Allgemeine Geschichte der Religionsformen der heidnischen Völker: Teil 1 Die Religions-Systeme der heidnischen Völker des Orients 9783111612072, 9783111236384


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Table of contents :
Vorrede
Inhalt
Verbesserungen
Allgemeine Einleitung
Ost - Asien
Geographische Vorbemerkungen
Religion der Chinesen
Religion der Japaner
Indien
Religionszustand unter den Völkern des Hochlandes und Nordens von Asien
Religionszustand auf Ceylon und in Hinterindien
Religionsgeschichte der Völker, welche die Inseln der indisch-chinesischen Meere bewohnen
West-Asien
Feuerdienst von Iran
Die Religionsgeschichte der Völker Vorder,Asiens
Nachtrag
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Allgemeine Geschichte der Religionsformen der heidnischen Völker: Teil 1 Die Religions-Systeme der heidnischen Völker des Orients
 9783111612072, 9783111236384

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Die

Neligions - Systeme der heidnischen Völker des Orients.

Dargestrllt von

P. F. Stnh r.

Berlin; Verlag von Veit und C o m p.

1836.

Vorrede.

rtDet der Ausarbeitung des vorliegenden Werkes war

es dem Verfasser weniger darum zu thun, die ganze

Masse des Stoffes,

der an die behandelten Gegen­

stände sich anreihen ließe, in ihrem verwirrenden und

verworrenen Reichthume neben einander zu stellen, als

vielmehr darum, einestheils das geistig Bedeutsame in den

Religionssystemen

der

heidnischen

Völker

des

Orients anschaulich und klar hervorzuheben und dar­ zustellen,

anderentheils die religiöse Entwicklung im

Geiste jener Völker im Verhältnisse zur Natur und Geschichte zu erläutern.

In sich selbst können die

einzelnen, im Leben hervorgetretenen oder hervortre­ tenden

Richtungen

ihre

Erklärung

und

wahrhafte

Deutung nicht finden, sondern nur dadurch, daß fie

Vorrede.

(iv) in

ihren Beziehungen

zum Ganzen gefaßt werden,

und jedes Einzelne in seiner Stellung zu dem, wo­ durch es mit dem Ganzen auf eine lebendige Weife verknüpft ist, zur Natur und Geschichte nämlich, be­

griffen wird.

Weder Betrachtungen, die von einem

abstrakt - philosophischen

Standpuncte

aus angestellt

würden, noch die von einem reinpsychologischen, könn­ ten zu einer wahrhaften Erläuterung genügen; viel­

mehr muß die Betrachtung ihren Gegenstand in ihrer Wurzel in der Natur zu erfassen bestrebt sein, zugleich

in Beziehung

auf das,

und

worauf es in der

Geschichte hinweist.

Das Heidenthum in seiner Gesammtheit und in seinen verschiedenen einzelnen Formen steht in einer geschichtlichen Beziehung zum Christenthum, und diese von allen Seiten klar in'ö Licht zu stellen, darin be­ ruht die höchste Aufgabe der Mythologie.

Eö selbst

aber hat seinen Boden in der Natur, inwiefern näm­ lich alle heidnische Gesinnung ihre ursprüngliche Wur­

zel in dem Verfallensein des menfthlichen Geistes an

die Natur hat,

und aus diesem seinen Boden muß

es in seinen verschiedenen Formen und Gegensätzen

erläutert werden.

Hiernach ist der Platt, der bei der Ausarbeitung des vorliegenden Werkes zu Grunde gelegt ward, zu

beurtheilen.

Anderes oder Mehreres, als was dem­

gemäß vorgezeichnet war, zu geben, ward Nicht beab­ sichtigt.

Sollte es sich erweisen, daß für die gelehrte

oder die gebildete Welt wirklich ein Bedürfniß vor­

handen wäre nach einer breiten, weitschichtigen Zusam-

Vorrede.

(v)

menstellung der mannichfaltigen Sagen aus dem reichen Mythenkreise der Indier, so mag diese Arbeit Anderen

überlassen bleiben. Nöthen,

Vor Allem zuerst aber ist eö von-

die Mannichfaltigkeit des Stoffes in ihrem

inneren geistigen Zusammenhänge zu durchschauen, ehe man dazu schreitet,

bei dessen An­

den Reichthum,

schauung der nicht orientirte Blick leicht sich verwirren

kann, auseinanderzubreiten.

Ueberhaupt ist bei dem heutigen Zustand der Lite­ ratur für wissenschaftliche Untersuchungen und Dar­

stellungen jeder Art, soweit es nur immer das, was

die Gründlichkeit fordert, zulaßt, möglichste Kürze zu Eben deshalb auch ist

erstreben und anzuempfehlen.

jene Unart der zunächst verstossenen Zeit, in solche

Kreise wissenschaftlicher Forschungen, die noch weniger durch das Licht der Kritik aufgehellt worden sind, oder aus gänzlichem Mangel an

überhaupt

nicht aufgehellt

historischen Nachrichten werden

Scheinbilder der Vermuthung, oder

willkührlicher

allerlei

der Wahrscheinlichkeit

Vorauesehung

durchaus zu vermeiden.

können,

hineinzuzaubern,

Dem Gelehrten ist bei jedem

Gegenstände der Forschung der Stoff für seine Be­ trachtung gegeben;

er mag zusehen,

waö er geistig

daraus zu bilden im Stande ist; aber über die Gren­

zen dessen, was ihm durch den gegebenen Stoff dar­

geboten ist, darf er nicht herüberschweifen. jeder Vermuthung freilich kann man,

Aller und

nach dem Zu­

stande, worin sich die Wissenschaften einmal befinden, nicht immer und überall sich enthalten; jedenfalls aber

muß man dabei keusch und züchtig verfahren.

Nichts

Vorrede.

(VI)

ist gefährlicher für eine klare, gediegene Fortbildung wahrer Wissenschaftlichkeit, und nichte giebt es, wo­

durch mehr, sowohl für den, der ee unternimmt, als für den,

der wieder zum Herunterreißen sich berufen

fühlt, Kraft und Zeit auf unnütze Weise verschwendet wird, alö daö willkührliche Aufrichten von Luftgebäuden,

die in ihrer Anlage einen Schein von Geistreichheit zeigen. Darum wurden bei der Ausarbeitung des vorlie­

genden Werkes strenge Grundsätze der Kritik befolgt.

Inwiefern dieselben,

besonders in Rücksicht auf ihre

Anwendung auf die so schwierigen Forschungen in dem

Gebiete der

Sagengeschichte der Indier allgemeiner

Anerkennung sich werden zu erfreuen haben, wird die Zukunft entscheiden.

festen Ueberzeugung,

darüber

Der Verfasser lebt der

daß man nur auf dem Wege,

den er sich gebahnt hat, endlich zum Ziele gelangen werde, und allgemein den Standpunkt gewinnen, von

welchem aus ein freier und klarer Blick in die bisher noch so dunkelen Gebiete der Religionögeschichte der

orientalischen Völker gestattet sein mag.

Wie sehr es

einer gänzlichen Umwandelung in der Art und Weise wie zum Theil bisher die wissenschaftlichen Forschungen in jenen Gebieten betrieben worden sind, bedürfe, dar­

über hat August Wilhelm v. Schlegel vor einiger Zeit auf eine sehr überzeugende Weise geredet.

Möchten

unter den Engländern und Franzosen diejenigen, an die die Rede gerichtet ist, durch dieselbe von ihren Abwegen

zurückgerufen werden;

alsdann auch würde man in

Deutschland, einem guten Beispiele folgend, allgemei­

ner zur Besinnung kommen.

Vorrede.

(vii)

Obschon allerdings die wissenschaftliche Forschung

in dem Gebiete der Geschichte und Literatur der Völker Ost-Asienö nur erst im Keimen ist;

so ist dennoch

durch das Zusammenwirken der Kräfte von Männern, wie Colebrooke, Abel-Remusat, Wilson, Hamilton,

Wilhelm von Humboldt, Schlegel, Schmidt, Bopp, Klaproth und Anderen sehr viel zu Stande gebracht.

Es kommt nur darauf an, daö reine Metall aus den Erzen herauszuschaffen, den vorliegenden mannichfaltigen

Stoff geistig zu beleben, das, was der Eine von seinem Standpunkte aus zu Tage gefördert hat, mit dem, was

der Andere bringen.

darbietet,

in

sinnreiche Verbindung zu

Der Reichthum an Stoff in Rücksicht auf

den vorliegenden Gegenstand genügt hinlänglich,

rrm

dazu aufzufordern, sich zum Werke geistiger Verarbei­

tung anzuschicken.

Nur muß bei diesem mit großer

Sorgfalt verfahren werden, und wenn irgendwo,

so

ist bei Untersuchungen in dem Gebiete der indischen Sagengeschichte eine scharfsinnige Kritik theils zu ent­

wickeln, theils erforderlich.

Hauptgrundfähe, wonach

dieselbe in diesem Kreise zu verfahren habe, lassen sich jeht schon mit Sicherheit aufstellen, und ohne Zweifel

müssen sich in eben dem Maaße, wie man mit seinem

Blicke tiefer in den Gegenstand eindringt, Verhältnisse eröffnen, an denen reicher im Einzelnen maaßgebende

Regeln sich werden entwickeln lassen. Vieles von dem, waö in der europäischen Litera­

tur als indisch gilt, muß ganz und gar zur Seite ge­ schoben- vieles, was als uralten Zeiten angehörig be­

trachtet wird, für jüngere Zeiten in Anspruch genom

Vorrede.

(VIII)

men werden.

Im Großen und Ganzen lassen sich

die Massen schon ordnen, und dafür ist schon viel

geschehen; doch bleibt noch viel zu thun übrig, haupt­

sächlich

mit

aus

dem

Grunde,

weil

der indische

Schwindelgeist nicket bloß in Indien mächtig sich er­

sondern auch

weist,

mit der Kunde von

indischer

Wissenschaft und Kunst nach Europa gekommen ist, und hier noch immer auf der Warte steht, in jedem Augenblicke

um sich

die Gelegenheit zu erspähen,

wiederholt vorzubrechen.

Es giebt eine Parthei, die als die der Verdüste­ rung zu bezeichnen ist, und die überall darnach strebt,

die Wissenschaften in ein mystisches Dunkel zu hüllen, auch dabei nichts verschmäht, was ihren Zwecken dien­

lich scheinen mag. was in

Gern daher ergreift sie auch daS,

den wahnreichen Gebilden

des Geistes der

Indier zur Förderung ihrer Absichten sich ihr darbie­

tet.

Auf der anderen Seite dagegen giebt es auch

leichtfertige Gelehrte, die nicht wenig dazu beigetragen haben, in dem wissenschaftlichen Gebiete, von welchem

hier die Rede ist,

in ihrer Ungründlichkeit auf man-

nichfaltige Weise Verwirrung anzurichten.

Dies Alles fordert zu einer strengen Sichtung der gegebenen Berichte und

sowie zu

aufgestellten Ansichten,

einer sorgfältigen Wahl der Quellen,

man benutzt, auf.

die

Viele Bücher über indisches Alter­

thum sind völlig unbrauchbar und ganz zur Seite zu

schieben.

rice, haben.

Dahin gehört unter Anderem,

was Mau­

Wilford und die Frau von Polier geschrieben

Andere Bücher,

wie die von Kennedy und

Vorrede.

(ix)

die von Tod sind nur zum Theil mit großer Vorsicht

zu benuhen.

Eine Geschichte der europäisch-indischen

Literatur hier zu geben, kann indeß die Absicht nicht sein.

ES kam hier nur darauf an,

im Allgemeinen

auf die Grundfähe der Kritik hinzudeuten, die bei der

Ausarbeitung des vorliegenden Werkes befolgt worden sind.

Welche Schriften vorzugsweise benuht worden

sind,

dies erhellt aus den beigefügten Anmerkungen.

Besondere Angaben darüber aber,

welche Schriften

dem Verfasser unzugänglich waren, und welche er un­

brauchbar befunden habe, sind unnüh.

Was die Form

der Darstellung betrifft, so ward, nebst Klarheit und Anschaulichkeit, ganz besonders Kürze erstrebt.

Schließlich ist noch der wohlwollenden Güte zu gedenken,

wit welcher Seine Excellenz der Freiherr

Alexander von Humboldt die Gefälligkeit gehabt ha-

ben,

die gelehrte Abhandlung des dahingeschiedenen

Freiherrn Wilhelm vonHumbaldt über die Verbindungen zwischen Indien und Jawa mir zu einer Zeit, in welcher dieselbe noch nicht öffentlich ausgetheilt war, zur Be-

nuhung mitzutheilen.

Für die Ausarbeitung meiner

Abhandlung über die Religionsgeschichte der Malayen

konnten mir hierdurch nur wesentliche Vortheile und Erleichterungen erwachsen, und Seine Excellenz wollen

mir daher erlauben, daß ich hiermit öffentlich meinen schuldigen Dank abstatte. Auch mein Bedauern darf ich äußern, daß das lehte Werk des Dahingeschiedenen,

in welchem sein

seht verklärter Geist schon in seiner Verklärung auf Erden sich darstellt, die Abhandlung über daö Wesen

(x)

Vorrede.

der Sprache und der Sprachen, noch nicht in die Hand genommen werden konnte, ehe die allgemeine Einleitung zu dem vorliegenden Werke geschrieben ward. Die Gegenstände, die in dieser Einleitung be­ handelt werden, beziehen sich zwar nicht unmittelbar auf Sprachwissenschaft, aber was in jener Abhandlung über das Bewußtwerden des Geistes im Worte ge­ sagt und wie es durchgeführt worden ist, hat meinen Geist lebhaft anregen müssen, und in der Art, daß ich gewiß bin, in Folge dieser Anregung würde, wenn sie früher geschehen wäre, das, was in jener erwähnten Einleitung gesagt worden ist, eine glänzendere, verklatere Farbe gewonnen haben.

Vorrede.............................................. Einleitung

..............................

O st * Asien

I— LXIII Seite (in)—(x) 1-335

Geographische Vorbemerkung gen S. 3 — 8 Religion der Chinesen. / »— 36 Religion der Japaner. / 37— 53

Indische Religion

,

54—341

Vorwort S. 54— 68 Religion der Weda'« , 69— 9$ ReligionssormderHeroenzeit « 9-1—132 Zeitbestimmungen für die indische Ge­ schichte / 133—146 Buddhaismus. ... / 147—197 Die »erschiednen See­ len in Indien . / 198 — 241

Religionsjustand unter den Völ­ kern des Hochlandes und Nordens von Asien , 242—270 Religionsjustand aufCeylon und in Hinterindien , 2*1-300 Religionsgeschichte der Völker, welche die Inseln der indisch­ chinesischen Meere bewohnen , 301 — 335

(xn)

Inhalt.

® e R » Asien..................................

Seite $36—448

Feuerbienst von Iran ..... S. $30—375 Verwart

S- 339—345

Darstellung de-FeuerDienste« .... - 346—375

Die Religionsgeschichte der Döl»

ker Vorder » Asiens Literarische- Vorwort S. 376 — 383 Darstellung der Reli, -ion-fermen der heidnischen Völker Worder-Astent. • 384—448

, 376—448

E- wirb durchgehend-, wo da- Wort verkommt/ Kung-Fu'Dsii gelesen. Seite 99 Zeile 1* l. denen st. deren. x 102 X 11 l. anrufen st. aurufen. x 102 X 19 l. urgeschasfene st. ungeschaffeae. / 108 X 11 l> Rndrani st. Rudraai. x 185 X 19 l. versammelten, st. gesammelten. x 215 X 20 l. dessen st. dem. x 246 X 9 l. kochenden st. kochende-. 256 X A lösche die Worte au-r „de- Leben-." x 257 X 2 l. Geist st. Geiste. / 257 X 26 l. vollzogene st. vollzogenen. x 258 X 29 l. teleutischen st. telnutische». x 260 F 15 l. Thor st. Thvr. x 270 X 9 l. dessen st. desselben. x 272 X 32 l. Geschäft st. Ge, / 322 X 30 l. überhaupt st. iiherhaupt. x 345 X 10 l. eine- heidnischen st. de-. x 399 X 4 I. Formen st. Formen. ♦ 443 • 12 l. vorAllem st. vor allen. x 444 X 33 l. die Hintere st. der Hinteren. x 447 X 4 fehlt vor „nicht" — „dieselben." In den Anmerkungen ist durchweg tu lesent Abel-Remusat.

Die

heidnischen Religionen des

Orients.

Allgemeine Einleitung. 500. Nouv. journ. astat. tom. 10. p. 265. 473. 3) Klaprolh Tabl. histor. de l'Asie. p. 57. 133. 134. 288. 4) Elphinstone's Reift nach Kabul. Th. 1. S. 501.

xxxii

Einleitung,

feite von Kabulistan indische Bildung angenommen haben.') Die Duetchin hatten den Sitz ihrer Herrschaft von Kothan nach Bamyan verlegt und diese letztere Stadt zur Haupt» siadt ihres Reiches erhoben. Leicht ist es daher erklärlich, wenn sich in der Nähe dieses Orts buddhaische Kunstwerke finden. Weil man bei der Vergleichung der ägyptischen, nubischen und indischen Bauwerke hauptsächlich die Höhlen- und Felsenwerke berücksichtigte, so meinte man, daß die Troglo» dyten der Küsten Abyssiniens als kühne Seefahrer die Ver­ mittler zwischen ägyptischer, abyssinischer und indischer Bil­ dung hätten sein können und müssen. Diese Meinung fällt indeß in sich selbst zusammen bei der Erwägung, daß jene Troglobyten bei den Alten allgemein als rohe unwissende Völker geschildert werden, die, ohne daran selbst Theil zu nehmen, nicht als Träger irgend einer Art von höherer Bil­ dung haben dienen können. Eben so grundlos, wie die Meinung, baß durch Troglodyten ein geistiger Verkehr zwischen den Aegyptern und Indiem wäre unterhalten worden, ist auch eine andere Mei­ nung, nach welcher ein solcher durch Ausbreitung des Dien­ stes des Gottes Siwa über Arabien vermittelt sein sollte. Dieser indische Gott sollte als Dionysus gen Westen ge­ wandert sein. Es lassen sich indeß in Arabien auf eine gründliche Weise auch nicht die geringsten Spuren eines etwa angeblich vorhanden gewesenen Geheimdienstes deS Dionysos nachweisen, durch welchen schon für die ältesten Zeiten eine frühe Vermittlung gegeben wäre zwischen reli­ giösen Anschauungen der Indier und damit in gewisser Weise verwandten Anschauungen, die in späteren Zeiten von Alexandrien aus über die Völker des Westens sich verbreitet haben. Der ganze schwärmerisch-sprudelnde, wahnreiche Geist jener angeblich uralten Lehre, die an einen Geheim­ dienst des Dionysos geknüpft gewesen sein sollte, steht in •) Elphinstone's Reise nach Kabul. LH. 2. S. 5.

Ueber Urvolk.

XXXI11

feinem imnrsten Wesen im völligsten Widerspruch mit kern Geiste, im >em sich das Leben des Arabervolks bewegte. Man >at besonders, um einen alten bakchischen Dienst in Arabi en nachzuweisen, sich auf eine Stelle des Herodot berufen, in welcher er den Urotal und die Alilat, alte Gott­ heiten der Araber, mit dem Dionysos und der Urania ver­ gleicht.') Lei späteren griechischen Kirchen-Schriftstellern kommt ein arabischer Gott Diofares vor, den Guidas als Gott Ares beutet, Andere aber als Dionysos. Davon her hat man dar Beweis nehmen wollen, baß ein alter, im in­ dischen Siva - Dienste gegründeter, Bakchischer Dienst in Arabien gegolten habe. o schwachen Gründen kann in­ deß keinesveges Beweiskraft zugestanben werben. Freilich ist allerbinzs wahr, daß zur Zeit der Erscheinung Muhameb's die Wände des, dem heidnischen Dienste von altersher geweiht gewesenen, Tempels zu Mekka mit Inschriften geschmückt waren, die Gedichte über allerlei Gegenstände und besonders über Siege in der Liebe, wie über den Lob des griechischen Weins, den die syrischen Handelsleute zum Verkauf in die Wüste brachten, enthielten.-) Dies Alles berechtigt jedoch keinesweges zu der Annahme, daß von dem sinnlich-kräftigen, dabei verständigen und frischen, freien Na­ turmenschen Arabiens Bakchische Mysterien wären gefeiert worben. Es findet sich hierüber in dem Leben des freien Sohnes der Wüste keine Spur. Von einem höheren, gei­ stigen, über die Schranken des irdischen Daseins erhabenen ewigen Leben der Seele hatten unter den Arabern Wenige kaum eine dürftige Ahnung?) Daran aber ist nun vollends gar nicht zu denken, als ob unter ihnen schwärmerische Vor­ stellungen von der Wanderung der Seelen durch die Kreise *) Herodot. L. 3. c. 8.

2) Willam Jones Abhandlungen, herausgegeben von Kleuker. Th. 1. S. 43. Anton Hartmann, Aufklärungen über Asien, für Bibel­ forscher, Freunde der Kulturgeschichte und Verehrer der morgen­ ländischen Literatur. Band 2. S. 297. 8) Pocock. Specim. llistor. Arabum.

p. 143. 164. C

der Gestirnhimmel, die, wie in neueren Zeiten hat bchaupetw erden sollen, mit einem Geheimdienste des Dionysos verbunden und, im indischen Siwa-Dienste wurzelnd, aus Indien über Arabien dem Westen zugewandert wären, Wur­ zeln gefaßt hatten. Allerdings ehrten die alten Araber ihre Götter bei ih­ ren Festen auch durch Tanze und Weinrausch;') daß aber damit etwas anderes als Freude und Jubel ausgebrückt werden sollte, davon findet sich auch nicht die geringste Spur. Auch verbietet Muhameb seinen Anhängern den Genuß des Weins nur deshalb, weil durch denselben Unfriede und Streit erzeugt werdet) Wenn jedoch die alten Araber dem Weine eine höhere mystische Bedeutung untergelegt hät­ ten, so würbe Muhamcd schon hinlängliche Veranlassung gefunden haben, sich auch darüber zu äußern; und fast un­ begreiflich wäre es, wie er den Wein, wenn demselben wirk­ lich eine geheimnißvoll einwohnenbe Götterkraft wäre beige­ legt worden, aus der von ihm verkündigten Religion hätte verbannen können, während er den heiligen Stein der Kaaba, der bisher als Mittler zwischen Erde und Himmel war ver­ ehrt worben, in seine» Dienst mit aufnahm. Selbstständig in eigener Form bestand ohnehin «in besonderer Siwa-Dienst in jenen Vorzeiten der Völkergeschichte, in welchen derselbe, der Annahme zufolge, nach Arabien gekommen sein sollte, in Indien so wenig, wie in Griechenland in frühern Zeiten ein Geheimdienst des Dionysos, an den sich eine Lehre von der Wanderung der Seelen durch die himmlischen Stern­ kreise angeschlossen hätte. Auch unterscheidet sich der Geist des Arabers von dem des Hindus wie des Grieche» über­ haupt durch Dürre, Armuth und völlige Anschquungslosigkeit so sehr, daß jeder Gedanke entfernt wer­ den muß, als habe der Geist des Arabers, wenn auch *) Pocock Spee. Hist. Arab. p. 297.

S. 327. 8) Pocock. p. 327.

Hartmann Aufklärungen.

Ueber U r v o l k.

XXXV

immerhin noch durch eine andere Mittelstufe, die in dem Le­

ben des Aegyptcrvolks gegeben gewesen wäre, in irgend ei­ ner Art nur ein Vermittlungsglieb barbieten mögen zwischen dem geistigen Leben der Hindus und dem der Griechen.

Was übrigens noch die im Vorhergehenden erwähnte

Stelle des Herobot betrifft,

so läßt sich allerdings nicht

läugnen, daß Herobot in der griechischen Form seines Be­

wußtseins den Geist des Lebens der Araber richtig aufge­

faßt habe,

wenn er die sinnlich-kräftige,

sorgenlose,

den

Sternen vertrauende Gesinnung derselben als in religiöser

Verehrung dem Dionysos und der Urania zugewendet be­

zeichnet.

Don den eigentlichen Göttern und der eigenthüm­

lichen Form des religiösen Bewußtseins der Araber hatte

aber Herobot keine Vorstellung.

Urotal und Alilat können

im arabischen Glauben auf nichts anderes gedeutet werden,

als auf Sonne und Mond.

Ueber Arabien kann ein geistiger Verkehr zwischen Ae­ gypten und Indien

nicht stattgefunben haben.

Zur Be­

gründung der Ansicht aber, daß die alten Hindus wohl aus Meroe herstammen könnten, führte man dies an,

daß in

den Nachrichten der Alten Indien und Aethiopien häufig

mit einander verwechselt würben.

Indien und Aethiopien

waren jedoch den Alten fabelhafte Lander, die der mythisch­

geographischen Ansicht nach zwischen dem Osten und Süden

aneinander grenzen mußten, und deren Grenzen daher in unbestimmter Vorstellung leicht ineinander übergehen konn­

ten.

Man hat zwar kein Bedenken getragen,

über die

die Sagen

Einkörperungen des Wischnu als Parasu-Rama,

Rama und Krischnas so zu deuten, als ob sie sich auf bas Heldenleben eines gewaltigen Heerführers bezögen, der ein Sohn des Chus und etwa als Nimrod von Aethiopien aus

siegreiche Züge unternommen habe, die Reiche des Ostens

zu gründen.

Man wies dabei hin auf die ägyptischen Sa­

gen über die Züge des Osiris oder des Sesostris, auf die griechischen Sagen über die Züge des Dionysos, auf die hebräische Sage über den Nimrod,

und meinte darin die

Einleitung.

xxxvi

Verherrlichung und den Ruhm eines alten aethiopischen Helden, der die Reiche der Urzeit gegründet habe, zu finde».

Eine gründliche Beweisführung fehlte jedoch bei der Auf» stellung solcher Meinungen.

Behauptet ward zwar, baß die

charakteristischen Züge eines Bildes von Buddha, welches in den Grotte» von Elephante gefunden werde, deutlich

und unverkennbar den Aethiopier bezeichne.

Auch führte

man an, daß der Gott Krischnas, zu dessen Wesen der Gott Buddha

allerdings

in

naher

Beziehung

steht,

der

Schwarze heiße, und in seinen Bilder» schwarz dargestettt werde. Einige Bilder der Kunstbarstellungen zu Elephante und Salfette, in denen Buddha mit krausem Haare erscheint, und wie wen» sein Körper schwarz gemalt wäre, vermögen

jedoch die völlig willkührliche Ansicht, für die man Beweis« suchte, nicht zu begründen.

Auch wirb Krischnas weder der

Schwarze genannt, noch im Bilde schwarz vorgestellt.

Sein

Leib wird vielmehr himmelblau vorgcstellt, und darnach auch heißt er der Blaue.')

Unter den Mongolen und Chinesen

wird gegenwärtig nicht daran gedacht, die Farbe des Kör­ pers ihres Gottes Buddha sich dunkel vorzustellen.

Sie

stellen sich diese Farbe strahlend in lichtem Goldschcin vor?) Seine Haare jedoch werden in der Erinnerung a» den him­

melblauen Strahlenglanz des Krischnas immer noch azurfar­

ben genannt.-')

Wenn wirklich, wie man annimmt,

die

Bilder des Buddha zu Elephante und Salfette ursprünglich dunkel gefärbt gewesen sind, so kann dies nirgends wo an­ ders herrühren, als von der tirsprünglichen Verwandtschaft,

in welcher das Wese» Bubdha's mit dem des Krischnas stand, und die dunkle Farbe der Standbilder des Buddha ist auf nichts anderes zu beuten, als auf bas dem Krisch­

nas geeignete Himmelblau.

Mit gekräuseltem Haar erschei­

nen die Bilder der Heiligen aus dem Grunde, weil die

*) Sammlung Astatischer Original-Schriften. Th. L S. 178.

2) Abel-Keinusat Melangps Asiatiques. tom 1. p. 104. 105. 3) Abcl-Remusat Belanges Asiatiqucs. tom. 1. p. 106.

Ueber U r v v l k.

XXXVll

Büßer unter be» Dschaina's und Bauddha'S ihr Haar nicht schneiden dürfen/ sondern ihre Schüler anhalten/ die Haare mit der Wurzel auszureHcn, so daß das neukeimenbe Haar einen ähnlichen Anblick gewährt, wie das Haar auf den Bildern des Buddha zu Elephant« und Salsette.') Es er» scheint dies Haar auch nicht eigentlich wollig, sondern wie durch Kunst gekräuselt.'-) Im Uebrigen findet sich unter den Beinamen, durch die die Bauddha's die äußere Gestalt ihres Gottes zu schildert» versuchen, auch nicht ein einziger, der auf den Charakter der afrikanischen Völkerstamme hin» deutete.') Weder in historischen Ueberlieferungen, noch in mythischen Sagen findet sich eine einzige Spur, die zur Begründung der Ansicht von der Herkunft Buddha's aus Aethiopien dienen könnte. Alles vielniehr weist auf eine völlig unzweideutige Weise darauf hin, daß seine Heimath Indien gewesen fei. Die Sage berichtet genau von seiner Herkunft und Abstammung, von seiner Geburt, seinem Tode, von dem Orte seiner Geburt, von dem Lande, wo sein Va» ter geherrscht habe.*) Der an seine Verehrung sich an­ schließende Religionsdienst hat nirgend anderswo seine Wur­ zel, als in Indien, und hat sich von da ansgebreitet über die Länder und Inseln des östliche» Asiens. Dem Westen ist Buddha wie Wischnus, in welcher Form beide Gotthei» ten auch gedacht werden möge», völlig fremd. Ueberhaupt beruht Alles, worin man geglaubt hat, einen geistigen Der» kehr zwischen den hinterasiatischen Völkern und denen der »vestlicheren Länder Nachweisen zu können, auf leeren Träu­ mereien. Während man von der einen Seite Spuren von Ver­ bindungen, die in alten Zeilen zwischen Mcroe, Aegypten und Indien statt gefunden haben sollte», aussuchte, wandte

•) 2) 3) 4)

Abel-Remussal. Mekmgi s Asi.ilhjues. toi». 1. p. 378. Asiat. Research. A ol. 3 p. 356. Abel-Remusal. loin. 1. p. 104. Abel-Rcmusat. toni. 1. p. 378.

man von der andere» Seite seine Aufnierksanikeit auch auf den Norden hin. Auch hier hoffte man, Spuren alter Völ­ kerverbindungen zu entdecken. Zunächst meinte man, baß die Gegend am Kaukasus als Vermittlungsglieb der Ver­ breitung eines Sonnenbienstes, der in Hellas zum ApolloDienste sich gestaltet hätte, habe dienen können. Viel ist in neueren Zeiten über die Völker des Kaukasus gefabelt wor­ den, wie denn überhaupt die Lücken, die die Geschichte leer gelassen hat, den meisten Raum für die Fabel offen lassen. Von jeder geschichtlich bekannten Zeit an indeß wohnten zwischen den Zweigen der kaukasischen Gebirge viele kleine, rohe, unabhängige Völkerschaften, deren Sprache so ver­ schieben, alö ihre Lebensart war. Sie verbreiteten sich ge­ gen Armenien hin.') Auch die östlicher belegene Gegend des nördlichen Theiles von Medien längs der Küste des kaspischen Meeres war nur von rohen Völkern bewohnt, die aus dem Norden, als ihrer ursprünglichen Heimath, ge­ kommen waren, und deren Sitze weniger eine feste Ansied­ lung, als eine Zuglinie bezeichireten, längs welcher seit ur­ alten Zeiten die Schaaren der massagetischen Völker aus dem Norden in einzelnen wiederholten Zügen ihr Heil in den südlichen Ländern versuchten. Sie blieben daselbst, wenn die Unternehmung glückte, int widrigen Falle aber setzten sie sich theils in den Gebirgen fest, oder kehrten auch theils wieder durch die Passe des Kaukasus in den Norden zu­ rück.^) Eine nähere Bezeichnung des Ursprunges dieser Völkerschaare» und ihres natürlichen Zusammenhanges mit anderen Völkern, von denen auch weiter nichts anzugrben wäre, als leere Namen, läßt sich so wenig hier geben, wie überhaupt mit Bestimmtheit von irgend einem Volke, welches, ') Storniert Geographie der Griechen und Römer. Sechsten Thei­ les zweites Heft. S. 325. Julius von Klaproth Beschreibung der russischen Provinzen zwischen dem kaspischen und schwarzen Meere. S- 184. -) Storniert Geographie der Griechen und Römer- Th. 5. Heft 2. S. 127.

Ueber Uebels.

XXXIX

in naturgemäßer Weise in seiner Volksthümlichkeit ausgebildet/ in die Geschichte eintritt, gesprochen werden kann. Größtentheils hingen dieselben einem rohen, weniger ausgebildete» magischen Sonnendienste an.') Das aber, was hierüber und inwie­ weit es historisch erhellt, kann keinesweges genügen zu einem auch nur Halbweges begründeten Beweis der Behauptung, daß der hellenische Apollo-Dienst als ein Sonnendienst ur­ alter Völker des tieferen Asiens über die Brücke des Kau­ kasus dem Westen zu nach Hellas gewandert sei. Ueberbies auch wurzelt der hellenische Apollo-Dienst ursprünglich nicht in einem Sonnendienste. Auch die Forschungen, deren Zweck darauf hinging, den Nachweis davon zu geben, daß Daktrien die Urheinrath deS Menschengeschlechts gewesen sei oder wenigstens die Hei» math eines hochgebildeten Urvolks, haben zu keinem genü­ genden Ergebnisse führen können. Hammer, dabei auf neuere Sagen der Araber über das Alterthum von Balkh hinweisend, glaubte in dem Ariene der Zendsage bas Para­ dies der heiligen Schrift wiedergefunde» zu haben. Als die vier Flüsse des Paradieses bezeichnet er den Jaxartes, den Oxus, den Euphrat und Tigris, und als das Paradies, das in der Mitte belegene Hochland von Iran.*2) Er glaubt, daß die Sage der Zendschriften mit der mosaischen Sage übereinstimme, und stellt, als, seiner Meinung nach unzweifelhaft, die Behauptung auf: daß alle geistige Bildung des Menschengeschlechts vom Baktrisch-medischen oder areianischen Reiche, dem Gebiete des von den vier Flüssen durch­ strömten paradiesischen Hochlandes von Mittel-Asien ausge» gangen sei, und von Bamya» aus sich westlich durch die Chaldäer nach Babylonien, südöstlich an den Indus durch die Brahmanen verbreitet habe3) •) Klaprolh, Beschreibung der russischen Provinzen zwischen dem

kaspischen und schwarzen Meer.

S- 184.

2) Wiener Jahrbücher der Literatur- 1820. Band 1. S. 21 — 31. 3) Wiener Jahrbücher der Literatur 1820. Band > S.

81.

XL

Einleitung.

An die Anficht von Hammer schließt sich n gewissem Sinne mit einigen Abänderungen die Ansicht ,on Rhode an, der sich die eigene Geschichte eines Zendvrlks macht, welches vor aller bekannten Geschichte unmittelber nach der Sündflut aus dem nördlichen Sibirien, wo n der Dor« zeit ein reicheres Naturleben auch ein reicheres Lölkerleben gepflegt haben sollte, in das noch unbevölkerte Iran ringe« wandert wäre, und dies Land angebaut hatte.') Wenn Hammer's Ansichten verworren sind, und seine Beweise ohne inneren Grund und Halt: so sind die Behaupmngen von Rhode deshalb zu verwerfen, weil er sich bei seinen Unter» suchungen über die Geschichte des Zendvolks die Sache auS» nehmend leicht gemacht hat, indem er den Zenb-Avrsta als eine völlig in sich selbst abgeschlossene Geschichtsqueüe be« handelt, die durchaus nur, ohne alle Berücksichtigung dessen, worüber sonst die Geschichte belehre, aus dem zu erklären und zu erläutern wäre, was sie in sich selbst barböte. So hat sich Rhode bei seinen Untersuchungen über den Inhalt des Zend-Avesia völlig von aller Geschichte losgerissen, und baut sich nach völlig willkührlich gesetzten Grenzen eine ei* gene Welt auf. Unfern von dem Lande, welches in alten Zeiten den Namen Daktrien führte, ist das Alpenthal Kaschmir belegen, dessen paradiesische Natur vielfach in den Sagen persischer Dichter gepriesen worden ist. Diese Lobpreisungen Kasch, mir's stammen indeß aus jener Zeit des Mittelalters, in welcher, nach Ausbreitung des Islams und in Folge der damit zusammenhängenden Völkerbewegungen, in den Län» der», die Ost- und West-Asien mit einander verknüpfen, ein neues Leben erwacht war. Daraus, daß persische Dichter in der schönen Natur des Alpenthales von Kaschmir das Paradies wieder zu finden glaubten, und es mit dem Para« ') Rhode, die heilige Sage und das gesammte Religionssystem der allen Vaktrier, Meder und Perser, oder des Zendvolks. Frank» furt a. M. 1820. S. 80. 137.

Ueber Urvolk.

xm

diese verglihen, es bas Paradies nannten, darf man keines* Weges amf alte Erinnerungen über ein paradiesisches Leben der Urzeit, die sich in jenem Thale erhalten haben sollten, schließen. Die Nachrichten über die alte Geschichte von Kaschmir snd überhaupt sehr dürftig. Die im Mittelalter von einem indischen Brahmanrn, in der Art und Weise der Geschichtsch'eibung der Araber, abgefaßte Chronik von Kasch* mir enthalt durchaus keine Beweise für die Annahme, baß in irgend iiner uralten Zeit bas Thal von Kaschmir ein Sitz höhere: Bildung gewesen wäre. Außerdem ist unver­ kennbar, drß in dieser Chronik manche alte Sage, die ur» sprünglich ;n der indischen Heroen-Sage wurjelt, auf die Geschichte ton Kaschmir übertragen worden ist. Auf dim Hochlande von Ost-Asien haben Mehrere den Ursitz der Bildung des Menschengeschlechts suchen wollen. Die Ansicht, daß von dem Hochlande Ost-Asiens aus nach allen Seite» hin, gegen Südosten und Süden nach China und Indien, gegen Westen nach Iran und dem Kaukasus, gegen Nortosten nach Amerika, die Dölkerzüge sich ergossen hatten, schien einfach, und deshalb den Geist ansprechend. Sie schien Vieles in Rücksicht auf die Frage über die ur* sprüngliche Verbreitung deS Menschengeschlechts über die Erde begreiflich zu machen. Auf jede Weise suchte man in leidenschaftlicher Begeisterung überall in der Naturwissen* schäft, wie in der Geschichte nach Beweisen für jene Ansicht herum, und was an Beweisen fehlte, sollte durch Vermuthungen und allerlei Ahnungen ersetzt werden. Man glaubt« eine Be* stätigung für dieselbe zu finden in der hebräischen Sage über die Sündflut, mit der andere Völkersagrn, ihrer we­ sentlichen Bedeutung nach, wie man dafür hielt, überein* stimmen sollten. Mochte man sich nun auch entweder zu der Ansicht bekennen, daß Noah mit seiner Arche zuerst auf dem Hochlande Ost-Asiens gelandet sei, und daß, so wie bas Wasser sich wieder gesenkt habe, die Höhen des Kauka­ sus und die Aclhiopiens allmählig vom Hochlande Ost-

XL»

Einleitung.

Asiens aus wären bevölkert worden, oder nioclte man sich tu der Ansicht hinneigen, daß auf dem Hochlmbr Asiens ein ganzes Urvolk aus der Zeit vor der Sündflut gerettet worden wäre; so schien doch auf jeden Fall durch die Sage über die Sündflut die Ansicht bewährt, baß der Mensch sich von den Gebirgshöhrn herab in die Thäler gezogen habe.

Die Sage über die Sündflut bietet indeß in ihrer dürftigen Gestalt keine festen Haltpunkte für wissenschaftliche Forschungen dar, nnb vergleicht man mit derselben das, was mit ihr in dem innigsten Zusammenhänge steht, so kann gar nicht grläugnet werden, daß die in der mosaischen Sage durchgehend herrschende geographische Ansicht an das Gebiet der von den Grenzen Irans bis an das mittelländische Meer sich erstreckenden Niederlande, als an den Mittelpunkt, wovon sie ausgeht, sich anschließt. Der aber besonders von Ritter und Kannegießer festgehaltene Grundsatz, daß der Mensch ursprünglich auf den Hochebenen der Gebirge gehaust haben müsse, wirb durch nichts gehalten, er muß als völlig unerwiesen zurückgewiesen werben, und anstatt, daß Beweise daraus zu entnehmen wären, fordert er vielmehr erst selbst seine Begründung.

Was die Geschichte der Völker des Hochlandes von Ost'Asie» betrifft, so ist in derselben nicht die geringste Spur anzutreffen, aus welcher geschlossen werden dürfte, baß in irgend einer alten Urzeit jenes Hochland Sitz einer höheren Bildung des Menschengeschlechts gewesen wäre. Wenn auch in chinesischen Jahrbüchern schon in Bezug auf frü­ here Zeiten einzelner Horben hier und dort Erwähnung geschieht, so dännncrt doch erst in» zweiten Jahrhundert vor Christi Geburt die Geschichte der Volkssiämme jenes Landes auf. Seit dieser Zeit, oder etwas früher, waren aus Indien durch Bauddha's Keime einer dürftigen Bildung in den südlichen Theil der Tartarei, nach Kaschgar, Kothan und Kerken ver-

Ueber Urvolt

XLili

pflanzt.') 3« die Thäler von Tibet drang eine ähnliche Bildung erst spater ein. Zur Unterstützung der Behauptung, daß auf dem Hoch» lande von Ost-Asien der Ursitz der Bildung des Menschen» geschlechts zu suchen sei, hat man auch auf die persische Vorstellung von dem Berge Alburs und auf die indische Vorstellung von dem Berge Meru hingewiesen, indem man zugleich behauptete, baß diese beiden Vorstellungen auf rin« gemeinsame Quelle zurückwiesen, und aus einer und dersel» ben Ursage geflossen sein müßten. In dieser Ursage sollte mythisch die Erinnerung an das Leben in der Urheimath auf dem Hochlande festgehalten worden fein. Verwandter jedoch, als die Sage der Griechen über den Sitz der Göt» ter auf dem wolkigen Gipfel des Olymps, als die Dorstel« langen der alten Bewohner der kanarischen Inseln und der alten Mexikaner, über die in die Wolken sich verlierenden, den Wohnungen der Götter nahen Gipfel der Gebirge, ist die persische Sage über den Berg Alburs mit der indischen Sage über ben Berg Meru nicht. Es ist, wie man es bei so vielen Völker» bestätigt findet, eine dem Geiste des Men­ schen nahe liegende Ansicht, die Wohnungen der Götter in die Höhe zu verlegen, auf die in die Wolken sich verlieren» den Gipfel der Gebirge. So findet man auch ganz vorzüg­ lich im Westen des mittleren Theiles von Vorderindien an mehreren Orten die Gipfel hoher Berge als Wohnsitze eines besonderen Hauptgottes ober mehrerer Götter verehrt. An und für sich, wenn sich nicht noch nähere, bestimm­ tere und eigenthümlichere Spuren eines äußeren Zusammen­ hanges in der Sage nachweisen lassen, ist man durch nichts berechtigt, bloß aus dem Vorhandensein jener allgemeinen Vorstellung bei verschiedenen Völkern auf einen ursprüng*) Abel-Rcmusat snr les langues tartares. Disc. prel. p. 2 — 9. p. 283 — 294. 395 — 397. — Abel-Remusat hist, de la Ville

de Kut bau. p. 12. 16. 18. 23. — Schmidt, Forschungen in dem Gebiete der Geschichte der Vetter AittclAstcnS. S. 193. 217.

mV

Einleitung,

lichen Zusammenhang und auf eine gemeinsame Quelle aus irgend einer Ursage zu schließen.

In der persischen Vorstel»

lung von dem Berge Alburs und in der indischen von dem Berge Meru treten aber keine solche Spuren hervor, die

den Schluß auf eine ursprüngliche, äußerliche Verwandtschaft rechtfertigen könnten.

Ueberhaupt zeigt die ganze Form des

Bewußtseins der Feuerdiener kaum irgend welche Seiten,

die so eigenthümlich der Form des Bewußtseins der Hindus

entsprächen,

baß darnach mit Grund auf «ine nähere und

engere Urverwandtschaft zwischen persischen und indischen Re­

ligionslehren zu schließen wäre.

Der iranische Feuerdienst

zeigt bei weitem mehr Verwandtschaft mit dem Schamanenthum des Nordens, als mit dem Brahmanenthum des Sü­

dens-

Das Einzige, was aus den Urkunden des Zend-Avesta

etwa angeführt werden könnte für die Behauptung einer Urverwandtschaft, würde dies sein, daß im Zend-Avesta aller­

dings an verschiedenen Stellen von der Heiligkeit der Zahl drei und dreißig und von den drei und dreißig Geisterschaa-

ren die Rede ist.') Der Ansicht der Indier ist ursprünglich die Ordnung der Geistcrheere in drei und dreißig Schaaren eigenthümlich.

Es stimmt aber das Gesetz, wonach diese Anordnung ge­

wählt worben ist, durchaus nicht mit dem, fast überall im Zend-Avesta durchgreifend herrschenden Gesetze überein, wo­ nach das gestimmte Eeisterheer in sieben, von den sieben

Amschaspands beherrschte Schaaren getheilt wird.") Auch ist es höchst merkwürdig, baß das Gebet, in wel­

chem der drei und dreißig Amschaspands gedacht wird, im Zend-Avesta in Verbindung mit einem, ins Indische über»

') Zend-Avesta, Th. 1. S. 83. Th. 2. S- lOO. 244. Le Yagna. tom. 1. p. 348. 2) Zend-Avesta, Th. J. S 81. Th. 2. 143. Le Ya^na par Burnouf. p. 147. Elisaeus. The hislory of Vartan translat. by Neumann, p. 17. 9(L^

setzten Glaubensbekenntnisse vorkommt. *) Dies läßt, ba es dem Feuerbienste wesentlich eignet, zu bekehre», unb auch die Ghuebern in Indien zu jeder Zeit Anhänger anderer Religionen in ihre Religionsgemeinschaft ausgenommen ha» den, nur um so eher mit Grund schließen, daß jene Dor» stellung von den drei und dreißig Amschaspand's, wie sie überhaupt gar nicht mit der ganzen Lehre des Zend-Avesta verwachsen erscheint, nur auf eine ganz vereinzelte Weise äußerlich in die Gebete des Zend-Avesta hineingekommen sei, indem man in Surate den Vorstellungen einzelner bekehrter Indier sich gefügt habe» mag. Eine ursprüngliche Verwandtschaft zwischen den Relk» gions - Ansichten der Indier und denen der Perser, die Burnouf anzunehmen geneigt ist,2) kann nicht nachgewiesen werde», unb die mehrfach geschehene Deutung der Borstel» lung der Indier über das Götterleben auf dem Gipfel deS Berges Meru, ober der Vorstellung der Perser über daS Leben der Seeligen auf dem Gipfel des Berges Alburs auf ein paradiesisches Leben der Menschheit in der Urzeit auf jenen Hochebenen Mittelasiens, auf denen in allen Zeiten, deren sich die Geschichte erinnern kann, nur Tartaren» und und Mongolen-Horden herumgezogen sind, ist auS dem Grunde zu verwerfen, weil alle Beweisgründe dafür fehlen. Nirgends, weder in Tibet, noch auf dem Hochlande von Ost-Asien, noch in Kaschmir oder in Baktrirn, am Kau» kasns ober m Meroe ist ein Ursitz höherer geistiger Bildung des Menschengeschlechts nachzuweisen, von welchem aus die Keime religiöser unb wissenschaftlicher Bildung über die Erbe sich verbreitet hätten. Wenn aber auch frühe schon km Gangcsthal, am Euphrat und Tigris und im Nilthal eine Volksbildung gewisser Art erblüht ist, so bleibt dennoch der Nachweis eimes Urzusammenhanges zwischen indischer, chal» däischer und ägyptischer Bildung durchaus unmöglich. Im *) Zend-Ave sta, Th. S. S. 09. 100. $) La Ya$na., p. 341.

XLV1

(Einleitung.

Allgemeinen zwar wird man wohl, wenn man auch keine streng «wissenschaftlichen Beweise dafür aufstellen kann, zu der Annahme sich genöthigt sehen, daß von einem Punkte aus das Menschengeschlecht sich über die Erde verbreitet habe. Theils indeß ist aus dieser Annahme noch gar nichts zu folgern in Rücksicht auf die Frage über den Ursprung und die Ausbreitung der Bildung unter dem Menschenge« schlechte; theils wird man in Erwägung der Art und Weise, in welcher die ursprüngliche Verbreitung des Menschenge» schlechts über die Erbe nur hat geschehen können, sich bald davon überzeugen müssen, wie es unmöglich sei, daß histo» rische Erinnerungen zur Bestätigung jener Annahme sich er­ halten hätten. Man kann sich die ursprüngliche Verbreitung des Menschengeschlechts durchaus nicht denken, als in Folge geordneter Auszüge geschehen. Nur in einzelnen zerspreng­ ten Schaaren vielmehr können die Menschen, bei ihrer ur» sprünglichen Verbreitung über die Erde, durch öde Länder und durch Wüsten gewandert sein, stets im Kampfe befan« gen mit der Natur, mit Hunger und Kälte, und mit wilden Thieren. In einen solchen Kampf hinausgerissen, muß bas Bewußtsein dem inneren geistigen Leben entfremdet und ver­ wildert worben sein. Zur geistigen Besinnung konnten die aus ihrer Urheimath einmal herausgebrängten Schaaren erst wieder gelangen, nachdem sie unter mancherlei Verhältnis­ sen der Feindschaft ober Freundschaft untereinander zu ver­ schiedenen Völkern sich ausgebildet und abgeschlossen hatten, und der Naturcharakter eines jeden, in einer neuen Heimath angesiedelten Volks zur Entwicklung gediehen war. Jene Kluft, die zwischen dem Augenblicke des Auszugs und dem der neuen Ansiedlung und Einwohnung in die neue Hei­ math in der Mitte lag, kann durch keine geschichtlichen Er­ innerungen ausgefüllt gewesen sei». Geschichtliche Erinne­ rungen erhalten sich nur oder erzeugen sich erst in dem Zu­ stande geistiger Besinnung; so lange aber die einzeln zerstreu­ ten Schaaren noch im Wandern begriffen waren, im Kampfe unter einander, und mit der Natur, muß bas Bewußtsein

Geistig« Entwicklung.

XLTIl

au die Bedürftigkeit des Augenblicks verlöre» gewesen sein, und waS der eine Tag gebar, das verjehrte wieder der andere. sobald dagegen ein Volk an einem bestimmten Gliede der Erde eine Heimath sich gebildet hat, muß nothwendig auf irgend eine, freilich durch den Naturcharakter der Hei» mach bedingte, Weise der Geist sich regen und erwachen. Nicht durch äußere Lehre, nicht durch äußere Ueberlieferung sind ursprünglich die Keime zu höherer Bildung unter dem Menschengeschlechte fortgepflanzt worden; vielmehr haben sie sich aus bcr selbstthätig schöpferischen Kraft des Geistes überall da entwickelt, wo eine freundliche Natur der Entfal­ tung geistigen Lebens nicht hemmend entgegenwirkte. Die Behauptung, daß alle diese Keime äußerlich zurückzuführen wären auf irgend eine Urzeit ober irgend ein Urvolk ist phi­ losophisch wie historisch unhaltbar; auch erklärt sie nichts, da dabei die Frage, wie das Urvolk selbst in den Besitz sei­ ner Bildung gekommen sei, mehr in bas Dunkel unbestimm­ ter Vorstellungen zurückgeschoben, als in wissenschaftlich kla­ rer Weise erörtert wird. Der Geist im Menschen ist es, der in der Fülle seines Reichthums und selbstfchöpferischer Kraft die Keime aller höheren Bildung in sich tragend, im Drange nach Entwick­ lung sie aus sich selbst zur Entfaltung bringt. Uebrrall, wo in einem wohlgemäßigtrn Verhältnisse des Festen und Flüs­ sigen, des Landes und des Wassers, durch lichte Sonnen­ wärme angeregt, dem Menschen eine freundliche und behag­ liche Heimath bereitet worben ist, da entwickelt sich aus sei­ nem Geiste in Selbstthätigkeit eine ureigenthümliche Bilbungsform. So geschah es in China, am Ganges, am Euphrat und Tigris, am Nil, an den Küsten des aegäischen und an denen des mittelländischen Meeres, in Scandinavien, an den Küsten der Ost- und Nordsee, und auf der Höhe von Anahuac am See von Mexiko. Wo aber das Leben in Kälte erstarrt, wie in Sibirien, oder, wie in Afrika, in Hitze verdorrt, und wy auf weiten

XLTjii

Einleitung.

Schneefelbern oder brennenden Sanbwüsien alles abstkrbt, da verkümmert auch des Menschen Geist. Gegen jene Na» tur, die in wüsten Wald-, Berg- und Felsgegenden den wil­ den Thieren jur Heimath geschaffen scheint, kann auch der Mensch wenigstens in seinem Naturstanbe, so lange er noch nicht in mannichfaltigen geschichtliche» Kämpfen in seiner Kraft erstarkt ist, nicht in der Ucberlegenheit seines Geistes sich aufrecht erhalten. Die ganze Kraft wird hier von ein­ seitigen Richtungen angesprochen, und gerath in solche hin­ ein; gewöhnlich entwickelt sich hier bas Menschenleben im Kampfe mit den wilden Thieren zum Jägerleben, wahrend dagegen, wo das Flüssige die Uebrrhand gewonnen hat, und Flüsse, Seen und Meere unwirthbare Ufer und Küsten be­ spülen, ei» Fischerleben sich entwickelt. Zu einem, an Vieh­ zucht geknüpften Nomadenleben gedeiht es da, wo frucht­ bare Ebene» weit sich ausbehnen, ohne baß von ihnen aus durch große Wasserverbinbungen ein erleichterter Verkehr mit benachbarten Völkern zu bewerkstelligen ist. Alle diese verschiedenen Zustande, denen der Mensch in seinem Naturstanbe anheimgefallen ist, sind, an einseitige Richtungen des Lebens gebunden, niedrigere Stufe» des Daseins, auf welche der Mensch erst nach seiner Verbrei­ tung über die Erbe herabgesunken, aus welchen heraus er aber keinesweges zu höheren Stufen eines, dem Wesen des Menschen an sich würdigen Daseins und Lebens hinauf­ geklommen ist. Der Mensch ist für sein Leben auf Erden an eine feste Heimath, an Ansiedelung gewiesen, und diese hängt vom Ackerbau ab. Ackerbau muß sich überall da erzeugen, wo die einseitigen Richtungen des auseinandergespaltenen Naturlebrns in wohlgemäßigter Wechselwirkung ineinander spielen. Wo dies der Fall ist, da siedelt der Mensch sich an, und hier vermag er in der ganzen vollen Kraft seines Wesens sein Leben zu entfalten. Nachdem er die Heimath gewonnen hat, kommt er im eigenen Hause, am eigenen Heerde zur Besinnung, und damit ist der Anfang der Reihe aller geistigen Entwicklungen gesetzt.

Geistige Entwicklung.

Mythenbil-ung.

XLIX

Es ist aber weder der einzelne Mensch, noch ein beson­ derer Volksstamm bloß an sich selbst, sondern vielmehr an die gesummte Menschheit, an die große weltgeschichtliche Gemeinschaft gewiesen. Die Völkergemeinschaft wirb haupt­ sächlich vermittelt durch Schiffarth und Krieg. Schif­ farth und Krieg bilden, in Vermittlung des Völkcrverkehrs, die Haupthebel zur Anregung geistiger Entwicklungen im Leben deS Menschengeschlechts. Der in sich selbst thätige Geist, zur Besinnung gekommen in einer auf Erden gewon­ nenen Heimath, entfaltet sich zuerst aus sich selbst, und ent­ wickelt sich demnächst reicher, indem er seinen Gesichtskreis über die Grenzen der volksthümlichen Heimath, die ihm ju Theil geworben war, erweitert, und in der geschichtlichen Bewegung des Menschengeschlechts an- und aufgeregt wird. Hierin, in dieser Bewegung, besteht der Ursprung und der Fortgang aller höheren geistigen Bildung; es kann aber nie­ mals die Rede sein von einem Ursprünge vor dem Ursprünge, von einem Anfänge vor dem Anfänge, von einem Vor­ ausgegangenen, von irgend einer Urweieheit, aus der, wie aus einer, seinem Wesen fremden Urquelle der Geist seine Nahrung, sein Leben geschöpft habe. Hiernach ist denn auch die Frage über den Ursprung der Mythen, die in der, der ältesten und ursprünglichsten Vorstellungswrise des menschlichen Geistes entsprechenden Form sich geben, zu beantworten. Die mythischen An­ schauungen der heidnischen Völker sind, ihrem inneren we­ sentlichen Ursprünge und ihrer Erzeugung nach, anzuschließen an den, dem Wesen des menschlichen G-istcs geeigneten Trieb, sich und sei» eigenes Leben für und vor sich selbst in Selbstanschauung zu vergegenwärtigen, und an die, diesem Triebe entsprechende, dem menschlichen Geiste wesentlich ge­ eignete Kraft der Vorstellung in der Schöpfung geistiger Anschauungen. Bei seinem ersten Erwachen empfangt durch frische offene Sinne der menschliche Geist theils mannichfaltige Eindrücke aus der ihn umgebende» reichen Außen­ welt, theils fühlt er ans kcr inneren Tiefe seiner Seele

mannichfaltige,

in der beweglichen Entwicklung des Lebens

angeregte Empfindungen sich erheben.

Doch wie der Au­

genblick kommt und verschwindet, verschwindet auch der Ein­

druck und die Empfindung, bis sich der Geist erst das Wort

und die Sprache bildet, worin das Gedächtniß einen festen Halt finden mag. Es ist aber in dem ursprünglichen Zustande seines Be­ wußtseins, ehe derselbe in sich selbst die dem Wesen der

Vernünftigkeit geeignete Form des Gedankens zu

schaffen

vermocht hat, der menschliche Geist an die Empfindung und an den sinnlichen Eindruck gewiesen, und nur aus den hier­ durch dem Bewußtsein dargebotenen Elementen vermag er

sich eine Sprache, Zeichen und Bilder zu schaffen, an denen er durch Hülfe seiner Einbildungskraft das Erfahrene, das

Durchlebte im Gedächtnisse fest halt.

Nur in den Formen

und unter dem Charakter des theils in der Seele, theils in

der Natur unmittelbar gegebenen Lebens vermag in seinem ersten Erwachen der menschliche Geist sich Vorstellungen zu

schaffen von dem, was er im Kampfe des Lebens an sich

erfahren hat.

An die Ahnung und Empfindung von der Geistigkeit seiner eigene» Wesenheit knüpft er die Vorstellung von dem Dasein geistiger Wesen, de» Geisterglauben, an, und halt in dieser Vorstellung die Erinnerung an die dahingeschiedenen

Geliebten im Gedächtnisse fest.

die seine Einbildungskraft

An die Eindrücke dagegen,

vermittelst der Sinne von den

Erscheinungen des Naturlebens empfängt, knüpft er zunächst

die Vorstellung an von Machten, die über das Leben walten. So erhebt sich in dem ersten Erwachen des Bewußtseins

die Form desselben kaum noch über die Form der Unmittel­

barkeit der Empfindung und sinnlicher Anschauung heraus.

Die Anschauungsweisen,

Leben

für

vermag,

durch die der Geist sein eigenes

sich selbst im Bewußtsein zu vergegenwärtigen

bewegen sich keinesweges schon in der Form des

Gedankens,

immer vielmehr

nur noch in der Form der

M y t?h en b i l d u n g.

Unmittelbarkeit des Lebens, welcher die Zeichen und Bilder, woran das Gedächtniß sich fest hält, entnommen sind. Es ist eine hieroglyphifch zu nennende Sprache von Zeichen und Bildern, die das Bewußtsein in seinem ersten Erwachen sich bildet, indem es noch nicht die Klarheit in sich selbst gewonnen hat, um im Stande zu sein, sich dem Wese» der Vernünftigkeit geeignete, der Form des Gedan­ kens entsprechende Vorstellungsweisen zu schaffen. -Mit sinn­ lichem Witze in einer vergleichsweisen Beziehung der einzel­ nen Erscheinungen des Lebens, wie einzelner Empfindungen auf einander nach ihren Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten schafft sich auf der ersten Stufe seiner Entwicklung das Be­ wußtsein durch die Einbildungskraft nur erst sinnliche Bilder. An solchen Vorstellungsweisen prägt sich allerdings nur die Form der Besonderheit aus; dessenungeachtet erfaßt in ihnen das Bewußtsein ein wirklich Allgemeines und über die Ein­ zelheit der Erscheinung und der Empfindung des Augenblicks Erhabenes. Denn so geschaffene Bilder werden stetige Geistesformen, die dem Bewußtsein als Maaß für LebensErscheinungen wie für Seelen-Empfindungen dienen. Es entsteht so in Formen, die den Formen der Unmit­ telbarkeit des Lebens nachgebilöet sind, eine Welt des Be­ wußtseins, die freilich schon, als Welt des Bewußtseins vom Geiste geschaffen, ihrem Grund und Boden nach im Geiste beruht, aber dennoch der Form ihres Bestehens nach immer noch in den Kreisen des Sinnlichen sich bewegt. Sinnliche Vorstellungsweisen sind es, worin sich das bewegt, was in dieser Welt waltet und lebt. Aus dem Boden des Geistes jedoch ist es in seelenvoller Auffassung der Eindrücke von außenher hervorgekeimt und geschaffen. Es tragt wesentlich in sich die höheren Momente und die höheren Elemente des geistigen Lebens. Aus dem Geiste erzeugt und im Geiste bestehend, dbschon immer nur in sinnlichen Vorstellungswei­ sen, giebt es Zeugniß vom Wesen des Geistes, in welchem es wurzelt. Seinem Inhalt nach weist es auf ein höheres geistiges Dasein hin, worauf es zu deuten ist, und worin es

Einleitung.

III

nur erst seinen eigentlichen und wahren Sinn gewinnt. Ob­

schon nur in der Form sinnlicher Vorstellungsweisen spiegelt sich dennoch in dem, was immer nur selbst aus dem Boden des Geistes hervorgekcimt und nur in und mit dem Bewußt­ sein selbst geschaffen ist, bas innerste Leben des Geistes ab. Eben deshalb, weil sich in dem so aus dem Geiste Erzeug­

ten das Leben des Geistes abspiegelt,

tragt es im Ganzen

und in allen seinen einzelnen Theilen einen gediegenen gei­

stigen Inhalt in sich.

Und eben dadurch,

daß es so auf

einen inhaltschweren Kern geistiger Wesenheit hinweist,

er­

hebt es sich zum Symbolischen» Der Charakter des Symbolischen unterscheidet sich von

dem des Allegorischen wesentlich;

und ist es,

um zu einer

richtigen und klaren Vorstellung von dem Zustande des in den Formen des Symbolischen sich bewegenden mythischen Bewußtseins der heidnischen Völker zu gelangen,

nothwen­

dig, auf jenen wesentlichen Unterschied zwischen Symbol und Allegorie scharf zu merken.

Im Symbol durchdringen sich

als völlig mit einander verwachsen Inhalt nnd Form un­ In der Allegorie

zertrennbar.

dagegen umhüllt sich nur

irgend ein, an und für sich selbst im Bewußtsein schon in

ganz

anderer

Form

bestehender allgemeiner Gedanke mit

sinnbildlichen Zeichen in solcher Art,

daß das sinnbildliche

Zeichen selbst ein für sich Bestehendes und als solches zu­ gleich sinn- und gedankenlos ist, und nur Sinn und Bedeu­

tung gewinnt durch die Beziehung, die demselben im betrach­

tenden Bewußtsein auf «in Anderes, eigener Form

als cs selbst ist,

der Vorstellung Bestehendes



gegeben wirb.

Dem Symbol eignet cs nicht nur schon an und für sich,

der Form des Ausdrucks nach, als ein feelenvoll Lebendiges vom Bewußtsein erfaßt zu werden, sondern, was in dem­

selben, als auf ein Abbild geistigen Lebens, auf Gedanken, als auf den Kern des Symbols hinweist, ist auch gar m"cht

-ohne eigentliche Auflösung und eben deshalb auch Aufhe­

bung des in der Form des Symbolischen bestehenden Aus­ drucks

von

diesem zu trennen.

In der Allegorie besteht

Mythe» bildung.

Lin

schon im Bewußtsein ursprünglich getrennt in geschiedener Form der Gedanke und der sinnbildliche Ausdruck. Aus Mangel an scharfsinniger Auffassung dieses wesent­ lichen Unterschiedes zwischen Allegorie und Symbol haben sich in neueren Zeiten in der Wissenschaft mancherlei Irr­ thümer in Absicht auf die Deutungsweise der Mythen er­ zeugt. Besonders aber beruht in dem Verkennen jenes Un­ terschiedes die falsche Ansicht über die Mysterien des Alter­ thums, nach welcher man die in der Form des Symbols sich gebenden Mythen der heidnischen Völker des Alterthums als Ausdrucksweisen für irgend ein im Bewußtsein Vorgestelltcs, welches als Inhalt der Mystcricnkehren in reinerer Gebankenform Eigenthum der Priester gewesen fein sollte, betrachtete. Man hielt dafür, daß. die symbolische Form, die an dem mythischen Bewußtsein der heidnischen Völker hervortritt, von den Priestern mit Freiheit wäre ausgebildet worden, weil der ungebildete Zustand des Geistes des Volks nicht fähig gewesen wäre, die reine Wahrheit in ihrer eige­ nen Form in das Bewußtsein aufzunehmen, und deshalb die mehr sinnlicher Auffassungsweise geeignete Form des Symbols hätte gewählt werden müssen. So habe sich aus grauen Urzeiten her eine esoterische und eine exoterische Form des Bewußtseins erhalten, und die Formen der öffentlichen Dolksreligionen des heidnischen Alterthums wären nichts anders gewesen, als ursprüngliche Allegorien höherer wissen­ schaftlicher Lehren einer angeblichen Urweisheit, die später in mannichfaltiger Weise mißverstanden, umgedeutet und nmgestaltet ihren ursprünglichen wahren Sinn und ihre ursprüngliche Bedeutung verloren hätten. Zum Theil wären in dem Besitze des Schlüssels zum wahren Verständnisse die priesterlichen Vorsteher der Mysterien auch noch in späteren Zeiten geblieben. Der Ansicht indeß, die zwischen Wissen und Dichtung in der Art eine Trennung setzt, daß das priesterliche Wisse-, als Mysterienlehre in einer anderen Form bestanden haben solle, liegt ein großer Irrthum zu Grunde, der in dem

Liv

Einleitung.

Verkennen des Gesetzes der Entwicklung des menschlichen Bewußtseins beruht. Es ist leicht einzusehen und an und für sich selbst klar, daß eine schon höhere Ausbildung des Bewußtseins dazu gehöre, baß der menschliche Geist int Stande fei, dermaßen in der Abstraction sich frei zu bewegen, baß er eine zwiefache Form des Bewußtseins in sich zu erschaffen und in sich zu tragen vermöchte. In spateren Zeiten mannichfaltig höherer Ausbildung des Bewußtseins niögen und müssen sogar allerdings solche Erscheinungen hervortreten, nach welchen ein und dasselbe in sich gleiche Bewußtsein sich fähig erweist, in zwiefacher Form wissen­ schaftlichen Begriffs und dichterischer Anschauung das, was es in sich trägt, zu gestalten und zu haben. Für uralte, den ersten Bildungsstufen der Entwicklungsformen des mensch­ lichen Bewußtseins entsprechende Zeiten kann und darf aber selbst dem Weisesten der in ihnen Lebenden nicht eine solche Kraft des Geistes und ausgebildeten Verstandes beigelegt werden, ohne die es völlig unmöglich ist, in zweifacher Form des Bewußtseins, verständiger Wissenschaftlichkeit nämlich und zugleich der Dichtung sich zu bewegen. Nur eine einige und in sich selbst gleiche Form, in welcher das ganze volle Leben der Seele im Abbilde sich spiegelt, kann der ursprünglichen ersten Bildungsstufe der Entwicklung des menschlichen Bewußtseins eignen. Diese Form ist die sym­ bolische, die zuerst an Natur-Symbolik sich entwickelt und in höherer Bildung in Kunst-Symbolik übergeht. Manche heidnischen Völker, deren geistige Entwicklung gehemmt ward, sind auf der niederen Stufe einer an dürftige Natur-Symbolik sich anschließenden Bildung stehen geblieben. Andere Völker dagegen, wie namentlich die In­ dier, haben auf eine reiche und herrliche Weise die NaturSymbolik ausgebildet, ohne daß sie im Stande gewesen wären, in ihrer Kunst-Symbolik eine hohe Stufe der Aus­ bildung zu erreichen. Die vollendete Kunst - Symbolik ist ein Erzeugniß des hellenischen Geistes.

Mythen - Erklärung.

LV

Mannichfaltig verschiedene Formen und Anschauungs­ weisen haben sich in dem Leben der heidnischen Völker nach der Verschiedenheit des Charakters derselben und nach der Verschiedenheit der Zeiten entwickelt. Keinesweges indeß ist diese Verschiedenartigkeit in der geistigen Entwicklung des Menschengeschlechts als etwas Unwesentliches zu setze», worin etwa nur Abirrungen des geistigen Lebens sich offen­ barten. Das Gesetz der Vernunftentwicklung des mensch­ lichen Geistes ist vielmehr nur in dieser Verschiedenartigkeit und Mannichfaltigkeit der Formen des geistigen Lebens zu erkennen und zu begreifen. Das Wesen dieser Verschieden­ artigkeit und Mannichfaltigkeit bezieht sich zunächst auf das Verhältniß des Menschen zur Natur, der einzelnen Völker zu ihrer Heimath, demnächst aber auch auf Verhältnisse zur Geschichte in Beziehung auf die verschiedenen Zeit-Ab­ schnitte der Entwicklung des vernünftigen Lebens in dem Fortgänge der Bildung des Menschengeschlechts. Deshalb ist die Deutung und Erläuterung der Mythen irgend eines Volks zunächst an die ganz besondere, bestimmte Weltstcllung der Heimath dieses Volks anzuschlicßen, demnächst aber auch an die im Laufe der Zeiten fortgeschrittene Ent­ wicklung des geistigen Lebens zum Vcriiunftbcwußtsem. Aus dem innersten eigensten Leben des Geistes eines jeden Volks sind dessen Mythen, als selbstständiges Erzeugniß jenes Gei­ stes, worin sich das Leben desselben abspiegekt, zu deuten und zu erläutern. Keinesweges aber ist diese Deutung und Erläuterung in einem umgekehrten Verhältnisse zu unterneh­ men in Zurückbeziehung auf irgend ein Urbewußtsein der Menschheit aus alter grauer Vorzeit in einem paradiesischen Zustande, in welchem das Leben des menschlischen Geistes noch nicht etwa von der Zerspaltenheit der verschiedenartig gen, mannjchfaltigen Nakurvcrhaltnisse wäre ergriffen gewesen. Mannichfaltig haben sich im Laufe der Zeiten unter den geistreicheren heidnischen Völkern die Mythen umgestaltet. Es ist daher bei der wissenschaftlichen Behandlung derselben die Unterscheidung der Zeit, aus welcher jeder einzelne My-

Einleitung.

LYI

thos Herstamme,

eine nothwendige Bedingung zur richtigen

Erklärung desselben.

Für den Zweck dieser Unterscheidung

kann indeß ein von der Alterthümlichkeit der Zeugnisse her­

genommener Maaßstab durchaus nicht als genügend aner­ kannt werden.

Von den Werken der griechischen und römi­

schen Literatur sind viel zu viele untergegangen, als daß aus denen, die übrig geblieben sind, hinlängliche äußerliche Zeug­

nisse zur Bestimmung der Zeit, in welcher dieser oder jener

zu entnehmen wären.

Mythos entstanden sein könnte,

Es

ist vielmehr zur Bestimmung der Zeit der Entstehung eines einzelnen Mythos nothwendig, daß man den Geist der ver«

schicbenen Zeitalter und die geschichtliche Entwicklung von

Verhältnissen,

rührt

werden,

die in irgend einem Sinne in demselben be­ berücksichtige.

Bei

Mythen im Geiste der Griechen,

der

Umgestaltung

der

bei welcher de» Dichtern

eine schrankenlose Freiheit gestattet war, schloß sich aber das Neue stets an ein Altes an,

und auf dies Alte ist daher

auch Rücksicht zu nehmen in jedem ciiizelncn Mythos, immerhin in der Form,

jüngeren Zeiten hcrstammen mag.

bei Erklärung

der

in welcher er gefunden wird, aus Gan; besonders aber ist

der Mythen Rücksicht zu nehmen auf das

Verhältniß, in welchem das Moment geistiger Schöpfungen zum wirklichen Leben steht.

Ueber die Verhältnisse des geschichtlichen Lebens bildet

sich überhaupt erst dann im Geiste ein klares Bewußtsein

aus, wenn jene Verhältnisse selbst schon der Vergangenheit angehören.

Was der epische Dichter besingen soll,

in seiner Dichtung

geistig zu verklaren,

um es

muß vor seinem

Blicke schon in eine gewisse Ferne entrückt sein,

damit er

in dem Bilde der Begebenheiten mehr nur die großen Um­ risse und die hervorragenden Gestalten

durch werde.

die

Mannichfaltigkeit

der

schaue,

Erscheinungen

und nicht verwirrt

Gewisse Mythen, deren Sinn und Bedeutung auf

frühere Verhältnisse,

auf frühere Gemüthszusiände sich be­

ziehen, können daher sehr wohl in beziehungsweise späteren

Zeiten erst gedichtet worden sein.

Eine leise Andeutung,

Mythen, Erklärung.

LVII

vielleicht in einem kurzen Spruche gegeben, bot einem späleren Dichrr Veranlassung dar zur weiteren Ausbildung einer schon in dürftigerer Gestalt vorhandenen Sage. Auf diese Weise sind ohne Zweifel viele Mythen ent­ standen, die ihrer Form nach jüngeren Zeiten angehyren, ihrem Sim und ihrer Bedeutung nach aber mit allem Fug und Recht ruf ältere Zeiten zu beziehen sind. Die Bereiche der mythischen Sagen der verschiedenen heidnischen Völker sind überhaupt nur als geistige Erzeug­ nisse, als rein geistige Welten aufzufassen, in deren Gestal­ ten bas Sirlenleben eines jeden einzelnen Volkes sich ab­ spiegelt. Allerbiigs ist die Vorstellung eines Früheren ober Späteren auch auf dieselben anzuwenden, inwiefern nämlich auch das Leben des Geistes in fortschreitender Ent­ wicklung sich bewegt, und diese Gestalten nur Bilder sind, in welchen der Geist seines eigenen Lebens sich bewußt wird. Allein die Uebertragung der Vorstellung eines Frü­ heren oder Späteren auf dieselben bleibt immer ganz etwas anderes, als ein Anschließen an äußere Zeitverhältnisse. Die Götter- und Heroen - Gestalten sind ihrem eigensten, innersten Wesen nach den Kreisen der Zeitlichkeit enthoben. Die mythischen Anschauungen von ihnen wurzeln im Volks­ geiste, und im Einzelnen ist nirgends anzugeben, wer sie zuerst geschaffen oder die einfacheren Sagen älterer Zeiten reicher und mannichfaltiger ausgebildet habe. Dir homeribischen und hesiobischen Sänger schöpften den Inhalt ihrer Gedichte zum Theil aus schon vorhandenen Dolkssagen, und die späteren Dichter standen in einem ähnlichen Ver­ hältnisse zur Volkssage, wie die früheren. Die Zeit des Ursprunges einer Sage ist durchaus nicht abzumessen nach Maaßgabe der nachweislich zuerst geschehenen Erwähnung derselben. Am allerwenigsten aber ist man in Rücksicht auf die griechische Sagengcschichte zu der Behauptung berechtigt, daß für die älteste Zeit die Gesänge Homer's die heiligen Urkunden wären, die den ganze» Reichthum an Sagen, wie

Lvm

Einleitung.

dieselben zur Zeit der Homeriken unter dem Volke herum» gegangen wären, enthielten. Homer besang nur die Kriegs» thaten der Achäer und die Irrfahrten des Odysseus; aber der Geschichte und der Gestaltung des stillen friedlichen Volkslebens seiner Zeit ward von ihm nur eine geringe Aufmerksamkeit gewidmet. Eben aus diesem Grunde konnte denn auch in den homerischen Gesängen der Dienst der De­ meter nicht besonders stark hervorgchoben werden. In den Gesängen des Hesiod herrscht schon ein milderer friedlicherer Geist; doch daß er auch nur die Absicht gehabt hätte, den gesammten Kreis der griechischen Volkssagen seiner Zeit vollständig;u behandeln, dies würde wohl keiner zu behaup» ten wagen. Uebrigens erhellt aus den Gedichten des He» siod, so wie aus der Art und Weise, wie der Geisterglaube und wie der Mythus von der Hekate in denselben behandelt wird, daß zu seinen Zeiten im böotifchen Volksglauben sich noch Vieles müsse erhalten haben, was mehr Verwandtschaft gehabt mit einer alten, vorhomerischen, an Geister» und Natur-Dienst sich anschließenden, als mit der an Kunst» Symbolik sich anschließenden homerischen Religions­ form. Die Verfasser der homeridifchen Hymnen bildeten zwar den ihnen von Homer, Hesiod und durch die Volkssage dar­ gebotenen Stoff reicher und mannichfaltiger aus; doch auch sie hatten keine Veranlassung zu einer vollständigen Behand­ lung des gesammten Sagenkreises der griechischen Volks­ stamme. Auch aus ihrem Schweigen kann so wenig, wie daraus, daß Homer oder Hesiod über einen Mythos schwei­ gen, auf den jüngeren Ursprung desselben mit Recht geschlos­ sen werden. Nicht die Dichter allein, als die Gebildeten ihrer Zeit, auf die sie bildend einwirkten, haben die mythischen Anschauungen geschaffen, sondern diese vielmehr sind aus dem Gemüthe des Volks hervorgcgangcn und haben den Dich­ tern zur weitern Ausbildung den Stoff dargcboten. Manche Sage kann seit uralten Zeiten von Mund zu Mund unter dem Volk hcrumgcgangen sein, ehe ein eigentlicher Dichter

Mythen-Erklärung.

ux

sie einer geistreicheren und weitläuftigeren Behandlung wür» bigte. Hülfsmittel einer äußeren Kritik zur Bestimmung der Zeit des Ursprunges eines bestimmten einzelnen Mythos fehlen daher durchaus. Form und Inhalt eines jeden My» thos find das Einzige/ woran man bei Bestimmung des Alters desselben in Vergleichung mit anderen Sagen fich halten kann. Zum Theil muß an den Vorstellungen/ die in der Sage behandelt werde»/ der Charakter derjenigen Zeit/ der sie angehöre» könne/ fich nachweisen lassen; zum Theil aber wird auch in solchen Sage»/ die in ihrer gegenwärti» gen Form aus jüngeren Zeiten herstammen/ ein älterer Kern/ der durch spätere Dichtung umgestaltet worden ist/ nachweislich sein. Die neuere Umgestaltung indeß hat auch ihre Dedeu« tung für die Zeit/ der sie angehört. In stetem Flusse/ in steter Bewegung entwickelt sich das religiöse Bewußtsein im Geiste heidnischer Völker um so freier/ um wie weniger ihr Glaube eigentlich gebunden ist an heilige Urkunden einer Offenbarungslehre. Für solche heilige Urkunden können die Gesänge Homer's und Hesiod's eben so wenig gelte«/ als die in Griechenland bei de» Festen abgesungenen Hymnen. In Indien freilich und überhaupt in Ost »Asien wird viel von solchen heiligen Urkunden geredet/ und es bestehen in Indien auch allerdings gewisse althergebrachte Satzungen/ die auf die Weba's und auf die Gesetze des Man»/ als auf heilige Urkunden einer geoffenbarten Lehre zurückbezogen werden- Dessenungeachtet jedoch hat sich das Bewußtsein der Indier keinesweges an die in diesen Urkunden enthalte» nen religiösen Anschauungen gebunden; die indische Dich» tung hat sich vielmehr stets in der reichsten und mannich» faltigsten Schöpfung mythischer Götter «Sagen ergangen. An der Geschichte solcher nach und nach entstandenen und im Laufe der Zeiten umgebilbeten Sagen zeigt sich die Fortentwicklung des religiösen Bewußtseins eines heidni­ schen Volks.

Einleitung.

LX

Gewiß aber auch ist,

baß eine solche Fortentwicklung

nach Verschiedenheit der Umstände an diesem oder jenem

Orte lebendiger sich bewegt, und dagegen an anderen Orten gehemmt wird.

Es giebt offenbar keine falschere Ansicht,

als die, daß es irgend eine Zeit gegeben habe, in welcher ein der homerischen Götterlehre durchaus entsprechender Re­

ligionsglaube überall in ganz Griechenland geherrscht habe.

