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German Pages 144 [143] Year 2008
Kontroversen um die Geschichte Herausgegeben von Arnd Bauerkämper, Peter Steinbach und Edgar Wolfrum
Christoph Nonn
Antisemitismus
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Für Lucia, die anderes verdient hätte Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2008 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Printed in Germany
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ISBN 978-3-534-20085-6
Inhalt Vorwort der Reihenherausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Forschungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Judenfeindschaft vor und in der Moderne – Kontinuität oder Bruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ursachen des Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . a) Theorie der antisemitischen Persönlichkeit . . . . . . . b) Religion als Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Soziale und wirtschaftliche Kontexte . . . . . . . . . . d) Integrierende Interpretationen . . . . . . . . . . . . . 3. Antisemitismus im internationalen Vergleich . . . . . . . a) Ländervergleichende Ansätze . . . . . . . . . . . . . b) Großbritannien und die USA: ein „süßes Exil“? . . . . . c) Russland und Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . d) Frankreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Polen und Osteuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 . . . . . . . . . a) „Deutsch-jüdische Symbiose“ oder allgemeine Judenfeindschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antisemitische Organisationen . . . . . . . . . . . . . c) Judenfeindschaft in politisch-sozialen Milieus. . . . . . d) Jüdisch-nichtjüdische Sozialbeziehungen. . . . . . . . 5. Nationalsozialismus und Antisemitismus . . . . . . . . . a) Antisemitischer Masterplan oder „kumulative Radikalisierung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Willige oder unwillige Vollstrecker? . . . . . . . . . . c) Passive Zuschauer oder stille Teilhaber?. . . . . . . . . 6. Antisemitismus nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rückgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formenwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Renaissance? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Antisemitismus in der islamischen Welt . . . . . . . . . .
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10 16 17 19 23 28 32 33 36 40 42 45 48 50
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50 55 58 66 74
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74 79 84 92 92 96 100 105
IV. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V
Vorwort der Reihenherausgeber Kontroversen begleiten nicht nur die wissenschaftliche Arbeit, sondern sind deren Grundlage. Dies gilt auch für die Geschichtswissenschaft. Weil wissenschaftliche Auseinandersetzungen nicht leicht zu durchschauen und noch schwerer zu bearbeiten sind, ist es notwendig diese aufzubereiten. Die Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ ist als Studienliteratur konzipiert. Sie präsentiert die Auseinandersetzungen zu Kernthemen des Geschichtsstudiums; ihr Ziel ist es, Studierenden die Vorbereitung auf Lehrveranstaltungen und Examenskandidaten ihre Prüfungsvorbereitung zu erleichtern. Entsprechend kennzeichnet sie ein didaktischer und prüfungspraktischer Darstellungsstil. Über diesen unmittelbaren Nutzen hinaus nimmt die Reihe die Pluralisierung der Historiographie auf, ohne dem Trend zur Zersplitterung nachzugeben. Gerade in der modernen Gesellschaft mit ihrer fast nicht mehr überschaubaren Informationsvielfalt wächst das Bedürfnis nach einer schnellen Orientierung in komplizierten Sachverhalten. Ergebnisse der historischen Forschung werden in dieser neuen Reihe problemorientiert vermittelt. Die einzelnen Bände der „Kontroversen um die Geschichte“ zielen dabei nicht auf eine erschöpfende Darstellung historischer Prozesse, Strukturen und Ereignisse, sondern auf eine ausgewogene Diskussion wichtiger Forschungsprobleme, die nicht nur die Geschichtsschreibung geprägt, sondern auch die jeweilige zeitgenössische öffentliche Diskussion beeinflusst haben. Insofern umschließt der Begriff „Kontroversen“ zwei Dimensionen, die aber zusammengehören. Die Spannbreite der „Kontroversen um die Geschichte“ reicht vom 16. Jahrhundert bis zur Zeitgeschichte. Einige der Bände sind jeweils einzelnen Themengebieten wie der Verfassungsgeschichte gewidmet, die im historischen Längsschnitt behandelt werden und überwiegend über den deutschen Sprach-, Kultur- oder Staatsraum hinaus eine vergleichende Perspektive zu anderen Regionen und Staaten Europas eröffnen. Andere Bände behandeln einzelne Epochen oder Zeitabschnitte europäischer und deutscher Geschichte wie etwa den Absolutismus oder die Weimarer Republik. Gelegentliche Überschneidungen sind somit nicht nur unvermeidbar, sondern auch durchaus sinnvoll. Der Aufbau der Bände folgt einem einheitlichen Prinzip. Die Einleitung entfaltet den Gesamtrahmen der behandelten Epoche oder des dargestellten Querschnittbereichs. Daran schließt sich ein Überblick an: Er begründet die Auswahl der behandelten Deutungskontroversen und ordnet diese in den Gesamtrahmen ein. Der Hauptteil der Bände umfasst die wichtigsten Forschungsprobleme zum Thema. Dabei werden nicht vorrangig alle Entwicklungen und Stadien der Forschung nachgezeichnet, vielmehr Schlüsselfragen und zentrale Deutungskontroversen der Geschichtswissenschaft übersichtlich und problemorientiert präsentiert. Der Darstellung dieser Schlüsselfragen folgt zum Schluss eine kritische Bilanz des Forschungsstandes, in der
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Vorwort der Reihenherausgeber auch offene Probleme der Geschichtsschreibung dargelegt werden. Historische Forschung ist ein nie beendeter Prozess, dessen Befunde immer einer kritisch-distanzierenden Bewertung bedürfen. Auch dies soll in dem abschließenden Kapitel der Bände jeweils deutlich werden. Eine Bibliographie der wichtigsten Werke steigert den Gehalt der Bände; das Register weist zentrale Personen- und Sachbezüge nach und dient einer schnellen Orientierung. Unser Wunsch ist es, dass die Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ einen festen Platz in den Bücherregalen von Studierenden der Geschichtswissenschaft, aber auch benachbarter Disziplinen einnimmt, die sich auf Lehrveranstaltungen oder Prüfungen vorbereiten. Darüber hinaus sind die Bände der Reihe an Leserinnen und Leser gerichtet, die Befunde der Geschichtsschreibung sachkundig vermitteln möchten oder ganz generell an historisch-politischen Diskussionen interessiert sind. Arnd Bauerkämper Peter Steinbach Edgar Wolfrum
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I. Einleitung Antisemitismus ist heute in Deutschland ein eindeutig negativ besetzter Begriff. Mehr noch: Hierzulande gilt Antisemitismus, wie in der Öffentlichkeit aller Staaten zumindest der westlichen Welt, als etwas geradezu Monströses. Denn der Begriff wird verbunden mit der Erinnerung an die brutale Ermordung von etwa sechs Millionen europäischer Juden während des Zweiten Weltkriegs. Wer heute Antisemitismus denkt, denkt auch Auschwitz. Mit dem Gedanken an Antisemitismus verbindet sich auch der Gedanke an die Gaskammern nationalsozialistischer Vernichtungslager, an Massenmord von ungeheuren Ausmaßen, durchgeführt mit ungeheuerlichen Methoden. Antisemiten sind deshalb in einer breiten Öffentlichkeit zum Inbegriff der Unmenschlichkeit geworden – und damit zu dem, was in ihrer eigenen Vorstellung die Juden waren und sind. Diese weit verbreitete Sicht des Antisemitismus als etwas Monströsem, etwas Unmenschlichem ist nachvollziehbar. Für die Beschäftigung mit dem Phänomen hat sie allerdings ambivalente Folgen. Einerseits ist das öffentliche Interesse an Informationen darüber groß. Die Zahl der Publikationen zum Thema Antisemitismus ist gewaltig und wächst immer weiter an (1; 2). Besonders populär geschriebene Darstellungen erfreuen sich hoher Auflagenzahlen. Andererseits haben wissenschaftliche Arbeiten, die sich um eine differenzierte Analyse des Phänomens bemühen, oft besondere Probleme bei der Vermittlung ihrer Ergebnisse in der Öffentlichkeit. Forschern, die über die Verurteilung des Antisemitismus hinaus nach den Motiven antisemitischer Einstellungen und Handlungen fragen, wird nicht selten Banalisierung von Judenfeindschaft oder sogar Sympathie für Antisemiten unterstellt (52; 110, S. XI; 115; 405, S. 89, 101 f., 343, 354; 439, S. 8). Forschungsergebnisse werden in der Öffentlichkeit je nach politischer Grundüberzeugung mal als verharmlosend, mal als Dramatisierung interpretiert. Ausgewiesene Antisemitismusexperten in Deutschland und den USA beklagen gleichermaßen ironisch, „dass es offensichtlich bei der Interpretation der Ergebnisse der Antisemitismusforschung die Schwierigkeit gibt, dass jeder ein Experte ist“. Die emotionale Aufladung des Themas führt in Verbindung mit dem großen öffentlichen Interesse daran häufig dazu, dass isolierte Ereignisse oder Erfahrungen vor dem Hintergrund persönlicher Einstellungen zur Basis werden von dogmatisch und gegen alle Gegenargumente verteidigten Überzeugungen über das Phänomen. So berichtete der leitende Mitarbeiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, der Soziologe und Historiker Werner Bergmann, wie ihm bei der Präsentation repräsentativer Umfragedaten zur Verbreitung antijüdischer Einstellungen in der Bundesrepublik Deutschland etwa entgegengehalten wurde: „Man kenne da aber einen evangelischen Pfarrer, der etwas ganz anderes über den religiösen Antisemitismus erzähle, als man erhoben habe“ (378, S. 31 und 38). Das große Interesse am Thema und seine emotionale Aufladung hat freilich auch in wissenschaftlichen Arbeiten selbst Spuren hinterlassen. Die öffentliche Nachfrage nach Informationen zum Antisemitismus provoziert immer wieder Darstellungen, die in formaler Hinsicht zwar wissenschaftlichen
Verurteilung des Antisemitismus
Emotionale Aufladung
1
Einleitung
I.
Teleologie
Isolierung als Forschungsobjekt
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Ansprüchen genügen, aber mit allzu heißer Nadel gestrickt wurden. In der umfangreichen wissenschaftlichen Literatur zum Thema gibt es deshalb „neben Weizen auch viel Spreu“ (192, S. 2). Und die zahlreichen Studien von Wissenschaftlern, die der Versuchung widerstanden haben, publikumswirksame Kurzschlüsse zu ziehen, sind explizit oder implizit von Betroffenheit über den Holocaust beeinflusst. Gerade bei historischen Arbeiten kann das auch gar nicht anders sein. Für alle Historiker, die sich seit 1945 mit Antisemitismus beschäftigt haben, war dabei die Frage nach den Ursachen des nationalsozialistischen Massenmordes an den Juden Europas ein wichtiger und meist sogar der zentrale Antrieb. Das hat nicht nur dazu geführt, dass Kontroversen um Antisemitismus in der Wissenschaft wie in der Öffentlichkeit oft mit besonderer Schärfe ausgetragen wurden und werden. Es hat auch dazu beigetragen, dass die Geschichte jüdisch-nichtjüdischer Beziehungen vor allem in Deutschland häufig als eine der beständigen und sich potenzierenden Ausgrenzung der Juden geschrieben worden ist. Eine solche teleologische Geschichtsschreibung, die auf das Ziel (altgriechisch: telos) Auschwitz zuläuft, kennzeichnet viele – und keineswegs nur populäre – Darstellungen des Antisemitismus. Allerdings führt diese Tendenz in letzter Konsequenz zu einem fatalistischen Geschichtsverständnis. Wenn man europäischen Antisemitismus vor 1945 nur als Vorgeschichte des Mordes an den Juden betrachtet, werden gegenläufige Entwicklungen und historische Alternativen nicht mehr berücksichtigt. Menschen werden dann zu bloßen Objekten eines nebelhaften „Schicksals“: Ihre Rolle als historisch handelnde Subjekte wird ignoriert, ihr jeweiliger Handlungsspielraum in konkreten Situationen nicht ausgelotet. Eine teleologische Geschichtsschreibung kann deshalb das Ziel, über die Ursachen des nationalsozialistischen Völkermordes an den Juden aufzuklären und auf diese Weise zur Verhinderung einer Wiederholung dieses oder ähnlicher Massenverbrechen beizutragen, nicht erreichen. Dieses Problem hängt mit einem anderen zusammen: der isolierten Betrachtung von Antisemitismus. Die alleinige Konzentration auf die Untersuchung antisemitischer Einstellungen oder Handlungen fördert einen einseitigen „Tunnelblick“. „Wer sich nur mit dem Antisemitismus beschäftigt, steht wie jeder andere, der sich mit einer einzigen Sache beschäftigt, in der Gefahr, betriebsblind zu werden […] Wer nach Zeugnissen antisemitischen Denkens und Handelns sucht, wird leider – und das nicht nur in der deutschen Geschichte – immer fündig werden. Es kommt aber darauf an, diese Funde zu gewichten, und das geht nur im Vergleich zu anderen Einstellungen und Handlungsweisen. Die Widerstände und Gegenkräfte, die es gab und die für lange Zeit stärker blieben, finden jedoch in der Geschichte des Antisemitismus fast immer eine allzu geringe Berücksichtigung und oft sogar überhaupt keine Beachtung. Das führt zu Verzerrungen, durch die der Antisemitismus in den einzelnen Ländern und Zeiten übermäßig stark und zumindest in Deutschland letztlich unüberwindlich erscheint.“ So wird immer wieder übersehen, dass Deutschland im frühen 20. Jahrhundert nicht nur der Schauplatz einer historisch beispiellosen Radikalisierung und Brutalisierung des Antisemitismus, sondern auch einer ebenso beispiellosen völligen Gleichberechtigung der Juden in allen Bereichen des öffentlichen Lebens war (45, S. 134).
Einleitung Die Beispiellosigkeit des vom nationalsozialistischen Deutschland ausgehenden Völkermords an den europäischen Juden hat schließlich noch ein weiteres grundsätzliches Problem einer Betrachtung des Antisemitismus aufgeworfen, nämlich die Frage nach seiner Vergleichbarkeit. Auch diese Frage ist emotional stark aufgeladen. Das gilt besonders für die hitzige Debatte darüber, ob der nationalsozialistische Völkermord an den Juden einzigartig war (41). Wie weit sich das Phänomen Antisemitismus im Allgemeinen durch Einzigartigkeit auszeichnet oder mit anderen Phänomenen verglichen werden kann, wird freilich ebenfalls intensiv diskutiert. In der Öffentlichkeit und vor allem in der politischen Pädagogik ist die Neigung stark ausgeprägt, Antisemitismus als ein Phänomen zu betrachten, dass repräsentativ für Rassismus und Fremdenfeindschaft ist. In der historischpolitischen Bildung werden Judenverfolgungen in der Geschichte häufig exemplarisch instrumentalisiert: An ihrem Beispiel soll für die Ursachen und Folgen auch aktueller Tendenzen zur Diskriminierung von Minderheiten sensibilisiert werden. Dass Antisemitismus sich für Vergleiche zu diesem Zweck eignet, ist allerdings auch die Ansicht mancher Wissenschaftler. So betonen die Herausgeber eines neueren Sammelbands, der die Antisemitismusforschung in den Wissenschaften thematisiert: „Gerade auf Grund der langen Geschichte der abendländischen Judenfeindschaft, ihrer vielfältigen Erscheinungsformen und katastrophalen Wirkung kann die Erforschung des Antisemitismus als Paradigma für die wissenschaftliche Beschäftigung mit vergleichbaren historischen wie aktuellen Problemen gelten“ (11, S. 9). Deutsche Historiker setzten Rassismus lange Zeit mehr oder weniger mit Antisemitismus gleich (45, S. 129). Vor allem in der Wissenschaft, teilweise aber auch in einer breiteren Öffentlichkeit erheben sich jedoch zunehmend auch Stimmen, die Unterschiede zwischen Antisemitismus und anderen Formen von Rassismus oder Fremdenfeindschaft (Xenophobie) betonen. Die Besonderheit des Antisemitismus wird dabei darin gesehen, dass Antisemiten den Juden bestimmte Eigenschaften zuschreiben, die anderen „Rassen“ oder Gruppen von „Fremden“ nicht zugeschrieben werden. So würden Juden von Personen mit rassistischem oder xenophobem Weltbild zwar ebenso als minderwertig angesehen wie etwa Schwarze oder Türken. Diesen werde aber im Gegensatz zu Juden nicht unterstellt, sich zur Erlangung der Weltherrschaft verschworen zu haben. Tatsächlich ist die fixe Idee von der „jüdischen Weltverschwörung“ einzigartig: Über keine andere ethnisch oder religiös konstruierte Gruppe existieren vergleichbare Vorstellungen. Nur über politisch und weltanschaulich definierte Gruppen wie Kommunisten oder Freimaurer gab und gibt es ähnlich weit verbreitete Verschwörungstheorien, bezeichnenderweise allerdings in enger Verbindung mit der Phantasterei von der „jüdischen Weltverschwörung“, wie in dem nationalsozialistischen Topos der „jüdischbolschewistischen Gefahr“ (56; vgl. auch 59; 93; 16, S. 25 – 28). Letzten Endes ist die Kontroverse um die Vergleichbarkeit des Antisemitismus und vor allem die Schärfe, mit der diese Auseinandersetzung geführt wird, nur vor dem Hintergrund der Erfahrung des Massenmordes an den europäischen Juden zu verstehen. Dasselbe gilt für die anderen hier skizzierten Grundprobleme der Beschäftigung mit dem Phänomen Antisemitismus in Öffentlichkeit und Wissenschaft. „Vor Auschwitz war Antisemitismus nichts
I. Vergleichbarkeit
Zäsur 1945
3
Einleitung
I.
Anrüchiges, man war Antisemit, so wie man Vegetarier, Gesangsbruder oder Schrebergärtner war. Die ,jüdische Frage wurde von Juden wie Nichtjuden mit einer Unbefangenheit diskutiert, die man rückblickend nur staunend zur Kenntnis nehmen kann“ (16, S. 40). Erst seit 1945 ist die Diskussion über Antisemitismus hochgradig emotional aufgeladen worden. Erst seitdem ist eine teleologische Sichtweise, die die Geschichte des Antisemitismus einseitig als lineare Vorgeschichte des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden betrachtet, überhaupt möglich geworden. Und schließlich hat dieser Völkermord die Spezialisierung und damit tendenziell auch Isolierung der Forschung zum Thema begünstigt. Allerdings hat die Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen Deutschland gegenüber den Juden die wissenschaftliche Forschung zum Antisemitismus stark stimuliert, ja vielfach erst provoziert. In den meisten Wissenschaftsdisziplinen hat es eine solche vor dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Psychologie, Soziologie und Linguistik, die heute wichtige Beiträge zum Verständnis von Judenhass liefern, haben damit erst seit den 1940er Jahren begonnen. Auch in den historischen Wissenschaften haben Forschungen über Antisemitismus durch Krieg und Massenmord eine neue Qualität wie Quantität bekommen und in den letzten Jahrzehnten zu einer wahren Flut von Veröffentlichungen geführt, die kaum noch zu überschauen ist, und die keine Anzeichen eines Abschwellens zeigt (11). So sehr dieser historischen Forschung seit 1945 die Kontinuität der Tendenzen zur Teleologie, Isolierung und emotionalen Aufladung ihres Gegenstandes gemeinsam ist, hat sie doch auch signifikante Entwicklungen durchlaufen. Zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den 1960er Jahren war das geschichtswissenschaftliche Interesse besonders in Deutschland vor allem auf die antisemitische Ideologie ausgerichtet. Die Geschichte der Judenfeindschaft wurde hauptsächlich als Geschichte der Ideen geschrieben. Ein Schwerpunkt des Interesses lag auf der Untersuchung antisemitischer Äußerungen einzelner prominenter Personen. Während der 1960er und 1970er Jahre änderte sich das. Jetzt verlagerte sich das Hauptaugenmerk auf soziale Gruppen und Organisationen. Die Aufmerksamkeit galt nun mehr der Geschichte antisemitischer Parteien oder Vereine und der Frage, wie anfällig etwa Handwerker, Bauern oder Angestellte für Judenfeindschaft gewesen waren. Dieser Wandel in der historischen Forschung zum Antisemitismus war Teil einer allgemeinen Tendenz in der Geschichtsschreibung, sich mehr für soziale und politische Themen zu interessieren. Deutsche Historiker vollzogen damit eine Entwicklung nach, die sich bei ihren englischen, US-amerikanischen und französischen Kollegen schon etwas früher angekündigt hatte. In einer dritten Phase seit den 1980er Jahren gab es dann einen erneuten Wandel in der internationalen historischen Forschungslandschaft, der sich auch auf Arbeiten zum Antisemitismus auswirkte. Ein nochmals beträchtlicher Anstieg der Zahl wissenschaftlicher Publikationen ging einher mit einer Pluralisierung der methodischen und inhaltlichen Zugänge. Die politikhistorische Untersuchung antisemitischer Organisationen blieb zwar ebenso ein Schwerpunkt der Forschung wie das Vorkommen von Antisemitismus in verschiedenen sozialen Gruppen. Daneben gewannen aber auch ideologische Aspekte des Themas wieder an Bedeutung. Vor allem jedoch trat die Analyse ,
Phasen der Forschung seit 1945
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Einleitung kultureller, insbesondere sprachlicher und symbolischer Ausdrucksformen von Antisemitismus in den Vordergrund. Und schließlich wandte die Aufmerksamkeit sich von den bisher vielfach im Mittelpunkt stehenden „Höhenkämmen“ und „Zentren“, von gesellschaftlichen Eliten und Parlamenten ab und den „Niederungen“ und „Rändern“, nämlich dem Antisemitismus der „kleinen Leute“ zu: Dessen Ausprägungen, die sich auf Marktplätzen und in Miethäusern, in gewaltsamen Pogromen und Ausschreitungen wie in gänzlich unspektakulären Alltagsbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden zeigten, gerieten ebenfalls in den Fokus der Forschung. In dieser dritten Phase kam es auch zu einem weiteren wichtigen Wandel: In Deutschland, wie in anderen Ländern Europas und Nordamerikas, wurde Antisemitismus zunehmend als Teil des eigenen Bildes nationaler Geschichte anerkannt. Noch bis in die 1970er Jahre hinein war die Mehrheit der wissenschaftlichen Studien über Aspekte der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland von nichtdeutschen, meist amerikanischen Historikern geschrieben worden. Erst danach verflogen die Berührungsängste, die hierzulande offenbar Wissenschaftler wie Öffentlichkeit davon abgehalten hatten, diese Traditionen der eigenen Geschichte stärker zu analysieren und zu thematisieren. In Frankreich, Großbritannien oder den USA war das freilich kaum anders: Auch hier kam es erst seit den 1970er oder 1980er Jahren zu einer umfassenderen Beschäftigung mit Antisemitismus als Bestandteil nationaler historischer Identitäten. In Osteuropa setzte diese Entwicklung meist sogar nicht vor 1990 ein. Parallel dazu wuchs das Interesse nichtjüdischer Wissenschaftler an dem Thema. Noch Anfang der 1990er Jahre beklagte die israelische Historikerin Shulamit Volkov den lange Zeit geringen Beitrag von Nichtjuden zur Forschung über Antisemitismus in Deutschland. Zwar gebe es seit den 1980er Jahren Anzeichen für eine Änderung. Für die Zeit davor freilich, stellte Volkov fest, könne gelten: „Die wichtigsten historischen Arbeiten über modernen deutschen Antisemitismus wurden jedoch von Juden verfasst, besonders von deutschen Juden und sehr oft von deutschen Juden, die außerhalb Deutschlands lebten“ (288, S. 117 f.). Diese jüdischen Historiker waren meist in den 1930er Jahren, oft noch als Kinder, vor dem Nationalsozialismus geflohen, hatten in den USA, Großbritannien, Frankreich oder Israel eine neue Heimat gefunden und ihre Arbeiten auch dort publiziert. Seit den 1980er Jahren wurden jedoch viele der Studien dieser Wissenschaftler zum ersten Mal in ihrer Muttersprache Deutsch veröffentlicht oder wieder aufgelegt – ein Zeichen für das wachsende Interesse auch nichtjüdischer Historiker in Deutschland am Thema Antisemitismus. Mittlerweile wird der Großteil der Forschungsarbeit dazu hierzulande von Nichtjuden geleistet. Jüdische Historiker wenden sich dagegen vielfach anderen Aspekten jüdischer Geschichtserfahrung zu. Shulamit Volkov hat das mit dem Argument begründet, dass Juden zwar unter den „Auswirkungen des Antisemitismus ohne Zweifel überall“ litten, „Judenhass aber in erster Linie ein Thema der gastgebenden Gesellschaft“ sei (288, S. 117). Das große Interesse von nichtjüdischen Historikern an dem Thema zeigt, wie weitgehend diese Ansicht heute anerkannt wird. So sehr Antisemitismus seine Opfer, die Juden, berühren muss, ist die Auseinandersetzung mit ihm doch auch und gerade Sache der Nichtjuden, in deren Reihen er entsteht.
I.
Antisemitismus und historische Identität
Jüdische und nichtjüdische Historiker
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II. Überblick Begriff Antisemitismus
1. Kapitel
2. Kapitel
6
Der Begriff Antisemitismus ist während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. In deutscher Sprachwissenschaft und Völkerkunde wurden damals alle ehemaligen und aktuellen Bewohner des Nahen Ostens als „Semiten“ bezeichnet. Da Antisemitismus sich nur gegen die vor zwei Jahrtausenden aus Palästina vertriebenen Juden richtete, hat man den Begriff oft als unpräzise kritisiert. Alle Versuche, ihn durch treffendere Alternativen zu ersetzen, blieben aber erfolglos (9). Auch in anderer Hinsicht wird der Begriff gelegentlich als problematisch gesehen. Wesentlich zu seiner Verbreitung beigetragen hat der deutsche Publizist und Politiker Wilhelm Marr, der selbst Antisemit war. Marr definierte Antisemitismus 1879/80 als eine angeblich neuartige, rassistisch motivierte Judenfeindschaft, die er ausdrücklich von religiös begründetem Antijudaismus früherer Epochen unterschieden wissen wollte. Aus dem Deutschen wurde der Begriff schnell in andere Sprachen übertragen, bürgerte sich aber entgegen dieser Definition im In- und Ausland fast sofort als Bezeichnung für die verschiedensten Formen von aktueller und historischer Judenfeindschaft ein (61; 42). Daran hat sich bis heute nichts geändert. Antisemitismus, hat ein Historiker gespottet, stehe so als Sammelbezeichnung ähnlich wie der Markenname „Tempo“ für Papiertaschentücher (64). So ist in vielen populären und manchen wissenschaftlichen Veröffentlichungen die Rede von „antikem Antisemitismus“ oder „religiösem Antisemitismus“ im Mittelalter (z. B. 31; 4; 34). Manche Spezialisten möchten den Begriff Antisemitismus dagegen nur für modernen und rassistisch motivierten Judenhass verwendet sehen, weil dieser sich von anderen, früheren Formen der Judenfeindschaft fundamental unterscheide. Ob religiöser und rassistischer Judenhass tatsächlich voneinander zu trennen sind, ist freilich unter Historikern umstritten. Und ebenso umstritten ist die Frage, ob ein Übergang von der einen zur anderen Form im späten 19. Jahrhundert geschah – also zu Beginn der Zeitepoche, die gemeinhin als die Moderne bezeichnet wird. Am Anfang der hier zu behandelnden Forschungsprobleme steht deshalb die Diskussion des Charakters von Judenfeindschaft vor und in der Moderne. Ist Judenfeindschaft ein mehr oder weniger kontinuierliches Phänomen, das höchstens seine äußere Gestalt gewechselt, aber im Kern wesentlich unverändert geblieben ist, seit es Juden gibt? Oder vollzog sich ein grundlegender Wechsel von traditionellem Antijudaismus zu modernem Antisemitismus? Hat das Phänomen also einen Veränderungsprozess durchlaufen, der seine Natur in zentralen Punkten verwandelt hat? Und wenn Letzteres zutrifft: Welche sind dann diese zentralen Punkte? Diese Fragen sind die Themen des ersten Kapitels. Eng verbunden damit, und ebenso kontrovers diskutiert, ist die Frage nach Ursachen des Antisemitismus. Sie steht im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Einige Erklärungen heben die Rolle eines einzigen Faktors bei der Entstehung von Judenfeindschaft hervor. Solche mehr oder weniger monokausalen Interpretationen erfreuen sich besonders in einer breiteren Öffentlichkeit unge-
Überblick brochener Popularität, haben aber auch in wissenschaftlichen Kreisen manche Anhänger. So wird die Entstehung antisemitischer Einstellungen etwa häufig mit einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur in Verbindung gebracht. Im Kontrast zu solchen psychologischen Theorien stehen Interpretationen, die Religion als Faktor betonen. Antisemitismus ist demnach untrennbar in christlicher Tradition oder christlichem Weltbild verwurzelt. Andere Theorien erkennen zwar die Bedeutung religiöser Wurzeln oder psychischer Strukturen für die Ausbildung antisemitischer Mentalitäten an. Weil solche antisemitischen Einstellungen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten in ganz unterschiedlicher Intensität zum Ausdruck kommen, sehen sie die entscheidenden Faktoren dafür aber in wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen. Ökonomische Krisen, die zu realen Konflikten zwischen Juden und Nichtjuden führen oder auch Angriffe auf Juden als Sündenböcke für ganz andere Konflikte provozieren, erscheinen dann als die zentralen Ursachen. Die Schwierigkeit, antisemitische Mentalitäten als solche – im Gegensatz zu antisemitischen Äußerungen und Handlungen – in ihren Quellen auszumachen, hat manche Historiker in der letzten Zeit dazu veranlasst, zumindest explizit auf die Suche nach Ursachen für antisemitisches Verhalten ganz zu verzichten. Stattdessen haben sie sich verstärkt der Entschlüsselung von Bedeutungsinhalten und Symbolik in den konkreten Ausdrucksformen von Antisemitismus zugewandt. Andere Forscher halten dagegen an der Suche nach Ursachen und Motiven fest, betonen aber, dass diese sehr verschieden, vielschichtig und im Zeitverlauf wandelbar sein können. Für die Zeit ab dem 19. Jahrhundert ist Antisemitismus insbesondere als eine Ideologie interpretiert worden, die sich mit antimodernen Bewegungen verbunden hat. Daneben werden für dieselbe Epoche zunehmend auch Zusammenhänge mit dem Nationalismus thematisiert. Für die Zeit seit dem – späten – 19. Jahrhundert ist auch die Anwendung des Antisemitismus-Begriffs unumstritten. Auf ihr liegt der Schwerpunkt der um den Antisemitismus geführten Kontroversen. Noch einmal ganz besonders gilt das für die Jahrzehnte zwischen den 1870er Jahren und 1945. Darauf konzentrieren sich deshalb die nächsten drei Kapitel der Darstellung. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Antisemitismus im internationalen Vergleich. Bis in die 1970er Jahre gab es Publikationen zu diesem Thema fast nur für den deutschen Sprachraum. Veröffentlichungen zu Antisemitismus in anderen Ländern ließen sich in den meisten Fällen an den Fingern einer Hand abzählen – ein einseitiger, aber angesichts der Betroffenheit über den von Deutschland ausgegangenen Völkermord an den europäischen Juden verständlicher Zustand. Seitdem hat die Zahl wissenschaftlicher und populärer Publikationen zur Geschichte des Antisemitismus in fast allen Ländern Europas und in der USA beträchtlich zugenommen. Das ist vor allem die Folge von Kontroversen um die Rolle von Judenhass in den jeweiligen nationalen Geschichtsbildern. An diesen Kontroversen beteiligten sich meist Wissenschaftler ebenso wie eine breitere Öffentlichkeit. Manchmal ging es Historikern aber auch darum, durch die intensive Erforschung von Antisemitismus in verschiedenen nationalen Kontexten die Basis für internationale Vergleiche zu schaffen. Denn der Vergleich gilt in der Geschichtswissenschaft als Ersatz für das naturwissenschaftliche Experiment: Durch ihn lassen
II.
3. Kapitel
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Überblick
II.
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
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sich nicht selten Hypothesen, etwa über die Ursachen des Phänomens, erhärten oder widerlegen. Nicht zuletzt kann der internationale Vergleich gerade auch dazu dienen, die spezifischen Hintergründe der Entstehung des einzigartig mörderischen Antisemitismus der deutschen Nationalsozialisten näher zu beleuchten. Dazu ist natürlich auch die nähere Untersuchung der Judenfeindschaft in Deutschland vor 1933 nötig. Diesem Thema widmet sich das vierte Kapitel. Obwohl die Zahl der Publikationen zur Geschichte des Antisemitismus anderswo während der letzten Jahrzehnte gewaltig angewachsen ist, dürfte die Forschung zu Deutschland immer noch ebenso umfangreich sein wie die zu allen anderen Ländern Europas zusammengenommen. In der kaum noch zu überschauenden wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema ist weniger umstritten, dass es Spezifika der deutschen Entwicklung gegeben hat. Kontrovers erörtert wird vielmehr, worin diese genau lagen, und seit wann sie konkrete Gestalt annahmen. Zeichnete sich ein deutscher Sonderweg im Verhältnis von Juden und Nichtjuden etwa schon seit der Reformation ab? Oder begann dieser erst mit der Machtübernahme Hitlers und der Nationalsozialisten 1933? Zwischen diesen beiden extremen Positionen werden auch die Zeit der Aufklärung, das späte 19. Jahrhundert, die Jahrhundertwende um 1900 oder der Erste Weltkrieg als mögliche Zäsuren genannt, an dem Deutschland sich von einem „mainstream“ der europäischen Entwicklung abgekoppelt habe. Im Zusammenhang damit diskutieren Historiker unter zeitweise regem Interesse der Öffentlichkeit seit langem ebenfalls die Frage, wie tief die deutsche Gesellschaft als Ganzes und bestimmte Teile von ihr durch Antisemitismus geprägt wurden. War der Völkermord an den europäischen Juden die Konsequenz einer Verkettung außergewöhnlicher Umstände, durch die eine kleine Gruppe hyperradikaler Antisemiten mit dem fanatischen Judenhasser Hitler an der Spitze die Gewalt über das Deutsche Reich an sich reißen konnte? Oder war Hitlers Aufstieg zur Macht und die nationalsozialistische Vernichtungspolitik eine logische Folge davon, dass sich in fast allen Teilen der deutschen Gesellschaft spätestens seit dem 19. Jahrhundert eine tiefgehende Judenfeindschaft verbreitete? An diese Kontroversen schließen sich nahtlos die Debatten an, die in Wissenschaft und Öffentlichkeit wiederholt über das Verhältnis von Nationalsozialismus und Antisemitismus geführt wurden. Sie werden im fünften Kapitel behandelt. Waren die nichtjüdischen Deutschen „willige Vollstrecker“ oder entsetzte Zuschauer des nationalsozialistischen Völkermords? Welche Bedeutung hatte der Antisemitismus für Wahlerfolge, Organisation und Ideologie der NSDAP? Hatten Hitler und seine Partei einen seit langem ausgearbeiteten Plan für den Mord an den Juden, der Stück für Stück konsequent umgesetzt wurde? Oder war der Völkermord das Resultat einer chaotischen Politik der Improvisation, an der viele Hände beteiligt waren, und bei der antisemitische Ideologie vielleicht noch nicht einmal als der zentrale Antriebsfaktor wirkte? In den Jahren nach 1945, die das sechste Kapitel behandelt, wurde Antisemitismus zunehmend skandalisiert und tabuisiert – zumindest in großen Teilen Europas und Nordamerikas. Darüber besteht weitgehende Einigkeit. Umstritten ist in Wissenschaft und Öffentlichkeit allerdings, ob mit dieser Tabui-
Überblick sierung und Skandalisierung auch ein Rückgang von antisemitischen Einstellungen verbunden war. Diskutiert wird zudem, ob die Skandalisierungsschwelle seit etwa 1990 sinkt und es deshalb eine Renaissance von Judenfeindschaft in Deutschland und anderen Ländern der westlichen Welt gibt. Schließlich wird im Rahmen dieses Kapitels auf Kontroversen einzugehen sein, die sich an Fragen nach einem Formenwandel von Vorurteilen über Juden nach 1945 entzünden. Hat sich der Antisemitismus in einen nicht minder fragwürdigen „Philosemitismus“ verwandelt, der Nichtjuden vor allem dazu dient, sich nicht näher mit der antisemitischen Vergangenheit ihrer Gesellschaften beschäftigen zu müssen, und eben deshalb jederzeit wieder in den alten Judenhass umschlagen kann? Ist mit der Leugnung oder Banalisierung von „Auschwitz“ eine neue, besonders gefährliche Form von Judenfeindschaft entstanden? Wurde Antisemitismus seit der Gründung des Staates Israel von einem sich gegen diesen richtenden „Antizionismus“ verstärkt oder sogar abgelöst? Und hat sich Judenhass auf diese Weise auch dort ausbreiten können, wo Antisemiten bis dahin relativ erfolglos schienen – wie in Europa unter der politischen Linken und im Nahen Osten im Islam? Der letzte Punkt leitet zum siebten Kapitel über, das Antisemitismus in der islamischen Welt thematisiert. Die Verbreitung und die Natur von Judenhass dort haben in Wissenschaft und Öffentlichkeit ein wechselhaftes Interesse gefunden – parallel zu den Konjunkturen des Nahostkonflikts zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Die terroristischen Attacken radikaler Islamisten erhöhten die Aufmerksamkeit für das Thema vor allem seit 2001 beträchtlich. Damit einher ging freilich auch eine Verschärfung der Kontroversen, die bereits seit längerer Zeit darüber ausgefochten wurden. Von zentraler Bedeutung ist hier die Frage, wie weit Antisemitismus in der islamischen Welt als Eigengewächs oder als Import aus dem christlich-europäischen Kulturkreis betrachtet werden kann. Konkret diskutiert werden dabei unter Historikern drei Problemkreise: die Stellung von Juden in der traditionellen islamischen Zivilisation, vor allem im Vergleich zum christlichen Alteuropa, die Entwicklung dieser Stellung im Prozess der Modernisierung und des intensivierten christlich-islamischen Kontakts seit dem 19. Jahrhundert allgemein, und speziell das Verhältnis von Arabern und deutschen Nationalsozialisten 1933 bis 1945. Einzugehen sein wird schließlich auch auf die Diskussion über die Ursachen des aktuellen Antisemitismus in der arabischen Welt. Liegen sie ausschließlich in einem realen äußeren Konflikt mit Israel? Oder erfüllt Antisemitismus hier auch und vielleicht sogar hauptsächlich andere, innenpolitische Funktionen, wie die Abwehr gesellschaftlicher Modernisierung – Funktionen, denen auch in der Diskussion über Antisemitismus und seine Ursachen in Deutschland und Europa großer Platz eingeräumt wird? Der Kreis schließt sich damit. Tatsächlich stellen die einzelnen Kapitel Aspekte eines Themas vor, die hier im Interesse eines leichteren Verständnisses analytisch getrennt wurden, aber durch vielfältige Querbezüge eng miteinander verbunden sind. Der letzte Abschnitt dieses Buchs greift diese Querbezüge noch einmal auf, bündelt sie und versucht so eine Zwischenbilanz des Forschungsstands. Auf dieser Grundlage sollen abschließend Perspektiven formuliert werden, die als Wegweiser für zukünftige Arbeiten zum Antisemitismus dienen können.
II.
7. Kapitel
Ausblick
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III. Forschungsprobleme 1. Judenfeindschaft vor und in der Moderne – Kontinuität oder Bruch?
Kontinuitätsthese
NS als „politische Religion“
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Wie ähnlich ist ein Schmetterling einer Raupe? Nicht eben sehr, hat es den Anschein. Dennoch gibt es Raupen, aus denen Schmetterlinge werden. Solche Gestaltveränderungen oder Metamorphosen gibt es wie im Tierreich auch in der Geschichte der Judenfeindschaft. Denkt man an die hässliche Fratze des nationalsozialistischen Antisemitismus im 20. Jahrhundert, mag der Vergleich mit einem Schmetterling unter ästhetischen Dimensionen zwar etwas hinken. Doch gerade um das Absehen von Äußerlichkeiten geht es hier. Denn wie bei der Metamorphose der Raupe zum Schmetterling stellt sich auch bei der Entwicklung der vormodernen zur modernen Judenfeindschaft die Frage: Entspricht dem offensichtlichen Wandel der äußeren Form auch ein Wandel der Inhalte? Hat sich die Natur des Objekts grundlegend verändert? Manche Historiker verneinen diese Frage. Sie sehen eine grundlegende Kontinuität der Judenfeindschaft zwischen Vormoderne und Moderne. In einem Aufsatz mit dem Titel Vom christlichen Judenhass zum modernen Antisemitismus hat Yehuda Bauer diese Position pointiert zusammengefasst. Zwar hätten Judenfeinde in Europa seit dem 19. Jahrhundert dem modernen Zeitgeist oberflächlichen Tribut gezollt, indem sie ihre abstrusen Vorstellungen als Wissenschaft ausgaben und mit neuen Ideologien wie Nationalismus verbanden. „Doch kann der Antisemitismus sein christliches Erbe nicht verleugnen.“ Christentum und Judenhass bildeten eine unauflösliche Einheit. Da die westliche Kultur im Christentum wurzele, sei Judenfeindschaft in dieser Kultur allgegenwärtig. Sie verändere sich allenfalls in den äußeren Formen, aber nicht in ihrer Natur. Judenhass ähnele überdies dem Grinsen der Cheshire-Katze im Buch Alice im Wunderland, das noch bleibt, wenn der Rest der Katze bereits unsichtbar geworden ist: Als „eine tiefgründige kulturelle Erscheinung des Abendlandes“ bleibe er auch dort lebendig, wo das Christentum durch Säkularisierung an sichtbarer Bedeutung verliert. Denn letztlich gingen auch vermeintlich säkulare Formen von Judenhass auf christliche Traditionen zurück (63; ähnlich 27, S. 204 – 207; 29; 35; 55). Auch der nationalsozialistische Antisemitismus wird aus dieser Sicht in der Tradition christlicher Judenfeindschaft verortet. Besonders Michael Ley hat den Nationalsozialismus als „politische Religion“ interpretiert. Zwar verstand Hitler seine Bewegung als säkular und auch gegen die christliche Religion gerichtet. Vor allem ideologisch habe der Nationalsozialismus jedoch vielfach direkt an christliche Vorstellungen angeknüpft. So übernähmen die Juden in der nationalsozialistischen Weltanschauung die Rolle, die im christlichen Weltbild dem Teufel zukomme. Mit diesem im Bunde zu sein, wurde den Juden im Christentum traditionell ohnehin unterstellt. Auch das nationalsozialistische Verständnis der Geschichte als Rassenkampf zwischen Ariern und Juden, der mit der totalen Vernichtung der Letzteren enden müsse, sei
1. Judenfeindschaft vor und in der Moderne eine säkularisierte Version der Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Himmels und der Hölle in der biblischen Apokalypse. Die Utopie des „tausendjährigen Reiches“ baue auf christlichen Endzeiterwartungen auf, die seit dem Spätmittelalter nachweisbar sind (72; 73; 74; 81; 82). In einem vielzitierten Buch über die „theologischen Wurzeln des modernen Antisemitismus“ hat Rosemary Ruether deshalb Kontinuitäten christlicher Judenfeindschaft seit der Antike betont. Wenn man diese Kontinuitäten zur Kenntnis nehme, werde „aus dem angeblichen Bruch zwischen mittelalterlichem Antijudaismus und dem Nazismus eine unbequeme Nähe“. Zwar habe die bürgerliche Gleichberechtigung der Juden seit dem 19. Jahrhundert „den Antijudaismus in neuen Formen“ belebt, „indem sie die Grundlage für den Hass von theologischen auf nationalistische und dann rassistische Gründe übersetzte […] Doch dieselben Stereotypen, dieselben psychologischen Grundeinstellungen wurden bei dem Wechsel der theoretischen Grundlagen beibehalten […] Die Rassentheorie war neu, doch die Stereotypen des Hasses waren die alten“ (76, S. 199 f.). Die Neuheit der Rassentheorie ist denn auch der zentrale Einwand gegen die Kontinuitätsthese. Tatsächlich gehen viele Historiker von einem grundlegenden Bruch, einer einschneidenden Transformation in der Entwicklung der Judenfeindschaft aus. Im Gegensatz zu Bauer, Ley, Ruether und anderen sehen sie eine wesentliche Zäsur zwischen einem früheren, religiös begründeten Antijudaismus und einem späteren, rassistisch motivierten Antisemitismus. Dafür spräche bereits, „dass der Begriff ,Antisemitismus erst im 19. Jahrhundert als Selbstbezeichnung der Träger dieser Form von Judenfeindschaft aufkam, schon im Wort den rassisch konstruierten Gegensatz zwischen ,Semiten und anderen (,Ariern ) anzeigend“. Hauptsächlich argumentieren die Vertreter der Transformationsthese allerdings mit einer in vielerlei Hinsicht neuartigen Ausprägung von Judenfeindschaft. „Die Akzente dieser Argumentation können im einzelnen verschieden ausfallen. Zentral ist das Argument, dass mit dem Antisemitismus die Judenfeindschaft auf eine nachreligiöse Grundlage gestellt wurde“ (67, S. 99). Dass ein solcher Wandel erfolgt ist, erkennen zumindest manche Vertreter der Kontinuitätsthese durchaus an. In Frage gestellt wird von ihnen aber, ob dieser Wandel in der Theorie auch Rückwirkungen auf die Praxis der Judenfeindschaft gehabt hat. Ein noch so einschneidender Wechsel der theoretischen Grundlagen von Judenhass ließe sich als letzten Endes nebensächlich abqualifizieren, wenn die Inhalte antijüdischer Vorurteile und die daraus erwachsenden Handlungen gegen Juden die gleichen blieben. In diesem Sinn verwiesen Rosemary Ruether und andere auf die langfristige Kontinuität von stereotypen Judenbildern (38; 47; 76). Nach Ansicht von Victor Karady „hat die Behandlung der Juden durch die Christen in der Geschichte die wesentlichen Modelle der antijüdischen Gewalt in der Moderne geliefert. Die Massaker der mittelalterlichen Kreuzzüge, die Pogrome in Russland während des ganzen 19. Jahrhunderts, die ,Reichskristallnacht (10. November 1938) und die in Kielce (Polen) oder Kunmadaras (Ungarn) 1946 verübten Morde unterscheiden sich kaum voneinander (auch nicht im Ausmaß der Brutalität). Die Scheiterhaufen der Inquisition […] dienten als Vorbild für die Krematorien von Auschwitz“ (27, S. 205 f.). Und macht es überhaupt einen Unterschied für die jüdischen Opfer von Pogromen, warum sie gedemütigt, misshandelt,
III.
Transformationsthese
,
,
,
11
,
Forschungsprobleme
III.
„Judenfrage“ im Christentum
„Judenfrage“ im NS
12
vertrieben oder getötet werden? Spielt es eine Rolle, ob sie aus religiösen oder rassischen Motiven verfolgt werden? Die Vertreter der Transformationsthese antworten darauf freilich: Ja – es spielt eine Rolle, und es macht einen Unterschied. Denn die Auswechslung der theoretischen Grundlagen von Judenhass in der Moderne hatte ihrer Auffassung nach auch wichtige Folgen für die Praxis judenfeindlicher Politik. In der christlichen Weltsicht des Mittelalters wurde den Juden demnach ein gänzlich anderer Platz angewiesen als in der rassistischen Weltsicht der deutschen Nationalsozialisten des 20. Jahrhunderts. Es mochten zwar in beiden Weltanschauungen Juden die Antithese zu Christentum und „Ariertum“ verkörpern. Insofern stellte die jüdische Existenz sowohl für mittelalterliche Christen wie auch für Nationalsozialisten ein subjektives Problem dar: Für beide gab es eine „Judenfrage“. Über die Lösung dieses subjektiv konstruierten Problems gab es aber in der vormodernen christlichen Welt ganz andere Vorstellungen als unter den rassistischen Antisemiten der Moderne. Nach traditionell christlichem Verständnis konnte die Antwort auf die „Judenfrage“ letzten Endes nur durch göttliche Intervention gegeben werden. Im göttlichen Heilsplan kam den Juden die Rolle zu, am Jüngsten Tag als „letzte Zeugen“ die Göttlichkeit von Jesus zu erkennen und damit die Erlösung der ganzen Menschheit zu vollenden. Christen konnten auf den Tag der Erlösung zwar hinarbeiten, indem sie sich schon vorher um eine Bekehrung von Juden zum „wahren Glauben“ bemühten. Im Grunde blieb aber der Jüngste Tag und damit auch die endgültige Lösung der „Judenfrage“ ein Akt göttlicher Gnade. Zwar gestehen Anhänger der Transformationsthese wie David Nirenberg durchaus zu, dass deshalb Juden in der christlich geprägten Welt der europäischen Vormoderne keineswegs Diskriminierung und Verfolgung erspart blieb. Die theologische Etikettierung von Juden als Bundesgenossen von Teufel und Antichrist, überschießender Bekehrungseifer und andere, durchaus profane Motive wie das Bestreben statt jüdischer Seelen jüdischen Besitz zu gewinnen, spielten dabei gleichermaßen eine Rolle. Für die Opfer hatte das grausame und nicht selten auch tödliche Konsequenzen. Dennoch unterschied sich die Lage von Juden im vormodernen christlichen Europa individuell wie kollektiv grundsätzlich von der unter nationalsozialistischer Herrschaft. Dem Einzelnen blieb der Weg offen, sich durch Bekehrung zum Christentum Verfolgung und Tod zu entziehen. In der Verfolgung durch die nationalsozialistischen Rassisten, die das Judentum als Abstammungs- statt als Religionsgemeinschaft konstruierten, war dieser Ausweg dagegen versperrt. Während der Vormoderne engagierten sich zudem die geistigen und weltlichen Obrigkeiten, allen voran das Papsttum, in der Regel für Schutz und Erhaltung jüdischer Gemeinschaften, dabei auch immer eingedenk der Funktion, die den Juden nach christlichem Verständnis im göttlichen Heilsplan am Ende der Zeiten zukommen sollte (75). Die Gegensätze zum nationalsozialistischen Antisemitismus liegen auf der Hand. Den rassistischen Judenhassern des 20. Jahrhunderts war die der christlichen Welt eigene Heilsgewissheit verloren gegangen. An die Stelle der göttlichen Vorsehung war für sie die Gestaltung des Schicksals durch den Menschen getreten. Die Lösung der „Judenfrage“ konnte in dieser säkularisierten Form der Judenfeindschaft nicht mehr auf das Ende der Zeiten vertagt,
1. Judenfeindschaft vor und in der Moderne sondern musste im Diesseits selbst angegangen werden. Und weil sie anders als nach christlichem Verständnis nicht durch die Integration der Juden in das eigene Lager denkbar erschien, ließ sie sich nur als physische Vernichtung des imaginierten Gegenübers vorstellen – und in die Tat umsetzen (67, S. 106 – 108; 69, S. 306 f.). Die Judenverfolgungen der Vormoderne mögen zwar an Brutalität denen der Moderne nicht nachstehen. Deshalb die einen mit den anderen gleichzusetzen, übersieht aber nicht nur die unterschiedlichen Motivlagen. Es ignoriert zumindest im Fall des nationalsozialistischen Völkermords an den europäischen Juden während des zweiten Weltkriegs auch die Totalität des dahinter stehenden Vernichtungswillens. Angesichts dieser Differenzen wird die Transformationsthese von Spezialisten für moderne (22; 44) wie für vormoderne Judenfeindschaft geteilt (64; 68; 75). Nicht ganz eindeutig sind in dieser Gruppe allerdings die Ansichten darüber, wann sich der Prozess der Transformation von religiös zu rassisch motiviertem Judenhass vollzogen hat. Die klassische und bis heute am meisten verbreitete Auffassung geht von einem mehr oder weniger klaren Bruch im 19. Jahrhundert aus. In diesem Jahrhundert habe eine Sicht von Juden als „Rasse“ sich weithin durchgesetzt. Erst seitdem sei es üblich geworden, unter dem Judentum eine Abstammungsgemeinschaft zu verstehen. Bis ins 18. Jahrhundert habe man darunter hingegen eine Religionsgemeinschaft verstanden. Dieser Auffassung sind jedoch empirische Befunde entgegengehalten worden, die auf rassistische Elemente in judenfeindlichem Denken schon weit vor dem 19. Jahrhundert hindeuten. So findet sich bereits zur Zeit der Reformation in einer Reihe von Texten aus dem deutschen Sprachraum der Begriff „Taufjude“. Bezeichnet wurden so Menschen jüdischer Herkunft, die zum Christentum konvertiert waren. Das Judenbild der Autoren der betreffenden Texte war offensichtlich zumindest nicht nur von religiösen Kategorien geprägt (77, S. XIV–XIX). In Spanien wurden im späten 15. Jahrhundert zum Christentum Konvertierte ebenfalls als Juden ausgegrenzt und verfolgt. Das geschah hier im Rahmen von „Blutreinheitsgesetzen“ sogar von Seiten der Staatsgewalt. Manche Historiker haben diese Gesetze als Anzeichen für einen Antisemitismus auf rassistischer Grundlage interpretiert, der mit dem nationalsozialistischen vergleichbar sei (66). Die Analyse antijüdischer Bildstereotype gibt sogar Hinweise darauf, dass Rassismus selbst in mittelalterlicher Judenfeindschaft einen Platz haben konnte: Die „jüdische Hakennase“ als prominentestes Element der antisemitischen Vorstellung eines „typisch jüdischen“ Körpers, und damit einer auch durch Bekehrung zum Christentum nicht veränderbaren jüdischen Natur, taucht zum ersten Mal bereits in einer Illustration des 13. Jahrhundert auf. Dieses rassistische Bildstereotyp entstand zudem aus einer Übertragung religiöser Konzepte: Die Hakennase war zunächst nur ein Attribut von bildlichen Darstellungen des Teufels. Angesichts der christlichen Praxis, Juden als Bundesgenossen des Teufels anzusehen, wurden dann auch diese mit ihr dargestellt (70). Letzten Endes stellen solche Befunde nicht nur die gängige These eines Wandels der Judenfeindschaft im 19. Jahrhundert in Frage, sondern auch eine Grundlage der Transformationsthese überhaupt: nämlich die Annahme, dass sich religiöse und rassistische Bestandteile von Judenhass analytisch voneinander trennen lassen.
III.
