer) dokumentiert den im Anschluß an die Phantasie wieder wachsenden Realitätssinn des Gallus, sein Bewußtsein für die eigene Befindlichkeit. Die einzige Verbform der 1. Person Singular in Gallus' Monolog war bis dahin fuissem (v.35), ein Irrealis der Vergangenheit im fiktiven Lebensrückblick. Nach wie vor erscheint Gallus in der Passivform consumerer als derjenige, dem etwas geschieht, und nicht als aktiv Handelnder. In seiner Vorstellung, ipso aevo "verbraucht", "aufgerieben" 1 ' 2 zu wer-

112 Der Ausdruck aevo consumi findet sich in der Literatur sonst nirgends. Aevurn im Sinne von "Lebenszeit" ist (nach dem Thesaurus) nirgends ablativisch in einer Passivkonstruktion wie der hier vorliegenden belegt, sondern nur als direktes Objekt (bzw. als Subjekt der entsprechenden Passivkonstruktion); z.B. Enn. ann. 307 Skutsch: qui cum vivebant... atque aevum agitabant. Lukrez verwendet das Wort sehr häutig in diesem Sinne (50mal. davon 24mal in Endstellung), einmal als Objekt von consumere (Lucr. 5,1431 [sc. genus hominum\ in cutis consumit inanibus aevum), ansonsten von Verben wie degere (Lucr. 5,172: ... cum pulchre degeret aevum·, passivisch 2,15-16: qualibus in tenebris vitae quantisque periclis / degitur hoc aevi quodcumquest!), colere (Lucr. 5,1145-1146: nam genus humanum, defessum vi colere aevum, /ex inimiciais languebat) oder conterere (Lucr. 3,1047: qui somno partem maiorem conteris aevi). C L A U S E N (ad loc.) vermutet in ecl. 10,43 eine direkte Anspielung auf die zitierte Lukrezstelle 5,1431, die ins Passiv gewendet werde: "a unique inversion of a

v. 42-43

135

den, scheint wieder die anfangliche Todesphantasie auf, denn Gallus phantasiert nicht von einem glücklichen, konfliktfreien Leben mit Lycoris in Arkadien, sondern eigentlich von einem allmählichen, schmerzlosen Sterben. Er deutet das Leben in Arkadien um in ein langsames und sanftes Hinscheiden ohne die Leiden der Liebe. Ganz im Sinne seiner Todesphantasie (o mihi tum quam molliter ossa quiescant... ; v.33) sieht er das Leben von der Todesseite aus. Der Liebeszustand beweist seine Übermacht. In einem letzten Syntheseversuch unternimmt es Gallus, sowohl die geliebte Lycoris als auch seinen sterbensähnlichen Zustand in das phantasierte Arkadien zu integrieren.

phrase itself unique". Vgl. auch Hör., epist. 1,18,97 (traducere leniter aevum). Vergil verwendet mehrmals den Ausdruck aevum exigere (Aen. 7,776-777: solus ubi in silvis Italis ignobilis aevum / exigeret\ 10,53 (in der Rede der Venus): "positis inglorius armis / exigat hic aevum"·, 11,569 (in der Rede der Diana; über Metabus): "pastorum et solis exegit moruibus aevum". In Prosa vgl. z.B. Cie. de off. 1,2: in eo studio aetatem consumpsi. Konstruktionen, in denen aevum ablativischer Verursacher ist, finden sich nur, wenn das Wort eindeutig prägnant das hohe Alter bezeichnet, so Lucr. 1,325: quaecumque aevo macieque senescunt; 5,832-833: namque aliudputrescit et aevo debile languet /porro aliud succrescit et econtemptibus exit und 2,457-458: quandoquidem gigni pariter pariterque videmus / crescere et, docui, simul aevo fessa fatisci. Bei Vergil läBt sich Aen. 2,435-436 (Iphitus aevo / iam gravior) anfuhren. Der Thesaurus ordnet s.v. aevum die Stelle in ecl. 10,43 wohl wegen dieser Parallelen im Abschnitt "de senectute" ein. Gegen diese Übertragung spricht allerdings, daß aevum an den zitierten Stellen die prägnante Bedeutung "Greisenalter" jeweils erst von zusätzlichen geeigneten Verben oder Adjektiven empfängt. Consumere wird gelegentlich als Prädikat zu mors oder verwandten Begriffen verwendet, so z.B. Tib. 1,3,55: immiti morte consumptus; Sen. epist. 24,18: mors nos aut consumit aut exuit. Häufig steht es auch im Zusammenhang mit schleichendem Leiden und langsamem Dahinsiechen, so Cie. har. resp. 39: volnere ac dolore corporis crucian et consumi-, prov. 5: milites... ineuria, fame, morbo, vastitate consumpä sunt; epist. 16,10,1: inedia et purgationibus et vi ipsius morbi consumptus es; Hin. bell. Gall. 8,41,6: hominum multitude siti consumebatur. Ein Beispiel für die Übertragung auf seelisches Leiden findet sich in Ov. met. 9,663-664: sic lacrimis consumpta suis Phoebeia Byblis / vertitur in fontem. Auch consumere erhält, wie die Belege zeigen, seine Prägnanz (z.B. im Sinne von "töten") erst durch ein als Subjekt hinzugesetztes Nomen (etwa fames, morbus). Das Auffällige an Gallus' Prägung aevo consumi liegt somit darin, daB sie eine Kombination zweier in sich relativ unprägnanter Wörter darstellt, welche jeweils einer Präzisierung vou außen bedürften, diese füreinander aber nicht leisten können. Der Eklogenstelle am nächsten kommt Ov. Ibis 143-144: sive ego, quod nolim, longis consumptus ab armis, /sive maruifacta morte solutus ero, wo die longi anni nicht als "hohes Alter", sondern als "lange Lebenszeit" zu deuten sind. Der Thesaurus ordnet die Ovidstelle unter der Überschrift "fere i.q. interficere" ein, jedoch könnte das Lemma "speciatim: usque ad mortem conterere" angebrachter sein, da longi anni ein langsames Aufgeriebenwerden impliziert. Bei Gallus' aevo consumi dürfte der Gedanke an einen Tod in hohem Alter, gesehen als das Resultat eines gleichmäßigen, allmählich-unmerklichen Verausgabungsprozesses, eine Rolle spielen. Festzuhalten bleibt jedoch der Mangel an Prägnanz in der Wendung, der sich zur Zeit- und Ortsunbestimmtheit von Gallus' gesamter Phantasie fügt.

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

136

Im R a h m e n d e s E k l o g e n b u c h s betrachtet, f ü g e n s i c h d i e v v . 4 2 - 4 3 mit d e m v i e r f a c h e n hic in e i n e Tradition der E v o k a t i o n d e s locus

amoenus

ein, in der

d i e s e r z u m Ort d e s idealen und u n ü b e r t r e f f l i c h e n H i e r und Jetzt, der überw ä l t i g e n d e n V e r g e g e n w ä r t i g u n g d e s N a t u r s c h ö n e n w i r d . D i e s e A n r u f e sind j e w e i l s durch w i e d e r h o l t e s hic

o d e r nunc

gekennzeichnet.

In e c l .

3,55-57

v e r w e n d e t der S c h i e d s r i c h t e r P a l a e m o n e i n w i e d e r h o l t e s nunc

bei der Be-

s c h w ö r u n g d e s locus

zum Singen

amoenus

w a h r z u n e h m e n : Dicite, omnis

ager,

simus

annus.

nunc

und der A u f f o r d e r u n g , d e n καιρός

quandoquidem

omnis parturit

in molli

arbos,

consedimus

/ nunc frondent

herba.

silvae,

/ et

nunc

formosis-

D i e A u f f o r d e r u n g d e s D a p h n i s an M e l i b o e u s in e c l . 7 , 9 - 1 3 , als

S c h i e d s r i c h t e r im G e s a n g s w e t t s t r e i t zu f u n g i e r e n , lautet: hue

ades,

boee;

requiesce

caper

umbra.

tibi

salvus

/ hue ipsi potum

xit harundine

nunc

ripas

et haedi;

/ et,

venient

per prata

/ Mincius,

eque

si quid

cessare

iuvenci.

sacra

potes,

/ hic viridis

resonant

examina

ο

tenera quercu.

Melisub praete-

In d e m

aus d e r E r i n n e r u n g zitierten Lied e c l . 9 , 3 9 - 4 3 s c h l i e ß l i c h f i n d e t sich dreimalig e s hic, 'hue varios imminet fluetus.'

e i n g e r a h m t v o n z w e i m a l i g e m hue,

ades,

ο Galatea;

hic flumina et lentae

quis

circum texunt

est nam

/ fundit umbracula

ludus

humus vites.

in der A u f f o r d e r u n g des Moeris: in undis?

flores,

/ hic

hic Candida

/ hue ades;

ver

purpureum,

populus

insani feriant

sine

antro

/

litora

D e r m e t r i s c h - s y n t a k t i s c h e A u f b a u d i e s e r V e r s g r u p p e n " 3 entspricht

d e m b u k o l i s c h e n S c h e m a : hic b z w . nunc b e k r ä f t i g e n als W i e d e r h o l u n g s w ö r t e r in j e d e m G l i e d e m p h a t i s c h d i e P r ä s e n z der b u k o l i s c h e n N a t u r e l e m e n t e " 4 .

113

In der größeren Versgruppe ecl. 1,51-58, in der Meliboeus den Tityrus ob seiner intaktgebliebenen Existenz glücklich preist, ist eine ähnliche Struktur zu beobachten. Dem Vertriebenen wird die gesamte bukolische Sphäre, die ihm jetzt verschlossen ist, zu einem großen locus amoenus: fortunate senex, hic inter flumina nota / etfontis sacrosfrigus captabis opacum; / hinc tibi, quae semper, vicino ab Ii mite saepes / Hyblaeis apibus florem depasta salicti / saepe levi somnum suadebit inire susurro; / hinc alta sub rupe canet frondator ad auras, / nec tarnen interea raucae, tua cura, palumbes / nec gemere aeria cessabit turtur ab ulmo. Auf das erste Glied mit hic folgen zwei parallele, jeweils drei Verse umfassende Glieder, deren Wiederholungswort hinc ist. Innerhalb des zweiten Λ/'nc-Gliedes (v. 56-58) wird die Korrespondenz zwischen metrischer und syntaktischer Einheit durch die zwei mit nec eingeleiteten parallelen Ein-Vers-Glieder (v.57 und v.58) hergestellt. 114 Die Nähe zu Theokrit, der diesen Typus von emphatischer Beschwörung des locus amoenus vorgebildet hat, ist in v. 42-43 nochmals groß: Die Verse id. 5,45-49 (im Rahmen eines Streites über die Qualität verschiedener Orte) lauten: ούχ έρψώ τηνύ- τουτίϊ &ρύ(ς , ώδ{ κύπαρος, / ωδί καλόν βομβίΰντι ττοτί σμάνεσοι μίλισσαι, / ϊνϋ' ύδατος κραναι δύο , ται δ' (πι δίνδρει / όρηχΐς \a\aytvvn, και ά σκιά ούδίΡ όμοια / τφ παρά τίν·. Auch hier stehen die demonstrativen Ortsadverbien τουηί, ωδ( und ivd' jeweils zu Beginn der syntaktischen Glieder, die letzten beiden jeweils am Versanfang. Schon in v. 31-34 von id.5 hieß es: άδιον άσή / τίϊδ' inrö τάν κότανν καϊ τ ά λ σ ί α ταντα καϋίξας. / ψυχρον ύδωρ τουτ(ΐ καταλ(ίβ(ται· ώδί ττίιρύκΐΐ / ποία, χ ά στ φας άδί, καϊ άκρίίχς ωδί XaXtiim. Auch inhaltlich lehnt sich der Passus von ecl. 10 an die zitierten Theokritstellen an: gelidifontes erinnert an ψυχρόν ύδωρ aus

v. 44-45

v. 44-45:

137

nunc insanus amor duri me Martis in armis tela inter media atque adversos detinet hostis.

Der Vokativ Lycori in v.42 sowie der zweite Teil von ν.43 mit dem wieder irrealen Konjunktiv consumerer waren bereits Symptome einer schleichenden Auflösung der Imaginationstätigkeit, die jene letzte locus-amoenus-Phantasie hervorbrachte. Dementsprechend ist nunc, das v.44 einleitet, Signal für Gallus' brüskes Erwachen in die Liebesrealität" 5 , die wieder die Übermacht gewonnen hat. Das Prädikat detinet steht nach der langen (zunächst Potentialen, dann irrealen) konjunktivischen Partie nun im Indikativ des Präsens. Die Verse 44 und 45 umfassen einen einzigen Hauptsatz. Das Subjekt insanus amor und das Prädikat detinet an vorletzter Stelle im zweiten Vers sind extrem weit voneinander getrennt. Eine Abteilung nach parallel gebauten syntaktischen Einheiten, eventuell noch in Korrespondenz mit dem Metrum, gibt es hier nicht. Nunc ist nicht mehr, wie hic in den Versen zuvor, Wiederholungswort im Rahmen eines auf Parallelismen aufbauenden Versschemas, sondern Zeitbestimmung für den gesamten, zwei Verse umfassenden Satz. Es gibt allerdings ein Moment metrischer Kontinuität im Verhältnis zum Vorangegangenen: Die (metrisch identisch aufgebauten) Hexameter der Verse 44 und 45 haben dieselbe Struktur (Abfolge der ersten fünf Versfüße Spondeus-Daktylus-Spondeus-Spondeus-Daktylus) wie die fünf identischen Hexameter der Verse 36-40 aus der Arkadienphantasie des Gallus (s.o., Anm. 106)" 6 . Im Vergleich mit den unmittelbar vorhergehenden Versen der Arkadienphantasie fallt die andersartige Attributstellung ins Auge: Die Spannungsarmut z.B. des v.42 hatte ihre Ursache auch in der zweimaligen Stellung des Attributs unmittelbar beim Substantiv: gelidi fontes, mollia prata (siehe z.B. auch v.39: nigrae violae, vaccinia nigra). Dadurch und durch die klare metrisch-syntaktische Ordnung entstanden Ruhepunkte. Dem stehen in v. 44-45 drei Attributsperrungen gegenüber: duri... Martis, tela... media, adversos... hostis"7. Das Phänomen liegt auf derselben Ebene wie das Auseinandertreten von Subjekt und Prädikat (insanus amor... /... detinet). Bei allen Überlegungen zu den Versen 44-45, die zu den umstrittensten in ecl.10 gehören und

id. 5.33 ebenso wie an ύδατος κραναι δύο aus id. 5,47, mollia prata an τοία aus id. 5,34. Die Geräuschkulisse, die Theokrit ausmalt (Bienen, Vögel, Heuschrecken), fehlt in der Ekloge. Das Interesse konzentriert sich hier darauf, mit forues. prata und nemus noch einmal drei feste Lokale der bukolischen Welt vor Augen zu führen. 115 CONINGTON-NETTLESHIP, ad loc.: "Nunc, as things are, used frequently to contrast an actual state with a hypothesis." 114 Vgl. dazu H.L.F. DRUEPONDT, Die Versbou van die Gallusklag in Vergilius se Xde Ecloga. AC 6 (1963), S. 151-152 (dort: S.151). "7 Der hier zentrale Terminus insanus amor ist als einziger nicht gesperrt.

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

138

deren Analyse in manchem hypothetisch bleiben muß, hat man sich vor Augen zu halten, daß sie von einem gerade aus dem Traum b z w . der Phantasie Erwachten gesprochen sind. Gallus kehrt zu seinem Ausgangspunkt zurück: Amor hat in ihm wieder alles überwältigt. Diesen amor bezeichnet er jetzt in

einer weiteren Steigerung gegenüber sollicitos...

amores (v.6) und

indigno...

amore (v.10) mit dem Attribut insanusUi. Prädikat zu insanus amor ist detinet mit dem Objekt me.

Gallus fühlt sich g e h e m m t und zurückgehalten an

einem Ort, an dem er lieber nicht wäre (duri Mortis in armis)'19.

118

Nach dem

Zur Darstellung von Liebe als Krieg sowie den Begriffen insanus/insanio im entsprechenden Zusammenhang vgl. E. FANTHAM, Comparative Studies in Republican Latin Imagery (Phoenix Suppl. 10), Toronto 1972, Appendix I ("The imagery of love in Terence and sermo amatorius"); bsd. S. 85-86. 119 Es ist nicht möglich, insanus amor hier auf dun Mortis zu beziehen, wie zu dieser Stelle vielfach vorgeschlagen worden ist (so z.B. T.L. PAPILI.ON / A.E. HAIGH, P. Vergili Maronis opera II, Oxford 1892, S.38, ad loc.; CONINGTON-NETTLESHIP, ad loc. ["Love can have nothing to do with keeping Gallus in the camp away from Lycoris"]; BÜCHNER, RE. Sp. 1244; G. STEGEN, Conunentaire sur cinq Bucoliques de Virgile. Namui 1957. S.123; Η. HOLTORF, P. Vergilius Maro. Die größeren Gedichte. Bd.L. Freiburg/München 1959. S.247 lad loc.); J.P. BOUCHER. C. Cornelius Gallus, Paris 1966, S.90; F. DELLA CORTE, Virgilio Le Bucoliche, Milano-Verona l21967, S.150 [ad loc.l; PUTNAM, Virgil, S.368 |s.o., S.48|; G. D' ANNA, Verg. Ecl. 10, 44-5, RCCM 13 [1971|, S. 48-61 |von jetzt an zitiert als "D' ANNA 1971"); A.J. BOYLE, A Reading of Virgil's Eclogues, Ramus 4 (19751, S. 187-199; dort: S. 192 u. S. 197, wiederholt in ders.. The Chaonian Dove, Leiden 1986. S.22 und 31; CLAUSEN, ad loc.). In jedem Falle ist das Satzgerüst insanus amor in armis me detinet. Insanus amor steht dabei als einzige nicht-gesperrte Attribut-Substantiv-Verbindung der vv. 44-45 deutlich abgesetzt vor der Penthemimeres des v.44. Ein gesperrter Ausdruck duri... Mortis in armis ist schon wegen der Parallele zu den folgenden, ebenfalls gesperrten tela inter media und adversos... hostis (sc. inter) wahrscheinlich. Im übrigen sollte man nicht ohne Not den am Hexameterschluß auch als Sinneinheit standardisierten Adoneus (Maitis in armis) inhaltlich auseinanderreißen. was geschähe, wenn man allein in armis als Ortsbestimmung zu detinet auffaßte. Die vermutete Beziehung von amor auf duri Maitis beruht auf gelehrter Konstruktion, die die Aeneisstellen 7,550-551 (Allecto zu Iuno): "accendamque animos insani Mortis amore / undique ut auxilio veniant; spargam arrna per agros" und 7,461; saevit amor ferri et scelerata insania belli herbeizieht. Vor allem aber spricht auch inhaltlich nichts für sie. Ein insanus amor duri Marlis wäre bei Gallus schlichtweg deplaziert. Vgl. W. STEIDI.E, Zum Verständnis der 10. Ecloge, Serta Philologica Aenipontana 7-8 (1962). S. 320-334; dort: S.329: "Man darf weiter fragen, ob die Grundcharakteristik des Gallus zu Begimi durch einen insanus amor duri Mortis nicht unerhört belastet, wenn nicht geradezu zerstört wird. Kann nach der Darstellung Vergils wirklich noch eine zweite rasende Leidenschaft in Gallus' Herzen Platz haben?" Auch COLEMAN, ad loc., lehnt einen amor Mortis ab: "... the insistence throughout the poem is on the relentless power of Love and the pain and madness that it causes (6. 22, 28, 69), and this favours the reading insanus amor, with Mortis dependent on armis." Im gleichen Sinne schon CARTAULT. S.399, sowie PERRET, S. 112, ad loc. Es ist nicht vorstellbar, daß Gallus insanus aiiwr in der Passage im Monolog, in der er am unmittelbarsten seine eigene augenblickliche Befindlichkeit beschreibt, nicht auf seinen für das Gedicht zentralen amor, den zu Lycoris, beziehen sollte. Dessen Wirkung wurde ja bereits in v.22 mit insanire

V. 4 4 - 4 5

139

einleitenden adversativen nunc ("jetzt aber; in Wirklichkeit aber") ist detinet immer noch vor dem Hintergrund der gescheiterten Arkadienphantasie zu verstehen. Gallus fühlt sich durch den insanus amor gehindert, seine Arkadienphantasie in Realität umzusetzen. Tatsächlich aber wurde in diesem Traum von schmerzloser Liebe der Gegensatz zu Gallus' Liebesrealität so eklatant, daß die Phantasie nicht mehr aufrechtzuerhalten war und der amor jetzt als insanus amor in der Gewandung eines Kriegsbildes wieder durchbricht. Das Erwachen des Gallus, markiert durch nunc, ist nicht ein Erwachen mit einer resignierenden Feststellung, sondern gewissermaßen ein Erwachen in eine neue Phantasie, die Kriegsphantasie, die allerdings mehr Realitätselemente enthält als die Arkadienphantasie. Die bukolische Ausgangsszenerie nimmt Gallus nicht mehr wahr; er wähnt sich vielmehr wie der wahnsinnige Aias von Feinden statt von Schafen umgeben. Der Versuch, die Realität des insanus amor mit Hilfe einer auf der Hirtenszenerie des Eingangs aufbauenden Phantasiekonstruktion, "Arkadien", zu leugnen, mußte an Gallus' innerer Realität scheitern. Sein "Arkadien" ist nicht mehr tragfahig. Die Verbindung zur bukolischen Sphäre blieb in seiner Phantasie bis v.43 gewahrt, auch wenn diese Sphäre sich dabei immer mehr mit illusionären Elementen anreicherte. Hier in v.44 ist nun die Verbindung abgebrochen. Die unausgesprochene Gedankenentwicklung ist dabei wie folgt vorzustellen: Nachdem sich in den w . 42-43 der Arkadienphantasie die Figur der Lycoris wieder in den Vordergrund gedrängt hat, kehrt hier in maskierter Form unabweisbar auch die Erinnerung an die von Apollo in v. 22-23 knapp dargelegte Realität wieder: Lycoris ist in Wirklichkeit nicht in Arkadien, sondern bei einem alius im Krieg. Gallus phantasiert sich nun selbst in den Krieg, wobei dieser - an sich ein Teil der Lebensrealität - unterderhand selbst zu einem Bild für den bedrohlichen Liebeszustand wird 120 . Die w . 44-45

charakterisiert. Uneindeutig FORBIGER, ad loc.: "Martis bis intelligendum videtur, et ad amorem... et ad arma... referendum". Einige Autoren wollten in v.44 me durch ein auf Lycoris bezügliches te ersetzen, wodurch die Deutung des Genetivs nicht einfacher wird (s.u., Anm. 120). 120 Die Kommentatoren haben sich immer an der vermeintlichen Verdopplung der Kriegsszenen ( w . 22-23 und 44-45) gestoßen. Wieso sollte nach dem alius des v.23 nun auch noch Gallus im Krieg sein? Die Lösungsvorschläge reichen von LEOS Versuch (s.o., S. 23-24), einen militärischen Einsatz des Gallus auf der Peloponnes zu rekonstruieren, auf dessen verlorene literarische Bearbeitung hier angespielt werde, bis zu der Konjektur, in v.44 für me ein auf Lycoris bezügliches te einzusetzen (die von HEUMANN stammt und von HEYNE übernommen, aber schon von WUNDERLICH in seiner Bearbeitung [HEYNE 1828] wieder rückgängig gemacht wurde und die auch WAGNER [HEYNE 18301 und FORBIGER ablehnen: CARTAULT

allerdings favorisiert [S.399J wieder diesen Lösungsversuch). Für die Konjektur auch wieder D ' A N N A 1 9 7 1 , b e s . S. 5 6 - 5 8 . ( I n D ' A N N A 1981 r e v i d i e r t D ' A N N A [ S . 2 9 5 ) s e i n e u r s p r ü n g l i -

che Auffassung, die Verse 44-45 stammten von Gallus, und er äußert sich bezüglich der

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

140

handeln v o n einer inneren Realität, und dementsprechend gibt es in ihnen keine der arkadischen Natur entsprechende äußere Szenerie und Verortung. Gallus faßt die jetzt eingestandene Realität des insanus

amor

desjenigen, der

verlassen ist und sich dennoch nicht lösen kann, in ein neues Bild, in d e m er Soldat (duri...

Mortis

in armis)

Beschüß (tela inter media

ist und sich in Lebensgefahr, nämlich unter

atque adversos...

hostis)

befindet. D i e Themen Ge-

walttätigkeit und A g g r e s s i o n finden Eingang in den M o n o l o g des Gallus. Dessen Selbstbild ändert sich nur allmählich: N a c h d e m er sich in der vorangegang e n e n Arkadienepisode einer v o l l k o m m e n e n , als Teil eines idyllischen Daseins verstandenen Passivität hingeben wollte 1 2 1 , stellt er sich auch jetzt im Krieg noch nicht ausdrücklich als aktiv vor, sondern als den tela der Feinde ausgesetzt, w o b e i er aber doch immerhin z u m T e i l n e h m e r an e i n e m Bereich der A g g r e s s i o n wird. W i e der Rivale ( v . 2 3 ) , s o befindet sich jetzt auch Gallus selbst im Krieg; nicht als ausdrücklicher Angreifer, sondern als Angegriffener. D i e Arkadienphantasie bis v . 4 3 und der mit v . 4 4 f o l g e n d e scharfe Bruch im M o n o l o g des Gallus führen z w e i konträre Seiten der Liebe vor: einerseits die narzißtische K o m p o n e n t e , die sich in der Phantasie von v ö l l i g e m , aggressions-

Konjektur vorsichtiger als zuvor.) Diese Möglichkeit scheidet jedoch wegen des nachfolgenden scharf antithetischen, auf Lycoris bezüglichen tu zu Beginn von v.46 aus; vgl. M. POHLEN/. Das Schlussgedicht der 'Bucolica'; in: Studi virgiliani ( = AAM 9 11930|); zitiert nach: ders.. Kl. Schriften II, Hildesheim 1965, S. 97-115; dort: S.103, Anni.l. Eine viel treffendere Deutung, nämlich die, me dehnet auf den gegenwärtigen inneren Zustand des Gallus zu beziehen, findet sich schon bei Servius (ad loc.): ex affectu amantis ibi se esse putat, ubi amica est, ut 'me' sit 'meum animum'. Entsprechend PERRETS Paraphrase, ad loc.: " T amour insensi que je te porte me retient en pensie (loin des fraiches montagnes arcadiennes) au milieu des armes de Mars (oü tu vis toi-meme, cf. v.23)'" oder E.K. RAND (The Magical Art of Virgil, Cambridge, Mass. 1931), S. 157: "Gallus, not really off at the wars, but still lying under the rock, betakes himself in imagination to the camp where Lycoris is". (Im gleichen Sinne W. STEIDLE, art. cit. |s.o., Anm. 119], S.329; T. VILJAMAA, Gallus - soldier' or shepherd'?, Arctos 17 |1983], S. 119-122; dort: S.120.) Diese Deutung sollte man nur noch dahingehend verschärfen, daß Gallus hier nicht nur in Gedanken im Krieg bei Lycoris weilt, sondern daß das Kriegsbild, inspiriert von der in v. 22-23 dargelegten Ausgangssituation, auch zum Bild von Gallus' eigenem Seelenzustand wird; vgl. M.J.J. HARTMAN (Ad Virgilii Eclogam X, Mnemosyne 40 |1912], S. 222-228; dort: S.226): "Amor infelix eius, quem perfida solum reliquit amica, apte comparari potest cum morbo, sed potest etiam cum gravi labore, optime vero cum dura et crudeli militia". Von niemandem mehr vertreten wird die Deutung des Pfere C. DE I.A RUE, P. Virgilii Maronis opera, Paris 1675, zu v. 44-45: "Amor enim meus cogit me prae desperatione bellicis periculis caput meum exponere"; ähnlich auch noch WUNDERLICH in HEYNE 1828: "et illud inesse videbis, castra, ut remedium anions, secutum esse Galium": CARTAULT, S.399: "Ce peut etre par coup de tete, pour s'itourdir, que Gallus a embrassi la vie militaire". Die hier vermutete Tendenz zur freiwilligen Selbstgefahrdung ist im folgenden Verlauf von Gallus' Phantasien allerdings durchaus zu beobachten. 121 Man beachte übrigens die Wortantithese mollia (prata) / duri (Martis), die v. 44-45 mit dem Vorhergegangenen in einer Gegensatzbeziehung zusammenschließt.

v. 46-49

141

freiem Aufgehoben- und Geborgensein manifestiert, und andererseits eine in der ersten geleugnete aggressive Komponente, derer Gallus hier im Zustand des Verlassenseins gewahr wird. Liebe wird zum Krieg, und der Liebende fürchtet angesichts dieser zerstörerischen Elemente die eigene Vernichtung. Gallus wird förmlich von den ungehemmt über ihn hereinbrechenden Phantasien von Aggression und Lebensbedrohung überschwemmt. Er ordnet und gestaltet nicht, sondern wird von den in ihm auftauchenden Emotionen mitgerissen, ohne Einfluß auf sie nehmen zu können. Dabei verbleibt er im Äußerungsmodus des Phantasierens, das aber nun nichts Eskapistisches mehr hat. Gallus leugnet nicht mehr, sondern er beschreibt in seiner Phantasie metaphorisch seine augenblickliche Befindlichkeit.

v. 46-49:

tu procul a patria (nee sit mihi credere tantum) Alpinas, a! dura nives et frigora Rheni me sine sola vides. a, te ne frigora laedant! a, tibi ne teneras glacies secet aspera plantas!

Nachdem die Verse 44-45 zunächst Gallus' Erkenntnis und der phantasieförmigen Darstellung seiner eigenen seelischen Kriegssituation galten, wendet sich seine Phantasie nun wieder der bereits in v.43 in der zweiten Person angesprochenen Lycoris als einem fiktiven Gegenüber zu. Das Pronomen tu leitet emphatisch den Abschnitt ein122. Wie auch die plötzlich wieder klare geographische Einordnung (Alpinas und Rheni) zeigt, drängt sich die Realität Gallus immer unabweisbarer auf. In seinem Ausruf nec sit mihi credere tantum gesteht er einerseits das Ausmaß des Verhängnisses ein und äußert andererseits nochmals den Wunsch, es zu verleugnen123. Auch die Verwün-

Die Bedeutung der Personalpronomina ("pronombres con valor enfitico") für den ganzen Abschnitt ν. 44-49 analysiert S.M. PROTOMARTK VAQUERO, Virgilio, Bucölica 10 Estudio estilistico, Helmantica 35 (1984), S. 197-208 (dort: S.203). Vgl. E. BR£GUET, Les 616gies de Gallus d'aprfes la X' Bucolique de Virgile, REL 26 (1948), S. 204-214 (doit: S.214): Die "reprise, dans une m£me phrase ou un court passage, d'un pronom ä des formes diffirentes, comme: tu, te, tibi" sei typisch elegisch. 123 Die Kommentare sind sich in der Deutung dieses Ausdrucks weitgehend einig: FORBIGER (ad loc.) paraphrasiert tantum mit "tantarn rem, tarn atrocem, horribilem"; CONINGTONNETTLESHIP (ad loc.) kommentieren: "'Tantum' seems best taken as equivalent to 'tantarn rem', the object of 'credere'". COLEMAN (ad loc.) schließt sich dieser Deutung an. Abgelehnt wird von den zitierten Kommentaren eine Beziehung des tantum auf procul, die eine Abteilung tu procul α patria (nec sit mihi credere) tantum erforderte (COLEMAN, ad loc.: "... would entail an awkward pause at diaeresis within the final cadence"). Die bei Vergil am ehesten vergleichbare Stelle ist Aen. 1,231-232: "quid meus Aeneas in te committere tantum, /quid Troes potuere?".

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

142

schung a! dura gegenüber Lycoris ist ein Zeichen für seinen wieder gewachsenen Kontakt zur äußeren Realität. D i e Szenerie (Lycoris in Eis und Schnee im hohen germanischen Norden) knüpft einerseits wieder (und jetzt ganz deutlich) an die in v. 2 2 - 2 3 von A p o l l o vorgestellte Grundsituation an (tua cura Lycoris / perque nives alium perque horrida castra secuta est)12* und bildet andererseits den Anschluß an Gallus' eigene Kriegsphantasie. V o n dem alius ist in 4 6 - 4 8 wohlweislich nicht die Rede; vielmehr stellt Gallus sich Lycoris allein (sola-, v . 4 8 , was ja offenkundig nicht den Tatsachen entspricht) in einer kalten und lebensfeindlichen Landschaft vor. Nachdem er also zuvor der Realität kurzzeitig sehr nahegek o m m e n ist, verleugnet er hier wieder einen wesentlichen Anteil davon, nämlich die Tatsache, daß Lycoris mit einem anderen d a v o n g e z o g e n ist. Übrig bleibt Lycoris, schutzbedürftig in einer lebensfeindlichen Umgebung - in einer Situation, in der sie sich wohl des Gallus erinnern und dieser als ihr Retter und Beschützer auftreten könnte. Gallus läßt das Wesentliche außer acht und macht Lycoris nun zum Gegenstand seiner Fürsorge 1 2 5 (v. 4 8 - 4 9 : a, te ne

124

Ein wörtlicher Anklang ist nives (v.23 und v.47). Das Motiv der Sorge um die Geliebte findet sich in verschiedenen Schattierungen auch bei den erhaltenen römischen Elegikern. Am unmittelbarsten vergleichbar mit der hier diskutierten Stelle - und wahrscheinlich daran angelehnt - ist Prop. 1.8 A (Cynthia ist einem anderen nach Illyrien gefolgt; v.2-4: an tibi sum gelida vilior lllyria? / et tibi iam tanti. quicumque est, iste videtur, / ut sine me vento quolibet ire velis?), wo ein Bild von der Geliebten in einer kalten, fremden Landschaft (v. 7-8: tu pedibus teneris positas fulcire pruinas, / tu potes insolitas, Cynthia ferre nives?) in einen sorgenvollen Wunsch tur sie mündet (v. 17-18: sed quocumque modo de me, periura, mereris, /sit Galatea tuae non aliena viae). (Zur Abhängigkeit der Properzelegie und der Passage in ecl. 10 von einem gemeinsamen Vorbild bei Gallus siehe L. A L F O N S I , L'elegia di Gallo, Riv. di filologia e d'istruzione classica 71 11943), S. 46-56 |dort: S.54); A. ERNOUT, Note sur Properce 1 8, 9-16: in: M61anges didi6s ä la mdmoire de F61ix Grat, Paris 1946, S. 17-26 |dort: S.22; skeptisch|; L. ALFONSI, Nota properziana, Revue beige de phil. et d' histoire 27 |1949|, S. 5-27; dort: S. 6-7, Anm.l.) In Prop. 1,3 (Beobachtung der Cynthia im Schlaf) macht der Liebende sich insofern zum Beschützer der Geliebten, als er einen möglichen Rivalen tendenziell zum Vergewaltiger, die Geliebte zu der von sich aus Treuen umstilisiert und seine manifest geäußerte Sorge darauf richtet, es könnte ihr "gegen ihren Willen" etwas geschehen. Das wird aber schon dadurch sehr fragwürdig, daß er in seiner Befürchtung die Geliebte den Angriff selbst im Traum erleben läßt (v. 27-30: et quotiens raro duxti suspiria motu, / obstupui vano credulus auspicio, / ne qua tibi insolitos portarent visa timores, / neve quis invitam cogeret esse suam). Die Sorge ist Teil eines Verleugnungsmechanismus, der es nicht wahrhaben will, daß die Geliebte freiwillig den anderen wählen könnte. Häufig hat die von dem Liebenden geäußerte Sorge auch eine Auffang- oder Rücknahmefunktion bezüglich der eigenen ira oder deren Gegenstücks, des vorgeblich befürchteten Götterzornes auf die Geliebte (z.B. Prop. 1,18,13-16: quamvis muita dolor hie meus aspera debet, / non ita saeva tarnen venerit ira mea, / ut tibi sim merito semper furor, et tuaflendo / lumina deiectis turpia sint lacrimis oder Prop. 1,15,25-28: desine iam revocare tuis periuria verbis, / Cynthia, et ob Ii tos puree movere 125

v. 46-49

143

frigora laedant! / α, tibi ne teneras glacies secet aspera plant as!)12''. Bei der Ausmalung der feindlichen Phantasielandschaft entsteht ein von Schnee und Kälte (nives, frigora, glacies) gekennzeichnetes neues Naturbild' 27 . Zahlreiche Wortantithesen schaffen einen genauen und gesuchten Kontrast zur vorherigen arkadischen Szenerie: durani (v.47) steht (wie schon duri... Martis in v.44) gegen mollia (v.42), me sine (v.48) auch in der Wortstellung gegen mecum (v.40) und tecum (ν.43), und das wiederholte frigora (v.47 und 48) sowie glacies in v . 4 9 kann man als inhaltlichen Kontrast zu den gelidi forties des v.42 verstehen. "Arkadien" war Ausdruck von Gallus' Wunsch nach narziBtischem Einswerden mit der paradiesischen Natur. Im Kontrast dazu kann nun dieser locus horridus (ohne daß dies explizit gesagt würde) als Sinnbild seiner wahren Seelenlage aufgefaßt werden und der ganze Passus als Ausdruck seiner Erkenntnis über seine wahre Verfassung. Auf die Phantasie von der paradiesischen Selbstgenügsamkeit in Arkadien folgt (in v. 44-45) zunächst die Vorstellung von der eigenen physischen Bedrohtheit und Verletzlichkeit und jetzt in v . 4 6 die von der eigenen physischen Begrenztheit angesichts realer geographischer Entfernungen und einer lebensfeindlichen Umgebung. M i t p r o c u l spricht Gallus explizit die geographische Entfernung an. Die umgrenzte und über-

deos; / audax a nimium, nostro dolitura periclo, / si quid forte tibi durius incident!). In Tib. 2,6 ist die ausgesprochene Befürchtung eigentlich eine Drohung (mit einer schrecklichen Erscheinung der toten Schwester), die schließlich mit einer Verwünschung der lena als der eigentlichen Schuldigen abgefangen wird (v. 35-40: (sc. tua soror] non feret usque suum te propter flere clientem: / illius ut verbis, sis mihi lenta veto, / ne tibi neglecti mittant mala somnia manes, / maestaque sopitae stet soror ante torum, / qualis ab excelsa praeceps delapsa fenestra / venit ad infernos sanguinolenta lacus; v.44: lena nocet nobis, ipsa puella bona est). 124 Nur an dieser Stelle im Gedicht, an der Gallus (mit dem Adjektiv tener, das auch eine Reminiszenz an die bukolische Sphäre schafft; s.u., Anm. 139) von den zarten Füßen der Lycoris spricht, gewinnt diese fur einen Moment eine gewisse anschauliche, körperlichsinnliche Qualität. 127 Zu den Parallelen der Passage mit der an einen Gallus gerichteten Elegie Prop. 1,20 siehe C. MONTELEONE, Cornelio Gallo tra IIa e le Driadi (Virgilio, Properzio e una controversia letteraria), Latomus 38 (1979), S. 28-53. P.-J. DEHON, Hiems latina (Coli. Latomus 219), Bruxelles 1993, S.43: "Le jeu d'opposition entre les saisons est un trait fondamentalement original de cette bucolique". DEHON sieht den winterlichen locus horridus des Gallus (zum Terminus vgl. R. MUGELLESI, II senso della natura in Seneca tragico; in: Argentea aetas. In memoriam E.V. Marmorale, Genova 1973, S. 29-66 (dort: S. 35-661 und ders., Paesaggi latini, Firenze 1975, S. 14-15) im Kontrast zum frühlingshaften oder sommerlichen locus amoenus des rahmenden Dichtere. 128 a! dura dürfte hier die von COLEMAN, ad loc., folgendermaßen beschriebene Doppelbedeutung zwischen einem Schmerzensausruf und dem Ausdruck einer gewissen Anerkennung haben: "dura 'cruel· because she spurns him, and 'hardy' because she is prepared to suffer the rigours of a northern winter."

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

144

schaubare arkadische Sphäre hat sich in einer Welt unmeßbarer und unüberbrückbarer Distanzen aufgelöst. Gallus' Überschwemmtwerden von der plötzlich wieder einbrechenden Gefühlsrealität zeigt sich in dem tiefgreifenden Wandel von Versstruktur und Vers-Satz-Verhältnis. Die Versgrenze spielt nun keine übergeordnete Rolle als Haltepunkt mehr. Der Hauptsatz tu (v.46) - vides (v.48) geht über zwei Versenden hinweg. Einen Satz mit zwei aufeinanderfolgenden Enjambements hat es im Gedicht zuvor nicht gegeben. Die alte Ordnung des bukolischen Schemas, dessen syntaktische Einheiten sich stark an Caesuren und Versschlüssen orientierten, besteht nicht mehr. Der mittlere, also mit dem vorhergehenden wie dem nachfolgenden durch Enjambement verbundene Vers 47 ist durch die beiden Ortsangaben Alpinas und Rheni gerahmt und insofern in gewisser Weise als Einheit kenntlich gemacht. Einen wichtigen Einschnitt stellt die emphatische Interjektion a! dura in v . 4 7 dar (zwischen der Trithemimeres und der Caesur κατά τρίτον τροχάίον), einen weiteren schon die Parenthese nec sit mihi credere tantum zwischen Penthemimeres und Schluß des v . 4 6 , die jeweils den weiterlaufenden Hauptsatz kurzzeitig unterbrechen. Diese emotional gefärbten Einsprengsel in das Gerüst des Hauptsatzes sind die einzigen Augenblicke eines Innehaltens. Wie schon in v. 44-45 (detinet), so ist auch in v.46-48 das bis zuletzt hinausgezögerte Prädikat des Hauptsatzes (vides) spannungserhaltendes Moment. Das Zusammenspiel von Parenthese (nec sit mihi credere tantum) in v.46, Ausruf a! dura in v . 4 7 und zweimaligem Enjambement erzeugt einen durchgängigen Eindruck von Unruhe und emotionaler Bewegung. Die Satzanfänge der (wieder in der 2. Person an Lycoris gerichteten) Wunschsätze in v.48 und v.49 sind wieder jeweils durch den Ausruf α markiert. Auch hier übernehmen die Interjektionen eine wichtige strukturierende Funktion 1 2 9 . In v . 4 9 steht erstmals im Gedicht eine chiastische Verschränkung zweier Attribut-SubstantivVerbindungen, in der die Reihenfolge nach Wortarten im eingerahmten Ausdruck (glacies aspera) im Verhältnis zum einrahmenden (teneras plantas) umgekehrt ist, so daß die Abfolge Adjektiv - Substantiv - Adjektiv - Substantiv entsteht 130 .

129

Auf den reimartigen Effekt der e-Laute vor den Caesuren in v.47, 48 und 49 weist E. CABALLERO DE DEL SASTRE, El insanus amor en la Egloga X de Virgilio, Anales de filologia cläsica (Buenos Aires) 11 (1986), S. 45-54 (dort: S.53), hin. 130 Die wenigen chiastischen oder verschränkten Attribut-Substantiv-Verbindungen im bukolisch geprägten Teil des Gedichts sind: tenera... simae virgulta capellae (v.7; Abfolge nach zusammengehörigen Bestandteilen abab), pinifer... sola sub rupe... / Maenalus (v. 14-15: Chiasmus: abba), vestra meos... fistula amores (v.34; abab). Jedesmal stehen hier beide Attribute der verschränkten Ausdrucke voran.

v. 50-51

v. 50-51:

145

ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu carmina pastoris Siculi modulabor avena.

Nach dem Ende der arkadischen Phantasie mit v.43 bricht nun auch die nächste Phantasiebewegung des Gallus, in der er sich die ferne Geliebte vergegenwärtigte und sie anrief, unaufgelöst ab. Auf seine verzweifelte Reflexion der partiell eingestandenen Liebesrealität in den vv. 44-49 folgt jetzt ein neuer Lösungsversuch, eine Handlungsabsicht. Der Satz v. 50-51 steht in der 1. Person Indikativ Futur. Diese Form ist im Gedicht neu; die einzigen Verbformen der 1. Person Singular bis hierher waren irreal (fuissem; v.35 und consumerer; v.43). Der Indikativ des Futurs kam mit cantabitis (v.31) schon einmal vor. Von der bloßen Phantasie ist Gallus zur Handlungsabsicht übergegangen. Die für die vv. 44-49 charakteristische Strukturierung durch Interjektion und Parenthese wird nicht fortgeführt. In v. 44-49 waren die Prädikate stets weit zum Ende der jeweiligen Sätze zurückgezogen, wohingegen in v.50 die Mn/a/igistellung des ersten Verbums ibo die Neubesinnung auf das Handeln glaubwürdig macht. Gallus leitet seinen Lösungsversuch mit einem Verbum der Bewegung ein: ibo ruft einerseits (durch den Kontrast) die Erinnerung an seine liegende und bewegungslose Körperposition (iacentem; v. 14) wach und negiert andererseits das Gefangensein, das Festgehaltenwerden durch den insanus amor (detinet; v.45). Gallus unternimmt hier einen nach allem Vorangegangenen ausgesprochen gesund und realitätsnah wirkenden Vorstoß, einen Versuch zur Selbstbefreiung. Nachdem Gallus' Monolog bislang ausschließlich durch das Gleiten von einem Phantasiebild zum nächsten bestimmt war, findet jetzt erstmals ein Entschluß statt, ein Erwachen nicht in eine neue Phantasie (wie zwischen v.43 und 44), sondern tatsächlich aus der Phantasie. Gegenstand von Gallus' Entschluß ist ein Dichtungsvorhaben, von dem er sich offenbar Linderung verspricht. Er plant eine Selbstbefreiung, einen Heilungs- und Lösungsversuch mit dichterischen Mitteln. Aus seinem tatsächlichen, praktischen Leiden wird damit auch ein dichterisches Problem. Erstmals in seinem Monolog thematisiert Gallus mit dieser Neubesinnung sein eigenes Dichtersein und sein Dichten, weshalb die vorhergegangenen Phantasieeinschnitte an Bedeutsamkeit mit diesem nicht zu vergleichen sind. Gallus erwähnt eine frühere eigene Dichtung als Chalcidico quae sunt mihi condita versu. Er will diese (pastoris Siculi modulabor avena) neu "modulieren", ihr mit der sizilischen Hirtenflöte einen andersartigen, jetzt angemesseneren Klang geben. Befreiung erhofft er sich nicht von einem gänzlich neuen Ansatz, sondern von einer Neubearbeitung des Alten. Zwei Dichtweisen sollen vereinigt, eine bereits bestehende "chalkidische" durch Bukolisches überformt

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

146

werden 131 . Was bedeutet Chalcidicus versus? Diese Schwierigkeit ist wohl nicht vollständig auszuräumen132. Am sparsamsten ist es, im Textzusammen-

151

J. VAN SICKLES Versuch (The Design of Virgil's Bucolics, Roma 1978, S. 198-199). diepastoris Siculi... avena hier vollständig von der "arkadischen" fistula (ν.34) zu scheiden, wirkt wie das ganze Gegensatzpaar "Tityran myth" / "Arcadian myth", auf dem die genannte Arbeit aufbaut, sehr konstruiert. 132 Die antiken Kommentatoren bezogen wie auch schon Quintilian (10,1.56) Chalcidicus versus auf Euphorion von Chalkis, den sie als Elegiker und Vorbild des Gallus ansahen. Servius, ad loc.: Euboea insula est, in qua Chalcis civitas, de qua fuit Euphorion, quem transtulit Gallus. Iun. Philarg. (I), ad loc.: Chalcis civitas in Euboea, in qua fuit Euphorion, qui Euphorion distichico versu usus est. "Probus", ad loc.: Euphorion elegiarum scriptor Chalcidensis fuit, cuius in scribendo secutus colorem videtur Cornelius Gallus. Die von Euphorion erhaltenen Fragmente sind jedoch ausschließlich hexametrisch. (CLAUSEN, ad ICK.: "It has been established beyond reasonable doubt that Euphorion did not write elegiac poetry.") Gesichert scheint fur Euphorion etwa ein Gedicht über den gryneischen Hain des Apollo als Vorbild von Gallus' entsprechendem aitiologischen Werk (vgl. Servius ad ecl. 6.72). COLEMAN ad ecl. 10,50 formuliert das entstehende Problem so: "... while the influence of the Greek poet (sc. Euphorion) on Gallus' poem about the Grynei nemoris origo (6.72) may be taken for granted, the relevance of the Greek poet to his elegies is less obvious. The invention of the elegiac verse-form was at least in one tradition (Suda s.v. (Xeyeifeif) ascribed to a certain Theocles who came from Naxos or Eretria, a city close to Chalcis. So it is just possible that Chalcidicus versus means simply 'elegiac verse'. However, a reference to Euphorion seems more likely." E. COURTNEY (Vergil's Sixth Eclogue, QUCC 63 |n.s. 34| (19901. S. 99-112; dort: S. 105-109) hält die antiken Kommentare zu v.50 für falsch; "Theocles of Chalcis" (art. cit., S. 107) sei gemeint. Seit L. ALFONSI (L' elegia di Gallo, s.o., Anni. 125) gibt es auch Stimmen, die die vier Bücher der Amores als das einzige Werk des Gallus ansehen und auch seine aitiologische Dichtung darin vermuten (vgl. Ross, S. 85-106, der spekuliert, die elegische Dichtung des Gallus habe "scientific-mythological" |z.B. S. 100) Charakter gehabt; d.h. sie sei noch keine subjektive, sondern "objektive" Liebesdichtung im Gewand mythologischer exempla gewesen und habe auch das Gedicht über den gryneischen Hain enthalten; Kritik bei J. VAN SICKLK, "Et Gallus cantavit": Α Review Article, CJ 72 |I977|, S. 327-333; dort: S. 330-332). Dagegen spricht Servius' Kommentar zu ecl. 10,1, in dem die Übertragung des Euphorion ([sc. Gallusl Euphorionem... transtulit in Latinum sermonem) und die vier Bücher der Amores (et amorum suorum de Cytheride scripsit libros quattuor) als zwei verschiedene Werke des Gallus aufgeführt sind. Ausführliche, abwägende Zusammenfassung der Problemlage bei A. GRILLO, Poetica e critica letteraria nelle Bucoliche di Virgilio, Napoli 1971, S. 62-64, Anm.3; vgl. auch H. BARDON, Les 616gies de Corttflius Gallus, Latomus 8 (1949), S. 217-228. Die erhaltenen Zeugnisse zu Euphorion lassen insgesamt kein eindeutiges Bild entstehen: Er galt als obscurus (so Cie. de div. 2,64), seine Werke als von abundanter Gelehrsamkeit geprägt; vgl. die schöne Formulierung im Epitaphios des Theodoridas auf Euphorion (A.P. 7,406,1): Εύφορίων, ό irtpwaöc fπιστάμίι>ός 7i τοιήσαι. Euphorion als Inbegriff des Modedichters bei Cie. Tusc. 3,45. wo das tragische Pathos des Ennius folgendermaßen gepriesen wird: Ο poetam egregium! quamquam ab his cantoribus Euphorionis contemnitur. sentit omnia repentina et necopinata esse graviora. Für einen Bezug von Chalcidicus versus zumindest auch auf Hesiod (vgl. die Dichterweihe in ecl.6), der in Chalkis einen Dichterwettstreit gewann (Erga 654-657): M.J. EDWARDS, Chalcidico versu, AC 59 (1990), S. 203-208: "... he (sc. Gallus) asks us to remember also... the old

v. 50-51

147

hang wenigstens eine Komponente unmittelbaren Zurückverweisens auf das anzunehmen, was Gallus selbst zuvor geäußert hat, mindestens auf die Lycorisphantasie der vv. 46-49, die nach kurzer Hochsteigerung in sich zusammenbrach 133 . Gallus interpretiert mit einemmal sein Scheitern nicht mehr als praktisches (im Leben), sondern bezieht im Anschluß an das, was unmittelbarste Lebensäußerung, Schmerzensausruf schien (vv. 44-49), einen dichterisch reflektierenden Standpunkt. Die Grenzen zwischen praktischem Handeln und Leiden einerseits und dichterischem Produzieren andererseits sind fließend und fast nicht zu erkennen. Von der "chalkidischen" Dichtung eigener Art beabsichtigt nun auch Gallus zur bukolischen Dichtung überzugehen. Das Attribut Siculus erinnert an die schon in v. 1 implizit mit Arethusa vorgenommene Ortsbestimmung; Gallus redet keine Arcades mehr an, sondern bezieht sich nun viel direkter auf die übergeordnete bukolische Dichterinstanz und deren Inspirationsquelle, womit er der bukolischen Dichtung eine hohe Dignität zugesteht. Zugleich findet damit ein weiteres Stück an Reflexion des Gedichts im Gedicht statt: Was Gallus erst als sein Vorhaben äußert (Chalcidico condita versu carmina pastoris Siculi modulari avena), findet in Wirklichkeit bereits statt, denn innerhalb des Gesamtgedichts ist ja der Monolog des Gallus ein Teil des Liedes eines pastor Siculus, der übergeordneten bukolischen Dichterinstanz. Sie ist dem Gallus um ein Stück voraus. Gallus nimmt hier darüber hinaus das Eklogenbuch als ganzes in den Blick, wie sich aus der Tatsache erweist, daß er m i t . . . modulabor avena unverkennbar auf den Anfang des ganzen Buches anspielt (ecl. 1,2: silvestrem tenui Musam meditaris avena)'34. Auf eine noch nicht klar erkennbare Weise wird für Gallus hier die bukolische Sphäre ein weiteres Mal im Gedicht zum Hoffnungsträger. In der arkadischen Phantasie (v. 35-43) erträumte sich Gallus ein konfliktfreies Leben in einer bukolischen Fluchtwelt; hier in v. 50-51 ver-

man of Ascra, who, pasturing his lambs on the slope of Helicon, became the model for all who wished to claim that their art was inspired" (art. cit., S. 208). 133 Vgl. nochmals den Kommentar des Servius zu v.46, von dem unklar ist, auf welche Passage er sich genau bezieht: hi autem omnes versus Gatt sunt, de ipsius translati carminibus. Zu transferre s.o., Teil 1, Anm.l. Nach F. SKUTSCH für Ausdehnung der gemeinten Passage bis v.69 z.B. B. LUISELLI, Studi sulla poesia bucolica, Cagliari 2 1967, S. 78-90; STROH 1989, S. 53-62 (bes. S. 58-59), die wie D'ANNA 1981 v. 44-45 nicht dazurechnen. 134 Das Wort kommt im Singular mit der Bedeutung "Hirtenflöte" im Eklogenbuch nur an den beiden genannten Stellen in den beiden Randeklogen ecl. 1 und ecl. 10 vor, wodurch es den Charakter eines durch seine Stellung herausgehobenen Symbols gewinnt; in ecl. 5,37 (infelix lolium et steriles nascuntur avenae) steht es pluralisch in seiner Grundbedeutung zur Bezeichnung einer Pflanze, und zwar des landwirtschaftlich unbrauchbaren tauben Hafers. Hierbei zeigt sich wieder die Spannung von Leben und Kunst: Was für Subsistenz und Lebenspraxis unfruchtbar und unnütz bleibt, wird für den Sänger zum wesentlichen Instrument.

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

148

körpert nun bukolisches Dichten seine Hoffnung auf einen Ausweg. Das Bukolische bleibt als ein Ruhe- oder Fluchtpunkt im Hintergrund von Gallus' Phantasiebewegung gegenwärtig. Obwohl Gallus schon zu Beginn seines Monologs in seiner Anrede an die Arcades (ν.31-34) sein eigenes Nichtdazugehören festgeschrieben hat, ist die bukolische Welt für ihn nach wie vor ein Pol von ungeschmälerter Anziehungskraft, die sich hier aufs neue bemerkbar macht.

v. 52-54:

certuin est in silvis inter spelaea ferarum malle pati tenerisque meos incidere amores arboribus: crescent illae, crescetis, amores.

Certum est zu Beginn von v.52 kommt an Entschlossenheit dem ibo in v.50 gleich: Man begreift die beiden Versanfänge als Ausdruck eines und desselben Vorhabens. Auf die in v. 50-51 verkündete Absicht zur befreienden künstlerischen Produktion folgt nun in v. 52-54 übergangslos wieder die Äußerung einer Handlungsabsicht. Das über drei Verse ausgedehnte Enjambement erzeugt den Eindruck von Beschleunigung und wachsender Spannung gegenüber v. 50-51. Der mit certum est eingeleitete Satz kommt erst nach dem Enjambement arboribus zu Beginn des dritten Verses der Gruppe zu Ende. Dieser Satz besteht aus zwei syntaktisch gleichgeordneten Einheiten, in denen jeweils eine infinitivische Ergänzung zu certum est das Kernstück bildet (malle pati; incidere). Charakteristisch für die Versgruppe ist eine gewisse Betonung des Vers anfangs, die in v.53 und v.54 dadurch entsteht, daß jeweils der im Enjambement stehende Ausdruck die syntaktische Einheit des vorangegangenen Verses abschließt und die von dort verbliebene Spannung löst: certum est in silvis inter spelaea

ferarum / malle pati sowie tenerisque meos incidere amores / arboribus1". Die Spannungsbögen überschreiten so zwar die Versenden, kommen aber am jeweils folgenden Versanfang sogleich zum Abschluß und übergreifen nicht wie in v.46-48 gleich mehrere Verse. Gallus unternimmt hier keinen Versuch mehr, das Verhängnis des insanus amor zu leugnen. Der Zustand des pati ist ihm mittlerweile eine Grundbefindlichkeit, die er durch einen Ortswechsel nur noch so erträglich wie möglich gestalten will. In silvis als Bezeichnung für diesen neuen Ort schlägt dabei zunächst einen bekannten Ton an, denn mit silvae enthält es das Schlüsselwort der bukoli-

135

So auch schon v. 50-51: quae sunt mihi condita versu / carmina.

v. 52-54

149

sehen Sphäre 136 . Die Verbindung mit dem folgenden inter spelaea ferarum jedoch macht klar, daß die silvae hier nicht mehr Bestandteil eines locus amoenus (im Sinne des programmatischen v.8) sein werden, sondern daß der Aspekt des Zivilisationsfernen, Wilden und Gefahrlichen der Wälder ins Zentrum rückt, der im Eklogenbuch zwar auch sonst gelegentlich auftaucht, jedoch nur in einer Nebenrolle. Aus der üblichen bukolischen Perspektive kommt die Wildnis nur gelegentlich als Randsphäre der vorwiegend domestizierten und freundlichen Natur in den Blick 137 . Gallus vollzieht eine Umdeutung, indem er diesen Rand zum Zentrum seiner Phantasie macht. Er will sich freiwillig unter die wilden Tiere (nicht mehr zu Ziegen und Schafen) begeben, um dort zu leiden (malle pati). Er will in zarte Bäume (teneris arboribus) seine amores hineinschneiden, womit nicht nur der Name der Lycoris gemeint ist: amores war schon in v . 6 und in v . 3 4 Bezeichnung für die in Dichtung bzw. Gesang übergehende Liebe des Gallus. Der Ausdruck teneris incidere amores ist also innerhalb der ins Rauhe und Wilde transformierten j/Zvae-Sphäre ein Ausdruck für Gallus' Absicht zu dichten. Gallus äußert seinen Wunsch zu dichten als Handlungsabsicht innerhalb dieser Sphäre, womit er Dichten und Handeln abermals als Einheit behandelt, sie jedenfalls nicht klar voneinander trennt 138 . Gallus will sich durch Dichten in der Einsamkeit Linderung verschaffen; dieses Dichten (und hier liegt der Hauptunterschied zum bukolischen Sänger) wird jedoch kein Singen in einem Responsionsverhältnis mit den silvae im Sinne des v . 8 sein. Vielmehr nennt Gallus das Mitteilen seiner amores an die

136

Die Reminiszenz wird verstärkt durch die Nachbarschaft zu dem in v.51 unmittelbar vorhergegangenen avena, das ebenfalls Symbolcharakter hat. 137 Ein Beispiel wäre ecl. 5,27-28: Daphni, trnrn Poenos etiam ingemuisse leones / interitum montesque feri silvaeque loquuntur. 138 Die einzige vergleichbare Stelle im Eklogenbuch ist ecl. 5,13-15 (Mopsus: lmmo haec, in viridi nuper quae cortice fagi / carmina descripsi et modukms altema notavi, / experiar). Zu den wahrscheinlichen literarischen Reminiszenzen in der Passage v. 50-61 vgl. Ross, S. 85-106, und R. M. ROSEN / J. FARRELL: Acontius, Milanion, and Gallus, TAPhA 116 (1986), S. 241-254 (von jetzt an zitiert als "ROSEN/FARRELL"; weiteres s.u. zu v. 58-61.) Die Partie ecl. 10, 50/52-54 wäre demnach eine Anspielung auf die Selbstdarstellung des Gallus als Akontios, der nach Kallimachos (Aitia 3, fr. 73,2 Pf.) die Worte Κυδίττη καλή in die Baumrinden ritzte. Dieser und den zu den folgenden Versen referierten Rekonstruktionen liegt die Annahme zugrunde, die Stelle in der 10. Ekloge und vergleichbare Stellen bei späteren Dichtern bezögen sich auf die Amores des Gallus als gemeinsames Vorbild. Zu v. 52-54 vgl. Prop. 1,18,21-22: a quotiens teneras resonant mea verba sub umbras, / scribitur et vestris Cynthia corticibus. Ross' Risum6 zu den Versen 50-54 (S.95: "He [sc. Gallus) first turns to pastoral poetry... , assuming the role of his own Acontius, to suggest the sympathetic response of a warm landscape to his unhappiness") stellt die Landschaft kaum richtig dar. Die Wärme ist um des Kontrastes zu den folgenden frigora willen hineinkonstruiert.

150

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

Bäume incidere. Der Kontrast dieses Verbums mit dem Attribut tenerislil) läßt die für die Handlung erforderliche Gewalttätigkeit spürbar werden. Die neue Phantasiesphäre stellt demnach einen Kompromiß- oder Syntheseversuch zwischen der bukolischen Sphäre mit ihrer ausschließlich gütigen und beschützenden Natur einerseits (an die nochmals das Schlüsselwort silvae erinnert) und dem Phantasiekomplex "Kriegsdienst und feindliche Natur" (vv. 44-49) andererseits dar. Die Tiere sind wilde Tiere, und die Hoffnung, die Natur möge den insanus amor mittragen und an ihm teilnehmen (crescent illae, crescetis, amores), ist nicht mehr ohne die Voraussetzung der gewaltsamen Handlung des incidere möglich140. Gallus' abschließender Gedanke an ein Wachsen der Liebe ist bereits Anzeichen eines erneuten Umschwunges in seiner Phantasie. Im Blickfeld steht nicht mehr der Wunsch nach Linderung und Bewältigung der Liebe, sondern mit einemmal wieder die Vorstellung, die Liebe könnte sogar noch wachsen. Ähnlich wie in v. 42-43 (hic mollia prata, Lycori) drängt sich wieder die übermächtige Liebesthematik in die Phantasie hinein, die eigentlich gerade von der Hoffnung auf ein Erträglichmachen der Liebe getragen war. Das Scheitern auch dieser Phantasie ist bereits abzusehen.

v. 55-57:

interea mixtis lustrabo Maenala Nymphis aut acris venabor apros. non me ulla vetabunt frigora Parthenios canibus circumdare saltus.

Eine weitere Fortsetzung des Handlungsplans: Mit lustrabo nimmt Gallus die Verbform der ersten Person Singular des Futurs von v. 50-51 (ibo; modulabor) wieder auf. Auf die in v.53 (malle pati) geäußerte Phantasie von einer bestimmten, Linderung versprechenden neuen Lebensform folgt nun die Imagination verschiedener Einzelhandlungen im Rahmen dieser Lebensform. Das Vorhaben zu dichten tritt in den Hintergrund gegenüber der übermächtig werdenden Absicht, die auf neue Weise wahrgenommene Sphäre der silvae

Tener ist ein eingeführtes bukolisches Attribut; vgl. die tenera virgulta in v.7, wo die so bezeichnete Qualität den Ziegen einen besonderen Genuß innerhalb der zum locus amoenus erhöhten bukolischen Natur ermöglichte. Belege und Beziehungswörter im Eklogenbuch: ecl. 1,8 (agnus), 1,21 (fetus), 2,51 (lanugo), 3,103 (agnus), 6,34 (mundiorbis), 7,6 (myrtus), 7,12 (harundo), 8,15 (herba), 10,49 (planta). 140 Des Kontrastes halber sei an den programmartigen Vers ecl. 1,4 erinnert (tu, Tityre, lentus in umbra / formosam resonare doces Amaryllida silvas). Gallus dagegen - alles andere als lentus - müßte den Wäldern seine amores förmlich aufzwingen.

V. 5 5 - 5 7

151

zusammen mit Nymphen oder auf der Jagd zu durchstreifen141. Auf dem Wege über die cerium «/-Konstruktion der vv. 52-53 und die Futurformen crescent und crescetis in v.54 ist die Dichtungsabsicht unvermerkt endgültig in die Handlungsabsicht übergegangen. Auf seinen anfanglichen Entschluß hin, als Dichter eine dichterische Antwort auf sein Leiden zu finden, verliert Gallus sich wieder in zunehmendem Maß in Handlungsphantasien. Der Ort der Phantasie (v.55) ist wiederum (siehe schon v.15) der Maenalus, wodurch ein Bezug zum arkadischen Lokal der bukolischen Einleitungsszenerie des Liedes im Lied hergestellt wird. Der Wunsch des Gallus, sich auf einer wilden optißaaia in die Gesellschaft der Nymphen zu begeben, klingt wie eine ferne Erinnerung an die Musen-Nymphen-Thematik, an die puellae Naides des Eingangsteils. Die Nymphen sind aber in v.55 tatsächlich nur als Naturwesen gesehen; ihre mögliche Funktion als Musen spielt hier keine Rolle mehr. Statt dessen setzt in v.56 mit der Idee aut actis venabor apros eine ganz neuartige Vorstellung ein, in der Gallus sich jetzt in der Wildnis als Jäger imaginiert. Wollte Gallus noch in v.53 in der wilden Natur (inter spelaea ferarum) bloß leiden (pati), plant er jetzt, aktiv zu werden. Mit der Verschiebung von der freundlich-bukolischen zur wilden Natur geht im Ablauf des Monologs die von der Hirten- zur Jagdphantasie einher. Das aut zu Beginn von v.56, das ohne ein korrespondierendes Gegenstück bleibt, markiert den erneuten unvermittelten Phantasieumschwung. An dieser Stelle läßt sich besonders deutlich der Unterschied der Versstruktur dieses Monologteils zum bukolischen Versschema erkennen. Setzt man nämlich versuchsweise auch im ersten Glied ein aut ein (was metrisch problemlos möglich wäre), wodurch eine Art bukolisches Schema mit aut als Wiederholungswort (wie z.B. in v.36) entstünde, wird der ganze Unterschied sichtbar: In interea aut mixtis lustrabo Maenala Nymphis / aut acris venabor apros wirkte der gesamte Gedankengang wie von vorneherein feststehend; das erste aut verwiese bereits auf das zweite und machte den ersten Gedanken von Anfang an als eine von mehreren Alternativen kenntlich. Der Leser bzw. Hörer dieser dem Typus nach bukolischen Verse würde gewissermaßen Zeuge einer allmählichen Enthüllung dessen, was für den Sprechenden schon in jedem Augenblick seines Sprechens feststand. Das nur einmalige aut jedoch läßt den Leser / Hörer in ganz anderer Weise zum Zeugen einer jeweils aktuellen Gedankenentwicklung, zum Zeugen der Entstehung einer echten Alternative werden (s. auch unten, Anm. 143). Der Beginn von v.56 fingiert den Augenblick, in dem bei Gallus die Jagdidee tatsächlich entsteht: Das Fortschreiten der Rede entlang der Zeitachse bildet tatsächlich das Fortschreiten der vorher

141 Zur Rekonstruktion, hier werde auf ein Milanion-ecemplum des Gallus angespielt (so v.a. Ross sowie STROH 1989), s. unten zusammenfassend Anm. 145.

