Alte Kinderspiele - einst und jetzt: Mit vielen Spielanleitungen 9783205796367, 3205796365

Von "Armer schwarzer Kater!" bis "Zur Suppe greift" - alte Kinderspiele neu entdecken. Nachlesen. Au

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German Pages 235 [240] Year 2015

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Alte Kinderspiele - einst und jetzt: Mit vielen Spielanleitungen
 9783205796367, 3205796365

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Inge Friedl

Alte Kinderspiele – einst und jetzt Mit vielen Spielanleitungen

2015 Böhlau Verlag Köln Weimar Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abruf bar. Umschlagabbildung : Ing. Hannes Königsecker , Linz ( U1 ) Familie Ellmeier , Stanz i. M. ( U4 ) ÖNB / A NNO © 2015 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H & Co. KG , ­Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1 , A-1010 ­Wien , www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat : Philipp Rissel, Wien Einbandgestaltung : Susanne Keuschnig , Wien Satz : Carolin Noack , Wien Druck und Bindung : Arrabona Print , Győr Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79636-7

Inhalt Einleitung 11 So spielte man früher – Von Heuböden , Bächen und Bäumen  15

Spielen ohne Spielzeug – Von Zapfen , Moos und viel Fantasie  29

Spielzeug selbst gemacht – Von Fetzenpuppen , Nussmühlen und Maipfeiferln  43 p Rindenpüppchen in der Zündholzschachtel  54 p Puppenwohnung in der Schuhschachtel  55 p Die Handpuppe der Großmutter  55 p Maipfeiferl  56 p Nussmühle  57 Das besondere Spielzeug – Von Gehpuppen , Autos und Teddybären  59

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Inhalt

Luchs , Luchs , komm heraus ! – Vom Laufen und Fangen  67 p Fuchs , was grabst ?  74 p Luchs , Luchs , komm heraus !  75 p Im Keller ist es finster  75 p Ein Uhr hat’s geschlagen und die Hex ist noch nicht da !  76 p Wassermann spielen  76 p Der Kaiser schickt Soldaten aus  77 p Versteinern  78 p Wer fürchtet sich vorm wilden Mann ?  78 p Blinde Kuh  78 p Blinde Maus  79 Zur Suppe greift ! – Vom Spielen mit Ball und Plumpsack  81 p Zur Suppe , zur Suppe , die Knödel sind heiß !  89 p Zur Suppe greift !  90 p Das einfache Zehnerln  90 p Das schwere Zehnerln  91 p Ich bin ein Student  92 p Der Plumpsack geht um  93 p Faules Ei ( gnilo jajce )  94 Zimmer , Küche , Kabinett – Vom Versteinern und von Riesenschritten  95 p Kaiser , wie viel Schritte darf ich machen ?  101 p Der Hase läuft über das Feld  102 p Feuer , Wasser , Sturm  103 p Schneider , leih ma d’Scher  103 p Figuren werfen  104

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Inhalt

Himmel und Höll’ – Vom Hüpfen und Springen  105 p Tempelhupfen  113 p Himmel und Höll’  114 p Stoanlhupfen  115 p Meisterhupfen  115 p Tempelhüpfen ohne Stein  116 p Schnurspringen  116 p Bockspringen I  117 p Bockspringen II 118 Räuber und Gendarm – Vom Suchen und Verstecken  119 p Auszählreime  126 p 1 , 2 , 3 , angschlagn !  128 p Räuber und Gendarm  129

Pfitschigogerln und Putschögln – Vom Werfen und Treffen  131 p Weidenreifen werfen  141 p Pfitschigogerln  142 p Kreuzerlpecken  142 p Zweckschlagen  143 p Putschögln  143 p Potschogerln  145 p Ditschgerln  145 p Sautreiben  147 p Grassale halten  148 p Kugerlscheiben  149 p Kigalan schleatzn  149 p Plattlschupfen  150

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Inhalt

Müller , Müller , Sackerl – Von Kinderreimen und kleinen Spielen  151 p Kaffee reiben – Zucker stoßen  162 p Der Jäger ging mit seiner Frau  163 p Das ist der Daumen  163 p Feigen machen  163 p Rosse bschlagn  164 p Hobeln  164 p Müller , Müller , Sackerl  165 p Scherenschleifen  165 p Hier ist grün und da ist grün  166 p Hupf hin , hupf her ( Der Strohschneider )  167 p Es geht eine Zipfelmütz  168 p Zublinzeln  169 p Zieh’ durch die goldne Brücke  169 p Ist die schwarze Köchin da ?  171 Vöglein , wie piepst du ? – Vom Raten und Nachdenken  173 p Personenraten  179 p Himmel oder Hölle ?  180 p Vögel verkaufen  181 p Schläpfer suchen  182 p Vöglein , wie piepst du ?  182 p Brüderlein , wer klopft ?  183 p Im Keller ist es finster  183 p Wie viele Krähen sitzen ?  184 p Handwerksburschen austreiben  184 p Fahr ma auf Graz !  185 p Ich schenk dir einen Pfennig , kannst kaufen was d’willst !  186

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Inhalt

Armer , schwarzer Kater ! – Vom Spielen mit Sprache  187 p Mei Huat , der hat drei Löcher  194 p Auf der Mauer , auf der Lauer  195 p Net ja und net nein , net schwarz und net weiß  195 p Armer , schwarzer Kater !  196 p I bin der Michl mit einem Strichl  196 p Onkel Fritz sitzt in der Badewanne  197 p Schickt der Bauer den Jogl aus  198 p Katzerl steigt am Birnbaum  199 Fuchs und Henn – Von alten Kartenspielen und Brettspielen  201 p Stanerlspüln  209 p Fuchs und Henn – Bastelanleitung Spielbrett  210 p Fuchs und Henn – Spielanleitung  211 p Eseltreiben  212 p Schafschädln  213 p Höllfahren  214 Stockschlagen und Sterngucken – Vom Spielen in der Bauernstube  217 p Hut tauschen  224 p Fußhakeln  224 p Fuchs durch’d Lucka treiben  225 p Mühl fahren  225 p Hoban verkaufen ( Hafer verkaufen )  226 p Stockschlagen  228 p Sterngucken  229 p Buamerhaar und Mescherhaar heiraten  229 p Meaml opfausen  230 Glossar 231 Literatur 233 Bildnachweis 235 9

Einleitung Das Wissen um alte Kinderspiele geht verloren , sobald eine Generation von Kindern aufhört , die Spiele zu spielen. Sehr schnell sind dann die Spielregeln vergessen. Die Überlieferung der Spiele erfolgte früher in der Nachbarschaft und im Schulhof : Die jüngeren Kinder lernten von den älteren. Heute , da diese Wissenskette unterbrochen ist , stehen Erwachsene manchmal vor einem Problem : Sie wollen ihren Kindern ein Spiel erklären , das sie in ihrer Kindheit gespielt haben , aber sie können sich nur mehr vage an die Spielregeln erinnern. Andere Spiele wiederum , darunter viele lustige Wurf- und Laufspiele wie »Putschögln« oder »Sautreiben« , sind fast vollkommen in Vergessenheit geraten. Dabei haben Kinder großen Spaß an den alten Spielen – vorausgesetzt , sie bekommen die Spielregeln lebendig und lebensnah erklärt. Langweilig sind Spiele nur dann , wenn man nicht richtig weiß , wie sie eigentlich gespielt werden sollen. So wie früher das Spielwissen von den älteren Kinder an die jüngeren weitergegeben wurde , so soll auch dieses Buch »funktionieren« : Ältere Personen geben ihr Wissen an Spielregeln aus erster Hand und praxisnah weiter. Sie berichten von bekannteren Spielen wie »Zimmer , Küche , Kabinett« oder »Blinde Kuh« , aber auch von »Raritäten« wie »Vögel verkaufen« , »Eseltreiben« , »Fuchs , was grabst ?« oder »Stoanlhupfen«. Die Bedeutung der alten Spiele kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Sie sind komplexe Trainingseinheiten für Gehirn , Koordination und Motorik. Beim Murmelspielen übt man das Zusammenspiel von Auge und Hand , beim »Tempelhüpfen« den Gleichgewichtssinn , bei Ballspielen wie zum Beispiel »Zur Suppe greift« Konzentration , Reaktionsschnelligkeit und Motorik. Bei praktisch allen Spielen werden außerdem soziale Fähigkeiten geübt. Es ist ein großer Verlust , wenn Spiele verloren gehen , denn damit verringern sich automatisch die Fertigkeiten , die Kinder im Spielen erwerben. Man sagt , Kinder hätten heute wenig Zeit für freies Spiel , weil ihr Terminkalender so voll sei. Wenn am Nachmittag nicht gelernt werden muss , um in der Schule den Anschluss nicht zu verpassen , dann warten Fußball11

Der flämische Maler Pieter Bruegel der Ältere schuf 1560 das Bild »Die Kinderspiele« , das heute im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen ist. Über 230 Kinder sind in beinah 90 Spiele vertieft. Wer »Die Kinderspiele« betrachtet , blickt von einem erhöhten Standpunkt auf einen Platz hinab , der voll spielender Kinder ist. Wir finden Rollenspiele wie »Taufe« , »Brautzug« oder »Kaufmannsladen« , Wurfspiele wie das »Nüssespiel« oder ein Murmelspiel , Fang- und Versteckspiele wie »Anschlagen« und Ratespiele wie »Gerade oder ungerade«. Ein Knabe reitet auf einem Steckenpferd , zwei Mädchen spielen mit Pup-

pen , ein Kind spielt sogar mit einem lebenden Vogel. Wir finden Spiele wie Seifenblasen , Reifenschlagen , Messerwerfen , »Plumpsack« , aber auch eher sportliche Tätigkeiten wie Schwimmen , Klettern , Purzelbaum schlagen , Seilziehen oder Stelzengehen. Jedes Kapitel in diesem Buch wird von einer Spielszene aus dem Kinderspielbild von Pieter Bruegel eingeleitet. Was die Kinder in den Niederlanden vor 450 Jahren spielten , steht in direktem Bezug zu den alten Spielen , die bei uns überliefert werden. Diese Bildausschnitte illustrieren und ergänzen die Berichte der über 100 Gesprächspartner für dieses Buch.

Einleitung

training , Ballett , Klavierstunde , Reitunterricht und Tennis. Aber früher war das nicht unbedingt anders. Sehr oft hieß es bei uns am Land vorwurfsvoll : »Spielt’s schon wieder ?« , wenn die Kinder spielten , statt bei der Arbeit mitzuhelfen. Eine Sache allerdings hat sich grundlegend geändert : Früher herrschte kein Mangel an Spielkameraden. Haben Kinder heute hingegen endlich Zeit zum Spielen , fehlen oft die Mitspieler. Viele Ballspiele , Versteck- und Suchspiele können nicht zu zweit oder zu dritt , sondern nur in einer größeren Gruppe gespielt werden. Spiele wie »Der Kaiser schickt Soldaten aus« machen einfach keinen Spaß , wenn nur eine Handvoll Kinder mitspielt. Auch die Spielräume für Kinder werden immer knapper. Wenn Platz zum Spielen verschwindet , gehen damit auch viele alte Spiele verloren. Für »Schneider , leih ma d’Scher« braucht man eine Wiese mit Bäumen , am besten einen Obstgarten. Für »Räuber und Gendarm« eignet sich am besten eine klassische »Gstettn« mit Gebüsch und verschlungenen Pfaden. Zum Tempelhüpfen benötigen die Kinder ein Stück Asphalt , auf dem es ihnen erlaubt ist , mit Kreide ein Spielfeld aufzuzeichnen. Fang- und Laufspiele wie »1 , 2 , 3 , angschlagen« können nur dort stattfinden , wo es Orte und Parkanlagen ohne »Betreten verboten«-Schild gibt. Kinderspiele sind ein Schatz , den man hüten und pflegen muss. Es lohnt sich , die alten Spiele wieder zu entdecken , vor allem deshalb , weil die Kinder diese Spiele lieben , wenn sie sie erst kennen gelernt haben. Ich danke all meinen Gesprächspartnern , die mir eines oder auch mehrere Spiele geduldig erklärt haben und Erlebnisse aus ihrer Kindheit mit mir geteilt haben. Ich möchte all jenen danken , die mich im Lauf der letzten Jahre zu sich nach Hause eingeladen und sich Zeit für ein ausführliches Gespräch genommen haben. Ich danke meiner Tochter Kathrin für die Durchsicht des Manuskripts und meinem Mann Dr. Karl Friedl für seine unermüdliche Unterstützung meiner Arbeit. Inge Friedl

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So spielte man früher – Von Heuböden , Bächen und Bäumen

»Der Baumkletterer« 15

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So spielte man früher

er kleine Junge sieht einen großen Baum , läuft hin und beginnt hinaufzuklettern. Der Baum ist hoch und birgt allerlei Gefahren für den waghalsigen Kletterer. Der Bub könnte herabstürzen und sich dabei verletzen. Er könnte aber auch so hoch hinaufklettern , dass er schließlich oben in den Ästen gefangen ist , weil er es nicht mehr schafft , am Stamm herunterzurutschen. Was , wenn einer der oberen Äste abbricht und fällt ? Kein Erwachsener ist in der Nähe , der auf ihn aufpasst , ihn warnt und ihm sagt , was er tun darf und was nicht. Eine gefährliche Situation ? Auf Pieter Bruegels Bild wird der kleine Kletterer neben all den anderen spielenden Kindern dargestellt. Er ist da , weil es für Bruegel das Normalste auf der Welt war , dass Kinder laufen , klettern , balancieren , springen , sich verstecken – und all das ohne Aufsicht ! Wer genau hinschaut , sieht unmittelbar neben dem Kletterbaum einen Bach , in dem Kinder schwimmen. Ganz sicher haben sie keinen Schwimmkurs besucht. Sie tragen auch keine Schwimmreifen oder Schwimmflügerln , nur ein Kind hält sich an einer aufgeblasenen Schweinsblase fest. »Saublasen« , also Harnblasen des Schweines , wurden auch bei uns , solange es Hausschlachtungen gab , also bis vor wenigen Jahrzehnten , oft gereinigt , getrocknet und als Tabakbeutel , Ball oder auch als Schwimmbehelf verwendet. Vermutlich haben die Kinder zu Bruegels Zeiten auf dieselbe Art schwimmen gelernt , wie viele andere Kinder in den Jahrhunderten vor und nach ihnen : Sie haben sich ins Wasser gewagt und einfach probiert zu schwimmen. Ein Steirer , der in Halbenrain , direkt an der Grenze zum ehemaligen Jugoslawien , aufgewachsen ist , beschreibt seine ersten Schwimmversuche so : »Wir Kinder haben in der Mur , die die Steiermark an dieser Stelle von Slowenien trennte , schwimmen gelernt. Die Zöllner an der Grenze haben uns das Schwimmen ›beigebracht‹ : Sie haben dich reingeworfen – du hast gestrampelt – dann haben sie dich wieder herausgezogen. Dazwischen haben sie uns Hinweise gegeben , wie wir es anstellen sollten , über Wasser zu bleiben. Das ging so lange , bis wir eben schwimmen konnten. Dazu muss man sagen : Die Mur ist kein stilles Gewässer , son16

Von Heuböden , Bächen und Bäumen

Wiener Kinder spielen an einer Hausmauer in den 1930er-Jahren. Dieses Bild stammt von Rudolf Spiegel , der von 1933–1937 Wiener Straßenszenen festgehalten hat.

dern ein reißender Fluss ! Am Rand gab es schon einzelne flache Schotterbänke , aber in der Flussmitte , an der Grenze zu Jugoslawien , da war das Wasser so tief , dass ich kaum stehen konnte. Die Strömung war so reißend , dass ich mich kaum halten konnte. Aber als Bub hat mir das getaugt. Das war ein Abenteuer !« Man sagt , heute würden sich manche übervorsorgliche Eltern wie Helikopter verhalten : Ständig halten sie sich in der Nähe ihrer Kinder auf und sind immer über alles informiert , was diese tun. Sie »kreisen« wie Hubschrauber über ihrem Nachwuchs , um gefährliche Situationen zu verhindern und ihre Kinder zu überwachen und zu behüten. Ein Anruf mit dem Handy genügt und man weiß Bescheid , wo und mit wem sich das Kind gerade aufhält. In Zeiten ohne Mobiltelefon wussten die Eltern immer nur ungefähr , wo die Kinder waren. Die Kinder kamen heim , wenn es dunkel wurde oder wenn die Mütter sie zum Abendessen riefen – bis dahin waren sie jedoch mehr oder weniger sich selbst überlassen. Diese Freiheit war eine der schönsten Dinge , die die Kinder früher beim Spielen hatten. Ein Bauernsohn aus dem Sölktal , geb. 1931 , beschreibt die17

So spielte man früher

se Ungebundenheit : »Zum Spielen haben wir herumlaufen können , wie wir wollten. Wir sind in den Wald hinaufgesprungen und zum Bach gegangen. Die Freiheit beim Spielen haben wir uns selber gesucht.« Im Herbst war diese Freiheit auch am Heuboden zu finden. Besonders bei Regenwetter war dort ein herrlicher Platz zum Spielen : »Am Heuboden haben wir Kinder uns Schluchten ins Heu gebaut. Dabei haben wir richtig fest ins Heu hineingegraben. Noch ein Meter ! Und noch ein Meter ! Jetzt haben wir schon einen Doppelmeter ! Das war ganz schön anstrengend , wir haben gebaggert und dabei gesungen. Wie Maulwürfe haben wir uns weitergegraben. Wenn die Schluchten dann fertig waren , konnte man da gut Verstecken spielen !« So ein Heuboden war auch ein wunderbarer Rückzugsort für die Kinder : »Da war ein vergittertes Fenster , von dem aus man gut in den Hof schauen konnte. Da sind wir dann gesessen und haben beobachtet , was unten alles los ist.« Zur Zeit der Heuernte stellte man Gebläserohre an den Heuboden. Das elektrische Gebläse sorgte dafür , dass die Heuernte direkt nach oben in den Heuboden transportiert wurde. Mit Einfallsreichtum funktionierten die Kinder die Rohre zu einer Rutsche um : »Wenn das Gebläse nicht in Betrieb war , haben wir uns oben hinein gesetzt und sind wie bei einer Wasserrutsche unten rausgekommen. Das war so lustig , da sind sogar die Buam von Nachbardorf gekommen , um das auszuprobieren.« Wie gefährlich waren all diese Unternehmungen für die Kinder ? Hätte man sie nicht zurückhalten und bewahren sollen ? 1944 wurde ein Wiener Bub , Thomas Wentner , mit seiner Mutter zwangsumquartiert. Er kam 1945 auf einen Bauernhof in Atschenbach bei Grieskirchen in Oberösterreich und er verbrachte dort eine »wunderbare Zeit«. In seinen »Erinnerungen«1 beschreibt er , wie er lernte , mit Gefahren und Herausforderungen umzugehen : »Der Sprung vom Heuboden , vom hohen Gebälk auf darunter gehäuftes Heu , der Rutscher im Grünfutter durch die Futterluke auf den Grashaufen im Kuhstall , all das war beim ersten Mal immer mit großer Überwindung verbunden , aber dann war es ein Erfolgserlebnis und später Routine. Es war ein Lernen , Erkennen und Abschätzen der Gefahren 1 Persönliche Lebenserinnerungen , die Thomas Wentner für seine Kinder niedergeschrieben hat. 18

Von Heuböden , Bächen und Bäumen

Wasser , Erde , Matsch – ideale Zutaten für ein fantasievolles Spiel , hier im Salzburger Land bei St. Johann im Pongau.

auf einem Bauernhof , was mir letztlich bei so manchen Spielen und Unternehmungen in meiner späteren Kindheit und Jugend zustatten kam.« Anfang 2012 gab es eine für viele überraschende Entscheidung in einem Zivilgerichtsprozess. Ein Kärntner Kindergarten wurde zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt , weil ein fünfjähriges Mädchen beim Klettern von einem Baum gestürzt war und sich dabei verletzt hatte. Fertigkeiten wie Klettern , Balancieren und Springen werden heute selten geübt. Die Unsicherheit der Eltern überträgt sich auf die Kinder und was nicht ständig und früh geübt wird , kann man auch später nicht. Wenn Kinder nicht von klein auf lernen , Gefahren und Risiken richtig einzuschätzen , entwickeln sie auch kein Bewusstsein für mögliche Gefahren und deren Bewältigung. Dasselbe gilt für die alten Kinderspiele. Jedes der alten Spiele trainierte auf vielfältige Weise Motorik und Koordination. Beim Murmelspielen übte man die Koordination von Auge und Hand , beim »Tempelhupfen« den Gleichgewichtssinn , beim Ballspiel »Zur Suppe greift« Konzentration , Reaktionsschnelligkeit und Motorik. Die Physiotherapeutin Ulrike Fürst-Telsnig hält die alten Spiele für einen »kostbaren Schatz« und setzt sie in ihren Thera19

So spielte man früher

pieeinheiten ein. Statt künstliche ( langweilige ) Übungen zu erfinden , lässt sie ihre Therapiekinder z. B. »Antitschtn« oder andere Murmelspiele spielen , um die Auge-Hand-Koordination zu üben. Bei einer Einheit ließ sie die Kinder »Knödelhupfen« , eine Art »Tempelhupfen« , um den Gleichgewichtssinn zu trainieren. Es war ein voller Erfolg ! Fürst-Telsnig : »Auf einem Bein stehend , musste ein Steinchen weggekickt werden – eine sehr schwierige Aufgabe. Aber eines der Steinchen fiel durch Zufall in einen Gully und nun wollten das die anderen Kinder auch nachmachen. Die Kinder spielten bis zum Umfallen und nebenbei trainierten sie ihr Gleichgewicht !« Das beweist , dass die alten Spiele Spaß machen – aber die Kinder spielen sie nicht mehr , weil sie die Spielregeln nicht kennen. Dabei wären sie leicht dafür zu begeistern. Fürst-Telsnig : »Mein Mann und ich haben mit unseren Kindern auf einem Spielplatz ›Ochs am Berg‹ gespielt. Wir spielen es drei , vier Mal und als ich mich nach dem Einschauen wieder umdrehe , war plötzlich ein große Schar Kinder da , die alle mitspielen wollten !« Es ist ein großer Verlust , wenn Spiele verloren gehen , denn damit verringern sich auch dramatisch die Fertigkeiten und Fähigkeiten , die die Kinder im Spielen erwerben. Um diese Defizite wieder zu beheben , werden die Kinder dann »von Therapeut zu Therapeut geschleppt« und üben mühsam , was sie sonst spielerisch erlernen könnten. Eine ältere Bäuerin erzählte vom »weiten Raum« , den Kinder früher hatten : »Wir waren bei jeder Arbeit am Feld dabei , sind in den Wald hinein , wir sind auf die Bäume geklettert und beim Bacherl herumgesprungen. Durch die viele Bewegung waren die Kinder viel geschickter als heute.« Der Bewegungsspielraum der Kinder war nicht nur am Land , sondern auch in den Städten relativ groß. Es gab noch unverbaute Gebiete , verwachsenes Gebüsch , Hohlwege und Pfade – die klassische »Gstettn« , wie sie heute kaum noch existiert. Hier durfte man Löcher graben , Äste abbrechen , auf Bäume klettern , Baumhäuser und Höhlen bauen , mit Lehm und Matsch spielen und vieles mehr. Man konnte sich im Dickicht verstecken , kämpfen , erobern , Schätze finden , träumen. Die Kinder kamen mit vielen Materialien in Berührung , mit Steinen , mit Erde , mit Holz , mit Lehm , mit Pflanzen und mit Tieren. Aber das Wichtigste war : Hier konnten sich die Kinder ihre Spielorte aussuchen und selbst gestalten , erstreiten und verteidigen. Die Kinder 20

Von Heuböden , Bächen und Bäumen Wenn Fertigkeiten wie Klettern und Balancieren früh geübt werden , lernen Kinder , Risiken richtig einzuschätzen und entwickeln ein Bewusstsein für mögliche Gefahren und deren Bewältigung.

hatten viel mehr Spiel-Räume und Spiel-Plätze als heute. Sie spielten auch auf ruhigen Straßen und Gassen , auf Lagerplätzen , in verwinkelten Hinterhöfen , in Schuppen , in Scheunen – spielende Kinder gehörten zum Stadtbild , zum Dorfbild dazu. Spielraum ist bei Kindern gleichbedeutend mit Lebensraum. Wenn Platz zum Spielen verschwindet , verschwinden auch viele alte Spiele. Fangund Laufspiele wie »1 , 2 , 3 , angschlagen !« können nur dort stattfinden , wo die Kinder ausreichend Möglichkeiten finden , sich zu verstecken. Spiele wie »Schneider , leih ma d’Scher !« können nur auf einer Wiese mit Bäumen stattfinden. Zum »Tempelhupfen« benötigen die Kinder ein Stück Asphalt , auf dem es ihnen erlaubt ist , mit Kreide ein Spielfeld aufzuzeichnen. Um »Räuber und Gendarm« zu spielen , braucht es ein weiträumiges Gelände ohne »Betreten verboten«-Schild. Auch was die Zeit betrifft , wird der Spielraum für Kinder immer enger. Freie Nachmittage sind für heutige Kinder mittlerweile schon fast so selten , wie sie es früher für Kinder aus bäuerlichen Familien waren. Während die Kinder einst in den Arbeitsprozess einbezogen waren , sind die Nachmittage heute Lernzeit. Zu Hause und in Nachhilfestunden muss gelernt werden , um den Anschluss in der Schule nicht zu verlieren. Ein , zwei , oft mehr Nachmittage in der Woche sind zudem im Terminkalen21

So spielte man früher

der der Kinder dick angestrichen : Fußballtraining , Ballett , Klavierstunde , Reitunterricht , Tennis und Judo warten – lauter sinnvolle Dinge , die aber dennoch keine freie , kreative Spielzeit für die Kinder ist. In der Nachbarschaft sind die Kinder heutzutage kaum mehr an einem Nachmittag alle gleichzeitig zu Hause. So wird es fast unmöglich , Gruppenspiele zu spielen. »Schneider , leih ma d’Scher« , »Zieh durch die goldne Brücke« , »Zur Suppe greift« , »Der Kaiser schickt Soldaten aus« – die Liste der Spiele ist lang , die mehr als eine Handvoll Mitspieler brauchen. Auch am Land hatten Kinder früher einen engen Zeitrahmen. Nach der Schule hieß es mithelfen und anpacken. Aber , solange noch keine Schulbusse fuhren , war der Fußweg in die Schule zwar lang und vor allem im Winter auch recht beschwerlich , aber er war auch »ein Stückerl Freiheit«. Der ehemalige Lehrer Norbert Rungaldier erinnert sich : »Mein Schulweg von Unterpurkla nach Halbenrain war etwa sechs Kilometer lang. Das war für uns Kinder überhaupt kein Problem , weil wir uns zu beschäftigen wussten. Wir sind meistens entlang der Mur in den Murauen gegangen , weil es dort für uns viel interessanter war. Wir haben so viel bemerkt und so viel gesehen ! Ich hab die Gegend dort richtig intensiv in mich aufnehmen können. Wir sind gegangen , haben geschaut und geredet und ab und zu haben wir auch gespielt. Außerdem patroullierten ständig bewaffnete Grenzpolizisten auf der damaligen jugoslawischen Seite und beobachteten gestreng das Geschehen am österreichischen Murufer. Eigentlich war der Schulweg für uns ein Abenteuer , weil sich immer etwas Neues ergeben hat.« Auch eine Kärntner Bergbäuerin erlebte den Schulweg als wunderbare Entdeckungsreise : »Wir haben Salamander , Schlangen und Käfer gefangen. Die Ameisen haben wir aus dem Ameisenhaufen ›gekitzelt‹ und wir haben Grillen gejagt. Im Frühjahr haben wir uns so über die ersten Blumen gefreut ! Wir haben beim Hingehen die Frühlingsknotenblumen gepflückt und sie unserem Lehrer mitgenommen. Beim Heimgehen haben wir dann noch einmal Blumen gepflückt und sie der Mama mitgebracht !« Dieses Mädchen hatte die Angewohnheit , am Schulweg Dinge aufzusammeln und sie mitzunehmen. Einmal ist dies aber gründlich schiefgegangen : »An einem Tag im Mai haben wir am Schulweg so viele Maikäfer gesehen. Am Morgen waren sie alle von der Kälte noch steif und unbeweglich. Wir haben die Maikäfer gepflückt , in unser Jausensackerl getan und in die 22

Von Heuböden , Bächen und Bäumen Die drei Kammerhoferkinder vom vulgo Greis in St. Ilgen im Hochschwabgebiet in den 1940er-Jahren.

Schule mitgenommen. Dadurch sind wir schon einmal eine Stunde zu spät gekommen. Deshalb haben wir dann hundertmal schreiben müssen : ›Ich darf nicht erst nach acht Uhr in der Schule eintreffen. Ich muss pünktlich sein !‹ In der Wärme der Klasse haben sich die Käfer wohlgefühlt und sind alle auf die Fensterscheiben geflogen. Die Scheiben waren voller Maikäfer ! Jetzt haben wir noch eine Strafarbeit bekommen : ›Ich darf keine Maikäfer in die Schule mitbringen !‹« Das Schöne am Schulweg war der Heimweg. Wenn die Kinder nicht gerade zu dringender Arbeit daheim erwartet wurden , dann durften sie trödeln. Ein Ennstaler erinnert sich : »Im Sommer hats immer geheißen : ›Buam , kimmts ja recht schnell hoam nach der Schul’ weil es ist zum Heigen !‹ Aber im Winter hat die Zeit am Schulweg keine Rolle gespielt. Wir sind dann kaum einmal vor dem Finsterwerden von der Schule nach Hause gekommen. Den Schulweg haben wir im Winter mit dem Schlitten oder mit den Schiern zurückgelegt. Wir sind dann am Nachmittag , statt gleich heimzugehen , immer wieder hinuntergefahren , haben wieder hinaufgezogen oder gestaffelt – und so haben wir oft die Zeit übersehen. Auf und auf voller Schnee und waschelnass sind wir heimgekommen !« Im Sommer warteten andere Abenteuer. Eine Bäuerin aus Gasen in der Oststeiermark : »Beim Heimweg sind wir bei einer Mühle vorbeigekommen. Da konnte man sich in das Mühlrad stellen und drinnen , im Mittelpunkt des Rades , mitgehen. Mir mussten aufpassen , dass wir das Gleichgewicht halten , denn das Mühlrad hat sich ja ständig bewegt.« Die meisten Eltern , die sich eine solche Situation bildhaft vorstellen , wären wohl sofort alarmiert und würden eingreifen. Möglich war ein solches Abenteuer 23

So spielte man früher

auch damals nur deshalb , weil diese Kinder am Schulweg unbeaufsichtigt waren : »Sehen durfte uns allerdings niemand , denn es war uns streng verboten , hier am Wasser zu spielen. Hin und wieder ist auch wirklich einer ins Wasser gefallen.« Mindestens so gefährlich wie die Mühle am Bach war das Stauwehr in der Nähe. Auch dieses zog die Schulkinder magisch an : »Ein anderes Mal haben wir bei dem Wasserwehr gerauft und zwar genau an der Stelle , wo das Wasser hineinfließt. Und ein Schulerbua fällt hinein und reißt mich mit. Patschnass waren wir beide !« Weniger gefährlich , aber genau so lustig war es , an einem Bach zu spielen. Man konnte über Steine hüpfen , mit Wasserrädern spielen , Dämme bauen oder Fische fangen. »Wir sind in den Bach hineingestiegen und haben die Fische gleich mit der Hand gefangen. Die Forellen haben sich gerne unter den Steinen versteckt. Dann hast du dich mit der Hand ganz langsam von hinten der Forelle genähert. Ganz zart , als ob du bei ihr anstreifen wolltest. So hast du dich langsam mit der Hand nach vorn bis zum Kopf vorgearbeitet und schon hast du sie gehabt !« Der Heimweg von der Schule war ein Fitnesspfad und ein Abenteuerspielplatz zugleich. »Wenn wo ein Zaun war , dann sind wir auf den Zaunstangen balanciert. Wenn du das Gleichgewicht verloren hast , bist halt owighupft !« Eine steirische Bäuerin freute sich als Mädchen immer schon auf eine bestimmte Stelle am Schulweg : »Oben auf der Böschung war eine Fichte. Dort sind wir hinauf , haben den Ast zurückgezogen und sind dann mit Schwung auf die andere Seite der Böschung gesegelt. Dort haben wir uns hingestellt und dann auf die gleiche Art wieder retour.« Im Sommer gibt es nichts Schöneres als mit und im Wasser zu spielen. Die vier Schwestern vom vulgo Schickinger in Schicking in Oberösterreich sind noch heute ihrer Mutter dankbar , dass sie einst ihren Kindern erlaubte , nach Herzenslust mit dem Element Wasser zu spielen : »Wir haben im Hof ein großes Wasserbassin gehabt , zu dem das Wasser frei zugelaufen ist. Außerdem war bei uns am Hof ein altes Feuerwehrauto abgestellt. Da haben die Buben dann gerne Feuerwehrmänner gespielt. Dabei haben sie immer eine große Wasserschlacht gemacht und sich gegenseitig mit Wasser angeschüttet. Dann sind sie im Hof hin- und hergerannt und immer wieder einmal sind sie im Nassen ausgerutscht und 24

Von Heuböden , Bächen und Bäumen

Der Bewegungsspielraum der Kinder war früher nicht nur am Land größer als heute. Hier Kinder 1948 auf einer Wiese in Atschenbach bei Grieskirchen in Oberösterreich.

waren ganz dreckig. Und schon sind sie weiter gerannt und haben wieder Wasser gespritzt und geschüttet. Das ging stundenlang so. Einmal haben sie an einem Nachmittag zwei Mal das Bassin ausgeleert !« Die Mutter , die immer in der Nähe war , hatte offensichtlich Freude am Spiel der Kinder : »Der Mutter hat es gar nichts ausgemacht , wenn manchmal das Vorhaus ganz nass war. Sie hat nicht geschimpft und das Spielen mit dem Wasser nicht verboten.« Christina Höber , die in einem Dorf im heutigen Slowenien aufgewachsen ist , schwärmt davon , dass sie als Kind nach Herzenslust im Wald spielen durfte : »Ich und meine drei Geschwister , wir haben kein einziges gekauftes Spielzeug gehabt. Ich kann wirklich sagen , es ist mir nie abgegangen. Im Sommer war der Wald unser Spielplatz. Dort haben wir mit viel Fantasie mit allem gespielt , was da war. Wir haben uns aus langen Zweigen und Weidenruten schöne Häuschen gemacht. Die Zweige haben wir so gesteckt und gelegt , dass ein kleines , rundes Häuserl entstan25

So spielte man früher

den ist. Sehr gemütlich war unser ›Schlafzimmer‹. Wir haben rundherum einfach Zweige und Farne als Abgrenzung in die Erde gesteckt und die Liegefläche mit Farnen ausgelegt.« Diese Frau betont , dass sie nie Sehnsucht nach »echtem« Spielzeug gehabt hätte. »Ich hab das nicht gekannt ! Wir haben einfach nicht gewusst , was es alles zu kaufen gibt.« Mit hörbarer Begeisterung berichtet sie von all den Schätzen , die sie im Wald gefunden hat : »Wir haben Eicheln und kleine Fichtenzapfen gesammelt. Daheim haben wir alles übers Jahr auf bewahrt und im Advent haben wir daraus unseren Christbaumschmuck gebastelt. Aus den Eicheln haben wir Engerln gemacht. Die Zapfen waren die Unterteile für andere Figuren. Das war so schön. Wir waren viel zufriedener als die Kinder heute.« Ihr Vater brachte ihr bei , Weidenruten kunstvoll zu verzieren : »Er zeigte uns , wie man mit dem Messer in die Rinde schöne Verzierungen schnitzt.« Aus manchen Gräsern ließen sich wunderbare Dinge machen : »Das war ein hohes , robustes , innen hohles Sumpfgras. Daraus haben wir kleine Sessel gebastelt , Zöpfe geflochten und andere Sachen gemacht.« Ihr Schulweg führte sie durch den Wald , den sie über alles liebte. Dort gab es zu jeder Jahreszeit so viel zu entdecken , sodass der Nachhauseweg von der Schule immer sehr , sehr lang dauerte. Besonders im Sommer , wenn der Farn wucherte , Beeren reiften , Blumen blühten und es an allen Ecken und Enden etwas zu entdecken , zu pflücken , zu spielen und zu basteln gab , vergaß das Mädchen mit seinen Freunden manchmal die Tages- und Uhrzeit. »Dann ist der Vater gekommen , um uns zu holen. Oje , wenn wir ihn gesehen haben , dann haben wir schon gewusst , dass wir wieder einmal viel zu spät waren.« Im Sommer durften die Bauernkinder nicht trödeln. Sie mussten pünktlich daheim sein , um am Nachmittag noch am Feld mitzuhelfen. Kinder lieben es im Wald zu spielen , auf Bäume zu klettern und fast jedes Kind wünscht sich irgendwann ein Baumhaus. Ein solches »Haus« ist für Kinder ein Ort , den sie selbst gestalten können , ein selbst gezimmerter Rückzugsort aus Brettern und Nägeln hoch oben in Wipfeln , ein Platz , wo man träumen und spielen kann und einen herrlichen Ausblick und Überblick über alle anderen hat. Ein Oststeirer : »Ganz oben am Kirschbaum haben die Nachbarbuben und ich uns eine Art Jägersitz gebaut. Da ist es ziemlich hoch hinaufgegangen ! Eine super Aussicht haben wir ge26

Von Heuböden , Bächen und Bäumen Im Vordergrund ein Reifen und ein Stöckchen , mit denen man »Stock treiben« spielte. Mit dem Stock wurde der rollende Reifen angetrieben und gelenkt. Dieses Foto entstand 1947 in Deutsch-Wagram.

habt ! Wir haben das Baumhaus ganz alleine gebaut und alles klass hergerichtet. So 10 , 12 Jahre waren wir alt.« Andere Kinder , Mädchen , haben eine uralte , riesige , schiefe Linde als Spielplatz entdeckt : »Die Linde ist schon so schief gestanden , dass wir leicht hinaufklettern konnten. Auf der Fläche , die so entstanden ist , haben wir uns schön eingerichtet. Wir haben oben ein Bankerl und ein Tischerl gemacht und dort gespielt. Von der Mutter haben wir luckerte alte Häfen gekriegt und uns eine Küche eingerichtet. Gekocht haben wir mit Erde und allem , was auf der Wiese wachst. Ja sogar ein paar Bleamerln haben wir dort gehabt.« Dieser sehr verwachsene alte und mächtige Baum diente in zwei Etagen als Spielplatz. Im unteren Bereich hatten sich die Mädchen eine Art »Villa Kunterbunt« errichtet , höher oben haben die Buben sich einen Rückzugsort geschaffen. Mit Wehmut erinnern sich die Damen noch heute an das Ende des geliebten Baumes : »Irgendwann war der Baum so schief , dass es gefährlich wurde. 40 Meter Brennholz sind dann daraus geworden !« Ein anderer Bub hatte mit zwölf Jahren die bemerkenswerte Idee , sich oben in einem Baum einen kleinen Tisch zu bauen , um darauf in aller Ruhe Zither spielen zu können. »Ich bin ja immer viel auf Bäumen herumgeklettert. Für mich war das selbstverständlich , dass man da auf einen Baum hinaufkraxelt. Jetzt hab ich mir da auf zehn Metern Höhe ein Sitzerl gebaut und ein Tischerl gemacht. Ich wollte dort oben Zither üben.« 27

So spielte man früher

Das Herumkraxeln auf den Bäumen hatte der Vater erlaubt. Als er aber sah , dass sein Sohn im Baumwipfel saß und musizierte , griff der Vater ein : »Der ist sonst nie auf einen Baum geklettert , aber das eine Mal ist er hinauf und hat alles abmontiert. Der Vater hat gefürchtet , dass ich herunterfalle. Dabei habe ich nicht im Entferntesten gedacht , dass ich da herunterfliegen könnte !« Und wenn es regnete ? Dann gab es eine Fülle an Spielideen , die im Haus Freude bereiteten. Kennzeichnend war , dass sie meistens nichts kosteten , also kein gekauftes Spielmaterial nötig war und dass die Kinder nie um eine Spielidee verlegen war : »Wir haben so viele Spiele gekannt , wir mussten nie lange überlegen , was wir spielen. Langweilig war uns nie. ›Scheren schleifen‹ , ›Stille Post‹ , ›Ecke begrüßen‹ , ›Im Keller ist es finster‹« , ›Vöglein , wie piepst du ?‹ haben wir gespielt oder einfach lustige Zungenbrecher ganz schnell hergesagt !«

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Spielen ohne Spielzeug – Von Zapfen , Moos und viel Fantasie

»Kinder spielen Hochzeit« 29

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Spielen ohne Spielzeug

ur Kindheit auf dem Land gehörte früher in jedem Fall das »Zapfen-Spiel«. Eine Bäuerin erinnert sich : »Aus dem Wald haben wir uns Fichtenzapfen geholt , das waren unsere Viecherln , die Kühe , die Kälber und die Ochsen. Aus Steinen haben wir Mauern für den Stall gemacht. Der Weidezaun waren ein paar gelegte Äste. Und so haben wir gespielt : Die Kühe gehen auf die Weide. Dann kommen sie wieder in den Stall zurück.« Mit nichts als Zapfen , Moos , Holz und Ästen entstand so ein kompletter Bauernhof mit Ställen , Tieren und Weiden. Meistens stellten Fichtenzapfen alle Tiere dar. Nur wenn es in der Umgebung auch Föhren gab , dann waren die kleineren Föhrenzapfen die »Kalberln« und die großen Fichtenzapfen die Kühe. Die Vorstellungskraft der Kinder allein reichte aus , um aus einfachen Zapfen Tiere werden zu lassen. Dennoch wurde manchmal auch gebastelt : Kleine »Steckerln« wurden in den Zapfen gesteckt , und so bekamen die Kühe Beine und sogar Hörner. Fand man verästelte Zweige , dann konnte auch daraus ein Tier entstehen : Man musste nur eine Stelle am Ast entdecken , die auf einer Seite vier und auf der anderen Seite zwei Verästelungen hatte und schon hatte man eine Kuh oder einen Ochsen. Hütten wurden aus Rinde , aus Steinen oder aus Ästen errichtet. Mit Moos wurden Zwischenräume verschlossen , so wie es früher wie bei den »richtigen« Häusern auch gemacht wurde. Für Wohnhäuser in Blockbauweise diente bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts Moos als Dämmmittel , um Lücken und Spalten zu verschließen. Manche Kinder machten es ganz anders. Sie legten einfach nur Zweige und Äste als Begrenzungen auf den Boden. So entstanden Ställe , Häuser , Wege und Weideflächen nur in Umrissen. Andererseits konnte auch ein unterhöhlter Wurzkörper eines Baumes als Stall dienen. Eine Oststeirerin erinnert sich , dass Kinder in ihrem Garten jahrzehntelang mit einer großen Baumwurzel spielten : »Den Wurzkörper haben die Kinder jedes Jahr wieder schön ausgeputzt und damit Stall gespielt. Das war eine richtige kleine Höhle. Den haben wir jahrelang gehabt. Sogar die Enkelkinder haben damit noch gespielt.« 30

Von Zapfen , Moos und viel Fantasie

Ein »Stall« mit »Kühen« aus Zapfen – gebaut von der Altbäuerin Kathi Hubner aus Bad Goisern , genauso wie sie es in ihrer Kindheit getan hat.

Peter Rosegger beschreibt in seinem Buch »Als ich noch ein Waldbauernbub war« wie das Mädchen Käthele mit Zapfen spielte : »Das Käthele hatte unter einem Felsvorsprung eine Sennerei. Aus Baumrinden hatte es einen Stall aufgezimmert , unter diesem stand eine Reihe dürrer Fichtenzapfen , das waren die Kühe. Das Mädchen lehrte mir von diesen Kühen die Namen und schob sie auf die Weide und wieder in den Stall.« Jedes , wirklich jedes Kind am Land spielte früher so – ohne gekauftes Spielzeug , nur mit dem , was im Wald zu finden war. Die Zapfen stellten dar , was das Kind wollte , Kühe , Kälber , Ochsen , aber auch Bauer und Bäuerin , Knechte und Mägde und manchmal sogar Prinzen. Wenn die Mutter einer Kärntner Gastwirtin mit ihrer Enkelin mit den »Tschurtschn« , so nennt man die Zapfen in Kärnten , spielte , dann verwandelten sich die Zapfen in Märchengestalten : »In der Früh sind sie ins Waldl gegangen und haben in Ruhe gespielt. Dann war jeder ›Türkentschurtsche‹ ( Tannenzapfen ) ein Prinz oder eine Prinzessin !« Auch Hagebutten weckten die Vorstellungskraft der Kinder. Im Burgenland , wo es vergleichsweise wenige Fichten und Tannen gibt , spielten 31

Spielen ohne Spielzeug

die Kinder mit den »Hetscherln« : »Das waren unsere Kühe ! Man nimmt vier Dornen und steckt sie in die Frucht hinein , das waren die vier Beine. Das Schwarze vorne war der Kopf.« Kinder auf der ganzen Welt spielen wohl solche Spiele. Dort , wo es keine Tannenzapfen gibt , verwenden sie eben anderes Naturmaterial. Von den Nordfriesischen Inseln ist überliefert , dass die Kinder Vierecke in den Sand zeichnen und spielen , es sei ihre Scheune. Ihre Pferde , Kühe und Schafe werden von jeweils verschiedenen Muscheln dargestellt , die die Kinder zuvor am Strand gesammelt haben.2 Wer spielende Kinder mit Muscheln oder mit Tannenzäpfen sieht , wüsste , ohne eingeweiht zu sein , dass sie Tiere darstellen sollen ? Genauso rätselhaft ist ein Detail auf Bruegels Bild. Ein Junge sitzt an einem Tisch und spielt mit einem offensichtlich zahmen Vogel. Vor ihm liegt ein Ziegelstein , angebunden an einen Lederriemen oder einen Strick. Das andere Ende des Seils ist an der äußeren Stütze des Tisches ordentlich festgemacht. Spielt der Bub , der Ziegelstein sei sein Hund ? Hat er ihn deshalb so penibel angebunden , damit sein Fantasiehund nicht wegläuft ? Oder ist der Ziegelstein gar ein Pferd ? Vielleicht ein kostbares , edles Reitpferd , der ganze Stolz seines Besitzers ? Wir werden es nie erfahren. Ein Stückchen weiter auf dem Bild haben Kinder aus einigen Ziegelsteinen eine niedrige kreisförmige Mauer errichtet. Gleich nebenan spielen zwei Buben auf einem Sand- oder Erdhaufen. Vermutlich befindet sich in der Nähe eine Baustelle oder vielleicht wird gerade eine Straße gepflastert ? Die Kinder haben jedenfalls die Gelegenheit genützt und das herumliegende Baumaterial zum Spielen verwendet. Genau das tun Kinder heute noch gern. Sie lieben es , auf eigene Faust eine Hütte zu bauen und etwas zu konstruieren. Die oststeirische Bauernfamilie Pessl aus Gasen überließ ihren Kindern einen Spielplatz der besonderen Art , nämlich ein freies Gelände , auf dem die Kinder tun und lassen konnten , was sie wollten. Sie stellten es ihren sechs Kindern zu Verfügung mit den Worten : »Das gehört euch ! Da könnt ihr machen , was ihr wollt !« Die Kinder legten einen Garten an und begannen aus Brettern ein Haus 2 Jeanette Hills : Das Kinderspielbild von Pieter Bruegel d. Ä. Veröffentlichungen des Österreichischen Museums für Volkskunde. Band X. Wien 1957 , S. 21. 32

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Kinder spielen mit Naturmaterialien : mit Steinen , Zapfen und Ästen.

zu bauen. Immer wenn eines der Kinder Geburtstag hatte , bekam es eine Packung Nägel als Geschenk. Sogar ein altes »Öferl« wurde in das Kinderhaus eingebaut. Der Ofen wurde allerdings nicht beheizt , sondern diente gelegentlich als »Stall« für eine Henne. »Dann haben sie einen Teich angelegt. Das Wasser ist zwar ausgeronnen , aber ein Teich war’s trotzdem ! Bei uns gibt es eine Klamm , die Bärenschützklamm. Sogar die haben sie auf ihrem Grund nachgebaut ! Unsere Kinder haben eben Fantasie gehabt.« Dieselbe Familie erlaubte ihren Kindern auch die alte »Düngerstatt« , den Misthaufen , umzufunktionieren. In dem gemauerten Becken , das einst den Mist enthielt , planten die Kinder ein Schwimmbad zu errichten. Die Eltern ließen die Kinder walten und so wurde zunächst einmal ordentlich geputzt : »Die haben alles geputzt und gerieben und dann Wasser eingefüllt. In dem Becken haben alle schwimmen gelernt , auch die Nachbarskinder. Unsere sechs Kinder und vier Nachbarskinder – zehn insgesamt ! Da ist es bei uns dann immer lustig zugegangen.« Ein aufblasbarer Traktorschlauch diente nicht nur als überdimensionaler Schwimmreifen , sondern auch als Krokodil : »Ein Sohn , er ist heute Polizist in Wien , hat im33

Spielen ohne Spielzeug

mer den Tarzan gespielt und gegen das Krokodil gekämpft. Am Ende hat er immer gesiegt und das Krokodil erstochen.« Diese Kinder hatten kein großes Bedürfnis nach gekauften Spielsachen. Norbert Rungaldier , der in Halbenrain aufgewachsen ist , beschreibt seine Kindheit als erlebnisreiche Zeit voll von starken und bunten Eindrücken : »Durch die Vielfalt der Umgebung hat sich eigentlich immer etwas ergeben , was uns interessiert hat. Mein Bruder Reinhard und ich , wir haben viel im Freien gespielt und waren auch oft bei den Bauern in der Nachbarschaft. Dem Schmied durften wir bei der Arbeit zuschauen und auch daheim war für uns Buben immer etwas los. Wir haben Hasen gezüchtet und mein Bruder und ich , wir waren für die Versorgung der Tiere zuständig. Da ist man als Kind natürlich ganz anders beschäftigt als in der Stadt. Wir haben das Spielzeug , das die Kinder in der Stadt gehabt haben , gar nicht gekannt. Darum ist es uns auch gar nicht abgegangen. Ich glaube , wir haben wirklich nicht gewusst , welche Spielsachen es überhaupt gibt.« Es gab früher eine beträchtliche Anzahl von Kindern , die niemals gekauftes Spielzeug besessen haben. Ein Grund dafür ist die Beziehung , die man einst zu Geld hatte. Geld war rar und wurde »sinnvoll« eingesetzt. Das bedeutete , dass unter dem Christbaum keine gekaufte Puppe und kein Spielzeugauto zu finden war , sondern Unterwäsche , selbst gestrickte Fäustlinge , Socken und Jankerln , vielleicht Buntstifte für die Schule oder neue Schuhe. Trotzdem , eine solche Kindheit war nicht ( nur ) arm , sondern auch reich an Eindrücken und Möglichkeiten. Manche Eindrücke waren für die Kinder so stark , dass sie sie nachspielten. Eine Kärntner Bergbäuerin erinnert sich : »Wir haben unten im Graben eine eigene Mühle gehabt. Das war ein Ort , wo ich sehr gerne gewesen bin. Ich bin mit dem Vater mitgegangen , wenn er das Getreide dort zu Mehl gemahlen hat. Dann habe ich beobachtet , wie das Wasser auf die Mühlräder fällt und wie im Inneren der Mühle das Mehl herabrieselt. Das habe ich dann in meiner Fantasie immer wieder nachgespielt. Bei uns daheim habe ich manchmal Mehl genommen und es ›owa rinnen‹ lassen. Dann habe ich mir vorgestellt , es wird gerade gemahlen. ›Mühle‹ konnte ich aber auch im Freien spielen. Manche Hänge waren aus so leichtem Material , dass die Erde da leicht gerieselt ist. Da habe ich mir dann vorgestellt : Da ist das Wasser , das rinnt und 34

