Allerhand Sprachdummheiten: Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen [Achte unveränderte Auflage, Reprint 2022] 9783112676608, 9783112676592


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German Pages 380 [384] Year 1920

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Table of contents :
Aus dem Vorwort des Verfassers zur dritten Auflage
Aus dem Vorwort des Verfassers zur dritten Auflage
Vorwort zur siebenten Auflage
Inhaltsverzeichnis
Zur Formenlehre
Zur Wortbildungslehre
Zur Satzlehre
Zum Wortschatz und zur Wortbedeutung
Alphabetisches Wortregister
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Allerhand Sprachdummheiten: Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen [Achte unveränderte Auflage, Reprint 2022]
 9783112676608, 9783112676592

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Allerhand Sprachdummheiten

Die erste Ausgabe dieses Buches ist 1891 erschienen, die zweite 1896, die dritte 1903, die vierte 1908, die fünfte 1911, die sechste 1912, die siebente 1917.

Allerhand

Sprachdummheiten Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen

Ein Hilfsbuch für alle die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen von Gustav Wustmann

Achte unveränderte Auflage

Berlin und Leipzig 1920 Vereinigung wissenschaftlicher Verleger

Walter de Gruyter & Co. vormals G. I. Göschen'sche Verlagshandlung — I. Guttentag, Verlags­ buchhandlung — Georg Reimer — Karl I. Trübner — Veit & Comp.

Aus dem Vorwort des Verfassers zur dritten Auflage Viele von denen, in deren Lände dieses Buch gekommen ist, haben es als Nachschlagebuch benutzt, als eine Art von „Duden" für Grammatik und Stilistik. Das ist ein Irrtum. Die „Sprachdummheiten" sind kein Sprachknecht, der auf jede grammatische oder stilistische Frage die gewünschte Antwort bereit hat, sondern ein Buch für denkende Leser, das im Zusammen­ hänge studiert und gehörig verarbeitet sein will. Wer Nutzen davon haben will, muß sich den Geist des Buches zu eigen machen. Gewiß ioll es auch der herrschenden Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit unsers Sprach­ gebrauchs steuern, aber vor allem soll es doch das Sprachgefühl schärfen und dadurch das Aufkommen neuer Fehler verhüten, und seine Hauptaufgabe ist eine ästhetische: es soll der immer ärger gewordnen Steifheit, Schwerfälligkeit und Schwülstigkeit unsrer Sprache entgegenarbeiten und ihr wieder zu einer gewissen Einfachheit und Natürlichkeit verhelfen, die, gleichweil entfernt von Gassensprache wie von Papier­ deutsch, die Freiheit einer feinern Umgangssprache mit der Gesetzmäßigkeit einer guten Schriftsprache vereinigt.

Alle Rechte vorbehalten

Druck von Gerhard Sralling, Oldenburg L O.

Aus dem Vorwort des Verfassers zur dritten Auflage Diele von denen, in deren Lände dieses Buch gekommen ist, haben eS als Nachschlagebuch benutzt, alS eine Art von „Duden" für Grammatik und Stilistik. Das ist ein Irrtum. Die „Sprachdummheiten" sind kein Sprachknecht, der auf jede grammatische oder stilistische Frage die gewünschte Antwort bereit hat, sondern ein Buch für denkende Leser, das im Zusammenhange studiert und gehörig verarbeitet sein will. Wer Nutzen davon haben will, muß sich den Geist des Buches zu eigen machen. Gewiß loö es auch der herrschenden Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit unsers Sprach­ gebrauchs steuern, aber vor allem soll es doch das Sprachgefühl scharfen und dadurch das Aufkommen neuer Fehler verhüten, und seine Lauptausgabe ist eine ästhetische: es soll der immer ärger gewordnen Steifheit, Schwerfälligkeit und Schwülstigkeit unsrer Sprache entgegenarbeiten und ihr wieder zu einer gewissen Einfachheit und Natürlichkeit verhelfen, die, gleichweit entfernt von Gassensprache wie von Papier­ deutsch, die Freiheit einer feinern Umgangssprache mit der Gesetzmäßigkeit einer guten Schriftsprache vereinigt.

Vorwort zur siebenten Auflage Die fünfte und sechste Auflage dieses Buch^S unterschieden sich im wesentlichen nicht von der vierteln. Bei der neuen Auflage ergab sich die Notwendigkeit einer Neubearbeitung. Lerr Professor Rudolf Must mann, der mit dver Arbeit betraute Sohn des Verfassers, starb vor dereen Vollendung am 15. August 1916. Anter diesen Anmständen folgte ich der Einladung des Verlags, dbie neue Auflage herauszugeben. Da das Buch ballld wieder auf dem Büchermärkte erscheinen sollte, fonntite ich es nicht von Grund aus umarbeiten, sondern iilm wesentlichen nur überarbeiten. Ich habe vor allerrm gekürzt, die Grundlinien jedoch zu erhalten getrachtet. Dankbar erwähne ich, daß mir Werke vovn Behaghel, Kluge und Paul in manchen Fällelen Auskunft gegeben haben.

München, Ende 1916.

Dr. Rudolf Blümelel.

Zur Formenlehre. Starke und schwache Deklination Ehemänner und Eheleute ... Frieden oder Friede? Namen oder Name? DeS Volkes oder des Volks, beut Volk oder dem Volke? DeS Rhein oder des Rheins? Franz' oder Franzend? Goethe'S ober Goethes? . . . Friedrich des Groben oder Friedrichs deS Großen? . . Kaiser Wilhelms................................ ..................................... Leopold- von Ranke oder Leopold von Rankes? .... Böte oder Boote? ......................................... Generäle oder Generale? .... Effekte — Effekten Die Stiefeln oder die Stiefel? ....................... Worte oder Wörter? Gehälter oder Gehalte DaS S der Mehrzahl Fünf Pfennig oder fünf Pfennige? Jeden Zwanges oder jedes Zwanges? Anderen, andren oder andern?.................................................. Don hohem geschichtlichen Werte uoer von hohem geschicht­ lichem Werte?............................................................................. Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen Stämme? . .................................................................... Ein schönes Äußeres oder ein schönes Nutzere? Großer Gelehrter oder großer Gelehrten? Der Berliner Werben.................................................................... DaS Deutsche und da- Deutsch Lieben Freunde oder liebe Freunde? Dir Deutsche oder wir Deutschen? Verein Leipziger Gastwirte — an Bord Sr. Mas. Schiff Steigerung der Adjettioa Gedenket unsrer oder unser? ..................................... Derer und deren Man emandem oder jemand? . in andres und etwa- andre.

B

Zahlwörter Starke und schwache Konjugation Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter ... Ubergeführt und überführt Ich bin gestanden oder ich habe gestanden? . Singen gehört oder singen hören Begänne oder begönne? Stande oder stünde? , .

Zur Wortbildungslehre. Bremener oder Bremer? .................. Hallenser und Weimaraner . ............................. Aer-ttn und Patin Hingebung und Hingabe ig, lich, sich. Adlig, vierwöchig, zugänglich. Goethe'sch oder Goethisch?....................................................... Schwerwiegender oder schwerer wiegend Größtmöglichst .................. Möglichst verheiratet .................. Das Binde-ö .............................. Ttmefaß oder Tintenfaß? .................. Apfelwein oder Apselwein? .......................... Zeichnenbuch oder Zeichenbuch? . .

Zur Satzlehre. Unterdrückung des Subjekts Die Ausstattung war eine glänzende Tine Menge war oder waren? ...................... Zwei Drittel wird erspart oder zwei Drittel werden ecjpw.rt? Die Anrede Sie .......................... Noch ein Plural im Prädikat. . DaS Passivum. Es wurde sich. . . Ist gebeten oder wird gebeten?. . . Mißbrauch deS Präteritums . . . . Worden . . . . Wurde geboren, war geboren, ist geboren .... Erzählung und Inhaltsangabe .... DaS erzählende Präsens . . Lempuöverirrung beim Infinitiv ................................ Relativsätze. Welcher, welche, welches DaS und was Wie, wo, worin, womit, wobei ... ............................... Wechsel zwischen der und welcher Welch letzterer und welcher letztere . . Äner der schwierigsten, der oder die? . Falsch fortgesetzte Relativsätze Relativsatz statt eines Hauptsatzes Nachdem — zumal — trotzdem — obzwar

Inhaltsverzeichnis.

Mißbrauch des Bedingungssatzes . Unterdrückung des Hilfszeitworts . .... Indikativ und Konjunktiv Der Konjunktiv in der abhängigen Rede. Die sogenannte consecutio temporum ...... Der unerkennbare Konjunktiv. ..... Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit ....... Bergleichungssätze. Als wenn, als ob... . . Würde ......................... Noch ein falsches würde . . Der Infinitiv. Zu und um zu Das Partizipium. Die stattgefundne Bersamurlung . . Das sich ereignete Unglück ................. Hocherfreut oder hoch erfreut? ......................................... Partizipium statt eines Neben- oder Hauptsatzes .... Falsch angeschloßnes Partizipium . . In Ergänzung Das Attribut Leipzigerstraße oder Leipziger Straße? ........ Auerbachs Keller oder Auerbachs-Keller ' ...... Fachliche Bildung oder Fachbildung? . . . Erstaufführung . , Silberhochzeit oder silberne Hochzeit? . . . Sedantag und Chinakrieg ..................... Shakespearedramen, Menzelbilder und Bismarckbeleidi­ gungen ....................................................................................... Schulze-Naumburg und Müller-Meiningen Der Antrag Dünger . . Die Familie Nachfolger .... Ersatz Deutschland ................. Der grobe Unfugparagraph . Die teilweise Erneuerung ......................................

Sette 97 98 102 107 108 109 111 113 114 116 117 120 124 125 126 127 129 132 132 137 138 142 144 145 147 151 153 156 157 158 159

162 Der tiefer Denkende, oer Tieferdenkende oder der tiefer 164 denkende?............................................................................... 167 Apposition und Prädikat......................... - . 168 Buchtitel . 169 Frl. Mimi Schulz, Tochter usw 169 n einer Zeit wie der unsrigen . . . . . 172 ad-Kissingen und Kaiser Wilhelm-Straße .... 173 Der Dichter-Komponist und der Doktor-Ingenieur . . . 175 Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der letztere 181 Derselbe, dieselbe, dasselbe ..................... 185 Darin, daraus, daran, darauf usw 187 Derjenige, diejenige, dasjenige ................. ................. 188 Jener, jene, jenes . . 190 Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich? 191 Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten? 1.92 Zur Steuerung des Notstandes Voller Menschen ............................. Zahlwörter. Erste Künstler . ..............................................193 Die Präpositionen. Schwetnsknochen mit Klöße . . . . 195

S

Seite Dank dieses Umstands .................................................... Nach meines Erachtens . 196 Sich an etwas halten................................ . , , . . . 196 Ungerechnet, unerwartet ........................................196 Nördlich, südlich, vorwärts ....................197 Im oder in dem? zum oder zu dem? ....... 197 Aus „Die Grenzboten" 201 Nach dort 203 Bis .................................................... 204 In 1870 204 Alle vier Wochen oder aller vier Wochen? 205 Donnerstag und Donnerstags — nachmittag und nach­ mittags 206 Anfangs April 207 Drei Monate — durch drei Monate — während dreier Monate ............................ 207 Am Donnerstag den 13. Februar ...... . . 208 Von zuhause 209 Bindewörter. Und 210 Als, wie, denn beim Vergleich 212 Die Verneinungen 214 Besondere Fehler. Der Schwund des Artikels... . 218 Natürliches und grammatisches Geschlecht 220 Mißhandelte Redensarten 221 Vertauschung des Hauptworts und des Fürworts — ein schwieriger Fall 227 Seine Kinder vertrieben den Grafen ... ... 229 Die fehlerhafte Zusammenziehung 229 Tautologie und Pleonasmus 233 Die Vtldervermengung ................................ 237 Vermengung zweier Konstruktionen ... . > . . . 239 Falsche Wortstellung ... 241 Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?........................ 243 Höhenkurort für Nervenschwache ersten Ranges 245 Die sogenannte Inversion nach und 246 Die Stellung der persönlichen Fürwörter 248 In fast allen oder fast in allen?................... 252 Zwei Präpositionen nebeneinander 253 Zur Interpunktion........................................ ; . 254 Fließender Stil 259

Zum Wortschatz und zur Wortbedeutung. Die Stoffnamen ......................... Verwechselte Wörter Der Dritte und der Andre Verwechslung von Präpositionen............................ . - • Hin und her........................................ - Ge, be, ver, ent, er .................................... . . . . . Neue Wörter............................

269 269 273 274 277 279 283

195

Seite

Modewörter........................................... ..... 287 Der Gesichtspunkt und der Standpunkt .................................. 313 Das Können und das Fühlen..................... .316 Das Sicheinleben.............................................................................318 Bedingen................................................................................. 318 Richtigstellen und klarlegen.................................. 321 Fort oder weg?.................................................................................323 Schwulst............................................................................. 324 Rücksichtnahme und Berzichtleistung......................... 327 Anders, andersartig und anders geartet................................. 3*28 Haben und besitzen.................................. ... 329 Aufblähung des Verbs.................................................................... 332 Vermittelst, mit Zuhilfenahme von ........................................... 334 Seitens.............................................................................................. 338 Bez. beziehungsweise vezw.. . 312 Provinzialismen.................................................................................345 Fremdwörter...................................................................... . 347

Alphabetisches Wortregister . . . -.....................

.

. 367

Zur Formenlehre.

Sprachdummheiten. 8. Aufl.

1

Starte und schwache Deklination. Bekanntlich gibt es — oder wir wollen doch lieber ehrlich sein und einfach sagen: es gibt im Deutschen eine starte und eine schwache Deklination. *) Zur starken De­ klination gehören Substantive aller drei Geschlechter, zur schwachen nur Substantive männlichen und weiblichen Ge­ schlechts. Unter der starken versteht man die, die mehr und mannigfaltigere Formen hat. Die Wörter weiblichen Geschlechts verändern in beiden Deklinationen ihre Form nur in der Mehrzahl. Erkenntlich ist die starke Deklination bei den Substantiven männlichen und sächlichen Geschlechts an dem Genitiv auf es oder s (Armes, Hauses, Vogels, M e f f e r s), in der Mehrzahl haben Nomina­ tiv, Genitiv und Akkusativ bei allen drei Geschlechtern die Endung e (Arme, Kräfte, Haare) oder sind endungslos (Vögel, Töchter, Messer); es gibt auch Substantive männlichen und sächlichen Geschlechts, die in diesem Kasus die Endung er haben (Geister, Häuser). Der Dativ der Mehrzahl endigt auf en, e, oder ern (Armen, Vögeln, Geistern). Enthält der Stamm ein a, o, u oder a u, so werden diese in der Mehrzahl vielfach, vor den Endungen e r und e r n immer, m ä, ö, ü, ä u verwandelt, was man den Umlaut nennt. Unter der schwachen Deklination versteht man die sormenärmere. Hier haben alle Kasus der Mehrzahl, bei den Sub­ stantiven männlichen und weiblichen Geschlechts auch alle Kasus der Einzahl (mit Ausnahme des Nominativs) die Endung n oder en (Hasen, Zungen, Menschen, Frauen.)**) Die schwache Deklination hat auch keinen Umlaut. *) Die Bezeichnungen starke und schwache Deklination sind von Jakob (Summ gebildet. *♦) Einige Wöiter, wie Auge, Bett u. a.. werden in "er Einzahl stark, in der Mehr^ah. schwach dekliniert. Diele faßt man al? gemischte Deklination zusammen.

4

Ehemänner und Ehrleute. — Frieden oder Friede?

Bei dem großen Reichtum unsrer Sprache an Haupt­ wörtern und der großen Mannigfaltigkeit, die innerhalb der beiden Deklinationen besteht, ist die Zahl der Falle, wo stch heute Unsicherheit zeigt, verhältnismäßig klein. Aber ganz fehlt es doch nicht daran. Mehr und mehr werden schwach zu deklinierende Maskulina im Akkusativ ihrer Endung beraubt: den Fürst, den Held, den Hirt. Es heißt aber: den Fürsten, den Helden usw. Ein Wort, mit dem viele nicht recht umzugehen wissen, ist der Gewerk e, d. i. ein Mitarbeiter in einer Werk­ gemeinschaft (Handwerker), besonders ein zu einer Innung gehörender Meister oder ein Teilnehmer an Einem gesell­ schaftlichen Geschäftsbetrieb (das alte gute deutsche Wort für das heutige Aktionär). Das Wort ist schwach zu flektieren, die Mehrzahl heißt die Gewerken (die Baugewerten). Daneben gibt es ein Wort auch sächlichen Geschlechts: das Gewerk (für Hand­ werk, Innung), und das ist stark zu flektieren; hier heißt die Mehrzahl die Gewerke. Diele gebrauchen aber jetzt fälschlich die starke Form, auch wo sie offenbar die einzelnen Personen, nicht die Handwerksinnungen meinen, z.B. heimische Künstler und Gewerke. Ehemänner und Eheleute. Z u M a n n gibt es die Mehrzahlformen: Männer, Mannen und L e u t e. Man sagt: die Bergleute, die H a u p t l e u t e, die S p i e l l e u t e, aber die W a h l männer, die Ehrenmänner, die Bieder­ männer, die Ehemänner; unter Eheleuten versteht man Mann und Frau zusammen.

Frieden oder Friede?

Namen oder Name?

Bei einer kleinen Anzahl von Hauptwörtern schwankt der Nominativ mehr oder weniger zwischen einer Form auf e und einer auf en; es sind das: Friede, Funke, Gedanke, Gefalle, Glaube, Haufe, Name, 5 a m e, S ch a d e und W i l l e. Diese Wörter bilden im Genitiv eine Mischform aus der starken und der schwachen

Deklination auf en» (des Namens), sonst gehen sie nach der schwachen. Schade(n): die Schaden. Da hat sich nun unter dem Einflüsse jener Mischform das e n aus dem Dattv und dem Akkusativ auch in den Nominativ gedrängt.*) Die altere Form auf e ist aber doch überall daneben noch lebendig und im Gebrauch (von Schade allerdings fast nur noch in der Redensart: es ist schad e). Der Gefalle (bei Lessing öfter) ist wenigstens in Sachsen und Thüringen noch ganz üblich: es geschieht mir ein großer Gefalle damit. Die Form auf e sollte immer vorgezogen werden: Friede sei mit euch.**) Des Volkes oder des Volks, dem Volk oder dem Volke? Ob in der starken Deklination die volle Genitivendung es oder das bloße Genitiv-s vorzuziehen sei, ob man lieber sagen solle: des Amtes, des Berufes, oder des Amts, des Berufs, darüber laßt sich keine all­ gemeine Regel aufstellen. Don manchen Wörtern ist nur die eine Bildung, von manchen nur die andre, von vielen sind beide Bildungen nebeneinander üblich; selbst in Zu­ sammensetzungen stehen altere Bildungen wie Landsmann und Landsknecht neben jüngeren wie Landesherr und Landesvater. Oft kommt es nur auf den Wohlklang des einzelnen Wortes und vor allem auf den Fluß der zusammenhängenden Rede an: die kurzen Formen können kräftig, aber auch gehackt, die langen voll, weich und geschmeidig, aber auch schleppend klingen, je nach der Umgebung. Ich würde z.B. schreiben die sicherste Stütze des Throns liegt in der Liebe und Dankbarkeit des Volkes, die täglich neu aus der Überzeugung ge­ boren werden muß, daß die berechtigten Interessen des Volks ihre beste Stütze im Throne finden. *) Auch der Nominativ Felsen neben FelS Ist auf diese Weise entstanden- das Wort gehört ursprünglich der starken Deklination an, daher ist gegen die Darm- und Akkusattvform Fels (iBom HelS zum Meer) nichts emzuwenben. Eirv^S anders verhält eS s-ch, wo die alte Form schon ganz auS dem Lprachbewußtsetn verdrängt ist, wie bei Kragen, Braten. Hopfen u. a., die im Mittelhochdeutschen noch brate, krayo usw. hießen.

6

Des Volkes oder deS Volks, dem Vo'k ober dem Volke?

