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German Pages [322] Year 2018
Holger Schaeben
Am Nachmittag kommt der Führer Schicksalsjahr 1938
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG © 2018 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Eva Harker, Münster Satz: Anja Harms, Oberursel Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3682-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3683-5 eBook (epub): 978-3-8062-3684-2
All das gibt es, während es all das gibt! Karl Kraus
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 30. Dezember 1937 DAS AUTO VON PASSAU. Schärding […]. Montag abends wurde hier, wie gemeldet, bei der Zollrevision in einem reichsdeutschen Personenauto aus Passau eine große Menge nationalsozialistischer Bücher, parteiamtliche Schulungsbriefe und sonstiges zur Verbreitung in Österreich bestimmtes nationalsozialistisches Propagandamaterial gefunden und beschlagnahmt. […] Die Zollwachorgane fahndeten hauptsächlich nach Devisen und sie fanden dabei in dem geräumigen Koffer des großen Autos moderner Type eine Menge Propagandamaterial, darunter große Pakete von Schulungsbriefen für die illegalen Parteigänger und speziell für die Arbeitsfront. Salzburger Volksblatt
Es ist der Abend vor dem Silvestertag 1937. Im Grand Hôtel de l'Europe öffnet einer der zahlreichen Ober eine jener unzähligen Flaschen Wein, die an diesem Abend im Strahlenglanz der Lüster geleert werden. Der Weinkeller des Hauses gilt als nie versiegende Quelle des Glücks in den Kreisen derer, die es sich leisten können. Zur Festspielzeit ist das Grand Hôtel der Treffpunkt für Gäste aus aller Welt. Doch vornehmlich feiert in seinen prachtvollen Sälen die Salzburger Eleganz ihre fulminanten Feste und sich selbst. Hier wird die Tradition nicht rückwärts gedacht, sondern vorwärts zelebriert.
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An dem Tisch, an dem ein Mann im besten Alter mit seiner jungen Begleiterin seinen Geburtstag begeht, ist es die zweite Flasche 1928er Bordeaux, ein Jahrgang von außergewöhnlicher Qualität, in dem auch die nicht so bekannten Erzeuger des Bordelais Glanzleistungen vollbrachten. Es sind Weine, die man später – viel später – filigran und bezaubernd, aber auch risikoreich und vergänglich nennen wird. Der Ober, der den Bordeaux soeben geöffnet hat, schenkt einen Probierschluck in das Glas des Herrn ein, während eine rote Träne vom Flaschenhals auf das weiße Tischtuch tropft. Der Speiseaal mit seinen fast einhundert Plätzen ist erfüllt vom Stimmengewirr der zahlreichen Tischgesellschaften. Während die Gäste speisen, konzertiert eine Wiener Kapelle und es ist nicht zu verstehen, was die Beiden sprechen. Walter Schwarz, der Mann, der Geburtstag hat, wird dreiundfünfzig Jahre alt. Er spricht, sie lacht. Er liebt ihre unbeschwerte Fröhlichkeit, die sich in allem niederschlägt, was sie berührt. Wer in den Gesichtern der beiden lesen kann, ahnt das Glück. Da aber jeder Tisch in dieser lauten Undurchdringlichkeit eine kleine Insel ist, nimmt niemand wirklich Notiz von der Verliebtheit des altersmäßig so ungleichen Paares. Es ist ihr erstes gemeinsames Jahr, und es sollen noch viele folgen. Freilich, ihn kennt man. Über sie aber weiß man recht wenig, und die, die etwas zu wissen glauben, wissen auch nicht mehr, als dass sie jung ist und schön und keine von hier. Die braunen Haare hat sie kunstvoll hochgesteckt. Mit ihrem leicht geneigten Kopf, den Blick an die Decke gerichtet, strahlt sie etwas Elfenhaftes aus. In Salzburg bekommt man sie nur selten zu Gesicht. Linzerin soll sie sein, als Verkäuferin soll sie dort bei Kraus & Schober gearbeitet haben. Und wer eins und
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eins zusammenzählen kann … Sicher ist: Bereits 1930 war Kraus & Schober von einer Investorengruppe um die drei Brüder Max, Walter und Paul Schwarz übernommen worden. Es braucht nicht allzu viel Fantasie für die Vorstellung, dass Walter Schwarz die junge Dame, die an seinem Tisch sitzt, in dem Linzer Warenhaus am Hauptplatz 27 kennengelernt hat. Die Frage, wann genau das Kennenlernen vonstattengegangen ist und wie, bleibt Spekulation. Was das Geschäftliche betrifft, kann man jedoch konkret werden: Die jüdische Familie Schwarz verfügt seit der Übernahme von Kraus & Schober nicht nur in Linz und Salzburg, sondern in ganz Österreich über ein sehr gut funktionierendes und florierendes Geschäftsnetz an Kaufhäusern. Den Grundstein für die Entwicklung hatte der Vater, Samuel Löbl Schwarz, im Jahr 1881 mit dem Stammhaus der Firma S. L. Schwarz in Graz, Jakominiplatz 16, gelegt. Vor dreißig Jahren, anno 1908, hatte die Stadtgemeinde Salzburg der Firma S. L. Schwarz die Gewerbeberechtigung für eine Zweigniederlassung am Ludwig-Viktor-Platz 12, heute Alter Markt erteilt. Samuel Löbl Schwarz und seine Söhne Max, Walter und Paul hatten das Haus erworben, dazu die Liegenschaft Kranzlmarkt 4 sowie einen Hausanteil in der Sigmund-Haffner-Gasse 3. Wer heute hier im Grand Hôtel de l’Europe ist, denkt schon mit Vorfreude an morgen: Morgen wird an gleicher Stelle das neue Jahr geräuschvoll und überschwänglich willkommen geheißen werden. Eine Stunde null wird es sein. Die Feiernden werden die Gläser klingen lassen und allein durch ihre Anwesenheit einander versichern, dass auch im neuen Jahr alles wie immer, alles beim Alten bleiben wird. Walter Schwarz will weder heute noch morgen an den Weihnachtsboykott denken,
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zu dem die in Österreich zwar illegale, aber mitgliederstarke nationalsozialistische Bewegung vor wenigen Tagen aufgerufen hat. Der aggressive Propagandafeldzug hat zahlreiche jüdische Geschäfte getroffen, auch die seiner Familie. Sicher, im Deutschen Reich hatten die Nationalsozialisten gleich nach Hitlers Machtübernahme vor fünf Jahren zu Konsumentenboykotts aufgefordert. Auch Überfälle von SA-Männern auf jüdische Kaufhäuser waren schon vorgekommen. Wer Augen und Ohren nicht verschloss, konnte über die Grenzen hinweg vom Kesseltreiben gegen jüdische Unternehmer in Deutschland erfahren. Aber das war eben Deutschland, nicht Österreich. Bis gestern. Bis Weihnachten. Jetzt fühlt Walter Schwarz anders, denn jetzt ist auch seine Heimat davon betroffen – und mehr noch: Seit ein paar Tagen geht es ihn direkt etwas an. In der auflagenstärksten illegalen Publikation, dem in Linz hergestellten Österreichischen Beobachter, wurden jüdische Unternehmer als Blutsauger und Wucherer dargestellt und das größte und modernste Linzer Warenhaus Kraus & Schober hatte man einen „Ramschladen“ genannt. Schon in der zweiten Novemberhälfte hatte dieselbe Zeitung geschrieben: „Denkt schon jetzt bei Vorbereitung und Überlegung der Weihnachtseinkäufe, daß ihr keinen Groschen zum Juden tragen dürft.“ Und ein paar Zeilen weiter: „Selbstverständlich ist auch das Ramsch-Warenhaus Kraus & Schober jüdisch. Obwohl es drei Ausgänge hat, werden wir ihm als einem der ärgsten Schädlinge des heimischen Handels und Gewerbes und des kaufenden Publikums unser besonderes Augenmerk zuwenden.“ Das Blatt hatte Kraus & Schober sogar mit der Bezeichnung „Kraußlich“ bedacht, aus der man leicht die gebräuchliche Verwendung des Wortes „grauslich“ für „abscheulich“ herauslesen kann.
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Trotzdem. Walter Schwarz will heute nur das Schöne sehen, sein Gegenüber, nicht die abscheuliche Fratze des Grauslichen, die er sich einfach nicht vorstellen mag. Nein, es wird schon weitergehen! Es ist doch nur ein Spuk, der sich bald wieder in nichts auflösen wird. Im Augenblick löst er sich im Rotwein auf, in dem x-ten Glas 1928er Bordeaux. Walter Schwarz möchte das Leben eines wohlhabenden Mannes, von allen familiären Verpflichtungen befreit, weiterleben. Seine Frau Dora hat Salzburg und ihm schon vor vier Jahren den Rücken gekehrt und ist nach Palästina ausgewandert. Da war sie neununddreißig Jahre alt. Dora hatte Walter Schwarz mit sechzehn Jahren geheiratet. Schon als ganz junge Frau war sie ebenso überzeugte Vegetarierin wie Zionistin. Seinerzeit fuhr sie nach Zürich, um im Sanatorium des Gesundheitsapostels Bircher-Benner alles über Naturheilkunde zu erlernen. Zwanzig Jahre später brach sie aus und nahm als selbstbewusste Frau im Juli 1933 Abschied von ihrem Mann. Seit ihrer Ausbildung hatte Dora davon geträumt, eines Tages ein vegetarisches Gesundheitszentrum zu eröffnen. Mit diesem Traum und ihren drei Söhnen fuhr sie ins gelobte Land und ließ sich in Binjamina, südlich von Haifa, nieder. Palästina wird für sie ein Schlupfloch in die Selbstverwirklichung gewesen sein. Bis Anfang 1933 wohnten die Schwarz’ in einer ansehnlichen Villa in der Salzburger Elisabethvorstadt, ein großes Eckgrundstück, Purtschellergasse 12, eine Viertelstunde Fußweg von der Altstadt entfernt. Da aber stets die spiegelnde Karosse vor der Schwarz’schen Villa bereit stand, musste Walter Schwarz diesen Weg nur gehen, wenn er unbedingt wollte. Im Juni 1934 gab er die Purtschellergasse 12 auf, meldete sich offiziell nach Linz ab und bezog dort eine Wohnung im Haus Domgasse 5,
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das er zu einem Viertel sein Eigen nennt und von dem es nur ein paar Schritte zu Kraus & Schober sind. Da er wegen seines Geschäftes regelmäßig in Salzburg ist, hat er auch hier eine Wohnung eingerichtet. Und zwar am Kranzlmarkt 4, was wiederum sehr praktisch ist, weil sich gleich um die Ecke am Alten Markt sein Salzburger Warenhaus, das Kaufhaus Schwarz, befindet. Dass Dora die Buben mitgenommen hat, schmerzt ihn sehr. Hugo ist mittlerweile vierundzwanzig Jahre alt, der Mittlere, Rafael, siebzehn, und Benjamin ist vierzehn. Als Dora ihren Mann verließ, stand es um ihre Ehe schon länger nicht mehr zum Besten. Sie hatte von seinen zahlreichen Liebschaften die Nase voll. Von Hertha Pitschmann, wie die junge Verkäuferin aus Linz heißt, hätte sie sicher auch erfahren. Aber da war sie schon fort. Walter Schwarz muss sich nicht mehr bemühen, diese Liebschaft geheim zu halten. Er hat seiner Hertha eine Wohnung in Wien I., Biberstraße 4, gemietet und ihr in der Stadt sogar ein kleines Wäschegeschäft eingerichtet. Von Dora ist er zwar noch nicht geschieden, aber er ist sich sicher, dass er aus Hertha Pitschmann in naher Zukunft Frau Schwarz machen wird. Noch Anfang November hat er sein Testament geändert, das er im Dezember 1935 verfasst hatte. Ursprünglich hatte er Dora als Alleinerbin eingesetzt und sie auch als Vormundin seiner minderjährigen Kinder bestellt. Nach seinem jüngsten Willen soll nun die gesetzliche Erbfolge gelten. Wer immer zukünftig den Namen Frau Schwarz tragen würde, ist damit – neben den drei Söhnen – zur Erbin bestimmt. Mit Hertha Pitschmann wird er nach diesem Abend in seine Wohnung am Kranzlmarkt gehen und dort todmüde ins Bett fallen. Unnötig, in den Bildarchiven zu stöbern – man kann sich
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vorstellen, wie sie Arm in Arm durch die dämmrigen Straßen und spärlich beleuchteten Gassen ihrem Ziel entgegenschlendern.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 31. Dezember 1937 Silvester, morgen Neujahr, übermorgen Namen-Jesu-Fest. Tageslänge: 8 Stunden 24 Minuten. Sonnenaufgang 7.51, -untergang 16.15; Mondaufgang 6.36, -untergang 15.22 Uhr. Temperatur heute um 7 Uhr minus 7 Grad (gleich mit gestern). Salzburger Chronik
Im Hôtel de l’Europe laufen die Vorbereitungen für die Silvesternacht auf Hochtouren. Dass Georg Jung heute Geburtstag hat, geht dabei fast unter. Ihm ist es recht. Jung ist nicht der geborene Hotelier. Jung ist Künstler. Durch den Tod des Vaters vor vier Jahren hatte er sich in der Pflicht gesehen, den Betrieb zu übernehmen. Der Vater, der wie er nach seinem Vater Georg genannt worden war, hatte das Haus zu einem Grandhotel gemacht. Mit dem Maler Georg Jung steht dem Hôtel de l’Europe jetzt ein Mann vor, der sich lieber „mit dem Problem der Farbe als Ausformung partieller Lichtqualitäten“ beschäftigt als mit Buchungszahlen, Zimmerauslastungen, Speiseplänen und ähnlich weltlichen Angelegenheiten. Aufgewachsen an einem Ort, an dem sich die große Welt ein Stelldichein gibt, in einem Mi-
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lieu materiellen Reichtums, hat er sich nie um Fragen der persönlichen Existenzsicherung kümmern müssen. Sein Leben galt und gilt der Kunst. Seitdem er auch Unternehmer ist, hat er im Hotel vor allem eines unternommen: die künstlerische Ausgestaltung des Hauses. Bald nach dem Tode des Vaters konnte man im Sommer 1935 im Neuen Wiener Tagblatt lesen: „Mitunter […] gerät sein Doppel-Ich als Künstler und Hotelier in peinliche Kollisionen. So erst kürzlich, als der Küchenchef seinen Herrn im ganzen Hause vergeblich suchte, bis er ihn endlich im Malerkittel, zwischen Farbtöpfen den Bartisch bemalend, fand und ob solch unwürdigen Anblicks fassungslos ausrief: ‚Der Padron malt!!!‘“ Auch heute, im vierten Winter nach der Übernahme der Hotelleitung, zeigt der Jung der dritten Generation wenig Ambitionen für die Führung des väterlichen Betriebs. Manchmal, wenn ihm der Trubel zu viel wird, setzt er sich in seinen Steyr Austria, lässt Hotel und Salzburg hinter sich und steuert das fünf Meter lange Gefährt – mehr ein Schiff denn ein Auto – über Gnigl in Richtung Gaisberg. Jung ist ein leidenschaftlicher Autofahrer. Es gibt dieses Ölbild mit dem Titel „Gaisbergstraße", das er bereits 1929 gemalt hat. Im Vordergrund ist sein Auto zu sehen, und sogar der Fahrer ist zu erkennen, der den massigen 8-Zylinder über die kurvige Straße chauffiert, „dahinter eine reichgegliederte, bewaldete Hügellandschaft, durch welche sich die Straße schlängelt. […] Die Stimmung ist dramatisch gewitterhaft verdüstert. Eine Skala tiefer Grautöne verwandelt den Ausblick in eine geheimnisvolle Stimmungslandschaft“. Heute Nachmittag trägt die Natur Schwarz-Weiß. Jung fährt die winterliche Straße bis zur Zistelalm hinauf, dort parkiert er, lässt das Seitenfenster herab, zündet sich eine Zigarette an und
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denkt vielleicht an seine nächsten Jahre: Kunstschaffender oder rechtschaffener Hotelier? Salzburg oder Wien? Palastleben oder Künstleratelier? Auf den heutigen Tag genau ist er achtunddreißig Jahre alt. Als Maler erfährt er im In- und Ausland hohe Anerkennung und Wertschätzung. Auch Walter Schwarz schätzt seine Arbeiten sehr. Die beiden sind durch die Kunst verbunden, mehr als durch materielle Werte. Schon 1919 werden sie einander begegnet sein, Jung als ein Mitglied der Künstlergruppe Der Wassermann, Schwarz als Kunstsammler, der über dem Kaufhaus Schwarz eine Galerie führt. Die nach dem Ersten Weltkrieg gegründete Neue Galerie, in der Bilder moderner Maler wie Egon Schiele, Felix Albrecht Harta, Anton Faistauer zu sehen sind, ist auch ständiger Ausstellungsort für Werke der Wassermann-Gruppe. Jung zieht an seiner Zigarette und bläst den Rauch in die kalte Winterluft. An der Gaisbergstraße liebt er nicht nur die Herausforderungen, die sie an ihn als Chauffeur stellt. Auch seine künstlerischen Qualitäten hat er an ihr schon ausprobiert und kurz nach ihrer Eröffnung im Jahre 1929 eine Serie von Federzeichnungen mit Motiven der Bergstraße gemalt. Es sind siebzehn Blätter, die in ihrer Summe „eine höhere Einheit bilden. Man kann sie mit musikalischen Kompositionen vergleichen: Bäume, Felsen, Wiesen, Wolken sind motivische Einfälle, die nun im großen Orchester verarbeitet werden, von den Instrumenten in verschiedenen Tonfarben gespielt, kontrapunktisch verknüpft, auf das spezifisch Graphische hin paraphrasiert und melodiös zusammengezogen. […] Die künstlerisch wertvollen Zeichnungen geben sich recht sinnfällig und erschließen sich auch jenem Beschauer, der in ihnen nur einen Bericht über die längs der Straße ausgebreiteten landschaftlichen Szenerien
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sehen will. Sie sind, ähnlich holländischen zeitgenössischen Graphiken, tönende Visionen, die so stark im Boden der Wirklichkeit wurzeln, daß sie auch als die Künder eines kühnen realen Werkes der Ingenieurzunft, wie es der Bau dieser Straße darstellt, ihren lobenswerten Dienst tun.“ Die Zeichnungen spiegeln die Persönlichkeit Jungs, „der zwischen hoher Empfindsamkeit und starken intellektualisierten Neigungen hin- und hergezogen“ ist. Als Hotelierserbe ist er ein wohlhabender Mann, der sich seiner künstlerischen Tätigkeit ohne jede materielle Not widmen kann. Aber ist er frei? Für diesen Moment vielleicht. Er macht den letzten Zug und löscht die Glut. Vielleicht soll er verkaufen? Er weiß es nicht.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 7. Januar 1938 POLITISCHE ERKLÄRUNG DR. SCHUSCHNIGGS. London […]. Bundeskanzler Dr. Schuschnigg hat einem Sonderkorrespondenten des Daily Telegraph Rees van Hoek ein ausführliches Interview gewährt. „Ein Abgrund trennt Österreich vom Nationalsozialismus“, erklärte der Kanzler. Salzburger Volksblatt
Der Griff nach dem Inhalationsmittel ist Otto Müller längst zur vertrauten Gewohnheit geworden. Er hat es doch genau hier hingelegt! In dieser Nacht, allein im Verlag, ringt er verzweifelt nach Luft.
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Müller, von schmächtiger Gestalt, aber großer Lust am Büchermachen, lebt für seinen jungen Verlag. Im Juli des vergangenen Jahres hat der aus Karlsruhe stammende gelernte Bankkaufmann den Pustet-Verlag verlassen und den Otto Müller Verlag Salzburg gegründet. Die ersten Monate hat ihm sein alter Arbeitgeber das Leben schwergemacht. Auf dessen Betreiben hin erhält er zunächst keine Konzession für seinen Salzburger Verlag. Als Wochen später zunächst Innsbruck gesetzlicher Firmensitz wird, bestimmt Müller dennoch Salzburg zum Arbeitsort. Der Name der Stadt im Namen des Verlages ist wie ein Bekenntnis für ihn. Für sein klares Bekenntnis zur schönen Literatur stehen seine Autoren der ersten Stunde, wie Leitgeb und Rachmanowa. Bereits mit den ersten Publikationen hat er den Leitgedanken seines Verlagsprogramms festgelegt: Neben der Veröffentlichung schöner Literatur ist dies die Vermittlung von theologischem und geisteswissenschaftlichem Gedankengut. Demnach umfasst das Herbstprogramm 1937, in dem er bereits sechs Bücher veröffentlicht hat, Titel aus Belletristik und Geisteswissenschaften und ist christlich-religiös geprägt. Als Verleger sieht sich Otto Müller als weltoffener Vermittler abendländischer Kultur mit katholischem Hintergrund. Dafür spricht auch seine Absicht, die katholische Schriftstellerin und Halbjüdin Elisabeth Langgässer zu verlegen. Noch vor dem 3. März nächsten Jahres, seinem siebenunddreißigsten Geburtstag, will er ihre „Rettung am Rhein“ herausbringen. Dass Otto Müller auch ein glühender Anhänger Adolf Hitlers ist, empfindet er selbst nicht als Widerspruch. Anlässlich des „Großdeutschen Tages“ am 9. April 1938 wird er eine Ansprache vor seinen Mitarbeitern halten: „Und heute können wir ‚Gott sei Dank‘ sagen zu dem Geschehenen. Der Traum eines deutschen Jahrtausends
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ist über Nacht wahr geworden. […] Die Tatsache, dass uns das Schicksal Grossdeutschland geschenkt hat, verpflichtet jeden einzelnen von uns bis in die letzte Faser seines Seins. Und damit auch dem Mann gegenüber, der der Führer und Wegbereiter zu diesem Grossdeutschland war und ist. Es soll heute nichts anderes mehr Raum in uns haben als ein Bekenntnis des Dankes Adolf Hitler gegenüber und treue Gefolgschaft.“ Später werden die einen von ihm sagen, er wäre nationalsozialistisch eingestellt gewesen. Andere werden sagen, er habe großdeutsch gedacht. Es ist aber denkbar, dass er selbst da gar keinen so großen Unterschied gesehen hat. Derzeit ist Politik jedoch nicht das, was ihn beschäftigt. Er hat nur noch sein Geschäft im Kopf, und das macht ihm gerade wenig Freude. Vor acht Monaten hat er die Position als leitender Direktor des Verlages Anton Pustet, den er sieben Jahre zum Wohl des Unternehmens bekleidet hatte, gegen die Rolle des Verlagsinhabers getauscht. Er arbeitet viel, auch oder gerade nachts. Immer häufiger packt ihn die Angst des Erstickens. Seit geraumer Zeit leidet er unter einem nervösen Asthma. Das Leben von Otto Müller ist ständig bedroht. „Weil er gewohnt war, sich selbst […] das Äußerste an Haltung und Leistung abzufordern“, kommt er oft an seine körperlichen Grenzen. „Was immer er leistete, es war seiner schmalen Physis abgerungen.“ Die Situation für seinen Verlag ist in den letzten Wochen immer prekärer geworden und hat seine Asthmaanfälle vermehrt und heftiger auftreten lassen. Bis kurz vor Weihnachten des vorigen Jahres hatte Otto Müller eine Verfolgungskampagne gegen sich ertragen müssen. Der Styria-Konzern in Graz, zu dem der Salzburger Verlag Pustet gehört, hatte ihm vor Monaten einen dicken Knüppel zwischen die Beine geworfen und die Verweigerung der Konzession für Salzburg betrieben, um sich am Pustet-Standort einen ernst zu nehmenden Konkurrenten vom
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Leib zu halten. Kein guter Anfang für einen Gründer. Erst seit Herbst ist der Otto Müller Verlag Salzburg endlich auch ein Verlag mit Konzession, wenn auch nur für Innsbruck. Der Konflikt mit der Styria war aber damit noch nicht zu Ende. Es vergingen weitere zermürbende Wochen und Monate. „Aus verschiedenen Äusserungen hat es aber den Anschein, dass die Grazer nach wie vor versuchen werden, ihren Rachefeldzug weiterzuführen“, hatte Otto Müller schon im Juli 1937 an seinen Freund Ignaz Zangerle geschrieben. Im September flattert ihm tatsächlich eine Strafanzeige ins Haus. Der Katholische Preßverein als Eigentümer der Styria steht hinter der Anzeige wegen Verdachts der Untreue. Angeblich hat Müller eine Klausel in die Autorenverträge des Pustet-Verlages aufgenommen, in der er die Autoren verpflichtete, ihre Werke für die Dauer seiner Leitungsposition bei Pustet zu belassen. Die Schadensforderung des Preßvereins: 250.000 Schilling. Diese Summe übersteigt um ein Vielfaches das Startkapital, das Otto Müller für sein Unternehmen zusammengebracht hat. Für Verlag und Verleger bedeutet die Strafanzeige eine existenzielle Bedrohung. Die gerichtlichen Voruntersuchungen der Staatsanwaltschaft dauern Wochen – Oktober, November, Dezember. Drei quälende Monate. In den letzten Dezembertagen 1937 werden sie eingestellt, da die Staatsanwaltschaft keine Gründe zur weiteren Verfolgung der Anzeige findet. Gleichzeitig mit der Einstellung des Strafverfahrens wird Otto Müller von der Landeshauptmannschaft Salzburg die Verlagskonzession mit Standort Salzburg erteilt. Endlich geschafft? Die Strafanzeige, so unbegründet und haltlos sie war, ist nicht ohne negative Wirkung auf seine Gesundheit geblieben. Hektisch, unter beklemmender Atemnot durchsucht er mit beiden Händen den Inhalt der Schublade seines Schreibtisches nach dem rettenden Asthmaspray, während sich seine Bronchien weiter
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zusammenziehen. „Man muss ihn gesehen haben, wenn er, schmächtig von Gestalt und früh angegraut, nächtens im Sessel mühsam nach Atem rang, wenn die Angst des Erstickens in seinem schmalgewordenen, erschöpften Gesicht stand.“ Er zittert, schwitzt, röchelt – dann findet er endlich, wonach er sucht.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Dienstag, 11. Januar 1938 AUS DEM GERICHTSSAALE. Salzburg […]. Vor dem Schöffengericht hatten sich gestern 23 Halleiner im Alter von 19 bis 40 Jahren wegen des Verbrechens gegen das Staatsschutzgesetz zu verantworten. Die von Staatsanwalt Dr. Balthasar vertretene Anklageschrift meldet, daß die Angeklagten teils an Appellen teilgenommen haben, teils Beiträge für die illegalen National sozialisten bezahlten. Im Großen und Ganzen waren die meisten der Angeklagten geständig, einige verlegten sich aufs Leugnen. Salzburger Chronik
Der seit achtundvierzig Stunden anhaltende starke Schneefall legt endlich eine Atempause ein. Salzburg trägt Weiß. Nicht wenige in der Stadt wären froh, wenn der heutige Tag das vorläufige Ende des Schneefalls markierte. An Pause ist für die Leute vom städtischen Räumungsdienst noch lange nicht zu denken, sie wissen kaum noch, wohin sie das Material schieben sollen. Die Stadt hat zusätzliche Schneeschaufler eingestellt. Der Salzburger Automobilclub kümmert sich um die Räumung der Parkplätze.
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Franz Krieger streift mit seiner Kamera durch die Straßen und sammelt Winterimpressionen. Gerade steht er auf der Staatsbrücke. Unter ihm wälzt sich das graue Band der Salzach dahin, manchmal schießt ein Baumstamm oder großer Ast zwischen den Brückenpfeilern hindurch. Franz Krieger steht und schaut, dreht sich um: Auch auf der Brücke kommt der Verkehr schneebedingt nur langsam voran. Ein Hupkonzert macht es auch nicht besser. Die Arbeit lässt Krieger weiterziehen. Eine Auswahl seiner Fotos soll am nächsten Tag im Salzburger Volksblatt erscheinen. Während die anderen dem Schnee den Kampf angesagt haben, sieht Franz Krieger mit dem Auge des Fotografen auf die winterliche Stadt. Am Ende der Staatsbrücke hat jemand sein Fahrrad auf einem Schneehaufen abgestellt. „Ein Fahrradständer aus Schnee“, denkt Krieger und drückt ab. Sein nächstes Ziel soll der Mirabellgarten sein, er will sehen, was die winterliche Pracht dort gezaubert hat. Er muss heute dranbleiben, denn schon ab morgen soll Tauwetter einsetzen. Er geht ein kurzes Stück am Flussufer entlang, wirft einen Blick durch die Fenster des Café Bazar, auf dessen Terrasse, menschenleer, die Tische jetzt dicke, pudrig weiße Hauben tragen. Von drinnen lockt das warme Licht. „Später“, denkt er. Er ist seit einer Woche wieder in der Stadt und bisher kaum draußen gewesen. Bis Dezember war er noch der Rekrut Krieger, der seinen Militärdienst als „Einjährig freiwilliger Kanonier“ beim „Leichten Artillerieregiment Nr. 6“ in Innsbruck abzuleisten hatte. Seit heute ist er vierundzwanzig Jahre alt und neuerdings Familienoberhaupt wider Willen – ein junger Mann, der doch eigentlich Fotojournalist sein will und nun unerwartet auch den Witwenbetrieb der Eltern übernehmen muss. Seinen Geburtstag feiert er heuer leise. Der Vater war am 1. November ver-
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gangenen Jahres mit nur fünfzig Jahren gestorben, ein trauriger Anlass, der die vorzeitige Rückkehr Kriegers aus dem Militärdienst bedingt hat. Franz Krieger Junior ist Einzelkind, geboren im zweiten Stock des elterlichen Wohnhauses im Herzen der Salzburger Altstadt. Als Franz Seraph Karl 1914 auf die Welt kommt, heißt der seit 1927 Alter Markt genannte Platz vor dem Haus der Familie Krieger noch Ludwig-Viktor-Platz, und die Welt vor dem Haus Nr. 10 steht vor einem ersten großen Krieg. Bis Herbst vergangenen Jahres haben Vater Franz und Mutter Lina gemeinsam die Eisenwarenhandlung Krieger in der Churfürststraße 3 geführt und ein dazugehöriges Magazin in der Marktgasse. „Gegenstand des Geschäftes war der Handel mit allerlei Geräten, vom Kochtopf bis zu Gartengeräten.“ Auch Sprengmittel werden bei Krieger angeboten, und vor jedem Silvester ist das Fachgeschäft Anlaufstelle für die Käufer von Feuerwerkskörpern. 1945 wird dann noch der Handel mit Waffen und Munition dazukommen. Das elterliche Wohnhaus steht nur fünfzig Schritte vom Geschäft entfernt. Mit Franz geht es nun in die dritte Generation über. Seine neue Aufgabe, das Organisatorische und Wirtschaftliche um die Eisenwarenhandlung herum, wird ihm nicht schwerfallen, er hat seine Berufsausbildung mit dem Diplomkaufmann abgeschlossen. Zum Glück, denn so bleibt ihm genug Zeit, seiner Berufung, der Fotografie, nachzugehen. Franz Krieger steht im Mirabellgarten. Von irgendwoher ist das kratzende Geräusch der Schneeschaufler zu hören. Er späht durch den Sucher seiner Leica-Kamera: Die Schneelast hat den kunstvoll gestalteten Bewegungen der Skulpturen ihre Leichtigkeit und Lebendigkeit genommen. Der bronzene Pegasus kann sich kaum noch in die Lüfte erheben, und die Borghesischen
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Fechter tun sich im Kampf mit ihrem unsichtbaren Widersacher jetzt doppelt schwer. Nur Herkules stützt sich scheinbar ungerührt auf seine Keule, während sich die weißen Flocken auf seinen Kopf und das über seine Schulter geworfene Löwenfell legen. Während Franz Krieger in diesen ersten Tagen des Jahres auf der Suche nach passenden Motiven ist, können die Bewohner der nur wenige Kilometer östlich von Salzburg gelegenen Ortschaft St. Gilgen ganz andere Dinge beobachten. Seit ein paar Tagen lässt sich in ihrem Dorf der Einsatz von KZ-Häftlingen im Jännerschnee verfolgen. Insbesondere das An- und Abfahren der Gefangenentransporte am Gemeindegefängnis, wo die etwa zwanzig Häftlinge untergebracht werden, entgeht den Leuten nicht. Was sie nicht wissen können: Vor ihren Augen entsteht ein weiteres Außenlager des KZ Dachau. Der SS-Führer und Dachauer Lagerkommandant Hans Loritz hat den Ort an der Nordwestspitze des Wolfgangsees ausgewählt. Er hat persönliche Ambitionen. Sein Plan: In St. Gilgen will er mehrere zusammenhängende Grundstücke entlang der Straße nach Bad Ischl erwerben. Das Gelände liegt etwas abseits der Gemeinde an einem Berghang, mit schönem Blick auf den See. Auf dem Grundstück wird bis zum Sommer 1938 seine Villa Waldheim und am Ufer sein Bootshaus entstanden sein. Die Vorarbeiten sowie die Bauarbeiten werden Dachauer Zwangsarbeiter durchführen. Offiziell bezeichnet er seine privaten Bautätigkeiten als Arbeiten zur Errichtung des KZ-Außenlagers St. Gilgen. Doch noch liegt in St. Gilgen über allem die Ahnungslosigkeit, und wären da nicht diese ungewöhnlichen Aktivitäten zu beobachten, würde die Dorfwelt ungestört unter der dicken Decke aus unschuldigem Weiß ruhen.
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Franz Krieger nimmt jetzt den Weg zum Bazar, er will sich aufwärmen und Zeitung lesen. Im Hereinkommen greift er nach der Salzburger Chronik am Haken des Zeitungsständers und schaut nach einem freien Platz, bevorzugt mit Aussicht auf die winterliche Terrasse. Noch im Stehen bestellt er einen Verlängerten. Die Zeitung ist fest in ein hölzernes Stabgestell mit Griff eingespannt, sie lässt sich dadurch mit der linken Hand leicht halten, ohne sie auflegen zu müssen. Krieger kann sich also ganz entspannt zurücklehnen und mit der rechten Hand umblättern: entweder von vorne nach hinten oder, wie er es jetzt vorzieht, von hinten nach vorne. Auf der letzten Seite interessiert ihn heute die Sport-Chronik. Doch die muss noch ein paar Sekunden warten. Eben bleibt sein Blick an einer Werbeanzeige auf derselben Seite hängen, eine ganze Spalte, nicht zu übersehen. Neben anderen Salzburger Unternehmen macht hier auch das Kaufhaus Schwarz auf sich aufmerksam: „Heute hat unser Inventurverkauf begonnen! Reste! Reste! Reste!“ Da wird wieder ein schönes Menschengedränge sein, denkt Krieger, denn der Inventurverkauf bei Schwarz hat eine lange Tradition. Wahrscheinlich lohnt es sich, nachher noch rasch vorbeizugehen. Er hat zwar keinen Bedarf, die Versuchung ist jedoch groß – alles, was das Sortiment des Schwarz’schen Kaufhauses hergibt, wäre zu billigen Preisen zu haben … Aber er wird lieber ein paar Fotos vom Andrang bei dieser Gelegenheit schießen. Als Krieger sich weiter durch die Spalte liest – gerade ist er bei „Herren Modehüte in vielen Farben, früher bis S 9,80, jetzt 5,90“ –, kommt der Kaffee.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 14. Januar 1938 ABGEBLITZTE HETZER. Der Chef der Neuyorker Weltausstellung 1940 hat den Antrag von jüdisch-kommunistischer Seite, auf der Ausstellung einen Antinazi-Pavillon zu errichten, abgelehnt und mit der Begründung seiner Ablehnung den Verleumdern Deutschlands und den internationalen Kriegshetzern eine gründliche Abfuhr erteilt. Salzburger Volksblatt
Licht ist immer ein guter Anfang. Wer im Bazar mittags einen freien Platz an einem der rückwärtigen Fenster erwischt und über die Salzach auf die gegenüberliegende Altstadt blickt, dem strahlt es besonders hell. Licht braucht Franz Krieger für seine Fotografentätigkeit. Fotografieren ist für ihn aber nicht nur Handwerk, nicht bloß ein Zusammenspiel aus Blende, Belichtungszeit und Empfindlichkeit des Films. Fotojournalismus, das Fach, das er betreibt, heißt für ihn vor allem, mit Bildern Geschichten zu erzählen, am besten mit einem einzigen Bild eine ganze Geschichte. Der Mensch mit seiner Geschichte ist für ihn dabei besonders interessant. Als Bilddokumentar fotografiert er Festspielkünstler, Sportidole und bekannte Politiker ebenso wie die sogenannten einfachen Leute auf den Straßen Salzburgs. Er wird auch noch Gelegenheit haben, fotografierender Zeuge eines für sein Heimatland Österreich einschneidenden historischen Ereignisses zu werden. Aber im Augenblick ist er ganz im Hier und Jetzt. Von der „Nacht über Österreich“ und der Zeit, in der die menschengemachten „Feuer auf dem Residenzplatz lodern werden und der Teufel auch in seiner Stadt regiert“, ahnt
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er noch nichts. In diesen Minuten genießt er unbeschwert das reine, gleißende Licht der Wintersonne, das durch die Fenster des Bazar fällt, und kann zwischendurch das Treiben um sich herum beobachten. Er nimmt einen bittersüßen Schluck aus seiner Tasse und blättert durch die Chronik und das Volksblatt. Das Bazar ist Treffpunkt für die Einheimischen, aber auch für jene, die als Gäste von auswärts kommen. Einfach für jeden, der sich für einen guten Kaffee, eine kleine Mahlzeit oder die neuesten Nachrichten eine Viertelstunde seiner Tageszeit gönnen will. Wenn Franz Krieger Menschen beobachtet – macht er sich dann auch Gedanken darüber, ob das Licht der Sonne auf alle gleich scheint oder ob es Menschen gibt, die immer ein bisschen mehr als andere von der Sonne gewärmt werden? Darüber ließe sich vortrefflich spekulieren. Unwahrscheinlich ist es aber nicht, bedenkt man, dass jeder Mensch eine Geschichte mit sich trägt und Krieger ein Bilderjäger und Geschichtenjäger ist. Bei Dr. Singer – Emmerich Singer, dem Rechtsanwalt –, nur wenige Schritte vom Bazar entfernt, sitzen die Brüder Schwarz: Max, der Älteste, Walter, der Mittlere, und Paul. Während die Tinte auf dem soeben unterzeichneten Vertrag trocknet, lädt Max Herrn Dr. Singer ein, sie auf einen Kaffee ins Bazar zu begleiten. Dr. Singer muss leider ablehnen, Termine, Termine. „Darf ich Ihnen eben noch in Ihre Garderobe helfen, meine Herren …?“ „Ach was, lassen S’, das geht schon“, antwortet Max. „Aber bittschön, meine Herren, nehmen S’ den Vertrag mit, nicht vergessen, bittschön. Meine Kostennote sende ich Ihnen wie immer ans Geschäft, ist das recht, ja?“ „Was Recht ist, wissen von uns vier doch Sie am besten, Doktor Singer“, scherzt Paul Schwarz.
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„Nach Ihnen, nach Ihnen, lieber Herr Doktor Schwarz, Sie sind ja nicht zufällig der Justiziar im Hause Schwarz.“ Man lacht, reicht sich die Hände und wünscht einander „noch einen guten Tag! Guten Tag!“. Wenige Minuten später verlassen die drei groß gewachsenen Männer die Kanzlei. Aus der Entfernung sind sie kaum zu unterscheiden: Jeder trägt Hut und ist in einen schwarzen Mantel gehüllt. Vom Platzl müssen sie nur rasch die Schwarzstraße überqueren und sind kurz darauf beim Bazar angekommen. Sie haben ein Abkommen in der Tasche, in dem sie festlegen, dass Max seine Beteiligung an den Schwarz’schen Unternehmen für eine sehr anständige Leibrente an die beiden jüngeren Brüder verkauft. Max ist fünfundfünfzig, unverheiratet, hat keine Kinder, ist nur für sich selbst verantwortlich, und es ist kein Geheimnis, dass er lieber Schauspieler geworden wäre. Außerdem leistet er weniger im gemeinsamen Betrieb. Vor allem sein Bruder Paul, ein streitbarer Charakter, sieht das so. Als Erstgeborener ist Max zwar der Majoratsherr und steht in der Erbfolge, nach der allein der nächste männliche Nachkomme und bei gleichem Verwandtschaftsgrad der Älteste zur Erbschaft berufen ist, an erster Stelle – aber wie viel ihm das wirklich wert ist, kann man nur ahnen. Mit diesem Vertrag hat er sich jedenfalls vom gemeinsamen Geschäft losgesagt. Gerade kommen die drei zur Tür herein. Krieger schaut reflexartig auf: Man bekommt die Brüder hier öfter zu Gesicht, aber eigentlich sieht man sie selten zu dritt. Eins sind sie, so glaubt man zu wissen, bei allem, was das Geschäftliche betrifft. Zusammen gehört ihnen ein ganzes Warenhausimperium: natürlich das Kaufhaus Schwarz, an dem noch ihre drei Schwestern beteiligt sind, aber auch der gleichnamige Betrieb in Graz,
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die Kaufhäuser Bauer & Schwarz in Innsbruck und Kraus & Schober in Linz sowie eine Beteiligung am Warenhaus Falnbigl in Wien. Wie man hört, waren sie vor drei Wochen vom Weihnachtsboykott betroffen, und in Linz sollen Kunden durch aggressive Propaganda der illegalen Nationalsozialisten davon abgebracht worden sein, bei Kraus & Schober einzukaufen. Krieger sieht zu, wie sie sich setzen. Die Schwarz-Brüder bevorzugen das Bazar, hier ist sogar noch ab und zu ein sozialdemokratischer Politiker zu sehen, der mit Juden Karten spielt. Wenn auch nur einer. Seit der Eröffnung vor dreißig Jahren ist das Café der bevorzugte Treffpunkt für Salzburgs Juden. 1911 fand im Bazar die erste Wahlveranstaltung ihrer neu organisierten Gemeinde statt. Nicht wenige Salzburger sehen daher im Bazar schlicht ein jüdisches Kaffeehaus. Manche der jüdischen Stammgäste kommen täglich. Ihre reguläre Stunde ist zwischen eins und zwei. Wie in den anderen Salzburger Kaffeehäusern gibt es auch hier getrennte Bereiche für Juden und Nichtjuden. Von der Schwarzstraße, auf die die Fenstersitzplätze für Juden ausgerichtet sind, scheint um diese Uhrzeit keine Sonne mehr herein. Franz Krieger möchte noch einen Kaffee und gibt dem Kellner ein Handzeichen. Ein Kollege nimmt derweil bei den Schwarz-Brüdern die Bestellung auf. Krieger widmet sich wieder seinen Tageszeitungen, ohne aber seine Aufmerksamkeit gänzlich vom Eingang zu lassen. Im Moment ist aber auch der Tisch mit den Brüdern für ihn interessant. Dort scheint vornehmlich Walter zu reden: „Sag mal Max, tut’s dir leid, dass du verkauft hast?“ „Naja, schau, die Mama hat immer gesagt: Ein Ladl soll man nicht hergeben. Ein Ladl ist wie ein Kastl, wo immer was reinkommt.“
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Krieger kann nicht hören, was sie reden, aber er sieht, dass Walter Schwarz plötzlich ein Schriftstück hervorholt und es vor den Augen seiner Brüder zerreißt. Im selben Augenblick beginnt Paul heftig auf Walter einzureden: „Ich glaub, ich seh nicht richtig!“ Krieger beobachtet die lebhafte Diskussion. Der Kellner kommt an den Tisch und serviert die Bestellung: „Die Herren, bittschön …“ Die Herren schweigen augenblicklich. Als der Kellner sich fortbewegt, ergreift Walter wieder das Wort: „Einen Bruder, einen Vertrag mit meinem ältesten Bruder, den ich immer als Majoratsherrn, als mein Ideal angesehen hab, mit dem werd ich die letzten Jahre unseres Lebens nicht in dem Gedanken verbringen, dass er sich übervorteilt gefühlt hat, dass er womöglich denkt, wir könnten ihn hereingelegt haben, irgendwann, als er eine schwache Stunde hatte.“ Paul Schwarz schüttelt den Kopf, legt im Aufstehen ein paar Münzen auf den Tisch, ergreift Mantel und Hut und geht schnaubend zur Tür hinaus.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mittwoch, 25. Januar 1938 HERRLICHES NORDLICHT ÜBER GANZ EUROPA. Salzburg […]. Der unmittelbare Eindruck bei den meisten Beobachtern dürfte der gewesen sein: Großfeuer! Tatsächlich war die Färbung des nächtlichen Himmels an manchen Stellen so charakteristisch, daß man zunächst kaum an etwas anderes den-
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ken konnte. […] Wir müßten nicht das Jahr 1938 schreiben, uns also noch in einem verhältnismäßig ziemlich primitiven Zeitalter der Menschheit befinden, wenn sich nicht auch in diesem Falle sofort die Wichtigtuer, die Fingerzeiger, Stirnrunzler, Politikriecher, Unheilsschnüffler und dergleichen ihrer Stunde würdig erwiesen hätten. Vom Zorn Gottes, von Anzeichen des furchtbaren Krieges bis zum himmlischen Protest gegen die österreichische Regierung konnte man allerlei Dinge erlauschen. Salzburger Chronik vom 26. Januar
Es ist kurz vor Mitternacht, der Himmel über Salzburg ist wolkenlos, unbewegt, die Sterne leuchten ruhig. „Mitten in diesem sanft ruhenden Nachthimmel ist seit einer halben Stunde oder etwas mehr eine rote Wolke zu sehen. Manche Salzburger wollen sie zuerst gegen Bayern blickend gesichtet haben, andere gegen Oberndorf. In der Stadt hat es vielfach den Anschein, als ob die Wolke über dem Kapuzinerberg und im Raum zwischen Gaisberg und Kapuzinerberg schwebe. Wer sich in dieser Nacht die Mühe macht und die Landkarte zu Rate zieht, wird erkennen, dass sich der scheinbare und wirkliche Standpunkt der Wolke just in einem richtigen Halbkreis von 180 Grad, und zwar in einem nach Norden, Nordost und Nordwest geöffneten Halbkreis unterbringen läßt, eine Feststellung, die vielleicht dienlich sein kann, die Natur der mysteriösen roten Wolke mit einiger Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit festzustellen.“ Mancherorts werden Feuerwehren gerufen, weil Teile der Bevölkerung die rötliche Lichterscheinung für einen Großbrand halten. Andere wiederum sehen in der roten Wolke ein Vorzeichen für eine kommende Katastrophe. Rückblickend schreibt Carl Zuckmayer in seinen 1966 erschienenen Erinnerungen: „Eine Reihe von Zeichen ging der Katastrophe voraus. Einige Wochen vorher er-
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schien ein Nordlicht über ganz Österreich. Nordlichter sind in diesem Teil der Welt ungemein selten, die meisten Leute kennen sie nur vom Hörensagen. Man behauptete, seit dem Jahr 1866, in dem die Österreicher von den Preußen besiegt wurden, hätte sich keins mehr gezeigt. Dieses – im Jahr 1938 – flammte so stark und flackerte so grell, daß es aussah wie eine mächtige Feuersbrunst. Es erschien um Mitternacht, und in Henndorf rückte die Feuerwehr aus, weil man ernstlich glaubte, es brenne im nächsten Ort. In der gleichen Zeit wurde in Wien der Pestvogel gesehen, sein Auftauchen sogar von Ornithologen bestätigt: eine albinohafte Spielart des Sperlings, mit seltsamen fahlen Tupfen und Flecken im Gefieder. Angeblich soll er sich nur vor großen Seuchen oder vor einem Kriegsausbruch zeigen.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 28. Januar 1938 Schreckliche Judenplage in Ungarn. Noch toller in Österreich. Aber was interessiert mich das jetzt. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag
Im Kaufhaus Schwarz steht an diesem Morgen die Verkäuferin Anna Teinfalt am Packtisch und geht ihrer Sortierarbeit nach. Noch hat kein Kunde das Geschäft betreten. Im Parterre führen die Schwarz’ Kleiderstoffe, Waschstoffe, Seidenstoffe, Leinenstoffe; Brautausstattungen, Damen-, Herren- und Kinderwäsche;
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Krawatten, Socken, Strümpfe, Gürtel, Wirkwaren, Schirme, Schuhe, Lederwaren, sämtliches Schneider- und Modistenzugehör sowie Geschenk- und Souvenirartikel. Im Mezzanin des Kaufhauses findet die weibliche Kundschaft Damen-, Mädchenund Kinderkonfektion; Blusen, Kleider, Schürzen, Damenhüte, Mädchen- und Kinderhüte, alles in reichhaltigster Auswahl vom feinsten bis zum billigen Genre. Im ersten Stock ist die Abteilung für Herren- und Knabenkonfektion; es werden zudem Hüte und Kappen angeboten, auch Wetterbekleidung ist im Programm; darüber hinaus sind hier Waren für die Verschönerung des Heims zu finden: Teppiche, Möbelstoffe, Vorhänge, Bettund Reisedecken, Linoleum, Wachstuche, Bettzeug, Federn und Daunen, Drahteinsätze und Matratzen, Daunen- und Wolldecken in allen Größen und Preislagen. Im selben Stockwerk befindet sich auch eine Spezialabteilung mit Touristenbedarf. Für alle Bereiche wirbt man mit festen Preisen und aufmerksamster Bedienung. Ab und zu schaut die Verkäuferin Anna Teinfalt hinaus auf den Alten Markt, wie auch jetzt, als sie einen Mann sieht, der die Hofapotheke schräg gegenüber verlässt, ein paar Schritte bis zur Mitte des Platzes geht, auf einmal stehen bleibt und kurz innehält, als habe ihn ein Gedanke gepackt, sodann wieder losgeht und geradewegs auf das Kaufhaus Schwarz zustapft. Der Mann im dunklen Anzug bewegt sich leicht gebeugt, wie jemand, der versucht, sich vor der morgendlichen Kälte zu schützen. Die linke Hand hat er in die Hosentasche gestopft, mit der rechten hält er sich die Jacke am Kragen zu. Sein Atemnebel ist auch vom Packtisch aus noch deutlich zu sehen. Der Mann ist der Verkäuferin Anna Teinfalt gut bekannt, ein kleiner Angestellter, der seit jeher zur Kundschaft zählt und unlängst auf Ab-
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zahlung einen Wintermantel gekauft hat. Weil er die letzten vier Raten nicht bezahlt hat, hat Paul Schwarz ihm den Mantel gestern wieder wegnehmen lassen. Auch das ist ihr wohl bekannt, denn gerade ist sie im Begriff, das Kleidungsstück für die Aufbewahrung in Packpapier einzuschlagen. Der Mann kommt zur Ladentür herein, geht auf sie zu und will ihr eben einen guten Morgen wünschen, da fällt ihm Paul Schwarz, der nur ein paar Schritte entfernt Ware kontrolliert, ins Wort: „Wenn Sie extra wegen dem Mantel gekommen sind, dann sag ich Ihnen gleich, der Mantel wird nicht benützt, mein Herr, der Mantel wird eingemottet. Wenn Sie Ihre Raten bezahlen, dann können Sie ihn wieder abholen!“ Dass es dem Mann peinlich ist, sieht man ihm an. Fragend blickt er zur Verkäuferin, die er namentlich ebenso gut kennt wie sie ihn. „Wann krieg ich ihn denn wieder, Herr Doktor Schwarz?“ „Wie gesagt, wenn Sie die vier Raten zahlen, dann kriegen Sie ihn wieder. Basta!“ Für Paul Schwarz ist die Angelegenheit damit erledigt. Sein Schatten verschwindet hinter irgendeiner Tür. Nach dieser Zurechtweisung erkennt der Mann, dass der Gedanke, der ihn an diesem Wintermorgen auf dem Platz gepackt und ins Kaufhaus Schwarz gelotst hat, umsonst gedacht war. Einen kurzen Augenblick lang passiert nichts. Nur das Knistern des Packpapiers dringt wie hundertfach verstärkt in seine Ohren. Dass Walter Schwarz ein Beobachter der Situation ist, hat derweil niemand bemerkt. „Was machen Sie denn da?“, fragt er und sieht die Verkäuferin an. „Ja, Herr Schwarz, da sind vier Raten nicht bezahlt …“
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„Das ist ein Wintermantel, nicht wahr? Können Sie den eigentlich im Juni oder im Mai noch brauchen, lieber Mann? In Salzburg?“ „Nein, Herr Schwarz, natürlich nicht. Ich bin aber arbeitslos.“ „Na, dann werd ich Ihnen was sagen: Da! Nehmen S’ den Mantel wieder mit! Schreiben Sie mir einen Brief, dass Sie sofort anfangen werden, wieder abzuzahlen, wenn Sie wieder in Arbeit sind.“ „Danke, Herr Schwarz.“ „Geben S’ ihm den Mantel! Jetzt ist Winter, was macht der Mann im Mai mit dem Wintermantel? Ist ja ein Blödsinn!“ Die Verkäuferin schaut auf den Mantel vor sich auf dem Packtisch und lächelt. Auch der Blick des Mannes hat sich aufgehellt: „Ich danke Ihnen, Herr Schwarz, ich werd’s Ihnen bestimmt bezahlen, bestimmt“, hört man ihn noch sagen und sieht, wie Walter Schwarz ihm beim Hinausgehen noch fünf Schilling in die Manteltasche steckt. Spät am Abend beobachtet Walter Schwarz, wie am Gaisberg ein Hakenkreuzfeuer abgebrannt wird. So mancher Salzburger hält die Flammen für einen Brand des Gaisberg-Hotels. Wer wie Walter Schwarz am nächsten Morgen die Salzburger Chronik kaufen wird, kann auf der Seite 9 folgende Meldung lesen: „Nationalsozialistische Lichtreklame am Gaisberg. Gestern abends ging einiges Gerede durch die Stadt, das Gaisberg-Hotel stünde in Flammen. Der Irrtum war auf eine nationalsozialistische Lichtreklame zurückzuführen. Unsere braune Jugend […] hatte ein mächtiges Hakenkreuz angezündet, über das ein Großteil der Bevölkerung, nachdem das Gerücht über einen Brand erledigt war, gleichmütig zur Tagesordnung überging.“ Und weiter unten steht: „Die große Mehrheit interessiert sich […] lediglich
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für die Frage: Aus welcher Kasse und in welcher Währung wurden diese Nazi bezahlt?“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 5. Februar 1938 SALZBURGER SCHNEEBERICHTE. […] Der Wintersport-Wetterdienst des Landesverkehrsamtes meldet heute: Eine wesentliche Änderung in den Schneeverhältnissen im Salzburger Land ist seit dem gestrigen Bericht nicht eingetreten. Die Schneelage ist insbesondere im Gebirge überall sehr günstig, die meist pulvrige Schneeoberfläche gewährleistet eine geradezu ideale Skifähre. […] Die Abfahrt von der Gaisbergspitze ist bis ungefähr zur Rinderalm gut. Alle Sportanlagen befinden sich in benützbarem Zustande, die Rodelbahnen sind meist ausgezeichnet fahrbar. Touren sind gut durchführbar. Fast überall herrscht prachtvolles, sonniges Wetter. Salzburger Chronik
Wenn Walter Schwarz das Foto anschaut, das in seiner Wohnung am Kranzlmarkt silbergerahmt auf einer Anrichte steht, dann sieht er nicht nur zwei Menschen, die Hand in Hand auf Schlittschuhen über den Zeller See gleiten, er sieht auch das Glück auf dünnem Eis, von dem damals, im Winter 1930, weder er noch seine Frau geahnt haben, dass es brechen könnte. Das Glück in den Gesichtern der beiden Schlittschuhläufer – Dora links und Walter rechts – ist sichtlich nicht nur das Glück einer in dieser Zeit noch intakten Ehe, es ist auch das Glück einer da-
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mals noch intakten Zeit. Wenn Walters junge Liebe, Hertha Pitschmann, in Salzburg ist, stört sie sich nicht an dem Foto der beiden. Sie weiß Dora weit weg. Und sie ist sich sicher, dass sie nicht mehr zurückkommen wird, denn Dora ist in Palästina längst zu Hause, sie wäre nicht so dumm, ihre neue Heimat zu verlassen und zurückzukehren. Als sie sich von ihrem Ehemann trennte, war sie im vierzigsten Lebensjahr, als er sie heiratete, war sie erst sechzehn Jahre alt. Mag sein, dass sie da noch ein junges, dummes Ding war, wie man sagt. Vielleicht hatte sie in die Ehe aber auch nur deshalb eingewilligt, weil ihr Vater, der reiche Innsbrucker Warenhausunternehmer Schwarz – die Namensgleichheit ist ein Zufall – es so gewollt hatte. Walter, damals vierundzwanzig Jahre alt, war mit Gretha, einer anderen Tochter des Unternehmers, verlobt gewesen. Doch kurz vor dem festgesetzten Hochzeitstermin starb die achtzehnjährige Braut unerwartet an einem grippalen Infekt. Ihr Vater bat Walter daraufhin, ihre erst sechzehnjährige Schwester Dora zu heiraten. Die Hochzeit fand dann 1911 auch tatsächlich statt, zwei Jahre später kam ihr erstes Kind, Hugo, zur Welt. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, zog Walter Schwarz als k.u.k. Soldat ins Feld. Bei seiner Heimkehr 1918 fand er von seinem Geschäft am Ludwig-Viktor-Platz, dem heutigen Alten Markt, nur noch Trümmer vor. Walter erzählt Hertha nicht nur davon, sondern auch von anderen Ereignissen. Sie fragt nach der Frau auf dem Foto, die mit Walter so beschwingt und leicht über das Eis dahingleitet, sodass es ausschaut wie ein Tanz; sie interessiert sich für seine Familie, für seine Söhne Hugo, Benjamin und Rafael. Wer seine Eltern sind, möchte sie wissen, ob er Geschwister hat, wo sie jetzt leben. Schon gleich nach ihrem Kennenlernen hat sie alles von Walter wissen wollen, fragt immer wieder nach diesem
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und jenem, und Walter gibt ihrer Neugier immer wieder geduldig nach. Er hat ihr bald sein ganzes Familienleben präsentiert und mit dem Satz „Du musst sagen, wenn es dir langweilig wird“ doch nur ihre nächste Frage ausgelöst. So hat sie in den letzten Monaten nach und nach so manches erfahren. Etwa, dass Walters Mutter eine Goldmann war und 1856 in Kolin in Böhmen geboren wurde; dass Samuel Löbl Schwarz, Walters Vater, 1860 in Papa, Westungarn, zur Welt gekommen ist; dass man sich in der Familie erzählt hat, er sei ein illegitimer Sohn von Fürst Esterházy gewesen; dass er ausgeschaut habe wie der Esterházy, ein großer, fescher Mann; dass Walters Vater zur Hochzeit mit Amalia Goldmann von deren Bruder Geld bekommen habe, damit er ein Geschäft eröffnen konnte. So wäre der frisch verheiratete Samuel Schwarz Geschäftsmann geworden. Darüber hinaus hat Hertha erfahren, dass Walters Mutter 1923 mit siebenundsechzig Jahren gestorben ist. Und dass ihr Ehemann, der alte Schwarz, österreichweit Kaufhäuser eröffnet hat und 1926 gestorben ist. Hertha findet es schade, dass sie die Eltern ihres Liebsten nicht mehr kennenlernen kann. Walter berichtet davon, dass er und seine Brüder Vaters Geschäfte weiterführen und dass es noch drei Schwestern gebe. Elsa, die älteste, sei erst mit einem Juden mit dem Nachnamen Kaldor verheiratet gewesen. Bei ihrer Hochzeit 1920 sei Walter einer der Trauzeugen gewesen. Der Kaldor habe sie allerdings mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt, was 1924 zur Scheidung geführt habe – und dazu, dass sie keine Kinder bekommen könne. Sie habe danach in Innsbruck gelebt und dann den italienischen Maler Alberto Slataper aus Triest geheiratet. Der Albert sei jedoch leider vor drei Jahren verstorben. Walter habe ihn auch als Maler geschätzt. An einem Tag im Herbst letzten Jahres hatte
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Walter dann von den anderen Schwestern erzählt: Nach Elsa sei Grete geboren worden, die aber schon vor 1920 an einer Krankheit gestorben wäre. Auf sie wären dann Frieda und schließlich Katharina, genannt Käthe, gefolgt. Sie hätte später den Heinrich Schein, einen erfolgreichen Teppichhändler in Wien geheiratet. Sie hätten zwei Söhne, Georg und Thomas. Dann sei da eben noch Frieda, die 1897 in Graz Geborene. Sie schaue sehr goiisch aus, habe sein Vater immer gesagt. Goiisch? Was das bedeute, wollte Hertha wissen. Nichtjüdisch, hatte Walter ihr daraufhin erklärt. Warum das der Vater gesagt habe? „Weil es so ist“, hatte Walter geantwortet. Aber das hieße nichts. Es fiele halt nur auf. Warum Walter das sagen würde? Was er damit meine? Das würde gar nichts bedeuten, er wolle damit gar nichts sagen. Dann sprach er einfach wieder weiter, als wolle er ablenken. Frieda sei mit Dr. Moritz Mosche Scheuer, ursprünglich aus Böhmen, verheiratet. Einem Rechtsanwalt. Schwager Moritz führe eine der größten Kanzleien in Innsbruck. Kurios sei: Als Moritz nach dem Studium von Wien nach Innsbruck gekommen sei, habe er erst einmal Elsa kennengelernt, die da noch den Namen Kaldor geführt hätte, aber allein lebte. Es sei fast zu einem Schiddach, also einer Heiratsvermittlung gekommen, aber Walters Mutter habe dann angeblich zu ihrem zukünftigen Schwiegersohn Moritz gesagt: „Was brauchst du eine Frau, die keine Kinder kriegen kann?“ Und so sei Frieda, die um zehn Jahre jüngere Schwester von Elsa, mit Moritz Scheuer zusammengekommen. Moritz sei immerhin fast zwanzig Jahre älter als sie undüberhaupt ein sehr ernster und strenger Mensch. Aber, wo die Liebe halt hinfallen würde. Es sei in Ordnung so. Als die Rede auf Innsbruck kommt, spricht Walter noch kurz über seine Brüder: Max sei der Älteste, nicht verheiratet, er arbeite im el-
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terlichen Geschäft in Graz mit. Mal mehr, mal weniger, betont Walter. Sein jüngerer Bruder Paul sei Jurist. Und dann hätte es noch den Ernst gegeben. Ernst war der Letztgeborene. Er habe sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen und sich umgebracht. Er sei in Innsbruck begraben. Als sie Kinder waren, hatte er mit seinen Geschwistern das Leben reicher Kaufmannskinder mit Urlauben in der Normandie, an der Nordsee, Skifahren in Flims und Baden in der Adria geführt. Am heutigen Abend hat Hertha wieder neue Fragen, und Walter hat wieder einmal Geduld. Er ist sogar geradezu in Erzähllaune. „Und als deine Frau sich getrennt hat, ist Hugo noch bei dir in Salzburg geblieben …“ „Der Hugo, ja, ich seh noch vor mir, wie unser Erstgeborener – es war direkt nach dem Krieg, als alles doch in Trümmern lag – im Kaufhaus mit den Holzperlen und Knöpfen spielt, wie der damals Fünfjährige, als eigentlich alles drunter und drüber geht, glücklich die Holzperlen und die Knöpfe auf dem Fußboden umherkullern lässt. Ich kann sogar das Geräusch noch hören …“ „Was war denn da mit eurem Geschäft, wenn alles in Trümmern lag?“ „Das kann ich dir erzählen. Das war nämlich so: Ich war noch im Krieg, also, ich bin im Lazarett in Kärnten in Wildbad Einöd gelegen. Da fahren meine Frau und Hugo eines Tages mit der Roten Elektrischen, kommen von Berchtesgaden zurück. Sie kommen also an einem Sonntag im Oktober 1918 nach Salzburg herein, du weißt schon,über die Karolinenbrücke kommen sie, und da steigen Leute ein, und eine Frau sagt zur anderen: ‚Ja, jetzt haben’s den Schwarz ausgeräumt. Ausgeplündert.‘ Na, du kannst dir vorstellen, was das für Gefühle bei meiner Frau aus-
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gelöst hat. Aber dann sind sie, also Dora und Hugo, sofort ausgestiegen, beim Österreichischen Hof, und sind hinüber zum Geschäft, und es war völlig ausgeplündert. Fast nichts war mehr da. Wo die Stoffe aufgewickelt waren, die Kartons, die hat manübrig gelassen. Und am selben Tag wurde auch das Hôtel de l’Europe am Bahnhof geplündert, dort haben sie den Koch aufgehängt. Bei uns haben sie niemanden erwischt zum Umbringen, und das Ganze war auch nicht so kompliziert zum Aufbrechen. Und als ich zurückgekommen bin – es war gar nicht so einfach, so ein Geschäft wieder einzurichten. Das ganze Geschäft ist zwar nicht geplündert worden, es war ein kleines Geschäft mit achtzehn Angestellten, jetzt haben wir in Salzburg ja hundert. Ich habe dann als Erstes im zweiten Stock eine Bildergalerie aufgemacht. Die Neue Galerie. Ich liebe Faistauer und Schiele und Klimt, weißt? Die hab ich gesammelt und angefangen, einen Kunsthandel zu betreiben. Und nach zwei Jahren, Anfang 1920, habe ich dann das Kaufhaus mit Krediten wieder eröffnen können. Und zwei Jahre später war es dann vollkommen fertig, mehr noch: Ich habe modernisiert und einen Lift in das fünfstöckige Haus am Ludwig-Viktor-Platz einbauen lassen. Der Lift war eine kolossale Sache. Fünf Jahre später habe ich den Kranzlmarkt dazugekauft und eine innere Verbindung geschaffen. Und diese kleine Wohnung hier …“ „… in der wir gerade beisammen sind …“, lächelt Hertha versonnen. „… ja, die auch. Unser Wohnhaus in der Purtschellergasse habe ich im Herbst 1933 schließlich verkauft. Da war Dora schon in Wien. Sie ist mit Benjamin und Rafael zuerst noch nach Wien, bevor sie kurz darauf nach Palästina gegangen ist. Mein Ältester hat mit mir eine Zeit lang hier und vorher in der Purt-
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schellerstraße gewohnt, 1936 hat er noch seine Skilehrerprüfung am Arlberg abgelegt. Dann ist er auch nach Palästina gegangen, und ich bin hiergeblieben.“ „Und du, warum, bist du nicht ins gelobte Land?“ „Dann hätten wir uns doch nie kennengelernt …“ „Ja, stimmt schon …“ „Ich war übrigens bereits im 24er-Jahr dort. Ist mir viel zu heiß gewesen. Und die Mücken. Der Hugo hat mich so belagert, wir sollten gleich dortbleiben. Ich habe gesagt: Naja, schauen wir noch, lassen wir das noch andere Leute aufbauen. Aber es war mir zu heiß, die Mücken haben mich schon sehr gestört. Es waren furchtbar viele Mücken. Fliegen und Mücken. Schlafen hat man nur können, wenn man sich ganz mit Leintüchern zugedeckt hat, weil die Fliegen sind nicht nur gekrabbelt, sondern haben auch gestochen.“ Sie kneift die Augen zusammen. „Und hier? Hier ist dir nicht zu heiß?“ „Hier?“ „Hier wird’s doch langsam auch ziemlich heiß.“ „Du meinst …“ „Walter“, sie nimmt seine Hand, „ich wär halt froh, wenn ich dich in Sicherheit wüsste.“ „Willst mich schon wieder loswerden?“ „Ach was! Ich hab halt Angst wegen dem Hitler.“ „Du hast nichts zu befürchten.“ „Ich hab aber um dich Angst, Liebster.“ „Mir geschieht aber bestimmt nichts. Glaub mir: Ich hab alles vorbereitet.“ „Sicher, man kann auch die Luft anhalten, bevor es passiert.“ „’s wird sich schon ausgehen …“
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„Was willst du tun, wenn’s der Hitler ernst meint? Jetzt hat er auch noch den Befehl über die Wehrmacht persönlich übernommen.“ „Ja, ich habe heute auch Zeitung gelesen. Ich hab gar nicht gewusst, dass du dich für Politik interessierst.“ „Ich interessiere mich für dich!“ „Glaub mir, ich habe alles vorbereitet …“ „Das will ich dir ja gerne glauben. Aber man muss jetzt auf alles vorbereitet sein! Es gibt Menschen, deren Albträume beginnen, wenn sie aufwachen. Warte nicht so lange. Bitte! Tu’s für uns.“ „Hertha. Es kann sein, dass du recht hast, dass es der Anfang von etwas Schlimmerem ist.“ Walter Schwarz macht eine Pause, in der er seine Hand auf ihre legt. „Aber glaube mir: Ich bin auf dem Laufenden und ich bin Geschäftsmann, ich bin gewohnt, Dinge im Voraus zu planen.“ Sie nickt stumm. Dann sagt sie leise: „Und komme ich auch darin vor, in deinem Plan?“ Walter starrt sie an: „Dass du das überhaupt fragst. Natürlich kommst du darin vor. Ich kann dir nur eben jetzt noch nichts sagen, glaub mir, es ist das Beste. Nur so viel: In Jerusalem baue ich schon seit zwei Jahren ein Geschäft auf und habe Landwirtschaft gekauft, die auf den Hugo läuft. Und in England habe ich auch investiert …“ „Wenn du das sagst.“ „Es gibt hier einfach noch ein paar Sachen zu erledigen. So lange müssen wir, muss ich noch hierbleiben.“ „Aber warum Salzburg? Warum nicht London oder Zürich?“ Walter Schwarz überlegt kurz und holt dann aus, als ob er etwas sehr Bedeutendes zu sagen hätte: „Ach, weißt, dass Salz-
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burg einer der wenigen Orte auf der Welt ist, die schöner sind als auf jeder Postkarte, musst wohl zugeben, nicht?“ „Walter! Das ist gar nicht witzig!“ Er nickt, dabei betrachtet er sie wie ein verschollenes Bild, das er eben wiedergefunden hat: „Verzeihung. Vielleicht hast du recht, vielleicht wäre es das Beste, wenn du schon in die Schweiz gehst und dich dort um eine Wohnung für uns kümmerst, bis ich dann nachkomme.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 6. Februar 1938 Weiterhin mild, morgens Nebel, sonst wolkig, trocken, mäßige Winde. Salzburger Chronik
Hoch über der Stadt, am Salzburger Gaisberg, haben sich über zweitausend Besucher zum Skispringen auf der SSC-Schanze auf der Zistel eingefunden. Der Name Sepp „Bubi“ Bradl zieht. Einen Populäreren gibt es heuer nicht. Er ist nicht nur Weltmeister, er ist der erste Skispringer, der weiter als 100 Meter geflogen ist. Am Neujahrstag hat er noch das Bergiselspringen in Innsbruck gewonnen und danach auch das Springen in Garmisch-Partenkirchen für sich entschieden. Bradl startet für den Salzburger Skiclub. Die Schanze befindet sich auf dem östlichen Abhang zwischen Zistelalpe und Mitteregg. Das Gebiet gehört noch zur Stadt Salzburg, Stadtteil Aigen. An einem solchen Tag
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wäre eigentlich auch beim Mitteregg der Teufel los. Der Gasthof gleichen Namens liegt direkt neben der Schanze. Aber erst im Juni nächsten Jahres wird der Betrieb wieder aufgenommen werden können. Nach dem Brand vor anderthalb Jahren steckt man noch mitten im Wiederaufbau. Und jetzt im Winter ruhen die Arbeiten ohnehin. Nur der Schlepplift, der gleich beim Haus abgeht, surrt leise vor sich hin. Vereinzelt lässt sich ein Skifahrer nach oben ziehen. Das Interesse gilt aber heute dem Skispringen. Die Organisatoren und Helfer des SSC haben in den letzten Tagen sehr gute Arbeit geleistet. Die äußeren Bedingungen sind allerdings auch auf über 1000 Meter Höhe nicht ganz perfekt: War der Januar winterlich, ist der Februar viel zu mild, und heute prahlt er auch noch mit Sonnenschein. Die Temperaturen, schon fast frühlingshaft, setzen dem Schnee ordentlich zu. Sepp Bradl – den Namen kennt man längst nicht nur in Deutschland oder Österreich. Mit einem Satz überwindet Bradl in Planica im März 1936 als erster Mensch auf Skiern die 100Meter-Marke. Mit diesem Sprung schreibt er Sportgeschichte. Es ist auch ein Sprung in ein besseres Leben. „I hob damals wegen dem Sprung Arbeit bekommen, a richtige Arbeit, a Lehrstelle! Beim Lanz in Salzburg, woaßt eh, dem Trachtengeschäft!” Seine Geschichte erzählt er später einem Journalisten, viel später, kurz vor seinem Tod im März 1982. Bradl, den sie alle „Bubi“ nennen, ist am 8. Januar 1918 in Wasserburg am Inn als Josef Bradl zur Welt gekommen. Mit seinen Eltern übersiedelte er als Kleinkind von Deutschland nach Österreich. Bradls Vater, ein Bergmann, hatte im Kupferbergwerk in Mühlbach am Hochkönig Arbeit gefunden. Sepp ist ein Winterkind. Und er ist ein Bergkind. Mit seinem Vater teilt er
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die Begeisterung fürs Klettern. Bei einer gemeinsamen Tour am Hochkönig stürzt Vater Bradl ab, stirbt in den Armen seines zwölfjährigen Sohnes. „Des hob i mei Lebn lang net vagessn”, erinnert sich Sepp Bradl. Im Skiclub von Mühlbach entdeckt man sein Talent. Sepp wird Skispringer. Eine richtige Arbeit hat er nie. Seit seiner Schulzeit ist er arbeitslos. Seine verwitwete Mutter kann das Lehrgeld für eine Lehrstelle nicht aufbringen. Wenn überhaupt, verdient er nur sehr unregelmäßig. Etwa beim „Freiwilligen Arbeitsdienst“, dem er beitritt, um das Geld für eine Skihose zusammenzukriegen. Das Arbeitslager liegt in Oberösterreich, hundertfünfzig Kilometer von Mühlbach am Hochkönig entfernt, wo er zu Hause ist. In drei Monaten hat er 42 Schilling gespart. Um das Ersparte nicht angreifen zu müssen, geht er den ganzen Weg zurück zu Fuß. Der „Freiwillige Arbeitsdienst“ ist ein öffentlich gefördertes Beschäftigungsprogramm der „Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung“ und der Arbeitslosenversicherung der Weimarer Republik. Meist sind es Burschen wie Bradl oder junge Männer, die in einem Arbeitslager einer für die Allgemeinheit nützlichen Arbeit nachgehen, die ihnen zudem das Gefühl geben soll, gebraucht zu werden. Die Arbeitsdienstlager der NSDAP werden seit 1931 vom ehemaligen Reichswehroffizier, Oberst a. D. Konstantin Hierl geleitet: „Der Arbeitsdienst ist eine Säule des zukünftigen deutschen Staates. Er ist höchster Ausdruck eines deutschen Sozialismus. Eine Erziehungsschule ohnegleichen.” Mit einem Sprung ist Sepp raus aus dieser Erziehungsschule. 1936 in Planica heißt der Favorit eigentlich Reidar Andersen. Der Norweger will endlich die 100 Meter knacken. Alle Augen richten sich auf ihn. Bradl schenkt man wenig Beachtung. Dann
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kommt der zweite Durchgang, und Bubi Bradl springt der Konkurrenz davon. Willi Lanz, Trachtenmodeunternehmer aus Salzburg, bietet ihm nach seinem Weltrekordsprung eine Lehrstelle an. Mit achtzehn verfügt Sepp Bradl zum ersten Mal über ein eigenes, regelmäßiges Einkommen. Sportlich fördert Lanz seinen Lehrling und stellt ihn zum Training frei. Lanz hat mit Sepp nicht nur einen fleißigen Lehrjungen gefunden. Der clevere Unternehmer hat sich mit dem Weltrekordler auch eine ideale Werbefigur ins Haus geholt. Im Jahr seines Weltrekordsprungs startet Bradl noch für die österreichische Nationalmannschaft. Bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften 1937 in Chamonix landet er auf dem fünften Platz. Ab 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs, wird er für den Kader des Deutschen Reiches springen. Bei den Weltmeisterschaften 1938 in Lahti wird er Vierter, und im selben Jahr wird ihm, erneut auf der Schanze in Planica, die Verbesserung seines Weltrekordes von 101,05 auf 107 Meter gelingen. „Ich duckte mich wie ein Panther. Als ich kurz vor dem Absprung wieder hochgehen sollte, blieb ich unten. Der Druck war ungeheuer, fast schien es, als hätte ich keine Kraft mehr, zum Doppelsatz hochzugehen. Mit letzter Energie riss ich mich hoch und – zack, draußen war ich. Ich spürte, der Absprung war hervorragend gelungen. Es war ein herrliches Gefühl, sich tragen zu lassen, und ich hatte den Wunsch, immer so weiterzufliegen.” Beim Zistelspringen auf dem Gaisberg sind die Menschen außer sich vor Begeisterung. Sepp Bradl tritt zu seinem zweiten Sprung an. Er hört die jubelnde Menge. Kurz schließt er die Augen. In Startposition verharrend atmet er die Sekunden ein und aus. Dann rauscht er ab. Sein roter Pullover leuchtet wie
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ein Feuerball. Mit einem kräftigen Stoß löst er sich vom Schanzentisch. „Zieheeeen!”, brüllt die Masse. „Zieheeeen!” Sepp fliegt, getragen vom Jubel, und – landet sicher in den Armen des Publikums. Er gewinnt überlegen. Der Salzburger Bildberichterstatter Franz Krieger fotografiert den lächelnden Sieger des heutigen Springens. Es ist das Lächeln eines unter einem Glücksstern Geborenen. Es ist das letzte Zistelspringen vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Montag, 7. Februar 1938 TAGESKALENDER […]. Romuald, morgen Johann v. M., Tageslänge: 9 Stunden 53 Minuten. (Sonnenaufgang 7.21, -untergang 17.03, Mondaufgang 10.02, -untergang 0.08 Uhr. Temperatur heute um 7 Uhr früh minus 3 Grad Celsius). Salzburger Chronik
Franz Krieger ist seit acht auf den Beinen. Sofort nach dem Frühstück hat er seine Leica genommen und mit einem frischen Film geladen. Er nimmt seine grüne Joppe vom Haken, schlüpft hinein, schlägt den Kragen hoch und verlässt gegen neun die Wohnung. Die Wohnung im zweiten Stock seines Elternhauses liegt gleich neben dem Café Tomaselli. Da will er jetzt erst einmal hin. Er lässt die schwere hölzerne Eingangstür hinter sich ins Schloss fallen und schaut sich um. In dieser Jahreszeit schatten die großen barocken Häuser den Platz noch vor der Sonne