Wenn auch eine lange Zeit hindurch von Delphi aus kräf­ tigst darauf hiygewirkt- wurde,

den Griechen auszubreiten, daß an manchen

homerische Bildung unter

so steht doch nicht zu- läugnen,

einzelnen Orten und ganz besonders in

Arkadien und in Böotien mancherlei Altes sich erhalten ha­

ben müsse, was aus dem pelasgischen Religionsdienste her­ stammte und zum Theil mit den Formen des hellenischen

Religiynsdienstes vermischt worden war. ten entwickelten sich theils aus dem

In jüngeren Zei­

eigenen Geiste der

Hellenen neue Ansichten, theils drangen in ihren Geist und in ihren Religionsdienst orientalische Ansichten ein. Auf dies Alles ist bei der Deutung griechischer Mythen

Rücksicht zu nehmen, wie bei der Deutung ägyptischer My­ then auf den Einfluß,

den in späteren Zeiten chaldäische

und griechische Ansichten entweder unmittelbar auf dieselben oder auf deren'Auffassung von Seiten der Griechen aus­

übten.

Die mythischen Vorstellungen der Indier sind nicht

unberührt geblieben von dem Einflüsse fremdartiger astrolo­

gischer Ansichten,

die schon seit den ersten Jahrhunderten

unserer Zeitrechnung, mehr aber noch später in Folge eines lebendigeren Verkehrs mit den Moslemin, aus West-Asien in Indien Eingang fanden.

Vornehmlich liegt es daher Jedem, der des Geschäftes der Mythendeutung sich unterzieht,

Sagengewirre

der

verschiedenen

zunächst ob,

heidnischen

in dem

Völker

mit

Sorgfalt zu sondern, was nicht ursprünglich zusammen ge­

hörte, und dagegen zu verbinden, was aus einem ursprüng­ lichen Zusammenhänge

gerissen

worden sein mag.

vorzüglich jedoch wird er sich davor zu hüten haben,

Ganz

daß

Mythen - Erklärung.

lxi

er nicht, verführt durch ein leichtes Spiel des Witzes, sich dazu verleiten lasse, über das Aehnliche, was er in den Vorstellungen, die in dem Gebiete, in welchem er sich de» wegt, ihni begegnen, zu finden glaubt, das Verschiedenartige zu übersehen, und, mehrfache Mittelglieder in der Kette der Vorstellungen überspringend, nach einem blos scheinbaren Verwanötschaftsverhältnisse, der Einheit des Gedankens nachzuspüren. Rur zu häufig hat sich in der Sucht, ent­ weder den innersten Kern alles geistigen Reichthums des Menschengeschlechts auf eine Uroffenbarung zurückzuführen, oder aber des Bewußtseins froh zu werden von der in dem Schaffen des menschlichen Geistes vernunftgemäß waltenden in sich einigen Uebereinstimmung, bei der wissenschaftlichen Behandlung der Mythologie das Bestreben gezeigt, von den Gegenständen, die der Untersuchung Vorlagen, nur das an's Licht zu ziehen, woran sich etwa Spuren verwandtschaft­ licher Beziehungen nachweisen ließen. Die in der Mannich, faltigkeit der Vorstellungsformen gegebene Verschiedenartig, feit aber wurde kaum in Betracht gezogen, oder derselben wenigstens nur eine geringere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Verschiedenartigkeit in der Form ist aber grabe das, woran das Charakteristische jeder einzelnen Gestalt sich offenbart. Der Zweck des Mykholvgen bei feinem Ge­ schäfte darf nicht blos auf die Erforschung der allgemeinen religiösen Gedanken, wie sie sich etwa unter den Indiern, den Griechen, Scandinaviern oder sonst unter einem andern Volke entwickelt haben mögen, gerichtet sein; vielmehr muß es ihm recht eigentlich daran gelegen sein, an der Verschie­ denartigkeit der Vorstellungswelsen der einzelnen verschiede­ nen Völker die geistige Persönlichkeit derselben zur Anschauung zu bringen. Nicht bloß das allgemein Menschliche, was sich an den mythischen Vorstellungen dieses oder jenes Volks offenbaren mag, hat Bedeutung und Werth für die Wis­ senschaft ; sondern ganz besonders auch alles das, woran sich ter Charakter einer jeden besonderen Volksrhümlichkeit ausspricht. Wie sehr es im Einzelnen auch immer

I.X11

Einleitung.

scheinen mag, baß diese ober jene indische Vorstellung irgend einer griechischen oder fcandinavischen verwandt sei: so darf dennoch die wissenschaftliche Aufmerksamkeit um so weniger blos einseitig hingerichtet sein auf die Betrachtung deS scheinbaren Derwandtschaftsverhältnisses, um wie mehr jede einzelne jener Vorstellungen auf einem volksthumlich ver­ schiedenen Boden erblüht ist. Durchaus wesentlich ist eS für die wissenschaftliche Forschung, an diesen verschiedenen Vorstellungen dasjenige zu erkennen, was nordischen Cha­ rakters ist, oder was griechischen ober indischen. Für den Zweck, einer wissenschaftlichen Auffassung des Gegenstandes in einem solchen Sinne aber ist vor Allem zuerst vonnöthen, daß man, ehe man irgend ein Einzelnes, was als Erzeugniß aus dem Bewußtsein eines bestimmten Volks sich dar­ bietet, auf fremdartige Anschauungen im Gedanken zurückzuführen versuchen darf, es in der Gesammtanschanung, in der es ursprünglich lebt, zu verstehen suche, weil es in die­ ser nur seinen wahren Sinn und seine wahre Dedeutnng hat. Die Formen des Bewußtseins heidnischer Völker ge­ hören zum Theil einer längst vorübergegangenen Vergangen­ heit an, zum Theil einer Geistesbildung, die mit der christ­ licher Völker durchaus im Gegensatze steht. An und für sich fern und fremd steht der Geist des Heidenthums in seinen verschiedenen Formen dem Geiste des gebildeten Eu­ ropäers gegenüber. Mit welchem angestrengten Fleiße auch immer der europäische Gelehrte eine weitläuftige äußere Kunde von den religiösen Sagen und dem religiösen Dienste der heidnischen Völker sich verschaffen mag, es müssen ihm jene Sagen, so wie die Formen des heidnischen ReligionsDienstes unverständlich, ohne Sinn und Bedeutung bleiben, wenn er nicht im Stande ist, in seiner wissenschaftlichen Betrachtung aus sich selbst hrrauszugehen, und von den, seinem Bewußtsein ursprünglich eigenthümlichen Formen sich loszureißen, um sich ganz und ungestört in den Zustand des Bewußtseins dieses oder jenes heidnischen Volks versenken

Mythen-Erklärung.

LXin

zu könne». Die bloße Fähigkeit des wissenschaftlich gebilbeten Geistes, aus der ihm ursprünglichen und eigenthümlichen Form des Bewußtseins herauszugehe», genügt indeß auch noch kcineswcges für den Zweck der Erkenntniß des geistigen Inhalts der religiösen Sagen der heidnischen Völ­ ker und für die Auffassung derselben in ihrem wahren Sinne und in ihrer wahren Bedeutung. Alle Mythen sind Erzeugnisse eines im Sinne bestimm­ ter volksthümlichcr Anschauungen schaffenden dichterischen Geistes. Sie sind Werke der Dichtung und nur verständ­ lich dem, der nicht nur überhaupt im Stande ist/ mit dich­ terischem Sinne Gedichte aufzufassrn und zu verstehe»/ son­ dern selbst auch ganz fremdartige Formen der Dichtung an­ deres Völker und anderer Zeiten in sich aufzunehmen und durch die dichterische Kraft seines Geistes wieder neu zu be­ leben. Ohne eine so vollzogene wirkliche Wiederbelebung der Mythen der Völker des Alterthums ober der noch dem Heidenthume anhangenden Völker der fremden Welt­ theile ist eine wahre Mythenbcutung völlig unmöglich/ und da eine Wiederbelebung in dem angegebenen Sinne dichte­ rischen Sinn und dichterische Kraft des Geistes voraussetzt/ so ist beides auch bei dem Geschäfte der Mythendeutung als ein unerläßliches Erforberniß vorausjusrtzrn. Der bei den nüchternen Gelehrten verrufene Grundsatz/ baß es ein Gebiet des Wissens und zwar das der Mythologie gäbe, in welchem Niemand ohne dichterischen Sinn und ohne dichte­ rische Geisteskraft sich frei zu bewegen, noch wahre Früchte Bringendes zu schaffe» im Stande sei, kann und darf nicht aufgegeben werden.

«st - Asien.

Geographische Vorbemerkungen.

verschieben haben sich unter den einzelnen heidni­ schen Völkern, nach der Verschiedenheit ihres Charakters und Geistes, die Glaubensformen ausgebildet. Die Verschie­ denartigkeit in den Charakteren der einzelnen Völker ist aber an nichts anderes anzuschlicßen, als an die Verschiedenar­ tigkeit der Zonen und Lander, in welchen die einzelnen ver­ schiedenen Völker ihre Heimath haben. Nach mannichfa^ltigen Gegensatze» des Naturlebens sind die Länder der Erbe auseinandergespalten. Die Verhältnisse des Grunds und Bodens der Erde, wie die der Atmosphäre und des Kli­ mas sind niannichfaltig verschieden in den verschiedenen Län­ dern. Von diesen Verhältnissen ist das Leben des Menschen in seinem Naturdascin bedingt, und denselben gemäß ent­ wickelt sich dies Leben in den verschiedenen Ländern der Erde auf verschiedene Weise. Nicht indeß bloß in einige große Welttheile spaltet sich die Veste der Erde, sondern mehr oder weniger spalten sich auch die einzelnen Welttheile in eigene Glieder in sich, und da an jedem dieser Glieder das Leben eigenen Naturvrrhältnissen unterworfen ist, so bilden sich auch an diesen einzelnen Gliedern eigene Formen des Naturdaseins, an welchen das Leben des Menschenge­ schlechts, inwieweit es überhaupt dem Naturleben anheimge­ fallen ist, Theil nehmen muß. Jede bestimmte Form eines volksthümlichen Daseins beruht ihrem inneren Grunde nach in den Naturverhältnissen der Weltstellung eines bestimmten Länbergebietes, in den Naturverhältnisscn eines in sich ab­ geschlossenen Gliedes der Beste der Erde.

4

Geographische Vorbemerkungen.

Ein, in seinem Naturlcben zum volksthümlichen Dasein sich ausbildendes Volk bildet sich in die Verschiedenheit der Gegensatze des Naturlebcns hinein; es trennt sich los von dem gesammten Leben des Menschengeschlechts, und indem es sich an einem bestimmten Gliede der Erde seine Heimath auf Erden ausbildet, umzieht es sich in den Kreisen seines Lebens mit Schranke», die in ihrem inneren Wesen den Naturverhältnissen jener bestimmten Heimath enisprechcn. Der Naturcharakter des einzelne» Erdgliedcs prägt sich dem Leben, dem Geiste und dem Bewußtsein des Volkes, welches in demselben seine Heimath auf Erden sucht rmd findet, auf; so aber erzeugt sich die Einheit des Raturcharakters eines volksthümlichen Daseins. Von der Betrachtung des Lebens der Erde, der allgemeineren Verhältnisse desselben, so wie der an den einzelnen Gliedern hervortretenden beson­ deren Verhältnisse muß also auch die Betrachtung der Volks­ charaktere ausgehen. Es leuchtet von selbst ein, wie die Hauptgegcnsätze in dem Leben der Erde anzuschließcn sind an den Gegensatz der Weltgegenden. Zwei Punkte bietet hierbei die Naturbctrachtung bei dem ersten Blicke sogleich dar, als den Punkt des Nordens und den des Südens. Dem Norden zu ist vor­ herrschend bas feste Land gelagert; dem Süden zu dagegen haben sich die das Leben iit seinen manuichfaltigen Formen erregenden Gewässer gehäuft. Reiche Schöpfungen der Na­ tur aber mögen nur da hervorgehcn, wo Festes und Flüs­ siges in lebendiger Beweglichkeit ineinander wirke», und in der Mitte zwischen dem Norden und dem Süden die milde Sonnenwärme jenes lebendige Jneinandcrwirken anregen mag. Dem starren Ersterben, dem Tode, neigt so sich der Norden der Erde zu, während im Süden die Lebendigkeit zerfließt in die schrankenlose Gestaltlosigkeit, und nur da, wo der Norden und der Süden sich begegnen und durch­ dringen, ein mannichfaltig reiches Leben zu wirklicher Ge­ staltung gedeiht.

Kaum dürfte es bei der stetigen Bewegung der um ihre

Geographische Vorbemerkungen.

5

Axe sich drehenden Erdkugel scheinen, daß man im Stande

Ware, auch in eben der Art wie im Norden und Süden, im Osten und Westen an der Erde feste Punkte nachzuweisen, an die ein ost-westlicher Gegensatz geknüpft wäre.

Diese

Punkte sind jedoch gegeben durch das Verhältniß der Lage»

rnng des Festen

und Flüssige».

In zwei

große Vesten

nämlich, in die der alte» und die der neuen Welt tritt das

trockene Land auseinander,

so daß dadurch auch der Länge

nach die Erdkugel in zwei Hälften getheilt wird.

Jede die­

ser Vesten trägt zunächst an sich selbst den Gegensatz von Osten und Westen;

deninächst aber auch zeigt sich in dem

Verhältnisse beider Vesten zu cinaiider bestimmt ein Gegen­ satz, welchem nach an der Veste der alten Welt der Gegen­

satz von Osten und Westen scharf und vorherrschend hervor­

tritt, dagegen an der neuen Welt der Gcgcusatz von Norden

und Süden.

Die Veste der alten Welt scheidet sich als Asien in den Osten, und in den Westen als Europa und Afrika.

An der

Veste der neuen Welt in Amerika aber treten als ausemandcrgegliedert kaum der Oste» und Westen auseinander. Da­

gegen treten in Nord- und Süd-Amerika der Norden und

Süden einander gegenüber, und zwar in einem Verhältnisse des Gleichmaaßcs, wie anderswo nicht.

An der Gestalt Asiens erscheint immer noch erst ein Ringen der Elemente des Nordens und des Südens, des Starren und des Flüssigen, sich ineinander einzubildcn.

Den

Hauptstock dieses Welttheils bildet das, im weiten Umfange sich erstreckende Hochland seiner Mitte, um welches herum

im Norden das Land gegen die Polargegenben hcrabfällt, im Süden aber einzelne Halbinseln sich lagern,

in deren

Gestalt mehr ein Ringe» des Starren sich zeigt, dem Flüs­

sigen des Südens sich cinzubilden, als ein wirklich Errun­ genes. ragt,

Obzwar China nicht so schon in das Meer hinein­

daß es als eine eigentliche Halbinsel zu bezeichnen

wäre, so springt dies Land doch «inner schon ins Meer vor.

An der Gestalt der an China grenzenden, weit gegen Süden

6

Geographische Vorbemerkungen.

in das Meer hineinragenben Halbinsel tritt aber recht ei­ gentlich die Richtung der Hineinbilbung des Starren in das Flüssige hervor. Was jene zahlreich zusammengedrangten Inselgruppen des Südmeers betrifft, die von der Insel Formosa und den Philippinen aus südlich vor einem Theile der chinesischen Küste und vor der hinterinbischen Halbinsel gelagert sind, so ist man durch nichts wahrhaft berechtigt, in dieselben noch irgend etwas anderes hineinzuschauen, als was wirklich in ihrer Gestalt sich kund thut. Die Ansicht, als ob diese Inselgruppen Uebcrrcste eines in alter Zeit etwa vorhanden gewesenen, später zerstörten Welttheils wären, ist völlig willkührlich und unbegründet. In den Formen dieser Insel­ gruppen spricht sich allerdings sehr deutlich ein Ringen des Starren und Flüssigen aus; aber auch weiter nichts. Eben deshalb auch ist man zu Weiterem nicht berechtigt, als zu der Behauptung, daß jene Inselgruppen Zeugniß geben da­ von, baß in der Erdbildung ein Ringen des Starren, dtm Flüssigen sich einzubilden, statt gefunden habe, in der Art jedoch, daß hier der Kampf nicht sei überwunden worden. Jene Inselgruppen können nicht angesehen werden als Ueberreste eines etwa zerstörten Welttheils, sondern als Ansätze zu einem nicht wirklich zur Ausbildung gediehenen Welttheile. Westlich von ter hintcrindischen Halbinsel ragt vom Fuße des Hochlandes von Ost-Asien die vorberinbische Halb­ insel auch südlich ins Meer hinein, so jedoch, daß an der Gestalt derselben weniger gewaltsame Bewegungen des Rin­ gens der Mächte der Natur hervortreten. Vorderindien, in seiner ganzen Breite am Fuße des Hochlandes von Ost - Asien gelagert, und in demselben wurzelnd, hat sich in Dekan kaum, oder wenigstens nicht auf eine sehr scharfe Weise durch das Thal des Ncrbudda als rin eigenes, selbstständig bestehendes südliches Glied im Gegensatze zu einem nördlichen Gliede von der Hauptveste des Hochlandes von Ost-Asien ausgesondcrt und abgetrennt; es ist jedoch in seinen« südlichen Vortagen ins Meer eingctrctcn in de«« Kampf

Geographische Vorbemerkungen.

7

des LebenS, und immer in einem wohlgemäßigten Verhält» nisse und dergestalt, daß daran zwar die Richtung des Nor­ dens, dem Süden sich einzubilden, hervortritt, aber in dem Kreise eines nicht zur wirklichen Auseinanberspaltung des Gegensatzes gediehenen Lebens, in der Art nämlich, baß das feste Land sich hier wirklich vom nördlichen Hauptstocke abgelöst hätte. Wie in den um bas Hochland Ost-Asiens östlich und südlich herum gegen das Meer zu gelagerten Niederlanden sich die Richtung des durch jenes Hochland dargestellten Festen und Starren dein Flüssigen sich rinzubilden, kund thut, aber in jenem, als Ost-Asien bezeichneten, östlichen Theile der Veste der alten Welt es zur Erzeugung eines eigentlich ausgebildeten südlichen Welttheiles nicht gediehen ist, so trägt dieser ganze Weltthril, seinen Grundrichtungen nach, den Charakter eines erst zur Entwicklung sich regen­ den, erwachenden Lebens, und diesem Charakter entspricht auch die Weltstellung Vorderindiens, wie der Geist des Völ­ kerlebens dieses Landes. Für Ost-Asien als der Mittelpunkt des geistigen Lebens hat sich Vorderindien nicht nur dadurch bewährt, daß es für einen großen Theil der ostasiatischen Völker, die, als sie mit Indien in Verbindung traten, völlig verwildert waren, die Quelle aller Bildung geworden ist, sondern auch dadurch, daß selbst das alte, in patriarchalischen Verhältnissen erblühte Völkerleben Chinas seine höhere religiöse Weihe nur dem verdankt, was als Buddhaglaube in dem Geiste der Völker Vorderindiens erzeugt, aus dieser seiner Heimath auch nach China verpflanzt worden ist. Vorderindien tritt im geschicht­ lichen Verhältnisse durchaus als der Mittelpunkt des in sich abgeschlossenen Lebenskreises der ostasiatischen Völker auf. Durch den Indus und durch die Gebirge des Belurtag oder des Jmaus der Alten ist eine Hauptscheide eines eigenen, in sich abgegrenzten und abgeschlossenen Welttheils bezeich­ net. Der geistige Mittelpunkt des Völkerlebens desselben ist in Vorderindien zu suchen. Es offenbart sich an der Gestalt

8

Geographische Vorbemerkungen.

im Großm und Ganzen, so wie an den Formen der einzel­ nen Glieder jenes Weltthrils die in der Natur ruhende Wurzel des bezeichneten geschichtlichen Verhältnisses. Der ganze Norden Ost-Asiens ist einseitig hineingezogen in die Richtung des starren Ersterbens. In China dagegen hat sich allerdings eine eigene Form des Naturlebeus der Menschheit aus sich selbst entwickelt, und dadurch steht auch in den Kreisen des Lebens der ostasiatischen Völker China bedeutsam neben Vorderindien da, wahrend die Völker aller übrigen Länder Ost-Asiens Alles, was sie an geistiger Bil­ dung besitzen und was nicht erst in späteren Jahrhunderten mit dem Islam eingebrungen ist, entweder Indien oder China verdanken. Ost-Asien mit Vorderindien, wo das, an den östlichen Welttheil der Veste der alten Welt geknüpfte geistige Leben zu seiner Entfaltung gediehen ist, da hingegen es in China erst in der Form des kindlichen Bewußtseins erwachte, stellt den Osten der Erbe überhaupt bar, die Ge­ gend des Aufganges des heidnischen Bewußtseins im Men­ schengeschlecht.

Religio» der Chinesen. Äls im 6ten Jahrhundert vor dem Anfänge unserer Zeit­

rechnung im Leben des chinesischen Volks Verwirrung und Unfriede in Folge des Hervorbrechens unsittlicher Gewal­ ten die Verhältnisse zerrüttet und die alte Glückseligkeit ge­ trübt hatten, trat Kong-Fu-Dsü auf; nicht als Verkündiger einer neuen Glaubenslehre, sondern vielmehr nur als Wicberhersteller des alten Glaubens, als Sittenprediger, der weniger dem Volke neue Lehren geben, als dasselbe nur Hin­ weisen wollte auf die Glückseligkeit alter Zeiten, die es tu Freuden und Frieden durchlebt habe. Er wies auf den Glan; der alten Zeiten zurück, sammelte alle Erinnerungen derselben, und ordnete sie in seinen Schriften, an deren In­ halt er dem Geiste des Volks einen Spiegel sittlichen Lebens vorzuhalten bezweckte.') Im Schu-Kiiig wirb das Leben des goldenen Zeitalters der Chinesen als rin solches geschildert, in welchem unter weisen Kaisern das Volk dazu angeführt wurde, eine fried­ liche Heimath auf Erdeit sich zu gründen, die Macht wilder Gewässer zu bezwingen, die Wälder auszuroden und im Ackerbau sich den Erdboden zu unterwerfen;") ein unschuld­ volles, in stillem Seelenfrieden hingebrachtes Leben wird als ’) Klaproth asiatisches Magazin. Th. 2. S. 491 — 527. Abhandlung Sinesischcr Gelehrten a. d. Franz, von Mcincrs. Bd. 1. S. 148—157. Schott Werke des chinesischen Weisen Kong-Fu-Dsü. Halle 1826.

Th. 1. @. 12. Confucii Chi-King eil. Mohl. Stuttgart 1830. praefat.

Meng Tscu cd. Stan Julien 1824. L. 1. c. 6. §§. 31. 32.

2) Vergl. Meng Tscu cd. Stanislaus Julien. 1821. L. 1. c. 5. §. 29. c. 6.

29.

10

Chinesische Religion.

das höchste Gut dargestellt. Hiervon seiner verderbten Zeit zu predigen, dazu fühlte sich Kong-Fu-Dsü berufen. Seine Schriften dienten später als die Grundlagen der chinesischen Reichsreligion. Es wirb in denselben überall der Friede der Seele, sowie tugendhafte Gesinnung und tugendhaftes Handeln, als wodurch, jur Glücksecligkcit des Einzelnen wie des gcfamnlten Volks, nicht nur jener innere Seclenfriede, sondern auch der äußere Friede unter den Menschen gefördert werde, als bas höchste Gut dargesteüt. Ein merkwür» diger Charakterzug des alten chinesischen Glaubens besteht darin, daß Alles, auch die äußere Glückseligkeit des Daseins in der Welt, auf die sittliche und friedvolle Gesinnung des Menschen bezogen und davon abhängig gemacht wird. Zu­ nächst jedoch und in unmittelbarer Beziehung auf das Leben und die Schicksale des gejammten Volks findet diese Vor­ stellung vorzugsweise besondere Anwendung auf das Ver­ hältniß derer, die als die Großväter des Volkes angesehen werden, und als herrschende Kaiser die Angelegenheiten ihrer Kinder und Enkel zu verwalten und deren Schicksale zu lei­ ten haben. An die Herrscher des Volks ergeht vorzugsweise der Ruf, in dem Festhalten an der rechten Mitte das vom Him­ mel dem Herzen des Menschen cingeprägtc Maaß zu beob­ achten. Das Abbild der ewige» Ordnung wird angcschaut in den geregelten Erscheinungen des vom ewigen Himmel umfangenen und von der, in ihrer Beweglichkeit fruchtbar zeugenden Kraft der Erde getragenen Naturlebcns.') Der Himmel, heißt es, bestimmt die eigenthümliche Wesenheit jedes Besonderen; aus dem, was derselben entspricht und damit übereinstimmt, ergiebt sich das Gesetz und aus der Feststellung des Gesetzes die Lehre. Das Gesetz, worauf die Lehre beruht, stammt somit vom Himmel selbst, inwie*) Tchoung -yoiing cli. 17. §. 3. cli. 20. §. 3. cli. 30. 1. 2. 3. in not. ct extr. des manuscr. de la bibliolli. du Roi. toni 10. Meng Tsen L. 2. c. 1. §. 39. Noel, siucos. imper. libr. das. sex. immutab. med. §§. 137. 138.

Chinesische Religion.

11

fern nämlich bas Gesetz der Natur der Dinge entspricht,

und die Netur der Dinge durch den Himmel bestimmt ist.')

Das Gesetz führt zur Lehre ober zur errungenen Weisheit, und wer diese gewonnen hat, rechten Mute?)

harrt standhaft aus in der

Der Zustand, in welchem die Seele, ehe

die Leidenschaften in ihr erwacht sind, sich befindet, ist der der Mitte; nachdem sie aber erwacht sind, und nachdem sie

das rechte Maaß gewonnen haben, ein.

tritt das Gleichgewicht

Die Mitte bildet im Weltall den Halt; das Gleichge-

wicht ist die Bahn für Me.

Wenn die Mitte und bas

Gleichgewicht in ihrer Vollkommenheit sich barstellen, dann befinden sich Himmel und Erde in Ruhe,

reifen ihrer Blüthe entgegen?)

und alle Dinge

Aufrecht erhalten im Leben

der Menschen, wie im Leben des Weltalls, wirb das Gleich­

gewicht durch die

sittliche Kraft des Menschen,

der als

Weiser oder Heiliger in seiner selbsterrungcnen Vollkommen­ heit ausharrt in dem Festhalten an der rechten Milte, und

so als werkthatig ordnendes Glied in Gemeinschaft mit Him,

mel und Erde Theil nimmt am Schaffen der Dinge, sie in

ihrem Dasein erhalt und beschützt,

wie auf die Erreichung

des Zustandes der Vollkommenheit überall auch außer sich hinwirkt?)

Gestört aber wird bas Gleichgewicht im Leben

des Weltalls durch die Sünde des Menschen und durch sein Abweichen von der rechten Mitte.

Der Lauf der Gestirne,

die Jahreszeiten, der Dogclflug, die Witterung gerathen in

Unordnung, wenn aus des Menschen Brust das rechte Maaß

verschwunden ist?)

In seiner Vollkommenheit dagegen hält

er die ungeordneten Gewalten des Lebens gefesselt, und in

') Tclioung-young cli. 1. §. 1. not. ct cxtr. des manuscr. . L. 1. c. 4. §. 43. L 2. c. 1. §. 30. c. 3. §. 51. 3) a. a. O. L. 2. c. 3. §§. 21. 22. 4) a. st. O. L. 2. c. 3. §. 25. s) Y-Kiiig p. 35. Meng-Tseu. I, 1. c. 4. §.43. L.2. c. 3. §§.29.41. 6) Mcng-Tscu L.l. c. 4. §§. 5.27.28. 29. 38. 39. L. 2. ) Mcng-Tscu L. X. c. 6. §§. 3.3. 34. 3) Noel iinmutal). med. §§. 'S. 79. libr. sentent. art. 1. §. 8. Memoir. coucem les Cliin. tom. 12. p. 6.8. Du Halde Descript. de la Cliin. tom. 3. p. 155. Liin-M übersetzt von Schott. Th. 1. S- 31. Feodor Egg» Untergang der Nalnrstaaten. S. 22 23. Meng-Tscu L. 2. c. 1. §§. 54. 55. Confucius Sinarum Philos. р. 57. 58. 59. 3) Mcng-Tseti L. 2. c. 1. §. 42. Y-King p. 166. 4) Grösster Dcscription de la Chine, tom. 4. p. 395 396. 400. Meng-Tseu L. 1. c. 4. H. 15. n. 99. §§.18.20. c. 3. §§.4.5. 6.7. с. 5. §. 35. c. 6. §. 16. L. 2. c. 1. §. 17. r. 2. §. 18. LeChou King p. 13. 14. 17. 54. 96. 99. 146. Noel immutab. medium. §§. 68. 70. libr. scntent. art. 2. §. 8. Tclioung-Yonng. cb. 19. §§. 4. 6. Ta-Tsing-Leu-Lec mis en franc. tom. 1. p. 285. 286. Journ. asiat. tom. 10. p. 34. 36.

16

Chinesische Religion.

des Daseins der menschlichen Seele nach dem T»de hat sich indeß in der Lehre des Kong-Fu-Dsö nicht entvickln kön­ nen. Es wird zwar geglaubt, daß nach dem Tote die Seele in den Himmel gehe, der Körper aber mit d wurde daher ein Anderer mir dem großen Werke

kehren.

beauftragt; aber auch dieser blieb auf der Erde zurück, indem

er dafür hrlt, baß es zweckmäßiger sei, sich selbst in dem

Besitze d>er Herrschaft des Landes zu behaupten, als für

Andere siich anzustrengen, indem er zum Nutz und Frommen für die (git el der Ten sio dal sin die Erde reinige.

Doch

ereilte ihm im Mittagsschlafe die Rache; es fiel ein Pfeil vom Hinnnel, und durchbohrte ihm die Brust.

Ein Baffenfreund von ihm, der ihm sehr glich, stieg in den Hinmel, um den Göttern sein Beileid zu bezeigen,

ward ab«er von ihnen für den Todten gehalten, der wieder auferweckt Ware, und darüber dergestalt erzürnt, daß er mit

seinem Sckwerdte das ganze Haus der Trauer zerschlug. Die einzelnen Stücke des zerstörten Hauses fielen auf die

Erde, und es bildete sich aus ihnen der, in der Landschaft Mino belegene Berg der Trauer. " Bald darauf ließen die Geister der'Erde'auf friedlichem Wege sich bewegen, den himmlischen Geistern sich zu unter­ werfen.

Der Sohn des Fürsten der Geister der Erde zog

sich ins Meer zurück.

Welche Geister niederen Ranges sich

nicht unterwerfen wollten, die wurden leicht überwunden. Der Enkel der Ten sio dai sin, Amarsu fiko genannt, warb nun wieder in den Besitz der Herrschaft über die Erde ge­

setzt.

Er wählte zu seiner Genossin ein weibliches Wesen,

welches, väterlicher Abstammung nach, himmlischen, mütter­ licher Abstammung nach, aber irdischen Geschlechtes war.

Die Mutter war die irdische Gottheit der großen Gebirge.

Weil Amatsu fiko Zweifel darüber äußerte, ob seine schwangere Gemahlin auch schon vor ihrer Vermählung mit ihm empfangen habe, so glaubte sie,

sich reinigen zu müssen.

von dem Verdachte

Sie baute also eine Hütte für die

Stunde ihrer Niederkunft, und sagte zu dem Gemahl: „Diese

Hütte werde ich anzüiidcn wahrend meiner Wehen, und

44

Japanische Religion,

wenn ich nicht im Feuer verbrenne, so ist das Kind, welches ich unter meinem Herzen trage, von Dir; wenn es aber

nicht von Dir ist, -dann werde ich verbrennen." —

Die

Hütte ward angezündet; wahrend das Feuer zu brennen

anhub, gebar sie einen Sohn; während die Flammen am höchsten aufschlugen, warb ein zweiter Sohn geboren, und während sie wieder abnahmen ein dritter. Die Mutter ging

unverzehrt aus dem Feuer hervor.') Die Bedeutung der Sage über Amatsu fiko liegt in

ihr selbst klar da, wenn auch in ihrer japanische» Form die Erzählung sehr mährchenhaft lautet.

Es finden sich in ihr

so viele Anklänge an bekannte Vorstellungen, wie man sie in Sagen anderer heidnischer Völker findet, baß sie da­ durch allein schon, wie wunderlich auch im klebrigen die in

ihr herrschende Darstellung sein mag, verständlich wird. Die Sage über seinen Nachfolger bietet dagegen weniger Ver­

gleichungspunkte mit Vorstellungen anderer Völker dar, und

spricht auch in sich selbst ihren ©imi nicht eben sehr deut»

lich aus. Der älteste der Söhne des Amatsu fiko soll sich der Meeresherrschaft unterzogen haben, während sein jüngerer Bruder die Gebirge beherrschte.

Nach einiger Zeit aber

kamen sie wegen eines Tausches mit einander überein; der

jüngere übergab dem älteren seinen Bogen und seine Pfeile, und empfing dafür den Angelhaken. Doch es wurden beide

bald unzufrieden über den Tausch,

und jeder verlangte

zurück, was ihm ursprünglich gehört hatte.

Aber der An­

gelhaken war verloren, und einen anderen an dessen Stelle wollte der ältere Bruder nicht annehmen. Der jüngere ging jetzt ans Meer, um zu suchen, und hier einem alten Manne

begegnend, dem er sein Leib klagte, fand er Hülfe.

Der

Mann hieß der Alte vom Salzlande; er baute sogleich eine Art von Taucherglocke, durch deren Hülfe der Suchende

sich in's Meer hinabließ, und zu dem Pallaste des Meer!) Klaproth a. a. 0. p. 20 — 23.

Japanische Religion, gottes gelangte. Alle Fische wurden zusammengeladen, und so wurde es entdeckt, baß ein Fisch, an Mundwunden lei­ dend, krank sei, und deshalb dem Rufe nicht habe Folge leisten können. Man schickte einige Fische ab, um die Sache näher zu untersuchen, und diese brachten den achten Angel­ haken zurück. Der Sohn des Amatsu fiko verband fich mit der Toch­ ter des Meergottcs, und lebte drei Jahre mit ihr in feinem Pallaste, den er sich im Meere erbaut hatte. Darauf aber warb er von Heimweh ergriffen, und schickte sich mit Er­ laubniß der Arltern seiner Frau zur Rückreise an. Es wur­ den ihm bei dem Antreten derselben zwei köstliche Steine mitgegeben: der Stein der Erregung der Meeresstuthen und der Stein der Beruhigung derselben. Des ersteren sollte er sich bedienen, wenn etwa sein Bruder sich weigern würbe, ihn wieder zu entlassen; von dem zweiten sollte er Gebrauch machen, wenn sein Bruder, aus Furcht vor der Macht der Fluthen, nachgegebcn haben würbe. Sein Weib eröffnete ihm, baß sic schwanger sei, und daß sie, vom Winde und günstiger Fluth getragen, schwimmend ans Ufer komme» werbe, wo für ihre Niederkunft ein schicklicher Ort bereitet werden möchte. Es trug sich alles so zu, wie man es erwartet hatte. Nachdem dem altere» Bruder der Angelhaken zurück erstat­ tet worden war, verweigerte er die Entlassung des jünge­ ren; er gab jedoch nach, als die Kraft der köstlichen Steine in Bewegung gesetzt warb. Die Fluthen hatten sich wieder beruhigt, als ein star­ ker Wind sich erhob und eine neue Fluth erregte. Der jün­ gere Sohn des Amatsu siko eilte ans Meer, und erblickte aus der Ferne seine Gemahlin, die in Gesellschaft ihrer jün­ geren Schwester durch die Wellen heranschwamm. Ans Ufer getreten, verlangte die Frau von ihrem Manne, daß er sich entfernen und sie unbeobachtet lasse» solle, da die Zeit ihrer Niederkunft da wäre. Er versprach dies zwar, und zog sich auch zurück; doch verbarg er sich, und beobachtete sie heim-

46

Japanische Religion.

lich. Sie indeß bemerkte es und, nachdem sie einen Sohn geboren hatte, stürzte sie sich, in einen Drachen ver» wandelt, beschämt ins Meer. Seit der Zeit sah sie ihren Gemahl nicht wieder. Ihr Sohn folgte seinem Vater in der Regierung, nachdem dieser noch lange Zeit geherrscht hatte. Die Grabstätten beider werden auf Bergen in der Landschaft Fiuga gezeigt.') Diese Sage über die Söhne des Amatsu fiko deutet im Allgemeinen ohne Zweifel theils auf Vorstellungen von dem Gegensatze zwischen Jägerleben und Fischerleben hin, theils auf Vorstellungen von dem Gegensatze zwischen Gebirg und Meer. Im Einzelnen aber ist die Sage, ihrer Form nach, wie die japanische Dichtung überhaupt in allen ihren Formen, sehr unklar und phantastisch gehalten. Mit derselben endigt die Göttersage, indem der Enkel des Amatsu fiko, über den weiter nichts, als seine Geburt und baß er vier Kinder gehabt habe, berichtet wird, Erzeuger des Grün» ders des japanischen Reiches ward.-) Die Heroensage der Japaner ist nicht reich ausgebildet, wie denn überhaupt auch, der Weltstellung Japans nach, hier ein reiches geschichtliches Leben sich nicht entfalten konnte. Das Bewußtsein der Japaner blieb der Natur verfallen und darin versenkt, ohne im Stande zu sein, in einem freien sittlichen Geiste sich darüber zu erheben. Don Vorstellungen über einen überweltlichen Zustand der mensch­ lichen Seele nach dem Tode kommen daher auch im Sinto keine Spuren vor. Der herrschenden Ansicht nach lösen sich die Seelen der guten Menschen nach ihrem Tode in das allgemeine Wcltlcben auf, und verstießen in dasselbe, wie die Gewässer ins Meer. Wie ein, auf dem Berge stehender See noch für sich besieht, jedoch aufhört, selbstständig zu bestehen, wenn sein Wasser den Berg hinab ins Meer fließt, und von demselben verschlungen wird, so denkt sich der Ja1) Klaprolh st. a. £h p. 23—25. 2) a. «. O. p. 25.

Japanische Religion.

47

paner das Aufhören des selbstständigen Daseins der Seele nach dem Tobe. Den Seelen der bösen Menschen wird jedoch nicht gleich nach deren Tobe die Auflösung zu Theil, sondern sie werden auf mancherlei Weise aufgehalten, wie Gewässer, die durch viele Umwege und Hindernisse, auf die sie in ihrem Flusse stoßen, trübe werben. Die Ahnung dessen, woraus in dem Glauben anderer Völker der Glaube an Himmel und Hölle, und an Strafe ober Belohnung der Seele in einer anderen Welt sich er­ zeugt hat, fehlt gänzlich im Sinto. Derselbe kennt auch kein eigentlich Böses als teuflische Macht. Von einigen wird jedoch der Fuchs in gewissem Sinne alS eine Einkörperung des Bösen geachtet. Man hält ihn für ein sehr gefährliches Thier und glaubt, baß manche Menschen von ihm besessen, die Seelen der bösen Menschen aber in Füchse verwandelt würben.') Diese Ansicht zeigt indeß mehr nur auf einen witzigen Vergleich und ein leich­ tes Spiel des Verstandes hin, als auf eine, mit der gesammten Form deS Bewußtseins zusammenhängende und dieselbe lebendig und allgemein kurchdringenbe Betrachtungs­ weise. Anderen Berichten zufolge soll der Fuchs in Japan als Schutzgott verehrt werden: in kielen Häusern, zumal geringerer Leute, sollen ihm kleine Tempel gewidmet sein. Man frägt ihn in schwierigen Fällen nm Rath und stellt ihm Abends Reis ober Bohnen hin. Fehlt Morgens etwas daran, so glaubt man, der Fuchs habe cs verzehrt, und zieht gute Vorbedeutung daraus; das Gegentheil ist ein übles Zeichen. Man soll ihn sür einen Kami, das ist für die Seele eines verstorbenen guten Menschen halten.") Die Hauptpuncte des sintoischen Rcligionsdienstes, durch deren Erfüllung dessen Anhänger, ihren Göttern zu dienen, und da ihre Seele sich nicht mit dem Gedanken an ein hö­ heres geistiges Dasein beschäftigt, den zeitlichen Sergen der *) Kämpfer. Th. 1. S 2si3. 2) Grimm die deutsche Mylhol. S. 3so.

48

Japanische Religion.

Götter in diesem Leben zu erlangen hoffen, bestehen in Rei­ nigkeit des Herzens, religiöser Enthaltung von allem dem, was den Menschen entheiligt, Feier der großen Feste und in Wallfahrten, besonders nach der heiligen Stätte Jsje.') Der inneren Reinigkeit des Herzens wird in der An­ sicht der Japaner nur eine Beziehung gegeben zur äußeren Beobachtung des Gesetzes. Sie erfordert nämlich, dasjenige zu thun und zu unterlassen, was das Gesetz der Natur und die weltliche Obrigkeit, die als irdische Gottheit angesehen wird, zu thun und zu unterlassen, vorschreiben. Das Na­ turgesetz des Sinto ist wenig strenge, und läßt die Japaner in Wollust und Ueppipkeit aller Art sich versenken. Die weltliche Obrigkeit hat daher die Gelindigkeit der Götter durch gesetzliche Androhung äußerst harter Strafen ersetzen müssen. Die religiösen Feste werden im Jubel und im Hingeben an sinnlichen Genuß verbracht. Den Besuch der ein­ fach gebauten Tempel vollzieht jeder Einzelne für sich, um auf seine eigene Weise sein Gebet zu verrichten. Selten werden in inneren verschlossenen Kammern, die man nur zu bestimmten Zeiten eröffnet, wunderthätige Götzenbilder auf­ bewahrt. Der Hauptschmuck der Tempel ist ein, in der Mitte aufgchängter Spiegel, ein Sinnbild der Reinigkeit des Herzens, so wie auch des Wesens der wcltschöpferischen göttlichen Mächte, denen in ihren Tempeln die Flecken und Tücken des Herzens dessen, der sie besucht, dem Sinto zu­ folge, offenbar werden.-) Dem Gesetze nach vereinigt, in dem Sinne einer pa­ triarchalischen Herrschaft, der Kaiser, dessen Namen nicht ausgesprochen werden darf, sondern auf den hingedeutet wird durch das Wort Da'iri, welches unserem Begriffe vom Hofe entspricht,^) priesterliche und feldherrliche Macht in 1) Kämpfer. Th. 1. @. 203-2(55. 2) a. sl. O. S. 259. 2C0. Klaprolh ft. fl. O. p 18. n. 2. s) Titsingh annaL p. 422. not, L

Japanische Religion. sich.

49

In ununterbrochener Reihenfolge leitet er seine Ab»

flamm ung von der Ten sio da» sin her.

Er war in alten

alle Morgen einige Stunden mit

Zeiten dazu verbunden,

der kaiserlichen Krone auf dem Haupte, wie eine Säule auf dem Throne zu sitzen,

ohne Hand oder Fuß,

Haupt oder

Augen, oder sonst irgend einen Theil seines Leibes zu bewe­

gen.

Auf diese Weise,

glaubte man,

könne Friede und

Ruhe im Reiche aufrecht erhalten werden; wenn sich aber der Da'iri unglücklicherweise hier oder dorthin, nach der ei­

nen oder der anderen Seite hinwandte,

oder eine Zeitlang

seinen Blick irgendwohin auf einen Theil seines vor ihm ausgebreiteten Reichthums an Kleinodien und Juwelen hef­ tete,

so ward gefürchtet,

baß Krieg, Hunger, Feuer oder

sonst ein großes Unglück dem Lande bevorstehe.

In späte­

ren Zeiten hat man angefangen, den Da'iri von dieser be­

schwerlichen Pflicht zu entledigen,

und statt seiner nur die

Krone jeden Morgen für einige Stunden auf den Thron zu

setzen.')

Der ursprüngliche Sinn dieser alten Sitte leuchtet

von selbst ein.

Man erwartete nämlich den Frieden im

Reiche von dem nicht in Begier überwältigten Sinne des Fürsten, und an jener Ruhe, die er täglich zur Darstellung

brachte, ward die Ungetrübtheit seiner Gesinnung erkannt. Der Da'iri übte in frühern Zeiten alle weltliche Macht

nebst der geistlichen aus.

Dem Sinto eignet überhaupt

keine eigentliche Priesterschaft, sondern es finden fich in sei­

nem Dienste nur Tempeldiener,

die,

wenn sie nicht im

Dienste der Mia oder des Tempels sind, in weltlichen Klei­

dern, mit zwei Sabeln bewaffnet, wie die Edlen beS Landes einhergchen.

Jeder wird durch die Geburt zum Tempeldie­

ner berufen, indem das Amt des Dienstes bei den Tempeln

den Mitgliedern der Familie des Da'iri erblich zustrht.*2)

Diese Familie hat nebst dem Da'iri selbst gegenwärtig

') Kämpfer. Th. I. S. 174. 17». 2) a. a- O. S. 261.

so

Japanische Religion.

fast alle ihre Macht und ihren Einfluß verloren,

seitdem

gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts die feldherrliche

Macht sich zu erheben anfing.

Die Feldherren des Reichs

wußten seit dieser Zeit alle Herrschermacht an sich zu reißen. Der Hauptstoß ward der Macht des alten Hofes in der

Hälfte

letzten

des

sechszehnten Jahrhunderts

durch

den

Stammherrn der fürstlichen Linie, die gegenwärtig noch in felbherrlicher Macht über Japan herrscht, bcigebracht. -Seit dieser Zeit blieb den Da'iri's nur der Schatte» ihrer alten

Macht.

Für ihre Bedürfnisse,

die einen bedeutenden Auf­

wand erfordern, sorgen die fcldhcrrlichen Machthaber, lassen ihnen alle Ehrenrechte,

und gestehen auch zu, daß sie nur

in ihrem Namen und als ihre Beamte das Land beherrschen.') Wie so auf Japan die feldherrliche Macht sich selbst­

ständig gemacht hat, so ist auch in der Hervorbildung meh­

rerer geistlichen Orden von Büßenden unter den Anhängern des Sinto die Priesterlichkeit herausgetretcn.

Diese Orden

find jedoch dem Sinto ursprünglich fremd, und erst entstan­

den in Folge des Eindringens buddhaischer Ansichten. Festeren Fuß faßte zugleich mit einer an chinesische Bil­

dung

sich

anschließenden

höheren

Wissenschaftlichkeit

der

Buddha-Dienst in Japan seit der Mitte des sechsten Jahr­

hunderts in Folge dessen, daß der Dairi Ken Mei im Jahre

552 sich zu demselben bekannte.

In einzelne Landschaften

eingedrungen war die Lehre schon in früheren Jahrhunder­ ten.^)

Mochte dieselbe auch seit dem sechsten Jahrhundert

im japanischen Reiche lebendiger aufblühen, so erhielten sich jedoch int Lande noch einige Altgläubige, an den Lehren des Sinto festhielten. gen sind

die mit Strenge

Solcher Rechtgläubi­

aber gegenwärtig nur Wenige.

Andere

suchen

dem Sinto treu zu bleiben, indem sie an den Lehren bessel-

•) Titsingb annal. p. 423. 424. 437. 438. 442. $) Titsingli annal. p. 35. Klaproth a. a £)• p. 8. Kämpfer Th. 1 S. 184 — 244. journ. asiat toin. 11. p. 160.

Japanische Religion.

51

ben beuteln, und eine Vereinigung zwischen diesen und den kehren Vuddha's zu vermitteln suchen. So behaupten sier Ten fio da sin sei der Kern des Lichts und der Sonne, ben Amiba unter welchem Namen Buddha in Japan ver­ ehrt wird, bewohnt habe. Weiter behaupten sie, die von ihnen verrhten Götter wären die Beherrscher der von ihnen Tenka genanten unterhimmlischen Welt; der höhere Him­ mel aber wäre die Heimath der Seele. Die meisten An­ hänger des Sinto bekennen sich gegenwärtig zu einer solchen Lehre, die aus der Vermischung von sintoischen und buddhaischen Ansichten hervorgegangen ist. Der ganze Hof des Da'irk scheint einem ähnlichen Syncretismus zugethan zu sein. Höchst merkwürdig ist, daß beinahe Alle, die während des Lebens dem Sinto vertrauen, in der Stunde des Todes ihre Seele der Vorsorge der Buddhapriester und zur Tvdtenbrstattung denselben ihren Leichnam übergeben.') Auch den entseelten Körper des Daöri empfangen zur Leichenbestattung die Duddhapriester?) Hieraus erhellt recht mit Bestimmt­ heit, wie wenig Beruhigung und Befriedigung bet Siüto' zu geben im Stande sei in anderer Beziehung als auf daS zeitliche Leben. Das an dem Sinto sich offenbarende Bewußtsein wur­ zelt ganz und gar in der Natur und in dem Diesseits. Es spricht sich in dem Sinto, der nur auf das irdische Leben verweist, keine Ahnung irgend welcher Art von wahrhafter innerer Heiligkeit aus, so wenig wie der Gedanke an ein über diese Welt erhabenes höheres geistiges Dasein. Nur in dieser Welt auf Erben findet der Leichtsinn des Anhän­ gers des Sinto seine volle Befriedigung, und was drüben jenseits ist, gilt ihm nur wie Traum, wenn auch immerhin einzelne leise Ahnungen davon seine Seele umschweben mögen.

52

Japanisch« Religion,

In so klaren und bestimmten Umrissen, wie vor dem Bewußtsein des Chinesen, hat der Reichthum der sinnlich gegenwärtigen Welt sich noch nicht vor dem Blicke des Anhängers des Sinto entfaltet. -Auch die Seele des gei­ stigen Menschen schläft in ihm, und von der inneren Herr­ lichkeit derselben ist in seinem Bewußtsein noch keine Ahnung erwacht. Nur, wie im Morgengrauen, findet er in den mährchenhaften Gestalten, die vor seinem Bewußtsein schwe­ ben, sich erst selbst und seine nächsten Umgebungen, im vol­ len Drange weltlicher Begier, sich im ausgehenden Lichte zu entfalten. Schon verschwinden die Geister der Nacht, und es will der Tag hereinbrechen über dir Welt; aber in dem halb­ wachen Zustande vermag sich eine einfache sinnliche Weltan­ schauung, wie in dem Bewußtsein der Chinesen, nicht zu entfalten. Noch vom Morgentraume umnebelt beginnt erst der Geist des Japaners die in der Dämmerung vor sein Bewußtsein tretenden Gestalten zu sondern: Gestalten, die weder klare Anschauungen sinnlicher, im Hellen Lichte gese­ hener Bilder mit bestimmten Umrissen sind, noch zur Gedie­ genheit des Gedankens umgeschaffene seelenvolle Geistesbilber, sondem in dem Helldunkel ihres Bestandes mehr einer Traumwelt, als einer Gedanken- oder Sinnenwelt, anzugehvren scheinen. Dirs jedoch tritt mit Bestimmtheit hervor, baß sie einem Bewußtsein angehören, welches einzig getrie­ ben wirb von dem vollen, frischen Drange erwachender Weltlust. So steht denn auch dies Bewußtsein in einem sehr klar nnd scharf bestimmten Gegensatze gegen das Bewußtsein des Naturvolks der, den japanischen Inseln, ihrer Weltstellung nach, im Gegensatze gegenüberstehenden Inseln an der Westküste der Beste der alten Welt. In Irland und Schott­ land, westlich jenseits des Meeres gen Untergang im Abend, wo die Sonne wieder ins Meer sich hinabsenkt, löste sich bas Bewußtsein des hier heimathlichen Naturmenschen vom sinnlichen Weltleben fast ganz ab, und in bas Wesen reiner Geistigkeit verschwimmrnd, in ein Seelenleben auf.

Japanische Religion.

53

Keine Verehrung der zeugenden Kräfte des Weltalls, keine Vergötterung der Natur findet sich im Ossian. Nur die Seelen der Verstorbenen schweben geisterhaft über die Haide, durch den Wind und durch den Sturm. Hier ist nordwestlich im Bewußtsein der Gaelen die Welt schon utt# tergegangen, wie sie nordöstlich im Bewußtsein der Japaner erst aufgehen will.

Indien. Vorwort.

^südwestlich von China und Japan stößt nan zunächst

auf die Völker Indiens, und hier ist es eben Jorderindien, welches vorzugsweise die Aufmerksamkeit am sich zieht. An den, den Völkern Vorderindiens eigenthünlichen reli­ giösen Glaubensformen offenbart sich eine neue, eigenthüm­ liche Auffassungswelse des Lebens, eine, selbstßänbig im ei­ genen Kampfe des Geistes erzeugte Götterwrli. Aus dem Geiste der Völker Hinterindiens dagegen hat sich keine ei­ genthümliche, selbstständig errungene Bildung entfalten kön­ nen. Der ursprüngliche Naturzustand dieser Völker ent­ spricht vielmehr in Wildheit jenem Bilde der Zerrissenheit, wie es sich abprägt an der Gestalt des gebirgigen Landes mit den Halbinseln, deren die malaccijche Landzunge, schmal und lang, weit in den Süden hinein vorragk, und in ihren Naturverhältnissen eine nahe Beziehung zu den Inseln des indischen Meeres barstellt. Alle geistige Bildung der Völker Hinterindiens stammt theils entweder auS China, oder theils aus Vorderindien her. Als Erzcugniß aus dem eigenen Geiste dieser Völker waltet im Hintergründe ihres religiösen Bewußtseins nur eine Verehrung von Berg- und WaldGeistern vor. Im Ucbrigen aber herrscht in Lunkin und Cochinchina, als den östlichen Theilen Hinterindiens, mit vorherrschender chinesischer Bildung als Rcichsreligion die chinesische. Im westlichen Theile Hinterindiens dagegen, in Siam, unter den Birmanen und auf Malacca, herrscht die von Vorderindien ausgegangcne Religion Buddla's. In­ wiefern so in Hiutcrindicn chinesische und vowcrindische

Vorwort-

55

Bildung sich begegnen, stellt sich an dem, diesem Lande geeigneten geistigen Völkerleben allerdings zwar eine vermittelnde Uebergangsstufe bar; immer jedoch nur in äußerlicher Weise. Das eigentlich innere Verhältniß dagegen beruht darin, daß sich an der, dem Völkerleben Hinterindiens, wie gleichfalls auch dem der Insel» des indischen Meeres ur­ sprünglich geeigneten Verwilderung, die nicht die Kraft eige­ ner Ueberwindung erstandener geistiger Kämpfe in sich selbst trug, die Stufe eines zwiespältigen Zustandes sich offenbart, der nach dem Verluste jener Art von Unschuld, worin der Grundcharakter des chinesischen Lebens beruht, eintreten mußte, ehe es zu jener Art von Versöhnung gedeihen konnte, die nur aus dem Boden des Völkerlebens der Gangeöländer hervorkeimen mochte, und von hier aus fast allen Völkern Ost-Asiens zum Heile ward. Das, was aus dem Leben der Völker Vorderindiens sich geschichtlich entwickelt hat, bildet den geistigen Mittel­ punkt des gesammten Völkerlcbens von Ost-Asien. Wie aber in dem Leben dieses Welttheiles selbst die Gegensätze noch nicht in einer wirklich sich durchdringenden Jneinanderbilbuug der Elemente des Nordens und derer des Südens zu scharf gesonderter Entwicklung der einzelnen Glieder aus­ einander haben treten können, indem einestheils das Wasser noch nicht, wie in Europa, über den Norden sich ergossen hat, nnd anderenthcils die vorderindische Halbinsel noch nicht einmal bis an die Südhälfte der Erde heranreicht: so auch spricht sich in dem Bilde des reichen geistigen Lebens der Indier, in dem, darin sich offenbarenden Verschwimmen der Formen des Bewußtseins in unbestimmte Allgemeinheit, ein, jenem Verhältnisse entsprechender Charakter auf eine unzweideutige Weise aus. Ist auch im eigenen Kreise und auf eigene Weise da.', an Ost-Asien geknüpfte Leben im Geiste der Völker dieses Welttheils, in Indien und in dem was in Indien erzeugt, von daher sich ausgebreitet hat, zu einer Beruhigung gewisser Art gelangt: so spricht sich den­ noch im Ganzen im Charakter des indischen Geistes nur ein

56

Indische Religion.

Drang zur Entwicklung, rin Drang -es ersten Erwachens

Les Geistes der Menschheit aus.

Wie im Bau des östlichen

Welttheils nur erst ein Trieb zur Entfaltung deS Lebens

fich regt, ohne wirklich in scharf gesonderter Gliederung die Gegensatze auseinander treten zu lassen,

so regt sich auch

im indischen Geiste Alles in reichen zwar, doch in unentfal­ teten Keimen.

Nirgends gedeiht es in dem Bewußtsein des

Indiers, bei allem geistigen Reichthume, den es zu entfalten vermag, zur Klarheit.

Wie von einem wunderbaren Gei-

stcshauche zwar erscheint es durchdrungen;

doch auch wie

von einem mit Wunberbildern durchwebten Schleier umhüllt.

Wie im Keime angedeutet, aber auch nur im Keime, spie­

gelt sich im Leben und Bewußtsein des Indiers der Geist der ganzen Weltgeschichte vor.

Man hat vielfach Fragen über die Urheimath der Brah­ manen aufgeworfen, und darüber, wo in Asien der Sitz der

brahmanischen Bildung zu suchen sei.

Diese Urheimath und

dieser Ursitz sind indeß nirgends anderswo zu suchen, als in

dem Thale des mittleren Laufes des Ganges.

Einzelne, aus

ihrer früheren Urheimath vertriebene, oder aus eigenem An­

triebe auswanbernde Menschen,

Familien

ober Schaaren

müssen allerdings in grauen Urzeiten aus dem Westen an

den Ganges gekommen sein, um sich hier anzusiedeln. Diese können aber in ihrem Geiste noch nicht von dem ergriffen

gewesen sein, was als brahmanische Bildung zu bezeichnen ist. Sie können dieselbe nicht aus der Fremde mitgebracht, sondern nur aus ihrem eigenen Leben in einer Zeit entwickelt

haben, in welcher sie schon, indem sie, in Folge ihrer Ansie­ delung am Ganges, daselbst eine feste Heimath gewonnen

hatten, Indier geworben waren.

Die, an den Formen der

brahmanischen Bildung so charakteristisch hervortretcnde Ei­

genthümlichkeit zeigt mit aller Bestimmtheit auf Ursprüng­ lichkeit hin. Die indische Sage knüpft den Ursitz der brahmanischen Bildung an Brahmawerta, an eine Gegend, deren Grenzen

Vorwort.

57

von Mann') nicht so bezeichnet sind, baß mam dieselben nach unserer heutigen Länderkunde von Indien

könnte.

genau angeben

Anderen Ueberlieferungen zufolge wird indeß Brah»

mawerta als die

am Zusammenflüsse des Dschumna und

Ganges belegene, auch Prajaga genannte, Gegend bezeichnet.-)

Dem Ramejana zufolge hätte der Wald Prajaga in grauen

Vorzeiten die Bußstätte des heiligen Bharadiwa und der frommen Büßer,

schlossen,

die an ihn, als an ihren Gnrn sich an­

gebildet?)

Diese heilige Dußstatte wäre sonach

die Gegend, wovon die brahmanische Bildung ausgegangen

wäre. Als

die Heimath menschlicher Sitte und geordneten

menschlichen Lebens wird im Ramajana das heilige Land Kosala mit seinen Umgebungen Südinbien, als einem von Rackschasas und Affen bewohnten Lande gegenüber gestellt. Werden auch im Ramajana hier ober dort einige Könige

von Ländem in den südlich vom Dschumna und Ganges

belegenen Gegenden genannt, so geschieht dies doch nur in

einer solchen Weise, daß die im Gedichte durchaus vorherr­ schende Grundansicht von dem Gegensatze des Nordens zum

Süden gar nicht berührt wird von der Vorstellung, es gäbe im Süden Indiens Städte, in denen gebildete Menschen wohnten.

Rama und Sita verkehren, nachdem sie über den

Ganges gegangen sind, während der Zeit ihrer Verbannung

nur mit heiligen Büßern, ober mit Affen und Rackschasas,

und bei seinem Zuge gegen Lanka bot sich auch nirgends

dem Rama Gelegenheit bar, die Bundesgcnossenschaft mensch­ licher Könige zu suchen, sondern nur der König und Heere von Affen standen ihm helfend zur Seite.

1) Man. II. 17. 2) Hüttner zu Man. II. 17. Kennedy Research, inlo the na Iure and aflinity of ancient and bind, mytliol. p. 234. as. res. vol. 15. p. 6a. Hamilton Descript. of Hindost. vol. 1. p. 300. asiat. res. v. 14. p. 396. Tod Rajasthan. vol. 2. p. 217. 3) Ramayuua cd. Seramp. vol. 3. p. 281.

58

Indische Religion.

Durch bas Bild des Affen ist hier die Vorstellung des crcatürlichen, wilden, geistig nicht wiedergcbornen Menschen bezeichnet, wie dies Bild in solchem Sinne mehrfach in in­ dischen Dichtungen') und auch von den Bauddha's, nament­ lich in der Sage von dem Ursprünge der Bevölkerung von Tibet gebraucht wird. Daß der Süden Indiens in der Vorzeit nur von wilden Naturmenschen bewohnt gewesen sei, unter denen in Waldern und Haine», an Quellen und an den Ufern der Flüsse brahmanische Weise vom Ganges her, sich angesiedelt hätten, diese Vorstellung ist dergestalt mit der dichterischen Grundansicht, die im Ramajana herrscht, verwachsen, daß man sich zu der Annahme versucht fühlt, es wären die im Ramajana vorkommenden spärlichen An­ deutungen auf Königreiche im Süden späterer Zusatz. Auf­ fallend ist, daß noch im Rhaguwansa, in welchem die jüngere Geographie Indiens an dem Kriegszuge des Königes Di­ lipa dargcstellt wird,-) in der Sage von der Heimfahrt Rama's auf dem Luftwagen des Gottes Indra nicht von bewohnten Oertern und Städten, die Rama der Sita, wäh­ rend beide über den Süden von Indien durch die Luft da­ hin flogen, gezeigt habe, die Rede ist, sondern nur von Ge­ birgen und Wäldern, in denen an Sceir und Flüssen heilige Weise und Büßer sich angcsiedelt hatten?) Merkwürdig auch ist die Sage, daß Rama erst in seinen alten Tagen, als er die Angelegenheiten seines Reichs ordnete, die Feste Mathura am Dschumna angelegt habe, damit von hier aus den, in der Nähe belegenen, Bußörtcrn der heiligen Weise» Schutz gegen die Angriffe der Rackschasas gewährt werden möge?) Noch der jetzige Zustand der Bevölkerung von Indien !) ^3crgl. Rhaguvansa c. 13. v. 74 c. 14. v. S. 19. c. 13. v. 58. c. IG. v. 19. Tod Rajasthan voL 1. pag. ll'L 2) Rhaguvansa c. 4. Dkkgl. Wilson Mackenzie Collect. inlroducl.

p. 55. 3) Rbaguvansa c. 13. 4) Khigmansa c. 15. v. 28.

Vorwort-

59

zeigt eS gant klar, baß in der Dorjeit ein breiter, nur von wilden Völkern bewohnter Ländergürtel von den Ländern des unteren Ganges um die des mittleren Laufes dieses Flusses und südlich vom Dschumna bis nach Surate sich hrrumgezogen habe. Ueberall finden sich in dem Gebiete dieses angegebenen Ländergürtrls noch wilde Stämme auf den Gebirgen.') Gegen dieselben wurden, sowohl in den Ländern, die östlich vom Windhya-Gebirge, als in denen, die westlich davon belegen sind, Marken angelegt?) Auch im Süden Indiens werden Wilde auf den Ge­ birgen gefunden, und in Gräbern Spuren untergegangener Stämme, wir denn auch die Parias auf der Küste von Ma­ labar Ueberreste solcher Stämme zu sein scheinen?) Ein Hauptgegensatz tritt noch jetzt zwischen den, von brahmani­ scher Bildung ergriffenen Völker des Südens und denen des Nordens in der Sprachverschiedenheit hervor?) Die Gei­ stesbildung der südlichen Völker in ihrer gegenwärtigen Form schließt sich indeß an die brahmanische Bildung an, und kann nur eine aus dem Norden her ihnen zugeführte sein. In sich zusammenhängende dichterische Ueberlieferungen über großartige geschichtliche Entwicklungszeiten, über eine Heroen­ zeit, wie solche die nördlichen Völker im Ramajana und 0 Hamilton Descript. of Hindost. vol. 1. p. 94. 98. 249. 610. 611. 618, 637. vol. 2. p. 6. 7. as. res. vol. 18. p. 167.197. 199. 200. 203. 223. Transact. of the roy. as. soc. v. 1. p. 68—71.76—79. Hebers Reise, deutsch. Th. 1. S. 324 - 333. 339. Th. 2. @. 208. 209. 249. Transact. of tlie lit. soc. of Bombay vol. 3. p. 354. 360. Rbaguvansa c. 16. v. 32. Harivansa p. 29. Vergl. Prabod’h Chandro’daya translal. by Tailor p. 63. 3) Asiat, res. vol. 15. p. 223. Tod Rajasthan vol. 1. p. 141. 147. Vergl. Rbaguvansa c. 4 V. 32. 36. Harivansa p. 57. a) Hamilton Descript. of Hindost. vol. 2. p. 248. Transact. of lit. soc. of Bombay vol. 3 p. 324. Transact. of the lit. soc. of Madras p. 26. 4) Schlegels indische Bibliothek. B. 2. S. 164. 172. Transact. of the lit. soc. of Madras. Pars 1. pag. 13. Vergl. Ali Mohammed Khan histor. of Gujarat. trans lat. by Bird. p. 5. Mackenzie Collect. iutroducl.

60

Indische Religion.

Maha-Bharata aufweisen können, fehlen den südlichen Völ­ kern durchaus. Dürftige Sagen verweisen auf Einwande­ rungen vom Norden her, unmittelbar von Guzerata, dessen Sagengeschichte wieder enge verflochten ist mit der Sage von Krischnas.') Wie nach dem Süden westlich von den Gebirgen brahmanische Bildung vom Dschumna her über Sauraschtra gewandert ist, so ist sie östlich von den Gebir­ gen über Behar und Orissa nach Karnatik gewandert.') Im fernen Hintergründe des geschichtlichen Bewußtseins aller Völker Indiens steht die auf mannichfaltige Weise angedeutete Erinnerung an das große Reich, dessen Herrschaft vom Norden ausgegangen sei, und von dessen Königsgeschlechtern, sei es nun von dem des Mondes ober dem der Sonne, die königlichen Geschlechter jüngerer Zeiten größtenteils ihre Abstammung herleiteten.') Es ist allerdings nicht anzunehmen, baß in den ältesten Zeiten der ganze Süden von Indien nur von wilden Völ­ kerstämmen bewohnt gewesen wäre. Alte Sagen berichten von Hirtenvölkern des Südens, die mit Fürsten aus dem Monbsgeschlechte Bündnisse geschlossen hätten.") Friedliche Stämme mögen an einzelnen, durch die Natur begünstigten Oertern, in patriarchalischen Formen, Jahrhunderte hindurch ein ruhiges Leben geführt haben. Spuren davon, baß die südlichen Völker aus ihrem eigenen Geiste in geschichlichen Entwicklungskämpfen eine eigenthümliche höhere menschliche Bildungsform, wie es die der Brahmanen ist, geschaffen hät­ ten, treten jedoch nirgends hervor. Wenn in Südindien die alte brahmanische Sitte sich reiner erhalten hat, als in Nordindien, und wenn die Brahmanen des Südens die *) Wilks liistor. scetch. of Mysor. tom. 1. p. 31. 151. Tod Rajasthan vol. 1. p. 50. Rarivansa p. 153. 2) Asiat. Res. vol. 15. p. 282. 3) Asiat. Res. vol. 15. p. 200. 221. 222. 254. 257. Transact. es tho roy. as. soc. vol. 1. p. 262. 328. Tod Rajasthan. vol. 1. p. 21. 25. 45. 82. 85 — 89. 211. 216. Harivansa. p. 53. 54. 4) Harivansa p. 120.

Vorwort.

61

des Nordens, als verunreinigt, gering schätzen, so ist dies Verhältniß nicht auf eine frühe Vorzeit zu b ezirhen, sondern der Grund davon nur darin zu suchen, daß sich Sübinbien

weit langer als Norbindien von dem fremden Joche und von der Vermischung mit den Moslemin frei erhalten hat.

Was man über die Bauddha's geträumt hat, und was man zum Theil jetzt noch über die Dschaina's,

weil über

die Geschichte ihrer Religion noch einiges Dunkel schwebt, träumen mag, hat keinen geschichtlichen Grund.

Südindien

ist eben so wenig die ursprüngliche Heirnath der Religio« der Dschaina's, wie der der Bauddh'as; beide Religionsfor­ men haben sich vielmehr, wenn sie überall in einem ursprüng­ lichen Gegensatz zu einander gestanden haben, in Nordin-

bien aus einer gemeinsamen Wurzel, aus der Brahmanenreligion nämlich, entwickelt.')

Es ist indeß höchst unwahr­

scheinlich, daß eine ursprüngliche Verschiedenheit zwischen den Baubdha'S und Dschaina's bestanden habe.

Ihr gemeinsa­

mer Gott ist Gautama, und der große Heilige der Dschai­ na's sowohl,

als der der Bauddha's hat in Süb-Behar

Nirwana erreicht; auch wird das Zeitalter, während er auf

Erden wandelte, von den Dschaina's, wie von den Bauddha's in Indien und auf Ceilon, gewöhnlich in bas sechste Jahr­

hundert vor dem Anfänge unserer Zeilrechiiung gesetzt; bas Wort Buddha und Dschina wird von beiden Seiten als gleichbedeutend gebraucht;

es pilgern die Dschaina's nach

Buddha-Gaja, der Bußstätte Buddhas, und bas Gesetz des

Kastenwesens wird keinesweges überall von den Dschaina's für heilig

gehalten.^)

Nicht in

Religionskriegen gegen

Bauddha's oder Dschaina's kann die dichterische Bedeutung des Zuges, den Rama gegen den Süden unternahm, gesucht werden; die Sage bezieht sich vielmehr auf die Vorstellung

davon, daß von den mittleren Landern des Ganges aus hö­ here Bildung des Geistes und der Verhältnisse des mensch-

*) Hamilton Descripl. of Ilind. vol 2. p. 215. 248. 354. 452. 483. f) Transact. of thu roy. as. soc. voL 1. [>. 4*2. 520—525 531. 532. 538.539. Vergl. Wilks scctch. of Ilie soulh of India. vol. 1. p. 514.

Indische Religion,

lichtn Lebens sich ausgebreitet habe. Die Drchmanen sind überhaupt, eben so sehr wie die Baubdha's, und in früheren Zeiten mit diesen in freundlicher Uebereinstimmung und in gemeinsamer Thätigkeit wirksam, fast in allen Jahrhunderten bestrebt gewesen, ihr Gesetz und ihre Bildung ausjubreiten. So hat nachweislich in früheren Jahrhunderten vom Gan­ ges und Dschumna aus brahmanische und buddhaische Bil­ dung in Gegenden sich ausgebreitet, wo sie nicht ursprünglich einheimisch war: in die Länder des Indus, nach Guzerate und selbst zu den wilden Dhills, die zum Theil den Siwasdienst angenommen haben; sie ist über bas Penbschab bis nach Kaschmir vorgedrungen, hat in Nepal und Gurwal sich angesiedelt, und in ihrer budbhaischen Form einen gro­ ßen Theil der Völker Ast-Asiens sich unterworfen.') Das neueste Beispiel völliger Umbildung eines gesammten Volks­ lebens durch Bekehrung zum Brahmanenthum bietet die Ge­ schichte von Asam seit dem I7ten Jahrhundert bar.5) In einem ähnlichen Verhältnisse, wie in späteren Zeiten die noch unbekehrten Völker der Thäler des Himalajas zu den brahmanischen Völkern, müssen in der, im Ramajana besungenen, früheren Heroenzeit die Völker Südindiens zu denen Nordindiens gestanden haben. Den Vrahmanen, die als Weise und Büßer in Wäldern und Gebirgen mitten un­ ter roheren Völkern,5) die als Affen bezeichnet werden, leb­ ten, und die gewiß schon sehr frühe des Geschäftes der Be­ lehrung und Bekehrung sich unterzogen hatten, leisteten in Kriegszügen und Anlegung von Festungen die kriegerischen Fürsten Beistand und Hülfet) gegen jede Art von Gefahr, die in der von wilden Thieren bewohnten, von brausenden •) Bergt. Lassen Peutapot. p. 14. 20. asiat. res. vol. 15. p. 10. 17. 20. 463. vol. 16. p. 160. 417. 450. Tod Rajastlan vol. 1. p. 27. 90. 514. 516. vol. 2. p. 671. 678. 735. Transact. of the roy. as. soc. vol. 1. p. 139. 2) Annals of oriental lilerat. p. 197. 198. 3) The Ramaynna vol. 1. p. 13. 280. 4) The. Rainayuiia vol. 1. p. 233. Rhaguvansa c< 15. v. 3. 4. 5. 28.

Vorwort.

63

Bergströmen durchraufchten, von düsteren undurchdringlichen Wäldern erfüllten Wilbniß drohen konnte.

Der Kampf gegen die Rackfchasas ist nicht, im evheme« ristischen Sinne, bloß als ein Kampf gegen rohere Völker,

sondern vielmehr als ein Kampf gegen wilde,

noch nicht

durch die bildnerische Kraft des Menschen bezwungene Mächte der Natur, in welcher Art dieselben auch hervorbrechen mö­

gen, zu beuten.

In diesem Sinne gewinnt auch die Sage

von Rama, neben ihrer äußeren, historischen Bedeutung eine innere auf das Seelenleben, in welchem Sittlichkeit und

Natur mit einander im Kampfe befangen sind. Man hat von mächtigen Urreichen gebildeter Völker

Südinbiens geredet und behaupten wollen,

die deutlichsten

Spuren davon, daß vor dem Zeitalter Rama's solche Reiche

im Süden geblüht hätten, träten in den Ueberresten großer

Bauwerke aus älterer Zeit, die sich in Indien finden, hervor. Dieser Behauptung liegt indeß eine völlig falsche Ansicht

von dem Entwicklungsgänge des geistigen Lebens der Indier zu Grunde. Die Symbolik der an jenen Bauwerken gefun­

denen Darstellungen von Götterbildern benimmt denselben durchaus den vermutheten uralterthümlichen Charakter. Vor­ zugsweise ist es der Geist eines einseitigen Siwas- Dienstes,

so wie der eines einseitigen Buddha-Dienstes, oder der ei­ nes, syncretifch, wie in Nepal verbundenen Buddha-Siwas«

Dienstes,

der sich an jenen Darstellungen abprägt.')

einseitiger Siwas-Dienst sowohl,

Ein

als der Buddha-Dienst

überhaupt kann sich nur erst nach der Heroenzeit entwickelt

haben.

Der Sagengeschichte, wie sie im Mahawansa enthalten ist, zufolge, würbe man etwa im dritten Jahrhundert vor dem Anfänge unserer Zeitrechnung auf Ceylon, bei der Einfüh­

rung des Buddha-Dienstes und aus Veranlassung dersel­ ben, angefangen haben, Felsentempel zu erbauen.")

Noch

•) Transact. osllie lit. soc. of Bombay vol. 1. p. 198. vol. 3. p. 49 i. 2) Upham the sacred and bist, books of Ceilon. vol. I. p. 94.104.

64

Indische Religion.

heutiges Tages bienen den Daubdha's auf Cello» bei bek Ausübung ihres Religionsdienstes solche Felsenwerke alS geheiligte Tempel.') Ueber ein, im dritten Jahrhundert un­ serer Zeitrechnung in einer großen Höhle eines hohen Ber­ ges aufgerichtetes, zehn bis jwölf Fuß hohes Götterbild, dessen rechte Seite den Charakter der Männlichkeit, die linke aber den der Weiblichkeit an sich getragen habe, findet man Nachrichten bei griechischen Schriftstellern?) In die­ ser Bezeichnung des Bildes wird Siwas, wie er sich als Zwitter, halb als Mann und halb als Weib, auch iw de» Grotten zu Elephant» dargestellt findet, wieder erkannt. Die hier gegebenen Nachrichten führen in Beziehung auf indisches Alterthum nicht auf eine sehr frühe Zeit zu­ rück. Dagegen finden sich in den Schilderungen des Lebens der Heroenzeit, wie solche im Ramajana, im Maha-Bharata und im Rhaguwansa gegeben werben, keine Andeutungen auf Bauwerke solcher Art, von denen hier die Rebe ist. Natürlicher Höhlen wird gedacht, die im Walde Schutz vor Wind und Wetter darbieten, oder auch zu Verbergungsör­ tern vor wilden Thieren dienen mochten?) auch wirb im Rhaguwansa eine der Parwati geweihte Grotte erwähnt?) Daß aber diese Höhlen und Grotten mit Kunstbarstellungen ausgeschmückt gewesen wären, ober als Dereinigungspuncte von Büßern gedient hätten, davon tritt nicht die geringste Spur hervor. In späteren Zeiten wurden allerdings Tem­ pel und Bauwerke in den Gebirgen errichtet, weil daselbst die heiligen Weisen ihre Buße geübt haben sollten?) und man erkennt auch aus der einsamen Lage, so wie aus der Bauart dieser Anlagen den Zweck derselben. Anstatt der *) John Davy Account of the interior ofCeilon. London. 1821. p.232.

2) Heeren historische Werke. Th. 12. S. 23. 3) The Ramayuna ed. Serainp. vol. 1. p. 19. 54. vol. 2. p. 329. Rhaguvansa c. 13. v. 47. c. 16. v. 31. Upham the sacrel and Inst, Looks. vol. 1. p. 21. 4) Rhaguvansa c. 2. v. 26. 27. c) Asiat res. vol. 16. p. 297. Dergl. Sangerm. p. 172.

Vorwort.

65

Laubhütten, die in der Heroenzeit den büßenden Weisen zur Wohnung gedient hatten, richtete man sich an den heiligen Bußstättrn in den Gebirgen Grotten ein, die in den Felsen «ingehaurn wurden.') Don heiligen Tempelgebäuben und von einem religiösen Dienste, der in Tempeln den Göttern geleistet worben wäre, kommen in Beziehung auf die Heroenzeit nur sehr geringe Spuren vor?) Die Opfer wurden unter freiem Himmel, an Abhängen von Abend nach Mittag, an leeren Walböffnungen, an Ufern von Flüssen und an einsamen Orten voll­ zogen; bestimmte heilige Opferstätten wurden bezeichnet durch Säulen, die an den Ufern der Flüsse oder auf Flußinseln errichtet waren?) Don Tempelgebäuben dagegen, die in der Zeit vom 7trn bis zum I2ten Jahrhundert errichtet wor­ den sind, kommen sehr viele Spuren vor?) Die Zeit der Blüthe der indischen Skulptur dauerte bis zu Ende des Ivten Jahrhunderts; seit dieser Zeit verfiel sie?) Auf Java, Celebes und Bali finden sich Ueberreste von großen Bauwerken, die hier durch indische Ankömmlinge im 13ten, I4ten und ISten Jahrhundert errichtet worben sind?) Es tragen zwar alle diese Bauwerke einen, rach zeit­ lichen und räumlichen Verhältnissen verschiedenen Charakter der Kunst an sich, und auch unterfertign sich allerdings wesentlich Tempel, die aus Steine» erbaut, von Grotten, die in den lebendigen Felsen eingehauen sind. Wenn aber *) Transact. of the roy. as. soc. vol. 2. p. 368. John Secly the wonders of Elora. London. 1825. p. 145. 2) Schlegel indische Bibliothek. Bd. 2. S. 466. Dian. IV. 46. Ramayuna vol. 1. p. 97. 627. vol. 3. p. 128. 279. Rhaguvansa c. 17. v. 36. 3) Man. III. 206. 207. The Ramayuna vol. 1. p. 444. Rhaguvansa c. 1. v. 44. c. 14. v. 76. c. 16. v. 35. 4) Asiat res. vol. 15. p. 42^-49. 60. 61. 101. 26«6. 269. 271. 273. 310. 315. Tod Rajasthan vol 2. p. 704. 712. 716. Transact. of

the roy. as soc. vol. 2. p. 44. 6) Tod Rajasthan vol. 2. p. 717. 744. 0) Crawford hist, of the ind. archip. vol. 2. p. 215.. 223.224- 297.

Indische Religion.

66

aus älteren Zeiten keine Spuren davon vorkommen,

daß

man sich mit der Anlage von großen Bauwerken beschäftigt oder viel Gewicht darauf gelegt hätte, dagegen aus der Zeit

des Mittelalters

sehr viele solche Spuren sich finden, so

kann man sich doch wahrlich nicht für berechtigt halten,

bloß aus dem Grunde,

weil das Zeitalter der Errichtung

einzelner Bauwerke nicht genau zu ermitteln ist, dasselbe in eine uralte graue Vorzeit zurück zu versetzen. Die mythologischen Darstellungen zeigen ohnehin auf Vorstellungen jün­

gerer Secten hin,') und selbst noch heutiges Tages werden in der Landschaft Süd-Bchar zwei in Felsen eingehaucne Götterbilder verchrt, die, nach Aussage hinzugcfügter In­

schriften, im I2ten und I4ten Jahrhundert errichtet sind.")

Nirgends findet sich die geringste Spur davon, daß die

Volker Südindiens in einer Urzeit,

ehe sie von brahmani­

scher Bildung wären ergriffen worden, schon einen gewissen

höheren Grad geistiger Ausbildung selbstständig aus sich

entwickelt gehabt hätten. daß sie von Norden,

Es erhellt vielmehr aus Allem,

von den Ländern des Ganges her,

ihre höhere Bildung empfangen haben.

Die auf solche

Weise geschehene Ausbreitung brahmanischer Bildung wird dichterisch verherrlicht durch die

Sage

über den Rama.

Jünger schon ist die im Maha - Bharata besungene Zeit.