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

152

ungeplanten gedanklichen Vorwärtsbewegung mit all ihren unvorhersehbaren Phantasieumschwüngen ab 142 . Das bukolische Schema mit seinen Wiederholungswörtern dagegen ist Bestandteil eines poetischen Kosmos, in dem es derart krasse Umschwünge und Überraschungen gar nicht geben kann. Im Vergleich zum freien Phantasieren des Gallus wirkt dieser bukolische Kosmos statisch und wie vorgeordnet. Im folgenden Satz (v. 56b-57: non me ulla vetabunt /frigora Parthenios canibus circumdare saltus) findet die Phantasie von der Eberjagd ihre Fortsetzung. In den Blick kommt zunehmend wieder die Landschaft. Fragmente aus verschiedenen Teilen des Gedichts scheinen momentweise auf: Die geographische Situierung soll (Parthenios saltus) nach wie vor in Arkadien sein; saltus selbst ist eine Reminiszenz an nemora und saltus aus v.9, frigora dagegen ein Element aus der Lycorisphantasie (v.47 und 48). Teil des Motivkomplexes "feindliche Natur". Die Jagdphantasie stellt demnach einen Integrationsversuch dar: Die arkadischen Berge, diesilvae mit ihren Nymphen, die feindliche Natur (frigora) und die Aggressionsthematik sind in ihr zu einem Komplex verschmolzen. Gallus' Phantasie versucht nach dem Zerbrechen der ideal-bukolischen Idee (v.43) unablässig, etwas davon zu restituieren und doch noch die Widersprüche zur Synthese zu bringen, die nun aufgebrochen sind. Das Ergebnis ist eben jenes völlig veränderte Arkadien: ein rauhes, kaltes Gebirgsland - ein Schauplatz für Gewaltphantasien. Gallus' Kontakt zur bukolischen Ausgangssphäre ist nicht vollständig abgerissen, sondern er versucht jetzt, diese in seinem Sinne zu transformieren und ihre rauhen und wilden Randbereiche zu seinem Aktionszentrum zu machen. Die Jagdidee ist der Versuch, die quälende eigene Passivität zu überwinden und sie zumindest in der Phantasie in Aktivität zu verwandeln. Bislang war Gallus in ecl.10 durchgängig von dieser Passivität gekennzeichnet: Er selbst deutet mit pati in v.53 darauf hin. In der Kriegsphantasie fand Gallus sich unvermittelt dem Beschüß von Feinden ausgesetzt (tela inter media atque adversos detinet hostis; v.45), ja dort geradezu festgehalten. Auch die vorhergegangene ideal-bukolische Arkadienphantasie war eine Phantasie von passiver Glückseligkeit, und schon in v. 14 wurde Gallus als passive, liegende Figur ins Lied eingeführt. Die Einleitung der Jagdphantasie (non me ulla vetabunt...) negiert nun das Zurückgehaltenwerden und erinnert so daran, daß

142

F. CUPAIUOLO, La decima egloga di Virgilio, un problema senipre aperto. Cultura e scuola 20 (1981), S. 50-59 (dort: S.55): "... l'egloga decima έ tipico esempio di narrazione progressiva, che accompagna l'azione ο che coincide con essa, alia maniera della poesia alessandrina". Damit bringt er die typologische Einordnung von ecl. 10 in Verbindung, die das Prooemium der Berner Scholien vornimmt: Haec ecloga non proprie bucoticon. Hoc genus

carminis ίξη-γητικόν dicitur vel ίπαγγίλτικόν.

v. 5 5 - 5 7

153

dieser Phantasieabschnitt der Versuch ist, sich aus dem Zustand der Bewegungsunfähigkeit zu befreien. Ein Signal für die Freiheit, die Gallus für einen Augenblick gewonnen zu haben glaubt, ist das aut zu Beginn von v.56: Es suggeriert eine Wahlfreiheit, einen neuen Bereich ungeahnter, unbegrenzter Möglichkeiten, in deren Besitz sich Gallus für einen Augenblick wähnt 143 . Ein Zeichen der als Gegenbild zur quälenden Passivität gewünschten Aktivität ist auch die Tatsache, daß Gallus sich jetzt freiwillig der Gefahr der frigora aussetzen will. Mit der Hintanstellung der Behinderungen und Hemmungen und dem Gewinn einer neuen Freiheit geht in den w . 55-57 eine Erweiterung des Gesichtskreises einher. Eine mit Realitätsattributen ausgestattete Landschaft wird zum Schauplatz der Phantasie. Nach der seltsamen Ortlosigkeit der Kriegsphantasie (v. 44-45) versucht Gallus nun (schon seit v.52), wieder eine Ortsbestimmung für sich vorzunehmen - in v.52/53 zunächst durch die all-

gemeine Bezeichnung einer Sphäre (in silvis, inter spelaea ferarum); Maenala (v.55) und Parthenios... (saltus) (v.57) grenzen dann deutlich den geographischen Raum ein. Ein Wandel in Gallus' Selbstwahrnehmung und -darstellung bahnt sich durch die Hereinnahme von Bewegungsverben an: Die Handlungen lustrabo (v.55) und auch canibus circumdare saltus (v.57) setzen eigene Bewegung voraus. Die zunehmende Lokalisierung der Phantasie geht also mit der Vorstellung von zunehmender eigener körperlicher Bewegung einher. Gallus bringt in der ganzen Partie seinen Wunsch zum Ausdruck, sich nunmehr das arkadische Terrain, in dem er sich seit der Eingangsszene in einer gewissen Kontinuität offenbar immer noch befindet, aktiv anzueignen. Er greift in der Partie ab v.50 Elemente der von der bukolischen Dichterinstanz in der Eingangspartie konstruierten Szenerie auf, nimmt sie (als seine derzeitige Umgebung) ernst und versucht zunächst, diese Szenerie zum Schauplatz seines eigenen Leidens und Dichtens in der Wildnis werden zu lassen. Die Phantasie vom Leben in der wilden Natur verselbständigt sich dann jedoch zusehends in der Idee von eigener, ungehinderter, freier Handlung und Bewegung in dieser Wildnis, die in der Jagdphantasie gipfelt.

Das Enjambement zwischen v.56 und v.57 (non me ulla vetabunt /frigora) entspricht dem zu v. 50/51, 52/53 und 53/54 beschriebenen Typus, bei dem eine im ersten Vers (hier mit ulla) erzeugte syntaktische Spannung mit dem ersten Wort des zweiten Verses aufgelöst wird (s.o., S. 148). (Eine zusammenfassende Erörterung der metrisch-syntaktischen Erscheinungen von v. 50-60 folgt am Ende des Abschnitts; s.u., S. 161-162).

143 Ein (metrisch gleichwertiges) atque anstelle des aut brächte die aktive Vorwärtsbewegung zum Stillstand.

154

v. 58-61:

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

iam mihi per rupes videor lucosque sonantis ire, libet Partho torquere Cydonia cornu spicula - tamquam haec sit nostri medicina furoris, aut deus ille malis hominum mitescere discat.

Die Perspektive der Phantasie schwenkt nun v o m Futur ins Präsens (iam mihi... videor). Einerseits k o m m t damit die gegenwärtige Übermacht und Realitätsartigkeit der Phantasie zum Ausdruck, andererseits aber liegt in videor das Eingeständnis, daß die Phantasie eben nur Phantasie ist. Das einleitende iam ist Anzeichen der Plötzlichkeit, der etwas unverbindlichen leichten Abrufbarkeit und damit auch schon der Flüchtigkeit der folgenden Phantasie. Was Gallus äußert, ist also nicht mehr wie noch in v . 5 8 ein Plan (im Futur), sondern hat sich in eine bereits manifest als solche durchschaute Phantasievor-

stellung (mihi videor) gewandelt. Im E n j a m b e m e n t zu Beginn von v . 5 9 steht ire, das allgemeinste und unspezifischste Verb der Bewegung, als Inbegriff aller Bewegungswünsche und Fluchtideen des Gallus. Abermals sollte man sich hier an die anfangliche Position des Gallus (iacens) erinnern. Besonders nahegelegt wird diese Reminiszenz durch den direkten Anklang an die Ausgangssituation des Gallus (sola sub rupe; v . 1 4 ) in per rupes (v.58), der ein weiteres Anzeichen für Gallus' Versuch ist, die von der Dichterinstanz des Gesamtgedichts vorgegebene Ausgangsszenerie produktiv umzubauen, sie zum Schauplatz eigener Aktivität (symbolisiert durch die Jagd) werden zu lassen und so das Ausgeliefertsein zu überwinden. In auffälliger Assonanz folgt im neuen Satz libet auf das Bewegungsverb ire. Die Jagdphantasie des Gallus gipfelt hier in einer glück- und rauschhaften Vergegenwärtigung der Lust und Befreiung, die das Jagen in der Wildnis verspricht, und (mit der Wortwahl libet) in einem eindeutigen Bekenntnis zu dieser Lust. Die Einsicht in die Selbsttäuschung, die sich in mihi videor angedeutet hatte, hat sich bei Gallus noch nicht wirklich durchgesetzt. In seiner momentweisen Vergegenwärtigung und Beschwörung eines Glückszustandes ähnelt der Schluß der Jagdphantasie den vv. 42-43, dem Gipfel-und Endpunkt der bukolisch-arkadischen Phantasie. Dort war diese Beschwörung sprachlich durch das vierfache hic hergestellt; hier hat das Verb libet, das für einen Augenblick die Lust fast wie tatsächlich gegeben und präsent wirken läßt, die nämliche Funktion. Inhalt der lustbetonten Phantasie ist jetzt nicht mehr bloße Bewegung wie bisher (in ire und lustrare). Gallus imaginiert jetzt vielmehr die tatsächliche Jagdaktivität, das Schießen mit Pfeil und Bogen (Partho torquere Cydonia cornu / spicula). Er bekennt sich zur aggressiven Komponente seiner Jagdphantasie. Der Kreis zur anfänglichen Kriegsphantasie schließt sich hier;

Gallus hat nun seine anfängliche Ausgeliefertheit tela inter media atque adver-

v. 58-61

155

sos... hostis (v.45) umgekehrt. In seiner Phantasie hat er sich selbst die Geschosse angeeignet und ist zum Schützen geworden. Auf der lautlichen Ebene ist in den vv. 58-60 die Verteilung der Vokale bemerkenswert. Am Versanfang stehen jeweils eher helle, und im weiteren Fortgang des Verses häufen sich dunkle: iam mihi per rupes videor lucosque

sonantis / ire, Übet Partho torquere Cydonia comu / spicula. Die Helligkeit der i- und e-Laute an den Versanfängen von v.58 und v.59 (v.a. ire, libet) könnte man als Zeichen der in der Phantasie vorübergehend gefundenen Aufhellung, von Erleichterung und Befreiung deuten, die jeweils nachfolgende Verdunklung des Vokalismus als Ausdruck einer Betonung des Rauhen und Wilden sowohl im Naturambiente als auch im Jagdvorgang selber. Die dunklen, volltönenden Versschlüsse lassen sich als Ausmalung der besonderen Klangqualität der lud sonantes verstehen, wobei die neuentdeckte Jagdlust eine Richtung hin nach dem Dumpfen und Wilden erhält. In v.59 fällt die plötzliche Häufung von gesuchten landschaftsbezeichnenden Adjektiven auf. Die Fernbeziehungen von Partho (vor der Penthemimeres) zu comu (am Versende) und von Cydonia zu spicula (im Enjambement) sind miteinander verschränkt; am Versende alliterieren die syntaktisch nicht zusammengehörenden Wörter Cydonia cornu. Die Jagdutensilien (Pfeile und Bogen) sind jeweils mit einem herkunftsbezeichnenden Epitheton 144 versehen: An der Stelle, an der sich die Jagdphantasie bis zu ihrem Eigentlichen, dem Vollzug des Schusses, steigert, ist in der Rede des Gallus ein gewisses Abgleiten ins Preziöse und fürs Handeln Unwesentliche zu beobachten 145 . Die

144

Cydonia (Κυδωνιά) ist das heutige Chania in Nordwestkreta. Zum Ruf kretischer Bogenschützen vgl. Aen. 4,69-71: (sc. Dido) urbe furens, qualis coniecta cerva sagitta, / quam procul incautam nemora inter Cresia fixit / nescius und Aen. 12,856-858 (Gleichnis für die zum Verderben der Iuturna herabfahrende Dira): non secus ac nervo per nubem impulsa sagitta, / armatam saevi Parthus quam feile veneni, / Parthus sive Cydon, telum immedicabile, torsit. Vgl. auch Hör. c. 4,9,17-18 (primusve Teucer tela Cydonio / direxit arcu). 145 Ross (S. 90-92) nimmt ein Μ i I aniοn-exemptum in den Α mores des Gallus als gemeinsame Quelle für ecl. 10,55-61, Prop. 1,1,9-16 und Ovid ars am. 2,185-196 an. (Vgl. CONTE 1980; s.o., S.58; STROH 1989, S. 53-62.) Properz (1,1,11) hat den Ortsnamen Partheniis... in antris, Ovid (ars am. 2,193) Maenalias... silvas. Kontext ist jeweils der Milanion-AtalanteMythos, der nach Ross (S.91) bei Gallus eine programmatische Funktion gehabt hat. Ross sieht Parthenios... saltus (v.57) als Anspielung auf Parthenius, und er faßt den Gehalt der Verse 55-61 wie folgt zusammen (S.95): "... as Milanion he will withdraw to a wilderness, while in propria persona as poet he will write Parthenian, 'scientific' poetry, poetry of mythological truth or abstract universality. Suddenly, however, the reality of personal loss comes home to him again". ROSEN/FARRELL verweisen zusätzlich auf Kallimachos, Hymn. 3,81-89 (In Dianam; Bitte der Artemis an die Kyklopen, ihr "kydonische" Jagdwaffen herzustellen, und Erfüllung dieser Bitte) als mögliche Vorbildstelle bereits für Gallus und versuchen, eine Verbindung zwischen dieser "Milanion-Partie" und der vorhergegangenen Akontios-Partie (v. 52-54; s.o., Anm. 138) zu rekonstruieren. Grundlage des Stellenvergleichs sind

156

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

praktische Brauchbarkeit der Gegenstände ist wohl gar nicht das leitende Kriterium bei der Auswahl der Epitheta146, sondern vielmehr deren literarisches Eingeführtsein 147 . Der Befreiungsplan, die von hoher Lust bestimmte, aus dem Vorhaben der w . 50-51 hervorgegangene Jagdphantasie kommt mit dem Abbruch nach spicula im Enjambement des v . 6 0 wieder zum Erliegen. Gerade in dem

zunächst auffällige Parallelen der Ortsepitheta mit denen in ecl.10. Bei Kallimachos steht Κυδώνιον... τό{ο^(ν.81; ecl. 10,59-60: Cydonia... spicula), λύγκος... / ΜαιίΌτλίης (v.88-89; eel. 10,55: interea mixtis lustrabo Maenaia Nymphis). Darüber hinaus weisen Kallimachos' vv.

87-88 (αιψα &' tri σκύλακας πάλιν ήκς· Uto 6' αύλιν / ' Αφκαδικην t-κι Παρός.) und ecl. 10,57 (Parthenios canibus circumdare saltus) Ähnlichkeiten auf. Auffällig ist jeweils das kretische Κυδώνιοκ/Cydonia im arkadischen Kontext (ROSEN/FARRELL, S. 245-246). Gallus könne so zugleich als "devotee of the goddess" (sc. Artemis; ROSEN/FARRELL. S.246) und als "follower of Callimachean poetics" (ibid.) dargestellt werden. Die Entwicklung von der Akontios- zur Milanionthematik symbolisiere den Wunsch des Gallus "to come to terms with his erotic passion through personal devotion to the chaste Diana" (ROSEN/FARRELL, S.250), was die Autoren mit der Annahme etymologisierender Sprachverwendung zu erhärten suchen: "The progression of Arcadian epithets from Maenaia to Parthenios stands for Gallus' passage from a life of amatory furor (μανία, μαίνομαι ~ Μαίμαλα) to one of renunciation (ταρϋί η α = Parthenios)" (I.e.); vgl. schon G. DOIG, Vergil's Art and the Greek Language, CJ 64 (1968/69), S. 1-6 (dort: S. 5-6). Auf J. HUBAUX (Les thfcmes bucoliques dans la po6sie latine. Bruxelles 1930, S.96, A n m . l ) geht die Vermutung zurück, die Wahl des Ortsnamens Parthenius sei schon eine Hommage des Gallus an seinen Freund Parthenios von Nikaia gewesen (vgl. Ross, S. 63-64, Anm.5 u. S.96, Anm.l). Darüber hinaus nehmen ROSEN/ FARREI.L an. Cydonius sei eine Anspielung zurück auf die vorausgegangene "Akontios-Partie", da nach Aristainetos (1,10) Akontios das Gelübde, das Kydippe vorlesen sollte, in ein KuSöicioc μήλον (eine Quitte; vgl. S. DÖPP, Μήλον Κυδώνιον |Malum Cydonium] - Quitte oder Apfel?, Hermes 123 11995], S. 341-345) einritzte. Außerdem sei der Saft der "kydonischen" Quitten auch als Heilmittel gegen Pfeilgift verwendet worden (Belege bei Theophrast Hist. PI. 2,2,5; Nikander. Alexipharmaka 234-235) und Cydonia berühmt "as a source both of excellent hunting equipment and of medicine for wounds inflicted by such weapons" (vgl. auch schon DOIG, I.e.). Auch in Aen. 12,858 (s.o., Anm. 144) stehe Cydon in unmittelbarer Nähe zu einem Wort, das sich auf Heilung beziehe (immedicabile)\ vgl. auch B.W. BOYD, Cydonea mala·. Virgilian Word-Play and Allusion, HSPh 87 (1984), S. 169-174. ROSEN/FARRELL, S. 251-252: "In Üie amatory context of Ecl. 10. both ideas also refer to Gallus' futile hope that hunting with Cydonian gear will prove to be a medicina furoris, a remedy for his lovesickness." Schließlich sei Vergils Veränderung vom kallimacheischen τόξον zu spicula von der Absicht bestimmt, nochmals auf den Namen des Akontios (spiculum = άκων) anzuspielen (ROSEN/FARRELL, S.252). 146 Dem Artikel "Jagd" von F. ORTH (RE IX, Stuttgart 1916, Sp. 558-604) ist etwa zu entnehmen, daß der griechische Bogen "aus dem Gehörn eines wilden Geißbocks" wesentlich kostbarer war als der aus Holz gefertigte parthische (I.e., Spalte 574). "The best gear" als Ausrüstung zu haben (so COLEMAN, ad loc.), ist also nicht Gallus' oberstes Ziel. 147 COLEMAN, ad loc., bemerkt zu Parthos: "the adjective may be evocative rather than objective" und führt als Beispiel für eine derart "evokative" Verwendung eines Ortsadjektivs Hyblaeis apibus (ecl. 1 , 5 4 ) an. FORBIGER (ad loc.) zu den beiden fraglichen Attributen: "Parum quidem apte Virgilius coniungit Parthicum arcum cum sagittis Cretensibus".

v. 58-61

157

Augenblick, in dem die Phantasie mit dem Pfeilschuß den Höhepunkt erreichen sollte, bricht sie in sich zusammen148. Im Rückblick wird deutlich, wie zweischneidig auch das Verbum übet (v.59) bereits war: Die Lustbetonung war nach den vorhergehenden entschlossen im Futur zum Ausdruck gebrachten Handiungsabsichten (ibo, v.50; lustrabo, v.55; venabor, v.56) schon wieder ein Anzeichen für den Rückzug auf bloßes Wunschdenken und damit für die Aufgabe des Handlungsplans. In der Folge (tamquam haec sit nostri medicina furoris) erklärt Gallus in v.60 seinen Handlungsplan beziehungsweise seine Phantasie ausdrücklich für gescheitert. Auf die fortschreitende Enthüllung des Phantasiecharakters der zwischendurch fast zur Realität gewordenen Jagdidee folgt die Erkenntnis, daß das Jagen ohnehin (auch wenn es verwirklicht worden wäre) nur eine Ersatzhandlung hätte sein können, die nichts an dem Liebesleiden geändert hätte, das hier mit furor (vgl. schon v.38) erneut ins Spiel kommt. Zugleich widerruft Gallus damit das Dichtungsvorhaben des v.50, aus dem ja die Jagdidee hervorging. Dieser Abbruch der Jagdphantasie ist mit den beiden bereits vorhergegangenen Abbrüchen zu vergleichen, nämlich dem der arkadischen Phantasie (dem Übergang von v.43 zu v.44) und dem der Phantasie von Lycoris im kalten Norden (dem Übergang von v.49 zu v.50)' 49 . Er wirkt durch den Übergang mit dem reflektierenden tamquam bewußter und kontrollierter als die vorhergegangenen. Gallus stellt den neuen Abbruch durch einen eigenen gedanklichen Eingriff her. Hier ist (anders als in v.44-49) kein Aufbäumen mehr, keine Verzweiflung angesichts einer plötzlich zerfallenen Illusion, keine hereinbrechende Realität, sondern eher eine Resignation, die das Unvermeidli-

148 An dieser Stelle sei das tragische Vorbild zur Jagdphantasie des Gallus zitiert (s.o., S.34), die Eingangsvision der im Liebeswahn befangenen Phaidra aus dem Hippolytos des Euripides (215-222: τίμτπτί μ' ϊς όρος• «Ιμι τρος üXac / και -καρά -κΐύκας, Ινα ϋηροφόνοι / οηίβουσι κύν(ς / βαλιαϊς (λάφοις ϊγχριμττόμβναι· / τρός üeiiv, ϊραμαι κνσι ύωυξαι / και παρά χαίταν ^ανϋάν ρΐψαι / OeaaaXov όρτακ', ίτί\Cii> μίν kv wptai χύματι μίααφ / Έβρον ττάρ ποταμό »< πτραμμίνος eyybötv Άρκτω, / tf Si dipti τυμάτοισι παρ' ΑίΛότίσσι ρομέύοις / τίτρφ ϋτο Βλίμύων, öötv οϋκίτι. Νίΐλος ορατός.

168

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

einfache Zeitangabe ("mitten im Winter") sein 1 6 7 . Darüber hinaus ist es nicht unplausibel, mediis

nicht als bloß temporal, sondern w i e bei tela inier

media

in der Kriegsphantasie als Ausdruck für schutzloses Ausgeliefertsein an eine feindliche U m g e b u n g zu verstehen (mitten im feindlichen Geschoßhagel bzw. mitten in der Kälte). Die schon im Zeichen der N e g a t i o n stehenden vv. 6 5 - 6 6 enthalten eine Phantasie des freiwilligen Sich-Aussetzens 1 6 8 . D i e schonungslose Unmittelbarkeit dieses Naturkontaktes wird in v . 6 5 dadurch besonders sinnfällig, daß Gallus die Wendung "den Hebrus trinken" 169 wählt, die die Vorstellung einer Einverleibung enthält. Die A u f n a h m e v o n medius

und das

durchgängige / n g o r a - L e i t m o t i v legen es nahe, Gallus' Idee, sich freiwillig Labores auszusetzen, immer auf die Kriegsphantasie aus v. 4 4 - 4 5 zurückzubeziehen und als seinen Versuch zu interpretieren, das Gefühl v o n enormer Bedrohtheit und v ö l l i g e m Ausgesetztsein durch aktiv herbeigeführtes Leiden nachträglich unter Kontrolle zu b e k o m m e n . Hier in v. 6 5 - 6 6 allerdings hat er die Vergeblichkeit dieses Vorhabens schon erkannt. Z u m Eindruck der Einsamkeit des Gallus trägt in v. 6 5 - 6 6 die Tatsache bei, daß in seiner Thra-

167

FORBIGER, ad loc., paraphrasiert den Ausdruck mit media hieme und verweist für die Metonymie frigus = Winter auf ecl. 2,22 (lac mihi non aestate novum, non frigore defit) und 5,70 (ante focum, si frigus erit; si messis, in umbra), für die Verwendung von medius bei Zeitangaben auf Georg. 1,297 (medio aestu), 3,154 (mediis fervoribus) und 331 (aestibus... mediis) sowie auf Aen. 4.310-311: 'et mediis properas Aquilonibus ire per altum, /crudelis ?'. 168 Das Verbuni subire steht entweder im Zusammenhang mit einer auferlegten Strafe (Lex XII tab., tab. VIII, 3: Manufustive si osfregit libero CCC, si servo CL poenam subito), oder es bezeichnet tatsächlich das freiwillige Aufsichnehmen von Mühsal (z.B. Cie. Sest. 139: subeundae saepe sunt pro re publica tempestates-, Verr. 5,182: inimicitiae sunt, subeantur; Liv. 24,31,1: otrmem se cum Ulis fortunam subituros; in elegischem Zusammenhang Tib. 1.4,47: nec te paeniteat duros subiisse labores.) ,6 ' Vgl. ecl. 1,62 (aut Ararim Parthus bibet aut Germania Tigrim); Aen. 7.715 (qui Tiberim Fabarimque bibunt). Bei späteren Dichtern ist diese Wendung recht häufig. Als Belege seien angeführt: Prop. 2,28 A, 17-18 (Ιο versa caputprimos mugiverat annos: /nunc dea, quae Niliflumina vacca bibit), Hör. c. 3,10,1-2 (Extremum Tanain si biberes, Lyce, /saevo nuptu viro); c. 4,15.21-22 (non qui profundum Danuvium bibunt / edicta rumpent lulia); epist. 1,18,104-106 (me quotiens reficit gelidus Digentia rivus, / quem Mandela bibit, rugosus frigore pagus, / quid sentire putas?); Ov. ars amat. 3,195-196 (sed non Caucasea doceo de rupe puellas / quaeque bibant undas, Myse Caice, tuas); Her. 12,9-10 (cur umquam Colchi Magnetida vidimus Argo, / turbaque Phasiacam Graia bibistis aquam?); Trist. 5,3,21-24 (nec patria est habitata tibi, sed adusque nivosum / Strymona venisti Marticolamque Geten, / Persidaque et lato spatiantem flumine Gangen, / et quascumque bibit decolor Indus aquas.) Die Ersetzung von "sich in einer bestimmten Gegend befinden" durch "einen bestimmten Flu/) trinken" findet sich vorwiegend bei der Charakterisierung entlegener Gegenden und exotischer, barbarischer Völker. Ovid benutzt das Bild auch bei der Beschreibung der Unterwelt (ex P. 2,4,23-24: non ego, si biberes securae pocula Lethes, / excidere haec credam pectore posse tuo sowie Trist. 4,1,47: utque soporiferae biberem si pocula Lethes, / temporis adversi sie mihi sensus abest.)

v. 64-69

169

kienphantasie nur fremde Landschaften, nicht aber fremde Völker, also überhaupt keine menschlichen Gegenüberfiguren vorkommen. In der Kriegsphantasie wähnte er sich Feinden gegenüber; in der Wald- und Jagdphantasie wünschte er sich Nymphen als Gefährtinnen. Hier in Thrakien imaginiert er sich jetzt wie Lycoris in v. 46-49 als völlig allein in einer menschenleeren und feindlichen Landschaft. Das Bild der thrakischen Landschaft enthält gewisse irreale Elemente: Der Gedanke, das (dann notwendigerweise flüssige) Wasser des Hebrus zu trinken, verträgt sich nicht gut mit dem Ausdruck frigoribus mediis, bei dem man ja eher an Eis und zugefrorene Flüsse denkt (vgl. v.49: glacies aspera nach frigora); ein ähnlicher Widerspruch herrscht in der Kombination hiemis aquosae110. Die Phantasie gewinnt so einen Hang ins Unwirklich-Überdrehte. Die feindliche Landschaft der Kriegsphantasie löste die bukolisch-arkadische Phantasie ab, besiegelte deren unwiederbringlichen Verlust und wurde selbst wiederum zum Ausgangspunkt für die wilde Natur der Jagdphantasie. Die Schnee- und Eisregion des germanischen Nordens war die Landschaft, in der Gallus Lycoris aus den Augen verlor (worauf zunächst in den vv.50 ff. sein Versuch einer Selbstbesinnung folgte). Die Tatsache, daß nun hier in v. 65-66 gezielt eine andere Schnee- und Eisregion171 evoziert wird, zeigt, wie sehr Gallus sich in seiner Gedankenbewegung mittlerweile von Lycoris gelöst hat. Ihr Name, der in v.2 über dem Gedicht stand, fallt nicht mehr, und eine Rückkehr in die nördliche, assoziativ mit Lycoris verbundene Region der vv. 46-49 ist nicht mehr denkbar. Die Tendenz des Gallus zu gelehrt-preziöser Namengebung bleibt ungebrochen. Sithonius172 für Thracius setzt die Reihe z.T. entlegener fremdländischer Ortsnamen fort, wodurch sich die Schlußpartie stilistisch mit der Dicht- und Jagdphantasie zusammenschließt. Dies unterscheidet sie sowohl von der bukolischen (v. 31-43) als auch

170 COLEMAN, ad loc., nennt aquosae "strictly inconsistent with nives". Unbedingt zitierenswert ist die Bemerkung von FORBIGER. ad loc., dazu: "Ceterum quod hiems aquosa iuxta nives minus apte commemoretur, Io. Schräder, tentabat Haemi subeamus aquosi. Sed recte Wagn. censet, nihil esse mutandum, etsi auctor erroris culpa liberari non possit; nam nives convenire hiemi Sithoniae, aquosam contra Italiae hiemem, quare hoc apud Latinos poetas ornans sit hiemis epitheton. ... Dormitasse autem interdum vel optimos scriptores inter omnes constat." 171 Mit Thrakien verbinden sich mythologische Konnotationen, da es Schauplatz von Orpheus' Leiden und Tod ist. Vgl. Georg. 4,460-463 (nach Eurydices Tod): "at chorus aequalis Dryadum clamore supremos / implevit montis; flerunt Rhodopeiae arces / altaque Pangaea et Rhesi Mavortia tellus / atque Getae atque Hebrus et Actios Orithyia" und 4,523527: "tum quoque marmorea caput a cervice revulsum / gurgite cum medio portans Oeagrius Hebrus / volveret, Eurydicen vox ipsa et frigida lingua, la miseram Eurydicen! animafugiente vocabat: / Eurydicen toto referebant flumine ripae." m Sithonia nix erscheint als geprägte Wendung später z.B. bei Hör. c. 3,26,10 (Memphin carentem Sithonia nive) und Ov. am. 3.7,8 (bracchia Sithonia candidiora nive).

170

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

von d e r Kriegs- und der Lycorisphantasie (v. 4 4 - 4 5 , 4 6 - 4 9 ) : In der ersten finden sich nur die aus Vergils E k l o g e n b u c h bekannten bukolischen N a m e n , in der letztgenannten mit Alpinas und Rheni (beide v . 4 7 ) zwei mythologisch unbelastete und e h e r mit militärisch-politischen als mit literarischen Assoziationen b e h a f t e t e O r t s n a m e n . In klanglicher Hinsicht fällt in v . 6 6 die H ä u f u n g

von ί-Lauten auf: Sithoniasque nives hiemis subeamus aquosae. Bereits die T a t s a c h e , daß der Laut siebenmal in einem Vers w i e d e r h o l t w i r d , erzeugt einen E i n d r u c k von Schwerfälligkeit und N i c h t - v o r w ä r t s - K o m m e n ; außerdem ist eine P r ä f e r e n z f ü r das s in langen Silben zu b e o b a c h t e n : In Sithonias und nives ist es Teil einer naturlangen E n d u n g ; auch in aquosae steht es nach e i n e m langen V o k a l . In hiemis subeamus erzeugt das A u f e i n a n d e r t r e f f e n der zwei 5-Laute zusätzlich eine Positionslänge in der Endsilbe von hiemis. Vor P e n t h e m i m e r e s und H e p h t h e m i m e r e s stehen so ä h n l i c h k l i n g e n d e - i - E n d u n g e n (nives b z w . hiemis). Der V e r s r h y t h m u s erhält ein schleppendes Gepräge. Ein M o m e n t von Schwerfälligkeit als Ausdruck der Mühsal stellt sich dem eigentlich zu e r w a r t e n d e n Sprudeln des rein daktylischen Verses e n t g e g e n . Eine gewisse Parallelität zwischen den Verspaaren 6 5 - 6 6 und 67-68 (nec si.

cum moriens alta liber aret in ulmo, / Aethiopum versemus ovis sub sidere Cancri) wird a u ß e r durch das jeweils einleitende nec si auch noch durch den c h o r i a m b i s c h e n f r e m d l ä n d i s c h e n E i g e n n a m e n zu A n f a n g des jeweils zweiten Verses hergestellt ( v . 6 6 : Sithonias[que\\ v . 6 8 : Aethiopum). Die syntaktische Komplexität n i m m t im zweiten Verspaar mit d e m h i n z u k o m m e n d e n M o m e n t der H y p o t a x e (eingelegter cum-Satz in v . 6 7 ) g e g e n ü b e r d e m rein parataktischen ersten Paar v. 6 5 - 6 6 (-quel-que) zu. Die Hypotaxe in v. 67-68 ist nach der g l e i c h f ö r m i g e n Parallelität in v. 6 5 - 6 6 ein Steigerungs- und Zuspitzungsmittel. Z w e i gedankliche Ebenen w e r d e n gleichzeitig w i r k s a m . Der eingelegte CKwi-Satz e r h ö h t die S p a n n u n g , indem er den e r w a r t e t e n 5i-Satz bis in den nächsten Vers hinauszögert' 7 3 . Die B i n n e n s p a n n u n g im einzelnen Vers ist d u r c h die d o p p e l t e V e r b i n d u n g von Attributsperrung und C a e s u r gesteigert: In v . 6 7 sind zwei gesperrte A t t r i b u t - S u b s t a n t i v - V e r b i n d u n g e n , bei denen das Attribut v o r a n g e h t , miteinander v e r s c h r ä n k t (wobei das Attribut jeweils vor

einer Caesur steht: moriens [Uber] vor der Penthemimeres, alta [ulmo] vor der H e p h t h e m i m e r e s ; im v o r a n g e g a n g e n e n Vers 6 6 gab es mit hiemis... aquosae einen u m g e k e h r t e n Fall, bei d e m das Substantiv [vor der H e p h t h e m i m e r e s stehend] vorausging). Gallus setzt in seiner Phantasie nun der z u v o r imaginierten Reise in die e x t r e m e Kälte T h r a k i e n s eine in die e x t r e m e Hitze Äthiopiens

173 Um sich die höhere Strukturiertheit und stärkere logische Stringenz von v. 67-68 zu vergegenwärtigen, vergleiche man auch das cum des v.67, das den folgenden Satz klar als temporal definiert, mit dem unscharf schillernden, modal-temporal-lokalen Ablativ frigoribus mediis in v.65.

v. 64-69

171

entgegen. Der Bedeutungsgehalt "Sterben", der durch das Partizip moriens zu Beginn des Nebensatzes wieder ins Spiel kommt, verkörpert gewissermaßen die Essenz der vorgestellten Extremsituationen 174 . In dieser Extremphantasie tauchen nun - in Hinleitung zur folgenden Erinnerung an die Schafe in v.68 noch einmal Elemente aus der bukolischen Sphäre und Sprache auf, von der der Monolog ja seinen Ausgang genommen hat175. Aufschlußreich ist von hier aus ein Rückblick auf die Wald- und Jagdphantasie des Gallus, die ein Stück unbukolischen Sprechens zeigt. Die gattungsbezeichnenden, Kenntnis voraussetzenden Baum- und Pflanzennamen der bukolischen Partien blieben darin vermieden; vielmehr standen dafür ausschließlich generalisierende Begriffe (silvae in v.52, das allerdings in wiederum anderem Sinne ein Grundbegriff des Bukolischen ist, sowie arboribus in v.54). In bukoliktypisch anthropomorphisierender Weise (moriens™) stellt der cum-Satz des v.67 eine bukolische Welt im Sterbezustand vor. Die bukolische Reminiszenz dieses Nebensatzes ist in die Evokation des Hitzepols der Erde, Äthiopiens (nec si... / Aethiopum versemus ovis sub sidere Cancri), eingelegt177. Ferne, lebensfeindliche Weltgegenden sind als bukolisches Thema etwa aus ecl.l 178 durchaus geläufig, wo sie für nichtbukolische Orte standen, die der vertriebene Meliboeus im Kontrast zum locus amoenus des Tityrus für seine Zukunft erwartete. Das Bild von den vertriebenen Hirten, die mit ihren Schafherden zu den verschiedenen (jedoch gleichermaßen lebensfeindlichen) Weltenden ziehen, läßt dort die Unmöglichkeit und Absurdität einer Existenz für sie jenseits der

114

Der letzte (indirekte) Hinweis auf Tod und Sterben erfolgte in v.43 (hie ipso tecum consumerer aevo); die Kriegs- und die Jagdphantasie waren zwar voll von gefahrlichen, lebensbedrohlichen Szenen; explizit waren Tod und Sterben dort jedoch nicht erwähnt. 175 Die Kombination alta in ulmo (im Eklogenbuch eingeführtes Attribut und bukolischer Baumname) ist eine im Eklogenbuch einmalige Verbindung eingeführter bukolischer Wörter. Gallus geht mit dem bukolischen Sprachmaterial an dieser Stelle also durchaus noch einmal kreativ um. Die übrigen Belegstellen von ulmus im Eklogenbuch: ecl. 1,58; 2,70; 5,3, die von altus: ecl. 1,56 (alta sub rupe), 1,83 (altis de montibus), 4.7 (caelo... alto), 6,76 (gurgite in alto), 7,66 (in montibus altis), 8,86 ([per] altos... lucos). 176 V.67 ist in seiner Wortwahl eine direkte Reminiszenz an eine ganz bestimmte Stelle des Eklogenbuchs. In ecl. 7,57 schildert Thyrsis die sengende Sommerhitze, wahrgenommen als natürliches Pendant zur Abwesenheit der Geliebten Phyllis, wie folgt: Aret ager, vitio moriens sitit aeris herba. 177 COLEMAN, ad loc., vermutet in versemus eine Darstellung der ruhelosen Bewegung des Gallus: "the verb usually implies vigorous activity... , and is probably intended to suggest the desperation of the shepherd driving his flocks hither and thither in search of pasture." 178 V. 64-66 (Meliboeus): At nos hinc alii sitientis ibimus Afros, /pars Scythiam et rapidum cretae veniemus Oaxen / et penitus toto divisos orbe Britannos.

172

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

bukolischen Welt zur Anschauung kommen 179 . Wieso aber besitzen die Äthiopier in der Phantasie des Gallus plötzlich eigene Schafe 180 ? Wie kommt er auf die Idee, diese zu weiden? Will er etwa als fahrender Schafhirte um die Welt ziehen? In entstellter Form scheint hier nochmals das Motiv aus v. 35-36

durch (atque utinam ex vobis unus vestrique fuissem / aut custos gregis aut maturae vinitor uvae): In bukolischen Zusammenhängen ist Gallus von vorneherein der Außenstehende, der darauf angewiesen ist, eine fremde Herde zu weiden. Sein unheilbares Nichtdazugehören, das sich auch im Mißlingen des Vorhabens, bukolisch zu dichten, äußerte, führt hier zu der grotesken letzten Phantasie (wie kommt die typisch bukolische Ulme nach Äthiopien?), in völlig lebensfeindlicher Umgebung abermals anderen die Schafe zu weiden. Grotesk wirkt in v.68 die unerwartete Vermischung der beiden Phantasietypen, von denen sich Gallus Linderung oder Rettung versprach: des arkadischen Schafeweidens einerseits und der für Gallus spezifischen Idee, sich freiwillig Leiden, Gefahr und extremen Bedingungen auszusetzen, andererseits; grotesk wirkt auch die zum Schein getreue Ausführung des Vorschlags der Dichterinstanz

aus v. 17-18 (nec te paeniteat pecoris, divine poeta: / et formosus ovis ad flumina pavit Adonis)m. Am Ende der Welt trifft Gallus die Schafe an einem Ort wieder, an dem dies unmöglich ist, und dieser späte, ans Groteske streifende Reflex jener bukolischen Einladung schreibt die Unvereinbarkeit des Gallus mit der bukolischen Sphäre fest. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß das Bild von fließendem Wasser mit der Vorstellung einer thrakischen Schnee- und Eislandschaft (frigoribus mediis) nicht kongruiert, da der Fluß eigentlich zugefroren sein müßte 182 . Gallus evoziert in seiner Phantasie also ein Naturextrem, ist aber andererseits bemüht, dieses mit Hilfe der Vorstellung vom fließenden Wasser wieder zu einem Bild von versöhnlicherer Natur abzumildern (man denke an die gelidi fontes als Bestandteil der Idealnatur in

179 In ecl. 8,43-45 dient das Bild zweier extremer Weltgegenden (dort mit den Polen Thrakien und Libyen) der Charakterisierung des lebensfeindlichen Amor. Nunc scio quid sil Amor: nudis in cautibus illum / aut Tmaros aut Rhodope aut extremi Garamantes / nec generis nostri puerum nec sanguinis edunt. 180 V.A. ESTEVEZ, Pastoral Disillusionment: Ecloga 10, CB 38 (1962), S. 70-71 bietet (S.71) folgende Interpretation an: "He (sc. Vergil) places a traditionally pastoral occupation under the Aethiopian sun, and Cancer burns up trees and land. Cancer is nothing but the 'wasting disease' of amor." 181 An der Vorbildstelle bei Theokrit (id. 7,111-114, s.o., Anm. 166) ist die Verbindung des Pan (als der arkadischen Figur κατ' (ξοχήν) mit der Herde dagegen nicht unerwartet, der Wunsch, Pan mit der Herde nach Äthiopien zu versetzen, sarkastisch (etwa wie der Wunsch, jemanden dorthin zu schicken, wo der Pfeffer wächst), was gerade die Unmöglichkeit und Verderblichkeit des Vorgestellten beweist. 182 S.o., Anm. 170; vgl. P.-J. DEHON, Hiems latina (Coli. Latomus 219), Bruxelles 1993,

S.48.

v. 64-69

173

v . 4 2 ) . Ein ähnlicher Einschuß von Erinnerung an ein freundlicheres Naturbild ist auch das unerwartete Eindringen der Schafe 1 8 3 . Das Bukolische ist in Gallus' abschließenden Phantasien nur noch Mittel eines nicht gelingenden Abmilderungsversuchs. Die Natur bleibt in ihre unbarmherzigen Extreme, versinnbildlicht durch Thrakien und Äthiopien, zerrissen. Ein bukolischfreundliches, funktionierendes Naturbild ist nicht mehr herzustellen 184 . Das letzte Aufscheinenlassen des Bukolischen im Monolog dient der letzten Bestätigung des Absageentschlusses. Dieser letzte Rekurs mit seiner späten Antwort auf das Ansinnen der Dichterinstanz aus v. 17-18 bildet eine wichtige Verklammerung von Gallus' Monolog mit der Rahmensphäre 185 . Sein geographisches Sichentfernen hin zu den Aethiopes und deren Schafen macht klar, daß Gallus mittlerweile auch die Arcades, von deren Bezirk (und von deren Schafen) der M o n o l o g seinen Ausgang nahm, aus dem Blick verloren hat. Er will den ganzen Erdkreis in sein Leiden einbeziehen; kein Land soll ihm zu f e m , kein Klima zu lebensfeindlich sein 184 . Unter diesen Umständen erscheint auch sein (hier mit versemus fortgesetztes) Sprechen in der 1. Person Plural als besondere Form dieses Wunsches nach möglichst umfassender Verallgemeinerung. Gallus will nicht als Einzelner leiden, sondern er stellt als Mitglied einer Allgemeinheit allgemeingültige Sätze auf. Gallus' M o n o l o g gipfelt mit v . 6 9 : omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori. Der aus zwei Sätzen mit Grenze nach der Penthemimeres (wobei die zweite Silbe v o n Amor lang gemessen ist 187 ) bestehende Vers am Ende der

183

Etformosus ovis adflumina pavit Adonis (ν. 18) stellte dagegen ein integres, funktionierendes Weidebild dar. Nimmt man vor diesem Hintergrund die beiden AbschluBbilder von Gallus' Monolog - das thrakische und das äthiopische - zusammen, sind die oves weit entfernt von denflumina,die zudem in der thrakischen Eislandschaft gerade nicht fließen könnten. In Theocr., id. 7,112 ist "E/Jρον τάρ ττοταμάν reine Ortsangabe; ein ausdrücklicher Hinweis auf fließendes Wasser fehlt. Zur Charakterisierung der Dürre Äthiopiens wird dann das Fehlen eines Flusses konstatiert (ibid. 114: τέτρφ uro Βλίμύωρ, ötkv ούκέτι Νίϊλος ορατός). 184 Kaum plausibel ist die Interpretation von Ross zu v. 65-68, der (S. 95-%) Kälte und Hitze als Symbole für zwei Arten von Dichtung ansieht, deren Unmöglichkeit für ihn selbst Gallus hier erkenne: der "objektiven" (und deswegen "kalten") "scientific-mythological poetry" seiner bisherigen Elegiendichtung (s.o., Anm. 132) und der bukolischen Dichtung. Ross setzt unzulässigerweise die zerstörerische Hitze mit der "Wärme" der bukolischen Welt gleich. I8i Der bis dahin deutlichste Reflex aus der bukolischen Rahmenhandlung im Monolog war Gallus' Variation der Worte des Pan (ν.28-30) in den w . 60-61. 186 Das abschließende sub sidere Cancri (letztes Glied in der Reihe der literarisch-gelehrten bzw. fremdländischen Eigennamen als eines stilistischen Konstitutivums des Monologteils ab v.50) erweitert das in den beiden nec-si-Verspaaren aufgebaute Bild des ganzen Erdkreises noch um einen Blick an den Sternenhimmel, ins Weltall. M COLEMAN, ad loc., vermutet zu omnia vincit Amor: "... could be a quotation from the cadence of one of Gallus' elegiac pentameters". Zu der lang gemessenen zweiten Silbe von Amor weist er auf entsprechende Längen in Aen. 12,668 (et furiis agitatus amor et conscia

174

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

symmetrisch aufgebauten Sechsergruppe v. 64-69 hat den Status einer letztgültigen Konklusion 18 *. Das einleitende omnia, mit dem Gallus nun vom All der Dinge spricht, ist die nicht mehr überbietbare Steigerung des Weltpanoramas. Er gibt sich nicht zufrieden, bevor er sein eigenes Leiden in einen großen, kosmischen Zusammenhang eingeordnet hat. Sein Sprechen in der ersten Person des Plurals (seit v.60) mit seiner Verallgemeinerungstendenz hat diesen letzten Vers des Monologs vorbereitet. Das Verbum vincit greift noch einmal die Kampfthematik und die Kriegsmetaphorik auf, womit sich der Kreis insbesondere zu v. 44-45 schließt, in denen im Zusammenhang mit der Rede vom insanus Amor das Kampfmotiv ausbruchsartig zum Vorschein kam. Insofern bleibt sich Gallus treu. Er stellte sich als Krieger dar, interpretierte im weiteren Verlauf seiner Assoziationskette sein Leiden an Amor als Kampf zwischen Mensch und Gott und sieht sich hier am Ende besiegt. Mit Amor / Amori nennt Gallus in v . 6 9 nach mehrmaliger Vermeidung (v.61: deus ille; v.64: illum) seinen Feind erstmals seit v.44 - und jetzt attributlos - beim Namen. Der Eindruck der Ferne und Fremdartigkeit von dessen Macht wird durch diese Verzögerung gesteigert. Dieses schließliche Aussprechen des Namens trägt wesentlich zu dem Konklusionscharakter des v.69 bei. Die in v. 22-23 angesprochene Grundsituation (Lycoris mit dem alius im Heerlager) bleibt endgültig unausgeführt. Nach v.49 wird sie auch nicht anspielungsweise mehr erwähnt. Sie erweist sich für den Fortgang des Gedichts als blindes

virtus) und eel. 1,38 (Tityrus hinc abtrat, ipsae te, Tityre, pinus) hin. Auller der Möglichkeit eines archaischen ö bietet COLEMAN, ad loc., noch die alternative Erklärung an, dal) "a pause must be assumed after it |sc. Amor\ to justify an abnormal syllable division: -ta -mor -et... instead of the normal -ta -mo -ret." Die Erklärung der Länge durch eine Pause favorisiert auch C L A U S E N , ad l o c . 188 Einige Kommentarangaben zum sentenzgewordenen v.69 seien kurz zusammengestellt. COLEMAN, ad loc., verweist über die in Anm. 187 zitierte Vermutung hinaus auf ecl. 2,68 ("Gallus' final recapitulation recalls Corydon's") sowie auf (Theocr.), id. 30,25-27 ('όττις δοκίμοι τον &ο\ομάχανον / νικάσην "Ερον, ούτος δοκίμοι τοις ύττϊρ άμμέων / ίϋρην βραώίως ασπρας όπτόσακιν evvta')· CONINGTON-NETTLESHIP, ad loc., paraphrasieren schlicht ("Since love conquers everything, change of climate, occupation and all, why should I hold out?"). HF.YNF. 1830, ad loc.: "Nexus sewentiae est paullo durior: Nihil est. quod ab anions curis solvat animum, vincit ille omnia remedia; ergo mihi succumbendum est." WAGNER in HEYNE 1830 dazu: "Equidem nihil video, quod durum sit. Est hoc redeuntis iam ad sanam mentem: Omnia vincit Anior; et quum vincit Amor omnia, age. cedamus. nec flectere euni velimus." Servius auctus, ad loc., zieht die Parallele zuni Persa des Plautus (1-5: Qui amans egens ingress us est princeps in Anions vias / superavit aerumnis suis aerumnas Hercul i. / nam cum leone, cum excetra, cum cervo, cum apro Aetolico. / cum avibus Stymphalicis, cum Antaeo deluctari mavelim / quam cum Amore). lunius Philargyrius und "Probus" kommentieren den Vers nicht. Auf die Parallele in der Ciris wurde im ersten Kapitel im Zusammenhang mit SKIJTSCHS Arbeiten hingewiesen (437: omnia vicit amor: quid enim non vinceret ille?).

v. 64-69

175

Motiv. Das Leserinteresse für diese Geschichte bleibt unbefriedigt. Lycoris wirkt nun im Rahmen des Gedichtganzen nur noch wie ein Aufhänger. Die 1. Person des Plurals, die Gallus von v.60 bis 69 durchgängig und ausschließlich verwendet, changiert ständig zwischen einem Bezug nur auf die Person des Sprechenden und einem auf eine allgemeinmenschliche Gesamtheit. Auch für nos in v.69 bleibt durch dieses Changieren ein Deutungsspielraum zwischen "ich" und "wir alle/wir Menschen". Die vielfältigen Verwendungen der 1. Person Plural in den vv. 60-69 bewirken ein Ineinanderfließen von Einzelschicksal und Allgemeinschicksal bis zur UnUnterscheidbarkeit. Der einzige Trost, den Gallus sich nach der Erkenntnis von der Zwecklosigkeit seiner Dichtungs- wie seiner Handlungsabsichten noch zu verschaffen vermag, liegt in der Erkenntnis der Allgemeingültigkeit und Unvermeidlichkeit seines Leidens. Im Sinne von Gallus' stets in Extreme verfallender Phantasieentwicklung besitzt auch diese abschließende Einsicht (Amor als allumfassende Lebensmacht) ein Moment schwelgerischer Steigerung. Nur indem er ein allgemeines Weltgesetz formuliert, nur in der Phantasie von einem alles umfassenden Untergang vor Amor kann er seinen Monolog enden lassen, und er ruht nicht, solange er nicht diesen allgemeinsten Ausdruck fur sein Leiden gefunden hat. V.69 rekurriert implizit nochmals (wie zuvor schon v.61 und v.64) auf die Worte des Pan (ν. 28-30). Er enthält Gallus' endgültige Umformulierung der allgemeinen Regel, die Pan dort aufstellte 189 . In v.61 war die - verneinte Idee, der Gott könnte durch mala hominum zum Weichwerden (mitescere) gebracht werden; in v.64 entsprachen den mala die labores, durch die der Gott sich doch nicht umstimmen lasse (mutare). Gallus ersetzte dort die Naturprozeß- und Sättigungsmetaphorik des Pan durch einen Ausdruck, der die Vorstellung von eigenen Aktivitäten (labores) enthielt, die den Gott nicht zu beeinflussen vermögen. Indem Gallus nun in v.69 für seinen Konflikt mit Amor ausdrückliche Kampfmetaphern gebraucht, macht er klar, wie wenig ihm mit dem Einordnungsversuch des Pan gedient ist. Pans göttlich-distanzierte Perspektive sah den crudelis Amor als eine Naturmacht unter anderen. Empathie gegenüber Gallus (eine größere als die des Apollo) kam zwar in dem Attribut crudelis zu Amor zum Ausdruck, das ein gewisses Maß an Solidarisierung des sprechenden Gottes mit dem Menschen voraussetzt. Pan vermochte den Leidensaspekt jedoch nicht wirklich zu fassen: Die menschlichen Tränen setzte er in v.29

durch die Parallelisierung nec lacrimis crudelis Amor nec gramina rivis tendenziell mit Bewässerungsbächen gleich, nahm sie ganz naturhaft wahr und beraubte sie so ihrer Eigenschaft, Gefühlsausdruck zu sein. Die entsprechende

189

Das Gegenüberverhältnis entsteht auch dadurch, daß Pan und Gallus sich jeweils am Ende eines Abschnitts (ersterer am Ende der bukolischen Eingangsszene) grundsätzlich über Amor äußern.

176

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

Erkenntnis des Gallus in v.69 ist dagegen eine abschließende Einsicht des Betroffenen, der das Leiden selbst erfahren hat und den Ausdruck seiner Erfahrung aus Menschenperspektive daher auch nur in eine Metapher vom vergeblichen Kampf kleiden kann. Was Gallus nach dem verlorenen Kampf bleibt, ist die Einsicht in die Unvermeidlichkeit dieser Niederlage und die neue Formulierung dieser seiner Einsicht aus Menschenperspektive 190 . Amor als crudelis Amor bleibt unbesiegbar. Gallus' Monolog stellt sich auch aus der jetzt erreichten Perspektive des Schlußverses als Abfolge verschiedener scheiternder Lösungsversuche dar. Sie waren im Ablauf des Monologs jeweils in actu mitzuverfolgen. Die arkadische Phantasie (im engeren Sinne v. 35-43), die Verleugnung der Existenz des Rivalen in der Lycorisphantasie (v. 46-49), die dichterische Selbstbesinnung und die Phantasie zunächst vom Leiden und Dichten (v. 50-54), dann vom freien, ungehinderten Jagen in der wilden Natur (v. 55-60a) brachen allesamt jeweils nach kurzem wieder in sich zusammen. Eine Darstellung von Gallus' aktueller Befindlichkeit in Phantasieform war am ehesten die kurze Kriegsphantasie der vv. 44-45. Dem divinus poeta war auch das ist nun mit v.69 endgültig festgeschrieben - seine göttliche Gabe nicht von Nutzen. Er vermochte sein konstitutionell, durch seine menschliche Natur bedingtes Leiden nicht mit Hilfe von Dichtung zu bändigen. Amor erweist sich als eine Macht von derartiger Überwältigungskraft, daß sie den göttlichen Dichter niederzwingen und ihm sein Dichten unmöglich machen kann. In einem bislang im Eklogenbuch ungekanntem Ausmaß ist eine vitale Bedrohung des Dichtens und des Dichters dargestellt 191 . Der klar symmetrische Aufbau der Schlußgruppe v. 64-69 (1 Vers - 2 Verse [nec\ - 2 Verse [nec] - 1 Vers) schafft eine der inhaltlich erreichten Einsicht entsprechende formale Beruhigung und Klärung. Dieser einzige in sich klar symmetrisch strukturierte Einzelabschnitt des Monologs 192 steht an

Des Kontrastes halber vergleiche man die Haltung des Daphnis in Theocr., i d . l , der sich bis zum Schluß auflehnt (v. 103: Αάφνις κήν Άϋα κακόν ϊσαται ά λ γ ο ς Έ ρ ω η ) . Das Lied des Damon, das erste der achten Ekloge, schildert gewiß schon drastischer als die 10. Ekloge das Zugrundegehen eines Menschen an Amor. Am Ende steht ausdrücklich

der Suizid (v. 58-60: omnia vel mediumfiatmare, vivite silvae: / praeceps aerii specula de montis in undas / deferar; extremum hoc munus morientis habeto). Das entscheidend Neue in der 10. Ekloge besteht aber darin, daß der Betroffene wesentlich Dichter ist. Auch der verzweifelte Hirte in ecl.8 ist wie alle Hirten des Eklogenbuchs Sänger (in v.33 spricht er von seiner fistula). Aber nicht als solcher, sondern nur als unglücklich Liebender ist er Gegenstand des Liedes (s.u., S. 234-237). m In der gröbsten Gliederung sind die bisherigen Einzelabschnitte des Monologs folgende: v. 31-43 (Arkadienphantasie), v. 44-45 (Kriegsphantasie), v. 46-49 (Lycorisphantasie), v. 5060a (Wald-, Dichtungs- und Jagdphantasie), v. 60b-63 (Resignationsbekundung). Auch bei einer feineren Untergliederung (etwa der Arkadienphantasie in v. 31-34 und v. 35-43 oder der Wald-, Dichtungs- und Jagdphantasie in v. 50-51, v. 52-56a und v. 56b-60a) läßt sich in

v.70

177

dessen Schluß und lenkt so die Aufmerksamkeit langsam wieder auf Großstrukturen und damit auf die Symmetrie des Gesamtgedichts hin: Die innere Symmetrie des Abschnitts v. 6 4 - 6 9 wird so auch zu einer Vorbereitung des Epilogs 1 9 3 .

v.70:

Haec sat erit, divae, ν est rum cecinisse poet am

Ohne irgendeine Abrundung oder Überleitung innerhalb des Liedes im Lied ergreift die bukolische Dichterinstanz in unmittelbarem Anschluß an die direkte Rede des Gallus wieder selbst das Wort. Die bukolische Einleitungsszenerie des Liedes im Lied (v. 9 - 3 0 ) findet keine Fortsetzung mehr. Die bukolische Dichterinstanz erklärt unmißverständlich alles Gesagte - einschließlich Gallus' Monolog - für ihr eigenes Werk. Sie beansprucht nun für sich den Titel poeta, den sie im Prolog noch sorgfaltig umgangen hat und der (v. 17:

keinem der Abschnitte eine symmetrische A'/i/imgliederung wie in den w . 64-69 beobachten. Die übermächtig drängende Phantasieentwicklung verbot offensichtlich bislang eine derartige formale Ordnung. Zur Unterteilung des Monologs in zwei Hälften, die nicht die Binnengliederung der einzelnen Abschnitte betrifft, vgl. Anm. 193. 193 Zum Aufbau des Gesamtgedichts siehe K. WITTE, Der Bukoliker Vergil - Die Entstehungsgeschichte einer römischen Literaturgattung, Stuttgart 1922, S. 32-37 (vgl. schon: ders., Vergils zehnte Ekloge; in: Satura Viadrina altera. Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen des philologischen Vereins zu Breslau, Breslau 1921; dort: S. 6S-80). Die zehnte Ekloge ist in WITTES Arbeiten ein Beispiel für die Technik der "Umrahmung", welcher Begriff sich bei ihm lediglich (anders als "Rahmung" in der vorliegenden Arbeit) auf die Rahmenform im engen Sinne bezieht. WITTE teilt das Gedicht in folgende Abschnitte ein: v. 1-8 (8 Verse), v. 9-30 (22 Verse), v. 31-49 (19 Verse; 1. Hälfte des Gallusmonologs), v. 50-69 (20 Verse; 2. Hälfte des Gallusmonologs), v. 70-77 (8 Verse). Der Monolog des Gallus umfaßt mit 39 Versen einen Vers mehr als die Hälfte des Gesamtgedichts, worin WITTE eine für das Eklogenbuch typische Struktur erkennt: "Vergil hat in der zehnten Ekloge 39 Verse mit 38 Versen umrahmt. Die Umfangszahl der umrahmenden Einheit ist um einen Vers kleiner als die der umrahmten Einheit - genau so wie in der Klage des Gallus die eine Hälfte um einen Vers weniger lang ist als die andere. Das ist sehr fein der Komposition von Theokrits Thalysia nachgemacht, wo Simichidas einerseits in dem Rahmen einen Vers weniger als Lykidas erhält und andererseits sechs Verse weniger als Lykidas singt... . Aber neben den Thalysia hat Vergil wieder die erste Ekloge herangezogen. Dort ist die Hexade 40-45 (sc. der Bericht des Tityrus von seiner Begegnung mit dem iuvenis; d. Verf.) zwischen 39 und 38 Verse gestellt. Vergil hat in der zehnten Ekloge die Zahlen 39 und 38 einfach aus der ersten übernommen genau so wie er die Zahl 22 für die innere Schale (sc. v. 9-30; d. Verf.) aus der siebenten Ekloge nahm (sc. Einleitung und Beschluß des Meliboeus [v. 1-20 u. 69-70); d. Verf.)" (WITTE, op. cit., 1922, S.37). Genau genommen, beträgt das Verhältnis zwischen den Versen des Gallus und denen des Rahmendichters in ecl. 10 fast exakt 38'/2:38'/2, da der Übergangsvers 31 (tristis at ille 'tarnen caruabitis, Arcades,' inquit) nochmals zwischen beiden aufgeteilt ist.

178 divine

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

poeta)

als Ehrenbezeichnung des Gallus

ins Spiel kam. Gallus aber war

im Lied im Lied nicht selbst Sänger 1 9 4 . S e i n e m M o n o l o g stand in v . 3 1 mit inquit

ein Verb des Sprechens voran.