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ab. Hier und da liegen Reste gefrorenen Schnees. Der Florianibrunnen präsentiert sich winterfest verpackt. Durch die Judengasse quetschen sich ein paar grelle Lichtstrahlen und finden den Weg auf den Platz. Intuitiv nimmt Franz Krieger seine Leica und richtet Blick und Objektiv auf das ihm pittoresk erscheinende Motiv. Aus dem Augenwinkel bemerkt er Walter Schwarz, der als Chef des Kaufhauses gleichen Namens im Begriff ist, die Eingangstür Alter Markt 12 aufzusperren. Krieger drückt nicht ab, lässt die Kamera sinken, wirft ihm einen kurzen Gruß zu. In Salzburg ist Franz Krieger als der Mann mit der Kamera bekannt. Zur Festspielzeit im Sommer fotografiert er die Stars und Sternchen, lauert der Prominenz auf, wo er nur kann. Erstmalig 1936 und dann erneut im vergangenen Jahr, als er auch Emil Jannings abgelichtet hat: Jannings, ganz Weltmann – Anzug, Krawatte, Gehstock, Hut – auf dem Grünmarkt mit Marktfrauen plaudernd; Jannings, der beleibte Anzugmann im modischen Zweireiher, wie er mit seiner Frau Marold – sie trägt ein Dirndl, das an ihr wenig kleidsam wirkt – vom Universitätsplatz kommend über den Alten Markt spaziert; Jannings mit einem Sackerl voller Einkäufe in der Hand. Den reporterscheuen Stardirigenten Arturo Toscanini hat Krieger gleich mehrfach eingefangen. Auch die Dietrich ist sein Motiv geworden: einmal beim Stadtbummel mit ihrer Tochter Maria und dem Kindermädchen, ein anderes Mal mit ihrem Gatten, dem Regisseur Rudolf Sieber, beim Einkauf in der Schwarzstraße, und dann noch einmal das Paar auf dem Residenzplatz vor seinem sehr grünen Automobil. Das Foto von Attila Hörbiger, dem letztjährigen „Jedermann“, hat Krieger vor dem Tomaselli-Kiosk auf dem Alten Markt geschossen. Auch auf der Fotojagd nach
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Hans Albers ist er zum Zug gekommen. Es schaut aus, als würde Albers ihm Modell sitzen: der blonde Hans in Pose – ganz salzburgisch in Janker, Lederhose, Haferlschuhen und mit Trachtenhut – auf dem Geländer am Ufer der Salzach mit der Staatsbrücke im Hintergrund. Dann noch einmal Albers, wie er einer Bewunderin vor dem Trachtenmodengeschäft Lanz in der Schwarzstraße ein Autogramm gewährt. Immer wieder lächeln Größen von Film und Bühne in Kriegers Kamera. Häufig ist es die Leica IIIa, manchmal auch eine Zeiss Contax II mit 35 Millimeter Brennweite. Er fotografiert ohne die sogenannten Kanonenrohre zur Vergrößerung der Objekte. „Er musste also an seine ‚Beute‘ möglichst nahe heran, was ihm dank seines adretten, jugendlichen Aussehens und seiner guten Manieren meistens auch ohne große Mühe gelungen sein dürfte.“ Eigentlich fängt Franz Krieger alles mit seiner Kamera ein, was sich an die hiesigen Zeitungen verkaufen lässt. Als er zwölf Jahre alt war, hat sein Vater in ihm das Interesse für die noch junge Kunst des Fotografierens geweckt. Am 2. Mai 1929 fotografiert er vom Dach des elterlichen Hauses aus den Zeppelin über der Salzburger Residenz. Es ist seine erste fotodokumentarische Aufnahme. Er fotografiert beim „I. Internationalen Gaisbergrennen“ am 8. September 1929. Er fotografiert das „Große Salzburger Volksfest“ vom 31. August bis 8. September 1929. Am 6. Oktober fotografiert er einen Aufmarsch der Heimwehr mit sechstausend Teilnehmern, die über die Staatsbrücke marschieren. Und am 1. September 1932 ist er bei den Aufnahmen zum Film „Das unsterbliche Lied – Stille Nacht, heilige Nacht“ mit seiner Kamera dabei. Dann, 1932, beginnt er ein Wirtschaftsstudium an der Hochschule in Wien. Auf einer Fahrt von Salzburg zu seinem Studienort fotografiert er am 10. April 1934 mit
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seiner 3 x 4 Rollfilmkamera Nagel Vollenda aus dem fahrenden Zug ein Eisenbahnunglück in der Nähe von Wels, das durch einen Sprengstoffanschlag verursacht worden war. Das Bild verkauft er an mehrere nationale und internationale Zeitungen, sogar in Paris ist sein Foto zu sehen. 1934 geht er für ein halbes Jahr nach Sutton Coldfield/Warwickshire, um seine Englischkenntnisse zu vertiefen. Dort entdeckt er den Jazz für sich und wird zum leidenschaftlichen Sammler von Schellacks. 1935, er hat gerade sein Studium in Wien als akademischer Diplomkaufmann abgeschlossen, steht für ihn fest: Er will Fotoreporter werden. Als er das Tomaselli betritt, hört Franz Krieger noch deutlich das lauter werdende Rattern der „Gelben Elektrischen“, die vom Universitätsplatz kommend durch den Ritzerbogen rollt. Krieger hört sie nur, sehen kann er sie höchstens vor seinem geistigen Auge; wie auch den Fahrer, der mürrisch auf seinem offenen Führerstand steht, wo ihn nur etwas Glas auf Stirnhöhe vor der kalten Morgenluft schützt. Der gelbe Motorwagen 9 durchfährt die Churfürststraße, nimmt die Kurve vor dem Tomaselli und erreicht den Alten Markt, wo er vor dem Tomaselli kurz Station macht, um dann über Kranzlmarkt und Rathausplatz Richtung Staatsbrücke zu verschwinden. Aber da hat Krieger schon längst die Kaffeehaustür hinter sich zugezogen und schaut nach einem freien Tisch. Das Tomaselli ist das öffentliche Wohnzimmer am Platz. Hier drinnen ist es heimelig warm, und der Duft von Kaffee wirkt wie ein Versprechen: Heute wird ein guter Tag. Mitunter gewinnen aber auch die von den Gästen produzierten Wolken diverser Rauchwaren die Oberhand. Die Nase fühlt sich davon aber nicht gestört. Die Räume des Tomaselli sind mit prächtigen Holzver-
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täfelungen verkleidet, die kunstvolle Intarsien zeigen. Man sitzt an Tischchen mit weißen Marmorplatten, der Kaffee schwebt auf Silbertabletts heran, und die Ober tragen Smoking und Fliege. Es ist ein typisches Kaffeehaus, wie es in Wien zuhauf zu finden ist. Das Tomaselli ist aber auch das älteste sogenannte Wiener Kaffeehaus in Österreich. Was ein „Wiener Kaffeehaus“ ist – auch in Salzburg –, weiß Stefan Zweig zu berichten, der bis vor vier Jahren in Salzburg gelebt hat und das Tomaselli, aber auch das Bazar, gerne besucht hat: „Es stellt eine Institution besonderer Art dar, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann. Täglich saßen wir stundenlang, und nichts entging uns.“ Franz Krieger steuert auf die Zeitungen des Tages zu. Man sieht ihm an, dass er guter Laune ist. Er greift die Salzburger Chronik und das Salzburger Volksblatt vom Haken. Genau wie im Bazar sind sie in ein dünnes Bugholzgestell eingespannt. Er setzt sich an einen der kleinen runden Tische, gibt dem Ober ein Zeichen, bestellt einen Verlängerten und blättert sofort zum Sportteil. Franz Krieger schüttelt den Kopf: Sowohl die Chronik als auch das Volksblatt berichten vom gestrigen Springen auf dem Gaisberg. Aber beide ohne Bild.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 12. Februar 1938 PAPEN IN BERCHTESGADEN. Salzburg […]. Gesandter a.D. von Papen ist gestern mittags mit dem Zug aus Wien in Salzburg angekommen und wurde am Bahnhof von einem Regierungsauto […] abgeholt und unverzüglich nach Berchtesgaden gebracht. Salzburger Chronik
Die große Standuhr, von einem schweren Bronzeadler mit Hakenkreuz in den Fängen bekrönt, zeigt eben auf 11 Uhr. Der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg ist bisher kaum zu Wort gekommen; er, der sich zu einem Treffen mit Hitler auf dem Obersalzberg bereit erklärt hat, ist von ihm erst einmal zum Zuhörer degradiert worden. Der „Führer“ und sein Staatsgast haben in bequemen roten Clubsesseln Platz genommen, vor sich, wie von einem Monumentalmaler auf die Leinwand übertragen, ein Landschaftspanorama im CinemaScopeFormat. Das riesige versenkbare Fenster in der imposanten Halle im Erdgeschoss des Berghofs misst acht Meter auf vier Meter und bietet eine freie, entgrenzte Sicht über das Berchtesgadener Land hinweg bis tief ins Salzburgische hinein. Davor hat Hitler eine Sonnenterrasse aus Naturstein anlegen lassen. Auf der gegenüberliegenden Talseite erhebt sich majestätisch der sagenumwobene Untersberg. Schuschnigg sieht nicht wirklich hinaus, aber die schiere Größe des Fensters mit der magischen Aussicht beeindruckt ihn doch. Nur, wie in Gottes Namen soll er jetzt einen Blick für Landschaft und Bergkulisse haben? Und wenn er ihn hätte, würde er darin doch nur
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seine Heimat Österreich sehen, und die steht gerade auf dem Spiel. Er fühlt sich gar nicht kommod. Unwohl fühlt er sich, und das nicht nur wegen der Unterredung. Wie gerne würde er sich jetzt eine Zigarette anzünden, aber der „Führer“ hat in seiner Gegenwart ein striktes Rauchverbot erteilt. Schuschnigg, nikotinabhängig, leidet wie ein Hund. Sein Gegenüber dagegen monologisiert munter weiter und schaut dabei abwechselnd nach draußen und auf ihn. Während er redet, weiß er im Vorzimmer seinen Bluthund Walter von Reichenau, General der Artillerie, und den General Sperrle, dessen brutales Bulldoggengesicht schon wortlos auf jeden Besuch Furcht einflößend wirkt. Die beiden Herren gehören genauso zu Hitlers Einschüchterungstaktik wie die große Drohkulisse, die er zur gleichen Zeit an der österreichischen Grenze aufgebaut hat, indem er dort militärische Scheinvorbereitungen durchführen lässt. Österreichs Außenstaatssekretär Guido Schmidt, der Schuschnigg auf den Obersalzberg begleitet hat, ist nicht zugegen. Wie Hitlers Reichsminister des Auswärtigen, Joachim von Ribbentrop, hält er sich in anderen Räumlichkeiten des Berghofs auf. Auch der ebenfalls angereiste Botschafter des Deutschen Reiches in Wien, Franz von Papen, ist bei der Unterredung nicht dabei. Hitler will das Vier-Augen-Gespräch. Schuschnigg sieht ihn durch seine blinkenden Brillengläser ernst, aber freundlich an. Er sucht das versöhnliche Gespräch. Aber wie soll das gehen, wenn nur einer spricht? „Das nennen Sie eine deutsche Politik, Herr Schuschnigg? Österreich hat noch nie etwas getan, was dem Deutschen Reich genützt hat. Seine ganze Geschichte ist ein ununterbrochener Volksverrat. Das war früher nicht anders wie heute. Aber dieser geschichtliche Widersinn muss endlich sein längst fälliges Ende
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finden. Und das sage ich Ihnen, Herr Schuschnigg: Ich bin fest dazu entschlossen, mit dem allen ein Ende zu machen.“ „Ich kenne Ihre Auffassung über die österreichische Frage und österreichische Geschichte, Herr Reichskanzler; aber Sie werden verstehen, dass ich hier grundlegend anderer Meinung bin. Für Österreich ist die ganze eigene Geschichte ein sehr wesentliches und wertvolles Stück deutscher Geschichte gewesen, das sich aus dem gesamtdeutschen Bilde nicht wegdenken lässt. Und die österreichische nationale Leistung ist sehr beträchtlich.“ „Gleich null! Das kann ich Ihnen sagen! Von Österreich aus bekam jede nationale Regung seit je nur Prügel zwischen die Füße; das war ja auch die Haupttätigkeit der Habsburger und der katholischen Kirche.“ „Trotzdem ist manch österreichische Leistung aus dem gesamtdeutschen Kulturbild unmöglich wegzudenken.“ „Ich kann Ihnen nur nochmals sagen, dass es so nicht weitergeht. Ich habe einen geschichtlichen Auftrag, und den werde ich erfüllen, weil mich die Vorsehung dazu bestimmt hat.“ „Das glaube ich Ihnen ja gerne, Herr Reichskanzler …“ „Ich könnte mit dem gleichen und noch mit viel mehr Recht mich als Österreicher bezeichnen als Sie, Herr Schuschnigg! Versuchen Sie es doch einmal und machen Sie eine freie Volksabstimmung in Österreich, in der Sie und ich gegeneinander kandidieren; dann werden Sie sehen!“ „Ja, wenn das möglich wäre! Aber Sie wissen selbst, Herr Reichskanzler, dass es eben nicht möglich ist.“ „Das sagen Sie, Herr Schuschnigg. Ich sage Ihnen, ich werde die ganze sogenannte österreichische Frage lösen, und zwar so oder so! […] Ich brauche nur einen Befehl zu geben, und über Nacht ist der ganze lächerliche Spuk an der Grenze zerstoben.“
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„Ich weiß natürlich, dass Sie in Österreich einmarschieren können; aber, Herr Reichskanzler, ob wir es wollen oder nicht – das wird ein Blutvergießen geben; wir sind nicht allein auf der Welt. Das bedeutet wahrscheinlich Krieg.“ „Glauben Sie nur nicht, dass mich irgendjemand in der Welt in meinen Entschlüssen hindern wird! Alle Welt muss wissen, dass es für eine Großmacht einfach unerträglich ist, wenn an ihren Grenzen jeder kleine Staat glaubt, sie provozieren zu können. Ich habe lange genug untätig zugesehen. Weil ich immer noch hoffte, dass die Vernunft die Oberhand bekäme. Aber das ist einfach unmöglich, dass in Österreich einer, bloß weil er ein Lied singt, das Ihnen nicht passt, oder ‚Heil Hitler‘ sagt, ins Gefängnis kommt. Die Verfolgung der Nationalsozialisten muss ein Ende haben, sonst werde ich ein Ende machen.“ „In Österreich wird niemand verfolgt, der sich nicht gegen die Gesetze vergeht.“ „Ich kenne die Lage in Österreich besser als Sie.“ „Vielleicht würden Sie an Ort und Stelle anders denken, Herr Reichskanzler, Sie kennen ja Wien.“ „Das ist sehr lange her.“ „Seither waren Herr Reichskanzler niemals in Österreich?“ „Die österreichische Regierung hat mir ja die Einreise verboten. Einmal war ich vor Jahren noch nachts in Wien. Und dann heimlich am Grabe meiner Eltern; so behandelt man mich. Ich will Ihnen jetzt noch einmal, zum letzten Mal, die Gelegenheit geben, Herr Schuschnigg. Entweder wir kommen zu einer Lösung, oder die Dinge sollen laufen; wir werden dann ja sehen, wie das werden wird. Am nächsten Sonntag trete ich vor die deutsche Nation; bei meiner Rede vor dem Reichstag muss das deutsche Volk wissen, wie es dran ist. Überlegen Sie es sich gut,
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Herr Schuschnigg! Wenn ich Ihnen das sage, dann tun Sie gut daran, mich wörtlich zu nehmen. Ich bluffe nicht. Ich habe noch alles erreicht, was ich wollte, und bin vielleicht dadurch zum größten Deutschen der Geschichte geworden!“ Damit scheint die Unterredung beendet, es ist kurz vor 13 Uhr, gleich wird die Standuhr den beiden Kontrahenten mit einem Schlag das Ende bestätigen. „Ich habe mich entschlossen, einen allerletzten Versuch zu unternehmen, Herr Schuschnigg. Hier ist der Entwurf.“ Nach dem zweistündigen Gespräch ohne Zeugen hält Hitler dem österreichischen Bundeskanzler den Entwurf eines Abkommens unter die Nase. Demnach sollen den österreichischen Nationalsozialisten weitreichende politische Entfaltungsmöglichkeiten zugesichert werden. Schuschnigg ist konsterniert. Er nimmt das Blatt und liest unter anderem, dass der österreichische Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart zum Innenminister ernannt und mit absoluter Polizeigewalt ausgestattet werden muss; alle inhaftierten Nationalsozialisten freizulassen sind; die im Ständestaat wegen NS-Betätigung entlassenen Beamten und Offiziere sofort auf ihre Posten zurückkehren müssen und die österreichische Außen- und Wirtschaftspolitik jener des Deutschen Reiches anzupassen ist. Hitler fordert ihn auf, zu unterzeichnen. Schuschnigg zögert. „Verhandelt wird nicht, ich ändere keinen Beistrich. Sie haben zu unterschreiben, oder alles andere ist zwecklos, und wir sind zu keinem Ergebnis gekommen. Ich werde dann im Laufe der Nacht meine Entschlüsse zu fassen haben.“ Schuschnigg beugt sich dem Druck, unterschreibt das „Berchtesgadener Abkommen“, bittet aber um drei Tage Bedenkzeit. Er gibt vor, er brauche diese Frist, da Ministerernennungen ver-
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fassungsrechtlich erst vom Bundespräsidenten gebilligt werden müssten. Mit Murren stimmt Hitler zu. Als Schuschnigg und seine Begleiter Schmidt und von Papen den Berghof Richtung Wien verlassen haben, wendet sich Hitler an seinen Hofstaat: „Gerne tue ich es nicht. Also gut, meine Herren – er soll die drei Tage haben.“ Auf der kurzen Fahrt zum Bahnhof zündet sich Schuschnigg erst einmal eine Zigarette an, zieht gierig den Tabakrauch ein und hört von Papen zu, der versucht, beruhigende Worte zu finden: „Ja, so kann der Führer sein, nun haben Sie es selber erlebt. Aber wenn Sie das nächste Mal kommen, werden Sie sich sehr viel leichter sprechen. Der Führer kann ausgesprochen charmant sein.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 20. Februar 1938 BEFLAGGUNG! Salzburg. […]. Anläßlich der morgigen Rede des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler ist das Beflaggen der Häuser erlaubt. Nach der Flaggenordnung dürfen jedoch nur Reichsdeutsche ihre Häuser mit der Hakenkreuzfahne beflaggen, während die anderen Häuser mit den österreichischen Fahnen zu schmücken sind. Es wird auch erwartet, daß die Beflaggung der Häuser im gleichen Umfange am Donnerstag den 24. ds. stattfindet, an welchem Tage Bundeskanzler Dr. v. Schuschnigg sprechen wird. Salzburger Volksblatt vom 19. Februar
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Die Straßen und Gassen Salzburgs sind wie leer gefegt. Im Haus Nonntaler Hauptstraße 49 sitzen Suse von Winternitz und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Alix zusammen mit ihrer Mutter Friderike vor dem geliebten Radiogerät. Luftlinie fünfhundert Kilometer entfernt steht Adolf Hitler vor dem Mikrofon. Es war verkündet worden: Um 18 Uhr wird der „Führer“ eine wichtige Ansprache vor dem Deutschen Reichstag halten. Die Frauen erwarten sich nicht viel Gutes davon. Susanna Benediktine von Winternitz ist sechsundzwanzig Jahre jung. Seit fast zwei Jahren arbeitet sie als Pressefotografin in der Stadt. Sie ist die einzige, und sie hätte nichts dagegen, wenn es so bliebe. Auch ist sie die Stieftochter des Juden Stefan Zweig. Dass sie beides bald nicht mehr sein wird, wird sie als Berufsfotografin bedauern. Ihr leiblicher Vater, Dr. Felix Adolf Edler von Winternitz, ist von der Mutter seit 1914 geschieden. Friderike von Winternitz hat den Schriftsteller Stefan Zweig 1920 geheiratet. Die Ehe Zweig/von Winternitz existiert aber nur noch auf dem Papier. Zweig hat seiner Frau schon vor vier Jahren den Rücken gekehrt und lebt mit seiner Privatsekretärin Lotte Altmann im Londoner Exil. Im Mai des letzten Jahres hat sich Friderike von Winternitz mit ihren Töchtern in der Villa von Alois und Luise Staufer in der Nonntaler Hauptstraße eingemietet. Der neue Wohnsitz hat einen Garten und liegt, nicht unpraktisch, gleich neben dem Römerwirt. Die Eigentümer wohnen nicht im Haus, sondern im nahen St. Pantaleon. Dr. Alois Staufer ist dort der Gemeindearzt. Hin und wieder schaut er in Salzburg nach dem Rechten. Mit dem Automobil benötigt er gerade einmal fünfundvierzig Minuten für eine Fahrt. Nein, das neue Haus der Zweigs ist lange nicht so hochherrschaftlich wie das Paschinger Schlössl auf dem
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Kapuzinerberg, der Villa von Stefan Zweig, aber jetzt sind Mutter und Töchter wenigstens unter sich. Friderike hatte das Haus gleich lieb gewonnen, wie sie später in ihren „Spiegelungen“ schreiben wird: „Nun aber umgab mich dies alles noch in dem reizenden Haus. Es lag nicht weit von dem Kloster der Erentrudis, die kranke Augen geheilt hatte und deren Nonnen noch bis zum heutigen Tage den Gregorianischen Gesang pflegen. Von den Abhängen des Klosterberges zogen sich damals noch unbebaute Wiesenhänge hin, von dem in den Königssee mündenden Almbach durchflossen, der auch durch unseren Garten plätscherte und Forellen und Wildenten heranbrachte.“ Lange waren die Schwestern von Winternitz das, was man Problemkinder nennt. Dass sie dem leiblichen Vater bei der Scheidung der Eltern entzogen worden sind, ist das eine. Auch die widersprüchlichen Erziehungsprinzipien von Mutter und Stiefvater Zweig haben bei den Mädchen Spuren hinterlassen. Dazu kommt die Liaison des Stiefvaters mit seiner Privatsekretärin, die den Schwestern nicht verborgen geblieben war. Gegensätzlich waren außerdem die Einstellungen der Schwestern und des Stiefvaters zu neuesten Moden und moderner Technik. Für Suse und Alix von Winternitz gehört das Radiohören zu den größten Vergnügungen. Zweig dagegen weigerte sich, ein solches Gerät anzuschaffen und bezeichnete Rundfunkhörer oft genug als „Radioten“; was die Schwestern nicht davon abhielt, es trotzdem zu tun. Die Villa Zweig war am 18. Februar 1934 von der Polizei durchsucht worden. Zweig hatte zwar erkannt, dass die österreichische Staatsmacht nur einen Vorwand für die Perlustrierung gebraucht hatte, dennoch stieg er zwei Tage später in den Zug und verließ Salzburg fluchtartig in Richtung London. Der
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Jude und bekennende Pazifist hatte die aufkeimende Bedrohung durch die Nationalsozialisten hautnah zu spüren bekommen. Und dass Hitler sein Domizil ausgerechnet in Berchtesgaden auf dem Obersalzberg aufgeschlagen hatte, in unmittelbarer Nachbarschaft, empfand er als ein „Vorspiel zu viel weiterreichenderen Eingriffen“. Die Flucht vor den Nationalsozialisten, deren Einfluss auf Österreich wächst, schien ihm der einzige Ausweg zu sein. Ein plötzlicher Aufbruch war es, aber immerhin in weiblicher Begleitung. Noch kurz zuvor war ihm Walter Schwarz behilflich gewesen, große Teile seiner Korrespondenz nach Jerusalem in die jüdische Nationalbibliothek auszulagern. Nachdem Zweig Salzburg, Ehefrau und Kinder verlassen hatte, nahmen die Querelen in der Familie schnell ab. Die Mutter unterstützte ihre Tochter Suse nach besten Kräften weiter, sich als Fotografin zu etablieren. Beruflich hatte Susanna von Winternitz grundsätzlich auf die guten Kontakte ihrer Eltern zu berühmten Persönlichkeiten des Kulturlebens gesetzt. In der Paschinger Villa am Kapuzinerberg hatten sich – bis zur Flucht Zweigs – internationale Größen der Zeit wie Thomas Mann, Hugo von Hofmannsthal, James Joyce, Richard Strauss, Arthur Schnitzler, H. G. Wells, Carl Zuckmayer, Franz Werfel, Hans Carossa, Jakob Wassermann, Romain Rolland oder Hermann Bahr die Klinke in die Hand gegeben. Die illustren Gäste hatte Suse bis dahin nahezu exklusiv ablichten können. Diese Möglichkeit hat sie nun – bedauerlicherweise – schon länger nicht mehr. Zwischen der Nonntaler Hauptstraße 49 und der Staatsbrücke liegen etwas mehr als zwei Kilometer, man geht zwanzig Minuten. Dass zwischen den beiden Punkten Welten liegen, kann man an diesem Abend dennoch behaupten. Auf der Staatsbrücke, in der Mitte Salzburgs, hat sich Franz Krieger postiert.
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Er interessiert sich ebenso für die Führerrede, wie Friderike von Winternitz und ihre beiden Töchter es vor dem Radio sitzend tun. Allerdings richtet sich sein Interesse seit Stunden auf mögliche Motive in der Stadt, die er anlässlich dieses Ereignisses einfangen könnte. Anders als Frau von Winternitz, die sich von den Ereignissen abgestoßen fühlt, ist Franz Krieger dem Geschehen ganz zugewandt. Bis in die späten Nachmittagsstunden hinein hat er in der Linzer Gasse Fahnen und Nachrichten lesende Passanten vor den Trafiken abgelichtet. Einzelne haben mit der aufgeschlagenen Zeitung in den Händen herumgestanden und diskutiert, andere dicht gedrängt vor den Verkaufsständen verharrt, um die neuesten Schlagzeilen nicht zu verpassen. Bald nach 17 Uhr sind immer weniger Menschen auf den Straßen unterwegs. Auf der Staatsbrücke, am Platzl und in der Linzer Gasse fängt Franz Krieger bis kurz vor sechs die flatternden tiefroten Hakenkreuzfahnen ein. Dann ist es so weit: Erstmals wird eine Rede Hitlers auch von österreichischen Radiosendern ausgestrahlt. Ein Grund mehr, sich wie die drei von Winternitz’ vor dem Radioapparat einzufinden. Als der Redner schon eine ganze Weile ins Mikrofon getönt hat, kommt er an die für die Österreicher entscheidende Stelle: „Ich bin glücklich, Ihnen, meine Abgeordneten, mitteilen zu können, dass in den letzten Tagen eine weitere Verständigung mit dem Lande erzielt wurde, das uns aus vielerlei Gründen besonders nahesteht. Es ist nicht nur das gleiche Volk, sondern vor allem, es ist eine lange gleiche Geschichte und gemeinsame Kultur, die das Reich und DeutschÖsterreich verbinden. […] Ich bin glücklich, feststellen zu können, daß diese Erkenntnisse auch den Auffassungen des österreichischen Bundeskanzlers, den ich um einen Besuch bat, entsprachen. Der Gedanke und die Absicht waren dabei, eine
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Entspannung unserer Beziehungen dadurch herbeizuführen, daß dem nach seiner Auffassung und Weltanschauung nationalsozialistisch denkenden Teil des deutsch-österreichischen Volkes im Rahmen der sonst gültigen Gesetze die gleichen Rechte gegeben werden, wie sie auch anderen Staatsbürgern zustehen. In Verbindung damit sollte eine große Befriedungsaktion eintreten durch eine Generalamnestie und eine bessere Verständigung der beiden Staaten durch ein nunmehr engeres freundschaftliches Verhältnis auf den verschiedenen Gebieten einer möglichen politischen, personellen und sachlich wirtschaftlichen Zusammenarbeit.“ Friderike von Winternitz macht sich nichts vor. Von der Souveränität Österreichs hat der Mann in Berlin kein Wort gesagt. Und was er mit einem „nunmehr engeren freundschaftlichen Verhältnis“ meint, kann für einen politisch interessierten und aktiven Menschen wie sie vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Monate nur eine einzige Bedeutung haben: Es ist nichts anderes als eine verschlüsselte Formulierung für die Expansionsfantasien eines Diktators, der seine versteckten Androhungen wahr macht. Vielleicht hat sie auch das Buch „Mein Kampf“ gelesen. Darin hatte Hitler seine Forderung ja deutlich formuliert: „Deutschösterreich muss wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande.“ Friderike und ihre Töchter nehmen sich bei der Hand. Österreich zusammen mit ihren Kindern zu verlassen, wie es ihr abkömmlicher Ehemann getan hat, scheint der Mutter nun gar nicht mehr undenkbar. Nach den Nürnberger Gesetzen der Nationalsozialisten gelten sie, Susanne und Alix als Volljüdinnen. Auch wenn sie kurz vor ihrer ersten Ehe mit von Winternitz zum katholischen Glauben konvertiert war – Friderike von Win-
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ternitz, geborene Burger, verheiratete Zweig, kann es verdrängen, aber nicht ungeschehen machen, dass sie jüdischer Abstammung ist. Gleich den Hakenkreuzfahnen, die Franz Krieger erst vor zwei Stunden fotografiert hat, bewegen sich nun auch die illegalen Mitglieder der NSDAP frei in der Stadt und salutieren nach der Rede ihres „Führers“ in den Straßen Salzburgs mit dem Hitlergruß.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Montag, 21. Februar 1938 In Wien, Graz und Innsbruck große, ergreifende Nazidemonstrationen. Das ist so wunderbar. Jetzt rollt die Sache programmgemäß weiter. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag vom 22. Februar
Walter Schwarz schaut aus dem Fenster seiner Wohnung über dem Kranzlmarkt. Als das Licht der Fackeln durch die Ritzen der Fensterläden züngelt, duckt er sich reflexartig weg. Unter ihm, von der Getreidegasse kommend, fließt ein in der Dunkelheit lodernder Strom jubelnder Menschen vorbei. Die Fackelträger, „Heil-Hitler“-Brüller und Hakenkreuzfahnen- und Transparenteschwenker bewegen sich in Richtung Alter Markt. Er ist sicher, dass sie sich auf dem Residenzplatz versammeln werden, denn der Marsch ist von den Behörden genehmigt, die Strecke aus der Zeitung bekannt. Seine Gedanken sind heftig in Bewe-
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gung und er hofft, dass sie mit der Wirklichkeit Schritt halten können: Nun sollen sie also legal sein … In Salzburg hat man schon über tausend von ihnen gezählt … Vor drei Tagen haben sie den Feßmann wieder aus der Haft entlassen, und ruckzuck sind die Straßen in Nazihand … Der Reitter hat ihm die Organisation übertragen … Ist doch klar: Dass die Vaterländischen heute im Kurhaus ihr Bekenntnis zu Schuschnigg und Österreich abgelegt haben, muss ihnen ein Dorn im Auge sein … Mein Gott! Das hört ja nimmer auf! Jetzt ziehen sie schon seit fast zwei Stunden grölend und trommelnd hier vorbei. Das müssen noch mehr als tausend von denen sein! Die Landsknechtstrommeln hört auch Franz Krieger, der unten auf der Straße ist. Wie Walter Schwarz sieht er den feurigen Menschenstrom, nur ist er mittendrin. Und wenn er nah genug herantritt, kann er sogar das Feuer in den Augen der Menschen sehen. Und er hört auch, was um ihn herum gesprochen wird. Zahlen machen die Runde: 10.000? 13.000? 20.000? Franz Krieger ist wie gefangen von diesem warm glühenden Ereignis. Wie die Fackeln gegen den nächtlichen Himmel erstrahlen! Mein Gott, das müssen wer weiß wie viele sein! Er fotografiert und fotografiert. Er hört den Jubel und sieht den Glanz der Freude auf den Gesichtern der Menschen. Er fotografiert bereits von Anfang an, war von der Rainerstraße über den Mirabellplatz die Paris-Lodron-Straße entlang in der Franz-JosefStraße und in der Linzer Gasse, auf dem Platzl und der Staatsbrücke, in der Griesgasse und der Getreidegasse mit dabei. Jetzt geht es über den Alten Markt auf den Residenzplatz zu. An der Spitze sieht er die Hitlerjugend und den „Bund Deutscher Mädel“ marschieren. Die Burschen tragen braune Knickerbocker und weiße Hemden mit Schulterriemen und Koppelschloss; die
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Mädchen dunkle Röcke und weiße Blusen dazu, darüber haben sie Berchtesgadener Jacken an. Jungen wie Mädchen halten Spruchbänder hoch: „Heil Hitler“, „Sieg Heil“, „Österreich erwache“. Franz Krieger, der wie ein Großteil der tosenden Menge auf dem Residenzplatz ankommt, sieht Bilder, Bilder, Bilder – und ist gleichzeitig ein Teil davon. Jetzt ebbt der Jubel etwas ab. Dr. Albert Reitter, der „Volkspolitische Referent“ der „Vaterländischen Front“, ergreift das Wort. „Nationalsozialisten, wir sind soweit!“, ruft er in den wieder einsetzenden Jubel und grüßt mit „Deutschem Gruß“. Und die Menschen machen es ihm nach. Während der Einzelne in der Begeisterung der Masse untergeht, hat sich im Schutz der Dunkelheit einer aus seiner Wohnung gewagt und drückt sich am Rand des Platzes in einen Hauseingang: Walter Schwarz. Er muss wissen, was hier vor sich geht. Er hört, wie Reitter seinen Gruß auch an den „Führer“ adressiert, aber nicht nur an ihn, er grüßt ebenso den Schuschnigg sowie den Innenminister, der ja seit Neuestem Seyß-Inquart heißt. Walter Schwarz fragt sich, was Reitter damit bezweckt. Seine Gedanken gehen ihm hin und her im Kopf: „Sieg Heil!“, „Front Heil!“ Wo ist da noch der Unterschied? … Erst haben sie die Nationalsozialisten in den Untergrund gejagt. Jetzt lassen sie sie wieder machen, wie sie wollen … Da marschieren SS und SA auf, als ob es sie schon immer gegeben hätte, als ob die nun tun und lassen könnten, was sie wollen … Ist doch verboten. Oder nicht? … Wird das so weitergehen? Wie weit werden die es noch treiben?
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 24. Februar 1938 KAMERADEN DER VATERLÄNDISCHEN FRONT! Österreicher und Österreicherinnen! Heute abends 7 Uhr spricht unser Bundeskanzler und Frontführer zu uns Österreichern und zu ganz Europa. Er wird uns die Sicherung des Friedens und der Versöhnung geben, aber auch die unbeugsame Sicherung unserer Freiheit und Unabhängigkeit! Wir Österreicher und besonders wir Salzburger wollen unserem Kanzler und Frontführer laut unseren Dank zurufen. Ihm zu Ehren tragen wir morgen Fackeln und Licht durch die Straßen. Alle Salzburger nehmen am Fackelzug der Vaterländischen Front teil, an dem Aufmarsch für Ruhe, Frieden, Ordnung und Versöhnung! Die gesamte Bevölkerung wird gebeten, die Häuser bis morgen abends beflaggt zu lassen. Front Heil! B. Aicher, Landesführer. Salzburger Volksblatt
Seit dem „Berchtesgadener Abkommen“ sind nun fast zwei Wochen vergangen. Bundeskanzler Schuschnigg glaubt immer noch an die Möglichkeit der Souveränität seiner Heimat. In einer Rede vor dem Österreichischen Bundestag will er die Unabhängigkeit und den Willen zum Widerstand gegen Hitler betonen. Die Rede, mit großer Spannung erwartet, wird schon seit Tagen landesweit über Rundfunk und Zeitungen angekündigt. Hauseigentümer haben schriftliche Aufforderungen erhalten, der Bedeutung der Rede durch Beflaggung mit den österreichischen Farben Rechnung zu tragen, wie es darin heißt. Auf zentralen Plätzen sind Lautsprecher installiert. In vielen Kaffee- und Gasthäusern ist noch vor zwei Tagen durch Plakatierung angekündigt worden, dass die Rede bei ihnen über Rundfunk zu hören
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sein würde. In Wien wird man die Reichsratssitzung über eine Beschallung sogar direkt vor dem Parlament verfolgen können. Als die Stunde Schuschniggs gekommen ist, befindet sich halb Wien auf den Beinen. Aus Fabriken und Firmen kommen Arbeiter und Angestellte zusammen und ziehen in geschlossenen Reihen auf die Ringstraße. Die Innere Stadt vibriert förmlich. Wimpel und Fahnen werden geschwungen. Das Parlament ist schon von Menschenmassen umringt. In anderen Teilen Wiens sind die Straßen wie leer gefegt. Leute, die kein eigenes Radiogerät besitzen, versammeln sich in den Kaffeehäusern. Nachdem Sitzungsteilnehmer und Regierungsmitglieder am Parlament vorgefahren sind, trifft um 18.45 Uhr Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg ein. Im Reichsratssitzungssaal prangt ein über die ganze Breite gespanntes rot-weiß-rotes Fahnentuch, darauf der Doppeladler und das Kruckenkreuz, das Symbol der „Vaterländischen Front“. Der historische Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Fast alle mitteleuropäischen Sender werden die Rede übertragen, auch zahlreiche amerikanische Stationen haben ihre laufenden Programme geändert. Die Welt horcht auf. Um 19.05 Uhr werden die Lautsprecher eingeschaltet. Nach der Eröffnung durch den Präsidenten des Österreichischen Bundestages, Rudolf Hoyos-Sprinzenstein, setzt Schuschnigg zu seiner mehr als zweistündigen Ansprache an. Er weiß, dass es jetzt um alles geht. Daher spart er sich lange Floskeln: „Der erste und einzige Punkt der Tagesordnung ohne Allfälliges und ohne Debatte lautet: Österreich!“ Sofort folgt minutenlanger, stürmischer Beifall. Schuschnigg macht deutlich, dass die Regierung unverrückbar auf dem Boden der Verfassung von 1934 stehe und dass sie es als ihre erste und selbstverständliche Pflicht erachte, mit all ihren Kräften die unversehrte Freiheit und Unabhängigkeit des
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österreichischen Vaterlandes zu erhalten. Nachdem der Kanzler ausführlich über den Besuch bei Hitler auf dem Berghof berichtet hat, schickt er eine unmissverständliche Warnung an die österreichischen Nationalsozialisten: „Es ist vereinbart und festgestellt, daß die bisherige Illegale in Österreich in keiner Weise auf Deckung durch außerstaatliche Stellen oder auf Tolerierung durch die österreichische Bundesregierung rechnen kann, daß vielmehr jede gesetzwidrige Betätigung zwingend der in den Gesetzen vorgesehenen Ahndung verfallen wird. […] Wir wissen genau, daß wir bis zu jener Grenze gehen konnten und gingen, hinter der ganz klar und eindeutig steht: Bis hierher und nicht weiter! Nicht Nationalismus oder Sozialismus in Österreich, sondern Patriotismus ist die Parole. Und was gesund ist von den verschiedenen Gedanken und Programmen, das findet Platz in der ersten nationalen und sozialen Bewegung im Vaterland, in der Vaterländischen Front!“ Nach erneutem, nicht enden wollendem Beifall hebt er zum Höhepunkt und Schluss seiner langen Rede an: „Und weil wir entschlossen sind, darum steht der Sieg außer Zweifel. Bis in den Tod Rot-Weiß-Rot! Österreich!“ Daraufhin braust ihm tosender Applaus entgegen, wie er ihn noch selten erfahren hat. So wie in Wien, Salzburg oder Innsbruck haben sich in allen Landeshauptstädten Österreichs Tausende Menschen vor den Lautsprechern versammelt. Natürlich sind nicht nur die Anhänger Schuschniggs zusammengekommen. Gerade die Nationalsozialisten sollen sich vom Kanzler angesprochen fühlen. Als die Schlussworte „Bis in den Tod Rot-Weiß-Rot!“ aus den Lautsprechern und Radioapparaten scheppern, jubeln die Anhänger der „Vaterländischen Front“, während die Wut der anderen, der Nazis, kaum mehr Grenzen kennt: Lautsprecher werden herun-
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tergerissen und zertrampelt, rot-weiß-rote Fahnen verbrannt, in Graz wird das Rathaus gestürmt, die österreichische Fahne vom Mast geholt. Und dann wird erstmals in Österreich eine Hakenkreuzflagge über einem öffentlichen Gebäude hochgezogen. Sie weht nicht sehr lange – aber sie weht.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 25. Februar 1938 AUF ZUM FACKELZUG DER VATERLÄNDISCHEN FRONT! Kameraden und Kameradinnen der VF! Ihr alle habt unseren Bundeskanzler und Frontführer gehört. Ihr alle wollt ihm begeistert Euren Dank sagen. Ihr alle marschiert heute abends in der mächtigen Doppelreihe der Vaterländischen Front! Ihr alle nehmt Teil am Aufmarsch und Fackelzug der VF zu Ehren des Frontführers! Wir marschieren für unsere Freiheit und Unabhängigkeit, für das ewige Österreich, für Ordnung, Ruhe und Versöhnung in der Heimat! Front Heil! B. Aicher, Landesführer der VF. Salzburger Chronik
Franz Krieger spielt schon länger mit dem Gedanken, sich ganz auf die Berufsfotografie zu verlegen und zukünftig als freier, gewerbsmäßiger Pressefotograf zu arbeiten. Seit gut zwei Jahren versorgt der Schnappschussjäger Krieger nun schon die lokalen Zeitungen, das Landesverkehrsamt und österreichische Bildzeitschriften mit aktuellen Bildberichten. Und auch bei internationalen Blättern und Magazinen besteht eine große Nachfrage
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nach seinen Fotos. Seit der letztjährigen Festspielsaison hat er beruflich so richtig Fahrt aufgenommen. Echte Pressefotografen wie ihn gibt es ohnehin kaum, und in Salzburg – bis auf Suse von Winternitz – noch gar nicht. Krieger lebt vor allem von den guten Tipps, die ihm wohlmeinende Portiers diverser Hotels zuflüstern. Dann eilt er zu Fuß zum Bazar, zum Österreichischen Hof oder zu Trachten Lanz. Manchmal sieht man ihn auch mit dem Fahrrad über die Schwarzstraße oder entlang der Salzach fahren, um möglichst schnell zum Hôtel de l’Europe oder zum Bahnhof zu gelangen, wo er dann seinen prominenten Opfern aufzulauern pflegt. Obwohl ein Versteckspiel mit der Kamera eigentlich nicht nötig ist. Die Prominenz lässt sich ganz ohne Scheu ablichten. Für die meisten ist es immer noch eine fröhliche, unbeschwerte Zeit. Am Tag zuvor hat Franz Krieger das Gewerbe der Pressefotografie beim Stadtmagistrat Salzburg angemeldet. Wenn seine Anmeldung angenommen wird – wovon er ausgeht –, darf er sich schon bald als berufsmäßiger Pressefotograf mit Sitz in Salzburg bezeichnen. Bisher ist Susanne von Winternitz offiziell die einzige Pressefotografin mit Gewerbeschein in der Stadt. Um seiner Anmeldung Nachdruck zu verleihen, hat er in seinem Antrag vorsorglich noch argumentiert, dass „in Salzburg überhaupt kein Pressefotograf ständig ansässig“ sei. Woher er weiß, dass sich Suse von Winternitz nur zweitweise in Salzburg aufhält, bleibt sein Geheimnis. Vorläufig wird Franz Krieger weiter ohne Gewerbeberechtigung fotografieren und seiner Konkurrentin öfters begegnen. So ist es schon in der letzten und in der vorletzten Festspielsaison gewesen, als sich ihre Wege auf der Jagd nach Motiven immer wieder gekreuzt haben. Am 15. August 1936 sind sie im
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Park von Schloss Kleßheim aufeinandergetroffen, wo sie anlässlich des für schöne und edle Automobile veranstalteten „Concours d’élégance“ fotografiert haben. Das Schloss im Norden vor den Toren der Stadt bildet die prachtvolle Kulisse auf dem Bild eines anonymen Fotografen, der sie nebeneinanderstehend und mit ihren Kameras hantierend vor die Linse genommen hat. Am heutigen Freitagabend werden sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht begegnen. Der Fackelzug der „Vaterländischen“ ist kein Sujet, das in den Augen von Susanne von Winternitz für eine fotografische Darstellung taugt. Das sieht Franz Krieger aber anders. Seit Dienstag verfolgt er die täglichen Aufrufe der „Vaterländischen Front“ in der Zeitung. Nicht zu übersehen war am Vortag der großformatige Aufruf des VF-Landesführers Aicher gewesen, der ein Drittel einer Seite eingenommen hat. Das Salzburger Volksblatt berichtet, dass der „Volkspolitische Referent“ Dr. Albert Reitter die nationalsozialistische Bevölkerung aufgefordert habe, dem Fackelzug der „Vaterländischen Front“ fernzubleiben. Der Aufmarsch sei nicht gegen den nationalsozialistischen Fackelzug vom 21. gerichtet. Franz Krieger will sehen, was der Abend bringt. 19.30 Uhr: Die Aufstellung der „Vaterländischen“ erfolgt bei Dunkelheit. Franz Krieger hat der Zeitung entnommen, wo sich die Aufstellungsplätze befinden: Mirabellplatz, Paris-LodronStraße, Hubert-Sattler-Gasse und Franz-Josef-Straße. Der Fackelzug in Viererreihen soll vom Mirabellplatz kommend auf folgender Route verlaufen: Dollfuß Platz – Staatsbrücke – Griesgasse – Getreidegasse – Alter Markt – Residenzplatz. Am Gaisberg ist schon während des Aufmarsches für einige Zeit ein brennendes Hakenkreuz zu sehen. Das Bild, das sich Krieger in der Altstadt bietet, ist ähnlich dem vor vier Tagen, das auch Wal-
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ter Schwarz aus seiner Wohnung am Kranzlmarkt betrachtet hat: Es ist ein wie von brennender Lava gebildeter Strom aus Tausenden von Fackeln. Der Strom fließt in gleichmäßigem Tempo durch die Straßen und Gassen und erreicht nach etwa eineinhalb Stunden sein Ziel, den Residenzplatz. Der Platz im Herzen der Stadt ist schon seit Stunden durch starke Scheinwerfer, die ihr Licht vom Mönchsberg herabwerfen, taghell erleuchtet. Gegen 22 Uhr drängen sich rund um den großen barocken Residenzbrunnen die Menschenmassen, ertönt Marschmusik, werden Fahnen und Schriftbänder geschwenkt: „Front Heil!“, „Heil Schuschnigg!“, „Rot-Weiß-Rot bis in den Tod!“, „Für die Unabhängigkeit!“ Schließlich erklingt ein Trompetensignal, und VF-Landesführer Aicher ergreift das Wort: „Kameraden der Vaterländischen Front! Begeistert und tief ergriffen haben wir gestern die Worte unseres Frontführers gehört. Unsere Herzen schlagen wieder hoch. Österreich lebt, wird ewig leben, weil wir es wollen!“ Sofort braust stürmischer Beifall auf. Dann: „Kameraden! Unser Dank, unsere Liebe, unsere felsenharte Treue ist beim Frontführer! Wir rufen ihm zu: 35.000 Salzburger, Bauern, Arbeiter, Bürger, sind zu dieser Stunde aufmarschiert und recken die Hände empor zum Schwur vor Gott und dem Vaterland: Rot-weiß-rot, treu bis in den Tod!“ Nach den Worten Aichers stimmt die Menge zur Haydn-Melodie in die Österreich-Hymne ein: „Sei gesegnet ohne Ende …“ Die meisten heben die Schwurhand dazu. Die Salzburger Chronik veröffentlicht am darauffolgenden Montag je ein Foto von der Kundgebung am Residenzplatz und vom Fackelzug über die Staatsbrücke. Ob Franz Krieger der Urheber der Fotos ist, ist ungewiss, der Fotograf wird namentlich nicht genannt.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Dienstag, 1. März 1938 ZERTRÜMMERTE AUSLAGENFENSTER. In Linz wurden in der Nacht zum 28. Februar drei große Auslagenfenster des größten Warenhauses in Linz, Kraus & Schober, zertrümmert. Das Geschäftshaus steht seit längerer Zeit unter nationalsozialistischem Boykott. Der Täter, ein siebzehnjähriger Schlossergehilfe, der nicht aus Linz stammt, ist unbekannten Aufenthalts. – Derartige Demonstrationen fallen natürlich nicht nur unter das Strafgesetz, sondern sind auch völlig zwecklos. Jede Firma hat ihre Auslagenfenster versichert. Salzburger Volksblatt
Dreißig Kilometer von Salzburg entfernt, geradewegs nördlich und schon in Oberösterreich liegt der kleine Ort St. Pantaleon. Die Gemeinde im oberösterreichischen Innviertel gehört zum Bezirk Braunau am Inn und zählt knapp dreitausend Einwohner. Einer von ihnen ist Dr. Alois Staufer, der gerade im Ordinationszimmer hinter seinem Schreibtisch sitzt. Staufer ist der Gemeindearzt des Ortes. Er ist auch illegales Mitglied einer Partei, deren Namen noch längst nicht jedem, der in diesen Tagen ebenfalls ein Illegaler ist, fehlerfrei über die Lippen geht. Außen am Rock trägt er das Abzeichen der „Vaterländischen Front“, hinter dem Revers das Hakenkreuz. Das wird sich nach dem 12. März schlagartig ändern. Aber heute ist heute, und wenn es nach Staufer ginge, könnte alles so bleiben wie es ist. Er ist mit sich und seinem Dasein mehr als zufrieden. Er ist ein angesehener Bürger des Ortes, einer, der im Gemeinderat von St. Pantaleon sitzt. Vorweggenommen sei, dass der Gemeinderat von St. Pantaleon ab 1940 unter anderem protokollierte Beschlüsse
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fassen wird, Menschen ins KZ oder nach Hartheim, präzise: in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim einzuweisen. Bei jeder Sitzung, in der man beschließt, Menschen nach Hartheim einzuweisen, wird Dr. Staufer allerdings abwesend sein und sich entschuldigen lassen. Zufall? Bis dahin wird aber noch mehr als ein Jahr ins Land gehen. Bis dahin wird alles so bleiben, wie es ist. Jedenfalls fast alles. Dr. Staufer wird weiterhin ein für St. Pantaleon ungewöhnlich großes Haus bewohnen. Wer es kennt, der beschreibt es mit den Worten herrschaftlich, ansehnlich, imposant. Vom bäuerlichen Stil der anderen Häuser im Ort weicht es stark ab. Es ist mehr eine Villa. Man sieht: Auch in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten können er und seine Frau ein sehr gutes Leben führen. Dr. Alois Staufer ist schon seit ein paar Jahren Gemeindearzt von St. Pantaleon. Was das Arbeitsaufkommen betrifft, reicht ihm das voll und ganz. Aber ab Mitte kommenden Jahres wird er noch einer weiteren Tätigkeit auf dem Gemeindegebiet von St. Pantaleon nachgehen. Dann wird er von seiner Villa aus regelmäßig in das Arbeitserziehungslager Weyer, ein Lager der „Deutschen Arbeitsfront“ für sogenannte Arbeitsunwillige und Asoziale, hinüberfahren, das man unmittelbar an der Landesgrenze zu Salzburg an der Moosach einrichten wird. Staufer wird sich selbst als Lagerarzt bezeichnen und wie am Fließband Totenscheine ausstellen. Aber wie gesagt: Heute ist heute, und heute sitzt er hinter dem Schreibtisch in seiner Praxis in St. Pantaleon. Gerade beschäftigt ihn sein Eigentum in Salzburg. Er hat ein weiteres, seinem hiesigen Anwesen ähnlich repräsentatives Haus in Salzburg; auch eine Villa. Besser gesagt, er teilt sich den Besitz in der Nonntaler Hauptstraße 49 mit seiner Ehefrau Luise. Ihnen gehört jeweils eine Haushälfte der Liegenschaft. Seine Hälfte hat
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er erst vor rund neun Monaten an die Ehefrau von Stefan Zweig vermietet. Staufer ist von den Mieteinnahmen ganz und gar nicht abhängig. Er ist, wie gesagt, wohlhabend. Dennoch hätte er nichts dagegen, wenn das Mietverhältnis mit der Zweig, so wie im letzten Mai geschlossen, fortbestehen würde. Überhaupt müssten sich ja für ihn die Dinge, so wie sie sind, nicht ändern. Eine solvente Bewohnerin wie die Frau Zweig, dazu noch die Ehefrau eines berühmten Schriftstellers, wer hat schon solche Mieter. Veränderungen bringen nur Unruhe und machen Arbeit. Er, Staufer, mag es lieber ruhig. Aber jetzt hat er eben dieses Schreiben der Zweig vor sich auf dem Schreibtisch liegen, in dem sie zum nächstmöglichen Termin kündigt. Er findet es durchaus bedauerlich, dass sie das Haus schon bald verlassen will. Ihre Pläne, dort eine Pension zu betreiben, scheint sie verworfen zu haben. Schade, es wäre etwas von Dauer gewesen, etwas Langfristiges, etwas, was man heute nicht mehr alltäglich vorfindet. Freilich, von der jüdischen Abstammung seiner Mieterin ahnt er nichts. Sie ist, wie von ihr selbst angegeben, katholisch. Allerdings ist sie mit dem Juden Zweig verheiratet, der Österreich längst verlassen hat. Das ist ja kein Geheimnis, dass der Zweig ein Jude ist. Davon hat der Herr Doktor bereits bei der Vermietung eindeutig Kenntnis gehabt. Wenn man später einmal über Dr. Alois Staufer richten wird, also moralisch, muss man ihm sein mutiges Verhalten, das er in zwei bis drei Jahren an den Tag legen wird, anrechnen: Die aufschlussreichste Tat dieses Mannes wird eine Anzeige bei der Gendarmerie sein. Als für das Arbeitserziehungslager Weyer zuständiger Arzt weiß er von den unmenschlichen Zuständen, die dort herrschen. Mörderisch geht es zu. Pflichtgemäß beurkundet er die zahlreichen Sterbefälle. Als Ursachen für die meist
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unnatürlich zustande gekommenen Tode gibt er unverdächtige Gründe an: Lungenentzündung, Herzversagen, Magendurchbruch. Aber allein im Dezember 1940 werden drei Lagerinsassen vom Leben in den Tod befördert. „Befördert“ deshalb, weil sie gefoltert werden und an den Folgen der Misshandlungen ihrer „Erzieher“ sterben oder zum Selbstmord angestiftet aus dem Leben scheiden. Dr. Alois Staufer nimmt jedenfalls allen Mut zusammen und schaltet am 27. Dezember 1940 die Behörden ein, indem er beim Amtsgericht Wildshut eine Anzeige macht. Was genau ihn dazu treibt, weiß man nicht. Vielleicht geht ihm der Vorrat an glaubwürdigen Todesdiagnosen aus. Er kann jedenfalls nicht so weitermachen, mitmachen wie bisher. Mitverantwortlich gemacht hat er sich bereits. Er ist ein Rad im reibungslos funktionierenden Todesgetriebe. Wenngleich ihn keine Schuld am Verrecken jedes Einzelnen trifft. Nein, zum Helden erhebt ihn das nicht. Aber es zeigt die Außergewöhnlichkeit eines Charakters, die Gegensätzlichkeit von Tun und Getan-Haben.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mittwoch, 9. März 1938 Zum Führer gerufen. Er ist mit Göring zusammen. Schuschnigg plant einen ganz gemeinen Bubenstreich. Will uns übertölpeln. Ein dummes und albernes Volksbegehren machen. Dazu eine gemeine Rede. Wir überlegen: einfach Wahlenthaltung oder 1000 Flugzeuge mit Flugblättern über Österreich und dann aktiv eingreifen. […] Noch bis 5 h nachts mit dem Führer allein beraten.
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Er glaubt, die Stunde ist gekommen. Will nur noch die Nacht darüber schlafen. Italien und England werden nichts machen. Vielleicht Frankreich, aber wahrscheinlich nicht. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag vom 10. März
„Schuschnigg will eine Volksabstimmung über die Selbständigkeit Österreichs oder so etwas abhalten.“ Mit diesem Satz meldet sich Peter Czernin aus Wien am Telefon. Edmund Glaise-Horstenau, der österreichische Bundesminister, fühlt sich wie vor den Kopf geschlagen, als er die Worte aus dem Munde Czernins vernimmt. „Es ist vielleicht alles doch nicht so wahr“, denkt er bei sich. Czernin ist der persönliche Referent von Glaise-Horstenau, der sich in Deutschland auf einer Vortragsreise befindet. Er ist mehr als beunruhigt. Die Angelegenheiten der Bearbeitung einer Volksabstimmung gehören in seinen Kompetenzbereich. Er ist der hierfür zuständige Minister und hätte von einem solchen Vorhaben unterrichtet sein müssen. Nach dem Telefonat mit Czernin, der möglicherweise durch eine undichte Stelle im Umfeld Schuschniggs vom Vorhaben des Bundeskanzlers erfahren hat, ruft Glaise-Horstenau sicherheitshalber den Leiter der zuständigen Sektion im Bundeskanzleramt in Wien an. Seit letztem Sonntag außer Landes, weiß Glaise-Horstenau nicht, was in den letzten Tagen in Österreich geschehen ist. Noch hofft er, dass alles ein Missverständnis ist. Im Bundeskanzleramt hat niemand Kenntnis von einer geplanten Volksabstimmung. Aber im weiteren Verlauf des Telefonats erfährt er von seinem Sektionschef, dass der Bundeskanzler am Morgen nach Innsbruck gefahren ist … Als Schuschnigg abends am Rednerpult steht, weiß er nur wenige Vertraute in seinen Plan eingeweiht. Er spricht bereits
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seit zehn Minuten, mahnt nach begeisterter Begrüßung zur Einigkeit: „Und jetzt frage ich Euch und muß Euch fragen und ich muß die Österreicher fragen: Was wollt ihr nun? Arbeiten oder Politisieren? Beides zusammen wird auf die Dauer nicht gehen. Das geht für eine Übergangszeit, nun aber muß Ruhe sein und darum müssen alle, die Verantwortung um sich fühlen, die zu diesem deutschen Volk stehen, entschlossen sein, dem Volk das zu geben, was es zu Leben braucht. Denn wir wollen leben. Um diese Arbeitsparole durchführen zu können, muß ich wissen, ob das Volk von Österreich einverstanden ist mit dem Weg, den wir gehen. […] Wir wollen ein freies und deutsches Österreich. Wir wollen ein unabhängiges und soziales Österreich. Wir wollen ein christliches und einiges Österreich. Und wir haben in Konsequenz dieses Weges das Abkommen von Berchtesgaden geschlossen. […] Aber jetzt will und muß ich wissen, ob das Volk von Österreich dieses freie und deutsche und unabhängige und soziale, christliche und einige, dabei keine Parteienzerklüftung duldende Vaterland will. […] Das muß ich jetzt wissen, und darum, Landsleute und Österreicher, Männer und Frauen, rufe ich Sie in dieser Stunde auf: Am nächsten Sonntag, am 13. März des Jahres, machen wir Volksbefragungen.“ Es folgen minutenlanger, stürmischer Beifall und „HeilSchuschnigg“-Rufe. Dann spielt eine Musikkapelle auf und intoniert das Andreas-Hofer-Lied, worauf sich die Versammelten erheben und, den Schwurfinger gereckt, mitsingen. Tosende „Heil-Schuschnigg“-Rufe und Ovationen erschallen auch auf den Plätzen und Straßen im Land. In Salzburg haben sich auf dem Dollfuß Platz Hunderte um die Lautsprecheranlage vor Makart Radio versammelt und folgen dem Spektakel, das der Kanzler in Wien entfacht. Zu Ohren gekommen sind des Kanzlers Worte
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auch Arthur Seyß-Inquart, denn der einige Zeit zuvor ernannte Innen- und Sicherheitsminister Österreichs unterrichtet sofort Hitler von Schuschniggs Rede und dessen Plänen. Seyß-Inquart und Minister Glaise-Horstenau erklären Bundeskanzler Schuschnigg noch in der Nacht, dass eine mögliche Abstimmung in dieser Form verfassungswidrig sei. Sie haben Schuschniggs Strategie noch nicht durchschaut. Der geht davon aus, dass er die Herren für seine Entscheidung, eine Volksbefragung durchführen zu wollen, gar nicht braucht. Denn ein „Ja“ bei einer Volksabstimmung bedeutet in seinen Augen keine Verfassungsänderung, sondern nur eine Bekräftigung der Bestehenden. Als Reaktion auf die Ereignisse in Wien kommt es am Abend in Salzburg zu einem Umzug nationalsozialistischer Jugendlicher. Die Gruppe zieht von der Dreifaltigkeitsgasse zum Dollfuß Platz, wo sie das Horst-Wessel-Lied anstimmen. Nicht nur dadurch und durch „Sieg-Heil“- und „Heil-Hitler“-Rufe geben sie sich als Nationalsozialisten zu erkennen. Seit dem Vortag ist auch das Tragen von Hakenkreuzen allgemein gestattet. Die Polizeiorgane sind im Laufe des Tages von den vorgesetzten Stellen angewiesen worden, laut Anordnung des Bundeskanzleramtes die Träger dieses Abzeichens nicht zu behelligen. Kurz nachdem sich der Zug jugendlicher Nationalsozialisten in Bewegung gesetzt hat, organisieren sich Teilnehmer der „Vaterländischen Jugend“ ebenfalls zu einem Umzug und ziehen unter „Heil-Schuschnigg“-Rufen ebenfalls zum Dollfuß Platz. Als die beiden Gruppen aufeinandertreffen, kommt es zunächst zu Wortgefechten, dann geraten sie körperlich aneinander, wobei auch Stichwaffen benützt werden. Die Polizei kann die Versammlung nicht auflösen und setzt Gummiknüppel ein. Es
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kommt zu Rangeleien mit Verletzten. Ein Wachbeamter wird durch einen Steinwurf und ein Demonstrant durch eine Rasierklinge verwundet. Mehrere Personen werden polizeilich erfasst.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 11. März 1938 Um Mitternacht noch zum Führer gerufen. Die Würfel sind gefallen: am Samstag Einmarsch. Gleich bis Wien vorstoßen. Große Flugzeugaktion. Der Führer geht selbst nach Österreich. Göring und ich sollen in Berlin bleiben. In 8 Tagen wird Österreich unser sein. Der März muss noch einmal unser Glücksmonat sein. Ich bespreche mit dem Führer die ganze propagandistische Aktion. Flugblätter, Plakate, Rundfunk. […] Um 5 Uhr nachts ins Bett. Heute geht’s nun in große Fahrt. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag
Gut zwanzig Kilometer von Salzburg entfernt verlässt ein Mann noch in der Dunkelheit fluchtartig sein Paradies. Sein Name: Carl Zuckmayer. Als in seinem Haus in Henndorf am Wallersee bereits ein Kommando der SS eingedrungen ist, springt er über den Balkon. Keine Frage: Jetzt muss er, dessen Bücher in Deutschland schon seit 1933 verboten sind, Österreich verlassen. Da ihn die schwarzen Häscher in der Wiesmühl, in der er mit seiner Frau zwölf glückliche Jahre gelebt und die er liebevoll sein Paradies getauft hat, nicht vorfinden, vermuten sie ihn in seiner Wohnung in Wien. Dass er eben über den Balkon ent-
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kommen ist und der Wiesmühl buchstäblich im letzten Moment den Rücken gekehrt hat, wissen sie nicht. Hertha Pauli hat ein Rendezvous mit zwei guten Freunden im Café Herrenhof. Es ist einer ihrer letzten Tage in Wien. Sie hat sich im Bristol mit der amerikanischen Verlegerin Blanche Knopf getroffen, die Interesse an ihrer kürzlich erschienenen Biografie über Bertha von Suttner hat. Die Verlegerin denkt daran, das Buch der Wiener Schriftstellerin in den Staaten herauszubringen. Als Hertha Pauli um kurz nach acht vom Bristol aus aufbricht, ist sie schon etwas zu spät. Aber normalerweise kann man den Fußweg ja auch in weniger als zehn Minuten schaffen. „Wenn man am Ring nimmer durchkommt, haben wir Revolution.“ Das Sprichwort der Wiener gilt seit 1918, und es soll sich nun einmal mehr bestätigen. Schon vor der Oper, unweit vom Bristol, kommt Hertha Pauli nicht mehr voran. Heute scheint wirklich so etwas wie Revolution zu sein. Vor der Staatsoper gibt es nämlich einen größeren Aufzug. Es sind Nationalsozialisten, die im Sprechchor „Heil Hitler!“ brüllen. Der Trubel hat eine Menge Neugieriger angelockt und die Polizei auf den Plan gerufen. „Was ist los?“, fragt Hertha Pauli bei einer Doppelstreife nach. Der eine Polizist zuckt mit den Achseln, der andere sieht sie böse an. „Was soll denn das heißen“, denkt sie und versucht sich in der Menschenmenge gleich wieder unsichtbar zu machen. Die Polizisten stellen ihr nach. Sie verschwindet im Eingang eines Durchhauses und kann auf der anderen Seite der Häuserzeile unbemerkt entkommen. Als Hertha Pauli verspätet im Café Herrenhof eintrifft und nach ihren beiden Freunden Ausschau hält, entdeckt sie zufällig einen Herrn, der bekanntermaßen bevorzugt im Herrenhof sein Frühstück einnimmt: Dr. Arthur Seyß-
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Inquart. Auch als neues Regierungsmitglied hat er offenbar nicht vor, seine Gewohnheit zu ändern. Der Ober legt seinem Stammgast gerade die Zeitungen aus Deutschland auf den Tisch. Der Herr Minister ist schließlich Österreichs offizieller Verbindungsmann zu Hitlers Reich. Als Hertha Pauli an den Tisch ihrer Freunde kommt, äußern sie sich besorgt über die „Heil-Hitler“-Rufe, die wie „ununterbrochenes Hundegekläff“ hereindringen. „Auch die Polizisten sind Nazis“, flüstert sie ihren Freunden gerade zu, als ein kurzes Räuspern des Obers sie unterbricht: „Was wird gewünscht?“ Hertha Pauli bestellt eine Schale Gold. Die besorgten Freunde heißen Walter Mehring und Carl Frucht. Mehring ist ein deutscher Dichter, der in Wien lebt. Der andere Freund, Carli, ist ein Geschäftspartner von Hertha. Seit fünf Jahren betreiben sie in Wien eine florierende Schriftstelleragentur, die „Österreichische Korrespondenz“. Nachdem der Ober die Schale Gold gebracht hat, spricht Hertha ihren Freund Mehring an: „Du musst jetzt rasch fort.“ „Du weißt, dass deine Ausbürgerung auf der ersten GoebbelsListe steht“, fügt Carli hinzu. „Und ihr?“ „Bei uns ist es noch etwas anderes“, antwortet Hertha. „Wir müssen am Sonntag wählen, Walter.“ „Schuschnigg hat den dreizehnten bekanntlich zum Tag der Volksbefragung bestimmt“, bekräftigt Hertha. Die drei Freunde diskutieren über die Rede, die Schuschnigg gehalten hat. Für Hertha Pauli und Carli Frucht steht ein „Ja“ nicht infrage. Plötzlich wird ihr Gespräch unterbrochen. „Herr Minister, bitte“, ruft der Ober, sodass jeder es hören kann. „Da ist Berlin am Apparat!“
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Der Herr Minister eilt zum Telefon und bald wieder zurück an seinen Platz. Nachdem er sich rasch zum Weggehen fertig gemacht hat und sich dicht am Tisch der Freunde vorbeizwängt, zeigt Hertha Pauli auf einen der Bronzeengel, die auf dem Sims hinter ihnen stehen: „Soll ich ihn damit erschlagen, Walter?“, witzelt sie flüsternd. „Lass gut sein, er ist leider nicht der Einzige.“ Als Seyß-Inquart schon fast zur Tür hinaus ist, schaut der Ober noch einmal auf: „Recht nervös, unser Herr Doktor. Net amal sei Apfelstrudel schmeckt ihm heut.“ Der Herr Doktor ist wirklich in Eile. Er fährt auf dem kürzesten Weg zum Flugfeld Aspern in den Osten der Stadt. Um 5.30 Uhr ist Bundeskanzler Schuschnigg telefonisch geweckt worden: Man habe die österreichisch-deutsche Grenze gesperrt, Truppen der Wehrmacht stünden davor. Um 6 Uhr hat Schuschnigg vergeblich versucht, seinen Innenminister und Verbindungsmann zu den Nationalsozialisten, Seyß-Inquart, zu erreichen. Keine Ahnung, wo er steckt. Zur gleichen Zeit sind österreichische Bundesheertruppen aus dem Raum Wien in die Steiermark verlegt worden. Um 9 Uhr hat Guido Zernatto, Generalsekretär der „Vaterländischen Front“, begonnen, sich mit Schuschnigg zu beraten. Um kurz nach 9 Uhr bricht Minister Seyß-Inquart vom Café Herrenhof auf, um Minister Glaise-Horstenau auf dem Flugplatz abzuholen. Glaise-Horstenau ist von Hitler zuvor nach Berlin gerufen und mit einem Ultimatum im Gepäck nach Wien zurückgeschickt worden: Die von Schuschnigg für den 13. März geplante Volksabstimmung für ein freies, souveränes Österreich sei sofort abzusagen! 10 Uhr: Seyß-Inquart, der noch am Flughafen die ultimative
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Instruktion Hitlers von Glaise-Horstenau erhalten hat, überreicht Kanzler Schuschnigg das Ultimatum. 12.40 Uhr: Weisung an das österreichische Bundesheer, zur Beobachtung bis an die deutsche Grenze vorzurücken. Ebenfalls zur Mittagsstunde telefoniert Carl Zuckmayer aus seiner Wiener Wohnung mit Emil Jannings, der um seinen Schriftstellerfreund ernstlich und ehrlich besorgt ist. Obwohl es einige Differenzen zwischen den beiden gibt, da sich Jannings wegen seiner Schauspielerkarriere mit den neuen Machthabern arrangiert hat, will er Zuckmayer helfen. Jannings telefoniert sofort mit der deutschen Botschaft. Dann sucht er Zuckmayer in seiner Wohnung auf, macht ihm klar, dass ihm unmittelbar Gefahr drohe. 13 Uhr: Seyß-Inquart berät mit dem österreichischen Bundespräsidenten Wilhelm Miklas das Berliner Ultimatum. 13.30 Uhr: Seyß-Inquart und Glaise-Horstenau verlangen ohne Nachsicht die Verschiebung der Volksbefragung, den sofortigen Rücktritt Schuschniggs und die Ernennung von Seyß-Inquart zum Bundeskanzler. 14 Uhr: Hitler unterschreibt den Befehl, Deckname „Unternehmen Otto“, zum Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich. Zur gleichen Zeit kommt Schuschnigg der Forderung Hitlers nach und beauftragt Zernatto, die geplante Volksbefragung abzusagen. 14.45 Uhr: In Berlin greift der zweite Mann im Reich, Feldmarschall Hermann Göring, zum Telefonhörer. Er ruft Seyß-Inquart in Wien an und will von ihm wissen: „Wie steht es bei Ihnen? Haben Sie was Neues zu melden?“ Seyß-Inquart: „Der Kanzler hat die Wahlen für Sonntag aufgehoben und uns dadurch in eine schwierige Lage versetzt.“ Göring: „Ich werde Ihnen in kürzester Zeit Bescheid sagen. Ich sehe in der Aufhebung der Abstimmung nur eine Verschiebung,
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aber keine Änderung des gegenwärtigen Zustands, der durch das Verhalten Schuschniggs infolge seines Bruchs des Berchtesgadener Abkommens herbeigeführt wurde.“ 15 Uhr: In Deutschland wird die Weisung Hitlers zum Einmarsch der Wehrmacht gegeben. 15.05 Uhr: Erneut ruft Göring Seyß-Inquart an und setzt seine Direktiven fort. Er fordert Seyß-Inquart und GlaiseHorstenau auf, beim Bundeskanzler sofort ihre Demission einzureichen und von ihm zu verlangen, ebenfalls zurückzutreten. Göring: „Falls nicht innerhalb spätestens einer Stunde Bescheid von Ihnen hier eingetroffen ist, wird angenommen, dass Sie nicht mehr in der Lage sind zu telefonieren. Das würde bedeuten, dass Sie Ihre Demission eingereicht haben. Ich fordere Sie weiters auf, das verabredete Telegramm dann an den Führer zu schicken. Selbstverständlich kann mit der Demission Schuschniggs nur Ihre unverzügliche Beauftragung mit der Neubildung des Kabinetts durch den Bundespräsidenten erfolgen.“ 15.10 Uhr: Minister Seyß-Inquart berichtet Bundeskanzler Schuschnigg über das Telefonat und meint resignierend: „Fragen Sie mich nicht. Ich bin nichts als ein historisches Telefonfräulein.“ 15.40 Uhr: Schuschnigg ist bei Miklas, bietet seinen Rücktritt an, Miklas akzeptiert, weigert sich aber, Seyß-Inquart zum Bundeskanzler ernennen. 15.55 Uhr: Seyß-Inquart ruft in seiner Verzweiflung Göring an: „Schuschnigg hat sich zum Bundespräsidenten begeben, um seine und die Demission des gesamten Kabinetts einzureichen.“ Göring: „Ist damit auch der Auftrag zur Kabinettsbildung an Sie sichergestellt?“ Seyß-Inquart: „Hierüber werde ich spätestens bis 17.30 Uhr Bescheid geben können.“ 16 Uhr: Seyß-Inquart, Zernatto und Schuschnigg beraten. Das Ergebnis: Seyß-Inquart soll Bundeskanzler werden, um Hitler keinen Anlass zum Einmarsch zu bieten. 16.10 Uhr: Seyß-In-
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quart verlässt das Kanzleramt. 17 Uhr: Der österreichische Organisationsleiter der NSDAP und SS-Mann Odilo Globocnik ruft aus Wien bei Göring an: „Ich muss Folgendes melden: Seyß-Inquart hat mit dem Bundeskanzler bis 16.30 Uhr gesprochen. Dieser erklärt sich nicht in der Lage, das Kabinett bis 17.30 Uhr aufzulösen, weil das technisch nicht gehe.“ Göring: „Bis 19.30 Uhr muss das neue Kabinett gebildet sein samt den verschiedenen Maßnahmen. Ist der Seyß-Inquart da?“ Globocnik: „Der ist eben nicht da. Er verhandelt. Drum hat er mich hergeschickt, das zu telefonieren.“ Göring: „Also, was lässt er sagen? Genau wiederholen!“ „Er lässt sagen, dass er nicht in der Lage ist …“ „Was lässt er dann überhaupt sagen?“ „Er lässt sagen, dass er Bedenken hat, dass die Parteiformationen, die draußen sind, jetzt schon hereinkommen.“ Göring: „Das ist alles nicht die Rede! Ich will wissen, was los ist. Hat er Ihnen gesagt, dass er Bundeskanzler ist?“ Globocnik, der offensichtlich falsch informiert ist: „Jawohl!“ Göring: „Ist ihm die Macht übertragen worden?“ „Jawohl!“ „Bis wann kann er das Kabinett bilden?“ Globocnik: „Das Kabinett kann er bis 21 Uhr vielleicht …“ „Das Kabinett muss bis 19.30 Uhr gebildet sein!“ Globocnik: „Bis 19.30 Uhr, jawohl! Weiter habe ich zu berichten, dass SA und SS bereits als Hilfspolizei eingeteilt worden sind.“ Göring: „Also jedenfalls, die Abstimmung übermorgen ist aufzuheben!“ „Ja, das ist schon erledigt.“ „Gut! Das Kabinett muss eindeutig ein nationalsozialistisches sein!“ „Jawohl, das ist ebenfalls festgestellt.“ „Und passen Sie auf, Globocnik! Die ganzen Presseleute, die müssen sofort weg, und unsere Leute hineinkommen.“ 17.26 Uhr: Göring meldet sich telefonisch bei Seyß-Inquart und befiehlt: „Sie möchten sich sofort zusammen mit dem Generalleutnant Muff zum Bundespräsidenten Miklas begeben und ihm
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sagen, wenn nicht unverzüglich die Forderungen, wie benannt, Sie kennen sie, angenommen werden, dann erfolgt heute Nacht der Einmarsch der bereits an der Grenze aufmarschierten und anrollenden Truppen auf der ganzen Linie, und die Existenz Österreichs ist vorbei! Bitte geben Sie uns unverzüglich Nachricht, auf welchem Standpunkt Miklas bleibt. Sagen Sie ihm, es gibt keinen Spaß jetzt. Der Einmarsch wird nur dann aufgehalten, und die Truppen bleiben an der Grenze stehen, wenn wir bis 19.30 Uhr die Meldung haben, dass der Miklas die Bundeskanzlerschaft Ihnen übertragen hat. Also bis 19.30 Uhr Meldung!“ Seyß-Inquart: „Na gut!“ 18 Uhr: Schuschnigg tritt zurück, Miklas weigert sich weiter, Seyß-Inquart zu berufen. 18.34 Uhr: Göring verlangt neuerlich Seyß-Inquart ans Telefon: „Ja also, wie ist es?“ Seyß-Inquart: „Ja, der Herr Bundespräsident bleibt auf dem alten Standpunkt. Es ist noch keine Entscheidung.“ „Ja, glauben Sie denn, dass in den nächsten Minuten eine Entscheidung fallen kann?“ „Na, länger als fünf bis zehn Minuten kann das Gespräch nicht dauern.“ Göring: „Passen Sie auf, dann will ich diese paar Minuten noch warten. Aber es muss wirklich schnell gehen. Wenn das nicht ist, müssen Sie eben die Gewalt übernehmen. Nicht wahr?“ Seyß-Inquart: „Ja, ja, dann werden wir schon antreten. Nicht?“ Göring: „Rufen Sie mich unter Blitzgespräch an!“ 19.30 Uhr: Aus dem Bundeskanzleramt erfolgt die Anweisung an das Bundesheer, sich kampflos zurückzuziehen. Ein Grenzpolizist behauptet, deutsche Truppen marschierten schon. 19.30 Uhr: Miklas fordert Schuschnigg zu einer Radioansprache auf … In der Bibliothek der Villa Trapp in Salzburg-Aigen brennt um die frühe Abendstunde Licht. Georg Ludwig von Trapp und seine Frau Maria sind in heller Aufregung. Der Baron steht
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immer wieder auf und läuft nervös auf und ab. Seine Ehefrau versucht, beruhigend auf ihn einzureden. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg wird eine Radioansprache halten. Die Worte Schuschniggs sollen aufgezeichnet werden. Das Mikrofon der Radio Verkehrs AG Wien, kurz RAVAG, in das Schuschnigg in wenigen Sekunden sprechen wird, steht in einem Eckzimmer des Kanzleramtes in Wien. Anwesend ist auch der Bundespräsident Miklas, der Schuschnigg zu der Rede aufgefordert hat. Schuschnigg tritt aus der Gruppe seiner Mitarbeiter, die ihn umringen, hervor. Zwei Wachleute seiner eigenen Leibgarde tragen bereits Hakenkreuzbinden. In einem der Studios der RAVAG hat an diesem Abend Artur Schuschnigg, der Bruder des Bundeskanzlers, Dienst. Die Radioübertragung ist improvisiert, und Artur Schuschnigg, Leiter der Tonträgerabteilung, verpasst den unerwarteten Beginn der Ansprache seines Bruders, sodass die Aufnahme rudimentär bleibt: „… die deutsche Reichsregierung hat dem Herrn Bundespräsidenten ein befristetes Ultimatum gestellt, nach welchem der Herr Bundespräsident einen ihm vorgeschlagenen Kandidaten zum Bundeskanzler zu ernennen und die Regierung nach den Vorschlägen der deutschen Reichsregierung zu bestellen hätte, widrigenfalls der Einmarsch deutscher Truppen für diese Stunde in Aussicht genommen würde. […] Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen. Wir haben, weil wir um keinen Preis – auch in dieser ernsten Stunde nicht – deutsches Blut zu vergießen gesonnen sind, unserem Bundesheer den Auftrag gegeben, für den Fall, dass der Einmarsch durchgeführt wird, ohne wesentlichen Widerstand – ohne Widerstand – sich zurückzuziehen und die Entscheidung der nächsten Stunden abzuwarten.