Wie überall nach den Zeiten großer ethischer Kampfe, die die Geschichte bewegen, und in denen die Verhältnisse des

äußeren Lebens in Verwirrung gerathen, in welcher nun das,

eine Zeit cintritt,

was siegend in jenen Kämpfen sich

hervorgerungen hat, und was als Urbild,

das Leben zu ordnen sei,

welchem gemäß

dem Bewußtsein der Zeit vor-

schwebt, in äußerer und allgemeiner Herrschaft, zur Sänftsi gung des Lebens, sich zu gestalten bestrebt ist: so traten auch

nach jenen großen Kämpfen, in welchen, während der Aus-

*) Transact. of tlie lit. soc. of Bombay, vol. 1. p. 206. Transact. of tlie roy. as. soc. vol. 2. p. 258 ff. 2) Transact. of tlie roy. as. soc. vol. 1. p. 201 — 204.

Breitung brahmanischer Bildung über den Süden, geschicht­ liches Bewußtsein erwacht war, die Kampfe der Pandawas gegen die Korawas ein, die Kampfe, in welchen die fünf Erdfürsten der Gerechtigkeit und des Friedens gegen ihre übermüthigen Vettern, au welche derselbe Ruf, wie an sie, ergangen war, unter dem Beistände ihres göttlichen SchutzHerrn, des Krischnas, den Sieg davon trugen. Wie in Hellas nach der Heroenzeit die, noch in ihr wurzelnde, von Apollo beschützte Herrschaft der Dorer eintrat, wie in Per­ sien dem kriegerischen Zeitalter des Kyrus das Zeitalter des, Recht und Gesetz ordnenden Darius folgte: so auch folgte nach einem gleichen Gesetze geschichtlicher Entwicklungen, das Zeitalter der Pandawas dem des Rama. Immer noch war Nordindien der Hauptschauplatz der in beiden Heldengedichten besungenen Begebenheiten ge­ blieben, und da sonach ohne Zweifel brahmanische Bildung von Nordindien aus über den Süden sich verbreitet hat, aber in ganz Indien nirgends Spuren einer, der brahmani­ schen ursprünglich fremdartigen, nicht aus ihr, als ihrer letzten Wurzel erwachsenen Bildung gefunden werden: so steht mit aller Sicherheit zu behaupten, daß der Geist dec Völker des Südens von Indien zu höheren Entwicklungen nur durch Einflüsse vom Norden her angeregt worden ist. Die Religion, an der die wilderen Gebirgsvölker In­ diens zum Theil noch heutiges Tages halten, auch selbst noch dann, wenn sie sich zum Siwas-Dienst bekehrt haben, besteht in einem rohen Geisterdienste, in welchem besonders den Geistern der Vorfahren und der verstorbenen Fürsten Verehrung gezollt wird. Tempel erbauen sie nicht, sondern vollziehen ihre Opfer in der Nahe heiliger Bäume.') Un­ ter dem Schlangendienste, dessen, als einer Religionsform roherer Völker, im Gegensatze gegen den brahmanischen Götterdienst, obgleich er in diesen, als ein Theil desselben, auch ausgenommen ist, in indischen Sagen vielfach gedacht

68

Mische Religion.

Vorwort-

wirb,') kann nicht wohl etwas anderes verstanden werben/ als rin roherer Geistcrdienst, in welchem den unteren Mäch»

ten/ den gefürchteten Geisterwesen, besondere Verehrung ge­

leistet wurde/

um sie in ihrer Gefährlichkeit zu versöhne»/,

und ihre bösartigen Einflüsse abzuwenden.

In Sauraschtra

war in früheren Zeiten mit dem Geisterdienst ein Sonnen­ dienst verknüpft/

der sich noch nach

der Einführung des

brahmanischen Götterdienstes bis auf den heutigen Tag er­

halten hat?)

*) Asiat, res. vol. 13. p. 10. 25. Tod Rajastlian vol. 1. p. 53. v. 2. p. 227. 228. 615. 718. ») Tod Rajasthan v. 1. p. 101. 112. 217. 232. 563. 565.

Religion der Weda'S.

I. ihren ersten Anfängen knüpfen sich allerdings die reli« giösen Vorstellungen der Brahmanen an die Vorstellungen der roheren Völker Indiens an. Zn dem Geiste der Brah* manen aber, die in den ältesten Urzeiten da, wo die Ja» muna mit dem Ganges sich vereint, sinnend in Andacht verloren, der Betrachtung sich weihten, bildeten sich die Vorstellungen sowohl reicher als auch geordneter aus. Der Charakter brr Religion, wie sie in den Weba's gelehrt wirb, besteht in der Verehrung von Geisterwesen, deren Wirken und Schaffen in dem Walten der als begeistigt gedachten Naturmächte angeschaut wird. Der Ursprung des Geisterglaubeus, in dessen einfach» ster Form, kann an nichts anderes angeknüpft werben, als an die lebendig fcstgehaltene Erinnerung an die Seelen der Verstorbenen. In einer solchen lebendigen Erinnerung fühlt sich der im Leben Zurückgebliebene umschwebt von den Gei« stern der Dahingeschiedenen; und inwiefern« diese Erinne« rung von Liebe erfüllt ist, insofern werden auch die Geister in Liebe und Vertrauen als heilbringende, schutzherrliche Mächte verehrt werben; inwiefern aber durch ein böses Ge« wissen die Liebe ertöbtet ist, insofern werben sie als gefahr« drohende, verderbenbringende gefürchtet werden. In laubi« gen Hainen, an den Ufern ruhig bahinströmender Flüsse, in der Mondscheinnacht oder bei sternklarem Himmel wird die Liebe und das Vertrauen mehr Raum gewinnen; in wüster Wilbniß dagegen, im Waldgebirge und in finsterer Nacht nimmt die Furcht überhand. So knüpft sich schon in

70

Indische Religion.

dieser Weise der Geisterglaube an Naturanschauung an. Ein« zelnen Geistern werden in der Vorstellung Wohnungen an­ gewiesen auf den, in die Wolken sich verlierenden Spitzen der Berge, in Flüssen, an Quellen, oder in Wüsten und dunkeln Höhlen. Je reicher jedoch die Anschauung des Naturlebens im Bewußtsein sich entfaltet, und je mehr überhaupt der Geist des Menschen im Sinnenreize an das­ selbe verfallt, um so mehr auch wird das Naturleben in der Vorstellung seelenvoll begeistigt. Eine im Leben der Narur angeschaute Gcisterwelt entwickelt sich vor dem Be­ wußtsein. Wenn auch in einem, in kindlicher Form bestehenden, Bewußtsein der Begriff des Gegensatzes von Seele und Materie nicht sich entwickelt haben kann, sondern noch ver­ schlungen ist von der Vorstellung vom bewegten Leben über­ haupt: so bars daraus doch nicht die Folgerung gemacht werben, daß die Vorstellung von dem Belebtsein der Natur durch Geister, die in der Form der Persönlichkeit beständen, dem Bewußtsein schon ursprünglich und unmittelbar ange­ höre. Diese Vorstellung kann sich vielmehr nur erst in spa­ terer Entwicklung erzeugen, und wird erst vermittelt durch den Verkehr der Seele mit den Seelen der Verstorbenen, in welchem sich die Vorstellung von der Form der Persön­ lichkeit der geistigen Machte erzeugt. Die Geister der Vorfahren genießen, unter dem Namen der Pitris, noch immer unter den Indiern einer großen Ver­ ehrung, obgleich sie als Götter der Vorzeit, die die Waffen bei Seite gelegt hatten, bezeichnet werden.') Der in den Weda's herrschenden Ansicht nach ist indeß die Natur durch­ aus beseelt von persönlich belebten Geistern. Es werden die Geister des Himmels, des Feuers, der Sonne, des Windes, des Wassers, der Luft und der Erde verehrt und angerufcii.a) Immer jedoch auch ergießt sich dabei in lebhafter 1) Marivansa p 74. 77. Man. III, 192. *) Asiat, res. vok 8. p. 398.

Religion der Weda's.

71

Enipfindung das Gefühl von dem Einen Geisteshauche, der das Leben burchrausche.

Auf drei Grunbwesen und zuletzt

auf Ein Urwesen wird die gesammte Götterfülle zurückbezogen.

Jene drei Grundwescn sind der Sonnengeist, der

Luftgeist und der Feucrgcist.') Das Eine Urwefcn wird als ursprünglich durch sich selbst bestehend, allewig/ allumfassend gedacht/ als die große,

die alles belebende Weltenseele/ als das/ wodurch die Wel­

ten und Götter geworden sind/ und worin sie ihren Bestand

haben.

Durch den heiligen Laut Om wird rS bezeichnet;

auch wird es Ad'Atma, Mahan Atma genannt.2) „Vor ihm

war kein Thun, kein Leiden; cs regte sich aber in ihm der

Gedanke, Welken zu schaffen, und es wurden die Welten. Das Wasser und das Licht entstand, und Vergänglichkeit

und die Fülle der Gewässer.

Ueber dem Himmel warb das

Wasser, welches die Feste des Himmels trägt;

das Licht

schien durch den Himmel; die Erde ward Sitz der Vergäng­ lichkeit und des Todes; in der Tiefe rauschten die Gewäs­ ser.

Noch aber fehlten die Hüter der Welten; da entstand

in ihm der Gedanke, Hüter der Welten zu schaffen; es be­

wegten sich die Gewässer, und aus den bewegten Gewässern stieg Puruscha hervor, ein knenschlich gestalteter Geist.

An-

grschaut vom Ewigen öffnete sich, wie des Ey, welches die

gereifte Frucht entläßt, Purufcha's Mund,

und aus dem

Munde ging hervor das Wort, und aus dem Wort das

Feuer.

Es schnob in der Nase, und dec Athem ging her­

vor, der sich ausbreitete als Luft.

Es öffneten sich die

Augen, und lichter Glanz entsprang, aus dem die Sonne ward.

Es dehnten sich die Ohren, und bas Horchen ent­

stand, aus dem sich der Raum entfaltete.

Es regte sich iir

der Haut, und es keimte bas Haar, aus welchen Pflanzen

und Bäume erwuchsen.

Die Brust warb frei und ließ aus

’) Asiat, reg, vol. 8. p. 395. e) Asiat, res. vol. 8. p. 390. 397. 421. 412. Jouru. asiat. tom. 2. p. 228. 229.

Indische Religion.

72

sich das Gemüth hervorgehcn, aus dem der Mond ent­ sprang.

Der Nabel barst, und aus dem Nabel kam das

Verzehren, und von daher der Tod.

Das Zeugungsglied

barst, und es ergoß sich der zeugende Saame, aus dem die Gewässer entstanden." „Die so geschaffenen göttlichen Mächte fielen in bas

Meer der Gewässer; sie traten vor den Ewigen hin in Durst und Hunger, und sprachen:

„Verleihe uns Gestalt, in der

wir Nahrung zu uns nehmen mögen."

Er bot ihnen die

Gestalt der Kuh; doch sie erwiederten, baß solche ihnen nicht genüge.

Er verwies sie an die Gestalt des Rosses; doch

auch diese genügte ihnen nicht.

Endlich zeigte er ihnen die

Gestalt des Mensche», und als sie diese sahen, riefen sie aus: „wohlgethan, wie wundervoll!" — Deshalb wird der

Mensch allein wohlgestaltet genannt." „Er hieß ihnen, ihre bestimmten Sitze einzunehmen.

Feuer ward Wort, und ging in den Mund ein; Luft ward Athem und suchte den Weg durch die Nase; Sonne ward

Gesicht und drang in das Auge; Raum ward Gehör und

nahm seinen Sitz im Ohr; Pflanzen und Bäume wurden

Haar und erfüllten die Haut;

der Mond ward Gemüth

und nahm Besitz von der Brust; Tod ward Verzehrung und

durchdrang den Nabel; Wasser ward zeugender Saame und erfüllte die Zeugungsglieder."') In diesen hier angeführten, den Weda's entnommenen

Bruchstücken spricht sich die Grundvorstellung der Indier der ältesten Zeit über die Entstehung der Welt aus.

Die Welt

ging, derselben gemäß, aus den durch den Geist Gottes be­ wegten Gewässern hervor in dem Schaffen des, bei feinem Hineingehen in die Fülle des Lebens nach der Gestalt des

Menschen sich bildenden Geistes; von der Gestalt des Men­

schen wird das Maaß hergenommen, und dem zufolge spie­ geln sich, der Vorstellung nach, die Form und die Formen

des Daseins der großen Welt des Alls und die des Da*) Asiat, res. vol. 8. p. 421.

Religion der Weda's.

73

seins der kleinen Welt des Menschen gegenseitig an einan­ der ab. So auch heißt es bei Manu: „Dunkel war, ununter­ schieden und ununterscheidbar, als ob alles in tiefen Schlaf versunken sei. Da strahlte die, durch sich selbst seiende Macht, in sich selbst nicht geschieden, aber scheidend die Fülle des Lebens nach den fünf Grundkräftcn und den anderen Wesenheiten, in lichtverklärtem Glanze, verscheuchend die Finsterniß. Er, dessen Wesen nur im Geiste zu begreifen ist, aber den Sinnen nicht erscheint, der keine sichtbaren Theile hat, der von Ewigkeit her ist, die Seele aller Wesen, den kein Geschöpf erkennen kann, trat hervor. Er, der aus sei­ ner eigenen göttlichen Wesenheit mannichfaltige Wesen ins Dasein rufen wollte, schuf durch den Gedanken zuerst die Gewässer, und begabte dieselben mit dem zeugenden Lebens­ keim. Der Saame ward ein Ey, schimmernd wie Gold, glänzend wie das Licht in tausend Strahlen; in diesem Ey ward er selbst geboren, der große Urvater aller Geister. Narajana ward er genannt, der Geist Gottes, der über den Wassern schwebt. Durch das, was ist, den nicht in die Sinne fallenden Urgrund, seiend und nicht erscheinend, ohne Anfang und Ende, ward die göttliche Männlichkeit geschaf­ fen, als Brahma berühmt in allen Welten. Ruhevoll in jenem Ey saß er ein ganzes Schöpfungsjahr hindurch, und am Schlüsse desselben dachte er den Gedanken der Spaltung des Eys, und es zerspaltete sich. Aus den zwei Hälften bildete er den Himmel oben, und die Erde unten, und in der Mitte die bewegliche Raumerfüllung, die acht Weltge­ genden und die dauernde Sammlung der Gewässer. Aus dem Urgeiste ließ er die unkörperliche, wenn auch nicht in die Sinne fallende, doch wesentlich seiende Seele hcrvorgehen, und die Bewußtheit oder Ichheit, den inneren Ermahner, den Führer. Die Offenbarlichkeit entfaltete sich; und die Schöpfungsformen, begabt mit den dreien, allem Leben­ digen eigenthümlichen Wesenheiten, und den fünf Sinnen, die leidend empfangen, nebst den fünf Werkzeugen, die als

Indische Religion.

74

Stimme, Hände, Füße, als das der Ausleerung und das -er Erzeugung,1)2 thätig 3 wirksam sind, traten hervor.

So,

nachdem er zugleich die sechs Grundkräfte, die der Bewußt»

heit nämlich und der fünf Urformen des Leidens und Thuns, sich hatte durchdringen lassen mit dem Erguß aus der ur­ göttlichen Seele, bildete Brahma alle Geschöpfe.

Es ward

das Weltall durch die gegenseitige Durchdringung der sieben

göttlichen werkthätigen Urkräfte: der großen Seele, oder der ersten Bewegung des Ergusses, der Bewußtheit oder Ich­ heit und der fünf Urformen des Leidens und Thuns, denen

die fünf werkthätigen Kräfte des Naturlebens, Raumerfül­

lung, Bewegung im Raum oder Luft, Licht, Wasser und Erde, entsprechen; das Vergängliche ward aus dem Unver­

gänglichen.^) In den, hier mitgetheilten altindifchen Vorstellungen

über die Entstehung der Welt wird die Vorstellung von der Zeugung des Lebens durch den Gegensatz der Geschlechter

vermißt.

Dieselbe, die das Bewußtsein der Indier späterer

Zeiten sehr lebendig durchdrang, ist nicht gänzlich aus dem Kreise der Vorstellungen, die in den Weda's und den Bü­

chern von Manu herschen, ausgeschlossen; sie tritt hier je­ doch in den Hintergrund zurück.

Sie wird bei Manu nur

kurz angedeutet in der Erwähnung der, aus der selbsteigenen Spaltung der göttlichen Schöpfungsmacht Brahina's her­

vorgegangenen Mannweiblichkcit, aus deren weiblicher Hälfte

Wiradsch hervorgegangen sei, der in seiner Männlichkeit den

Manu, den zweiten Schöpfer der sichtbaren Welt, erzeugt habe.?) In den Weda's wird an der Wadsch, dem Worte, die göttliche Macht der Weiblichkeit gepriesen;4) auch heißt es

von der Männlichkeit, daß sie den Zeugungssaamen aller Dinge in sich trage, hege und nähre, und denselben in der

•) 2) 3) 4)

Transact. of the roy. as. soc. vol. 1. p. 30. Man. I. 5 — 19. 75 — 78. asiat. res. vol. 8. p. 426. Man. I. 32. 33. Moor. Hindu Pantli. p. 83. 84. Asiat, res. vol. 8. p. 403.

Religion der Wcda's. Zeugung der Weiblichkeit mittheile.')

75 Diese Vorstellungen

sind indeß in der Art und Weise, wie sie sich, mit dem, was daran sich anschlicßt, geben, nicht unbedingt auf allge­

meine Ansichten über die Entstehung des Weltalls zu deuten. Doch

kommt

allerdings

auch

eine

Sage

Schöpfung vor, womich die Weiblichkeit als

über die

unmittelbar

zuerst ursprünglich in der Urschöpfung aus dem Wesen des

Urgöttlichen hervorgegangcn gedacht wird.

Es heißt: —

„Weder Sein war, noch Nichtsein; nicht die Welt, nicht

der Himmel, noch irgend etwas über demselben; nichts ir­

gendwo in der Glücksecligkeit irgend Eines,

einschließend

ober eingeschlossen; nicht Wasser, tief und gefährlich.

Der

Tod war nicht; auch nicht Unsterblichkeit; nicht Unterschei­

dung von Tag und Nacht.

Aber das Das athmete ohne

Anhauch mit Ihr, die in ihm befangen ist. Außer ihm war nichts, was seitdem geworden ist.

Finsterniß herrschte; die

Welt war von Dunkel umnachtet, und in die Gewässer ver­

schwommen; aber die Fülle, vom Schleper umhüllt, ward bewegt durch die Macht der Betrachtung.

Zuerst ward i»

seinem Gemüth Verlangen erregt, und so entstand der ur­

sprünglich zeugende Saamen, dessen Wesen, durch die Er­

kenntniß begreifend, die Weisen unterscheiden als das Nicht­ sein, welches der einende Halt des Seins ist.

Breitete sich

denn aber der Strahlenglanz jener Schöpfungsthat aus in

der Mitte ober oben oder unten? — Der zeugende Saamen

warb zugleich Geistigkeit und Daseinsfülle.

Sie aber, die

in ihm befangen ist, warb bas Untere; Er, der Betrachtende,

das Obere."-)

Schärfer, wie in den vorher angeführten Stellen, tritt in dieser letzteren die Vorstellung

von der ursprünglichen

Mannweiblichkeit des göttlichen Wesens hervor. Es herrscht im Einzelnen überhaupt keine bestimmte systematische Ueber­

einstimmung in den Ansichten der Weba's.

*) Asiat, res. vol. 8. p. 425. 2) Asiat, res. vol. 8. p. 404.

Im Allgrmei-

76

Indische Religion.

nen zwar spricht sich in ihnen, in einer pantheistisch makro­ kosmisch-mikrokosmischen Auffassungsweise, in welcher eine, in die Natur hineingeschaute Geisterwelt verehrt wird, überall derselbe Geist aus; die Welt wird nur geachtet als ein, in der Entfaltung der göttlichen Wesensfülle Entstandenes, an welchem im Ganzen, wie in allem Einzelnen das Wesen der Gottheit sich abspiegele, und demselben als innerer Bestand einwohne.') Allein in Rücksicht auf die Vorstellung von dem Hervorgehen des Mannichfaltigen aus dem Einen, der Welt aus dem Geiste Gottes, so wie von den verschiedenen vermittelnden Entwicklungsstufen der Schöpfung, sind in den Weda's die Ansichten nicht auf eine zusammenhängende Weise zu einem bestimmten Lehrbegriffe geordnet.-) Bald treten mehrere Geisterweltcn als vermittelnde Entwicklungs­ stufen der Schöpfung in die Mittd ein zwischen der inneren Verborgenheit und dem äußeren sichtbaren Dasein, bald weniger; bald werden Brahma, Puruscha und Pradschabati als Eine und dieselbe Gestalt aufgefaßt, bald nicht; bald wird bloß von dem Schöpfungsverlangen des göttlichen Urwcsens, als der ersten Bewegung geredet, ohne daß dabei auf die Vorstellung von der Mannweiblichkeit hingedeutet würde, bald wird diese letztere Vorstellung schärfer hervor­ gehoben, oder auch des Bildes von dem Weltey gedacht. Bei Manu zwar zeigt sich schon das Bestreben, die Vor­ stellungen mehr zu ordnen, und einen bestimmteren Lehr­ begriff zu bilden; doch ist ihm dies nicht ganz gelungen. Später ist in dem jüngeren Wedanta, durch Vermittlung einer ausgebildeteren Philosophie, allerdings mehr Ordnung in die Vorstellungen gebracht worden; es hat dies indeß wenig auf die allgemeine Volksansicht gewirkt: denn in den

’) Asiat res. vol. 8. p. 426 432. 444. 475. Transact. of tlw roy. as. soc. vol. 2. p. 35. Translat. of sever. Looks of tlie veds by Raj ah Rammohun Roy. London. 1832. p. 74. Man. XIL 118—122. Windlschmaim Sancara. p. 146. 2) Asiat, res. vol. 8. p. 442.

Religion der Weda's. Purana's

und

anderen indischen Sagen

77 späterer

Zeiten

herrscht eine fast noch größere verwirrende Mannichfaltig-

feit verschiedener, in freier Dichtung geschaffener, religiöser Vorstellungen, als in den Weda's. In der Lehre von den verschiedenen großen Geister«

wesen, deren in indischen Sagen, und auch schon in den

Weda's und bei Manu, unter den verschiedenen Namen von Manu's, Pradschabaü's oder Brahmadika's,

Pitri's gedacht wird, *) Der einfachen

Rischi's und

herrscht eine große Verwirrung.

Grundanschauung nach find

es indeß

die

Geister der Urväter des Volks, die unter dem Namen Pi-

tri's verehrt werden.*2) Sie haben ihre Wohnung im Monde genommen. Die sieben großen Rischi's dagegen, die büßend in den sieben großen Sternen des Himmelswagens den

Nordpol umkreisen, können, der ganzen Art und Weise nach,

wie ihrer in den Sagen gedacht wird,3) auf nichts anderes gedeutet werden, als auf die Geister der geistlichen Urvater, der ersten Guru's unter den Brahmanen.

Die Manu's werden zwar als weltschöpferische Mächte bezeichnet; dabei tritt jedoch die Vorstellung von einer bloß

ordnenden Macht mehr hervor, als die von einer zeugenden. Ihrem Namen nach in Beziehung zum Menschlichen gesetzt, in dem Verhältnisse, welches ihnen zu den Manwantara's gegeben wird, als Beherrscher geschichtlicher Zeiträume ge­

dacht, und als Gesetzgeber für die Verhältnisse des gemein­ samen Lebens der Menschen unter einander, so wie als Leh­

rer gepriesen, treten die Manu's in einer Weise auf, die vollkommen zu der Behauptung berechtigt, daß, der einfa­ chen Grundanschauung nach, solche große Geisterfürsten in der Vorzeit in ihnen verehrt worden wären, denen Vorzugs-

!) Moor Hindu Panth. p. 83. 2) Man. I. 37. 66. III. 192. 200. XII. 49. 3) Man. III. 194. Asiat, res. vol. 9. p. 35a. 357. Moor Hindu Panth. p. 53. 86. 87. 176.

78

Indische Religion.

weise die Obhut und die Herrschaft über die Kreise des sittlichen Lebens der Menschheit obgelegen habe. Die Brahmadika's oder Pradschabati's dagegen können als Herren der Geschöpfe oder der Schöpfung nur als solche große Geisterfürsten verehrt worden sein, die den einzelnen Kreisen des Naturlebens obwaltend in Herrschaft Vorständen. In der Zehnzahl werden sie nach ursprünglicher Ansicht ver­ ehrt,^) und bei der Wahl dieser Zahl scheint die, auf den Makrokosmus übertragene Vorstellung von den fünf Formen des Leidens und denen des Thuns das Maaß abgegeben zu haben. Sie waren ins Leben gerufen durch den ersten Manu, und riefen dagegen wieder sieben andere Manu's ins Leben, und Götter und Geister, so wie Wohnungen der Götter und Geister, große Büßer und Weise, wohlwollende Wesen und frevelnde Riefen, blutdürstige Wilde und himmlische Sanger, Vögel mächtigen Fittigs und die Urvater der Menschheit. Sie schufen den Blitz und den Donner, die feurigen Lufterscheinungen, die der Erde entquillenden Dämpfe, so wie die mannichfaltigen Lichter und Lichterschcinungen des Himmels. Ihnen verdankten ihr Dasein die roßhäuptigen Waldmenschen, die Affen, Fische und Vögel, zahme Thiere und Menschen, aber auch das raubsüchtige Gewild mit zweien Reihen scharfer Zähne, großes und kleines Ge­ würm, Mücken, Läuse und Fliegen?) Die Pradschabatis sind also die großen Geisterwesen, die unmittelbar der Schöpfung des einzelnen, mannichfalti­ gen Daseins, oder, wie man sie auch nennen könnte, der letzten Schöpfung vorstchcn. Die Pradschabati's werden bei Manu als die Herrscher über das bezeichnet, was im Raume besteht;^) die Manu's aber als Herrscher über das, was in der Zeitlichkeit sich bewegt?) Die Manu's stehen, ') 2) 3) 4) )

Man. III. 86. Moor Hindu Pantli. p. 84. Man. I. 35. Man. I. 36 — 41. Ml'gl. Harivansa p. 6. 7. Man. I. 34 — 48. Man. I. 61—72. Harivansa p. 7. Deigl- Kennedy Research, p. 450,

79

Religion der Wcda's.

indem sie die Manwantaras beherrschen, Len Kreisen des

geschichtlichen Lebens vor. Der ganze Kreis der hier berührten Vorstellungen be­ greift die Götter einer alten Zeit, in welcher noch nicht eine

innerlich im Geiste bestehende,

in Kunftanschauung

ihren

Halt findende und durch Bilderdienst getragene Götterwelt geschaffen war, sondern unmittelbar in den Bewegungen beS

Lebens geistige Mächte als die göttlichen angeschaut und In den Erscheinungen des Naturlebens

verehrt wurden.

suchte man Bilder zum Ausdrucke für bas, was die Seele

bewegte;

die Natur warb das Wort für die Seele.

Der

Vorstellung von dem geordneten Weltall ward bas Bild der vollkommensten Gestalt, das des Menschen ausgeprägt. Als sich bas Wcltcy eröffnet und gespalten hatte, ward

oben der Himmel, unten die Erde und in der Mitte das

Reich der bewegten und beweglichen Luft.')

Dieser drei­

fachen Eintheilung entsprechen im Makrokosmus Sonne,

Mond und Erde, im Mikrokosmus Haupt, Brust und Be­ reich des Nabels.

Der Geist des Lichtes waltet in dem

oberen Reich, der Geist des Feuers, der seinen Sitz zwischen

Nabel und Magen hat,') in dem unteren, und in der Mitte der Geist der Lust?)

Nachdem so die Dreifachheit und im

ferneren Fortgänge der Schöpfung die Urformen des Da­

seins weiter sich entwickelt hatten,

spaltete sich der große

Mensch, Brahma, auseinander in Mann und Weib, und es ward darauf durch Wirabsch die von dem ersten Manu be­ werkstelligte zweite Schöpfung, die der sichtbaren Welt, ver­ mittelt, indem

Manu in der Zchnzahl die schöpferischen

Prabschabati's hervorrief?)

Doch auch der Tod war in die

Welt gekommen durch den Hunger, der nur durch die Ver-

•) Man. I. 13. 2) Harivansa p. 182

®) Stuhr die chmcjischc Reichsreligion und die Systeme der indischen

Philosophie. Berlin. 1835. 4) Man. 1. 14. 15. 33. 34. 35.,

52. 53.

Indische Religion.

80 zehrung,

bis,

wie der Geist des Feuers,

am Nabel ihren

Sitz hat, gestillt werben konnte.') Als das göttliche Urwesen durch Anschamng der Ge­

wässer, den Göttern zur Nahrung,

das Gebille geschaffen

hatte, trug der Urmensch im Hunger und Durf Verlangen In Folge dessen unterliegt baS,

darnach.-)

begehrte, Gebilde dem Tode.

»om Hunger

Das, was gebildet ist, ist, als

von dem anderen in der Kraft des Verlangens begehrt und

verzehrt,

dem Ersterben geweiht; wie die Krcft des Ver­

langens zum Schaffen sich regt, Zerstören.

so regt sie sich auch zum

Sehnsucht, Hunger und Durst schaffen und zer­

stören die Welten.

So offenbart sich das Verlangen des

göttlichen Urwesens, in welchem alle Dinge geschaffen, aber auch wieder verzehrt und zerstört werden, in dreifacher Weise

durch Schaffen, Erhalten und Zerstören.-) Außer

den großen

weltschöpferischen Geistermächten,

worin eigentlich die innere lebendige Wcsenskraft aller Da­

seinsformen beruht, werden auch noch Geister zweiten Ran­ ges verehrt, die, als waltend in den Kreisen der sichtbaren

Welt, derselben unmittelbar vorstehend gedacht werde,«.

So

nennt Manu acht Welthüter, aus deren Wesen der Körper eines königlichen Erdhüters gebildet sei: Indra, den Beherr­

scher des Luftkreises,

der den fruchtbaren Regen schenkt;

Suria, die Sonne; Pawana, den Beherrscher des Windes;

Jama,

den Fürsten der Gerechtigkeit,

Richter der Todten

und Beherrscher des Tobtenreichs; Varuna, den König der Gewässer;

Soma ober Chandra, den Mond; Agni,

Beherrscher des Feuers und K««wera, thums.^)

den

den Gott des Reich­

Diese Götter standen den acht Weltgegenben als

Herrscher vor.

tern Zeit nach,

Andere, die, den Religionsansichten der äl­ diesen Göttern zur Seite gestellt werben

müssen, werden noch in den Weda's erwähnt: Mitra, der

*) 2) 3) 4)

Asiat, res. vol. 8. p. 422. 423. a. a. O. Asiat, res. vol. 8. p. 432. 475. Man. V. ) Asiat, res. vol. 8. p. 403. 406. 410. 453. 456. 2) Vergl- Journ. asiat. toni. 2. p. 271. Burnonf Yaeua tom. 1. p. 311. Moor, liiml. pr.iitli. p. 92. 93. liarivansa. p. 18. 2) Translation of sevcral Looks of (he vec’s bv Ra in ma lum roy. London. 1832. p. 74. 4) Journ. asiat. tom. 2. p. 271.

82

Indische Religion.

Zeitenwechsel verstehen.

Sie heißen Abat vier Abitya's,

beherrschen die Zeiten und den Umlauf berselbm, und wer­ den Räuber genannt,

rauben.

weil fie dem Menschen das Leben

Endlich werden als die letzten der drei und dreißig

aufgezahlt, die beiden Zwillingsbrüder Aswinas undKumaras.

Anstatt dieser beiden Zwillingsbrüder findet man auch

in älteren Urkunden Indra und Pradschabati genannt.')

Surya, der Sonnengott, soll mit der Aswkni, Einer der Töchter des Dakscha, die Aswina's erzeugt haben.

In

diesen Zwillingsbrüdern werben himmlische Aerzte verehrt; aber auch die Winde, und der Mittelbegriff, wodurch beide

Anfichten nur zu vereinigen sind, ist der der Witterung.

Die

Witterung hängt von dem Winde ab und wieder enge zu­

sammen mit dem Wohl- oder Uebelbefinden des Körpers; und nach der Ansicht der Indier hängt überhaupt der Zu­ stand

des Wohl- oder Uebelbefinbens des Körpers fast

durchaus nur von dem Zustande der Witterung ab.-)

Eine

Sage über die Erzeugung der Zwillingsbrüder durch einen

Sonnenstrahl, der eine, in eine schnellfüßige Stute verwan­

delte Nymphe geschwängert hätte,") giebt ein schönes Bild für die Vorstellung,

wonach die Witterung bestimmt wird

durch den Sonnenschein und den Wind. Sonst wird noch in den Weda's, als Geister, die die Winde beherrschen, der Maruts gedacht, zusammen mit den Angira's.

die,

Auch kommen als Luftgcister der mittleren Welt

vom Monde erzeugten Sadhya's und Aplya's ror.4 * )2 3 Den wohlwollenden und

wilden,

milden Geistern werden die

rohen und frevelnden Geister,

die Jakschas und

Rackschasas gegenüber stehend gedacht.") x) Bournouf Ya$ua. tom. I. p. 341. 2) Sonnerat Reise nach Ostindien, deutsch. Buch 1 Kap. 10 3) Bopp Ardschuna's Reise zu Jndra's Himmel. S. 9. der Vrrrede. S. 53. der deutschen Uebersetzung. Jo um. asiat. p. 271. William Jones Abhandl. übersetzt herausgegeben von Kleuker. Th. 1. E. 229. Noor Lind, pantli. p. 155. 279. 4) Asiat, res. vol. 8. p. 410. Moor Lind, panth. p. 92. 93. 6) Man. I. 37. 38. 43. III. 192—201.

Religion der Weda's.

83

Die belebten Geschöpfe sonderte die ordnende Betrach­

tung in verschiedene Naturreiche nach der Vorstellung von der verschiedenen Art und Weise, unter welcher die einzel­

nen Arten ins Lebe» traten.

Es wurden die Geschöpfe un­

terschieden, die durch Zeugung und Geburt ans Licht ge­

bracht werden; andere, die aus dem Ey hervorgehen; solche, die in warmer Feuchtigkeit und durch die Hitze erzeugt wür­

den; die Manzen, die alle, entweder aus der Saat oder aus Setzzweigen hervorkeimend, Wurzel schlügen; Pflanzen, die reich an Blumen und Früchten, abstürben, wenn die

Frucht reif wäre; andere große Stammgewächse, die als

Herrscher in den Wäldern gelten, wären,

und reich an Früchten

doch ohne Blumenkronen, Gebüscharten, Schling­

pflanzen und rankende Gewächse.')

Von Brahma aus steigt in zusammenhängender Verket­

tung die Smfenleiter der Wesen hinab bis zu den Thieren und Pflanzen.

Auch den Pflanzen wirb inneres Bewußtsein

und das Gefühl der Freude und des Schmerzes zugeschrie-

ben; ihre Seelen waren nur, wie die der Thiere, in Folge sündvoller Handlungen eines früheren Lebens von Dunkel

Die Stufenleiter der Wesen aber wieder hinauf

umhüllt?)

zu klimmen, das ist der Beruf, an den jegliches Geschöpf in allen Welten gewiesen und wozu die Serlenwanderung

geordnet ist.

Selbstverläugnung, Selbstbeherrschung, Wis­

senschaft von dem Inhalte der heiligen Schriften, gehörige

Vollbringung der durch diese vorgeschriebenen Gesetze und heiligen Handlungen geben die Rechtfertigung und das Ver­

dienst?)

Es wenden sich, indischer Ansicht nach, alle guten

Geister, alle

frommen Seelen der Geschöpfe

gegen die

Sonne, als gegen den Erlöser, der die Finsterniß verscheucht,

und in der Klarheit seines Lichtes

und der Ruhe seines

Wandels die Seele hinüberführt zu Gott?) 1) 2) 3) 4)

Man. i. 42— 48- asiat. res. vol. 8. p. 427. Man. 1. 49. 50. V. 40. Man. XU. 31. Journ. asial. tom. 3. p. 22,

Die Stufen-

Indische Religion.

84

leitet der Geister und Wesen, deren flttlicher Vollkommenheit nach, geht von der Finsterniß der Erdenwelt durch die Welt

des Mondes, die bald erleuchtet, bald verfinstert, die Hei» mach der menschlichen Seele ist, aufwärts zur Klarheit der

Lichtwelt der Sonne. Wer in stiller, demüthiget Bescheidenheit, seine selbsti­

sche Begier bändigend, der durch Brahma geschaffenen Ord­

nung und Uebereinstimmung des Lebens sich fügt, wird als gerechtfertigt geachtet; wer aber dagegen in selbstischer Be­

gier wider die göttliche Ordnung und Uebereinstimmung des Lebens sich sträubt, und aus eigener Machtvollkommenheit Schöpfungen ins Dasein zu rufen bestrebt ist,

alles in Unordnung und Verwirrung,

der bringt

wie jener aus der

Flut durch den Fisch gerettete Manu, bis er erst in heiliger Buße demüthig sich gefaßt hatte, und darauf wohlgeordnete

Schöpfungm hervor zu rufen im Stande war.') Nach dem Gegensatze des Oben,

des Unten und der

Mitte begabte Brahma alle belebten Geschöpfe

mit drei­

facher Wesenheit: mit der des Lichtes, der der Verdüsterung

und der des Kampfes zwischen dem Lichte und dem Dü­ stern?)

Dem Lichte

eignet die Wesenheit Satwa,

dem

Dunkel Tama und der Bewegung des Kampfes Radscha. Welche Seele, in den Bereichen der geschaffenen Welten sich bewegend,

und

von

den drei Wesenheiten durchdrungen,

mehr an der einen derselben oder der anderen Theil haben mag,

die ist jedoch an das Lichtlebeu der ihr als Vorbild

vorleuchtenden Sonne gewiesen.

Wie in Ruhe und in stil­

ler Buße die Sonne schweigend durch den Himmel steht,

Tag und Nacht und die Zeiten ordnend, und die Saamen der Geschöpfe zum Keimen anregend, Geschöpf,

in seinem,

so auch soll jedes

der Sonne geweihten Leben, durch

welches es in nachfolgenden Geburten auf der Stufenleiter der Wesen immer höher hinansteigt zur Lichtwelt, in Buße

•) Bopp Sündfllit v 53—55. -) Man. I. 15. XII. 26.

Religion der Wcda's.

85

das Gesetz wohlgemäßigter Ordnung und Uebereinstimmung an seinem Dasein offenbare», und, im Willen und Geist damit in Uebereiiistilnmung lebend, seine Bestimmung erfül» len. Tugendhaftes Handeln, Selbstbeherrschung- Wohlthä­ tigkeit, Sanstmuth, Standhaftigkeit und Freundlichkeit gegen jedes belebte Wesen führe«» zum Heil.') Eine jede Misse­ that dagegen tragt unbedenklich ihre Frucht; die Rache folgt, wenn auch spat.*2)3 Inwiefern die Seele entweder wrrkthätig in stiller Buße nach der Ruhe des Lichtlebens trachtet, oder in Trägheit und in Verdüsterung verstrnken, von der Lust selbstischer Begier sich gefesselt halte»» läßt, oder endlich in dem bewegte»» Kampfe des Lebens sich ju ergehe»» begehrt, wird ihr entweder die Welt des Himmels durch die die Sonne wandelt, ober die der Erde, oder die des Luftrcichs, i»r welcher der Mond sich bewegt, zu Theil.2) Die dreifache Wesenheit aller belebten Geschöpfe herrscht indeß auch in jeder einzelnen der drei verschiedene»» Welten, und so «rgiebt sich eine Unterabtheilung, welcher nach jede derselben wiederum i», drei Reiche zerfallt. Neun Welten sind es, in denen alle geschaffenen Wese»» sich bewegen, und neu»» verschiedene Zustände des Seelenlebens werbe»» ge­ zahlt/) Diesen nenn Seelenzuständen werde»» zum Theil die Formen der Naturgeschöpfe bis in das Pflanzen- und Steinreich hinab, ;»,m Theil aber nur in der Einbildung ge­ schaffene lichte Geisterwesen der Sonnenwelt als entsprechend. gedacht/) Erhaben jedoch über bas Lichtleben der Sonnenwelt sowohl, wie über das finstere Lebe» der Erbenwelt, über­ haupt über jeden Zustand auf irgend einer der neun Stu­ fen deS Weltlebens ist der Z»,stand der unmittelbaren Ge­ meinschaft der Seele mit Anna, der großen Weltenserle, *) 2) 3) «) s)

Man. Man. Man. Man. Man.

IV. 246. IV. 172. 173. XII. 26. W. XII. 41. XII. 42-50.

Indische Religion.

86 -er Zustand

des vollkommnen Aufgehens des Lebens der

einzelnen Seele in bas urgöttliche Wesen.

führt Andacht und höchste Erkenntniß?)

Zu demselben

An sein ursprüng­

liches göttliches Wesen stets fich erinnernd, soll der Mensch, wie jedes Geschöpf darnach trachten, mit dem Ganzen ver­

einigt, und so wieder Gott selbst zu werden?)

Zwei Seelen,

die Lebensseele,

die der aus den fünf

Grunbkräften der Natur gebildeten Gestalt das Vermögen

der Bewegung verleiht, und die empfindende Seele, die je­

dem Geschöpfe, durch die, bei der Geburt desselben anwe­ sende, große Seele eingehaucht wird, und demselben das Vermögen, Leid und Freude zu empfinden, mittheilt, beseelen

die belebten Geschöpfe.

Beide Seelen find mit den fünf

Grunbkräften des Naturlebens innigst vereint, aber auch in

Verbindung mit dem höchsten Geiste oder dem göttlichen Wesen,

welches die ganze Schöpfung in der Höhe und

Tiefe durchdringt?)

Dieser Verbindung mit dem göttlichen

Wesen fich bewußt zu werben, meinschaft mit

und so zur wirklichen Ge­

demselben zu gelangen,

in sich selbst die

höchste Seele als allgegenwärtig in allen Geschöpfen zu er­ kennen, und so in den höchsten Geist, ja in das allmächtige

Urwesen verschlungen zu werden,

darin besteht der Zweck

der höchsten Buße für die einzelne Seele?) Zu diesem Zwecke der Vereinigung der einzelnen Seele

mit der allgemeinen Weltseele führt hin das Abwenden der Aufmerksamkeit des Geistes von dem Einzelnen, dem Bruch­ stück, worin allerdings, aber nur theilweise der Weltgeist sich

offenbart, und das Hinwenden der Aufmerksamkeit des Gei­ stes auf das Gesammte.

Der Ansicht des Wedanta's von

der Weltentfremdung und der Weltüberwindung liegt kein

anderer Gedanke zu Grunde, als der, daß durch das Hin­ wenden der Aufmerksamkeit des Geistes auf bas Einzelne ') 2) 2) 4)

Man. VI. -4. XII. 104 118. Journ. asiat. tom. 2. p. 276. 280. 282. tom. 3. p. 21. Man. XII. 12 —14. Journ. asiat. tom. 3. p. 24. Maiit XII. 1S US. 135. Journ. asiat, tom» 2. p. 356.

Religion der Weda's.

87

die Betrachtung, in Beziehung auf die Auffassung des Einen

und Ganzen,

gestört und zerstreut

werde.

Der Gedanke,

daß die Seele durch den Reiz der Sinne und die Ergötzun-

gen des Lebens zerstreut, und in dieser Zerstreuung eben von der Betrachtung der Weltseele, ihrer edlen Quelle, mit der

sie sich vereinigen solle, abgezogen werde, ist es, worin das ganze Wesen der, durch den Wedanta vorgeschriebenen Bü-

ßungen wurzelt.

Es besteht dasselbe in einem gänzlichen

Verschließen der Sinne vor aller Auffassung des Aeußeren und Einzelnen, in einer gänzlichen Ertödtung der Sinne in dem Versinken des Geistes in innere Beschauung.

Zn die­

sem Zustande hebt sich alles Bewußtsein des Einzelnen auf;

auch alles Bewußtsein der Ichheit und Selbstheit, wie aller Wille.') Durch Manu wird

jeder Brahmane,

der seine drei

Pflichten, durch Lesung der Weda's, durch rechtmäßige Er«

zeugung eines Sohnes und durch gehörige Vollziehung der

Opfer erfüllt habe, daran gewiesen, in seinem Alter, wenn ihm Enkel geboren worden wären, sein Haus zu verlassen,

um in den einsamen Wald zu gehen, und hier in Entfrem­ dung von der Welt, seine Betrachtungen über das göttliche

Wesen anzustellen?)

In der Heroeuzeit war es Gebrauch,

daß auch die Könige in ihrem Alter diesem Beispiele der

Brahmanen folgten;

dem Sudra dagegen stand das Recht,

Büßungen zu üben, nicht zu?)

Von der, aus den Upanischad's zu schöpfenden, wahren Gotteserkenntniß,

durch welche die Seeligkeit im Himmel

gewonnen werdet) wird sowohl die Wissenschaft, Ahnun­ gen, Träume, Zeichen, die Stelluugen der Gestirne und die

Linien der Hand zu deuten, als auch die Wissenschaft von allem dem, was zur gelehrten Erläuterung der Weda's ge«

') 3) 3) 4)

Journ asiat. tom. 3. p. 75 — 81. tom. 2 p. 344. Man. VI. 2. 3. 35. 39. 49. Rhaguvaiisa c. 3. v. 70. c. 7. v. H8. c. 8. v. 11. c. 15. v. 80 Man. VI. 83. XII. 85. 87.

Indische Religion.

88 hört/ unterschieben.')

DK bloß äußere Wissenschaft von

dem Inhalte der heiligen Schriften diene zwar/ wird gesagt/

auch schon zum Heile der Seele; aber zur Seeligkeit führe doch immer nur die innere lebendige Erkenntniß von dem

Einem göttlichen Geisteshauche/

in dem die Gesammtheit

aller Götter und Geister beruhe/ und in dem alle Welten

ihren Bestand hatten.-) Zu dieser Erkenntniß gelangt, nach der Lehre des We-

danta's/ der Weise, indem er mehrfache Stufen des Begrei­

fens erklimmt, und dadurch die Welten überwindet.

Auf

der ersten Stufe werden die Weltgegenden des Himmels

und der Erde, der Osten, der Westen, der Norden und der

Süden erkannt.

Diese Erkenntniß verschafft schon einen

großen Sieg über die Welten.

Auf der zweiten Stufe be­

greift der Geist die Erbe, bas Luftreich, den Himmel und

die Gewässer.

Die dritte Stufe erreicht, wer bas Feuer,

die Sonne, den Mond Und den Blitz erkennt.

Wer auf

der vierten Stufe das Athmen, das Gesicht, das Gehör und

das Herz erkannt hat, genießt nunmehr der Ruhe und hat alle Welten überwunden.")

Es kann jedoch im Wedanta, dem wesentlich die Ver­ götterung des Weltalls eignet, von einer eigentlichen Welt­ überwindung nicht die Rede sein.

Die Weltüberwindung

ist dem Geiste nach, der im Wedanta herrscht, keine eigent­ liche Erlösung der Seele von der Macht der Welt.

Sie

besteht 'vielmehr in einer Zurückgezogenheit des geistigen Le­

bens vom Aeußeren auf das Innere, welchem Inneren auch nur wieder Bedeutung gegeben wird in engster Beziehung auf das Leben des Weltalls. das Opfer,

Es werden, auch selbst durch

durch welches im Geiste alle Welten in das

Feuer der Macht des Schöpfers geworfen werden,

nur

Welten überwunden, ja selbst Götter bezwungen, keinesweges

1) Man. V. 50. Asiat, res. v. 8. p. 433. 2) Man. VI. 84. XII. 90. 91. 118. 119. 125. 3) Journ. asiat, loin. 2. p. 229. 230,

Religion der Weda's.

89

jedoch die Macht der Welt selbst. Jeder Brahmane wirb angewiesen, mit unverrückter Aufmerksamkeit die ganze Na­ tur, sowohl die sichtbare, als auch die unsichtbare, zu be­ trachten als im göttlichen Geiste bestehend: denn, wenn er das grenzenlose All, als bestehend im göttlichen Geiste be­ trachte, so könne er sein Her; nicht zu Ungerechtigkeiten hin­ neigen. Der göttliche Geist sei allein die Gesammtheit aller Götter, und alle Welten ruhten im göttlichen Geiste, der vermittelst eingekörperter Seelen, nach einer nothwendigen Verkettung von Ursachen und Wirkungen, die zusammenhän­ gende Reihe der Schöpfungen erwirke. Der Brahmane möge in allen Theilen seines Körpers die verschiedenen gött­ lichen Wesenheiten betrachten; aber als das, was in allem all­ gegenwärtig wirke, sei von ihm der göttliche Geist zu achtens) Folgerecht mußten Grundansichten solcher Art zu fin­ steren sittlichen Ansichten führen. Denselben nach ist es der Weltgeist, der die Menschen sündigen läßt; der Weltgeist ist es, der durch unsere Sinne handelt, der den Willen bestimmt, zur Wollust reizt, und jede Begier in der Seele des Men­ schen anregt?) In der höchsten Betrachtung, woran derje­ nige Theil gewonnen hat, der durch das Versenken seines Geistes in innere Beschauung eins geworden ist mit dem Weltgeiste, löst sich schlechthin der Begriff aller menschlichen Sündhaftigkeit auf. Jedes schlechte Werk ist Werk des Weltgeistes, Vatermorö, Muttermord, ja selbst der Mord eines in den Weda's wohl unterrichteten Brahmanen, oder welcherlei Verbrechen sonst, alles ist die That des Schöpfers, weil er die allgemeine Seele ist, die in dem Menschen bei­ des, das Gute und das lieble, erwirkt?) Dem Geiste des Wedanta's fehlt, bei dem völligen Versunkensein des Bewußtseins in das Leben der Natur und des Alls, das wahrhafte Wesen ächter Liebe. Dem >) Man. XII. 118 — 122. 2) Joiini. asiat. tom. 3. p. 75. 3) Windisclimann Sancara p. 114. 116. p. 75. 83. 84.

Jüurn. asiat. tom. 3.

so

Indische Religion.

gemäß hat denn auch das in Harte und Strenge, ja selbst in Grausamkeit aufrecht erhaltene alte Gesetz stets endlich in mancherlei Kämpfen siegend sich behauptet. Mit grau­ samer Lieblosigkeit wachen die Brahmanen über die Heilig­ keit der Kastenverhältnisse. Sie selbst sind von einem Hoch­ muthe erfüllt, der kaum seines gleichen hat. Ein Brahmane gilt selbst als eine mächtige Gottheit. In dem also ver­ götterten Brahmanen wird jedoch keinesweges milde fried­ volle Gesinnung einer in menschliche!» Gefühlen bewegten Seele verehrt, sondern nur die Herrlichkeit der Welterkenntniß, wozu der Brahmane vorzugsweise berufen ist, ohne daß er auch stets diesem Berufe nachkäme.') Das Abbild Atma's, des höchsten Gottes, seine lebendige Kraft, wird in jedem Geschöpfe, auch der niedrigsten Art, anerkannt; aber ganz und gar vergessen wird in der Verachtung und in der Behandlung, die die niederen Kasten erdulden rnüssen, daß an den Mitgliedern derselben auch immer noch das Abbild menschlichen Wesens sich offenbare. Es macht sich der Brahmane kein Gewissen daraus, den Geist des Menschen in den Mitgliedern der niederen Kasten dem Tode zu wei­ hen, während er es für Verdienst hält, wenn er sich des leiblichen Tödtens allerlei Viehes enthalt, in dessen Körper ein Theil des von ihm als göttliche Weltseele verehrten Geistes wohne. Als wirkliche Liebe der Seele kann keinesweges das geachtet werden, was den Brahmanen davon abhalt, die Geschöpfe zu tödten; es ist vielmehr nur die Furcht davor, den in den Geschöpfen wesentlich lebenden Atma zu verletzen. Obschon dem Brahmanen die Menschengestalt, als die herrlichste, das Maaß giebt, wonach er in seiner Betrach­ tung alle Dinge, das Weltall ordnet: so hat sich dennoch vor seinem betrachtenden Blicke die Herrlichkeit des Wesens freier menschlich-geistiger Persönlichkeit nicht eröffnet. Der Mensch selbst vielmehr zerfällt ihm in vier Hauptgattungen, ) Man. I. 93 — 100. IX. 313—317. XL 85.

Religion der Weda's. deren die eine zum Wissen,

91

die andere zum Herrschen und

Erobern, die dritte zum Ackerbau und zur Viehzucht, und

die vierte dazu, den andern knechtisch zu dienen, berufen ist.')

Der lieblose Trieb des Geistes,

sich selbstisch abzuschließen

und vom Nächsten auszuschließen,

tritt überhaupt in dem

Leben der Indier sehr scharf hervor.

Wenn derselbe ohne

Zweifel stets stark mit eingewirkt hat auf die Neigung der

Indier,

bas volksthümlich gemeinschaftliche Leben zu ver­

lassen,

um in der Einsamkeit der Wälder und Wüsten zu

leben: so thut er sich auch darin besonders kund, daß selbst

innerhalb des Kreises der Brahmanenkaste eine sehr vorherr­

schende Neigung hervortritt, sich kastenhaft auszuschließen, selbst bei ganz geringen Abweichungen in Ansichten. In solcher Gesinnung spricht es sich klar aus, wie dem

rechtgläubigen Anhänger des Wedanta's die wahre Empfin­

dung der Liebe und von dem ächtsittlichen Wesen des Frie­ Dem gemäß mußte denn

denslebens der Seele abgehe.

auch der Gottesdienst ausarten in Werkheiligkeit, durch die ersetzt werden soll, was an der Heiligkeit ächtsittlicher Ge­ Allerlei Reinigungen durch Feuer und

sinnung

mangelt.

Wasser,

durch Butter, allerlei,

den Göttern bargebrachte

Opfer von Thieren, besonders des Pferdes,

haben große

Kraft, vorzüglich wenn sie häufig und regelmäßig wiederholt

dargebracht werden.

Almosenspenden, vorzugsweise an die

Brahmanen, gehörige Abwartung der Feier-, Fast- und Bü­ ßungstage in Gebeten, Waschungen und anderen Reinigun­

gen und Aussöhnungen, Wallfahrten geben der Seele Ver­ dienstlichkeit.

Man will dabei entweder überhaupt die Göt­

ter sich geneigt machen, denen man für ihre allgemeinen und

besonderen Wohlthaten dankt,

oder in der Bewerbung um

ihre Gunst bei wichtigen Vorfällen des Lebens nach dem

Stande

und

Zweck;

oder

dem

Verhältnisse

eines

Jeden

besteht der

endlich Entsündigung und Versöhnung

solchen einzelnen Vergehungen,

1) Man. I. 88 — 91,

nach

die von der Art sind, daß

92

Indische Religion,

sie in diesem Leben vergeben werden können, wirb beabsich­ tigt, Es giebt sowohl allgemeine Pflichte», die für alle bindend sind, als besondere nach Verschiedenheit des Stan­ des, des Geschlechtes, des bürgerlichen und häuslichen Ver­ hältnisses, der besonderen Verschuldung, so wie es unbedingt nothwendige, verdienstliche und überverdienstliche Werke giebt.') Dem Opfer schreiben die Indier eine sehr große Kraft wesentlicher Wirksamkeit zu: so daß sie durch richtig vollzo­ gene Opfer selbst unüberwindliche Macht über die Götter gewinnen zu können glauben. Dabei schreiben sie aber ei­ nem solchen mächtigen Opfer Formen vor, die nie beobach­ tet werden können, wenn sie etwa einem, hundert Jahre un­ unterbrochen jährlich wiederholten Pferbeopfrr die größte Kraft beilegen. Wenn also der Zweck des Opfers nicht er­ reicht wird, so wird dies nicht als Fehler des Opfers ge­ achtet, sondern des Opfernde», der irgend eine, wenn auch nur die geringste Kleinigkeit verfehlt haben müsse. I» den Gedichten kommen häufig Geschichten von unterbrochenen Opferungen vor, die, wenn sie richtig und ungestört vollzo­ gen worden wären, den Göttern Gefahr gedroht hätten.?) Es spricht sich in diesem Ringen des Geistes der In­ dier, Welt und Götter durch Opfer und Buße zu überwin­ den, und in dem Gedanken der Möglichkeit, es zu erreichen, offenbar die Ahnung der Freiheit des Menschen und der Herrlichkeit seines WesenS auS; aber zugleich auch tritt es an der ganzen Art und Weife, wie sie nach dem ringen, wonach sie trachten, klar und bestimmt hervor, wie wenig ihr Geist noch zur ächten Freiheit herangereift sei. Das, das All vergötternde Bewußtsein, wie es sich am Wedanta und in allem, was sich daran anschließt, sich ausspricht, be­ wegt sich, in das Leben der Natur und des Weltalls ver1) Man. V. VI. XI.

a) Bopp über das Conjugationssystcm der Sanskritsprache. S- 22$. Asiat, res. vol. 8. p. 430. 478.

Religion der Weda'-.

93

funken, immer noch in einem stetigen, nie zur wirklichen Versöhnung gelangenden Kampfe in sich selbst, wie gegen die eigenen Götter. Stets will es sich herausreißcn durch das Festhalten der Vorstellung von der Einheit des urwe» sentlich göttlichen Geisteshauches, und sinkt doch immer wie­ der bei der, demselben geeigneten, unbedingten Vergötterung des Weltalls in das Leben der Natur und der Mannichfaltigkeit zurück.

Religionsform der Heroenzeit. ^in reizbar reger,

die sinnlichen Erscheinungen lebendig

auffassender und geistig beseelender Naturstnn ist bas, was vorzugsweise und schön in der Betrachtungsweise der In­

Dieser geistreich spielende Natursinn blieb

dier hervortritt.

zwar auch dem Geiste derselben in der spateren Entfaltung umgewandelter Formen des Bewußtseins eigenthümlich; vor­

zugsweise jedoch ist an derselben die Form des Bewußtseins

geknüpft, die der, in den Weba's zur Entfaltung gediehenen, Bildungsstufe des geistigen Lebens entspricht.

Die in den

Weba's angerufenen und verherrlichten Gottheiten sind wirk­

lich nichts anders, als begeistigt gedachte Naturmächte, de­ ren Werkthätigkeit auch nur in der Bewegung des beweg­ ten Naturlebens unmittelbar angeschaut ward.')

men der meisten Gottheiten zwar,

Die Na­

denen in der späteren

Entfaltung des Bewußtseins durch die Kraft dichterisch-künst­ lerischer Anschauung gediegenere und selbstständig im Geiste bestehende Gestaltung ertheilt ward,

finden sich allerdings

schon in den Weba's und in den an diese sich anschließen­

den Gesetzbüchern des Manu; aber die Anschaunng hat sich hier immer noch nicht los lösen können von der Form des­ sen, was ihr unmittelbar durch die Erscheinung gegeben

war, noch, aus der Form der Unmittelbarkeit sich erhebend,

zur Selbstständigkeit freier, geistiger Gestaltung sich hervor­ ringen können.

meinen

Die Vorstellung von dem Wesen der allge­

Weltsrele

auch bewegt sich

*) Asiat res. v. 8. p. 398.

immer noch in dem

Rcligionsfvrm der Hervenzeit-

95

Kreise unmittelbarer Empfindung des Seelenlebens, und wie sehr auch schon der erwachte Kampf des Bewußtseins fich regt, diese Empfindung in der Erkenntniß jum klaren gediegenen Gedanken zu erheben: so bleibt dennoch dieser Kampf unüberwunden, und das in demselben fich offenba­ rende Streben unbefriedigt, ohne wirklich zu dem zu gelan­ gen, wohin es fich bewegt. In der Vorstellung von dem all-einigen Welthauche tritt nichts anderes hervor, als die in der Anschauung des Gesammtlcbens des Weltalls der Empfindung sich offenbarende Ahnung von der allgemeinen Einheit des Lebens, und ohne in die Form des klaren Ge­ dankens, als selbstständig angeschautes Gcistesbild, im Be­ wußtsein erhoben zu sein, schließt sich jene Verstellung von dem allgemeinen Welthauche enge an die unmittelbare An­ schauung des allgemeinen Lebens der Natur an. Sittliche Vorstellungen von dem Gegensatze eines Guten und Bösen, des Lichtes und der Finsterniß, regen sich zwar auch schon, und ringen sich hervor in dem Geiste jener Zeiten, deren Bildungsstufe durch die Weda's und die Gesetze des Manu bezeichnet ist. Doch einestheils hebt sich bei der durchgängig und ganz allgemein herrschenden Ansicht von der Göttlichkeit alles dessen, worin Lebensthä­ tigkeit überhaupt sich äußere, die sittliche Vorstellung von dem Gegensatze eines Guten und Bösen in der höchsten Vorstellung auf, und anberentheils ist es selbst bei Manu noch nicht, am wenigsten aber in den Weda's zu einem be­ stimmten Bewußtsein über die Bedeutung des Kampfes des Geistes in der Mcnschcngeschichte gekommen. Wie aber alle wahre und ächte Sittlichkeit wesentlich nur an diesen Kampf, als an ihre tiefste Wurzel, sich anschließt, so auch konnte da, wo noch kein bestimmtes Bewußtsein über die Bedeutung dieses Kampfes sich entwickelt hatte, kein wahr­ haft ächt sittliches Bewußtsein sich ausgebildet haben. Auf der Bildungsstufe des geistigen Lebens, wie dieselbe sich ausspricht an den Weda's und den Gesetzbüchern des Manu, zeigt sich der Geist fast völlig noch in Naturbewußtsein vcr

Indische Religion.

96

funken, und nur erst in der, duxch die Dichter des Ramajana und Maha Bharata gewonnenen Bildung hat sich der

Geist

hervorgerungen zu einem

Dasein in sich.

freieren,

selbstständigeren

Von eingekörperten Geistern zwar ist aller­

dings auch schon in den Weda's die Rebe; keinesweges je­

doch von Göttern, die auf Erben hinabgestiegen waren, um hier als Menschen in einer Menschenwelt unter Menschen zu

wohnen.

Auch Andeutungen auf die Vorstellung von einer

Heroenzeit kommen so wenig bei Manu, wie in den Weda's

vor.

Es sind nur Geister des Alls,

von denen in der

Ahnung das Bewußtsein sich umschwebt fühlt.

Wohl zwar

hat sich bie Vorstellung von großen Geisterfürsten, den Ma-

nu's,

die in göttlicher Schutzherrlichkeit ben verschiedenen

Kreisläufen der Zeiten vorstehen,

schon entwickelt; doch zu

bestimmterer Entfaltung mannichfaltigerer Vorstellungen von

den einzelnen Richtungen des im Kampfe der Menschengefchichte sich bewegenden sittlichen Lebens ist es nicht gedie­

hen, da bie Heroenzeit, von der die Dichter des Ramajana und des Maha Bharata sangen, noch nicht geschaffen war. Das, der Bildungsstufe des geistigen Lebens, wie die­

selbe sich am Ramajana und Maha Bharata offenbart, ent­ sprechende Bewußtsein unterscheidet sich Inhalt und Form

nach von dem Bewußtsein,

welches sich an dem,

den Weda's enthalten ist, abprägt. durch,

was in

Dem Inhalte nach da­

daß in den beiden großen indischen Heldengedichten

ein wirklich geschichtliches Bewußtsein

sich entfaltet;

der

Form nach dadurch, baß es eine durch dichterisch-künstleri­ sche Anschauung geschaffene, selbstständig im Geiste bestehende

Welt von Göttern und Heroen ist,

die in ihnen besungen

und verherrlicht wird. Dem, in

den Weda's herrschenden Geiste

entspricht

Bilderdienst nicht, da ein solcher sich nur erzeugen kann als Ausdruck und Darstellung einer im Geiste geschaffenen und

im Geiste selbstständig und frei bestehenden Götterwelt. Auch zeigen sich im Einzelnen in den Weda's keine Hindeutungen auf Bilderdienst.

Von Manu wird vvrgeschrieben, daß der

Religiensstrm der Hervenzcit.

97

Zeugtneib in Gegenwart eines Götterbildes abgelegt werbe« solle;') auch wirb für gewisse Feste der Besuch der Bild­ säulen anempfohlen;*2)3 an anderen Stellen dagegen wirb von den Bilderverehrern verächtlich gesprochen?) Der Form des Bewußtseins, die sich an Manu's Lehre abspiegelt, ent­ spricht Bilderdienst an und für sich nicht. In der Helden­ sage aber wird als Zeichen, woran der Unterschieb zwischen den Göttern in menschlicher Gestalt und den Menschen selbst erkennbar hervortrate, dies angegeben: baß die Götter ohne Schweiß und ohne Staub, gehaltenen Blickes, von schwel­ lenden Blumenkränzen umwunden, stehend die Erde nicht berührten; baß aber die Menschen unbeschattet, von welken» den Kränzen umwunden, bedeckt mit Schweiß und Staub, wankend auf der Erde ständen?) Es kommen nur geringe Spuren davon vor, baß Brahma, dessen oberherrliche göttliche Macht doch so sehr, sowohl in den Weda's, wie von Manu gepriesen wird, frü­ her in eigenen Tempeln, oder auch nur in Bildern verehrt worben wäre. Bilder sind allerdings auch ihm in späteren Zeiten errichtet, aber nur neben den Bildern anderer Götter in den Tempeln derselben. Geopfert wird auch ihm freilich und auch er wird angerufen; es sind jedoch, wie anderen Göttern, ihm zur Zeit nur an ein Paar Orten in Indien eigene Tempel errichtet, oder besondere Feste geordnet?) Der Hauptbienst, der in jüngeren Zeiten äußerlich ihm ge­ leistet worden ist, und heutiges Tagrs noch geleistet wird, besteht darin, baß die Brahmanen jeden Mdrgen bei Son­ nenaufgang mit stillem Gebet, wobei sie Reinigungen durch Wasser vornehmen, ihn verehren; Dieser, dem Brahma ge') 2) 3) ♦; 5)

Man; VIII. 87; Man. TV. 135. Man. III. 152. ISO. Nil. L. 5; V. 25. 26. Moor. p. 2. 5. 6. 7. 18. Kennedy Research, p; 27L Colemann the mythol. of the Hind. London. 1832. p. 5. Transact. of the lit. soc. of Bombay, vol. 1. p. 199.

98

Indische Religion.

leistete Dienst entspricht dem einfacheren Geiste der Natur­ verehrung des Wedanta's. Bilderdienst ist dabei ausge­ schlossen, da Brahma unmittelbar in dem Lichte der ausge­ henden Sonne verehrt wird. Diese Art und Weise der Verehrung Brahma's zeigt offenbar hin auf eine Zeit,. in der überhaupt noch kein Bilderdienst statt gefunden haben kann. Er genießt indeß noch heutiges Tages an einigen Orten einer Art von äußerlicher Verehrung im Bilde.') Europäische Gelehrte haben zwar die Meinung aufge­ stellt, daß in älteren Zeiten auch Brahma im Bilde verehrt worden wäre, und daß diese Art und Weise der Verehrung erst später, in Folge von Verfolgungen, die sich von Seiten der Waischnawas und Saiwas gegen die Brahmadiener er­ hoben hätten, in Abgang gekommen fei.*2)3 Zur Begründung dieser Meinung ist indeß gar nichts anzuführen, wenn nicht von dem Standpunkte einer völlig verkehrten Ansicht über die Entwicklungsgeschichte des geistigen Lebens der Indier überhaupt, und über den Ursprung der Glaubensspaltungen unter den Indiern ausgegangen wird. Will man eine eigene Form des Glaubens dem Brahma geeignet wissen, so wird man dieselbe als die ältere, den Weda's entsprechende, nicht an Bilderdienst sich anschließende Form bezeichne» müssen. Der Grundform des Glaubens nach, der in den beiden großen Heldengedichten, dem Ramafana und dem Maha Bharata herrscht, wirb als das höchste Wesen, welches in stch selbst verschlungen in heiligem Dunkel ruht, und dessen Wesen keine Vorstellung in Wort oder Bild genügt, das Brahma verehrt.') Das große Eine, das Brahma, wirb als verschieben erkannt in drei Gottheiten, in die eS sich spaltet, indem es den, aus ihm hervorgegangenrn, allen Daseinsformrn zukommenbrn drei Urbeschaffrnheiten Formen

•) Asiat, rcsearch. völ. 16. p. 14. Tod Rajasthan. vol. 2. p. 762. 2) Moor p. 3. 9. 129. Colemann p. 8. 3) Schlegels indische Diblirthek. Th. 2. S. 421. Moor p. 9. Asiat, res. v. 243. Colemann p. 1. Kennedy p. 195. 201.

Religivirsform der Heroenzeit. Lrimurti.

gg

des Bestehens verleiht.1) So, tn sich verschlungen im hei» li'gen Dunkel ruhend, Eins seiend in sich selbst, offenbart sich bas göttliche Wesen in den drei Gottheiten Brahma, Wischnus und Siwas. Zusammengenommen im Ganzen ist es die Gottheit; aber gesondert fallt es einzelnen gött­ lichen Wesen anheim?) Wie in den Wcba'S, als die drei Urgeister, in denen sich Atma, der Hauch des Geistes offenbart, der Geist bet Sonne ober der des Lichtes, der der Luft und der des FeuerS bezeichnet werbens) so treten in der, mythisch aus­ gebildeten Religion der epischen Dichtungen, an die sich Bilderdienst anschloß, Brahma, Wischnus und Siwas auch in der Dreifachheit auf, aber als selbstständigere Götterge­ stalten, deren Kunstsymbolik eine, von unmittelbarer Natur, anschauung abgelöste, höhere Form des Bestehens im Geiste geschaffen hatte, als es Natursymbolik im Stande gewesen war. Das Wesen Brahma's entspricht dem des Lichtes; bas Wesen des Wischnus dem dep beweglichen Luft; das Wesen des Siwas dem des alles verzehrenden, alles in Asche verwandelnden Feuers. Man findet auch bei Mook die von europäischen Gelehrten ausgestellte Behauptung, daß das Wesen Brahma's dem der Stoffheit und der Erde, daS Wesen des Wischnus dem der Geistigkeit und des Wassers, und das des Siwas dem der Zeitlichkeit und des Feuers entspreche?) Insofern können nun allerdings dem Wesen des Wischnus die Gewässer geeignet werben, inwiefern in der Urschöpfung bas Luftreich der Mitte zur bleibenden Stätte der Gewässer bestimmt ward?) Brahma kann in­ deß unter keiner Bedingung als Erbe ober Materie aufge» •) Kennedy Research, p. 177. 200. Transact. of the röy. as soC< vol. 1. p. 30. vol. 2. p. 233. 242. $) Moor p. 1 — 4. Kennedy Research, p. 195. 200. Transacb of the lit. soc. of Bombay, vol. 1. p. 214 *) Asiat, res. vol. 8. p. 396. Man. I. 23, *) Moor p. 2. e) Man. I. 13.

100

Indische Religion.

faßt werben, und der Irrthum, wonach es geschehen ist, rührt nirgendswo anders her, als aus falschen Berichten von Paullinus. Brahma, als Herr der Lichtwelt auch in den Kreis der jüngeren Götter ausgenommen, warb als geistiger Schöpfer jugleich auch gedacht als die Fülle der Urformen in sich tragend, während die Vorstellung von der gediegenen Fülle des wirklich in brr Form der Zeitlichkeit Daseienden an das grstaltreichc Bild des vollen Lebens der Erbe geknüpft und so als die im wirklichen Kampfe des Lebens kraftvoll gedie­ gene göttliche Zeugungsmacht im Entstehen aus dem Ver­ gehen, im Werden aus dem Tobe, die Seele der Erde, das verzehrende Erdfeuer im Siwas verehrt ward. Die, aus dem göttlichen Urwesen hervorgehenden drei höchsten göttlichen Personen, Brahma, Wischnus und Si­ was, treten nicht vermittelst Zeugung und Geburt aus dem in heiligem Dunkel in sich selbst verschlungenen urgöttlichen Wesen hervor, sondern durch Entfaltung, Auseinanderbreitung; das geschlechtlose, urgöttliche Wesen hat nicht neben sich oder in sich die göttliche Weiblichkeit, sondern diese tritt erst heraus neben jede der drei göttlichen Personen, als de­ ren Sacti's, die ihnen zur Seite stehen, und in denen ihr männliches Wesen weiblich sich abspiegelt.') Den männ­ lichen Gottheiten treten weibliche zur Seite als perfonificirte Energien ihrer männlichen Halsten; die Weiblichkeit wird gedacht als ins Lrben rufend, was urbilblich in der Männ» lichkeit enthalten ist.*2) Ursprünglich als das am Lichte und im Lichte sich ab­ spiegelnde Wesen der Geistigkeit im Gegensatze gegen die lebendige Fülle des Seins aufgefaßt, hat die Vorstellung von Brahma, in dem Maaße, wie bas Bewußtsein der In­ dier in dichterischer Schöpfung und wissenschaftlicher Be« !) Moor p. 10. 117. Kennedy p. 209. 2) Kennedy p. 317. 329. Poleji Dewi - Mahatinyan c. 8. v. 12. Theater der Hindu s aus dem Englischen. Weimar. 1828. Th. i. E- 97.

Religion-form der Heroenjeit. Trimurti.

101

trachtung reicher sich entfaltete, eine reichere Bedeutung in Beziehung auf die wesentliche Kraft des Vernunftlebens ge­ wonnen. Schöpfer wird Brahma genannt, und als die schaffende Kraft bezeichnet, weil er als göttliche Vernunft, hervorgetreten in der Urschöpfung, die Urformen der Dinge in sich trägt. Die Bildung und Schöpfung durch Brahma bezieht sich überall mehr nur auf ein Ordnen und Form­ geben in geistigvernünftigrm Sinne, als auf lebendig im Fleische werkthätige Zeugung. Prahm« gilt als der von dem das Gesetz der Indier, ihre Künste, Wissenschaften, auch der Ackerbau, als die Wurzel alles vernünftig geordneten Lebens herstammen. Seinem Wesen wirb alles bas geeig­ net, durch dessen Entwicklung der Indier dem Zustande bey Rohheit entzogen worden ist.') Er ist zugleich die bele­ bende Kraft alles Geister, die mit ihm erwachen ober in Schlaf versinken, mit ihm ins Leben gerufen werden, oder dem Tobe anheim falle«. Seine Sacti^ die aus ihm hervorgegangene, als weib­ liche Hälfte ihm zur Seite stehende Göttin Saraswati ist Göttin der Weisheit, Wissenschaft, Geschichte, Sprache, der Berebtsamkeit, des Wohllauts und Ebenmaaßes.?) Er wird mit vier Köpfen dargestrllt, durch die die vier Weltgegenben ober die vier Bücher der Weba's bezeichnet werden solle». Die ihm geeignete und seinen Bildern häu­ fig gegebene Farbe ist die rothe. Vier Arme werden seinen Bildern gegeben, und in der einen Hand trägt er das hei­ lige Gesetzbuch, in der zweiten den Rosenkranz zum Zeichen der Versenkung in innere Beschauung, in der.dritten das Gefäß mit dem Wasser zur Sühnung und Reinigung, und in der vierten den Löffel zum Besprengen. Unter den Vö­ geln sind ihm der Schwan und die Gans geweiht.'') Diese t) Sonnerat voyage aux Indes oricnl. ton). 1. p.272. Moor p.5— Kennedy, ch. 10 ’) Moor p. 125. 126. Kennedy p. 317. 3) Paullin. Syslema brahinan, lab. 8. Moor p. 6. 11. Dow Dissert. on the Hind. in Uie hislor. of Mindest. London. 1812. p. 3§.

Indische Religion.

102

Vögel gehören auch der Saraswati an, die wie Brahma ge­

wöhnlich mit vier Armen und Händen, mit denen sie eine

Lyra, eine Papierrolle, einen Lotusstengel und ein Wasserge­ fäß hält, bargestellt wird. *) Die Brahmanen, denen vorzugsweise die Beschäftigung

mit den Wissenschaften

obliegt,

richten

stille Gebete

an

Brahma, besonders an jedem Morgen bei dem Aufgange der Sonne.

Dabei schöpfen sie bei Tagesanbruch mit der

hohlen Hand Wasser, und gießen es zu verschiedenen Ma­

len vqr sich, hinter sich und um sich herum aus, wobei sie im­ mer den Brahma qurufen.

Sind/sie damit zu Ende, so thun

sie auch dasselbe der Sonne zu Ehren,

sie sich.*2)!

und alsdann baden

Inwiefern die Brahmanen ihre Abstammung aus

dem edleren Theile Brahma's ableiten, setzen sie sich selbst

in eine nähere Verwandschaft zu ihm.

Sie

wollen

aus

hem Munde Brahma's entsprungen sein, während die Kschatriya's aus seinen Armen, die Waisya's aus den Schenkeln

pnd die Subrq's aus den Füßen entsprungen wären.3) ’ji" Brahma's ungeschaffene schaffende Macht setzt sich fort in der Entwicklung des Lebens, und eben in dieser Entwicklung

beruht die Erhaltung.

Dies ist der Gedanke,

aus dem sich die

Vorstellung des Gottes Wischnus entwickelt hat.

In den

Weda's wird Wischnus der Gott weiten Schrittes genannt, und von Manu wird er gepriesen als der, dessen Macht walte

jn der fortschreitenden Bewegung.4)

An diese Vorstellun­

gen mag sich die Vorstellung, wonach in der Sage von der

Einkörpexung des Wischnus als Zwerg demselben drei werte Schritte, mit denen er die drei Welten durchschritten habe,

beigelegt werden, ursprünglich angeschlossen haben?)

') Moor p. 7. 10. 59. 177. 128. 2) Kleuker Brahmanisches Rcligionsfpstem. S. 48. 49.

3) Man. 1. 31. 4) Asiat, res. v. 8 p. 456. Ulan. XII, 121. ?) Asiat, res. y. 8, p. 189. Kennedy p. 434.

Religionsform der Heroenjeir. Trimutti.

103

Das, dem Wischnus ursprünglich geeignete Wesen ist also das der Bewegung, fcrtschreitender Entwicklung. Auf eine im Naturlebcn waltende und zeugende Urkraft zurückge­ führt, fallt bas Wesen des Wischnus mit dem Wesen der Luft, der ersten Bewegung im Raume zusammen. Das Luft­ reich der Mitte war aber zugleich auch in der, durch Brahma bewerkstelligten Schöpfung bestimmt worden zur Statte der Sammlung der Gewässer. Co entwickelte sich aus diesem Verhältnisse, welches den Gewässern zum Reiche der beweg­ lichen und bewegten Luft zukommt, eine nähere Beziehungdes Gottes Wischnus zu den Gewässern. Narajana ward er genannt, der bildende Geist in den Gewässern.2) Das Luftreich der Mitte, in welchem, indischer Vorstel­ lung nach, überhaupt die Bewegung des Lebens waltet, warb auch geachtet als die Heimath der kampfbewegten menschli­ chen Seele. Dem zufolge bildete fich die Vorstellung auH welcher gemäß der, die Bewegung, die fyrtschreitende Ent­ wicklung anregende Gott Wischnus zu der im Kampfe der Menschengeschichte waltenden Gottheit erhöht ward. Die sittliche Bedeutung, die durch sein geschichliches Wirken Wisch­ nus gewonnen hat, in dem der Gott in seinen Awataren, als Rama und Krischnas, zu den Menschen Hinabstieg, den­ selben bas Heil zu verleihen, ist es, worin fich sein göttliches Wesen bei weitem am herrlichsten verklärt. Im Leben bey Natur und des Weltalls, im Gegensatze gegen die urgestaltige schaffende Macht Brahma's, als die lebendig fich bewe­ gende, entwickelnde, und somit, da das Bestehen der Welt eine stets fich wiederholende neue Schöpfung, und die Erhaltung also Entwicklung und Bewegung ist, als die erhaltende Macht verehrt, verklärte fich das göttliche Wesen des Wischnus für die Menschengeschichte zur sittlich erhaltenden Macht. Die Schlange Sescha, oder Ananta, die dem Wischnus beigegeben worden ist, und auf der ruhend er häufig darge­ stellt wird, wird als Sinnbild des ewig in sich selbst wieder *) Moor p. 16. 8|.

Indische Religion.

104

zurückkehrenden/ und von Neuem wieder sich erzeugenden Kreis­ laufes des Lebens, der Dinge und Zeiten gedeutet. ’) Doch

wird sonst auch Seschnaga/ der Schlangenkönig/ als Herr der Unterwelt bezeichnet *2), und in

merkwürdiger Bedeut­

samkeit tritt der Schlangenkönig Karkotaka, im Verhältnisse zu Nala auf. Nala war von dem Schlangenkönige in Knechts­

gestalt verwandelt worden/ in welcher er, dem Könige Rituparna von Ajodhya, als dessen Wagenführer/ dienend/ die

Kunst des Würfelspiels erlernen sollte/ um dadurch sein ver­

lornes Reich wieder zu gewinnen.

Als ihm diese Kunst mit­

getheilt worden way verließ den Nala Kalis nebst dem Gifte

des Schlangenkönigs.3)

Nala ward nunmehr erhöht zu der

Würde eines Erlösers der Menschen von der Furcht vor dem Die Schlange tritt hier in der Sage

Uebel der Zeitlichkeit.4)

von Nala in einer näheren Beziehung zur Vorstellung von der Ueberwindung vom Weltübel auf/ und in dieser Bezie­

hung möchte auch der Schlange des Wischnus Sescha, eine Deutung zu geben sein. Als Krifchnas überwand Wischnus

die Schlange Kalijü/ die in dem Flusse sich angesiedelt hatte und deren Gift so verderblich war, daß jeder Windhauch,

der

sie

berührt

hatte,

oder über

ihr

Nest

ren war, tödtlich alles ergriff, worauf er traf.5)

dahingefah­

Sescha ist

überhaupt König im unterirdischen Reiche der Schlangen, und

inwiefern er im Gefolge des Wischnus erscheint, indem Wisch­ nus auf ihm sein Ruhebette gefunden hat, kann dadurch keine andere Vorstellung angedeutet werden, als die, daß Wisch­

nus ihn und in ihm die Macht des Bösen überwunden habe.