Erst der übergeordnete

Dichter läßt die Worte des Gallus zu Gesang w e r d e n (cecinisse)l9i

bukolische und knüpft

nun unmittelbar an das von d i e s e m Gesagte als an einen Teil seines eigenen W e r k e s an. D a s epilogeinleitende

Pronomen haec,

das das vor seiner

stehende Werk in seiner Gesamtheit bezeichnet, knüpft an hunc

Vollendung im Prolog

(v. 1) an. D i e s e s hunc erfaßte das entstehende Werk bereits unter dem Aspekt seiner v o r w e g g e n o m m e n e n Ganzheit. In der singularischen, deiktischen Form manifestierte sich insofern ein beträchtliches Selbstvertrauen der sprechenden Dichterinstanz b e z ü g l i c h des entstehenden W e r k e s , o b w o h l sie andererseits einen s c h w i e r i g e n labor

erwartete. Haec d a g e g e n bezeichnet das Gedicht nun

im Rückblick nicht in seiner Einheit, sondern pluralisch in seiner beobachtbaren Vielheit und Vielgestaltigkeit, als eine spannungsvolle Gesamtheit, die verschiedenartige T e n d e n z e n zusammenbindet. N a c h d e m das Werk in der Zeit ausgefaltet w o r d e n ist, kann mit d e m pluralischen haec auf dessen mittlerweile beobachtbare Fülle und Vielheit v e r w i e s e n werden 1 9 6 . Für das Verhältnis des Epilogs z u m Prolog ist die Verbindung z w e i e r Faktoren, einerseits bewahren-

'*· Das niuß man auch P. ALPERS entgegenhalten, der (The Singer of the Eclogues - A Study of Virgilian Pastoral, Berkeley/Los Angeles/London 1979, S. 127) in v.70 eine systematische Doppeldeutigkeit vermutet: "'Your poet', the singer of the song we have just heard, can refer to either Virgil or Gallus, who was, in fact, well known as a poet and who is addressed earlier in the poem as divine poeta (line 17)." Die Übernahme von poeta durch den bukolischen Sänger, die Erinnerung an v. 17, dient aber nicht der Erzeugung einer durchgehaltenen Ambiguität, sondern der Bestätigung einer vollzogenen Transformation: Der Leser erlebt höchstens einen kleinen Moment des Zweifeins und Stutzens, das alsbald (schon wegen cecinisse und nicht erst mit den folgenden Versen, wie ALPERS glaubt) der Gewißheit weicht, dal! die Titulierung auf den bukolischen Sänger selbst übergegangen ist, der sein Lied in v.8 (non canimus surdis) ebenfalls mit einer Form von cano einleitete. 1,5 Die Verben inquam, incipio und cano finden sich auch in ecl. 6,23-32 nebeneinander, wo das Singen durch seine gewaltige Wirkung vom Sprechen abgesetzt ist (Subjekt ist der Silen): ille dolum ridens 'quo vinculo nectitis?' inquit; / 'solvite me, pueri; satis est potuisse videri. / carmina quae vultis cognoscite; carmina vobis, / huic aliud mercedis erit.' simul incipit ipse. / tum vero in numerum Faunosque ferasque videres / ludere... . / Namque canebat uti magnum per inane coacta / semina terrarumque animaeque mansque fitissent... . Eine weitere Fernverbindung ist die von haec in v.70 zu haec in v.32 zu Beginn von Gallus' Monolog (v. 31-33: tristis at ille 'tarnen cantabitis. Arcades,' inquit, / 'montibus haec vestris; soli cantare periti / Arcades. ... '.) Gallus bezog sich dort mit haec auf die aktuelle Situation und damit auf seine aktuellen Leiden, aber auch auf seine aktuellen Worte. Er nahm bereits für einen Augenblick die nun durch den Epilog festgeschriebene und anschaulich gemachte Konstellation vorweg. Er selbst beschrieb sich schon als den zum Gesang Unfähigen, dessen Schicksal bzw. dessen Worte erst durch die Arcades (zu denen aus seinem Blickwinkel offenbar auch die bukolische Dichterinstanz zu rechnen ist) zu Gesang werden.

v.70

179

der Wiederaufnahme und andererseits dynamischer Weiterentwicklung, charakteristisch. Mit der neuen Selbsttitulierung des bukolischen Dichters als poeta geht im Epilog eine Erhöhung der Inspirationsinstanz einher. Unterstellte sich der Sprechende in v . l der sizilischen (d.h. bukolischen, mit Niedrigkeits- und Bescheidenheitskonnotationen [vgl. die Anfangsverse von ecl.4 und 6] versehenen) Quellnymphe Arethusa, so ruft er nun in v.70 eine eindeutig von dieser unterschiedene, pluralisch mit divae bezeichnete Instanz an. Wie selbstverständlich, als bedürfte sie keiner weiteren Erklärung, findet diese Umstellung vom Singular in den Plural statt. Nur die Musen als oberste Autorität der Dichtung überhaupt können mit divae gemeint sein. Der Dichter hat ein Stück seiner ostentativen bukolischen Bescheidenheit abgelegt. Den Gallus hatten die Musen - umschrieben mit puellae Naides (v. 9-10) - verlassen, nun aber stellt sich heraus, daß der bukolische Dichter während der ganzen Zeit unter ihrem Schutz stand. Seine Anrede divae an die eigene Museninstanz kommt im übrigen dem adjektivischen Bestandteil von Gallus' Ehrentitel aus v.17, dem Attribut divinus, nahe. Der Prozeß des Zuendekommens wird unter Aufnahme eines bukolischen Traditionsstrangs" 7 mit dem bukolischen (da wieder auf einen natürlichen Sättigungsprozeß anspielenden) Bild sat erit beschrieben. Die Dichterinstanz spricht nicht mehr ausdrücklich davon, daß sie die schwere, sämtliche Kräfte bis an die Grenze beanspruchende Arbeit, den extremus labor, nun bewältigt hat. Das abschließende "Genug" ist ein Understatement nach gelungener Arbeit. Aus der Perspektive des Epilogs wirkt der extremus labor nicht mehr als solcher. Der Dichter, der mit dem gelingenden Gedicht gewachsen ist, behandelt dieses Gelingen schon beinahe wie eine Selbstverständlichkeit. Zugleich bezeichnet der zum poeta Erhöhte mit vestrum (sc. poetam) in der Anrede an die divae nochmals die für sein Dichten konstitutive Abhängigkeit. Das Possessivpronomen stellt (ähnlich wie im Ausdruck meo Gallo in v.2) ein besonderes Vertrautheitsverhältnis her. Indem der bukolische Dichter sich hier selbst dieses Pronomen beilegt, stellt er sich geradezu als Besitz der angerufenen divae dar und macht damit deutlich, daß sein gelungenes Werk nicht eigentlich sein Werk ist. Sehr aufschlußreich ist es auch, vom ersten Vers des Epilogs aus nochmals das Ende des Gallusmonologs in den Blick zu nehmen. Nach Gallus' erklärtem Scheitern, nachdem er den Kampf aufgegeben und in v.69 schließlich ein allgemeines Weltgesetz ausgesprochen hat, folgt in v.70 aus dem Munde der

197

Man vergleiche nochmals das Bild des Pan für die Unersättlichkeit des Amor in v. 2830 (Verbum: saturantur) sowie auch das Ende von ecl.3, wo sich sat in einem bukolischen Bild auf das Ende des Gesangswettstreits bezieht (ecl. 3,111 [Palaemon]: claudite iam rivos,

pueri; sat prata biberunt).

180

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

übergeordneten Instanz des Gedichts das haec sat erit. Nach der Erkenntnis von der Unermeßlichkeit der Macht des Amor, die Gallus' letztes Wort war, ist somit der bukolische Dichter mit seinem Epilog die grenzsetzende Instanz. Er, nicht Gallus, ist derjenige, der das abschließende "Genug" spricht und den Monolog des Gallus in einen dichterischen Rahmen faßt. Der Schlußvers des Gallus bleibt im Rahmen des Gedichts nicht das Letzte. Er ist ein Letztes für den leidenden Gallus, der mit ihm seine Niederlage gegen Amor als unabänderlich und als Teil einer allgemeingültigen Wahrheit anerkennt und festschreibt. Der bukolische Dichter läßt einerseits die Wahrheit des Gallus stehen, fügt aber durch seinen Epilog eine neue Perspektive hinzu und relativiert so jene Wahrheit. Bei Betrachtung des ganzen Eklogenbuchs fällt auf, daß in denjenigen Gedichten, in denen bereits vor ecl.10 eine Eklogendichterinstanz eine Rolle spielt (ecl. 4, 6 und 8; in geringerer Ausprägung auch ecl.2), diese jeweils einen Prolog von mehr oder weniger deutlich dichtungsreflektierendem Charakter spricht, am Ende des Gedichts aber nicht mehr das Wort ergreift. Die Wiederkehr der Dichterinstanz in einer Art Ringkomposition bleibt der 10. Ekloge vorbehalten, deren Epilog sich insofern auf das gesamte Eklogenbuch zurückbezieht. Erst er löst die über alle geradzahligen Eklogen hinweg aufgebaute Spannung auf eine abschließende Stellungnahme des Dichters.

v.71:

dum sedet et gracili fiscellam texit hibisco

Der mit dum eingeleitete Temporalsatz füllt genau einen Vers aus und gleicht insofern dem Prologvers 7 (dum tenera attondent simae virgulta capellae): Wie dieser beschreibt er, jetzt im Rückblick, eine bukolische Situation, einen dauernden, unveränderten Begleitumstand des Singens in der bukolischen Sphäre. Mit der Übereinstimmung zwischen dem Nebensatz und einer metrischen Einheit nimmt der Epilog hier ein stilistisches Charakteristikum des Prologs auf (s.o., S. 89-90). Wie schon in v.70 (vestrum poetam), spricht der bukolische Dichter von sich auch hier in der objektivierenden Form der 3. Person Singular. Er schafft so eine Außenansicht seiner Person: sedet ist seine erste eindeutige Selbstbeschreibung, nachdem der Prolog von der beschriebenen Tendenz zum Sichverbergen gekennzeichnet war. Der bukolische Dichter beginnt also bei aufrechterhaltener stilistischer Kontinuität allmählich, mehr von sich preiszugeben als dort. Im Prolog mußte sein Ruheaufenthalt am locus amoenus indirekt aus den Umständen (dum tenerae attondent simae virgulta capellae) erschlossen werden, während er nun im Epilog allmählich den Blick auf sich freigibt. Sedet, sowohl Handlungs- als auch Zustandsverb (Handlungsverb, insofern der

v.71

181

Zustand des Sitzens Bewußtheit und einen Willensakt voraussetzt), bezeichnet eine Befindlichkeit einerseits von ruhiger, unwandelbarer Gelassenheit, andererseits aber auch von hoher Aufmerksamkeit. Der in der Abfolge des Eklogenbuchs erste Dichter am locus amoenus, Tityrus, liegt dort (ecl. 1,1: Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi); der bukolische Dichter von ecl. 10 vermeidet diese Position. Der (als Gescheiterter) liegende Dichter in ecl. 10 ist Gallus; durch seine Körperposition setzt sich der bukolische Prolog- bzw. Epilogdichter von ihm ab. Unerwarteterweise (da sie im Prolog durch nichts vorbereitet wurde) folgt dann mit et gracili fiscellam texit hibisco eine dem Singen parallele Begleithandlung des Dichters. Mit der bukolischen Tätigkeit fiscellam texere hibisco bekennt er sich nochmals zur bukolischen Welt und erklärt sich zu deren vollwertigem Mitglied. Während er sang, hat der bukolische Dichter im Sitzen ein Körbchen aus Hibiskus geflochten, was im Liegen natürlich nicht möglich gewesen wäre. Die Position des Sitzens hat somit eine vermittelnde Funktion: Sie ist einerseits Ruheposition, ermöglicht andererseits jedoch auch praktisches Handeln. Dasitzen und Singen waren unbemerkterweise von einer produktiven, handwerklichen Arbeit begleitet, der wildbewegte Liebesmonolog des Gallus von einer gleichförmigen und gleichmäßigen Tätigkeit des bukolischen Dichters unterlegt. Zugleich mit dem Gesang hat der bukolische Dichter einen materiellen Gegenstand, die fiscella™, hergestellt, die zum greifbaren Gegenstück und zum Symbol dieses Gesanges wird. Das Flechten (texere) ist eine Tätigkeit, die Aufmerksamkeit, Fingerspitzengefühl und Kunstfertigkeit erfordert und die im Idealfall ein Produkt von vollendeter Regelmäßigkeit hervorbringt. Die handwerkliche Tätigkeit hat wie die dichterische einen Gegenstand geschaffen, den es vorher nicht gab. Wie selbstverständlich werden Singen und Arbeiten in der bukolischen Welt gleich- bzw. in Parallele gesetzt199. Ein Rückblick auf v. 35-43, die Arkadienphantasie des Gallus, zeigt noch einmal, wie wenig dieser zu einer derartigen aktiven, produktiven Teilnahme am bukolischen Leben imstande war, wie sehr die arkadische Sphäre für ihn vielmehr der Ort eines illusionären, passiven Genusses sein sollte. Die sym-

"* Zur Neigung der Bukolik zur Deminutivform vgl. B. AXELSON, Unpoetische Wörter. Ein Beitrag zur Kenntnis der lateinischen Dichtersprache, Lund 1945, S.40. R. KETTEMANN, Bukolik und Georgik, Heidelberg 1977, weist (S.28) daraufhin, daß in Georg. 1,266 dann die Formflscina dem Deminutivum vorgezogen wird. (Vgl. E. LÖFSTEDT, Syntactica. Studien und Beiträge zur historischen Syntax des Lateins II, Lund 1933, S.336; M. LEUMANN / J.B. HOFMANN / A. SZANTYR, Lat. Grammatik, Bd.2, München 1965/1972, S.775; R.G.M. NlSBET, The Style of Virgil's Eclogues, PVS 20 [19911, S. 1-14; dort: S. 2-3.) 199 PÖSCHL weist S.12, Anm.5, auf die lange zurückreichende Tradition der metaphorischen Gleichsetzung von Dichten und Flechten (oder Weben) hin. Vgl. z.B. Pindar, Ol. 6,8687: άνδράσιν αιχματαϊσι -κλίκων / τοικίλον ϋμνορ.

182

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

bolischen Gleichsetzungen "texere

=

Dichten" und "fiscella

=

Lied" ver-

deutlichen programmatisch noch einmal den besonderen Charakter der bukolischen Welt. Mitglied der bukolischen Welt zu sein, bukolisch zu arbeiten, heißt auch, bukolisch zu dichten. Dichtung und Welt, Lied und Gegenstand (und daher auch Singen und Arbeiten) sind im bukolischen Bereich schlechterdings nicht zu unterscheiden 2 0 0 . Das Attribut gracili

zu hibisco

bezeichnet Zartheit und Anmut. Das Werk

ist nach w i e vor (im Sinne des Anspruchs aus d e m Prolog) ein kleines - aber e s ist g e l u n g e n . D i e Groß-Klein-Thematik wird fortgesetzt, und der bukolische Dichter stellt sich auch nach seiner Selbsterhöhung noch eindeutig auf die Seite des Kleinen 2 0 1 . Im Epilog kehrt er also einerseits in die Sphäre des Prologs zurück, andererseits aber besteht z w i s c h e n beiden eine unverkennbare D y n a m i k . Eine Entwicklungslinie v o m Anfang zum Ende ist zu beobachten. Im Epilog ist der Dichter von e i n e m ungleich höheren

Selbstbewußtsein

getragen als im Prolog, w a s sich in seiner Anrede an die divae

und in seiner

Selbstcharakterisierung als poeta

manifestiert, e b e n s o w i e auch darin, daß er

das Werk nicht mehr als humilis

charakterisiert ( w i e in ecl. 4 . 2 ) und auch

200 Servius, ad loc.: gracili fiscellam texit hibisco: ac si diceret: nisi hac re occupatus, minime canerem. 201 Servius, ad loc.: allegoricos autem significat se composuisse hunc libellum tenui ssimo stilo. Das kalliniacheische Bekenntnis zur kleinen Form, zum deductum carmen (ecl. 6,5). zieht sich in verschiedenen Graden von Explizitheit durch das ganze Eklogenbuch. An mehreren Stellen ist die Hirtenflöte, das metonymische Symbol der bukolischen Dichtung, mit Attributen versehen, die auf ihre Zartheit und Zerbrechlichkeit hinweisen und so den Charakter der bukolischen Dichtung als genus tenue betonen. Zunächst sei an ecl. 1,2 (silvestrem tenui Musam meditaris avena) erinnert (PÖSCHL, S. 12: "Anfang und Schluß des Eklogenbuches fügen sich durch diese Metaphorik zusammen"). Das Adjektiv findet sich außerdem noch in ecl. 6,8 (agrestem tenui meditabor harundine Musam). Darüber hinaus ist in ecl. 10.71 die Reminiszenz an 5,85 (hac te nos fragili donabimus ante cicuta) bemerkenswert (Assonanzverhältnis zwischen den Attributen fragili und gracili. die beide vor der Penthemimeres stehen). Gelegentlich verbindet sich im Eklogenbuch das Bekenntnis zum genus tenue mit der Tendenz der bukolischen Dichterinstanz zu ostentativen Bescheidenheitsbekundungen. Das genus tenue wird - ganz anders als etwa bei dem selbstbewußten Kallimachos des Aitienprologs - unter dem Aspekt des humile wahrgenommen. Der oben zitierten Stelle aus ecl.6 gehen die einleitenden w . 1 -2 voraus (Prima Syracosio dignata est ludere versu / nostra neque erubuit silvas habitare Thalea), in denen der bukolische Dichter, wie im übrigen ja auch noch in ecl. 10,17 (nec te paeniteat pecoris, divine poeta), ostentativ seinem eigenen Bereich eine mindere Diguität zuschreibt. Besonders deutlich wird diese ostentativ bescheidene Selbsteinschätzung in der Einleitung zu ecl.4 (v. 1-2: Sicelides Musae, paulo ntaiora canamus! / non omnis arbusta iuvant humilesque myricae), wo der Dichter sich zu Größerem aufschwingt, als seinen eigentlichen Bereich aber den des humile bezeichnet. Ein Zitat aus Kallimachos' Aitia (1, fr. 1,29-34 Pf.) macht den Unterschied in der Tonlage deutlich: m τοϊς yäp ά(ίδομβι> ο'ι Xiybf ηχοι> / τέττιγος, ι?|όρνβον δ ' ονκ (φίλησαν όνων. / Οηρϊ μίν ο^ύατόίίτι τανύκί\ον oyKrjaaiTo / άλλος, έγ|ώ δ ' άην ούλ|α|χΰς, ό τττίρ0€ΐς.

v.7I

183

nicht mehr (wie mit/rag//«,· ecl. 5,85) dessen Zerbrechlichkeit betont. Gracili ruft zwar nochmals die Erinnerung an die Tradition der bescheidenen Selbstcharakterisierung wach, betont aber jetzt den kunstvollen Aspekt der kleinen Form des bukolischen Werks. Vom Niedrigen ist nicht mehr die Rede. Der bukolische Dichter bezeichnet das eigene, schlanke, zierliche Werk in seinem künstlerischen Eigenwert nun als gelungen und gültig. Captationes benevolentiae und ostentative Bekundungen der eigenen humilitas gibt es nicht mehr. Am Ende des Buches bekennt sich der bukolische Dichter nun ohne vorweggenommene Entschuldigungen zum genus tenue und zu dessen spezifischer Würde. Eine wichtige eklogenbuchinterne Parallele zu v.71 ist die Selbstanrede des Corydon in ecl. 2,71-72 (quin tu aliquid saltern potius, quorum indiget usus / viminibus mollique paras detexere iunco?). Auch diese Stelle steht kurz vor einem Gedichtende. Eindeutig hergestellt wird der Anklang durch die lexikalische Übereinstimmung detexere/texii202. Auf die Monologe folgt in beiden Gedichten jeweils ein kommentierend-relativierender, epilogartiger Abschluß. In ecl.2 ist Corydons Überlegung, wenigstens etwas zu flechten, Ausdruck seiner Absicht, nach dem Erwachen aus seiner vorangegangenen hochgesteigerten Liebesmanie wieder in die bukolische Welt und in deren Lebens- und Arbeitsprozesse zurückzukehren. Das Flechten ist eine relativ leichte, da nicht

202

Einige Beobachtungen zur Behandlung dieser bukolischen Wörter im Eklogenbuch lassen sich hier anknüpfen. Gesichert wird die Parallele zwischen den Schlüssen von ecl. 10 und ecl.2 durch die nahezu identischen Verben detexere und texit. In beiden Fällen ist die zugrundeliegende Handlung das Flechten, der Gegenstand in ecl.2 ein einstweilen nur gedachtes, noch unbestimmtes aliquid, in ecl. 10 dagegen ein nunmehr fertigwerdendes Körbchen (fiscella). Das Flechtmaterial steht jeweils im instrumentalen Ablativ am Versende (iunco / hibisco). Auch metrische Anklänge sind zu beobachten: Die Wurzel -texere kommt in ecl.2 nach dem Präfix de- ebenso im 5. Daktylus zu stehen wie texit in ecl. 10, so daß mit (de-) texere iunco und texit hibisco ähnliche Versschlüsse entstehen. Die kürzere Verbform wird an der letztgenannten Stelle metrisch durch den um eine Silbe längeren Pflanzennamen ausgeglichen. In beiden Versen steht an gleicher Versstelle ein gesperrtes Attribut (jeweils mit /-Endung: molli[que] / gracili), das sich auf das abschließende Substantiv bezieht. Die Flechtmaterialien sind austauschbar. Die Binse (iuncus) aus ecl.2 bleibt nicht etwa bevorzugtes Flechtmaterial, sondern kann in ecl. 10 durch das hibiscum ersetzt werden. Bei diesem Austausch aber setzt der Dichter nicht einen völlig neuen Pflanzennamen ein, sondern greift wieder auf schon Eingeführtes zurück: Hibiscum steht in derselben Form und an derselben Versstelle z.B. schon in ecl. 2,30 (haedorumque gregem viridi compellere hibisco). Iuncus in ecl. 2,72 ist seinerseits ein bukolisch eingeführtes Wort: Es kommt in der entsprechenden Form und an entsprechender Stelle bereits in ecl. 1,48 (... quamvis lapis omnia nudus /limosoque palus obducat pascua iunco) vor und dient dort der Ausmalung einer unfruchtbar gewordenen, versumpften Weidelandschaft. Die Binse erscheint hier in ihrem Naturzustand, in ecl.2 dann wie gesehen als mögliches Arbeits- (Flecht-) Material. Der bukolische Dichter bildet stets neue Kombinationen aus einem Repertoire bukolischer Sprachelemente.

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

184

körperlich beanspruchende Arbeit als erste Übergangstätigkeit für den erschöpften Rückkehrer 203 . Die Arbeit und die Normalität des bukolischen Lebens sollen hier zum Heilmittel für Corydons verirrte und sinnlose Liebe werden. Die Liebe drohte Corydon seiner Lebensgrundlage zu entfremden, aber der Rückweg scheint ihm zu gelingen. Der entscheidende Unterschied zwischen den Gedichten besteht darin, daß Corydon seinen Epilog selbst spricht, Gallus den seinen jedoch nicht. Corydon ist fraglos eine Figur der bukolischen Welt, und ihm gelingt aus eigener Kraft die Rückkehr in diese Welt. Gallus dagegen kann nicht dorthin zurückkehren, wohin er niemals gehört hat. Er ist zum bukolischen Leben und zur bukolischen Arbeit ungeeignet; eine andere Instanz, der bukolische Dichter, muß statt seiner die Rückkehr vollziehen. Corydon war selbst imstande, die abschließende Relativierung vorzunehmen und am Ende zu seiner Liebesklage tendenziell eine Zuschauerposition zu beziehen. In der 10. Ekloge muß die bukolische Dichterinstanz diesen Part übernehmen. Dadurch radikalisiert sich die in ecl.2 schon angelegte Rahmung durch einen außenstehenden Dichter 204 zu einer vollständig ausgebildeten Rahmenform.

v. 72-74:

Pierides: vos haec facietis maxima Gallo, Gallo, cuius amor tantum mihi crescit in horas quantum vere novo viridis se subicit alnus.

Die einleitende Anrede Pierides, in lockerer Verbindung mit divae in v.70, bringt die Bestätigung, daß der bukolische Dichter sich nun im Epilog den Musen selbst in ihrer Gesamtheit unterstellt und nicht mehr der sizilischen Arethusa, die somit als Muse nur vorläufigen Charakter hatte. Die Steigerung vom Prolog zum Epilog hat damit ihren Endpunkt erreicht. Mit der bis hierher

203

Zum Flechten als bukolischer Tätigkeit vgl. auch Theocr., id. 1,52-54 (in der BecherEkphrasis; Subjekt ist der bildlich dargestellte χώρος ): αύτάρ by' άνϋιρίκοισι καλάν π λ« « ι άκριδο&ήραν / σχοίρψ ίφαρμόσδων μϊΧίται δέ οί οϋτ€ τι πήρας / ούτί φυτών τοσσήνον όσον •Κΐρι τλέ-γματί yctdei. 204 Auch in ecl.2 gab es eine übergeordnete Instanz, die in einem Prolog (v. 1-5) erzählend die direkte Rede des Corydon einleitete (v. 1: Formosum pastor Corydon ardebat Alexin). Die fünf abschließenden Verse 69-73 sind dort das Gegenstück zu den fünf einleitenden, womit dieses Gedicht ebenso wie ecl.10 symmetrisch durch Prolog und Epilog gerahmt ist, die übergeordnete Instanz aber ihrer eigenen Figur Corydon selbst den distanzscliaffenden Epilog überläßt (mit dem einleitenden Vokativ α Corydon, Corydon - vgl. schon v.56 - und der folgenden Selbstanrede in der 2. Person, die mit aspice in v.66 vorbereitet wird). S.u., S. 221-225.

v. 72-74

185

hinausgezögerten Berufung auf die Pieriden 205 erhebt der bukolische Dichter seinen bislang höchsten Verbindlichkeitsanspruch. Mit ihm erfüllt er sein bukolisches Dichten. Auch das Lied im Lied war in den Spannungsbogen einbezogen. Die umschreibende Anrede puellae Naides an die Museninstanz (v. 9-10) erklärt sich jetzt auch als Aussparung, als ein Noch-nicht im Hinblick auf den erst im Epilog zu erreichenden Höhepunkt. Der bukolische Dichter hat die höchste Museninstanz bis zum Schluß und für sich aufgespart. Gallus' Beziehung zu den Musen dagegen bleibt im Ungewissen. Nirgends wird die Musenverlassenheit widerrufen, in der er in v. 9-10 eingeführt wurde. Der bukolische Bereich hat eine besondere Dignität gewonnen. Ohne jede Koketterie und ohne alle Bescheidenheitsbekundungen unterstellt sich der bukolische Dichter der Höchstinstanz der Dichtung überhaupt. Das Bukolische ist mehr als nur noch bukolisch. Die bis ans Ende hinausgezögerte Anrufung an die Pierides zeigt, daß der bukolische Gesang zum Sinnbild für Dichtung überhaupt geworden ist (vgl. E.A. Schmidt; s.o., S. 70-71). Auf der lautlichen Ebene wird die Vereinigung zwischen dem bukolischen und dem pierischen Musenbereich durch eine höchst auffallige, drei Verse umfassende Reihe von /-Assonanzen vollzogen (v.70: erit, divae, cecinisse;

v.71: gracili, fiscellam, texit.hibisco; v.72: Pierides). Zwanglos verbindet sich der Bereich des gracile mit dem der divae Pierides zu einer poetischen Einheit, die durch keinerlei captationes relativiert werden muß.

benevolentiae

mehr gerechtfertigt oder

Der dem Vokativ Pierides folgende Satz vos haec facietis maxima Gallo nimmt im Futur die Erfüllung eines dringlichen Wunsches vorweg. Der bukolische Dichter unterstellt sich eindeutig und unmißverständlich der angerufenen Gewährsinstanz, indem er sie mit vos zum Subjekt des Satzes macht und sein eigenes Selbstbewußtsein wieder zurücknimmt. Er erinnert noch einmal daran, daß es zum Gelingen des Gedichtes einer Museninstanz bedurfte, und er nimmt den Anspruch des Gedichtes aus v.2, dem Gallus zu genügen, wieder auf. Die Pieriden sollen die Einlösung des anfangs erhobenen Anspruchs sichern. Das gewachsene poetische Selbstbewußtsein des bukolischen Dichters berührt seine grundsätzliche Anerkennung des Abhängigkeitsverhältnisses nicht. Ein Ausdruck von Selbstbewußtsein ist auch die Tatsache, daß der bukolische Dichter zu seiner Gewährsinstanz hier nicht mehr wie im Prolog (concede) im bloß auffordernden Imperativ spricht, sondern die Vollendung durch den Indikativ des Futurs (facietis) als gewiß hinstellt. Hinter vos

Pierides ist auch in ecl. 3,85, 6,13, 8,63 und 9,33 eine Bezeichnung für die Musen, wird dort aber jeweils unemphatisch verwendet. Die Heraushebung in ecl. 10 entsteht durch die Stellung kurz vor Schluß des Gedichts am Endpunkt eines Spannungsbogens. Die Bezeichnung divae für die Musen steht im Eklogenbuch nur hier.

186

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

haec facietis maxima Gallo steht der Ausdruck maximum esse alicui, der mit "von jemandem wertgehalten werden, von bleibender Bedeutung für jemanden sein" wiedergegeben werden kann206. Im Gedichtzusammenhang weist die Superlativform auf die nicht mehr überbietbare Steigerung, die nun mit der Einlösung des anfanglichen Anspruchs erreicht ist207. Maxima knüpft als Neutrum Plural an pauca aus dem Prolog an und fügt sich so ganz in die Linie der Steigerung zwischen Prolog und Epilog ein. Die pauca sollen maxima werden. Der Superlativ maxima steht zumindest in einem Spannungsverhältnis zu der Sphäre, die sich im Eklogenbuch bislang durch Adjektive wie humilis und tener definierte. Die Vermessenheit, die der neue Anspruch möglicherweise bedeutet, kann nur durch die Anrufung der Pierides als gewährender und schützender Instanz erträglich gemacht werden. Schließlich ist das die bukolische Tradition übersteigende maxima die Antwort des Epilogs auf den zu Anfang mit extremum laborem geäußerten Anspruch. Der extremus labor steht vor der Vollendung. Mit maxima ist auch eine nicht mehr überbietbare grammatische Form erreicht 208 . Der bukolische Dichter verläßt seinen Bereich nicht etwa, indem er ihn für nun unwürdig und zu niedrig erklärt. Vielmehr legt er bis zum Schluß Wert auf dessen poetische Leistungsfähigkeit. Er verläßt ihn erst in dem Moment, da er ihm noch einmal eine ungeahnte und unüberbietbare Steigerung abgefordert, das Bukolische seine höchste Dignität erreicht und sich dabei zugleich selbst überschritten hat. Die erste wörtliche Wiederaufnahme aus dem Prolog ist im Epilog die wiederholte Anrede Gallo am Ende des v.72 und am Anfang von v.73. Der bukolische Dichter bekräftigt den dort geäußerten Anspruch. Wie im Prolog, so erscheint Gallus auch im Epilog ohne jedes ehrende Attribut. Der Name spricht für sich; entscheidend ist die Freundschaft, nicht ein Titel wie divinus poeta, der nur im eingelegten Lied steht. Auch im Prolog stand in zwei aufeinanderfolgenden Versen (v.2 und 3) jeweils die Namensform Gallo. Hier

206 CONINGTON-NETTLESHIP verweisen auf Aen. 8,271-272: hanc aram luco statuit. quae maxi/na semper / dicetur nobis et erit quae maxima semper. Das erste maxima wird don zuni Bestandteil des Namens, das zweite bezeichnet prägnant einen unvergänglichen, dauernden Erinnerungswert, wie auch die Verbindung mit semper zeigt. 207 Aufschlußreich ist die Gegenüberstellung von ecl. 10,72 mit der theokritischen Vorbildstelle, die zu Beginn eines Liedes steht (id. 10,24-25 [Boukaios]: Μοίσαι Πΐίρΐδίς , ουναάσαTt ταν pahivav μοι / παΐδ'· (Le yap χ' άψησΰί, dtai, καΧά τάπα iroeire). Durch die Abwandlung von καλά zu maxima wird der Musenanruf zum Höhepunkt am Ende einer dynamischen Entwicklung. 208 Der Superlativ von magnus steht im Eklogenbuch nur hier. Bislang fand sich nur der Komparativ, der in ecl. 4,1 - noch unter vielen ostentativen Bescheidenheitsbekundungen (z.B. dann humiles... myricae in v.2) - den Aufschwung zu Höherem kennzeichnete, dessen Ausdruck dieses Gedicht ist: Sicelides Musae, paulo maiora canamus! In ecl. 10 dagegen geht es nicht mehr um eine relative Steigerung, sondern um die Vollendung.

v. 72-74

187

im Epilog wiederholt sich die metrische Differenz der Formen aus v.2 und 320S nicht, sondern die beiden Namensformen rücken als letzter bzw. erster Spondeus eines Hexameters unmittelbar zusammen. Die Epanalepsis Gallo in v.73 ist ein exaktes Echo von Gallo in v.72, ein Echo über die Versgrenze hinweg. Die Wiederholung des Namens ist ein Ausdruck besonderer Zärtlichkeit gegenüber dem Angesprochenen 2 1 0 . Zugleich greift der bukolische Dichter das bukolische Grundmotiv des Echos auf, indem er hier selbst den Namen des Gallus widerhallen läßt. Er bestätigt damit nochmals den programmatischen Satz respondent omnia silvae, bekräftigt die empathische Resonanz der bukolischen Sphäre, durch die Gallus in Form von Gesang an dieser Sphäre Anteil haben wird. Die Charakterisierung des entstehenden Gedichts als extremus labor im Prolog stand im Zusammenhang mit der Herausforderung, die dessen Adressierung an Gallus bedeutete 2 ", und entsprechend steht hier im Epilog der Name des Gallus wieder in Verbindung mit dem Superlativ maxima, der an den Anspruch erinnert. Aus dem Verlauf des Gedichts ist jetzt klargeworden, daß nicht nur die schlichte Widmung und Zueignung an Gallus den hohen Anspruch nach sich zog, sondern daß das maximum, das bisher nicht Dagewesene, in der Einbeziehung des Gallus, seiner Leidenserfahrung, seiner Versuche zu dichten und seiner direkten Rede ins Gedicht bestand. Das so vollständige Sicheinlassen auf die Figur des Gallus macht das Gedicht vom Standpunkt des Prologs aus zum Wagnis, vom Standpunkt des Epilogs aus nun zur Vollendung

209

Die Silben des Wortes Gallo gehören in v.2 (pauca meo Gallo, sed quae legat ipsa Lycoris) zu zwei verschiedenen Daktylen/Spondeen des Hexameters, in v.3 dagegen (neget quis carmina Gallo?) füllen sie den versschlieBenden Spondeus aus. In v.2, wo die zweite Silbe des Namens einen neuen Spondeus eröffnet, kann man von einer steigenden, in v.3 von einer fallenden Spannungskurve sprechen und die beiden Namensnennungen als spannungsaufbauend und -lösend aufeinander beziehen. Galli in v.6 (wiederum zwei verschiedenen Spondeen des Hexameters angehörend) eröffnet eine neue Spannungskurve, die sich gewissermaßen erst mit dem zweimaligen "fallenden" Gallo in v.72/73 auflöst. 210 COLEMAN, ad loc.: "the repetition, more immediate than in 2-3, suggests an urgent intensity of emotion which is sustained throughout the following couplet. This goes beyond the requirements of loyal sympathy to a fellow poet, and, coming after the allusion to Id. 10 (sc. v. 24-25; s.o., Anm. 207; d. Verf.), suggests an intense affection for Gallus, which would add a note of poignancy to his treatment of Gallus' sollicitos... amores for Lycoris and so explain laborerη (1)". Zur Epanalepsis siehe darüber hinaus R. GIMM, De Vergilii stilo bucolico quaestiones selectae. Diss. Leipzig 1910, S. 87-89; H. OFFERMANN, Eine Kleinigkeit zu Vergils Eldogen, GB 3 (1975), S. 275-290 (dort bes. S. 286-287. Anm. 32); allgemein H. LAUSBERG, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960, S. 314-315 (§ 619 zur Anadiplosis von Eigennamen; ecl. 10,72-73 wird als Beispiel angefühlt); E. HUTTNER, Kunstformen der emphatischen Gemination, Bayreuth 1965. 211 V.2 (pauca meo Gallo... / carmina sunt dicenda) hatte den Charakter einer impliziten Begründung für extremum... laborem in v.l.

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2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

und Überschreitung des Bisherigen. Andererseits wahrt der bukolische Dichter bei aller bekundeten Zuneigung zu Gallus bis zum Schluß sorgfältig die Distanz zu ihm. In Prolog und Epilog redet er Gallus niemals unmittelbar an, sondern spricht von ihm nur in der dritten Person212. Die einzige Instanz, an die er in Prolog und Epilog Imperativisch beziehungsweise in der zweiten Person direkt das Wort richtet, bleiben die jeweiligen Musen. Der folgende Relativsatz Gallo, cuius amor tantum mihi crescit in horas nimmt, diesmal aus der Perspektive des bukolischen Dichters, den Begriff amor noch einmal auf. Die Übertragung dieses Zentralbegriffs aus der Sphäre des Gallus in die Sphäre der Dichterinstanz ist der entscheidende Vorgang des Epilogs. Die Wahrheit des v.69, die Erkenntnis des Gallus über Amor, bleibt im Gedicht nicht als ein Letztes stehen. Im Prolog der bukolischen Dichterinstanz kam amor noch nicht als singularisches Abstraktum vor, sondern (v.6: sollicitos Galli dicamus amores) als pluralische Bezeichnung für Gallus' individuelle Liebeszustände. Die Überführung des Begriffs in den Singular und die damit verbundene Abstraktion, die Erkenntnis, daß Amor eine einheitliche Größe ist, war die Leistung des Liedes im Lied und des Gallusmonologs. Hier im Epilog spricht nun der bukolische Dichter - unter Aufnahme des Singulars von seiner wachsenden Liebe zu Gallus. Aus seinen zunächst (v.a. im Prolog) eher verhaltenen Zuneigungsbekundungen für Gallus wird hier ein eindeutiges Bekenntnis zu seinem amor zu Gallus, was ein weiteres unverkennbares Indiz für sein gesteigertes Selbstbewußtsein und -vertrauen ist. An dieser Stelle steht mit mihi eine Form des Personalpronomens der ersten Person Singular. Im mihi concede des Prologs war die Ich-Position durch keinerlei Emotionalität gekennzeichnet, sondern bezeichnete lediglich das Ziel der von außen erbetenen Handlung. Amor... mihi crescit bringt dagegen einen gänzlich innerpsychischen Vorgang zum Ausdruck, womit der bukolische Dichter Einblick in einen eigenen seelischen Raum gewährt, den es im Prolog nicht gab. Die adverbielle Angabe in horas deutet auf ein schnelles Anwachsen der Liebe, das man buchstäblich mitverfolgen kann. Es liegt nahe, dieses Wachsen der Liebe zu Gallus mit dem aktuellen Vorgang des Dichtens in Verbindung zu bringen, der ebenfalls in horas, im Moment und von Augenblick zu Augenblick, stattfindet und mitbeobachtet werden kann. Das Gedicht ist demnach Ausdruck von amor zu Gallus, und dieser amor wächst während des Dichtungsvorganges noch an. Bislang blieb der Begriff amor im Gedicht strikt Gallus vorbehalten. Amor zeigte sich stets nur als eine unheilvolle und verderbliche Macht, die mit den entsprechenden Attributen belegt war (pluralisch sollicitos... amores in v.6; singularisch dann v.10: indigno... amore, v.29:

212 Im eingelegten Lied gibt es eine Apostrophe an Gallus (v. 17: nec te paeniteat divine poeta). als deren Sprecher der bukolische Dichter zu denken ist.

pecoris.

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crudelis Amor, v.44: insanus amor), und stand mit v . 6 9 als allmächtiger Sieger da. Der Dichter bestätigt nun mit seinem eigenen abschließenden Bekenntnis zu amor implizit die Gültigkeit der Wahrheit des Gallus (omnia vincit Amor) auch für ihn selbst, gibt dieser Wahrheit jedoch eine eigene Umdeutung. In et nos cedamus Amori des v . 6 9 läßt sich der bukolische Dichter durchaus mitdenken. Ihm bleibt es aber vorbehalten, Amor (Majuskel in v.69 wie in Mynors' Ausgabe) nicht mehr nur als den großen Unterwerfer, sondern als belebendes, förderndes Prinzip wahrzunehmen, wie die Parallelisierung von dessen Wachstum mit der im Frühling aufschießenden Erle (bzw. deren Ablegers; s . u . , S.190) im folgenden Vers vor Augen führt 2 1 3 . Das letzte Attribut des Gallus, das der bukolische Dichter sich beilegt, ist somit amor selbst. Gallus' Dichtung scheiterte an seiner Liebe; Liebe und Dichtung schlossen bei ihm einander aus. Seiner abschließenden Erkenntnis vom unausweichlichen Sieg Amors ist seine Erkenntnis von der Nutzlosigkeit der carmina in v.62 bereits vorausgegangen. In den Versen 73-74 eröffnet der bukolische Dichter, wie vorsichtig auch immer, den Blick auf ein anders geartetes Verhältnis von Liebe und Dichtung. Seine eigene Liebe wird hier zum Ausgangspunkt und zur Voraussetzung des Dichtens, und andererseits wird dieses Dichten wieder zum Ausdruck der Liebe. In dieser abschließenden Aufnahme von amor in v . 7 3 sind implizit alle Stadien und Erscheinungsformen der Liebe präsent, die im Gedicht jemals eine Rolle gespielt haben. Die Erfahrung des Gallus (der amor, der mit den Attributen indignus, crudelis, insanus belegt ist) wird nicht etwa negiert, sondern sie bleibt als eine Wahrheit in ihrem Eigenrecht stehen und wird dennoch überschritten. Erst die Position des Dichters, für den Lieben und Dichten einander nicht ausschließen (ebensowenig wie Dichten und Arbeiten), macht die gültige Darstellung der Leiden des Gallus möglich, der beide nicht mehr zusammenbringen kann. Zwischen dem Monolog des Gallus und dem Epilog des bukolischen Dichters besteht ein Verhältnis von H o f f n u n g und Einlösung, denn im Abschnitt seiner Wald- und Dichtungsphantasie schien für Gallus augenblicksweise eine Vision von gelingender Dichtung und Liebe auf (v. 53-54: tenerisque meos

incidere amores / arboribus: crescent illae, crescetis, amores). Für Gallus

213 Vgl. C.P. SEGAL, Vergil's Sixth Eclogue and the Problem of Evil, zuerst: TAPhA 100 (1969), S. 407-435; zitiert nach dem Abdruck in: ders., Poetry and Myth in Ancient Pastoral, Princeton 1981 (S. 301-329); dort S.326: "After Gallus' capitulation... Vergil, with a rare intrusion of the first person (mihi, 73), declares his own amor for his friend. The growing (crescit, 73) of this love answers the growing of the trees into which the desperate Gallus carved the tale of his stubborn passion... . Amor in 73, unlike the disruptive, dispersive amor of Pasiphae or Gallus' insanus amor, has a creative, unifying force". SEGAL verweist auch darauf (ibid.), daB die Vorstellung vom Wachsen des Dichters schon einmal in ecl. 7,25 aufscheint ([Thyrsis:| Pastores, hedera crescentem ornate poetam).

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realisiert sich dieses Wachsen der Liebe im Zeichen des Gelingens jedoch nicht (crescent/crescetis sind Futurformen), und erst der bukolische Dichter kann mit seinem Gesamtgedicht eine Erfüllung schaffen. Dabei lehnt sich die Epilogstelle, die das letztendlich gelingende Wachstum schildert, nicht nur mit der unmittelbaren Wiederaufnahme der Zusammenstellung von crescere und amor, sondern auch mit der Baummetapher von v.74 (quantum vere novo viridis se subicit alnus) an die zitierte Stelle aus dem Gallusmonolog an. Das Wachsen der Liebe (v.73: cuius amor tantum mihi crescit in ho ras) ist in Korrelation zu einem Vorgang aus der bukolischen Natur gesetzt, der so als Maßangabe dient (v.74: quantum vere novo viridis se subicit alnus). R.R. Dyer 2u macht unter Heranziehung von Georg. 2,17-19 215 plausibel, daß se subicere als terminus technicus das Ausschlagen des Baumablegers bezeichnet und weist darauf hin, daß die Weiß- oder Grauerle (Alnus incana) in der Tat derartige Ableger bildet. Nachdem Gallus' Amor durch völlige Unzugänglichkeit und Uneinholbarkeit gekennzeichnet war, ist nun diejenige Form des amor, die dem bukolischen Dichter möglich ist (mihi crescit), offensichtlich mit der bukolischen Sphäre kommensurabel und in einem bukolischen Gleichnis meß- und beschreibbar. Der quantum-Szxz des v.74 enthält mit seinem Prädikat se subicit eine Parallelhandlung zum crescit des v.73. Zwei vollständige Vorgänge werden zueinander in Beziehung gesetzt. Das am Ende des Gedichts explizit entfaltete Frühlingsbild216 ist viel mehr als eine idyllischbukolische Szene: Es wird zum Ausdruck einer fast triumphalen Hoffnung und Freude. Das Bild des v.74 ist das des gerade beginnenden Frühlings (vere novo), der eine ungeahnte Dynamik entbindet. Das Attribut pointiert nochmals den Anfangscharakter, den der Frühling ohnehin hat. Am Ende des Gedichts steht ein Bild des Aufkeimens und Aufblühens, so daß Ende und Anfang miteinander verschränkt werden. Eine besondere Dynamik erhält dieses Bild durch den Ausdruck se subicit. Zwischen den Prädikaten se subicit und crescit entsteht eine Spannung und Reibung. Während crescere einen gleichmäßigen, tendenziell ungerichteten Wachstumsprozeß bezeichnet und über die Wachstumsgeschwindigkeit keine Aussage macht, wird das Wachstum in dem reflexiven Ausdruck se subicere weniger prozeßhaft denn als ein durch die augenblicklichen Umstände (vere novo) ausgelöster Akt gefaßt, der gerade nicht von

214

Vergil Eclogue 10. 73-74 and the Suckering Habit of the White Alder. CPh 64 (1969). S. 233-234. 215 pullulat ab radice aliis densissima silva, / ut cerasis ulmisque; etiam Parnasia laurus / parva sub ingenti matris se subicit umbra. 216 Daß es sich auch im Prolog um ein Frühlingsbild handelte, war aus v.7 (dum tenera attondent simae virgulta capellae) nur zu erschließen. Die Tendenz hin zu größerer Direktheit und Ausdrücklichkeit, die Dynamik und Steigerung zwischen Prolog und Epilog hält sich durch.

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gleichmäßigem, sondern von sprunghaftem Charakter ist, als ob er durch eine Willensanstrengung des Baumes ausgelöst würde. Das in se subicere enthaltene Präfix sub- impliziert eine Größendifferenz, woraus man zwanglos die Gerichtetheit des so bezeichneten Wachstums von unten nach oben217, ein SichStrecken von etwas Kleinem, das sich noch unten befindet, ableiten kann218. Das Bild des im Frühling aufschießenden Bäumchens219 fügt sich in den Rahmen der lange eingeführten poetologischen Hoch-Niedrig-Metaphorik des Eklogenbuchs; ein derart explizites Bekenntnis des Dichters zum Wachstum nach oben (sei es zum eigenen, sei es zu dem seines Gedichts) ist jedoch wieder neu. Die Tatsache, daß das Wachsen des amor Galli mit dem Aufschießen des bukolischen Symbols viridis alnus in Parallele gesetzt wird, zeigt, daß der amor Galli das entscheidende Movens für das Erreichen des dichterischen maximum, für die abschließende selbstbewußte Selbsterhöhung des bukolischen Dichters und der bukolischen Dichtung ist. Zugleich mit dem amor Galli und, so darf man nun ergänzen, durch den amor Galli erhebt sich die Bukolik und wächst über sich hinaus. Der amor - von Anfang an Thema des Gedichts - hat als amor Galli gewissermaßen einen Ableger beim bukolischen Dichter hervorgebracht, zu dem dieser sich jetzt ausdrücklich bekennt. Die Funktionen des Epilogs lassen sich von hier aus wie folgt beschreiben: Gallus, sein Monolog und die darin ausgedrückte Erfahrung werden an eine intakte poetische Sphäre zurückgebunden. Verbindendes Element zwischen Gallus und dieser Rahmensphäre ist dabei der amor. Dabei wird der amor vom Bedrohlichen ins Kreative umgedeutet. Amor ist dem Dichter nicht mehr schädlich, sondern treibt ihn an. Die eingangs noch so vorsichtige Rahmen217

Dies gilt, gleich ob man subicit als sursum iacit oder als subter iacit (Servius, ad loc.) versteht. DYER (ait. cit.) favorisiert wegen seiner Ablegerthese die zweite Möglichkeit. Auch wenn man diese zugrundelegt, ist aber die GröBendifferenz mitgedacht und kann das Aufschienen des Ablegers (also die erste von Servius angebotene Alternative) nach oben mitgemeint sein. Das konventionelle Verständnis bei T H . LADEWIG / C . SCHAPER, Vergils Gedichte, Berlin '1882, S.72, ad loc.: "se subicit, sich aufschwingt, fast sichtbar wächst". 218 Vgl. den Anthropomorphismus an der (s.o., Anm. 215) zitierten Georgicastelle, wo der große Baum als mater, der kleine als parva bezeichnet wird. 219 Das Subjekt alnus am Schluß des v.74 ruft die Erinnerung an die im Eklogenbuch häufige Symbolisiemng der bukolischen Dichtung durch Baumnamen (myricae oder auch den Generalbegriff silvae) wach. Für alnus gibt es im Eklogenbuch noch zwei weitere Belegstellen: In ecl. 6,62-63 (tum Phaethontiadas musco circumdat amarae / corticis atque solo proceras erigit alnos) steht es im Zusammenhang der mythischen Erzählung des Silen über das Schicksal der Heliaden; in ecl. 8,53 (mala ferant quercus, narcisso floreat alnus) ist es eine bukolische Reminiszenz im Rahmen eines αδύνατον, in dem die Welt aus den Fugen geraten ist (der folgende v.54 \pinguia corticibus sudent electra myricae\ enthält als letztes Wort einen noch typischer bukolischen Baumnamen). Beide Male ist der Zusammenhang in gewissem Sinne aus der bukolischen Normalität herausgehoben. Man könnte alnus, das z.B. niemals in einer locusamoenus-Passage vorkommt, demnach als bukolisches Wort für besondere Anlässe bezeichnen.

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2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

Dichterinstanz gewinnt und außen dabei ein neues dichterisches Selbstbewußtsein. Mit der Hinübernahme des amor aus dem Gerahmten in den Rahmen ist der Epilog nicht mehr nur das Schlußstück eines bukolischen Rahmens. Innen und Außen gehen jetzt ineinander über. Der bukolische Rahmendichter bekennt, daß er am Unbukolischen, Gerahmten, der Erfahrung des Gallus, genauso Anteil hat. Der Rahmendichter wird zum Dichter überhaupt, denn seine Sphäre ist nicht mehr einfach das Bukolische. Im Epilog, der sich nach wie vor bukolisch gibt, ist das Bukolische uneigentlich geworden. Die Dichterinstanz hat, indem sie zwischen Innen und Außen vermittelt, eine neue, übergeordnete Position erreicht, die jenseits von Innen und Außen, jenseits von Bukolischem und Nichtbukolischem liegt.

v. 75-76:

surgamus: solet esse gravis cantantibus umbra, iuniperi gravis umbra; nocent et frugibus umbrae.

Die einleitende Selbstaufforderung surgamus ist nach der Zustandsbeschreibung sedet (v.71) der erste Hinweis im Gedicht auf eine körperliche Positionsveränderung des bukolischen Dichters. Die jetzt wiederaufgenommene erste Person Plural relativiert wieder das zu Beginn des Epilogs zunächst sehr deutlich-bekenntnishafte Sprechen des bukolischen Dichters von sich selbst in der ersten Person Singular. Der bukolische Dichter verläßt nun den Ort, den er im Prolog eingenommen hat und gibt seine Sitzposition (dum sedet; v.71) auf, da die günstigen äußeren Umstände (v.7: dum tenera attondent simae virgulta capellae) nicht mehr gegeben sind. Die pluralisch-partizipiale Selbstbezeichnung cantantibus knüpft über cecinisse in v.70 an das vorausweisende Verbum canimus in v.8 an und beschließt so die im Prolog entwickelte Grundkonstellation: Der befristete καιρός, der das Singen ermöglichte, ist vorüber, und der hereinbrechende Abendschatten (umbra) beginnt den locus amoenus, der Voraussetzung für das Singen war, aufzulösen. Der bukolische Sänger schickt sich an aufzustehen und den locus amoenus zu verlassen, der aufhört, ein solcher zu sein. Dieses Auflösungsphänomen wird in den vv. 75-76 durch das dreimal emphatisch wiederholte umbra bezeichnet. Der Schatten ist dabei Inbegriff des Schädlichen, eine aktive, hindernde Gegenmacht, der es auszuweichen gilt. Die Wirkung dieser Macht wird zweimal mit gravis und einmal handlungsförmig mit dem Verbum nocere qualifiziert. Für gravis ist an dieser Stelle die Bedeutung "schlimm, schädlich" einschlägig, die häufig im Zu-

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sammenhang mit Jahreszeiten, Wetter oder bestimmten Orten belegt ist220. Mit seiner Grundbedeutung "schwer" bildet das Wort einen auffalligen Gegensatz zu dem zuvor entwickelten Frühlingsbild des Aufblühens und Aufschießens. Es beschreibt die dazu gegenläufige Bewegung, die Bedrohung der Aufwärtsrichtung, die niederdrückende Gravitation. Am Ende des Gedichts folgt auf das Wachstumsbild eines von der Bedrohung dieses Wachstums. Die aufschießende Erle bildete das gelingende Gedicht und das Zuendekommen und Über-sich-Hinausschießen des Bukolischen ab. Ähnlich dem Einleitungsbild vom bedrohten und kostbaren Süßwasserstrom der Arethusa, die Garantin für das Werk sein soll, weist diese abschließende Rückwendung zum Thema Bedrohung auf die ständige, unveränderte Fragilität der Konstellation hin, deren Bestehen Voraussetzung für das Gelingen des poetischen Unterfangens ist. Die abhängige Grundbefindlichkeit des bukolischen Dichters zeigt sich nun darin, daß er die Bedrohung nicht bekämpfen kann. Er erweist sich aber, wie seine (Selbst-) Aufforderung surgamus zeigt, als weitsichtig genug, ihr rechtzeitig auszuweichen, sich seiner Abhängigkeit bewußt zu bleiben und nicht das, was nur äußere Gnade gewähren kann, eigener Aktivität überantworten zu wollen. Gerade durch dieses Bild einer von Vorsicht und Umsicht geprägten Figur, das der bukolische Dichter von sich zeichnet, stellt er noch einmal einen scharfen Kontrast zu Gallus her, der in seinem Monolog immer wieder in gefahrliche oder gar lebensbedrohliche Situationen geriet, ohne sich recht schützen zu können. Die drei Glieder der w . 75-76 mit dem jeweils am Schluß emphatisch (beim dritten Mal im Plural) wiederholten Wort umbra erinnern an ein bukolisches Schema, wobei das erste Glied mit dem Schluß von v.75, das zweite mit der Caesur κατά τρίτον τροχαίον des v.76 und das dritte mit dessen Schluß

220 Z.B. (nach dem OLD unter dem Lemma gravis 6b) ("of seasons, places, etc."): "oppressive to the health, unwholesome"; Cie. ad Q. fir. 2,15,1: anni tempore gravissimo et caloribus maximis\ Cie. de div. 1,130: adspiratio (sc. caeli) gravis et pestilens·, Cels. 1,3,1: ex salubri loco in gravem... transitus. Vgl. Lucr. 6,783-785: arboribusprimum certis gravis umbra tributa / usque adeo, capitis faciant ut saepe dolores, / siquis eas subter iacuit prostratus in herbis (nach der Einleitung 781-782: Deinde videre licet quam multae situ homini res / acriter infesto sensu spurcaeque gravesque). Zum Problem siehe J. NOVÄKOVÄ, Umbra: Ein Beitrag zur dichterischen Semantik (Dt. Akad. d. Altertumswiss. zu Berlin, Schriften der Sektion f. Altertumswissenschaft 36), Berlin 1964, die für ecl. 10,75 die Vorstellung von der "Kühle, die der Stimme schadet" (S.26) annimmt, die "in der unmittelbar darauf folgenden Zeile... durch ein freies Assoziationsspiel zur volkstümlichen Vorstellung vom schädlichen Hauch des Wacholders und vom Schatten, der die Saat erstickt" (ibid.), übergehe. Weiteres s.u., Anm. 229 und 230.

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

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endet 22 '. Hier, zum Ende hin, nimmt die Länge der Glieder nicht mehr zu, sondern (von v.75 nach v.76) ab. Das Wiederholungswort umbra ist ein zentrales bukolisches Wort, das im Eklogenbuch zwei verschiedene Traditionsstränge besitzt. Zum einen ist das Beschließen eines Gedichts mit dem Hinweis auf die fallenden Abendschatten aus e c l . l und ecl.2 geläufig 2 2 2 . Zum anderen aber ist der Schatten in der Hitze des Tages ein äußerst kostbares Gut und ein wesentliches Element des locus amoenus223. Hier nun, am Ende des Abschlußgedichts, wird er all dieser angenehmen Konnotationen entkleidet und verwandelt sich in eine düstere und bedrohliche Macht 224 . In Erinnerung an

221 R . G . M . NISBET, a n . cit. (s.o., Anm. 198), findet in den letzten drei Versen von ecl. 10 alle typischen Merkmale von Vergils bukolischem Stil vereinigt (S. 13-14). Zu v. 75-76 bemerkt er (S. 13): "Here we have the same jingling repetition that we found at the beginning of Theocritus 1: gravis, gravis, umbra, umbra, umbrae." (S.u., A n m . 236.) 222 Eine Fernbeziehung zwischen letztem und erstem Gedicht dürfte beabsichtigt sein. In ecl. 1 steht umbrae (Ν.83) am Gedichtschluß (maioresque cadunt altis de nwntibus umbrae). IN ecl. 2,67 erscheint das W o n im Akkusativ - ebenfalls am Versende - in der Überleitung zu Corydons abschließender Selbstermahnung (et sol crescentis decedens duplicat umbras). An diesen beiden Stellen hat der Schatten keine bedrohlichen Qualitäten. 223 Ecl. 1,4 (wo Meliboeus den Schatten zum Inbegriff von Tityrus' otium werden läftt): tu, Tityre, lentus in umbra /formosam resonare doces Amaryllida silvas; 2 , 8 (Corydon): nunc etiam pecudes umbras et frigora captant; 5,5-6 (Mopsus bei der Suche nach einem locus amoenus): sive sub incertas Zephyris motantibus umbras / sive antro potius succedimus; ibid. 70 (umbra als O n für convivia: Menalcas): ante focum. sifrigus erit; si messis, in umbra; 7,10 (als Element des locus amoenus; Meliboeus): et. si quid cessare potes, requiesce sub um!>ra; ibid. 4 6 (besondere Betonung der Kostbarkeit durch Corydon): et quae vos rara viridis tegil arbutus umbra und 58 (Thyrsis): Liber pampineas invidit collibus umbras; 9,19-20 (Lycidas; umbra hier als Bestandteil der vom Dichter erzeugten, ganz als locus amoenus gesehenen bukolischen Welt): quis humu/n florenhbus herbis / spargeret aut viridi fontis induceret uinbra.' Außerdem umbraculum wieder als Bestandteil des locus amoenus (Liedzitat des Moeris in 9,41-42: hic Candida populus antro / imminet et lentae texunt umbracula vites). 224

Vgl. D . F . KENNEDY, Shades of meaning: Virgil, Eclogue 10. 75-7 (LCM 8 . 8 |Oki. 1983), S.124): "The shade, erstwhile so attractive to the pastoral singer... is now seen as harmful. um!>ra, thrice repeated within the context of reversal of its usual values, invites investigation of its possible metaphorical ramifications." Im gleichen Sinne PU TNAM, Virgil. S.389: "... a marked surprise because shade is essential for pastoral as we have often seen. ... The unpastoral quality of the utterance comes as a shock." Nur an zwei früheren Stellen des Eklogenbuchs ist eine vergleichbare Wahrnehmung des Schattens zu beobachten. Ecl. 5,40 bezieht sich auf das Ritual bei Daphnis' Begräbnis (spargite humum foliis, inducite fontibus umbras, / [pastores... / et tunuilum facite|); in ecl. 8.14 heißt zu Beginn von Damons Verzweiflungslied die Finsternis der Nacht umbra (frigida vix caelo noctis decesserat umbra). KENNEDYS Interpretation ( a n . cit.: "The poems themselves |sc. die Eklogen] contemplate at length and often the poetic hopes of their author, the stylistic and thematic choices available to him, and his aspiration to poetic maturity and authority \4.1 ff., 6 passim, S.6 f f . | . The time has now come to move out from the shadow of these youthful hopes") ist nicht befriedigend, da sie unterstellt, umbra habe in ecl. 10,75-76 - und nur dort - einen metaphorischen Wert und stehe für die niedrigen, unbeachteten Anfange des Dichters, der sich bislang "noch

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die Eingangsszene des Eklogenbuchs, wo der Schatten - wie gesehen - ein Konstitutivum des otium des Tityrus war, das dessen Singen mitermöglichte, ist die hier im Epilog von ecl. 10 aufgestellte Behauptung solet esse gravis cantantibus umbra einigermaßen erstaunlich225. Auch der Abendschatten, um den es sich hier handeln dürfte (obwohl ein ausdrücklicher Hinweis darauf noch fehlt), ist ja im Eklogenbuch vorher nie als derart düster und bedrohlich wahrgenommen worden. Objekt der Bedrohung durch den Schatten ist im ersten Glied cantantibus, im letzten frugibus. Der bukolische Dichter setzt die Bedrohung, der er sich selbst ausgesetzt sieht, in eine Parallele mit der Bedrohung für die Feldfrüchte. Dies ist eine letzte Manifestation seiner sympathetischen Wahrnehmung der Natursphäre und seines Sichineinssetzens mit ihr226. Seine Gedankenbewegung führt hin zur Einordnung der eigenen Erfahrung in den Naturprozeß 227 . Fruges stammt eher aus dem georgischen als aus dem bukolischen Bereich, jedoch lassen sich diese beiden niemals ganz eindeutig trennen228. Die Landbauthematik spielt in die bukolische Sphäre des Eklogenbuchs ebenso hinein wie die Bereiche Jagd oder Weinbau. Fruges bezeichnet meist die reife, zur Ernte bereite Feldfrucht, die immer einer besonderen Gefahrdung unter-

im Schatten bewegt" habe und jetzt "aus dem Schatten zu treten" beabsichtige. In dieser Deutung wird zugunsten der vermuteten ad-hoc-Metapher die Tatsache ignoriert, daß der Schatten ein bukolisches Grundmotiv ist und daß der hier dreimal emphatisch wiederholte Begriff zu einem Beziehungsgeflecht gehört, das sich durch das ganze Eklogenbuch erstreckt. Wieso sollte umbra hier kategorial völlig anders als sonst (nämlich rein metaphorisch) gemeint sein? P.L. SMITH (Lentus in umbra: A symbolic pattern in Vergil's Eclogues, Phoenix 19 119651, S. 298-304) beschreibt (S.304) korrekt das plötzliche Durchbrechen der negativen Qualitäten des Schattens am Ende von ecl. 10, stellt es aber in den Zusammenhang der fragwürdigen These, der Schatten werde hier als Element des epikureischen otium auf dem Wege zur Bejahung des labor abgewertet: "The concluding verses of the tenth Eclogue are, 1 feel, almost a renunciation or recantation; the symbolic mask is removed; and shade becomes a noxious evil that damns the pastoral profession... " (art. cit., S.303). Der Gedanke an eine in irgendeinem Sinne moralische Verurteilung des Bukolischen in ecl. 10 ist abwegig. 223 Zur Beziehung der Schlußverse von ecl. 10 zur Eingangsszene von ecl. 1 vgl. auch G. WILLIAMS, Tradition and Originality in Roman Poetry, Oxford 1968, S.234: "The final three lines serve as an end not only to this Eclogue, but, taking up line 1, to the whole book of Eclogues as well." WILLIAMS denkt wohl an das Gegensatzverhältiiis zwischen den Handlungen recubare (ecl. 1,1) und surgere. 226 COLEMAN (zu v.76) zu dieser Parallelisierung: "... recalls the Arcadian bond of sympathy between man and nature. What affects the fruits of the farm affects the musicmaking of the farmer." 227 Dieselbe Tendenz fand sich auch in den Worten des Pan an Gallus (v. 28-30). 228

Vgl. R. KETTEMANN, op. cit. (s.o., Anm. 198).

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2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

liegt229. Nachdem zuvor das Wachsen von Gedicht und Dichter in das Bild der im Frühling aufschießenden Erle gefaßt worden ist, erscheint hier im Zuge der definitiven Beendigung des Gedichts andeutungsweise die Vorstellung von einer noch gefährdeten Ernte. Bestimmend ist nun nicht mehr das Bild von ungehindertem und begünstigtem Wachstum, sondern es kommt eine Risikoproblematik in den Blick. Die Analogisierung des fertigwerdenden Gedichts mit der bedrohten Feldfrucht (und also des dichterischen Gelingens mit der erhofften Ernte) stellt Gefahr und Risiko in den Mittelpunkt und knüpft so implizit nochmals an die extremus-labor-Thematik an. Die Feldfrucht muß, um zur Reife zu gelangen, den Umwelteinflüssen ausgesetzt werden, die zu ihrer Förderung unabdingbar sind, ungünstigstenfalls aber auch zerstörerisch wirken können. Man kann die nochmalige Betonung des für die Dichtung Bedrohlichen und Schädlichen am Ende des Gedichts als eine abschließende Bekräftigung der riskanten Grundkonstellation deuten. Gallus erlag als Dichter den zerstörerischen Einflüssen seines amor, der bukolische Dichter aber schreibt ein schließlich gelingendes Gedicht, das dieses Scheitern, die daraus folgende Einsicht und die schließlich mögliche Transformation des zerstörerischen amor zum Gegenstand hat. Damit setzt der bukolische Dichter in hohem und im Eklogenbuch bis dahin ungekanntem Maße sich und seine Dichtkunst gefahrlichen und schädlichen Einflüssen aus. Er nimmt die Möglichkeit zu scheitern und den hochgeschätzten Gallus als Exponenten dieses Scheiterns sehr ernst, und die düstere Evokation des Schattens kurz vor Schluß ruft die Gefahr noch einmal in Erinnerung. Das Bewußtsein von der Bedrohung bleibt in allem Gelingen gegenwärtig.

229 In ecl.3 steht fruges in zwei aufeinanderfolgenden Strophen des Damoetas: cum fac tum vitula pro frugibus, ipse venito (ecl. 3,77) und Triste lupus stabulis, maturis frugibus imbres. / arboribus vertti, nobis Amaryllidis irae (ecl. 3,80-81). An beiden Stellen ist die Gefährdung thematisiert. An der ersten wird ein Opfer bei guter Ernte versprochen; die zweite spricht direkt von der Bedrohung durch Unwetter. In ecl. 9,47-48 ist das Gedeihen der fruges von günstigen (diesmal astronomischen) Himmelsgegebenheiten abhängig (Lycidas): ecce Dionuei processit Caesaris astrum, / astrum quo segetes gauderent frugibus. Die Kommentare verweisen zu ecl. 10,76 wegen der wörtlichen Wiederaufnahme sämtlich auf Georg. 1,121 (Georg. 1,118-121; unmittelbar vor dem Mythos vom pater ipse colendi): Nec tarnen, haec cum sint hominumque boumque labores / versando terram experti, nihil improbus anser / Strymoniaeque grues et amaris intibafibris / officium aut umbra nocet. Vgl. außerdem Georg. 1,155-158; quod nisi et adsiduis herbam insectabere rastris / et sonitu terrebis avis et ruris opaci / falce premes umbras votisque vocaveris imbrem, / heu magnum alterius frustra spectabis acervum sowie Georg. 2,410-412: postremus metito. bis vitibus ingruit umbra, /bis segetes densis obducunt sentibus herbae; / durus ulerque labor. Vgl. Cato, de agr. 33.3: umbram ab sulcis removeto.