Zeitpunkt der Transformation
13
Forschungsprobleme
III. Gavin Langmuirs Alternative: Chimärischer Antisemitismus
Gleitende Transformation
14
Gavin Langmuir hat deshalb vorgeschlagen, den Versuch dazu ganz aufzugeben. Stattdessen plädiert er für eine alternative Klassifizierung von Judenfeindschaft in xenophobe (fremdenfeindliche) und chimärische Vorstellungen. Eine xenophobe Vorstellung steht etwa hinter der Behauptung, alle Juden seien Wucherer. Ein solche Behauptung ist zwar nachweislich falsch. Da es aber durchaus auch Juden gibt, die Wucher treiben, hat sie immerhin noch einen gewissen Bezug zur Realität, weil tatsächliche Eigenschaften einzelner Mitglieder einer Gruppe der ganzen Gruppe zugeschrieben werden. Chimärische Vorstellungen zeichnen sich dagegen durch den Verlust jedes Realitätsbezuges aus. Dazu gehören zum Beispiel die Vorwürfe, Juden würden Ritualmorde an Christen begehen oder hätten sich zur Erlangung der Weltherrschaft verschworen, die jeder Grundlage in der Wirklichkeit entbehren. Nach Langmuir kamen solche chimärischen Vorstellungen über Juden erst seit dem 12. Jahrhundert auf. Sie hätten zu einer Intensivierung und Radikalisierung ihrer Verfolgung durch Christen geführt. Dies, und nicht ein Übergang von religiösem zu rassistisch motiviertem Judenhass, sei die entscheidende Transformation (71). Langmuirs Theorie erinnert an den wichtigen Umstand, dass Judenfeindschaft sich auch nach anderen Kriterien klassifizieren lässt als nach den ihr zugrunde liegenden Motiven. Seine Schlussfolgerungen über die historische Entwicklung des Phänomens sind unter anderen Wissenschaftlern allerdings größtenteils auf Skepsis gestoßen. Denn wenn auch chimärische Vorstellungen wie die von jüdischen Ritualmorden erst seit dem 12. Jahrhundert entstanden, gab es vergleichbare Wahnideen unter Nichtjuden doch schon wesentlich früher. Der nicht weniger chimärische Glaube, Juden verehrten den Teufel oder beteten zu einem Eselskopf, ist etwa bereits für Antike und frühes Mittelalter belegt (67, S. 102; 78, S. 721f). Langmuirs Ansicht, dass der entscheidende Wandel in der Natur von Judenfeindschaft der zu chimärischen Vorstellungen ist, und dass dieser Wandel während des Hochmittelalters im 12. Jahrhundert geschah, hat sich deswegen nicht durchgesetzt. Ebenso wenig durchgesetzt hat sich eine von einzelnen Historikern zur Diskussion gestellte Vorverlegung der Transformation von religiösen zu rassistischen Triebkräften des Judenhasses auf die Zeit um 1500 oder noch früher. Die meisten Anhänger der Transformationsthese gehen weiterhin davon aus, dass dieser Wechsel theoretischer Grundlagen erst seit dem 19. Jahrhundert weithin handlungsleitend wurde. Der Wechsel wird allerdings nun vielfach weniger als radikaler Bruch denn als gleitender Übergang mit einer längeren Vorbereitungsphase gesehen. So möchte etwa Rainer Walz zwar an der Unterscheidung zwischen einem christlich geprägten Antijudaismus im Mittelalter und einem modernen Rassismus im 19. und 20. Jahrhundert festhalten. Dazwischen sieht er aber eine Phase des „genealogischen Rassismus“ in der frühen Neuzeit. Dieser „genealogische Rassismus“ habe eher die gemeinsame Abstammung aller Juden betont, der spätere „anthropologische Rassismus“ mehr ihre Natur (78). Johannes Heil und andere sprechen dagegen lieber von einem „Proto-Rassismus“ in spätem Mittelalter und früher Neuzeit, weil in den Quellen dieser Epoche eine Gemengelage von genealogischen und anthropologischen Argumenten anzutreffen sei (67, S. 103 – 109). Tatsächlich gesteht Walz zu, dass der Inhalt von Begriffen wie „Rasse“ und „Abstammung“, aber auch von „Religion“, „Stand“ und „Na-
1. Judenfeindschaft vor und in der Moderne tion“ zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert nicht wirklich voneinander zu scheiden sei (78, S. 724 – 728). Einigkeit besteht jedenfalls über einen Bedeutungsgewinn rassistischer und säkularer Elemente im Lauf der Zeit: Weil „das traditionelle Vorurteilssystem aus seinem religiösen oder religiös bemäntelten Legitimationsrahmen gelöst wurde“, habe schließlich „die Judenfeindschaft eine neue Qualität“ erreicht (67, S. 104 f.). Bisher sind Kontinuitäts- und Transformationsthese an der historischen Entwicklung einzelner antijüdischer Stereotype, ob xenophob oder chimärisch, nur selten überprüft worden. Das vormoderne Klischee vom jüdischen Wucherer erfreut sich zwar eines breiten wissenschaftlichen wie öffentlichen Interesses (38, S. 43 – 147), aber tiefschürfende Analysen über seine Verbindungen zur modernen Legende vom „jüdischen Finanzkapital“ und deren Aspekte fehlen. Auch die Vorstellung vom jüdischen Ritualmord ist erst in Ansätzen systematisch untersucht worden. Neben Forschungen zu ihren Ursprüngen aus christlicher Blutmystik und Gottesmordvorwurf liegen vor allem Fallstudien zu einzelnen Ritualmordvorwürfen vor. Trotz einer Fülle von Detailstudien (zuletzt: 17; 255; 282) ist die analytische Erschließung von Kontinuitäten und Brüchen der Ritualmordlegende seit ihrer Entstehung im 12. Jahrhundert immer noch ein Desiderat der Forschung. Stefan Rohrbacher hat allerdings einen Hinweis darauf gegeben, dass die Legende spätestens im nationalsozialistischen Deutschland während des Zweiten Weltkriegs in wesentlich gewandelter Form auftaucht. Die Propaganda der Nationalsozialisten stellte den Weltkrieg nämlich als einen jüdischen „Ritualmord an den Völkern“ dar. Der Ritualmordvorwurf wurde dabei nicht nur von seinen christlichen Elementen getrennt und mit dem Nationalismus verbunden. Er wurde auch mit einem anderen uralten antijüdischen Stereotyp verquickt „als ein letzter Versuch der jüdischen Weltverschwörung, die nichtjüdische Menschheit abzuschlachten“ (38, S. 357f). Die Geschichte der Vorstellung von einer jüdischen Weltverschwörung ist ein vergleichsweise gut erforschtes Stereotyp. Norman Cohn hat sich schon vor längerer Zeit mit der im 20. Jahrhundert am weitesten verbreiteten Variante dieses „Mythos“ beschäftigt, mit den „Protokollen der Weisen von Zion“. Diese „Protokolle“ einer angeblichen Besprechung zwischen den Führern des „Weltjudentums“ über die Schritte zur Erlangung jüdischer Herrschaft auf dem gesamten Globus wurden Anfang des Jahrhunderts in Russland von radikalen Antisemiten gefälscht. Cohn interpretierte dieses Machwerk und die Geschichte seiner Rezeption im Wesentlichen als Ausdruck einer ungebrochenen Kontinuität antijüdischen Denkens seit dem Mittelalter. Die im 20. Jahrhundert verbreitete Vorstellung von der jüdischen Weltverschwörung sei „einfach eine modernisierte, säkularisierte Form des mittelalterlichen Volksglaubens, wonach die Juden eine Rotte von Zauberern waren, deren sich Satan bediente, um die Christenheit geistig und körperlich zugrunde zu richten“ (18, S. 12). Die Entwicklung dieser Vorstellung vor dem 19. Jahrhundert untersuchte Cohn allerdings nicht näher. Das tat erst Johannes Heil ein halbes Menschenalter später. Heils Ergebnisse widersprechen Cohns Kontinuitätsthese deutlich. Demnach koppelte sich der Glaube an eine jüdische Weltverschwörung bereits seit dem Spätmittelalter zunehmend von seinen religiösen Wurzeln ab. Die Verbindungen zwischen diesem Glauben und dem an den Teufel, die
III.
Untersuchungen judenfeindlicher Stereotype
„Jüdische Weltverschwörung“
15
Forschungsprobleme
III.
besonders in der Figur des „Antichristen“ zusammenflossen, verblassten während der frühen Neuzeit zusehends. Der Antichrist, so Heil, verschwand aus der Mitte der europäischen Vorstellungswelten, und nach dem 17. Jahrhundert „hat man ihn sang- und klanglos in die Gruft der Ideengeschichte zur letzten Ruhe gebettet“. Der imaginierte Zielpunkt der jüdischen Verschwörung wurde infolgedessen aus dem Jenseits ins Diesseits verlegt. Aus einer latenten wurde in der antisemitischen Vorstellungswelt dadurch eine akute Gefahr; der nun unmittelbar bevorstehenden jüdischen „Machtergreifung“ musste durch sofortige Aktion zuvorgekommen werden. Das „Heil“, die Rettung vor der jüdischen Weltherrschaft, lag jetzt nur noch in der totalen physischen Vernichtung des Gegners. Den Juden blieb damit der ihnen in der christlichen Welt offene Ausweg der Assimilation, der Bekehrung versperrt. Von einer bruchlosen Kontinuität könne deswegen keine Rede sein, urteilt die vorläufig letzte Studie zur Frage des Verhältnisses von Judenfeindschaft vor und in der Moderne (68).
2. Ursachen des Antisemitismus
Tendenziell monokausale Theorien
16
Wer die Ursachen von Judenfeindschaft vollständig erklären wolle, meinte der liberale Politiker und Jude Ludwig Bamberger 1880, müsste „die halbe Weltgeschichte zu Hilfe nehmen“ (218, S. 163). Bis heute hat es derjenige, der sich über die Hintergründe von Judenhass informieren will, kaum einfacher. Es gibt zwar nicht wirklich „Tausende von Versuchen, den Antisemitismus zu definieren und seinen Ursachen auf die Spur zu kommen“ (16, S. 29). Und es wäre auch (etwas) übertrieben zu behaupten, dass es so viele Theorien über die Gründe von Judenfeindschaft gibt wie Forscher, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben. Aber zweifellos existiert eine „verwirrende Fülle“ von Erklärungen des Antisemitismus (22, S. 1). Sich in diesem Dschungel von Meinungen und Thesen zurecht zu finden, fällt nicht leicht. Das gilt umso mehr, als viele Erklärungsansätze oft weitgehend unverbunden nebeneinander stehen. Ansätze zur Verbindung verschiedener Interpretationen sind eher selten, und keiner davon ist bisher auf allgemeine Zustimmung gestoßen. Das „Fehlen einer umfassenden Theorie zu den Ursachen des Antisemitismus, die nicht nur Auskunft über die politischen, psychologischen und sozialen Wirkungsfaktoren gibt, sondern auch deren Wechselverhältnis im Bedingungsgeflecht bestimmt“ (34, S. 159), ist deshalb zu Recht beklagt worden. Theorien über die Ursachen von Antisemitismus betonen stattdessen vielfach einzelne Faktoren. Solche Theorien sind in der breiteren Öffentlichkeit wesentlich populärer als komplexere Interpretationsversuche. In populärwissenschaftlichen Darstellungen wird ihre Tendenz zur monokausalen Erklärung des Phänomens zudem noch verstärkt. Ein besonders eklatantes Beispiel dafür ist das weit verbreitete Buch von Gerald Messadié, der sonst vor allem als Bestsellerautor historischer Romane bekannt geworden ist. Seiner Ansicht nach war allein eine besondere im Religiösen wurzelnde Mentalität der Ju-
2. Ursachen des Antisemitismus
III.
den die Ursache ihrer permanenten Anfeindung: „Die Juden hatten Ehrgefühl und Mut genug, um dem 23 Jahrhunderte dauernden Wirbelsturm zu trotzen. Daher rühren die Verfolgungen“ (31, S. 16). Diese „Erklärung“ grenzt freilich ans Groteske. Nicht nur vertauscht sie Ursache und Folge. Sie übersieht auch, dass Verfolgungen nicht von den Verfolgten, sondern von den Verfolgern ausgehen. Nicht das Verhalten der Juden, sondern die Motive der Antisemiten können Aufschluss über die Ursachen des Antisemitismus geben. Bei weitem nicht alle monokausalen Erklärungen sind allerdings so absurd wie diese. Viele Antisemitismustheorien, die einen Faktor hervorheben, ignorieren auch keineswegs andere Aspekte. Und es hat beträchtliche Vorteile, eine Übersicht über die Kontroversen zu den Ursachen von Judenfeindschaft mit diesen nur tendenziell monokausalen Theorien zu beginnen. Denn solche Interpretationen sind im Vergleich zu komplexeren Erklärungsversuchen leichter zugänglich. Mögliche Faktoren lassen sich so zunächst analytisch voneinander getrennt betrachten. In einem zweiten Schritt sollen dann Antisemitismustheorien vorgestellt werden, die verschiedene Aspekte miteinander zu Ursachenbündeln verweben.
a) Theorie der antisemitischen Persönlichkeit Ungebrochen populär und auch im wissenschaftlichen Bereich immer noch wirkungsmächtig ist die Theorie der antisemitischen Persönlichkeit. Sie entstand in den 1940er Jahren im Rahmen eines Großprojekts zur Vorurteilsforschung an US-amerikanischen Universitäten. An dem Projekt waren auch eine Reihe prominenter Emigranten aus Deutschland beteiligt, darunter Theodor Adorno. Vertreter zahlreicher Wissenschaftsdisziplinen wirkten mit, unter anderem Psychologen, Soziologen und Politikwissenschaftler. Die Theorie wurde von all diesen Disziplinen mitgeprägt, am stärksten aber von Elementen aus der Psychoanalyse. Antisemitismus geht demnach von einem bestimmten Typ von Menschen aus, der durch seine Erziehung oder andere Einflüsse für die Aufnahme von judenfeindlichem Gedankengut besonders offen ist. Diese „antisemitische Persönlichkeit“ wird verstanden als eine Ausprägung der „autoritären Persönlichkeit“. Als ihre Kennzeichen gelten Denken in konventionellen Strukturen und stereotypen Vorurteilen. Typische Antisemiten besäßen eine Persönlichkeitsstruktur wie Menschen, die in einer umgangssprachlichen Metapher als „Radfahrer“ bezeichnet werden: Sie „buckelten“ nach oben und träten nach unten – mit anderen Worten, sie verbänden große Unterwürfigkeit gegen Autoritäten und über einen höheren sozialen Status Verfügende mit ebenso großer Aggressivität gegen sozial niedriger Gestellte. Macht stehe für sie über Recht. Konflikte lösten sie lieber durch physische Gewalt als durch verbale Auseinandersetzung. Einem hohen Grad von Anpassung an konventionelle Moralvorstellungen entspreche bei ihnen unter anderem eine starke sexuelle Verklemmtheit. Ihre eigenen unterdrückten Sehnsüchte würden sie häufig auf Juden projizieren (89; 95; 102). Locker verbunden mit solchen Erklärungsansätzen sind auch feministische und geschlechtergeschichtliche Interpretationen moderner Judenfeindschaft, die sich seit den 1990er Jahren einiger Beliebtheit erfreuen. Antisemitismus
Autoritarismus und Antisemitismus
Geschlechtergeschichtliche Interpretationen
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Forschungsprobleme
III.
Kritik
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steht danach im Zusammenhang mit einer Erschütterung konventioneller Geschlechterbilder und der Herausforderung patriarchalischer Autoritäten. Als Ausdruck dafür werden etwa gesehen das Klischee der verführerischen „schönen Jüdin“, die den Mann mit ihren Reizen umgarnt, bis er ihr völlig ergeben zu Willen ist, oder das Stereotyp des „weibischen Juden“, das ebenso das traditionelle Männerbild untergräbt. Psychologische und psychoanalytische Erklärungsmodelle, die antisemitische Vorurteile in Verbindung mit autoritärem und konventionellem Denken, sexueller Verklemmtheit und Projektion eigener unterdrückter Sehnsüchte bringen, spielen hier offensichtlich ebenfalls eine wichtige Rolle (86; 97; 98; 105). Als Grund dafür, dass bestimmte Menschen für Antisemitismus anfällig würden, machten die Vertreter der Theorie von der antisemitischen Persönlichkeit zunächst vor allem familiäre Einflüsse aus. Sie sei eine Folge autoritärer Erziehung mit einem hohen Grad von elterlicher Aggression gegenüber den Kindern. Wer so erzogen werde, bilde selbst eine autoritäre und antisemitische Persönlichkeit aus. Aus psychologischer Sicht ist diese Interpretation von Anfang an stark kritisiert worden, weil ihre empirische Grundlage dürftig oder fehlerhaft sei. Tatsächlich basierte die in den 1940er Jahren vorgestellte Theorie der antisemitischen Persönlichkeit lediglich auf Feldversuchen mit einer kleinen Zahl von meist weiblichen amerikanischen Studierenden der Psychologie. Auch danach, betonen die Kritiker der Theorie, wurde sie in repräsentativen Experimenten nie bewiesen. Ein Sammelband zu den Ergebnissen der psychologischen Antisemitismusforschung spitzt diese Kritik in dem provokanten Titel Error without trial zu: Bei der Theorie der antisemitischen Persönlichkeit handle es sich um einen Irrtum, der nie dem Säurebad des wissenschaftlichen Experiments ausgesetzt worden sei, statt der anerkannten Methode des „trial and error“, der Überprüfung von Hypothesen durch Feldversuche, unterzogen zu werden. Psychoanalytische Studien kamen zu dem Ergebnis, dass autoritäre Erziehung in der Familie nur bei einem Teil der analysierten Personen zu Antisemitismus führte, bei anderen dagegen nicht (85). Anhänger der Theorie der antisemitischen Persönlichkeit betonten wohl nicht zuletzt deshalb zunehmend mehr die Rolle autoritärer Strukturen in der gesamten Gesellschaft für die Entstehung von Antisemitismus, und weniger die der familiären Sozialisation. Konsequenterweise verabschiedeten sie sich im Lauf dieser Neuformulierung der Theorie auch weitgehend von der Vorstellung, dass nur für einzelne Personen und bestimmte soziale Gruppen eine Anfälligkeit für Judenhass bestehe. Vielmehr seien in modernen Gesellschaften grundsätzlich alle Menschen für autoritäres und antisemitisches Denken anfällig (102; 405, S. 120 – 138). Allerdings kann man fragen, ob die Theorie in dieser allgemeinen Form noch konkreten analytischen Wert hat, zumal sie sich so jeder empirischen Überprüfung entzieht, oder ob sie nur noch als Ansporn für politische Pädagogik taugt. Aus der Sicht von Historikern ist die Theorie der antisemitischen Persönlichkeit von jeher dafür kritisiert worden, dass sie allenfalls die Ursprünge von latenter Judenfeindschaft als permanenter mentaler Unterströmung, aber nicht deren plötzliche akute Ausbrüche in bestimmten Zeitabschnitten erklären kann. Die Theorie ist ein „starres Modell, das nicht die Dynamik des Auf und Ab von Antisemitismus in den jeweiligen Gesellschaften erläutert“ (34,
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III.
S. 160). Sie erklärt auch nicht, warum Antisemitismus mal in Form eines Pogroms, mal in Form eines schlechten Witzes vorkommt, sich mal als verbale Beschimpfung von Juden und mal als Massenmord an ihnen äußert. Ebenso wenig bietet sie eine Erklärung dafür, wieso Judenfeindschaft gleichermaßen in religiösen, wirtschaftlichen, sozialen und rassistischen Kontexten vorkommen kann und vorkommt. Zudem bleibt in der Theorie der autoritär-antisemitischen Persönlichkeit offen, warum gerade die Juden als „Blitzableiter“ für das Abreagieren von Aggression und Objekt für Projektionen dienen sollen. Die Frage „Warum die Juden?“ lässt sich zwar oberflächlich durch den Hinweis auf ihren Status als Minderheit beantworten. Diesen Status teilten sie allerdings in vielen Fällen mit anderen Gruppen, die nicht Opfer vergleichbarer Verfolgung wurden. Diese offensichtliche Leerstelle in der Theorie versuchen ihre Anhänger mit dem Hinweis auf Manipulation der Nichtjuden durch antisemitische Propaganda seitens gesellschaftlicher Eliten zu füllen. Das verschiebt die Fragestellung freilich nur: Warum wählten die Eliten ausgerechnet Juden als Zielscheibe ihrer Propaganda? Und warum fand diese Propaganda in der Masse der Bevölkerung offene Ohren? Auf diese Fragen lässt sich im Rahmen der Theorie der antisemitischen Persönlichkeit letzten Endes keine Antwort geben – es sei denn durch einen Verweis auf andere Erklärungsansätze.
b) Religion als Ursprung Der wohl langlebigste dieser Erklärungsansätze ist derjenige, der die religiösen Ursachen von Antisemitismus betont. Interpretationen, die auf Religion als zentralen Hintergrund von Judenhass abhoben, haben ungeachtet aller Moden in der Geschichte der wissenschaftlichen Erforschung von Judenfeindschaft immer einige Anhänger gehabt und auch in der breiteren Öffentlichkeit stets eine gewisse Popularität genossen. Angesichts der unbestreitbaren Verwurzelung von Judenfeindschaft in der christlichen Kultur Europas erschienen solche Erklärungen von jeher plausibel. Die Kontroverse darüber, wieweit diese Verwurzelung die Säkularisierungstendenzen der Neuzeit und besonders der Zeit ab dem 19. Jahrhundert überstanden hat, ist bereits im vorigen Kapitel behandelt worden. Erst mit der Säkularisierung wurde ein kritischer Abstand zur Religion möglich. Und erst damit konnte der Grundstein zu einer Erklärung des Antisemitismus gelegt werden, die christliche Traditionen als dessen zentralen Faktor interpretierte. Die Klassifizierung von Judenhass als religiöses Vorurteil begann mit der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Den Aufklärern galt Antisemitismus als ein Relikt religiösen Aberglaubens. Die Liberalen des 19. Jahrhunderts, die sich die bürgerliche Gleichberechtigung der Juden auf ihre Fahnen geschrieben hatten, übernahmen diese Einschätzung. Ihre Sicht des Antisemitismus als ein zu überwindender Rest „dunklen“ Mittelalters ist teilweise heute noch populär. Auch von einzelnen Wissenschaftlern wird sie geteilt und reproduziert (275; in abgewandelter Form in 72, S. 149 – 153). Je mehr nach 1945 jedoch der Nationalsozialismus weniger als Überhang von Traditionen, sondern als ein durchaus modernes Phänomen interpretiert wurde, ist dieser liberale Fortschrittsoptimismus verblasst. Die
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Forschungsprobleme
III.
Jacob Katz
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meisten Historiker, die heute in religiösen Faktoren die Kernursachen von Judenfeindschaft sehen, tun das in der Annahme, dass Religion durch alle Brüche des Modernisierungsprozesses ihre Bedeutung gewahrt hat und wohl auch wahren wird. Mit besonderer Klarheit und gleichzeitig großer analytischer Komplexität hat diesen Erklärungsansatz der israelische Historiker Jacob Katz formuliert. In seiner Studie mit dem Titel Vom Vorurteil zur Vernichtung untersucht er die Geschichte der Judenfeindschaft in Frankreich, Deutschland und Österreich-Ungarn zwischen 1700 und 1933. Seine Schlussfolgerung lautet, „dass das Christentum verantwortlich, zuständig ist für alle Ungeheuerlichkeiten des Antisemitismus bis zur Kulmination im Holocaust“. Katz fällt mit dieser Wortwahl ganz bewusst auch ein moralisches Urteil. Dieses Urteil ist seiner Ansicht nach allerdings aus der Entwicklung von christlicher Religion und Judenfeindschaft zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert wissenschaftlich begründbar. Es sei zwar richtig, dass das Christentum durch vielfältige Säkularisierungsprozesse bis zum späten 19. Jahrhundert „seinen bestimmenden Einfluss auf das Denken der Menschen und auf Staat und Gesellschaft verloren hatte. Der Staat und seine Institutionen waren nicht länger institutionell mit der Kirche verbunden, und die Entwicklung der Gesellschaft wurde nicht länger von christlichen Überzeugungen gelenkt. Die führenden Eliten in Staat und Gesellschaft standen unter dem Einfluss eher säkularer Kräfte. Aber dieser Rückgang des christlichen Einflusses war nicht gleichbedeutend mit seinem Verschwinden. Das Christentum war auch in seiner dogmatischen Gestalt nicht abgestorben. Es bildete immer noch den universalen Bezugsrahmen und das geistige Klima von Teilen der Gesellschaft, und bei diesen behielt die traditionelle Sicht von der Rolle der Juden in der Geschichte ihre Gültigkeit.“ Aus diesen ausdrücklich traditionsorientierten Teilen der Gesellschaft, betont Katz, rekrutierten sich eine Vielzahl derjenigen, die seit dem späten 19. Jahrhundert die alte Judenfeindschaft in neuem Gewand wiederbelebten. Viele der Anführer der antisemitischen Bewegung, die sich nun zu modernen Parteien formierte, seien überzeugte Christen gewesen. „Eine zweite Variante des christlichen Hintergrundes hinter dem modernen Antisemitismus findet sich bei denen, die sich für die dogmatische Wahrheit des Christentums nicht mehr interessierten, aber doch die Religion als Komponente des Nationalismus beibehalten wollten und das Christentum als einzig möglichen Garanten der privaten und öffentlichen Moral darstellten, oder die ihm aus anderen, nicht wirklich religiösen Gründen treu blieben.“ Und selbst diejenigen Antisemiten des späten 19. und 20. Jahrhunderts, die sich ausdrücklich von der christlichen Religion distanzierten, seien im Grunde doch deren judenfeindlichen Traditionen verhaftet geblieben. „Weithin erwies sich der moderne Antisemitismus also als eine Fortsetzung der vormodernen Ablehnung des Judentums durch das Christentum, selbst wenn er jede Verbindung damit bestritt oder sich sogar als feindlich zum Christentum bekannte. Der Wunsch, den Antisemitismus anders als in der jüdisch-christlichen Trennung zu begründen, blieb in Wahrheit nichts als eine Absichtserklärung. Kein Antisemit, selbst wenn er antichristlich war, verzichtete je auf den Gebrauch jener antijüdischen Argumente, die in der Ablehnung von Juden und Judentum durch frühere christliche Zeiten wurzelten“ (29, S. 320 – 322).
2. Ursachen des Antisemitismus Andere Historiker sehen im kontinuierlichen christlichen Einfluss, sei es in direkter oder indirekter Form, ebenfalls die entscheidende Ursache des Antisemitismus bis in die Moderne. Häufig findet sich diese These in Überblicksdarstellungen, die einen relativ großen Zeitraum umspannen. Die Rolle der Religion dient dann nicht zuletzt als roter Faden, der vom Autor bemüht wird, wenn angesichts einer Vielzahl von Fakten und Varianten der Entwicklung vor lauter Bäumen der Wald aus dem Blick zu geraten droht (35; 55; 72). Die Kontinuität der Bedeutung von Religion wird auch hervorgehoben in Studien wie der von Rosemary Ruether, die sich auf die Entstehung von Antijudaismus im frühen Christentum konzentriert und die daraus gewonnenen Erkenntnisse dann auf spätere Epochen überträgt, ohne diese freilich ähnlich genau untersucht zu haben (76). Nicht zu Unrecht ist kritisiert worden, dass bei solcher Vorgehensweise tendenziell vorgefasste Meinungen die Auswahl der Belege beeinflussen (45, S. 134) – eine Gefahr, die umso größer wird, je umfangreicher der behandelte Zeitraum und die vorhandenen Quellen sind. Kritik dieser Art lässt sich an der Studie von Katz weniger üben. Erst recht gilt das für Arbeiten, die sich auf ein einziges Land und das späte 19. Jahrhundert beschränken – die Zeit also, während der in Deutschland erstmals moderne antisemitische Parteien entstanden. Hermann Greive hat für das Deutsche Kaiserreich von 1871 die These aufgestellt, dass diese Parteibildung weniger vor dem Hintergrund einer Säkularisierung geschah. Vielmehr habe sie sich im Rahmen einer Rechristianisierung abgespielt (91; vgl. 22, S. 47 – 89). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Uriel Tal in einer Untersuchung, die wesentlich systematischer strukturiert und breiter in den Quellen fundiert ist. Nach Tal gab es im deutschen Kaiserreich zwei Strömungen der Judenfeindschaft. Die eine vertrat einen antichristlichen, rassistischen Antisemitismus. Diese Strömung bildete das Rückgrat der neuen antisemitischen Parteien. Sie verfügte aber über deutlich weniger Anhänger in der Bevölkerung als die zweite Strömung. Zu dieser gehörten große Teile der protestantisch-konservativen und katholischen Parteigruppen, die eine traditionelle, christlich geprägte Judenfeindschaft vertraten (51). Tals Ergebnisse bestätigen und vertiefen am wichtigen Beispiel Deutschlands zwischen 1870 und 1914 die Thesen der geographisch und vom Zeitrahmen her wesentlich breiter angelegten Studie von Jacob Katz. Allerdings besteht die Feuerprobe für jede Antisemitismustheorie darin, dass sie auch den Nationalsozialismus plausibel in ihr Erklärungsmuster einordnen kann. Die meisten Interpretationen, die Religion als zentralen Faktor von Judenhass identifizieren, thematisieren jedoch nationalsozialistische Ideologie und Herrschaft nur sehr knapp – wenn überhaupt (18; 35; 55; 76). Auch Katz Studie konzentriert sich auf die Zeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Epoche von der Jahrhundertwende bis 1933 wird in einem einzigen von 27 Kapiteln abgehandelt; die nationalsozialistische Bewegung und ihre Ideologie auf gerade einmal dreieinhalb Seiten. Wenn religiöse Erklärungsmuster des Antisemitismus systematisch auf den Nationalsozialismus angewandt werden, geschieht das meist im Rahmen des Konzepts der „politischen Religion“. Es wird dann auf Parallelen hingewiesen, die zwischen nationalsozialistischer Ideologie und insbesondere christlichem Weltbild bestünden, wie in der Erwartung einer apokalyptischen
III. Überblicksdarstellungen
Religion und Antisemitismus im deutschen Kaiserreich
Nationalsozialismus und Religion
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Forschungsprobleme
III.
Kritik
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„Endzeit“, der Ideen von „Heil“, „Erlösung“ und Opfer, dem Verständnis von Gut und Böse und anderem mehr. Oder die nationalsozialistische Weltanschauung wird als direkte Weiterentwicklung christlicher Vorstellungen interpretiert – eine These, die sich durch ausdrückliche Bezüge prominenter Nationalsozialisten wie Goebbels und Hitler auf die Bibel untermauern lässt (81; 82; 72, S. 113 – 132; 73; 74). Kritik an solchen Interpretationen des Nationalsozialismus sieht darin unzulässige Kurzschlüsse: Die Verwendung biblischer Metaphern gehe nicht mit der Übernahme von deren eigentlichen Bedeutungsinhalten einher. Formen und Inhalte würden auch bei der Diagnose von vermeintlichen Parallelen zwischen Elementen christlicher und nationalsozialistischer Weltbilder verwechselt. Zudem bleibe der Prozess der Umwandlung christlicher Vorstellungen über verschiedene Zwischenstufen, auf denen auch ganz andere Einflüsse einwirkten, unterbelichtet. Ideen religiösen Ursprungs hätten in den Nationalsozialismus allenfalls in völlig entstellter Gestalt Eingang gefunden. Und schließlich sei vieles von dem, was als Wirkungsgeschichte interpretiert werde, tatsächlich aktive Instrumentalisierung im Sinne einer antisemitischen „Erfindung von Tradition“: Obwohl ein wirklicher Traditionszusammenhang weder objektiv bestanden habe noch von Nationalsozialisten wie Hitler und Goebbels gesehen worden sei, hätten diese sich propagandistisch auch auf christliche Judenfeindschaft berufen, um überzeugte Christen für ihre Politik zu gewinnen (69, S. 305 f.; 19, S. 166 f.). Den religiöse Faktoren hervorhebenden Interpretationen des Nationalsozialismus wie des modernen Antisemitismus allgemein wird gleichermaßen vorgeworfen, einen qualitativen Sprung der Judenfeindschaft durch die Entwicklung des Rassismus zu ignorieren. Jacob Katz erwähnt den Rassismus zwar, spielt seine Bedeutung aber herunter (29, S. 323 – 326). Auf diese Weise entstehe, so die von Christhard Hoffmann zusammengefassten Einwände, das Bild einer „ewigen Judenfeindschaft“. Ein solches Bild entspringt eher moralisch-theologischem als historischem Erkenntnisinteresse. Es steht in enger Verbindung mit Vorwürfen, die in öffentlichen Debatten an die christlichen Kirchen von außen herangetragen, aber gerade auch von innen als Selbstkritik geäußert werden. Dabei „geht es oft weniger um die Erklärung des Antisemitismus und seiner Entstehungsbedingungen an sich als um die Frage, inwieweit das Christentum für den Antisemitismus verantwortlich sei, mit welchem Selbstverständnis und wie traditionskritisch es dem Massenmord an den Juden gegenübersteht. Von daher wird die religiöse Komponente der Judenfeindschaft eher isoliert behandelt, und es findet sich eine gewisse Fixierung auf das Thema“ (69, S. 297). Angesichts dieser Fixierung wird häufig übersehen, dass es „das“ Christentum zumindest in der Neuzeit gar nicht gegeben hat. Christen verschiedener Konfessionen haben in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedliche Verhaltensweisen gegenüber Juden an den Tag gelegt. In der protestantischen Glaubensrichtung des Calvinismus zum Beispiel wurden traditionell negative Bilder vom Judentum durch die Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft von Juden und Christen als „erwähltes Volk Gottes“ eingeschränkt, wenn nicht aufgehoben. Die Geschichte stark calvinistisch geprägter Länder wie die der Niederlande oder der Schweiz zeichnete sich in der Moderne durch ein Klima der relativen Toleranz gegenüber jüdischen
2. Ursachen des Antisemitismus
III.
Minderheiten aus. Jedenfalls spielte antijüdische Gewalt hier eine wesentlich geringere Rolle als in Nord- und Ostdeutschland, wo der lutheranische Glaube dominierte. Selbst innerhalb derselben christlichen Konfession konnte es beträchtliche Unterschiede in der Haltung gegenüber Juden geben. Das gilt sogar für die von einer beispiellos straffen Organisation unter zentraler Leitung zusammengehaltene katholische Kirche: Während das erzkatholische Polen sich über Jahrhunderte den Ruf einer Hochburg der Judenfeindschaft erwarb, konnte das nicht weniger katholische Italien als Hochburg der christlichen Toleranz gelten. Trotz identischer theologischer Vorgaben entwickelte sich das christlich-jüdische Verhältnis in verschiedenen nationalen Kontexten gänzlich verschieden (69, S. 312; 88; 110, S. XVI). Christentum bedingte also nicht immer Antisemitismus, zumindest nicht in immer gleichem Ausmaß. Aus christlichen Wurzeln konnte unter anderen Umweltbedingungen ganz Verschiedenes erwachsen. Das relativiert schon die Bedeutung religiöser Faktoren für Antisemitismus. Zudem gibt es Antisemitismus nicht nur in Ländern mit christlich geprägter Kultur, sondern auch in Japan oder arabischen Staaten. Man kann zwar argumentieren, dass japanischer und arabischer Antisemitismus Importe aus dem christlichen Europa darstellen. Selbst wenn das zutrifft, bliebe aber der Befund, dass die hässliche Pflanze Judenhass auch in Kulturen mit ganz anderen religiösen Traditionen gedeiht, also nicht auf von christlichen Wurzeln durchzogenen Nährboden angewiesen ist (90 und vgl. Kapitel 7). Andererseits entwerten solche Befunde Annahmen über die Relevanz religiöser Faktoren nicht vollständig. Die meisten Historiker stimmen sogar darin überein, dass Religion letzten Endes die Grundlage der meisten, wenn nicht sogar aller Formen von Judenhass bildet. Der Bezug auf religiöse Traditionen wie die des Christentums allein bietet aber keine hinreichende Erklärung für Judenfeindschaft. Selbst wenn man die Betrachtung auf das von christlicher Tradition geprägte Europa beschränkt, dann fehlt „ein Erklärungsmodell für die Tatsache, dass diese Tradition nur in gewissen historischen Situationen einflussreich war, in anderen jedoch nicht; dass sie nur von einigen gesellschaftlichen Gruppen übernommen wurde und dass sie sich nur in manchen Ländern zu einem rassistischen Antisemitismus transformierte und radikalisierte“ (69, S. 309).
c) Soziale und wirtschaftliche Kontexte Diese Differenzen haben eine Reihe von Interpretationen der Judenfeindschaft aus deren ökonomischen und sozialen Kontexten zu erklären versucht. So wird etwa dem Auf und Ab wirtschaftlicher Entwicklungen eine besondere Bedeutung zugemessen. Die klassische Fassung dieser Interpretationsrichtung, die einen kausalen Zusammenhang zwischen konjunkturellen Krisen und Antisemitismus annimmt, stammt von dem deutschamerikanischen Historiker Hans Rosenberg. Rosenberg musste in den 1930er Jahren wegen seiner jüdischen Abstammung aus Deutschland fliehen und fand in Kalifornien eine neue Heimat. Noch während des Zweiten Weltkriegs formulierte er erste Ideen zu den Ursachen des modernen deutschen Antisemitismus in der wirtschaftlichen Entwicklung des späten 19. Jahrhunderts. Ein Viertel-
Wirtschaftskrisen und Antisemitismus
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jahrhundert später publizierte er diese Überlegungen in ausführlicher Form als Kapitel eines Buches über Große Depression und Bismarckzeit (103, S. 88 – 117). Die Zeit der „Großen Depression“ in den Jahren 1873 bis 1896 sah Rosenberg als erste Wirtschaftskrise des industriellen Deutschland. Das Entstehen antisemitischer Parteien und ihr Wachstum in dieser Zeit interpretierte er als direkte Folge der Krise. Es habe sich während der „Großen Depression“ eine „antisemitische Volkswelle“ gebildet, „die in weitgehendem Maße gerade mit dem Klagen über die Wirtschaftslage und die sozialen Schäden der kapitalistischen Entwicklung kausal verbunden war“. Besonders Bauern und Angehörige der Mittelschichten, die sich wegen der krisenhaften industriellen Entwicklung gefährdet sahen, seien für die Parolen der neuen antisemitischen Parteien anfällig gewesen. Dieser Befund einer Abhängigkeit des Ausmaßes der Judenfeindschaft von ökonomischen Krisen lasse sich aber auch auf spätere Epochen der deutschen Geschichte übertragen: „Dass ein Wirkungsund Sinnzusammenhang zwischen der Dynamik des Wirtschaftsablaufs und dem Wachstumsprozess des Antisemitismus bestanden hat, wird jedenfalls nahe gelegt durch die bemerkenswerte Korrelation, der gemäß bis zum Zweiten Weltkrieg das langfristige Anschwellen und Abflauen der akuten Judenfeindschaft umgekehrt proportional zu den langen Schwingungen der Wirtschaftslage und der sozialen Spannungen verlief […] In gewissem Sinn kann man in der Tat sagen: Seit 1873 stieg der Antisemitismus, wenn der Aktienkurs fiel“ (103, S. 111, 95 f.). Tatsächlich verlief die Entwicklung der antisemitischen Parteien zumindest in Deutschland auffallend parallel zu den wirtschaftlichen Wechsellagen. Während des Kaiserreichs erreichten sie ihre besten Wahlergebnisse nach den beiden Tiefpunkten der „Großen Depression“ am Anfang der 1880er und in den frühen 1890er Jahren. Als danach eine bis zum Ersten Weltkrieg anhaltende Phase der wirtschaftlichen Hochkonjunktur einsetzte, versanken sie dagegen in Bedeutungslosigkeit. Mit der Ära der großen Inflation nach dem Krieg gewannen antisemitische Parteien dann mehr Wählerstimmen als jemals zuvor. In der Mitte der zwanziger Jahre gingen mit einer vorübergehenden Beruhigung der wirtschaftlichen Lage auch ihre Wahlerfolge noch einmal zurück, bis sich vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise ab 1929 der Aufstieg der NSDAP zur stärksten Partei vollzog. Nicht nur zwischen den Erfolgen antisemitischer Parteien und Konjunktureinbrüchen ist ein enger Zusammenhang gesehen worden. Auch Ausbrüche von Gewalt gegen Juden werden oft als Folge von Wirtschaftskrisen interpretiert. Mehrere neuere Fallstudien haben deren Rolle als Ursache für Pogrome während des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik hervorgehoben (222; 232; 256; 289). Für die Zeit vor der Gründung des Kaiserreichs, in der es keine antisemitischen Parteiorganisationen gab, gewinnen gewaltsame Ausschreitungen gegen Juden als Indikator für Antisemitismus besondere Bedeutung. Auch die Autoren von einigen Studien über solche Pogrome in verschiedenen Regionen Mitteleuropas während des frühen 19. Jahrhunderts vertreten die These, dass diese im Kern ökonomisch bedingt gewesen seien (57; 224). Eine international vergleichende Untersuchung, die mit quantifizierenden Methoden Gewaltakte gegen Juden und ihre Darstellung in führenden Tageszeitungen von fünf europäischen Ländern zwi-
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2. Ursachen des Antisemitismus schen 1899 und 1939 analysiert, identifiziert wirtschaftliche Krisenlagen ebenfalls als einen wichtigen Faktor für Antisemitismus (108). Allerdings wird in diesen Analysen fast immer ausgeblendet, dass „Krise“ tatsächlich ein sehr subjektiver Begriff ist. So nimmt man etwa heute in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitslosenraten als völlig normal hin, die während der 1960er Jahre unter Bevölkerung und Politikern alle Alarmglokken hätten schrillen lassen. Ab wann die Entwicklung von Arbeitslosigkeit, Preisen oder Aktienkursen „krisenhaft“ erscheint, ist eine Frage der Definition (vgl. auch 93, S. 55f). Das erklärt mit, warum manche Autoren von Studien zu Pogromen im deutschen Sprachraum vor 1848 eine kausale Verbindung zu „Krisen“ annehmen (49; 57; 224), während andere diese verneinen (28; 39; 228). Tatsächlich kann man eine solche Kausalität an sich ebenso wenig feststellen wie das Vorhandensein einer „Krise“. Feststellen lässt sich höchstens, ob Zeitgenossen eine Krise sehen, und ob sie eine gedankliche Verbindung zwischen ihr und Juden konstruieren. Selbst dann ist freilich die Frage nicht beantwortet, warum diese Verbindung hergestellt wird – und warum sie mit Juden hergestellt wird. Wie die Theorie von der antisemitischen Persönlichkeit können auch ökonomische Interpretationen des Antisemitismus nicht erklären, warum gerade die Juden als Zielscheibe ausgesucht werden. Von Kurt Tucholsky stammt ein Witz, der dieses Problem sarkastisch auf den Punkt bringt: Zwei Männer sitzen in einem Café und lesen Zeitung. Plötzlich springt der eine auf und schreit laut: „Die Juden sind unser Unglück!“ Der andere blickt kurz hoch und seufzt: „Ja, ja, die Juden und die Radfahrer.“ – „Wieso denn die Radfahrer?“ fragt der eine verblüfft. „Wieso denn die Juden?“ gibt der andere zurück. Eine denkbare Erklärung dafür, dass Juden besonders gerne für alle möglichen Missstände verantwortlich gemacht werden, ist der Eindruck einer jüdischen Allgegenwärtigkeit. Anders als andere Minderheiten scheint es Juden in fast der ganzen Welt zu geben. Und im Unterschied zu den „Zigeunern“, den Sinti und Roma, gehören sie nicht nur den Unterschichten an, sondern sind in allen sozialen Schichten vertreten (34, S. 15f). Das würde freilich letzten Endes nur die Legende von einer jüdischen Weltverschwörung erklären. Diese spielt aber in konkreten antisemitischen Äußerungen und Handlungen in konkreten Situationen meist keine Rolle. Jedenfalls lässt sich nicht nachweisen, dass sie hinter jedem antisemitischen Verhalten steht, was auch ziemlich unwahrscheinlich sein dürfte. Die Kernfrage, die sich letztlich dem Historiker des Antisemitismus bei jeder Analyse konkreter Situationen stellt, in der auch andere potentielle Sündenböcke zur Verfügung stehen, bleibt damit bestehen: Warum die Juden? Die radikalste Antwort darauf lautet, dass Juden gar keine Sündenböcke sind und Antisemitismus vielmehr eine Folge von realen sozialen Konflikten ist, in denen sie eine Konfliktpartei stellen. Diese Realkonfliktthese ist wohl die am heftigsten umstrittene aller Erklärungen für Judenfeindschaft. In ihrer klassischen Form stammt sie von Eva Reichmann. Wie so viele Pioniere der Antisemitismusforschung wurde auch Reichmann wegen ihrer jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben. 1945 schloss sie in London ihre Doktorarbeit über die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe ab. Die These, „dass der Antisemitismus mit den Juden überhaupt nichts zu tun habe“, erklärte Reichmann darin für „fast ebenso einseitig
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Realkonfliktthese
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wie die der Antisemiten, dass die Juden allein am Antisemitismus schuld seien.“ Antisemitismus war in ihren Augen zwar nicht immer und ausschließlich, aber doch auch Folge von sozialen Spannungen zwischen Juden und Nichtjuden. Besonders sei das in Deutschland während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts der Fall gewesen, als die emanzipierten Juden vielfach in Berufe eindrangen, die bis dahin Christen vorbehalten gewesen waren, und so Konflikte mit christlichen Anwälten, Ärzten oder Kaufleuten ausgelöst hätten (101, S. 27 – 36). Reichmanns Realkonfliktthese ist unter anderem von mehreren neueren Arbeiten, die sich international vergleichend mit Antisemitismus in mehreren europäischen Ländern befassen, aufgegriffen worden. So hat Albert Lindemann den sozialen Aufstieg der Juden zwischen 1870 und 1914 als den Faktor bezeichnet, der am offensichtlichsten das Wachstum des modernen Antisemitismus erklären könne (110). William Brustein identifiziert in seiner aufwendigen, mit statistischen Korrelationsanalysen arbeitenden Studie die Zahl der jüdischen Einwanderer in ein Land als eine von vier Ursachen für das Ausmaß von Judenfeindschaft während der vier Jahrzehnte vor 1939 (108). In einer weniger ehrgeizigen Arbeit, die „nur“ Antisemitismus in einigen mittel- und osteuropäischen Staaten zwischen den beiden Weltkriegen vergleicht, stellt William Hagen die These auf, dass in Polen und wahrscheinlich auch in Ungarn und Rumänien reale soziale Konflikte zwischen christlichen Mehrheiten und großen jüdischen Minderheiten ein Ansteigen von Antisemitismus wesentlich begünstigt hätten (109). Auch mehrere empirisch gesättigte Detailstudien haben Realkonflikte als Ursache von Judenhass unter den verschiedensten Gruppen ausgemacht, so unter Berliner Kaufleuten (156) und deutschen Studenten (237) im Kaiserreich, oder unter hessischen (224) und elsässischen (167) Bauern während des frühen 19. Jahrhunderts. Unter den Einwänden gegen die Realkonfliktthese sind diejenigen weniger ernst zu nehmen, die ihren Vertretern antisemitische Sympathien unterstellen (48, S. 61 f.; 93, S. 62; 405, S. 101 f.). Solche Kritik wirft meist nicht nur komplexe historische Erklärungsansätze mit kruden Stammtischparolen in einen Topf, sondern übersieht auch, dass gerade die entschiedensten Repräsentanten der Realkonfliktthese selbst Juden waren und sind. Die These spielt von jeher eine Rolle in innerjüdischen Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern einer Akkulturation an die christliche Mehrheitsgesellschaft (101, S. 288 – 291; 110, S. 533 f.). Noch problematischer als ihre Entstehung und Instrumentalisierung im Kontext solcher außerwissenschaftlicher Kontroversen ist für die Plausibilität der Realkonfliktthese allerdings die Tatsache, dass Antisemitismus durchaus auch ohne Juden auskommt. Im modernen Japan sind Juden ebenso wenig präsent wie sie es etwa in England vom 13. Jahrhundert bis in Shakespeares Tage waren. Dennoch gab es im vormodernen England virulenten Judenhass, genau wie es diesen im heutigen Japan gibt (90; 119, S. 27 – 39). Mehr noch: Gerade die besonders radikalen, rassistischen Formen von Judenhass lassen sich offensichtlich aus realen sozialen Konflikten zwischen Juden und Christen kaum erklären. Jedenfalls entwickelten christliche Kaufleute und Handwerker in Berlin, die sich um 1900 in einer Konkurrenzsituation zu jüdischen Unternehmern sahen, eine eher traditionell geprägte Judenfeindschaft. Unter denselben Berufsgruppen in Wien, die in keiner sol-
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2. Ursachen des Antisemitismus chen Konkurrenzsituation standen, breitete sich dagegen gleichzeitig ein rassistisch geprägter Antisemitismus aus (156). Bauern im Westen Frankreichs, wo es keine Juden gab, votierten bei Wahlen für rassistische Antisemiten, während elsässische Landwirte, die mit jüdischen Händlern zu tun hatten, eher eine traditionell religiös motivierte Judenfeindschaft pflegten (177, S. 655 – 671). Wo der jüdische Bevölkerungsanteil im Europa der Zwischenkriegszeit mit fünf bis über zehn Prozent am höchsten war, nämlich in Polen, Rumänien und Ungarn, und das Potential für soziale Spannungen zwischen Juden und Nichtjuden daher besonders groß, blieb Judenfeindschaft weitaus weniger radikal und rassistisch als in Deutschland, obwohl dort das Potential für Realkonflikte angesichts von weniger als einem Prozent jüdischer Bevölkerung viel geringer lag. Statt in einer tatsächlichen gesellschaftlichen Spannung zwischen Nichtjuden und Juden sieht die Ersatzkonfliktthese die zentrale Ursache von Antisemitismus darum in einer Verschiebung der Ziele von sozialem Protest. Juden erscheinen in ihr nicht als Konfliktpartei, sondern als Sündenböcke. Der Bedarf nach Sündenböcken ergibt sich zum einen aus der Existenz von „Schafen, die ihrer bedürfen“, wie der Schriftsteller Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften den Titelhelden sagen lässt (93, S. 50). Die „Schafe“ werden in Interpretationen von Antisemitismus, die auf der Ersatzkonfliktthese aufbauen, in der Regel mit Unterschichten identifiziert. Eliten und Obrigkeiten würden dann den Protest der Unterschichten, der sich gegen sie selbst richtet, mit manipulativen Methoden auf Juden als Ersatzziel ablenken. Die Ersatzkonfliktthese geht zurück auf sozialistische Antisemitismustheorien, die bereits im späten 19. Jahrhundert entwickelt wurden (45, S. 117 – 120). Nach 1945 war die Erklärung von Judenfeindschaft aus Manipulationen kapitalistischer Oberschichten zur Ablenkung von Klassengegensätzen Pflichtübung unter Historikern der DDR (99). In der pluralistischen Geschichtswissenschaft des Westens entwickelte sich dagegen eine heftige Kontroverse über diesen Erklärungsansatz. Streit entstand vor allem über die Bewertung antijüdischer Ausschreitungen im Deutschen Bund zwischen 1815 und 1848/49. Eleonore Sterling und andere Autoren sahen darin einen Ausdruck von Unterschichtenprotest. Dieser habe sich eigentlich an wirtschaftlichen und sozialen Missständen entzündet, aber wegen fehlender Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge oder Unerreichbarkeit der tatsächlich verantwortlichen Eliten gegen die leichter greifbaren Juden als Ersatzziel entladen (49; 50; 57; 92; 106). Dagegen wandte sich vor allem Stefan Rohrbacher: Die antijüdische Gewalt im Biedermeier sei primär weder auf soziale oder ökonomische Faktoren zurückzuführen, noch handle es sich dabei um einen Ersatzkonflikt. Ursachen und Anlässe für die Pogrome seien hauptsächlich politischer Natur gewesen, und die Ausschreitungen hätten mit den Juden genau die getroffen, die getroffen werden sollten. Denn der Protest habe sich nicht gegen Obrigkeiten und gesellschaftliche Eliten gerichtet, sondern gegen die bevorstehende Emanzipation der jüdischen Bevölkerung (28; 39; 40; 228). Freilich müssen sich beide Erklärungen nicht immer und unbedingt ausschließen. Die Emanzipation war ein politisches Thema, aber sie hatte wirtschaftliche und soziale Folgewirkungen, die den Zeitgenossen wohl bewusst
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Ersatzkonfliktthese
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waren. Emanzipation bedeutete auf dem Land gleichberechtigte Beteiligung von Juden am dörflichen Gemeindeeigentum, im städtischen Gewerbe stärkere jüdische Konkurrenz. Jüdische Gleichberechtigung und Teilhabe verkleinerte potentiell die Stücke, die für Nichtjuden vom Kuchen abfielen. Die Pogrome der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts richteten sich gegen Juden, aber sie konnten auch ohne Weiteres überschwappen in Attacken auf gesellschaftliche Oberschichten oder Repräsentanten staatlicher Macht. In einigen Fällen ist schwer zu erkennen, wer das eigentliche Ziel der Ausschreitungen war. Tatsächlich waren es ja auch die liberalen bürgerlichen Eliten, die sich hauptsächlich für die Emanzipation der Juden engagierten, und die staatlichen Autoritäten, die diese schließlich entgegen aller Widerstände durchsetzten. Auch spätere antisemitische Ausschreitungen wurden von der Wahrnehmung angetrieben, dass Juden, Staat und liberales Bürgertum unter einer Decke steckten (24, S. 189 – 194; 255, S. 156 – 168).
d) Integrierende Interpretationen Antisemitismus als antimoderne Bewegung
Antisemitismus als „kultureller Code“
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Komplexere Interpretationen des Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert gehen deshalb davon aus, dass das Phänomen sich nicht auf isolierte wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Wirkungsfaktoren zurückführen lässt, sondern diese in einem Erklärungsmodell miteinander verbunden werden müssen. Die wohl einflussreichste dieser integrierenden Interpretationen sieht im Antisemitismus eine essentiell antimoderne Bewegung. Reinhard Rürup kann als wichtigster Vertreter einer solchen Sicht gelten. Ihm zufolge war Antisemitismus der radikale Kern einer „in ihrem Selbstverständnis postliberalen Protestbewegung gegen die Grundprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft – gegen die Postulate der Menschen- und Bürgerrechte, gegen die liberal-kapitalistische Wirtschaftsordnung und gegen eine säkularisierte, traditionskritische Kultur“. Diese Protestbewegung habe sich in Deutschland während der Wirtschaftskrise der „Großen Depression“ in Opposition zur damals entstehenden neuen Konkurrenzgesellschaft gebildet, die soziale Stellung durch Leistung statt wie bisher durch Abstammung legitimierte. Die neue Gesellschaftsform war das politische Projekt des bürgerlichen Liberalismus; die Staatsmacht diente als Motor des sozialen Wandels. Und die Juden, so Rürup, wurden „zur Symbolfigur der bürgerlich-kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft“ (44, S. 93 f., 83). In einer Variante dieses Erklärungsmodells bezeichnet Shulamit Volkov Antisemitismus auch als „kulturellen Code“. Judenhass sei im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts zum Erkennungszeichen für alle Individuen und Gruppen mit einer „radikal antimodernen Mentalität“ geworden. Diese habe sich verbunden „mit extremem Nationalismus, kolonialen und imperialen Bestrebungen, Begeisterung für den Krieg und mit dem Eintreten für einen vorindustriellen Sittenkodex“, mit Demokratiefeindschaft und Antifeminismus (104, S. 22). Volkovs und Rürups Interpretationen gelingt es, verschiedene Erklärungsansätze zusammenzuführen. Der Zusammenhang von Wirtschaftskrisen und Antisemitismus findet in ihren Modellen ebenso Platz wie Ersatz- und Realkonfliktthesen: Die Juden seien, so Rürup, gleichermaßen „Symbolfigur“ wie
2. Ursachen des Antisemitismus „Repräsentanten des liberal-kapitalistischen Wirtschaftssystems und der bürgerlichen Moderne“ gewesen (44, S. 83, 90). Volkov integriert selbst die Theorie der autoritär-antisemitischen Persönlichkeit in ihr Konzept. Nicht zuletzt diese Vielseitigkeit hat zur breiten Anerkennung der Interpretation des Antisemitismus als antimoderner Protestbewegung beigetragen. Allerdings gibt es auch Kritik an ihr. Umstritten ist vor allem die Erklärung der modernen Judenfeindschaft aus einer Rolle der Juden als „Symbolfigur“. Die Juden seien nicht als Symbol attackiert worden, betonen die Kritiker, sondern als Juden. Besonders offensichtlich erscheine das im Fall des nationalsozialistischen Antisemitismus: Die „Ausrottung der Juden“, hebt etwa Moishe Postone hervor, sei „kein Mittel zu einem anderen Zweck“ gewesen, sondern Selbstzweck. In marxistisch inspirierten Arbeiten haben Postone und Detlev Claussen Rürups und Volkovs Interpretationen zu verbessern versucht. Im Verständnis moderner Antisemiten, so der Kern ihrer Argumentation, gelten Juden nicht als Symbole oder Repräsentanten, stehen also nicht als Teile für das Ganze, sondern werden vielmehr als Personifikation des Kapitalismus gesehen, besonders des Finanzkapitals (100, S. 14; 87; vgl. auch 60, S. 100 f.). So richtig das ist: Modernen Judenhass erklärt es dennoch kaum. Denn der Kapitalismus, und die prominente Rolle, die Juden im Geldgeschäft darin spielten, waren ja eben keine neue Entwicklung der Moderne – anders als etwa die Industrialisierung. Wenn seit dem 19. Jahrhundert der aus dem Wucherstereotyp entstandene Topos vom „jüdischen Finanzkapital“ herhalten musste, um statt bisher dominanter religiöser Begründungen Judenhass neu zu rechtfertigen, taugt dieser Umstand deswegen herzlich wenig, um zu erklären, warum moderne Antisemiten Juden verfolgten und schließlich auszurotten versuchten. Postones und Claussens ahistorischer Erklärungsversuch kann daher nicht überzeugen (vgl. auch 84, S. 233). Eher schon könnte man, in Anknüpfung an Tucholskys Witz über die Juden und die Radfahrer, augenzwinkernd fragen, weshalb die antimoderne Protestbewegung sich nicht auf eine Ausrottung der Radfahrer verlegte – sind diese doch, weil ihr fahrbarer Untersatz erst im 19. Jahrhundert erfunden wurde, im Gegensatz zu Juden und jüdischen Bankiers eine Erscheinung, die es ausschließlich erst seit der Moderne gibt. Mehr als Erklärungsmodelle, die Antisemitismus aus der Entwicklung des Kapitalismus erklären wollen, haben in den letzten Jahren solche Interpretationen ein positives Echo hervorgerufen, die modernen Judenhass mit Nationalismus in Verbindung bringen. Das erscheint allein schon deswegen plausibler, weil Nationalismus im Gegensatz zum Kapitalismus als ein spezifisch modernes Phänomen gelten kann. Ein Zusammenhang von nationalistischer mit antisemitischer Ideologie ist zwar schon früher, darunter auch von Reinhard Rürup und noch mehr von Shulamit Volkov, angenommen worden. Das geschah jedoch lange nur als ein Aspekt unter vielen. Außerdem ging besonders Rürup noch davon aus, dass Nationalismus zunächst eine liberale Integrationsideologie gewesen sei, durch den Juden nicht ausgegrenzt wurden. Erst seit den 1870er Jahren habe die nationalistische Weltanschauung dann einen ausgrenzenden Charakter angenommen und sich zunehmend mit Antisemitismus verbunden. Die neuere Nationalismusforschung neigt dagegen eher zu der Annahme, dass Ausgrenzung und Integration immer schon zwei Seiten derselben Medaille waren. Entsprechend hat eine Reihe von Wissen-
III.