Die Klarheit seiner Lotusaugen wird Wiichnus gepriesen.



dem Gotte

Vier Hände giebt die Kunst seinem

Bilde, und er führt in denselben eine Muschel, zum Zeichen

>) 2) •7) 4) 5)

Moor p. 27. 29. Moor p. 261. Mal. L. 20. y. 30. NaL L. 20. v. 36. Kennedy p. 440. Sonnerat voyages aux lud. Orient, tom. 1. p. 289. Moor p. 199.

ReligivnSfvrm der Heroenzeit. Trimurti.

105

der Zeugung aus den Gewässern, eine Keule zum Zeichen seiner Heldenkämpfe, ein feuerspeiendes Rad zum Zeichen seiner Herrschaft über die dahin rollenden Zeiten, und eine Schelle, die zur Buße ruft. Die ihm ertheilte dreifache Krone deutet an, wie er im Himmel, auf Erden und in der beweglichen Welt der Lüfte walke. Der Habicht Garuda dient ihm als Roß. Zuweilen erscheint fein Bild mit fünf Köpfen geziert, zur Andeutung seiner geistigen Macht. Den verschie­ denen Formen feiner Einkörperungen nach wird er auf verschiedene Weife im Bilde dargestellt, so wie auch durch verschiedene, besondere, auf diese verschiedenen Einkörperungen sich beziehende Feste verehrt.') Als weibliche Hälfte steht ihm feine Sacti, die Lakschmi, zur Seite, die als Rembha aus den Gewässern hervorge­ gangene Göttin der Liebe.*2)* Sie ist die Göttin der Behag­ lichkeit des Daseins, und verleiht in solchem Sinne Reich­ thum und Wohlsein. Sie steht der Ehe vor und giebt Fruchtbarkeit, wird überhaupt als die Göttin der Schönheit, wie alles Gedeihens verehrt. Ihr ist der, seiner Fruchtbarkeit wegen berühmte Mangobaum, wie auch die Kuh geweiht. Als die Beherrscherin der Lotusblume, in deren Blüthenkrone der Blick des Indiers das Bild der Welt und de­ ren Zeugung abgespiegelt zu erkennen glaubt, wird sie ge­ priesen. In feinen verschiedenen Einkörperungen begleitet sie den Wischnus, auch menschlich eingekörpert, als stete Ge­ nossin?) Als Ruckmeny soll sie dem Krischnas den Kamadewa, der mit feinen fünfBogen über die Liebesangelegenheiten wacht, geboren haben.4) Doch wird Kamadewa auch ein Sohn der großen Mutter genannt, oder Sohn der Bhawanp.

*) Moor p. 24. Colemann p. 11. Sonnerat tom. 1. p. 297. Paulin p. 82. 83. 2) Moor p. 132. 13) Moor p. 132 —144. Paulin, p. 93. Sonne rat toin. 1. p. 273. 4) Moor p. 217.

Indische Religion.

106

Unter dem Namen Maha Maja kann sowohl die Lakschmi als die Bhawany verstanden werden. •)

Milde, wie die Mondscheinnacht, und wie die Gewässer

des Himmels,

die im kühlen Regen sich ergießen, waltet

der göttliche Geist in jenem ganzen Kreise des Lebens, der, der Vorstellung der Indier nach, dem Wesen des Wischnus

eignet.

Der Entwicklung im Werden entspricht aber zugleich

auch das Vergehen der einzelnen, geschaffenen, gewordenen

Dinge.

Die Indier glauben, daß die Zeugung nur ein Vor­

hergehen der Zerstörung, und die Zerstörung ein Vorhergehen der Zeugung sei.*2)

In der Kraft des göttlichen Verlangens

entfaltete sich in der Urschöpfung das Leben; aber auch aus

der Kraft des Verlang- .s kam die Verzehrung, und von daher Zerstörung und der Tod in die Welt.

und der Feuergott nahmen ihren Sitz Makrokosmus die Erde entspricht.

Die Verzehrung

am Nabel, dem im

Feuer, in dessen verzeh­

render, alles zu Asche verwandelnder Kraft ist es, was dem

Wesen des Siwas entspricht. 3)4 An die Vorstellung des, im Siwas verehrten, alles verzehrenden Feuers schließt sich

die Vorstellung von der alles verzehrenden Zeitlichkeit an, die im Sinn der Indier nur an das Leben der unter dem

Monde befindlichen Welt der Erde geknüpft gedacht werden kann.

Der Feuergott Siwas, dem auch der Name Kala,

verzehrende Zeit beigelegt wird,3) ist der Gott, der zerstö­ rend wirkt im irdisch Vergänglichen.

Alle Götter und Gei­

ster, und auch selbst Brahma unterliegen, indischer Vorstel­

lung nach,

allerdings zwar dem Tode und der Macht der

Zeitlichkeit.

Im engern Sinne ist jedoch nicht zu läugncn,

daß der eigentliche Kreis des der Macht des Todes und der

Sterblichkeit unterworfenen Daseins in der indischen Vor­ stellung vorzugsweise nur an den Kreis des Erdenlebens ge­

knüpft gedacht worden sein kann. Moor p. 447. Paullin. p. 183. 2) Kennedy p. 284. 3) Moor p, 35. 45. 54. 4) Moor p. 2. 6. 44. 150. 155 Kennedy, p. 447.

Religivnsform der Heroenreit- Trimurti.

107

Siwas, -er Zerstörer, heißt wohl der große Gott, Ma* hadewa, aber auch Bhubischa, Herr der gewaltigen Geister, der Ungrthüme und der Gespenster.') Er ist brr große Herr, der furchtbare, und als Rubra erregt er bas Weinen?) Unwiderstehlich im Streit, schreckenerregenben Auges, siegt er im Tobe. Doch, wie aus dem Tode neues Leben wieder aufblüht, aus brr Zerstörung neue Schöpfungen hervorgehen, so wird auch Siwas verehrt als der Gott der leben­ digen Zeugung?) In Beziehung auf diese Vorstellung ist ihm, wahrscheinlich erst seit jüngeren Zeiten der Lingam ge­ weiht, in dessen Bilde er verehrt wirb?) Der Stier ist dem Siwas geweiht, und den befruchtenben Gangesstrom, dessen Bild er an seiner Stirn trägt, läßt die Sage aus seinem Haupte sich ergießen. Auch der Mond in seiner Befruchtungsfülle gehört ihm an, und auch dessen Bild trägt er an der Stirn?) In seinen Händen führt er den Drei­ zack und die Lanze; ein Halsband von Schädeln schlingt sich um seinen Nacken; in Tigerhaut gehüllt, fletscht er sein gewaltiges Gebiß.6) Die, als seine Sacti, ihm zur Seite stehende weibliche Hälfte, die Parwati, auch Bhawany genannt, wird verehrt als die große Naturmutter, und der, derselben beigelegte Name Prakriti btjkichnet ben Kreis ihrer Herrschaft als den der Fleischlichkeit?) Sie steht der Zeugung des Lebens vor, und in solchem Sinne sind ihr auch, wie dem Siwas, der LotoS und der Ganges geweiht, und der befruchtende Mond, dessen Bild sie an ihrer Stirn trägt. Sie heißt die Mut­ ter, die Gute, die große Frau, die Gebieterin, wirksame Kraft, Dasein gebende Zeugerin, gebietende Schöpferin her !) Paullin. p. 86. 87.

Kennedy p. 445.

2) Moor p. 36.

3) 4) 5) 6) 7)

Moor p. 316. Kennedy p. 300—316. Paullin. p. 86. 87. Kennedy p. 448. Moor p. 36. 151. 155.

Moor p. 384. 399.

Indische Religion.

108

Freuden und des Gedeihens.

Doch als die Gemahlin des

Siwas theilt fie zugleich sein ganzes Wesen mit ihm, und

also auch das desVerderbens. Als Rächerin wird sie gefürchtet

als die heilige, schwarze, finstere Schöpferin der Thränen,

und als solche in vielen Tempeln durch Schrecken erregende Bildnisse dargestellt, mit aufgerissenen Augen, wildem Blicke,

schwarzem Angesichte, gewaltigem Gebisse, von Schlangen

umwunden, mit acht oder sechszehn Armen, bewaffnet mit Schwerdt, Dreizack und Blutgefäß, sitzend auf einem Höl­ lenpferbe.

So abgebilöet heißt sie Kali, zerstörende Zeitlich­

keit, auch bei dem Volke Ama Durga, Rudraai, und ist aus dem großen Feueraugc des Siwas, welches als rin drittes

Auge dieses Gottes, ihm auf der Stirn leuchtet, entfprun-

gen; sie züchtigt mit Blattern, Krankheiten und Besessenheit bis zum Tode, da alsdann die weitere Strafe dem Siwas überlassen bleibt.

Es gab

früher eine Zeit,

die jedoch

schwerlich in ein hohes Alterthum zurück zu versetzen sein dürfte, in welcher fie auch Menschenopfer forderte.') freundliche Göttin dagegen,

Als

als welche sie besonders auch

als Schutzherrin für die Werke der Liebe verehrt wird,

ist

die Bhawany entsprungen aus dem Haupte des Siwas,

welches den himmlischen Ganges ausfiießen und aus dessen zersteutem Saamen Sterne, Bäume, Blumen und die ganze Natur hervorgehen läßt.

Bhawany selbst wird auch als

himmlischer Ganges vorgestellt,

womit Siwas sich sehr

lange begattet haben foO.*2)

Außer daß Siwas und Parwati, nach den verschiedenen Richtungen ihrer Wirksamkeit, sich vielfach auseinander spal­ ten, und ihrer demzufolge unter mannichfaltigen Namen

und Gestalten gedacht wird, stehen ihnen auch,

als von

ihnen erzeugte Kinder, mehrere Götter geringeren Ranges •) Theater der Hindu's. Aus dem Engl. Weimar. 1831. Th. 2. 19. 93. Miscellan. translat. from Orient, languag. London. 1831. vol. 1. p. 50. 2) Moor p. 147—168. Paullin. p. 98—105. Kennedy p. 329—343. Sonnerat tom. 1. p. 302.

Religionsform der Hervenjeit. Ganesas. Kartikeya.

109

zur Seite, von denen jedoch hauptsächlich nur zwei in Be­ tracht kommen: Ganesas nämlich und Kartikeya. Ganesas gilt als der erstgeborne Sohn des Siwas und der Parwati. Ihm steht die Schutzherrlichkeit über das Fami­ lien- und Hauswesen zu, durch dessen Gründung und Erhal­ tung dem Menschen die Heimath auf Erden gesichert wird. Die Indier erbauen kein Haus, ohne den Boden, auf wel­ chem es errichtet wird, zuvor zu weihen durch die Aufstel­ lung eines Bildes dieses, im südlichen Theile von Indien auch Pollear genannten Gottes. Sie bestreichen dies Bildniß mit Oel, und bekränzen dasselbe täglich mit Blumen. Pollear wird auch verehrt als Gott der Ehe, wie des Ge­ lingens oder Mißlingens aller Geschäfte des Lebens, und als Gott der Lebensweisheit. Man. beginnt nichts, ohne ihm vorher zu huldigen, und beschreibt kein Blatt, ohne das Zeichen eines Elephantenrüssels, welches ihn und seine Klugheit anbeutet, voran zu setzen. Man glaubt, daß die­ ser Gott es sei, der die Erinnerung an gehegte Absichten erregt, und fürchtet, er könne sie hinwegnehmen, und so bas angefangene Werk zwecklos werden lassen. Er führt den Namen, großer Herr, Beherrscher der Zahlen lrnd aller Hindernisse, weil mit ihm jegliches friedliche Geschäft auf Erden begonnen, und durch ihn entweder ausgeführt oder gehemmt wird. Er heißt, weil er als Führer durch bas Leben auf Erden geachtet wird, auch schlechthin der Lehrer. Ehelos wird er als keusch, heilig und unbefleckt gepriesen. Mit einem Elephantenkopfe, dem Zeichen der Klugheit, rei­ tet er auf einem Riesen, ober einer Ratze, in die sich der von ihm bekämpfte Riese verwandelt hatte.') Die Ratze mag hier als Feindin deö Hauswesens unb des Heerdes gedacht werben. Dem Ganesas, als dem Vorsteher der friedlichen Ge­ schäfte des Lebens auf Erden, steht sein göttlicher Bruder 9 Sonnerat tom. 1. p. 312. Kennedy p. 352 — 356. Moor p. 169—174. Paullin. p- 170.

HO

Indische Religion.

Kartikeya gegenüber,

als Vorstand des kampfbewegten Le­

bens. Kartikeya wird ein Sohn Agni's, des Feuergottes und der Ganga, der Tochter des Himawat genannt; häufi­

ger jedoch ein Sohn des Siwas.')

Er wird geachtet als

der Feldherr der Heerschaaren der Götter.3 1)*

Als solcher

gilt er als der mächtige Kriegesgott, dessen Hain kein Weib betreten bars;3) auch jedoch als Vorstand und Eröffnet des

Kampfes alles bewegten Lebens. herrscht er

nicht

In diesem letztem Sinne

nur in dem bewegten Wechsellaufe der

Jahreszeiten, sondern er gilt auch als der Eröffnet des Jah­

res und als der über den Anfang des Jahres waltende

Gott.

Ihm ist stets das Sternbild geweiht worden,

an

welches man bei dem Eintritte der Sonne in dasselbe den

Anfang des Jahres knüpfte.

Als der Anfang des Jahres

an den Eintritt der Sonne in das Sternbild Aswini ge­

knüpft worden war, wurde auch der, dem Kartikeya beige­

legte Name Kumaras auf Einen der Zwillingsbrüder As­ wini, die als himmlische Aerzte verehrt werden, übertragen, oder es ist der, dem Einen der^Aswini zukommende, Name Kumaras auf Kartikeya übertragen worden.")

In der Be­

ziehung, ttt welche er zu den sechs Zeiten des indischen Jah­ res gesetzt ist, wird er im Bil.de mit sechs Häuptern dar­

gestellt. Wie mit der Ausbildung der bildenden Künste die Vor­ stellungen von den Göttern oberen Ranges und deren Fa­ milie Umgestaltungen erlitten,

so mußte dies gleichfalls in

Rücksicht auf die Vorstellungen von den Göttern niederen Ranges geschehen.

Dichterisch reicher und sinnlich gediege­

ner ward die Vorstellung von Swarga oder Jndra'S Him­

mel,

der Wohnung der guten Geister ausgebildet.3)

1) 2) 3) *) s)

Moor p. Sb 152. 175. 176. Moor p. 152. asiat. res. vol. 8. p. 367. Theater der Hindu's Th. 1. S- 347. Moor p. 53. 87. 119. 176. Ardschuna'j Reise zu Indras Himmel. Megadhnta p. 75,

Es

Religivnsform der Heroenzeit. Die Götterwelt der Dreizehn, m

wird indeß auch der Welt oder der Wohnung der Dreizehn,

alS der Götterwelt ober des Himmels häufig gedacht;') doch

findet man nicht namentlich die Götter aufgeführt, die zu den Dreizehn gezählt werben.

Obschon in späteren Purana's der Waischnawas Wisch­ nus als der Trefflichste der Dreizehn gepriesen wird,")

so

must dennoch unbedingt behauptet werben, baß es durchaus

unmöglich sei,

daß der ächten und reinen Anficht nach die

drei oberen Gottheiten des Trimurti zu den Dreizehn gezählt werden können.

Die Götter des Trimurti stehen in einem

zu scharf ausgebildeten Gegensatze zu den Göttern niederen

Ranges, als baß sie mit diesen in eine und dieselbe Götter­ ordnung hätten gestellt werden können.

Jene sind die im

Leben waltenden ersten und höchsten Mächte, die, in ihrer

allgemeinen,

schöpferischen Wesenskraft, dem Leben über­

haupt und allen Dasrinsformen den inneren Halt ihres Be­ stehens darbieten; die Götter niedern Ranges walten dage­

gen in den vereinzelten, äußeren Kreisen der sichtbaren Welt. Eben dadurch in ihrem Wesen verschieden von den Göttern

des Trimurti, bilden sie einen besonderen, in sich abgeschlos­ senen Kreis, zu dem keiner der oberen Götter gezählt wer­

den darf.

Nur aber auf diesen Kreis ist die Bezeichnung

der Welt der Dreizehn zu beziehen. Als Beherrscher dieses Kreises tritt Indra auf,

Fürst aller guten Geister.

der

Er heißt der in den Wolken

herrschende, auf Wolken fahrende, Wärme und Hitze mäßi­

gende, Regen bestimmende, der männliche Held, tausendäu­ gig,

Blitz und Wagen führende,

Schaaren der Geister,

zerinnen.

begleitet von dienenden

himmlischen Sängerinnen und Tän­

Seiner ihm weiblich zur Seite stehenden Sacti,

ist der Name Jnbrani beigelegt.

des Swarga ist sein Reich;

Die Drei-Himmel-Welt

er thront auf dem Gipfel des

') Schlegels indische Bibliothek. Th. I. S. 87. Poleji Dewi-Malialniyan. c. 5. v. 4. 2) Bopp Simdfiut. Einleitung. S. 24.

Indische Religion.

112 Berges Meru.

Der Osten der Welt, von woher die Sonne

ihren Wandel um den Berg Meru herum antritt/

ist ihm

jedoch vorzugsweise zur Herrschaft angewiesen.1)2 3 4 5 6 7

Dem Südosten dagegen

steht unter Jndra's Obhut

Agni, der Gott des Feuers, als Beherrscher vor; dem Sü­

den der Todtenrichter und König der Unterwelt Jama, der zugleich als der Gott der Gerechtigkeit, als Dharma Radscha

gilt,

ihrer Verdienstlichkeit

der die Thaten der Geschöpfe,

nach, abwägt und darüber wacht, daß den Seelen der ver­ storbenen Vorfahren die ihnen gebührende Ehre gehörig er­

wiesen werde?)

Im Südwesten waltet Nairrita, der zur

Bändigung der Rackschasas denselben zum göttlichen Herr­

scher^ bestellt ward, nachdem er zuvor als menschlicher König Pingakscha die Räuber der Windhya-Gebirge überwunden hatte?)

wässer;

Den Westen beherrscht Daruna, der Gott der Ge­ den Nordwesten Vaju,

Gott des Windes; Kuwera,

Marut oder Pavana,

dec

den Norden der Gott des Reichthums

der Fürst der Jakschas.

Im Nordosten waltet

Isa oder Jsania, der für eine Form des Siwas gilt?) Es finden sich allerdings zwar in den indischen Sagen

mehrfach verschiedene Angaben über die acht Hüter der ver­

schiedenen Weltgegenden;") auch die bei Manu") gefundene stimmt mit der eben angegebenen nicht überein.

Diefe letz­

tere ist jedoch die am meisten systematisch geordnete und des­

halb muß man sich an dieselbe halten.

Mehrfach wird nur

vier Beschützer der Weltgegenden gedacht?)

Es ist indeß

diese Angabe nur zu beziehen auf eine Unterscheidung zwischen

>) 2) 3) 4)

Moor p. 259. 261. 271. 305. Moor p. 00. 119. 135. 187. 261. 271. 302. 303. Kennedy p. 418. 450t Moor p. 268. 271. Sonnerat L. 2. sect. 2. Moor p. 9.118. 119. 15L 271. 273. 275; Rhaguvansa c. 4. v. 66. Sonnerat a. a. O. Abraham Roger offene Thür zu dem verborge­ nen Heidenthum. Th. 2. Kap. 1. 5) Moor p. 259 — 276. 6) Man. V. 96. IX. 303. 7) Rhaguvansa c. 17. v. 78; 81. Megadhuta p. 87. Moor p< 118.119.

Religionssorm der Heroenzeit- Die Göttemelt der Dreizehn.

113

den vier Hauptweltgegenden und den vier anderen, die zwi«

schen denselben gelagert sind.

Weiblicher Schutzgottheiten

der acht Weltgegenden wird auch gedacht.

Dieselben find

indeß, obgleich die göttlichen Welthüter ihrer Sacti's nicht entbehren/

dessen ungeachtet nicht diese Sactis.

Es find

vielmehr größtentheils Formen der Sacti's der Gottheiten

des Trimurti.')

Hieraus erhellt, daß die Verehrung weib­

licher Gottheiten als Beherrscherinnen der Weltgegenben aus

dem einseitigen Dienste der Mütter herstamme,

und somit

der Sekte, von der die Sacti's verehrt werben, angehöre. Jene acht genannten Götter der Weltgegenden find es,

deren als solcher am häufigsten in den indischen Sagen ge­ dacht totr6;1 2')* 4auch ist dieser Anordnung nach die Vorstel­

lung am leichtesten mit anderen indischen Anfichten in Ueber­

einstimmung zu bringen.

Diese acht Welthüter müssen näm­

lich ohne Zweifel zu der Welt der Dreizehn gezählt werden, und so entsteht die Frage nach den übrigen. aber keine anderen sein,

Diese können

als die nur in der Fünfzahl von

den Indiern ursprünglich') verehrten größeren und kleineren beweglichen Himmelskörper:

Sukra und Bubha.

Surya, Soma, Vrihaspaüs,

Diese fünf erschienen dem Blick der

alten Indier als Vorbilder der Buße, und namentlich ward

Vrihaspatis als Guru oder geistlicher Führer der Suren, Sukra aber als Guru der Asure» verehrt.*)

Die Wandel­

sterne werden vielfach in Bildern dargestellt, nach einer An­ ordnung jedoch, auf die schon astrologische Ansichten, die ur­

sprünglich chalbäisch sind, eingewirkt haben.

Auch den acht

göttlichen Beheirschern der Weltgegenden werben Bilder in den Tempeln des Siwas ober des Wischnus errichtet.')

1) Moor p. 271. 3) Kennedy p. 361. 363. 421.

Moor p. 261. Sonnerat a. a. D.

Abraham Rager a. a. O3) Stuhr Untersuchungen über die Sternkunde der Chinesen und

Indier. S. 96. 97.

4) Moor p. 187. 267. 282. Kennedy p. 244. . £)O.

Buddhaische Religion.

189

ausbildete, mußte für die Laien eine neue Form der kleinen Umwandlung gelehrt werden.') Nach wie verschiedenen Gesichtspunkten auch die Lehre von den verschiedenen Formen der Umwandlungen ausgebil­ det worden ist,-) der Hauptsache nach kommen folgende Ge­ sichtspunkte dabei in Betracht. Für die Laien ist die Form, die von den vier untern Kreisen der Seelenwanderung be­ freit, gelehrt; den Srawaka's dient die einfache Auffassung der Lehre Buddha's und deren Verständniß zum Heil der Befreiung aus dem Umkreise der drei Welten; die Pratyeka's besitzen schon eine tiefere Erkenntniß von der Eigen­ schaft des Leeren, aber weder sie noch die Srawaka's sind schon zu jenem höheren Zustande sittlicher Heiligung gelangt, in welchem nur für das Heil Anderer gewirkt wirb; sie ar­ beiten immer nur noch für sich selbst und für das eigene Heil; den Bodhisatua's dagegen leuchtet der Beruf vor, den athmenden Wesen das Heil zu bringen, und sie den Leiden des Wechsels der Geburt und des Todes zu entheben;") die Buddha's sind die Vollendeten, die nicht wiederkehren, aber deren ein jeder für seine Zeit einem eiacnen Weltalter vor­ steht. Die höheren Zustände der Heiligung gewähren den Bobhi, oder die höchste Weisheit, in welcher alle Gelöstheit aufhört und die Erkenntniß des Nichtseins des Jch's ein­ tritt, das All, mit allen in demselben sich bewegenden We­ sen klar durchschaut, und in der Erhabenheit errungener Vollendung die Macht gewonnen wird, durch Zauberei Alles in Freiheit zu beherrschen.4* )2 3 Hierin besteht die höchste belohnende Frucht der ver­ dienstlichen Werke, und um ihrer gewürdigt zu werden, sind die athmenden Wesen daran gewiesen, nach dem Beispiele *) Sergi Stuhr die chinesische Reichsreligion. S. 95. 101. 2) Foe Koue Ki p. 9—12. 165. Nouv. journ. asiat. tom. 5. p. 134. 3) Foe Kone Ki sl.

der Mannichfaltigkeit zukommt, genannt.

Dies sind Grund­

sätze, in denen die Lehren der meisten Sectcn der Waischnawas übereiiistimmen. Die Schöpfung entstand, heißt es, in dem Verlangen

des Wischnus,

sich zu vermannichfaltigen;

und ohne ein Anderes, aber er sprach: werden;

er war allein,

Ich will Manches

und er trat persönlich ins Fleisch als sichtbare

Raumerfüllung.

Darnach

wurden, wie eine Kugel

von

weichem Thon verschiedene Formen annchmen kann, die grö­ beren Theile der Gottheit offenbar in den Elementen und deren Mischungen.

Die Formen,

in welche das göttliche

Wesen so getheilt ward, werden durchdrungen von der Le-

Indische Reli'gisnssecten.

219

bendigkcit, die in dem Wesen der großen Ursache von Allem beruht, die aber von der geistigen Wesenheit verschieden ist. In Rücksicht auf diese Vorstellung stehen die Ramanudschas mit den Wedantikas in Widerspruch, indem die letzteren den Param Atma und Dschiw Atma, oder die geistige und die Lebensseele wesentlich gleich setzen. Die Ramanudschas da­ gegen machen einen Unterschied zwischen Param Atma und Dschiw Atma, offenbar nach der Vorstellung, wie sie dem anderswo häufig vorkommenden Begriffe des Gegensatzes von Puruscha und Jswara zu Grunde liegt. Die Lebendig­ keit, obgleich sich ausbreitend ohne Grenzen, ist unvergäng­ lich und ewig; sie ist die Fülle des Weltalls, und beruhend in der Wesenheit des höchsten Wesens, ist sie wie dieses ohne Anfang und Ende. Puruschottama oder Narajana be­ hält, nachdem er, durch die Weckthätigkeit solcher unter­ geordneten Wesen, die er für diesen Zweck ins Dasein ruft, Menschen und belebte Wesen geschaffen hat, immer noch die höchste Herrschaft im Weltall. So beruht der Bestand des Weltalls in der, das Wesen der Gottheit umfassenden, drei­ fachen Wesenheit von Chit oder Geist, Achit oder Fleisch und Jswara oder Gott: von dem Genießer, dem Gegen­ stände des Genußes und dem Herrscher oder dem Beobach­ ter von Beiden. Außer dieser ersten und zweiten Form, als Schöpfer und Schöpfung, hat die Gottheit zu verschie­ denen Zeiten besondere Formen zum Heil der belebten Ge­ schöpfe angenommen, und ist lebendig erschienen in den Ge­ genständen der religiösen Verehrung, als in den Bildern und heiligen Geräthschaften des Götterdienstes, wie auch in den Awataren, in den sittlichen Zuständen der Seele und in den behaglichen des Körpers, sowie in der Persönlichkeit der menschlichen Seele. Der Verschiedenheit dieser Haupt­ formen nach, deren fünfe gezählt werden, sind die Stufen der Heiligung durch Buße geordnet.') Aus der Secte der Ramanudschas hat sich eine eigene, ') Asiat, res. vol. 16. p. 27 — 36.

Indische Religionssecten.

220

von Ramanand gestiftete Schule hervorgebildet/ in welcher

vorzugsweise dem Rama und den ihm zur Seite stehenden

Gestalten, der Sita,

dem Lakschmana und dem Hanuman

Verehrung gezollt wird.

Es scheint,

daß Ramanand zu

Ende des 14ten oder zu Anfänge des I5ten Jahrhunderts gelebt habe.

Sein Sitz war zu Benares.

Hier sammelte

er viele Schüler um stch und erwarb sich großen Ruhm.

Mehrere später entstandene Secten werden,

obgleich

ihre

Lehren sehr von der seinigen abweichen, dennoch, der allge» meinen Ueberlieferung nach,

von Schülern von ihm ab­

geleitet. Der Hauptcharakter seiner Lehre besteht in Milderung

der Strenge der Regel des geistlichen Lebens. So auch hob er für die Gemeinde der Schüler, melte,

das

Gesetz

die er um sich versam­

des Kastenwesens

auf,

und

mit den

Grundsätzen, wonach dies geschah, hangt offenbar die dem

Hanuman von ihm und seinen Schülern gezollte Verehrung zusammen.

Die Ramanandis sind in de» Ländern am Gan­

ges und Dschumna sehr zahlreich,

gehören jedoch größten-

theils zu den ärmeren und niederen Ständen;

unter den

höheren Ständen sind es nur die Radschaputen und die, dem Kriegsdienste

sich widmenden Brahmanen,

die den

Kriegshelden Rama zum besonderen Gegenstände ihrer Ver­ ehrung sich erwählen.')

Der berühmteste Schüler des Ramanand ist Kabir, der

auf den Zustand des Volksglaubens den größten Einfluß

gehabt hat.

Mit einer bis dahin unerhörten Kühnheit griff

er das ganze System des Bilderdienstes an, und machte die

Gelehrsamkeit der Pandits und die Lehre der Sastras in einer den Geist des Volks sehr ansprechenden Weise lächer­

lich; zugleich auch richtete er dabei seine beißenden Angriffe gegen den Koran und die muhamedanische Geistlichkeit.

Die Kabir Panthis, oder die Anhänger Kabir's, halten sich zwar zu den Secten der Waischnawas und besonders

*) Asiat, res. vol. 16. p. 37. 42. 44. 52.

Indische Relkgionssecten.

221

zu der der Ramawats; es gehört jedoch weder die Vereh­ rung irgend einer indischen Gottheit, noch die Ausübung irgend eines religiösen Gebrauchs, wie er in den Weda's oder Tantra's vorgeschrieben sein mag, zu ihrem Glauben. Diejenigen unter ihnen, die der Welt noch nicht entsagt haben, beobachten äußerlich alle Gebräuche ihres Stammes und ihrer Kaste, und geben, obgleich dies nicht eigentlich gestattet ist, zum Theil auch vor, daß sie den anerkannten Gottheiten Verehrung zollten. Diejenigen aber, die sich aus der Welt zurückgezogen haben, enthalten sich aller sonst ge­ wöhnlichen Gebrauche, und richten, in Abstngung von Hym­ nen, ihre Gebete ausschließlich an den unsichtbaren Kabir; sie haben keine bestimmten Gebets- oder Begrüßungsformeln, noch unterscheiden sie sich durch eine besondere Art der Be­ kleidung. Alle Aeußerlichkeit halten sie für durchaus gleich­ gültig, und richten ihre Aufmerksamkeit nur auf den inne­ ren Menschen. Doch so sehr sie sich auch von allen For­ men des brahmanischen Religionsdienstes losgesagt haben, ihre Vorstellungsweise wurzelt immer noch in dem alten Boden, von dem sie in ihrem Bewußtsein sich nicht mit völliger Freiheit des Geistes haben losreißen können. Ihre Schriften, in denen der indischen Gottheiten häufig gedacht wird, sind sehr dunkel. Der Hauptinhalt ihrer Lehre besteht in Folgendem: Es giebt nur einen Gott, den Schöpfer der Welt, der aber nicht wie die Wedantikas lehren, gestaltlos, sondern mit einer, aus der Mischung der fünf Elemente bestehenden Gestalt, und außerdem mit Empfindungsvermögen und Bewußtsein, so wie mit den drei Guna's begabt ist. In Folge seiner unbeschreiblichen Reinheit und seiner alles überwindenden Macht ist er frei von den Mängeln der menschlichen Natur und vermag nach Gefallen jede Gestalt anzunehmen; der Hohepriester der Gemeinde ist sein lebendiges Abbild und wird nach dem Tode sein Genosse und seines Gleichen; er ist ewig, ohne Ende und ohne Anfang, so wie es auch die Fülle des elementarischen Seins ist, aus welchem er besteht,

Indische Religionssecten.

222

und aus welchem alle Dinge gebildet find,

die, wie der

Baum im Kern, oder im Saamen Fleisch, Blut und Knochen verhüllt sind,

in seinem Wesen beschlossen ruhten, ehe fie

besondere Formen annahmen.

Es wirb hieraus weiter ge­

folgert, daß alle Geschöpfe ihren Ursprung in einer gemein-

samen Quelle uranfänglicher Wesensfülle hatten. Paramapuruscha, so heißt es, war zweiunbsiebenzig Kal-

pa's allein, bis er das Verlangen fühlte, die Welt zu er­ neuern, und in Folge dieses Verlangens ward die Weibliche

keit offenbar, als Maja, von der alle verkehrten Ansichten

der Menschen herstammen.

Diese Weiblichkeit,

Adi Bha-

wany oder Sakti, umfing Paramapuruscha, der erste Mann,

und zeugte den Trimurti, Brahma, Wischnus und Siwas;

darauf aber verschwand er, und die Mutter nahte sich den eigenen Söhnen, um sie zu verlocken.

Auf die Frage, woher

fie gekommen sei, und wer sie Ware, erwiederte fie, daß sie

die Braut des ersten großen unsichtbaren Wesens sei,

des

gestaltlos im Leeren wohnenden, welches sie, in ihrem Truge,

nach den Vorstellungen, wie sie in dem Wedanta herrschen,

beschrieb.

Sie setzte hinzu, daß ihr jetzt die Freiheit gege­

ben sei, und da sie gleichen Wesens mit ihnen wäre, for­

derte fie ihre Söhne auf, sich mit ihr zu verbinden.

Zwar

zögerten die drei Götter Anfangs, ihr geneigtes Gehör zu

leihen;

in ihrer furchtbaren Gestalt als Ama Durga er­

reichte fie jedoch ihren Willen, und die Folge davon war

die Geburt der Saraswati, der Läkschmi und der Uma, die

den drei Göttern vermählt wurden.

Ama Durga übertrug

darauf diesen Götterpaaren die Herrschaft über das Weltall,

und ließ durch sie die religiösen Irrthümer, die sie von ihr

gelernt hatten, ausbreiten. Auf den Trug und das frevelhafte Beginnen der Maja,

von der alle Irrthümer in Absicht auf den Glauben und Götterdienst herstammen sollen, wird in den Schriften der Kabir Panthi's stets hingedeutet.

Ihr wird die Schuld der

Verbreitung des falschen Götterdienstcs, dessen man sich zu

enthalten habe, aufgebürdet.

Das Wesentliche aller Religion

Indische Religionssecten.

223

wirb in die Erkenntniß Kabir's gesetzt, in eine Erkenntniß,

die,

obgleich der Gegenstand jeder Religion derselbe sei,

dennoch den brahmanischen Göttern und deren Verehrern,

sowohl wie den Muhamedanern fehle.

Das Leben wird in allen Dingen als dasselbe geachtet

und, wenn es frei ist von menschlichen Lastern und Män­

geln, nimmt es nach Gefallen irgend eine unbeseelte Form an;

so lange es seine Quelle und seinen Erzeuger nicht

kennt, ist cs jedoch der Wanderung durch verschiedene For­

men

unterworfen.

Die Vorstellungen

von Himmel und

Hölle gelten als Erfindungen der Maja und als leere Ein­

bildungen;

diesen Vorstellungen wird jedoch in Beziehung

auf Seligkeit oder Qual in dem Leben der Menschen auf

Erden Bedeutung beigelegt.

Da bas Leben als eine Gabe Gottes gilt, so darf cs

auch nicht durch seine Geschöpfe zerstört werden; Milde gilt daher für eine Haupttugend.

Wahrheit schreibt das zweite

Gebot vor, nach welchem alle Uebel in der Welt und die Unwissenheit von Gott aus ursprünglicher Lügenhaftigkeit

herstammen.

Entsagung der Welt gilt als heilbringend, da

Leidenschaften und Begierden, Hoffnung und Furcht, wie sie im weltlichen Treiben die Seele bewegen,

die Ruhe und

Reinheit des Geistes trüben, und an der Betrachtung Got­ tes und des Menschen, wie sie nothwendig ist, um deren Wesen zu begreifen,

stören.

Der letzte große Hauptpunkt

der Lehre besteht in dem Gebote, dem Guru in Wort, That

und Gedanken unbedingten Gehorsam zu leisten.

Dies Ge­

bot stammt aus dem Brahmanenthume und wird in jeder indischen Sccte mit Strenge aufrecht erhalten. In zwölf Unterabtheilungen, deren klösterliche Sitze an

verschiedenen Orten in Indien aufgeschlagen worden find,

hat sich die Secte der Kabir Panthi's verzweigt; dem Kabir Chaura zu Benares wird jedoch, als einem Ober-Guru

Huldigung geleistet.

Nachgebildet haben sich dieser Secte

mehrere andere, deren Anhänger die Ausdrucksweise,

die

Indische Religionssecten.

224

in jener gebräuchlich ist, und Einiges vom Geiste derselben

stch ungeeignet haben.') Wie die Kabir Panthi's von den Ramananbis sich ab­

so ist dies derselbe Fall mit den Khakis,

gezweigt haben,

die sich besonders dadurch von anderen Waischnawas unter­ scheiden, baß sie manche Gebräuche der Saiwas nachahmen,

und namentlich ihre Kleider und

und Asche bestreichen.")

ihren Körper mit Kleie

Es giebt noch andere unbedeuten­

dere Secten, die sich von den Ramananbis getrennt haben,

und die sich durch einzelne Gebrauche und Abzeichen unter­ scheiden, im Uebrigen aber in Rücksicht auf ihre Lehre ent­

weder der gemeinsamen Quelle näher stehen,

oder mehr zu

den Kabir Panthi's sich hinneigen.3) Wenn die Ramananbis zahlreicher unter den niederen

und ärmeren Ständen des Volks sich verbreitet finden,

so

sind dagegen die Rubra Sampradajis oder die Verehrer des Krischnas und der Rabha unter den reicheren und vorneh­

meren

zahlreicher

Ständen

verbreitet.

Beide

Gottheiten

werben entweder zusammen oder jede für stch verehrt. ausgebreitetsten sechszehnten

Am

aber ist gegenwärtig die zu Anfänge des

Jahrhunderts

gestiftete

Secte,

in

welcher

Krischnas als Knabe unter den Hirten in Gokul, unter dem

Namen Bala Gopala verehrt wird. Hauptpurana's der Verehrer

des

Krischnas sind der

Bhagawat und der Brahma Waiwerta Purana.

In diesem

letzteren Werke wird, auf eine, von der gewöhnlichen Ansicht abweichende Weise das Wesen des Krischnas als ein eige­

nes für sich, von dem des Wischnus getrenntes, aufgefaßt:

ihm wird ein eigener Himmel und eine ihm ausschließlich zukommende Umgebung zugeschrieben, und der Ursprung aller Dinge wird von ihm hergeleitet.

Sein Himmel, Goloka genannt, wird weit höher als

die drei Welten,

und

selbst höher als

*) Asiat, res. vol 16. p. 35—57. 71—75. *) a- «. £). p. 76. s) a. a. O. p. 77—85.

die Himmel des

Indische Religionsserten.

225

Wischnus und Silvas, als Waikuntha und Kallas gesetzt.

Goloka, wo Krischnas in Jugendfülle wellt, ist un;e Hörbar,

alles

wahrend

Uebrige

der

Zerstörung

Krischnas ist befreit von der Maja,

preisgegeben

ist.

ober der tauschenden

Erscheinung; er tragt, in der Fülle seines Wesens, alle Lebenskeime in sich, er der Einzige und Ewige, Param Atma,

die große Weltenseele.

Einsam weilend in Goloka, und

nachstnnend über die zerstörten Welten, ließ Krischnas eine,

mit den drei Guna's begabte,

weibliche Gestalt hervor?

gehen, und von daher stammt die erste Bewegung in der

Schöpfung.

Es war die Prakriti oder Maja.

Die Fülle

des Daseins entwickelte fich in ihren fünf Grundformen, Darauf auch gingen die Götter aus Krischnas hervor: Na-

rajana oder Wischnus trat aus seiner rechten Seite heraus, Mahadewa aus der linken, Brahma aus der Hand, Dharma

aus dem Athem, Saraswati aus dem Munde, Lakschmi aus dem Gemüth, Durga aus seinem Verstände und Radha aus seiner linken Seite.

Drei Hundert Millionen Gopi's, oder

Gefährtinnen der Radha, gingen aus den Poren ihrer Haut

hervor,

und eben so viele Gopa's,

Krischnas,

oder Gefährten

aus den Poren seiner Haut.

des

Die ächten Kühe

und Kälber, deren eigentliche Heimath Goloka ist,

denen

aber die Haine von Wrinbawan zur Weide bestimmt wur-

den, entsprangen aus derselben erhabenen Quelle. Außer anderen Satzungen des neuen Glaubens,

den

Wallabha mit der Verehrung des Krischnas als Knaben

oder Kindes predigte, lehrte er auch, ganz im Widersprüche

mit den, von altersher in Indien allgemein herrschenden Ansichten, daß Entsagung keine Heiligkeit verleihe, und daß es die Pflicht der Lehrer und Schüler sei,

ihrer Gottheit

nicht nackt und hungernd, sondern in prachtvollem Kleide

und bei auserwähltem Mahle, nicht in der Einsamkeit und durch Kasteiung, sondern unter geselligen Freuden und Ge­

nüssen Verehrung zu zollen.

Wallabha selbst sagte sich los

von klösterlicher Zucht, der er sich früher geweiht hatte, und

nahm ein Weib, wie er behauptete, auf unmittelbaren Befehl

15

Indische Religionssetten,

226 seines Gottes.

Die Gosains, oder geistlichen Lehrer dieser

Sette, find daher nicht nur gewöhnlich verheitathet, sondern lassen es sich auch bei den reichen Mahlzeiten, wozu sie sich

bei ihren wohlhabenden Anhängern

schmecken.

cinlaben, recht wohl

Dem Krischnas zu Ehren werden an verschiede­

nen Orten in Indien jährlich prächtige Feste angestellt.»)

Eine eigenthümliche Secte der Waischnawas hat sich unter dem Namen der Brahma Sampradajis in Süd-In­

Auch sie fassen Wischnus Narajana als den

dien gebildet.

höchsten Geist auf, als die erste Ursache des Weltalls, durch

Diesem, durch sich selbst be­

welche dasselbe offenbar ward.

stehenden Ur-Wischnus eignen sie alle Vollkommenheiten zu.

Eigenthümlich unterscheiden sie sich in ihrer Lehre von allen

übrigen indischen Secten durch die Unterscheidung, die sie zwischen Dschiw Atma und Param Atma,

und der ersten Seele machen.

der Lebensseele

Die Lebenseele ist eins und

ewig, abhängig von der unabhängigen höchsten Seele, mit ihr untrennbar verbunden,

Hieraus wirb gefolgert,

aber

nicht

dasselbe mit ihr.

daß die Erreichung von Mokscha

oder Nirwana, das Erlöschen der einzelnen Seele und deren

Aufgehen in die große Seele unmöglich sei. Das höchste Wesen, heißt es,

wohnt in Waikuntha,

strahlend im Lichtglanze, und ihm zur Seite ruht Lakschmi, die Gebährerin.

Einfach ist es in seiner Urform, aber wenn

es sich in seinem Schöpfungsverlangen mit der Maja ver­ bindet, so offenbaren sich die drei Guna's, Satwa, Radscha

und Tama,

Schöpfung,

als

Wischnus,

Brahma und

Siwas,

Erhaltung und Zerstörung der Welt.

zur Diese

drei Götter üben ihre schaffende Macht wieder aus mit der­ selben täuschenden Macht,

der sie ihr persönliches Dasein

verdankend)

Aehnliche Ansichten Secten,

herrschen

in

den Lehren anderer

deren Anhänger dem Dienste des Krischnas und

•) Asiat, res. vol. 16. p. 85 — 98. 2) «. fl. O- p. 100-108.

Indische Religiknssecten. 6er Radha zugleich,

227

ober dem des Krischnas allem sich

weihen, inwiefern nämlich Krischnas als Param Atma, ober

Wischnus als das Brahma, dem die Götter des Trimurti untergeordnet, und aus welchem sie hervorgegangen sind,

aufgefaßt werden.

Der Hauptcharakter des Glaubens der

Waischnawa's in dessen verschiedenen Formen, die derselbe nach den verschiedenen Verzweigungen der einzelnen Secten

annimmt, besteht darin, daß in demselben, im Gegensatze zur Lehre der Weda's, welcher nach das Brahma als beschaf-

fenheitslos aufgefaßt wird, das höchste Wesen als bestehend

in dem Zustande eines beschaffenheitsvöllen Daseins, und daher nicht als ein unoffenbares, nie hervorgettetenes, noch hervortretendes, sondern vielmehr als ein offenbares gedacht

wird.') Dieser Vorstellung nach stellen die Waischnawa's von

Bengalen,

unter denen die, zu Anfänge des litten Jahr­

hunderts,

durch Chaitanya gestiftete Secte die berühmteste

ist, die Lehre von Bhakti, ober von der unbedingten Verei­ nigung des Glaubens und der Seelenübung auf, in welcher

Vereinigung durch die stetige Erinnerung an Krischnas, die

in dem ewig sich wiederholenden Aussprechen seines Namens festgehalten wird, das Heil, die Vereinigung mit der Gott­

heit und die eigene Verklärung zur Göttlichkeit errungen wird.

Dieses höchste Heil wirb nicht als ein Erlöschen des

Seelenlebens, als Zernichtung, aufgefaßt; sondern vielmehr als eine Erhebung der Seele, entweder in den Götterhimmel Swarga, oder in den hohen Himmel Waikuntha, wo Wisch­ nus weilt und die Getreuesten seiner Diener um sich ver­

sammelt, um ihnen Theil zu gewähren an der Fülle und

Seligkeit seines göttlichen Wesens.-)

Da in der Heiligkeit

des Glaubens und der Seelenübung das ganze Heil gege­

ben ist, so wird auch unter den Waischnawa's in Bengalen die Heiligkeit des Kastengesetzes nur wenig berücksichtigt,

*) Asiat, res. vol. 16, p. 116. 2) a. a. O- p. 120.

228

Indische Religionsseeten.

und dagegen die Verehrung der geistlichen Führer bis zur Vergötterung getrieben.') In den meisten indischen Religionssecten sind die An» Hanger derselben nach verschiedenen Graben der Heiligung einander untergeordnet. Hauptunterschied wird indeß be> stimmt durch den Gegensatz der Geistlichkeit und des Laien» thums. Die große Menge der Anhänger einer bestimmten Secte gehört in der Regel, doch nicht immer, dem Laien» thume an. In verschiedenen Secten, besonders unter den Waischnawas, theilen sich die Genossen der Geistlichkeit in Weltgeistliche und in solche, die in klösterlicher oder mönchi» scher Zucht leben. Diese letzteren führen zum großen Theil unter dem Namen von Sanyasts, Wairagis oder Jogis ein herumwandernbes Bettlerleben, bis sie im Alter eine Zuflucht in Mat'hs ober Klöstern suchen, zu welchen sie sich während ihres herumwandernden Lebens gehalten haben. Manchmal stiftet ein solcher Bettlermönch auch ein eigenes Kloster, und, wenn er sich dazu berufen fühlt, stiftet er zu» gleich eine neue Secte. Klöster als Mittelpunkte von Mönchsgemeinden finden sich über ganz Indien verbreitet. Es leben in denselben die Schüler unter ihrem geistlichen Führer vereint. Wer zum Wandern sich aufgelegt fühlt, verläßt bas Kloster, und irrt als Bettlermönch im Lande umher; Andere kommen und finden Aufnahme, bis sie wieder davon gehen. Mehrere Klöster, die derselben Secte angehören, vereinigen sich unter ein höheres Oberhaupt. Die Wahl eines solchen geschieht unter großen Feierlichkeiten; auch in den einzelnen Klöstern geschieht, nach dem Tobe des frühern Vorstehers, die Wahl unter Feierlichkeiten, wenn nicht entweder dem ältesten der Genossenschaft das Amt zufallt, oder da, wo dem Vorsteher die Ehe gestattet ist, Erbrecht eintritt. Ueber die Geschichte der Secten der Saiwa's ist man in Europa bei weitem weniger unterrichtet, als über die der x) Asiat res. voL 16. p. 114. 115. 117, 124,

Indische Religion-fetten.

229

Gecken brr Waischnawa's; doch darf man behaupten, baß

die Saiwa's im Wesentlichen an den Grundvorstellungrn der Sankhya und des Joga festhalten, und dabei mehr oder

weniger,

namentlich in Rücksicht auf die Vorstellung von

der Maja, den Vorstellungen, wie sie im Wedanta herrschen,

sich anzuschmiegen suchen.

Das Charakteristische ihrer Lehre

besteht bekanntlich darin, daß sie, ganz in derselben Weise,

wie die Waischnawas den Wischnus und seine Sacti zur Urgottheit verklärt sein lassen wollen,

so den Siwas und

seine Sacti zum höchsten Gegenstände ihrer Verehrung er­

wählt haben, und den Jswara Siwas als Para Brahma verehren.') Wie mannichfaltige Secten im Laufe der Jahrhunderte

auch unter den Dschaina's-) sich in Indien gebildet haben: es schlossen sich die Grundvorftellungen, die in diesen Secten sich herrschend machten, immer an Formen des Bewußtseins

an, die schon in alteren Zeiten der Jugendfrische des geisti­

gen Lebens

des indischen Volks sich ausgebildet

hatten;

auch der Buddhaismus trägt, wie sehr er dem sittlichen In­

halte seiner Lehre nach von dem Brahmanenthume sich un­

terscheiden mag, immer noch durchaus den eigenthümlichen Charakter indischer Vorstellungsweise an sich. In Absicht auf die Vorstellungsweise der, den Bauddha's so nahe verwandten

Dschaina's ist es derselbe Fall, und auch Kabir, obgleich er gegen den, den brahmanischen Göttern geleisteten Dienst offenen Streit erhob, hatte sich noch nicht über die, dem urächten Geiste des indischen Volks eigenthümlichen Formen erheben und neue

schaffen können.

Seine Weltansicht schließt sich wesentlich

an die, von ihm auf eine eigenthümliche Weise aufgestellte alte Vorstellung vom Makrokosmus und Mikrokosmus an.

Erst gegen das Ende des I5tcn Jahrhunderts entwickel­

ten sich im geistigen Leben der Indier neue Richtungen,

in

denen, in der Kraft der Rationalität die alten Bande der

Kennedy research, p. 446. 449. 45L 2) Vergl. Transact. of the roy. as. soc. vol. 1. p. 414. 415.

Indische Religionssekten.

230

Nationalität völlig gesprengt wurden.

Naneck, gekoren im

in dem Stamme der Radschputen,

Jahre 1469,

Stifter einer neuen Religionssecte

auf.

trat als

Nachdem er sich

lange mit dem Studium der heiligen Schriften der Indier

beschäftigt hatte, sagte er sich öffentlich los von dem Glau»

ben an die Götter des Brahmanenthums.

Er verwarf den

Bilderdienst, Pantheismus und Polytheismus, und predigte

die Lehre von Einem Gotte,

dem Schöpfer aller Dinge.

Sein Bestreben ging darauf hin,

die Völker verschiedener

Abstammung und verschiedenen Glaubens, Verehrer Allah's

und Brahma's, des Wischnus oder des Siwas, in der Ver­ ehrung eines unsichtbaren Gottes zu vereinigen.

Er suchte

Anhänger des Islams und der brahmanischen Religion in gemeinsamer Nachfolge um sich zu versammeln,

indem er

an sie alle den Ruf zur Verehrung des unsichtbaren, ewigen, allgegenwärtigen Gottes ergehen ließ.') Im Ganzen beseelte seine Lehre ein Geist der Milbe,

der Liebe gegen alle Menschen und der Duldung gegen An­ dersdenkende.

In Folge der vielen Kriege jedoch, in welche

die Anhänger seiner Lehre, die Sicks, im Laufe der Zeiten hineingezogen worden sind,

find sie gegenwärtig sehr roh,

wild und unduldsam geworden. Sie beschäftigen fich dem größ­

ten Theile nach mit dem Kriege und breiten ihren Glauben mit Feuer und Schwert aus.

Ihr Gottesdienst besteht in

Absingung von Liedern zum Lobe der Einheit, Allmacht und

Allgegenwart Gottes, in Gebeten um die Gnade der Kraft zu guten Handlungen und für das

allgemeine Wohl der

Menschheit, so wie in Liebesmahlen, zu denen auch fremde

Zuschauer zugelassen werden.

Von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen hak­ ten sie sonst sehr strenge Begriffe.

Sie erzeigten daher den

Vornehmsten unter ihnen keine Achtung, neigten das Haupt

nie, noch standen sie von ihren Sitzen auf, um einander zu begrüßen.

In den niederen Ständen unter den

*) Asiat, res. vol. 11. p. 205. 206.

Sieks

Indische Religionssecten. herrscht

231

diese Gesinnung noch gegenwärtig.

Gemeinschaft ausgenommen zu werden,

Um in ihre

gehört bloß dieß,

baß der Neuaufzunehmende unter gewissen Forme» seinen alte» Religionsansichten entsage,

Sieks bekenne.

und sich zu denen der

Es ist dabei völlig gleichgültig,

welchem

Volksstamme, oder welcher Religion der Neubekehrte früher

angehört haben mag. Es standen die Sieks früher unter geistlichen Führern, Guru's,

die Anfangs von dem sterbenden Guru ernannt,

später gewöhnlich aus den Verwandten des Verstorbenen

gewählt wurden.

Im Laufe der Zeiten wurden aus diesen

geistlichen Führern kriegerische Feldherren, deren letzter recht--

mäßiger Gowind war, der zu Ende des 17ten und Anfänge

Er war der zehnte Guru

des 18ten Jahrhunderts lebte.

gewesen, und nach Nanecks Verheißungen sollten nur zehn Guru's über die Sieks herrschen.

Unter seiner Feldherr«

schaft aber waren wüthende Verfolgungskriege gegen die Muhamedaner geführt worden, die mit der Zerstreuung der

Sieks endeten. Bald aber sammelten sich dieselben wieder unter dem

Buada, einem Schüler des Gowinbs, und es begann von

Neuem ein wüthender Krieg gegen die Muhamedaner. Der» selbe endigte jedoch unglücklich für die Sieks, und in den Ebenen von Delhy und Lahor wurden sie auf eine grausame

Viele von ihnen retteten sich jedoch zu

Meise ausgerottet.

den freien Radfchah's in de» nördlichen Gebirgen und Wal­ dungen, wo ihre

Verfolger sie

Manche hingegen,

durch die grausamen Verfolgungen er­

nicht

erreichen

konnten.

schüttert, schnitten ihre Haare ab, und entsagten äußerlich Nanecks und Gowinbs Lehren.

Allein Nadir Schah's Ein­

fall zeigte zwanzig Jahre später, daß die Sieks bei weitem

nicht vertilgt waren.

Angefeuert von der wildesten Rach­

sucht und dem wüthendsten Fanatismus rächten sie sich spä­

ter an ihren Verfolgern, entrissen den Muhamedaner» den

nördlichen Theil von Delhy, Lahor, Multan, selbst die den

Persern oder den Königen der Abdalhi's abgetretenen Länder

232

Indische Religionssecten.

jenseits des Indus bei Tatta: so daß sie jetzt im nördlichen und westlichen Theile von Hindostan ein sehr großes Gebiet

beherrschen. Einer alten Sage zufolge glauben die Sieks, sie wür­

den durch ein weißes Volk, vom Westen herkommend, aus­ gerottet werden, und dies deuten sie auf die Europäer.')

Weltgeschichtlich höchst bedeutend ist die Erscheinung Nanecks deshalb, weil, zu einer Zeit, in welcher in dem geistigen Leben der Völker des Westens so großartige Bewe­ gungen mannichfaltiger Art hervorbrachen, in seiner Lehre nicht nur eine,

aus der Fülle des Geistes des Jndiervolks

hervorgekeimte rein rationale Richtung zmn wirklichen Durch­ bruche kam und frei ward, sondern auch ein Streben nach einer friedvollen Vereinigung der Völker verschiedenen Stam­

mes und verschiedenen

Glaubens sich offenbarte.

Denn

Naneck selbst war duldsam und milde, und wollte auf fried­ lichem Wege den Zwiespalt ausgeglichen wissen.?) Auf eine höchst merkwürdige Weise zeigt sich überhaupt seit dem 16ten Jahrhundert in Indien ein freieres rationales

Streben,

seit einer Zeit, in welcher ausgebildeter und in

freieren Formen der Rationalismus neuerer Zeiten in Eu­

ropa sich zu entwickeln anhub.

Es bildete sich um die

Mitte des I6ten Jahrhunderts in Indien eine zweite Secte

im rationalen Sinne aus.

In Rücksicht auf den Ursprung

derselben heißt e;5, daß ein Einwohner von Birdschasir, kn

der Nahe von Narnaul, in der Provinz Delhy, Birbhan

genannt, im Jahre 1544 (ine wunderbare Mittheilung von Udaja Das, der ihn die Lehren der Religion, wozu gegen­ wärtig die Sauds sich bekennen,

lehrte, erhalten habe.

Udaja Das verkündigte zugleich dem Birbhan die Zeichen,

an welchen er ihn bei seinem Wiedererscheinen würde erken­ nen können.

Diese wären: daß Alles, was er vorherver-

’) Asiat, res. vol. 11. p. 800—292. Th. 1. S. 181—200. *) Asiat, res. vol. 11. p, 206.

Klaprvth, asiatisches Magazin.

Indische Religionssetten.

233

kündige, sich zurragen würbe; daß seine eigene Gestalt keinen Schatten werfen werde;

daß er ihm seine Gedanken ange-

den werde; daß er aufgehängt fein werde zwischen Himmel tmb Erbe, und endlich, daß er die Todten ins Leben rufen

werde.

Die Sauds verwerfen und verabscheuen durchaus alle

und jede Art von Bilderdienst; auch der Ganges wird von ihnen nicht als heilig verehrt.

Dennoch sind die zu ihnen

Uebergctretenen, wenn auch nicht durchaus, doch hauptsächlich Hindu's, welchen sie auch im Aeußeren gleich kommen.

Der Name ihres Gottes ist Satkara; Saud, der Name der Secte,

bezeichnet so viel als Diener Gottes.

Die Sauds

sind reine Deisten, und die Art und Weise ihres Gottesdien­

stes ist im höchsten Maaße einfach.

Sie besteht in nichts

anderem, als in Versammlungen von Männern, Frauen und Kindern, die miteinander Hymnen absingen.

Pracht und

Aufwand jeder Art ist den Sauds völlig untersagt. Kleidung ist stets weiß.

noch grüßen sie sich.

Ihre

Sie bücken sich nie vor einander,

Sie leisten keinen Eid und sind in

den Gerichtshöfen davon befreit; ihre Versicherung gilt ei­ nem Eide gleich.

Aller überflüssigen Bedürfnisse, als des

Tabaks, des Betels, Opiums und Weins enthalten sich die Sauds.

Sie tanzen nicht.

Alle Gewaltsamkeit gegen Men­

schen oder Thiere ist verboten; nur zur Selbstvertheidigung ist Widerstand erlaubt.

Arbeitsamkeit und Thätigkeit wird

strenge geboten. Die Sauds tragen eine große Sorgfalt für Arme und Schwache unter denen, die zu ihnen gehören.

Als beleidi­

gend würde die Annahme von Beistand und Wohlthaten

von Anderen, als die zur Secte gehören, angesehen werben, und den Beleidiger dieser Art würde die Ausschließung aus

der Gemeinschaft treffen.

Es ist verboten, die Frömmigkeit

auf irgend eine Weise zur Schau zu tragen; stilles Gebet dagegen geboten.

So auch soll die Wohlthätigkeit in der

Stille geübt werden, und Almosen darf man nicht, um da-

Indische Religionssecten.

234

bei bemerkt zu werben, austheilen.

Die gehörige Bezäh.

mutig der Zunge ist eine Hauptpflicht. Die Hauptfitze ber religiösen Gesellschaft sind zu Delhy,

Agra, Jajapur und Farruk-habad; es sind jedoch mehrere Mitglieder über andere Theile des Landes verbreitet. Jahr«

liche Hauptversammlungen werden an einem oder dem an­

deren der vorher genannten Oerter gehalten, bei welchen die Angelegenheiten der Gesellschaft geordnet werben.

Die An­

zahl der im Marz 1816 in Farruk- habad versammelten Mit, glicder belief sich über drei Taufend.

Die Sauds

ruhige Leute. Handel.

eigen sich überall als sehr ordentliche und

Sie beschäftigen sich hauptsächlich mit dem

Bhawany Das, der angesehenste Mann unter den

Sauds von Farruk-habad, hatte gegen den Engländer Trant den Wunsch geäußert, mit der christlichen Religion bekannt zu

werden.

Es

wurden ihm persische und indische Ueber»

setzungen des neuen Testaments gegeben, er nicht nur selbst sich erbaute,

an deren Inhalt

sondern die er auch untek

seine Genossen mit Empfehlungen »ertheilte.') Eine Auflösung der alten heidnischen Form des Be­

wußtseins der Indier tritt an solchen Erscheinungen, wie sie seit dem 16ten Jahrhundert das Leben der Sieks und ber Sauds darbietet,

deutlich und bestimmt hervor.

Auch im

birmanischen Reiche hat sich im rationalen Sinne eine Religionssecte gebildet, deren Anhänger nebst dem Bilderdienste

das buddhaische Glaubenssystem überhaupt, wie auch die Lehre von der Seelenwanderung verwerfen.

Sie erkennen

einen allmächtigen und allwissenden Geist, als den Schöpfer der Welt an, und glaube» an eine, unmittelbar nach dem

Tode eintretende, ewige Belohnung oder Bestrafung der gu­

ten oder bösen Thaten.

Da sie großen Anhang gefunden

hatten, drohten sie, der Gemeinde der Bauddha's gefährlich

zu werden,

und

zogen sich

in Folge

dessen

Verfolgungen von Seiten des Reichs zu.

r) Transact. of tlie roy. as. aoc. vol. 1. p. 251.

sehr blutige

Seit dieser Zeit

Indische Religionsftcrc».

235

halten sie sich sehr im Verborgenen, sind jedoch keinesweges völlig ausgerotter,

sondern

finden sich noch besonders im

Kaufmannsstande verbreitet.') Merkwürdig auch sind, wenn freilich mehr für die Ge­

schichte des Landes,

als für die des indischen Volks,

Erscheinungen, die im 16tcn und

die

17trn Jahrhundert am

Hofe der Groß-Moguln hervortraten. ging mit der ernstlichen Absicht um,

Der Kaiser Akbar Gründer einer neuen

Religion zu werden, und stiftete auch wirklich, im Abfall vom Islam, einen eigenen Religionsdienst,

sein Lebensende treu blieb.

dem er bis an

Er erklärte sich für den Statt­

halter Gottes und predigte in dieser Eigenschaft seine Lehre.

Aus Veranlassung einiger Streitigkeiten, die, im Jahre 1575

unter den muhamedanischen Geistlichen in Indien, in Folge verschiedener Ansichten über gewisse Punkte des Eherechts

entstanden waren, gab der Kaiser seine höchste Unzufrieden»

heil mit einem Gesetze zu erkennen, Unsicherheit herrsche. fig Gelehrte,

iu welchem so große

Seit dieser Zeit versammelte er häu­

die den verschiedensten Religionssystemen an­

hingen, um sich, um in Gesprächen mit ihnen sich über die

Wahrheit einer jeden besondern Glaubensform zu unterhal­ ten.

Die erste Frucht dieser Unterhaltungen war, daß man

großentheils zur Ueberzeugung von der Unhaltbarkeit jedes besonderen bestehenden Religionssystems kam.-)

durfte der Kaiser es wagen,

Hiernach

im Jahre 1578 eine,

Theologen und Rechtsgelehrten

von

unterzeichnete Verordnung

zu erlassen, durch welche er als oberster Richter in Glau­

benssachen anerkannt ward, und seitdem erhoben sich mehre

Stimmen gegen den Glauben Muhameds.

an die göttliche

Botschaft

Angefeucrt durch den Erfolg wagte es Akbar

die Glaubensformel des Islams zu ändern,

und an deren

Stelle die Formel: — „Es ist kein Gott außer Gott,

Akbar ist der Statthalter Gottes!" — zu setzen.

1) Sangerman. p. 87. 2) Transact. öl' the lit. soc. of Bombay, vol. 2. p. 246.

und

Obgleich

236

Indische Religivnssecten.

Liese Maaßregel große Unzufriedenheit unter dem Volke er, regte, so wagte es der Kaiser doch, als höchster Richter in Glaubenssachen seinen offenen Kampf gegen den Islam und dessen Satzungen fortzusetzen. Duldsamer blieb er gegen die Satzungen der indischen Religionsformen, entnahm jedoch denselben, bei seinen Versuchen, ein eigenes Religionssystem zu gründen, kaum etwas.') Die Glaubensansichten Akbar's trugen einen deistischen Charakter an sich. Doch scheint er von der Ansicht ausge« gangen zu sein, daß ein reiner Deismus eine zu geistige Form sei, als daß sie je volksthümlich werden könnte, und daß für das Volk äußere Gebrauche und sinnliche Gegen­ stände der Verehrung nothwendig wären; vielleicht mag er in seiner Gesinnung auch eine Hinneigung zur Astrologie ge­ habt haben. Als einer religiösen Verehrung würdige Mächte, die als Vermittler zwischen der geistigen Gottheit und dem Menschen anzusehen wären, ließ er die Sonne, den Mond und die kleineren Wandelsterne gelten, nebst dem geheiligte» Feuer, als Stellvertreter derselben auf Erde». Eigene Tem­ pel wurden jedoch diesen Mächten nicht erbaut, noch zu ihrem Dienste eine eigene Priesterschaft bestellt. Es scheint, daß es für hinlänglich gehalten worden sei, dem Eingeweih­ ten es zu überlassen, seine stillen Gebete an die Sternmächte und das Feuer zu richten, und daß außerdem die Gläubigen sich versammelt hätten zu Gesprächen über die Gegenstände ihrer Religion, um von den Einsichtsvollsten Unterricht zu empfangen. Akbar ertheilte häufig selbst Unterricht. Doch waren einige äußere Gebrauche, nach dem Vorbilde der Feier der jährlichen Hauptfeste der Feueranbeter eingeführt, und auch galt ein Gesetz, nach welchem es vorgeschrieben war, um Mitternacht und bei Sonnenaufgang Gebete an die Sonne zu richten, und für die Mittagszeit waren die Gläubigen ängewiesen, die tausend Namen der Sonne bei sich zu wiederhole» und über deren Bedeutung nachzudenken. ’) Transact. of the lit. soc. of Bombay, vol. 2. p. 260 — 262.

Indische Religionssecten.

237

Diese tausend Namen der Sonne waren dem brahmanischen Systeme entnommen, und ins Persische übersetzt. Eikzelne Fasttage waren nicht vorgeschrieben, sondern eine fortwährende Enthaltsamkeit vielmehr empfohlen. Die Hauptbedeutung der Lehre bestand in der Beziehung, die ihr auf ein sittliches Leben gegeben war. Die sittlichen Vor­ schriften geboten, in Verheißung zukünftiger Seeligkeit: Wohlthätigkeit, Milde, Bezwingung der Leidenschaften, Keusch­ heit, Demuth, Mäßigung, Tapferkeit, Artigkeit und Freund­ lichkeit, so wie ein der Gottheit, nicht aber den Menschen wohlgefälliges Handeln und Ergebung in den Willen Gottes.') Eine große Unzufriedenheit unter den Muhamedanern erregte Akbar dadurch, daß er befahl, sie sollten sich den Bart scheeren lassen. Dennoch vermochte er bei seiner kai­ serlichen Macht es burchzuführen, daß alle Mitglieder seines Hofes und die höheren Reichsbeamten, äußerlich wenigstens, sich für sein System erklärten. Aber unter dem Volke fand diese Religion wenig Beifall und breitete sich nicht sehr aus. Nachdem der Kaiser ein und dreißig Jahre lang für die Ausbreitung seines Religionssystems thätig gewesen war, wurde nach seinem Tobe die Religion Muhameds als Staats­ religion wieder hergestellt.') In der Stille jedoch scheint die religiöse Gesinnung, von der Akbar beseelt gewesen war, fortgelebt zu haben. Spuken wenigstens davon, daß zu Anfänge des I7ten Jahr­ hunderts eine religiöse Secte in Indien bestanden habe, die einer kehre anhing, deren Charakter sehr viel Verwandtschaft zeigt mit dem der Lehre Akbar's, treten fehr bestimmt her­ vor. Es hat sich nämlich, unter dem Namen Desatir, ein Buch gefunden, welches in einer Sprache gefchrieben ist, von der man fönst nirgends Spuren zu entdecken im Stande ist. William Jones hatte nur noch erst einen Nachweis darauf und Auszüge aus demselben im Dabisthan gefunden. ') Transact. of tlie lit. soc. of Bombay, vol. 2. p, 257. 262 262. ’) fl. 11. O- p. 266. 267.

Indische Relignmssecten.

238

Die Sprache des Desatir würbe völlig unverständlich fein,

wenn sie nickt mit einer persischen Uebersetzung begleitet wäre.

Es wird in diesem Buche von einem Reiche gere­

det, welches angebllch in Iran als das mahabadische in ei­ ner uralten Zeit bestanden hätte, die aller bekannten Ge­ schichte vorangegangen wäre.

Den eigentlichen Inhalt des­

selben bildet eine Sammlung von Religions-Offenbarungen, die zu verschiedenen Zeiten seit dem grauesten Alterthume

bis zur Zeit der Sassaniden an die Geweihten unter den Bewohnern von Iran ergangen sein soll.

Die in diesen

Offenbarungen enthaltene Lehre predigt die Einheit des Hoch­

yen Gottes, der jedoch als Stellvertreter für sich Mittelwe­ sen und als solche die Sterne geschaffen habe.

Ansichten wird

zugleich auch

Mit diesen

die indische Lehre von der

Seelenwanderung verbunden.1)2

Der ganze Geist, der sich in dieser Religionslehre aus­ spricht, stellt sich bei dem ersten Blicke als so nüchtern und reflektirt dar, daß das ganze Werk, in welchem sie darge-

siellt wird, leicht als ein untergeschobenes Machwerk zu er­

kennen ist.

Die Sprache, in welcher der Desatir geschrie­

ben, ist auch nur eine künstlich gemachte Sprache, die, ihren grammatischen Formen nach, der neupersischen am nächsten steht, übrigens bei vielen eigenthümlichen Worten, deren

Wurzeln man bis jetzt noch nicht nachzuweisen im Stande gewesen ist, die aber aller Wahrscheinlichkeit nach wohl zum

größten Theile aus der mongolischen Sprache herstammen dürften, Worte aus der arabischen, persischen und indischen

Sprache in sich ausgenommen hat.?)

Erst seit dem 17ten

Jahrhundert ist überhaupt von dieser Urkunde die Rede ge­

wesen, und kaum kann es zweifelhaft sein, daß dieselbe ihren

1) The Desatir or sacred writings of the ancient perf. prophets; in the original tongue; together with an ancient persian Ver­ sion and commentary; to wliich is added an english translation. 2 vol. Bombay. 1818. vol. 2. p. 1. 8. 9. 178. 2) Transact. of the lit. soc. of Bombay, vol. 2. p. 360.

Indische Religionssecten.

239

Ursprung jenem, seit dem 15ten und 16ten Jahrhundert in Indien erwachten Streben verdanke, welches darauf hinging, neu entstandenen religiösen Bedürfnisse» des Geistes abzuhelfen durch Stiftungen neuer Religionen, deren Lehren bald mehr in rationaler, bald mehr in contemplativer Auffassungs­ weise sich anschlossen theils an die muhamedanische Lehre von der Einheit Gottes, theils an indische Philosophieen, theils an astrologische Ansichten. Silvestre de Sacy hatte zwar früher die Ansicht gehegt, daß die Abfassung des Desatir's nicht in eine Zeit nach Dschengis-Chan gesetzt werden könne, weil er keine Prophe­ zeiungen auf diesen weltstürmenden Eroberer im Desatir zu finden geglaubt hatte;') doch giebt er, in Erwägung der ihm bekannt gewordenen Ansichten des Lords Erskines zu, daß eine Prophezeiung von den Temudan's, durch die eine Umwälzung des persischen Staats bevorstche, auch allerdings auf die Mongolen gedeutet werden könne, da er sie hinge­ gen früher auf die Türken, durch die das Reich der Araber gebrochen ward, bezogen hatte. Auffallend auch scheint ihm allerdings eine Prophezeiung, die nach der gegebenen Ueber» setzung in einer Stelle des Desatir's, die er selbst nicht ver­ standen hatte, enthalten wäre. Es heißt in dieser Stelle, in welcher von dem die Rede ist, was in Folge der Umwäl­ zungen, die durch die Temudan's bevorständen, geschehen werde: „Es würden unter den Taklisi (Muhamedanern) Sectcn entstehen, die Feuertempel vor sich her tragen wür­ den, und ihr Gaumen würde zum Rauchfang dienen."-) — Diese Stelle, die nicht wohl anders, als auf die Sitte des Tabakrauchens zu deuten ist, würde den Beweis dafür lie­ fern, daß der Desatir nicht älter sein könnte, als ungefähr drittehalb hundert Jahr.

’) Journ. des Savans. 1821. Fevrier. p. 76. 2) The Desatir. vol. 2. p. 195. Journ. des Savans st. st £). p. 78. Bombay transaet. vol. 2. p. 359.

240

Indische Religkonssecten.

Die ersten Spuren von dem Vorhandensein des Defatir kommen überhaupt erst vor um die Zeit des Anfangs des I7ten Jahrhunderts.') Der Geist und Charakter der in demfelben vorgetragenen angeblich mahabadifchen Religion zeigt sich aber dem Geiste und Charakter der Religion, die der Kaiser Akbar einzuführen bestrebt war, sehr verwandt. In einem rationalen Deismus, mit welchem ein Stern- und Feuerdienst in Verbindung gefetzt ist, besteht der wesentliche Grundcharakter beider hier in Betracht gezogenen Religionssysteme. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß der Desatir nur einer religiösen Parthei seinen Ursprung verdankt, die aus der Schule des Kaisers Akbar hervorgegangen ist; we­ nigstens sind beide Secten, ihrem Geiste nach, sehr verwandt. Mehr als der Kaiser Akbar zur Beschaulichkeit sich hin­ neigend, machte um die Mitte des I7ten Jahrhunderts der Fürst Dara-Schekuh, Bruder des Groß-Moguls Aurcngzeb, den Versuch, die Lehren des Wedanta auszubreiten. Ec war in seinem Geiste von der Sehnsucht ergriffen worden, Aufschlüsse über die im Islam nur dunkel behandelte und demselben fast unbekannte Lehre von der Vereinigung der menschlichen Seele mit der Gottheit zu erhalten. Unbefrie­ digt hatte ihn das Studium des mosaischen Gesetzes, der Psalmen Davids, des Evangeliums gelassen, bis er bei einer angeblich sehr alten indischen Kaste, die viel von der Verei­ nigung mit der Gottheit redete, das zu finden glaubte, was er bisher vergeblich gesucht hatte. Um nun auch seinen Glaubensgenossen, den Anhängern des Jslam's, den Weg zu eben dem Heile, das seinem Geiste erblüht war, zu eröff­ nen, ließ er in den Jahren 1656 und 1657 indische Ge­ lehrte und Heilige von Benares nach Delhy kommen, und durch diese ein angeblich altes Buch indischer Weisheit, welches Auszüge aus den Weda's enthalten haben sollte, 1) Bombay transact. vol. 2. p. 362—364. Dßfgl. Schlegel reflexions sur l’etude des langues asiat. p. 51.

Indische Religion-steten.

241

,'n die persische Sprache unter dem Namen Oupnek'hat, übersetzen.') Spuren von dem angeblichen Original-Werke haben sich indeß seither in Indien nicht gefunden, und über­ dies zeigt sich im Oupnek'hat vielfach das Bestreben, die Lehren des Wedanta Lehren des Jslam's anzupassrn. Es tritt rin synkretisches Bestreben hervor, indische und muhamebanische Vorstellungen auf einander zu übertragen. Die Geschichte von Indien im I8ten Jahrhundert ist in Rücksicht auf religiöse Verhältnisse besonders dadurch merkwürdig, daß wahrend desselben immer zahlreicher christ­ liche Missionsgesellfchaften, deren Wirken nicht ohne Erfolg blieb, sich im Lande ansiebelten. Die bedeutendste Erschei­ nung der neuesten Zeit ist indeß ohne Zweifel die des Rammohun Roy, eines Mannes von großer Schärfe und Klar­ heit des Geistes, der den Geist des Christenthums wahr­ haft zu begreifen zwar nicht im Stande war, wohl aber cs vermochte, in seinem frei geworbenen Bewußtsein sich zu er­ heben über die Formen indischer Geistesbildung und in den Kreis europäischer Vorstellungsweisen hineinzutreten. Da­ gegen haben sich unter Brahmanen, die zum Christenthume bekehrt worden waren, Versuche gezeigt, die Lebensgeschichte Jesu, nach indischen Vorstellungen, als Awatar aufzufassen, wie denn auch schon nicht ganz unähnliche Erscheinungen, nur im Sinne buddhaischer Vorstellungsweife, unter den Baudbha's in China hervorgetretrn sink1 2) 1) Journ. asiat. tom. 2. p. 224. Dergl. Schlegel reflexions sur Feinde des langues asiat. p. 71. 2) Wilson Mackenzie collect. vol. 1. p. 349. Nouv. joarn. asiat. tom. 7. p. 223 —228.

Religionszustand unter den Völkern des Hochlandes und Nordens von Asien.

§^ach dem Glauben der Völker Mittel-Asiens ist die Erbe und das Innere derselben sowohl als ihr Dunstkreis mit geisterartigen Wesen erfüllt, die auf die ganze organische und unorganische Natur theils wohlthätigen, theils feindseligen Einfluß ausübett. Jedes Land, jeder Berg, Fels, Fluß, Bach, jede Quelle, jeder Baum, oder was es sonst sei, hat seinen Geist als Bewohner. Nicht nur rühren die heftigen und verderblichen Naturerscheinungen von dem Zorne solcher Geister her, sondern auch Miswachs, Seuchen und andere Plagen, so wie auch plötzliche Krankheitsfälle, Epilepsie, Ra­ serei und dergleichen bei einzelnen Individuen werden ihrem Einflüße zugeschrieben. Sie sind in viele Klassen eingetheilt und ihr Wirkungskreis, so wie ihre Macht ist sehr verschie­ den. Vorzüglich werden wüste, unbewohnte und rauhe Ge­ genden, oder solche, wo sich die Natur in gigantischen Mas­ sen und in allen Schrecknissen ihrer Wirkungen zeigt, für die Hauptsitze oder Sammelplätze der bösartigen Geister ge­ halten, von wo sie nach anderen Gegenden ausziehen, um ihre verderblichen Absichten auszuführen. Deshalb waren die Wüsten Turan's und namentlich die große Sandwüstc Gobi schon im grauen Alterthume als Aufenthaltsorte der bösen Geister berüchtigt. So wird in den Religionsschriften der Bauddha's auch Tibet in seinem ursprünglichen Zustande als ein Reich schrecklicher Geisterwefen und wilder Thiere geschildert. Auf diesem ausgebreiteten Dämonenglauben ist

Schamanenthum.

243

das Schamanenthum fast aller Völker Mittel-Asiens ge­ gründet.') Zu einem reich ausgebildeten Naturdienste ist es, wenn sie auch die Geister, die in der Sonne, im Monde, den Sternen, Wolken und Regenbogen wohnen, oder sich kund­ geben im Feuer, Sturm und Gewitter, verehren, dennoch unter den schamanischen Völkern nicht gekommen. Es fehlt ihnen, die in einer armen und dürftigen Natur leben, jede lebendigere, sinnvollere Naturanschauung, wie gleichfalls auch alles verständigere, gedankenvollere Bewußtsein über das, was der Gegenstand ihrer Verehrung ist. In jener kalten Nachtgcgcnd der Erde, die sie bewohnen, zerfuhr das Be­ wußtsein, sich auflösend in gespensterhafte Vorstellungen. Die Mantschu, die näher an China im Amurlande eine Heimath gefunden haben, offenbaren jedoch einen festeren Halt ihres geistigen Lebens noch darin, daß ihr Bewußtsein dem der Chinesen sich verwandter zeigt. Wie sie schon in alteren Zeiten mehr dem Ackerbau als dem Nomadenleben sich zuneigten,') und eben dadurch den Chinesen mehr ver­ wandt erschiene», so auch hatten sie ursprünglich eine geord­ netere, und dem Geiste des nach Kong-Fu-Dsü benannten chinesischen Volksglaubens näher verwandte Geisterlehre. In dem Glauben der, den Mantschu nahe verwandten Tungusen, die ihren Geistern mit vieler Treue bienen, herrscht auch ein gewisses Maaß von Klarheit. Sie verehren Schutz­ geister der Weiber und weiblichen Tugenden, der Kinder, der Gesundheit, der Jagd, der Reisen und der Rcnnthierzucht?) Die nördlich von China belegcne Mantschu-Tatarei, die immer noch belebt wird durch die Gewässer des Amur und der in diesen sich ergießenden Flüsse, bildet den Uebergang aus dem Völkerleben China s in das Leben jener Völker, die, wenn auch nicht mehr seit jener Zeit, seitdem 1) SSanang SSetsen p. 352.