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[…] So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!“ Schuschnigg kann gerade noch diesen letzten Satz aussprechen und ein fassungsloses „Aber meine Herren!“ anhängen, dann packen ihn die Wachen. Kurt Schuschnigg wird vorläufig in seiner Wiener Wohnung unter Hausarrest gestellt. Die Uhr auf dem Kaminsims in der Bibliothek der Trapp’ schen Villa zeigt in diesem Augenblick 19.47 Uhr an. Der Baron hält sich die Hände vors Gesicht: „Das ist der Abschied Österreichs von der freien Welt.“ Die Trapps hören, wie die Kaiserhymne verklingt. Artur Schuschnigg hatte die Schellackplatte während der Rede seines Bruders aufgelegt und mit Haydns Variationen aus dem Kaiserquartett für Dramatik gesorgt. Jetzt packt er seine Sachen zusammen. Er ist mit sofortiger Wirkung freigestellt. Er ahnt, dass sein Bruder zur gleichen Minute in Schutzhaft genommen wird. Maria Trapp, von der Musik zutiefst gerührt, kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Es ist kurz vor 20 Uhr. In Berlin greift Göring erneut zum Telefon. Er hat sich mit Seyß-Inquart verbinden lassen. Seyß-Inquart ist noch immer nicht Bundeskanzler. Göring: „Also gut, ich gebe den Befehl zum Einmarsch, und dann sehen Sie zu, dass Sie sich in Besitz der Macht setzen; machen Sie die führenden Leute auf folgendes aufmerksam, was ich Ihnen jetzt sage: Jeder, der Widerstand leistet oder Widerstand organisiert, verfällt augenblicklich damit unseren Standgerichten. Den Standgerichten der einmarschierenden Truppen! Ist das klar?“ Seyß-Inquart: „Ja!“ Göring: „Einschließlich führender Persönlichkeiten. Ganz gleichgültig!“ „Ja, die haben ja Befehl gegeben,
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keinen Widerstand zu leisten!“ Göring: „Gut! Also, Sie haben den offiziellen Auftrag!“ Seyß-Inquart: „Ja!“ Göring: „Also, alles Gute – Heil Hitler!“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag/Samstag, 11./12. März 1938 Mit dem Führer Flugblätter durchgesprochen. Er billigt meinen Aufsatz gegen Schuschnigg. […] Der Aufmarsch geht weiter und ist garnicht mehr aufzuhalten. Aber Einmarsch noch ungewiß. Pläne für weiter besprochen: Führer muß auch Bundespräsident werden, vom Volke gewählt, und dann so nach und nach den Anschluß vollziehen. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag vom 13. März
Am Abend vor der „Nacht über Österreich“ nehmen Plan und Wahn ihren Lauf. Das Land, das schon lange mit dem Nazi-Virus infiziert ist, fällt ins Fieber. 20.10 Uhr: Die Wiener Gauleitung lässt sechstausend SA- und fünfhundert SS-Männer vor dem Bundeskanzleramt aufmarschieren. 20.20 Uhr: Radioansprache Seyß-Inquarts. Er sei als Innenminister weiter im Amt, allfällig einmarschierenden deutschen Truppen sei kein Widerstand zu leisten. 20.45 Uhr: Hitlers Weisung Nr. 2 erfolgt: Einmarsch am 12. März 1938 bei Tagesanbruch. 20.50 Uhr: Die erste Flüchtlingswelle. Der Zug nach Pressburg, der soeben Wien verlässt, ist überfüllt, viele müssen auf den nach Brünn und Prag um 23.15 Uhr warten. Gegen 21 Uhr: Die Nazis besetzen das Rund-
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funkgebäude in der Argentinierstraße, Fackelzüge auf der Ringstraße. Um 10 Uhr kommt die letzte Radiomeldung des Tages durch: „Bis auf die Kundgebungen der Deutschen in Österreich herrscht wieder Ruhe in allen Gauen.“ Zur selben Stunde: In allen Hauptstädten der Bundesländer Österreichs ergreift die NSDAP die Macht. In Salzburg läuft der Umbruch relativ geordnet ab. Während Gauleiter Anton Wintersteiger dort kommissarisch die Geschäfte des Landeshauptmannes übernimmt, ist in Wien die Hölle ausgebrochen. Seit Bundeskanzler Schuschnigg um kurz vor 20 Uhr seinen Rücktritt bekannt gegeben hat, werden die Bahnhöfe und Straßen der Hauptstadt von einer gewaltigen Fluchtwelle überspült. Etwa 23 Uhr: Der Nachtexpress von Wien-Ostbahnhof nach Prag, planmäßige Abfahrt 23.15 Uhr, ist zum Überquellen voll. In der Bahnhofshalle drängen sich die Menschen dicht an dicht, bepackt mit Hab und Gut, Angst und Hoffnung. Vor den Fahrkartenschaltern wird geschoben und gerangelt. Jeder, der drin ist, will raus. Prag ist Hauptasylort für rassistisch und politisch Verfolgte aus ganz Österreich, vor allem aber aus Wien. Weiter vorn gehört Walter Schwarz zu denen, die schon ein Billet ergattert und sich bis zu den Bahnsteigen vorgekämpft haben, um sich nun in den bereitstehenden Zug zu quetschen. Minuten später hat er es in einen der Waggons geschafft. Als er einsteigt, fühlt er sich wie in der Arche Noah. Auch im Zug herrscht eine einzige Drängelei. „Gut“, denkt er, „gut. In der Masse ist es leichter, unauffällig zu bleiben.“ Weitere Gedanken hat er nicht. Er hat auch kein Gepäck. Bis auf das, was er am Körper trägt, hat er nichts dabei. Er wird durch den Gang geschoben, blickt sich um: Einen amtlich gekleideten Menschen oder gar einen Uniformierten sieht er nicht. Als das Geschiebe nachlässt, kann er sich am Fenster postieren.
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Mit dem Rücken zum Gang stehend schaut er hinaus, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Was hinter ihm los ist, er sieht nicht hin. Er will es nicht sehen, sich nach Möglichkeit keinem Gespräch aussetzen. Er wirft einen Blick auf seine Taschenuhr. Der Zug ist schon außer Plan. Mit einer Hand knöpft er den dunklen Wollmantel auf, dann sein Jackett. Die Weste soll geschlossen bleiben. Die andere Hand in der Manteltasche hält den Fahrschein fest. Den Hut, den er im Getümmel verloren hat, vermisst er nicht. Ungewöhnlich hohe Tagestemperaturen um die acht Grad Celsius haben den Winter aus Wien vertrieben. Seit Stunden bläst ein heftiger Südwind, ein Föhnsturm, durch die Straßen und treibt Flugblätter, die zur Volksabstimmung gegen Hitler und für die Regierung aufrufen, wie welkes Laub vor sich her. Die Enge im Zug, die spürbare Angst der Menschen und die für März auch in der Nacht wenig winterlichen Temperaturen lassen Walter Schwarz ins Schwitzen kommen. Er kann die Schweißperlen fühlen, ihre heiße Spur verfolgen. Er atmet nicht mehr so schnell. Zur gleichen Zeit bewegt sich auf den Landstraßen, die von Wien Richtung Tschechoslowakei führen, ein Tross aus privaten Automobilen, Taxen und Kleintransportern auf die Grenze zu. Von einem schnellen Entkommen, Fahrzeug an Fahrzeug, kann bei Weitem nicht die Rede sein. Die, die da nur quälend langsam ihrem Schicksal davonzufahren versuchen, sind jüdische Industrielle, kleine Angestellte, Beamte, Intellektuelle, Aristokraten, Monarchisten, reiche und einfache Leute oder Funktionäre der verbotenen sozialdemokratischen Opposition. Es ist ein großes Menschendurcheinander aus allen gesellschaftlichen Schichten. Jeder weiß: Die direkte Fluchtroute führt über den Schienenweg in die Tschechoslowakei. Aber die Züge sind überfüllt. Ein wei-
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terer Zug, der ebenfalls vom Ostbahnhof schon kurz vor 21 Uhr Richtung Preßburg losgefahren ist, soll angeblich wieder auf dem Rückweg sein. Am Ostbahnhof und im Zug verbreitet sich das Gerücht, die tschechoslowakischen Behörden hätten den Flüchtlingszug an der Weiterfahrt gehindert und Reisende mit österreichischem Pass – ob mit oder ohne Visum für Prag – vom Grenzbahnhof Marchegg zurück nach Wien geschickt. Nicht anders ist es am Westbahnhof. Auch auf den Zug in die Schweiz ist ein Ansturm im Gange. In der Stadt ist noch ein ganz anderer Ansturm festzustellen, mit dem das Grauen in dieser Hölle nun immer rascher konkrete Gestalt annimmt: Als Schuschniggs Rücktritt bekannt geworden ist, haben die Gauleiter Österreichs sofort Formationen der SA und SS alarmiert. In Wien rücken sie nun von allen Seiten über die Einfallstraßen an; und so wie SA und SS in die Straßen Wiens dringen, dringen nun Banden derselben Einheiten in die beiden Züge mit den Zielen Prag und Preßburg ein. Als die Flüchtenden das erste Mal kontrolliert werden, haben sich die Züge noch keinen Meter bewegt. Walter Schwarz, immer noch im Nachtexpress nach Prag, beobachtet, wie Mitreisende durchsucht werden; sieht, wie Wertsachen, Devisen und Gepäck beschlagnahmt werden. Auch einzelne Misshandlungen und Verhaftungen bekommt er mit. Bald wird auch er an der Reihe sein. Klopfenden Herzens glaubt er sich schon im Unglück, als sich mit einem Mal der Boden unter seinen Füßen ruckartig zu bewegen beginnt. Während noch Kontrollen stattfinden, fährt der Zug Wien–Prag los. Und als dieser eine gefühlte Ewigkeit später die Grenzstation Lundenburg erreicht, keimt Hoffnung in seiner Brust. Er atmet tief durch, hat er doch ein offizielles Reisedokument. Wie viele andere im Zug ist auch er im Besitz eines österreichischen Reisepasses. Noch zeigen die
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Pässe kein rotes „J“ auf der Vorderseite, eine schnelle Sichtkontrolle ist damit nicht zu befürchten. Ein Einreisevisum für Prag hat er jedoch nicht, aber da geht es ihm wie den meisten im Zug, die alles stehen und liegen lassen haben. Doch nun kommt es zu einer bösen Überraschung. Eine Stimme dröhnt durch den Zug: „Alle Personen mit österreichischen Pässen haben auszusteigen und sich in den Wartesaal zu begeben.“ Die tschechoslowakischen Behörden verweigern den Inhabern österreichischer Papiere die Weiterfahrt. Die Anordnung von der Regierung in Prag kommt kurzfristig und ist unumstößlich. Die Weisung rauscht nun wie ein Fallbeil auf die Reisenden nieder. Es ist wie eine vorweggenommene Vollstreckung der Todesstrafe durch Enthauptung auf dem Schafott. Die Sache ist unumkehrbar. Genauso wie der Lauf der Politik in Wien, wo in Kürze ein Mann namens Seyß-Inquart zum neuen Bundeskanzler ernannt werden soll. Ein historisches Ereignis, von dem hier im Zug niemand Notiz nimmt. Hier halten sich Paare an der Hand, versuchen Familien zusammenzubleiben. Die, die allein sind, klammern sich an ihrem Gepäckstück fest. Die österreichische Zollund Passkontrolle drängt durch den Zug, trägt schon die Hakenkreuzbinde am Arm. Tschechische Polizeibeamte steigen ein. Nachdem sie den Inhabern die Unglückspässe abgenommen haben, ertönt die Stimme erneut: „Ich habe eben vom tschechischen Innenministerium weitere Weisung erhalten, dass alle Österreicher ohne Ausnahme bei der Grenze zurückzuweisen sind. Sie müssen alle hier warten und mit dem nächsten Zug zurückfahren.“ Die verzweifelten Menschen, die sich bereits mit einem Fuß im Nachbarland und in Sicherheit gewähnt haben, werden nun nach Wien zurückgeschafft. Auf dem Ostbahnhof machen sich SA-Einheiten siegestrun-
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ken über die Flüchtlinge her. Kontrollen und Festnahmen erfolgen. Walter Schwarz beobachtet, wie Insassen des Unglückszuges auf dem Bahnsteig und in der Halle von SA-Männern gequält und bestohlen werden. Einzelnen gelingt es, sich dem durch fluchtartiges Verlassen des Bahnhofes zu entziehen. Auch Walter Schwarz kann sich im Getümmel unbemerkt entfernen. Außerhalb des Bahnhofsgebäudes versucht er die Situation zu erfassen. Dann wendet er sich noch einmal um, ein letztes Mal. Sein Blick wandert empor zu den steinernen Zeugen über dem Haupteingang: vier frei stehende Figuren, Allegorien der Städte Wien, Budapest, Prag und Brünn. Seit Mitternacht ist die Grenze zur Tschechoslowakei dicht. Wien ist eine Mausefalle. Am Westbahnhof hat es Carl Zuckmayer wie durch ein Wunder in den Zug geschafft, der ihn in die Schweiz bringen soll. In Salzburg wird er noch einmal umsteigen müssen und von da zur Grenze weiterfahren. Walter Schwarz macht sich vom Wiener Ostbahnhof aus auf den Weg zur Wohnung seiner Schwester Käthe. In den Straßen und auf den Plätzen um den Bahnhof herum, in der ganzen Stadt, hat immer noch die SA die Oberhand. Vor ihm liegen etwa fünf Kilometer Weg. Das Vorhaben ist riskant. Aber hat er eine Wahl? Einige wenige Flüchtende schaffen es, in der Dunkelheit noch zu Fuß über die Grenze zu kommen. Andere, die keinen Ausweg mehr sehen, nehmen sich das Leben. Seyß-Inquart ist inzwischen zum Bundeskanzler bestellt worden. Sofort nach seiner Ernennung durch Bundespräsident Miklas hat er den Ordnungsdienst an SS und SA übergeben. In einem Blitztelefonat nach Berlin hat er zudem den Wunsch geäußert, man möge deutsche Truppen zum Schutz der neuen, rechtmäßigen Regierung in Marsch setzen. Seinem Wunsch wird selbstverständlich
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stattgegeben. Gegen 1.30 Uhr verlassen Miklas, Schuschnigg und Guido Schmidt das Wiener Kanzleramt. Miklas wird als freier Bürger von einem SS-Mann nach Hause begleitet. Wenig später grüßt Seyß-Inquart als Bundeskanzler die Volksmenge vom Balkon am Ballhausplatz.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 12. März 1938 KLEINE NACHRICHTEN. Die Sonne geht um 6.21 Uhr auf und um 18 Uhr unter. Die Tageslänge beträgt 11.39 Stunden. Mondaufgang um 13.51 Uhr, Monduntergang um 3.54 Uhr. Wiener Neueste Nachrichten
Um kurz vor 2 Uhr nachts kommt Walter Schwarz am Haus seiner Schwester in der Rotenturmstraße an. In Berlin erlässt Hitler zur gleichen Zeit die militärische Weisung für den Einmarsch in Österreich. Walter findet Schwester Käthe und Schwager Josef nicht vor. Er muss den Hausmeister wecken, der ihn in die Wohnung lässt. Bis zum Morgen versucht er zu schlafen. Währenddessen landet in Wien eine Maschine aus der Reichshauptstadt. An Bord: Der Reichsführer SS Heinrich Himmler mit seinen Schergen. Kurze Zeit später, um 5.30 Uhr: Die Deutsche Wehrmacht erreicht in Wals den Grenzübergang zu Österreich. Ihr Ziel: Salzburg. Für Carl Zuckmayer, der mit dem Zug gegen 8 Uhr aus Wien
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kommend in Salzburg eintrifft, ist die Stadt an der Salzach kein Ziel. Er muss dort umsteigen, und wenn er schon den Zug verlassen muss, will er wenigstens die Zeit nutzen und Zigaretten kaufen. Auf dem Bahnsteig und in der Halle begegnet ihm das gleiche Volk, das er schon von Wien her kennt. „Sieg-Heil!“ brüllend oder das Horst-Wessel-Lied singend belagern sie den Bahnhof. Als er sich schließlich der Tabaktrafik nähert, will er es gar nicht glauben: Die Trafikantin, die er seit Jahren kennt, rennt hinter ein paar deutschen Soldaten her, um ihnen Zigaretten in die Taschen zu stecken. „Daitsche Brieder!“, hört er sie kreischen und sieht, wie sie dabei die Augen ekstatisch verdreht. Eine fünfzigjährige Frau! Gegen neun ruft Walter Schwarz im Geschäft seines Schwagers in der Mariahilferstraße an. Im Teppichhaus Schein nimmt eine völlig aufgelöste Mitarbeiterin den Hörer ab und erklärt, dass Herr Schein und Gattin die Stadt eiligst verlassen hätten und nach Linz gefahren wären. Walter Schwarz hört, wie sie mit atemloser Stimme ihre Sätze immerfort ins Telefon presst: „Sämtliche Geschäfte in der Innenstadt und drumherum haben sie heimgesucht! Das Kleiderhaus Gerstl, das Juweliergeschäft Scherr, das Herrenkleidergeschäft Katz, das Modenpalais Krupnik in der Kaiserstraße, das Modewarenhaus in der Kärntner Straße, das Schuhgeschäft Hugo Löwy, das Lederwarengeschäft vom August Sirk …“ „Beruhigen Sie sich doch, meine Gute.“ „… das Warenhaus Schiffmann in der Taborstraße sollen sie schon seit drei Tagen ausräumen, und auch hier, Herr Schwarz, alle Teppiche haben sie uns gestohlen und auf Lastwagen wegtransportiert!“ „Bitte beruhigen Sie sich …“
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„Alle jüdischen Warenhausbesitzer, Fabrikanten, Bankiers werden verhaftet. Sie dürfen nicht in Wien bleiben, Herr Schwarz! Sie müssen fort!“ Als der Zug mit Carl Zuckmayer an Bord den Salzburger Bahnhof in Richtung Schweiz endlich verlässt, kommt Franz Krieger mit seinem Fahrrad am Bahnhof an. Die Bahnhofsuhr zeigt 9.10 Uhr. Ein „Wodansgetöse am Himmel“ lenkt ihn immer wieder ab. „Rabenschwärme deutscher Flugzeuge donnern am Himmel; jedes bringt 50 Mann deutsche Reichswehr.“ Um ihn herum „Hitler-Jugend in Last-Autos, Revolver im Anschlag“. In der Trafik in der Bahnhofshalle will Krieger nach einer Zeitung Ausschau halten. Die Trafikantin ist jetzt wieder hinter ihrer Theke zu finden. Er kauft das Salzburger Volksblatt, zahlt und geht. Draußen überfliegt er die Titelseite, auf der ein ganzseitiges Porträt des „Führers“ prangt, darunter der Satz: „Wer sein Volk liebt, beweist es einzig durch die Opfer, die es für dieses zu bringen bereit ist. Adolf Hitler.“ Gerade als er das Porträt näher betrachten will, schreckt ihn plötzlicher Lärm auf. Die SA ist auf der Jagd nach Flüchtenden. Wer einen internationalen Fahrschein hat, wird abgefangen. Die Bahnhofshalle ist für manchen zum gefährlichen Pflaster geworden. Wo er hinsieht: braune Uniformen. Wer keine hat, trägt eine Armbinde der SA. Und wer eine solche trägt, muss nicht einmal erwachsen sein. „Zwei Helden im Alter von 11 bis 12 Jahren fordern stramm und machttrunken die Pässe ab.“ Auch nach Vermögen wird gefahndet. Die Kontrolle der Pimpfe zeigt glänzende Ergebnisse: „Ein jüdischer Arzt hat 30 Schilling über den erlaubten 200 in der Tasche. Im Triumph wird er abgeführt.“ Als der Tumult vorbei ist, blättert Franz Krieger weiter die Zeitungsseiten durch. Er sucht nach seiner Bilderstrecke. Auf der zwölften Seite streift
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sein Blick die Kleinanzeigen: Eine Reparaturwerkstätte und Fahrradhandlung neben dem Bahnhof von Salzburg-Aigen wirbt da für „Hakenkreuze aus hartem Blech jeder Größe, erzeugt von einem treuen Anhänger unseres Führers”; etwas weiter unten eine Werbeanzeige für „Darmol“, dessen Einnahme sich bei Verstopfung empfiehlt und „gut wie Schokolade schmeckt“. Ein weiterer Inserent, die „Glücksstelle Josef Stein“, gibt bekannt: „In der Klassenlotterie wurden Donnerstag keine Treffer über 1000 S und darüber gezogen. Ziehung des Millionen-Treffers erfolgt am 6. April.“ Ob Josef Stein, der Inhaber der „Glücksstelle“, vom ersten Salzburg-Besuch des „Führers“ und Reichskanzlers am 6. des nächsten Monats eine Ahnung hat, steht wie das Glück in den Sternen. Und dann, endlich, hinter der Romanbeilage, die Seite mit den von Franz Krieger geschossenen Fotos: „Bildbericht aus den letztvergangenen, wildbewegten Tagen in Salzburg.“ Acht Situationen der Machtübernahme auf Papier gebannt. Bildunterschrift: „Sämtliche Aufnahmen vom Bildberichterstatter unseres Blattes Franz Krieger.“ Zwischen den Fotos mit den Nummern 1 und 3 – man sieht zwei von Polizisten verletzte nationalsozialistische Opfer der letzten Nacht auf ihrem Krankenbett – ein deutlich kleineres Foto eines recht beleibten Polizisten im schwarzen Dienstmantel und mit Dienstmütze. Es ist der Polizei-Zentralinspektor Georg Fürst. Der Polizeibeamte ist nach dem Umbruch in Schutzhaft genommen und wegen seines Vorgehens gegen illegale Nationalisten vor Gericht gestellt worden, wie man der Bildunterschrift entnehmen kann. Foto Numero 4 hat Krieger am Nachmittag zuvor, dem 11. März, gemacht. Es zeigt eine Straßenstreife des österreichischen Bundesheers: zwei Soldaten mit Stahlhelm, geschulterten Gewehren, Koppeln über dem Wintermantel, die den fast
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menschenleeren, vom Regen glänzenden Mirabellplatz sichern. Sie gehören zu dem Teil des Bundesheers, der zum Schutz der österreichischen Landesregierung im Chiemseehof nach Salzburg verlegt worden ist. Das folgende Foto, die Numero 5, zeigt männliche Passanten im Regen, die lesend vor einem Plakatanschlag stehen. Das Abstimmungsplakat wirbt für die Souveränität Österreichs und mahnt für die von Bundeskanzler Schuschnigg für den nächsten Tag angesetzte Volksbefragung ein „Ja“ ein – „Für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich“. Das Bild mit der Nummer 6 gibt das Haus der „Vaterländischen Front“ am Dollfuß Platz 7 wieder, besetzt von der Kreisleitung der NSDAP. Vor dem Haus stehen zwei zivile Posten Wache. Das Kruckenkreuz über dem Eingang ist nicht mehr zu sehen, es wurde von den neuen Herren im Lande bereits mit dem Hakenkreuz verdeckt. In der ganzen Stadt schaffen die Nationalsozialisten Tatsachen: Auf der Staatsbrücke hat Franz Krieger bewaffnete SA-Männer fotografiert, die die jeweiligen Brückenköpfe besetzt haben, um den Einmarsch der deutschen Truppen zu sichern. Gegen acht oder neun, so heißt es in der Stadt, würde die Wehrmacht die Grenze zu Österreich überschreiten. Krieger ist bereit. Tatsächlich: Um 11.04 Uhr marschieren deutsche Soldaten über die Grenze am Walserberg und sind bei ihren Brüdern in Österreich. Nachdem sich in Salzburg schon vor Stunden die Nachricht verbreitet hat, Seyß-Inquart habe um die Entsendung von deutschem Militär nach Österreich zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung gebeten, haben sich schon in der Nacht Hunderte Nationalsozialisten aus der Stadt und dem Umland an die Grenzstellen am Walserberg und Freilassing begeben, um die einmarschierenden Truppen zu be-
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grüßen. Schon wenig später rollen die ersten Panzerspitzen unter dem Jubel der Bevölkerung in die Stadt hinein. Dahinter rücken die deutschen Truppen nach. Es ist Mittag. Krieger fotografiert die Soldaten, die erschöpft, aber glücklich aussehen. Sie haben einen Weg von gut vierzig Kilometern hinter sich. Sie sind verstaubt und verschwitzt. Eine Frau, die neben Krieger steht, sagt: „Das sind ja lauter kleine Leut. Und schön sinds auch nit. Ich habe immer gedacht, die Deutschen sind alle schöne und große Leut.“ Franz Krieger lichtet den Panzerkommandanten ab, der eben salutierend heranrattert. Der freut sich über den freundlichen Empfang und wohl auch über die unerwartet herzliche Begrüßung. So steht er auf seinem Tank und fährt kettenrasselnd an der jubelnden Volksmenge vorbei, die ihm den Arm zum „Deutschen Gruß“ entgegenreckt. Die Stadt ist ein einziges Menschenmeer, und Franz Krieger taucht darin ein, lässt sich von den Wogen der Begeisterung tragen und mitreißen. „Die Straßen sind voll von Menschen; so dicht, als wäre niemand mehr in den Häusern geblieben, sind die Gehsteige der Innenstadt mit Spalieren gesäumt. Zwischen ihnen bewegen sich Pulks von lachenden, winkenden Männern, Frauen, Knaben, Mädchen. Noch trägt niemand eine Uniform, als Kennzeichen dienen weiße Strümpfe, weiße Hemden. Dann und wann taucht auch eine Abteilung Polizisten auf. Sie haben bereits Hakenkreuzarmbinden angelegt und werden heftig bejubelt.“ Franz Krieger fotografiert fieberhaft. Der Bilderjäger eilt von Ereignis zu Ereignis, von Ort zu Ort, immer darauf aus, eine lange Geschichte mit etwas winzig Kleinem zu erzählen. Zum Nachdenken ist keine Zeit. Er weiß kaum, wie ihm geschieht, was hier geschieht. Fotografieren ist jetzt eine Tätigkeit der Beine und ein Zustand des Gemüts.
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Es sind Stunden, in denen er die Zeit vergisst und doch ganz in der Gegenwart ist. Plötzlich Geschichte! Geschichte, so vollkommen unerwartet? Geschichte, „wie aus dem Boden gestampft“? Nein, das hier muss seit Wochen vorbereitet worden sein. Hat sein Heimatland insgeheim den Anschluss gesucht? Und er selbst? Die Deutschen sind ihm bestimmt nicht unwillkommen. Er ist wie ein jeder. Ein jeder „gute“ Österreicher muss doch für den Anschluss sein. In der Villa Trapp hat Baron Trapp mit der Mittagspost die Einberufung zur U-Boot-Flotte der Deutschen Kriegsmarine erhalten. Er lehnt ab. Um 16 Uhr überschreitet Hitler im Triumphzug in seinem Heimatort Braunau am Inn die deutsch-österreichische Grenze, die Kirchenglocken läuten. Hitlers Ziel: Linz. Im Salzburger Volksblatt, etwas versteckt, findet Krieger eine Leserzuschrift von Ing. S. Sch.: „Die Fremden, die nach Salzburg kommen, zerbrechen sich den Kopf, was denn die vielen Abstimmungszettel mit dem Aufdruck ‚Ja‘ bedeuten sollen, die überall umherliegen. Sie mögen nun wissen, das heißt: ‚Ja, ja, ja, das Hakenkreuz ist da!‘“
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Dienstag, 15. März 1938 DIE GESCHICHTE DES NATIONALSOZIALISMUS IN ÖSTERREICH. Wien […]. Das Amt für Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich gibt folgendes bekannt: Der Kampf, den die nationalsozialistische Bewegung in Österreich in diesen Tagen siegreich beendet hat, darf niemals mehr der Vergessenheit anheimfallen. Um aber der Nachwelt ein möglichst getreues Bild unseres schweren Ringens überliefern zu können, ist es notwendig, sofort damit zu beginnen, alle geschichtlich bedeutsamen Unterlagen zu sammeln. Es werden zu diesem Zwecke in den nächsten Tagen Sammelstellen errichtet werden, an welche Schrift- und Bildmaterial, eigenes wie solches der Gegner, Befehle, Flugzettel, illegales Material usw. abgeliefert werden können. Wichtige Ereignisse und Abschnitte unseres Kampfes sollen in ihrem Verlauf sofort in Gedächtnisprotokollen der beteiligten Kameraden festgehalten werden. Salzburger Zeitung
Walter Schwarz fragt sich, was als Nächstes passieren wird. Die Wohnung seiner Schwester hat er seit drei Tagen nicht mehr verlassen; allein mit sich und ohne genau zu wissen, was draußen vor sich geht, fühlt er sich wie in einem Vakuum. Am Morgen hat einmal das Telefon geklingelt – seine Schwester aus Linz war am Apparat. Aufgeregt! Nervös! Zittrig! Wie es ihm gehe? Von ihrer Angestellten aus dem Geschäft habe sie es eben erst erfahren: „Ihr Bruder, der Walter, ist in Ihrer Wohnung, Frau Schein!“ Dann hört Walter von Käthe, man habe Max und Paul in Linz in Schutzhaft genommen. Ausgerechnet in Walters Wohnung seien die Brüder dem Zufall in die Arme gelaufen.
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Nach dem Bericht Käthes waren SA und SS in der Nacht auf den 13. März in die Wohnung eingedrungen, hatten die Brüder verhaftet und die Kunstsammlung mitgenommen. Dabei hätten sie es eigentlich nur auf die Bilder abgesehen gehabt. Dass sie genau in jenem Augenblick aufgetaucht wären, als die Brüder die Sammlung in Sicherheit bringen wollten, sei ein Unglück gewesen. In fortlaufendem Redeschwall erzählt Käthe auch von Hitlers Besuch in Linz: „Tausende auf dem Hauptplatz. Ein Spektakel, sag ich dir! Dann ist er weiter nach Braunau gefahren. Es macht mir Angst, Walter. Es ist Zeit, höchste Zeit!“ Dann war das Gespräch jäh unterbrochen worden. Kurz nach 11 Uhr: Soll er es noch einmal riskieren? Telefonieren? Rangehen, wenn es klingelt? Immer wieder starrt er auf das dumme, matt glänzende Ding aus Bakelit, „von dem die bösen Geister schon Besitz ergriffen hatten“. Oder wie soll man sich das seltsame Knacken erklären, wenn man den Hörer aufnimmt? Und wie die plötzliche Unterbrechung? Haben da bereits die „Abhorchstationen“ ihr Werk aufgenommen? In Linz, in seiner Wohnung in der Domgasse 5, steht das Eumig-Radio, er würde es einschalten und erfahren, was gerade passiert. Vielleicht machen Käthe und Schwager Josef in diesem Augenblick genau das. Plötzlich baut sich ein ohrenbetäubender Lärm auf, der das Fensterglas vibrieren lässt. Ein Dröhnen, ein Grollen wie von tausend zornigen Drachen dringt an Walters Ohren. Schatten huschen an den Fenstern vorbei. Er schiebt die Gardine zur Seite, ein Stück und noch ein Stück, nur eben so viel, dass er von der Straße her nicht gesehen werden kann. Er schaut zuerst hinunter, dann nach oben in den märzblauen Himmel, um sich der Herkunft des Lärms zu vergewissern. Er kann nicht glauben,
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was als Nächstes passiert: Er sieht, wie weiße Blätter vom Himmel regnen. Erschrocken weicht er zurück. Und auch wenn es ihm verwirrend erscheint, so unwirklich wie Schnee im Sommer, so ist es doch wahr: Es sind weiße Blätter, und sie fallen vom Himmel herab, kreisen wie Vögel durch die Luft, taumeln, tanzen, bis sie schließlich wie müde dem Erdboden entgegengleiten. Weiße Tauben aus Papier, fragt er sich, weiße Tauben in einer Zeit, in der kaum jemand mehr an den Frieden glaubt? Er steht mit dem Rücken zur Wand gleich neben dem Fenster, er atmet schneller, dann schiebt er die Gardine noch etwas weiter zur Seite, um mehr zu sehen. Die Gehsteige sind schon übersät. Hätte ihn das Motorengeräusch der unzähligen Flugzeuge, die in Gruppen Wien überfliegen, nicht ans Fenster gelockt, wäre ihm der stille Blätterregen gar nicht aufgefallen. Als er wieder aufblickt, sieht er am Fenster gegenüber einen Mann stehen, der interessiert zu ihm herüberschaut. Der Mann trägt einen Hut und ist mit einem Ledermantel bekleidet und war sicher eben noch nicht da. Aber ebenso sicher steht er nun am Fenster gegenüber, steht still wie ein Beobachter, regungslos, so als wollte er nicht auffallen. Dass er im selben Augenblick wie Walter Schwarz am Fenster aufgetaucht ist, kann ein großer Zufall sein. Aber was heißt das schon? Walter Schwarz weicht ruckartig zurück. Ein Gefühl geht ihm sofort in den Bauch: Angst. Seit drei Tagen hält er sich nun schon erfolgreich versteckt. Noch einmal wagt er sich zum Fenster vor. Ihm ist heiß, er zittert, die Kehle schnürt sich ihm zu. Aus dem gegenüberliegenden Haus kommen zwei Männer, die schnellen Schrittes die Straße queren und aus Walters Sichtfeld verschwinden. Einer von ihnen ist der Mann, der am Fenster gegenüber gestanden und ihn angestarrt hat. Es vergehen nur Sekunden, bis es an der Wohnungstür klin-
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gelt. Dann hört er Schritte und Stimmen im Stiegenhaus. Irgendwer aus dem Haus hat aufgemacht. Die Geräusche, die unabwendbar näher kommen, lassen seinen Puls nach oben schnellen. Plötzlich hört er ein energisches Klopfen an der Wohnungstür und eine männliche Stimme, die ihn anweist, zu öffnen. „Aufmachen! Sofort!“ Walter Schwarz bleibt stumm. „Wenn Sie nicht öffnen, kommen wir eben herein.“ Die Aufforderung wird begleitet vom Hämmern einer Faust auf die Tür. „Machen Sie auf, wir wissen, dass Sie da sind!“ Walter Schwarz schweigt, in der Hoffnung, wer auch immer vor der Tür stehe, würde einfach wieder gehen. Zum ersten Mal wird ihm klar, was es heißt, Jude zu sein. Und er weiß, dass es sinnlos ist, sich tot zu stellen. Er ist doch schon so gut wie tot, denkt er noch, und öffnet die Tür. Als er die beiden Männer vor sich sieht, trifft ihn das Kommando wie ein Schlag: „Mitkommen!“ Was als Nächstes passiert? Sie zerren ihn aus der Wohnung, packen ihn am Arm und führen ihn die Treppe hinunter. Unten vor der Eingangstür steht der Hausmeister und mustert ihn mit feindseligem Blick. Vor zwei Tagen ist er noch devot gewesen. Jetzt ist das Hakenkreuz in seinem Knopfloch zu sehen. „Wo wollen Sie mit mir hin?“, fragt Walter Schwarz, als man ihn auf die Straße stößt. „Bisserl spazieren, zum Judenspaziergang.“ „Was fällt Ihnen ein, mich so zu behandeln, ich bin Geschäftsmann, ich habe im Weltkrieg bei den Kaiserjägern an der Isonzofront für mein Vaterland gekämpft und …“ „Los, los, wir haben noch andere Leute abzuholen.“ Auf der Straße fallen immer noch Flugblätter vom Himmel herab. Wäre er allein, würde er eines der Blätter greifen, neugierig, welche Botschaft die Flugzeuge in die Stadt hineinzutra-
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gen haben. Die Männer führen ihn auf die andere Straßenseite. Vor der Haustür gegenüber steht ein Wagen bereit. Walter Schwarz wundert sich über das requirierte Taxigefährt. Er wird hineingestoßen und sie fahren sofort los. Im Wagen ist noch ein Mann, der zu den beiden anderen gehört. „Nun ergeht es dir wie deinen Brüdern“, denkt Walter Schwarz. Dann schaut er hinaus, nach rechts, nach links. Draußen läuft ein Film vor ihm ab. Tausend Eindrücke drängen sich ihm auf. Alle sind außer sich. Die Welt ist verrückt geworden. Es scheint ihm wie ein Fastnachtstreiben. Es wirkt lächerlich, aber ihm ist überhaupt nicht zum Lachen. Er fragt sich, was als Nächstes passieren würde. Entlang der Rotenturmstraße bewegt sich das Taxi gen Süden Richtung Stephansplatz. Eigentlich darf die Rotenturmstraße nur in gegenläufiger Richtung befahren werden, aber alles, was bisher richtig und Recht war, ist nun außer Kraft gesetzt. Auf der Kärtner Straße geht die Fahrt weiter in Richtung Oper. Dass sie ihn in das Polizeigefangenenhaus bringen werden, ahnt er bereits. An der Sirk-Ecke geht es erst einmal nicht weiter. Die Straße ist von brüllenden und tobenden Menschen überfüllt. „Ist das noch die Sirk-Ecke?“ fragt sich Walter Schwarz. „Mit dem feinen Lederwarengeschäft des Herrn August Sirk? Ist das noch der Treffpunkt der Verliebten, die Flanierzone der adeligen Gesellschaft, der Rendezvousplatz des Großbürgertums? Das war doch bis gestern das berühmteste und teuerste Eck Wiens.“ Hier traf sich alles, was Rang und Namen und Geld hatte. Er kennt die Gegend nur zu gut, jetzt erkennt er sie nicht wieder. Auf den Knien, mit Scheuertuch, Eimern und Klosettbürsten rutschen Frauen und Männer auf dem Boden herum, umringt von johlenden Gaffern. Er versteht nicht, was sie da tun, dass es Juden sind, die mit Zahn- und Klosett-
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bürsten das Straßenpflaster säubern müssen. Er weiß nicht, dass Wien vor Hitlers großem Auftritt auf dem Heldenplatz von den Wahlparolen Schuschniggs, die für ein freies Österreich aufgerufen hatten, reingewaschen werden soll. Auch vor dem Geschäft des Juden Sirk, dessen Schaufenster eingeschlagen und dessen Auslagen geplündert worden sind, hat sich die Stadt in ein „Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch“ verwandelt. Walter Schwarz, der vielleicht schon früher einmal mit leichtem Schauder an dem wuchtigen Gebäude des Polizeigefangenenhauses an der Roßauer Lände vorübergegangen ist, lernt das Haus, das die Wiener einfach „Liesl“ nennen, nun gründlich von innen kennen. Die Bezeichnung „Liesl“ hat sich eingebürgert, als dieser Teil der Lände noch Elisabethpromenade geheißen hat. In den letzten Tagen sind außer Walter Schwarz schon viele den Weg dorthin „gewandelt, blutend und zerschlagen vom Verhör, durch das kleine Tor auf der Elisabethpromenade gegangen, durch den kurzen Gang, der an dem Verschlag des Wachhabenden vorbei zu der gelbgestrichenen Eisentür führt, an der es keine Klinke gibt“. Blutig und zerschlagen ist Walter Schwarz nicht, als er in die Aufnahmekanzlei gebracht wird, wo ihn der Gestapo-Beamte an das Polizeigefangenenhaus übergibt. Es sind „ältere Männer, die dort Dienst machen“, was auf ihn zunächst beruhigend wirkt. Es dauert nicht lange, dann wird er in ein anderes Zimmer gebracht, zum „Abrüsten“, wie es heißt. Sollte er Wertgegenstände wie Uhr, Geld, Schmuck in den Taschen haben, habe er alles abzugeben. Diese Dinge bekäme er erst wieder, wenn er entlassen würde. Walter Schwarz hat wenig Hoffnung, die schöne Armbanduhr und die gut eingeschriebene Füllfeder jemals wiederzusehen. Dass man die Sachen womöglich an seine Hinterbliebenen schicken würde, daran will er jetzt
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gar nicht denken. Auch die Hosenträger und den Gürtel muss er noch abgeben. Mit einem Zettel in der Hand, auf dem die Zellennummer vermerkt ist, geht er durch eine kleine Tür und steht vor einem Stiegenaufgang. Aufwärtsblickend sieht er ein Gewirr von Drahtnetzen und Gittern, die sich von Stockwerk zu Stockwerk ziehen und sich irgendwo in scheinbar unendlicher Höhe im Halbdunkel verlieren. Er steigt die Stufen hinauf. Nirgends ein Stück Holz, alles totes, kaltes Eisen. Dann hält er vor einem riesigen Tor aus dicken Gitterstäben. Ein Aufseher schließt auf und führt ihn in eine kleine Zelle, wo er sich, auf einem quadratischen Brett stehend, vollkommen nackt ausziehen muss. Die Kleider und er selbst werden genau untersucht. Dann geht es weiter. Seine Schritte hallen dröhnend auf den Eisenblechplatten der langen Korridore. Jedes Stockwerk ist vom anderen durch schwere Gitter abgeschlossen und durch ebensolche Vorrichtungen in einzelne Trakte geteilt. Endlich steht er, zwei ausgefranste Decken über dem Arm, vor seiner Zellentür. Sie hat in Kopfhöhe als Guckloch ein rechteckiges Schubfensterchen. Dann öffnet sich die Tür knarrend. Der Raum ist lichtbraun gestrichen und besteht aus schuppenartig übereinanderliegenden Platten. Als hinter Walter Schwarz abgeschlossen wird, fühlt er sich endgültig ausgestoßen von der Tafel der Lebenden. Das unheimliche Gefühl beschleicht ihn, „wehrlos, rechtlos, der Gewalt ausgeliefert zu sein. Nicht zu wissen, wann und wozu die Türe sich wieder öffnen wird. In die Freiheit oder in den Tod“.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 18. März 1938 Salzburg […]. Die Talorte im Gebirge unseres Landes sind durch die starke Sonneneinwirkung der letzten Tage zum großen Teil schneefrei, soweit sie nicht eine außerordentlich günstige, sonnengeschützte Lage besitzen. Die Schneegrenze reicht jetzt im Gebirge schattseitig bis ungefähr 750 Meter, sonnseitig bis über 1000 Meter. Salzburger Zeitung
Über der Stadt Salzburg regnen seit Tagen Flugblätter und kleine, aus Blech gestanzte Hakenkreuze nieder. Es ist das gleiche Propagandamaterial, das in Wien und in den anderen Hauptstädten Österreichs Gehwege und Straßen bedeckt. „Das nationalsozialistische Deutschland grüßt sein nationalsozialistisches Österreich und die neue nationalsozialistische Regierung in treuer, unlösbarer Verbundenheit. Heil Hitler!“, so steht es auf den Blättern geschrieben. Schon zeitig am Morgen stellt Franz Krieger einen Antrag, dessen Annahme sicher eine eher positive Wirkung auf seine weitere Karriere als Fotograf haben wird: Er beantragt seine Aufnahme in die NSDAP. Es ist ein Tag, der bereits den kommenden Frühling ahnen lässt. Auf dem Weg zu der zuständigen Ortsgruppenstelle klaubt er eines dieser kleinen Blechhakenkreuze vom Boden auf und steckt es ein. Als er kurze Zeit später das Büro wieder verlässt, hat er mit seinem eigenhändig unterschriebenen Aufnahmeantrag, dem er den ausgefüllten Fragebogen beigefügt hat, sein Aufnahmeverfahren eingeleitet. Von der Ortsgruppe über die Kreis- und Gauleitung wird sein Antrag
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nun auf dem parteiinternen Dienstweg zum Reichsschatzmeister der NSDAP gelangen und dann beim Aufnahmeamt und in der Karteiabteilung bearbeitet werden. Nach formaler Prüfung wird dort seine Mitgliedsnummer eingestempelt und eine Mitgliedskarte erstellt werden, die sodann dem regional zuständigen Hoheitsträger auf dem Dienstweg der NSDAP zur Aushändigung übersendet wird. Franz Krieger muss sich also noch etwas in Geduld üben und das parteibürokratische Prozedere abwarten. Das macht er gerne. Er ist sich sicher: Die Pressefotografie wird schon bald eine wichtige Rolle als Medium der Selbstinszenierung der Nationalsozialisten spielen. Ob sich Franz Krieger in diesen Tagen auch schon als deren zukünftiger Propagandist sieht, kann als Frage im Raum stehen bleiben. Vielleicht ist es seinerseits reine Spekulation auf das Eintreffen gewisser Ereignisse und Entwicklungen nach den Tagen des Anschlusses, warum er den Antrag gerade heute stellt. Feststehen dürfte: Als Bilderjäger hat Franz Krieger eine Spürnase für lohnenswerte Motive entwickelt, und die bieten sich ihm nun mehr und mehr auch abseits der Festspielzeit dank der Auftritte der Nationalsozialisten. Heute ist wieder so ein Auftritt. Krieger ist mit seiner Kamera bei der Eidesleistung von Polizei und Gendarmerie auf dem Domplatz zugegen. Die Vereidigung auf den „Führer“ findet unter Beisein von Landeshauptmann Anton Wintersteiger, Bürgermeister Anton Giger, Brigadeführer Georg Günther, Polizeidirektor Dr. Benno von Braitenberg, Landesgendarmeriekommandant Oberstleutnant Andreas Steiner und Gendarmerieoberst Emil Höring statt. Letzterer steht am Rednerpult. Er verliest zunächst die Eidesformel, die von den Angehörigen der Exekutive nachgesprochen wird. Mit einem Gruß an den „Führer“ und einem dreifachen „Sieg Heil!“ wird der fei-
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erliche Akt der Vereidigung beendet. Anschließend trägt eine Musikkapelle das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied vor. Schließlich setzen sich die ausgerückten Formationen und die eben beeidigten Angehörigen der Exekutive zum Vorbeimarsch an ihren Kommandanten und den Ehrengästen auf dem Residenzplatz in Bewegung. Die Bevölkerung nimmt sehr zahlreich und mit freudiger Begeisterung an der Feier teil. Am Ende: allgemeiner Jubel mit Marschmusik. Dass das Nebeneinander von Großinszenierung und Einzelschicksal manchmal von erschreckender Normalität sein kann, beweist ein Ereignis, über das drei Tage später in der Salzburger Zeitung, die am 11. März noch Salzburger Chronik geheißen hat, berichtet wird. Wortwörtlich eingebettet in den Artikel über die feierliche Vereidigung von Polizei und Gendarmerie wird sich ein durch Einrahmung auffällig hervorgehobener Text befinden: „Kundmachung“ wird darüber in markanter Auszeichnungsschrift stehen. „Die Betriebszellenleitung des Kaufhauses Schwarz gibt hiermit der Bevölkerung von Stadt und Land Salzburg bekannt, daß die Führung des Kaufhauses Schwarz von der NSBO übernommen wurde und der gesamte Betrieb im vollen Umfange weitergeführt wird. Die einlaufenden Gelder dienen nur für die Gehälter der Angestellten und zur Weiterführung des Betriebes. Die Geschäftsleitung: Josef Böhm, Karl Teinfalt.“ Mit der Übernahme durch die „Nationale Betriebszellenorganisation“ ist die Geschichte um die Zukunft des Kaufhauses Schwarz noch nicht abgeschlossen, die Schlacht wird noch das ganze Jahr weitertoben. Sie ist ein Symbol des nationalsozialistischen Umbruchs, der in allen Teilen der Gesellschaft, in Politik und nicht zuletzt in der Privatwirtschaft Fahrt aufgenommen hat. Auch Franz Krieger mischt mit, ist pausenlos im Einsatz und
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gut im Geschäft. Zu Fuß oder mit seinem Fahrrad eilt er von Ort zu Ort, von Motiv zu Motiv. Er dokumentiert die „Tage des Jubels in Salzburg“ mit Kamera und Objektiv, aufmerksam, lauernd, rastlos, aufgewühlt, nervös, euphorisch, gierig nach Bildern, stets darauf aus, nichts zu verpassen. Und kann man es ihm verdenken, wenn ihm der nationalsozialistische Umbruch als Fotograf vielleicht sogar willkommen ist? Was für eine Sache, was für ein Ereignis! Das alles bedeutet für ihn Arbeit, Erfolg und, ja, vielleicht sogar Ruhm? Er spürt, dass um ihn und mit ihm etwas Bedeutendes passiert. Als Mensch, als Bürger, als Österreicher nimmt er an etwas Großem teil. Und alles spielt sich direkt vor seiner Linse ab! Und darum muss er auch dabei sein, mittendrin sein, auch in der Partei sein, ein Teil von ihr, ein Rädchen im Räderwerk der Bewegung sein. Als Mensch, als Bürger, als Österreicher, als Bildberichterstatter – mit einer Nase für den richtigen Moment. Wo er in den letzten Tagen mit seiner Kamera dabei war, kann jedermann im neuesten Salzburger Volksblatt sehen. Seine Bilderstrecke, elf Aufnahmen, geben die vergangenen Jubeltage in Salzburg chronologisch wieder. Darunter: „1. Bayrische Infanterie marschiert ein. – 2. Die Salzburger Buben haben rasch mit den Bedienungsmannschaften der dräuenden Ungeheuer Freundschaft geschlossen; von den Kampfwagen sind sie selbstverständlich begeistert. – 3. Sie marschieren durch die festlich geschmückte Getreidegasse; Fahne weht neben Fahne über den vorbeiziehenden deutschen Truppen. – 4. Flugzeuge werfen über der Stadt Flugzettel ab; sie grüßen das Volk von Österreich. – 5. Stramme Hitler-Jungen im Zuge durch die Stadt. – 6. Auch für das leibliche Wohl wird gesorgt. – 7. Wo immer deutsche Truppen marschieren, überall werden sie mit Jubel empfangen. – 8. Das Platzl kann die vielen
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Menschen kaum mehr fassen. – 9. Über dem Rathausbogen kündet eine Tafel von der Volksabstimmung des Jahres 1921, die eine gewaltige Kundgebung für den Anschluß war. Oft schon war die Tafel manchen ein Dorn im Auge, lange war, was die Inschrift besagte, verleugnet worden; jetzt ist sie wieder in Ehren geschmückt. – 10. Daß sie nur alle Platz haben da oben und gut sehen! – 11. Der Verkehr stockt; ein Weiterkommen gibt’s jetzt nicht, aber als willkommene Aussichtspunkte können die Fahrzeuge dienen. – Sämtliche Aufnahmen von unserem Bildberichterstatter Franz Krieger.“ Ja, ohne Zweifel: Er ist dabei, mittendrin, ein Teil des Ganzen. Er ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er sieht einem großen Jahr entgegen. Gut für seine Zukunft. Er fühlt sich bestärkt in seiner Entscheidung: Jetzt ist seine Zeit. Und mehr noch – Franz Krieger ist nicht nur der Mann mit der Kamera in Salzburg. Er ist auch ein Salzburger Kaufmann mit Sinn fürs Geschäft. Er gehört zu denen, die schnell erkannt haben, dass sich mit dem „Führer“ gutes Geld verdienen lässt. In der Sigmund-Haffner-Gasse 16 hat die Galerie Welz, die dort eine Rahmenhandlung betreibt, „die schönsten Führerbilder“ im Verkauf. Im Salzburger Volksblatt wirbt ein Wilhelm Stempfle aus Innsbruck mit einer Insertion für seine „Postkarten im Tiefdruck von Adolf Hitler, dem Führer und Schöpfer Groß-Deutschlands“. Das Salzburger Festartikel-Spezialgeschäft Louis Lona in der Griesgasse 15 im Hofe, erster Stock, versucht „Hakenkreuz-Papier- und Stoff-Fähnchen, Wimpelketten, Illuminationslämpchen, Lampions“ und ähnliche Artikel an den Mann und die Frau zu bringen. Nur ein paar Schritte von der Sigmund-Haffner-Gasse entfernt hat die Eisenwarenhandlung Krieger die Geschäftsauslagen mit NS-Symbolen dekoriert und inseriert dazu im Volksblatt: „Jeder Deutschösterreicher
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trägt das Symbol unserer Bewegung: Das Hakenkreuz – Größte Auswahl bei Eisenhandlung Krieger Churfürststr. 3.“ Die aufs Akkurateste dekorierte Krieger’sche Geschäftsauslage mit nach Größen und Formen sortierten nationalsozialistischen Symbolen aller Art, die die Laufkundschaft ansprechen soll, dokumentiert Franz Krieger mit seiner Kamera. Das Schaufenster gleicht einem „Führer-Altar“, geschmückt mit zahllosen Devotionalien. Was die liebevolle und mit Bedacht arrangierte Auswahl betrifft, hat die Werbung der Eisenwarenhandlung nicht übertrieben: Auf der Fotografie ist das beeindruckende Angebot an Auto- und Motorradwimpeln sowie Parteifähnchen in unterschiedlichen Größen, allesamt mit dem Hakenkreuzdruck, wenn auch nur in Schwarz-Weiß, deutlich zu sehen; dazu werden Hitlerbüsten – mittlere und kleinere „Führerköpfe“ in Bronze gegossen – feilgeboten, daneben stehen Fackeln wie Soldaten in Reih und Glied zum Verkauf, ziehen Dutzende von blanken und bunten Anstecknadeln die Blicke an, wird alles von einem großen, metallisch glänzenden Parteiadler beschützt, der seine Schwingen ausbreitet und das eichenblattbekränzte Hakenkreuz in seinen Fängen hält. Etwas fehl am Platze wirken im ersten Moment die in Dreierreihe daneben aufgehängten Gartengeräte. Kleinrechen mit drei und fünf Zinken, Blumenschaufeln, Fächerbesen, Kellen, Grubber, Hacker, Stecher, Krallen, Astscheren und Pflanzhölzer – eine Palette an Kleingerätschaften, die so ausgestellt wie präparierte Käfer im Schaukasten eines naturkundlichen Museums wirken. Kein Zweifel: Die Geräte dienen der Urbarmachung und Pflege des Gartens oder Gärtchens hinterm Haus. Wozu aber noch? Warum hat Krieger ausgerechnet Gartengeräten einen Platz im Schaufenster eingeräumt? Warum hat er sich überhaupt die Mühe gemacht? Hier „Heil Hitler“ und da
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heile Welt? Ein scheinbar gegensätzliches Arrangement in einem Bild? Hier Umbruch und neue Zeit, und daneben das, was immer war und sein wird? Man kann es einen Zufall heißen. Oder ist es vielleicht doch der clevere Geschäftsmann Franz Krieger, der weiter denkt? Als solcher muss er mit der Zeit gehen. Jetzt ist „Führer-Zeit“. Das muss man groß herausstellen und anbieten, was die Leute haben wollen. Aber für den Fall, wenn es ein Danach geben sollte? Dann sollen seine Kunden auf Bewährtes zurückgreifen können, so wie sie auch jetzt, in dieser besonderen Zeit, nicht auf den vertrauten Anblick verzichten müssen. Gerade in Zeiten großer Veränderungen will der Mensch sich an etwas festhalten, das ihm Sicherheit gibt.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 20. März 1938 DAS SKI-SPRINGEN IN ZELL AM SEE. […]. Auf der großen Zeller Schanze fand bei strahlend schönem Wetter das I. Großdeutsche Kameradschaftsspringen statt, an dem 46 Springer aus dem gesamten Reich teilnahmen. Leider brachte diese Veranstaltung einen schweren Unfall, der den besten deutschen Springer Josef Bradl traf. Bradl stürzte beim ersten Sprung von 70 Metern im Auslauf beim Abschwingen und brach sich ein Bein. Der Bruch ist ein normaler Schienbeinbruch. Bradl befindet sich bereits in Zell am See im Spital und wird in einigen Tagen nach Salzburg gebracht werden. Salzburger Volksblatt vom 21. März
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Wien: Um von der Rotenturmstraße zur Roßauer Lände zu kommen, kann man einfach die Rotenturmstraße ein Stück nach Nordosten Richtung Donaukanal fahren und noch vor der Marienbrücke linker Hand in den Fleischmarkt stadtauswärts abbiegen. An dessen Ende wird man die Judengasse kreuzen und weiter durch die Sterngasse fahren, von der man nach rechts in die Fischerstiege abbiegen, ihr ein kurzes Stück nach Nordnordosten folgen und dann links in den Salzgries einbiegen wird, der dann nahtlos zur Neutorgasse wird, dieser folgen, bis sie auf den Schottenring stößt, hier links in denselben einfahren, indem man schlicht ignoriert, dass das Befahren in dieser Richtung verboten ist, dann in die erste Straße rechts, die Börsegasse, einbiegen und sich flugs bei der Roßauer Lände am Ziel wissen, der Roßauer Kaserne im 9. Bezirk. Sicher ist, dass es niemanden in Wien gibt, der dieses Ziel freiwillig ansteuern würde, ganz gleich wie nachvollziehbar der Fahrweg dorthin erscheinen mag. Walter Schwarz ist einer von vielen, die sich seit fünf oder mehr Tagen, gewiss aber seit dem 12. März, im Polizeigefangenenhaus Roßauer Lände unfreiwillig aufhalten. Die Gestapo-Häscher, die Walter Schwarz am Mittag des 15. März abgeholt haben, sind nicht den vermeintlich einfachsten Weg zur „Liesl“ gefahren; dafür hat es praktische Gründe gegeben. Sie hatten den Auftrag bekommen, einen weiteren Mann ins Visier zu nehmen, dem sie dann auch wirklich so lange nachstellten, bis sie ihn nach einer wilden Jagd irgendwo beim Hotel Sacher aufgreifen konnten. Als sie ihn ins Auto verfrachteten, sah Walter Schwarz sein blutendes Gesicht. Wer der Mann ist, dem das Blut aus der Nase rann, weiß er nicht. Wahrscheinlich einer der vielen Namenlosen, die sie in den letzten Tagen direkt von der Straße weg verhaftet hatten. Aber so ein
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Aufwand wegen eines Namenlosen? Sie platzierten ihn vorne auf dem Beifahrersitz, schräg dahinter saß Walter Schwarz zwischen seinen Bewachern. Um kurz vor 13 Uhr waren sie am Polizeigefangenenhaus angekommen. Der überwiegende Teil der in Wien Festgenommenen ist hier inhaftiert. Einige andere werden zum Straflandesgericht in die Wickenburgstraße 18 gebracht. Bis zu fünfhundert Personen kassiert die Gestapo Wien jeden Tag. Die Festnahmen gehen in die Zehntausende. „Liesl“ und Straflandesgericht reichen bald nicht mehr aus. Die Gefangenen werden auf improvisierte Notarreste verteilt; Schulen werden geräumt und sogenannte Sammelwohnungen eingerichtet. Einige wenige kommen nach Tagen der Haft wieder frei, andere werden in Konzentrationslager verschickt. Dachau wird zum Begriff für den Abtransport ins Ungewisse. Alles scheint irgendwie gleichzeitig zu passieren. Durch einen Himmler-Erlass wird die Wiener Gestapo-Leitstelle gegründet. Ein Haus, das der Leitstelle als Sitz dient, ist schon gefunden. Das Hotel Metropol, bis dato Eigentum eines Berliner Juden, wird kurzerhand enteignet und von der Gestapo-Leitstelle Wien beschlagnahmt. Die schiere Größe des Hauses und seine zentrale und verkehrstechnisch günstige Lage in der unmittelbaren Nähe des Polizeigefangenenhauses ist Heinrich Himmler, dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, nicht entgangen. Viele von denen, die in den ersten Tagen nach dem „Anschluss“ verhaftet werden, sind wohlhabende Juden. Wer reich genug ist, um die Reichsfluchtsteuer zu zahlen, wird freigelassen und kann auswandern. Er muss aber natürlich auch zu seinem Reichtum stehen, das heißt, er muss Angaben zu seinem Vermögen machen. Wer nicht redet, bleibt in Haft oder wird gleich deportiert. Haft und KZ dienen dazu, den betroffenen
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Juden die Vermögensübertragung abzuzwingen. Psychischer Druck und Folter sind die Mittel, um deren Zustimmung gegen ihren Willen zu beschleunigen. Nun ist auch Walter Schwarz, der wohlhabende Kaufhausjude aus Salzburg, in das Mahlwerk des NS-Terrors aus Demütigung und Misshandlung geraten. Seit vier Tagen läuft er in der Zelle hin und her wie ein neurotisches Tier im Zoo. Er hasst die Enge. Heute, endlich, darf er sie verlassen. Bisher hat er warten müssen, und das Warten ist ihm wie eine stille Folter vorgekommen. „Endlich bist du an der Reihe“, sagt er sich und wundert sich selbst über seinen irrwitzigen Gedanken, den er denkt: „Hätten sie dich doch schon früher zum Verhör geführt.“ Und so macht er beim Verlassen der Zelle erst einmal einen tiefen Atemzug, atmet auf, als gäbe es irgendeinen einen guten Grund dafür. Das Sonnenlicht, das der Schnee gleißend hell zum Auge zurückwirft, tut dem Betrachter fast weh. Vierhundert Kilometer von der „Liesl“ entfernt steht Franz Krieger am Fuße der Zeller Schanze, über der sich ein azurblauer Himmel wölbt. Er hat einen Auftrag. Auf der größten Sprungschanze Österreichs, in Zell am See, wird das erste großdeutsche Skispringen stattfinden. Obwohl er mit dem Rücken zur Sonne steht, kneift er die Augen zu, geblendet vom glitzernden Weiß und der Schönheit der Natur, die zu seinen Füßen liegt. Es ist wahrlich ein Sonntag. Im Weichbild der Schneelandschaft ist im Tal der Ort Zell am See zu erkennen, der sich in den gleichnamigen See hineinfächert. Doch für derartige Naturbetrachtungen hat Franz Krieger gerade keinen Blick. Der Weltmeister Sepp Bradl, eben noch ganz oben in Startposition, rauscht in Hockhaltung den Anlauf der Schanze hinab, erreicht schon den Schanzentisch, katapultiert sich in den Vogelsprung, fliegt über die Aufsprungbahn
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und fliegt weit, weit über den kritischen Punkt hinaus. Ihm ist bewusst, dass der Aufsprung, der in den nächsten Sekunden erfolgt, durch das flacher werdende Gelände im Auslauf nicht einfach zu stehen sein wird. Als er den Sprung aber sicher landet, ist er froh, auch, weil es sein letzter für heute war und auch, weil die Skisaison des Winters 1937/38 damit abgeschlossen ist. Sepp Bradl macht einen tiefen Atemzug. „Mit unerhörter Sicherheit hatte er einen 70-Meter-Sprung hinuntergestellt. Nun will er, kurz nach dem Übergang des Aufsprunges, abschwingen, wie er es schon so oft vorher gemacht hat. Da bricht der rechte Ski und im nächsten Augenblick ist es um sein Bein geschehen. Mit einem Schienbeinbruch trägt man ihn vom Platz.“ „Das Mißgeschick Josef Bradls“ – so wird das Krieger-Foto übertitelt sein, das morgen im Salzburger Volksblatt abgedruckt zu sehen sein wird. Noch am Nachmittag fährt Franz Krieger nach Salzburg zurück. Als er ankommt, hat die Stadt schon ihre ersten Lichter angeknipst. Feierabend. Krieger hat seinen Auftrag erfüllt, während in Wien noch gearbeitet wird … „Wie bitte? Reden Sie lauter. Es heißt Verhör. Ich höre ja nichts“, sagt der Verhörführer, der zu Walter Schwarz in einem abgehackten Reichsdeutsch spricht. „…“ „Ja, ihr Österreicher! Alles schlappe Hunde! Im Weltkrieg habt ihr auch schlappgemacht, ohne euch hätten wir den Krieg nicht verloren.“ „Ich war an der Isonzofront, ich bin verwundet worden, Oberschenkeldurchschuss …“ „Ja, glaub ich, sagten Sie schon, aber, wir Preußen hätten den Krieg ohne euch Österreicher besser geführt.“ „Mein Vater war beim kaiserlichen Militär …!“
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Walter Schwarz steht in der Mitte des Raumes, in den man ihn vor Stunden gebracht hat. Er hat die Stiegen gezählt, der Raum liegt im dritten Stock. Der Verhörführer sitzt am Schreibtisch, raucht. Im Lichtkegel einer Lampe ist die sauber gestapelte Ordnung darauf zu erahnen. Der restliche Raum liegt im Halbdunkel. Man weiß nicht, ob es früher Morgen oder schon beginnender Abend ist. Links und rechts des seltsam freundlich aussehenden Verhörführers stehen grimmig blickende Wachen bereit. „Na also, jetzt verstehe ich Sie doch, Herr Schwarz. Aber genug vom Krieg! Interessanter wäre, was Sie uns noch über ihr Vermögen sagen können. Na?! Sie scheinen mir ja schon wackelig auf den Beinen …“ Walter Schwarz sagt, dass er jetzt alles gesagt habe. Er ist noch nicht ganz zu Ende mit seinem Satz, da verschwindet der Verhörführer mit einem Mal und lässt ihn warten, stehend warten. Die beiden Wachen bleiben auch stehen. Einer von ihnen zündet sich eine Zigarette an. Eine gefühlte halbe Stunde später, inzwischen wird es nicht heller im Raum, tritt ein anderer ein. Er entschuldigt sich bei Walter Schwarz, dass man ihn habe warten lassen. In herablassendem Wienerisch erklärt er ihm, dass jetzt er das Verhör weiterführen würde. Die Herren würden sich zur Mittagszeit immer ablösen. Walter Schwarz ist verwirrt. Wieso Mittag? Kein Essen für Walter Schwarz? Und die ganze Zeit muss er stehen … „Du musst vorbereitet sein“, hatte ihm ein Freund, der sich auskannte, gesagt, weil er bereits Bekanntschaft mit der „Liesl“ gemacht hatte. Er hatte Walter Schwarz vor nicht allzu langer Zeit zur Seite genommen: „Wenn du in Österreich bleibst, musst du damit rechnen; ich mach dich darauf aufmerksam, mein Lie-
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ber“, hatte der Freund gesagt. „Du bist Jude! Du hast sozialdemokratisch gewählt! Du bist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde gewesen, warst Obmann der Zionistischen Ortsgruppe Salzburg. Du hast jetzt eine nichtjüdische Freundin!“ Als habe er das nicht genauso gut selbst gewusst. „Die werden dich holen!“ – „Und du hast vergessen zu sagen“, hatte Walter in freundschaftlichem Übermut draufgesetzt, „dass ich einmal den Koller vom Eisernen Besen verprügelt, die ganze Auflage von seinem Hetzblatt gekauft und in die Salzach geschmissen hab.“ – „Den Herausgeber vom Eisernen Besen? Recht so. Du bist ein Held“, hatte sein Freund geantwortet. „Vor allem aber ein Held mit Vermögen! Dass du nicht abhaust und die dich in Ruhe lassen, nein, das werden die sich nicht gefallen lassen. Das weißt du alles selbst. Sie werden dich abholen und verhören. Du musst damit rechnen. Ich sage dir, wie es ist: Du musst die ganze Zeit frei stehen, Stunden, einen ganzen Tag oder mehr. Am Schluss machen sie ein Protokoll, dann musst du deinen Namen in die letzte Zeile hineinschreiben. Die sagen immer: ‚Unterschreiben Sie!‘ und zeigen weiter nach unten, und dann schreiben sie allerhand dazu. Und wenn sie mit dir schreien, musst du auch schreien.“ Das hatte Walter Schwarz nicht verstanden. Schreien? Wieso? Das war leicht gesagt. „Das ist nicht meine Art“, hatte Walter Schwarz dem Freund geantwortet. „Ich würde mir nie erlauben, mit einem von denen zu schreien. Ich würde überhaupt nie schreien.“ Der zweite Verhörführer beginnt zunächst in sachlicher Art. Allerdings mit dem Ton der Ironie. „Also, liaba Herr Schwarz, wos können S’ uns vom Verbleib Ihres Vermögens no sogen?“ Und dann immer wieder: „Na, tuan S’ doch net a so, wir wissen do eh alles, Ihre Brüder haben doch eh alles gestanden.“
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Walter Schwarz zuckt mit den Achseln, einmal, ein Dutzend Mal, hundertmal. Und dann beginnt ein Herumfragen, ein dummes. Lauter Namen, lauter Leute, die er kennen soll. Auf jeden Fall weiß er nicht, was dieser oder jener am 11. oder 12. März gemacht hat. Manchen hat er jahrelang nicht gesehen. Manchen kennt er aus Salzburg oder Linz. Er sagt: „Bitte, den kenne ich nicht.“ Oder: „Ich kann nicht sagen, wo der jetzt ist.“ Oder: „Was soll ich mit dem zu tun haben?“ Und der Verhörführer lapidar: „Ah geh, wir leben auf der Erde, die Wölt is a Kugel, und ob wir wollen oder nit, alles hängt mit allem zammen.“ Dann steht der Verhörführer plötzlich auf und geht zu einer Tür hinaus, die Walter Schwarz vorher noch gar nicht gesehen hat. Es ist eine Art Tapetentür, wie man sie in Hotels hat. Plötzlich öffnet sich die Wand und der Verhörführer ist weg. Ein seltsamer Abgang, verstörend. Und es dauert keine zwanzig Sekunden, da stürzt der erste Verhörführer wieder herein. Setzt fort in seinem abgehackten Reichsdeutsch, Auge in Auge mit Walter Schwarz, der es als zivilisierter Mensch nicht gewohnt ist, dass ihn einer aus nächster Nähe anbrüllt und fertigmacht: „Sie haben hier die Wahrheit zu sagen, und wenn Sie die Wahrheit nicht sagen wollen, dann werden Sie sich das noch weitere sechs Wochen hier auf der Roßauer Lände überlegen!“ Dann folgt noch irgendein kurzer Wortwechsel und eine verlegene oder verschreckte Antwort, und dann, plötzlich, nach stundenlangem Verhör, schreit Walter Schwarz los: „Ich bin mir voll und ganz bewusst, dass ich hier die Wahrheit zu sagen habe, aber was wollen Sie eigentlich von mir? Ich kann nicht mehr sagen als das, was ich weiß!“ Und kaum hat er das hervorgestoßen, zittern ihm die Knie, und er denkt: „Um Gottes Willen, was kommt jetzt?“
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Aber es kommt nur ein „Ab in die Zelle mit dem!“. Der Verhörführer hat seinen Auftrag für heute erfüllt.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Montag, 21. März 1938 GEGEN DEN NATIONALEN KITSCH. Mit der nationalen Erhebung ist auch in Salzburg leider eine bedauerliche Begleiterscheinung aufgetreten: der nationale Kitsch. Da sieht man Torten mit Hakenkreuzen, Feuerzeuge, Ringe, Lampions, Biergläser usw., Führerbilder stehen in Geschäftsauslagen in unwürdiger Umrahmung. Die Bevölkerung soll sich klarmachen, daß das Hakenkreuz das heilige Symbol unserer Bewegung ist und das Hoheitszeichen des Deutschen Reiches, das auf keinen Fall unwürdig verwendet werden darf. Salzburger Volksblatt
Franz Krieger schüttelt den Kopf, als er im Bazar vor seinem Verlängerten sitzend im Volksblatt liest: „Dem Österreicher wird nicht ganz mit Unrecht nachgesagt, daß er ein etwas zu gemütlicher Mensch sei. ‚Ein guter Kerl, ein lieber Kerl sogar, aber nur etwas bequem!‘ So oder ähnlich lautet das Urteil der Welt über ihn. Gegenwärtig aber hat der Österreicher Gelegenheit, einmal zu erleben, was Tempo ist, Arbeitstempo, Leistungstempo! Die erstaunliche Organisation der NSDAP, die atemberaubende Präzision, mit der die deutschen Regierungsstellen arbeiten, die Zielsicherheit, mit der im Nu eine ganze Reihe von Hilfswerken nicht etwa in Aussicht gestellt, sondern schon in Angriff genom-
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men worden sind, das alles ist mehr als verblüffend. Kaum ist die Einigung vollzogen, fahren in Wien schon ambulante Küchen in Arbeitervierteln auf, Musikzüge durcheilen die Straßen, zu Tausenden werden Arbeiter, werden Kinder ins Reich zu Gast geladen; kaum in Wien, besucht Gauleiter Bürckel auch schon die Elendsquartiere, kaum ist er vom Besuch zurück, wird auch schon ein großzügiges Hilfsprogramm entworfen, man fühlt, wie sich im weiten Reich Tausende, nein Millionen von Händen regen, alle Kanzleien arbeiten fieberhaft, alles wird durchorganisiert, das nationalsozialistische Hilfswerk hat schon längst mit seiner Arbeit eingesetzt, Millionen sind von neuer Hoffnung erfüllt – das ist die beste Wahlvorbereitung, die es geben mag. Die Bevölkerung will Taten sehen und sieht sie, kann es eine stärke Wahlpropaganda geben?“ Krieger weiß nicht so recht, was er davon halten soll. Was er liest, ärgert ihn. Bequem oder gemütlich war er jedenfalls noch nie. Nein, nein, im Gegenteil, er ist stets lernfähig gewesen. Die vom Volksblatt sollten mal seinen Terminkalender sehen. Punkt. Wer ihn noch nicht kennt, soll ihn schon noch kennenlernen! Ganz sicher gehört er zu den Millionen von Händen, die sich regen. Er zeigt, was Tempo ist, Arbeitstempo, Leistungstempo. Sein Kalender ist mit Terminen aber auch wirklich gut gefüllt: Morgen wird der Reichsführer SS Heinrich Himmler in Salzburg erwartet. Danach nur ein kurzes Durchatmen, ein paar Tage vielleicht. Am 2. April ist Reichsmarschall Hermann Göring zu Besuch in der Stadt. zwei Tage später, am 4. April, steht der Salzburg-Besuch des Reichsjugendführers Baldur von Schirach an; und für den 6. April hat Krieger einen Termin notiert, dem alle Salzburger schon lange entgegenfiebern: Am Nachmittag kommt der „Führer“. Nach Graz, wo er am 3. April seine
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Wahlreise beginnen wird, werden noch Klagenfurt und Innsbruck folgen, danach wird er endlich in Salzburg sein. Er wird vom Bahnhof aus im großen, offenen Mercedes in die Stadt einfahren und im Festspielhaus zu den Salzburgern sprechen. Er wird im Österreichischen Hof nächtigen und sich am nächsten Tag, dem Protokoll folgend, zum Walserberg begeben, wo er zum Baubeginn der Reichsautobahn den symbolischen Spatenstich vornehmen wird. Am 8. April wird er seiner „Führer-Stadt“ Linz die Ehre geben und am 9. April in Wien eintreffen, wo er seine Redekampagne zur Volksabstimmung und Wahl des großdeutschen Reichstages mit einer Ansprache in der Halle des Nordwestbahnhofes abschließen wird. Letzter Punkt auf der langen Liste Kriegers: Der von Hitler angesetzte Tag der Volkabstimmung. Bis zum 10. April und danach wird er pausenlos im Einsatz gewesen sein und unzählige Filme verschossen haben. Es läuft wirklich gut für ihn. Er wird nur noch zwei Tage auf seinen Gewerbeschein warten müssen und am 1. Mai als Anwärter in die NSDAP eintreten.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 3. April 1938 DER FÜHRER AUF DER DURCHREISE IN SALZBURG. Inspektor i.R. Viktor Beigel, Schrannengasse 14, schreibt uns: „Um ungefähr 9 Uhr befand ich mich auf einem Spaziergange gerade vor dem Stiegl-Gasthaus an der Rainer-
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straße, als über dem Bahnhofsviadukt ein langer Zug einfuhr, gezogen von einer Elektro- und einer Dampflokomotive. Alle Waggons zeigten das Hoheitszeichen. Ich eilte zum Bahnhof und hörte dort schon auf dem Bahnsteig rufen: […] ‚Wir wollen den Führer sehen!‘ – ‚Wir danken dem Führer!‘ – ‚Lieber Führer, komm bald zu uns!‘ Immer wieder trat der Führer ans Fenster und grüßte. ‚Sieg-Heil‘-Rufe ertönten, alles war begeistert, viele hatten Tränen in den Augen. Eine Gruppe Reisender rief immer wieder: ‚Lieber Führer, mach Sudentendeutschland frei!‘ Es war mir vergönnt, den Führer sehr gut zu sehen, er trug den braunen Rock mit roter Armbinde, braune Tellerkappe, er sah recht gut aus, wiederholt trat, als er auf die jubelnde Menge blickte, ein freundliches Lächeln auf seine männlich ernsten Züge.“ Salzburger Volksblatt vom 6. April
Foto, Kino, Projektion. In der Spezialhandlung von Otto Wernhard am Adolf-Hitler-Platz 3, der bis vor wenigen Wochen noch Dollfuß Platz geheißen hat, lässt Franz Krieger seine Fotos ausarbeiten; manchmal erledigt er das an Ort und Stelle auch gleich selbst, einfach, weil er es kann. Alles, was zu seinem Handwerk gehört, sein ganzes Wissen über die Fotografie hat er sich in den letzten Jahren im Selbststudium angeeignet. Krieger ist in diesen Tagen aber derart mit Fotografieren beschäftigt, dass er kaum Zeit hat, seine Bilder auch noch selbst zu entwickeln. Doch der kreative Autodidakt findet stets Lösungen, die ihn beruflich weiterbringen. Wernhard gehört zu den Menschen, so darf man kombinieren, die Krieger dabei nützlich sind. Schon vor längerer Zeit hat er sich von dem Fachmann in die Geheimnisse der Dunkelkammerarbeit einführen lassen. Überhaupt ist Wernhard der Fotohändler in der Stadt, der Krieger unterstützt, wann und wo er kann. Er darf für seine Arbeiten auch in den Auslagen des Fotogeschäftes, das an einem der publikumsreichs-
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ten Plätze der Stadt zwischen dem Bristol und dem Landestheater liegt, werben. Wernhard seinerseits wird wissen, warum er Krieger hilft, seinen Bekanntheitsgrad zu erweitern: Der Junge macht sich! Der wird sich durchsetzen! Und wer weiß, vielleicht kann man zukünftig einmal auf sich verweisen und sagen, man habe damals ein fotografisches Ausnahmetalent gefördert. Sogar an seinem freien Tag ist Wernhard für Krieger da. Es ist gerade einmal neun Uhr, als sie sich vor dem Fotogeschäft treffen. Wernhard opfert seinen Sonntag gerne. Außerdem können sie ungestört die Negative vom gestrigen Tag betrachten: Hermann Göring war in der Stadt, und Krieger war dabei. Die Beurteilung der Bilder gestaltet sich wie gewohnt problematisch, solange die Kontaktabzüge fehlen. Negative ins Positive umzudenken ist nur mit Erfahrung und höchster Konzentration möglich. Krieger ist inzwischen einigermaßen geübt darin und erlebt so mit jedem seiner Fotos das „Deutsche Frühlingsfest in Salzburg“ vor seinem inneren Auge noch einmal: „Die Sonne blitzt auf den blanken Waffen, das Brausen der dahinter aufgestauten Menschenmassen bricht sich an der marmornen Stirnseite des Doms und verklingt leise im blauen Himmel, der unermüdlich diesem Tage zulächelt. Plötzlich gellen vom Alten Markt her Jubelrufe auf, zuerst vereinzelt, dann, indem der gewaltige Residenzplatz mit all seiner Menge, die ihn erfüllt, einstimmt, in vollem Chor – ein paar Autos fahren vor und dann kommt er, auf den alle die Tausende warten, Hermann Göring, aufrecht stehend, den Marschallstab in seiner Rechten, froh und lächelnd und wohl auch tief bewegt über diesen Willkommensgruß, den ihm die schönste Stadt der deutschen Alpen entbietet.“ Krieger hat gestern einmal mehr ohne Gewerbeberechtigung fotografiert: Göring auf dem Domplatz, Göring auf dem Resi-
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denzplatz, Göring vor dem Rathausbogen, Göring auf der Staatsbrücke. Aber er hatte vorgesorgt, um durch die Absperrungen und an gute Motive zu kommen. Wie die Geheime Staatspolizei vor Tagen kundgemacht hatte, würden nur mehr jene Pressefotografen Zutritt erhalten, die im Besitz einer gelben, mit dem Dienststempel der Geheimen Staatspolizei versehenen Armbinde seien und sich durch einen vom Propaganda-Amt ausgestellten Ausweis legitimieren könnten. Was für den Besuch Görings gelte, würde laut Gestapo ebenso für den anstehenden Salzburg-Besuch des „Führers“ Gültigkeit haben. Die gelbe Armbinde hat sich Krieger, wie jeder andere berufsmäßige Pressefotograf auch, selbst zu beschaffen. Für ihn weiter kein Problem. Die Abstempelung der Armbinde und die Ausstellung des Dienstausweises erfolge nur mit Zustimmung der Gauleitung. Auch das war für Krieger ohne Hindernis zu erledigen gewesen, schließlich ist er inzwischen regelmäßig im Auftrag der Gauleitung unterwegs. Aber diese Bildauswahl hier und heute! Das ist mühsam und ist wie stets, trotz der Routine, die er sich mittlerweile erarbeitet hat, mit großer Anspannung verbunden. Schließlich bietet sich Wernhard an, von ausgewählten Negativen Abzüge im Pressefotoformat für ihn zu erstellen. Das hat er schon häufiger für Krieger erledigt. Die restlichen Negativstreifen steckt er in die schmalen Negativtaschen. Krieger schreibt noch eine Karteinummer auf jede einzelne Tasche drauf. Dann ist endlich Sonntag. Wernhard holt die eckige braune Flasche und zwei Gläser aus dem Schrank. Man trinkt „je zwei Gläschen Cointreau – eines auf das gelungene Werk und eines auf die geschäftliche Verbindung“. Zwischen dem ersten und dem zweiten Gläschen hört Krieger von Wernhard, dass nun auch der Preisanschluss an Deutschland vollzogen worden ist.