Antisemitismus und Kapitalismus
Nationalismus: Juden als „Andere“
29
Forschungsprobleme
III.
Nationalismus: Juden als „Dritte“
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schaftlern die Konstruktion der Nation insbesondere in Deutschland gegen die Juden betont. Denn die Juden hätten als Verkörperung des „Anderen“ herhalten müssen, durch den ein nationales „Wir-Gefühl“ erst möglich wurde. Die neue Qualität von antisemitischer Ausgrenzung und Verfolgung seit dem 19. Jahrhundert sei so gerade auch mit dem Aufkommen nationalistischen Gedankenguts zu erklären (10; 32; 54; 80; 82). Dagegen ist zum einen darauf hingewiesen worden, dass es durchaus historische Erscheinungsformen des Nationalismus gegeben hat und gibt, die nicht mit einem Ausschluss der Juden aus der nationalen Gemeinschaft einhergehen. Das traf nicht nur für Deutschland vor 1878 zu (12). Ein pluralistisches, liberales Verständnis der Nation ist hierzulande auch seit 1945 wieder gesellschaftlich dominant geworden (79, S. 137 – 155). In Staaten wie den Niederlanden gibt es sogar eine durchgängige Tradition dieses liberalen, konfessionell neutralen Nationsverständnisses (88). Zum anderen, und diese Kritik ist von viel grundsätzlicherer Natur: Warum mussten eigentlich Juden als „Andere“ herhalten? Warum konnte die Herstellung eines nationalen „Wir-Gefühls“ nicht in Abgrenzung von anderen Nationen erfolgen? Und geschah nicht genau das auch, im deutschen Fall etwa gegen den vermeintlichen „Erbfeind“ Frankreich? Selbst wenn „innerer Feind“, also Juden, und „äußerer Feind“ im antisemitischen Weltbild als Einheit gesehen wurden (96), lässt sich damit nicht erklären, warum Juden und Franzosen während des Zweiten Weltkriegs von den deutschen Nationalsozialisten ganz verschieden behandelt wurden. Insbesondere Klaus Holz hat aus solchen Einwänden die Gegenthese formuliert, dass das Scharnier zwischen Nationalismus und Judenhass nicht die Sicht des Juden als die Figur des „Anderen“, sondern die Wahrnehmung jüdischer Identität als unvereinbar mit einer nationalen Ordnung der Welt ist (93; 94; 83). Das über den Globus verstreute Judentum, das bis zur Gründung Israels 1947/48 über keinen Staat verfügte, sei im antisemitischen Denken die Gestalt gewordene Negation dieser Ordnung. Während die benachbarte Nation, im deutschen Fall etwa Frankreich, den „Anderen“ darstellt, erscheine „der Jude“ als die Figur des „Dritten“. Dieser „Dritte“ wird als weitaus bedrohlicher gesehen als der „Andere“, weil er im Gegensatz zu anderen, national organisierten Gemeinschaften die Ordnungsprinzipien der Welt selbst in Frage stellt. Holz hat seine These an zentralen Texten des modernen Antisemitismus breit belegt. Sein Erklärungsmodell des „nationalen Antisemitismus“ bietet nicht nur ein analytisch stimmiges Konzept, das Unterschiede zwischen Judenfeindschaft und Xenophobie berücksichtigt, sondern erklärt auch zufriedenstellend, warum Antisemiten die „Judenfrage“ immer als „Weltfrage“ konstruiert haben. Holz deutet andererseits selbst an, dass die Existenz von nicht-antisemitischen Formen des Nationalismus ein Problem für seine Interpretation darstellt. Auch das andere Extrem, nämlich die einzigartige Radikalisierung des Antisemitismus im Nationalsozialismus, bleibt eine offene Frage: „Die Tatsache, dass die Judenvernichtung im Namen Deutschlands und von Deutschen verübt wurde, kann nicht aus der antisemitischen Semantik erklärt werden.“ Die Sinnstruktur moderner judenfeindlicher Vorstellungen sei zwar in allen von ihm untersuchten Texten die gleiche, unabhängig von nationalen und zeitlichen Kontexten. Wie sie in konkreten Situationen „(re)produziert wird
2. Ursachen des Antisemitismus und unter welchen Umständen welche verfolgungspraktischen Konsequenzen gezogen werden“, sei aber noch zu klären (93, S. 551 f.). Das gilt umso mehr, als Holz diese Sinnstruktur für die Zeit zwischen 1880 und 1945 ausschließlich mit Texten prominenter antisemitischer Ideologen analysiert hat. Wie Antisemitismus dagegen von „gewöhnlichen“ Nichtjuden gegenüber Juden in Handlungen umgesetzt wird, erschließt seine Interpretation nicht. Darum bemühen sich seit den 1990er Jahren verstärkt mikrohistorische Studien. Zwei innovative und für die Frage nach Ursachen der Judenfeindschaft relevante Forschungsansätze seien hier herausgegriffen. Der erste nähert sich dem Antisemitismus „vor Ort“ mit der Methode eines Ethnologen oder Anthropologen: Der Untersuchungsgegenstand wird dabei als etwas gesehen, dass dem Forscher so fremd ist wie die Gebräuche und Rituale von Amazonasindianern oder polynesischen Kannibalen. Mit diesem Ansatz haben sich Historiker etwa antisemitischen Ausschreitungen in einer Kleinstadt des deutschen Kaiserreichs genähert, Judenfeindschaft in zwei Städten während der Weimarer Republik analysiert oder die Ermordung der europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg untersucht. Weil der Untersuchungsgegenstand als absolut fremdartig gesehen wurde, erschien einfühlendes Verstehen nicht möglich. Folgerichtig wurde von den Autoren dieser Studien betont, dass Ursachen von Judenfeindschaft und die konkreten Motive von Antisemiten gar nicht festzustellen seien. Im Mittelpunkt solle stattdessen eine dichte Beschreibung von judenfeindlichen Handlungen und Ritualen stehen, deren Bedeutung sich auf diese Art entschlüsseln lasse. Allerdings werden von den Studien dieser Art durch die Anordnung des Quellenmaterials in der Darstellung dennoch Verweise auf spezifische Kontexte des Antisemitismus hergestellt und, ob bewusst oder unbewusst, auch Kausalitäten suggeriert: So wird verwiesen auf Mentalitäten, die in religiösen Prägungen verwurzelt sind (282), auf die kulturelle Tradition eines angeblich „eliminatorischen Antisemitismus“ (319) oder auf ökonomische Krisen und soziale Konflikte (238). Eine zweite Gruppe mikrohistorischer Studien möchte erklärtermaßen auf die Analyse von Ursachen nicht verzichten und fragt auch ausdrücklich nach Motiven der Akteure. Der Ansatz dieser Gruppe lehnt aber das Konzept einer antisemitischen „Mentalität“, das die meisten bisherigen Arbeiten zum Thema durchzog, ab. Antisemitismus wird hier nicht als eine allzeit latente mentale Struktur verstanden, die nur eines bestimmten Stimulus bedarf, um sich in konkreten judenfeindlichen Handlungen oder Äußerungen zu entladen. Tatsächlich sind ja auch nur solche in Quellen überhaupt nachweisbar. Antisemitismus ist immer akute Judenfeindschaft. Ob dahinter bei einzelnen Personen auch ein latentes Set von religiösen, kulturellen, sozialen oder wirtschaftlichen Vorurteilen oder sogar eine alle diese miteinander verbindende „antisemitische Persönlichkeit“ auszumachen ist, wird hier angezweifelt. Antisemitismus werde stattdessen in bestimmten Situationen produziert oder reproduziert. Die Motive für Judenfeindschaft, und damit auch ihre Ursachen, könnten deshalb in Abhängigkeit von Kontexten und Milieus sehr verschieden sein (240; 255; 290). In gewisser Weise schließt sich damit einmal mehr ein Kreis. Denn wie von dem am Anfang dieses Kapitels zitierten Ludwig Bamberger vermutet, hätte eine umfassende Erklärung des Antisemitismus dann tatsächlich „die halbe Weltgeschichte zu Hilfe“ zu nehmen. Statt annähernd der Zahl der For-
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Mikrohistorische Ansätze
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Forschungsprobleme
III.
scher zu entsprechen, die sich mit der Interpretation von Judenfeindschaft beschäftigt haben, müsste die Zahl der Theorien über Antisemitismus idealerweise so groß sein wie die aller jemals lebenden Antisemiten. Judenhass wäre in diesem Sinn zu verstehen als ein dunkler Spiegel, der das Bild ganz verschiedener Zeiten und Welten reflektiert.
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich Antisemitismus ist ein gesamteuropäisches, ja ein globales Phänomen. Die Forschung dazu hat sich aus naheliegendem Grund seit 1945 dennoch auf Deutschland konzentriert. Immer noch dürfte über deutschen Antisemitismus seit dem Zweiten Weltkrieg mehr geschrieben worden sein als über Judenfeindschaft in allen übrigen Ländern der Welt zusammen genommen. Internationale Vergleiche waren und sind angesichts dieser Asymmetrie des Forschungsstandes Mangelware, obwohl sie wiederholt eingefordert wurden (z. B. 264, S. 24; 45, S. 132; 34, S. 164). Immerhin aber konnte das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung schon in den frühen 1990er Jahren zwei dickleibige Bände herausgeben, die grundlegende sozial- und politikhistorische Studien zur Judenfeindschaft in sieben europäischen Staaten zwischen 1870 und 1933/39 zusammenstellten (114). Seitdem hat sich besonders die Forschung zum Judenhass außerhalb Deutschlands noch beträchtlich weiterentwickelt und ausdifferenziert. Welche Erkenntnisse verspricht der internationale Vergleich? Durch ihn lassen sich nationale Besonderheiten von Antisemitismus identifizieren. Vergleiche eignen sich auch vorzüglich zur kritischen Überprüfung von Thesen, die am Beispiel eines Landes über Judenfeindschaft dort oder allgemein entwickelt wurden. So können Vergleiche helfen, die Hintergründe der einzigartigen Radikalisierung des Antisemitismus in Deutschland zu klären, die bis zur Ermordung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs führte. Gab es besondere Aspekte der deutschen Entwicklung? Und wenn der nationalsozialistische Radikalantisemitismus weit tiefer wurzelte als die Gründung der NSDAP nach 1918, wie weit reichen diese Wurzeln eines „deutschen Sonderwegs“ dann zurück? Andererseits haben Studien der letzten Zeit betont, dass auch in anderen Ländern als Deutschland Judenhass sich zwischen den beiden Weltkriegen und insbesondere seit den 1930er Jahren verstärkte und radikalisierte. Wo lagen die Ursachen dafür eher in eigenen nationalen Traditionen, und wo waren sie mehr die Folge indirekten oder direkten Einflusses der deutschen Nationalsozialisten – insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, als Deutschland im Großteil Europas die Rolle des Besatzers oder übermächtigen Verbündeten spielte? Mögliche Kategorien solcher Vergleiche gibt es viele. Dazu gehören Frequenz, Verbreitung und Formen von antisemitischer Gewalt. Dazu gehören die Umstände der Emanzipation der Juden, die in fast ganz Europa während des 19. Jahrhunderts vollzogen wurde, aber in sehr verschiedenem Tempo und nach unterschiedlichen Konzepten ablief. Dazu gehört die Geschichte antisemitischer Parteien und Organisationen, die Entwicklung ihrer Mitglie-
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3. Antisemitismus im internationalen Vergleich
III.
derzahlen, ihrer Programmatik, ihre Erfolge oder Misserfolge bei Wahlen. Und dazu gehört schließlich auch der große Bereich sozialer und kultureller Praktiken in den Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden. Der Forschungsstand ist je nach Land und nach Aspekt ganz verschieden. Für viele Länder können mittlerweile der Ablauf der Emanzipation und die Geschichte antisemitischer Organisationen als relativ gut untersucht gelten. Weiterhin mehr oder weniger große Wissenslücken klaffen dagegen vor allem auf dem weiten Forschungsfeld der jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen. An deren Einschätzung entzünden sich deshalb besonders häufig Kontroversen.
a) Ländervergleichende Ansätze Wirklich komparative Studien, die Antisemitismus in mehreren Ländern miteinander vergleichen, sind äußerst selten. Erst die Intensivierung der historischen Forschung über Judenfeindschaft außerhalb Deutschlands in der letzten Zeit hat für solche Vergleiche die Voraussetzungen geschaffen. Denn die Autoren solcher Studien bauen auf einer breiten Basis von Forschungsarbeiten zu einzelnen Nationen auf. Das gilt gerade auch für Thesen über die Ursachen von Antisemitismus, die in vergleichenden Untersuchungen im Vordergrund stehen. So beruht die knappste und schon deshalb am besten lesbare vergleichende Darstellung, Werner Bergmanns Geschichte des Antisemitismus, auf einer wesentlich umfangreicheren Grundlage internationaler Forschung, als die knappe Literaturauswahl am Ende des Buches angibt. Bergmanns vorsichtige Aussagen zu den Hintergründen der Wandlungs- und Radikalisierungsprozesse, die Judenfeindschaft in vielen Ländern seit dem späten 19. Jahrhundert durchlief, gehen von Thesen aus, die vor allem am deutschen Beispiel gewonnen worden sind. Politisierung, Organisierung und den mit der Wortneuschöpfung „Antisemitismus“ verbundenen inhaltlichen Wandel von Judenhass erklärt er als Begleiterscheinungen von Modernisierung und xenophobem Nationalismus und schließt damit an Reinhard Rürup, Shulamit Volkov und Klaus Holz an (107, S. 38 – 40; 44; 104; 93). Auch den nochmaligen Radikalisierungsschub der Zwischenkriegszeit sieht Bergmann im Zusammenhang mit einer Verschärfung des Nationalismus in großen Teilen Europas. Dieser Nationalismus habe, fügt er an Überlegungen von William Hagen anknüpfend hinzu, außerdem oft in Verbindung mit – realen oder imaginierten – sozialen Konflikten zwischen jüdischen und nichtjüdischen Mittelschichten gestanden (107, 70 – 72; 109). Soziale Konflikte, die sich an der Wahrnehmung eines gesellschaftlichen Aufstiegs der Juden durch Nichtjuden entzündeten, sieht auch die vergleichende Studie von Albert Lindemann als Ursache des Antisemitismus seit dem späten 19. Jahrhundert. Lindemanns Arbeit ist allerdings wesentlich umstrittener als die Bergmanns, was vor allem daran liegt, dass er den sozialen „Aufstieg der Juden“ nicht nur zu einem unter mehreren, sondern zum zentralen Faktor für moderne Judenfeindschaft erklärt. Heftig kritisiert wurde Lindemann auch für die These, Antisemitismus nehme umso schärfere Formen an, je größer der jüdische Bevölkerungsanteil in einem Land sei und je weniger dieser sich an die Kultur des Landes anpasse. Der offen-
Werner Bergmann
Albert Lindemann
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Forschungsprobleme
III.
William Brustein
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sichtliche Schwachpunkt seiner Erklärung ist ausgerechnet das Beispiel Deutschlands, wo sich trotz einer im internationalen Vergleich eher kleinen und angepassten jüdischen Minderheit der weltweit radikalste Judenhass entwickelte. Vielleicht deshalb betont Lindemann, dass neben Zahl und Verhalten jüdischer Minderheiten ebenso Individuen eine große Rolle für die Entwicklung von Antisemitismus spielten. So müsse gelten: „No Hitler – no holocaust“ (110; 115). Auch William Brustein hebt die Bedeutung von Hitlers „Machtergreifung“ hervor. Das lege ein Vergleich der Behandlung von Juden in deutschen Zeitungen vor und nach 1933 nahe. Systematische Stichproben aus den auflagenstärksten Tageszeitungen Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Rumäniens und die Berichterstattung des American Jewish Yearbook über Gewaltakte gegen Juden in diesen fünf Staaten bilden die Quellengrundlage für Brusteins vergleichende Untersuchung von Antisemitismus in Europa zwischen 1899 und 1939. Das Resultat der quantifizierenden Analyse dieser Quellen ist die Identifikation von vier Hauptfaktoren für Judenhass. Antisemitische Gewalt und negative Darstellung von Juden in der veröffentlichten Meinung waren demnach in einem Land umso häufiger, je mehr dieses von Wirtschaftskrisen geschüttelt wurde, je höher die jüdische Einwanderung war, je stärker die Wahlerfolge von Linksparteien ausfielen und je öfter eine Identität der politischen Linken mit dem Judentum angenommen wurde. Allerdings sind die von Brustein verwendeten quantifizierenden Methoden offensichtlich nicht der Weisheit letzter Schluss. So ergeben etwa verschiedene Arten statistischer Korrelation für die Hypothese eines Zusammenhangs von Antisemitismus und linken Wahlerfolgen ganz verschiedene Ergebnisse. Ebenso problematisch ist teilweise die verwendete Daten- und Quellenbasis. Für Italien und Deutschland, wo nach 1922 beziehungsweise 1932 keine freien Wahlen mehr stattfanden, wird einfach das von den Linksparteien in diesen Jahren erzielte Ergebnis auch den Berechnungen für die folgende Zeit zugrunde gelegt. Die Auswertung nur der auflagenstärksten Zeitung jedes Landes liefert zumindest in pluralistischen Gesellschaften auch nicht unbedingt ein repräsentatives Bild: Selbst wenn das meistgedruckte Blatt liberal und anti-antisemitisch ist, wie es etwa in Deutschland vor 1933 der Fall war, kann der Blätterwald eines Landes dennoch mehrheitlich mit Judenfeindschaft imprägniert sein. Die veröffentlichte lässt sich außerdem nicht ohne Weiteres mit der öffentlichen Meinung gleichsetzen. Schließlich ist die Zahl der Fälle antisemitischer Äußerungen oder Gewaltakte, die Brusteins Berechnungen zugrunde liegt, häufig zu gering, um signifikante Schlüsse zu ermöglichen. Und selbst wenn die Fallzahl sich durch eine Erweiterung der Quellenbasis erhöhen ließe, blieben potentielle Faktoren von Antisemitismus, die kaum quantifiziert werden können. Denn wie wäre das Ausmaß von Nationalismus, von Modernisierung oder von Realkonflikten zwischen Juden und Nichtjuden zu messen? Aber auch durchaus quantifizierbare Faktoren, wie Niveau und Tempo industrieller Entwicklung, werden in Brusteins Studie nicht berücksichtigt (108). So unterschiedlich die Vorgehensweise und teilweise auch die Resultate der systematisch vergleichenden Studien von Brustein, Lindemann, Bergmann und Hagen sind, ähneln sie sich doch in einem sehr: Ihr Hauptaugen-
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich merk gilt der Zeit seit dem späten 19. Jahrhundert. Implizit oder explizit sehen sie alle darin die entscheidende Epoche für die Entwicklung einer neuen Judenfeindschaft, und damit letzten Endes auch für den Weg zur Ermordung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs. Andere Autoren, die ebenfalls mit dem Anspruch auftreten, international vergleichend zu arbeiten, setzen die Ausbildung der Wurzeln dieses Völkermords hingegen früher an. Besonders häufig wird die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert als Entscheidungsphase gesehen. Nach dieser Auffassung lagen in einem besonderen Charakter – oder im Ausbleiben – der Aufklärung in Deutschland „die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus“ und dessen mörderischer antisemitischer Politik (112; 55; 113; 80; 19). Von Kant und Hegel zu Hitler führe eine mehr oder weniger gerade Linie. Mit der These, dass die Wurzeln des nationalsozialistischen Antisemitismus in der deutschen Aufklärung lägen, verbindet sich das Konzept eines spezifischen Ablaufs der Emanzipation. Dieser sei im deutschen Sprachraum anders gewesen und von seinen Initiatoren mit anderen Erwartungen verknüpft worden als in Westeuropa. In Deutschland habe man erwartet, dass die Juden im Verlauf der Emanzipation sich völlig assimilieren und letzten Endes als Gruppe verschwinden würden. Die Verleihung gleicher Rechte sei ihnen deshalb nur schrittweise gewährt und von Fortschritten im Assimilationsprozess abhängig gemacht worden. In Westeuropa habe man dagegen die Gewährung der Emanzipation nicht an solche Bedingungen geknüpft. Als Paradebeispiel gilt dafür meist Frankreich, wo die Juden durch die Verfassung von 1791 auf einen Schlag zu gleichberechtigten Staatsbürgern gemacht wurden. Hier wie anderswo in Westeuropa habe man Juden zudem das Recht auf kulturelle Andersartigkeit zugebilligt. In Deutschland sei hingegen das Fortbestehen dieser Andersartigkeit als Scheitern der Emanzipation daran interpretiert worden, die „Judenfrage“ zu lösen – weshalb dann der Rückgriff auf die Strategie der „Endlösung“ durch rabiate physische Vernichtung erfolgte, die freilich im Denken der deutschen Aufklärer schon als Möglichkeit angelegt gewesen sei (27, S. 53 – 112). Das Hauptproblem dieses Ansatzes sehen seine Kritiker darin, dass der Anspruch auf international vergleichende Analyse, wenn überhaupt, nur oberflächlich eingelöst wird. Westeuropa im Allgemeinen oder Frankreich im Besonderen gäben nur eine blasse Folie ab, vor der deutsche Aufklärung und Emanzipation schwarz gemalt würden. Der Ansatz beschränke sich zudem auf reine Ideengeschichte. Idealtypisch werde so das gleißende Licht französischer und westeuropäischer Aufklärung mit finsteren Schreckenskammern deutscher Gelehrten- und Beamtenstuben kontrastiert, in denen dunkle Gestalten einem tief verwurzelten Judenhass verfallen gewesen seien. Belegt würden solche Behauptungen nach dem Prinzip: „Wer suchet, der findet“. So müssten einzelne Beispiele und – nicht selten aus dem Zusammenhang gerissene – Zitate dazu herhalten, die These einer Dichotomie zwischen westeuropäischer Aufklärung und ihrem Ausbleiben rechts des Rheins zu stützen (111). Nach demselben Prinzip lassen sich überdies auch in Frankreich Belege für einen schleppenden Verlauf der Emanzipation finden. Das Modell einer von bedingungsloser Toleranz geprägten Gleichstellung war eben nur ein Idealtypus (44, S. 78 f.). Nicht nur, dass Napoleon die 1791 verkündete staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Juden wenig später wie-
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Wurzeln des NSAntisemitismus in der Aufklärung?
Spezifika der Emanzipation in Deutschland?
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Forschungsprobleme
III.
der einschränkte, sondern auch Beamte und Bauern begründeten etwa im französischen Osten noch mindestens bis 1848 Widerstand dagegen, wodurch eine jüdischer Assimilation ausblieb (167). Nach Ansicht von Shulamit Volkov war der Unwille über eine Gleichstellung von Juden in Frankreich selbst vor dem Ersten Weltkrieg nicht geringer als in Deutschland (286, S. 57). Wie deutsche Aufklärer entgingen auch ihre französischen Gegenstücke, allen voran Voltaire, nicht dem Vorwurf, rabiate Antisemiten gewesen zu sein (169; 29, S. 41 – 54; 35, Bd. 5). Letztlich lassen sich mit mehr oder weniger isolierten Beispielen für viele Länder Belege von Judenfeindschaft zu oberflächlichen Vergleichen verwenden. In diesem Sinn ist etwa hervorgehoben worden, dass in Polen während des frühen 20. Jahrhunderts niemand Juden ein Recht auf kulturelle Andersartigkeit zugestanden hätte (194, S. 1) oder dass auch in Großbritannien während dieser Zeit die Forderung nach völligem „Verschwinden“ des Judentums laut wurde (118, S. 5). Das britische Beispiel, wie das französische oft als Muster von Toleranz herangezogen, unterstreicht besonders die Notwendigkeit von systematischen statt nur oberflächlichen und einseitigen Vergleichen, in denen Westeuropa lediglich als positive Folie für die Betrachtung von mittel- oder osteuropäischem Antisemitismus dient. Und wenn nachgewiesen werden kann, dass die im Europa des 19. Jahrhunderts verbreiteten visuellen antisemitischen Stereotypen sich aus englischen Karikaturen der Aufklärungszeit entwickelt haben (23), dann wird vollends deutlich, dass solche systematischen Vergleiche auf einer soliden Basis der Betrachtung von Judenhass in einzelnen Nationalstaaten aufbauen müssen.
b) Großbritannien und die USA: ein „süßes Exil“?
Begründungen für die Schwäche des Antisemitismus in Großbritannien
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Für viele Juden galten Großbritannien und die USA im späten 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als ein „süßes Exil“. Rabbis sprachen von diesen Ländern als „neuem Palästina“, wo man in Ruhe und Frieden ein „neues Jerusalem“ aufbauen könne (110, S. 238 – 261; 128). Millionen Juden, die vor Pogromen aus Ost- und später aus Mitteleuropa flohen, fanden hier eine neue Heimat. Organisierter politischer Antisemitismus bildete sich in Großbritannien und den USA erst vergleichsweise spät und wurde nie zu einer Massenbewegung. Gewalt gegen Juden blieb relativ selten. Antisemitische Handlungen waren gesellschaftlich geächtet. Ähnliches galt auch für die Schweiz (144) und für die Niederlande (88; 143). Unter Historikern herrscht weitgehender Konsens über die Schwäche von politischem und gewalttätigem Antisemitismus in diesen Ländern. Umstritten sind die Gründe dafür. Kontrovers diskutiert werden diese vor allem für Großbritannien, wo die Forschungsdiskussion besonders lebhaft ist. Lange herrschte eine ideengeschichtliche Interpretation vor, die sich vor allem in populären Darstellungen teilweise heute noch findet. Sie erklärt das Nachlassen der vorher sehr virulenten Judenfeindschaft auf der Insel im Rahmen der Meistererzählung traditioneller britischer Geschichtsschreibung, der Whig interpretation of history, als Folge einer Durchsetzung säkularer liberaler Werte während des 19. Jahrhunderts. Demnach bewirkte die Ausbreitung
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich liberalen Toleranzdenkens, das sich mit einem Bedeutungsverlust der Religion in englischer Gesellschaft und Politik verband, das fast völlige Verschwinden des alten Judenhasses (127). Von einer stärker sozialgeschichtlich orientierten Interpretation wird dagegen gerade die bleibende Bedeutung der Religion im Wandel betont: Die Emanzipation der englischen Juden sei im 19. Jahrhundert weniger Ausdruck von Säkularisierung als vielmehr Ausdruck der Koalitionspolitik verschiedener religiöser Interessengruppen gewesen. Protestantische Nonkonformisten hätten sich mit Katholiken und Juden unter dem gemeinsamen Dach der liberalen Bewegung zusammengefunden, um die Entmachtung der anglikanischen Staatskirche und damit die Gleichberechtigung aller religiösen Glaubensrichtungen voranzutreiben (118). Die eigentlichen Hintergründe für die relative Schwäche des organisierten Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert liegen in Großbritannien danach freilich noch viel tiefer, nämlich in der frühen Neuzeit. So war aus der Sicht kulturhistorischer Arbeiten die religiöse Fraktionierung der englischen Gesellschaft entscheidende Voraussetzung für Toleranz gegenüber den Juden. Die Bildung vieler nonkonformer protestantischer Glaubensgemeinschaften ab dem 16. und 17. Jahrhundert hätte auf Dauer keine andere Möglichkeit gelassen als die Praktizierung religiöser Toleranz, um verheerende Bürgerkriege zu vermeiden (117). Die Wende zur kulturhistorischen Perspektive beleuchtete die Natur des englischen Antisemitismus neu und warf damit auch die Frage nach seinem Ausmaß neu auf. Sozial- und politikgeschichtliche Studien verweisen auf die relative Schwäche des organisierten Antisemitismus und die gesellschaftlich weit verbreitete Ächtung von gegen Juden gerichteter Gewalt (122, Auszüge: 114, S. 326 – 349, 425 – 451; 124, Auszüge: 114, S. 385 – 424; 125; 128). Kulturhistorische Ansätze führen dagegen die gleichwohl starke Präsenz judenfeindlicher Stereotype im Denken vieler Briten an (119; 117; 130). Sie heben etwa die Popularität der negativen Darstellung jüdischer Bühnen- und Buchfiguren hervor, wie die des grausam-verschlagenen Geldleihers Shylock in Shakespeares Kaufmann von Venedig oder des kriminellen Schurken Fagin in Charles Dickens Oliver Twist. Tatsächlich blieben solche Darstellungen auf britischem Boden auch noch lange nach 1945 beliebt – ob in Theaterinszenierungen, in Bildern oder als Nippesfiguren (116; 132). Historiker wie Todd Endelman (117) sehen in diesen ebenso langlebigen wie tief verwurzelten und weit verbreiteten Ausdrucksformen kultureller Judenfeindschaft in Großbritannien die dunkle Kehrseite religiöser Toleranz und politischer Liberalität. Zudem sei, wie auch von anderer Seite unterstrichen wird (118), der soziale Druck zur Anpassung an die englische Nationalkultur zwar subtil und diffus, aber deshalb nicht weniger stark. Juden seien zwar als Individuen akzeptiert, aber nicht als Juden, als Angehörige einer Gruppe mit besonderer kultureller und ethnischer Identität. Dieser „weiche Antisemitismus“ (120) bedrohe die Existenz einer jüdischen Gemeinschaft in Großbritannien zwar auf andere Weise als durch direkte Verfolgung und Vertreibung. Er führe aber letzten Endes zum selben Resultat, nämlich durch Auflösung der jüdischen Identität zur Vernichtung des Judentums. Diese These ist bei Endelman offensichtlich auch durch außerwissenschaftliche Wertvorstellungen beeinflusst, vor allem durch Sorgen über die ansteigende Zahl jüdisch-nichtjüdischer Ehen. Letztlich wird dabei die Bejahung kultureller Plu-
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Natur und Ausmaß des englischen Antisemitismus
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Forschungsprobleme
III.
Großbritannien, USA und NSJudenverfolgung
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ralität gegen individuelle Freiheiten ins Feld geführt. Wissenschaftlich liegt das Hauptproblem der These darin, dass kultureller oder sozialer Antisemitismus gerade wegen seines subtilen und diffusen Charakters nur schwer messbar ist. Dass solche subtilen Formen von Judenfeindschaft zwar für ihre Opfer auch schmerzhaft, aber verglichen mit kontinentaleuropäischen Pogromen unbedeutend waren, ist unumstritten. Sehr kontrovers diskutiert wird jedoch, wieweit kultureller oder sozialer Antisemitismus in Großbritannien und den USA die Haltung zur nationalsozialistischen Verfolgung der Juden beeinflusst hat. Einige Autoren, allen voran Bernard Wasserstein und David Wyman, sehen hier einen engen Zusammenhang. Nicht zuletzt aufgrund von antisemitischen Einstellungen in Regierungsbürokratien und Bevölkerungen der westlichen Alliierten hätten diese vor und im Zweiten Weltkrieg dem Wüten der Nationalsozialisten weitgehend tatenlos zugesehen. Vorhandene Spielräume seien jedenfalls nicht ausgenutzt worden, um Juden vor Verfolgung und Ermordung zu retten. So wird den Alliierten vorgeworfen, zunächst ihre Grenzen vor jüdischen Flüchtlingen verschlossen zu haben, während sie später nur fruchtlose Appelle an NS-Deutschland richteten, statt etwa Auschwitz und andere Vernichtungslager oder die dorthin führenden Bahnstrecken zu bombardieren (123; 131; 141; 142). Eine radikal entgegengesetzte Auffassung vertritt William Rubinstein (129). Seiner Ansicht nach hätten die westlichen Demokratien nicht mehr Juden das Leben retten können, als sie es taten. Argumentativ untermauern lässt sich diese These mit dem Hinweis auf ein durchaus bestehendes Dilemma alliierter Politik: Je stärkere Anstrengungen Großbritannien und die USA zur Rettung von Juden unternahmen, desto mehr musste das die Nationalsozialisten in ihrer Überzeugung bestärken, dass britische und amerikanische Regierung in Wahrheit einen Krieg für „jüdische Interessen“ führten – und umso mehr war mit einer Intensivierung der nationalsozialistischen Bemühungen zur „Endlösung der Judenfrage“ zu rechnen. Auch zur Rettung jüdischer Flüchtlinge sei von den Westalliierten alles Mögliche getan worden. Tatsächlich hat außer den Niederlanden kein anderer Staat der Welt absolut wie auch im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl mehr Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Machtbereich aufgenommen als Großbritannien und die USA. Eine mittlere Position zwischen den Extremen nehmen Studien wie die von Louise London zur britischen Flüchtlingspolitik und Martin Gilberts Auschwitz und die Alliierten ein. London kommt in ihrer Arbeit zu dem Ergebnis, dass Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs zwar mehr Juden hätte retten können, deren Zahl allerdings sehr gering gewesen wäre. Vor dem Krieg seien die Spielräume theoretisch größer gewesen, aber wegen einer Reihe materieller oder durch subjektive Wahrnehmung gebildeter Faktoren nicht genutzt worden. Gilbert begründet die Tatsache, dass die Alliierten sich nicht nachhaltig um eine Zerstörung der NS-Vernichtungslager oder der Eisenbahnstrecken dorthin bemühten, ebenfalls multikausal. Antisemitische Tendenzen von Entscheidungsträgern in Regierungen und die Rücksichtnahme auf Judenfeindschaft in der eigenen Bevölkerung waren demnach nur zwei von zahlreichen Gründen in einem komplexen Ursachengeflecht. Zu diesem Geflecht gehörten auch Unkenntnis, Unverständnis und
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich Unfähigkeit. Den von traditionell nationaler Weltsicht geprägten Politikern Großbritanniens und der USA blieb der radikale Rassismus eines Hitler unverständlich; bezeichnenderweise wurden die jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland in Großbritannien bei Kriegsausbruch 1939 als „feindliche Ausländer“ interniert. Noch bis 1945 war selbst vielen gut informierten Entscheidungsträgern in Washington und London angesichts sich widersprechender Informationen und deutscher Verschleierungsmanöver die Tatsache oder das Ausmaß der nationalsozialistischen Mordaktionen nicht bekannt. Flugzeuge der westlichen Alliierten waren während des Krieges lange gar nicht fähig, die deutschen Vernichtungslager in Polen zu erreichen. Und als sich das durch die Eroberung von näher gelegenen Luftstützpunkten änderte, war das Morden bereits weitgehend vorbei (121; 126; 133; 136). Die Debatten um das Ausmaß des Antisemitismus und dessen Rolle für die Außenpolitik des eigenen Landes zwischen 1933 und 1945 werden besonders in Großbritannien heftig geführt. Auf der anderen Seite des Atlantiks prallen die Meinungen weniger scharf aufeinander. Mit vergleichbarer Heftigkeit und öffentlicher Aufmerksamkeit wird in den USA nur eine Kontroverse um die Ursachen des amerikanischen Antisemitismus ausgefochten (Überblick: 140). Die These, dass dieser hauptsächlich eine Reaktion auf eine „special relationship“ von jüdischen und Regierungskreisen sei (138), ist zumindest in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung isoliert. Nicht nur erinnert sie all zu sehr an antisemitische Verschwörungstheorien; sie widerspricht auch dem solide belegten sozialhistorischen Befund, dass Judenfeindschaft nicht zuletzt von den alteingesessenen angelsächsischen Eliten ausging, die sich damit die Konkurrenz gesellschaftlicher Aufsteiger deutschjüdischer Herkunft vom Leibe halten wollten. In solchen Realkonflikten, sei es zwischen alten und neuen Eliten oder zwischen ostjüdischen und irischen Unterschichten, sah die Hauptströmung der amerikanischen Geschichtsschreibung lange Zeit die zentrale Ursache für Antisemitismus in den USA (135; 139). Mit der Wendung von der Sozial- hin zur Kulturgeschichte verschoben sich jedoch auch hier mit der Perspektive die Gewichte. In der 1994 erschienenen Darstellung Antisemitism in America von Leonard Dinnerstein (134), die binnen kurzem zum neuen Standardwerk avancierte, wird Judenhass in den USA zwar als multikausal dargestellt. Vor allem gehe er aber auf die für viele Amerikaner große Bedeutung christlicher Traditionen zurück. Genau für diese Schwerpunktsetzung sind Dinnersteins Buch und Studien mit ähnlicher Tendenz allerdings auch sofort heftig kritisiert worden. Denn wenn Antisemitismus in den USA etwas mit der besonderen Imprägnierung amerikanischer Kultur durch das Christentum zu tun hat, liegt darin ein impliziter Widerspruch zu dem allgemein akzeptierten Befund, dass es sich im internationalen Vergleich um eine relativ milde Variante des Phänomens handelt. Die Kritiker betonen stattdessen die Vielseitigkeit der christlichen Tradition. Deren antisemitische Elemente würden durch anti-antisemitische wieder ausgeglichen. Gerade diese gegenseitige Neutralisierung religiöser Faktoren könne mit erklären helfen, warum religiös fraktionierte Gesellschaften wie die USA und Großbritannien auf zuwandernde Juden das Bild eines trotz aller Schattenseiten vergleichsweise „süßen Exils“ machten (137; 140).
III.
Ursachen des Antisemitismus in den USA
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Forschungsprobleme
III.
c) Russland und Österreich
Österreich
Pogrome im russischen Zarenreich
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Gelten Großbritannien und die USA als Musterbeispiele für einen vergleichsweise milden, jedenfalls aber kaum gewalttätigen Antisemitismus, so verkörperten Russland und Österreich das andere Extrem. In den Augen vieler Historiker war zumindest bis zum Ersten Weltkrieg Judenhass nirgendwo so virulent wie dort (292, S. 639 – 641). Im Prozess der Gleichberechtigung jüdischer Einwohner bildete Russland, wo die Emanzipation erst 1917 erfolgte, in Europa das Schlusslicht. Gewalt gegen Juden schien im russischen Zarenreich fast schon alltäglich zu sein. In der österreichisch-ungarischen Habsburgermonarchie stand es kaum besser. Judenfeindliche Parteien und Massenorganisationen tummelten sich hier wie die Fische im Wasser. Antisemiten waren in Österreich vor 1914 mehr in ihrem Element als selbst in Deutschland. Darin stimmen Studien, die beide Länder vergleichen, überein. In Deutschland hat die vor dem Ersten Weltkrieg stärkste Partei, die Sozialdemokratie, den Antisemitismus vor allem unterschätzt. In Österreich waren Sozialdemokraten dagegen selber Antisemiten. Und während in Berlin antisemitische Organisationen eine randständige Erscheinung darstellten, dominierten sie in Wien die Politik. Die österreichische Hauptstadt wurde vor 1914 lange Jahre von einem Bürgermeister regiert, der soziales Engagement mit rabiater Judenfeindschaft verband (156; 158; 159). Auch für die Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg ist in der Forschung eine tiefe Imprägnierung nahezu aller Teile der österreichischen Gesellschaft mit Antisemitismus konstatiert worden. Sämtliche großen Parteien der Republik Österreich verhielten sich Juden gegenüber diskriminierend. Nach dem „Anschluss“ an Deutschland waren Österreicher in den nationalsozialistischen Organisationen, die den Massenmord am europäischen Judentum planten und durchführten, beträchtlich überrepräsentiert (157). Die historische Forschung zum österreichischen Antisemitismus konzentriert sich allerdings fast ausschließlich auf die Hauptstadt. Bis vor kurzem ließ sich aus ihr praktisch nichts über Judenfeindschaft außerhalb Wiens erfahren (114, S. 669 – 854). Selbst wo Antisemitismus in der österreichischen Provinz mittlerweile erforscht wird, beschränkt sich die Quellengrundlage auf die von hauptstädtischen Antisemiten gesteuerte Presse (155). Mehr im Rampenlicht der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit steht Russland. Vor allem die Frage nach Natur und Hintergründen der Tausende Todesopfer fordernden Pogrome im russischen Zarenreich hat ausgesprochen kontroverse Interpretationen provoziert. Eine schon unter den Zeitgenossen verbreitete und lange dominierende Erklärung lokalisierte die Initiatoren dieser blutigen Verfolgungen in der staatlichen Bürokratie. Der Zar selbst, kolportierten bereits in den 1880er Jahren umlaufende Gerüchte, wolle die Vertreibung oder Tötung der jüdischen „Gottesmörder“. Die religiöse Bigotterie der letzten russischen Monarchen und ihrer Verwaltungseliten, die sich nach dem Sturz des Zarentums durch die Revolutionen von 1917 auch dokumentarisch belegen ließen, wurde als zentraler Hintergrund für die Pogrome gesehen. Die Bauern hätten die religiösen Vorurteile der politischen Elite geteilt. Sie seien die hauptsächlichen Träger der von oben angeordneten Ausschreitungen gegen die Juden des Zarenreichs gewesen.
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich Diese Interpretation der Pogrome entstand unter den Zeitgenossen vor allem in den Reihen jüdischer Verbände und sozialistischer Geheimorganisationen in Russland selbst, verbreitete sich aber nicht zuletzt durch Exilrussen schon vor dem Ersten Weltkrieg im übrigen Europa und in Nordamerika nahezu überall. Nach der bolschewistischen Oktoberrevolution 1917 wurde sie durch die neuen Machthaber unterstützt, die auf Archivmaterial basierende Arbeiten russischer Historiker ermöglichten. Schließlich gab die nationalsozialistische Judenverfolgung der Interpretation der Pogrome im Zarenreich als staatlich inszeniert noch mehr Auftrieb: Sie erschienen nun als russische Generalprobe für den später mit den Machtmitteln des deutschen Staats betriebenen Massenmord (145; 146). Seit den 1980er Jahren wurde diese bis dahin weitgehend akzeptierte Erklärung dann einer grundlegenden Revision unterzogen. Kritik entzündete sich weniger an neu erschlossenem Quellenmaterial als an einer Neubewertung bereits vorhandener Quellen. Zum einen hinkte offensichtlich der Vergleich zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem vorrevolutionären Russland: Während Hitler einen totalitären „starken Staat“ geführt hatte, war der Zar in seinem Riesenreich entsprechend einem alten russischen Sprichwort stets weit weg und deshalb kaum in der Lage gewesen, mit seiner schwachen Verwaltung alle Geschehnisse zu lenken. Zum anderen legten die bolschewistischen Quellenpublikationen zwar die antisemitische Ideenwelt von Teilen der vorrevolutionären Regierungselite offen. Sie bewiesen aber nicht wirklich eine zentrale staatliche Planung der Pogrome. So setzte sich zunehmend die Ansicht durch, dass die erste Welle von Judenverfolgungen 1881/84 tatsächlich nicht vom Zaren und seiner Regierung gesteuert worden waren. Die späteren Pogromwellen von 1904/07 und ab 1917 werden mittlerweile als Nebenerscheinungen revolutionärer Unruhen gesehen, an denen die Staatsmacht zwar Anteil hatte, die sie aber ebenfalls nicht zentral lenkte. Insbesondere für die erste Pogromwelle macht die neue revisionistische Interpretation als Hauptträger der judenfeindlichen Ausschreitungen auch weniger Bauern aus als vielmehr Stellen suchende Wanderarbeiter. Daher erscheinen nicht mehr allein traditionelle religiöse Motive als zentrale Hintergründe der Pogrome. Stattdessen kommen verstärkt wirtschaftliche Probleme einer durch Industrialisierung und Modernisierung in Bewegung gekommenen Gesellschaft ins Blickfeld (146; 148; 151). Schließlich beleuchtet die neue Interpretation russische Juden nicht mehr nur als passive Objekte und Opfer von Verfolgung, sondern auch als handelnde Subjekte, die sich zur aktiven Selbstverteidigung zusammenschlossen und damit absichtlich oder unabsichtlich zur Verstärkung der sozialen Unruhe beitrugen, die letzten Endes in den politischen Umsturz mündete (150). Die Politik der durch die Revolutionen von 1917 an die Macht gespülten Bolschewisten wird ähnlich kontrovers beurteilt wie die des zaristischen Regimes. Auch hier konkurrieren zwei Interpretationen. Beide betonen Ambivalenzen im Verhältnis von Bolschewismus und Juden. Die Vertreter der einen Interpretation sehen diese Ambivalenzen ausschließlich in inneren Widersprüchen der neuen bolschewistischen Ideologie und Herrschaftspraxis begründet. Einerseits habe die neue Regierung des 1917 zur Sowjetunion mutierten Russland offiziell den Antisemitismus bekämpft: Antisemitische Äußerungen und Handlungen wurden von Gerichten verfolgt und streng be-
III.
Bolschewisten und Juden
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Forschungsprobleme
III.
straft, Juden rechtlich anderen Bürgern völlig gleichgestellt. Andererseits wurde ihnen, wie den Angehörigen anderer Religionen, die Ausübung ihres Glaubens zunehmend unmöglich gemacht und damit die Grundlage ihrer kollektiven Identität entzogen. Unter Stalin seien sie zudem als Angehörige einer nichtrussischen und deshalb potentiell unzuverlässigen Nation etikettiert und diskriminiert worden. Diese Interpretation geht nicht selten auf Zeitzeugen zurück (145; 147; 152). Die andere Interpretation, die in jüngerer Zeit stärker an Boden gewinnt, betont neben inneren Widersprüchen des bolschewistischen Systems auch Gegensätze zwischen dem neuen System und früheren antisemitischen Traditionen aus der Zarenzeit. Diese seien in der Gesellschaft nach 1917 lebendig geblieben. Allen Bemühungen der offiziellen Politik zum Trotz hätten judenfeindliche Mentalitäten sich erhalten. Mehr noch: Teilweise habe die staatliche Politik selbst an traditionelle Elemente von Judenfeindschaft angeknüpft. So wurden von der neuen kommunistischen Regierung zwar offiziell anti-antisemitische Parolen ausgegeben, daneben aber für antikapitalistische Propaganda auch alte antisemitische Stereotype wieder und weiter verwendet. Überdies habe die seit Stalin zunehmende und nur wenig verhüllte Annäherung zwischen kommunistischem Sowjetsystem und russischem Nationalismus alte nationale und ethnische Gegensätze aus der Zarenzeit wiederbelebt, und damit auch die Lage des zwischen allen Stühlen sitzenden jüdischen Bevölkerungsteils erschwert (149; 153; 154).
d) Frankreich Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Dreyfus-Affäre
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Hätte man Europäer um 1900 raten lassen, von welchem Land vier Jahrzehnte später ein Massenmord an den Juden des Kontinents ausgehen sollte, wäre neben Russland und Österreich wahrscheinlich am häufigsten Frankreich als möglicher Kandidat genannt worden. „Für die Zeitgenossen schien Ende des 19. Jahrhunderts nicht Deutschland, wo die Assimilation sehr weit fortgeschritten und der Erfolg der Juden in der bürgerlichen Gesellschaft unübersehbar war, als das Land von Antisemitismus und Verfolgung, sondern viel eher das Frankreich der Dreyfus-Affäre mit der Welle antijüdischer Ausschreitungen von 1898“ (6, S. 15; vgl. 112, S. V; 161, S. 9; 286, S. 65 – 70). Die Affäre um den jüdischen Armeeoffizier Alfred Dreyfus, der 1894 fälschlich der Spionage für schuldig befunden und erst Jahre später – nach Frankreich bis in die Grundfesten erschütternden öffentlichen Debatten und Unruhen – begnadigt und schließlich freigesprochen wurde, ist von jeher die Achse gewesen, um die sich alle Kontroversen über französischen Antisemitismus drehen. Über diese Affäre gibt es mittlerweile wahre Berge von Publikationen, geradezu einen „Himalaya von Texten“, aufgetürmt durch über 1200 Aufsätze und Bücher. Die meisten davon sind allerdings recht jungen Datums, der „Himalaya“ also erst durch einen relativ rezenten „Erdrutsch“ entstanden – fast 450 dieser Veröffentlichungen, mehr als ein Drittel, erschienen allein zur hundertjährigen Wiederkehr des ersten Prozesses gegen Dreyfus zwischen 1993 und 1995 (163, S. 323). Bis Anfang der 1980er Jahre erfreute sich die Dreyfus-Affäre dagegen nicht solcher Aufmerksamkeit. Vor allem wurde sie kaum als Ausdruck eines weit verbreiteten Antisemitis-
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich mus in Frankreich gewertet. Populäre und wissenschaftliche Darstellungen zeichneten die Anklage gegen Dreyfus eher als das Werk einer kleinen verschwörerischen Clique von Armeeoffizieren. Die Rolle, die Antisemitismus in den durch den Prozess hervorgerufenen öffentlichen Auseinandersetzungen spielte, wurde meist für gering erachtet (170, S. 336 f.). Das war Teil einer besonders in Frankreich selbst lange ausgeprägten Tendenz, die Vergangenheit der „grande nation“ zu glorifizieren. Der nach 1945 als Inbegriff des Bösen identifizierte Antisemitismus passte in dieses positive Geschichtsbild nicht hinein. Wie die antisemitischen Aspekte der DreyfusAffäre fielen deswegen auch die Jahre der Vichy-Regierung lange dem kollektiven Vergessen anheim. Sie hatte nach der französischen Niederlage gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg zwischen 1940 und 1944 mit den Nationalsozialisten bei der Deportation von Juden kollaboriert und selbst judenfeindliche Gesetze erlassen. Bezeichnenderweise markierte erst die Publikation eines Buchs zweier nordamerikanischer Historiker, Robert Paxtons und Michael Marrus’ Vichy France and the Jews, 1981 den Durchbruch eines weniger durch solch blinde Flecken gekennzeichneten Geschichtsbilds. Seitdem ist die Kollaboration detailliert dokumentiert und die antisemitische Politik der Vichy-Regierung wissenschaftlich exakt aufgearbeitet worden. Schließlich bekannte Jacques Chirac sich als erster französischer Präsident 1995 zur Verantwortung der ganzen Nation für die Deportationen der Juden aus Frankreich während des Zweiten Weltkriegs (165; 172, 173; 174). Paxton und Marrus hatten Vichy nicht direkt mit der Dreyfus-Affäre in Verbindung gebracht. Aber die Wiederentdeckung der französischen Kollaboration mit NS-Deutschland, der Deportationen und der antijüdischen Gesetzgebung während des Zweiten Weltkriegs bereitete den Boden auch für eine Reinterpretation der Affäre um den ein halbes Jahrhundert davor zu Unrecht verurteilten jüdischen Offizier. Bald wurden Anklage und öffentliche Debatte um Dreyfus nicht mehr als Werk einer kleinen Gruppe von Militärs gesehen, sondern als Ausdruck einer breiten und tiefen Strömung in Gesellschaft und Politik. Französische Historiker erforschten die ideengeschichtlichen Wurzeln des modernen französischen Antisemitismus (178) und dokumentierten dessen Bedeutung in der Ideologie französischer Rechtsparteien vor und nach dem Ersten Weltkrieg (176). Ihre britischen und amerikanischen Kollegen gingen derweil dem Echo nach, das Judenfeindschaft in der französischen Gesellschaft während des späten 19. Jahrhunderts fand (162, Auszüge: 114, S. 514 – 592; 177). Antisemitismus wurde zunehmend in allen Epochen moderner französischer Geschichte entdeckt. Mittlerweile können sich interessierte Leser detailliert informieren über Judenhass in der französischen Aufklärung (169), zwischen den Revolutionen von 1789 und 1848 (167) oder während des zweiten Kaiserreichs unter der Regierung von Napoleon III. (171). Während es bis in die 1970er Jahre kaum Literatur zu Judenfeindschaft in Frankreich gab, sind heute sogar dessen Ausprägungen im Theater oder in der Oper gründlich erforscht. Auch an regionalen und lokalen Spezialstudien über das Phänomen herrscht alles andere als Mangel. Die Tiefe der Verwurzelung des Antisemitismus in der französischen Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist parallel zur quantitativen Ausweitung der Forschung immer mehr betont worden. Bis Anfang der
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Vergessen und Wiederentdeckung von „Vichy-Frankreich“
Neuinterpretation der Affäre um Dreyfus
Allgegenwart des Antisemitismus?
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Forschungsprobleme
III.