2) Georgi Beschreibung aller russischen Nationen. Th. 2. S. 303. 3) a. «. O. S. 380.

Schamanenthum.

244

überhaupt bas Völkerleben des Nordens der Vese lder alten Welt sich zu regen angehoben hat, dennoch in uralten Zei­ ten, durch die Naturscheide der Wüste Gobi, von geschicht­

licher Verbindung mit den südlicheren Völkern ausgeschlossen

waren. Der Geisterdienst der nördlicheren Völker ist

wüster

und gespensterhafter, als der den Manrschu und Lungusen

eigenthümliche.

Wenn unter jtiuii sich die Vorstellung von

einem allgemeinen Gotte als Schöpfer aller Tinge

findet,

so kann diese Vorstellung ihrem Bewußtsein nicht ursprüng­ lich angehört haben,

sondern muß bei ihnen erst in Folge

eines Verkehrs mit den Muhamedanern und Christen erzeugt

worden sein.

Inwieweit sich ihre Vorstellung in dieser Rück­

sicht jetzt ausgebildet hat, stellen sich die meist« den höch­ sten Gott als unsichtbar im Himmel ober der Sonne woh­

nend vor, von menschlicher Gestalt; einige halten die Sonne

selbst für diesen Geist.

Die Tcleuten und altcischen Tata­

ren glauben an Erscheinungen und Offenbarungen desselben

durch Träume. Manne,

Sein Ansehen gleiche einem altem bärtigen

seine Kleidung

der eines Dragoneroffizicrs.

habe einen prächtige» Hofstaat und viele Pferde.

ausreite,

Er

Wenn er

so entstehe der Donner von dem Geräusche und

die Blitze von den Funken der Hufeisen und Steine im Himmel.

Sie glauben, daß er in der Nähe des russischen

Gottes wohne, und daß beide sich häufig Frcundschafisbesuche abstatteten.

Die Meisten halten ihn für zu entfernt

von sich, als daß sie Gemeinschaft mit ihm haben könnten. Auch glauben sie, daß er sich nicht um die einzelnen Hand­

lungen der Menschen kümmere; man könne ihn weder belei­

digen, noch sich um ihn verdient machen; er strafe und be­ lohne nicht, und sei also weder zu fürchten, noch zu lieben.')

Aber die Macht einer Menge von Geistern niederen Ranges, durch die die Schicksale der Welt und des Lebens

*) Georgi a. a. L. S. 378. Gmelin's des Aelteren Reise nach Sidiricn. S. 273. 28«. 300. 333.

Schamanenthum.

245

bestimmt würden, fürchtet, wer dem Schamanenthum an* hangt, tut6 wendet sich in allen Angelegenheiten des Lebens an dieselben, weil er an einen möglichen Verkehr des Men­ schen mit ihnen glaubt. Als Furcht und Schrecken äußert sich vorniehmlich seine religiöse Gesinnung, und so sind es die schädlichen, die feindseligen, die bösen Geister, an die man sich im Schamanendienste hauptsächlich und vorzugs­ weise zu wenden hat, um dieselben entweder zu besänftigen oder deren Macht zu bändigen. Dies geschieht durch das Mittel der Geisterbeschwörung. Eben Geisterbeschwörung ist es, was den Mittelpunkt, um den sich im Schamanenthum Alles dreht, bildet. Vorzugsweise findet sich überhaupt die Geisterbeschwörung ursprüng­ lich und heimathlich im Norden der Erde. Nach Iran ist sie von Turan gekommen und von den armenischen Gebir­ gen herab durch die Chaldäer nach Babylon. In Aegypten finden sich keine Spuren der Ausübung derselben vor' der Zeit des Ptolomäus Philadclphus, der von Sinope her das Bild des Gottes der Unterwelt, dem er den Namen Serapis beilegte, kommen ließ. Die scandinavischen Germanen haben die Kunst der Geisterbeschwörung ursprünglich von den Finnen gelernt. Findet sich auch immerhin unter den Naturvölkern des Südens manches Ursprüngliche, was mit dem Wesen der den» Norden, ursprünglich an­ gehörenden Geisterbeschwörung Verwandtschaft zu haben scheint, so tritt dies jedoch kcineswegcs so allgemein vor­ herrschend und characteristisch hervor, zum Theil aber auch ist es anders, als im Sinne des Schamanenthums, zu deuten. Im Süden der Erde wird die Elementenbeschwörung mehr einheimisch gefunden. Diese entsteht aus dem Stre­ ben des menschlichen Geistes, über die Naturmächte eine zauberhafte Gewalt auszuüben. Bei Ausübung der Geister­ beschwörung aber ist der menschliche Geist bestrebt, in eige­ ner Kraft den Verkehr mit der Eeisterwelt sich zu eröffnen.

Wenn auch sonst in dem Leben der Völker des Südens

Begeisterte ober Wüthende erscheinen, aus deren Mund der Geist spricht, so sind dennoch auch selbst solche Erscheinun­ gen nicht im Sinne des Schamanemhums zu deuten. Sie eigenen vielmehr dem Zustande der Besessenheit, der, wie viel derselbe auch immer seinen äußerlichen Erscheinungen nach mit dem Zustande des vom Wahnsinne ergriffenen Schamanen gemein zu haben scheint, dennoch wesentlich sich davon unterscheidet. Die Besessenheit ist eine Folge des kochendes Blutes der Völker des heißen Südens, und wem sie naht, der wird von ihr ergriffen, wie von einer fremden Gewalt, von einer Naturmacht, die Nerv und Adern durch­ dringt. In freier Willkühr dagegen, den Geist beschwörend, ruft der Schamane das Gespenst heran, und wählt sich mit Bestimmtheit aus den Schaaren der Geister stets einen ein­ zelnen, besonders bezeichneten Geist, von dem er will, daß derselbe herankomme, und den durch seinen Bann zu be­ zwingen, so wie in krampfhaften Zuständen mit ihm zu kämpfen, er vorgiebt. Das Wesen der Geisterbeschwörung trägt einen ganz eigenthümlichen Charakter an sich, und ist wesentlich von aller Art von Naturzauberei, Beschwörung der Elemente und dergleichen verschieden. Daraus, daß Reisende, indem sie über die Sitten wilder Völker berichte­ ten, jenen bestimmt hervortretenden Unterschied sich nicht ge­ hörig vorgestellt haben, ist es erfolgt, daß, indem sie mit dem allgemeinen Worte Schamanenwesen allerlei Arten von Gaukelei bezeichneten, durch ihre Berichte unklare Vorstel­ lungen sich erzeugt haben. Wenn man jedoch auch immerhin bei einzelnen Völkern in Afrika den Glauben findet, daß an gewissen jährlich wie­ derkehrenden Festen der Geist, den sie als den Hauptgott ihres Stammes verehren, und dem sie zur bestimmten Zeit im Tempel ein festliches Mahl mit Branntwein bereiten, dann nächtlicher Weile in diesen Tempel einziche, um hier mit dem Priester zu verkehren, so entspricht dieser Glaube immer noch nicht dein eigentlichen Schamanenwesen, da viel­ mehr dies letztere in dem Glauben an einen in durchaus

Schamanenthum.

247

menschlich freier Weise bewerkstelligten Verkehr mit den Schaaren der Geister beruht. Die Schamanen rühmen sich der Bekanntschaft mit der Geisterwelt, des näheren Umganges mit den Geistern, der Herrschaft über dieselben und des Besitzes der Mittel, Alles von ihnen erfragen, sie besänftigen und auch wohl Gutes durch sie erlangen zu können. Durch die von ihnen heran beschworenen Geister vernehmen sie die Ursachen des Wohl­ wollens oder des Zornes und Hasses derselben, die Anzeige der Mittel ihrer Versöhnung, Kenntniß von vergangenen und künftigen Schicksalen, so wie Nachrichten von entfern­ ten Orten und Leuten? es wird ihnen die Macht zu Theil zu weissagen und Unglück abzuwehren.') Einen geschlossenen Priesterstand bilden die Schamanen nicht. Jede Person vielmehr, männlichen oder weiblichen Geschlechtes, die die Kunst zu verstehen glaubt, und zugleich Glauben und Vertrauen bei dem Volke zu gewinnen im Stande ist, ist zu schamanischer Gaukelei durch sich selbst berechtigt. Wunderliche Verzerrungen des Körpers, ja Krämpfe und Anfälle geben jedoch eine besondere Bekräfti­ gung geistlicher Würdigkeit. Die Schamanen beiderlei Ge­ schlechts unterscheiden sich in ihrer Lebensart vom übrigen Volke weder durch Ehelosigkeit noch besondere Regeln, son­ dern bloß durch die Kleidung und bessere Kenntniß der Leh­ ren und der Gebräuche ihres Glaubens. Sie leben von Geschenken und Opfern, müssen aber gewöhnlich die Hanbthicrung ihres Volks zu Hülfe nehmen, jagen, fischen oder auf andere Weise sich ernähren. Alte unterrichten die Jun­ gen in Allem, was zu dem Glauben und der Gaukelei gehört. Um den Geistern wohlgefällig, dem Volke fürchterlich zu erscheinen, staffiren sich die Schamanen für ihre Arbeit wunderlich aus. Sie tragen lange morgenländische, meistens lederne Röcke und Strumpfstiefcln, häufig mit Blechgötzen, ') Georgi a. a. O. Th. 2. S. 392.

248

Schamanenthum.

Schellen, Glöcklein, Ringen und anderem Klimperwerk, Ad­

ler- und Eulenklauen, ausgestopften Schlangen, Pelzstreifen

und anderen Sachen der Art besetzt und fast bedeckt. Die Mütze ist bald einer Kappe, bald einer Panzerhaube ähnlich, mit ausgestopften Schlangen behangen und mit Eulenfedern besetzt.')

Unter Schaudern wird diese Kleidung von den

Schamanen angelegt, als ob damit ein anderer Geist in sie

führe.

Als Hauptwerkzeug der Unterredung mit den Gei­

stern dient die Trommel.

Das Werk der Beschwörung ge­

schieht im Dunkel der Nacht.

Es wird ein Feuer ange-

macht, das durch die Finsterniß leuchtet, und bei dessen blas­ sem Scheine das Werk seinen Fortgang nimmt.

Zeiten

Seit neueren

rauchen die Schamanen gewöhnlich Tabak während

der Beschwörung.

Anfangs am Feuer sitzend,

bald von stärkerem Schauder ergriffen.

werden sie

Sie springen auf,

um durch Rührung der Trommel den von ihnen gebannten Geist

herbeizurufen.

Sie

machen

dabei

die

seltsamsten

Sprünge um und über das Feuer, verzerren die Gesichter,

fahren mit den Händen herum und brüllen unverständliches

Zeug, rufen die Geister namentlich an, und dies Alles macht im Dunkel der Nacht,

unter dem dumpfen Schall des

Trommelgetöns und dem Geklirr und Gerassel des aus ei­

sernen Ringen und Todtengebeinen bestehenden Behanges

der Schamanenklcider einen grauenvollen Eindruck.

Etwa

nach einer halben Stunde werden Geberden gemacht,

die

andeuten, daß der Geist oder die gerufenen Geister erschie­

nen wären, und ein Kampf mit denselben begonnen habe.

Der Schamane fragt, droht, bittet, verspricht und ertheilt seine Auftrage an den Geist.

Um die Antwort zu verneh­

men, wirft er darauf den Schlägel der Trommel, oder ir­

gend etwas, was der, den das grade unternommene Zau­

berwerk betrifft,

am Leibe getragen hat,

dergleichen in die Luft, als ob die

eine Mütze oder

Antworten dadurch

herunter gebracht würden, und steckt den Kopf horchend in *) Georgi a. a. O. S. 3'7.

Schamanenthum.

249

tie Trommel, wobei er zittert, schaudert und schwitzt.

Bei

jedem Zaubcrwcrk sind gewöhnlich mehrere Schamanen zu» gleich thätig.

Die jakutischen und andere Schamanen ge­

rathen in Entgeisiigungen und Entzückungen.

Diese fallen

zuletzt ohnmächtig nieder, weil ihre Seele sie angeblich verläßt, um die Geister in ihren Wohnungen, in den Bergen, Wäldern und Abgründen zu besuchen und mit denselben zu

verhandeln.

Bären,

Man glaubt,

Schweinen,

baß die Seele diese Reise auf

Adlern oder anderem Gethier mache.

Alle behaupten nachher,

die Geister in Erscheinungen als

Bären, Löwen, Eulen, Adler, Schwäne, Käfer, Spinnen, Drachen oder als Lichtschein oder in Schattengestalt gesehen zu haben.

Wenn aber, was auch manchmal vorkommt, der

Schamane sich nicht mächtig genug fühlt, den Geist zu zwm-

gen, so zeigt sich derselbe nur in Dämmerungsform.

Weil

indeß die Schamanen glauben, daß die Geister bei ihren

Erscheinungen am liebste» die Gestalten von Bären, Schlaugen ober Eulen annehmen, so wird von ihnen diesen Thie­ ren überhaupt eine gewisse Art von Achtung erwiesen. Auch glauben die Tataren, daß ihre Käme, wie sie die Schama-

tun nennen, in der Nacht auf den Feldern, wenn sie einsam sich herausbegcbvn, von den Geistern unterrichtet würden.')

Die Beschwörung wirb von einem derselben kundigen Schamanen in allen Fällen des Lebens angrstellt, wo man

die Wirksamkeit eines schadenfrohen Geistes ahnt oder fürch­ tet.

Doch kommen auch bei den beiden großen Festen, die

regelmäßig im Frühlinge und Herbst zu Ehren der Geister gefeiert werden, zauberhafte Gaukeleien und Geisterbeschwö»

rungen in Anwendung?)

Außer dem eigentlichen Geisterbanne und der Geisterbe­ schwörung,

worin der wesentlich eigenthümliche Charakter

-es Schamanrnthums besteht, sind noch allerlei Arten von

') Georgi a. a. O. S. 381. 393. 285. 289. 290. 301. 333. 397. 2) Georgi a. a. £>. ©. 386. 387.

Ginelin a. a. £). S. 45. 92. 275.

Schamancnthum.

250

Wahrsagercien und Zeichendeutereicn,

wie man solche bei

allen heidnischen Völkern findet, auch unter den Völkern des

nördlichen Asiens iit Gebrauch.')

Doch hat sich die einem

solchen Gebrauche entsprechende Richtung keinesweges ein­ seitig vorherrschend ausgebildet.

Dem an die Nachtgegend

der Erde gebannten Geiste der Völker des Nordens eignet mehr und wesentlicher das gespensterhafte Wesen der Gei­

sterbeschwörung, da hingegen im Süden Asiens die Zeichcndeutcrei in mannichfaltiger Weise zu großer Ausbildung und

vorherrschender Macht gelangt war, in solcher Art, daß hier

das religiöse Bewußtsein ganzer Völker, der heidnischen Ara­ ber und der alten Chaldäer nämlich,

derselben,

in die Eine Richtung

in die der Sterndeutcrei, fast völlig aufgegan-

gen war. Das Bewußtsein der Völker des Südens ist vorzugs­

weise nach außen gerichtet auf die Natur, da hingegen bas der Völker der nördlichen Nachtgegenden der Erde, dem Le­

ben entfremdet, sich auf sich selbst zurückzieht.

Der Geister­

glaube der schamanischen Völker beruht in dem Glauben,

daß die Seelen der Verstorbenen als Gespenster durch die Lüfte und

über die Schneefclder schweben.

In der Art,

wie in dem Glauben jener Völker die Natur vergöttert wird, zeigt sich Nichts von einem gediegenen Kraftgefühle seelen­ voll lebendiger Naturbegeisterung.

Wenn auch immerhin die

Naturmächte in diesem Glauben einiger Verehrung genießen,

so tritt doch diese Verehrung völlig in den Hintergrund zu­ rück;

und wie sie selbst dort im Norden der Erde ihre le­

bensvoll schaffende Kraft verloren zu haben und in Kälte

erstarrt zu sein scheinen, so vermochten sie hier nur in dem

Bilde eines wüsten Lebens im Bewußtsein des Menschen sich abzuspiegelm

Vorzugsweise aber gerieth das Bewußt­

sein in die Gewalt eines Glaubens an die Macht der Gei­ ster der Verstorbenen, die,

der Vorstellung nach, über die

weiten Wüsten, die Schneefelder und die von Reif starrenden

') Georgi Th. 2. S. 394.

Schamanenthum.

251

Tannenwälder durch die Nacht irrend umherfchweifen, und in Felsenklüftcn und tiefen Abgründen Hausen. Und dem von Furcht gedrückten Gemüth des aller heitern Freude des Lebens entbehrenden und nur mit Mangel und Noth kämpfenden Bewohners jener traurigen Gegenden des düste­ ren Nordens mußten jene Gespenster leicht als nur zum Schaden geneigt erscheinen. So erzeugte sich jener, dem Schamanenthume geeignete, vorzugsweise den schadenfrohen und feindseligen Geistern geleistete Dienst. Unter den Mon­ golen herrscht noch jetzt, ob sie gleich seit Jahrhunderten schon zum Buddha-Glauben sich bekehrt haben, die Mei­ nung, daß die Seele eines verstorbenen Schamanen in Ge­ stalt eines bösen Geistes umherwandcle, den Menschen Scha­ den zufügcnd, um sie zu zwingen, ihr Ehre zu erweisen und Opfer zu bringen.') Die Leichname der Schamanen legt man gewöhnlich, ihrem vor dem Tode ansgcdrückten Wunsche gemäß, auf erhabene Oerter, oder an einen Kreuz­ weg, damit sie, ihrer Meinung nach, den Vorübergehenden desto leichter Schaden zufügcn können. Zuweilen haben Schamanen demjenigen, mit dem sie in Feindschaft sichen, vorhcrgefagt, ihr Schatten werde von ihm ein Opfer for­ dern, welches wegen feiner Seltenheit viele Sorge verur­ sachen würde. Wenn nachher in dem Haufe eines solchen Menschen jemand krank wurde, so ward cs stets der Vorherfagung des Schamanen zugeschriebc», und man bemühte sich sogleich, demselben das geforderte «Opfer zu bringen, wie schwierig es auch immer sein mochte das, was als Opfer gefordert war, aufzutreiben. Hiernach erhellt das ganz klar, worin der dem Scha­ manenthum geeignete Geisterglaube ursprünglich wurzele. Die Geister, die die Erde umschwirren, und damit sie den Menschen keinen Schaden zufügcn möge», gebannt und be­ schworen werden, sind dem ursprünglichen Glauben nach nichts anders als die Seelen der Verstorbenen, die als Ge') Timkoffsky's Reise. Th. r. S. ros.

Schamanen'thum.

252

spcnster umherwandeln, und hier ober dort in Wäldern oder in Felsklüsten und Abgründen ihre Wohnungen aufgeschla­ gen haben. Durch vielfachen Verkehr mit buddhaischen Mongolen,

mit rnuharnedanischen Tataren und endlich mit christlichen Russen ist manches in den Glauben der schamanischen Hei­

den eingedrungen, was demselben keinesweges ursprünglich

und eigenthümlich ist.

So schreiben zum Beispiel die den

Russen nahe wohnenden schamanischen Heiden den Wohl­

stand des russischen Reichs der Macht des heiligen Niko­

laus zu, und rufen deshalb auch selbst, ihres eigenen Wohl­

standes wegen, diesen Heiligen an?) Wie sehr auch unter den Anhängern des Schamanenthums das Gemüth des in mühseligen Kämpfen eines turn# rnerlichen Daseins sein Leben fristenden Menschen mag ge­

so kämpft doch

ängstigt werden:

immer

noch hier der

menschliche Geist, und in wie verfinsterter, verdüsterter Art

auch das Streben nach Freiheit, worin schwache, kaum er­ kennbare Spuren einer Ahnung seiner ursprünglichen Herr­

lichkeit hervortreten, sich in dem Bewußtsein der schaniani-

schcn Heiden regen mag, noch.

es regt sich doch immer wirklich

Die Behauptung, wie wunderlich sie auch dem ober-

stächlichen Blicke erscheinen mag, daß die schamanische Sitte,

Geister zu bannen, des menschlichen

ursprünglich in dem herrlichsten Triebe

Geistes,

in dem Streben nach Freiheit

wurzele, steht in ihrer Wahrheit unzweifelhaft fest.

Was in

dem Bewußtsein der Anhänger des Schamanenthums sich

regt und bewegt, lebt in einer Gespensterwelt, die getragen

wird durch die Erinnerung an die Seelen der Verstorbenen. And diese von Gespenstern bevölkerte Welt mit Freiheit zu

beherrschen, mit derselben zu verkehren und die in ihr wal­ tenden Mächte nach eignem, freiem Willen zu leiten, dies ist

es,

worauf der Zweck des Kampfes gerichtet ist, den der

Schamane mit den Geistern beginnt in dem Bestreben, die•) Georgi a. a. £>. S. 381.

Schamanenthum.

253

selben durch seinen Bann und seine Beschwörung unter seine Gewalt zu bringen. Eigenthümlich fallt hier, als im Schamanenrhum allgemein vorherrschend, die Vorstellung auf von der Möglichkeit nicht nur in Freiheit des Menschengeistes zu erringender, sondern wirklich errungener Macht über die Geister. Diese Vorstellung grade ist es, die den eigentlichen Mittelpunkt des gcsamnitcn Schamancndienstes bildet. Um die guten Geister, die den lebenden Menschen Wohl­ thaten verhängen, kümmert sich kaum Einer unter den scha» manischen Heiden. Aber mit den feindlichen Geistern, die in der Wüste' und über die weiten Schneefelder irre umher­ schweifen, leben alle im Kampfe, und wer am besten dabei die Kunst zu verstehen scheint, in dieftm Kampfe zu siegen, erringt eine Art priesterlicher Würbe. Auch nur auf diesen Kampf, keinesweges jedoch auf eine im Geiste erzeugte Schöpfung einer lebendigen Götter­ welt laßt sich die unter den schamanischen Heiden waltende Sitte einer Art von Dienst gewisser Zeichen, wieweit sich dieselbe überhaupt geltend gemacht hat, zurückführen. Es findet sich nämlich unter ihnen eine Form religiösen Dien­ stes, die Mancher als Fetischdienst, Mancher als Bilderdienst bezeichnet, obgleich sie weder eigentlich dem Wesen des Fetischdienstes noch dem des Bilderdienstes entspricht. Die Gegenstände der Verehrung bei diesem Dienste scheinen auf den ersten Blick auf eine völlig sinnlose und willkührliche Weise ausgewählt zu sein. Es sind Lappen rother Leine­ wand, die man bei sich in der Jurte bewahrt, oder allerlei Pelzwerk, Büschel Haare von geweihten Pferden, Knochen geopferter Thiere und dergleichen, was an verschiedenen Or­ ten an aufgerichtete Stangen aufgehängt wird, oder Fels­ klippen und Berggipfel, die aus weiter Ferne her schon er­ blickt werden. Wer solchen Stangen oder Berghöhen durch die Wüsten oder über die weiten Schneefelder vorüberzieht, opfert hier dem Gegenstände der Verehrung einen Lumpen oder einen ©teilt. Auch was zum Schamanengeräth gehört, und besonders die blechernen Schellen, womit sich der Scha-

Schamanenthum.

254

mane behängt, werden heilig gehalten.

Im umrisse sind

auf ihnen Bilder von Menschen, Bären, Rennthieren, Vögeln,

Fischen, Schlangen, Gestirnen und Elementen arsgreschnitten.

Diese sinnbildlichen Darstellungen können jedoch eben so we­

nig als bas Wesentliche dieser Gegenstände angesehen wer­ den, als die menschliche Gestalt der Puppen, die den Ge­

genständen der Verehrung unter manchen Sannmen schamanischen Heiden gegeben wird.

der

Denn die schützende

Macht, die in ihnen verehrt wird, wirb häufig auch an Dinge geknüpft, die nicht im Geringsten einen sinnbildlichen

Charakter an sich tragen,

wie nämlich an Lunpein und an

Stangen, die mit solchen Lumpen behangen sind.')

Wenn indeß auch freilich der Schmuck des Schamanengeräths mit allerlei sinnbildlichen Figuren sich auf die

Vorstellung von de» Gestalten, in denen man glaubt, daß die Geister bei ihrem Erscheinen vor den Blick des Scha­

manen treten, sich bejitht, und wenn es scheint,

daß die

Puppengötzen, die wie Schamanen gekleidet werden, Scha­

manen barsiellen sollen, so muß es doch als wahrscheinlich gelten, daß das, was sich hierin als eigentlicher Bilderdienst

zeigt, seinen Ursprung nur einem Verkehr mit buddhaischen Völkern verdankt.

Der einfache Sinn der an äußere Zeichen geknüpften Verehrung der schamanischen Heiden spricht sich besonders

deutlich aus in der Sitte,

auf den weiten Schneefelbern

oder in Wäldern mit Thirrfellen behangene Stangen aufzu­

richten, die man als Zaubermachte verehrt, durch welche die auf Irrwege leitenden bösen Geister verjagt werden.

In

Zusammenhang mit dieser Sitte steht die unter den bud­

dhaischen Mongolen herrschende Sitte der Heilighaltung der Obo's. Fast jede beträchtliche, in die Ferne scheinende Höhe

in der Mongolei wird mit einem solchen Obo oder Hügel der Anbetung geschmückt. lichen Gebräuchen,

Es werden gegenwärtig mit feier­

nach der Anweisung der Lama's, auf

') Timkoffsky. Th. 1. S. 288. Georgi. S. 384.

Schamanenthum.

255

solchen Höhen Haufen von Steinen, von Sand, Erde ober Holz aufgehäuft, und jeder Vorüberrei sende legt etwas dazu, indem er dabei zugleich seine Andacht vollzieht.1)2 3 4 Diese Art von religiösem Dienste hat unter den Mon­ golen zwar jetzt durch Einfluß der lamaischen Geistlichkeit, die, was sie vom Schamanenthum nicht hat ausrottcn kön­ nen, an die von ihr gepredigte Religion anzuknüpfen sucht, einen etwas geistvolleren Charakter angemnnmen, indem die Obo's den verstorbenen Helden und Heiligen des Volks ge­ weiht worden sind. Es dienen jedoch auch gegenwärtig noch unter den Mongolen die Obo's zu Wegweisern und werden auf den Grenzen errichtet.-) Eie bilden so für baS Bewußtsein die festen Haltpunkie in Absicht auf die Landes­ kunde, und verdanken ihre Heiligkeit ter Macht gegen die wirren, irreführenden Geister der Wüste. Nicht bloß auf Reisen jedoch waren die feindseligen Geister gefährlich; auch in der heimischen Jurte fürchtete man ihren bösartigen schädlichen Einfluß. Um dieselben von den Dörfern fern zu halten, wurden von de» westlicher angesiedelten Tschuwaschen finnischen Stammes, als sie noch Heiden waren, an den Opferplätzcn des Orts Stan­ gen aufgerichtet, an die die Felle der geopferten Thiere aufgchängt wurden?) Achnlich geschmückte Stangen rich­ teten die Duräten auf ihre» Weideplätzen auf, um ihre Schaafheerden vor dem bösen Einflüsse der Geister zu be­ schützen?) Der Sinn dieser, bei allen schamanischen Heiden gel­ tenden Sitte, große Stangen mit allerlei Behänge aufzurich­ ten, ist leicht zu deuten. Diese Stangen dienten eben ur­ sprünglich theils zur Vcrschcuchung der Geister, wenn sie etwa in der Gestalt wilder Thiere hätten herankommen wollen, *■) Timkoffsky. Th. I S. 36. 72. 181. 2) a. a. O. Th. I. S. 37. 3) Gmcliii. a. a. O- S- 45. 52. 92. 100. 4) Georgi, a. a. O. S. 384.

256

Schamanenthum.

theils aber zu Wählzeichen bei verschiedenen Geschäften des Lebens, als der Reisen, der Jagd, Fischerei ober dergleichen. Ihre Macht gegen die irren, irgend ein Geschäft des Lebens störenden Geister des Lebens bewahrte stch vielfach, und so gediehen fit in gewisser Art zur Heiligkeit. Zum Zeichen aber, daß den irren Geistem auch der Eingang in die Jurte verwehrt bleiben möge, errichten die Buräten an feder Seite des gegen Osten sich öffnenden Ein­ ganges ihrer Jurte einen Birkenbaum, und verbinden beide Bäume durch einen Queerstrick, an welchem allerlei Bänder und einige Felle von Hermelinen und Wieseln hängen. Vor diesem Zeichen bückt sich jeder Burät Morgens und Abends zwei- oder dreimal mit Auflegung zweier Finger auf die Stirn nach morgenlänbischer Art.') Im Uebrigen haben stch die Buräten zum Buddhaismus bekannt, aber mehr noch wie andere Völker mongolischen Stammes vom ur­ sprünglichen Schamanendienste beibehalten. Bei ihnen herrscht geradezu eine Vermischung beider Religionen.") Die Hausgötter der schamanischen Heiden, die theils in ausgesiopften Puppen von menschlicher Gestalt, wie Scha­ manen gekleidet, bestehen, und die von Schamanen verfer­ tigt und geweiht werden, theils in allerlei Lappen und Lum­ pen, die gleichfalls von Schamanen weiblichen ober männ­ lichen Geschlechtes, besonders aber von alten Weibern ge­ weiht und sorgfältig in der Jurte zum Schutze des Haus­ wesens aufbewahrt werden,") sind ursprünglich offenbar nichtö anderes als Gedächtnißzeichen an irgend ein gehörig vollzogenes Schamanenwerk, die zum Pfande der Kräftigkeit seines geübten Banns der Schamane dem zurückließ, für den er den Dann vollzogen hatte. Wenn ein eigenes Haus­ wesen gegründet ward, so geschah dies nicht ohne Beschwö­ rung, oder wenn ein solches Hauswesen im Unglücke auf >) Gmelin. S- 405. 2) Pallas. Th. 2. S- 17. 341. Timkvffsky. Th. 3. S- 309.

3) Georgi. S. 384. 386. Timkvffsky. Th. 1. S. 288. „

Schanranenthum.

257

irgend eine Weise verfolgt ward durch einen feindseligen Geist, so mußte dieser Geiste beschworen werben, und um

in der Erinnerung an den geschehenen Bann die Wirksam­

keit desselben stets lebendig zn erhalten, gab der Schamane irgend etwas zum Pfande, das sorgsam und heilig aufbe­

wahrt wurde. Im eigentlichen Sinne als von den schamanifchen Hei­ den verehrte göttliche Mächte sind so diese Gegenstände so

wenig zu achten, denn als eigentliche Fetische

Denn die

eigentliche Zauberkraft, die denselben, der religiösen Vorstel­

lung nach, beigelegt wird, wird, ihrem Ursprünge nach, an die Kraft des durch den Schamanen geübten Geisterbannes,

an die Kraft seiner Beschwörung geknüpft, wie davon bei

einer

eigentlichen Verehrung

wesentlich an

sich seiender

Machte gar die Rede nicht sein kann, und auch daran nicht

gedacht wird bei der im Fetischdienste nach Zufall und eige­

ner Willkühr geschehenen Wahl irgend eines einzelnen Ge­ genstandes, der zur Schutz und Heil bringenden Macht er­

koren wird.

Außer daß alte schamanische Weiber allerlei Lumpen, die sie in heimlichen verborgenen Winkeln durch ihre Be­

schwörungsformeln geweiht haben,

als Schutzmittel gegen

dieMacht der feindseligen Geister austheilcn, entsteht sonst

bei den schamanifchen Heiden kein mit solcher Kraft ausge­

rüstetes Schutzmittel, als nur in Erinnerung an die bei je­ dem Opfer vollzogenen Geisterbeschwörung, und auf diese Weise regelmäßig stets, so daß jede Jurte reich ist an vielen verehrten Gegenständen solcher Art, wovon hier die Rede ist.*)

Auf die eine Grundvorstellung von

den irre umher­

schweifenden Geistern der Verstorbenen, die in ihrer Scha­

denfreude den lebenden Menschengeschlechtern gefährlich zu

werden drohen,

und

deren

Macht in Freiheit und

Kraft des Menschengeistes durch zwingen sei,

in

den Schamanen zu be­

ist in dem innersten Mittelpunkte der Scha«

') Georgi. S, 385. Timkoffsky. Th. 1. S. 289. 17

Schamancnthum-

258

manen - Religion Alles, was zum Dienste derselben gehört,

zu beziehen.

In dem Glauben an Gespensterwesen wurzelt

bas Schamanenthum, und von dem Glauben daran geht

es aus.

Hieraus leuchtet von selbst ein, baß alle schamanischen Heiden von einer Fortdauer des Lebens der Seele nach dem Tode überzeugt sein müssen,

Vorstellung

von

speüsterweise

zu

diesem

bilden

sich aber nur eine traurige

der

Zustande im

Stande

Seele

sind.

Die

in

Ge-

meisten

schamanischen Heiden kennen nichts Furchtbareres und Grauen­

volleres als den Tod, und tragen vor nichts mehr als vor

dem Tode Scheu.

Auch die

erregt ihnen Schauder.

Todtengestalt im Leichname

Aengstlich und bange fürchten sie

die Wiederkehr der Verstorbenen und deren Erscheinungen,

und deshalb suchen sie bei der Rückkeyr von jeder Bestat­ tung eines Todten, den Tob und die Todten durch allerlei Gaukeleien zu hindern, ihnen zu folgen.

Sie springen über

Feuer, kriechen zwischen Stangen durch, wobei der Schamane

mit einem Stabe Bewegungen des Schlagens macht, um den Tod zurückzuhalten.

Darauf räuchern sie sich und die Hüt­

ten, oder verlassen sie, und nennen, wegen des gefürchteten Andenkens an Tobte,

deren Namen nie;

Verwandte aber

von gleichem Namen verändern sogar denselben.')

Sie halten das Sterben für eine Verwandlung des gegenwärtigen Lebens in ein Leben unter der Erde, und dem zeitlichen ähnlich, aber gespensterhaft, in Schattengestalt. Un­ ter der Erde herrschen die Erdgeister, Kobolde und Unholde, die den Todten viel Unheil zuzufügen suchen; weshalb auch

die telnutischen und koräkischen Schamanen

dieselben bei

Beerdigungen durch Formeln bannen und durch Lufthiebe mit einer Hacke abzuhalten suchen; viele aber, besonders die

in entfernteren Wüsteneien wohnen,

setzen ihre Leichen auf

Bäume, oder lassen sie über der Erde verwesen, oder ver-

') Georgi. S. 382. Gmelin. S. 273. 286. 300. 343.

Schamanenthum.

259

brennen sie in der Absicht, sie der Macht der Erbunholde zu entziehen.

Die Kamtschadalen dagegen, deren Halbinsel sich gegen

die kurilischen Inseln und in Verlängerung der Linie gegen Japan erstreckt, haben, wie auch die Kurilen, sinnlich fröh­ lichere Vorstellungen von dem Zustande der Seelen nach

dem Tode.

Auch sie sehen diesen Zustand als eine Fort­

setzung des zeitlichen Lebens an, aber nicht in gefpensterhafter Schattengestalt, sondern reichlicher begabt und sinnlich le­ bensvoller.

In dem Bewußtsein dieser Bewohner der öst­

lichen Länder der Veste der alten Welt hat sich auch die Todesfurcht noch nicht geregt.

ner Art,

Sie scheuen den Tod in kei­

sondern betrachten ihn mit demselben Leichtsinn

wie die Japaner und rufen ihn häufig in freiwilligem Selbst­

morde heran.')

Die Kamtschadalen zeichnen sich überhaupt

vor den übrigen sibirifchen Völkern durch Leichtsinn, Fröh­ lichkeit, lebhafte Einbildungskraft und einen gewissen Hang zur Sinnlichkeit aus.")

Scherzend und höhnend behandeln

sie gern mit Spott die Vorstellungen von höheren Machten.

Aehnlich den Kamtschadalen in mehrfacher Rücksicht sind die ihnen nördlich wohnenden Tfchudtschen, nur in dem ferneren

Norden theils verwilderter, theils dumpfer uud stumpfer im

Geiste geworben?) Als der eigentliche Haupt- und Ursttz des Schamanen-

thums ist die Gegend am Lenafluß und vom Baikal-See längs des altaifchen Gebirges über den Jenifey den Ob

herunter, so wie südlich von dieser Gegend die Wüste HochAsiens, inwieweit sie in den ältesten Zeiten als bewohnt ge­ dacht werden kann, anzusehen.

Obschon das Völkerleben

der kleinen und großen Bucharei von dem Wesen und Cha­ rakter des Schamanenthums in alten Zeiten stark berührt

gewesen ist, so scheint es doch, daß hier in dem nach Westen

*) Georgi. S. 363. 2) a. st. O. S. 331. 332. 344. 3) «. st. O. S. 345 — 355.

Schamanenthum.

260

sich senkenden Abhange Les Hochlandes und in den Nieder­

landen des caspischen Meeres und des Aral-Sees, in Hin­

neigung zum Feueröienst ein lebensvollerer Geist in der Seele der Völker erwacht gewesen sei.

Nördlich trifft man

an dem gleichfalls gen Westen sich hinabsenkenden Zuge des

uralischen Stammes,

Gebirges

vorzugsweise

auf Völker

finnifchen

die auch freilich seit den ältesten Zeiten dem

Schamanenthum in hohem Maaße ergeben waren, dabei je­ doch, in einem reicheren Bewußtsein, thätig und fähig ge­

wesen waren, wirkliche Göttergestalten in geistiger Anschau­

ung zu schaffen.

Der finnische Gott Jumala nebst anderen

demselben zur Seite stehenden Göttern ist eben so bekannt, wie es bekannt ist,

baß der scanbinavische Gott Thor den,

ihm selbst dem Namen nach verwandten,

Lhvr zur Seite hat.')

finnischen Gott

Es ist hier nicht der Ork, eine Dar­

stellung der Religion der finnischen Völkern zu geben; viel­

mehr möge die Bemerkung genügen, daß sie die Uebergangs» stufe aus. dem religiösen Leben der Völker des nördlichen Asiens in das der Völker des nördlichen Europa's darstelle.

Diejenige» Völker,

deren Bewußtsein ganz und gar

dem Schamanenthume verfallen, davon völlig umfangen und durchaus der

darin aufgegangen

Gegend des

war,

Baikal-See's)

fanden, als sie,

aus

ihrem

Ursitze

von und

ihrer Urheimath zuerst gegen Süden drängend, in gehäuften

Schaaren auf der Hochebene Mittel-Asiens sich zusammen­ geballt hatten, und darauf von da aus, nach Westen und Osten sich ergießend, in weltgeschichtlicher Bedeutsamkeit auf­

traten, zum größten Theile, inwieweit nicht hier oder dort auch der Islam Anhänger gewann,

das Heil ihrer Seele

und ihres Lebens in der Glaubenskraft an die ihnen gepre­

digte Gnade, die Buddha den Menschen gebracht hatte. Das Alpenland Tibet, nordöstlich von Bengalen bele­ gen, und gegen die Grenzen von China hin sich erstreckend,

') Georgi. Th. 1. S. 12. 19. 33. 42. 30. 58. 68.

52. 92. 100.

Gmelin. S. 45.

Reli'gionsgcschi'chte von Tibet.

261

nördlich an den Rand der Hochebene Mittel-Asiens stoßend nnd an dem Abhange derselben gelagert, bietet, seiner Welt­

stellung nach,

das Verbindungsglied dar zwischen der vor­

derindischen Halbinsel und dem ganzen nordöstlichen Asien.

Dies Land bildete sich denn auch zum Mittelpunkte des re­

ligiösen Lebens der Völker des nördlichen Theiles von OstAsien in dem Maaße aus, in welchem der von Vorderindien ursprünglich ausgegangene Glaube an den Gott Buddha jenen Völkern zum Heil ward.

Tibetischen Sagen zufolge war Tibet in frühen Zeiten nicht von Menschen, sonder» von wilden Thieren und bös­

artigen Geistern aller Art bewohnt, und es soll der Men­ schenstamm daselbst erst durch Vermischung eines Affen mit

einem weiblichen Kobold erzeugt worden sein.

Zum Besten

der Nachkommen aus dieser Ehe führte, der Sage nach,

ein großer und mächtiger Heiliger, der auf dem Gipfel des Berges Pudala wohnte, den alten Affen zum Ackerbau an. Darnach verkürzten sich in Folge des Anbaues und des Ge­ nusses verschiedener Getraide-Arten die Schwänze der Affen

zusehends, so wie die Haare ihres Körpers und verschwan­ den endlich ganz.

Die Affen fingen an, zu reden, wnrden

Menschen und bekleideten sich mit Baumblättern, sobald sie

ihre Menschheit bemerkten.

Seitdem ward das Schncereich

Tibet immer mehr bevölkert und angebaut, so daß es schon mehrere Städte zählte, als später ein Fürstensohn aus dem

Stamme Sakya, dem Buddha verwandt, aus seiner Heimath Indien vertrieben, nach Tibet kam, und hier die bis dahin vereinzelt lebenden Stämme von Tibet als König zu einem

Reiche vereinigte.')

So lautet die Sage, der von indischen

Bekehrern ihre Gestalt gegeben zu sein scheint. Der alten, mit dem Schamanenthum verwandten Lan-

desreligion entsprach ein Geisterdicnst, wie er in China, in

*) Schmidt'» Forschungen in dem Gebiete der Geschichte der Völker Mittel-Asiens. S. 23—27. 193. 214. SSanang SSetsen p. 23 INouv. jouin asiat. tom. 7. p. 193.

Rcligkonsgeschichte von Tibet.

262

der Schule der Tao-ßö, in den ältesten Zeiten von den Zau­ berern geübt worden ist.

Die Priester hießen. Bonbo, und

an der Spitze ihrer Gemeinschaft stand ein Bonbo des Him­ mels und ein Bonbo der Erde.')

Noch im 9ten Jahrhun­

dert hing man jn Tibet der alten Landesreligion sehr an.

In den, im Westen von Tibet belegenen Ländern, in Kaschgar, Kotan und Merken,

hatten schon in den ersten

Jahrhunderten vor Christi Geburt budhhaische Bekehrer, aus

Indien und wahrscheinlich aus Kaschmir gekommen, Glauben gepredigt und auszubreiten angefangen.")

ihren

Zu An­

fänge des Sten Jahrhunderts nach Christi Geburt war die Bevölkerung des ganzen Südrandes des Hochlandes von

Mittel-Asien schon zum Buddhaismus bekehrt.") diese Zeit fällt die Einführung,

Begründung der Herrschaft desselben

Tibets)

Um eben

oder wenigstens die festere

im Volksleben von

Die eigentliche Verbreitung der Buddha-Religion

in ihrer Blüthe und in ihrer Herrschaft über ganz Tibet

und mehrere angrenzende Länder erfolgte indeß erst in der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts mit reißender Schnelligkeit unter einem großartig gesinnten Fürsten, der

dem Geiste feines Volkes einen höheren Schwung gab, die die Schneegebirge bewohnenden, immer nur noch lose ver­

knüpften Stämme enger vereinigte, und der Kraft der Re­ ligion und der Gesetze neues Leben einzuhauchen vermochte. Sein Name war Srongdsan Gambo?)

Nach seinem Tode

blühte das achte Jahrhundert hindurch die Macht des tibe­

tischen Reichs.

Zu Anfänge des neunten Jahrhunderts aber

trat von Seiten der Anhänger der alten Landesreligion eine gefährliche Rückwirkung ein, und in Folge dessen traf unter *) Foe Kone Ki c. 23. n. 6. SSanang SSetsen p. 241. 416. 2) Abel -Remusat sur les langues tart. Disc. prel. p. 2—9. tom. 1. p. 395. 397. 3) Foe Kone Ki c. 2. 3. 4) Schmidt a. a. O. S. 215. 216. SSanang SSetsen. p. 27. 320. 5) Schmidt a. a. O. S. 216 — 230. Journ. asiat. tom. 10. p. 145. SSanang .SSetsen p. 31. 326. 327.

Religion-geschichte von Tibet.

263

dem König« Dharma zu Anfang« bes lotein Jahrhunderts «ine grausam« Verfolgung die Bauddha's von Tibet, durch

welch« hier ihre Religion fast völlig ausgerottet ward.')

Es

heißt darüber in mongolischen Schriften: „Wie der Strom „der Frühlingsgcwässer zerrann nach dem Lobe des Königs „die Macht und Stärke des töbötischen Reichs; wie.eine

„verwittert«

Schilfhütte fiel die gesetzliche Herrschaft der

„zehn verdienstlichen Werke zusammen; wie eine Lampe, de-

„ren Oehl ausgegangen ist,

erlosch das Glück und die

„Wohlfahrt des Landes von Töböt; wie die Farben bes „Regenbogens verschwand die königliche Würbe und Maje» „stät;

wie ein verheerender Sturmwind aus finsteren Re-

„gionen verbreiteten sich die Religion und die Gebräuche „der schwarzen Gegend;

und die Neigungen zu guten Ge-

„sinnungen und Handlungen war vergessen, wie man einen

„Traum vergißt.

Die Großen,

die der Religion geneigt

„waren, beweinten den Untergang derselben, ohne im Stande „zu sein, ihn zu verhindern."'-')

Es erhob sich indeß, die Buddha»Religion in Tibet

wieder zu Anfänge des Ilten Jahrhunderts,

und in der

letzten Hälfte desselben durch den berühmten Lama Dschu

Adhischa völlig wieder hergrsicllt, blühte sie nunmehr seit dieser Zeit wieder in einem Glanze auf, diesem Lande,

den ihr Dienst in

welches der Sitz des Mittelpunktes der la«

maischen Hierarchie ward,

späterhin unter allen politischen

Stürmen nicht nur nicht verloren, sondern vielmehr reicher

entfaltet hat.")

Don hier aus verbreitete sich im I3ten Jahrhundert die Buddha-Religion unter die Mongolen.

Die unter Dschin-

gis-Chan und durch ihn aufgeregte Bewegung in dem Le­

ben der Völker des inneren Asiens hatte in ihrem Geiste zu-

gleich Kampf und i» ihrer Brust religiöse Bedürfnisse auf-

') SSaiiang SSelscn p. W. 350. 351. 362. 36-3. 2) n. a O. p. 51. 53. 363. •') Schmidt s Mischungen. S. 236—23'.!. SSaiiani;: SSelscn p.53. 368.

264

Buddhaismus unter den Mongolen,

geregt, für die sie, schwankend in der Unsicherheit ihres Be­

wußtseins, überall herum nach Befriedigung suchten.

Kein

Volk, als das der Mongolen der damaligen Zeit, hat wohl je dadurch, daß cs in solchem Maaße, wie eben jenes, sich

leicht zu irgend einer Religion bekehren ließ und eben so leicht wieder davon abfiel, einen von religiösen Bedürfnissen angeregten, aber unbefriedigt gebliebenen Zustand des Ge­

müths

kund

gethan-

angeregten Kampfe

In

einem

bewegte

sich

höchst

mannichfaltig

unter Dschingis-Chan

und unmittelbar nach seinem Tode das religiöse Bewußtsein der Völker des Hochlandes von Asien.

Das Christenthum

war in verschiedenen Formen, der Islam und der BuddhaGlaube dorthin gedrungen zu Völkern, die ihrem ursprüng­ lichen Naturbewußtsein nach nur von gespensterhaftem Scha­

manenwesen wußten und daran hingen.')

Dschingis-Chan

zwar, der, indem er für Wahrsager die Todesstrafe bestimmte,

und auch schon die Absicht hatte, sein Volk zum Buddhais­ mus bekehren zu lassen, dem Schamanenthum entsagt zu

haben scheint, stellte durch sein Gesetz den religiösen Grund­

satz fest, daß der Glaube an den Schöpfer des Himmels

und der Erde, und den Herrn aller Dinge allgemein ange­

nommen werden sollte?)

Eine auf diesen nur so ganz im

Allgemeinen sich haltenden Glaubenssatz sich beschränkende Lehre,

konnte jedoch den tieferen geistigen Bedürfnissen der

noch ihren Geist befriedi­

Mongolen keinesweges genügen, gen.

Cie bedurften einer lebendigeren, reicheren Nahrung

für ihre Seele, und es trug unter ihnen, bald nachdem in

dem Jahre 1247 auch ein Fürst aus dem Stamme Dschingis-Chan's sich zum Glauben an

diese Lehre den Sieg davon.")

Buddha bekannt hatte,

Sie halte in Tibet ihren

Sitz, von wo aus sie sich unter die Mongolen verbreitete.

*) Abel-Remusat melang. asiat. tom. 1. p. 138. 139. 2) Timkoffsky. Th. 3. S. 182. SSanang SSetsen p. 393. 3) SSanang SSetsen p. 113. 118. Schmidt- S- 143. Timkoffsky. Th. 1. S- 218. Pallas. Th. 2. S- 16.

Buddhaismus unter dm Mongolen.

265

Drei und dreißig Jahre nach Dschingis-Chan's Tode, in

dem Jahre 1260 erhielt von dessen Enkel Batu der Gum von dem Berge Pudala, wo der Haupttempel von Tibet er­

richtet war, die Würde und den Rang eines obersten La-

ma's für die gesammte lamaische Geistlichkeit,

an die sich

die chinesischen Bonzen, jedoch nur auf eine sehr lose Art,

angeschlossen haben.')

Bei der Bekehrung ging das Geschäft der Bannung und Beschwörung der Geister, welches sonst die Schamanen

besorgten, auf die Buddhapriester über, und die verschiede­ nen Geisterschaaren wurden nach indischen Ansichten geord­

net.") Auch hatte schon um die Zeit, in welcher unter Dschingis-Chan die Seele der Mongolen von weltgeschichtlichen

Regungen mächtig ergriffen worden, der Todtendienst eine

höhere Bedeutung gewonnen.

Dem Dschingis-Chan war

ein Heroendienst geweiht worden, indem über seinem Leich­ nam ein Grabmahl auf ewige Zeiten errichtet, und daselbst

acht weiße Häuser als Orte der Anrufung und Verehrung

erbaut waren.

Vyr diesen Häusern mußten die Nachfolger

des Groß-Chans, wenn sie den Thron bestiegen, die Weihe der Herrschaft empfangen und vor denselben sich beugen.") Die Ahnen weiblichen und männlichen Geschlechts wurden angefleht um Schutz und Beistand, und besonders wurde

als Vorsteherin der fürstlichen Ehen die Urmutter der Herr­ scherinnen verehrt.")

Nachdem die Mongolen von dem Buddhaismus wieder abgefallen waren, erwachte unter ihnen die alte Sitte wie­

der, wonach bei dem Begräbnisse eines Menschen, nach Be­ schaffenheit seiner Vermögensumstände, eine Anzahl Kameele

und Pferde geschlachtet, und uriter der Benennung Choilga

*) Abel - Remusat melang. asiat. tom. 1. p. 137. of the Shamans. pref. p. 16. 2) SSanang SSetsen p. 353. 354. ») a. a. O. p. 109. 389.

4) a. «. £>. 9. 181.

The catechism

Buddhaismus unter den Mongolen.

266

mit ihm zugleich begraben wurde; ja, nach alter Scythen

Weise wurden sogar Menschen und manchmal Kinder in

großer Anzahl bei Begräbnissen geopfert.

Diese Sitte warb

nach der Wiederbekehrung in der Art abgeschafft, daß das

zum Tödten bestimmt gewesene Vieh nunmehr der Geistlich­ keit dargebracht werden mußte.')

Wahrend der Unruhen,.die den im Jahre 1368 erfolg­ ten Sturz der mongolischen Herrschaft in China herbeiführ­

ten, verließen die bubdhaischen Geistlichen den Hof der mon­ golischen Kaiser,") und in Folge dessen verfiel der buddhaische

Religionsdienst unter den Mongolen, wie sie denn überhaupt

wieder zu verwildern anfingen,

China gebrochen worden war. sterdienst,

nachdem ihre Macht in

Der alte Tcgri- oder Gei­

freilich offenbar mit indischen Anfichten versetzt,

fing an, wieder aufzublühen.

Nachdem aber in der ersten

Hälfte des 16ten Jahrhunderts Dajan Chaghan der Zwie­ tracht und dem Hader unter dem Volke der sechs Tümen

Einhalt gethan, und Ruhe, Einigkeit und Wohlfahrt unter dem ganzen großen Volke der Mongolen verbreitet,

auch

feierlich vor den acht weißen Häusern des Herrschers den

Titel Chagan angenommen und als solchem sich hatte hul­ digen lassen,") und darauf später Altan Chagan sich und seine Macht den benachbarten Völkern und selbst den Chi­

nesen furchtbar gemacht hatte, zögerte die buddhaische Geist­ lichkeit von Tibet nicht, den erfolgreichen Versuch zu machen,

die Mongolen wieder zum Buddhaismus zu bekehren.

Auf

Einladung des Chagan's erhob sich der Dalai Lama in eige­ ner Person, um sein lächelndes Antlitz, dem Volke der Mon­ golen zu zeigen, und im Jahre 1578 trat der Chagan

und fei» Volk wieder förmlich und öffentlich zum Bud­ dhaismus über.4* )* 3

*) 2) 3) 4)

SSanaug SSelscn p. 235. 249, 416. (1. «. O- p. 133. a. a. O- p. 193. 195. a. a. O. p. 211. 213 . 226. 227 — 235.

Lamaische Geistlichkeit.

267

Wenn und wo der buddhaischen Geistlichkeit das Bekeh-

rungsgeschäst ernstlich am Herzen lag,

so verfuhr fie nicht

nur mit vieler Besonnenheit und geistlicher Würde, sondern

auch mit Schlauheit.

Zuerst wurden denen,

die bekehrt

werden sollten, verschiedene heilige Gegenstände zur äußeren

Verehrung dargeboten, um die Empfänger zur Sammlung des Gemüths, in welchem Trotz, Uebermuth und Wildheit

gebändigt,

Gehorsam erzeugt wirb,

aufzufordern;

darauf

ward die bekannte sechssylbige Hauptformel des Gebetes,

„Om mani padme hum",') mitgetheilt, um den Schüler, in

andächtigem Hersagen derselben, noch mehr zur stillen Samm­ lung des Gemüths zu gewöhnen.

Wunder,

b'e zur Stär­

kung im Glauben dienen sollten, wurden nicht verschmäht.

Dem, dessen Gemüth reif dazu war, wurde die Lehre oder

höhere Weihe ertheilt?) Die lamaische Geistlichkeit zerfiel seit dem I5ten Jahr­

hundert") in zwei Partheien, von denen die eine, die der Rothmützen, die Priesterehe in den niedern Graden des geistlichen

Standes zuläßt, die andere, die der Gelbmützen, dieselbe verbie­ tet?) Die Zwietracht über diesen Gegenstand ward so groß, daß

der Streit selbst auf blutigem Wege nicht entschieden wer­

den konnte,

sondern daß die Priester im nördlichen Tibet

einen neuen Chubilghan, den Dalai Lama nämlich, zum Ge-

genpapsi aufstellten, und dessen Göttlichkeit nicht nur durch

ihr Uebergewicht behaupteten, sondern denselben auch nach und nach im Ansehen über den älteren Groß-Lama,

den

Bantfchen Rinbotfchi, zu erheben im Stande gewesen sind.

Indeß ist die

Zwietracht schon

längst insofern, beigelegt,

daß beide Oberpriester Wechselsweife zu einander wallfahr-

*) Vergl. Nouv. journ., asiat tom. 7. p. 186. 2) Vergl. SSanang SSetsen p. 26. 27. 211. 228 — 239. Schmidt's Forschungen. S. 216. 3) Nouv. journ. asiat. tom. 7. p. 174. 4) SSanang SSetsen p. 392. TUtlier's Reift Nach Tibet. S. 336.

268

Lamaische Geistlichkeit.

ten und einer vom andern den Seegen empfangt.') Inso­ fern Chongschim Bodhisatua, als dessen Chubilghan der Da­ lai Lama gilt, als geistlicher Sohn und Zögling des Amidabha, brr im Bantschen Rinbotschi sich chubilghanisch wiedrrgebiert, angesehen wirb, steht der Bantschen Rinbotschi über dem Dalai Lama; weil aber Chongschim Bodhisatua nach dem Glauben der Lamaiten derjenige ist, der die Bil­ dung und Regierung Tibets, so wie die Verbreitung der Religion Bubdha's in diesem Lande übernommen, und in mancherlei Geburten als König und Priester vollendet haben soll, und daher ganz vorzüglich als die Schutzgottheit dieses Landes verehrt wird, so erhält sein Chubilghan dadurch eine höhere politische Bedeutung. In geistlicher Würbe, Hoheit und gewähnter Göttlichkeit findet nicht der geringste Unter­ schied zwischen ihnen statt, und sie genießen gleicher Ver­ ehrung.') Die Anhänger beider Großlamen bilden zwei verschie­ dene religiöse Secten, in welche sich beinahe die ganze Mon­ golei von Turkestan bis an die östliche Grenze Hochasiens theilt. Die Priester der einen Secte sind gelb gekleidet, und tragen eine gelbe Kappe; die Priester der anderen Secte rothe Kappen. Die verschiedenen Stamme gehören immer bestimmt zu einer der beiden Secten. Die rothen Kappen­ träger bilden zwar die ältere, aber dennoch ketzerische Secte. Denn sie sind es, die die Priesterehe bei sich eingeführt ha­ ben. Der Kaiser von China ist ein entschiedener Anhänger der gelben Kappenträger, die die Priesterehc verwerfen; und besonders durch den Einfluß des chinesischen Kaisers ist es auch den gelben Kappenträgern gelungen, sich zur vorzugs­ weise herrschende» Secte zu machen. Der Dalai Lama sieht an der Spitze der gelben Kappenträger und hat seinen Sitz zu Lhassa; der Bantschen Rinbotschi aber steht an der Spitze *) Pallas. Th. 2. S. 114. Journ. asiat. tom. 4. p. 266. 268. Schmidt s Forschungen. S- 209. 2) SSanasg SSclsen p. 415.

Lamaische Geistlichkeit.

269

ber rothen Kappentrager, und hat seinen Sitz zu Tafchi Hlunpo in Bootan, demjenigen Landes rvo der Hauptsitz dieser Secte ist.') Jedem der Großlamen stehen zwei Qberlamen zur Seite, und diesen folgen an Rang die Kutuchta's, deren Zahl Pallas nur auf sieben, Timkoffsky aber auf zehn angirbt?) Einer von diesen wohnt in der Stabt Urga; die übrigen halten sich in Tibet und Bootan, theils an den Höfen der Großlamen, theils in Klöstern auf?) Außerdem giebt es noch mehrere Abstufungen des geist, lichen Ranges und Priestcrstanbes, den die Geistlichen durch die verschiedenen Weihen erhalte». Die Geistlichkeit lebt auf zweierlei Weise, entweder unter dem Volke, um priesterliche Geschäfte zu versehen, oder klösterlich, und es schließt sich rin Stand ber Laienbrüder und Nonnen an sie an?) So sehr auch die Kaiser von China dem Hohenpriester ihres gegenwärtigen Glaubens äußerlich Verehrung erweisen, so findet doch im Geheim ein steter Kampf des kaiserlichen ge­ gen den geistlichen Hof, der weltlichen gegen die geistliche Macht statt?) Recht eigentlich geschaffen scheint die Buddha-Religion für die Völker von Tibet und der benachbarte» Lander. Sie ist cs, die die Dichhi'rten von Tibet erst zu einem höheren geistigen Dasein aufrcgte, und die die Sitten und Gesinnung der Nomaden der Mongolei milderte. Ihre Apostel waren es, die es zuerst wagten, von Pflichten, Sittlichkeit und Ge­ rechtigkeit zu den wilden, wcltstürmenden Eroberern, die Asien verheerten, zu reden. Zur Zeit Dschingis - Chan's zeichneten sich die Stämme der mongolischen Völker durch SSanang SSelsen p. 415. Turner st. st. O S- 350. Dergl. William Ionas Abhandlungen über Asien, übersetzt von Kleuker. Band 3. S- 453 ff. 2) Timkofföky. Th. 1. S. 33. 34. Th. 2. S. 295. ’) o. ö. O. Pallas. Th. 2. S. 117. 4) Pallas. «. st. O. s) Journ. asiat. tom. 4. p. 269.

270

Lamaische Geistlichkeit.

eine gleiche Wildheit aus, wie die türkischer Abkunft.

Die

letzteren hatten alle den Islam angenommen, und sind dem­ selben treu geblieben, und der Fanatismus einer unduldsa­

men Religion hat nur dazu beigetragen, die Wildheit ihrer

von Raub- und Mordsucht, wie von Wollust aufgeregten

Gemüthsstimmung zu erhöhen.

Unter den Mongolen dage­

gen ist, in ihren Sitten und ihrer Lebensart, seitdem sie sich

zu dem lamaischen Glauben bekehrt haben, und in Folge

desselben, eine gänzliche Umwandlung vorgegangen.

Eben so

friedlich, wie ihr Geist früher stürmisch, unruhig und unbän­

dig war, ergeben sie sich jetzt fast ausschließlich der Sorge für ihre Heerden und daneben geistlichen Betrachtungen.

In Tibet aber hat das Volksleben überhaupt nur dann und in dem Maaße geblüht, wann und in welchem Maaße hier

auch der Buddha-Glaube eines kräftigen Lebens in dm Gemüthern sich erfreuen durfte.') Abel-Remusat melang. asiat. lom. 1. p» 143. 144.

Religioiiszustand auf Ceylon uitb in Hinterindien.

auf Ceylon und in Hinterindicn auch die Bud­ dha-Religion herrscht, so hat dieselbe hier doch unter süd­

licheren Völkern einen etwas anderen Charakter angenom­ men, als unter den Völkern des Nordens von Asien.

Als

die auf Ceylon herrschende Religion ist zwar der Buddhais­

mus auzusehen; doch wird hier auch die brahmanische Re­

ligion mehr in dem Verhältnisse eines freundlichen Nebeneinanberbestehrns,

als feindlichen Gegensatzes

gepflegt.')

Der cingalesifche Südländer hatte die Ehrfurcht vor den Machten der Welt, die irdisches Heil oder Unheil schaffen,

nicht dergestalt in feinem Geiste überwinde» können,

baß

ihm, wie dem Nordländer des Schneereichcs von Tibet, als

alleiniger Hauptgegenstanb des gläubigen Vertrauens derje­ nige genügt hätte, auf den er in Rücksicht auf fcatf ewige Heil seiner Seele hoffte.

Buddha hat freilich im Glauben

und im Religionsbienst der Cingalesen den Vorrang behaup­ tet vor den Weltgöttern; nirgends jedoch besteht anderswo neben dem Buddhaismus der Dienst der brahmanischen Göt­

ter, der Schutzgötter der Insel und der alten Landesgötter

in solcher Macht, wie auf Ceylon. Die Cingalesen machen sehr bestimmt einen scharfen

Unterschied in Rücksicht auf die Gegenstände ihrer religiösen Verehrung, indem sie Buddha und die Heiligen, deren Lebe»

*) Philalethes history of Ceylon, p. 197. Davy an account of the interior of Ceylon, p. 227.

272

Religionszustand auf Ceylon.

ihm geweiht war, um des Heils ihrer Seelen willen, dage­ gen aber eine andere Ordnung von Göttern als Weltmächte verehren, denen, wie sie glauben, die Regierung des Erden­ lebens und weltlicher Angelegenheiten zusteht. Die dem Dienste des Buddha geweihten Tempel unterscheiden sich von den Tempeln der Weltgötter besonders dadurch, daß alle Bilder, aller Schmuck und alle Zierde der Tempel BudLha's auf den dem Wesen des Buddha geeigneten Frieden Hinweisen, da hingegen die Bilder, der Schmuck und die Zierde der Tempel der Weltgötter den im Leben waltenden Kampf und Streit verkünden.?) Die Wcltgötter und ihr Dienst sind der BrahmanenReligiou entnommen,*2) und wie denselben eigene Tempel und ein eigener Dienst geweiht sind, so werden ihre Heiligthümer auch von einer besonderen Priesterschaft versehen. Eine Brahmanenkaste im eigentlichen strengen Sinne hat sich jedoch so wenig wie ein bestimmt geordnetes Kastenwesen auf Ceylon ausbilden können, wenn auch allerdings die Be­ völkerung der Insel, dem indischen Gesetze gemäß, in vier Kasten getheilt werden sann.3) Es zeigt sich in der Art und Weise, wie die ständischen Verhältnisse sich hier ent­ wickelt haben, eine dem reinen Geiste der Budbhalehre sehr widersprechende, starke Hinneigung zum Kastenwesen. Dem Grundverhältnisse nach, wie es zur Zeit des alten, roheren Zustandes der Cingalesen bestanden haben mag, scheint das Volk in drei Stände getheilt gewesen zu sein, in den Stand fürstlichen Geschlechts, den freien und unfreien. Von den freien stammt der gegenwärtige Adel des Landes her, der bey zahlreichsten Theil der Bevölkerung ausmacht, und an dessen Rechte übrigens auch alle Christen Theil haben. Von den Unfreien scheinen die Handwerker abzustammen, deren jeder von Geschlecht zu Geschlecht in kastenhafter Weise dem Ge*) Knox hist, relat. of the Island os Ceylon, p. 145. ~) Philalethes hist, of Ceylon, p. 292. 3) Davy. p. 111.

Aeligionszustanb auf Ceylon.

273

seines Vaters sich ergiebt. Eheliche Verbindungen zwischen. Mitgliedern verschiedener Stande werden nicht gestattet, und überhaupt auch herrscht in der Gesinnung der höheren Stände ein großer Abscheu vor solchen gemischten Ehen.') Es ist jedoch die Brahmanenkaste von der Kriegerkasie keiuesweges bestimmt geschieden, wenn auch unter dem Adel ein zweifacher Rang sich findet, der indeß nur bei dem Ent­ schlüsse zu ehelichen Verbindungen in Frage kommt, und überhaupt in dem Unterschiede der Abstammung von fürst­ lichem ober freiem • Geschlechte ursprünglich zu wurzeln scheint.3*)2 4 Im Uebrigen werden aus dem ganzen Adel, je­ doch nur aus diesem, die Priester für den Dienst in den Tempeln der Weltgötter erkoren. Sie unterscheiden sich nicht durch eine eigene priesterliche Kleidung vom Volke und leben unter demselben in einer ganz ähnlichen Weise, wie die Brahmanen in Indien. Sie sind in dem Genusse eines zu dem Tempel, bei dem sie den Dienst versehen, gehörigen Stück Landes, gehen aber, wenn sie nicht in Geschäften ih­ res priesterlichen Amtes begriffen sind, den Angelegenheiten ihres eigenen Hauswesens nadj.3) Größere Heiligkeit als diesen wirb denen beigelegt, die als Buddhapriester die Weihe empfangen haben, und in den Verein der Geistlichkeit ausgenommen worden sind. Sie leben, wie überhaupt die buddhaische Geistlichkeit überall, in klösterlicher Zucht und Gemeinschaft, haben unter dem Na­ men Tirinanxes ihre Guru's, und genießen großer Vorrechte auf Ceylon. Die Sorge, die ihnen in ihrem priesterlichen Verhältnisse zum Volke obliegt, beschränkt sich darauf, daß sie die Heiligthümek, die das ewige Heil der Stele angehen, zu versehen haben.") Dtm Verein der Geistlichkeit fehlt gegenwärtig, ohne !) 2) 3) 4)

Knox. Knox. Knox. Knox.

p. p. p. p.

131 — 142. Philalethes. p. 233. Davy p. 111 — 133. 133. 150. Philalethes. p. 221. Davy. p. 228. 147. 149. Philalethes. p. 219.

RellgkonSiustand auf Ceylon.

274

baß er im inneren Zwiespalt lebte, ein Mittelpunkt.

Es

bestehen in Kandy zwei große Hauptklöster unabhängig von

einander, die fich in der Herrschaft über die Geistlichkeit der ganzen Insel theilen, indem ein Theil der Priesterschaft zu

dem einen Kloster sich hält, ein anderer zu dem zweiten.') Jedem dieser Klöster sind zwei Tirinanxes vorgesetzt. Früher

wenigstens fanden zu Dietlighy Versammlungen der Tin» nanxes des gesammten Vereins der Geistlichkeit statt, bei welchen über die gemeinsamen Angelegenheiten Berathun»

gen angestellt wurden.3 * )24 Zu der Würde eines Tirinanxes wird nur derjenige zu»

gelassen, der seine Abstammung aus dem vornehmsten Adel nachweisen ftmit.3)

Außerdem wird auch feine Bildung und

Wissenschaft gefordert.

Den Mitgliedern niederer Kasten ist

überhaupt die Aufnahme in den untersagt?)

Verein der Geistlichkeit

Hierin zeigt sich recht mit Bestimmtheit der

Gegensatz zwischen Ceylon und Tibet, und wie auf Ceylon

der reine Geist der Buddha-Lehre sich nicht habe ansiedeln, nicht entfalten können.

Hier in diesem Lande des Südens

waltete in dem Geiste des Menschen die Macht der Natur zu sehr vor, als daß die, wenn auch nur von Buddha,

und eben deshalb auch nicht in der ihrem wahren Wesen vollkommen geeigneten Gestalt, gebrachte Freiheit des Men,

schengeistes in vorherrschender Macht lebendig sich hätte entfalten können. Eben diesem Verhältnisse entspricht auch die der Insel Ceylon eigenthümlich angehörenbe Urreligion, deren Spuren

in dem Volksleben sich zeigen.

In den Waldern im Innern

der Insel irren freie Wilde umher, von deren Religionsdienst man nichts weiter weiß, als daß sie ihrem Gotte oder Göt-

tern Opfer unter Bäumen darbringen, indem sie dabei tanzen.

Davy. p. 218. 2) Philalethes. p. 219. Knox. 147. s) Knox. p. 147. Philalethes. p. 219. 4) Davy. p, 219.

Religionszusrand auf Ceylon.

275

In dem Glauben der zum Buddhaismus bekehrten und da»

durch zu höherer Bildung berufenen Cingaleftn finden sich indeß die bestimmtesten Spuren von einem geordneteren Gei»

sierbienste älterer Zeiten.') Die Vorstellung von einem höchsten göttlichen Geiste, dem Schöpfer des Himmels und der Erde,

Ossa polla

maupt Dio genannt,3* )*4 kann vielleicht aus einer Vorzeit, in welcher weder buddhaifche noch brahmanische Bildung in

Ceylon eingedrungen war,

herstammen; möglich aber auch

ist es, daß sie sich erst im Verkehr mit Muhemedanern und Christen erzeugt habe; in ihrer abstracten Form hat sie mit brahmanischen Vorstellungen nichts gemein,

und nirgends

zeigen sich Spuren, daß sie auf die Form des aus der Vor­ zeit herstammenden Dienstes, der den gefürchteten Geistern geleistet wird, Einfluß ausgeübt hatte.

Sonne und Mond

aber, Zrrihaumi und Handahaumi, müssen schon frühe als

Gottheiten verehrt worden fein,3) so wie die vier furchtba­

ren Schutzgeister der Welt, die vier Pattinies, die auf den Gipfeln der Berge thronen, und die Wald- und Berggei­ ster/)

Damit verbindet sich in einem, nicht eigentlich öffent­

lich herrschenden, sondern nur, wie aus der Vorzeit herstam­ mend, vom Volke beibehaltenen Dienste .eine Verehrung der

Geister der Tobten.

Diese Geister werden Dayautas ge­

nannt, und denselben erbaut feder Einzelne aus dem Volke

auf eigene Kosten Tempel, bei denen er alsdann auch selbst als Priester

den Dienst versieht.

Die Tempel find mit

Schwerdtern, Streitäxten, Pfeilen und Schilbern, wie auch mit Bildern, die an die Wand gemalt sind, und mensch»

*) 2) 3) 4)

Knox. p. 123. Knox. p. 143. Upham hist, of Budhism. p. 121. Knox. p. 144. Yakkun Nattannawa and Kolarn Nattannawa translat by Callaway. London. 1829. p. 23. Upham hist, of Budhism. p. 41.50. 120. Vergl. Upham the sacred and hist, books of Ceylon, vol. 1. p. 84.

276

Rclkglvnsjustand auf Ceylon,

liche Gestalten in Stellungen barstellen, die Kampfgker aus­ brücken, geschmückt.') denen zu Ehren diese Tempel

Die Macht der Geister,

erbaut werden, wird durchaus als örtlich beschränkt gedacht

und jeder Ort und jede Landschaft hat eigene Geister dieser Art.

Ihr Dienst ist hauptsächlich in Furcht vor ihrer scha­

denbringenden Macht

gegründet.

Es

sind

vorzugsweise

Krankheiten des Körpers und des Geistes, die sie dem bösen Einflüsse dieser Geister zuschreiben; nicht selten verkommende

Erscheinungen, die der Besessenheit eignen, sollen von ihnen herrühren.

Doch auch Wahrsagerei wird damit verbunden,

indem der Glaube herrscht, daß wenn der priesterliche Vor­ steher eines Tempels dieser Geister eine Waffe, oder was sonst, als dem Tempel geweiht, darin aufgehängt ist, heraus­

nimmt und auf seine Schultern legt, begeistert wird, und in dieser Begeisterung Weissagungen verkündet) Dem Dienste

dieser Geister liegt vornehmlich die Absicht zu Grunde, die Aeußerungen ihrer Schadenfreude abzuwenden, und,

wenn

geringere Opfer nicht helfen wollen, so werben dem Fürsten

derselben größere dargebracht.

Es werden wilde Tänze m

seltsamen Vermummungen angestellt.

Es kann allerdings nicht geläugnet werben, baß dieser Geisterdienst einige Verwandtschaft mit dem Schamanen­

dienste des Nordens zeige.

Höchst auffallend sogar ist es,

daß in cingalesischen Gesängen, die sich auf diesen Kreis religiösen Dienstes beziehen,

der Name Maha Bambo zur

Bezeichnung eines großen Geistes gebraucht toirb.4* )3 Der Name Bambo dürfte weniger aus einer Umwandlung deS Wortes „Brahma" herrühren, als auf das tibetische Wort

Bombo Hinweisen,

welches zur Bezeichnung deS älteren

*) Knox. p. 143. 150. PMlalethes. p. 221. 3) Knox. p. 150—156. PMlalethes. p. 222. Davy. p. 229. Upham hist of Budhism. p. 26. 3) a. a. O. Dergl. Kölan Nattannawa» 4) Yakkun Nattannawa. p. 5.

Religion-zustand auf Ceylon.

277

tibetischen Geisterdienstes gebraucht wird. Der Name Bamba kommt auch sonst noch in cingalesischen Sagen als Bezeichnung eines bösen Gespenstes oder Erdwurms vor.') Es unterscheidet sich jedoch wesentlich die cingalesische Zauberei auf eine eigenthümliche Weise von der schamanischen dadurch, baß bei jener leidend die Begeisterung empfangen wird und nicht die freie Kraft des Menschengeistes im Kampfe mit den Geistern, wie int Schamancnwesen, hervortritt. Die Cingalesen greifen nicht in schamanischer Weise zu dem Mit­ tel der Geisterbeschwörung, um bei Krankheitsfällen zu er­ fahren, welcher der Geister bas Uebel geschickt hätte. Sie gehen vielmehr bei weitem äußerlicher dabei zu Werke, indem sie einen kleinen Bogen zur Hand nehmen, an dessen Sehne sie eine Art von eiserner Schcere, deren sie sich zu ihren häuslichen Beschäftigungen bedienen, hangen. Sie nennen darauf die Namen aller Götter und Geister und achten den für den Bringer des in Frage stehenden Unheils, bei dessen Namen die Scheere in schwingende Bewegung gerächt) Flehend bete» sie zu ihren Geistern und bringen ihnen de­ müthig Opfer, indem sie dabei tanzen; aber auf «inen Kampf mit ihnen lassen sie sich, wie die Schamanen, nicht ein. Auch sind sie, nach dem Charakter der Völker des Südens, in einem bei weitem höheren Maaße, wie die Anhänger des Schamanrnthums, der Zeichendeutcrei ergeben. Sie achten auf die geringste Erscheinung und legen derselben eine gute oder böse Bedeutung bei?) Nicht unwahrscheinlich ist, daß sie schon von frühen Zeiten her eine starke Neigung zur Sterndeuterei gehabt habe» mögen. Der hier geschilderte rohere Gcisterdienst wird von Ge­ bildeteren nicht gebilligt; innerhalb des Kreises des BuddhaDienstes ist er verboten, und die hohe Geistlichkeit hat einen großen Abscheu vor demselben?) Die Tempel, die in diesem *) 2) 3) 4)

Upham the sacred and hist. Looks of Ceylon, v. Knox. p. 152. Knox. p. 128. Davy. p. 229.

1. p. 79.

Religionszustand auf Ceylon.

278

Dienste errichtet werden, heißen Kowillas, und die den priesterlichen Dienst als Lanzer versehen, werden Jadbeses oder Aakka dura genannt.')

Dieser Dienst ist nichts anderes,

als Ueberdleibsel jenes alten Religionsdienstcs,

dessen als

des Rat- und Naga-Dienstes oder des Geister- und Schlan­

gen-Dienstes so häufig in indischen Sagen gedacht wird, und

der in alten

Zeiten

über

ganz

Südindien verbrei­

tet war.-)

Auch in Radschastan unter den Bhills und anderswo kommen Spuren desselben noch häufig vor?)

Das Sinn­

bild der Schlange wird mit dem Geisterdienste verknüpft in

Beziehung auf die Vorstellung von Gräbern, zwischen denen Schlangen fich winden, und aus denen nächtlicher Weile

Gespenster emporsteigrn. Obgleich der Buddhaismus diesem Dienste feindlich ent­

gegensteht, so hat er demselben doch in einer umgewandelten

besonderen Form

anerkannte Duldung

gewähren müssen.

Schon der Brahmaismus hatte den Schlangen - Dienst in

sich ausgenommen, und wenn auch in der Bhagawad-Gita Krischnas den

damit

zusammenhängenden gespcnsterhaften

Dienst der Bhuta's, der Geister der Todten, verwirft, so war derselbe doch an den Kreis des Siwas-Dienstes angeschlof« In ähnlicher Weise nahm ihn

sen worden?)

Ceylon der Buddhaismus in sich auf.

bleibt dabei,

auch auf

Merkwürdig jedoch

daß er hier noch immer außerhalb der Kreise

des eigentlichen

buddhaischen Religions - Dienstes bestehen

blieb. Furchtbare Todcsgötter gehörten auch dem buddhaischen

Systeme der nördlichen Völker an,

und auch unter ihnen

*) Knox. p. 150. Philalethes. p. 221. Yak Lun Nattannawa. p. 25. 2) Vergl. Upham hist, of Budhism. p. 112. 113. Wilson Macken­ zie collect. introduct. p. 58. *) Tod Rajastban vol. 2. p. 227. 228. 678. 718. 735. Transact o£ the roy. as. soc- vol. 1. p. 57. 76. 77. Asiat, res. vol. 16. p. 161. 220 — 223. Nour, journ. asiat. tom. 10. p. 478. Jacquet religion des Malabars. Paris. 1835. p. 99. 104. 4) Kennedy research. p. 445.

Religionsiustand auf Ceylon.

279

sind Vorstellungen, die ursprünglich in der alten Landes­ religion wurzeln, mit dem Buddhaismus synkretistisch ver­ knüpft worben. In Nepal vereinigte sich Siwas-Dienst mit Buddha - Dienst und auf diese Verbindung ist ohne Zweifel ein Götterbild zu deuten, welches vo r mehreren Jah­ ren auf den Markt nach Moscau gekommen ist und nur aus Nepal hersiammen kann. Es stellt den Gote Jamantaga/ mit acht Häuptern, sechs und dreißig Armen und achtzehn Beinen, mit denen er rächend und strafend eine Menge Menschen mit Füßen tritt, dar; mit zwei Armen umfängt er enge und innigst seine weibliche Hälfte, und er sowohl als die weibliche Gestalt führen beide in einer ihrer Hände das Zeichen des Lingam.') Dies Bild zeigt offenbar auf ein völliges Ineinander­ übergehen des Siwas- und Buddha-Dienstes hin, wie denn auch im tibetisch-mongolischen Systeme das Schamanenwe­ sen, inwiefern eö überhaupt in dasselbe ausgenommen wor­ den ist, sich völlig damit verschmolzen zeigt. Die Mitglieder des Vereins der Geistlichkeit unter den Mongolen haben sich selbst des Geschäftes der Ausübung schamanischer Brschwö» rungSkünste unterzogen. Anders dagegen ist es auf Ceylon. Obgleich man auch hier sich genöthigt sah, den Schlangen» und Gespenster-Dienst in einer gewissen Art und Weise an­ zuerkennen, so hat sich doch der Verein der Geistlichkeit, durch eigene Theilnahme an demselben, nicht damit befleckt. Man überließ vielmehr einem eigenen, der Brahmanenkaste sehr verwandten Priesterstande das Geschäft, den Dienst der alten Landesgötter im Sinne des Brahmairenlhums auszu­ bilden und zu versehen. Die Tempel, die den Göttern des so ausgebildeten Dienstes errichtet werden, heißen Dewales, und werben von den budbhaischen Tempeln und Klöstern, denen der Name Wihar zukommt, bestimmt unterschieden. Di e Priester heißen *) Notice sor le Yamantaga par Gottfried Fischer de Waldheim. Moscou. 1826. Dergl. asiat. res. vol. 16. p. 160. 466.. 467. 470—472.

Religionszustand auf Ceylon.