Von Zapfen , Moos und viel Fantasie Vertieft ins Spiel – dieses Bild entstand in Kapfenberg in den 1930er-Jahren.

da ist das Mehl , das rieselt – alles nur in meiner Fantasie !« Sich etwas vorstellen können , etwas mit allen Sinnen wahrnehmen , riechen , hören und schmecken – darauf kommt es an , wenn man beim Spielen aus seiner eigenen Fantasie schöpfen will. Den Geruch einer solchen Kindheit am Land hat der Linzer Thomas Wentner in seinen Lebenserinnerungen in Worte gefasst : »Sommertage mit heißer , drückender Stille im Hof , voll der Düfte und Gerüche eines damals noch autarken Landwirtschaftsbetriebes mit sämtlichem dazugehörigen Viehbestand , der Geruch des Misthaufens , der Ställe , der Wagenschmiere , mit welcher die Achsen der Leiterwägen voll waren , der Jauchegrube , des Hollers hinter dem Stadel , der warme Duft des Holzes der sonnenbeschienenen Stadelwand , der leicht säuerliche Geruch aus den Kellerfenstern : Das alles ist mir heute noch gegenwärtig und gehört absolut zu meiner Kindheit.« Mit Naturmaterialien statt mit vorgefertigtem Spielzeug zu spielen , braucht Vorstellungskraft. Wer keine Puppe besaß , konnte sich mit Fantasie aus Naturmaterial ein Puppenkind erschaffen. Eine Burgenländerin erinnert sich : »Meine Puppe war ein Kukuruzkolben. Ich habe die Schale nach unten gebogen , das war mein Puppenkleid. Der Kolben war meine Puppe und die weichen Haare oben waren die Puppenhaare.« Mit Fantasie allein war es aber nicht getan. Die Kinder mussten auch wissen , welche Pflanze sich zu welchem Zweck eignet. Die unreifen 35

Spielen ohne Spielzeug

Früchte des Blasenstrauchs eignen sich hervorragend als »Knallkörper«. Man legt sie auf die Hand , schlägt drauf und es gibt einen »Klescher« , weshalb dieser Strauch im Volksmund auch »Klescherlstaudn« heißt. Aus Borstengras lassen sich Körbe flechten. Die Zweige der Kletterpflanze Klematis lassen sich beim Pferdespielen als Zügel verwenden. Löwenzahnstängel eigenen sich als Musikinstrument zum Blasen , man kann aus ihnen aber auch Ketten anfertigen. Außerdem lässt sich mit den Stängeln etwas Besonderes machen : Kerbt man die hohlen Schäfte an der Spitze ein und nimmt sie in den Mund , dann rollen sich die eingekerbten Abschnitte wie Spiralen nach auswärts um und sehen aus wie eine kleine Schüssel. Dieser Vorgang nennt sich Osmose und wird heute im Biologieunterricht gerne als Experiment gezeigt. Generationen von Kindern kannten den Effekt schon lange und hatten in Niederösterreich sogar ein Sprücherl dazu : »Maibam , Birbam , Apflbam , Zweschpnbam , drah ma mein Schüsserl zam !«3 Auch aus Kletten ließ sich viel machen. Theresia Achleitner aus Wels erinnert sich : »Die Kletten haben Widerhaken , die wie ein Klettverschluss wirken. Wenn man sie zusammensetzt , halten sie sehr gut aneinander. Wir haben die Kletten vor der Blüte eingesammelt und sie dann zu Schüsserln zusammengesteckt. Unsere Fingerspitzen haben natürlich furchtbar ausgeschaut , ganz zerstochen !« Waltraud Moro aus Neusiedl am See weiß noch , wie man Pfeil und Bogen aus Naturmaterialien herstellt : »Den Bogen bastelt man sich aus Weiden und Spagat. Die Speere oder Pfeile haben die Buben früher aus Schilfrohr gemacht. Damit diese Speere besser fliegen , hat man früher vorne an die Spitze Rinde von Hollerzweigen draufgesteckt. Holunderäste lassen sich sehr leicht aushöhlen , weil sie innen ein leicht entfernbares Mark haben. Diese Holunderrinde hat man auf das Schilfrohr gesteckt – fertig.« Kinder spielten nicht nur mit Pflanzen , sondern auch mit lebenden Tieren. Das waren nicht nur Haustiere wie Katzen , Hunde oder Nutztiere wie Lämmer oder Ziegen , sondern auch Frösche , Käfer , Eidechsen 3 Emil K. Blümml , Fr. Höfer : Die Beziehungen der Pflanzen zu den Kinderspielen in Niederösterreich. In : Zeitschrift für österreichische Volkskunde. V. Jahrgang 1899. S. 132. 36

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»Verkleiden spielen« im Sommer 1941 in Enns in Oberösterreich.

oder Schnecken. Nicht immer waren diese Spiel so gewaltfrei , wie in der Kindheit von Maria Kammerhofer , einer Bäuerin aus St. Ilgen : »Wir haben gespielt , dass die Schnecken unsere Pferde waren. Die grau-silbrigen Weinbergschnecken waren die Schimmel und die Schnecken mit dem braunen Häusl waren die Fuchs’. In Zündholzschachteln haben wir vorne rechts und links kleine Nägel hineingesteckt und daran einen Wollfaden befestigt. Den haben wir dem Schneck umgehängt und ihn dann auf den Brunnenrand gesetzt , wo es schön feucht ist. Dann sind sie dort gekrochen und haben das Zündholzschachterl mitgezogen. Wir haben uns daneben hingehockt und haben zugeschaut , wer schneller ist. Wir haben die Schnecken richtige Wettrennen austragen lassen. Dann haben wir getauscht und gehandelt : ›Gib mir den Fuchs , kriegst den Schimmel dafür !‹ Wir haben sogar eine eingezäunte Koppel für unsere ›Pferde‹ gebaut und einen Stall dazu bei den Baumwurzeln. Auf d’Nacht haben wir alle Schnecken zum Schlafen in den Stall gegeben. In der Früh , wenn wir sie holen wollten , sind sie manchmal so weit auf den Baum gekrochen , dass wir uns halt wieder neue Schnecken haben holen müssen. Wir haben sie eingesammelt und in unserer Schürze heimgetragen.« Die Lebenswirklichkeit der Kinder war früher eine ganz andere als die der Kinder heute. Nur so lässt sich erklären , dass nicht nur mit lebenden , 37

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sondern auch mit toten Tieren gespielt wurde. »Begräbnis«-Spielen war ein sehr verbreitetes und beliebtes Spiel. Dazu muss man wissen , dass die Kinder am Land mit Sterben und Tod hautnah konfrontiert waren. Die Kinder wurden nicht ferngehalten , wenn ein Familienmitglied daheim im Sterben lag , sie erlebten das dreitätige Aufbahren der Toten im eigenen Hause mit und natürlich auch das anschließende Begräbnis. Eine südoststeirische Bauernfamilie berichtet , dass immer dann , wenn eine Katze am Hof gestorben ist , die Kinder »Begräbnis« gespielt haben : »Wir haben die tote Katze auf ein Leiterwagerl gelegt , das Wagerl haben wir mit Zweigerln und einem Kranzerl ›aufgegrünt‹. Im Gebüsch haben wir dann ein Loch gegraben , die Katze hineingetan , ein paar Blumen draufgesetzt und ein Holzkreuz gemacht. So haben wir Begräbnis gespielt ! Ja und ›great‹ , geweint , haben wir natürlich auch !« Eine Sennerin aus der Obersteiermark erzählte von Mäuse-Begräbnissen : »Wir hatten bei uns auf der Alm eine Katze , die jeden Tag Mäuse vor die Hüttentür legte. Es waren so viele , dass ich spaßhalber sagte : ›Da brauchen wir einen Mäusefriedhof !‹ Die Kinder der Nachbarhütte hörten dies. Als wieder einmal eine tote Maus vor der Hütte lag , wurde ein Mäusefriedhof angelegt und die Maus dort begraben. Kleine Kreuze wurden aufgestellt , Namen darauf geschrieben und Blumen aufs Grab gelegt. So sind im Lauf der Zeit 13 Mäusegräber entstanden.« Diese etwa 8-jährigen Kinder waren sehr einfallsreich. Sie stellten vor dem Mäusefriedhof eine Sparbüchse auf mit der Bitte um eine »Spende für die Erhaltung der Gräber«. Wanderer , die vorbeigingen , spendeten gerne und so kam ein hübsches Sümmchen zustande. Die Kinder waren von klein auf auch bei Schlachtungen dabei und so an tote Tiere gewöhnt. Früher wurde auf den Bauernhöfen zumindest einmal im Jahr eine Hausschlachtung durchgeführt. Der Bauer selbst oder ein Fleischhauer führte die Schlachtung durch , entnahm die Innereien , hängte die Schweinehälften auf und zerteilte das Tier. Vermutlich war dies alles für die Kinder ein großes und eindrucksvolles Erlebnis. Und weil Kinder im Rollenspiel nachspielen , was sie sehen , spielten sie auch »Schlachten« und »Metzger«. Ein obersteirischer Bauer erinnert sich : »Mit den Fischen , die wir Buben aus dem Bach geholt haben , haben wir Fleischhacker gespielt. Wir 38

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Zwei Ziegen dienen als Zugtiere für den Leiterwagen. Dieses Foto entstand 1906 in Meran in Südtirol.

haben aus Erlenästen Stangerln gemacht , daran haben wir die Fische bei den Flossen aufgehängt. Dann haben wir die Forellen aufgeschlitzt und die Innereien heraus getan , genauso wie es ein richtiger Fleischhauer macht.« Bei Rollenspielen übernehmen die Kinder die Rolle einer bestimmten Person , meist eines Erwachsenen , und ahmen diesen nach. Früher , als Kinder sonntags noch regelmäßig zur Kirche gingen , war »Pfarrer spielen« sehr beliebt : »Wir haben uns einen weißen Kittel angezogen und so gesungen wie die Pfarrer : ›Dominus vobiscum !‹ Damals ist in der Messe noch viel lateinisch geredet worden und wir haben uns halt ein paar Worte Latein gemerkt.« Dazu ein Mühlviertler Gesprächspartner : »Hochzeit und Begräbnis , das haben wir als Kinder oft gespielt. Wenn wir einen toten Vogel gefunden haben , dann haben wir einen Mordstrauerzug gemacht und ihn großzü39

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gig eingegraben. Und das war dann fesch , wenn man beim Begräbnis sagen hat können : Dominus vobiscum !« Auch auf Bruegels Bild sind mehrere Rollenspiele zu sehen , darunter eine »Taufe« und auch eine »Hochzeit«. Das »Hochzeit«-Spiel ist also unverändert durch die Jahrhunderte hindurch ein beliebtes Rollenspiel. Hier sind es zehn Mädchen , die einen Brautzug nachahmen. Auffallend ist , dass die Braut zwar einen Blumenkranz trägt , aber nicht weiß , sondern dunkel gekleidet ist. Tatsächlich ist der Brauch des weißen Brautkleides bei uns noch nicht lange allgemein üblich. Wer sich alte Hochzeitsfotos ansieht , wird bemerken , dass die Braut ein dunkles Kleid oder Kostüm trägt. Es war ihr Feiertagsgewand , in vielen Fällen das einzige schöne Kleid , das nur zu besonderen Anlässen hervorgeholt wurde. Der Brautzug auf Bruegels Bild wird angeführt von zwei Blumenmädchen , die aus einem Korb Blumen streuen. Rechts und links von der Braut gehen zwei Brautjungfern , am Ende schirmt eine Frau den Zug der Mädchen mit ihren Armen ab , als ob sie die Kinder schützen wollte. Abschließend stellt sich die Frage : Können Kinder heute noch so spielen ? Würden sie sich mit Naturmaterialien wie Ästen und Tannenzäpfen beschäftigen , wenn man ihnen Legosteine und Duplo wegnehmen würde ? Der Pfarrcaritaskindergarten in Sarleinsbach ließ sich auf das Abenteuer ein und beschloss , zehn Wochen ohne vorgefertigtes Spielzeug auszukommen. Die Pädagoginnen und die Kinder packten Puppen , Bausteine , Brettspiele und vieles mehr in Schachteln und fuhren mit dem Leiterwagen in den Pfarrhof , um dort »das Spielzeug im Urlaub ausruhen zu lassen«. Als Ersatz für das Spielzeug dienten Sessel , Tische , Decken , Polster , Kisten , Schachteln und Materialien wie Pappe und Papier. Dem allen ging eine intensive Vorbereitungszeit und gründliche Information der Eltern voraus. Dann kam der erste Kindergartentag ohne Spielzeug. In den Räumen waren nun bloß noch die Möbel und das »Werkzeug« , wie Scheren , Stifte , Klebstoff , Schnüre , Wäschekluppen – kurz Dinge , mit denen man »etwas machen kann«. Etwa zwei Wochen lang brauchten die Kinder noch intensive Begleitung. Die Kindergartenpädagogin Judith Moser : »Wir haben den Kindern 40

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So entsteht mit einfachsten Mitteln eine Wippe , hier beim vulgo Adamer in Parschlug.

keine Vorschläge gemacht , was sie spielen sollen. Wir haben einfach gut zugehört und an die Kinder Fragen gestellt. So haben sie selbst entdeckt , welche Möglichkeiten sie haben.« In der Bauecke entstand eine riesengroße Höhle , aus dem Puppenturm wurde ein Kletterturm , in dem nun ausgedehnte Rollenspiele stattfanden , unter den Tischen wurden kuschelige Wohnhöhlen gebaut , die die Kinder zum Entspannen nützen und in der Kuschelecke wurde Krankenhaus gespielt , wobei sich die Kinder den Inhalt des Doktorkoffers selbst gebastelt hatten. Im Garten wurde viel mit Erde , Steinen , Wasser , Moos und Feuer experimentiert und durch das fehlende Spielzeug blieb viel Zeit , die Natur 41

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und das Frühlingserwachen zu entdecken. Die Kinder beobachteten viel und waren auch manchmal in Gedanken versunken. Dies trug viel dazu bei , dass sie ausgeglichener und ruhiger waren. In der Garderobe entstand eine Hüpfbahn aus Kartonrollen , im Werkbereich wurde tolle Sachen hergestellt : Garagen , Lastautos , Nagelbilder , Tiere und Ställe. Es entstanden Hubschrauber mit drehbarem Rotor , Flieger , Fernrohre und Schiffe aus großen Kartons , mit denen man »im Urlaub aufs Meer fahren« konnte. Die Kinder liebten es , ausgedehnte Rollenspiele zu durchleben. Sie spielten »Zirkus« mit verschiedenen akrobatischen Vorführungen , »Hochzeit« mit selbst angefertigten Ringen , Blumenkörbchen , Feuerwerksraketen und Musikkapelle , sie inszenierten Konzerte mit selbst gebauten Musikinstrumenten und spielten »Wirtshaus« mit selbst gebastelten Tellern mit aufgemaltem Essen. Besonders beim Rollenspiel erlebten die Kinder viele Veränderungen : Sie konzentrierten sich nun viel länger auf ein Spiel und wuchsen als Gruppe zusammen. Judith Moser : »Bei solchen Spielen müssen die Kinder viel mehr als sonst miteinander reden und gemeinsam Lösungen finden. Sie haben gelernt , ihre Ideen in Worte zu fassen , zu sagen was sie brauchen und auch Konflikte zu bereinigen.« Laute Kinder wurden in der spielzeugfreien Zeit ausgeglichener , unruhige Kinder konzentrierter , auf Erwachsene bezogene Kinder traten mehr in Kontakt mit anderen Kindern und ruhigere Kinder tauten auf. Noch während des Projektes merkten auch die Eltern daheim einen Unterschied : Die Kinder gingen sorgfältiger mit ihren Sachen um und waren bescheidener in ihren Wünschen und spielten mehr als früher mit den Geschwistern und anderen Kindern. Spielzeugfreie Zeit ist kein Allheilmittel. Aber wenn wir unseren Kindern hin und wieder zutrauen , ohne vorgefertigte Spielsachen auszukommen , stärken wir ihre Fähigkeiten und helfen ihnen , ihre Möglichkeiten zu erkennen. Sie gewinnen ein Stück Freiheit zurück , das der Kindheit möglicherweise durch die Spielzeugindustrie genommen wurde : Die Freiheit , sich eigene Spielwelten zu erschaffen , auch dann , wenn das Spielzeug »auf Urlaub ist«.

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Spielzeug selbst gemacht – Von Fetzenpuppen , Nussmühlen und Maipfeiferln

»Ein Knabe spielt mit einer Nussmühle« 43

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Spielzeug selbst gemacht

Basteln« , das hieß früher nicht , in ein Bastelfachgeschäft zu gehen , sich Material zu besorgen und dann daheim etwas Schönes zu gestalten. »Basteln« hieß , sich Holzabfälle , Stoffreste , Fetzen und Wollreste zu besorgen und daraus mit etwas Geschick Neues entstehen zu lassen. Besonderes Glück hatte , wer Zugang zu einer Tischlerwerkstatt bekam , wie dieser Bauernsohn : »Unser Vater hat für andere Leute Schlitten gemacht. Alles , was dann als Abfall in der Werkstatt da war , das durften wir Kinder haben. Aus diesen Holzresten haben wir uns halt was zusammengebaut. Das war dann unser Spielzeug.« Was für herrliche Dinge ließen sich aus den Holzabfällen schnitzen und bauen ! Brettspiele , Kreisel , Schaukelbretter , Speere , Schwerter , kleine Fahrzeuge und vielleicht auch einmal Puppenmöbel für die Schwester. Die handwerklichen Fähigkeiten , um solche Dinge herzustellen , hatte früher beinahe jeder Bub. Die Kinder durften dem Vater in der Werkstatt zuschauen , ihm zur Hand gehen und kleine Tätigkeiten übernehmen. Nach und nach lernte so jeder Bub , auch selbst mit dem Werkstoff Holz umzugehen. Die Mädchen lernten Basteln und Handarbeiten von Mutter und Großmutter – je nachdem , wie geschickt diese selbst waren – mehr oder weniger gut. Im Fall einer slowenischen Bauernfamilie war es die Großmutter , die ihr Wissen an die Enkelkinder weitergab. Niemals war in dieser Familie noch eine Puppe gekauft worden. Die Großmutter , die Mutter und nun die Enkelkinder bastelten , wie Generationen von Mädchen zuvor , kleine Handpuppen aus Stoffresten. Christina Höber , eines dieser Kinder , erinnert sich an ihre Großmutter : »Wir Kinder hätten nicht gewusst , wie man eine solche Puppe macht , aber die Großmutter hat es gewusst und sie hat es uns gezeigt. Sie hat einen Stofffetzen genommen und den Kopf ein bissl ausgestopft und zugebunden. Dann hat sie ein Kopftuch draufgesetzt und Augen und Mund aufgezeichnet. Das war eine Handpuppe in der Art der Kasperlefiguren.« Diese kleinen Püppchen hatten liebevoll geflochtene Zöpfe und manchmal sogar Kleider : »Meine Großmutter hat auch einfache Kleidchen genäht , mit Spitzen verziert und sie der Puppe um den Hals angenäht.« Nach mehr als 50 Jahren hat

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Von Fetzenpuppen , Nussmühlen und Maipfeiferln

In der Werkstatt entsteht ein Schaukelpferd für den kleinen Sohn.

Frau Höber noch einmal extra für dieses Buch ein solches Püppchen gebastelt. Die Anleitung dafür findet sich im Anschluss an dieses Kapitel. Gerade Puppen wurden oft aus allen möglichen Materialien hergestellt : aus Lumpen , aus Maisstroh , aus Baumrinde , ja oft diente nur ein »Scheitel« Holz als Puppenersatz. Das Holzstück wurde mit einem Stofffetzen umwickelt – fertig war das Puppenkind. Wie weit die Fantasie der Kinder reichte , zeigt folgendes Beispiel : Eine Bekannte wollte ihre Tochter abseits der Rollenklischees erziehen und gab ihr deshalb eine Zeit lang Autos statt Puppen zu spielen. Sie brach das Experiment allerdings ab , als sie sah , dass das kleine Mädchen das Auto liebevoll mit einem Tuch umwickelte , im Arm wiegte und »schlafen legte«. Kinder haben eine große Vorstellungskraft. In ihren Augen kann ein Stück Holz eine Puppe sein – oder sogar ein Spielzeugauto. Nicht nur Mütter und Großmütter , auch Väter bastelten liebevoll Puppen für ihre Töchter. Ein künstlerisch begabter Vater einer Gesprächspartnerin aus Bad Goisern schnitzte Puppenköpfe und bemalte sie auch : »Den Kopf hat er uns aus einem Holzscheitel geschnitzt und ihn recht schön 45

Spielzeug selbst gemacht

angemalt. Er hat ein liebes Gesicht mit Augen , Nase , Mund und Wangerln gezeichnet und dann farbig ausgemalt. Die Mutter hat dann dem Holzscheitel ein Kitterl genäht und beim Hals zusammengebunden. Fertig war die Puppe !« Diese Frau , die Tochter eines Salinenarbeiters aus Hallstatt , hat gemeinsam mit ihrem Vater Spielhäuser aus Papier angefertigt : »Unser Vater konnte sehr gut zeichnen. Er hat für uns Kinder die Häuser auf ein stärkeres Papier gezeichnet , die haben wir dann ausgeschnitten und am Falz zusammengeklebt. Dann konnte man die Häuser aufstellen und damit spielen.« Auch auf Bruegels Bild sind einige selbst angefertigte Spielsachen zu sehen. Eines davon ist eine »Nussmühle« , die im Prinzip wie ein Jo-Jo funktioniert. Wir sehen einen ziemlich großen Jungen , der in seiner linken Hand die Nuss hält und mit seiner rechten an einem Faden zieht. Der Reiz des Spiels besteht darin , mit der einen Hand im richtigen Augenblick an der Schnur zu ziehen und wieder lockerzulassen , während die andere Hand die Nussmühle hält. Dann dreht sich die Achse mit den Flügeln in rascher Abfolge einmal rechts , einmal links herum. Nussmühlen waren seit dem Mittelalter bei Kindern sehr beliebt , weil sie leicht selbst gebaut werden können und fast nichts kosten. Man braucht eine schöne , große Walnuss , eine Schnur , eine Art Stäbchen und vielleicht dünne Holzbrettchen oder stärkeres Papier. Baut man die Nussmühle richtig zusammen , dann dreht und wirbelt alles , dass es eine Freude ist. Obwohl das Spiel heute fast niemand mehr kennt , gebraucht man in den Niederlanden noch immer die Redewendung »verrückt wie eine Drillnuss !«. Die Drillnuss oder Nussmühle ist sogar auf vielen mittelalterlichen Darstellungen in der Hand des Jesuskindes zu sehen. Ganz selten findet man heute noch Personen , die dieses Spielzeug kennen. Einer davon ist Horst Sabath aus Wolfsberg. In seiner Kindheit verstand er sich nicht nur aufs »Pfeiferlschnitzen« , sondern auch auf die Herstellung von Nussmühlen. Immer im Herbst , wenn die Nüsse reif waren , hat er sich als Bub sein eigenes Nuss-Jo-Jo gebastelt : »Die Nuss wird dreimal angebohrt , oben , unten und an der Seite. Dann nimmt man ein Staberl , vielleicht einen Haselstecken , und schnitzt ihn so zu , dass oben noch ein ›Kopf‹ geblieben ist , der Schaft nach unten schlanker wird und am un46

Von Fetzenpuppen , Nussmühlen und Maipfeiferln

Dieser Stall war ein Weihnachtsgeschenk für die Kinder einer Mühlviertler Bauernfamilie : Eine in Wien lebende Tante hatte das Stallgebäude des Bauernhofes originalgetreu aus Sperrholz nachbauen lassen. Auf den Stall ließ sich noch der Stadl mit dem Heuboden aufsetzen.

teren Ende ein Widerhaken war. An den Stecken bindet man eine Schnur und fädelt sie durch das seitliche Loch. Das Problem zu unserer Zeit war ja , dass du keine gscheite , reißfeste Schnur gehabt hast. Wir haben nur einen Faden aus Schafwolle oder Flachs gehabt. Da hast du immer mit sehr viel Gefühl ziehen müssen , sonst ist sie gleich abgerissen.« Herr Sabath baute seine Nussmühle ohne »Propeller« , wie bei Bruegel , stattdessen dreht sich eine Kartoffel oder ein Apfel , auf die er seine Mühle steckte. Seine Konstruktion war einfach ein »waagrechtes Jo-Jo«. Früher wie heute ist das Wichtigste bei der Handhabung der Nussmühle die Geschicklichkeit. »Der Trick ist , man muss die Nuss halten , das ist das Um und Auf. Man muss allmählich immer schneller ziehen , aber man darf die Schnur nicht ganz heraus ziehen. Es muss zwar bis zu einem kritischen Punkt gehen , aber nicht darüber hinaus.« Macht man alles richtig , dann wird die Mühle immer schneller und rollt sich von selbst wieder ein. »Mit geringstem Aufwand haben wir eine Mordsgaudi bei dem Spiel gehabt.« 47

Spielzeug selbst gemacht

Ohne eigenes Messer konnte man keine Nussmühle basteln und auch kein »Pfeiferl« schnitzen. Hatte ein Bub aber einen »Feitl« , dann eröffnete sich ihm eine neue Welt. Nun konnte er sich vieles selbst bauen , schneiden und schnitzen. Die wunderbarsten Dinge der Bubenwelt konnte er sich nun selbst anfertigen. »Pfeil , Bogen und Speere , alles haben wir uns aus Haselstecken selbst gemacht. Das sind Dinge , die man nicht nur zum Indianerspielen braucht , wir haben damit auch Wettbewerbe veranstaltet. Wir haben ein Ziel aufgehängt und mit Pfeil und Bogen danach geschossen. Wer getroffen hat , war der Sieger.« Durchaus nicht jeder Bub hatte Zugang zu einem Feitl , einem einfachen Klappmesser , gehabt. »Die Feitln sind ja nicht einfach so herumgelegen. So leicht bist du zu keinem Feitl gekommen. Nicht einmal jeder Mann hat einen Feitl im Sack gehabt. Das war schon ein Statussymbol zur Errichtung der Männlichkeit , wenn du als Bub einen Feitl besessen hast. Jeder Besitzer hat seinen Feitl damals mit seinem Zeichen markiert. Wehe , wenn du einmal ein Messer erwischt hast , dass nicht markiert war. Dann hast du es gleich auf deine Fasson gekennzeichnet und es war für den Besitzer nur mehr die Hälfte wert !«. Taschenfeitln waren ein begehrtes und umkämpftes Gut. Besonders kleinere und schwächere Buben taten gut daran , ihr Feitl nicht offen herzuzeigen : »Wenn du erst in die 7. oder 8. Klasse Volksschule gegangen bist , hat besser keiner gewusst , dass du einen Feitl hast. Wenn du auf Draht warst , hast du das verheimlicht. Weil , sonst war es nicht mehr lange in deinem Besitz ! Da hast du als Kleiner keine Chance gegen die großen Burschen gehabt. Die haben dir das Messer einfach weggenommen.« Der Moment , wenn ein Bub sein erstes Messer bekam , war ein besonderer , unvergesslicher Augenblick , der lange in Erinnerung blieb. Ein Kärntner aus Obermillstatt weiß noch genau , wann er seinen »Tschingl« , wie der Feitl auf Kärntnerisch heißt , bekommen hat : »Ich war sechs oder sieben Jahre alt und ich war im Zimmer meiner Eltern im Gitterbett. Ein heimkehrender Knecht , der vor dem Krieg bei uns im Dienst war , hat uns an diesem Abend besucht. Er ist ins Zimmer gekommen und hat mir den Tschingl durch die Stäbe hereingegeben. Einen Tschingl in die Hand zu bekommen , das war für mich etwas Großartiges. Das war einfach herrlich. Das war für mich ein bleibendes Erlebnis.« Dieser Bub verbrachte 48

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Zwei Schwestern 1957 auf selbstgebauten Schaukeln.

den Sommer Jahr für Jahr auf der Millstätter Alm und verwendete den »Tschingl« , um dort seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen , dem Schnitzen. Dort gab es einen Federweißblock , ideal für kleine Schnitzereien. Übung macht den Meister – heute ist dieser Mann ein wahrer Meisterschnitzer. Das Frühjahr war die beste »Feitl«-Zeit. Nun waren die Zweige noch weich und saftig – perfekt , um daraus Maipfeiferln zu schnitzen. Jetzt , ehe die Blätter zu sehr austrieben , war der richtige Zeitpunkt , die Zweige zu schneiden. Das Pfeiferlschnitzen war eine Kunst , die nur jene beherrschten , die schon viel Erfahrung hatten. Am besten waren jene Kinder dran , die einen Vater , Großvater oder älteren Bruder hatten , der sich Zeit nahm und dem Kleinen zeigte , worauf es ankam. Horst Sabath : »Sobald die Buam im Besitz eines Messers waren , haben sie ein Pfeiferl geschnitzt. Aber die ersten Versuche sind oft nicht geglückt. So ein Pfeiferl hat allzu oft nicht ›gepfiffen‹«. Die erste Hürde bei der Pfeiferlherstellung war das Abklopfen der Rinde : »Man hat mit Tricks versucht , die Rinde zu lösen. Man befeuchtet die Rinde , indem man sie ableckt und klopft mit dem Messerrücken so lange auf die Rinde , bis man 49

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sie abziehen kann. Das war ein Theater ! Das war eine heikle Sache , weil die Rinde darf nicht einreißen oder beschädigt werden.« Routinierte Pfeiferlschnitzer konnten ihr Instrument nach Belieben stimmen. Die Stimmhöhe variierte , je nachdem wie tief man das Mundstück aufsteckte. Um den richtigen Ton zu treffen und das Instrument zu stimmen , war viel Geschick und Erfahrung notwendig. Jeder Bub schnitzte sich gewöhnlich mehrere Pfeifern , solche für hohe Töne und andere für tiefere Töne. Die Freude am Pfeiferl hielt allerdings nur wenige Tage an , denn wenn die Rinde austrocknete und porös wurde , funktionierte die Flöte nicht mehr. »So ein Pfeiferl hat halt wenig Überlebenschance , auch wenn du es zwischendurch in Wasser einweichst. Nach drei , vier Tagen war’s vorbei damit.« Ein neues Pfeiferl musste her und so wurde im Mai fleißig geschnitzt : »Diejenigen , die gut Pfeiferl machen konnten , die haben ihre Pfeiferln an andere weitergegeben. Die sind dann immer angebettelt worden : ›Geh kumm , mach mir noch ein Pfeiferl !‹« Viel Einfallsreichtum besaß eine Bauernfamilie in Kumberg. Sie konstruierte aus einem Wagenrad ein funktionierendes Ringelspiel : »Ein langer , stabiler und fester Stock ist ordentlich in die Erde gehaut worden. Da ist ein Nagel durchgeschlagen worden und darauf haben wir ein großes Wagenrad gesetzt. Am Rad wurde dann ein Strick in der Art einer Strickleiter so angebracht , das man darauf sitzen konnte. Das ist ein einmaliges Ringelspiel gewesen. Jemand hat angeschoben und es ist rundherum gegangen.« Aus einfachen Materialien war schnell ein Spielgerät gebaut , etwa eine Wippe : »Ein Holzstamm und ein Pfosten drüber und dann ist auf jeder Seite ein Kind oben gesessen und sie haben geschaukelt.« Auch einfache »Hutschen« waren schnell konstruiert und wurden von den Kindern eifrig genutzt. Man brauchte nicht mehr als ein gutes Seil , ein Holzbrett und ein wenig Geschick. Angebracht wurden Schaukeln an ausladenden starken Ästen von Bäumen , an Türstöcken oder anderen stabilen Konstruktionen im Haus. Das Hin- und Herschaukeln oder »Hutschen« lieben Kinder sehr. Bereits kleine Kinder lassen sich so in der Wiege beruhigen. Eine Bauernfamilie aus dem Sölktal erzählte mir von einer »Erfindung« , die es der Mut50

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Die Brüder Wenter mit ihren vom Vater selbst gebauten Tretrollern aus Holz.

ter ermöglichte , ihr Kind vom Bett aus zu schaukeln : »An der Wiege haben wir einen Gürtel angebracht. Wenn das Kind in der Nacht nicht geschlafen hat , dann hat die Mutter daran gezogen und hat mit dem Riemen die Wiege zum Schaukeln gebracht und das Kind war ruhig.« Der Wiege entwachsen , genießen es Kleinkinder auf den Knien »gehutscht« zu werden. »Hoppa , hoppa , Reiter« und viele andere Reime machen das Hin- und Herwippen noch aufregender und lustiger. Später nahmen sich die größeren Geschwister der Kleineren an und spielten mit ihnen Schaukelspiele wie »Müller , Müller , Sackerl« , ein Spiel , bei dem zwei Kinder eingehakt Rücken an Rücken hin- und herschaukeln und wippen. Aber die selbst gebaute »Hutsche« im Freien ist der unschlagbare Spitzenreiter , was das Schaukelvergnügen betrifft. Wir finden sie praktisch überall , wo es Kinder und Bäume gab. Eine Burgenländerin erinnert sich : »Vor unserem Haus war ein alter Kirschbaum. Ein dicker Ast ist fast waagrecht hinübergewachsen , daran hat unser Vater einen Strick angemacht und ein Brettl draufgelegt. Da haben wir drei Mädchen , ich war die Jüngste , gehutscht.« Diese Frau und ihre Geschwister liebten die Schaukel über al51

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les. Im Schatten des Kirschbaums zu schaukeln , war jahrelang ein oft und lang geübtes Vergnügen. Dennoch verbindet sie mit dieser Schaukel eines der schlimmsten Erlebnisse ihrer Kindheit : »Unser Großvater war ein böser Mensch. Wir Kinder werden halt beim Schaukeln laut gelacht haben , weil wir so eine große Freude damit gehabt haben. Dann war eines Tages unsere Schaukel weg ! Der Großvater ist einfach hingegangen und hat ohne ein Wort den Ast abgeschnitten. Das war so schlimm für uns ! Rotz und Wasser haben wir geplärrt !« Eine »Brettlhutsche« ist Spielgerät und Sportgerät zugleich , wie auch der »Brettlschlitten« , früher für viele der einzig leistbare Schlitten. Mit dem »Brettlschlitten« fuhren die Kinder im Winter morgens in die Schule und am Heimweg wieder und wieder die verschneiten Wege und Hänge hinab. Er war eine denkbar einfache Konstruktion : Zwei rund ausgeschnittene Bretter ohne Metallbeschläge dienten als Kufen , zwei Bretter als Sitzplatz. Eine Oststeirerin schwärmt noch heute vom Schlitten ihrer Kindheit : »Unser Vater hat uns einen Brettlschlitten gebaut , weil wir uns keinen richtige Schlitten leisten konnten. Zwoa Brettl , drei ›Priegl‹ zum Draufsitzen , fertig. Auf so einem Brettlschlitten ist man meistens mit einem Knie oben am Sitz gewesen und mit dem anderen Bein hat man angetaucht. Der ist guat gangen ! Der war schnell !« Dieser Vorläufer der Rodel ohne Gurtbespannung war ein robustes Sportgerät , das jahrelang seine Dienste tat. Der Kärntner Bergbauer Karl Koch ist ein handwerklich außerordentlich begabter Mensch. Schon als Bub machte sich sein handwerkliches Talent bemerkbar und ließ ihn auf immer neue Ideen kommen. Eines Tages hatte er den Einfall , den Schlitten weiterzuentwickeln und seine eigene Erfindung zu konstruieren. Auf dem elterlichen Grund gab es eine etwa 1,5 Kilometer lange Wiese , die im Winter als Ski- und Rodelbahn diente. »Da habe ich die Idee gehabt , mir eine Art Rutschbrett zu bauen. Ich hab ein Stück Brett genommen und in der Mitte einen runden Stab mit einem großen Nagel von unten nach oben eingeschlagen. Das Brett habe ich vorne etwas abgerundet und fertig war meine Erfindung.« Auch eine perfekte Sitzposition hatte sich der Bub ausgedacht : »Ich musste so draufsitzen , dass der Stab zwischen den Beinen war.« Nun ging es in pfeilschneller Fahrt die steile Wiese 52

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Die Brüder Dieter und Thomas Wenter mit ihrem Spielzeugleiterwagen. Das dazugehörige Holzpferd »ist im Stall und schläft«.

hinunter , als unvermittelt ein Problem auftauchte : ein Weg , der den Hang kreuzte. Nun musste der Bub mit seinem rasenden Brett springen : »Beim Sprung über den Weg hat es mich mit meinem neuartigen Schlitten erwischt. Das Brett hat sich vorne in den Boden gegraben und ich bin mit dem Stab in der Hand mit dem Hintern über den großen Nagel gerutscht. Gott sei Dank hat es den Nagel dabei nach vorne gebogen. Mir ist nichts passiert , nur die Hose hatte im Schritt einen Riss.« Das war die erste und einzige Fahrt mit dem neuartigen Gefährt , das danach zum Brennholz kam. Der Erfindungsreichtum des Konstrukteurs aber blieb : Noch heute ist Karl Koch fast täglich in der Werkstatt neben seinem Haus zu finden. Der »Brettlschlitten« wurde durch bespannte Holzschlitten und durch die Rodel abgelöst und die »Brettlhutsche« durch gekaufte Schaukeln. Die selbst gemachten Puppenkinder hingegen wurden kaum durch gekaufte Exemplare ersetzt , sondern durch eine andere Art des Puppenspielens verdrängt. Nicht mehr die Puppenmutter und das Puppenkind stehen im Mittelpunkt , sondern Rollenspiele und das Outfit der Puppe. Die Barbiepuppe war die erste dieser neuen Puppengeneration , derzeit sind die sogenannten »Monsterpuppen« , die sich »Draculaura« oder »Frankie Stein« nennen , in den Kinderzimmern zu finden. 53

Spielzeug selbst gemacht

Die »Maipfeiferln« hingegen gibt es noch immer. Für einige Wochen im April und Mai haben sie Saison und es werden immer mehr Menschen , die , den »Feitl« in der Hosentasche , im Frühjahr nach brauchbaren Ästen der Haselstaude oder der Weide Ausschau halten , um sich ein »Pfeiferl« zu schnitzen. Frühlingsmusik frisch vom Strauch – das gibt’s nicht zu kaufen ! Wer eine Anleitung für’s »Pfeiferl« braucht , findet sie im Anschluss an dieses Kapitel.

p Rindenpüppchen in der Zündholzschachtel

Kriemhilde Glötzl aus Bernstein erklärt , wie man aus Rinde ein Püppchen bas­ telt. ( Foto S. ) Puppen wurden oft aus allen möglichen Materialien hergestellt : aus Lumpen , aus Maisstroh , aus Baumrinde , oft diente nur ein »Scheitel« Holz als Puppenersatz. Hier kleine Puppen aus Baumrinde in Zündholzschachteln , die als »Bett« dienen.

Man braucht : • dicke Rinde • Innenteil einer Zündholzschachtel • Stoffreste Aus der Rinde schneidet man die Umrisse einer Puppe zu : Kopf , Körper und Gliedmaßen. Aus einem Stoffrest bastelt man ein Kleidchen : Man schneidet Löcher für Kopf und Arme und zieht es der Puppe an. Der Innenteil einer Zündholzschachtel wird zum Bett umfunktioniert. Polster und Decke werden aus Stoffresten gelegt.

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Von Fetzenpuppen , Nussmühlen und Maipfeiferln

p Puppenwohnung in der Schuhschachtel

Kriemhilde Glötzl aus Bernstein erklärt , wie sie als Kind aus einer Schuhschach­ tel eine Puppenwohnung für ihr Rindenpüppchen gebastelt hat. Man braucht : • kleine Schuhschachtel • Stoffreste • Außenteil einer Zündholzschachtel • Zahnstocher • Klebstoff Aus einer Schuhschachtel schneidet man Türen und Fenster so aus , dass man sie öffnen kann. Aus Stoffresten schneidet man Vorhänge zu und klebt sie oberhalb der Fenster an. Der Außenteil einer Zündholzschachtel wird zum Kasten , indem man einen Zahnstocher als Kleiderstange befestigt.

p Die Handpuppe der Großmutter

Christina Höber aus Graz erklärt , wie ihre Großmutter in Slowenien mit ein­ fachsten Mitteln Handpuppen für ihre Enkelkinder gebastelt hat. ( Foto S. ) Material : • Zeitungspapier • Stoffreste • Wollreste • 2 kleine Knöpfe oder Druckknöpfe Aus zerknülltem Zeitungspapier formt man eine Kugel für den Kopf. Nun umwickelt man den Kopf mit ei-

Mit einfachsten Mitteln ließen sich Puppen herstellen , hier eine Handpuppe aus Stoffresten und Wolle. 55

Spielzeug selbst gemacht

nem Stoffrest , der zugleich als Kleid dienen soll. Direkt unter dem Kopf bindet man den Stoff mit einem Wollfaden fest zusammen. Aus Wolle werden Zöpfe geflochten , die man am Kopf befestigt. Ebenfalls aus Wolle werden Nase und Mund aufgestickt , für die Augen werden Knöpfe angenäht. Aus einem bunten Stoffrest wird ein Dreieck zugeschnitten und als Kopftuch auf den Kopf gebunden. Das Kleid kann nach Belieben mit Spitzen oder bunten Bändern verziert werden.

p Maipfeiferl

Horst Sabath aus Wolfsberg erklärt , wie ein Maipfeiferl geschnitzt wird. ( Foto S. ) Sobald sich im Frühjahr die Rinde von den Ästen schälen ließ , war es Zeit , ein Maipfeiferl zu schnitzen.

Ich habe als Bub meine Pfeiferln immer aus Aststücken der Rosskastanie gemacht , natürlich kann man auch Weidenzweige oder anderes Holz nehmen. Pfeiferln aus Kastanienzweigen sind robuster und halten länger , dafür ist das »Klopfen« mühevoller. Man sucht im Frühjahr , wenn die Rinde noch saftig ist , einen Zweig mit konstantem Durchmesser. 1 ) Man schneidet ein Ende des Zweiges schräg an , daraus entsteht später das Mundstück. Etwa 3 cm von der Oberkante des Mundstücks entfernt schneidet man eine halbrunde Kerbe ( Rundung nach vorne ) für das Luftloch. Etwa 5 cm von der Kerbe entfernt durchtrennt man die Rinde. 2 ) Nun soll das Rindenstück ( vom Einschnitt bis zum Mundstück ) im Ganzen abgezogen werden. Dafür feuchtet man die Rinde immer wieder an und klopft mit einem Messergriff so lange auf jede 56

Von Fetzenpuppen , Nussmühlen und Maipfeiferln

Stelle der Rinde , bis sich die Rinde leicht drehen und abziehen lässt. Sie soll dabei nicht beschädigt werden ! 3 ) Man schneidet das Mundstück direkt an der geraden Seite der Einkerbung ab. Nun hat man drei Teile : Den Flötenkörper , die Rinde und das Mundstück. 4 ) Jetzt wird beim Mundstück von vorne bis zur Kerbe vorsichtig ganz wenig Fläche abgenommen , damit ein Luftstrom möglich ist. 5 ) Nun steckt man das Röhrchen aus Rinde auf den Holzkörper und setzt das Mundstück ein. Mit dem Einsetzen des Mundstückes kann man die Pfeife stimmen. Für einen hellen Ton schiebt man es weiter hinein , für einen tiefen Ton , weniger weit. Man kann das Rindenteil beim Pfeifversuch auch etwas vom Flötenkörper wegbewegen und damit den Hohlraum des Instruments verändern.

p Nussmühle

Horst Sabath aus Wolfsberg erklärt , wie man eine Nussmühle bastelt. ( Foto S. ) So funktioniert eine Nussmühle : Man hält mit einer Hand die Nuss , mit der anderen zieht man am Faden. Nun dreht sich die Kartoffel ! Wenn man geschickt ist und nicht über den kritischen Punkt hinauszieht , rollt sich der Faden von selber wieder auf und die Nussmühle wird immer schneller und schneller.

Man braucht : • 1 Walnuss • Nylonfaden , etwa 1 m lang • Holzstift , etwa 7 cm lang , etwa 12 mm Durchmesser • 1 kleiner , leichter Apfel oder 1 kleine Kartoffel

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Spielzeug selbst gemacht

1  Zuerst wird durch die Nusshälften leicht schräg eine Achse gebohrt. 2  Im rechten Winkel zu dieser Achse wird an einer Seite ein Loch gebohrt , um später den Faden herausziehen zu können. 3  Damit im Inneren der Nussschale ein Hohlraum entsteht , entfernt man mit einem Nagel , einer feinen Häkelnadel oder Ähnlichem vorsichtig die Nussfrucht. 4  Nun wird der Holzstift angefertigt. Am oberen Ende belässt man einen »Kopf«. Auf der ganzen restlichen Länge verjüngt man ihn auf 7 mm. Am Ende schnitzt man einen Widerhaken , damit Apfel oder Kartoffel nicht abrutschen , und danach einen Spitz. Im oberen Drittel des Holzstiftes ( je nach Größe der Nuss ) wird ein Loch gebohrt , in dem später ein Ende der Nylonschnur festgeknüpft wird. 5  Man bindet ein Ende des Nylonfadens zu einer Schlaufe. Das andere Ende steckt man durch das kleine seitliche Loch in die Nuss und bringt es an der oberen Öffnung wieder heraus. 6  Man steckt den Stift von oben in die Nuss , soweit , dass noch das gebohrte Loch sichtbar ist. 7  Jetzt knüpft man das Ende des Nylonfadens am Loch im Holzstift fest und schiebt den Holzstift in die Nuss. 8  Nun steckt man die Nussmühle mit der Spitze auf einen Apfel oder eine Kartoffel. Der Widerhaken sorgt für guten Halt. 9  Die Nussmühle wird in Startposition gebracht. Man dreht den Holzstift so lange , bis der Faden aufgewickelt ist und man nur mehr die Schlaufe in der Hand hält. 10  Nun hält man mit einer Hand die Nuss , mit der anderen zieht man am Faden : Apfel oder Kartoffel drehen sich ! Wenn man geschickt ist und nicht über den kritischen Punkt hinauszieht , rollt sich der Faden von selber wieder auf und die Nussmühle wird immer schneller und schneller.

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Das besondere Spielzeug – Von Gehpuppen , Autos und Teddybären

»Das Steckenpferd« 59

E

Das besondere Spielzeug

in besonderes Spielzeug war das gekaufte Spielzeug. Die Eltern hatten es vielleicht als Weihnachtsgeschenk gekauft oder vermögende Bekannte hatten es dem Kind geschenkt – das besondere Spielzeug hatte jedenfalls Geld gekostet und war somit für die meisten Kinder einzigartig und außergewöhnlich. Heute wird Spielzeug massenhaft angefertigt und massenhaft gekauft. Bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg aber war gekauftes Spielzeug für gar nicht wenige Kinder eine Sensation. »Einmal habe ich eine Puppe bekommen« , erinnert sich eine Kärntner Bäuerin , »und mein Bruder hat einmal zu Weihnachten einen Traktor gekriegt. Den seh ich heute noch vor mir , so ein Eisentraktorle.« Auch auf dem Bild von Bruegel findet sich ein Spielzeug , das aussieht , als sei es bei einem Händler gekauft worden. Es handelt sich um ein Steckenpferd , jahrhundertlang eines der beliebtesten Spielzeuge für Buben. Der Knabe auf dem Bild hat seinen Hut verwegen ins Gesicht gezogen , hält in seiner rechten Hand die Zügel und in seiner linken Hand eine Rute , mit der er sein Spielpferd antreibt. Das Steckenpferd hat einen schön geschnitzten Kopf aus Holz und eine üppige Mähne , vielleicht aus echtem Rosshaar. Man nannte dieses Spiel »auf dem Stock reiten« , wohl auch weil oft einfach ein Besenstiel oder ein einfacher Stock als Pferd diente. Im Englischen heißt das Spiel übrigens »hobbyhorse« , woraus sich der Ausdruck »Hobby« oder »Steckenpferd« für eine Liebhaberei entwickelte. Die erste Münze , auf der ein spielendes Kind abgebildet ist , ist der Nürnberger »Steckenreiterpfennig« von 1650. Das kam so : Anlässlich einer Friedensfeier versammelten sich über 1.000 Knaben mit Steckenpferden vor dem Hause von Piccolomini , dem Grafen von Amalfi. Dieser war so beeindruckt , dass er die Kinder bat , am kommenden Sonntag wieder zu erscheinen. In der Zwischenzeit ließ er eine Münze prägen , die auf einer Seite einen Knaben mit einem Steckenpferd zeigte. Diese viereckigen silbernen Gedenkmünzen ließ er am nächsten Sonntag an alle »Steckenreiter« austeilen. Fast jedes Bild , das spielende Kinder darstellte , zeigte bis ins 19. Jahrhundert Kinder auf Steckenpferden. Das änderte sich erst , als das Auto 60

Von Gehpuppen , Autos und Teddybären

Ein besonderes Spielzeug : Der Riesenteddy , ausgestattet mit der Badehose des großen Bruders.

erfunden wurde und die Buben nun ein neues Lieblingsspielzeug hatten. Ein Kapfenberger , Jahrgang 1932 , erinnert sich an »sein« Auto : »Es war ein schwarzer Schuco Examico , etwa 15 cm groß , mit roten Sitzen. Man konnte die Türen öffnen und am Lenkrad drehen. Das Besondere an diesem Auto war , es hatte eine richtige Gangschaltung. Ich konnte mit dem Schaltknüppel vier verschiedene Gänge und auch den Rückwärtsgang einlegen. Sogar die Handbremse hat funktioniert ! Ich habe das Auto mit einem Schlüssel aufgezogen und fahren lassen. Es war mein einziges Spielzeugauto , das ich als Bub besessen habe.« Dieser Bub bekam sein Auto als Geburtstagsgeschenk in einem Alter , in dem heute ein Kind , wenn überhaupt , dann nur noch heimlich mit Spielzeugautos spielt , mit etwa 11 , 12 Jahren. 61

Das besondere Spielzeug Maria Blasl 1940 mit ihrer Lieblingspuppe Evi. Die Familie wurde nach Kriegsende von den Amerikanern aus ihrer Wohnung in Enns ausquartiert. Als sie nach einigen Monaten wieder zurückkehrte , waren viele Spielsachen , darunter auch die Puppe Evi , verschwunden …

Ab den 1950er-Jahren hielten die Match­box-Autos Einzug in die Kinderzimmer. Erfunden wurden die kleinen Zinkguss-Autos vom Briten Jack Odell , der das erste Auto eigentlich für seine kleine Tochter gebaut hatte. Da es nicht erlaubt war , Spielsachen in die Schule mitzunehmen , die größer als eine Streichholzschachtel waren , baute er für seine Tochter ein kleines Fahrzeug aus Gusseisen und versteckte es in einer Zündholzschachtel , auf Englisch »matchbox«. Auf diesem netten Einfall gründete die wohl berühmteste Spielzeugautomarke der Welt. Die winzigen Autos wurden ein sensationeller Erfolg. Der Durchbruch aber gelang nicht mit einem Automobil , sondern 1953 ausgerechnet mit einem Miniaturmodell der Krönungskutsche von Elisabeth II. Die Kutsche verkaufte sich in kürzester Zeit über eine Million Mal. Mit dem Gewinn wurde die Produktion der kleinen Matchbox-Autos finanziert , die anfänglich auch tatsächlich in »matchboxes« , in kleinen Pappkartons , verkauft wurden. Die bekannten Blisterverpackungen wurden erst in den 1980er-Jahren eingeführt. Die Matchbox-Autos und andere Spielzeugautos kaufte man natürlich im gut sortierten Spielzeugfachgeschäft , das es früher in jeder Stadt gab. Diese Geschäfte trugen die Namen ihrer Besitzer und nicht die der großen internationalen Ketten. Es waren Geschäfte mit prall gefüllten Auslagen , an denen sich die Kinder die Nase platt drückten. Die Regale in den Verkaufsräumen waren bis unter die Decke voll gestapelter 62

Von Gehpuppen , Autos und Teddybären Weihnachten beim vulgo Adamer in Parschlug 1930. Das Mädchen scheint eine Puppe bekommen zu haben , der Bub vorne eine Trompete.