Vergleich mit Deutschland
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1980er Jahre galt es weithin als ausgemacht, dass rabiate Judenfeindschaft sich in Frankreich während der Dreyfus-Affäre auf Pariser Intellektuellenzirkel beschränkte. Dann belegte Michael Burns in einer quellengesättigten Studie die Existenz vergleichbaren radikalantisemitischen Gedankenguts auch in der Provinz. Das platte Land, betonte er, sei davon jedoch nicht erreicht worden: Noch nach den antisemitischen Ausschreitungen von 1898, die angesichts der bevorstehenden Rehabilitation von Dreyfus in Dutzenden französischer Städte ausbrachen, habe ein bretonischer Bauer auf die Erwähnung des jüdischen Offiziers mit der Frage reagiert: „Qui ça, Dreyfus?“ – „Dreyfus, wer ist das?“ (162, S. 171). Hundert Jahre nach den Pogromen von 1898 stellte Pierre Birnbaum dagegen die These auf, dass auch Bauern sich an diesen Ausschreitungen in großer Zahl beteiligt hätten. Letzten Endes sei kaum ein Teil der französischen Gesellschaft vom Antisemitismus unberührt geblieben (161). Nicht selten wird nun die Entwicklung des französischen Antisemitismus, wie die des deutschen schon länger, als eine Einbahnstraße gesehen, die linear auf die mit staatlichen Machtmitteln betriebene Diskriminierung und Verfolgung der Juden im Zweiten Weltkrieg hinauslief. So trägt ein neueres Standardwerk über Antisemitismus in Frankreich während der 1930er Jahre den Untertitel Vorspiel für Vichy (175). In manchen Überblicksdarstellungen und Handbüchern der letzten Jahre wird die Dreyfus-Affäre sogar in einen Zusammenhang mit der Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten gestellt. Die Mehrheit der mit dem Thema näher beschäftigten Wissenschaftler sieht darin freilich eine unzulässige Übertreibung und Vereinfachung (170, S. 344; 166). Zwar neigen heute nur noch einzelne Historiker dazu, die Bedeutung des Antisemitismus in Frankreich herunterzuspielen (170, S. 342). Die meisten gehen vielmehr davon aus, dass Judenfeindschaft tief in vielen Gruppen der französischen Gesellschaft verwurzelt war – und zwar weit über den Kreis derjenigen hinaus, die sich selbst als Antisemiten verstanden (160). Aber selbst Forscher wie Pierre Birnbaum betonen, dass der französische republikanische Staat und seine Repräsentanten in der Regel an der Gleichberechtigung der Juden festhielten und diese gegen antisemitische Angriffe verteidigten. Mochte der soziale Antisemitismus in Frankreich noch so stark sein, politisch sei er schwach geblieben (161; 164). Selbst in den wenigen Jahren des Vichy-Regimes betrieb der französische Staat keine auf physische Elimination von Juden abzielende Politik – im klaren Gegensatz zum nationalsozialistischen Deutschland. Johannes Heil hat das in einem spekulativen Vergleich der antisemitischen „Kulturen“ Deutschlands und Frankreichs mit den unterschiedlichen religiösen Strukturen der christlichen Mehrheiten beider Länder in Verbindung gebracht: Anders als im fast rein katholischen Frankreich habe sich Religion im gemischtkonfessionellen Deutschland nicht als kulturelle Klammer geeignet, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Dieses Vakuum sei deshalb in Deutschland von einem radikal antisemitischen „Systemrassismus“ gefüllt worden. Ob sich damit erklären lässt, warum Deutsche beim Massenmord an den europäischen Juden die Rolle der Täter und Franzosen nur die „billigender Zuschauer“ einnahmen (168), mag dahingestellt bleiben. Denn auch in Frankreich gab es tiefe religiöse Gegensätze, nämlich die zwischen laizistisch-säkular und traditionell orientierten Katholiken. Historiker streiten da-
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich
III.
rüber, warum Antisemitismus in Deutschland schließlich einen anderen Charakter annahm als das französische Gegenstück, mit dem die deutsche Variante zunächst viel gemeinsam hatte. Weitgehende Einigkeit besteht freilich darüber, dass sich gravierende Unterschiede entwickelten, und diese nicht zugunsten Effekt heischender Konstruktion von falschen Parallelen verwischt werden sollten (286; 60, S. 104).
e) Italien Auf den ersten Blick scheint, was die Geschichte des Antisemitismus angeht, Italien in vielem eher dem weit entfernten Großbritannien zu ähneln als seinen Nachbarn Frankreich, Österreich oder auch Deutschland. In beiden Ländern gab es vor der Moderne Anzeichen sehr ausgeprägter Judenfeindschaft: War das mittelalterliche England das erste europäische Land, aus dem alle Juden vertrieben wurden, entstand in Italien das erste jüdische Ghetto. Dagegen spielte Antisemitismus während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts jeweils nur eine relativ geringe Rolle. Wie im britischen wird der Grund dafür auch im italienischen Fall in der lang anhaltenden Dominanz liberaler Kräfte in Gesellschaft und Politik gesehen. Während religiöse Toleranz und jüdische Emanzipation in Großbritannien jedoch vor allem von protestantischen Nonkonformisten vorangebracht wurden, waren es in Italien katholische Laizisten, die sich diese Ziele auf die Fahnen geschrieben hatten. Von daher ähnelten die Umstände der jüdischen Emanzipation auf der Apenninenhalbinsel auch dem französischen Beispiel. Die Gleichberechtigung der Juden verband sich allerdings in Italien noch zusätzlich mit der nationalen Einigung, die gegen die katholische Großmacht Österreich und den Papst erkämpft werden musste. Die Verbindungen von national-liberalem Laizismus und Anti-Antisemitismus waren deshalb besonders stark. Zwar gab es auch im Lager der italienischen Liberalen, die den 1860 gegründeten Nationalstaat mehr als ein halbes Jahrhundert dominierten, Anzeichen einer Haltung, die von manchen Historikern als tendenziell judenfeindlich interpretiert wird. Unumstritten ist jedoch, dass die eigentlichen Träger des Judenhasses in Italien unter den traditionell papsttreuen Katholiken zu finden waren, die nur langsam ihren Frieden mit dem neuen Nationalstaat machten. Diese religiös und sozial verankerte Judenfeindschaft wirkte sich freilich politisch vor dem Ersten Weltkrieg nur wenig aus, weil den traditionell denkenden Unterschichten das Wahlrecht lange vorenthalten blieb. Zudem war die Zahl der Juden sehr gering: Um 1900 gehörte nur einer von 800 Italienern einer Synagogengemeinde an. Das Potential für reale Konflikte zwischen Christen und Angehörigen des jüdischen Bevölkerungsteils, so wird teilweise argumentiert, war daher kleiner als in Deutschland, wo etwa ein Prozent der Bevölkerung Juden waren, oder in den Teilen Osteuropas, wo dieser Anteil bei fünf Prozent oder mehr lag. Manche Historiker vertreten auch die Ansicht, dass die späte Industrialisierung Italiens zur Verhinderung der Ausbreitung von Antisemitismus beigetragen hat, weil deswegen lange kaum Bedarf an Sündenböcken für Probleme wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Modernisierung bestanden habe (183; 185).
Gründe für relative Schwäche des Antisemitismus
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Forschungsprobleme
III. Hintergründe des faschistischen Antisemitismus seit 1936/38
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Nachdem aus dem liberalen durch Mussolinis „Marsch auf Rom“ seit 1922 ein faschistisches Italien wurde, änderte sich an der toleranten Haltung des Staates zunächst nur relativ wenig. Anders als der deutsche Nationalsozialismus war der italienische Faschismus nicht von antisemitischem Gedankengut durchtränkt. Es gab sogar führende Faschisten, die selbst Juden oder jüdischer Herkunft waren. Zwischen 1936 und 1938 kam es dann jedoch zu einem antisemitischen Kurswechsel des Regimes, dessen Ursachen sehr kontrovers diskutiert werden. Für widerlegt kann mittlerweile die ältere These gelten, dass dieser Kurswechsel auf direkten Druck NS-Deutschlands erfolgte, mit dem Italien seit 1936 eng verbündet war. Meir Michaelis hat allerdings in einer umfassenden Darstellung den indirekten Einfluss des Bündnisses mit Hitler als Hauptgrund für die antisemitische Schwenkung Mussolinis identifiziert. Es sei dem faschistischen „Duce“ (Führer) darum gegangen, die außenpolitische „Achse“ mit Deutschland auch im Innern umzusetzen. Dabei habe Mussolini, wie seine inkonsistenten privaten Äußerungen zeigten, persönlich keine klare Linie verfolgt. Seine Politik den Juden gegenüber sei vielmehr von pragmatischen Rücksichtnahmen auf verschiedenste andere Interessen und Einflüsse geprägt gewesen. Der primär als Anbiederung an Hitler zu verstehende antisemitische Kurswechsel habe deshalb auch nie so weit geführt wie in Deutschland, weil der „Duce“ und die italienischen Faschisten Rücksicht auf humanitäre Einwände aus Großbritannien, Frankreich und der öffentlichen Meinung im Inland genommen hätten. In Italien sei Antisemitismus nämlich nicht sonderlich populär gewesen. Keinen Zusammenhang sieht Michaelis zwischen Mussolinis Politik und dem gleichzeitigen Aufschwung von Rassismus infolge der italienischen Eroberung von Abessinien 1935/36 (182). Genau diesen Zusammenhang betont dagegen eine Studie von Michele Sarfatti über die Juden im faschistischen Italien. Nach der Erklärung Abessiniens zur italienischen Kolonie bestimmte eine Reihe von Gesetzen eine klare „Rassentrennung“ zwischen Kolonialherren und Kolonisierten. Unter anderem durften Italiener auch keine engeren Beziehungen zu abessinischen Juden unterhalten. Die Verstärkung von kolonialem Rassismus unter Faschisten und Bevölkerung habe, so Sarfatti, schließlich den entscheidenden Anstoß für die Ausweitung der Idee der Rassentrennung auch auf die einheimischen Juden geliefert. Die Einschränkung der jüdischen Emanzipation sei allerdings schon seit 1922 angelaufen, weil Mussolinis Regime bereits vor der Aberkennung individueller Rechte die Existenz der Juden als Kollektiv durch eine Politik der Nationalisierung und „Faschisierung“ in Frage stellte, die mit den pluralistischen Prinzipien der liberalen Nationalstaatsgründung brach. Die Opposition der jüdischen Gemeinden gegen diese forcierte faschistische Assimilationspolitik und gegen die außenpolitische Annäherung an NSDeutschland habe den Übergang zur Aufhebung der Emanzipation vorbereitet (184; 187). Dass die Rücknahme der Emanzipation in Italien 1936/38 weniger wie ein plötzlicher Blitz aus „heiterem Himmel“ oder auf Anregung von außen kam, sondern auf weit zurückreichende einheimische Traditionen der Entwicklung von Rassismus und – vor allem katholischem – Antisemitismus zurückgeht, wird auch in anderen Studien unterstrichen (179; 180; 183). Eindeutig ist allerdings, dass die Entwicklung des Antisemitismus in Italien auch unter dem faschistischen Regime nicht jene mörderische Intensität er-
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich reichte wie im nationalsozialisten Deutschland. Zum Teil wurden während des Zweiten Weltkriegs Juden auf dem Balkan sogar von italienischen Militärs, unter Billigung oder aktiver Mitwirkung faschistischer Regierungsstellen in Rom, vor der Ermordung durch Nationalsozialisten und deutsche Wehrmacht geschützt. Die italienische Armee weigerte sich wiederholt und beharrlich, Juden in den von ihr besetzten Teilen Jugoslawiens und Griechenlands in die Vernichtungslager deportieren zu lassen. Warum das geschah, wird unter Historikern recht verschieden beurteilt. Jonathan Steinberg sieht den zentralen Hintergrund in einem unterschiedlichen Nationalcharakter von Italienern und Deutschen. Die Italiener hätten sich durch „die primäre Tugend der Menschlichkeit“ ausgezeichnet. Aber auch in der italienischen Armee und Verwaltung verbreitete „sekundäre Untugenden“ wie Ungehorsam, Unordnung, Korruption und lässige Gleichgültigkeit hätten es Juden und ihren Helfern ermöglicht, sich der Verfolgung zu entziehen oder diese zu sabotieren. Dagegen seien vergleichbare Löcher im Netz, durch die jüdische Verfolgte hätten schlüpfen können, auf deutscher Seite durch die dort dominierenden Sekundärtugenden wie Gehorsam, Effizienz, Unbestechlichkeit und Pflichtgefühl gar nicht vorhanden gewesen. Zudem habe kaum ein an der Verfolgung von Juden beteiligter Deutscher Mitgefühl mit den Opfern oder aus humanitären Überlegungen erwachsene Skrupel entwickelt, ganz im Gegensatz zu vielen der beteiligten Italiener (186, S. 220 f.). Bruno Mantelli hat diesen Thesen energisch widersprochen. Denn Italiener hätten auf dem Balkan an Nichtjuden durchaus Kriegsverbrechen begangen oder mitgetragen. So habe die italienische Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkriegs serbische Milizen benutzt, um durch Terrorakte widerspenstige Kroaten einzuschüchtern. Ebenso sei der Hungertod von Tausenden Griechen bewusst in Kauf genommen geworden, um deren Widerstand zu brechen. Die Juden in den besetzten Gebieten an die deutschen Nationalsozialisten auszuliefern, hätten die Regierung in Rom und italienische Armeestellen auch deswegen verweigert, um nicht einen Präzedenzfall zu schaffen. Denn dann hätten sie auch die für sie arbeitenden serbischen Milizen ausliefern müssen, was von den Deutschen wiederholt gefordert worden war (181). Schon Steinberg hatte dieses Motiv in den italienischen Quellen dokumentiert, aber in seiner Interpretation nicht weiter berücksichtigt. Susan Zuccotti betonte in ihrer Interpretation schließlich noch ein anderes Motiv, das bei Steinberg ebenfalls angesprochen, jedoch weniger hervorgehoben wird: den Verlauf des Krieges und dessen Wahrnehmung durch Italiener. Anders als Deutschland hatte Italien im Zweiten Weltkrieg bereits seit 1940 empfindliche Niederlagen hinnehmen müssen. Der Zusammenbruch der Achsentruppen in Nordafrika und der schnelle Vormarsch der Alliierten dort seit 1942 gefährdete vor allem Italien direkt. In der italienischen Armee, der Bevölkerung und selbst in Teilen der Regierung sei deshalb die Abneigung gegen eine Fortführung des Krieges und gegen die arrogant erscheinenden deutschen Verbündeten immer größer geworden. Deshalb habe die Bereitschaft zur Beteiligung an deutschen Aktionen, einschließlich der Judenverfolgung, immer weiter abgenommen – nicht zuletzt auch im Hinblick auf einen eventuellen Friedensschluss mit den Alliierten (188). Es ließe sich hinzufügen, dass im Vergleich zu Hitler das Ansehen des schon 1922 an die Macht gekom-
III. Italiener und Juden auf dem Balkan im Zweiten Weltkrieg
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Forschungsprobleme
III.
menen Mussolini zu Kriegsbeginn bereits ziemlich ramponiert war. Die Italiener hatten unter faschistischer Herrschaft Wirtschaftsboykotte der Westmächte wegen des Abessinienkonflikts und die Weltwirtschaftskrise durchlebt. Dagegen verband sich in Deutschland die Erinnerung an die nationalsozialistische Zeit gerade mit der an die Überwindung der Wirtschaftskrise.
f) Polen und Osteuropa Polen
Vergleiche Osteuropas mit Deutschland
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Das Land mit dem größten jüdischen Bevölkerungsanteil in Europa war vor 1945 Polen. Seit dem späten Mittelalter diente es einerseits als wichtigster Zufluchtsort für aus anderen Teilen des Kontinents vertriebene Juden. Andererseits hat religiös begründete Judenfeindschaft eine lange Tradition auch in Polen (191). Die internationale Forschung zu Judenhass dort ist allerdings auf das 20. Jahrhundert spezialisiert, vor allem auf die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass sich erst ab dieser Zeit von einem modernen Antisemitismus in Polen sprechen lasse – wenn überhaupt, angesichts der kontinuierlichen Stärke von religiösen Bedingungsfaktoren. Diese im Vergleich zu Deutschland, Österreich oder Frankreich „verspätete“ Entwicklung wird meist in Verbindung mit einer spät einsetzenden Industrialisierung gebracht (189, S. 1; 192), gelegentlich aber auch damit, dass eine Etikettierung von Juden als nationaler Minderheit erst nach der Bildung des polnischen Nationalstaats 1918 voll wirksam werden konnte (191). Judenhass in Polen nach dem Ersten Weltkrieg gilt weithin als besonders stark und gewalttätig. So ist in der Literatur, je nachdem ob stärker rassistische oder religiöse Elemente von Judenfeindschaft hervorgehoben werden, die Rede von einer „culture of antisemitism“ (114, S. 961) oder einem „kulturellen katholisch-antijudaischen Code“ (191). Die wiederholten Pogrome und deren hohe Opferzahlen haben schon frühzeitig zu Vergleichen geführt zwischen Polen und anderen ost- oder mitteleuropäischen Staaten wie vor allem Ungarn auf der einen und Deutschland auf der anderen Seite. So meinte schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein amerikanischer Historiker, die deutschen Nationalsozialisten hätten geerntet, was von polnischen Nationalisten gesät worden sei. Auch wurde die These aufgestellt, bis 1933 wäre „der Antisemitismus in Ungarn und Polen, was seine Auswirkung auf den Lebensbereich des einzelnen angeht, stärker als in Deutschland“ gewesen (vgl. 192, S. 13 f.). William Hagen hat in jüngerer Zeit argumentiert, Parallelen zwischen der Entwicklung in Deutschland, Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei seien sogar bis 1938/39 zu beobachten. In allen diesen Ländern habe eine aufstrebende nationalistische Bildungselite eine Politik der Ghettoisierung und Vertreibung jüdischer Minderheiten angestrebt und vorangetrieben, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg (109). Auf allgemeine Ablehnung stößt dagegen unter Historikern die früher mit offensichtlich apologetischer Absicht in der deutschen Publizistik gelegentlich angedeutete These, der nationalsozialistische Radikalantisemitismus habe sich an osteuropäischen und besonders polnischen Vorbildern orientiert. Denn Antisemitismus in Polen und anderen osteuropäischen Staaten zielte auf Vertreibung, nicht auf völlige Vernichtung der Juden durch Massenmord. Eine „Judenfrage“ wurde anders als im nationalsozialistischen
3. Antisemitismus im internationalen Vergleich Deutschland als ein nationales, nicht als ein universales Problem konstruiert. Schließlich betonen manche Wissenschaftler, dass Judenfeindschaft in Osteuropa und insbesondere in Polen zwischen den Weltkriegen religiös statt rassistisch motiviert gewesen sei (190, S. 732 – 737; 194; 206). Einige sehen die Grenzen zwischen beiden Spielarten der Motivation von Judenfeindschaft freilich auch weniger klar gezogen (204). Herrscht also Übereinstimmung darüber, dass es keine Kausalbeziehung zwischen dem Antisemitismus der Zwischenkriegszeit in Ostmitteleuropa und dem dann folgenden nationalsozialistischen Massenmord an den Juden dort gibt, so ist seit der Wende zum 21. Jahrhundert heftig umstritten, wieweit Einheimische an diesem Massenmord teilnahmen, und ob sie das auch aus eigenem Antrieb taten. In Polen wurde eine lebhafte Debatte dieser Frage im Jahr 2000 durch ein Buch des polnisch-amerikanischen Historikers Jan Tomasz Gross ausgelöst. Gross beschrieb darin, wie die Juden des ostpolnischen Orts Jedwabne im Juli 1941 von ihren christlichen Nachbarn in eine Scheune getrieben und bei lebendigem Leib verbrannt wurden (193). Das Buch löste eine Kontroverse in der polnischen Öffentlichkeit aus, welche die Nation mit solcher Gewalt spaltete, dass ein Beobachter von der „polnischen Dreyfus-Affäre“ sprach (199). Kontrovers waren gleich mehrere Punkte (200). Gross hatte, im Gegensatz zu der bis dahin in Polen verbreiteten Lesart, die führende Beteiligung deutscher Truppen, die im Rahmen des Angriffs auf die Sowjetunion kurz zuvor in Jedwabne einmarschiert waren, bei der Mordtat abgestritten. Darin gab ihm eine von der polnischen Regierung eingesetzte unabhängige Expertenkommission schließlich recht – ohne freilich Gegenstimmen völlig zum Schweigen bringen zu können, und ohne dass die Frage einer deutschen Anstiftung eindeutig geklärt werden konnte. Die Zahl der von Gross mit 1600 veranschlagten jüdischen Opfer korrigierte die Kommission auf etwa 500. Nicht wirklich klären ließen sich auch die Motive der Täter. Jedwabne war bei der Aufteilung Polens unter NS-Deutschland und Sowjetunion gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 unter sowjetische Herrschaft gekommen. Hatten Juden des Ortes und der Umgebung in größerer Zahl mit den neuen Herrschern zusammengearbeitet? Hatten die Polen eine solche Zusammenarbeit vermutet? Sollte die Mordaktion vom Juli 1941 also ein Racheakt für tatsächliche oder vermeintliche Kollaboration mit dem Feind sein? Oder war sie eher die Folge einer tief verwurzelten Tradition von Judenfeindschaft, zu deren brutalstem Ausleben sich nach dem Einmarsch der Deutschen eine einmalige Gelegenheit bot? Die Diskussion über diese Fragen ist in Polen nicht verstummt. Die historische Forschung beschäftigt sich auch nach dem offiziellen Ende der Arbeit der Expertenkommission weiter mit ihnen. Die Perspektive erweitert sich dabei zusehends in dreifacher Hinsicht. Erstens wird nach der Repräsentativität von Jedwabne gefragt. War die Mordaktion im Juli 1941 dort ein außergewöhnlicher Exzess oder im östlichen Polen 1941 durchaus typisch für Dutzende von Pogromen, die bisher wesentlich dürftiger dokumentiert waren? Zweitens richtet sich die Aufmerksamkeit nun über eine Schwarz-Weiß-Malerei von Polen entweder als Mörder oder als Retter von Juden darauf, differenziertere Bilder zu zeichnen. Welches Spektrum von Verhaltensweisen gab es insbesondere bei den Zuschauern der Mordtaten und im Verhalten der
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Das Pogrom von Jedwabne 1941
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Forschungsprobleme
III.
Erinnerungskultureller Wandel
katholischen Kirchenvertreter vor Ort? Drittens schließlich wird die Perspektive zeitlich erweitert: So gelangt etwa das Verhältnis von Juden und Polen auf lokaler Ebene während der 1930er Jahre oder nach 1945 verstärkt ins Blickfeld (201; 202; 205; 206; 207; 398; 399; 409; 411). Die Radikalität, mit der die Debatte um Jedwabne geführt wurde und wird, ist an sich bereits ein Zeichen für einen tief greifenden Wandel in der polnischen Erinnerungskultur. Vor der Jahrtausendwende wurde das Thema zumindest in der breiteren Öffentlichkeit nicht behandelt, was zeigt, dass bis dahin ein breiter Konsens über das Bild Polens im Zweiten Weltkrieg bestand. Das Land und seine Bewohner wurden als Opfer gesehen, die unter Deutschen, Russen und deren Handlangern – zu denen man manchmal auch Juden zählte – gelitten hätten. So wurden Erinnerungen an Massaker der Nationalsozialisten oder der Sowjets an Polen, wie auf der Westerplatte oder in Katyn, gepflegt. Ereignisse wie das von Jedwabne, bei denen Polen als Täter auftraten, blieben dagegen lange totgeschwiegen. Seit 2000 hat jedoch ein Tauziehen eingesetzt zwischen den Vertretern dieser traditionellen Erinnerungskultur und denen, die sich für eine kritische Erweiterung der kollektiven Erinnerung um die „dunklen Seiten“ der eigenen Nationalgeschichte einsetzen. Polen findet damit Anschluss an eine Entwicklung, die sich in Deutschland und Frankreich, aber nicht in allen Staaten Westeuropas, schon früher abzeichnete. Ähnliche erinnerungskulturelle Entwicklungsprozesse finden auch in anderen ostmitteleuropäischen Staaten statt. Am stärksten dürfte der Wandel in Rumänien sein. Wie Ungarn (114, S. 857 – 961; 208) und die Slowakei (209; 210; 211) war das Land im Zweiten Weltkrieg mit NS-Deutschland verbündet. Blieb Rumänien daher die Selbststilisierung zum Opfer nach polnischem Vorbild verwehrt, gab es in den 1990er Jahren dort starke Tendenzen zur Glorifizierung der vorkommunistischen Vergangenheit vor 1945, wobei der damalige Antisemitismus verschwiegen, verharmlost oder sogar aggressiv übernommen wurde. Deportationen von Juden und Massenmorde, die teilweise oder ganz von rumänischen Einheiten ausgeführt worden waren, wurden den Deutschen zugeschrieben. Vor dem Hintergrund einer Annäherung an die EU und die USA und dem Bemühen einer jungen Generation von einheimischen Historikern um eine Revision etablierter Geschichtsbilder kam es jedoch auch in Rumänien 2003 zur Gründung einer Expertenkommission, um unter anderem die eigene Rolle beim Mord an den europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg neu aufzuarbeiten (196; 197; 198; 203).
4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 a) „Deutsch-jüdische Symbiose“ oder allgemeine Judenfeindschaft? Deutsch-jüdische Symbiose?
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In Wissenschaft und Öffentlichkeit gab und gibt es vielfältige Diskussionen und Debatten um Juden und Judenfeindschaft in Deutschland. Die dauerhafteste dieser Kontroversen, sozusagen ein Dauerbrenner, ist die über die Existenz oder Nichtexistenz einer „deutsch-jüdischen Symbiose“ vor 1933. Sie
4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933
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geht in ihrem Kern zurück auf zeitgenössische innerjüdische Auseinandersetzungen. Die beiden Pole der Debatte im Judentum selbst werden von Martin Buber auf der einen und Gershom Scholem auf der anderen Seite personifiziert. Buber glaubte wie viele Juden im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik an zunehmende Integration der jüdischen Bevölkerungsminderheit und an deren wachsende Akzeptanz durch die nichtjüdische Mehrheit. Besonders im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich schien diese Entwicklung zu einer für beide Seiten fruchtbaren Verschmelzung oder symbiotischen Beziehung zu führen. Der Nationalsozialismus wirkt aus solcher Sicht als Bruch einer verheißungsvollen Entwicklung, die von Deutschland ausgehende Ermordung der europäischen Juden als das tragische Ende der Symbiose. Für Gershom Scholem und andere war der Glaube an die Symbiose dagegen von jeher eine Illusion, der nationalsozialistische Massenmord die logische Konsequenz von in der deutschen Kultur tief verwurzelten Traditionen der Judenfeindschaft. Während viele Juden noch bis weit in die 1930er Jahre ihre Zukunft in Deutschland gesehen hatten, galt für Scholem und ihm Gleichgesinnte allein Palästina als das „gelobte Land“ (276; 60, S. 84 – 89). Weil die Geschichte Zionisten wie Scholem als „historische Gewinner“ erscheinen ließ, gewann die Ablehnung der Denkfigur einer „deutsch-jüdischen Symbiose“ nach 1945 die Oberhand. Doch die Denkfigur ist ein Stehaufmännchen: Immer wieder feiert sie eine Wiedergeburt. Unter Historikern mit deutsch-jüdischen Wurzeln wird sie naheliegenderweise besonders von denen vertreten, die nicht Israel als ihre neue Heimat gewählt haben. Der prominenteste Nachfolger von Martin Buber ist so der Amerikaner Peter Gay. Am klarsten formuliert hat Gay seine Thesen in einem Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel In Deutschland zu Hause: Die Juden in der Weimarer Zeit. Nach der Revolution von 1918, betont er darin, erhielten Juden den im Kaiserreich teilweise noch verweigerten Zugang zu staatlichen Ämtern. Damit genossen sie nach der bereits 1871 festgeschriebenen, aber nicht in allen Bereichen umgesetzten Emanzipation nun auch in der Praxis volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung. Sie spielten wichtige Rollen in der deutschen Wirtschaft, im Kunst- und Kulturleben. Die jüdische Erfahrung wachsender Integration seit dem Kaiserreich sei echt gewesen, das Selbstbild als akzeptierter Teil der deutschen Nation daher weit, wenn nicht allgemein verbreitet: „Es gab keine deutschen Juden, sondern nur jüdische Deutsche“ (225, S. 32). Die Rücknahme der Emanzipation seit 1933 erscheint aus dieser Perspektive als nicht vorhersehbar, die Machtübernahme der Nationalsozialisten mit dem hyperradikalen Antisemiten Hitler an der Spitze als weitgehend zufällige Folge einer plötzlichen Wirtschaftskrise. Noch weiter zugespitzt und auf die Zeit auch des Kaiserreichs ausgedehnt wurde Gays These von Peter Schumann. Antisemitismus als Ideologie gab es seiner Ansicht nach zwischen 1871 und 1933 nur unter akademischen Eliten. Zwar habe es daneben auch reale soziale Konflikte zwischen Juden und Christen gegeben. Die „Normalität“ der jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen sei jedoch von einer friedlichen, ja freundschaftlichen Koexistenz geprägt gewesen. Das gehe nicht nur aus zahlreichen Lebenserinnerungen auf jüdischer Seite hervor. Ein Zeichen für das Vorherrschen friedlicher Koexistenz seien auch Organisationen wie der im Kaiserreich gegründete „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdi-
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Forschungsprobleme
III.
Die 1870er Jahre als Zäsur?
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schen Glaubens“, der auf Integration setzte, und viel mehr Mitglieder hatte als die zionistischen Verbände, die sich für die Auswanderung nach Palästina engagierten (277). In einer vehementen Replik auf Schumann hat Stefan Rohrbacher diese Sicht allerdings als eine „Karikatur der historischen Gegebenheiten“ abqualifiziert. Der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ sei zwar Ausdruck jüdischen Selbstbewusstseins und des Anspruchs auf Integration. Als Beleg für einen Erfolg des Integrationskurses eigne er sich freilich nicht im Geringsten, weil er gerade angesichts der Herausforderung durch den Antisemitismus zur Selbstverteidigung gegründet wurde. Auch die „teilweise anrührenden Erzählungen“ aus „zudem höchst willkürlich ausgewählten“ Memoiren von Juden illustrierten eher das krampfhafte Bemühen der Autoren, sich selbst über ihre mangelnde Integration hinwegzutäuschen. Wenn deutsche Juden wiederholt ihre Zugehörigkeit zur Nation betonten, dann war dies nach Rohrbacher „gewiss ein Ausdruck von Patriotismus und Pflichtgefühl; in allererster Linie war es aber ein Ausdruck des Bedürfnisses, Patriotismus und Pflichtgefühl zu beweisen, weil eben beides den deutschen Juden beständig abgesprochen wurde […] Die Geschichte des Antisemitismus mag nicht die Geschichte des deutschen Judentums sein; aber das Leben der Juden wurde vom Antisemitismus in ihrer Umgebung immer wieder gezeichnet. Kaiserreich und Weimarer Republik sind ein denkbar ungeeignetes Terrain, um das Gegenteil beweisen zu wollen.“ Die Auswertung „etwa zeitgenössischer jüdischer Zeitungen oder die Betrachtung der Aktivitäten der großen jüdischen Organisationen“ lasse vielmehr keinen Zweifel daran, „dass die kollektive Erfahrung der deutschen Judenheit im Kaiserreich weit eher von Anfeindung und Zurücksetzung als von fragloser Integration geprägt war“ (270). Diese Gegenthese ist von anderer Seite auch mit Zitaten aus jüdischen Autobiographien untermauert worden (213), die aber nicht weniger willkürlich ausgewählt sind als Schumanns Beispiele. Die Kontroverse über die „deutsch-jüdische Symbiose“ konzentriert sich auf die Zeit von Kaiserreich und Weimarer Republik. Das hat damit zu tun, dass die 1870er Jahre vielfach als eine Wasserscheide in der Geschichte sowohl der Juden als auch der Judenfeindschaft in Deutschland gelten. Durch die Verfassung des 1871 gegründeten Deutschen Reichs wurde die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Juden festgeschrieben – zumindest in der Theorie. Gleichzeitig, und nicht zuletzt deshalb, gewann jedoch auch der Judenhass nach Auffassung vieler Historiker eine neue Qualität. Zwar war die Emanzipation der Juden in vielen der 1871 zum Deutschen Reich vereinigten Staaten schon vorher durchgeführt worden – nicht ohne Gegenbewegungen zu provozieren. Und einige Studien, die sich vor allem auf das frühe 19. Jahrhundert konzentrieren, betonen unter anderem in diesem Zusammenhang auch Kontinuitäten von Judenhass über das Reichsgründungsjahrzehnt hinweg (19; 29; 113). Übergreifende Darstellungen, von denen die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland bis zur Zeit des Nationalsozialismus thematisiert wird, setzen jedoch entweder in den 1870er Jahren ein (25; 114; 292) oder sie behandeln die Jahrzehnte davor ausdrücklich als „Vorgeschichte“: Die Ära des eigentlichen, des „modernen Antisemitismus“ beginnt auch bei ihnen nach der Gründung des Deutschen Reichs (8; 22; 288).
4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 Als „moderne“ Attribute, die den Antisemitismus dieser Ära vom vorhergehenden Judenhass trennt, erscheinen dabei mehrere Aspekte. Verschiedene Autoren schreiben ihnen unterschiedliches Gewicht zu. Häufig genannt wird, dass sich durch die in der Reichsverfassung von 1871 festgeschriebene staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Juden die Voraussetzungen für judenfeindliche Aktivitäten wandelten. Bis zu der Emanzipation der Juden war deren Diskriminierung eine Tatsache. Nun wurde sie zu einer Forderung, die auf einem politischen Massenmarkt gegen die Verteidiger der Gleichberechtigung durchzusetzen war. Die späten 1870er Jahre gelten den meisten Historikern deshalb als Geburtsstunde antisemitischer Parteien und damit des organisierten politischen Antisemitismus in moderner Form. Eine Ausnahme macht allerdings James Harris in seiner Studie zum Widerstand gegen die Emanzipation in Bayern während des Vormärz: Nach seiner Auffassung bedienten Antisemiten sich mit Massenpetitionen und durchorganisierten Vereinen bereits 1848 moderner Mittel (228). Auch bestimmte Ereignisse und Skandale gelten weithin als Wendepunkte, die Judenhass in Deutschland eine neue Qualität gaben. So wird eine Artikelserie des Journalisten Otto Glagau, die 1874 zunächst in der populären Zeitschrift Gartenlaube und dann auch in Buchform eine hohe Auflage erreichte, als Ausdruck einer neuen Verbindung von antikapitalistischen und judenfeindlichen Ressentiments gesehen. Denn Glagau diffamierte die Juden pauschal als Schuldige am beispiellosen Börsenkrach, der auf den Wirtschaftsboom der Reichsgründung folgte, und identifizierte sie auf diese Weise mit den Schattenseiten des beginnenden Industriezeitalters. Ebenso erscheinen die Publikationen von Wilhelm Marr am Ende der 1870er Jahre als Wendepunkte, weil sich mit ihnen der Begriff des Antisemitismus als Bezeichnung für eine Art Judenfeindschaft verbreitete, die ihre Vertreter als nichtreligiös motiviert und deshalb neuartig verstanden wissen wollten. Besondere Bedeutung als Beleg für die These einer Zäsur in den 1870er Jahren wird in der historischen Forschung dem „Berliner Antisemitismusstreit“ zugeschrieben, den Heinrich von Treitschke 1879 auslöste. Zwar bestehen über die Einschätzung der nichtjüdischen Gegner Treitschkes in diesem Streit einige Differenzen. Es herrscht aber weitgehend Übereinstimmung darüber, dass der bis dahin in gebildeten Kreisen als „pöbelhaft“ verrufene Judenhass durch diese Auseinandersetzung auch im universitären Milieu „salonfähig“ wurde (218; 232a; 241; 250). Ob die Universitäten während Kaiserreich und Weimarer Republik als ein Zentrum des sozialen Antisemitismus gesehen werden können, ist allerdings mittlerweile stark umstritten (Überblick: 290, S. 207 – 211). Lange Zeit galten Professoren und Studierende mit wenigen Ausnahmen als von Judenhass durchdrungen. Die Hochschulabsolventen hätten deshalb, in ihrer Funktion als Elite und Multiplikatoren, wesentlich zu einer antisemitischen Verseuchung der deutschen Gesellschaft vor 1933 beigetragen (8, S. 118; 25, S. 13 – 29; 36, S. 37 – 39; 234; 237; 251, S. 61 – 67; 291, S. 288). Zumindest für Professoren und Universitätsleitungen ist diesem Bild einer fast monolithisch antisemitischen Hochschullandschaft jedoch auch widersprochen worden. So sei die Einstellungspraxis deutscher Universitäten im internationalen Vergleich nicht besonders judenfeindlich gewesen. Hochschulen waren durchaus für jüdische Wissenschaftler offen, wenn diese auch meist nicht
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Antisemitismus an Universitäten
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Forschungsprobleme
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auf ordentliche Professorenstellen berufen wurden. An den kurz vor oder nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Reformuniversitäten Köln, Hamburg und Frankfurt konnten Juden selbst Ordinariate erreichen (233). Die bisher einzige Studie, die mit dem Anspruch einer übergreifenden Darstellung des Antisemitismus an deutschen Universitäten zwischen 1871 und 1933 auftritt, erklärt paradoxerweise ihr Thema sogar für gar nicht existent. Der Autor Notker Hammerstein behauptet jedenfalls, die Hochschulen seien zwar von Judenfeindschaft, nicht aber von rassistisch motiviertem Antisemitismus beeinflusst gewesen. Denn Wissenschaftlern jüdischer Herkunft, die zum Christentum konvertierten, hätten überall auch ordentliche Professuren offen gestanden. Außerdem seien Juden nicht die einzigen Opfer von beruflicher Diskriminierung gewesen. Die deutschen Universitäten habe seit der Reichsgründung vielmehr ein „Kulturprotestantismus“ geprägt, der auch Katholiken diskriminierte. Vor allem aber seien antisemitische Tendenzen von außen und von den Studierenden an die Hochschulen herangetragen worden. Universitätsleitungen und Professoren hätten sich dagegen überwiegend einem weltanschaulich neutralen, fach- und sachbezogenen Ethos verpflichtet gefühlt – ein Ethos, das durch die Gründung der Reformuniversitäten in der Weimarer Republik noch gestärkt worden sei (227). Hammersteins Argumentation ist allerdings wiederum auf scharfe Kritik gestoßen. So wurde sein Antisemitismusbegriff als zu eng angegriffen und bezweifelt, ob die Diskriminierungserfahrung von Katholiken mit der jüdischer Wissenschaftler gleichgesetzt werden könne (264, S. 14 f.). Am Beispiel der 1919 gegründeten Kölner Reformuniversität hat Nicola Wenge zudem aufgezeigt, dass die dort betonte Fach- und Sachbezogenheit keine grundsätzliche Orientierung an überzeitlichen Werten, sondern eine Anpassung an die in der Weimarer Republik dominierende Ethik war: Beim Wechsel der politischen Großwetterlage 1933 passte man sich in Köln ebenso reibungslos an die Weltanschauung des neuen Systems an, gegen das es in traditioneller geprägten Universitäten größere Widerstände gab (290, S. 213 – 297). Hammersteins Thesen und die sich daraus entwickelnde Debatte um Antisemitismus an den deutschen Universitäten haben manche Berührungspunkte mit der dauerhaften Kontroverse um die Existenz einer „deutsch-jüdischen Symbiose“. Denn diese Kontroverse ist wiederholt besonders mit Bezug auf den Bildungs- und Kulturbereich geführt worden. Selbst wo die Interpretation jüdischer Autobiographien zum Stein des Anstoßes wird, wie in der Auseinandersetzung zwischen Peter Schumann und Stefan Rohrbacher, geht es um Quellenzeugnisse aus der Hand von Eliten. Und neben dieser Einschränkung auf gesellschaftliche und kulturelle Höhenkämme leidet die Kontroverse noch an einer weiteren Verengung der Perspektive, nämlich an ihrer Konzentration auf die jüdische Erfahrung. So wenig diese ignoriert werden kann, wenn es um Antisemitismus geht, kann sich die Quellenbasis für die Analyse des Phänomens doch nicht auf sie beschränken. Für das Verständnis von Judenfeindschaft ist die Beschäftigung mit ihren nichtjüdischen Urhebern unerlässlich. Und dabei darf sich die Analyse, wie auch Stefan Rohrbacher hervorhebt (270), keineswegs nur auf Eliten beziehen. Über Oberschichten und den kulturellen Bereich hinaus hat die historische Forschung deshalb vor allem drei Bereiche thematisiert: erstens den organisierten Partei- und Vereinsantisemitismus, zweitens die Verbreitung
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4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933
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von Judenfeindschaft in verschiedenen Sozialmilieus und den sie repräsentierenden Parteien, und schließlich drittens die verschiedensten Formen sozialer Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden. Dabei steht jeweils die Frage nach Kontinuität oder Diskontinuität von Stärke und Qualität der Judenfeindschaft im Vordergrund.
b) Antisemitische Organisationen Dass die ältere Forschung von einer weitgehenden Kontinuität zwischen den frühen antisemitischen Parteigründungen der 1870er und 1880er Jahre und der NSDAP ausging, gehört mittlerweile zur allgemeinen Lehrbuchweisheit. Hingewiesen wird dabei gerne auf die 1949 zuerst in den USA erschienene Pionierarbeit von Paul Massing, die den Untertitel Generalprobe für die Vernichtung trug (288, S. 118; 247). Doch weder Massing noch fünfzehn Jahre später Peter Pulzer (263) zogen eine direkte Linie von ihrem Untersuchungsobjekt, dem politischen Antisemitismus in Deutschland vor 1914, zu Hitler. Pulzer betonte zwar Zusammenhänge im Bereich der Organisation, der Ideologie und der Terminologie. Und zumindest Letzteres erscheint fragwürdig, weil die Nationalsozialisten mit dem Begriff „Antisemitismus“ alles andere als glücklich waren (61). Sowohl Pulzer wie Massing betonten aber schon den Niedergang der Antisemitenparteien in den zwei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. Eine erste Erfolgsphase in der Wählergunst während der 1880er und frühen 1890er Jahre wurde damit vom Wiederaufstieg an den Wahlurnen der Weimarer Republik getrennt. Die Gründe für diese offensichtliche Diskontinuität werden in der historischen Literatur nicht ganz einheitlich beurteilt. Tendenziell wird die Ursache für den zeitweiligen Misserfolg des politischen Antisemitismus bei Wahlen entweder eher bei den Antisemiten selbst oder mehr in der allgemeinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation gesehen. Manche Historiker machen besonders die Persönlichkeit der Parteiführer verantwortlich. Demnach hätten vor allem Inkompetenz, Eifersüchteleien und Streit über die richtige Taktik den vorübergehenden Niedergang des organisierten Antisemitismus vor dem Ersten Weltkrieg verursacht (8, S. 99 – 108; 263, S. 155 – 162). Andere Forscher betonen stärker die divergierenden und sich wandelnden Interessen der Wählerschaft. Auf Fragen wie Steuer-, Verfassungs- und Wahlrechtsreform, die die Menschen des Kaiserreichs bewegten, hatten die alle Probleme monomanisch auf jüdischen Einfluss zurückführenden Antisemiten keine konstruktive Antwort. Daher konnten sie allenfalls kurzfristig als Protestpartei Erfolge erzielen. In der Krisenphase nach dem Börsenkrach von 1873, die fast ein Vierteljahrhundert anhielt, sei ihnen das zudem leichter gefallen als in der dann folgenden Phase wirtschaftlicher Hochkonjunktur (244, S. 257; 247). Viel mehr als die Frage nach den Hintergründen des zeitweiligen Niedergangs der Antisemitenparteien im späten Kaiserreich treibt die Historiker allerdings die Frage nach Elementen der Kontinuität zwischen diesen Parteien und den Nationalsozialisten um. Auch hier fällt die Antwort nicht einheitlich aus. Paul Massing sah eine Kontinuität vor allem in der Verbindung von Antisemitismus und deutschem Nationalismus. Bis 1918 sei Judenfeindschaft in
Diskontinuitäten: Niedergang im späten Kaiserreich
Elemente der Kontinuität
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Forschungsprobleme
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dieser Verbindung nur von untergeordneter Bedeutung gewesen. Denn Nationalismus konnte sich in den deutschen Kolonien, imperialistischer „Weltpolitik“ und schließlich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs austoben. 1918 gedemütigt und auf sich selbst zurückgeworfen, habe er sich dann jedoch unter Betonung des Antisemitismus nach innen gewandt (247, S. 225). Diese Ideen haben jedoch in der wissenschaftlichen Diskussion nur ausschnitthaft und in sehr allgemeiner Form Widerhall hervorgerufen. Selbst in neueren diskursorientierten Ansätzen wie dem von Klaus Holz, in denen die Verbindung von Nationalismus und Antisemitismus konkretisiert wird (93), ist die von Massing skizzierte Periodisierung nicht aufgegriffen worden, obwohl sie für eine historische Konkretion solcher Ansätze fruchtbar sein könnte. Die detaillierteste Studie zum Niedergang der antisemitischen Parteien im Kaiserreich hat der amerikanische Historiker Richard S. Levy vorgelegt. Aus seiner Sicht bereitete dieser Niedergang Hitlers Aufstieg zur Macht auf doppelte, wenn auch nur indirekte Weise vor. Zum einen wiegten die Misserfolge der Antisemiten deren Gegner in trügerische Sicherheit. Juden und nichtjüdische Anti-Antisemiten glaubten bis zum Ende der Weimarer Republik und teilweise darüber hinaus, man habe es letzten Endes nur mit einem Papiertiger zu tun. Zum anderen wurde bei den Antisemiten selbst, so Levy, der im Kaiserreich verfolgte parlamentarische Weg durch seine Erfolglosigkeit diskreditiert. Stattdessen sei eine neue, radikalere, auf revolutionären Umsturz abzielende Variante der Judenfeindschaft entstanden: „By exhausting the possibilities of, and thus discrediting, conventional anti-semitism, the anti-Semitic parties of the empire cleared the way for the revolutionary brand practiced by the Nazis“ (244, S. 265). Problematisch erscheint an dieser These, dass auch Hitler und die Nationalsozialisten nicht zuletzt mit einer parlamentarischen Taktik an die Macht gelangten. Vielleicht deshalb hat Levys Interpretation der Zusammenhänge zwischen Antisemitismus vor und nach dem Ersten Weltkrieg ebenfalls nur wenig Echo gefunden. Wesentlich wirkungsmächtiger war dagegen die zuerst von Peter Pulzer formulierte Vermutung, das „missing link“ zwischen den kurzlebigen Anfangserfolgen der ersten Antisemitenparteien und dem Aufstieg des Nationalsozialismus bestehe in einer Diffusion judenfeindlichen Gedankenguts in verschiedenste Gruppen, Verbände und Milieus der deutschen Gesellschaft um 1900. Danach gab es während der wilhelminischen Ära gar keinen Niedergang, sondern lediglich eine Ablösung des Antisemitismus von den ihn zunächst allein vertretenden Parteien. Einem ansteckenden Virus gleich, sei er in andere Organisationen vorgedrungen, habe andere politische Bewegungen infiziert und in dieser diffusen Form tatsächlich eine wesentlich weitere Verbreitung als noch im Bismarckreich gefunden. Diese These ist in vielen Darstellungen aufgegriffen worden (8; 22; 25, S. 30 – 98; 104; 263). Ihre empirische Überprüfung wirft freilich beträchtliche Probleme auf. Um die These zu belegen, reicht nämlich der oft bemühte Hinweis auf bestimmte Verbände, in denen antisemitisches Gedankengut nachweisbar ist, nicht aus. Dabei wird häufig, wie etwa im Fall des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbands, eine komplexe Organisationsgeschichte einseitig auf ihre antisemitischen Aspekte verkürzt (254, S. 647 f.). Ein solches Vorgehen nach
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4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 dem Prinzip „Wer suchet, der findet“ ist wissenschaftlich ziemlich unbefriedigend. Stattdessen müsste jeweils im Einzelnen geprüft werden, welchen Stellenwert dieses Gedankengut in der Programmatik der jeweiligen Organisation hatte, was für eine Bedeutung die Mitglieder ihm zumaßen, und wie repräsentativ die Organisation für bestimmte soziale Gruppen war. Letzten Endes wären solche Analysen für alle Teile der Gesellschaft durchzuführen. Eine solche Aufgabe würde freilich ein immenses Forschungsprogramm darstellen. Allein die dabei auftauchenden Quellenprobleme dürften unüberwindlich sein. Ein arbeitsökonomisch vertretbarer Weg, um die Wirkung der antisemitischen Parteien vor der NSDAP auf die deutsche Gesellschaft besser einschätzen zu lernen, ist dagegen die Wahl kleinräumiger Untersuchungsobjekte. Für die Zeit des Kaiserreichs gibt es mittlerweile eine ganze Reihe regionaler Studien. Relativ uninspiriert sind darunter jene, die mehrere Hochburgen der Antisemitenparteien zugleich ins Blickfeld nehmen. Ein solches Forschungsdesign ist auch zu weit gefasst, um neben den Aktivitäten der Antisemiten selbst ebenso ihrer Interaktion mit anderen politisch-sozialen Gruppen nachzuspüren und ihre langfristige Wirkung zu bewerten (260; 273). Deutlich besser gelingt das den Untersuchungen, die sich auf eine einzige Region beschränken. Gleichermaßen aufschlussreiche wie auf den ersten Blick disparate Ergebnisse liefernde Regionalstudien liegen etwa für Baden vor. So kommt Michael Riff zu dem Urteil, dass antisemitische Aktivitäten dort wenig bleibende Spuren hinterließen. Antisemiten profitierten danach in dieser Region nur von einer kurzfristigen Konstellation sie begünstigender wirtschaftlicher und lokalpolitischer Faktoren. Als diese Konstellation zerfiel, habe sich in der Region wieder eine liberale politische Kultur etabliert, die zumindest bis 1918 stabil blieb (269). Dagegen gelangt Helmut Walser Smith zu etwas anders gelagerten Schlussfolgerungen. Nach Smith wurde der Antisemitismus zwar in den politischen Eliten Badens geächtet. An der gesellschaftlichen Basis, besonders in den Dörfern, sei aber ein judenfeindlicher Diskurs erhalten geblieben, der möglicherweise tiefere Wurzeln als die antisemitische Agitation hatte. Für Hessen argumentiert David Peal ähnlich, zwar seien die politischen Organisationen der Antisemiten dort Ende des 19. Jahrhunderts zerfallen. Wirtschaftsverbände wie der konservative Bund der Landwirte und die Raiffeisengenossenschaften hätten jedoch ihre Anhängerschaft und teilweise auch ihre Ideologie aufgesogen (279; 259). Diese zunächst sehr widersprüchlich klingenden Ergebnisse müssen nicht unbedingt unvereinbar sein. Politische Folgenlosigkeit der intermezzohaften Erfolge der frühen antisemitischen Parteien, die Riff thematisiert, kann durchaus mit länger andauernden judenfeindlichen Unterströmungen in bestimmten Sozialmilieus einhergehen. Solche milieugebundene Judenfeindschaft konnte, musste aber nicht vom Auftreten der Antisemitenparteien befruchtet werden. Oft waren die gesellschaftlichen Formen des Hasses oder der Antipathie gegen Juden älteren und anderen Ursprungs. Wieweit solche Formen der Judenfeindschaft in verschiedenen deutschen Sozialmilieus vor 1933 verbreitet waren, wird von der historischen Forschung rege diskutiert. Sich mit diesen Diskussionen näher zu beschäftigen ermöglicht es auch, die These einer Diffusion von Antisemitismus genauer zu prüfen.