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„Was? Noch ein Anschluss?“, witzelt Krieger. Weinhard muss schmunzeln: „Ja, so ist’s, Franz. Ein Pan-Rollfilm 6 x 9 kostet jetzt statt zwei Schilling dreißig nur noch ein Schilling fünfzig. Mit anderen Worten: eine Reichsmark.“ „Wunderbar! Kaum ist Österreich Deutschland, schon wird das Material billiger.“ „Ja, ab jetzt bei allen.“ Wernhard zählt sie an seinen Fingern auf: „Beim Werner Hülse, beim Breslmayer, beim Max Mann, bei Roithmaier, beim Stranger, bei der Mizzi – also Foto Balder – und bei Eigner und Lauterbach am Platzl.“ „Als Kaufmann kann ich nur sagen, dass der Anschluss ja wohl eine gute Sache war.“ „Und dem schließe ich mich an. G’sundheit, Franz!“ „Prost, Otto!“ „Wir Salzburger Fotohändler tun doch alles für unsere Kunden, damit ein jeder den Führer im Bild festhalten kann. Da sind wir uns einig.“ „Und ich kann jetzt bei allen meine Filme billiger kaufen?“ „Ha! Ja, wenn du mal überall so gut wegkommst wie bei mir!“ „Da kann freilich keiner mithalten, Otto. Das wissen wir beide ja eh.“ „Kommst übermorgen noch mal rein, wennst auch den Schirach im Kasten hast? Du weißt, dass am Mittwoch allgemeine Geschäftssperre ist. Da dürfen wir nicht offen haben!“ „Der Erlass, ja, wegen unserem Führer, das weiß ich doch. Ich komm auf jeden Fall noch Dienstag rein. Muss doch alles für den Mittwoch vorbereiten, wenn der Führer in unsere schöne deutsche Stadt kommt. Dass du mir ja genug Filme dahast, ja?“ „Sorg dich nicht, Franz. Eine zweite Kamera leg ich dir auch bereit.“
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Während Krieger und Wernhard konzentriert über den Göring-Negativen gesessen haben, ist der „Führer“ nur wenige hundert Meter von ihnen entfernt im Sonderzug nach Graz durch Salzburg gekommen. Eine Viertelstunde war er da. Herrn Viktor Beigel, Inspektor i. R., wohnhaft Schrannengasse 14, war es vergönnt gewesen, bei seinem Sonntagsspaziergang höchstpersönlich auf den Reichskanzler, der sich auf Wahlreise zur Volksabstimmung am 10. April befindet, zu treffen. Franz Krieger wird davon vielleicht am Mittwoch aus dem Salzburger Volksblatt erfahren. Falls er dafür dann überhaupt ein Auge haben wird. Schließlich wird an diesem Tag er zum ersten Mal dem „Führer“ begegnen.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Dienstag, 5. April 1938 DAS PROGRAMM DES FÜHRERBESUCHS. Salzburg. […]. Der Führer und Reichskanzler wird am Mittwoch gegen 14 Uhr auf dem Salzburger Bahnhof eintreffen. […] Danach begibt er sich zur Residenz. […] Am Eingang zur Residenz erwartet der Bürgermeister der Stadt Salzburg, Pg. Giger, den Führer und geleitet ihn in die Festräume. […] Bürgermeister Giger wird den Führer in einer kurzen Ansprache begrüßen. Später wird sich der Führer in das anstoßende Konferenzzimmer begeben, um sich dort in Gegenwart des Gauleiters, des Bürgermeisters und des stellvertretenden Bürgermeisters in das Goldene Buch der Stadt Salzburg einzutragen. Die Salzburger Bevölkerung versammelt sich während dieser Führerhuldigung durch die Stände auf dem
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Residenzplatz. […] Nach Beendigung des Empfanges in der Residenz wird der Führer über die oben genannten Straßen bis zum „Österreichischen Hof“ zurückfahren. Pünktlich um 15 Uhr beginnt dann die große Kundgebung, in dem für diesen Tag prachtvoll geschmückten Festspielhaus. Salzburger Volksblatt
Der Schutzhäftling Walter Schwarz, der bereits in der vierten Woche im Polizeigefangenenhaus in Wien einsitzt, bekommt zum ersten Mal Besuch. Der am 30. März von der „Nationalsozialistischen Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisationen“ – kurz NS-HAGO – als kommissarischer Leiter des Kaufhauses Schwarz bestellte NS-Parteigenosse Josef Mitterndorfer erwirkt durch „persönliche Fühlungnahme mit dem in Schutzhaft befindlichen Firmeninhaber“ dessen Zusage, den Betrieb zu verkaufen und auf den Ertrag des Unternehmens zu verzichten. Auch Walters Brüder sind noch nicht wieder auf freiem Fuß. Auch sie werden vom Parteigenossen Mitterndorfer noch Besuch bekommen und der Veräußerung ihres Betriebes zustimmen. Der Verkauf wird mit dem 1. Mai beginnen. Zweitausendfünfhundert Kilometer von Wien entfernt in Palästina betrachtet Dora Schwarz eine Fotografie, die sie im Gepäck hatte, als sie Salzburg verließ. Das Bild zeigt ihren Mann in einem der letzten gemeinsamen Sommer. Er ist Ende vierzig. Für die Aufnahme, auf einem Spaziergang vielleicht, hat er sich in Pose geworfen: ein stattlicher Mann an einem hölzernen Geländer, das den Weg von einer mit niedrigem Strauchwerk bewachsenen Böschung trennt. Halb auf dem Geländer sitzend, halb davor stehend hat er es sich bequem gemacht; die Beine hat er lässig gekreuzt, sodass die Wade des rechten das Schienbein des linken berührt. In dieser Haltung wirkt er vollkommen
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entspannt. Ein Eindruck, der durch seine rechte Hand, die auf dem Handlauf des Geländers wie abgelegt wirkt, noch verstärkt wird. Seine Linke hat er in die Hosentasche gesteckt. Hinter den Geländerpfosten fällt die Böschung abrupt in einen See ab, nicht allzu weit entfernt davon ist ein bewaldetes Uferstück zu sehen. Irreal traumverloren wirkt der See, unwirklich verklärt das Uferstück. Weder der Mann noch irgendetwas anderes auf dem Foto bildet einen größeren Schatten. Die Sonne steht an ihrem höchsten Punkt. Die wenigen, nur noch seitlich vorhandenen Haare auf dem markanten Kopf des Mannes sind kurz rasiert, die Schläfen grau. Sein Moustache, breit und gerade, läuft zu den Mundwinkeln grau aus, nur unter der Nase lässt sich seine ursprüngliche dunkle Barthaarfarbe noch sehen. Auf seine Stirn hat die Sommersonne einen Glanzschimmer gesetzt. Sie strahlt um diese Stunde senkrecht von oben herab, weshalb die Augenhöhlen des Mannes dunkel verschattet und seine Augen nicht sichtbar sind. Fast hat es den Anschein, als hätte er eine Brille zum Schutz vor dem grellen Licht aufgesetzt. Das Geländer, das dem Wanderer sagt: bis hier und nicht weiter, trennt die Böschung vom Uferweg. Die dunklen Lederhalbschuhe hat er sich auf dem Spaziergang staubig gemacht. Aber was kümmert’s ihn? Dem Mann ist das gute Leben wie auf den Leib geschrieben. Alles an ihm deutet auf einen Bonvivant. Er trägt einen leichten, hellen Sommeranzug mit einem geöffneten zweireihigen Jackett, darunter ein blütenweißes Oberhemd. Die kurze Hose, die eine Hand breit über den Knien endet, betont seine Lockerheit. Gegen das helle Jackett und das weiße Hemd tritt das kräftige Rautenmuster der Krawatte deutlich hervor. Sie scheint mindestens zweifarbig zu sein. Die Krawattenzunge hat er hinter die Gürtelschnalle gesteckt. Der Bund seiner Hose
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reicht weit über den wohlgenährten Bauch – dass er ein Freund von gutem Essen und guten Weinen ist, kann er nicht verleugnen. Er ist von markanter Gestalt, auffällig groß, und wirkt auf seine Umgebung allein durch seine kräftige Statur. Er ist das, was man ein gestandenes Mannsbild nennt. Ein Bekenntnis zu seiner alpenländischen Heimat Österreich drückt er mit einem Kleidungsdetail aus: Trotz des sommerlichen Wetters trägt er wollene Stutzen mit Zopfmuster und dazu wollweiße Strümpfe, die er aber zwei- oder dreimal bis auf Sockenlänge umgeschlagen hat, sodass dazwischen etwa 10 Zentimeter Bein zum Vorschein kommen. Ins Auge fällt außerdem ein Ring, der am kleinen Finger seiner Rechten steckt. Den Ring ziert anscheinend ein größerer Stein, oder es handelt sich um einen Siegelring, in jedem Fall ist er auch aus der Position der Fotografin noch gut zu sehen. Was man nicht sieht: Der Mann ist Jude. Und nur, weil ein Jude ein Jude ist, soll heuer sein letzter Sommer sein. Was ein Jude ist und wie er auszuschauen hat, geben per selbstbestimmter Definition die Nationalsozialisten vor. Auch wie die Welt zukünftig auszuschauen hat und dass es in dieser Welt keinen Platz mehr für Juden geben darf, wollen sie bestimmen. Sie haben aus einer Religion eine Rasse gemacht. Eine Rasse, die nach ihrem Weltbild dem deutschen Volk Schaden zufügt und die sie unschädlich machen, ausrotten, vernichten wollen, als seien diese Menschen keine Menschen, sondern Schädlinge wie Ratten. Walter Schwarz, der stattliche Mann auf der Fotografie, ist einem Juden, wie ihn die Nationalsozialisten karikieren, in nichts ähnlich. Nach der Bedeutungsbestimmung, die sie in ihrer antijüdischen Propaganda schon seit einigen Jahren ver-
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breiten, sieht das Charakterbild eines Juden so aus: Er ist verschlagen, degeneriert und von seiner ganzen Art her irgendwie böse. Sein Aussehen umfasst alles, was zu einem Parasitenbild passt. Er hat eine Hakennase, Henkelohren und oft einen komischen Bart. Er hat X- oder O-Beine, eine schiefe Körperhaltung und einen verschlagenen Blick. Der Jude hortet das Gold und hält die kommunistische Weltverschwörung am Laufen. Der Jude schlachtet kleine Kinder und vergiftet Brunnen. Der Jude ist an allem schuld. Von all dem hat der Jude Walter Schwarz erkennbar nichts. Trotzdem wollen sie ihm an den weißen Kragen. Denn eines hat er gewiss: Vermögen. Der Jude Walter Schwarz gilt bei seiner Inhaftierung am 15. März als einer der wohlhabendsten Bürger Salzburgs und weit darüber hinaus. Der „Warenhausjude“, wie ihn das judenfeindliche Blatt Der Eiserne Besen einmal tituliert hat – woraufhin Walter Schwarz den Herausgeber Koller verprügelte –, ist an mehreren Geschäften und Liegenschaften beteiligt. Dass dem noch bis mindestens 1. Mai so sein wird, davon geht Walter Schwarz aus. Bis dahin wird sein Vermögensanteil am Kaufhaus S. L. Schwarz der größte sein. Bruder Max hält 29 Prozent, Bruder Paul 8 ¼ Prozent. Die drei Schwestern Frieda Scheuer, Käthe Schein und Elsa Slataper besitzen je 8 ¼ Prozent. Das Reinvermögen der Geschwister ist nicht bekannt. In Salzburg beschäftigt die Familie rund hundert Mitarbeiter. In Linz gehören den drei Schwarz-Brüdern seit 1930 mehrheitlich Geschäftsanteile am Kaufhaus Kraus & Schober, das als modernstes und größtes in Oberösterreich gilt. 1934 hatte Walter Schwarz zudem 54 Prozent von Falnbigl in der Wiener Mariahilferstraße übernommen, dem ersten sogenannten Einheitspreisgeschäft in der Stadt nach amerikanischem Vorbild. Identifikationsfigur und prägen-
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der Kopf der Unternehmerfamilie ist vor allem Walter. In Salzburg zählt Walter Schwarz zu den Großbürgerlichen. Neben seinem erfolgreichen Auftreten als Unternehmer kann er auch Immobilienbesitz in der Stadt an der Salzach und in Linz vorweisen. Als er mit Dora und den drei Söhnen noch die Salzburger Villa in der Purtschellergasse bewohnte, beschäftigte er eine Hausmeisterin, die auch Köchin war, daneben zwei Stubenmädln, ein oder mehrere Kinderfräulein und auch einen Chauffeur. Seit der Gründung ist das Kaufhaus Schwarz stetig gewachsen und dem Umsatz nach zum größten Geschäftsbetrieb in Salzburg geworden. Zugleich ist auch die Fläche des Betriebes in den letzten Jahren erheblich erweitert worden. Sie erstreckt sich vom Alten Markt 12 bis ums Eck herum zum Kranzlmarkt 4. Die Häuser sind über alle Geschosse miteinander verbunden. Seinen ersten Wohnsitz hat Walter Schwarz 1934 offiziell nach Linz verlegt und dort, in seiner Wohnung, einen großen Teil seiner Kunstsammlung untergebracht. Von seiner Schwester Käthe weiß er jedoch seit Wochen, dass die Gestapo die Bilder mitgenommen hat. In München besitzt Walter Schwarz zudem einen Immobilienanteil: Das Grundstück Adelgundenstraße 5b. Mit einem Mietwohnhaus bebaut, gehört es ihm zu 50 Prozent. Auch im weiteren Ausland hat er sich engagiert. Beträchtliche Teile seines Vermögens hat er schon vor Jahren außerhalb Österreichs investiert. Ein Teil liegt auf Konten in der Schweiz. Ja, der Mann entspricht in dieser Hinsicht ganz dem Feindbild, das die Nazis von den Juden zeichnen. Auf dem Foto, das Dora in diesem Moment betrachtet, ist er in nichts dem ähnlich, was das übliche Vorurteil bestätigen würde.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mittwoch, 6. April 1938 RÜSTET ZUM EMPFANG! Salzburger! Gegen 14 Uhr kommt der Führer nach Salzburg. Alle Volksgenossen des Gaues Salzburg kommen und begrüßen ihren geliebten Führer. Jedermann hat wiederholt Gelegenheit, den Führer zu sehen und zu hören. […] Seine Rede wird mit Lautsprechern auf die gesamte Anfahrtstraße übertragen. Ebenso überträgt der Sender Salzburg die Rede des Führers. […] Bereitet dem Führer einen festlichen Empfang, wie ihn das Land noch nie gesehen hat. Schmückt die Straßen! Bekränzt die Häuser! Kein Haus, kein Fenster darf ohne Hakenkreuzfahne sein. Salzburger Volksblatt
Seit Anfang Februar geben im Festspielhaus Pressluftbohrer, Hämmer und Sägen den Ton an, schallen die Rufe der Arbeiter durch die weiten Räume, wo sonst Dirigenten ihren Taktstock schwingen und Regisseure ihre Anweisungen zu geben pflegen. Der Umbau des Festspielhauses, der mit 15. Juni termingemäß fertiggestellt sein muss, damit die Proben stattfinden können, hat vor zwei Monaten mit dem Einbau der zweiten Galerie im Zuschauerraum begonnen. Auch heute Morgen sind immer noch Rufe und Hammerschläge im Haus zu hören, in dem der „Führer“ nachmittags seine Rede zur Anschlussabstimmung am kommenden Sonntag halten will. Ein allerletztes Mal wird an Technik und Dekoration Hand angelegt. Dem Saal des Festspielhauses soll das Provisorium nicht anzusehen sein. Was doch noch nach Baustelle aussieht, wird rasch kaschiert. Der Raum wird dem Anlass entsprechend prächtig dekoriert, die Dekoration so manchen Schwachpunkt verdecken. Der „Führer“ wird
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seinen Auftritt an einem mit Girlanden üppig geschmückten Rednerpult haben, das wie ein großer, grauer Fels in der Brandung dasteht. Acht Stufen auf jeder Seite nehmen die ganze Saalbreite ein. Sie umschließen das Rednerpult und führen zur Bühne hinauf. Hinter dem „Führer“ werden NS-Formationen stehen, davor wird eine Selektion hochrangiger Uniformierter Platz genommen haben, die ihrem „Führer“ aufmerksam lauschend folgen werden. Hinter der Staffage aus nationalsozialistischer Formation und neuer politischer Führung Salzburgs wird eine große Stoffbahn mit dem Reichsadler zu bewundern sein. Allein durch seine Dimension soll er alles mit noch mehr Bedeutung füllen und überhöhen. Aggressiv werden die Krallen des Adlers wirken, die den aus Eichenlaub gebundenen Kranz umfassen, und in seiner Mitte wird das Hoheitszeichen der Partei, das Hakenkreuz, prangen. Am 12. Februar waren die Innenarbeiten im Bühnenhaus „bei der Einrichtung des Orchesterraumes, der Proszeniumslogen und der darin eingebauten Zellen für die Radio-Übertragungen angelangt“. In jeder der Proszeniumslogen, links und rechts, befindet sich nun eine solche Zelle. Diese Zweiteilung kann für die Übertragung in deutscher und fremder Sprache genutzt werden. Beide Zellen haben Sicht sowohl auf die Bühne als auch in den Zuschauerraum, so kann der Sprecher alles beobachten. Diese technische Neuerung zählt zu einer der bedeutenden Vorzüge des neuen Bühnenhauses. Eine weitere wichtige Neuerung ist der Einbau der Klimatisierungsanlage zur automatischen Luftbefeuchtung, Luftkühlung und Beheizung. Im Gegensatz zu den Außenarbeiten, die durch den spät einsetzenden Frost unterbrochen werden mussten, sind die Arbeiten im Inneren planmäßig fortgeschritten. Ende Februar war der Orchesterraum im
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Rohbau fertiggestellt. Am Ende der ersten Märzwoche sind im neuen Bühnenhaus alle Galerien eingebaut worden, woraufhin der Bühnenboden montiert werden konnte. Während der Umbauzeit haben die lokalen Blätter immer wieder gegen den Stardirigenten Toscanini gewettert, der seine Teilnahme an den diesjährigen Festspielen aus politischen Gründen zurückgezogen hatte: Durch Toscaninis plötzliche Absage werde der planmäßig vorgesehene Ablauf und die termingerechte Beendung der Bauarbeiten erheblich gestört. Zudem sei natürlich das Problem eingetreten, dass jegliche Bestellung, die auf den Namen Toscanini lauten würde, nun nicht mehr möglich wäre. Er sei wirklich nicht gut beraten gewesen, da er die nie wiederkehrende Gelegenheit, nämlich sich auf der Höhe seines Ruhmes einen glanzvollen Abgang zu verschaffen, in solcher Weise vorübergehen lasse, wie es leider jetzt geschehe. „Ein großer Künstler und ein großer Mensch – wie wäre das leuchtend gewesen … Er hätte bloß sagen brauchen: ‚Ich habe euch zum Bau veranlaßt, für mich habt ihr Schulden auf euch genommen, ich habe euch mein Wort gegeben. Ich werde auch kommen, sei was immer!‘“ Stattdessen habe sich in großer Stunde nur Kleines, Kleinliches gezeigt. Es sei ein Menetekel. Es würde nun keinen Toscanini-Hof geben, der damit einen großen Namen verewigen sollte. Man könne darüber nicht mehr trauern. Es bliebe einzig die Trauer über die Feststellung einer Unzulänglichkeit, wie man sie sich niemals habe denken mögen. Bis zur Kundgebung an diesem Nachmittag anlässlich des „Führer“-Besuchs wird der größte Teil der Arbeiten geschafft sein. Aber abgeschlossen ist der Umbau dann noch lange nicht. Als Nächstes wird man das Bühnenhaus außen abrüsten. Im Inneren des Bühnenhauses wird die Arbeit an der Ausstattung
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fortgesetzt und die elektrische Installation weiter ausgebaut werden. In der nächsten Woche soll auch mit der Einrichtung des Aufzuges begonnen werden. Für das „Führer“-Großereignis ist der Zuschauerraum provisorisch fertiggestellt. Für die deutsch- und fremdsprachige Radioübertragung ist gesorgt. Drinnen wie draußen kommt man gut voran. Ganz Salzburg putzt sich schon seit Tagen heraus. Die Ausschmückung betreut eine Sonderkommission, die aus den Salzburger Architekten Otto Strohmayr, Otto Reitter und Josef Holzinger besteht. Bereits am 26. März sind den lokalen Zeitungen die Richtlinien „für die Beflaggung und sonstige Dekoration der Straßenzüge, Häuser und Geschäfte“ zu entnehmen gewesen. Nicht statthaft sind schwarz-weiß-rote, schwarz-rotgoldene und schwarz-gelbe Fahnen, die Beflaggung solle ausschließlich mit roten Hakenkreuzfahnen erfolgen. Vor zwei Tagen dann der Aufruf, zusätzlich zur befohlenen Beflaggung mit frischem Tannengrün zu schmücken. Nahezu ohne Pause sind Strohmayr, Reitter und Holzinger dabei, ihren Plan umzusetzen und „das Stadtbild in kürzester Zeit in eine propagandistische Bühne“ zu verwandeln. Dabei gehen sie mit größter Sorgfalt und höchster Professionalität ans Werk. Mit ihrer „Kulissenarchitektur“ wollen sie dem „Führer“ und Reichskanzler die perfekte Bühne für seinen dramatischen Salzburg-Auftritt bereiten – ein Meisterstück. Für die Propaganda kommen alte und moderne technische Hilfsmittel zum Einsatz: Bilder, Wanderkinos und vor allem der Rundfunk. Und ein jeder in der Stadt muss mit anpacken. Schulklassen werden ebenso eingespannt wie ihre Lehrer. Da dürfen natürlich auch die Familienmitglieder der Architekten nicht zurückstehen. Die Ehefrau von Otto Reitter mobilisiert sämtliche Schneiderinnen, die sie kennt,
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„um die große Zahl an Hakenkreuzfahnen nähen zu können“. Und tatsächlich: Überall in den Straßen, Gassen und auf den Brücken und Plätzen sieht man die blutroten Fahnen wehen. Die Festarchitekten haben gezaubert und ihre Heimatstadt Salzburg in eine von der „nationalsozialistischen Ideologie eingefärbte Welt verwandelt“. Wie die Buhlschaft im „Jedermann“ hat auch die Stadt nun ein leuchtend rotes Kleid angelegt. Die Buhlschaft paktiert mit dem Teufel. Die Stadt tut es ihr gleich. Seltsame Duplizität: Wie die Figur der Buhlschaft im Drama von Hugo von Hofmannsthal auf der falschen Seite steht, steht nun auch die Stadt Salzburg auf der falschen Seite, glaubt an die falschen Werte und praktiziert sie. Nur die letzten Worte des Teufels fehlen noch: „Die Welt ist dumm, gemein und schlecht – Und geht Gewalt allzeit vor Recht, – Ist einer redlich, treu und klug, – Ihn meistern Arglist und Betrug.“ Was niemand sieht und nur wenige Eingeweihte mitbekommen: Hinter den Kulissen des Festspielhauses und hinter den geschmückten Fassaden der Barockhäuser geht an der Salzach noch ein ganz anderer Umbau vonstatten: der Umbau der Festspiele im Inneren. Seinen fatalen Anfang hatte das Ganze am 12. Februar auf dem Obersalzberg genommen. Bis zu diesem Datum schien es für die kommenden Festspiele besonders gut zu laufen. Bis Anfang „Februar hatte der Kartenvorverkauf bereits doppelt so viel Geld gebracht wie im vorangegangenen Rekordjahr“. Am 12. Februar, dem Tag nach der Bekanntgabe der Verkaufszahlen, hatten Kanzler Schuschnigg und Reichskanzler Hitler einander in Berchtesgaden getroffen – und sofort war die Welt eine andere, wie auch die kulturelle Welt von da an nicht mehr die gleiche war. Das Blatt, das für die Salzburger bisher so günstig schien, hat sich über Nacht gewendet. Toscanini, der
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Star der Festspiele, bereitete zu diesem Zeitpunkt in New York ein Konzert vor, um Geldmittel für den Umbau des Festspielhauses zu sammeln. Als er jedoch von dem politischen Treffen erfuhr, schickte er sofort ein Telegramm nach Salzburg: „Wegen der geänderten Situation muß ich meine Teilnahme an den Festspielen absagen.“ In Salzburg macht sich Krisenstimmung breit. Die Reichen, die Salzburg einzigartig gemacht haben, würden niemals wiederkommen. Sie waren ja gekommen, um Toscanini zu hören! Salzburg ohne Toscanini wäre nicht mehr Salzburg, so hat es in der Presse geheißen. Man bräuchte einen Star wie ihn. Es hagelte erste Kartenstornierungen. Alle kurzfristigen Bemühungen des damals noch amtierenden Landeshauptmannes Franz Rehrl, zu retten, was zu retten war, scheiterten. Am 13. März räumte er Schreibtisch und Büro. Als örtlicher Führer der „Vaterländischen Front“ war er von den Nazis sowieso nicht mehr erwünscht. Rehrl wurde durch den Gauleiter Rainer ersetzt. In dessen Verantwortung fällt nun auch die Organisation der Festspiele. Es gibt unzählige Probleme. Die Lücke, die durch den Abgang Toscaninis entstanden ist, muss gefüllt werden. Eine neue Besetzung ohne Juden und Emigranten muss zusammengestellt werden. Die Festspiele müssen „deutscher“ werden, dürfen ihren internationalen Charakter jedoch nicht verlieren. Für „Faust“ und „Jedermann“ sind kurzfristig neue Stücke zu finden. Rainers größtes Problem: die flutartige Stornierung der Kartenbestellungen aus dem Ausland. Der neue Gauleiter Friedrich Rainer ist nicht zu beneiden, aber er gilt als ausgezeichneter Organisator. Deshalb hat man ihn auf Rehrls Posten gesetzt. Man erwartet nicht mehr und nicht weniger, als dass er die Festspiele 1938 in wenigen Wochen im Sinne des ideologischen Zeitgeistes umbaut. Am 15. März
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hat er gebannt auf seinen Kalender geblickt: „Nur vier Monate bis zu den Proben! Du hast weniger Zeit, als die gesamten Umbaumaßnahmen in und am Festspielhaus selbst haben werden. Du bist verrückt.“ Als von einem der zahlreichen Glockentürme Salzburgs der 14-Uhr-30-Schlag ertönt, sinkt Franz Krieger auf dem Alten Markt auf die Knie. Am südlichen Ende des Platzes, etwa an jener Stelle, wo sonst die „Gelbe Elektrische“ die Kurve vor dem Tomaselli nimmt, hat er sich mit seiner Leica in Stellung gebracht. Es gibt diese Schwarz-Weiß-Fotografie, die ihn kniend mitten auf der Fahrbahn am Alten Markt zeigt. Am linken Arm ist seine gelbe Armbinde zu erkennen. Heute fährt keine „Elektrische“, die er beachten müsste. Heute steht alles still. Die Polizeigruppe Salzburg hat einen großen Teil der Stadt für die Dauer der Führerkundgebung zum Sperrgebiet erklärt. In dieser Zone, die die ganze Innenstadt bis zum Bahnhof umfasst, dürfen keine Fahrzeuge fahren oder abgestellt werden. Es herrscht in jeder Hinsicht der Ausnahmezustand. Sogar eine Bildfunkstelle ist eingerichtet worden, damit bei allen Salzburger Postämtern Bildtelegramme aufgegeben werden können. Zudem gibt es in der Stadt zwei Sonderpostämter in Kraftfahrzeugen, die Sondermarken verkaufen und Sonderstempel abgeben. „Der Führer spricht, Salzburg, am 6. April 1938“, so lautet der Stempeltext. Die mobilen Ämter werden am Mirabell- und am Universitätsplatz aufgestellt. Des Weiteren haben die Postämter Residenzplatz, Adolf-Hitler-Platz und Bahnhof bis 22 Uhr geöffnet. Geschlossen bleiben dagegen alle Ladengeschäfte. Die Metzger verkaufen keine Wurst, die Bäcker kein Brot und die Schuster reparieren keine Schuhe. Die letzten Lebensmittelgeschäfte haben schon um 10 Uhr zugesperrt. Offizielle Geschäfts-
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sperre für die Dauer des Führerbesuches! Jeder Ladenbesitzer hat sich daran zu halten. Heute zählt das große Wir. An den Schulen der Stadt, im Flachgau sowie im Tennengau findet kein Unterricht statt. Jeder Salzburger, ob alt oder jung, soll den „Führer“ sehen können. Krieger will ihn auch sehen, muss ihn sehen. Er hat sich als Einziger aus der Menschenmasse am Alten Markt lösen und die Absperrungen aus SA-Formationen überschreiten dürfen, um die Anfahrt Adolf Hitlers zum Residenzplatz bildlich festzuhalten. Fünfzigtausend sollen es jetzt schon sein, die an den Straßen jubelnd ihren „Führer“ erwarten. Er ist vor etwa einer halben Stunde mit dem Sonderzug am Bahnhof eingetroffen. In seiner Begleitung: Reichsführer SS Heinrich Himmler, SA-Obergruppenführer Wilhelm Brückner, Reichspressechef Dr. Otto Dietrich und SS-Gruppenführer Julius Schaub. Vor dem Bahnhof stehen schon die Kraftfahrzeuge bereit, ebenso das Begrüßungskomitee: Gauleiter Anton Wintersteiger, General Eugen Beyer, SS-Obergruppenführer Josef Dietrich und SS-Obergruppenführer Franz Lorenz. Im Schritttempo nimmt die Kolonne Fahrt auf. Abfahrt vom Südtirolerplatz, über die Rainerstraße, vorbei am Hôtel de l’Europe, dann durch die Dreifaltigkeitsgasse, über den Adolf-Hitler-Platz, die Bismarckstraße entlang. Der Tross kommt nun der Altstadt immer näher, ist schon bei der Staatsbrücke zu sehen. Alles läuft dem Protokoll gemäß. Das von der Organisationsleitung für die Führerkundgebung ausgesprochene Verbot, auf vorbeifahrende Wagen Blumen zu werfen, da sonst die Insassen verletzt werden könnten, wird offenbar befolgt. Auch der Aufforderung an Eltern und Erziehungsberechtigte, die Kinder anzuhalten, die Absperrungen nicht zu durchbrechen oder gar in die Wagenkolonne hineinzulaufen, kommen die Betreffenden nach. Die Menschen sind in
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dieser kurzen Minute der Glückseligkeit völlig auf ihren „Befreier“ fixiert. Da kommt er nun! Der Führerwagen kommt! Der „Führer“ steht im offenen Mercedes, die Begleiter sitzen. Die Menschen sind außer sich im Freudentaumel. Andere, von Ergriffenheit übermannt, stehen still, bis das Bild vor ihren Augen nur allzu schnell wieder entschwindet. „Und der, der ihn noch vor einer kurzen Spanne Zeit so gerne gesehen hätte, steht nun nassen Auges da und sagt tief bewegt: ‚Jetzt, jetzt hab’ ich ihn wirklich gesehen.‘“ Inzwischen bewegt sich der Tross gemächlichen Tempos über die reich geschmückte Staatsbrücke hinweg. Zwei Hakenkreuze, von frischem Tannengrün umrankt, auf baumhohe Konstruktionen gepflanzt, prangen da an jedem Brückenkopf. Franz Krieger hat eben den Alten Markt verlassen, um „Führer“ und Brückenschmuck im Bild einzufangen. Nun kämpft er sich zum Alten Markt zurück, um vor dem „Führer“ wieder an seiner alten Position zu sein. „Salzburg grüßt seinen Befreier“, heißt es am Bahnhofsvorplatz auf einem Spruchband. Die Salzburger grüßen auch hier, kurz vor dem Rathausbogen und dahinter auf dem Rathausplatz und dahinter auf dem Kranzlmarkt; unentwegt winkend und lauthals rufend grüßen sie den sehnlichst erwarteten Ehrengast, weil er der „Befreier“ und einer von ihnen, weil Österreicher, ist. Was für ein Anblick, wie der „Führer“ aufrecht in seiner Staatskarosse steht! In seiner rollenden Bühne hat er auf der Beifahrerseite einen sicheren Stand. Ab und an hält er sich aber doch am Rahmen der Windschutzscheibe fest und genießt en passant den frenetischen Jubel seiner Volksgenossen am Straßenrand. Er ist in einen wärmenden Mantel gepackt. Den Kragen hat er hochgeschlagen. Die Schirmmütze tief in die Stirn gezogen, schaut er auf hundertfach ausgestreckte Arme herab und in hundertfach aufge-
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rissene Münder hinein. Die Menschen recken die Hälse und schmettern im Chor ein für fremde Ohren wie einstudiert klingendes „Heil! Heil! Heil!“ empor. Franz Krieger hört die tausendstimmigen Ovationen wie eine einzige Stimme um sich herum. Dann sieht er, wie der Wagen mit dem „Führer“ beim Kaufhaus Schwarz das südliche Ende des Platzes anfährt. Er setzt die Kamera vor sein Sucherauge und nimmt ihn ins Visier. Er lässt ihn noch näher an sich herankommen, er sieht, wie Hitler mürrisch vom offenen Führerstand nach vorne und zur Seite blickt, wohl auch, weil nur der Schirm seiner Kappe die Stirn vor der doch recht frischen Aprilluft schützt. Warum nur kann heute kein „Führerwetter“ sein? Krieger drückt ab. Er, allein auf dem Boden des Platzes kniend, ein Privilegierter, hier und jetzt eine Ausnahmeerscheinung, ein Individuum. Und doch nur einer von vielen, sehr vielen, die den Platz und den weiteren Fahrweg zur Residenz bevölkern, so wie sie auch den weiteren Weg des „Führers“ in die Zukunft begleiten werden. Krieger ist nicht der einzige Fotograf vor Ort. Ein anderer beobachtet vom Café Tomaselli aus die Szene auf dem Alten Markt und schießt aus deutlich erhöhter Position ein Bild des knienden Fotografen. Krieger, der Bildberichterstatter, einmal selbst das fotografische Abbild der Realität. Später, als die Kolonne mit dem nachtblauen Hitler-Wagen und militärischem Geleit längst vorbeigezogen ist und der „Führer“ sich mit den Offiziellen in die Residenz zurückgezogen hat, hört Krieger neben sich sehr deutlich eine Frau, die vor sich hinzusprechen scheint: „Einen Wunsch hätt’ ich“, meint die Alte, der die trüben Augen glänzen, „einen Wunsch, segn möcht i den Führer amal, leibhaftig segn. Alle Tag hör i die Leut von ihm reden, jede Röd von ihm hör i im Radio an, in an Goldrahmen
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hab i sein Bild über mein Bett hängen; jetzt hätt i nur noch den Wunsch, daß ich den Führer in Wirklichkeit sehn könnt.“ „Er ist ja grad eben vorbeigefahren“, sagt Franz Krieger zu ihr, „und jetzt ist er in der Residenz, Mutterl, um sich in das Goldene Buch einzutragen.“ „Ja ja, den Führer … amal, leibhaftig segn möchte i ihn no. Nur amal …“ Franz Krieger richtet seinen Blick auf die Frau und bewegt dabei prüfend seine Hand vor ihren Augen im Kreis: „Er schaut gewiss genauso aus wie auf dem Bildl über Ihrem Bett.“ Sie nickt, bedankt sich noch und findet tastend ihren Weg durch die Menge, die sie schließlich verschluckt. Krieger schaut ihr sinnierend hinterher, bis er von einem Gedankenblitz abgelenkt wird: Was hat er in der Früh im Volksblatt gelesen? „Den ersten Spatenstich auf dem Walserberg an Donnerstagvormittag wird der Führer persönlich vornehmen. Alle Volksgenossen pilgern morgen nach dem Walserberg. Werde auch Du Zeuge einer historischen Stunde!“ Zeuge, ja, der Spatenstich des „Führers“, natürlich, da muss man doch dabei sein, die Weiterführung der Reichsautobahn … Wieder zurück im Hier und Jetzt, will er aber erst einmal auf den „Führer“ warten, der sich gleich programmgemäß von der Residenz zum Österreichischen Hof begeben wird. Es dauert auch nicht lange und er kommt. Bei der Abfahrt gelingt Krieger noch ein Bild, auf dem er selbst als Spiegelung in dem auf Hochglanz polierten Lack der Mercedes-Tür zu erkennen ist. Das Abbild des knienden Kriegers – auch hier. Franz Krieger schaut dem Führertross noch eine Weile nach, bis er nicht mehr zu sehen ist. Um halb vier wird der „Führer“ das Hotel wieder verlassen und um kurz vor 16 Uhr zur Kundgebung am Festspiel-
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haus eintreffen. Krieger wird im eigens für diesen Auftritt hergerichteten Haus dabei sein. Laut offiziellem Protokoll wird Hitler nach dem Spektakel ins Hotel zurückfahren, dort nächtigen und am nächsten Tag zum Walserberg aufbrechen. Dann können die Arbeiten im Festspielhaus wieder aufgenommen und bis zu den Proben fertiggestellt werden. Hämmer und Pressluftbohrer werden noch mehr als zwei Monate den Ton angeben. In Gedanken geht Franz Krieger jetzt noch einmal Punkt für Punkt den nächsten Vormittag durch: „11 Uhr Hitler am Walserberg – Spatenstich zum Bau der Reichsautobahn SalzburgWien – Sonderzüge der Organisation Kraft durch Freude aus München – Omnibusse aus Salzburg – 30.000 Teilnehmer – 10.000 KdF-Fahrer aus dem Altreich, 5000 aus Österreich – vorher Weihestunde auf dem Residenzplatz – Abordnungen von 120 österreichischen und 150 reichsdeutschen Autobahnarbeitern – 100-Mann-Ehrensturm der Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps – Gauleiter Wintersteiger und Generalinspekteur Dr. Todt überreichen Spaten – dann Marsch zur Stadtgrenze – mit NSKK-Fahrzeugen weiter zum Walserberg – Feierstunde, Ansprachen: Seyß-Inquart, Todt, Hitler. Punkt.“ „Das war’s dann aber“, denkt Krieger. „Was das für Zeiten sind, mei Liaba! Und du bist dabei! A Hund bist! A Glückspilz! Das kann man wohl meinen. Ach, und dann ist da ja auch noch die Eröffnung der Ausstellung in der Galerie Welz, ‚Die Straßen des Führers‘. Aber die muss ohne dich stattfinden. Teilen kannst dich ja nicht.“
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 9. April 1938 Kein Schicksalsschlag, kein Wetterstreich trennt je den deutschen Adler und den von Österreich. Pfarrer Ottokar Kernstock. Gedicht zum „Tag der Wahl“. Salzburger Chronik
Hitler trifft anlässlich seiner großen Wahl-Propagandareise durch Österreichs Landeshauptstädte zur Schlusskundgebung in Wien ein. Es ist wohl Mittag. Abends wird er seine letzte Rede an diesem Tag halten, alle deutschen Sender werden sie übertragen. Am Walserberg, vor drei Tagen, ist Krieger fast hautnah am „Führer“ dran gewesen. Näher als auf dem Alten Markt. Er hat reichlich Material verschossen, und es sind ihm ein paar gute Aufnahmen gelungen. Freilich war er an diesem Vormittag und zu dieser Stunde nicht der einzige Fotograf. Aber er hat es geschafft, das erste „Führer-Bild“ des Tages als dringendes „Pressephoto“ nach „Berlin SW 68“ in die Zimmerstraße 68 zu senden, Empfänger: Associated Press. Eines seiner Fotos hat es gestern auf den Titel des Salzburger Volksblattes geschafft. Neben der Großaufnahme mit der Überschrift „Jetzt kann die Arbeit beginnen!“ waren noch weitere fünf Aufnahmen von ihm abgedruckt. Krieger kann mehr als zufrieden mit sich sein. Der „Führer“ ist nach dem Spatenstich am Walserberg sofort weiter nach Linz geeilt. Am Nachmittag des 7. April hat er dann in der Donaustadt gesprochen, wo er einmal mehr versucht hat, mit Gefühlen Geschichte zu machen. In seiner Rede erinnerte er an seine Schulzeit in Linz und sprach von einem Herzen, das „übermächtig nach der deutschen Volksgemeinschaft“ verlange.
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Auch gestern hat er das Thema Jugendzeit weitergespielt. Im Linzer Hotel Weinzinger traf er seinen Jugendfreund August Kubizek und begrüßte ihn mit dem kumpelhaften Ausruf „Der Gustl!“ Und auch in seiner heutigen Wiener Abschlussrede ist er sich nicht zu schade, erneut an seine „Jungmanntage“ in Linz und Wien zu erinnern: „Ich glaube, dass es auch Gottes Wille war, von hier einen Knaben in das Reich zu schicken, ihn groß werden zu lassen, ihn zum Führer der Nation zu erheben, um es ihm zu ermöglichen, seine Heimat in das Reich hineinzuführen […]. Möge am morgigen Tage jeder Deutsche die Stunde erkennen, sie ermessen und sich morgen in Demut verbeugen vor dem Willen des Allmächtigen, der in wenigen Wochen ein Wunder an uns vollzogen hat.“ Über dem Land ist die Nacht hereingebrochen. Morgen wird gewählt. Mit einem „Ja“ auf ihrem Stimmzettel sollen sich Herr und Frau Österreicher mit der „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ einverstanden erklären. „Da in der Bevölkerung über die Stimmabgabe zum Teil aber noch unrichtige Meinungen verbreitet sind, wird von Seiten der Gauwahlleitung ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß zur Abgabe der ‚Ja‘-Stimme der im Stimmzettel unter dem Worte ‚Ja‘ befindliche Kreis mit einem Kreuz zu durchstreichen ist.“ In Salzburg hat sich die Gauwahlleitung der NSDAP ebenfalls alle Mühe gegeben, dass nur ja niemand einen Fehler begeht und hernach sein Kreuz im „Nein“-Kreis macht. Jeder habe außerdem darauf zu achten, dass er nicht irgendwie beide Kreise – „Ja“ und „Nein“ – ankreuzt, denn dann wäre die Stimme ungültig. Für die ganz einfach gestrickten Leut’ hat die Salzburger Zeitung sogar eine Geschichte wie aus dem Leben erfunden und in ihrer Zeitung abgedruckt.
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„Frau Zwickelhuber und Frau Hinterstoißer begegnen sich auf dem Heimweg vom Greißler. Sie bleiben mitten auf der Straße stehen und beginnen ein Gespräch: ‚Grüaß God, Frau Nachbarin, das san da Täg jetzt, daß ma überhaupts nimmer in d’ Ruah kummt.‘ ‚Aber schö sans! Mei God, der Führer, ganz weg war i, wia i den g’segn hab. Und herg’schaugt hat er auf mi, als wann er mi kennan tat, soviel freindli is er halt. I kann ihne nur sag’n, daß i ganz fürn Führer bin. Hiazt woas i erst, warum ihn d’Leut so gern ham!‘ ‚Ast gengans a zur Wahl am Suntag?‘ ‚Versteht si, war a Schand, wann oans net gangert. Aber unter uns gesagt, mit dem Stimmzedl kenn i mi no garnet aus.‘ ‚Des woas wieder i! Sö brauchan nur dort, wo aufn Zedl der größere Kroas is, wos Ja drübersteht, a Kreuzerl einimachen in den Kroas.‘ ‚Da schaugts aber so her, als wann man dös Ja durchstreichen wollert, damit dös Nein überbleiben sollt.‘ ‚Aber na, stellns ihna net so bled an! Dös Ja wird ja ned durchg’strichen, es wird nur der Kroas, wos Ja drübersteht, mitn Kreuzerl ang’strichen, damit dö Kommission woas, daß ma dös Ja haben will. Was anders wia Ja kummt ja eh net in Betracht. Verstengans des jetzt?‘ ‚Hiatzt woas is endli. I muaß also netta in den Kroas, wos Ja drübersteht, a Kreuz einimachen. Is halt mit mir a Kreuz, weil i soviel schwer begreif. Übrigens ha i gestern an Studierten gefragt, der hats a ned gwißt. Jetzt geh i glei ummi, damit i eams erplizieren kann. Hoffentli demerk i mas bis am Suntag. A Kreuz in den größeren Kroas, wos Ja drübersteht. Pfiat ihna, Frau Nachbarin, am Suntag wähl ma fürn Hitler!‘“
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mittwoch, 20. April 1938 NEUER WINTEREINBRUCH. Nach dem prächtigen Vorfrühling im März behauptet sich nun schon in der dritten Woche ein hartnäckiger, rauer Nachwinter. […] In ganz Südbayern und vor allem im Alpenvorland hat sich eine zusammenhängende Schneedecke gebildet. In München selbst war der Schneefall so erheblich, daß in den Morgenstunden die Gehbahnen durch Schneeräumer freigemacht wurden. Salzburger Volksblatt vom 21. April
Mit Empfängen und Aufmärschen begeht der „Führer“ und Reichskanzler Adolf Hitler in Berlin seinen neunundvierzigsten Geburtstag. Auch im winterlichen Salzburg finden Feierlichkeiten statt. Die Musikkorps des 12. Infanterieregiments und des I. Gebirgsjäger-Regiments 100 marschieren von 6 bis 7 Uhr durch den frisch gefallenen Schnee. Die Einheiten der Polizei nehmen um 10 Uhr Paradeaufstellung am Domplatz, danach erfolgt ein Vorbeimarsch am Residenzplatz. Um 11 Uhr schreitet der kommandierende General Eugen Beyer die Paradeaufstellung der Truppenteile im Franz-Josefs-Park ab. Nach einer Ansprache marschieren die Truppen mit Musik durch die Hermann-Bahr-Promenade, Imbergstraße, Bismarckstraße, Auerspergstraße zur Rainerstraße. An der Parade zu Ehren des „Führers“ nehmen zum ersten Mal deutsche und deutsch-österreichische Truppen gemeinsam teil. Außer Militär marschiert auch Hitlerjugend trommelnd und singend durch die Straßen. Seit der Volksabstimmung ist nun eine Woche vergangen. Es herrscht immer noch Hochgefühl. Österreich hat nahezu ein-
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stimmig „Ja“ zur „Wiedervereinigung“ mit dem Deutschen Reich gesagt. In Salzburg sind fast alle Wahlberechtigten zu den Urnen gegangen: 99,71 Prozent der Salzburger haben das „Ja“ angekreuzt. Am Tag nach der Wahl hat die Salzburger Zeitung einen enthusiastischen Aufmacher gebracht: „Mit fliegenden Fahnen heim ins Reich!“ Es ist Mittag. Es schneit, und die Fahnen flattern nach wie vor. General Beyer hat jetzt die Front der angetretenen Truppenteile abgeschritten. Eine Bildstrecke der Paraden von Polizei und Wehrmacht wird im Salzburger Volksblatt zu sehen sein. Ein Tag mit Fahnen, Pauken und Trompeten. Leise, von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, wird an diesem Tag das Vermögen des Walter Schwarz, Miteigentümer des Kaufhauses Schwarz in Salzburg, beschlagnahmt. Die Werke seiner Kunstsammlung werden von der Gestapo nach Linz geschafft und dort vorerst beim Dorotheum eingelagert. Und Franz Krieger? Der vierundzwanzigjährige Krieger, Diplom-Kaufmann, eingetreten in das Geschäft der Eltern in der Churfürststraße, angetreten, um Geschäftsmann zu werden, seit vier Jahren nebenberuflich als Fotoreporter tätig, freier Bildberichterstatter beim Volksblatt und regelmäßiger Zuarbeiter der Wiener Niederlassung der Bildagentur von Heinrich Hoffmann, darf sich seit einer Woche offiziell „hauptberuflicher Pressefotograf“ nennen. Dass er als Erster ein Bild vom Spatenstich des „Führers“ am Walserberg nach Berlin gesendet hat, ist offensichtlich eine gute Idee gewesen. Am 12. April, nur fünf Tage danach, hat der kommissarische Salzburger Bürgermeister Anton Giger den Gewerbeschein für Pressefotografie von Franz Krieger unterfertigt. Jetzt kann die Arbeit für Krieger so richtig beginnen! Am Ende
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des Tages gönnt er sich noch ein Stündchen im Tomaselli. Um diese Uhrzeit darf es auch ein Gläschen Cointreau zum Kaffee sein, vielleicht auch noch ein zweites – der Wernhard hat ihn wohl auf den Geschmack gebracht … Eines trinkt er darauf, dass er das erste Bild vom Spatenstich nach Berlin geschickt hat, und ein zweites darauf, dass er sein Berufsziel nun endlich erreicht hat. Als Franz Krieger zu vorgerückter Stunde immer noch im Tomaselli sitzt, hat vor seinem Fensterplatz wieder heftiges Schneetreiben eingesetzt, das noch die ganze Nacht über anhalten wird. Krieger hat nur ein paar Schritte bis zu seinem Haus. Wird höchste Zeit, dass der Wonnemonat der Herrschaft des Winters ein Ende setzt … Er schlägt den Kragen seiner Joppe hoch, zündet sich eine von den Zigaretten an, die er jetzt gelegentlich raucht, und entschließt sich, noch einen kurzen Spaziergang zu machen. Am nächsten Tag werden Salzburg und die benachbarten Berge in frisches Weiß gehüllt sein, und es wird bis in die Mittagsstunden weiterschneien. In der Stadt wird man um 7 Uhr früh null Grad, auf dem Untersberg acht Grad Kälte und vierzig Zentimeter pulvrigen Neuschnee gemessen haben. Am Wochenende wird der weiße Zauber tatsächlich wieder vorbei sein.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 23. April 1938 SCHAUFENSTERSCHMUCK AM 1. MAI. Berlin […]. Die Schaufenster des Einzelhandels standen seit der Machtergreifung stets am 1. Mai im Zeichen der nationalen Verbundenheit aller Schaffenden. Auch in diesem Jahre hat die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel die Geschäfte aufgefordert, dieser Einmütigkeit auch nach außen besonders sichtbaren Ausdruck zu geben. Nach dem Leitspruche „Freut euch des Lebens“ sollen zum 1. Mai die Schaufenster des Einzelhandels für den Ehrentag der deutschen Arbeit so gestaltet werden, daß möglichst sinnfällig die Freude am Werk und an der Freizeit in der Gemeinschaft aller Schaffenden zum Ausdruck kommt. Salzburger Volksblatt
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Altreich und nach den ersten „Arisierungen“ auch in Salzburg ist der ehemalige Betrieb der Schwarz-Brüder immer noch einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Unter der Führung der ehemaligen leitenden Angestellten Josef Böhm und Karl Teinfalt stehen gut hundert Mitarbeiter am Alten Markt in Lohn und Brot. Adolf Vanecek ist einer davon. Aber er ist nicht wirklich einer von ihnen, er gehört nicht dazu, nicht zu den zwanzig, die Juden sind – er ist kein Jude –, und auch nicht zu den anderen, die nichtjüdisch sind und unter denen einige in den letzten Monaten immer häufiger unverblümt eine antijüdische Haltung an den Tag legen. Adolf Vanecek macht da nicht mit. Aber er unternimmt auch nichts dagegen, wenn er Kollegen über alles Jüdische schimpfen hört. Lieber ist er still, fällt nicht auf. Denn seinen Arbeitsplatz will er nun wirklich nicht verlieren.