Ware , die bei Bedarf von den Verkäuferinnen mit einer Leiter heruntergeholt wurden. Es waren wahre Wunderläden , in denen man nicht nur Blechspielzeug , Bausteine , Autos und Puppen kaufen konnte , sondern auch »Ersatzteile« , wie Puppenköpfe oder Teddybärenaugen. Jedes gut sortierte Spielwarengeschäft führte nicht nur einzelne Puppenköpfe , sondern auch Beine und Arme für Puppen. Jede Leserin , die noch mit einer dieser alten Puppen gespielt hat , wird sich daran erinnern , dass die Arm- und Beingelenke von einem gummiartigen Band zusammengehalten wurden. »Das Bandl hat sich schnell abgenützt und ist bald einmal kaputt geworden. Dann hat man es durch einen neuen Gummi ersetzt. Gar nicht selten sind dabei aber auch die Arme oder die Beine beschädigt worden. Ja , dann hat man keine neue Puppe gekriegt. Man war froh , wenn der ›Puppendoktor‹ neue Gliedmaßen angebracht hat. In so einem Fall hat die Mutter im Spielzeuggeschäft neue Arme oder neue Beine gekauft.« Wünschte sich ein Kind eine Puppe , wurde nicht selten nur der Kopf gekauft und der dazugehörige Körper selbst genäht. Die Tante einer Gesprächspartnerin war in den 1950er-Jahren an der Herstellung solcher Puppenköpfe beteiligt. Ihre Aufgabe war es , in Akkord und in Heimar63

Das besondere Spielzeug

beit Haare an Köpfe zu knüpfen. Mit einer speziellen Nadel »implantierte« sie die Haare Büschel für Büschel in dafür vorgesehene Öffnungen im Puppenkopf. Sie holte jeweils einen großen Sack voller Köpfe beim Hersteller ab , knüpfte Haare daran und brachte alles wieder zurück. Einmal ist ihr beim Transport der Köpfe ein Missgeschick passiert , das noch heute , Jahrzehnte später , ihre Familie erheitert. Wie immer nahm die Tante die Straßenbahn , um ihre heikle Fracht zu befördern. Als sie mit dem riesengroßen Sack aus der Straßenbahn stieg , stolperte sie über das Trittbrett und mehrere Dutzend Puppenköpfe rollten über Straße und Gehsteig. Solche Puppenköpfe mit Haaren waren die Luxusausgabe. Die günstige Variante waren Köpfe ohne Haare aus gepresster Pappe , Pappmaschee oder aus Zelluloid. Noch günstiger kam es , den alten Puppenkopf einfach neu zu bemalen. Viele Mütter waren wahre Künstlerinnen darin , lädierte Puppen vor Weihnachten zu restaurieren und zu erneuern. »Dann ist im Advent halt wieder einmal eine Stoffpuppe verschwunden. Die Mutter hat sie neu hergerichtet und ihr das Gesicht wieder frisch angemalt. So haben wir zu Weihnachten wieder eine ›neue‹ Puppe gekriegt !« Viele Mädchen bekamen dazu noch eine »Puppennähschachtel« : »Die Mutter hat eine Schuhschachtel mit schönem Papier überzogen. Dann hat sie da Stoffreste , Knöpfe , Borten , Bänder , Nadel und Zwirn hineingetan. Das war ein Geschenk für die Puppenschneiderin.« Nicht nur richtige Puppen waren echte Lieblingsspielzeuge , auch Papier-Anziehpuppen waren sehr beliebt : »Manchmal hat jede von uns Mädchen einen Bogen bekommen. Das hat uns sehr gefreut. Mit den Ausschneidepuppen haben wir gerne gespielt.« Ausschneide- und Bastelbögen gab es für Häuser , Autos , Burgen , Bauernhöfe , Tiere , Krippenfiguren und vieles mehr. Für Buben und Mädchen war es eine preisgünstige Gelegenheit , sich das ersehnte Spielzeug einfach selbst zu basteln. Exotisch dagegen waren die »Gehpuppen« , die in den 1960er- und 1970er-Jahren auf den Markt kamen. Eine Burgenländerin erinnert sich noch lebhaft an den Moment , als sie ihre erste und einzige Puppe , eine »Gehpuppe« , bekam : »Meine Mutter hat Zimmer an Sommergäste vermietet. Da war auch ein Ehepaar aus Wien dabei , die keine eigenen Kinder gehabt haben. Diese Wiener waren damals schon in Italien auf Ur64

Von Gehpuppen , Autos und Teddybären

Die Kinder der Familie Grimps von der Leithenmühle in Helfenberg mit Trompete , Windrad , Schaukelpferd und Puppenwagen.

laub und haben mir von dort eine Gehpuppe mitgebracht. Die war fast so groß wie ich und hatte blondes Haar , ein rosarotes Kleid und Schlafaugen. Das war für mich damals unglaublich !« Allein schon aufgrund ihrer Größe war diese Puppe kein herkömmliches »Puppenkind« und kein Kuschelspielzeug. Diese Puppe war da , um bestaunt zu werden : »Sie hat ein tolles Kleid gehabt , das ringsherum weggestanden ist und weiße Plastikschucherl mit kleinen Riemen. Lange Wimpern hat sie gehabt und wenn man sie umgelegt hat , hat sie die Augen geschlossen.« Die Puppe besaß eine Gehmechanik : »Man hat sie bei den Schultern genommen und bei den Armen bewegt , dann hat sie die Füße ›füreinand‹ gesetzt und sie ist gegangen.« Damit nicht genug , diese Puppe konnte noch mehr : »Beim Gehen hat sie ›Mama‹ gesagt !« Solche Puppen waren zu »schön« und zu sperrig , um mit ihnen zu spielen. Diese Puppe landete , wie viele andere Gehpuppen der 60er-Jahre auch , als Zierpuppe im Wohnzimmer oder als Dekoration auf der Tagesdecke im Schlafzimmer.

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Das besondere Spielzeug

Nicht jedem Mädchen wurde der Wunsch nach einer Puppe erfüllt : »Meine Schwester hat eine Puppe gehabt , Helga hat sie sie genannt. Ich hingegen habe einen Petzibären gehabt , den besitze ich heute noch und liebe ihn noch immer. Trotzdem , eine Puppe hätte ich mir schon auch gewünscht.« Aus Sparsamkeitsgründen , diese Familie hatte vier Kinder , wurde keine zweite Puppe gekauft. Nun wurde eben der Petzibär wie eine Puppe behandelt : »In der Früh hab ich ihn hingesetzt , ihm ein Schürzerl und ein Kopftücherl umgebunden. Am Abend ist er mit mir schlafen gegangen. Dann war er mein Kuscheltier.« Neues Spielzeug wurde selten gekauft. Solche Wünsche wurden , wenn überhaupt , dann nur zu Weihnachten erfüllt. Die Mühlviertler Familie Höfler bewahrt noch heute ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk auf : Eine in Wien lebende Tante hatte das Stallgebäude des Bauernhofes für die Kinder originalgetreu aus Sperrholz nachbauen lassen. Maria Höfler : »Das ist ein typischer ›Häuslleutstall‹ , also ein Stall für kleinere Bauern , wie wir es waren. Der Stall wurde genauso nachgebaut , wie er in Wirklichkeit ausgesehen hat. Oben drauf war der Stadl mit dem Heuboden. Das ›Futtertürl‹ konnten wir Kinder öffnen und ›Futter‹ , also Heu hineingeben. Unten im Stall gab es zwei ›Kühstand’‹ , einen Kälberstall und einen Saustall. Sogar die Öffnung , durch die das Saufutter in den Saustall hineingeschüttet worden ist , der sogenannte ›Ursch‹ , war detailgetreu nachgebaut worden. Man konnte sie auf- und zumachen.« Weihnachten war meist die einzige Möglichkeit , neu gekauftes Spielzeug zu bekommen. Man schrieb einen Wunschzettel ans Christkind und hoffte , dass das eine oder andere am Heiligen Abend unter dem Christbaum liegen würde. Leer ausgegangen ist ein Mühlviertler , dessen Geschenkwunsch wohl auch für das Christkind zu anspruchsvoll war : »Ich habe mir eine Rodel mit Motorbetrieb gewünscht. Aber die hat auch das Christkind nirgends auftreiben können !«

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Luchs , Luchs , komm heraus  !  – Vom Laufen und Fangen

»Blinde Kuh« 67

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Luchs  , Luchs  , komm heraus  !

aufen ist lustig , abgefangen werden ist spannend , wie aufregend ist es erst , wenn beides miteinander zu einer gruseligen Geschichte verbunden wird. Das geht so : Man nimmt eine Gestalt , vor der man sich fürchtet , eine Hexe etwa oder ein Krokodil. Man kann sich aber auch im Spiel vorstellen , man wäre eine Henne , in diesem Fall ist die Angst einflößende Gestalt der Fuchs. Oder man ist ein »Lampl« und wird von einem Wolf bedroht. Nun macht man die Sache noch unheimlicher. Man stellt sich beispielsweise vor , man ist in einem finsteren Keller. Oder man beobachtet eine scheinbar harmlose Situation , die plötzlich furchterregend wird , etwa diese : Hennen beobachten einen Fuchs , der ganz unschuldig ein Loch in den Boden gräbt. Warum ? Um Wasser zu finden , damit sein Messer zu schärfen und die Hennen zu töten. Die Spannung lässt sich aber noch steigern. Das Unheimliche , das Schreckliche passiert nicht sofort , sondern erst nach einer Wartezeit , in der sich die Spannung unaufhaltsam steigert. Ein schönes Beispiel dafür ist das »Hexenspiel«. Die Kinder wissen , irgendwo hat sich die Hexe verborgen und sie wird plötzlich schreiend und gestikulierend hervorspringen und die Kinder fangen. Nur , die Kinder haben es selbst in der Hand , wann dies geschieht. Sie haben den Zeitpunkt , etwa um »vier Uhr« , bereits heimlich untereinander ausgemacht , nur die Hexe weiß noch nicht , wann sie ihren Auftritt hat. Die Kinder rufen : »Ein Uhr hat’s geschlagen und die Hex’ ist noch nicht da !« Noch springen alle übermütig herum. »Zwei Uhr hat’s geschlagen und die Hex’ ist noch nicht da !« Es wird immer aufregender. Immer näher rückt der »schreckliche« Moment. »Drei Uhr hat’s geschlagen und die Hexe kommt !« »Uuuhhh !« Die Hexe fährt aus ihrem Versteck und versucht , die Kinder abzufangen. Solche Fluchtspiele vereinigen vieles , was Kinder lieben : Laufen , Fangen , Rollenspiele und die Dramatik guter , spannender Geschichten. Kinder lieben das immer gleich Wiederkehrende. Darum macht es gar nichts aus , wenn der Spieldialog immer derselbe ist , im Gegenteil , dadurch wird alles noch viel aufregender ! »Wer fürchtet sich vor’m schwarzen Mann ?« – »Niemand !« – »Und wenn er kommt ?« – »Dann laufen wir davon !« 68

Vom Laufen und Fangen

Reifentreiben war eines der beliebtesten Spiele für Kinder. Der Grund lag darin , dass sich ein alter Fassreifen und ein Stöckchen zum Antreiben leicht finden ließen. Man konnte den rollenden Reifen lenken , indem man ihn links oder rechts mit dem Stöckchen berührte , auch die Geschwindigkeit ließ sich durch Berührung steuern.

Der schwarze Mann war lange im deutschsprachigen Raum eine bekannte Kinderschreckfigur und Teil der schwarzen Pädagogik. Man drohte den Kindern : »Wenn du nicht brav bist , holt dich der schwarze Mann !« Man stellte sich ihn als dunkle schattenhafte Gestalt vor oder einfach als Mann mit dunkler Kleidung. Vermutlich genügte schon die Erwähnung seines Namens , um Kindern Angst einzujagen. Diese beklemmende Situation wird im Spiel nachempfunden und verarbeitet. »Wer fürchtet sich ?« – »Niemand !« – »Und wenn er kommt ?« – »Dann laufen wir davon !« Heute wird der Name dieses Spiels oft rassistisch verstanden. Wenn man unter dem »Schwarzen Mann« einen Menschen mit dunkler Hautfarbe versteht , dann hat das Spiel seinen Sinn verloren. Es geht ja eindeutig darum , vor etwas davonzulaufen , das man fürchtet. Immer öfter wird das Spiel deswegen in »Wer fürchtet sich vorm wilden Mann ?« umbenannt. Gemeinsam mit den Kindern könnte man sich auch neue Namen überlegen , etwa »Wer fürchtet sich vorm weißen Hai ?«. Wovor flüchten die Kinder in ihren Spielen ? Was die Tiernamen betrifft , sind es in unseren Breiten der räuberische Fuchs und der wilde Wolf , die 69

Luchs  , Luchs  , komm heraus  !

Hennen und Lämmer jagen. Das Krokodil als Schreckfigur ist vermutlich dem Kasperltheater entliehen , während die Gestalt der Hexe seit Jahrhunderten eine große Rolle spielt. Das zuerst beschriebene »Hexenspiel« ist vielleicht eine Fortsetzung des alten Spiels »Hex’ im Keller«. Diesem Fangspiel geht folgender Dialog zwischen »Mutter« und »Hexe« voraus : »Was frisst du ?« – »Menschenfleisch !« – »Was trinkst du ?« – »Menschenblut !« – »Wie lang ist dein Messer ?« – »Sooo lang !« – »Frisst du meine Kinder auch ?« – »Ja !« – »Wann kommst du ?« – »Um sechs Uhr !«4 Nun springt die Hexe auf und versucht eines der Kinder zu fangen. Auch Spiele wie »Tod , Tod , steh’ auf !« oder »Toter , Toter steh’ auf !«5 versuchen das Grauenvolle im Spiel zu verarbeiten. Ein Kind stellt den Toten dar , legt sich der Länge nach hin und schließt die Augen. Die anderen decken ein Taschentuch über sein Gesicht und bedecken ihn mit Gras. Dann springen sie um ihn im Kreis herum und leiern : »Toter , Toter , steh’ auf , mir wartn schon so lang drauf. Um Oans hat er si niederglegt !« Dann wieder »Toter , Toter … um drei hat er si umdraht !« – »Um viere hat er si gwaschn !« – »Um fünfe hat er si anzogn !« – »Um sechse kimmt der grausliche Tod !« Während der ganzen Zeit necken und kitzeln die Kinder den Toten. Nach dem letzten Satz aber springt der Tote auf und verfolgt die Flüchtenden. Manche Kinder dachten sich selbst eine Fangspiel-Geschichte aus. Maria Kammerhofer wuchs in Mochl bei Kammern auf und spielte mit ihren Freundinnen »Wassermann« , ein selbst erfundenes Spiel. Es geht dabei um einen Wassermann , der im Wasser lebt und jeden , der in seine Nähe kommt , zu fangen versucht. Inspiriert wurden die Kinder zu diesem Spiel durch »Saugras« , frisches Gras , das täglich in kleinen Mengen für die Schweine im Obstgarten gemäht wurde. Maria Kammerhofer : »Dort , wo gemäht worden ist , also etwa auf einem Quadrat von fünf mal fünf Metern , dort war das ›Wasser‹. Darin lebte der ›Wassermann‹. Die anderen Kinder sind um das ›Wasser‹ herumgestanden und einzeln immer wieder durch das ›Wasser‹ gelaufen. Der ›Wassermann‹ hat versucht , eines der 4 Otto Kampmüller : Oberösterreichische Kinderspiele. Linz 1965. S. 169. 5 Adalbert Riedl , Karl M. Klier : Lieder , Reime und Spiele der Kinder im Burgenland. Eisenstadt 1957. S. 255 f. 70

Vom Laufen und Fangen Freude beim Spielen im Hinterhof einer Wohnanlage in Enns 1940.

Kinder zu fangen. Dann war dieses Kind der Wassermann.« Eine ganz andere Art von Fangspiel ist das »Blinde-Kuh-Spiel«. Einem Kind werden mit einem Tuch die Augen verbunden. Nun folgt der Spieldialog , der auch hier eine kleine Geschichte erzählt : »Blinde Kuh , wir führen dich.« – »Wohin ?« – »In den Kuhstall !« – »Was soll ich da tun ?« – »Suppen essen !« – »Ich hab ja keinen Löffel !« – »Such dir einen !« Der Reiz des Spieles besteht darin , dass die »blinde Kuh« nun zunächst so lange gedreht wird , bis sie die Orientierung verliert , im Raum herumirrt und nach den Mitspielern tappt. Diese versuchen , die »blinde Kuh« mit Geräuschen und Berührungen zu irritieren. Die Kinder zupfen kurz an den Haaren oder am Gewand und laufen im gleichen Moment weg. Andere piepsen , knurren oder brummen kurz , um sogleich wieder wegzulaufen. Es geht darum , die »blinde Kuh« in die Irre zu führen , etwa so : »Einer hat der ›blinden Kuh‹ von hinten ins Ohr einigeplärrt. Die dreht sich schnell um , aber du bist schon wieder weg gewesen. Das Ganze war aber nur ein Ablenkungsmanöver für die anderen. Denn die sind in der Zwischenzeit leise vorbeigeschlichen !« Andere Mitspieler wiederum bleiben ganz ruhig und bewegungslos stehen und geben keinen Laut von sich : »Dann bist auf einen Tisch oder eine Bank auffighupft und hast dich net gerührt. So hat die ›blinde Kuh‹ dich natürlich sehr schwer entdecken können.« »Blinde Kuh« war ein typisches »Stubenspiel« : »Im späten Herbst , wenn es draußen schon kalt geworden ist , dann waren wir Kinder in der Bauernstube oder in einem größeren Raum beisammen. Dort war ›Blinde Kuh‹ auch viel lustiger , weil man jeden Ton und jeden Pieps gleich gehört hat. 71

Luchs  , Luchs  , komm heraus  ! Viele Spiele , darunter auch die Lauf- und Fangspiele , »funktionieren« erst so richtig , wenn viele Kinder zusammen sind. Hier die Kinder des Dorfes St. Ilgen im Hochschwabgebiet.

Die Kinder sind umadum gesprungen , auf den Tisch , unter den Tisch und waren als Gruppe viel näher beieinander.« »Blinde Kuh« ist eines jener Spiele , die ursprünglich auch von Erwachsenen gespielt wurden und die erst im Lauf der Zeit zu einem reinen Kinderspiel geworden sind. »Blinde Kuh« war jahrhundertelang ein Hit bei jungen Erwachsenen , denn es ist genau genommen ein ideales Spiel , um zu flirten und um sich näherzukommen. Man darf sich berühren und trotzdem so tun , als wäre die Berührung nur zufällig und unbeabsichtigt entstanden. Man darf sich betasten , zwicken , aneinander anstreifen – alles ist erlaubt , es ist ja nur ein Spiel. Bereits im Mittelalter war »Blinde Kuh« aus sittlichen Gründen verboten , was aber nichts bewirkte , denn im 17. und 18. Jahrhundert erlebte das galante Spiel seine Hochblüte. Die Hofdamen und die Herren des Hofes spielten es mit Begeisterung , auch ein gewisser Johann Wolfang von Goethe war mit Eifer dabei. Ja , er verfasste sogar ein Gedicht mit dem Titel »Blinde Kuh«. Darin beschreibt er das erotische Knistern , das dieses Spiel für junge Erwachsene so reizvoll machte. Eine junge Frau , Therese , ist die »blinde Kuh« und Goethe ist derjenige , der von ihr »gefunden« wird. Aber alles verlief ganz anders , als der verliebte Jüngling es sich ersehnte : »Und warum fingst du eben mich ? Du fasstest mich auf ’s Beste , und hieltest mich so feste ; Ich sank in deinen Schoß. Kaum warst du aufgebunden , war alle Lust verschwunden.« Goethe hatte 72

Vom Laufen und Fangen

Diese Kinder spielen »Der Lampeldieb«. Dem schlafenden Bauern werden seine Lämmer nach und nach gestohlen. Nach einem Spieldialog läuft er ihnen nach und versucht sie zu fangen.

sich Hoffnungen gemacht , dass die »liebliche Therese« ihn begehrte , aber kaum war das Spiel zu Ende und die Augenbinde abgenommen , verlor die schöne Therese jedes Interesse an ihm. Schon lange vor Goethe war »Blinde Kuh« auch ein Spiel für Kinder. 1560 zeigt es Pieter Bruegel auf seinem Bild. 2.000 Jahre zuvor , in der griechischen Antike , war es ein beliebtes und weit verbreitetes Kinderspiel. Man nannte es »myia chalke« , »Eiserne Fliege«. Der Spielverlauf war ganz genau wie bei »Blinde Kuh« , nur rief das »blinde« Kind : »Ich jage eine eiserne Fliege !« , während es versuchte , ein anderes Kind zu fangen. Eine Gesprächspartnerin aus der Oststeiermark nannte das Spiel »Blinde Maus«. So wird es auch im Burgenland und im südslawischen Raum genannt. »Blinde Kuh« heißt das Spiel mit den verbundenen Augen nur im deutschen Sprachraum. In anderen europäischen Ländern ist es der Fuchs , der Bock oder die Henne , die blind nach den anderen tappen. 73

Luchs  , Luchs  , komm heraus  !

Auf Bruegels Bild ist eine Form des »Blinde Kuh«-Spiels zu sehen , die »Jakob , wo bist du ?« genannt wird. Dabei werden zwei Kindern die Augen verbunden. Eines versucht nun , blind tastend , das andere zu erwischen. Beide Kinder auf dem Bild haben ein Tuch über dem Kopf , ein Kind tappt mit ausgestreckten Händen umher , das andere wird gerade von zwei Kindern am Weglaufen gehindert. Ein kleineres Kind vorne scheint sich wiederum dem Fänger in den Weg zu stellen. Solange die Erwachsenen »Blinde Kuh« spielten , wollten sie damit die Langeweile vertreiben. Es war ein Gesellschaftsspiel wie »Pfand auslösen« , das galant und leicht schlüpfrig war. Das einst frivole Spiel wurde spätestens ab Beginn des 19. Jahrhunderts zum reinen Kinderspiel. Nun war es wieder das geworden , was es schon in der Antike gewesen war : ein Spiel nur für Kinder.

p Fuchs , was grabst ?

Erklärt von Elisabeth Leskovar aus Gasen. Ein Kind stellt den Fuchs dar , es tut so , als würde es ein Loch graben. Der Fuchs hat den anderen Kindern , den Hennen , den Rücken zugewandt. Ein Kind stellt sich hinter den Fuchs. Die beiden sprechen folgenden Dialog : Henne : »Fuchs , was grabst ?« Fuchs : »A Loch ?« Henne : »Für was brauchst a Loch ?« Fuchs  : »Zum Wasser !« Henne : »Für was brauchst das Wasser ?« Fuchs : »Zum Messerwetzen !« Henne : »Für was brauchst das Messer ?« Fuchs : »Zum Hendlostechn !« Henne : »Wo nimmst die Henn her ?« Fuchs : »Hinter deiner !«

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Vom Laufen und Fangen

Nach den letzten Worten dreht sich der Fuchs um und versucht , die flüchtenden Hennen zu erwischen. Diejenige , der als Erstes fängt , ist der nächste Fuchs.

p Luchs , Luchs , komm heraus !

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Ein Kind stellt den Hund mit Namen »Luchs« dar und versteckt sich unter einem Tisch oder einem Sessel. Die anderen Kinder stehen um den Tisch. Kinder und »Luchs« sprechen folgenden Dialog : Kinder : »Luchs , Luchs , komm heraus , aus der Hundehütte , schau wie schön die Sonne scheint ! Komm doch , bitte , bitte !« Hund : »Wau , wau , wau !« Kinder : »Hört , jetzt bellt das Hündchen !« Hund : »Wartet nur , ich komme schon und fange mir ein Kindchen !« Nach den letzten Worten stürmt »Luchs« aus der »Hundehütte« und versucht , die flüchtenden Kinder zu erwischen. Das erste Kind , das erwischt wird , ist der nächste »Luchs«.

p Im Keller ist es finster

Erklärt von Gertraud Hinterberger , Maria Mendlhumer , Christine Kreuz­ mayer und Johanna Schatzl aus St. Thomas. Die Kinder gehen im Kreis und halten sich an den Händen. Ein Kind , das Krokodil , hockt in der Mitte des Kreises und hält sich die Augen zu. Die anderen Kinder singen oder sprechen folgenden Reim : 75

Luchs  , Luchs  , komm heraus  !

»Im Keller ist es finster warum soll es finster sein , scheint der helle Mond herein , seid alle still , sonst kommt das Krokodil !« Unmittelbar nach dem letzten Wort springt das Krokodil auf und versucht , eines der Kinder zu fangen. Dieses ist dann das nächste Krokodil.

p Ein Uhr hat’s geschlagen und die Hex ist noch nicht da !

Erklärt von Maria Mayer aus Linz.

Ein Kind ist laut Auszählreim die Hexe und versteckt sich im »Hexenhaus« , hinter einem Strauch oder in einem Winkel. Die anderen Kinder machen sich heimlich aus , zu welcher Stunde die Hexe kommen soll , z. B. um vier Uhr. Danach tanzen die Kinder verteilt im Hof herum und singen oder rufen dabei : »Ein Uhr hat’s geschlagen und die Hex ist noch nicht da ! Zwei Uhr hat’s geschlagen und die Hex ist noch nicht da ! Drei Uhr hat’s geschlagen und die Hex ist noch nicht da ! Vier Uhr hat’s geschlagen und die Hexe kommt !« Da fährt die Hexe wild gestikulierend und schreiend aus ihrem Versteck und versucht , ein Kind nach dem anderen zu fangen. Jedes Kind , das erwischt wurde , muss nun ins »Hexenhaus« , beziehungsweise wird von ihr hineingezogen. Das letzte Kind darf die nächste Hexe sein.

p Wassermann spielen

Dieses Spiel wurde von Maria Kammerhofer , geb. 1938 in Mochl bei Kammern , gemeinsam mit ihren Spielgefährten erfunden.

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Vom Laufen und Fangen

Ein abgegrenztes Areal , z. B. ein Stück gemähte Wiese inmitten von höherem Gras ( etwa 5 mal 5 Meter ), stellt das »Wasser« dar. Man könnte diesem Bereich auch mit Kreide auf den Boden zeichnen oder mit Seilen markieren. Ein Kind ist der »Wassermann« , der im »Wasser« lebt. Alle anderen Kinder stehen um das »Wasser« herum und laufen einzeln immer wieder durch das »Wasser«. Der »Wassermann« versucht eines der Kinder zu fangen. Gelingt im dies , ist dieses Kind nun der Wassermann.

p Der Kaiser schickt Soldaten aus

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Die Spieler werden in zwei gleich starke Gruppen eingeteilt. Die beiden Gruppen stellen sich in einer Linie in einem Abstand von etwa zehn Metern auf und halten sich fest an den Händen. Jede Reihe hat einen »Kaiser« und dieser ernennt abwechselnd je einen »Soldaten« mit den Worten : »Der Kaiser schickt Soldaten aus und schickt den … ( Name eines Kindes aus den eigenen Reigen ) aus !« Nun muss der Betreffende mit Schwung zur gegnerischen Kette laufen und versuchen , diese mit seinem Körper zu durchbrechen. Gelingt ihm dies und die Kette reißt , darf er einen der gegnerischen Soldaten , das Kind links oder rechts von der Lücke , mit sich in sein Heer nehmen. Gelingt ihm dies nicht , muss er selbst im anderen Heer bleiben und nun dort mitwirken. Der Kaiser darf sich auch selbst ausschicken. Er tut dies mit dem Ruf : »Der Kaiser schickt Soldaten aus und schickt sich selbst hinaus !« Der Kaiser hat zwei Leben. Wenn er beide Leben verloren hat , dann kann er einen Nachfolger aus seiner Gruppe bestimmen. Das Spiel geht so lange weiter , bis aus einer Gruppe niemand mehr übrig ist. Man kann aber auch zählen , welche Gruppe mehr Soldaten hat , dann ist sie ist der Gewinner.

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Luchs  , Luchs  , komm heraus  !

p Versteinern

Erklärt von Maria Mayer aus Linz. Der Fänger wird durch einen Abzählreim ausgezählt. Er muss einschauen und zählt dabei langsam und laut bis drei. Alle anderen beginnen in einem abgegrenzten Spielfeld herumzulaufen. Der Fänger versucht nun , ein Kind nach dem anderen zu erwischen und abzuschlagen. Immer , wenn er ein Kind erwischt , ruft er dabei : »Versteinert !« Dieses Kind muss breitbeinig bewegungslos stehen bleiben. Ein freies Kind kann das versteinerte Kind durch einen Handschlag erlösen. Es sagt dabei : »Erlöst !« Es wird so lange gespielt , bis alle Kinder versteinert sind.

p Wer fürchtet sich vorm wilden Mann ?

Erklärt von Kriemhilde Glötzl aus Bernstein , die dieses Spiel als »Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann ?« in ihrer Kindheit spielte. Ein ausgezähltes Kind ist der »wilde Mann«. Sein Platz ist mit einer Grenzlinie gekennzeichnet. Ihm gegenüber stehen in einer Entfernung von ungefähr 10 Metern alle mitspielenden Kinder in einer Reihe. Der »wilde Mann« ruft : »Wer fürchtet sich vorm wilden Mann ?« Die Kinder antworteten : »Niemand !« Nun laufen die Kinder hinüber auf die Seite des »wilden Mannes« , dieser versucht , eines von den entgegenstürmenden Kindern zu fangen. Erwischt er eines , ehe es sich hinter der Grenzlinie in Sicherheit gebracht hat , so muss ihm dieses nun helfen , die anderen zu fangen. Das Spiel wird so lange fortgesetzt , bis nur mehr ein Kind übrig bleibt , das als Nächstes den »wilden Mann« machen muss.

p Blinde Kuh

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. 78

Vom Laufen und Fangen

Vor dem Spiel wird ausgezählt , wer die »blinde Kuh« spielen muss. Ihr werden mit einem Tuch die Augen verbunden. Dann wird der Spieldialog in wechselseitiger Rede aufgesagt : Kinder : »Blinde Kuh , wir führen dich.« Kuh : »Wohin ?« Kinder : »In den Kuhstall !« Kuh : »Was soll ich da tun ?« Kinder : »Suppen essen !« Kuh : »Ich hab ja keinen Löffel !« Kinder : »Such dir einen !« Nach dem letzten Wort wird die »Kuh« ein paar Mal gedreht , damit sie die Orientierung verliert , danach beginnt sie , den »Löffel« zu suchen. Die anderen Kinder stehen bewegungslos da , springen auf Möbelstücke oder bewegen sich lautlos im Raum. Man kann die »blinde Kuh« kurz berühren oder an ihrem Gewand zupfen , um sie zu irritieren und abzulenken. Derjenige , der von der »Kuh« als Erstes »erwischt« wird , ist der »Löffel«. Das Spiel ist zu Ende. Der »Erwischte« ist im nächsten Spiel die »blinde Kuh«.

p Blinde Maus

Erklärt von Adelheid Pöllabauer aus Gasen in der Oststeiermark. Dieses Spiel wurde nicht im Freien , sondern in geschlossenen Räumen gespielt. Einem Kind werden mit einem Kopftuch die Augen verbunden. Es wird nun in eine Zimmerecke oder zur Tür geführt. Dabei werden folgende Worte gesagt : »Blinde Maus , ich führ dich aus , ins Katzenhaus , dort frisst’ einen Löffel voll Suppe und dann gehst uns suchen !«

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Luchs  , Luchs  , komm heraus  !

Danach wird das Kind ein paar Mal um sich selbst gedreht. Nun muss die »blinde Maus« die anderen Kinder suchen , die ganz leise im Raum herumschleichen oder irgendwo ruhig und bewegungslos stehen. Das erste Kind , das gefasst wird , ist die nächste »blinde Maus«.

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Zur Suppe greift ! – Vom Spielen mit Ball und Plumpsack

»Ein Kind bläst eine Schweinsblase auf« 81

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Zur Suppe greift !

anche von uns erinnern sich noch an die alten braunen Lederfußbälle , die außen aus vernähten Rindslederstreifen bestanden. Das Besondere an ihnen war ihr Innenleben : Sie waren mit einer aufgeblasenen Schweinsblase gefüllt. Die Harnblase eines Schweins wurde dafür wie ein Luftballon aufgeblasen , zugeknotet und durch einen etwa 10 cm langen Schlitz in den Ball eingesetzt. Diese Öffnung wurde mit einer Schnürung aus Lederriemen verschlossen. Solche Bälle waren nicht richtig rund und auch nicht besonders elastisch. Man musste schon ein richtiger Ballzauberer sein , um mit diesen Fußbällen , die in der Luft »eierten« und flatterten , richtig umzugehen. Besonders beim Kopfballspiel waren sie unberechenbar und es tat auch ganz schön weh , wenn die Schnürung bei einem Abschlag unkontrolliert auf die Stirn traf. Bei Regen wurden die Bälle bleischwer , da half es auch nicht viel , dass sie vor jedem Anpfiff rundherum eingefettet wurden. Bis in die 60er-Jahre wurde bei uns mit solchen Schweinsblasenbällen Fußball und Handball gespielt. Auch das Kind auf Bruegels Bild ist gerade dabei , eine Schweinsblase aufzublasen. Es wird sie nicht zum Fußballspielen verwenden , sondern sie vielleicht wie einen Luftballon schweben lassen , sie fangen und werfen oder mit ihr im Wasser spielen. Das Kind hält die Blase fest an sich gedrückt und pustet Luft in die Öffnung. Uns ekelt vermutlich allein bei dem Gedanken an den ehemaligen Inhalt der Blase und den damit verbundenen strengen Geruch. Dabei sind tierische Harnblasen ein vielseitig einsetzbares Material , weil ihre Haut stabil , wasserdicht und winddicht ist. Im Mittelalter wurden Schweinsblasen als Ersatz für teure Glasfenster verwendet , indem man Holzrahmen mit der Haut der Schweinsblase bespannte. Richtig präparierte Schweinsblasen sind pergamentartig und leicht durchscheinend. Jeder kennt die typischen bräunlich-gelben , leicht marmorierten Lampenschirme mit Fransen und Borten , die in den 70er-Jahren viele Wohnzimmer schmückten. Sie werden oft verschämt als Schweinslederlampen angeboten , tatsächlich bestehen sie aber aus der Harnblase der Schweine.

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Vom Spielen mit Ball und Plumpsack

Buben beim Fußballspielen mit einem alten Lederfußball , ohne Fußballschuhe und mit improvisiertem Fußballtor.

Die Schweinsblase war kein Abfall. Bei jeder Hausschlachtung wurde die Harnblase selbstverständlich nicht weggeworfen , sondern weiterverwertet. Die Kinder freuten sich , wenn niemand sonst beim Schlachtfest die Schweinsblase beanspruchte und sie darüber verfügen konnten. Nach der richtigen Trocknung und Präparierung hatten die Kinder nun einen Ball oder einen neuen »Schwimmreifen«. Auch auf Bruegels Bild ist ein Kind zu sehen , dass eine aufgeblasene Harnblase als Schwimmhilfe im nahe gelegenen Bach verwendet. Nur mehr wenige Menschen verstehen sich heute auf die Kunst , eine Tierblase so zu behandeln , dass sie weich und geschmeidig wird. Der Gurktaler Altbauer Karl Koch ist einer von ihnen , er hat noch selbst »Saublodern« präpariert. Er erklärt , wie es geht : »Die gereinigte Saublodern wird zuerst aufgeblasen. Wir haben das mit einem Zigarettenspitz gemacht. Früher gab es ja viele Raucher , da war so etwas immer zur Hand. Wenn die Blodern fest und rund aufgeblasen war , dann haben wir sie oberhalb vom Ofen zum Trocknen aufgehängt. Dann , wenn sie trocken war , haben wir eine Faust voll Weizenkleie in die Blase hineingetan und die Blodern

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Zur Suppe greift !

damit fein abgerieben. Wenn man das richtig macht , wird sie so weich wie feines Leder.« Aus dem weichen Schweinsblasenleder ließen sich wunderschöne , bestickte Tabakbeutel herstellen , die die Männer stolz am Gürtel trugen. Ab und zu wurden auch den Kindern die eine oder andere Blase zum Spielen überlassen , so wie dem Kind am Bild. Wirklich gut zum Ballspielen eignete sich eine Schweinsblase allerdings nicht , da sie leicht platzte. Eine Alternative war der klassische Fetzenball. Ein gekaufter Ball , also ein Lederball oder ein Gummiball , war für viele unerschwinglich. Ein paar Lumpen oder Stoffreste hingegen waren für jeden verfügbar und so entstand schnell ein »zammgsteckter Fetzenball«. »Wir haben Fetzen einigestopft , dann gut zammgebunden und dann haben wir damit gespielt , dass es nur so gestaubt hat !« Mit dem »Fetzenlaberl« , dem aus Lumpen zusammengebundenen Fußball der Nachkriegszeit , lernten die Buben »ballestern«. Fußball spielen war in der Zwischen- und Nachkriegszeit eine städtische Sportart. Die Buben spielten auf der Straße , in den Gassen , auf der »Gstettn« und im Park. Am Land war Fußball lange nicht so populär. Ein Mühlviertler : »Wir haben keinen Fußballplatz gehabt. Wir haben auch keinen Fernseher gehabt. Wir haben keine Fußballübertragungen gesehen , auch kein Match irgendwo am Platz. Es hat keinen Fußball bei uns gegeben und auch keinen anderen Sport. Wir haben lange keinen Fußballplatz im Ort gehabt.« Die Buben haben sich eher mit Wurfspielen beschäftigt oder »Räuber und Gendarm« gespielt. Die Mädchen hingegen haben Ballspiele wie »Zehnerln« oder »Ich bin ein Student« geliebt. Beides sind typische Pausenhofspiele. Sie beginnen mit der leichtesten Übung , steigern sich langsam und enden mit der schwierigsten Übung. Wer einen Fehler macht , scheidet aus und der Nächste ist dran. »Zehnerln« ist nicht einfach »Ball an die Wand« – es ist eine kunstvolle Vorführung. Geschickte Ballkünstlerinnen versammelten Publikum um sich. Man wirft den Ball an die Wand , fängt ihn wieder auf und bewältigt , während der Ball in der Flugphase ist , verschiedene Aufgaben. Eine ehemalige routinierte Schulhofspielerin erinnert sich : »Es gibt das einfache Zehnerln. Da wird der Ball gegen die Wand gespielt und dazwischen 84

Vom Spielen mit Ball und Plumpsack

Kinder vor dem Herrenhaus in Parschlug um 1930. Der Bub rechts hält einen Lederball in der Hand , der , wie es früher üblich war , mit einer aufgeblasenen Schweinsblase gefüllt war.

wird geklatscht. Aber beim schweren Zehnerln schlagst du den Ball mit der Faust oder wirfst ihn hinter dem Rücken oder unter dem Bein durch. Bei der höchsten Schwierigkeitsstufe drehst du dich , während der Ball in der Luft ist !« Das Schöne am »Zehnerln« und ähnlichen Spielen war , dass man nichts anderes brauchte als einen Ball , und schon konnte es losgehen. Genau daran dachte auch der große Pädagoge Friedrich Fröbel ( 1782–1852 ), der Erfinder des Kindergartens , als er den Ball als erstes und wichtigstes Spielzeug nannte. Seine Kindergartenkinder erhielten als allererstes Spielzeug einen Ball. Fröbels Begründung war , dass , wenn man mit einem Ball spielt , nie allein ist , denn der Ball spielt mit. »Zur Suppe greift !« war früher eines der beliebtesten Ballspiele , heute ist es leider in Vergessenheit geraten. Dieses und das sehr ähnliche Spiel »Zur Suppe , zur Suppe , die Knödel sind heiß !« waren echte Hits auf den Spielwiesen. Je mehr Kinder mitspielten , desto lustiger war es. Paula Burgstaller aus Walding in Oberösterreich erinnert sich gerne an dieses Spiel : »Ich bin in Gmunden aufgewachsen und durfte im Sommer ins Strandbad gehen. 85

Zur Suppe greift !

Da gab es eine Liegewiese und einen Sandplatz. Dort spielten wir liebend gern ›Zur Suppe , zur Suppe , die Knödel sind heiß !‹ Das Schöne an diesem Spiel war , dass jeder mitspielen konnte. Oft kannten wir die anderen Kinder , die mit uns spielten , gar nicht. Ich denke , dieses Spiel lässt sich auch heute noch auf jedem größeren Wiesenstück oder auf einem Kinderspielplatz leicht spielen.« Die Physiotherapeutin Ulrike Fürst-Telsnig aus Murau sah alte Fotos aus den 1940er-Jahren , auf denen Kinder »Zur Suppe , zur Suppe« spielten. Ihr fiel auf , mit welch guter Körperhaltung und Körperspannung diese Kinder stehen , laufen und schießen. In perfekter Körperspannung werfen sie den Ball , sie bücken sich mit geradem Rücken , genauso , wie man es heute in der »Rückenschule« lernt. Beim nächsten »Haltungsturnen« , das Frau Fürst-Telsnig in der Volksschule Ranten hielt , wurde das alte Spiel »Zur Suppe , zur Suppe« gespielt und alle waren begeistert – es wurde zum Lieblingsspiel der Rantener Schulkinder ! Auch früher lernten die Kinder manche Spiele wie Völkerball erst im Turnunterricht kennen. In Sarleinsbach im Mühlviertel war es aber noch in den 50er-Jahren so , dass nur die Buben in der Schule Turnunterricht genossen , während die Mädchen in dieser Zeit Handarbeiten hatten. Eine ehemalige Schülerin : »Ich bin schon in die siebente Klasse Volksschule gegangen , als wir Mädchen endlich das erste Mal auch auf den Turnplatz durften. Dann haben wir Mädchen auch Völkerball gespielt , nicht nur die Buben !« Kein Kind und wohl auch kaum ein Erwachsener weiß heute noch , was genau ein »Plumpsack« ist. Es ist ein Wurfgegenstand wie ein Ball und doch etwas gänzlich anderes. Manche erinnern sich vielleicht an das Spiel »Dreh dich nicht um , der Plumpsack geht um«. Dabei sitzen oder hocken Kinder im Kreis , während außen ein Mitspieler mit dem »Plumpsack« , einem verknoteten Tuch , meist ein Taschentuch , herumgeht. Der Plumpsackträger versucht nun , das Tuch möglichst unbemerkt hinter einem Kind fallen zu lassen. Bemerkt das Kind das Taschentuch hinter sich , hebt es das Tuch auf und läuft dem anderen nach. Dieser wiederum versucht , die frei gewordene Stelle zu erreichen. Schafft er es , ist jetzt das andere Kind der Plumpsackträger. 86

Vom Spielen mit Ball und Plumpsack

Kinder spielen »Der Plumpsack geht um«. Die Gehende hat eben den Plumpsack fallen lassen. Bemerkt das Kind im Kreis , dass hinter ihm das Tuch liegt , muss es schnell danach greifen und dem anderen nachlaufen.

Während der Plumpsackträger herumgeht , sagt er folgenden Spruch auf : »Dreh dich nicht um , der Plumpsack geht um , er geht um im Kreis , dass niemand was weiß , und wer ihn will haben , muss Schläge ertragen.« Niemand geringerer als der Popstar Falco ließ sich von diesem alten Kinderreim zu einem seiner größten Hits inspirieren. Er verwendete Teile des Textes als Refrain in seinem Welthit »Der Kommissar« : »Drah di ned um , oh oh oh – schau , schau , der Kommissar geht um !«

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Zur Suppe greift !

So weit – so harmlos. Doch was ist eigentlich ein Plumpsack ? Es heißt im Text : »und wer ihn will haben , muss Schläge ertragen« , bekommt also mit dem verknoteten Tuch Hiebe. In Deutschland kennt man auch die Variante : »Und wer sich umdreht und lacht , kriegt den Buckel blau gemacht.« Das Plumpsack-Spiel hat eine Derbheit und eine versteckte Aggressivität , die uns heute , da es zu einem Kindergartenspiel geworden ist , gar nicht mehr bewusst ist. Der Plumpsack ist ein »Böses Ding« – genau so wurde das Spiel früher auch genannt. Der Spielreim hieß : »Es geht ein böses Ding herum , das wird euch tüchtig zwacken , sieht einer nur nach ihm sich um , so fährt’s ihm in den Nacken.« Der Plumpsack haut und schlägt und zwickt. Er ist heimtückisch und aggressiv , ein »böses Ding« , so als ob der »plumpe Sack« ein unheimliches Eigenleben hätte. Schläge gehörten ursprünglich zum PlumpsackSpiel dazu. Damit hatte im 19. Jahrhundert niemand ein Problem. Der deutsche Pädagoge Johann Christoph Friedrich GuthsMuths ( 1759–1839 ) findet die Strafandrohung im Gegenteil sogar sehr nützlich : »Die Schläge fallen oft etwas herbe aus und sind so zur Abhärtung nicht so ganz undienlich.«6 Das etymologische Wörterbuch von Kluge , das uns die Herkunft der Wörter erklärt , weist darauf hin , dass das Wort »Plumpsack« auf das lateinische »Plumbum« ( Blei ) zurückzuführen ist. Bei dieser Art von Plumpsack handelt es sich also nicht um ein harmloses verknotetes Taschentuch , sondern um einen Beutel , gefüllt mit Blei , der an einem Stock befestigt war. Auch GuthsMuths kannte offensichtlich die Gefahren , die von einem solchen Plumpsack , der zur Waffe geworden ist , drohen. Er warnt : »Man achte darauf , dass niemand einen Stein in dem Knoten versteckt.« Taschenkontrolle bei Kindern und Jugendlichen , um waffenähnliche Gegenstände sicherzustellen , gab es also schon vor 200 Jahren ! Vereinzelt gibt es noch Spiele , in den der »Plumpsack« ganz und gar nicht harmlos ist. Im Mühlviertel saß ich in großer Runde und hörte vom alten Spiel »Handwerksburschen austreiben«. Teil des Spiels 6 Johann Christoph Friedrich GuthsMuth : Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Für die Jugend und ihre Erzieher und alle Freunde unschuldiger Jugendfreuden. Schnepfenthal 1796. S. 230. 88

Vom Spielen mit Ball und Plumpsack

war ein »Handtüchl mit einem Knopf drinnen« , nichts anderes als ein »Plumpsack«. Dieses verknotete Tuch hatte genau die Aufgabe , die ein Plumpsack seit jeher hatte , nämlich damit zu schlagen und zu hauen. In den Worten meiner geschätzten Gesprächspartner hörte sich das so an : »Er hat damit den Handwerksburschen ein paar hinten drauf geben , dass die nur so grennt sind !« Ein klassisches altes Plumpsackspiel , bei dem man ebenfalls nicht zimperlich sein darf , ist »Fuchs durch d’Lucken treiben«. Es wurde von Erwachsenen , aber auch von Kindern gespielt. »Zu Weihnachten , wenn ein Schüppl Kinder beieinand war und die Erwachsenen um den Tisch gesessen sind , dann haben wir in der großen Stube ›Fuchs durch d’Lucken treiben‹ gespielt. Die Kinder haben sich breitbeinig aufgestellt. Der Letzte war der Fuchs , der hat rennen müssen. Und wenn er nicht schnell genug durch die Beine durchgeschloffn ist , hat er mit dem Handtüchl eine am Hintern gekriegt.« Selbstredend , dass dies ein »Handtüchl mit Knoten« , also ein Plumpsack , war. Von einem solchen Handtuch – Plumpsack – getroffen zu werden , tat vielleicht ein bisschen weh. Von einem verknoteten Taschentuch getroffen zu werden , gar nicht. Wer heute »Dreh dich nicht um , der Plumpsack geht um« spielt , ahnt nicht , dass das harmlose Taschentuch einst ein »böses Ding« war.

p Zur Suppe , zur Suppe , die Knödel sind heiß !

Erklärt von Paula Burgstaller aus Walding.

Aus Sand oder Erde wird ein kleiner Hügel gemacht und darauf der Ball gelegt. Alle Kinder , die mitspielen , bekommen einen Tiernamen. Ein Kind wird als Rufer bestimmt. Die Kinder bilden einen Kreis , etwa zwei Meter vom Ball entfernt. Sie gehen im Kreis , laut den Spruch vor sich hersagend : »Zur Suppe , zur Suppe , die Knödel sind heiß !« Der Satz wird so oft gesprochen , bis der Rufer einen Tiernamen ruft. Das Kind mit diesem Tiernamen muss nun schnell zum Ball laufen und , wenn es den Ball in der Hand hält , »Stopp« rufen. 89

Zur Suppe greift !

Auf diesen Ruf hin müssen alle stehen bleiben , während der Rufer eines der flüchtenden »Tiere« abzuschießen versucht. Trifft er , muss der Abgeschossene ausscheiden. Rufer wird nun das Kind , das den Ball geworfen hat. Ruft der Rufer einen Tiernamen , der nicht mehr unter den verbleibenden Spielern ist , muss auch er ausscheiden. Durch Auszählreim wird dann ein neuer Rufer bestimmt. Das Spiel geht so lange , bis nur mehr ein Kind übrig bleibt.

p Zur Suppe greift !

Erklärt von Emmi Stuhl aus Kapfenberg. Ein Ball wird in die Mitte gelegt. Die Kinder stellen sich in einem großen Kreis um den Ball auf. Jedem Mitspieler wird ein Ländername zugeteilt , z. B. Italien , Frankreich , Deutschland. Ein Kind wird als »Aufrufer« bestimmt. Alle , auch der »Aufrufer« gehen zum Ball , und halten eine Hand in gebückter Haltung griffbereit über den Ball , ohne ihn zu berühren. Der »Aufrufer« sagt einige Male hintereinander : »Zur Suppe , zur Suppe greift , zur Suppe greift.« Dann nennt er den Namen eines Landes : »Zur Suppe greift Deutschland !« Zur Irreführung kann er auch einen nicht zugeteilten Ländernamen nennen. Der Aufgerufene greift blitzschnell nach dem Ball und versucht einen Mitspieler abzuschießen. Gelingt ihm dies , scheidet der Abgeschossene aus. Greift ein Kind zum Ball , ohne aufgerufen zu sein , scheidet es ebenfalls aus. Das Spiel geht so lange , bis nur mehr ein Kind übrig bleibt. Dieses Kind ist nun der »Aufrufer«.

p Das einfache Zehnerln

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. 90

Vom Spielen mit Ball und Plumpsack

Zwei Mädchen beim »Ball an die Wand«Spiel , auch »Zehnerln« genannt. Dieses Spiel war früher ein beliebtes Pausenhofspiel. Beim »Zehnerln« kommt es darauf an , den Ball an die Wand zu werfen und vor dem Auffangen verschiedene Übungen zu bewältigen.