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Regionalhistorische Ansätze
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Forschungsprobleme
III.
c) Judenfeindschaft in politisch-sozialen Milieus Konservative
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Wenn Judenhass für eine der vier großen politischen Richtungen, die es vor 1933 in Deutschland gab, im Sinne von Shulamit Volkov ein „kultureller Code“ war, dann zweifelsohne für den Konservatismus (104). Uriel Tal hat aufgezeigt, wie sehr die Konservativen des deutschen Kaiserreichs am Prinzip des „christlichen Staats“ festhielten. Die Gleichberechtigung der Juden war mit diesem Prinzip nicht vereinbar. Wie die rabiateren Parteiantisemiten fanden sich die Konservativen deshalb mit der jüdischen Emanzipation nicht ab. Anders als die rassistische Spielart des Parteiantisemitismus im Kaiserreich blieb der christlich fundierte Konservatismus aber ein dauerhaftes Phänomen und erfreute sich einer wesentlich breiteren Unterstützung bei Wahlen (51, S. 121 – 159). Wieweit traditioneller Konservatismus und moderner Antisemitismus sich miteinander verbanden, und in welchem Ausmaß der Erstere dabei von Letzterem durchdrungen wurde, wird in der historischen Literatur unterschiedlich beurteilt. Der Kanadier James Retallack hat in seinem Standardwerk über die Deutschkonservative Partei minutiös nachgezeichnet, wie die „Honoratioren der Rechten“ den Aktivitäten des Hofpredigers Adolf Stoecker wohlwollend gegenüberstanden, solange dieser mit seiner antisemitischen Agitation erfolgreich Stimmenfang für sie betrieb. Als die antisemitische Welle Mitte der 1890er Jahre allerdings wieder abebbte, ließen sie Stoecker fallen und warfen ihn schließlich aus ihrer Partei hinaus. Vielen elitär denkenden Konservativen waren die entschiedenen Antisemiten zu vulgär. Judenfeindschaft benutzte die konservative Parteizentrale in Berlin vor allem als wahltaktisches Instrument (266). Retallack weist an anderer Stelle allerdings auch darauf hin, dass die konservative Einstellung gegenüber antisemitischer Ideologie und antisemitischen Organisationen auf regionaler Ebene durchaus anders sein konnte. In Sachsen und Baden etwa entwickelte sich zwischen Konservativen und Antisemiten schon seit den 1870er Jahren geradezu eine Symbiose. Diese enge Beziehung bestand auch noch nach 1900. Selbst chronische Misserfolge der konservativ-antisemitischen Allianz änderten daran nichts. Es waren also hier offenbar keine taktischen Gründe, die zur Annäherung an den rabiaten rassistischen Judenhass geführt hatten (267). Auch in größeren Städten Westund Süddeutschlands hatten Konservative sich vor dem Ersten Weltkrieg antisemitisches Gedankengut zu Eigen gemacht, wie Anthony Kauders in Lokalstudien für Düsseldorf und Nürnberg belegt. Ob diese Einstellungen dort ebenfalls tiefer verwurzelt waren oder relativ neu, lässt sich allerdings nicht sagen, weil Kauders mit seiner Studie erst 1910 einsetzt (238). Als wichtigstes Vehikel für die Verbreitung des Antisemitismus im Konservatismus wird der 1893 gegründete Bund der Landwirte (BdL) angesehen. Der BdL war in der Zeit des späten Kaiserreichs eine der größten gesellschaftlichen Massenorganisationen. Nur Gewerkschaften und christliche Bauernvereine hatten noch mehr Mitglieder. Weithin eine sonst kaum vorhandene konservative Parteiorganisation ersetzend, kultivierte der BdL eine rabiate Judenfeindschaft. Dabei knüpfte er vielfach an Klischees an, wie sie ebenfalls von den antisemitischen Parteien verbreitet wurden, und zeichnete jüdische
4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 Händler und Geldverleiher als Feinde der Bauern. Der Autor des Standardwerks über den BdL sah im Antisemitismus sogar das „beherrschende Kennzeichen der agrarischen Agitation“ des Bundes (261, S. 125). Überblicksdarstellungen zur Geschichte des modernen Judenhasses in Deutschland haben diese These aufgegriffen und teilweise noch zugespitzt (8, S. 130 – 133; 22, S. 81). Von Skeptikern ist aber darauf hingewiesen worden, dass im Korrespondenzblatt des BdL, dem für die Propaganda des Bundes zentralen Organ, antisemitische Artikel Jahr für Jahr nur gut ein Prozent des Inhalts ausmachten. Die Interessenvertretung der Landwirte sei dem Bund immer wichtiger gewesen. Und gerade deshalb habe er im Kaiserreich wohl mehr Erfolg und Massenwirksamkeit erzielt als jene, für die antisemitische Ideologie das primäre Anliegen waren (244, S. 3 f., 88 f.; 254, S. 647). Zusammenfassend lässt sich damit zum Verhältnis von Konservatismus und Antisemitismus festhalten: Judenfeindschaft war in konservativen Kreisen stark verbreitet, wenn auch nicht notwendigerweise in überwiegend rassistisch motivierter Form. Negative Einstellungen gegenüber Juden dienten hier als kultureller Code, als ein Merkmal, durch das man seine Zugehörigkeit zu diesen Kreisen unter Beweis stellte. Allerdings scheint Judenfeindschaft nicht das gewesen zu sein, was Konservative vorrangig bewegte und was ihre Anhänger primär mobilisierte. Zumindest vor dem Ersten Weltkrieg scheiterten diejenigen, die eine Mobilisierung von Massen vor allem mittels Antisemitismus versuchten. Nur konservative Organisationen, die Antisemitismus eher nebenher vertraten, ihre Anhänger aber hauptsächlich durch wirtschaftliche Interessenpolitik warben, wie der Bund der Landwirte oder auch der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband, wurden zu Massenorganisationen. Zudem blieb selbst deren Anziehungskraft begrenzt. So zählten die katholischen Bauernvereine mehr Mitglieder unter den Landwirten als der konservative BdL, und die Mehrheit der organisierten Handlungsgehilfen folgte liberalen oder sozialdemokratischen Verbänden. Damit geraten nun die anderen politisch-sozialen Milieus des Kaiserreichs ins Blickfeld. Wie standen sie zum Antisemitismus? Neben dem Konservatismus war die älteste politische Richtung in Deutschland der Liberalismus. In der Reichsgründungszeit zunächst sogar stärkste Gruppe in den Parlamenten, konnten die Liberalen bis zum Ersten Weltkrieg konstant noch etwa ein Viertel der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Damit waren sie erfolgreicher als die Konservativen, die vor 1914 immer mehr Wähler verloren. Während der Weimarer Republik erlebte der parteipolitische Liberalismus dann einen spektakulären Niedergang – parallel zum ebenso spektakulären Aufstieg der radikalen Antisemiten von der NSDAP. Liberalismus und Antisemitismus werden vielfach als sich ausschließende Gegensätze verstanden. Schließlich galten die Liberalen den Antisemiten als Verbündete der Juden, als „Judenschutztruppe“. Die Emanzipation war von jeher eine liberale Forderung gewesen. Und nach ihrer Verwirklichung waren es immer wieder Liberale, die Juden in der Öffentlichkeit gegen Antisemiten verteidigten. In den Parlamenten wehrten sie alle Versuche ab, die jüdische Gleichberechtigung rückgängig zu machen. Im Bismarckreich zählten die liberalen Parteien die meisten Juden unter ihren Abgeordneten. Der maßgeblich von Liberalen gegründete „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ bemühte sich seit 1890 darum, judenfeindliche Verleumdungen vor Gericht
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Liberalismus
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zu bekämpfen. Aus dieser in der Geschichtsschreibung dominierenden Sicht wird dem Liberalismus allenfalls zur Last gelegt, die Gefährlichkeit der antisemitischen Bewegung unterschätzt und auch den Feinden der Freiheit gegenüber zu tolerant gewesen zu sein (25; 44; 262; 283). Nichtsdestoweniger sind die Liberalen nicht dem Vorwurf entgangen, ihre Haltung gegenüber dem Judentum sei zumindest ambivalent gewesen. Da der deutsche Liberalismus dem Ideal nationaler Homogenität verpflichtet war, habe er letzten Endes von den Juden die völlige Aufgabe ihrer separaten Identität erwartet. Das Recht auf Andersartigkeit sei diesen damit auch von ihren „Freunden“ verweigert worden. Nach Uriel Tal war die Gewährung von jüdischer Gleichberechtigung durch deutsche Liberale tendenziell an die Bedingung geknüpft, zugunsten nationaler Gleichheit auf jüdische Eigenheit zu verzichten (51, S. 160 – 222). Michael Brenner hat diese These polemisch zugespitzt, der Liberalismus des Kaiserreichs sei dadurch charakterisiert gewesen, dass „seine prominentesten Vertreter sich zwar der Sache der Juden annahmen, dem Judentum (beziehungsweise jüdischer Existenz in Deutschland) jedoch jegliche Daseinsberechtigung absprachen“. Die Liberalen hätten es auf Elimination durch totale Assimilation angelegt. Der liberale „Philosemitismus“ wird in dieser Sicht letzten Endes zu einer weichen Variante des Antisemitismus gestempelt, weil er sich mit dem deutschen Nationalismus verband (221). Diese These knüpft an die in Öffentlichkeit und Wissenschaft breit geführte Diskussion über Pro und Contra des Multikulturalismus an. Till van Rahden knüpft ebenfalls an diese Diskussion an, überwindet aber die damit meist verbundenen polaren Gegenüberstellungen und Wertungen. Er hält der Interpretation von Michael Brenner entgegen, dass die Mehrheit der deutschen Liberalen und die Mehrheit der deutschen Juden sich über die Begrenzung des Ideals nationaler Homogenität auf bestimmte Bereiche einig gewesen seien. In einer lokalen Studie zu Breslau beschreibt van Rahden beispielhaft die Praxis dieses Arrangements. In bestimmten Bereichen wurde demnach durchaus auf die vollständige Assimilation des jüdischen Bevölkerungsteils Wert gelegt. In anderen wurde ihre Absonderung von den Liberalen jedoch anerkannt. Juden nahmen etwa am allgemeinen Vereinswesen teil, daneben gab es aber auch spezifisch jüdische Vereine. Homogenität stand neben durchaus akzeptierter Heterogenität. Die Liberalen hätten sich keineswegs der Anerkennung von Andersartigkeit und Differenz versagt (265). Jüdisch-nichtjüdisches Zusammenleben sei im liberalen Bürgertum vielmehr „in einem komplexen wechselseitigen Verhandlungsakt“ gestaltet worden (290, S. 10). Über die politische Bewegung hinaus erweitert sich die Perspektive damit auf die traditionelle soziale Trägerschicht des Liberalismus: das Bürgertum. Eine Reihe von Historikern sieht im Verhalten der besitz- und bildungsbürgerlichen Eliten einen, wenn nicht den Schlüssel zum Verständnis des Abstiegs der Liberalen und des Aufstiegs der Antisemiten nach dem Ersten Weltkrieg. Diese Eliten hätten sich in der von ihnen abgelehnten Weimarer Republik auch vom Liberalismus abgewandt und nach rechts orientiert. Deshalb wären nun, in der Formulierung von Moshe Zimmermann, „auch ,anständige Leute , also nicht nur Angehörige des unteren Mittelstandes, in den antisemitischen Kreis“ eingetreten. Erst infolge dieser Verstärkung durch Besitz- und Bildungsbürgertum sei „der Antisemitismus zu einem wirklich ,
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4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 politischen Faktor“ geworden. Zumindest hätten die liberalen Eliten antisemitische Strömungen jetzt nicht mehr nachdrücklich bekämpft (60, S. 102; vgl. 25; 112). Diese Sicht kann sich außer eher diffusen zeitgenössischen Impressionen mittlerweile auch auf Anthony Kauders gründliche Lokalstudien über Nürnberg und Düsseldorf stützen (238). Allerdings war die bürgerliche Elite eine zahlenmäßig ausgesprochen kleine Gruppe. Bei Wahlen fiel sie kaum ins Gewicht. Dass Besitz- und Bildungsbürgertum als „Meinungsführer“ die Masse der liberalen Anhänger ins antisemitische Lager geführt hätten, ist ebenfalls fragwürdig. Denn obwohl die grobe zeitliche Parallele zwischen Niedergang des Liberalismus und Aufstieg der NSDAP einen kausalen Zusammenhang auf den ersten Blick nahezulegen scheint, waren die Wählerwanderungen nach den Erkenntnissen der neueren Wahlforschung wesentlich komplexer: Die Anhänger der Nationalsozialisten rekrutierten sich nicht einseitig aus ehemaligen Liberalen (314). Ulrich Baumann argumentiert in einer Langzeitstudie zu badischen Landgemeinden denn auch ebenso wie Till van Rahden, dass der Aufstieg des Antisemitismus nach 1918 wenig mit einem Frontenwechsel von als „Meinungsführer“ fungierenden bürgerlichen Eliten zu tun hatte. Vielmehr sei er nicht zuletzt gerade auf einen Bedeutungsverlust dieser Eliten zurückzuführen. Denn Demokratisierungsprozesse auf regionaler und kommunaler Ebene hätten mit dem Einfluss bürgerlicher Honoratioren auch die soziale und kulturelle Schranke niedergerissen, die diese liberale Elite bis 1918 gegenüber einer von der gesellschaftlichen Basis ausgehenden Judenfeindschaft aufrechterhalten habe (212; 265). Die wichtigste von der gesellschaftlichen Basis ausgehende politisch-soziale Bewegung war die der Arbeiterschaft. Zur Zeit der deutschen Reichsgründung 1871 noch sehr klein, repräsentierte die sozialistische Arbeiterbewegung seit dem Vorabend des Ersten Weltkriegs die größte gesellschaftliche Gruppe. Keine Partei zählte 1914 mehr Menschen in ihren Reihen als die SPD, kein Verband hatte mehr Mitglieder als die mit ihr verbundenen Freien Gewerkschaften. Bis in die frühen 1930er Jahre stellten die Sozialdemokraten auch die größte Fraktion im Reichstag, dann wurden sie von den Nationalsozialisten abgelöst. Die Frage nach dem Verhältnis der Arbeiterbewegung zu Juden und Antisemitismus ist deshalb von besonderer Bedeutung. Wenn die These einer wachsenden Diffusion des Antisemitismus während des Kaiserreichs außerhalb der antisemitischen Parteien richtig ist, dann müssten sich Belege dafür auch und gerade im Arbeitermilieu und in der darin wurzelnden SPD finden lassen. Wer suchet, der findet. Es gibt Anzeichen für Antisemitismus im sozialistischen Arbeitermilieu. Die Arbeiterbewegung war vor 1933 strikt antikapitalistisch eingestellt, und vor allem in ihrer antikapitalistischen Propaganda finden sich Versatzstücke von judenfeindlichen Klischees. Negative antijüdische Stereotype gehen mindestens bis auf Karl Marx zurück. Seitdem tauchten diese immer wieder in der Arbeiterbewegung auf (278). Vor allem die während der Revolution 1918/19 von den Sozialdemokraten abgespaltene KPD hat während der Weimarer Republik ein langes Sündenregister judenfeindlicher Entgleisungen aufgebaut. Diese werden zwar weniger als Ausdruck eines geschlossenen antisemitischen Weltbilds und mehr als eine Taktik des Stimmenfangs interpretiert. Immerhin lässt sich aber daraus schließen,
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Sozialistische Arbeiterbewegung
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dass unter Arbeitern auch mit judenfeindlichen Parolen Stimmen zu fangen waren (238; 239; 380, S. 69 – 86). Für die SPD galt es dagegen lange Zeit als weitgehend ausgemacht, dass sie sich parallel zu ihrem Aufstieg zur Massenbewegung von den antisemitischen Eierschalen ihrer Gründungsphase befreit habe. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kam der selbst in der Tradition der Arbeiterbewegung stehende Paul Massing zu der Schlussfolgerung, die Sozialdemokratie sei weitgehend frei von Antisemitismus gewesen (247). Mitte der 1970er Jahre diagnostizierte Shulamit Volkov eine „Immunisierung“ der SPD im Verlauf des Kaiserreichs (285). Arno Herzig wollte selbst der frühen sozialistischen Arbeiterbewegung in Deutschland schon eine entschieden anti-antisemitische Haltung bescheinigen (231). Diese habe die ursprünglich auch vorhandenen sozialkulturellen Ressentiments gegen Juden neutralisiert und verdrängt. Etwas vorsichtiger formulierte Reinhard Rürup, politischer Antisemitismus sei in der SPD nicht vorhanden gewesen (271). Belegen ließ sich das etwa mit der Reaktion der organisierten Arbeiterbewegung auf das Aufkommen der Antisemitenparteien im Kaiserreich. Denn die Sozialdemokraten sahen in diesen einen „Sozialismus der dummen Kerls“ am Werk, von dem es sich nachdrücklich abzugrenzen galt. Infolgedessen wuchsen die Sympathien der deutschen Juden, die ursprünglich fast ausschließlich beim Liberalismus gelegen hatten, für die SPD. Die Sozialdemokratie avancierte neben den Liberalen zur politischen Richtung mit den meisten jüdischen Mitgliedern. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es sogar mehr sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, die sich zum jüdischen Glauben bekannten, als liberale. Immer mehr Juden wählten auch die SPD, weil sich diese in dem Maß, in dem sie zur stärksten politischen Kraft wurde, immer mehr gegen den Antisemitismus wandte (262, S. 102, 122, 148 – 167). Diese prinzipiell anti-antisemitische Einstellung blieb auch in der Weimarer Republik erhalten. Allenfalls, so lautete lange der Tenor der historischen Literatur, könne man den Sozialdemokraten wie den Liberalen eine Unterschätzung der vom Antisemitismus ausgehenden Gefahren vorwerfen (vgl. auch: 252; 159). Nachhaltig erschüttert wurde dieser Konsens 1978 durch ein Buch von Rosemarie Leuschen-Seppel (243). Es war ein Zeichen für den selbstkritischen Umgang der SPD mit ihrer eigenen Vergangenheit, dass dieses Buch im parteieigenen Verlag erschien. Stärker als frühere Publikationen betonte Leuschen-Seppel die Unterschätzung, ja Fehleinschätzung des modernen Antisemitismus durch die Sozialdemokratie als ein zum Aussterben verurteiltes Überbleibsel traditioneller Judenfeindschaft und antiquiertes Auslaufmodell. Vor allem aber dokumentierte sie bisher kaum wahrgenommene Erscheinungsformen von sozialkulturell verankertem Antisemitismus in der sozialistischen Arbeiterbewegung selbst. In der während des späten Kaiserreichs erschienenen sozialdemokratischen Unterhaltungsliteratur und Karikaturen der SPD-Satirezeitschrift Der wahre Jakob wies Leuschen-Seppel zahlreiche judenfeindliche Klischees und antisemitische Stereotype nach. Und diese Publikationen hatten eine wesentlich höhere Auflage als die politische Publizistik der Sozialdemokratie, die anti-antisemitische Positionen einnahm. Die SPD habe damit letztlich zu einer weiteren Verbreitung von Antisemitismus beigetragen. Judenfeindschaft erschien so nicht mehr als eine allenfalls wäh-
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4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933
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rend der „Flegeljahre“ der Partei begangene „Jugendsünde“, sondern als ein Element der Kontinuität innerhalb des sozialistischen Milieus. Shulamit Volkov sah sich daraufhin veranlasst, ihr früheres Urteil einer wachsenden „Immunität“ der organisierten Arbeiterbewegung gegen den Antisemitismus zurückzunehmen (288, S. 121). Überblicksdarstellungen und Spezialstudien zeichneten nun ein wesentlich kritischeres Bild des Verhältnisses von Sozialdemokratie und Judenfeindschaft (8, S. 157f; 22, S. 89 – 98; 223; 238). Eine neuere Untersuchung von Julia Schäfer hat allerdings, ohne sich direkt auf Leuschen-Seppel zu beziehen, deren These zumindest relativiert. Schäfer vergleicht die während der Weimarer Republik im sozialdemokratischen Wahren Jakob gezeichneten Judenbilder mit denen, die gleichzeitig in der antisemitischen österreichischen Zeitschrift Kikeriki erschienen. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass diffamierende Darstellungen von Juden im Wahren Jakob auf den Bereich antikapitalistischer Propaganda begrenzt blieben, während sie vom Kikeriki in allen möglichen Zusammenhängen verwendet wurden. Zudem habe das sozialdemokratische Blatt die Rassentheorie ironisiert und antijüdische Klischees kaum mit im engeren Sinn antisemitischen verbunden. Im Lauf der 1920er Jahre brachte der Wahre Jakob außerdem immer weniger und schließlich gar keine diffamierenden Judendarstellungen mehr. Wahrscheinlich wollten die Macher des Blatts sich von der zunehmend massiveren antijüdischen Bildpropaganda der Nationalsozialisten distanzieren. Jedenfalls aber hätten Karikaturen von Juden für den sozialdemokratischen Wahren Jakob anders als für sein antisemitisches Gegenstück „die klare Funktion eines ersetzbaren Kampfinstruments“ gehabt (272, S. 364). Schäfer hinterfragt auch kritisch die in der historischen Bildforschung zum Antisemitismus (3; 23; 30) verbreitete und von Leuschen-Seppel implizit geteilte Grundannahme, dass Judendarstellungen immer eindeutig seien. Es bestehe vielmehr „ein Abstand zwischen Judenbild und Betrachter“ (272, S. 363). Sie legt den Finger damit auf einen wunden Punkt der bis hier vorgestellten Literatur zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Antisemitismus. Denn diese konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die Eliten der sozialistischen Arbeiterbewegung. Die große Mehrheit der Milieuangehörigen wird dagegen allenfalls als passive Empfänger von Bild- und Textproduktion der Eliten verstanden. In einer Lokalstudie zu Köln zwischen 1918 und 1933 hat dagegen Nicola Wenge erstmals systematisch auch das konkrete Verhalten einfacher Arbeiter gegenüber Juden und Antisemiten untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich an einzelnen überlieferten Äußerungen und Kinderliedern durchaus ein sozialkulturell fixiertes und dauerhaft tradiertes negatives Judenbild an der Milieubasis nachweisen lässt. Dieses habe jedoch nicht zu judenfeindlichen Handlungen geführt, die über verbale Sticheleien hinausgingen. Im Gegenteil sei es im proletarischen Milieu der Kölner Altstadt zu jüdischchristlichen Solidarakten gekommen, etwa in Form alltäglicher Nachbarschaftshilfe und ab den späten zwanziger Jahren auch bei gemeinsamer Verteidigung gegen Angriffe der Nationalsozialisten (290). Wenn man diese Ergebnisse durch weitere Lokalstudien, die schon aufgrund der schwierigen Quellenlage problematisch sind, verallgemeinern könnte, ließe das für das sozialistische Arbeitermilieu schließen auf eine Parallelität von partieller so-
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Katholisches Milieu
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zialkultureller Judenfeindschaft mit politischem Anti-Antisemitismus – wobei Letzterer sich nicht nur rhetorisch in Parlamenten, Parteitagsreden und Publizistik, sondern auch sehr handgreiflich auf Straßen und Plätzen manifestierte. Köln war, was die Repräsentativität einer Studie zur Einstellung seiner Arbeiterschaft gegenüber dem Antisemitismus einschränken könnte, freilich in erster Linie eine Hochburg des katholischen Milieus. Über das Verhalten dieses vierten deutschen Großmilieus zu Juden und Judenfeindschaft hat es in den 1990er Jahren eine besonders scharfe und ausgesprochen fruchtlose Kontroverse gegeben. Die erste von zwei konträren Interpretationen stammt von Uwe Mazura. Mazura hat sich auf die Zentrumspartei, den politischen Arm des deutschen Katholizismus, und ihre Politik konzentriert. Seine Quellen sind hauptsächlich stenographische Protokolle von Parlamentsdebatten und Nachlässe führender Politiker. Er kommt zu dem Schluss, der politische Katholizismus sei in Deutschland zwischen 1870 und 1933 mehrheitlich nicht antisemitisch eingestellt gewesen. Zwar habe es durchaus Ausnahmen von dieser Regel gegeben. In den Parlamenten hat das Zentrum aber antisemitische Anträge auf Aufhebung der Emanzipation oder Ausnahmegesetze gegen die jüdische Minderheit nicht unterstützt und oft sogar bekämpft. Auch die Katholiken waren im mehrheitlich protestantischen Deutschen Reich von 1871 eine Minorität. Und was es hieß, eine von Ausnahmegesetzen verfolgte Minderheit zu sein, hatten sie im Kulturkampf der Bismarckzeit schmerzlich erfahren. Mazura sieht in dieser Erfahrung den Schlüssel für das Verhalten der Katholiken. Dieses sei vor allem geprägt gewesen durch Solidarität mit einer anderen Minderheit. Das nachweislich kaum Katholiken antisemitische Parteien wählten, erscheint Mazura als weiterer Beleg für diese These (248). Dagegen kommt Olaf Blaschke auf gänzlich anderer Quellenbasis zu ganz anderen Ergebnissen. Er hat hauptsächlich die katholische Presse und Publizistik ausgewertet. In dieser, so Blaschkes These, werde zwischen einem „schlechten“ und einem „guten Antisemitismus“ unterschieden. Als „schlechte“ Erscheinungsform der Judenfeindschaft werteten die Katholiken die rassistische Variante der antisemitischen Parteien ab. Von dieser distanzierten sie sich zwar. Gleichzeitig rechtfertigten und predigten die „Milieumanager“ des Katholizismus im Kaiserreich aber eine „gute“ Form der Judenfeindschaft, nämlich die religiös motivierte. Diese sei zulässig und im Fall der deutschen Katholiken sogar gerechtfertigt. Denn die katholische Kirche befände sich in der Defensive gegen jüdische Angriffe: Die Liberalen hätten den Kulturkampf vom Zaum gebrochen, und die Juden stünden dabei auf Seiten der Liberalen. Auch bei Blaschke wird der Kulturkampf damit zu einem Schlüssel für die Stellung der Katholiken zu Judentum und Antisemitismus, aber diese Stellung verortet er ganz anders als Mazura. Die Katholiken wählten nach seiner Ansicht nur deshalb keine antisemitischen Parteien, weil die politischen Vertreter ihres eigenen Milieus selbst Antisemiten waren (216). Die Argumente beider Seiten waren tatsächlich so neu gar nicht. Unter Historikern, die sich den Traditionen des katholischen Milieus verpflichtet fühlten, galt eine Interpretation wie die von Mazura vorgelegte bereits vorher als Orthodoxie. Resistenz gegenüber dem rassistischen Antisemitismus, Nachrangigkeit auch von anderen Formen der Judenfeindschaft innerhalb
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des Katholizismus – das waren in diesen Kreisen geradezu Glaubensartikel (245). Auch Blaschkes Gegenthesen ließen sich im Kern auf Kritik an dieser Orthodoxie zurückführen, wie sie etwa der Israeli Uriel Tal oder die angelsächsischen Historiker David Blackbourn und Helmut Walser Smith schon früher formuliert hatten (51, S. 85 – 96; 215; 280; 22; 242). Zu einer wirklichen Auseinandersetzung war es jedoch lange nicht gekommen, weil die gleichsam im eigenen Saft schmorenden katholischen Historiker die von außen kommende Kritik nicht wahrnahmen oder wahrnehmen wollten. Während im Protestantismus schon länger ein mehr oder weniger selbstkritischer Umgang mit der eigenen Haltung zum Antisemitismus vor 1945 praktiziert wurde (25, S. 265 – 281; 230; 258), fand ein solcher im Katholizismus lange kaum statt. Erst die mit Vehemenz vorgetragenen und stark zugespitzten Thesen des kritischen Katholiken Blaschke und das Echo, das diese Thesen unter weniger traditionsgebundenen Katholiken fanden, erzwangen hier die Debatte. Wer hat nun recht? Blaschke oder Mazura? Die Breite der von beiden präsentierten Belege lässt eine klare Entscheidung für die eine oder andere Interpretation nicht zu. Eindeutig ist nur, dass es sowohl katholischen Antisemitismus wie auch katholische Solidarität mit den Juden als einer ebenfalls diskriminierten Minderheit gab. Es gab katholische Antipathien gegen und Sympathien für das Judentum. Abgesehen vom Einfluss außerwissenschaftlicher Faktoren kann die Einseitigkeit der Interpretationen von Blaschke wie Mazura daraus erklärt werden, dass beide weitgehend die Vielfältigkeit des katholischen Milieus ignorieren. Insbesondere bei Blaschke erscheint „der“ Katholizismus als ein monolithischer Block. Im Gegensatz dazu ist vielfach herausgearbeitet worden, dass das katholische Milieu in Deutschland auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene eine außerordentlich schillernde Gestalt war (215; 246; 290). Als Mikrokosmos der deutschen Gesellschaft des Kaiserreichs spiegelte er deren starke Fragmentierung. So gab es in der Zentrumspartei wie in dem Milieu, deren politischer Arm sie war, sowohl liberale Katholiken, die in ihrem Ringen um „Parität“ mit den Protestanten im Judentum durchaus einen Verbündeten sahen, wie andererseits auch konservative Kräfte, deren Judenhass dem der schlimmsten Parteiantisemiten in nichts nachstand. Eine mögliche Erklärung für die differierenden Interpretationen ist auch die Verschiedenheit der Quellenbasis. Denn Blaschke und Mazura beleuchten schwerpunktmäßig ganz unterschiedliche Funktionsebenen des katholischen Milieus. Blaschke befasst sich vor allem mit den Publizisten der mittleren Ebene, die den wichtigsten inneren Kitt des Katholizismus bildeten. Für den inneren Zusammenhalt des Milieus spielten sozialkulturell verankerte Formen von Judenfeindschaft offensichtlich eine gewisse Rolle. Durch den Fokus auf die „Milieumanager“ der mittleren Ebene, die diesen Zusammenhalt pflegten, erscheint Antisemitismus prominent. Dagegen trieb die Führungsebene der Zentrumspartei, die in den Parlamenten die Vertretung des Milieus nach außen übernahm, vor allem die Furcht vor einer Diskriminierung durch die protestantische Bevölkerungsmehrheit um. Weil sie in einer Rücknahme der Judenemanzipation dafür einen Präzedenzfall sah, lag ein Kurs des politischen Anti-Antisemitismus nahe, dessen Motiv bündig mit dem zeitgenössischen Schlagwort „Heute gegen Juda, morgen gegen Rom“ erfasst wurde. Sowohl die anti-antisemitische „Außenpolitik“ als auch die
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III.
Fazit
„Innenpolitik“ des katholischen Milieus, die von sozialkulturell fundierter Judenfeindschaft angekränkelt war, war so nicht zuletzt auch pragmatisch bedingt. Je näher man sich so mit der Stellung verschiedener politisch-sozialer Milieus zum Antisemitismus beschäftigt, desto fragwürdiger werden pauschale Urteile. Bei näherem Hinsehen bestätigen sich weder das Konzept der „deutsch-jüdischen Symbiose“ noch das Bild einer allgemeinen Judenfeindschaft. Stattdessen zeichnet sich ein Spektrum ab, dessen Pole das relativ stark von Judenhass geprägte konservative Lager auf der einen, der davon vergleichsweise freie Liberalismus auf der anderen Seite sind. Aber auch innerhalb der Milieus gibt es Differenzen. Sozialkulturell verankerte Judenfeindschaft kann, wie besonders deutlich im Fall der sozialistischen Arbeiterbewegung und des Katholizismus, neben politischer Ablehnung des Antisemitismus stehen. Zudem sind die jeweiligen Funktionen von Antisemitismus zu berücksichtigen. Auch die Befunde, die sich aus einer Betrachtung der politisch-sozialen Milieus über den zeitlichen Verlauf der Entwicklung von Judenfeindschaft in Deutschland vor 1933 gewinnen lassen, sind komplex und teilweise widersprüchlich. So weit überhaupt ein Eindruck überwiegt, ist es der einer starken Fluktuation. Ergibt sich aus der Forschung über jüdisch-nichtjüdische Beziehungen in der deutschen Gesellschaft vor 1933 ein klareres Bild?
d) Jüdisch-nichtjüdische Sozialbeziehungen Mischehen
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Liebesverhältnisse sind die engsten und intimsten aller Sozialbeziehungen. Ein solches Verhältnis durch eine Hochzeit öffentlich formalisieren zu lassen, kam bis 1900 unter jüdisch-christlichen Paaren relativ selten vor. Danach stieg die Zahl solcher gemischten Ehen aber steil an. Waren 1908 nur zehn Prozent aller Ehen, an denen Juden beteiligt waren, jüdisch-christliche Mischehen, so lag die Zahl 1933 bei über 40 Prozent. Schon vor 1933 sind Mischehen von Vertretern jüdischer Organisationen und christlicher Kirchen verständlicherweise abgelehnt worden. Das öffentliche Bild jüdisch-christlicher Ehen war mit zahlreichen negativen Klischees belastet. In der historischen Forschung wurden diese zeitgenössischen Negativbilder lange Zeit fortgeschrieben. Erst seit einigen Jahren werden jüdischchristliche Ehen unvoreingenommen daraufhin untersucht, ob sie etwas beitragen können zu Antworten auf die Frage, welche Stellung Juden in der deutschen Gesellschaft vor 1933 hatten, und was für eine Rolle Antisemitismus in dieser Gesellschaft spielte. Kerstin Meiring und Till van Rahden haben so dem aus der zeitgenössischen Einschätzung übernommenen bisherigen Tenor in der Geschichtsschreibung widersprochen, nach dem die jüdischen Partner von Mischehen ihre Verbindung zum Judentum in der Regel völlig abgebrochen hätten. Vielmehr seien diese meist mit Erfolg um eine Wahrung ihrer jüdischen Identität bemüht gewesen. Für van Rahden ist die steil ansteigende Zahl von Mischehen auch ein Argument gegen die ebenfalls gängige These, dass der Antisemitismus das Verhältnis von Juden und anderen Deutschen in spätem Kaiserreich und Weimarer Republik zunehmend vergiftet habe. Wenn geselliger Verkehr zwischen Nichtjuden und Juden zu privaten
4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 Beziehungen in großer Zahl und immer häufiger auch zu Ehen führte, könne Judenfeindschaft kaum allgemein verbreitet gewesen sein (249; 265, S. 141 – 174). Nicola Wenge hat allerdings zu Bedenken gegeben, „die Zunahme der christlich-jüdischen Ehen könnte auch auf einen sich verstärkenden feindseligen Druck aus der Umwelt hinweisen. Es ist schließlich denkbar, dass die Ehe mit einem nichtjüdischen Partner als eine der wirkungsvollsten Defensivstrategien gegen einen aggressiver auftretenden Antisemitismus“ benutzt worden sei. Vor allem aber ließe sich „die jüdische Öffnung zur Mischehe in erster Linie als ein Moment der Säkularisierung und Individualisierung“ begreifen (290, S. 96). Dass in den großen Städten, deren Bevölkerung bei der Entwicklung zur Kirchenferne und individualisierter Lebensführung Trendsetter war, sich auch die Tendenz zur christlich-jüdischen Ehe besonders ausgeprägt zeigte, stützt diese Gegenthese. Die Entwicklung der Mischehenzahl würde demnach überhaupt nicht als Indikator für die Entwicklung des Verhältnisses von christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit taugen. Einen solchen Gradmesser sieht Wenge eher im Vergleich mit katholisch-protestantisch gemischten Ehen, den Rahden nicht vornimmt. Im Köln der Weimarer Republik kamen diese jedenfalls, legt man als Maßstab die statistische Wahrscheinlichkeit einer solchen Verbindung an, deutlich häufiger vor als jüdisch-christliche Ehen. Der soziale Graben zwischen den beiden christlichen Konfessionen war also wesentlich leichter zu überbrücken, der zwischen Christen und Juden dagegen um einiges tiefer (290, S. 93 – 115). Über die Beziehungen, die Juden und Christen in deutschen Dörfern und Städten vor 1933 als Nachbarn oder im Vereinsleben unterhielten, klafften die Interpretationen lange Zeit weit auseinander. Zum Teil tun sie es bis heute noch. Eine Extremposition findet sich in der kollektiven Erinnerung, in Memoiren und oft auch in heimat- oder lokalhistorischen Darstellungen. Danach mochte Judenfeindschaft überall in Deutschland verbreitet gewesen sein, aber an einem Ort nicht: im eigenen Dorf oder der eigenen Stadt. Auch in Interviews, die nach 1945 und besonders ab den 1980er Jahren vielfach von lokalen Geschichtsvereinen gemacht wurden, sind Antisemiten immer die anderen. In der eigenen Gemeinde, heißt es, war das Verhältnis zwischen Christen und Juden von guter Nachbarschaft und harmonischem Miteinander im Verein geprägt, bis die Nationalsozialisten kamen – und die kamen in solchen Interpretationen bezeichnenderweise meist von außen (Beispiele: 217). Ausgehend von einer Pionierstudie des Volkskundlers Utz Jeggle, der solche Äußerungen seiner Interviewpartner aus württembergischen Dörfern kritisch hinterfragte und mit zeitgenössischen Dokumenten verglich, entstand in der Wissenschaft seit den 1960er Jahren eine diametral entgegengesetzte Extremposition. Für Jeggle war die Erinnerung der schwäbischen Dörfler eine romantisch-nostalgische Verklärung der Zeit vor 1933, die der historischen Wirklichkeit nicht entsprach. Harmonie sei schon von den Zeitgenossen nur beschworen, nicht gelebt worden: „Bei Vereinsfeiern und Jubiläen, an Königs Geburtstag oder Kaiserfeiern spielte man für kurze Zeit das, was sonst nicht vorhanden war: Dorfgemeinschaft“. Man dürfe aber „von jenem Festbereich nicht auf den Alltag zurück schließen.“ Tatsächlich seien Juden in württembergischen Landgemeinden nicht wirklich integriert gewesen, sondern vielmehr als Fremdkörper im Dorf wahrgenommen worden. Verschiedener so-
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Nachbarschaft und Vereine
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Forschungsprobleme
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zialer Status, kultureller Habitus und religiöse Rituale hätten eine tiefe Distanz geschaffen, die sich zwar selten in entfesselter Gewalt wie nach 1933, aber bereits in Vorurteilen, übler Nachrede und Neidgefühlen äußerte (235, S. 204). Von der historischen Antisemitismusforschung wurde die These mangelnder Integration vielfach auch auf städtische Milieus übertragen. Das geschah vor allem im Zusammenhang mit der von zahlreichen Historikern geteilten Ansicht, Judenfeindschaft habe nach dem Niedergang der ersten deutschen Antisemitenparteien ab den 1890er Jahren in Verbänden und Vereinen unterschiedlichster Art gleichsam „überwintert“. So sei es dazu gekommen, dass „der Antisemitismus auf diesem Weg in den neunziger Jahren bis in die letzten Bürgervereine vordrang, in Heimatvereinen und Kulturbünden Einzug hielt“. Juden seien im Zug dieser antisemitischen Verseuchung der Vereine immer mehr aus diesen herausgedrängt worden (8, S. 161f; 25, S. 67; vgl. 60, S. 17; 286, S. 58). Dabei wurde allerdings von einigen wenigen Beispielfällen etwas vorschnell auf einen allgemeinen Trend geschlossen. Umfassend belegen ließ sich ein Zusammenhang zwischen antisemitischer Trendwende und der Gründung jüdischer Sonderorganisationen bisher im wesentlichen nur für den Bereich der studentischen Verbände (237). Lokale und regionale Detailstudien der letzten Jahre stellten denn auch die These einer antisemitischen Wende im Vereinswesen seit den 1890er Jahren stark in Frage. Zwar wurden in diesem Jahrzehnt zahlreiche spezifisch jüdische Vereine gegründet. Zur selben Zeit gab es aber auch vergleichbare Gründungswellen bei katholischen, evangelischen und sozialdemokratischen Organisationen. Das Ansteigen der Zahl jüdischer Vereine wäre demnach eher im Kontext einer Phase allgemeinen Wachstums von Milieuverbänden zu sehen und nicht als Folge einer Verbreitung von Antisemitismus, die zu Ausschlüssen aus allgemeinen Organisationen führte. In diesen allgemeinen Vereinen scheinen Juden vielmehr bis nach dem Ersten Weltkrieg weithin als Mitglieder akzeptiert worden zu sein. Zu diesem Ergebnis kommen jedenfalls Till van Rahden (265, S. 101 – 140) und Nicola Wenge (290, S. 115 – 130) in ihren Arbeiten zu Breslau und Köln. Bei Untersuchungen über den ländlichen Raum Süd- und Westdeutschlands gelangen auch Ulrich Baumann (212) und Jacob Borut (219) zu ähnlichen Befunden. Anders als die weiterhin noch häufig in Apologetik schwelgende Heimatgeschichte zeichnen diese neueren regional- und lokalhistorischen Analysen allerdings kein rosig-nostalgisches, sondern ein ausgesprochen differenziertes Bild. So betonen die vier genannten Studien einhellig eine Zäsur im Vereinsleben. Anders als die ältere Forschung sehen die neueren Arbeiten diesen Bruch aber nicht in den 1890er Jahren, sondern erst nach 1918. Die Integration von Juden in allgemeine Vereine sei in der Weimarer Republik deutlich zurückgegangen; die Neigung, bestehende und neu gegründete Vereine „judenfrei“ zu machen, habe sich massiv verstärkt. Teilweise sollen sich auch die nachbarschaftlichen Beziehungen von Christen und Juden verschlechtert haben. Die Ursachen für diese Trendwende scheinen vielschichtig zu sein und sich je nach Untersuchungsgebiet zu unterscheiden. Genannt wird in den erwähnten Studien zum einen die Propaganda der Antisemiten, die im Vergleich zum Kaiserreich wesentlich schärfer und aggressiver geworden sei; zum anderen ein Bedeutungsverlust anti-antisemitischer Eliten durch die De-
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4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 mokratisierung des politischen Massenmarkts; und nicht zuletzt auch wirtschaftlicher oder demographischer Bedeutungsverlust der jüdischen Minderheit selbst, der eine Rücksichtnahme auf sie weniger nötig machte. Auch soziale Entwurzelung und die Zuspitzung wirtschaftlicher Gegensätze, begonnen durch die nun die ganze Gesellschaft erfassende Industrialisierung und verschärft durch Ersten Weltkrieg und Inflation, könnten eine Rolle gespielt haben (257, S. 158 – 166). Die Diskussion über wirtschaftliche Beziehungen zwischen Christen und Juden vor 1933 weist einige Parallelen zu der um Nachbarschaft und Vereinsleben auf. Auch sie ging von einer Betrachtung ländlicher Verhältnisse aus, auf die sie freilich weitgehend fixiert blieb. Und auch hier standen sich lange Zeit zwei Extrempositionen in scharfem Kontrast gegenüber, obwohl in diesem Fall von beiden recht negative Bilder der jüdisch-nichtjüdischen Wirtschaftsbeziehungen auf dem Land gezeichnet wurden. Auf der einen Seite gab erneut Utz Jeggle eine wirkungsmächtige These vor, indem er einen Zusammenhang zwischen starker Judenfeindschaft der christlichen Bevölkerung auf dem Land und jüdischer Migration in die Städte postulierte. Diese Abwanderungsbewegung sei eine Reaktion der Juden auf den ländlichen Antisemitismus gewesen. Sie habe „ein deutliches Plebiszit“ dargestellt. Die großen Städte – in Württemberg also Stuttgart – seien wegen einer wesentlich toleranteren Atmosphäre „schließlich das Jerusalem“ gewesen (235, S. 201). Dass ein in Agrargebieten besonders virulenter Antisemitismus zur Landflucht von Juden zumindest beigetragen hat oder sogar der Hauptgrund dafür war, wird auch von anderen Autoren angenommen. Als Ausdrucksform der Judenfeindschaft, die effektiv auf eine faktische Vertreibung der jüdischen Landbevölkerung hingewirkt habe, gelten vor allem Boykotte, zu denen mit dem Vorwurf des Wuchers gegen die als Händler tätigen Landjuden aufgerufen wurde. Allerdings konnte in einer empirischen Studie zur Wirkung von Boykottaufrufen im preußischen Osten nachgewiesen werden, dass die christliche Bevölkerung diesen kaum gefolgt sein kann. Denn eine Verarmung der zur Zielscheibe des Boykotts ausgerufenen jüdischen Händler ist nicht feststellbar. Mehr noch: Für die ostelbischen Provinzen Preußens reicht der „pull-Effekt“, der von der wirtschaftlichen Anziehungskraft der Städte ausging, bereits vollständig zur Erklärung der Abwanderung von Juden aus ländlichen Gebieten dorthin aus. Ein „push-Effekt“ in Form von ausgeprägterem Antisemitismus auf dem Land war dazu gar nicht nötig (vgl. 256, S. 408 – 413). Wurde aufbauend auf Jeggle vielfach der christlichen Landbevölkerung die Rolle des Bösewichts zugewiesen, der die jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen im Agrarsektor vergiftet habe, gab es auf der anderen Seite nicht wenige Publikationen, darunter durchaus auch solche mit wissenschaftlichem Anspruch, die den schwarzen Peter mehr oder weniger offen Juden zuschoben. Selbst in der 1970 erschienenen neunten Auflage des Gebhardt, damals das auflagenstärkste Handbuch zur deutschen Geschichte, konnte man lesen: „Der Wucher jeder Form befand sich auch nach der Emanzipation hauptsächlich in Händen von Juden.“ Solche und ähnliche Urteile fanden jahrzehntelang ein Echo in historischen Darstellungen. So hieß es etwa 1987 in einer Lokalgeschichte über die Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert: Wo „das Kreditgeschäft fast ausschließlich in den Händen von Juden
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Wirtschaftsbeziehungen
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Forschungsprobleme
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Antijüdische Gewalt
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lag, war […] der Boden vorbereitet, auf dem die antisemitischen Agitatoren auf Erfolg und Zuspruch hoffen durften. Sachberichte in Pfarrchroniken wie literarische Publikationen (z. B. Gustav Freytags Soll und Haben, Wilhelm Raabes Der Hungerpastor und Ludwig Rudolf Oesers Das Volk und seine Treiber) machen deutlich, dass der Wucher jüdischer Handelsleute dort zu einem ernsten Problem geworden war […]“. Dagegen ist nicht nur mit Recht eingewendet worden, dass Romane und ungeprüft übernommene „Sachberichte“ offensichtlich parteiischer Zeitgenossen kaum wissenschaftlich verwertbare Quellen darstellen (274, S. 352, 355 f.). Unter denjenigen, die nach dem 1880 eingeführten „Wucherparagraphen“ des deutschen Strafgesetzbuchs abgeurteilt wurden, waren Juden auch deutlich unterrepräsentiert (280). Die empirische Unhaltbarkeit von Schuldzuweisungen an die eine oder andere Seite hat dazu geführt, dass die Forschung zu christlich-jüdischen Wirtschaftsbeziehungen im Agrarsektor diese für das 19. Jahrhundert mittlerweile als ausgesprochen harmonisch bewertet. Denn die Landwirte nahmen aus guten Gründen Kredite lieber bei jüdischen Händlern als bei Banken und Bauernvereinen auf: Die Juden waren flexibler und gewährten auch schon einmal Aufschub. Zudem boten sie bessere Konditionen und zahlten in der Regel auch für Vieh besser als ihre christlichen Kollegen. Unter den Bauern machte sie das zu beliebten Geschäftspartnern. Auf diese Weise erzielten die jüdischen Händler einen besonders hohen Umsatz und kamen trotz geringer Gewinnspannen auf ihre Kosten. Monika Richarz hat deshalb sogar von einer „symbiotischen Wirtschaftsbeziehung zwischen Bauern und Landjuden“ gesprochen (268, S. 86). Antisemitismus, so ist im Anschluss daran vermutet worden, sei auf dem Land weniger von Bauern als von ländlichen Unterschichten ausgegangen (280). Und diese gewannen mit der Auflösung traditioneller Sozialstrukturen und der Demokratisierung politischer Gemeindeordnungen, die in der Revolution von 1918 kulminierten, deutlich mehr Bewegungsfreiheit und Einfluss. Allerdings dürfte eine solche Interpretation mit Hinblick auf die bäuerliche Landbevölkerung etwas zu sehr idealisieren. Denn offensichtlich boten die jüdischen Händler ja deshalb bessere Konditionen als andere, weil die christlichen Bauern das von den Juden wegen deren religiöser und gesellschaftlicher Außenseiterposition erwarteten. Diese Erwartung blieb in der Regel stillschweigend und wurde von den Händlern ebenso stillschweigend erfüllt. Das stumme Arrangement konnte jedoch zerbrechen, wenn sich in einer wirtschaftlichen Krisensituation der finanzielle Spielraum beider Seiten stark verengte, und die Bauern von den Juden ein Entgegenkommen erwarteten, das für diese den wirtschaftlichen Ruin bedeutet hätte. Dann schreckten auch bäuerliche Landbewohner nicht davor zurück, durch eine als Vertreibungsdrohung zu verstehende dosierte Aktion wie etwa einen Boykott oder ein Pogrom jüdische Händler zu „disziplinieren“ (268, S. 82 f.; 255, S. 137 – 144). Pogrome sind der dunkle Pol des breiten Spektrums jüdisch-nichtjüdischer Kontakte, an dessen lichterem Ende Liebesbeziehungen stehen. Angesichts des Schattens, den die Zeit des Nationalsozialismus auch auf die Geschichte der Juden in Deutschland vor 1933 geworfen hat, wird antijüdische Gewalt in der Öffentlichkeit oft als Element der Tradition gesehen. Wie weit waren
4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933
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Pogrome tatsächlich ein Vorspiel der Vernichtungspolitik? Lässt sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein geradlinige Entwicklung antijüdischer Gewalt feststellen, die auf 1933 zulief? Oder überwiegen eher Diskontinuitäten, Brüche und Zäsuren? Aus der historischen Forschung lassen sich auf diese Fragen bisher bestenfalls mit beträchtlichen Vorbehalten behaftete Antworten ablesen. Denn Studien zu antijüdischer Gewalt vor 1933 haben sich bisher meist auf einzelne Pogrome oder zeitlich eng begrenzte Pogromwellen konzentriert. Und selbst deren Interpretation ist nicht selten recht kontrovers (24). Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Gewalt gegen Juden in Mitteleuropa ausgesprochen heftig und häufig. Höhepunkte besonders starker Pogromwellen gab es zunächst mit den so genannten Hep-Hep-Unruhen 1819, dann wieder zur Zeit der Revolutionen von 1848 (24, S. 23 – 66). Welche Ursachen diese starken Konjunkturen antijüdischer Gewalt hatten, ist umstritten. Während einige Historiker vor allem wirtschaftliche Hintergründe vermuteten (49; 50; 57; 92; 106), gehen andere davon aus, dass die Ausschreitungen sich primär gegen die Emanzipation der Juden richtete (29; 39; 40; 228). Nicht kontrovers ist jedoch, dass Frequenz und Stärke antijüdischer Gewalt in den Jahrzehnten nach 1849 deutlich abnahmen (39, S. 295 f.). Waren die nächsten dreißig Jahre relativ ruhig, kam es 1881 zu einer neuen Welle von Ausschreitungen. Diese konzentrierten sich auf Pommern und Westpreußen. Zum ersten Mal spielten dabei auch Agitatoren der neuen Antisemitenparteien eine Rolle. Anders als in den Pogromen vor 1849, bei denen immer wieder Juden in großer Zahl verletzt und nicht selten auch getötet wurden, richtete sich die Gewalt 1881 fast „ausschließlich auf Sachen, nicht gegen Personen“ (232, S. 109). 1891 folgten Pogrome am Niederrhein. Gegenüber den Ausschreitungen im preußischen Osten ein Jahrzehnt zuvor blieb das Verbreitungsgebiet hier allerdings vergleichsweise klein. Der Funke, an dem sich die niederrheinischen Pogrome entzündeten, war der Vorwurf eines jüdischen Ritualmords in Xanten (284, S. 254 – 256; 240; 275). Ein Ritualmordgerücht löste auch 1900 im westpreußischen Konitz eine neue Welle von Gewalt gegen Juden aus. Ihre Ausläufer brandeten bis nach Pommern und in die Provinz Posen. Diese Unruhen waren, wie Helmut Walser Smith betont hat, „der schwerste Ausbruch antisemitischer Gewalt im wilhelminischen Deutschland“ (282, S. 14). Tatsächlich handelte es sich, gemessen an geographischer Ausbreitung und Teilnehmerzahl, sogar um die massivsten Pogrome während des Kaiserreichs. Seit 1849 hatte es keine vergleichbaren Ausbrüche antisemitischer Gewalt mehr gegeben. Trotz dieser offensichtlichen Diskontinuitäten verortet Smith das, was sich 1900 in Konitz und Umgebung abspielte, in einem Kontext von antisemitischer Kontinuität. Auf einen ungeklärten Mordfall, wie er sich dort ereignete, mit einem Ritualmordvorwurf gegen jüdische Nachbarn zu reagieren, sei ein in Jahrhunderten von Christen erlernter Reflex gewesen. Smith gibt deshalb einen ausführlichen Überblick zur Geschichte der Ritualmordanklagen vom 12. Jahrhundert bis zum Fall von Xanten 1891 (282, S. 100 – 155). Dieser Verweis auf eine lange Tradition erklärt allerdings nicht, warum der gleiche Stimulus – ein ungeklärter Mordfall – über den Hebel des Ritualmordgerüchts einmal einen verheerenden Flächenbrand antisemitischer Ausschreitungen
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Forschungsprobleme
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entfachte wie 1900 im preußischen Osten, ein andermal zu wesentlich eng begrenzteren Pogromen führte wie 1891 am Niederrhein, und dann wieder gar keine Gewaltaktionen gegen Juden provozierte. Diese Differenzen verweisen auf die Bedeutung von Faktoren und Kontexten, die Smith übersieht und die ich in zwei Studien über die Ausschreitungen von 1900 hervorgehoben habe: die wirtschaftliche Lage in Konitz und Umgebung zu dieser Zeit; das gleichermaßen nur aus dem spezifischen Zeithorizont heraus zu verstehende individuelle und kollektive Geltungsbedürfnis der Konitzer; schließlich auch der Kontext des damals in der Region dominierenden deutsch-polnischen Konflikts. Die von Smith betonte skrupellose Agitation der Parteiantisemiten vor Ort scheint mir die Unterschiede dagegen nicht zu erklären. Denn diese waren schon seit den 1880er Jahren vielerorts aktiv gewesen. Zudem wurde ihre Arbeit in Konitz von anti-antisemitischen Liberalen konterkariert, die ebenfalls nicht gerade zimperlich waren in der Wahl ihrer Methoden (255; 256). In Einleitung und Schlusswort seiner Studie zu Konitz suggeriert Smith eine weitere Kontinuität, nämlich die zwischen den Pogromen von 1900 und den Massenmorden des Zweiten Weltkriegs. Die Morde des örtlichen „Volksdeutschen Selbstschutzes“ 1939 an Hunderten von Juden und Polen kommentiert er: „Als man ihnen die Gelegenheit dazu gab, hatten ganz gewöhnliche Männer, die Deutschen aus Konitz, keine Hemmungen, ihre Nachbarn zu ermorden.“ Christhard Hoffmann argumentiert in einem Aufsatz zu den Ausschreitungen von 1881 ähnlich, nur die Ächtung antisemitischer Gewalt durch den Staat habe die Juden im Kaiserreich noch vor Schlimmerem bewahrt (232; 282, S. 246f, 8f, anders S. 192). Allerdings entglitt sowohl während der tumultuarischen Pogrome von 1900 wie auch schon 1881 den Vertretern der Staatsmacht wiederholt die Kontrolle. Dennoch beschränkten sich die Tumultuanten in beiden Fällen auf Beschädigung jüdischen Eigentums, schreckten aber vor Angriffen auf Personen und erst recht Mord zurück – in krassem Gegensatz zu 1939. Die Pogrome des Kaiserreichs hatten, und darüber besteht Einigkeit in der Forschung, den Charakter von „Ritualen der Demütigung“ und Erniedrigung, oder mit den Worten von Smith ausgedrückt: Sie waren symbolische, gesellschaftliche „Ritualmorde“ der christlichen Täter an den Juden (232, S. 109; 255, S. 142 f.; 282, S. 208 f.). Das änderte sich offenbar nicht erst seit 1939 oder 1933, sondern bereits seit 1918. Das Ausmaß antisemitischer Gewalt während der Weimarer Republik wurde von den jüdischen Opfern als etwas Neues erlebt (229). Gegen Juden gerichtete Gewalt trat nun, wie Dirk Walter herausgearbeitet hat, nicht nur in zuvor ungekannter Quantität auf. Sie veränderte auch ihre Natur. Beschränkten sich die Attacken von Antisemiten bis 1918 weitgehend auf Sachbeschädigungen, so gingen sie seitdem zunehmend auf Personen über. Verletzungen von Juden kamen immer häufiger vor, wenn auch Totschlag und Mord erst nach 1933 zur Regel wurden. Walter erklärt diese Differenz vor allem damit, dass Antisemiten während des Kaiserreichs noch Hoffnungen darauf gesetzt hätten, die Rücknahme der Emanzipation auf legalem Weg erreichen zu können. In der demokratischen Weimarer Republik, die den Juden volle faktische Gleichberechtigung einräumte, sei diese Hoffnung dagegen aufgegeben worden. Um die Staatsgewalt nicht zu verärgern, nicht aus Rücksicht auf die Opfer, hätten die Täter sich bis 1918 zurückgehalten. Dann
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4. Antisemitismus in Deutschland vor 1933 aber sei diese Zurückhaltung fallen gelassen worden (289). Jacob Borut hebt im Hinblick auf die Veränderung der Natur antisemitischer Gewalt im Übergang vom Kaiserreich zur Republik hingegen eher einen einschneidenden Generationswechsel der Täter hervor. Nach 1918 sei Gewalt gegen Juden hauptsächlich von sehr jungen Tätern ausgegangen – wogegen sich freilich auf das jugendliche Alter schon 1900 in Konitz verurteilter Krawallmacher verweisen ließe (255, S. 52). Borut betont darüber hinaus gegen andere Darstellungen, dass nationalsozialistische Gewalt gegen Juden der von den Nationalsozialisten gegen Kommunisten ausgeübten Gewalt nicht nachstand, sondern sich sogar noch früher und stärker radikalisierte (220). Die Forschung zu jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen, insbesondere die Ergebnisse zu Vereinsleben und Gewalt, weisen auf das Ende des Ersten Weltkriegs als markante Zäsur hin. Die Integration von Juden in allgemeine Vereine nahm ab, antisemitische Gewalt dagegen zu. Selbst Witze über Juden scheinen in der Weimarer Republik ihre frühere relative Harmlosigkeit verloren zu haben (236). Schon während des Krieges schien sich mit der berüchtigten „Judenzählung“ in der Armee eine Verhärtung auch der öffentlichen Auseinandersetzungen anzudeuten (270a). In der wissenschaftlichen Literatur ist die Annahme, dass 1918 einen deutlichen Einschnitt für die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland vor 1933 darstellt, weit verbreitet. Nach Ansicht der Herausgeber eines neueren Sammelbands über Entwicklungslinien der Judenfeindschaft deutet sich sogar „ein Konsens der Antisemitismusforschung dahingehend an“ (6, S. 12; Ausnahme aber: 291). Differenzen gibt es allerdings darüber, worin die tragenden Elemente dieses Bruchs zu sehen sind. Eine Gruppe von Historikern sieht die eigentliche Natur der Zäsur in einer Ausweitung der gesellschaftlichen Basis des Judenhasses. Nach den viel gelesenen und häufig zitierten Arbeiten von Moshe Zimmermann und Werner Jochmann „beruhte eine wachsende Zustimmung zum Antisemitismus auf der vor allem im Bürgertum vorhandenen Annahme einer Identität von ,sozialer Frage und ,Judenfrage “ (60, S. 101; 25). Zwar handelte es sich beim Bürgertum um eine relativ kleine Gruppe. Es habe jedoch durch seine gesellschaftliche Funktion als Meinungsführer eine die eigene Zahl weit übersteigende Bedeutung besessen. Anthony Kauders konstatiert in seinen gründlichen Lokalstudien zu Nürnberg und Düsseldorf ebenfalls eine nach 1918 gewandelte Einstellung des Bürgertums, interpretiert diese jedoch tendenziell anders: In seiner Darstellung sind Veränderungen in der bürgerlichen Elite eher Spiegel als Ursache einer Ausbreitung des Antisemitismus in der gesamten Gesellschaft (238). Moshe Zimmermann billigt den Erklärungsmustern, die einen Wandel in der sozialen Anhängerschaft der Antisemiten hervorheben, mehr Überzeugungskraft zu als solchen Interpretationen, die auf Veränderungen in der Gedankenwelt des Antisemitismus abheben. Tatsächlich können beide Zugänge sich aber durchaus ergänzen. Für Shulamit Volkovs Annahme, dass Antisemiten sich bis zum Ersten Weltkrieg hauptsächlich auf gedrucktes Propagandamaterial gestützt, dann aber Reden und Ansprachen den Vorzug gegeben hätten, erscheint das offensichtlich. Der Wechsel vom „geschriebenen“ zum „gesprochenen Wort“ war nach Volkov eine bewusste Innovation Hitlers, um größere Massenwirksamkeit zu erreichen (286). Neben die methodische
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1918: Die Natur der Zäsur
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Neuerung traten zudem neue Feindbilder. Nach 1918 verschmolz der Antisemitismus, wie etwa Massimo Ferrari Zumbini betont, mit dem Antikommunismus und gewann dadurch eine neue Virulenz (292). Donald Niewyk schließlich hat sich für die These einer Radikalisierung der antisemitischen Programmatik stark gemacht: Bis zum Ersten Weltkrieg sei die Perspektive der meisten Antisemiten nur eine Rücknahme der jüdischen Emanzipation gewesen. Seit dem Krieg habe sich dagegen das Programm einer Vertreibung, ja letzten Endes einer „Vernichtung“ aller Juden in den Köpfen der Mehrheit festgesetzt (253). Statt Diskriminierung sei so Elimination zum Programm einer „Lösung der Judenfrage“ geworden – ein Programm, das nach dem Systemwechsel von 1933 grausame Wirklichkeit wurde. Wieweit der von den Nationalsozialisten verübte Massenmord an den europäischen Juden dabei tatsächlich einem festen Plan folgte, ist Gegenstand einer neuen Kontroverse, die neben anderen bereits Thema des folgenden Kapitels ist.