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Aufgewachsen ist Adolf Vanecek in einem antijüdisch geprägten Milieu. Über seine jüdischen Kolleginnen und Kollegen redet er dennoch mitnichten negativ. Im Gegenteil, seit er bei Schwarz arbeitet, hat sich ihm eine Tür in eine neue Welt geöffnet. Wenn er seiner Frau zu Hause davon erzählt, glänzen seine Augen: „Stell dir vor: Alle zwanzig jüdischen Angestellten kennen die deutschen Klassiker, ich bekomme Bücher von ihnen geliehen und in der Pause sprechen wir über klassische Musik.“ Adolf Vanecek ist kein dummer Mensch, er ist einfach ein Mensch. Möglich, dass er sich denen, die ihm ihre menschliche Seite zeigen, mehr verbunden fühlt als seinesgleichen. Abgesehen davon ist Adolf Vanecek mit seinem Arbeitsplatz rundum zufrieden. Wenn ihn einer fragt, der es wissen will, gibt er freimütig Auskunft darüber: „Das Kaufhaus Schwarz ist ein guter Arbeitgeber, sozial sehr aufgeschlossen. Im Gegensatz zu den arischen Geschäftsleuten zahlen sie ein 13. und 14. Monatsgehalt. Um den Lehrmädchen den Gang um die Wurstsemmel zu ersparen, ist im ersten Stock des Hauptgeschäftes ein Buffet für die Angestellten eingerichtet worden. Eine Viertelstunde Pause vormittags und nachmittags ist im Betrieb Schwarz selbstverständlich.“ Und über Walter Schwarz soll er zu seiner Frau gesagt haben: „Weißt, der Herr Schwarz ist allgemein beliebt, weil er die Menschen im Allgemeinen liebt.“ Auch von Dora Schwarz hat er eine gute Meinung. Er hat sie des Öfteren im Geschäft getroffen. Wenn er später einmal von ihr sprechen wird, wird er immer den Saft süßer Orangen schmecken. Orangen aus Palästina, die Dora nach Salzburg geschickt hatte. So positiv Adolf Vanecek das Bild von seinem Arbeitgeber zeichnet, so blass lässt er den überwiegenden Teil der nichtjüdischen Schwarz-Mitarbeiter erscheinen. Er nennt sie Antisemiten. Freilich nicht offen
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und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Denn wie gesagt: Er will seinen Arbeitsplatz ja nicht verlieren. Von Josef Böhm, dem Geschäftsführer des Kaufhauses, der auch kein Jude ist, hat er ein ganz spezielles Bild: „Er ist umständlich und hat ein schlechtes Deutsch, ich muss immer alles umbessern.“ Adolf Vanecek hat sich nie beschwert. Aber jetzt versteht er die Welt nicht mehr. Wie stets ist er auch an diesem grauen Morgen pünktlich, sogar mehr als pünktlich ist er da, denn Samstag bedeutet immer, dass viel los sein wird. Im Moment bewegt sich jedoch nichts. Umso mehr bewegen sich die Gedanken in Vaneceks Kopf. Er steht direkt vor dem Eingang zu seinem Arbeitsplatz und kann nicht hinein. Nun ist er verunsichert. Was ist los? Das Ganze erinnert ihn doch sehr an die Ereignisse gut vier Wochen vorher unten in Hallein, wo sie die jüdischen Geschäfte boykottiert haben. So hat’s in der Zeitung gestanden. „Und heute hier? Beim Schwarz? Bei uns?“, denkt Vanecek bei sich. Vor der Eingangstür hat ein SA-Mann spreizbeinig Posten bezogen. Der macht den Kunden und Mitarbeitern – ein paar seiner Kollegen hat Vanecek in der Menge schon entdeckt – in aller Deutlichkeit klar, dass sie das Kaufhaus nicht betreten können. Auf Nachfragen antwortet er nur knapp: „Ich habe meinen Befehl!“ Direkt hinter dem Mann in der braunen Uniform klebt auf dem Schaufenster ein gut lesbarer Zettel, auf dem in fetten schwarzen Lettern „Judengeschäft“ steht. Vanecek schüttelt den Kopf. Dahinter sieht alles wie immer aus. Alles ist heil, die Scheiben sind sauber, die Auslagen ordentlich dekoriert. Davor erscheint es ihm heute aber gar nicht wie immer. Davor stehen ratlose Frauen und Männer, teils in Gruppen, und tuscheln hinter vorgehaltener Hand. Andere gehen vorbei und bringen ganz offen zum Ausdruck, dass das dem Schwarz ganz
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recht geschähe. Nur, was da wirklich geschieht, wissen sie auch nicht zu sagen – jedenfalls wenn Vanecek sie fragt. Wieder andere halten mitten in der Bewegung inne und schauen nur ratlos, was hier wohl vor sich geht. Dazwischen sieht Adolf Vanecek den Krieger Franz, der gerade den SA-Posten fotografiert. Er sieht auch, wie der sich abwendet, als wolle er mit allem nichts zu tun haben. Vielleicht gefällt ihm aber auch nicht, dass einer Fotos von ihm macht. Vanecek hält sich im Hintergrund, schaut zu. Krieger ist beschäftigt, nimmt keine Notiz von ihm. Der Mann mit der Kamera zieht auch schon weiter. Gleich um die Ecke hat man ein Transparent quer über die Straße gehängt: „Kauft nicht bei Juden“. Franz Krieger macht ein Bild. Er schießt in der nächsten Stunde noch ein paar ähnliche Fotos mehr. Neunzehn jüdische Gewerbetreibende in der Stadt Salzburg sind vom Boykott betroffen. Krieger resümiert: Das Geschäft von Viktor Weinstein an der Rainerstraße ist dabei, Oswald Löwy am Mirabellplatz 6, Pasch-Schuhe in der Dreifaltigkeitsgasse 20, das Kaufhaus Ornstein in der Getreidegasse 24 – überall sind die Schaufenster mit dem gleichen Zettel beklebt, die Läden als „Judengeschäft“ stigmatisiert. Vor jedem Eingang achten SA-Posten darauf, dass niemand die Schwelle übertritt. Und hier wie dort sieht er Passanten, die stehen geblieben sind und sich erstaunt fragen, ob und wann sie wieder hineinkönnen. Kurze Zeit später wird sich herumgesprochen haben, dass „Judengeschäfte“ wie das der Brüder Schwarz noch drei Wochen von den Sperrungsmaßnahmen betroffen sein werden. „Wo soll das alles nur hinführen?“, fragt Vanecek sich. Nicht nur aus der Zeitung weiß er, dass seine Chefs kurz nach dem „Anschluss“ in Schutzhaft genommen worden sind. Aber kopflos ist das Kaufhaus Schwarz ja trotzdem nicht. Auch wenn ihm,
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Vanecek, die Köpfe nicht recht gefallen wollen. Sein spezieller „Freund“ Böhm und der SS-Mann Teinfalt als Geschäftsführer. … Und dass genau der der Ehemann der Schwarz-Verkäuferin Anna Teinfalt ist, hat Vanecek kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen müssen. In den nächsten vier Wochen trägt Adolf Vanecek noch einen Funken Hoffnung im Herzen, seine Arbeitsstelle auf Dauer doch behalten zu können. Schließlich, warum sollte man ihm kündigen? Er hat seine Arbeit stets ordentlich gemacht und ist niemals aufgefallen. Anfang Mai wird er Gewissheit haben. Dann wird er einer von neunzig der insgesamt hundertzwanzig Schwarz-Angestellten sein, die ihre Arbeit verlieren. Dass die Geschassten fast durchweg von Mitgliedern der NSDAP ersetzt werden, wird ihn nicht weiter überraschen. Etwas dagegen sagen wird er aber lieber nicht.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 30. April 1938 FEIER AUF DEM RESIDENZPLATZ. […] Die Feier wird für die Stadt Salzburg ein eigenartiges Erlebnis sein. Dort werden die Jugend und die Erzieherschaft der Stadt sowie Angehörige aller Gliederungen Zeugen der öffentlichen Verbrennung von Büchern jüdischen und klerikalen Inhaltes sein, die sowohl aus den öffentlichen Büchereien wie auch aus Kreisen der Bevölkerung eingesammelt worden sind. Die Bevölkerung der Stadt wird zu dieser Feier herzlichst eingeladen. Salzburger Volksblatt vom 28. April
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Karl Springenschmid, im einundvierzigsten Lebensjahr, ist ein Legaler, als er am Abend auf dem Residenzplatz Bücher verbrennen lässt. Geboren am 19. März 1897 in Innsbruck, ist er fünfunddreißig Jahre alt, als er am 1. Oktober 1932 in den illegalen „NS-Lehrerbund“ und am 16. November desselben Jahres in die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“, Ortgruppe Aigen, Salzburg, eintritt. Er ist Lehrer und seit Beginn der 1930erJahre auch als Schriftsteller produktiv. Weil er Mitglied der seit Juni 1933 in Österreich verbotenen NSDAP ist, wird er 1935 aus dem Schuldienst entlassen. Im März 1934 war er zudem der in Österreich da noch illegalen SA beigetreten, die er am Jahresanfang wieder verlassen hat, aber nur, weil er am 1. Januar Mitglied der SS geworden ist. Seitdem er den Lehrerberuf nicht mehr ausüben darf, verdient er seinen Lebensunterhalt als Ghostwriter für Luis Trenker, mit dem er zwei Romane geschrieben hat: 1936 „Helden der Berge“ und 1937 „Leuchtendes Land“. Mit dem „Anschluss“ wendet sich das Leben des Karl Springenschmid zum Besseren. Springenschmid ist nicht nur NSDAP-Mitglied mit einer Mitgliedskarte und der Nummer 295.474, er ist Nationalsozialist durch und durch, aus Überzeugung und Ideologie. Er ist ein glühender Nationalist und Antisemit. Demokratie, Marxismus und Katholizismus lehnt er als solcher radikal ab. Als Chefideologe der Salzburger Nazis ist er genau der Richtige für den heutigen Tag. Im Salzburger Volksblatt hat die Gauwaltung des „NS-Lehrerbundes“, deren Reichsgauamtsleiter Karl Springenschmid ist, die Bürger dazu aufgerufen, Bücher jüdischer und klerikaler Autoren abzuliefern. „Die Bücher sollen am Donnerstag und Freitag zwischen 14 und 20 Uhr oder Samstag zwischen 8 und 12 Uhr vormittags im Hofe des Mirabellschlosses abgegeben werden. Die Zustellung
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der Bücher kann am besten durch die Schuljugend erfolgen. Der nationalistische Lehrerbund, der diese Aktion durchführt, bürgt für die restlose Vernichtung dieser jüdischen und klerikalen Literatur. Eine ähnliche Einsammlung wurde bereits in allen Buchhandlungen und Büchereien der Stadt Salzburg durchgeführt. Heil Hitler!“ An der Seite des „NS-Lehrerbundes“ versucht die Gauwaltung der NSDAP der Bevölkerung im selben Aufruf zu erklären, was richtig und was falsch ist, und deklamiert: „Wohl auf keinem Gebiet ist das deutsche Volk in Österreich so sehr durch jüdische und klerikale Hetzer betrogen worden wie auf dem Gebiet der Literatur. Eine Hochflut von jüdischen Presse- und Bucherzeugnissen und klerikalen Hetzschriften ging in den fünf Jahren über Österreich. Eine gründliche Säuberung ist hier notwendig. […] Die Bücher von Stefan Zweig, Josef August Lux, Arthur Schnitzler, Franz Werfel, Emil Ludwig, Vicky Baum und wie alle die jüdischen Schreiber hießen, sollen aus jedem ordentlichen deutschen Hause verschwinden. Es ist keineswegs eine Schande, diese Bücher, die eine frühere, politisch andersgerichtete Zeit angepriesen hatte, nunmehr abzuliefern. Eine Schande aber ist es, solche Bücher, wenn auch verborgen, weiter in einem deutschen Hause zu behalten.“ Am Abend des einhundertzwanzigsten Jahrestages des großen Stadtbrandes von Salzburg flammt auf dem Residenzplatz wieder ein Feuer auf. Es ist nicht annähernd so groß, aber es leuchtet auf dem in völliger Dunkelheit liegenden Platz besonders hell. Vor dem Residenzbrunnen, nahe bei der St. Michaelskirche, steht ein Holzstoß in Flammen. Es ist schon einige Minuten nach acht. Eben beendet Karl Springenschmid seine kurze Ansprache. Viele Neugierige haben sich auf dem weiten
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Platz um das Feuer herum versammelt. Auch Franz Krieger lauscht der „Feuerrede“: „Verbrannt, vernichtet sei alles, was an klerikaler Knechtung und jüdischer Verderbnis den Aufbruch einer wahrhaft deutschen Kultur verhinderte.“ Hand in Hand bildet die Hitlerjugend einen Kreis rund um die Feuerstelle und hält die zuschauende Bevölkerung auf sicheren Abstand. Die Burschen tragen weiße Hemden, kurze Hosen oder wadenlange Überfallhosen mit weitem Bein. Die, die beim Verbrennen der Bücher zum Einsatz kommen, sind mit wahrem Feuereifer bei der Sache. Die Kälte des Abends spüren sie nicht. Feuer und Eifer halten sie warm. In den letzten Tagen haben sie weit über tausend Bücher gesammelt, die den Flammen im Laufe des Abends übergeben werden sollen. Franz Krieger füttert seine Leica mit einer Agfa-Isopan-FFilmpatrone und schießt sich ein. Mit jedem Feinkornfilm kann er sechsunddreißig Aufnahmen machen. Seine Wahl ist auf den Agfa 17/10°DIN gefallen, für ihn der Universalfilm, der für alle Zwecke passt. Da das Abendspektakel einiges an guten Bildern verspricht, hat er gleich ein paar mehr von den kleinen orangefarbenen Filmpatronen eingesteckt. In diesen praktischen Aluminiumdosen sind sie gut und sicher zu transportieren. Wie immer hat er sie bei Photo Wernhard gekauft. Wenn Krieger die Kamera neu lädt, zieht er sich kurz in die Dunkelheit des Dombogens zurück. Mit geübten Handgriffen legt er rasch einen frischen Film ein und kehrt zum Ort des Geschehens zurück. Inzwischen lodert eine mächtige Flamme empor, die den Residenzbrunnen, die Menschen und Häuser in nächster Nähe und den Maibaum nebenan erhellt. Er ist vor ein paar Tagen ungefähr in der Mitte zwischen Residenzbrunnen und Ausgang zum Alten Markt errichtet worden. Franz Krieger hat kaum Gelegen-
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heit, die Kamera vom Auge zu nehmen. Es ist wie im Mittelalter. Doch dieser Inquisition wohnen Menschen des 20. Jahrhunderts bei. „Man müsste meinen, … ach was. Es wird sich schon ausgehen. Sieht doll aus! Muss man schon sagen! Die Inszenierung, die Springenschmid hier auf die Beine gestellt hat – Respekt!“ Auf der Verbotsliste der Nationalsozialisten stehen Werke von achtundvierzig Autoren. Begleitet von kernigen Urteilssprüchen sieht Krieger, wie die Bücher der Reihe nach ins Feuer geworfen werden. Ein zehnjähriger Bub deklamiert: „Ins Feuer werf ich das Schuschnigg-Blatt ‚Jung-Österreich‘, das uns zum Verrat an Volk und Reich bringen wollte! Wir aber, die Jugend Adolf Hitlers, wollen eins sein mit dem Reich!“ Dann ein Hitlerjunge: „Ich werfe in die Flammen das ‚Vaterländische Lesebuch‘ des Ministers Pernter. Vaterländisch hieß er es. Vaterland, damit meinte er das Österreich der Schufte und Schurken. Uns aber ist Vaterland das große, heilige Reich aller Deutschen!“ Ein älterer HJ-Führer tritt vor: „Josef August Lux schrieb dieses Buch ‚Österreich über alles!‘ Nein, niemals! Hoch steht uns Österreich, die Heimat. Doch höher, über allem steht Deutschland, das Vaterland. Nicht Österreich über alles, Herr Josef August Lux, Deutschland über alles!“ Ein Soldat ruft: „Otto von Habsburg, dem letzten, würdelosen Gliede jenes Geschlechtes, das sich selbst verriet und Land und Volk verschacherte, ist dieses Buch geschrieben. Ins Feuer Otto den Letzten!“ Und ein Mittelschüler: „Ins Feuer werf ich das Buch des Juden Stefan Zweig, daß es die Flammen fressen wie alles jüdische Geschreibe. Frei erhebe sich, geläutert, der deutsche Geist!“ Dann ein Musikmann: „Der Jude Siegfried Jakobson schrieb dies Buch über den Juden Max Reinhardt. Mög das Feuer auch Schimpf und Schand verzehren, die unserer deutschen Stadt von diesem Geschmeiß ge-
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schah. Frei und deutsch sei die Stadt Mozarts!“ Ein Arbeiter: „Karl Winter, der rote Vize des schwarzen Bürgermeisters von Wien, hat dieses Buch geschrieben. Für Moskau gut, uns deutsche Arbeiter aber rührt es nicht. Uns hat ein andrer ins Herz geschrieben. Adolf Hitler, der erste Arbeiter unseres Volkes!“ Immer mächtiger lodert die Flamme in den Nachthimmel hinauf, immer wieder angeschürt und mit neuer Nahrung versorgt. Jetzt tritt ein Bauer vor: „Heilig ist uns Bauern Sitte und Brauch. Drum sei das Buch verbrannt, das unserer germanischen Ahnen bestes Erbe umgelogen hat für das politische Geschäft eines christlichen Ständestaates. Frei will der Bauer sein!“ Und ein SA-Mann: „‚Dreimal Österreich!‘ hieß Herr Schuschnigg dieses Buch des Verrates und der Lüge. Nicht dreimal Österreich, Herr Schuschnigg, sondern einmal Deutschland!“ Zuletzt stimmt ein SS-Mann ein: „Ein Pater Muckermann schrieb dieses Buch ‚Familie‘ des Ekels und der Sünde am deutschen Volk. Das Feuer darüber! Frei wollen wir Deutschen werden von jeglicher Knechtung, frei unser Volk mit seinem Gott! Frei durch Adolf Hitler!“ Krieger hat sie alle: den zehnjährigen Jungen, den Hitlerjungen, den älteren HJ-Führer, den Soldaten, den Mittelschüler, den Musikmann, den Arbeiter, den Bauern, den SA-Mann und den Mann der SS. Er hat sie alle auf seinem Film, er wird sie auch alle im Gedächtnis behalten. Sie hinterlassen auch bei Krieger für lange Zeit den Eindruck, die ganze „Volksgemeinschaft“ habe auf dem Residenzplatz hinter der Sache gestanden. Springenschmid hat sein Etappenziel erreicht: Die Bücher brennen noch den ganzen Abend weiter, die „restlose Vernichtung dieser jüdischen und klerikalen Literatur“ geht weiter. Krieger geht seiner Arbeit nach. Ihm ist heiß. Er entfernt sich vom
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Feuer, um seinen letzten Agfa-Isopan-Feinkornfilm einzulegen, und die nächtliche Kühle senkt sich auf sein Gesicht. Noch ahnt er nicht, dass die Flammen des heutigen Abends die Vorboten von etwas viel Schlimmerem sind. Vorläufig sind es Bücher, die brennen.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Montag, 2. Mai 1938 SALZBURGER FESTSPIELE 1938. […] Im Spielplan der Salzburger Festspiele, die in der Zeit vom 23. Juli bis 31. August durchgeführt werden, sind folgende Werke vorgesehen: „Cosi fan tutte“, „Don Giovanni“, „Fidelio“; „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tannhäuser“, „Falstaff“ und „Der Rosenkavalier“. Für die musikalische Leitung wurde Wilhelm Furtwängler gewonnen. Außerdem dirigieren: Vittorio Guy, Hans Knappertsbusch, Karl Böhm. Ferner kommen zur Aufführung: Goethes „Egmont“ (Inszenierung Hans Hilpert) im Hofe des Festspielhauses (Felsenreitschule) und Kleists „Amphitryon“ (Inszenierung Erich Engel) auf dem Domplatz. Salzburger Volksblatt
Während draußen das Leben mit dem Frühling neu beginnt, fühlt sich Walter Schwarz in seiner Schutzhaftzelle wie lebendig begraben; handlungsunfähig, was sein Schicksal angeht, ahnungslos, was seine Brüder und Schwestern betrifft. Er fragt sich, welcher Tag ist, welche Stunde, ob es regnet oder ob die Sonne scheint. Seit seinem ersten Verhör vor wer weiß wie vie-
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len Wochen hat kaum jemand zwei Sätze mit ihm gesprochen. Die einzige Menschenseele, die er täglich zu Gesicht bekommt, ist der Wachhabende, der stumm das Essen bringt. Wäre da nicht Karl, dessen Bekanntschaft er bei seiner Verhaftung gemacht hat, würde er wohl verzweifeln. Der Mann mit dem blutigen Gesicht, der beim Hotel Sacher der Gestapo in die Fänge gegangen war, ist ihm noch einmal während eines Hofgangs begegnet. Eine Minute war genug, um sich zu schwören, dass einer dem anderen helfen würde. Was immer das heißt. Seitdem kennen sie voneinander kaum mehr als ihre Namen. Aus den Nachbarzellen hört Walter manchmal das Jammern der Vernehmungsopfer. Sonst ist er isoliert. Aus seiner Isolierung wird er nur erlöst, wenn er zu einem der äußerst seltenen Hofgänge geführt wird. Oder wenn er zufällig einen der Gefangenen zu Gesicht bekommt, die meist einen fürchterlichen Anblick bieten, wenn sie blutend und verschwollen von einem Verhör zurückgebracht werden. Bisher ist dieser Kelch an ihm vorübergegangen. Dass ihn der kommissarische Verwalter Josef Mitterndorfer Anfang April aufgesucht hat, um ihm sein Geschäft abzupressen, zählt für ihn nicht. „Der ist einer, der nach der Pfeife seiner neuen Herren tanzt. Der geht nicht nach dem Verstand und nicht nach dem Herzen. Ja, der Mitterndorfer! Der ist doch schon seit wer weiß wie lange in der Partei.“ Das und anderes ist ihm nach dem Besuch Mitterndorfers durch den Kopf gegangen. Jetzt hat er es verdrängt. Jetzt scheint es ihm eine Ewigkeit her zu sein. Eine Ewigkeit. Am Morgen haben sie ihn zum zweiten Verhör geholt. Zwei von der Gestapo. Das gleiche Prozedere. Er muss wieder die ganze Zeit stehen. Festhalten ist untersagt. Seit Stunden, seit sie ihn verhören, umkreisen sie ihn fortwährend, auch mit belang-
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losen Fragen. Dabei achten sie darauf, ihm immer wieder die Kernfrage zu stellen. Sie haben stets im Blick, wo sie den Haken ins Fleisch schlagen können. Es geht um seine Barabhebungen von Jänner bis April. Das ist die immer wiederkehrende Kernfrage. „Schauen Sie, tun Sie nicht so, es ist sinnlos, wir wissen alles. Schauen Sie hier, der Herr Mitterndorfer hat sich von den Zahlen ein sehr genaues Bild gemacht.“ Walter Schwarz hat sofort die Szene im Kopf, wie der Mitterndorfer über den Unterlagen sitzt. „Der Mitterndorfer, der Ochs, der Herr Buchsachverständige, hat sich mit Sachverstand und sicher mit Eifer an seine Arbeit gemacht.“ „‚Für persönliche Zwecke‘, schreibt Herr Mitterndorfer hier. Was kann er damit gemeint haben, Herr Schwarz?“ Walter Schwarz bleibt stumm. „Wir haben auch die Zahlen von Ihren Brüdern. Da!“ Der Verhörführer schlägt mit dem Handrücken seiner Rechten auf das Papier, das er mit der anderen Hand hält. „Walter Schwarz. Getätigte Barabhebungen Januar bis April 1938: 18.434,17 Reichsmark. Max Schwarz. Getätigte Barabhebungen Januar bis April: 11.225,21 Reichsmark. Dr. Paul Schwarz. Getätigte Barabhebungen Januar bis April: 7.336,13 Reichsmark. Dann kommen noch Ihre Schwestern in dem Bericht vor, aber die waren alle deutlich bescheidener als Sie. Also, ich würde sagen, Sie haben sich von dem Geld keine Schokolade kaufen wollen. Liege ich da vielleicht richtig, Herr Schwarz? Wo ist das Geld geblieben? Was hatten Sie vor?“ Jetzt stellen sie diese Frage schon zum zigsten Male. Walter Schwarz macht einen Schritt zur Seite und stützt sich mit der Hand an der Wand ab. Das sind Dinge, die unbewusst passieren. In dem Moment fängt der Verhörführer das Brüllen und Toben an:
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„Sie haben hier keine Müdigkeit vorzuschützen! Sie haben gerade zu stehen! In der Mitte des Raumes!“ Dann tritt eine Pause im Verhör ein, weil der Verhörführer sein Opfer schon im Netz zu haben glaubt. Und dann sagt er mit falscher Freundlichkeit: „Na also, ich seh’s doch, Sie erinnern sich doch, was Sie mit dem Geld gemacht haben. Fluchtgeld ist’s gewesen. Hab’ ich recht, Herr Schwarz. Sie mussten ja Ihre Flucht aus dem Reich finanzieren. Ist es nicht so?“ Walter Schwarz steht stumm in der Mitte des Raumes. Und der Verhörführer setzt nach: „Am 11. März. Haben Sie nicht versucht sich abzusetzen? Was wollten Sie in der Schweiz? Im Zug nach Zürich? Hatten Sie die 20.000 Reichsmark, hatten Sie die da nicht dabei?“ „Zürich?“, denkt Walter Schwarz, „hat er tatsächlich Zürich gesagt?“ Er kann nicht lügen, er hätte nicht lügen können – wahrscheinlich, hätte der Verhörführer Prag gesagt, er hätte es nicht zusammengebracht. Jetzt kann er spontan die Wahrheit sagen: „Ich war nie in meinem Leben im Zug nach Zürich.“ Der Verhörführer ist frappiert ob der Dreistigkeit des Gefangenen: „Wieso können Sie das sagen!?“ „Erstens, weil ich in der Wohnung meiner Schwester war, und zweitens haben Sie mich dort abgeholt.“ „Wieso soll ich Ihnen das glauben?“ „Wäre ich im Zug nach Zürich gesessen, wie soll ich dann gleichzeitig in der Wohnung meiner Schwester gewesen sein?“ „Das wird mir zu bunt. Nach dem, was mir hier vorliegt … na, das werden wir genau prüfen“, sagt der Verhörführer, der offensichtlich mit dieser Reaktion nicht gerechnet hat und nun auch keine Lust mehr zeigt, weiterzufragen. Er geht hinaus, kommt nach ein paar Minuten zurück, dann beginnt er ein Protokoll
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aufzusetzen. Satz für Satz tippt er in die Maschine hinein. Das dauert. Und dann muss Walter Schwarz in die letzte Zeile hinein unterschreiben. Er hofft, wieder in seine Zelle zu kommen. Doch es ist noch nicht aus, denn auch das gehört zur Methode des Verhörs: der Ortswechsel. „Kommen Sie mit!“ Der Verhörführer geht voraus, hinter Walter Schwarz geht der andere Gestapo-Mann. Walter Schwarz fragt sich, wohin. Zwei Türen weiter betreten sie einen ähnlichen Raum. Auch ein Tisch, ein Stuhl, eine Lampe, eine Schreibmaschine. „Die denken, ich hätte noch Geld in der Schweiz. Es geht denen in Wirklichkeit gar nicht um das Bare. Jetzt werden sie mich rannehmen.“ „In der Regel wird mit einem Stock geprügelt“, hatte ihm der Freund, der „einschlägige“ Erfahrung mit der „Liesl“ gemacht hatte, erzählt. „Da ist es schwer, ruhig gefasst und aufrecht zu sein, wenn dein Gesicht blutüberströmt ist, die Augen zugequollen, die Lippen geschwollen und die Vorderzähne ausgeschlagen sind; wenn du bei jedem Wort, das du zu sagen wagst, wieder geschlagen, wenn du bei jedem Versuch, dich aufzurichten, wieder zusammengetreten wirst, dann ist es außerordentlich schwer, Haltung zu bewahren.“ Doch nichts dergleichen passiert. Der Verhörführer fängt wieder an, mit einer Hand auf der Maschine zu tippen. Sonst ist Stille. Er weiß nicht, was der Verhörführer tippt. Und dann: „Kommen Sie her, unterschreiben Sie da!“ Da steht: „Nach eingehender Belehrung nehme ich zur Kenntnis, dass ich jedes hochverräterische Treiben der Geheimen Staatspolizei sofort zur Kenntnis zu bringen habe. Im Übrigen verpflichte ich mich zu einer loyalen Stellungnahme zum nationalsozialistischen Staat.“
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Walter Schwarz versteht nicht, was das soll. Er fragt sich, ob das auch bei denen dazugehört? Zu ihrer Art, Verhöre zu führen? Das Erste kann er ja nicht bestreiten, das ist Gesetz an sich. Aber: „Im Übrigen verpflichte ich mich zu einer loyalen Stellungnahme zum nationalsozialistischen Staat“? Da sagt er: „Das unterschreibe ich nicht.“ Dann sieht er, wie der Verhörführer aufspringt und wie ein Löwe auf und nieder rennt in dem Zimmer, immer knapp an Walter Schwarz vorbei, dass der ausweichen muss. Mit rotem Kopf brüllt er ihn an und beschimpft ihn. Dann zerreißt er das Protokoll und wirft es ganz demonstrativ in den Papierkorb. Walter Schwarz hat den Eindruck, dass es ihm jetzt an den Kragen geht. Dann versteht er die Welt nicht mehr: Der Verhörführer geht wieder hin und tippt auf ein neues Blatt. Tippt dasselbe noch einmal, aber ohne den letzten Satz. „Da kommen Sie her, unterschreiben S’!“ Da ist es halb fünf. Walter Schwarz unterschreibt mit zittriger Hand. Um 16.44 Uhr verlassen drei Sonderzüge die Reichshauptstadt Berlin. Ihr Ziel: Rom. Adolf Hitler tritt seinen einwöchigen Staatsbesuch in Italien an. Der „Führer“ reist in großer Begleitung: fünfhundert Personen, auch Eva Braun ist dabei. Am nächsten Morgen um 8 Uhr treffen die Sonderzüge am Brenner ein.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mittwoch, 18. Mai 1938 THEATER, KUNST, KULTUR. Furtwängler dirigiert bei den Salzburger Festspielen. Wie das „S. V.“ meldet, hat sich Dr. Wilhelm Furtwängler bereit erklärt, bei den diesjährigen Salzburger Festspielen die Neunte Symphonie von Beethoven zu dirigieren. Salzburger Zeitung
Jedes Mal, wenn Otto Friedmann an der Villa der Familie Schwarz vorbeikommt, wie jetzt auf dem Nachhauseweg vom Bahnhof, muss er sich erinnern, gehen ihm diese oder ähnliche Bilder durch den Kopf: „Der Schwarz hatte einen Chauffeur. Der Hausstand war doch ziemlich groß. Es gab eine Köchin, es gab Stubenmädel, Kinderfräuleins, jüdische Mädels aus Deutschland waren das. Das hatte ganz sicher der zionistische Gedanke Doras zuwege gebracht. 1933 haben sie verkauft. Hat er verkauft. Alles futsch. Da war Dora mit den Söhnen schon in Wien. Die Dora ist dann nach Palästina und hat dort irgendwie ein Hotel, ein vegetarisches, aufgemacht. Aber hier in der Purtschellergasse … da waren ja illustre Leut’ wie der Chaim Weizmann, der Präsident der Zionistischen Weltorganisation, und dieser Jabotinsky, der Russe mit dem ernsten Gesicht, auch ein Zionist – und was für einer! –, Gründer der Jüdischen Legion im Weltkrieg, alle waren bei den Schwarz’ in Salzburg zu Gast. Dabei hat den Walter der Zionismus doch wenig interessiert. Der war Österreicher. Der Chaim Weizmann war auch mit seiner Frau hin und wieder im Sommer da. Manchmal hat man sie ja zufällig gesehen.“ Und jetzt muss Otto Friedmann leise in sich hineinlachen: „Der äl-
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teste Sohn, der Hugo, der musste immer mit der Vera Weizmann, der Frau vom Chaim, zu den Festspielen in die Oper gehen. Sie war ja eine große Opernliebhaberin, und er hat das gehasst. Was hat der Walter mal erzählt, was der Weizmann gesagt haben soll: Musik ist organisierter Lärm?“ Otto Friedmann verdient im Holzhandel gutes Geld. Als er und seine Frau Hildegard im November 1924 von Wien nach Salzburg übersiedelt sind, haben sie nicht gleich eine Wohnung nach ihrer Vorstellung gefunden. Eine Zeit lang kamen sie im Hotel Traube in der Linzer Gasse unter, dann in einer Privatpension. Im Jänner 1925 zogen sie für den Übergang in eine ZweiZimmer-Wohnung etwas außerhalb der Stadt ein. Sie wollten eine Villa kaufen oder etwas Besseres mieten und suchten weiter. Schließlich entdeckten sie das Haus an der Haunspergstraße. Otto Friedmann beteiligte sich zu einem Drittel am Kauf der bewohnten Liegenschaft. Die restlichen Anteile der Liegenschaft gingen in den Besitz der Gebrüder Falk über, Inhaber einer Basler Firma, die österreichisches und tschechisches Holz nach Frankreich exportierte. Otto Friedmann war seit März 1924 als Einkäufer für die Schweizer Holzhändler tätig, die sogar sämtliche Umzugskosten für die Friedmanns übernahmen. Der Kaufvertrag für die Liegenschaft Haunspergstraße 25 wurde im August 1925 geschlossen. Ein halbes Jahr lang wohnten die Friedmanns noch außerhalb Salzburgs. Im Jänner 1926 wurde in ihrem Teileigentum endlich die ersehnte Wohnung frei. Das Haus ist von imposanter Größe, dabei schmucklos, schlicht. Es hat vier Stockwerke und würde nicht weiter auffallen, gäbe es nicht einen Rundturm, der an der Straßenseite am linken Eck der Fassade über alle Etagen ansteigt und die jeweilige Wohnung mit einem sonnigen Erkerzimmer schmückt.
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Hilde hat den freundlichen Platz sofort für sich entdeckt. Hinter den drei Fenstern, die viel Südlicht hereinholen, erledigt sie seitdem manchmal die Büroarbeiten für ihren Mann. Sonst ist sie für den Haushalt da. Ihre Anstellung bei einer Wiener Bank hat sie vor dem Umzug aufgegeben. Die Haunspergstraße liegt unweit des Hauptbahnhofs in der Elisabeth-Vorstadt. Zum Bahnhof dauert es zu Fuß acht oder zehn Minuten. Wer vom Haus der Friedmanns aufbricht, wird den Weg über die Purtschellergasse nehmen, am Ende der Gasse beim Haus Nr. 12 nach rechts in die Plainstraße abbiegen, der Straße bis zur Mertensgasse folgen, sich dort nach links wenden, fünfzig Meter bis zur Elisabethstraße weitergehen, nach rechts abbiegen und nach dreißig Metern linker Hand auf die SaintJulien-Straße stoßen, an deren Ende er vor sich, Blick nach links, den Hauptbahnhof sieht. Manchmal kürzt Friedmann ab und quert den Hotelpark des L'Europe. Dann wirft er gerne noch einen Blick auf dessen geschwungene Fassade, bevor er über die Rainerstraße kommend vom Südtiroler Platz aus den Hauptbahnhof betritt. Montags fährt Otto Friedmann von Salzburg nach Linz, oft mit dem Zug, manchmal mit dem Mercedes. Nach Linz reist er im Auftrag der Gebrüder Falk, um Holz einzukaufen. Er bleibt die ganze Woche über in der Donaustadt, denn in seinem Büro kann er gleichzeitig wohnen. Freitags fährt er dann nach Salzburg zurück. Vom Salzburger Bahnhof aus geht er stets den gleichen Nachhauseweg, und immer wenn er an der Schwarz’schen Villa an der Plainstraße Ecke Purtschellergasse vorbeikommt, fühlt er sich schon wieder wie daheim. Otto Friedmann fühlt sich, wie sich ein Besitzer einer wirklich erstklassigen modernen Wohnung eben fühlt. Für ihn und seine Frau ist es das Ideale,
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das, was sie sich erträumt haben. Im Oktober 1926 ist Sohn Alfred, genannt Ferdi, auf die Welt gekommen, vier Jahre später seine Schwester Grete. Die Friedmanns und ihre Kinder leben glücklich und froh. In der Villa an der Ecke Purtschellergasse/Plainstraße, die Otto Friedmann schon unzählige Male passiert hat und nur hundert Meter von seinem Haus entfernt ist, haben Walter und Dora Schwarz mit ihren drei Söhnen Hugo, Rafael und Benjamin gewohnt. Aus der nachbarschaftlichen Bekanntschaft hatte sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt – es lebten ja nicht allzu viele Juden in Salzburg. Mit etwa zweihundert Mitgliedern war die jüdische Gemeinde, unter denen nur neunzehn ein Gewerbe betrieben, überschaubar klein. Im wirtschaftlichen Leben spielten die allermeisten Juden eher keine Rolle. Zu den Ausnahmen, was deren Stellung bis zum „Anschluss“ betraf, gehörte die Familie Schwarz. Aber auch die Neuwirt-Ornsteins, die Löwys und die Friedmanns ragten heraus. Während die Schwarz’ ihr Kaufhaus führten, das zum größten und modernsten der Stadt zählte, hatten sich die Neuwirt-Ornsteins mit Lodenmänteln der Marke Wetterfest einen Namen gemacht. Die Löwys waren mit ihrer Holz-, Kohlen- und Brennstoffhandlung ebenso stadtbekannt wie Otto Friedmann, der als erfolgreicher Holzhändler auch heute noch zu den wenigen jüdischen Gewerbetreibenden in Salzburg zählt. Man kannte sich nicht nur untereinander, man war in Salzburg einem jeden bekannt. Die Friedmanns sind nicht gläubig. Das jüdische Leben spielt für sie und ihre beiden Kinder höchstens an den Feiertagen eine Rolle. So ist es auch bei Walter Schwarz gewesen, und doch wieder nicht ganz so. Im Glauben waren Dora und er sehr uneins. Dora war schon 1930 eine Zionistin, wie sie im Buche steht. Walter
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dagegen ging höchstens an den hohen Feiertagen in den Tempel in der Lasserstraße. Zwar war er für zwei Jahre Präsident der „Israelitischen Kultusgemeinde“ und noch bis 1935 Obmann der „Zionistischen Ortsgruppe Salzburg“, aber er lebte nicht wirklich danach. Dabei war eigentlich er derjenige, der den Zionismus in die Familie getragen hatte. Und zwar in Form zweier Bücher. Das hat Walter erzählt, als die Friedmanns einmal bei den Schwarz’ zum Essen eingeladen waren. Im Weltkrieg war Walter am Isonzo verwundet worden und hatte in Kärnten Wochen im Lazarett verbracht. Dort lernte er einen Bettnachbarn kennen, einen polnischen, galizianisch-jüdischen Offizier, der ihm zwei Bücher von Theodor Herzl schenkte. „Alt-Neuland“ und „Der Judenstaat“. Die Bücher, die er mit nach Salzburg brachte, fanden Doras Interesse. So war sie zur fanatischen Zionistin geworden, wurde bald Präsidentin der „Zionistischen Organisation in Salzburg“ und Jugendführerin von „Blau-Weiß“, also vom jüdischen Pfadfinderbund. Als die Eheleute Schwarz Anfang der 1930er-Jahre auch im Glauben an ihre Ehe sehr uneins wurden, begann es eben auch in dieser Hinsicht zwischen den beiden kompliziert zu werden. Sie beschlossen die Trennung, die mit der Auswanderung Doras nach Palästina eine Form von Endgültigkeit bekam. Otto Friedmann ist vom Bahnhof kommend vor seinem Haus angelangt. Es ist zwar erst mitten in der Woche, aber er wollte nicht wie üblich die ganzen fünf Tage am Stück in der Linzer Firmenwohnung bleiben, er wollte nach Hause. Friedmann arbeitet nicht mehr für die Brüder Falk – Krisenjahre. Wenn er Geschäfte macht, dann auf eigene Rechnung, weiterhin Exportgeschäfte. Er hat Kunden von Falk übernommen, auch den Standort in Linz; ehemalige Falk-Vertreter in Belgien, Luxem-
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burg und im Saarland arbeiten ihm zu. In den letzten zwei Jahren hat er große Abschlüsse gemacht, sehr gute mit Italien, Einfuhrlizenzen, Geschäfte mit Griechenland, um die hundert Waggons, hat Beteiligungen an Karpathia in Wien erworben, eine Beteiligung an Hoppichler & Co. Vöcklamarkt, wieder abgestoßen, auch eine Beteiligung an der Firma Th. Haul, Sägewerk und Kistenerzeugung. Noch vergangenes Jahr hat er eine eigene Firma, die Fahom AG in Basel, gegründet, Kapital 20.000 Schweizer Franken. Beim „Anschluss“ konnte er ein Vermögen von rund 450.000 Schilling verzeichnen. Vor allem durch seinen Nachbarn Walter Schwarz ist Friedmann nicht verborgen geblieben, dass es für Juden in Österreich bald keinen Platz mehr geben wird. Vor Kurzem hat er daher sein ganzes Vermögen auf die Basler Firma überschrieben. Als Otto Friedmann seine Wohnung in der Haunspergstraße betritt, steigt ihm schon der Duft des Abendmahls in die Nase. Er hängt Hut und Mantel an die Garderobe, er ruft nach seiner Frau. Normalerweise steht sie im Flur, wenn er heimkommt, jetzt steht Hilde im Wohnzimmer, ihre Hände hat sie in ihrer Kittelschürze vergraben. Zwei Gestalten in Ledermänteln haben sich neben sie platziert. Hilde hat vor Aufregung rote Flecken im Gesicht. Ihn nehmen sie mit.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 4. Juni 1938 Nachmittags mit Helldorf die Judenfrage Berlin durchgesprochen. Er sieht noch eine Unmenge von Schwierigkeiten. Aber wir werden dem Herr werden. Ziel Heraustreibung der Juden aus Berlin. Und zwar ohne Sentimentalität. Sie sind auch mit uns nicht sentimental gewesen. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag
Walter Schwarz sitzt immer noch im Polizeigefangenenhaus ein. Er ist bisher zweimal verhört worden. Seit dem 15. März hat er gerade so viel geredet, um in Schwierigkeiten zu geraten. Aber nicht so viel, um aus diesen Schwierigkeiten bald auch wieder herauszukommen. Die Gestapo geht davon aus, dass er noch längst nicht alle Angaben zu seinem Vermögen gemacht hat. Inzwischen ist es Sommer geworden. Ein unscheinbarer Zettel mit einem handschriftlichen Vermerk ganz unten bestätigt für heute einen Besucher – oder eine Besucherin? Walter Schwarz liegt auf seiner Pritsche. Er ist eingenickt. Es ist der zweiundachtzigste Tag seiner Haft. Hertha Pitschmann will Walter besuchen und mit frischer Wäsche versorgen. Sie sollte wissen, dass sie dadurch selbst in Schwierigkeiten geraten kann. Sie hätte es aus der Zeitung erfahren können. Wenn sie es weiß, nimmt sie es in Kauf? Seit wenigen Tagen sind auch auf österreichischem Reichsgebiet die „Nürnberger Rassegesetze“ in Kraft. Damit sind nicht nur Eheschließungen mit Juden verboten, sondern auch der außereheliche Verkehr von Juden mit deutschen Frauen. Über die Einführung der „Nürnberger Rassegesetze“ in Österreich hat vor zehn Tagen auch das Salzburger
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Volksblatt in einer sehr kurzen Meldung berichtet. Zwanzig Zeilen, die man hätte übersehen können. Im Prinzip war diese Meldung, die sicher auch in den Wiener Blättern zu finden war, aber ohnehin Makulatur. Denn das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ aus dem Jahre 1935, kurz „Nürnberger Rassengesetze“ genannt, ist längst in Österreich angekommen. Genau genommen gilt es schon seit dem 13. März. An diesem Tag sind durch das „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ alle Gesetze aus dem „Altreich“ auf die neue „Ostmark“, wie Österreich seitdem offiziell heißt, umgelegt worden. Hertha hat für ihren Liebsten alles ordentlich in bräunliches Packpapier gewickelt und in einen Pappkarton entsprechender Größe gelegt. Auf das verschnürte Paket hat sie seinen Namen geschrieben. Damit steht sie nun an jener Stelle des Raumes im Polizeigefangenenhaus Roßauer Lände, bis zu der sich Besucher vorbewegen dürfen. Sie hat es einfach gemacht. Aber jetzt verlässt sie doch der Mut. Liebe macht blind. Blind auch für Gefahren. So banal ist das. Jetzt steht sie hier und kommt zur Besinnung. Bis hier und nicht weiter! Sie muss einsehen, dass es verrückt ist, was sie hier macht. Der Wachhabende in seinem Verschlag ist gerade noch mit einer anderen Person beschäftigt, die sich in eine Besucherliste eintragen muss. Hertha Pitschmann stellt den Karton vor den Verschlag, der die Grenze zwischen „da draußen“ und „da drinnen“ bildet, der den Übergang markiert, an dem aus Freiheit Unfreiheit wird. Sie hat begriffen. Sie dreht sich um und geht fort. Als sie das Polizeigefangenenhaus mit klopfendem Herzen verlässt, laufen Tränen über ihre Wangen, voller Verzweiflung über ihren Walter, voller Missachtung gegenüber sich selbst. Der Wachbeamte wird das
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Paket gleich an sich nehmen und an den Empfänger übergeben. Doch zunächst hat er pflichtgemäß den Inhalt zu prüfen. Er nimmt einen Zettel und fertigt eine mit Maschine geschriebene Liste des Inhalts für die Akten an … Wäsche für Herrn Walter Schwarz. -------------------------------1 Paar Hausschuhe 9 “ Socken 4 St. Handtücher 7 “ Taghemden 1 Paar Schuhe 2 St. Nachthemden 3 “ Trikot-Unterhosen 3 “ Stoff “ 18 “ Taschentücher … und trägt noch einen handschriftlichen Vermerk nach: „Im Polizei Gefängnis abgegeben 4.6.1938“ Als sich die Tür zu seiner Zelle öffnet, schreckt Walter Schwarz hoch. Die Wache schiebt ihm wortlos einen Pappkarton hin. Er richtet sich auf und betrachtet das Paket, während in seinen Ohren noch das Schlüsselgeklimper an der Zellentür nachklingt. Der Karton ist anscheinend nur provisorisch verschlossen, oben beschriftet: „Walter Schwarz“. Walter glaubt Herthas Handschrift zu erkennen. Ein bestimmter, vertrauter Duft streichelt seine Nase, und er klappt mit zittriger Hand den Deckel auf. Die Wäsche ist lieblos in den Karton gestopft worden. Ganz obenauf liegt ein Paar Pantoffeln, das er kopfschüttelnd zur Seite
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legt. Noch deutlicher breitet sich jetzt die Duftwolke der Wäsche aus. Er greift nach dem ersten Stück. Er nimmt das Handtuch und vergräbt sein Gesicht darin: Maiglöckchenduft! Mit geschlossenen Augen drückt er sie ganz nah an sich heran, presst sein Gesicht an ihren Hals und sieht, wie sie das Parfüm hinter ihr Ohrläppchen tupft.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 18. Juni 1938 JUDEN UND TRACHTEN. Auf Grund der Verordnung des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht vom 28. Juni 1922 verordnet der kommissarische Polizeidirektor von Salzburg, Dr. Braitenberg: „Juden ist im Bereiche der Polizeidirektion Salzburg das öffentliche Tragen von alpenländischen (echten oder unechten) Trachten, wie Lederhosen, Joppen, Dirndlkleidern, weißen Wadenstutzen, Tirolerhüten usw. verboten. Übertretungen werden mit Geld bis 133 RM (200 S) oder Arrest bis zu zwei Wochen bestraft. Diese Kundmachung tritt mit dem Tage ihrer Verlautbarung in Kraft.“ – Die Verfügung wird zweifellos von allen Kreisen begrüßt werden, die es seit langem hinnehmen hatten müssen, daß z. B. das Dirndl geradezu als ein jüdisches Nationalkostüm erschien. Salzburger Volksblatt
Es ist Mittag, als Franz Krieger das Fotogeschäft von Wernhard verlässt. Ihm ist bewusst, dass er dabei fotografiert werden wird. „Wenn du rauskommst, mache ich rasch ein Bild von dir“, hatte ihm jemand vorhin noch zugeraunt. Krieger bleibt in Bewe-
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gung, sein Gesicht erwartet die Kamera, schaut sie jetzt geradeheraus an. Gut möglich, dass seine neue Freundin dieser Jemand mit der Kamera ist … Plötzlich ist Krieger selbst wie eine seiner Berühmtheiten, die er üblicherweise zur Festspielzeit im Bild einfängt. Obwohl er einer von hier ist, ist er von denen, die zu diesen Gelegenheiten in die Stadt kommen, rein äußerlich nicht zu unterscheiden. Wenn Krieger sie fotografiert, das internationale Publikum und die Stars, die in der Hofstallgasse und in der ganzen Altstadt ihre Tracht spazieren führen, obwohl sie gar keine Hiesigen sind, denkt er sich vielleicht seinen Teil. Er sieht die Frauen, die sich im Dirndl zeigen, sieht die Männer, die in Lederhose durch die Altstadt stolzieren, und sogar den Salzburger Trachtenanzug sieht er, der den Fremden nicht heilig ist. Natürlich sieht er auch den Lamberg-Hut fast auf jedem Kopf. Der Lamberg-Hut ist ein Teil der Salzburger Tracht. Die Fremden sind es nicht. Franz Krieger hat seinen Lamberg-Hut bei Lanz gekauft, vielleicht aber auch bei Trachten Schachtner, die seit letztem Sommer ein neues Geschäft in der Mitte der Judengasse eröffnet haben. Er trägt ihn, den Hut, er trägt die Joppe, die Lederhose, die weißen Stutzen und die Schuhe – er trägt das alles so selbstverständlich, wie er auch die halb gerauchte Zigarette in der linken Hand hält – wie nebenbei. Er ist nicht verkleidet. Er tritt aus dem Schatten ins Freie, ins Sonnenlicht. Er blickt ernst, obwohl er gleichzeitig zu lächeln scheint. Er hat Filme zur Ausarbeitung bei Photo Wernhard abgegeben. Tobis-Berlin dreht einen neuen Kinofilm in Salzburg, „Die Scheidungsreise“. In dem Streifen spielen Heli Finkenzeller und Viktor de Kowa in den Hauptrollen mit. Zwei Ufa-Stars, die Krieger natürlich aus dem Kino kennt. Gedreht wird am Mönchsberg beim Restaurant Elektrischer Aufzug. Krieger war einen ganzen Tag am Set
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dabei. In einer kurzen Drehpause hatte er dem de Kowa über die Schulter geschaut und beobachtet, wie die Finkenzeller Autogrammkarten signiert. Wenn Franz Krieger Anzug, Weste und Krawatte trägt – was oft der Fall ist, wenn er zur Festspielzeit oder zu offiziellen Ereignissen fotografiert –, wenn sein Haar mit viel Pomade glänzend in Form gebracht ist, wenn man sein markantes Grübchenkinn beachtet, wenn er dann lächelt, und wenn man ihn so in seiner ganzen Körpergröße von etwa eins fünfundachtzig vor sich hat, kann dieser Anblick leicht an den Schauspieler Clark Gable denken lassen. Franz Krieger, der bekanntlich kein Schauspieler ist, ist in seinem jungen Leben dennoch schon in einige Rollen geschlüpft. In seiner sportlichen Skitourenkleidung macht er eine ebenso gute Figur wie in der Landestracht oder im grünen Jagdgewand; die feldgraue Uniform, die er während seiner militärischen Ausbildung getragen hat, hat ihm ebenso gut zu Gesicht gestanden, wie ihn schon bald die schwarze Uniform des SS-Rottenführers kleiden wird, die er ab 20. April 1941 tragen darf. Seit geraumer Zeit ist Krieger SS-Bewerber bei der SS-Standarte 76. Die 76er, sprich SS-Standarte „Alpenland“ mit Sitz in Salzburg, ist auch für den Schutz des Führers auf dem Obersalzberg zuständig. Nachdem er seit dem 1. Mai Anwärter auf die Mitgliedschaft bei der NSDAP ist, hat er mit der Bewerbung um Aufnahme bei der SS eine weitere günstige Voraussetzung für seine gesellschaftliche und berufliche Entwicklung geschaffen. Er wird in naher Zukunft einer von rund sechshundert Personen in der Stadt sein, die der SS angehören. Die „neue Elite“ Salzburgs wird sich vorwiegend aus Akademikerkreisen rekrutieren. Oft werden es Ärzte und Rechtsanwälte sein; dazu etablierte Geschäftsleute wie Franz Krieger, dessen Trachtenauf-
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tritt, geschossen vor Photo Wernhard, als ein weiteres Indiz für seine ständige Wandelbarkeit zu sehen sein mag.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 23. Juni 1938 KAUFHAUS SCHWARZ. Die Eigentümer des Kaufhauses S. L. Schwarz haben dem Verkauf des Unternehmens nach dem Stande vom 1. Mai 1938 zugestimmt. Sie verzichten seit diesem Tage auf den Ertrag des Geschäftes, der bereits dem künftigen Käufer des Unternehmens zufließt. Salzburger Zeitung und Salzburger Volksblatt
Franz Krieger ist in diesem Sommer ein sehr glücklicher Mann. Er ist frisch verliebt. Sein Herz ist „für eine ebenfalls aus Salzburg stammende hübsche, kleine Postbeamtin“ entbrannt. Dass seine Mutter Vorbehalte gegenüber der „Kleinen“ hegt, kümmert ihn wenig. Mütter pflegen häufig die Liebschaften ihrer Söhne infrage zu stellen, zumal wenn der Sohn der Stammhalter ist. Die „Kleine“ heißt Frieda. Franz und Frieda gehören seit ein paar Wochen zusammen. Frieda ist eine fröhliche Person mit einem bübisch-frechen Gesicht und blondem Haar. Sie hat es zu Locken eingedreht, am Ansatz glatt, sodass auch ein Hut perfekt sitzen würde. Die „Kleine“ ist tatsächlich mehr als einen Kopf kleiner als ihr Franz. Heute ist ein herrlicher Tag, um offen zu fahren. Heiter, nicht zu warm. Ihre Frisur hat Frieda mit einem bunten Kopftuch in
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Sicherheit gebracht. Nur die Tolle über der Stirn schaut keck heraus. Franz steuert den Wagen an der Wanger Ache entlang. Wenn sie durch den Wald fahren, wirft die Sonne tanzende Flecken auf den Asphalt. Die gewundene Straße von Mondsee nach Oberwang nimmt der Steyr 220 mühelos hin. Das Cabrio Baujahr 1937 ist praktisch neu, und Franz Krieger darf sein erster stolzer Besitzer sein. Ein Auto braucht man, um von Salzburg aus nach Oberwang in das Jagdrevier im Bezirk Vöcklabruck zu gelangen. Franz hat das Gebiet als Pächter von seinem verstorbenen Vater übernommen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln müsste man „schon fast mit einem halben Tag Anfahrt rechnen“. Und es ist so wunderbar, durch die frische Luft zu fahren. Ganz selten kommt ihnen ein Automobil entgegen. Dann ist es für sie ein Stück Cabriofahrt mit Benzingeruch in der Nase. In Oberwang wartet auf die Glücklichen eine zum Jagdrevier gehörende Hütte im Wald. Mit von der Partie ist ein vierbeiniger Kamerad mit einer kleinen, feuchten Nase im haarigen Gesicht. Ein Rauhaardackel … „Wenn wir mal Kinder haben, brauchen wir aber ein anderes Auto, Franz.“ Das Getriebe des Steyr kracht. Franz hat sich vor Schreck verschaltet. „Na, erst heiratet man doch, oder?“ „Ich will aber nicht so lange warten, hörst du?“ „Ja, wenn du als Jägerin auch so ungeduldig bist …“ „Wir werden’s ja sehen, wer von uns beiden mehr Geduld hat.“ „Lass uns erst einmal ankommen.“ „Hoffentlich hält der Wagen durch.“ „Sechs-Zylinder, fünfundfünfzig Pferdestärken …“ „Und nur Platz für zwei …“
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„Aber was! Der Hund beschwert sich ja auch nicht.“ Oberwang im oberösterreichischen Salzkammergut liegt hübsch in einem breiten Tal. „Auf den Hängen siedeln bis hoch hinauf einige Bergbauern, ansonsten dominiert der Wald, der die Gegend auch für die Jagd attraktiv macht.“ Die Jagd hat in Oberwang „so große Bedeutung, dass sogar eine Hirschstange in das Gemeindewappen aufgenommen wurde“. Für den Jäger sind in dieser Gegend in reichlicher Anzahl große Hahnen zu finden. Ein Rehbock wird vielleicht einmal im Jahr zur Strecke gebracht, „gelegentlich auch ein geringes Hirschl“. „Mal sehen, ob wir Walderdbeeren finden.“ „Die kleinen roten Dinger, an denen man sich hungrig isst, ja?“ „Die Kleinen sind die besten, Franz. Je kleiner, umso aromatischer.“ „Mmmmhhh, und a bisserl naschen, meinst? Wär natürlich auch nicht falsch.“ „Schau auf die Straße, du Dackel.“ „Meinst mich?“ „Themawechsel. Hast du Karten für die Festspiele bekommen?“ „Freilich. Würde dir ‚Figaros Hochzeit‘ gefallen?“ „Mozart, wunderbar!“ „Zwei Karten auf dem ersten Balkon, ja?“ „Wir beide?“ „Auf das Kind wird meine Mutter schon aufpassen.“ „Jetzt spinnst aber …“ „Wieso? Die Kleine da hinten mit den krummen Beinen ist doch gemeint.“ „Ach so …“ „Da muss ich dir doch kurz etwas erzählen, Frieda. Ich hab
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vor ein paar Tagen bei Dreharbeiten fotografiert. Der Film heißt ‚Die Scheidungsreise‘, weißt, und da geht es darum, dass es ausgerechnet in der Hochzeitsnacht zwischen den Verheirateten zu einem handfesten Streit kommt.“ „Na toll, schöne Geschichte!“ „Wart’s halt ab. Also, der Ehemann ist richtig sauer, weil sie, also, sie heißt Marianne, weil sie einen treuen Dackel hat, der seinen Beschützerinstinkt ein bisschen zu ernst nimmt und fortwährend jeden Annäherungsversuch, den der Delius, so heißt er, unternimmt, verhindert. Es kommt zu einer hitzigen Debatte, die damit endet, dass die beiden sich entschließen, umgehend die Scheidung einzureichen.“ „Gut, dass ich keinen Dackel habe, der deine Annäherungsversuche verhindern könnte.“ „Ja, aber ich habe einen … Aber egal. Der ist ja eine Die und Gott sei Dank nicht eifersüchtig auf dich. Wo war ich stehengeblieben?“ „Sie haben die Scheidung eingereicht.“ „Und jetzt kommt die Reise. Um dem Scheidungstrubel zu entgehen, tritt Marianne eine Erholungsreise nach Venedig an.“ „Und fährt über Salzburg?“ „Genau, eine Busreise. Das Witzige ist, ihr Gatte hat sich zufälligerweise für dieselbe Busreise entschieden. Nun laufen die beiden Streithähne sich Tag für Tag über den Weg, mit dem Ergebnis, dass sie merken, wie sehr sie sich immer noch lieben. Aber bevor es zu einer Versöhnung kommt, steht den beiden eine Reihe irrwitziger Komplikationen bevor …“ „Danke, das reicht mir an Scheidung für heute.“ „Und schau, da im Handschuhfach müssen sie irgendwo sein …“
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„Bitte schau nach vorne.“ „Da müssen zwei Autogrammkarten drin sein. Für dich.“ „Ach Franzl, dass du daran gedacht hast …“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Dienstag 28. Juni 1938 AUS DEM SALZBURGER FIRMENREGISTER. Zum kommissarischen Verwalter wurde bestellt: Josef Mitterndorfer in Salzburg, Kaigasse 1 (2. Stock) bei der Firma S. L. Schwarz (Kaufhaus). Salzburger Volksblatt
Dr. Otto Begus, der wie schon in Wien auch in der Stapostelle Salzburg gleich wieder eine Schlüsselposition besetzt, weiß Verbindungen zu knüpfen. Auch solche, die ihm außerhalb seines Dienstes von Nutzen sein können. Er sucht eine größere Wohnung zur Miete, und da er auch den Überblick über sämtliche Liegenschaften hat, die von Juden bewohnt worden sind oder noch werden, schaut er sich genauer um. Gerade ist ihm ein ansprechendes Objekt aus ehemaligem Judenbesitz ins Visier gekommen. Die Lage: Salzburg Elisabeth-Vorstadt, nur 100 Meter von der Salzachpromenade entfernt. Wie ihm berichtet wird, handelt es sich um vier bis fünf Zimmer, eine große Wohnküche, ein großzügiges Wohnzimmer mit Erker, ein modernes Bad mit Fenster, 150 Quadratmeter gesamt, Eichenparkett, dritter Stock; die Wohnung sei sehr hell. Der Bewohner und frühere
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Miteigentümer des Hauses, ein Jude namens Otto Friedmann, sei im Mai kurz in Haft gewesen und habe sich dann in die Schweiz abgesetzt. Einziger Nachteil: Die Wohnung ist noch nicht „entjudet“. Dass Begus das gar nicht gefällt, wird die letzte Bewohnerin sehr bald noch erfahren. Fragen wird sie sich, wer dieser Dr. Otto Begus überhaupt ist. Was ist von diesem Mann zu halten, der seine Position in der Stapostelle Salzburg ganz unverblümt dazu nutzt, um für sich eine standesgemäße Wohnung in der Stadt zu suchen? Seine Geschichte kann sie nicht kennen, aber seine Methoden wird sie noch kennenlernen. Geboren wurde dieser Otto Begus am 25. April 1899 in Bozen als Sohn eines Kaufmanns. Als er im Herbst 1936 militärischer Ausbilder der „Kaiserlichen Garde“ des Negus in Abessinien wurde, hatte er bereits eine militärische Karriere hinter sich und war bis in den Rang eines SS-Untersturmführers aufgestiegen. Abessinien lag mit Italien im Krieg. Begus ist ein Italiener-Hasser, seitdem er im Weltkrieg als Siebzehnjähriger, auf Seiten der Österreicher kämpfend, durch einen Bajonettangriff eines Italieners schwer verwundet worden war. 1918 war er zudem in italienische Gefangenschaft geraten, aus der er im Januar 1919 wieder entlassen wurde. Im April 1921 meldete er sich zum „Bund Oberland“, einem bewaffneten Freiwilligenverband, der aus dem im Oktober 1919 aufgelösten „Freikorps Oberland“ entstanden war. Das „Freikorps Oberland“ stand in Verbindung zur radikal antisemitischen und völkischen „Thule-Gesellschaft“, die ihrerseits aus einem Geheimbund, dem „Germanenorden“, hervorgegangen war. Der „Bund Oberland“, dem Begus bis Juli 1921 angehörte, stand den radikalen Kräften unter Adolf Hitler und dem SA-Führer Ernst Röhm nahe. Aus dieser Verbindung bildete sich ab 1921 der Kern der SA in Bayern heraus. Auf die
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Frage, warum Otto Begus dem „Bund Oberland“ beitrat, kann es eigentlich nur eine Antwort geben: Er wird sich mit den antirepublikanischen und völkischen Zielen des Freiwilligenkorps identifiziert haben. An der Universität Innsbruck nahm der junge Begus nach dem Krieg ein Studium der Rechtswissenschaften auf. Mit Abschluss des Studiums stellte er seinem Namen einen Doktor jur. voran. Von 1932 bis 1934 konnte man Otto Begus in Wien im Bundeskanzleramt finden. Offiziell war er dort als redlicher Kriminalbeamter bei der Staatspolizei tätig. Tatsächlich arbeitete er gegen das staatliche Sicherheitssystem und für die illegalen Nationalsozialisten. Er hatte mit seinen Kollegen ein Netzwerk von Informanten aufgezogen. Die Nationalsozialisten wollten einen Umsturz in Österreich versuchen. „Von einem Polizisten geplant – vermutlich Otto Begus – begann am 25. Juli 1934 der Umsturzversuch mit dem Überfall von als Soldaten des Bundesheeres und Polizisten verkleideten SS-Männern auf das Bundeskanzleramt. Der Putsch endete am 30. Juli mit seiner Niederschlagung. Mehr als zweihundert Menschen waren im Zuge der Kampfhandlungen getötet worden, darunter auch Bundeskanzler Dollfuß als prominentestes Opfer.“ Otto Begus kam in Haft. Nach seiner Inhaftierung und Ausweisung aus Österreich ging Begus nach Berlin. Von dort wurde er als Polizeiinspektor nach Abessinien geschickt. Irgendwann in seiner Wiener Zeit und vor seinem Antritt als Militär-Ausbilder in Abessinien wurde Dr. Otto Begus der „Blutorden“ verliehen. Der Orden war ein Ehrenzeichen der NSDAP, gestiftet am 9. November 1933 von Adolf Hitler anlässlich des 10. Jahrestages des Hitlerputsches von 1923. Warum hat Otto Begus dieses NS-Ehrenzeichen verliehen bekommen? Entweder war er am 9. November 1923 in München beim Hitlerputsch
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dabei gewesen oder er war, nach dem Sprachjargon der Nazis, ein „Alter Kämpfer“, also bereits vor dem 1. Januar 1932 Mitglied der NSDAP. Womöglich war er beides. Als die Abessinier im Mai 1936 militärisch geschlagen sind, taucht der Militärausbilder Otto Begus im Sudan unter. Im April befindet er sich wieder in Wien. Auf den Tag genau drei Jahre nach seiner Ernennung zum SS-Untersturmführer wird er in Wien zum SS-Obersturmführer befördert. Anfang des Monats ist er in Salzburg angekommen. Jetzt sitzt er in der Stapostelle. Er hört den Namen Friedmann zum ersten Mal. Otto Friedmann. Begus solle sich die Räume doch einmal ansehen. Die Adresse? Haunspergstraße 25. Von Otto Begus hat Hilde Friedmann auch noch nie gehört. „Die Entjudung“, denkt Begus, „wird das geringste Problem sein.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 7. Juli 1938 UMFASSENDE ABSTAMMUNGSERHEBUNG, München […] Bei der Tagung des Reichsinstitutes für Geschichte des neuen Deutschland sprach Prof. Dr. O. von Verschuer über „Rassenbiologie der Juden“. Er wies nach, daß ein Überblick über die typischen Merkmale der Juden deutlich zeige, daß die Juden in einer großen Zahl von Erbmalen von den Menschen deutscher Abstammung verschieden sind. Salzburger Chronik
Als Franz Krieger eben die Morgenzeitung aufschlägt, tut er das bei sommerlich heiterem Wetter, und er tut es entsprechend gut 190
gelaunt. Er sitzt im Freien an einem der Marmortischchen auf der Bazar-Terrasse, schlürft genüsslich seinen Verlängerten und wird sich wenig später in die Altstadt Richtung Festspielhaus aufmachen, um dem Auftakt der Festspielproben beizuwohnen. Die ersten Arrangierproben für „Egmont“ sind für heute vorgesehen. Das Volksblatt will morgen einen Bildbericht bringen, und Krieger hat heute zu fotografieren, um pünktlich liefern zu können. Vielleicht läuft ihm ja die Flickenschildt vor die Linse oder der Herr Burgschauspieler Ewald Balser oder gleich beide zusammen. Vom Bazar bis zur Hofstallgasse braucht Krieger kaum zehn Minuten zu Fuß. Es sei denn, er schaut noch auf ein Schmankerl im Feinkostgeschäft Stranz & Scio vorbei. Er kann nie einfach so daran vorbeigehen, also kehrt er rasch noch in das Haus in der Getreidegasse ein. Der Duft von Semmerln, Nussschnecken, Windrädern und Golatschen empfängt ihn. In der Etage über dem Laden mit den Delikatessen, im Säulengang zum Innenhof, befindet sich nämlich der Eingang in das Großraumbüro der Wiener Bäckerei. Er führt ins Nebenhaus, und dort wird täglich frisch gebacken. Krieger ist sich sicher, dass schon dem Wolferl der Brotduft in die Nase gestiegen ist. Denn im Haus Nr. 9, in dem Stranz & Scio ihre Delikatessen verkaufen, ist Mozart zur Welt gekommen. Wahrlich, der Tag könnte nicht besser beginnen. Mit einer Nase Wiener Bäckerei und einem Mundvoll Kulinarischem von Stranz & Scio macht er sich eilig auf den Weg zum Festspielhaus. Schließlich hat er noch eine Verabredung mit Goethes „Egmont“ geplant. Noch ganz mit Kauen beschäftigt biegt er gleich beim Kranzlmarkt in die lang gezogene Sigmund-Haffner-Gasse ein, hält sich an deren Ende rechts, geht das kurze Stück die Franziskanergasse entlang, passiert den Max-Reinhardt-Platz, 191
der ja inzwischen nimmer so heißt, sondern seit Neuestem schon ein Teil der Hofstallgasse ist, und erreicht das Festspielhaus. An der Rückseite der Kollegienkirche bemerkt er das volle Grün des großen Ginkgobaumes – eigentlich das erste Mal so richtig. „A bisserl was ist doch aus der Schule hängen geblieben“, denkt er bei sich. Dass Goethe die Blätter eines Ginkgos studierte, fällt ihm ein, und dass er sich dabei von deren Form zu einem Gedicht hatte inspirieren lassen, das weiß er auch noch. „Ach ja, der Goethe. Der Egmont … Und die Arrangierproben! Jetzt aber!“ Als Krieger das Innere der Felsenreitschule betritt, laufen die Proben bereits. Er beginnt sofort zu fotografieren. Eines der Bilder wird den Regisseur Heinz Hilpert auf dem Tisch sitzend zeigen. Hilpert, ganz Regisseur und von einer Handvoll Schauspieler umringt, lauscht einem aus seiner Truppe, der gerade mit einem Monolog an der Reihe ist. Die anderen sitzen an den Tischen, über ihre Textbücher gebeugt. Krieger bleibt jetzt an Hilpert dran. Er folgt ihm wie ein Schatten. In Hilperts Nähe gelingt ihm noch mehr gutes Material. Er drückt auf den Auslöser, als der Regisseur mit Angela Salloker die Rolle des Klärchens durchspricht. Er ist auch dabei, als Hilpert der Flickenschildt Regieanweisungen gibt. Den Balser bekommt er dann später ebenfalls vor die Linse, als Kostüminspektor Gericke dem Burgschauspieler die Entwürfe der Egmont-Kostüme erläutert. – „Na, also! Wer sagt’s denn. Und am 28. Juli ist dann Egmont-Premiere. Bis dahin musst du noch Werner Krauß, Albin Skoda, Theodor Loos, Otto Woegerer und mindestens noch Adolf Spallinger kriegen. Die sind noch alle auf deiner Liste. Krauß steht auf deinem Zettel natürlich ganz oben, weil der Herr Staatsschauspieler auch sonst ganz oben steht. Er ist immerhin der von Goebbels höchstper-
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sönlich ernannte stellvertretende Präsident der Reichstheaterkammer. Keine Frage, der Krauß muss aufs Bild!“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 8. Juli 1938 MASSENBEERDIGUNG IN HAIFA. Auf der Straße Tel Aviv – Haifa, die jüdisches Gebiet durchläuft, wurde ein arabischer Kraftwagen beschossen. […] Die Passagiere der von Haifa abfahrenden Schiffe mußten am Mittwoch unter dem Schutz der Feuerwehr zum Hafen gebracht werden. Sie überquerten ein wahres Schlachtfeld mit Leichen und Verwundeten. Autos waren durch die Sprengkraft der Bombe völlig in Stücke gerissen worden. Für die Todesopfer fand am Donnerstag eine Massenbeerdigung statt. Wiener Neueste Nachrichten
Kaum vierundzwanzig Stunden ist es her, da hat sich der achtzehnjährige Rafael Schwarz auf eine Reise mit klarem Ziel, aber ungewissem Ausgang gemacht. Er will zu seinem Vater nach Wien. In Haifa war er an Bord eines Schiffes gegangen, das ihn nach Italien bringen sollte. Auf der Straße zum Hafen hatte er Männer bei Aufräumarbeiten beobachten können, die die Spuren des Sprengstoffanschlages vom Vortag beseitigten. Heute Morgen hat Rafael den Hafen von Triest erreicht und sich sogleich zum Bahnhof Trieste Centrale begeben. Die Sonne brennt mächtig vom Himmel herab. Zur Hitze kommt die hohe Luftfeuchtigkeit. Obwohl er wie die anderen Passanten instink-
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tiv die Schattenseite gewählt hat, rinnt ihm schon nach wenigen Schritten der Schweiß von Stirn und Schläfen. Trotz des abenteuerlichen Weges ist er nach wie vor guter Dinge, nach Wien zu gelangen. Aber wie er letztendlich den Besuch bei seinem Vater im Polizeigefangenenhaus bewerkstelligen soll, fragt er sich doch. Diese Frage bewegt ihn schon seit Tagen. Wenn es ungünstig läuft, wird er ihn gar nicht zu Gesicht bekommen. Wenn es ganz ungünstig läuft, wird man ihn ebenfalls in Schutzhaft nehmen. Dora ist in großer Sorge um ihren Sohn. Aber der hat sich, aller Gefahren zum Trotz, von seinem Vorhaben nicht abhalten lassen. Juden, die Österreich vor vier Monaten – also unmittelbar nach dem 12. März – verlassen wollten, brauchten ein Visum und Glück. Denn gleich nach dem „Anschluss“ waren zunächst alle Grenzen gesperrt worden und man konnte vier Wochen lang weder hinaus noch hinein. Danach wurde es nur dann einfacher, wenn man nach Italien wollte, weil Italien das einzige Land ist, das als Bundesgenosse Deutschlands kein Visum verlangt. Ab November wird sich das gründlich ändern. Der Reiseweg wird in beide Richtungen lebensgefährlich werden. Gut für Rafael, dass die Grenzen von Österreich nach Italien und von Italien nach Österreich jetzt noch recht durchlässig sind. Was nicht heißt, dass es nicht trotzdem Schwierigkeiten geben kann. In Triest kauft Rafael eine Fahrkarte nach Wien. Er ist im festen Glauben, dass die Reise ohne größere Hindernisse machbar sein wird. Soweit möglich, hat er vorgesorgt. Der Rest ist vielleicht jugendlicher Leichtsinn. Die Zugverbindung Triest-Wien zählt in diesen Tagen zu einer der Hauptstrecken im österreichischen Bahnverkehr. Sie ist am 18. März 1938 in das Netz der „Deutschen Reichsbahn“
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eingegliedert worden, die auch die Betriebsführung übernommen hat. Eine der zwei Südbahnstrecken führt von Triest via Jugoslawien nach Deutsch-Österreich – nach Graz und dann nach Wien. Spielfeld-Straß ist der eine Grenzbahnhof der Südbahn, nahe der jugoslawischen Grenze. Das italienische Tarvis der zweite. Diese Strecke führt nicht über jugoslawischen Boden, sondern von Triest in Richtung Norden auf direktem Weg nach Österreich. Allgemein ist bekannt, dass hier immer besonders genaue Personen- und Zollkontrollen stattfinden. Rafael hat sich daher für die Strecke über Jugoslawien entschieden: „Falls irgendetwas schiefgeht“, denkt er, „gibt es keine direkte Verbindung an der Grenze Italien–Jugoslawien, sondern nur eine indirekte: Man kann mich nicht direkt in die Ostmark abtransportieren, sondern nur durch Jugoslawien, und das ist gewissermaßen schon ein Schutzfeld.“ Dann steigt er in den Zug. Um sich zu tarnen, steckt er sich noch in Italien ein kleines Hakenkreuz ans Revers seiner Joppe. Auch das gehört zu seinen Vorsichtsmaßnahmen. Jeder, der in diesen Tagen in Österreich keine Probleme bekommen will, trägt das Hakenkreuz im Knopfloch. Jeder starrt dem anderen zuerst aufs Revers. In Haifa hat er von einem Mittelsmann gehört: „Wer keines trägt, setzt sich dem Verdacht aus, dagegen zu sein.“ Auch wenn ihn das Anstecken des Hakenkreuzes einiges an Überwindung kostet – der Zweck heiligt auch fragwürdige Mittel. Wobei er sich alles andere als sicher ist. Bald nach der Abfahrt kommt die italienisch-jugoslawische Grenze. Und ein Glück: Die Italiener lassen alle passieren; nichts geschieht. Die nächsten zwei Stunden geht es durch Jugoslawien. Rafael versucht zu schlafen. Kurz vor der Grenze zu Österreich wird er von der Unruhe im Zug geweckt. Am Grenzbahnhof
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Spielfeld-Straß lassen die Deutsch-Österreicher „alle Personen aus dem Zug aussteigen und untersuchen, ob sie jüdisch sind. Juden werden nicht hineingelassen“. Aber welcher Jude will in diesen Wochen schon freiwillig nach Österreich hinein? Rafael hat einen reichsdeutschen Pass, der ihn als Reinhard Brunner aus Traunstein ausweist. Mit dieser Vorsorgemaßnahme hadert er am meisten. Er hat Angst, dass die Grenzer die Fälschung vielleicht doch erkennen; im besten Fall, dass sie ihn zurückschicken, im schlimmsten Fall gleich verhaften. „Ich muss unbedingt rein nach Österreich, hoffentlich schicken sie mich nicht zurück, ich darf nicht verhaftet werden! Ich muss zu meinem Vater nach Wien!“ Der Profi, der den Pass gemacht hatte, war ihm vom selben Mittelsmann empfohlen worden, der ihm auch den Tipp mit dem Hakenkreuz gegeben hatte: „Geschickte Zeichner und Graveure liefern die Dokumente, die in der Nachahmung zuweilen Perfektion erreichen, und freilich auch sagenhafte Preise! Diese Preise schwanken je nach Konjunktur: Zunahme oder Nachlassen der Verfolgungen. Jetzt ist Hochkonjunktur.“ Rafael muss am Grenzbahnhof Spielfeld-Straß wie alle anderen auch aussteigen; er beißt sich auf die Lippen. Er ist in Salzburg aufgewachsen und hat die ersten dreizehn Jahre seines Lebens dort verbracht – jetzt versucht er sich zu erinnern und ein wenig von der verschütteten Tonalität des Salzburgischen, das an der deutschen Traun nicht viel anders klingt, durchdringen zu lassen. Er hofft, dass er so irgendwie glaubwürdig erscheint. Als er an der Reihe ist, tischt er den beiden Grenzdienern eine Geschichte auf: „Nein, ich bin nicht Jude, habe da ja ein Hakenkreuz.“ Der eine starrt ihn an, der andere starrt in den Pass und blättert darin herum.
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„Ich bin Kunststudent und möchte auf acht Tage nach Wien.“ „Sie sind also nicht Jude?“ „Natürlich nicht Jude. Sie sehen ja, ich habe das Hakenkreuz da.“ „Naja, beweisen Sie das.“ „Wie wollen Sie das bewiesen haben?“ „Ja, ein Taufschein würde genügen.“ „Na schön, aber wissen Sie, den Taufschein habe ich ja nicht bei mir, ich habe ja meinen Pass da, und wenn ich jetzt … Wie kann ich denn den Taufschein …“ „Bleiben Sie hier, wir lassen Sie hier. Sie telegrafieren an Ihre Eltern, und die senden Ihnen Ihren Taufschein.“ „Ja, ich habe aber nur acht Tage, und wenn ich jetzt hier auf den Taufschein warte, gehen mir meine ganzen Ferien futsch. Bis der Taufschein herkommt, sind schon fünf Tage vorbei, dann habe ich ja nicht mehr viel Zeit, und ich muss unbedingt nach Wien …“ Er erfindet alles: Dass er für sein Seminar in Kunstgeschichte unbedingt in die Ostmark müsse, erst nach Wien und noch nach Salzburg, um dort verschiedene Kunstwerke anzusehen. Die beiden Grenzer beginnen zu debattieren. Und einer sagt: „Ja, er sieht aber hebräisch aus.“ Und der andere: „Aber der Name ist nicht hebräisch.“ Rafael beginnt zu dem unbekannten Gott zu beten: „Bitte lass den anderen gewinnen.“ Und tatsächlich: Der andere gewinnt. Als dann der Zug weiterrollt, hält er den Kopf aus dem Fenster und lässt sich den Fahrtwind über das erhitzte Gesicht streichen. Er fühlt sich leicht. Und wer weiß: Wahrscheinlich ist er der einzige Jude, der sich beim Eintritt ins Deutsche Reich in diesem Moment leicht zu fühlen getraut.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 9. Juli 1938 Aus Juden-Besitz guteingeführtes Warenhaus in einem größeren Markte Salzburgs, außerdem ein erstklassig eingerichtetes Sanatorium in Gastein, sowie einige Villen in St. Gilgen, Attersee und Zell am See günstig zu verkaufen. Anzeige Maklerbüro Karl Katschal & Co.,Salzburg, Linzergasse 10 Salzburger Volksblatt
Am Nachmittag steigt Rafael am Wiener Südbahnhof aus dem Zug. Er bekommt die gleiche schwüle Sommerluft wie in Triest zu spüren, nur dass dort der Wind vom Meer für eine halbwegs frische Brise gesorgt hat. Der Himmel über Wien zeigt sich noch blau, aber schon bauen sich üppige Wolkenberge auf, die von Westen heranziehen und ein Gewitter ankündigen. Rafael besorgt sich in einer Trafik einen Werbestadtplan. Wien ist ihm lange nicht so vertraut wie Salzburg. Im Gegenteil: Er fühlt sich fremd. Kurz überlegt er, ein Taxi zu nehmen, entscheidet sich aber dagegen. Lieber bleibt er für sich. Er will den ganzen Weg bis zur Roßauer Lände zu Fuß gehen. Am Bahnhofsbuffet lässt er sich noch eine Wurstsemmel einwickeln. Er hat eigentlich großen Hunger, aber als er beim Gehen hineinbeißt, merkt er, dass er gar nicht wirklich was schmeckt. Hinterm Palais Schwarzenberg hat er den letzten Bissen gedankenverloren verspeist, da muss er beinahe schmunzeln: „Sagts aber der Mama nichts! Weil die ärgert sich immer so“, hat der Vater stets gesagt, wenn er den Jungs heimlich Schinkensemmeln gekauft hat, auch da in Wien, im Prater, er erinnert sich und denkt dabei an seine Mutter, die schon seit Jahren nur vegetarisch isst.