Der Spieler stellt sich in einem Abstand von ein bis drei Metern vor einer Wand auf. Er wirft den Ball an die Wand , fängt ihn wieder auf und klatscht währenddessen in die Hände. Zuerst ein Mal , dann zwei Mal , bis zehn Mal. Wenn der Ball zu Boden fällt , ist der nächste Spieler dran. Wenn ein Kind wieder an der Reihe ist , spielt es dort weiter , wo es aufgehört hat.

p Das schwere Zehnerln

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Dieses Spiel beginnt mit der leichtesten Übung und endet mit der schwierigsten. Der Spieler stellt sich in einem Abstand von ein bis drei Metern vor einer Wand auf , wirft den Ball an die Wand , fängt ihn wieder auf und bewältigt dabei verschiedene Aufgaben. Wenn der Ball zu Boden fällt oder 91

Zur Suppe greift !

wenn eine Übung nicht richtig ausgeführt worden ist , ist das Spiel zu Ende und der Nächste ist dran. Wenn ein Kind wieder an der Reihe ist , spielt es dort weiter , wo es aufgehört hat. 1  10 Mal mit beiden flachen Händen an die Wand prellen. 2  9 Mal mit der rechten flachen Hand an die Wand prellen. 3  8 Mal mit der linken flachen Hand an die Wand prellen. 4  7 Mal abwechselnd mit der linken und rechten flachen Hand an die Wand prellen. 5  6 Mal mit der rechten Faust an die Wand prellen. 6  5 Mal mit der linken Faust an die Wand prellen. 7  4 Mal abwechselnd mit der linken und der rechten Faust an die Wand prellen. 8  3 Mal den Ball unter der rechten Kniebeuge durchwerfen. 9  2 Mal köpfeln. 10  Mal sich drehen , während der Ball in der Luft ist.

p Ich bin ein Student

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Bei diesem Spiel wird der Ball hochgeworfen und wieder gefangen. Währenddessen sagt das Kind einen »Spruch« auf und ahmt zwischen Werfen und Fangen jeweils die angesprochene Tätigkeit nach. 1  »Ich bin ein Student« : Hochwerfen und fangen. 2  »Und wasch mir die Händ’« : Hochwerfen , Hände waschen , fangen. 3  »Ich trockne sie ab« : Hochwerfen , abtrocknen , fangen. 4  »Ich steck sie in den Sack« : Hochwerfen , Hände in die Taschen stecken , fangen. 5  »Ich knie mich nieder« : Hochwerfen , knien , fangen. 6  »Ich bete zu Gott um das tägliche Brot« : Im Knien hochwerfen , Hände falten , fangen. 92

Vom Spielen mit Ball und Plumpsack

7  »Ich steh wieder auf« : Hochwerfen , aufstehen , fangen. 8  »Und fang den Ball mit einer Hand« : Hochwerfen , einhändig fangen.

p Der Plumpsack geht um

Erklärt von Gertraud Hinterberger , Maria Mendlhumer , Christine Kreuz­ mayer und Johanna Schatzl aus St. Thomas. Man braucht : • 1 Plumpsack ( Ein Taschentuch mit einem Knoten darin ) Die Kinder sitzen oder stehen im Kreis. Außen um den Kreis geht ein Kind mit dem »Plumpsack« herum und sagt dabei : »Dreht euch nicht um , der Plumpsack geht um , er geht um den Kreis , dass niemand was weiß , und wer ihn will haben , muss Schläge ertragen.« Irgendwann lässt er unbemerkt hinter einem Kind den Plumpsack fallen und geht weiter. Bemerkt das Kind , das hinter ihm das Tuch liegt , muss es schnell danach greifen und sofort dem anderen nachlaufen. Dieses versucht , die Runde so schnell wie möglich zurückzulegen und sich in die Lücke im Kreis zu setzen. Gelingt ihm dies , ist das Kind mit dem Tuch nun der neue Plumpsackträger. Wird er aber vorher »erwischt« , muss er nochmal mit dem Plumpsack herumgehen.

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Zur Suppe greift !

p Faules Ei ( gnilo jajce )

Erklärt von Christina Höber aus Graz , geboren in Slowenien. Man braucht : • ein Taschentuch oder ein anderes kleines Tuch Die Kinder sitzen im Kreis mit Blick in die Mitte und dürfen sich nicht umdrehen , sie dürfen jedoch mit den Händen nach hinten greifen. Ein ausgewähltes Kind nimmt ein Taschentuch , geht hinter den im Kreis sitzenden Kindern herum und sagt dabei fortwährend : »Faules Ei , faules Ei …« Irgendwann legt es unauffällig das Taschentuch hinter einem Kind auf den Boden und geht weiter im Kreis. Wenn der Träger es schafft , nun den Kreis einmal zu umrunden , ohne dass das sitzende Kind in der Zwischenzeit bemerkt , dass das Tuch hinter ihm abgelegt worden ist , dann schreit er laut , sobald er wieder an der Stelle ist : »Faules Ei !« und den Namen des »Opfers«. Dieses Kind muss nun die Rolle seines Vorgängers übernehmen und das Spiel so lange weiterführen , bis es auch selbst jemanden überlistet.

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Zimmer , Küche , Kabinett – Vom Versteinern und von Riesenschritten

»Kinder gehen im Gänsemarsch« 95

»

Zimmer  , Küche  , Kabinett

Zimmer , Küche , Kabinett« ist nicht nur eine klassische Wohnform in alten Zinshäusern , es ist auch ein sehr unterhaltsames Bewegungsspiel. Es geht so : Ein Spieler stellt sich mit dem Rücken zur Gruppe und schaut ein. Die anderen stehen in einiger Entfernung und warten auf das Sprücherl des Einschauenden : »Zimmer , Küche , Kabinett !« Beim ersten Wort begann die Gruppe sich zu nähern. Sofort nach dem letzten Wort drehte sich der Sprechende schnell um. Wer sich jetzt noch bewegte , der musste zurück an den Start. Alle anderen blieben wie versteinert stehen. Das Sprücherl des Einschauenden konnte aber auch lauten : »Zimmer , Küche , Kabinett , hinterm Ofen steht ein Bett« oder »Zimmer , Küche , Kabinett und ein kleines Puppenbett«. In diesem Fall hatte die Gruppe fast eine Ewigkeit Zeit , sich zu bewegen. Genau das gleiche Spiel ist aber auch unter dem Namen »Ochs am Berg« bekannt. Die Kinder mussten in diesem Fall sehr konzentriert und geistesgegenwärtig sein , um bei der letzten Silbe zu versteinern. Wer »Ochs am Berg« spielte , hatte nur Sekunden Zeit , denn gerufen wurden auch hier nur die drei Worte des Spieltitels. Ein weiterer Name für dasselbe Spiel ist »Der Hase läuft über das Feld !« Der Sprecher konnte ganz langsam »Der – Hase – läuft – über – das – Feld« sagen. Oder ganz schnell. Auf jeden Fall mussten auch hier alle blitzschnell reagieren und erstarren , wenn der Sprechende sich umdreht. Die laufenden Kinder stellen in diesem Spiel die Hasen dar. Die Spielfläche ist das Feld , das einschauende Kind ist der Jäger. Eine der weniger feinen Varianten des Spielspruchs lautete : »Zimmer , Kuchl , Kabinett , in der Mittn steht der Depp.« Auch das tatsächliche , reale Wohnen in Zimmer , Küche , Kabinett war keine Sache für feine Leute. In den alten Wiener Zinshäusern gab es zwei Standardgrundrisse : Zimmer-Küche und Zimmer-Küche-Kabinett. Wer immerhin ein Kabinett , also ein kleines zusätzliches Zimmer hatte , der lebte besser als Leute in Zimmer-Kuchl-Wohnungen. Vom Gang aus betrat man direkt die fensterlose Küche. Diese Küchen hatten zwar eine vergitterte Öffnung , eine Art Fenster zum Flur , das aber weder Sonnenlicht noch frische Luft he96

Vom Versteinern und von Riesenschritten

Kinder beim »Figuren werfen«. Ein Werfer fasst ein Kind fest an der Hand , wirbelt es ein paar Mal herum und lässt es mit Schwung wieder los. Das »geworfene« Kind soll nun in einer möglichst ausgefallenen Stellung wie versteinert verharren.

reinließ. Nur das dahinterliegende Zimmer , der einzige Wohnraum , hatte ein Fenster ins Freie. Wer solche Verhältnisse kannte , der wusste sein »Kammerl« , das kleine Kabinett , umso mehr zu schätzen. Trude Marzik beschreibt das Leben der kleinen Leute in den Bassenawohnungen in ihrem Buch »Zimmer , Kuchl , Kabinett : Leben in Wien«. Das »Kabinett« ist tatsächlich etwas typisch Wienerisches. Kinder in den Bundesländern spielten »Zimmer , Küche , Kabinett« , wahrscheinlich ohne eine Vorstellung davon zu haben , was denn ein »Kabinett« genau ist. Dafür wussten die Kinder am Land , was ein Ochse und was ein Hase ist und spielten dasselbe Spiel manchmal als »Ochs am Berg« oder »Der Hase läuft über das Feld«. Bei »Zimmer , Küche , Kabinett« wird man nicht versteinert , aber man muss erstarren , wenn einen der Blick des Einschauers trifft. Beim richtigen »Versteinern«-Spiel geht es hingegen um Verzaubern , um Zu-SteinWerden und um Erlösen. Der Gedanke , dass ein Mensch zu Stein werden könnte , beschäftigte die Menschen immer dann , wenn in einer Landschaft eine Felsform einem versteinerten Menschen ähnelte. Hatte ein Mensch gar vor langer 97

Zimmer  , Küche  , Kabinett

Zeit eine üble Tat begangen und war er für seinen Frevel versteinert worden ? In Tirol am Ampferstein gibt es sieben einander ähnliche Felsgebilde , die »Sieben versteinerten Brüder« , die der Sage nach als Strafe versteinert wurden und erst wieder am jüngsten Tag zum Leben erwachen sollen. Im Waldviertel gibt es ein »Steinernes Weib« , das angeblich versteinert wurde , weil es Grenzsteine heimlich versetzt hatte und den Herrgott frevlerisch als Zeugen anrief , als sie die Tat leugnete. Inspiriert von solchen Geschichten mag auch das Spiel »Versteinern« entstanden sein. Ein Fänger jagt die anderen Spieler. Wenn er sie berührt , sind sie versteinert. Berühren die noch freien Spieler den Versteinerten , ist er wieder erlöst. Begleitet werden diese Vorgänge mit den Worten : »Ich versteinere dich !« und »Ich erlöse dich !« , kurz auch »Versteinert !« , »Erlöst !« Nicht so dramatisch , dafür lustig und komisch ist das »Figurenwerfen«. Ein Werfer fasst ein Kind fest an der Hand , wirbelt es ein paar Mal herum und lässt es mit Schwung wieder los. Worauf es ankam , erklärt eine Dame aus Oberösterreich : »Der muss dann wie versteinert als lustige Figur stehen bleiben. Da darf man schon ein bissl nachhelfen und ganz komisch dastehen. Wenn einer das gut verstanden hat , haben alle lachen müssen.« Witz und Einfallsreichtum waren auch notwendig , damit »Kaiser , wie viele Schritte darf ich machen ?« so richtig lustig wurde. Der »Kaiser« steht einer Kindergruppe gegenüber. Er durfte die Art und die Anzahl der Schritte bestimmen und hatte so großen Einfluss auf die »Reisegeschwindigkeit« der Gruppe. Man durfte sich die lustigsten und kuriosesten »Schritte« ausdenken. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt , man konnte etwa auch die Länge einer Badewanne als Distanz vereinbaren : einmal der Länge nach hinlegen – so weit durfte man dann reisen. »Das war eines unserer Lieblingsspiele , weil es sehr lustig war. Es gab Riesenschritte , Zwergerlschritte , Hopser und ›Kochlöffel‹ , das waren drehende Hüpfer um die eigene Achse.« Ohne Probleme konnten sich die Kinder neue Schrittarten ausdenken : Hühnertapser , Flohhüpfer , Mäuseschritte , Elefantenschritte , wichtig war nur , dass man sich im Vorfeld über die einzelnen Schrittlängen einigte. Auch die Kinder auf Pieter Bruegels Bild bewegen sich auf besondere Weise fort. Sie gehen im Gänsemarsch hintereinander , jedes hält sich am Rock oder der Jacke des Vordermanns fest. Wir können heute nicht 98

Vom Versteinern und von Riesenschritten

Dieses Aufnahme entstand in Wien in den 1930er-Jahren. Der Fotograf Rudolf Spiegel hielt Wiener Straßenszenen , darunter diese spielenden Kinder , fest.

mehr genau nachvollziehen , nach welchen Spielregeln diese Kinder gespielt haben. Vielleicht ruft der Erste in der Reihe laut , was gemacht wird oder er macht die Schritte und Hüpfer gleich selbst vor. Einmal geht er langsam , dann schnell , mal hüpft er , dann geht er wieder auf Zehenspitzen oder hüpft auf einem Bein. Die anderen Kinder machen alles nach und versuchen trotzdem im Gänsemarsch zu bleiben. Möglicherweise singen sie auch nur gemeinsam ein Lied und marschieren , sich aneinander anhaltend , herum. Vielleicht kommt jedes Mal , wenn eine Strophe oder ein Lied zu Ende gesungen ist , ein anderes Kind vorne an die Reihe. Denkbar ist auch , dass diese Kinder irgendetwas nachahmen , etwa den Vogelflug. Eines der beliebtesten Kinderspiele war »Schneider , leih ma d’Scher !«. Alles , was man für dieses Spiel braucht , sind ein paar Bäume. Man kann es jederzeit beginnen und jederzeit enden lassen und somit war es ein ideales Spiel für den Weg heim von der Schule. Die Spielregel ist sehr simpel : Die Spieler stehen einzeln bei einem Baum , bis auf den »Frager«. Er spricht ein Kind an : »Schneider , leih ma d’Scher !« Dieses schickt ihn zum Nächsten mit den Worten »Da drüben läuft’s leer !« oder »Geh zum Nachbarn !«. 99

Zimmer  , Küche  , Kabinett

Ein paar Bäume , eine Wiese , auf der sich Kinder frei bewegen können , und ein Weg ohne Straßenverkehr – ein idealer Platz zum Spielen. Dieses Bild entstand in den 1940er-Jahren in Atschenbach bei Grieskirchen in Oberösterreich.

Das Reizvolle an diesem Spiel ist der Moment , wenn die Kinder versuchen , unbemerkt die Plätze zu wechseln. »Derweil zwei geredet haben , versuchen die anderen Plätze zu tauschen. Man haqt sich zu zweit heimlich ein Zeichen gegeben und dann ›schwupp‹ ist man gerannt. Und auch der Frager ist gerannt. Er hat geschaut , dass er auch einen Baum erwischt.« Einer blieb bei diesem rasanten Hin- und Hertauschen immer übrig. Es war nun an ihm , wieder zu bitten : »Schneider , leih ma d’Scher !« Um »Schneider , leih ma d’Scher« zu spielen , braucht man nichts anderes als – Bäume ! Ideal ist ein Garten mit Obstbäumen , so einer wie er früher bei Bauernhöfen und auch in so manchem Siedlungsgarten zu finden war. Auch Streuobstwiesen am Schulweg oder ein frei zugänglicher Park eignen sich wunderbar. Waren die Bäume verschwunden , wurde das Spiel auch nicht mehr gespielt , wie auf einem oberösterreichischen Bauernhof : »Dann hat der Gustl alle Obstbäume umgeschnitten und wir Kinder haben nicht mehr ›Schneider , leih ma d’Scher‹ spielen können !« Sicher , man kann das Spiel auch ohne Bäume , sogar ohne Garten und ohne Wiese spielen. Die Spieler können sich bei Stangen , Steinen , Straßenlaternen , Plakatständern , Bänken oder Sesseln aufstellen. Aber es doch nicht dasselbe , wie einst , als die Kinder vor dem Abendessen noch kurz in 100

Vom Versteinern und von Riesenschritten

den Obstgarten gingen , um ein paar Runden »Schneider , leih ma d’Scher« zu spielen , bevor die Mutter zum Essen rief. Alle Spiele , die in diesem Kapitel beschrieben sind , werden umso lustiger , je mehr Kinder mitspielen. Maria Mayer ist in Enns in den 30er- und 40er-Jahren aufgewachsen. Sie verbrachte ihre Kindheit in einem Mehrparteienhaus mit Hinterhof , wo sie von »Tempelhupfen« bis »Versteinern« , vom »Zehnerln« bis »Der Kaiser schickt Soldaten aus« alle damals bekannten Kinderspiele spielte. Mangel an Spielgefährten herrschte nicht : »Ich hatte sechs Geschwister , die Nachbarfamilie acht Kinder und eine weitere Familie im Haus zwei Kinder. Beim Spielen im Hinterhof waren wir oft zehn bis fünfzehn Kinder. Das war herrlich !« Der Hinterhof zwischen Spalierbäumen , Holzlagen und Handwerksbetrieben war ihr Paradies. »Nur wenn es regnete , waren wir drinnen. Wir wohnten im ersten Stock. Meine Schwester und ich , wir sind dann am offenen Fenster auf der Fensterbank gesessen und haben nach Herzenslust gesungen. Gelangweilt haben wir uns jedenfalls nie !« »Paradiese der Kindheit« , wie sie Frau Mayer beschreibt , müssen nicht weitläufige Obstgärten oder große Spielwiesen sein. Kinder brauchen nichts weiter als Freiräume , wo sie das Recht haben zu laufen , zu rufen und laut zu lachen. Ein solches »Paradies« kann ein Park sein , in dem der Rasen betreten werden darf , ein Hinterhof , in dem Kinder spielen und toben können oder auch ein Spielplatz mit Freibereichen ohne vorgefertigte Spielgeräte. Spiele , wie in diesem Kapitel beschrieben , können nicht alleine , nicht zu zweit oder zu dritt gespielt werden. Gibt es solche Spielgruppen , außer in der Schule , noch ? Zu den »Paradiesen der Kindheit« gehören mit Sicherheit auch ausreichend Spielkameraden , um nochmals Frau Mayer zu zitieren : »Wir waren oft zehn bis fünfzehn Kinder. Das war herrlich !«

p Kaiser , wie viel Schritte darf ich machen ?

Erklärt von Maria Mayer aus Linz.

Der Kaiser wird durch einen Auszählreim bestimmt. Er steht auf einer Seite des Spielfeldes , die übrigen Kinder nebeneinander auf der anderen Seite. 101

Zimmer  , Küche  , Kabinett

Ein Kind nach dem anderen fragt : »Kaiser , wie viel Schritte darf ich machen ?« Der Kaiser nennt nun eine bestimmte Zahl einer Schrittart : Normaler Schritt , Riesenschritt , Zwergenschritt ( nur wenige Zentimeter ), Kochlöffel ( drehender Hüpfer um die eigene Achse ), Schere ( man steht mit gegrätschten Beinen und klappt die Füße im Vorwärtshüpfen wie eine Schere zusammen ), Flohhupfer , Katzensprung , Hopser … Der Kaiser darf bestimmen , ob die Schritte vor- oder zurück gemacht werden sollen. Rückwärtsbewegungen darf der Kaiser aber nur drei Mal befehlen. Er muss sich also gut überlegen , wen er zurückschickt. Das Ziel der Kinder ist es , zum Kaiser zu gelangen. Das Ziel des Kaisers ist es , so lange wie möglich Kaiser zu sein. Ein Kind nach dem anderen führt die angegebenen Aufgaben durch. Wer als Erstes den Kaiser erreicht , darf neuer Kaiser sein. Variante : Kaiser , wohin darf ich reisen ? Ein Kind nach dem anderen fragt : »Kaiser , wohin darf ich reisen !« Hier wird als Antwort der Name einer Stadt oder eines Landes gegeben. Die Antwort wird in Silben zerlegt – so viele Schritte darf das fragende Kind machen , also I-ta-li-en ( 4 Schritte ), Po-len ( 2 Schritte ), A-me-ri-ka ( 4 Schritte ).

p Der Hase läuft über das Feld

Erklärt von Maria Mayer aus Linz.

Ein Kind wird durch einen Auszählreim bestimmt. Es schaut bei einem Baum oder bei einer Mauer ein , mit dem Rücken zum Spielfeld. Am Spielfeldende stellen sich die anderen Kinder auf. Das einschauende Kind sagt laut : »Der Hase läuft über das Feld !« Dies kann sehr schnell ausgesprochen werden oder auch langsam oder mit kurzen Pausen zwischen den Wörtern. Beim ersten Wort beginnen die Kinder loszulaufen. Nach dem letzten Wort dreht das einschauende Kind sich um. Nun müssen alle Kinder erstarren. Wen der Sprecher jetzt noch in Bewegung sieht , den schickt er zurück an den Start. Schafft es ein Kind bis zum Einschauplatz , ist es als Nächstes dran. 102

Vom Versteinern und von Riesenschritten

Die laufenden Kinder stellen in diesem Spiel die Hasen dar. Die Spielfläche ist das Feld , das einschauende Kind ist der Jäger. Variante : Ochs am Berg ; Zimmer , Küche , Kabinett ; Donner , Wetter , Blitz ; Kochlöffel , dreh dich um Statt »Der Hase läuft über das Feld« kann der Einschauende auch »Zimmer , Küche , Kabinett« , »Donner , Wetter , Blitz« , »Kochlöffel , dreh dich um« oder »Ochs am Berg« sagen. Die Spielregeln sind dieselben , lediglich der Spruch ändert sich.

p Feuer , Wasser , Sturm

Erklärt von Christian Blumenschein aus Waldneukirchen. Einer aus der Gruppe wird auserwählt und muss eines der folgenden Ereignisse ankündigen : Feuer , Wasser , Sturm oder Blitz. Hat er ein Ereignis angekündigt , müssen die Kinder die passenden Aktionen ausführen : Feuer : flach auf den Boden legen Wasser : auf einen Gegenstand klettern ( Sessel , Tisch … ) Sturm : sich an einem Gegenstand festhalten Blitz : so klein wie möglich auf den Boden hocken Nach jeder Aktion wird derjenige , der die Aktion falsch oder zu spät ausführt , aus dem Spiel genommen. Das Spiel geht so lange weiter , bis nur mehr einer übrig ist. Er ist der neue Ansager.

p Schneider , leih ma d’Scher

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser.

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Zimmer  , Küche  , Kabinett

Idealer Spielort ist ein Obstgarten mit einigen Bäumen. Wichtig ist , dass die Plätze zum Wechseln etwa vier , fünf Schritte voneinander entfernt sind. Alle Kinder bis auf eines stellen sich kreisförmig an den einzelnen Bäumen auf und halten sich mit einer Hand daran fest. Ein Kind , das vorher ausgezählt oder bestimmt wurde , spricht nun ein anderes Kind an : »Schneider , leih ma d’Scher !« Das angesprochene Kind schickt den Bittsteller zum Nächsten , indem es sagt : »Geh zum Nachbarn !« Inzwischen tauschen die Kinder hinter dem Rücken des Herumgehenden ihre Standplätze. Nun versucht auch das »baumlose« Kind , einen unbesetzten Baum zu erwischen. Gelingt ihm dies , wird das übrig gebliebene Kind zum neuen Bittsteller : »Schneider , leih ma d’Scher !«

p Figuren werfen

Erklärt von Theresia Achleitner aus Wels Ein Kind wird als Werfer bestimmt. Es hat die Aufgabe , ein Kind nach dem anderen an der Hand zu nehmen , sich mit ihm zu drehen und es dann von sich zu »schleudern«. Das »geworfene« Kind soll nun in einer möglichst ausgefallenen Stellung wie versteinert verharren. Es darf die Glieder verrenken , lustige Grimassen schneiden – je origineller und grotesker die Figur ist , desto lustiger gestaltet sich das Spiel. Der Werfer fordert die Figuren auf : »Bewegt euch !« Wer das am Lustigsten macht , wird von ihm zu seinem Nachfolger bestimmt. Variante : Ein weiteres Kind , der »Käufer« , kommt hinzu. Es geht von Figur zu Figur und macht lustige Bemerkungen , die die Figur zum Lachen bringen sollen. Lacht eine Figur , ist sie wieder »lebendig« geworden und scheidet aus. Sieger ist jene Figur , die zuletzt noch starr und ernst da steht. Sie wird nun Käufer. Der Käufer wird zum Werfer.

104

Himmel und Höll’  – Vom Hüpfen und Springen

»Bockspringen« 105

H

Himmel und Höll ’

üpfen macht Spaß ! Kaum kann ein Kind laufen , fängt es an zu hopsen und zu springen. Ohne dass es ihm jemand beigebracht hat , merkt jedes Kleinkind schnell , wie lustig es ist , in die Höhe zu hüpfen , herumzuhopsen oder über kleine Hindernisse zu springen. Stellt man eine Hüpf burg oder ein Trampolin auf , füllt es sich schnell mit Kindern , die daran ihre Freude haben. Kinder suchen seit jeher Gelegenheiten , um zu springen und zu hüpfen. Jeder , der am Land aufgewachsen ist , als es noch Heuhaufen statt Plastik-Heuballen und Heuböden voll duftenden Heus statt Heusilos gab , weiß , welchen Genuss und welche Freude es bereitet , im Heu zu springen und zu hüpfen. Ein Steirer erinnert sich an herrliche Sommer seiner Kindheit , in der »Heuhupfen« angesagt war : »Unser Nachbar , ein Bauer , hatte eine Wiese in einer Hanglage. Wenn er dort seine Heuhaufen errichtet hat , dann sind wir Kinder von oben angelaufen und in den Heuhaufen hineingesprungen. Und wieder hinauf , angelaufen und ins Heu hineingesprungen ! Spielzeug , das die Kinder in der Stadt gehabt haben , ist uns gar nicht abgegangen , denn unsere Umgebung war so vielfältig , so wunderbar zum Spielen !« Springen und Hüpfen ist Freude und Lebenslust pur. Muss ein Fotograf als Motiv einen glücklichen Menschen abbilden , dann würde er ihn wohl einen Luftsprung machen lassen. Auch unsere Sprache drückt aus , dass man »vor Freude in die Luft springt« oder dass »das Herz vor Freude hüpft«. Wie sehr auch Erwachsenen das Hüpfen Spaß macht , merken wir beim Tanzen. Jeder Tänzer , den es bei den ersten Takten einer Polka nicht mehr am Sessel hält , weiß , dass Tanzen glücklich macht. Gerade die typischen Hüpfschritte und Hüpfer der Polka erinnern an kleine Luftsprünge. Hüpf- und Springspiele gehören zu den ältesten Spielen überhaupt , auch weil sie verblüffend einfach und unterhaltsam zugleich sind. Auf Bruegels Bild spielen sechs Buben »Bockspringen«. Drei Buben bücken sich nach vorne und stützen sich mit den Händen an den Beinen ab. Drei andere sind gerade dabei , als Bockspringer über die Mitspieler zu springen. Allerdings spielen diese Kinder eine schwierigere Variante des Sprungspiels , 106

Vom Hüpfen und Springen

Dieses Spiel heißt »Hupf auf d’Höh !« Auf ein bestimmtes Wort des gesungenen Ringelreihverses springen alle in die Höhe.

da die gebückten Knaben nicht in Laufrichtung , sondern seitlich stehen. So muss der Springer seine Beine weiter grätschen und gut Anlauf nehmen. Normalerweise stehen die Teilnehmer einfach hintereinander , springen und lösen sich beim Bücken und Springen ab. Der »Bock« ist hier übrigens nicht der Gebückte , sondern der Springer. Er ahmt mit seinem Sprung das wilde Hüpfen eines Ziegenbocks nach. Im Englischen heißt das Spiel »Froschhüpfen« ( Leapfrog ), weil der Sprung dem Hüpfen eines Frosches ähnelt. Einen besonders schönen Namen aber hat dieses Spiel in Island. Dort wird es als »Delfinlaufen« bezeichnet , weil die Sprünge nach Meinung der Isländer an einen Delfin erinnern , der aus dem Wasser springt. Dieses Kinderspiel fand als »Bocksprung« sogar Eingang in den Turnunterricht und in den Sport. Der »Sprungbock« ist ein mehr oder weniger gefürchtetes Turngerät , das nur mit schnellem Anlauf , richtigem Absprung und guter Technik bewältigt werden kann. Hier geht es in erster Linie um Sprungstärke , weniger um Spaß und schon gar nicht um Spiel. 107

Himmel und Höll ’

Ganz anders eine offensichtlich sehr unterhaltsame , aber auch etwas derbe Variante dieses Spiels , von dem mir eine in Slowenien aufgewachsene Frau erzählte. Mit Begeisterung berichtete sie , wie lustig »Bockspringen« in ihrer Kindheit gewesen war. Es ging so : »Ein paar Kinder standen gebückt und einander festhaltend mit gesenktem Kopf da. Die anderen sind dann wie Reiter auf den Rücken der gebückten Kinder drauf gesprungen , einer nach dem anderen , bis ein ganzes Knäuel an Kindern da war. Ich kann gar nicht beschreiben , wie lustig das für uns war , vor allem , wenn die ganze Partie am Boden gelandet ist. Wir hatten so großen Spaß !« Diese Kinder kannten vielleicht nicht den normalen Ablauf beim »Bockspringen« , bei dem ein Teilnehmer mit gegrätschten Beinen über den Gebückten springt. Wahrscheinlicher ist jedoch , dass sie sie sich einfach dagegen entschieden haben , weil ihnen ihre eigene Version viel mehr Spaß machte. Vielleicht spielten diese slowenischen Kinder aber auch eine sehr alte , heute fast vergessene Form des Bockspringens. Dabei springen die Kinder nicht wie üblich über den gebückten Mitspieler hinweg , sondern auf zwei , drei gebückt stehende Kinder drauf. Diese Kinder , die sich aneinander festhalten , sind der »Bock« , die anderen springen der Reihe nach auf sie , so lange , bis der Bock umfällt. Sieger ist , wer die meisten Reiter tragen kann. Dieses »handfeste« Variante des Bockspringens ist auch auf Bruegels Bild dargestellt und heißt dort vermutlich »Bock – steh – fest«. Ein paar große , kräftige Buben spielen dieses Reiter-Hüpf-Spiel und haben offensichtlich viel Spaß dabei. Wir würden heute sicher zögern , ein solches Spiel Kindern anzubieten. Nicht nur die Verletzungsgefahr , sondern auch der etwas derbe Spielverlauf würde uns davon abhalten. Die Kinder , die dieses Spiel noch in den 1950er-Jahren gespielt haben , und vermutlich auch ihre Eltern , hatten damit aber offensichtlich kein Problem. Der Grund mag einerseits darin liegen , dass Kinder damals weniger behütet als heute aufwuchsen , andererseits aber auch an der größeren körperlichen Fitness und Geschicklichkeit. Wie als Beweis dafür , berichtete meine Gesprächspartnerin nicht nur vom lustigen »Bockspringen« , sondern auch von einem waghalsigen Manöver , das sie und ihre drei Geschwister regelmäßig am Schulweg vollführten : »Wir waren vier Kinder , aber nur einer von uns hatte ein Fahrrad. Der Bruder ist auf seinem Rad von zu Hause weggefahren und kaum , 108

Vom Hüpfen und Springen

Viele Hüpf- und Springspiele waren reine Mädchenspiele. Schnurspringen , Gummihüpfen und Tempelhüpfen waren »Menscherspiele« , bei denen höchstens kleine Buben mitspielen durften.

dass wir außer Sichtweite des Elternhauses waren , haben wir uns alle vier aufs Rad gesetzt. Wir sind auf dem Lenker , der Stange , dem Gepäckträger und sonstwo gesessen und so sind wir dann gefahren. Ich weiß auch nicht mehr , wie das gegangen ist , aber es hat irgendwie funktioniert !« Ein reines Mädchenspiel war das Springen mit der Schnur. Warum ? Das konnten mir meine Gesprächspartner nicht beantworten. Es war eben so. Im Schulhof haben die Mädchen in der Pause »Schnurspringen« gespielt. Und was haben die Buben derweil gemacht ? Die augenzwinkernde Antwort der Herren : »Die Menscher seckiert !« Auch das »Gummihupfen« , ein relativ neues Spiel , das erst in den 1960er-Jahren auftauchte , blieb den Mädchen vorbehalten. Mittlerweile heißt das Schnurspringen als Trendsportart »Rope skipping«. Allerding wäre es fast nicht soweit gekommen , denn sein »Erfinder« , der Footballspieler Richard »Mr. C« Cendali war anfangs auch der 109

Himmel und Höll ’

Meinung : »Schnurspringen ist nur etwas für Mädchen !« Sein Trainer hatte ihn aufgefordert an seiner Kondition zu arbeiten : »Du kannst wählen , ob du eine Stunde lang die Treppenstufen des Stadions rauf- und runterlaufen möchtest oder ob du 15 Minuten lang Seil springst.« Cendali begann mit Treppenlaufen. Als es aber zu schneien begann , traute er sich doch an die »Mädchensportart«. Es machte ihm so viel Spaß , dass er Tricks , neue Sprünge und Kombinationen erfand – »Rope skipping« war geboren. Im Prinzip ist es genau das , was die Mädchen früher beim Schnurspringen und beim »Gummihüpfen« machten. Auch sie kannten viele Kombinationen und Sprungmöglichkeiten : Mit beiden oder mit einem Bein hüpfend , im Laufschritt , im Sprunge drehend , gegrätscht , überkreuzt. Zwei Mädchen hielten das Schwungseil , eines hüpfte. Dazu wurden Sprüche aufgesagt , die Rhythmus und Sprungvarianten vorgaben : »Teddybär , Teddybär , dreh dich um , Teddybär , Teddybär , zeig deinen Fuß , Teddybär , Teddybär , mach dich krumm.« Auch »Tempelhupfen« war ein Mädchenspiel. Manchmal spielten kleinere Buben mit , aber meist waren die Mädchen unter sich. Die Spielregeln sind scheinbar einfach : Ein Grundriss wird auf den Boden gezeichnet , man wirft einen Stein und hüpft. Man benötigt nicht einmal eine Kreide , um das Spielfeld zu zeichnen , eine Glas- oder Tonscherbe tut es auch. Notfalls kann man die Kästchen auch in einen lehmigen Boden einfach einritzen – dazu einen flachen Stein oder einen anderen kleinen Wurfgegenstand und schon konnte es losgehen ! Doch die Spielregeln sind nicht nur von Land zu Land verschieden , sie variieren in Österreich auch von Region zu Region , fast von Dorf zu Dorf. Tatsächlich wissen von all diesen Varianten nur mehr ältere Menschen oder jene , die sich von Berufs wegen mit Spielen befassen. Allein die Grundrisse des Spiels , also die durchnummerierten Spielfelder , sind fast unendlich variabel. Mal gibt es neun , mal zehn , mal nur sieben Spielfelder. Die Anordnung der Felder hintereinander , nebeneinander und manchmal auch quer gegenüber variiert , ebenso die »Existenz« eines »Himmels« statt eines Nummernfeldes am Ende der Spielfeldes oder der »Hölle« am Spielanfang. Manchmal sind die Spielfelder nicht nummeriert , sondern heißen nach den Wochentagen : Montag bis Sonntag. Manchmal sind die Spielfelder nicht eckig , sondern rund und das Spiel heißt dann »Knödelhupfen«. 110

Vom Hüpfen und Springen Der Grundriss für das »Kastlhupfen« wurde oft mit einer Scherbe in den flachgetretenen , ebenen Boden geritzt.

Das Spiel wird auch »Mandlhupfen« , »Kastlhupfen« , »Himmel und Höll’« , »Scherberlhupfen« oder »Stoanlhupfen« genannt. Beinah jedes Dorf hatte seinen eigenen Namen für das Spiel und voneinander abweichende Spielregeln. In Großpetersdorf im Burgenland nannte man es »Himmelhupfn« , in Woppendorf »Pitschnhupfn« und in Willersdorf »Lumpfn«7. Ulrike Fürst-Telsnig , die viele alte Spiele in ihrer Physiotherapiepraxis als Übung für ihre Therapiekinder verwendet , machte mich darauf aufmerksam , dass es in der Gegend des Klosters St. Lambrecht eine Besonderheit gibt. Hier gibt es zwischen den Feldern »Himmel« und »Hölle« ein Feld »Kloster« ! Doch nochmals zu den Regeln , eigentlich ist das Spiel sehr einfach. Entweder wirft man ein Steinchen und schubst es mit dem Bein hüpfend von Feld zu Feld oder man hüpft über den Grundriss und hebt den Stein am Rückweg auf. Der Direktor des Schweizer Spielzeugmuseums in La-Tour-de-Peilz , Ulrich Schäfer , beobachtete eine Mutter und ihre Tochter am Ufer des Genfer Sees beim vergeblichen Versuch , dieses alte Kinderspiel zu spielen.8 7 Adalbert Klier , Karl M. Klier : Lieder , Reime und Spiele der Kinder im Burgenland. Eisenstadt 1957. S. 243. 8 Ulrich Schäfer : Vertreibung aus dem Paradies ? Über das Tempelhupfen. In : Spiele der Stadt. Katalog zur 384. Sonderausstellung des Wien Museums. Wien , New York 2012. S. 44 ff. 111

Himmel und Höll ’ Dieses Mädchen dreht sich im »Himmel« mit einem Hüpfsprung beidbeinig um.

Das vielleicht 8-jährige Mädchen zeichnet mit einer Kreide eine Reihe von Kästchen auf den Asphalt. Es ist sehr unsicher und auch die Mutter ist ratlos. Schließlich haben sie einen Spielplan gezeichnet , der aber nicht recht zu stimmen scheint. Das Mädchen hüpft auf einem Bein von Kästchen zu Kästchen. Irgendwie merken die beiden , dass das Ganze so nicht stimmt und reichlich langweilig ist. Schäfer kann die traurige Szene so nicht mehr mitansehen und bietet seine Hilfe an. Nun , endlich kommt das Aha-Erlebnis : Schäfer korrigiert die Kästchen und erklärt das Spiel. Auf einmal ist das Spiel nicht mehr fad , sondern lustig und spannend. Eine alltägliche Szene , die doch mehr aussagt , als auf den ersten Blick ersichtlich ist : Hier gerät ein Spiel in Vergessenheit , dass einst ein »Klassiker« auf den Schulhöfen und auf den Straßen war. Man nennt es auch »Paradiesspiel« , »Himmel und Höll’« , in Deutschland »Hickelkasten« , auf Niederländisch »Hinkelbaan« , auf Italienisch »Gioco della Campagna« oder »Gioco del Paradiso« , im Englischen »Hopscotch« und auf Französisch »Marelle«. Man kennt das Spiel sowohl in Kuba als auch in Burma , in den USA genauso wie in Afrika. Das Spiel ist sehr alt , schon auf dem Boden des Forum Romanum im antiken Rom fand man eines der ältesten Grundriss-Muster dieses Spiels. Heute sieht man kaum noch die typischen Kreidezeichnungen auf dem Asphalt der Gehwege und in den Innenhöfen. Nicht nur der zunehmen112

Vom Hüpfen und Springen

de Straßenverkehr hat Spiele dieser Art verdrängt , es waren die Kinder selbst , die irgendwann aufgehört haben , dieses Spiel voneinander zu lernen. Die Kette der Weitergabe des Wissens der Spielregeln wurde unterbrochen. Die jüngeren Kindern lernten nicht mehr von den älteren , wie man den Grundriss zeichnet und wie man »hupft«. Nicht mehr jedes Kind kann wie selbstverständlich »Tempelhupfen« , aber engagierte Kindergartenpädagogen und Volksschullehrerinnen , Eltern und Großeltern bemühen sich , gerade dieses Spiel »wiederzubeleben« , da es Konzentration , Koordination und Motorik wie kaum ein anderes fördert. Spielregeln für »Tempelhupfen« , »Himmel und Höll’« , »Stoanlhupfen« und »Meisterhupfen« : • Das Spielfeld wird mit Kreide oder einem Ziegelstein aufgezeichnet oder mit einer Tonscherbe , Glasscherbe oder Ähnlichem in den flachgetretenen Erdboden geritzt. • Gespielt wird mit einem flachen Stein , einer Glas- oder Tonscherbe , einem Holzstück oder einem Ziegelstück. • Zwei bis sechs Spieler. •  Fehler : mit dem zweiten Bein den Boden berühren , mit dem Fuß oder dem Stein einen Strich berühren , den Stein in ein falsches Feld werfen oder schupfen und je nach Spiel , auch wenn der Spieler die Hölle berührt.

p Tempelhupfen

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Zuerst wird ein kleiner Stein in das Spielfeld geworfen. In der ersten Runde wird der Stein auf das erste Feld geworfen , in der zweiten Runde auf das zweite Feld , in der dritten Runde auf

7

8 6

4

5 3

1

2 113

Himmel und Höll ’

das dritte Feld und so weiter. Springt jemand daneben oder trifft der Stein nicht das richtige Feld , ist das nächste Kind an der Reihe. Beim »Hinspringen« ( springen Richtung Himmel ) bleibt der Stein liegen , man darf aber das Feld , in dem er liegt , nicht betreten. Auf Feld eins und zwei wird breitbeinig gehüpft , auf drei mit einem Bein , auf vier und fünf wieder breitbeinig , auf sechs mit einem Bein , auf sieben und acht breitbeinig , im Himmel mit einem Hüpfsprung beidbeinig umdrehen. Beim »Zruckspringen« wird der Stein aufgehoben.

p Himmel und Höll’

Aus der Sammlung oberösterreichischer Kinderspiele von Otto Kampmüller.9 Der Spieler steht in der Hölle. Er wirft den Stein ins erste Feld , überspringt mit einem Bein das erste Feld , springt also gleich von der Hölle ins zweite Feld und 9 hüpft weiter. In den Doppelfeldern kann man mit beiden Beinen auftreten. Im Himmel macht man eine 8 7 Kehrtwendung und springt auf die gleiche Weise zu6 rück bis zum ersten Feld. Dort hebt man den Stein auf und springt zurück in die Hölle. 5 4 Nun geht’s in die zweite Runde : Der Stein wird ins zweite Feld geworfen. Man springt mit einem Bein 3 ins erste , überspringt das zweite Feld , springt ins dritte Feld und weiter wie bei der ersten Runde. 2 So geht es Runde für Runde – der Stein wird nacheinander in alle Felder geworfen. 1 Wer einen Fehler macht , muss unterbrechen und warten , bis die anderen Kinder ihre Hüpfübung absolHölle viert haben. Wenn er dann wieder an der Reihe ist , darf er die gleiche Übung noch einmal machen. Sieger ist , wer zuerst in den Himmel kommt , also alle neun Runden bis in den Himmel schafft ! Himmel

9 Otto Kampmüller : Oberösterreichische Kinderspiele. Linz 1965. S. 117. 114

Vom Hüpfen und Springen

p Stoanlhupfen

Aus der Sammlung burgenländischer Kinderspiele des Burgenländischen Landes­ museums.10 Man braucht : • 1 »Stoanl« ( Stein ) Das »Stoanl« wird in das erste Feld geworfen , dann auf 4 5 einem Bein hüpfend mit dem Fuß nacheinander in die Felder 2 bis 8 geschupft und schließlich aus der Figur 6 3 heraus geschupft. Dann folgt der Wurf in das zweite Feld und wieder7 2 um wird der Stein hüpfend auf einem Bein bis ins Feld acht und aus der Figur heraus gestoßen. 8 1 Wer einen Fehler macht , muss unterbrechen und es kommt ein anderes Kind dran. Wer es fehlerlos bis zur achten Runde geschafft hat , darf sich ein »Haus« bauen : Das »Stoanl« wird rückwärts in die Figur geworfen. Trifft der Spieler dabei auf ein Feld , darf er es markieren : Entweder mit einem Kreuz oder mit einem Haus ( Q uadrat mit einem rechten Winkel darüber als Dach ). Hier darf der Spieler beim Weiterspielen immer rasten , das heißt mit beiden Füßen stehen.

p Meisterhupfen

Nach den Aufzeichnungen von Pater Romuald Pramberger , St. Lambrecht , Be­ zirk Murau , 191911 Man braucht : In Prambergers Aufzeichnungen ist von 1 »Glasl« ( Glasscherben ) die Rede , man kann aber genauso gut mit flachen Steinen , Ziegelstücken oder Holzstücken spielen. 10 Adalbert Klier , Karl M. Klier : Lieder , Reime und Spiele der Kinder im Burgenland. Eisenstadt 1957. S. 246. 11 In : Der Letzte muß gefangen sein. Überlieferte Kinderspiele ausgewählt von Doris Sauer. Trautenfels 1990. S. 17. 115

Himmel und Höll ’

Himmelstüre

7

6

Kloster

4

5

Kloster

Hölle

3

Klasse

2

Klasse

Wer die Aufgabe fehlerlos schafft , ist »ausgeschult«. Beim zweiten Mal wird er »Gesell« und beim dritten Mal »Meister«. Wer zuerst Meister wird , hat gewonnen.

1

Klasse

8

9

7 5

X

6

4 2 1

Die Felder 1–3 heißen »Klassen« , Feld 4 die »Hölle« , Feld 5 und 6 »Kloster« , Feld 7 die »Himmelstür« und das letzte Feld der »Himmel«. Es wird immer auf einem Fuß gehüpft , nur im Himmel darf man auf beiden Füßen ausruhen. das »Glasl« wird in Feld 1 geworfen und von da an nur mit dem Fuß durch alle Felder der Reihe nach geschupft. Nur in Feld 4 darf es nicht liegenbleiben. Über dieses Feld wird auch hinweggehüpft. Weg hinauf : Feld 1 , 2 , 3 , 5 , 7 , Himmel hinunter : Feld 7 , 6 , 3 , 2 , 1

3

p Tempelhüpfen ohne Stein

Erklärt von Christian Blumenschein aus Waldneukir­ chen. In die Felder , die mit x gekennzeichnet sind , darf man nicht hineinsteigen. In Reihen mit einem Feld , darf man nur auf einem Bein hüpfen , in Reihen mit zwei Feldern darf man mit beiden Beinen auftreten. Verloren hat , wer in das falsche Feld steigt oder ein Feld auslässt. Gewonnen hat , wer das letzte Feld erreicht.

p Schnurspringen

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. 116

Vom Hüpfen und Springen

Man braucht : • ein etwa 4 Meter langes Seil Zwei Kinder stehen sich gegenüber und schwingen das Seil so , dass es sich permanent in einer großen kreisenden Bewegung befindet. Ein Kind steht in der Mitte und hüpft. Die das Seil schwingenden Kinder sagen dazu folgenden Spruch : »Teddybär , Teddybär , dreh dich um , Teddybär , Teddybär , mach dich krumm , Teddybär , Teddybär , zeig deinen Fuß , Teddybär , Teddybär , wie alt bist du ?« Das hüpfende Kind macht dazu die passenden Bewegungen ( Umdrehen , krümmen , Fuß herzeigen ). Nach den letzten Worten wird mitgezählt – je nachdem , wie oft dann noch ohne Fehler gehüpft wird – so alt ist der Teddybär , also man selbst.

p Bockspringen I

Wie es Pieter Bruegel 1560 im Bild »Die Kinderspiele« darstellte. Diese Art von Bockspringen erfordert mindestens zwei Teilnehmer , je mehr , desto besser. Ein oder mehrere Teilnehmer bücken sich nach vorne und stützen sich dabei mit den Händen an den Beinen ab. Man sollte versuchen , einen sicheren Stand zu haben. Die Kinder können sich in dieser Position hintereinander in einer geraden Reihe oder wie auf Bruegels Bild seitlich gebückt in einer Reihe aufstellen. Mit oder ohne Anlauf versucht nun der Bockspringer über den Mitspieler zu springen , indem er sich mit den Händen auf dessen Rücken ab117

Himmel und Höll ’

drückt und die Beine grätscht. So springt er der Reihe nach über die Rücken aller gebeugten Kinder und bückt sich am Ende selbst und setzt so die Reihe fort , während der Nächste springt.

p Bockspringen II

Erklärt von Christina Höber aus Graz. Ein Kind stellt sich gebückt , mit leicht gebeugten Knien , eingezogenem Kopf und auf den Oberschenkeln aufgestützten Händen hin. Ein zweites , eventuell noch ein drittes Kind tritt dazu , umfasst den Vordermann mit den Armen und stellt sich auf die gleiche Art hin. Wichtig ist , dass sich die Kinder aneinander anhalten und dicht hintereinander stehen. Ein Kind nach dem anderen nimmt nun Anlauf und versucht , auf den »Bock« zu springen und oben sitzen zu bleiben. Nach einer Weile wechselt man ab und andere Kinder sind nun das »Pferd« oder der »Bock« , auf den man aufspringen muss. Selbstverständlich soll man darauf achten , dass niemals größere und schwerere Kinder springen. Im Zweifelsfall können diese nur die Rolle des »Bocks« einnehmen.