5. Nationalsozialismus und Antisemitismus Die Zahl der Bücher und Aufsätze zur Rolle, die Antisemitismus in der nationalsozialistischen Ideologie und in der politischen Praxis in Deutschland zwischen 1933 und 1945 gespielt hat, ist schier unübersehbar. Vergleichsweise übersichtlich ist dagegen die Zahl der Kontroversen, die sich an diesem Themenbereich entzündet hat. Bei keinem anderen Thema findet sich auch für die wiederholte Wiederholung einer noch so abgedroschenen These eine dankbare, zahlende Leserschaft. Letzten Endes drehen sich die Kontroversen um eine einzige Frage: Wieweit erklärt Antisemitismus den nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden? Das mag zunächst vielleicht fast absurd klingen. Allerdings vertritt niemand die Auffassung, der NS-Genozid an den Juden sei ohne Bezug auf Antisemitismus erklärbar. Kontrovers diskutiert wird vielmehr, ob Antisemitismus zur Erklärung ausreicht. Die Auseinandersetzung ähnelt darin dem Streit über Religion und Judenfeindschaft: Während manche Interpretationen von Judenhass dessen Ursprung in religiösen Faktoren besonders hervorheben, betonen andere mehr die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontexte. Ebenso werden bei der Erklärung des nationalsozialistischen Massenmords an den Juden entweder stärker die antisemitischen Überzeugungen der Täter unterstrichen oder eher die Kontexte in den Vordergrund gestellt, in deren Rahmen diese Überzeugungen zum größten Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts führen konnten.
a) Antisemitischer Masterplan oder „kumulative Radikalisierung“? Intentionalistische Interpretation
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Bis in die 1970er Jahre war eine Lesart des Massenmords an den Juden nahezu unumstritten, die diesen als konsequente Umsetzung der antisemitischen Ideologien führender Nationalsozialisten und vor allem Hitlers interpretierte. Als diese Interpretation später zunehmend in die Kritik geriet, wur-
5. Nationalsozialismus und Antisemitismus
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den ihre Vertreter als „Intentionalisten“ oder „Programmologen“ bezeichnet. Denn ihr Ausgangspunkt war, dass die nationalsozialistische Führung von vornherein mit der Intention und dem insgeheimen Programm angetreten sei, eine „Endlösung“ der „Judenfrage“ durch physische Vernichtung herbeizuführen. Als Beleg bot sich dafür etwa Hitlers während der zwanziger Jahre in Mein Kampf niedergeschriebene Äußerung an, wonach im Ersten Weltkrieg vielleicht einer Million Deutschen das Leben gerettet worden wäre, wenn man zu dessen Beginn zwölf- bis fünfzehntausend Juden „unter Giftgas gehalten“ hätte. Aus der Rückschau sah man auch in den häufigen Drohungen in Reden von NS-Größen, die Juden aus Deutschland zu „entfernen“ oder sie gar zu „vernichten“, Hinweise auf programmatische Kontinuität seit spätestens der frühen Weimarer Republik. Besonders zahlreiche Hitler-Biographen leisteten einer solchen intentionalistischen Interpretation Vorschub. Die Wurzeln antisemitischer Vernichtungspläne wurden von ihnen zum Teil schon in der Jugend des Diktators vor dem Ersten Weltkrieg ausgemacht. Ein „schnurgerader Weg“ schien jedenfalls von solchen Plänen zu den Gaskammern in Auschwitz zu führen (315, S. 13; 334). Diese Interpretation wird in zweifacher Hinsicht als problematisch angesehen. Erstens tendiert sie im Ergebnis dahin, die Verantwortung für den Massenmord allein auf Hitler und seine engsten Mitarbeiter, als „Architekten“ der „Endlösung“, zu begrenzen. Teilweise beriefen sich „Intentionalisten“ sogar direkt auf Aussagen von Angeklagten in NS-Prozessen, die zu ihrer Entlastung immer wieder betonten, sie hätten nur „von oben“ kommende Befehle ausgeführt (331). Zweitens müsste, wenn der nationalsozialistische Völkermord an den Juden das zielbewusst angestrebte Resultat eines lang gehegten Plans war, eigentlich ein konkreter Befehl zur Umsetzung des Plans in die Realität vorliegen. Wenigstens könnte man erwarten, dass sich ein bestimmter Zeitpunkt ausmachen ließe, an dem von Hitler selbst oder aus seiner unmittelbaren Umgebung heraus der Beginn des Massenmordens ausgelöst wurde. Doch weder das eine noch das andere ist der Fall. Ein schriftlicher Befehl Hitlers zur Ermordung der europäischen Juden ist bisher nicht gefunden worden, und mittlerweile wird auch allgemein angenommen, dass es ihn nicht gegeben hat. An Theorien über eine mündlich erteilte Anweisung des „Führers“ für den Beginn der „Endlösung“ herrscht dagegen kein Mangel. Die Datierungsvorschläge reichen allerdings vom Herbst 1939 bis zum Frühjahr 1942. Und eine Einigung auf ein Datum ist in der seit Jahrzehnten geführten Debatte darüber, wann der Entschluss zur Auslösung des Massenmords fiel, nicht in Sicht (vgl. 340, S. 29 – 32). Als die Politik des nationalsozialistischen Deutschland gegenüber den Juden Anfang der 1970er Jahre durch zwei historische Studien erstmals systematisch nachgezeichnet wurde, widersprachen die beiden Autoren Uwe Dietrich Adam und Karl Schleunes jedenfalls dem gängigen Bild eines „geraden Wegs“ in die Vernichtung. Schleunes gab seiner Arbeit sogar den Titel The twisted road to Auschwitz. Allerdings ging er wie auch Adam weiterhin davon aus, der Antisemitismus sei bestimmender Fixpunkt der nationalsozialistischen Bewegung gewesen. Den Zickzackkurs, den Hitler in der Judenpolitik während der dreißiger Jahre fuhr, führte Adam vor allem auf Widerstand der alten konservativen Eliten aus Verwaltung und Militär gegen ein gezielteres und radikaleres Vorgehen zurück (293; 364).
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Forschungsprobleme
III. Strukturalistische Interpretation
Die Begründung einer „strukturalistischen“ Gegenposition zur intentionalistischen Interpretation erfolgte um 1980 durch Martin Broszat und Hans Mommsen. Beide waren vorher bereits mit innovativen Überlegungen zur Struktur des nationalsozialistischen Herrschaftssystems hervorgetreten. Gegen das gängige Bild eines zentralisierten NS-Herrschaftsapparates mit Hitler als „starkem Diktator“ an der Spitze vertraten sie das Konzept einer nationalsozialistischen „Polykratie“: ein administratives Chaos von rivalisierenden Herrschaftsträgern, ermöglicht von einem zögerlichen oder das Durcheinander im Sinne eines „Teile und Herrsche“ sogar fördernden „Führer“. Im Kontext dieses Konzepts konstruierten Broszat und Mommsen nun eine Interpretation, die den Übergang von Diskriminierung und Vertreibung der Juden zum Massenmord mehr auf die institutionelle Rivalität zahlreicher Funktionäre als auf lang gehegte ideologische Zielvorstellungen eines einzigen oder einiger weniger zurückführte. Nach Martin Broszat markierte bis Sommer 1941 noch Vertreibung den äußersten Horizont nationalsozialistischer Judenpolitik. Das Bemühen von Gauleitern und Generalgouverneur im besetzten Polen, das eigene Gebiet möglichst schnell „judenrein“ zu machen, und deren Interaktion mit Berlin habe jedoch wesentlich dazu beigetragen, diese Grenze schließlich zu sprengen: „Die Judenvernichtung entstand, so scheint es, nicht nur aus vorgegebenem Vernichtungswillen, sondern auch als ,Ausweg aus einer Sackgasse, in die man sich selbst manövriert hatte. Einmal begonnen und institutionalisiert, erhielt die Liquidierungspraxis jedoch dominierendes Gewicht und führte schließlich faktisch zu einem umfassenden ,Programm .“ Jedenfalls sei „die physische Liquidierung der Juden nicht durch einen einmaligen Akt der Entscheidung“, sondern „vielmehr stück- und schubweise in Gang gesetzt“ worden (305, S. 752 f., 747). Hans Mommsen griff diese These auf und ergänzte sie um die griffige Formel der „kumulativen Radikalisierung“. Antijüdische Vorstöße aus verschiedenen Richtungen haben sich demnach wechselseitig radikalisiert beziehungsweise so lange angesammelt oder „kumuliert“, bis eine kritische Masse erreicht war, die den Sprung zur Vernichtungspolitik auslöste. Nicht nur Hitler und die engere NS-Führung, sondern auch große Gruppen von Funktionsträgern aller Art hätten wesentlich dazu beigetragen, dass die Judenpolitik des „Dritten Reiches“ schließlich zum schrankenlosen Massenmord eskalierte. Der Kreis der Verantwortlichen sei sehr weit zu ziehen. Nicht zuletzt treffe gerade auch die alten Eliten in Verwaltung und Armee ein beträchtliches Maß an Schuld (351). Die ideologischen Bedingungsfaktoren des Völkermords traten in diesen strukturalistischen Ansätzen gegenüber der intentionalistischen Interpretation vergleichsweise zurück. Stattdessen gewann in ihnen die Eigendynamik komplexer bürokratischer Systeme an Erklärungskraft. Kritiker der „Strukturalisten“ bescheinigten diesen deshalb zwar einen „schärferen und zugleich weiteren Blick auf die nationalsozialistische Massenvernichtungspolitik“, warfen ihnen aber auch selektive Wahrnehmung vor, die zu sehr von Menschen als historischen Akteuren abstrahiere: „Die Bedeutung rassistischer und gerade antisemitischer Ideologien für das Denken und Handeln großer Bevölkerungsgruppen wie für die spezifisch nationalsozialistischen Weltanschauungseliten blieben ihnen fremd. Der Prozess der Ingangsetzung des ,
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5. Nationalsozialismus und Antisemitismus Massenmords wirkte in dieser Sichtweise wie ein Automatismus ohne beteiligte Menschen, ohne Täter vor allem“ (328, S. 21). Seit den 1980er Jahren befassten Detailforschungen sich jedoch immer mehr mit einzelnen Gruppen von Tätern – und mit verschiedenen Gruppen von Opfern. Die Ausweitung der Perspektive auf Diskriminierung und Verfolgung nicht nur von Juden, sondern auch von „Zigeunern“, Behinderten, Homosexuellen, „Asozialen“, und Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern vor allem aus Osteuropa bereitete den Boden für eine neue Interpretation. Mit der These, der Massenmord an den europäischen Juden sei vor allem als Teil einer umfassenden technokratischen Sozialplanung zu verstehen, lösten Götz Aly und Susanne Heim Anfang der 1990er Jahre eine Kontroverse in Wissenschaftskreisen aus, die den alten Gegensatz zwischen „Intentionalisten“ und „Strukturalisten“ zumindest vorübergehend zurückdrängte. Heim und Aly rückten erstmals die Rolle von vermeintlich unpolitischen „Experten“ aus Universitäten, Wirtschaftsunternehmen und öffentlicher Verwaltung für die „Vernichtungspolitik“ in den Mittelpunkt der Forschungsdiskussion. Angetrieben von einem Denken in Kriterien wirtschaftlicher und bevölkerungspolitischer „Rationalität“, propagierten diese zunächst die Befreiung des deutschen Volks von „unnützen Essern“. Damit hätten sie entscheidenden Einfluss auf die mörderische nationalsozialistische Politik gegenüber Behinderten, Sinti und Roma, Homosexuellen und „Asozialen“ ausgeübt. Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde von den „Experten“ dann der Tod von mehr als 30 Millionen osteuropäischen „Ballastexistenzen“ geplant, um Raum für deutsche Siedler zu schaffen. Der Massenmord an den Juden sei nur ein Aspekt dieses Plans gewesen, „die Vernichtung der europäischen Juden der unter Kriegsbedingungen vorgezogene und am weitestgehenden realisierte Teil weit größerer Vernichtungspläne“ (295, S. 19). Die Thesen von Aly und Heim riefen ein ausgesprochen gemischtes Echo hervor. Dass mit Sozialplanern und anderen Experten eine weitere, bisher weitgehend unbeachtet gebliebene Tätergruppe in den Blickpunkt der Forschung rückte, wurde vielfach ebenso begrüßt wie der Hinweis auf andere Opfergruppen. Starke und zum Teil heftige Kritik entzündete sich aber an der Betonung ökonomischer Motive für die nationalsozialistischen Massenmorde – insbesondere für den Mord an den Juden. Dieser sei vielmehr volkswirtschaftlich völlig unsinnig gewesen. In einzelnen Fällen wiesen Kritiker nach, wie Deportationen nach Auschwitz unter gewaltigem Kostenaufwand gegen alle ökonomische Vernunft durchgeführt wurden, mithin also nur ideologisch verursacht gewesen sein könnten. Allenfalls seien die tatsächlichen antisemitischen Motive nachträglich durch wirtschaftliche Begründungen oberflächlich rationalisiert worden (311; 321). Götz Aly hat in einer späteren Veröffentlichung seine Thesen modifiziert und sich dabei an die strukturalistische Interpretation angenähert. Danach waren weniger die monströsen Pläne der Technokraten zur Bevölkerungsverschiebung in Osteuropa direkte Ursache des Massenmords an den Juden als gerade ihr Scheitern. Ausgangspunkt sei die 1939 begonnene Umsiedlung der „Volksdeutschen“ aus Osteuropa in die dem Deutschen Reich angegliederten Teile Polens gewesen. Um Platz für die Umsiedler zu schaffen, wurden Polen und insbesondere Juden aus diesen Gebieten nach Osten vertrieben. Dadurch sei eine Kettenreaktion ausgelöst worden: Weil kein national-
III. Judenmord als Teil umfassender technokratischer Sozialplanung?
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Forschungsprobleme
III.
Fortdauernde Kontroversen und Ansätze zur Synthese
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sozialistischer Funktionsträger die Vertriebenen in seinem Herrschaftsgebiet aufnehmen wollte, habe die von Broszat und Mommsen beschriebene, systembedingte Radikalisierung begonnen und schließlich im Massenmord geendet (297). Diese gut dokumentierte Darstellung des Zusammenhangs von allgemeiner Vertreibungspolitik und Genese des Genozids an den Juden erfuhr eine etwas positivere Aufnahme als die früheren von Aly mit Susanne Heim veröffentlichten Thesen. Allerdings wurden erneut Bedenken angesichts eines Herunterspielens antisemitischer Motive der Täter geäußert. Denn vor allem Juden wurden deportiert, um Platz für die „volksdeutschen“ Umsiedler zu machen. Und, wie Ulrich Herbert betont hat (328, S. 27), „allein gegenüber den Juden verwandelte sich das Scheitern der Deportationspläne in die Praxis des Genozids – also gegenüber eben jener Gruppe, die in der politischen Ideologie des Nationalsozialismus als schärfster Feind gebrandmarkt worden war und die seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland innerhalb weniger Jahre massiv verfolgt und entrechtet wurde. Welche Rolle also spielte hierbei der Antisemitismus?“ Seit Mitte der 1990er Jahre treibt diese Frage die Historiker zwar weiter um und ist weiterhin Anlass für kontroverse Diskussionen. Zunehmend deutlich werden aber Ansätze zu einer Synthese, die intentionalistische und strukturalistische Positionen integriert und auch die Anregungen von Götz Aly und Susanne Heim berücksichtigt. Dieses Bemühen zeichnet vor allem die zahlreichen neueren Publikationen von Christopher Browning aus, der ursprünglich von einer intentionalistischen Interpretation ausging (307; 308; vgl. auch 328, S. 9 – 66). Tatsächlich erscheinen die kontroversen Positionen prinzipiell durchaus miteinander vereinbar. Auch wenn in den pointierten Darstellungen von Aly, Broszat und Mommsen rassenideologische Faktoren in den Hintergrund traten: Kein „Strukturalist“ hat jemals bestritten, dass Antisemitismus die Grundlage des nationalsozialistischen Massenmords an den europäischen Juden war. Und wohl kaum ein „Intentionalist“ würde mittlerweile noch die Geschichte des Massenmords allein als Resultat antisemitischer Ideologie interpretieren wollen. Etwas anachronistisch wirkt daher der neo-intentionalistische Ansatz, den Saul Friedländer in seiner neueren monumentalen Gesamtdarstellung über Das Dritte Reich und die Juden verfolgt. Friedländer erklärt einen deutschen „Erlösungsantisemitismus“ zum Motor der Verfolgung bis hin zum Genozid und blendet nichtideologische Kontexte weitgehend aus. Seine Arbeit ist hoch gelobt worden für die Leistung, die Geschichte der Verfolgung in beeindruckender Vielstimmigkeit aus der Opferperspektive zu erzählen. Für die Ursachenforschung bedeutet die Studie dagegen keine Perspektiverweiterung, zumal es sich bei dem sie prägenden Neo-Intentionalismus vor allem um ein stilistisches Mittel handelt. So dient die Konstruktion einer zentral geplanten und kontrollierten, einheitlichen Verfolgungspolitik hauptsächlich als kompositorische Klammer, mit der die auseinanderstrebende Vielfalt der Opfergeschichten zusammengehalten wird (316). In neueren Regionalstudien dominiert dagegen, vielleicht mit beeinflusst durch die Natur der Quellen, die gegenläufige Tendenz. Das Ende des Kalten Krieges und der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa zu Beginn der 1990er Jahre haben die Erschließung von früher schwer oder gar nicht
5. Nationalsozialismus und Antisemitismus
III.
zugänglichen Archivbeständen dort ermöglicht. Die auf der Basis solch neuer Quellen entstandenen Forschungsarbeiten zur nationalsozialistischen Judenpolitik in Polen und auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion neigen, bei allen Unterschieden im Detail, eher zu einer Bestätigung strukturalistischer Positionen. Den Handlungsspielräumen und der Initiative von NS-Funktionsträgern vor Ort wird in ihnen beträchtliche Bedeutung zuerkannt. Das mag mit dem sich in den Quellen spiegelnden Geltungsbedürfnis der betreffenden Nationalsozialisten ebenso zusammenhängen wie mit dem der sie zum Studienobjekt machenden Historiker. Allerdings betonen alle diese Arbeiten auch die Virulenz des Antisemitismus unter den Amtsträgern vor Ort. Nicht vorrangig Opportunismus oder materielle Motive, wie in manchen früheren strukturalistischen Interpretationen vermutet, motivierten demnach die nationalsozialistischen Funktionseliten, sondern rassenideologischer Fanatismus (294; 317; 328; 353; 357; 358; 363). Wenn demnach nicht nur Hitler und seine direkte Umgebung in der Berliner Zentrale, sondern auch die regionalen deutschen Zivil-, Militär- und Polizeiverwaltungen im Osten primär von antisemitischen Überzeugungen angetrieben wurden, wirken die Gegensätze zwischen intentionalistischen und strukturalistischen Erklärungsmustern weitgehend konstruiert. Denn Ideologie und systembedingte „kumulative Radikalisierung“ erscheinen dann definitiv nicht mehr als konkurrierende, sondern als komplementäre Interpretationen.
b) Willige oder unwillige Vollstrecker? Offen bleibt allerdings die Frage, wie weit Antisemitismus im Nationalsozialismus nicht nur die nationalen und regionalen Befehlshaber, sondern auch die deren Befehle ausführenden Menschen, die eigentlichen „Vollstrecker“ des Massenmords an den Juden, erfüllt hat. Diese Frage ist verblüffenderweise bis in die 1990er Jahre kaum gestellt, geschweige denn systematisch zu beantworten versucht worden. Das Versäumnis war vor allem eine Folge davon, dass die historische Forschung sich lange auf den fabrikmäßig organisierten Mord in den Vernichtungslagern konzentriert hat. In diesen Mordfabriken waren nicht nur relativ wenige Menschen beschäftigt – jeweils einige Hundert pro Lager. Deren Tätigkeit war auch stark arbeitsteilig organisiert, mit der Vergasung der Opfer nur ein ganz kleiner Teil direkt beschäftigt. Seit der Pionierstudie von Raul Hilberg über die Vernichtung der europäischen Juden (329) ist deshalb lange davon ausgegangen worden, dass die Fragmentierung des Tötungsprozesses auch eine Fragmentierung der Verantwortung bewirkte. Weil die einzelnen Täter nicht mit einzelnen Opfern direkt konfrontiert worden seien, habe sich ihnen die Frage individueller Verantwortung für die Taten kaum gestellt. Übersehen wurde dabei allerdings, dass ein großer Teil der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus nicht in den Vernichtungslagern ums Leben kam. Schätzungsweise etwa 40 Prozent, mehr als zwei Millionen Menschen, wurden vielmehr erschossen. Die Täter kamen hier also in mehr oder weniger direkte Konfrontation mit ihren Opfern. Die meisten dieser Taten fanden 1941/42 im besetzten Gebiet der Sowjetunion statt, vor Inbetriebnahme der
Fragmentierung der Verantwortung?
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Forschungsprobleme
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Die „GoldhagenDebatte“
Gaskammern; aber auch danach hat es noch zahlreiche Erschießungen gegeben. Viele der Tötungen „auf freiem Feld“ gingen auf das Konto der speziell zu diesem Zweck zusammengestellten, nur etwa 3000 Mann zählenden Einsatzgruppen, die sich überwiegend aus fanatisch antisemitischen Nationalsozialisten zusammensetzten (342). Zahlreiche andere militärische oder paramilitärische deutsche Verbände waren aber direkt oder indirekt ebenfalls daran beteiligt. Die Zahl derjenigen Deutschen, die als Täter oder unmittelbar Tatbeteiligte in Erschießungen von Juden involviert war, wird mittlerweile auf insgesamt einige Hunderttausend geschätzt (360). Am besten erforscht davon sind die Angehörigen der Ersatzpolizeibataillone (Überblick: 309). Dabei handelte es sich um Männer, die zwar wehrpflichtig, für den Einsatz an der Front aber bereits zu alt waren. Sie stammten aus allen sozialen Schichten und Milieus, bildeten also in dieser Hinsicht einen repräsentativen Querschnitt der männlichen deutschen Bevölkerung. Das Durchschnittsalter der Mannschaften in den meisten Ersatzpolizeibataillone lag um die 40 Jahre, unter 30-jährige gab es kaum. Fast alle diese Männer waren deshalb während ihrer Schulzeit noch nicht im nationalsozialistischen Sinn indoktriniert worden. Und auch die „weltanschauliche Schulung“ während ihrer Dienstzeit hatte sie, im Gegensatz zu den Angehörigen der Einsatzgruppen und der SS (348), kaum konkret darauf vorbereitet, Juden zu erschießen (306, S. 231 – 241). Besonders gut ist die Quellenlage für das Ersatzpolizeibataillon 101, dessen Einsätze in der Gegend von Lublin nach dem Krieg Gegenstand eines Prozesses waren. Vor allem die damals durchgeführten Zeugenbefragungen wurden in den 1990er Jahren die Grundlage für eine heftige Kontroverse um die Motive der Beteiligung „normaler“ deutscher Männer am Massenmord an den europäischen Juden. Größte öffentliche Aufmerksamkeit erregte dabei ein ursprünglich als politikwissenschaftliche Doktorarbeit entstandenes Buch von Daniel Goldhagen mit dem Titel Hitlers willige Vollstrecker. Goldhagen nutzte vor allem Quellenmaterial über das Ersatzpolizeibataillon 101, um seine These zu untermauern. Dieser These zufolge war es allein ein auf Vernichtung abzielender Judenhass, der „vor und während der NS-Zeit das in Deutschland herrschende Bild ,des Juden prägte und das Motiv lieferte, die Juden zu verfolgen und diese, wenn es verlangt wurde, auch zu ermorden“. Dieser „bösartig-eliminatorische Antisemitismus“ sei nicht nur von fanatischen Nationalsozialisten, sondern auch „von der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes geteilt“ worden. Hitlers Herrschaft, so Goldhagen, habe lediglich die Möglichkeit zum Ausleben des allgemeinen Vernichtungswillens gegeben. „Nicht wirtschaftliche Not, nicht die Zwangsmittel eines totalitären Staates, nicht sozialpsychologisch wirksamer Druck, nicht unveränderliche psychologische Neigungen, sondern die Vorstellungen, die in Deutschland seit Jahrzehnten über Juden herrschten, brachten ganz normale Deutsche dazu, unbewaffnete, hilflose jüdische Männer, Frauen und Kinder zu Tausenden systematisch und ohne Erbarmen zu töten“ (319, S. 8, 10, 22). Historiker in Nordamerika, Europa und Israel waren sich in der Ablehnung dieser These weitgehend einig. Goldhagens Studie, urteilte ein Experte harsch, sei „einfach nur ein schlechtes Buch“ (364a, S. 187). Wohlwollendere Kritiker aus Historikerkreisen bescheinigten Goldhagen, mit der Frage nach den Motiven „ganz normaler Deutscher“ für die Beteiligung am Mas,
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5. Nationalsozialismus und Antisemitismus senmord immerhin ein wichtiges und zu wenig berücksichtigtes Thema angeschnitten zu haben. Seine Antworten seien allerdings holzschnittartig und unzulässig vereinfachend. Die meisten Fachleute attestierten dem Buch schwere methodische Mängel: Die Quellen würden darin nur einseitig interpretiert, und auch sonst genüge die Studie fachwissenschaftlichen Standards nicht. Zudem falle die These hinter den erreichten Forschungsstand zurück. Sie erkläre die Entwicklungs- und Radikalisierungsprozesse im Ablauf der nationalsozialistischen Judenverfolgung nicht. Ebenso wenig berücksichtige Goldhagen hinreichend den Zusammenhang, in dem der Massenmord an den Juden mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gegenüber anderen Opfergruppen wie Behinderten, „Zigeunern“ und russischen Kriegsgefangenen stehe (326; 328; 359; 364a). Das öffentliche Echo auf Goldhagens Buch war besonders in den USA und Deutschland dagegen vielfach positiv. Besprechungen in auflagenstarken Zeitungen lobten die These, und das Buch wurde selbst zum Bestseller. Beobachter glaubten erkennen zu können, dass Goldhagen besonders unter jüngeren Deutschen viele Anhänger gefunden habe (328, S. 10 f; 338, S. 381 – 391). Neben einem geschickten Marketing wird die unterschiedliche Aufnahme in Öffentlichkeit und Fachwissenschaft auf ein Bündel von drei Ursachen zurückgeführt. Erstens war Goldhagens Interpretation des Massenmords an den Juden verführerisch einfach. Die Fachwissenschaftler bevorzugten stattdessen wesentlich komplexere Erklärungen, die eben aus diesem Grund für die Öffentlichkeit weniger attraktiv erschienen, wenn sie überhaupt wahrgenommen wurden. Zweitens sprach Goldhagen die Gefühle seiner Leser an. Seine detaillierten, zu Mitgefühl mit den Opfern aufrufenden Schilderungen von deren Leiden kontrastierten stark mit der distanzierten, analytisch-kühlen Sprache der meisten Experten. Auch deshalb bot schließlich drittens eine Zustimmung zu dem Buch wohl die subjektive Sicherheit, in der Diskussion über ein unweigerlich mit den polaren Kategorien von Gut und Böse behaftetes Thema auf der „richtigen“ Seite zu stehen. Und das galt umso mehr, als der Autor in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe den Nachkommen der Täter dafür eine goldene Brücke baute, indem er betonte, dass nach 1945 hierzulande an die Stelle von Antisemitismus neue demokratische Werte getreten seien (319, S. 12 f.). Drei Jahre vor der Veröffentlichung von Goldhagens Buch war die Beteiligung der Männer des Reservepolizeibataillons 101 am Judenmord bereits in einer Studie von Christopher Browning thematisiert worden – auf wesentlich differenziertere Weise und vermutlich eben deswegen mit einem Echo, das sich nur wenig über Fachkreise hinaus erstreckte. Auch Browning ging von der Prämisse aus, dass eine solche Analyse Erkenntnisse über das Verhalten „ganz normaler Männer“ bei der Judenverfolgung in Aussicht stellte. Anders als Goldhagen erkannte er in der Mannschaft des Bataillons jedoch keine einheitliche, ausschließlich von Antisemitismus angetriebene Masse. Vielmehr ließen sich seiner Analyse nach drei in ihrem Verhalten deutlich unterscheidbare Gruppen ausmachen. Eine kleine Minderheit verweigerte sich aus ethisch-moralischen Gründen der Teilnahme am Morden. Eine weitere Minderheit beteiligte sich dagegen gerne und meldete sich auch freiwillig zur „Judenjagd“. Weil diese Minderheit im Lauf der Zeit größer wurde, schloss Browning darauf, dass Brutalisierungs- und Abstumpfungsprozesse
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Christopher Brownings Thesen
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Forschungsprobleme
III.
Die Debatte um die „WehrmachtsAusstellung“
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auch eine Rolle spielten. Die Mehrheit machte bei Erschießungen mit, wurde aber selbst nicht initiativ. Dieses Verhalten glaubte Browning am besten durch die Wirkung von kriegsbedingtem Lagerdenken, Autoritätsfixierung und einem durch das Ideal „harter Männlichkeit“ geprägten Gruppendruck erklären zu können (306). Brownings vorsichtig formulierte Interpretation, die das Verhalten der Männer des Reservepolizeibataillons 101 aus einer komplexen Gemengelage von ideologischen und situativen Faktoren erklärte, fand anders als Goldhagens Buch in Fachkreisen eine sehr positive Aufnahme. Auf die Frage nach den individuellen Motiven der NS-Täter sei sie ein „echter Durchbruch“ zu einer Antwort, urteilte etwa Dieter Pohl in einem Aufsatz, der den Forschungsstand nach der Goldhagen-Debatte zusammenfasste. Um darüber hinausführende Erkenntnisfortschritte zu erzielen, bieten sich nach Pohl eher vergleichende Analysen als Goldhagens Konstruktion nationaler Klischees an. So dürften sich die von rumänischen Gendarmen „ohne jede deutsche Anleitung“ oder baltischen Einheiten „weitgehend autonom“ an Juden durchgeführten Massenmorde vom Verhalten deutscher Polizeibataillone kaum unterscheiden. Noch wichtiger sei aber der Vergleich des Verhaltens derselben deutschen Täter gegenüber jüdischen und anderen Opfern (359, S. 13, 29, 45). Das Verhalten „normaler“ deutscher Männer in einem rassistischen „Vernichtungskrieg“ gegenüber ganz verschiedenen Gruppen von tatsächlichen oder vermeintlichen Gegnern thematisierte fast zur selben Zeit wie die Goldhagen-Kontroverse eine große öffentliche Debatte um die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Auslöser war 1995 eine Wanderausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht. Der Eindruck, dass mit diesem Titel pauschal „die“ Wehrmacht mit allen ihren über 15 Millionen Mitgliedern als verbrecherisch gebrandmarkt werden sollte, provozierte heftige Kritik an der Ausstellung, die gleichwohl oder vielleicht gerade deshalb Scharen von Besuchern anzog. Tatsächlich vertrat der für das Ausstellungskonzept mitverantwortlich zeichnende Hannes Heer in öffentlichen Diskussionen wiederholt die Ansicht, die Mehrheit der deutschen Wehrmachtssoldaten sei während des Zweiten Weltkriegs an Verbrechen beteiligt gewesen. Die Fotos, aus denen die Ausstellung zu großen Teilen bestand, suggerierten dasselbe (325; 366). Umso mehr fühlten die Kritiker sich bestätigt, als herausgefunden wurde, dass einige der ausgestellten Bilder gar keine Opfer deutscher Kriegs- oder NS-Verbrechen, sondern solche des sowjetischen Geheimdienstes zeigten (354; 367). Die Ausstellung wurde daraufhin zurückgezogen und vollständig überarbeitet – nun allerdings ohne Mitwirkung von Hannes Heer (368). Dennoch blieben viele Fragen offen. Waren 60 bis 80 Prozent der Wehrmachtsangehörigen an Verbrechen beteiligt, wie Heer behauptete, oder unter 5 Prozent, wie ein Mitarbeiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte schätzt (324, S. 12)? Welche Haltung nahmen welche Teile der Wehrmacht zu den verschiedenen Aspekten des „Vernichtungskrieges“ ein – sei es gegen Juden, „Partisanen“, osteuropäischen Zivilisten oder russischen Kriegsgefangenen? Für die Führung der Wehrmacht und die Gruppe der Befehlshaber hatten bereits frühere Forschungen dazu Aufschlüsse geliefert – wenn diese auch
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von der Öffentlichkeit wie üblich kaum wahrgenommen worden waren, wohl wegen ihres differenzierenden Charakters, der sich einfachen und eindeutigen Urteilen versperrte. Danach waren unter der militärischen Elite Antisemitismus, Antikommunismus und Antislavismus weit verbreitet. Die meisten ihrer Angehörigen akzeptierten den „Vernichtungskrieg“, der vor allem hinter der Front geführt wurde, und arbeiteten den Einsatzgruppen vielfach zu. Nur wenige Offiziere verweigerten sich einer solchen Kooperation. Auf dem Balkan beteiligten sich Heereseinheiten aktiv am Judenmord; in der besetzten Sowjetunion neigten sie dazu, vor allem Juden rücksichtslos als „Partisanen“ zu etikettieren. Allerdings scheint das Feindbild des kommunistischen „Kommissars“ noch stärker gewesen zu sein, auch wenn es hier Überschneidungen mit antisemitischen Feindbildern gab. Noch umstrittener ist, wieweit die Wehrmachtseliten zum Tod von gut drei Millionen russischen Kriegsgefangenen aktiv beigetragen haben (324, S. 29 – 68; 342; 352). Während also über die Judenfeindschaft des Großteils der Wehrmachtseliten seit langem kein Zweifel besteht, der Vergleich mit anderen Opfern des „Vernichtungskriegs“ aber bisher problematisch blieb, so ist für den deutschen militärischen Widerstand gegen Hitler selbst schon das Verhältnis zum Antisemitismus kontrovers. Die Frage nach der Einstellung der Widerständler zu Juden hat seit den 1980er Jahren den Stoff für eine Dauerkontroverse geliefert. Auf der einen Seite betont Christof Dipper, viele Angehörige des Widerstands hätten zwar den mörderischen Antisemitismus der Nationalsozialisten abgelehnt, aber doch eine „Judenfrage“ gesehen, die sie mit einer Aussiedlung der Juden aus Deutschland lösen wollten. Dagegen insistiert Peter Hoffmann, dass moralische Empörung über die nationalsozialistische Judenverfolgung und Mitgefühl mit ihren Opfern ein wichtiger und oft der entscheidende Anlass für den Weg in den Widerstand gewesen sei (312; 333). Ein vergleichender Blick auf die Einstellung der Widerständler zu anderen Opfergruppen, der eine genauere Gewichtung des Stellenwerts von Antisemitismus oder seiner Ablehnung als Motiv erlauben könnte, blieb in dieser Debatte jedoch bislang fast völlig außen vor. Wie sieht es mit der Haltung der einfachen Soldaten aus? Zwei Wege sind seit den 1990er Jahren beschritten worden, um darüber Aufschlüsse zu erhalten. Zum einen wurden Feldpostbriefe ausgewertet. Durch einem Vergleich solcher Briefe deutscher Soldaten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg hat Klaus Latzel herausgearbeitet, dass sich die Wahrnehmung der Ostfront zwischen beiden Kriegen wandelte. Im Ersten Weltkrieg erschienen die Bewohner Osteuropas den deutschen Soldaten als von Dreck und Ungeziefer umgeben. Im Zweiten Weltkrieg übertrug sich diese negative Bewertung von der Umgebung der Menschen auf die Menschen selbst: Polen, Russen und Juden im Osten lebten in der Wahrnehmung der deutschen Landser nun nicht nur im Dreck, sondern erschienen selbst als der „Dreck“ und das „Ungeziefer“. Dass Juden in dieser menschenverachtenden Sichtweise eine besondere Stellung zukäme, erkennt Latzel allerdings nicht. Tatsächlich wird die Realität des „Vernichtungskriegs“ in Feldpostbriefen kaum thematisiert (345). Einen anderen Weg der Analyse geht etwa Christoph Rass, der den Vormarsch einer Infanteriedivision in der Sowjetunion 1941 zu rekonstruieren versucht hat. Die Division war an einer ganzen Reihe von mehr oder weniger kaum durch das Kriegsrecht gedeckten Tötungen von angeblichen „Partisa-
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nen“ beteiligt. Allerdings machten Juden – neben versprengten russischen Soldaten, echten oder vermeintlichen kommunistischen Parteifunktionären und nichtjüdischen Zivilisten – nur einen Teil dieser Opfer aus. Christian Hartmann hat zudem darauf hingewiesen, dass angesichts der relativ geringen Opferzahl in dem Beispielfall selbst „bei einer Täter-Opfer-Relation von 1:1 nur ein Bruchteil dieser Division (nämlich 1,5%) an diesem Verbrechen beteiligt“ gewesen sein kann. Der „Vernichtungskrieg“, so seine These, habe sich größtenteils im Rücken der Front zugetragen, und damit auch im Rücken des größten Teils der Wehrmacht (324, S. 69 – 90). Wenn das zutrifft, wäre die Untersuchung der Frage nach Antisemitismus als Motiv des Handelns einfacher Soldaten der Wehrmacht schon deshalb ausgesprochen schwierig, weil die meisten dieser Soldaten einen Mangel an Gelegenheit zur Verfolgung und Ermordung von Juden gehabt hätten. Der im Vergleich zur Wehrmachtselite gravierende Mangel an Quellen macht die Suche nach Antworten jedenfalls nicht eben leichter. Zudem fällt es bei über fünfzehn Millionen Untersuchungsobjekten in diesem Fall noch schwieriger als sonst, ein eindeutiges Urteil zu fällen. Gegenüber der auf subjektive Belege gestützten Extremthese von Hannes Heer, nach der die Masse der Wehrmachtssoldaten auch am Morden von Juden teil hatte (325, S. 55 – 77), halten die Autoren systematisch vorgehender Studien sich mit Aussagen ganz zurück oder betonen wie Dieter Pohl, angesichts der Quellenlage sei nicht zu entscheiden, ob die von Heer angeführten Einzelfälle repräsentativen Charakter beanspruchen können. Wie Rass geht Pohl aber davon aus, dass Soldaten die ihnen gegebenen Handlungsspielräume ganz verschieden ausgefüllt haben (358, S. 73; 324, S. 86 – 88).
c) Passive Zuschauer oder stille Teilhaber?
Wahlverhalten vor 1933
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Erscheinen eindeutige Aussagen über Verbreitung und Ausmaß von Judenfeindschaft unter den gut fünfzehn Millionen Wehrmachtsangehörigen schon kaum möglich, so gilt das für die mehr als dreimal so große Gruppe der übrigen nichtjüdischen Deutschen erst recht. Auch hier lassen zudem Quellenprobleme viel Raum für Spekulationen. Ob die Mehrheit der „Arier“ in Deutschland passiver Zuschauer oder stiller Teilhaber der Judenverfolgung war, wieweit sie die nationalsozialistische Politik ablehnte oder guthieß, ist deshalb seit langem in der historischen Forschung Gegenstand heftiger Kontroversen. Repräsentative Umfragen, wie sie in Großbritannien und den USA schon seit den 1930er Jahren durchgeführt wurden, gibt es dazu für den mitteleuropäischen Raum erst ab 1945 (320, S. 197 – 206; 335; 362). „Harte“ zeitgenössische Daten liefern deshalb nur die Wahlergebnisse vor 1933. Die NSDAP erlebte in der Spätphase der Weimarer Republik einen rasanten Aufstieg von einer unbedeutenden Splitterpartei zur stärksten Fraktion im Reichstag. Bei der Reichstagswahl vom Sommer 1932 gaben rund 37 Prozent der Deutschen ihre Stimme den Nationalsozialisten. Welche Rolle Judenfeindschaft für diese Wahlentscheidung spielte, ist freilich nicht leicht einzuschätzen. Weil die Funktionäre der NSDAP, wie empirische Studien zeigten, überwiegend radikale Antisemiten waren (336; 349), wurde im Analogieschluss bis
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in die 1980er Jahre meist vermutet, dass die Wähler der Partei ebenfalls stark durch Antisemitismus motiviert gewesen seien (8, S. 211 f.; 22, S. 139 f.; 25). Es gab dazu aber frühzeitig auch skeptische Stimmen (101, S. 277). Diese Skepsis erschien bestätigt, als die nationale und regionale Wahlpropaganda der Nationalsozialisten detailliert untersucht wurde. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse von Studien darüber kam 1990 zu dem Schluss, eher Antikommunismus als Antisemitismus habe in den Wahlkämpfen der NSDAP im Mittelpunkt gestanden. Gerade in den Jahren zwischen 1929 und 1933, als die Partei ihren Durchbruch in der Wählergunst erzielte, sei Judenfeindschaft als Agitationsinstrument von ihr eher zurückgestellt worden (327; vgl. 320, S. 67 – 71; 339, S. 283 f.). Dieser Befund wurde auch durch eine Auswertung der nationalsozialistischen Bildpropaganda bestätigt (356, S. 236 – 239). In der ersten Jahreshälfte 1932 rief der Völkische Beobachter vor allem zum Kampf gegen Bolschewismus und Arbeitslosigkeit auf. Nach dem großen Erfolg bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 traten vor den Wahlen im November dann wieder die antisemitischen Elemente in den Vordergrund der Propaganda des zentralen NS-Parteiorgans. Doch diese Wahl endete mit Stimmen- und Mandatsverlusten (350, S. 239 f.). Allerdings betonen neuere Studien die Vielschichtigkeit nationalsozialistischer Wahlpropaganda. Zum einen wird argumentiert, dass an der lokalen Basis Antisemitismus ein durchgängiges Element von NS-Agitation gewesen sei. Auch wenn Hitler und andere Nazigrößen sich seit 1930 judenfeindliche Ausfälle öfter verkniffen hätten, könne das für die alltägliche Agitation vor Ort nicht gelten (238, S. 182 f.; vgl. auch 290, S. 415 – 422). Zum anderen sei Antisemitismus letzten Endes in der NS-Rhetorik auch ohne explizite Erwähnung von Juden oder „jüdischem Einfluss“ immer mit enthalten gewesen. Vor einem nicht-nationalsozialistischen Publikum habe Hitler so zwar nur etwa den „Marxismus“ oder das „Weimarer System“ angegriffen. Aber er „ließ seine eingeweihten Anhänger antisemitische Momente allein durch einige Schlüsselbegriffe des nationalsozialistischen ,double speak assoziieren: ,Vergiftung und Zersetzung eines Volkskörpers , ,Zins- und Leihkapital , ,Schieber und Wucherer […] Erst mit dem Vorverständnis der Nationalsozialisten, das entscheidend durch langjährige, antisemitische Propaganda geprägt war, war die antisemitische Bedeutung des Textes wahrzunehmen. Dieser ,kryptische Antisemitismus wurde ein wichtiges Element für Hitlers Reden und die Artikel im Kampfblatt Völkischer Beobachter“. Die Frage ist dann jedoch, warum eine solche „rhetorische Verschleierung nationalsozialistischer Politik und Forderungen zur Gewinnung neuer Anhänger“ (350, S. 237 f.) überhaupt nötig war, wenn nicht ein Problem darin lag, dass diesen potentiellen neuen Anhängern rabiater Antisemitismus wenig zusagte. Die Wirkung der durchaus komplexen NS-Propaganda abzuschätzen, ist letzten Endes das zentrale Problem. Es ist zwar mittlerweile ziemlich gut bekannt, wer Hitler wählte – aber warum das geschah, darüber wissen wir nach wie vor kaum etwas Genaues. Nach dem neuesten Forschungsstand war die NSDAP eine „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“ (314). Doch was diesem Bauch die größten Magenschmerzen bereitete, welche Motive im Dunkel der Wahlkabine für das Setzen eines Kreuzchens bei Hitlers Namen den Ausschlag gaben, darüber sind aus zeitgenössischen Quellen kaum verallgemeinerbare Aussagen zu gewinnen. Orientiert man sich an repräsentati,
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Reaktionen auf Judenverfolgung
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ven Umfragen, die nach 1945 durchgeführt wurden, spielte Judenfeindschaft als wichtigstes Motiv für Sympathien mit dem Nationalsozialismus nur bei sehr wenigen Deutschen eine Rolle. Die große Mehrheit der Befragten nannte dafür stattdessen ökonomische Motive (335, S. 337 – 345). Freilich ist nicht auszuschließen, dass die Ergebnisse solcher Befragungen, obwohl sie anonym erfolgen, durch eine Tabuisierung von Antisemitismus nach 1945 verzerrt sind. Und auch wenn Judenfeindschaft bei den meisten NSDAPWählern nicht der zentrale Beweggrund für ihre Wahlentscheidung war, so konnte doch kaum einer von ihnen in Unkenntnis davon sein, dass es sich um eine Partei mit antisemitischen Zielen handelte. Das hat ein gutes Drittel der Deutschen jedenfalls nicht davon abgehalten, Hitler ihre Stimme zu geben. Zwischen 1933 und 1945 wurden Wahlen zur Farce. Bei dem Versuch, die Einstellung der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung zur Judenverfolgung zu rekonstruieren, sind Historiker dennoch nicht allein auf vereinzelte Impressionen angewiesen, die naturgemäß ein mosaikhaftes Bild liefern. Denn das nationalsozialistische Regime ließ die „Volksstimmung“ systematisch erschnüffeln. Besonders der Sicherheitsdienst im Reichssicherheitshauptamt fertigte eine Vielzahl von Stimmungsberichten an. Ergänzt werden diese SDBerichte und andere Produkte der Überwachungswut des Regimes für die 1930er Jahre von Berichten sozialdemokratischer Vertrauensmänner, die der Vorstand der SPD im Exil (SOPADE) sammelte (304; 310). Der Wert dieser Quellen wird verschieden beurteilt. Die in ihnen enthaltenen Informationen über die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Juden und Judenverfolgung sind zweifellos vielfach gefiltert. Nicht allein erfolgten Äußerungen und Verhalten der meisten Menschen im öffentlichen und halböffentlichen Raum des terroristischen NS-Überwachungsstaates mit äußerster Vorsicht und Anpassung an Erwartungshaltungen. Die Berichterstatter filterten die sie erreichenden Informationen auch entsprechend ihren jeweiligen Erkenntnisinteressen – und denen ihrer Auftraggeber. Vielfalt und Komplexität von in der Bevölkerung vorhandenen Einstellungen wurden so schon in der zeitgenössischen Interpretation oft vereindeutigt, Ambivalenzen weniger berücksichtigt. Repräsentanten wie Gegner des NS-Regimes waren primär an der Ermittlung von entweder Zustimmung oder Ablehnung zur nationalsozialistischen Judenpolitik interessiert, und sie werteten diese als politische Akzeptanz oder Opposition zum System, statt als das Ergebnis einer Gemengelage individueller Motive und kultureller Traditionen. Das hat dazu beigetragen, dass die neben anderen Quellen nicht zuletzt auf das Berichtewesen aufbauende historische Forschung (300; 301; 302; 308a; 313; 320; 346) zwar weitgehend einig ist über zentrale Elemente der „Volksstimmung“ zur Judenverfolgung, aber nicht über die Interpretation dieser Stimmung. Weitgehende Einigkeit besteht demnach darüber, dass die Pogrome, im nationalsozialistischen Deutschland eine immer wiederkehrende Erscheinung mit Höhepunkten 1933, 1935 und 1938, von einer großen Mehrheit der Bevölkerung kritisch gesehen wurden. Selbst NSDAP-Mitglieder und erklärte Antisemiten lehnten gewaltsame Ausschreitungen gegenüber Juden ab. Die zeitgenössischen Begründungen dafür waren vielfältig. Mit der Vernichtung materieller Werte wurde ebenso argumentiert wie mit der Notwendigkeit, auf die Stimmung im Ausland Rücksicht zu nehmen. Mit dem ebenfalls ge-
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brachten Argument, antisemitische Gewalt sei „unzivilisiert“ und werde etablierte Umgangsformen verletzen, verband sich die weit verbreitete Furcht, dass Pogrome zum Präzedenzfall für Gewalt auch gegen andere Gruppen werden könnten. Wieweit Kritik nicht nur durch solche pragmatischen Argumente, sondern auch prinzipiell motiviert war, erscheint angesichts der Kriminalisierung von ethisch-moralischer Grundsatzopposition durch das Regime kaum ergründbar. Während antisemitische Gewalt weithin auf Ablehnung in der deutschen Bevölkerung stieß, wurde mit „legalen“ Mitteln durchgeführte Diskriminierung und Entrechtung von Juden größtenteils akzeptiert und häufig auch begrüßt. Die Entlassung der jüdischen Beamten 1933 fand ebenso weite Zustimmung wie die in den nächsten Jahren folgende erzwungene Verdrängung von jüdischen Anwälten, Ärzten und so weiter aus ihren Berufen. Dabei war das positive Echo zwar bei solchen Nichtjuden am stärksten, die von der Verdrängung jüdischer Konkurrenten direkt profitierten, beschränkte sich aber keineswegs auf diese. Auch die Nürnberger „Rassegesetze“ von 1935, die Heiraten und sexuelle Kontakte zwischen Juden und „Ariern“ verbot, wurden von nichtjüdischen Deutschen meist positiv aufgenommen. Bis 1939 sprudeln die Quellen über Reaktionen von Nichtjuden auf die antisemitische Politik des NS-Regimes ziemlich lebhaft. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs versiegen jedoch viele von ihnen, und die Informationen zur „Volksstimmung“ über die Behandlung der „Judenfrage“ werden dürftiger. Das gilt etwa für die 1942 einsetzenden Deportationen der Juden. Die nach Kriegsende und zum Teil bis heute in der Öffentlichkeit vielfach vorgebrachte Behauptung, diese hätten sich „bei Nacht und Nebel“ vollzogen, und die Juden seien plötzlich „einfach weg“ gewesen, kann aber als von der Forschung klar widerlegt gelten. Richtig ist wohl, dass wenig darüber gesprochen wurde. Wenn das geschah, scheinen die gewaltsamen Begleitumstände der Deportationen eher Anlass zu Kritik gegeben haben. Andererseits gibt es aber auch Hinweise darauf, dass das „Verschwinden“ der Juden mehr oder weniger offen begrüßt wurde – nicht zuletzt weil sie ihre Wohnungen, Möbel und andere Güter zurücklassen mussten, deren Attraktivität die zur selben Zeit in vielen Städten massiv einsetzenden Schäden durch Bombenangriffe noch steigerten. Begehrlichkeiten aus der Bevölkerung und deren Manipulation durch das Regime scheinen hier, wie vorher bereits bei der erzwungenen „Arisierung“ jüdischen Besitzes, gleichermaßen eine Rolle gespielt zu haben. Was wussten die nichtjüdischen Deutschen schließlich von dem Massenmord gigantischen Ausmaßes, der an den Deportierten in Osteuropa verübt wurde? Vor allem ab den 1980er Jahren ist in populären und wissenschaftlichen Werken gegen die früher weit verbreitete These vom allgemeinen Unwissen über den NS-Genozid an den Juden angeschrieben worden (344; 371). Seit den 1990er Jahren hatten sich dabei zumindest in der wissenschaftlichen Diskussion konträre Positionen, nach dem entweder alle alles oder nichts wussten, weitgehend überlebt. Thematisiert wurde nun vielmehr die wesentlich differenziertere Frage, über welche Aspekte des Massenmords an den Juden die nichtjüdischen Deutschen informiert sein konnten, und wie viel sie darüber wissen wollten. Der quantifizierende Befund verschiedener nach 1945 durchgeführter repräsentativer Umfragen, nach denen etwa ein
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Antisemitische Gewalt und NS-„Volksgemeinschaft“
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Drittel vor Kriegsende von diesem Genozid wussten, ist insofern an sich nur wenig hilfreich (335, S. 361 – 386; 362). Neuere Studien betonen deshalb vor allem, dass viele nichtjüdische Deutsche es vorzogen, den Kopf in den Sand zu stecken und von den zahlreichen Möglichkeiten, sich über das Schicksal der Juden im Osten zu informieren, absichtlich keinen Gebrauch machten. Als das NS-Regime seit 1943 offenbar absichtlich Nachrichten über die „Endlösung“ durchsickern ließ, um mit der unterschwelligen Drohung vor furchtbarer Rache des „Weltjudentums“ für den Fall der Niederlage im Krieg den schwindenden Durchhaltewillen der Bevölkerung wiederzubeleben, scheint diese die damit unterstellte Mitwisser- und Komplizenschaft mental weithin abgewehrt zu haben (301; 335; 346; 362). Auch das sagt freilich nicht notwendigerweise etwas über die Einstellung der Deutschen zum Massenmord an sich aus. Der Mangel an aussagefähigen und verallgemeinerbaren Quellen dazu hat zwei verschiedene Interpretationen provoziert. Ian Kershaw sieht in Schweigen und demonstrativem Desinteresse primär einen Ausdruck von Indifferenz. Während eine kleine Minderheit den Massenmord an den Juden begrüßt und eine ebenso kleine Minderheit ihn entschieden verurteilt habe, sei die große Mehrheit der Deutschen dem jüdischen Schicksal gegenüber gleichgültig geblieben (337). Otto Dov Kulka interpretiert das Schweigen der Mehrheit stattdessen als stille Zustimmung zur mörderischen Politik des Regimes. Die Masse der Deutschen habe sich weniger als passive Zuschauer denn als stille Teilhaber des Massenmords an den Juden verhalten (343). Angesichts der Schwierigkeit, diese Kontroverse auf Grundlage der für die Kriegszeit extrem dürftigen Quellenlage zu einer befriedigenden Auflösung zu bringen, wenden sich neueste Arbeiten auch wieder verstärkt den Jahren vor 1939 zu. Von Frank Bajohr ist die Tendenz der bisherigen Forschung auf die zugespitzte Formel gebracht worden, dass ein „antijüdischer Konsens“ in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung bestand, der sein Ende dort fand, wo es um die von der Mehrheit abgelehnte Ausübung antisemitischer Gewalt ging (300). Dagegen hat Michael Wildt neuerdings gerade den Zusammenhang zwischen antisemitischer Gewalt und der Konstruktion einer nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ betont. Während Analysen von Reaktionen der Bevölkerung auf Pogrome bislang insbesondere Quellen aus größeren Städten heranzogen, untersucht Wildt ausschließlich Gewalt gegen Juden in der „Provinz“. Auf breiter empirischer Basis, die unter anderem auch Berichte im Archiv des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ umfasst, kommt er zu dem Schluss, Antisemitismus sei „das wesentliche politische Instrument zur Zerstörung des Staatsvolkes und zur Herstellung der Volksgemeinschaft“ gewesen. In Dörfern und Kleinstädten habe sich letzten Endes fast jeder Nichtjude auch bereitwillig in diese Gemeinschaft eingereiht, wobei er sich an Gewalt gegen Juden beteiligte oder sie wohlwollend akzeptierte. „In den Gewaltaktionen realisierte sich das nationalsozialistische Volk als politischer Souverän, stellte sich die Ordnung einer rassistischen Volksgemeinschaft her und konnte jeder Teilnehmer Partizipation und Macht erfahren“ (370, S. 361, 374). Diese These steht im eklatanten Widerspruch zum Forschungsstand. Drei Aspekte stechen dabei besonders ins Auge. Erstens ist Gewalt bisher als ein Bestandteil der Verfolgungspolitik gesehen worden, der nicht nur von Partei-
5. Nationalsozialismus und Antisemitismus mitgliedern ausging, sondern im Großen und Ganzen auch auf sie beschränkt blieb. Neuerdings wird zwar argumentiert, dass antisemitische Gewalt für mehr als „alte Kämpfer“ und besonders radikal antijüdische Segmente in der Partei von zentraler Bedeutung war. Sie habe vielmehr dazu gedient, die Millionen neuer Mitglieder, die seit 1933 die Parteiorganisation aufschwemmten, zu mobilisieren und integrieren. Gewalt gegen Juden wäre demnach eher ein Instrument zur Schaffung von NS-Parteigemeinschaft statt Volksgemeinschaft gewesen (355). Zweitens stellt sich die Frage, ob die vorhandenen Quellen tatsächlich den Schluss zulassen, dass in den von Wildt untersuchten Dörfern und Kleinstädten alle Bewohner an antisemitischer Gewalt beteiligt waren oder ihr zustimmten. In einigen Fällen, wie dem des fränkischen Ortes Treuchtlingen, kann er zeigen, wie Gewalttäter sich in zunehmendem Maß aus anderen als Parteikreisen rekrutierten (369). Bei bestimmten Gelegenheiten, etwa öffentlicher Zurschaustellung und Misshandlung von jüdischen „Rasseschändern“, war in der Tat häufig nahezu das ganze Dorf anwesend. Aber muss man deshalb auch davon ausgehen, dass alle Anwesenden die Ausübung von antisemitischer Gewalt unterstützten? Wildt betont selbst, seine Quellen zeigten „die Ambivalenz von Gewaltsituationen, deren Logik durch Zivilcourage und unerschrockenes Eingreifen durchaus Einhalt geboten beziehungsweise unterbrochen werden konnte“. Weist das auf das Vorhandensein von Opposition hin, so kommt sein prozessorientiertes Erklärungsmodell einer Eskalation der Gewalt durch Verrücken von Grenzen des Machbaren, in deren Verlauf Gelegenheiten „ergriffen werden oder nicht“, nicht ohne eine Polarität zwischen Aktivismus und Passivität aus (370, S. 373 f.). Wie repräsentativ können schließlich drittens die von Wildt untersuchten Fälle sein? Das Beispiel Treuchtlingen liegt in Franken, das sich durch starke antisemitische Traditionen und einen beispiellos rabiaten Judenhasser als Gauleiter von anderen Regionen abhob. Und generell war in der ländlichen Provinz, wie eine frühere Studie von Christhard Hoffmann aufgezeigt hat, antisemitische Gewalt am stärksten ausgeprägt. Denn Juden waren dort eher persönlich bekannt und somit einfacher als Ziel von Angriffen stigmatisierbar als in der vergleichsweisen Anonymität größerer Städte (332). In kleineren Gemeinden ließ sich auch die Anwesenheit bei Akten ritualisierter öffentlicher Gewaltausübung, wie der Anprangerung von „Rasseschändern“, leichter kontrollieren. Wenn deshalb auf dem Land relativ höhere Konformität gezeigt wurde, muss daraus freilich nicht unbedingt auf innere Überzeugungen geschlossen werden. Zudem ist nicht nur in Großstädten nach 1933 Ablehnung und Indifferenz gegenüber antisemitischer Gewalt belegt. So ist Ulrich Baumann für badische Landgemeinden zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bevölkerung dort gegenüber der nationalsozialistischen Judenpolitik passiv blieb, weil NS-Antisemitismus und traditionelle Formen von ländlicher Judenfeindschaft zu sehr voneinander differierten (212). Ähnlich hat Olaf Blaschke die Einstellung der katholischen Bevölkerung zu den Pogromen von 1938 als „ambivalent“ und „autistisch“ gekennzeichnet (303). Der Sinn einer differenzierten Betrachtung wird auch nahegelegt von den Erkenntnissen über die „Arisierung“. Über diese erzwungene Enteignung von jüdischem Besitz ist die Zahl der wissenschaftlichen Studien, die meist lokale Beispielfälle behandeln, seit den späten 1990er Jahren geradezu explodiert.