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Das Mittelglied zwischen den beiden äußeren Gliedern mit den parallelen bedrohten Größen (den cantantes und den fruges) nennt iuniperus, den Wacholder, als möglichen Urheber der Bedrohung: iuniperi gravis umbra. An der oben (Anm. 220) zitierten Lukrezstelle (6,783) hieß es, bestimmten Baumarten werde eine gravis umbra nachgesagt (arboribus... certis gravis umbra tributa); die Belege für die schädliche Wirkung gerade des Wacholders sind jedoch dürftig 230 . Iuniperus, der Träger der Bedrohung, ist ein Element der bukolischen Sphäre 231 . Ähnlich wie umbra wird iuniperus als bukolischer Naturgegenstand hier nach der schädlichen Seite hin umgedeutet. Paradoxerweise sind nun solche Naturgegenstände, die unter günstigen Umständen einen locus amoenus schaffen, an dessen Auflösung beteiligt. Auch die traditionellen Elemente der bukolischen Welt offenbaren ihr Unheimliches. Der locus amoenus erweist sich endgültig als Symbol und Ausdruck eines nur durch Gnade gewährten dichterischen Glücksmomentes, eines καιρός von vollendetem Einklang, der sich durch ungünstiger werdende Umstände geradezu in sein Gegenteil verwandeln kann. Der gewachsene, herangereifte bukolische Dichter deutet mit diesem Bild von Auflösung auf die Fragilität der Welt hin, die er in der Dichtung geschaffen hat - und damit auch auf die Bedrohtheit, der er selbst als Dichter unterliegt. Seine eigene dichterische Dignität besteht darin, daß er den im Prolog beschworenen καιρός ausgenutzt hat. Bis zum Schluß bleibt das bukolische Dichten unauflöslich mit dem locus amoenus verbunden, denn die Beendigung des Ausnahmezustandes, die hier stattfindende Auflösung des locus amoenus, bedeutet auch das Ende des bukolischen Dichtens. Das Eklogenbuch endet mit der Auflösung seines zentralen Symbols. Der Eklogen-

230

Die Kommentatoren weisen auf Apoll. Rhod. 4,156 hin, wo Medeia bei der Unschädlichmachung des Drachens zumindest zum Besprengen einen Wacholderzweig verwendet: ή Si μιν άρκίύύοιο vioν τιτμηότι ι?αλλψ, / βάττονσ' e* κνκίΰνος, ακήρατα φάρμακ άοιδαΐς / pcüvt κατ' όφϋαΧμάν. COLEMAN vergleicht Plin. hist. nat. 17,89, wo der Walnußbauni (iuglans) als gravis et noxia etiam capiri humano omnibusque iuxta satis charakterisiert wird und bemerkt dazu (ad loc.): "Why the jumper should be thought to have similar properties is unclear. Perhaps the two trees were connected in folklore or popular etymology." D.F. KENNEDY (art. cit.; s.o., Anm. 224) weist auf Servius auctus zu eel. 7,53 hin (Verrius Flaccus iuniperum IUVENEM PIRUM dicit) und nimmt einen Zusammenhang mit dem Birnbaum als Hoffnungssymbol in den Eklogen an (eel. 1,73; 9,50), was zu weit hergeholt ist. Ein biologischer Erklärungsversuch bei G. MAGGIUIXI, L'ombra del ginepro, Maia 38 (1986). S. 217-221. die auch auf die eigenmächtige Übersetzung des Hieronymus von 1 Könige 19,4-5 hinweist (proiecitque se et abdormivit in umbra iuniperi [sc. Elias)), die wohl als Reminiszenz an diese Vergilstelle zu erklären ist. 231 In ecl. 7,53 ist der Wacholder Bestandteil einer locus-amoenus-amg&a Szenerie: Stmt et iuniperi et castaneae hirsutae, / strata iacent passim sua quaeque sub arbore poma, / onmia nuncrident(ecl. 7,53-55). C . FANTAZZI / C.W. QUERBACH (Sound and Substance. A Reading of Virgil's Seventh Eclogue, Phoenix 39 [19851, S. 355-367) weisen (S.364, Anm. 18) darauf hin. daß Wacholderblätter eine Lieblingsnahmng der Ziegen sind.

198

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

buchdichter weicht dieser Auflösung nicht aus. Er bleibt eine feste Größe inmitten dieser Auflösung. Sein surgamus klingt w i e ein Aufbruch zu neuen Ufern.

v.77:

ite domum saturae, venit Hesperus, ite capellae.

Der letzte Vers des Gedichts mit seinem an ein aktuelles Gegenüber gerichteten Imperativ vervollständigt den Rekurs auf die Situation des Prologs 2 3 ·. Das abschließende capellae ist eine Wiederaufnahme aus v . 7 und bekräftigt die Identität des bukolischen Dichters als Ziegenhirt. Waren die Eingangsverse des Epilogs von der Steigerung gegenüber dem Prolog geprägt und die vv. 7 5 - 7 6 von der Bedrohungsthematik, so bekräftigt nun der Abschlußvers, das Abschlußwort capellae, die Kontinuität 233 . Der Imperativische Vers (zweimaliges ite) reflektiert nicht mehr, sondern gibt sich als in der aktuellen Situation zu den Ziegen gesprochen. Der sprechende bukolische Dichter geht für den Schlußaugenblick noch einmal ganz in der bukolischen Lebenspraxis auf, aus der heraus fiktiverweise das ganze Gedicht entstanden ist 234 . Die Anrede ite domum als solche ist ein unverkennbares Schlußsignal. Mit dem Hereinbrechen des Abends ist der Hirtentag beendet, und dies auf gelungene Weise: Die Ziegen sind unversehrt und satt.

232 Auf das chiastische Verhältnis der Binnengliederungen von Prolog und Epilog weist BÜCHNER, RE, Sp. 1242, hin: Der Prolog ist in 3:5 Verse, der Epilog in 5:3 Verse gegliedert. Dieser innere Aufbau spiegelt die Symmetrie des Gedichts wider. 233 Nicht nur die Kontinuität im Verhältnis zum Prolog, sondern auch die im Verhältnis zum ganzen Eklogenbuch: Das bukolische Wort capellae kommt in allen Eklogen außer 5 und 6 vor; es ist ein Konstituens der bukolischen Sphäre (Belege s.o., Anm. 27 zu v.7). Der Abschluß des v.77 mit capellae ordnet als eine bukolische Sphragis den Vers, den Epilog und das ganze Gedicht noch einmal eindeutig der bukolischen Sphäre und dem Eklogenbuch zu. G.

BINDER (in: B. EFFE / G . BINDER, D i e a n t i k e B u k o l i k : e i n e E i n f ü h r u n g , M ü n c h e n / Z ü r i c h

1989, S. 112) weist auf die Reminiszenz an ecl. 1,74 (Meliboeus: ite meae, felix quondam pecus, ite capellae) hin, die wegen Meliboeus' unglücklichen Schicksals auf die "Zerbrechlichkeit des bukolischen Abendfriedens und der ganzen bukolischen Welt" (I.e.) deute. Dieser Erinnerung steht in ecl. 10,77 allerdings mit dem Attribut saturae ein neues Element von Gelingen und Abmndung entgegen, während Zerbrechlichkeit und Bedrohtheit eher in den vv. 75-76 betont sind, worauf auch BINDER (I.e.) hinweist. 234 Mit dem Aufgang des Hesperus beginnt wieder die praktische Zeitlichkeit des Rahmens ihre Rolle zu spielen, nachdem sich im Lied definierbare Räume und Zeiten aufgelöst hatten. D.E.W. WORMELL, The Originality of the Eclogues - sic parvis componere magna solebam: in: Virgil; ed. D.R. Dudley, London 1969 (Studies in Latin Literature and its Influence (S. 126) spricht anläßlich ecl. 10 von "Virgil's world of the poetic imagination, with time all but suspended, though night begins to fall at the close, with scene melting into scene, and theme into theme" (S.22).

v.77

199

Das Überwiegen des Bedrohlichen, die Dominanz der unheimlichen umbrae in den Versen zuvor bleibt eine vorübergehende Erscheinung. Der aufgehende Hesperus setzt dem Schatten ein Lichtphänomen entgegen und entschärft die unberechenbare Bedrohung durch seinen berechenbaren Aufgang. Den vorhergegangenen Auflösungssymptomen der bukolischen Sphäre folgt ein abschließendes Bild der Sättigung und also des Gelingens235. Das Gedicht findet einen organischen Abschluß. V.77 ist rein daktylisch (wie sonst im Gedicht nur noch v.49 und v.66) mit Trithemimeres, Penthemimeres (hier Sperrung des Prädikativums saturae) und bukolischer Dihärese. Der ungehinderte Aufbruch, das zügige, aber nicht übereilte Nachhausestreben der Herde ist damit auf metrischer Ebene nachgezeichnet. Der letzte Vers bestätigt die neugefundene, in den Eingangsversen des Epilogs deutlich zum Ausdruck gebrachte Souveränität des bukolischen Dichters. Er bekennt sich zum Gelingen des Ganzen und läßt deutlich werden, daß der vorhergegangene Hinweis auf eine mögliche Bedrohung nur Ausdruck eben dieser Souveränität war. Mit Gelassenheit und wie selbstverständlich spricht der Dichter von einer domus, die es offenbar im Hintergrund immer gegeben hat. Der Weg nach Hause scheint bei aller Bedrohung niemals ernsthaft in Gefahr gewesen zu sein. Aus diesem unangefochtenen und unangestrengten Hinweis auf ein fortbestehendes festes Residuum spricht wieder sein hohes Selbstvertrauen. Der Dichter vervollständigt mit dem Abschlußvers den Rahmen des Gelingens, in dem Gallus' Scheitern und die kurz vor Schluß noch thematisierte Bedrohung für sein eigenes Dichten aufgehoben sind. Der Ausdruck saturae... capellae nimmt im übrigen direkt das (verneinende) Gleichnis des Pan aus v.30 noch einmal auf (nec cytiso saturantur apes necfronde capellae). Was der arkadische Gott dort zur Beschreibung der Unersättlichkeit des crudelis Amor übersteigernd gesagt hat, wird hier wieder richtiggestellt. Die übertreibende und strenggenommen unrichtige Aussage des Pan hatte im Rahmen des Gesamtgedichts nur vorläufigen Charakter. Erst der Epilog der Dichterinstanz setzt die Dinge wieder in ihre richtige Beziehung. Der Rahmendichter, der die Leiden des Gallus wiederzugeben imstande war und dabei zum poeta der Pierides geworden ist, beendet sein Gedicht mit einer bukolischen Schlußwendung236, die nach sei-

233 Sättigung bzw. Sattsein als bukolische Metapher für das "Genug" am Ende eines Gedichts ist schon aus dem Schlußvers der 3. EkJoge geläufig (ecl. 3.111 |Palaemon|: claudite iatn rivos, pueri; sat prata biberunt) (s.o., S.124, sowie Anm. 197). 136 R.G.M. NlSBET, art. cit. (s.o., Anm. 198), S. 1 3 - 1 4 , zu v . 7 7 : "we have the... typical bucolic diaeresis, the break after Hesperus. Also characteristic are the parenthesis venit Hesperus, the repetition of ite in the first and fifth feet, the artificial distribution by which saturae is combined with the first ite and capellae with the second; there seems also to be a whimsical implication that the audience like the animals now have had their fill. The poem closes with a Grecism for the Evening Star (Hesperus), and a diminutive for the humble

200

2. Schrittweise Analyse des Gedichttextes

ner vorangegangenen dichterischen Selbsterhöhung wie ein Zitat wirkt, wie eine absichtlich an den Schluß gesetzte bukolische Sphragis, gesprochen von jemandem, der die bukolische Sphäre und das dieser entsprechende Dichten hinter sich gelassen hat.

nanny-goats (capellae), the word that is found in the Eclogues thirteen times; the blend of the poetic and the familiar that is so typical of these poems is here given special emphasis. Virgil has ended the book with his bucolic signature-tune, and if I am asked to define the bucolic style I can only point to these lines and say 'That is what it is like.'"

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

3.1

Vorüberlegungen

Daß die 10. Ekloge ein in hohem Maße poetologisches Werk ist, dürfte in der Diskussion einer der wenigen unstrittigen Punkte sein. Dieser Schlußteil soll nun genauer die Bedeutung bestimmen, die das Gedicht für die Entwicklung der impliziten Poetik des Eklogenbuchs besitzt. Unter "impliziter Poetik" sollen hier bestimmte poetologisch ausdeutbare Grundstrukturen verstanden werden, die im Eklogenbuch durchgängig und immer wieder zum Vorschein kommen, dabei aber nicht oder kaum explizit thematisiert werden. Die Grundannahme dabei ist, daß die Strukturen eines literarischen Werkes etwas Überschießendes enthalten, die Realisierung von Prinzipien, die nicht notwendig von den expliziten Äußerungen des Autors über das Werk abgedeckt werden. Die Dichtungsreflexion des Eklogenbuches wird hier im Sinne von E.A. Schmidt (s.o., S. 70-71) als gattungsüberschreitend und -übergreifend verstanden: Die implizite Poetik des Eklogenbuchs bezieht sich auf Dichtung überhaupt und ist nicht nur bukolische Gattungspoetik. Gegenbegriff dazu wäre die "explizite Poetik" des Eklogenbuchs, wie sie sich an programmatischen Stellen wie ecl. 6,1-12 oder weniger offensichtlich etwa in ecl. 10,71 (gracili fiscellam texit hibisco) ausspricht. Sie hat tatsächlich im engen Sinne die Bukolik zum Gegenstand und ist (auch in ihrer Weiterwirkung; d.h. als Vorform augusteischer Poetik) schon vielfach behandelt worden'. Am Ende des 1. Teils verblieb in der Auseinandersetzung mit Schmidt das Desiderat,

' Eine Aufstellung von Grundbegriffen z.B. bei A. GRILLO, Poetica e critica letteraria nelle Bucolicbe di Virgilio, Napoli 1971, S.20 (bei einer Analyse des Prooemiums der 6.

Eldoge): Musa tenuis bzw. tenuitas, simplicitas, urbanitasΙάστιώτης, μεσάτης, decorum/ τρίτον oder S.43 (zu pauca in ecl. 10,2): "la συντομία ο brevitas e la 'finezza' (tenuitas)". Dieselbe Thematik verfolgt F. CUPAJUOLO, Tra poesia e poetica. Su alcuni aspetti della poesia latina nell' etä augustea, Napoli 1966 (M981), der auBer den genannten Aspekten noch die

Komplexe labor Umae (S. 19^*2), poeta doctus (S. 129-172), Tellenismo" (S. 173-236) und Timitazione" (S. 237-250) behandelt. Vgl. auch nochmals den Teil A.l. bei SCHMIDT, Poetische Reflexion, S. 9-56 ("Die grundlegenden Gattungsmerkmale der Bukolik"; dort besonders S. 19-32 zum "kallimacheischen Stilideal" mit den Grundbegriffen λίττός bzw. tenuis·, vgl. auch ecl. 6,5: deductum carmen). Zum Weiterwirken in den europäischen Literaturen vgl. POGGIOLI, S. 153-165 ("The Poetics of the Pastoral"). Die in dieser Arbeit im Zusammenhang mit ecl. 10 behandelte Hoch-Niedrig-Thematik gehört in den Bereich der expliziten Poetik des Eklogenbuchs.

202

3. Die implizite Poetik der Bucoüca

und die 10. Ekloge

daß das Dichten im Eklogenbuch noch genauer zu beschreiben und zu bestimmen sei, da dieser Begriff bei Schmidt den Charakter eines unexplizierten Letzten hat. In diesem Zusammenhang konnten schon vorläufig einige für die Poetik des Eklogenbuchs grundlegende Begriffe gebildet werden, die jetzt für die systematische Einordnung der 10. Ekloge von zentraler Bedeutung sein werden. In Weiterentwicklung Schmidtscher Gedanken ergab sich vor allem der Terminus "Rahmung" (Definition s.o., S. 71-72) für eine Grundkategorie der Poetik des Eklogenbuchs. Problematisch erschien vor allem Schmidts These, in Vergils Bukolik bestehe zwischen dichtender und gedichteter Sphäre eine vollständige Reflexivität bis hin zur Ununterscheidbarkeit 2 . Der Begriff der Rahmung ermöglicht hier eine größere Differenzierung. Gewiß existiert die reflexive Bewegung. Macht man sie aber zur alles erklärenden Grundlage einer Theorie der vergilischen Bukolik, so muß man beobachtbare Unterschiede zwischen Rahmen und Gerahmtem leugnen. Daß die Rahmungsbegrifflichkeit für die 10. Ekloge mit ihrer äußerst deutlichen Rahmenstruktur von Bedeutung sein wird, liegt auf der Hand: Durch Eröffnung und Beschließung der bukolischen Dichterinstanz entsteht dort eine echte Rahmenform. Die Tatsache, daß die Schlußekloge das Rahmungsprinzip in größtmöglicher gestaltlicher Deutlichkeit verwirklicht, weist auf dessen Wichtigkeit für das ganze Buch. Im folgenden soll der Begriff im Sinne der o.g. Definition allgemeiner auf die bloße Existenz mindestens einer vermittelnden Position, einer Zwischenstufe weisen, die im Gedicht ein innerstes Dargestelltes dem Leser erst zugänglich macht bzw. dieses erst erzeugt, d.h. einen Rahmen für es schafft. Die echte, vollständige Rahmeti/b/?n ist, wie dargelegt, eine mögliche, aber keine notwendige Ausformung dieser strukturellen Gegebenheit. Zunächst werden nun in einem Rückblick die Eklogen 1-9 im Hinblick auf die Formen untersucht, in denen "Dichtung (II)" (Hirtengesang) in ihnen erscheint oder auch nicht erscheint. Diese Gedichte sind (als Bestandteile des Eklogenbuchs) in der Terminologie E.A. Schmidts allesamt "Dichtung (I)"; d.h. bukolische Dichtung des bukolischen Eklogenbuchdichters. In welcher Form nun, unter welchen Umständen, tritt die "Dichtung (II)" darin in Er-

2

Zur Erinnerung (SCHMIDT, Poet. R e f l e x i o n , S. 110): "Der Dichter (I), der in seiner

Dichtung (I) sich als Dichter (II) und seine Dichtung (II) dichtet, dichtet innerhalb dieser Dichtung (II) sich als Dichter (I) und seine Dichtung (I). D . h . die Dichtung (I) der Dichtung (II) und jene Dichtung (II) der Dichtung (I) sind gleich", oder S . l l 1: "Durch das Dichten der bukolischen Welt wird der Dichter (I) zum bukolischen Dichter. Da er als ein solcher nun bukolische Dichter und deren bukolische Lieder dichtet, dichtet er sich und seine Lieder. D i e s e Dichtung ist als bukolische Welt die Welt, in der bukolische Dichter bukolische Lieder singen. Da der Dichter (I) aber zum bukolischen Dichter geworden ist, wird in dieser mit dem bukolischen Dichter (II) und dessen Dichtung er selbst und seine Dichtung gedichtet."

Zum Aufbau des Eklogenbuchs

203

scheinung, und was wiederum ist deren Gegenstand? Anschließend wird dann ein erneuter Übergang zur 10. Ekloge möglich sein, zu demjenigen Gedicht, in welchem mit dem Auftreten zweier Dichterfiguren mit offensichtlich verschiedenen Dichtungskonzepten die Reflexion über Dichtung im Eklogenbuch ihren End- und Kulminationspunkt erreicht.

3.2 Rahmung in den Eklogen 1-9 3.2.1 Zum Aufbau des Eklogenbuchs Es ist zweckmäßig, bei der Behandlung der Eklogen 1-9 einer in der Vergilliteratur schon oft gemachten Einteilung 3 zu folgen und ungeradzahlige und geradzahlige Eklogen gesondert zu besprechen. Diese Grobeinteilung wird durch einen einfachen und leicht nachvollziehbaren Strukturunterschied zwischen der geradzahligen und der ungeradzahligen Reihe hinsichtlich Sprecherrollen und Handlungsebenen nahegelegt: Die ungeradzahligen Eklogen spielen stets schon innerhalb einer bukolischen Sphäre, in der durchweg bukolische Figuren in direkter Rede agieren, während die geradzahligen jeweils von einer Dichterinstanz zumindest eingeleitet werden, die somit, wie rudimentär auch immer, das Gedicht als ihr eigenes kenntlich macht. Die Unterscheidung gerade/ungerade ist also unter dem Rahmungsgesichtspunkt von zentraler Bedeutung. Die Ergebnisse der grundlegenden Arbeiten zur Struktur des Eklogenbuchs, zur Symmetrie der Eklogen 1-9 mit 5 als Mittelachse, werden hier vorausgesetzt 4 . Es sei auch schon auf die Sonderstellung hingewiesen, die damit der

3

Vgl. E. KRAUSE, Quibus temporibus quoque ordine Vergilius eclogas scripserit. Diss. Berlin 1884, S.6; CARTAULT, S. 53-54; A. KLOTZ, Das Ordnungsprinzip in Vergils Bucolica, RhM 64 (1909), S. 325-327; L. RICHARDSON JR., Poetical Theory in Republican Rome, New Haven 1944, S.121; P. MAURY, Le Secret de Virgile et Γ Architecture des Bucoliques, Lettres d' Humaniti 3 |1944|, S. 71-147; E.A. HAHN, The Characters in the Eclogues, TAPhA 75 11944), S. 196-241 (dort: S. 239); G. BARRA, Le Bucoliche e la formazione spirituale e poetica di Virgilio, RAAN 27 (1952), S. 7-31 (dort: S.7); G.E. DUCKWORTH, The Architecture of the Aeneid, AJPh 75 (1954), S. 1-15 (dort: S. 2-3); F. CUPAIUOLO, Tra poesia e poetica, Napoli 1966, S.101; O. SKUTSCH, Symmetry and Sense in the Eclogues, HSPh 73 (1969), S. 153-169. Zu P. STEINMETZ, Eclogen Vergils als dramatische Dichtungen, A&A 14 (1968), S. 115-125, s.o., 1. Teil, Anm. 67. 4 V.a. P. MAURY, an. cit. (s.o., Anm.3); das Kapitel "The Young Virgil" in Β . OTIS, Virgil - Α Study in Civilized Poetry, Oxford 1963. S. 97-143; dort v.a. S. 128 ff. (dieses Werk wird von jetzt an als "OTIS, Virgil" zitiert); O. SKUTSCH, art. cit. (s.o.. Anm.3); ders.. Numbers in Vergil's Bucolics. BICS 27 (1980), S. 95-96 (Verteidigung seiner früher aufgestellten Thesen). Die Autoren haben gezeigt, daß ecl.5 eine Funktion als Mittelachse besitzt.

204

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

10. Ekloge zuteil wird. Die fünfte Ekloge hat Achsenfunktion; die zehnte steht am Schluß des Buches ohne symmetrisches Gegenstück 5 . Sie entzieht sich

um die sich die Gedichte 1-4 und 6-9 in symmetrischen Paaren gruppieren, deren Angehörige untereinander teils deutliche, teils weniger deutliche Parallelen aufweisen (4 und 6. 3 und 7. 2 und 8, 1 und 9). O. SKUTSCH (art. cit. |s.o., Anm.3]; vgl. in demselben Sinne auch schon ders.. Zu Vergils Eklogen. RhM 99 |1956|, S. 193-201; dort: S.196) ist skeptisch hinsichtlich der Versuche von MAURY und OTIS, die einzelnen Paare jeweils inhaltlich zu bestimmen, und hält die von MAURY entdeckten Regelmäßigkeiten bei den Verszahlsummen für das einzig sichere Indiz, das es erlaubt, die Eklogen in symmetrisch angeordneten Paaren aufeinander zu beziehen. (Die wichtigsten dieser Zahlen: Summe der Verse von ecl.l und 9: 150, von ecl.2 und 8: 181. von 3 und 7: 181. von 4 und 6: 149: Gesamtverszahl von ecl.l bis 4: 330. von ecl. 6-9: 331 bei Athetese von ecl. 8.76.) Die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen ecl. 1 und 9 sowie 3 und 7 sind aber augenfällig. Auch die Einteilung nach Hälften (C. BECKER. Virgils Eklogenbuch, Hermes 83 [ 19551, S. 314-349; auch OTIS tendiert [Virgil. S. 130) schließlich in diese Richtung) oder Triaden (E.A. HAHN, I.e.; s.o., Anm.3 und u., Anni.5) ist jeweils mit einem gewissen Recht möglich. Diese Einteilungen lassen sich mit dem symmetrischen Organisationsprinzip teilweise durchaus vereinbaren. In vielem nicht nachvollziehbar sind die Überlegungen zur Buchstruktur bei J.B. VAN SICKLE, The Design of Virgil's Bucolics, Roma 1977, da der Autor sich einer verwirrenden Vielfalt selbstgeprägter Termini bedient (z.B. "Tityran myth "/"Arcadian myth" passim, "ideological structure"/" Arcadian structure" |v.a. S. 39-76)), die seine Argumentationen oft wenig sachorientiert und eher zirkulär wirken lassen (vgl. auch ders., Reading Virgil's Eclogue Book. ANRW II 31.1, |1980|, S. 576-603). ' Folge dieser Tatsache war der Versuch, die bei symmetrischer Anordnung von ecl. 1-9 übrigbleibenden Gedichte 5 und 10 in gleicher Weise wie die paarweise-symmetrisch angeordneten Gedichte aufeinander zu beziehen (wegen der Figur des Daphnis. da ecl.5 dessen Tod und Apotheose besingt und der Gallus der 10. Ekloge nach Theokrits Daphnis gestalte! ist). Erstaunlicherweise erwähnen OTIS (Virgil, I.e.) und O. SKUTSCH (art. cit. [s.o.. Anni.3|. S. 165-166) kaum die Tatsache, daß eine solche Beziehung zwischen Mitte und Sclilull strukturell völlig anderer Natur wäre als eine symmetrische. MAURY beschreibt (art. cit.. S. 101) in den für ihn typischen architektonischen Termini die "Symmetrie" zwischen ecl.5 und 10 folgendermaßen: "Mais ce n' itait plus, comme jusqu' ici, une 'symitrie entre extrfcmes', mais une sym6trie avec la pierre angulaire du petit monument. Ainsi la X' Bucolique ne diplai^ait pas le centre de gravite... , eile le renforgait, au contraire. de son supreme appoint." Im gleichen Sinne auch noch J. PERRET, Virgile, Paris 31965. S. 18: "Gallus (Buc. X) esi l'antitype de Daphnis; lui que Silfene (Buc. VI) nous montrait errant sur les rives du Permesse. 11 s'est 6chapp6 de cette spirale ascendante qui de Milibie (I) et de Moeris (IX) monte jusqu'ä Daphnis." Vgl. H. HOLTORE, P. Vergilius Maro - Die größeren Gedichte, Bd.l, Freiburg/ München 1959, S. 38-39 u. S.239. G.E. DUCKWORTH (an. cit. [s.o., Anm.3], S.3) macht die Sonderstellung der 10. Ekloge zum Ausgangspunkt für Spekulationen über ihren späteren Entstehungszeitpunkt ("the first nine Eclogues form a complete and harmonious whole, with X added"). Ähnlich C. MEILUER, Les deux structures numiriques des Eglogues de Virgile. Kentron 2 (1986), S. 34-47, der in Anlehnung an MAURY zahlensymbolische Deutungen für die Verszahlsummen 752 (ecl. 1-9) und 829 (die ganze Sammlung mit der nach seiner Meinung nachträglich hinzugefügten 10. Ekloge) versucht. Auch in E.A. HAHNS Triadenordnung (art. cit.; s.o., Anm.3) hat das Gedicht eine isolierte Stellung: S. 240-241 macht die Autorin einige Bemerkungen über die Vereinigung sämtlicher großen Themen und Motive des Eklogenbuchs im Schlußgedicht. Die Idee, die 10. Ekloge auch als inhaltliche Kulmination alles

Rahmungsvorgänge in den ungeradzahligen Eklogen

205

damit dem Organisationsprinzip des Eklogenbuchs und steht folglich in einem gewissen Sinne bereits außerhalb des Buches. Die eigentümliche Übergangsposition des Schlußgedichts, das sowohl noch bukolisch als auch schon nicht mehr bukolisch ist, bestätigt sich also bei der Untersuchung der Buchstruktur. Es geht hier nicht darum, auf der Unterscheidung zwischen geradzahligen und ungeradzahligen Eklogen als dem eigentlichen Organisationsprinzip des Buches zu bestehen6. Diese Unterscheidung erschien lediglich als die relevanteste für die Rahmungsproblematik. Die Fragestellungen für jedes Einzelgedicht lauten: Auf welchen voneinander verschiedenen Handlungs- bzw. Sprechebenen wird im jeweiligen Gedicht agiert, gesprochen und gedichtet? Inwieweit und in welcher Form sind bukolische Lieder in diesen Gedichten in äußere Handlungs- oder Erzählrahmen eingerückt? Lassen sich Aussagen über Charakter und Identität der rahmenden Instanz machen?

3.2.2

Rahmungsvorgänge

in den ungeradzahligen

Eklogen

In den geradzahligen Eklogen ist der Rahmungsvorgang von Seiten des bukolischen Dichters meist offensichtlich. Auch in den ungeradzahligen, dialogförmigen Eklogen sind aber Rahmungsphänomene zu beobachten, wenn man den Begriff der Rahmung etwas weiter faßt, denn auch in ihnen ist

Vorherigen zu verstehen, ist nicht unplausibel und sei hier als Ergebnis einer Untersuchung zitiert, die in Fragestellung und Vorgehensweise von der vorliegenden ganz verschieden ist: "Finally, 10, the most complex and, if one will, confused of all the group, ties up all the threads together. Here for the first time the gods of Triad 2 and the shepherds of Triads 1 and 3 freely mingle. Here we have the realism of Triads 1 and 3 in the person of Menalcas dripping with mast (20), and the fantasy of Triad 2 in the weeping laurels and tamarisks (13). Here we have the effect of dialogue in the brief successive questions and comments of all the bystanders, and then in response a long monologue on the part of Gallus. This monologue on the theme of unrequited love, jealousy, and despair at once recalls Corydon of the central Eclogue in Triad 1, and Damon of the central Eclogue in Triad 3, while at the same time the dying Gallus lamented by nature and the gods recalls the dead Daphnis of the central Eclogue in Triad 2. Did Vergil intend his final Eclogue thus to knit together all the preceding ones?" 6 E. DE SAINT-DENIS kommt in seinem Artikel "Encore Γ Architecture des «Bucoliques» virgiliennes" (RPh 50 (1976), S. 7-21) zu dem Ergebnis, daß keiner der Versuche, eine Gesamtarchitektur des Eklogenbuchs auszumachen, wirklich befriedigend sei. Als das einzige tatsächlich unbestreitbare Strukturprinzip des Eklogenbuchs erkennt er die Abfolge zwischen "solo" und "duo" an: "la disposition de Γ ensemble apparait comme une alternance de mimes oü le duo occupe toute la place ou beaucoup de place (I, III, V, VII, IX) et de pieces oü le solo chaiiti Γ empörte sur le parte (II, IV, VI, VIII, X)" (S.21). Zusammenfassend zur ganzen Problematik und ebenfalls eher skeptisch bezüglich der meisten Versuche, im Eklogenbuch übergreifende Baustrukturen auszumachen N. RUDD, Architecture: Theories about Virgil's Eclogues (in: ders.. Lines of Enquiry - Studies in Latin Poetry, Cambridge 1976, S. 119-144).

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

jeweils die Gesangssphäre in einen Raum bukolischer Lebenspraxis eingelegt und klar von diesem als rahmender Sphäre abgesetzt. Im Eklogenbuch wird nirgends einfach der Vollzug von bukolischem Gesang dargestellt, sondern immer auch dessen Entstehen. Besonderer Gegenstand der ungeradzahligen Eklogen sind die Bedingungen dieses Entstehens aus einer "prosaischen" bukolischen Alltagssphäre heraus mit den Schwierigkeiten, denen es unterworfen ist. Die Dichtung " P , die Dichtung des Eklogenbuchdichters, ist im Eklogenbuch immer schon gelungen, die Dichtung "II", die seiner Figuren, gelingt jedoch nicht immer (eindeutige Beispiele für deren Nichtgeiingen wären die Eklogen 1 und 9). Der Eklogenbuchdichter kann in seiner Dichtung " P also auch das Mißlingen von Dichtung ("II") thematisieren, dies jedoch wiederum in dichterisch gelungener Form. In den ungeradzahligen Eklogen erzeugt der Dichter "I" poetisch eine fiktiverweise prosaische, bukolische Praxissphäre (dies wäre die Sphäre der Dialoge von Tityrus und Meliboeus, von Lycidas und Moeris), aus der heraus dann die Dichtung "II", d.h. der Gesang der Figuren, entstehen kann, aber nicht notwendig entsteht. Der Eklogenbuchdichter selbst tritt in den ungeradzahligen Gedichten nicht als solcher in Erscheinung 7 . Die eigentlichen bukolischen carmina sind dort, wenn sie denn gelingen, jeweils unter deutlicher Absetzung in die dargestellte Praxissphäre eingelagert. Vorbereitung, Umstände und Wirkung der carmina innerhalb der rahmenden Prosasphäre sind ein zuweilen breit entfaltetes Thema (so etwa in ecl.5). Die eingelagerte Sphäre hat jeweils die äußere als Prosaund Praxissubstrat zur Voraussetzung. Der Vorgang des Dichtens wird im Eklogenbuch immer selbst zum Gegenstand poetischer Darstellung: In den ungeradzahligen Eklogen geschieht dies unter besonderer Betonung des Problems der Entstehungsbedingungen von Dichtung. Gelingt in der dargestellten bukolischen Handlungssphäre der bukolische Gesang, so entsteht eine Dichtungssphäre, die auch für die Figuren des Gedichts Dichtungssphäre ist. Deren Verhältnis zu ihrem Rahmen ist nicht reversibel, sondern sie ist eindeutig das Produkt dieses Rahmens. Bei einem ersten Überblick unter dem Gesichtspunkt der Rahmung fällt unter den ungeradzahligen zunächst die Sonderstellung der ersten und der neunten Ekloge auf. Beide Gedichte enthalten keine carmina und bilden nicht den Vollzug bukolischen Gesangs ab, sondern sie thematisieren innerhalb der fiktiven bukolischen Sphäre die Frage nach der Möglichkeit, überhaupt carmina zu singen.

7

Auch in ecl. 5,86-87 nicht (s.u., S.212 m. Anm. 31).

Rahmungsvorgänge in den ungeradzahligen Eklogen

207

Die erste Ekloge läßt mit Tityrus und Meliboeus zwei Hirten mit gegensätzlichen Schicksalen aufeinandertreffen8. Beide sind als bukolische Figuren grundsätzlich auch Sänger. Es zeigt sich jedoch, daß das bukolische Singen nicht nur von Begabung und Fähigkeit abhängt, sondern auch von anderen Umständen. Der Hirtensänger ist auf eine ungestörte, gesicherte bukolische Sphäre angewiesen, die er sein eigen nennen kann, und so muß Meliboeus, der von seinem Land vertrieben wurde, resümieren: carmina nulla canam (ecl. 1,77), während die Ungestörtheit des Tityrus als Hirt, die Unverletztheit seiner Sphäre, von Anfang an gleichbedeutend mit seiner Ungestörtheit als Sänger war9. Das Einleitungsgedicht der Bucolica dient also einer Klärung von erforderlichen Rahmenbedingungen für gelingendes bukolisches Singen. Die Fiktion ist durchgängig die eines prosaischen Dialogs innerhalb einer fiktiven bukolischen Sphäre, der das Singen nicht vollzieht, sondern nur thematisiert. Erst der Eklogendichter läßt diesen Dialog selbst als ganzen zu einem bukolischen Lied werden. Von sehr ähnlicher Struktur ist die neunte Ekloge. Die Grundfiktion ist dort abermals die eines Dialogs in Prosa zwischen den beiden Protagonisten, Lycidas und Moeris. Der Kontext der Landvertreibungen, von denen der Verwalter Moeris betroffen ist, knüpft unmittelbar an den der ersten Ekloge

8 Von biographischen Fragestellungen und der Frage nach der Identität des iuvenis (ecl. 1,42) hat sich das Forschungsinteresse zur ersten Ekloge zunehmend poetologischen Problemen zugewandt. Ein Überblick über wichtige Arbeiten: F. LEO, Vergils erste und neunte Ekloge, Hermes 38 (1903), S. 1-18; F. KLINGNER, Virgils erste Ekloge, Heimes 62 (1927), S. 129-153; H. OPPERMANN, Vergil und Oktavian. Zur Deutung der ersten und neunten Ekloge, Heimes 67 (1932), S. 197-219; A. NoCHß, Une interpretation de la premtere ßglogue. Humanit6s 28 (1955-56), S. 6-8; PÖSCHL, S. 9-66; C.P. SEGAL, Tarnen caruabitis, Arcades: Exile and Arcadia in Eclogues One and Nine, Arion 4, no.2 (1965), S. 237-266 (Abdruck in: ders.. Poetry and Myth in Ancient Pastoral. Princeton 1981, S. 271-300); KLINGNER, Virgil, S. 16-33; B.F. DICK. Vergil's Pastoral Poetic: A Reading of die First Eclogue. AJPh 91 (1970), S. 277-293; P.L. SMITH, Vergil's Avena and the Pipes of Pastoral Poetry. TAPhA 101 (1970), S. 497-510; P. FEDELI. Sulla prima Bucolica di Virgilio, GIF 24 (1972), S. 273-300; M.C.J. PUTNAM, Virgil's First Eclogue: Poetics of Enclosure, Ramus 4 (1975), S. 163-186; Μ. v. ALBRECHT, Vergil (Erste Ekloge): Weltfremde Idyllik?; in: ders.. Römische Poesie - Texte und Interpretationen, Heidelberg 1977 (dort: S. 132-163); P. VEYNE, L' histoire agraire et la biographie de Virgile dans les Bucoliques I et IX, RPh 54 (1980), S. 233257: I M. DUQUESNAY, Virgil's first Eclogue. Papers of the Liverpool Latin Seminar 3 (1981). S. 29-182; J.T. ROBERTS, Carmina nulla canam. Rhetoric and Poetic in Virgil's First Eclogue, CW 76 (1983), S. 193-199; E. ALBERTE, El tratamiento del amor en la ßgloga I de Virgilio, Fortunatae 2 (1991), S. 225-229.

' V . 1-2: Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi /silvestrem tenui Musam meditaris avena.

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

an10. Abermals sind beide Hirten auch Sänger (zuerst v. 11-12 [Moeris|: sed carmina tantum / nostra valent, Lycida, tela inter Martia quantum / Chaonias dicunt aquila veniente columbas). Anders als in der ersten Ekloge besteht aber zwischen den beiden ein deutliches Autoritätsgefalle, das im höheren Alter des Moeris (in v.66 spricht er Lycidas mit puer an) und seiner damit verbundenen höheren sängerischen Reputation begründet liegt. Moeris war in der nun zerstörten bukolischen Sphäre durch eine besondere Nähe zum bewunderten Sänger Menalcas ausgezeichnet", ist aber offenkundig auch selbst ein bedeutender Hirtensänger und dadurch von besonderer Anziehungskraft für den poetisch ambitionierten Lycidas12. Beide rücken in der gemeinsamen Erinnerung an Menalcas zusammen, der einerseits als unerreichbare Sängerfigur in eine beinahe mythische Ferne entrückt wird, von dem sich aber andererseits herausstellt, daß er in den politischen Wirren selbst nur knapp einer handfesten Lebensbedrohung entrinnen konnte. Sein herausragendes Dichten wird so beschrieben, daß er als der Sänger der bukolischen Sphäre auch ihr Erzeuger war, womit das Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen bukolischem Sänger und bukolischer Natur auf einen neuen, unüberbietbar prägnanten Ausdruck gebracht ist13. Trotz des Gefalles zwischen ihnen werden in ecl.9 die beiden Charaktere, anders als in der ersten Ekloge, nicht zu Kontrastfiguren, sondern zu Leidensgenossen. Der Dialog schildert ab v.23 ein gemeinsames Memorieren von carmina, teils von solchen des Menalcas, teils auch von solchen des Moeris selbst. Der junge Lycidas will den ausgewiesenen Hirtensänger Moeris zu einem bukolischen Gesangsvortrag überreden14. Lycidas rezitiert Erinnerungsbruchstücke aus belauschten Liedern (in v. 23-25 aus einem des Menalcas: 'Tityre, dum redeo... ', in v. 46-50 aus einem des Moeris: 'Daphni, quid antiquos signorum suspicis ortus? I ... auch Moeris zitiert zunächst Menalcas (v. 27-29: 'Vare, tuum nomen... '), dann (v. 39-43: 'hue odes, ο Galatea...') ein eigenes bukolisches carmen. Die Rahmenbedingungen erweisen sich jedoch als zu ungünstig. Der Dialog gelangt nicht über dieses Zitieren einzelner fragmentarischer Partien hinaus, und Moeris weigert sich schließlich

10 Ecl. 9,2-6 (Moeris): Ο Lycida. vivi pervenimus, advena nostri / (quod numquam veriti summ) ut possessor agelli / diceret: 'haec mea sunt; veteres migrate coloni.' / nunc vidi, tristes, quoniam fors omnia versat, / hos Uli (quod nec vertat bene) mitrimus haedos. " Moeris nimmt für sich in Anspruch, ihm das Leben gerettet zu haben (v. 14-16): quod nisi me quacumque novas incidere lites / ante sinistra cava monuisset ab ilice cornix, / nec tuus hic Moeris nec viveret ipse Menalcas. 12 V. 32-34 (Lycidas): et me fecere poetam / Pierides, sunt et mihi carmina, me quoque dicunt / vatem pastores; sed non ego credulus illis. 13 V. 19-20: quis caneret Nymphas? quis humum florentibus herbis / spargeret aut vi ridi fontis induceret umbra? S.u., Anm. 117. 14 Vgl. G. STEGEN, La neuvi£me Bucolique de Virgile, LEC 21 (1953), S. 331-342.

Rahmungsvorgänge in den ungeradzahligen EkJogen

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unter Hinweis auf sein nachlassendes Erinnerungsvermögen definitiv, die Vorlage aufzunehmen, die Lycidas ihm gegeben hat15. Er verweist im letzten Vers des Gedichts endgültig auf Menalcas, der als die einzige wirkliche Hirtengesangsautorität die einzige Hoffnung bleibt 16 . Die neunte Ekloge schildert also erneut keinen vollzogenen Hirtengesang, sondern das Mißlingen dieses Vollzugs. Hier bleibt er regelmäßig in den Anfangen stecken. Die Beschreibung der Rahmensphäre als poetisch fingierte Prosasphäre ist gerade im Falle dieses Gedichts besonders wichtig: Die Hirten vermögen aufgrund der Umstände innerhalb des Gedichts den Übergang von Prosa zu Gesang nicht mehr zu vollenden; bzw. der ältere Moeris will dies schließlich dezidiert auch nicht mehr 17 . Der Unterschied zwischen beiden Sphären wird auf schmerzliche Weise ins Bewußtsein gehoben. Den beiden Dialogpartnern bleibt nur fragmentarische Erinnerung an Gesang. Die Sphäre ihres Dialogs hat hier wie in eel. 1 in besonderem Maße den Charakter einer an Widrigkeiten reichen Lebenswelt 18 . Gerade diese beiden Gedichte schildern nachdrücklich, daß für das Entstehen von Dichtung gewisse Bedingungen gegeben sein müssen, die aber nicht immer gegeben sind 19 . Man könnte die Figur des Sängers Men-

15

V. 51-55: Omnia fert aetas, animum quoque. saepe ego longos / cantando puerum memini me condere soles. / nunc oblita mihi tot carmina, vox quoque Moerim / iam fugit ipsa: lupi Moerim videre priores. / sed tarnen ista satis referet tibi saepe Menalcas. Vgl. R.B. HARDY, Vergil'S epitaph for pastoral: remembering and forgetting in Eclogue 9, SyllClass 2 (1990). S. 29-38. 16 V.67: carmina tum melius, cum venerit ipsa, canemus. V. BUCHHEIT, Frühling in den Eklogen. Vergil und Lukrez, RhM 129 (1986), S. 123-141; don: S. 138-139, Anm. 76, lehnt diejenigen Deutungen der neunten Ekloge ab, die das Scheitern in den Mittelpunkt stellen und betont das "Prinzip Hoffnung", das das Gedicht mit der ersten und der fünften Ekloge zusammenschließe. Vgl. KLINGNER, Virgil, S. 148-158. 17 Dies betont C. NEUMEISTER, Vergils IX. Ekloge im Vergleich zu Theokrits 7. Idyll; in: Diaiogos, Für Harald Patzer zum 65. Geburtstag von seinen Freunden und Schülern, Wiesbaden 1975, S. 177-185 (dort: S.182): "In der gegenwärtigen historisch-politischen Situation wäre bukolisches Singen, selbst wenn es noch möglich sein sollte, doch auf jeden Fall gänzlich unangemessen. Es wäre eine Selbsttäuschung." 18 Vgl. C.P. SEGAL, (an. cit., S . 2 9 2 ; s.o., A n m . 8 ) : "The relation between the First and Ninth Eclogues, then, may be more significant than the fact that both concern the loss and restitution of a farm. Both poems, as has been seen, deal with the confrontation between a peaceful, undisturbed pastoral world and the hard political realities of the Roman present. In larger terms their theme is the problem of the writing of poetry, indeed the creation of anything beautiful, in an atmosphere of disruption and disorder. Hence the singer's loss of his songs recurs as an important subject at the end of both poems". " W. GAWANTKA, ZU Vergils neunter Ekloge; in: Dialogos. Für Harald Patzer zum 65. Geburtstag von seinen Freunden und Schülern, Wiesbaden 1975, S. 163-176 (dort: S. 163164) vermutet Zusammenhänge mit der aktuellen Lebens- und Schaffenssituation Vergils: "Vergil wollte (sc. in der 9. Ekloge; d. Verf.) nicht den Wert der Dichtung generell in Abrede stellen oder auch nur in Zweifel ziehen, sondern einerseits die für ihn neue Erfahrung zum

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

alcas, der als einziger noch die Hoffnung auf Hirtengesang verbürgt, als ein ins Gedicht hineingenommenes Symbol für den Dichter der Ekloge verstehen, der erst den Dialog zwischen Lycidas und Moeris zu Hirtengesang werden läßt. Die fünfte Ekloge ähnelt in ihrer Struktur den beiden soeben besprochenen am stärksten. Auch hier treffen zwei Hirtendichter aufeinander, und auch hier ist die Handlungsebene des Gedichts zunächst und auch am Ende wieder deren Dialog20. Anders als in ecl.l und ecl.9 kommt es hier aber zu zwei gelingenden Liedern. Das Gedicht über gelingenden Hirtengesang bildet im Eklogenbuch die Mitte zwischen den beiden, die dessen Scheitern zum Gegenstand haben. Die Ekloge beginnt (v. 1-12) mit einem einleitenden Gespräch der beiden Sänger Menalcas und Mopsus, in dem diese zunächst überhaupt die Entscheidung treffen zu singen und sich dann kurz über den geeigneten Ort und die Abfolge ihrer Lieder verständigen. Ähnlich wie in der 9. Ekloge besteht zwischen beiden ein Alters- und Autoritätsgefälle; Menalcas läßt dem jüngeren Mopsus den Vortritt. Zweimal verwendet er bei seiner Aufforderung in imperativischer Form das Übergangsverbum incipio (v.10 und v.12) 21 . Die beiden Hirten werden zu Sängern und stellen ihre Hirtenpraxis hintan (Menalcas, v.12: pascentis servabit Tityrus haedos)22. Mopsus leitet kurz auf seinen Vortrag hin und deutet seine Rivalität mit Amyntas an (v. 13-1523);

Ausdruck bringen, daß die dichterische Leistungsfähigkeit, wie die menschliche überhaupt, nicht ständig zunimmt, sondern allmählich ihre individuellen Grenzen sichtbar werden, und andererseits war ihm zum ersten Mal eindeutig bewußt geworden, daß er nicht für immer würde 'Bukoliker' sein können, ohne daß er derzeit absehen komite. wie er über die Bukolik hinausgelangen könnte." (Vgl. auch art. cit., S.170.) 20 Literatur: G. STFIGEN, Etude sur cinq Bucoliques de Virgile (1, 2, 4, 5, 7), Namur 1955 (dort: S. 83-97); KLINGNER, Virgil, S. 84-99; R. GUERRINI, Vos coryli testes. Struttura e canto nella V Ecloga di Virgilio, RAL 28 (1973). S. 683-694; G. LEE, A Reading of Virgil's Fifth Eclogue, PCPhS 23 (1977), S. 62-70; I.M. DUQIJESNAY, Virgil's Fifth Eclogue. The Song of Mopsus and the New Daphnis. PVS 16 (1979), S. 18-41; J. DE ECHAVE-SUSTAETA. Virgilio desde dentro. La 6gloga V, Anuario de Filologia de la Facultad de Filologia de Barcelona 6 (1980), S. 115-134; E. DÖNT, Zur Deutung von Vergils fünfter Ekloge. WJA N.F. 7 (1981), S. 135-137. 21 Siehe ecl.9. Dort lautet die erfolglos bleibende Aufforderung des Lycidas an Moeris incipe, si quid habes (v.32). 22 SCHMIDT, Poet. Reflexion, S.85. verweist darauf, daß auch bei Theokrit regelmäßig "Gesang die Vertretung im Viehhüten durch einen anderen erfordert oder die Vernachlässigung der Herde zur Folge hat" (ersteres in id. 1,14; 3,1-5: 7,87-89, letzteres in id. 11,12-13; ähnliche Szene auch in der Becher-Ekphrasis id. 1,52-54). 23 Immo haec. in viridi nuper quae cortice fagi / carmina descripsi et modulans alterna notavi, / experiar: tu deinde iubeto ut certet Amyntas.

Rahmungsvorgänge in den ungeradzahligen Eklogen

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schließlich preist Menalcas in einer priamelartigen Formel (v. 16-1824) die Gesangsqualitäten des Mopsus (im Vergleich zu denen des Amyntas), um mit dem Hinweis, daß der Gesangsort erreicht ist (v.1925), dessen Lied einzuleiten. Das Lied des Mopsus über den Tod des Daphnis und über die Trauer um ihn umfaßt 25 Verse. Es mündet in einen abermaligen Preis durch Menalcas (v. 45-49), der unmittelbar dessen Daphnislied vorbereitet26. Mit dem Lied von der Apotheose des Daphnis, das ebenfalls 25 Verse umfaßt (v. 5680), will Menalcas zugleich den Sänger des ersten Liedes ehren. Das Gedicht schließt mit der preisenden Erwiderung des Mopsus (v. 81-84; s. Anm. 30) und jeweils drei Versen, mit denen die beiden Sänger ihren abschließenden Geschenkeaustausch begleiten (v. 85-87 und 88-90; s. Anm. 31). Die fünfte Ekloge schildert also in idealtypischer Weise das Entstehen und Gelingen bukolischen Gesangs innerhalb einer bukolischen Rahmensphäre27. Anders als in den noch zu besprechenden Eklogen 3 und 7 erscheint dieser Gesang in ecl.5 (die wiederum die Mitte dieser beiden bildet) in der Form von zwei großen Einzelliedern. Die Rahmenbedingungen sind die des reinen bukolischen locus-amoenus-Idylls. Das schattige antrum ist leicht erreichbar und ungefährdet und lädt zum Singen ein. Politische Wirren und Gefährdungen spielen in diesem Gedicht keine Rolle. Die Themen Tod und Bedrohung kommen hier nur in dichterisch verwandelter Form zum Vorschein: Das crudele funus des Daphnis läßt im Lied des Mopsus die gesamte bukolische Welt trauern und die Erde unfruchtbar werden. Das Bedrohliche ist hier vollständig ins Lied hineingenommen und steht in keinerlei inhaltlicher Beziehung zu der aktuellen bukolischen Rahmensituation der beiden Dialogpartner. Menalcas kann den Sänger für dessen Lied preisen (die Wirkung dieses Liedes gleicht der Stillung körperlicher Bedürfnisse und der Linderung von Beschwerden28), um dann selbst mit seinem Gesang von der Apotheose des Daphnis und deren Wirkungen auf die bukolische Welt das Lied des Mopsus inhaltlich zu übersteigen und

24 Lenta salix quantum pallenti cedit olivae, / puniceis humilis quantum saliunca roseris, / iudicio nostro tantum tibi cedit Amyntas. 25 sed tu desine plura, puer: successimus antro. 24 V. 51-52: ... Daphninque tuum tollemus adastra; /Daphnin adastraferemus: amavit nos quoque Daphnis. B Ü C H N E R , R E , Sp. 1 2 1 8 : "... es (ist) der Dichter... , der nicht nur von dem verewigten Schönen singt, sondern der es verewigt: Daphnim ad astra feremus". Dahinter stehe die bukolische "Gepflogenheit, Handeln und Dichten zu verwechseln" (ibid.). 27 A.J. VACCARO, La esencia de lo po6tico en las Eglogas de Virgilio, in: Actas del I Simpösio de estudios cläsicos (mayo 1970), Mendoza 1972 (dort: S. 329-337) stuft sie deshalb in einer sonderbaren Rangordnung als "la mäs poitica" (S.337) ein. Zutreffend ist, daß in ihr der Hirtengesang am besten gelingt. 28 V. 45-47: Tale tuum carmen nobis, divine poeta, / quale sopor fessis in gramine, quale per aestum / du Ids aquae saliente sitim resringuere rivo.

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

die Trauer auch im Lied in Freude zu verkehren 29 . Der Preis des Mopsus31'. der die Wirkung von Menalcas' Lied in bedürfnisferneren, ästhetischeren Kategorien, in stärkerer Orientierung an der reinen Naturschönheit (mit einer Tendenz ins Erhabene) beschreibt als Menalcas, leitet in die Praxis-RahmenSphäre zurück. In dieser Sphäre beschließt der Geschenktausch (Menalcas überreicht in v.85 eine cicuta, Mopsus in v.88 ein pedum) als praktisches Pendant zum Gesang beider das Gedicht und vervollständigt den Rahmen 31 . Die fiktive bukolische Praxis-Rahmen-Sphäre und die Sphäre der Lieder sind klar voneinander geschieden. Die Lieder sind auch aus der Perspektive der Praxissphäre Lieder. Die Vorbereitungen des Gesanges werden ebenso wie dessen Wirkungen in der Rahmensphäre ausführlich dargestellt; d.h. das Verhältnis zwischen Dichtung und Praxis ist stets mitabgebildet. Der Urheber dieser poetischen Gesamtfiktion, der Eklogenbuchdichter selbst, tritt hier wieder nicht ausdrücklich als gesonderte Instanz in Erscheinung, wenn er auch in Menalcas' Sphragis (v. 86-87; s. Anm. 31) momentweise aus einer seiner Figuren hervorscheint. Die fünfte Ekloge bildet als selbst gelingendes Gedicht in sich bereits das Gelingen von Liedern ab; die erste und die neunte dagegen sind erst als ganze, als Gedichte über das Nichtgeiingen von Dichtung wiederum gelungene Lieder des Eklogenbuchdichters. Die verbleibenden ungeraden Eklogen 3 und 7 schildern - wiederum symmetrisch um ecl.5 gruppiert - jeweils einen bukolischen Gesangswettstreit im Modus des Wechselgesangs 3 '. Sie sind mit den bisher besprochenen vergleichbar, da auch in ihnen jeweils der Höhepunkt und das Zentrum des Gedichts, der Gesangswettstreit, in einen dialogischen bukolischen Praxisrahmen eingelagert ist.

29

SCHMIDT, Poet. Reflexion, S.223: "Das Lied von der Trauer über den Tod des Daphnis ist Trost und Erquickung. Diese merkwürdige Einsicht ist festzuhalten. ... Das Lied ist wie die Natur von einer autarken Objektivität, welcher der Mensch bedürfnislos, aber staunend gegenübertritt." 10 V. 81-84: Quae tibi, quae tali reddam pro carmine dona? / nam neque me tan rum venientis sibilus Austri / nec percussa iuvant fluctu tarn litora, nec quae / saxosas inter decurrunt flumina vallis. 31 V. 85-87 (Menalcas): Hac te nos fragili donabimus ante cicuta; / haec nos 'formosum Corydon ardebat Alexin', /haec eadem docuit 'cuium pecus? an Meliboei?'\ v. 88-90 (Mopsus): At tu sume pedum, quod, me cum saepe rogaret, / non tulit Antigenes (et erat tum dignus amari), / formosum paribus nodis atque aere, Menalca. 32 Zu beiden Gedichten vgl. L. BRAUN, Der Sängerstreit der Hirten in Vergils dritter und siebenter Ekloge, Gymnasium 78 (1971), S. 400-406.

Ralimungsvorgänge in den ungeradzahligen Eldogen

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Die dritte Ekloge 3 3 beginnt mit einem Alltagsgeplänkel der beiden Protagonisten Menalcas und Damoetas (v. 1-20), das in eine Auseinandersetzung der beiden über ihre Gesangsqualitäten einmündet (ab v.21). Die Idee eines Wettstreits entsteht 34 . Die beiden verhandeln über ihre Einsätze: Damoetas bietet v. 29-31 eine vitula; Menalcas schließt an sein Angebot zweier Becher 35 eine breite Ekphrasis an (v. 32-43) 36 . Auf Damoetas' kurze Replik (v. 44-48: er besitzt zwei ebenso schöne Becher, die er aber nicht einsetzt 37 ) folgt in v . 5 0 die Einführung der dritten Figur des Gedichts, des Hirten Palaemon, der als Schiedsrichter fungieren soll 38 . In einem Vorspruch von vier Versen 3 9 preist dieser zunächst das frühlingshafte Ambiente, welches günstige Bedingungen für den Gesang bietet, und legt dann den Modus des Wettstreits fest: Er soll im Wechselgesang (altemis), nicht in Einzelliedern, erfolgen, wobei der ältere Damoetas beginnen soll 40 . Wiederum markiert der Imperativ incipe (v.58) den Beginn des Gesangs im Gedicht. Nachdem Damoetas in der Eingangsstrophe sein Lied dem alles durchwaltenden Iuppiter anempfohlen hat 41 , stellt die Replik des Menalcas tendenziell den Übergang zur poetischbukolischen Aktualität her, indem sie mit den dem Phoebus heiligen Pflanzen

33 Vgl. A. LA PENNA, Lettura della terza bucolica; in: Lecturae Vergilianae, a cura di M. Gigante (Bd. 1: Le Bucoliche), Napoli 1981 (dort: S. 131-169); N.H.O. DUCKWITZ, Originality and Unity in Virgil's Third Eclogue, Diss. Univ. of Colorado at Boulder 1987; C. MoNTELEONE, Paiaemon. L'ecloga III di Virgilio: lusus intertestuale ed esegesi, Napoli 1994. 34 V. 28-29 (Damoetas): Vis ergo inter nos quid possit uterque vicissim / experianuir? 35 V. 32-34: De grege non ausim quicquam deponere tecum: / est mihi namque domi pater, est iniusta noverca, / bisque die numerant ambo pecus, alter et haedos). Er ist also noch in jugendlichem Alter; wieder spielt die Altersdifferenz zwischen den beiden Kontrahenten eine Rolle. 36 Zu deren möglichen symbolischen Implikationen siehe J. VEREMANS, ßldments sytnboliques dans la Hie Bucolique de Virgile. Essai d' interpolation (Coll. Latomus 104), Bruxelles 1969; C.P. SEGAL, Vergil's Caelatum Opus: An Interpretation of the Third Eclogue, AJPh 88 (1967), S. 279-308. Vgl. außerdem R.S. FISHER, Conon and the poet. A solution to

E c l o g u e III, 4 0 - 2 , L a t o m u s 4 1 ( 1 9 8 2 ) , S. 8 0 3 - 8 1 4 . 17

V.48: si ad vitulam spectas, nihil est quod pocuta laudes. V.50 (Menalcas): audiat haec tantum - vet qui venit ecce Paiaemon. 39 V. 55-59: Dicite, quandoquidem in molli consedimus herba. / et nunc omnis ager, nunc omnis parturit arbos, / nunc frondent silvae, nunc formosissimus annus. / incipe, Damoeta; tu deinde sequere, Menalca. / alternis dicetis; amaru altema Camenae. 40 Zum Aufbau des Gesangswettstreits, allerdings mit überholtem allegorisierendem Grundansatz: J.J.H. SAVAGE, The Art of the Third Eclogue of Virgil (55-111), TAPhA 89 38

(1958). S. 142-158. Vgl. B.P. POWELL, Thrust and Counter-Thrust in Eclogue 3, ICS 1

(1976), S. 113-121; G. PETERSMANN. Zum Wettstreit der Hirten in Vergils III. Ekloge, H e r m e s 105 ( 1 9 7 7 ) , S. 2 0 2 - 2 0 8 . 41

curae.

V. 60-61: Ab love principium: lovis omnia plena; / ille colit terras, Uli mea carmina

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

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typische Gegenstände der bukolischen Welt nennt 42 . In der folgenden Partie (v. 64-83) wenden sich die beiden in ihrem Wechselgesang (dessen Strophen jeweils aus zwei Versen bestehen) dem Thema Liebe zu. Beide besingen, vorwiegend in der 3. Person, bukolische Geliebte: Galatea und Amaryllis (Damoetas), Amyntas (Menalcas) sowie Phyllis (Damoetas und Menalcas). Zwischendurch steht im Strophenpaar 74-77 auch die unmittelbare Anrede in Imperativ und Vokativ 43 . In v.84 eröffnet Damoetas einen poetologischen Abschnitt, der sich auf zeitgenössische römische Dichter bezieht: Zunächst (v. 84-89) würdigen beide Hirtensänger Pollio; eine Polemik des Menalcas gegen Bavius und Maevius (v. 90-91) folgt. Beide Kontrahenten sprechen hier durchgehend in Imperativ- oder Optativkonstruktionen, die meist mit dem Vokativ verbunden sind 44 . Im Wechselgesang schließt sich eine Rückkehr zu fingierten Redesituationen aus dem bukolischen Alltagsleben an, die diesmal ganz praktische, technische Probleme und Gefahren betreffen (v. 92-99) 45 . Auch in diesem Abschnitt verwenden beide Sänger durchweg Imperative in Verbindung mit dem Vokativ, die an Gegenüber in der bukolischen Sphäre gerichtet sind 46 . Zwei Verspaare über den amor der Tiere (durchweg in der dritten Person) schließen sich an 47 . Mit zwei Rätseln 48 , eingeleitet jeweils durch den Imperativ die, endet der Wechselgesang. Die Schlußverse des Palaemon

42

V. 62-63: Et me Phoebus amat; Phoebo sua semper apud me / munera sunt, lauri et suave rubens hyacinthus. 43 V. 74-75 (Menalcas): Quidprodest quod me ipse animo non sperms, Amynta, /si, dum tu sectaris apros, ego retia servo?; v. 76-77 (Damoetas): Phyllida mitte mihi: meus est natalis, lolla; / cum faciam vitula pro frugibus, ipse venito. 44 V.85 (Damoetas): Pierides, vitulam lectori pascite vestro mit Fortsetzung durch Menalcas in v.86-87: Pollio et ipsefacit nova carmina: pascite taurum, / iam cornu petat et pedibus qui spargat harenam·, v.88 (Damoetas): Qui te. Pollio, amat, veniat quo te quoque gaudet; v.90 (Menalcas): Qui Bavium non odit, amet tua carmina, Maevi. 45 Z.B. v. 94-95 (Menalcas): Parcite, oves, nimium procedere: non bene ripae / creditur; ipse aries etiam nunc vellera siccat. 46 V.93 (Damoetas): ο pueri (fugite hinc!); v.94 (Menalcas): parcite, oves. nimium procedere; v.96 (Damoetas): Tityre, pascentis a flumine reice capellas'·, v.98 (Menalcas): cogite ovis, pueri. 47 V. 100-101 (Damoetas): Heu heu, quam pingui macer est mihi taurus in ervo! / idem amor exitium pecori pecorisque magistro; v. 102-103 (Menalcas): His certe neque amor causa est; vix ossibus haerent; / nescio quis teneros oculus mihi fascinat agnos. ω V. 104-105 (Damoetas): Die quibus in terris (et eris mihi magnus Apollo) / tris pateat caeli spatium non amplius ulnas, v. 106-107 (Menalcas): Die quibus in terris inscripri nomina regum / nascantur flores, et Phyllida solus habeto. Die Literatur zu den Rätseln (vor allem dem astronomischen des Damoetas) ist fast unüberschaubar. Aus jüngerer Zeit: J.S. CLAY. Damoetas' Riddle and the Structure of Vergil's Third Eclogue, Philologus 118 (1974), S. 5964; E.L. BROWN, Damoetas' Riddle. Euclid's Theorem 1,32, Vergilius 24 (1978), S. 25-31; J.S. CAMPBELL. Damoetas' Riddle. A Literary Solution, CJ 78 (1982), S. 122-126; L. FREY-

ER, The Riddles of Vergil's Third Eclogue, Akroterion 26, 1-2 (1981), S. 46-51.

Rahmungsvorgänge in den ungeradzahligen Eklogen

215

(v. 108-1 II 49 ) vollenden den mit dem Vorspruch der vv. 55-59 eröffneten Rahmen. Palaemon beschränkt sich auf das schlichte Beschließen. Indem er ein Unentschieden verkündet50, läßt er seine Schiedsrichterfunktion in den Hintergrund treten: Sein non nostrum (ν. 108) schließt ein Stück Verzicht und Rückzug ein51. Die wesentliche dramatische Funktion dieser dritten Figur im Gesamtgedicht besteht also darin, den Gesangswettstreit der beiden Protagonisten deutlich von deren fiktiverweise prosaischem Dialog abzuheben, d.h. im Gedicht die Grenze und den Übergang zwischen bukolischer Alltagssphäre und Gesungenem nochmals ausdrücklich zu markieren. Typologisch vergleichbar ist die siebte Ekloge. Hier kompliziert sich die Struktur dadurch, daß der Wettkampf zwischen Corydon und Thyrsis nicht auf derselben Dialog- und Handlungsebene stattfindet, mit der das Gedicht einsetzt, sondern von dem übergeordneten Sprecher Meliboeus, der Zeuge war, aus der Erinnerung wiedergegeben wird und damit in einer zusätzlichen Brechung zur Darstellung gelangt. In ecl.7 wird die Prosa-Praxis-Sphäre erst durch den vermittelnden Bericht des Meliboeus vergegenwärtigt. Meliboeus ist jedoch keine rahmende Dichterinstanz, sondern berichtet fiktiverweise in Prosa von einer Begebenheit, bei der er selbst (wiederum in einer "Prosasphäre") zugegen war52. Dieser Rahmen ist vollständig: 20 Verse des Meliboeus eröffnen und zwei (v. 69-70) beschließen das Gesamtgedicht. Die Sphäre, in der 49 Non nostrum inter vos tantas componere Utes: / et vitula tu dignus et hic, et quisquis amores / aut metuet dulcis out experietur amaros. / claudite iam rivos, pueri; sat prata biberunt. 50 Für unentschiedene Gesangswettkämpfe siehe Theocr., id. 5,138-140 (mit Schiedsrichter) sowie id. 6,41-46 (ohne Schiedsrichter). Vgl. KLINGNER, Virgil, S. 42-59. " Im Sehl uß wort des Schiedsrichters Morson zum Wettstreit des Komatas und des Lakon in Theokrits 5. Idyll, dem αϊτοΚικον και τοιμίηκόν, ist trotz der Entscheidung auf Unentschieden die praktische Rolle des Wettkampfleiters an dessen Imperativischen Anweisungen auch am Ende des Wechselgesangs deutlich zu erkennen (id. 5,138-140 [Morson): ταύσοισΰαι κίλομαι TOP τοιμένα. τιν Si, Κομάτα. / δωρίϊταα Μόραων ταν άμνίδα- και τν Si ϋύαας /

ταϊς Νύμφαις Μόρσοιη κα\οι> κρέας αντίκα τίμψον). 52

Wichtige Literatur zur 7. Ekloge: U. ALBINI, L' Ecloga VII di Virgilio, Maia 4 (1951),

S. 1 6 1 - 1 6 6 ; E . E . BEYERS, V e r g i l : E c l o g u e 7 - A T h e o r y o f P o e t r y , A C 5 ( 1 9 6 2 ) , S . 3 8 - 4 7 ;

PÖSCHL, S. 93-154; H. DAHLMANN, Zu Vergils siebentem Hirtengedicht, Hermes 94 (1966), S. 218-232; Η. FUCHS, Zum Wettgesang der Hirten in Vergils siebenter Ekloge, MH 23 ( 1 9 6 6 ) , S. 2 1 8 - 2 2 3 ; KLINGNER, V i r g i l , S . 1 1 2 - 1 2 5 ; J . B . VAN SICKLE, T h e U n i t y o f t h e E c l o -

gues: Arcadian Forest, Theocritean Trees, TAPhA 98 (1967), S. 491-508; P. WOLFING-V. MARTITZ, Zum Wettgesang der Hirten in der siebenten EkJoge Vergils, Hermes 98 (1970), S. 380-382; S.V.F. WAITE, The Contest in Virgil's Seventh Eclogue. CPh 67 (1972), S. 1211 2 3 ; B.D. FRISCHER, At tu aureus esto. Eine Interpretation von Vergils 7 . Ekloge. Bonn 1 9 7 5 ; M . T . CAMILLONI, U n a l e t t u r a d i V i r g . , E e l . V I I , S i l e n o 5 - 6 ( 1 9 7 9 - 1 9 8 0 ) , S . 3 0 3 - 3 1 4 ;

C. FANTAZZI / C.W. QUERBACH. Sound and Substance. A Reading of Virgil's Seventh Eclogue, Phoenix 39 (1985), S. 355-367; R.J. STARR, Vergil's Seventh Eclogue and its Readers, C P h 9 0 (1995), S. 129-138.