118

Räuber und Gendarm – Vom Suchen und Verstecken

»Verstecken spielen« 119

»

Räuber und Gendarm

Räuber und Gendarm« ist ein aufregendes und wildes Spiel. Die Kinder klettern auf Bäume , um das Gelände auszukundschaften. Sie verstecken sich und nehmen Gefangene. Befreier schleichen sich an , während ein anderer Räuber die Wache ablenkt. Dieses Spiel wird im Gelände gespielt , in Wäldern , in Auen , auf verwilderten »Gstettn« , auch auf Dorfstraßen – kurz , überall dort , wo es Gebüsch , hohes Gras , Mauern , Schlupfwinkel und Rückzugsmöglichkeiten gibt. Auf Österreichisch heißt das Spiel »Rauwa und Schandi« und erinnert an die Zeit , als es noch Gendarmen gab , liebevoll »Schandi« genannt. »Räuber und Schandi« gehörte zu einem »Buamerleben« genauso dazu wie das »Indianerspiel«. Mehr noch als bei »Räuber und Gendarm« ging es hier um Revierkämpfe. Ein Eisenerzer , geb. 1939 , erinnert sich : »Unser Leben hat sich auf der Straße abgespielt. Da waren die Fichtenstraße , die Föhrenstraße , die Tannenstraße und die Lerchenstraße. Straße gegen Straße hat es Kämpfe gegeben. Beim Indianerspielen haben wir ausgemacht : ›Die werden heute angegriffen !‹ Wenn die Föhrenstraße in ihrem Revier ein Baumhüttl gebaut hat , dann ist das halt einmal wieder angegriffen worden. Und dann hat die Fichtenstraße gegen die Föhrenstraße gekämpft. Einer hat immer die Führungsrolle übernommen , das war der Häuptling , und dann hat es sogar häuserweise Kämpfe gegeben. Die Kämpfe waren natürlich harmlos , aber spannend war es trotzdem !« »Abschlagen« , »Abpracken« , »Abpassen« , »1 , 2 , 3 , angschlagen« , »Verstecken spielen« – es geht immer darum : Man versteckt sich , wird gefunden , dann vielleicht befreit oder man erlöst sich selbst am Abschlagplatz – die Spannung bei diesem Spiel lässt keine Minute nach. Immer gibt es einen Jäger , einen Suchenden , der gewisse Spielregeln einhalten muss , bevor er losrennt. Zuerst aber kommt es beim »Einschauen« zum Countdown : »Eins , zwei , drei , vier , fünf , sechs , sieben , acht , neun , zehn , ich komme !« Bevor es soweit ist , wird der Suchende durch einen Auszählreim bestimmt. Auszählreime sind eine Art Zufallsgenerator – wen es trifft , der scheidet aus : »Und draußt bist du !« Übrig bleibt der Einschauer , Sucher oder Fänger – je nachdem , welches Spiel gespielt wurde. 120

Vom Suchen und Verstecken Buben klettern über eine Absperrung. Der reißfesten Lederhose kann auch der Stacheldraht nur wenig anhaben. Dieses Bild entstand zwischen 1933 und 1937 in Wien

Viele Auszählreime sind kleine Kunstwerke. Da werden Geschichten erzählt , Fantasiesprachen erfunden und Erlebnisse und Erfahrungen der Kinder verarbeitet. Ri , ra , ru – picka , pocka , nei – ene , mene – wiga , waga , hei – atsche , batsche , bitsche , batsche – rische , rasche – wie schön hört sich das an ! Wir wissen nicht , was es bedeutet – das macht auch nichts , denn viel wichtiger als der Inhalt ist der Rhythmus des Abzählreims. Man sagt den Reim in raschem Rhythmus auf , erst die letzten Worte werden langsamer und mit einer Pause dazwischen gesprochen : »1 , 2 , 3 , rische , rasche , rei , rische , rasche , Zaubertasche – du – bist – frei !« Abzählreime sind oft Kauderwelsch. Das heiß aber nicht , dass sie nicht ursprünglich einen Sinn gehabt hätten. Sehr schön sieht man das am Abzählreim »Am , dam , des« , der auch der Titel einer sehr beliebten Kindersendung im Fernsehen war. Der ganze Reim lautet : »Am , dam , des , disse male press , disse malle pumperness , am , dam , des.« So oder ungefähr so wurde er im deutschen Sprachraum aufgesagt. Ursprünglich aber war er ein tschechischer Abzählreim , der durchaus Sinn machte : »Am , dam , des , ty jsi malý pes , ty jsi malý pumprnes , am , dam , des.« Dies bedeutet : »Am , dam , des , du bist ein kleines Hündchen , du bist ein kleiner Pumperness , am , dam , des.« Eine der reizendsten Abzählreime ist dieser , der mir aus Oberösterreich berichtet wurde : »Zwetschgenpofesen , wo bist so lang gwesn , im Himmel 121

Räuber und Gendarm

drei Wochen , Maria tat kochen , die Engerl toan schlecka , kimmt da Petrus mit’m Stecka , klopft auffi auf d’Fingern , dass nimmer schlecka kinnan.« Herrlich auch die überlieferte Geschichte vom Mandl mit dem staubigen Hutl , das hier plötzlich – ganz modern – einen »Fünfundzwanziger« auf seiner Kappe trägt : »1 , 2 , 3 , picke , packe , mei , picke , packe , Pfannenstiel , sitzt a Mandl auf der Mühl , hat a staubigs Hüatl auf und an Fünfundzwanzger drauf , kimmt a oida Widder , stoßt des Mandl nieder , kimmt a kloane Fledermaus , stellt des Mandl wieder auf !« Aber Abzählreime spiegeln auch den Alltag der Kinder wieder , der oft gar nicht idyllisch war. In den Versen ist die Rede von Alkoholmissbrauch und ledigen Kindern , um die sich niemand kümmert : »1 , 2 , 3 , 4 , auf dem Klavier , steht ein Glas Bier , wer daraus trinkt , der stinkt !« , »1 , 2 , 3 , auf der Polizei ist ein kleines Kind geboren , wie soll es heißen ? Katharina Rumpeltaschen. Wer wird ihr die Windeln waschen !«12 Als der Serienmörder Fritz Haarmann in den 1920er-Jahren sein Unwesen trieb , verarbeiteten die Kinder das auf ihre Weise in einem Abzählreim : »Warte , warte nur ein Weilchen , bald kommt der Haarmann auch zu dir , mit dem kleinen Hackebeilchen macht er Leberwurst aus dir.« Haarmann lockte seine Opfer in seine Behausung und zerlegte sie mit einem Beil. Das Gerücht , dass er die Leichen zu Wurst verarbeitet hätte , wollte nie verstummen. Technische Sensationen wie der Zeppelin oder die Dampfmaschine , Kriegserlebnisse , fremde Sprachen und auch traumatisierende Nachrichten , wie jene vom Mörder Haarmann – alles kann man in den alten Reimen wiederfinden. Wenn vor einem Spiel ausgezählt wurde , hatte jedes Kind eine Vielzahl an Reimen parat. Zur Not wurde ein bisschen gedichtet und schon war der Reim fertig : »An , tan , tinus , sakawedi , sakade , ella , bella , ella , bella , buff.«13 Nach dem Abzählen ging’s ans »Einschauen«. Derjenige , der durch den Abzählreim zum Fänger bestimmt wurde , musste nun sein Sprücherl laut 12 Adalbert Klier , Karl M. Klier : Lieder , Reime und Spiele der Kinder im Burgenland. Eisenstadt 1957. S. 192 ff. 13 Ernst Strouhal : »Wingerl , wangerl , Wuperzu …« In : Spiele der Stadt. Katalog. Wien Museum 2013. S. 55. 122

Vom Suchen und Verstecken

Unbebautes Land im städtischen Bereich , die klassische »Gstettn« , war ein Rückzugs- und Spielort für Kinder. Hier Kinder beim Kasperltheater – Spielen in Wien in den 1930er-Jahren.

vor sich hersagen. Die anderen Kinder wussten , dass sie so lange Zeit haben , um sich zu verstecken , solange der Einschauer spricht. Der entsprechende Auszählreim lautete etwa so : »Eins , zwei , drei , vier , Eckstein , alles muss versteckt sein , hinter meiner , vorder meiner gilt es nicht , eins , zwei , drei , ich komme nicht !« Dann hieß es »Eins , zwei , drei , vier , ich komme nicht !« Es wurde immer um eine Zahl weitergezählt , bis die Zahl zehn erreicht wurde. Dann hieß es : »Eins , zwei , drei , vier , fünf , sechs , sieben , acht , neun , zehn , ich komme !« »Hinter meiner , vorder meiner , links rechts güts nix …« So beginnt nicht nur einer der bekanntesten Abzählreime , sondern auch der Refrain des Austropop-Hits »Sein Köpferl im Sand« von Arik Brauer. Brauer , der Sohn eines Schuhmachers aus Ottakring , kannte nicht bloß diesen Reim , sondern sicher auch das dazugehörige Versteckspiel. Der »Einschauer« , der 123

Räuber und Gendarm

sein Gesicht mit beiden Händen abdeckt , der so gegen eine Mauer gelehnt bewusst nichts von seiner Umgebung wahrnimmt , wurde für Arik Brauer zum Synonym für Ignoranz und Wegschauen vom Leid der Welt. Vom Moment des »Einschauens« an herrschte aufgeregte Hektik. Jeder versuchte , das beste Versteck für sich zu finden. Es wurde gerufen : »Noch net !« oder »Gilt noch net !« Irgendwann aber mussten alle versteckt sein und man rief : »Geht schon !« Gefragt waren ausgefallene und kreative Verstecke. »Wir haben uns hinter offene Türen gezwängt oder sind in Kisten geschloffen. Auch im Heu konnte man sich gut eingraben !« Manches Kind hatte sich so gut versteckt , dass es überhaupt nicht entdeckt wurde. Eine Bauerntochter erinnert sich : »Ich hab mich einmal im Stall neben einer Kuh hingelegt. Das Versteck war so einmalig , dass sie mich nicht gefunden haben. Ich bin aber auch nicht herausgekommen ! Na , da bin ich eine Zeit lang im Kuhstall gelegen !« Jeder konnte nur noch hoffen , dass sein Versteck gut genug war , denn wurde er entdeckt , dann begann der Wettlauf um den »Anschlagplatz« : »Der Einschauer hat deinen Namen gerufen. Du bist sofort losgerannt. Auch der Einschauer ist losgerannt. Wenn es aber einer schafft , dass er als Erstes zur Anschlagstelle hing’langt , dann hat der gewonnen.« In dem Moment , in dem ein Versteckter gefunden wurde , wurde das Suchspiel zum Wettlauf zur Anschlagstelle , die identisch war mit dem Platz , wo eingeschaut wurde. War der Gefundene schneller beim Platz als der Sucher , schlug er an und rief : »Eins , zwei , drei , angschlagn !« , dann war er frei. War der Sucher zuerst beim Anschlagplatz , rief er den Namen des Gefundenen und dazu »Eins , zwei , drei , angschlagn !« , dann war dieser gefangen. Der Anschlagplatz war der umkämpfte Dreh- und Angelpunkt des ganzen Spiels , der über Freiheit oder Gefangennahme entschied. Dieser Platz war ein »Freimal« , eine »Freistätte« – jeder , der es dort hinschaffte , war frei. Rechtlich gesehen ist der Anschlagplatz nichts anderes als Asyl. Tatsächlich findet sich in diesem Kinderspiel noch ein Rest vom alten Asylrecht. Wem es nach diesem Recht gelang , vor seinen Verfolgern zu flüchten und rechtzeitig einen Asylpunkt , etwa einen Asylstein , zu erreichen , der war zumindest für einige Zeit sicher vor Rache und Gericht. Asylsteine finden sich auf Burgen , aber auch an vielen Kirchen. Manchmal war es ein Asylring , der jedem , der danach griff , Sicherheit gewährte. 124

Vom Suchen und Verstecken Schlupfwinkel und Verstecke ließen sich in Scheunen , auf Heuböden , hinter Bretterzäunen und Stalltüren finden. Hier die Ebenschweigerkinder in Weyern bei Gröbming im Ennstal.

Auch am Wiener Stephansdom finden wir beim Adlertor an der Nordseite einen eisernen Griff , der als »Asylring« diente. Er stammt aus der Zeit des Babenberger Herzogs Leopold , der bestimmte , dass jeder , dem die Flucht dorthin gelang , nicht ergriffen werden durfte. Im Volksmund nannte man diesen Schutzbereich »Leo« nach dem Herzog Leopold. Wie sehr sich dieses alte Recht im Kinderspiel wiederfindet , zeigt der Ausruf »Bin im Leo !« beim Anschlagen. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten riefen die Kinder in Wien : »Bin im Leo !« oder »Das ist Leopold !« , wenn sie den Abschlagplatz erreichten. Die Kinder bestimmen vor dem Spiel , wo der Platz sein soll. Das konnte ein Baum sein , ein markantes Mauerstück , eine Mauerecke oder die Stadelwand. In manchen Spielen wurde zusätzlich auf der Erde eine Linie gezogen , die den Freibereich genau abtrennte. Müde Spieler konnten sich dort ausruhen , wenn sie zu sehr gejagt wurden. Genau diesen Moment zeigt auch Bruegels Bild. Der Suchende hat den Entdeckten erwischt , bevor er das Freimal erreichte. Nur wird hier eine besondere , holländische Variante gespielt : Der Entdeckte muss in diesem Fall den Sucher bis zum Abschlagplatz tragen und danach selbst die Rolle des Suchers übernehmen. Die anderen Kinder , die auf der Treppe sitzen , sind wohl schon »frei« : Sie haben den Abschlagplatz rechtzeitig erreicht. Zu den Feinheiten dieses Spiels gehörte , dass die versteckten Kinder ständig das Spielgeschehen beobachten mussten. War der Fänger gerade weiter entfernt , konnten sie es riskieren , loszulaufen. Erreichten sie den Anschlagsplatz , waren sie frei. Der Fänger wiederum musste nicht nur die Verstecke suchen , sondern auch ständig darauf achten , ob sich nicht irgendwo einer aus seinem Versteck wagte. 125

Räuber und Gendarm

Suchen und Verstecken hat einen besonderen Reiz. Es ist unvorhersehbar , voll kalkuliertem Risiko , spannend und erlebnisreich. Es gibt Verfolgungsjagden , Anschleichaktionen , Beobachtung aus dem Hinterhalt , Gefangennahme und Befreiung. »Versteckenspielen« ist das Abenteuerspiel schlechthin – noch dazu gratis und ohne vor dem Computer zu sitzen.

p Auszählreime

Überliefert von Maria Mayer aus Linz , Maria Höfler aus Sarleinsbach , Frie­ da Andorfer aus Berg bei Hamet , Elisabeth Leskovar aus Gasen , Anna Hasi­ weder aus St. Peter am Hart , Margarete Edlmair aus Haid , Christian Blu­ menschein aus Waldneukirchen und Katharina Gattermaier aus Senftenbach. Eine kleine Spitzmaus , lief zum Rathaus , wollte sich was kaufen , hatte sich verlaufen , ri , ra , ru und drauß’ bist du ! 1 , 2 , 3 , Auf der Stiege liegt ein Ei , wer drauf tritt , der spielt nicht mit ! 1 , 2 , 3 , 4 , auf dem Klavier , steht ein Glas Bier , wer daraus trinkt , der stinkt !

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1 , 2 , 3 , picka , pocka , nei , picka , pocka , Besenstiel , sitzt a Manderl auf der Mühl , hat a schiefes Hüaterl auf , rundherum viel Federn drauf , Kikeriki , kikerikau , achte , neune , außi tau ! 1 , 2 , 3 picke , packe , mei , picke , packe , Pfannenstiel , sitzt a Mandl auf der Mühl , hat a staubigs Hüatl auf , und an Fünfundzwanzger drauf , kimmt a oida Widder , stoßt des Mandl nieder , kimmt a kloane Fledermaus , stellt des Mandl wieder auf !

Vom Suchen und Verstecken

1 , 2 , Polizei , 3 , 4 , Offizier , 5 , 6 , alte Hex , 7 , 8 , gute Nacht , 9 , 10 , schlafen gehen , 11 , 12 , heulen die Wölf ’ ! Zwetschgenpofesen , wo bist so lang gwesn , im Himmel drei Wochen , Maria tat kochen , die Engerl toan schlecka , kimmt da Petrus mit’m Stecka , klopft auffi auf d’Fingern , dass nimmer schlecka kinnan. Annamirl , Katzengschirrl , Mickeymaus und du bist drauß ! Eine kleine Mickeymaus , zieht sich ihre Hose aus , zieht sie wieder an , und du bist dran. Kaiser , König , Edelmann , Bürger , Bauer , Bettelmann , Schuster , Schneider , Leinenweber , Tischler , Gerber , Totengräber !

1 , 2 , 3 , 4 , 5 , 6 , 7 , eine alte Frau kocht Rüben , eine alte Frau kocht Speck , und du bist weg ! 1 , 2 , 3 , 4 , 5 , 6 , 7 , eine alte Frau kocht Rüben , eine alte Frau kocht Speck , schneidet sich den Finger weg , kommt der Doktor Hampelmann , näht den Finger wieder an , kommt die kleine Mickeymaus , reißt den Finger wieder aus. 1 , 2 , 3 , rische rasche rei , rische , rasche , Zaubertasche , du bist frei ! Ich und du , Müllers Kuh , Müllers Esel , der bist du ! 1 , 2 , 3 , und a Schieberl Heu , und a Schieberl Haberstroh , macht mei Rösserl gor so froh !

Kaiser , König , Edelmann , Bürger , Bauer , Bettelmann , Schuster , Schneider , Leinenweber , Friedhofsgärtner , Totengräber

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Räuber und Gendarm

Ene , mene , miste , rappelt in der Kiste , ene , mene , meck , und du bist weg , weg bist du noch lange nicht , du musst erst sagen , wie alt du bist , ( Das Kind nennt sein Alter , so weit wird gezählt. )

Ene , mene , ming , meng , ping , peng , ose , pose , pack er sich , eija , weija , weg ! Mei Voter hot g’sogt , di soll i nehma !

1 , 2 , 3 , 4 , 5 , 6 , 7 , sieben bist’ noch lange nicht , musst erst sagen , wie alt du bist. ( Das Kind nennt sein Alter , so weit wird gezählt. )

p 1 , 2 , 3 , angschlagn !

Erklärt von den Gesprächsrunden im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach und der Familie Hinterberger in Wimm bei St. Thomas. Auszählreim : Eins , zwei , drei , vier , Eckstein , alles muss versteckt sein , hinter meiner , vorder meiner gilt es nicht , eins , zwei , drei , ich komme nicht ! ( wiederholt und bei jeder Wiederholung um eine Zahl weitergezählt – so weit man es sich vorher ausmacht – bis maximal zehn ) eins , zwei , drei , vier , fünf , sechs , sieben , acht , neun , zehn , ich komme ! Durch den Auszählreim wird ein Kind bestimmt , einzuschauen. Es hält sich die Augen zu oder steht mit geschlossenen Augen gegen eine Wand 128

Vom Suchen und Verstecken

oder einen Baum und spricht laut den Auszählreim , während alle anderen Kinder sich verstecken. »Hinter meiner , vorder meiner gilt’s nicht« bedeutet übrigens , dass es nicht erlaubt ist , gleich neben dem Kind , das einschaut , zu warten , statt sich zu verstecken. Dann ruft der Einschauer : »Ich komme !« , und beginnt , die Versteckten zu suchen. Die Stelle , wo eingeschaut wurde , ist für alle Mitspielenden ein Freimal. Sobald der Sucher einen Versteckten gefunden hat , ruft er laut seinen Namen. Nun laufen beide im Wettlauf zum Freimal. Ist der entdeckte Spieler zuerst dort , schlägt er mit der Hand an und ruft : »Eins , zwei , drei , angschlagn !« Nun ist er frei. Ist der Sucher zuerst dort , ruft er den Namen des Gefundenen und ebenfalls : »Eins , zwei , drei , angschlagn !« Sobald der Sucher unterwegs ist , können die übrigen Spieler versuchen , unbemerkt zum Freimal zu gelangen und dort anzuschlagen. Der erste , der vom Sucher erwischt wird , muss als Nächstes einschauen. Haben aber alle vor dem Sucher angeschlagen , dann muss er noch einmal einschauen.

p Räuber und Gendarm

Erklärt von Christian Blumenschein aus Waldneukirchen. Es werden ein oder zwei Gendarmen ( Polizisten ) ausgewählt , der Rest sind die Räuber. Die Räuber verstecken sich im Gelände. Nach einer vereinbarten Zeit beginnen die Gendarmen zu suchen. Haben die Gendarmen einen Räuber gefunden , nehmen sie ihn gefangen und bringen ihn zu einem vorher ausgewählten Ort , dem Gefängnis. Aus dem Gefängnis können die Räuber durch Antippen wieder befreit werden. Allerdings haben die Räuber ( a lle zusammen ) nur drei Leben – es können also insgesamt nur drei Räuber befreit werden. Wenn alle Räuber gefangen sind , werden die ersten zwei ( die gefangen wurden ) die neuen Gendarmen.

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Pfitschigogerln und Putschögln – Vom Werfen und Treffen

»Wurfspiel mit Nüssen« 131

D

Pf itschigogerln und Putschögln

ie alten Wurfspiele sind eine Wiederentdeckung wert. Wer kennt heute noch Butakeln , Putschögln , Zweckschlagen , Plattlschupfen , Murmelspiele oder Sautreiben ? Man brauchte nicht viel dazu , einen zugespitzen Ast , einen Holzstecken , ein paar Ton- oder Glasmurmeln , eine leere Blechdose – und schon konnten die herrlichsten Wurf- und Laufspiele veranstaltet werden. Die Vielfalt dieser alten Spiele ist wunderbar und doch sind die Spielregeln heute schon fast vergessen. Das »Sautreiben« etwa , ein Vorläufer des Hockey , ist ein ungeheuer spannendes Spiel , das Reaktionsschnelligkeit und Geschick verlangt. Manche Spiele ähneln dem amerikanischen Baseball , etwa das »Ditschgerln« oder sehr entfernt auch das »Zweckschlagen« , weil auch hier mit Schlagholz ein kleiner Gegenstand , der »Zweck« , im Flug getroffen werden muss. Andere Spiele wie das Kärntner »Grassale Halten« oder das burgenländische »Stutztreiben« sind eine Mischung aus Laufspiel und Wurfspiel. Das Putschögeln , Potschogerln , Butakeln , Pickeln oder Pflöckln wiederum erinnert mit den zugespitzten Stecken , die mit voller Wucht , aber zielgenau geworfen werden , an archaische Jagdszenen. Praktisch jeder Bub im ländlichen Bereich kannte dieses Wurfspiel , jeder hatte seinen eigenen Putschögel dabei , und wenn nicht , dann schnitzte er sich bei Bedarf einen : »Du nimmst ein 30 oder 40 Zentimeter langes Holztrum , und spitzt es mit dem Messer vorne zu.« Wer einen guten »Pickel« oder »Putschögl« hatte , der war den anderen gegenüber stark im Vorteil. Da alle Burschen daheim bei der Holzarbeit helfen mussten , war das immer eine gute Gelegenheit , nach einem perfekten Ast Ausschau zu halten , der sich als Wurfgerät eignen könnte : »Kleine Äste waren nicht so gut , große Stückln waren besser. Die Burschen haben sich 30 , 40 Zentimeter lange Prügeln rausgeholt. Ideal war , wenn hinten ein ›Knopf‹ dran war , das heißt , eine Stelle , wo der Ast verwachsen war. So ein Knauf hat dann ein unwahrscheinliches Gewicht hinten gehabt und das waren die ganz starken Pickel. Wenn der dann so einen Prügel geworfen hat , der ist gesteckt ! Da hast du dir mit deinem Klumpert natürlich die Zähne ausgebissen.« 132

Vom Werfen und Treffen

Buben bei einem Wurfspiel in Wien in den 1930er-Jahren.

Das Spiel geht so : »Ein Bub haut den Putschögl fest in die Erde , der Nächste muss ihn schnoaten , das heißt umwerfen. Wenn er umgeworfen war , dann hast du ihn ›töten‹ müssen , das heißt den Putschögl noch einmal treffen. Dann ist es 1 :0 für dich gestanden !« Mein Gesprächspartner , der Sohn eines Bergmanns aus Eisenerz , fügte erklärend hinzu : »Das war eben ein Buamerspiel , so wie Kastlhupfen ein Menscherspiel war !« Auch ein Kärntner beschreibt dieses Spiel , er nannte es »Pickeln« , mit martialischen Worten : »Pickeln ist Krieg. Jeder hat seinen Pickel , so fest er kann , in die Erde gehaut. Je fester , desto mehr Chancen hat er gehabt , dass er den ganzen Krieg überlebt. Wenn ein Pickel schon schief in der Erde war , hat er eigentlich bereits als gestorben gegolten. Beim nächsten Treffer ist er umgeflogen.« Während die Burschen warfen , fielen Sprüche wie : »Der ist noch nicht gestorben , denn musst du jetzt hinrichten !« Es kam darauf an , seinen eigenen Pickel so hinzuwerfen , dass dieser sicher in der Erde steckt und gleichzeitig einen anderen traf. »Wenn du einen getroffen hast , aber selbst am 133

Pf itschigogerln und Putschögln

Boden liegen geblieben bist , dann bist eingegangen bei dem Kampf. Du hast müssen exekutieren und dabei überleben !« Der Wettkampf war hart und ungerecht , denn kleinere und jüngere Buben waren im Nachteil : »Die Großen waren natürlich immer interessiert , dass sie ein paar Deppen dabei gehabt haben. So sind sie schneller zu ihrem Erfolg gekommen. Aber als kleiner ›Bersch‹ hast du trotzdem immer geschaut , dass du bei den Großen mitspielen darfst. Denn nur so hast du dazugelernt und bist mit der Zeit besser geworden.« Dieses Spiel ist sehr alt. Schon die alten Griechen kannten es und nannten es »Kandalismos«. Dabei musste man mit einem zugespitzten Stock einen anderen , der schon in der Erde steckte , umwerfen , und zwar so , dass der eigene Stock sich dabei in die Erde bohrte und stecken blieb – also genau das Gleiche , das beim Putschögeln passiert. Einen Putschögl oder Pflöckl hatte nur , wer ein »Feitl« , ein Taschenmesser besaß. War ein Bub stolzer Besitzer eines eigenen Feitls , trug er das Messer stets bei sich. So verwundert es nicht , dass die Buben , hatten sie ein Taschenfeitl in der Hand , sich auch im Messerwerfen maßen. Vom »Messerlspiel« oder »Feitlpecken« gab es verschiedene Varianten. Aber alle laufen daraus hinaus , dass das offene Messer so geworfen wird , das die Spitze im Ziel stecken bleibt. Dabei warfen die Buben nicht nach Art der Messerwerfer im Zirkus quer durch den Raum , sondern eher von oben nach unten. Manchmal wurde das Messer auch so geworfen , dass es sich im Wurf einmal drehte oder andere Kunststücke machte. Beim »Feitlpecken« mussten verschiedene Figuren mit dem Messer geworfen werden. Ziel war ein Holzboden , ein größeres Brett oder eine Tischplatte. Die Figuren wurden unterschiedlich bewertet : »Wenn das Messer in einem rechten Winkel steckenbleibt , dann war das ein Fünfziger , bei 180 Grad ein Hunderter.« Man darf nicht vergessen , dass es Kinder waren , die derartige Spiele spielten. Dazu wieder mein Eisenerzer Gesprächspartner : »Heute heißt’s , ein Kind darf kein Messer und kein Feuer haben. Aber das ist falsch ! Es muss wissen , was ein Messer tut und was Feuer tut. Das muss er erfahren und erfahren kann er’s nur , wenn er es tut ! Er muss wissen , wie man das Messer halten muss beim Speermachen oder beim Bogenmachen. Das ist wichtig , damit er sich nicht weh tut.« 134

Vom Werfen und Treffen

Kinder beim »Aufplatteln«. Dabei versucht man flache Steine so oft wie möglich auf der Wasseroberfläche hüpfen zu lassen.

»Feitlpecken« und »Putschögeln« waren typische Burschenspiele , ebenso wie das »Stöckln« oder »Stockschmeißen« , ein Spiel aus dem Mühlviertel. Es handelt sich um ein Wurfspiel , bei dem genauso viele Münzen wie Teilnehmer auf einen Holzstock gelegt werden. Die Burschen versuchen nun , aus etwa 15 Metern Entfernung die Münzen zu treffen. Soweit klingt das Spiel noch harmlos. Der Wurfgegenstand war aber ein etwa 30 Zentimeter langer Nagel , der sogenannte Jochnagel , auf Mühlviertlerisch »Sößnagl«. Der Jochnagel diente einst dazu , das Ochsenjoch zu verriegeln. In aller Ruhe berichtete mein Gewährsmann Hans Höglinger aus Sarleinsbach : »Ja , ab und zu ist es schon gefährlich gewesen. Dann ist der Nagel aus Versehen einem Zuschauer auf den Kopf gsprungen !« Wer hier zuschaute , der musste eben gut aufpassen und im rechten Moment , wenn der Nagel in seine Richtung flog , geschickt ausweichen. Wem das Risiko zu groß war , der blieb zu Hause oder hielt sich in angemessener Entfernung auf. Hatte ein Bursch den Stock getroffen und die Münzen fielen zu Boden , dann gehörten jene , die mit »Kopf« auflagen , dem Werfer , die anderen wurden wieder auf den Stock gelegt. Gar nicht gefährlich hingegen waren die alten Mannschaftspiele , bei denen es um Werfen , Laufen und Treffen ging. Ihre Namen kennt heute 135

Pf itschigogerln und Putschögln

kaum noch jemand : »Grassale halten« , »Sautreiben« , »Bärltreiben« , »Pinzgerln« , »Ditschgerln« , »Zweckschlagen« , »Flohspiel« – bei all diesen Spielen geht es im Prinzip darum , mit einem Stock einen Gegenstand in der Luft oder am Boden zu treffen und ihn in eine bestimmte Richtung zu treiben. Die Spiele »Grassale halten« und »Sautreiben« erzählen sogar eine Geschichte : Ein »Halter« , also ein Viehhirte , muss auf das »Grassale« aufpassen. Oder : Ein »Sautreiber« muss die »Sau« in den »Saustall« treiben. »Sau« und »Grassale« werden in beiden Fällen von leeren Blechdosen dargestellt. Mitspieler möchten den »Sautreiber« und den »Grassalehalter« an ihrer Aufgabe hindern , gleichzeitig will aber niemand selbst »Halter« oder »Treiber« sein. Beide Spiele beinhalten Wettläufe , bei denen der Unterlegene die undankbare Aufgabe des »Viehhirten« übernehmen muss. Beide Spiele haben große Ähnlichkeiten mit Hockey. Jeder Spieler hat ein Schlagholz , mit dem die Blechdose weitergeschlagen wird. Als Vorläufer des Baseballs kann man hingegen Spiele wie »Pinzgerln« oder »Ditschgerln« , aber auch »Zweckschlagen« bezeichnen. Es gibt zwei Mannschaften : Angreifer und Verteidiger , sowie ein etwa 15 cm langes , an beiden Seiten zugespitztes Holzstück , das »Ditschgerl« oder »Pinzgerl«. Die angreifende Mannschaft schleudert das »Ditschgerl« ins Feld , die andern versuchen es im Flug mit einem Schlagholz zu treffen. Gelingt es nun einem Verteidiger , das »Ditschgerl« zu fangen , ist der Angreifer ausgeschieden und der nächste Angreifer kann sein Glück versuchen. Gelingt es den Verteidigern nicht , haben die Verteidiger eine zweite Möglichkeit , den Angreifer hinauszuwerfen : Das »Ditschgerl« wird nun von einem Abschlagspunkt vom Boden aus mit dem Schlagholz hochgeschleudert , in der Luft getroffen und so weit wie möglich nach vorne geschleudert. Für all diese Spiele gilt , dass sie in jeder Region , in jedem Bundesland andere Namen tragen. Was im Burgenland »Pinzgerln« heißt , nennt man in Niederösterreich »Ditschgerln« , was in der Steiermark mit »Sautreiben« bezeichnet , kennt man in Kärnten als »Grassale halten«. »Butakeln« in Neusiedl ist dasselbe wie »Pflöckln« in Oberösterreich und »Putschögeln« in der Steiermark. Richtig kompliziert wird es , wenn im Steirischen dasselbe Spiel manchmal als »Pfitschigogerln« bezeichnet wird , während man im restlichen Österreich unter »Pfitschigogerln« eine Art Tischfuß136

Vom Werfen und Treffen

Burschen beim »Putschögeln« in den 1950er-Jahren. Ein Bub zielt gerade mit seinem »Putschögl« , um den in der Erde befindlichen »Putschögl« seines Gegners zu treffen und umzuwerfen.

ball mit Münzen versteht – dies wiederum heißt in manchen Teilen der Steiermark »Zicken« oder »Schuberln«. Da möchte man fast sagen : »Du kannst mich pfitschigogerln !« , eine Redewendung , die vor allem in Wien , der Hauptstadt des »Pfitschigogerlns« bekannt ist. Für alle , die dieses Spiel nicht kennen , es ist eine Art Tischfußball mit zwei Münzen und einem Kamm oder Lineal. Dass dieses Spiel große Reaktionsfähigkeit erfordert , zeigt das Wort »pfitschi« an , das wir auch in »Pfitschipfeil« finden : Schnell wie ein »Pfitschipfeil« rast die Münze über den Tisch und landet , wenn gut gezielt wurde , im Tor des Gegners. In all den Interviews , die ich nun schon seit vielen Jahren führe , haben mir nie Frauen berichtet , dass sie als Mädchen solche Wurfspiele gespielt hätten. Sie haben eher Weidenkränze geflochten und versucht , damit ein Ziel zu treffen. Mädchen und Buben spielten hingegen gleichermaßen gerne »Aufplatteln« , also flache Steine auf Wasseroberflächen hüpfen zu lassen. Die Neusiedlerin Waltraud Moro erinnert sich an die Zeit , als es noch den ehemaligen Hafen zum Neusiedlersee gab : »Dort haben wir stundenlang 137

Pf itschigogerln und Putschögln

Steine in den Teich geworfen. Wer gut war , konnte fünf oder sechs Mal aufplatteln lassen. Wir haben sogar einen gehabt , bei dem ist der Stein bis zu zehn Mal gesprungen !« »Plattln« sind möglichst flache Steine. Ebenfalls aus dem Burgenland ist uns das »Plattlschupfen« überliefert , ein Spiel , bei dem mit Steinen auf Marillenkerne gezielt wird , die auf eine bestimmte Art hintereinander zu Häufchen geschlichtet wurden. Immer drei Kerne wurden nebeneinander im Dreieck gelegt und ein Vierter obendrauf. Mit »Plattln« versucht man nun möglichst viele dieser Haufen umzustoßen. Exakt das gleiche Spiel sehen wir bei Bruegel. Drei Buben sind völlig in ein Wurfspiel mit Nüssen vertieft. Drei Nüsse werden dabei nebeneinander gelegt und eine vierte Nuss wird oben draufgesetzt. Es werden so viele Haufen angelegt , wie Mitspieler vorhanden sind. Das Kind mit der roten Kopfbedeckung zielt gerade mit einer Nuss in Richtung eines Nusshaufens. Wenn es trifft , darf es die zerstreuten Nüsse behalten , wenn es nicht trifft , muss es einige von seinen Nüssen hergeben. Wohin mit den gewonnenen Nüssen ? Die Buben tragen Schürzen , allein zu dem Zweck , um darin die erspielten Nüsse zu sammeln. Pieter Bruegel kannte dieses Spiel vermutlich unter dem Namen »Hoopkens schieten« und bildete es 1560 ab. 400 Jahre später heißt es im Burgenland »Plattlschupfen« und wird statt mit Nüssen mit Marillenkernen und flachen Steinen gespielt. Spiele wie diese werden auf der ganzen Welt gespielt. Zum Erfolgsgeheimnis tragen neben einfachen , klaren Spielregeln und dem spannenden Wettbewerbscharakter vor allem eines bei : Nüsse oder Marillenkerne sind leicht zu bekommen ! Knöpfe , Knöchelchen , Steine , Fruchtkerne , Bohnen und Ähnliches waren auch für ärmere Kinder immer verfügbar. Schwieriger war die Materialbeschaffung bei einem anderen Wurfspiel , dem Murmelspiel. Wollte man aber »Kugerl scheiben« , also mit Murmeln spielen , musste man sich etwas einfallen lassen , falls man nicht genug Geld hatte , um sich die teuren Glasmurmeln zu kaufen. Ein paar Mühlviertler , die sich in den 40er- und 50er-Jahren als Buben keine Glasmurmeln leisten konnten , beschreiben , wie sie selbst Tonmurmeln hergestellt haben : »Aus Lehm haben wir uns selbst Kugeln gemacht. Da kannst du nicht jeden Lehm dafür nehmen , es muss der richtige Lehm sein , weil sonst die Kugeln nicht haltbar sind. Wir Kinder haben 138

Vom Werfen und Treffen

Die »Kegelstatt« des Trattlerbauern auf der Payeralm bei Stadl an der Mur. Hier wurde »Schmirageln« , ein traditionelles Wurfkegelspiel , gespielt.

gewusst , wo genau so ein ›Loahm‹ zu finden ist : Wir haben den gewissen Fleck gekannt , dort in der Gstettn auf dem ›Roa‹ , wo man den speziellen Lehm ausgraben kann. Daraus haben wir dann Kugeln geformt und sie im Ofen getrocknet. Zum Schluss haben wir sie noch mit Wasserfarben schön bemalt.« Die Buben wussten genau , wo sie geeigneten Ton für ihre Murmeln finden konnten. Diese lehmigen Stellen waren den Menschen in den Dörfern seit Generationen bekannt. Schon die Väter und Großväter hatten sich hier den »Loahm« für ihre Kugeln geholt. In manchen Gegenden wurden an solchen Plätzen auch »Loahmgruben« ausgehoben , um daraus selbstgebrannte Ziegel herzustellen. Dieselben Mühlviertler Buben recycelten alte Taschenlampenbatterien auf ihre Art. So entstanden zwar keine Murmelkugeln , dafür aber flache »Blattln« , die den Buben als Wurfgeschoße dienten : »Wir haben gewusst , dass in den Batterien Blei drin war. Deshalb haben wir immer schon ge139

Pf itschigogerln und Putschögln

Ein Pfadfinder aus Eschenau in Niederösterreich mit seinem »Pflock« oder »Putschögl«.

wartet , bis wieder einmal eine Batterie leer war. Dann haben wir aus den alten Batterien das Blei entfernt und in einem Häfen auf dem Ofen das Metall geschmolzen. Das flüssige Blei haben wir in kleinen Mengen in leere Hautcremedosen gegossen. So sind flache runde Blattln entstanden. Mit denen konnte man wunderbar weit werfen.« Doch zurück zu den Murmeln , die die Kinder »Kugerln« nannten. Eine Handvoll selbst hergestellte Murmelkugeln hatte immer in der Hosentasche eines Buben Platz. Wie viele andere Wurfspiele , war auch das Murmelspiel ein Bubenspiel. Selten spielten Mädchen mit. Ein paar Tonmurmeln gehörten zur »Grundausrüstung« der Knaben , die so jederzeit für ein kleines Murmelspiel bereit waren. So konnte auf jeder ebenen Fläche sofort ein Spiel ausgetragen werden : »Dann haben wir in die Erde kleine Gruben gemacht , die waren unser Ziel , dort haben wir die Kugeln hineingerollt. Wir haben dieses Spiel ›Kugerl scheiben‹ genannt. Der Sieger hat immer die Kugeln von den anderen behalten dürfen.« Der Ausdruck »scheiben« findet sich auch in »Kegel scheiben« und meint nicht einfach werfen , sondern eher rollen. Ein guter »Kugerlscheiber« warf die Murmel aus dem Handgelenk. 140

Vom Werfen und Treffen

Schlatzln , Schleatzn , Kugel scheiben , Marbl scheiben , Gitscheln , Grüberlschupfn – die Ausdrücke für das Murmelspiel sind herrlich vielfältig. Sie geben genau das lautmalerisch wieder , was beim Spiel passiert. Mit den Fingern schnipsen heißt etwa auf Kärnterisch »schleatzn«. Beim Murmelspiel wird nicht nur geworfen , sondern auch geschnipst und geschubst – also heißt auch das Spiel in manchen Regionen »Schlatzln« , »Schlezln« oder »Schleatzn« ! Gemeint war damit fast immer das Spiel mit Murmeln aus unglasiertem gebrannten Lehm , die man entweder selbst hergestellt oder billig beim Hafner gekauft hat. Nur selten hatten Kinder Steinkugeln , Marmorkugeln oder gar Glasmurmeln. Kam ein Kind dennoch einmal in den Besitz einer Glasmurmel , dann wurde das kostbare Stück wie ein Schatz gehütet. Der Altbauer Johann Kohlmayer aus Zödl bei Radenthein schwärmt heute noch von der Schönheit einer solchen Murmel : »Eines von uns Kindern hat eine große Glasmurmel besessen. Die war inwendig drinnen bunt verziert und viel schöner als die anderen ›Kigalan‹ aus Ton. So eine besondere Kugel ist mir seitdem nie wieder ›unterkemman‹ !«

p Weidenreifen werfen

Erklärt von Theresia Achleitner aus Wels. Man braucht : • 1 Weidenrutenkranz im Durchmesser von etwa 25 cm. Lassen sich die Weidenzweige nicht biegen , kann man sie ein paar Tage in Wasser einlegen , bevor man sie zu einem Kranz flicht. • Stecken oder Holzpflock , etwa 60 cm lang Ein Stecken oder Holzpflock wird in die Erde eingeschlagen. Die Kinder stellen sich in 2–5 Metern Entfernung auf und werfen mit dem Kranz nach dem Ziel. Jeder hat drei Versuche , dann ist der Nächste dran. Wer trifft , kommt in die nächste Runde. Wer übrig bleibt , ist Sieger.

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Pf itschigogerln und Putschögln

p Pfitschigogerln

Erklärt von Theresia Achleitner aus Wels. Man braucht : • 1 kleine Münze • pro Spieler 1 größere Münze und ein Lineal oder einen Kamm • Kreide , um das Tor aufzuzeichnen , oder Stäbchen , um das Tor zu legen • Tischplatte , auf der gespielt wird Auf einem Tisch wird an einem Ende mit Kreide ein Tor aufgezeichnet oder mit Stäbchen gelegt. In der Mitte des Tisches liegt eine kleine Münze , die den Ball darstellt. Nun muss ein Spieler nach dem anderen seine Münze auf den Tisch legen und mithilfe des Lineals oder Kamms so weit schnippen , dass sie die kleine Münze in das Tor schubst. Es gibt 5–10 Versuche pro Spieler , je nach Vereinbarung. Ein Spieler notiert die Tore. Der Spieler , der die meisten Tore erzielt , ist Sieger.

p Kreuzerlpecken

Erklärt von Karl Apfelmaier aus Bruck an der Mur. Man braucht : • pro Spieler 1 Münze • Kreide Auf dem Boden wird mit Kreide eine Linie von etwa zwei Metern gezogen. Die Spieler stellen sich in einem Abstand von ebenfalls zwei Metern von dieser Linie auf. Alle Spieler werfen vom selben Punkt aus. Die Spieler werfen ihre Münzen einer nach dem anderen so nah wie möglich an die Linie. Liegt die Münze eines Spielers bereits auf der Linie oder sehr nahe dran , werden die anderen versuchen , sie zu »pecken« , also mit ihrer eigenen Münze zu treffen und wegzuschubsen. Sieger ist , wessen Münze am nächsten der Linie liegt. 142

Vom Werfen und Treffen

p Zweckschlagen

Ein Wurfspiel , erklärt von Waltraud Moro aus Neusiedl. Man braucht : • 1 Zweck ( Holzstück , an beiden Seiten zugespitzt , etwa 15 cm lang , 5 cm Durchmesser ) • Pro Spieler 1 biegsamer Weidenstecken Es wird eine längliche Rinne im Boden ausgehoben , gerade so groß , dass man den Zweck quer darüberlegen kann. Die Grube dient dazu , dass der Spieler beim Schlag den Zweck von unten trifft und ihn herausschlagen kann. Der erste Spieler schleudert den Zweck mit seinem Stock möglichst weit weg. Er geht zu der Stelle , wo der Zweck am Boden gelandet ist , schlägt auf eine Spitze , sodass der Zweck in die Höhe springt , trifft ihn noch im Flug und schleudert ihn so weit wie möglich. Dies wiederholt sich so lange , bis der Spieler einen Fehler macht , also den Zweck in der Luft nicht trifft. Nun wird die Weite gemessen , die der Zweck von der Abschlagstelle entfernt liegt. Früher machte man dies mit Fußlängen : Die Strecke wurde mit den Füßen abgemessen. Ein Spieler nach dem anderen ist an der Reihe. Sieger ist derjenige , der den Zweck am weitesten fortgeschlagen hat.

p Putschögln

Erklärt von Norbert Rungaldier aus Riegersburg. Man braucht : • pro Spieler 1 Putschögl ( ein möglichst gerader , 40 cm langer , ev. entrindeter Holzpflock , an einem Ende zugespitzt ) Die Spieler stellen sich im Kreis auf. Jeder Mitspieler hat einen Putschögl. Nun wirft der Erste seinen Putschögl so fest in die Erde , dass er stecken

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Pf itschigogerln und Putschögln

Der angreifende Spieler stellt sich in Position : Er hält den Dögel unter das Ditschgerl. Mit dem Wort »Güts ?« erkundigt er sich , ob die Verteidiger bereit sind. Wenn diese mit »Güt !« antworten , versucht der Angreifer das Ditschgerl mit seinem Dögel möglichst weit zu schießen.

Gelingt es den Verteidigern nicht , das Ditschgerl zu fangen , haben sie eine zweite Möglichkeit , den Angreifer hinauszuwerfen : Am Abschlagspunkt wird ein Dögel quer über zwei Abschlagshölzer gelegt. Ein Verteidiger wirft nun mit einem Dögel nach dem am Abschlagspunkt liegenden Dögel. Trifft er ihn , ist der Angreifer ausgeschieden , der nächste Angreifer kann sein Glück versuchen.

bleibt. Jeder der anderen Spieler versucht seinen Stock so zu werfen , dass zwar der eigene Putschögl stecken bleibt , aber die der Gegner umfallen. Derjenige , dessen Putschögl getroffen wird und umfällt , scheidet aus dem Spiel aus. Das Spiel geht so lange weiter , bis nur mehr ein Spieler übrig bleibt.

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Vom Werfen und Treffen

p Potschogerln

Erklärt von Johann Stuhl aus Kapfenberg. Man braucht : • pro Spieler 1 Potschogel ( ein möglichst gerader , 40 cm langer , ev. entrindeter Holzpflock , an einem Ende zugespitzt ) • 1 längliches Holzstück , etwa 10 cm lang Die Spieler stehen im Kreis , jeder mit seinem Potschogel in der Hand. In der Mitte liegt das Holzstück. Ein Spieler nach dem anderen versucht nun mit seinem Potschogel , mit einem gezielten Wurf das Holzstücks so zu treffen , dass es »aufspringt«. Jeder Spieler hat drei Versuche. Spieler ohne Treffer scheiden aus , die anderen kommen in die nächste Runde. Sieger ist , wer zuletzt übrig bleibt.

p Ditschgerln

Nach Anleitung der Pfadfindergruppe Eschenau-Rotheau Man braucht : • 1 Ditschgerl : Ein etwa 15 cm langes und 5 cm starkes rundes Holzstück , entrindet und wenn möglich auf beiden Enden leicht abgeflacht. • 2 oder mehrere Dögel : Rundes Holzstück , ähnlich einem Baseballschläger mit ca. 50 cm Länge. Wichtig ist , dass sämtliche Dögel exakt dieselbe Länge haben ! • 2 Abschlagshölzer : 2 weitere etwa 15 cm lange und 5 cm starke runde Hölzer Zwei Mannschaften ab etwa 5 Mitspielern treten gegeneinander an und versuchen möglichst viele Punkte zu erreichen. Eine der beiden Mannschaften ist zunächst im Angriff , die andere versucht den Angriff abzuwehren. Ein Spieler der angreifenden Mannschaft 145

Pf itschigogerln und Putschögln

legt am Startpunkt die zwei Abschlagshölzer parallel im Abstand von etwa 10 cm vor sich auf den Boden. Das »Ditschgerl« wird nun im rechten Winkel quer darüber gelegt. Die verteidigenden Spieler verteilen sich am Spielfeld , sie versuchen in weiterer Folge das »Ditschgerl« zu fangen , bevor dieses den Boden berührt. Der angreifende Spieler nimmt einen »Dögel« und stellt sich hinter das Ditschgerl , den Dögel unter das Ditschgerl haltend. Mit dem Wort »güts ?« ( gilt es ? ) erkundigt er sich , ob die Verteidiger bereit sind. Wenn diese mit »güt !« ( g ilt ! ) antworten , versucht der Angreifer das Ditschgerl mit seinem Dögel möglichst weit zu schießen. Gelingt es einem Verteidiger , das Ditschgerl zu fangen , ist der Angreifer ausgeschieden. Gelingt es den Verteidigern nicht , haben die Verteidiger eine zweite Möglichkeit , den Angreifer hinauszuwerfen : Am Abschlagspunkt wird ein Dögel quer über zwei Abschlagshölzer gelegt. Ein Verteidiger wirft nun von dem Punkt aus , an welchem das Ditschgerl liegen geblieben ist , mit einem Dögel nach am Abschlagspunkt liegenden Dögel. Trifft er ihn , ist der Angreifer ausgeschieden , der nächste Angreifer kann sein Glück versuchen. Wirft der Verteidiger jedoch daneben , erhält der Angreifer die Möglichkeit zu punkten : Er legt am Abschlagspunkt ein Abschlagsholz quer vor sich , das Ditschgerl rechtwinkelig darüber , sodass die ins Spielfeld schauende Seite in der Luft ist. Dann schlägt der Angreifer mit seinem Dögel so auf das Ditschgerl , dass dieses ( vorwärts ) in die Luft fliegt , um dann sofort mit seinem Dögel das sich in der Luft befindliche Ditschgerl so weit als möglich nach vorne zu schlagen. Der Angreifer hat insgesamt drei Versuche und startet seinen neuen Versuch an dem Punkt , wo das Ditschgerl zum Liegen gekommen ist. Nach drei Versuchen stellt sich der Angreifer auf den letzten »Landepunkt« des Ditschgerls und muss nun die Entfernung zum Abschlagspunkt schätzen , dies jedoch nicht in Metern , sondern in Dögellängen. Aus diesem Grund ist es auch besonders wichtig , dass alle Dögel die gleiche Länge haben. Bei seiner Schätzung dürfen ihm seine Teamkollegen auf keinen Fall helfen.