III.
„Arisierung“
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Forschungsprobleme
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Protest in der Rosenstraße 1943
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Eine der ersten und besten Arbeiten dazu ist die Untersuchung von Frank Bajohr über Hamburg. Bajohr hat idealtypisch drei verschiedene Verhaltensweisen der Käufer jüdischer Geschäfte identifiziert. Eine Gruppe nutzte die Notlage der Verkäufer aus. Eine andere Gruppe bereicherte sich nicht nur besonders rücksichtslos auf Kosten der Juden, sondern trieb auch durch eigene Initiativen die „Arisierung“ aktiv voran. Eine dritte Gruppe schließlich, die zu großen Teilen aus Mitgliedern der Handelskammer-Elite und älteren Unternehmern bestand, setzte der „Arisierung“ zunächst im politischen Bereich hinhaltenden Widerstand entgegen. Als es dann doch zum Ausverkauf der jüdischen Geschäfte kam, griffen auch ihre Angehörigen zu, erstatteten den verkaufenden Juden aber häufig die Differenz zwischen verordneten Schleuderpreisen und tatsächlichem Wert der Betriebe unter der Hand, oder ließen ihnen heimlich Wertsachen oder Pensionen zukommen. Denken in traditionellen Moralbegriffen einer unternehmerischen Ehre spielten für das Handeln dieser letzten Gruppe ebenso eine Rolle wie persönliche Verbundenheit alten jüdischen Geschäftsfreunden gegenüber (298; 299). Traditionelle Moralvorstellungen und persönliche Verbundenheit mit jüdischen Opfern motivierten auch den einzigen Massenprotest gegen die Judenverfolgung während des Nationalsozialismus: die Demonstrationen in der Berliner Rosenstraße 1943, zu denen die Verhaftung von Männern aus „arisch-jüdischen Mischehen“ den Anlass gab. Daniel Goldhagen hat die Vielzahl von Fällen hervorgehoben, in denen Deutsche gegen die Politik des nationalsozialistischen Regimes protestierten, nicht selten auch mit Erfolg (319, S. 448). So gab es in katholischen Regionen wiederholt erfolgreiche Massenproteste gegen kirchenpolitische Maßnahmen wie die Abnahme von Kruzifixen in Schulen, die sich mit traditionellen christlichen Vorstellungen nicht vereinen ließen. 1941 bewirkte Opposition gegen die Ermordung von Behinderten das wenigstens offizielle Ende dieser „Euthanasie“-Kampagne. Dabei spielte auch persönliche Verbundenheit eine wichtige Rolle, ging die Kritik neben den Kirchen doch nicht zuletzt von Verwandten der Opfer aus. Die Proteste in der Rosenstraße erwähnt Goldhagen nicht, lassen sie sich doch schlecht mit seiner These vereinen, nach der alle Deutschen von einem abgrundtiefen „eliminatorischen“ Antisemitismus erfüllt gewesen seien. Dabei sind zumindest die Motive dieser Proteste denen gegen die „Euthanasie“ und die Abnahme der Kruzifixe vergleichbar. Die ausführlichste wissenschaftliche Darstellung der Proteste in der Rosenstraße stammt von dem amerikanischen Historiker Nathan Stoltzfus (365). Stoltzfus charakterisiert sie etwas pathetisch als einen Widerstand des Herzens und ordnet sie in die Geschichte der „Mischehen“ während des Nationalsozialismus ein. Denn die meisten der Protestierenden in der Rosenstraße waren „arische“ Frauen von Männern jüdischer Abstammung, dazu deren Kinder, Verwandte oder Freunde. Diese Frauen hatten die ihnen seit 1933/35 immer wieder nahegelegte Aufhebung ihrer Ehe abgelehnt. Statt sich einer neuen, rassistisch motivierten Moral anzupassen, hielten sie an der traditionellen Unauflöslichkeit der Ehe und der persönlichen Verbundenheit mit ihren Männern fest. Als die Männer 1943 verhaftet wurden, wagten sie schließlich sogar offenen Protest. Dieser habe, so Stoltzfus, das Regime von einer ursprünglichen Absicht zur Deportation der Männer in die Vernichtungslager abgebracht, weil Propagandaminister Goebbels von einem An-
5. Nationalsozialismus und Antisemitismus
III.
dauern des Protests negative Rückwirkungen auf die Stimmung in der Bevölkerung der Reichshauptstadt befürchtete. Gegen Stoltzfus Darstellung der Reaktion der Nationalsozialisten auf den Protest regte sich allerdings Widerspruch. Bezeichnenderweise wurde dieser erst in der Öffentlichkeit thematisiert, als ein Film über die Ereignisse in der Rosenstraße in die Kinos kam, der selbst eine eigene Kontroverse über die Grenzen künstlerischer Freiheit im Umgang mit historischen Fakten heraufbeschwor. Gegen Stoltzfus Thesen über Goebbels Haltung, die auf nur sehr dünner und fragwürdiger Quellenbasis beruhte, argumentierte Wolf Gruner auf wesentlich breiterer Grundlage, die Juden aus „Mischehen“ seien gar nicht mit dem Ziel ihrer Deportation nach Auschwitz verhaftet worden. Stattdessen hätten die Nationalsozialisten sie zum Ersatz von Personal der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland vorgesehen, das dann deportiert wurde. Stoltzfus akzeptierte Gruners Beweisführung stillschweigend. Entscheidend seien allerdings, betonte er, das Faktum des Protests und dessen Implikationen für die Beurteilung des Verhältnisses nichtjüdischer Deutscher zu Juden und antisemitischer Politik während des Nationalsozialismus. Von anderer Seite wurde in der Diskussion auch darauf hingewiesen, dass allein die zwischen 5 000 und 6 000 Juden, die versteckt das Kriegsende in Berlin überlebten, dafür auf Unterstützung von etwa 70 000 bis 80 000 nichtjüdischen Helfern angewiesen waren (322; 341; 347). So beeindruckend diese Zahl auf den ersten Blick allerdings sein mag: Auch das war nur eine Minderheit der Einwohner in der Millionenstadt Berlin. Keine Mehrheit unterminierte durch solche Solidarität mit verfolgten Juden aktiv die antisemitische Politik der Nationalsozialisten. Andererseits spricht allein der Umstand, dass es in großer Zahl zu engen persönlichen Beziehungen zwischen Deutschen jüdischer Abstammung und Nichtjuden kommen konnte, und dass diese engen Beziehungen auch unter starkem äußeren Druck meist erhalten blieben, gegen die Annahme eines umfassenden radikalen Antisemitismus, der zur Grundlage aktiver Unterstützung oder wohlwollender Akzeptanz dieser Politik durch die Allgemeinheit werden konnte. Nach wie vor dürfte deshalb Ulrich Herberts Schlussfolgerung Bestand haben, nach der es für die Hinnahme der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik eines „weitgreifenden ideologischen Fanatismus, einer Massenhysterie, eines ,nationalen Projekts gar nicht bedurfte. Das verbreitete Desinteresse, der ausgeprägte Mangel an einem Wertekanon, in welchem der Schutz von Minderheiten als zentrale ethische Norm einer zivilisierten Gesellschaft angesehen wurde, Gleichgültigkeit, Abstumpfung und Verdrängung erwiesen sich hierbei vielmehr als völlig ausreichend“ (328, S. 64 f.). Zur Entschuldigung oder Verharmlosung eignet sich die Annahme einer solchen passiven Indifferenz nicht, ermöglichte sie doch erst die Radikalisierung antisemitischer Politik bis hin zum Völkermord (370, S. 374; 290, S. 436; 318). „In gewisser Weise ist dieser Befund der eskalierenden Gleichgültigkeit als Kennzeichen des Verhältnisses der deutschen Gesellschaft zur nationalsozialistischen Vernichtungspolitik viel alarmierender, als wenn wir eine durch und durch antisemitische, haßerfüllte Bevölkerung erkennen könnten, für die die Politik gegenüber den Juden im Mittelpunkt ihrer Erwartungen und Forderungen stand. Denn die Einhegung der Voraussetzungen für den Genozid auf den deutschen Sonderfall, auf die historische Einmaligkeit ,
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Forschungsprobleme
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der deutschen Wahnvorstellungen gegenüber den Juden hat ja auch etwas Beruhigendes; erscheint doch auf diese Weise Völkermord in Zukunft ausgeschlossen, solange nur sichergestellt ist, dass dieser deutsche Wahn entweder unterdrückt wird oder, wie jüngst postuliert wurde, in den Nachkriegsjahren ganz verschwunden ist. Wenn aber nicht so sehr ein aktives, ideologisch motiviertes, fanatisches Verhalten, ein kollektiver Mordwille die Haltung der deutschen Gesellschaft in ihrer Breite prägten, sondern Gleichgültigkeit, Desinteresse und ein eklatantes Defizit an moralisch fundierten Normen, dann verweist der Völkermord eben nicht nur auf jene historisch einmalige Situation und jene spezifische deutsche Gesellschaft der 30er und 40er Jahre, sondern wird auf eine beklemmende Weise aktuell und brisant – nicht nur, aber eben vor allem hier in Deutschland“ (328, S. 65).
6. Antisemitismus nach 1945 a) Rückgang
Schubweiser Wandel
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Im Winter 1945/46 wartete ein junger amerikanischer Soldat jüdischer Herkunft in Mitteleuropa auf seine Demobilisierung. Sowohl durch seine berufliche Tätigkeit für die US-Militärregierung in Deutschland wie auch privat wurde er immer wieder konfrontiert mit den abstrusesten antisemitischen Vorstellungen in Wort und Schrift: „Sehr viele Menschen – und zwar keineswegs Geisteskranke oder Analphabeten – waren überzeugt, eine jüdische Geheimorganisation lenke alle Vorgänge auf politischem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet, vom kleinsten diplomatischen Schritt bis zu Krisen, Revolutionen und Kriegen.“ Als er eine Generation später, im Jahr 1967, ein Buch über den Mythos der jüdischen Weltverschwörung veröffentlichte, schrieb er in seinem Vorwort dazu: „Heute ist all das fast vergessen; zumindest in Europa trifft man selten einen Menschen unter vierzig Jahren, der von diesen seltsamen Ideen je etwas gehört hat“ (18, S. 11, 14). Auch wenn das vielleicht eine allzu optimistische Sicht gewesen sein mag, ist doch kaum umstritten, dass es nach 1945 in Europa einen Rückgang vieler traditioneller Erscheinungsformen von Antisemitismus gegeben hat. In der Öffentlichkeit wurden judenfeindliche Äußerungen zunehmend tabuisiert und skandalisiert. Demoskopische Untersuchungen verzeichneten ein Nachlassen klassischer antisemitischer Stereotype. Das Ausmaß antisemitischer Gewalt ging stark zurück. Das Leben von Juden in Europa wurde wesentlich sicherer, als es während der 1930er und 1940er Jahre gewesen war. Diese Veränderungen erfolgten weniger auf einen Schlag als vielmehr schubweise – wobei die Bedeutung der einzelnen Schübe durchaus verschieden beurteilt wird. Mit der totalen Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland 1945 wurde die volle Wahrheit über den Massenmord an den Juden offenbar, die vielfach noch bis kurz vor Kriegsende vorhandenen Zweifel auch auf Seiten der siegreichen Alliierten daran beseitigt. Die Sieger machten die in ihre Hände gelangten Informationen publik. Allerdings geschah das mit unterschiedlichem Nachdruck. Und obwohl die unge-
6. Antisemitismus nach 1945
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schminkte Wahrheit über den Genozid vielfach eine entsetzte Abkehr von früher gepflegter Judenfeindschaft bewirkte, trafen die Informationen nicht immer auf offene Ohren. Als die wegen ihrer jüdischen Herkunft vor den Nationalsozialisten aus Deutschland geflohene Hannah Arendt 1950 die frühere Heimat erstmals wieder besuchte, berichtete sie in den USA, viele Deutsche hielten die Ermordung der Juden nach wie vor für ein Stück amerikanischer Propaganda (404, S. 32). Jüdischen Opfern, die ihre Heimat und alle Angehörigen verloren hatten, schlug als „Displaced Persons“ im Deutschland der späten 1940er Jahre vielfach Antipathie und offener Hass entgegen (392; 407; 408). In Polen kam es gegen die Überlebenden der nationalsozialistischen Mordmaschinerie gleichzeitig oft zu gewaltsamen Ausschreitungen. Zwischen Kriegsende und 1948 wurden hier wenigstens 600, wenn nicht Tausende Juden getötet. In der Forschung wird diskutiert, wie dabei vor 1939 bereits bestehende Traditionen des Antisemitismus zusammenwirkten mit Brutalisierungsprozessen durch die deutsche Besatzung im Krieg und danach einsetzenden innenpolitischen Machtkämpfen zwischen Kommunisten und Antikommunisten (205; 385; 397; 398; 411). Im Polen der späten 1940er Jahre war Judenhass wohl wenigstens auch ein Nachbeben der Erschütterungen des Krieges. In Großbritannien und den USA, die von diesen Erschütterungen weniger berührt gewesen waren, gab es dagegen zunächst eine starke Kontinuität sozialer und kultureller Praktiken der Diskriminierung von Juden. Bis mindestens in die fünfziger Jahre hinein beschränkten etwa Privatschulen und Colleges dort die Aufnahme jüdischer Schüler und Studenten. Inszenierungen von Theaterstücken wie Shakespeares Kaufmann von Venedig transportierten bei der Interpretation jüdischer Bühnenfiguren ungerührt traditionelle antisemitische Klischees weiter (134; 404, S. 105; 116). In den späten 1950er und erst recht in den 1960er Jahren erfolgte jedoch ein Bruch mit diesen Kontinuitäten. Wie in den angelsächsischen Ländern wurde Antisemitismus vor allem im Westen des europäischen Kontinents gesellschaftlich mehr und mehr geächtet. In der Bundesrepublik Deutschland kam es nun zu einer massiven Skandalisierung antisemitischer Äußerungen, die in den ersten Nachkriegsjahren kaum jemand beanstandet hatte. Das Verständnis dessen, was als unerträglich judenfeindlich galt, wurde immer umfassender, die Skandalisierungsschwelle beständig niedriger (374). Die vom Allensbacher Institut für Demoskopie in seltener Hartnäckigkeit seit den frühen 1950er Jahren gestellte Frage, ob es für Deutschland besser sei, „keine Juden im Land zu haben“, beantworteten im Trend immer weniger Befragte mit Ja, immer mehr dagegen mit Nein (376, S. 58). Zu einem weiteren Schub kam es während der 1980er Jahre. Die amerikanische Fernsehserie Holocaust rückte den Massenmord an den Juden „ins Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“. In Deutschland, aber auch anderswo, wie etwa in Frankreich, bildeten sich Ansätze zu einem neuen Verständnis nationaler Identität aus, das die eigene Verstrickung in den nationalsozialistischen Genozid zu einem, wenn nicht sogar dem wichtigsten Bezugspunkt macht. Antisemitische Äußerungen schienen dermaßen tabuisiert, dass sie nur noch vergleichsweise selten Anlass zur Skandalisierung boten. Stattdessen wurde nun die Frage einer angemessenen Erinnerung an die Judenverfolgung zum Gegenstand von öffentli-
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Forschungsprobleme
III.
Erklärungen: Soziale, politische und wirtschaftliche Struktur
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chen Kontroversen und Skandalen. Am Ende des Jahrzehnts ermittelten eine ganze Reihe von unabhängigen demoskopischen Untersuchungen übereinstimmend, der Anteil der antisemitisch eingestellten Deutschen liege bei etwa 15 Prozent. Das war nicht nur wesentlich weniger, als alle zwischen 1945 und den 1970er Jahren durchgeführten Umfragen ermittelt hatten. Der Anteil der als „antisemitisch“ Eingestuften lag Ende der 1980er Jahre auch umso niedriger, je jünger die Befragten waren. Überspitzt ausgedrückt schien es, als ob Antisemitismus in Deutschland dabei war auszusterben (375; 376, S. 63 – 65). Von den Wissenschaftlern, die aus solchen demoskopischen Daten und öffentlichen Diskursen auf einen allgemeinen Rückgang des Antisemitismus speziell in Deutschland schließen, werden mehrere Erklärungen für dieses Phänomen angeboten. So weisen sie etwa auf strukturelle Unterschiede zwischen der Gesellschaft der ersten und der zweiten deutschen Republik hin. In der Bundesrepublik Deutschland hätten bestimmte Faktoren gefehlt, die in der Weimarer Republik einen virulenten Antisemitismus begünstigten. So sei die alte Elite aus großgrundbesitzendem Adel in Militär und Bürokratie, die sich 1933 als Steigbügelhalter Hitlers betätigte, im Krieg untergegangen und damit ein Hauptträger des Judenhasses in der Gesellschaft ausgefallen. Ebenso habe Vertreibung, Ermordung oder Auswanderung der meisten deutschen Juden dem Antisemitismus Zielscheibe und Feindbild genommen. Durch den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, in der die meisten der Juden bereits seit langem tätig waren, hätte sich zudem die soziale und wirtschaftliche Distanz zwischen nichtjüdischer Mehrheit und verbliebener jüdischer Minderheit nivelliert (410). Strukturelle Unterschiede werden aber auch in den politischen Rahmenbedingungen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ausgemacht. So sei die „deutsche Frage“ im geteilten Deutschland gänzlich anders definiert worden als in Kaiserreich und Weimarer Republik, wo sie sich seit Treitschke und dem „Berliner Antisemitismusstreit“ mit einer vermeintlichen „jüdischen Frage“ verbunden habe. Ebenso habe das Judentum nicht mehr als Sündenbock herhalten müssen für die „soziale Frage“, also die Gegensätze zwischen Arbeit und Kapital oder Landwirtschaft und Industrie, die in der Bundesrepublik kaum noch existierten (415). Schließlich lässt sich noch auf die verschiedenen wirtschaftlichen Startbedingungen hinweisen: Wo die Weimarer Republik von einer Krise in die andere schlitterte, erfreute sich die Bundesrepublik nach ihrer Gründung eines lang anhaltenden „Wirtschaftswunders“, das die Suche nach einem Sündenbock für ökonomische Krisen überflüssig machte. Alle diese auf strukturelle Unterschiede der Zeit vor und nach 1945 in Deutschland abhebenden Erklärungsansätze können nach Belieben als sich ergänzend oder miteinander konkurrierend gesehen werden. Gemeinsam ist ihnen jedenfalls, so hat Anthony Kauders zu Recht kritisch vermerkt, dass sie sich wie alle weit reichenden Interpretationen kaum für eine empirische Überprüfung operationalisieren lassen (392, S. 275). Das gilt umso mehr, als der Ersatz des Historikers für das Experiment, der – internationale – Vergleich, in diesem Fall kaum verwertbare Ergebnisse in Aussicht stellt: Ist doch schon die Rolle Deutschlands für den Völkermord an den Juden mit der anderer Länder absolut unvergleichbar, erschwert die disparate Quellen- und Forschungslage über Antise-
6. Antisemitismus nach 1945 mitismus nach 1945, wie in den Ausführungen über die Indikatoren von dessen schubweisem Rückgang oben bereits angedeutet, einen systematischen länderübergreifenden Vergleich erst recht. Wo sich Historiker auf das Wagnis zumindest einer komparativen Skizze eingelassen haben, ist denn auch das Resultat kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Vignetten über Aspekte von Judenfeindschaft in einzelnen Nationalstaaten (58; 107; 413). Ein Großteil der Forschung hat sich dagegen auf Deutschland konzentriert. Dass hier das Ausmaß des in demoskopischen Untersuchungen Ende der 1980er Jahre ermittelten Antisemitismus umso mehr abnahm, je jünger die Befragten waren, hat Interpretationen provoziert, die den diagnostizierten Rückgang von Judenfeindschaft in der Bundesrepublik Deutschland auf Generationswechsel zurückführen. Statt aus sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen, die für Antisemitismus nach 1945 ein ungünstigeres Biotop als davor bedingt hätten, wird dessen Rückgang in diesen Interpretationen aus der Verbreitung anderer kultureller Konzepte von Gesellschaft erklärt. An die Stelle der Betonung des Austauschs von Strukturen tritt dabei die von langwierigen Wandlungsprozessen (376, S. 79). Angesichts des belegbar schubweisen Charakters der Entwicklung hat eine solche Erklärung manches für sich. Welche Generation vor allem Veränderungen im Umgang der Westdeutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit angestoßen hat, darüber wird in Wissenschaft und Öffentlichkeit intensiv gestritten. Für die einen ist die „Flakhelfergeneration“ der „1945er“ eigentlicher Motor des Wandels. Demnach war es die Elite der am Kriegsende völlig desillusionierten um 1930 Geborenen, die nach ihrem Studium beim Eintritt ins Berufsleben Ende der 1950er Jahre eine pluralistische demokratische Kultur aufgebaut hat. Für die anderen gilt dagegen die Entstehung einer Kultur, in der auch Gleichberechtigung von Minderheiten wie den Juden als selbstverständlich akzeptiert wurde, als das Verdienst der „1968er“: Erst 1968 habe sich die Bundesrepublik zu einer liberalen Demokratie entwickelt. Beide Hypothesen sind von Anthony Kauders in einer Lokalstudie über die Einstellung zu Juden in München zwischen 1945 und 1965 empirisch geprüft und verworfen worden (392, S. 276 f.). Signifikanter Wandel, so Kauders, habe in München bereits in den 1950er Jahren eingesetzt – zu früh also für die „1968er“, um glaubhaft einen Anteil daran zu reklamieren. Aber auch die „1945er“ kämen wohl kaum als Motoren des Wandels in Frage, beurteilten Münchner Juden die Vertreter dieser Generation in der Studentenschaft doch als „reaktionär“ und von nationalsozialistischen Gedanken erfüllt. Wenn überhaupt eine Generation, so habe die der bereits vor 1933 in Politik und Öffentlichkeit Tätigen am meisten zum Bruch mit der traditionellen Praxis beigetragen, aus der Existenz jüdischer Mitbürger eine „Judenfrage“ zu konstruieren. Zudem sei der Wille zur bedingungslosen Akzeptanz von Juden in der städtischen Gesellschaft mehr von der Zugehörigkeit zu Parteien als zu Generationen abhängig gewesen. Gegenüber der Suche nach Ursachen und Trägern betont Kauders daher den Prozess des Wandels der politischen Kultur, den er letzten Endes in Veränderungen der Ethik begründet sieht. Zwischen 1945 und der Mitte der 1950er Jahre habe unter nichtjüdischen Münchnern ein weitgehender Konsens darüber geherrscht, individuelle Schuldzuschreibungen für nationalso-
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Erklärungen: Generationswechsel und kulturelle Prozesse
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Forschungsprobleme
III.
zialistische Verbrechen zu akzeptieren, aber ein Prinzip kollektiver Schuld abzuwehren. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre hätten dann jedoch Politiker und Kirchenvertreter begonnen, sich zu einer Akzeptanz kollektiver Verantwortung durchzuringen. Mit „1968“ sei dieser zunächst auf einer moralischen Ebene geführte Diskurs über kollektive Verantwortung schließlich politisiert worden. Den entscheidenden Schritt zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und zum Bruch mit der antisemitischen Tradition einer Ausgrenzung von Juden habe aber die Zäsur der späten 1950er Jahre bedeutet (392, S. 277 – 280).
b) Formenwandel
Sekundärer Antisemitismus
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Anthony Kauders sieht in dem von ihm beschriebenen Wandlungsprozess einen tatsächlichen Rückgang von antisemitischen Einstellungen. Darin stimmt er mit dem durch viele Arbeiten über Judenfeindschaft nach 1945 hervorgetretenen Werner Bergmann überein. Manche Forscher sehen das jedoch anders: Sie betrachten die Entwicklung tendenziell eher als Formenwandel von Antisemitismus infolge der Tabuisierung seiner klassischen Ausdrucksformen. Dabei wird zwar weniger bestritten, dass es einen Rückgang von direkten Angriffen auf Juden in öffentlichen Diskursen gegeben hat, oder dass die Zustimmung zu manchen klassisch antisemitischen Stereotypen in Umfragen tatsächlich gesunken ist. Antisemitismus habe aber, so der Kern der Kritik, neue Ausdrucksformen angenommen. Angesichts dieses Formenwandels, bei dem nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt worden sei, erscheine es fraglich, ob seine Bedeutung tatsächlich seit 1945 zurückgegangen ist. Eine völlig neue Form von Judenfeindschaft ist der so genannte sekundäre Antisemitismus. „Sekundär“ ist dieser Antisemitismus deshalb, weil er sich nicht mehr direkt gegen die Juden als primäres Ziel richtet. Weil die Konstruktion einer „Judenfrage“ als Angriff auf Juden nach 1945 tabuisiert worden ist, richtet sich die Energie von Antisemiten stattdessen gegen das Tabu und den dadurch gesetzten Rahmen für einen gesellschaftlich akzeptierten Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Antisemitismus kommt nach dem Völkermord an den europäischen Juden nicht darum herum, auf diesen zu reagieren (405, S. 161 – 165; 375, S. 231 – 273). Das pauschale Vorurteil, „die Juden“ nützten die Erinnerung an den NSGenozid aus, um sich damit Vorteile und Privilegien zu verschaffen, ist ein typischer Bestandteil des sekundären Antisemitismus. Da entsprechende Äußerungen in der Öffentlichkeit jedoch unter das gesellschaftliche Tabu fallen, müssen Antisemiten sich hier darauf konzentrieren, den diesem zugrunde liegenden Konsens über die Bewertung des Völkermords in Frage zu stellen. Das kann durch Bagatellisierung geschehen oder durch Relativierung – etwa in Form von Vergleichen mit der Sowjetunion unter Stalin, dem Schicksal der amerikanischen Ureinwohner und der Behandlung von Palästinensern durch Israelis. Die Leugnung des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden ist der radikalste Ausdruck von sekundärem Antisemitismus. Henryk Broder hat ihn mit ätzendem Sarkasmus, aber durchaus treffend als den Unwillen bezeichnet, „den Juden Auschwitz zu verzeihen“ (16).
6. Antisemitismus nach 1945 Zweifellos ist sekundärer Antisemitismus ein neues, zusätzliches Element judenfeindlicher Ideologie. Andererseits weist seine Existenz darauf hin, dass deren Vertreter in die Defensive geraten sind. Statt sich wie Antisemiten vor 1945 darauf konzentrieren zu können, Juden anzugreifen, sind sie beständig gezwungen, sich gegen Vorwürfe wegen „Auschwitz“ zu verteidigen. Sekundärer Antisemitismus ist deshalb auch als Anzeichen dafür interpretiert worden, dass die Tabuisierung von Judenhass diesen vom Mittelpunkt der Gesellschaft an deren Rand gedrängt hat: Antisemitismus sei, so Werner Bergmann und Rainer Erb, nach 1945 marginalisiert und privatisiert worden. Zudem verliere sekundärer Antisemitismus selbst im privaten Bereich immer mehr an Boden; jedenfalls sinkt er bei demoskopischen Untersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland reziprok zum Alter der Befragten ab (375, S. 299, 260, 264). Auch Philosemitismus gilt teilweise als eine weit verbreitete Reaktion auf die Tabuisierung von Antisemitismus nach 1945. Allerdings ist das Phänomen an sich, im Gegensatz zu sekundärem Antisemitismus, nicht wirklich neu. Unter Philosemiten versteht man Menschen, die plakativ betonen, eine besonders positive Einstellung Juden gegenüber zu haben. In demoskopischen Untersuchungen wird etwa Zustimmung zu Behauptungen, Juden hätten besondere künstlerische, wissenschaftliche oder auch kommerzielle Begabungen, als Hinweis auf philosemitische Einstellungen gewertet. Frank Stern hat in einer Studie über die ersten Jahre nach 1945 in Westdeutschland die These aufgestellt, dass während dieser Zeit offener Antisemitismus in der Gesellschaft weitgehend durch ein „philosemitisches Syndrom“ abgelöst worden sei. Diese Annahme einer betont „judenfreundlichen“ Haltung, hinter der sich freilich vielfach alte antisemitische Vorurteile verbargen, habe für die einzelnen Deutschen die sozialpsychologische Funktion erfüllt, durch oberflächliche Solidarisierung und Identifizierung mit den Opfern des Völkermords die eigenen Schuldgefühle zu unterdrücken und zu verdrängen. Für das Kollektiv sei demonstrativer Philosemitismus darüber hinaus auch ein politisches Instrument geworden: „Der Philosemitismus wurde zur moralischen Legitimierung des demokratischen Charakters der zweiten deutschen Republik in der Phase ihrer Gründung und der Erringung ihrer Souveränität“ (408, S. 17). Er habe den Politikern der jungen Bundesrepublik vor allem dazu gedient, im westlichen Ausland Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Allerdings sei der gespielte Philosemitismus nur ein „Surrogat“ für die ausgebliebene Entnazifizierung und Demokratisierung, ein symbolischer Ersatz für den nicht wirklich vollzogenen Bruch mit der alten Judenfeindschaft gewesen. Je mehr er mit der Entspannung und schließlich dem Ende des Ost-WestKonflikts seine außenpolitische Funktion verloren habe, sei die Maske des Philosemitismus zunehmend zerbröckelt und darunter der alte Antisemitismus wieder zum Vorschein gekommen. Es überrascht wenig, dass Anthony Kauders, der in seiner Studie über die Verhältnisse in München eine ganz andere Interpretation der Entwicklung von Antisemitismus in der Nachkriegszeit entwickelt hat, diese Thesen von Frank Stern einer geradezu vernichtenden Kritik unterzieht. So findet Kauders nicht nur in seinen eigenen, sondern auch in den von Stern benutzten Quellen vor allem Belege für offenen Antisemitismus im Deutschland der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Hinweise auf Philosemitismus könne man
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Philosemitismus
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Antizionismus im Ostblock
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dagegen in dem Verhalten von Deutschen gegenüber jüdischen Displaced Persons oder aus Umfragen dieser Zeit kaum erkennen. In Zeitungen, Predigten, Radiosendungen, Polizeiberichten und Briefen oder privaten Aufzeichnungen seien immer wieder antisemitische Ausfälle dokumentiert, philosemitische Bemerkungen dagegen kaum. Eine demonstrativ „judenfreundliche“ Haltung lasse sich allenfalls bei einigen nationalen Spitzenpolitikern ausmachen, insbesondere beim ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer. Auch hier überwögen jedoch die Gegenbeispiele reichlich dokumentierter Judenfeindschaft. Wenn zudem Philosemitismus nur gespielt und tatsächlich ein maskierter Antisemitismus gewesen sei, müsse man fragen, welchen analytischen Wert die Verwendung des Begriffs eigentlich haben solle (392, S. 21 f., 37 f.). Mehr noch als Philosemitismus und sekundärer Antisemitismus wird im Zusammenhang mit der Frage nach einem Formwandel von Judenfeindschaft mittlerweile Antizionismus diskutiert. Der Kristallisationskern dieser neuen Ausdrucksform von Judenhass war seit 1947/48 die Existenz des Staates Israel. Im Gefolge des Sechstagekriegs zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten gewann Antizionismus 1967 weiter an Bedeutung. Die USA ergriffen damals die Partei Israels, die Sowjetunion die seiner arabischen Nachbarn. Antizionismus erfuhr deshalb durch den Sechstagekrieg außerhalb der islamischen Welt auch in den Staaten des Warschauer Pakts einen Schub. Allerdings fand er seinen Ausdruck nicht allein auf der Ebene internationaler Beziehungen, wie etwa bei der Unterstützung des Ostblocks für die Bemühungen arabischer Staaten um eine Verurteilung von angeblichem israelischen „Imperialismus“ und „Rassismus“ durch die Vereinten Nationen. Antizionismus begünstigte vielmehr auch schon vor 1967 eine mehr oder weniger subtile Diskriminierung von Juden in den osteuropäischen Staaten, provozierte und verband sich also auch mit Antisemitismus. So kam es auch nach dem Ende der massiven Gewaltausbrüche, die in Osteuropa auf das Kriegsende folgten, dort wiederholt zu gewaltsamen antisemitischen Übergriffen aus der Bevölkerung. Schon kurz nach der kommunistischen Machtübernahme wurden zudem jüdische Organisationen vielfach verboten und Juden die Religionsausübung erschwert. Bereits Anfang der 1950er Jahre initiierten die kommunistischen Regierungen, beginnend in der stalinistischen Sowjetunion, Schauprozesse und Ausschlussverfahren gegen Funktionäre jüdischer Herkunft aus den eigenen Reihen. In der Sowjetunion und der Tschechoslowakei wurden jüdische und tatsächlich oder vermeintlich pro-israelische Angehörige der politischen und gesellschaftlichen Eliten 1952/53 wegen angeblicher Kooperation mit „Zionismus“ und „westlichem Imperialismus“ hingerichtet. In der DDR machte man einem Mitglied des Politbüros, das sich für Rückerstattung des „arisierten“ Besitzes emigrierter Juden eingesetzt hatte, ebenfalls den Prozess. Hunderttausende Juden verließen zwischen den 1950er und 1980er Jahren in einer Auswanderungsbewegung, die vielfach einer Flucht glich, angesichts dieses vielgestaltigen Drucks die osteuropäischen Staaten in Richtung Israel oder Westen (neuere Überblicke: 107, S. 124 – 128; 377, S. 118 – 127; 399). Die Ursachen für diesen antizionistisch verbrämten Antisemitismus im Ostblock werden kontrovers diskutiert. Manche Forscher sehen dabei Unterschiede zwischen dem „Antizionismus“ der frühen 1950er Jahre und späte-
6. Antisemitismus nach 1945 ren Kampagnen. Die in den Schauprozessen von 1952/53 kulminierende judenfeindliche Welle war demnach vor allem Ausdruck von Stalins „paranoidem Antisemitismus“ und der Enttäuschung über die innere Entwicklung Israels, das nicht wie erwartet zu einem sozialistischen Bündnispartner der Sowjetunion im Nahen Osten wurde (152; 377, S. 119 – 121). Aus einer anderen Sicht, die besonders auf Untersuchungen des polnischen Beispiels fußt, werden dagegen eher Kontinuitäten der Judenfeindschaft in Osteuropa betont. Diese hätten nicht nur vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1990/91 einen beständigen Hintergrund für staatlichen und gesellschaftlichen Antisemitismus gebildet. Sie schlössen auch an die judenfeindlichen Traditionen der Zeit vor 1945 an und setzten sich nach dem Zerfall des Warschauer Pakts in dessen ehemaligen Mitgliedsstaaten fort. Während der kommunistischen Herrschaft seien sie zudem immer wieder für innere Machtkämpfe instrumentalisiert worden (377, S. 124 – 127; 393; 397; 399; 409; 411). Dagegen hat Thomas Haury am Beispiel der DDR argumentiert, dass die antizionistischen Kampagnen weder durch taktisches Kalkül noch durch antisemitische Traditionen und die Rolle von Individuen hinreichend erklärt werden könnten. Letzten Endes seien sie vielmehr durch die kommunistische Ideologie bedingt gewesen. Diese These einer systembedingten Judenfeindschaft hat er mit dem Verweis auf strukturelle Ähnlichkeiten in der Semantik von kommunistischem „Totalitarismus“ und Antisemitismus zu belegen versucht. Beiden Ideologien sei nicht nur ein rabiater Antikapitalismus gemeinsam, der sich in beiden Fällen mit Antisemitismus verbinde. Die SED habe in der DDR beim Aufbau einer sozialistischen „Volksgemeinschaft“ wie davor die Nationalsozialisten etwa auch die „gesunden Volkskräfte“ gegen „entartete Schädlinge“ zu mobilisieren versucht (388). Auch nach dem Untergang des Ostblocks steckt in dieser These, die Haury durch die explizite Identifikation von Kommunismus und Nationalsozialismus als „totalitär“ unterstreicht, viel politischer Sprengstoff. Denn auch im Westen verbreitete sich besonders seit 1967 unter Teilen der politischen Linken antizionistische Ideologie. Dabei wird diskutiert, wieweit etwa in der Bundesrepublik Deutschland Kontinuitäten antisemitischer Elemente aus den sozialistischen Bewegungen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik eine Rolle spielen, was Haury betont. Offensichtlich erscheint allerdings, dass antikapitalistischer Antisemitismus auf der deutschen Linken sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend mit Antiamerikanismus verband. Israel galt hier seit dem Sechstagekrieg als Erfüllungsgehilfe des „amerikanischen Imperialismus“, die Palästinenser als dessen unschuldige Opfer. Dagegen mutierten „die“ Juden aus dieser Sicht teilweise von Opfern des nationalsozialistischen Völkermords zu Tätern. Einige Teilnehmer an der sehr lebhaften, gerade auf der deutschen Linken in Wissenschaft und Öffentlichkeit selbstkritisch geführten Debatte über sozialistischen Antizionismus sehen darin einen unterschwelligen Versuch der Schuldabwehr und Distanzierung von der Vergangenheit des eigenen Landes (380). Das von Teilen der radikalen Linken entworfene Hirngespinst einer weltumspannenden jüdisch-kapitalistischen Allianz, mit Israel als Speerspitze und der USA als Zentrum, das von einer „jüdischen Lobby“ in Washington beeinflusst oder gesteuert werde, kommt der antisemitischen Legende von der jüdischen Weltverschwörung gleich. Extremisten unter den linken Anti-
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Linker Antizionismus im Westen
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Forschungsprobleme
III.
zionisten zogen daraus die Konsequenz zu einer Zusammenarbeit mit arabischen Terroristen, die ihren blutigen Tiefpunkt 1977 im „deutschen Herbst“ fand. Der größte Teil der SPD und der Gewerkschaften distanzierte sich dagegen vom Antizionismus (395).
c) Renaissance?
Vermutete Ursachen
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Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden manche der alten Konfliktlinien, die linke Judenfeindschaft in Ost und West begünstigt hatten, hinfällig. Weder Antizionismus noch Antisemitismus verschwanden jedoch nach 1990/ 91. Im Gegenteil: Manche Beobachter glauben sogar, „dass der Antisemitismus in Europa heute genauso schlimm sei wie kurz vor dem Holocaust“ (400, S. 102, 105). Das dürfte zwar eine grobe Übertreibung sein. Viele sehen aber seit dem Zerfall des Ostblocks eine Renaissance des Judenhasses. Warum? Das Zerbröckeln des Warschauer Paktes hat nicht nur die Landkarte Europas ebenso grundlegend verändert wie die globalen Machtverhältnisse, sie hat auch die Stellung Israels in der Weltpolitik nicht unberührt gelassen. Zwischen 1967 und dem Ende des Kalten Krieges wurde Israel im Westen weitgehend als Angehöriger des eigenen Lagers gesehen. Die Neigung zur Rücksichtnahme auf die Interessen dieses Verbündeten, so scheint es, war daher relativ groß. Seit 1990/91 fiel die Notwendigkeit dazu jedoch vielfach weg. Scharfe Kritik an Israels Politik im Nahostkonflikt, in Westeuropa bis dahin nur von kleinen Minderheiten antizionistischer Linker und unverbesserlicher Rechtsextremisten geäußert, kam offenbar deshalb jetzt zunehmend auch aus der Mitte der Gesellschaften. Entscheidend ist allerdings natürlich, ob der Großteil dieser Kritik irrational und antisemitisch ist oder sachlich und legitim. Genau das aber ist Gegenstand sehr heftiger Kontroversen. Die Debatten in Öffentlichkeit und Wissenschaft drehen sich vor allem darum, wo die Grenze zwischen dem einen und dem anderen verläuft (404; 396). Der „Sieg“ des kapitalistischen Westens im Kalten Krieg dürfte außerdem auf der einen Seite antisemitische Feindbilder noch verstärkt, auf der anderen Seite den Bedarf daran wieder neu geweckt haben. Denn einerseits stand die USA, aus der Sicht der antizionistischen politischen Linken Inbegriff des zügellosen und vermeintlich von einer jüdischen Lobby zumindest beeinflussten Kapitalismus, als einzige verbliebene Supermacht nun stärker da denn je. Andererseits war der politischen Rechten mit dem Kommunismus das im Ost-West-Konflikt gepflegte Feindbild in der Innen- wie in der Außenpolitik abhanden gekommen. Die Juden, in konservativer Tradition ohnehin die „üblichen Verdächtigen“, boten sich als Ersatz an (390). Speziell für Deutschland argumentiert Lars Rensmann darüber hinaus, dass die Wiedervereinigung zu einer „Renaissance nationaler Identitätspolitik“ geführt habe, mit der antisemitisches Denken einhergehe. Dieser neue alte Nationalismus ziehe zunächst, aber keineswegs nur konservative Kreise an. Als Gegenmodell zur Globalisierung der Wirtschaft sei er vielmehr für große Gruppen der Bevölkerung einschließlich der Linken attraktiv. In der populären nationalistischen Kritik an der Globalisierung schwängen Verschwörungstheorien mit, in denen Antikapitalismus und Antiamerikanismus
6. Antisemitismus nach 1945 mit Antisemitismus eine klassische Verbindung eingehe. Auf dieser Plattform träfen sich Linke, Rechte und Vertreter der Mitte gleichermaßen (405, S. 237 – 241). Seit der Jahrtausendwende wird die Diskussion über einen Anstieg der Judenfeindschaft in Europa zunehmend um den Begriff des „neuen Antisemitismus“ geführt (404). Was damit gemeint ist, schwankt allerdings. Zum Teil wird das Neue darin gesehen, dass Antisemitismus seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses im Nahen Osten und dem Beginn der zweiten palästinensischen Intifada im Jahr 2000 seinen Ausdruck in Antizionismus findet. Freilich ist ein „neuer Antisemitismus“, der sich durch die zentrale Rolle des Nahostkonflikts für die Entwicklung von Judenhass auszeichne, schon Anfang der 1990er Jahre (400, S. 106) und zur Zeit des Yom-Kippur-Kriegs 1974 wahrgenommen worden (384). Und ebenso ließe sich davon bereits seit dem Sechstagekrieg 1967 oder sogar seit der Gründung Israels 1947/48 sprechen. Tragfähiger erscheinen deshalb die Begründungen, nach denen – neben einem Bedeutungsgewinn muslimischer Migranten als Trägerschichten – vor allem eine seit 1945 beispiellose Intensität der Judenfeindschaft das neue Element darstellt. Als Anzeichen für einen präzedenzlosen Anstieg des Antisemitismus werden dabei gesehen: die Entwicklung von judenfeindlichen Handlungen, demoskopische Untersuchungen über antisemitische Einstellungen, und die Veränderung öffentlicher Diskurse. Es herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass antisemitische Aktivitäten seit 1990 und besonders ab 2000 zugenommen haben. In Deutschland weist die Statistik seit der Wiedervereinigung einen deutlichen, wellenartigen Anstieg antisemitischer Straftaten aus. 2001 wurde hier ein neuer Höchststand in der Geschichte der Bundesrepublik erreicht. In vielen europäischen Ländern und anderen Teilen der Welt gibt es einen ähnlichen Trend, wie auch Kritiker der These eines „neuen Antisemitismus“ eingestehen. Das Internet bietet Antisemiten ein neues Forum zur Verbreitung von Rassenhass und Propaganda. Besonders jüdische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erhalten verstärkt Drohanrufe und -briefe. Die Anzahl von Hakenkreuzschmierereien, Denkmalbeschädigungen oder Anschlägen auf Synagogen nimmt tendenziell zu (376, S. 75; 373). Allerdings betont Werner Bergmann, dass tätliche Angriffe auf Juden und andere Gewaltakte im engeren Sinn zumindest in Deutschland weiterhin selten sind: „Die Brand- oder Sprengstoffanschläge sowie andere Formen der Sachbeschädigung richten sich gegen Mahnmale, Gedenkstätten oder jüdische Friedhöfe und nicht so sehr – wie im Fall der Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte oder einzelne Ausländer – gegen die zeitgenössischen jüdischen Gemeinden und ihre Mitglieder.“ Die Zahl von ausländerfeindlichen und anderen Straftaten, die in der deutschen Kriminalstatistik wie antisemitische Vergehen als „rechtsextremistisch“ verbucht werden, ist zudem nicht nur um ein Vielfaches höher, sondern auch wesentlich stärker gestiegen als Taten mit judenfeindlichem Hintergrund (376, S. 74 f.). Auch wie das Ausmaß des Anstiegs antisemitischer Aktivitäten nach 1990 im Vergleich mit früheren Wellen von Judenfeindschaft zu bewerten ist, wird verschieden beurteilt. Manche Beobachter sprachen etwa 2002 davon, die Verschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts habe weltweit zur „schlimmsten Antisemitismus-Welle seit dem Zweiten Weltkrieg“ geführt
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„Neuer“ Antisemitismus?
Antisemitische Handlungen und Gewalt
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Forschungsprobleme
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Antisemitische Einstellungen
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(377, S. 134). Diese These rief jedoch sofort Skeptiker auf den Plan, nach deren Ansicht eine solche These nicht zu belegen war. Sie verwiesen auf statistische Probleme: Nicht nur sind die Kriterien, nach denen antisemitische Taten in verschiedenen Ländern definiert und statistisch erhoben werden, grundverschieden und global verallgemeinernde Aussagen deshalb äußerst schwierig. Erhebungsgrundlagen wurden auch oft verändert, was selbst die Vergleichbarkeit von zu unterschiedlichen Zeiten erhobenen Daten in einzelnen Staaten problematisch macht. Vielfach sind antisemitische Gewaltakte und Straftaten in nationalen Kriminalstatistiken lange Zeit noch nicht einmal gesondert erfasst worden. Dass die judenfeindliche Gewaltwelle des Jahres 2002 vergleichsweise höher war als frühere Wellen 1959/60, um 1980 und in den frühen 1990er Jahren, sei deshalb alles andere als eindeutig. Wie diese Wellen mit anderen Entwicklungen zusammenhingen, zu denen neben dem Nahostkonflikt auch Wirtschaftskonjunkturen und die Häufigkeit fremdenfeindlicher wie allgemeiner Straftaten gehörten, müsse beim jetzigen Forschungsstand ebenfalls noch offen bleiben (372; 382; 383; 400, S. 111 f.). Grundsätzlich kritisch hinterfragt worden ist, ob die Zunahme judenfeindlicher Handlungen überhaupt als Kriterium für eine Renaissance des Antisemitismus taugt. So ist es nach Anthony Lermans Ansicht „falsch zu glauben, dass eine Zunahme immer auf eine Verschlimmerung des antisemitischen Klimas insgesamt hinweist. Es gibt keinen Widerspruch zwischen einem Anstieg antisemitischer Übergriffe und einer Abnahme judenfeindlicher Einstellungen (wie in den USA beobachtet wurde).“ Auch in europäischen Ländern zeigte nach Werner Bergmann die Häufigkeit judenfeindlicher Handlungen 2002 „kaum einen Zusammenhang mit der Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung insgesamt. So kam es etwa in Großbritannien und in den Niederlanden zu weit mehr Vorfällen als in Deutschland oder Österreich, obwohl Meinungsumfragen und andere Untersuchungen die Bevölkerung der beiden erstgenannten Länder als besonders gering antisemitisch einstufen.“ Das erkläre sich daraus, so Bergmann, dass in England und den Niederlanden Angriffe auf Juden und Anschläge auf Synagogen auf Minderheiten von Migranten aus der islamischen Welt zurückgingen. Lerman geht noch einen Schritt weiter, wenn er vermutet, dass Antisemiten möglicherweise heute eher zu Gewalt griffen, weil „ihre Ideen mittlerweile marginalisiert worden sind“ (400, S. 112; 377, S. 134 f.). Die Zunahme antisemitischer Aktivitäten wäre demnach sogar ein Zeichen der Isolierung und Schwäche des Antisemitismus und seiner Trägerschichten. Das führt zu der Frage, wie sich die Einstellung der breiten Masse der Bevölkerung zu Juden und Antisemitismus in den letzten Jahren entwickelt hat. Die Quellenbasis, die demoskopische Untersuchungen zur Beantwortung dieser Frage anbieten, ist ausgesprochen reichhaltig und detailliert. Ihre Interpretation verlief insbesondere in Deutschland allerdings nicht weniger kontrovers als die judenfeindlicher Gewalt. Die Hauptkontrahenten dieser Kontroverse sind hierzulande Lars Rensmann und Werner Bergmann. Rensmann zufolge „hat sich im Zuge der Renaissance konventionalisierter Identitätsnarrative und nationaler Selbstverständigungsprozesse im politischen Prozess seit der deutschen Einheit die politisch-soziale Akzeptanz […] von antisemitischen Motiven […] erhöht“. In Meinungsumfragen zeige sich „insbesonders bei Jugendlichen und in den
6. Antisemitismus nach 1945 jüngeren Generationen“ eine „Tendenzwende“ der Einstellung zu Juden: Die Sympathien der Jüngeren für Antisemitismus, die vor 1990 beständig abnahmen, stiegen seit der Wiedervereinigung wieder an. Doch in der Gesamtbevölkerung hätten gleichermaßen, wenn auch etwas später, „antisemitische Vorurteile und auch sozial-paranoide antisemitische Weltdeutungen zugenommen“, wie eine demoskopische Erhebung von 2002 belege. „Die von einigen Forschern weiterhin vertretene These vom sukzessiven, quasi-linearen ,kollektiven Lernprozess gegenüber dem Antisemitismus in der politischen Kultur“ sei deshalb „nicht mehr zu halten“ (405, S. 490 – 492, 500 f., 224 – 241). Werner Bergmann, der damit vor allem angesprochen ist (374; 375), hat gleichwohl an dieser These festgehalten. Die 2002 demoskopisch ermittelte höhere Zustimmung zu einigen judenfeindlichen Stereotypen sei durch den „Periodeneffekt“ einer außergewöhnlichen innenpolitischen Lage in Verbindung mit einer Zuspitzung des Nahostkonflikts zu erklären. Der Trend einer langfristigen Abnahme antisemitischer Einstellungen habe sich dagegen seit der Wiedervereinigung weiter fortgesetzt – zumindest in Westdeutschland. In der ehemaligen DDR, wo wenigstens das offene Bekenntnis zu Judenfeindschaft autoritär unterdrückt wurde, stieg der Antisemitismus dagegen von zunächst sehr niedrigen Werten während der 1990er Jahre an, bis er sich auf westlichem Niveau einpendelte. Überdurchschnittlich anfällig für Judenhass zeigten sich jedoch die ostdeutschen Jugendlichen, worauf Rensmann vor allem abhob. Von einer „Tendenzwende“ kann nach Bergmanns Ansicht deshalb allerdings keine Rede sein: Unter dem Strich sei die Zustimmung zu antisemitischen Stereotypen in Deutschland unter der Generation der 18- bis 29-Jährigen weiterhin am niedrigsten (376). Allerdings stützte Lars Rensmann seine Auffassung einer Trendwende in der politischen Kultur der Bundesrepublik seit den 1990er Jahren insgesamt weniger auf demoskopische Umfragedaten als auf eine breite Analyse öffentlicher Diskurse (405, S. 334 – 481). Demnach begann spätestens seit der Goldhagen-Debatte 1996 (326; 364a) in der deutschen Öffentlichkeit ein Prozess der Enttabuisierung von judenfeindlichen Ressentiments. Dieser Prozess habe sich fortgesetzt in den Debatten um den Schriftsteller Martin Walser (386; 401; 406), um das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas (381; 389; 391; 394) und um die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter, bis er schließlich während des Bundestagswahlkampfes 2002 in einer Instrumentalisierung von Antizionismus durch den nordrhein-westfälischen FDPVorsitzenden Jürgen Möllemann (402) seinen – vorläufigen – Höhepunkt fand. Im Verlauf dieser Entwicklung sei es zu einer fortschreitenden „Erosion der Grenzziehungen gegenüber antisemitischen Vorurteilen“ gekommen: „Dabei sind teils die Grenzen des demokratisch Sagbaren erweitert und neu gezogen worden, wobei antisemitische Akteure scheinbar [sic] zunehmend im öffentlichen Raum ausloten, was man Juden sanktionslos zumuten darf.“ Dies stelle „eine neue Qualität“ öffentlicher Diskurse dar (405, S. 498 f.). Dass Antisemitismus so in Deutschland wieder „salonfähig“ zu werden beginne, ist bereits von zahlreichen Teilnehmern an den von Rensmann thematisierten Debatten und auch seitdem vielfach behauptet worden. Skeptiker gaben dagegen zu bedenken, die Debatten um Goldhagen, Walser, das Berliner Mahnmal und die Zwangsarbeiterentschädigung hätten sich vielmehr an
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Öffentliche Diskurse
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Forschungsprobleme
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Globalisierter Antisemitismus
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der Frage nach dem „richtigen“ Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit entzündet. Sie unterschieden sich darin keineswegs von den Debatten der 1980er Jahre. Wo jedoch öffentlich antisemitische Stereotypen verbreitet wurden, verfielen diese nach wie vor der Ächtung durch die große Mehrheit. So löste eine Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann 2003, die das Stereotyp des „jüdischen Bolschewismus“ bemühte, allgemeine Empörung aus und führte schließlich zum Ausschluss Hohmanns aus seiner Fraktion und Partei (414). Die Menetekelrufe von Rensmann und anderen, so der zentrale Einwand der Skeptiker, widerlegten sich im Grunde selbst: Gerade die massive Skandalisierung auch nur des geringsten Anklangs an judenfeindliches Gedankengut demonstriere, dass der von Werner Bergmann ausführlich dokumentierte kollektive Lernprozess, durch den in der alten Bundesrepublik eine Kultur öffentlicher Ächtung von Antisemitismus etabliert wurde (374), sich auch nach der Wiedervereinigung nicht umgekehrt habe (403; 404). Allerdings gesteht Bergmann in einem gemeinsam mit Wilhelm Heitmeyer verfassten Beitrag zur Debatte um den „neuen Antisemitismus“ zu, dass in einer Hinsicht die „Grenzen des Sagbaren“ möglicherweise tatsächlich seit 2002 in Bewegung geraten seien. Denn die „Möllemann-Affäre“ diesen Jahres und seitdem durchgeführte Umfragen deuteten darauf hin, dass antizionistisch verbrämte judenfeindliche Äußerungen in zunehmendem Maß gesellschaftlich akzeptabel würden. Hier zeichne sich vielleicht wirklich eine Enttabuisierung ab. Freilich seien Tabus und Sprechverbote letztlich nicht mehr als repressive Instrumente, die latenten Antisemitismus zwar unterdrükken, aber nicht beseitigen könnten. Eine Enttabuisierung von antizionistischer Judenfeindschaft müsse deshalb nicht unbedingt nur Gefahren bergen, sondern biete auch Chancen für dessen effektive Bekämpfung (379). Wenn dieser Befund zutrifft, befinden wir uns mittlerweile in einer neuen Phase, die wenn auch nicht notwendigerweise durch einen Anstieg, so jedenfalls durch neue Formen der Auseinandersetzung mit Antisemitismus gekennzeichnet ist. Die Debatte um einen „neuen Antisemitismus“ erschiene dann – unabhängig von der Richtigkeit der von den Kontrahenten vertretenen Lageeinschätzungen – selbst als Symptom des Wandels, und zwar in doppelter Hinsicht. Denn ihr Bezugspunkt ist weniger die Interpretation der nationalsozialistischen Vergangenheit als die des Nahostkonflikts. Und es handelt sich nicht um eine deutsche, sondern um eine internationale Diskussion. Zu Recht ist deshalb von einer „Globalisierung des Antisemitismus“ (387) gesprochen worden. Die weltweite wirtschaftliche und kulturelle Vernetzung ist nicht nur in Deutschland und anderen europäischen Staaten zur neuen Projektionsfolie alter antisemitischer Klischees von jüdischer Weltherrschaft geworden. Sie hat vielmehr auf nahezu dem gesamten Globus zur Entstehung oder Festigung von Judenfeindschaft beigetragen. Während in alten europäischen Zentren des Antisemitismus wie in Deutschland und Frankreich oder auch den USA dieser heute mit starken Tabus behaftet ist, gilt das anderswo wesentlich weniger oder gar nicht. Mehr noch: Westeuropa und Nordamerika werden in vielen anderen Teilen der Erde oft als Repräsentanten einer „jüdischen Verschwörung“ wahrgenommen. Umgekehrt stehen etwa in Japan, Teilen Südamerikas oder Russland „die Juden“ häufig für na-
7. Antisemitismus in der islamischen Welt
III.
hezu alles, was dort an „dem Westen“ verhasst erscheint. Und erst recht gilt das für die Region, in der nach 1945 der Antisemitismus die größte Verbreitung erreicht hat: die islamische Welt (90; 373; 377, S. 131 f.).