Nun greift immer mehr die Neigung um sich (teil von Norddeutschland, teils von Süddeutschland aus), da Dativ - e ganz wegzuwerfen und zu sagen: in dem Buch aus dem Haus, nach dem Krieg, nach dem Tod, in Jahr, im Recht, im R e i ch, im Wald, auf den Berg, am Meer (statt Buche, Hause, Kriege Jahre, Rechte usw.). Ja, manche möchten das setz geradezu als Forderung aufstellen. Aber dadurch erhäl die Sprache, namentlich wenn das e bei einsilbigen Wörterr überall weggeworfen wird, leicht etwas zerhacktes. Eir einziges Dattv-e kann ost mitten unter klapprigen ein. silbigen Wörtern Fluß und Wohllaut herstellen. Man sollte es daher sorgfältig schonen, in der lebendigen Sprache wie beim Schreiben, und die Schule sollte sich bemühen, es zu erhallen. Wo das nächste Wort mit einem Vokal ansängt, also Vokal gegen Vokal klassen, ein sogenannter Hiatus entstehen würde, mag man das e zuweilen fallen lasten — zuweilen, denn auch da ist immer der Fluß der Rede zu berücksichtigen; eine Regel, daß der Hiatus über­ haupt zu meiden sei, soll damit nicht ausgesprochen werden. Fest ist das Dativ - e in formelhaften Wendungen wie: zustande kommen, im Wege stehen, zu gründe gehen, zu Kreuze kriechen, ebenso fehlt es immer in andern wie: mit Dank, von Jahr zu Jahr, von Ort zu Ort. Im Genitiv ist die Endung es immer notwendig, wenn das Wort auf s, ß, z, (x) ausgeht, also des G l a s e s, Flusses, Fußes, Kreuzes, (K n a x e s), des Busches klingt bester als des Buschs, des Gastes bester als des Gasts. Im Genitiv und Dativ ist schon seit mittelhochdeutscher Zeit die Form ohne e die einzige bei Wörtern, die aus unbetontes er, el, em, en ausgehen: Vater(s), Vogel (s), Atem (s), Wagen (s). Diese Wörter haben auch in der Mehrzahl kein Endungs-e. Bei den übrigen mehrsilbigen Wörtern ist die Sorin ohne e die übliche (abgesehen vom Genitiv von Wörtern, die auf einen Zischlaut ausgehen, wie s usw.), z. B. König (5), namentlich gilt de.s für solche mit Nebenton, wie Hauptmann, Ausdruck, Jüngling, Derhaltnrs, Eigentum; ebenso bei Wörtern mit irn-

betonter Vorsilbe wieD 2 rkehr, Befehl. Bei Fremd­ wörtern ist die Form mit e schleppend und ungewöhnlich, es heißt des Archivs, dem Archiv usw. Alle diese Wörter haben das Endungs-e in der Mehrzahl erhalten (soweit es vorkommt und nicht durch eine andere Endung ersetzt ist). Auch Eigennamen haben keinen Genitiv auf es, keinen Dativ auf e: Karls, Karl; (doch Gottes, aber Gott). Bei Stoffnamen heißt es nur: aus Gold, von Gold, doch aus reinem Golde und aus reinem Gold; daran schließen sich Fälle wie vor Zorn u.a. Die übrigen Wörter können sowohl die kürzeren als auch die längeren Formen bilden. Die längeren klingen gewählter. Des Rhein oder des Rheins?

Bei Berg- und Flußnamen, die den Artikel bei sich haben, muß man jetzt immer öfter Genitive lesen wie des Rhein, des Main, des Nil, des Brocken, des Petersberg, des Iura, des Vesuv, und ebenso ist es bei Länder- und Städtenamen, wenn sie durch den Zusatz eines Attributs den Artikel erhalten; auch da verbreitet sich immer mehr die Nachlässigkeit, zu schreiben: des modernen Wien, des alten Leipzig, des kaiserlichen Rom, des heutigen Deutschland, des damaligen Frankreich, des nordöstlichen Böhmen, sogar: Erster Vor­ steher des B ö r s e n v e r e i n, Generaldirektor des Norddeutschen Lloyd, des Motto usw. Personennamen mit Artikel bilden den Genitiv immer ohne s; des großen Friedrichs oder die Leiden des jungen Werthers (wie Goethe noch 1774 schrieb) ist heute nicht mehr richtig. Die Monatsnamen wurden früher alle zwölf dekliniert: des Aprils, des Oktobers (Klopstock: Sohn des Mais; Schlegel: Nimm vor des Märzen Idus dich in acht). Heute schreibt man fast allgemein: zu Anfang des Oktober. Es empfiehlt sich bei männlichen Eigennamen so zu scheiden: Stehen sie gewöhnlich mit Artikel, so bilde man den Genitiv mit dem Artikel des und mit Genitiv-s (des Rheins,

des Bodensees, des Brockens), werden sie ge­ wöhnlich ohne Artikel gebraucht, so bilde man den Genitiv endungslos mit Artikel, des Karl, des Müller*) oder mit Endung, aber ohne Artikel: Karls, Müllers. Franz' oder Franzens?

Goethe'» oder Goethes?

Großes Vergnügen macht es vielen Leuten, den Genitiv von Personennamen mit einem Apostroph zu ver­ sehen: Friedrich's, Müller's. Selbst große Ge­ lehrte waren in den Apostroph so verliebt, daß es ihnen ganz undenkbar erschien, Goethes ohne das hübsche Häkchen oben zu schreiben. ♦*) Nun aber vollends bei Personennamen aus s, ß, z und x — welche Anstrengungen werden da gemacht, einen Genitiv zu bilden! Die Anzahl solcher Namen ist ja ziemlich groß; man denke an Fuchs, Voß, Krebs, Car st en s, Görres, Strauß, Brockhaus, Hinrichs, Brahms, Begas, Dickens, Curtius, Mylius, Co rnelius, Berzelius, Rodbertus, Marx, Felix, Max, Franz, Fritz, Moritz, Götz, Uz, Schütz, Schwarz, Leibniz, Opitz, Rochlitz, Lorentz, Pohlenz, nicht zu reden von den griechischen, römischen, spanischen Namen, wie Sophokles, Tacitus, Oliv arez usw.; die Veranlassung ist also aus Schritt und Tritt gegeben. Bei den griechischen und römischen Namen pflegt man flch damit zu Helsen, daß man den Artikel vorsetzt: die Tragödien des Sophokles, die Germania des Tacitus; aber man würde es sofort als anstößig emp­ finden, wenn jemand schriebe: die Gedichte des Goethe. Der Artikel vor dem Personennamen ist ♦) In der Schriftsprache ist er vor Zunamen nötig, die weiblichen Personen angehören, falls das ohne den Artikel nicht zu erkennen wäre: die Ebner-Etchenbach, namentlich int Genmv: eine (5rzahlung bit Ebner-Esch-mbach (dagegen: Helene Böhtaus.) Mit Artikel stehr oer Zuname sonst in der Gerichtssprache (nur del Angeklag'en?) ♦♦) Der Apostroph sollte nur da angewandt werden, wo cr eine Verwechslung verbüten kann, z. B. zwischen dem Prüfens rauscht und üem Imperfektum rauscht' (Das Wnsser rauscht', daS Wasser fdjivoll), oder zwischen cct Einzahl Berg und der Mehrzahl Berg' (über Berg' und Täler).

süddeutsch oder österreichisch (in Stuttgart sagt man: der Uh land, in Wien: der Raimund), aber in die Schriftsprache gehört das nicht. Es ist nicht angenehm, von Zeichnungen des Carstens und Entwürfen des Cornelius lesen zu müssen oder gar, wie in der be­ schreibenden Darstellung der Bau- und Kunstdenkmäler Leipzigs, von einem Bildnis des Gottsched, einem Bildnis des Gellert. Manche sehen denn nun auch an solche Namen das Genitiv-s (gar noch mit dem Apostroph davor!), also: F u e s' s Verlag, Rus' s Kasfeehandlung, Harras's Grabstein in der Thomas­ kirche. Andre — und das ist das beliebteste und das, was in Grammatiken gelehrt, in den Druckereien befolgt und auch für die Schulen vorgeschrieben wird — meinen, einen Genitiv zu bilden, indem ste einen bloßen Apostroph hinter den vorangestellten Namen setzen, z. B. C e l t e s' Ausgabe der Roswitha, I u n i u s' Briefe, Kochs' Mikroskopierlampe (der Erfinder heißt wirklich Kochs!), U z' Gedichte, D o ß' Luise, Heinrich S ch ü tz' sämtliche Werte, Rochlitz' Briefwechsel mit Goethe oder gar hinter den nachgestellten Eigennamen: die Findung Moses', der Kanzler Moritz' (das soll heißen: der Kanzler des Her­ zogs Moritz), die berühmte Keherfchrift Servetus', auf Anregung G e r v i n u s', der Besuch König Alfons'. Selbst Namen, die auf f ch endigen, werden so behandeltzum siebzigsten Geburtstage Wilhelm Busch', ja selbst im Dativ schreibt man: Dr. Peters' als Vorsitzendem lag die Pflicht ob!

Kann denn im Deutschen ein Kasus gebildet werden, indem man ein Häkchen hinter das zu deklinierende Wort setzt, ein Häkchen, das doch nur auf dem Papiere steht, nur für das Auge da ist? Kann man denn den Apostroph hinter dem Worte hören? Spreche ihn doch einer! Soll man vielleicht den Mund eine Weile aufsperren, um ihn anzudeuten? oder sich einmal räuspern? Welcher Unter­ schied besteht denn für das Ohr zwischen Leibniz und L e i b n i z', zwischen dem Nominativ und dem angeblichen Genitiv. Man muß denn auch in den Korrekturabzügen und auf Bücherrücken so oft Titel lesen wie: Sophotle's Tragödien, Dicken's Romane, Brahm's Requiem,

10

Franz' ober Franzens? Goetbe'S ober GoetbeS?

Friedrich Perthe' s Leben und S i e v e r' s Phonetik. Bei deutschen Namen gebrauchen wir eine MiscysorM aus der schwachen und der starken Deklination auf e n s also: Fuchsens, Straußens, Schützens, Hansens, Franzens, Fritzens, Götzen s, Leibnizens (vgl. den Genitiv Herzens und Genitive von Mädchennamen, wie Luisens, Friederitens, Sophiens). Formen wie Fritzens find auch heute noch üblich, häufiger allerdings die Dative und Aktusative Hansen, Fritzen, Sophien, gibs Fritzen! — hast du Fritzen nicht gesehen? —, die jetzt freilich in der Sprachziererei der Vornehmen mehr und mehr durch die unflektierte Form verdrängt werden: hast du Fritz nicht gesehen? gibs Fritz!, und es ist nicht einzusehen, weshalb sie nicht auch heute noch papier­ fähig fein sollten. *) Verständige Schriftsteller gebrauchen denn auch die so flektierte Form allmählich wieder und schreiben wieder: Vossens Luise. Unmöglich erscheint dieser Ausweg natürlich bei Namen, die noch zu sehr daran erinnern, daß sie ursprüng­ lich Genitive waren, wie Carstens (eigentlich Carstens

♦) Diese schwache ober auv schwacher und starker g^mischie Deklination her Eigennamen war früher noch viel weiter vcr breitet. Nicki bloß Schwarz und Schütz wurden bellintert Schwärzens, Schwarzen, Schützens, Schützen, wes­ halb man ans den casns obliqui nie entnehmen kann, ob sich der Mann Schwarz cber Sckwar^e nannte; auch von Chr tu, Weck, tfrr.nl, Fritsch bildete mci" Christens, Christen, Weckens, Wecken, Frankens, Franken, Fritschens, Frttschen (Leipzig, bet Thomas Fritsaen). Daher findei man in antiquari chen Katalogen Christs Buch „Anzeige und Auslegung der Monogrammatum" meist unter dem falschen Namen Christen, W'cks Beschreibung von Dreöden meist unter dem falschen Namen Wecken ausgesuhrt,- auf den Titelblättern sieht wir.lich: von Christen, von Wecken. Die berühmte Leipziger Geleorteniamtlie der Mencke, aus der BtSmmcks Mutter abstammte, war durch itire casus obliqui so irre geworden, daß sie schließlich selber nicht mehr wußte, wie sie hieß/ deutsch schrieben ne sich Mencke, aber latlr istert Menckenius. Aber auch bet solchen G«.nitiven aus enS rieffete der Ap stroph oft Unheil an. An LtieglitzenS Hof am Markt in Leipzig steh: über dem Eingang in goldener Lchrift: Stieqlitzen'ö Hof — als..ob der Erbauer Stieglitzen geheißen b-itte Unb welche Überraschung, wenn linrin der Buchbinder auf einen schonen Halbfranzband gedruckt hat: aw? Sachsen's Dichtungen.

Sohn), Hinrichs. Phidiassens Zeus klingt nicht ffchön, auch nicht Sophoklessens Antigone, obwohl Auch solche Formen zu Goethes und Schillers Zeit un­ bedenklich gewagt worden find; sprach man doch daynals auch, da man den Familiennamen der Frau auf i n bildete, von der Möbiussin. Das beste ist wohl, solchen Formen aus dem Wege zu gehen, was sehr leicht möglich üft, ohne daß jemand eine Verlegenheit, einen Zwang Merkt. Man kann durch Umgestaltung des Satzes den Ramen leicht in einen andern Kasus bringen, statt des Genitivs sein setzen, desDichters, desKünstlers dafür einsetzen usw. Aber nur nicht immer: die Zeich­ nungen des Carstens! Und noch weniger Doß's Luise oder gar das Grab Brahms'. In dieselbe Belegenheit wie bei den Eigennamen auf U s gerät man übrigens auch bei gewissen fremden Apellatioen. Not machen uns besonders die vielen I s m u s s e. Die Komödie erlognen Patriotismus', wie jetzt gedruckt wird, oder: im Lichte berechtigten Lokal­ patriotismus' oder: ein unglaubliches Beispiel preußischen Partikularismus' oder ein Ausfluß erstarkten Individualismus' — das find nun ein­ mal keine Genitive, ttotz des Häkchens. Man muß zu der Präposition von greifen: von preußischem Parti­ kularismus, oder den unbestimmten Artikel zu Hilfe nehmen und sagen: eines erlognen Patriotismus. Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen? Daß von Friedrich der Genitiv Friedrichs heißt, das weiß man allenfalls noch. Aber man frage ein­ mal nach dem Genitiv von Friedrich der Große; die Hälfte aller Gefragten wird ihn Friedrich des Großen bilden. Fortwährend begegnet man jetzt |o abscheulichen Genitiven wie: Heinrich des Er­ lauchten, Albrecht des Beherzten, Georg des Bärtigen. Es gibt Leute, die alles Ernstes glauben, solche Verbindungen seien eine Art von Formeln, die nur am Ende dekliniert zu werden brauchten! Auch wenn die Apposition eine Ordinalzahl ist — der häufigste

Fall —, wird kaum noch anders geschrieben als: die Ur­ kunden Otto IN., die Gegenreformation Rudolf IL, die Gemahlin Heinrich VHL, die Regierungszeit Ludwig XIV. Wenn man das aussprechen will, so kann man doch gar nicht anders sagen als: Otto der dritte, Rudolf der zweite, Heinrich der achte. Denn wie kann der Schreibende erwarten, daß man die Zahl im Genitiv lese, wenn der Name, zu dem sie gehört, im Nominativ steht?*)**) Kaiser Wilhelms. Wie dekliniert man nun, wenn der Titel dazutritt: Herzog Ernst der Fromme, Kaiser Fried­ rich der Dritte? Steht vor dem Eigennamen ein Titel wie Kaiser, König, Herzog, Prinz, Graf, Papst, Bischof, Bürgermeister, Stadtrat, Major, Professor, Doktor, Direktor usw., so ist es das üblichste, nur den Eigennamen zu deklinieren, den Titel aber ohne Artikel und undekliniert zu lassen, also Kaiser Wilhelms, Pap st Urbans, Doktor Fau st s Höllenfahrt, Bürgermeister Müllers Haus. Der Titel verwachst für das Sprachgefühl so mit dem Namen, dah beide wie eins erscheinen. *♦) Im achtzehnten Jahrhundert sagte man sogar: Herr Müllers, Herr Müllern, nicht: Herrn Müllers, Herrn Müller. Oder *) Wie lange soll übrigens noch in der deutschen Schrift der Zopf der römischen Ziffern weiteraesckleppt werden? Warum druckt man nicht Heinrichs 8., Ludwigs 14.? Auch tn andern Fällen werden die römischen Ziffern ganz unnötiger» weise verwandt? Warum nicht daS 12. Armeekorps, warum immer daS XII. Armeekorps? Fast alle unsre Historiker scheinen zu glauben, eS klinge gelehrter, wenn sie schreiben: im XVIII. Jahrhundert. Ergentlich sollte man im Druck flöe. < Haupt Ziffern nur für daS Datum und für rechnungsmäßige, z. B. statistische, finanzielle, astronomische Angaben verwenden, also nicht drucken: unser Leben währet 70 Jahre. Vornehme Druckereien haben sich auch früher so etwas nie erlaubt. Von den Zifferblättern unsrer Uhren verschwinden erfreulicherweise die römischen Ziffern immer mehr. **) Daher schreibt man auch auf Büchertiteln: Von Pfarrer Hansjakob, von Prof. A. Schneider (statt von dem Profeffor), wo bloß der Titel gemeint ist.

man faßt das Hauptwort vor dem Eigennamen als Be­ zeichnung des Amtes, Berufs usw. der Person, dann er­ halt das voranstehende Hauptwort den Artikel und wird dekliniert: dagegen bleibt der Name undekliniert: des Kaisers Wilhelm, des Herzogs Albrecht, ein Bild des Ritters Georg. Freilich geht die Neigung vielfach dahin, auch hier den Titel undekliniert zu lassen, z.B. des Doktor Müller, des Pro­ fessor Albrecht. Daher kann es nur heißen: die Truppen Kaiser Heinrichs des Vierten, das Denkmal König Friedrichs des Ersten, eine Urkunde Mark­ graf Ottos des Reichen, die Dulle Papst Leos des Zehnten. Leopolds von Rauke oder Leopold vo» Rankes?

Verlegenheit bereitet vielen auch die Deklination adliger Namen oder solcher Namen, die adligen nachgebildet stnd. Soll man sagen: die Dichtungen Wolframs von Eschenbach oder Wolfram von Eschen­ bachs? Richtig ist nur das erste, denn Eschenbach ist, wie alle echten Adelsnamen, ein Ortsname, der die Her­ kunft bezeichnet; den kann man doch hier nicht in den Genitiv setzen wollen.*) 60 mutz es denn auch heißen: die Heimat Walthers von der Dogelweide, die Burg Götzens von Derlichingen, die Ge­ dichte Hoffmanns von Fallersleben, auch die Werte Leonardos da Vinci, die Schriften Abrahams a Santa Clara. Wie steht es aber mit den Namen, die nicht jeder­ mann sofort als Ortsnamen empfindet, wie Hutten? Wer kann alle deutschen Ortsnamen kennen? Soll man sagen Ulrichs von Hutten oder Ulrich von Huttens deutsche Schriften? Und nun vollends die zahllosen unechten Adelsnamen, über die sich schon Jakob *) Obwohl sich schon im fünfzehnten Jahrhundert in Ur­ kunden findet: daS HauS, daS Peter von DubinS (PeterS von Düben) oder das Nickel von PirneS (Nickels von Pirne) gewest, alS daS Gefühl für den Ortsnamen noch viel lebendiger war als bei unsern heutigen AdelSnamen.