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Vom Werfen und Treffen

Wenn der Angreifer seine Schätzung bekanntgegeben hat , kann die verteidigende Mannschaft die Schätzung annehmen , das angreifende Team erhält also die entsprechende Anzahl an Punkten. Wird die Schätzung allerdings angezweifelt , so wird mithilfe eines Dögels nachgemessen. Hat der Angreifer zu viele Dögellängen geschätzt , erhalten die Verteidiger die doppelte Zahl der ( falsch ) geschätzten Entfernung ; liegt er richtig , erhält das angreifende Team die doppelte Punktzahl. Nachdem nun der Angreifer seine Punkte gemacht hat , kommt der nächste Angreifer an die Reihe und kann entweder ebenfalls punkten oder ausscheiden. Wenn alle Angreifer an der Reihe waren , wechseln die beiden Teams ihre Rollen , die Verteidiger greifen nun an , die Angreifer verteidigen. Gewonnen hat das Team , welches nach der vorher vereinbarten Anzahl von Runden die meisten Punkte erreicht hat.

p Sautreiben

Eine Art Hockeyspiel , erklärt von Agnes Pessl aus Gasen. Man braucht : • Schlagholz oder Stecken , ca. 70 cm lang • 1 leere Blechdose Die Blechdose ist die »Sau«. Ein Mitspieler ist der »Sautreiber« , er steht außerhalb des Kreises. Die anderen Spieler stehen in einem Kreis von etwa 4 m Durchmesser um den »Saustall« , eine Grube von etwa 30 cm Durchmesser in der Kreismitte. Jeder Spieler hat vor sich ein »Haus« , ein Vertiefung in der Erde , in das er seinen Stock einstellen kann. Die Aufgabe des »Sautreibers« ist es , die »Sau« in den »Saustall« zu befördern. Die Hausbesitzer stellen ihren Schläger in ihr »Haus« und warten. Sie dürfen ihren Schläger dabei nicht auslassen. Das Spiel beginnt , indem ein Spieler die »Sau« möglichst weit vom »Saustall« wegwirft. Der Sautreiber rennt der »Sau« nach und treibt sie mit dem Stecken in Richtung »Saustall«. Kommt er in die Nähe des Krei147

Pf itschigogerln und Putschögln

ses , beginnt die Abwehr der »Hausbesitzer«. Dazu müssen sie den Schläger aus dem »Haus« nehmen und die »Sau« durch einen raschen Schlag wieder weit weg schleudern. Das muss schnell und flink gehen , denn der »Sautreiber« versucht , ein leeres »Haus« zu erwischen und seinen Stecken hineinzusetzen. Wenn ihm dies gelingt , werden die Rollen gewechselt. Gelingt es dem »Sautreiber« , die »Sau« in den »Saustall« zu befördern , dann müssen alle Spieler auf der Stelle ihre »Häuser« wechseln. Jeder , auch der »Sautreiber« versucht ein »Haus« zu ergattern. Der Spieler , der übrig bleibt , ist der neue »Sautreiber«. Gelingt es dem »Sautreiber« , einen der Mitspieler mit der »Sau« zu treffen , muss dieser nun »Sautreiber« sein. Berührt einer der Spieler die »Sau« mit den Händen , wird er als »Saumelker« verspottet. Dies hat aber keinen Einfluss auf den Spielablauf.

p Grassale halten

Erklärt von Hans Pertl , Kunstschmied in St. Oswald bei Bad Kleinkirchheim. Man braucht : • ein Brett , groß genug , um eine Konservendose daraufzustellen • eine leere Konservendose • einen Stein , um das Brett schräg zu stellen • pro Werfer einen »Knittel« , einen stärkeren Ast oder einen Stecken , etwa 60–80 cm lang Zuerst wird das Brett positioniert. Man legt es schräg auf einen Stein , sodass eine Art Schanze entsteht. Nun stellt man die Konservendose in den oberen Bereich der Rampe. Es wird ein »Grasselehalter« bestimmt , die anderen Spieler sind Werfer. Die Werfer stellen sich hintereinander in einem Abstand von 3–5 Metern zum »Grassale« auf. Der »Grassalehalter« steht in der Nähe des »Grassales« , allerdings weit genug weg , um nicht von einem »Knittel« getroffen zu werden. Der erste Werfer wirft nun seinen »Knittel« nach dem »Grassele«. Trifft er die Blechdose und rollt diese weg , muss der »Grassalehalter« sofort los148

Vom Werfen und Treffen

rennen , um die Dose so schnell wie möglich wieder an ihren Platz zurückzustellen. Auch der Werfer läuft nach seinem Wurf sofort los , um seinen »Knittel« wieder zu holen. Bei diesem Wettlauf nach jedem Wurf geht es darum , wer schneller ist. Der »Grasselehalter« möchte die Dose wieder auf das Brett zu stellen , bevor der Werfer seinen Stecken wieder in Händen hält. Gelingt ihm dies nicht , muss er so lange »Halter« bleiben , bis er einmal schneller ist.

p Kugerlscheiben

Erklärt von Ernst Moser und Hans Höglinger aus Sarleinsbach im Mühlviertel. Jeder Spieler braucht einige Murmeln , je mehr , desto besser , da er im Laufe des Spiels damit rechnen muss , einige seiner »Kugerl« zu verlieren. Gespielt wird auf einer möglichst flachen Ebene , auf einer Wiese oder einem Acker beispielsweise. Man gräbt mit dem Schuhabsatz eine kleine Mulde und stellt sich in einiger Entfernung zum Spiel auf. Nun beginnt das »Kugerlscheiben«. Einer nach dem anderen wirft seine Murmel nach der Grube. Der Erste , der trifft , ist Sieger. Er darf die Kugeln der anderen , die nicht ins Ziel getroffen haben , aufsammeln und behalten.

p Kigalan schleatzn

Erklärt von Johann Kohlmayr , geb. 1928 , aus Zödl bei Radenthein. Jeder Mitspieler benötigt einige »Kigalan« , das waren früher einfache Tonmurmeln. Für dieses Spiel braucht man aber auch noch eine größere Murmel , etwa aus Glas. Man gräbt ein Loch in die Rasenfläche. Die Spieler stellen sich in einigen Metern Entfernung auf. Die große Glasmurmel wird in Richtung der Grube geworfen. Nun beginnt das eigentliche Spiel. Jeder versucht , so nahe wie möglich zur Glaskugel zu werfen. Danach wird überprüft , wer am nächsten zur Kugel liegt. Dieser darf nun beginnen zu »schleatzn« : Er schnippt die Kugel 149

Pf itschigogerln und Putschögln

mit Zeigefinger oder Mittelfinger in Richtung der Grube. So kommen alle der Reihe nach dran – Sieger ist der , der zuerst in die Grube trifft , beziehungsweise , der ihr am Nächsten kommt.

p Plattlschupfen

Aus der Sammlung burgenländischer Kinderspiele des Burgenländischen Landes­ museums.14 Man braucht : • einige Marillenkerne • pro Spieler 1 flachen Stein ( »Plattl« ) Auf einem ebenen Boden werden in Abstand von 10 bis 15 cm hintereinander »Schöckerl« von Marillenkernen aufgestellt , immer drei im Dreieck nebeneinander und ein vierter obenauf gelegt. Zehn bis fünfzehn Schritte vor dem ersten Häufchen wird ein Strich gezogen , von dem aus geworfen wird. Jeder Spieler sollte sich ein »Plattl« , einen möglichst flachen Stein , gesucht haben. Durch Auszählen wird die Reihenfolge bestimmt. Der Erste stellt sich beim Strich auf und wirft mit seinem »Plattl« gegen die Häufchen , um möglichst viele umzustoßen. Die richtige Wurftechnik ist wichtig : Im Idealfall sollte der Stein flach geworfen werden und flach am Boden weitergleiten. Fällt der oben aufliegende Kern nicht herunter , so zählt dieses Häufchen nicht. Bleiben Häufchen stehen , so wirft der zweite , dann der nächste Spieler , bis keines mehr steht. Jeder wirft einmal und muss warten , bis er wieder an die Reihe kommt.

14 Adalbert Klier , Karl M. Klier : Lieder , Reime und Spiele aus dem Burgenland. Eisenstadt 1957. S. 280. 150

Müller , Müller , Sackerl – Von Kinderreimen und kleinen Spielen

»Hobeln« 151

»

Müller  , Müller  , Sackerl

… macht der Reiter plumps !« Wohl jeder kennt diesen Reim , hat ihn selbst mit seinen Kindern aufgesagt und gespielt und ist einst als Kleinkind mit diesen Worten auf den Knien der Eltern geritten. »Hoppa , hoppa , Reiter , wenn er fällt , dann schreit er. Fällt er ihn den Gra-ben , fressen ihn die Ra-ben. Fällt er in den Sumpf – macht der Reiter plumps !« Wer diesen Reim kennt , hört sofort den Rhythmus und erinnert sich an den Überraschungsmoment am Ende : »Plumps !« Das Kind stürzt mit einer Mischung aus Freude und leichtem Schrecken nach hinten und will sofort das Spiel wiederholen : »Noch einmal !« Die Wiederholung der Reimspiele ist das Schönste für kleine Kinder. Der Vers wird aufgesagt , die Spannung steigt und »plumps« , man stürzt und fällt und wird doch gehalten. Der Inhalt dieser Kniereitreime war fast nebensächlich und oft auch nicht wirklich pädagogisch wertvoll : »Wia wird denn’s Kinderl hoaßen ? Dudl-dudl-schoaßen« , »Hopp , hopp , hopp , wir reiten in die Stadt , wo die kropfad Bäurin ist , die a Dutzend Knödel frisst« , »Reita , Reita , Sabl an der Seita , Stiefel und Sporn , so wird da Hansel in Himmel auffi fahrn !« , »Hopp , hopp , hopp , fahrn wir in die Stadt , um a Seiterl Wein , wern wir lustig sein !« , »Hoppa , hoppa , ist der Fleischmichl do ? Kaufst mir a Kalberl o , stichst es gleich o !«15 Sehr zahlreich waren auch die »Müller , Müller , Sackerl«-Spiele. Dabei wird das kleine Kind von zwei größeren Personen wie ein Sack an Händen und Füßen genommen und geschaukelt. Dazu wird folgender Vers gesagt oder gesungen : »Müller , Müller , Sackerl , ist der Müller nicht zu Haus. Schloss vor ! Riegel vor ! Werf ’mas Sackerl hinters Tor !« Bei den letzten Worten wird das Kind auf eine weiche Unterlage »geworfen«. Dieses Spiel war für kleine Kinder so lustig und so unerträglich spannend , dass manchmal dem »Sackerl« beim Hin- und Herbeuteln ein klei15 Otto Kampmüller : Oberösterreichische Kinderspiele. Linz 1965. S. 39 ff ; Adalbert Klier , Karl M. Klier : Lieder , Reime und Spiele der Kinder aus dem Burgenland. Eisenstadt 1957. S. 31 ff. 152

Von Kinderreimen und kleinen Spielen

Zwei größere Kinder bilden die »goldne Brücke« , indem sie sich gegenüberstehend an den Händen fassen und die Arme heben. Alle übrigen Kinder gehen durch die Brücke und singen dabei : »Ziehe durch , ziehe durch , durch die goldne Brücke«.

nes Missgeschick passierte. Aus Oberösterreich ist sogar ein »Müller , Müller , Sackerl«-Reim überliefert , der solche Zwischenfälle thematisierte : »Müller , Müller , Sackerl , s’Büaberl macht a Lackerl , und a Würschterl a dazua , is recht a wilda Bua.«16 Genau die gleiche Gefahr bestand bei einem Spiel , das »Hobeln« genannt wurde und bei dem mit einem kleinen Kind auf einer Tischplatte Hobelbewegungen nachgeahmt wurden. Eine Gesprächspartnerin berich16 Otto Kampmüller : Oberösterreichische Kinderspiele. Linz 1965. S. 51 153

Müller  , Müller  , Sackerl

tete , dass immer , wenn ihr Vater sich anschickte , mit einem der kleinen Kinder »Hobeln« zu spielen , die Mutter rief : »Machts schnell die Tischlad’ zu !« Denn vor lauter Lachen bestand immer die Gefahr , dass ein kleines Geschäft auf die Tischplatte tröpfelte. Das Spiel ging so : »Der Vater hat das Kind mit beiden Armen gehalten , einen Arm in der Kniebeuge , sodass das Gesäß durchgehängt ist und dann ist er damit auf dem Tisch hin- und hergefahren. Das Kind war also der ›Hobel‹ , mit dem auf der Tischplatte gehobelt wurde. Dann hat er zum Beispiel gesagt : ›Jetzt kommt der feine Hobel. Jetzt hoble ich ganz glatt !‹ – und er ist schnell mit dem Kind auf der Tischplatte hin- und her. Oder er hat gesagt : ›Jetzt müssma den groben Hobel nehmen !‹ Dann ist er ganz langsam gefahren.« Im Mühlviertel , wo besonders viele alte Spiele dokumentiert sind , hat sich auch dieses Spiel erhalten. Ursprünglich war es ein derbes Spiel für Burschen , das eigentlich als Scherz unter Gleichaltrigen gedacht war. Zwei Männer packen einen Dritten trotz aller Gegenwehr an Händen und Füßen und schwingen ihn etliche Male auf einem Tisch oder einem Brett hin und her. Auch auf Bruegels Bild wird offensichtlich ein Ahnungsloser gepackt und nun wird mit ihm auf einem schweren Balken gehobelt. Dass ihm das nicht behagt , kann man an seinem Gesichtsausdruck sehen. Man kann davon ausgehen , dass die Kameraden ihn mit dem Hinterteil wiederholt ziemlich unsanft über dem Balken hin- und herschaukeln und er jedes Mal auf das Holz kracht. Tätigkeiten der Zimmerleute , der Schuster , der Schmiede werden in den Spielen der Kleinen und der Großen nachgeahmt. Auch die vielen »Müller , Müller , Sackerl«-Spiele werden erst verständlich , wenn man sich einen schweren Getreide- oder Mehlsack vorstellt. Ein solcher Sack war oft so schwer , dass eine Person ihn nicht alleine heben konnte. Dann wurde der Sack von zwei Personen genommen und mit leichtem Schwung auf den Wagen befördert. Ein einzelner Mann konnte einen Mehlsack höchstens am Rücken tragen. Die »Müller Sackerl«-Spiele sind wie ein Spiegel dieser Tätigkeiten. In einer Variante stehen die Kinder Rücken an Rücken und ziehen sich abwechselnd mit eingehakten Armen nach vor und zurück. In einer anderen Variante nehmen zwei größere Kinder ein Klei-

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Von Kinderreimen und kleinen Spielen

Kinder spielen »Ziehe durch die goldne Brücke«. Während des Liedes ziehen die Kinder unter der Brücke durch. Bei den Worten »Der Letzte muss gefangen sein !« senken die Kinder , die die Brücke bilden , die Arme und »fangen« ein Kind.

neres wie einen Sack bei Händen und Füßen , schwenken es hin und her und werfen es schließlich auf eine ( weiche ) Unterlage. Auch manche Fingerspiele ahmen Tätigkeiten nach , wie das »Kaffee reiben«. Es erinnert an eine Zeit , als die Kaffeebohnen noch händisch mit kreisenden Bewegungen in der Kaffeemühle gemahlen wurden und Zucker in kleinen Stücken vom Zuckerhut gestoßen wurde. »Die Mutter macht auf dem Tisch eine Faust und streckt den Daumen nach oben , das Kind schnappt den Daumen und macht das gleiche , dann wieder die Mutter , dann wieder das Kind. Und jetzt fahrt man auf dem Tisch im Kreis und sagt dazu : 155

Müller  , Müller  , Sackerl Kniereitverse wie »Hoppa , hoppa , Reiter« sind Spiele für die Kleinsten , die noch , wie dieses Mädchen , am Schoß der Mutter sitzen.

›Kaffee reiben , Kaffee reiben !‹ Dann klopft man auf den Tisch und sagt : ›Zucker stoßen , Zucker stoßen !‹« Beim Spiel »Rosse bschlagn« wird das Beschlagen eines Hufes mit Hufeisen nachgeahmt. Während der Reim aufgesagt wird , klopft man mit den Fingern leicht auf die Fußsohlen des Kindes , und zum Schluss wird das »Rosserl« noch gekitzelt. Anni Hasiwender , die dieses Spiel in Innviertler Mundart überliefert , spielte es oft mit ihrem kleinen Enkerl. Er liebte es so sehr , dass er noch im Volksschulalter bat : »Oma , tamma Rosse bschlagn !« Kleine Kinder lieben Fingerspiele , auch weil sie oft eine Handlung wie ein kleines Theaterstück haben. Während man den Reim aufsagt , nimmt man die Finger , Handflächen , Zehen oder Fußsohlen des Kindes und »erzählt« damit kleine Geschichten. »Das ist der Daumen« , man nimmt den Zeigefinger , »der schüttelt die Pflaumen« , den Mittelfinger , »der klaubt sie auf« , den Ringfinger , »der tragt sie heim« , und zum Schluss den kleinen Finger , »und das kleine Wuziwuzi isst sie ganz allein !« In vielen Fingersprüchen übernahm jeder Finger die Rolle eines Angehörigen der Bauernfamilie. Der Daumen war der Bauer , der Zeigefinger die Bäuerin , der Mittelfinger der Knecht , der Ringfinger die Dirn und der kleine Finger der »Wuzi« oder der »Wuzi in der Wiege«. Nun konnte man in dieser Rollenverteilung herrliche Geschichten erzählen , etwa die vom Bauern , der ins Wasser gefallen ist : »Der is in Bach gfalln , der hatn aussazogn , der hatn trickat , der hatn ins Bett glegt , der kloane Wuzi hatn zuadeckt.« Jeder , der einen Kinderreim aufsagt , sagt ihn automatisch im richtigen Rhythmus. Es ist auch nicht schwer , eines der alten Kinderlieder nachzusingen. Beide , Rhythmus und Melodie der Lieder , sind sehr eingängig. 156

Von Kinderreimen und kleinen Spielen

Dieses Spiel heißt »Wasser pumpen«. Die Kinder stehen Rücken an Rücken , haken sich ein und »pumpen« : Mal der eine , dann der andere beugt sich weit nach vorne und zieht den anderen auf seinen Rücken.

Nicht nur »Ringa , Ringa , Reiha« ist ein echter Ohrwurm , jedes Kinderlied ist sehr einprägsam. Dies liegt daran , dass die meisten Kinderlieder und Spielverse nur aus fünf Noten bestehen : a , g , e , d und c. Aus diesen fünf Tönen lassen sich leicht merkbare und eingängige Melodien bilden. Fast alle Kinderlieder von »Backe , backe , Kuchen« bis »Laterne , Laterne , Sonne , Mond und Sterne« brauchen nicht mehr als diese fünf Noten. Selbst der Haribo-Werbesong macht sich diese »Ohrwurm«-Eigenschaft der Fünfton-Formel zunutze. »Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso« kann wohl jeder nachsingen , der es schon einmal gehört hat. Das gilt auch für das gesungene Spiel »Es geht eine Zipfelmütz«. Es ist ein Kreisspiel mit immer wiederkehrenden gleichen Bewegungen. Ingeborg Förster aus Hartberg hat das Spiel in ihrer Kindheit oft gespielt und hat es sehr geliebt. »Unser Vater war Lehrer. Er wurde 1946 in eine entlegene Gegend , nach Kirchberg am Walde versetzt. Damals gab es keinen Fernseher und keine anderen Vergnügungen , so haben meine Schwestern , 157

Müller  , Müller  , Sackerl

die Nachbarskinder und ich fleißig gespielt. ›Es geht eine Zipfelmütz‹ haben wir bestimmt noch bis zum Alter von 10 , 12 Jahren gespielt !« Das ist bemerkenswert , weil dieses Spiel heute fast nur noch von den Allerkleinsten im Kindergarten gespielt wird. Lag es daran , dass diese Kinder damals in einer eher reizarmen , ruhigen , langsamen Welt lebten ? Ingeborg Förster : »Wir hatten in Kirchberg außer Fahrrädern nur ein Fortbewegungsmittel , ein leichtes Kutscherwagerl , das von Mitzi , dem Pferd , gezogen wurde.« In die Volksschule nach Grafendorf , später in die Hauptschule nach Hartberg , fuhr nur morgens ein Bus. Mittags musste der lange Heimweg anfangs zu Fuß zurückgelegt werden. »Rudi , ein Nachbarbub erzählte uns regelmäßig lange Episoden aus den Karl-May-Büchern. Ab Grafendorf waren wir nur mehr zu dritt. Da haben wir dann die ganze Strecke lang zugehört.« Wer hat heute noch Zeit und Geduld einem anderen länger als ein paar Minuten zuzuhören ? Wir sind es gewohnt , dass alles schnell gehen muss. Daran halten sich auch die Gestalter der Nachrichtensendungen im Fernsehen : Kein Beitrag der ORF-Sendung »Zeit im Bild« darf länger als 1 Minute und 50 Sekunden dauern , wie komplex das Thema auch sein mag. Man weiß , die Zuschauer hätten nicht die Ruhe , länger zuzuhören. Genau diese Ruhe und Ausdauer aber brauchten die Kinder beim Spielen. Einfache Spiele wie »Es geht eine Zipfelmütz« wurden wieder und wieder gespielt , von kleineren und größeren Kindern gemeinsam. Man hielt sich im Kreis an den Händen , sang die Liedverse und spielte abwechselnd die »Zipfelmütz«. »Uncool« , wie man heute sagen würde , war das nicht – nur irgendwann war man halt doch zu groß dafür. Auch »Ziehe durch die goldne Brücke« ist kein Action-Spiel. Es ist eines der ältesten Singspiele , das wir kennen , reich an alter Bildsprache und voll versteckter Botschaften. Es geht darum , dass zwei Kinder , die »Torwächter« , eine Brücke bilden , über die man aber nicht gehen kann , weil sie zerbrochen ist. Stattdessen wird die Brücke repariert bzw. »gemacht« , meist mit Silber und Gold , unter der dann die anderen Kinder durchziehen. Während die Kinder unter der Brücke durchziehen , singen sie : »Ziehe durch , ziehe durch , durch die goldne Brücke. Die Brücke ist gebrochen , wir wolln sie wieder machen. Aus was denn ? Aus was denn ? Aus lauter Gold und Edelstein – der 158

Von Kinderreimen und kleinen Spielen

Diese Kinder spielen »Glockenschwengel«. Niemand der Sitzenden darf den in der Mitte baumelnden Buben auf oder neben sich fallen lassen.

Letzte muss gefangen sein !« Das von den beiden »Torwächtern« gefangene Kind muss sich nun für einen der »Wächter« entscheiden. Hat es seine Wahl getroffen , stellt es sich hinter dem betreffenden »Torwächter« an. Dieses Spiel gibt es in unzähligen Varianten , allein für die Steiermark sind 32 Brückenspielfassungen überliefert. Manchmal haben die »Torwächter« , die die Brücke bilden , Decknamen wie »Sonne« und »Mond« , »Apfel« und »Birne« , »Kaiser« und »König«. In Wirklichkeit aber verkörpern sie das Gute und das Böse , nämlich »Engel« und »Teufel«. Das gefangene Kind muss sich entscheiden , will es zum »Apfel« oder zur »Birne« , dann stellt es sich hinter dem betreffenden Torwächter an , ohne zu wissen , ob es hinter dem Engel oder dem Teufel steht. In einer Spielvariante wird es von Engel und Teufel in einer Art »Seelenwaage« hin- und hergeschaukelt mit folgendem Reim : »Pantoffel , Pantof159

Müller  , Müller  , Sackerl

fel , der Himmel ist offen , die Hölle ist zu …« Wenn das Kind ernst bleibt und keine Miene verzieht , endet der Vers mit dem Worten : » … ein Engerl bist du !« Wenn das geschaukelte Kind aber lacht oder grinst : » … ein Teuferl bist du !« Beim »Seelenwägen« bleibt also nur der ein Engerl , der standhaft bleibt und den der Teufel nicht zum Lachen bringen kann. In manchen Spielfassungen machen sich die »Torwächter« vorher heimlich aus , wer den »Himmel« und wer die »Hölle« darstellt. Die gefangenen Kinder entscheiden sich für ein Kind und stellen sich hinter diesem an , ohne zu wissen , wo sie hingeraten sind : in den Himmel oder in die Hölle. Erst am Ende wird das Rätsel gelüftet und nun werden alle »Teuferln« gerüttelt und geschüttelt und alle »Engerln« sanft geschaukelt. Häufig endet das Spiel mit einem Ziehwettkampf zwischen den Engerln und den Teuferln. Bei diesem Spiel werden Entscheidungen über Gut und Böse getroffen , über Engel und Teufel und es scheint um uralte Jenseitsvorstellungen zu gehen. Um Brücken , die ins Totenreich führen , um Torwächter , die die Seele prüfen und am Ende um den letzten Kampf zwischen Gut und Böse. Das »Brückenspiel« ist bereits soweit vergessen , dass es mehrere Gesprächspartner brauchte , um die vollständige Spielanleitung einigermaßen wieder zu rekonstruieren. Andere Spiele werden weniger vergessen , als ganz bewusst von Eltern und Pädagogen nicht mehr an die Kinder weitergegeben. Dies betrifft vor allem Spiele wie »Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann« oder »Ist die schwarze Köchin da ?« , die von Erziehungsberechtigten als rassistisch empfunden werden. Glaubt man den Wissenschaftlern , die sich mit Spieleforschung beschäftigen , stellt die »schwarze Köchin« im Spiel keinen Mensch mit dunkler Hautfarbe dar , sondern sie verkörpert einen dunklen Dämon , der die Menschen verfolgt. Folgt man dieser Auffassung , dann ist die »schwarze Köchin« einfach ein Sinnbild für alles , was Angst macht und dieses Spiel sollte ursprünglich wohl dazu dienen , die Angst der Kinder spielerisch zu bewältigen. Was dachten aber die Kinder , die dieses Spiel spielten ? »Gar nichts. Wir haben uns überhaupt keine Gedanken über die ›schwarze Köchin‹ gemacht.« Trotzdem , streng genommen besteht der Sinn des Spiels darin , die »schwarze Köchin« am Ende auszuspotten und zu demütigen. Das Kind , das am Schluss übrig bleibt , steht allein in der Mitte und bekommt 160

Von Kinderreimen und kleinen Spielen

Die Ausgangsstellung zum Fadenspiel , einem früher beliebten Mädchenspiel. Die Mitspielerin griff in das Garngebilde und ließ durch geschickte Griffe immer neue Fadenornamente entstehen. 161

Müller  , Müller  , Sackerl

Folgendes zu hören : »Ist die schwarze Köchin da ? Ja , ja , ja ! Da steht sie ja , da steht sie ja , da steht die schwarze Köchin da ! Pfui , pfui , pfui !« Oder : »Zisch , zisch , zisch !« Das Spiel ist ein Kreisauflöse-Spiel : Kinder fassen sich an der Hand und gehen rechtsherum , ein einzelnes Kind geht linksherum und ruft : »Ist die schwarze Köchin da ?« Alle rufen nun laut : »Nein , nein , nein !« Darauf das Kind : »Dreimal muss ich ummarschiern , s’vierte Mal den Kopf verliern , s’fünfte Mal muss sagen : Du bist schön und du bist schön und du die Allerschönste !« Bei diesen Worten tippt das Kind drei Kindern im Kreis auf die Schulter und holt die »Allerschönste« aus dem Kreis. Nun gehen die beiden Hand in Hand und der Text wird von Neuem aufgesagt. Sie löst sich der Kreis allmählich auf , bis nur mehr ein Kind , die »schwarze Köchin« , übrig bleibt. Jene , die die »Pfui«-Rufe am Ende nicht gutheißen , müssen nicht auf dieses Spiel verzichten. Im Lauf der Zeit hat sich ein zweites Ende entwickelt , das die »schwarze Köchin« nicht ausspottet , sondern das Gegenteil davon. Das Kind , das die »schwarze Köchin« darstellt , ist nun etwas Besonderes : Sie darf beim nächsten Spiel als Rufer außen um den Kreis gehen.

p Kaffee reiben – Zucker stoßen

Eine Fingergeschichte , erklärt von Theresia Achleitner aus Wels. Die erwachsene Person macht eine Faust , stellt sie auf den Tisch und streckt den Daumen nach oben. Das Kind umschließt mit seiner Faust den Daumen , dann wieder der Erwachsene , dann wieder das Kind. Der Händeturm führt nun kreisförmige Bewegungen auf der Tischplatte aus. Dazu sagt man : »Kaffee reiben – Kaffee reiben !« Dann klopft der Händeturm auf den Tisch : »Zucker stoßen – Zucker stoßen ! Eine Hand muss weg !« Man nimmt die unterste Hand weg und spielt alles noch einmal : »Kaffee reiben – Kaffee reiben ! Zucker stoßen – Zucker stoßen ! Eine Hand muss weg !« Dies macht man so lange , bis alle Hände weg sind.

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Von Kinderreimen und kleinen Spielen

p Der Jäger ging mit seiner Frau

Eine Fingergeschichte , erklärt von Maria Mayer aus Linz. Das Kind legt eine Hand ausgestreckt mit der Handfläche nach unten auf den Tisch. Die erwachsene Person macht mit zwei Fingern Gehbewegungen , sie »spaziert« von den Fingern des Kindes bis zu dessen Schulter. Dabei sagt man : »Der Jäger ging mit seiner Frau in die grüne …« Beim letzten Wort zwickt man das Kind leicht in die Schulter. Dieses sagt : »Au !« und vollendet den Reim.

p Das ist der Daumen

Eine Fingergeschichte , erklärt von Emmi Stuhl aus Kapfenberg. Zum Kennenlernen der eigenen Finger zählte die Mutter die Finger des Kindes mit folgendem Reim durch : Das ist der Daumen , der schüttelt die Pflaumen , der lest ( klaubt ) sie auf , der tragt sie heim , und der kleine Spitzbub isst sie ganz allein !

p Feigen machen

Eine Fingergeschichte nach Pater Romuald Pramberger , aufgezeichnet in den Jahren 1915–1940.17 Ein Kind macht eine Faust mit dem Daumen nach außen. Das andere Kind zieht den Daumen weg und sagt : »Mach’s Türl auf !« , dann hebt es den Zeigefinger in die Höhe und spricht : »Mach’s Fensterl auf !« , darauf legt es den Daumen auf den Mittelfinger und sagt : »Mach’s Türl zu !« und biegt den Zeigefinger krumm und sagt dazu : »Mach’s Fensterl zua !« Und die Feige ist fertig. 17 Astrid Telnig-Schall : Kinderspiele einst und jetzt. Diplomarbeit. Graz 2005. S. 59. 163

Müller  , Müller  , Sackerl Dieses Kind zeigt , wie die »Feige« aussieht.

p Rosse bschlagn

Aufgezeichnet von Anna Hasiweder aus St. Peter am Hart im Innviertler Dialekt. Rosse bschlagn , Rosse bschlagn wia vui Nagal brauch ma do ? Oans – zwoa – drei und a Fuada Heu und a Fuada Hoberkern fressn meine Rosse gern und a wengerl an Zucker tamma d’Rosserl jucka ! Man nimmt ein Füßchen in die Hand und klopft mit den Fingern der anderen Hand rundum an der Fußsohle , als ob man ein Pferd beschlagen würde. Bei den letzten Worten kitzelt man ein wenig die Fußsohle.

p Hobeln

Ein Spiel für kleine Kinder , erklärt von Maria Höfler aus Sarleinsbach im Mühlviertel. Dieses Spiel ahmt eine Handwerkstätigkeit nach. Früher musste man einem Kind nicht erklären , was ein Hobel ist. Jedes Kind im ländlichen Bereich war damit vertraut. Heute sollte man Kindern einen Hobel und seine Funktionsweise zeigen und erklären , bevor man dieses Spiel spielt. 164

Von Kinderreimen und kleinen Spielen

Eine vertraute Person nimmt das Kind mit beiden Armen so , dass das Gesäß etwas durchhängt. Nun wird auf einer Tischplatte oder einem Brett gehobelt : Das Gesäß wird wie ein Tischlerhobel hin- und hergezogen. Nun wird angekündigt , welchen »Hobel« man gerade verwendet : »Jetzt nehmen wir den feinen Hobel. Die Tischplatte muss ganz glatt werden !« Es wird schnell hin- und hergehobelt. Oder : »Jetzt brauchen wir den groben Hobel !« Es wird langsam hin- und hergefahren. Das Spiel dauert so lange , wie es dem Kind Vergnügen bereitet.

p Müller , Müller , Sackerl

Erklärt von Edith Heinzl aus Schenkenfelden. Ein Kind wird von zwei vertrauten Personen jeweils an den Händen und an den Füßen gehalten. Dieses Kind stellt nun das »Müller Sackerl« dar. Es wird zu folgendem Reim hin- und hergeschwenkt : Müller , Müller , Sackerl , ist der Müller nicht zu Haus. Schloss vor ! Riegel vor ! Werf ’mas Sackerl hinters Tor ! Bei den letzten Worten wird das Kind noch einmal geschwenkt und dann am Boden abgelegt.

p Scherenschleifen

Ein Hand-Klatschspiel , erklärt von Maria Mayer aus Linz. Zwei Kinder stehen sich gegenüber und klatschen sich im Rhythmus des Reims langsam oder auch schnell in die Hände. 1 ) Pro Verszeile : Zwei Mal mit beiden Händen in die Hände des Gegenübers klatschen – zwei Mal in die eigenen Hände klatschen : 165

Müller  , Müller  , Sackerl

Sche-ren schlei-fen , Sche-ren schlei-fen , ist die bes-te Kunst , 2 ) Pro Verszeile : Abwechselnd je ein Mal mit der rechten und der linken Hand in die Hände des Gegenübers klatschen – zwei Mal in die eigenen Hände klatschen : die rech-te Hand die lin-ke Hand , die geb ich dir zum Un-ter-pfand , 3 ) Ein Mal mit der rechten Hand , ein Mal mit der linken Hand in die Hände des Gegenübers klatschen : da hast sie – da nimm sie , 4 ) Zwei Mal mit beiden Händen in die Hände des Gegenübers klatschen – zwei Mal in die eigenen Hände klatschen : da hast sie all-e zwei !

p Hier ist grün und da ist grün

Ein Kreisspiel , erklärt von Maria Mayer aus Linz. Die Kinder stehen im Kreis , bis auf eines , das außen oder innen herumgeht. Der Text wird gesungen oder gesprochen und mit den dazu passenden Bewegungen verbunden : Hier ist grün und da ist grün , unter meinen Füßen , hab verloren meinen Schatz , werd ihn suchen müssen. 166

Von Kinderreimen und kleinen Spielen

Such ihn hier , such ihn da , such ihn unter allen , wird gewiss wohl ein( er ) sein , der ( die ) mir wird gefallen. Nun bleibt das Kind nacheinander bei drei der Kreiskinder stehen. Bei den ersten zwei Kindern wird folgender Reim aufgesagt /  gesungen : Dreh dich um , dreh dich um , bist du’s oder bist du’s nicht ? Nein , nein , du bist es nicht , geh fort , ich mag dich nicht ! Beim dritten Kind schließlich wird dieser Reim aufgesagt /  gesungen. Nach dem letzten Vers haken die Kinder sich ein und drehen sich im Kreis : Dreh dich um , dreh dich um , bist du’s oder bist du’s nicht ? Ja , ja , du bist es schon , komm wir wollen tanzen !

p Hupf hin , hupf her ( Der Strohschneider )

Ein Tanzlied , erklärt von Kriemhilde Glötzl aus Bernstein. Hupf hin , hupf her , hupf eini in mei Federbett , hupf hin , hupf her , hupf eini in mei Bett. schneid o , schneid o , schneid o a Schieberl Haberstroh , schneid o , schneid o , schneid o a Schieberl Stroh.

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Müller  , Müller  , Sackerl

Zwei Kinder stehen sich gegenüber und halten sich mit verschränkten Armen an den Händen. Sie singen oder sprechen den Text. Dabei ziehen sich die Kinder abwechselnd rechts und links an den Händen hin und her und machen gleichzeitig kleine Hüpfer nach beiden Seiten.

p Es geht eine Zipfelmütz

Erklärt von Ingeborg Förster aus Hartberg. Alle Kinder gehen im Kreis und singen das Lied oder sagen es laut auf. Ein Kind als Zipfelmütze geht währenddessen innerhalb des Kreises in entgegengesetzter Richtung. Es hält beide Hände über dem Kopf und formt damit einen »Spitz« , die Zipfelmütze. Es geht eine Zipfelmütz in unserm Kreis herum , widibum , es geht eine Zipfelmütz in unserm Kreis herum. Drei mal drei ist Neune , jeder sucht das Seine , zwanzig ist ja zwei mal zehn , Zipfelmütz bleib stehn , bleib stehn ! Sie rüttelt sich , sie schüttelt sich , sie wirft die Beine hinter sich , sie klatschen in die Hand , wir beide sind verwandt. Beim zweiten »Bleib stehn !« bleiben alle stehen. Der Liedtext wird jedoch weiter aufgesagt oder gesungen. Die Zipfelmütz führt jetzt mit dem ihm gegenüberstehenden Kind die im Liedtext angegeben Bewegungen aus. Bei »wir beide« haken sie sich ein und tanzen umeinander. Das ausgesuchte Kind ist die neue Zipfelmütz , das andere kehrt zurück in den Kreis. Variante : Die beiden Kinder sind nun »Zipfelmützen« und gehen im Kreis herum. Beim nächsten Mal sind es vier Kinder , dann acht Kinder , die im Kreis gehen , so lange , bis sich der Kreis aufgelöst hat. 168

Von Kinderreimen und kleinen Spielen

p Zublinzeln

Erklärt von Margarete Edlmair aus Haid. Die Kinder sitzen oder stehen im Kreis. Ein Kind steht in der Mitte und beobachtet den Kreis. Ein vorher bestimmtes Kind aus dem Kreis blinzelt einem anderen Kind im Kreis zu. Beide tauschen rasch ihre Plätze. Währenddessen versucht das Kind in der Mitte , einen leeren Platz zu erobern. Das Kind , das nach diesem Tausch »ohne Platz« ist , steht als Nächstes in der Mitte.

p Zieh’ durch die goldne Brücke

Erklärt von Edith Heinzl aus Schenkenfelden und von Kriemhilde Glötzl aus Bernstein. Zwei größere Kinder bilden die »goldne Brücke« , indem sie sich gegenüberstehend an den Händen fassen und die Arme heben. Alle übrigen Kinder stellen sich hintereinander vor der Brücke auf und legen die Hände auf die Schultern des Vordermanns. Nun wird das Lied von allen gesungen oder gesprochen : Ziehe durch , ziehe durch , durch die goldne Brücke. Die Brücke ist gebrochen , wir wolln sie wieder machen. Aus was denn ? Aus was denn ? Aus lauter Gold und Edelstein – der Letzte muss gefangen sein ! Während des Liedes ziehen die Kinder unter der Brücke durch. Nach dem letzten Wort senken die Kinder , die die Brücke bilden , die Arme. Dieses Kind ist »gefangen«.

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Müller  , Müller  , Sackerl

Variante 1 : Nun wird das Kind von den Brückenkindern in die Mitte genommen und mit folgendem Reim hin- und hergeschaukelt : Pantoffel , Pantoffel , der Himmel ist offen , die Hölle ist zu … Wenn das Kind ernst bleibt und keine Miene verzieht , endet der Vers mit dem Worten : » … ein Engerl bist du !« Wenn das geschaukelte Kind aber lacht oder grinst : » … ein Teuferl bist du !« Variante 2 : Vor dem Spiel machen sich die beiden Kinder , die die Brücke bilden , heimlich aus , wer »Himmel« und wer »Hölle« ist. Das »gefangene« Kind wird gefragt , zu wem es will , etwa so : »Willst du zur Susi oder zur Resi ?« Das Kind stellt sich hinter der betreffenden Person an. Wenn alle gefangen sind , wird offenbart , wer »Himmel« und wer »Hölle« darstellt. Die »Engerl« werden von den Brückenkindern in die Mitte genommen und mit folgendem Reim sanft hin- und hergeschaukelt : Pantoffel , Pantoffel , der Himmel ist offen , die Hölle ist zu , ein Engerl bist du ! Die »Teuferln« werden von den Brückenkindern in die Mitte genommen und mit folgendem Reim gerüttelt und geschüttelt : Pantoffel , Pantoffel , die Hölle ist offen , der Himmel ist zu , ein Teuferl bist du !

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Von Kinderreimen und kleinen Spielen

p Ist die schwarze Köchin da ? In dieser Variante des Spiels wird darauf verzichtet , die »schwarze Köchin« am Ende mit »Pfui«-Rufen auszuspotten. Stattdessen übernimmt die »schwarze Köchin« im nächsten Spiel die Rolle des Spielleiters. Die Kinder fassen sich an den Händen und gehen im Kreis rechts herum. Außen geht ein Kind links herum und spricht : Kind : »Ist die schwarze Köchin da ?« Kreis : »Nein , nein , nein !« Kind : »Dreimal muss ich ummarschiern , s’vierte Mal den Kopf verliern , s’fünfte Mal muss sagen : Du bist schön und du bist schön und du die Allerschönste !« Es gehört zu diesem Spiel dazu , dass der Kreis recht laut : »Nein , nein , nein !« schreit. Bei den Worten »Du bist schön und du bist schön und du die Allerschönste !« tippt das außen gehende Kind zwei Kindern im Kreis auf die Schulter und holt die »Allerschönste« aus dem Kreis heraus und geht nun Hand in Hand mit diesem Kind weiter. Dieser Vorgang wiederholt sich so lange , bis sich der Kreis aufgelöst hat und nur mehr ein Kind übrig bleibt. Alle rufen : »Du bist die schwarze Köchin !« Dieses Kind darf nun im nächsten Spiel außen herum gehen und die Rolle des Rufers übernehmen.

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Vöglein , wie piepst du ? – Vom Raten und Nachdenken

»Gerade oder ungerade ?« 173

D

Vöglein , wie piepst du ?

ie Begriffe Raten und Denken stehen in enger Verbindung miteinander. In der Mundart hat sich diese Wortverwandtschaft noch lange erhalten. Früher sagte man bei uns am Land : »Was roatst denn ?« , wenn einer in Gedanken verloren war. Man meinte damit in etwa : »Worüber rätselst du denn ?« , »Worüber denkst du nach ?« Ganz entfernt spüren wir auch noch , dass Raten und Nachdenken gleiche Wurzeln haben , wenn wir jemandem helfen wollen , etwas Naheliegendes zu begreifen. Dann sagen wir : »Na , rat’ einmal !« Es ist verblüffend , dass manche Spiele zeitlos sind und sich durch die Jahrhunderte , ja Jahrtausende fast unverändert erhalten haben. Ein Ratespiel , das mir ein Kärntner erklärt hat , findet sich nicht nur auf Bruegels Kinderspielbild von 1560 , sondern war auch bereits im antiken Griechenland bekannt. Der Philosoph Platon nannte dieses Spiel »Artiasmos« , eine Art Knobelspiel zu zweit , bei dem die Mitspieler kleine Knöchelchen in der Hand verbergen. Sie müssen nun raten , ob die Anzahl gerade oder ungerade ist. Auch die Römer kannten dieses Spiel , bei ihnen hieß es »Par impar«. Zu Bruegels Zeiten hieß es vermutlich »Gerade oder Ungerade«. Im Bildausschnitt sind zwei Kinder zu sehen , ein Junge und ein Mädchen , die hoch konzentriert spielen. Eines von ihnen hält mehrere kleine Gegenstände in der Hand , vielleicht Murmeln , das andere muss nun raten. Der Bub streckt dem Mädchen seine fest geballte linke Hand entgegen. Das Mädchen scheint zu raten. Offensichtlich ist sie auch gut dabei , denn an ihrem Arm baumelt ein Säckchen , gut gefüllt mit gewonnenen Murmeln oder anderen Zählobjekten. Martin Waldner , der Friedlbauer aus Kameritsch bei Hermagor spielte in seiner Kindheit in den 1920er-Jahren dasselbe Spiel. Er erinnert sich : »Wir haben ›Schlatzln‹ gehabt , selbstgemachte Murmeln aus Ton. Dann hast ein paar in die geschlossene Hand genommen und ein anderes Kind gefragt : ›Fahr’ma auf Graz ?‹ Der andere : ›Mit wie viel Pferd ?‹ Dann hast ganz kurz die Hand aufgemacht und schnell wieder zu , grad für einen Moment. Jetzt hat der andere raten müssen , wie viele Murmeln man in der 174

Vom Raten und Nachdenken

Kinder beim Spiel , hier 1944 in Oberwart im Burgenland.

Hand hat.« Wurde richtig geraten , dann bekam der Ratende alle Murmeln. Hatte er sich verschätzt , musste er die Differenz auf die richtige Zahl an Murmeln hergeben. Ein Klassiker unter den Ratespielen ist das Beruferaten. Eine der größten Erfolge im deutschen Fernsehen war die Sendung »Was bin ich ? Das heitere Beruferaten« mit Robert Lemke. Dabei musste mit Ja /  Nein-Fragen der Beruf eines Kandidaten erraten werden. Kein Wunder , dass diese Show ein Renner wurde , hatten doch schon Generationen von Kindern und Jugendlichen seit jeher mit großer Begeisterung Handwerksnamen erraten. Schon Goethes Mutter schrieb 1786 in einem Brief an ihre Enkelkinder in Weimar , dass sie ihnen gerne das Spiel »Potzschimber , Potzschember« lernen würde. Dabei werden Bewegungen eines Handwerks stumm nachgeahmt , während die anderen das Handwerk erraten müssen. Eine handfeste Form dieses Spiels ist in Oberösterreich unter dem Namen »Handwerksburschen austreiben« oder »Moasta und Gsell« bekannt. Meister und Geselle machten sich einen Beruf aus , den sie den Mitspielern auch bekannt gaben. Erraten mussten diese also nicht den Beruf , sondern einen bestimmten Gegenstand , etwa ein Werkzeug , den dieser Berufstand benötigte. 175

Vöglein , wie piepst du ?

Das Lustige am Spiel war der Moment , wenn ein Mitspieler richtig geraten hatte. Nun trat der Spielleiter in Aktion , der einen »Plumpsack« , ein verknotetes Tuch , in Händen hielt. Er ging damit ausgerechnet auf denjenigen los , der den Gegenstand erraten hatte und jagte ihn samt seinem Sitznachbar aus dem Zimmer. »Die zwei haben schnell Reißaus genommen , damit sie nicht Schläg’ kriegen. Die waren dann der nächste ›Moasta‹ und der nächste ›Gsell‹. Die haben sich einen neuen Beruf ausgemacht.« Noch rustikaler ging es beim »Stockschlagen« oder »Schinkenklopfen« zu. Einer legt den Kopf in den Schoß eines Mitspielers und bekommt Schläge auf sein Hinterteil. Er muss nun raten , wer ihn geschlagen hat. »Das tut hübsch weh , wenn’s echt zuhauen ! Das hat oft ganz schön lang gedauert , bis es einer erraten hat. Wenn man das Spiel öfter gespielt hat , dann hast du mit der Zeit gelernt , dass jeder ein bissl anders zuhaut und du hast leichter erkannt , wer es ist.« Vergleichsweise harmlos sind dagegen Ratespiele wie »Wie viele Krähen sitzen ?« Man muss erraten , wie viele Finger ( Krähen ) auf dem Kopf sitzen. Hat man dies erraten , kommt die nächste Frage : »Sitzen bleiben , Nest bauen oder Wegfliegen ?« – »Sitzen bleiben« bedeutete , mit den Fingern fest in die Kopfhaut zu drücken. »Nest bauen« bedeutete , mit den Fingern ordentlich ein paar Mal durch die Haare zu fahren : »Wenn eine schön frisiert war , dann hast alles durcheinand’ gebracht. Nur wenn einer keiner Haare mehr gehabt hat , also eine Glatze , der war gut dran.« Derber wird das Spiel , wenn der Sitzende den »Krähen« befiehlt : »Wegfliegen !« Nun wird an den Haaren gezupft und gezogen , bis alle »Krähen« endlich weggeflogen sind. Interessant ist , dass auf Bruegels Bild ein Spiel abgebildet ist , das wahrscheinlich »Haare zupfen« heißt. Fünf Kinder ziehen an den Haaren eines sitzenden Buben. Wir wissen heute nicht mehr , was da genau vor sich geht. Reißen sie einzelne Haare aus ? Oder spielen sie gar »Wie viele Krähen sitzen« ? Wir werden es vermutlich nie erfahren. Ganz ohne jede Berührung funktionieren die sogenannten Ja /  Nein-Ratespiele , etwa das Personenraten : »Ich denke mir eine Person aus , die alle Anwesenden kennen. Dann werde ich gefragt : Ist die Person männlich ? Ja ! Ist sie über 40 ? Nein ! Wohnt sie in Riegersburg ? Ja !« Auf dieselbe 176

Vom Raten und Nachdenken

Alte selbst hergestellte Tonmurmeln in der geöffneten Hand. Vorher , mit geschlossener Hand , wurde gefragt : »Grad oder ungrad ?« Nach dem Raten wird die Hand geöffnet – hat der Mitspieler richtig geraten , bekommt er alle Murmeln. Wenn nicht , muss er dem anderen Kind eine Murmel geben.

Art lassen sich auch Tiernamen erraten : »Hast du Federn ?« – »Kannst du schwimmen ?« – »Legst du Eier ?« Noch lustiger wird das Spiel , wenn sich jeder eine Person oder ein Tier ausdenkt , den Namen auf einen Zettel schreibt und diesen an den Rücken eines Mitspielers heftet. Nun muss dieser raten , wen er darstellt. Die anderen dürfen nur mit »Ja« oder »Nein« antworten. Wurde eine Frage mit »Ja« beantwortet , darf man weiterfragen , wurde sie verneint , ist der Nächste an der Reihe. Aus den einfachen Ja /  Nein-Ratespielen hat sich in letzter Zeit ein Krimi-Ratespiel entwickelt , das süchtig machen kann , der Ja-Nein-Ratekrimi , auch »Laterale« genannt. Ja-Nein-Rätsel werden von einem Spielleiter gestellt. Er erzählt in ein paar Sätzen eine kurze , meist ziemlich blutrünstige Geschichte. Das Ziel der Ratenden ist es dann , auf den »Clou« der Geschichte zu kommen. Dabei dürfen die Spieler reihum dem Spielleiter Fragen stellen , die dieser aber nur mit Ja oder Nein beantworten darf. Einer der bekanntesten Ja /  Nein-Rätselkrimis lautet so : »Romeo und Julia liegen 177

Vöglein , wie piepst du ?

tot auf dem Boden vor einem geöffneten Fenster. Glassplitter liegen auf dem nassen Boden. Was ist passiert ?« Nun beginnen die Mitspieler zu fragen : »Wurden Romeo und Julia vergiftet ?« – »Sind die beiden Schlafwandler ?« Der Spielleiter darf nur mit »Ja« oder »Nein« antworten , so lange , bis die Lösung klar ist : Romeo und Julia sind Goldfische. Durch einen starken Luftzug wurde das Fenster aufgerissen , dieses wiederum hat dabei das Goldfischglas zu Boden stürzen lassen , worauf die Fische erstickten. Viele der alten Ratespiele verstehen wir nur mehr richtig , wenn wir einige zusätzliche Informationen haben. Jedes Ratespiel mit handwerklichen Berufen funktioniert nur dort , wo man diese Berufe noch kennt. Früher wusste jedes Kind nicht nur genau über alle Berufe Bescheid , sondern kannte auch die dazugehörigen Werkzeuge und Utensilien – so konnte ein Spiel wie »Handwerksburschen austreiben« gespielt werden , weil jeder wusste , was ein Müller , ein Schmied , ein Schuster an Werkzeug brauchte. Das Spiel »Ich schenk dir einen Pfennig , kannst kaufen was d’willst !« kann auch heute noch jeder spielen , aber verstehen wir noch den Hintergrund ? In diesem alten Spiel geht es um etwas Unerhörtes : Ein Kind bekommt Geld geschenkt und kann damit machen , was es will ! Dazu muss man wissen , das Geld früher nicht nur am Land Mangelware war. Dienstboten bekamen einen Teil ihres Lohns in Kleidung und Schuhen ausbezahlt. Selbst die Bäuerin hatte nur Geld , wenn sie es sich durch Eierverkauf erwirtschaftete. Kinder hatten auch in der Stadt kaum Geld , da es kein Taschengeld gab. Wenn ihnen der Vater dann doch einmal eine Münze zusteckte , war das ein besonderer Moment. Oder : Warum heißt das Spiel ausgerechnet »Wie viele Krähen sitzen ?« ? Warum nicht Spatzen , Amseln oder Elstern ? Krähen sind sehr intelligente Tiere , die auch relativ zutraulich werden können. Man findet Krähen und Raben häufig in Sagen und Märchen als Begleiter der Menschen , als Boten und Berater , aber auch als Unglücksbringer. Lassen sich Krähen nieder , sind sie oft schwer zu vertreiben. Vielleicht ist diese Nähe zum Menschen ein Grund , warum in diesem Spiel ausgerechnet eine Krähe auf dem Kopf sitzt.

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Vom Raten und Nachdenken

Auch ein Spiel wie »Vögel verkaufen« verlangt die Kenntnis von genauso vielen Vogelarten wie Mitspieler im Raum sind. Dieses Spiel sollte sicher nicht an Unkenntnis scheitern. Im Gegenteil , es ist eine gute Gelegenheit , um neue Vogelarten kennenzulernen. Wenn man alte Spiele spielt , ist es manchmal so , als würde man eine Reise in die Vergangenheit machen. Gute Reisevorbereitungen , sich also etwa mit dem Handwerk eines Schneiders oder Schusters vertraut zu machen oder ein paar Vogelnamen zu lernen , helfen dabei , die »Reise« zu genießen und Spaß zu haben !

p Personenraten

Ein Ja /  Nein-Ratespiel , erklärt von Elisabeth und Norbert Rungaldier aus Riegersburg. Ein Mitspieler denkt sich eine Person aus , die allen anderen bekannt ist. Die Mitspieler sollen diese Person erraten , indem sie Fragen stellen , die nur mit »Ja« oder mit »Nein« beantwortet werden dürfen. »Ist die Person männlich ?« – »Hat die Person rote Haare ?« – »Hat die Person eine Katze ?« Auf dieselbe Art lassen sich auch Tiernamen erraten. Ein Mitspieler gibt vor , ein bestimmtes Tier zu sein. Die anderen müssen erraten , welches : »Hast du Federn ?« – »Kannst du schwimmen ?« – »Legst du Eier ?« Wurde eine Frage mit »Ja« beantwortet , darf man weiterfragen , wurde sie verneint , ist der nächste Frager an der Reihe. Variante : Jeder denkt sich eine Person aus , schreibt den Namen auf einen Zettel und heftet diesen an den Rücken eines Mitspielers. Nun muss dieser raten , wen er darstellt. Die anderen dürfen nur »Ja« oder »Nein« antworten. Wurde eine Frage mit »Ja« beantwortet , darf man weiterfragen , wurde sie verneint , ist der Nächste an der Reihe.

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Vöglein , wie piepst du ?

p Himmel oder Hölle ?

Ein Faltspiel , erklärt von Gabriele Schuster aus Linz. Dieses Faltspiel heißt »Himmel oder Hölle ?« Gefragt wird mit geschlossener Faltung. Nach der Antwort wird geöffnet. Wer am häufigsten den »Himmel« richtig errät , ist Sieger.