280

Kapua's oder Kappoerales, unter denen eine bestimmte Klasse

ist, die eine wirkliche Brahmanenkaste bildet?) Wie überhaupt alle Götter und Geister her drei Welten der höheren göttlichen Macht Buddha's unterworfen find/

so find es auch die alten Landesgötter und Schlangengeistcr der Insel?) Viele Sagen reden davon/ wie Buddha den König oder die Könige der Schlangen zu seinem Glauben bekehrt habe?)

dfchantika/

Auch der fromme Ober - Tirinanpes Mat-

der fich dem Geschäfte der

Bekehrung von

Kaschmir und Kandahar unterzog/ begann sein Werk mit

der

Bekehrung des Schlangenkönigs. 4 * )25 3 Dennoch wird

der Gegensatz/ in welchem der diesen Mächten geleistete Dienst zum reinen Buddha-Dienst steht/ darin sehr scharf

und bestimmt festgehalten/ daß sich/ inwieweit er überhaupt

geduldet wird/ Mitglieder des Vereins der Geistlichkeit nicht damit beflecken?) Da dieser ganze Dienst auf Heilung von Krankheiten, die von bösen Geistern gesandt werden/ fich bezieht/ so ist

es sehr begreiflich/ baß derjenige Gott, der in diesem Kreise deshalb/ weil er am meisten gefürchtet/ auch am mei­ sten verehrt wird/ in Verbindung gesetzt worden ist mit dem

himmlischen Arzte/ dem brahmanischen Heilgotte Kumaras. Dem alten Berggvtte/

der auf dem Gipfel

des

Felsen

Mahameru Parkwette thront, ist der Name Kumaras beigelegt und zu Kattrkgam ein berühmter Tempel erbaut worden, an dessen Dienst nur Brahmanen Theil nehmen,

während den Dienst bei den Tempeln anderer Gottheiten jeder aus den höheren Ständen versehen kann. Dieser Gott

von Kattragam, dem viele Tempel erbaut sind, und der

*) Davy. p. 228. Yakkun Nattannawa. p. 25 Knox. p. 149. Phi» lalethes. p. 221. Upham hist, of Budhism. p. 113. 118. 2) Upham hist, of Budhism. p. 127. The sacred and hist, books of Ceylon, p. 86. 3) Upham hist. p. 113. The sacred boöks. p. 89. 4) Upham the sacred and hist, books. voL 1. p. 77. 78. 5) Upham hist, of Budhism. p. 113t

Religionszustand auf Ceylon.

281

unter vielerlei Namen, besonders aber unter dem von Ku-

maras, verehrt, und in mancherlei furchtbaren Gestalten im Bilde dargestellt wird, ist der am allgemeinsten gefürchtete;

es strömen nach Kattragam zu seinem Tempel nicht bloß Cingalesen, sondern auch Indier von dem festen Lande her?) Auch der Name eines andern indischen Gottes, Wiswakar-

ma's,

des kunstfertigen Werkmeisters und göttlichen Bau­

meisters der Welt ist auf einen der alten Götter der Berg­ gipfel übertrage», und überhaupt sind diese Götter mit

Wörtern, die aus der indischen Sprache stammen, benannt worben.

So heißen die beiden anderen Samana-Dewa

und Wiebesena?)

Das Geschäft des Samana-Dewa be­

steht hauptsächlich darin, die Schlangenverehrer zu bewegen,

sich zum Buddhaismus zu bekehren?) Der gefürchteten, in schreckenerregenden Gestalten vor­

gestellten Geistermächte giebt es übrigens noch viele unter

allerlei Namen.

Jedem Unheil und jeder Krankheit steht

ein solches Ungethüm &or?)

Unter ihnen giebt es auch

weibliche Gespenster, Pattinie's genannt, die Pattinie oder Omawanganawa steht?)

an deren Spitze Sie ist ihrem

Wesen nach der indischen Göttin Kali gleich, und überhaupt

hat sich an diesen Dienst die furchtbare, finstere Seite des

Siwasdienstcs angeschlossen.

Dies erhellt hinlänglich daraus,

daß die Namen Maha-Kalyaka, Kali-Kumaras,

Maha-

Kali-Kumaras Vorkommen, und auch der GottJswara bei den nächtlichen Tänzen angerufen wird?) Vielfach findet man auch in Indien den Dienst der ge­ fürchteten Geister verbreitet und es giebt Gegenden, wo

derselbe ausschließlich vorherrscht.

die Bergkette, *) 2) 3) 4) s) e)

Eine solche Gegend ist

die fich an der Westseite von Mysore aus-

Davy. p. 228. Upham hist. p. 42. 82. 132. 133. a. a. O. p., 81. 82. 127. «. a. O. p. iso. a. a. O. p. 127. . p. 50. 130. Yakk'un Natannawa. p. 1. 4. Upham List. p. 130. 133. jxölau iXatannawa kntrodyct. v- 1.

282

Religlvnszustand auf Ceylon.

dehnt, wo der größere Theil der Einwohner keinen anderen Religionsdienst/ als den der bösen Geister übt.

Jedes Haus

und jede Familie hat einen eigenen Bhuta,

welcher als

Schutzgott gilt und welchem täglich Gebete und Opfer dar­

gebracht werden, nicht bloß um ihn selbst zu bestimmen, sich eigener Werke der Schadenfreude zu enthalten, sondern auch

zur Vertheidigung gegen die Uebel,

die die Bhuta's der

Nachbarn oder Feinde bringen möchten.

In dieser Landes­

gegend werden Gegenstände der Verehrung, durch die theils in schrecklicher Gestalt im Bilde, theils in formlosen Steinen die bösen Geister dargestellt werden, überall gefunden. Jede dieser bösen Machte führt ihren eigenen Namen,

und ge­

nießt je nach dem Maaße, wie man sie für grimmiger und mächtiger hält, einer sorgsameren Verehrung.')

keinem Zweifel unterworfen sein,

Es kann

daß der ausgeartete Si»

was- und Kali-Dienst seinen roheren und wilderen Charak­ ter eben in Folge dessen angenommen hat,

daß er bei der

Ausbreitung des Hinduismus in die Gebirge und über die

südliche Halbinsel in Wechselwirkung mit dem Dienste der

Bhuta's gekommen ist und sich demselben angeschlossen hat. Auf Ceylon finden sich übrigens auch Spuren einer Verbin­

dung des Wischnu- Dienstes mit dem Dienste der Bhuta's. Der Habicht Garuda, der die Schlangen frißt, spielt in dem

Kreise dieses Dienstes eine bedeutende Rolle,

den

und wird bei

nächtlichen Tanzen von vermummten Personen

dar­

gestellt?) Blutdürstig, mit Schlangen im Haar und in den Hän­

den, wolfsgestaltig mit gewaltigem Gebisse und Eberhauern

werden die

grimmigen Geister geschildert?)

Mit

ihrem

Dienste hat sich auf Ceylon ein Sterndienst verknüpft, der,

*) Yakkun Natannawa. advertisem. p, 7. 8. Dergl. asiat. research. vol. 15. p. 450. 2) Kölan jNatlannawa. p. 43. *) Yakkun INattannawa. p. 5. 6. 53. 58. 60. Upham the hist, of Bmlhisnn p. 130. 131.

Keligionriustanb auf Ceylon.

283

feinen Keimen nach, vielleicht schon in einer früheren Urzeit damit verbunden gewesen sein mag, der jedoch in der Form, in welcher derselbe gegenwärtig besteht, erst seit dem Zeital» ter Brahma Gupta's von Indien nach Ceylon herüberge« bracht worden sein kann. Denn es sind mit diesem Stern» bienste Formen verknüpft, die die Indier erst von den Grieche» empfangen haben. Hierzu gehört der westasiatische Lhierkreis und die den Chaldäern eigenthümliche Art und Weise der Planetenverehrung, die die Indier mit einigen Umwandelungen aufnahmen.') Sie bildeten sich indeß nach ihrer Ansicht vom Weltgebäude neun Planeten, und nach diesem Systeme ist der eingalesische Sterndienst geordnet?) Diese neun Sternmächte, Dali genannt, werden für so einflußreich gehalten, daß man glaubt, keiner der Götter und Geister sei im Stande, abzuwehren, was feindselige Gestirne bestimmt hätten. Es werden denselben zur Zeit, wenn man es für nöthig erachtet, so viele Bilder aus Thon, als von jenen Sternen durch ihren bermaligen Stand am Himmel Unheil verkündigen, verfertigt. Diesen Bildern wird ver­ schiedene Farbe und schreckenerregende Gestalt gegeben. In der Absicht, den Zorn der gefürchteten Sternmächte z» be­ sänftigen, werben eben so, wie bei dem Dienste der gefürch­ teten Geister, vor den Bildern, denen Speisen aller Art vor­ gesetzt sind, nächtlicher Weile, unter dem Gelärm von Trom­ meln und Pfeifen, bis zum Anbruch des Tages im Rausche Tänze angestrllt?) Die neuere Form der cingalesischen Astro­ logie, wie sie Davy**) schildert, stammt offenbar a»6 der jüngeren Astrologie der Araber, wie dieselbe auch bei den Indiern seit dem I2ten Jahrhundert Eingang gefunden hat. Dies erhellt daraus, baß in ihr die Siebenzahl vorherrschend

•) Dergl. Stuhr'» Untersuchungen über die Ursprünglichkeit und Alterthümlichkeit der Sternkunde unter den Chinesen und Indiern. S- 99. 103. 109. 113. 3) Upham hist, of Budhism. p. 88. 117. 3) Knox. p. 153. Upham hist, of Budhism. p. 116. 117. 118. *) Davy. p. 246.

Religionsrustand auf Ceylon.

284

ist, und überhaupt aus der ganzen Art und Weise der An»

Wendung dieser Form der Astrologie.

Der Synkretismus, wie er in dem Fortgänge der ge­

schichtlichen Entwicklungen des geistigen Lebens der ostasiati­ schen Völker überhaupt so merkwürdige Erscheinungen her­

vorgerufen hat,

hat sich nicht minder einflußreich erwiesen

auf die Entwicklungen des geistigen Lebens der Cingalesen.

Doch eine um so merkwürdigere Erscheinung ist es, daß die

allein im Besitze der

Bauddha's von Ceylon behaupten,

achten buddhaischen Lehre zu sein,')

ser Behauptung einige Wahrheit des Buddhaismus,

Zustand

findet,

als wirklich in die­

liegt.

wie

man

Denn der ganze

ihn

auf Ceylon

kommt offenbar demjenigen am nächsten, wie man

ihn in Indien zur Zeit seiner Blüthe sich denken muß. Ne­

ben Buddha werden die brahmanischen Weltgötter und die alten Landesgötter der Insel unter einem Volke verehrt, welches eine große Hinneigung zum Kastenwesen zeigt; die

Verehrung der Bodhisatua's

oder buddhaischen Heiligen

scheint aber lange nicht so reich auf Ceylon,

wie im La­

maismus ausgebildet zu sein, und was das Bedeutendste ist, der Dienst der Weltgötter wird nicht von Mitgliedern

des Vereins der Geistlichkeit versehen.

Die im Dienste der

Weltgötter priesterliche Geschäfte versehen, stehen in einem ähnlichen

Verhältnisse den Mitgliedern des Vereins der

Geistlichkeit gegenüber, wie in Indien zu jener Zeit, in

welcher die Verfolgungen gegen die Bauddha's noch nicht ausgebrochen waren, die Brahmanen den frommen Büßern,

die in den von einzelnen Fürsten mehr oder weniger be­ schützten Verein der buddhaischen Geistlichkeit getreten wa­ ren.

Wenn nach dem Norden brahmanische Götter im Ge­

folge Buddha's mit ausgewandert sind, so hat sich ihr Dienst im Lamaismus auf eine ganz und gar andere Weise mit der buddhaischen Heiligenverehrung verbunden, als dies

auf Ceylon der Fall gewesen ist. l) Sangerman. p. 83.

Don der Art und Weise,

Religionsznstand auf Ceylon.

285

Wie in jüngeren Zeiten in Nepal Brahmaismus mit dem Buddhaismus vermischt worden ist, kommen auf Ceylon so Wenig Spuren vor, Wie von philosophischen Bestrebungen,')

wie solche vorzugsweise im Geiste der Bauddha's von China sich geregt habend) Der Dienst der brahmanischen Götter, an den sich der Dienst der alten Landesgötter anschloß, kann in der Art,

wie er auf Ceylon besteht, sehr wohl mit dem Buddhais­

mus zugleich auf die Insel herübergekommen fein.

Nur ist

in Rücksicht auf diese Behauptung zu beachten,

baß der

Dienst der

brahmanischen

Götter theils in gegenseitigem

Wechselverkehr mit dem Dienste der alten Landcsgötter, theils durch mannichfaltige, im Laufe der Jahrhunderte von

Indien aus einwirkende Einflüsse Umwandelungen erlitten haben muß, während innerhalb des Kreises des Vereins

der Geistlichkeit die budbhaifche Rechtgläubigkeit aufrecht er­ halten ward.

Den Cingalefcn sind weder die Weda's noch

die Purana's unbekannt,

und viele ihrer religiösen Vorstel­

lungen sind aus ihnen geschöpft. man zu thun versucht hat,")

Kaum aber wird man, wie

zu beweisen im Stande sein,

daß auf Ceylon, vor Einführung des Buddha-Dienstes, der Brahmanen-Dienst geherrscht habe.

Es ist überhaupt eine

sehr mißliche'Sache mit der Sagengeschichte über die Urzeit aller der Völker, die in irgend einer bestimmten Zeit von der ihnen ursprünglich fremdartigen, in Nordindien selbst­

ständig erblühten, brahmanischen oder buddhaifchen Bildung ergriffen worden sind.

Jedes dieser Völker war ursprünglich

in dem Besitze einiger dürftigen Landessagen gewesen, aber fürder nicht mehr genügten,

die

und somit ausgestattet

werden mußten mit Sagen, die man aus dem Ramajana

und dem Maha Bharata, woran später Alles zehrte, schöpfte.

J) Davy. p. 189.

2) Vergl. Stuhr, die chinesische Reichsreligion. S- 92.94. 3) Philalethes. p 293. 294. 4) Journ. des savans. Octbr. 1832. p. 393.

Religlonszustand auf Ceylon-

286

Die Schauplätze her Begebenheiten des Ramajana und des

Maha Bharata wurden auf diese Weise mannichfalkig ört»

lich versetzt, wie cs aus der Sagengeschichte von Jawa und Kaschmir erhellt.

Ein Achnlichcs ist auch-auf Ceylon gc»

schehen, und so entstanden die Sagen, nach welchen Rama mit seinen Brüdern Städte auf Ceylon gegründet, und das Geschlecht der Paudawas hier geherrscht haben sollte.') Im

Verhältnisse zur Urzeit ist der Mahawansa,

das wichtigste

und älteste Werk über die Geschichte von Ceylon, nur sehr jung zu nennen.

abgefaßt.2)

Es ist zu Ende des Wen Jahrhunderts

In jenen Sagen, die der Mahawansa enthält,

zeigt sich freilich eine Vervielfältigung der Perfol« des Rama

und auch die Pandawas oder der König Paudawas werden

nicht auf deir Judischthiras, Brüder bezogen?)

bar

den Ardschunas und deren

Die Namen stammen aber ganz offen­

aus den Sagen des Ramajana und Maha Bharata

her und zeigen somit hin auf Vermischung.

Derselbe Fall

ist es mit dem Namen des Reiches Panbya im Süden von Indien und mit dem Namen der Pandawas und Jadawas,

die, aus dem Norden gekommen, im Süden geherrscht ha­ ben sollen?)

Wenn man in der Sagcngeschichte des mala-

barischei« Küstenlandes den Parasu Rama als de«r genannt

findet,

der hier das Brahmancnthum und die Macht der

Brahmanen gegründet hätte/)

so verschwindet einem aller

feste Boden für die genauere Bestimmung von Zeitverhält­ nissen.

Mar« kann diese Sage, die von Sankara Acharya

herstammen soll, gar nicht anders deuten, als auf eine my­ thisch ausgebildete Vorstellung von der Macht,

in welcher

im Gegensatze -gegen die Kricgerkaste die priesterliche Macht der Brahmanen sich aufrecht zu erhalten wußte.

Upham the sacred and hist. hooJes. vol. I. p. 72. Journ. des savans. Seplbr. 1833. p. 559. Vergl. Upham the sacred and hist. Looks, vol. 2. p. 177. 178. Vergl. Wilson Mackenzie collect. introduct. p. 74. 113. Wilks sketch. of the south of India. vol. 1. p. 31. 151 5) Wilson Mackenzie collect. introduct. p. 57. 98. vol. 2. p. 74. 75.

:') 2) s) 4)

Meligivnriustand auf Ceylon.

287

So werben in Indien mythische Personen kn mythischer Ausbildung der Sage auf eine Art und Weise auf geschicht­ liche Verhältnisse übertragen, bei der sich auch keine Spur davon zeigt, daß man irgendwie eine geordnete Zeitrechnung habe beobachten wollen. Eben so werden aber auch im um­ gekehrten Verhältnisse mythische Sagen entstellt, um beste­ henden Verhältnissen durch Altcrthümlichkeit Heiligung zu verleihen, indem man, mit Hülfe des vorhandenen Reich­ thums an Sagen, allerlei in die Urzeit hineinfabclt. Dies ist in Beziehung auf die Geschichte von Kaschmir, von Cey­ lon und von Jawa geschehen, so daß die Sagengeschichte dieser Länder in Rücksicht auf ältere Zeiten gar keinen epi­ schen, sondern nur einen rein mahrchenhaftrn Charakter an sich trägt. In der Geschichte von Ceylon laßt sich jedoch ein sehr wichtiger Punkt mit ziemlicher Gewißheit feststellen; es ist dies der Zeitpunkt der Einführung des Buddhaismus auf Ceylon. Die Zeitrechnung der Cingalesen hat schon im Vorhergehenden ihre Vertheidigung gefunden; es wirb der­ selben zufolge das Todesjahr Bubtha's in bas Jahr 543 vor dem Anfänge unserer Zeitrechnung gesetzt.') I» dem Jahre 236 nach dem Tode Buddha's fand unter dem Kö­ nige Deweny Paetissa der Buddhaismus Eingang in Cey­ lons) Dies trifft mit dem Jahre 307 vor dem Anfänge unserer Zeitrechnung zusammen. Als ganz genau sind diese Angaben zwar nicht zu nehmen; jedoch darf mit Recht eine ungefähre Schätzung darnach gemacht werden. Es wurden sogleich viele Tempel und zur Aufbewahrung der herbeigebrachten Reliquie» Buddha's Dagop's erbaut, so wie Felsenhöhlen ausgehauen,wie denn auch bekanntlich *) Upham hist, of Badhism. p. 11. Journ. des savans. Septbr. 1833. p. 555. Asiat, res. vol. 8. p. 531. 2) Davy. p. 295. Upham the sacrcd and bist, books. vol. 1. p.83* Dergl. vol. 3. p. 114. 3) Upham the sacred and hist. Looks, vol. 1. p. 93. 94. 102.104. vol. 2. p. 184.

Rell'givnszuAanb auf Ceylon.

288

ungefähr um diese Zeit der Anfang mit ähnlichen Anlagen

in Südindien und bei Bamyan gemacht worden ist. Für die Cultur des Landes in wohlthätigen Einrichtungen und für die Bildung des Volks in Gründung von Unterrichts-

Anstalten geschah seit der Zeit sehr viel, und überhaupt hat

der milde Geist der Buddha-Religion sehr heilbringend auf

das Volksleben der Cingalesen eingewirkt.')

Doch hat auch

der Verein der Geistlichkeit im Laufe der Jahrhundette viel

ausstehen müssen theils in Folge wiederholt entstandener Partheien,

die ketzerischen Lehren anhingen und solche pre­

digten/ theils in Folge stets wiederkehrender Kriege mit den Malabaren, die ohne Zweifel dem Siwasdienste ergeben waren.-) Mehrere Spuren von einer Hinneigung der Cingalesen zum Dienste des Wischnus kommen vor, indem diesem Gotte

uicht nur von Königen Tempel erbaut worben sind/ sondern derselbe auch verflochten worden ist in die Sage von der

ersten Bevölkerung Ceylon's durch den Fürsten Widschnia/

indem ihm bei dieser Ansiedelung von Indra das Amt über­

tragen sein soll/ schutzherrlich über Ceylon zu wachend) Es halten indeß bei allem Glauben an ihre Weltgötter und an die Macht derselben die Cingalesen heutiges Tages wenig­

stens dieselben nicht sehr heilig noch in hohen Ehren.

Sie

ahnen selbst die hohe Macht des Gottes der Christen und scheuen sich nicht/

dies kund zu thun.'')

Dabei jedoch ge­

nießt Buddha einer wirklich innigen Verehrung.

Außer den

reich begabten Klöstern von großem Umfange/ die ihm ge­ weiht sind/ werden ihm häufig auch von Einzelnen aus dem

J) Upham the sacred and hist, books. vol. 1. p. 157. 238. 260. vol. 2. p. 40. 60. 73. 98. 99. 241. -) Upham a. a. O. vol. 1. p. 107. 108. 111. 117. 125. 135. 173. 218. 219. 230. 234. 235. 240. 250. 252. 299. 317. 318. 354. vol. 2. p. 75. 77. 82. 84. 87. 90. 101. 108. 187. 198. 210. 212. 217.221. 223. 218. 230. 240. 251. 252. 252. 3) Upham st. st. O. vol. 1. p. 358. vol. 2. p. 27. 78. 171. 248. 4) Knox. p. 166. 167,

Religionsjusiand auf Ceylon.

289

Volke in ihren Gärten kleine Häuschen errichtet,

die mit

seinem Bilde geziert, den Eigenthümern zum Orte stiller An­ dacht dienen.

Felsenhöhlen und Grotten, die man mit sei­

nen Bildern schmückt, werden durch seinen Dienst geheiligt.')

Vor allem jedoch wird er auf Ceylon an zwei Wall­ fahrtsörtern verehrt.

Zur Zeit des März-Monats,

wenn

Las neue Jahr der Cingalesen beginnt, strömt das Volk an

den Ort hin, wo.der Baum grünt, unter dessen Schatten

Buddha während seines Wandels auf Erben gern zu weilen gewohnt gewesen sein soll.

Nach ihm sollen der Sage nach

hier in aufeinanberfolgenderReihe neunzehn Könige geweilt ha­

ben,

die Buddhisatua's geworden find.

Der Baum selbst

soll, aus Indien herübergeflogen, nach Ceylon gekommen sein.

Er ist von der Art der auch von den Indiern heilig gehal­ tenen Pipalbäume, und da diese Art von Bäumen in dem

Kreise der

buddhaischen Religion überhaupt dem Buddha

geweiht ist, pflegt man einen solchen gern bei dessen Tem­

peln zu pflanzend)

Der zweite Wallfahrtsort befindet fich auf dem Gipfel des höchsten Berges der Insel, im südlichen Theile dersel­ ben.

Man zeigt hier, in den Stein eingeprägt,

den Fuß­

stapfen Buddha's, den er in einem Felsen des Gebirges zu­ rückgelassen haben soll,

als er fich in den Himmel erhob.

Von den Portugiesen ober wahrscheinlicher von den Mosle­

min, denen in früheren Zeiten von den Königen des Landes das Recht zugestanden worden ist, bettelnd von der indischen Küste herüberzukommen, um die Opfer zu genießen, die dem

Buddha hier bargebracht werden, stammt der Name Adams-

Gipfel für diesen Wallfahrtsort, den auch muhamedanische Pilger besuchen.

Von den Bauddha's wird dieser Berggipfel

Hamalella genannt?)

1) Knox. x. 146. 161. 2) Knox. p. 162. William Jones Abhandlungen, übersetzt herausgegeden von Kleuker. Th. 3. S. 443.

3) Knox. p. 161. 162. Philalethes. x. 210. 214.

290

ReligknSjustand kn Hi'nterlndiett.

Einer in Siam erzählten Sage zufolge ist es die Spur -es linken Fußes Budbha's, die auf Ceylon ,eschen wirb. Die Spur seines rechten Fußes soll Buddha als dem Gipfel des siamesischen Goldgebirges zurückgelassen Haren.') Auch werden, wenn auch nur sparsame Spuren heilig, r Fußstapfen -es Gottes, in Pcgu, Awa und Arakan gründen, zum Zeichen wie Buddha über diese Lander geschritien sei.") Nach Siam ist von Ceylon herüber der Buddhaismus gebracht worden. Er warb daselbst im Jahre 638 unserer Zeitrechnung eingeführt?) Der östliche Theil Hinterindiens, das Land Anam, Tunkin, Cochinchina und Laos kn sich fas, send, gehört, gegen die Grenze von China zu belegen, auch seinem Volksleben nach, diesem Lande sehr nabe an; in der Art jedoch, baß die Stämme von Laos unk Cambodscha schon mehr Verwandtschaft mit dem Mischiingsvolk der Siamesen zeigen?) Die westlichen Stamme, tie das Gebiet -es gegenwärtigen birmanischen Reiches bewohnen, neigen in allem, was sie wirklich an geistigem Besitze haben, indi­ scher Bildung sich zu, und inwieweit sich ihr Leben zu völker­ geschichtlicher Bedeutung zu entwickeln im Stande gewesen ist, wurzelt es nur in dem, was an geistigem Reichthume mittelbar aus Vorderindien, unmittelbar über Ceylon herüber­ gebracht worben ist. Die Landschaft Arakan hat in alten Zeiten zu dem indischen Reiche Magabha gehört, und von hier sind zuerst mit dem Buddhaismus Keime einer höheren Bildung dorthin gekommen?) Auch scheint es, daß die Küstenvölker von Pegu auf demselben Wege zuerst ihre Bil­ dung empfangen haben; später lösten sich, als der Bud­ dhaismus aus Indien vertrieben ward, die Bande, die an

*) Asiat, res. vol. 10. p. 260.

’) a. a. O. 3) Finlayson, mission to Siam and Hue. London. 1826. p. 282. Transact. of the roy. as. soc. vol. 3. p. 59. 4) Asiat, res. vol. 10. p. 258. 261. 272. e) Hamilton East lndia Gazetter. p. 38.

291

Religionsjufiand in Hinterkn-en.

Lies Land knüpften, von selbst, und man schloß sich darauf

näher an Ceylon an.

Von Arakan und Pegu aus find die

eigentlich birmanischen Stamme des inneren Gebirgslandes

zuerst im 12ten Jahrhundert bekehrt worden. *)

Seit neueren

Zeiten aber haben sich die Birmanen in Rücksicht auf ihre Religion an Ceylon angeschlossen.

Die birmanischen Kaiser

schicken von Zeit zu Zeit Gesandtschaften gelehrter Männer

nach dieser Insel, um hier theils heilige Bücher, die ihnen noch fehlen, einzusammeln,

theils mit den Vorstehern des

Vereins der Geistlichkeit sich zu berathen, und von ihnen

sich darüber unterrichten zu lassen, wie diese oder jene Stelle in den heiligen Schriften zu erläutern wäre?)

Aus dieser

mit Ceylon geschlossenen Verbindung mag die Sage ent­

standen sein, daß von daher ursprünglich der Buddhaismus nach den westlichen Ländern Hinterindiens gekommen sei?)

Auch ist es möglich, daß die Sage über die Bekehrung der Siamesen von Ceylon aus einem ähnlichen Verhältnisse ihren

Ursprung verdanke. Denn es ist durchaus nicht als un­ wahrscheinlich zu betrachten, daß der Buddhaismus ursprüng­ lich nach Siam aus China über Laos gekommen sein könnte.

In Laos finden sich überhaupt die meisten Spuren der Fuß­ stapfen Buddha's; auch fehlen Sagen über die Bekehrung der Siamesen von hier aus nicht?)

Ehe die Stämme, die dem birmanischen Reiche unter­

worfen worben sind, zum Buddhaismus bekehrt waren, hin­ gen sie einem roheren Geisterdienste an.

Wald- und Berg­

geister wurden, wie noch heutiges Tages von den unbekehr­

ten Stämmen, die in den Wäldern ,leben, in Furcht verehrt, und damit war eine Art von Zauberei verbunden?)

2) s) 4) 6)

Asiat, res. vol. 6. p. 300. Sangerman. descript. of the burm. emp. p. 86. Vergl. Two years in Ava. London. 1827. p. 234. Asiat, res. vol. 6. p. 300. 301. vol. 10. p. 260. Sangerman. p. 43. Asiat, res. vol. 6. p. 300. vol. 16. p. 280. De la Biffachore, gegenwärtiger Instand von Tunkin und Cochinchina. A. d. Fr. S. 258. 259.

292

Religion-zustand in Hinterindien.

In den Gebirgen zwischen Arakan und Awa leben noch in ihrer ursprünglichen Freiheit und nicht von indischer Bil­ dung ergriffen die freien Volksstämme der Khyen's.')

Sie

stehen unter einem geistlichen Oberhaupte, Passtne genannt,

welches seinen Sitz in der Nahe der Quellen des Flusses Moh, an einem, Pojon genannten Berge hat.

Von seinen

Anverwandten männlichen und weiblichen Geschlechts wird

das Amt der Weissagung und Wahrsagung versehen. Schrift unter ihnen unbekannt ist,

Da

so verkündigen sie nur

mündlich ihren Willen, dem ohne Weiteres Folge' geleistet

wirb; jeder Streit von einiger Bedeutung wird ihrem schieds­ richterlichen Ermessen anheimgestellt, und bei Krankheitsfällen ober wegen ehelicher Verbindungen werden sie stets um

Rath gefragt?)

Ihre Religionslehren sind sehr einfach.

Sie haben

keine Vorstellung von einem höchsten göttlichen Wesen, noch haben sie irgend eine Sage über die Schöpfung der Welt;

sie nennen sich Söhne der Gebirge und der Kreis ihrer Empfindungen und Vorstellungen erhebt sich nicht über die Natur.

Was ihnen Nutzen bringt, oder die Behaglichkeit

ihresLebens fördert, wird höchster Verehrung würdig geachtet. Den Hauptgegenstand der Verehrung bildet ein dicker, lau­

biger Baum, Subri genannt, unter dessen Schatten sie ;u gewissen Zeiten des Jahres mit ihrer ganzen Familie sich

versammeln, um Ochsen und Schweine zu opfern, und dem­ nächst bei gemeinschaftlichen Gastmählern sich zu erfreuen. Ihre Viehherrden werden bei diesen Auszügen mitgetrieben

und nehmen selbst Theil an der Verehrung, die dem Baume

geleistet wirb, da sie bas Nützlichste von allem dem bilden, was diesem

armen Lande an Segnungen zu Theil ge­

worden ist?) Einen anderen Gegenstand der Verehrung bildet der

*) Asiat res. vol. 16. p. 261. ’) a. fl. £>. p. 264. 8) fl. fl. 0. p. 264.

Religionsjustand in Hinterindien.

293

Donnerkeil, der, wie sie glauben, mit dem Blitze vom Him­

Wenn irgend wann ein Gewitter sich er­

mel herabfällt.

hebt, so achten die Khyen's mit der größten Aufmerksamkeit

auf die Stellen, wo die Blitze auf die Erbe hinabfahren,

und wenn das Wetter wieder ruhig geworden ist, suchen sie

diese Stellen auf, und forschen genau an den Baumen, wo Wenn sie so glücklich sind,

der Blitz getroffen haben könnte. Spuren davon aufzufinden,

so durchgraben sie den Boden

unter den verletzten Zweigen, um nach dem heiligen, vom Himmel gefallenen Steine zu suchen.

Glauben sie ihn ge­

funden zu haben, danir wird das Opfer eines Schweins und eines Stiers dargebracht, und darauf der Stein, dem

die wundervollsten Kräfte zugeschrieben werden, dem Passine

eingehändigt.

Dieser nimmt ihn zu sich, als ein unfehlba­

res Wundermittel gegen jede Art von Krankheit.

Ihren Aeltern erweisen die Khyen's Achtung und Ehr­

erbietung ; für ihre Kinder und Viehheerdcn tragen sie Sorge. Dies eröffnet die Aussicht auf ein glückliches Leben in Zu­ kunft nach dem Tode.

Dabei halten sie jedoch dafür, daß

starke Fresserei und übermäßiger Genuß geistiger Getränke noch hinzukommen müsse, wenn man der Hoffnung versichert sein wolle,

nach seinem Tode in einen Stier oder in ein

Schwein verwandelt zu werden.

Wer sich nicht fähig er­

weist, den sinnlichen Genuß kraftvoll aufs Aeußerste zu trei­

ben, und das Liebliche, was die Erde barbietet, völlig auszukosten, der wird einer zukünftigen Belohnung für unwür­

dig geachtet, und man sieht verachtungsvoll auf ihn herab. Der Tod wird

als eine erfreuliche Begebenheit gefeiert.

Wenn Jemand gestorben ist, so stellen seine Verwandte ein großes Gastmahl an, zu welchem alle Bewohner des Dor­ fes eingeladen werden.

Die Erinnerung an den Dahinge­

schiedenen wird durch Tänze, Trinken gefeiert.

und übermäßiges Essen und

War der Verstorbene ein wohlhabender

Mann, so wird feilt Leichnam verbrannt, und die Asche in einen Korb gesammelt, und entweder auf das Gebirge Ke-

jungnatyn ober auf das von Jehantung gebracht.

Das

294

Reli'gionszustand in Hinterindi'en.

letztere Gebirge wirb sehr heilig gehalten, weil seine Gipfel in die Höhe streben, und man,

nach dem Ausdrucke der

Bewohner des Landes, von da aus die ganze Welt übersehen kann.

Ueber dem Grabe eines Stammeshäuptlings wird

ein Haus errichtet, und dabei eine Wache zurückgelassen, um das Herannahen böser Geister abzuwehren;

auch wird

für denselben Zweck ein roh bearbeiteter Baumstamm,

das Bild des Verstorbenen ck>arstellen soll,

hingelegt.

der Die

Leichname der Verstorbenen aus dem ärmeren Volke werden in der Nähe ihres eigenen Dorfes begraben, wenn dasselbe

nicht unmittelbar in der Nachbarschaft des Gebirges Jehantung oder Kejungnatyn belegen ist.1)2 3

Von Arzneikunbe haben

die Khyen's keinen Begriff.

Wer krank ist läßt sich von seinen Verwandten zum Pasfine bringen, und diesem wird von denselben ein Festmahl gege­ ben;

nachher bespricht der Passine die Krankheit mit Zau­

berformeln und wendet dabei auch als wunderthätiges Werk­ zeug zur Vertreibung aller Krankheitsübel den Donnerkeil

an.

Wenn sich diese Mittel nicht wirksam erweisen, so wird

der Kranke seinem Schicksale überlassen, und man macht für

seine Heilung keine weiteren Versuche.?)

Man sieht aus

dieser Darstellung

der Religion der

Khyen's, wie sehr sie, dem Charakter südlicher Völker ge­

mäß, im Gegensatz gegen die schamanischen Völker des Nor­

dens, mit ihrem Bewußtsein in die Lebensfülle der Natur versunken sind.

Eine ähnliche Hinneigung zur Natur spricht

sich noch an dem gegenwärtigen Zustande des religiösen Be­ wußtseins der Birmanen,

obgleich sie schon seit längerer

Zeit zum Buddhaismus bekehrt sind, aus.

Dienste der Hausgötter,^)

der

von

Geister der Vorfahren herstammt,

Außer einem

einer Verehrung der

sind die Birmanen noch

heutiges Tages einem Gestirndienste ergeben, an welchem

*) Asiat, res. vol. 16. p. 268. 2) st. st. 0. p. 267. 3) Hamilton, East India Gazetten p. 82.

Religionszustand in Hintcrindäen.

295

sich die Regung zu Stern- und Zeichenbeuterei in einem nicht minder hohen Maaße offenbart, wie an der religiösen Gesinnung der Cingalesen.') Brahmanen aus Indien, die dem Bedürfiisse in dieser Rücksicht abzuhclfen wissen, genie­ ßen neben den Mitgliedern des Vereins der Geistlichkeit, die mit solchen Dingen sich nicht abgeben, einer hohen Ver­ ehrung im birmanischen Reiche?) Da sich die Birmanen dem cmgalesischen Religionssysteme angeschlossrn haben, so herrscht übechaupt eine sehr große Aehnlichkeit zwischen dem birmanischen und cingalesischen Religionswesen. Die politi­ schen Verhältnisse sind indeß im birmanischen Reiche, wo eine unbeschränkte Despotie herrscht, ganz anders gestaltet, als auf Ceylon. Von einer Hinneigung zum Kastenwesen tritt dort keine Spur hervor, und merkwürdig ist es, waS sich von der lamaischen Geistlichkeit wenigstens nicht behaup­ ten läßt, daß die bubbhaische Geistlichkeit im birmanischen Reiche sich niemals auf politische Wirksamkeit einläßt?) Die Regierung von Siam hat denselben despotischen Charakter, wie die des birmanischen Reiches?) doch erhellt es deutlich aus der Hofsitte, daß das Reich nur als ein ir­ disches Abbild des himmlischen Vereins der Geistlichkeit an­ gesehen wirb. Als die englische Gesandtschaft im Jahre 1822 vom Könige von Siam empfangen ward, sah man, mit Ausnahme eines Raumes von ungefähr zwanzig Qua­ dratfuß unmittelbar vor dem Throne, der leer von Menschen war, den ganzen Saal mit einer außerordentlichen Anzahl von Menschen angefüllt. Diese alle, von jedem Range, vom höchsten biS zum niedrigsten, vom Thronerben bis zum geringsten Diener, hatte» ihre besonderen Plätze, an denen allein man ihren Stand erkennen konnte; die Kleidung aller, !) Sangerman. c. 17. 2) Two years in Ava. p. 267. Hamilton East India Gazeller. p. 52. Asiat, res. vol. 0. p, 204. 3) Two years in Ava. p. 25t). 269. Sangerman. p. 58. Hamillon East India Gazeller. p. 52. 4) Fiulayson Mission to Siam and llue. p. 241.

296

Religioasjustand in Hinterindien.

auch vom höchsten Range, war schlicht, und weder reich noch glänzend. Der vor dem Throne befindliche Vorhang wurde bei dem Eintritt der Engländer zur Seite gezogen. Die ganze gegenwärtige Menschenmenge lag auf der Erbe hin­ gestreckt, den Boden fast mit dem Munde berührend. Nichts, kein Körper, kein einzelnes Glied bewegte fich, kein Auge richtete sich auf die Fremden, kein Geflüster störte die feier­ liche Stille. Alles schien eine Versammlung von Mensche», die in Anbetung der Gottheit versunken wären, anzudeuten. Ungefähr zwölf Fuß über dem Fußboden und vier Fuß hin­ ter dem Vorhang befand sich eine gewölbte Nische, die nur eine dämmernde Beleuchtung hatte. In dieser Nische stand der Thron, ein Paar Fuß von der Mauer hervorstehend. Hier saß der König bei dem Eintritte der Engländer, unbe­ weglich wie eine Bildsäule, die Auge» vor sich hingerichtet. I» jeder Rücksicht schien er nur ein auf dem Throne sitzen­ des Bild Vuddha's zu sein, und überhaupt trug Alles de» Charakter einer im Tempel zur Verehrung der Gottheit ver­ sammelten Gemeinde an sich.') Eine unbegrenzte Verehrung der Könige zeigt sich bei den ihnen nach ihrem Tode ange­ stellten Begräbnißfeierlichkeiten; aus ihrer Asche werden Bilder geformt, die fast einer so hohen Verehrung genießen, wie die Bilder Bubdha's.*2)3 Die Siamesen haben die Sage, daß Buddha sein Bekehrungswerk damit angefangen habe, den Mensche» die Lehre zu predigen, daß Raub und Plünderung verab­ scheuungswürdig wären, indem er sie zur Ablegung ihrer wilden Sitten, zum Ackerbau, zur Gesittigung und zum Frie­ den unter einander, wie mit allen anderen Wesen der Schöpfung berufen hättet) Die Siamesen sind in eben dem Maaße, wie die Bir­ manen und Cingalesen, der Sterndeutung ergeben, obgleich die Mitglieder des Vereins der Geistlichkeit der Ausübung •) Finlavson. p. 144. 143.

2) a. a. 0. p. 241. 3) a. a. O. p. 253.

Religivnsrustand in Hinterinbien.

297

dieser Kunst sich selbst enthalten- Früher würbe am Hofe von Siam ein Drahmane unterhalten, der die Eintheilung der Zeiten d«S Jahres, der Monate, Wochen und Tage zu ord­ nen hatte; dies Geschäft wird jetzt von einem Eingeborenen versehen.') Die schwarze Kunst hat auch ihre Diener in Siam. Dem Quecksilber legt man die wundervollsten Kräfte bei und hält sich für überzeugt, daß, wenn man nur im Stande wäre, dasselbe in hartem Zustande barzustellen, man alsdann vermittelst desselben durch die küfte zu fliegen ver­ möchte, wohin man wollte. Der Glaube an die Wirksam­ keit böser Geister und ein demselben entsprechender Dienst herrscht allgemein in einem sehr hohen Maaße vor. Eine wunderbolle Macht über diese Geister giebt, wie man glaubt, der Besitz eines Kmberleichnams, der im Leibe seiner ver­ storbenen schwängern Mutter begraben worden war. Ob­ gleich sonst die ehrenvollste Tobten »Besorgung im Verbren­ nen besteht, so werden doch die Leichname verstorbener schwan­ gerer Fraum beerdigt. Man pflegt die Gräber derselben zu bewachen, um den Leichnam der Mutter vor der Beraubung des Kindes zu beschützen. Ueber die Art und Weise der Ausübung einer solchen Frevelthat wissen die Siamesen Be­ richt zu erstatten. Sie behaupten, daß zwar alle Gespenster, wilden Thiere und Höllengeister sich derselben feindlich ent­ gegenstellten, daß es aber dennoch dem Zauberer, wenn es ihm an der nöthigen Frechheit nicht fehle, vermöge seiner Zaubergcsänge, gelinge» müsse, heranzukommen, das Grab zu eröffnen und die That auszuführen. Er haut alsdann dem Kinde das Haupt, die Hände und Füße ab, um dies mit nach Hause zu nehmen, und hier einem aus Lehm ver­ fertigten Rumpfe anzupassen. Das so geformte Bild wirb in einer Art von Tempel ausgestellt, und damit ist das Werk vollzogen: der Besitzer ist Herr der Vergangenheit, Gegen­ wart und Zukunft geworben.*2) *) Finlayson. p. 237. 251. 254. 2) a. a. O. p. 238. 239.

Religionszustand in Hinterindien.

298

Wenn

so

den Schwarzkünstlern die Leichname

Lobten für ihre Zwecke dienen sollen,

der

so gilt es dagegen

den frommen Bauddha's in Siam für ein Werk der Liebe

und für lobenswerth, wenn nach ihrem Tode nur ihre Knochen verbrannt werden, das Fleisch ihres Körpers aber in kleine Stücke zerschnitten und den Thieren des Feldes zur Nah­ rung vorgeworfen wird.') Natürlich besteht, wie überall, ivo der Buddhaismus

hingedrungen ist, auch in Siam neben dem Dienste Bub-

dha's und der buddhaischen Heiligen der Dienst der brah­

manischen Götter.

Die Wände der Tempel sind mannich-

faltig geschmückt mit Darstellungen mythologischer Gegen­ stände aus dem Kreise der religiösen Sagen der Indier.

Don indischen Sagen sind besonders die aus dem Ramajana

bekannt und allgemein verbreitet; außerdem haben die Siame­

sen eigenthümliche Volkssagen?) Ein Lingam-Siwas-Dienst scheint auch

nach

Siam seinen Weg gefunden und hier

theilweise mit dem Buddha-Dienst sich vermischt zu haben.

Denn in einem, dem Buddha geweihten, Tempel finden sich unzüchtige Darstellungen?)

Die von den Siamesen ihren Verwandten und Vor­ fahren in einem so hohen Maaße geleistete Verehrung^) er­ innert eben /o sehr an die Gesinnung und die Sitten der

Chinesen, wie das an jener, oben schon erwähnten Hofsitte hervortretende

Bestreben,

die politischen

Geiste des Buddhaismus zu heiligen.

Verhältnisse im

An und für sich

tragt der Buddhaismus nicht die geringsten politischen Ele­

mente in sich; er bietet nur eine Religion für das Jenseits, für düs ewige Heil der Seele; auch kommt es den Chinesen nicht in den Sinn, ihr weltliches Reich und dessen Verhält­ nisse im Geiste des Buddhaismus heiligen zu wollen; sie

!) ®) 3) 4)

Finlayson. p. 232. a. a., O. p. 217. Aaiat. research, vol. 6. p. 248. 250. Finlayson. p. 218. a a. 0. p. 236.

Religivnsrustand kn Hmterindien.

299

haben vielmehr schon in der Lehre des Kong-Fu-Dsü eine politische Religion, und nicht darin, daß etwa in der Art und Weise der Auffassung des Buddhaismus die Chinesen den Siamesen ähnlich wären, besteht die Verwandtschaft in der Gesinnung, sondern vielmehr darin, daß die Siamesen eine starke Neigung zeigen, ihrer innersten und heiligsten Re­ ligion eine derselben an und für sich durchaus fremdartige politische Bedeutung anzueignen. Orstlich von Siam zeigt sich denn auch immer mehr der Einfluß chinesischer Grsittigung und Bildung. Laos kann seinen Buddhaismus nur von China aus erhalten haben, und im Uebrigen ist hier eine Verehrung der Vorfahren vorherrschend; der Glaube an die Macht zauberischer Künste ist allgemein und wird für den, der solche übt, einträglich.') In Anam, Tunkin und Cochinchina ist die chinesische Bil­ dung durchaus vorherrschend.*2)3 Die Lehre des Kong-FuDsü herrscht hier neben dem Dienste des Buddha, der unter dem chinesischen Namen Fo verehrt wirb. In der Auffas­ sung ist aber hier der Buddhaismus wenigstens von Dielen aus dem Volke sehr verfleischlicht, indem man Nirwana mit einem Zustande vergleicht, in welchem es ohne Arbeit nicht an Reis fehlen werbe. Den unteren Mächten, den gefürch­ teten Geistern wird auch je nach dem Maaße, wie von ihnen Gefahr droht, Verehrung geleistet. Die Seefahrer richten diesen Dienst anders ein, als die, die an der Küste wohnen, und anders wieder die Ackerbauer in den fruchtba­ ren Gegenden des inneren Landes.') Die wilderen Stämme verehren den Tiger und den Hund, und bieten dem ersteren Menschenfleisch zum Opfer bar. Im Ganzen wird im Lande den Geistern der Vorfahren eine tiefe und innige Verehrung geleistet. Man achtet sie wie Schutzgottheiten, die für bas

*) Hamilton East India Gazettcr. p. 491. 2) De la Blssachcre a. a. O. S- 261. 268. Asiat, res. vol. 10. p. 263. 3) Finlayson. p. 306. 380. 381. White, voyage to Cochin China p. 277. 278. Darrow, voyage to Cochin China, p. 328. 331.

300

Migion-tustand in Hinterindien.

Wohl der Familien ihrer Nachkommen wachen, unb in -em Maaße die Macht dazu haben, als sie auf Erden ein heiliges Leben geführt haben. Zu vier verschiedenen Zeiten im Jahre werden diesen Geistern Opfer ge­ bracht. Für das weltliche Wohl des Volks verden hier auch in den Klöstern von der buddhaischen Geißlichkeit Ge­ bete angestellt.') Hamilton East India Gazetten p. 296. 835. Vkkgl. Transact. of the roy. as. soc. vol. 3. p. 64. Barrow, voytge to Cochin China, p. 332.

Religionsgeschichte der Völker, welche die Inseln der indisch-chinesischen Meere bewohnen. ältere Bevölkerung der Inseln der indisch-chinesischen

Meere besteht bekanntlich aus zwei Stammen, deren Ursprung und frühere Geschichte in völlige Dunkelheit gehüllt ist. Es

bestand hier in dieser Rücksicht ein ähnliches Verhältniß, wie im Süden von Indien vor dem Eindringen indischer Bildung aus den Gangesländern.

Auch in Sübinbien fin­

den sich. Spuren und Ueberreste eines älteren und wilderen Volksstammes genug, und darauf hat sich eine zweite Völ­ kerschicht gelagert, deren Sprache dem Sanskritstamme nicht

verwandt ist.

Mit der malayischen Sprache hat dieselbe

aber auch keine Verwandtschaft, sondern steht in ihren fünf

Verzweigungen für sich allein als eigener Sprachstamm da; in Rücksicht

auf die Religion findet sich indeß manches

Aehnliche zwischen dem den Südindiern ursprünglich eigen­

thümlichen Geisterdienste älterer Zeiten und demjenigen', wie er auf Ceylon und den Inseln der indisch - chinesischen Meere unter dem Volke zum Theil noch aus früheren Zeiten sich

erhalten hat. Der malayischen Bevölkerung auf diesen letzteren In­

seln des Ostmeers, zu denen Ceylon nicht zu zählen ist, war eine Bevölkerung schwarzer Stämme vorangegangen, die sich

unter einander, wie den afrikanischen Negerstämmen, mehr oder weniger gleichen.

Die Ueberreste derselben leben in den

inneren Wäldern und Gebirgen der Inseln; ihrer Menge nach werden sie, jemehr man gegm Osten geht, zahlreicher

Religionsgeschichte der Malayen.

302 gefunden.')

Sie sind verwandt mit den Völkerstämmen von

Neu-Guinea und Neu-Holland.

An dem Charakter der

verschiedenen Stämme dieses Volkes spiegelt fich im Geiste der Naturcharakter der Länder, die sie bewohnen, ab.

Wie

jene Inseln verworren neben einander im Meere gelagert sind, und in ihrer zerrissenen Gestalt das Bild eines vergeb­

lich gebliebenen, nicht zu einer in sich übereinstimmenden Durch­ bildung gediehenen Ringens des Festen, dem Flüssigen sich einzubilden, darbieten, so auch spiegelt sich am Charakter der Urbewohner derselben das Bild innerer Zerrissenheit und

Verworrenheit ab.

Ein eigentlicher Götterdienst ist den Pa-

pua's, den Horafora's und den ihnen verwandten Völker­

stämmen fast fremd; doch fürchten sie die Naturmächte, vor­ nehmlich in den Erscheinungen der Sternschnuppen und des Gewitters.

Nach dem Tode glauben einige unter ihnen mit

den Wolken vereinigt zu werden, von wannen sie gekommen

wären.

Dennoch

haben sie auch große Furcht vor den

Gräbern der Tobten und glauben an Erscheinungen der Gei­ ster, die jeden, der zur Nachtzeit an den Grabern weile,

zerfleischten, aber demselben zugleich auch dadurch die Kraft zu zaubern und Krankheiten zu heilen, ertheilten.?)

Von dem' ostasiatischen Neger unterscheidet sich der zweite Volksstamm der Inseln der indisch-chinesischen Meere, der gewöhnlich mit dem allgemeinen Namen des malayischen

bezeichnet wird.

Dieser steht schon auf einer bedeutend hö­

heren Stufe sittlichen Daseins, wie jener. in mehrere Stämme,

Derselbe zerfällt

von denen man heutiges Tages in

bem rohesten oder wenigstens ursprünglichsten Zustande den

Stamm der Tagali's auf der Insel Lü^on findet.

Spuren

Crawford, hist, of the indian archipel. vol. 1. Book 1. c. K Asiat, res. vol. '10. p. 217. 218. Zuniga hist, view of the philippin. Islands, translat. by Naver. London. 1814. vol. 1. p. 22. 23. 2) Zimmermann, Australien. Th. l S. 344.353. 370. 405. 415.416. Th. 2. S. 929. Asiat, res. vol. 10. p. 218.

Religionsgeschichte der Malayen.

303

der Papua's fehlen auch auf dieser Insel nicht; aber die eigentlichen Tagali's von Lücon find, wie die Batta's von

Sumatra, die Bugi's von Celebes, malayischen Stammes.')

Gegenstände ihrer religiösen Verehrung bilden die Sonne, der Mond und der Regenbogen; fle haben eine große Furcht vor dem Alligator, und bauen ihm zu seiner Bequemlichkeit

Hauser an den Küsten der Flüsse, bringen ihm auch zum

Opfer Vögel und vierfüßige Thiere bar.

Der religiöse Dienst

wird von Priestern und Priesterinnen versehen; Grotten und

Höhlen dienen statt Tempel; in denselben find Götterbilder aufgestellt, vor denen Rauchwerk brennt.

Diese Götterbilder

find Darstellungen der Naturgeister, als der Geister der Ge­

birge, der Ebenen,

der See und anderer.

Jedem Geiste,

dem ein bestimmter Wohnort angewiesen ist, bringt man Gebete und Opfer dar, ehe man die Gegend betritt, wo er

herrscht.

Außerdem hat jeder heidnische Tagali auf Lüxon

seine Haus- und Familiengötter;

auch werden die Geister

und Graber der Vorfahren verehrt, und daneben Bäume/ Felsen und Gebirge.

Es fehlen mythische Sagen über die

Weltschöpfung nicht;

ob aber dieselben aus der indischen

Saste stammen, ist nicht zu bestimmen, da man fie nicht näyer kennt. ?)

Auf der Insel Bali ist Hinduismus mit der alten Lan­

desreligion des malayischen Stammes synkretistisch verbun­ den worden, wie denn überhaupt über den größten Theil der Inseln der indisch-chinesischen Meere indische Bildung

fich schon frühe verbreitet hat.

Diese ziemlich schwer zu­

gängliche Insel ist die einzige unter ihren Schwesterinseln, auf welcher sich der Hinduismus bis auf unsere Tage er­

halten hat.

In der Form indeß, in welcher fich derselbe

hier als Siwaismus gegen den Islam in seiner Herrschaft

') John White, voyage to Cochin China. London. 1824. p. 421. Asiat, res. vol. 10. p. 163. 166. 192. 204. 209. a) White voy. p. 120. 121. Vergl- Zuniga hist view of the philip. Islands translat. by Maver. vol. 1. p. 39.

Religivnsgeschichte der Malayen.

304

hat behaupten können, besteht derselbe erst seit dem I5feit Jahrhundert.

Im Allgemeinen ist das Volk von Bali im­

mer noch dem Dienste der alten Landesgötter in einem ho­ hen Maaße ergeben.

Das Wesen desselben besteht in einem

mit Geisterdicnst verknüpften

vorherrschenden Naturdienste.

Jeder Gau in Bali hat seine besondere Schutzgottheit, und so auch jedes Dorf, sedes Gebirge, jeder Wald und Fluß.')

Unter dem Schatten

heiliger Feigenbäume,

die mit einer

viereckigen, aus Lehm erbauten Mauer umgeben find, wird

diesen Gottheiten Verehrung geleistet.

Innerhalb des von

der Mauer umschlossenen Raumes finden sich Schreine,

in

denen Oellampen stehen, die bei Nacht angezündet werden?) In einer seltsamen Form besteht der Brahmaismus auf

Bali.

Bali

Er soll daselbst, zufolge,

im

der Sage der Brahmanen

15ten

Jahrhundert

gegründet

von sein.

Wenige Jahre früher nämlich, als der Islam in dem Jahre

1478 unserer Zeitrechnung,

nach dem Umstürze des letzten

Hindu-Reichs auf Jawa, sich hier vorherrschend machte,

waren Saiwas aus Vorderindien nach Jawa gekommen, aber bald nachher, durch die Muhamedaner vertrieben, nach

Dali herübergegangen und hatten hier ihren Dienst gegrün­

det.

Sie führten hier, ganz nach den Grundsätzen der Ge­

setze des Manu, ein strenges Kastenwesen ein, so wie sie

denn auch den Staat einrichteten,

sie sich seitdem beschäftigt haben.

ten,

mit dessen Verwaltung

Sie sind hier die Beam­

in deren Hände die ganze Rechtspflege gelegt ist?)

Um den Dienst der Götter aber,

denen vom Volke Vereh­

rung geleistet wird, kümmern sie sich nicht, überlassen viel­ mehr, in einer ähnlichen Weise, wie auf Ceylon, die Sorge

für diesen Dienst den Waisya's

und Sudra's?)

Ihren

eigenen indischen Göttern haben sie keine Tempel erbaut,

1) 2) 2) 4)

Crawfurd. vol. 2. p. 238. Asiat, res. vol. 13. p. 139. Asiat, res. vol. 13. p. 138. Crawfurd. vol. 2. p. 237.239.257. Asiat, res. vol. 13. p. 130.138Crawfurd. vol. 2. p. 238. Asiat, res. vol. 13. p. 139.

Religionsgeschichte der Malayen.

305

noch verehren sie dieselben in Bildern; zum Hauptgegenstande

ihrer religiösen Verehrung haben sie sich den großgeistigen Herrn des Weltalls erwählt.

Sie rufen ihn gewöhnlich an

mit den Worten: „Vortrefflichster Siwas!"') — Man sieht hier ein seltsames Verhältniß.

Brahmanen

ohne Tempel und Götterbilder, auf das Volksleben nur wir­

kend in Rücksicht auf die Verhältnisse des bürgerlichen Le­ bens, aber ohne Theilnahme an der Religion des Volks,

wie ohne Einfluß

auf dieselbe, Kastenwesen

einrichtend,

welches, wenn auch manchmal durchbrochen, wie dies häufig

in Indien der Fall gewesen ist, grundsätzlich

aufrecht

dennoch dem Gesetze.nach

erhalten wird.

Diese

Brahmanen

gehören einer Saiwas-Secte an, und sind Anfangs, wahr­

scheinlich aus Mangel an Hülfsmitteln dazu, abgehalten

worden, Tempel zu errichten und Götterbilder zu verfertigen, bis sie später, dem Charakter des Landes gemäß, wo sie sich angesiedelt hatten, in eine Art von Naturdienst znrückgefal-

len sind,

und nunmehr ihren großgeistigen Schöpfer der

Welten unmittelbar in der Natur verehren.

Spuren von

dem Vorhandensein der Weda's fehlen indeß sowohl auf

Bali

als auf Jawa gänzlich.')

Im Wechselverkehr mit

dem Volke sind sie kaum auf irgend ein religiöses Verhält­ niß eingegangen, sondern haben sich damit begnügt, die bür­ gerlich-rechtlichen Verhältnisse zu ordnen, und sich der Ver­

waltung derselben zu unterziehen.

Hiernach wäre eine Erzählung, die sich in dem übrigens sehr verdächtigen Bericht eines Muhamedaners,^) den Raff­

les mittheilt,*) zu erläutern.

In diesem Berichte wird gar

nicht unterschieden zwischen einer Saiwas- oder Buddha-

J) Crawfurd. vol. 2. p. 238. 239. Asiat, res. vol. 13. p. 138. 139. W. v. Humboldt über die Verbindungen zwischen Indien und

Java. S- 105.

2) Asiat, res. vol. 13» p. 147. 3) Vergl. W. v. Humboldt a. a. O. S. 106.

4) Raffles hist, of Java. vol. 2. append. p. 239.

306

Religion-geschichte der Malayen.

Religion, wie beide in getrennten Formen auf Dali bestän» den, sondern es wird nur im Allgemeinen von der Buddha, Religion auf Bali geredet, innerhalb welcher ein Gegensatz bestände, der etwa dem den Bäuddha's nicht unbekannten Begriffe des Gegensatzes von Innerer und äußerer Religion entsprechen könnte. Es wird indeß nicht gesagt, daß der eine Kreis sich auf den Dienst der Weltgötter beziehe, wäh» renb brr andere Kreis das angehe, was bas Heil der Seele beträfe; vielmehr wirb gesagt, daß der eine Kreis nur todt» liche Angelegenheiten beträfe, als die Befehle des Fürsten, die Gesetze des Landes mit Einschluß der gewöhnlichen Ge­ schäfte des bürgerlichen Lebens. Es scheint daher, daß der muhamebanische Berichterstatter, irre geführt durch das Ver­ hältniß der Saiwas-Drahmaneq auf Bali zum Volksleben, die eigentlich hier, ohne einen eigenen Tempel- und Bilder­ dienst, nur als Staats-Beamte leben, die Saiwas-Religion als den Kreis, der die weltlichen Angelegenheiten betrifft, bezeichnet habe. Was er weiter über den zweiten Kreis, der die eigentlich religiösen Angelegenheiten betreffen soll, offenbar mit großen Uebertreibungen berichtet, dürfte auf einen im Laufe der Zeiten verkümmerten, durch Synkretis­ mus mit dem Dienste der einheimischen kanbesgötter sehr versetzten Buddha-Dienst zu beuten sein. Im Uebrigen aber sind die Nachrichten über den Buddha-Dienst von Bali viel zu dürftig und widersprechend, als baß man im Stande wäre, sich eine klare Vorstellung darüber zu bilden.') Die Bilder, von deren Verehrung geredet wirb,2) müssen zum Theil entweder dem Kreise des Buddha-Dienstes oder zum Theil dem des Dienstes der alten Landesgötter angehören. Daß irgendwo ausdrücklich behauptet wäre, daß die regte* renben Familien dem strengen Siwas-Dienste der SawasBrahmanen ausschließlich sich anschlössen, dessen erinneie ich mich nicht, und es dürfte wohl zu viel gefolgert sein, venn *) Vergl. W. v. Humboldt a. a. O. §. 11. 5) Raflles II. append. p. 239.

Religion-geschichte der Malayen.

307

man für diese Behauptung den Beweis davon hernehmen wollte, baß die Frauen ihren Männern im Tobe, den Scheiterhaufen besteigend, folgten.') Wenn man fich das Verhältniß, in welchem die Brahmanen auf Ceylon unv selbst auch in Hinterindien zu den Baubdha's stehen, ver« gegrnwärtigt, so muß man zu dem Schluffe gelangen, däß die in der letzten Hälfte beS 15tcn Jahrhunderts nach Bali gekommenen Saiwas-Brahmanen durch ihre höhere geistige Bildung Ansehen und bedeutende Macht sich erworben hät» ten, ohne im Stande gewesen ju sein, bas Volk, zu dem schon in älteren Zeiten Kunde von Buddha gekommen war, völlig ju ihrem Glauben zu bekehren.") Den Begriff deS Trimurti halten diese Saiwas-Brahmanrn im ächt-brahmanischen Sinne, aber in saiwaischer Vorstellungsweise, fest. Der unklare Bericht über ihre Vorstellungen in dieser Rück­ sicht findet seine Erläuterung durch eine Vergleichung mit den Nachrichten über die Ansichten der Saiwas von Südindicn. Denselben jufolge wäre Karta, der auch Paraparawastu, oder erstes und letztes Sein genannt wird, die höchste Gottheit, deren Wesen der feinsten Wesenheit der fünf Ele­ mente entspräche. Ihr wird die höchste Vernunft beigelegt, und sie wirb als das allervollkommenste Wesen gedacht. Dies höchste Wesen enthält und umschließt in sich das ganze Weltall; es ist die Seele, es ist die wirksame Kraft, die Alles schafft und in einer wunderbaren Ordnung erhält; es ist das wahre Sein in allen Dingen, und das, was dem Leben die Bewegung giebt; es ist durch sich selbst, durchaus ewig, und, während alle Dinge von demselben abhängig sind, ist es selbst völlig unabhängig. Sich offenbaren wollend breitete dies Wesen sein Sein aus zum Weltall, und erschuf in diesem Hervortreten alle Wunder der vierzehn Welten. Darauf verwandelte es sich in eine menschliche Gestalt, der es den Namen Siwa bei» ') Asiat res. vol. 13. p. 138. Crawfurd. vol. 2. p. 241. 2) Dergl» Ra flies inemoir, p. 171.

308

Religkonsgeschichte der Malayen-

legte; aber da es die Bestimmung des Siwa war, sich in

die Welt der Vollkommenheit zurückzuziehen, so verwandelte sich das höchste Wesen in eine andere menschliche Gestalt,

der

sie den Namen Rubra gab, und nahm darauf noch zwei andere ähnliche Gestalten als Wischnu und Brahma an. Diesen drei Formen theilte sie ihre Vernunft mit und über­

trug ihnen die Verwaltung der menschlichen Angelegenheiten. Durch diese drei Offenbarungen, die in drei Personen nur

als eine Gottheit verehrt werden, wirkt Karta im Weltall.

Brahma ist der Schöpfer; er ruft durch seinen Willen die

Geschöpfe ins Leben.

Wischnu ist der Erhalter;

er Hält

die Ordnung und Uebereinstimmung in allen Theilen der Welt

aufrecht.

Ruöra ist der Zerstörer; durch ihn werden alle

Dinge der Vernichtung anheim gegeben.

sind dem Siwa unterworfen,

Diese drei Götter

der die Fülle der göttlichen

Wesenheit des Karta, ja den Karta selbst darsiellt.')

Diese religiösen Grundvorstellungen der Saiwa's von Südindien sind es, wodurch die Berichte über die Religions­ ansichten der Saiwas - Brahmanen von Bali ihre völlige

Erläuterung finden.

Von den letzteren wird Batara Guru

als höchster Gegenstand der Anbetung verehrt; ec gilt jedoch als dem höchsten einigen Gotte untergeordnet und als der Vermittler mit demselben. Dies höchste Wesen wird Sang-

Mang -Tunggal genannt, und es ist in demselben Karta der Saiwa's von Südindicn nicht zu verkennen.

Auf Batara

Guru folgen: Brahma, der Geist des Feuers, Wischnu, der

Geist des Wassers, und Siwa, der Geist der Luft?)

Man

sinbet hier völlig den Begriff des Trimurti in der saiwaischen

Auffassung der Verehrer des Karta wieder; daß der Name Siwa statt Rudra gebraucht wird, ist etwas völlig gleich­

gültiges. Auch kann der Gebrauch des Namens Batara Guru

für Siwa keinen Anstoß geben.

Denn nicht nur kommt

!) Jacquet religion des Malabares. Paris. 1815. p. 111.112. 2) Raflles hist. II. append. p. 239. Raffles memoir. p. 171.

309

Religionsgeschichte der Malayen.

Siwa in pauranischen Sagen häufig in der Gestalt eines menschlichen Büßers vor, sondern er wird auch in der über

Südiudien weit und zahlreich verbreiteten, Dschangama ge­

nannten Saiwas-Secte als derjenige verehrt,

alleinige Guru zu erwähle» fei.1)

der als der

Dem Wesen des Batara

Guru entspricht vollkommen das Wesen des Siwa Guru. Das Wort Batara stammt von dem indischen Worte Awatara ab, und wie dies Wort zur Bezeichnung der Götter höherer Ordnung unter den Saiwas von Bali in Gebrauch

hat kommen können, erklärt sich aus den Vorstellungen der Verehrer des Karta.

Auch diese lassen den Karta,

indem

er Brahma, Wischnu und Rubra wird, in wirklich menschliche Gestalten eingehen,

so baß hier die Vorstellung von

Awatara's vorherrscht, die in einer solchen Wendung weder

dem Geiste der Religion der Weda's noch dem der Religion der Heroenzeit entspricht.

Es ist indeß leicht zu erklären,

wie sich diese Vorstellungen in dem Bewußtsein der Indier entwickelt haben.

Ursprünglich in ihrer ersten Wurzel stam­

men sie aus der Bhagawad-Gita her, in welcher im Krischnas der Mikrokosmus zum Makrokosmus erhoben ward.

In der Vorsiellungsweise, nach welcher dies geschehen war, haben in späteren Zeiten, in welchen überhaupt im religiösen

Bewußtsein der Kreis des Lebens der Götter nach der An­ sicht, daß nichts in der Welt vortrefflicher sei, als das Men­

schengeschlecht,^) mehr in die Kreise des Menschlichen hin­ eingezogen ward, Saiwa's die Vorstellung vom Mikrokos­

mus auf die Götter des Trimurti übertragen, und darnach

konnte diesen der Name Awatara in einem gewissen Sinne

sehr wohl beigelegt werden. Die Götter niederen Ranges, denen auf Bali Vereh­

rung geleistet wird,

Insel,

sind zum Theil alte Lanbesgötter der

die man mit Sanskrit-Benennung im Allgemeinen

als Dewa's bezeichnet, auf die man aber auch zur näheren

*) Wilson Mackenzie collect. vol. 2. p. 4. 6. 28. 3) Dergl. Raffies hist. II. append. p. 229.

310

Religion-geschichte der Malayen.

Bezeichnung im Einzelnen indische Namen übertragen fyat: so heißt der Gott des Meeres Dewa gebe fegara, nach dem Sanskrit-Wort Sagara, Meer. Außerdem werden als große Götter aus dem Kreise der Dewa's Dewa gebe dalam, ein Sinnbild des Todes, Dewa gede Bali hagung, die Gott­ heit, in deren nahe bei dem Pallast des Fürsten befindlichem Tempel das gemeine Volk an bestimmten Lagen dem Got­ tesdienst beiwohnt, endlich Dewa gede gumung hagung, eine noch allgemeiner verehrte, von allen Fürsten und allem Volke in Bali angebetete Gottheit angeführt.') Zum Theil sollen auch indische Götter aus dem Kreise der Gottheiten zweiten Ranges oder der Dewata's, wie Indra und Surya, unter die Götter von Bali ausgenommen worden fein.2) Buddha - Dienst muß in einer gewissen Form ohne Zweifel auf Bali vor der im löten Jahrhundert gescheheuen Ankunft der Saiwas-Brahmanen bestanden haben. Es ist jedoch aus Mangel an Nachrichten völlig unmöglich, zu be­ stimmen, wann er sich hier angefiedelt haben möge, oder welche Aufnahme die in seinem Gefolge sonst überall mit­ ziehenden brahmanischen Götter gefunden hätten. Da der indische Feigenbaum es ist, unter dessen Schatten Buddha seine Buße vollzogen hat, und unter dem er zuerst seine Schüler und Nachfolger zur Gemeinde um sich versammelte, so ist es höchst merkwürdig, daß die unter den Kronen der Feigenbäume umschlossenen Räume, die als Tempel dienen, Sanga genannt werben.2) Denn bas Wort Sanga ist be­ kanntlich eine Bezeichnung für den Verein buddhaischer Geistlichkeit. Die Religionsgeschichte von Jawa ist freilich nicht völ­ lig so dunkel, wie die von Bali;.doch wird es auch sehr schwierig, bei Untersuchungen in derselben zu sichere»» Ergeb­ nissen zu gelangen. Seitdem in der letzten Hälfte des löten *) Ra flies hist. II. append. p. 239. SB. V- Humboldt 0. 6.0. S> 100. 3) Asiat, res. vol. 10. p. 192. 3) Asiat, res. vol. 13. p. 138. Dergl. W. v. Humboldt S» 99.

Religionsgeschichte der Malayen.

311

Jahrhunderts die Jawanesen zum Islam bekehrt worben sind, haben sich die in früheren Zeiten aus Indien nach

Jawa gebrachten mythologischen Sagen mit alten auf der Insel einheimischen Landesfagen, so wie mit jüdischen und

muhamedanischen Geschichten auf eine seltsame Weise ver­ mischt.')

Noch haben sich zwei große Mythensammlungen,

Kanda und Manek Maja, auf Jawa erhalten,?) deren In­

halt aus älteren Ueberlieferungen geschöpft, in späteren Be­ arbeitungen aber zum Theil mißverstanden, zum Theil aus verschiedenen Zeiten herstammend,

mit einander vermischt,

auch eigenmächtig verändert worden ist.

Indische und alte

einheimische Landessagen sind durcheinander geworfen und

Charakteristisch

zu kindischen Volksmahrchen umgebildet?)

tritt eine geistlosere Vermenschlichung der mythischen Gestal­

ten ein.

Dies kann von einem Einflüsse des Geistes des

Islams herrühren, jedoch auch auf eine ursprüngliche Ver­

wandtschaft in der Vorstellungsweise der Jawanesen Japaner hindeuteu.

und

Es kann sich der Mühe nicht verloh­

nen, diesen Gegenstand mit der Untersuchung näher im Ein­ zelnen zu verfolgen, da die jawanesischen Sagen, ohne in­

neren geistigen Halt, gar zu sehr in mährchenhafte Vorstel­

lungen auseinanderfließen. Aus der Sage ist daher kaum etwas zu gebrauchen

für den Zweck der Erforschung des Religionssystems, dem die Jawanesen angehangen hätten, ehe sie sich zum Islam

bekehrten.

Rama und Krischnas werden in den Dichtungen

gepriesen, und man ist auf Jawa in dem Besitze sowohl ei­

ner Art von dichterischer Bearbeitung des Ramajana, des Maha Bharata?)

als

Die Uebersetzung des letzteren Hel­

dengedichtes aus dem Indischen, oder vielmehr die Bearbei­ tung desselben fällt in das Jahr 1117?)

Im Kawi führt

1) Crawfurd. vol. 2. p. 293. 295. 297. 2) Bassi es. vol. 1. p. 373. vol. 2. appcnd. p. 206.

S) Bergt. W. v. Humboldt S- 209. 210. “) Kaffles I. vol. 1. p. 388. 389. 412. 415. 5) Asiat res. vol. 13. p. 146.

Religionsgeschichte der Malayen.

312

führt es den Namen Brata Juddha.

Es ist bas berühm-

teste von allen Gedichten, die aus dem Indischen ins Kawi

übersetzt sind.

Die Volkssage versetzt den Schauplatz der

in demselben besungenen Begebenheiten nach Jawa hin;

doch wie viel von dem Inhalte dieses Gedichtes jemals in den religiösen Glauben des Volks wirklich ausgenommen worden ist, darüber zu urtheilen, ist man aus Mangel an Nachrichten außer Stande. Den Untersuchungen in dem Gebiete der Religionsge­

schichte der Jawanesen kommt nur weniges zu Hülfe. Ein­

zelne dürre Nachrichten, die man den Sagen zu entnehmen im Stande ist, hat man zu vergleichen mit den Ruinen

prachtvoller Bauwerke älterer Zeiten, die dem beschauenden Betrachter mehr Staunen erregen,

als Unterricht geben.

Mit aller Sicherheit ist, nach Inschriften, die an den Ruinen

der im Style der indischen Baukunst errichteten Tempel ge­

funden werden, die Geschichte indischer Einwanderungen nach Jawa nur bis in die spatere Halste des 12ten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung zu verfolgen.')

Es kommen zwar keine

Inschriften aus dieser Zeit selbst vor, und dagegen zwei aus dem 6ten Jahrhundert. Die Angaben dieser beiden letztem sind jedoch nicht zu verbürgen, und die aus dem 13ten

Jahrhundert herstammenden Inschriften lassen in Vergleichung mit der Sage Schlüsse aus das 12te Jahrhundert zu.") Ueber die Zeit des Anfanges der Verbindungen zwischen

Indien und Jawa läßt sich aus den historischen Angaben kaum etwas mit Sicherheit folgern.

Wenn es denn so auch unmöglich ist, die frühere Ge­ schichte von Jawa nach sicheren Zeitbestimmungen zu ordnen,

so wird man dennoch, wenn man solche Grundsätze gelehrter Forschung, zu denen man überall in dem Gebiete der indi­ schen Sagengeschichte greifen muß, um überhaupt nur fort» zukommen und zu Ergebnissen zu gelangen, zu Hülfe nimmt.

■) Crawfurd. vol. 2. p. 215. 297.

2) W- v. Humboldt fl. a. O. S. 15. 217.

Religlonsgeschichte der Malayen.

313

im Stande sein, manche Hauptpunkte festzustellen, die we­ nigstens im Großen und Ganzen einiges Licht über die ge­

schichtliche Entwicklung werfen.

Mißlich bleibt es immer,

wie schon zu seiner Zeit William Jones, um das Alter der

Weda's zu bestimmen,

es hat versuchen wollen,

aus der

Geschichte der Sprachen Gesetze zur Bestimmung von Zeit-

vethaltnissen herzunehmen.

Die geschichtliche Sprachkunbe

steht zur lebendigen Menschengeschichte in demselben Ver­ hältnisse, wie die reine Mathematik zur angewandten. Wenn

in jener alles durch sich selbst klar und sicher ist, so kann

man dagegen bei der Anwendung ihrer Gesetze auf das Le­ ben ohne mannichfaltige Voraussetzungen nicht fortkommem

Was aber die Anwendung von Gesetzen,

die man der ge­

schichtlichen Sprachkunbe entnimmt, auf geschichtliche Ver­ hältnisse, um Zeitbestimmungen zu gewinnen, betrifft, so ist in dem Gebiete der Geschichte der ostasiatischen Sprachen derjenige Zweig, an welchem man sich' in dieser Rücksicht am sichersten heranarbeiten könnte, noch gar nicht zur Hand ge­ nommen.

Da man historisch genau im Einzelnen die Ge­

schichte davon kennt,

wie in Tibet mit dem Buddhaismus

indische Bildung eiugedrungen ist,

so werden Forschungen

über die Gesetze zeitlicher Entwicklungen bei der Vermischung verschiedener Shrachen in dem Gebiete der Geschichte der

Sprache jenes Landes nicht ohne Erfolg angestellt werben können.

Was aber das Verhältniß der heiligen Sprachen,

wie des Sanskrit, des Pali und des Kami, zu den Volks­ sprachen betrifft, so werden feste Grundsätze zur Beurthei­ lung desselben nur erst dann aufgestellt werden können, wenn der Ursprung des Zend und die Gesetze, wonach die Sprache des Desatir gemacht worden ist, im Einzelnen er­

forscht worden sind. Ueber das Alter des Kawi ist für jetzt nichts bestimm­ tes, und also auch daraus nichts über den Anfang der Ver­

bindungen zwischen Indien und Jawa festzustellen.

Die in

der Erinnerung aufbchaltene Sage läßt die frühesten indi­

schen Ansiedler in dem ersten Jahre der jawanischen Aera,

314

Religionsgeschichte der Malayen.

die im Wesentlichen die indische des Salivahana ist und nur um vier Jahre von derselben abweicht,

men.')

nach Jawa kom­

Das angegebene Jahr fallt in das Jahr 74 oder

Ueber die frü­

78 nach dem Anfänge unserer Zeitrechnung.

here Urbevölkerung Jawa's und der östlichen Inseln wird erzählt, daß fie in Schiffen vom rothen Meere hergekommen sein sollte; keiner bestimmten Religionsform wären diese An­ siedler zugethan gewesen ; vielmehr hätten einige die Sonne,

andere den Mond, einige das Feuer ober das Wasser, an­

dere Bäume verehrt.

Der Zeichen- und Sterndeutung wä­

ren Alle in hohem Maaße ergeben gewesen.

Im klebrigen

werden sie als Wilde beschrieben, die Horden- und nomaden­ haft

ohne Gesetz und Recht herumgezogen wären.1 2)3

Es

hat indeß auf Jawa vor dem Eindringen indischer Bildung, wie auf Bali und den anderen östlichen Inseln,

tur- und Geisterdienst geherrscht.

ein Na­

Die Natur, die Wälder,

die Gewässer, die Luft waren den alten Jawanern mit Gei­

stern erfüllt, die entweder als feindselig oder als wohlthätig

gesinnt, gefürchtet oder geliebt wurden.

Wohlthätige Schutz­

götter in Menschengestalt, böse Geister in Büffelgestalt, Rie­ senweiber,

welche die. Kinder durch Liebkosungen verlocken

und wegtragen, Schutzgeister der Jäger und Fischer, doch auch, wie auf Celebes und anderswo in den östlichen Ge­

genden, die Geister der-Vorfahren, wurden verehrt.2) Ob

bei

der Ansiedelung indischer Götter auf Jawa

Buddha zuerst und nur in

seinem

Götter nach Jawa gekommen,

gewesen,

die

den

Dienst

ihrer

Gefolge brahmanische

oder ob

Götter

es Brahmanen

hier

gegründet

hätten, diese Frage ist nicht leicht mit Sicherheit zu beant­

worten.

Doch spricht sehr. vieles für die Behauptung, daß

der Buddhaismus vor dem Brahmaismus auf Jawa be-

1) Asiat, res. vol. 13, p. 154. W. v. Humboldt a. a. O. S. 8. 9. 2) Raffles II. 65. 3) Crawfurd a.a.O. vol. 2. p. 230. 231. W. v. Humboldt a.a. O. S» 75. 76. Raffles II. append. 186.

Religionsgeschichte der Malayen. standen habe.

815

Kalinga wird von den Bewohnern der öst­

lichen Inseln allgemein als das Land angesehen, von woher indische Bildung und indische Religion nach Jawa gekom­ men fei/) und es ist aus dem Mahawansa bekannt, daß

um die Zeit, um welche die ersten Einwanderungen der Indier nach Jawa zu setzen sind, nämlich um die Zeit der

ersten Jahrhunderte vor und nach Christi Geburt, der Bud­ dha-Dienst in Kalinga sehr blühte.

Die buddhaische Sage

von Gautama, dem Ueberwinder des Elephanten, hat sich

auf Jawa in einer sehr entstellten Gestalt erhalten.

Gau­

tama wird in dieser Sage nicht als der heilige Gott Bud, bha dargestellt, sondern als ein menschlicher Fürst, der zu

Ende des 4ten Jahrhunderts gelebt hättet)

Daß aber

noch eine dunkele Erinnerung an Buddha in dieser Sage lebt, folgt ganz deutlich daraus, daß Gautama, der Gründer der Stadt Hastina genannt wird, als Besieger des Elephanten bezeichnet wird.

Zu Ende des 5ten und zu Anfänge des 6ten Jahrhun­

derts nach dem Anfänge der jawanifchen Aera muß eine

bedeutende Umwandlung in dem Leben der Jawaner vorge­ fallen sein. siedelung

Bis zum Jahre 350 hatte seit der ersten An­

ein sehr lebhafter Verkehr zwischen Jawa und

Kalinga bestanden, und es waren während dieser Zeit wiederholentlich neue Schaaren indischer Ankömmlinge auf Jawa

gelandet.