Grimm lustig gemacht hat: diese von Richter und von Schulz, von Schmidt und von Weber, von Dar und von Wolf, wie stehts mit denen? Soll man sagen: Heinrichs von Weber Lehrbuch der Physik, LeopoldsvonRante Weltgeschichte?♦) Es bleibt nichts weiter übrig, als zu sagen: Leopold von Rankes sämtliche Werke. Und so verfährt man ost auch bei echten Adelsnamen, selbst wenn man weiß, oder wenn kein Zweifel ist, daß sie eigentlich Ortsnamen sind. Es ist das ein Notbehelf, aber schließlich erscheint er doch von zwei Übeln als das kleinere. Böte oder Boote? Bei einer Anzahl von Hauptwörtern wird die Mehr­ zahl jetzt oft mit dem Umlaut gebildet, der ihnen ursprüng­ lich nicht zukam. Solche Mehrzahlformen sind: Ärme, Böte, Bröte, Röhre, Tage, Böden, Bögen, Kästen, Krägen, Magen, Wägen, Läger. Bei den Wörtern auf en und er wird dadurch allerdings ein Unterschied zwischen der Einzahl und der Mehrzahl geschaffen, der namentlich in Süddeutschland üblich geworden ist.*) **) Dennoch ist in der Schriftsprache bei einer Reihe solcher Wörter nur die Form ohne Um­ laut richtig: die Arme, die Lager, die Rohre usw. Herzog ist bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein schwach dekliniert worden: des Herzogen, dem Her­ zogen, die H e r z o g e n. Dann sprang es aber in die *) Im achtzehnten Jahrhundert war das Gefühl für die eigentliche Bedeutung der adligen Namen noch lebendig/ da adelte man einen Peter Hohmann nicht -um Peter von Hohmann, sondern zum Peter von Hohenthal, einen Maximilian Speck nicht -um Maximilian von Speck, sondern zum Maximilian Speck von Sternburg, indem man einen (wirklichen oder erdichteten) OrtSnamen zum Fa­ miliennamen setzte,' in Österreich verfährt man zum Teil noch heute so. Da aber nun einmal die unechten Adelsnamen vor­ handen sind, wie soll man sich helfen? **) Die Nägel, die Gärten u. a. sind sreilich schon längst durchged ungen, ebenso die Bäume, die Böcke und noch manche andere Sprachsormen mit Umlaut.

starke Deklination über (des Herzogs), und nun blieben auch die Herzöge nicht aus.*) Generale oder Generale? Don den Fremdwörtern sind viele in den Umlaut hineingezogen worden, obwohl er ihnen als solchen auch nicht zukommt; nicht bloß Lehnwörter, deren fremde Her­ kunft man zum Teil nicht mehr fühlt, wie Pläne, Bässe, Chöre Bischöfe, Paläste, sondern auch Wörter, die man noch lebhaft als Fremdwörter empfindet, wie Altäre, Tenöre, Kanäle, Choräle.* Don andern wird die Mehrzahl noch ohne Umlaut ge­ bildet, wie Admirale, Prinzipale, Journale. Die Form Generäle mit Umlaut klingt deuijcher als Generale ohne Umlaut. Effekte — Effekten.

Auch zwischen der starken und der schwachen Deklina­ tion hat die Pluralbildung der Fremdwörter vielfach ge­ schwankt und schwankt zum Teil noch jetzt. 2m achtzehnten Jahrhundert sagte man Katalogen, Schleiermacher schrieb noch Monologen; jetzt heißt es Kataloge, Monologe. Dagegen sagen die meisten jetzt Auto­ graphen und Paragraphen; Autographe und Paragraphe klingt gesucht. Effekte und Effekten werden wieder dem Sinne nach unterschieden: Effekte smd Wirkungen, Effekten Wertpapiere oder Habseligkeiten. Die Stiefeln oder dle Stiesel?

Don den Hauptwörtern auf el und er gehören fast alle Feminina der schwachen Deklination an; daher *) Zu beachten ist der Unterschied Abdrucke (in bei vuchdruckerei, die abgedruckt werden — Abdrücke in Gipö (bic abgedrückt werden) usw.

♦♦) Hospitäler muh den Umlaut haben, weil ihn alle Wörter mit der Endung er in der Mehrzahl cmnehmen, die ihn annebmen können.

bilden sie den Plural: N a d e l n, W i n d e l u, K a ch e l n, Kurbeln, Klingeln, Fackeln, Wurzeln, Mandeln, Eicheln, Nesseln, Regeln, Bibeln, Wimpern, Adern, Nattern, Leitern, Klaftern, Scheuern, Mauern, Kammern; fast alle Maskulina und Neutra aus et und er dagegen gehören zur starken Deklination, wie Schlüssel, Mantel, Wimpel, Zweifel, Spiegel, Kessel, Achtel, Siegel, Kabel, Eber, Zeiger, Winter, Laster, Ufer, Klöster.*) Die Regel laßt sich sehr hübsch bei Tische lernen: man vergegenwärtige sich nur die richtigen Plurale von S ch ü s s e l und T e t l e r, M e s s e r, Gabel und Löffel, Semmel, Kartoffel und Zwiebel, Au st er, Hummer und Flunder. Sie gilt, wie die Beispiele zeigen, ebenso für ursprünglich deutsche wie für Lehnwörter. Also sind Plurale wie Buckeln, Möbeln, Stiefeln, Schlüsseln, Titeln, Ziegeln, Aposteln, Hummern falsch. Ein Fehler ist auch: die Trümmern (in Krümmern schlagen); die Einzahl heißt: der oder das Trumm (in der Bergmannsprache und in oberdeutschen Mundarten noch heute gebräuchlich, daneben kommt auch eine Einzelform die Trümmer vor), die Mehrzahl lautet: die Trümmer. Die Schiffe haben Steuer (das Steuer), der Staat erhebt Steuern (die Steuer). In der Geschäftssprache machen sich jetzt aber noch andre falsche schwache Plurale breit. In Geschäfts­ anzeigen mutz man lesen: Muffen, Korken (auch Korken zieher, Korken febril), Stutzen (Feder­ st utze n), auch Korsetten und Jaquette n. Muff, Kork, Stutz gehören in gutem Schriftdeutsch zur starken Deklination: der Muss, des Muffs, die Müffe, der Kork, des Korks, die Korke.

*) Ausgenommen find Mutter und Tochter, die zur starken, Muskel, Stachel, Pantoffel, Bauer, Better und Gevatter, die zur gemischten Deklination gehören. In der Sprache der Technik aber, wo Mutier mehrfach in über­ tragnem Sinne gebraucht wird, bildet man unbedenklich die Muttern (die Schraubenmuttern).

Worte obre Wörter? Gehälter oder G. halte?

Worte oder Worler?

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Gehälter oder Gehalte?

Die meisten reden von Fremdwörtern, manche aber auch von F r e m d w o r t e n. Pluralendung er kam ursprünglich sächlichen Geschlechts zu: L a m m, K Ei, Reis; sie ist aus immer mehr

Was ist richtig? Die nur einigen Wörtern a l b, R i n d, H u h n, Wörter sächlichen und

auch auf solche männlichen Geschlechts übertragen worden. Bei manchen Wörtern hat sich nun neben der jüngern Pluralform aus er auch noch die ältere erhalten. Dann

erscheint die ältere Form jetzt gewöhnlich als die edlere, z. T. ist ste aus die Ausdrucksweise des Dichters oder des Redners beschränkt.*) Man denke an Denkmale und Denkmäler, Gewände und Gewänder, Lande und Länder, Tale und Täler (Es geht durch alle Lande ein Engel still umher — Die Tale

dampfen, die Höhen glühn u. ähnl.). Bei einigen Wörtern hat sich zwischen der ältern und der jüngern Form ein Be­ deutungsunterschied gebildet. So unterscheidet man Bande (des Bluts, der Verwandtschaft, der Freund­ schaft) und Bänder (am Kleid). Bande sind gleich­ sam ein ganzes Netz von Fesseln, Bänder sind ein­ zelne Stücke. Gesichte und G e s i ch t e r: Gesichte sind Erscheinungen (im Faust: die Fülle der Gesichte). Bisweilen kommt auch noch ein Geschlechtsunterschied da-

zu: Schilde (der Schild) gehören zur Rüstung; Schilder (das Schild) sind an den Kaufmanns­ läden. Neben den Banden und den Bändern stehen noch die Bände (der Roman hat drei Bände). So kam auch neben der Mehrzahl die Wort oder die Worte die Form aus er auf: die Wörter. In der Bedeutung wurde anfangs kein Unterschied gemacht.

Im achtzehnten Jahrhundert aber begann man unter Wörter bloße Teile der Sprache wie Tisch, klein,

zehn, vor, unter Worten Teile der zusammen­ hängenden Rede zu verstehen.**) Man sprach also nun

*) Vereinzelt ist auch in Fachkreisen die alte Form lebendig geblieben. Der Leipziger Zimmermann sagt noch heute: die Bret, die Fach, nicht die Bretter, die Fächer. **) Doch bedeutete auch Worte dasselbe wie Wörter. Cprachdummheiten. 8. tiufl,

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von Hauptwörtern, Zeitwörtern, Für­ wörtern, Wörterbüchern, dagegen von Dichterwarten, Textworten, Vorworten (Vor­ reden), schöne Worte machen usw. Und an diesem Unterschied wird auch seitdem säst allgemein festgehalten. Sinn und Zusammenhang haben nur Worte, Wörter sind zusammenhanglos aufgereiht. Wenn es also auch nicht gerade falsch ist, von Fremdwort en oder Schlagworten zu reden, so ist doch die Mehrzahl Fremdwörter vorzuziehen. Im niedrigen Volke ist nun eine starke Neigung vor­ handen, die Pluralendung aus er immer weiter auszu­ dehnen. Es redet von Gewölbern und Gö­ sch oft er n, der Gebildete von Gewölben und Geschäften. Es bildet Plurale wie Zelter, Ge­ winner, Mäher, Strauher, Butter b r ö 1 e r, Kartoffel k l ö h e r. Nur die „Ausschnitter" preisen ihre Rester an, nur die Telephonarbeiter kommen, um „die E l e m e n t e r nachzusehen". Dinger klingt be­ dauernd oder geringschätzig, Dinge unter Umständen edel: die letzten Dinge. So kommt es, daß die Endung er in der guten Schriftsprache bisweilen selbst da wieder zurückgedrangt worden ist, wo ste früher eine Zeit lang ausschließlich im Gebrauch war: während früher die Mehr­ zahl Örter ganz gebräuchlich war, ist ste in neuerer Zeit fast ganz verschwunden-, man spricht fast nur noch von Orten. Dagegen hat der Plural Gehälter (Lehrer g e h ä l t e r, Beamten g e h ä l t e r) gleichzeitig mit dem Neutrum das Gehalt von Norddeutschland aus große Fortschritte gemacht. Man empfindet es wohl als willkommne Bereicherung der Sprache, daß wir jetzt unterscheiden: der Gehalt (Gedankengehalt, Silber­ gehalt des Erzes) und das Gehalt (Besoldung) (vgl. der Verdien st und das D e r d i e n st, wo freilich der Bedeutungsunterschied gerade umgekehrt ist). *) ♦) Auch bei Lohn sind seit alter Zeit beide Geschlechter üblich: aber auch hier hat daS Neutrum jetzt einen niedrigen Beigeschmack. Dienstmädchen verlangen hohes Lohn, Gesellen höheres Macherlohn oder Arbeitslohn,- aber jede gute Tat hat ihren schönsten Lohn in sich selbst.

DaS S der Mehrzahl. — Fünf Pfennig und fünf Pfennige ? 19

Das s der Mehrzahl.

Wenn wir von Genies, Pendants, Etuis, Portemonnaies, Korsetts, Beefsteaks und Meetings reden, so ist das s das französische und englische Plural-s, das diesen Wörtern zukommt. Aber man redet auch von Jungens und Mädels, Herrens und Fräuleins, Kerls und Schlingels, Hochs, Hurrahs und Krachs, Be­ stecks, Fracks, Schmucks, Blocks (Baublocks), Echos und Villas (statt Villen), Dergißmeinnichts und Stelldicheins, Polkas, Galopps, Tingeltangels und Trupps (Studentent r u p p s), Wenns und A b e rs, U' s und T' s, und einzelne Universitätslehrer kündigen gar schon am schwarzen Brett ihre Kollegs an! Das Plural - s stammt aus der niederdeutschen Mundart.*) Es ist dann auch im Hochdeutschen an Fremdwörter, die auf Vokal ausgehen (Sofa, Echo), an Substantive wie Wenn, Aber, und schließlich auch an andre deutsche Substantioa gehängt worden. **) In Formen wie Solls, Mottls, Kollis und Portis ist das Plural-s an die italienische Plural­ endung gehängt! Die Einzahl heißt ja Solo, Motto, Kollo und Porto. Freilich wird auch schon in der Einzahl das Kolli gesagt, und nicht bloß von Markt­ helfern und Laufburschen! Fünf Pfennig und fünf Pfennige?

Wenn fünf einzelne Pfennige aus dem Tische liegen, so sind das unzweifelhaft fünf Pfennige; wenn ich aber mit diesen fünf Pfennigen (oder auch mit einem Fünfer) zwei *) Vielleicht ist eS dort über die Niederlande aus dem Französischen eingedrungen,- dann würde es schiietziich auch aus die romanische Quelle zurückgehen. *♦) Wenn wir sagen: Heute waren wir bei Maiers — bei der FamMe Mmer so liegt hier kein Mehrzahl-s, sondern daZ Genitio-S vor, es hecht ja auch mundartlich zu'S Maiers vn) bet's Knopfe (Knopfe Genitiv des Eigennamens Knopf). Hierher gehören auch Bildungen wie Doktors, Apothekerals Bezeichnung der Doktors-, der ApothekerSfawilie.

Kriegssemmeln bezahle, kosten öle bann fünf Pfennige oder, wie auf dem Fünfer steht, fünf Pfennig? Bei Angaben von Preis, Gewicht, Maß, Zeit usw. ist oft eine Mehrzahlform üblich, die sich vom Singular nicht unterscheidet, wenigstens bei Wörtern männlichen und sächlichen Geschlechts,*) wie bei Pfennig, Pfund, Lot, Fuß, Zoll, Schuh, Faß, Glas (zwei Glas Bier), Maß, Ries, Buch (drei Buch Papier), Blatt,**) Mann (sechs Mann Wache), Schritt, Schuß (tausend Schuß), Stock (drei Stock hoch); vgl. noch hundert und tausend (vierhundert, fünfzigtausend), aber: er hat Hunderte (Tausende) eingebüßt. Diese Formen sind zum Teil alte Pluralformen, zum Teil Formen, die solchen nachge­ bildet worden sind. Don einer Regel, daß in allen solchen Fällen der Singular stehen müsse, kann keine Rede sein. Es ist ganz richtig, zu sagen: das Kind istdreiMonate alt, drei Jahre alt, wie denn auch jeder drei Taler, drei Gulden, drei Groschen sicherlich als Plural fühlen, folglich auch sagen wird: ich habe das Bild mit zehnTalern bezahlt (nicht mit z e h n T a l e r!). So ist auch Pfennige als Preisbezeichnung durch Pfennig verdrängt worden (zehn Pfennig), auf den Marken der Reichspost 1880. Jeden Zwanges oder jedes Zwanges?

Heißt es: jeden Zwanges oder jedes Zwanges? So unwichtig die Sache manchem vielleicht scheint, so viel Verdruß oder Heiterkeit (je nachdem) be­ reitet sie dem Fremden, der Deutsch lernen möchte, und so beschämend ist es für uns Deutsche selbst, wenn wir dem Fremden sagen müssen: Wir wißen selber nicht, was richtig ist, sprich, wie du willst! Mit einigem guten Willen *) Von Wörtern weiblichen Geschlechts wird immer der Plural gebildet: zwei Mandeln Eier, drei Ellen Band, sechs Flaschen Wein, zehn Klaftern Holz, vier Wochen alt; doch drei Mark. ♦♦) Wenn aber ein Antiquar in einem Katalog von einem wertvollen alten Druck sagt: Sechs Blatt fmt> stockfleckig, so ist das natürlich falsch.

ist aber doch vielleicht zu ein paar klaren und festen Regeln 3« gelangen. Die Adjektivs können stark und auch schwach dekliniert werden. In der schwachen Deklination haben sie nur die Endungen e und en, in der starken haben sie die Endüngen des hinweisenden Fürwortes: es, em, en usw. Nach der starken Deklination gehen ste, wenn ste allein beim Substantiv stehen, ohne vorhergehenden Artikel (ab­ gesehen vom Genitiv der Einzahl bei Substantiven männ­ lichen und sächlichen Geschlechts: guten Weines, guten Bieres), und im Singular, wenn ein Pro­ nomen ohne Endung vorhergeht: ein kleines Haus, mein guter Hans, du alter Freund, unser jährlicher Umsatz, welch vorzüglicher Wein. In allen anderen Fällen gehn sie nach der schwachen Deklination. Es muß also heißen: guter Hoffnung, schwieriger Fragen, dagegen des geraden Wegs, der guten Hoffnung, der schwie­ rigen Fragen, dieser schwierigen Fragen, welcher schwierigen Fragen, solcher schwie­ rigen Fragen, auch derartiger und folgender schwierigen Fragen, beifolgendes kleine Buch (denn derartiger steht für solcher, folgen­ der und b e i f o l g e n d e r für dieser). So ist auch die ältere Sprache überall verfahren; Luther kennt Genitive wie süßen Weines fast noch gar nicht. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert aber drang, obgleich Sprachkundige eifrig dagegen an­ kämpften, bei dem männlichen und dem sächlichen Geschlecht im Genitiv des Singulars immer mehr die schwache Form ein, und gegenwärtig hat sie sich fast überall festgesetzt, man sagt: frohen Sinnes, reichen Geistes, weiblichen Geschlechts, größten Formats. Höchstens gutes Muts, reines Herzens, gerades Wegs wird bisweilen noch gesagt. Bei den besitzanzeigenden Adjektiven (mein, dein, sein, unser, e u e r, i h r) hat sich die starke Form überall un­ angetastet erhalten (meines Wissens, unseres Lebens), dagegen ist es bei den Zahlbegriffen (jeder, aller, vieler, keiner, mancher) ins Schwanken gekommen. Wie man sagt: größtenteils und

anbernteils, so sagt man auch jedenfalls und allenfalls neben keineswegs, keinesfalls, jedes Menschen, keines Worts, alles Lebens, allesErnstes. Nur wenige schreiben noch richtig: trotz alles Leugnens, trotz manches Erfolgs, trotz vieles Aufwands; die meisten schreiben: trotz allen Leugnens usw. Bei jeder erklärt sich das Schwanken vielleicht da­ her, daß jeder wie ein Adjektiv auch mit dem un­ bestimmten Artikel versehen werden kann (ein jeder Mensch). Nichtig ist: die Abwehr jedes Zwanges oder eines jeden Zwanges. Nach solcher hat sich die schwache Deklination noch nicht so festgesetzt, wie nach welcher. Wahrend jeder ohne Besinnen sagt: welcher gute Mensch, welches guten Menschen, welche guten Menschen, auch solcher vollkommnen Exemplare, hört man im Nominativ und Akkusativ der Mehrzahl viel öfter: solche v o l l k o m m n e Exemplare. Es kommt das wohl daher, datz auch solcher oft mehr etwas adjektivisches hat. Ebenso ist es bei derartiger (für solcher) und folgender (für dieser). Jeder wird im Nominativ vorziehen: folgende schwierige Fragen, dagegen im Genitiv vielleicht folgender schwierigen Fragen (wie dieser schwierigen Fragen). Manche Leute glauben, datz Adjektiva, deren Stamm auf m endigt, nur einen schwachen Dativ bilden könnten, weil mem „schlecht klinge", daß es also heißen müsse: mit warmen Herzen, mit geheimen Kummer, mit stummen Schmerz, mit grimmen Zorn, von vornehmen Sinn, bei angenehmen Wetter, bei gemeinsamen Lesen — das ist aber ganz falsch. Ist denn neu (kleinen) oder ret (wahrer) oder ses (dieses) zu vermeiden?

Anderen, andren oder andern?

Bei den Adjektiven, deren Stamm auf el, er und e n endigt, wie dunkel, edel, eitel, Übel, lauter,

wacker, offen*), kommen in der Deklination zwei Silben mit kurzem e zusammen, also des ei seien Menschen, dem übel en Rufe, dem dunkelen Grunde, unseres Wissens, mit besserem Erfolge, aus härterem Holze, bei offenem geschloffe­ nem Fenster. Diese Formen mit zwei e sind bei den Adjektiven auf en das Gewöhnliche, bei denen auf er sind sie neben den kürzeren üblich,**) bei den Adjektiven auf e l sind sie ungewöhnlich. Man kann bei allen diesen Formen das erste e fallen lassen, wo es nicht zu hart klingt (so ist z. B. kürz re nicht zu empfehlen), vor den Endungen en und em kann auch das erste e der Adjektive auf el und er er­ halten bleiben und das zweite fallen: dunkeln, dunkelm — bessern, besserm. Welche Form jeweils vorzuziehen ist, das bleibt dem Geschmack des Einzelnen überlassen.***) Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem geschichtlichem Werte?