Man braucht : • Quadratisches Papier • Rote und blaue Farbstifte Das Blatt Papier wird nach folgender Anleitung gefaltet : • Die senkrechte und die waagrechte Mittellinie falten – wieder öffnen. • Die beiden Diagonalen falten – wieder öffnen. • Die vier Ecken genau zum Mittelpunkt falten. • Umdrehen und nochmals alle Ecken genau zum Mittelpunkt falten. • Nun je zwei gegenüberliegende Dreiecke bemalen : den »Himmel« blau und die »Hölle« rot. • Mit vier Fingern von unten in die vier Ecken greifen und das so entstandene Gebilde schließen. Es spielen zwei Spieler gegeneinander. Einer hält das geschlossene Himmel-Hölle-Spiel und fragt : »Himmel oder Hölle ?« Nach der Antwort wird geöffnet. Wer am häufigsten den »Himmel« richtig errät , ist Sieger !

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Vom Raten und Nachdenken

p Vögel verkaufen

Erklärt von den Familien Ellmeier , Trippl und Hochörtler aus Stanz im Mürztal in steirischer Mundart. »Vögel verkaufen« ist ein altes Kinderspiel. Es ist Ratespiel , Rollenspiel und Abfangspiel zugleich. Einer der Mitspieler ist der »Teufel«. Er geht vor die Tür , während die anderen sich ausmachen , welche Vogelart sie sind , Spatz , Krähe , Papagei und so weiter. Nun kann es losgehen. Der »Teufel« klopft an. Kinder : »Wer ist draußt ?« Teufel : »Der Teufel mit der glühenden Sterzpfanne !« Kinder : »Was will er ?« Teufel : »Vögel !« Kinder : »Kimm eina !« Nun betritt der »Teufel« das Zimmer. Er wird gefragt : »Welche Vögel möchast ?« Nun nennt der »Teufel« eine Vogelart , etwa : »Schwalbe !« Ist keines der Kinder eine Schwalbe , dann heißt die Antwort : »Nix daham !« , »Ausgeflogen !« oder »Urlaub !« Der »Teufel« rät so lange , bis er einen Treffer hat , zum Beispiel die Krähe. Nun sagt er : »Krah , flieg aus und kimm gsund wieder nach Haus !« Das ist das Stichwort für die »Krähe« , die eine Runde im Zimmer laufen muss. Der »Teufel« kann ihr nicht sofort nachsetzen , denn er muss noch geschwind den Kaufpreis zahlen , etwa 5 Gulden. Die klopft er schnell einem Teilnehmer in die Hände und läuft dann los , um die »Krähe« zu fangen. Dabei darf er auch Abkürzungen nehmen. Erwischt er den »Vogel« , gehört er ihm. Schafft es der »Vogel« auf seinen Platz , dann ist er »gsund wieder nach Haus« gekommen und der »Teufel« bleibt weiter »hungrig«. Das Spiel geht so lange , bis alle Vogelarten erraten sind.

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Vöglein , wie piepst du ?

p Schläpfer suchen

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Man braucht : • 1 Pantoffel ( oberösterreichisch »Schläpfer« ) oder einen anderen Schuh Die Spieler sitzen im Kreis und ziehen die Beine an. Sie sitzen so eng nebeneinander , dass zwischen ihnen kein Zwischenraum entsteht. Unter ihren Beinen wird der »Schläpfer« von einem zum anderen weitergegeben. Ein Spieler ist außerhalb des Kreises und versucht den Schuh zu erwischen. Die Kreisspieler tun aber alles , um den Sucher zu verwirren. Sie ändern plötzlich die Richtung oder tun nur so , als ob sie den Schuh weitergeben würden. Ist man sich sicher , dass der Sucher gerade nicht herschaut , klopft man mit dem Schuh zwei , drei Mal auf den Boden und sagt dazu : »Schläpfer , da , da !« Glaubt der Sucher , den Schuh gefunden zu haben , klopft er dem vermutlichen Besitzer leicht auf den Rücken. Dieser muss sofort seine Hände heben. Das Spiel geht so lange weiter , bis der Sucher den Schuh gefunden hat. Nun werden die Rollen getauscht , der »Ertappte« ist der neue Sucher.

p Vöglein , wie piepst du ?

Erklärt von Maria Mayer aus Linz. Die Kinder hocken im Kreis. Einem von ihnen werden die Augen verbunden und es wird herumgedreht , sodass es die Orientierung verliert. Es wird in den Kreis gestellt. Dieses Kind nähert sich nun tastend einem der hockenden Kinder , hockt sich auch dazu und fragt : »Vöglein , wie piepst du ?« Das betreffende Kind sagt mit verstellter Stimme : »Piep !«

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Vom Raten und Nachdenken

Nun versucht das andere Kind an der Stimme zu erkennen , um wen es sich handelt. Erkennt es das Kind nicht , geht das Raten bei einem anderen Kind weiter. Errät das Kind die Stimme , werden die Rollen getauscht.

p Brüderlein , wer klopft ?

Erklärt von Theresia Achleitner aus Wels. Die Kinder sitzen im Kreis. Ein Kind geht vor die Tür , währenddessen wird ein anderes zum »Klopfen« bestimmt. Das Kind kommt herein und legt den Kopf in den Schoß eines sitzenden Kindes. Nun klopft das betreffende Kind drei Mal auf den Rücken und fragt dazu mit verstellter Stimme : »Brüderlein ( Schwesterlein ), wer klopft ?« Erkennt es das Kind nicht , geht das Raten weiter. Das Kind , das gerade geklopft hat , wählt ohne Worte ein anderes Kind zum neuen »Klopfer«. Dies geht so lange , bis das Kind die Stimme errät. Nun werden die Rollen getauscht : Der »Klopfer« muss raten.

p Im Keller ist es finster

Erklärt von Kriemhild Glötzl aus Bernstein. Die Kinder stehen im Kreis und fassen sich an den Händen. Ein Kind hockt mit verbundenen Augen in der Mitte des Kreises. Die anderen Kinder singen oder sprechen den Text und gehen dabei im Kreis : Im Keller ist es finster. Warum soll es finster sein ? Scheint der helle Mond herein , seid alle still , weil er ( sie ) jetzt raten will. Nun bleiben alle stehen und hocken sich nieder. Das Kind mit verbundenen Augen setzt sich auf ein Kreiskind. Alle anderen fragen : »Auf wel183

Vöglein , wie piepst du ?

chem Steine sitzest du ?« Das Kind mit verbundenen Augen antwortet : »Auf einem !« Alle anderen fragen : »Wie heißt er ?« Nun darf das Kind Kopf und Frisur betasten , um herauszufinden , um wen es sich handeln könnte. Errät es den Namen , wird getauscht. Sonst muss das Kind noch einmal in die Mitte.

p Wie viele Krähen sitzen ?

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. In der schönen Mühlviertler Mundart heißt dieses Spiel : »Wia vü Kroh sitzn ?« Ein Kind sitzt , das andere steht hinter ihm. Nun legt das Stehende eine Anzahl von Fingern auf den Kopf des anderen und fragt : »Wie viele Krähen sitzen ?« Wenn der Sitzende die richtige Zahl erraten hat , kommt die nächste Frage : »Sitzen bleiben , Nest bauen oder wegf liegen ?« Bei der Antwort »Sitzen bleiben« drückt man die Finger fest in den Kopf. Bei der Antwort »Nest bauen« fährt man mit den Fingern recht wild durch die Haare. Bei der Antwort »Wegfliegen« zieht man an den Haaren. Bei der Antwort : »Alles« macht man die eben beschriebenen Dinge hintereinander. Der Sitzende hat es also in der Hand , mit seiner Antwort zu bestimmen , was mit seinem Kopf und seinen Haaren passiert.

p Handwerksburschen austreiben

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser.

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Vom Raten und Nachdenken

Man braucht : • Ein Tuch , groß genug , um es an einem Eck zu verknoten. Ein derartiges Tuch nannte man früher »Plumpsack«. Die Spieler sitzen im Kreis. Zwei Mitwirkende , Meister und Geselle , stehen vor der Tür und machen sich einen Beruf aus. Der Spielleiter , der Moar , steht in der Mitte und schwingt ein Tuch mit einem Knoten. Meister und Geselle klopfen an. Nun entwickelt sich folgender Dialog : Moar : »Herein !« Meister und Geselle : »Zwei Handwerksburschen tatn bittn um a Ar­ beit !« Moar : »Was kinnt’s denn ?« ( Was könnt ihr ? ) Die beiden sagen nun einen Beruf , z. B. Schuster. Der Moar fragt : »Was braucht der Schuster ?« Nun sagt der Meister heimlich dem Moar ins Ohr , welchen Gegenstand er braucht , z. B. »Leisten«. Der Moar fragt einen Mitspieler nach dem anderen : »Was braucht der Schuster ?« Nun kommen die Antworten : Leder , Schuhnägel , Hammer und anderes mehr. Der Spieler , der das gesuchte Wort errät , wird samt dem daneben Sitzenden mit dem Tuch aus der Stube gejagt. Die beiden sind nun Meister und Geselle und das Spiel beginnt von Neuem.

p Fahr ma auf Graz !

Ein Ratespiel mit Murmeln , erklärt von Martin Waldner aus Kamaritsch bei Hermagor. Man braucht : • pro Spieler einige Murmeln Zwei Spieler stehen sich gegenüber. Einer hält in seiner geschlossenen Hand einige Murmeln. Nun fragt dieser : »Fahr’ ma auf Graz ?« Der andere 185

Vöglein , wie piepst du ?

entgegnet : »Mit wie viel Pferd’ ?« Auf diese Frage hin öffnet der Erste ganz kurz seine Hand , sodass sein Gegner einen kurzen Blick auf die Murmeln werfen kann. Jetzt wird geraten , wie viele Murmeln wohl in der Hand sind. Der Ratende nennt eine Zahl , sagen wir sieben. Stimmt die Zahl , dann bekommt er alle Murmeln. Hat er sich verschätzt , waren es neun Murmeln , dann muss der Verlierer die Differenz an Murmeln , also zwei , hergeben. Variante : Grad oder ungrad ? Zwei Spieler stehen sich gegenüber. Einer hält in seiner geschlossenen Hand einige Murmeln. Nun fragt dieser : »Grad oder ungrad ?« Hat er richtig geraten , bekommt er alle Murmeln. Wenn nicht , muss er dem anderen Kind eine Murmel geben.

p Ich schenk dir einen Pfennig , kannst kaufen was d’willst !

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Man braucht : • 1 Münze Zuerst wird der »Pfennigträger« und ein Ratender bestimmt. Die anderen Kinder sitzen der Reihe nach da. Jedes hält die Hände wie halb offen zum Gebet gefaltet. Der Ratende muss etwas abseits stehen. Ein Mitspieler geht von einem zum anderen , ebenfalls mit gefalteten Händen , in denen sich ein Geldstück , der Pfennig , befindet. Bei jedem Einzelnen sagt er : »Ich schenk dir einen Pfennig. Kannst kaufen was d’willst !« Er senkt seine Hände auf die des Angesprochenen und tut so , als ob er den Pfennig in die gefalteten Hände fallen lässt. Irgendwann lässt er den Pfennig möglichst unbemerkt fallen. Bemerkt dies der Ratende nicht sofort , macht der »Pfennigträger« seine Runde fertig. Nun ist der Ratende dran. Rät er richtig , muss in der nächsten Runde derjenige raten , der den Pfennig in der Hand hat. Sonst ist der Ratende so lange dran , bis er es einmal errät. 186

Armer  , schwarzer Kater  !  – Vom Spielen mit Sprache

»Rätselhafte Papierbögen« 187

E

Armer  , schwarzer Kater  !

in obersteirisches Dorf in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Eine Bäuerin arbeitet mit ihren Kindern auf dem Feld. Die kleinen Töchter helfen der Mutter beim »Erdäpfelheindln«. Die Arbeit ist eintönig , aber nicht anstrengend. Mit einer Haue wird Zeile für Zeile die Erde gelockert und vom Unkraut befreit. Die Mutter , Maria Hochörtler , die Poschbäuerin , ist eine kluge Frau und weiß , wie man die Kinder bei Laune hält. Ihre Töchter erinnern sich viele Jahrzehnte später : »Unsere Mutter war ein Phänomen , sie hat es geschafft , dass die Arbeit für uns zum Spiel wurde. Bei uns zu Hause war neben der Arbeit immer ein wenig Zeit zum Spielen , deshalb ist die Arbeit bei uns spielerisch vollbracht worden. Während wir geheindlt haben , haben wir mit der Mama ein Ratespiel gespielt. Wir haben gearbeitet und so nebenbei das Fragespiel gespielt. Man durfte ›net jo und net na , net schwarz und net weiß , net Nadl , net Zwirn‹ sagen. Auch ungerade Zahlen waren verboten. Die Mutter hat uns etwas gefragt und wir Kinder mussten antworten. Bei der Antwort mussten wir uns sehr konzentrieren , damit wir ja keines von den ›verbotenen‹ Wörtern sagen. Und so sind wir halt wieder ans Ende vom Acker gekommen. Dann haben wir uns ein bissl hingesetzt und sind die nächste Runde angegangen.« Die Schwestern Maria Ellmeier und Gabriele Trippl aus Stanz im Mürztal , die mir diese Geschichte erzählten , sind sehr sprachgewandt und kommunikativ. Gut möglich , dass das »Gehirnjogging« mit der Mutter bei der Feldarbeit seinen Teil dazu beigetragen hat. Das Spiel »Nicht ja und nicht nein« gibt es mittlerweile als Fragespiel sogar im Handel zu kaufen. Aber die Schwestern und ihre Mutter spielten eindeutig eine schwierigere Variante. Sie vermieden zusätzlich zu »Ja« und »Nein« noch andere Wörter und sogar Zahlen. Auch die Mutter als Spielleiterin betrieb Denksport , denn sie musste sich ständig neue knifflige Fragen auszudenken und darauf achten , dass auch wirklich alle »verbotenen« Worte weggelassen werden. Ein anderes Vermeidungsspiel ist das bekannte Lied »Mei Huat , der hat drei Löcher«. Zwei Schwestern , Maria Höfler und Christina Indra aus 188

Vom Spielen mit Sprache Sprachspiele können gut nebenbei , während der Arbeit gespielt werden.

Sarleinsbach im Mühlviertel , sangen mir das Lied samt allen Auslassungen und den dazugehörigen Handzeichen vor. Es war großartig ! »Mein« , »Huat« , »drei« und »Löcher« wurde pantomimisch dargestellt und dazu das Lied bis zum beinahe wortlosen Ende fehlerlos und zügig interpretiert. Die Melodie des Liedes geht auf das neapolitanische Volkslied »Oh cara Mamma mia« zurück. Zu dieser Melodie werden im Deutschen zwei unterschiedliche Texte gesungen : »Mein Hut , der hat drei Löcher ( Ecken )« und »Ein Mops kam in die Küche«. Beim Lied »Auf der Mauer , auf der Lauer sitzt a klane Wanzn. Schaut’s amol die Wanzn an , wie die Wanzn tanzn kann« werden keine einzelnen Worte weggelassen , dafür verlieren die Wörter »Wanzn« und »tanzn« mit jeder Strophe einen Buchstaben. Nach vier Strophen ist nur mehr »W …« und »t …« übrig , bis in der letzten Strophe die beiden Wörter ganz und gar verschwunden sind. In der ehemaligen DDR wurde dieses Lied gerne gesungen , da es eine doppelte Bedeutung hatte. Die Begriffe »Mauer« und »Wanze« wurden hier als »Berliner Mauer« und »Stasi« verstanden. Noch mehr Konzentration und Zungenfertigkeit als diese Lieder erfordern Zungenbrecher. Ähnliche Wörter , die sich meist nur in einer Silbe voneinander unterscheiden , müssen so schnell wie möglich in der richtigen Abfolge wiederholt ausgesprochen werden. Der Klassiker »Fischers Fritz fischt frische Fische , frische Fische fischt Fischers Fritz« mag als Einstieg gelten , aber richtig lustig wird’s im Dialekt. 189

Armer  , schwarzer Kater  !

Für Zungenbrecher-Liebhaber gab es richtige Litaneien : »Oa Bröckl Speck , zwoa Speckbröckl. Drei Bröckl Speck , vier Speckbröckl« – so geht’s weiter bis zehn. Wer es soweit ohne Versprecher geschafft hat , ist ein geübter Zungenbrecher-Sprecher. Davon schien es früher mehr gegeben zu haben als heute. Sprüche wie »Wir Wiener Wäscherweiber wollen weiße Wäsche waschen , weiße Wäsche waschen wir Wiener Wäscherweiber« oder auch »Zwischen zwei Zwetschgenzweigen zwitschern zwei Zeisige , zwei Zeisige zwitschern zwischen zwei Zwetschgenzweigen« waren Allgemeingut. Bei Schlechtwetter vergnügten sich die Kinder mit Sprachspielen. Eine Linzerin erinnert sich : »Wir haben diese Zungenbrecher richtig geübt. Wir haben sie mit hoher Stimme aufgesagt , dann mit ganz tiefer Stimme und sind so mit der Zeit immer besser geworden. Jeder von uns konnte auch seinen Namen und die der anderen Kinder von rückwärts aufsagen. Das war unser Zeitvertreib.« Eine andere Gesprächspartnerin aus Oberösterreich berichtete von einem »Nachsprech-Spiel«. Man fordert sein Gegenüber auf , einen Satz nachzusprechen. Stimmt dieser zu , sagt man : »Also , der Kopf ist rund , er hat zwei Augen , Nase , Mund !« Fast jeder tappt in die Falle : »Das ›Also‹ lassen die meisten weg und schon ist ein Fehler da ! Dann hast du mit einem Kohlestück einen Punkt auf die Stirn bekommen.« Erst , wenn alle Mitspieler dran waren , wurde der Satz noch einmal wiederholt und dann hatten alle ein »Aha-Erlebnis«. Ähnlich das Spiel »I bin der Michl mit einem Strichl«. Am Beginn bekam jeder Mitspieler einen Kohlenstrich ins Gesicht. Nun fragte man einander : »I bin der Michl mit einem Strichl , wie viel Strichl hast du ?« Jeder Versprecher wurde mit einem weiteren »Strichl« geahndet. »Dann hast bald selber nicht mehr gewusst , wie viel Strichl du hast und man hat sich verredet , dann hast gleich wieder eines gekriegt«. Sehr beliebt waren Spiele wie »Armer , schwarzer Kater !« , bei denen man den anderen zum Lachen bringen musste. Gerade weil Lachen »verboten« war , war ernst dreinzuschauen sehr schwer. Derjenige , der den armen , jammernden Kater spielte , musste alle Register ziehen , um seinem Gegenüber ein Lachen zu entlocken : »Da hast dich angestrengt , ganz witzig zu miauen : ›Miau , miau !‹ und hast dabei Grimassen geschnitten. Du hast alles getan , dass der andere lachad worden ist.« Der Angesprochene 190

Vom Spielen mit Sprache

Sprachspiele ergeben sich oft von selbst , beim Reden miteinander.

musste drei Mal ganz ernst und wenn möglich voll Mitleid »Armer , schwarzer Kater« sagen. Nur wenn er es schaffte , ohne eine Miene zu verziehen , hatte er die Prüfung bestanden. Ich erinnere mich , dass mein Vater mit uns Kindern gerne »Ernst auf Ernst« gespielt hat , ebenfalls ein Spiel , bei dem , wer lacht , verliert. Folgender Dialog wurde gesprochen : »Ernst auf Ernst !« – »Was macht der Ernst ?« – »Ein finsteres Gesicht !« – »Und wer zuerst lacht , der kriegt a Watschn ins Gesicht !« Wir standen uns mit finsterem Blick gegenüber und wenn einer dabei lachte , bekam er eine ganz zarte , leichte »Watschn«. Mein Vater lehrte uns auch Schnellsprechübungen wie folgende : »Herr von Hagen , darf ich’s wagen , Sie zu fragen , welchen Kragen Sie getragen , als Sie lagen krank am Magen in der Hauptstadt Kopenhagen ?« oder »Denke , nie gedacht zu haben , denn das Denken der Gedanken ist ein gedankenloses Denken , denn wenn du denkst , du denkst , dann denkst du nur , du denkst , aber denken tust du nicht.« Das Spielen mit Sprache wird hier schon fast philosophisch. Der Wortakrobat Erich Kästner , von dem der letztgenannte Spruch stammt , reiht sich in eine alte Tradition ein , die Weisheiten und Lebensregeln in Sprechreimen weitergibt. Einer 191

Armer  , schwarzer Kater  !

der ältesten Reime dieser Art , eine Stabreimreimdichtung , ist in mehreren Handschriften des 15. Jahrhunderts nachgewiesen. Sie lautet : »Wenn mancher Mann wüsste , wer mancher Mann wär , so gäb mancher Mann manchem Mann manchmal mehr Ehr.« Dieser Satz war noch vor wenigen Jahrzehnten einigermaßen bekannt und war Lebensweisheit und Sprechübung zugleich. Auch Kettenreime oder sogenannte wachsende Lieder erzählen Geschichten von Glück , Unglück und den Wechselfällen des Lebens. Kettenreimgeschichten erzählen in Zick-Zack-Form in der Art des Märchens von »Hans im Glück« , wie sich die Abenteuer ineinander verketten und wie eins das andere ergibt. Elisabeth Leskovar aus Gasen in der Oststeiermark erinnerte sich an eine solche Geschichte in Kettenreimen , die sie einst von ihrer Mutter gelernt hatte. »Die Mutter hat uns diese Reime oft aufgesagt und wir haben dabei unsere Merkfähigkeit geübt. Es war immer die gleiche gereimte Geschichte ›Katzerl steigt am Birnbaum‹ , die sie erzählt hat , aber ich wollte sie immer wieder und wieder hören. Kinder lieben Wiederholungen !« Diese Geschichte mit den Kettenreimwörten Wasserl , Rinderl , Hackerl , Kohln , Brot , Mehl , Korn , Mist , Streu , Rechen ist im Anschluss an dieses Kapitel nachzulesen ! Auch »Schwell-Lieder« , also Geschichten , die immer mehr und mehr anschwellen , waren beliebt und weit verbreitet. Jeder , der solche Geschichten hört , kann gar nicht anders , als sich ständig alle Details bildhaft vorzustellen. Genauso wie bei den Kettenreimgeschichten wird auch bei den wachsenden Liedern die Fantasie stark angeregt. Durch die ständigen Wiederholungen in verketteten Reimen brennt sich das Gehörte förmlich ins Gedächtnis. Als ich die über 80-jährige Agnes Pessl aus Gasen bat , mir eine dieser alten Reimgeschichten aufzusagen , zögerte sie zunächst : »Das hab ich ja schon 50 Jahre nicht mehr aufgesagt !« Dann holte sie tief Luft und trug »Schickt der Bauer den Jogl aus« minutenlang völlig fehlerfrei vor. Kurz der Inhalt : Der Jogl wird vom Bauern geschickt , Hafer zu schneiden , dieser kommt aber nicht wieder nach Hause zurück. Nun schickt der Bauer den Pudel aus , den Jogl zu beißen , den Prügel , den Pudel zu prügeln , das Feuer , den Prügel zu brennen , das Wasser , um das Feuer zu löschen , den Ochsen , 192

Vom Spielen mit Sprache Die Kinder einer Hausgemeinschaft in Enns. Bei schönem Wetter spielte man im Hof , bei Schlechtwetter spielte man in den Wohnungen »Ecken begrüßen« oder übte Zungenbrecher.

um das Wasser zu saufen und schließlich den Metzger , um den Ochs zu schlachten – alle kehren nicht zurück. Am Ende geht der Bauer selbst und erledigt alle Aufträge und »oft kemmans olle wieder hoam«. Die Jogl-Geschichte gibt es , wie die meisten mündlich überlieferten Geschichten und Lieder in vielen Varianten in mehreren Ländern. Ganz sicher ist diese Geschichte viele Jahrhunderte alt , sie wird auch auf Englisch , Italienisch und Aramäisch gesungen oder aufgesagt und endet in den meisten Fällen damit , dass der Schlachter sich weigert und am Ende der Bauer endlich selbst Ordnung schafft. Bei Spielen , die mit Sprache zu tun haben , geht’s oft darum , genau hinzuhören. Eines der bekanntesten Spiele dieser Art ist »Stille Post«. Der Reiz liegt darin , dass man das Gef lüsterte und Gewisperte nur bruchstückhaft versteht und so am Ende ein gänzlich anderes Wort verstanden wird , als zu Beginn gesagt wurde. Gerade der »Blödsinn« , der dabei herauskommt , ist das Lustige an diesem Spiel. Dazu ein Tipp einer erfahrenen Stille-Post-Spielerin : »Man muss ein Wort nehmen , dass nicht jeder kennt. Heute könnte man zum Beispiel das Wort ›Hoanzlbank‹ nehmen , weil von den Jungen weiß ja keiner mehr , was das war !« Eine »Hoanzlbank« oder Heinzelbank ist eine längliche Sitzbank mit einer Ausnehmung , in welcher der sogenannte »Heinzelmann« angebracht war. Hier konnte man Holzschindeln und Ähnliches gut fixieren. Die »Hoanzlbank« ermöglichte es also , beim Arbeiten beide Hände frei zu haben. Sagt man dieses Wort bei »Stille Post« , hat man fast die Garantie , dass am Ende eine lustige neue Worterfindung herauskommt. Bei anderen Spielen ist Aufmerksamkeit und Geistesgegenwart gefordert , wie bei »Es fliegt , es fliegt«. Man muss genau zuhören , was gesagt wird und 193

Armer  , schwarzer Kater  !

darf nicht den Augen trauen : »Es fliegt , es fliegt – der Kasten ! Ja wenn da einer die Händ’ in d’Höh’ tut , is noch lang net gsagt , dass der Kasten fliegen kann !« So einer hat dann ein »Strichl« aus Kohle oder Ruß an die Stirn gemalt bekommen oder er musste ein Pfand hergeben. Beim Auslösen der Pfänder wurde so manches verlangt , aber eine »Aufgabe« war früher fast sicher immer dabei : »Der hat sagen müssen : ›Ich bin so dumm und weiß net warum‹ und dabei hat er sein Hirn an den Tür hin- und herreiben müssen.« Für »Stadt-Land« , aber auch für das beliebte »Onkel Fritz sitzt in der Badewanne« brauchte man Papier und Bleistift. »Das war sehr lustig und sehr witzig ! Man schreibt eine Person auf , faltet den Zettel und gibt ihn an den Nachbarn weiter. Der Zettel von einem zum anderen weitergegeben , jeder schreibt etwas dazu und am Ende wird der ganze Satz vorgelesen. Da steht dann zum Beispiel : ›Onkel Fritz und Tante Pepi schnarchen um Mitternacht zusammen in der Badewanne.‹« Da sich Sprachspiele schwer abbilden lassen , hat wohl auch Pieter Bruegel darauf verzichtet. Die Kinder auf seinem Bild rufen , lachen und schreien , aber in keiner einzigen Szene scheinen sie miteinander zu reden. Nichts deutet auf ein Spiel mit Sprache oder Schrift hin. Lediglich drei rechteckige Stücke Papier hängen sehr auffällig über dem Eingang eines Hauses. Sie zeigen keine Handschrift , sondern Striche und Zeichnungen. Wir wissen nicht , was sie bedeuten , vielleicht sind sie einfach selbst gebastelte Papierfahnen. Vielleicht wurden sie für ein Spiel verwendet und danach hier befestigt. Wir wissen es nicht. Ganz sicher kannte aber auch Bruegel das eine oder andere Reim- oder Sprachspiel , möglicherweise sogar Spiele , die den in diesem Kapitel Beschriebenen sehr ähnlich sind.

p Mei Huat , der hat drei Löcher

Erklärt von Maria Höfler , Christine Indra und Frieda Andorfer aus Sarleins­ bach und Berg bei Hamet. Mei Huat , der hat drei Löcher , drei Löcher hat mei Huat , und hätt er net drei Löcher , dann wär er net mei Huat. 194

Vom Spielen mit Sprache

Zuerst wird das ganze Lied einmal durchgesungen. Bei jedem weiteren Mal wird ein Wort weggelassen und durch eine Handbewegung ersetzt. Statt »Mein« : mit dem Zeigefinger auf sich selbst zeigen. Statt »Hut« : auf den Kopf tippen. Statt »drei« : drei Finger ausstrecken. Statt »Löcher« : mit Daumen und Zeigefinger ein Loch formen. Statt »net« : mit dem Kopf schütteln. Wenn man dieses Lied in der Gruppe singt , kann man festlegen , dass jeder , der in eine Lücke hineinsingt oder eine falsche Handbewegung macht , ausscheidet oder ein Pfand geben muss.

p Auf der Mauer , auf der Lauer

Erklärt von Maria Höfler , Christine Indra und Frieda Andorfer aus Sarleins­ bach und Berg bei Hamet. Auf der Mauer , auf der Lauer , sitzt a große Wanzn , Auf der Mauer , auf der Lauer , sitzt a große Wanzn , Schaut’s amol die Wanzn an , wie die Wanzn tanzn kann. Auf der Mauer , auf der Lauer , sitzt a große Wanzn. Zuerst wird das ganze Lied einmal durchgesungen. Bei jedem weiteren Mal wird bei den Wörtern »Wanzn« und »tanzn« jeweils ein Buchstabe am Ende weggelassen , bis zum Schluss das komplette Wort ausgelassen wird ; also »Wanz« , »Wan« , »Wa« , »W« und dann nichts mehr – es entstehen zuletzt also kleine Pausen im Lied.

p Net ja und net nein , net schwarz und net weiß

Erklärt von den Schwestern Maria Ellmeier und Gabriele Trippl aus Stanz im Mürztal.

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Armer  , schwarzer Kater  !

Das »Sprücherl« zum Spiel erklärt eigentlich , worum es geht : Net ja und net nein , net schwarz und net weiß , net Nadl , net Zwirn. Es wird ein Spielleiter bestimmt , der die Mitspieler in ein Gespräch verwickelt , bei dem bestimmte Worte verboten sind : ja , nein , schwarz , weiß , Nadel und Zwirn. Wenn man will , kann man diese Liste noch erweitern , etwa durch alle ungeraden Zahlen. Der Spielleiter soll seine Fragen so formulieren , dass die Antwortenden verleitet werden , eines der verbotenen Wörter zu sagen. Das Spiel kann auch als Wettbewerb gegeneinander gespielt werden : Wer hält am längsten durch ?

p Armer , schwarzer Kater !

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Elisabeth und Fritz Leskovar in Gasen. Alle Teilnehmer sitzen im Kreis auf Sesseln oder am Boden. Ein Kind , der »Kater« , geht auf allen vieren von einem zum anderen , kniet sich vor jedem nieder und jammert : »Miau , miau !« Er schneidet dabei Grimassen , redet mit verstellter Stimme und versucht , den Sitzenden zum Lachen zu bringen. Der Sitzende muss den »Kater« streicheln und drei Mal : »Armer , schwarzer Kater !« sagen. Gelingt ihm dies , ohne zu lächeln oder zu lachen , geht der »Kater« weiter zum Nächsten. Sonst ist der Lachende der nächste »Kater«.

p I bin der Michl mit einem Strichl

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. 196

Vom Spielen mit Sprache

Man braucht : • ein Stück Kohle , Ofenruss oder einen abwaschbaren Stift ( Schminkstift ) Alle Mitspieler sitzen im Kreis. Zu Beginn bekommt jeder Mitspieler einen schwarzen Strich auf die Stirn. Nun beginnt einer zu fragen : »I bin der Michl mit einem Strichl , wie viel Strichl hast du ?« Wer den Satz nicht korrekt sagt oder falsch antwortet , bekommt einen Strich. Dieser fragt nun : »I bin der Michl mit zwei Strichl , wie viel Strichl hast du ?« So wird reihum gefragt. Schnell kommen so einige Strichl zusammen – je mehr Verwirrung herrscht , desto lustiger wird es. Wer am Schluss die wenigsten Strichln hat , ist Sieger. Variante : Alle Mitspieler bekommen einen Namen : »Einsermichl« , »Zweiermichl« , »Dreiermichl« usw. Das Spiel beginnt vorerst ohne Strichl : »Ich bin der Einsermichl , hab noch keinen Strichl , Dreiermichl , wie viele Strichl hast du ?« Der weitere Ablauf des Spiels erfolgt gleich wie oben.

p Onkel Fritz sitzt in der Badewanne

Erklärt von Elisabeth Rungaldier aus Riegersburg. Man braucht : • Papier und Schreibzeug Ein Blatt Papier wird der Breite nach fünf Mal gefaltet und die Spalten folgendermaßen beschriftet : männliche Person + weibliche Person + Tätigkeit + Zeitpunkt + Ort. Zwischen »männliche Person« und »weibliche Person« wird ein »und« eingefügt. Der erste Spieler schreibt in die erste Spalte , faltet den Zettel und gibt ihn an seinen Nachbarn weiter. Der Zettel wird so von einem zum anderen weitergegeben , jeder schreibt etwas dazu und am Ende wird das Blatt wieder aufgefaltet und der ganze Satz vorgelesen. Da steht dann zum Bei197

Armer  , schwarzer Kater  !

spiel : »Onkel Fritz und Tante Pepi schnarchen mittags zusammen in der Badewanne« oder »Mein Nachbar und Tante Mitzi kochen das Mittagessen um Mitternacht an der Bushaltestelle«. Bei der Wahl der Namen sollte man darauf achten , dass die Person allen Mitspielern bekannt ist.

p Schickt der Bauer den Jogl aus

Eine »wachsende Geschichte« , aus der Erinnerung aufgesagt von Agnes Pessl aus Gasen. Kinder lieben es , diese Geschichte immer wieder zu hören. Schickt der Bauer den Jogl aus , der Jogl soll den Hafer schneiden. Der Jogl schneid den Hafer net , so kimmt er net z’Haus. Schickt der Bauer den Pudel aus , der Pudel soll den Jogl beißen. Der Pudel beißt den Jogl net , der Jogl schneid den Hafer net , so kemmans a net hoam. Schickt der Bauer den Prügel aus , der Prügel soll den Pudel prügeln. Der Prügel prügelt den Pudel net , der Pudel beißt den Jogl net , der Jogl schneid den Hafer net , so kemmans a net hoam. Do schickt der Bauer das Feuer aus , das Feuer soll den Prügel brennen. Das Feuer brennt den Prügel net , der Prügel prügelt den Pudel net , der Pudel beißt den Jogl net , der Jogl schneid den Hafer net , so kemmans a net hoam. Schickt der Bauer das Wasser aus , das Wasser soll das Feuer löschen. Das Wasser löscht das Feuer net , das Feuer brennt den Prügel net , der Prügel prügelt den Pudel net , der Pudel beißt den Jogl net , der Jogl schneid den Hafer net , so kemmans a net hoam. Schickt der Bauer den Ochs aus , der Ochs , der soll das Wasser saufen. Der Ochs , der sauft das Wasser net , das Wasser löscht das Feuer net , das

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Vom Spielen mit Sprache

Feuer brennt den Prügel net , der Prügel prügelt den Pudel net , der Pudel beißt den Jogl net , der Jogl schneid den Hafer net , so kemnans a net hoam. Schickt der Bauer den Metzger aus , der Metzger soll den Ochs schlachten. Der Metzger schlachtet den Ochsen net , der Ochs , der sauft das Wasser net , das Wasser löscht das Feuer net , das Feuer brennt den Prügel net , der Prügel prügelt den Pudel net , der Pudel beißt den Jogl net , der Jogl schneid den Hafer net , so kemmans a net hoam. Jetzt geht der Bauer selber aus. Der Metzger schlocht den Ochs , der Ochs , der sauft des Wasser , das Wasser löscht des Feuer , das Feuer verbrennt den Prügel , der Prügel prügelt den Pudel , der Pudel beißt den Jogl , der Jogl schneid den Hafer , und oft kemmans olle wieder hoam.

p Katzerl steigt am Birnbaum

Eine Kettenreimgeschichte in steirischer Mundart , überliefert von Elisabeth Leskovar aus Gasen. Katzerl steigt am Birnbaum. Igerl kann nit nochi. »Katzerl , gib mir a Birnderl !« »I gib dir eh koa Birnderl nit , bevor’s d’ma du koa Wasserl bringst !« Igerl geht zum Brunnen. »Brunnen , gib mir a Wasserl !« »I gib dir eh koa Wasserl nit , bevor’s d’ma du koa Rinderl bringst !« Igerl geht zum Holzknecht. »Holzknecht , gib mir a Rinderl !« »I gib dir eh koa Rinderl nit , bevor’s d’ma du koa Hackerl bringst !« Igerl geht zum Schmied. »Schmied , gib mir a Hackerl !« »I gib dir eh koa Hackerl nit , bevor’s d’ma du koa Kohln bringst !« Igerl geht zum Köhler. »Köhler , gib mir a Kohln !« »I gib dir eh koa Kohln nit , bevor’s d’ma du koa Brot bringst !« Igerl geht zum Bäcker. »Bäcker , gib mir a Brot !« »I gib dir eh koa Brot nit , bevor’s d’ma du koa Mehl bringst !« Igerl geht zum Müllner. »Müllner , gib mir a Mehl !« »I gib dir eh koa Mehl nit , bevor’s d’ma du koa Korn bringst !« Igerl geht zum Acker. »Acker , gib mir a Korn !« 199

Armer  , schwarzer Kater  !

»I gib dir eh koa Korn nit , bevor’s d’ma du koan Mist bringst !« Igerl geht zum Stall. »Stall , gib mir an Mist !« »I gib dir eh koan Mist nit , bevor’s d’ma du koa Streu bringst !« Igerl geht zum Wald. »Wald , gib mir a Streu !« »I gib dir eh koa Streu nit , bevor’s d’ma du koan Rechen bringst !« Igerl geht zum Bauern. »Bauer , gib mir oan Rechen !« Der Bauer hot eahm oan Rechen gebn , den Rechn hot’s dem Wald gebn , der Wald hot eahm a Streu gebn , das Streu hot’s dem Stall gebn , der Stall hot eahm an Mist gebn , den Mist hot’s dem Acker gebn , der Acker hot eahm a Korn gebn , das Korn hot’s dem Müllner gebn , der Müllner hot eahm a Mehl gebn , das Mehl hot’s dem Bäcker gebn , der Bäcker hot eahm a Brot gebn , das Brot hot’s dem Köhler gebn , der Köhler hot eahm a Kohln gebn , die Kohln hot’s dem Schmied gebn , der Schmied hot eahm a Hackerl gebn , das Hackerl hot’s dem Holzknecht gebn , der Holzknecht hot eahm a Rinderl gebn , das Rinderl hot’s dem Brunnen gebn , der Brunnen hot eahm a Wasserl gebn , das Wasserl hot’s dem Katzerl gebn , das Katzerl hot eahm Birnderl gebn. Birndala , Birndala , Birndala …

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Fuchs und Henn – Von alten Kartenspielen und Brettspielen

»Steinchenspiel« 201

»

Fuchs und Henn

Ochsenhandeln« , »Schafschädln« , »Eseltreiben« , »Grünpeterl rupfen« und »Höllfahren« – schade eigentlich , dass nicht nur diese alten Kartenspiele fast vergessen sind , sondern auch das »Karteln« als gemütliche Form des Beisammenseins fast nicht mehr existiert. Besonders im Winter wurde früher abends oder am Nachmittag im Familienkreis und mit Nachbarn Karten gespielt. Eine Bäuerin aus dem Salzkammergut erinnert sich : »Wenn’s recht gestürmt hat , hat’s geheißen : ›Geh , renn schnell auffi zum Nachbarn. Mir toan Kartenspielen !‹« Es ist sicher nicht falsch , zu behaupten , dass der Fernseher die regelmäßigen Kartenrunden verdrängt hat. Dabei ging es nicht um geplante Zusammenkünfte , sondern um spontanes Spiel. Man rief kurz zum Nachbarn hinüber : »Hast Zeit ?« Eine Kartenrunde war schnell zusammengestellt , auch innerhalb der Familie. »Am Sonntagnachmittag haben wir oft Karten gespielt. Der Vater hat so viele Kartenspiele gekonnt und sie uns Kindern beigebracht. Manchmal haben wir uns den ganzen Nachmittag so unterhalten und abends auch.« Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit besteht darin , Interviews mit Menschen zu führen , die all das , worüber ich schreibe , selbst erlebt haben. Im oststeirischen Gasen saß ich im Hause der Familie Leskovar in großer Runde mit Menschen zusammen , die alle in den 1930er-Jahren geboren waren. Statt mir von alten Kartenspielen zu erzählen , wurden die Spielkarten kurzerhand ausgepackt und wir spielten gemeinsam eine Reihe alter Spiele. Im Schnellsiedekurs lernte ich so »Schafschädln« , »Eseltreiben« und »Höllfahren«. Während der ganzen Zeit ließ ich mein Aufnahmegerät mitlaufen , um später die Spielregeln notieren zu können. Als ich das Band abhörte , merkte ich , wie viel wir gelacht hatten ! Es war einer der lustigsten Nachmittage meiner Recherchearbeit. Beim »Höllfahren« zerkugelten wir uns , wenn wir wieder nicht merkten , dass jemand im »Du«-Kreis war und wir ihn alle mit »Du« anreden mussten. Beim »Handeln« , dem verdeckten Tauschen der Karten , neckten wir uns und überhaupt wurde permanent gere-

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Von alten Kartenspielen und Brettspielen

»Mensch ärgere dich nicht« , der Klassiker unter den Brettspielen , wird von Kindern und Erwachsenen gerne gespielt.

det und alles kommentiert. Wir lachten und scherzten und ich lernte den feinen Humor meiner Gesprächspartnerinnen kennen. Kartenspielen hat sehr viel mit Geselligkeit zu tun. Es geht in erster Linie nicht darum , wer Sieger oder Verlierer ist , sondern beim »Karteln« passiert viel mehr. Der »Schmäh« rennt , man darf sich necken und ein bisschen seckieren – und so entsteht eine gewisse Nähe und Vertrautheit. Die Zeit vergeht auf angenehme , gemütliche Art und Weise – und doch bleibt man geistig hellwach und rege. Man muss sich aber doch ein wenig konzentrieren , gerade so viel , dass die Gespräche mit den Mitspielern nicht zu persönlich werden und nicht zu sehr in die Tiefe gehen. Die Zeit vergeht dabei wie im Flug , weil sie von den Regeln und Abläufen der Spielpartien geprägt ist. Langeweile kommt nicht auf – stattdessen zeigen oft jene Personen Witz , Einfallsreichtum und Spontanität , bei denen man es nie vermutet hätte. All das gilt natürlich nicht für Hasard- oder Wettspiele , wie Poker oder Black Jack. Kartenspiele haben etwas Anrüchiges , da sie oft mit Glücksspiel 203

Fuchs und Henn

und mit Geld verbunden sind. Eltern scheuen sich deshalb davor , mit ihren Kindern etwas anderes als »Schwarzer Peter« und Tierquartett zu spielen. Dabei sind Kartenspiele und auch Brettspiele wunderbare Möglichkeiten , um nicht nur Kombinieren und logisches Denken zu üben , sondern auch , um zu lernen , Regeln zu akzeptieren und Disziplin aufzubringen. Sehr wahrscheinlich können die meisten Eltern selbst nicht einmal mehr die gängigsten strategischen Spiele wie Schnapsen ( Sechsundsechzig ) oder Preferanzen. Wenn man bedenkt , dass man sich bei einem Zweierschnapser nicht nur auf die eigenen Karten konzentrieren soll , sondern sich auch an alle Stiche des Gegners erinnern muss und davon ausgehend kombinieren soll , welche Karten noch im Talon liegen – selbstverständlich alle korrekt mitgezählt – dann schätzt man die Gedächtnisleistung , die bei einem »Bummerl« erbracht wird , richtig ein. Das Wort »Schnapser« hat übrigens nichts mit einem alkoholischen Getränk zu tun , sondern kommt vom sächsischen »Schnarps« , was so viel wie »Schnappen« bedeutet. In diesem Kapitel werden im Anschluss ein paar leicht zu erlernende Kartenspiele vorgestellt. Es sind keine typischen Kinder-Kartenspiele und doch wurden sie früher immer im Familienkreis mit Kindern gespielt. Es sind einfache Stichspiele , bei denen man sich hervorragend unterhält. Die Anleitungen für das eine oder andere Spiel werden sie weder im Internet noch in einem Spielebuch finden. Spiele wie diese wurden mündlich überliefert und sie unterschieden sich in Bezeichnung und Spielregel oft ein wenig von Dorf zu Dorf , von Region zu Region. Manche dieser Spiele wurde früher in adeligen Kreisen gerne gespielt , wie etwa das »Höllfahren«. Sogar ein Kardinal nennt dieses Kartenspiel im 17. Jahrhundert eine willkommene Belustigung für lange Winterabende.18 »Höllfahren ist besonders unterhaltsam , weil es nicht nur ums Kartenspielen geht. Es hat auch Aspekte eines Gesellschaftsspiels , weil man im richtigen Moment die Mitspieler mit ›Du‹ , ›Sie‹ und »‚Ihr‹ anreden oder sogar schweigen muss. Wer im ›Du‹-Kreis ist , muss von allen mit ›Du‹ angesprochen werden , im ›Sie‹-Kreis mit ›Sie‹ und im ›Ihr‹-Kreis mit ›Ihr‹. 18 Die Diarien und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach ( 1598–1667 ), hrsg. v. Katrin Keller und Alessandro Catalano , Wien , Köln , Weimar 2010. S. 111. 204

Von alten Kartenspielen und Brettspielen

Nach Feierabend oder am Sonntagnachmittag wurde Karten gespielt , hier eine Kartenspielrunde im Mühlviertel.

Ist jemand im ›Stumm‹-Kreis , ist es verboten , mit demjenigen zu reden. Nur für den Spieler , der im jeweiligen Kreis ist , gilt das nicht. Er wird die anderen ansprechen und versuchen , sie zu einem Fehler zu verleiten. Dann gibt es einen Strafpunkt.« Ein anderes Spiel , »Eseltreiben« , wurde nach dem Erscheinen des Halleyschen Kometen im Jahr 1758 so richtig berühmt. Man nannte es von da an »Komet« , weil die gelegten Kartenreihen dem Schweif des Kometen ähneln sollen. »Eseltreiben« ist eine Art Karten-Domino , das schnell erlernt ist und auch mit kleineren Kindern gespielt werden kann. »Schafschädln« ist ein einfaches Stichspiel , das Anfängern und Kindern erste Einblicke in Stichspiele gibt. Wer in »Schafschädln« geübt ist , kann sich schon an den ersten »Zweierschnapser« wagen. Selbstverständlich geht nichts über »Peterlzupfen« oder »Schwarzpeterl« , neben den Quartettspielen der Evergreen unter den Kartenspielen für Kinder. 205

Fuchs und Henn

Auf Bruegels Bild findet sich kein Kartenspiel , dafür das »Steinchenspiel« , das mit Steinen , Knöchelchen oder anderen kleinen Gegenständen gespielt wird. Es war zu Bruegels Zeit außerordentlich beliebt und in ganz Europa verbreitet. Bei diesem Geschicklichkeitsspiel mit fünf Steinen wird ein Steinchen in die Höhe geworfen , eines oder mehrere andere schnell vom Boden aufgenommen und dann das herabfallende Steinchen noch gefangen. Fangsteinchenspiele waren auch in der Antike bekannt. Die Griechen nannten dieses Spiel »Pentelitha« ( Fünf Steine ), die Römer nannten es »Tali«. Dies ist eines der ältesten Spiele , die uns bekannt sind und deshalb freut es mich umso mehr , dass mir noch einige Personen die Spielregeln genau erklären konnten. Eine davon , Waltraud Moro , spielte das »Steinchenspiel« als Kind in Neusiedl im Burgenland oft stundenlang mit Begeisterung. Sie erinnert sich an das »Stanerlspüln« : »Wir haben dieses Spiel das ganze Jahr über gespielt , bei Schönwetter draußen , bei Schlechtwetter drinnen. Im Freien haben wir uns einen lehmigen Boden gesucht , ihn nass gemacht und geglättet. Dann haben wir uns im Kreis hingesetzt und gespielt.« Die Kinder verwendeten Kieselsteine , aber auch kleine selbst zugeschliffene Würfel aus Mauerziegeln und sogar »Stollen« , abgesägte Teile von Schrauben. Die zwei Mädchen auf Bruegels Bild spielen mit Schafknöchelchen , die zuvor in Soda gekocht worden sind , damit sie schön weiß werden. Der Sprunggelenkknochen vom Schaf ist perfekt für dieses Spiel , weil er fast viereckig wie ein kleiner Würfel ist. Ein Mädchen wirft gerade ein Knöchelchen hoch. Sie wird gleich eines der am Boden liegenden Knöchelchen ergreifen und versuchen , dann noch das Hochgeworfene schnell zu fangen. Einmal ist ihr dieses Kunststück bereits gelungen. Das dabei gewonnene Knöchelchen hat sie beiseitegelegt. Genau nach diesen Spielregeln spielte auch Frau Moro. Die Schwierigkeit des Spieles lässt sich immer mehr steigern , so weit , dass die Kinder schließlich wahre Kunststücke vollführen. Die höchste Schwierigkeitsstufe in Frau Moros Kindheit war , fünf Steine auf einmal in die Höhe zu werfen und sie mit dem Handrücken der gleichen Hand wieder aufzufangen. Danach wurden diese Steine nochmals hochgeworfen und nun mit der hohlen Hand gefangen.