7. Antisemitismus in der islamischen Welt Als zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Frankreich Brandanschläge auf Synagogen verübt wurden und eine Welle judenfeindlicher Gewalt über Europa hinwegzubranden schien, kommentierte ein israelischer Historiker, Ursache dafür seien nicht die Traditionen des europäischen Antisemitismus – jedenfalls nicht direkt. Denn unter den Europäern selbst habe Judenhass seine früher große Bedeutung mittlerweile verloren. „Dafür wanderte der europäische Antisemitismus in die arabisch-muslimische Welt aus und kam über die Minderheit der arabischen Immigranten wieder nach Europa zurück.“ Diese Einwanderer aus dem islamischen Kulturkreis seien die Hauptträger der judenfeindlichen Ausschreitungen, der „Wiederkehr des Antisemitismus“ (404, S. 309, 302). Diese Auffassung war und ist auch in der Öffentlichkeit weit verbreitet. Hintergrund dafür sind nicht zuletzt die Terrorakte von radikalen Islamisten, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 auch in Europa verübt wurden, und an denen einige muslimische Migranten beteiligt waren. Ob sich aus dieser Gruppe seitdem tatsächlich die meisten Träger von judenfeindlicher Gewalt rekrutieren, ist allerdings nicht ganz klar. So kam eine Beobachtungskommission der Europäischen Union zwar zu dem Urteil, dass in Frankreich und wahrscheinlich einigen weiteren Staaten die Mehrheit der antisemitischen Gewaltakte 2001/2002 auf das Konto muslimischer Täter ging, und nicht mehr von „weißen“ Rechtsextremisten verübt wurde wie noch in den frühen 1990er Jahren. In anderen Ländern gebe es darauf jedoch keine Hinweise. Offizielle Kriminalstatistiken und die Wahrnehmung der Opfer ergeben zudem häufig ein widersprüchliches Bild (372; 373). Umstritten sind auch die Motive für Antisemitismus bei islamischen Migranten in Europa. Zum Teil werden sie in fehlender sozialer und wirtschaftlicher Integration gesehen. So verbinde etwa in Frankreich die überwiegend jugendlichen Täter arabischer Herkunft, von denen die meisten antisemitischen Straftaten begangen werden, „ein ähnliches Milieu, dessen Merkmale Entwurzelung, soziales Versagen, Orientierungsverlust und Identitätsprobleme seien, alles Indikatoren, die eine ,Armutskultur bezeichnen“. In diesem Umfeld hätten radikale Islamisten, aber auch traditionelle Rechtsextremisten ein leichtes Spiel. Gewalt gegen Juden habe für junge muslimische Männer aus den Unterschichten vor allem die Funktion, „ihre Frustrationen an einer Gruppe auszulassen, die privilegierter und erfolgreicher erscheint“ (422, S. 19; 400, S. 113; 390). Eine andere Interpretation hält dagegen, auch gebildete und wohlhabende Muslime fänden sich zu antisemitischer Gewalt bereit. Der Hauptantrieb des Antisemitismus unter islamischen Migranten in Europa sei weniger eine prekäre wirtschaftliche und soziale Lage als viel-
Muslimische Migranten in Europa
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Forschungsprobleme
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Grundfragen
Juden und Koran
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mehr die ideologische Identifikation mit den Palästinensern im Nahostkonflikt. Gefüttert mit antisemitischer Propaganda von über Satellit empfangenen arabischen Fernsehsendern, aufgehetzt von europäischen Imamen und mobilisiert von internationalen islamistischen Organisationen betrieben Muslime eine „Globalisierung der palästinensischen Intifada“, eine Ausweitung des Nahostkonflikts zu einem weltweiten Kampf des Islams gegen alle Juden (421; 436; 437; 377, S. 135). In der Diskussion über das Vorkommen von Judenfeindschaft unter muslimischen Migranten in Europa spiegeln sich grundlegende Kontroversen über Antisemitismus im Nahen Osten und in der gesamten islamischen Welt. Ist Judenfeindschaft dort vor allem eine Folge des Konflikts zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn? Würde eine friedliche Lösung und Beilegung des Nahostkonflikts also die Ursache des arabischen Antisemitismus beseitigen? Oder sind dessen Wurzeln eher in den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der arabischen Länder zu suchen? Nutzen Regierungen, nationalistische und islamistische Eliten eine unter der Bevölkerung dieser Länder weit verbreitete Frustration über Entwicklungsvorsprung und Dominanz Europas und Nordamerikas aus, indem sie den Unmut darüber von sich weg auf Israel und „die Juden“ als symbolische Repräsentanten des Westens ablenken? Der Ansatzpunkt dafür liegt nicht allein in den engen Beziehungen, die Israel während des Kalten Krieges und darüber hinaus vor allem mit den USA unterhalten hat und unterhält. Schließlich waren es Europäer, die als Geburtshelfer des jüdischen Staates tätig waren – angefangen bei der BalfourDeklaration von 1917, mit der die spätere Mandatsmacht Großbritannien zum ersten Mal die Bildung eines solchen Staates in Palästina versprach, bis zur Realisierung des Versprechens 1947/48, um den Überlebenden des nationalsozialistischen Völkermords eine neue Heimat zu geben. Europa gab damit letztlich den Anlass für den Nahostkonflikt. Gab es aber auch den Antisemitismus vor, mit der dieser Konflikt von arabischer Seite aus ideologisch überhöht wurde? Spielten Europäer also nicht nur die Hebammenrolle bei der Entstehung des Staates Israel, sondern auch bei der Entstehung der Judenfeindschaft in der islamischen Welt, mit der sie spätestens seit dem 19. Jahrhundert in engsten Kontakt kamen? Ist der Antisemitismus muslimischer Zuwanderer, wie vielfach angenommen, demnach tatsächlich ein Reimport nach Europa? Oder geht er auf eigenständige, insbesondere religiöse Traditionen im Islam zurück? Radikale Islamisten verweisen zur Begründung ihrer Judenfeindschaft gerne auf den Koran. In der westlichen Öffentlichkeit hat das teilweise den Eindruck erweckt, Antisemitismus in der islamischen Welt sei religiös determiniert, oder der Koran schreibe seinen Anhängern sogar vor, einen „Heiligen Krieg“ (Djihad) gegen Juden und Christen zu führen. Orientalisten und Historiker weisen beides jedoch nahezu geschlossen zurück. Allenfalls wird mit Hinblick auf den Antisemitismus angenommen, „dass auch religionsimmanente Elemente für die Annahme, Verbreitung und Tradierung dieses Feindbildes verantwortlich sind. Oder, um es genauer zu sagen: die islamistischen Antisemiten haben keine Probleme damit, eine in den religiösen Grundtexten angelegte judenfeindliche Disposition für ihre Zwecke einzusetzen“ (440, S. 145 f.). In den frühen Schriften des islamischen Religionsstif-
7. Antisemitismus in der islamischen Welt ters Mohammed gibt es freilich auch projüdische Aussagen. Erst nachdem die Hoffnung auf einen Anschluss der Juden an die neue Religion enttäuscht wurde und es zu Konflikten mit jüdischen Stämmen kam, änderte sich der Ton. Koran und andere kanonische Schriften des frühen Islam erscheinen deshalb dem Judentum gegenüber ambivalent und interpretationsoffen. Jedenfalls, so der Tenor der Forschung, führe es in die Irre, aus „dem“ Koran die Position „des“ Islam zu Juden ableiten zu wollen (434, S. 29 – 31; 442, S. 244 – 249). Die Lage der Juden im islamischen Kulturkreis war nie einheitlich und konnte es nicht sein. Schließlich erstreckte sich die islamische Welt seit dem 8. Jahrhundert von Marokko bis Pakistan über mehr als 6000 Kilometer, später sogar noch weiter bis Indonesien. Gerade die neueste historische Forschung betont deshalb die Vielfalt der muslimisch-jüdischen Beziehungen während gut einem Jahrtausend, das der Kolonialisierung des Nahen Ostens durch die Europäer im 19. und frühen 20. Jahrhundert vorausging (424). Entsprechend schwer fällt es, die Veränderungen durch den europäischen Einfluss abzuschätzen, während der Raum für kontroverse Interpretationen des arabisch-jüdischen Verhältnisses davor groß ist. So unterstreichen manche eher sozialhistorisch ausgerichtete Studien für ganz verschiedene Regionen und Epochen stark die Existenz arabischer Judenfeindschaft bereits vor der Moderne. Diese habe sich vor allem an wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Einfluss von Juden entzündet (418; 430). Das andere Extrem markiert die These einer vormodernen „jüdisch-islamischen Symbiose“. Diese Wortprägung ist besonders mit dem Namen von Bernard Lewis verbunden, der einen mehr ideologie- und kulturgeschichtlichen Ansatz verfolgt. Im Vergleich mit dem christlichen Europa war demnach die Situation der Juden unter islamischer Herrschaft besser, weil sie dort nicht als „Gottesmörder“ systematisch diffamiert wurden. Zwar hätten sie wie alle Nichtmuslime als so genannte „Dhimmi“ nur den minderen sozialen Status von Untertanen zweiter Klasse gehabt. In ihrer Berufswahl seien sie aber in geringerem Masse eingeschränkt gewesen als in der christlichen Welt. Zudem habe man sie weniger verfolgt (35, Bd. 3; 434; 438; 444). Für Anhänger der These einer vormodernen „jüdisch-islamischen Symbiose“ ist die Entstehung von massiver Judenfeindschaft im arabischen Raum konsequenterweise direkte Folge europäischer Einflussnahme. Mit der formellen oder informellen Kolonialisierung des islamischen Kulturkreises seien auch diesem eigentlich fremde Elemente des Judenhasses aus Europa importiert worden. Das Paradebeispiel dafür ist die Legende vom jüdischen Ritualmord, die auf dem Gottesmordvorwurf aufbaut, den Christen den Juden machten. In Damaskus kam es 1840 zu einer spektakulären Ritualmordanklage, die von der christlichen Bevölkerungsminderheit ausging und von den Konsuln der europäischen Mächte aufgenommen wurde (426). Mit dem Wachstum des europäischen Einflusses im Osmanischen Reich nahm auch die Zahl der den Juden gemachten Ritualmordvorwürfe zu. Ihre Träger waren zunächst meist Angehörige christlicher Minderheiten, während die osmanische Regierung und offensichtlich auch die muslimische Bevölkerungsmehrheit die Ritualmordanklagen ablehnte und die Juden dagegen in Schutz nahm (419). Als Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal antisemitische Pamphlete aus europäischen Sprachen ins Arabische übersetzt wurden, stammten
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Juden in vormodernen islamischen Gesellschaften
Judenhass in der Moderne: Import aus Europa?
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Forschungsprobleme
III.
die Übersetzungen ebenfalls von Christen. Erst im 20. Jahrhundert verbreitete sich die antisemitische Ideologie unter Muslimen. Während im Westen entstandene Klischees wie der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung und die Ritualmordlegende dort seit 1945 tabu sind, blühen sie heute in der islamischen Welt (58, S. 222 – 239; 416; 434, S. 88 – 105; 438). Manche Autoren sehen in dieser Entwicklung allerdings nicht nur die Übernahme eines europäischen Antisemitismus. Dieser sei vielmehr durch die Entwicklung eines arabischen Nationalismus beeinflusst worden und habe auf islamischen Traditionen aufgebaut. Die traditionelle Unterordnung von Juden und Christen als „Dhimmi“ fungierte demnach als Stütze des Glaubens der Muslime an die eigene Überlegenheit. Die koloniale Expansion der Europäer in die arabische Welt erschütterte diesen Glauben fundamental. Arabischer Nationalismus und islamischer Fundamentalismus seien beide als Antworten auf diese europäische Herausforderung zu verstehen. Doch gerade als die Dekolonisation nach dem Zweiten Weltkrieg den Erfolg dieser Bewegungen durch eine Wiederherstellung des alten Zustands in Aussicht zu stellen schien, versetzten die Gründung Israels und die wiederholten Niederlagen der Araber gegen dessen Armee solchen Hoffnungen und der muslimischen Selbstachtung einen erneuten, traumatischen Schlag: „It was bad enough to be defeated by the powerful forces of Western imperialism, but to be humiliated by what had been traditionally perceived by Muslims as a small, weak and defenceless minority, the Jews, calls into doubt fundamental claims to Islam’s spiritual superiority.“ Dieses Trauma habe sich psychologisch nur bewältigen lassen, indem die moderat judenfeindlichen Elemente des Koran mit Anleihen im Arsenal des europäischen Antisemitismus radikalisiert wurden, um das Judentum schließlich zur eigentlichen Macht hinter der Herausforderung durch den Westen und zum satanischen Gegenspieler des Islam zu stilisieren (58, S. 208 f., 224 f.; vgl. 425, S. 320 f.). In einer radikaleren Version nähert sich diese Modifikation der These vom islamischen Antisemitismus als europäischem Import der Gegenthese an, nach dem moderner Judenhass in der arabischen Welt eher ein Eigengewächs ist. Danach ist die Metamorphose von traditionellem Antijudaismus zu modernem Antisemitismus zwar von der Konfrontation mit Europa angestoßen worden. Dessen Einfluss sei aber weitgehend darauf beschränkt geblieben, also mehr indirekt als direkt gewesen. Dass der arabische Nationalismus sich mit Antisemitismus verband, erscheint aus dieser Sicht vor allem als Parallele zur europäischen Entwicklung, weniger als Folge einer kausalen Verknüpfung mit ihr: Nationale Bewegungen in Nahost hätten sich wie ihre Gegenstücke in Europa durch Befreiungskämpfe von Fremdherrschaft nach außen und das Streben nach Homogenität im Innern ausgezeichnet (443; 444). Tatsächlich richtete Nationalismus in Nahost sich nicht allein gegen Juden, sondern gegen alle religiösen und ethnischen Minderheiten, wie der türkische Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg, die Vertreibung der Griechen aus der Türkei danach und wiederholte Massaker an den Kurden illustrieren. In Palästina galten den dort wohnenden Muslimen sogar bis mindestens 1917 die Christen, nicht die Juden als Hauptgegner. Erst mit der Balfour-Deklaration, den Plänen für einen jüdischen Staat und der verstärkten jüdischen Einwanderung änderte sich das (446; 58, S. 208 f.).
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7. Antisemitismus in der islamischen Welt Werden arabischer Nationalismus und Antisemitismus in diesem Sinn eher als Parallele denn als Kopie der entsprechenden Phänomene in Europa interpretiert, erscheint auch das vieldiskutierte Verhältnis der islamischen Welt zum deutschen Nationalsozialismus in einem komplexen Licht. So hat etwa Götz Nordbruch die verbreitete Annahme, arabische Nationalisten der 1930er Jahre hätten sich an nationalsozialistischen Ideologen orientiert, als zu undifferenziert zurückgewiesen. Die im Nahen Osten während dieser Zeit von einheimischen Intellektuellen und Politikern entworfenen Konstruktionen nationaler Gemeinschaft seien vielmehr ambivalent gewesen und ließen sich nicht ohne Weiteres in das idealtypische Schema eines rassenbiologischen, geschlossenen Nationsbegriffes pressen. Vergleichbares gelte für paramilitärische arabische Jugendverbände: Dass diese sich in äußeren Formen am Auftreten italienischer Faschisten und der Hitlerjugend orientierten, bedeute nicht unbedingt auch ideologische Übereinstimmung. Eine Reihe von Wissenschaftlern hebt vielmehr die Vielfalt der Einstellungen hervor, die es in der islamischen Welt gegenüber dem Nationalsozialismus während der 1930er und 1940er Jahre gab (444, S. 28 – 36; 433). Unter anderen weisen gerade Vertreter einer jüngeren Generation israelischer Historiker wie Israel Gershoni dabei auf das Vorhandensein auch antifaschistischer Strömungen in den politischen Bewegungen dieser beiden Jahrzehnte im arabischen Raum hin (417; 429; 441). Andere Autoren betonen hingegen die Sympathien für den Nationalsozialismus, die es in der islamischen Welt gab. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit sei im arabischen Raum sehr ausgeprägt gewesen. Zwischen Nationalsozialisten und Muslimen habe es eine weitgehende Identität der Ideologie und der Ziele gegeben – auch und gerade was die Haltung gegenüber den Juden anging. Diese Interpretation verweist insbesondere auf die Figur des Mufti von Jerusalem Amin al-Husseini, der sich zwischen 1941 und 1945 im deutschen Exil aufhielt. Der Mufti, formulieren etwa Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers, sei dort als Repräsentant der Araber für die „Vernichtung des Judentums“ eingetreten. Er habe sich in Berlin nicht nur für die Beseitigung des Jischuw – der jüdischen Minderheit im britischen Mandatsgebiet Palästina – engagiert, sondern auch für die Ausweitung des Massenmords an den europäischen Juden. Ihren Gipfelpunkt fand die deutscharabische Kooperation demnach „im Sommer 1942, als die begonnene Judenvernichtung in Europa unter tatkräftiger Mithilfe von arabischen Kollaborateuren vor Ort auch auf den Jischuw ausgedehnt werden sollte“. Die dafür von den Nationalsozialisten schon bereitgestellte Einsatzgruppe kam jedoch angesichts der deutsch-italienischen Niederlage gegen die Briten in der Schlacht von El Alamein nicht zum Zug (439, S. 152, 8; 428). Mit Blick auf ihre islamischen Kollaborateure, für die der Mufti das meistbemühte Beispiel ist, wird häufig eine Linie der Kontinuität von den Nationalsozialisten zu den heutigen „Islamo-Faschisten“ in der arabischen Welt gezogen (404, S. 265; 436; 437). Allerdings werden Figur und Politik des Mufti kontrovers diskutiert (447). Eindeutig ist, dass er Unabhängigkeit von der britischen Mandatsmacht anstrebte, den Jischuw als Verbündeten der Briten ansah und unbedingt eine weitere jüdische Einwanderung nach Palästina verhindern wollte. Die These einer über taktische Gemeinsamkeiten hinausgehenden Identität seiner Ziele mit denen der Nationalsozialisten ist jedoch
III. Islam und Nationalsozialismus
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Forschungsprobleme
III.
Die Rolle des Palästinakonflikts
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umstritten. Auch Mallmann und Cüppers können sie nur aus deutschen Quellen belegen – wobei dem Mufti in diesen nach 1945 ein ausgesprochen radikaler Antisemitismus zugeschrieben wird, während davor auch leise Zweifel daran laut werden. Auf jeden Fall erscheint die Behauptung spekulativ, „die“ Araber hätten sich im Fall eines Durchbruchs deutscher Truppen nach Palästina als willige Gehilfen nationalsozialistischer Vernichtungspolitik erwiesen (439, S. 164). Die Kontroverse um den Mufti und andere mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitende Araber hat Gerhard Höpp mit der griffigen Formel „Kollaboration oder Patriotismus?“ auf den Punkt gebracht (432). War die Zusammenarbeit auf arabischer Seite hauptsächlich durch ideologische Nähe oder durch pragmatische Wahrnehmung eigener nationaler Interessen motiviert? Nicht wenige Historiker sehen weniger in der Ideologie als im politischen Pragmatismus das entscheidende Motiv. Als Feind der eigenen Feinde, nämlich der Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, sei das nationalsozialistische Deutsche Reich als natürlicher Verbündeter betrachtet worden. Deutschland besaß zudem, im Gegensatz zu seinem Verbündeten Italien, keine Kolonien und schien im Orient auch keine Ambitionen in dieser Richtung zu haben. Wo die Rivalität zwischen Juden und Arabern um Land anders als in Palästina keine Rolle spielte, sei Antisemitismus daher eher eine Form von Anbiederung an das Deutsche Reich gewesen – so etwa zwischen 1933 und 1945 in der Türkei. Letzten Endes habe der nationalsozialistische Rassismus, der auch die Araber als „minderwertig“ einstufte, ebenso wie die Fixierung Hitlers darauf, die Sowjetunion anzugreifen, statt Großbritannien im Nahen Osten zu schlagen, die auf den Nationalsozialismus gesetzten Hoffnungen enttäuscht und eine engere Zusammenarbeit verhindert (420; 423; 441). Einerlei ob Ideologie oder Pragmatismus den Mufti und seinesgleichen antrieb: Der Konflikt um Palästina gilt als ein, wenn nicht der zentrale Bezugspunkt. Wird das Verhältnis der Nationalbewegungen im Nahen Osten zum „Dritten Reich“ primär durch pragmatische Überlegungen geprägt gesehen, erscheint erst die Gründung Israels 1947/48 als der entscheidende Faktor für die Hinwendung der islamischen Welt zum Antisemitismus. Betont man dagegen ideologische Übereinstimmung und die Bedeutung der NS-Propaganda, erfolgte diese Wende schon in der Zwischenkriegszeit. Auch dann steht allerdings der Palästina-Konflikt, der ja bereits durch die Balfour-Deklaration 1917 und die wachsende jüdische Einwanderung in den 1920er und 1930er Jahren entstand, im Hintergrund. Der Streit geht letztlich um wenig mehr als Nuancen – zumindest was seinen sachlichen Gehalt angeht. Da sich mit Geschichte freilich auch Politik machen lässt, hat die Kontroverse aber durchaus noch eine andere Seite. Denn welche Sympathien der arabischen Sache im Nahostkonflikt heute entgegengebracht werden, dürfte in Europa und Nordamerika unter anderem davon abhängen, ob ihr eine historische Nähe zum Nationalsozialismus nachgewiesen werden kann oder nicht. Ähnliches kann für die grundsätzliche Einschätzung des Verhältnisses von Nahostkonflikt und islamischer Judenfeindschaft gelten. Dass der israelischarabische Konflikt um Palästina in Beziehung zum Antisemitismus in der islamischen Welt steht, ist nicht zu bestreiten. Die Frage ist jedoch, ob es sich
7. Antisemitismus in der islamischen Welt
III.
dabei um eine kausale Beziehung handelt. Auf den ersten Blick mag diese Frage müßig erscheinen. Denn offensichtlich hat sich Antisemitismus unter Muslimen im Nahen Osten parallel zum Palästinakonflikt entwickelt. Während es im 19. Jahrhundert vor allem christliche Minderheiten oder europäische Diplomaten und Missionare waren, die den Judenhass im arabischen Raum verbreiteten, wurden seit der Balfour-Deklaration in Palästina muslimische Araber zum Hauptträger antisemitischer Gewalt (434, S. 65 – 74; 446). Seit der Gründung Israels weitete sich diese Gewaltwelle auf die meisten arabischen Staaten aus. Nach Pogromen und massiven Diskriminierungen von Marokko bis in den Irak mussten zwischen 1948 und den 1970er Jahren etwa 700 000 Juden – fast die gesamte jüdische Bevölkerung – aus diesen Staaten emigrieren (58, S. 209 – 221). Einige Historiker haben daraus geschlossen, „dass der Antisemitismus in der islamischen Welt als ein ideologischer Reflex auf einen realen Konflikt angesehen werden muss“. Der Palästinakonflikt sei die Ursache des arabischen Antisemitismus (434, S. 123; 431; 445). Andere kritisierten, mit dieser Schlussfolgerung würden Ursache und Wirkung verkehrt (439, S. 253 – 257). Doch anders als von beiden Seiten dieser implizit politisch aufgeladenen Debatte angenommen, bedingen Korrelationen nicht unbedingt Kausalitäten. Und man kann mit einigem Recht fragen, warum sich ein marokkanischer Muslim wegen eines 4000 Kilometer entfernten Stück Landes in einer realen Konfliktsituation mit einem Juden wähnen soll – erst recht, wenn beide in Paris wohnen. Der Iran, ebenfalls denkbar weit entfernt von Palästina, versteht sich seit der Revolution von 1979 als Speerspitze des islamischen Kampfes gegen Israel und die Juden. Und das, obwohl der Großteil seiner Einwohner als Schiiten einer anderen Konfession angehört als die meisten anderen Muslime, einschließlich der in Palästina lebenden. Trotz einer erklärtermaßen nicht nur antizionistischen, sondern antisemitischen Haltung toleriert die Regierung des Iran zudem immer noch Juden im eigenen Land (427). Und trotz der erklärten Gegnerschaft zu Israel gilt dieses der iranischen Führung, wie auch den meisten Islamisten, nur als „kleiner Satan“. Das eigentliche Feindbild und „großer Satan“ sind vielmehr die USA (422, S. 109 f., 126 f.). Der Palästinakonflikt, haben etwa Dan Diner und Götz Nordbruch deshalb argumentiert, verschärfe zwar den Antisemitismus in der islamischen Welt; seine wirkliche Ursache sei er aber nicht. Es handele sich dabei vielmehr „um den dramatischen Ausdruck einer tiefen, weit in der Vergangenheit verursachten Modernisierungsblockade teils exogenen, vor allem aber endogenen Ursprungs“ (425, S. 328). Der Antisemitismus werde von den säkularen Eliten der arabischen Nationalbewegungen instrumentalisiert, um abzulenken vom eigenen Versagen bei der selbst gestellten Aufgabe, ihre Länder in die Moderne zu führen. Die Propagierung jüdischer Verschwörung und Sabotage erkläre auf diese Weise von fehlenden Konsummöglichkeiten über industrielle Unterentwicklung bis hin zu Pannen bei Wasser- und Stromversorgung alles, was in Wahrheit durch Korruption und bürokratische Ineffizienz verschuldet ist. Diene der Palästinakonflikt den säkularen arabischen Nationalisten so als Ersatzkonflikt, der innenpolitische Gegensätze verkleistert, habe er für konservative Kräfte in der islamischen Welt den Charakter eines kulturellen Codes. Tatsächlich stehen Israel und Juden nicht allein unter
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Forschungsprobleme
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radikalen Islamisten für alles, was an der Moderne und dem Westen verhasst ist: freizügige Mode, Popmusik, liberale Tendenzen in Kunst und Literatur, offenherziger Umgang mit Sexualität und insgesamt die Auflösung von traditionellen Wertorientierungen sowie überkommenen sozialen Systemen, die zu wachsender Unsicherheit führt (443). Die äußere Frontstellung gegen Israel hätte dann sowohl bei säkularen Nationalisten wie religiösen Islamisten des muslimischen Kulturkreises nicht zuletzt eine Funktion in innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen – im Kampf politischer Parteien um die Macht, in Generationenkonflikten, im Gegensatz von liberalen und konservativen Orientierungen. Wenn der Palästinakonflikt weniger in einem kausalen Zusammenhang mit dem Antisemitismus in der islamischen Welt steht, als vielmehr den Haken darstellt, an dem Judenfeindschaft aufgehängt wird, ergeben sich zwei Konsequenzen. Erstens würde selbst eine dauerhafte Lösung des Konflikts den Judenhass in Nahost nicht beseitigen. Eine solche Lösung wäre überdies unwahrscheinlich, so lange die Judenfeindschaft in arabischen Gesellschaften die beschriebenen Funktionen erfüllt. Die zweite Konsequenz gibt mehr Anlass zur Hoffnung. Der klassische europäische Antisemitismus vor 1945 war eine chimärische Ideologie, eine monströse Ausgeburt der Phantasie, die kaum einen oder überhaupt keinen Bezug zu wirklichen Juden hatte. Trifft das ebenso auf die aktuelle islamische Variante zu, und teilen beide dieselben Funktionen des Ersatzkonflikts oder des kulturellen Codes für Antimodernismus, lassen sie sich vergleichen. Dann ließe sich durchaus aus der Geschichte lernen – ohne dafür die historische Erfahrung eines Völkermords wiederholen zu müssen.
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IV. Perspektiven Am Ende dieses Buches sind vielleicht mehr neue Fragen formuliert als alte beantwortet. Das liegt natürlich mit am Konzept der Reihe Kontroversen um die Geschichte. Die kontroverse Diskussion, das Stellen von Fragen, der kritische Blick auf etablierte scheinbare Weisheiten ist der Motor aller historischen Forschung und Erkenntnis. Die Vielzahl offener Fragen ist aber auch Folge einer besonderen Eigenschaft des Themas. Denn Antisemitismus ist ein Politikum, und wird es vermutlich auch auf absehbare Zeit bleiben. Dieser politische Charakter des Themas beeinflusst die Forschung, und er beeinflusst ebenso ihre Rezeption in Fachkreisen und Öffentlichkeit. In der reichhaltigen Literatur zur Judenfeindschaft finden sich deshalb zahlreiche Klischees. Um differenzierende Sachlichkeit bemühte Darstellungen sind dagegen nicht allzu häufig – auch deshalb, weil ernsthafte Forschung eben anstrengender ist als moralisierende Versimpelung. Ein Gutes hat das freilich: Es bleibt noch reichlich zu tun für diejenigen, die Arbeit nicht scheuen. Woran es in der historischen Forschung über Judenfeindschaft bis heute am meisten fehlt, sind aus den Quellen gearbeitete Vergleiche. Das gilt zunächst für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Antisemitismus und anderen Xenophobien. Nur für wenige Bereiche ist bisher systematisch verglichen worden, wie in mehrheitlich katholischen oder protestantischen Milieus die jeweils andere christliche Minderheit und Juden behandelt wurden (80; 290). Das gleiche gilt für die Behandlung von jüdischen und muslimischen Minderheiten in Westeuropa nach 1945, in Teilen Südosteuropas bereits ab dem 19. Jahrhundert oder für den Umgang mit Christen und Juden in der arabischen Welt (446). In welchen politischen und kulturellen Kontexten, unter welchen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen konnten Elemente des Antisemitismus, die diesen wie etwa die Legende von der jüdischen Weltverschwörung von anderen Formen der Fremdenfeindlichkeit unterscheiden, eine zentrale handlungsleitende Bedeutung unter Nichtjuden gewinnen? Ist dieser Frage für Juden als Religionsgemeinschaft durch vergleichende Untersuchungen bisher nur selten nachgegangen worden, so wurde sie für Juden als ethnisch oder national konstruierte Gruppe mit komparativen Methoden noch fast gar nicht aufgeworfen. Allein im Rahmen der Forschung über die Zeit des Zweiten Weltkriegs gibt es wenigstens Ansätze zum Vergleich etwa der Wahrnehmung und Behandlung von Juden und Polen durch Deutsche (297; 357). Diese Ansätze könnten, ausgehend von der oben formulierten Fragestellung, vertieft und auf Weimarer Republik und Kaiserreich ausgedehnt werden. So weisen etwa die Enteignungs- und Vertreibungsphantasien von Antisemiten und Antislawisten im Deutschen Reich vor 1914 große Ähnlichkeiten auf – allerdings blieb es bei dem vom Deutschen Ostmarkenverein und anderen Verbänden propagierten Antipolonismus bereits im Kaiserreich nicht nur bei Phantasien (448; 451). Auch das von Deutschen und anderen Europäern gezeigte Verhalten in blutigen Kolonialkriegen des 19. und 20. Jahrhunderts, die zumindest bis an den Rand des Völkermords gingen, würde sich für vergleichende Analysen anbieten. Wieweit Rassismus
Antisemitismus und andere Xenophobien
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Perspektiven
IV.
Internationaler Vergleich
Transnationale Perspektiven
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und exzessives Gewalthandeln hier in einer Kontinuität zum Genozid an den europäischen Juden zu sehen sind, wird mittlerweile, wenn auch noch vielfach spekulativ, immer intensiver diskutiert (449; 450; 452). Natur und Bedingungsfaktoren der Zäsur, die der Erste Weltkrieg nach weit verbreiteter Ansicht für die Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland und anderswo dargestellt hat, ließen sich durch quellengestützte Vertiefung solcher Überlegungen vielleicht genauer bestimmen. Neben komparatistischen Arbeiten zum Verhältnis von Judenfeindschaft und anderen Xenophobien fehlen auch quellengesättigte Studien zu Antisemitismus im internationalen Vergleich. Dieser wurde bislang, von dem quantifizierenden Fünfländervergleich Brusteins abgesehen (108), entweder nur auf der Basis von Sekundärliteratur vorgenommen (107; 109; 110; 168) oder erschöpfte sich in dem oberflächlichen Konstruieren von Kontrasten, dem lediglich fundierte Kenntnisse über ein Land zugrunde lagen. Diese Defizite der Forschung haben im Wesentlichen arbeitsökonomische Gründe. Ist doch eine systematische Analyse „der“ Judenfeindschaft schon in zwei Ländern angesichts der Komplexität des Phänomens kaum zu meistern. Sinnvoller und arbeitsökonomisch machbar erscheint deshalb die Konzentration auf einzelne Aspekte. In Frage kämen dafür etwa die bekannten Topoi des klassischen Antisemitismus, wie Wuchergeschäfte, der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung, die Legende vom Ritualmord und dergleichen mehr. Unterschiede in Frequenz und Ausprägung dürften unter anderem Rückschlüsse auf die Kontexte verschiedener Formen von Judenfeindschaft ermöglichen. Das gilt auch für zunächst vielleicht relativ banal erscheinende Dinge. Ist beispielsweise die Darstellung von Juden, die in antisemitischen Karikaturen des späten 19. Jahrhunderts aus Frankreich bei jedem Wetter mit einem Regenschirm auftreten, als Folge ihrer Identifikation mit dem großstädtischen, vor allem dem Pariser Leben zu sehen? Und handelt es sich dabei um ein einzigartiges Bildmotiv, das vor dem Hintergrund eines spezifisch französischen Gegensatzes von Metropole und „flachem Land“ interpretiert werden kann, oder findet sich dasselbe Motiv auch anderswo? Aufschlussreich könnte ebenso eine komparative Untersuchung von diffus sozialkulturell verankerter Judenfeindschaft sein, die sich zum Beispiel über Vorkommen und Verbreitung bestimmter Gebrauchsgegenstände erfassen ließe, wie Spazierstöcke, Tabaksdosen, Türstopper und Nippesfiguren mit der Darstellung von als „jüdisch“ geltenden Körperformen (Beispiele: 132). Erst auf der Grundlage solcher Detailstudien kann die Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg vergleichend eingeschätzt werden, auf der heute vor allem in Osteuropa das wissenschaftliche und öffentliche Hauptinteresse am Antisemitismus liegt. Dagegen lässt sich zumindest die direkte und indirekte Beeinflussung durch NS-Deutschland in transnationalen Untersuchungen heute schon sinnvoll vergleichend analysieren. Nur im Fall Italiens dürfte dieses Thema bereits weitgehend ausdiskutiert sein. Für die osteuropäischen Verbündeten Deutschlands während des Zweiten Weltkriegs sind hier jedoch noch viele Fragen offen. Erst recht gilt das für die arabische Welt im selben Zeitraum, wobei allerdings die Zugänglichkeit der Quellen dort noch um einiges schwieriger ist als in Osteuropa. Der „Export“ von Antisemitismus über poli-
Perspektiven tische und kulturelle Grenzen hinweg ist jedoch nicht allein für die 1930er und 1940er Jahre ein viel versprechendes Thema der Forschung. Auch etwa der Rezeption der Dreyfus-Affäre außerhalb Frankreichs intensiver nachzugehen, wäre ein lohnendes Unterfangen. Das gleiche gilt für das internationale Echo auf die russischen Pogrome des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Solche Untersuchungen dürften sich freilich nicht auf die Höhenkämme der Hauptstadtfeuilletons beschränken, sondern müssten zumindest auch die Niederungen lokaler Käseblätter und der modernen Massenpresse, die gerade in dieser Zeit zu blühen begann, in die Analyse mit einbeziehen. Ein besonders interessantes Beispiel für transnationale Wanderungsprozesse antisemitischer Elemente ist die Ritualmordlegende. Während des Hochmittelalters in Westeuropa entstanden, blühte sie zunächst für ungefähr drei Jahrhunderte dort – und nur dort. Im 15. Jahrhundert verbreitete sie sich in Italien, etwas später auch nach Polen. Seit der frühen Neuzeit kam es dann in Westeuropa kaum noch zu Ritualmordvorwürfen. Diese vermehrten sich stattdessen jetzt in Osteuropa. Im 19. Jahrhundert erlebte die Legende schließlich eine Renaissance im deutschen Sprachraum, jedoch nicht in ihren mittelalterlichen Hochburgen England und Frankreich. Wieweit diese komplexe Entwicklung auf Mund-zu-Mund-Propaganda oder Medien zurückzuführen ist, ob der Ritualmordtopos in Mitteleuropa während der frühen Neuzeit in bildlichen Darstellungen oder anderen Überlieferungsformen „überwinterte“, mit Beginn der Moderne neu erfunden wurde oder aus Polen „rückwanderte“, und warum er in Westeuropa gleichsam verschwand, ist noch zu klären (17; 65; 282, S. 100 – 155). Aspekte wie der Ritualmordtopos eignen sich auch besonders zur Erforschung von Antisemitismus unter „kleinen Leuten“. Denn im Gegensatz etwa zum Mythos von der jüdischen Weltverschwörung, der im Wesentlichen ein intellektuelles Konstrukt ist, manifestiert sich der Ritualmordvorwurf konkret an der gesellschaftlichen Basis in gegen Juden gerichteten Anklagen und Gerüchten. Mit dem Trend von der Ideologie- und Geistesgeschichte hin zur Sozial-, Mentalitäts- und neuen Kulturgeschichte ist in den letzten Jahrzehnten Judenfeindschaft unter „kleinen Leuten“ zwar bereits verstärkt in den Fokus der Forschung getreten. Häufig dominieren allerdings immer noch „top-bottom“-Erklärungsmodelle, nach denen antisemitische Gedanken und Weltbilder von „oben“ nach „unten“ durchsickern. Antisemitismus an der gesellschaftlichen Basis erscheint so nur als verwässerte und vereinfachte Form der komplexeren Ideologiegebäude von Eliten. Sozialhistorische Studien zu größeren Untersuchungsräumen unterliegen leicht der Versuchung, die Ansichten von „Multiplikatoren“ und „Milieumanagern“ wie Journalisten und Priestern vorschnell mit denen von Zeitungslesern und Kirchenbesuchern gleichzusetzen, obwohl sie über Letztere aus Mangel an Quellen eigentlich kaum etwas aussagen können (216). Innovative neuere Untersuchungen, die mit diskurshistorischen Methoden arbeiten, neigen erst recht dazu, sich auf gesellschaftliche Eliten zu beschränken (93; 94). Die Erforschung der Judenfeindschaft unter „kleinen Leuten“ bleibt aber, so schwierig sie sich im Einzelnen angesichts einer defizitären Quellenlage gestalten mag, ein dringendes Desiderat. Vor allem Lokal- und Regionalstudien haben sich bei der Ausfüllung dieser Forschungslücke als fruchtbar erwiesen. Hier bleibt noch viel zu tun. Gerade den Prozessen der Formung und Umformung
IV.
Judenfeindschaft unter „kleinen Leuten“
115
Perspektiven
IV. „Mentalität“, Handlungen, Kontexte
Jüdische Geschichte und Antisemitismus
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von antisemitischer Ideologie durch Interaktion von gesellschaftlicher Basis und Eliten könnte dabei mehr Beachtung geschenkt werden. Eher im Zusammenhang von „top-bottom“-Modellen steht dagegen das überkommene Konzept einer judenfeindlichen „Mentalität“, die durch antisemitische Agitation „aktualisiert“ wird. Problematisch erscheint an diesem herkömmlichen Erklärungsmuster antisemitischer „Mentalität“, dass mit ihr auf eine dauerhafte Struktur oder „Latenz“ von Vorurteilen geschlossen wird, die an sich gar nicht in Quellen nachgewiesen werden kann. Denn belegbar sind tatsächlich nur einzelne judenfeindliche Handlungen, die dann als „Manifestationen“ eines „latenten“ Antisemitismus interpretiert werden. Methodisch korrekter und auch im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit heutigem Antisemitismus sinnvoller dürfte es sein, sich auf die Analyse judenfeindlicher Akte zu konzentrieren. An Stelle der fragwürdigen Postulierung diffuser antisemitischer „Mentalitäten“, die dann in der Regel bestimmten Kollektiven zugeschrieben werden – den Bewohnern einer bestimmten Stadt oder Region, den Deutschen, den Polen, den Arabern, den „Rechten“, den „Linken“, den Katholiken oder den Muslimen – stünden besser konkrete Handlungen im Mittelpunkt zukünftiger Untersuchungen. Statt „latente“ Einstellungen, die selbst heute durch Umfragen nur punktuell erhoben werden können und nach den Ergebnissen der Demoskopie tatsächlich beständig im Fluss sind, zu dauerhaften oder sogar „ewigen“ Traditionen erheben zu wollen, wären Historiker besser beraten, sich auf die Beschäftigung mit der Produktion und Reproduktion von judenfeindlichen Äußerungen und Versatzstücken von antisemitischer Ideologie zu beschränken. Denn nur so lassen sich die Kontexte ermitteln, in denen Judenhass in der Vergangenheit wuchern konnte. Und nur auf diese Weise lässt sich sein Nährboden in Gegenwart und Zukunft austrocknen. Beitragen könnte dazu ebenfalls eine Verstärkung der in letzter Zeit zu beobachtenden Tendenzen, der seit den 1980er Jahren vollzogenen Trennung der Forschung zu jüdischer Geschichte einerseits und Antisemitismus andererseits entgegenzuwirken. Denn die Stellung von Juden im politischen und sozialen Gefüge hat, wie einige neuere lokal- und regionalhistorische Studien gezeigt haben (212; 265), durchaus Bedeutung für die Entwicklung von Antisemitismus. Damit soll weniger eine Lanze für die Realkonfliktthese gebrochen werden. Und schon gar nicht geht es um die Exhumierung der Behauptung aus der Mottenkiste des klassischen Antisemitismus, dieser sei selbst Folge von „jüdischen Provokationen“. Vielmehr geht es um die Thematisierung der Bündnisse, die Nichtjuden mit Juden zu ganz verschiedenen politischen und sozialen Zwecken eingegangen sind. Dazu gehörte das „disestablishment“ von Staatskirchen, liberale Projekte zur Gesellschaftsreform, nationalstaatliche Bewegungen, und vieles mehr. Die Stärke der gemeinsamen Interessen und das Ausmaß der Einbindung der Juden in solche Bündnisse, aber auch das Erreichen von Zielen, das Wegbrechen von nichtjüdischen Verbündeten, die Reduzierung von Zahl oder Bedeutung der jüdischen Bündnispartner – all das hatte vielfältigen Einfluss auf die gesellschaftliche Stellung von Juden. Im deutschen Fall lässt sich dies etwa aufzeigen an der Nationalstaatsgründung und Festschreibung der Emanzipation 1871, dem Ende der „liberalen Ära“ 1878/79, oder den ambivalenten Auswirkungen des Demokratisierungsschubs von 1918 auf nationaler und kommunaler Ebene.
Perspektiven Im Zusammenhang mit jüdisch-nichtjüdischen Bündnissen richtet sich die Perspektive schließlich auch auf Anti-Antisemitismus. Dieser verschwindet nur all zu leicht aus dem Blickfeld. Das hat außerwissenschaftliche Gründe, aber innerwissenschaftliche Faktoren wie Isolierung und Spezialisierung der Forschung spielen dafür ebenfalls eine Rolle. Zusätzlich droht Anti-Antisemitismus in letzter Zeit allerdings noch durch manche Tendenzen einer einseitig betriebenen Kulturgeschichte aus dem Bild verdrängt zu werden. So ergibt sich bei einer Konzentration auf Rituale der Ausgrenzung gegenüber Juden leicht der Eindruck einer geschlossen antisemitischen Umwelt. Das gilt umso mehr, als der ritualisierten Affirmation von Toleranz und neuerdings Multikulturalität leicht der Vorwurf philosemitischer Oberflächlichkeit oder Verlogenheit gemacht werden kann. Wirkliche liberale Toleranz ist hingegen abstrakt und nicht ritualisiert. Sie kommt im politischen Raum zum Ausdruck und wird deshalb von einer eng definierten Kulturgeschichtsschreibung gar nicht erfasst, gehört aber mit ins Bild. Die Wichtigkeit der Erforschung von sozialkulturellen Erscheinungsformen des Antisemitismus bleibt davon unberührt. Witze etwa sind üble Ausdrucksformen von Judenfeindschaft; sie können verunsichern und verletzen. Für Steine, die in die Fenster von Synagogen oder Häuser von Juden geworfen werden, gilt das allerdings noch weitaus mehr. Und erst recht trifft es für antisemitische Gesetze zu. Das eine begründet auch nicht unbedingt das andere. Es gibt keine zwangsläufige Eskalation antisemitischen Verhaltens. Vom Erzählen antisemitischer Witze führt nicht zwingend ein Weg zu diskriminierender Gesetzgebung und Verfolgung. Der verbale Ausdruck antijüdischer Affekte kann sogar, wie zum Beispiel für Kölner Arbeiter während der Weimarer Republik oder englische Politiker in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren gezeigt worden ist (126; 290), mit anti-antisemitischen Handlungen derselben Personen Hand in Hand gehen. Es bestehen Unterschiede zwischen verschiedenen Varianten der Judenfeindschaft. Sozialkultureller Antisemitismus in der deutschen Arbeiterbewegung des Kaiserreichs oder der Weimarer Republik war etwas anderes als der Judenhass eines Wilhelm Marr oder Adolf Hitler. Es wäre absurd, den nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden gleich zu setzen mit der Reaktion der westlichen Alliierten darauf – auch wenn Judenfeindschaft letztere mit beeinflusste. Auf einer ganz anderen Ebene ist Kritik an der israelischen Politik im Palästinakonflikt grundverschieden von dem Judenhass, der sich in israelischen Städten bei Selbstmordattentaten entlädt. Wer diese Unterschiede verwischt, erweist einer Forschung zum Antisemitismus, die sich nicht zuletzt als Grundlage für die effektive Bekämpfung des Phänomens in allen seinen Formen versteht, einen Bärendienst.
IV. Politischer AntiAntisemitismus und neuere Kulturgeschichte
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Literatur Vorbemerkung: Bei mehrfach gedruckten Aufsätzen ist der in deutschen Bibliotheken am häufigsten vorhandene Druckort angegeben. In Klammern angegebene Zahlen – Beispiel: (11975) – stehen dann für das Jahr der Erstveröffentlichung. Wo deutsche Übersetzungen fremdsprachiger Publikationen vorliegen, sind diese aufgenommen worden; Ort und Jahr des Erstdrucks in der Originalsprache folgen in Klammern – Beispiel: (1Jerusalem 1980). Bei thematisch ähnlichen Publikationen desselben Autors wird in der Regel nur die Fassung „letzter Hand“ verzeichnet.
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,
Register Adam, Uwe Dietrich 75 Adenauer, Konrad 98 Adorno, Theodor 17 Al-Husseini, Amin 109 f. Aly, Götz 77 f. Arendt, Hannah 93 „Arisierung“ 87, 89 f., 98 Armenier 108
Erb, Rainer 97 „Euthanasie“ 77, 81, 90
Baden 57 f., 61, 89 Bajohr, Frank 88, 90 Bamberger, Ludwig 16, 31 Bauer, Yehuda 10 Baumann, Ulrich 61, 68, 89 Bergmann, Werner 1, 33 f., 96 f., 101 – 104 Berlin 26, 40, 90 f. Birnbaum, Pierre 44 Blackbourn, David 65 Blaschke, Olaf 64 f., 89 Borut, Jacob 68, 73 Brenner, Michael 60 Breslau 60, 68 Broder, Henryk 96 Broszat, Martin 76, 78 Browning, Christopher 78, 81 f. Brustein, William 25, 34, 114 Buber, Martin 51 Bund der Landwirte 57 – 59 Burns, Michael 44
Gay, Peter 51 Gershoni, Israel 109 Gilbert, Martin 38 Glagau, Otto 53 Goebbels, Joseph 22, 90 f. Goldhagen, Daniel 80 – 82, 90, 103 Greive, Hermann 21 Gross, Jan Tomasz 49 Großbritannien 25, 34, 36 – 40, 45 f., 93, 102, 106, 109 f., 115, 117 Gruner, Wolf 91
Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 51 f., 88 Chirac, Jacques 43 Claussen, Detlev 29 Cohn, Norman 15, 92 Cüppers, Martin 109 f. Damaskus 107 DDR 98 f., 103 Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband 56, 59 Dickens, Charles 37 Diner, Dan 111 Dinnerstein, Leonard 39 Dipper, Christof 83 Dreyfus, Alfred 42 – 44, 49, 115 Düsseldorf 58, 61, 73 Elsass 26 f., 36 Endelman 37
134
Franken 89 Frankfurt 54 Frankreich 27, 30, 34 – 36, 42 – 46, 50, 105, 110, 114 f. Friedländer, Saul 78
Hagen, William 25, 33 f., 48 Hamburg 54 Hammerstein, Notker 54 Harris, James 53 Hartmann, Christian 84 Haury, Thomas 99 Heer, Hannes 82, 84 Heil, Johannes 14 – 16, 44 Heim, Susanne 77 f. Heitmeyer, Wilhelm 104 Herbert, Ulrich 78, 91 Herzig, Arno 62 Hessen 26, 57 Hilberg, Raul 79 Hitler, Adolf 8, 10, 22, 34, 46, 56, 73 – 76, 79 f., 85, 117 Hoffmann, Christhard 22, 72, 89 Hoffmann, Peter 83 Hohmann, Martin 104 Holz, Klaus 30 f., 33, 56 Höpp, Gerhard 110 Iran 111 Israel 96, 98 – 101, 106, 108, 110 – 112, 117 Italien 23, 34, 45 – 48, 110, 114 f. Japan 23, 25, 104 Jedwabne 49
Register Jeggle, Utz 67, 69 Jochmann, Werner 73 Karady, Victor 11 Katyn 50 Katz, Jacob 20 – 22 Kauders, Anthony 58, 61, 73, 94 – 97 Kershaw, Ian 88 Kielce 11 Köln 54, 63 f., 68, 117 Konitz 71 – 73 Kulka, Otto Dov 88 Kunmadaras 11 Langmuir, Gavin 14 Latzel, Klaus 83 Lerman, Anthony 102 Leuschen-Seppel, Rosemarie 62 f. Levy, Richard S. 56 Lewis, Bernard 107 Ley, Michael 10 f. Lindemann, Albert 26, 33 f. London, Louise 38 Mallmann, Klaus-Michael 109 f. Mantelli, Bruno 47 Marr, Wilhelm 6, 53, 117 Marrus, Michael 43 Marx, Karl 61 Massing, Paul 55 f., 62 Mazura, Uwe 64 f. Meiring, Kerstin 66 Messadié, Gerald 16 f. Michaelis, Meir 46 Mohammed 107 Möllemann, Jürgen 103 f. Mommsen, Hans 76, 78 München 95 f. Musil, Robert 27 Mussolini, Benito 46 – 48 Napoleon I. 25 Napoleon III. 43 Niederlande 22, 30, 36, 38, 102 Niewyk, Donald 74 Nirenberg, David 12 Nonn, Christoph 72 Nordbruch, Götz 109, 111 Nürnberg 58, 61, 73, 87
Pohl, Dieter 82, 84 Polen 23, 25, 27, 36, 48 – 50, 72, 77, 79, 83, 93, 99, 115 Pommern 71 Posen 71 Postone, Moishe 29 Protokolle der Weisen von Zion 15 Pulzer, Peter 55 f. Rahden, Till van 60 f., 66 – 68 Raiffeisengenossenschaften 57 Rass, Christoph 83 f. Reichmann, Eva 25 f. Rensmann, Lars 100, 102 – 104 Retallack, James 58 Richarz, Monika 70 Riff, Michael 57 Ritualmord 14 f., 71 f., 107 f., 114 f. Rohrbacher, Stefan 15, 27, 52, 54 Rosenberg, Hans 23 f. Rubinstein, William 38 Ruether, Rosemary 11, 21 Rumänien 25, 27, 34, 48, 50, 82 Rürup, Reinhard 28 f., 33, 62 Russland 40 – 42, 104 Sachsen 58 Sarfatti, Michele 46 Schäfer, Julia 63 Schleunes, Karl 75 Scholem, Gershom 51 Schumann, Peter 51 f., 54 Schweiz 22, 36 Shakespeare, William 37, 93 Slowakei 48, 50 Smith, Helmut Walter 57, 65, 71 f. Sowjetunion 41 f., 98 f. Steinberg, Jonathan 47 Sterling, Eleonore 27 Stern, Frank 97 Stoecker, Adolf 58 Stoltzfus, Nathan 90 f. Stuttgart 69 Tal, Uriel 21, 58, 60, 65 Treitschke, Heinrich von 53, 94 Treuchtlingen 89 Tschechoslowakei 98 Tucholsky, Curt 25, 29 Türkei 110
Österreich 40, 42, 45, 63, 102 Paxton, Robert 43 Peal, David 57
Ungarn 25, 27, 48, 50 USA 36, 38 – 40, 50, 93, 98 – 100, 102, 106, 111
135
Register Verein zur Abwehr des Antisemitismus 59 Vereinte Nationen 98 Volkov, Shulamit 5, 28 f., 33, 36, 58, 62 f., 73 Voltaire 36 Walser, Martin 103 Walter, Dirk 72 Walz, Rainer 14 Wasserstein, Bernard 38 Weltverschwörung 14 f., 25, 92, 99, 108, 113 – 115 Wenge, Nicola 54, 63, 67 f. Westpreußen 71
136
Wien 26, 40 Wildt, Michael 88 f. Wucher 14 f., 29, 69 f., 85, 114 Württemberg 67, 69 Wyman, David 38 Xanten 71 Xenophobie 3, 14, 30, 113 f. „Zigeuner“ 25, 77, 81 Zimmermann, Moshe 60, 73 Zuccotti, Susan 47 Zumbini, Massimo Ferrari 74