Manche haben gelehrt, wenn zwei Adjektivs allein, ohne Artikel, ohne Fürwort, gleichwertig vor einem Hauptwort stünden, wenn sie dem Sinne nach koordiniert waren, dürsten sie gleichmäßig behandelt werden, z.D. Tiere mit rotem, kaltem Blute, nach langem, heißem Kampfe; wenn dagegen das zweite Adjektiv mit dem Substantiv einen einheitlichen Begriff bilde, der durch das erste Adjektiv nur naher bestimmt werde, so müsse das zweite schwach dekliniert werden, wie wenn es hinter einem Fürwort stünde, z.B. mit echtem Köl­ nischen Wasser, nach allgemeinem deutschen Sprachgebrauch, zu kühnem dramatischen Pathos, *) Dazu gehören auch die Komparative (Vesser, größer, der Innere, ber äußere), Pronomina wie unser, euer, der andere, und die Partizipien auf en (geschlossen). **) Ein besonderer Fall ist ungeheuren usw., wo daS r die Silbe beginnt und nach Diphthong steht: da ist die Form ohne e die ältere. *♦♦) Man unterscheidet: ein andse)res Mädchen — Mack es anders! Ein besonderes Vergnügen — Besonders hat mir das gefallen, daß...

mit eigentümlichem humoristischen Anstrich, von großem praktischen Wert, aus über­ triebnem patriotischen Zartgefühl, aus süd­ deutschem adligen Besitz. Ebenso müße im Genitiv der Mehrzahl unterschieden werden zwischen: frischer, süßer Kirschen (denn die Kirschen seien frisch und süß) und neuer isländischen Heringe, scharfer indianischen Pfeile, einheimischer geographischen Namen, ehemaliger freien Reichsstädte (denn die Heringe seien nicht neu und is­ ländisch, sondern die isländischen Heringe seien neu). Diese Unterscheidung ist in gewisiem Sinne richtig. Wenn wir die zwei Adjektive deutlich als gleichwertig empfinden, setzen wir auch bei jedem die gleiche Endung; in solchen Fällen trennen wir sie in der Schrift durch ein Komma. Ist aber diese Gleichwertigkeit nicht so deutlich, setzen wir also kein Komma, dann schwanken wir; viele neigen dazu, in der Form abzuwechseln, also auf em oder e r (im Genitiv der Mehrzahl) e n folgen zu lasten. Diese Abwechflung ist notwendig in dem zweiten Falle, der vorher erwähnt worden ist. Man sagt übrigens nur: ohne selbständiges geschichtliches Studium, von bewährter christlicher Gesinnung. ♦) In Todesanzeigen kann man täglich lesen, daß je­ mand nach langem, schweren Leiden oder nach kurzem, schweren Leiden gestorben sei. Das ist falsch; es muß heißen: nach langem, schwerem Leiden.

Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen Stämme? Große Unsicherheit herrscht in der Deklination der Adjektiva im Genitiv der Mehrzahl nach den Zahlbegrissen alle, keine, einige, wenige, einzelne, etliche, manche, mehrere, viele, sämtliche, denen sich auch die Adjektiva andre, verschiedne

*) Früher hat man freilich auch so gesagt. Im reb-ehntcn Jahrhundert:nach gepf logn er reifen Beratschlagun g; Ödftnn: auS eigner sorgfältigen Lesung.

und gewisse anschließen, die beiden letzten, wenn sie in dem Sinne von mehrere und einige stehen. Da sagt man: aller guten Dinge, aller halben Stunden, mancher kleinen Souveräne, einzelner ausgezeichneten Schriftsteller, verschiedner schweren Bedenken, gewisser aristokra tischen Kreise, aber auch: vieler andrer Gebiete, vieler damaliger preußischer Osfiziere, einzelner großer politischer Ereignisse, sämtlicher deutscher evangelischer Kirchenregimente, gewisser mathematischer Kennt­ nisse. Sollte es denn nicht möglich sein, hier Ordnung und Regel zu schassen? Tatsache ist, daß auch nach allen diesen Wörtern die Adjektiva ursprünglich stark dekliniert worden sind. Ebenso ist es Tatsache, daß die schwache Form nur nach zweien von ihnen endgültig durchgedrungen ist: nach alle und keine. Sollte das nicht einen tiefern Grund haben? Die schwache Form ist endgültig durchgedrungen auch hinter dem bestimmten Artikel, hinter den hinweisenden Fürwörtern (dieser und jener) und hinter den besitz­ anzeigenden Adjektiven (mein, dein usw.). In allen diesen Fällen aber handelt es sich um etwas ganz bestimmtes, ebenso bei alle and seiner Verneinung keine. Dagegen bezeichnet die artikellose Form etwas unbe­ stimmtes, so auch die übrigen (viele, einige, manche usw.); viele und einige bleiben viele und einige, auch wenn einer dazukommt oder abgeht. Sollte sich nicht deshalb hier die starke Form erhallen haben? Im Nominativ überall: viele junge Leute, manche bittre Erfahrungen, verschiedne schwere Bedenken, gewisse aristokratische Kreise. Erst im Genitiv beginnt das Schwanken zwischen vieler junger Leute und vieler jungen Leute, verschiedner freisinniger Blätter und oerschiedner freisinnigen Blätter, mehrerer andrer ausländischer Blätter und mehrerer andern ausländischen Blätter. Nur noch hinter sämtliche wäre die schwache Form am Platze, denn sämtliche bedeutet ja dasselbe wie alle, also eine bestimmte Menge.

Hinter den wirklichen Zahlwörtern zwei, drei, vier, fünf usw. steht im Nominativ überall die starke Form, so auch im Genitiv, solange die Zahlwörter selbst undekliniert bleiben und ohne Artikel stehen: die Kraft vier starker Männer, um fünf Gerechter willen. Dagegen beginnt das Schwanken, sobald die Zahl­ wörter selbst wie Adjektiva dekliniert werden: ein Kamps zweier großen Völker steht neben einem Kampf zweier großer Völker. Beide dagegen schließt fich natürlich an alle und keine an: beide großen Männer, beide hier mitgeteilten Schriftstücke.

Liu schönes Äußeres oder eiu schönes Äußere? Großer Gelehrter oder großer Gelehrten? Adjektiva und Partizipia, die substantiviert wurden, nahmen in der ältesten Zeit stets die schwache Form an, auch hinter dem unbestimmten Artikel. Reste davon sind Junge (ein Junge), und Untertan (e), Mehrzahl die Jungen, die U n te r t a n e n. Später ist auch bei solchen substantivierten Adjektiven und Partizipien überall hinter e i n die starke Form eingetreten: ein Heiliger, ein Kranker, ein Fremder, ein Gelehrter, ein Verwandter, ein Junges (von Hund oder Katze), ein Ganzes, und stark wird auch überall der allein­ stehende artikellose Plural jetzt dekllniert: Heilige, Verwandte, Geistliche, Gelehrte, Junge (der Hund hat Junge bekommen). Werden aber diese substantivierten Adjektiva und Partizipia mit einem Ad­ jektiv versehen, so erhalt sich ihre schwache Form: ein schönes Ganze (noch genau so wie ein guter Junge), mein ganzes Innere, von auf­ fälligem Äußern, mit zerstörtem Innern; im Genitiv der Mehrzahl: eine Anzahl wunderlicher Heiligen, eine Versammlung evangelischer Geistlichen, ein Kreis lieber Verwandten, die Stellung höherer Beamten, die Arbeiten großer Gelehrten, ein Kreis geladner Sach­ verständigen, große Züge französischer

Kriegsgefangnen,

die

Lehren

griechischer

Weisen usw. Daneben findet fich auch die starke Form: ein schönes Ganzes, mein ganzes Inneres, ein ungewöhnliches Außeres, mit zerrüttetem Innerm, und im Genitiv der Mehrzahl: ein Dutzend deutscher Gelehrter, die Ausnahme cholera. verdächtiger Gefangner, das Eigentum fron« zösischer Staatsangehöriger, inmitten scheel« blickenderFremder, die Genosienschost deutscher Bühnenangehöriger, der Verband sächsischer Industrieller, zum Besten armer Augen, kranker, zur Unterstützung verschämter Armer, die Anstellung pensionierter Geistlicher, T iä« glisse preußischer Polizeibeamter, die Cin« sührung neugewählter Stadtverordneter, Geldbeiträge reicher Privater, der Streit zweier berühmter deutscher Gelehrter, die Zustimmung vieler amerikanischer, spa­ nischer und französischer Gelehrter, die Einbildung- etlicher wunderlicher Heiliger usw. Daß die gehäuften es und er in den Endungen nicht gerade schön klingen, würde nichts zu sagen haben; da» ließe sich auch gegen manche andre Endung einwenden. Unsre besten Schriftsteller hoben nie anders geschrieben als: zur Unterstützung verschämter Armen, Lieder zweier Liebenden, zur Bewaffnung u n b e» güterter Freiwilligen, inmitten eifer­ süchtiger Fremden usw. Es heißt aber nur: Ein Kreis junger Schönen (nicht Schöner!)

Der Berliner weißen. Eine Liederlichkeit ist es, substantivierte weibliche Adsek« tioformen, wie die Rechte, die Linke, die Weiße (eine Berliner Weiße), wie Substontiva zu behandeln und zu schreiben: die Einführung der Berliner Weiße; richtig ist- nur: der Berliner Weißen, wie in seiner Rechten, auf der äußersten Linken. Auch die Herb st zeitlose gehörte hierher.

Das Deutsche und das Deutsch.

Die Sprach- und die Farbenbezeichnungen bilden ein substantiviertes Neutrum in zwei Formen nebeneinander, in einer Form mit Deklinationsendung und einer Form ohne Endung: das Deutsche und das Deutsch, dasEnglische und dasEnglisch, dasBlaue (ins Blaue hinein reden) und das Blau (das Himmelblau), das Weiße (im Auge) und das Weiß (das Eiweiß). Zwischen beiden Formen ist aber ein fühlbarer Dedeutungsunterschied. Das Deutsche bezeichnet die Sprache überhaupt, und dem schließt sich auch das Hochdeutsche, das Plattdeutsche usw. an. Sobald aber irgendein beschränkender Zusatz hinzu­ tritt, der eine besondere Art oder Form der deutschen Sprache bezeichnet, wird die kürzere Form gebraucht: das heutige Deutsch, ein fehlerhaftes Deutsch, das beste Deutsch, Goethes Deutsch, mein Deutsch, dieses Deutsch, das Juristendeutsch, das Tintendeutsch (Goethe im Faust: in mein geliebtes Deutsch zu übertragen: der Deutsche ist gelehrt, wenn er sein Deutsch versteht). Dgl. ein feuriges Rot. Die längere Form: das Deutsche, dasBlaue muß natürlich schwach dekliniert werden: der Lehrer des Deutschen, die beste Zensur im Deutschen, ein Kirchlein steht im Blauen, Willkommen im Grünen! Die kürzere Form halten manche für ganz undeklinierbar und schreiben: des heutigen Deutsch, eines feurigen Rot. Schwache Deklination ist hier nicht angebracht, weil des Deutschen, des Roten zu­ nächst als Genitive der männlichen Hauptwörter der Deutsche, der Rote aufzufassen sind. Gegen einen starken Genitiv eines feurigen Rots ist nichts einzuwenden, des heutigen Deutschs klingt da­ gegen hart. Cs ist daher vielleicht am besten, Genitive wie des heutigen Deutschs überhaupt zu meiden. Lieben Freunde oder liebe Freunde?. Niemand sagt oder schreibt in der Anrede: teuern Freunde, geehrten Herren, geliebten Eltern,

aber man schwankt seit alter Zeit bei dem lldjektivum lieb. Das ursprüngliche ist allerdings, daß beim Vokativ die schwache Form steht. Aber bereits im Althochdeutschen dringt die starke Form ein, und im Neuhochdeutschen ge­ winnt ste bis zum achtzehnten Jahrhundert die Oberhand. Auch die Kanzleisprache sagte schließlich: liebe Ge­ treue statt: lieben Getreuen! Und heute haben wir bei einer Verbindung wie lieben Freunde (wie Luther noch schreibt) die Empfindung einer gewissen Altertümelei. Wer diese Empfindung nicht erregen will, wird die schwache Form in der Anrede vermeiden.

Wir Deutsche oder wir Deutschen?

Ist es richtiger, zu sagen: wir Deutsche oder wir Deutschen? Diese Frage, die eine Zeit lang viel Staub aufgewirbelt hat, würde wohl gar nicht entstanden sein, wenn nicht Bismarck in der bekannten Reichstags^ sttzung vom 6. Februar 1888 den Ausspruch getan hatte, der dann auf zahllosen Erzeugnissen des Gewerbes (Bildern, Gedenkblattern, Denkmünzen, Armbändern usw.) angebracht worden ist: Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts aus der Welt. Denn so hat er nach den steno­ graphischen Berichten gesagt, und so war er also wohl gewohnt zu sagen. Aber schon der Umstand, daß die Zeitungen am 7. Februar (vor dem Erscheinen der steno­ graphischen Berichte!) druckten: Wir Deutschen, und daß sich die Gewerbetreibenden vielfach zu vergewissern suchten, wie er denn eigentlich gesagt habe, zeigt, daß seine Ausdrucksweise ausfällig war; dem Doltsmunde war ge­ läufiger: wir Deutschen, und so ist in der Tat schon im sechzehnten und fiebzehnten Jahrhundert viel öfter gesagt worden als wir Deutsche, obwohl es in der Einzahl heißt: ich Deutscher, und heute vollends sagt niemand mehr: wir Arme, ihr Reiche, wir Alte, ihr Junge, sondern wir Armen (Gretchen im Faust: am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles, ach wir Armen!), ihr Reichen, wir Alten, ihr Jungen, wir Konservativen, wir Liberalen, wir Wilden (Seume: wir Wilden

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Verein Leipziger Gastwirte 7— an Bord Sr. Mas. Schiff,

sind doch beffre Menschen), wir Geistlichen, wir Gesandten, wirVorgenannten, wir Unter­ zeichneten, wir armen Deutschen, wir guten dummen Deutschen, wir Deutschen find halt Deutsche! Es ist gar nicht einzusehen, wes­ halb gerade die Deutschen von all diesen substantivierten Adjektiven und Partizipien eine Ausnahme machen sollen. Daß im Akkusativ der Mehrzahl die starke Form vor­ gezogen worden ist: uns De u t s ch e, hat seinen Grund wieder darin, daß man ihn sonst nicht hätte vom Datto unterscheiden können (bei Burkhard Waldis aber: und das Reich an uns Deutschen kummen).

Verein Leipziger Gastwirte — au Vord Sr. Ma). Schiss. Ein Fehler, für den leider in den weitesten, auch in gebildeten Kreisen schon gar kein Gefühl mehr vorhanden zu sein scheint, liegt in Verbindungen vor wie: Verein Leipziger Ga st wirte, Ausschank Zwenkauer Biere, Hilfskasse Leipziger Journalisten, Verein Berliner Buchhändler, Radierungen Düsseldorser Kun st le r, Photographien Magde­ burger Baudenkmäler, eine Sammlung Meißner Porzellane, die frühesten Namen Breslauer Konsuln, zur Typographie f üb • tiroler Burgen, nach Meldungen Dresdner Zeitungen. Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf e r werden jetzt als Adjekttva aufgefaßt, wie fich schon darin zeigt, daß sie viele mit kleinen Anfangsbuchstaben schreiben: pariser, wiener, thüringer, schweizer. Ursprünglich find sie keine Adjektiva, sondern erstarrte Genitive von Substantiven. Der Leipziger Bürgermeister ist ursprünglich der Bürgermeister der Leipziger.*) Daher bleiben solche Wörter stets unverändert. Man hat nun, durch den Gleichklang der Endungen verführt, Wörter wie Leipziger mit dem Genitiv von wirklichen Adjektiven wie deutscher, preußischer zufammengeworsen. Weil man richtig

*) Uber der Berliner Ofen ist nicht der Ofen der Berliner!

sagt: eine Versammlung deutscher Gastwirte, glaubt man auch richtig zu sagen: ein Verein Leipziger Gastwirte. Hier heißt aber der Nominativ nicht Leipzige, wahrend er dort deutsche heißt. Es bleibt nichts anderes übrig als zu sagen: Verein von Leipziger Gastwirten, Verhaftung von Erfurter Bürgern, Verkauf von Magde­ burger Moltereibutter.*) Denn wir müssen ja auch sagen: Ein Verein von Künstlern, mit Be­ willigung von dessen Eltern. Wenn geschrieben wird: an Bord S r. Majestät Schiff Möwe, die Forschungsreise Sr. Majestät S ch i f s G a z e l l e, so hangt der Genitiv S r. M a j e st ä t ab von Schiff. Aber wovon hängt Schiss ab? Don nichts: es schwebt in der Lust. Man schriebe besser: an Bord von Sr. Majestät Schiff Gazelle, denn an Bord Sr. Majestät Schiffs Gazelle wird niemand sagen wollen. •♦) Falsch ist: ich gedenke dessen Güte und Macht — die Briese Goethes an seinen Sohn während dessen Studienjahre in Heidelberg — eine Darstellung der alten Kirche und deren Kunstschätze — die Interessen der Stadt und deren Einwohner — eine Aufzählung aller Güter und deren Besitzer — eine Versammlung sämt­ licher evangelischen Fürsten und deren Vertreter — eine Tochter des Herrn Direktor Schmidt und dessen Ge­ mahlin — zum Besten der Verunglückten und deren Hinterlassenen — die Sicherstellung der Zukunft der Be­ amten und deren Familien; es muß heißen: seiner Güte und Macht, seiner Gemahlin, ihrer Hinter­ lassenen, ihrer Familien usw. Nur so wird der Genitiv erkennbar. *♦*) Steigerung der Adjektivs.

Einigen Verstößen begegnet man auch in der Steige­ rung der Adjektivs. Diel hat zwei Komparativformen, *) allenfalls noch: Verein der Leipziger Gastwirte. **) Ter Fehler ist, wie Die ganze Phrase und wie so vieles andre heute tn unsrer Sprache, eine Nachahmung deS Englischen. ♦**) Beim Dichter läßt man sich gelallen: drum komme, wem der Mat gefüllt, und freue sich der schönen Welt und Gottes Vatergüte (statt der Vatergüre GotteS).

mehr und mehrere. Mehr ist der Bedeutung nach ein Komparativ wie größer usw.: ich habe in meinem Garten viel Rosen, du hast mehr Rosen, er hat die meisten Rosen. Mehrere ist der Bedeutung nach kein Komparativ wie größer usw., sondern be­ deutet etwa einige, etliche.*) Wenn also ein Haus­ besitzer genötigt wird, zu bescheinigen, daß mehrere Hunde als die hier verzeichneten in seinem Hause nicht gehalten werden, so wird er genötigt, einen Schnitzer zu unterschreiben. Bei Adjektiven, deren Stamm auf einen Zischlaut endigt, stoßen im Superlativ zwei Zischlaute zusammen. Das stört nicht, wenn die Wörter mehrsilbig sind (der weibischste, der malerischste), wohl aber, wenn sie einsilbig sind (der hübschste, der süßste). Man bewahrt dann lieber das e, das sonst immer ausgeworsen wird, und sagt: der hübscheste, der süßeste. Von groß ist allgemein der größte üblich geworden; vgl. auch: der beste neben besser. (Goethe im Götz: der hübschte). Gedenket unsrer oder gedenket unser? Auch in der Deklination der Fürwörter herrscht hie und da Unwissenheit oder Unsicherheit. Daß man eine Frage besprechen muß wie die: gedenke unsrer oder unser? ist leider nötig, denn der Fehler: wir sind unsrer acht — es harrt unsrer eine schwere Auf­ gabe, oder: wir gedenken eurer in Liebe, kommt oft vor. Die Genitive der persönlichen Fürwörter ich, du, er, wir, ihr, sie heißen: meiner, deiner, seiner, unser, euer, ihrer (früher: mein, bein, sein, unser, euer, ihr. Vgl. Vergißmein­ nicht; Gellert: der Herr hat mein noch nie vergessen, vergiß, mein Herz, auch seiner nicht.) In der ersten und zweiten Person der Mehrzahl ist die alte Form dir einzig richtige. Unsrer und eurer sind Genitive des besitzanzeigenden Eigenschaftswortes, aber nicht des

♦) Vgl. auch den Unterschied: Ich bin älter als du — Herr Müller ist bereits ein älterer Mann.