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Nach zwanzig Minuten kommt er am Heldenplatz an. Trotz Schwüle fröstelt es ihn plötzlich bei dem Gedanken an den gewaltigen Auftritt des „Führers“ genau an diesem Ort. Er will nur rasch fort von hier, weiter, schnell weg. Noch dreißig Minuten Fußweg liegen vor ihm, dann bekommt er den mächtigen Rotziegelbau der Roßauer Kaserne zu sehen. Der Anblick dieser steingewordenen Macht bedrückt ihn, und sein Mut und seine Zuversicht schrumpfen zu einem Häufchen Elend zusammen. Angst steigt in ihm auf. Das Bild des Polizeigefangenenhauses mit seinen Türmen und Zinnen lässt ihn sofort an mittelalterliche, niemals eroberte Festungen denken, aus deren Kerkern in ihren Bäuchen es nur tot ein Entrinnen gab. Rafael geht durch das kleine Tor und durch den kurzen Gang, der zum Verschlag des Wachhabenden führt. Ihm wird klar, dass er nicht weiß, ob er seinen Vater sehen wird, er ist sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt erlaubt ist, inhaftierte Angehörige oder Freunde zu besuchen. Er war ohne diese Gewissheit in Haifa an Bord gegangen. Es wäre jetzt auch zwecklos, auf die Schnelle eine Genehmigung zu kriegen. Tatsächlich wäre Rafaels Vorhaben in letzter Minute gescheitert, hätte ein Wachhabender nicht unvorschriftsmäßig gehandelt. Er lässt ihn einfach passieren. So kommt es, dass Rafael die kleine Zelle betritt, in der ein Mann sitzt, der ihn nicht erwartet, weil er niemanden mehr erwartet. Auch Rafael hatte schon nicht mehr geglaubt, seinen Vater zu sehen. „Ich muss zu ihm! Ich muss zu ihm! Ich muss!“ Immer wieder hatte er sich diesen Satz unausgesprochen vorgesagt. Er wollte seinen Vater unbedingt sehen und mit ihm reden. Er will seinen Vater mit zurücknehmen. Er will so lange bleiben, so lange warten, bis man ihn entlässt. Und da sitzt sein Vater nun, geduldig wie einer, der wartet, dass ein Fisch anbeißt; wie einer,
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der ins trübe Wasser blickt und grübelt, wie es wäre, wenn er selbst ein Fisch wäre; wie einer, dem es nur noch aufs Warten ankommt, schon lange nicht mehr auf den Fang. Doch dann ist er hellwach: „Du Depp! Was machst d’ denn da, schau, dass du weiterkommst!“ Rafael erstarrt. Die Luft bleibt im fast weg. Hat sein Vater das wirklich gesagt? Er unterdrückt den ersten Schmerz, will einfach nur wissen, wie es ihm geht; um ihm Mut zuzusprechen, darum ist er hier. Er will seinen Arm um ihn legen. Wie er dasitzt und was er sagt! Früher gut gebaut, fast hundert Kilo schwer, beinahe eins neunzig groß, jetzt vielleicht noch siebzig Kilo Gewicht. Er erkennt seinen Vater nicht mehr. Sein Vater, achtundfünfzig Jahre alt, sieht nun aus wie ein siebzig oder achtzig Jahre alter Mann! Doch das ist alles nicht so schlimm. Viel schlimmer ist, was er sagt und dass er kein väterliches Wort von sich gibt. Nur zwei Sätze bringt er wie gebetsartig hervor: „Fahre sofort zu Mutti. Fahre sofort zu Mutti.“ „Aber Papi, ich warte. Du wirst jetzt in ein paar Wochen freigelassen und ich warte und wir fahren zusammen nach Palästina.“ „Fahre heute zu Mutti. Bleibe nicht heute Nacht in Wien. Fahre heute zur Mutti, sofort! Sofort, bitte, sofort!“ Und die ganze Stunde oder halbe Stunde, die er noch dort ist, wird er mit ihm nichts mehr sprechen, wird ihm nichts erzählen, wird ihn nichts fragen über die Familie, wird ihm nur immer wieder sagen: „Fahre heute Abend zu Mutti. Bleibe nicht eine Nacht in Wien. Sei gescheit. Fahre noch heute zurück.“ Später, auf dem Weg zum Südbahnhof, geht ein Gewitterregen los. Rafael ist bis auf die Haut durchnässt. Dass ihm die Tränen hinunterlaufen, weiß nur er selbst. Noch am selben Abend
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steigt er in den Zug nach Triest. Als er nach Stunden am Ziel aussteigt, riechen seine Kleider nach Wiener Gewitterregen und sind immer noch klamm. Er geht in ein Kaffeehaus, bis es Zeit ist, das Schiff zu nehmen. Langsam beginnt er zu begreifen, dass es gar nicht aufs Gescheiter-Sein ankommt, sondern mehr aufs Glück-Haben. Fast ohne bürokratische Hindernisse fährt er mit dem Schiff nach Palästina zurück.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 23. Juli 1938 Fahrt nach Salzburg. Durch strömenden Regen. Aber die Menschen stehen unentwegt. So ein wunderbares Volk! Einfahrt in Salzburg. In diese schöne deutsche Stadt. Und die Menschen jubeln. Abends Empfang in Schloß Klessheim. Rainer hat es mit meinem Geld herrichten lassen, und es ist sehr schön geworden. Viele Künstler sind da. Fahrt durch die mondhelle, wundersame Stadt. Spät ins Bett. Heute Festspielanfang. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag
17 Uhr: Mit der Wagner-Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ beginnen die Salzburger Festspiele. Furtwängler dirigiert. Für die nächsten Tage stehen weitere sechs Opern, zwei Schauspiele, sieben Orchesterkonzerte der Wiener Philharmoniker, acht Serenaden im Hofe der Residenz, zwei Kammermusikkonzerte im Mozarteum, sieben Domkonzerte und ein Kirchenkonzert in St. Peter auf dem Programm. Was gänzlich fehlt, ist das Leben und Sterben des reichen Mannes. Auf dem Domplatz wird kein ein-
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ziger „Jedermann“ zu sehen sein. Für diese Festspiele ist der „Jedermann“ bereits gestorben, weil Hofmannsthal Jude ist und weil Goebbels die Festspiele vom österreichisch-katholischen Kern befreien will. Also keine abendlichen „Je-der-maaann“-Rufe von der Turmbalustrade der Franziskanerkirche, die durch die Altstadt hallen. Trotzdem soll die ganze Stadt erfüllt sein von Musik und Festlichkeitstrubel. Goebbels wünscht sich: „Festfreude in Salzburg! Lachende Menschen in einer herrlichen Stadt. Triumph des Barock – Kirchen, Paläste, Brunnen. Unter schönen Brücken rauscht die grüne Salzach dahin und hoch droben liegt das Wahrzeichen der alten Mozartstadt, die mächtige Veste Salzburg. In diesen Wochen pulsiert hier das internationale Leben. Alle Nationen der alten und der neuen Welt erleben in freundschaftlicher Verbundenheit die edelsten Werke der großen Meister deutscher Musik und deutscher Dichtung.“ Und eines hofft er in diesem Jahr auch wieder zu erleben: Berühmte und Unberühmte in den Straßen der Mozartstadt. Zwei Berühmte wird die Kamera von Franz Krieger in diesem Sommer jedoch nicht entdecken: Arturo Toscanini und Max Reinhardt, Schlüsselfiguren der Festspiele; Toscanini boykottiert die Festspiele aus politischen Gründen, Reinhardt war schon im Oktober des vergangenen Jahres mit seiner Frau wegen der Judenverfolgung in die Vereinigten Staaten geflüchtet; aber auch weniger Bekannte wie die Regisseure Herbert Graf und Lothar Wallerstein – beide Juden – sind aus dem Programm und aus dem Reich verschwunden. Das Bedauerlichste in Kriegers Augen ist: Auch Marlene Dietrich will sich nicht mehr blicken lassen. Gehörte sie die letzten drei, vier Spielsaisonen noch zu den internationalen Persönlichkeiten, die die Festspielstadt mit ihrer Anwesenheit schmückten, wird sie in diesem Sommer fernblei-
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ben. Sie weilt in Paris bei ihrem Mann Rudi Sieber, der, weil Jude, schon vor Monaten dem Reich den Rücken gekehrt hat. Nicht nur wegen ihrer Berühmtheit, auch wegen ihrer Extravaganz war sie in den Festspielwochen ein Highlight gewesen. Krieger erinnert sich an ihre Auftritte im Bazar. Sie hatte sich ein Trachtenkostüm mit Cape, beides in leuchtendem Grün, schneidern lassen. Kostüm und Cape waren ein exklusiver Entwurf der Chefdesignerin des Salzburger Trachtenmodengeschäftes Lanz. Dazu trug sie einen rasanten Trachtenhut, angefertigt von Zapf, der bekannten Hutmanufaktur aus dem nahen Städtchen Werfen. Franz Krieger hält nichts von klassischer Musik. Er ist auf Stars wie die Dietrich aus. Zum ersten Mal ärgert er sich über Goebbels. Während Furtwängler fünfhundert Meter Luftlinie entfernt die „Meistersinger“ dirigiert, sitzt Krieger im Bazar und vermisst die Diva. Durch ihren letztjährigen Auftritt in der leuchtend grünen Garderobe ist sie über Wochen Stadtgespräch gewesen und ihr Outfit zum beliebtesten Modell in den amerikanischen Filialen der Firma Lanz geworden. Krieger hat sie mehrfach vor der Linse gehabt, und die Fotos haben sich immer besonders gut verkauft, auch international. Im September 1936 war ein Bild mit Marlene Dietrich von ihm auf der Titelseite von Il Gazzetto Illustrato erschienen. Das Bild zeigte sie beim Stadtbummel in Salzburg gemeinsam mit ihrer Tochter Maria und dem Kindermädchen, der russischen Tänzerin Tamara Matul. Im Juli letzten Jahres war sie gemeinsam mit Maria, ihrem Gatten Rudi und dem Kindermädchen im Schlepptau und sogar mit ihrem damaligen Geliebten, dem Filmstar Douglas Fairbanks jun., in St. Gilgen am Wolfgangsee abgestiegen. Für zwei Monate hatte sie die Pension Schweizerhaus gemietet. Wegen ihres extravaganten Lebenswandels und ihrer Divenhaftigkeit
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hatte Krieger sie wann und wo auch immer unter Beobachtung genommen. Aus Sicht des Fotografen war sie in jedem Moment für eine Story gut. Im vergangenen Jahr hatte sie ein lukratives Angebot von Propagandaminister Goebbels ausgeschlagen. „Ja, so war sie“, denkt Krieger mürrisch. „Die Diva, meist mit Zigarette, umringt von Schauspielerfreunden, im Bazar, beim Bummel mit ihrer Tochter oder mit ihrem Ehemann, all das gibt es nicht mehr.“ Es ist genau dieses Quantum an Exotik und Aufmüpfigkeit, das ihm in diesem Sommer – neben dem Verlust an künstlerischem Esprit auf der Bühne – an Salzburgs Stadtbild fehlen wird. In einem Anflug von Zweifel an dem, was gerade passiert, denkt er: „Dafür gibt es jetzt ein Festspielhaus, das vom sogenannten Reichsbühnenbildner Benno von Arent an den Geschmack der Nationalsozialisten angepasst wurde. Statt in rustikaler Holzverkleidung zeigt sich die Raumdecke nun in goldverziertem Gips, stechen Reichsadler, Hakenkreuz und Führerbüste heraus. Auch für den Reichskanzler selbst soll noch eine repräsentative Führerloge entstehen.“ Die Nationalsozialisten hatten „ihre Selbstverherrlichung nach Salzburg“ getragen. Für sie sollen die Salzburger Festspiele zugleich Bühne und Kulisse sein, auf der sie und nur sie den Ton angeben, begleitet von wenigen anderen, für die sich damit die Gelegenheit bietet, sich mit „rassistischen Ergüssen“ in den Vordergrund zu spielen. Allen voran: Augustin Ableitner. Der Salzburger Heimatdichter schreibt jetzt Rachegedichte, die von den Salzburger Blättern abgedruckt von jedem in der Stadt gelesen werden können. Über Arturo Toscanini reimt Ableitner: „Die Presse weiß jetzt zu vermelden, – dass ein Ehrenbürgerbrief – dich ernennt zum Muselhelden – und zum Stern von Tel Aviv. – Wo die Harfe Davids säuselt – donnert fortan dir Ap-
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plaus.“ Und auch Max Reinhardt lässt er nicht davonkommen, ohne Spott und Häme über ihn auszukübeln: „Auch Du bist uns genommen, – von der Märzflut weggeschwemmt. – Führ nun Deine Jedermänner – überm großen Wasser vor. – Hier von Hamburg bis zum Brenner, – sind wir sicher wohl davor …“ Marlene Dietrich, Arturo Toscanini, Max Reinhardt – sie gehören zu denen, die Franz Krieger wahrlich am meisten vermisst.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 28. Juli 1938 Im Westen Österreichs hat sich die stärkere Bewölkung noch über Mittag gehalten. Im Alpenvorland, das vormittags heiteres Wetter hatte, trat gegen Mittag starke Wolkenbildung mit Gewitter auf. Die Temperatur stieg wieder vielerorts über 25 Grad und erreichte in Klagenfurt 20 Grad. Wetteraussichten: Vorwiegend heiteres, stellenweise wolkiges Wetter, Temperatur wenig verändert, Neigung zu Gewitterbildung. Wiener Neueste Nachrichten
Walter Schwarz ist wieder auf freiem Fuß. Es ist Sommer, so viel steht fest, Juli vielleicht, oder August. Er kann beim besten Willen nicht sagen, welcher Tag heute ist, schon gar nicht weiß er das Datum zu nennen. Was zählt, ist die Freiheit, die vermeintliche Freiheit. Die Füße berühren wieder öffentlichen Wiener Boden. Eine Stadt in der Sommersonne. Einen Moment lang
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bleibt er still stehen. Die Augen geschlossen, spürt er die warmen Strahlen auf seiner Haut und wie sie dem ganzen Körper guttun. Er ist glücklich für den Augenblick. Für ihn fühlt es sich wie eine Wiedergeburt an. Er trägt noch immer Zuversicht in seiner Brust. Viereinhalb Monate Schutzhaft haben ihn gezeichnet, aber er ist kein gebrochener Mann. Äußerlich ist er gealtert. Er hat stark an Gewicht verloren: In hundertfünfunddreißig Tagen hat er mehr als ein Drittel seines Körpergewichtes eingebüßt, bei einer Größe von knapp eins neunzig wiegt er nur mehr eben sechzig Kilo oder etwas mehr. Wie soll ein Mensch, dem Fraß vorgesetzt wurde – „in purem Wasser gekochte Rübenstrünke“ –, auch existieren. In dem mittlerweile viel zu großen Anzug, den er bei seiner Verhaftung trug, ein Bündel unter dem Arm, entfernt er sich von seinem Gefängnisort. „Aufgrund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.38. (Reichsgesetzblatt I S. 414) fordere ich Sie mit Ermächtigung des Herrn Beauftragten für den Vierjahresplan auf, Ihre bei der Vermögens …“ usw.: Das amtliche Schreiben, das man ihm zusammen mit einem vierseitigen Fragebogen vor seiner Entlassung hat zustellen lassen, kommt von der Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Wien I., Strauchgasse 1. Die VVSt als die zuständige Behörde für die Kontrolle und Gesamtorganisation der Zwangsenteignung jüdischer Privatvermögen und der „Arisierung“ jüdischer Unternehmen fordert Herrn Walter Schwarz darin auf, das „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ auszufüllen und darin vollständige und wahrheitsgemäße Angaben über sein gesamtes Vermögen zu machen. Der Fragebogen hat vier Seiten. Auf dem ersten Blatt wird an oberster Stelle vorsorglich darauf hingewiesen, dass „Vor Ausfüllung des Verzeichnisses
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die beigefügte Anleitung genau durchzulesen ist“. Er wird sie lesen. Am unteren Rand des vierten Blattes steht abschließend der Hinweis, dass „Vermögensverzeichnisse ohne Unterschrift als nicht abgegeben gelten“. Er wird unterschreiben. Dazwischen hat Walter Schwarz folgende Angaben zu machen: „Angaben zur Person“, „Angaben über das Vermögen“, „Land- und forstwirtschaftliches Vermögen“, „Grundvermögen (Grund und Boden, Gebäude)“, „Betriebsvermögen“, „Sonstiges Vermögen, insbesondere Kapitalvermögen“, „Abzüge, soweit sie nicht das Betriebsvermögen betreffen“, „Bemerkungen“. Walter Schwarz, „Kaufmann, Wien I., Biberstrasse Nr. 4, geboren am 30. Dezember 1884, Jude deutscher Staatsangehörigkeit, verheiratet mit Dora Schwarz, geb. Schwarz, der Rasse nach jüdisch, der jüdischen Religionsgemeinschaft“ angehörend, wird Angaben dazu machen. Unter „Grundvermögen“ wird er zwei Mietwohngrundstücke angeben: „München Adelgundenstrasse 5b“ und „Linz Domgasse 5“, dazu deren Wert und seinen jeweiligen Anteil an den Grundstücken. Unter „Land- und forstwirtschaftliches Vermögen“ wird er nichts angeben. Unter „Betriebsvermögen“ wird er Angaben zu seinem Warenhausbetrieb in Salzburg machen. Er wird schreiben: „Offene Handelsgesellschaft S. L. Schwarz Kaufhaus Salzburg“, Anteil „38 %“, Wert des Anteils: „0“ RM. Unter „Sonstiges Vermögen, insbesondere Kapitalvermögen“ wird er keine Angaben über seine „Geschäftsanteile an inländischen und ausländischen Unternehmen“ machen. Unter selbigem Punkt wird er auch keine Angaben über „Verzinsliche und unverzinsliche Kapitalforderungen jeder Art an Inländer oder Ausländer“ machen. Ebenda wird er Angaben über „Zahlungsmittel, Spareinlagen, Bankguthaben, Postscheckguthaben und sonstige laufende Guthaben“ machen. Er wird schreiben:
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„4.511 RM und 215 ungarische Pengo ˝ “. Zudem wird er Angaben über „Gegenstände aus edlem Metall, Schmuck- und Luxusgegenstände, Kunstgegenstände und Sammlungen“ machen. Er wird schreiben: „200 RM“ und „Bildersammlung 10.000 RM“. Unter „Abzüge, soweit sie nicht das Betriebsvermögen betreffen“, wird er schreiben: Art der Schuld „Hypothekenschuld“ bei „Thüringische Staatsbank in Weimar“, Nennbetrag der Schuld „11.000“, Zinssatz „5“, „ganzjährige Kündigung“; außerdem „Personalsteuern“, Gläubiger „Steueradministration Wien I und VII ca. 150.000“. Unter „Bemerkungen“ schließlich wird er angeben, dass er „vom 15. März bis einschliesslich 27. Juli 1938 in Wien und in Salzburg in Schutzhaft war“. Er wird versichern, „die vorstehenden Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht, insbesondere sein Vermögen in diesem Vermögensverzeichnis vollständig angegeben zu haben“. Soweit Werte in diesem Vermögensverzeichnis angegeben sind, bestätigt er, „von der Anleitung, die dem Vordruck zu diesem Vermögensverzeichnis beigelegen hat, nicht abgewichen zu sein“. Walter Schwarz wird als „Anmeldepflichtiger“ mit Angabe von Ort: „Wien“ und Datum: „30. Juli 1938“, unterschreiben. Er wird das ausgefüllte Formular bis spätestens Montag bei der Vermögensverkehrsstelle vorgelegt haben. Er wird damit der Aufforderung, das Vermögensverzeichnis auszufüllen und fristgemäß abzuliefern, nachgekommen sein. Und das alles aus einem einzigen Grund: Nur unter dieser Voraussetzung hat man ihn aus der Haft entlassen.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 30. Juli 1938 HAUSLISTEN ZUM EINTRITT IN DEN REICHSLUFTSCHUTZBUND werden heute und am Montag durch die Ortskreisgruppe Salzburg an die Hausbesitzer (Hausverwalter) ausgegeben. Die Hauslisten sollen von den Hausbesitzern (Hausverwaltern) den Hausbewohnern vorgelegt werden zum Zwecke der Ausfüllung. […] Der Luftschutz ruft im Dienste der nationalen Landesverteidigung, die eine grundlegende Pflicht darstellt, alle Volksgenossen zur Teilnahme auf. Er ist die zweitgrößte Organisation in Deutschland. Die Ostmark wird diesem Vorbilde nicht nachstehen. Salzburger Zeitung
Walter Schwarz ist sehr früh auf den Beinen. Eben hat er sich aus seinem Zimmer gestohlen, hat heimlich die Wohnung seiner Schwester verlassen und ist die Stiege hinuntergeschlichen. Als er aus dem Haus geht, schlafen die anderen noch. Draußen taucht er in eine heilige Stille ein. Die Straße ist leer. Kein Menschengeräusch, das den frühen Gesang der Vögel stört. Es ist eine dieser Morgenstimmungen, in die man sich sofort verlieben würde. Doch er hat anderes im Kopf. Er wird sich geradewegs zur Vermögensverkehrsstelle begeben und dort das „Vermögensverzeichnis“ einwerfen. Er will sichergehen, dass er sich die nächsten Tage unbehelligt bewegen kann. Auch die Innere Stadt ist noch fast menschenleer. Nur vereinzelt blicken ihn auf dem Weg Gesichter an. Er kann allein sein und nachdenken. Es ist ein anderes Alleinsein, als es für ihn in der Gefängniszelle war. Die Einsamkeit hatte wehgetan. Manchmal hatte er sich den Schmerz von der Seele geweint.
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Nach fünfzehn Minuten erreicht er sein Ziel. Im Haus Strauchgasse 1 wirft er den Umschlag mit dem Formular ein. Klack! macht es, als der Deckel über dem Einwurfschlitz zufällt. Er schaut sich um. Die Gegend ist ihm nicht geheuer. Die Amtsräume der Vermögensverkehrsstelle liegen in unmittelbarer Nähe der staatlichen, städtischen und sonstigen Partei-Machtzentralen. „Nur die Ruhe, Junge, es ist Samstag. Unwahrscheinlich, dass du von den Machtfritzen auch nur einen zu sehen bekommst.“ Die Tage und Nächte, die seit seiner Haftentlassung am Donnerstag vergangen sind, hat er in der Wohnung von Käthe und ihrem Mann Josef in der Rotenturmstraße 17 verbracht. Zusammen mit seinen Brüdern Paul und Max, Pauls Frau Paula sowie Frieda, ihrem Mann Moritz und deren siebzehnjährigem Sohn Peter sind sie nun zu siebt. Frieda, ihr Mann und Peter sind vor zwei Jahren von Innsbruck nach Wien gezogen. Bis vor Kurzem hatten sie noch zur Miete in der Weihburggasse gewohnt, nicht weit von der Rotenturmstraße entfernt, bis sie die Wohnung vor ein paar Wochen verlassen mussten und bei Käthe untergekommen sind. Paul ist vor etwas mehr als zehn Tagen aus der Haft entlassen worden. Seine Salzburger Wohnung in der Bergheimer Straße war bereits am 13. Mai beschlagnahmt worden. Max ist schon bald nach seiner Verhaftung Mitte März wieder auf freien Fuß gesetzt worden und gleich hier hergekommen. Käthe hält sich seit dem „Anschluss“ vermutlich in Linz versteckt. Sie, ihr Mann Josef und die beiden Söhne wollen sich gemeinsam nach London absetzen. Walter ist am Donnerstagnachmittag als Letzter angekommen und hat erst einmal einen Menschen aus sich gemacht: Er hat sich gewaschen, rasiert, geschlafen, gegessen, hat Kräfte gesammelt, die Kleider gewech-
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selt, sich mit den anderen beraten. Für die Brüder, für Schwester Frieda, für Schwager Moritz, für Peter, für Schwägerin Paula, für alle ist die Wohnung zum Zufluchtsort geworden, an dem alle dasselbe Schicksal teilen: Täglich warten sie darauf, dass endlich die Einwanderungspapiere aus Palästina eintreffen. Ob Elsa, die älteste Schwarz-Schwester, die in Innsbruck wohnt, noch in Österreich ist und Käthe noch in Linz? Nicht einer von ihnen hat etwas darüber erfahren. Walter, zermürbt von der Gefangenschaft, will auf die Ausreisepapiere als Einziger nicht mehr warten. „Die nehmen mich wieder in Haft!“, hatte er gestern Abend noch gesagt, bevor er zu Bett gegangen war. „Ich werde hier nicht warten.“ – „Wo willst du denn hin, Walter?“, hatte Paul ihn gefragt. – „Raus aus Österreich, genau wie ihr.“ – „Aber wo willst du hin und wie?“ – „Ich weiß, dass einige Österreicher noch unsere Freunde sind …“ – „… und die allermeisten nicht“, war Max ihm ins Wort gefallen. „Wie willst du die unterscheiden?“ – „Ich weiß es.“ – „Du glaubst es.“ – „Ich weiß es.“ – „Wir werden jedenfalls warten“, hatte sie Paul nervös unterbrochen. – „Worauf wollt ihr warten? Bis sie euch wieder abholen, nach Dachau bringen, dass sie euch …“ – „Sei jetzt still, Walter!“ – „Still, klar, und die Luft anhalten, bis es passiert? Schaut euch doch um! Die Wohnung ist fast leer. Kaum noch ein Möbelstück haben sie uns gelassen. Die Teppiche haben sie weggeschleppt. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, haben sie uns weggenommen. Schmuck, alles. Deine goldene Uhr, Paul, das Erinnerungsstück von unserem Vater! Fort! Die Firma, die Grundstücke. Und die Bildersammlung! Schaut euch doch um: Kein einziges Bild mehr an den Wänden …“ – „Ach, du mit deinen Bildern, Walter!“ – „Es waren verdammt noch mal auch eure Bilder.“ – „Streiten wir uns nicht“, hatte Frieda sie ermahnt. Walter kennt auch die
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Fakten: „Die Einreisebestimmungen der Einwanderungsländer sind doch kaum noch zu erfüllen.“ – „Die Quotenregelung?“ – „Ja, auch die, Paul. Vor allem aber sind ja nur noch Juden mit finanziellem Rückhalt erwünscht. Enteignete gehören wohl nicht dazu. Die Zeit drängt! Jeden Monat, jede Woche erfinden die Nazis neue Gesetze. Es ist doch nur noch eine Frage der Zeit, bis Judenpässe für ungültig erklärt und eingezogen werden.“ – „Du bist gut informiert“, hatte Max gesagt. – „Informationen, die ihr im Übrigen auch kennen solltet!“, hatte Walter geantwortet. – „Aber, Walter“, hatte Moritz sich verärgert eingemischt, „willst Du etwa wissen, dass wir unser letztes Hoffnungsziel nicht mehr erreichen?“ – „Ich will Euch nur wachrütteln. Palästina? Ich bitte Euch! Die Briten machen doch auch mehr und mehr Schwierigkeiten!“ Dann hatte er eine gute Nacht gewünscht und sich in einem Tonfall verabschiedet, als würde er nicht nur zu Bett gehen … Vor dem Einschlafen hat er an Karl denken müssen: Ein feiner Mensch. Ein Mann mit Manieren. Karl, der auch in der „Liesl“ Zugriff auf gewisse Informationen hatte, hatte sein Schicksal und seine Informationen mit ihm geteilt. Dank Karl hatte Walter Hoffnung geschöpft. Von ihm hatte er erfahren, dass es Fluchtmöglichkeiten gab. – „Für 3000 Reichsmark kann man sich von Aachen aus mit einem Autobus unter den Sitzen nach Belgien schmuggeln lassen.“ Sofort hatte Walter sich gefragt, wie er am besten nach Aachen kommen könnte, wenn es schnell gehen müsste. Karl hatte gesagt: „Je kürzer man unterwegs ist, umso geringer ist das Risiko.“ Ausgeschlossen hat Walter damit sofort den D-Zug von Wien nach Köln, der braucht fünfzehn Stunden! Diese Erfahrung hat er auf Geschäftsreisen einige Male gemacht. Fünfzehn Stunden, in denen unterwegs
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immer eine Kontrolle zusteigen konnte? Nein! Und der Salzburger Zug nach Köln wäre auch nur zwei Stunden früher am Ziel. Walter Schwarz lässt die Strauchgasse und den Gedanken an die Vermögensverkehrsstelle hinter sich und ist auf dem Weg zum Kohlmarkt. Er will zum Demel. Dort wird er Karl treffen. Er hat noch zu gehen und Zeit zum Nachdenken, bis die Konditorei um 9 Uhr aufsperren wird. Nein, weiß Gott, die Flucht wird nicht einfach werden. Die Mutigsten, hatte Karl ihm geflüstert, würden sich einfach auf den Weg machen, nachts wandern und sich tagsüber im Gestrüpp verstecken, in Wäldern oder bei mitleidigen Gastgebern. Wenn eine Flucht schiefginge, würden die Unglücklichen meist in das nächste Gefängnis überstellt. Entweder säßen sie dort ihre Strafe wegen illegaler Grenzüberschreitung ab oder würden in Konzentrationslager oder auch in Festungshaft verbracht. Von dort ginge es meist in die endgültige Deportation. Walter will sich gar nicht vorstellen, was mit ihm passieren würde, wenn etwas an der Grenze oder bei einer Kontrolle schiefgehen würde. Es gibt so viele Wege, in Schwierigkeiten zu geraten. Noch einmal will er nicht in ein Gefängnis. Das würde er nicht überleben. Ihren Entschluss, nicht zu warten, haben Walter und Hertha schon vor Monaten getroffen. Für den Fall, dass er verhaftet würde, sollte sie ihm die Wäsche bringen und als Zeichen ihres Einverständnisses jedes Stück mit Maiglöckchen parfümieren. Die Konditorei Demel hat einen Ruf und ist der Treffpunkt in der Stadt. Es ist kein Geheimnis, dass das Lokal auch von den Repräsentanten der neuen Macht geschätzt wird. Es steht unter dem persönlichen Schutz von Baldur von Schirach, der sich häufiger in Begleitung in Wien aufhält. Offensichtlich hat der künf-
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tige Gauleiter und Reichsstatthalter Gefallen an der Stadt gefunden. Und am Demel, der zu seinen auserwählten Plätzen gehört. Er und seine Frau Henriette sorgen inzwischen sogar für Sonderzuteilungen gastronomischer Spezialitäten aus dem Ausland, damit die Konditorei auch nach dem „Anschluss“ ohne Schwierigkeiten weiterlaufen kann. Dass Henriette die Tochter von Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann ist, ist dabei sicher nicht als Nachteil zu sehen. Wenn die von Schirachs im Gastraum sitzen und Torten konsumieren, ahnen sie nicht, dass die „Demelinerinnen“ in einem Gang zwischen Küche und Toilette politisch Verfolgte mit Süßspeisen und wenn nötig auch mit Informationen versorgen. Als Walter Schwarz beim Demel ankommt, wartet Karl dort bereits auf ihn. Karl ist am Freitagnachmittag aus der Haft entlassen worden. Sie hatten noch am Donnerstag Ort und Zeit für einen Treffpunkt ausgemacht. Diese Zeit ist jetzt. Und der Ort ist hier: der Demel. In einer Ecke, etwas geschützt hinter einer Säule sitzend, hört Walter zu, was sein Freund ihm zu sagen hat: „In Aachen gehst du in ein Kaffeehaus, die Adresse sag ich dir. Da triffst du dann einen Mann, der dir die Informationen gibt, die du brauchst, um rüberzukommen.“ – „Kann man denen trauen?“ – „Die machen das für Geld. Die meisten sind zuverlässig und wollen weiter an uns verdienen. Wenn einer nicht koscher ist, ist er sofort raus aus dem Geschäft.“ – „Aber wie komme ich hin?“ – „Vergiss die Eisenbahn.“ – „Mit dem Auto?“ – „Zuerst einmal brauchst du ein Auto oder jemanden, der dich tausend Kilometer fährt.“ – „Mein Wagen ist beschlagnahmt …“ – „Und noch ein Mitwisser ist auch ein zusätzliches Risiko. Außerdem wirst du mit einem schwarzen Nummernschild mit weißen Ziffern im Altreich schön auffallen und in jedem Fall in
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Köln oder Aachen schnell Verdacht erregen. Die Spitzel haben ihre Augen überall. Das läuft schon seit zwei Jahren mit den Fluchthelfern nach Holland und Belgien, und die Gestapo hat auch schon Wind von den illegalen Auswanderungen über die grüne Grenze bekommen. Außerdem ist alles, was links vom Rhein ist, Sperrgebiet. Also aufpassen und genau tun, was ich sage.“ – „Sperrgebiet?“ – „Du kannst jederzeit in eine Paßkontrolle geraten …“ – „Das sind ja schöne Aussichten. Und wie kommen wir überhaupt hin?“ – „Wir? Aha, wenn du jemanden mitnehmen willst, musst du das selbst wissen.“ – „Ja, das muss sein. Aber ich denke noch darüber nach. Ohne sie fahre ich nicht!“ – „Ja, was jetzt? Dann brauchst du zwei Flugscheine?“ – „Fliegen?“ – „Das ist am sichersten. Von Wien direkt nach Köln. Von Köln müsst ihr nach Aachen. Da nimmst du ein Taxi. Das braucht gute eineinhalb Stunden. In Aachen, dafür werde ich sorgen, ist dann alles vorbereitet. Ich werde das heute noch regeln. Der Mann im Kaffeehaus wird euch erwarten.“ – „Wie soll ich ihn erkennen?“ – „Das sage ich dir noch. Dir ist schon klar, dass er das Doppelte verlangen wird, wenn ihr zu zweit kommt?“ – „Ich habe dafür noch Bargeld, das geht sich schon aus.“ – „Du musst wissen: Die Flüchtlinge zahlen bis zu 10.000 Reichsmark pro Nase an die Fluchthelfer. Je mehr du ihnen zahlst, desto besser die Bedienung.“ – „Ich hab’ nicht ohne Grenzen Mittel, aber ich bleibe dabei: Es muss für uns beide reichen.“ – „Gut. Ihr lasst euch vom Flughafen nach Aachen in ein Hotel bringen, Schildstraße Ecke Schützenstraße. Kannst du dir das merken? Es gehört einem Juden. Der Besitzer heißt Schloß.“ – „Ein Schloß-Hotel?“ – „Nein, eher nicht. Das Hotel Schloß ist in Aachen die Anlaufstelle für Flüchtlinge. Die meisten kommen aus Österreich, viele aus Wien. Solltest du ein bekanntes Gesicht
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sehen, du kennst es nicht!“ – „Weiter?“ – „In dem Hotel könnt ihr auch übernachten, falls es aus irgendwelchen Gründen nicht sofort losgeht. Ihr geht zur abgemachten Zeit vom Hotel ohne Umwege direkt in dieses Kaffeehaus, dessen Name ihr noch erfahren werdet. Und ihr verlasst das Hotel sonst nicht! Klar?“ – „Gut. Sicher.“ – „Auf der belgischen Seite steigt ihr an einer bestimmten Haltestelle aus dem Bus, die ich euch auch noch nennen werde. Da wartet ein Belgier auf euch …“ – „Wie bekommen wir die Flugscheine?“ – „Die bekommt ihr morgen von mir. Ich fahre euch zum Flugplatz. Der Flug geht morgen um 9 Uhr. Ich komme zu der Adresse, die du mir genannt hast, ja?“ – „Ja, bitte, Biberstraße 4, Pitschmann.“ – „Gut. Welche Stiege? Tür?“ – „Stiege 2, Türnummer 6.“ – „Ich hole euch um kurz vor 8 Uhr ab. Wir brauchen etwa zwanzig Minuten bis Aspern. Ihr könnt in der Wohnung warten.“ – Walter schaut ihn länger an, dann betrachtet er sein zweites Tortenstück, das die Bedienung soeben gebracht hat. „Möchtest du nichts essen?“ – „Nein, danke. Dass du jetzt essen kannst …“ – „Und? Was muss ich noch wissen?“ – „Alle weiteren Instruktionen gebe ich dir morgen.“ – „Um kurz vor acht werde ich am Fenster stehen und die Straße im Auge behalten.“ – „Und nicht viel später seid ihr schon in der Luft. Dann gibt es kein Zurück mehr.“ – „Nein, diesen Fehler mache ich nicht noch einmal. Das war die größte Dummheit meines Lebens.“ – „Was meinst du damit?“ – „Ich war im März schon einmal aus Österreich raus.“ – „Und warum bist du nicht geblieben?“ – „Ich wollt’ ja, ich war ja schon fort. Ich hab’ vier Tage vor dem Einmarsch von Hitler in Zürich im Sanatorium BircherBenner gesessen. Ich hatte gar keine Illusionen und schon längst im Ausland investiert und Geld auf ein Konto in der Schweiz gebracht. Bei Bircher war ich mit Dora früher häufiger. Bei dem
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hatte sie eine Ausbildung gemacht und wir waren immer mal wieder dort.“ – „Und dann?“ – „Ich war also dagesessen und wollt’ eh verkaufen. Und da hat mich der Falnbigl aus Wien, mein Kompagnon aus der Mariahilferstraße, der hat mich in Zürich angerufen, hat gesagt: ‚Herr Schwarz, kommen S’ geschwind nach Wien, der Dings aus Prag und Zürich, große Warenhausleute, sind in Wien und möchten verhandeln über den Kauf Ihrer Firma.‘ Und da bin ich Depp zurückgefahren.“ – „Ich glaub’ es nicht! Du bist einer der wenigen gewesen, die tatsächlich Vorsorge getroffen hatten? Hattest das Gras wachsen hören und bist trotzdem noch einmal nach Wien gefahren?“ – „Und, ja, erwischt worden. Oder verraten.“ – Karl sagt für einen Augenblick nichts, dann schaut er auf: „Bedienung! Was macht das zusammen?“ – „Willst du schon gehen?“ – „Besser, wir gehen nicht zusammen, Walter.“ – „Aber ich bitte dich, ich bezahle ja wohl deinen Kaffee!“ – „Na, bis morgen. Habe die Ehre.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 31. Juli 1938 DIE AUSWEISPFLICHT. Berlin […]. Es wird darauf hingewiesen, daß nach dem Paßgesetz Reichsangehörige und Ausländer verpflichtet sind, sich auf amtliches Auffordern jederzeit über ihre Person genügend auszuweisen. Sie tun dies zweckmäßig durch Vorzeigen irgendeines amtlichen gültigen Lichtbildausweises, da sie andernfalls Gefahr laufen, bis zur Feststellung ihrer Person polizeilich festgehalten zu werden. […] Diese Bestimmungen gelten
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besonders auch für Personen, die aus dem übrigen Reichsgebiet in das Sperrgebiet im Westen des Reiches reisen. Dieses Sperrgebiet umfasst das gesamte linksrheinische Gebiet, einen Teil des Landes Baden, ferner die Bezirke Aschaffenburg, Alzenau, Obernburg, Miltenberg und Marktheidenfeld, aber auch einige Kreise Preußens, Hessens und Württembergs. Salzburger Zeitung
Walter Schwarz hat in der Nacht schlecht geschlafen. Er ist voller Unruhe. Außerdem macht ihm der Magen Ärger. Er ist das Essen nicht mehr gewohnt. Und gestern hat er gegen den Rat seines Freundes beim Demel gleich zwei Stück von der Sachertorte verspeist. Die „Eduard-Sacher-Torte“ vom Demel steht der „Sacher-Torte“ vom Hotel Sacher in nichts nach. Vor allem, wenn man monatelang hat darben müssen. Hertha trauert um die Wohnung, die Walter ihr mit seinem Geld eingerichtet hat. Sie sitzt in ihrem blauen Lieblingssessel, kramt in ihrer Handtasche und zupft ständig an ihren Haaren oder an ihrem Kleid herum. In den letzten Monaten hat sie sich sehr verändert. Wenn sie sich früher im Spiegel betrachtet hat, hat sie immer eine Frau gesehen, die eine genaue Vorstellung davon hatte, wie sie aussehen wollte. Jetzt liegen ihre Nerven blank. Walter steht am Fenster und wartet auf den Wagen, der sie zum Flugplatz bringen soll. „Siehst du schon was?“ „Nein, Hertha-Schatz.“ „Und du bist sicher, dass man ihm vertrauen kann?“ „Ich bin sicher.“ „Und du willst nichts essen?“ „Nein.“ „Ich bin noch nie geflogen, Walter.“
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„Es ist das Beste. Alles andere ist zu gefährlich.“ „Ja, das hast du schon gesagt.“ „Das Problem sind einfach die Grenzkontrollen. Darum nehmen wir das Flugzeug. Die Nazis versuchen unsere Vermögen, Devisen und andere Werte im Reich zu halten. Gleichzeitig haben sie den Verfolgungsdruck vervielfacht, und die Zahl der jüdischen Flüchtlinge nimmt immer weiter zu. Aus Österreich sollen es heuer schon sechzigtausend gewesen sein, wie man hört. Die Nachbarländer beschweren sich immer lauter, vor allem wegen der illegalen Grenzübertritte, und die Beziehungen zu den Ländern werden nur immer schlechter. Ich sage dir: Bald geht legal gar nichts mehr. Ich hoffe nur, dass meine Brüder und ihre Familien ihre Palästinapapiere noch rechtzeitig bekommen. Hörst du mir zu?“ „Jetzt müsste er aber bald kommen. Es ist schon beinahe acht.“ „Er kommt schon.“ „Haben wir gar kein Gepäck?“ „Ich hab’ dir ja erklärt, dass wir ohne Gepäck reisen müssen. Für eine Nacht braucht man kein Gepäck. Wenn wir nach Gepäck gefragt werden, kann ich auf unseren Rückflug verweisen. Das ist der Plan. Die Rückflüge, die wir nachher auch bekommen, sind für morgen. Natürlich nur pro forma. Bist du denn sehr nervös?“ „Und wie. Du nicht?“ „Sicher.“ „Wann kommen wir an?“ „Er sagt, dass wir am Nachmittag in Aachen sind.“ „Fliegen wir die ganze Zeit?“ „In Nürnberg steigen wir um. Du hast schon alles wieder vergessen, was ich dir gestern erklärt habe.“
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„Entschuldige bitte.“ „Da kommt er, glaube ich. Der Wagen hält. Moment … ja, er ist ausgestiegen …“ „Gehen wir also?“ „Wir warten auf das Klingelzeichen.“ Die Klingel schlägt einen langen und einen kurzen Ton an. „Komm, Hertha. Das ist das Zeichen, dass unten die Luft rein ist.“ „Ja, Walter.“ „Du siehst schön aus.“ „Du willst mich nur ablenken. Ich habe Angst.“ „Haben wir alles?“ „Ich weiß es nicht. Wir nehmen ja nichts mit, was wir vergessen könnten.“ „Du hast recht. Wir haben außerdem uns. Gib mir deine Hand. Du hast ja eiskalte Hände!“ „Nicht schlimm, Walter.“ Beim Auto lässt Hertha sich von Walter die Tür öffnen. Sie nimmt im Fond Platz. „Guten Morgen, Herr …“. „Ich bin Ihr Chauffeur. Nennen Sie mich einfach Karl.“ „Das ist Hertha, Karl. Hertha, das ist Herr Karl. „Küss die Hand …“ „Haben Sie keine Bedenken, Karl?“ „Ich? Nein, gnädige Frau.“ „Nennen Sie mich nicht so, das macht mich noch nervöser.“ „Kann’s losgehen, Karl?“ „Aber ja, Walter. Können wir, Fräulein Hertha?“ „Charmant, dein Freund, aber sag ihm bitte, dass dafür jetzt leider der falsche Zeitpunkt ist.“ „Wenn Sie erst einmal nicht mehr in Österreich sind, werden
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Sie die Höflichkeit noch arg vermissen, gnädige Frau.“ „Er will dich nur ablenken, Hertha. Hast du unsere Flugscheine, Karl?“ „Die habe ich hier.“ Er klopft auf seine linke Brust. „Die bekommt ihr gleich beim Aussteigen.“ „Hast du auch an die Rückflüge gedacht?“ „Ja, alles wie besprochen. Hab ihr auch eure Pässe?“ „Haben wir. Und wenn wir, ich meine, wenn ich meinen Pass vorzeigen muss?“ „Du gehst allemal als Nichtjude durch, Walter. Da würde ich mir keine Sorgen machen. Und der Name Walter Schwarz klingt auch nicht jüdisch. Aber zuerst einmal legst du bei der Personenabfertigung nur die Flugscheine vor. Wenn ihr Glück habt, wollen sie nur die sehen. Ihr reist ja nicht in die Schweiz oder nach London.“ „Und sonst?“ „Das Geld, Walter, die Kopfgelder – Verzeihung, Fräulein Hertha, das klingt ja furchtbar, wenn ich das so sage … das musst du dem Hotelbesitzer, dem Herrn Schloß, übergeben. Für euch beide. Der gibt es eurem Kontaktmann. Wenn es bei dem nicht ankommt, wird er nicht an der vereinbarten Adresse sein. Du hast es dabei?“ „Natürlich. Ist der Schloß wirklich zuverlässig?“ „Aber ja!“ „Das Kaffeehaus, Karl, der Name von diesem Kaffeehaus …“ „… nennt dir der Schloß. Die Bushaltestelle in Belgien und den Namen des Belgiers, der euch weiterhilft, teilt euch dann der Mann im Kaffeehaus mit. – So, gleich haben wir Aspern erreicht. Das ist schon die Groß-Enzersdorfer Straße.“ Kurz danach kommt für alle das lang gestreckte Flughafen-
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gebäude mit dem Abfertigungsturm in der Mitte in Sicht. Im Wagen spricht keiner mehr ein Wort. Jetzt biegt Karl links in eine schmale, nur in eine Richtung befahrbare Straße ein, die direkt auf das dem Rollfeld vorgelagerte Betriebsgebäude zuführt. Auf dem Platz vor der Ankunftseite stehen Lohnkraftwagen, Busse und Fiaker. Sie fahren immer bis zur Empfangshalle vor und beim Verlassen des Geländes eine zweite, einspurige Straße bei der Groß-Enzersdorfer Straße wieder hinaus. Karl hält an. Er zieht die Flugscheine aus der Innentasche seines Jacketts. „Nun wünsche ich euch Glück.“ „Ich danke dir für deine Hilfe … Freund.“ „Es war mir ein Vergnügen. Passt auf euch auf.“ Walter hat die Hand an der Tür. Er zögert. Hertha will auf ihrer Seite aussteigen. „Halt, warte, Hertha!“ „Was ist? Wir müssen!“ Er nimmt ihre Hände: „Ich habe es dir noch nicht gesagt.“ „Was?“ „Wir fliegen nicht zusammen.“ „Walter! Was soll das bedeuten? Komm jetzt!“ „Nein, Schatz, du bleibst hier. Du kannst nicht mitkommen. Ich habe es dir bis jetzt verschwiegen. Ich habe es dir früher nicht sagen können.“ „Du willst mich nicht mitnehmen?“ „Ich habe es mir gut überlegt. Es ist das Beste. Stell dir vor, was passieren würde, wenn sie dich mit einem Juden erwischen.“ „Sie werden uns nicht erwischen.“ „Kann sein, Liebling. Sicher hast du recht. Aber es geht nicht
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anders. Wer soll mir außerdem helfen, wenn sie dich auch in die Hände kriegen?“ „Aber wir haben doch alles …“ „Ich muss das allein schaffen. Wenn ich in Sicherheit bin, kommst du nach.“ „Du gehst ohne mich?“ Hertha bricht in Tränen aus. „Sagen Sie doch was, Karl“, schluchzt sie. „Ich habe davon nichts gewusst, Fräulein Hertha. Aber er muss wissen, was er tut.“ „Aber, wenn wir uns nicht wiedersehen …“ „Bitte fahr sie nach Hause!“ „Du, du bist ein Schuft, Walter!“ „Beruhige dich.“ „Lass mich!“ „Walter! Dein Flugzeug …“ „Du musst mir versprechen, dass du keine Dummheiten machst, wenn ich fort bin, ja. Ich würde mir sonst große Sorgen machen. Gib mir einen Kuss.“ Als Walter aussteigt, kann er das Wummern der Flugzeugmotoren hören. Er dreht sich noch einmal um, lächelt, winkt. Für Hertha ist es ein Bild hinter einem wässrigen Schleier und schmutzigen Glas.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Montag, 1. August 1938 DAS WETTER. Bericht des Reichswetterdienstes. Köln […]. In dem von West nach Ost sich erstreckenden Gebiet hohen Druckes bleibt das hochsommerliche Wetter weiter erhalten. Von den britischen Inseln vordringende feuchtere Luft wird auf dem Wege zum Festland wetterunwirksam. Am Sonntag konnten in ganz Westeuropa und somit auch im Rheinland Höchstwerte der Luftwärme im Schatten von über 30 Grad gemessen werden. Aachen meldete sogar 32 Grad. Kölnische Zeitung
Walter Schwarz hat die letzte Nacht im Hotel verbracht. Er hat sein Zimmer nicht verlassen, hat sich nicht gerührt. Als ihm Herr Schloß einen guten Morgen wünscht, gesteht er ihm, dass er kaum geschlafen habe. Die Kaiserstadt, über der wie über dem ganzen westlichen Europa seit ein paar Tagen eine schwüle Hitze liegt, will ihm nicht so recht gefallen. Aachen liegt mitten im Sperrgebiet. Aber nicht allein die Umstände und das Wetter sind es, die ihm zu schaffen machen. Er muss immerzu an Hertha denken. Erst am späten Nachmittag ist er gestern eingetroffen. Schließlich hat er doch einen ganzen Tag gebraucht. Die Reise ist anstrengend, ansonsten jedoch problemlos gewesen, fast etwas zu einfach für seine Begriffe. Herr Schloß hat ihn auf die zweite Person angesprochen. Als Walter ihm das Geld für zwei gegeben hat, hat er nicht weiter nachgefragt. Beim Verlassen des Hotels kann er deutlich die Glocken des Aachener Doms vernehmen. Von Herrn Schloß hat er sich eben noch einmal den Weg zum Kaffeehaus erklären lassen. Der Ho-
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telier hatte ihn angewiesen, den Weg über die Schildstraße, dann geradeaus über die Wirichsbongardstraße zu gehen, den Elisenbrunnen und den kleinen Park rechter Hand liegen zu lassen und der Hartmannstraße bis zu ihrem Ende zu folgen. Dann solle er einen Schwenker nach links über den Münsterplatz machen, ein Stück die enge Krämerstraße hinter dem Dom entlanggehen und gleich wieder rechts in den Hof abbiegen, bis er in die Körbergasse und an der Ecke Büchel zum Van den Daele käme. Der Herr erwarte ihn im ersten Stock. Wenn er sich doch verlaufen würde, solle er nach Turm und Kuppel des Doms Ausschau halten. Vom Dom sei das Kaffeehaus keine zwei Minuten entfernt. Als Walter dem Dom nach zehn Minuten Fußweg schon ganz nahe kommt und auch den Spitzturm sieht, folgt er der kleinen Straße, die Hof heißt, und wirft einen kurzen Blick auf die alten Häuser, die den Straßenzug so schön begleiten. Wie er sich umschaut und die Fassaden betrachtet, hätte er beinahe seine Vorsicht vergessen, aber da irritiert ihn plötzlich ein menschengemachter Lärm. Der Lärm, der so gar nicht zum frühen Morgen passen will, fliegt ihm geradezu entgegen. Mit einem Mal ist die Gasse voller Leben. Leute rennen vorbei, als sei der Teufel hinter ihnen her. Schützend drückt er sich in einen Hauseingang. Als die drei Flüchtenden und ihre Verfolger vorbei sind, traut er sich vorsichtig an die Ecke heran, wo sich um das Kaffeehaus eine kleine Menschentraube gebildet hat. Polizisten mit Hakenkreuzarmbinden und Männer in langen Ledermänteln, die sie als Beamte der Gestapo erkennen lassen, haben das Kaffeehaus geräumt. Razzia. Sein Mann, den er am Strohhut mit grünem Band hätte identifizieren sollen, ist unter denen, die festgehalten werden. Das konspirative Treffen: geplatzt. Die Flucht: geplatzt.
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Walter Schwarz hängt in der Luft. „Zurück ins Hotel? Zurück nach Wien? Zurück nach Österreich? Zurück?“ Diesen Fehler will er weiß Gott nicht noch einmal begehen. Das hat er sich geschworen. „Und das Geld? Mit dem Geld beginnt es langsam eng zu werden.“ Obwohl allein, hat er bei allem, für das er bezahlt hat, für zwei bezahlt. „Zum Flughafen? Zum Bahnhof? Der Nachtzug?“ Die Gedanken schießen ihm durch den Kopf. „Was tun, wenn man das Richtige tun muss? Wohin, mein Freund, wenn es dich friert? An diesem Ort darfst du nicht bleiben. Bauchgefühl. Schleich dich!“ Gleich beim Elisenbrunnen hatte er die motorisierten Lohnkutscher gesehen. Also zurück. „Zum Bahnhof, bitte!“ – „Ja, gewiss, der Herr.“ – Ob er von hier denn heute noch nach München käme, hatte er sofort beim Einsteigen gefragt. – Nein, nur ab Köln sei heute noch der Nachtzug nach München zu erreichen, weiß ihm der Taxichauffeur zu berichten. – „Warten Sie, ich muss nachdenken.“ – „Lassen Sie sich ruhig Zeit, mein Herr.“ – Als dem Chauffeur das Schweigen seines Fahrgastes aber doch etwas zu lang wird, fragt er nach: „Also dann, wohin, der Herr?“ – „Bringen Sie mich nach Köln.“ – „Nach Köln?“ – „Ja, aber zum Flughafen, bitte. Fahren Sie!“ – „Sehr gerne, der Herr.“ – „Sehr gerne? Nein, sehr gerne nicht“, denkt Walter. Schon bald nachdem die Ju-52 am Mittag in Köln gestartet ist, erliegt Walter Schwarz dem konstanten Brummton der Propellermotoren und taucht in einen tiefen Schlaf. Irgendwann am Nachmittag, die Lufthansa-Maschine ist gerade im Anflug auf München-Oberwiesenfeld, wacht er auf und weiß sofort genau, was er als Nächstes zu tun hat. Er muss dringend Geld beschaffen. Das Taxi nach Köln und der Flug haben ihn seiner letzten Mittel beraubt. Sein Flugschein Köln-Wien war für Mün-
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chen unbrauchbar. Seine Taschen: fast leer. Ganz gegen seine Gewohnheiten entscheidet er sich am Flughafen für die Straßenbahn. Im Kopf hat er jetzt nur noch eins: die Adelgundenstraße. Eine halbe Stunde später steigt er am Münchener Hauptbahnhof aus und geht ohne Zögern los. Inzwischen fällt ihm die Schwüle arg zur Last. Es ist die lange Haftzeit, die er jetzt zu spüren bekommt und die an seinen Kräften nagt. Die Adelgundenstraße scheint ihm wie ein entfernter Planet zu sein. Mit jedem Schritt werden ihm die Beine schwerer. Die Strapazen der Haft und das Scheitern seiner Flucht haben auch die wenigen Stunden Schlaf nicht richten können. Sein Weg führt ihn am Stachus vorbei, bald quert er die Altstadt und kommt bei der Frauenkirche an. Da hat er die Hälfte geschafft und legt eine Pause ein. Er geht weiter über den Marienplatz am Rathaus vorbei, dann muss wieder eine Pause sein. Sodann geht er durchs Tal in Richtung Isar und kommt nach einer ewig langen halben Stunde in der Adelgundenstraße an. Hinteregger heißt der Mann, von dem er sich Hilfe verspricht. Walter Schwarz betätigt die Klingel am Haus 5b. Hans Hinteregger, sein langjähriger Hausverwalter, öffnet die Tür: „Ja, was denn, Sie, Herr Schwarz?“ „Ja, ich bin das wirklich, Herr Hinteregger.“ „Müd’ schauen S’ aus. Mager sind S’ geworden, Herr Schwarz. Kommen S’ rasch herein.“ „Mach ma’s kurz, Hans, sein S’ so gut und geben mir was von den Mieteingängen raus.“ „Ich würd’ ja sofort, aber grad heut Morgen hat die Gestapo, haben die das Ganze, Ihr Haus, aber auch die Mieteinnahmen, beschlagnahmt. Ich kann Ihnen praktisch, ich darf Ihnen praktisch nichts geben.“
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„Was? Diese verfluchte Saubande!“ „Tut mir sehr leid, Herr Schwarz.“ „Ja, Hans, schon gut. Ist ja nicht Ihre Schuld.“ „Das Einzige, was ich machen kann, ich schenk Ihnen 800 Mark. Warten S’. Aber Sie dürfen niemandem sagen, dass Sie es von mir bekommen haben.“ „800 Mark? Ja, was? Herr Hinteregger, was soll ich sagen?“ „Sagen S’ weiter Hans, und nehmen S’ das Geld, da, Herr Schwarz.“ „Ich danke Ihnen vielmals! Sie sind ein guter Mensch.“ „Na, Sie waren ja auch immer anständig zu mir. Was haben Sie jetzt damit vor?“ „Besser, Sie wissen’s nicht.“ „Gut, ich weiß eh nichts. A Glas Wasser vielleicht?“ „Ja, bittschön. Und wenn ich kurz das Telefon …“ „Freilich, Sie kennen sich da ja sowieso aus.“ Wie Walter Schwarz sich von der Adelgundenstraße entfernt und seinen Weg in Richtung Bahnhof aufnimmt, ist er sicher, dass er wieder zum Flughafen will. Er hat Hertha nicht erreicht, aber er hat einen Plan. Einen Plan, der freilich nicht ohne Risiko ist. Er will in die Schweiz. In Zürich liegen noch seine 18.000 Franken auf der Bank. In Gedanken spricht er mit sich selbst alles durch: „In Oberwiesenfeld am Flughafen steht ein Flugzeug nach Zürich und eines nach Wien. Du kaufst eine Karte nach Zürich und nimmst die, die du hast, für Wien.“ Er denkt das Ganze immer wieder von vorn. Den ganzen Fußweg zum Bahnhof und auf der Fahrt mit der Straßenbahn. „Wenn du am Flugplatz angekommen bist, wird es schon früher Abend sein. Es wird keine weitere Maschine mehr geben. Aber das wird sich schon ausgehen! Durch die Passkontrolle gehst du mit der Wie-
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ner Flugkarte durch, verirrst dich auf dem Vorfeld und steigst in das Flugzeug nach Zürich ein. Du hast dafür den Flugschein gekauft!“ Als er am Flugplatz Oberwiesenfeld die Straßenbahn verlässt, sieht er sich im Geiste schon in die Maschine nach Zürich steigen. Aber er spürt auch sein klopfendes Herz. Immer wieder muss er sich selbst Mut zusprechen und sagen, dass es sich schon ausgehen wird! Den Weg von der Endstation der Straßenbahn bis zum Flughafenempfangsgebäude nimmt er beim Gehen kaum mehr wahr. Dann betritt er das Gebäude, kauft am Schalter einen Flugschein nach Zürich wie geplant, passiert mit der Wiener Karte die Abfertigung für Reisende nach Wien, und nichts Besonderes geschieht. Dann geht er aufs Vorfeld, bleibt stehen, spielt verwirrt, verläuft sich und geht auf das Flugzeug nach Zürich zu, und nichts Besonderes geschieht. Bei der Gruppe, die bereits am Fuß der Fluggasttreppe wartet, reiht er sich unauffällig ein und wieder: Nichts Besonderes geschieht. Doch dann geht alles ganz schnell. Wie aus dem Nichts schießen zwei Fahrzeuge bis auf wenige Meter heran, stoppen bei laufendem Motor und spucken vier Ledermäntel aus. Einer verliest Namen von einem weißen Blatt. Walter Schwarz wird bei seinem zweiten Fluchtversuch erneut verhaftet und nach München in die „Zentrale der Geheimen Staatspolizei“, Brienner Straße 50, überstellt. „Als er in den Stunden, die seiner zweiten Verhaftung folgen, auf der Holzpritsche in einer großen, überfüllten und stinkenden Zelle der Münchner Polizeidirektion liegt, packt ihn die Angst, die ihn in der Haftzeit vorher niemals hatte antasten können.“
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 4. August 1938 SALZBURGER-FESTSPIELE. Heute: „Tannhäuser“ im Festspielhaus, 19 Uhr. Dirigent: Hans Knappertsbusch. Morgen, Freitag, 5. August: „Egmont“ in der Felsenreitschule. Salzburger Zeitung
Franz Krieger will heute nackte Haut sehen. Das Wetter passt. Die Hitzewelle hält schon seit Tagen an. Es ist schwülwarm und man möchte sich am liebsten aller Kleider entledigen und den Tag im kühlen Schatten oder im Haus verbringen. Wer nicht im Freien arbeiten muss, kann von Glück reden. Ein heißer Sommertag wie dieser lässt sich aber auch dann viel leichter ertragen, wenn man seine Arbeit aus der Hitze der Stadt in eine Badeanstalt im Grünen verlagern darf. Franz Krieger darf und mischt sich im Franz-Josef-Bad, das nach dem Willen der Nationalsozialisten demnächst Volksgartenbad heißen soll, unters Volk. Er geht davon aus, dass hier an Tagen wie diesem einfach jeder, der es in seinem Tagesablauf einrichten kann, Abkühlung sucht. So hofft er, den einen oder anderen Bühnenstar ganz privat vor die Kamera zu bekommen. Am liebsten wäre ihm natürlich eine weibliche Darstellerin. Er selbst muss möglichst unerkannt und seine Kamera unentdeckt bleiben, sonst wird es mit den „hautnahen“ Fotos nichts. Und ein Teleobjektiv, wie es sie neuerdings gibt, wäre viel zu auffällig in einer Badeanstalt. Er muss möglichst nah heran – und er hat Glück. Es gelingt ihm, die attraktive Filmschauspielerin Angela Salloker einzufangen. Man kennt sie auch von der Salzburger Bühne. Vor Kriegers
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Linse spielt sie eine gänzlich andere Rolle. Sie trägt einen zweiteiligen Badeanzug und bietet einen reizenden Anblick. Und wie sie sich bewegt! Überhaupt bekommt man einen Zweiteiler in diesen Tagen sehr selten zu sehen. Aber bei der hübschen Salloker drückt der Bademeister gerne ein Auge zu. Ist sie doch als Frau abseits der Bühne ebenso eine Ausnahmeerscheinung wie als öffentliche Künstlerin. Damit Krieger ungestört fotografieren kann, hat er zuvor beim Bademeister Rücksprache gehalten. Er wird ihn später auch noch ins Bild nehmen – den Blick auf die Badenden gerichtet, stets bereit, vom Beckenrand als Retter ins Wasser zu springen – und ihm als Dankeschön einen Abzug seines Fotos – bronzebrauner, blanker Oberkörper in langer, weiter, blütenweißer Hose – zukommen lassen. Es gibt im Franz-Josef-Bad auch einen kleinen Weiher, an dem das Café-Restaurant Schwarzgruber liegt. Auf dem Weiher kann man Ruderboote und sogar Segelboote für eine Runde im Teich mieten. Franz Krieger will es nachher noch aufsuchen und eine eiskalte Limonade trinken und ein bisschen den Booten zusehen. Bis zu seiner Limonade sammelt er aber erst einmal noch ein paar weitere sommerliche Impressionen ein: spielende Kinder, flirtende Paare, Meerjungfrauen unter der Dusche. Dann muss er aus der Sonne. Angela Salloker hat heute nur ihren privaten Auftritt im gewagten Zweiteiler gehabt. Auf der Bühne wird sie morgen Abend wieder zu sehen sein: Sie wird das fröhliche und lebensfrohe Klärchen im „Egmont“ geben, das jedoch am Ende aus Liebesverzweiflung freiwillig in den Tod geht – ein Trauerspiel.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 28. August 1938 ALPINER WETTERDIENST: Im Gebirge ist es trüb. Die Südalpenberge stecken in Wolken. Die Temperaturen sind etwas höher als gestern. Auf dem Sonnblick regnet es bei +2 Grad. In 1500 Meter Höhe hat es um die 10 Grad. Die Winde wehen schwach aus südlicher Richtung. Neues Wiener Tagblatt
Etwa hundert Straßenkilometer südlich von Salzburg entfernt haben sich an diesem regengrauen Tag dreiunddreißig mutige Männer versammelt, um sich einer harten Probe zu stellen. Sie treten an, um in ihren Rennwagen beim „Internationalen Großglockner Bergrennen“ zu starten. Seit zwei Tagen schon sind alle Augen und alle Objektive auf sie und ihre rasanten Boliden gerichtet. Franz Krieger hat sich kurz vor dem Start erst einmal eine Position im Zielbereich gesucht. Wie hier oben, so stehen auch am Start und an der Strecke Hunderte in Erwartung ihrer Idole. Das Training an den beiden vergangenen Tagen war bei denkbar schlechter Witterung vonstattengegangen. Regen, Regen, Regen. Kein Grund für die enthusiastischen Rennsportfans, dem „Großen Bergpreis von Deutschland“ fernzubleiben. Schon während des Trainings haben sie die Hochalpenstraße in ihrer ganzen Länge flankiert. Die Starterliste verheißt ja auch wirklich die großen Stars. Hermann Lang und Manfred von Brauchitsch, beide auf Mercedes-Benz, und der Bergkönig Hans Stuck auf Auto Union sind dabei. Am Start laufen die letzten Vorbereitungen, und die Motoren der Achtzylinder brüllen auf,
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dass sie bis zum Ziel herauf zu hören sind. Jetzt sind alle im Fieber. Die Straße ist in den Kehren noch einmal besser befestigt worden. Damit Sand und Schotter nicht mehr so leicht aufspritzen, wurde sie stellenweise zusätzlich mit Kopfsteinpflaster belegt. Aber im Regen fahren und Bergstrecken meistern, das sind gleich zwei Herausforderungen auf einmal, die den Fahrern ihr ganzes Können abfordern werden. Im Vorteil ist da Hermann Lang. Am Großglockner zu Hause, ist er die Rennstrecke mit seinem privaten Personenwagen tagelang vom frühen Morgen bis späten Abend hinauf- und heruntergefahren, um sich jede Kurve einzuhämmern. Anders als in den letzten Jahren liegen Start und Ziel heuer zwar nur 12,6 Kilometer auseinander. Aber wegen des anhaltend schlechten Herbstwetters haben sich den Fahrern auch nur eingeschränkte Trainingsmöglichkeiten geboten. Die „Oberste Nationale Sportkommission“ hatte entschieden, dass das Rennen in zwei Läufen erfolgen sollte und statt über eine Länge von 33,5 Kilometer von Fusch bis auf die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe auf 2346 Metern nur von Ferleiten bis zum Fuscher Törl gefahren wird. Die Arbeit hinter der Kamera ist durch die schlechten Wetterverhältnisse zwar weniger ein Vergnügen, aber wirklich beeinträchtigt davon fühlt sich Franz Krieger nicht. Er sieht es gelassen. Er ist schon seit vorgestern an der Strecke und konzentriert wie stets bei seiner Arbeit. Gleich beim ersten Training am Freitag ist es ihm gelungen, einen der Favoriten der Königsklasse, Manfred von Brauchitsch, im silbernen Mercedes-Benz mit der roten Nummer 81 aufs Bild zu bannen, gerade in dem Moment, als Helfer ihn zum Start geschoben haben. Neben Hermann Lang ist von Brauchitsch der zweite prominente Mercedes-Fahrer. Franz Krieger hat Freude an dieser Art von Rennen. Neben dem
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Risiko, dass jeder Schlenker mit größten Gefahren verbunden ist – neben dem Straßenrand gähnt gleich die Tiefe –, gibt es auch immer das Risiko eines „Stechens“ auf Zeit. Da sich die wenigsten Fahrer dem aussetzen wollen, fahren sie auf Sieg. „Das wird ein Rennen! Und bei dem Sauwetter muss es noch spannender werden“, denkt Krieger. Dann eine Überraschung: Ganz unerwartet und viel beachtet kommt statt eines silbernen Rennsportwagens ein KdF-Testwagen den Berg hoch- und auf die Ziellinie zugeknattert. Die Zuschauer machen Augen. Da klettert ein blaues Automobil, ein ganz normaler Tourenwagen, den man noch nie dort gesehen hat, lustig die Großglockner Rennstrecke hinauf, und der Ansager gibt über Lautsprecher stolz bekannt, dass dieses „Kraftdurch-Freude“-Fahrzeug für die zwölfeinhalb Kilometer lange Rennstrecke 21:54,4 Minuten benötigt und einen Schnitt von 34,5 Stundenkilometern erreicht hat: „Gänzlich ohne zu kochen, gänzlich ohne nach Kühlwasser zu lechzen.“ Am Steuer säße Professor Ferdinand Porsche. Der KdF-Wagen sei seine Entwicklung. Der „Führer“ habe ihn in Auftrag gegeben, ein sparsamer und preisgünstiger Wagen, den er sich für sein Volk wünsche. Über den weiteren Verlauf des Tages ist schnell berichtet. Hermann Lang versucht Hans Stuck, dem ungekrönten König der Berge, sein Feld streitig zu machen. Sieger wird Lang jedoch noch nicht, aber mit nur vier Sekunden Rückstand Zweiter hinter Stuck. Franz Krieger hat es nach der Siegerehrung plötzlich auch sehr eilig. Er will nach Salzburg zurück, um Göring noch zu erwischen, der vom Obersalzberg kommend einen Ausflug in die Stadt machen will. Er hat diesen Tipp einmal mehr aus dem Munde eines Informanten bekommen. Krieger schaut zum Himmel und steigt in seinen Wagen. Das Wetter hat sich augen-
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scheinlich etwas gebessert. Jetzt drückt er aufs Gaspedal und fühlt sich in seinem Steyr 220 schon fast wie Stuck, der mit einem Schnitt von 74,40 Stundenkilometern auf Auto Union deutscher Rennwagen-Bergmeister geworden ist, hinter ihm Lang und von Brauchitsch. Beide auf Mercedes-Benz. Auch Krieger ist schnell, aber dieses Mal hat er das Nachsehen. Als er ankommt, ist Göring schon wieder zum Obersalzberg unterwegs. Zu dumm! Der Generalfeldmarschall hatte Salzburg in einem Sportcabrio besucht, war im Tomaselli eingekehrt, hatte eine Stadtrundfahrt unternommen und während eines Platzregens im Neutor Zuflucht gesucht. Leider hat Krieger das nur aus zweiter Hand erfahren …
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 2. September 1938 DIE ERSTEN 1000 VOLKSGASMASKEN WERDEN ANGEPASST. Wien […] Die Masken kommen in den drei Größen M, F, K heraus, d. h. für Männer, Frauen und Kinder. Natürlich können nur Kinder über drei Jahre eine Gasmaske tragen; die jüngeren müssen in gassichere Räume gebracht werden. […] Ein Vorsprung über der Nase enthält ein Bunsenventil zum Ausatmen, damit der Filter nicht zweimal durchatmet werden muß. Und wie lange hält der Filter wohl, wird schon mancher Kriegsteilnehmer, der vom Auswechseln der Filter weiß, gefragt haben. Dieser Filter kann mit Sicherheit einen ganzen Krieg überdauern; er ist eine besondere Leistung der deutschen Technik und Chemie. Reichspost, Wiener Ausgabe
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München liegt noch im Dämmerschlaf, da klopft und klingelt es beim Hausverwalter von Walter Schwarz an der Tür. „Um diese Uhrzeit!“ In seiner Wohnung geht das Licht an. Hans Hinteregger schlurft zur Tür und flucht. Er ruft wiederholt, dass er ja schon unterwegs sei. Aber davon lassen sich die Störenfriede nicht beeindrucken und poltern und klingeln weiter. Als er öffnet, stehen zwei Geheime vor der Türe. „Gestapo“, denkt er sofort. „Wer sonst macht morgens um fünf so einen Krawall.“ Der eine sieht aus wie dem antisemitischen Hetzblatt des Julius Streicher entsprungen: eine leibhaftige „Stürmer“-Karikatur. Der andere, ein weniger brutal ausschauender Jüngerer, lässt aber auch keine Sekunde einen Zweifel daran, dass die sich anbahnende Situation für Hans Hinteregger ungemütlich verlaufen wird. Etwas umständlich formuliert er, dass ihr Besuch mit der Verhaftung von Walter Schwarz im Zusammenhang steht. Hans Hinteregger, der mit gutem Gewissen vorgeben kann, von einer Verhaftung nichts zu wissen, ahnt nun bereits, dass dieser grausam frühe Besuch nur in Verbindung mit dem plötzlichen Auftauchen seines Chefs vor gut einem Monat stehen kann, und gibt sich erst einmal ahnungslos: „Was ist denn mit dem Schwarz?“ „Wir müssen Sie leider verhaften, Herr Hinteregger“, kommt die barsche Antwort zurück. Hans Hinteregger schluckt die Spucke herunter: „Ja, was? Verhaften? Warum?“ „Ihr Jude Walter Schwarz aus Salzburg, der ist gestern Nacht gestorben. Und Sie kommen jetzt nach Dachau.“ Hans Hinteregger zuckt zusammen: „Warum komm’ ich nach Dachau?“ „Ja, weil Sie ihm 800 Mark gegeben haben? Das hat er zuge-
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geben. Allerdings mussten wir ihn erst sehr freundlich bitten.“ Hans Hinteregger fährt der Schreck in die Glieder: „Na was? Ist das etwa eine Sünde? Ich hab’ an dem Mann jahrzehntelang gut verdient. Er hat ein Mietkonto über 8900 Reichsmark bei mir gehabt, das beschlagnahmt worden ist. Da darf ich ihm keine 800 Mark geben? Wenn er nichts hat, wenn er nicht essen gehen kann?“ „Nein! Sie haben dem Juden damit zur Flucht verholfen.“ Hans Hinteregger hat den Ernst der Lage längst erkannt. Aber nach Dachau, dahin will er nun doch nicht gehen. „Wissen Sie was? Bevor Sie mich nach Dachau schicken, rufen Sie meinen Bruder an!“ „Ja, wer ist denn Ihr Bruder?“ „Mein Bruder ist der Georg Hinteregger, der Gauleiter von Vorarlberg.“ „Ha, das kann ein jeder sagen!“ „Rufen S’ an! Sie haben doch eine direkte Leitung zur Gauleitung in Bregenz, oder nicht?“ „Dazu müssen Sie mitkommen.“ „Kann ich mir noch was überziehen?“ Das Stürmergesicht gibt dem Jüngeren ein Zeichen: „Geh’ du mit, sonst fällt er uns nachher noch aus dem Fenster.“ Im Schlafzimmer streift sich Hans Hinteregger hastig Hose und Hemd über und steigt in seine Schuhe. Der Mann beobachtet ihn dabei. Hinteregger, von skeptischer Hoffnung beseelt, spürt, wie sein Herz klopft. In der Brienner Straße 50 angekommen, stellt man sogleich die Telefonleitung nach Bregenz her. Es dauert, bis Georg Hinteregger am Telefon ist: „Was gibt’s? Um diese Zeit! Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, Mann!“
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Das Stürmergesicht erklärt kurz, dass Hans Hinteregger der Grund der frühen Störung sei. Was mit seinem Bruder wäre, will Gauleiter Hinteregger wissen. „Ja, geben S’ mir meinen Bruder“, sagt Hans Hinteregger keck, und das Stürmergesicht reicht ihm widerwillig den Hörer. „Ja, Hans, was ist denn los?“ „Ja weißt, der Salzburger Walter Schwarz, wo wir mal den großen Umbau g’macht ham, du weißt …“ „Da hamma am Kranzlmarkt den Umbau g’macht, im Jahr 29. Die Firma Hinteregger vergisst nie. Aber was ist jetzt nachher, Hans?“ Nachdem Hans Hinteregger seinem Bruder Georg die Lage erklärt hat, will dieser wieder den Beamten sprechen: „Na, gib mir mal den wieder, Hans.“ Der Beamte nimmt den Hörer zurück: „Hören S’! Meinen Bruder können S’ nicht auf Dachau schicken!“ „Nein, nein, Herr Gauleiter, das kommt ja nicht infrage, den hab ich nur verwarnt, dass er das nicht mehr machen darf.“ „Naja, jetzt ist ja auch niemand mehr da, dem er noch Geld geben kann.“ „Dann werden wir Ihren Bruder jetzt wieder nach Hause bringen, Herr Gauleiter, wenn’s recht ist.“ Aber da winkt Hans Hinteregger bereits ab. Das freundliche Angebot will er nicht annehmen und geht die zwei Kilometer von der Brienner Straße bis zu sich nach Hause lieber zu Fuß. „Der Schwarz soll sich umgebracht haben?“ Wenige Stunden, nachdem dem Hans Hinteregger in München der Schreck in die Glieder gefahren ist, schaut Dora Schwarz in Zichron-Ja'akov, Palästina, aus dem Fenster ihres Sanatoriums, als das Telefon klingelt. In der letzten Stunde schon
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zum fünften Mal. Sie hat eigentlich gar keine Zeit, die Minuten des Tages damit zu vertrödeln und hinaus in den von der Sonne übergossenen Garten zu sehen. Die Uhr an der Wand, die eben auf 8.15 Uhr zeigt, holt sie wieder ins Hier und Jetzt zurück. Dora schnauft. Das Haus ist voll belegt mit Gästen, und sie muss schon Zimmer bei Familien im Dorf anmieten, um alle Anfragen bedienen zu können. Ihr Sanatorium liegt eingebettet in einem weitläufigen Park, ein kleines Paradies auf Erden. Nach dem Umbau und der Eröffnung vor gut zwei Jahren hat sich das Bet Hachlamah Dora Schwarz zu einer Pilgerstätte für Gesundheitsbewusste entwickelt. Doras Tage sind mit Aufgaben eng gespickt. Ankommende Sanatoriumsgäste nimmt sie immer persönlich in Augenschein. Sie verschafft sich einen Eindruck von ihrer Kondition, wiegt sie, misst den Blutdruck und stellt für jeden einen eigenen Diätplan auf. Neben vegetarischer Kost und frischen Säften gehören bei Dora auch Massagen, Leibesübungen und Ruhe zur Kur. Sie empfiehlt jedem Gast einen Spaziergang nach dem Frühstück oder Abendbrot. In ihren Augen ist Bewegung wichtig für Leib und Seele, und daher verlangt sie von allen, so oft wie möglich zu Fuß zu gehen. Das Sanatorium verfügt deshalb auch über einen Tennisplatz für Spiele und Wettkämpfe. Abends finden sich die Gäste zur Entspannung im Leseraum ein, führen Gespräche, hören Radio oder musizieren. Das Sanatorium ist nur von Pessach, 10. April, bis Chanukka, 12. Dezember, geöffnet. In den drei Wintermonaten hat das Personal Urlaub. Dann veranstaltet Dora Kochkurse und Ernährungslehrgänge im Haus. Zurzeit aber herrscht Hochbetrieb, und das ständige Klingeln des Telefons ist der Preis für Doras Erfolg. Als sie abhebt, ahnt sie nichts von der dunklen Wolke, die sich über ihr ballt. Am
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Telefon meldet sich ein Mann. Er spricht deutsch, bairisch vielleicht. Seinen Namen nennt er nicht. „Sie wollen Dora Schwarz sprechen? Na, ich bin Dora Schwarz.“ – „Ich spreche aus München, Frau Schwarz. Ich will Ihnen nur mitteilen, dass Ihr Mann heute oder gestern umgekommen ist. Er soll sich, also, er soll sich umgebracht haben.“ Dora Schwarz lässt den Hörer sinken und schaut hinaus in den Garten, wo sie die ersten Gäste beim Morgenspaziergang sehen kann. Das Gebäude der Salzburger Sparkasse, Alter Markt 3, steht dort, wo die Judengasse auf den Alten Markt ausläuft. Aus den Fenstern des Besprechungszimmers kann man direkt auf den Platz und auf das Kaufhaus Schwarz gegenüber schauen. Im Laufe seiner nachmittäglichen Sitzung hat der Vorstand der Salzburger Sparkasse beschlossen, das Kaufhaus Schwarz zu erwerben. Die Herren über das älteste heimische Sparinstitut sind zufrieden. Direktor Karl Leiminger lässt sogleich ein Schreiben aufsetzen: An die Gau-Wirtschaftsberatungs-Stelle der NSDAP, z. H. d. Herrn Landesrat Dr. Erich G e b e r t Salzburg Fabergasse
Betreff: Die gefertigte Sparkasse beehrt sich zur Kenntnis zu bringen, daß der Sparkassen-Vorstand in seiner Sitzung vom 2. September 1938 prinzipiell den Beschluß gefaßt hat, das Kaufhaus zu
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erwerben, um den gesamten Geschäftsbetrieb der Sparkasse in dieses Haus zu verlegen. Vor Erwirken der endgültigen Entscheidung ist lediglich zu prüfen, ob und in welcher Weise die Parterre-Räumlichkeiten des Kaufhauses Schwarz dem obigen Zweck nutzbar gemacht werden können. Heil Hitler Salzburger Sparkasse Leiminger
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 4. September 1938 IN ERWARTUNG … Nürnberg […]. Nur ein Tag trennt uns noch vom Reichsparteitag 1938. Die wochenlangen Vorbereitungen sind beendet: Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage, ist gerüstet, ist bereit, die hundertausende deutscher Menschen aus aller Welt und die Gäste aus dem Auslande aufzunehmen und ihnen gastfreundliche Unterkunft zu gewähren. Eine besondere Bedeutung erhält ja der diesjährige Reichsparteitag durch die Heimkehr der Brüder und Schwestern aus der Ostmark, die in diesen Tagen in großer Zahl nach Nürnberg kommen. Reichspost, Wiener Ausgabe
30 Pfennig kostet der Führer durch die Ausstellung „Entartete Kunst“, die ab heute im Salzburger Festspielhaus zu sehen ist.