216

3. Die implizite Poetik der Bucolicu und die 10. Ekioge

wiederum diese Erzählung des Meliboeus stattfindet, ist nicht mehr näher spezifiziert. Das einzige Gegenüber seiner Rede ist der Leser. Den handelnden Figuren Corydon, Thyrsis und Daphnis ist auf diese Weise eine schildernde und kommentierende Instanz übergeordnet, die einerseits auf Gedichtebene berichtet, ihnen aber andererseits auch als Zeuge auf der Ebene der fiktiven bukolischen Praxissphäre beigesellt war. Meliboeus erzählt, wie (ähnlich wie in ecl.3) in einer bukolischen Ideallandschaft (die die rahmende Praxissphäre bildet) der Gesangswettstreit der beiden stattfand. Der Leser bzw. Hörer wird aber nicht (wie in ecl.3) Zeuge des Disputs der beiden Kontrahenten, der unmittelbar zum Wettstreit führt; vielmehr ist dieser in ecl.7 bereits vereinbart und vorbereitet. Meliboeus ist selbst Mitglied der fiktiven bukolischen Welt, die er beschreibt: Er berichtet, wie er auf der Suche nach seinem Ziegenbock zufallig an den Ort kam", an dem gerade der Wettkampf 54 beginnen sollte, und wie Daphnis55, hier eine Figur mit einer Art Schiedsrichterfunktion, ihn zum Zuhören einlud. Daphnis selbst vergegenwärtigt mit hic- und /»«oEvokationen den locus amoenusSb. In den Versen 14-17 schildert Meliboeus seinen Entschluß, die Hirtenarbeit ruhen zu lassen und dabeizubleiben (v. 17: posthabui tarnen illorum mea seria ludo). Die folgenden Verse57 leiten die Wiedergabe des Gesangs ein. Der Wechselgesang wird wieder durch alternis... versibus (v. 18) bezeichnet, und wieder bereitet eine Form von incipio (coepere in v.19) unmittelbar den Einsatz vor. Die Strophen der beiden Kontrahenten bestehen diesmal aus je vier Versen. Das erste Viererpaar schlägt einen kämpferischeren Ton an als er der 3. Ekioge eigen war. Corydon gelobt (v. 21-24), seinen Hirtengesang aufzugeben, wenn es ihm nicht gelingen sollte, mit seinen Versen dem bewunderten Sänger Codrus gleichzukommen und, so darf man ergänzen, das certamen zu gewinnen. Thyrsis überbietet die Absicht des Corydon noch (v. 25-28): Er will mit seinem Gesang erreichen, daß Codrus vor Neid platzt (v.26: invidia rumpantur ut ilia Codro). Eine Tendenz zur Anmaßung liegt in seinen Worten. Inhaltlich verbleibt der Wechselgesang

53 V. 6-7 (Meliboeus): hue mihi, dum ten eras clefendo a frigore myrtos, / vir gregis ipse caper deerraverat... . * Dessen unmittelbare Umstände stellten vorwegnehmend schon die einleitenden Verse 1-5 dar: Forte sub arguta consederat ilice Daphnis. / compulerantque greges Corydon et Thyrsis in unum, / Thyrsis ovis. Corydon distentas lacte capellas, / ambo florentes aetatibus. Arcades arnbo, / et cantare pares et respondere parati. 55 V. 8-9: atque ego Daphnin / aspicio. Meliboeus gibt in v. 9-13 dessen Rede direkt wieder: hue ades, ο Meliboee: caper tibi salvus et haedi; / et, si quid cessare potes. requiesce sub umbra. / hue ipsi potum venient per prata iuvenci, / hic viridis tenera praetexit harundine ripas / Mincius, eque sacra resonant examina quercu. " V. 18-20: alternis igitur contendere versibus ambo / coepere. alternos Musae meminisse volebant. / hos Corydon, illos referebat in ordine Thyrsis: / ... .

Rahniungsvorgänge in den ungeradzahligen Eklogen

217

durchweg im Bereich der bukolischen Sphäre, deren Mitglieder beide Kontrahenten sind58. Unerwartete Öffnungen hin auf das dichterische Tagesgeschehen in Rom wie in ecl.3 fehlen beispielsweise. Bukolische Gottheiten und bukolische Geliebte werden besungen und adressiert: Von v.29 bis v.44 geschieht dies von Seiten beider Sänger durchweg im Vokativ an eine (meist namentlich angesprochene) zweite Person des Singulars 59 . Die auf diesen Abschnitt folgende Strophe des Corydon (v. 45-48) verändert die Blickrichtung, indem sie noch den Vokativ beibehält, in ihm jedoch nun bukolische Landschaftselemente anruft 60 . Der folgende Abschnitt der Wettkampfstrophen (v. 49-66; danach bleibt als Rest nur die zweite Hälfte der letzten Strophe des Thyrsis) ist weitgehend in der dritten Person gehalten61. Grundthema ist der Preis bukolischer Geliebter, die in eine besondere, teilweise sympathetische Beziehung zur (häufig locus-amoenus-aitigen) bukolischen Landschaft und zu bukolischen Gegenständen gestellt werden 62 . Die Preisungen erhalten durch die 3. Person deskriptive, nicht adressierende Form. Noch ganz im Sinne des vorangegangenen Abschnittes bildet ein priamelförmiger Lobpreis verschiedener Bäume die erste Hälfte der letzten Strophe des Thyrsis 63 . Deren zweite Hälfte ist wieder vokativische Anrede in der 2. Person: Wenn der angesprochene Lycidas dem Sprechenden gewogen ist, so will dieser all die genannten

58

E.E. BEYERS weist (art. cit.; s.o., ANM. 52) auf die Tatsache hin, daß der jeweils zweite Sänger im Wettstreit (hier der schlieBliche Verlierer Thyrsis) in einer grundlegend anderen Position ist als der erste, da er antworten und reagieren muß. BEYERS will daraus die Typen "inspirierte Poesie" (die Corydons) und "intellektuelle Poesie" (die des jeweils antwortenden Thyrsis: "He must rely on quickness of intellect"; art. cit., S.43) ableiten, was vor allem gegen die These gerichtet ist, Thyrsis werde durch das Urteil für seine charakterliche Unzulänglichkeit bestraft (vgl. z.B. J. MESK, Der Schiedsspruch in der siebenten Ekloge V e r g i l s , P h i l o l o g u s 8 3 [ 1 9 2 7 - 1 9 2 8 ] , S. 4 5 3 - 4 5 8 ) . w

V.29 (Corydon): Saetosi caput hoc apri tibi, Delia, parvi /... (mit dem Subjekt Micon)·, v.33 (Thyrsis): Sinum lactis et haec te liba, Priape, quotannis / ... ; v.37 (Corydon): Nenne Galatea, thy mo mihi dulcior Hyblae·, v. 41 (Thyrsis): Immo ego Sardoniis videar tibi amarior herbis. 60 Muscosi fontes et somno mollior herba, / et quae vos rara viridis tegit arbutus umbra, / solsritium pecori defendite: iam venit aestas / torrida, iam lento turgent in palmite gemmae. 61 Den Einsatz dieser Partie bildet eine nach dem hic-hic-Schema gebaute Strophe des Thyrsis (v. 49-52): Hie focus et taedae pingues, hie plurimus ignis / semper, et adsidua postes fuligine nigri. / hie tantum Boreae curamus frigora quantum / aut numerum lupus aut torrentia flumina ripas. 62 V. 53-56 (Corydon): blühende Landschaft bei Anwesenheit des Alexis, austrocknende im Fall von dessen Weggang; v. 57-60 (Thyrsis; umgekehrte Bewegung): zunächst der "Durst" der Landschaft, dann deren Aufblühen bei Ankunft der Phyllis; ν. 61-64 (Corydon): Hochschätzung der corylus als Lieblingsbaum der Phyllis (noch vor Pappel, Weinrebe, Myrte und Lorbeer, obwohl diese Göttern heilig sind). 63 V. 65-66: Fraxinus in silvis pulcherrima, pinus in hortis, /populus in fluviis, abies in montibus altis.

218

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. EkJoge

Bäume an Schönheit geringer schätzen als den Geliebten54. Der Erzähler Meliboeus vollendet die Rahmung, indem er, ohne den Schiedsspruch ausdrücklich wiederzugeben, abschließend resümiert, daß Corydon den Wettkampf gewonnen hat55. In ecl.7 gibt es, anders als in ecl.3, einen Sieger und einen Verlierer. Der Wechselgesang war somit ein echter Kampf, was sich in dem polemischen Beginn bereits andeutete. In dem abschließenden nobis ruft der rahmende Erzähler, Meliboeus, seine eigene Beziehung zum Erzählten, seine eigene Zugehörigkeit zu der von ihm referierten bukolischen Rahmensphäre in Erinnerung. In den Strophen der Gesangswettkämpfe von ecl.3 und ecl.7 lassen sich somit zwei typische Redesituationen unterscheiden: die Apostrophe in der zweiten Person, die häufig mit dem Imperativ verbunden wird 55 , und die Rede in der dritten Person67. Die apostrophierende Form des Gesangs wirkt besonders lebensweltnah. Sie gibt sich hinsichtlich der Redesituation als direkt aus der Alltagssphäre genommen. Am klarsten ist diese Tendenz in den Versen ecl. 3,92-99 zu erkennen, wo die aufeinandertreffenden Strophen der beiden Sänger ganz praktische Anordnungen, Anweisungen und Warnungen enthalten, die in prosaischer Form ohne weiteres in einer bukolischen Alltagssituation gesprochen worden sein könnten68. In ihrer versatzstückartigen und beziehungslosen Aneinanderreihung durch die beiden Sänger werden diese Sätze zu Dichtung. Die Vokative und Imperative wollen als solche niemanden und nichts mehr erreichen. Eine fiktive Redesituation entsteht. Besonders deutlich wird das an Stellen, an denen ein nur imaginiertes Gegenüber angerufen wird, das auch im Gedicht sonst nirgends mehr spezifiziert ist, wie Iollas in ecl. 3,76-77 (Damoetas): Phyllida mitte mihi: meus est natalis, lolla; / cum faciam vitula pro frugibus, ipse venito. (In ecl. 7,30 trägt das Subjekt der GesangsStrophe gar ausdrücklich einen anderen Namen [Micon] als der Singende [Corydon].) Der Wechselgesang von ecl.3 reiht in dichter Folge schlaglichtartig die verschiedensten bukolischen Redesituationen aneinander; dabei stehen

44 V. 67-68: saepius at si me. Lycida formose, revisas, /fraxinus in silvis cedat tibi, pinus in hortis. 65 V. 69-70: Haec memini, et victum frustra contendere Thyrsin. I ex illo Corydon Corydon est tempore nobis. 66 In ecl.3: v. 74-77, 84-99, 104-107, in ecl.7: durchgängig von v.21 bis v.48 sowie ani Schluß in v. 67-68. 67 In ecl.3: v. 60-73. 78-83, 100-103, ecl.7: v. 49-66 (Ausnahme: 1. Person curamus in v.51). 68 Verbindungen von Vokativ und Imperativ in ecl. 3.93 (Damoetas): frigidus. ο pueri (fugite hinc!), latet anguis in herba; 94 (Menalcas): Parcite, oves, nimium procedere... . 96 (Damoetas): Tityre. pascentis a flumine reice capellas; 98 (Menalcas): Cogite ovis. pueri... .

Rahmungsvorgänge in den ungeradzahligen Eklogen

219

in sich schon dichtungsnahe Situationen wie die Anrufungen an abwesende Geliebte neben in Gesang überführten praxisbezogenen Anweisungen, die den Schutz der Herde betreffen. Man kann den Wechselgesang von ecl.3 als ein Durchprobieren von möglichst vielfaltigen bukolischen Situationen auf deren Poetisierbarkeit hin beschreiben. Keine dieser Situationen wird hier bis zum vollständigen Lied ausgeführt. Ein Einfluß des amor auch auf die bukolische Praxis deutet sich in ecl. 3,100-101 an, wo ein Problem des Hirtenalltags, die Abmagerung eines Stiers, mit dessen Liebesproblemen erklärt wird ([Da-

moetas:] Heu heu, quam pingui macer est mihi taurus in ervo! / idem amor exitium pecori pecorisque magistro). Auf eine wichtige Rolle der amores69 weist auch der Schiedsrichter Palaemon in seinem Schlußspruch hin (v. 109-

110: et vitula tu dignus et hic, et quisquis amores / aut metuet dulcis aut experietur amaros). Die Sänger Damoetas und Menalcas selbst sind aber von der Liebe, über die sie singen, offenbar nirgends aktuell betroffen, denn die Namen der Angerufenen ändern sich ständig 70 . In der siebten Ekloge ist die Distanz gegenüber der Praxis von Anfang an größer als in der dritten. Während letztere den allmählichen Übergang aus der Lebenspraxis in den Gesang, vom praktischen Streit in den Sängerwettstreit unmittelbar mitvollzieht, scheint in der siebten Ekloge die aktuelle, ernstgemeinte bukolische Praxissphäre nur mehr eher andeutungshaft und in den Außenbezirken, im Rahmenbereich des Erzählers Meliboeus auf (v. 6-7: hue

mihi, dum teneras dtfendo a frigore myrtos, / vir gregis ipse caper deerraverat). Sie ist ein Stück weit zurückgetreten. Von der Gesangssphäre wird sie

durch den programmatischen Satz posthabui tarnen illorum mea seria ludo (v.17) klar geschieden, und der anfängliche Hinweis auf die Herden der beiden Kontrahenten Corydon und Thyrsis (v.2: compulerantque greges Corydon et Thyrsis in unum) signalisiert, daß, ganz ähnlich wie im Prolog von ecl. 10, die Herden zur Zeit keine gesteigerte Aufmerksamkeit benötigen, daß also ein praxisferner Einschnitt im Hirtenalltag gegeben ist oder hergestellt wurde. Corydon und Thyrsis sind von Anfang an weniger Hirten als Sänger. In ecl.7 fehlen auch unmittelbar aus dem bukolischen Alltagsleben gegriffene Sätze und Aufforderungen. Das Bukolisch-Praktische spielt nur noch eingangs im Rahmen der Gelübde an Götter für den Fall von Jagd- oder Hirtenerfolg

69

Diese betont auch L. BRAUN, art. cit.; s.o., ANM. 32. C. FANTAZZI, Virgilian Pastoral and Roman Love Poetry, AJPh 87 (1966), S. 171-191 zu den Liebesstrophen in ecl.3: "This is love poetry of a very special sort, detached from the experience of love. The singer does not so much detail or communicate the passion of love as lose himself in the poetizing of the simpler vicissitudes and effects of love" (S.177). 70

220

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

(ecl. 7,29-36 71 ) eine Rolle. Sehr bald werden in den Gesangsstrophen Liebe72 und Idealnatur 73 beherrschend. Die bukolische Natur wird in einer Vereinigung der beiden Themenkomplexe je nach An- oder Abwesenheit des oder der Geliebten im locus-amoenus-förmigen Idealzustand oder aber im krassen Gegenzustand (v. 57-58: Verdorren) vorgestellt. Die Natur ist nicht mehr als Lebenswelt von Bedeutung (wie in ecl. 3,92-99), sondern nur noch in ihrer Schönheit als adäquater Ort und als Spiegelbild des oder der besungenen Geliebten. Man kann also zwischen ecl.3 und ecl.7 eine Entwicklung weg von ins Lied hineingenommenen lebensweltlichen Äußerungen (eher in ecl.3) hin zu naturästhetisch empfindender, preisender Poesie (eher in ecl.7) beobachten. Die Strophen der Kontrahenten beider Gedichte reihen teils ohne Bezug aufeinander, teils in loser Beziehung versatzstückartig mögliche Redesituationen an, die aus der bukolischen Lebenssphäre gegriffen sein könnten. Diese bildet jeweils den Rahmen des Gesangs. In den Strophen setzt sich jeweils ein bukolisches Ich fiktiverweise in eine unmittelbare Beziehung zur bukolischen Welt (sei es zu einem menschlichen Gegenüber wie in den Vokativ-ImperativSituationen, sei es zu bukolischen Naturgegenständen). Niemals ist die Redesituation narrativ wie in den Daphnisliedern der 5. Ekloge. Dabei gibt es unterschiedliche Grade von Nähe und Ferne zur bukolisch-lebensweltlichen Praxis, niemals aber stehen die aufscheinenden bukolischen Situationen in einem deutlichen Bezug zu einer aktuellen Situation des aktuellen Sänger-Ichs. Die beiden Gedichte als ganze führen jeweils sowohl die bukolische Rahmenwelt als Praxissubstrat vor, in dem diese bukolischen Versatzstücke ihren lebensweltlichen Ort haben könnten, als auch die poetische Sphäre, in die sie überführt werden. Gemeinsamkeit und Verschiedenheit von Dichtung und Praxis werden sichtbar, ihr Getrenntsein und ihre gleichzeitige Bezogenheit aufeinander. In allen ungeradzahligen Eklogen bildet eine bukolische Praxissphäre den unhintergehbaren Rahmen. Die Form dieser Gedichte ist dialogisch 74 , das

71

Ecl. 7,29-32 (Corydon): Saetosi caput hoc apri tibi, Delia, parvus / et ramosa Micon vivacis cornua cervi. / si proprium hoc fuerit, levi de martnore tota / puniceo stabis suras evincta coturno; v. 33-36 (Thyrsis): Sinurn lactis et haec te liba, Priape, quotannis / e.xspectare sat est: custos es pauperis horti. / nunc te marmoreum pro tempore fecimus: at tu. / sifetura gregem suppleverit, aureus esto. 72 Ecl. 7,37-40 (Corydon): Nerine Galatea, thymo mihi dulcior Hyblae, / candidior cycms. hedera formosior alba, / cum primum pasti repetent praesepia tauri, / si qua tui Corydonis habet te cura, venito: v. 41-44 (Thyrsis): Immo ego Sardoniis videar tibi amarior herbis, / horridior rusco, proiecta vilior alga, / si mihi non haec lux toto iam longior anno est. / ite domum pasti. si quis pudor, ite iuvenci. 73 Das locus-amoenus-Motiv wird mit v. 45-46 (Corydon: Muscosifontes et somno mollior herba, / et quae vos rara viridis tegit arbutus umbra) eingeführt. 74 Die ungeradzahligen Gedichte werden im folgenden gelegentlich als "dialogische Eklogen" bezeichnet, was sowohl Prosa- als auch Gesangsdialog einschließt.

Rahmungsvorgänge in den geradzahligen Eklogen (2, 4, 6, 8)

221

Gesagte fiktiverweise direkte Rede von bukolischen Figuren der bukolischen Welt, wobei allerdings in ecl.7 mit Meliboeus noch eine erzählende, wiederum bukolische Vermittlungsinstanz zwischen Figuren und Leser/Hörer tritt.

3.2.3

Rahmungsvorgänge in den geradzahligen Eklogen (2, 4, 6, 8)

Eine eindeutige letzte (Dichter-) Instanz, die hinter dem Gesamtgedicht steht, tritt in den ungeradzahligen Eklogen nicht in Erscheinung. Die Fiktion "bukolische Welt" wird dort als solche nicht mehr thematisiert, sondern bildet eine feste, quasi-lebensweltliche Grundlage für den Gesang, der wiederum aus ihr entsteht. Demgegenüber ist die fundamentale Gemeinsamkeit der jetzt zu besprechenden geradzahligen Eklogen, daß in ihnen jeweils eine Instanz in Erscheinung tritt, die sich selbst als Dichter des jeweiligen Gedichtes ausweist. Die bukolische Welt bildet dort somit nicht mehr nur einen Rahmen, sondern ist ihrerseits in einen äußeren Rahmen eingerückt. Eine Dichterinstanz eröffnet die geradzahligen Gedichte jeweils zumindest (ecl.10 beschließt sie auch) und spricht dabei (in ecl. 4, 6 und 8 wie in ecl. 10) in Ich-Form über das jeweilige Gedicht und gelegentlich auch über das ganze Gedichtbuch als über ihr eigenes Werk, ohne jedoch eine eindeutige Identität ihrer selbst preiszugeben. (In ecl.6 gibt sie sich wie in ecl.10 als einen Hirten aus.) Am unauffälligsten bleibt diese rahmende Instanz in der zweiten Ekloge. In den fünf Eingangsversen75 leitet sie wie ein auktorialer Erzähler mit Hintergrundwissen auf die Klage des Corydon hin. Damit macht sie deutlich, daß sie es ist, die den Monolog des Corydon erst referiert. Sie bezieht ihre Position, unterläßt aber weitere Äußerungen über sich selbst. Literarisches Vorbild, auch hinsichtlich der Rahmenform, ist das 11. Idyll, der Kyklops, des Theokrit. Auf die Unterschiede in der Charakterzeichnung und den burlesken Charakter des theokritischen Idylls soll hier nicht eingegangen werden. Betont sei nur folgendes: Der Rahmendichter will dem Nikias ein Beispiel für die heilende Kraft des Gesanges geben76; d.h. das Theokritgedicht hat fiktiver-

75

V. 1-5: Formosumpastor Corydon ardebat Alexin, /delicias domini, nec quid speraret habebat. / tantum inter densas, umbrosa cacumina, fagos / adsidue veniebat. ibi haec incondita solus / montibus et silvis studio iactabat inani /... . 16 Theocr., id. 11,1-4: Ob&if ποττον "Ερωτα τπφίkei φάρμακον άλλο, / Νικία, ούτ' iyxpiarov, έμιν δοκέΐ, οϋτ' eiriiraarov, / η ταΐ ΠίΕρίδές- κονφον δβ τι τοντο και άδν / y'ivtT ίπ' άνΰρώποις, ebpelv δ' ού pcfbiov ίστι. Vgl. A.S.F. Gow, Theocritus, edited with a translation and commentary, Bd.2, Cambridge 1965, S.209.

222

3. Die implizite Poetik der Bucolica

und die 10. Ekloge

weise lehrhaften Charakter. Der Kyklops singt selber 77 , und er erreicht schließlich die erhoffte Heilung von seiner Liebe 78 . Vom Gesang als einer heilenden Macht ist dagegen in der Ekloge keine Rede, und der augenblickliche Status des Corydon als Sänger - darauf wird noch eingegangen werden ist zumindest zweifelhaft. Corydon ist kein exemplum für die Heilkraft der Musik, auch wenn er schließlich zu einer Selbstbesinnung kommt 79 . Das Prinzip des Referats ähnelt dem der siebten Ekloge; der Unterschied liegt vorerst darin, daß in e d . 2 der Referierende sich in keiner Weise als Angehörigen der bukolischen Lebenswelt kennzeichnet, über die er referiert. Er spielt nicht mit und stellt sich als Figur nicht auf eine Ebene mit der Figur Corydon, sondern bleibt ganz instanzenhaft und kennzeichnet sich selbst nicht weiter. Der Leser kann, da anderweitige Hinweise fehlen, dieses sprechende Ich nur als das Ich des Eklogenbuchdichters deuten. Mit dieser Einleitung aber ist die zweite Ekloge nicht mehr nur einfach die Klage des Corydon, sondern expliziterweise die Wiedergabe der Klage des Corydon durch den Eklogenbuchdichter. Das Thema Liebe, die unglückliche, unerwiderte Liebe, die in den ungeradzahligen Eklogen nur am Rande eine Rolle spielt, rückt nun ins Zentrum. Wie die Rede in den schlaglichtartig aufscheinenden bukolischen Einzelsituationen der dialogischen Eklogen 3 und 7 richtet sich der Monolog des Corydon fast durchgängig im Vokativ (Eingang in v . 6 mit 'o crudelis Alexi,

77 V. 13-14: δ 6t τάν Γ α λ ά τ ί ΐ α ΐ ' άίίδων / αντος tu' άίονος καπτάκίτο φυκιόίσαας; ν. 17-18: ά λ λ ά το φάρμακου tlpe. καϋίζόμενος δ' έπϊ πέτρας / ύ ^ λ ά ς ές ιτόντον ορών άίώί τοιαύτα- / ... . Ahnlich Bion. Apospasma 3.3 Gow: τάν yXvKtpäv μοΧπάν. τάς φάρμακον οrSior ουδέν. ™ 1η ν.72 (ώ Κύκλω»/· Κύκλωψ. τς< τάς φρένας έκ-κιπότασαι;) kommt Polyphem zur Besinnung; in ν.80-81 beschließt der Erzähler-Dichter seinen Rahmen mit der Moral: Ούτω τοι ΠοΧνφαμος έποίμαινιν τον έρωτα / μουσίσδων, pqtov δί όιάγ' η ti χρνσον έδωκιν. 79 Häufig wurde deshalb gerade die 2. Ekloge als epikureisch gedeutet: vgl. z.B. L. ALFONSI, Dalla II alia X ecloga, Aevum 35 (1961). S. 193-198, der das Gedicht als Reflexion eines Epikureers über das Problem des "amore-passione" (an. cit.. S . I 9 8 ) ansieht: "di fronte e di contro alia saggezza del 'Giardino' si pone questo torbido ctXoyov" (ibid.). Laßt man den Epikureismus fort, so ergibt sich eine durchaus zutreffende Beschreibung des Phänomens der Rahmung; z.B.: "dall' inizio alia fine Vergilio non risolve 1' aporia, ma si direbbe la studi con interesse sempre piü acuito per quel piacere che έ tormento anzieht pace ed imperturbabilitä" (ibid.). Eine distanzierte Außeninstanz "Studien" und beobachtet die Liebeszustände des Corydon. Nur ist es unnötig anzunehmen, daß dies von einer epikureischen Position aus geschieht. Bei G.K. GALINSKY, Vergil's Second Eclogue: Its Theme and Relation to the Eclogue Book, C & Μ 26 (1965), S. 161-191, zeigen sich besonders die Schwierigkeiten, in die dieser weltanschauliche Deutungsansatz führen kann. GALINSKY versteht das Eklogenbuch insgesamt als epikureisch und muß deslialb (S.175) die zweite Ekloge, da sie Corydons Liebesmanie darstellt, als "in most respects... an anti-Eclogue" bezeichnen. Vgl. auch A. TRAINA, Si numquam fallit imago. Riflessioni sulle Bucoliche e Γ epicureismo. A & R 10 (1965), S. 72-78; KLINGNER, Virgil, S. 34-41; F. ROBERTSON, Virgil and Theocritus, PVS 10 (1970-71), S. 8-23.

Rahmungsvorgänge in den geradzahligen Eklogen (2, 4, 6, 8)

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nihil mea carmina curas?') an ein imaginiertes Gegenüber, an Alexis, der den Sprechenden verschmäht. Der Monolog hat werbenden Charakter: Corydon sucht aussichtsloserweise den als Liebling des Herrn höherrangigen und unerreichbaren Alexis (v.2: delicias domini) von den Vorzügen seiner unvornehmen Hirtenexistenz zu überzeugen. Im Schlußabschnitt wird dann allmählich eine andere Redesituation vorherrschend, die der Selbstanrede und ermahnung 80 , die dann schließlich (in v. 69-73) zur Abstandnahme führt. Anders als die Hirtensänger der 3., 5. und 7. Ekloge (und anders auch als der Kyklops von Theokrits 11. Idyll) ist Corydon nicht primär Sänger, sondern primär Erlebender und Erleidender innerhalb der bukolischen Sphäre. Selbstverständlich ist Corydon als Figur dieser Sphäre, als Hirte, auch Sänger. Er selbst rühmt sich (v. 31-39) seiner außergewöhnlichen Gesangsqualitäten 8 ', und er beginnt seinen Monolog mit nihil mea carmina curas? (v.6). Corydon ist jedoch in der 2. Ekloge nicht als der Sänger seines Leidens gezeichnet, sondern viel eher als in einer aktuellen Leidenssituation befindlich. Die Hinweise auf die aktuelle Außensituation, den jeweils erreichten Moment im Tagesablauf am Anfang (v. 8-13 82 ) und am Schluß (ν. 66-69 i 3 ), die vielen unvermittelten Umschwünge in der Rede des Corydon lassen diese als einen inneren Monolog wirken, der in einer vom aktuell-authentischen Gefühl bestimmten Situation geäußert wird. Bezeichnend ist der Ausdruck, mit dem die rahmende Instanz Corydons Monolog einleitet (v. 4-5): ibi haec incondita

solus / montibus et silvis studio iactabat inani. Corydon wird in der Einleitung nirgends ausdrücklich als Sänger bezeichnet, sein Monolog nicht als Gesang, sein Äußerungsmodus nicht als Singen. In der Charakterisierung des Rahmendichters ist er schlicht pastor (v.l); sein Monolog als ganzer wird haec incondita genannt, die Äußerungsform mit dem Verbum iacto bezeichnet. Ganz wörtlich genommen, ist also die Fiktion die, Corydon "schleudere" das, was ihn aktuell bedrängt, "ungeordnet" heraus. Erst wenn man diese Tatsache ernstnimmt, kann man der rahmenden Eklogenbuchdichterinstanz die ihr

80

Der erste Vokativ, den Corydon an sich selbst richtet, ist rusticus es, Corydon in v.56. Von v.60 bis v.65 fällt er nochmals in die Anrede an Alexis zurück, um, angeregt durch ein Naturphänomen, die beginnende Abenddämmerung, mit aspice in v.66 endgültig auf sich selbst zurückzukommen. 81 Z.B. v. 36-39: est mihi disparibus Septem compacta cicutis / fistula, Damoetas dono mihi quam dedit olim, / et dixit moriens: 'te nunc habet ista secundum'; / dixit Damoetas, invidit stultus Amyntas. 82 nunc etiam pecudes umbras et frigora captant, / nunc viridis etiam occultant spineta lacertos, / Thestylis et rapido fessis messoribus aestu / alia serpyllumque herbas contundit olentis. / at mecum raucis, tua dum vestigia lustro, / sole sub ardenti resonant arbusta cicadis. 83 aspice, aratra iugo referunt suspenso iuvenci, / et sol crescentis decedens duplicat umbras: / me tarnen urit amor: quis enim modus adsit amori?

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

gebührende Funktion zuweisen. Diese Instanz leitet nämlich den Monolog des Corydon nicht bloß allgemein-unverbindlich ein, sondern sie ist es, die die incondita des Corydon erst zu condita, zu Gedichtetem macht 84 und ihren vermittelnden Eingriff ausdrücklich markiert. Corydons nihil mea carmina euros (ν.6) bezieht sich auf die Tatsache, daß er verschmäht wird, obwohl er Sänger ist, nicht aber auf seine augenblickliche Äußerung. In der zweiten Ekloge - und dies setzt sich in den folgenden geradzahligen Gedichten fort wird der Rezipient im Vergleich zu den ungeradzahligen Eklogen um einen Schritt nach außen zurückgenommen. Er verläßt die Unmittelbarkeit der bukolischen Sphäre, und zu seinem fiktiven unmittelbaren Gegenüber wird diejenige Instanz, die diese Sphäre erst ins Leben ruft. Der Anlaß, bei dem sich diese Außeninstanz ins Spiel bringt, ist das Hervorbrechen einer besonders gesteigerten Emotionalität innerhalb der von ihr gedichteten bukolischen Sphäre. Eine derart gesteigerte aktuelle Emotionalität der dargestellten bukolischen Figuren bleibt in ecl. 3 und 7 vermieden. Die Liebesstrophen der beiden Gedichte richten sich in unmittelbarer Folge an verschiedene Geliebte und zitieren mögliche bukolische Liebessituationen. Wo also die Figuren der bukolischen Welt selbst eine dichterische Distanz herzustellen vermögen, muß kein Rahmendichter eingreifen. Corydon aber befindet sich in einer aktuellen Verstrickung, und so bedarf es einer Außeninstanz, die ihn poetisch rahmt und die Lücke zwischen unmittelbarer Emotionalität und Dichtung schließt. Corydon selbst stellt seine Emotionalität nicht künstlerisch dar. Am Ende des Monologs, in seiner abschließenden Selbstermahnung 85 , erreicht Corydon aber selbst eine relativ rahmennahe Position 86 . Hierin liegt einer der entschei-

M

E.W. L K A C H , Nature and An in Vergil's Second "Eclogue". AJPh 87 ( 1 9 6 6 ) , S. 427(dort: S . 4 4 1 ) : "Inconditus has both a common meaning of disorderly and a more technical literary meaning of poorly or roughly composed. Both are operative here." Zu inconditus als rhetorischem Terminus vgl. Cie., Brutus 69 (242) (oppidano quodam et incondito genere dicendi) sowie de oratore 3 , 4 4 ( 1 7 3 ) . Η . H E L C K S Auffassung (Incondita iactare. Ein Beitrag zur Erklärung der 2 . Ekloge Vergils, PhW 5 2 1 1 9 3 2 J , S. 9 6 3 - 9 7 2 ) , hier sei schlicht das formal relativ ungebundene bukolische Genos gemeint, hat E. P F E I F F E R , Virgils Bukolika - Untersuchungen zum Formproblem, Stuttgart 1 9 3 3 (S. 1 2 - 1 3 . Anm.8) widersprochen: "incondita charakterisiert... nicht den Bukolikastil gegenüber dem epischen und elegischen, sondern den der Liebesklage, die eine Äußerung von Affekten ist." Er verweist auf die τίχνη ρητορική des Apsines (Rhetores Graeci Spengel I 4 0 5 , 5 - 6 ; Abschnitt irepi πάγους): την δί λ ί | i y δίϊ tlvai άτ\αατον καϊ άκαλλώπιστον το yap καΧΚω-κίζΐιν ου του ύρηνοϋντος, wobei άκαλλώπιστος wahrscheinlich das griechische Pendant zu inconditus sei. 85 V . 6 9 - 7 3 : a, Corydon, Corydon, quae te dementia cepit! /semiputata tibi frondosa vitis in ulmo est: / quin tu aliquid saltern potius, quorum indiget usus, / viminibus mollique paras detexere iunco? / invenies aliurn, si te hic fastidit. Alexin. 86 Die von Theokrit übernommene Selbstermahnung des Protagonisten (s.o., Anm. 78) schließt in Symmetrie mit den einleitenden Versen des Eklogendichters den Rahmen. E.W. L E A C H S These (art. cit. [s.o., Anm. 8 4 ] , S . 4 3 0 - 4 3 1 und Anm. 1 0 ) , die Verse 6 9 - 7 3 seien (als 445

Rahmungsvorgänge in den geradzahligen Eklogen (2, 4, 6, 8)

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denden Unterschiede zu Gallus in der 10. Ekloge. Corydon ist imstande, sich ein Stück weit von seiner Emotionalität zu distanzieren, indem er sich auf die liegengebliebene Alltagsarbeit besinnt. In den fünf abschließenden Versen gelingt ihm eine Selbstdistanzierung (markiert durch die vokativische Selbstanrede 'a, Corydon, Corydon, quae te dementia cepit?'), die sich schon seit v.66 (aspice, aratra iugo referunt suspenso iuvenci) vorbereitet hat. Die fünf Abschlußverse bilden in genauer Symmetrie das Pendant zu den fünf Einleitungsversen der Eklogendichterinstanz. Diese überläßt ihrer Figur den Beschluß des Gedichts. Für das Gesamtgedicht ist eine nicht-gefühlsunmittelbare Position strukturnotwendig. Am Anfang hat der Eklogendichter diese inne; am Ende kann Corydon sie selbst übernehmen und so auch möglicherweise wieder zum Sänger werden87. Die vierte Ekloge sei hier nur am Rande berührt. Der Grund dafür, daß dieses rätselhafteste und meistdiskutierte88 Gedicht des Eklogenbuchs sich so stark von den übrigen der Sammlung abhebt, liegt ganz wesentlich darin, daß die bukolische Sphäre dort nur ganz von fem in den bukolisch-ruralen Bildern der Prophetie aufscheint (v. 18-25, v. 40-45), wobei sie zum einzigen Mal im Eklogenbuch die Züge des Goldenen Zeitalters annimmt. Weder treten bukolische Figuren auf, noch spielt das Thema der leidenschaftlichen Liebe eine Rolle89. Die einzige erkennbare Erscheinungsform von Liebe ist die zwischen Mutter und Kind (v. 60-64). Eine Verbindung zum Gesamtcorpus bilden die drei Einleitungsverse, die wiederum der Eklogenbuchdichter (hier in der ersten Person des Plurals) spricht90. Durch den Komparativ maiora stellt er eine Beziehung zum Vorangegangenen her, setzt das neue Gedicht aber auch davon

"Moral"; so LEACH, S . 4 4 3 ) wieder dem Rahmendichter zuzusprechen, ist nicht plausibel, denn Corydons Selbstermahnung entwickelt sich ja allmählich aus seiner schon vorhergegangenen Selbstanrede (v. 66-68: aspice, aratra iugo referunt suspenso iuvenci, / et sol crescentis decedens duplicat umbras; / me tarnen urit amor: quis enim modus adsit amori?). MYNORS und COLEMAN geben die Schlußverse mit Selbstverständlichkeit dem Corydon; letzterer erwähnt nicht einmal den genannten Altematiworschlag. 87 Mit detexere steht hier ein {Compositum des Verbums, das in ecl. 10,71 Symbol fur das Dichten des Eklogenbuchdichters ist (s.o., S. 181-184). ™ Bibliographie für die Jahre 1927-1977 bei W.W. BRIGGS, A Bibliography of Virgil's Eclogues', ANRW II 31.2 (1981), S. 1311-1325. Neuere Artikel zur Gesamtdeutung: W. KRAUS, Vergils vierte Ekloge. Ein kritisches Hypomnema, ANRW II 31.1 (1980), S. 60464S; G. BINDER, Lied der Parzen zur Geburt Oc(avians - Vergils vierte Ekloge, Gymnasium 90 (1983), S. 102-122; A. URUSCHADSE, Vergils vierte Ekloge, Klio 67 (1985), S. 205-209. 89 Deshalb konnte sie leicht für unbukolisch erklärt werden: Vgl. F. JACOBY, Tibulls erste Elegie. Ein Beitrag zum Verständnis der Tibullischen Kunst, RhM 65 (1910), S. 22-87 (dort: S.77); G. JACHMANN, Die vierte Ekloge Vergils, Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa 21 (1953), S. 13-62. 90 Siceiides Musae, paulo maiora canamus! / non omnis arbusta iuvant humilesque myricae; / si canimus silvas, silvae sint consule dignae.

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

ab. Die Relativierung paulo sorgt dafür, daß der Abstand nicht zu groß wird. Mit dem Vorspruch des bukolischen Dichters fügt die vierte Ekloge sich in die Reihe der geradzahligen Eklogen ein. Was das Gedicht hinsichtlich der Rahmungsverhältnisse von den anderen abhebt, ist die Tatsache, daß innerhalb des Rahmens nirgends eindeutig die gerahmte Perspektive einer auftretenden Figur erscheint, sondern fundamentale Redesituation die Prophezeiung (durchgängig v. 11-45) bleibt, flankiert von kurzen präsentischen Abschnitten (v. 4-791, 464792) und Imperativischen Anreden93, als deren Sprecher weiterhin der Dichter zu denken ist. Gegen Ende des Gedichts exponiert dieser sich in bemerkenswerter Weise94: Er bezieht sich und sein eigenes Dichten in das von ihm dargestellte glückliche Weltzeitalter mit ein. Diese Wendung hin zu sich selbst hat er mit der Imperativischen Passage v. 48-52 vorbereitet. Unter den gegebenen und von ihm selbst zuvor besungenen Heilsumständen wird sich auch sein eigenes Dichten in ungekannte Höhen erheben und über paulo maiora gewiß noch hinausgehen. Der Dichter kehrt innerhalb des Gerahmten zum Thema der eigenen Dichtung zurück, mit dem er eröffnet hat. Rahmen und Gerahmtes verschmelzen thematisch. In den dichterischen Rahmen gefaßi wird somit nicht das Lied oder die Klage eines anderen Hirten(-sängers), sondern die dichterische Hoffnung des Eklogenbuchdichters selbst. Was die vierte Ekloge also zum bukolischen Gedicht im Sinne des Eklogenbuchs macht, ist die Tatsache, daß in ihr wie auch in den anderen innerhalb einer Rahmenstruktur Dichtung thematisiert wird95. Besonders komplex ist die Rahmenverschachtelung in der sechsten Ekloge, die programmatisch die zweite Hälfte des Eklogenbuchs einleitet. Der Eklo-

" Ultima Cumaei venit (präsentisch) iam carminis aetas; / magnus ab integro saeclorum nascitur ordo. / iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regno, / iam nova progenies caelo demittitur alto. n 'Talia saecla' suis dixerunt 'currite' fusis / concordes stabili fatorum numine Parcae. 93 V. 8-10: tu modo nascenti puero, quo ferrea primum / desinet ac toto surget gens aurea mundo, /casta fave Lucina: tuus iam regnat Apollo: v. 48-52: adgredere ο magnos (aderit iam tempus) honores, / cara deum suboles, magnum lovis incrementum! / aspice convexo nutantem pondere mundum, / terrasque tractusque maris caelumque profundum; / aspice, venturo laetentur ut omnia saeclol·, v. 60-63: Incipe, parve puer, risu cognoscere matrem / (matri longa decern tulerunt fastidia menses) / incipe, parve puer: qui non risere parenti, / nec deus hunc mensa, dea nec dignata cubili est. M V. 53-59: ο mihi tum longae maneat pars ultima vitae, / spiritus et quantum sat erit tua dicere facta! / non me carminibus vincet nec Thracius Orpheus / nec Linus, huic mater quamvis atque huic pater adsit, / Orphei Calliopea, Lino formosus Apollo. / Pan etiam, Arcadia mecum si iudice certet, / Pan etiam Arcadia dicat se iudice victum. 95 Vgl. den Abschnitt zur vierten Ekloge bei SCHMIDT, Poetische Reflexion, S. 154-172. M. BOLLACK, Le retour de Saturne (une 6tude de la IVe Eglogue), REL 45 (1967), S. 304324, deutet den puer als Symbol für das Gedicht selbst. Ähnlich W. BERG, Early Virgil. L o n d o n 1974. S. 167-177.

Rahmungsvorgänge in den geradzahligen Eklogen (2. 4, 6. 8)

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genbuchdichter eröffnet das Gedicht mit einem ausgearbeiteten Prooemium von 12 Versen, in dem er zunächst noch gar nicht im besonderen auf das Gedicht hinleitet, sondern über seine eigene Existenz als bukolischer Dichter und über eigene Versuche reflektiert, sich über das Bukolische hinaus zum Sänger von reges et proelia (v.3) aufzuschwingen. Seine recusatio gegenüber diesem Ansinnen führt er auf ein Eingreifen Apollos zurück (v. 3-5: Cynthius

aurem / vellit et admonuit: 'pastorem, Tityre, pinguis / pascere oportet ovis, deductum dicere carmen.'). Der Eklogendichter identifiziert sich derart mit seiner Dichtung, daß er sich (im Sinne des Schmidtschen Terminus "Rollentausch") selbst einen Namen (Tityrus) und eine Identität (pastorem) aus seiner bukolischen Sphäre beilegt96. Als Bukoliker will er beim deductum carmen bleiben und dennoch zum Wohlgefallen des Varus wie des Apollo singen; es wird genügend andere geben, die in episch-verherrlichender Form das Lob des Varus singen können®7. Die Eklogenbuchdichterinstanz läßt den Leser hier in extenso zum Zeugen ihrer eigenen poetologischen Reflexionen und Entscheidungen werden. Sie tritt in ihrer eigenen Dichtung als Figur auf. Mit dem Fortschreiten des Buches nimmt die poetologische Bewußtheit zu. In ecl.2 blieb die Rahmeninstanz noch ohne ausdrücklich explizierte Identität. Was dann in den drei Einleitungsversen von ecl.4 gerade angedeutet war (die Reflexion des Eklogenbuchdichters über das humile der eigenen Gattung), dehnt sich in ecl.6 zur Grundsatzreflexion aus. Die Selbsteinleitung gipfelt in der Übergangsformel Pergite, Pierides in ecl. 6,13. Das Gedicht präsentiert somit das folgende mythisch-bukolische Szenario (v. 13-14-.Chroms etMnasyllos in antro / Silenum pueri somno videre iacentem) dem Leser ausdrücklich als vom erzählenden, singenden Eklogenbuchdichter hervorgebracht, so wie der Leser schon in ecl.2 nur durch Vermittlung der Rahmeninstanz Zeuge von Corydons Monolog wurde. Innerhalb dieser gerahmten Sphäre ist wiederum das Entstehen eines Liedes geschildert: die Überwältigung des Silen durch die pueri und die Naiade Aegle, die als selbst mythisches Wesen den beiden zu Hilfe kommt (v.20: timidisque supervenit Aegle), und dessen Einwilligung zu singen. Nachdem im Prolog der Gott Apollo den Dichter zum bukolischen Singen aufgefordert hat98, kehrt sich nun das Verhältnis um: Chromis und

* Die beabsichtigte Scheinhaftigkeit dieser Identität zeigt sich gerade im Vergleich mit der vorhergegangenen 5. Ekloge, wo (v. 86-87) die Figur Menalcas als Maske des Eklogenbuchdichters diente. " V. 6-12: nunc ego (namque super tibi erunt qui dicere laudes, / Vare, tuas cupiant et tristia condere bella) / agrestem tenui meditabor harundine Musam: /non iniussa cano. si quis tarnen haec quoque, si quis / captus amore leget, te nostrae, Vare, myricae, / te nemus omne canet; nec Phoebo gratior ulla est / quam sibi quae Van praescripsit pagina nomen. 98 Ecl. 6, 3-5: cum canerem reges et proelia, Cynthius aurem / vellit et admonuit: 'pastorem, Tityre, pinguis / pascere oportet ovis, deductum dicere carmen.'

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

Mnasyllus fordern in diesem Lied wiederum einen Gott, den Silen, durch die Gefangennahme dazu auf 99 . Das Silenslied wird durch vier Verse, die die Macht des Gesanges mit Bildern aus dem Orpheusmythos schildern, deutlich von der Rahmenszenerie der Verse 13-26 abgesetzt 100 ; wieder bezeichnet incipere

den Einsatz des Liedes (v.26: simul

incipit

ipse).

In der sechsten

Ekloge finden sich somit auch Elemente des Rahmungstypus der ungeraden Gedichte: Der Elclogendichter rahmt explizit das Gesamtgedicht als das seine (womit sich das Gedicht in die Reihe der geradzahligen Eklogen einfügt), aber in seinem bereits gerahmten Lied ist wiederum die Entstehung eines Liedes aus einem mythisch-bukolischen Handlungsrahmen geschildert, ähnlich wie in den ungeradzahligen Eklogen 3, 5 und 7 jeweils die Entstehung eines bukolischen Liedes aus einer bukolischen Rahmensphäre dargestellt war 101 . Der bukolische Rahmendichter schließt den inneren Handlungsrahmen in fünf Versen wieder ab 102 , die in die nun (v.85: ovis) als bukolisch charakterisierte Rahmensphäre zurückleiten, aus der das Lied entstand. Chromis und Mnasyllos weiden Schafe ebenso wie Vergil-Tityrus. Der Schluß des Gedichts greift auf die Dichtungsaufforderung des Prologs zurück, indem er enthüllt, daß das Lied des Silen seinerseits nichts anderes war als die Wiedergabe eines Liedes Apollos, des ursprünglichen Auftraggebers 103 . Ein unauflösliches In- und Miteinander von Göttern und Sängern, eine Einheit von Gewähren und Ausführen wird abgebildet. Das Lied des Silen selbst verläßt zunächst den Rahmen der bukolischen Sphäre, indem es in neue kosmologische und mythologi-

99

Vgl. SCHMIDT, Poetische Reflexion, S.257: "Der Auftrag des Gottes wird gleichsam an einen Gott zurückgewiesen." 100 V. 27-30: tum vero in numerum Faunosque ferasque videres / ludere, tum rigidas motare cacumina quercus; / nec tantum Phoebo gaudet Pamasia rupes, / nec tantum Rhodope miratur et Ismarus Orphea. 101 Offenbar sind solche Mischtendenzen in der zweiten Hälfte des Eklogenbuchs deutlicher ausgeprägt als in der ersten (siehe auch ecl.7, in der der Wettstreit ja nicht in dramatischer Unmittelbarkeit, sondern als referierter zur Darstellung kam). Die für die gerad- bzw. ungeradzahligen Gedichte typische Grundform bleibt aber jeweils klar erkennbar: In ecl.6 ist die äußerste rahmende Figur eindeutig der EkJogenbuchdichter. die referierende Figur Meliboeus in ecl.7 ist aber eindeutig nicht der Eklogenbuchdichter, sondern eine bukolische Figur, die im Erzählten dann auch mitspielt. 102 V. 82-86: omnia, quae Phoebo quondam meditante beatus / audiit Eurotas iussitque ediscere lauros, / ille canit, pulsae referunt ad sidera valles; / cogere donec ovis stabulis numerumque referre / iussit et invito processit Vesper Olympo. 103 SCHMIDT, Poet. Reflexion, S.257: "Er (sc. der Silen) verrät also, was Apoll von Vergil will, indem er Apolls eigene Lieder singt. ... Vergil-Tityrus und die beiden Knaben stehen auf einer poetischen Stufe: was sie wünschen und tun, gilt stellvertretend für den Bukoliker Vergil."

Rahmungsvorgänge in den geradzahligen Eklogen (2. 4, 6, 8)

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sehe Bereiche vorstößt"*. Kosmologisch ist der Beginn (v. 31-42); auf eine kurze, an Lukrez angelehnte Weltentstehungsgeschichte (v. 31-40), auf Sintflut- und Titanenzeitalter105, folgt mit der Hylasepisode aus dem Argonautenmythos der Übergang zu menschlicher Kulturleistung (die erste Seefahrt), aber sogleich auch zu menschlichem Unglück. Verlust und unglückliche Liebe sind die Themen, die fortan die Auswahl der Mythen bestimmen (v. 43-44: die vergebliche Suche der Argonauten nach Hylas106; v. 45-60 [s.u., S. 231232]: Pasiphae mit ihrer Liebe zum Stier; darin als Vergleich eingelegt fv. 4851] die Episode der Proetustöchter, die mit der Halluzination gestraft wurden, sie seien Kühe107; v.61: Ataiante in dem Augenblick, in dem ihre Neugier auf die goldenen Äpfel sie besiegt108; v. 62-63: die Metamorphose der trauernden Schwestern des Phaethon109; v. 74-77: die Metamorphose der unglücklichen Scylla [Vermischung ihrer Figur mit dem gleichnamigen Meer-

104 Das Problem der literarhistorischen Einordnung der einzelnen Episoden und der Genremischung, das meist die Diskussion zur 6. Ekloge beherrscht, wird hier nicht behandelt (Abhängigkeiten von Hesiod, Kallimachos, Lukrez, im Zusammenhang mit der Dichterweihe des Gallus evtl. Euphorion). Vgl. dazu die klassischen Arbeiten von O. SKUTSCH, ZU Vergils Eklogen, RhM 99 (1956), S. 193-201; Z. STEWART, The Song of Silenus, HSPh 64 (1959), S. 179-205; J.P. ELDER, Non iniussa cano. Virgil's Sixth Eclogue, HSPh 65 (1961), S. 109125; Α. LA PENNA, Esiodo nella culture e nella poesia di Virgilio, Fondation Hardt, Entretiens VII (1962), S. 213-252. Häufig trifft man in den älteren Arbeiten auf die Auffassung, ecl.6 sei ein ("alexandrinisches") Kataloggedicht (v.a. O. SKUTSCH, art. cit., sowie auch schon F. SKUTSCH, 1901). Aus jüngerer Zeit vgl. C. SEGAL: Caves, Pan, and Silenus. Theocritus' Pastoral Epigrams and Virgil's Sixth Eclogue, ZAnt 26 (1976), S. 53-56; J. VAN SICKLE, Virgil's 6th Eclogue and the Poetics of Middle Style, LCM 2 (1977), S. 107-108; R.F. THOMAS, Theocritus, Calvus, and Eclogue 6, CPh 74 (1979), S. 337-339; R.B. RUTHERFORD, Virgil's poetic ambitions in Eclogue 6, G&R 36 (1989), S. 42-50; E. COURTNEY, Vergil's Sixth Eclogue, QUCC 63 (1990), S. 99-112; B. BALDWIN, Eclogue 6: The Simple Explanation, SO 66 (1991), S. 97-107; M. PASCHALIS, Virgil's Sixth Eclogue and the Lament for Bion, AJPh 116 (1995), S. 617-621. Ein Problem ist das inhaltliche Verhältnis der Episoden des Silensliedes zur bukolischen Sphäre. ELDER (art. cit., S. 117) bemerkt dazu: "... never for long throughout the poem does Virgil let the reader forget that, heterogeneous as the catalogue of themes may be, this is a pastoral poem... . Bucolic touches suddenly and unexpectedly appear in the midst of science, mythology, and genealogy." SCHMIDT kann im Rahmen seines Modells das Bukolische der 6. Ekloge in deren dichtungsreflektierendem Charakter finden (ausfuhrlich dazu das Kapitel "Apollo: Das Reich der Dichtung - Interpretation der sechsten Ekloge" in Poet. Reflexion, S. 238-298).

105

V. 41-42: hinc lapides Pyrrhae iactos, Satuniia regna, / Caucasiasque refert volucris furtumque Promethei. 106 his adiungit, Hylan nautae quofonte relictum / clamassent, ut litus 'Hyla, Hyla' omne sonaret. 107 Proetides implerunt falsis mugitibus agros, /at non tarn turpis peeudum tarnen ulla secuta / concubitus, quamvis collo ämuisset aratrum / et saepe in levi quaesisset cornua fronte. 108 tum canit Hesperidum miratam mala puellam. 109 tum Phaethontiadas musco circumdat amarae / corticis atque solo proceras erigit alnos.

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

ungeheuer] 1 1 0 ; v. 7 8 - 8 1 : Tereus und Philomela 1 "). Eingelegt ist (v. 64-73) die Dichterweihe des Gallus 112 durch den Hirtensänger Linus ( s . o . , S. 117118) 1 1 3 . D i e Tatsache, daß dessen hoffnungsvoller Aufstieg zum Helikon z w i s c h e n die Mythen von unglücklicher Liebe eingelegt ist, läßt sich schon als Vorausdeutung auf sein Schicksal in e c l . 1 0 verstehen. In fast allen Episoden wird in irgendeiner Form unglückliche Liebe mit ihren Folgen empathisch dargestellt 1 1 4 . D i e Grundform, in der der bukolische Dichter das Silenslied

110 Quid loquar aut Scyllam Nisi, quamfama secuta est / Candida succinctarn latrantibus inguina monstris / Dulichias vexasse rates et gurgite in alto / a! timidos nautas canibus lacerasse marinis / ... ? "' (sc. quid loquar) aut ut mutatos Terei narraverit artus, / quas Uli Philomela dapes, quae dona pararit. / quo cursu deserta petiverit et quibus ante / infelix sua tecta super volitaverit alis? 112 tum canit, errantem Permessi ad flumina Galium / Aonas in montis ut duxerit una sororum, / utque viro Phoebi chorus adsurrexerit omnis; / ut Linus haec Uli divino carmine pastor / floribus atque apio crinis omatus amaro / dixerit: 'hos tibi dant calamos (en accipe) Musae, / Ascraeo quos ante seni, quibus ille solebat / cantando rigidas deducere montibus ornos, / ne quis sit lucus quo se plus iactet Apollo.' 113 SCHMIDT, Poet. Reflexion, S.278-283, stellt den Prolog und die Dichterweihe des Gallus als Berufungsszenen zusammen und zeigt, daß auch zwischen ihnen ein Spiegelungsverhältnis besteht. SCHMIDT beschreibt die dichtungsreflexive Funktion der Dichterweihe folgendermaßen: "Die Gallusepisode verdeutlicht die poetische Funktion der Lieder des Silen als die von Exempeln für das von Apoll gewünschte 'feine' Singen in kallimacheisch-hesiodischer Manier. Sie spiegelt das Ganze der Ekloge insofern, als sie auf ein (kallimacheisch hesiodisches) Gedicht anspielt, das mit einer Berufung von einem Genus weg zu einem andern einsetzt und in dem das gesungen wird, wozu berufen worden ist" (S.283). SCHMIDT akzeptiert (S.276) übrigens die Deutung W. WIMMELS (Kallimachos in Rom, Wiesbaden 1960, S. 234-235) und vieler anderer, Permessi ad flumina (ecl. 6,64) beziehe sich wegen Prop. 2,10,25-26 auf die Gattung der erotischen Elegie (s.o., 2. Teil, Anm. 48), nicht aber die Annahme, Gallus werde in den Aones monies zur Behandlung eines "größeren, mehr verpflichtenden und vielleicht römischen Stoff(es)" (so WIMMEL, op. cit., S.235) berufen. Zu dem selbstreflexiven Moment, durch das Vergil sich von allen seinen Vorgängern unterscheide, bemerkt SCHMIDT anläßlich von ecl.6 (Poet. Reflexion, S.283): "Vergil allein singt nicht nur, wozu er berufen wird, sondern er reflektiert im Singen die Berufung. Er macht zum alleinigen Gegenstand seines Liedes die Darstellung dessen, was 'deductum carmen' sei. was davon umfaßt werde und in welchen Horizont sein Singen einzubeziehen sei." SCHMIDT spricht (Poet. Reflexion, S.291) von einer "Akzentuierung des Intimen und (der) Empathie des Dichters", um die Dichterhaltung zu charakterisieren, die hier zum Ausdruck kommt. In der Literatur wurde als ein verbindendes Moment der Episoden gelegentlich der abstoßende oder grausige Inhalt einiger der aufgeführten Mythen (Pasiphae und Philomela) betont (z.B. KLINGNER, Virgil, z.B. S.110, S.174 [Kapitel zu ecl.6: S. 100-111]; C.P. SEGAL, Vergil's Sixth Eclogue and the Problem of Evil, zuerst: TAPhA 100 [1969], S. 407435; hier zitiert nach dem Abdruck in: ders.. Poetry and Myth in Ancient Pastoral, Princeton 1981 [S. 301-329]). In der Tat spielen in den verwendeten Mythen gelegentlich animalisch oder bestialisch wirkende Inhalte eine Rolle (die Liebe der Frau zum Stier, die Zerstückelung des Kindes). Doch Vergil betont gerade diese Aspekte nicht, was SEGAL übersieht, wenn er

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wiedergibt, ist die oratio obliqua115. Diese Gestaltung der Rahmung bleibt im Eklogenbuch einmalig. Der rahmende Dichter hält so die Erinnerung daran, daß er der Wiedergebende ist, auch in der sprachlichen Form jederzeit gegenwärtig. Die sechste Ekloge berichtet vom Gesang des Silen als einem Ereignis innerhalb der bukolisch-mythischen Sphäre, die den inneren Rahmen des Gesamtgedichts bildet. Die indirekte Rede rückt das Singen als Ereignis in den Mittelpunkt, wobei der Inhalt des Gesangs in einer zusätzlichen Brechung erscheint. Die oratio obliqua ermöglicht den Übergang von einer Episode zur anderen jeweils mit einer schlichten, kurzen Formel des rahmenden Erzählers. So kann eine große Zahl verschiedener Episoden auf kleinem Raum nacheinander aufscheinen. Zwischendurch verläßt der Erzähler die oratio obliqua jedoch auch, wobei bemerkenswerte neue Metaphern für die Tätigkeit des Sängers entstehen: In v. 41-42 (hitic lapides Pyrrhae iactos, Saturnia regna, / Caucasiasque refert volucris furtumque Promethei) werden die Gegenstände des Gesanges zu direkten Objekten der mit referre bezeichneten Handlung des Sängers. Die w . 45-46 (et fortunatam, si numquam armenta fuissent, / Pasiphaen nivei solatur amore iuvenci) stellen dann das Singen als unmittelbaren Eingriff des Sängers in die gesungene Handlung dar: Der Sänger "tröstet" seine Figur"6. In v. 62-63 wird der Sänger dann sogar zum direkten materiellen Urheber der dargestellten Metamorphose (tum Phaethontiadas musco circumdat amarae / corticis atque solo proceras erigit alnos)"1. Für die hier

von "Pasiphae's bestiality" [art. cit., S.316] oder "Pasiphae's subhuman passion" [art. cit., S.317] spricht. Vielmehr stellt der Dichter seine Figuren in Empathie als von Amor Getroffene, manchmal Geschlagene dar. In den Metamorphosen-Episoden wird besonders sinnfällig, wie amor seine Opfer über die menschlichen Grenzen hinaustreibt und verwandelt. SCHMIDT beschreibt das Gemeinsame der Episoden in Gattungstermini (Poet. Reflexion, S.281): "... die Lieder des Katalogs stellen den Dichtungsraum zwischen heroischem Epos (welches 'größer' ist) und erotischer Elegie (weiche 'kleiner' ist) dar. Eben deshalb fehlen diese beiden (sc. im Silenslied; d. Verf.). Der Katalog bezeichnet so den Raum der Dichtung des 'deductum carmen', in den die Bukolik gehört." 115 Einleitung mit namque canebat uti (v.31); weitere übergeordnete, berichtende Verbalausdrücke: his adiungit (v.43), tum canit (v.61, v.64); praeteritio mit quid loquar in v.74; dazu ut narraverit (v.78). Der Gesang ist als Tröstungsvorgang dargestellt; zugleich aber versteht sich, daß er keine reale Tröstung bieten wird, da die im Gesang dargestellte Figur kein reales Gegenüber des Singenden und ihr unglückliches Schicksal im Mythos längst besiegelt ist. Der Gesang ist gewissermaßen ein unpraktischer Trost. Er hat tröstende Eigenschaften, kann aber dennoch am realen Unglück nichts ändern. (Auch Gallus imaginiert in ecl. 10,31-34 [tarnen cantabitis. Arcades... ] für sich einen solchen Trost, der kein realer Trost ist.) 1,1 Servius, ad loc.: mira autem est canentis laus, ut quasi non factam rem cantare, sed ipse earn cantando facere videatur. Ausführlich behandelt hat diese Figur G. LIEBERG, Poeta Creator - Studien zu einer Figur der antiken Dichtung, Amsterdam 1982 (dort v.a. S.5 ff.); ders.. Zu Idee und Figur des dichterischen Schöpfertums, Bochum 1985.

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interessierende Frage nach der Darstellung von Emotionalität bzw. deren Vermitteltheit im Eklogenbuch ist in der sechsten Ekloge vor allem die Pasiphae-Episode von Bedeutung (mit 16 Versen die bei weitem längste und ausgearbeitetste). Sie beginnt mit einer Apostrophe (v.47: a, virgo infelix, quae te dementia cepit!), auf die eine berichtende Partie folgt, die immer noch als Bericht des bukolischen Dichters über das Silenslied zu verstehen sein könnte, die sich aber auch als direktes Zitat aus dem Silenslied interpretieren läßt" 8 . Die beiden Dichterfiguren, die vorher so deutlich getrennt erschienen, verschmelzen in diesem Abschnitt tendenziell, so daß bezüglich der Urheberschaft nicht mehr klar zu unterscheiden ist. Im Anschluß an eine weitere Apostrophe an die Figur (v.52: a! virgo infelix, tu nunc in montibus erras) wird schließlich eine direkte Rede der Unglücklichen fingiert (v. 55-60:

'claudite, Nymphae, / Dictaeae Nymphae, nemorum iam claudite saltus, / si qua forte ferant oculis sese obvia nostris / errabunda bovis vestigia; forsitan illum / aut herba captum viridi aut armenta secutum / perducant aliquae stabula ad Gortynia vaccae.'). Auch hier bleibt in der Schwebe, ob die Partie als Zitat aus dem Lied des Silens gedacht ist oder ob der bukolische Rahmendichter, der vom Lied des Silens erzählt, selbst Sprecher der Apostrophe sein soll und seine eigene dichterische Phantasie sich in der direkten Rede für den Augenblick in Empathie mit der Figur verselbständigt. Vor allem hier, mit der Rede der Pasiphae, entsteht in der 6. Ekloge eine innerste Gedichtsphäre unmittelbarer Emotionalität, die mehrfach dichterisch gerahmt ist. Die Perspektive der Unglücklichen wird in mehrfacher Brechung vergegenwärtigt. Die Empathie des Dichters gegenüber seiner Figur kommt in der zweimaligen Apostrophe unmittelbar zum Ausdruck. Der Dichter fühlt sich in sie ein und kann sie dadurch direkt in seinem Gedicht sprechen lassen. Zugleich mit der Empathie bleibt jedoch die notwendige, unüberbrückbare Distanz zwischen dem Dichter und seiner Figur bestehen. Das Verbum solatur (v.46) bekräftigt die empathische Einstellung des Dichters, stellt aber in seiner so augenfällig uneigentlichen, fast ironischen Verwendung das Gesagte zugleich wieder in Frage. Dabei wird die Distanz zwischen Dichter und Dargestelltem sichtbar: Aufgabe des Dichters ist die Darstellung und gerade nicht eine tatsächliche, praktisch tröstende Einflußnahme. Im Falle der Pasiphae ist das besonders deutlich, da sie als eine Heroine aus mythischer Vergangenheit für irgendwelche Formen von Trost allemal unzugänglich ist.