Derer uns deren. — Man. persönlichen Fürworts. unsrer. Kinder! ♦)

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Also: erbarmt euch unser und

Derer und deren.

Die Genitive der Mehrzahl derer und deren sind der alten Sprache überhaupt unbekannt, sie hat nur der; beide sind — ebenso wie die Genitive der Ein­ zahl dessen und deren — erst im Neuhochdeutschen gebildet und als willkommne Unterscheidungen des betonten und lang gesprochnen Pronomens der fder) von dem gewöhnlich unbetonten und kurz gesprochnen Artikel der (den festgehalten worden. Derer ist nur Genitiv der Mehrzahl, steht (abgesehen von Verbin­ dungen wie derer von Berlichingen) vor Relativsätzen (und verdient dort den Vorzug vor dem schleppenden derjenigen); deren ist Demonstrativum: die Krankheit und deren Heilung (d.i. ihre Heilung) und Relativum: die Krankheiten, deren Hei­ lung möglich ist. Falsch ist es also, wenn Relativsätze angesangen werden: in betreff derer, vermöge derer. Bisweilen mutz man jetzt lesen bessern und berent: der Dichter, bessern löblichen Fortschreiten ich mit Freuben folge — die Geschäfte werden inzwischen von bessern Stellvertreter besorgt — die fremde Kunst, bei berent Studium der Deutsche seine eigne Kunst vergaß — für die Behörden zu berent alleinigen Gebrauch aüsgefertigt. Aber dessen, deren sind Genitive, nicht flektierbare Adjektive, ebenso dergleichen. Man.

Daß auch das unpersönliche Fürwort man dekliniert werden kann, dessen sind sich die allerwenigsten bewußt. Der Junge, der von einem andern Jungen geneckt wird, sagt: laß einen doch gehn! Vgl.: Das kann man alle Tage erleben. Auch der Erwachsene sagt: das kann *) Genitiv und Dativ von Eure Majestät, Eure Exzellenz heißen natürlich Eurer Majestät, Eurer Ex­ zellenz. Grammatisch ist völlig falsch: Eurer Hochwohlgeboren!

Sprachdummheiten. 7. Aull.

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einem alle Tage begegnen. Und Lessing schreibt: macht man das, was einem so einsällt? — so was erinnert einen manchmal, woran man nicht gern erinnert sein will — muß man nicht grob sein, wenn einen die Leute sollen gehn lassen? — Goethe sagt sogar: eines Haus und Hof steht gut, aber wo soll bar Geld Herkommen?*) Es ist also klar: Dativ und Akkusativ von man werden in der lebendigen Sprache gebildet durch einem, einen. Manche scheinen diese Ausdrucksweise jetzt nicht mehr für fein zu halten. Das ist nicht richtig: man kann sich gar nicht besser ausdrücken, als wie es Goethe getan hat, wenn er z.B. sagt: wenn man für einen reichen Mann bekannt ist, so steht es einem frei, seinen Auf­ wand einzurichten, wie man will.

Jemandem ober jemand. In jemand und niemand ist das d ein AnHLngsel. Diese Wörter sind ursprünglich Zusammen­ setzungen mit man (Mann) (ieman, nieman); im Mittelhochdeutschen heißen Dativ und Akkusativ noch iemanne, niemanne, ieman, nieman. Die längeren Formen jemandem, niemandem, jemanden, niemanden haben den Vorzug der Deutlichkeit, un» bedingt notwendig sind sie nicht.

Eia andres and etwas andres. Das Neutrum von jemand anders heißt etwas andres, im Dolksmunde was andres. Die Mutter sagt: ich habe dir was schönes oder etwas schönes mitgebracht. Ebenso etwas gutes, etwas rechtes, etwas wahres, etwas großes, etwas wesentliches, etwas neues, etwasweiteres. Dieses schlichte was oder etwas verschmäht man aber jetzt, man schreibt: und noch ein andres muß ich erwähnen — zunächst möchte ich ein allgemeines voranschicken — und nun können wir noch ein weiteres hinzufügen —

man darf nicht glauben, daß damit ein wesentliches gewonnen sei — auch der reichhaltigste Stoff muß ein spezifisches haben, das ihn von tausend andern unterscheidet. Bleiben wir bei dem alten etwas and (e) res, was a n d (e) r e s, gerade weil sie weniger anspruchsvoll austreten! „(Etwas andres" ist es, wenn ein nicht das unbe­ stimmte Fürwort, sondern das Zahlwort bedeuten soll, z.D.: dann hatte das Unternehmen wenigstens ein gutes gehabt. Das ist natürlich ebenso richtig wie: das eine gute.

Zahlwörter. Gegen die richtige Bildung der Zahlwörter werden nur wenig Verstöße begangen; es ist auch kaum Gelegen­ heit dazu. Leute, die altertümlich schreiben möchten, z.B. Verfasser historischer Romane oder Schauspiele, greifen gern zu zween und zwo, haben aber gewöhn­ lich keine Ahnung von dem Unterschied der Geschlechter und machen stch deshalb lächerlich. Darum wohl gemerkt: zween war männlich, zwo weiblich, zwei sachlich. Statt hundertunderste kann man jetzt öfter lesen: hundertundeinte, aber doch nur nach dem unbestimmten Artikel: nicht als ob ich zu den hundert Faustertlarungen noch eine hundertundeinte hinzufügen wollte. Es schwebt dabei wohl weniger die Reihenfolge und der neue letzte Platz in dieser Reihenfolge vor, als die Zahl, die von hundert aus hundert­ undeins steigt. Trotzdem hat die Form keine Berechtigung.

Starke und schwache Konjugation. Wie bei den Hauptwörtern zwischen einer starken und einer schwachen Detllnation, so unterscheidet man bei den Zeitwörtern zwischen einer starken und einer schwachen Konjugation. Die starten Zeitwörter bilden im Präteritum die erste und dritte Person der Einzahl des Indikativs endungs­ los fich, er sprang), das Präteritum immer, das



Partizip Perfekt vielfach mit einem andern Lokal des Präsens (ich fpringe — ich sp rang, g espru n g en), das Partizip Perfekt mit der Endung e n; die schwachen Zeitwörter bilden Präteritum und Partizip Perfekt mit t (sagte, gesagt). Nur starke Zeitwörter haben ferner in gewissen Formen den Umlaut: du trägst, er trägt — ich trüge usw., sowie den Wechsel von e und i: ich nehme, du nimmst, er nimmt, nimm! Auch hier gibt es Schwankungen und Neubildungen. So wird z.D. dann und wann gehießen gebildet; die Form muß aber geheißen lauten. Backte ist eine Neubildung, daneben besteht immer noch das alte buk.

Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter. Das intransitive hangen und das transitive hangen jetzt noch streng auseinanderhalten zu wollen, wäre wohl vergebliches Bemühen. Es heißt noch im Perfekt: ich habe das Bild ausgehängt, nicht aufgehangen, aber doch fast allgemein hat sich eingebürgert: ich h i n g den Hut auf, und hangen, abhangen, Zusammen­ hängen erscheint uns altertümlich gesucht, obwohl es das richtige ist (Heine: und als sie kamen ins deutsche Quartier, sie ließen die Köpfe hangen). Auch bei schmelzen, löschen und verderben wurde ur­ sprünglich zwischen einer transitiven schwachen und einer intransitiven starken Flexion unterschieden, aber von dem transitiven schmelzen kommen schmelzt, schmelzte, geschmelzt kaum mehr vor, vom transitiven ver­ derben nur das Partizip Perfekt (verderbt, auf das Sittliche bezogen); intransitives erlischt, er­ losch, erloschen und transitives löscht, löschte, gelöscht werden dagegen noch geschieden. Zwei ganz verschiedne Verba, ein starkes und ein schwaches, lagen ursprünglich vor in laden: Gäste (ein-)laden, althochdeutsch ladOn (schwach), Losten (auf-)laden, althochdeutsch hladan. Zwar werden jetzt ebenso Gäste geladen wie Kohlen und Gewehre, auch sagt man schon in beiden Fällen: ich lud. Im Präsens wird aber doch noch bisweilen unterschieden zwischen: du ladest

-der er ladet mich ein (Schiller: es lächelt der See, er ladet zum Bade), und er lädt das Gewehr. Dringen und drängen dürfen nicht vermischt werden. Dringen ist intransitiv und hat zu bilden: ich drang vor, ich bin vorgedrungen. Drängen dagegen ist transitiv oder reflexiv, z. T. wird das Objekt aus dem Zusammenhang ergänzt (die Zeit drängt); es kann nur bilden: ich drängte, ich habe gedrängt; also auch: ich drängte mich vor, ich habe mich oorgedrängt, es wurde mir auf gedrängt. Durchaus falsch ist: ich dringe mich nicht auf, ich habe mich nicht aufgedrungen, diese Auffassung hat sich mir aufgedrungen. Von manchen schwachen Verben ist vereinzelt ein starkes Partizip gebräuchlich mit einer besonders gefärbten Bedeutung, z.B. verschroben (von schrauben), verwunschen (der verwunschne Prinz, von verwünschen), unverhohlen (ich habe ihm unverhohlen meine Meinung gesagt, von ver­ hehlen).

übergeführt und überführt. Täglich liest man in Zeitungen von überführten Kranken und überführten Leichen, das soll heißen: von Personen, die in das oder jenes Krankenhaus oder nach ihrem Tode in die Heimat zum Begräbnis gebracht worden sind. Verbrecher werden überführt, wenn ihnen trotz ihres Leugnens ihr Verbrechen nachgewiesen wird: dann aber werden sie, wenn man so sagen will, ins Zuchthaus übergeführt. Es gibt eine große Anzahl zusammengesetzter Zeit­ wörter, bet denen, je nach der Bedeutung, die sie haben, bald die Präposition, bald das Zeitwort betont wird, z. B. über setzen (den Wandrer über den Fluß) und übersetzen, üb erfahren (über den Fluß) und über­ fahren (ein Kind aus der Straße), überlaufen (vom Krug oder Eimer gesagt) und überlaufen (es über­ läuft mich kalt, er über läuft mich mit seinen Be­ suchen), über legen (über die Bank) und über legen.

übergehen (zum Feinde) und übergechen (den nächsten Abschnitt), unter hallen (den Srug am Brunnen) und unter halten, unter schlagen (die Deine) und unter schlagen (eine Geldsumme), unter­ breiten (einen Teppich) und unterbreiten (ein Bitt­ gesuch), hinterziehen (ein Seil) und hinterziehen (die Steuern), um schreiben (noch einmal oder ins Reine schreiben und umschreiben (einen Ausdruck durch einen andern), durchstreichen (eine Zeile) und durch­ streichen (eine Gegend), durchsetzen (eine Rechnung) und durch schauen (einen Betrug), u m gehen und um­ gehen, hintergehen und hintergehen, wieder­ holen und wiederholen usw. Gewöhnlich haben die Bildungen mit betonter Präposition die eigentllche, sinnllche, die mit betontem Verbum eine übertragne, bisweilen auch die einen eine intransitive, die andern eine transitive Bedeutung. Die Bildungen nun, die die Präposition be­ tonen, trennen bei der Flexion die Präposition ab, oder richtiger: sie verbinden sie nicht mit dem Verbum (ich breite den Teppich unter, ich streiche die Zeile durch, vgl. auch die Zeile durch zu st reichen) und bilden das Partizip der Vergangenheit mit der Vorsilbe g e (untergebreitet, durchgestrichen); die da­ gegen, die das Verbum betonen, lasten bei der Flexion Verbum und Präposition verbunden (ich unterbreite das Bittgesuch, ich d u r ch st r e i ch e den Wald, vgl. auch den Wald zu durchstreichen) und bilden das Partizip ohne die Vorsilbe ge (unterbreitet, durchstrichen). Darnach ist es klar, daß von einem Orte zum andern etwas nur ü b e r g e f ü h r t, aber nicht überführt werden kann. Bei übersiedeln ist mit der Betonung neuerdings auch das Sprachgefühl ins Schwanken gekommen. Don den mit miß zusammengesetzten Zeitwörtern sind Partizipia mit oder ohne ge- gebräuchllch, je nach­ dem m i ß oder das Verbum betont ist, also mist l u n g e n, mißraten, mißfallen, mißbilligt, mißdeutet; mißgönnt, mißbraucht mißhandelt, neben gewiß braucht, g e m i ß billigt, gewiß handett. Die Vorsilbe g e - kann aber niemals zwischen m i ß und das Zeitwort treten, m i ß bleibt in der Flexion überall mit

Ich bin gestanden ober ich habe gestanden?

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dem Zeitwort verwachsen. Daher ist es auch falsch, Instnitioe zu bilden wie miß zu handeln, es mutz un­ bedingt heißen: zu mißhandeln, zu miß­ brauchen.

Ich bin gestirnten oder ich habe gestanden?

Der Süddeutsche sagt: Ich bin gestanden, ge­ sessen, gelegen, der Norddeutsche: Ich habe ge­ standen, gesessen, gelegen. Was ist da das Richtige? Alle transitiven Zeitwörter bilden ihr Perfekt (Plus­ quamperfekt, Futurexakt) im Aktiv mit haben, die in­ transitiven ihr Perfekt usw. mit haben oder sein. Man sagt nun: Ich habe geschlafen, aber: ich bin eingeschlafen; ich habe gewacht, aber: ich bin aufge­ wacht. Die allgemeine Regel lautet also: Bedeutet eine intransitives Derb etwas Dauerndes, so bildet es das Perfekt (usw.) mit haben, bedeutet es etwas Augenblick­ liches, oder ist Anfangs- oder Endpunkt der Handlung ins Auge gefaßt, so bildet es Perfekt usw. mit sei n. (Doch bilden die mit aus zusammengesetzten Zeitwörter das Perfekt usw. mit haben: Hast du noch nicht ausge­ schlafen?) *) Ich bin gesessen heißt ursprünglich: ich bin zum Sitzen gekommen, d. i. ich habe mich gesetzt; ich habe gesessen: ich bin im Zustand des Sitzens gewesen. Bei stehen, liegen verhalt es sich ent­ sprechend. Also entspricht das norddeutsche Ich habe gestanden dem alten Sprachgebrauch; falsch ist deswegen das süddeutsche Ich bin gestanden nicht. Singen gehört und Singen hören? Eine der eigentümlichsten Erscheinungen unsrer Sprache, die dem Ausländer, der Deutsch lernen will, viel Kopfzerbrechen macht, ist der Gebrauch zu sagen: ich habe dich singen h ö r e u. ♦) Der ursprüngliche Zustand hat sich noch in manchem Falle verändert,- man denke nur an das Persect Ich bin getocfenl

Bei den Hilfszeitwörtern tonnen, mögen, dürfen, wollen, sollen und müssen und bei einer Reihe andrer Zeitwörter, die ebenfalls mit dem Infinitiv verbunden werden, wie heißen, lehren, lernen, helfen, lassen (lassen in den Be­ deutungen: befehlen und erlauben), machen, sehen, hören und brauchen (brauchen im Sinne von müssen und dürfen) ist schon in früher Zeit das Partizipium der Vergangenheit, namentlich wenn es un­ mittelbar vor dem abhängigen Infinittv stand (der Rat hat ihn geheißen gehen), durch die Infinitivform ersetzt worden. In der zweiten Halste des fünfzehnten Jahrhunderts heißt es bunt durcheinander: man hat ihn geheißen gehen und heißen gehen, und passiv: er ist geheißen gehen, er ist heißen gehen, er ist geheißen zu gehen, ja sogar er ist gegangen heißen. Schließlich drang an Stelle des Partizips der Infinitiv vollständig durch, namentlich dann, wenn der abhängige Infinitiv unmittel­ bar davorstand, und so sagte man nun allgemein: ich habe ihn gehen heißen, ich habe ihn tragen müssen, ich habe ihn kommen lassen, ich habe ihn kennen lernen, ich habe ihn laufen sehen, ist habe ihn rufen hören, er hat viel von fich reden machen (Goethe im Faust: ihr habt mich weidlich schwitzen machen), du hättest nicht zu warten brauchen.*) Diese Erscheinung ist durch jahrhundertelangen Gebrauch in unsrer Sprache so eingebürgert, und sie ist uns so ver­ traut und geläufig geworden, daß es gesucht, ungeschickt, ja geradezu fehlerhaft erscheint, wenn jemand schreibt: er hatte ein Mädchen gewisienlos sitzen gelassen. Man kann auch schreiben: wir hätten diese Schuld auch dann noch auf uns lasten fühlen (statt: lasten gefühlt). Kommen zwei solche Hilfszeitwörter zusammen, so stehn drei Infinftive nebeneinander: wir hätten den Äßri laufen lassen sollen, laufen lassen müssen, laufen lassen können. Das ist — ganz richtig. *) Sei brauchen darf natürlich zu beim Infinitiv nicht fehlen.

Begänne oder begönne? Stände oder slündeBei einer Reihe von Zeitwörtern zeigt sich Unsicher­ heit über den Umlautsvotal: soll man ä ober u gebrauchen? Das Schwanken ist so entstanden: Im Mittelhochdeutschen lautete der Pluralookal im Präteritum (Indikativ) vielfach anders als der Singularvokal (h a l f, h u l s e n ; sann, sunnen von sinnen). Der Konjunktiv wurde nun mit dem (wenn möglich umgelauteten) Pluralvokal ge­ bildet, also Hulse, f ü n n e. (Dor nn und mm wandelte sich das u später in ö, also sönne, schwömme). Später hieß es es im Indikativ half, halfen; sann, sannen (nur ward —wurden blieb). Zu sann wurde nun ein neuer Konjunktiv gebildet, (sänne), der näher beim Indikativ mit seinem a steht als der alte mit ö. Zwar wurden auch Konjunktive gebildet wie hälfe, stürbe usw., aber sie empfehlen sich nicht, weil sie von Formen wie Helse, sterbe im Klang nicht ver­ schieden sind. Dagegen sind alle die neuen Konjunktive neben den alten berechtigt, die von den Präsensformen im Stammvokal abweichen: sänne gegen sinne, schwämme gegen schwimme usw. Ähnlich verhält es sich bei st e h e n. Das alte Präteritum hieb stund, der Konjunktiv dazu stunde. Als stand auskam, wurde dazu stände neugebildet. Dieses st ä n d e ist von stehe im Klang deutlich zu unterscheiden, also brauchbar. Die sechs schwachen Zeitwörter brennen, kenn en, nennen, rennen, senden, wenden haben im Präsens Umlaut, im Partizip Perfekt nicht: kannte, gekannt usw., doch hat kennen, senden neben sandte, gesandt auch sendete, gesendet, wenden neben wandte gewandt auch wendete gewendet. Ein Umlaut kommt dem Konjunktiv dieser Präterita mit a nicht zu; Umlaut findet sich im Konjunttiv beim schwachen Präteritum nur in brächte und dächte (vgl. wüßte, könnte, dürste, möchte, müßte, hätte). Der Konjunktiv dieser sechs Präterita kennen usw. wird daher lieber vermieden.

Zur Wortbildungslehre.

vremeuer oder Bremer?

Die Fülle und Mannigfaltigkeit in unserer Wort­ bildung ist recht groß; daher fehlt es auch auf diesem

Gebiete nicht an Schwankungen. Bei Ortsnamen auf en ist zweierlei Ableitung mit er denkbar: auf en er (oder ner) oder aus er. Die Einwohnerbezeichnungen der ursprünglich slavischen Orts­ namen Meißen, Dresden, Pofen lauten: Meißner, Dresdner, Pofner, zu Bozen ge­ hört Bozner, zu München Münchner, zu Aachen Aachner. Aber bei weitem die meisten Ortsnamen auf en nehmen das er unmittelbar an den um en verkürzten Namen. So heißt es an der Nordsee nicht Bremener, sondern immer nur Bremer (Bremer Zigarren, Bremer Stadtmusikanten), ebenso im Süden nur Kempter, St. Galler, Zweibrücker. Auch bei den Ortsnamen auf leben, ingen und hausen gibt es im Voltsmund kein Schwanken: Eisleber Seminar, Meininger Kapelle, Sachsenhauser Allee, vgl. noch Nordhauser und Steinhager (zu St ein Hagen).