Seitdem scheint der Verkehr auf eine Zeitlang

abgebrochen zu sein,

bis gegen das Ende des hten Jahr­

hunderts neue Ansiedler kamen, die neue Lehren brachten,

und eben dadurch Anfangs allerlei Verfolgungen sich zuzo-

gen, bis sie endlich bei dem mächtigsten Fürsten des Landes Schutz fanden.^) Anderen Berichten zufolge wäre zu Anfänge des 6ten

Jahrhunderts eine neue Schaar von Ansiedler» aus Gud-

*) Asiat, res. vol. 13. p. 153. Raflles II. 73. -) Raffles II. 73. Vergl. I. 383. 3) Asiat, res. vol, 13. p. 155. 156.

316

Aeligionsgeschichte der Malayen.

scherat gekommen.

Diese Schaar bestand aus Ackerbauern,

Künstlern, gelehrten Leuten, besonders in der Arzneikunst, aus solchen,

die in der Schreibkunst erfahren waren und

endlich aus Kriegern.') Sage

enthaltenen

Man erkennt leicht die in dieser

Andeutungen,

daß

bisher

stenwesen auf Jawa unbekannt gewesen sei,

das

Ka­

aber von jetzt

an daselbst, ohne jedoch jemals hier in aller Strenge durch­ geführt worden zu fein, Wurzel geschlagen habe.-)

Daß

Leiden gegebenen Berichten eine und dieselbe Begebenheit zu Grunde liegen müsse, leuchtet gleichfalls ein, und daß diese

Begebenheit eine wirkliche geschichtliche Thatsache sei, erhellt aus den Umständen, die mit ihr in Verbindung erzählt wer­

den.

Denn die Ansiedler brachten die

fünftägige Woche,

die seit dieser Zeit noch immer am allgemeinsten auf der Insel im Gebrauch geblieben ist, von Indien nach Jawa mit.3)

Da nun gegen das Ende des 6ten oder zu Anfänge

Les 7ten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung die aus WestAsien stammende siebentägige Woche allmähkig in Indien in allgemeineren Gebrauch fam,4) so ist auch daraus zu schlie­

ßen, daß die angeblich in der letzten Hälfte des 6ten Jahr­ hunderts nach Christi Geburt geschehene Ansiedelung wirk­

lich üm diese Zeit sich begeben habe. Die Ankömmlinge hingen dem Dienste der brahmani­ schen Götter an, wie es sich daraus schließen laßt, daß un­ ter ihnen das Kastenwesen herrschte; auch kommt die Nach­

richt vor,

daß mehrere Jahrhunderte spater ein Fürst des

Lurch sie gegründeten, und seitdem in herrlicher Blüthe sich entfaltenden Reichs seine Kinbev nach Kalinga, wo im 9ten

und loten Jahrhundert gewiß schon die Brahmanen-Reli­ gion vorherrschte, geschickt habe, um hier in dieser Religion

1) Raffles II. 83.

2) Vergl. Crawfurd vol. 2. p. 232. W. v. Humboldt a. fl. 0. §• 8» 3) Raffles I. 473. II. 83. 4) Stuhr's Untersuchungen über die Sternkunde der Chinesen und

Indier. S. 111. 112. 113.

Religionsgeschichte der Malayea, erzogen und unterrichtet zu werden.')

317

Es kann jedoch, nach

-em ganzen Verhältnisse des Buddhaismus zum Brahmais» mus, und nach der Art und Weise, wie zu verschiedenen

Zeiten in einzelnen Landern Vorderindiens der Buddhaismus

neben dem Brahmaismus bestanden hat, in einzelnen Ge»

genden der Buddhaismus entweder herrschend oder dem Brahmaismus sich anschließend, neben demselben auf Jawa

sich lange erhalten haben.

Auf ein ähnliches Verhältniß,

wie es in Japan statt findet, und nach welchem die Anhäm ger des Sinto im Tode dem Buddha sich weihen,

-as

in

einer

jawanischen Inschrift

„Buddha Mann" hinzudcnten.

scheint

vorkommende Wort

Es heißt von Jemanden,

er sei gestorben, wie ein Buddha Mann *2)

Hiernach scheint

es fast, daß der Buddhaismus, auf eine, dem Geiste dessel»

ben ganz entsprechende Weise,

in bestimmterer Beziehung

auf ben Tod zum Theil auf Jawa festgehalten worden ist. Daß Buddha-Dienst noch im 14ten Jahrhundert unserer

Zeitrechnung auf der Insel geblüht haben müsse,

würde

aus den Ruinen der prachtvollen Bauwerke von Boro Budor erhellen,

wenn man der Sage Vertrauen schenken wollte,

welcher zufolge die Pyramide von Boro Budor im Jahre

1333 erbaut worden sein (oll.3)4 Daß diese Pyramide einen Dagop darstclle,

hat Wilhelm v. Humboldt auf eine eben

so gelehrte als geistreiche Weise nachgewiesen,«) und es fällt

somit das Gebäude dem Kreise des Buddha-Dienstes an­ heim.

Aber über die Zeit, aus welcher das Gebäude stammt,

erheben sich bedeutende Zweifel, da auch Angaben vorhanden sind, die die Gründung desselben in das IOte oder 7te Jahr­ hundert verlegen;3)

und diese letzteren Angaben scheinen

mehr Vertrauen zu verdienen, wie die erstere, aus dem ganz

1) RalTles II. 87. 2) Raffles II. appeml. 230. Vergl. W. v. Humboldt S- 187. 3) Transact. of tlic lit. soc. of Bombay, vol. 2. p. 165.

4) W. v. Humboldt a. a. O. S. 43 ff. s) Asiat, res. vol. 13. p. 161. Raffles II. 85.

Religionsgeschichte der Malayen.

318

einfachen Grunde, weil die lebendigen Erinnerungen an den

Buddha-Dienst unter dem Volke jetzt völlig verschwunden

sind, wenn sie es freilich auch nicht so ganz zur Zeit des

Umsturzes des letzten indischen Reichs auf Jawa gewesen sein mögen.

In keiner einzigen der Sagen und Schriften

von Jawa wird Buddha's als einer bestimmten, durch be­ sondere Verehrung ausgezeichneten Gottheit gedacht.

Alle

übrigen in der indischen Religion vorkommenden Götter sind Lehrern und Schülern auf Jawa hinlänglich namentlich be­

kannt.

Aber von einem Gotte Buddha weiß Niemand etwas.

Auch die häufig auf den Wänden der gegenwärtig der Zer­ störung preisgegebenen Tempelgebäude

älterer Zeiten vor­

kommenden Darstellungen Büßender werden von den Jawa»

nern keinesweges als Buddha-Bilder gedeutet, sondern für die Bilder der Gelehrten,

die aus der Fremde gekommen

wären, genommen.') Da so der Buddha-Dienst auf Jawa ganz vergessen ist)

und doch unverkennbare Spuren davon vorkommen, daß er einst daselbst geblüht haben müsse, so scheint es, daß man

anzunehmen berechtigt ist, daß derselbe in den späteren Jahr­ hunderten des Mittelalters durch Saiwa's ausgerottet wor­

den wäre.

Batara Guru, der in allen jawanischen Sagen

eine Hauptrolle spielt, und der überhaupt auf mehreren der

östlichen Inseln bekannt tfl,*2) kann nicht auf Buddha bezo­ gen werden; er muß vielmehr, wie schon im Vorhergehen­ den auseinandergcsetzt worden ist,

und weil er stets ganz

wider den im Buddhaismus herrschenden Geist in die engste Beziehung zur Weltschöpfung gesetzt wird,

als ein Siwa

der Dschangama-Secte aufgefaßt werden.

Hierfür spricht

auch noch dies, daß überhaupt das Wort Guru unter den Bauddha's nicht in Gebrauch ist, daß sie die Vorstellung von

den Awataren fast völlig zur Seite geschoben haben, und daß dagegen beides denKreisen des Brahmaismus enge verknüpft ist.

•) Crawsurd. vol. 2. p. 221. Vekgl. W. v. Humboldt S. 183. 2) Crawsurd. vol. 2 p.-22Q. W. v- Humbvldt. §. 40.

Religionsgeschichte der Malayen,

319

Aus welcher Zeit indeß die Pyramide von Boro Budor

herstammen mag, sie zeigt unverkennbar auf den Buddhais­ mus hin; doch nicht ans einen reinen.

Denn außer den

Darstellungen, in welche» man in Anbetung versunkene Men­

schen um das Bild des heiligen Büßers versammelt erblickt, findet man an dem heiligen Grabgebaube auch verschiedene

Gruppen, an denen stch eine, indischen Weltgöttern geleistete

Verehrung darstellt.')

Die, zur Aufnahme der Reliquien

Budbha's, der Gebeine und Asche der Heiligen bestimmten")

Dagop's mußten, dem ächten Geiste des reinen Buddhais­

mus nach, zu heilig sein, als daß an den Mauern derselben

im Bilde es hatte.dargestellt werden können, wie brahmani­

schen Göttern vom Volke Verehrung geleistet werde. Ueberdieß auch findet fich eine Gruppe, in welcher neben dem Bilde des friedlichen Buddha ein Kampf bewaffneter Man­ ner dargestellt wird?)

Dies führt auf die Vermuthung,

daß das Denkmal zum Andenken an eine Aussöhnung zwi­

schen Bauddha's und Brahmanen, die mit einander in Re­ ligionskriegen befangen gewesen sein mögen, errichtet wor­ den sei. Welche brahmanische Götter indeß in den erwähnten

Gruppen dargestellt werden, ist aus den Bildern selbst nicht zu ersehen.

Es können eben so gut Darstellungen aus dem

Kreise des Wischnu-Dienstes als aus dem Kreise des SiwaDiensies sein.

Die allgemeine Verbreitung der Sagen von

Rama und Krischnas auf Jawa,^)

und die Sage davon,

daß Wischnu in alter Zeit über Jawa geherrscht habe,°)

dies beides würde schon auf die Vermuthung führen,

daß

auch Waischnawa's unter den zu verschiedenen Zeiten nach der Insel herübergeschifften Ankömmlingen sich befunden

x) Transact. of the lit. soc. o£ Bombay, vol. 2. p. 162.

2) Vergl. W. v. Humboldt a. a. O- §. 23. 3) Transact. of the lit. soc. of Bombay, vol. 2. p. 162. 4) Raffles I. 387. 389. 422. 5) Raffles II. 73.

320

Meligionsgeschichte der Malayen.

hätten;

diese Vermuthung wir- aber ausdrücklich dadurä

bestätigt, daß in dem jawanischen Ramajana die Lehre der

Waischnawa's vorgetragen wird.

In der Urschöpfung/ heißt

es, war Wischnu zuerst/ und aus ihm erst ging Brahma hervor.') So verworren auch der hier behandelte Gegenstand ist,

und wie wenig lichte Punkte sich darbieten/ so erhellt doch

aus Allem/ daß in Scctenspaltungen ähnliche ReligionsverWirrungen/ wie in Indien/ auf den Inseln des östlichen Meeres statt gefunden haben.

Aus diesen Religionsverwir-

rungen erzeugten sich/ wie in Indien/ synkretistische Bestre­

bungen.

Merkwürdig aber ist/ daß auf den Inseln des öst­

lichen Meeres Spuren von dem Einflüsse des Geistes der

Weda's und des Wedanta so wenig Vorkommen, wie Spuren der alteren und reineren Formen des Ramajana und Maha

Bharata.

Alles vielmehr zeigt hin auf die Vorstellungen

jüngerer Zeiten, in welchen schon der Geist der Purana's

sich mächtig gemacht hatte. Das Denkmal von Boro Dubor zeigt hin auf eine syn­ kretistische Vermischung buddhaischer und brahmanischer Vor­

stellungen.

Ob aber die letzteren dem Kreise des Wischnu-

Dienstes oder dem des Siwa - Dienstes angehören, ist nicht

auszumachen.

Da nun, nach den Spuren des Hinduismus,

die sich auf Jawa finden, in den spateren Jahrhunderten

des Mittelalters die angewachsene Macht der Saiwa's die anderen Seelen völlig unterdrückt haben muß, und auch dem Vatara Guru durchaus keine Beziehung zu Buddha gegeben

werden darf:

so ist anznehmen, daß die Gründung jenes

Denkmals von Boro Budor in die Zeit vor dem I0tcn ober Ilten Jahrhundert falle.

Ueber das Religionssystem

derer, die dieses prachtvolle Bauwerk errichtet haben, ist au­ ßerdem, was schon im Allgemeinen darüber gesagt worden ist, im Einzelnen nichts näheres zu bestimmen.

Wo man

bei symbolischer Deutung von Kunstwerken keine historischen

') Raffles I. 388.

Religionsgeschichte der Malaycn.

321

Berichte zur Erläuterung und Bestätigung zu Hülfe nehmen kann, da müssen Versuche solcher Art stets sehr schwankend

und unbestimmt bleiben, wie an den Beispielen von Herder und Heeren es hinlänglich sich kund gethan hat.

Wenn

auch angenommen wird, daß das Denkmal von Boro Budvr von Mitgliedern einer Secte errichtet worden,

sich

in welcher

Siwaismus mit Buddhaismus verbunden

wird man doch nicht berechtigt sein,

hatte, so

auf irgend ein an­

deres synkretistisches System ähnlicher Art, wie etwa auf das von Nepal, hinzuweisen, da es aus der Religionsge«

schichte der Indier hinlänglich bekannt ist, auf eine wie selt­ sam mannichfaltig verschiedene und verworrene Weise die Religionssecten in Indien auseinandergehen, und demnächst

synkretistisch sich wieder mit einander verbinden.

Die Form

des Buddhaismus von Nepal ist aus dem synkretistischen

Bestreben hervorgegangen, die Lehre Budbha's mit der des Wedanta zu vereinigen; an ein solches Bestreben ist aber in Beziehung auf Jawa gar nicht zu denken, da von dem We­ danta hier nicht die geringste Spur vorkommt.

Unter den Ruinen der Tempelgebäube von Brambanan,

die angeblich in den Jahren 1262 oder 1266 und in den Jahren 1292 oder 1296 unserer Zeitrechnung erbaut sein

sollen,') finden sich auch in Bildern heiliger Büßer Spuren

genug, aus denen man auf eine synkretistische Vermischung

des Buddhaismus und Siwaismus zu schließen sich für be­ rechtigt halten könnte.

Als die Hauptgottheiten,

die hier

verehrt worden sind, treten indeß, in Bildern dargestellt, Siwa und Ama Durga mit Bestimmtheit hervor,-) und es

ist nicht wahrscheinlich,

daß irgend anderswo Buddha in

einer so untergeordneten Stellung dem Siwa zugesellt ge­

funden werden sollte, wie hier.

Es ist überhaupt die Frage,

ob alle Bilder heiliger Büßer, die auf Jawa gefunden wer­ den, wirklich Buddha darstellen.

In der Ueberlieferung des

Crawfurd. vol. 2. p. 215. Raffles II. 232. 2) Asiat« res. vol. 13. p. 341. 344. 345.

322

Religionsgeschichte der Malayen.

die aus der

werden sie als Bilder der Priester,

Volks

Fremde gekommen wären, gedeutet.')

Es ist auch nicht die

Forderung, Buße zu thun, wodurch die Lehre der Bauddha's von der der Saiwas sich unterscheidet,

da bekanntlich die

Jogis bet Saiwa's den strengsten Bußübungen sich hinge­ der wesentliche Unterschied in der Lehre beider Secten

ben ;

besteht vielmehr nur in der Art und Weise der Auffassung Die Bauddha's erkennen keinen

des Wesens der Gottheit.

göttlichen

Schöpfer

Schöpfungsmacht, der

der Welt

an,

dagegen

ist

es

die

worin allein die Saiwa's das Urwesen

Gottheit begreifen.

Im Uebrigcn

ist

dieser Siwas

nicht bloß der Wildkampfende zerstörende Gott,

der mit ge­

waltiger Macht die Rackfchafas bekämpft, sondern auch der stille Guru, der, auf die Zerstörung durch den Tod hinwei­

send, zur Buße ruft.

Die Heiligenbilder von Jawa können

zum Theil sehr wohl Büßer,

die in der Verehrung ihres

Guru in Anbetung versunken sind, darstellen,") zum Theil

den Batara Guru selbst.

auch

Das seltsame jawauische

Götterbild, welches sich auf der königlichen Kunst-Kammer zu Berlin befindet,kann gar nichts anders, als ein Bild

deS Batara Guru sein.

Es stellt eine in Ruhe versunkene

männliche Gestalt mit sehr scharf hervortretenden Zeichen

der Zeugung dar,

und das weibliche Gesicht am unteren

Körper deutet hin auf die Vorstellung von der Mannweiblichkeit.

Mit dem Buddhaismus steht dieses Bild in keiner

Verwandtschaft. Mit Ausnahme der bildlichen Darstellungen an

den

Mauern des Bauwerks von Boro Budor findet man nir­

gends

auf Jawa in den inneren Gebäuden der Tempel,

oder üherhaupt irgendwo sonst ein Bild, welches etwa auf

Buddha zu deuten wäre, als Hauptgegenstand der Verehrung

x) Crawfurd. vol. 2. p. 221. 2) Vergl. Crawford. a. a. O. 3) Siehe Museum für Geschichte, Sprache, Kunst und Geographie.

Herausgegeben aon Dr. Wilhelm Dorow. Berlin. 1827. S. 233.

Religkonsgeschichte der Malayen. bargestellt?)

323

Ueberall vielmehr werben die Bilder des Siwa

und ber Ama Durga so dargestellt gefunden, daß man grade

in ihnen leicht die Hauptgegenstänbe der Verehrung wieder-

erkennt.

Daneben treten die Bilder des zu ihrer Familie

gehörenden Ganesa,

des dem Siwa geweihten Stiers und

des Lingams imb der Joni besonders hervor.

Im Uebrigen

finden fich aber auch bildliche Darstellungen aller Götter

der brahmanischen Religion, so viele immer dem Kreise der­ selben angehören?)

Unter diesen aber ist auf Jawa, we­

nigstens in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters der

als ber große Herr, der Herr des Weltalls, angerufene Siwa als die mächtigste Gottheit verehrt worden?) Unter den Bewohnern des Tengger-Gebirges aufJawa

hat fich noch bis auf den heutigen Tag ein Religionssystem erhalten, in welchem das System der Saiwa's von Bali

und eine innere Verwandtschaft mit dem Karta«System SüdIndiens nicht zu verkennen ist.

Die vier oberen Götter der

Saiwa's von Bali, Batara Guru, Brahma, Wischnu und Siwa sind auch die der Bewohner des Tengger-Gebirges;

dazu kommt als die fünfte die allmächtige Urgottheit, die im

Tengger-Gebirge Maha-Dewa genannt wird?)

Diese Göt­

ter werben in der Fünfzahl bei Geburten, Hochzeiten und

Begräbnissen angerufen,

und sie werden, wenn nicht mit

Ausnahme Maha-Dewa's, zum Zeichen, daß sie einer be­ stimmten, in sich geschlossenen Götterordnung angehören, mit dem Ehrennamen Batara, oder auch als Guru's be­

grüßt?) Außer diesen Göttern werden Halbgötter angebetet, zu welchen man auch die Seelen der verstorbenen Vorfahren

zählt.

1) -) 3j 4) s)

Die Seelenwandrrung und die Belohnung und Be-

Crawfurd. vol. 2. p. 204. 208. 209. a. a. O. p. 206. 207. 208. 219. a. fl. O. p. 219. W. v. Humboldt a. «. £>• S. 235. 257. fl. fl. O. S. 256. 257.

Religi'onsgeschichle der Malayen.

324

strafung der Abgeschiedenen durch Guruhing luhur bilden

einen Theil der Glaubenslehre.

Vorzüglich aber liegt in

dieser eine Anbetung des Feuers.

Der Heerd, der immer

am Ende des Hauses angebracht ist, macht das Heiligthum

desselben aus.

Es wird nicht gerne gesehen, daß ein Frem­

der sich ihm nähere; das Feuer auf demselben darf nie aus­

gehen, und alle Gebete und Opfer werden dort verrichtet. Zn dem letzten Monat ihres Jahres, welcher einen Theil

unseres Mai's und Juni's einnimmt, feiern die Bewohner des Gebirges eins ihrer größten Feste.

Sie ziehen alsdann

auf eine Ebene am Berg Brahma und die Männer bestei­

gen den Berg und werfen,

indeß sie die Frauen in der

Ebene lassen, Eßwaaren als Opfer in den Krater.

Die

Hauptanbetung ist alsdann an den Guruhing luhur gerich­ tet, dem aber in den Gebeten andere Götter zugesellt wer­

den.

Man sieht hieraus deutlich, daß bei den Bewohnern

dieser Gegend der auf der Insel ehemals übliche Gottes­ dienst durch ihre örtliche Lage eine eigenthümliche Richtung bekommen hat.

Der furchtbare Vulkan in ihrer Nähe, der

noch im Jahre 1827 Asche und Lawa auswarf, war der

Gegenstand ihres Schreckens und ihrer Besorgnisse.

Sie

vermischen ihn daher mit dem Begriff ihrer obersten Gott­ heit, und sehen das Feuer als das Sinnbild der höchsten Macht an.') Die Gottheiten, welche bei dem großen Feste zugleich mit der großen Urgottheit angerufen werden, find, außer den

vier genannten oberen Göttern, Sunan Raja Pati, Sunan Dewi Pati und Sunan Jbu.

Dies können keine anderen

sein, als die Geister, die auf den Gipfeln der Gebirge ver­ ehrt werben, und auch auf Ceylon und in Radschastan als alte Landesgötter vorkommen. Durch die ihnen zukommende Bezeichnung als Sunan scheiden sie sich von dem Götter­ kreise der Batara's oder Guru's aus.

Außerdem werden

noch in drei männlichen und drei weiblichen Halbgöttern ») W. v. Humboldt a. a. O. S. AB. 256.

Reli'gionsgeschichte der Malayen.

325

drei Götterpaare verehrt, denen neugeborene Kinder bei den Geburts-Feierlichkeiten empfohlen werden.

Bei Hochzeits-

Feierlichkeiten kommt der Dewa Telaga vor, dessen Bild mit

dem einiger abgeschiedenen Voraltern zusammengestcllt wird.') Die Bewohner des Tengger-Gebirges haben keine Tem­ pel; der Hausheerd vertritt ihre Stelle. sangegar pamellengegan genannt,

Dieser Platz wird

und führt so denselben

Namen, mit dem zum Gottesdienst bestimmte Plätze auch in

alt-jawanischen Inschriften belegt werden. ster giebt es im Tenggergebirge nicht.

Eigentliche Prie­

Das Vorlesen der

Gebete und die Verrichtung der gottesdienstlichen Gebräuche geschieht durch die Dukun's, die aber eigentlich in der That

und nach der Bedeutung dieses jawanischen Wortes Aerzte find.

Bei gottesdienstlichen Verrichtungen tragen sie ein

breites Band, welches über beide Schultern geht und. mit zwei Spitzen auf den

Rücken

herabhängt.

Mit diesem

Bande ist auch das oben erwähnte Götterbild Batara Guru's

geschmückt.

Die Bewohner des Tengger - Gebirges haben

ein religiöses Buch,

welches ihre Gebete und gottesdienst­

lichen Verrichtungen enthält,

sich aber auch über den Ur­

sprung der Welt und die Eigenschaften der Gottheit ver­ breitet, und hiernach in drei Theile zerfällt?) Demselben Religionssysteme, wie die Bewohner der

anderen Inseln des östlichen Meeres zugethan, waren im Wesentlichen die von Celebes, ehe sie, wie die übrigen, sich

zum Islam bekehrten?)

Auch das System, welchem die

Batta's von Sumatra anhängen, gehört diesem Kreise von Religionsformen an.< Es gilt auch unter ihnen Batara Guru als der Hauptgegenstand der Verehrung.

Doch ist

ihnen, wie den Saiwas-Brahmanen von Bali, Bilderdienst

fremd;

es findet sich nur in jedem Dorfe ein menschlich

1) W. v. Humboldt a. a. O. S. 287. 288. 2) a. «. O. S. 288. 289. 3) Crawfurd. vol. 2. p. 382.

S. 248.

Vergl. W- v. Humboldt a. «. 0.

326

Religionsgeschichte -er Malayen.

gestaltetes Bild von Holz ober Stein, bei welchem Jeder, der einen Eib zu leisten hat, schwören muß.') Den Berichten zufolge, die scheinbar nicht ganz mit einander übereinstimmen, finden fich unter den Batta's einige eigenthümliche religiöse Vorstellungen. Dazu gehört vor Allem die Vorstellung, baß die oberen göttlichen Machte nicht unmittelbar selbst die Welt regieren, sondern für diesen Zweck, als Debata's, Stellvertreter bestellt habend) Diese Vorstellung kann indeß sehr wohl auf die brahmani­ sche Vorstellung von dem Verhältnisse der Götter des Trimurti zu den Dewata's hinbeuten, ober in Umwandlung aus derselben sich erzeugt haben. Ein Bericht findet sich vor, demzufolge die Batta's keine eigentliche Vorstellung von einer Urschöpfung der Welt hätten. Drei obere Gottheiten, heißt es, würden verehrt: Batara« Guru, Sori-Pada und Mangala-Bulang. Der erste herrsche im Himmel und sei der Vater des Menschen, geschlechts; die Erde habe seit dem Beginne der Zeiten auf der mit Kuhhörnern geschmückten Schlange geruht, bis end. lich die Schlange, müde geworben, ihr Haupt geschüttelt hätte, und darauf die Erbe ins Meer versunken wäre, und nur die Gewässer geblieben. Dem nunmehr geäußerten Der, langen der Puti-arla-bulan, brr Tochter Datara-Guru's, in die unteren Gegenden der Welt hinabzusteigen, warb ge­ willfahrt; sie kan» herab auf einer weißen Eule, von einem Hunde begleitet, konnte jedoch in den Gewässern nicht feste» Fuß fassen, und es ließ daher Batara Guru den im Lande der Batta's liegenden Berg Bakarra, zur Wohnung für sein Kind, vom Himmel fallen. Von diesem Berge entsprang nach und nach alles übrige Land. Die Erbe ward wieder dem gehörnten Haupte der Schlange aufgelaben, und damit es ihr nicht gelingen möge, die Erbe wieder abzuschütteln, ’) Transact. of thc roy. as. soc. vol. I. p. 503. Mars den Sninatra. London. 1811. p. 387. a) Transact. of the roy. as. soc. vol. 1. p. 499.

Religionsgeschichte der Malayen.

327

sandte Batara Gum seinen Sohn Layang-layaud-mandi, wörtlich die Taucherschwalbe, herab, um ihr Hande und Füße zu binden. Wenn die Erde erbebt, glauben die Batta's, dies sei eine Folge davon, daß die Schlange ihr Haupt schüttele. Srammeltern des Menschengeschlechts wurden drei Söhne und drei Töchter der Puti-arla-bulan, die sie, man weiß nicht von welchem Erzeuger, gebar. So ward das Leben auf der Erde geordnet. Die zweite der Gottheiten der Batta's beherrscht bas in der Mitte zwischen Himmel und Erde belegene Bereich der Lust, und die dritte die Erde; beide jedoch sind der er­ sten unterworfen. Außer diesen drei großen Göttern wer­ den so viele Götter oder Geister niederen Ranges verehrt, als wie es einzelne Kreise im Lstaturleben der Erde, oder in den Verhältnissen des menschlichen Lebens giebt. Einige walten im Meer, andere in den Flüssen, andere in den Wäldern oder im Krieg und in der Schlacht, und jedem Kreise des Lebens siild Geister als Herrscher vorgesetzt. Wie die Cingalesen glauben auch die Batta's an die Macht der vier gefürchteten Geister, die auf den Gipfeln vier verschie­ dener Berge hausen, und von da aus jede Art von Unglück über die Menschheit senden.') Anderen Berichten zufolge soll Batara Guru den Bat­ ta's nicht als die höchste Gottheit gelten, sondern sie sollen an einen höchsten Urschöpfer der Welt glauben, dem sie den Namen Dcbata Hast Asi beilegen ; dieser aber hätte sich, nach Vollendung der Schöpfung der Welt, in Ruhe zurück­ gezogen, und die Regierung seinen drei Söhnen, den drei oberen Göttern übertragen, die wieder durch Stellvertreter die verschiedenen einzelnen Kreise des Lebens beherrschen lie­ ßen. Diesen Stellvertretern werden die Namen Debata dugingang, die Götter oben, Dcbata detora, die Götter unten, und Debara dostonga, die Götter der Mitte, nach den Bereichen, in welchen sie herrschen, beigelegt.-) Mars den hist, of Sumatra, p. 385. 2) Transact. of the roy. as. soc. vol. 1. p. 499. RalTies memoir. p. 435*

328

Religionsgeschichte der Malayen. der Gott der Gerechtigkeit/

Barara Guru wird als

Sori Pilda als der der Gnade und Mangala Bulan als der bezeichnet/ von dem ursprünglich alles Uebel stamme, brr

und

stets in Anregung

Dem letzteren

wird

zum Uebelthun thätig sei.

in menschlichen Angelegenheiten die

größte Wichtigkeit und Wirksamkeit beigelegt, indem er fähig wäre, in jedem Augenblicke die guten Absichten seiner Brü-

der zu durchkreuzen.

Eben deshalb beeifern fich die Batta's

unter allen Umständen am meisten, sich seiner Gunst zu ver­ sichernd)

In diesen religiösen Ansichten schimmern keine dhaischen Vorstellungen durch.

bub-

Ohnehin hebt sich alle Mög­

lichkeit einer Verwandtschaft der Religion der Batta's mit

der buddhaischen Religion auf in der Betrachtung der Sitte

des Menschenfressens, der die Batta's anhängen. Dieft Sitte ist tief in die Rechtsverfassung verwebt und kommt nicht bloß in Anwendung gegen gefangene Feinde, sondern auch als gefttzmäßl'ge Strafe gegen Verbrechers)

Eine

solche Sitte verträgt sich nicht mit buddhaffcher Gesinnung.

Dagegen schimmern in deN religiösen Ansichten der Batta's deutlicher brahmanische Vorstellungen von dem Lrimurti

durch.

In dem Debata Hast Ast würde das Brahma, frei­

lich nach einer ziemlich entstellten Vorstellungsweise,

zu er­

kennen sein, und in den drei anderen Göttern die Götter

des Trimurti. tara Guru,

Die Vorstellung,

die die Batta's von Ba-

als dem Gotte der Gerechtigkeit,

der zugleich

den Menschen Unterricht in guten Lehren gäbe, haben, ent­ spricht freilich nicht der brahmanischen Vorstellung von der

ersten göttlichen Person des Lrimurti; es ist jedoch leicht er­

klärlich, wie sie sich aus dieser in einem verwilderten Bewußtsein hat entwickeln können.

So auch konnte der milde

versöhnende Gott Wischnu von den Batta's leicht als der

!) Transact. of the roy. as. soc. vol. I. p. 499. 2) Raffles Memoir. p. 432. Transact. of the roy. as. soc. vol. 1. p. 507.

ReligionSgeschichte der Malayen.

Z2S

Gott der Gnade aufgefaßt werden, und in seiner zerstörender Macht Siwas als der gefürchtete Gott, brüte und bringe.

der nur Unheil

Die Namen der Götter des Trimurti

sind den Batta's nicht bloß äußerlich bekannt, sondern diese

Götter selbst auch mit in ihr Religionssystem verflochten.

Ihrer Lehre von den glücklichen oder unglücklichen Zeiten zur Unternehmung irgend eines Geschäftes liegt eine fünft fache Zeiteintheilung zu Grunde, und die fünf Zeiten sind

Mesewara, Bisnu, Brihma, Sri, Kala, nach den Namen

der indischen Gottheiten Maheswara, Wischnu, Brahma, Sri und Kala genannt.*)

Außer den fremden indischen Göttern werben, in ähn­

licher Art, wie auf Bali und Ceylon, die Landesgötter ver­

ehrt.

Es sind die Geister der Oerter und Gegenden, oder

die anderen Bereichen vorstehen.

Jeder Einzelne glaubt auch

von besonderen guten und bösen Geistern stets umschwebt

und begleitet zu sein. Diese werden Bogus und Gaitans genannt, und für die Seelen der verstorbenen Vorfahren geachtet, denen eine ausgedehnte Macht über die Lebenden,

sei es zum Schaben,

sei es zum Heil, zugeschrieben wirb.

Bei so verschiedenen Arten und Ordnungen von Göttern

und Geistern niederen Ranges werden die Batta's in einer steten Furcht gehakten; nicht ohne die größte Angst ver­

läßt jeder sein Dorf, wenn er sich auch nur auf eine kurze Reise begiebt; überall auf dem Wege fürchtet er, diesem

oder jenem böswilligen Geiste zu begegnend) Einem solchen Zustande religiöser Gesinnung gemäß ist

es bas Hauptgeschäft der Priester, deren in jedem Dorfe/

unter dem Namen Guru oder Datu, Einer bestellt ist, wach­

sam zu sein auf Zeichen und Vorherverkünbigungen,

durch

die böse Geschicke angebeutet werden mögen, und zugleich

Rath zu geben darüber, durch welche Art von Opferhand­

lung das Unheil abgewandt werden könne.

*) Asiat, res. vol. 12. p. 124. 2) Transact. of the roy. as. soc. vol. 1. p. 50Q.

Kaum wird

Religlonsgeschichte der Malayen.

330

irgend etwas, nicht einmal eine Veränderung in der häuslichen

Einrichtung unternommen, ohne daß der Guru dabei zu Rathe gezogen wird. Die Datu's haben verschiedene Bücher, aus denen sie sich über ihre Kunst unterrichten, und so auch gewiße

Tafeln mit Zeichnungen, wonach sie die glücklichen oder un­ glücklichen Tage berechnen.

hört mit zur Kunst,

Thierschau und Vogelschau ge­

und außerdem muß der Datu die

Gebete und Beschwörungsformeln, auf die in seiner Gegend

das meiste Vertrauen gesetzt wird, nisse hersagen können.

stets aus dem Gedächt­

Seine Kunst wird auch angewandt,

um den Thäter eines begangenen Verbrechens zu entdecken. Berechtigung zur Priesterwürde giebt die Wahl der Bewoh­

ner des Dorfs, die gewöhnlich auf den fällt, den man für

den Bestunterrichteten hält.*)

Dankopfer werden den Göttern von den Batta's nicht

dargebracht.

In dem vollen Genusse der Gesundheit und

des ungestörten Glückes vernachlässigt man sie.

Wenn aber

irgend ein kühnes Unternehmen gewagt werden soll oder

wenn Krieg droht,

wenn man von Unglück verfolgt oder

von Krankheit geplagt wird,

dann wendet man sich den

göttlichen Mächten zu, ruft die Geister der Vorfahren an,

und bringt den Göttern Opfer dar. der Leitung des Datu.

Dies geschieht unter

Bei Unglücks- und Krankheitsfällen

geht der furchtsame Batta zum Datu, bringt ihm Reis zum

Geschenk und einen Vogel,

aus dessen Eingeweiden der

Priester den Grund des Uebels erspäht.

Die Schuld wird

auf den Zorn irgend eines Geistes geschoben, der durch einen

Vorfahren

des

vom Unglücke Betroffenen

beleidigt

sein

müßte; es wird daher vorgeschrieben, dem verstorbenen Va­ ter oder Großvater zu Ehren ein Gastmahl anzustellen, um

den Gefeierten zu bewegen, als Vermittler einzutreten.

seinen Büchern

Aus

bestimmt der Guru den Gegenstand des

Opfers, sei es ein Rind, ein Schwein oder ein Huhn; die

i) Transact. of Ilie roy. as. soc. voL I. p. 500. 501. liist. of Sumatra, p. 387.

Mars den

Religivnsgeschlchte der Malayen.

331

Zeit des Anfanges des Festes wird festgesetzt, und nachdem

eingeladenen Freunde und Verwandte stch versammelt

die

haben, beginnt ein im Tanze zugebrachter dreitägiger Jubel. Am dritten Tage glaubt oder behauptet einer der Gäste,

daß der Geist seines verstorbenen Vorfahren, durch den, Schall

-er Musik aus den nahe gelegenen Gebirgen und Schluch­ ten,

wo er auf Wegen,

die von Menschen nicht betreten

würden, herumwandere, angezogen, in ihn gefahren sei; der

so Besessene fällt bewußtlos nieder. der etwas zu sich gekommen,

Nach einiger Zeit wie­

giebt, er vor,

nicht mehr er

selbst zu sein, sondern der verstorbene Verwandte, der, die Gesellschaft zu besuchen und Theil an ihren Freuden zu neh­

men, gekommen sei. er genießt;

Ihm wird Speise dargeboten, wovon

darauf wendet sich der Gastgeber an ihn,

und

trägt ihm das vor, wodurch er beunruhigt werde, und er bestimmt worden sei, ihn zu rufen; zuletzt bittet er ihn, baß,

wenn das Unglück von irgend einem der Götter oder Gei­

ster gesandt worden sei, so möge er als Vermittler eintreten und für die Entfernung desselben wirksam sein.

Es wird

eine Antwort ertheilt, wie sie dem Gastgeber erwünscht sein

mag

oder die prophetisch

anklingt.

Der

Besessene fällt

darauf abermals in Besinnungslosigkeit, findet jedoch bald

alsdann sein eigenes Selbst wieder.*) Bei dieser Art, sich den Göttern zu nahen, tritt zwar

die Vorstellung von der Vermittlung ein, aber nicht die von der Vermittlung durch den Priesterstand. dabei bloß als Lehrer auf,

Der Guru tritt

der Unterricht giebt über die

Art, wie man den Zorn der Götter besänftigen könne, ohne

das Amt der Vermittlung selbst zu übernehmen.

Mit einer

religiösen Gesinnung, wie sie sich hieran ausspricht, stimmt denn auch dies überein, daß die Batta's,

ohne Beihülfe

oder Vermittlung der Datu's, in Gebeten und mit Opfern

einem besonderen Gotte oder den Göttern

insgemein un­

mittelbar sich nahen mögen, wenn dies nur auf eine Weise

*) Transact. of the roy. as. soc. vol. 1. p. 502.

332

Religion-geschichte der Malaycn.

geschieht, die nicht in Widerspruch mit den Vorschriften der heiligen Religionsbücher steht-*) Die einjige religiöse Frier von allgemeiner Bedeutung und die allgemeiner Theilnahme sich erfreut, ist die, die am Vorabende beginnender Feindseligkeiten angestellt wird. Der Tag wird bestimmt durch den Datu und eine Art von Zelt in der Mitte des Dorfs errichtet, wo fich die Einwohner versammeln. Unter Musik und Tanz wirb die Zeit ver­ bracht, und am Ende ruft der Datu den Zorn der Götter und der Geister der verstorbenen Vorfahren auf die Feinde herab. Gewisse Zeichen deutet der Datu auf Glück oder Unglück, und wenn jenes verheißen wird, zieht das Volk freudig in die Schlacht.3* )2 Obgleich nichts Bestimmtes darüber berichtet wird, daß die Guru's der «verschiedenen Dörfer in irgend einer Weise priesterlich zusammenhalten, ober unter einer höheren geist­ lichen Behörde stehen, so ist dies doch an und für sich wahrscheinlich und wird noch wahrscheinlicher durch den Be­ richt, nach welchem es ein allgemein anerkanntes geistliches Oberhaupt giebt, zu dem man, wenn allgemeines Unglück über das Volk einbricht, feine Zuflucht nimmt, und welches zu Bakara in der Landschaft Loba seinen Sitz hat. Sein Titel ist Sa Singah Maha Radscha, der Löwe, große König. Er beobachtet, besonders im Essen und Trinken, eigenthüm­ liche Gebräuche, und es werden ihm übernatürliche Kräfte zugeschrieben. Seine Abstammung leitet er ab von den Königen von Menangkabu durch dreißig Glieder hindurch. In weltliche Angelegenheiten mischt er sich nicht, außer daß er zur Verwaltung derselben die Häuptlinge der Dörfer er«tnnt3) Die Erblichkeit der Würde dieses geistlichen Ober­ hauptes, so wie seine Stellung, die ihm zum Volksleben

’) Transact of tlie roy. as. soc. vol. 1. p. 502. 2) st. a. O- p. 503. 3) st. st. O. p. 512. Raflles Mcmoir. p. 435. 436. Humboldt st. st. O. S. 246.

Dergl. W- von

Religion-geschichte -er Malayen.

333

angewiesen ist, hebt alle Verwandtschaft mit der Stellung eines

geistlichen Oberhauptes im buddhaifchen Sinne auf; aber

auch auf Verwandtschaft mit geistlichen Oberhäuptern, wie fit in Vorderindien von Waifchnawa's und Saiwa's verehrt

werden, zeigt dies geistliche Oberhaupt der Batta's weniger hin, als auf den Dairi von Japan. Ueber das ewige Leben der Seele haben die Batta's nur sehr unklare Vorstellungen.

Sie glauben, daß die Seele

bei dem Tode durch die Nasenlöcher verschwinde und vom

Winde hinweggeführt werde; sie werde in den Himmel ge­ tragen, wenn der Verstorbene ein gutes Leben geführt habe, die strafbare Seele aber müsse so lange in einem feurigen

Kessel ihre Sünden abbüßen, bis Batara Guru es für genug achte und mitleidsvoll sie zu sich in den Himmel nähme.

Am Ende der Tage sollen die Fesseln und Bande der Schlange gelöst, und es ihr gestattet werden, die Erde aber­ mals von ihrem Haupte zu schütteln;

bann nahe sich die

Sonne bis auf eine Zollweite, und während die Seelen der Guten, die bis dahin gelebt hätten, in den Himmel kämen,

würden die Seelen der Bösen im feurigen Kessel, unter der

Obhut des Suraja Guru,

des Dieners Batara Guru's,

auch noch stärker gequält durch die Hitze der Strahlen der nahen Sonne, bis sie, nach endlicher Abbüßung der Sün­ den, gereinigt und für würdig zur Aufnahme in den Himmel

erachtet würden.*) Die Religionsform der Batta's trägt im Wesentlichen denselben Charakter an sich, wie die Religionsformen, woran

überhaupt die Bewohner der Inseln des östlichen Meeres hingen, ehe hier der Islam Eingang fand.

Dieser Charak­

ter besteht in einer synkretistischen Vermischung brahmani­

scher Religions-Vorstellungen mit solchen,

die aus dem

Natur- und Geister-Dienst der alten Landes-Religion her­

stammen.

Auf Jawa zeigt sich indischer Einfluß und in­

dische Bildung überwiegend, während auf den anderen Inseln *) Marsden Sumatra, p. 386.

334

Religion-geschichte der Mklayen.

zum Theil die Macht der alten Lanbesgötter in dem reli­ giösen Bewußtsein wilderer Stämme sich lebendiger erhalten konnte. Brahmaismus war es indeß immer, was hier in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters mit dem einhei­ mischen Gvtterbirnste sich vermischt hatte. Der Versuch, den Datara Guru auf Buddha zu deuten, hat überhaupt nur aus einem Mißverstänbisse entstehen können, indem man

es übersehen hatte, baß Siwas auch von seinen Anhängern in der Gestalt des Guru vielfach verehrt werbe. Als Guru wird Siwas im Mikrokosmus aufgefaßt nach dem Vorbilde des Krischnas. Unverkennbare Spuren davon treten hervor, daß in früheren Zeiten auf Jawa, wie noch heutiges Tages auf Bali, Buddha-Dienst bestanden habe. Der Volksstamm von Jawa zeichnet sich unter allen Stämmen der Inseln des östlichen Meeres durch Milde und, wenn man sagen will, durch Weichlichkeit aus.') Hier wirkte vorzugsweise eine freund­ liche und reiche Natur auf den Menschen und dessen Gesin­ nung «in, und um so eher konnte hier sich indische Bildung überhaupt vorherrschend geltend machen und die Milde bubbhaischer Gesinnung Anklang finden. Doch dem üppigen Naturcharaktcr von Jawa entspricht es auch, daß hier in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters der SuvasDienst den Sieg über den Buddha-Dienst davon tragen mußte. Im Uebrigen scheint auf Jawa die Sitte strenger Büßungen nie allgemeinen Eingang gefunden zn haben?) Die strengsten Formen brr Buße, bie man heut zu Tage noch auf Bali findet, beschränken sich auf Enthaltung von gewissen Arten von Nahrungsmitteln, auf ei» Leben in der Einsamkeit in Grotten und Wälbern, womit selten bie Ent­ haltung von vertraulicherem Umgänge mit dem weiblichen Geschlechte verbunden wird?)

•) Crawlurd. vol. 2. p. 296. a) «. tu O. p. 233. 3) a. a. £>• p. 240. 241.

Religivnsgeschichte der Malayen.

335

Die Religionsform, die neben dem einheimischen Dienste der alten Lanbesgötter unmittelbar vor dem Eindringen des Jslam's auf den Inseln des östlichen Meeres herrschte, war ein weder auf die Weba's zurückweisender, noch in scharfe und schroffe Einscitigkriten ausgearteter Hinduismus; es war zwar Siwas. Dienst, aber kein strenger, sondern ein gemilderter. Es leuchtet unzweifelhaft ein, baß hier die Geschichte des religiösen Bewußtseins eine dem Leben des Südens geeignete, der Entwicklung der über den Norden verbreiteten lamaischen Religion entgegengesetzte Richtung genommen habe. Es treten keine Spure» hervor, die darauf hindcuteten, daß sich in früheren Zeiten auf den Inseln eine Hierarchie, wie von Tibet aus und in Vorderindien unter den Dscheina's gebildet hatte. Alle Spuren aber zeigen hier hin auf Siwas, als auf den Hauptgott. Hier im Sü­ den überwog btt Natur den Geist, während im Norden, in den stillen Thälern des Schneereiches von Tibet und auf den Steppen des Hochlandes die Richtung auf die Geistig­ keit sich vorwaltriid erhalten hat.

West-Asien.

Feuerdienst von Iran. Vorwort.

der folgenden Darstellung der Lehre des Feuerdienstes

andere Grundsätze der Untersuchung zu Grunde liegen,

als

welche bisher bei diesem Gegenstände zur Anwendung ge­ kommen sind, und namentlich der Bundehesch völlig aus dem

Kreise der Untersuchungen ausgeschlossen ist, so werden zur Rechtfertigung der befolgten Grundsätze einige einleitende literarische Bemerkungen nöthig fein.

Die Sammlung der Schriften des Zend-Avesta, inwie­ weit sie in Europa bekannt sind, enthält nur einzelne Theile

der von den Feueranbetern dem Zerduscht zugeschriebenen

Schriften, und auch im Orient sind allgemein keine weiteren Diese Schriften sind die einzigen, die überhaupt

bekannt.')

in

der Zendsprache geschrieben

fink*2)3

Nirgends kommt

über das Gebiet und die Zeit, wo und wann das Zend ge­ sprochen worden sei, irgend eine geschichtliche Nachricht vor.

Auch ist die Zendschrift bisher außer den heiligen Schriften noch nirgends, weder auf einem Monumente, noch auf Mün­

zen gefunden worben.2)

Es kommt,

wenn auch bei den

Schriftstellern des Alterthums von den Schriften des Zoroasters einzeln die Rede ist, doch eine genügende Nachricht

darüber, die auf den Zend-Avesta Hinwiese, nicht vor, und

das Wort Zend-Avesta, so wie die Erwähnung des Zend's, als einer eigenen heiligen Sprache der Feueranbeter findet

sich erst bei muhamedanischen Schriftstellern des loten und *) Transact. of the lit. soc. of Bomb. vol. 2. p. 312. 2) a. a. O. 3) Wiener Jahrbücher der Literatur. Jahrgang 1S2O. Bd. 1. S. ss.

340

Persischer Feuerdienst.

Ilten Jahrhunderts.') Alle persischen Schriftsteller stimmen in der Behauptung mit einander überein, daß zu Ende der Parther-Herrschaft nirgends eine Abschrift der Schriften des Zerduscht sich gefunden hatte, und daß bei der Wiederein­ führung des Feuerdienstes die heiligen Schriften wiederher­ gestellt worden waren nach dem, was durch die Priester im Laufe der Zeiten, während der Feuerdienst fast völlig ver­ nachlässigt worden war, im Gedächtnisse und in Ueberliefe­ rung sich erhalten hatte.-) Armenische Schriftsteller aus der Zeit der Herrschaft der Sassaniden stellen sogar die selt­ same Behauptung auf, daß die Feuerdiener überhaupt keine heiligen Bücher gehabt hätten, und daß ihre Lehre deshalb völlig schwankend gewesen wäre und sie in Rücksicht auf dieselbe nach Willkühr bald dieses bald jenes ausgesagt hätten.^) Diese Behauptung scheint der der persischen Schriftsteller zu widersprechen. Wenn Man indeß das, was im ZendAvesta enthalten ist, einer näheren Betrachtung unterwirft, so löst sich der scheinbare Widerspruch auf. Der Inhalt des Zend-Avesta besteht zum größten Theile in Gebeten, An­ rufungen an die guten Geister und Vorschriften für den re­ ligiösen Dienst an den verschiedenen Tageszeiten und bei bestimmten Vorfällen des Lebens. Bücher solchen Inhalts sah zu seiner Zeit Pausanias in dem Besitze von Feuerdie­ nern in Lydien.^) Die armenischen Schriftsteller spreche» aber nicht von dem, was die Liturgie angeht, sondern nur von Schriften, in denen die kehre mythisch oder dogmatisch dargestcllt wäre. In dieser Beziehung nun bietet der ZenbAvesta nur sehr wenig dar. Der Vendidad enthält freilich in der Form eines Gesprächs zwischen Ormuzd und Zerduscht 1 Transact. oF the lit. soc. of Bomb. a. st. £). 2) a» a. O. vol. 2. p. 316. Vepgl. Silvestre de Sacy memoir. sur divers, antiquit de la Perse. p. 42. Hy de hist, religion. vet. Pers ar. p. 278. 3) Elisaeus. The history of Vartan. translat. by Neumann, p. 83. 4) Pausan. L. 5. c. 27.

Vorwort.

341

eine Art fortlaufender Darstellung der Lehre. Diese ganze Darstellung ist aber so blaß und leblos, so unbestimmt und schwankend, so wenig dialektisch ausgebildet, daß der Vor» Wurf der armenischen Schriftsteller, selbst auch bei der Vor­ aussetzung, daß sie Kunde von dem Vendidad genommen hätten, als völlig gegründet zu achten ist. Was aber die Gebets- und Anrusungsformeln betrifft, so können dieselben nicht von dem als heiligen Religions­ stifter verehrten Zerduscht selbst herstammen; dies erhellt vollkommen daraus, daß in denselben Zerduscht oder seine Nachkommen sehr häufig als Geist angerufen, oder baß er in der dritten Person angeführt toirfc?) Im Westen der Länder Persiens war unter der Herr­ schaft der Griechen und Parther der Dienst der Feuerreligion fast völlig untergegangen; nur in den östlichen, weniger in die Bewegung geschichtlicher Kämpfe hincingezogenen Länbern hatte er sich in der Stille erhalten können. Daß dies aber nicht in der Schrift, sondern nur im Geiste, in der Erinnerung geschehen sei, erhellt theils aus den Berichten der persischen Schriftsteller, theils aus einer Stelle des Zend-Avesta, in welcher nebst den Ferwern des Ardeschir Babechan und des Aderbad Mahrespand, des priesterlichen Wiederherstellers des Feuerdienstes, die Ferwer aller derer, die das Gesetz im Geiste gewußt hätten, gepriesen werden?) Auch heißt es an einer anderen Stelle ganz ausdrücklich, daß Aderbad Mahrespand die Formeln der Sündenbekennt­ nisse aufgesetzt habe?) Aderbad Mahrespand wird überall im Zend-Avesta als der Wiederhersteller des Feuerdienstes gepriesen?) Wenn !) Acnd - Avesta Th. 1. S. 140. 141. 153. Th. 2. S- 195 203. Transact. of the lit. soc. of Bombay, vol. 2. p. 315. Burnouf le Yayna p. 585. 592. Vergl» Schlegel reflexjons sur l’6tude des lang, asiat. p. 69. 2) Zend-Avesta Th. 2. S. 14$. 3) a. st. O. ,S. 117. ♦) a. st. £>. S. 123. 124. 129. 132.

Persischer Feuerdienst.

342

aber an ihn und seine Genossen, die mit ihm im Geiste das lebendige Feuerwort gewußt hatten, die Verkündigung des­

selben und die Wiederherstellung des Feuerdienstes geknüpft wird, so darf man daraus mit Recht schließen, daß die Ge»

betsformcln, die Anrufungen an die göttlichen Mächte und

die Lobpreisungen derselben, die den Inhalt des Zend-Avesta ausmachen, bis auf ihn, seit der Zerstörung des Feuerdien­

stes, nur in lebendiger Erinnerung und im Gedächtnisse

wären aufbehalten gewesen. Was den Vcndidad betrifft, so zeigt es sich sowohl an

seinem Inhalt als an seiner Form, daß auch dies Buch nur erst in späteren Zeiten, nachdem die ursprüngliche Lebendig­

keit des Geistes schon dahingeschwunden war, abgefaßt wor­ Was dasselbe als Sage über die Vorzeit enthält,

ben sei.

besteht nur in dürftigen Erinnerungen aus einer früheren

fast verschollenen Zeit, aus Erinnerungen an mythische Vor­ stellungen, die in dem Bewußtsein derer, die den Vendidad in seiner jetzigen blassen Gestalt abgefaßt haben, schon ihren

wahren Sinn und ihre wahre Bedeutung verloren hatten. Auch selbst Burnouf zeigt sich nicht abgeneigt, die Abfassung

des Zend-Avesta in eine Zeit zu versetzen, in welcher der Feuerdienst in seiner ursprünglichen Reinheit nicht mehr in

Iran geherrscht habe.') Die einzelnen Geschlechter,

die an der Ostgrenze Per­

siens die dunkle Zeit von Darius Codomannus bis auf die Sassaniden hindurch den Feuerdienst aufrecht erhielten, leb­

ten in abgeschlossenen Kreisen und in Verhältnissen, in denen vieles Einzelne seinen alten Sinn und seine alte Bedeutung verlieren, mußte.

Vieles völlig aus dem Gedächtnisse verschwinden

Hierin liegt der Grund, daß dem, was im Vendi­

dad an Sagengeschichte enthalten ist, eine unmittelbar nahe, lebendige und innige Beziehung auf die eigenthümlichen ge­

schichtlichen Verhältnisse der Völker von Iran, wie man dar­ über aus anderen Geschichtsquellen unterrichtet wird, so sehr

i) Le Ya$na. p. 351.

Vorwort.

abgeht.

343

Die Sage hatte für das unmittelbar gegenwärtige

Leben jener Geschlechter, die in Anhänglichkeit an dem alten Feuerdienst verharrend,

dieselbe später nur in mündlicher

Ueberlieferung durch die Zeiten fortpflanzten, ihre völkerge­

schichtliche Bedeutung verloren und behielt ihren Sinn nur in Rücksicht auf allgemeine sittliche Verhältnisse.

So nahm

sie eine leblose Gestalt, einen ins Allgemeine sehr verschwim» menden Charakter an, an dem sich eigentlich gar keine be­ stimmte Zeit ausspricht, weder eine uralte noch eine jüngere. Wenn denn auch sonach die im Zend-Avesta enthalte­ nen Quellen zur Geschichte des Feuerdienstes nicht als rein

ursprünglich gelten können, so sind sie doch die reinsten un­ ter allen, die zu Gebote stehen. Denn sie stammen von wirklichen Anhängern des Feuerdienstes her und im Allge­ meinen stimmt auch der Geist der in diesen Schriften ent­

haltenen Lehre mit dem Geiste der Lehre des Feuerdienstes überein, wie man dieselbe aus den Berichten der Griechen

und Römer herzustellen im Stande ist.

Dem Bundehesch

darf dagegen gar kein kritischer Werth beigelegt werden. Die Guebern geben dies Werk zwar für eine Uebersetzung

der Schriften

des Zerduscht aus dem Zend ins Pehlwi

aus; der Inhalt desselben stimmt jedoch nicht mit dem

überein, was der Vendidad enthält,

davon hauptsächlich

und unterscheidet sich

durch eine mehr dogmatisch gefaßte

Dastellung reicher aber auch verworrener ausgebildeter An­

sichten über die Schöpfung der Welt mit Allem, was in derselben lebt und sich bewegt;

auch die Art und Weise,

wie der Mensch geschaffen sei, wirb weitläuftig auseinander­

gesetzt.

Das Ganze ist ein verworrenes Gewebe unklarer

Vorstellungen.

Da am Schlüsse des Bundehesch des Stur­

zes der Sassaniden und der Herrschaft der Araber gedacht

toitb,1) so kann die Abfassung des Werks in seiner jetzigen Gestalt nicht früher als um die Mitte des siebenten Jahr­

hunderts gesetzt werden.

Daß die Keime zur Ausbildung

*) Zend-Avesta. Th. 3. S. 121.

344

Persischer Feuerdienst,

des Bewußtseins zu solcher» Formen Mb Anschauungsweisen, wie dieselben im Bunbehesch gefunden werben, schon in früheren Zeiten vorhanden gewesen sein mögen, ist um so wahrscheinlicher, je mehr schon in früheren Jahrhunderten ein verwirrender und verworrener Synkretismus überall überhand genommen hatte.') Die phantastisch «sinnlich ausgebildete Anschauungsweise, die im Bunbehesch herrscht, bietet sehr bestimmt die Gesichts* Puncte bar, wonach das Verhältniß der Lehre des Bundehesch zur ächten Lehre des reinen Feuerbienstes zu beurthei­ len ist. Die Form des Bewußtseins, wie sie sich in den Urkunden des Bunbehesch kunbgiebt, ist völlig anders ge­ staltet, als die Form des Bewußtseins, die sich in den Ur­ kunden desZend-Avesta ausspricht. Aus jener ist die zarte Geistigkeit der Auffassung, wie sie dem Bewußtsein des Feuerdieners und überhaupt des Bewohners von Iran ur­ sprünglich eignet, völlig verschwunden. Sie schließt sich an eine stach sinnliche Auffassungs- und Deutungsweise an, und kaum tritt darin noch eine Spur hervor von der das Bewußtsein des achten iranischen Feuerdieners so seelenvoll begeistigenden Ahnung der im leichten Spiele und Tanze ihn umschwebenden Geisterschaarrn.

Aus den persischen Dichtern und Geschichtsschreibern des Mittelalters ist für die Religionsgeschichte der alten Perser wenig zu entnehmen. Nicht nur ist bei ihnen Alles nach arabischen Vorstellungsweisen umgebrutelt und umge­ staltet, sondern sie haben anch Mythen benutzt, die ganz of­ fenbar erst aus der gnostisch-manichäischen Zeit herstammen und dem iranischen Feuerdienste ursprünglich nicht eigen­ thümlich sind. Solche Mythen haben sie im evhemeristischen Sinne gebeutet, und Kajomarts, der im Bunbehesch der Urmensch ist, wird bei ihnen zum ersten Könige von *) Dergl. Agalh, de imp. et reb. gest Justin. p. 44 45.

Venet. 1729.

Vorwort.

345

Iran.') DerFerwer des heiligen Kajomarts wirb zwarmehrfach in den urkunden des Zenb-Avesta angerufen, und, indem mit ihm die Reihe der Heiligen bis auf Sofiosch beginnt,') als der älteste der Heiligen bezeichnet. Die Stellen, worin dies geschieht, müssen jedoch sehr verdächtig werden, wenn man in Betracht zieht, baß anderswo ausdrücklich gesagt wird,') Wiwengham, der Vater des Dschemschid, sei der erste der Sterblichen, der vor Hom sich gebeugt habe. Jedenfalls ist die Vorstellung von Kajomarts, wie sie sich im Bunbehesch findet, erst im Sinne des Gnosticismus reicher ausgebildet. ') Sergi- Icnd-Avesta, übersetzt von Kleriker. Th. 3. S. 65. 84. Ilyde p. 297. Mirkhond lnstory of the early kings of Persia. translaled by Sbea. p. 47— 50. The Shah -Namch translated by Alkinson. p. I. 3) Zend-Avesta. trad. en fran$. tom. I. p. 147—149. 8) a. a. £>. p. 107.

Darstellung des FeuerdlensteS. Hochebene von Kabulistan und Iran kann nur unter dem Gesichtspuncte eines verbindenden Dermittlungsgliebes zwischen dem Hauptkörper Asiens und Vorberasien angesehen werben. Die westliche Grenze des mittleren Hochlandes von Ost-Asien ist hinlänglich scharf bezeichnet durch den Abfall des von der Nordseite her die Hochebene von Kabu» listan und Iran einengenben Tieflandes der freien Tartarei. Diese Hochebene selbst aber hängt mit dem Hochlande von Ost-Asien nur in dem südwestlichen Winkel dieses Hochlan­ des durch das schmale Verbindungsglied des Hinbukuh- Ge­ birges zusammen. Dieselbe kann eben deshalb nicht als ein dem ostasiatischen Hochlande angehörendes Gebiet geachtet werden; sie ist vielmehr schon in ihrer nach Westen mit ge­ ringerer Breite vorragenden Länge davon abgelöst, u»b, mit demselben nur durch das Hinbukuh-Gebirge zusammenhän­ gend, ist sie als ein durchaus davon getrenntes Glied zu betrachten. Nordwestlich verflacht sich in weniger scharfen Uebergängen allmählig nur bas Hochland Ost-Asiens durch die Abhänge des alginskyschen Gebirges dem Ural zu, und so verlieren sich hier im Norden in weniger durch die Natur scharf bezeichneten Grenzen die Abhänge des eigentlichen Hauptkörpers von Asien am Ural etwas weiter gegen We­ sten zu, als südlicher in dem Gebiete der freien Tartarei. Da, wo das Hochland Ost-Asiens sich hinabsenkt in das Tiefland des Aralsee's und des kaspischen Meeres, und wo die von Indien durch das Flußthal des Indus getrennte Hochebene von Kabulistan über den Hindukuh sich ablöst

Geographische Vorbemerkungen. Urrcligion.

347

von dem eigentlichen Hauptkörper der Hochfeste Asiens, fangt im Völkerleben eine ganz neue Entwicklung, eine ganz neue Bewegung an. I» einem bei weitem höheren Maaße, wie an dem Völkerleben Ost-Asiens, zeigt sich an dem Völ­ kerleben der Brücke, welche nach bem Westen hinüberführt, Kampf und Ringen des Geistes um menschlich-persönliche Freiheit. Hier ist der Mensch in die Mitte gestellt zwischen dem Lichte und der Finsterniß, dem Guten und bem Bösen, zwar dazu berufen, als Streiter aufzutrrten in dem Kampfe für das Gute, immer jedoch nur nach freier Selbstbestimmung. Der ursprüngliche Zustand der Völker Irans, aus bem sich emporzuringen sie durch alle Zeiten hindurch in stetem Kampfe begriffen gewesen sind, und den sie auch heutiges Tages noch nicht ganz überwunden haben, war der noma­ dische. Dor den Zeiten Dschemschid's zogen nur rohere Horden nomadisch umher in den Landern von Iran, Eriene oder Aria, welches im weiteren Sinne die Länder zwischen dem Hindukuh und dem Kaukasus, bem Oxus und Euphrat, dem kaspischen und. persischen Meere begreift. Die Religion dieser Stämme bestand in einem mit bem Schamanenthume des Nordens verwandten Geisterbienste. Die Afghanen hegen, obgleich sie schon längst zum Islam bekehrt sind, dennoch heutiges Tages immer noch viele An­ sichten, die auf die ursprüngliche Form des religiösen Be­ wußtseins der Völker Irans Hinweisen.') Neben jenem Geisterdienste und mit demselben in inni­ ger Verbindung herrschte seit den ältesten Zeiten in Iran ein Licht- und Feuerdienst. Dschemschid wird als derjenige ge­ priesen, der dem Ormuzd die rothglanzenben Feuer entzün­ det hätte. In den den Grenzen Irans nördlich belegenen Ländern werben zwar auch Spuren eines Licht- und Feuer­ dienstes ursprünglich heimisch unter den Tataren gefunden?) *) Elphinstone'r Reise nach Kabul, übersetzt von Rühs. Th. 1. S. 3AG—319.

’) Gmelin's des Leitern sibirische Reise. S. 45. 52. 92. 100.

Persischer Feuerdienst.

349

Schwach aber treten jene Spuren nur hervor, und zu jener hohen lebendigen Bedeutung, die dem Licht und dem Feuer

in dem Religionsdienste der Jranier beigelegt ward, konnte

beides in dem Glauben der Völker der nördlichen Lander nicht gelangen. Doch sind allerdings die Vorstellungen, die die nördlichen Völkermit ihrer Feuerverehrung verbanden, verwandt

mit denen, die dem iranischen Feuerdienste zu Grunde lagen. Weber als weltzeugende Macht, noch in seiner näheren

Beziehung zum Familienwesen als Feuer des Heerdes, noch endlich in seiner Beziehung zur kunstfertigen Werkmeisterei als Feuer der Schmiede ist das Feuer ursprünglich von den Völkern Irans verehrt worden.

Die ursprüngliche Vorstel­

die dem iranischen Feuerdienste zu Grunde lag, ist

lung,

vielmehr unverkennbar die,

die auch unter schamanischen

Volkern dem Feuer eine Verehrung gewisser Art, nur nicht in so hohem Maaße, nicht in so lebendiger Weise, gesichert

hat.

Es ist die mit einer Verehrung der Sonne und des Lichts

enge zusammenhängende Vorstellung von der lichtbringenden

Kraft des Feuers, wodurch dasselbe die Macht der bösen Gei­ ster des Dunkels und der Finsterniß bewältigtund überwinbet.^)

Indem das Licht die Schrecken der Nacht verscheucht, und so das Gemüth befreit von der Furcht vor den im

Dunkel sich regenden gespensterhaften Erscheinungen, verleiht

rotmatt führende Brücke Tschinewad unterschieden.

An die­

ser Brücke war der Ort des Gerichts für die Seelen der Verstorbenen.

Drei Nächte nach ihrem Tode langten sie

unter dem Schutze des

die Heerden bewachenden Hundes

hier an, und dann richteten über sie nach ihren Thaten und

Worten die Todttnrichter?) Mithra und Raschnerast werden als die Todtenrichter

genannt;4 * )* * doch diesen muß auch noch als dritte Person

Serusch zugezählt werden.

Alle drei werden häufig zusam­

men angerufen und eben dadurch in eine nähere Beziehung zu einander gesetzt.^)

Man darf behaupten, daß diesen drei

Geistern die Wache über die Heilighaltung des Sittengesetzes oblag.

Worin für den Menschen durch das Gesetz der Lehre

1) Jend-Avesta, übers, v.Kleuker. Th. 1. S. 122. Th. 2. @. lio.328.379. 2) Zend-Avesta Th. 2. S. 106. 226. 245. 883. Le Yajna. tom. 1. p. 561. s) Jend-Avesta Th. 3. S. 378. 379. 4) a. st. O. Th. 1. S. 105. 6) a. fl. £>. Th. 2. S. 129. 225. 232. 236. 241.

Religion des Zerdufcht. des

Feuerbienstes

Alles gegeben

dem Gebote der Heiligkeit

und der That.')

war,

Zgg

bestand in

das

des Gedankens,

des Wortes

Serusch nun, als der Bote Gottes, der

den Menschen mit Rath beistand und der auf Erden das Gesetz gegeben hattet) wird, ob er zwar auch im weiteren Sinne über die Heiligkeit des Wortes und der That wachte,3 * )24 * 6 7

dennoch im engeren Sinne als der verehrt worben sein, dem

besonders die Wache über die Heiligkeit des Gedankens ob­

lag.

Als der Geist, der über die von den Persern sehr hei­

lig gehaltene*) Wahrhaftigkeit und Reinheit des Wortes wachte, tritt Raschnerast auf?)

genden Serusch,

Der dem reinen und sie­

dem in Worten wahrhaftigen Raschnerast

zur Seite gestellte, lebendige und starke, mit der Keule be­

waffnete Mithra kann nur als der Geist verehrt worden

sein, der über die Heiligkeit der That wachte?)

Ueber den Mithra ist viel gefabelt worden. hat man ihn auf die Sonne deuten wollen,

Besonders

und es läßt

sich allerdings nicht läugnen, daß Stellen im Zend-Avesta

vorkommen, die ihn in eine sehr enge Beziehung zur Sonne setzens)

auch kommen andere vor,

den Morgenstern zulassen?)

die eine Deutung auf

Er wird jedoch an viele« Stel­

len sehr deutlich und bestimmt von der Sonne unterschieden?) Ueberhaupt wird

im

Zend - Avesta von Mithra in

einer

Weise gesprochen, aus der es klar erhellt, daß in ihm ein

anderer und höherer Geist, als der der Sonne oder des

') Zend-Avesta Th.l. S. 91. 102. 104. 109. 115. 118. 125. Th. 2. S. 100. 101. 114. 314. 324. 2) Das Heldenbuch von Iran. Th. 1. S. 5. Zend-Avesta. Th. 2. S. 241. 3) Zend-Avesta. Th. 1. S. 144. 4) Herodot. I. 138. $) Yajna par Burnouf tom. 1. p. 196 Zend-Avesta Th. 2. S. 157. 129. 244. 248. 289. 377. 6) Zend-Avesta. Th. 2. S. 157. 289. 377. 7) a. a. O. Th. 2. S. 378. *) a. a. O. S. 107. ®) fl. a. O. Th. 1. S. 83. 106. Th. 2. S. 105. 109. 24

Persischer Feuerdienst.

370

Morgensterns verehrt worden fei.1)2 *In 4 den aus feinem Dienste hervorgegangenen Mithras - Mysterien späterer Zeiten, die in Persien selbst nie einheimisch waren, wird Mithra offenbar als der in Lichtverehrung auch auf die Sonne be­ zogene Gott der sittlichen Heldenthat verehrt. Eine ähnliche Vorstellung muß diesem als Mittler bezeichneten Geiste im iranischen Feuerdienste zu Grunde gelegen haben. Ueber die in ihrem Leben bewahrte Heiligkeit des Ge­ dankens, des Wortes und der That mußten die Seelen der Verstorbenen vor Serusch, Raschnerast und Mithra Rechen­ schaft ablegen, ehe sie ihr Urtheil empfingen. Die gerecht erfundenen Seelen gingen dann über die Brücke Tschinewad in Gorotman, den Himmel der Seeligen, ein, die aber un­ gerecht erfunden wurden, stürzten in Duhzak's Tiefen hinab, hier unendliche Quaal zu erleiden?) Im Tode der Seele heilbringend war Honover, das heilige Wort des Lebens, von welchem Ormuzd zu Zerduscht sprach: — „Bete meinen reinen Honovcr, wenn Sprache Dich verläßt und Du ohne Hoffnung bist int Tode. Wer in meinem Eigenthume, der Welt, den reinen Honover spricht, und mit den heiligen Gebräuchen ihn mit hoher Stimme des Wohlklangs singt, dessen Seele soll sich frei in Himmels Wohnungen schwingen?") — In diesen Worten wird Honover als das lebendige Wort des heiligen Gebetes bezeichnet. Ormuzd selbst, in Heiligkeit verschlungen, hatte dies Wort gesprochen mit Größe, und alle reinen Wesen waren dadurch in die Welt des Ormuzd gekommen?) Es war bas Wort der Schöpfung des Ormuzd, wodurch der Mensch zur Heiligkeit emporstieg. Die im Gebete in ihrer *) Pott's

etymologische Forschungen.

S. 46—55.

Lemgo

1833.

Einleitung.

Kleuker's Anhang zum Aend-Avesta. Bd. 1. Th. 1.

S- 307—324. Wiener Jahrbücher der Literatur- Jahrgang 1820. Th. 2. S. 235. 2) Zend-Avesra Th. 2. S. 124. 125. 378. 379. Th. 1. S. 105. s) a. a. O. Th. 1. S. 107. 4) a. a. O. S- 108.

Religion des ZerLuscht-

371

höchsten Herrlichkeit sich verklärende Heiligkeit und Reinheit des Worts ist es, was als der Honover des Ormuzd ge­

dacht ward.

Schöpfungskraft ward demselben beigelegt nach-

jener Vorstellung, nach welcher überhaupt dem Worte im

Gebete, wie, in der Zauberformel, die eigentlich nichts ande­ res ist, als eine eigene Art des Gebets, wesentlich wirksame

Kraft beigelegt ward.') Die für die verdammten Seelen bestimmten Höllenstra» fen gelten nicht als ewige,

so wenig wie überhaupt die

Macht und Wirksamkeit des Bösen, in dessen Folge sie ver­

hängt werben.

Vielmehr bekennt sich die Lehre des Feuer­

dienstes auf eine unzweideutige Weife sehr bestimmt zu dem Glauben an eine endliche Versöhnung des im Leben wal­ tenden Zwiespalts und Kampfes, an eine völlige Zernichtung

des Bösen und des Uebels am Ende der Tage, und an eine alsdann erfolgende Auferstehung des Fleisches?)

Es er­

scheint alsdann Sostosch, der Siegesheld, der Wiederbringer

der Heiligkeit, der die ganze Welt glücklich und groß machen

wird, und die Leiber der Welt reinigen.

Er wird aus der

Welt schaffen allen Schmerz, aller Sünde Keim, und den

Plager der Reinen zerschmettern?) Es schwankt indeß, sowohl in den Ansichten, die sich

in den Urkunden des Zend-Avesta ausgesprochen finden, als auch in den Ansichten der heutiges Tages noch dem

Feuer dienenden Guebern die Vorstellung, mit seinen

Genossen, nach

seiner

ob Ahriman

völligen Ueberwindung

am Ende der Tage, werde geheiligt und ausgenommen wer­

den

in

die Zahl der Seeligen,

oder ob er,

als ver­

dammt, mit seinen Schaaren völlig werde zernichtet werden?)

In den Urkunden des Zend-Avesta jedoch herrscht die An­ sicht von der Bekehrung Ahriman's nach seiner Ueberwindung

') 2) 8) 4)

Zend-Avesta Th. 2. a. a. O- Th. 1. @. a. a. O- Th. 1. SVergl. Zend-Avesta

S- 386. 357. 118. Th. 2. S. 123 — 125. 120. Th. 2. S. 124. 129. 132. 149. 265. 375. Th. 1. S. 118 120. 141. Th. 2. @.125.375.

372

Persischer Feuerdienst.

vor. Der heutige Glaube der Guebern dagegen neigt sich zu der Ansicht von der völligen Zernichtung Ahriman's und seiner Schaaren hin.') Die Vorstellung von der zukünftigen Versöhnung des Kampfes, in dessen Bewegung der Geist des Persers in der Gegenwart sich befangen fühlte/ schließt sich an an die Er­ innerung an einen Zustand der Unschuld des Menschenge­ schlechtes/ an einen Friebenszustand der Seele in der Ver­ gangenheit. Diese Erinnerung knüpft sich an die ursprüng­ lich noch aus der Zeit des Nomadenlebens herstammcnde/ in dem Laufe späterer Zeiten aber mannichfaltiger und in den Vorstellungen des Bundehcsch sehr phantastisch ausge­ bildete Verehrung des Stiers und der Stierkeule.3*)2 Daß das Bild von dem Stier/ seiner ursprünglichen und wesent­ lichen Bedeutung nach/ auf die Vorstellung von dem an Viehzucht geknüpften alten patriarchalischen Leben zu bezie­ hen sei/ folgt recht eigentlich aus der Sage von Feridun. Er war/ ehe er in die Ebene hinabstieg/ das Volk berief und ein Heer sammelte/ die mächtige Stierkeule mit dem Büffelhaupte ergriff, und gegen die Thasen und deren Für­ sten, in das Land, wo das Haus des Drachen aufgerichtet war, zog, auf dem Gipfel des Berges Alburs verborgen, von der Kuh erzeugt, unter dem Stiergeschlechte erwachsen.") Dort unter den Heerden hatte der sittliche Held sein Jugendleben in der Stille friedlich dahingebracht, ehe er aus dieser Ruhe heraustrat in den Kampf der Geschichte, tim sein Volk von dem Joche des Bösen zu befreien. Die Vor­ stellung von einem solchen Befreiungskämpfe, die vorbildlich in der Sage von Feridun angedeutet war, und in der zugleich die Erinverung an einen vorangegangencn Zustand friedvoller

*) Transact. of tlie lit. soc. of Bombay, vol. 2. p, 344. 2) Zend - Avesta Th. 1. S- 93. 116. 118. 122. 127. 128. Th. 2. S. HO. 254. Th. 3. S. 92. 3) Heldenbuch vvn Jl'iin. Th. 1. ©. 24.DIirkhond tranflat, by Shea. London. 1832. p. 129.

Persischer Fcucrdi'cnst.

373

Unschuld, so wie die Hoffnung auf die dereinstige zukünftige Versöhnnmg in Sosiosch festgchalten ward, bildet den Grund­ gedanken und den wesentlichen Kern in der Lehre des Zerduscht. Durch dieselbe gewann die Lehre des alten Gesetzes Hom's ihre sittliche Deutung. Alllerlings steht zu behaupten, daß diese Vorstel­ lung der durch Kyrus im Geiste der Perser bewirkten Aufregung so wie überhaupt der weltgeschichtlichen Stellung des Pcr-fewolks an und für sich schon entsprechend gewesen sei, und daß daher dieselbe aus dem inneren Seelenleben der Perser ohne äußere Anregung von selbst sich habe ent­ wickeln können. Betrachter man jedoch bas geschichtliche Verhältniß, in welches Pcrserthum und Judenthum zu ein­ ander getreten waren, das freundliche Wohlwollen des Ky­ rus und des Darius gegen die Juden, im Gegensatze zur Unduldsamkeit der Feucrbiener gegen die von der ihrigen verschiedenen Formen des Heibcnthums, so muß man sich sehr zu der Annahme geneigt fühlen, baß bei brr Ausbildung der hier in Frage stehenden Vorstellung in dem religiösen Bewußtsein der Perser Einwirkungen jüdischer, an den Jehovah-Dienst geknüpfter Ansichten statt gefunden hätten. Es ist in Rücksicht auf diese Annahme die Aehnlichkrit, die zwischen den beiden Namen Sosiosch und Josua waltet, nicht unerheblich, da Josua, der die Israeliten in das ge­ lobte Land einführte, ganz bestimmt auf Jesus hinweist. Die heidnische Form des Feuer- und Geister-Dienstes des alten Gesetzes Hom's blieb indeß bei allem dem, was neue Entwicklungen des geistigen Lebens der Perser, beglei­ tet von Einwirkungen von Israel aus, Hervorrufen mochten, aufrecht erhalten. So blieb ein Gegensatz bestehen zwischen der Lehre des Zerbuscht und der des Jehovah-Dienstes. In Rücksicht auf bas Leben älterer Zeiten zeigt indeß auch schon die Neigung der religiöse» Gesinnung der Israeli­ ten auf eine sehr auffallende Weise Verwandtschaft nut der Form des rcligiösci, Bewußtseins der Jraniek. Wenn die Israeliten bei ihrem stets sich wiederholenden Abfalle vom

374

Persischer Feuerdienst.

Jehovah «Dienste auch wieder zurückkehrten und Meßen von heidnischer Abgötterei, so gaben sie in alteren Zeiten doch immer noch nicht die Sitte der Entzündung der Feuer auf den Höhen auf, jene unter den Jraniern als Hauptform ihres Religionsdienstes von Dschemschid eingeführte Sitte. Man erkennt leicht in der festen Anhänglichkeit der Israeli» ten an dieser Sitte, wie tiefe Wurzeln dieselbe in ihrer Ge» sinnung gefaßt haben mußte. Die Religion der Israeliten hatte indeß in Aegypten, im Gegensatze zu der fleischlichen Gesinnung der Aegypter, einmal jenen starren, allem weichen, seelenvollen Sichhinge» den des Geistes an das Naturleben schroff sich, gegenüber­ stellenden Charakter angenommen, wodurch sie sich scharf von aller Art von Heidenthum unterscheidet. Alles, was in den Sitten der Israeliten auch nur auf irgend eine Weise auf Naturdienst Hinweisen mochte, mußte stets im äußeren Ge» gensatze dem Jehovah-Dienste scharf und schroff gegenüber bestehen bleiben. Unter den P-rsern dagegen hinderte nichts, daß nicht ethische Grunbansichten, die sich in der geschichtlichen Ent» faltung des Jehovah-Dienstes entwickelt hatten, auf For» men eines im Geister- und Naturbienste erblühten religiösen Bewußtseins hätten übertragen werden können. Gewisse Vorstellungen über einen verlorenen Zustand friedvoller Un­ schuld, über den Beruf des Menschen zum Kampfe wider das, wodurch die Ordnung des Lebens getrübt werde, und über einen dereinst in Zukunft eintretenden endlichen Sieg, über eine endliche Ueberwindung, mußten sich ohnehin schon in der Lehre des von Hom verkündigten alten Gesetzes ent» wickelt haben. Was aber, dem Gedanken nach, diesen Vor­ stellungen entsprechen konnte, bezog sich immer nur auf die beschränkten Kreise des irdischen Daseins des Menschen, auf irdisches Uebel und irdisches Wohl. Die höhere ethische, auf das ewige Leben der Seele sich beziehende Deutung je­ ner Vorstellungen, die diesen im neuen Gesetze gegeben ward, scheint allerdings aus dem Jubenthum geschöpft zu sein.

Religion des Zerduscht.