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Von alten Kartenspielen und Brettspielen

Welche Brettspiele wurden früher gespielt ? Ganz oben in der Rangliste standen »Fuchs und Henn« und »Mensch ärgere dich nicht«. Heute besitzt wohl fast jeder Haushalt ein »Mensch ärgere dich nicht«-Spiel. Das war früher nicht anders – wer sich das Spielbrett nicht leisten konnte , hat sich auf Pappendeckel die Spielfelder aufgezeichnet. Das Erfolgsrezept von »Mensch ärgere dich nicht« ist simpel : Die Spielregeln müssen nicht lange erklärt werden , das Spiel geht flott voran , das Spielbrett ist klar und einfach und jeder merkt sich sofort den Namen des Spiels. Man versteht sofort , worum es geht , nämlich zu lernen , die Erfahrung einer schmerzlichen Niederlage wegzustecken. »Gespielt haben wir so lange , bis wir ins Streiten gekommen sind. Dann glaubt man , ein anderer hat einen Blödsinn gemacht und ist falsch ›gefahren‹ oder hat beim Würfeln geschwindelt. Dann war schnell eine Debatte da und jeder streitet alles ab : ›I net ! I net ! Du !‹ Und dann wird auch einer noch ›geschmissen‹ ! Damit musst du fertig werden. Das gehört dazu !« Wer hat es noch nicht erlebt , dass ein Mitspieler mit einer Ausholbewegung mehrere Figuren wütend vom Spielbrett fegt ? Solche Emotionen haben das simple Spiel zu einem Jahrhunderterfolg werden lassen. Dennoch , der Anfang des Spiels war ganz privat. Für seine drei Buben bastelte der Münchner Angestellte Josef Friedrich Schmidt in den Wintermonaten 1907 / 1908 ein Brettspiel. Als Vorlage diente ihm das Spiel »Pachisi« , das ursprünglich aus Indien stammte. Schmidt vereinfachte das alte Spiel und gab ihm einen einprägsamen Titel : »Mensch ärgere dich nicht.« Schmidts Kinder waren begeistert. Freunde und Bekannte lernten das neue , unterhaltsame Spiel kennen und verlangten nach mehr. 1914 wurde der Schmidt Spieleverlag gegründet und das Spiel wurde nun in der bekannten roten Packung gewerblich hergestellt. Dennoch , richtig gut verkaufte sich das Spiel nicht. Der absolute Durchbruch gelang erst im Ersten Weltkrieg , als Schmidt den Soldaten an der Front 3.000 »Mensch ärgere dich nicht«-Spiele schenkte. Schon wenige Jahre später , 1920 , waren eine Million Exemplare verkauft , bis heute sind es an die 90 Millionen. »Mensch ärgere dich nicht« bringt die Generationen zusammen. Der Enkel gewinnt gegen den Opa und die Tochter schmeißt den Papa raus. Jeder hat das gleiche Recht , jeder kann gewinnen. »Ich hab mit meinem

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Fuchs und Henn

kleinen vierjährigen Enkerl gespielt und verloren. Da hat der Kleine Mitleid mit mir gehabt und gesagt : ›Opa , sei nicht traurig ! So ist das Leben !‹« Die Spielregeln für »Mensch ärgere dich nicht« sind kinderleicht. Ganz ohne Strategie wird gewürfelt , gefahren und geschlagen. Beim Brettspiel »Fuchs und Henn« muss hingegen taktiert und vorausgedacht werden. Die Kunst liegt darin , den Gegner aus der Stellung zu drängen und ihn Schritt für Schritt zu schlagen oder einzusperren. Zwei Füchse stehen einer Mehrheit von 20 Hennen gegenüber. Gelingt es den Füchsen , die Hennen zu fressen oder schaffen sie es , den Stall des Fuchses in Besitz zu nehmen und ihn dort einzusperren ? »Die Hühner haben in das ›Dahoam‹ vom Fuchs hinein müssen. Dann hat der gewonnen , der die Hühner gespielt hat. Der Fuchs aber kann über die Hühner springen und sie fressen. Ja , da hast müssen aufpassen ! Das war eine Art Bauernschach !« Gespielt wurde auf selbst angefertigten Spielbrettern : »Das Brettl hat der Großvater selbst geschnitzt , die zwei Füchse waren zwei Knöpfe , die Hennen waren Bohnen. Das war alles kostenlos. Das war das schönste Spielzeug für uns , das es gegeben hat – Fuchs und Henn’ mit Bohnen und mit Knöpfen.« Im Hause der Familie Ellmeier aus Stanz im Mürztal existiert noch ein Spielbrett , dass Franz Ellmeier sen., geb. 1896 für seine Enkelkinder angefertigt hat. Er tat dies in den siebziger Jahren , als es schon Spielzeug aus Plastik und auch schon Elektroautos gegeben hat. Trotz dieser starken Konkurrenz liebten seine Enkel das »Fuchs und Henn«-Spiel sehr und beschäftigten sich oft damit. Eine Anleitung für eine Kopie dieses alten Spielbrettes findet sich im Anschluss an dieses Kapitel. Jedes Kind , das mit einem Schnitzmesser umgehen kann , kann die Spielfelder in ein Holzbrett einritzen und markieren. Nun braucht man nur noch die Spielfiguren , zwei Knöpfe und 20 Bohnen und es kann gespielt werden. Der nächste Regentag kommt bestimmt !

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Von alten Kartenspielen und Brettspielen

p Stanerlspüln

Erklärt von Waltraud Moro aus Neusiedl am See. Man braucht : • 5 gleich große Steine Spieler : Mindestens 2 Wo ? Ideal ist ein ebener Naturboden , z. B. ein Lehmboden. Auch Böden in Innenräumen eignen sich , Beton- und Asphaltböden aber gar nicht. Da mit den Händen viel auf den Boden gegriffen wird , würde die Haut zu sehr beansprucht. Spielziel : Während ein Stein hochgeworfen wird , müssen Steine vom Boden aufgenommen werden , ehe der erste Stein wieder herunterkommt. Es wird mit der gleichen Hand hochgeworfen , aufgenommen und gefangen. So geht’s : Die Spieler sitzen im Kreis. Einer beginnt und spielt so lange , bis er einen Fehler macht , dann ist der Nachbar dran. Vor jedem Durchgang werden die fünf Steine in die Hand genommen und mit einer leichten Handbewegung auf den Boden gestreut. Sie sollen nicht zu weit voneinander entfernt sein. 1. Durchgang »Das Einserl«  : Man nimmt einen Stein in die Hand , wirft ihn in die Höhe , nimmt einen Stein vom Boden auf und fängt den herabfallenden Stein. Stein beiseitelegen. Drei Mal wiederholen. 2. Durchgang »Das Zweierl« : Man nimmt einen Stein in die Hand , wirft ihn in die Höhe , nimmt zwei Steine vom Boden auf und fängt den herabfallenden Stein. Steine beiseitelegen. Wiederholen. 3. Durchgang »Das Dreierl« : Man nimmt einen Stein in die Hand , wirft in die Höhe , nimmt einen Stein vom Boden auf und fängt den herabfallenden Stein. Stein beiseitelegen. Man nimmt wieder einen Stein in die Hand , wirft ihn in die Höhe , nimmt drei Steine vom Boden auf und fängt den herabfallenden Stein. 209

Fuchs und Henn

4. Durchgang »Das Viererl«  : Man nimmt vier Steine in die Faust , einen Stein zwischen Daumen und Zeigefinger , wirft diesen Stein hoch , legt die vier Steine auf den Boden und fängt den herabfallenden Stein wieder auf. 5. Durchgang »Das Bruckerl« : Mit der linken Hand ein »Bruckerl« ( Brücke ) bilden , indem man Daumen und Mittelfinger auf den Boden stellt und den Zeigefinger auf den Mittelfinger legt. Die Steine vor der Brücke auswerfen. Einen Stein hochwerfen , einen Stein durch die Brücke schubsen und den herabfallenden Stein fangen. Stein beiseitelegen. Mit den restlichen drei Steinen so verfahren. 6. Durchgang »Das Fünferl« : Alle fünfe Steine mäßig hochwerfen und versuchen , sie alle mit dem Handrücken aufzufangen. Die auf diese Art aufgefangenen Steine nochmals gemeinsam hochwerfen und nun mit der Innenfläche der Hand fangen. Die Anzahl dieser aufgefangenen Steine ergeben die Siegespunkte. Variante : Berechnung der Siegespunkte Pro Stein auf dem Handrücken : 10 Punkte. Alle Steine mit dem Handrücken gefangen : 50 Punkte extra. Pro Stein in der Handfläche : 5 Punkte. Für jeden fehlerlosen Durchgang : 10 Punkte

p Fuchs und Henn – Bastelanleitung Spielbrett

Nach einem Spielbrett , das Franz Ellmeier sen., geb. 1896 , aus Stanz im Mürztal für seine Enkelkinder angefertigt hat. ( Foto S. ) Man braucht : • Holzbrett , circa 25 × 25 Zentimeter aus Weichholz , z. B. Fichte • Lineal , Bleistift , Schnitzmesser Mit Lineal und Bleistift zeichnet man fünf Quadrate ( siehe Foto ) auf das Holzbrett. Jedes dieser Quadrate hat die Maße 7 mal 7 Zentimeter. 210

Von alten Kartenspielen und Brettspielen Ein »Fuchs und Henn«-Spielbrett – Bohnen und Knöpfe sind die Spielfiguren.

Ebenfalls mit Lineal und Bleistift zeichnet man nun die Verbindungslinien und schnitzt sie mit einem Schnitzmesser leicht aus. Danach werden sie nochmals mit Bleistift markiert , damit sie besser sichtbar sind. Nun braucht man nur noch die Spielfiguren , zwei Knöpfe und 20 Bohnen und es kann gespielt werden !

p Fuchs und Henn – Spielanleitung

Erklärt von den Familien Ellmeier , Trippl und Hochörtler aus Stanz im Mürztal. Spieler : 2 Spielsteine : 20 Hennen ( Bohnen ) und 2 Füchse ( K nöpfe ). Ein Spieler spielt die Hennen , ein Spieler spielt die Füchse. Stall : Die obersten neun Felder des Spielbretts. Spielziel : Der Spieler mit den Hennen versucht 9 Hennen in den Stall zu bringen. Der Spieler mit den Füchsen versucht dies zu verhindern und alle Hennen zu fressen. Spielverlauf : Auf dem Spielfeld werden die Hennen und der Fuchs , wie am Bild ersichtlich , platziert. Der Fuchs , der über zwei Spielfiguren verfügt , kann sich in seinem Areal im Prinzip überall platzieren , jedoch hat sich die Position , die im Bild gewählt wurde , als die erfolgreichste erwiesen. 211

Fuchs und Henn

Die Hennen beginnen. Die Hennen ziehen nach vor und zurück , aber nicht diagonal oder rückwärts. Pro Zug darf nur ein Feld weitergerückt werden. Der Fuchs darf ebenfalls nur ein Feld pro Zug weiterziehen , aber in alle Richtungen. Steht der Fuchs unmittelbar vor einer Henne und hinter ihr ist ein Feld frei , dann kann er sie fressen , indem er sie überspringt. Erlaubt sind auch mehrere Sprünge in einem Zug. Ist eine Henne gefressen , wird sie aus dem Spiel entfernt. Vergisst jedoch ein Fuchs zu springen ( und zu fressen ), so darf der Gegenspieler den Fuchs wegnehmen und so lange behalten , bis der andere Fuchs eine Henne frisst. Der weggenommene Fuchs muss nun wieder zurückgegeben werden. Der Spieler mit den Hennen darf den Fuchs auf jede beliebige Stelle im Feld setzen. Spielende : Die Hennen haben gewonnen , wenn alle 9 Felder des Stalls besetzt sind oder wenn der Fuchs nicht mehr ziehen kann. Der Fuchs gewinnt , wenn er mindestens zwölf Hennen gefressen hat oder die Hennen keinen Zug mehr machen können.

p Eseltreiben

Ein altes Kartenspiel erklärt von Elisabeth und Fritz Leskovar , Stefanie Stras­ segger , Margaretha Königshofer , Agnes Pessl aus Gasen und Maria Steinler aus der Breitenau. Spieler : 4 Karten : Doppeldeutsche 33 Blatt ( Schnapskarten ). Die Karten haben die Rangordnung : 7 , 8 , 9 , 10 , Bub , Dame , König , As. Verteilung : Jeder Spieler bekommt 8 Karten. Spielziel : Der letzte , der seine Karten ablegt , ist der »Esel«. »Handeln« : »Handeln« bedeutet hier so viel wie Tauschen. Ein Spieler legt eine Karte , die er nicht benötigt , dem linken Nebenmann verdeckt hin. Dieser nimmt die Karte und legt dafür seinerseits eine Karte von sich verdeckt hin. Die beiden tauschen also Karten. 212

Von alten Kartenspielen und Brettspielen

So geht’s : Jeder Spieler nimmt seine Karten auf und ordnet sie. Hat ein Spieler 4 Karten der gleichen Farbe ( z . B. 4 Könige ) oder 4 aufeinander folgende Karten der gleichen Farbe ( z. B. 7 , 8 , 9 , 10 ), legt er sie offen in der richtigen Reihenfolge auf den Tisch. Hat niemand diese Karten gleich beim Austeilen im Blatt , wird so lange gehandelt , bis ein Spieler 4 Karten niederlegen kann. Somit eröffnet er eine Art »Karten-Domino«. Ab nun legen alle Spieler Karten in der passenden Farbe ansteigend oder absteigend dazu. ( siehe Bild ) Die Spieler sind nun der Reihe nach dran. Jeder , der an der Reihe ist , muss »handeln«. Man legt dann eine oder mehrere Karten an. Hat man keine passende Karte , sagt man : »I mog net !« und setzt aus. Das Spiel geht so lange weiter , bis nur mehr einer Karten in der Hand hat. Er ist der »Esel« !

p Schafschädln

Ein altes Kartenspiel erklärt von Elisabeth und Fritz Leskovar , Stefanie Stras­ segger , Margaretha Königshofer , Agnes Pessl und Maria Steinler aus der Brei­ tenau. Spieler : ab 3 Karten : Doppeldeutsche 33 Blatt ( Schnapskarten ). Die Karten haben die Rangordnung : 7 , 8 , 9 , 10 , Bub , Dame , König , As. Verteilung : Jeder Spieler bekommt 3 Karten , der Rest kommt auf einen Stapel ( Talon ). Spielziel : Der letzte , der Karten in der Hand hat , ist der »Schafschädl«. Wichtig : Es herrscht Farbzwang , aber nicht Stichzwang. So geht’s : Einer spielt eine Karte aus , die anderen legen zu , falls sie die gleiche Farbe haben. Jeder , der ausspielt , nimmt sofort eine Karte vom Talon. Hat jemand nicht die ausgespielte Farbe , setzt er aus. Die höchste Karte sticht. Derjenige , der gestochen hat , spielt als Nächster aus. 213

Fuchs und Henn

Nun wird ein Spieler nach dem anderen fertig , das heißt , er hat keine Karten mehr in der Hand. Dieses Spiel endet , wenn nur mehr ein Spieler Karten in der Hand hat – er ist der »Schafschädl«.

p Höllfahren

Ein altes Kartenspiel mit Spielfeld , erklärt von Elisabeth und Fritz Leskovar , Stefanie Strassegger , Margaretha Königshofer , Agnes Pessl aus Gasen und Ma­ ria Steinler aus der Breitenau. Das Spielfeld für »Höllfahren« , aufgezeichnet auf einen Karton. Früher wurde das Spielfeld einfach mit Kreide auf den Tisch gezeichnet , um den die Spieler saßen.

Spieler : max. 8 Material : •  Früher wurde das Spielfeld ( Foto S. ) mit Kreide auf den Tisch gezeichnet , um den die Spieler saßen. Man kann das Spielfeld aber auch auf Karton zeichnen ( siehe Foto ) und in die Mitte des Tisches legen. • Pro Spieler eine Münze oder ein Spieljeton. •  Doppeldeutsche Spielkarten 32 Blatt ( Schnapskarten ). Die Karten haben die Reihenfolge : Sau (= As ), 7 , 8 , 9 , 10 , Bub , Dame , König. Spielziel : »Der Letzte räumt die Höll’ aus !« , das heißt , der letzte Spieler , der zur »Höll’« , dem schwarzen Punkt in der Spielfeldmitte kommt , ist Sieger und bekommt alle Münzen oder Jetons. Strafpunkt : Zu Spielbeginn liegt der Jeton neben dem Spieler. Der erste Strafpunkt bedeutet das Setzen des Jetons auf den Startpunkt im Spielfeld. 214

Von alten Kartenspielen und Brettspielen

Mit jedem weiteren Strafpunkt rückt der Jeton eine Markierung weiter in Richtung »Höll’« , dem schwarzen Punkt in der Spielfeldmitte. »Handeln« : »Handeln« bedeutet hier so viel wie Tauschen. Ein Spieler legt eine Karte , die er nicht benötigt , dem linken Nebenmann verdeckt hin. Dieser nimmt die Karte und legt dafür seinerseits eine Karte von sich verdeckt hin. Die beiden tauschen also Karten. So geht’s : An jeden Spieler wird eine Karte verdeckt ausgeteilt. Er darf sie erst berühren , wenn der Geber ( sobald er fertig ausgeteilt hat ) auf den Tisch klopft. Berührt ein Spieler die Karten vorher , bekommt er einen Strafpunkt. Nun werden die Karten aufgenommen und angesehen. Jeder Spieler überlegt sich nun , ob er die Karte behalten oder damit handeln will. Hohe Karten werden behalten , niedrigere gehandelt. Wer nicht tauschen will , sagt : »I bleib !« Nach einer Runde werden die Karten umgedreht und für alle sichtbar. Der Spieler mit der niedrigsten Karte bekommt einen Strafpunkt. Nun geht das Spiel Runde für Runde weiter. Mit jedem Strafpunkt rücken einzelne Spieler weiter in die Mitte vor , bis sie in den Bereich »Du« , »Sie« , Ihr« und »Stumm« geraten. Wer im »Du«-Kreis ist , muss von allen mit »Du« angesprochen werden , im »Sie«-Kreis mit »Sie« und im »Ihr«-Kreis mit »Ihr«. Ist jemand im »Stumm«-Kreis , ist es verboten , mit demjenigen zu reden. Für den Spieler , der im jeweiligen Kreis ist , gilt das nicht. Er wird die anderen ansprechen und versuchen , sie zu einem Fehler zu verleiten. Dann gibt es einen Strafpunkt. Jeder , der in die »Höll« kommt , lässt seinen Jeton dort liegen und scheidet aus. Der Letzte , der hinkommt , darf alle Jetons an sich nehmen. Er »räumt die Höll’ aus« und ist Sieger.

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Stockschlagen und Sterngucken – Vom Spielen in der Bauernstube

»Bock , steh fest !« 217

E

Stockschlagen und Sterngucken

ine Sitzbank ohne Lehne , ein Tuch , ein Hut , ein Stock , manchmal ein Häferl voll Mehl oder Ofenruß – mehr war nicht nötig , um sich einen Abend lang prächtig zu unterhalten. Im Winter , wenn draußen keine Arbeit mehr zu tun war , waren die Bauernstuben der Ort , wo man »zammsitzen« , reden und Karten spielen konnte. Wenn junge Leute beieinander waren und die Stimmung passte , dann wurde auch gespielt – alte Bauernspiele , bei denen vor allem die Burschen ihre Geschicklichkeit zeigen und ihre Kräfte messen konnten. Diese Spiele sind keine typischen Kinderspiele , obwohl manche auch von Kindern gespielt wurden. Es sind Stubenspiele , die von der großen Spielfreude zeugen , die früher nicht nur Kinder , sondern auch junge Erwachsene besaßen. Sie verbrachten ganze Nachmittage und Abende mit Spielen , die heute – leider – kaum mehr bekannt sind. Einige dieser Spiele wie »Fußhakeln« oder »Fuchs durch d’Lucka treiben« machen auch Kindern Spaß. »Hoban verkaufen« ist ein ideales Pfadfinder- oder Jungscharspiel und wird umso lustiger , je besser man es kann und je schneller man es spielt. Wenige dieser alten Bauernspiele sind heute noch allgemein bekannt , eines der wenigen ist »Fingerhakeln« oder »Hakelziehen«. Dabei versuchen zwei Burschen einander mit »eingehakeltem« Finger über den Tisch zu ziehen. Eines der wichtigsten Dinge bei diesem Spiel war die heftige Anteilnahme des Publikums. Ohne Zuseher , vor allem ohne Mädchen , die zusehen , war dieses Spiel für die »Kraftlackn« praktisch sinnlos. Eine ganze Reihe dieser alten Bauernspiele war eine gute Gelegenheit für die jungen Männer , sich mit einem Gegner in Kraft und Geschicklichkeit zu messen und nebenbei noch bei den Mädchen Eindruck zu machen. Ähnlich dem »Hakelziehen« , aber wesentlich artistischer ist das »Fußhakeln«. Dabei liegen die Kontrahenten mit den Köpfen gegenüber nebeneinander auf dem Boden. Auf Kommando holen sie mit den rechten Beinen Schwung , haken sich beim Gegner ein und versuchen ihn zum »Überkugeln« zu bringen. 218

Vom Spielen in der Bauernstube

Zwei Burschen beim »Pfefferstoßen«. Sie hängen sich mit den Beinen an eine Bank , schwingen das Hinterteil auf und nieder und stoßen »zamm« !

Zwei Mühlviertler , Hans Höglinger , geb. 1941 , und Ernst Moser , geb. 1931 , erklärten mir die Feinheiten des »Fußhakeln« : »Auf oans , zwoa , drei hebt dann der eine den anderen ummi. Das geht aber nur , wenn er stark genug ist. Wenn zwei gleich stark sind , dann haben sie sich gegenseitig im Schwitzkasten gehalten. Dann muss halt einer den anderen überlisten. Der Flinkere gewinnt , weil du musst den Gegner ummischnalzen. Auf die Schnelligkeit kommt es an !« Ich war begriffsstutzig : Auf den Boden legen , Fuß einhakeln – das habe ich noch verstanden – aber wie geht das mit dem »ummischnalzen« ? Die beiden älteren Herren zögerten nicht und legten sich am Boden in Position. Sie stimmten sich ab : »Auf drei ?« Sie zählten mit : »Oans , zwoa , drei !« , hoben zwei Mal jeweils das rechte Bein , hakten sich bei »drei« ein und versuchten den anderen »ummizuschnalzen«. Das gelang zwar nicht ganz , aber Respekt – »Fußhakeln« mit 73 und 83 Jahren kann nicht jeder ! 219

Stockschlagen und Sterngucken

Sehr beliebt bei den Zuschauern war das »Pfefferstoßen«. Bei diesem Spiel gab es keinen Sieger und keinen Verlierer : »Das Pfeffersteßn war einfach ein lustiger Blödsinn. Da haben wir eine Bank hingestellt und zwei Burschen hängen sich mit den Füßen dran , jeder auf seiner Seite. Da hast du dich dann aufschwingen müssen und wieder zruck , und dabei bist du mit dem Hintern zammgestoßen.« Wenn ich meine bäuerlichen Gesprächspartner nach alten Spielen frage , ist das erste Spiel , dass genannt wird , fast immer »Stockschlagen«. »Einer steht gebückt , den Hintern zu den Leuten , und muss die Augen zuhalten. Einer von denen , die hinter ihm stehen , haut ihm jetzt auf den Hintern und der Geschlagene muss erraten , wer es war. Wenn er es erraten hat , kommt derjenige dran , der hingeschlagen hat.« Dieses weitverbreitete Spiel war sozusagen »der« Hit an langen Winterabenden. Mit nicht nachlassender Begeisterung wurde es gespielt , vielleicht auch um dem einen oder anderen Rivalen mit einem besonders wuchtigen Schlag eines auszuwischen. »Wenn’s echt zuhauen , tut das hübsch weh ! Aber meistens hat man ja nicht stark gehaut , besonders dann , wenn Menscher mitgespielt haben.« »Stockschlagen« oder »Schinkenklopfen« war einst ein Spiel für adelige Damen und Herren. Im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg ist auf dem »Spieleteppich« aus der Zeit um 1400 eine fröhliche Gesellschaft zu sehen , die sich unter anderem mit »Schinkenklopfen« vergnügt. Einer der Herren legt den Kopf in den Schoß einer Mitspielerin , bekommt einen Schlag auf sein Hinterteil und muss raten , wer ihn geschlagen hat. Einige der dargestellten Spiele , darunter das »Schinkenklopfen« wurden später zu »Bauernspielen« und manche auch zu Kinderspielen. Etwas weniger derb als das »Stockschlagen« war »Esel , wer reit’ ?« Einer schaut ein und ein anderer springt rücklings auf seinen Rücken. Dann wurde gefragt : »Esel , wer reit’ ?« oder auch : »Esel , wer pickt ?« Der Esel soll nun den Reiter erraten. Gelingt ihm dies , so wird er von dem Reiter abgelöst , im andern Fall muss er Esel bleiben und weiter raten. Manchmal kann es zu einer langen Reihe von Eseln und Reitern. Wenn eine größere Gruppe spielte , reihte sich so lange Esel an Esel , bis endlich einer seinen Reiter erriet.

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Vom Spielen in der Bauernstube Zwei Burschen messen ihre Kräfte beim Raufen. Viele der alten Stubenspiele haben denselben Zweck : Burschen zeigen unter heftiger Anteilnahme des Publikums ihre Kraft und Geschicklichkeit.

Auch auf Bruegels Kinderspielbild ist eine ähnliche Spielszene zu sehen. Wir sehen fünf Buben , die »Bock , steh fest !« spielen. Einer sitzt auf einem schweren Balken und hat den Kopf eines anderen Buben , der sich nach vorne bückt , in seinen Armen ruhen. Ein dritter Junge hat seine Arme um die Mitte des zweiten Knaben geschlungen – beide bilden so den »Bock«. Zwei andere Buben sind auf ihren Rücken gesprungen und halten sich dort schwankend fest. Es geht darum , dass keiner der Reiter den Boden berühren darf , bevor der Letzte sitzt und »Bock , steh fest !« ruft. Der hintere Reiter hält einige Finger in die Höhe und ruft : »Wie viele Hörner sind da ?« Wenn der »Bock« richtig rät , bilden jetzt die Reiter den Bock , wenn nicht , muss der arme »Bock« das ganze von Neuem mitspielen. Noch ein Spiel , bei dem man nicht zimperlich sein durfte , war das »Stock klieben«. »Da knien zwei mit eingehängten Armen vor einer Bank. Die haben so fest wie möglich zammhalten müssen. Ein dritter ist jetzt zwischen die einigschloffn. Wieder zwei andere nehmen jetzt einen Burschen an Händen und Füßen und haben den fest zuwieghaut !« Um dieses Spiel zu verstehen , muss man wissen , dass »Stock klieben« bedeutet , einen Baumstamm mit einem Keil zu spalten. Dies geschieht , indem man mit einem Hammer oder einem Schlägel auf den Keil schlägt. Der Baumstock wird dargestellt durch die zwei Knieenden , der Holzkeil von demjenigen , der sich zwischen sie hineindrängt , der Hammer ist derjenige , der an Händen und Füßen gehalten wird , die Holzarbeiter sind jene , die den Hammer schwingen. Sie schlagen mit dem »Hammer« auf den »Keil« , indem sich die Hinterteile bei jedem Schlag berühren. Dies geschieht so lange , bis sich der »Keil« durch den »Stock« gezwängt hat.

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Stockschlagen und Sterngucken

Die alten Bauernspiele waren nichts für zarte Gemüter. Eine ganze Reihe von ihnen hat sogar nur eines im Sinn – ein ahnungsloses Opfer hereinzulegen. Ein alter Bauer erklärt die Taktik : »Früher war das so : Man ist auf der Bank in der Stube beieinander gesessen und hat gemerkt , einen könnte man heut’ drankriegen ! Das war immer einer , der das Spiel noch nicht gekannt hat.« Ein Klassiker unter den Streichspielen ist »Sterngucken«. Ein nicht Eingeweihter wird auf einen Sessel gesetzt. Man erklärt ihm , dass er nun »Sterngucken« werde. Nun breitet man einen »Rock« , eine Männerjacke , über ihn. Dadurch kann er die Umstehenden nicht mehr sehen und merkt nicht , was sie treiben. Dem »Opfer« wird aber erklärt , dass ein Ärmel der Jacke nun sein Fernrohr sei , mit dem er den »Abendstern« suchen solle. Dabei wird der Ärmel immer höher gehoben , bis er senkrecht steht. Während dieser Zeit werden dem Ahnungslosen die »Sterne« erklärt. Manchmal hielt man eine brennende Kerze oder eine Taschenlampe vor das »Fernrohr« , um dem Spiel den Anschein von Echtheit zu geben. Oft musste einer einen Vortrag über den Sternenhimmel halten. Wenn er z. B. vom Planeten Venus sprach , war dies das vereinbarte Zeichen und Stichwort. Ein Mitspieler schüttet Wasser von oben ins »Fernrohr« hinein , das der überraschte »Sterngucker« ins Gesicht bekommt. Nun weiß das »Opfer« Bescheid und wird nie wieder hereingelegt werden können. Beim nächsten Mal ist er vielleicht selbst bei denjenigen , die einen Ahnungslosen zum »Sterngucken« auffordern. Nach demselben Prinzip funktionierte auch »Kalblziehen«. Bei diesem Spiel wird eine »Kälbergeburt« simuliert. Das ahnungslose »Kalbl« legte sich auf den Boden , drei Mitspieler quer darüber. Alle werden von einer Decke zugedeckt – nun versucht man vergeblich unter lautstarken Rufen »Kalbl zieh !« das Kalb herauszuziehen. Als alles nichts hilft , kommt der Viehdoktor. »Der Doktor hat recht gscheit gredt und gscheit getan. Dann habens das Kalbl ordentlich mit Fett eingeschmiert. Wieder ziagn ! Geht net ! Noch mehr Schmier ! Ziagn !« Endlich ist das Kalb heraußen und nun passiert das , was auch in Wirklichkeit geschieht , wenn ein Kalb geboren wird – es wird mit einem Eimer voll Wasser überschüttet , damit die Lebensgeister des Neugeborenen geweckt werden !

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Vom Spielen in der Bauernstube

Dagegen ist »Buamerhaar und Mescherhaar heiraten« ein fast poetisches , zartes Spiel. Man stellte eine »Lavour« voll Wasser auf den Tisch. In das Wasser hat man zwei Haare hineingelegt. Nun erklärt einer : »Seht’s ! Das Buamerhaar ( Burschenhaar ) und das Mescherhaar ( Mädchenhaar ) heiraten ! Jetzt kommen sie zusammen !« Alle schauen nun auch ins Wasser , um zu sehen , was die zwei Haare tun. Dieses Spiel ist auch bekannt als »Mannder- und Weiberhaar voneinander kennen«. In diesem Fall sollen die Zuseher lernen , wie man ein Frauenhaar von einem Männerhaar unterscheidet. Beide Spielvarianten enden damit , dass einer , der recht nahe zur Schüssel hingeht »eingetunkt« wird. Viele der alten Bauernspiele waren reine Geschicklichkeitsspiele , wie »Hut tauschen« , »Mühl fahren« oder »Fuchs durch’d Lucka treiben«. Auch diese Spiele kommen direkt aus der Lebenswelt von früher. Jeder Bauer führte sein Getreide zur Mühle. Mit Hunden Füchse aus dem Bau zu treiben , war eine Sache , die nicht nur Jägern geläufig war. Und ein Hut war immer zur Hand , weil praktisch jeder Mann werktags und sonntags einen Hut trug. Eines der schönsten Spiele aber ist »Hoban verkaufen« ( Hafer verkaufen ), ein Frage- und Antwortspiel , das so schnell wie möglich gespielt werden soll. Es verlangt höchste Konzentration und ein gutes Reaktionsvermögen der Spieler. Je mehr Spieler teilnehmen , desto lustiger wird es. Spiele wie diese wurden früher an den langen Winterabenden gespielt. Heute sind sie leider in Vergessenheit geraten und von anderen Freizeitaktivitäten verdrängt worden. Doch – es gibt sie noch , die engagierten »Wiederbeleber« von alten Spielen , etwa die Pfadfinder aus Eschenau-Rotheau in Niederösterreich. Sie spielen nicht nur alte Wurfspiele , wie »Ditschgerln« und »Pflöckeln« , sie wissen auch , wie man »Hoban verkaufen« spielt. Am Lagerfeuer , wenn 30 oder 40 Pfadfinder beieinander sitzen , dann geht’s los : »Hausknecht !« – »Wos schofft der Moaster ?« – »Wos kost der Hoban ?« – »2 Gulden !« – »3 Gulden ?« – »Wos schofft der Moasta ?« Die genaue Anleitung für dieses Sprechspiel findet sich im Anschluss an dieses Kapitel – auf dass »Hafer verkaufen« wieder bei dem einen oder anderen gemütlichen Beisammensein gespielt wird !

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Stockschlagen und Sterngucken

p Hut tauschen

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Man braucht : • 2 Hüte • Sitzbank ohne Lehne Beide Spieler tragen einen Hut auf dem Kopf. Ein Spieler liegt rücklings am Boden und legt seine Beine bis zu den Kniekehlen auf das Ende einer Bank. Der zweite Spieler setzt sich rittlings auf die Beine des Liegenden und hält sie so fest. Mit den Händen hält er sich an den Bankkanten an. Der Liegende beugt sich hinauf und ergreift mit der einen Hand seinen eigenen Hut und mit der anderen Hand den Hut des anderen und beginnt nun die Hüte fortwährend zu tauschen. Das funktioniert nur gut , wenn auch der oben Sitzende sich ein wenig zu seinem Gegner hinunterbewegt. »Seckiert« er ihn und weicht er zurück , dann wird das Spiel für die Zuschauer umso unterhaltsamer.

p Fußhakeln

Erklärt von Hans Höglinger und Ernst Moser aus Sarleinsbach. Zwei Spieler liegen mit ihren rechten Seiten eng nebeneinander auf den Boden. Wichtig ist , dass die Köpfe entgegengesetzt gerichtet sind , sodass die jeweiligen Köpfe bei den Füßen des Gegners zu liegen kommen. Die rechten Arme werden ineinander gehakt. Nun werden die Füße auf das Kommando »Eins , zwei , drei !« drei Mal senkrecht angehoben und beim dritten Mal ineinander eingehängt. Jetzt versuchen die Gegner durch kräftiges Niederdrücken einander »ummi zu heben« , also auf die andere Seite zu heben. Es kommt bei diesem Spiel nicht nur auf die Stärke an , sondern auch , wer der Schnellere und Flinkere ist und den anderen überlisten kann !

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Vom Spielen in der Bauernstube

p Fuchs durch’d Lucka treiben

( Fuchs durch die Lucke treiben ) Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Man braucht : • Sitzbank ohne Lehne Bei diesem Spiel gibt es zwei Rollen : den Hund und den Fuchs. Der Fuchs liegt unter der Bank , der Hund liegt auf der Bank. Das ist die Ausgangsposition : Der Fuchs ist im Bau , der Hund lauert vor dem Loch. Jetzt geht es um Geschwindigkeit und um Geschicklichkeit : Der Fuchs muss hinunter , der andere muss hinauf. Der eine lässt sich niederfallen , damit er schnell unten ist. Der andere muss dann so schnell wie möglich auf die Bank. Kaum ist er oben , muss er wieder herunter , weil er ja von unten gejagt wird. Das Spiel beginnt in großem Tempo und hört auf , wenn einer nicht mehr »nachikimmt« !

p Mühl fahren

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. Man braucht : • Stecken oder Stange , etwa 2 Meter lang und stark genug , um das Gewicht eines Mitspielers zu tragen Zwei Burschen nehmen die Holzstange über die Schultern – die Stange symbolisiert das Fuhrwerk , das beladen mit Säcken in die Mühle fährt. Ein dritter , der Bauer , setzt sich rittlings auf die Stange. Er ist es , der mit seinem Fuhrwerk in die Mühle unterwegs ist. Nun entwickelt sich zwischen einem Träger und dem Bauern folgender Dialog : 225

Stockschlagen und Sterngucken

Träger : »Nimmst mir das Mahlter ( Mahlgut ) mit ?« Bauer : »Na !« Träger : »Oft hau i di owi !« Nun versuchen die Träger den »Bauern« von der Stange zu werfen. Der »Bauer« muss nun sehr geschickt sein , um nicht abgeworfen zu werden. Wird er aus dem Gleichgewicht gebracht , kann er versuchen , mit einer Rundumdrehung wieder sitzend auf der Stange zu landen. Bleibt er aber unten hängen , muss er seinen Platz einem anderen Spieler überlassen. Variante des Dialogs : Träger : »Wo fahrst hin ?« Bauer : »In’d Mühl !« Träger : »Nimm mi a mit !« Bauer : »Na !« Träger : »Oft hau i di owi !«

p Hoban verkaufen ( Hafer verkaufen )

Ein Frage- und Antwortspiel , erklärt von den Familien Höfler , Öhler und In­ dra aus Sarleinsbach im Mühlviertel. Dieses Sprechspiel soll so schnell wie möglich gespielt werden , nur dann macht es richtig Spaß. Je mehr Spieler teilnehmen , desto lustiger wird es. Zunächst werden die Rollen verteilt : Einer ist der »Meister« , einer der »Hausknecht« , alle anderen Personen sind Gulden. Es gibt »Ein Gulden« , »Zwei Gulden« , »Drei Gulden« und so weiter , je nach Anzahl der Beteiligten. Nun wird folgender Dialog gesprochen : Meister : »Hausknecht !« Hausknecht : »Was schofft der Moasta ?« ( Was will der Meister ? ) Meister : »Wos kost da Hoban ?« ( Was kostet der Hafer ? ) 226

Vom Spielen in der Bauernstube

Hausknecht : »2 Gulden« Meister : »2 Gulden ?« 2 Gulden : »Wos schofft der Moasta ?« Meister : »Wos kost da Hoban ?« 2 Gulden : »4 Gulden« Meister : »4 Gulden ?« 4 Gulden : »Wos schofft der Moasta ?« usw. Der »Meister« ist der Spielleiter. Sobald jemandem ein Fehler unterläuft , wird der Dialog wieder neu vom Meister mit dem Hausknecht begonnen. Der Meister kann sich aber auch »verhört« haben. Dann muss diejenige Person antworten , die er nennt : 2 Gulden : »Wos schofft der Moasta ?« Meister : »Wos kost da Hoban ?« 2 Gulden : »4 Gulden« Meister : »3 Gulden ?« 3 Gulden : »Wos schofft der Moasta ?« Wer es ein bisschen schwieriger mag , verteilt noch zusätzlich weitere Rollen : Wia tei ? ( Wie teuer ? ) Wos ? ( Was ? ) So tei ? ( So teuer ? ) Das Stichwort für diese Personen gibt der Meister , wenn er deren Namen sagt : 2 Gulden : »Wos schofft der Moasta ?« Meister : »Wos kost da Hoban ?« 2 Gulden : »4 Gulden« Meister »Wos ?« 227

Stockschlagen und Sterngucken

Wos : »Wos schofft der Moasta ?« Meister : »Wos kost da Hoban ?« Wos : »4 Gulden« Meister : »Wia tei ?« Wia tei : »3 Gulden« Wer einen Fehler macht , was umso leichter passiert , je schneller das Spiel gespielt wird , bekommt mit Ruß einen schwarzen Punkt auf die Stirn verpasst. Auch der Meister kann Fehler begehen , indem er einen Gulden nennt , der gar nicht mitspielt oder den Fehler eines Mitspielers überhört. Das Spiel wird so lange gespielt , solange es den Spielern Freude macht. Sieger und Verlierer gibt es nicht , aber bei so manchem Mitspieler wird man vor lauter Ruß die Gesichtsfarbe nicht mehr erkennen !

p Stockschlagen

Wie es seit vielen Generationen bei uns am Land gespielt wurde. Man braucht : • eventuell einen Hut zum »Einschauen« Ein Spieler muss einschauen , das heißt , er steht gebeugt vor einem Sitzenden und verbirgt sein Gesicht in einem Hut , den der Sitzende hält. Steht kein Hut zur Verfügung , kann man dem Spieler auch die Augen zuhalten. Alle anderen Mitspieler stehen um den Gebückten herum. Nun haut der erste auf das Hinterteil. Der Einschauende muss nun erraten , wer ihn geschlagen hat. Errät er es nicht , haut der Nächste. Dies geht so lange , bis der »Schläger« enttarnt wurde. Dann erfolgt eine Ablöse : Jetzt ist dieser dran , einzuschauen und zu raten.

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Vom Spielen in der Bauernstube

p Sterngucken

Wie es seit vielen Generationen bei uns am Land gespielt wurde. Man braucht : • »Rock« ( Jacke oder Jacket ) • ein Gefäß mit Wasser • ev. Taschenlampe oder Kerze Ein nicht Eingeweihter wird auf einen Sessel gesetzt. Man erklärt ihm , dass er nun »Sterngucken« werde. Über ihn wird ein »Rock« ( Jacke ) gebreitet. Ein Ärmel , der das »Fernrohr« darstellt , wird hochgehoben. Nun soll er mit dem »Fernrohr« den »Abendstern« suchen. Dabei wird der Ärmel immer höher gehoben , bis er senkrecht steht. Man kann auch eine brennende Kerze oder eine Taschenlampe vor das »Fernrohr« halten , um dem Spiel den Anschein von Echtheit zu geben. Währenddessen erklärt man dem Sitzenden mehr oder weniger sachkundig die Sternenwelt. Plötzlich schüttet ein Mitspieler Wasser von oben in das »Fernrohr« hinein , das der überraschte »Sterngucker« ins Gesicht bekommt.

p Buamerhaar und Mescherhaar heiraten

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. In der schönen Mühlviertler Mundart heißen die Mädchen »Mescher« , nicht »Menscher« , wie sonst in Österreich üblich. Man braucht : • Eine Schüssel voll Wasser • zwei Haare

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Stockschlagen und Sterngucken

Man stellt eine Schüssel voll Wasser auf den Tisch. In das Wasser hat man zwei Haare hineingelegt. Nun sagt ein Anwesender mit Blick in das Wasser : »Seht’s ! Das Buamerhaar ( Burschenhaar ) und das Mescherhaar ( Mädchenhaar ) heiraten ! Jetzt kommen sie zusammen !« Alle schauen nun auch ins Wasser , um zu sehen , was die zwei Haare tun. Diejenigen , die das Spiel nicht kennen , gehen meist recht nahe mit dem Gesicht zur Schüssel , um genau zu sehn , was sich da abspielt. Nun wird der Kopf geschwind ins Wasser eingetaucht. Das hat man natürlich nur ein Mal tun können ! Beim nächsten Mal war derjenige schon vorgewarnt !

p Meaml opfausen

Erklärt von der Gesprächsrunde im Hause der Familie Höfler in Sarleinsbach : Maria Höfler , Frieda Andorfer , Christine Indra , Hans Höglinger und Ernst Moser. »Meamln« ist Mühlviertlerisch und bedeutet »mit vollem Mund undeutlich sprechen« , »opfausen« heißt so viel wie »jemandem etwas mit Druck ins Gesicht blasen«. Man braucht : • etwa 1 Tasse Mehl Einem Nichteingeweihten wird erzählt , dass er einem anderen , der gerade nicht im Zimmer ist , einen Streich spielen könnte. Er muss den Mund voll Mehl nehmen und wenn derjenige kommt und ihn etwas fragt , dann soll er ihm das ganze Mehl ins Gesicht blasen. Nun kommt derjenige herein und übersieht die Person , die Mehl im Mund hat , absichtlich. Auch kein anderer fragt ihn etwas und allmählich wird das Mehl im Mund zu einem Knödel. Das war für die anderen lustig , besonders als der »Mehlpapp« wieder ausgespuckt werden musste. Wie bei allen anderen Streichspielen auch , musste hier der Hereingelegte gute Miene zum bösen Spiel machen. 230

Glossar auffi : hinauf

aufklauben : aufheben

aussazogn : herausgezogen

Loahm : Lehm

Moasta : Meister

heigen : Heu arbeiten

ballestern : Fußball spielen

Klescher : Knall

Bleamerl : Blumen

Klumpert : wertloses Zeug

eini : hinein

Kuhln : Kühe

Feitl : Taschenmesser

Lavour : Waschschüssel

Bersch : Bursche Bloder : Blase

eintunken : eintauchen

Flachs : gemeiner Lein , die daraus ge-

wonnene Faser wird nach dem Weben

Leinen genannt

klieben : ( Holz ) spalten kräuln : klettern

Kukuruz : Mais Loahm : Lehm

Marillen : Aprikosen

Menscher , Mescher ( OÖ ): Mädchen

Fuada : Fuder , Fuhre

Nagal : Nägel

gschloffen : geschlüpft

Oans : Eins

Häfen : Töpfe

ostechn : schlachten

füreinand : hier : nacheinander

Gstettn : ungepflegte Grünanlage heindln : mit einer Haue den Boden lo-

ckern

Hetscherl : Hagebutten hoaßen : heißen

nachikommen : mithalten können

oft : hier : dann owa : herunter owi : hinunter

pecken : ( Ziel ) treffen plärren : schreien

Hoban : Hafer

Priegl : hier : Holzbretter

Holler : Holunder

Roa : Rain , Grenze , Rand

klieben : einen Baumstamm mit einem

Sabl : Säbel

kropfad : mit Kropf

Scheitel : hier : Holzscheit

Lucka : Lücke

schnoaten : umwerfen

Hoberkern : Hafer ( Getreide ) hutschen : schaukeln

Keil spalten

lachad : zum Lachen aufgelegt , lachend luckert : löchrig

rearn : weinen

roaten : raten , denken

scheiben : hier : ( Kugel ) rollen schleatzn : schnipsen

schoffen : hier : befehlen 231

Glossar Schucherl : kleine Schuhe

Tschingl : Taschenmesser

Schulerbua : Schüler

Tschurtschen : Nadelbaumzapfen

Schüppl : hier : eine Menge seckieren : ärgern

Stanerl , Stoanl : Steinchen spüln : spielen

trickat : getrocknet

Trum : großes Stück

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Türkentschurtschen : Tannenzapfen umadum : herum

umdraht : umgedereht ummi : hinüber

wia vui : wie viel ziagn : ziehen

Literatur Emil K. Blümml , Fr. Höfer : Die Beziehungen der Pflanzen zu den Kinderspielen in Niederösterreich. In :Zeitschrift für österreichische Volkskunde. V. Jahrgang 1899.

Der Letzte muß gefangen sein. Überlieferte Kinderspiele ausgewählt von Doris Sauer. Trautenfels 1990.

Die Diarien und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach ( 1598–1667 ). Hrsg. v. Katrin Keller und Alessandro Catalano. Wien , Köln , Weimar 2010.

Johann Christoph Friedrich GuthsMuth : Spiele zur Übung und Erholung des Körpers

und Geistes. Für die Jugend und ihre Erzieher und alle Freunde unschuldiger Ju-

gendfreuden. Schnepfenthal 1796.

Jeanette Hills : Das Kinderspielbild von Pieter Bruegel d. Ä. Veröffentlichungen des Österreichischen Museums für Volkskunde. Band X. Wien 1957.

Otto Kampmüller : Oberösterreichische Kinderspiele. Linz 1965.

Adalbert Klier , Karl M. Klier : Lieder , Reime und Spiele der Kinder im Burgenland. Eisenstadt 1957.

Ulrich Schäfer : Vertreibung aus dem Paradies ? Über das Tempelhupfen. In : Spiele der

Stadt. Katalog zur 384. Sonderausstellung des Wien Museums. Wien , New York 2012.

Ernst Strouhal : »Wingerl , wangerl , Wuperzu …« In : Spiele der Stadt. Katalog zur 384. Sonderausstellung des Wien Museums. Wien , New York 2012.

Astrid Telnig-Schall : Kinderspiele einst und jetzt. Diplomarbeit. Graz 2005.

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Bildnachweis Ing. Hans Alfons /  Ingeborg Förster , Hartberg : S. 175 Familie Andorfer , Berg b. Hamet : S. 156 , S. 205

Bezirksmuseum Ottakring , Fotografien von Rudolf Spiegel , Wien : S. 17 , S. 69 , S. 99 , S. 121 , S. 123 , S. 133 , S. 191

Wolfgang Eberdorfer , Stainach : S. 137 Familie Ellmeier , Stanz i. M. : S. 211

Siegfried Fleck , Waizenkirchen : S. 219

Inge Friedl , Graz : S. 177

Karl Friedl , Graz : S. 47 , S. 139 , S. 203

Marlene Friedl , Graz : S. 54 , S. 57 , S. 58 , S. 164 , S. 180 , S. 214 Siegfried Paul Gelhausen , Dellach im Drautal : S. 45

Gertraud Hinterberger , Wimm bei St. Thomas : S. 109 Christina Höber , Graz : S. 55

Familie Höfler , Sarleinsbach : S. 189

Mag. Franz Jäger , Parschlug : S. 35 , S. 41 , S. 63 , S. 85

Familie Kammerhofer , St. Ilgen : S. 23 , S. 72

Ing. Hannes Königsecker , Linz : Titelbild , S.  73 , S.  87 , S.  97 , S.  107 , S.  111 , S.  112 , S.  153 , S. 155 , S. 157 , S. 159 , S. 161

Franz Lechner , Bad Goisern : S. 31

Waltraud Lesky , Maria Lankowitz : S. 61 Familie Lutzmann , Irdning : S. 125

Maria Mayer , Linz : S. 37 , S. 62 , S. 71 , S. 193 Gertrude Pongratz , Wolfsberg : S. 49

Robert Rybaczek , Stössing : S. 140 , S. 144 Marion Schweighofer , Helfenberg : S. 65 Maria Steinler , Breitenau : S. 221

Universalmuseum Joanneum , Volkskundemuseum Graz : S. 21 , S. 33 , S. 83 , S. 91 , S. 135

Atelier Walter Oczlon , St. Johann i. Pongau : S. 19

Familie Wenter , Linz : S. 25 , S. 27 , S. 39 , S. 51 , S. 53 , S. 100

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KATHRIN FRIEDL

SCHULZEIT WIE’S FRÜHER WAR

Der lange Schulweg , den die Kinder im Sommer barfuß zurücklegten , Scheitelknien als Strafe , der gusseiserne Schulofen und das gemeinsame Heilkräutersammeln für die Front. Das sind nur einige Schlagworte , die das Bild vom Schulegehen in alter Zeit prägen. Noch gibt es Menschen , die in einklassige Volksschulen gingen , die sich vor dem strengen Herrn Lehrer fürchteten , denen ein Apfel als Jause das Wertvollste war und die als Unterrichtsfach noch Schönschreiben hatten. Die Freizeit war spärlich und die Schule stellte eine Abwechslung vom Arbeitsalltag am Hof dar. Die Erinnerungen jener Personen , die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Schüler waren , sind kostbar. Sie sind schön , traurig , lustig und berührend. Ein unsentimentaler Blick zurück zeigt , wie es damals gewesen ist. 2010. 164 S. GB. 43 S/W-ABB. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-78557-6

„Auch für Junge ist es spannend zu erfahren , wie die Oma oder der Uropa einst lebte.“ KURIER böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

INGE FRIEDL

VOM EINFACHEN LEBEN

Ein Leben mit nur wenig Geld, in dem Auto, Urlaub oder auch nur eine Waschmaschine unbekannten Luxus bedeuteten. Ein Leben geprägt von harter Arbeit und Gemeinschaftssinn, frei von Terminstress und Reizüberflutung. Menschen, die ohne Strom oder fließendes Wasser lebten, abends am Stubentisch zusammensaßen und auf Strohmatten schliefen. Inge Friedl hat Menschen getroffen, die ihr von diesem einfachen, aber erfüllten Leben im Rhythmus der Jahreszeiten berichten. 2011. 165 S. 57 S/W-ABB. GB. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-78738-9

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

INGE FRIEDL

FAMILIENLEBEN IN ALTER ZEIT FÜNF KINDER UND MEHR

Noch gibt es Menschen , die von einer längst vergangenen Zeit erzählen können. Von einer Zeit , in der Familien mit mehr als fünf Kindern keine Seltenheit waren , in der es noch Rauchkucheln gab , in der Kinder bis zum ersten Frost „bloßfüßig“ gegangen sind. Eine Zeit , in der Kinderarbeit selbstverständlich war , in der Hausgeburten zur Normalität gehörten und die vorallem „a weng kluag“, also karg und bescheiden war. Das Familienleben am Land – wie es früher einmal war , vor 50 , 70 und 90 Jahren. Harte Arbeit , Armut und enges Zusammenleben prägte die Menschen , aber auch ein überschaubarer Lebensrhythmus , der oft unerwartet seine kleinen Freuden bot. Alles hatte seinen zugewiesenen Platz , Geburt und Tod wurden nicht aus dem Haus verbannt , die Arbeit von den Jahreszeiten bestimmt und Feste in immer wiederkehrender Abfolge gefeiert. Zahlreiche Fotografien und Rezepte von „Leibspeisen aus alter Zeit“ machen diesen Band auch zu einem idealen Geschenk. 2007. 155 S. ZAHLR. S/W-ABB. GB. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-77670-3

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KURT BAUER (HG.)

BAUERNLEBEN VOM ALTEN LEBEN AUF DEM LAND

Wie war das Leben im Dorf und auf dem Land früher wirklich ? Erzählungen von mehr als zwanzig Frauen und Männern , die auf dem Bauernhof aufgewachsen sind und oft ihr ganzes Leben in der Landwirtschaft tätig waren , geben Einblicke in diese fast gänzlich verschwundene Welt. Von Idylle oder rustikaler Romantik ist da keine Spur. Karge Verhältnisse und schwere körperliche Arbeit , aber auch Lebensfreude , prägten den Alltag. Zahlreiche Fotografien ergänzen diesen Rückblick auf die bäuerliche Existenz einer vergangenen Zeit. 4., DURCHGES. AUFL. 2014. 240 S. 49 S/W-ABB. GB. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-79568-1

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