Hallenser und Weimaraner. Substanttoe, welche Bewohner fremder Länder und Städte betreffen, weisen im Deutschen ziemlich viele fremdartige Bildungen auf; das ist noch immerhin erträg­ lich. Sprechen wir also auch kn Zukunft getrost von Amerikanern, Mexikanern, Neapolitanern, Byzan­ tinern, Chine s e n, Deron efern, Syba r i t e n, Samaritern und Moskowitern, Asiaten, Pro­ venz a l e n, Savoy a r d e n, von Sofioter und Tokioter Zeitungen usw. Daß wir aber an deutsche (!) Stadtenamen noch immer lateinische Endungen hängen, ist doch ein Zopf, der endlich einmal abgeschnitten werden sollte. Die Athenienser und die Earthagi-

nienfer sind wir aus den Geschichtsbüchern glücklich los, aber die Hallenser, die Jenenser und die Badenser, die Hannoveraner und die Weimaraner wollen nicht weichen, auch die Anhaltiner sputen noch gelegentlich. Und doch ist nicht einzusehen, weshalb man nicht ebensogut soll Jenaer sagen können wie Gothaer, Geraer und Altonaer, *)Dadner wie Münchner, Posner und Dresdner, ebenso gut Haller wie Geller, Stader und Klever, ebenso gut Hannoverer und Weimarer wie Trierer, Spei er er und Colmarer. Freilich erstreckt sich die häßliche Sprachmengerei in unsrer Wortbildung nicht bloß auf geographische Namen, sie ist überhaupt in unsrer Sprache weit verbreitet; man denke nur an Bildungen wie Wagnerianer, Dörfianer, Beethoveniana, Lagerist, Stel­ lage, Stiefeletten, antideutsch, prodeutsch usw. usw. Manches davon stammt schon aus älterer Zeit und wird wohl nie wieder zu beseitigen (ein; vieles aber ließe sich doch vermeiden, und vor allem sollte es nicht vermehrt werden. Ärztin und Palla. Bon Substantiven, die ein männliches Wesen bezeichnen, werden Feminina auf in gebildet: Gott, Göttin — König, Königin — Wirt, Wirtin *) Freilich sind Formen wie Jenaer und Geraer auch nicht besonders schön, so wenig wie die in Sachsen in der Schriftsprache beliebten Adjektivbildungen auf aisch: Grimmatsm, Tauchaisch, Bornatsch, Pirnaifch. In diesen Bildungen ist eine deutsche Cftvung an eine ganz unvolkStÜmliche, künnUch gemachte lateinische Endung gehängt. Der DoltSmund kennt noch heurigestags nur die Slä'te Grimme, Tauche, Borne, Pirne und so auch nur die Adjektivbildungen Grimmisch, Tauchisch, Bornisch, Pirnisch, und eS wäre zu wünschen, daß sich die amtliche Schreibung dem wieder an* schlösse So gut wie sich zu irgendeiner Zeit das Falsche amt­ lich hat einführen lagen, liebe sich t och auch daS Richtige amt­ lich wieder einführen. Man pflegt fetzt eifrig die „Volkskunde", sucht überall die Resie volkstümlicher alter Sitten und Gebräuche zu retten und zu erhalten. Gehört dazu nicht vor allem die Sprache des Volks?

— Berliner, Berlinerin — Bar, Darin, so­ gar Landsmann, Landsmännin (wahrend sonst natürlich zu M a n n das Femininum Weib oder F r.a u ist: der Kehrmann, das Waschweib, der Milch­ mann, die Milchfrau). Von Arzt hat man Ärztin gebildet, von Pate, Patin. (Daneben auch: die Pate.) Manche getrauten sich das anfangs nicht zu sagen und sprachen von weiblichen Ärzten, es ist aber gar nichts dagegen einzuwenden, und es ist umständ­ lich, wenn unsre Zeitungen immer von männlichen und weiblichen Arbeitern, männlichen und weib­ lichen Lehrern reden statt von Arbeitern und Arbeiterinnen, Lehrern und Lehrerinnen. Dagegen ist es nicht gut, ein Femininum aus in zu bilden von Kunde (beim Kaufmann) und Gast (auber etwa in der Bedeutung: Schauspielerin, die eine Gastrolle spielt). Hingebung und Hingabe.

Von manchen wird ein lebhafter Kampf gegen die Wörter auf u n g geführt. Sie klangen häßlich, heißt es, ja sie seien geradezu eine Verunstaltung unsrer Sprache. Im Unterricht wird gelehrt, man solle sie möglichst ver­ meiden. Irgend jemand hat sogar die witzige Bemerkung gemacht, unsre Sprache mit ihren vielen ung-ungung klinge wie lauter Unkenrufe.

Das ist zunächst eine Übertreibung. Die Endung ung ist tonschwach und fällt nicht so ins Gehör, daß sie, in kurzen Zwischenräumen wiederholt, stören könnte. Wenn in dem heutigen Deutsch das Ohr durch nichts schlimmeres verletzt würde als durch die Endung ung, so wäre es gut. Ein Satz wie folgender: über die Voraussetzungen zu einer Schließung des Reichstags enthält die Verfassung keine ausdrückliche Bestimmung — hat, was den Klang betrifft, nichts anstößiges.*) In lebendiger Rede hört man es kaum, daß hier kurz hintereinander vier Wörter auf ung stehen. *) Bei norddeutscher Aussprache (---unk) fallen freilich die ung stärker auf als bei süddeutscher.

außer man hebt die Endung auffällig hervor; aber aus diese Weise könnte man auch hundert andre Sprach­ erscheinungen lächerlich machen. Nicht die Wörter auf ung muß man bekämpfen, sondern eine immer mehr um sich greifende garstige Ge­ wohnheit, die dazu verleitet, eine Menge wirtlich häßlicher Wörter auf ung zu bilden, darunter Ungetüme wie: Inbetriebsetzung, Außerachtlassung, In­ wegfallbringung, Zurdisposition st ellung, A u ß e r d i e n st st e l l u n g u. a., die Gewohnheit, eine Handlung oder einen Vorgang nicht durch ein Zeitwort auszudrücken, sondern durch ein Substantiv in Verbindung mit irgendeinem farblosen Zeitwort des Geschehens (mit Vorliebe stattfinden oder erfolgen).*) Da ist es aber nicht die Endung ung, die stört, sondern das schleppende Wortungetüm, das damit gebildet ist, und der ganze unlebendige Gedantenausdruck. Wir haben vielmehr allen Anlaß, die Endung ung unter Umstünden zu schützen gegen Neubildungen, die sich ihr an die Seite drängen wollen. Die Wörter auf ung bezeichnen zunächst eine Handlung, einen Vorgang; Bildung, Erziehung, Aufklärung, Einrichtung bedeuten zunächst die Handlung, die Tätigkeit des Bildens, des Erziehens, des Ausklärens, des Einrichtens. Aus dieser Bedeutung ent­ wickelt sich aber eine weitere, nämlich die des Ergebnisies, das die Handlung hat, des Zustandes, der durch sie herbei­ geführt worden ist; Bildung, Erziehung, Auf­ klärung bedeuten auch den Zustand des Gebildetseins, des Erzogenseins, des Aufgeklärtseins, Einrichtung auch das Eingerichtete selbst. Vielfach hat nun die Sprache, um den Unterschied zwischen der Handlung und ihrem Er­ gebnis zu bezeichnen, neben dem Wort auf ung noch ein kürzeres, meist mit Ablaut, unmittelbar aus dem Stamme geschaffen. So haben wir Anlage neben Anlegung, Vorlage neben Vorlegung und können geradezu reden von der Anlegung von Gasund Wasser anlagen, der Vorlegung von Zeichenvorlagen. Da besteht nun schon seit alter Zeit die *) Man muß dabei freilich jedesmal prüfen, ob die um­ fänglicheren Wendungen nicht etwas Besonderes bedeuten.

ifl, lich, isch.

Adlig, vierwöchig, zugänglich.

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Neigung, die Bildung auf ung zu verdrängen und ihre Ausgabe der kürzern Form mit zu übertragen. Noch um 1800 sprach man von Einführung und Aus­ führung von Waren, und wenn man mit etwas nicht einverstanden war, machte man eine Einwendung; heute heitzt es: Einfuhr, Ausfuhr, Einwand. Und diese Neigung ist gegenwärtig sehr start verbreitet: obwohl die Sprache eine Unterscheidung an die Hand gibt, es ermöglicht, einen Unterschied zu machen (wieder ein Beispiel: Unterscheidung und Unterschied!), verschmäht man ihn und redet von Hingabe, Frei­ gabe, Hinterlage (gegen Hinterlage eines solchen Papiers) und Vorlage, Aufgebot, wo Hingebung, Freigebung, Hinterlegung und Vorlegung, Aufbietung (aller Kräfte) das Richtige wäre, weil eine Handlung gemeint ist. Früher kannte man Bezüge nur an Dettkissen, Stuhlpolstern und Regenschirmen. Jetzt steht Bezug vielfach für Beziehung, und da nun die, die das Wort so ge­ brauchen, die Bedeutung der Handlung dabei doch nicht recht fühlen, was haben ste gemacht? Sie haben das herrliche Wort Bezugnahme erfunden. Das kann man doch bequemer haben: es genügt das einfache Wort Beziehung! lg, lich, ifch.

Adlig, vierwöchig, zugänglich.

Eigenschaftswörter können im Deutschen von Haupt­ wörtern auf sehr verschiedne Arten gebildet werden: mit i g, lich, isch, fern, bar, haft usw. Zwischen allen diesen Bildungen waren ursprünglich fühlbare Dedeutungsunterschiede. Doch sind sie auch manchmal noch deut­ lich zu erkennen; man denke nur an weiblich und weibisch, kindlich und kindisch, launig und launisch, gläubig und glaublich u.a. Das von Adel gebildete Adjektiv soll nun endgiltig adlig geschrieben werden. Es ist auch für unser Sprach­ gefühl eine Ableitung mit i g; es hieß aber ursprünglich adel-lich, es gehört zu königlich, fürstlich, ritterlich, bürgerlich, aber nicht zu heilig, geistig, l i st i g. Auch billig wurde noch bis in das Sprachdummhelten.

7. Aust.

4

achtzehnte Jahrhundert seiner Herkunft entsprechend billich geschrieben, ebenso sind unzählig und un­ tadlig mit lich, nicht mit i g abgeleitet. Nur bei allmählich, das eine Zeit lang allgemein falsch a l l mahlig geschrieben wurde (es ist aus all gemäch­ lich entstanden), ist das eh in neuerer Zeit wieder­ hergestellt worden, wohl deshalb, weil hier doch gar zu offenbar ist, daß das l nicht zum Stamme gehören kann. Streng zu scheiden ist zwischen den Bildungen auf i g und denen auf lich bei den Adjektiven, die von Jahr, Monat, Woche, Tag und Stunde gebildet wer­ den. Hier bezeichnen die auf ig die Dauer: zwei­ jährig, eintägig, vierstündig. Bis vor kurzem konnte man zwar ost von einem dreimonat­ lichen Urlaub oder einer vierwöchentlichen Reise lesen; jetzt wird erfreulicherweise fast überall nur noch von einem dreimonatigen Urlaub und einer vierwöchigen Reise gesprochen. Dagegen bezeichnen einstünd lich, dreimonatlich so gut wie jähr­ lich, halbjährlich, vierteljährlich, monat­ lich, wöchentlich, täglich und stündlich den Zeitabstand von wiederkehrenden Handlungen. Da heißt es: in dreimonatlichen Raten zu zahlen, einstündlich einen Eßlöffel voll zu nehmen, ebenso wie: nach vierteljährlicher Kündigung. Es gibt also halbjährliche Prüfungen, das sind solche, die alle halben Jahre stattsinden, und halbstünd.ige, das sind solche, die eine halbe Stunde dauern. Genau sollte man auch unterscheiden zwischen ab­ schlägig (eine abschlägige Antwort) und a b» schläglich (eine abschlägliche Zahlung). Abs ch l ä g i g ist unmittelbar aus dem Derbalstamm gebildet, eine abschlägige Antwort ist eine abschlagende; abschläglich dagegen ist von Abschlag gebildet, eine abschlägliche Zahlung ist eine Abschlags­ zahlung. Wenn Kaufleute oder Buchhändler neuer­ dings davon reden, haß Waren oder Bücher wegen ihres niedrigen Preises den weitesten Kreisen zu gängig seien, oder eine Zeitung schreibt: die Kinder müssen so viel Deutsch lernen, daß ihnen die deutsche Kultur z u g ä n g i g ist, oder das „Tuberkulosemerkblatt" des Kaiserlichen Ge-

sundheitsamtes als Hauptmittel gegen die Ansteckung eine dem Zutritte (!) von Lust und Licht zugängige Wohnung bezeichnet, so ist das dieselbe Verwechslung. Die Wohnung soll der Lust zugänglich sein, d. h. sie soll der Luft Zugang bieten. Zu gängig könnte höchstens etwas bedeuten, was den Leuten zugeht, z.D. die Prybenummer einer Zeitung, wie das neumodische angängig (für möglich) doch das bedeuten soll, was angeht. Durchaus unnötig ist es neben unzulässig noch unzuläßlich zu bilden.

Goelhe'sch oder Goethisch? Man liest von der Ha He'sch en Universität, von Goethe'schen und Heine'scheu Gedichten und von der Ranke'sch en Weltgeschichte. Man übersehe dabei den Apostroph nicht! Die Adjektivendung isch mutz stets unmittelbar an den Wortstamm treten. Zu Laune gehört aber launisch, zu Hölle höllisch, zu Satire sati­ risch, zu S ch w e d e s ch w e d i s ch: so klingt auch nur Höllisch, Goethisch, Heinis ch, Rankisch natürlich. Es heißt ferner gut deutsch Mein in gisch und Hohenzollerisch, nicht Meiningensch und Hohenzollernsch. Jeder Mensch weiß doch, daß Goethisch nicht von einem Personennamen Goeth oder Goethi, Meiningisch nicht von einem Ortsnamen Meining gebildet ist.*) Bei solchen und manchen anderen Wortbildungen wirkt wohl ein gewisser peinlicher, scheinwissenschaftlicher Geist**) mit, dem es darauf ankommt, daß von dem Eigennamen ja kein Buchstabe verloren geht.***) *) Die man auch daS Hau- eine- Manne-, der Plank hieb, daSPlänkischeHau- nannte, die Mühle in dem Dorfe Wahren die WÜHrische Mühle. *♦) Diesem Geist verdanken wir auch schwersälltge Bildungen wie Gustav Ireytag-Stratze, das Sicbeinleben, ferner daS Vorspiel zu »Die Meistersinger". ♦♦*) In der Recht-pflege ist eine solche Vuchstabengenauigkett auch bei Eigennamen heutzutage notwendig; sie muß auch von Ge­ lehrten geordert werden, aber wozu sie von den übrigen teuren verlangen? Wozu so sehr darauf dringen, daß z. B. Winckelmann ja nur mit er ausdrücken, für dieses feine, bedingte oder: der L^.ter oder (wenn nämlich das Kind keinen Vater mehr haben sollte!) Vormund gibt es im Deutschen überhaupt kein Wort, das läßt.sich nur durch — respektive sagen, dadurch aber auch „voll und ganz". Als man nun auch im Kanzleistil den Fremdwörterzops abzuschneiden anfing, erfand man als Übersetzung von respektive das herrliche Wort beziehentlich oder beziehungsweise: be-zieh-ungsw e i - s e! Das war natürlich etwas zu lang, es immer zu schreiben und zu drucken, und so wurde es denn zu bez. „beziehungsweise" bezw. abgekürzt. Daß das Wörtchen oder auch nur vier Buchstaben hat und dabei ein wirkliches Wort ist, kein bloßer Wortstummel wie bezw., auf diesen naheliegenden Gedanken verfiel merk­ würdigerweise niemand. Und doch kann man in folgenden Beispielen das bezw. durch oder ersetzen: in einer Zeit, wo man alles den einzelnen Kreisen bezw. Staaten überließ — alles weitere jst Spezialsache bezw. Aufgabe der spätern Jahre — über den Mord bezw. Raubmord in R. ist noch immer nichts genaues festgestellt — Windschirme mit japanischer Malerei bezw. Stickerei — der Zusammen­ schluß zu einem genossenschaftlichen bezw. landschaftlichen Kreisverbande — die wieder bezw. neu gewählten Stadtverordneten — ein a n g e Hornes bezw. durch Überlieferung geschultes Geschick — die Bänder haben Wert als geschichtliche bezw. kulturgeschichtliche Erinnerungsstücke —nicht benutzte bezw. nicht abgeholte Bücher werden wieder eingestellt — es wird mit dem Keller­ geschoß bezw. Erdgeschoß angefangen — zwei Dachstuben von je drei Meter Breite und drei bezw. vier Meter Länge — jede Serie umfaßt 15 bezw. 12 Hefte — die Bemerkung befindet sich in dem V o r bezw. Nachwort der Ausgabe — W. A. Lippert, welcher flüchtig ist bezw. sich verborgen

3f£

Bez. beziehungsweise bezw.

hält — da die Anstatt nur solche Kinder auf nimmt bezw. behält, die eine Besserung erwarten lasten — wo Jahnsdors liegt be^m. gelegen hat, ist un. gewiß — viele Personen sind außerstande, selbst bei lang, samem Gange des Wagens aus- bezw. abzu­ springen — jeder Fachmann wird die Schrift bei­ seite bezw. in den Papiertorb werfen — es ist anziehend, zu sehen, wie sich dieser Kreis im Laufe der Sprachentwicklung verengert bezw. erweitert — die Weigerung der Prinzessin ist hauptsächlich bezw. ausschließlich auf diesen Umstand zurückzu­ führen. Und in folgenden Beispielen, da könnte man statt bezw. ruhig und setzen: ein Haus an der Seel. Hoven- bezw. Rhode st raße — französische Binnen bezw. Gouvernanten haben seit ÄahrHunderten in Deutschland eine Rolle gespielt — zwei Kinder im Atter von fünf bezw. drei Jahren — spater verfaßte er pädagogische bezw. Schulbischer — alle Bestellzettel bezw. Quit­ tung sformulare sind mit Tinte auszufüllen — Anfragen bezw. Anmeldungen sind an den Vorstand des Kunstvereins zu richten — zur Rechten bezw. Linken des Kaisers ''saßen der Reichskanzler und der Staatssekretär — die Zinsen werden zu OPern bezw. zu Michaeli bezahtt — großen Einfluß auf die Zahl der Dissertationen bezw. Promotionen üben die pekuniären Anforderungen, die die einzelnen Universitäten bezw. Fakultäten stellen — wann die noch übrigen Besestigungsreste der B"ura bezw. Stadt entstanden sind, läßt sich nicht mit Sicherheit angeben — der König tritt eine mehrwöchige Rtzise nach München bezw. Stuttgart an. Einigermaßen gibt beziehungsweise einen Sinn, wenn gesagt werden soll, von dem einen gelte das, von dem andern das: Die Zehnpfennigmarken und die Fünfpfennigmarken sind von roter bezw. grüner Farbe. Wer so schreibt, denkt wohl, wenn er und ge. brauche, so könnte ihn jemand auch so verstehen, als ob „sowohl" die Zehnpfennigmarken „als auch" die Fünf­ pfennigmarten zweifarbig waren, nämlich beide Arten rot und grün. Solchen Gefahren wird natürlich durch bezw.

vorgebeugt; nun weiß man genau, daß die Zehnpfenmgmarken rot und die Fünfpfennigmarken grün sind — Zehnpsennigmarken: Fünfpfennigmarken — rot: grün — darin liegt die tiefe Bedeutung von b e z w.! Ein unübertreff­ liches Beispiel ist folgender Zeitungssatz: alle Musikbezw. Trompeterkorps und alle Spielmanns, züge bliesen bezw. schlugen den Präsentiermarsch bezw. die Paradepost. Aber nun schreibt man gar: u n d (!) b e z w. Die Besitzer und bezw. Pachter der Grundstücke werden darauf aufmerksam gemacht — die Eltern und bezw. Erzieher der schulpflichtigen Kinder werden hiermit aufgefordert — ich bitte mir angeben zu wollen, ob diese Ausgabe und beziehungsweise oder (!) andre Ausgaben auf der Bibliothek vorhanden find usw. Leider ist das Wort, das übrigens neuerdings ost mit bezüglich vermengt wird,*) aus der Papier­ sprache bereits in die lebendige Sprache eingedrungen. Nicht nur in Sitzungen und Verhandlungen muß man es hören, es ertönt auch immer häufiger auf Kathedern, und da es der Professor gebraucht, gebrauchts natürlich der Student mtt, und selbst der Kaufmannsdiener sagt schon am Biertische: Sie erhalten Sonnabend abend be­ ziehentlich (oder bezüglich!) Sonntag früh Nachricht. Schließlich wird noch der Herr Assessor, der für seine Kinder zu Weihnachten Spielzeug eingetauft hat, zur Frau Assessorin sagen: ich habe für Fritz und Mariechen eine Schachtel Soldaten be­ ziehungsweise eine Puppe mitgebracht!