375

So wäre die Hoffnung und die Erwartung auf das Heil für das Menschengeschlecht von Israel aus zu den Persern gekommen, zu jenem Volke, dessen Geschichte den eigentlichen Anfangspunkt des freien weltgeschichtlichen Kampfes der Menschheit bezeichnet. Mit dem Anheben die­ ses Kampfes trat in das Bewußtsein der Perser, eines heid­ nischen Volks, die Hoffnung und Erwartung auf das zu­ künftige Heil, welches dereinst allen Völkern in Christo er­ blühen sollte, ein. Indem aber hierauf sich beziehende Ver­ heißungen auf das Heidenthum übergegangen waren, und damit sich vermischt hatten, mußten sie nothwendig, ihrem Sinne und ihrer Bedeutung nach, eine Umwandlung erlei­ den. Was im Jehovah-Dienste unmittelbar seine Deutung hatte auf den in Knechtsgestalt in die Welt eintretenden geistigen König und dennoch auch selbst unter den Juden im weltlichen Sinne gedeutet worden ist, konnte, übergegangen in das heidnische Bewußtsein der Perser und dasselbe durch­ dringend, nur eine Bedeutung auf das heidnische Leben der Völker gewinnen. Eben deshalb auch ist, wenn immerhin Sosiosch auf Josua zurück zu beziehen ist und in diesem Sinne auf Jesus hinweist, dennoch das von Zerduscht im Sosiosch verkündigte Heil keinesweges unmittelbar auf die Erscheinung Jesu, auf die Zeit seiner Geburt, seiner Lei­ den, seines Todes, seiner Auferstehung und Himmelfahrt zu deuten; sondern vielmehr auf die Zeit seiner Wiederkehr, da in dem Lichte der neuen Stadt Gottes die Heiden, die da seelig werden, wandeln, und ihre Herrlichkeit und Ehre in diese Stadt gebracht wird, sammt der der Könige auf Erben.

Die Religion-geschichte -er Völker Vorder,Asien-. _

Literarisches Vorwort.

Quellen zur Religionsgeschichte -er Völker Vorder» Asiens fließen nicht nur sehr dürftig, sondern sind größten» theils auch sehr trübe. Eine eigene Literatur dieser Völker hat sich nicht erhalten; nur an Berichten von Fremden, von Griechen und Römern, von Juden und Arabern ist man verwiesen. Zwar haben sich einige Fragmente erhalten, die man theils dem Sanchoniathon, theils dem Berosus zu­ schreibt, und deren Inhalt ganz vorzugsweise zu berücksichtig gen wäre, wenn man sie für acht halten dürfte. Gegen die Aechtheit derselben erheben sich indeß die bedeutendsten Zwei­ fel, und in Beziehung wenigstens auf Untersuchungen in dem Gebiete der Religionsgeschichte der vorder-asiatischen Völker muß ihrem Inhalte alle Brauchbarkeit völlig abgesprochen werden. Die Fragmente aus dem Werke des Philo von Byblos bei Eusebius, die dem Sanchoniathon zugeschrieben werden, können erst in einer Zeit abgefaßt worden sein, in welcher theils schon synkretistische Bestrebungen lebendig gewesen sein, theils die evhemeristische Art und Weise der Mythen­ deutung in hohem Maaße sich geltend gemacht haben mußten. So hatte zu seiner Zeit Sanchoniathon nicht sprechen und bas hätte er nicht sagen können, wie Philo, inwiefern er sein eigenes Werk nur als eine reine Uebersetzung ausgiebt, ihn sprechen und was er ihn sagen laßt. Der Bericht,')

Literarisches Vorwort.

377

daß Kronos, ein menschlicher König, gezeugt von einem Manne, den man Uranus genannt hatte, seiner Tochter Athene bas Königreich Attika bei seiner Wanderung durch die Welt übergeben, und, als er nach dem Süden gekom­ men wäre, den Taaut zum Könige über ganz Aegypten er­ hoben habe, kann nicht von Sanchoniathon herstammen. Die synkretistischen Bestrebungen des Philo, wie solche vor seiner Zeit schon erwacht und zu seiner Zeit herrschend wa­ ren, treten in diesem Berichte über die Wanderungen des Kronos und über die Vertheilung der Herrschaft über die Welt auf eine unzweideutige Weise klar und bestimmt hervor. Was Philo dem Sanchoniathon unterschiebt, besteht aus nichts anderem, als aus einer in evhemeristischer Deu­ tungsweise auf die phönizische Urgeschichte zurückbezogeneu Vermischung griechischer und ägyptischer Mythen. Mysor, Taaut und seine Vettern, die Söhne des Sydyk oder die Kabiren') gehören ursprünglich dem Kreise ägyptischer, Uranus und Kronos nebst allen olympischen Göt­ tern^) dagegen dem Kreise griechischer Vorstellungen an. Bei Philo sind es aber keine Götter mehr, wie jene als solche von den Aegypter^t, diese von den Griechen

verehrt wurden, sondern es sind Menschen der Vorzeit ge­ worden; und es erhellt aus dem Evhemerismus, wie aus dem Synkretismus des Philo zur Genüge, wie und auf welche Weise er bei der Abfassung seines Werks verfahren sein müsse. Dem Sanchoniathon ist unter keiner Bedingung eine synkretistische Verfahrungsweise oder eine evhemeristische Deutungsweise zuzuschreiben. Wollte man etwa hiergegen behaupten, daß es aus der mosaischen Geschichte hinlänglich erhelle, wie den semitischen Völkersiämmen schon sehr frühe eine Art und Weise der Mythen-Auffassung geeignet gewe­ sen sei, die offenbar an die evhemeristische erinnere, so müßte *) Sanchoniathon.

nen, die sie in ihren Tempeln aufstellten. Schwerlich dürfte die von Manchem aufgestellte Be­

hauptung richtig sein, nach welcher man diesen Steinen Ver­

ehrung gezollt habe aus dem Grunde, weil man sie, als im

Steinregen vom Himmel gefallene Luftsteine, für Boten der

Gestirne angesehen habe.

Nur als Gedenksteine vielmehr

zur Erinnerung an geschlossene Bündnisse mit den göttlichen

Machten können dieselben heilig geachtet worben sein. auch richtete Jakob,

So

zum Zeichen seines Bundes mit Gott,

so wie zum Denkmal seines unter Gottes Schutz mit Laban

abgeschlossenen Bündnisses Steine auf.') ten

den

Arabern zum

Steine auch dien­

Zeugnisse geleisteter Eidschwüre?)

Der noch heut zu Tage von den Moslemin verehrte schwarze

Stein, der in der südöstlichen Ecke der Kaaba ruht, ward in alten Zeiten vor der Verkündigung des Jslam's als das Gedachtnißzeichen

der

unter

dem

Schutze

Mächte vollzogenen Volksvereinigung Die Heiligkeit,

der

göttlichen

der Araber

verehrt.

die ihm beigelegt war, bezog sich auf die

Macht der Götter, die, durch die heiligsten Schwüre ange­

rufen, wachten über die Heilighaltung Bündnisses.

des geschlossenen

Die wesentliche Kraft dieser göttlichen Mächte

war durch jene Schwüre in den Stein hinabgezogen, hatte

sich demselben mitgetheilt unb waltete in ihm nach der im sabäischen Gestirndienste überhaupt allgemein herrschenden Ansicht von der Mittheilung brr göttlichen Kräfte an ver­

mittelnde Glieder.

Ursprünglich wurde

die Kraft aller

in

den verschiedenen Tempeln der heidnischen Araber verehrten Steine von jenem abgeleitet?)

Als nämlich

von der Gegend von Mekka aus, wo

diese Steinverehrung zum Zeichen des aufgerichteten Bun-

*) Buch Mose 1. c. 28. v. 18. 22. c. 31. v. 43 — 84. 2) Hcrodol. L. 3. c. 8. s) Pocock. specim. histor. Arabutn. p. 111.

des unter den Menschen und mit den Göttern zu einer Zeit, in welcher die arabischen Stämme, noch nicht zahlreich gt* worden, noch nicht sich getrennt und über Arabien vrrbrei» tet hatten, ihren Anfang genommen hatte, die Araber über die Halbinsel sich auszubreiten anfingen, zog Niemand davon, ohne aus der Kaaba, dem im Viereck nach der Gestalt deS in demselben aufbewahrtrn Steines erbauten Tempel, Steine mit sich zu nehmen, um denselben durch mehrfach umkreisen* des Herumgehrn dieselbe Verehrung zu leisten, wie man sie dem Steine der Kaaba zu leisten bisher gewohnt gewesen war.') Sie wurden zugleich, als Zeichen eine- neu ge» schlossenen Bundes unter den Menschen und mit den Göt­ tern, dir Heiligthümer der Tempel, welche die, von der Gegend von Mekka auswanbernden und anderswo sich ansiebelnben Schaaren, zu eignen Stämmen sich bildend, neu erbauten. Inwiefern jedes Opfer eine Erneuerung des mit den göttlichen Machten geschlossenen Bündnisses war, und zum Gedächt­ nisse desselben angestellt ward, konnte die Vollziehung des Opfers nur auf diesen Steinen geschehend) Als von der Kaaba hergebracht standen sie auch mit dem Steine derselben, brr, als der heiligste verehrt, das gcfammtt Volk der Araber vereinigte, und den Hauptgöttern, dem Uratal und der Alilat, besonders aber der letzteren, weil er der der Erde nähern Gottheit des Mondes geweiht war,") in einem nahen Verhältnisse und Zusammenhänge. Sie er­ wirkten dem einzelnen Stamme das Heil durch die ihnen mitgetheilte göttliche Kraft. Die diesen Steinen, der religiösen Vorstellung nach, einwohnenben geheimen Kräfte dehnten jedoch ihre Wirk­ samkeit immer nur über gewisse Gegenden aus, innerhalb deren Grenzen noch sinnlicher Zusammenhang zu bewerkstel­ ligen war. Es bedurfte daher der Araber noch fernerer *) Pocock. a. a. 0. p. 110. 2) a. a. O p. 100.

s) Männert, Geographie der Griechen und Römer. Th. 6. Heft 1. S. 128.

404

Arabischer Gestimdienst.

Vermittler und diese schuf er sich in den tragbaren Amuleten, die er bei sich führte. Es kann kaum einem Zweifel unter­ liegen, daß in früheren Zeiten ursprünglich jedem Steine, den der Araber als schutzbringendes Amulet a» seinen Kör­ per trug, nur seine Kraft ertheilt gewesen sei durch eine Weihe, durch die derselbe dem heiligen Steine des besonde­ ren Stammestempels, zu welchem jeder einzelne Araber sich hielt, verwandt gemacht worden wäre. Durch eine solche Weihe war der einzelne Stein in der Stufenreihe der ver­ mittelnden Mächte an die wesentliche Kraft der höchsten Mächte gebunden. Wenn aber später die Araber darauf verfielen, auch schon jedem schönen Steine, als heilbringend durch die demselben einwohnende wesentliche Naturkrästigkeit, Verehrung zu leisten und an die Macht desselben zu glauben, so stammt diese Verehrung offenbar von einer schon frühe in Arabien eingedrungcnen Einwirkung des chaldäischen Religionswesens her, welchem, bei einer reicher und man» nichfaltiger ausgebildeten Ansicht über das Leben der Natur eine Verehrung einzelner Gegenstände wegen der denselben einwohnenden naturkräftigen Wesenheit näher lag, als dem ursprünglicheren, einfacheren Glauben der Araber. Ihre An­ sicht über das Leben, die Welt und Natur war durchaus nicht geistig bewußt in der Art ausgebildet, wie die der Chaldäer. Die ursprüngliche Ansicht der Araber faßte nur im Ganzen die Erscheinungen des Lebens, als in einer noth­ wendigen Verkettung stehend, auf, suchte aber keinesweges im Einzelnen in der naturkräftigen Wesenheit der besonderen Dinge dieser Verkettung mit Bewußtsein nachzuspüren und sich so im Geiste eine Vorstellung über den Zusammenhang der einzelnen Richtungen des Lebens zu bilden. Die einzige Vorstellung von diesem Zusammenhänge schloß sich nur an die Verehrung des die Erde mit den höheren Mächten ver­ mittelnden Steines der Kaaba an. Außer der Sonne und dem Monde verehrten die Ara­ ber einzelne Sterne, an deren besondere Stellung am Him­ mel, Erscheinen und Verschwinden zu verschiedenen Zeiten

Arabischer Gestirndienst.

sich ihre Witterungkunbe «„schloßt)

405

Aus der Nachricht des

Herodot,') baß sie über sieben Steine ihre, durch Blut be­

siegelten, im höchsten Maaße heilig gehaltenen Freundschafts-

Bündnisse geschlossen hatten, ihnen

die Kenntniß

der Sonne

und

der,

könnte man folgern,

im

chaldaischen

baß

Gestirndienste

dem Monde zur Seite geordneten fünf

Wandelsterne nicht gemangelt habe.

Doch treten sonst keine

Spuren hervor, woraus zu schließen wäre, baß selbstständig in Arabien der Dienst dieser Sternmachte sich besonders

ausgebildet habe.')

Als seinen besondern Gott verehrte jeder einzelne Stamm einen einzelnen Stern, dessen Verehrung offenbar von der

Stellung

zur Zeit

desselben

Stammes in

der

einer bestimmten

ersten

Ansiedelung des

Gegend, in

welcher der

Stammestempel erbaut wordc» war, hergerührt haben muß. Dem besonderen Schutze dieses Sternes, der zur Zeit der

Erbauung des Tempels in seiner Erhebung gewesen sein

muß, vertraute der besondere Stamm.

Sonne und Mond

wurden als die besonderen Schutzgötter der Himiariten und Kenaniten angesehen.

Die Lachmiten und Dschibemiten ver­

ehrten dagegen vorzugsweise den Planeten Jupiter, die Taji»

ten den Canopus, die Kasitcn den Siriuö, die Asebiten den Planeten Merkurs)

Außer diesen Namen kommen aber auch noch die Na­ men von Planeten und einer Menge von Fixsternen vor, die

bald bei diesem, bald bei jenem Stamme Gegenstände gött­ licher Verehrung waren.')

So war auch jeder einzelne Tag

int Jahr einem eigenen Sterne geweiht,

und Muhameb

konnte bei seinem Einzuge in Mekka 360 zu Ehren der Göt­ ter aufgerichtete Bilder zerstören?)

Aus 360 Tagen bestand

*) Pocock. a. a. 0. p. 164. 2) Herodot. IIL 8. 3) Pocock. p. 163. 4) Gesenius Commentar rum Jesaia. Th. 2. S. 330.

*) Pocock. p. 129. °) Pocock. a. a. O»

Hartmann a. a. £). Bd. 2. S. 277.

Hartmann a. a. O. S. 279.

406

Arabischer Gesrirnbienst.

aber bas Jahr ber Araber, und diese 360 Götter waren eben Sternmächte, deren eine jede einem bestimmten Tage des Jahres Vorstand. Bilderdienst war indeß nicht ursprünglich in Arabien einheimisch gewesen, sondern ist dorthin erst durch Einfluß fremdartiger Bildung aus Syrien gekommen.') Jene in dem Tempel zu Mekka den Sternmächten aufgerichteten Bilder, die Muhamed zerstörte, können daher dem in Arabien einheimischen, ursprünglichen einfacheren Religionsdienste so wenig geeignet werden, wie andere Götterbilder, von denen in den Nachrichten über den heidnischen Religionsdienst der Araber sonst noch geredet wird. Ein mannichfaltiger, schon in frühe Zeiten sich zurück verlierender, seit Christi Geburt sichtbarer hcrvortretender, von Syrien und Chaldäa ausgegangcner fremdartiger Einfluß auf Arabien ist ohnehin nicht zu läugnen, und eine an Bilderdienst sich anschließende höhere Ausbildung des Gestirndienstes, wie sie in späteren Zeiten, unmittelbar vor Muhamed, in Arabien gefunden wird, ist, ihrer Entwicklung nach, an jenen Einfluß von ber Fremde her anzuknüpfen. Das dem aufmerksamen Beobachter in ber näheren Betrachtung des schwarzen Steines der Kaaba auffallende, schlecht eingegrabene Bild eines Menschenkopfes kann, seinem Ursprünge nach, auch nur einer späteren Zeit angehören, in welcher schon aus der Fremde her Bilderdienst in Arabien eingeführt war. In dieser höheren Ausbildung hat sich auch die besonr dere Verehrung der Wandelsterne mehr entwickelt, und den Einflüssen derselben auf das Menschenleben sind höhere und mächtigere Wirkungen zugeschrieben worden. So wurde der Stern der Venus, Alkbar genannt, als Vorstand aller An­ gelegenheiten des Herzens und der Liebe verehrt; wobei denn verschiedene Ansichren über die Werkthätigkeit dieser Göttin sich erzeugten, indem Einige sie als die himmlische *) Notices et extraits des manuscr. delabibl. duroi a Paris. 1789. tom. 24 p. 132.

Arabischer Gestirndienst.

407

Must, als Lautenschlägerin des Himmels betrachteten, An*

dere aber auch ihrem Einflüsse eine mehr sinnliche Wirkung

beilegten.')

Die Planeten Saturn und Mars wurden als gefürchtet.

bösartige Mächte

Die Araber verehrten den

Saturn am Sonnabend in einem sechseckigen schwarzen Tem­

pel, indem sie ihm, schwarz gekleidet, einen bejahrten Stier opferten, und zu ihm flehten, daß er sie mit seinen schäd­

lichen Einflüssen verschonen möge.

Den Mars bildete man

ab, wie er in einer Hand ein gezogenes Schwerdt, in der anderen einen abgehauenen Kopf bei den Haaren hielt, in

blutfarbigem Gewände, wie auch das Licht dieses Sternes röthlich ist.

Sein Tempel bei den Arabern war roth ge­

färbt, man opferte ihm mit blutbefprengten Kleidern, und

zwar einen Kriegsmann, der in einen Pfuhl gestürzt wurde.

Der Planet Jupiter ward in einem dreieckichten pyramidalischrn Tempel,

in welchem das Standbild desselben, aus

Zinn verfertigt,

stand, und wo man ihm am Donnerstage

einen noch saugenden Knaben opferte, verehrt?)

Nach der

Weise der Chaldäer, von denen überhaupt der besonders aus­ gebildete Planetendienst, wie er in Arabien vorkommt, ur­

sprünglich herrührt, war auch hier der Planet Merkur, der

arabisch Nebo hieß, in die Mitte gestellt zwischen den guten Sternmachten, dem Jupiter und der Venus, und den bösen,

Weil er für den Schreiber des

dem Saturn und Mars.

Himmels gehalten ward, sollen ihm die Araber am vierten Wochentage

einen

der

Schreibekunst kundigen Jüngling

geopfert haben?)

Im Gegensatze gegen den Gestirndienst bestand auch in Arabien in dem,

was sich auf die Heiligthümer der Blut­

rache bezog, ein religiöser Dienst, der, in der freien That geübt, auch das Gefühl der Freiheit gab, wie darin wurzelte.

Der heiligsten Pflicht einer fürchterlichen, unsühnbaren Blut-

1) Gesenius a. a. O. S. 341.

Pocock. a. a. O. k». 112.

-) Gesenius a. a. O. S. 337. 344. 343.

3) st. a. O> S. 342.

408

Arabischer Gestirndi'enst.

rache warb durchaus in einem religiösen Sinne obgelegcn und genügt. Es waren jedoch nicht die Geister der erschla­ genen Vorfahren, die die Hinterbliebenen verfolgt hatten, sie stets an die noch unerfüllte Pflicht der Rache mahnend. Dies Geschäft vielmehr war einem, dem Uhu gleichen, Hamah oder Manah genannten Vogel aufgetragen, der, aus dem Gehirn des Erschlagenen aufgestiegen, so lange, bis das Dlut des Ermordeten gerächt worden sei, herumflattere und dabei schreie: — „Gebt mir zu trinken, gebt mir zu tritt» fett!"1) — Die Blutrache ruhte vier Monate des Jahres hindurch. Es waren der erste, der siebente, der neunte, der zwölfte, die heilig gehalten und in denen alle Feindseligkeiten jeder Art eingestellt wurden. Während dieser Zeiten nahm man den Lanzen die Spitzen ab. Die so den Frieden gebietende Volksfitte wurde so gewissenhaft beobachtet, daß man nur wenige Fälle findet, in denen dieselbe von einigen Stämmen, die aber deshalb auch gebrandmarkt wurden, verletzt wor­ den wäre. Von einer ewigen Fortdauer der Seele hatten die Ara­ ber kaum eine Ahnung, oder sie verknüpften mit einer solchen sehr seltsame Vorstellungen?) Zur Erzeugung der Anschau­ ung von einer Heroenwelt konnte es in ihxem Geiste, bei dessen Armuth und Dürftigkeit, nicht gedeihen. Nur verein­ zelte Erinnerungen an einzelne Liebesgeschichteit, oder an ein­ zelne, in einer von Geschlecht zu Geschlecht forterbenden und fortwüthenben Blutrache, geübte Thaten, bildeten den Ge­ genstand ihrer Gesänge?) Doch verehrten sie fünf geistige Mächte, die sie Wadd, Sawa, Jagut, Jaut und Nasr nannten, und von denen die Sage erzählt, daß es fünf, in späteren Zeiten zur Gottheit erhöhte Menschen gewesen •) Pocock. p. 134.

Hartmann, Aufklärungen über Asten. Bd. 2.

S. 297. a) Pocock. sl. a. O. p. 134. Hartmann a. a. O. Bd. 2. S. 297. 3) Hartmann a. a. 0. Bd. 2. S- 174 ff. Pocock. a. «. O. p. 134.

Arabischer Gesrimdienff

409

wären, die vor der Sünbflut, von der Zelt Abam's bis auf die Noah's gelebt hätten, und ihrer Tugenden wegen später

göttlicher Verehrung gewürdigt worden wären.

Seit Ein­

führung des Bilderdienstes wurden sie im Bilde, als Mann,

als Weib, als Löwe, als Roß und als Adler dargestellt.')

Die Bedeutung dieser Gestalten ist wohl nicht in einem an­

deren Sinne zu nehmen,

als in Beziehung auf den Men­

schen und dessen Adel nach der Vorstellung des Arabers.

So ständen dem Manne und dem Weibe der Löwe, Roß und der Adler als Sinnbilder der Tugenden,

nach der Ansicht des kriegslustigen,

das

worin

freien Sohnes der

Wüste der Adel des Menschen beruht hätte, zur Seite. Von einem lebendig-geistigen Verkehr irgend welcher Art mit einer Welt des Geistes wußte die Seele des Ara­

bers nichts, ausgenommen, daß er durch Träume Ver­

nehmungen zu empfangen glaubte und deshalb schon seit

den ältesten Zeiten der Traumdeuterei in hohem Maaße er­ geben war, auch dieselbe in einem gewissen Grade systema­ tisch, wie weit dies ihm eignen konnte, ausgebildet hatte.") Was aber ihre Vorstellung über -die Unsterblichkeit der Seele

betrifft, so bezweifelten dieselben die meisten Stamme, oder läugneten sie eigentlich gradezu, weil sie theils glaubten, daß

die Körper der Verstorbenen sich in Nachteulen verwandel­ ten, theils sich nicht überzeugen konnten, daß die in Staub

aufgelösten Gebeine der Menschen wieder belebt werden könn­

ten.")

Andere hingegen bekannten sich zu einem Glauben

an die Auferstehung.

Es ist jedoch wahrscheinlich, daß sie

diese Lehre, die sie denn nach ihrer Weise umgestalteten, erst von den Juden oder den mannichfaltigen christlichen Secten, deren mehrere in den ersten Jahrhunderten nach der Geburt

Christi Eingang in Arabien fanden, angenommen haben.

*) Notices et extraits des manuscr. de la biblioth. du roi. tom. 2. p. 130. 2) Pocock. 6. . S. 210.

414

Chaldäischer Gestirndienst.

der arabischen Wüste müssen schon seit den urältesten Zeiten einzelne Völkerschaaren verschiedenen Stammes, die aus dem Norden und aus dem Süden kamen, sich begegnet sein. Auf geschehene Durchdringung ursprünglich schon einseitig ausgebildeter Richtungen des geistigen Lebens beutet Alles im Völkerleben dieser Länder hin. Jene in einer so merk­ würdig eigenthümlichen Form geschehene Verbindung eines Geister« und Gestirn-Dienstes, worin der Charakter der mit einem allgemeinen Namen als chaldäisch zu bezeichnenden Religion beruht, trägt alle Spuren des Ursprungs aus einer Durchdringung schon geschieden entwickelter Gegensätze des geistigen Lebens an sich. Die Vorstellung von der Möglich­ keit, in Freiheit einen persönlich lebendigen Verkehr des Menschengeistcs mit den als geistig beseelt gedachten Ster­ nenwesen zu eröffnen, hätte sich wohl kaum in einem Be­ wußtsein erzeugen können, welches, wie das der Araber, äußerlich an die Natur verfallen war, und so den Dienst der Sternenmächte in dem Glauben an die in demselben be­ stimmte Nothwendigkeit des Geschickes erzeugte. Der Glaube an die in die Macht der Gestirne gelegte Nothwendigkeit des Geschicks aber hatte sich wohl kaum erzeugen können in einem Bewußtsein, welches, wie das der Völker des Nor­ dens, in dem Gefühle der Freiheit des menschlichen Geistes, mit den Geistern in einem steten Kampfe lebte. Erst nach­ dem beide Richtungen einseitig sich in einem gewissen Grade ausgebildet hatten im Gegensatze als Geisterglaube und Gestirndienst, mochten sie in ihrer Durchdringung jene Reli. gionsform zu erzeugen int Stande sein, die gleich merkwür­ dig ist durch die Sinnlosigkeit ihrer Grundausichten, wie durch den verständigen Zusammenhang, in welchem, nachdem die Grunbansichten einmal als wahr anerkannt worden wa­ ren, die Lehre und der Dienst ausgebildet worden sind. Auf jeden Fall spricht sich in dem Geiste des hier in Frage kommenden Religions-Dienstes eine gedoppelte Rich­ tung aus, die nach Einer Seite auf das Schamanenthum des Nordens, nach der anderen Seite auf den arabischen Gestirn-

Chaldiiischer Gestiradi'mst.

415

dienst des Südens hinweist. Dem entspri cht, was die Sage von Ninus berichtet, nach welcher er in der Gründung des assyrischen Reichs Völkerschaften des Nordens und beS Südens vereinigt habe. Durch die Sage über den Ninus und über die demsel­ ben zur Seite stehende Semiramis ist mythisch baS geschicht­ liche Moment bezeichnet, in welchem bas neu entstandene Volk, aus der Durchdringung der Gegensätze hervorgegan­ gen, sich bildete und jur geschichtlichen Entfaltung eines ei­ genthümlichen Dolksgeistes gedieh. Bei weitem spater scheint wieder ein neues Volk aufjutreten, an dessen Geschichte die höchste Entfaltung des hier in Frage kommenden ReligionsDienstes sich anschließt. Es ist dies bas Volk der Chaldäer, über dessen Ursprung und Herkunft bekanntlich mancherlei Vermuthungen ausgestellt worden sind.

Die am allgemeinsten geltende Meinung setzt mit Recht die Chaldäer von Babylon in eine ursprüngliche Verbindung und Verwandtschaft mit den Chaldäern, die als rin freies, kriegerisches Bergvolk Lenophon auf den armenischen, na­ mentlich karbuchischen Gebirgen fand, welches ohne Ackerbau, theils von Räuberei lebte, theils seinen Unterhalt fand in Kriegsdiensten der indischen und mebischen Könige. Diese Chaldäer werben als die Stammväter der Chaldäer am Euphrat angesehen, und die Gegend, wo Xrnophon jene traf, nämlich die Gebirge im Norde» von Assyrien jenseits des Tigris, als bas Vaterland derselben-') Diejenige Ansicht jedoch, die die Chaldäer, weil sie erst lange nach Ninus in der Geschichte mächtig auftreten, erst ungefähr um die Zeit der ersten Hälfte beS achten Jahrhunderts vor dem Anfänge unserer Zeitrechnung in der Gegend des Euphrats sich an­ siedeln lassen, ist keinesweges gehörig begründet. Jesaias nennt den Assur, brr in mythischer Bedeutung hier dem Ninus gleich zu setzen ist, als den, der den Staat der ') Gesenius Cvmmentar |u Jcsaia. Th. 1. S. 744. 746.

416

Chaldäischer Gestirndienst.

Chaldäer aufgerichtet habe,') und aus griechischen Quellen findet sich auch eine Sage, die den, der die Chaldäer ansässig gemacht und zu einem bürgerlich geordneten Leben angeführt habe, noch vor die Zeit des Ninus setzt, inbcn sie ihren Chalbäus genannten Heros zum Vater des Ninus macht.-) Der vierzehnte König von Ninus aber sollte, auch Chaldäus genannt, Babylon erbaut, und alle, die Chaldäer hie­ ßen, in diese Stadt versammelt haben. Dies Ulles führt die ältere Geschichte der Chaldäer zurück bis aus die Zeit des Ursprungs des assyrischen Reichs?) Schon den Bruder Abrahams, den Haran, läßt Moses in dessen Vaterlande zu Ur in Chalbäa sterben, und auch Philo läßt, wie Moses, den Abraham aus Chalbäa auswanbern. Sehr frühe schon also waren Schaaren des nördlichen Bergvolks der Chaldäer von den armenischen Gebirgen hinabgestiegen und hatten Wohnungen in Mesopotamim gesucht. Diese Züge mögen immerhin Jahrhunderte hindurch fortgedauert und die Zahl der Chaldäer im assyrischen Reiche ver­ mehrt haben, aber ohne Zweifel waren Schaaren dersel­ ben schon bei der Gründung des Reiches in dasselbe ausge­ nommen. Eben diese Schaaren sind es, an deren Herkunft aus dem Norden man die, dem Charakter des Lebens der mitternächtlichen Völker geeignete, geisterhafte Richtung des Bewußtseins, die sich mit der Sinnlichkeit der südlichen Ara­ ber durchdrang, im geschichtlichen Verhältnisse anzuknüpsen allerdings berechtigt ist. Außer als Volk treten in späteren Zeiten die Chaldäer in Babylon auch als eigene Pricsterkaste auf. Ob diese Priesterkaste in Babylon von uralten Zeiten her einheimisch gewesen, oder ob sie mit den Chaldäern eingewanbert sek, ist eine häufig aufgeworfene Streitfrage. Nach dem jedoch, was über die Chaldäer schon im Allgemeinen gesagt worben ') Jesaia 23,13. 2) Stephan. Byzant. v. Clialdaeus. 3) Diodor. L. 2. c. 24. Arrian. L. 7. c. 16.

Chaldäischer Grstirndienst.

417

ist, beantwortet sich dieselbe von selbst. Die in der auf den Geisterdienst sich beziehenden Wissenschaft und Kunst erfah­ renen Chaldäer bildeten sich im assyrischen Reiche als eigene Priesterkaste gleichzeitig aus mit dem eigentlichen Volksda­ sein der Assyrer. Diese Ausbildung der besonderen Eigen­ thümlichkeit der verschiedenen Stämme des assyrischen Reichs kann ohnehin nicht angesehen werden als eine plötzliche/ in der Zeit eines Menschenalters geschehene/ wie denn auch die Sagen von Ninus und Semiramis nur auf völkergeschicht­ liche Entwicklungszeiten zu deuten sind. Von den nördliche»/ den chaldäischen Völkern her/ rührte die Begeistigung des Religions-Dienstes/ und hierin war schon nothwendig der Grund gegeben/ daß grade die Chaldäer bei der Ausbildung des Religions-Dienstes sich in Allem/ was denselben be­ traf/ die Herrschaft anmaßen/ und auf diese Weise aus sich eine eigene Priesierkaste entwickeln oder derselben wenigstens ihren Namen verleihen mußten. Die Ansicht jedoch, nach welcher angenommen toirfc,1) daß bei dem Nomadenvolk der Chaldäer schon in dessen ursprünglicher, nördlicher Heimath eine Priesierkaste bestanden habe, hat keinen Halt in sich. In der Heimath war es nur Schamanenthum, womit höch­ stens ein Feuerdienst gewisser Art verbunden war, was den Chaldäern eignete. Erst in Babylon ward die Kunst der Chaldäer auf den Sterndienst übertragen und gedieh hier so zu ihrer wissenschaftlichen Ausbildung. Die Annahme übrigens, daß die chaldaische Priester­ kaste nur durchaus reines, chaldäisches Blut in sich bewahrt hätte, dürfte keineswegcs wahrscheinlich sein. Sie erhielt nur den Namen von dem von den Chaldäern herstammen­ den Geist. In dem Kampfe der Hervorbildung des assyri­ schen Volks müssen mannichfaltigere Elemente volksrhümlichen Lebens in die Priesterkaste eingedrungen sein. Das Hauptelement blieb aber das chaldäische, welches, am Euphrat i) Vcre,!. Gesenius Cvmuientar rum Jesaja. Th. 2. S. 330. Ritter's Erdkunde. Th. 2. S. 799 ff. 27

418

ChaldSischer Gesiirndienst.

angrsiedrlt, und in Babylon in seiner höheren Entwicklung

sich entfaltend, hier zum Mittelpunkte der geistige

Bildung

der Stämme des assyrisch-babylonischen Volks sich erhob.

Obgleich die nach Westen, der Küste des inittelländkschen Meeres zu, sich hinabsenkenben Lander Syriens, Phö­

niziens und Palästina's zu den Ländern des Euphrats und

Tigris in einem durch die Natur schon vorgezeichneten Ge­ gensatze stehen, der zugleich im völkergeschichtlichen Verhält­ nisse hervortritt,

so stimmt doch im Allgemeinen der Cha­

rakter des heidnischen Religionsdienstes, der in jenen Län­ dern galt, mit dem Charakter des Religionsdienstes dieser

Länder überein.

Im Allgemeinen herrschte hier wie dort

dieselbe Grundform der Durchdringung eines Geister- und Gestirn-Dienstes; und wenn auch die Priesterkaste der Chal­ däer nur eigentlich in Babylon herrschend waltete, so ist

dennoch mit Grund anzunehmen, daß auch die geschichtliche Ausbildung des syrischen und phönizischen an die geschicht­

liche Ausbildung des im engeren Sinne chaldäisch zu nennen­ den Religiondienstes sich angeschlossen habe.

Daß die Heiligthümer des phönizischen Götterbienstes mit denen Babylons in einer innigen Vereinigung gestanden haben müssen,

erhellt schon aus der Sage,

Sidon durch eine vom persischen Meerbusen,

nach welcher der bei den

Alten auch unter dem Namen des rothen Meeres verstan­

den warb, hergekommene Ansiedelung gegründet sein sollte. An diese Sage muß sich schon von alten Zeiten her eine im

Laufe der Jahrhunderte stets lebendig erhaltene Verbindung zwischen dem Götterdienste Phöniziens und dem Babyloniens angeknüpft haben.

Seit Salmanassar's Zeiten aber finden

sich bestimmtere historische

Spuren von der Verbreitung

assyrischer Ansiedlungen westlich in die Gegenden der Küste des mittelländischen Meeres.') Der Rrligionsdirnst war in den von Iran bis an die

•) Zweites Buch der Könige 17, 24 — 32. diis Syriis. Syntag. 2. c. 7.

Seiden. Synlagmat de

Chaldäischer Gesrirndienst.

419

Küste des mittelländischen Meeres sich erstreckenden Landern,

seinem Geiste,

„ach, überall

wesentlichen Grundzügen und Grundformen

derselbe.

theils nur in

Unterschiede traten

Rücksicht auf die Namen, die man den Göttern gab, hervor, theils in Rücksicht darauf, daß diese oder jene einzelne Stadt

der besonderen Macht und dem besonderen Schutze entweder der Sonne oder dieses oder jenes einzelnen Sterns Vorzugs»

weise vertraute, und daher vornehmlich den Dienst der be­

sonderen Macht,

pflegte.

begeben hatte,

in deren Schutz sie sich

In Assyrien hatte jede Landschaft und jede Stadt

ihre eigene Schutzgottheit,

der sie unter dem Namen Bel

Sidon und Tyrus, und die Städte,

besonders vertraute?)

in welchen der Molochs-Dienst blühte, hatten sich die Sonne als ihre besondere Schutzmacht erwählt?)

Sie war die

Gottheit, die dem heißeren, kampfbewegten Lagesleben der Phönizier Vorstand.

In Babylon

dagegen

waren

es die

milderen Beherrscher der stillen Nacht, die als Stadt-Gott­

heiten verehrt wurden:

der Planet Jupiter,

Stadtgott Bel oder Herr genannt ward,

Seite gestellte Mylitta.

man von ihr weiß, worden sein,

der hier als

und die ihm zur

Die Mylitta kann nach allem, was

nie als der Geist des Mondes verehrt

sondern muß unbedenklich auf den Planeten

Venus bezogen werden, und hieraus erhellt zugleich, daß der babylonische Bel nur

auf den Planeten Jupiter gedeutet

werden könne. Als an ihren hierarchischen Mittelpunkt scheint die ge» sammte geistige Bildung

aller syrisch-chaldäischen Völker­

stämme an Babylon ursprünglich geknüpft gewesen zu sein. Auch in Syrien ward die Scmiramis, die Tochter der Derfeto, göttlich verehrt?)

Die in Babylon angesiedelten Chal-

*) Gesenius Commcntar zum Jesaia. Th. 2. S. 347. Munter, Re­ ligion der Babylonier. S> 16. Vergl. Seiden, de diis Syriis. Syntagrn. 2 c. 1. p. 194. 2) Munter, Religion der Karthager. S. 8. 3) Seiden. Syntagm. 1. p. 275.

420

Chaldalfcher Gcstirndienst.

däer waren es, nach denen die ganze an den Sterndienst ge»

knüpfte Wissenschaft und Kunst ihren Name» tragt. Ihnen diente der Deins «Tempel zu Babylon zur Sternwarte, auf welcher sie fleißig der Betrachtung der Bewegungen der Ge­

stirne und der Erscheinungen am Himmel oblagen.

An die

durch sie zu Babylon geschehene Ausbildung der an ihren Religionsdienst enge sich

anschließenden Wissenschaft

und

Kunst ist überhaupt die reichere und geistigere Entwicklung,

die mannichfaltigere Entfaltung des religiösen Bewußtseins und der geistigen Bildung anzuknüpfen, wodurch die syrischchaldäischen Völker vor ihren südlichen und nördlichen Nach­

barn sich auszeichneten.

Durch die Chaldäer ist der Stern­

dienst, inwiefern in Beziehung auf Sterndeuterei,

bei der

Falschheit der ihr zu Grunde liegenden Ansichten überhaupt davon die Rebe sein kann, sinnvoller und verständiger aus­

gebildet, indem die Erscheinungen am Himmel, im Ganzen

zusammengefaßt, geordnet wurden, und dem Einzelnen zu­ gleich im Ganzen seine nähere Bestimmung gegeben ward.

Zugleich bildeten sie die über das Leben der Gestirne im Ganzen und im Einzelne» durchgcbilbete Ansicht auch in die

Kreise ihrer Vorstellungen ein über das gcsammte Leden der

Erde und dessen,

was sich hier bewegt.

Sie waren somit

wirklich in dem Besitze einer in ihren Ansichten sehr zusam­ menhängenden und mit sich selbst übereinstimmenden Lehre

über bas Leben der Natur, worin das Leben des Menschen wurzele und an das es geknüpft sei.

Der in dieser Lehre

gegebenen Wissenschaft fehlte indeß nur die Wahrheit in den

Grundansichten. Der Sonne, dem Monde und den durch ihren Wandel durch den Himmel vor den übrigen Gestirnen sich auszeichnenben Jrrsternen hatten sie gewisse wesentliche Kräfte geeig­

net, die das All durchwirken und im Leben des Ganzen je­

dem Einzelnen werklhätig die Bewegung gebe» sollten. Die­

ser Ansicht zufolge war die ganze Schöpfung in besondere Kreise getheilt, die man von einzelnen Sternmächten beherrscht und unter den wirkenden Einflüssen derselben stehend sich vorstellte.

Chaldäischer Ecstirndienff.

421

Die Wesenheiten der Sternmächte galten als die wirksamen Kräfte, die im Wasser und Feuer walteten, und in Allem, was auf der Erde, die selbst weiblich leidend die Fülle der Gewässer in sich trüge, leben und sich bewegen mochte. Jeder einzelne Kreis der Schöpfung, jede Gattung und Art von Geschöpfen, beseelten oder unbeseelten, mochten es Thiere sein, die in der Luft, im Wasser oder auf der Erde lebten, oder waren es Bäume, Früchte, Gräser, Holzarten, Steine oder Metalle, wären dem Glauben der Chaldäer nach, von Einer der hohen Sternmächte in der Art beherrscht worden, daß dieselbe in die Wesenheit des untergeordneten Gegenstandes die ihr we» fentlich einwohnende Kraft ergossen habe. Dieser Gegen­ stand war derselben deshalb geweiht und diente so als lebens­ kräftiges Werkzeug der Sternenmacht, deren Wesenheit dem­ selben einwohnen sollte. Derselbe galt, dem ihm einwoh«enden wesentlichen Wirkungs-Saamen nach, als stellver­ tretender Vermittler mit jener Sternmacht selbst.**) Das allgemein in den mannichfaltigsten Kreisen sich bewegende und in der mannichfaltigsten Gestalt sich offen­ barende Leben galt so, der Ansicht nach, als geknüpft an das Leben der Sonne, des Mondes und der fünf Wandel­ sterne. In Rücksicht auf den Urgrund des Lebens aber glaubten die Chaldäer, daß die Natur durch sich selbst be­ stehe, und daß Alles, was sich am Himmel ereigne, nach einer unabänderlichen Nothwendigkeit geschehe.?) Zwiegcschlechtig, nach dem durch die Nakurzeugung ge­ gebenen Vorbilde, ward die durch die Gestirne geschehene Zeugung des Lebens gedacht. Den Himmelskörpern war Geschlechtsvcrschiedenhcit beigelegt. Das Feuchte eignete der Weiblichkeit; aber^ das Trockene dem Männlichen.^) Der auf die Gewässer so mächtig einwirkende und eben deshalb Hy de. Hisloria religionis veternm Persarum. p. 128. Sext. Empirie, adv. Malhemat. 1621. p. 110« 2) Gesenius Commentar zum Jesaia. Th« 2, S« 352. Diodor. II. 30. *) Claud. Ptolem, De Jud. astrot. 1535. fol. 6.

Chaldäischer Gestimdienst.

422

mit dem Feuchten verwandte Mond wurde weiblich vorge-

stellt, wie gleichfalls auch der am Abend und Morgen den

Thau der Erde einhauchende,

der Liebe geweihte Stern.

Der Sonne aber und den übrigen Wandelsternen wurde mit Ausnahme des Planeten Merkur männliches Geschlecht bei­ gelegt, weil sie theils warm und trocken oder theils kalt

und trocken waren.

feder Rücksicht,

Dem Planeten Merkur war, wie in

so auch in Rücksicht auf das Geschlecht,

eine mittlere Stellung angewiesen, da seinem Wesen eine aus Feuchte und Trockenheit gemischte Natur beigelegt ward.')

Der Sonne eignete Wärme und Trockenheit, und an der von der Sonne wesentlich ausgehenden Wärme nahm durch sein Verhältniß zur Sonne der Mond Theil, wie an Feuchte

durch sein nahes Verhältniß zur Erde,

hauchungen er an sich zog.

deren feuchte Aus­

Am weitesten entfernt von der

Wärme der Sonne und der Feuchte der Erde stand der

Planet Saturn.

Deshalb galt derselbe als der am meisten

kalte Stern, dem zugleich die Dürre geeignet war. Gemäßigter Natur dagegen ward der Planet Jupiter

geachtet.

Denn er stand in der Mitte zwischen dem kalten

Saturn und

dem heißen Planet Mars.

In ihm wurde

auch nicht wie in dem der Sonne zu nahe stehenden Plane­ ten Mars durch Gluthwärme die Feuchte ausgebrannt. So

war er seinem Wesen nach dem Stern der Venus ver­

wandt, und seiner Natur nach warm und feucht.

Der Pla,

net Mars aber brannte, feiner Nähe zur Sonne wegen, in

Gluth und dörrte Alles aus. trocken.

Seine Natur war heiß und

Die gleichfalls der Sonne nahe wandelnde Venus

war freilich auch, heißer Natur.

ihres Verhältnisses zur Sonne wegen,

Durch ihr Helles Licht aber zog sie die feuch­

ten Aushauchungen der Erde an sich, wie der Mond, und ihrer Sonnenwärme verknüpfte sie so die Erdfeuchte.

Die

von der Sonne nicht sehr entfernte Bahn des Planeten Merkur eignete demselben zwar Trockene und Dürre zu; ) Claud. Ptolem. De Jud. astrol. 1535. kni. 6.

ChaldLIscher Gestirndieiist.

423

da er aber auch in der Nähe der der Erde nahen Bahn des Mondes wandelte, theilte er zugleich die Natur des Feuchten. Seine plötzlich geschehenden Einwirkungen rühr» ten her von dem schnellen Laufe seines die Sonne degleiten» den Wandels, in welchem er bald diesem Sterne vorüber» zog, bald jenem, und dann seine Wirkungskraft bestimmt ward durch die WesenSfüllc der Sternmacht, in deren Nähe er gekommen war. Da es sich, dem Glauben der Chaldäer nach, mit den Wirkungskräften der Sonne, des Mondes und der Wan» delsterne also verhielt, und vierfachen Wesens der Saame des Lebens geachtet ward, als nämlich warm und feucht, oder trocken und kalt: so war demgemäß auch in ihrer Ansicht die Herrschaft der himmlischen Mächte über baS Leben geordnet. Die Warme und Feuchte, als fruchtbar und lebenerregenb, Wachsthum und Blüthe fördernd, wur­ den heilbringend geachtet; Trockenheit und Kälte aber, worin Alles verdorrt und abstirbt, wurden als schädlich und ver­ derblich gefürchtet. Solchen Grundvorstellungen gemäß über bas, was gut oder böse sei, forschten die Chaldäer an den Erscheinungen des Himmels dem nach, was gute ober böse Geschicke ver» heißen mögen. Die Wandelsterne wurden als Dollmekscher bezeichnet, weil sie, während die anderen Gestirne undeweg» lich ständen und ihren regelmäßigen Lauf hätten, allein ihren besonderen Gang nähmen und dadurch das Zukünftige an* zeigten, als ob sie den Menschen den Willen des Geschicks verkündigten. Einiges, hielten die Chaldäer dafür, zeigten sie durch ihren Aufgang, anderes durch ihren Untergang, an­ deres durch ihre Farbe denen an, die genau darauf achte­ ten.») Auch kam neben der Jahreszeit die Gegend in Betracht, in welcher sie aufstiege», standen, oder wieder hinabstiegen.-) Dem Osten eignete die Dürre, dem Süden *) Diodor. IL 30. 2) Sextus Empirie, adv. nialhcm. 1621. p. 113. 115. ktolew. De jud. astrol. 1535. fol. 8. 9.

424

Chaldaischer Gestirndienst.

die Wärme, dem Westen die Feuchte und dem Norden die Kälte: dem Frühling die Feuchte, dem Sommer die Wärme, dem Herbste die Dürre und dem Winter die Kälte.')

Diese unmittelbar auf das Leben der Erbe zunächst sich beziehenden Verhältnisse mußten alle berücksichtigt wer» den. Andere Verhältnisse jedoch ergaben sich auch noch aus dem Bau des Himmels und dem Reichthum desselben an Eestirnwefen. Dieselben Wandelsterne hatten eine größere oder geringere Macht in ihren Einflüssen auf bas Leben der Erbe in dem Maaße, in welchem sie sich in ihrer Erhöhung oder Erniedrigung befanden, ober wie sie sich in ihrem Wan­ del dieser oder jener Sterngruppe zuneigten, in dem Bereiche der einen oder der anderen standen, und sic von diesen ober jenen Sternen als Gesellen umgeben waren?)

Diese Vorstellung hatte zu der Erfindung des in zwölf Theile getheilten, von eben so vielen Sterngruppen bezeichn neten und beherrschten Thierkreises geführt. Jeder dieser Theile war wieder nach einer durch die Natur der Sache an und für sich als richtig sich bewährenden Deutung des von Diodor mißverstandenen Berichts in dreißig Theile oder Grade getheilt,?) deren jedem ein Geist vorstand; zehn solcher Geister standen wieder unter einem höheren Anführer. Die Gegenden des nördliche» Himmels waren durch zwölf Sterngruppen bezeichnet, und durch zwölf andere die Gegen­ den des südlichen Himmels?)

Nach denselben Grunbvorstellungen, nach welchen den Wandelsternen ihre Wcsenekräfte beigelegt waren, wurde auch den anderen Eternmächten lebendige Wirksamkeit zu­ geschrieben.

*) Ptofem. 6. a. £)• fol. 9 9. 3) Sextus Empirie, a. 0. O. p. 115. •) Diodor. L. 2. c. 30. Sextus Empirie, a. a. 0. p. 111. Dupuis Origine de tous les eultes. lom. 1. p V. Diodor. L 31.

Chaldäischer Gestirndienst.

425

So hatten vor ankeren Völkern vorzugsweise öle Chas» Läer die Astrologie ausgebildet, indem sie, zwischen Himmli» schem und Irdischem eine verwandtschaftliche Wechselwirkung ahnend, Beides einander anzupassen suchten.') Das ge­ stammte Leben der Erde wurde nur als ein Abbild des ur« sprünglich am Himmel vorgezeichneten Lebens geachtet. Die an die Strrnmächte wesentlich gebundenen Urkräfte durch­ flossen alle Kreise dcS unter dem Monde sich bewegenden Lebens, und jeder einzelne dieser Kreise des irdischen Lebens war Einer jener Sternmächte gewidmet, deren Wesenheit sich darin abspiegeln sollte. Es war nur die Wesenskraft der Gestirne, was in den Metallen, den Steinen, Erdarten, in den Grasern, Blumen, Gesträuchen und Baumen, in dem Thiere, wie in dem Menschen wirkte und lebte. Die Gestalt des menschlichen Körpers selbst ward auf die Gestalt des Thierkreises bezogen, wie ein Abbild auf dessen Urbilds) Die Chaldäer suchten auf ihre Weise alle Erscheknungen nach der Vorstellung einer geregelten Gesetzmäßigkeit zu ordnen, und zogen auch das in den Kreis ihrer Betrach­ tungen hinein, was in regelloseren Formen sich zu bewegen scheint. Aus Erscheinungen von Kometen, aus Verfinsterun­ gen der Sonne und des Mondes, aus Erdbeben und Ge­ wittern, so wie überhaupt aus allen Arten von Luftrrscheinungen nahmen sie Vorherverkünbigungen?) So gewiß es indeß ist, baß die reicher ausgebildete Astrologie späterer Zeiten ihren Grunbvorstellungen nach in chaldäischen Reli'gionsansichten wurzele, eben so gewiß auch ist es, daß, in Rücksicht auf die Ausbildung einzelner Dor, stellungen, es nicht überall genau angegeben werden kann, was ursprünglich der Religionsansicht der Chaldäer von Babylon, ober was einer reicheren Entfaltung späterer Zei­ ten angehöre. iy Philo de migrat. Abraham. Oper. ed. Francofurt, p. 415. a) Sextus Empirie. (U a. 0« p. 113. a) Diodor. II. 30.

426

Chaldäischer Gesiirndienst. Von eigentlicher Sittlichkeit des menschlichen Seelrnle-

bens wußten die Chaldäer nichts.

Ihr Sinn und ihr Be­

wußtsein waren völlig verloren in die Richtung auf die Fülle, die Wohlbehaglichkeit und die Wollust des irdischen

Daseins.')

Ihrem Geiste genügte schon in Rücksicht auf

das Bewußtsein dessen, worin der Urgrund, die Wurzel des allgemeinen, wie des eigenen Lebens beruhe, die Vorstellung

von der Leben und Wollust schaffenden Wärme und Feuchte

und deren heilbringenden Einflüssen widerstrebenden Kälte und Dürre. Im Urbeginn des Lebens ruhend ward weiblich die

Omoroka oder Omorka gedacht, als die Urfeuchte, der die männliche Wesenskraft, in dieser Beziehung als Bel bezeich­

net, gegenüberstehcnd gedacht ward; Bel zertheilt die Omoroka und in ihr die Urgewässer,

die Scheidung erzeugend

zwischen Himmel und Erde, Licht und Finsterniß, Tag und Nacht. Hohl in der Gestalt eines halben Ey's wölbte sick­

unter dem Himmel die Erde in ihrer Feuchte, die Befruch­

tung zu empfangen von der Sonne in ihrer warmen männ­ lichen Kraft.

Diese jedoch brachte ohne die Feuchte in hei­

ßer Gluth bas Verderben;

den grimmsten Tod aber die

Kälte, Wärme zugleich und Feuchte bewältigend.

So war

int Leben der Kampf gegeben und in diesem die Zerstörung;

zugleich aber auch die Zeugung, indem die männliche Kraft

sich durch die Feuchte ergoß, ihrer selbst sich entäußernd, sie rings durchdringend.

Aus Bel's Blut ward Alles,

was

Leien hat, und was in des Lebens Mitte sieht, das Men­ schengeschlecht, erzeugt.

Dies sind die Grundvorstellungen,

die der in einer ziemlich verworrenen Gestalt auf uns ge­ kommenen chaldäischen Sage des Berosus über die Welt­

zeugung zu Grunde liegen.")

Die Wärme, in der Feuchte sich regend, galt als der

J) Philo dc migrat. Abraham, oper. ed. Francofurt. p. . S. 41. 3) Euseb. praeparat evangel. L. 1. c. 10. Sanchoniath. Bery:h. fragment de cosmogon. et thcol. Phoen. servaU ab Euseb. emend. Orellius. Ltpsiae. 1826. p. 6. 22.

•») Gcseniu- a. «. O- S. 345.

Phönizischer GestirnLicnft.

443

bienst zur Seite. Wenn auch im ägyptischen Reltglonsdienste dem Symbole der Schlange ursprünglich schon eine andere Deutung gegeben worden sein mag, so scheint es doch, daß sonst überall, wie in Indien, die Schlange zu einer religiösen Bedeutung in einer Religion der Furcht gelangt sei, indem sie in ursprünglicherer einfacherer Auffassung älterer Zeiten als das Symbol der an das Lebe» der Erde geknüpften, unteren, finsteren, gefürchteten Mächte gegolten habe. In späteren Zeiten ward behauptet, Taaut habe gelehrt, daß von allen kriechenden Thieren eben die Schlange reich sei an Kraft des Geistes, und daß die Natur dieses Gewürms feu» rig sei, woher es auch seine vor allen ausgejeichnete Schnelligkeit habe, ohne doch im Besitze von Füßen, Hän* den ober irgend einem anderen Hülfsmittel zum Laufen, zu dessen sich andere Thiere bedienten, zu sein. Außerdem »er« möge sich die Schlange in die mannichfaltigsten Windungen zu krümmen, und so die wunderlichsten Formen zu zeigen, auch nach Gefallen in zitternde Bewegung sich zu setzen. Merkwürdig noch sei die Länge ihrer Lebensdauer, und daß fie im Alter nicht altere, sondern jugendliche Kräfte behalte und in zunehmender Größe und Kraft immer wachse und gedeihe, bis sie nach einem gewissen Zeitraum von Jahren sich in sich selbst auflöfe.') Hiernach könnte wohl in dem Bilde der Schlange der im Werben und Vergehen in sich selbst bestehende, im Leben still waltende Weltgeist verehrt worben sein. DieserBegriff war der höchste, zu dem sich das in Naturver­ götterung versunkene Bewußtsein der Sterndiener, in Absicht auf die Vorstellung von der Gottheit erheben konnte. Von einem überweltlichen Gotte konnten sie sich keine Vorstellung machen, und von einem Jenseits des ewigen Wesens der Seele trugen sie nur bange Ahnungen in sich. Die reiche Pracht des Erbenlebens war es, in deren Genuß die Seele des heidnischen Bewohners der syrisch«chalbäischen Nieder*) Euscb. praeparaL cvangel. ed, Paris, p. 40.

444

Dienst des Thammuz.

lande ihr Heil und ihre Befriedigung suchte. Aber eben auch deshalb wurde diese Seele in ihrer Anhänglichkeit an die Freude und die Sinnenlusi des der Vergänglichkeit an­ heim gegebenen, und von dem Keime des Todes durchdrungenen irdischen Daseins schreckhaft bewegt von grauser Todesfurcht. Ein Schattenbild des wirklichen Lebens nur darstellend, bewegteil sich, dem Glauben der Chaldäer zufolge, ohne Bluts» wärme die Geister der Verstorbenen in dem unter der Erde bele­ gen gedachten Scheol.') Der Sinn des Gestirndiencrs Vorderasiens aber stand gerichtet auf die heitere Freude der Ober­ welt. Ans den Kampf,.der diesem Verhältnisse nach in sei­ ner Brust sich erzeugen mußte, ist nun unverkennbar der Mythos und der Dienst des Thammu; oder des Adonis zu deuten, dessen Leben, halb der Aphrodite, halb aber der Per­ sephone angehörend, im Wechsel zwischen der heitern Freude der Oberwelt und der stillen Trauer ter Unterwelt sich be­ wegte. Inwiefern nach der religiösen Ansicht der Völker der syrisch-chaldäischcn Niederlande alles Leben überhaupt sich regt und erwacht in Sonnenwärme, aber in der Kalte erstarrt und erstirbt, insofern kann immerhin auch eine sinn­ bildliche Vorstellung vom jährlichen Wcchsellauf der Sonne, durch den der Gegensatz von Sommer und Winter sich ergiebt, an den Adonisdienst geknüpft gewesen sein. Aber die eigentlich wesentliche Bedeutung des Adonisdienstes kann sich in ihrem tieferen Sinne auf nichts anderes bezogen haben, als auf den in Todesfurcht sich bewegenden Kampf der Seele, die schmerzhaft durchdrungen war von dem Gefühle der Vergänglichkeit alles Irdischen, ohne bei dem herzzerrei­ ßenden Schmerze dieses Gefühles einen anderen Trost zu finden, als benGcnuß des Lebens, solange derselbe dauern möge. Alles, was sich im Adonisdienst ausspricht, zeigt auf nichts Anderes hin, als auf die innigste Anhänglichkeit des Seelenlebens an der heiteren Freude und Sinncnlust des der Vergänglichkeit anhcimgegebencn und von dem Keime des Todes durchdrungenen irdischen Daseins. Adonis, der stets als Mensch, als Königssohn, nirgends als Gott bezeichnet wird, ist nichts anders als das Bild des Menschen, dessen Dasein sich im Kampfe zwischen Leben und Tod bewegt. *) Gcsenius«. a. O- Th. 1. E. 343. 476.

Wie tief der Schmer; über den Tod des Thammuz empfun­ den feilt müsse, erhellt aus einer von den späteren Zabiern entweder aufdehaltenen oder umgebildeten Sage, an die sic den von ihnen gepflegten Dienst desselben anknüpfte». Thammuz, heißt es, ein Prophet alter Zeit, sollte schimpf­ lich von einem alten Könige, den er zur Verehrung der Sonne, des Mondes und der fünf Wandelsterne, so wie der zwölf Zeichen des Thierkreises angeführt hatte, ermordet worben sein. Da aber wäre es geschehen, baß in derselben Nacht, in welcher der Mord vollzogen worben wäre, vom ganzen Erdkreise und von den entferntesten Grenzen desselben her, alle Bilder der Götter nach Babylon gekommen wären in den Tempel, in welchem bas große goldene Bild dec Sonne, zwischen Himmel und Erde schwebend, aufgerichtet war. Hier hätten, zum Kreise um dies große Bild herum geordnet, die Nacht hindurch die Götterbilder, sich unter einander erzählend, was mit dem Thammuz geschehen wäre, händeringend geklagt, getrauert und geweint. Beim Morgen­ grauen aber hätte jeder Gott wieder seine Heimath gesucht, znrückkehrend in den eigenen Tempel.') Sonach wären die Gestirne und alle Götter selbst vom Schmer; über die Lei­ ben des Thammuz ergriffen und durchdrungen gewesen. Was an Gefühl des inneren Seelenlebens im Dienste des Adonis oder des Thammuz, zu dem auch in heftiger Neigung die abgöttischen Israeliten sich hingezogen fühlten, sich ausspricht, steht in einem auch völkergeschichtlich höchst bedeutsamen Gegensatze zu dem, was in der Pflege des Jehovah-Dienstes, und in lebendiger Weise, besonders durch die Verkündigungen der heiligen Propheten, die wiederholentlich stets Hinwiesen auf das, was der Seele allein Noth thue, und worin sie ihr einziges Heil finden möge, unter den Juden dem Menschengeschlechte erhalten und bewahrt ward. Da wo die Theile der Veste der alten Welt und damit zugleich die Fermen des den einzelnen Theilen dersel­ ben geeigneten Völkerlebens in schärferer Sonderung sich spalten, trat einerseits in seiner furchtbaren Gestalt der Tob vor den Geist des Menschen, während andererseits zur Ueberwindung des Todes das ewige Heil aus der heili!) Maimonkl. fl. (|. £). p« 426. 2) Seiden, p. 339.

446

Jehovah-Dienst­

gen Geschichte der Israeliten erblühte. Es entwickelte sich hier geschichtlich im Dienste Jehova's und in dem des Baal in volksthümlicher Sonderung der Gegensatz des Lebens im Geiste und des Lebens im Fleische. Die Auseinanderspaltung dieses Gegensatzes im Leben der Chaldäer hatte angehoben im Zeitalter der Erzväter und sich vollendet während der Zeit des Aufenthalts der Israeliten in Aegypten. Die Stammesgenossen der von Abraham her aus Chalbäa stammenden Israeliten hatten, in Vermischung mit Völkerstämmen, deren Urheimath in Arabien zu suchen ist, sabäisch sich ausgebildet, und so hatte sich in den syrischchaldäischen Niederlanden ein volksthümliches Leben in jenem gemeinsamen Grundcharakter entwickelt, der die Völker dieser Länder eben sowohl durch höhere Begcistigung ihres Be­ wußtseins von den südlichen Arabern, wie durch Versunkensein in Sinnlichkeit von den nördlichen Völkern des Kaukasus unterscheidet, während die Söhne Jakobs und deren Nach­ kommen eine Zufluchtsstätte in Aegypten gefunden hatten, wo in dem scharfen Gegensatze ihrer reineren, patriarchalischen Religion zum ägyptischen Thierdienst die Erinnerung an den geistigen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs im Allgemei­ nen in ihrer Reinheit sich lebendiger erhalten konnte, wenn auch im Einzelnen die Israeliten in Aegypten in den frem­ den, sinnlichen Götterdienst verflochten wurden. So bewahr­ ten als Schutzgenossen unter den Aegyptern die Israeliten die reinere Erinnerung an den Gott ihrer Väter. Noth und Druck, wie sie ihn hier erleiden mußten, konnte der ursprüng­ lichen Richtung ihres Seelenlebeus auf das Ueberirdische hin nur eine noch höhere Spannkraft geben. Inwieweit man überhaupt dazu berechtigt ist, auf histo­ risch-philosophischem Wege die heilige Geschichte zu erläu­ tern, muß man behaupten, daß die Religion der Erzväter in einer, in liebevoller Erinnerung an die Ahnen, den Geistern der Vorfahren als Schutzmächten geleisteten Verehrung ur­ sprünglich wurzele. Die Vorstellung von diesen Geistern wurde zum Einheitsbegriffe geistiger Macht zusammengefaßt, und so bildete sich die Vorstellung von Jehovah. Spuren dieses Verhältnisses treten noch in der Verehrung der Theraphim, wie derselben in der heiligen Geschichte gedacht wird, hervor.

Theraphim.

447

Als magische Naturmächte, in welche bie Kräfte der Sterne ausgegossen gewesen wären, könmen, der ganzen Art und Weise nach, wie über bie Theraphim, im Verhältnisse zur Religion der Erzväter geredet wird, nicht verehrt wor­ den sein; vielmehr müssen sie nach der Vorstellung von dem glückbringenden Erbgolde gebeutet werden. Um an einem äußeren Zeichen die Erinnerung festzuhalten und das Ge­ dächtniß zu beleben, auch zum Zeichen des geschlossenen Bun­ des und der dabei geschehenen Verheißung, wurden, nach der unter den Erzvätern überhaupt allgemein geltenden Sitte, die auch Jakob beobachtete, als er die Stätte zu Bethel weihte, Steine geheiligt. Etwas anderes, als in dieser Art geweihte Steine können bie Theraphim nicht gewesen sein, die wohl größtenthrils mit dem Secgen des auf dem Tob­ bette liegenden sterbenden Vaters zum Zeichen des ertheilten Segens demjenigen überliefert worben sind, in dessen Hände die hausväterlich-herrschaftliche Gewalt niedergelegt wurde. So schloß fich zur Zeit der Patriarchen, in welcher die The­ raphim noch nicht als eigentliche Götterbilder gestaltet gewe­ sen fein können, an bie Verehrung derselben die Vorstellung von der unter dem Schutze geistiger Mächte gedeihenden Blüthe dieses ober jenes Stammes an. Die Vorstellung aber von diesen den Stämmen heilbringenden Mächten schloß fich nicht an die Betrachtung des Lebens der Gestirne ober der Natur überhaupt, sondern vielmehr an die Erinnerung an die Seelen der verstorbenen Vorfahren, die schützend über das Geschick der lebenden Geschlechter walteten. Jeder Stamm, jedes Geschlecht und jede Familie muß, wie eigene Vorfahren und eine eigene Geschichte, so auch eigene Thera­ phim gehabt hahen. Das Gemeinsame aber in ihrem Dienst und in ihrer Verehrung ergab sich aus der Vorstellung von der denselben zukommenden Schutzmacht. Der ganze Jehovah-Dienst geht in seinem Ursprünge eben auch von dieser Vorstellung aus. Denn brr Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, dem bie Israeliten den Jehovah-Dienst gründeten, war es gewesen, der dem Abraham als den Gott seines Stammes sich verkündigt und ihm die Verheißung gegeben hatte, daß er seinen Saamen zum gro­ ßen Volke machen, ihn segnen und demselben einen großen Namen geben wolle, auch in ihm alle Geschlechter der Erde

Schlußdctrachkung.

gesegnet sein sollten.') Der Gegensatz des aus der Religion der Erzvater erblühten Jehovah-Dienstes zum Gesiirnbienstc beruht darin, daß im Jehovah-Dienste die über bas Lebe» der Menschen in deren Geschichte waltende Macht im geistig­ ethischen Sinne aufgefaßt, im sabaischen Gestjrnbiensie aber nach einer Vorstellung gedeutet ward, die an den Glauben an eine in dem Laufe der Gestirne nach blindem Naturgesetze sich offenbarende Nothwendigkeit sich auschloß. Der Geist des Jehovah-Dieners war an ein sittliches Gesetz verwiesen; der Geist des Baals-Dieners aber war der Nothwendigkeit des Naturgesetzes verfallen. Doch wie in jenem Hochmuth und Trotz mannichfaltig sich regte, so auch in diesem. Merkwürdig ist die alte Sage, die in spa­ teren Zeiten auch auf den Dschemschib übertragen worden ist, von dem alten Könige, der, in der heiligen Schrift Ne-ukadnezar genannt, in seinem Hochmuthe, seinem Stolze und Trotze sich verstockte, und darum, von seinem Throne ver­ trieben, zu den Thieren des Feldes hinausgestoßen ward. Ein tantalisches Streben waltete in der Brust des heidnischen Semiten. Dies haben in dem kleinasiatische» Syrer die Griechen erkannt und in ihrem Mythos von Tantalus dar­ gestellt. Die Geschichte aber zeigt, wie in seinem Stolze und seinem Trotze der Semite Hannibal dem Geschicke unterlegen ist. An der Pforte, die aus dem Osten nach dem Westen hinüberführt, war der Mensch zu dem Bewußtsein seiner eigenen Kraft gekommen; aber es fehlte ihm das Maaß, und in seiner Erhebung über sich selbst verfiel er im Baalsbienste der Nothwendigkeit, während im Jehovah-Dienste das auf die Freiheit hinweisende Leben unter dem Gesetze sich entfal­ tete. Weiter westlich spaltete sich, an verschiedene Wclttheile des Südens und Nordens geknüpft, das Völkerleben in seine scharfer sich gcgenübergesiellten Gegensatze. Räch Afrika zu versank der Mensch äußerlich in die Gewalt ter Natur, ihrer Zerspaltcnhcit und Zerrissenheit nach, in völliger Willkühr einem thierischen Dasein hingegeben, da hingegen in Europa ein freies kräftiges Leben des Menschengeistes zunächst in dem Bewußtsein der Hellenen erwachte. -) Erstes Buch Mose. XII. 2. 3.

Berlin, gedruckt bei A. W. Hayn.

Nachtrag

rum

ersten Theile der allgemeinen Geschichte der Reli­ gionsformen der heidnischen Völker.

Rtligionszustand in Armenien zur Zeit der Herr­ schaft des Heidenthums daselbst.

Armenisches Heideothum.

In Armmien, jenem Lande, welches in Rücksicht auf das geographische Verhältniß als der Mittelpunkt des Dien­ stes der Amhit zu betrachten ist, gab man sich bald hellenisirender Bildung hin. Unmittelbar nach Alexander trat hier eine Zeit des Umschwunges und großer Verwirrungen ein, während welcher das Land bald von syrischen Statthaltern unter der Obhut der Seleukiden, bald von unabhängigen Partheihäuptern beherrscht ward.') Als um die Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christi Geburt Walarschak I., Bruder des Arsakes des Großen, von diesem zum Könige von Armenien bestellt, hier Stifter des Herrscher-Hauses der Arsakiden ward, hatten sich alle Verhältnisse aufgelöst und Alles war in Verwirrung gerathen. Geschichtliche Er­ innerungen hatten sich nicht erhalten; von Gesetzen und ge­ ordnetem Brauch für ein friedliches Zusammenleben wußte man nichts; in Rücksicht auf die Herstellung eines geordne­ ten Götter-Dienstes sah man sich ganz rathlos, indem man auch in dieser Beziehung keinen festen Boden in sicheren Ueberlieferungen aus der Vorzeit zu finden im Stande n>ar.a) Spuren eines älteren Feuer-Dienstes, der, entweder der Re­ ligion des Hom oder der des Zerduscht verwandt, in früheren Zeiten in Armenien bestanden hätte, werden nicht gefunden. *) Saint-Martin memoires eur l’Armenie. lom. 1. p. 286. Mos. Chor. I. 30. 2) Mos. Chor. I. 8.

29*

452

Armenisch«- Hekdenthnm.

In seiner Rathloflgkett wandte sich Walarschak an den Arsakes durch seinen Gesandten Maribas, der die Erlaubniß erhielt, in den Tempel-Archiven von Ninive nachzuspüren, und denn auch bald, nach früheren Beispielen, wie sie an­ derswo Berosus und Manetho gegeben hatten, Hülfe zu schaffen wußte. Er fand ein in griechischer Sprache abge­ faßtes Werk, welches auf Befehl Alexanders des Großen aus dem Chaldäischen früher übersetzt worden sein sollte, auf'), und man glaubte in diesem Buche den nöthigen Stoff, dessen man bedurfte, gefunden zu haben. Es wurden nun­ mehr, offenbar nach dem Vorbilde jener Religionsformen, die seit dem Sturze des persischen Reiches durch Alexander, in Vermischung griechischer, chaldäischer und iranischer Vor­ stellungen in Iran öffentlich und allgemein herrschend ge­ worden waren, zu Armawir ein Altar und der Sonne und dem Monde Bildsäulen errichtet; zugleich schritt man auch nach dem alt - scythischen Charakter der den Parthern eigen­ thümlichen Religion dazu, den Vorfabren der Herrscher Bild­ säulen zu errichten.») Bis in spätere Zeiten erhielt sich seitdem in Armenien die alt-scythische Sitte, nach welcher tei den zu Ehren der verstorbenen Könige angestellten Begrabnißfesten Diener und Krieger, Verwandte, Gemahlinnen und Kebsweiber in zahlreicher Menge freiwillig dem Ver­ storbenen in den Tod folgten.») Gegen den neu eingeführten Bilder-Dienst aber sträubte sich das alt-priesterliche Geschlecht Bagration von Armawir, aus welchem später Könige von Georgien hervorgegangen sind, und welches noch heut zu Tage zu den vornehmsten Fürstengeschlechtern des russischen Reiches gehört. Die Sage von dem jüdischen Ursprünge dieses Geschlechtes, als ob es entstammt wäre von einem Hebräer Sambath, den Nebukadnezar nach der Zerstörung von Jerusalem in Armenien ') Mos. Chor. I. 8. s) a. a. O. II. 7. Sergi Saint-Martin, tom. 1. p. 305. *) 6. a. O. II. 57. Sergi Ilerodot. IV. 71. 72.

Armenische- SeideathLM.

453

angesiedelt haben sollte1), kann ihren Ursprung und ihre Bedeutung nur in dem Verhältnisse gehabt haben, welchem nach es sich weigerte, den Bildern Verehrung zu leisten. Im Uebrigen mußte Moses von Chorcne diese Sage gern ergreifen, um in seinem Sinne seinen Freund Isaak Bagra­ tion 2) mehr zu ehren. Abgestammt sein kann aber das Ge­ schlecht nur von einem alten priesterlichen, dem die Obhut über das Heiligthum von Armawir obgelegen haben muß: hierin allein nämlich kann der Grund gelegen haben, durch -en Walarschak sich hat bewogen gesehen, demselben das Recht der Königskrönung erblich zuzugestehen.3)* 5Die Sitte der Königsweihe war in Armenien schon sehr alt, und ur­ sprünglich unter den Platanen zu Armawir vollzogen wor­ den.3) Hier muß es das Geschlecht Bagration gewesen sein, dem das Recht der Vollziehung zugestanden habe. Auch andere adelige Geschlechter, die von den Göttern herzustammen oder ihrem Blute nach dem älteren armenischen Königs­ geschlechte anzugehören sich rühmten, wie die der Wabunier und Arawemer, machten, als Walarschak das Reich ordnete, Ansprüche auf Ehren und priesterliche Würden, die ihnen auch zugestanden wurden. Wenn dem Geschlechte Bagration neben der Priesterwürde auch die höchste ritterliche Würde im Reiche ertheilt war oder ward, so kann dies in Bezie­ hung auf alterthümliche heidnische Verhältnisse nicht auffal­ len. Das Wesentliche und Bedeutende aber, was in der Geschichte dieses Geschlechtes hervortritt, ist dies, daß die Angehörigen desselben eine lange Zeit hindurch dem Bilder­ dienste sich entgegen stellten, und deshalb auch manche Ver­ folgung haben erdulden müssen.3) Sie müssen als Priester von Armawir dem alten Natur- und Baumdienst treu ge1) Mo». Chor. I. 21. *) $ergL Mos. Chor. I. prooetn.

3) ♦) 5) 6)

Mos. Mos. Mos. Mos.

Chor. Chor. Chor. Chor.

II. 7. I. 19. I. 30. II. 7. II. 7. 13.

454

Anomisch«» KeidtMhmo.

blieben sein, und nur daraus, daß sie wie die Sultan den Bilderdienst verabscheuten, kann die ohnehin nur schlecht be­ wahrte und von Anderen widersprochene») Sage von ihrem jüdischen Ursprünge entstanden sein. Die Nachricht, daß sie in früherm Zeiten den Sabbat geheiligt und die Sitte der Beschneidung beobachtet haben sollten*3),4 kann auch »nicht für bewährt gelten, da sie schon unter dem Sohne des Walarschak, Arsakes L, in Folge erlittener Verfolgungem davon abgelassen und nur in ihrem Abscheu gegm Bilderbimst aus­ geharrt hätten. Zm Uebrigen könnte man hier auch darauf verweisen, daß in älteren Zeiten die Sitte der Beschneidung unter dm Kolchiern üblich gewesen wäre.') Außer dem Geschlechte Bagration war das Geschlecht der Wahunier das bedeutendste, welches Ansprüche hatte auf die priesterliche Verwaltung des zu Aschtischat bestehen­ den Dienstes des vergötterten Ahnen desselben, des Wahagm, der in alten Liedern gepriesen ward als der aus der Feuerflamme entsprungene Held der alten Zeit und als Ueberwinder der Drachen.') Die Religionsform, die Walarschak in Armmien «in« geführt hatte, kam noch derjenigen am nächsten, die sich in Persien feit dem Sturze des Reichs durch Alexander vor­ zugsweise in Vermischung chaldäischer Religions- Vorstellun­ gen mit dm alten Lehren deS Feuer-Dienstes ausgebildet hatte, von dm Persern angenommen worden war, und un­ ter ihnen sich fortbildete. Der mächtige Ararnazd galt els Schöpfer Himmels und der Erde, und ward der Vater aller Götter genannt; er war wie Zeus Beschützer des Gastrechts und hieß Freund der Fremdm. In der Sonne auch ward er verehrt, so wie als Donnergott. Mihr, unter welchem persischen Ramm die Sonne gleichfalls verehrt ward, stand

*) 3) 3) 4)

Mos. Chor. I. 21. Dergl. 60. Mos. Chor. II. 8. HerodoU II. 104. Mos. Choren. I. 30. II. 7. 11. 13.

Armenisches Heidenthum. ihm als sein Sohn zur Seite.')

455

Noch anderer Götter wird

gedacht, und es scheinen als die vornehmsten sieben gezahlt Chosroes der Große erließ den Befehl, daß

worden zu ftin.

auf den sieben Altären der Götter ihren Bildsäulen Gelübde dargebracht werden sollten.

Außerdem erwies er den heili­

gen Stätten seines königlichen Stammes Verehrung durch

Darbringung von weißen Stieren und weißen Böcken, wei­ ßen Pferden und weißen Maulthieren, durch goldenen und

silbernen Schmuck und glänzende Franzen, durch Zierrathen von Seide, durch goldene Kronen und silberne Opferaltäre

und mit kostbaren Edelsteinen geschmückte Opfergefäße, durch

Gold und Silber zu glänzenden Kleidern.

Merkwürdig, weil

durch sie vielleicht eine Verwandtschaft mit den so dunkelen Mithras-Mysterien nachgewiesen werden könnte, ist die Nach­

richt, daß die Bildsäulen des Mihr sieben Oeffnungen oder Thore, wahrscheinlich allerdings nach den sieben Planeten­

kreisen gehabt hätten.

Geisterbeschwörung war den Arme­

niern nicht fremd.

Schon zur Zeit Walarschak's I. sollen zwei indische Prinzen, von ihrem Könige verrrieben, nach Armenien ge­ kommen sein, wo ihnen die Landschaft Taran überwiesen

worden wäre.

Diese erbauten dort an der Grenze von

Haschtianah eine Stadt, die sie Wischav nannten; dann ka­ men sie nach Aschtischat, wo sie ihre indischen Götterbilder aufstellten.

Nach fünfzehn Jahren wurden sie vom Könige

wegen eines Vergehens getödtet, ihre Besitzungen aber ihren drei Söhnen Kuaros, Meghti oder Melti und Hurren gege­ ben.

Alle drei erbauten Städte, die sie nach ihren Namen

benannten.

Sie errichteten auch auf dem Berge Kharkhe

zwei große furchtbare Götterbilder aus gegossenem Erz, de­ nen sie die Namen ihrer Väter, Demeter und Gisane, gege­

ben haben sollen; die Höhe dieser Bildsäulen war dreißig Ellen, die Breite zwei und eine halbe.

1) Sergi. Mos. Chor. I. 30. IL 50. 74. 83.

Es ist nicht ohne

Armenische- Seidenthmu.

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Grund vttmuthet worden, daß in dem Ramm Gisane oder Keisaney der Name Krischna verborgen läge. >) Der Dienst griechischer Götter drang schon zu Anfänge des ersten Jahrhunderts vor Christi Geburt unter der Re­ gierung des Enkels des Walarschak, Artasches I., in Arme­ nien ein. Dieser König ließ eherne Standbilder der Arte­ mis, des Herakles und des Apollon nach Armawir bringen und an diesem heiligm Orte aufstellen; das Priesterthum dieser neuen Gottheiten übertrug er dabei dem Geschlechte der Wahunier. Es entstand darauf blutiger Aufruhr im Heer, in welchem ArtascheS seinen Untergang fand, und der ohne allen Zweifel in Religions-Streitigkeiten seinen Grund hatte.') Es siegte jedoch der Hellenismus: zwar hatten die Priester, die mit noch mehreren Götterbildern, als des Zeus, der Artemis, der Pallas Athene, des HephqistoS und der Aphrodite unterdeß aus Griechenland herangekommen warm, Schutz suchen müssen innerhalb der Mauern der Feste Ani; doch als Tigranes, der Sohn des Artasches, der Zügel der Regierung sich wieder bemächtigt hatte, gewann die helleni­ sche Parthei durchaus die Oberhand. Gegen di, alten ein­ heimischen Priestergeschlechter Bagration und der Wahunier ward gewüthet, und den hellenischen Gottheiten in einzelnen Städten unter der Verwaltung griechischer Priesterschaften ihr Dienst gegründet. ®) Gegen das Ende des ersten Jahr­ hunderts vor dem Anfänge unserer Zeitrechnung ward «in Tempel des Herakles und des Dionysos erbaut. Seit die­ ser Zeit auch sing da« Studium der griechischen Literatur in Armenien sehr aufzuhlühen an.«) Doch auch syrischen Götterdimst begünstigte Tigranes, indem er das aus Elfen­ bein und Edrlgestein verfertigte und mit Silber ausge-

*) Aergl. Zeitschrift für die Kunde des Morgenland«-, herau-gegt-

ben von Ewald.

Göttingen 1837. Bd. 1. Hst. 2. S. 233. 253.

8) Mos» Chor. II. 11. 3) Müs. Chor. II. 13.