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V. 48-51: a, virgo infelix, quae te dementia cepit! / Proetides implerunt falsis mugitibus agros, / at non tarn turpis pecudum tarnen Ulla secuta / concubitus, quamvis collo timuisset aratrum / et saepe in levi quaesisset cornua fronte.

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Auch die achte Ekloge 1 " setzt mit einem reflektierenden Vorspruch der Eklogenbuchdichterinstanz ein. Dieser übertrifft den der sechsten Ekloge mit 13 Versen an Umfang noch um einen. In der Passage 6-13, die an einen ungenannten tum (v.6) gerichtet ist, thematisiert der Dichter wieder (wie zu Beginn von ecl.6 und andeutungsweise zu Beginn von ecl.4) das Problem der hohen (epischen) und der niedrigen Dichtung, zu der die seine nach wie vor gehört. Er ist sich nicht sicher, scheint jedoch zu hoffen, daß auch er noch zum Sänger der großen Taten werden kann121. Ausdrückliche Bescheidenheits- oder recusatio-Formeln fehlen hier: Das Selbstbewußtsein des bukolischen Dichters wirkt gesteigert. Einstweilen nennt er seine eigene Dichtung und im besonderen das vorliegende Gedicht den Efeu, den er in den Siegerlorbeer des Angeredeten winden möchte122. In Einleitungsversen 1-5 hat der Dichter sein Lied angekündigt, das die "Musa" der Hirten Damon und Alphesiboeus zum Gegenstand haben wird. Die fünf Verse umfassen einen einzigen Hauptsatz mit zwei eingelegten Relativsätzen. V.l enthält nur das Objekt des Hauptsatzes (Pastorum Musam Damonis et Alphesiboei); erst v.5 (Damonis Musam dicemus et Alphesiboei) bringt das Prädikat (in der 1. Person Plural des Futurs) und nimmt das Objekt aus v. 1 nochmals auf. Die beiden asyndetisch nebeneinanderstehenden Relativsätze, deren zweiter in zwei mit et verbundene Abschnitte geteilt ist (v. 2-3: immemor herbarum quos est mirata iuvenca / certarüis\ v. 3-4: quorum stupefactae carmine lynces, / et mutata suos requierunt flumina cursus), stehen im Perfekt. Sie schildern ähnlich ecl. 6,27-30 in der Symbolik des Orpheusmythos die Wirkung der Lieder. Die Fiktion ist, das Gedicht gebe zwei Lieder wieder, die von den zwei genannten Hirten bei einem Wettkampf (v.3: certantis) in bukolischem Rahmen gesungen worden seien. In zwei Zwischenversen (v. 62-63) ergreift der bukolische

Vgl. A. RICHTER, La huitifcme Bucolique (Bibl. Faculti des Lettres de Lyon 20), Paris 1970; V. TANDOI, Lettura dell' Ottava bucolica; in: Lecturae Vergilianae, a cura di M. Gigante (Bd.l: Le Bucoliche), Napoli 1981 (dort: S. 265-317). 120 Die Identität des Angesprochenen (Asinius Pollio? Octavian?; offenbar |v,10: sola Sophocleo tua carmina digna cotumo] dichtete er Tragödien) ist Gegenstand einer Dauerdiskussion. Vgl. G.W. BOWERSOCK, A Date in the Eighth Eclogue, HSPh 75 (1971), S. 73-80 (für Octavian); COLEMAN, ad loc. (für Pollio); R.J. TARRANT, The Addressee of Virgil's Eighth Eclogue, HSPh 82 (1978), S. 197-199 (für Pollio); dagegen G.W. BOWERSOCK, The Addressee of the Eighth Eclogue. A Response, HSPh 82 (1978), S. 201-202; A. KOEHNKEN, Sola... tua carmina' (Vergil, Ecl. 8,9 f.), WJA 10 (1984), S. 77-90 (für Octavian); D. ΜΛΝΚΙΝ, The Addressee of Virgil's Eighth Eclogue. A Reconsideration, Hermes 116 (1988), S. 63-76 (für Octavian); S. STABRYLA, La poisie et la r6alit6 (Essai sur les 'Bucoliques' de Virgile), Eos 78 (1990), S. 173-181 (dort: S.177; für Pollio); J. FARRELL, Asinius Pollio in Vergil Eclogue 8, CPh 86 (1991), S. 204-211; CLAUSEN, ad loc. (für Octavian). 121 V. 7-8: en erit umquam / ille dies, mihi cum liceat tua dicere facta? 122 V. 12-13: atque hanc sine tempora circum /inter victricis hederam nbi serpere lauros.

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

Rahmendichter nochmals selbst das Wort (Haec Damon; vos, quae

respondent

Alphesiboeus, / dicite, Pierides: non omnia possumus omnes.) Das zweite Lied antwortet dem ersten. Die Hirtensänger sind nicht wie in den ungeradzahligen Eklogen handelnde und sprechende Figuren in einem dialogischen Szenario. Über ihren Gesang hinaus agieren sie nicht. Verbindende Instanz zwischen ihnen ist allein der Dichter der Ekloge. Bezüglich der Rahmensituation, in der sich Damon und Alphesiboeus befinden, beschränkt sich der Eklogenbuchdichter auf eine kurze, andeutende Einleitung. Wiederum bezeichnet eine Form von incipere den Einsatz des eigentlichen Gesanges, der der Kern des Gesamtgedichts ist (v. 14-16: Frigida vvc caelo noctis decesserat umbra, / cum

ros in tenera pecori gratissimus herba: / incumbens tereti Damon sic coepit olivae). Die Ähnlichkeiten zur 2. Ekloge liegen auf der Hand; der Hauptunterschied jedoch besteht, wie jetzt noch deutlicher wird, darin, daß Corydon vom Rahmendichter gerade nicht als H\ntnsänger eingeführt wurde. Der Einsatz seines Monologs war kein incipere, seine Äußerungsform lediglich ein incondita iactare. Corydons Monolog war erlebt und handelte eindeutig von der eigenen Liebe des Sprechenden; Damon und Alphesiboeus dagegen sind eindeutig zwei Sänger, die in ihren Liedern anderen fiktiven Figuren die Stimme leihen. (Das lyrische Ich des Alphesiboeus-Liedes beispielsweise ist, um dies vollends deutlich zu machen, nach dem Vorbild der Pharmakeutria Theokrits' 23 weiblichen Geschlechts.) Die achte Ekloge steht hinsichtlich Gestuftheit und Komplexität zwischen der zweiten und der sechsten: Der Eklogenbuchdichter singt explizit ein Lied, in dem explizit wieder andere Figuren Lieder singen. Die komplizierten Spiegelungsverhältnisse, die in der sechsten Ekloge zwischen dem Dichter, dem halbgöttlichen Sänger Silenus und dem inspirierenden Dichtergott und Sänger Apollo bestehen, fallen aber in der achten Ekloge weg, ebenso wie die zusätzliche Brechung des wiedergegebenen Liedes durch eine indirekte Rede. Die zweite Ekloge wiederum ist in ihrer Struktur um eine Stufe einfacher: In ihr ist der Empfindende und Leidende, Corydon, unmittelbar eine Figur der Rahmeninstanz, die das Gedicht einleitet. In der achten erscheint die innerste Betroffenenperspektive dagegen nur in den Liedern, die bereits im Gedicht von Figuren des Gedichtes gesungen werden, also in einer um einen Grad höheren Brechung. Die Figuren Damon und Alphesiboeus besingen in der achten Ekloge jeweils schon eine Liebe, und diese ist als besungene nicht die der Sänger selbst 124 . Mit diesem höheren

123

Vgl. C. SEGAL, Alphesiboeus' Song and Simaetha's Magic - Virgil's Eighth Eclogue and Theocritus' Second Idyll, GB 14 (1987), S. 167-185. 124 Dies verkennt H.C. RUTLEDGE, A Late Twentieth-Century Reading of Vergil's Eclogues·, in: The Two Worlds of die Poet: New Perspectives on Vergil, Detroit 1992 (S. 4 6 7 - 4 7 7 ; dort: S . 4 7 1 ) . V g l . KLINGNER, V i r g i l , S . 1 2 6 - 1 4 6 . Z u m A u f b a u d e s G e d i c h t s v g l .

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Grad an Vermitteltheit geht im ersten Lied, dem des Damon, eine inhaltliche Radikalisierung einher. Anders als Corydons Liebe125 führt die dort besungene nämlich zur äußersten Konsequenz: Die Klage des Liebenden angesichts der bevorstehenden Heirat seiner Geliebten Nysa mit Mopsus stellt seinen Weg zum Suizid dar, den er am Ende unmittelbar ankündigt, und es gibt keinen Grund anzunehmen, daß er damit nur eine leere Drohung ausstößt. Das Lied schildert die Todesstunde des Liebenden, was dieser schon zu Anfang ausdrücklich ausspricht (v.20: extrema moriens tarnen adloquorhora [sc. divos]), und derselbe Superlativ extremus bereitet am Ende den Vollzug des Suizids als der letzten Handlung vor (v.60: extremum hoc munus morientis habeto). Damon läßt in seinem Lied ein anderes Ich sprechen, das namenlos bleibt. Ohne jede Hinleitung und ohne jeden Hinweis auf die Rahmungsverhältnisse setzt das Lied mit der direkten Rede dieses Ichs, einem aus dessen Betroffenenperspektive gesprochenen Imperativ, ein (nascere; gerichtet an den Morgenstern). Das Ich des Liedes spricht aus einer als aktuell fingierten, tageszeitlich bestimmten Situation heraus. In den vier Versen der ersten Strophe ist der Inhalt des Damonliedes in seiner Substanz bereits vollständig enthalten124: enttäuschte Liebe, Klage, Verzweiflung an der Weltordnung und Ankündigung des Todes. Der Sprechende selbst bezeichnet seine aktuelle Äußerungsform als queri über seine enttäuschte Liebe; er will, auch wenn die Götter ihn alleingelassen haben, in der Todesstunde wenigstens protestierend sein Leid klagen. V.21 bringt erstmals den Refrain incipe Maenalios mecum, mea tibia, versus (der in v.25, [28a], 31, 36, 42, 46, 51, 57 wiederholt wird; in v.61 Schlußformel desine Maenalios, iam desine, tibia, versus). Nach den ganz aus der Betroffenenperspektive gesprochenen Versen 17-20 ruft dieser Kehrvers die Gerahmtheit des Gesagten durch den Sänger Damon in Erinnerung127. In die Klage eingelegt, stellt er gegenüber dieser jeweils wieder eine Distanz her.

herausragende Analyse in: Virgil, S. 1 0 5 - 1 2 0 . Vgl. A. WÖJCTK, De amore infelici in tribus eclogis Vergilianis (II, VIII, X) descripto, Eos 58 (1969-1970), S. 83-98 (poln. mit lat. Zusammenfassung), der (S.98) den Unterschied in die Charaktere der beiden Figuren verlegt: "Caprarius (sc. das Ich des Damonliedes) autem neque tarn simplex neque tarn sincerus quam Corydon exstitit." Eine verfehlte Wertung zeigt sich im folgenden dann wieder in der Auffassung, diese Eigenschaften machten Corydon zu einer bukolischen Idealfigur, auf deren Seite sich Vergil stelle. 126 V. 17-20: Nascerepraeque diem veniens age, Lucifer, almum, /coniugis indigno Nysae deceptus amore / dum queror et divos, quamquam nil testibus Ulis / profeci, extrema moriens tarnen adloquor hora. 127 Zum Kehrvers in der Bukolik vgl. U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Die Textgeschichte der griechischen Bukoliker (Philologische Untersuchungen 18), Berlin 1906, S. 137151. OTIS'

125

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Die folgende zweite Strophe128 thematisiert den Widerhall des Hirtengesangs: Die Natur "hört" den Gesang über die Liebe von Hirten, und die Bäume "sprechen". Die Strophe nimmt den Namen Maenalus aus dem Refrain (Maenalios... versus) auf, wodurch sie auf den Kehrvers und somit auf die Rahmung rekurriert. Nach dem unmittelbar aus der Perspektive des lyrischen Ichs gesprochenen situationsbezogenen Einsatz der ersten Strophe schafft so nicht nur der Refrain, sondern auch die zweite Strophe ein Distanzmoment, indem sie überhaupt das mögliche Singen der amores thematisiert. Die Betroffenenperspektive des sprechenden Ichs wird in dieser Strophe verlassen, die genausogut von Damon selbst gesprochen sein könnte. Momentweise fallen Damon und seine Figur hier zusammen. Beide sind Hirtensänger129: das im Lied sprechende Ich der Möglichkeit und seiner Anlage nach und Damon, indem er augenblicklich und tatsächlich dessen Klage singt. Der Maenalus als Ort des Hirtengesangs ist Ausgangspunkt und Orientierungsgröße beider. Der folgende Liedverlauf schildert dann das Wiederauseinandertreten des Sängers und seiner Figur. Die Figur gerät in immer tiefere Verzweiflung, während der Sänger Damon sich in seiner Distanzhaltung zu ihr gleichbleibt, was durch den immergleichen Refrain markiert wird. Am Schluß trennen sich die beiden mit der Selbstmordankündigung der Figur vollständig und irreversibel. Das Ich des Liedes sieht die Weltordnung verkehrt: Es kann in der dritten Strophe die Heirat von Nysa und Mopsus nur in Adynata beschreiben 130 . Die Gedankenbewegung führt in der vierten und fünften Strophe zunächst zu ironisch-sarkastischen, vokativischen Anrufen an den Bräutigam131 und die Braut 13 '. In der sechsten Strophe erinnert der Sprechende sich an den Beginn seiner Liebe133; die siebte enthält eine Genealogie zur Erklärung der Härte des

128

V. 22-24: Maenalus argutumque nemus pinusque loquencis / semper habet, semper pastorum ille audit amores / Panaque, qui primus calamos non passus inertis. 129 Vgl. dann auch v.33: tibi est odio mea fistula (s.u., Anra. 132). 130 V. 26-28: Mopso Nysa datur: quid non speremus amantes? / iungentur iam grypes equis, aevoque sequenti / cum canibus timidi venient ad pocula dammae. Vgl. L . B R A U N . Adynata und versus intercalaris im Lied Damons (Vergil, Eel.8), Philologus 113 (1969), S. 292-297. 131 V. 29-30: Mopse, novas incide faces: tibi ducitur uxor, / sparge, marite, nuces: tibi deserit Hesperus Oetam. 152 V. 32-35: ο digno coniuncta viro, dum despicis omnis, / dumque tibi est odio mea fistula dumque capellae / hirsutumque supercilium promissaque barba, / nec curare deum credis mortalia quemquam. 133 V. 37-41: saepibus in nostris parvam te roscida mala / (dux ego vester eram) vidi cum matre legentem. / alter ab undeeimo tum me iam aeeeperat annus, / iam fragilis poteram a terra contingere ramos: / ut vidi, ut perii, ut me malus abstulit error!

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Amor1*4, die achte ein mythisches exemplum (Medea) 135 für die Wirkung des saevus Amor, die neunte wieder eine großangelegte Reihe von Adynata' 36 , die zehnte schließlich die unmittelbare Ankündigung des Suizids und den Abschied von den silvae"1. Sänger und Betroffener sind klar zwei verschiedene Figuren: Sie sind aber, wie die Darstellung beider als Hirtensänger zeigt, nicht grundsätzlich wesensverschieden. Im Sinne der impliziten Poetik ist mit der Trennung beider Figuren die Tatsache abgebildet, daß der Sänger, insofern er Sänger ist, nicht Betroffener ist, und der Betroffene als Betroffener innerhalb der Praxis reagieren muß und nicht mehr als Sänger reagieren kann. Was sich in der 2. Ekloge bei Corydon als schließlich umkehrbar erwies, bleibt im Damonlied der achten Ekloge unumkehrbar. Der außenstehende Eklogenbuchdichter schafft dabei zwischen sich selbst und dem unumkehrbaren Todesgeschehen, das in ecl.8 an innerster Stelle steht, eine denkbar große Distanz. Dazu kommt in ecl.8 die Tatsache, daß mit der Antwort des Alphesiboeus, dem zweiten Lied, das von einem schließlich erfolgreichen Liebeszauber und der Rückkehr des Geliebten Daphnis handelt, ein zusätzlicher gedichtinterner Kontrapunkt zum tatsächlich Unumkehrbaren des ersten Liedes gesetzt ist. Das Lied, nach der Pharmakeutria des Theokrit gestaltet 138 , enthält im Vergleich zum literarischen Vorbild so gut wie keine Klage- und nur wenige unmittelbar emotionale Elemente auf Seiten der Verlassenen 139 . Vielmehr ist das Gesprochene aus der Sicht der Sprecherin ein nahe-

134 V. 43-45: nunc scio quid sit Amor: nudis in cautibus illum / aut Tmaros aui Rhodope aut extremi Garamantes / nec generis nostri puerum nec sanguinis edunt. 135 V. 47-50 (v. 49-50 sind wegen der Wiederholung stark umstritten; vgl. COLEMAN, ad loc.): saevus Amor docuit natorum sanguine matrem / commaculare manus; crudelis tu quoque, mater. / crudelis mater magis, an puer improbus ille? / improbus ille puer; crudelis tu quoque, mater. 136 V. 52-56: nunc et ovis ultrofugiat lupus, aurea durae / mala ferant quercus, narcisso floreat alnus, / pinguia corticibus sudent electra myricae, / certent et cycnis uiulae, sit Tityrus Orpheus, / Orpheus in silvis, inter delphinas Arion. 137 V. 58-60: omnia vel medium fiat mare, vivite silvae: /praeceps aärii specula de montis in undas / deferar; extremum hoc munus morientis habeto. 138 Dort spricht die Hauptfigur von Anfang bis Ende ohne ausdrückliche Rahmung durch einen Dichter. Sie tritt dem Leser fiktiverweise unmittelbar gegenüber (id. 2,1: Πφ μοι ταΧ δάφναι\ (pipe, QearuXi. XQT Si τά φίλτρα·,). Der Vergleich ecl.8 / id.2 zeigt, wie essentiell die Rahmungsstruktur für das Eklogenbuch ist. In den Idyllen des Theokrit bestehen zwar oft auch Rahmungsverhältnisse entsprechend den für das Eklogenbuch beschriebenen; sie können jedoch - wie in id.2 - auch fehlen. 139 Ein Beispiel von vielen in id.2 wäre der Satz (v. 82-83): χώς 'ώον ως ιμάνην, ώς μοι τυρί ϋνμος ίάφ&η / 6tiλαίας... , den Vergil im ersten Lied der 8. Ekloge übernommen hat (v.41): ut vidi, ut peril, ut me malus abstulit error! Die wenigen Stellen im zweiten Lied, die Emotionalität auf Seiten der Sprechenden verraten, sind perfidus ille (v.91) und der vorletzte Vers credimus? an, qui amant, ipsi sibi somniafingunt? (v. 108). Die Sprechende spricht nicht

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zu technischer (teils schildernder 140 , teils befehlender 141 , teils beschwörender 142 ) Begleittext zu den einzelnen magischen Handlungen, die sie und ihre Dienerin augenblicklich vornehmen. Dabei gewinnt carmina, ein Grundwort des Eklogenbuchs, im Situationskontext aus der Sicht der als handelnd vergegenwärtigten Figur die Bedeutung "Zauberspruch". Der Refrainvers des zweiten Liedes lautet (v. 68, 72, 76, 79, 84, 90, 94, 100, 104): ducite ab urbe domum, mea carmina, ducite Daphnin. Die carmina sollen einen Zweck erfüllen und können in dem Augenblick, in dem dieser erreicht ist, beendet werden (Schlußvers 109: parcite, ab urbe venit, iam parcite carmina, Daphnis). Der Refrain hat im zweiten Lied also nicht eine distanzschaffende Funktion wie im ersten, sondern eine beschwörende im Hinblick auf die Wirkung des Zaubers. Wie im ersten Lied führt die erste Strophe unmittelbar in die Situation und nimmt das Lied in seiner Substanz zugleich schon vorweg: Das erste Wort ist auch hier ein (diesmal an die Dienerin gerichteter) Imperativ143. Auf den ersten Kehrvers folgt wieder wie im ersten Lied eine reflektierende Strophe, die nicht nur aus der Betroffenenperspektive der Sprechenden Sinn ergibt, sondern deren Sprecher auch der aktuelle Sänger. Alphesiboeus, sein könnte: Gegenstand ist hier die Wirkungsmacht von earnlinaXM. Wieder nimmt diese zweite Strophe mit carmina einen Begriff aus dem Kehrvers auf (der allerdings auch schon zu Ende der ersten Strophe [v.67] vorkommt). In der Perspektive der Betroffenen beeinflussen die carmina als Zaubersprüche unmittelbar die Praxis. Durch die Tatsache aber, daß der Zauber im Lied des Alphesiboeus stattfindet, entsteht eine Doppeldeutigkeit. Die Rahmungstechnik ermöglicht es, durchgängig beide Bedeutungen des Wor-

ausdrücklich von ihrer Liebe; allerdings läßt sich ihre gleichnisförniige Darstellung der erhofften Liebe des Daphnis nur als übertragener Ausdruck ihres eigenen augenblicklichen emotionalen Zustandes verstehen (v. 85-89: talis amor Daphnin qualis cum fessa iuveneum / per nemora atque alios quaerendo bueula lucos /propter aquae rivum viridi procumbit in ulva / perdita, nec serae meminit decedere nocti, / talis amor teneat, nec sit mihi cura tnederi). 140 V. 73-75: terrta tibi haec primum tripüci diversa colore / licia circumdo, terque haec altaria circum / effigiem dueo; numero deus impare gaudet. V. 76-77: necte tribus nodis ternos, Amarylli, colores; / necte, Amarylli, modo et 'Veneris' die 'vinculo necto'. 143 V. 80-81: limus ut hic durescit, et haec ut cera liquescit / wo eodemque igni, sie nostro Daphnis amore. Dazu vgl. C.A. FARAONE, Clay Hardens and Wax Melts. Magical Role-Reversal in Vergil's Eighth Eclogue, CPh 84 (1989), S. 294-300. 145 V. 64-67: Effer aquam et molli cinge haec altaria vitta / verbenasque adole pinguis et mascula tura, / coniugis ut magicis sanos avertere sacris / experiar sensus; nihil hic nisi carmina desunt. 144 V. 69-71: carmina vel caelo possunt deducere lunam. / carminibus Circe socios mutavit Ulixi, / fligidus in pratis cantando rumpitur anguis.

Zusammenfassung zu ecl. 1-9

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tes carmen gegenwärtig sein zu lassen, die ursprüngliche als "Zauberspruch" 1 4 5 sowie die abgeleitete und dann standardisierte als "Lied". Aus Sicht der Sprechenden ist carmen das aktuell und praktisch wirksame enchantement, für den Gedichtrezipienten aber wird das magische Lied durch die Rahmung, die es im Gesamtgedicht durch den Eklogenbuchdichter und durch dessen Figur Alphesiboeus erhält, zum carmen als Kunstwerk. Da das Schlüsselwort sowohl praktisch wie auch künstlerisch ausdeutbar ist, können beide Perspektiven nebeneinander bestehen.

3.3

Zusammenfassung

zu ecl. 1-9

Die Gemeinsamkeit der geradzahligen und der ungeradzahligen Reihe läßt sich dahingehend beschreiben, daß in beiden jeweils eine Distanz zwischen einer gedichteten Sphäre und einer Sphäre, in der gedichtet wird, abgebildet ist. Die Differenz zwischen Leben und Dichtung und die Problematik der Überführung von Lebenselementen in Dichtung ist in beiden Reihen thematisch. Das Eklogenbuch stellt Dichten als eben diesen Überführungs- und Vermittlungsvorgang dar. Die Figuren der dialogischen, ungeradzahligen Eklogen vollziehen dabei immer selbst eine klare Unterscheidung zwischen ihrer Lebenssphäre als Praxissphäre und der Dichtungssphäre als einer Sphäre "unpraktischen Handelns", wobei ihre Dichtung auch an den Widrigkeiten der Lebenssphäre scheitern kann. Sie werden vom Eklogenbuchdichter nicht nochmals ihrerseits in einen äußeren Rahmen eingerückt. Die geradzahligen Eklogen thematisieren nicht wie die ungeradzahligen vorrangig die notwendigen äußeren Bedingungen für den Gesang. In den geradzahligen ist jeweils eine dichtende und singende Instanz präsent, die sich als Dichter des Gesamtgedichts ausweist. Die Perspektive ist gegenüber den ungeradzahligen verschoben: Die Sphäre, aus der heraus der Gesang zustandekommt, wird in entsprechender Verkürzung dargestellt, verschwindet jedoch nie. Das Zustandekommen des Gesanges in ihr ist als solches nicht problematisch. In den geradzahligen Eklogen 2, 6 und 8 (4 nimmt eine Sonderstellung ein) gewinnt das jeweils in Dichtung überführte aktuelle Erleben der Zentralfigur bzw. der Zentralfiguren eine in den ungeradzahligen Eklogen ungekannte emotionale und dramatische Präsenz 146 . Die geradzahligen Eklogen

145

Lex XII tab., tab. VIII,la: Qui malum carmen incantassit... . In den Analysen dieses Kapitels ist gezeigt worden, daB es auch in einigen Strophen der ungeradzahligen Gedichte (ecl.3 und 7) Ansätze zu Liebesklagen gibt. Die verbindende Tatsache, daß in der ungeraden ("dramatischen") und in der geraden ("narrativen") Reihe 146

240

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

(2, 6, 8) rücken ausdrücklich nur gedichtete und nicht selbst wieder aktuell dichtende Figuren ins Zentrum und betonen den Leidensaspekt. Die Beziehung der Subjekte dieser innersten Sphäre des Gedichts zu diesem Gedicht beschränkt sich darauf, daß sie von diesem (als Leidende) dargestellt werden. Dieser Vorgang wird durch die Rahmung jeweils selbst mit abgebildet. Emotionalität und unglückliche Liebe sind, wo sie im Eklogenbuch vorkommen, stets in diese innerste Sphäre einer selbst nicht mehr dichtenden Figur verlagert. Der Leser wird in den geradzahligen Eklogen 2, 6 und 8 über eine oder mehrere explizite Vermittlungsstufen schließlich wieder Zeuge einer fiktiven Lebens- und Gefühlsunmittelbarkeit. Dabei zeigt sich, daß Gefühlsunmittelbarkeit einerseits und Dichtung andererseits notwendig zwei verschiedene Dinge sind. In einem abgeleiteten Sinne (auf jeden Fall in dem der Empathie) kann der dargestellten Gefühlsunmittelbarkeit gewiß auch ein Gegengefühl auf Seiten des Dichters entsprechen. Die für Dichtung existenznotwendige, konstitutive Trennung beider Größen wird aber dadurch sinnfällig gemacht, daß in den geradzahligen Gedichten des Eklogenbuchs Erleben und Dichten jeweils klar auf (mindestens) zwei verschiedene Figuren verteilt sind und in den ungeradzahligen die Sänger nicht augenblicklich erleben, sondern sich als Sänger auf die Praxis nur aus einem klar von dieser abgesetzten Raum heraus beziehen. Dichtung ist nicht selbst Leben, sondern kann nur dessen gestaltete Darstellung sein. Die implizite Rahmungspoetik des Eklogenbuchs bringt diese notwendige Distanz und Differenz zur Anschauung.

3.4 Rahmung in der 10. Ekloge Für das Schlußgedicht sind nun zwei Dinge zu zeigen: Einerseits treibt die 10. Ekloge, in der ein Dichter den anderen rahmt, die Rahmungspoetik des Eklogenbuchs auf die Spitze und hat geradezu die Rahmungsproblematik zum Gegenstand. Andererseits aber - und dieser zweite Gesichtspunkt der 10. Ekloge bildet eine widersprüchliche Einheit mit dem ersten - beschreibt das Gedicht in seinem Ablauf auch ein Konvergieren der Standpunkte des Rahmenden und des Gerahmten und überschreitet so die Rahmungspoetik des Eklogenbuchs. Diese Doppelgesichtigkeit der Rahmenform in ecl. 10 entspricht der eigentümlichen Übergangsposition des extremus labor, d.h. seiner Stellung noch im Eklogenbuch und schon außerhalb des Eklogenbuchs.

"Lyrisches" jeweils nur im Lied und damit in größtmöglicher Entfernung von der Person des jeweils aktuellen Sängers erscheint, beobachtet A.M. GUILLEMIN, Virgile - Ροέιε, artiste et penseur, Paris 1951, S.65: "... les Bucoliques narratives et dramatiques... n'ont donn6 asile au lyrisme que dans les chants, c'est-ä-dire dans la partie la moins personelle des podmes".

Die Notwendigkeit der Ralimung in der 10. Ekloge

241

3.4.1 Die Notwendigkeit der Rahmung in der 10. Ekloge Die gerade und die ungerade Eklogenreihe thematisierten auf unterschiedliche Weise das Singen von (bukolischen) Liedern. In den geradzahligen Eklogen mit Ausnahme von ecl.4 zeigte sich unverkennbar eine Tendenz zur Darstellung von Liebeszuständen. Die Klage über unerfüllte Liebe wurde zum herausgehobenen, bevorzugten Gegenstand. Die Perspektive unglücklich Liebender (ecl.2: Corydon, 6: vor allem Pasiphae, 8: das Ich des Damonliedes) wurde jeweils explizit von einem Dichter dargestellt. Die Brechung, in der diese Perspektive zum Ausdruck kam, konnte dabei auch eine mehrfache sein (ecl.6 und 8). Am Gegenstand der Liebesklage zeigt sich besonders deutlich die Differenz zwischen der unmittelbaren Affiziertheit des Dargestellten einerseits und der Distanz des Dichters andererseits. Die Problematik der unglücklichen Liebe führt unmittelbar zu ecl.10. Ähnlich wie in ecl. 4, 6 und 8 spricht dort eingangs eine Dichterinstanz, die sich selbst als Dichter des Eklogenbuchs zu erkennen gibt. In bis dahin ungekannter Deutlichkeit ist dieser hier Angehöriger einer bukolischen Lebenswelt (eine Vorstufe ist in Apollos Anrede in ecl.6, 4-5 zu sehen: 'pastorem, Tityre,

pinguis / pascere oportet ovis, deductum dicere carmen. V147. Der bukolische Dichter setzt diese bukolische Rahmensphäre als die Sphäre seiner eigenen Praxis deutlich vom eingelegten Lied ab. Er macht sich selbst mehr als in irgendeinem der vorangegangenen Gedichte zum Handelnden in einer bukolischen Sphäre. Das Lied des bukolischen Dichters geht in ecl. 10 wie die Lieder der Figuren der ungeraden Eklogen aus einer praktischen Tätigkeit innerhalb der bukolischen Sphäre hervor 1 4 8 . Im Schlußgedicht macht der bukolische Dichter sich selbst zur Praxisfigur innerhalb seiner eigenen Sphäre und führt so die beiden Rahmungstypen, den der geradzahligen und den der ungeradzahligen Gedichte, zusammen 1 4 9 . Die bukolische Sphäre des Liedes im Lied (v.9 ff.) lehnt sich dann inhaltlich an die bukolische Rahmensphäre an, ist nun

147

Vgl. dazu BÜCHNER, RE, Sp. 1242: "was in ecl. 6,4 in Verwandlung eines kallimacheischen Motivs angedeutet war (Apollo nannte Vergil scherzhaft einen Hirten), ist hier Wirklichkeit geworden: Vergil ist Hirt". CARTAULT erkannte (S.380), daß die nun (im Vergleich zu ecl. 6,4) so eindeutige Selbstpräsentation des bukolischen Dichters als Hirt das Erreichen eines Endpunktes bezeichnet: "Nulle part il (sc. Vergil) ne s'est encore pr6sent6 si complaisamment sous la personne d'un pätre νέπtable. C'est au moment oü il va quitter le genre bucolique qu'il s'identifie avec Tun de ses personnages." 148 Den Übergang hin zum Lied markiert, ähnlich wie schon in ecl. 3,5,6 und 8, das Verbuni incipere (v.6: incipe: sollicitos Galli dicamus amores). Vgl. auch ecl. 7,18-19 (contendere... coepere). 149 Vgl. schon Anm. 101 zu Vermischungstendenzen zwischen den typischen Eigenschaften beider Reihen in der zweiten Buchhälfte.

242

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

aber ausdrücklich in dieser gesungene bukolische Sphäre. Gallus wird als Figur in diese Sphäre hineingenommen, wobei die Eingangsszenerie des Liedes im Lied (v. 9-30: Gallus als Gegenüber der bukolischen Figuren und die Verständigungsschwierigkeiten der beiden Seiten) das Außergewöhnliche und Riskante dieses Vorganges noch einmal abbildet. Gallus kann nicht, wie die rahmende Dichterinstanz, zur bukolischen Figur werden. Das Verhältnis zwischen dem untröstlich daliegenden Gallus und möglichen Inspirationsinstanzen (den puellae Naides und selbst Apollo) ist nachhaltig gestört, was sich auch in seinem hartnäckigen Schweigen zeigt. Pan, die oberste Gottheit der bukolischen Sphäre, bringt ihn schließlich zum Sprechen. Dichtung ist von Anfang an ein beherrschendes Thema in Gallus' Monolog, der durch inquit (v.31) als gesprochener bezeichnet ist. Gallus, dem divinus poeta (v.17), ist das Dichten vergangen. Er selbst weist gleich zu Beginn des Monologs auf die Notwendigkeit hin, eine dichterische Rahmung von Seiten einer anderen Instanz zu erhalten, die er Arcades nennt. Gallus als leidende (tristis) Figur des Gedichts spricht (v. 31-34) die Hoffnung aus, seine Klage möge von dieser Instanz erst in Gesang verwandelt werden 150 . Als Leidender steht er innerhalb des Eklogenbuchs in einer Kontinuität mit Corydon aus ecl.2, Pasiphae und anderen Figuren aus ecl.6 sowie den Ichinstanzen der Lieder aus ecl.8; als divinus poeta jedoch verkörpert er gegenüber diesen eine neue Reflexions- und Bewußtseinsstufe. Der Dichter Gallus kann die Rahmungsthematik ausdrücklich ansprechen. Seine Phantasie 'o mihi tum quam molliter ossa quiescant...' ist Ausdruck eines Trostbedürfnisses, verlegt jedoch zugleich den erhofften poetischen Trost auf eine Zeit nach dem Tode. Der Trost, der sich auf die zukünftige Verewigung im Lied stützt, bleibt ein unpraktischer. Gallus' tatsächliche, praktische Untröstlichkeit wird bis zum Schluß nicht aufgehoben. Der neue Schritt in der 10. Ekloge besteht also darin, daß in ihr nicht bloß in der schon aus den vorhergegangenen Eklogen bekannten Weise das Leiden der Hauptfigur zur poetischen Darstellung kommt und dieser Vorgang durch die Rahmung selbst mitabgebildet wird, sondern daß Gallus, die Figur, zugleich diese Tatsache ausdrücklich benennt. Im folgenden gibt der Monolog darüber hinaus den Versuch des Gallus wieder, als Dichter sein Leiden selbst durch

130

E. Pl'HIHER. Virgils Bukolika - Untersuchungen zum Fonnproblem. Stuttgart 1933. S. 50-51, mit Verweis auf Theokrit: "Vernehmen wir aus dem Munde des Gottes Pan die vernichtende Macht des Eros über den Menschen, so weiß sich Gallus als antiker Mensch getröstet im Bewußtsein, daß er eine άοιδή ίτεοοομΐνοις -κασιν ist (id. 12,11). Damit läßt Virgil den Gallus erhoffen, was er selbst eben durch X vollbracht hat: Gallus ist lebendig nur durch dieses Freundesgedicht geblieben." Vgl. R.F. GLF.I, Der Vater der Dinge, Trier 1991, S.245: "Gallus' Wunsch nach Verewigung... hat Vergil erfüllt".

Die Notwendigkeit der Rahmung in der 10. Ekloge

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Dichten zu bewältigen 1 5 1 . Der Eklogenbuchdichter läßt abschließend einen anderen Dichter mit dessen Versuchen, unter extremen Bedingungen zu dichten, und dessen Scheitern daran zum Gegenstand seiner poetischen Rahmung werden. Dieser andere Dichter ist keine bukolische Figur mehr, sondern ein Freund auch diesseits der Dichtung und somit ein alter ego. Worin besteht das dichterische Scheitern des Gallus? Nach den gewonnenen Erkenntnissen zur Rahmungspoetik des Eklogenbuchs läßt sich sagen: Das Grundproblem des Gallus als Dichter in ecl.10 liegt darin, daß er Gefühlsunmittelbarkeit, Lebens- und Leidensbetroffenheit einerseits und Dichtung andererseits nicht (mehr) klar auseinanderhalten kann. Das alter ego Gallus steht für das NichtZustandekommen der Bedingungen der im Eklogenbuch entwickelten Rahmungspoetik. Im Kommentarteil wurde beschrieben, wie Dichten und Handeln im Monolog des Gallus mehrfach ineinandergehen und wie die Grenzen beider verwischt erscheinen. Mehrere Bewegungen von poetologischer Reflexion hin zu einer phantasieförmigen Verstrickung in eine phantasierte Praxis sind bei Gallus zu beobachten, die erste bereits zwischen v . 3 4 und v.35 1 5 2 . Gallus' zunächst poetologisch orientierte H o f f n u n g , zum Gegenstand arkadischen Gesangs zu werden, geht dort unvermerkt in seine Phantasie von einem (von Passivität bestimmten) arkadischen Leben über. Daß das Thema des arkadischen Gesangs für Gallus dann auch in diesem phantasierten arkadischen Lebensvollzug virulent bleibt, zeigt die Wiederaufnahme von cantare (zuerst v.32) in v.41 (cantaret Amyntas). Gallus bewegt sich stets in einer Zwischenwelt zwischen Dichten und Handeln. Insanus amor und ein idyllisches Arkadien sind nicht die fundamentalen Gegensätze in ecl.10. Gallus ist in der 10. Ekloge nicht vom insanus amor aus diesem Idealarkadien vertrieben worden, wie gelegentlich aufgrund des Mißverständnisses der vergilischen Bukolik als Idyllendichtung angenommen wird 153 . Die idyllisch-bukolische Szenerie des Landes der Arcades, ver-

131

Damit geht eci.10 entscheidend über ecl.2 hinaus. Corydon blieb in seinem Monolog im Bereich der Realität seiner unerfüllbaren Liebe und phantasierte stets nur von einer doch noch möglichen Erfüllung, bis er in der SchluBwendung zu einer Distanzierung gelangte (v. 69-73; vorbereitet ab v.66). Er weist zwar zwischendurch auf seine Qualitäten als Sänger hin (v. 36-39), erwägt jedoch im Verlauf seines Liebesmonologs nirgends, sich von seinem augenblicklichen Zustand etwa durch Dichten zu distanzieren. 152 Auf ecl. 10,32-34 (... soli caruare periti / Arcades, ο mihi tum quam molliter ossa quiescant, / vestra meos olim si fistula dicat amores!) folgt atque utinam ex vobis unus vestrique fuissem / aut custos gregis aut maturae vinitor uvae! (v. 35-36). 153 C.P. SEGAL, Vergil's Sixth Eclogue and the Problem of Evil, zuerst: TAPhA 100 (1969), S. 407-435; hier zitiert nach dem Abdruck in: ders.. Poetry and Myth in Ancient Pastoral, Princeton 1981 (S. 301-329), S.327: "One kind of amor can cut Gallus off from the peace of pastoral glades and founts; another amor can join the poet with his friend and with the freshly burgeoning green of vernal growth." T. FIORE, La Poesia di Virgilio, Bari 21946;

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

bunden mit der Phantasie von schmerzloser Liebe, erweist sich vielmehr am Ende der Partie v. 3 5 - 4 3 der 10. Ekloge endgültig und ausdrücklich als Gallus' Illusion, als eine Wunschvorstellung, die gerade v o n seiner insania hervorgetrieben wurde. D i e s e s illusionäre Idyll wird, w i e die in Anm. 153 zitierten Autoren richtig beobachten, alsbald von Gallus' Liebesrealität eingeholt. Es ist nicht die wirkliche bukolische Sphäre des Eklogenbuchs 1 5 4 . Der Gegensatz zwischen insanus amor und einem idyllischen Arkadien bildet sich nur kurzzeitig in der Phantasie des Gallus. Sein augenblickliches Phantasieprodukt ist nicht die wahre bukolische Sphäre: Mit certe sive mihi Phyllis sive esset Amyntas / seu quicumque furor (ν. 37-38) spiegelt Gallus sich eine Form von schmerzloser Liebe vor, in der die Partner beliebig austauschbar wären. Eine solche gibt es in der Welt des Eklogenbuchs aber nirgends 155 . Daß

z.B. S.24: "... tra quell' ideale, Arcadia, e questa realtä amore-dolore, non c'b conciliazione possibile, essendo nella loro essenza antitetici". Ähnlich B. BRUGIONI. Antiarcadia virgiliana. II mondo classico 10 (1940), S. 102-111 (dort: S.104): "Cosl anche nelle Bucoliche che ci dänno la sensazione dolce della quiete ristoratrice e ci porgono un largo e sereno quadro della bella campagna si tradisce uno degli aspetti piü costanti e piü alti della poesia virgiliana: rapprofondimento del mondo delle passioni umane, quali sono scrutate da un' anima che penetra in profonditä nei meandri della vita e ne canta il fatale dolore. In questo consiste appunto l'originalitä dell' opera virgiliana: nella negazione, ο quasi, del mondo arcadico, che pure ne έ lo sfondo e la materia." 154 Ε. FLINTOFF, The Setting of Virgil's Eclogues, Latomus 33 (1974), S. 814-846, bemerkt (S.838) richtig zu nunc, das in v.44 den Übergang von einer Sphäre in die andere markiert: "... the net effect of this is for the more 'real' to make the less 'real' more obviously so. From this point onwards one feels that the Arcadian landscape is essentially a subjective one." Man sollte allerdings hinzufügen: Nur das Arkadien, über das Gallus phantasiert hat, erweist sich an besagter Stelle als Illusion. Die bukolische Rahmensphare dagegen existiert weiter. P.-J. DEHON, Le cadre des plaintes de Gallus (Virg., Β., X, 9-69), Latomus 50 (1991), S. 364-370 fragt zu buchstabengetreu nach dem Schauplatz von Gallus' Monolog und kommt zu dem Ergebnis, Gallus befinde sich in ecl. 10 nie in Arkadien, sondern (wegen v. 44-45) im Krieg. Er beschreibt aber korrekt das besondere Verhältnis des Gallus zum illusionären Arkadien in ecl. 10 (S.370): "... I'univers arcadien n'est pas celui dans lequel Gallus se trouve, mais celui avec lequel il entre en contact et dans lequel il imagine sa vie (ν. 35-43 et 50-63)". Ε.Α. SCHMIDT, Arkadien: Abendland und Antike, A + A 21 (1975), S. 3657 (dort: S.47): "Bedenklich ist ... , die Worte des Gallus zum Konstituens des vergilischen Arkadien zu machen, nur weil Vergil ihn in Arkadien über Arkadien sprechen läßt" (s.o.. S.35). Ähnlich E.W. LEACH, Parthenian Caverns. Remapping of an Imaginative Topography, JHI 39 (1978), S. 539-560. POGGIOLIS bereits zitierte Charakterisierung der bukolischen Sphäre (s.o., 1. Teil, Anm. 26) paßt genau auf Gallus' Phantasie, nicht aber auf die Sphäre des bukolischen Dichters: "The pastoral longing is but the wishful dream of a happiness to be gained without effort, of an erotic bliss made absolute by its own irresponsibility" (POGGIOLI. S. 14). 153 In ecl.7 ist die Tatsache, daß die beiden Gesangskontrahenten in ihrem Wettstreit tatsächlich in dichter Folge verschiedene Geliebte beiderlei Geschlechts (Galatea, ν.37; Alexis, ν.55; Phyllis, v.59 und 63; Lycidas, v.67) besingen, nach der hier vertretenen Deutung (s.o., S. 213-221) nicht Ausdruck einer Form von bukolischer Liebe, in der die Partner tatsächlich

Die Notwendigkeit der Rahniung in der 10. Ekloge

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amor in Wirklichkeit auch im bukolischen Milieu und für eindeutig bukolische Figuren eine harte Realität sein kann (ecl.2, ecl.8), ist unbestreitbar 156 . Gallus muß diese Tatsache in seinem Idealisierungsbedürfnis übersehen, oder sie ist ihm schlicht nicht bekannt. Gallus fällt gewissermaßen als erster dem idyllisierenden ΜißVerständnis der Bukolik zum Opfer. Mit der nicht ungefährdeten, aber intakten bukolischen Lebens-, Arbeits- und Gesangssphäre des Rahmendichters, in die das Lied über Gallus eingelegt wird, hat Gallus' idyllisch gefärbte Phantasie wenig zu tun 157 . Viele Mißverständnisse bei der Interpretation der 10. Ekloge beruhten darauf, daß man dies verkannte. Das arkadisch-idyllische Mißverständnis der vergilischen Bukolik nimmt bei der Interpretation der 10. Ekloge häufig die Gestalt einer Gleichungsreihe "bukolische Sphäre des Eklogenbuchs überhaupt = bukolische Rahmensphäre der 10. Ekloge = Sphäre der Phantasie des Gallus = Arkadien" an. Klingner, Putnam und Snell hielten die genannten Größen oft nicht deutlich genug auseinander. Nur weil Gallus zweimal emphatisch die Arcades beschwört und anschließend vorübergehend in die Phantasie eines bukolischen Idylls abgleitet, wurde Arkadien mit der dann als grundsätzlich idyllisch fehl interpretierten bukolischen Sphäre insgesamt gleichgesetzt. Daß hinter der Phantasiebildung immer noch Gallus' Wunsch steht, die Geliebte real zurückzuholen, zeigt sich darin, daß Lycoris selbst wieder in die Phantasiesphäre eindringt und diese zerstört (v.

42-43: hie gelidi forties, hie mollia prata, Lycori, / hie nemus, hie ipso tecum consumerer aevo geht über in v. 44-45: nunc insanus amor duri me Marlis in armis / tela inter media atque adversos detinet hostis). Mit dem Kriegsbild folgt auf die arkadische Phantasie der unvermittelte und schonungslose Durchbruch der Liebesrealität und damit jener Seite der Liebe, die Gallus in seiner

beliebig austauschbar wären, sondern der Unabhängigkeit und Losgelöstheit des Gesanges, der keiner tatsächlichen, dahinterliegenden Wirklichkeit verpflichtet ist. Verpflichtungslos können so die beiden Sänger verschiedene Liebespartner jeweils kurz imaginieren und vergegenwärtigen. um alsbald zum nächsten überzugehen. Sie können dabei beispielsweise auch, ohne daß dies praktischen Streit zwischen ihnen bedeutete, in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Strophen eine und dieselbe Geliebte (Phyllis) besingen (Corydon: v. 61-64, Thyrsis: v. 65-68). 156 Nochmals sei an SCHMIDT, Poet. Reflexion, S. 144-145, erinnert: "Dementia, insania, malus error charakterisieren das Selbstgefühl dieser liebenden vergilischen Hirten; fern ist ihnen epikureische securitas, quies, beatitudo, Sattheit." 151 Auf die Differenz zwischen der Sphäre des bukolischen Rahmendichters und dem Arkadien des Gallus weist schon H. WENDEL, Arkadien im Umkreis bukolischer Dichtung in der Antike und in der französischen Literatur (Gießener Beiträge zur Romanischen Philologie 26), Gießen 1933, S. 15-16, hin: "Arkadien kommt in diesem Zusammenhang (sc. im Prolog von ecl. 10; d. Verf.) nicht vor. Es scheint auch in der Tat nicht Vergils Absicht zu sein, seine eigene Sangesumgebung mit örtlicher Prägnanz auszumalen. Was die zweite Hirtenumgebung, die des Besungenen, betrifft, so ist hier Arkadien deutlich." Vgl. SCHMIDT, Poetische Reflexion, S.175.

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

vorhergegangenen Phantasie glaubte ignorieren zu können. Gallus' Reaktion darauf ist als Aufschrei gestaltet (dreimaliges α in den Versen 47, 48, 49), was diese Partie seines Monologs so gefühlsunmittelbar wirken läßt wie keine andere. Die Emotion kommt direkt zum Ausdruck; Gallus ist unmittelbar Leidender. Er ruft Lycoris als ein phantasiertes Gegenüber an. Im folgenden (von v.50 an) besinnt Gallus sich auf seine Fähigkeiten und will nun selbst dichterische Abhilfe schaffen. Vorübergehend gewinnt wieder das poetologische Reflektieren die Oberhand. Er erwägt die Neubesinnung auf ein Dichten nach der Art des bukolischen Dichters (v. 50-51: ibo et Chalcidico quae sunt

mihi condita versu / carmina pastoris Siculi modulator avena). Im Kommentarteil wurde gezeigt, wie auch diese Idee, mit deren Ausführung ihm der bukolische Dichter ja längst zuvorgekommen ist, sich alsbald wieder in Handlungsvorhaben verstrickt. Die Vorstellung tenerisque meos incidere amores / arboribus (v. 53-54) steht dabei an der Schnittstelle zwischen Dichten und Handeln. Gallus will seine amores in die Bäume ritzen, also sowohl praktisch in der imaginierten Natursphäre handeln als auch dichten. Er hält beides nicht klar auseinander. Gallus' poetisches Vorhaben der vv. 50-51 verliert sich zunehmend in blindem Aktionismus, in der Phantasie von bloßen Ersatzhandlungen. Er will mit den Nymphen die Wälder durchstreifen und wilde Eber jagen. Die silvae (der poetische Programmbegriff wird in v.52 aufgenommen) werden für Gallus in zunehmendem Maße vom Dichtungs- zum Handlungsschauplatz. Sein praktischer Wunsch, Lycoris zurückzuholen, der in v.54 (crescent illae, crescetis, amores) andeutungsweise nochmals zum Vorschein kommt, tritt dabei allmählich zugunsten seiner ebenfalls praxisorientierten Hoffnung zurück, sich von der Liebe zu befreien (medicina furoris in v.60; der Ausdruck steht allerdings schon wieder im Zeichen der Negation). Auch dieser Übergang vollzieht sich unvermerkt und wird nirgends klar benannt. Die Vermischung von Dichten und Handeln bleibt unaufgelöst: Der Abschnitt, der in v.50 als Phantasie von befreiendem Dichten begonnen hat, scheitert schließlich in v. 59-60 (... libet Partho torquere Cydonia cornu / spicula tamquam haec sit nostri medicina furoris) in Form einer Handlungsphantasie, auf dem Höhepunkt der Jagdidee, die sich unterderhand entwickelt hat. Mit der Äußerung der Erkenntnis, daß die Jagd mit ihrer erhofften kathartischen Lust nur den Status einer Ersatzhandlung hätte, erklärt Gallus seine Hoffnung, Heilung zu finden, für gescheitert (v. 60-61). Er läßt die Absage an Hamadryades, carmina und silvae zugleich folgen (v. 62-63). Indem er diese drei Begriffe in Parallele setzt, bekräftigt er rückblickend nochmals die Untrennbarkeit seiner Dichtungspläne und seiner Handlungsphantasien. Hamadryades ist Inbegriff seiner Wald- und Jagdphantasien, carmina das eindeutig Dichterische, silvae die letzte Wiederaufnahme des Symbolbegriffs schlechthin für das Poetische im Eklogenbuch, für den naturhaften Resonanzboden, der die

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Vermittlung zwischen Gesang und praktisch-handgreiflicher Welt leistet. Auch die carmina hätten, wenn sie ihm denn gelungen wären, nichts anderes sein sollen als eine medicina furoris (v.60). Sie vermögen diesen praktischen Zweck nicht zu erfüllen. Mit labores (non illum nostripossunt mutare labores) in v.64 verwendet Gallus nochmals einen Begriff, der Dichten wie Handeln bezeichnen kann. Das Ineinander beider bleibt bei ihm bis zum Ende unaufgelöst. In der abschließenden Versgruppe v. 64-69 verläßt Gallus die Dichtungsthematik (labores in v.64 ist der letzte Hinweis auf sie). Er entkleidet sein Scheitern und seine Absage der Zufälligkeit. Schon seit v.60 hat er durchgehend die 1. Person des Plurals verwendet. Er sieht sich unabänderlichen Naturgesetzen unterworfen und erzielt so seinem dichterischen Scheitern zum Trotz und über es hinaus einen Erkenntnisfortschritt. Schließlich gelangt er (v.69) zu einer Formel von allgemeiner Gültigkeit: omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori. Dieses schließliche Gelingen im Monolog des Gallus ist kein poetisches mehr, sondern ein erkenntnisförmiges. Im Epilog, dem Beschluß des Rahmens, bringt sich wieder der bukolische Dichter ins Spiel. Gallus ist als Dichter an seiner Liebe gescheitert; der bukolische Dichter dagegen vollendet sein Gedicht. In seiner abschließenden vorsichtigen Selbsterhöhung als poeta der Pierides (v. 70-71) weist er auf den Statusgewinn hin, den er damit erreicht hat. In den Begriffen der Groß-Klein- bzw. Hoch-Niedrig-Thematik stellt das Gedicht dar, wie das Kleine, Naturnahe zum Großen kommt, was auch durch das Bild von der aufschießenden Erle bestätigt wird. Gelegentlich ist das gewiß vorhandene Komische und Burleske an der Einbeziehung des Gallus in die bukolische Sphäre und an seiner Gleichsetzung mit Daphnis betont worden158. Diese Anlage hin zum Komischen ist mit der Hoch-Niedrig-Thematik gegeben. Die 10. Ekloge stellt mit der Entwicklung von Niedrig zu Hoch bzw. dem Erscheinen des Hohen im Niedrigen aber zugleich ein Zurücktreten des Komischen und das Neueintreten eines unerwarteten Ernstes dar159. Die Rahmungspoetik des Eklogenbuchs behält dabei bis zum Schluß ihre Gültigkeit. Die 10. Ekloge bildet das Entstehen des Liedes aus einem praktischen Rahmen, einem halben Tag im Leben eines Ziegenhirten, ebenso ab wie die Distanz dieser Dichterfigur zum Dargestellten. Neu ist der extreme Gegenstand dieser Rahmung. In den distanzierenden dichterischen Rahmen gefaßt wird nun nicht mehr nur die Klage einer leidenden bukolischen

158

Z . B . ROSENMEYER, S. 122: "To the degree that the dying Daphnis is cast in the role of an expiring herdsman, the incident borders on the ludicrous... . I think we may safely say that Virgil recognized the incongruity of investing a moribund herdsman with the weaknesses and idiosyncrasies of a soldier-administrator well known to the poet's contemporaries." 159 Vgl. ROSENMEYER selbst (S.83): "Only in the tenth Eclogue does Virgil dramatize a love that asks to be taken seriously."

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

Figur, sondern ein alter ego des bukolischen Dichters, ein hoch aufgestiegener und gestürzter divinus poeta, der schließlich an der Möglichkeit zu dichten verzweifelt, da ihm die notwendigen Distanzierungsmittel abhandengekommen sind. Gegenstand des gelingenden, rahmenden Dichtens wird in der 10. Ekloge das Nichtgeiingen der Dichtung des göttlich begabten, hochverehrten Gallus 160 . Darin besteht das extremum des Schlußgedichts. Die Rahmung als grundlegendes Strukturmerkmal des Eklogenbuchs gewinnt dabei größtmöglichen Ernst. In den vorangegangenen Eklogen (und dort vor allem den geradzahligen) waren es j e w e i l s Liebe und Klage (im zweiten Lied der 8. Ekloge ein Liebeszauber), die in ausdrücklich vermittelter Form zu Dichtung wurden; in der 10. Ekloge wird darüber hinaus an unglücklicher Liebe scheiterndes Dichten in der ausdrücklichen Rahmung des bukolischen Dichters zu Dichtung. In Begriffen literarischer Gattungen ist in der 10. Ekloge das Problem angesprochen, dem sich jede subjektive Liebesdichtung aussetzen muß 16 '; die

160 A.J. BOYU: (The Chaonian Dove - Studies in the Eclogues, Georgics, and Aeneid of Vergil, Leiden 1986: das Eklogenkapitel ist nahezu identisch mit ders., A Reading of Virgil s Eclogues, Ramus 4 |1975|, S. 187-203), der ganz in der pessimistischen Tradition der VergilerkJärung steht, erkennt dieses Moment von Gelingen nicht. BOYLI· schwebt ein Ideal vor, nach dem der Dichter Lehrer der Menschheit wäre, und behauptet, Vergils Werk thematisiere immer wieder "man's failure to learn from the perceptions of the artist" (BOYU. 1986, S.33) und sei daher tief pessimistisch (typisch sind Ausdrücke wie "ineradicable and tragic stupidity of mankind"; ibid., S.35). Auch Gallus, obwohl selbst Dichter, vermöge weder sich selbst zu helfen noch von Vergil zu lernen: "Like Aeneas he indexes the failure both of man and of art" (ibid., S.33). BOYI.ES These, Vergils gesamtes Werk habe im Kern nichts anderes als Dummheit und Ignoranz der Menschheit und die Verzweiflung des Künstlers darüber zum Gegenstand, ist die Verallgemeinerung eines Aspektes, der gelegentlich gewili zu beobachten ist (z.B. in eel. 1 oder ecl.9, auf die der Titel des Buches anspielt), aber dann stets nur den einen Teil eines Gegensatzpaares bildet. Ähnliche Grundthese wie die BOYLFLS bei J.B. SOLODOW, Poeta Impotens: The Last Three Eclogues, Latomus 36 (1977), S. 757-771. 161 KUNGNER, Virgil, S. 109, sehr einprägsam zum Verhältnis von Liebe und Dichtung im Rom des 1. Jh. v. Chr.: "... man (hat) sich zu erinnern, daß die große, verzehrende Liebe und die neue Kunst zusammen für die Dichter um Catull und für deren Nachfolger eine einzige, die große Erfahrung ausmachten. Sie ermöglichten, aus dem seellos mörderischen Rom dieser Zeit einen Ausweg zu finden, mitten in einer entgötterten Zeit Anteil an einem höheren Dasein zu gewinnen, in dem Göttliches und Menschliches noch miteinander waren. Liebe war das Thema, woran sich die neue Kunst verwirklichen konnte. Lust und Leid der Liebe sind die Pole, zwischen denen sich bei Catull und seinesgleichen das Leben dreht." Vgl. K. QUINN, The Catullan Revolution, Melbourne 1959; R.O.A.M. LYNI;. Servitium Amoris, CQ 29 (1979), S. 117-130; ders., The Latin Love Poets from Catullus to Horace, Oxford 1980; W. STROH, Die Ursprünge der römischen Liebeselegie. Ein altes Problem im Licht eines neuen Fundes, Poetica 15 (1983), S. 205-246; N. HOLZBERG. Die römische Liebeselegie, Darmstadt 1990. Vergil ist gegenüber dieser dichterischen Strömung als derjenige zu beschreiben, der Liebe wahrnimmt und poetisch darstellt, aber zugleich mit ihr auch die besondere Bedrohung, die sie für den Dichter bedeutet.

Die Notwendigkeit der Rahniung in der 10. Ekloge

249

Gefahr einer zu großen Lebensverstrickung und einer zu groß bleibenden Abhängigkeit der Dichtung von persönlichen Zwecken. Das Zentrum solcher Dichtung muß immer ein (wie auch immer fiktives) Praxis-Ich mit seinen Abhängigkeiten, seinen Wünschen, Zielen und Enttäuschungen bleiben. Das dichterisch darstellende und das lebenspraktische Ich können dort nie klar auseinandertreten. Der Eklogendichter entwirft dagegen im Schlußgedicht noch einmal programmatisch ein Bild seines distanzierten Dichter-Ichs 162 . Er führt paradigmatisch die für Dichtung als Dichtung konstitutive Distanz von der Praxis vor 163 , auch wenn er im Prolog (v.2) mit sed quae legat ipsa Lycoris zum Schein den dichterischen Anspruch des Liebesdichters Gallus, dem dieser selbst nicht mehr genügen kann, mitübernimmt 164 . Um den Distanzaspekt, der die eine Seite des Verhältnisses zwischen Gallus und dem bukolischen Dichter bildet, nochmals scharf zu formulieren: Poetologisch gesehen, ist Gallus ein Gegenbild, ein Beispiel für einen dichterischen Irrweg, den der bukolische Dichter sieht und vermeidet 165 . Am Ende des Eklogenbuchs, auf der

162

Dataer wird hier so viel Wert auf sein instanzenhaftes Auftreten gelegt. Der bukolische Dichter ist nicht einfach Vergil, sondern Vergil hinter seiner sorgfältig gewahrten Dichtermaske. in der für seine Dichtung notwendigen Selbstdistanzierung und -Verhüllung. 163 V.A. ESTEVEZ, Pastoral Disillusionment: Ecloga 10, CB 38 (1962), S. 70-71, erkennt viel Richtiges (z.B. S.71: "Vergil is rejecting, not poetry as such, but poetry as a means of solving the problems of real life"). Er sieht am Ende von eel. 10 aber lediglich ein Eingeständnis von Beschränkungen, denen Dichtung unterliegt, und verkennt die befreiende Autonomisierung. die der Schritt aus der Praxis heraus bedeutet (z.B. ibid.: "Vergil ... has come to realize |sc. im Epilog; d. Verf.) the shortcomings of poetry in dealing with the cold facts of reality"). IM Ebenso wie Gallus in v. S0-S1 kurzzeitig die unerfüllte Hoffnung aussprach, bukolisch zu dichten: ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu / carmina pastoris Siculi modulabor avena. Diese Umkehrung unterstreicht den alter-ego-Chankter des Gallus fur Vergil. 165 Interessante Beobachtungen zum Aspekt des Scheiterns in der Figur des Gallus bei E. PASOLI, Gli Amores di Cornelio Gallo nell' ecloga X di Virgilio e nelP elegia 1,8 di Properzio: riconsiderazione del problema, RCCM 19 (1977), S. 585-596. PASOLI vermutet in den Versen 39-42 des zweiten Teils von Properz 1,8 eine direkte Anspielung auf Gallus in der 10. Ekloge (harte ego non auro, non Indis flectere conchis, /sedpotui bland! carminis obsequio. / sunt igitur Musae, neque amanti tardus Apollo, / quis ego fretus amo: Cynthia rara mea est!), nachdem der erste Teil derselben Elegie (v. 1-2: Tune igitur demens, nec te mea cura moratur? / an tibi sum gelida vilior lllyria?) bereits ganz offensichtlich auf Gallus anspiele (vgl. v. 7-8: tu pedibus teneris positas fukire pruinas, / tu potes insolitas, Cynthia, ferre nives? mit ecl. 10,47-49; s.o., Teil 2, Anm. 125) und die Erwähnung des Sternbildes der Vergiliae in v. 10 eine versteckte Hommage an den Verfasser der 10. Ekloge darstelle. Properz setze sich in 1,8 gezielt als (in dichterischer und in praktischer Hinsicht) erfolgreichen Liebesdichter von Gallus ab, der im Gegensatz zu ihm selbst von den Musen und von Apollo verlassen worden sei (art. cit., S.589). "Aver superato Cornelio Gallo grazie all' ispirazione data da Apollo e dalle Muse, ed essere quindi riuscito nello scopo pratico che anche quello s'era proposto e in cui aveva fallito, a causa della mancanza d' ispirazione, έ un vanto che riguarda insieme poesia e vita" (art. cit., S.591). Erst später werde auch bei Properz zum Problem, daß

250

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Eldoge

Suche nach neuen poetischen Zielen, dient der an der Liebe gescheiterte Liebesdichter Gallus Vergil auf der Suche nach neuen poetischen Zielen als eine Kontrastfigur, von der er sich abstoßen kann. Mit einer Verurteilung hat das nichts zu tun 166 .

Leben und Dichtung in der elegischen Liebesdichtung nicht klar voneinander geschieden sind. Am Ende des dritten Elegienbuches habe Properz erkannt "che non necessariamente successo letterario e successo in amore coincidono" (art. cit., I.e.). In 4,1,135 lasse er Horos deshalb die Elegiendichtung als fallax opus bezeichnen, "perch6, assicurandogli il successo letterario e illudendolo cosl che a questo possa corrispondere il successo anche a proposito dello scopo pratico per cui l'elegia erotica viene scritta, cioi la felicitä in amore, si rivelerä ineffkace a proposito di questo secondo aspetto. contro le aspettative dell' autore" (an. cit., S.592). Vgl. A. LA PENNA, L'integrazione difficile - Un profile di Properzio, Torino 1977. S. 69-84. K. NEUMEISTER. Die Überwindung der elegischen Liebe bei Properz (Buch I-III), Frankfurt/M./ Bern 1983. hat gezeigt, wie schon in den ersten drei Büchern der properzischen Sammlung und nicht erst im aitiologischen vierten eine Tendenz zur Autonomisierung des Dichters erkennbar ist. die von der Auffassung wegführt. Liebe und Dichtung seien eine Einheit. Mit den programmatischen Gedichten zu Beginn des dritten Buches (3,1-3) löse Properz "seine dichterische Existenz von ihrer unmittelbaren Bindung an das Liebesverhältnis zu Cynthia ab" (op. cit., S. 143). "Er wird als Liebesdichter gleichsam autonom, nur dem Gott Apoll als dem. der ihn berufen hat, unterworfen" (I.e.). Die 10. Ekloge. so die These der vorliegenden Arbeit, zeigt die Notwendigkeit einer solchen Autonomisierung, indem sie sowohl ihr Millingen (bei Gallus) als auch ihr Gelingen (beim bukolischen Dichter) vor Augen führt. 64 Servius beobachtete zutreffend, daß Vergil trotz seines Trostes die Differenz zwischen den beiden Dichterfiguren bestehenläßt, konnte dies aber nur als Ausdruck eines impliziten Tadels verstehen (ad ecl. 10,1): licet consoletur in ea (sc. Vergil in der 10. Ekloge) Galium, tarnen altius intuenti vituperatio est; nam... in Gallo inpatientia turpis amoris ostenditur. Ähnlich z.B. auch G. D' ANNA, Virgilio e Cornelio Gallo: un contrasto ideologico, AAM 53 (1985), S. 29-40 (bes. S.35), bei dem im Hintergrund wohl noch immer die Überzeugung steht, Vergil habe epikureisch dichten wollen. Die Darstellung eines unausweichlichen Scheiterns muß aber noch keine Moral implizieren. D'ANNA vermutet sogar, Vergil habe Gallus schon mit der Dichterweihe in ecl.6 den dringenden Ratschlag geben wollen, das Verhältnis mit Lycoris zu beenden: errantem in ecl. 6,64 (errantem Permessi ad flumina; D'ANNA bezieht dies wie üblich wegen Prop. 2,10,26 auf die Liebesdichtung) bedeute eine "valutazione negativa di Virgilio" (art. cit., S.30) gegenüber Lebenswandel und Dichtung des Freundes. (Diese Auffassung von ecl.6 dürfte weitgehend aus der erwähnten Deutung von ecl. 10 abgeleitet sein. Die Interpretation der Dichterweihe des Gallus als Werbung von Seiten Vergils für eine andere Form der Dichtung, die aitiologische, ist nicht überzeugend.) Gewiß hat D'ANNA recht, wenn er schreibt (art. cit., S.31): "Virgilio fin dalle Bucoliche considera l'amore come la piü rovinosa delle passioni, quella che piü allontana l'uomo dal bene supremo costituito dalla serenitä interiore; l'amore έ definite di volta in volta dementia, furor, malus error, insania". (Ähnlich J. GONZALEZ VAZQUEZ, Indignus amor. El tema del amor en las Bucölicas de Virgilio. Su interpretaeiön a travds de las imägenes, Emerita 47 11979], S. 319-330; z.B. S.329.) Man sollte anstatt von einer Negativbeurteilung oder einer Verurteilung aber viel eher von einer hohen Sensibilität Vergils für die Unausweichlichkeit dieser zerstörerischen Erscheinungsformen des amor sprechen. D'ANNA übergeht auch die Tatsache, daß der Dichter in ecl. 10 seinen "affetto per l'amico" (art. cit., S.37) ebenfalls amor nennt.