Provinzialismen. Für Provinzialismen ist in der guten Schriftsprache kein Raum, mögen sie stammen, woher sie wollen. Man jpricht jetzt viel davon, daß unser Sprachvorrat aus den Mundarten aufgesrischt, verjüngt, bereichert, befruchtet werden könne. Aber wenn wir von Provinzialis­ mus reden, meinen wir etwas, womit die Sprache nicht bereichert, wodurch sie nicht verschönert wird.

*) Bezüglich ist Präposition und bedeutet dasselbe wie hinsichtlich, rücksichtlich.

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Provinzialismen

NamenMch find es österreichische Ausdrücke und Wen. düngen (Austriazismen), die letzt durch wörtlichen Abdruck aus österreichischen Zeitungen in unsre Schriftsprache hereingeschleppt, dann aber auch nachgebraucht werden. Für brauchen z.B. sagt der Österreicher be. nötigen, für benachrichtigen verständigen (jemand verständigen, während sich in gutem Deutsch nur zwei oder mehr untereinander ver­ ständigen können); beides kann man jetzt auch in deutschen Zeitungen lesen. 3n der Studentensprache ist das schöne Wort unterfertigen Mode (statt unterzeichnen): das ist nichts als eine lächerliche, halb(!)-österreichifche Bastardbildung. Der Österreicher sagt: der Gefertigte. Das ist dem deutschen Studenten, der sich zuerst damit spreizen wollte, mit dem Unterzeichneten in eine Mischform zusammen­ geronnen, und seitdem erfüllt fast in allen akademischen Vereinigungen beim „Ableben" eines Mitgliedes der unterfertigte Schriftführer „die traurige Pflicht, die geehrten a. H. a. H. und a. o. M. a. o. M. geziemend (!) in Kenntnis zu setzen".

Unangenehm fallen auf die österreichischen Verbindüngen: an etwas vergessen und aus etwas erinnern: heute schien die Schar ihrer Verehrer an sie vergessen zu haben — auf die Einzel­ heiten des Stückes konnte ich nicht mehr erinnern u. Lhnl. Eine ganze Reihe von Eigenheiten hat der Öster­ reicher im Gebrauche der Adverbia. Er sagt: im vor­ hinein statt von vornherein, rückwärts statt hinten, beiläufig (bailaifig) statt ungefähr (bis zur höchsten Spitze ist es beiläufig 6000 Fuß — dies ist beiläufig der Inhalt des hübschen Buches — der zweite Band erscheint in beiläufig gleicher Stärke), während in gutem Deutsch beiläufig nur bedeutet: nebenbei, im Vorbeigehen (bei­ läufig will ich bemerken). Man möchte wirkllch annehmen, datz mancher deutsche Zeitungsredakteur von all diesen Gebrauchsunterschieden gar keine Ahnung habe, denn sonst könnte er doch solche Sätze nicht unverändert

in seiner Zeitung Nachdrucken, er müßte doch jedesmal den Austriazismus erst ins gewöhnliche Deutsch übersetzen, damit der deutsche Leser nicht falsch verstehe!

Fremdwörter.

Auch unsre Fremdwörter sind zum großen Teil Mode­ wörter. Bei dem Kampfe gegen die Fremdwörter, der seit einiger Zeit wieder in Deutschland entbrannt ist, handelt sichs natürlich nicht um die große Zahl zum Teil internationaler technischer Ausdrücke, sondern vor allem um die immer noch sehr große Zahl ganz entbehrlicher Fremdwörter, die namenllich unsre Umgangssprache und die Sprache der Gelehrten, der Beamten, der Geschäfts­ leute, der Zeitungschreiber entstellen. Zwar haben sich die Bemühungen der Sprachreiniger auch auf die technischen Ausdrücke einzelner Berufe und Tätigkeitsgebiete erstreckt, wie des Militärs, des Postund Eisenbahnwesens, des Handels, der Küche, des Spiels, auch einzelner Wissenschaften und Künste, wie der Gram­ matik, der Mathematik, der Baukunst, der Musik, des Tanzes. Was aber vorgeschlagen worden ist, hat nicht immer Beifall gefunden. Die Übersetzung ist vielleicht schwerfällig, -.D. gibt es überladene Zusammen­ setzungen (freilich sind die vielsilbigen Fremdwörter auch schwerfällig). — Man darf nun eine Verdeutschung nicht deswegen angreifen, weil sie den Sinn des Fremd­ worts nicht genau wiedergebe. Es kommt hauptsächlich darauf an, die Gegenstände durch Wörter zu be­ zeichnen. — Bei Verdeutschungen wird oft zu „gründlich" verfahren. Statt Fahrkarte hätte man doch ruhig gleich Karte sagen können!*) Man darf wohl hoffen, daß manches Fremdwort aus der Umgangssprache verschwinden wird, denn hier sind *) Karte ist kein Fremdwort mehr, sondern ein Lehn­ wort: eS sieht ganz deutsch aus. Solche Wörter, die deutscheAussehen bekommen haben oder eS gleich bei der Aufnahme schon;haben, bürgern sich am leichtesten ein; eS ist auch gar nicht nötig, sie hinauS-udrüngen.

schon viele wieder verschwunden. Die Fremdwörter unsrer Umgangssprache stammen zum Teil noch aus dem sieb­ zehnten Jahrhundert, andre sind im achtzehnten, noch andre erst in der Franzosenzeit zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts eingedrungen. Aber sie kommen eins nach dem andern wieder aus der Mode. Diele, die vor fünfzig Jahren noch für fein galten, fristen heute nur noch in den untersten Volksschichten ein kümmerliches Dasein! man denke an Madame, Logis, vis-ä-vis, peu-äpeu (in Leipzig beeabeeh gesprochen), retour, charmant, mechant, inkommodieren, sich revanchieren und viele andre. In den Befreiungskriegen gab es nur Blessierte; wer hat 1870 noch von Blessierten gesprochen? Wer amüsiert sich noch? anständige Leute nicht mehr; die haben langst wieder angefangen, sich zu vergnügen. Auch existieren, passieren (für geschehen oder begegnen: es ist ein Unglück passiert, mir ist etwas Unangenehmes passiert), sich genieren sind so heruntergekommen, daß man sie anständigerweise kaum noch gebrauchen kann. Dor dreißig Jahren gab es noch vereinzelt Schneider Mamsellen; jetzt wird jedes Dienstmädchen in der Markthalle mit Fräulein ange­ redet, wofür die Bürgerstochter freilich zum gnädigen Fräulein aufgerückt ist. Und wo ist das P a r a p l u i e geblieben, das doch auch einmal fein war, und wie fein! Dagegen halten sich andere Fremdwörter in der Umgangs­ sprache sehr zäh. Leider tauchen nur an Stelle veraltender Fremdwörter immer auch wieder neue auf. Wer hat vor zwanzig Jahren etwas von Milieu gewußt? Als es auskam, mußten auch gebildete Leute das Wörterbuch ausschlagen, um sich zu belehren, was eigentlich damit gemeint sei. Und was war es schließlich? Etwas sehr Verschwommenes, etwa das Drum und Dran. Neue Schiffe werden jetzt nicht mehr nach einem Muster gebaut, sondern nur noch nach einem Typ, ebenso auch schon Automobile und Orgeln. Unsre Frauen und Mädchen tragen keine Kleider oder Anzüge mehr, sondern nur noch Kostüme, die es früher nur aus dem Theater oder auf Maskenbällen gab. Wagen wurden bisher in eine Remise gestellt; die

Automobile müssen nawrllch etwas besondres haben, sie werden in die Garage gebracht; aber auch das ist weiter nichts als ein Schuppen. Ein neues Eigen­ schaftswort, das man seit kurzem täglich hört und liest, ist markant: eine markante Erscheinung, ein markanter Unterschied, eine markante Persön­ lichkeit, die markanteste Linie des Gesichts. Eine feine, leicht aus der Zunge zergehende Schokolade heißt im Französischen chocolat Fondant; fondre heißt schmelzen. Was haben die deutschen Fabrikanten daraus gemacht? Fondantschotolade! Warum denn nicht Schmelzschokolade? Wer hat vor dreißig Jahren etwas von chic gewußt? Es ist nichts andres als unser geschickt, das nach Frankreich gegangen und in der Form ch i c zurückgekehrt ist und nun für f e i n, h ü b s ch, nett gebraucht wird. Der Plural davon wird von unfern Geschäftsleuten chice geschrieben: chice Hüte, chice Kleider, chice Schuhe, was man wohl schicke aus­ sprechen soll, ober doch nur schitze aussprechen kann (vgl. Vice). Zum Glück ist es neuerdings schon wieder aus der Mode gekommen, es wird auch jetzt schick ge­ schrieben. Zu einem greulichen Modewort dagegen ist eventuell geworden. Es bedeutet ja: vortommendenfalls, ferner nötigenfalls oder möglichenfalls, je nachdem, dann immer mehr ver­ blassend: möglicherweise, vielleicht, etwa, wohl und endlich: gar nichts. Es gibt aber eine Menge Leute, die heute kaum noch einen Satz sagen können, worin nicht eventuell vorkäme: wir könnens ja eventuell auch so machen — ich kann eventuell schon um sieben kommen. Wenn man auf der Straße aus der Unterhaltung Vorübergehender zehn Worte ausschnappt, das Wort eventuell ist sicher darunter. Aber auch der Musikschreiber sagt: etwas mehr Fülle des Tons hätte eventuell den Vortrag noch mehr unterstützt; ein Buchhändler schreibt: umstehenden Bestellzettel bitten wir eventuell direkt an die Verlagsbuchhandlung gelangen zu lassen, und Zeitungen schreiben: ein Mensch, der eine Volksschule und eventuell eine höhere 6djule besucht hat — der Kreuzer I erhielt Befehl, sich eventuell zur Ausreise (!) bereit zu fcotten — die Regierung hat

alle Maßregeln getroffen, um für einen eventuellen (!) Streik gerüstet zu sein — es war Schutzmannschast aufgestellt, um einen eventuellen Tumult zu ver­ hüten — der Platz soll zur eventuellen (!) Bebau­ ung liegen bleiben. Fast überall kann man eventuell streichen, und der Sinn bleibt genau derselbe. Eine ganz neue Aufgabe erfüllt das Zeitwort interpretieren. Aus der Sprache der Philologie, wo es immer mehr zurück­ gegangen ist, ist es in die der Mustk- und Theaterfchreiber eingedrungen. Eine Rolle auf der Bühne wird nicht mehr gespielt, ein Musikstück nicht vorgetragen, ein Lied nicht gesungen — es wird alles interpretiert: Strauß wird die Lieder selbst dirigieren, Frau D. wird Inter, p r e t i n sein — der Künstler hat durch die Inter­ pretation dieses Liedes einen Beweis seines hervor­ ragenden Könnens erbracht (!) usw. An Stelle der Sensationen sind neuerdings die Attraktionen, ein Wort, das nach dem Tingeltangel riecht, getreten, das Konzertprogramm hat man zwar in Dortragsordnung, Dortragsfolge*) „übersetzt", aber in dieser „Dorttagsordnung" erscheint nun statt des ehemaligen Potpourris die S e l e t t i o n, und dafür hat man den guten Theater zettel in Theater Programm ver. wandelt, wenigstens in Leipzig, wo die Jungen jetzt abends am Theater ausrusen: Deeaderbroogramm ge­ fällig? Kunst- und Kunstgewerbemuseen veranstalten jetzt mit Vorliebe retrospektive Ausstellungen. Wieviele Leute, die in solche Ausstellungen laufen, mögen wissen, was retrospektiv heißt? Ein Friedhof hat in Sachsen seit einiger Zeit keine Leichenhalle mehr, sondern eine Parentationshalle! Wieviel Leute, auch gelehrte Leute, mögen wissen, was parentare und parentalio heißt, wissen, daß das heidnische Begriffe sind, die auf unsre Friedhöfe gar nicht passen? Ganz widerwärtig ist es, wie unsre Sprache neuere dings mit englischen Sprachbrocken überschüttet wird. Da wird das kleine Sttnd Baby genannt, und die Bedürsnifle *) Ist es denn notwendig, Dortragsfolge zu druckend Ich lese: Konzert von .... und dann 1. Eleonorenouvertüre von Beethoven, 2. Symphonie von Beethoven usw. — da welh ich doch, dah daö vorgetragen wird!

für kleine Kinder tauft man im Babybasar, ja im zoologischen Gatten ist sogar ein Elefantenbaby zu sehen! Ein Frauenkleid, das der Schneider gemacht hat, wird als tailor-made bezeichnet, eine Schauspielerin oder Sängerin, die Aufsehen erregt, wird als S t a r gefeiert, Buchhändler reden von Standard-Werten, unsre Schuhe werden aus Boxe als gemacht (wenn nicht noch lieber aus Ehevreau), an allen Mauern, Wanden und Schau­ fenstern fleht uns das Wort Sunlight-Seife ent­ gegen, das die Fabrikanten den deutschen Dienstmädchen zuliebe neuerdings sogar in Sun licht-Seife (!) ge­ ändert haben, ein andrer Fabrikant preist seine SafetyFüllsedern an, und an den Anschlagsäulen heißt es, daß in dem oder jenem Tingeltangel fife sisters oder sife brothers auftreten werden. Und dabei rühmt eine bekannte Fabttk von Teegebäck in Hannover, daß ihr Fabttkat der (!) beste Buttercakes sei! Eine deutsche Mutter sollte sich schämen, ihr Kiyd Baby zu nennen. Wie klingen denn diese englischen Wötter! Unsre Kanzleisprache hat sich im Laufe eines Jahr­ hunderts gewattig gereinigt. Noch 1810 konnte ein deutsches Stadtgericht an das andre schreiben: „Ew. Wohl­ geboren werden in subsidium Juris et sub oblatione ad reciproca ergebens! ersucht, die anliegende Edictalcitation in Sachen des Kaufmanns R. daselbst loco consueto affigiren zu lassen und selbige effluxo termino cum documentis aff- et refixionis gegen die Gebühr zu remittiren.” Heute hat sich, wenigstens unter den höhergebildeten Be­ amten, doch fast allgemein die Einsicht Bahn gebrochen, daß das beste und vornehmste Amtsdeutsch das sei, das die wenigsten Fremdwötter enthält. Nur der kleine Unterbeamte, der F o l i u m und D o l u m e n, R e p o s i torium und Repertorium nicht unterscheiden kann, der eine Empfangsbescheinigung eine Rezepisse nennt und vom Makulatieren der Akten redet, weil er einmal von Makulatur gehört hat, tut sich noch

etwas zugute auf ein sub oder ad (das gehört unter sub A, sagt er), auf ein a. c. (anni currentis), ein eodem die, ein s. p. r. (sub petito remissionis), ein cf. pg. (confer paginam) u. dgl.; er fühtt sich gehoben, wenn er solche geheimnisvolle Zeichen in die Akten hineinmalen kann.

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Fremdwörter.

Wundern muß man sich, daß die Männer der Wissenschäft, bei denen man doch die größte Einsicht voraussetzen sollte, noch vielfach in dem Wahne befangen sind, daß sie durch Fremdwörter ihrer Sache Glanz und Be­ deutung geben tonnten. Sn der sachwissenschastlichen Literatur, da steht die Fremdwörterei noch in voller Blüte. Der deutsche Professor glaubt immer noch, daß er sich mit editio princeps, terra incognita, eo ipso, bona fide, Edi­ tion, Publitation, Argumentation, Modi­ fikation, Akquisition, Kontroverse, Re­ sultat, Analogie, intellektuell, indi­ viduell, identisch, irrelevant, adäquat, edieren, dokumentieren, polemisieren, modifizieren, identifizieren, verifizieren vornehmer ausdrücke als mit den entsprechenden deutschen Wörtern. Er fühlt sich wunderlicherweise auch gehoben (wie der kleine Rats- und Gerichtsbeamte), wenn er lexikalisches Material sagt statt Wortschatz, wenn er von heterogenen Elementen, inten­ siven Impulsen, prägnanten Kontrasten, approximativen Fixierungen oder einer aggressivenTendenz, einem intellektuellen oder moralischen Defekt, einem Produkt destruktiver Tendenzen redet, wenn er eine Idee ventiliert, statt einen Gedanken zu er­ örtern, wenn er von einem Produkt der Textilkunst die Provenienz konstatiert, statt von einem Erzeugnis der Weberei die Herkunft nachzuweisen, wenn er schreibt: es kommt fast nie vor, daß gutartige Polypen recidivieren (statt: wiederkehren) — die Autopsie konstatierte die Existenz eines sanguinolent tingierten Serums im Perikardium (statt: bei der Öffnung der Leiche zeigte sich, daß der Herzbeutel blutig gefärbte Flüssigkeit enthielt). Und der Student macht es ihm leider meist gedankenlos nach; die wenigsten haben die geistige Überlegenheit, sich darüber zu erheben. Sn der Sprache aller Wiffenschasten gibt es ja gewisse Freimaurer­ händedrücke, an denen sich die Leute von der Zunft er-

kennen. Wie stolz ist der Student der Kunstgeschichte, wenn er zum erstenmale Cinquecento sogen kann! Zwei Semester lang tut er, als ob er sechzehntes Jahr­ hundert gar nicht mehr verstünde. Wie stolz ist er, wenn er dar Wort konventionell begriffen hat! Mit der größten Verachtung blickt er auf die gesamte Kunst aller Zeiten und Völker herab, denn mit Ausnahme der Äunft der letzten drei Jahre ist ja alles — kon­ ventionell. Und wenn er dann sein Dissertatiönchen baut, wie freut es ihn, wenn er alle die schönen vom Katheder aufgeschnappten Wörter und Redensarten darin anbringen kann! Man kennt den Rummel, man ist ja selber einmal so kindisch gewesen. Dabei begegnet es aber auch sehr gelehrten Herren, daß sie die Verneinung von normal frischweg anormal bilden, also das sogenannte Alpha privativum des Griechischen vor ein lateinisches Wort leimen, statt anomal (griechisch!) oder abnorm (lateinisch!) zu sagen. Was ist in der letzten Zeit von anormalem Denken, anormalem Emp­ finden, anormalen Trieben geschwafelt worden! Es begegnet auch sehr gelehrten Herren, daß sie von Pro­ zent ein Eigenschaftswort prozentuell bilden (als ob centum »nach der vierten" ginge, einen i,-Stamm hatte wie accentus!), statt prozentifch zu sagen, datz sie indifferent schreiben, wo sie undifferen­ ziert meinen u.dgl. Besonders stolz auf ihre Fremdwörtertenntnis sind gewöhnlich die Herren „Pädagogen", d. h. die Dolksfchullehrer, die sich nicht mit dem Seminar begnügt, sondem nachträglich noch ein paar Semester an den Brüsten der Alma mater gesogen haben. Schon daß sie sich immer Pädagogen nennen, ist bezeichnend. Lehrer klingt ihnen nicht wichtig genug. Datz ein Pädagog etwas ganz andres ist als ein Lehrer, daran denken sie gar nicht. Wenn so ein Pädagog einen Dorttag halt oder einen Aufsatz schreibt über die Ausgaben öder vielmehr die Probleme (!) des Unterrichts in der Klippschule, dann regnet es nur so von e x a k t, t h e o r e t i s ch, e m p i risch, empiristisch, didaktisch, psychisch, psychologisch, ethisch, Lu st rum, Dezennium,

' Sprachdummhetten. 8. Ausl.