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Franz Krieger will dort Bilder von Bildern machen. Er kauft eine Eintrittskarte und ein Exemplar des Ausstellungsführers. Die Abbildung auf der Vorderseite zeigt einen aus Stein gemeißelten, fratzengesichtigen Kopf. Aus einer wenig schmeichelhaften Perspektive, in harten Schwarz-Weiß-Kontrasten fotografiert, wirkt er unnatürlich und entstellt. „Abscheulich“, denkt Krieger unweigerlich, denn er kann sich der Wirkung des Gebildes nicht verschließen. Der Öffentlichkeit war schon die Münchner Premiere der Ausstellung im letzten Jahr in zahlreichen Blättern angekündigt worden und die Presse hatte ausführlich berichtet. Wobei die hohe Besucherzahl betont und besonders die große Menge ausländischer Gäste herausgestellt worden war. Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels hatte die Ausstellung höchstpersönlich geplant und zuerst nach München gebracht. Mit einem Zutrittsverbot für Personen unter einundzwanzig Jahren will er auch in Salzburg eine Aura des Verbotenen erzeugen und damit die Anziehungskraft zusätzlich erhöhen. Diese und ähnlich sensationell aufgemachte Ankündigungen und Berichte sind bestimmt auch Franz Krieger nicht verborgen geblieben, und sicher ahnt er, was er bei seinem Rundgang durch die Ausstellungsräume zu sehen bekommen wird. Vielleicht war ihm in Salzburg sogar eines der grellroten Flugblätter der letztjährigen Münchner Eröffnung zugeflogen. Die Handzettel waren in München in einer groß angelegten Verteilaktion tausendfach unters Volk gebracht worden. „Gequälte Leinwand – Seelische Verwesung – Krankhafte Phantasten – Geisteskranke Nichtskönner – Seht Euch das an! Urteilt selbst! – Besuchet die Ausstellung Entartete Kunst – Eintritt frei – Für Jugendliche verboten.“ So die reißerischen Worte, die auf dem
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roten Blatt zu lesen waren. Der Mensch, der immer auch an der Begaffung von Abnormitäten interessiert ist, durfte sich angesprochen fühlen. Der fotografierende Mensch eingeschlossen. In Salzburg hat es den ersten Hinweis auf die hiesige Ausstellung im Volksblatt am 13. August gegeben. Die Zeitung hatte ihren Lesern erklärt, die Veranstaltung diene dazu, „die jüdischbolschewistische Zersetzungsarbeit auf den einzelnen Gebieten des kulturellen und politischen Lebens in Wort und Bild zu zeigen“. Nein, Franz Krieger ahnt nicht nur, er wird wissen, was ihn erwartet: Die Nationalsozialisten wollen dem Publikum vor Augen führen, dass gegen das Judentum und die Juden ein Kampf zu führen sei. Salzburgs Bildberichterstatter, der sich schon ein wenig umsieht und noch auf die Ankunft von Reichsstatthalter Reitter und Gauleiter Rainer wartet, ist im Bilde. Das Material für die Ausstellung, so hat er aus der Zeitung erfahren, ist in zehn Lastwagen nach Salzburg geschafft worden, darunter Werke von George Grosz, Ernst Ludwig Kirchner, Max Ernst, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Paul Klee, Otto Griebel und Ernst Barlach. Expressionismus, Impressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus, Kubismus, Fauvismus. Ebenfalls im Volksblatt war am 27. August eine Liste mit einem Überblick über die Verkaufsstellen für die Eintrittskarten abgedruckt worden, die die Gaupropagandaleitung in der Stadt eingerichtet hat. Denn anders als in München ist in Salzburg der Eintritt zur Besichtigung der „Entarteten“ nicht frei. Aber es gibt immerhin Billets zu ermäßigten Preisen. Als offizieller Gaubildberichterstatter profitiert auch Krieger davon. Er ist aber ohnehin nicht wirklich nur wegen der zur Schau gestellten „Entarteten“ hier. Anlass seines Erscheinens ist schlicht und einfach
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das Prozedere um die Eröffnung der Ausstellung. Im Fokus stehen für ihn also weniger die Exponate als die Offiziellen, die den Eröffnungsakt vornehmen werden. Dann ist es auch so weit: Allen voran schreitet der Reichsstatthalter von Salzburg, Albert Reitter, zuständig für die lokale NS-Kulturpolitik, an seiner Seite Gauleiter Friedrich Rainer, gefolgt von einer größeren Anzahl braun und schwarz Uniformierter. Während die Herren Raum für Raum hinter sich lassen und Reitter den gut gelaunten Erklärer gibt, schaut Krieger in die Gesichter des Publikums. Und was sieht er? Niemand ist irritiert, niemand schockiert. Man gibt sich sachlich-intellektuell, ist sich einig, dass die Wirkung der politisch wie künstlerisch aufschlussreichen Präsentation wohl größtenteils von den Kunstwerken selbst ausgeht, aber durch die Systematik der Anordnung und die anschauliche Beschriftung noch wesentlich erhöht wird. Man ist sich ebenfalls einig, dass sich die Wandelgänge des großen Festspielhauses und der Stadtsaal hervorragend für diese Veranstaltung eignen. Krieger hält drauf. Bilder einer Ausstellung.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 8. September 1938 BLEIBT ES SCHÖN? […] In Wien herrschte gestern Schönwetter. Der ges trige Wetterbericht besagt: Nur im Bereich der Hohen Tauern fielen leichte Niederschläge. In den Nordalpen und im Alpenvorland war es wolkig, aber ziemlich heiter, sonst noch stark bewölkt. Die Mittagstemperaturen lagen
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zwischen 15 und 17 Grad. Wetteraussichten: Längerer Bestand des besseren Wetters noch nicht gesichert. Kleine Volks-Zeitung Wien
Am Nachmittag sitzt der diensthabende Beamte der Münchner Polizei an seinem vertrauten Arbeitsplatz in der Gestapo-Zentrale, Brienner Straße 50. Der Dienst fängt wie üblich mit Papierkram an. Der Beamte schwitzt; wohl nicht unter der Last seiner Arbeit, aber unter seiner Uniform, denn den Münchnern beschert dieser 8. September einen sonnenreichen Tag. Vor einer Viertelstunde hat er seinen Dienst angetreten. Nun geht er seiner ersten Amtshandlung nach. Der Deckel des bräunlich grauen Journals, das vor ihm auf dem Schreibtisch liegt, ist von seiner Hand vor ein paar Monaten mit „Selbstmörderverzeichnis 1938“ beschriftet worden. Innen befinden sich vorgedruckte Spalten, wie es der landläufige Buchhalter von seinem Kassenbuch her kennt. In das vorliegende Journal werden jedoch keine Geschäftsvorfälle, die mit Barzahlungen zu tun haben, aufgezeichnet, sondern Todesfälle, die durch Suizid verursacht worden sein sollen. Der Beamte nimmt das Polizeiprotokoll und den Kolbenfüllhalter zur Hand und setzt an, die persönlichen Daten des Walter Schwarz fein säuberlich in die entsprechenden Spalten zu übertragen. Für ihn ist es ein verwaltungsmäßiger Ablauf, den er im Laufe des Jahres schon über zweihundert Mal vollzogen hat. Seine Eintragungen hat er so bald wie möglich nach der jeweiligen „Selbstentleibung“ vorzunehmen. Er hat also „nach Anfall“ fortzuführen, was seine Ermittlerkollegen aufgenommen haben. Walter Schwarz ist dem Datum nach eigentlich sein erster Selbstmörder im September, aber er hat in diesem Monat schon Eintragungen davor gemacht. Er liest noch einmal
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die letzte vom 7.9.38 (betr. Selbstmörder Nr. 203): „Meierhöfer Bartholomäus, 15.4.60, Püchersreuth, kath., verw., Rentner, Holzapfelstr. 7. Hat sich am 6.9. 11:30 in seiner Whg. mit Gas vergiftet. Eingestellt 7.9.38 AR IVc 758/38.“ Das macht er immer so, bevor er sich dem nächsten Selbstmörder widmet und die Angaben hinzufügt. Als Polizeibeamter war er auch schon häufiger bei der Feststellung der Todesursache vor Ort, letzte Nacht jedoch nicht. Da hatte er dienstfrei. Um 1.15 Uhr lag er wie fast jeder rechtschaffene Bürger der Stadt München gemütlich in seinem Bett. Er stützt seine Feststellungen zur Todesursache und zum Suizid-Motiv auf das ihm vorliegende Protokoll der Kollegen sowie auf eigene Erfahrungen. In der Regel kommen Befragungen im Umfeld des Toten dazu. Im Falle Schwarz Walter war dies nicht möglich gewesen. Familie und Verwandte – alle im Ausland. Über eine Doppelseite zieht sich die Kopfzeile, unter der er nun von links nach rechts Spalte für Spalte auszufüllen hat. Dreizehn Spalten sind es genau. Nr.: 204 Name des Selbstmörders: Schwarz Walter Geburtsort: Wien Religion: Jude Familienstand: verheiratet Beruf: Kaufmann Wohnung: Wien Die Feder streift kaum hörbar über das weiße Papier. Der Beamte betrachtet den ersten Teil seiner Arbeit. Seine Handschrift ist die eines Mannes, der es nicht eilig hat. Die ersten sieben Spalten der linken Seite hat er in seiner gestochen scharfen Kur-
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rentschrift ausgefüllt. Er ist mit sich zufrieden. Nachdem er frische blaue Tinte aufgezogen hat, wird er sich mit der gleichen Sorgfalt den restlichen Spalten des Protokolls widmen. Die beiden nun folgenden, „Erwerbs- und Vermögensverhältnisse“ und „Gesundheitsverhältnisse“, füllt er jeweils mit dem gleichen Adjektiv aus, er schreibt: günstig. Woher er dieses Wissen nimmt, bleibt ungewiss. Dann kommt er zum Ende. Zeit, Ort und Art der Selbstentleibung: Hat sich am 31.8/1.9.38 im Gefängnis der Geheimen Staatspolizei erhängt. Am rechten Rand der Doppelseite muss er dann nur noch zwei Spalten ausfüllen. Nächste Veranlassung: Furcht vor Strafe Bearbeitet von: Die letzte Spalte bleibt bei Walter Schwarz wie bei allen anderen, deren vermeintlicher Selbstmord hier manifestiert wurde, unausgefüllt.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 16. September 1938 CHAMBERLAIN IN MÜNCHEN. […] Der britische Premierminister Neville Chamberlain traf gestern mittags 12.30 Uhr auf dem Flugplatz MünchenOberwiesenfeld ein. Er wurde im Auftrag des Führers begrüßt vom Reichs minister des Auswärtigen von Ribbentrop. Die Reise nach dem Berghof wurde von München mit einem Sonderzug fortgesetzt. Der britische Premierminister wird mit seiner Begleitung im Berchtesgadener Grand Hotel Wohnung nehmen. Die Besprechungen auf dem Berghof werden im Lauf des Nachmittags beginnen. Neuigkeits-Welt-Blatt, Wiener Ausgabe
Am frühen Morgen verlässt Chamberlain Berchtesgaden. In Begleitung von Reichsaußenminister von Ribbentrop und Dirksen, dem deutschen Botschafter in London, geht es jetzt über die Reichsautobahn zurück nach München, wo der britische Premierminister am Mittag vom Flughafen Oberwiesenfeld den Heimflug nach London antreten will. Unterwegs legt man eine Fahrpause am Rasthaus Bernau mit Blick auf den Chiemsee ein. Auf der Seeterrasse nützt ein unbekannter Fotograf die Gelegenheit und macht ein Foto von Chamberlain und den beiden anderen Herren. Drei Männer in dicken Mänteln mit Hut starren auf den See. Es sieht so aus, als könne sich Chamberlain immer noch nicht vorstellen, dass Hitler keinen Frieden will. Zweitausend Kilometer Luftlinie südöstlich von Bernau in Zichron-Ja'akov, wo man noch keinen Mantel braucht und einen Hut höchstens, um sich vor der Sonne zu schützen, ist gerade Mittagszeit. Dora Schwarz hat Besuch von ihrem Ältesten, Hugo,
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der sich über das Wochenende von seinen Geschäften in Jerusalem erholen will. Das Kolbo Schwarz, das erste Jerusalemer Kaufhaus, das er mit dem Geld seines Vaters vor vier Jahren erworben hat und dessen Geschäfte er seitdem führt, läuft gut, sehr gut. Als Dora Anfang September die Nachricht vom Tod ihres Mannes erreichte, waren Rafael und Benjamin in ihrer Nähe. Hugo blieb auf Wunsch der Mutter in Jerusalem. „Nein, nein, Motek, wir sehen uns doch in zwei Wochen schon“, hatte sie am Telefon zu ihm gesagt. Heute ist sie froh, dass er da ist. Sie gönnt sich einen Tee und nimmt sich Zeit, einen Blick in die Zeitung des Tages zu werfen. „Hast du schon gelesen, Hugo? Chamberlain will Hitler davon abbringen, in die Tschechoslowakei einzumarschieren.“ „Österreich ist ihm nicht genug, jetzt will er auch noch das Sudetenland.“ „Hitler hat ihn gestern auf dem Berghof empfangen.“ „Was schreibt die Times?“ „Sie schreibt, dass die Nachricht von der überraschenden Reise tiefste Zufriedenheit und Erleichterung in aller Welt ausgelöst hat. Für die große Masse der Engländer und auch für Millionen in anderen Ländern werde Chamberlains kühnes Vorgehen Beruhigung bedeuten und gleichzeitig einen neuen Beweis von seinem Mut und seiner Vernunft darstellen.“ „Na, wir werden noch sehen, ob er auch auf Hitler beruhigend eingewirkt hat. Was schreiben sie noch?“ „Die beiden wären sich als Männer und als Staatsmänner begegnet, die, ohne ein Jota von ihren persönlichen Überzeugungen abzuweichen, sich nun zusammentun, um eine Katastrophe zu vermeiden und um die Nationen von Europa auf den Weg
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der Vernunft und des Friedens zurückzuführen. Und so weiter.“ „Wir können froh sein, weit weg zu sein.“ „Österreich fehlt dir nicht?“ „Ich werde immer Österreicher sein. So, und jetzt genug davon. Ist die Post auch schon gekommen, Mama? Soll ich für dich nachsehen?“ „Die Post? Ach ja, schau du doch, bitte.“ Eine Minute, dann ist Hugo zurück. „Sind Rechnungen dabei? Ich will es gar nicht wissen.“ „Tja, mal sehen, warte …“ „Was Wichtiges? „Da ist ein Brief aus Jerusalem. Der kommt vom deutschen Generalkonsulat, Mama.“ „Was soll das sein?“ „Vielleicht wegen Papa?“ „Bitte, öffne du doch den Brief.“ „Er ist an dich adressiert …“ „Dann erst recht. Drei Wochen schon und wir wissen immer noch nicht, was mit ihm ist, ob er beerdigt wurde und wo und wie. Ob er sich selbst umgebracht hat oder … da ist nichts. Da ist alles dunkel.“ „Mama. Wir wissen es doch. Gefoltert werden sie ihn haben, geschlagen. Das weiß man doch. Das machen die doch.“ „In der Schweiz hatte er noch ein paar tausend Franken auf der Bank liegen, aber das hat er bestimmt nicht gleich gesagt …“ „Man kann sich das vorstellen, Mama, und es quält …“ „… und da haben die gesagt: Wenn Sie überleben wollen, reden Sie, sagen Sie uns, wo die Konten in der Schweiz sind. Das hat ihn das Leben gekostet. Dann haben sie ihn wahrscheinlich umgebracht.“
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„Das macht mich wütend, Mama. Ich kann mir auch genau vorstellen, was da passiert ist. Aber das macht ihn nicht wieder lebendig.“ „Du hast recht. Genug jetzt. Was ist das für eine Post aus Jerusalem?“ „Wenn wir nicht bald Bescheid bekommen, fahre ich nach München.“ „Untersteh dich!“ „Mama …“ „Mach endlich den Brief auf.“ „Gut, wenn du willst.“ „Nun mach schon! Was steht drin?“ „Moment …, also, da steht …, da steht, dass wir die Urne mit der Asche bekommen können. Hier steht: Asche.“ Im Raum macht sich entsetzliche Stille breit. Dann: „Was! Verbrannt haben sie ihn?“ „Beruhige dich, Mama.“ „Verbrannt haben sie ihn also. Wissen sie nicht, dass es wider aller Natur ist, den Körper in Asche umzuwandeln? Sie erwarten, dass wir uns von einer Urne verabschieden. Kein Grab, an dem wir trauern können. Seine Seele hat keinen Ruheplatz in dieser Welt, wenn der Körper verbrannt wurde. Was sind das für Bestien? Wollen sie uns damit noch mehr demütigen?“ „Ich gehe am Montag gleich zum Konsulat und kümmere mich um alles.“ „Er kann nach unserer Tradition nicht begraben werden, Hugo. Sie haben ihn verbrannt!“ „Ja, Mama, bitte, reg dich nicht auf. Ich werde mit dem Oberrabbiner reden. Papa soll ein anständiges jüdisches Begräbnis bekommen.“
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„Wie können sie einen Juden verbrennen, Hugo, sag mir: Wie können sie das machen?“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 29. September 1938 Ich spreche dann mit dem Führer, der auch keinen Augenblick im Zweifel ist, daß hier noch eine Chance liegt. Dann taucht bei ihm ein Gedanke einer Viererkonferenz auf: mit Mussolini, Chamberlain und Daladier. In München. In einer Stunde sagt Mussolini schon zu. Es ergibt sich damit eine ganz neue Lage. Der Himmel beginnt sich etwas aufzulichten. Es bleibt uns wahrscheinlich die Möglichkeit: wir nehmen feierlich das sudentendeutsche Gebiet, die große Lösung bleibt noch offen, und wir rüsten weiter für künftige Fälle. Das ist der große Sieg, den der Führer jetzt erringen kann. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag
München, die „Hauptstadt der Bewegung“, hat „ihren ganz besonders großen Tag. Die Mitglieder der verschiedenen Formationen der Partei streben ihren Sammelstellen in der Innenstadt zu, SA und SS, NSKK, NSFK, HJ, zu Fuß vielfach, besonders stark aber in Straßenbahnwagen, die alle überfüllt sind, in großen Mengen auch mit Fahrrädern, sodass der Verkehr in der Stadt heute ganz besonders behindert ist. Die Straßen der Stadt haben in aller Eile Schmuck in den Fahnen der Bewegung angelegt. In den meisten Straßenzügen gibt es kein Haus, das nicht mit Hakenkreuzbannern versehen wäre. Oft bilden ganze lange
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Straßenfronten einen einzigen Wald von Fahnen. München weiß, wie es den Führer und seine Gäste, die leitenden Staatsmänner Italiens, Englands und Frankreichs zu empfangen hat. Der Himmel ist am frühen Morgen, wie das in München meistens der Fall ist, etwas verhangen, die Luft angenehm frisch. Aber nun kommt immer mehr und wärmer die Sonne durch und überstrahlt bald das lebhafte Treiben der Stadt. Vor allem der Münchner Hauptbahnhof ist von dichten Menschenscharen umlagert. Hier kommen zahlreiche deutsche und ausländische Persönlichkeiten, vor allem aus der Reichshauptstadt, an. Auf dem ersten Bahnsteig steht schon der Sonderzug des Führers und es wird bald bekannt, dass Adolf Hitler dem italienischen Regierungschef Benito Mussolini entgegenfahren will. Die Menschenmassen, die den Führer sehen und ihm wenigstens ihre guten Wünsche mit auf den Weg geben wollen, werden immer größer. Der Bahnsteig ist mit den deutschen und italienischen Fahnen geschmückt und auch auf dem Querbahnsteig hängen große italienische Fahnen von der Stirnfront herab. Über den ganzen Bahnsteig läuft ein breiter roter Teppich. Der kleine Empfangssalon am ersten Bahnsteig ist prächtig mit Blumen geschmückt. Bald nach 8 Uhr erscheint der Führer mit seiner Begleitung, stürmisch begrüßt von den Menschenmassen.“ Einer, der um diese Zeit nicht auf der Straße ist, sitzt im Standesamt I im Münchner Rathaus am Marienplatz an seinem Arbeitsplatz. Er ist Standesbeamter und hat sich auch an diesem Tag pflichtgemäß um seine Aufgaben zu kümmern. Ab und zu wirft er einen Blick aus dem Fenster, hinunter auf die Menschenmenge, die den Marienplatz erobert hat. Wie in allen Standesämtern im Deutschen Reich wird auch in München ein Personenstandsregister geführt. Teil dieses Registers ist das Ster-
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beregister. Und auch wenn München Kopf steht: Mit heutigem Datum findet die offizielle Anzeige des Todes von Walter Schwarz Eingang in das Personen- und damit in das Sterberegister des Standesamtes München. Mit dem Stempel vom „29. Sep. 1938“ versehen wird das Dokument anschließend von eben jenem Standesbeamten an das Amtsgericht München weitergeleitet. Ablesbar am folgenden Standardhinweis: „Von k. H. zum Amtsgerichte München, Vormundschafts- und Nachlaßgericht, mit dem Beifügen, daß obiger Sterbefall im diesamtlichen Sterberegister unter Nr. 2296 beurkundet ist.“ Dem folgt ein handschriftlicher Nachsatz des Standesbeamten: „Der Sterbefall konnte erst nach Abschluß der Ermittlungen am 28. Sept. 38 beurkundet werden!“ Der Zusatz lässt auf eine polizeiliche Ermittlung schließen. Welcher Art diese „Ermittlung“ war und ob sie tatsächlich stattgefunden hat, ist nicht belegt. Gestern hat der Standesbeamte bereits den Totenschein ausgestellt. Darin hatte er unter anderem vermerkt: „Der Kaufmann Walter Schwarz, jüdisch, wohnhaft in Wien, Biberstraße 4, ist am 1. September 1938 um 1 Uhr 15 Minuten in München, Brienner Straße 50, tot aufgefunden worden. Die Zeit des Todes wurde nicht festgestellt.“ Die Todesanzeige des Standesamtes München geht schon am darauffolgenden Tag beim Amtsgericht München ein und wird kurzerhand mit Stempel vom „30. Sep. 1938“ bestätigt. Um die Mittagszeit: Auch in Binjamina, in Palästina, ist heute ein wunderschöner Herbsttag. Der Friedhof der kleinen Landgemeinde ist in den Duft von Zypressen, Kiefern, Eichen und Eukalyptus getaucht. Hier finden die Toten des Ortes seit der Ankunft der ersten Siedler ihre letzte Ruhestätte. Hugo, der sich um alles gekümmert hatte, war immer noch voller Zweifel, aber
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er hatte gezahlt: „Asche, ja, vielleicht. Aber wer sagt, dass es nicht Zigarettenasche war. Die haben sich doch nicht bemüht, um Asche von Papa zu schicken … Jetzt ist es, wie es ist.“ Nachdenklich betrachtet er den grauen Stein, auf dem lustig Sonnenflecken tanzen. Sein Vater hat den Weg auf den Friedhof von Binjamina gefunden; genauer gesagt, seine Asche hat den Weg dorthin gefunden, noch genauer gesagt, das, was man für seine Asche halten soll. Hugo ist vor etwa zwei Wochen mit dem Schreiben, das an seine Mutter gerichtet war, auf dem deutschen Konsulat in Jerusalem erschienen, hat sein Anliegen vorgetragen, eine höhere vierstellige Summe in Reichsmark bezahlt – eine Art Gebühr für die Auslösung der Urne mit der Asche seines Vaters – und ist damit gleich zu Isaak HaLevy Herzog, dem Oberrabbiner von Palästina, gegangen, der zu Doras Genugtuung eine Sonderbewilligung für das Begräbnis ihres Mannes auf dem Friedhof von Binjamina erteilt hat. Nachmittags, später: In Salzburg geht das Gerangel um die Liegenschaft des ehemaligen Kaufhauses Schwarz weiter. Die Nase vorn, weil Gauleiter und Bürgermeister der Stadt Salzburg hinter sich, weiß sich die Salzburger Sparkasse. Nachdem die Herren des Sparkassenvorstands ihren Beschluss am 2. September 1938 bei der Gauwirtschaftsberatungsstelle der NSDAP in Salzburg kundgetan hatten, war gestern in Wien ihr offizielles „Ansuchen um Genehmigung der Erwerbung“ bei der „Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit Wien“, Strauchgasse 1, eingetroffen. Das Formular in dreifacher Ausführung hat Salzburg vor drei Tagen zusammen mit drei Jahresberichten über das Sparkassen-Geschäftsjahr 1937 verlassen. In ihrem Ansuchen begründet die Sparkasse Salzburg,
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warum sie die Liegenschaften, in welchen das Kaufhaus Schwarz untergebracht ist, erwerben will: „Der Ankauf des Kaufhauses Schwarz, Alter Markt 12 und Kranzlmarkt 4, ist geplant zur Verlegung der gesamten Büroräume der gefertigten Sparkasse in das Parterre dieser Häuser, da im derzeitigen Anstaltsgebäude keine Möglichkeit zur Ausdehnung der Betriebsräumlichkeiten besteht, eine solche aber mit Rücksicht auf den ständig zunehmenden Geschäftsumfang geboten erscheint.“ Feierabend: Der Standesbeamte im Münchner Rathaus hat eben einen letzten Verwaltungsakt für diesen Tag erledigt. Heute nur Sterbefälle. Er schaut zur Wanduhr gegenüber, schiebt derweil die Utensilien auf seinem Schreibtisch von links nach rechts und von rechts nach links, dann schaut er noch einmal auf die Uhr und beschließt zu gehen. Er zieht den Mantel über, ohne ihn zuzuknöpfen, setzt den Hut auf und verlässt mit der Aktentasche unterm linken Arm Kontor und Standesamt.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mittwoch, 5. Oktober 1938 DAS MÜNCHNER OKTOBERFEST UM EINE WOCHE VERLÄNGERT. In der Sitzung der Münchner Ratsherren am Dienstag wurde beschlossen, das Münchner Oktoberfest um eine Woche bis einschließlich 16. Oktober zu verlängern, und zwar nicht nur, weil an diesem Tage die Eröffnung des Deutschen Jagdmuseums mit dem großen historischen Jagd- und Trachtenfestzug unter starker Beteiligung der Ostmark und der Trachtenvereine aus dem
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befreiten Sudetenland stattfindet, sondern auch als Ausdruck der Freude der Münchner Bevölkerung über die weltgeschichtlichen Ereignisse in München, die der Welt den Frieden erhalten und die sudetendeutschen Volksgenossen aus zwanzigjähriger Knechtschaft befreit haben. Salzburger Volksblatt
In der Türkenstraße 4 befindet sich die Polizeikrankenanstalt von München. Der Oberarzt der Münchner Polizei, Dr. Becker, hat hier seine Wirkungsstätte. Wenig entfernt davon liegt die Gestapo-Hauptstelle. Wer dort in einer der Verhörzellen einsitzt und ärztliche Hilfe benötigt, wird von Dr. Becker versorgt. Irgendwann am 31. August ist der Schutzhäftling Walter Schwarz von Beamten der Gestapo zu ihm in die Türkenstraße gebracht worden. Nachdem Dr. Becker ihn medizinisch versorgt hat, ist er wieder in seine Zelle überstellt worden. Zu entnehmen ist dieser vermeintliche Sachverhalt einem einzigen Dokument: dem von Dr. Becker ausgestellten polizeiamtsärztlichen Attest, das er heute verfasst. Was in der Nacht vom 31. August auf den 1. September in den Räumen der Gestapo-Hauptstelle, Brienner Straße 50, wirklich vor sich gegangen ist, bleibt ungeklärt. Dr. Becker, der Oberarzt der Münchner Polizei, spannt einen Bogen weißes Papier in die Schreibmaschine ein und beginnt das Attest zu tippen …
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 7. Oktober 1938 SELBSTSCHUTZ GEGEN LUFTANGRIFFE ist nötig und möglich. Jeder Volksgenosse muß sich praktisch ausbilden lassen. Salzburger Volksblatt
In Salzburg wird ein Brief aus München zugestellt. Es ist ein himmelblaues Kuvert, das in den Augen von Josef Böhm, der den Brief in Empfang nimmt, auf den ersten Blick unscheinbar, ja freundlich wirkt. Adressiert ist der Brief an die „Fa S. L. Schwarz, Salzburg, alter Markt 12“. Dem Zuständigen, der den Umschlag vor dem Abstempeln und Absenden in seine Schreibmaschine gespannt und beschriftet hat, darf man Nachlässigkeit unterstellen, hat er sich doch nicht einmal die Mühe gemacht, die Anschrift fehlerfrei zu schreiben; anstelle von „Alter Markt“ hat er „alter Markt“ in seine Maschine eingetippt, hinter dem Kürzel „Fa“ hat er den Punkt vergessen, die Postleitzahl von Salzburg hat er gleich ganz unter den Tisch fallen lassen. „Naja“, denkt Josef Böhm, „der Absender hatte es wohl eilig.“ Zudem hat er bestimmt, dass der Adressat beim Empfang der Sendung zu bezahlen hat. Das Nachnahmeschreiben kommt aus der „Hauptstadt der Bewegung“, dies verkündet der Poststempel vom 6.10.1938. Absender ist die „Sanitätsstelle der Schutzpolizei München“. Josef Böhm ist wohl bekannt, dass die Schutzpolizei ein Teil der Ordnungspolizei ist, die wiederum das organisatorische Dach der uniformierten Polizeikräfte bildet. Sie ist dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, unterstellt. Welche Person die Post in Empfang
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nehmen könnte, darüber hat sich die Sanitätsstelle der Schutzpolizei München anscheinend keine Gedanken gemacht – einen Empfänger hat sie nicht spezifiziert. „Fa S. L. Schwarz“, das ist alles. Den Brief nimmt also Josef Böhm entgegen. Selbstverständlich begleicht er den sofort fälligen Nachnahmebetrag. „Post von der Schutzpolizei? Dabei kann es sich gewiss nur um eine Dienstsache handeln. Da wird man wohl annehmen müssen.“ Mit Geschäftspost jeder Art und auch mit offizieller Post, mit Schreiben von Ämtern und Behörden, kennt er sich als Geschäftsführer des Kaufhauses Schwarz schließlich aus. In seinem achtzehnten Arbeitsjahr ist das Routine. Außerdem ist er neben Karl Teinfalt seit Mitte März der Einzige, der sich für die Annahme auch dieser Art Post zuständig fühlen darf. Das haben er und sein Kompagnon Teinfalt von der „Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Salzburg, Ref. II E“ schriftlich. Am 18. März hat es geheißen: „Betr: Übernahme des jüdischen Kaufhauses S. L. Schwarz. Der Geschäftsführer Josef Böhm und der Betriebszellenleiter Karl Teinfalt übernehmen an Stelle der in Schutzhaft genommenen früheren Geschäftsinhaber Dr. Paul Schwarz, Walter Schwarz und Max Schwarz die Leitung des Kaufhauses. Den im Geschäft befindlichen jüdischen Angestellten ist jede Einflussnahme auf den Geschäftsbetrieb verboten. Soweit sie in leitender Stelle sind, sind sie durch arische Angestellte zu ersetzen. Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Salzburg: Auinger Regierungsrat.“ Zwischen diesem Schreiben und dem himmelblauen, das heute eingetroffen ist, liegen fast sieben Monate. Jüdische Angestellte gibt es im Kaufhaus Schwarz nicht mehr. Auch die nichtjüdischen Angestellten, die mit den neuen Herren politisch nicht auf Linie waren, hat man entlassen.
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Josef Böhm weiß, dass ein Brief von der Schutzpolizei nichts Gutes verheißt. Als der neue und alte Geschäftsführer in seinem Büro am Schreibtisch sitzend den Brieföffner zur Hand nimmt, um den Umschlag mit stumpfer Klinge aufzuschlitzen, hält er noch einmal zwei Sekunden inne und versichert sich seiner, dass er auch bestimmt befugt ist, den Inhalt des Kuverts zu lesen. Es wird ihm heiß. Sei’s drum. Ein Familienmitglied der Schwarz’ kann unter dieser Geschäftsadresse nicht mehr erreicht werden, so viel ist sicher. So viel oder so wenig wird auch der Schutzpolizei in München bekannt sein. Also wer, wenn nicht er? Der Brief, zweimal gefaltet, ist ein Attest. Polizei-Krankenanstalt München (Türkenstr. 4) München, den 5. Oktober 1938 Polizeiamtsärztliches Atest Herr Walter S c h w a r z aus Salzburg wurde am 31. August 38 mit erheblichen Schnittwunden an beiden Handgelenken zu mir gebracht. Die Verletzungen rührten von einem Versuch des S c h w a r z, sich die Pulsadern zu durchschneiden her. Es wurde ihm ein entsprechender Wundverband angelegt; die hierfür verwandten Binden benützte S c h w a r z in der darauffolgenden Nacht dazu, sich zu erhängen. Dr. Becker Oberarzt der Polizei.
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Nachdem Josef Böhm die Zeilen gelesen hat, setzt er links am unteren Rand einen sauberen Stempelabdruck aufs Papier, damit alles seine Ordnung hat: Eingelangt am 7. Okt. 1938 Erledigt Zur selben Zeit, nur wenige Schritte vom Alten Markt entfernt am Kranzlmarkt, setzt Franz Lorenz, Bürgermeister der Stadt Salzburg, einen Text auf, den er „An die Dienstelle des Deutschen Gemeindetages, den Reichskommissär der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reiche“ adressiert. Der Wiener Dienststelle steht Paul Wendt vor. Die Angelegenheit scheint Bürgermeister Lorenz sehr wichtig zu nehmen, denn er will sein „Empfehlungsschreiben“ noch vor dem Wochenende auf den Weg nach Wien bringen. Lieber Pg. Wendt! Ich komme heute mit folgender Bitte: In Salzburg soll das jüdische Grosswarenhaus S. L. Schwarz liquidiert werden. Um die Erhaltung dieses Grosswarenhauses wird ein erbitterter Kampf geführt und zwar bemüht sich ein SS-Gruppenführer aus Hamburg um das Kaufhaus, welcher den Betrieb übernehmen und weiterführen will. Die Deutsche Arbeitsfront hat bisher diese Bestrebungen unterstützt. Ich bin unter allen Umständen gegen die Erhaltung des Kaufhauses, da für die verhältnismässig kleine Stadt der Bestand von 2 Kaufhäusern (es ist noch das Kaufhaus „Gewah“ vorhanden)
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zweifellos über das Bedürfnis nach Kaufhäusern hinausgeht und es einer NS-Auffassung entspricht, Kaufhäuser aufzulassen. Es bemüht sich unter anderem die Salzburger Sparkasse darum, das Kaufhaus Schwarz zu erwerben. Hierbei dürfte der Kaufhausbetrieb zur Gänze aufgelassen und die Sparkasse die Parterreräumlichkeiten für den Betrieb der Sparkasse in Anspruch nehmen. In den oberen Stockwerken können Kanzleien, Wohnungen und dergleichen geschaffen werden. Im bisherigen Sparkassengebäude sollen das Verkehrsamt Salzburg und Oberdonau und das städtische Verkehrsamt untergebracht werden. Die ganze Sache liegt derzeit bei der Vermögensverkehrsstelle in Wien. Ich bitte nun Sie, lieber Pg. Wendt, wenn es Ihnen irgendwie möglich sein sollte, die Bestrebungen der Stadt bei der Vermögensverkehrsstelle zu unterstützen, damit möglichst bald dahin entschieden wird, dass das Kaufhaus an die Salzburger Sparkasse käuflich übertragen wird. Ich erlaube mir noch anzuführen, dass der Gauleiter mit dieser Massnahme durchaus einverstanden ist und ich eine diesbezügliche schriftliche Zusage erwirkte, die sich bei den Akten der Vermögensverkehrsstelle befindet. Ich bitte Sie nochmals bestens um Ihre Unterstützung. Heil Hitler! Lorenz Das Schreiben erreicht seinen Empfänger bereits am kommenden Tag. In den nächsten Monaten wird es auch sein Ziel erreichen.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 13. Oktober 1938 FÜR
DEN
NACHWEIS, daß ein Betrieb oder ein Geschäft von einem arischen In-
haber geführt wird, genügt das bekannte Mitgliedszeichen der DAF (Hakenkreuz im Zahnrad, darunter „Mitglied der Deutschen Arbeitsfront“). Sonstige Aufschriften auf Schaufenstern und Firmenschildern, wie z.B. „Arisches Geschäft“ oder „Hier kaufen nur Nationalsozialisten“ usw. erübrigen sich somit. Die Gauwaltung der DAF. Salzburger Volksblatt
Das gesamte Klostergebäude der Franziskaner sei der „Geheimen Staatspolizei Salzburg“ zugewiesen worden – so oder so ähnlich hat man es in den letzten Tagen schon mehrfach in der Stadt hören können. Gehört hat das auch Franz Krieger, der in der Früh im Tomaselli seinen Verlängerten trinkt. Als er eben vom Ober erfährt, dass es bei den Franziskanern gestern Nachmittag drunter und drüber gegangen sei, verschüttet er fast seinen Kaffee. „Die Ordensbrüder haben Möbel und alles Mögliche aus dem dritten Stock in den Hof geworfen“, weiß der Ober zu berichten. „Das ist alles nur noch ein Glump.“ Krieger ärgert sich, denn als es bei den Franziskanern drunter und drüber gegangen ist und sie kurzerhand alles, was nicht angeschraubt oder festgenagelt war, aus den Fenstern geworfen haben, ist er dummerweise anderenorts in der Stadt unterwegs gewesen und hat von all dem nichts mitbekommen. Er hat sich nämlich im Museum für darstellende und angewandte Naturkunde, dem Haus der Natur, aufgehalten und sich an die Fersen von Gauleiter Rainer geheftet. Mit gutem Grund. Kürzlich war etwas pas-
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siert, etwas, was man Schicksal nennt oder Glück und was bei einer Karriere immer auch eine Rolle spielt: Franz Krieger, der Talentierte, war Teil eines Apparates geworden, der seiner fotografischen Begabung einmalige Möglichkeiten eröffnet, und die weiß er nun zu nutzen: Landeshauptmann Dr. Friedrich Rainer, der im Mai von Adolf Hitler als Nachfolger von Dipl.-Ing. Anton Wintersteiger als neuer Gauleiter eingesetzt worden war, hat Krieger als „Aspirant des höheren Verwaltungsdienstes im Bereich der politischen Verwaltung“ aufgenommen und der Landeshauptmannschaft zugewiesen. Krieger ist damit „Betriebsprüfer der Abteilung VIII“, die zuständig ist für Preisbildung, Preisüberwachung und Devisen. Ohne Frage: Seit Sommer läuft es beruflich sehr gut für Krieger. Im Juli ist er als „Bildberichterstatter“ in den „Reichsverband der deutschen Presse“ aufgenommen worden. Er ist also nicht nur Betriebsprüfer in der Behörde des Gauleiters Rainer, deren Dienststelle im zweiten Stock des Chiemseehofes zu finden ist, sondern auch „Bildberichterstatter“ für das ebenso dem Gauleiter unterstellte Presseamt. Und damit ist er zum Haus- und Hoffotografen Rainers aufgestiegen. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die für ihn vielleicht nicht ganz überraschend kommt. Denn er hat seit geraumer Zeit immer häufiger im Umfeld des Gauleiters von Salzburg fotografiert. So etwa am 20. des letzten Monats, da ist er mit seiner Kamera auf dem Residenzplatz zugegen gewesen, als Rainer die aus Nürnberg zurückgekehrte „SS-Standarte Salzburg“ begrüßte. Oder fünf Tage später, als er festgehalten hat, wie Rainer zum Gedenken an die Gründungsversammlung der „Hitlerbewegung“ eine Steintafel an der Fassade des Gasthofes Zur goldenen Sonne in der Gstättergasse enthüllte. Oder am 4. September, als er dem Eröffnungsakt der Ausstellung „Entartete
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Kunst“ beigewohnt hat, den ebenfalls Rainer vornahm. Bei diesen und anderen Gelegenheiten hat Krieger dafür gesorgt, dass der Gauleiter in günstigem Licht erschien. Mit dem Presseausweis der „Geheimen Staatspolizei Salzburg“ und diversen Sonderausweisen in der Tasche ist er in Salzburg nun der Mann mit der Kamera, der „generell Absperrungen durchschreiten“, sich ungestört bewegen und überall fotografieren kann. Nichts und niemand hindert ihn mehr daran, immer und überall hautnah dabei zu sein. Dazu kommt: Er ist aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit vom Wehrkreiskommando Salzburg „u.k.“, also „unabkömmlich“ gestellt. Krieger wird damit bescheinigt, dass er gemäß Wehrgesetz als Fotograf „zur Durchführung einer Reichsverteidigungsaufgabe der Kriegswirtschaft, des Verkehrs oder der Verwaltung unentbehrlich und unersetzbar“ ist. Als am gestrigen Nachmittag das Gerücht von der gewaltsamen Räumung des Franziskanerklosters in der Stadt langsam die Runde gemacht hat, hat sich Krieger also im Naturkundemuseum aufgehalten, das Gauleiter Rainer, begleitet von Universitätsprofessor Dr. Erwin Achinger, inspizierte. Während Gauleiter und Professor „die einzigartigen und ungemein lebendig aufgebauten Sammlungen“ betrachteten und Krieger sie dabei ablichtete, spitzte sich die Lage in der Franziskanergasse 5 immer mehr zu. Angeblich hatten die Franziskaner schon seit Wochen Kenntnis von der drohenden Räumung gehabt. „Die Räumung war bereits in vollem Gange, als in den Nachmittagsstunden eine Anzahl von Brüdern des Ordens damit begann, aus den Fenstern der Zellen des dritten Stockwerkes Einrichtungsgegenstände, wie Schreibtische, Kasten, Bücherregale, Zeitschriften, Gebetbücher u.a.m. in den Hof hinabzuwerfen. […] Die
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offensichtliche Demonstration konnte von jedem Straßenpassanten mit Rücksicht auf die Höhe des Stockwerkes beobachtet werden. Das Kloster beabsichtigte offenbar mit diesem Zerstörungswerk, die Geheime Staatspolizei Salzburg in den Verdacht der Täterschaft zu bringen. Es wurden auch in diesem Sinne Gerüchte laut, daß Beamte der Staatspolizei die Räumung selbst durchgeführt und Einrichtungsgegenstände kurzerhand in den Klosterhof geworfen hätten. Tatsächlich war zur Zeit der Räumung kein Beamter der Staatspolizei im Kloster anwesend.“ So weiß es das Volksblatt seinen Salzburgern zu berichten. Franz Krieger hat das Tomaselli verlassen und geht eilig die Sigmund-Haffner-Gasse hoch. Als er wenig später den Torbogen zum Hof des Franziskanerklosters passiert, bietet sich ihm ein Bild der Zerstörung. Auch wenn er gestern nicht dabei gewesen ist, kann er sich lebhaft vorstellen, wie es hier zugegangen sein muss. Es hatte einen „Fenstersturz“ gegeben wie einst in Prag, nur dass es hier zu keiner Gewalthandlung gegen Menschen, sondern gegen Dinge jeglicher Art gekommen war. Franz Krieger nimmt die Kamera und schießt Bilder, auf denen der Betrachter später das Ergebnis menschlicher Zerstörungswut erkennen soll. Es könnte aber auch eine Naturgewalt gewesen sein. Wie nach einem Sturm liegen haufenweise zertrümmerte Möbel im Hof: Schränke, Kommoden, Betten, Stühle, Truhen, Säcke, Körbe, ja sogar Ölbilder, eine Wanduhr und eine Badewanne sind zu sehen. Offensichtlich tummeln sich auch einige schaulustige Salzburger Bürger, Frauen wie Männer, im Hof, die den unfreiwillig zupackenden Padres bei den Aufräumarbeiten zusehen. Krieger ärgert sich immer noch, dass er nicht hier gewesen ist, als gestern die Fetzen geflogen sind.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Donnerstag, 10. November 1938 Helldorf läßt in Berlin die Juden gänzlich entwaffnen. Die werden sich ja auch noch auf einiges andere gefaßt machen können. […] In Kassel und Dessau große Demonstrationen gegen die Juden, Synagogen in Brand gesteckt und Geschäfte demoliert. Nachmittags wird der Tod des deutschen Diplomaten vom Rath gemeldet. Nun aber ist es gut. Ich gehe zum Parteiempfang im alten Rathaus [München]. Riesenbetrieb. Ich trage dem Führer die Angelegenheit vor. Er bestimmt: Demonstrationen weiterlaufen lassen. Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu verspüren bekommen. Das ist richtig. Ich gebe gleich entsprechende Anweisungen an Polizei und Partei. Dann rede ich kurz dementsprechend vor der Parteiführerschaft. Stürmischer Beifall. Alles saust gleich an die Telephone. Nun wird das Volk handeln. Joseph Goebbels: Aus dem Tagebucheintrag
Das Echo der Schüsse von Paris ist in der letzten Nacht auch in Salzburg zu hören gewesen. Vor drei Tagen hatte der siebzehnjährige Herschel Grynszpan in der deutschen Botschaft an der Rue de Lille 78, nahe dem Seine-Ufer, fünfmal auf den Legationssekretär Ernst vom Rath geschossen. Drei Kugeln hatten ihr Ziel verfehlt, zwei den neunundzwanzig Jahre alten Diplomaten getroffen und schwer verletzt. Den Revolver hatte Grynszpan beim Betreten der „Deutschen Botschaft“ in seiner Manteltasche verborgen. Die internationalen Zeitungen berichteten, dass es Grynszpan unter dem Vorwand, er habe vom Rath wichtige Papiere zu übergeben, gelungen sei, bis zu ihm vorzudringen. Was genau in den entscheidenden Sekunden in den Botschaftsräumen geschah, weiß auch heute, drei Tage später, niemand zu
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sagen. Vom Rath war erst ins Koma gefallen und gestern in Paris gestorben. Grynszpan war von der französischen Polizei verhaftet worden und schweigt seitdem. Am Abend des 7. November hatte Propagandaminister Joseph Goebbels die großen deutschen Zeitungen angewiesen, das Attentat auf die Titelseite zu bringen. Die Berichte lasen sich alle ähnlich: Herschel Grynszpan, der in Deutschland geborene Jude mit polnischem Pass, hat den deutschen Nachwuchsdiplomaten Ernst vom Rath erschossen. Gestern Nachmittag ist die Nachricht vom Tod des deutschen Legationssekretärs vom Rath auch in Salzburg angekommen. Von einem jüdischen Mordanschlag in Paris hat man im Volksblatt lesen können. Von einem Killer, einer jüdischen Verschwörung war da und anderswo die Rede. In der Nacht haben die Juden reichsweit den „Volkszorn“ des Propagandaministers Goebbels zu spüren bekommen. Auch in Salzburg. Die Bilanz: sieben verwüstete Geschäfte, vornehmlich in der rechten Altstadt und in der Neustadt, die beiden Geschäfte im Haus Linzer Gasse 28, Theodor Kurtz, Kaufhaus Zum Touristen und Berthold Laufer, Schuhhaus Zum Hans Sachs, die beiden Geschäfte im Haus Linzer Gasse 5, Geschwister Arthur Fürst, Galanteriewaren, sowie Martha Stein, Parfümerie, das Schuhhaus des Hugo Singer in der Dreifaltigkeitsgasse 9, das Wäschegeschäft der Anna Pollak in der Rainerstraße 4 und das Antiquitätengeschäft des Ehepaares Bela Baruch und Therese Spiegel in der Getreidegasse 34. Außerdem ist die Synagoge in der Lasserstraße 8 schwer beschädigt worden. In der Nacht waren vierzig bis fünfzig SA-Männer in die Synagoge und in die noch nicht „arisierten“ Geschäfte eingedrungen. Die Gestapo hat einundvierzig jüdische Männer verhaftet und nach Dachau deportiert. Das „arisierte“ jüdische Kaufhaus S. L. Schwarz ist nicht demoliert wor-
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den, einzig, weil es in der Stadt und darüber hinaus zu einem begehrten Wirtschaftsobjekt geworden ist. Die Fenster des Tomaselli rahmen die Aussicht auf den Alten Markt. Aber nur, wenn man wie Franz Krieger einen der Plätze gleich beim Eingang ergattert hat, kann man die Alte fürsterzbischöfliche Hofapotheke direkt gegenüber und davor den Florianibrunnen sehen. Linker Hand dahinter ragen schon die großen barocken Häuser auf, die den Platz um diese Jahreszeit vor der Sonne abschatten. Die Salzburger Sparkasse, noch weiter links, wo sich an diesem Mittag im Herbst gerade ein paar grelle Sonnenstrahlen durch die Judengasse quetschen und den Weg auf den Platz finden, vermag Krieger von seinem Marmortischchen aus schon nicht mehr zu erspähen. Intuitiv nimmt er seine Leica und tritt vor die Tür. Wenn man es wie Krieger betrachtet, der schon im nächsten Moment auf der Terrasse stehend die Kamera hebt und seinen Blick auf das ihm pittoresk erscheinende Motiv mit dem Florianibrunnen im Vordergrund richtet, war in der vergangenen Nacht nichts passiert, rein gar nichts. Vor seinem geistigen Auge sieht er nebenan Walter Schwarz, der als Chef des Kaufhauses gleichen Namens im Begriff ist, die Eingangstür Alter Markt 12 aufzusperren. Krieger drückt nicht ab, lässt die Kamera sinken. Damals hat er ihm einen kurzen Gruß zugeworfen. Er schüttelt die Erinnerung ab … Schon am frühen Morgen ist er losgezogen und hat die Demolierungen samt Schaulustigen dokumentiert. Insbesondere die beiden Frauen Anna Pollak und Therese Spiegel beim Aufsammeln ihrer Sachen auf dem Gehsteig gehen ihm nicht aus dem Sinn. Aber auch ein anderes verstörendes Motiv, das sich ihm im Garten der verwüsteten Synagoge geboten hat: ein abgebrochener Besenstiel, der aus der Erde ragt, mit einem jüdischen Gebets-
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schal umwickelt, darauf ein aufgeschlagenes Gebetbuch. Ein Grabkreuz also. Ein Symbol. Eine Botschaft: Tod den Juden.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 11. November 1938 SALZBURG UND DIE NACHBARLÄNDER. Die Gaisberghöhe ist in diesen Tagen in hellem Sonnenlichte gelegen. Die warme Herbstluft auf den Bergeshöhen ermöglicht dort dem Wanderer eine stundenlange Rast, während sich seinem Auge eine Fernsicht von unbeschreiblicher Schönheit und Reinheit darbietet. Salzburger Volksblatt
Das Feuer wütet nun schon den zweiten Tag. Unablässig frisst es sich durch die Mitte der Stadt. Der Funkenflug, der immer neue Feuerherde entfacht, hat bereits am Ostufer des Flusses morsche Holzhütten und leicht entzündliche Materialien erreicht. Die Feuerwalze wandert jetzt auch an den Ufern entlang und weiter in die südlichen Stadtteile hinein. Die Löschreserven sind schon auf einem gefährlich niedrigen Stand. Die Feuerwehr, die bereits in einem Zustand der Erschöpfung Schwerstarbeit leistet, vermutet seit heute, dass das Feuer in einer Scheune am Stadtrand ausgebrochen ist. Anfangs hätten sich die Nachbarn noch bemüht, den Brand zu löschen. Doch dann sind auch Häuser daneben von den Flammen erfasst worden, und starke Winde haben das Feuer in Richtung Stadt getrieben.
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Georg Jung ist mitten drin in Chicago. Die Filmankündigung im Salzburger Volksblatt hat ihn zur 8-Uhr-10-Vorstellung ins Mozart-Kino gelockt. Es geht um den großen Brand von Chicago am 10. Oktober 1871, aber auch um „Liebe, Haß, Träume, Wünsche, Ehrgeiz, Schiebertum, Korruption. Eine ganze Welt bunter Schicksale geht unter im Flammenmeer des brennenden Chicago“. Jung sitzt tief versunken in seinem Kinosessel, noch tiefer versunken in den Augenblick der Katastrophe. Die Vorstellung ist bis auf den letzten Platz ausverkauft und hält, was die Ankündigung verspricht. Die Salzburger, deren Gesichter der Feuerschein auf der Leinwand glühend rot färbt, verfolgen gebannt „das grandioseste Zeit- und Charaktergemälde, das bisher filmisch gestaltet wurde“. Sie werden Zeugen einer Tragödie. Nicht wenige von ihnen wollen für eine Zeit lang in eine andere Welt eintauchen, eine, die noch viel verstörender ist als die eigene draußen vor dem Kinosaal. Dafür ist der heutige Abend mit „Chicago“ wie gemacht. Der spannende Großfilm in deutscher Synchronisation ist mit einem unvorstellbaren Aufwand gedreht worden – und mit einem großen Star, Tyrone Power, in der Hauptrolle. Als das Drama seinem vorläufigen Höhepunkt zustrebt, auf der Leinwand die Flammen immer weiter emporschlagen und unter der Bevölkerung von Chicago Panik ausbricht, bemerkt das Publikum zunächst nicht, dass mit einem Mal Licht von hinten in den Kinosaal einfällt. Aus der aufgewühlten Stimmung herausgerissen dreht sich Georg Jung, wie einige andere auch, nun doch um. Zwei männliche Gestalten in Wehrmachtsuniform halten offenbar nach jemandem Ausschau. Dann ruft einer der beiden seinen Namen. „Wozu der Auftritt, meine Herren?“, fragt Jung, als sich die beiden Militärs neben seinem Platz postieren.
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„Kommen Sie bitte mit, Herr Jung.“ „Darf ich fragen …“ „Kommen Sie, bitte! Generäle lässt man nicht warten.“ Im Kino hat sich eine – noch dazu in dieser dramatischen Filmszene – unpassende Unruhe breitgemacht, die für Unmut unter den Kinobesuchern sorgt: „Ruhe im Saal!“, brüllt jemand, während vorne auf der Leinwand der Uhrenturm des Gerichtsgebäudes von Chicago in sich zusammenfällt. Georg Jung erhebt sich und verlässt unter leisem Protest und in militärischer Begleitung den Kinosaal. In der Tat warten im Hôtel de l'Europe zwei Generäle, die Jung einen Vertrag vorlegen. „Herr Jung, Sie sind doch ein vernünftiger Mensch.“ Georg Jung, der vernünftige Mensch, weiß wohl, worum es geht. Schon seit Längerem will die Wehrmacht sein Hotel kaufen, und er hat einen in deren Augen sehr unvernünftigen Preis dafür verlangt. Das Gebot steht bei 2,5 Millionen Reichsmark. Jung will einen Betrag, der dem Schätzwert des Objektes entspricht: 4 Millionen Reichsmark, so seine Forderung. „Herr Jung, wir müssen heute noch zum Abschluss kommen, und wenn es über Mitternacht hinausgeht. Es ist Eile geboten. Der Reichsführer SS hat ebenso Interesse an Ihrem Hause bekundet. Er weilt derzeit in der Stadt. Wenn wir uns nicht noch heute Nacht einig werden …“ „Dann warten wir doch sein Angebot ab.“ „Jetzt muss ich an Ihrer Vernunft doch etwas zweifeln, Herr Jung. Wenn Sie nicht an die Wehrmacht verkaufen, können Sie gewiss damit rechnen, dass sich der Reichsführer das Hotel für deutlich schlechtere Bedingungen, sagen wir, aneignen wird. Was sagen Sie, Herr Jung? Drei Millionen, unser letztes Angebot.“
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Georg Jung zögert noch, dann: „Nun gut, geben Sie her, wo …?“ „Hier, verehrter Herr Jung, da wollen Sie bitte unterschreiben.“ Jung ist inzwischen mürbe. Es ist nach Mitternacht, aber nicht nur das. Seit acht Monaten bedrängen sie ihn nun schon, liegen ihm in den Ohren. Gleich nach dem „Anschluss“ hatte die Wehrmacht sein Hotel pachten wollen. Das ganze Haus. Die Heeresverwaltung hatte sich eine bestimmte Summe vorgestellt: 300.000 Reichsmark. Für ein ganzes Jahr. Zu diesen Konditionen kommt für Jung eine Verpachtung nicht infrage. Erst vor Kurzem ist er der NSDAP beigetreten, es sollte eine Geste sein, damit es besser für ihn stünde. Sein gesunder Menschenverstand hat ihm geflüstert, dass die Herren von der Wehrmacht wegen der Hotelsache nicht wirklich gut auf ihn zu sprechen sind. Wie dem auch sei. Ein bestimmter Teil des Georg Jung, der im tiefsten Inneren eigentlich eine große Künstlerseele ist, will nun doch einmal in seinem Leben Vernunft zeigen. 3 Millionen Reichsmark sind kein schlechtes Geschäft. Außerdem: Wehrmacht oder SS? Also unterfertigt er. „Danke, sehr vernünftig, Herr Jung. Wer weiß, ob sich Ihnen eine solche Gelegenheit noch einmal geboten hätte.“ Die Tinte unter dem nächtens geschlossenen Vertrag wird noch nicht ganz getrocknet sein, da wird am nächsten Morgen auch schon die Wache der Deutschen Wehrmacht aufziehen und die Flagge am de l'Europe hissen. Die eigentliche Übernahme der Liegenschaft werden die deutschen Militärs nur vier Tage später vollziehen. Die bis dahin auf verschiedene Hotels der Stadt verteilte „Dienststelle des Generalkommandos XVIII“ und der „Wehrkreisverwaltung XVIII“ wird damit eine formidable Adresse haben: Hôtel de l'Europe, Rainerstraße 25.
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Das Nachsehen hat die Stadt, die mit der Unterschrift Jungs ein Haus ersten Ranges verloren hat. Und Georg Jung? Er ist um 3 Millionen Reichsmark reicher und siedelt nach Wien über. Es ist das Ende einer Familientradition. Das Ende einer Hoteliersdynastie.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 19. November 1938 TAGESNEUIGKEITEN. „Mein Kampf“ in der Tschecho-Slowakei. Nach tschechoslowakischen Blättermeldungen werden gegenwärtig um die Herausgabe einer autorisierten Übersetzung von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ in tschechischer Sprache Verhandlungen geführt. Zwar hatte der berüchtigte OrbisVerlag seinerzeit eine tschechische Ausgabe des Führerwerks erscheinen lassen, die jedoch nur willkürlich aus dem Zusammenhang gerissene Teile des Buches enthielt und offensichtlich dazu bestimmt war, den Gesamtinhalt zu verfälschen. Salzburger Volksblatt
Was Franz Krieger heute umtreibt, der seit einer guten Viertelstunde im Bazar sitzt, ist nur zu ahnen. Er könnte wie gewöhnlich einen Verlängerten trinken und die Zeitungen lesen. Aus der Tagesausgabe des Salzburger Volksblattes könnte er vom Begräbnis des Diplomaten Ernst vom Rath erfahren, das vorgestern in Düsseldorf stattgefunden hat. Es könnte ihm das ansichtskartengroße Foto auf der Titelseite des Blattes auffallen, das in der
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Rheinhalle aufgenommen worden ist. Er könnte die Bildunterzeile überfliegen: „Der Führer ehrte den ermordeten jungen Kämpfer durch seine Anwesenheit.“ Er könnte sich das Foto genauer besehen und sich fragen, ob er es anders, besser gemacht hätte. Der Augenmensch Krieger könnte auch die Fotos auf den folgenden Seiten genauer betrachten. Auf Seite 3 ein Bild des Führers „in seinem Heim“. Das Foto von Heinrich Hoffmann, für dessen Wiener Bildagenturableger Krieger auch regelmäßig Fotos liefern darf, scheint bezuglos auf der Seite platziert, als sei oben rechts noch eine Lücke im Satz zu füllen gewesen. „Der Führer als Lückenfüller.“ Diesen oder einen ähnlichen Gedanken könnte Franz Krieger jetzt spinnen. Er könnte sich auch fragen, wo die Aufnahme „Der Führer in seinem Heim“ entstanden ist: Der „Führer“, das ist auch für Franz Krieger zu erkennen, liest das Salzburger Volksblatt. Er ist geradezu vertieft in die Seiten, sinniert über einen Text. Der „Führer“ lesend in einer bäuerlichen Stube. „Ja, wo denn? Im Berghof am Obersalzberg? Oder in München in seiner Wohnung am Prinzregentenplatz?“ Die Frage nach dem Ort bleibt unbeantwortet. Eindeutig ist: Der „Führer“ hat es sich auf einer Bank in der Ecke einer holzvertäfelten Stube aufs Angenehmste eingerichtet. Seitlich liegen dicke Kissen, mit Blumenmuster bestickt, hinter seinem Rücken hängt ein üppiger, beiseitegeschobener Vorhang, und auf dem Tisch steht ein bunter Strauß frischer Blumen. Heimeliges Licht spendet eine schmucke Hängelampe. Hinter ihm, auf dem Sims der Holzvertäfelung, stehen aufgereiht Wandteller aus Keramik, darüber hängt ein goldgerahmtes Ölbild ohne erkennbar konkretes Motiv. Wahrscheinlich eine Landschaft oder ein Jagdmotiv. Allein mit sich ist der Führer, mit seinen Gedanken und seiner aufgeschlagenen Zeitung, die er mit beiden Händen hält.
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Ein vergleichbares Bild gibt Krieger auch gerade ab, wie er da am Samstagnachmittag im Kaffeehaus sitzt und die Zeitung liest. Ganz nah dran ist er an diesem Bild. Aber er ist auch sehr weit davon entfernt. Er spürt, dass ihn diese Art Motiv nicht wirklich anspricht. Er sucht doch lieber nach dem wahren Moment. Denn er glaubt, dass nur eine genaue Wiedergabe der Realität etwas über die Realität selbst aussagt. So sieht er das. Von diesem inszenierten Führer hat Krieger jetzt genug gesehen und blättert weiter nach hinten durch. Im Anzeigenteil will er kontrollieren, ob das Blatt sein Inserat platziert hat. Die Anzeigenwerber hatten in dieser Ausgabe zwei ganze Seiten für ein bestimmtes Thema an Salzburger Einzelhandelsgeschäfte verkauft, Überschrift: „Wenn zwei Hochzeit machen …“ Krieger findet das Inserat, das er sucht, eingerahmt von einigen anderen Geschäftsanzeigen Salzburger Unternehmen: „Alle Gegenstände des täglichen Bedarfs: Eisenhandlung Franz Krieger, Salzburg, Churfürststraße Nr. 3.“ Eine ganz andere Art von Anzeige wird zu etwa gleicher Zeit – obwohl Samstag – in München im Standesamt I im alten Rathaus erstellt. Es ist der vorläufig letzte Akt in einer Reihe von Eintragungen, Anzeigen, Aktenzeichen, Bescheinigungen, Attesten und schriftlichen Aufnahmen im Zusammenhang mit dem Sterbefall Walter Schwarz. Es ist die „Sterbeurkunde“. Der Standesbeamte übernimmt die von ihm vor drei Wochen in das amtliche Sterberegister eingetragene laufende Registernummer. Seit der Beurkundung am 29. September am selben Ort, wahrscheinlich am selben Platz wie heute, ist Walter Schwarz die Nr. 2296 im Personenregister, zu der er nun auch in der Sterbeurkunde wird. Nr. 2296, „der Kaufmann Walter Schwarz, wohnhaft in Wien, Bibergasse 4, ist am 1. September 1938 um
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1 Uhr 15 Minuten in München, Brienner Str. 50 tot aufgefunden worden. Die Zeit des Todes wurde nicht festgestellt“. Von München wird der Standesbeamte die Sterbeurkunde am Montag nach Wien an das Bezirksgericht Innere Stadt, Museumsstraße 12, Justizpalast, senden, wo mit der „Todesfallaufnahme“ die finale Amtshandlung stattfinden wird. Franz Krieger winkt dem Ober zu, lässt dabei ein paar Münzen für den Kaffee und das Trinkgeld auf den Tisch kullern, wirft den Mantel über den linken Arm und hängt beim Hinausgehen die Zeitung zurück. „Mal sehen, was der übrige Tag noch an Ereignissen zu bieten hat.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Montag, 21. November 1938 SALZBURG UND DIE NACHBARLÄNDER. Das warme Wetter, das heuer das Laub ungewöhnlich lange an den Bäumen gehalten hat – sie sind noch jetzt, im letzten November-Drittel, nicht völlig fahl –, befördert auch noch manches Wachstum und bringt in Garten und Feld sogar noch Blüten zur Entfaltung. So ist z.B. an der Augustinergasse blühende Klematis zu sehen. Salzburger Volksblatt
Der kleine Thomas, sieben Jahre, hat eine große Zukunft vor sich. Er wird einmal in einem Atemzug mit Zweig, Trakl und Mozart ein großer Sohn Salzburgs genannt werden. Thomas ist in Seekirchen zu Hause. Mit seinen Großeltern lebt er dort am
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Wallersee, etwa fünfzehn Kilometer nördlich von Salzburg, da, wo die Zuckmayers bis ins Frühjahr zu den wenigen Nachbarn gehört haben. An diesem Bilderbuchmontag, bei wärmendem Herbstsonnenschein, wollen sich Thomas’ Großeltern auf dem Standesamt der Stadt Salzburg das Jawort geben. Es geht um die immer wieder aufgeschobene Heirat zwischen Johannes Capistran Freumbichler und Anna Bernhard, der langjährigen Lebensgefährtin seines Opas. Für den kleinen Thomas ist Opa Freumbichler schon vor Langem zum Vaterersatz geworden. Von seinem Erzeuger weiß er nichts. Später wird er von ihm hören, ihn aber trotzdem nie zu Gesicht bekommen. Thomas ist das Ergebnis einer eher kurzen Begegnung zwischen seiner Mutter Herta und Alois Zuckerstätter, weshalb er auch den Namen der Mutter, Bernhard, führt und nicht nach seinem leiblichen Vater heißt. Nach seiner Geburt am 9. Februar im niederländischen Heerlen bei Maastricht war er als unehelicher Sohn zusammen mit seiner Mutter und deren Eltern, Anna Bernhard und Johannes Freumbichler, nach Wien gezogen. Dort lebten sie bis 1935, bevor sie Seekirchen bei Salzburg zu ihrem neuen Lebensmittelpunkt erkoren. Schon in Wien hatte sich eine enge Beziehung zwischen Thomas und seinem Großvater entwickelt. Anlässlich der großelterlichen Hochzeit Freumbichler–Bernhard findet sich die kleine Gesellschaft gegen 11 Uhr im prächtigen Marmorsaal von Schloss Mirabell ein. Die Trauung ist die amtliche Legitimation einer mehr als dreißig Jahre währenden Lebensgemeinschaft und ein lang gehegter Wunsch der beiden Eheleute. Freumbichler ist nun siebenundfünfzig Jahre alt und seine zukünftige Ehefrau Anna im einundsechzigsten Lebensjahr. Auch abseits von Schloss Mirabell ist der Tag nicht arm an
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besonderen Ereignissen. Manchmal kreuzen sie sich sogar und gehen auf schicksalhafte Weise eine Verbindung ein. Da ist zum Beispiel der SS-Obersturmführer Dr. Otto Begus, der in der Franziskanergasse 5 an seinem Schreibtisch sitzt und immer noch auf die Friedmann’sche Wohnung in der Haunspergstraße 25 spekuliert. Seit bald drei Monaten geht das nun schon so. Seine Geduld neigt sich wirklich langsam dem Ende zu. Da nützt es ihm auch nichts, dass dem Eigentümer der Wohnung und ehemaligen Nachbarn der Familie Schwarz, dem Holzhändler Otto Friedmann, schon einen Monat vor seiner Ankunft in Salzburg die Flucht in die Schweiz gelungen war. Denn für Begus ungünstig, hatte Friedmann seine Frau und zuerst auch seine beiden Kinder Alfred und Grete in der Wohnung zurückgelassen. Inzwischen sind die Kinder zwar ebenfalls in die Schweiz gebracht worden, doch Hilde Friedmann hat die Wohnung immer noch nicht geräumt. Das Alleinsein empfindet sie in doppelter Hinsicht als eine schwere Prüfung. Nicht nur, dass ihr die Kinder fehlen und ihr Gatte nicht an ihrer Seite ist – der SS-Mann Begus verstärkt zunehmend den Druck. Schon mehrmals hat sie Anrufe von der SS und der Gestapo bekommen und damit Aufforderungen erhalten, aus der Wohnung auszuziehen. Auch anonyme Drohungen waren vorgekommen: „Sie müssen sofort die Wohnung verlassen, sonst wird etwas passieren.“ Und heute nun war ihr Post von der Gauleitung Salzburg, namentlich vom Gauleiter Dr. Friedrich Rainer, ins Haus geflattert. Es ist ein Räumungsbescheid, wenn man so will ein „Arisierungsbescheid“. Mit klebriger Freundlichkeit bringt der Absender darin zum Ausdruck, dass Hildegard Friedmann gefälligst verschwinden soll, sonst …
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An Frau Hildegard Friedmann Salzburg Haunspergstrasse 25 Wir ersuchen Sie, uns möglichst umgehend mitzuteilen, welche Schritte Sie bisher unternommen haben, um den Ihnen gehörenden Anteil des Hauses Haunspergstrasse Nr. 25 in arischen Besitz überzuleiten. Nachdem wir interessiert daran sind, dass sämtlicher jüdischer Besitz in arische Hände übergeführt wird, liegt uns daran zu erfahren wie es in Ihrem Falle steht. Falls Sie noch keinen Interessenten gefunden haben sollten, so könnten wir Ihnen einen ernstlichen Reflektanten nennen. Wir würden Ihnen in Ihrem Interesse empfehlen, die Sache dringlich zu behandeln. Rainer
Hilde ist mit den Nerven am Ende. Sie wird zu einer Freundin in die Linzer Gasse ziehen, und Begus wird die Wohnung Friedmann übernehmen. Bis 1945 wird er in der Haunspergstraße 25 wohnen und in der Franziskanergasse 5 weiter Karriere machen. Auf Begus wird die tschechische Schauspielerin Lída Baarová, die Geliebte von Joseph Goebbels, als Mieterin folgen und bis zu ihrem Tod in der ehemaligen Wohnung der Friedmanns ein weitgehend sorgenfreies Leben führen. Eine andere Form von „Arisierung“, die ebenfalls an diesem Herbsttag vollzogen wird, erfährt das Kaufhaus Schwarz, und zwar durch Liquidierung. Mit offiziellem Bescheid der „Vermö-
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gensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Strauchgasse, Wien I.“, wird die Liquidierung des Schwarz’schen Kaufhauses genehmigt und der kommissarische Verwalter Mitterndorfer zum Liquidator bestellt. Der Leiter der Vermögensverkehrsstelle gibt schriftlichen Bescheid an Josef Mitterndorfer, Kaigasse 1, Salzburg. Die Liquidierung hat die Zerschlagung des Kaufhauses zur Folge. Das Kaufhaus wird es bald nicht mehr geben. Im weiteren Verlauf des Novembers wird der kommissarische Verwalter und Liquidator des Kaufhauses Schwarz, Josef Mitterndorfer, Gläubiger dazu auffordern, ihre Forderungen nach Stand vom 28.11. bis zum 15.12. anzumelden. In Seekirchen am Wallersee geht das niemanden etwas an. Dort feiern Johannes Freumbichler und Anna Bernhard mit Familie und Freunden fröhlich bis in den späten Abend hinein. Johannes und Anna sind glücklich über ihre Eheschließung, mit der sie so lange warten mussten, weil einfach immer das Geld gefehlt hatte. Viele Jahre ist Freumbichler, der Gedichte und Romane schreibt, erfolglos gewesen, bis er im Herbst des letzten Jahres den Roman „Philomena Ellenhub“ im Verlag Zsolnay publizieren konnte. Vermittelt hatte ihn Carl Zuckmayer. Freumbichler, der bis dahin als erfolgloser Heimatdichter galt, hatte dafür einen Förderungspreis im Rahmen des „Österreichischen Staatspreises für Literatur“ erhalten. Auch darauf stößt man heute an.