Die Überschreitung der Rahmenfomi in der 10. Ekloge

3.4.2

Die Überschreitung

251

der Rahmenform in der 10. Ekloge

Bislang wurden die Divergenz und das Trennende zwischen den beiden Dichterfiguren der 10. Ekloge betont. Das Gedicht ist jedoch komplexer: Die hergebrachte, aus den vorherigen Eklogen geläufige Rahmenstruktur wird einerseits aufgegriffen, andererseits jedoch überschritten 167 .Der bukolische Rahmendichter ist nicht mehr bloß der Sänger und das Mundstück der Leiden eines anderen, sondern er macht sich als Sänger selbst zu einer Figur des Gedichts, die sich entwickelt, die in einem gewissen Maße auch handelt und ein Stück ihres eigenen Innenraums freigibt. Er thematisiert nicht nur seine mittlerweile fest konstituierte poetische Identität, sondern äußert sich - mit Vorsicht - auch über seine eigenen Emotionen. Schon gleich zu Beginn (mit meo Gallo in v.2) läßt der Rahmendichter vorsichtig und noch eher verdeckt seine eigene Affektion für Gallus erkennen, die für ihn als Dichter Antrieb ist. Er macht eine reale, historisch bestimmbare Freundesfigur aus einer realen äußeren Lebenswelt zum Protagonisten. Allmählich bringt der Rahmendichter im Ablauf des Prologs seine bukolische Welt nochmals ins Spiel, wie um sich ein letztes Mal seines mittlerweile zum Standard gewordenen poetischen Instrumentariums zu versichern. Im Verlauf des Prologs legt er gewissermaßen nach und nach und ganz bewußt und sichtbar noch einmal seine poetische Maske an, für die hier die Ziegenhirtenidentität steht. Diese Maske ist Zeichen seines Dichterseins, ein notwendiger Rückzug ins Unpersönliche, Professionelle im Anschluß an das vorsichtige Eingeständnis von persönlicher Affiziertheit. Sie ermöglicht ihm das Dichten und verbürgt seine poetische Distanz. Dieses Distanzmoment bleibt durchweg bestehen, denn der Epilog als solcher (d.h. als Bestandteil des Rahmens) ist ein Ausdruck aufrechterhaltener Distanz. Kunstvoll verwoben mit den distanzschaffenden Maßnahmen ist jedoch das gegenläufige Moment der Annäherung zwischen den beiden Dichterfiguren. Rahmen und Gerahmtes zeigen in ecl.10, obwohl voneinander unterscheidbar, Verschmelzungstendenzen. Von dem Augenblick an, in dem Gallus dem Dichten absagt, spricht er nur noch in der 1. Person des Plurals, womit er den Horizont seines nur individuellen Scheiterns übersteigt. Seine abschließende Erkenntnis von der Allmacht des Amor gilt für jeden. Der Rahmendichter läßt Gallus seine Erkenntnis als allgemeingültige aussprechen -

167 Auch A. MICHEL (Virgile et Gallus; in: Virgilio e gli Augustei [hg. v. M. Gigante], Napoli 1990, S. 57-68) sieht, nach wie vor von der Epikureismusthese beeinflußt, nur das Trennende und nicht das komplexe Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen den beiden Dichterfiguren (S.63): "Virgile nous explique... pourquoi il n'a pas 6crit d'616gie. II veut, comme les Epicuriens dont il est souvent proche, prtserver sa s6r6niti. Comme Lucröce. il redoute les illusions de l'amour tout en reconnaissant sa toute-puissance".

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

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und das kann nur heißen: Er akzeptiert, daß, was Gallus als Leidender erkannt hat, Gültigkeit auch für ihn selbst besitzt. Mit der Pluralisierung der Rede wird der Charakter des Gallus als alter ego des bukolischen Dichters auch in der sprachlichen Form faßbar. Das Scheitern des Gallus war kein bloß zufälliges, sondern auf unabwendbare Tatsachen gegründet: auf solche, die den bukolischen Dichter gleichfalls betreffen. Erst dadurch wird dessen Wagnis möglich, den verehrten Freund in seinem Scheitern vorzuführen (denn auch dies ist einer der Faktoren, die die 10. Ekloge zum extremus labor werden lassen). Im Epilog thematisiert der bukolische Dichter nochmals seine besondere Nähe zu und seine Affektion für Gallus. Er greift nun selbst - auch dies eine Bekräftigung der Gemeinschaft mit Gallus - den Begriff amor ausdrücklich wieder auf, und dies nicht als eine unspezifische Abstraktion, sondern amor als eine bestimmte Liebe, eine Liebe zu jemandem, als amor Galliw. Am Ende des Gedichts steht nicht mehr der insanus amor des Gallus zu Lycoris, sondern die Liebe des einen Dichters zum anderen. Eine sublimierte, künstlerische Liebe zwischen zwei Dichtern wird zum Gegenbild für die Leidenschaft eines Mannes für eine Frau. Ein Lebenselement spielt also sehr wohl auch auf seiten des bukolischen Rahmendichters eine Rolle, und er läßt hier schließlich einen Blick auf dieses zu. Was den bukolischen Dichter selbst bewegt, ist ebenfalls amor. Er steht damit auf demselben unsicheren Boden wie Gallus und hat mit dem Scheitern des Gallus am (zuvor indignus, crudelis, insanus genannten) amor nichts anderes dargestellt als sein eigenes mögliches Scheitern. Sein amor ist von dem des Gallus nicht wesenhaft verschieden 169 . Der bukolische Dichter - und hiermit kommt wieder das notwendige Distanzmoment gegenüber Gallus ins Spiel - ist jedoch tatsächlich nicht gescheitert, sondern sein Werk ist mit der gelungenen Darstellung dichterischen Scheiterns selbst zu einer Extremform des Gelingens gekommen. Bei aller notwendigen Rahmung und (daraus folgenden) Distanzierung ist auch das Dichten (über etwas und besonders über jemanden) in sich nichts anderes als amor. Diese Tatsache spricht der bukolische Dichter schließlich aus. Im Epilog der 10. Ekloge (und des ganzen Buches) bestätigt sich im übrigen endgültig, daß der bukolische Dichter primär nicht von verklärendem und verklärtem Gefühl, der Sehnsucht nach Ent-

168

Spätestens hier ist auch das Narzißtische, das SCHMIDT (Poetische Reflexion, S. 181) in Vergils poetischem amor ausmachte, überschritten. 1(9 Es ist irreführend, wenn man zwei von vorneherein gänzlich voneinander geschiedene Typen von amor in ecl. 10 klassifiziert (wie z.B. SEGAL; S.O., Anm. 153). Will man überhaupt eine Trennung vollziehen, so muß man zumindest auf die ihr zugrundeliegende fundamentale Einheit beider hinweisen, die darin zum Ausdruck kommt, daß der bukolische Dichter in v.73 das Schlüsselwort amor selbst wiederaufnimmt.

Die Überschreitung der Rahmenform in der 10. Ekioge

253

schwundenem, bestimmt ist, sondern von echter, aktueller Liebe, die er auf seine besondere Art im Gedicht zu realisieren bestrebt ist170. Der bukolische Dichter faßt diesen seinen eigenen amor zu Gallus in das Bild einer im Frühling aufschießenden Erle (v. 73-74: Gallo, cuius amor tantum mihi crescit in Horas / quantum vere novo viridis se subicit alnus). Wie sein Gedicht wächst, so auch sein amor. Es gelingt dem bukolischen Dichter, die Liebe auf eine neue Weise in die Dichtung hereinzuholen. Sein Gedicht ist nichts anderes als amor. Eines kann für das andere stehen. Gallus' überwältigender amor ließ Distanzierung und Dichten nicht (mehr) zu. Der amor, der dem bukolischen Dichter möglich ist, läßt mehr Raum für Distanzierungselemente. Der bukolische Rahmendichter führt das aus, woran Gallus gescheitert ist: Es gelingt ihm, amor nicht nur förderlich und zum Movens von Dichtung werden zu lassen, sondern ihn sogar auf neue Weise als deren eigentliche Substanz zu erkennen. Das Wachsen der Liebe, das Gallus in v.54 (crescent illae [sc. arbores], crescetis, amores) vergeblich erhoffte, wird erst durch ihn, den bukolischen Dichter, Realität. Der Rahmendichter erreicht, was Gallus versagt blieb. Sein amor umfaßt den scheiternden amor des Gallus, und seine Dichtung nimmt das dichterische Scheitern des Gallus auf, der auf dem Weg zum Gelingen eine Übergangsfigur bleibt. In seinem Epilog vereinigt der bukolische Dichter das Distanzierungsmoment mit dem amor-Moment. An dieser Vereinigungsstelle erklärt er sich selbst zum Dichter der Pieriden. Das Gedicht ist aber nicht nur zu Dichtung gewordener amor, was sein Dichter nun ausspricht, sondern es bildet auch in seiner Gestalt diesen Dicht&T-amor, dessen Ausdruck es ist, noch einmal ab. Der bukolische Dichter faßt den Monolog des unglücklichen Gallus in einen Rahmen. Genau mit diesem Vorgang des von Liebe veranlaßten In-einen-Rahmen-Fassens schafft er ein Kunstwerk. Die ursprünglich zugrundeliegende Liebesgeschichte, überhaupt die Figur der Lycoris, spielt im Epilog keine Rolle mehr. Von seinem noch relativ lebensnahen Anspruch sed quae legal ipsa Lycoris, den er in v.2 geäußert hat, hat der bukolische Dichter sich längst entfernt. Auch dies bleibt wahr: Der bukolische Dichter hat Gallus keinen realen, praktischen Trost zu bringen 171 .

170

Nochmals sei an den Prolog von ecl.6 erinnert, in dem der Dichter auch in der Gegenrichtung, von seiten des Lesers, aktuellen amor erwartete bzw. erhoffte (v. 9-10: si quis tarnen haec quoque, si quis / captus amore leget... ). 171 Dies formuliert H.J. ROSE, The Eclogues of Vergil (Sather Classical Lectures XVI), Berkeley ' 1942, S. 114-115, so: "Here is not a word of what one would expect in a poem or speech of consolation, not a hint of any of the stock topics, even Corydon's suggestion that there are other fish in the sea." Vgl. H.L.F. DRUEPONDT (La Xe figlogue de Virgile: Un avertissement bienveillant ä Gallus, AC 6 [1963], S. 149-150): "L'affection pour I'ami est incontestable; peut-etre s'6tonne-t-on du peu que le pofcte consent ä lui offrir. Le cadeau

254

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

Er vertritt ein Dichtungskonzept, das konsequent auf praktische Einflußnahmeversuche verzichtet und beschränkt sich ganz darauf, mit Hilfe der Pieriden aus Liebe zu Gallus ein poetisches maximum zu schaffen (v.72). Bei Gallus dagegen waren die beiden Momente (Amor und Dichten) auseinandergetreten. Gallus stand der Liebe als Opfer gegenüber. Sein insanus amor trieb die verschiedensten Phantasiefragmente hervor, die jedoch wie auch sein Vorhaben zu dichten in ihrem Inhalt stets wieder nur entweder auf eine Befriedigung oder aber auf eine Überwindung seines realen amor gerichtet waren; d.h. entweder darauf, Lycoris zurückzugewinnen oder darauf, sich (auf der Jagd) von der Liebe zu reinigen. Beide Absichten scheiterten ebenso wie die Dichtungspläne, die aus ihnen entsprangen und die stets mit ihnen vermischt blieben. Niemals jedoch war Gallus' Ziel eine Verwandlung des amor, wie sie dem bukolischen Dichter gelingt. Preis dieser Verwandlung ist, daß die Hoffnung auf reale Erfüllung aufgegeben wurde. Indem der bukolische Dichter seinen Trost für Gallus dezidiert auf die Verewigung in einem Gedicht beschränkt, setzt er den Raum der Dichtung nochmals klar von dem der Lebensrealität ab. Seine abschließende Selbstdarstellung, in der er ein Körbchen flicht 172 , entwirft ein Bild vom Dichter, in dem dieser Handelnder in einem eigenen Dichtungsraum ist. Sein Dichten kommt einer eigenen und eigengesetzlichen, von anderen Praxisforderungen und -zielen abgelösten, selbstgenügsamen Praxis in einer eigenen, autonomen (der bukolischen) Sphäre gleich. Von Anfang an zeigte sich im Gedicht implizit das Bekenntnis des bukolischen Dichters zu einem Eigenen in dem immer wieder betonten Kontrast zwischen namenlosen, aber unbegrenzt Kreativität spendenden Naturinstanzen einerseits und fragwürdig werdenden, sich versagenden Traditionsinstanzen andererseits (vgl. etwa die silvae in v.8 sowie v. 9-15). In der neuentworfenen Sphäre der Autonomie, die als bukolische Natursphäre gestaltet ist, fallen Dichten, Handeln und Lieben zusammen. Gordon Williams sieht in diesem Zusammenhang eine Parallele zwischen dem bukolischen Dichter und Gallus (Tradition and Originality in Roman

consiste en une plainte d'amour que Virgile fait prononcer ä Gallus" (S.149). Im folgenden (S. 150) fällt DRIJEPONDT allerdings wieder auf die Idee zurück, Vergil wolle mit seinem Gedicht auffordern, die "erreurs dans sa conception de la vie" (S.150) zu beheben. H.F. BAUZÄ, La Bucölica X y la taumaturgia de lo poötico, Actas del VII Simpösio nacional de estudios cläsicos 1982, Buenos Aires 1986 (S. 81-91) bleibt bei der Vorstellung, Vergil wolle im praktischen Sinne "aquietar el tormento de su amigo" (S.91). 172 Nochmals sei an das Ende der 2. Ekloge erinnert: Corydon kommt dort erst zum Schluß auf den distanzschaffenden Gedanken quin tu aliquid saltern potius, quorum indiget usus / viminibus mollique paras detexere iunco (v. 71-72), während der Rahmendichter von ecl. 10 (v.71: dumsedet et gracili fiscellam texit hibisco) zu erkennen gibt, daß er während der gesamten Gedichtzeit der Flechtende (d.h. der Dichter) war.

Die Überschreitung der Rahmenform in der 10. Ekloge

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Poetry, Oxford 1968, S.237): "What Virgil does in Eclogue 10 is to maintain the ambiguity between 'writing bucolic poetry' and 'being a shepherd', and explore the imaginative possibilities of the latter situation, without, however, allowing the reader to lose sight of the former. Parallel to this, the poet makes use of the corresponding ambiguity between writing elegiac love-poetry and being a suffering lover." Dagegen ist aber ein fundamentaler Unterschied zwischen den beiden "ambiguities" geltend zu machen: Die bukolische Sphäre des Eklogenbuchs zeichnet sich dadurch aus, daß sie immer schon als eine durch Dichten erst erzeugte173 aus allen Lebenspraxisverstrickungen gelöst ist, wobei auf dieser Grundlage das autonome Dichten wiederum als Handeln in ihr beschrieben werden kann174. Ihre Wirklichkeit ist eine; in ihr scheint eine Autonomie auf, in der die Distanz von Dichtung und Praxis tatsächlich aufgehoben ist. Für den Monolog des Gallus dagegen ist das ungeklärte Verhältnis von Dichten und Lebenspraxis charakteristisch: Es gibt hier kein Ineinsfallen, das aus einer Autonomisierung folgte, sondern nur eine fortgesetzte Unentschiedenheit zwischen ihnen, eine Verwechslung beider, die bis zum Schluß unaufgelöst bleibt. Gallus löst sich nirgends von seiner Bindung an das Hier und Jetzt einer Lebenspraxis. Die beiden Formen von Ambiguität zwischen Dichtung und Praxis, die Williams beobachtet, sind daher miteinander nicht kommensurabel. Das Ende der 10. Ekloge wirkt insgesamt nicht triumphal. Das Bild der fallenden Schatten (v. 75-76: umbra / umbra / umbrae) relativiert das vorhergehende hoffnungsvolle Frühlingsbild (v.74: quantum vere novo viridis se subicit alnus). Auch der bukolische Dichter bleibt potentiell bedroht. Beide, Gallus und der bukolische Dichter, sind dem in der Substanz identischen amor ausgesetzt. Dieser kann das Werk des Dichters zum Gelingen oder zum Scheitern führen; ihm aber auszuweichen, ist ausgeschlossen. Indem er dies festschreibt, erweist der bukolische Dichter Gallus seine letzte Reverenz. Auf

173

Vgl. ecl. 9,19-20 über den Sänger Menalcas (quis caneret Nymphas? quis humum florentibus herbis / spargeret out viridi foruis induceret umbra?), wo die zweite Handlung (inducere) eindeutig ein Herstellen der bukolischen Sphäre bezeichnet, während die erste fspargere) eine Mittelstellung zwischen Handeln in der bukolischen Sphäre und Herstellen der bukolischen Sphäre einnimmt. Dichten als Erzeugen in nicht unmittelbar bukolischem Zusammenhang auch in ecl. 6,62-63 (tum Phaethontiadas musco circumdat amarae / corticis atque solo procercts erigit alnos (sc. der Silen; s.o., Anm. 117]). 174 Die Stellen, an denen dies in herausgehobener Weise zum Ausdruck kommt, seien nochmals aufgeführt: ecl. 5,51-52 (Menalcas zu Mopsus: Daphninque tuum tollemus ad astra; / Daphnin ad astra feremus) und besonders das Bild vom Flechten in ecl. 10,71. (Zu ecl. 9,19-20 vgl. Anm. 173.) Zu ecl.5 vgl. BÜCHNER. RE, Sp. 1218 (s.o., Anm. 26), sowie SCHMIDT, Poet. Reflexion, S.214: "In der Welt der reinen Dichtung ist alles Handeln Dichten und alles Dichten Handeln. ... Preisende Dichtung wird zu einem poetischen Erheben zu den Sternen, zu einem wirklichen Erheben zu den Sternen der Poesie".

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

Gelingen und Abrundung deutet schließlich wieder der Schlußvers des Gedichtes und des Buches: Die Ziegen sind satt, und die Herde kann geordnet nach Hause ziehen. Ite domum saturae, venit Hesperus, ite capellae (v.77) weist zurück auf die Worte des Pan in v. 28-30: 'ecquis erit modus?' inquit. 'Amor

non talia curat, / nee lacrimis crudelis Amor nec gramina rivis / nec cytiso saturantur apes nec fronde capellae'. Pan faßt die Unstillbarkeit des crudelis Amor in ein Vergleichsbild, das auf irritierende Weise sowohl stimmt als auch nicht stimmt: Die Wiesen, die Bienen und die Ziegen müssen einerseits tatsächlich immer aufs neue getränkt und gesättigt werden und verkörpern im Gesamtpanorama und auf lange Sicht ein Bild von Unstillbarkeit. Andererseits ist individuelle und momentane Sättigung und Stillung bei jedem der drei bukolischen Vergleichsgegenstände (beziehungsweise -lebewesen) aus Pans Rede (gramina, apes, capellae) nicht nur möglich, sondern sie ist sogar Wesensbestandteil von deren organischer Verfaßtheit als Lebewesen beziehungsweise Pflanzen. Diesen zweiten Aspekt übergeht Pan in seiner Rede, und dieses Übergehen läßt den Vergleich so paradox wirken. Pan reißt mit dieser Paradoxic, diesem absichtlich schiefen Vergleich eine Frage auf, die der Auflösung harrt. Er eröffnet eine Spannung, unter der das Folgende und insbesondere der Monolog des Gallus steht: Ist nicht doch eine Sättigung des Amor möglich? Durch Tränen, durch unmittelbaren physischen Leidensausdrück, ist nicht mehr als kurzzeitige Linderung zu schaffen: Diese Tatsache war Ausgangspunkt von Pans Vergleich, und sie soll gewiß nicht in Zweifel gestellt werden. Das offenkundig Einseitig-Unvollständige der drei bukolischen Vergleichsbilder weckt jedoch die Erwartung eines darüber hinausgehenden Aufschlusses. Dieser erfolgt mit dem letzten Vers, mit dem so erst der Spannungsbogen zu Ende kommt. Der bukolische Dichter stellt wie selbstverständlich das Bild von den satten Ziegen ans Ende seines Werkes. Er widerspricht damit Pan nicht so sehr als daß er ergänzt, was in Pans Rede unvollständig geblieben ist. Ebenso wie Pans Bild von der Unstillbarkeit in der bukolischen Sphäre nicht falsch, aber auch nicht vollständig (da nur in einem uneigentlichen Sinne richtig) war, so war auch sein Bild vom crudelis Amor, der nicht zu stillen ist, einerseits richtig (durch Tränen ist er nicht zu sättigen), andererseits aber noch unvollständig. Das abgeschlossene Gedicht des bukolischen Dichters ist die Antwort auf das und die Ergänzung dessen, was Pan eröffnet und offengelassen hat. Es ist Darstellung, Ausdruck und Verkörperung eines amor, der schließlich zur Erfüllung und "Sättigung" kommt. Der amor des Dichters hat seine Erfüllung in seinem gelungenen Ausdruck gefunden: Er ist ganz in diesem Ausdruck, dem Gedicht, aufgegangen. Die domus des Schlußverses bildet einen festen Orientierungs- und Rückkehrpunkt, worin sich zeigt, daß der Hirte die Bedrohung erkannt und gemeistert hat. Das Bild des unversehrten Hauses, zu dem die Ziegen zurückkehren,

A u s b l i c k : D e r amor-Exkurs

im 3. B u c h d e r

Georgica

257

könnte auch darauf hinweisen, daß für den Dichter Vergil, der nun sein bukolisches Werk beendet, trotzdem etwas aus diesem weiterbesteht. Es wirkt ja durchaus befremdlich, daß ganz am Ende des Eklogenbuchs nun wieder die Rückkehr nach Hause, zu einem Ausgangspunkt steht und nicht ein eindeutigeres Bild für den Aufbruch und das Verlassen der bukolischen Sphäre. Ganz am Ende steht ein Festes und Beständiges: Ist dies ein Bild für die dichterische Position, die der Dichter unterdessen (in der Arbeit am Eklogenbuch; d.h. im Dichten und im poetologischen Reflektieren) erreicht hat und die er nun nicht mehr verlassen wird? Die Schlußverse (75-77) insgesamt vereinigen mit Aufbruch und Heimkehr noch einmal zwei gegenläufige Strebungen. Beide Bilder bestehen nebeneinander: der Dichter, der neue Ziele sucht, und der Dichter, der seine Position und sein Selbstbild gefunden hat.

3.5 Ausblick: Der amor-Exkurs im 3. Buch der Georgica Zwischen dem folgenden Werk, den Georgica, und dem Eklogenbuch bestehen mannigfaltige inhaltliche Beziehungen, die sich rückblickend aus dem Gesamtcorpus ablesen lassen. Die Versuche, der Entwicklung von der 10. Ekloge, von Vergils Abschied von der Bukolik hin zum georgisch-ruralen Bereich Notwendigkeit zu verleihen, unterliegen aber immer der Gefahr, exposf-Konstruktionen zu sein175. Einiges läßt sich sicher sagen: Der Dichter hat mit ecl. 10 die Phase der poetischen Reflexion, seiner dichterischen Selbsterforschung abgeschlossen und die Tragweite seiner Fähigkeiten ausgemessen. Für sein nächstes Werk wählt er eine Sphäre, die inhaltlich viele Überschneidungen mit der bukolischen aufweist176, die er dort aber aus einer anderen Perspektive darstellt. Die Georgica handeln nicht mehr von Dichtern in einer

175

Ein typisches Beispiel ist J.S. COOLIDGE, Great Things and Small - The Virgilian Progression, CompLit 17,1 (1965), S. 1-23, der (S.13) zu ecl. 10,75-76 bemerkt: "The lines refer to the agricultural notion that shade itself... is positively noxious to plants, and so they carry us forward into the Georgics". Ähnlich auch PUTNAM, Virgil (S. 392-393; s.o., S.51); P.L. SMITH (s.o., Anm. 224). Zeittypische Anklänge bei L. ALFONSI, Echi letterari nelle Bucoliche di Virgilio, Aevum 16 (1942), S. 320-327 (dort: S.327): "... al languido abbandono di Gallo alia passione, si opporrä (sc. in den Georgica; d. Verf.) la vittoriosa virtü creatrice dell' agricoltore italico". 176 Dazu R. KETTEMANN (Bukolik und Georgik, Studien zu ihrer Affinität bei Vergil und später [Heidelberger Forschungen 19]), Heidelberg 1977), der bewußt nur das Gemeinsame beider Gattungen betrachtet (etwa otium, molle und dulce als gemeinsame Grundbegriffe, op. cit., S. 21-49). Den ausdrücklichen inhaltlichen Bezug auf Dichtung, der in den Bucolica niemals fehlt und der diese von den Georgica unterscheidet, spricht KETTEMANN in seiner Arbeit allerdings kaum an.

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

258

dichtungsaffinen Natursphäre. Die Natursphäre ist nun nicht mehr eine Sphäre von Echo und Responsion, die im wesentlichen in ihrem Verhältnis zu singenden Hirten von Bedeutung ist, sondern sie wird als materiale Praxissphäre zum Gegenstand dichterischer Darstellung. Selbstkommentierungen des Dichters sind auf klar abgegrenzte Exkurse beschränkt. Insofern stellt Vergil im Anschluß an die Phase seiner poetischen Selbstreflexion nun eine deutlichere Trennung zwischen Dichterposition und Gegenstand her und vollzieht mit seiner Dichtung einen Schritt zur Welt und zur Praxis hin, worauf auch der neue, jetzt eindeutige Bezug auf Caesar-Octavian in den Georgica hindeutet 177 . Nachdem die Dichterinstanz der Bucolica sich selbst noch stets mitthematisiert hat, nimmt die der Georgica eher eine auktoriale Position ein. Inhaltlich tritt in der Sphäre der Georgica das Mühelose der Hirtenexistenz in den Hintergrund und die Mühsal (der labor improbus; Georg. 1,145-146) der harten Landarbeit, von Ackerbau und Viehzucht in den Vordergrund. Vergil vollzieht aber keinen radikalen thematischen Wandel, sondern eine allmähliche Aspektverschiebung. Er hält in den praxisbezogeneren Georgica die Erinnerung an die Bucolica noch in einem gewissen Maße gegenwärtig, so daß er in der Schlußsphragis der Georgica"i mit einem Zitat aus ecl. 1,1 beide Werke rückblickend zur Einheit erklären kann. Zum Abschluß soll hier die Partie Georg. 3,209-294 (aus dem Buch über die Tierhaltung und -zucht) betrachtet werden, an der in bemerkenswerter Weise ein programmatischer Exkurs des Dichters über seinen eigenen amor an eine Darstellung der Wirkungen des amor auf Tiere und Menschen angeschlossen ist. Die Parallelen zu ecl. 10 liegen auf der Hand. Auf eine kurze praxisbezogene Partie (v. 209-214: Notwendigkeit, die Stiere von den Kühen fernzuhalten) folgt dort (v. 215-218) zunächst ein Exkurs über die auszehrende Wirkung des caecus amor (so in v.210) auf die Stiere 17 ', deren Kämpfe 180 um eine formosa iuvenca (v.219) und das Verhalten des Verlierers, der sich

177

Vgl. etwa Georg. 1,25, 503; 2,170 (in den laudes ltaliae)\ 3,16, 47, 48; 4,560 (vgl. Anm. 178). 178 Georg. 4,559-566: Haec super arvorum cultu pecorumque canebam / et super arboribus, Caesar dum magnus ad altum /fulminat Euphraten bello victorque volentis / per populos dat iura viamque adfectat Olympo. / illo Vergilium me tempore dulcis alebat / Parthenope studiis floreruem ignobilis oti, / carmina qui lusi pastorum audaxque iuventa, / Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi. 179 V. 215-216: carpit enim viris paulatim uritque videndo /femina. Im ganzen Abschnitt ist die anthropomorphe Darstellung tierischer Verhaltensweisen bemerkenswert, die schon die folgende Gleichbehandlung des amor von Menschen und Tieren vorbereitet. 180 V. 217-218: (sc. femina) saepe superbos / cornibus inter se subigit decemere amantis. V. 220-223: illi altemantes multa vi proelia miscent / vulneribus crebris; lavit ater corpora sanguis, / versaque in obnixos urgentur cornua vasto / cum geniitu; reboant silvaeque et longus Olympus.

Ausblick: Der α/nw-Exkurs im 3. Buch der Georgica

259

zurückzieht 18 ' und schließlich zum neuen Angriff aufschwingt (v. 2292411*2). Dieser Exkurs mündet in eine allgemeine Reflexion über die Allmacht des Amor in der Natur, die in ihrer Formulierung stark an die Schlußerkenntnis des Gallus aus ecl. 10 erinnert und ihrerseits zum Ausgangspunkt für eine exkursartige Reihe von Wirkungsbildern wird (v. 242-244: Omne

adeo genus in terris hominumque ferarumque / et genus aequoreum, pecudes pictaeque volucres, / in furios ignemque ruunt: amor omnibus idem). In ecl. 10 stand mit omnia vincit Amor diejenige Erkenntnis am Ende des zentralen Teils (Gallus' Monolog), die in Georg. 3,244 mit amor omnibus idem zu Beginn des nun einsetzenden Exkurses wieder aufgegriffen wird 143 . Das folgende Gesamtpanorama beschreibt zunächst die furia, die amor bei Tieren auslöst (leaena, v.245; ursi, v.247; aper und tigris, v.248; equi, v.250; sus, v.255). Ohne jede eindeutige qualitative Abhebung und ohne Namensnennung 184 ist (v. 258263) das menschliche Beispiel des Liebestodes von Hero und Leander einge-

legt (v. 258-259: quid iuvenis, magnum cui versat in ossibus ignem / durus amor?... ). Über die Liebesraserei der lynces und der lupi (v.264), der canes und selbst der imbelles... cervi (beide v.265) kehrt die Darstellung zum Ausgangspunkt, dem landwirtschaftlichen Bereich der Nutztiere zurück: Den Abschluß (v.266-283) bildet ein breit angelegtes Bild vom furor... equarum (v.266). Weitere Begriffe für die Wirkung des amor sind neben furiae (v.244):

funera stragesque (v. 246-247), tremor (ν.250), magnus ignis (v.258), proelia (v.265). Die Adjektive, die ihn qualifizieren, sind saevus (v.246 und 248), pessimus (v.248). Amor ist für Menschen und Tiere eine und dieselbe Größe 185 . In dieser Georgica-?zii\t ist er zugleich als großer Vereiniger und als

"" V. 224-228: nec mos bellantis una stabulare, sed alter / victus abit longeque ignotis exsulat oris, / muUa gemens ignominiam plagasque superbi / victoris, tum quos amisit inultus arnores, / et stabula aspectans regnis excessit avitis. 182 V. 229-236: ergo omni cura viris exercet et inter / dura iacet pemox irtstrato saxa cubili /frondibus hirsutis et caricepastus acuta, /et temptat sese atque irasci in cornua discit / arboris obnixus trunco, ventosque lacessit / ictibus, et sparsa ad pugnam proludit harena. / post ubi coUectum robur viresque refectae, / signa movet praecepsque obtitum fertur in hostem. Zur Anlehnung dieser Stelle an omnibus incutiens blandum per pectora amorem aus Lucr. 1,19 siehe P.R. HARDIE, Virgil's Aeneid - Cosmos and Imperium, Oxford 1986. S. 160 (dieses Werk von nun an zitiert als "HARDIE"). Vgl. auch O. TESCARI. Amor omnibus idem (Nota virgiliana), Studi romani 1 (19S3), S. 121-123. 184 M.R. GALE, Man and Beast in Lucretius and the Georgics, CQ n.s. 41 (1991), S. 414426 (von nun an zitiert als "GALE"), S.420: "The anonymity of the 'iuvenis' and 'virgo' who frame the lines (sc. Georg. 3,258-263; d. Verf.) makes this a paradigm for human behaviour in general". 185 Eine solche Gleichsetzung findet sich übrigens schon in ecl. 3,100-101 (Damoetas): Heu heu, quam pingui macer est mihi taurus in ervo! / idem amor exitium pecori pecorisque niagistro.

260

3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

großer Zerstörer gezeichnet. Immer wieder wird (in Anlehnung an das Lukrezprooemium 186 ) seine Eigenschaft dargestellt, fast übernatürliche Fähigkeiten bei denen zu erzeugen, die er befallt, und sie über die Grenzen hinauszutreiben, die ihnen unter gewöhnlichen Umständen gesetzt sind. Sie gewinnen die Fähigkeit, nahezu jedes Hindernis zu überwinden 187 . Der einzige Mensch in der Reihe, der iuvenis Leander, ist nur dadurch herausgehoben, daß er bei seinem Versuch scheitert, das trennende Wasser zu überwinden, während die Tiere als stärker naturverhaftete Wesen von solcher Selbstüberschätzung offenbar nicht bedroht sind. Auch sie werden von furiae befallen und getrieben, sind aber stets nur in ihren ins Abnorme gesteigerten Überwindungsfahigkeiten gezeigt (v. 252-254: ac neque eos iamfrena virum neque verbera saeva, / non scopuli rupesque cavae atque obiecta retardant /flumina correptosque unda torquentia montis oder v.270: superant monies et flumina tranant), auch in ihrer erhöhten Kampfbereitschaft, aber sie gehen nicht an amor zugrunde. Die abschließende Erwähnung des hippomanes (v.280 und 282) und die Anspielung auf die (Liebes-) Tränke, die malae novercae daraus herstellen, weist wieder auf menschliche Liebesverirrungen (v. 282-283: hippomanes, quod saepe malae legere novercae / miscueruntque herbas et non innoxia verba). Mit v.284 vollzieht der Dichter schließlich, von dem Gesamtpanorama ausgehend, den Perspektivwechsel hin zu sich selbst - einen Schritt, der sehr dem Übergang von der Schlußerkenntnis des Gallusmonologs hin zum Epilog der 10. Ekloge ähnelt. Er thematisiert sich selbst und sein eigenes Dichten: Sed fugit interea, fugit inreparabile tempus, / singula dum capti circumvectamur amore (v. 284-285). Wie in der 10. Ekloge greift der Dichter im Anschluß an seine Darstellung den Begriff amor aus dieser Darstellung auf um dasjenige zu bezeichnen, was ihn selbst als Darstellenden bewegt hat"5*.

186 HARDIE versteht die Vergilpassage als pessimistische Umkehrung des Lukrezprooemiums (S. 159: "a savagely pessimistic counterpart"). GALE weist (S.420) auf die Betonung von Kampf und Zerstörung in der Georgica-Passage gegenüber dem Lukrezprooemium hin: "... the catalogue of violent animal behaviour in 245-57 ironically inverts DRN 1.12-16 in which the animals frisk eagerly in Venus' train." Bei Lukrez folgt jedoch an späterer Stelle, im Finale des vierten Buches, die krasse Umkehrung dieser amor-Wahrnehmung. Der Dichter warnt nun vor der Liebe (4,1037-1287; z.B. etwa 4,1063-1067: sedfiigitare decet simulacra et pabula amoris / absterrere sibi atque alio convertere mentem / et iacere umorem collectum in corpora quaeque / nec retinere, semel conversum unius amore, / et servare sibi curam certumque dolorem). Vergil dagegen hat immer schon beide Seiten im Blick. 187 Auf die zerstörerischen Wirkungen, die dieses Verhalten im praktischen Kontext der Georgica (Viehzucht und Herdenhaltung) anders als in Lukrez' Darstellung hat, weist HARDIE, S. 160, hin. 188 G.B. MILES, Virgil's Georgics - A New Interpretation, Berkeley/Los Angeles/London 1980, S.199: "In saying that he has lingered over particulars, capti amore... . Virgil is punning. For the subject of the previous passage was, in fact, amor, and it was because of his

Ausblick: Der awö/--Exkurs im 3. Buch der Georgica

261

Er bezieht einerseits implizit sich selbst und sein eigenes Dichten noch in das vorangegangene Weltpanorama von amor als dem großen Sinnenverwirrer mit ein und setzt sich andererseits davon ab, indem er sich selbst als dem Darsteller all dessen eine Sonderposition zuweist. Wiederum ist der Dichter derjenige, der sich ausdrücklich denselben Gesetzen unterworfen sieht wie jedes andere Lebewesen im Kosmos, der aber mit dieser Tatsache in einer besonderen Weise umzugehen versteht. Die Verbindung zum amor der Tiere stellt das sprechende Dichter-Ich etwas später noch deutlicher dar (v. 289-293: nec sum animi dubius verbis ea vincere magnum / quam sit et angustis hunc addere rebus honorem; / sed me Pamasi deserta per ardua dulcis / raptat amor, iuvat ire iugis, qua nulla priorum / Castaliam molli devertitur orbita clivo)1*9. Gale (S.421) weist auf die gesuchte Ähnlichkeit zum Vorhergegangenen in Gedankenführung und Vokabular hin: "Not only is the poet 'captus amore' (vgl. v.285; d. Verf.) like the beasts he has just been describing, but like them, he is led over mountain ridges by his love, and the violence of the word 'raptat' suggests a frenzy not totally dissimilar to the 'furiae' of 244." Der amor des Dichters trägt jedoch nun das Attribut dulcis (v.291) und wird dadurch von allem vorher Gesagten abgesetzt (man beachte insbesondere den Kontrast zu dem Adjektiv durus, das in v.259 den amor des iuvenis bezeichnete). Gale verweist (S.421) wieder auf Lukrez, bei dem diese Beziehung zwischen amor und dichterischer Inspiration schon vorgeprägt sei, so in Lucr. 1,24-28, wo der Dichter die Liebesgöttin, der er sein Prooemium gewidmet hat, nun selbst um Beistand bittet (te sociam studeo scribendis versibus esse / quos ego de rerum natura pangere conor / Memmiadae nostro, quem tu, dea, tempore in omni / omnibus ornatum voluisti excellere rebus. / quo magis aeternum da dictis, diva, leporem), ebenso in der Wendung suavis amor Musarum (Lucr. 1,924-925)190. Diesen Gedanken verschärfe Vergil nun "by asso-

interest in that subject tbat Virgil treated it at greater length than was appropriate." Der Dichter ist, um in der Terminologie der Georgicastelle zu bleiben, auf zweifache Weise amore captus: Er ist zunächst durch amor als seinen Gegenstand "gefangen". Dann aber zeigt sich, daß dieses Gefangensein selbst nichts anderes ist als amor. R.F. THOMAS, Virgil: Georgics (vol.2: Books 3-4), Cambridge 1988, ad loc., zu capH... amore: "... a brilliantly ambiguous phrase. The natural interpretation is 'possessed by love of our theme'... . But the theme by which V. has been preoccupied is amor itself, and to that extent he has been 'possessed by love'; the effect cannot be translated." (Vgl. auch nochmals captus amore in eel. 6,10.) 185 R.A.B. MYNORS, Virgil: Georgics, ed. with a commentary, Oxford 1990, ad loc., will zwei verschiedene Formen von amor ("of the subject" in v.285 und "of the Muses" in v.292) trennen. Solche säuberlichen Unterscheidungsversuche verdecken aber eher die Tatsache, dafi hinter den verschiedenen Erscheinungsformen immer derselbe amor steht. Zu vergleichen ist im übrigen auch schon Georg. 2,475-482: Me vero primum dulces ante omnia Musae, / quorum sacra fero ingenti percussus amore, / aeeipiaru caelique vias et sidera monstrent, / defectus solis varios lunaeque labores; / unde tremor terns, qua vi maria

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

ciating 'amor Musarum' much more closely with sexual amor"\ "Virgil forcibly brings out the implications of Lucretius' bacchic imagery (DRN 1.922-5) and of his reference to love of the Muses: poetic inspiration, like sexual amor, is a kind of madness, and hence a very risky business" (Gale, S.421). Diese Feststellung trifft zu, erfaßt aber nur die Gemeinsamkeit zwischen Dichter-amo/· und insanus amor19'. Ebenso wichtig ist die Frage nach der Differenz.

3.6 Dichter, amor und poetische Reflexion bei Vergil Sinnliche und dichterische Liebe sind in ihrer Substanz nicht nur ähnlich, sondern gleich. Vergil verzichtet in der 10. Ekloge wie an der Georgica-Stelle auf eine terminologische Unterscheidung zwischen beiden. Diese vom Dichter mehrmals ausdrücklich vollzogene "association between sexual and poetic amor" (Gale, S.421) ist aber stets nur vor dem Hintergrund der immer mitgedachten Differenz zu sehen. Um den Differenzaspekt zu beleuchten, kann man zunächst nochmals an die Rahmungstechnik des Eklogenbuchs erinnern. Sie brachte regelmäßig die Positionsverschiedenheit zwischen der Figur, die an insanus amor192 litt, einerseits und dem darstellenden Dichter andererseits zur Anschauung, indem sie beide als Figuren auseinandertreten ließ. Dieses Phänomen wurde in den Überlegungen zur impliziten Poetik des Eklogenbuchs als ein Ausdruck der allgemein und zwingend gültigen poetologischen Tatsache verstanden, daß der Dichter, der den insanus amor zur Darstellung bringt, dabei selbst gerade nicht von insanus amor getragen sein kann. Als das demgegenüber Besondere und Unterscheidende der 10. Ekloge erwies sich die Tatsache, daß sich der Rahmendichter hier seiner aufrechterhaltenen Distanzposition zum Trotz ausdrücklich zu seinem eigenen amor bekannte und so selbst die beschriebene Problematik von Gemeinsamkeit und Differenz eröffnete. Einerseits blieb er der distanzierte Darsteller von insanus amor, andererseits bekannte er sich dazu, als dieser Darsteller selbst ein von amor Erfüllter zu sein. Im 3. Buch der Georgica wiederholte sich diese Struktur. Vergil beschränkt sich also nicht auf die Darstellung, sondern betont darüber hinaus immer wieder sein eigenes Affiziertsein durch amor. Amor ist seine besondere

alta tumescant / obicibus ruptis rursusque in se ipsa residant, / quid tantum Oceano properem se tingere soles / hiberni, vel quae tardis mora noctibus obstet. 1,1 Raptat an der zitierten Stelle könnte zwar für ein Maß an "madness" auch beim Dichter sprechen; G A L E dürfte hier aber von Piaton beeinflußt sein, der die Dichtung als eine Form des Wahnsinns bestimmte (vgl. etwa Phaidros 245 a). m Der Begriff wird hier und im folgenden wie ein terminus technicus gebraucht.

Dichter, amor und poetische Reflexion bei Vergil

263

Bezeichnung für die Affinität des Dichters zu seinem Gegenstand, die er immer wieder thematisiert. Die besondere und auffallige Bewegung, die Vergil an den beiden diskutierten Stellen vollzieht, ist die, daß er seine eigene Grundbefindlichkeit als Dichter jeweils gerade im Zusammenhang mit einer Darstellung von insanus amor als amor bezeichnet193. Er wendet sich ganz bewußt und ausdrücklich dem insanus amor als seinem Darstellungsgegenstand in dichterischem amor zu. Durch die Nebeneinanderstellung beider bekräftigt er die grundsätzliche substantielle Identität seines Dichter-amor mit dem dargestellten insanus amor, setzt aber zugleich den Dichter-a/nor von jenem ab. Amor ist Substanz und Gegenstand des Gedichts. Die mehrfache gesuchte Zusammenstellung von insanus amor und dichterischem amor läßt erkennen, daß das Bewußtsein von der beschriebenen Wesensgleichheit ein Grundzug vergilischen Dichtens und vergilischer Dichtungsreflexion ist. Der Dichter sieht nicht nur die Wesensgleichheit, sondern er betont sie. Konstitutiv für sein Dichten ist ein gesteigertes, hochsensibles α/nor-Bewußtsein. Er hält die Eigenschaften und insbesondere die Aberrationsmöglichkeiten, die Zerstörungskraft seines eigenen Elementes stets gegenwärtig. Zugleich wahrt er die Distanz (dies war insbesondere der Gegenstand der impliziten Poetik des Eklogenbuchs) und beschränkt seinen eigenen amor strikt aufs Dichterische, auf das Aufgehen im Gedicht. Die besondere Fähigkeit des Dichters liegt in der Sublimierung, die sich ihm als Aufgabe aber immer neu stellt. Vergil bringt diese spannungsreiche Grundbefindlichkeit des Dichters dadurch zur Anschauung, daß er insania und insanus amor als Dichter auf vielfaltige Weise darstellt, aber, indem er sie darstellt, sich ihnen gerade nicht preisgibt und sich in den dichtungsreflektierenden Passagen wiederum selbst als diesen Darstellenden darstellen kann. Das Eklogenbuch bereitet diese Dichterposition durch die verschiedenen hier dargestellten Rahmungs- und Distanzierungsformen auf kunstvolle und vielfaltige Weise vor. Am Ende des Eklogenbuchs hat der Dichter die Position erreicht, von der aus er sich zu dem amor-Element bekennen kann, das ihn selbst als Dichter trägt. Die 10. Ekloge verkörpert noch darüber hinaus die höchstmögliche Stufe von Dichtungsreflexion: Sie thematisiert auf dichterische Weise nicht nur, wie auch die Georgica-Stelle, das Leiden an amor und das potentiell bedrohliche ü/nor-Element, das jeder Dichtung zugrundeliegt, sondern läßt darüber hinaus ein bereits wieder dichterisches Scheitern zu Dichtung werden. In besonders elaborierter Weise macht sie die konstitutive und schicksalhafte Verknüpfung

193

An der oben, Anm. 190, zitierten Stelle Georg. 2,476 spricht der Dichter seinen eigenen amor auch einmal anläßlich von inhaltlich amor-fremden, kosmologischen Darstellungsgegenständen ausdrücklich an.

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3. Die implizite Poetik der Bucolica und die 10. Ekloge

von Dichtung und amor zum Gegenstand: Sie schildert (und darin geht sie über die Georgica-Stelle hinaus) das Sich-Abarbeiten gleich zweier Dichter an amor: des Gallus, der darüber dem Dichten absagt, und des bukolischen Dichters selbst, dem schließlich die Verwandlung seines eigenen amor und von Gallus' insanus amor in Dichtung glückt. Auf dem Umweg über das Gedicht des Eklogenbuchdichters gelingt schließlich doch noch die Transformation und Sublimierung von Gallus' amor in Dichtung. Dichten ist ein Grenzgang: ein Vorgang, der zur Voraussetzung hat, was ihn auch zerstören kann. Dieses Paradoxon macht die Dichterexistenz aus. Die 10. Ekloge bildet als gelingendes Gedicht beides. Gelingen und Scheitern, zugleich ab. Was aber in ihrem Verlauf erst den Aufstieg zu dieser Darstellungs- und Reflexionsstufe ermöglicht, ist die Schlußerkenntnis des leidenden Gallus, daß sich tatsächlich niemand amor entziehen kann. Gallus ist in der 10. Ekloge nicht nur der Dargestellte und Gerahmte, sondern zugleich auch der von dieser Position aus Erkennende. Kunstvoll vergegenwärtigt das Freundschaftsgedicht bis zum Schluß die Angewiesenheit seiner beiden Figuren aufeinander, die aber keine symmetrische ist.

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Scholia in Theocritum vetera, recensuit C. WENDEL, Leipzig 1914

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Index: Textstellen antiker Autoren Die Seiten dieser Arbeit, auf denen eine Textstelle ausführlich behandelt wird, sind gegebenenfalls durch Fettdruck markiert. Hinweise auf zitierte Kommentatoren und Scholien werden jeweils im Anschluß an den kommentierten Autor gegeben.

Vergil Eklogen 1-9 13 1 38, 63, 64, 65, 67, 69. 114, 203206. 207, 209, 210, 221, 239-240, 248 1.1 1 8 1 , 1 9 5 , 2 5 8 1,1-2 85, 207 1,2 64, 147. 182 1,4 150, 194 1,4-5 87 1,5 64 1,8 150 1,10 64 1,12 86 1,21 150 1,38 100, 174 1,40-45 177 1,42 207 1,48 183 1,51-58 136 1,54 124, 131, 156 1,56 101, 171 1,58 171 1,62 168 1,64-66 171 1,70 102 1,73 131, 197 1,74 86, 198 1,75-78 85 1,77 6 4 , 7 6 , 8 6 , 2 0 7 1,77-78 123 1,78 131 1,83 171, 194 2 38, 49. 52, 53, 69, 71, 180, 203205, 221-225, 227, 234, 237, 239-

240,241.242,243.245 2,1 223 2,1-5 184, 221, 225 2.2 223 2,4-5 223 2,6 76, 223. 224 2,8 194 2,8-13 223 2,14-15 49 2.14-16 13 i 2,15 109 2,15-18 132 2,17-18 131 2,18 131 2,22 168 2,30 183 2,31-39 223 2,35 130 2,36-39 223, 243 2,39 130 2,47 131 2,50 131 2,51 150 2,54 100 2,56 184, 223 2,60-65 223 2,62 164 2,63 86 2,64 86, 123 2,66 184, 223, 243 2,66-68 225 2,66-69 223 2,67 194 2,68 174

Index: Textstellen antiker Autoren (Fortsetzung: Vergil. Eldogen) 2,69-73 184, 223. 224, 243 2,70 131. 171 2.71-72 183. 254 3 38, 65, 67. 109. 203-206, 211, 212, 213-215, 216. 217. 218-221. 222, 223, 224, 228. 239-240 3.1-20 213 3.11 131 3,21 ff. 213 3.28-29 213 3.29-31 213 3,32-34 213 3,32-43 213 3.36-42 27 3.38 131 3.44-48 213 3,48 213 3,50 213 3,55-57 86, 88, 136 3,55-59 213. 215 3.58 84, 213, 241 3,60-61 213 3,60-73 218 3.60-107 27 3,62-63 100, 214 3,63 100 3.64-83 214 3.65 131 3.66 130 3,74 130 3,74-77 214, 218 3.76 130 3.76-77 218 3.77 196 3.78 130 3.78-83 218 3,80-81 196 3,83 130 3,84-85 77 3.84-89 91. 214, 218 3,85 185 3,90 91 3,90-91 214 3.92-93 218 3.92-99 214, 220 3,93 218

279

3,94 218 3.96 86, 218 3.98 218 3.100-101 219, 259 3,100-103 214, 218 3,103 150 3,104-107 2 1 4 . 2 1 8 3.107 130 3.108 215 3.108-111 215 3.109-110 219 3,111 123, 124, 133, 179, 199 4 30, 31, 38, 179, 180. 203-205, 221, 225-226, 227, 239-240, 241 4,1 74, 186 4.1 ff. 194 4,1-2 182 4,1-3 1 7 9 , 2 2 5 , 2 3 3 4.2 100, 182, 186 4.3 88 4.4-7 226 4.7 171 4,8-10 226 4,11-45 226 4.18-25 225 4,21 86 4,26-27 78 4,38 100 4.40-45 225 4,43 133 4,46-47 226 4,48-52 226 4,53-59 226 4,58-59 30, 128 4,60-63 226 4,60-64 225 5 37, 38, 63, 65, 67, 198, 203-206, 209, 210-212, 221, 223, 228, 239240, 241 5,1-12 210 5.3 171 5.5-6 194 5.8 130 5,10 84, 130, 210, 241 5,12 210, 241 5,13-15 78, 149, 210 5.15 130 5.16 131

280

Index: Textstellen antiker Autoren

(Fortsetzung: Vergil. Eklogen) 5.16-18 211 5.18 130 5.19 211 5,20-44 220 5.27-28 149 5.37 147 5.38 131 5,40 194 5.43-44 33 5.45 32 5.45-47 211 5.45-49 211 5.51-52 2 1 1 . 2 5 5 5,56-80 2 1 1 , 2 2 0 5,70 168, 194 5.77 124 5,81-84 211, 212 5.85 182. 183, 212 5.85-87 2 1 1 , 2 1 2 5.86-87 109, 206, 212, 227 5.88 212 5,88-90 211 6 38, 69. 179. 180. 194, 198. 203205 . 221, 226-232, 234, 239-240, 241, 242 6,1-2 182 6,1-12 1 7 9 , 2 0 1 , 2 2 7 , 2 3 3 6,2

88

6.3-4 74 6.4-5 241 6,5 182. 201 6,6-8 74 6.7 91

6.8 182 6,9-10 253 6,9-12 77. 100 6.10 91. 100. 261 6.12 91 6.13 185, 227 6,13-14 227 6.13-26 228 6,19-24 120-121 6.20 227 6.22 121 6,23-32 178 6.25 76

6.26 241 6,27-30 76, 87. 228. 233 6,31-42 229 6.34 150 6,41-42 231 6,43-44 229 6,45-46 231 6.45-60 229. 232 6,48-51 229 6.61 229 6,62-63 1 9 1 . 2 2 9 , 2 3 1 . 2 5 5 6.64 21, 250 6,64-65 96. 97 6,64-73 91, 118, 146. 230 6.65 21. 99 6.67-70 117 6,69 99 6.69-71 87 6.72 11 6,72-73 112 6.74-77 229-230 6.75-77 22 6.76 171 6,78-81 230 6.82-83 100 6.82-86 228 6.83 100 7 38, 67, 203-206. 211. 212. 215221. 222, 223, 224, 228, 239-240 7,1-5 216 7.1-20 177.215 7.2 219 7.3 86 7.4 30-31 7.4-5 128 7,6 150 7,6-7 216, 219 7.8-9 216 7.9-13 136. 216 7.10 194 7.11 133 7.12 150 7.13 128 7.14 130 7.14-17 216 7.17 219 7.18 216 7,18-19 241

Inden: Textstellen antiker Autoren (Fortsetzung: Vergil, EkJogen) 7,18-20 216 7,19 78, 216 7,21 93 7,21-22 92 7.21-24 216 7.21-48 218 7,24 100 7.25 189 7,25-28 216 7,26 30 7,29-36 219-220 7,29-44 217 7,30 218 7,37 244 7,37-40 220 7,41-44 220 7,45-46 220 7,45-48 88, 217 7.46 194 7,49-66 217, 218 7.51 218 7,53-55 197 7,55 244 7,57 171 7,57-58 220 7,58 194 7,59 130, 244 7,61 131 7,61-64 245 7,62 100 7,63 130, 244 7,64 100 7,65 100 7,65-66 217 7,65-68 245 7.66 171 7,67 244 7,67-68 217-218 7,68 100 7,69-70 177, 215, 218 8 38. 51, 52, 69, 180, 203-205, 221, 233-239, 240, 241, 242, 245 8,1-5 87 8,1-13 233 8.6 ff. 194 8,6-8 74

8.9-10 78 8,13 100 8.14 194 8,14-16 234 8,15 150 8,16 241 8.17-20 235 8,17-63 52 8,18 93, 94 8,19-20 22 8.21 etc. (Refrain) 84, 235 8,22 100 8,22-24 236 8,26-28 236 8,29-30 236 8,32-35 236 8,33 86, 176, 236 8,33-34 107 8,35 160 8,37-41 236 8,41 237 8,43-45 172, 237 8,47-50 237 8,52-56 237 8,53 191 8,54 100, 191 8,58 88, 165 8,58-60 51, 176, 237 8,60 235 8,61 235 8,62-63 233 8,63 185 8,64-67 238 8,64-109 248 8,67 238 8,68 etc. (Refrain) 238 8,68-71 76 8,69-71 238 8,71 133 8,73-75 238 8,76-77 238 8,80-81 238 8,82 100 8,83 100 8,85-89 238 8,86 171 8,91 237 8,108 237

282

Index: Textstellen antiker Autoren

(Fortsetzung: Vergil, Eklogen) 8,109 238 9 38, 65, 67, 69, 132, 203-206, 210, 239-240, 248 9,2-6 208 9,10 76 9,11-12 208 9,11-13 76, 92, 114 9,14-16 208 9,19-20 194, 208, 255 9,23 86 9,23 ff. 208 9,23-25 16, 208 9,27-29 208 9,30-32 81 9.31 123 9.32 210 9,32-34 208 9.33 185 9,37 78 9.39-43 136, 208 9.40-42 88 9.41-42 194 9,42 131 9.46-50 208 9.47-48 196 9,50 197 9,51-55 209 9,53 78 9.66 208 9.67 76, 109, 209 10 passim 10.1 9, 73-75, 81, 89, 147, 166, 178, 179, 187 10.1-8 88-90, 177, 251 10.2 59, 89, 90, 103, 169, 179, 186, 187, 201, 249, 251, 253 10.2-3 75-80, 89 10.3 87, 186, 187 10.4 87, 89 10,4-5 45, 80-83 10,4-6a 89 10.5 87, 89 10.6 84, 87, 89, 91, 93, 112, 149, 187, 188, 241 10.7 84-86, 87, 88, 89, 107, 180, 190, 192, 198

207-

167,

185,

138, 144,

10.8 86-88, 90, 100, 103, 107, 119, 123, 149, 164, 178, 192, 254 10.9 96, 98, 152 10,9-10 46, 90-94, 97, 98, 179, 185 10.9 ff. 128, 241 10,9-12 98-99, 101, 102, 132 10,9-15 1 0 3 , 1 0 4 , 1 1 0 , 1 1 5 , 2 5 4 10,9-21 132 10,9-30 55, 132, 165, 177, 242 10,9-43 161 10.10 112, 138, 188 10.11 103, 165 10,11-12 95-99 10.12 165 10.13 165 10.13-15 100-104, 107, 132 10.14 17, 126. 129, 145. 152, 154 10.14-15 144 10.15 77, 125, 151 10.16 17, 119 10.16-18 104-107, 108 10.17 19, 23. 32, 125, 177-178, 179, 182, 188, 242 10.17-18 172-173 10.18 19, 103, 132, 159 10,19-20 17, 108-111, 112, 113 10.20 109, 132 10.21 103,111-113,115.122.159 10.22 103, 138, 139 10,22-23 46, 56, 113-115, 122. 124, 139, 140, 142, 174 10.23 103, 115, 140, 142. 167 10.24 166 10.24 ff. 17 10,24-25 115-118 10.25 103, 120, 166 10.26 30, 109, 125, 128 10,26-27 118-121 10.28 138 10.28-30 47, 122-124, 158, 160, 173. 175, 179, 195, 256 10.29 159, 165, 175, 188-189 10.29-30 47, 164 10.30 160, 165, 199 10.31 30, 47, 103, 128, 145. 177, 178, 242 10,31 ff. 56 10,31-33a 124-126, 178

Index: Textstellen antiker Autoren (Fortsetzung: Vergil, Eklogen) 10,31-34 18, 19, 39, 47, 148. 231, 242 10,31-43 170, 176 10.31-49 40, 177 10.32 178, 243 10.32-34 243 10.33 30, 103, 128, 133, 135 10,33b-34 40, 47, 126-127 10.34 103, 144, 149, 243 10.35 145, 243 10,35-36 18, 19, 127-129, 131, 132, 172, 243 10.35 ff. 17, 33, 40 10,35-41 20 10.35-43 48, 147, 176, 181, 244 10.36 24, 130, 131, 151, 165 10.36-40 137 10.37 134, 165 10.37-41 18, 19, 53, 129-133 10,37-38 244 10.38 157 10.39 130, 137 10.40 134. 143 10.41 134, 243 10.42 19, 20, 21, 103, 137, 143, 165, 173 10,42-43 17, 18, 19, 88, 133-13«, 139. 150, 154, 245 10.43 23, 36, 40, 137, 140, 141, 143, 145, 152, 157, 165, 171 10.44 21, 23, 40, 41, 48, 143, 145, 157, 174, 189 10,44-45 17, 18, 19, 22, 23, 24, 42, 48, 137-141, 143, 144, 153, 157, 168, 170, 174, 176, 244, 245 10,44-48 161 10,44-49 40, 48, 145, 147, 150, 157, 167 10.45 23, 145, 152, 154-155 10.46 10, 16, 17, 103 10,46-48 148 10,46-49 17, 18, 19, 42, 48,141-144, 147, 169, 170, 176 10.46-60 10 10.47 152, 167, 246 10.47-49 249

283

10.48 23, 152. 167, 246 10.49 21, 41, 103, 150. 157, 162, 166, 174, 199, 246 10.50 21, 103, 157, 162, 164 10,50-51 18, 19, 20, 21, 24, 46, 57, 59, 145-148, 150, 153, 156, 161, 162, 176, 246, 249 10.50 ff. 33, 41, 153, 163, 164, 169, 173, 246 10,50-52 163 10,50-54 49, 149, 176 10,50-60a 176 10,50-60 153, 161 10,50-61 149 10,50-63 244 10.50-69 42-43, 177 10.51 149, 163 10.51-66 103 10.52 20, 163, 171, 246 10.52-53 49, 151, 153, 161 10,52-54 17, 18, 19, 21, 148-150, 155 10,52-56a 176 10.52-60 57 10.53 152, 159 10.53-54 153, 161, 189, 246 10.54 23, 41, 49, 151, 171, 246, 253 10.55 156, 157, 163 10,55-57 150-153 10,55-59 162 10,55-60 17, 18, 19, 21. 58, 176 10.55-61 155 10.56 157 10.56-57 167 10,56b-60a 176 10.57 156, 163 10.58 20 10,58-59 41, 161 10.58-61 154-162 10.59 163 10.59-60 20, 161, 246 10.60 21, 164, 246, 247 10.60-61 173, 246 10.60 ff. 58, 174 10,60-69 175 10,60b-63 176 10,60b-69 17, 18, 19, 49 10.61 164, 166, 167, 174, 175

284

Index: Textstellen antiker Autoren

(Fortsetzung: Vergil, Eklogen) 10.62 167, 189 10,62-63 36, 162-165, 167. 246 10.63 167 10.64 247 10,64-69 19, 166-177, 247 10.66 199 10.67 103 10.69 58, 138, 179, 188, 189, 247 10.70 177-180, 184, 185, 192 10,70-71 247 10,70-77 177, 252 10.71 180-184, 185. 192. 201, 225, 254 10.72 254 10.72-74 184-192 10.73 103, 252 10.73-74 253 10.74 255 10.74-75 43 10.75-76 192-198. 255 10,75-77 257 10.77 103. 166, 198-200. 256 Georgica 36, 51. 63. 257-258 1,5 74 1,20 117 1,25 258 1,37 93 1.46-50 130 1.118-121 196 1,145-146 258 1.148 109 1,155-158 196 1,266 181 1,297 168 1,406-409 22 1.503 258 2,17-19 190 2,72 110, 183 2,110-111 131 2,170 258 2,175 93 2,372-374 93 2,407 85 2,410-412 1% 2,434-435 131

2,458 ff. 63 2.475-482 261-262 2,475-540 63 2,476 263 2,493-494 118 3 13 3.16 258 3.47 258 3.48 258 3,154 168 3,209-214 258 3,209-294 258-261, 263, 264 3.215-218 258 3,219 258 3,220-223 258 3,224-228 259 3,229-241 259 3,242-244 259 3.244 259, 261 3.245 259 3.245-257 260 3.246-247 259 3.247 259 3.248 259 3,250 259 3,252-254 260 3,255 259 3,258-263 259 3.259 261 3.264 259 3.265 259 3,266-283 259 3.270 260 3,280 260 3,282-283 260 3,284-285 260 3,285 261 3,289-293 261 3.291 261 3.292 261 3,331 168 4,336 ff. 93 4,339 77 4,460-463 169 4,523-527 169 4,559-566 258 4,560 258 4,566 65

Index: Textstellen antiker Autoren (Fortsetzung: Vergil) Aeneis 36 1,1 74,83 1,4 93 I,231-232 141 2,285 94 2,405-406 22 2,435-436 135 3,473 98 3,694-696 82 4.69-71 155 4,310-311 168 4,617-618 94 6,163-164 94 7,461 138 7,550-551 138 7,715 >68 7,776-777 135 8,271-272 186 8.600-601 116 9,521 117 10,53 135 II,569 135 12,94 117 12,206-211 16 12,411-412 94 12,668 173-174 12,856-859 155 12,858 156 Appendix Vergiliana Catalepton 5 11 Ciris 16 59-61 22 196-197 20 299 20 402-406 22 437 20, 174 466-467 20 538-541 22 Culex 58-97 63

285

Vitae Vergilianae Vita Probi 8-9 20 Servius ad ecl. 6,62-63 231 (auctus) ad ecl. 6,64 24 ad ecl. 6.72 146 ad ecl.7 16 ad ecl. 7,21 93 (auctus) ad ecl. 7,53 197 (auctus) ad ecl. 8,18 93 ad ecl. 9,23-25 16 ad ecl. 10,1 1 7 , 2 4 , 7 7 , 1 4 6 , 2 5 0 ad ecl. 10,6 77 ad ecl. 10,10 93 ad ecl. 10,12 97 ad ecl. 10,17 106 ad ecl. 10.20 109-110 ad ecl. 10,27 121 ad ecl. 10,44 140 ad ecl. 10,46 10, 16, 23, 147 ad ecl. 10,50 146 (auctus) ad ecl. 10,69 174 ad ecl. 10,71 182 ad ecl. 10,77 106 ad Georg. 1,20 117 lunius Philargyrius 174 p. 10, 4-12 Hagen 106 ad ecl. 10,10 94 (I) ad ecl. 10,50 146

"Probus" 174 ad ecl. 10,50 146 Expositio Donati 49 106 71 102 Scholia Bernensia prooera. 152

Index: Textstellen antiker Autoren

286

Andere Autoren

Aerius Medea fr. 405 Ribbeck 118 fr.inc.