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Koedukation usw. Aus diesen Kreisen ist dann auch in andre Kreise der Unsinn verpflanzt worden, von Klavier- und Gesangpädagogen zu reden. Wieck, der Vater der Klara Schumann, der bekanntlich in Leipzig Klavierstunden gab, wird stets „ter hervorragende Klavierpädagog" genannt. Der Pädagog soll doch erziehen! Weniger zu verwundern ist der Maflenverbrauch von Fremdwörtern bei Geschäftsleuten. Diele von ihnen stecken infolge ihrer Halbbildung am tiefsten in dem Wahne, daß ein Fremdwort stets vornehmer fei als das entsprechende teutsche Wort. Weil auf sie selbst ein Fremdwort einen so gewaltigen Eindruck macht, so meinen sie, es müsse diesen Eindruck auf alle Menschen machen. Ein Kapitel, das von Jahr zu Lahr beschämender für unser Volk wird, bilden die Warennamen, die, wohl meist von den Fabri­ kanten der Waren oder von ebenso unsähigen Helfern er­ sonnen, uns täglich in Zeitungen und Wochenblättern an­ schreien. Namentlich auf dem Gebiete der Arznei- und Toilettenmittel, aber auch auf andern Gebieten, wie dem der Beleuchtungsmittel, der Kraftfahrzeuge, der Musik­ maschinen, der photographischen Artikel, der „alkoholfreien" Getränke üsw., wimmelt es davon. Von vernünftigen Sprachgesetzen, noch denen sich doch auch solche Namen bilden ließen, ist gar keine Rede mehr. Die Zeiten, wo ehr Chemiker oder ein Techniker, der einen neuen Namen brauchte, einen Philologen zu Rate zog, sind längst vor­ über. Jeder Fabrikant hält sich heute für berechtigt und befähigt, solche Namen zu bilden; er nimmt ein paar . Stämme oder Wurzeln, kann man gar nicht sagen, sondern Stammspütter oder Wurzelsetzen — von irgendwelchen griechischen oder lateinischen Wörtern und leimt sie an­ einander, klebt auch vielleicht noch eine der aus der Chemie bekannten ober sonst beliebten Endungen daran (ol, il, it, in usw.), und der Name ist fertig. Man denke nur an Wörter wie Odol, Pektol, Iavol, Dirisanol, Antirheumol, Pomeril, Frutil, Fortis in, Antinervin, Bios er rin, Hämoglobin, Sana­ togen, Kantophon, Solvolith, Photonox, Humidophor, Piano la, nicht zu reden von Ver­ quickungen wie Velotrab, Bio malz, Abrador,

Waschisix, Glättolin, Dauerlin usw. usw.*) Man geht so weit, daß man sogar die Namen der Orte zu Hilfe nimmt, wo die Waren fabriziert werden, und Namen bildet wie T h ü r p i l (Thüringer Pillen!), ja daß man die Anfangsbuchstaben des in der Regel ja sehr breit­ spurigen Namens der Anstalt oder Fabrik, aus der die Ware hervorgeht, oder anderer beliebiger Wörter zu einem scheinbaren Wort aufreiht, das in Wahrheit nichts als ein bloßer Lauthaufe ist, ja daß man sogar aus ganz be­ liebigen Lauten solche Lauthaufen bildet! roia aga simi perco aok degea ohno pilo agfi wuk afpi tita oxo ciba pebecotepe pebeco densos — klingt das nicht wie Sprache der Herero oder der Wahehe? Das alles sind deutsche Warennamen! Ein Glück, daß die meisten nur ein kurzes Dasein fristen. Sie flackern zu irgendeiner Zeit plötzlich auf, verlöschen aber bald wieder wie Lämp­ chen, denen das nötige Öl fehlt. Leider drängen sich aber an die Stelle jedes verschwindenden sofort wieder zwei oder drei neue. Man kann nur hoffen, daß der ganze fortgesetzte Unsinn schließlich einmal an sich selber zugrunde gehen werde. Eine Schrulle des Geschäftsstils ist es, wenn jetzt an­ gezeigt wird, daß Kohlen ab Zwickau oder ab Werke (!) oder ab Bahnhof oder ab Lager zu haben seien, Heu ab Wiese verkauft, Flaschenbier ab Brauerei oder ab Kellerei, Mineralwasser ab Quelle geliefert werde, daß eine Konzertgesell­ schaft ab Sonntag den 7. Juni austrete, oder daß eine Wohnung ab 1. Oktober zu vermieten sei. A b als selbständige Präposition vor Substantiven (vgl. a b Handen, d.i. ab Handen) ist schon seit dem sieb­ zehnten Jahrhundert vollständig durch von verdrängt. Nur in Süddeutschland und namentlich in der Schweiz wird es noch gebraucht, dort sagt man noch ab dem Hause, ab dem Lande. Dieses alte deutsche ab meinen aber die Geschäftsleute gar nicht, vielmehr das *) Freilich flehen Technik und Wissenschaft mit bösem Beispiel voran. Vgl. Taxameter, Automobil, homo­ sexuell (dessen erste Hälfte auch „gebildete" Leute für das lateinische homo halten!), Telefunken u. ähnl.

lateinische ab. Zuzutrauen wäre es thuen, wenigstens wenn man pro Jahr, pro Kopf, per sofort, per bald, per Weihnachten und ähnliches da­ mit vergleicht.*) Eine Menge Fremdwörter schleppen sich in der Zei­ tungssprache fort. In der Zeit der Befreiungskriege redete man viel von Monarchen; bei Leipzig er­ innert noch der Monarchenhügel daran. Heute dient der Monarch nur noch dem Zeitungschreiber zur Abwechselung und als Ersatz für das persönliche Fürwort er, das er sich von einem gekrönten Haupte nicht zu ge­ brauchen getraut: heute vormittag empfing der Kaiser den Prinzen I; bald daraus stattete der Monarch dem Prinzen einen Gegenbesuch ab — der Katarrh des Kaisers ist noch im Zunehmen begrisfen, doch ist das Befinden des Monarchen befriedigend — es steht jetzt fest, daß die angedeutete Besprechung des Königs nicht stattgesunden hat, der Monarch also gar nicht in der Lage gewesen ist, sich zu äußern — der König nahm heute an der Familientasel teil, nach der Tafel besuchte der Mona r ch die Gartenbauausstellung — der König wurde aufs Rat­ haus geleitet, wo der Bürgermeister den Monarchen erwartete — Frl. R. überreichte dem König ein Bukett, wofür der Monarch freundlich dankte. Lieblingswörter der Zeitungssprache sind: Individuum, Panik, Affäre, Kota st rophe. Wenn ein Kerl einen Mord­ versuch gemacht hat, heißt er stets ein Individuum. Ein großer Schrecken in einer Dolksmasse oder im Theater wird stets als Panik bezeichnet; ob der Zeitungschreiber wohl eine Ahnung davon hat, woher das Wort stammtEinen großen Unglücksfall nennt er stets eine Katastrophe: da gibt es Eisenbahn-, Schiffs- und Bootskatastrophen, Erdbeben- oder Dulkankatastrophen, Brandkatastrophen, Über­ schwemmungskatastrophen, Grubentata♦) Manche Kaufleute behaupten, in dem ob liege ein be­ sondrer ©Inn; es solle auSdrücken, baß der Übergang einer Ware aus dem Besitz deS Kaufmanns In den deß Käufers an der angegebnen Stelle (ab Bahnhof, ab Uegtr) geschehe; der Bahnhof, das Lager sei der „(irfftdunußort*: daS ist aber nur eine nachträgliche Entschuldigung, daß Wesentliche ist dem, der ab, pro, per bewußt anwendet, oaS Fremdwort als solches.

ftrophen, sogar Ung lückskatastrophen I Er redet auch stets von einer Duellaffare, einer Sabel­ ass 8 r e, einer Messera sfare, einer Giftmordossäre. Einen gemeinen Betrüger bezeichnet er vornehm als Defraudanten. Wenn sich einer in einem Hotel erschießt, so gibt das eine Detonation, dann findet man das P r o f e k t i l, das Motio der Tat ist aber gewöhnlich unbekannt. Gerade gegenwärtig schwelgen die Zeitungschreiber wieder — im Leitartikel wie im Feuilleton — arger denn je in Fremdwörtern. Es ist, als ob es ihnen förmlich Spaß machte, die Puristen zu ärgern und ihnen zu zeigen: wir scheren uns den Kuckuck um eure Bestrebungen! Der Kohlen ko n sum figu­ riert bei der Rentabilität als Bagatelle — von solchen Sötzen sind die Zeitungen wieder voll. Es war schon einmal besser geworden. In manchen Fallen sind die Zeitungsschreiber einfach zu bequem, das betreffende Wort zu übersetzen. Wir haben oft von einem amtlichen Communique gelesen, das ein Staat an den andern geschickt hat — hatte man das nicht sofort durch amtliche Mitteilung übersetzen können? ♦) Könnte man doch nur den Aberglauben loswerden, daß das Fremdwort vornehmer sei als das deutsche Wort, das momentan vornehmer klingt als a u g e n b l i ck lich, transpirieren vornehmer als schwitzen (der Hufschmied bei seiner Arbeit schwitzt bekanntlich, aber der Herr im Ballsaal transpiriert, ist ihm das zu gewöhnlich, dann sei er doch auf deutsch erhitzt!), professioneller Vagabund vornehmer als gewerbsmaßiger Land st reicher, ein elegant möbliertes Gareonlogis vornehmer als ein fein ausgestattetes Herrenzimmer, tonsequent ignorieren vornehmer als beharr♦) Angabe in fremden Längen-, Gewichts- und Hohl­ maßen sowie von Graden nach Fahrenheit und dergleichen sollte Immer übertragen werden. Jede gröbere Zeitung könnte sich Umrechnungen zusammensiellen. Unter einer Höhe von 20000 Fuß, zwei Pud, 100000 Buschel (Betreibe, 98 Grad Fahrenheit stellen sich die wenigsten Leser etwas vor. Nachschlaaen können auch die wenigsten. Wozu dann überhaupt die Angabe? -

llch unbeachtet lassen, daß ein Cleve etwas vornehmeres sei als ein Lehrling (Apotheker, Banken usw. suchen stets Eleven!), ein Collier etwas vor­ nehmeres als ein Halsband oder eine Halskette!*) Schon der Umstand, daß wir für niedrige, gemeine Dinge so oft zum Fremdwort greifen, sollte uns von diesem Aberglauben befreien. Oder wäre perfid, frivol, anonymer Denunziant nicht zehnmal gemeiner als treulos, leichtfertig, ungenannter Ankläger? Und stehen noble Passionen nicht tief unter edeln Leidenschaften? Um etwas niedriges zu bezeichnen, dazu sollte uns das Fremdwort gerade gut genug fein.**) Aber auch unklar, verschwommen, vieldeutig sind oft die Fremdwörter. Was wird nicht alles durch kon­ statieren ausgedruckt! Fe st stellen, behaupten, erklären, wahrnehmen, beobachten, nach, weifen — alles legt man in dieses alberne Wort! Da ist wieder etwas überraschendes zu konstatieren — was heißt das anders als: da macht man wieder eine über­ raschende Wahrnehmung oder Beobachtung?***) Was soll intensiv nicht alles bedeuten: groß, stark, lebhaft, heftig, eifrig, kräftig, genau, scharf, straff! Man nutzt die Zeit intensiv aus, lernt ein Volk intensiv kennen, bespricht eine Rechenaufgabe intensiv usw. Was soll direkt nicht alles bedeuten! Bald unmittelbar (die direkte Um­ gebung von Leipzig, eine Ware wird direkt bezogen, ♦) Sehr bitter spottete einmal darüber ein junger sranzösischer Student in Leipzig. Die deutschen Mädchen, sagte er, glauben, sie müstten Colliers tagen, weil jeder Hund ein Balöband trägt. In Parts tagt aber doch jeder Hund ein ollier! *♦) Ein vortrefflicher deutscher Schriststeller, August Apel, nennt (1815) einen eingebildeten Kunstkenner einen Con­ naisseur und fügt hinzu: Ich liebe fremde Worte, um die affektierende Abart zu bezeichnen. ***; Weist der Leser, wie konstatieren entstanden ist? Durch Anhängen der Endung »leren an daS lateinische Im­ personale constat. Fast unglaublich, aber Tatsache. Und dabei ist in 999 von 10lX) Füllen konstatieren nichts weiter als ein ganz überflüssiger Henkel für einen Aussagesatz. Man sagt nicht: der Hund hat einen Schwanz, sondern man konstatiert, dast der Hund einen Schwan- hat.

einer ist der direkte Schüler des entern, ein Aufsatz wird unter direkter Beteiligung des Kanzlers ge­ schrieben), bald gleich (sie gingen direkt von der Arbeit ins Wirtshaus), bald dicht oder nahe (der Gasthof liegt direkt am Bahnhof), bald g e r a d e (die Straße führt direkt nach der Ausstellung), bald ge­ radezu (die Verschiedenheit der Darstellung wird als direkt störend empfunden — die Stelle wirkt in dieser Fassung direkt erschütternd — die Dichtung ist in ihrer Art direkt klastisch — die evangelische Kirche ist hier in direkt falschem Licht dargestellt), bald genau (soll ich denn direkt um sieben kommen?), bald wirklich (bist du In Berlin gewesen, direkt in Berlin?), bald nur (Ihre Bibliothek hat also direkt wistenschaftliche Werte?). Eine Berlinerin ist imstande, zu ihrem unge­ zognen Bengel zu sagen: was hast du da gemacht? das ist direkt ein Fettfleck! oder: wirst du direkt folgen? wirst dus direkt wieder ausheben? Was für ein un­ klares Wort ist Konsequenz! Bald soll es Folge heißen (die Konsequenzen tragen), bald Folgerung (die Konsequenzen ziehen). Was für ein unklares Wort ist Tendenz! Bald soll es Bestrebung bedeuten, bald Absicht, bald Richtung, bald Neigung. Was für ein unklares Wort ist System! Man spricht von einem philosophischen Sy st em und meint eine Lehre oder ein Lehrgebäude, von einem Röhrensystem und meint ein Röhrennetz, von einem Festungssystem und meint einen Festungsgürtel, von einem Achsensystem und meint ein Achsenkreuz, von einem S t e r n s y st e m und meint eine Sterngruppe, von einem DerwaltungsI y st e m und meint die Grundsätze der Verwaltung, von einem Sprengwagen System Eckert und meint die Bauweise, ja man kann nicht ein Hemd auf den Leib ziehen, ohne mit einem S y st e m in Berührung zu kommen, entweder dem S y st e m Prof, v r. I a g e r (!) oder dem System Lahmann oder dem System Kneipp — was mag sich die Verkäuferin im Wolladen unter all diesen Systemen denken? Man sagt: hier fehlt es an System, und meint Ordnung oder Plan, man spricht von systematischem Vorgehen und

meint planmäßig". Dazu wird System fort und fort verwechselt mitPrinzip und mit Meth o b e (auf derselben Seite spricht derselbe Schriftsteller bald von Germanisierungssystem, bald von Germanisierungsmethode). Wie kann man den Reichtum des Deutschen so gegen die Armut des Fremden vertauschen! Das Erstaunlichste von Vieldeutigkeit und infolgedessen völliger Inhaltlosigkeit sind wohl die Wörter Interesse, interessant und interessieren. Vor kurzem hat jemand in einer großen Tabelle alle möglichen Übersetzungen dieser Wörter zusammengestellt. Da zeigte sich, daß es kaum ein deutsches Adjektiv gibt, das nicht durch interessant übersetzt werden könnte! Ein so nichtssagendes „SummelwortN sollte doch anständigerweise in keinem Buche und keinem Aussatze mehr Vorkommen. Statt das Urteil ^Inter­ essant"' abzugeben, das doch vielfach nur Verlegen« heitsurteil ist, sollte man lieber schweigen oder — Farbe bekennen. Aus der Unklarheit, die durch die Fremdwörter großgezogen wird, entspringen bann auch so alberne Verbin­ dungen wie: vorübergehende Passanten, dekorativer Schmuck, neu renovierter Saal, Grundprinzip, Einzelindioiduum, Attentatsversuch, desensioe Abwehr, numerische Anzahl, gemeinsame Soli­ darität, charakteristisches Gepräge (in der Kunst und Literaturschreiberei äußerst beliebt!), aus­ schlaggebendes Moment u. ähnl. Nicht einmal richtig geschrieben werden manche FremdWörter. Wir Deutschen lassen uns keine Gelegenheit entgehen, über den Fremden zu spotten, der ein deutsches Wort falsch schreibt. Aber machen wir es denn besser? Nicht bloß der kleine Handwerker setzt uns eine Letterage oder eine Lamp erie auf die Rechnung statt einer D i t r a g e oder eines L a m b r i s, sondern auch der Zeitungschreiber schreibt beharrlich Plebiscit, Dias­ pora, Atmosphäre (sogar Athmosphäre), Proselyten statt Plebiscit, Diaspora, Atmo­ sphäre, Proselyten. Wer Griechisch versteht, dem» kommt doch Diaspora und Proselyten so Dor„ pofe wenn einer Schnürstiefel und Halstuch>

schriebe! Auf Leipziger Ladenschildern liest man in zehn Fallen kaum einmal richtig Email, überall steht Emaille, ein Wort, das es gar nicht gibt! Drogue und Droguerie werden sogar amtlich in der „neuen Orthographie" Droge und Drogerie geschrieben, als ob sie wie L o g e und E l o g e ausgesprochen werden sollten; man ließe sich noch Drogerei gefallen, aber — erie ist doch eine französische Endung! Wie lange wird man noch posthum mit h schreiben! Man kann daraus wetten, daß die meisten dabei nicht an poslumus, sondern an humus denken. Ganz glücklich sind die Leute, wenn sie in einem Fremdwort ein y anbringen können; gewöhnlich tun sies aber gerade an der falschen Stelle, wie in Sphynx, Syphon, Logogryph usw. Manche Fremdwörter berauschen die Menschen offen­ bar durch ihren Klang, wie glorreich (in Leipziger Festreden ch l o r r e i ch gesprochen), h i st o r i s ch, Material, Element, Moment, Faktor, Charakter, Epoche und die zahlreichen Wörter auf ion. Material wird in ganz abscheulicher Weise gebraucht: man redet nicht bloß von Pferdematerial, sondern auch von Menschenmaterial, Kolo­ nist enmaterial, sogar Referendarmaterial! Streicht man das Material, so bleibt der Sinn derselbe und der Ausdruck verwert zwar seine klangvolle Breite, aber auch seinen ganz unnötig geringschätzigen Nebensinn. Zu den nichtsnutzigsten Klingtlangwörtern gehören Element, Moment (das Moment!) und Faktor, sie werden ganz sinnlos mißbraucht. Es sind ja eigentlich lateinische SBortertelementum. momentum, factor); wenn man aber einen Satz, worin eins von ihnen vor­ kommt, in wirkliches Latein übersetzen wollte, könnte man meist gar nichts besieres tun, als die Wörter einfach — weglassen. Liberale Elemente, bedenkliche, unzuverlässige, gefährliche Elemente — das ist doch nichts andres als Manner, Menschen, Leute. Glücklicherweise bildeten die anständigen Elemente die Majorität — das heißt doch nichts weiter als: die anständigen Leute bildeten die M e h r h e i t. Da will einer sagen: trotz aller Erfahrungen im Seekrieg ist der Torpedo noch immer etwas neues. Das drückt er so aus: trotz

aller Erfahrungen im Seekrieg ist der Torpedo noch immer ein neues Element oder ein neues Moment oder ein neuer Faktor — nun klingt es! Hier stnd drei Momente zu berücksichtigen, oder hier wirken drei Faktoren zusammen — bei Lichte besehen ist