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Montag, 5. Dezember 1938 DER STRASSENBERICHT. Bei Fahrten im Gau Salzburg sind unbedingt Schneeketten mitzunehmen. Wenn notwendig, werden vereiste Strecken mit Sand bestreut. Salzburger Volksblatt
Der Berghof liegt schon in der frühen Morgensonne, während sich unten im Tal erst langsam die Nebel lichten. Der „Führer“, der sich eben mit einem schwarzen Kaffee für den Tag gestärkt haben mag, tritt aus dem Haus und geht ein paar Schritte bis zur Brüstung der großen Terrasse vor. Zu seinen Füßen liegt frisch gefallener Schnee. Vor ihm, zum Greifen nah, ragt das schneebedeckte Massiv des Untersberg in den Himmel empor. Rechts ab vom Untersberg geht der Blick bis weit in die Ferne hinaus. Hitler tritt an das Teleskop heran, auf dem schützend eine dicke graue Militärdecke liegt. Die Morgenkühle lässt seinen Atem dampfen. Er beugt sich ein wenig nach vorne, schließt ein Auge und schaut. Die Feste Salzburg ragt da draußen vor ihm ins morgendliche Sonnenlicht hinein, und weit, unendlich weit dahinter erstreckt sich das neue Land der Ostmark, das er sich nach seiner Vorstellung zurückgeholt hat. Noch Anfang des Jahres war ihm dieser Blick in Richtung Salzburg ein Blick voller Wehmut gewesen. Heute fühlt er Stolz dabei. Während er durch das Teleskop schaut, gehen seine Gedanken weit über das in sichtbarer Ferne Liegende hinaus, wohl bis in das befreite Sudetenland und weiter in die Zukunft hinein. Dieser scheinbar ereignislose Augenblick eines Dezembermorgens mag ihm ge-
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nauso unvergessen bleiben wie der Augenblick der Jubelfahrt über die Innbrücke in Braunau oder wie sein triumphaler Einzug in Wien oder die grenzenlose Begeisterung der Menschen da unten in jener nahen Stadt, deren Herzen er mit einem Streich erobert hat. Hitler fröstelt, aber er möchte doch noch etwas die schöne Aussicht genießen, bevor er nach Reichenberg aufbricht, wo er mit den Generälen von Brauchitsch, Keitel und Milch im neu gewonnenen Sudetenland an Truppenübungen teilnehmen wird. Das Wetter ist herrlich, aber kalt. Gestern hat es stundenlang geschneit. Die verpackten Terrassenmöbel, von Schneehauben zugedeckt, sind bereits im Winterschlaf. Das Teleskop wird er bald ins Haus holen müssen. Es gehört wie die Sonnenliegen und die Bestuhlung längst zum festen Bestandteil der Berghofterrasse. Hitler ist ganz verliebt in seine Terrasse. In der Sommerzeit zieht es den Nachtmenschen oft ins Freie. Dann kann er durch das Teleskop die Sternbilder am dunklen Nachthimmel ins Visier nehmen. Auch wenn ihm das Spektiv manchmal zur Beobachtung der Gestirne dient und er den Standplatz des Fernrohrs immer einmal wieder ändert, behält er tagsüber doch stets die gleiche Ausrichtung bei. Insbesondere an seinem Berg, dem Untersberg, kann er sich nicht sattsehen. Auch Salzburg kann er mit der 150-fachen Vergrößerung seines Teleskops, so oft er will und beinahe so nah er will, heranholen. Aber eben nur beinahe. In der Stadt zu seinen Füßen haben die staatlichen und kommunalen Verwaltungen und Betriebe, die Schulen und sonstigen öffentlichen Einrichtungen geflaggt. Auch viele Salzburger haben ihre Hakenkreuzfahnen herausgeholt und aufgehängt. Die Stadt glüht an diesem eiskalten Wintermorgen in den roten Farben der Partei. Das sieht der „Führer“ von hier oben zu seinem Bedauern nicht. Aber er weiß es und kennt auch
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den Anlass dafür. Es hat eine Nachwahl gegeben. Das Sudentenland hat gestern, ergänzend zur landesweiten Volksabstimmung vom 10. April abgestimmt und mit großer Mehrheit den Anschluss und damit Adolf Hitler gewählt. Die Fahnen werden noch bis einschließlich Mittwoch von den Häusern herabhängen. Franz Krieger verlässt eben sein Elternhaus am Alten Markt und macht sich auf, das geschmückte Salzburg im Bild festzuhalten.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Mittwoch, 7. Dezember 1938 ALLE JUDEN NACH RUSSLAND! […] Wohin mit ihnen? Es ist einigermaßen verwunderlich, daß man sich darüber die Köpfe zerbricht. Das ist doch gar kein Problem: natürlich nach Rußland, das genug Raum hat und extrem judenfreundlich ist. Bekanntlich hat Stalin eine Jüdin zur Frau und 95 Prozent aller maßgeblichen Stellen sind in jüdischen Händen. Die Juden sollen nach Rußland, wo Juda regiert und wo bereits zwei kleine Judenstaaten (für den jüdischen Mob) in Ostasien errichtet worden sind. Herrn Stalin bereitet es sicher keine Schwierigkeiten, für 16 Millionen Hebräer Platz zu schaffen. […] In Rußland fänden die Juden ein Paradies: dort steht Todesstrafe auf Antisemitismus. Salzburger Volksblatt
Im Volksblatt erscheint ein ganzseitiges Inserat des Kaufhauses Schwarz. Gespickt mit Sonderangeboten ist es unübersehbar ein
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Abverkaufsinserat. Nachdem das Blatt vorgestern die Liquidation des Kaufhauses im Salzburger Firmenregister gemeldet hatte, sollen nun billige Preise dafür sorgen, dass die Salzburger zuschlagen. „Kaufhaus Schwarz – Salzburg (in Liquidation) praktische u. nützliche Geschenke für Weihnachten!“ Über drei lange Spalten wirbt das Inserat mit Sonderangeboten, die sowohl die Dame als auch den Herrn zu Weihnachtseinkäufen animieren sollen. Von der Schürze über Gamaschen bis zum Christbaumschmuck. Vom Rasierspiegel bis zum Puppenwagen. Vom Skianzug bis zum Likörservice. Der gesamte Warenbestand wird verramscht. Das Verschachern von Ware, das die Nazis stets jüdischen Kaufleuten unterstellt hatten, übernehmen die „Arier“ nun ganz selbstverständlich selbst. Jetzt muss alles raus. Denn die Salzburger Sparkasse will rein.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 9. Dezember 1938 DIE LIQUIDATION DES KAUFHAUSES SCHWARZ. Die Gauwirtschaftberatung teilt mit: In den letzten Tagen erschien im Salzburger Volksblatt ein großes Inserat des Kaufhauses Schwarz, in welchem praktische und nützliche Geschenke für Weihnachten angekündigt waren. In den Kreisen der Kaufmannschaft erweckte dieses Inserat Widerspruch, weil in ihm die Weihnachtsverkaufsankündigung eines jüdischen Kaufhauses erblickt wurde. […] Bei der Schwierigkeit, welche die Beurteilung der Rechtslage der verschiede-
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nen kommissarisch verwalteten jüdischen Unternehmungen mit sich bringt, ist eine klare Entscheidung der Frage, ob und inwieweit das Kaufhaus Schwarz heute noch als jüdisch anzusprechen ist oder nicht, kaum möglich. Salzburger Volksblatt
Im Justizpalast in Wien macht sich der Notar Dr. Franz Hansch daran, die „Todesfallaufnahme“ des verstorbenen Walter Schwarz zu unterzeichnen. Die Sterbeurkunde vom Standesamt I München ist auf den 19. November datiert. Sie hat demnach schon länger auf seinem Tisch gelegen, das stellt er nun auch fest. Aber was soll man da machen? Mag sein. Er zündet sich eine Zigarette an. Das Rauchen zählt zu seinen Lastern. Wie raucht der Herr Doktor? In welche Richtung bläst er den Rauch? Wie hält er die Zigarette und in welcher Hand? Man könnte vielleicht etwas von seiner Psyche verstehen, wüsste man über diese Kleinigkeiten Bescheid. Jetzt lehnt er sich zurück. Er braucht eine Pause. Dass sich die Aktenberge vor ihm stapeln, kann ja ein jeder sehen. Und überhaupt: „Todesfallaufnahmen können eh warten. Tot ist tot“, mag sich Dr. Franz Hansch, Gerichtskommissär am Bezirksgericht Wien–Innere Stadt denken. Da kann man nichts machen. Am meisten interessiert das Gericht bei dieser letzten Amtshandlung ohnehin das Vermögen, das der Verstorbene hinterlässt. Genau genommen sind es die neuen Herren im Reich, die sich dafür interessieren. Ihm ist in der ganzen Geschichte doch nur eine Stellvertreterrolle zugedacht. Dass der Mensch bei dieser rein ökonomischen Betrachtung auf der Strecke bleibt und wenig Beachtung erfährt, interessiert ihn dabei wenig. Das zeigt sich an den mageren handschriftlichen Eintragungen zur Person und zur Familie des Toten, die er im Zuge der „Todesfallaufnahme“ macht. Auffällig
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detailliert werden die Notizen erst beim letzten Punkt, bei den Fragen nämlich: „Ist ein Vermögen vorhanden und worin besteht es? In wessen Händen befindet es sich? Sind Vorkehrungen zur Sicherstellung getroffen worden und welche? War der Verstorbene auf den Todesfall versichert? Bei welcher Anstalt und zu welchen Gunsten? Wieviel betragen die Krankheits- und Leichenkosten und die anderen mit besonderem Vorrecht verbundenen Forderungen? Wer hat sie berichtigt? Stellt der Zahler den Antrag, ihm den Nachlaß an Zahlungsstatt zu überlassen?“ Punktum. Mit der Unterschrift von Dr. Franz Hansch ist die „Todesfallaufnahme“ abgeschlossen. Ein paar Flure und Etagen wird der Hausbote die Urkunde durch das Justizpalastgebäude tragen. Morgen wird die „Todesfallaufnahme“ beim Amtsgericht Innere Stadt angekommen sein und dort mit einem Eingangsstempel versehen dem Aktenarchiv zugeführt werden. Dr. Franz Hansch drückt die Zigarette aus. Den Aschenbecher könnte seine Sekretärin auch einmal wieder zum Ausleeren abholen. Er hat dazu wirklich keine Zeit.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Samstag, 17. Dezember 1938 FRIEDLICH EROBERT wird jedes Jungenherz durch Soldaten und alles was dazu gehört. Ein richtiger Junge will Schlachten schlagen können. Er benötigt dazu Kanonen, Tanks und Fliegerabwehrgeschütze. Alles was unsere Wehr-
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macht braucht, gibt es auch in originalgetreuer Verkleinerung als Spielzeug. Da die Auswahl so groß ist, raten wir Ihnen wohl richtig, wenn Sie uns möglichst bald zum Weihnachtseinkauf besuchen. – Haus- u. Küchengeräte, Spielwaren, Georg Wagner, Teisendorf, Telefon 15. Salzburger Volksblatt
Auf dem Residenzplatz, da, wo sich ungeachtet der scharfen Kälte eine Menschenmenge angesammelt hat, kann man Franz Krieger mit seiner Kamera sehen. Die Leute drängen sich um drei Automobile, deren käferartige Form radikal anders ist als die, die man bisher allgemein von Kraftfahrzeugen kennt. Sie sind auf einer Werbefahrt durch Salzburg und haben um 14 Uhr die Altstadt erreicht. Da stehen sie nun. Umringt vom Volk, für das sie angeblich gemacht sind. Man hat schon viel gehört und gelesen davon. Das Wunderauto soll, geht es nach dem Führer, für jedermann erschwinglich sein; es kostet 990 Reichsmark und kann bereits vorbestellt werden. Jetzt wird es laut. Aus Anlass der Präsentation spielt das Musikkorps des Gebirgsjägerregiments I/137 unter der Leitung ihres Stabsmusikmeisters. Die Menschenmenge löst sich noch lange nicht auf, die Weihnachtseinkäufe müssen warten. Freundliche Erklärer stehen bereit, führen das Automodell in allen Einzelheiten vor und beantworten jede Frage. Natürlich will man auch nicht die Ehrengäste verpassen, die alsbald in die KdF-Wagen einsteigen und auf den Gaisberg fahren werden. Anschließend sollen die drei Prototypen im Arkadenhof der Residenz bis Montag zur Besichtigung aufgestellt werden. Franz Krieger richtet seine Kamera über die Köpfe der Neugierigen hinweg und nimmt die Automobile ins Visier. Dabei bildet der Mozartplatz den erweiterten Hintergrund seines Su-
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jets, und ihm wird bewusst, dass er auch das mittig aufgestellte Mozart-Denkmal ins Bild geholt hat. Kriegers Gedanken beginnen abzuschweifen … … Mozart hat die Westseite des Platzes gut im Blick. Was in seinem Rücken vor sich geht, muss ihm verborgen bleiben. Er kann jedoch das Spiel der Glocken vernehmen, das dreimal täglich vom Turm hinter ihm erklingt. Von dort aus wäre freilich noch eine bessere Aussicht, aber er sieht auch so nicht wenig. Mozart sieht nicht mehr und nicht weniger als jeder Salzburger, stünde er an seiner Stelle. Wenn er geradeaus schaut, kann er dem Treiben vor dem Café Glockenspiel zusehen. Der ehemalige langjährige Oberkellner aus dem Tomaselli, Franz Woisetschläger, hat es vor über zehn Jahren eröffnet. Aus der erhöhten Position kann Mozart auch leicht den Bereich rechts davon überblicken, wo der nach ihm benannte Platz in den Waagplatz übergeht. Und wenn er seinen Blick wieder zurück, vorbei am Kaffeehaus und nach links schweifen lässt, hat er ungehinderte Aussicht auf den Residenzplatz, den größten aller Plätze Salzburgs. Auf seinem Sockel stehend hat Mozart in den letzten Monaten so manches mit ansehen müssen. Er hat die Aufmärsche der „Nationalen Front“ und die Fackelzüge der illegalen Nationalsozialisten verfolgt, hat beobachtet, wie auf dem Platz Bücher verbrannt wurden und die Salzburger tatenlos dabei zusahen. Wie sich die Nationalsozialisten um Reichsminister Göring vor der Residenz breitmachten. Wie sich Goebbels, Himmler und Hitler auf dem Platz hatten feiern lassen. Was er gesehen hatte, waren die Zeichen einer sich radikal ändernden Zeit. Man könnte ihn einen Augenzeugen nennen … Krieger schüttelt langsam den Kopf. Dann drückt er entschlossen auf den Auslöser. Anfang der nächsten Woche wird
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sein Foto im Volksblatt zu sehen sein: der Residenzplatz mit Wagen und Volk. Gauleiter Dr. Friedrich Rainer wird die Gelegenheit ergreifen und am Montagvormittag auch eine Probefahrt auf den Gaisberg unternehmen. Franz Krieger wird die Gelegenheit nutzen und ihn mit seiner Kamera begleiten.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Dienstag, 20. Dezember 1938 4 TAGE NOCH, DANN IST WEIHNACHTEN! Mit Riesenschritten kommt das Weihnachtsfest. Die Hausfrau hat schon ihren Küchenzettel aufgestellt. Wer rechtzeitig zu seinem Lebensmittelkaufmann geht, braucht auch dort nicht länger zu warten, als unbedingt nötig. Denken Sie an die einh. deutschen Erzeugnisse, die wir zu allererst verbrauchen müssen. Wirklich: „Es muss nicht alles weit her sein, um gut zu schmecken.“ Salzburger Volksblatt
Um den vierten Advent herum schreibt Georg Jung aus Wien ein letztes Mal Neujahrswünsche an seine ehemaligen Gäste: „Das Grand Hotel de l’Europe, Salzburg, das die Ehre hatte, Sie zu seinen Gästen zählen zu dürfen, sendet Ihnen heute zum letzten Male seine besten Wünsche für das kommende Jahr. Das Haus ist an die deutsche Wehrmacht verkauft worden und wird Sie daher künftig nicht mehr empfangen können. Als ehemaliger Besitzer möchte ich Ihnen bei diesem Anlasse für das unserem Betriebe stets entgegengebrachte Wohlwollen meinen
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herzlichsten Dank aussprechen. Ich kehre zu meinem Beruf als Maler zurück.“
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------Freitag, 30. Dezember 1938 DIE EREIGNISSE DES JAHRES 1938. Links oben: Der Einmarsch der deutschen Truppen ins Sudetenland. Rechts oben: Der Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath fiel in Paris durch feige, jüdische Mörderhand. Links unten: Das ungarische Staatsoberhaupt, Reichsverweser von Horthy, stattete Deutschland einen Staatsbesuch ab. Mitte: Der Führer weilte Anfang Mai zu einem Staatsbesuch eine Woche lang in Italien. Rechts: Österreichische und deutsche Zollbeamte beseitigen gemeinsam den Schlagbaum an der Grenze zur Ostmark. Salzburger Volksblatt
Dora nimmt das Streichholz und presst es an die Reibfläche der Schachtel. Sie zieht den Streichholzkopf an der Reibfläche entlang. Die Bewegung ist schnell und hart. Das Geräusch bricht die Stille, der Kopf des Streichholzes geht mit einem Zischen in Flammen auf, das Feuer erhellt die Dunkelheit und Schwefelgeruch durchzieht den Raum. Sie hält das Streichholz leicht nach unten, um die Flamme am Leben zu halten. Jetzt zündet sie den Docht der Kerze an. Sie achtet auf den Luftzug. „Mach bitte das Fenster zu, Benjamin.“ Dora hat die Söhne um sich versammelt. Sie braucht ihnen nicht zu sagen, dass heute der Geburtstag ihres Vaters ist. Seit sechs Tagen brennen
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die Kerzen der Chanukkia. Der achtarmige Leuchter steht auf der Fensterbank, damit man ihn auch von draußen sehen kann. Jeden Abend hat Dora ein Licht mehr entzündet, bis am achten Abend alle Kerzen brannten. „Ich habe euch eingeladen, damit wir eurem Vater gedenken können. In aller Stille. Am vierundzwanzigsten habe ich die achte Chanukkia-Kerze angezündet. Diese Kerze hier, die neunte, soll für euren Vater sein.“ Seit Anbruch der Dunkelheit sitzen Rafael, Benjamin und Hugo mit ihrer Mutter am Tisch. Hugo ist mit seiner jungen Frau Tamara gekommen. Niemand wagt etwas zu sagen. Minuten vergehen. Es ist so still, dass jeder selbst zum Geräusch wird. Das Rauschen und Pulsieren des eigenen Blutes erscheint einem fast unerträglich laut. Rafael bricht plötzlich in Tränen aus: „Ich bin mir sicher, hätte ich dort nur auf ihn gewartet, vier Wochen oder drei Wochen, so lange, bis man ihn freigelassen hat, er wäre mit mir gefahren, die Sache wäre vielleicht anders geworden …“ Hugo legt den Arm um die Schultern seines Bruders: „Glaub’ mir, ich fühle mich auch schlecht bei dem Gedanken, ich hätte ihn irgendwie retten können. Glaub’ mir.“ Dora blickt starr in die Flamme: „Irgendwie haben wir ihn alle dort gelassen. Oder?“ Benjamin, der seinem Bruder gut zureden will, sagt: „Es war mutig von dir. Es hätte dich in Wien auch erwischen können.“ „Ich hatte eben Glück. Papa nicht.“ „Ach Rafael, man kann nicht mit dem Schicksal hadern.“ „Papa hatte es verdient, am Leben zu bleiben, Mama. Mehr als ich.“ „Was sagst du da, Junge! Er war zu stolz. Es war nicht klug von ihm, in Österreich zu bleiben.“
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„Hat Papa nicht immer gesagt, dass es gar nicht aufs Gescheiter-Sein ankommt, sondern mehr aufs Glück-Haben?“ Auch die Nächte sind für Rafael zur Qual geworden. Dann ist er bei seinem Vater in Wien. Der Traum wird ihn sein Leben lang begleiten. Er wird immer wieder dieselben Bilder sehen, die ihn im Schlaf heimsuchen. Am Ende wird er einen Satz sprechen, jedes Mal denselben Satz, dann wird er in Schweiß gebadet aufwachen, den sehnlichsten Wunsch in der Brust, Wien nicht ohne den Vater verlassen zu haben: Im Traum wird er den Mann sehen, der sein Vater ist. Der Mann in der schwarzen, blank gesessenen Anzughose, in der ein schmutziges weißes Oberhemd steckt, der in ein- und demselben Raum seine Tage und Nächte zählt, unendlich lange Tage und Nächte, an denen er nichts tun kann außer denken und nichts denken, im besten Falle auch den Tag und damit das Denken verschlafen, dazwischen sein Essen einnehmen, dazwischen seine Notdurft verrichten, dazwischen seine Träume verdrängen und seine Angst; er wird im Traum auch die Ehefrau des Mannes sehen, die das Land schon lange verlassen hat, die Söhne wird er sehen, die Österreich den Rücken gekehrt haben; er wird den Mann sehen, der sich auf die Pritsche mit der grauen Decke fallen lässt, der sich wieder aufrafft, dessen Anzughose rutscht, weil man ihm den Gürtel abgenommen hat, der einmal einen kräftigen, festen Torso umspannt hat; dessen Körper schmal geworden ist, weil ein Teller Suppe am Tag und eine Scheibe Brot ihn nicht ernähren können; der am vergitterten Fenster einen Vogel entdeckt, der einen Schritt zum Fenster macht, mit einer Hand den Hosenbund hält, den Vogel in den Nachthimmel davonfliegen sieht, dann unruhig auf und ab läuft; der sich bückt, um im blassgelben Mondlicht einen Schnürsenkel zu binden, der da-
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rüber nachdenkt, ob es mit zwei Schnürsenkeln, würde man sie zusammenknüpfen, möglich wäre; der sein unrasiertes Gesicht befühlt, seine eingefallenen Wangen betastet; der an seine Liebste denkt; der seine Brüder, seine Geschwister vor sich sieht, sich fragt, wie es ihnen jetzt wohl geht; der an sich hinunterblickt, an dem faltigen Stoff, der an ihm herabhängt, dem man auch die Krawatte genommen hat, aus dem gleichen Grund, wie man ihm den Gürtel nahm; dem man alles genommen hat, viel mehr als das, was er am Körper trägt, viel früher schon, die Rechte, die Würde, die Ehre, die Existenz; der sich immer noch dagegen stemmt, dem man noch das Letzte abpressen will, das, was man sein Vermögen nennt, ein Vermögen, über das er schon lange nicht mehr verfügt. „Noch eine Nacht – morgen soll er entlassen werden …“
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Abspann Das Kaufhaus Schwarz erwarb am 21. Januar 1939 für 200.000,Reichsmark die Salzburger Sparkasse, die damit die Liegenschaften Alter Markt 12, Kranzlmarkt 4 und einen Anteil am Haus Sigmund-Haffner-Gasse 3 in ihren Besitz nahm. Weitere 25.000,- Reichsmark beglich die Salzburger Sparkasse drei Tage später bei der „Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit“ in Wien. Die VVSt war die zuständige Behörde für die Kontrolle und Gesamtorganisation der Zwangsenteignung jüdischer Privatvermögen und die „Arisierung“ jüdischer Unternehmen. Anfang Februar fand in Salzburg die erste Gemeinderatssitzung des Jahres statt. Ein Punkt auf der Agenda: Der Bericht des Bürgermeisters Dr. Franz Lorenz über den Erwerb der SchwarzHäuser am Alten Markt durch die Salzburger Sparkasse. Zwei Wochen später wurde mit dem Umbau der Räumlichkeiten begonnen. Hinter den Kulissen war inzwischen jedoch eine Nutzungsänderung beschlossen worden. Das ehemalige Kaufhaus war nun bestimmt, das „Haus des Fremdenverkehrs“ aufzunehmen. Die Verlegung ihrer gesamten Büroräume in das Parterre der Häuser war nach den Worten der Sparkasse nun nicht mehr geboten. Am 21. Februar wurde in der örtlichen Presse die endgültige Liquidation des Kaufhauses Schwarz bekanntgegeben. Das unter dem Namen der „Ariseure“ betriebene Bekleidungshaus Frenzel, Böhm & Teinfalt beziehungsweise das Salzburger Bekleidungshaus wurde vorläufig am Kranzlmarkt 4 weitergeführt. Am 3. März erfolgte die Eintragung der Salzburger Sparkasse als Käufer der Schwarz’schen Liegenschaften in das Grundbuch. Mitte Juli war der Umbau der Räume abgeschlos29 5
sen. Wenig später wurden sie für den Salzburger Fremdenverkehr eröffnet. Knapp zehn Jahre später, im Mai 1948, wurden Betrieb und Liegenschaft der Firma Schwarz nach außergerichtlichem Vergleich an die ehemaligen Eigentümer, vertreten durch Hugo Schwarz, zurückgestellt, jedoch ohne Waren und Inventar. Außerdem ließ sich die Salzburger Sparkasse die im Jahre 1938 durchgeführten Umbauten bei Rückstellung abgelten. 1949 erfolgte durch Hugo Schwarz die Wiedereröffnung des Kaufhauses. Rund zwölf Jahre lief der Betrieb weiter. An die Erfolgsgeschichte seines Vaters konnte Hugo Schwarz jedoch nicht mehr anknüpfen. 1962 schloss sich die Tür des Kaufhauses am Alten Markt für immer. Dora Schwarz lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 1982 in Binjamina,
Palästina (heute Israel). Sie war eine internationale Größe der Reformküche. Israels Frauenmagazin La’Ischa nannte sie die Frau, die ihre Gäste um Tonnen erleichtert. Am 21. Januar 1982 erschien in den Salzburger Nachrichten ihre Todesanzeige: „Dora Schwarz ist im 87. Jahre ihres dem Aufbau Eretz Israels gewidmeten Lebens zu ihren Ahnen gegangen“. Benjamin Schwarz, der Jüngste der Schwarz-Söhne, begann Ende
1938 in Jerusalem eine Ausbildung zum Automechaniker. Er mietete ein Zimmer im Haus von Gideon Hausner, dem späteren Chefankläger im Prozess gegen Adolf Eichmann. Benjamin kam 1939 bei einem Unfall ums Leben: Zwei Monate vor seinem 16. Geburtstag stürzte er aus dem Fenster seines Zimmers. Rafael Schwarz, der Letzte der Familie, der seinen Vater noch
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lebend gesehen hatte, machte sich bis zu seinem Tode Vorwürfe. Stets quälte ihn der Gedanke, dass alles vielleicht anders gekommen wäre, hätte er in Wien auf seinen Vater gewartet. Er heiratete nie, hatte keine Kinder, keine Familie. Er lebte bei seiner Mutter Dora und unterstützte sie bei ihrer Arbeit. Hugo Schwarz, der älteste Sohn von Walter und Dora, führte zu-
nächst das Kolbo Schwarz in Jerusalem weiter. 1942 verkaufte er das Kaufhaus mit der Auflage, dass es weiterhin Schwarz heißen müsse. Von da an widmete er sich der Malerei. Er reiste zwischen Sichron-Jaʼakov und Salzburg hin und her, malte, stellte aus, aber vor allem trieb er das Rückstellungsverfahren für das von den Nationalsozialisten geraubte Familienvermögen voran. Nach einigen Jahren in Salzburg und dem Verkauf des rückgestellten Warenhauses sowie des größten Teils der Kunstsammlung seines Vaters kehrte er nach Israel zurück. 1962 übertrug ihm Dora die Leitung ihres Sanatoriums. Fünf Jahre später wurde es für immer geschlossen. 1993 war Hugo das letzte Mal in Salzburg. Er starb 81-jährig und wurde 1994 in Sichron-Jaʼakov begraben. Max Schwarz, der um ein Jahr ältere Bruder von Walter Schwarz,
überlebte den Holocaust in Palästina und verstarb schließlich in Wien. Paul Schwarz, der jüngste der drei Schwarz-Brüder, lebte wie sein
Bruder Max bis zu seinem Tod in Palästina. Elsa Slataper, geborene Schwarz und älteste Schwester der Brü-
der Walter, Max und Paul, überlebte den Zweiten Weltkrieg ver-
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steckt in Ungarn. Sie zog nach dem Krieg nach Wien in die Porzellangasse und lebte dort im selben Haus, in dem sich auch das Café Koralle befand. Sie war zweimal verheiratet, wurde zweimal geschieden. Ihr zweiter Ehemann war der Triestiner Maler Alberto Slataper. Elsa starb 1957 70-jährig in Wien. Frieda Scheuer, geborene Schwarz und mittlere der drei
Schwarz-Schwestern, überlebte von 1938 bis 1949 in Haifa; danach zog sie mit ihrer Familie nach Wien. Sie war mit dem Rechtsanwalt Dr. Moritz Scheuer verheiratet. Frieda starb im März 1960 mit 63 Jahren in Wien. Katharina Schein, geborene Schwarz, genannt Käthe, die jüngste
der drei Schwestern, floh mit ihrem Mann Heinrich und den zwei Söhnen Anfang 1939 nach London. 1945 ging sie mit ihrem Mann zurück nach Österreich. Nach dem Krieg führten die Eheleute Schein in Wien große Teppichgeschäfte in der Mariahilferstraße sowie in der Rotenturmstraße, wo sie auch wohnten. Die beiden Söhne blieben in England. Franz Krieger ging weiter seiner Fotografentätigkeit nach. 1941
wurde er als Kriegsfotograf einer Propaganda-Einheit zugeteilt und an die Ostfront befohlen. Er kam bis Minsk, wo er russische Gefangene und das Minsker Ghetto fotografierte. 1942 heiratete er „Frieda“, Friederike Nußdorfer, die zwei Jahre später mit der gemeinsamen Tochter beim dritten alliierten Bombenangriff auf Salzburg am 17. November 1944 den Tod fand. Anlässlich ihrer Heirat verfasste Krieger einen Lebenslauf, den er dem Antrag zur Einholung der Heiratsgenehmigung für SS-Angehörige beifügte:
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„Während meiner Realschulzeit war ich Mitglied des Salzburger Deutschen Turnvereins und einer nationalen Studentenverbindung. Als Hochschüler in Wien war ich Mitglied des NS-Studentenbundes u. unterstützte die illegale Bewegung durch laufende Spenden und nat. soz. Bildmaterial (Bildberichter!) Im März 1938 wurde ich als Parteigenosse aufgenommen und als SS-Bewerber bei der SS-Standarte 76 / III (Salzburg) eingestellt. Am 15. Dezember 1938 erfolgte auf eigenes Verlangen meine Überstellung zum Pioniersturm 2/15, Salzburg, dem ich heute als SSRottenführer angehöre.“ Nach dem Krieg lebte und arbeitete Krieger weiterhin als Bilddokumentar seiner Zeit und führte auch die Eisen- und Waffenhandlung seines Vaters in der Churfürststraße 3 weiter. 1956 meldete er wieder ein Fotografengewerbe an. Am 30. September 1985 erschien eine der letzten Bildreportagen „unseres Bildberichterstatters Franz Krieger“ in den Salzburger Nachrichten. Franz Krieger starb am 3. August 1993. 2011 tauchte in New York ein Fotoalbum eines „unbekannten“ Fotografen auf. Die Bilder zeigten Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg. Lens, der Fotoblog der New York Times, und einestages, das Portal für Zeitgeschichte von Spiegel online, veröffentlichten einen Teil der insgesamt 210 Fotos. Das Rätsel um den Fotografen wurde mit Hilfe der Leser schnell gelöst: Die Bilder stammten von Franz Krieger. Der überwiegende Teil seines fotografischen Nachlasses wird heute im „Stadtarchiv Salzburg“ bewahrt. Er umfasst mehr als 35.000 Negative, insbesondere aus der Zeit des Nationalsozialismus.
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Hertha Pitschmann heiratete noch während des Krieges den Gra-
zer Rechtsanwalt Karl Rintelen, dessen Bruder, Anton Rintelen, dem Austrofaschismus nahe stand und die illegalen österreichischen Nationalsozialisten begünstigte. Georg Jung lebte als wohlhabender Maler und Schriftsteller in
Wien und Salzburg. Er starb 1957 im Alter von nur 58 Jahren und wurde auf dem Salzburger Kommunalfriedhof im Stadtteil Gneis begraben. Otto Müller, der aus Karlsruhe stammende Verleger, wurde
mehrfach von den Nazis verhaftet und wieder auf freien Fuß gesetzt. 1940 schloss ihn die „Reichsschriftumskammer“ aus und belegte ihn mit Berufsverbot. Man zwang ihn, binnen drei Monaten den Verlag zu liquidieren bzw. zu veräußern. Durch einen Scheinverkauf an den Berliner Verleger Lambert Schneider konnte das Unternehmen als „Otto Müller Verlag, Berlin – Inhaber Lambert Schneider“ weiterbestehen. Müller erhielt im Oktober 1945 von der amerikanischen Militärregierung das „Permit“ zur Wiedereröffnung seines Verlages, den er erfolgreich leitete. Er starb bereits 1956 im 55. Lebensjahr. Der Verlag existiert bis heute in Salzburg und trägt den Namen seines Gründers. Susanne von Winternitz, Friderike Zweig-Winternitz und ihre
jüngere Tochter Susanne, genannt Suse, reisten Anfang 1938 nach Paris. Dort wollten sie für drei Monate bleiben. Nach dem „Anschluss“ Österreichs am 12. März war an eine Rückreise aber nicht mehr zu denken. Suses in Salzburg verbliebener Schwester Alix gelang es noch, die Wohnung ihrer Mutter in der Nonntaler Hauptstraße 49 zu räumen und die Güter bei einer
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Spedition einzulagern. Die Gestapo beschlagnahmte und versteigerte jedoch alles. Mutter und Töchter flohen 1940 nach New York. Friderike Zweig-Winternitz starb am 18. Januar 1971 mit 88 Jahren in Stamford, Connecticut. Alix, verheiratete Stoerk, starb mit 78 Jahren am 16. Mai 1986 ebenfalls in Stamford und ihre jüngere Schwester Susanne, verheiratete Hoeller, verschied 87-jährig am 28. Januar 1998 in Florida. Josef Bradl ging weiter als Skispringer für das „Deutsche Reich“
an den Start. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er wegen seiner Mitgliedschaft in der SS in dem von der „United States Army“ eingerichteten österreichischen Internierungslager „Camp Marcus W. Orr“ (Lager Glasenbach) bei Salzburg inhaftiert. Nach seiner Entlassung durfte er wieder springen. Von 1958 bis 1973 war er als Trainer aktiv. Er betreute auch die Skisprung-Nationalmannschaften von Deutschland und Österreich. Bis zu seinem Tod im März 1982 führte er mit seiner Frau Paula einen Gasthof in Mühlbach am Hochkönig. Das SeppBradl-Stadion in Bischofshofen wurde nach ihm benannt. Dort steht auch das ihm zu Ehren errichtete Buwi-Bradl-Denkmal. Georg Ludwig von Trapp war der Vater der berühmten Trapp-Fa-
milie und seit 1927 das zweite Mal verheiratet, mit Maria Augusta Kutschera. Als Familienchor mit 10 Kindern reisten die Trapps von Auftritt zu Auftritt. Als im September 1939 der Zweite Weltkrieg begann, emigrierten sie während einer Skandinavien-Tournee in die USA. 1940 beschlagnahmten die Nationalsozialisten die Villa Trapp und stellten sie Heinrich Himmler, dem Chef der Waffen-SS, zur Verfügung. Der Garten wurde mit Stacheldraht umzäunt. Für SS-Wachmannschaften errichtete
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man Baracken. Die sogenannte „Funkbaracke“ steht heute noch auf dem Grund. Im obersten Stockwerk der Villa ließ Himmler sich ein abhörsicheres Zimmer einrichten. Georg Ludwig von Trapp starb 1947 in Boston. 1956 gaben die „Trapp Family Singers“ in den USA ihr letztes Konzert. Der Film „The Sound of Music“ mit Julie Andrews und Christopher Plummer machte die Trapp-Familie 1964 weltberühmt. Maria von Trapp starb 1987 in Morrisville, Vermont. 1999 wurde ein Luftschutzbunker der SS bei der Trapp Villa unter der Ferdinand-Raimund-Straße entdeckt. Die Villa selbst ist seit 2008 als Hotel und Gedenkstätte für die Öffentlichkeit zugänglich. Maria Franziska von Trapp starb im Februar 2014 knapp vor ihrem 100. Geburtstag. Sie war das letzte noch lebende „Kind“ von Georg Trapp und seiner ersten Frau Agathe Whitehead. Otto und Hildegard Friedmann zogen, nachdem die in der
Schweiz wieder vereinte Familie ein Visum für Frankreich erhalten hatte, zuerst nach Mühlhausen im Elsass, kurze Zeit später nach Besançon. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden in Frankreich Männer über 18, die aus Deutschland oder Österreich stammten, inhaftiert. Auch Otto Friedmann erging es für einige Monate so. 1941 erhielt er vom US-Konsulat in Marseille ein Visum für die USA. In Lissabon konnte die Familie jedoch nicht zusammen auf ein Schiff gehen. In der ersten Woche fuhr Sohn Alfred mit seinem Vater Otto, in der folgenden die Mutter mit der Tochter. Es waren die beiden letzten Flüchtlingsschiffe, die Amerika erreichten. Otto Friedmann lebte bis zu seinem Tod 1986 in den USA. Die Friedmann-Wohnung in der Haunspergstraße hatte der SSMann Otto Begus übernommen. Er verschwand 1945. In die
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Räume zog dann die tschechische Schauspielerin Lída Baarová. Sie wohnte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 2000. Von 1934 bis 1938 war sie Goebbels Geliebte gewesen. Dr. Otto Begus wurde nach Kriegsende verhaftet und im Volks-
gerichtsverfahren wegen Illegalität (SS‐Sturmbannführer, „Alter Kämpfer“, Blutordensträger) angeklagt und vom Landgericht Wien am 26. April 1948 zu drei Jahren schweren Kerkers verurteilt, die er verbüßte. 1955 wurde er ebenfalls vor dem Volksgericht wegen „Mitschuld an Verbrechen des Mordes“ angeklagt. Dabei handelte es sich um nationalsozialistische Gewaltverbrechen, die Begus als Angehöriger der militärischen bzw. polizeilichen Dienststellen des Deutschen Reiches in den Jahren 1942 bis 1944 in Griechenland auch an Zivilisten begangen haben sollte. Der Prozess wurde am 2. Januar 1957 zunächst zurückgelegt und 1967 schließlich eingestellt. Begus wird auch mit dem Anschlag auf den österreichischen Bundeskanzler Dollfuß (Juliputsch 1934) in Verbindung gebracht, zu dem er angestiftet haben soll. Karl Springenschmid verfasste das NS-Stück „Das Lamprechts-
hausner Weihespiel“, das ab 1938 als Volksspiel die alljährliche Aufführung des „Jedermann“, den die Nazis aus dem Programm genommen hatten, ersetzen sollte. Bis Kriegsbeginn wurde es zweimal, 1938 und 1939, auf einer eigens errichteten Naturbühne in der Nähe von Lamprechtshausen nördlich von Salzburg aufgeführt. Springenschmid stand als Kriegsverbrecher auf dem staatspolizeilichen Fahndungsblatt vom 1. Juli 1946. Er entzog sich seiner Verhaftung durch Flucht, versteckte sich bis 1951 in den
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Bergen, nahm den Namen Karl Bauer an und besorgte sich falsche Papiere. Nach der Einstellung der gerichtlichen Ermittlungen 1951 und der Aufhebung seines Berufsverbotes durch Bundespräsident Theodor Körner im Juli 1953 konnte Springenschmid wieder frei publizieren. Politisch betätigte sich Springenschmid nach 1945 jedoch nicht mehr. Dem rechtsextremen Gedankengut war er dennoch weiter verbunden, wie seine Mitgliedschaft im „Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes“ sowie die Verleihung des „Offenhausener Dichterschildes“ 1967 durch den „Verein Dichterstein Offenhausen“, der 1963 von ehemaligen Nationalsozialisten gegründet und am 23. Dezember 1998 verboten wurde, beweist. In der Nachkriegszeit erschienen viele Bücher von Springenschmid im „Leopold Stocker Verlag“ oder bei der „Österreichischen Landsmannschaft“. Beide Institutionen werden vom „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ als deutschnational und rechtsextrem eingestuft. Dr. Alois Staufer, der Gemeindearzt von St. Pantaleon in Ober-
österreich, unweit von Salzburg, besaß im Ort eine ansehnliche Villa mit viel Grund (heute Moosachblick 2), in der er mit seiner Ehefrau lebte. 1948 gab er als Zeuge in den Prozessen gegen die Aufseher des „Arbeitserziehungslagers Weyer-St. Pantaleon“ vor dem österreichischen Volksgericht an, Mitglied der NSDAP gewesen zu sein. Er bezeichnete sich selbst auch als Lagerarzt. Er hatte jederzeit Zutritt zum Gelände. Staufer wird in Ludwig Lahers Roman „Herzfleischentartung“ als ambivalenter Charakter dargestellt. Seiner Anzeige bei der Gendarmerie ist es zu verdanken, dass mitten im Dritten Reich ein Oberstaatsanwalt die Gewalttaten im Lager „Weyer-
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St. Pantaleon“ untersuchte und einige Haupttäter in U-Haft nahm. Staufer bereitete sogar Prozesse gegen mutmaßliche Täter vor und stellte seine Arbeit erst 15 Monate später nach Niederschlagung der Prozesse durch die Reichskanzlei ein. Auch gelang es ihm, einige schwer gefolterte Häftlinge im Privat-PKW in die umliegenden Krankenhäuser zu bringen, wo manche verstarben, andere notdürftig behandelt und wieder in das Lager rücküberstellt wurden, welches unter SA-Leitung stand. In dem nach Schließung des Lagers „Weyer-St. Pantaleon“ schnell eingerichteten „Zigeuneranhaltelager“ arbeitete Staufer wieder als Lagerarzt, war aber auch Fotoautor einer einmaligen Serie von über 30 Farbdias, die Lagerinsassen zeigen, von denen ein halbes Jahr später niemand mehr lebte. Nach dem Krieg war Staufer lange Zeit wiewohl nicht Bürgermeister, so doch die prägende Gestalt der konservativen ÖVP im Gemeinderat von St. Pantaleon. Er und andere führende Nationalsozialisten wurden von der Bevölkerung nach einer kurzen Anstandsfrist erneut gewählt, auch auf die Farben der SPÖ. Staufer und seine Frau liegen auf dem Friedhof von St. Pantaleon begraben.
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Quellen
Seite 5 „All das gibt es“: Karl Kraus, Das technoromantische Abenteuer, Die Fackel, Verlag der Schriften, Wien 1918 Donnerstag, 30. Dezember 1937 Seite 10 „Denkt schon jetzt“: Österreichischer Beobachter, Organ der NSDAP in Österreich, zweite Novemberhälfte 1937, S. 16 (zit. n. Ellmauer, John, Thumser – Arisierungen, S. 53) Freitag, 31. Dezember 1937 Seite 13 „mit dem Problem“: Albin Rohrmoser, Monografie Georg Jung, Salzburg 1982 Seite 14 „Mitunter […] gerät“: Neues Wiener Tagblatt, Wien 18. August 1935 „dahinter eine reichgegliederte“: Albin Rohrmoser, Monografie Georg Jung, Salzburg 1982 Seite 15 „eine höhere Einheit“: Otto Kunz, Die GaisbergAutostraße im Bilde, Salzburger Volksblatt, Salzburg, 23. August 1929 Seite 16 „der zwischen hoher“: Albin Rohrmoser, Monografie Georg Jung, Salzburg 1982 Freitag, 7. Januar 1938 Seite 17 „Und heute können“: Claudia Hörschinger-Zinnagl, Der Verleger Otto Müller und die Geschichte des Verlages, Salzburg 1996 Seite 18 „Weil er gewohnt war“: Ignaz Zangerle, Werke und Jahre, Salzburg 1962
Seite 19 „Aus verschiedenen“: Otto Müller an Ignaz und Gerda Zangerle, Salzburg 1937 Seite 20 „Man muss ihn gesehen“: Ignaz Zangerle, Werke und Jahre, Salzburg 1962 Dienstag, 11. Januar 1938 Seite 22 „Gegenstand des Geschäftes“: Günther R. Daghofer, Der Schattenfänger, Verlag Salzburger Jägerschaft, Salzburg 2012 Seite 24 „Heute hat unser“: Salzburger Chronik, Salzburg, 11. Januar 1938 „Herren Modehüte“: Salzburger Chronik, Salzburg, 11. Januar 1938 Freitag, 14. Januar 1938 Seite 25 „Nacht über Österreich“: Bernhard Fetz u. a. (Hrsg.), Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938. Flucht und Vertreibung, Residenz Verlag, Wien 2013 „Feuer auf dem“: Entlehnt bei: Hilde Spiel, Kalendereintrag vom 13. März 1938, in: Bernhard Fetz u. a. (Hrsg.), Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938. Flucht und Vertreibung, Residenz Verlag, Wien 2013 Seite 28 „Sag mal Max“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg, 5. August 1993 Seite 29 „Ich glaub‘ ich seh“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg, 5. August 1993
„Was immer er leistete“: Ignaz Zangerle, Werke und Jahre, Salzburg 1962
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Montag, 7. Februar 1938
„Einen Bruder, einen Vertrag“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg, 5. August 1993
Seite 49 „Er musste also“: Günther R. Daghofer, Der Schattenfänger, Verlag Salzburger Jägerschaft, Salzburg 2012
Mittwoch, 25. Januar 1938 Seite 51 „Es stellt eine Institution“: Stefan Zweig, Die Welt von gestern, S. Fischer, Frankfurt am Main 1982
Seite 30 „Mitten in diesem sanft“: Wiedergabe in Anlehnung an: Herrliches Nordlicht über ganz Europa, Salzburger Chronik, Salzburg, 26. Januar 1938
Samstag, 12. Februar 1938
„Eine Reihe von Zeichen“: Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir, S. Fischer, Frankfurt am Main 1966
Seite 53 „Das nennen Sie“: Wiedergabe in Anlehnung an: Kurt von Schuschnigg. Ein Requiem in Rot-WeißRot, Aufzeichnungen des Häftlings Dr. Auster, Amstutz & Herdeg, Zürich 1946
Freitag, 28. Januar 1938
Seite 56 „Ich habe mich entschlossen“: Herbert Küsel, Zeitungs-Artikel, Lambert Schneider, Heidelberg 1973
Seite 33 „Wenn Sie extra“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg, 5. August 1993
„Verhandelt wird nicht“: Herbert Küsel, ZeitungsArtikel, Lambert Schneider, Heidelberg 1973
„Was machen Sie“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg, 5. August 1993
Seite 57 „Gerne tue ich es nicht“: Die Welt bis gestern, Die Presse, Print-Ausgabe, Wien 9. Februar 2008
Seite 34 „Nationalsozialistische Lichtreklame“: National sozialistische Lichtreklame, Salzburger Chronik, Salzburg, 19. Januar 1938
„Ja, so kann der Führer“: Wiedergabe in Anlehnung an: Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945, Band 1, R. Löwit, Wiesbaden 1973
Sonntag. 6. Februar 1938
Sonntag, 20. Februar 1938
Seite 44 „I hob damals wegen“: Lutz Maurer, Sepp Bradl. Bubis Sprung in die Geschichte, Oberösterreichische Nachrichten, nachrichten.at, 12. März 2011
Seite 59 „Nun aber umgab mich“: Friderike Zweig, Spiegelungen des Lebens, Hans Deutsch Verlag, Wien 1964
Seite 45 „Des hob i mei Lebn“: Lutz Maurer, Sepp Bradl. Bubis Sprung in die Geschichte, Oberösterreichische Nachrichten, nachrichten.at, 12. März 2011 „Der Arbeitsdienst ist“: Peter Dudek, Erziehung durch Arbeit, Springer Fachmedien, Wiesbaden 1988 Seite 46 „Ich duckte mich“: Lutz Maurer, Sepp Bradl. Bubis Sprung in die Geschichte, Oberösterreichische Nachrichten, nachrichten.at, 12. März 2011
„Radioten“: Oliver Matuschek, Das Salzburg des Stefan Zweig, Edition A. B. Fischer, Berlin 2010 Seite 60 „Vorspiel zu viel”: Stefan Zweig, Die Welt von gestern, S. Fischer, Frankfurt am Main 1982 Seite 61 „Ich bin glücklich“: Werner Frauendienst, Weltgeschichte der Gegenwart in Dokumenten, Band 5, Internationale Politik 1937/38, Führerbotschaft an Volk und Welt, Reichstagsrede vom 20. Februar 1938, Zentralverlag der NSDAP, Ausgabe 1940 Seite 62 „Deutschösterreich muß“: Adolf Hitler, Mein Kampf, Band 1, 1925
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Montag, 21. Februar 1938
Freitag, 11. März 1938
Seite 65 „Nationalsozialisten, wir sind“: Peter F. Kramml und Roman Straßl, Der Salzburger Pressefotograf Franz Krieger (1914–1993), Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 24, Salzburg 2008
Seite 81 „Wenn man am Ring“: Hertha Pauli, Anruf aus Berlin; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
Donnerstag, 24. Februar 1938
„Was soll denn das“: Hertha Pauli, Anruf aus Berlin; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
Seite 67 „Der erste und einzige“: Mit Doppeladler und Kruckenkreuz, Die Presse, Print-Ausgabe, Wien 22. Februar 2008
Seite 82 „ununterbrochenes Hundegekläff“: Hertha Pauli, Anruf aus Berlin; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
Seite 68 „Es ist vereinbart“: Mit Doppeladler und Kruckenkreuz, Die Presse, Print-Ausgabe, Wien 22. Februar 2008
„Auch die Polizisten“: Hertha Pauli, Anruf aus Berlin; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
„Und weil wir entschlossen“: Mit Doppeladler und Kruckenkreuz, Die Presse, Print-Ausgabe, Wien 22. Februar 2008
„Du musst jetzt“: Hertha Pauli, Anruf aus Berlin; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien München 1987 „Bei uns ist es noch“: Hertha Pauli, Anruf aus Berlin; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien München 1987
Freitag, 25. Februar 1938 Seite 70 „in Salzburg überhaupt“: Peter F. Kramml, Stefan Zweigs Stieftochter Suse von Winternitz (1910– 1998) und die Anfänge der Pressefotografie in Salzburg, Salzburg Archiv 32, Salzburg 2007 Seite 72 „Kameraden der Vaterländischen“: Salzburger Volksblatt, 26. Februar 1938 „Kameraden! Unser Dank“: Salzburger Volksblatt, 26. Februar 1938 Mittwoch, 9. März 1938 Seite 77 „Schuschnigg will eine“: Peter Broucek, Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, Böhlau-Verlag, Wien 1983 „Es ist vielleicht alles“: Peter Broucek, Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, Böhlau-Verlag, Wien 1983 Seite 78 „Und jetzt frage ich“: Rede von Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg im Wortlaut, aus dem OriginalArtikel der Neuen Freien Presse, 10. März 1938
„Wir müssen am“: Hertha Pauli, Anruf aus Berlin; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987 Seite 83 „Soll ich ihn damit“: Hertha Pauli, Anruf aus Berlin; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987 Seite 84 „Wie steht es bei“: Wiedergabe Zeitraffer in Anlehnung an: Hans-Werner Scheidl, Die Kapitulation im Zeitraffer: Wir weichen der Gewalt, diepresse.com, Die Presse, Wien 8. März 2013 Seite 88 „die deutsche Reichsregierung“: Maria Ecker, Unser Leben wird sich verändern, Abdankungsrede Schuschnigg, 11. März 1938; O-Ton im Internet: http://www.oesterreich-am-wort.at/treffer/ atom/015 C6FC2-2C9-0036F-00000D00-015B7F64/ Seite 89 „Aber meine Herren“: Elisabeth Castonier, Mitkommen, Löwy!, aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987 „Das ist der Abschied“: Geflügeltes Wort / Zitat, auf keine konkrete Quelle rückführbar; vom Autor dem Baron von Trapp zugeschrieben „Also gut, ich gebe“: Wiedergabe Zeitraffer in Anlehnung an: Hans-Werner Scheidl, Die Kapitulation im Zeitraffer: Wir weichen der Gewalt, diepresse.com, Die Presse, Wien 8. März 2013
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„In der Klassenlotterie“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 12. März 1938
Freitag/Samstag, 11./12. März 1938 Seite 90 „Nacht über Österreich“: Bernhard Fetz, Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938. Flucht und Vertreibung, Residenz Verlag, Wien 2013
„Bildbericht aus“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 12. März 1938
„6000 SA- und 500 SS-Männer“: Wiedergabe Zeitraffer in Anlehnung an: Hans-Werner Scheidl, Die Kapitulation im Zeitraffer: Wir weichen der Gewalt, diepresse.com, Die Presse, Wien 8. März 2013
„Sämtliche Aufnahmen“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 12. März 1938 Seite 100 „Für ein freies und“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 12. März 1938 Seite 101 „Das sind ja lauter“: Gertrud Fussenegger, Wir erlebten Geschichte; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
Seite 91 „Bis auf die“: Karl Wiesinger, Achtunddreißig, Aufbau-Verlag, Berlin / Weimar 1967 Seite 94 „Alle Personen mit“: George E. Gedye, Die Bastionen fielen, Danuba Verlag, Wien 1947
„Die Straßen sind voll“: Gertrud Fussenegger, Wir erlebten Geschichte; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
„Ich habe eben“: George E. Gedye, Die Bastionen fielen, Danuba Verlag, Wien 1947 Samstag, 12. März 1938 Seite 97 „Daitsche Brieder“: Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir, S. Fischer, Frankfurt am Main 1966 Seite 98 „Wodansgetöse am Himmel“: Walter Mehring, Die letzten Stunden; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987 „Rabenschwärme deutscher“: Walter Mehring, Die letzten Stunden; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987 „Hitler-Jugend in Last-Autos“: Walter Mehring, Die letzten Stunden; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
Seite 102 „wie aus dem Boden“: Walter Mehring, Die letzten Stunden; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987 „Die Fremden“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 12. März 1938 Dienstag, 15. März 1938 Seite 104 „von dem die bösen“: Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir, S. Fischer, Frankfurt am Main 1966 „Abhorchstationen“: Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir, S. Fischer, Frankfurt am Main 1966
„Wer sein Volk liebt“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 12. März 1938
Seite 106 „Bisserl spazieren“: Elisabeth Castonier, Mitkommen, Löwy!, aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
„Zwei Helden im Alter“: Walter Mehring, Die letzten Stunden; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
„Los, los, wir haben“: Elisabeth Castonier, Mitkommen, Löwy!, aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
„Ein jüdischer Arzt“: Walter Mehring, Die letzten Stunden; aus: Österreichs Fall, Jugend und Volk Verlagsgesellschaft, Wien / München 1987
Seite 107 „Fastnachtstreiben“: Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir, S. Fischer, Frankfurt am Main 1966
Seite 99 „Hakenkreuze aus hartem“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 12. März 1938 „gut wie Schokolade“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 12. März 1938
Seite 108 „Alptraumgemälde“: Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir, S. Fischer, Frankfurt am Main 1966
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Montag, 21. März 1938
„gewandelt, blutend und zerschlagen“: Die Liesl, Arbeiter-Zeitung, Wien 18.Oktober 1945 „ältere Männer“: Wiedergabe in Anlehnung an: Die Liesl, Arbeiter-Zeitung, Wien 18.Oktober 1945 Seite 109 „wehrlos, rechtlos“: Johannes Neuhäusler, „Kreuz und Hakenkreuz“, Verlag Katholische Kirche Bayerns, München 1946 Freitag, 18. März 1938 Seite 110 „Das nationalsozialistische“: Erwin A. Schmiedl, März 38, Österreichischer Bundesverlag, Wien 1987 Seite 112 „Kundmachung“: Kundmachung, Salzburger Zeitung, Salzburg 21. März 1938 „Die Betriebszellenleitung“: Kundmachung, Salzburger Zeitung, Salzburg 21. März 1938 Seite 113 „Tage des Jubels“: Der nationalsozialistische Umbruch, Salzburger Volksblatt, Salzburg 18. März 1938 „1. Bayrische Infanterie“: Der nationalsozialistische Umbruch, Salzburger Volksblatt, Salzburg 18. März 1938 Seite 114 „die schönsten Führerbilder“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 18. März 1938 „Postkarten im Tiefdruck“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 18. März 1938 „Hakenkreuz-Papier“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 18. März 3.1938 „Jeder Deutschösterreicher“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 18. März 1938 Sonntag, 20. März 1938
Seite 124 „Dem Österreicher“: Das nationalsozialistische Tempo, Salzburger Volksblatt, Salzburg 21. März 1938 Sonntag, 3. April 1938 Seite 128 „Deutsche Frühlingsfest“: Das Deutsche Frühlingsfest in Salzburg, Salzburger Zeitung, Salzburg 4. April 1938 „Die Sonne blitzt auf“: Das Deutsche Frühlingsfest in Salzburg, Salzburger Zeitung, Salzburg 4.4.1938 Seite 129 „je zwei Gläschen“: Werner Hölzl, Meine Begegnungen mit Herrn Dkfm. Franz Krieger, Aufsatz, 2. Auflage, Salzburg 2016 Dienstag, 5. April 1938 Seite 132 „persönliche Fühlungnahme“: Historikerkommission (Hrsg.), Albert Lichtblau (Projektleiter), Arisierungen, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen: Bundesländervergleich Burgenland, Oberösterreich, Salzburg, Band 4, Salzburg / Wien 2002, Zitat aus einem Brief von Josef Böhm (Geschäftsführer Kaufhaus Schwarz) und Karl Teinfalt (Gefolgschaftsführer Kaufhaus Schwarz) an Staatskommissar Walter Rafelsberger, Wien, vom 31. August 1938, (SS-Sturmbannführer Rafelsberger, Leiter der Vermögensverkehrsstelle und Gauwirtschaftsberater) Mittwoch, 6. April 1938 Seite 138 „bei der Einrichtung“: Vom Festspielhaus-Bau, Salzburger Volksblatt, Salzburg 12.2.1938
Seite 120 „Mit unerhörter Sicherheit“: Wiedergabe in Anlehnung an: Sepp Bradl, Mein Weg zum Weltmeister, Schlüsselverlag, Innsbruck 1952
Seite 139 „Ein großer Künstler“: Vom Festspielhaus-Bau, Salzburger Volksblatt, Salzburg 12.2.1938
„Das Mißgeschick“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 21. März 1938
Seite 140 „für die Beflaggung“: Ingrid Holzschuh, Otto Strohmayr (1900–1945). Hitlers Architekt für die Neugestaltung der Stadt Salzburg im Nationalsozialismus, Böhlau Verlag, Wien 2015
„Ja, ihr Österreicher“: Wiedergabe in Anlehnung an: Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg 5. August 1993
„das Stadtbild“: Ingrid Holzschuh, Otto Strohmayr (1900–1945). Hitlers Architekt für die Neugestaltung der Stadt Salzburg im Nationalsozialismus, Böhlau Verlag, Wien 2015
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Seite 150 „Der Gustl!“: Paul Bruppacher, Adolf Hitler und die Geschichte der NSDAP, Teil 2, 1938–1945, BoD Verlag, Norderstedt 2013
„Kulissenarchitektur“: Ingrid Holzschuh, Otto Strohmayr (1900-1945) Hitlers Architekt für die Neugestaltung der Stadt Salzburg im Nationalsozialismus, Böhlau Verlag, Wien 2015
„Jungmanntage“: Paul Bruppacher, Adolf Hitler und die Geschichte der NSDAP, Teil 2, 1938–1945, BoD Verlag, Norderstedt 2013
Seite 141 „um die große Zahl“: Ingrid Holzschuh, Otto Strohmayr (1900–1945). Hitlers Architekt für die Neugestaltung der Stadt Salzburg im Nationalsozialismus, Böhlau Verlag, Wien 2015 „nationalsozialistischen Ideologie“: Ingrid Holzschuh, Otto Strohmayr (1900–1945). Hitlers Architekt für die Neugestaltung der Stadt Salzburg im Nationalsozialismus, Böhlau Verlag, Wien 2015 „Die Welt ist dumm“: Joseph Kiermeier-Debre (Hrsg.), Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, dtv Verlagsgesellschaft, München 2004
„Ich glaube, dass“: Paul Bruppacher, Adolf Hitler und die Geschichte der NSDAP, Teil 2, 1938–1945, BoD Verlag, Norderstedt 2013 „Wiedervereinigung Österreichs“: Stimmzettel für die Volksabstimmung vom 10. April 1938, Johannes Hofinger, Nationalsozialismus in Salzburg, Studienverlag, Innsbruck 2016 „Da in der Bevölkerung“: Wie wähle ich richtig?, Salzburger Zeitung, Salzburg 6.4.1938 Seite 151 „Frau Zwickelhuber“: Disput über die Wahl, Salzburger Zeitung, Salzburg 9.4.1938
„Februar hatte“: Stephen Gallup, Die Geschichte der Salzburger Festspiele, ORAC Buch- und Zeitschriftenverlag, Wien 1989 Seite 142 „Wegen der geänderten“: Stephen Gallup, Die Geschichte der Salzburger Festspiele, ORAC Buchund Zeitschriftenverlag, Wien 1989 „Die Reichen und Berühmten“: Stephen Gallup, Die Geschichte der Salzburger Festspiele, ORAC Buch- und Zeitschriftenverlag, Wien 1989
Mittwoch, 20. April 1938 Seite 153 „Mit fliegenden Fahnen“: Salzburger Zeitung, Salzburg 20.4.1938 Samstag, 23. April 1938
Seite 143 „Der Führer spricht“: Siegfried Göllner, Die Stadt Salzburg im Jahr 1938, Zeitungsdokumentation
Seite 156 „Stell dir vor“: Wiedergabe in Anlehnung an: Helga Embacher, Neubeginn ohne Illusion. Gespräch mit Adolf Vanecek, Salzburg 1988, Picus Verlag, Wien 2000
Seite 145 „Und der, der ihn“: Franz Lösch, Als der Führer von Salzburg nach Graz fuhr, Salzburger Volksblatt vom 6.4.1938, Salzburg 1938 Seite 146 „Einen Wunsch hätt’ ich“: Wiedergabe nach Franz Lösch, Als der Führer von Salzburg nach Graz fuhr, Salzburger Volksblatt vom 6.4.1938, Salzburg 1938 Seite 147 „Den ersten Spatenstich“: Ankündigung im Salzburger Volksblatt vom 6.4.1938, Salzburg 1938
„Das Kaufhaus Schwarz“: Wiedergabe in Anlehnung an: Helga Embacher, Neubeginn ohne Illusion. Gespräch mit Adolf Vanecek, Salzburg 1988, Picus Verlag, Wien 2000 Seite 157 „Er ist umständlich“: Wiedergabe in Anlehnung an: Helga Embacher, Neubeginn ohne Illusion. Gespräch mit Adolf Vanecek, Salzburg 1988, Picus Verlag, Wien 2000 Samstag, 30. April 1938
Samstag, 9. April 1938 Seite 149 „Jetzt kann die Arbeit“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 8.4.1938 „übermächtig nach“: Paul Bruppacher, Adolf Hitler und die Geschichte der NSDAP, Teil 2, 1938– 1945, BoD Verlag, Norderstedt 2013
Seite 160 „Die Bücher sollen“: Nationalsozialistische Erziehung. Aufruf an die Bevölkerung, Salzburger Volksblatt, Salzburg 28.4.1938 Seite 161 „Wohl auf keinem Gebiet“: Nationalsozialistische Erziehung. Aufruf an die Bevölkerung, Salzburger Volksblatt, Salzburg 28.4.1938
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Samstag, 18. Juni 1938
Seite 162 „Feuerrede“: Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz, salzburg-geschichte-kultur.at, Archiv der Erzdiözese Salzburg
Seite 182 „neue Elite“: Peter F. Kramml und Roman Straßl, Der Salzburger Pressefotograf Franz Krieger (1914–1993), Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 24, Salzburg 2008
„Verbrannt, vernichtet“: Fort mit dem volksfremden Geistesgut, Salzburger Volksblatt, Salzburg 2.5.1938 Seite 163 „Ins Feuer werf ich“: sowie alle folgenden Feuersprüche: Fort mit dem volksfremden Geistesgut, Salzburger Volksblatt, Salzburg 2.5.1938
Donnerstag, 23. Juni 1938 Seite 183 „für eine ebenfalls“: Günther R. Daghofer, Der Schattenfänger, Verlag Salzburger Jägerschaft, Salzburg 2012
Seite 164 „restlose Vernichtung“: Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz, salzburg-geschichte-kultur.at, Archiv der Erzdiözese Salzburg
Seite 184 „schon fast mit“: Günther R. Daghofer, Der Schattenfänger, Verlag Salzburger Jägerschaft, Salzburg 2012
Montag, 2. Mai 1938 Seite 167 „Schauen Sie, tun Sie“: Wiedergabe in Anlehnung an: Alfred Kostelecky, Zur Methode des Verhörs. Gestapoverhör 31.7.1938, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 2013 „Walter Schwarz. Getätigte Barabhebungen“: Guide to the Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943, AR 25153, Processed by Kevin Schlottmann, Center for Jewish History, Leo Baeck Institute, New York 2013; S. L. Schwarz Kapitalrechnung mit 30./4. 1938, dieses und weitere Originaldokumente sind im Internet einzusehen: http://digital.cjh.org/view/action/nmets.do?DOCC HOICE=2573855.xml&dvs=1498648867251~512&l ocale=de&search_terms=&adjacency=&VIEWER_URL=/view/action/nmets.do?&DELIVERY_RULE_ID=2&divType= The Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943: This collection concerns the Aryanization of the Schwarz department store (Kaufhaus Schwarz) in Salzburg, Austria Seite 169 „In der Regel wird“: Hans-Joachim Heuer, Geheime Staatspolizei. Über das Töten und die Tendenzen der Entzivilisierung, Walter de Gruyter, Berlin / New York 1995 Samstag, 4. Juni 1938 Seite 179 „Wäsche für Herrn“: Stadtarchiv Salzburg, AStS PA 1233 „Im Polizei Gefängnis“: Stadtarchiv Salzburg, AStS PA 1233
Seite 185 „Auf den Hängen“: Günther R. Daghofer, Der Schattenfänger, Verlag Salzburger Jägerschaft, Salzburg 2012 „so große Bedeutung“: Peter F. Kramml und Roman Straßl, Der Salzburger Pressefotograf Franz Krieger (1914–1993), Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 24, Salzburg 2008 „gelegentlich auch“: Günther R. Daghofer, Der Schattenfänger, Verlag Salzburger Jägerschaft, Salzburg 2012 Donnerstag, 28. Juni 1938 Seite 189 „Von einem Polizisten“: Die Polizei in Österreich 1938–1945, kripo.at, Sonderausgabe 2015, Vereinigung Kriminaldienst Österreich, Wien 2015 Freitag, 8. Juli 1938 Seite 195 „falls irgendetwas schiefgeht“: Walter Herbert Sokel, … das wäre der Tod. Und so erfand ich mir eine Person, Beatrix Müller-Kampel (Hrsg.), Lebenswege und Lektüren: Österreichische NS-Ver triebene in den USA und Kanada, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2000 „Wer keines“: Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir, S. Fischer, Frankfurt am Main 1966 Seite 196 „alle Personen“: Walter Herbert Sokel, … das wäre der Tod. Und so erfand ich mir eine Person, Beatrix Müller-Kampel (Hrsg.), Lebenswege und Lektüren: Österreichische NS-Vertriebene in den USA und Kanada, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2000
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„Geschickte Zeichner“: Wiedergabe in Anlehnung an: Francoise Frenkel, Nichts, um sein Haupt zu betten, Carl Hanser Verlag, München 2016 „Nein, ich bin nicht Jude“: Wiedergabe in Anlehnung an: Walter Herbert Sokel, … das wäre der Tod. Und so erfand ich mir eine Person, Beatrix Müller-Kampel (Hrsg.), Lebenswege und Lektüren: Österreichische NS-Vertriebene in den USA und Kanada, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2000
Donnerstag, 28. Juli 1938 Seite 206 „in purem Wasser“: Die Liesl, Arbeiter-Zeitung, Wien 18.10.1945 „Aufgrund der Verordnung“: Schreiben der Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Wien I., Strauchgasse 1, an Walter Schwarz, Privatarchiv Roni Schwarz, Zikron Ya´akov, Israel 2017 „Vor Ausfüllung“: Diese und alle Angaben im Vermögensverzeichnis Walter Schwarz, Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938, Privatarchiv Roni Schwarz, Zikron Ya´akov, Israel 2017
Samstag, 9. Juli 1938 Seite 198 „Sagts aber der Mama“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg 5.8.1993
Samstag, 30. Juli 1938 Seite 211 „Die nehmen mich“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg 5.8.1993
Seite 200 „Du Depp“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg 5.8.1993 „Fahre sofort“: Wiedergabe in Anlehnung an: Roni Schwarz, Interview mit Carla Stenitzer u. a., radiofabrik.at, Freier Rundfunk Salzburg, Salzburg 2015
Seite 213 „Die Mutigsten“: Wiedergabe in Anlehnung an: Francoise Frenkel, Nichts, um sein Haupt zu betten, Carl Hanser Verlag, München 2016 Seite 217 „Ich war also dagesessen“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg 5.8.1993
Samstag, 23. Juli 1938 Seite 202 „Festfreude in Salzburg“: Der Film von den Salzburger Festspielen, Der Stern, Deutscher Verlag, Berlin 25.10.1938
Montag, 1. August 1938 Seite 204 „ihre Selbstverherrlichung“: Andreas Novak, Salzburg hört Hitler atmen, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005 „rassistischen Ergüssen“: Andreas Novak, Salzburg hört Hitler atmen, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005 „Die Presse weiß jetzt“: Andreas Novak, Salzburg hört Hitler atmen, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005 Seite 205 „Auch Du bist“: Andreas Novak, Salzburg hört Hitler atmen, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005
Seite 229 „Als er in den“: Wiedergabe in Anlehnung an: Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit, Diogenes-Verlag, Zürich 2006 Sonntag, 28. August 1938 Seite 234 „Gänzlich ohne zu kochen“: Großglockner Automobil- und Motorradrennen, salzburgwiki.at, Salzburg 2017 Freitag, 2. September 1938 Seite 236 „Wir müssen Sie leider“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg 5.8.1993
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Donnerstag, 29. September 1938
Seite 240 „Ich spreche aus“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg 5.8.1993 „An die Gau-Wirtschaftsberatungs-Stelle“: Guide to the Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943, AR 25153, Processed by Kevin Schlottmann, Center for Jewish History, Leo Baeck Institute, New York 2013; S. L. Schwarz Kapitalrechnung mit 30.4. 1938, dieses und weitere Originaldokumente sind im Internet einzusehen: http://digital.cjh.org/view/action/nmets.do?DOCC HOICE=2573855.xml&dvs=1498648867251~512&l ocale=de&search_terms=&adjacency=&VIEWER_URL=/view/action/nmets.do?&DELIVERY_RULE_ID=2&divType= The Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943: This collection concerns the Aryanization of the Schwarz department store (Kaufhaus Schwarz) in Salzburg, Austria Sonntag, 4. September 1938 Seite 242 „Gequälte Leinwand“: Entartete Kunst, wikipedia.org, Wikipedia 2017 Seite 243 „die jüdisch-bolschewistische“: Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus, Stadt Salzburg, stadt-salzburg.at, 29.08.2017 Donnerstag, 8. September 1938 Seite 245 „Selbstmörderverzeichnis 1938“: alle Angaben aus: Selbstmörderverzeichnis 1938, Staatsarchiv München
Seite 252 „ihren ganz besonders“: Wiedergabe in Anlehnung an: Der Tag von München, Neues Wiener Tagblatt, 29. September 1938, Wien 29.09.1938 Seite 254 „29. Sep. 1938“ und „Von k. H.“ und „Der Sterbefall konnte“: Todes-Anzeige Walter Schwarz, Guide to the Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943, AR 25153, Processed by Kevin Schlottmann, Center for Jewish History, Leo Baeck Institute, New York 2013; S. L. Schwarz Kapitalrechnung mit 30./4. 1938, dieses und weitere Originaldokumente sind im Internet einzusehen: http://digital.cjh.org/view/action/nmets.do?DOCC HOICE=2573855.xml&dvs=1498648867251~512&l ocale=de&search_terms=&adjacency=&VIEWER_URL=/view/action/nmets.do?&DELIVERY_RULE_ID=2&divType= The Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943: This collection concerns the Aryanization of the Schwarz department store (Kaufhaus Schwarz) in Salzburg, Austria. „Der Kaufmann Walter Schwarz“: Totenschein Walter Schwarz, Guide to the Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943, AR 25153, Processed by Kevin Schlottmann, Center for Jewish History, Leo Baeck Institute, New York 2013; S. L. Schwarz Kapitalrechnung mit 30./4. 1938, dieses und weitere Originaldokumente sind im Internet einzusehen: http://digital.cjh.org/view/action/nmets.do?DOCC HOICE=2573855.xml&dvs=1498648867251~512&l ocale=de&search_terms=&adjacency=&VIEWER_URL=/view/action/nmets.do?&DELIVERY_RULE_ID=2&divType= The Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943: This collection concerns the Aryanization of the Schwarz department store (Kaufhaus Schwarz) in Salzburg, Austria.
Freitag, 16. September 1938 Seite 249 „Sie schreibt, dass“: Wiedergabe in Anlehnung an den Artikel: Zustimmung und Begeisterung für Chamberlains Entschluß, Neuigkeits-Welt-Blatt, Wiener Ausgabe vom 16. September Seite 250 „Gefoltert werden sie“: Wiedergabe in Anlehnung an: Hugo Schwarz, Interview mit Hugo Schwarz durch: Albert Lichtblau, Michael John, Helga Embacher, Salzburg 5.8.1993
Seite 255 „Asche, ja“: Wiedergabe in Anlehnung an: Roni Schwarz, Interview mit Carla Stenitzer u. a., radiofabrik.at, Freier Rundfunk Salzburg, Salzburg 2015 „Ansuchen um Genehmigung“ und „Der Ankauf“: Ansuchen um Genehmigung der Erwerbung, Guide to the Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943, AR 25153, Processed by Kevin Schlottmann, Center for Jewish History, Leo Baeck Institute, New York 2013; S. L. Schwarz Kapitalrechnung mit 30./4. 1938, dieses und weitere Originaldokumente sind im Internet einzusehen: http://digital.cjh.org/view/action/nmets.do?DOCC
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„Die Räumung war“: Ordensbrüder schädigen Volksvermögen, Salzburger Volksblatt, Salzburg 15.10.1938
The Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943: This collection concerns the Aryanization of the Schwarz department store (Kaufhaus Schwarz) in Salzburg, Austria.
Freitag, 11. November 1938
Freitag, 7. Oktober 1938
„das grandioseste Zeit- und“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 11.11.1938
Seite 258 „Fa S. L. Schwarz“ und alle weiteren Angaben zum Schreiben: Stadtarchiv Salzburg, AStS PA 1233
Samstag, 19. November 1938 Seite 275 „Der Führer ehrte“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 20.11.1938
Seite 259 „Betr: Übernahme“: Stadtarchiv Salzburg, AStS PA 1233 Seite 261 „An die Dienstelle“: Empfehlungsschreiben, Guide to the Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943, AR 25153, Processed by Kevin Schlottmann, Center for Jewish History, Leo Baeck Institute, New York 2013; S. L. Schwarz Kapitalrechnung mit 30./4. 1938, dieses und weitere Originaldokumente sind im Internet einzusehen: http://digital.cjh.org/view/action/nmets.do?DOCC HOICE=2573855.xml&dvs=1498648867251~512&l ocale=de&search_terms=&adjacency=&VIEWER_URL=/view/action/nmets.do?&DELIVERY_RULE_ID=2&divType= The Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943: This collection concerns the Aryanization of the Schwarz department store (Kaufhaus Schwarz) in Salzburg, Austria. Donnerstag, 13. Oktober 1938
Seite 271 „Liebe, Haß, Träume“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 11.11.1938
„In seinem Heim“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 20.11.1938 Seite 276 „Wenn zwei Hochzeit“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 20.11. 1938 „Alle Gegenstände“: Salzburger Volksblatt, Salzburg 20.11.1938 „Sterbeurkunde“: Diese und alle Eintragungen in die Sterbeurkunde, Guide to the Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943, AR 25153, Processed by Kevin Schlottmann, Center for Jewish History, Leo Baeck Institute, New York 2013; S. L. Schwarz Kapitalrechnung mit 30./4. 1938, dieses und weitere Originaldokumente sind im Internet einzusehen: http://digital.cjh.org/view/action/nmets.do?DOCC HOICE=2573855.xml&dvs=1498648867251~512&l ocale=de&search_terms=&adjacency=&VIEWER_URL=/view/action/nmets.do?&DELIVERY_RULE_ID=2&divType=
Seite 265 „generell Absperrungen“: Peter F. Kramml und Roman Straßl, Der Salzburger Pressefotograf Franz Krieger (1914–1993), Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 24, Salzburg 2008
The Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943: This collection concerns the Aryanization of the Schwarz department store (Kaufhaus Schwarz) in Salzburg, Austria.
„zur Durchführung einer“: Unabkömmlichstellung (UK) und Zurückstellung, wikipedia.org, Wikipedia 2017
Montag, 21. November 1938
„die einzigartigen“: Gauleiter Dr. Rainer im Haus der Natur, Salzburger Volksblatt, Salzburg 13.10.1938
Seite 279 „Sie müssen sofort“: Fred Friedmann, Alfred, du musst jetzt deinen kleinen Koffer packen, A Letter to the Stars, lettertothestars.at, Wien 2003
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tute, New York 2013; S. L. Schwarz Kapitalrechnung mit 30./4. 1938, dieses und weitere Originaldokumente sind im Internet einzusehen: http://digital.cjh.org/view/action/nmets.do?DOCC HOICE=2573855.xml&dvs=1498648867251~512&l ocale=de&search_terms=&adjacency=&VIEWER_URL=/view/action/nmets.do?&DELIVERY_RULE_ID=2&divType=
Seite 280 „An Frau Hildegard“: Stan Nadel, Salzburg and the Jews, Jung & Jung, Salzburg 2005 Mittwoch, 7. Dezember 1938 Seite 285 „Kaufhaus Schwarz“: Kaufhaus Schwarz – Salzburg (in Liquidation) praktische u. nützliche Geschenke für Weihnachten, Salzburger Volksblatt, Salzburg 7.12.1938
The Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943: This collection concerns the Aryanization of the Schwarz department store (Kaufhaus Schwarz) in Salzburg, Austria.
Freitag, 9. Dezember 1938
Dienstag, 20. Dezember 1938
Seite 286 „Todesfallaufnahme“: Todesfallaufnahme, Guide to the Kaufhaus Schwarz Aryanization Records 1938–1943, AR 25153, Processed by Kevin Schlottmann, Center for Jewish History, Leo Baeck Insti-
Seite 290 „Das Grand Hotel de l'Europe“: Andreas Kapeller, Hôtel de l'Europe. Salzburgs unvergessenes Grandhotel, Colorama Verlag, Salzburg 1997
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1938 – Wichtige historische Ereignisse im Überblick
25. Januar Im Deutschen Reich werden neue Schutzhaftbestimmungen eingeführt. Alle sogenannten volks- und staatsfeindlichen Personen können sofort inhaftiert und in Konzentrationslager verbracht werden.
4. Februar Im Rahmen der Kriegsvorbereitungen bildet Adolf Hitler Regierung und Militärführung um.
12. Februar In einem Gespräch mit dem österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg auf dem Obersalzberg droht Adolf Hitler mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich und erzwingt so Schuschniggs Zustimmung zur Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten. Schuschnigg unterzeichnet das „Berchtesgadener Abkommen“.
19. Februar Beginn der nationalsozialistischen Demonstrationen in den österreichischen Bundesländern.
24. Februar Schuschniggs Antwortrede auf Hitler vor dem Bundesrat: „Bis in den Tod: Rot-weiß-rot!“
27. Februar In Berlin wird die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet, die in anderer Form bereits in München gezeigt wurde und vom 4. September für vier Wochen auch in Salzburg zu sehen sein wird.
9. März Schuschniggs Rede in Innsbruck: Ankündigung einer Volksbefragung am 13. März „für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich“.
10. März Hitler erteilt den Befehl, den Einmarsch nach Österreich vorzubereiten. Demonstrationen von regierungstreuen und linken Österreichern für die staatliche Unabhängigkeit.
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11. März Mit der Drohung einer sofortigen Okkupation zwingt Hitler den österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg zum Rücktritt. Schuschnigg sagt die geplante Volksbefragung ab. Sein Amt übernimmt der bisherige Minister für innere Verwaltung und Sicherheit Arthur Seyß-Inquart. Rücktrittsrede Schuschniggs im österreichischen Rundfunk: „Gott schütze Österreich!“
12. März Sogenannter „Anschluss“: Die deutsche Wehrmacht marschiert in Österreich ein, dessen Truppen von der Bundesregierung den Befehl erhalten haben, keinen Widerstand zu leisten. Hitler besucht seine Geburtsstadt Braunau am Inn. Abends spricht er auf einer Großkundgebung in Linz.
13. März Das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ tritt in Kraft.
28. März Hitler schürt den Konflikt zwischen den Sudetendeutschen und der tschechoslowakischen Regierung.
31. März US-Präsident Franklin D. Roosevelt lehnt wegen der drohenden Kriegsgefahr eine Allianz mit den europäischen Staaten ab, die sich zum Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus erklärt haben.
10. April Im ehemaligen Österreich sowie im sogenannten „Altreich“ wird eine Volksabstimmung durchgeführt. Bei diesem „Volksentscheid, der keiner ist" stimmen 99% der Österreicher für den „Anschluss“.
21. Mai Wegen deutscher Truppenbewegungen an der deutsch- tschechischen Grenze mobilisiert die tschechoslowakische Regierung Teile ihrer Armee.
14. Juni Die Bauarbeiten zur Umgestaltung Berlins durch Monumentalbauten beginnen unter der Leitung von Albert Speer.
22. Juni Hermann Göring ordnet zur Erfüllung des Vierjahresplans Zwangsarbeitsverpflichtungen an, um den Bau des Westwalls an der Grenze zu Frankreich voranzutreiben.
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8. August Im oberösterreichischen Mauthausen beginnt der Bau des ersten KZ in Österreich.
1. September Italien verbietet die Neuansiedlung von Juden und ordnet die Ausweisung aller nach 1918 eingewanderten Juden an.
28. – 30. September Auf der Münchner Konferenz versuchen Hitler, der italienische Regierungschef Mussolini, der französische Premierminister Daladier und der britische Premierminister Chamberlain den drohenden Krieg des Deutschen Reichs gegen die Tschechoslowakei abzuwenden. Die Westmächte geben nach und stimmen im „Münchener Abkommen“ der Abtretung des Sudetengebiets an das Deutsche Reich zum 1. Oktober zu.
1. Oktober Die Wehrmacht marschiert in das Sudetengebiet ein. Damit setzt die Auflösung der Tschechoslowakei ein.
5. Oktober Die Pässe von deutschen Juden werden im Deutschen Reich von nun an mit einem großen roten „J“ gestempelt.
7. November In Paris verübt der 17-jährige polnische Jude Herschel Grynszpan ein Attentat auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath und verletzt diesen schwer.
9. November Ernst vom Rath erliegt seinen Verletzungen. Kampftruppen von SA und SS veranstalten im ganzen Deutschen Reich Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung.
6. Dezember Der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop unterzeichnet in Paris einen Nichtangriffsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich.
16. Dezember Für die Geburt von vier Kindern erhalten Frauen im Deutschen Reich ab sofort das Mutterkreuz.
24. Dezember Wegen Überfüllung der Konzentrationslager wendet sich der Leiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes für das gesamte Deutsche Reich Reinhard Heydrich gegen unbegründete Festnahmen im Sudetengebiet.
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Dank Bei meinen Recherchen haben mich viele liebe Menschen unterstützt, bei denen ich mich herzlich bedanken möchte. Mein Dank geht zuerst an all die geduldigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diverser Archive, die ich mehr als einmal konsultiert habe und für die meine vielen Fragen nie zu viel waren. Sie alle einzeln zu nennen, würde den Rahmen sprengen. Namentlich bedanke ich mich bei Prof. Dr. Albert Lichtblau von der Universität Salzburg, bei Dr. Andreas Heusler vom Stadtarchiv München, bei Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer von der Universität Wien, bei Prof. Dr. Michael John von der Universität Linz, bei Prof. Dr. Helga Embacher von der Universität Salzburg, bei Mag. Thomas Weidenholzer vom Stadtarchiv Salzburg, beim Salzburger Publizisten und Historiker Dr. Gert Kerschbaumer, bei Albert Knoll vom Dachau Archiv, bei Robert Bierschneider vom Staatsarchiv München, bei Dr. Ursula Schwarz vom Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstandes in Wien, bei Sybille Stahl von der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt, bei Magdalena Granigg vom Stadtarchiv Salzburg, bei Dietmar Kottmann vom Aachener Geschichtsverein, beim Autor und Fluchtexperten HansDieter Arntz aus Aachen, beim Kulturschaffenden Werner Hölzl aus Salzburg sowie bei meinem Schriftexperten Heinz Guntermann aus Willich. Sehr aufschlussreich war für mich auch das Gespräch mit dem Linzer Autor Ludwig Laher, einem Kenner des österreichischen Nationalsozialismus. Meinen ausdrücklichen Dank richte ich an „meine“ Agentin Andrea Wildgruber von der Agence Hoffman in München, an Mag. Dr. Siegfried Göllner, den ich hervorheben möchte, weil er die ausgesprochen hilfreiche Zeitungsdokumentation der Stadt Salzburg für die Zeit von 1938 bis 1945 zusammengestellt hat und last-not-least an „meine“ Verlagslektorin Jasmine Stern, die mich immer wieder gemahnt hat: Herr Schaeben, unterschätzen Sie den Leser nicht! Nicht vergessen will ich „meine“ Wiener Lektorin Eva Harker: Nur net hudeln! – In meine Dankesworte eingeschlossen immer: Meine Frau und mein Sohn Julian, die mich über Monate mit der Arbeit an diesem Stoff teilen mussten.
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Über den Inhalt 1938: Noch ein Jahr bis zum Zweiten Weltkrieg. Hitler marschiert in Österreich ein. Die Bevölkerung jubelt. Franz Krieger steigt zum angesehenen NS-Fotografen auf. Walter Schwarz wird das Jahr nicht überleben. Zum Personal gehören weiterhin Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, Arturo Toscanini und die Trapp-Familie, zahllose Nazigrößen und einfache Bürger. Holger Schaeben verwebt die Schicksale von Tätern, Opfern und Mitläufern zu einer vielstimmigen Chronologie der Ereignisse.
Über den Autor Holger Schaeben studierte in Köln an der Westdeutschen Akademie für Kommunikation und arbeitete zunächst als Werbetexter in internationalen Agenturen. Seit 1996 ist er als Ghostwriter und freier Autor tätig. Er schreibt historische Sachbücher, Prosa und Essays. Holger Schaeben lebt in Salzburg.