25, 683-684 Ribbeck 160

Ailianos Varia historia 10,21 93 Anthologia Palatino 7,42 (Anonymus) 97 (cf. Erykios, Theodoridas, Zonas) Apollonias Rhodios 1,1-2 83 4,156 197 4,264-265 HO 4,1218 112 4,1381-1382 82 Apsines Τϊχνη ρητορική 1,405.5-6 Spengel 224 Apuleius Apologie 10,6 108 87,7 108 Metamorphosen 5,25,5 108 Aristainetos 1,10 156 Asklepiades epigr. 5 Page 132

Augustinus de civitate Dei 15,23 118 "Auretius Victor" Origo gentis Romanae 4,6 118 Bion Apospasma 3 Gow. 3 221 (Bion) 1 (' Επιτάφιος

' Αδώνι&ος)

(Caesar) = Hirtius de bello Gallico 8,41,6 135 Calpurnius Siculus Eclogae 31 4,133 118 Carmina Einsidlensia

31

Carmina epigraphica 479,9 Buecheler 126 Cato de agri cultura 10,1 108 33.3 196 54 109 83 116 Catull 17,5 80 64 89, 162 64,154-155 101

Index: Textstellen antiker Autoren Ennius Annales Prooemium 95 210 Skutsch 93 307 Skutsch 134

CeLsus 1.3.1 193 Cicero Brutus 69 (242) 224 de oratore 3.44 (173) 224

Erykios A.P. 6,96,2 31

Epistulae ad familiares 16.10.1 135

Euphorien fr. 43 Powell 105 fr. 80,3 Powell 77

ad Quintum fratrem 2.15,1 193 de haruspicum responso oratio 39 135 de provinciis consularibus oratio 5 135 pro Sesno oratio 139 168 in Verrem orationes 5,182 168 Tusculanae 3.45 146

Euripides Hippotytos 215-222 19, 34, 58, 157 239-241 157 Gallus Papyrus Qasr Ibrim inv. 78-3-11/1 (LI/2) 1 77 6-7 79 Gellius 13,9,5 108 16,6,11 108

disputationes Hermesianax fr. 7,22 Powell 90

de divinatione 2,64 146 1,130 193

Herodot 1,66 110

de officiis I,2 135

Hesiod Erga 654-657 146

Columella 1 pr. 26 108 7,3,13 108 7,6,9 107 II,1,18 108 Corpus Inscriptionum VI 640 119 IX 3076 119

287

Theogonie 5-8 97 fr.266 Merkelbach/West 109 Latinarum

Homer llias 1,234-239 16 2,484-487 82

288

Index: Textstellen antiker Autoren

(Fortsetzung: Homer, Ilias) 5,330-351 107 16,34-35 101 Odyssee 8,63-64 83 8,480-481 83 11,489-491 128 Homerische Hymnen In Panem 19,2 119 Horaz Episteln 1,1,39-40 160 1,18,97 135 1,18,104-106 168 Epoden 2,1 131 2,7-10 131 Oden 1,1,30-32 32 1,3,1 80 1,27,20 94 3,1,21-25 63 3,10,1-2 168 3,26,10 169 4,9,17-18 155 4,15,21-22 168 Satiren 1,4,11 82 1,8,4-5 120 Hyginus Fabulae 126,1

Kallimachos Aitia Prolog 95 f r . l Pfeiffer, 2 83 fr. 1 Pfeiffer, 29-34 182 fr.l Pfeiffer, 37-38 83 fr.2 Pfeiffer, 1-2 97 fr. 2a Pfeiffer. 16 97 fr. 2a Pfeiffer, 20-24 97 fr. 73 Pfeiffer. 2 149 Hymnus in Apollinem 19 77 47 112 106 82 108-112 82 Hymnus in Dianam 81-89 155-156 Scholia in Callimachum ad fr.2 Pfeiffer, 16-17 97 Lex XII tabularum tab. VIII, la 239 tab. VIII,3 168 Livius 24,31,1 168 40,8,3 86 Livius Andronicus Aegisthus fr.2 Ribbeck 85 Longos 1,16,1

106

Lucan 3,402-403

118

108

Ibykos fr. 23 Bergk, 286 Page 81

Lucilius fr. 1064 Krenkel (1008 Marx) 93 Lukrez

Isidor v. Sevilla Origines 8,11,81

118

1,2 82

1,12-16 260 1,19 259

Index: Textstellen antiker Autoren (Fortsetzung: Lukrez) 1,24-28 261 1,117-118 95 1,325 135 1,924-925 261 1,922-925 262 2,15-16 134 2.457-458 135 3,1047 134 4.1-3 93 4,586-588 116 4,1037-1287 260 4.1063-1067 260 5,172 134 5,832-833 135 5,965 109 5,1145-1146 134 5,1379 ff. 63 5,1431 134-135 6,29 159 6,781-785 193 6,783 197 Lykophron 480-483 109 Martial 7,29,7-8 132 10,98,8-10 108 Marianus Capelle 5,425-426 117 Meleagros epigr. 98 Page 132 Moschos 7 (Apospasma 3 Gow),l-2 81 7 (Apospasma 3 Gow),4-6 81 Nemesian Eclogae 31 Nikander Alexipharmaka 234-235 156

Theriaka 10-12 21 612-614 100 Ovid Arnores 1,15,30 77 2,11,12 19 3,7,8 169 Ars amatoria 2,187 ff. 19 2,185-196 155 2,193 155 3,195-196 168 Fasti 1,415-416 120 2,289-294 110 6,319 120 6,333 120 Heroides 12,9-10 168 Ibis 143-144 135 Metamorphosen 1,106 109 5,572-641 82 9,663-664 135 14,638-639 118 14,696-697 160 Remedia amoris 57 199-208 58 Tristia 4.1,47 168 5,3,21-24 168 Epistulae ex Ponto 2,4,23-24 168 Pausanias 5,7 81 8,54 81

290

Index: Textstellen antiker Autoren

(Fortsetzung: Pausanias) 9,29,4 93 9,29,5.1-2 97 Persius prol. 2-3 95 Phonos Lexikon s.v. Νύμ^Ό" 93 Pindar Nemeische 1,1-2

Olympische Oden 6,86-87 181 Pythische Oden 9.15-17 96 (Pindar) fr. 985, 7-8 Page 110 Piaton Politeia 392 d. 5-6 65

Plautus Asinaria 539 108 Aulutaria 674 118 766 118 Epidicus 691 98 Mostellaria 74-75 98

Plinius motor Historia naturalis 17,89 197 21,22 116 21,55 116 33,111-112 121 Plutarch Moralia 286a 110

Oden

81

Phaidros 245 a 262 278 b 93

Persa 1-5 174

Penkies 20,4 94 de Pyth. or. 402 c.d 93 Quaestiones 287 d 121

Romanae

Polybios 4,20-21 125 12,4 d 81 Properz 1-3 249-250 1.1.9 ff. 19 1,1,9-16 57, 155 1.1.11 155 1,2.7 158 1.2.26-30 79 1.3,7 48 1.3.12 48 1,3,17 48 1.3.27-30 142 1,3,34 48 1,3,41-42 79 1,7,11 79 1,8 19, 21, 42 1.8.1-2 114,249 1.8.2-4 142 1.8.7-8 142, 249 1,8.9-16 142 1.8.10 249 1,8,17-18 142

Index: Textstellen antiker Autoren

Simonides fi.577a Page 93 fr. 577b Page 93

(Fonsetzung: Properz) 1,8.39-42 249 1.15,25-28 142-143 1,18 1 9 , 2 1 1,18,13-16 142 1,18,21-22 149 1,20 143 2,1.1-4 79 2,1,57 158

Statins Thebais 4.279-280 Strabo 8,379 97

2.10.25-26 21, 97, 230 2.10.26 250 2,13,3-14 79 2,15,30 47 2,16,1-2 114 2,16,47-48 86 2,19,17 ff. 19 2,24,21-22 79 2,28,17-18 168 2,33,38 79 2,34,91-92 77, 105 3,1-3 250 3,2,15-18 79 3,3.1-6 9 5 , 9 7 3.3,17-20 79 3,6,1-2 81 3.21,3-4 49 3.24.19-20 86 4.1,135 250 4,3,1 77 4,3,67-69 81 4,11,5-6 86 Quintilian Institutio oratoria 10,1,56 146 Seneca ad Lucilium epistulae 24,18 135 ad Marciam 17,3 82 Silius ltalicus 13.332 120

consokuio

109

morales

Suda s.v. Νύμν*η 93 s.v. i\tyüvtiν 146 Telesilla fr. 1 Bergk, Diehl, Page 81 Terertz Heautontimoroumenos 222 86 Theodoridas A.P. 7,406,1

146

Theokrit Idyllen 1 41, 46, 52, 55, 194 1,14 210 1,20 62 1,27-56 27 1,52-54 184, 210 1,64 62 1,66 90, 96. 98 1,67-69 98-99 1,68 90 1,71-75 103 1,77-78 110-111 1,80 110-111 1.81 112 1.81-85 55 1.82-85 113 1,82-91 56 1,86-88 106 1.86-91 115 1,103 176 1,109 19 1,109-110 107

292 (Fortsetzung: Theokrit) 1,112-113 107 1,120-121 33 1,123-125 103 1,123-130 121 1,140-141 93 1,141 83 2 234, 237 2,1 33, 237 2,17 33 2.82-83 237 3,1-2 66 3,1-5 210 3,3-5 16. 66 3.6-7 66 3.6 ff. 66 3.7-9 85 3,46-47 132 4 64. 67 4,28 64 4,29-37 64 5,31-34 136-137 5,45-49 136-137 5.33-34 19 5,80-137 27 5,138-140 215 6,41-46 215 7 177 7,11-14 107 7,49 62 7,63 ff. 19 7,63-64 133 7,72 133 7,74 132 7,76-77 28-29 7.86-87 132 7.87-89 210 7.88-89 132 7,89 32 7,91-95 92-93 7,96-97 85 7,105 132 7.111 ff. 19 7,111-114 167, 172 7.112 173 7,114 173 7,132 ff. 19

Index: Textstellen antiker Autoren 7,132-133 132-133 7.148 95, 132 8 und 9 siehe "(Theokrit)" 10.24-25 186. 187 10,26 ff. 19 10,26-28 132 11 223 11,1-3 158 11, Μ

221

11,5-6 83 11.12-13 210 11.13-14 221 11.17-18 221 11,72 222 11,80-81 222 12,11 242 20, 25 und 30 siehe "(Theokrit)" Epigramme 2.2 62 21,4 83 22,116-117 82 (Theokrit) 8.50 85 8,51-52 107 8.55-56 101 9,31-32 83 9.19-20 132 20,33 19 25,21 112 30.25-27 174 Scholia in Theocritum Prolegomena p. 4,11-5,2 Wendel 65 ad id. 1,117 81 ad id. 7,78 93 Theophrast Historia plantarum 2.2,5 156 Tibull 1,1 19 1,1,7 19 1,1,17 120 1,1,29 ff. 19 1,3 24

293

Index: Textstellen antiker Autoren (Fortsetzung: Tibull) 1,3,55 135 1.3,57-66 31 1,4.1-3 81 1,4,47 168 1.4,49 ff. 19 1,10 19 1,10,7-8 23 1,10,11 1 9 , 2 3 1,10,13-14 42 2.1.55-56 120 2,3,5 ff. 19 2,3,11 19, 107 2,5,119-122 81 2,6,35-40 143 2,6,44 143

(Tibull) 4,3,11-14 57-58 Varro Res rusticae 1,20,1 85 2,1,16 ff. 116 2 pr.4 108 2,3,9 107 2,4,15 108 Zonas v. Sardes A.P. 9,312,6

109-110

Index: Moderne Autoren

Alberte, E. 207 Albini, U. 215 v. Albrecht. M. 207 Alfonsi, L. 11, 142, 146, 222, 257 Alpers, P. 178 Alvarez Hernändez, A. 57 Anderson, R.D. 79 Arkins, B. 82 Axelson, B. 181 Baldwin. Β. 229 Bardon, Η. 146 Barra. G. 129, 203 Bauzä, H F. 44, 254 Becker, C. 204 Berg, W. 226 Beyers, E.E. 62, 215, 217 Binder, G. 38, 198, 225 Boas, G. 110,125 Bollack, M. 226 Borgeaud, P. 119 Boucher, J.P. 138 Bowersock, G.W. 233 Boyd, B.W. 156 Boyle, A.J. 138, 248 Braun, L. 212, 219, 236 Brtguet, E. 141 Briggs, W.W. 225 Brommer, F. 119 Brown, E.L. 214 Brugioni, B. 244 Buchheit, V. 83. 86, 209 Büchner, K. 22, 138, 198, 211, 241, 255 Caballero de del Sastre, E. 144 Camilloni, M.T. 215 Campbell, J.S. 214 Carson, L. 76 Cartault, A. 109, 116, 138, 139, 140, 203, 241 Chausserie-Lapr6e, J.P. 87 Chwalek, B. 43 Clausen, W. 77, 81, 107, 108, 119, 126, 134-135, 138, 146, 174, 233 Clay, J.S. 214 Cohen, R. 62

Coleiro, E. 92 Coleman. R. 86. 96, 98. 101. 105. 110, 115, 116, 117, 126, 131. 141, 143, 146, 156, 158, 161, 167, 169, 171, 173, 174, 187, 197, 225, 233, 237 Conington, J. 92, 94, 117. 137. 141, 174. 186 Conte, G.B. 9, 10, 54-60. 71. 155 Coolidge, J.S. 257 Courtney, E. 79, 146, 229 Crowther, N.B. 80 Cunningham, Μ.P. 75-76 Cupaiuolo, F. 102, 152, 201. 203 Dahlmann, Η. 215 Dams, P. 61 D'Anna, G. 10, 11, 63, 97, 138. 147. 250 Dehon, P.-J. 11,143,172,244 Delia Corte, F. 138 Desport, M. 87 Dick, B.F. 207 Disandro, C.A. 38 Dönt, Ε. 210 Döpp, S. 156 Doig, G. 156 v. Domaszewski, A. 118 Dorcey, P.F. 116-117,118 Drijepondt, H.L.F. 137. 253-254 Duckwitz, Ν.H O. 213 Duckworth, G.E. 130, 203, 204 DuQuesnay. l.M. 207, 210 Dyer, R.R. 190, 191 de Echave-Sustaeta, J. 210 Edwards. M.J. 146 Effe, B. 198 Elder, J.P. 229 Ernout, A. 142 Estevez, A. 167. 172, 249 Fantazzi, C. 197, 215. 219 Fantham, E. 138 Faraone, C.A. 238 Farrell, J. 11,149,155,156,233 Fedeli, P. 207

109. 138. 166. 195. 138.

139.

Index: Moderne Autoren Ferguson. J. 11 Fiore, Τ. 244 Fisher, R.S. 213 Fitton Brown, A.D. 96 Flintoff, Ε. 244 Forbiger. A. 94, 139, 141, 156, 168, 169 Freyer, L. 214 Frischer, B.D. 215 Fuchs, Η. 83, 215 Gaisser, J.Η. 107 Gale, M R. 259, 260, 261-262 GaJinsky, G.K. 222 Gawantka. W. 209 Gimin, R. 102, 103, 187 Glei, R.F. 242 Goelzer, R. 30 Gonzalez Väzquez, J. 250 Gow, A.S.F. 107, 221 Graf, F. 79 Griffiths, C. 100 Grilli, A. 11 Grillo, A. 73, 94, 146, 201 Guerrini, R. 210 Guillemin, A.M. 239-240 Häußler, R. 95 Hahn, Ε.A. 203, 204 Haigh, A.E. 138 Hardie, C.G. 163 Hardie, P.R. 259, 260 Hardy, R.B. 78, 209 Hartman, M.J.J. 140 Heilmann, W. 63 Heinze, R. 80, 83, 131 Helck, H. 224 Helm. R. 15 Herbig, R. 119 Herrmann, L. 63 Heumann, C.A. 139 Heyne, C.G. 92, 95-96, 139, 140, 163, 174 Hofmann, H. 61 Hofmann, J.B. 76, 80, 181 Holtorf, H. 138, 204 Holzberg, Ν. 248 Hubaux, J. 16, 19, 77, 132, 156 Huttner, E. 187 Irmscher, J. 63 Jachmann, G. 27, 30, 31, 129, 225

295

Jackson Knight, W.F. 93 Jacoby, F. 16, 21, 22, 225 Jahn, P. 27 Jauß, H.R. 62 Jenkyns, R. 31, 128 Kapp, Ε. 125 Kelley, S T. 16 Kennedy, D.F. 128, 194-195, 197 Kettemann. R. 181, 195, 257 Kidd, D.A. 90 Kiessling, A. 80, 131 Klingner, F. 9, 37^14, 86, 106, 108, 207, 209, 210, 215, 222, 230, 234, 245, 248 Klotz, A. 116,203 Koehnken, A. 233 Koster, S. 63 Kranz, W. 83 Kraus, W. 225 Krause. Ε. 203 Kroll, W. 80. 97 Kytzler, Β. 130 Ladewig, Τ. 191 Lämmert, Ε. 62 La Penna, Α. 213, 229, 250 de la Rue, C. 140 Latte, Κ. 116 Latdmore, R. 126 Lausberg, Η. 187 Leach, E.W. 133, 224-225, 244 Lee, G. 210 Leo, F. 9. 15, 18, 22-2«, 38. 47, 139, 207 Leumann, M. 76, 80, 181 v. Leutsch, E. 92 Levi. P. 123 Lieberg, G. 231 Löfstedt, E. 75, 181 Lovejoy, A.O. 110,125 Luiseiii, B. 147 Lyne, R.O.A.M. 64, 248 Maas, P. 75-76 Maass, E. 21, 97 Maggiulli, G. 197 Mankin, D. 233 Martin, P.M. 45 Maury, P. 203-204 Meillier, C. 204

296

Index: Moderne Autoren

Menge, Η. 73 Merkelbach, R. 109 Mesk, J. 217 Michel, A. 11,251 Miles, G.B. 260 Monteleone, C. 10, 105, 143, 213 Muecke, F. 63 Mugellesi, R. 143 Mynors, R.A.B. 92, 189, 225, 261 Nettleship, H. 92, 94, 117, 137, 138, 141, 174, 186 Neumeister, C. 209 Neumeister, K. 250 Nisbet, R.G.M. 79, 102, 103, 181, 194, 199-200 Nochi, A. 207 Norden, E. 75 Noväkovä, J. 193 Offermann, H. 187 Ogilvie, R.M. 94 Olck, F. 110 Oppermann, H. 207 Orth, F. 156 Otis, B. 44, 203-204, 234-235 Paduano Faedo, L. 83 Palmer, R.E.A. 118 Panofsky, E. 31, 125 Papillon, T.L. 138 Paratore, E. 1 1 , 1 2 , 6 3 Parsons, P.J. 79 Paschalis, M. 229 Pasoli, E. 249-250 Patzer, H. 89, 162 Pavlovskis, Z. 101-102 Perret, J. 92, 108, 138, 140, 204 Peter, R. 115,117 Petersmann, G. 80, 213 Pfeiffer, E. 224, 242 Pietzcker, C. 64, 102 Pöschl, V. 63, 181, 182, 207, 215 Poggioli, R. 3 1 , 2 0 1 , 2 4 4 Pohlenz, M. 25. 47, 140 Posch, S. 90, 132-133 Powell, B.P. 213 Prescott, H.W. 20 Protomärtir Vaquero, S.M. 141 Putnam, M.C.J. 9, 44-54, 58, 133, 138, 194, 207, 245, 257

Querbach, C.W. 197, 215 Quinn, K. 248 Rand, E.K. 53, 140, 157 Reifferscheid, A. 117 Richardson, L. jr. 203 Richter. A. 233 Richter, W. 93, 118 Roberts, J.T. 207 Robertson, F. 222 Rose, H.J. 16, 25, 253 Rosen, R.M. 1 1 , 1 4 9 , 1 5 5 , 1 5 6 Rosenmeyer, T.G. 100-101, 106, 119, 125, 247 Ross, D.O. jr. 10, 127, 146, 149, 151, 155, 156, 173 Rudd, N. 205 Rutherford, R.B. 229 Rutledge, H.C. 38-39, 234 de Saint-Denis, Ε. 205 de Saussure, F. 87 Savage, J.J.H. 213 Schaper, C. 191 Schmalz, J.H. 80 Schmidt, E.A. 9, 12, 13, 27, 30, 31, 35. 52, 53 , 60-71, 88 , 94, 102-103. 106. 128, 185, 201-202, 210, 212, 226, 228, 229, 230, 244, 245, 252, 255 Seeck, G.A. 63 Segal, C.P. 189, 207, 209, 213. 229. 230, 234, 243-244, 252 Serbat, G. 126 Skutsch, F. 9, 10, 15-22, 23, 24, 25, 38, 97, 106, 147, 174, 229 Skutsch, O. 93, 203-204, 229 Smith. P.L. 195. 207, 257 Snell, B. 9, 26-36, 37, 51, 64, 125, 129, 245 Solodow, J.B. 248 Stabryia, S. 233 Starobinski, J. 87 Starr, R.J. 215 St6gen, G. 87, 138, 163, 208, 210 Steidle, W. 138. 140 Steinmetz, P. 65, 203 Stewart, Z. 229 Stolz, F. 80 Stroh, W. 11, 58, 79-80, 147, 151. 155, 248

Index: Moderne Autoren Suerbaum, W. 83, 95 Szantyr, A. 76, 181 Tandoi, V. 233 Tarrant, R. 233 Tescari, O. 259 Thomas, R.F. 229, 261 Tränkle, H. 158 Traina, A. 222 Tynjanov, J. 62 Uruschadse, A. 225 Vaccaro, A.J. 8 7 , 2 1 1 Van Sickle, J. 146, 204, 215, 229 Vazquez, Β. 117 Veremans, J. 213 Veyne, P. 207 Vietor, K. 62 Viljamaa, T. 140 Voß, G.J. 18 Wackernagel, J. 76 Wagner. G.P.E. 92, 139, 174

297

Waite, S.V.F. 215 Walbank, F. 125 Waszink, J.H. 95 Wendel, H. 245 Wernicke, K. 119 West, M.L. 109 Wigodsky, M. 85 Wilamowitz-Moellendorff, U. v. 235 Wili, W. 29 Williams, G. 195, 254-255 Williams, R.D. 62 Wimmel, W. 97, 230 Wissowa, G. 116 Witte, K. 75, 177 Wöjcik, A. 235 Wormell, D.E.W. 198 Worstbrock, F.J. 89-90 Wülfing-v. Martitz, P. 215 Wunderlich, E.C.F. 139, 140 Yardley, J.C. 16

Index: Namen und Sachen (Antike Autoren- und Kommentatorennamen sind hier nur dann angegeben, wenn ihre Erwähnung im Text über ein bloßes Zitat hinausgeht; Namen modemer Autoren siehe S. 294-297.)

Absage an carmina - in eel. 1 und 9 76 - durch Gallus 36, 49, 162-165, 167, 189, 246-247 Adjektive s. bukolische Adjektive Adynaton 236 Adonis 19. 172, 173 Aganippe 46, 95-99 Aggression u. Gewalttätigkeit 140-141, 150, 152, 154-155 aitiologische Dichtung des Gallus 146 (s. auch Gryneischer Hain) Akontios 149. 155-156 Allegorie s. Auffassung... Alltagssphäre, bukol. A. und Hirtengesang 205-206. 210, 213-221 (s. auch Lebenspraxis) alnus s. Erle "aloofness" als Charakteristikum bukol. Figuren 49, 51-52 (s. auch Distanz) Alpheios 45. 81-82 Alphesiboeus in ecl.8 52, 76, 233, 234, 237-239 alter ego. Gallus als a. e. des bukol. Dichters 243, 248, 249, 252 amor / Amor 130 - in allegorischer Deutung 63 - bukolische Figuren und a. in ecl. 10 111-112

- des Corydon in ecl.2 183-184,221225 - in ecl.4 225 - in ecl.6 229-232 - i n ecl.8 234-238 - in der Elegie 249-250 - Erkenntnis des Gallus über A. 50, 58, 158-161. 166-177, 180, 247, 251 - als Gegenstand bukol. Dichtung

(E.A. Schmidt) 70 - Pan und A. (crudelis A.) 47. 122124, 130, 158-160, 188-189, 199, 252 - in den geradzahligen Eklogen 2,4.6.8 239-241 - des bukolischen Dichters 68 - zu Gallus 188-192, 252-253 - als poetischer a. 196, 252-257, 262264 - a. Musarum 261 -262 - des Gallus in ecl. 10 - als elegischer a. 40-43, 49-54 - Zusammenfassung 241-250 - im Rahmen einer Auffassung der Bukolik als Idyllendichtung 27,30. 31. 35, 49-54 (s. auch aniures, "bukolische Liebe". Auffassung... , Elegie, "Jungfräulichkeit", insanusAmor. Lebensbedrohung. servitium amoris, subjektive Liebesdichtung, Tiere, "unbukolische Liebe", unglückliche Liebe, Wachstum) amores / Antares - in ecl.3 215, 219 - in ecl.8 236 - Werk des Gallus 11, 17. 21, 146, 155 - a. des Gallus in ecl. 10 41, 47. 49, 52, 84, 89, 92-94, 112. 114. 126. 138, 148-150, 161, 187. 188, 189. 241, 243, 246, 249, 253 (s. auch amor, incidere) Analyse, philolog. Richtung 15. 41-42 Anthropomorphism us 86, 87. 191 M. Antonius 24 Aonia, Aones montes 96-97. 99. 230 Aphrodite 46, 55, 105, 107, 157 Apollo / Apollon 46^*7, 56. 77. 79. 82, 95, 100, 107, 111-115, 117. 119, 122.

Index: Namen und Sachen (Fonsetzung: Apollo / Apollon) 124, 139, 142, 146, 159, 161, 175, 214, 226-230, 234, 241, 242, 249-250 (s. auch Epiphanie) Apotheose des Daphnis in ecl.5 204, 211 Arbeit, bukolische A. - des bukol. Dichters in ecl. 10 (Arbeiten und Dichten) 181-182, 189 - des Corydon in ecl.2 183-184 - in Gallus' Phantasie 127-129 Arcades s. Arkader Arethusa 45, 53-54, 73, 74, 76-78. 8084, 88, 89, 96, 147, 164, 166, 179, 184, 193 (s. auch Inspirationsinstanz, Muse, Quellnymphe) Arkader 109-110, 124-129, 131 - Arcades in ecl.7 216 - Arcades in ecl.10 26, 30-31, 32, 47, 56, 147, 148, 173, 177, 231, 242, 243-245 Arkadien - Deutungen bei anderen Autoren 2636. 37-38, 42-43, 61, 63-64, 243245 - als Heimat des Pan 119, 226 - als Schauplatz des Liedes in ecl. 10 42-43, 100-104, 105 - A.-Phantasie des Gallus 124-136, 139, 143, 152, 176, 181 - Umgestaltungsversuch des Gallus 152, 154 (s. auch Lokalisierung, Auffassung... ) Artemis (Diana) 46, 58, 59, 81, 155, 156, 157 Atalante 155, 230 Äthiopien 170-173 Attributspeming 89-90, 161 - Regelhaftigkeit der A. in Gallus' Monolog 162, 163 Auffassung der vergil. Bukolik - als allegorisch 61, 63 - als epikureisch 11-12, 61, 63-64, 222, 250, 251 - als Idyllendichtung 27, 31, 51, 6364, 243-245 (s. auch amor/Amor, Landleben)

299

- als Utopie 38 (s. auch Goldenes Zeitalter) Auflösung s. locus amoenus Autonomie der Dichtung 31, 39, 254-255 avena - i n ecl. 1 85,182,207 - pastoris Siculi a. (ecl. 10,51) 20, 24, 46, 57, 59, 145-147, 149, 246, 249 Baumnamen 100, 171, 191 (s. auch Pflanzennamen) Baumrinde 149-150 Bedrohung - amor als B. 94, 248 - bukolischer Reinheit 45 - des Dichtens/des Dichters 69-70, 176, 193, 195-197, 198, 199, 248, 256 - in ecl.5 nur im Lied 211 - der Ernte 193, 195-196, 198, 199 (s. auch Lebensbedrohung) Berge 28-29, 95-97, 100-101, 110, 124126, 152 Bescheidenheit des bukol. Dichters s. bukolischer Dichter, captatio benevolentiae, Hoch-Niedrig-Thematik Betroffenenperspektive in dichterischer Darstellung (Gefiihlsunmittelbarkeit) 234-236, 238, 239-240, 243 Beurteilerfunktion der Geliebten bezüglich der Dichtung 79-80 biographieorientierte Deutungen von ecl.10 22-26, 39, 47, 54 Bion 66 Blumen 116-117, 131 Bruchlosigkeit der Übergänge s. Glättepostulat Bukolik - antike Auffassung von B. 62-63 - Definition der Gattung B. 61-67 - formal ungebunden? 224 - in Gattungsauseinandersetzung 5460, 71 - überschreitet Gattungsgrenzen 70-71 - im Modell von E.A. Schmidt 67-70 (s. auch Auffassung... , silvae, Stnikturhierarchien, Vehikel) bukolische Adjektive 150

300

Index: Namen und Sachen

bukolische Dihärese 90, 96, 98, 110, 112, 133, 199 - "bukolisch - ? 102-103, 126 "bukolische Liebe", schmerzfrei? 49-52 bukolische Phantasie des Gallus 48, SO, 127-136, 137, 138, 169, 243-245 bukolischer Dichter - Bescheidenheit des b. D.s 26, 74, 75, 77, 179, 182, 185, 186 - in ecl.6 226-228 - Selbsterhöhung des b. D.s in ecl.10 185, 191 (s. auch poeta) - Sitzen als Position des b. D.s 180181 - wird zum Dichter überhaupt 70-71, 192 - Wachstum des b. D.s 54 - Wagnis des b. D.s 106, 187, 252 - Wandel des b. D.s in ecl.10 50-51 (siehe auch amor, Arbeit, captatin benevolentiae, Dignität, Lebenspraxis) bukolische Sphäre - Auflösung der b. S. 197-198 - als Idyll (s. auch locus amoerms) 27, 51, 211, 213 - in Gallus' Phantasie 129-136, 154 - Unvereinbarkeit der b.n S. mit Gallus 172-173 (s. auch Arbeit, Dignität, Empathie, Erstarrung, "Jungfräulichkeit", locus amoenus. Rahmung, Realität, "Schimmer", sympathetische Wahrnehmung. Unklarheit) bukolische Sprachelemente 183 (s. bukol. Adjektive, bukol. Substantive) bukolischer Stil, allg. Charakteristika 199200 bukolische Substantive 131-133 bukolisches Versschema 102-103, 123, 127, 129-130, 133-134, 136, 137, 144, 151-152, 164-165, 166, 193-194 Calpurnius Siculus 31 capellae s. Ziegen captatio benevolentiae 74, 76, 105, 183, 185 (s. auch Bescheidenheit des bukolischen Dichters, bukol. Dichter, Hoch-

Niedrig-Thematik) carmen/carmina - Bezeichnung der bukol. Dichterinstanz für ihr Lied 75-76. 187 - Zentralbegriff von Vergils Bukolik 75-76 -- deductum carmen 182, 201, 227, 230, 231, 241 - in ecl.l 207 - in ecl.2 (Corydons carmina) 223 - in ecl.3 213-214 - in ecl.4 226 - in ecl.5 210-212 - in ecl.6 227, 230, 231 (vgl. oben; deductum carmen) - in ecl.7 216 - in ecl.8 233, 238-239 - in ecl.9 207-210 - frühere carmina des Gallus 46, 49. 57, 59, 145-148, 246, 258 (s. auch Absage, Chalcidicus versus, Entschlufi, Zauberspruch) Carmina Einsidlensia 31 carmina popularia 103 Catull 1 1 , 3 2 , 4 7 , 2 4 8 Chalcidicus versus 20, 21, 24, 42, 46, 49, 57, 59, 145-147, 162, 246, 258 (s. auch carmina, Entschluß) Ciris 15, 16, 20, 22, 174 Code, literarische C.s 55 Corydon 29 - in ecl.2 49, 52-53, 76, 164, 174. 183-184, 205, 221-225, 234, 235. 237, 241-243, 253, 254 - im Zitat in ecl.5 212 - in ecl.7 93, 128, 194, 215-220, 245 crudelis Amor s. amor/Amor Cydonius/Cydonia 154-156, 161-162. 163, 246 Cynthia 39, 79, 114, 142, 149, 249-250 Damon, Sänger in ecl.8 52, 176. 205, 233-237, 241 Daphnis 28 - inTheokrits 1. Idyll 41, 46, 55-56. 90-91, 94, 103, 106, 107. 111-115, 121, 176, 247 - in Theokrits 7. Idyll 29

Index: Namen und Sachen (Fortsetzung: Daphnis) - inecl.5 33, 37. 194. 204-205, 210211

- in ecl.7 136,216 -inecl.8 237-238 Datierung von ecl.10 21-22, 23 Dauerstrom, künstler. Inspiration als D. 76 deductum carmen s. carmen Delia - bei Tibull 2 1 , 2 4 , 3 9 -Name in ecl.7 217,220 Deminutivform 181 detexere s. Flechten dialogische Eklogen s. ungeradzahlige Eklogen Diana s. Artemis Dichtergemeinschaft (Gallus und bukolischer Dichter) 86 Dichterweihe des Gallus in ecl.6 87, 99, 117-118, 146, 229, 230, 250 (s. auch Muse) "Dichtung (I)" 67-70, 202, 204 "Dichtung (II)" 67-70, 202, 204 "Dichtung der Dichtung" 9, 61, 67-70, 202 Dichtungsabsichten des Gallus s. Handlungsabsichten Dichtungsprogramm s. Programmgedicht Differenz s. Gemeinsamkeit und Differenz Dignität des bukol. Dichters, der bukol. Dichtung, der bukol. Sphäre 105,113, 116, 120, 147, 182, 185, 186, 197 (s. auch Hoch-Niedrig-Thematik) Distanz - des Dichters - zum Dargestellten 45, 47, 50-54, 60, 188, 239-240, 241, 247, 249, 251, 252, 254, 262-263 - fehlt bei Gallus 248 - zur Geliebten 79-80 - zum eigenen Werk 76-77 - zwischen Göttern und Menschen 159-160 (s. auch "aloofness") divine poeta - Anrede an Gallus 19, 23, 32, 104-

301

105, 114, 125, 172, 176, 177-178, 182, 186, 188, 242. 248 - Anrede an Mopsus in ecl.5 32. 211 Distichon s. Elegie domestizierte Natur 149 (s. auch wilde Natur) Dominus Marsus 132 domus als Rückzugsort 198-200. 256-257 "dramatische" Eklogen s. ungeradzahlige Eklogen Echo 64, 87-88, 101, 103, 119, 125, 165, 187. 258 egozentrischer Charakter von Gallus' Phantasie 131 Eichel 109-110 Eigenname - fremdländische E.n 169-170, 173 - im Prolog von ecl. 10 80 - Verwendung der E.n in Vergils Bukolik allgemein 27 (s. auch griechische Namen, griechische Ortsbezeichnungen) Ein-Satz-Verse in ecl. 10 166 Einzelgedichte des Gallus (Rekonstruktionsversuche) 10-11,16-22.42 Eis 142, 169 Elegie - heilenist. E. 89 - Dichtung und Lebenspraxis in der E. 249-250 - eleg. Distichon, "Echo" des e.n D.s in Gallus' Monolog 161-162 - in Gattungsauseinandersetzung; Stellenwert der Gattung E. 21-22, 5460, 71, 97, 230-231 - Ablehnung der E. durch Vergil? 251 (s. auch amor, Gedankenentwicklung) emotionales Defizit bukol. Figuren? 53-54 Emotionalität - Interjektionen/Parenthesen zum Ausdruck von E. 144 - dichterisch dargestellt 69 Empathie - E. des Dichters gegenüber seiner Figur 230-232, 240 - E. als Eigenschaft der bukol. Sphäre 100-101. 109, 111, 113. 115, 126. 187

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Index: Namen und Sachen

(Fortsetzung: Empathie) - fehlende E. des Apollo 113 - E. auf seilen des Gottes Amor? 123, 160 - E. des Pan 122, 175 (s. auch sympathetische Wahrnehmung) "Empfindsamkeit" 27-28, 32-36 (s. auch Gefühlsbetonung) Enjambement in Gallus' Monolog 125. 144, 148. 153. 154. 155, 156, 161. 165 Ennius 95. 146 Enthaltsamkeit s. "Jungfräulichkeit" Entscheidungsfreiheit als neues Element in Gallus' Monolog 164 EntschluB des Gallus, anders zu dichten 20, 145-148, 151, 163 (s. auch carmina, Chalcidicus versus) Epikureismus s. Auffassung... Epilog - von ecl.2 183-184 - von ecl.10 36, 45 , 50, 54, 59-60, 177-200, 247, 249, 252-253 - im Verhältnis zum ganzen Eklogenbuch 180 - im Verhältnis zu Gallus' Monolog 188-192, 260 - im Verhältnis zum Lied des bukol. Dichters 184-185 - im Verhältnis zum Prolog 43, 177188, 190, 192, 197, 198 (s. auch Pan) Epiphanie - Auftritt des Apollo keine Ε. 112 - E . d e s P a n 119-121 Erfinden s. "Träumen" vs. "Erfinden" Erle 189-191, 193, 196, 229. 231, 237, 247, 253. 255 Ernte s. Bedrohung Erstarrung der bukol. Sphäre in Gallus' Phantasie 130-133 erste Person - in der Elegie 25 - des Plurals - - i m Epilog von ecl. 10 192 - im Lied des bukol. Dichters 104105, 119

-- im Prolog von ecl.4 225 - im Prolog von ecl.6 227 - ausnahmsweise im Wettstreit von ecl.7 218 - im Prolog von ecl.8 233 - im Prolog von ecl.10 84, 86 -- am Ende von Gallus' Monolog 158160, 164, 166, 173, 174, 175, 247. 251 - des Singulars - im Epilog des bukol. Dichters 188 - im Monolog des Gallus 145. 150. 158 - in den Prooemien von Georgica und Aeneis 74. 77 (s. auch Ich-Zentrum) Erzählung/Erzähler 66, 205 - i n ecl.2 221-222 - in ecl.6 231 - in ecl.7 216, 218. 219 Euphorion 11, 77, 105, 146, 229 Euripides 34, 58. 157 explizite Poetik des Eklogenbuchs 201 extremus labor 9, 44, 45, 73-75, 166167. 178-179, 186-187, 240, 252 Faunus 118-119 feindliche Natur 114-115, 141-144, 150, 152 Fels s. rupes fiscella 181-182 Flechten 181-184, 224-225, 254, 255 Fluchtphantasie des Gallus 58 Fluß/Flüsse 97, 105, 168, 172, 173 Freundschaft - zwischen bukolischem Dichter und Gallus 78. 80, 106, 186, 243, 252 - bei Catull 32 Frühling 86, 189, 190-191, 193, 196, 253, 255 Gallus passim (s. auch alter ego, Amores, Arkadien, bukol. Sphäre, carmen/carmina. divine poeta, egozentrischer Charakter von Gallus' Phantasie, Elegie, Enjambement, Fluchtphantasie, Freundschaft. Grundsituation, Handlungsabsichten. insania, insanus amor, Inteijektionen, Jagdphantasie, labores, Lebenspraxis,

Index: Namen und Sachen Liegen, Passivität, Peinlichkeit, Phantasie. Plural, Scheitern, Schweigen, Soldat, Sprechen, Sterben, Synthese) Gattung - Konfrontation der G.en in ecl. 10 5460 - Gleichrangigkeit der G.en in ecl. 10? 60, 71 (s. auch Bukolik, Elegie, Hoch-Niedrig-Thematik) Gedankenentwicklung in Gallus' Monolog (typisch elegisch?) 34,42, 151-152 (s. auch Elegie) "Gefühl* in Gallus' Monolog 40-43 Gefiihlsbetonung als Konstitutivum des Eklogenbuchs? 26-36, 37, 252 (s. auch "Empfindsamkeit") Gefühlsunmittelbarkeit s. Betroffenenperspektive Gegenseitigkeitsverhältnis Dichter-Muse 80-83 Gelingen bzw. Nichtgeiingen von Dichtung 70, 248 (s. auch Rahmung, Scheitern) Gemeinsamkeit und Differenz - von insanus amor und Dichter-amor 241-257, 262-264 - von Rahmen und Gerahmtem; von Dichtung und Praxis 13, 220, 254255 Georgica 13, 36, 37-38, 63-64, 257-264 - Natursphäre der G. 258 (s. auch Lebenspraxis) geradzahlige Eklogen 65, 69, 72, 180, 221-241, 248 - Unterscheidung g./ungeradzahlige Eklogen 65, 203-205 (s. auch Rahmung) Gesangswettkämpfe (ecl.3 und 7) 213-221 Gewalttätigkeit s. Aggression Glättepostulat 15, 18 Goldenes Zeitalter 27, 30, 61, 63-64, 225 Grabspruch 126 Grausiges 230-231 Greisenalter 134-135 "griechische Kunstwelt" 28-30, 37 griechische Namen 28-30, 78, 115 (s. auch Eigenname)

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griechische Ortsbezeichnungen 28-30. 155-156. 163 (s. auch Eigenname) Groß-Klein-Thematik s. Hoch-NiedrigThematik, maxima Grundsituation des Gallus in ecl. 10 - von Apollo vorgestellt 113-115 - von Gallus verleugnet 142 - bleibt unaufgelöst 174-175 Gryneischer Hain, Gallus' Gedicht über den G.en H. 11,112,146 (s. auch aitiologische Dichtung) Hamadryades 36. 162-165, 246 Handeln - Zusammenfallen von H. und Dichten - bei Gallus 181, 211, 243, 246, 247 - beim bukol. Dichter 254-255 (s. auch Handlungsabsichten, labores, Lebenspraxis) Handlungsabsichten des Gallus (vs. Dichtungsabsichten) 148-161, 167, 175, 246 Harmonie als Grundprinzip vergilischer Bukolik 39, 43, 45 Haus s. domus "Heil" 37 Heilmittel 58-59, 154-159, 162, 164, 221, 246-247 Helikon 95, 97, 230 Hermes 111 Hero 259 Hesiod 21, 33, 93, 97, 118, 146-147, 229 Hesperus 166, 198-199, 236, 256 Hexameter 64, 66 - Abfolge fünf identischer H. 130 (s. auch bukolische Dihärese, Penthemimeres) Hippukrene 97 Hierarchie der auftretenden Götter 121 Hiltenhierarchie 106-107 Hitze 166, 170-173, 194 Hoch-Niedrig-Thematik in der Bukolik 100, 113, 118, 147, 161, 182-183, 186, 191, 194, 201, 225-226, 227, 233, 247 (s. auch bukol. Dichter: Bescheidenheit, Dignität, maxima, recusatio) Höchstinstanz der Dichtung s. Pierides

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Index: Namen und Sachen

homo, homines als Terminus in Gallus' Monolog 159-161 Homosexualität 130-132 Horaz 22, 32 Icb-Zentmm des Prologs von ecl. 10 74 Idyll s. bukolische Sphäre als I., Auffassung... Imperativ als in Dichtung überfuhrtes Praxiseleraent (in den ungeradzahligen Eklogen) 214, 218, 220, 235 implizite Poetik des Eklogenbuchs 9, 12, 13, 201, 237, 262-263 incidere (sc. amores) 148-150, 161, 189, 246 incipere als Einsatzsignal 84, 210, 213, 226, 228, 234, 235, 241 inconditus, incondita 221, 223-224,234 inconstantia amantis 23 indigrms amor 92-94 innerste Sphäre des Gedichts 240 insania - im Eklogenbuch allgemein 53 - des Gallus 122, 138 (s. insanus Amor) insanus Amor 17, 21-23, 40, 137-141, 145, 148, 150, 174, 189, 250, 252, 254, 262-264 - Bezug auf duri Mortis (ecl. 10,44)? 48-49, 138-139 - nicht im Gegensatz zu "idyllischem Arkadien" 243-245 (s. insania) Inspirationsinstanz - Arethusa als individuierte I. 84 - Erhöhung der I. im Epilog von ecl. 10 179, 185 - Gallus' Verhältnis zu I.en ist gestört 91-99, 114, 242 Interjektionen in Gallus' Monolog 144, 145 Irrealis, Phantasie im I. 127-129, 132, 133, 134, 137 iuniperus s. Wacholder Iuppiter 213 -1. Optimus Maximus 121 Jagd - als bukolisches Thema 195, 219-220 - als elegisches Thema 57-58

- J.phantasie des Gallus 33. 41. 49. 57-58, 150-158, 161. 162. 163. 167, 169, 171, 176-177, 246, 254 ~ stilistische Eigentümlichkeiten 161162 "Jungfräulichkeit" der b. S. (Enthaltsamkeit, Widerstand gegen amor) 45-49, 53, 55-56 Kallimachos 64, 95, 97, 182, 201. 229, 230 Kälte 141-144, 149, 150-153, 160. 166170. 173, 217 (s. auch Winter) Kampfmetaphorik in Gallus' Monolog 174-176, 179 (s. auch Krieg) Kataloggedicht - Deutung von ecl.6 als K. 229 - Deutung von ecl. 10 als K. 15, 20 Kehrvers in ecl.8 235-236. 238 Klassizismus Vergils 27-28. 34-36 Komisches in ecl. 10 247 kosmologische Dichtung 228-229 Krieg 114 - Gallus' K.sphantasie 17. 48. 138141, 152, 153, 154-155. 157. 168. 169, 176, 244, 245-246 - Gallus im K. (biographische Vermutung) 22-24 Kydippe 156 K y k l o p s i n i d . i l 221-223 labor - I. improbus 258 (s. auch extrenuis labor) - labores in Gallus' Phantasie 166168, 175, 247 lacrimae s. Tränen Landleben, Lob des L.s 61, 63 Landvertreibungen 207-208 Leander 259-260 Lebensbedrohung, Lebensfeindlichkeit - allgemein in Gallus' Phantasie 143. 168, 193 - in Gallus' Kriegsphantasie 40-41, 141, 143 - durch die Landvertreibungen 208 - lebensfeindliche Gegenden 166-173 (s. auch Bedrohung, feindliche Natur)

Index: Namen und Sachen Lebenspraxis - L. und Dichtung 13. 72. 147, 206, 212, 214, 215, 218-220, 224, 232, 236, 237, 239-241, 245, 248-250, 254-255 - Gallus und bukol. L. 106, 127-129 - Gallus in lebenspraktischer Auseinandersetzung 114 - Gallus und Dichterinstanz in lebenspraktischem Verhältnis 88, 251 - L. in den Georgica 258, 260 - L. und Dichtung, bei Gallus vermischt 57, 145, 147, 167, 255 - Rahmensphäre als fiktive Sphäre der L. des bukol. Dichters in ecl.10 89, 94, 180-184, 198, 241, 247, 254-255 (s. auch Alltagssphäre, Elegie, Handeln. Zeitlichkeit) Leserin, Geliebte als L. 77 Liebe s. amor, amores, unglückliche Liebe Liegen - als Position des Gallus 102, 126, 129, 131, 181 - als Position des Tityras in eel. 1 181 Linus 117-118,226,230 locus amoenus 85, 86, 88, 114, 131, 133136, 143, 149, 150, 171, 180, 181, 194, 211, 217 - Auflösung des /. a. 192, 197-198 Lokalisierung der bukolischen Sphäre in Arkadien 27 Lorbeer 99-102, 190, 214, 217, 233 "locus horridus" 143 Lukrez 134-135, 159, 229. 260-262 Lust in Gallus' Jagdphantasie 154, 156, 246 Lycaeus 77, 100-103, 119, 121, 125, 128 Lycorias 77 Lycoris 17, 18, 21, 24, 39, 42, 45, 46, 48, 49, 59, 75, 77-80, 84, 88, 89, 93, 113-114, 122, 134, 135, 138-144, 149, 157, 167, 169, 174, 175, 187, 245, 246, 249, 250, 252-253, 254 Maenalus 99-103, 119, 121, 125, 128, 151, 236 Magie s. Zauberspruch Mars 17, 24, 42, 48, 137-140, 245

305

maxima (ed. 10,72), maximum 184-188, 191, 254 Medea 237 medicina s. Heilmittel Meliboeus - in ecl.l 43, 64, 76, 85, 114, 136, 171, 198, 206, 207 - in ecl.7 136, 177, 194, 215-216, 218, 219, 221. 228 Menalcas -inecl.2 132 - in ecl.3 100, 213-215, 218, 219 - in ecl.5 194. 210-212, 227 - in ecl.9 208-210, 255 - in ecl.10 108-111, 117, 205 - "Pseudonym" Vergils? 63 Metamorphosen 229-231 metrische Einheiten s. syntaktische Einheiten; s. auch bukolisches Versschema Milanion 10, 19, 149, 151, 155-156 "numerisches Element" als Konstitutivum für bukol. Dichtung 24-25, 47 Mincius 128, 136, 216 ΜiflVerständnis s. Auffassung... moderne Kunst, Nähe von ecl.10 zu ihr 38-39, 44 Muse - M.n allgemein 30 - Μ.η als höchste Autoritäten 95-99, 161, 179, 184-185 - in ed. 6,65 21 - Gallus von den M.n verlassen 90-99, 112, 185, 242, 249 - Arethusa als M. 74, 84 - M.nannif 58, 82-83, 90-99, 112, 184-186, 188 - M.nfunktion der Geliebten 79-80, 249-250 - M.n und Nymphen, Gleichsetzung 46, 90-99, 151 (s. auch Arethusa, Dichterweihe, Gegenseitigkeitsverhältnis, Pierides, puellae Naides) myricae 100-102, 182, 186, 225, 227, 237 Mythos, Vermischung mit Realität 28-30, 32 naive und sentimentalische Dichtung 27

306

Index: Namen und Sachen

Namen s. Eigenname, griechische Namen, griechische Ortsbezeichnungen Naturinstanzen (gegenüber Traditionsinstanzen) 99, 254 Nebensätze als Stilcharakteristikum - des Prologs von ecl. 10 89 - des Epilogs von ecl. 10 180 Nemesian 31 niedrig s. Hoch-Niedrig-Thematik Notwendigkeit - Dichten als N. 73, 77, 83, 85 - N. der Rahmung 241-250 Nymphen - allgemein 30 - N. und Musen, Gleichsetzung s. Muse, puellae Naides - im Gefolge des Silvanus 118 - in Gallus' Jagdphantasie 150-152, 169, 246 - bei Horaz 32 - Bestandteil der idyllischen bukolischen Welt - in ecl.6 232 - in ecl.9 208, 255 (s. auch Arethusa, Hamadryades, Quellnymphe) Octavian 258 oratio obliqua 230-231 Organ, Dichter als O. 77 Orpheus 38, 87, 169. 226, 228, 233, 237 Ortsbezeichnungen s. Eigenname, griechische Ortsbezeichnungen Pan 29, 30, 47, 101, 116, 118-125, 128, 129, 158-160, 164, 167, 172, 173, 175-176, 179, 195, 226, 236, 242 - Widerspruch im Gleichnis des P. - zunächst unaufgelöst 124 - erst im Epilog aufgelöst 199, 256 (s. auch amor/Amor, Arkadien, Epiphanie, Sättigung, Unstillbarkeit) Parnasus/Parnasses 46,95-99, 112 Parthenii saltus 11, 152-153, 155-156, 162, 163 Pasiphae 189, 229-232, 241, 242 Passivität in Gallus' Phantasie 131-135, 243 "pastor Siculus" (ecl. 10,45) 147

Peinlichkeit der Konfrontation von Gallus und bukol. Figuren 104 Peneios 96, 98 Pentameter 89-90, 162, 173 Penthemimeres, P. und Attributsperrung 89-90, 155, 162, 163, 170. 182, 199 perire, amore p. 90-94, 105, 126 Pemiessos 21-22. 96, 97, 230, 250 Pflanzennamen 171, 183 (s. auch Baumnamen) Phaidra 19, 21, 34, 58, 157 Phantasie - P.ablauf in Gallus' Monolog 40-43. 47-49 - als Grundlage für Dichtung 32-33. 43 - Entlarvung der P. als Illusion durch Gallus 49, 158, 162-165 - von den Weltenden 166-177 (s. auch bukol. Phantasie. Jagd, Krieg, Todesphantasie, Versöhnungsphantasie) Philippi 23. 24 Pierides - in ecl. 10 Höchstinstanz der Dichtung 184-186, 199, 247 - sonst im Eklogenbuch 185. 208. 214, 227, 234 (s. auch Muse) Pindus 46, 95-99 Plural - Verwendung des P.s - durch Gallus, bezogen auf die Arcades 125, 127 - P. der mögl. Aufenthaltsorte bei der Suche 91 - pluralische Gewährsinstanz 179 - P. bei Hinweis des bukol. Dichters auf das eigene Gedicht (haec) 178 (s. auch erste Person, maxima) poeta, neue Selbstbezeichnung des bukol. Dichters als p. 177-179 poetische Reflexion 9, 12, 60-72, 257, 262-264 (s. auch "Dichtung der Dichtung") Possessivpronomen zur Herstellung von Nähe 77-78, 179 Praxis s. Lebenspraxis Priapos 56, 106. 112-116

Index: Namen und Sachen Programmgedicht, Deutung von ecl.10 als P. 26, 32-36 Prolog von ecl. 10 36, 43, 45, 47, 53, 59, 60, 73-90, 219. 249, 251 - Zusammenfassung zum P. 88-90 (s. auch Epilog) Properz 11, 21, 23, 39, 42, 48, 59, 79, 81, 97, 105, 249-250 "Prosasphäre" 67 , 206, 207, 209, 215 puellae Naides 46, 90-93, 95-101, 151, 179. 185. 242 Quelle - Q. und poetische Inspiration 74, 76, 78, 83, 89, 96-97 (s. auch Arethusa, Nymphen, Quellnymphe) Quellnymphe 45, 74, 88, 92, 179 (s. Arethusa, Nymphen, Quelle) Rahmenform s. Rahmung Rahmensphäre s. Lebenspraxis, Rahmung Rahmendichter, bukol. Dichter als R. 53, 192, 199, 221, 224-225, 228, 232, 233-234 (s. auch Rahmung) Rahmung 61, 202 - Definition für diese Arbeit 71-72 - Gallus' Monolog als Gegenstand der R. 13, 40, 44 - Hinweise darauf bei anderen Autoren 25, 39, 43-44, 51, 54 - Notwendigkeit der R.? 44 - und Rahmenform 13, 177, 184, 202, 240, 251-257 - R. im Eklogenbuch 203-204, 262264 - i n ecl.2 184 -- in den geradzahligen Eklogen 2,4,6,8 221-240 - in den ungeradzahligen Eklogen 205-221, 239-240 - in ecl.10 (Zusammenfassung) 241257 - Vermischung der R.stypen 228, 241 (s. auch Lebenspraxis, Gemeinsamkeit und Differenz) Realismus 110-111, 113

307

Realität - AufschluB über die R. durch Apollo: Erinnerung daran 113-115.134 - Distanz der bukolischen Sphäre von der R. 27-28, 31-32 - Einbruch der R. in Gallus' Monolog 40. 139-144 (s. auch Lebenspraxis, Mythos) recusatio 227, 233 Reflexion s. poetische Reflexion Refrain s. Kehrvers Renaissance 31 Risikoproblematik in ecl. 10 (Epilog) 1% Rollentausch, Rollenwechsel 64-67, 227 rote Gesichtsfarbe 120-121 römisches Dichtungsmodell s. Programmgedieht rupes als Gallus' Aufenthaltsort 23, 25. 100-102

Salzwasser 45, 53-54, 81-82 Sannazaro 31 Sättigung (bzw. Unersättlichkeit) 53, 124, 159, 175, 179, 198-199, 256 (s. auch Pan, Unstillbarkeit) Schafe 17, 104-105, 171-172. 227. 228 Schafhirt 105-107 Schatten 43, 63, 101, 134, 136, 190, 192-197, 199, 208, 216, 217, 220. 234, 255 Scheitern - des bukolischen Dichters? 58 - des bukolischen Dichtungskonzepts? 54 - als Thema in Vergils Bukolik 67-70, 239 - des Gallus 14, 50, 127, 129, 134, 147, 150, 161, 167, 179, 1%, 199, 243, 247, 249-250, 253 - als Paradigma fur das Scheitern des Dichters überhaupt 251-252, 255, 263-264 - in ecl.9 209-210 - Gefahr des Sch.s, im Prolog von ecl.10 zum Ausdruck gebracht 74, 75, 77, 83 (s. auch Gelingen) "Schimmer" als Charakteristikum der bukol. Sphäre 27-28

308

Index: Namen und Sachen

Schmuck 117-118 Schnee 17, 42, 113-115, 142, 143, 169, 172 Schriftlichkeit 77-78 "Schwäche" des elegischen Dichters 41, 44 Schweigen - der bukolischen Figuren 104 - des Gallus 115, 126, 242 - des Silvanus 116,118 Schweine 109-110 Schweinehirten 108 Selbsterhöhung s. bukolischer Dichter, poeta selbstreflexives Moment in ecl.10 101, 103-104, 126-127 sentimentalische Dichtung s. naive Dichtung Servius 117, 121, 250 - Kommentar zu ecl. 10,46 10, 16, 17, 23-25, 147 (s. auch transferre) servitium amoris 55-60 Silenus 43, 76, 120-121, 178, 191, 227232. 234, 255 silvae 86-88, 91, 99-101, 103, 116, 118, 119, 136, 148-150, 152, 161, 162-165, 167, 171, 176, 187, 191, 213, 225, 237, 246, 254 - als unstoffliches Substrat bukolischer Dichtung 64, 88 Silvanus 115-120, 166 Sitzen s. bukolischer Dichter Sizilien 27, 28, 99 Soldat - S. als Gegenfigur zum Dichter 114 - Gallus als S. 22-23, 137-141 Sorge um die Geliebte 142-143 Sphragis - in ecl.5 109, 206, 212, 227 - bukolische S. in ecl.10 199-200 - der Georgica 258 Sprechen, Gallus spricht u. singt nicht 124-125, 178 Sterben in Gallus' Phantasie 135, 171 Stiere, Kampf der S. 258-259 Stilmischung, Bukolik als S.? 65

Strukturfaierarchien in Vergils Bukolik - vernachlässigte 60 - Rahmungsmodell als Möglichkeit. S. abzubilden 72 subjektive Liebesdichtung 46, 248-250 Sublimierung 263-264 Substantive s. bukolische Substantive Suizid 176, 235 Superlativ s. maxima Süßwasser 45, 53, 74, 81-82, 193 (s. auch Arethusa) Symmetrie - in ecl.2 184, 224 - in ecl.10 166, 174. 176-177. 184, 198 - in Gallus' Monolog 40, 177 - im Aufbau des Eklogenbuchs 203204, 212 sympathetische Wahrnehmung der Natursphäre 195 (s. auch Empathie) syntaktische Einheiten im Verhältnis zu metrischen Einheiten 89-90, 98, 102103, 136, 137, 144 (s. auch bukolisches Versschema) Synthese, Gallus' Versuch einer S. zwischen Idyllischem und Bedrohlichem 134-135, 150, 152 texere s. Flechten Thrakien 167, 169, 170, 172, 173 Tibull 11, 19, 21, 23, 36, 39, 42, 59, 63, 107 Tiere - Klage der T. 103 - Macht des Dichters über die T. 87 - amor der T. 214, 219, 257-262 - wilde T. 149-150 Tityrus - i n ecl.1 43, 64, 101, 136, 171, 174, 181, 194-195, 206, 207 - in ecl.5 210 - in ecl.6 227-228, 237 (s. auch Liegen) Todesphantasie 126-127, 133, 134-135, 242 (s. auch Lebensbedrohung) Totenperspektive 128-129

Index: Namen und Sachen Tradition - T.sstätten der Dichtung 95-98 - T.sinstanzen der Dichtung 99, 105, 254 Tränen 47. 53, 122-124, 158-160, 175, 256 transferre, Terminus des Servius 16, 147 (s. auch Servius) "Träumen" vs. "Erfinden" als Grundlage von Dichtung 34, 36 Trost 114, 126, 175, 212, 231-232, 242, 253-254 Überschreitung - Ü. des Bisherigen im Epilog 187188

- Ü. des Bukolischen 44 - Ü. der Rahmenform 251-257 umbra s. Schatten Unbewufltes als Inspirationsquelle des Dichters 34 "unbukoiische Liebe" (Gallus' und Corydons)? 49, 52-53 Unersättlichkeit s. Pan, Sättigung, Unstillbarkeit ungeradzahlige Eklogen 65,72,205-221, 222, 224, 228, 234, 239-240, 241 - Unterscheidung geradzahlige/u. E. 65, 203-205 (s. auch Rahmung) unglückliche Liebe und Dichtung 33, 69, 84, 89, 222, 229-230, 240 (s. auch amor, amores) Unklarheit als Charakteristikum der bukol. Sphäre 27 Unstillbarkeit des amor 124, 256 (s. auch Pan, Sättigung) utopisches Reich, Arkadien als u. R. 31 (s. auch Auffassung... ) Vehikel, bukol. Dichtung als V. für weltanschauliche Inhalte 11, 61, 222 Vergilviten 11 Vermischung der Rahmimgstypen s. Rahmung Verrius Flaccus 197 Versbau - im Prolog von ecl.10 89-90 (s. bukolisches Versschema, syntaktische/metrische Einheiten)

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Versöhnungsphantasie des Gallus 131-133 Verszahlsummen im Eklogenbuch 204 Verurteilung - des Bukolischen in ecl. 10? 195 -des Gallus? 250 "Verwandlung" als Spezifikum des Eklogenbuchs 38-40, 43-44 Vitalitätsverlust der bukol. Sphäre in Gallus' Phantasie 130-131 Vokativ als in Dichtung überführtes Praxiselement 214, 217. 218. 220 Wacholder 193, 197 wachsende Glieder, Gesetz der w.n G. 89, 103 Wachstum -der bukol. Dichtung 188-191, 196 -derLiebe 49, 148-150, 189-191,253 Wälder s. silvae Wagnis s. bukolischer Dichter Weben als Metapher für Dichten 181 Weinen - W. der Natur 101 - kommt vor ecl.10 im Eklogenbuch nicht vor 123 - von Pan angesprochen 159 (s. auch Tränen) weltanschauliche Inhalte s. Vehikel "werbende Dichtung" 59 Widerstand gegen amor s. "Jungfräulichkeit" wilde vs. domestizierte Natur 33, 149156, 163, 169, 176 (s. auch domestizierte Natur) Winter 109, 143, 168 (s. auch Kälte) Würde s. Dignität Zauberspruch, Bedeutung von carmen als "Z." 76, 238-239 Zeitlichkeit in ecl.10 198 Ziegen (capellae) 47, 53, 84-86, 106-107, 122-124, 149, 150, 158, 166, 180, 190, 192, 198-200, 236, 256 Ziegenhirt - bukol. Dichter als Z. 84-86. 89, 198-199, 247 - Stellung des Z.en 106-107 - Anspielung darauf in ecl.8 236 Zivilisationsflucht 27

Versdichtung in der Antike bis zur frühen Neuzeit Hans-Christian Günther

Überlegungen zur Entstehung von Vergils Aeneis Hypomnemata 113. 1996. Ca. 95 Seiten, kartoniert ISBN 3 - 5 2 5 - 2 5 2 1 0 - 2

Diese Monographie behandelt ein in der älteren wissenschaftlichen Literatur vieldiskutiertes zentrales Problem der Vergilforschung, das in neuerer Zeit hingegen weniger Aufmerksamkeit gefunden hat. Im Anschluß an eine Analyse einiger besonders charakteristischer oder schwieriger Einzelpassagen wird versucht, eine knappe, jedoch umfassende und systematische Überschau über die gesicherten Ergebnisse der älteren Forschung zu den metrisch unvollständigen Versen in Vergils letztem und unvollständig hinterlassenen Werk zu geben. In einem letzten Schritt wird dann das sich daraus ergebende Bild von Vergils Arbeitsweise und dem Zustand des Aeneismanuskripts beim Tode des Dichters im Lichte neuester Forschungen zur Arbeitsweise antiker Autoren und vor dem Hintergrund antiker Editionstechnik interpretiert.

Jürgen Leonhardt

Dimensio syllabarum Studien zur lateinischen Prosodie- und Verslehre von der Spätantike bis zur frühen Renaissance Mit einem ausführlichen Quellenverzeichnis bis zum Jahr 1600. Hypomnemata 92. 1989. 296 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25191-2

Aus dem Inhalt: Einleitung / Die Entwicklung der Prosodielehre in der Spätantike / Neuerungen bei der Prosodielehre im frühen Mittelalter / Neuerungen bei der Prosodielehre im Hochmittelalter / Die Verslehre / Artes metricae im Spätmittelalter / Metriktheorie in der italienischen Renaissance / Zusammenfassung / Anhang: Der Grammatiker Metrorius / Quellenverzeichnis Teil A: Schriften zur lateinischen Metrik aus Antike und Mittelalter. Handschriftlich überlieferte Metriktraktate der Renaissance / Quellenverzeichnis Teil B: Druckschriften zur lateinischen und griechischen Metrik bis ca. 1600.

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Vandenhoeck Ruprecht

Aporemata Kritische Studien zur Philologiegeschichte

Band 1: Glenn W. M o s t (Hg.)

Collecting Fragments Fragmente Sammeln 1996. Ca. 350 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-25900-X Aus dem Inhalt: Giovanni Benedetto, II trattamento dei frammenti nell'edizione callimachea del 1761 attraverso la corrispondenza inedita di J. A. Ernesti con D. Ruhnkenius e L. C. Valckenaer (1748-1761) / Ewen Bowie, The Theognidea: a step towards a collection of fragments? / Richard Kannicht, TrGF V Euripides / Franco Montanari, The Fragments of Hellenistic Scholarship / Ann E. Hanson, Fragmentation and the Greek Medical Writers / Peter Bing, Reconstructing Berenikes's Lock / Ian G. Kidd, What is a Posidonian Fragment? / Sally Humphreys, Fragments, fetishes, and philosophies: towards a history of Greek historiography after Thucydides / Peter Schäfer, Die Manetho-Fragmente bei Josephus und die Anfänge des antiken 'Antisemitismus' / Glen W. Bowersock, Jacoby's Fragments and Two Historians of PreIslamic Arabia / A. S. Hollis, A Fragmentary Addiction / Guido Schepens, Jacoby's FGrHist: Problems, Methods, Prospects /

A.T. Grafton, Fragmenta historicorum Graecorum: fragments of some lost enterprises Die Aufsätze gehen teilweise auf eine 1995 in Heidelberg stattgefundene Tagung zurück und bilden den ersten von fünf Bänden in der Reihe Aporemata, die nach und nach verschiedene philologische Tätigkeiten in historischer und methodologischer Hinsicht untersuchen wird.

Band 2: Editing Texts - Texte Edieren (in Vorbereitung)

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