Alexander-von-Humboldt-Ehrung in der DDR: Festakt und Wissenschaftliche Konferenz aus Anlaß des 125. Todestages Alexander von Humboldts 3. und 4. Mai 1984 in Berlin [Reprint 2021 ed.] 9783112485101, 9783112485095


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German Pages 138 [140] Year 1987

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Alexander-von-Humboldt-Ehrung in der DDR: Festakt und Wissenschaftliche Konferenz aus Anlaß des 125. Todestages Alexander von Humboldts 3. und 4. Mai 1984 in Berlin [Reprint 2021 ed.]
 9783112485101, 9783112485095

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ABHANDLUNGEN DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Abteilung Mathematik, Naturwissenschaften, Technik

N2

1985

Alexander-von-HumboIdt-Ehrung in der DDR 3. und 4. Mai 1984 in Berlin

AKademie-Verlag Berlin

ABHANDLUNGEN DER A K A D E M I E DER WISSENSCHAFTEN D E R DDR Abteilung Mathematik - Naturwissenschaften - Technik Jahrgang 1985 • Nr. 2 N

Alexander-von-Humboldt-Ehrung in der DDR Festakt und Wissenschaftliche Konferenz aus Anlaß des 125. Todestages Alexander von Humboldts 3. und 4. Mai 1984 in Berlin

bearbeitet von Dr. Heinz Heikenroth und Dr. Inga Deters

AKADEMIE-VERLAG BERLIN 1986

Herausgegeben im Auftrage des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der D D R von Vizepräsident Prof. Dr. Heinz Stiller

ISSN 0138-1059 Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, D D R - 1086 Berlin, Leipziger Str. 3 - 4 © Akademie-Verlag Berlin 1986 Lizenznummer: 202 • 1 0 0 / 6 6 / 8 5 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: I V / 2 / 1 4 V E B Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 4450 Gräfenhainichen • 6606 LSV 8016 Bestellnummer: 763 4 9 8 3 ( 2 0 0 1 / 8 5 / 2 / N ) 02500

Bild 1 A l e x a n d e r von H u m b o l d t Bild von J . Stielcr

Ein Wort voraus

Bedarf es einer rechtfertigenden Vorrede, wenn es darum geht, Beiträge zu einer Ehrung des hervorragenden Naturwissenschaftlers, Forschungsreisenden und Humanisten Alexander von Humboldt zu veröffentlichen? Die Frage so stellen heißt, sie verneinen. Sein Ruhm hatte bereits zu Lebzeiten ein Ausmaß erreicht, daß man ihm nicht nur zu „runden" Jubiläen huldigte, sondern auch an solchen Gedenktagen - wie etwa dem der Überschreitung des Alters von Newton -, welche nicht von dem Umstand abhängen, daß wir, wie der „Fürst der Mathematiker" Carl Friedrich Gauß bei eben jener Gelegenheit launig bemerkte, fünf Finger an jeder Hand haben. Und heute? Die Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik hat seiner 1959 mit einer Gedenkschrift zum 100. Todestag, 1969 mit einer Festschrift anläßlich des 200. Geburtstages gedacht. Der hiermit vorgelegte Sammelband setzt also aus Anlaß seines 125. Todestages eine gute Tradition fort und legt neuerlich davon Zeugnis ab, daß das Andenken an Humboldt bei uns lebt, sein Erbe fruchtbar gemacht und angewendet wird. In einer Zeit, in der der Friede ernstlich bedroht ist, ist die Rückbesinnung auf das kämpferische Menschentum Humboldts für Frieden und Völkerverständigung mehr als ein Signal, sie ist ein Bekenntnis. In diesem Sinne übergebe ich als Vorsitzender des Alcxander-von-Humboldt-Komitees bei der Akademie der Wissenschaften der DDR die Vorträge des Festaktes vom 3. Mai 1984 und die Verhandlungen der gleichermaßen seinem 125. Todestag gewidmeten wissenschaftlichen Konferenz vom 4. Mai 1984 der Öffentlichkeit. Diese Humboldt-Ehrung brachte einen Überblick über Leben und Werk des Gefeierten, über seine Bedeutung für die Freiheitsbewegung Lateinamerikas, über seine ideellen, unvermindert aktuellen Zielsetzungen, über die Aneignung seines wissenschaftlichen Vermächtnisses durch die Geo- und Biowissenschaften unserer Tage, und sie legte Rechenschaft ab von der umfassenden Humboldt-Forschung an unserer Akademie. Beiträge sowjetischer und kubanischer Gelehrter über das Fortwirken des A.ufenthalts und der Reisen Humboldts in ihren Ländern waren Glanzpunkte dieser Veranstaltungen. Eine angenehme Verpflichtung ist es mir, allen in- und ausländischen Autoren dafür aufrichtig Dank zu sagen, daß sie ihre Manuskripte zur Veröffentlichung zur Verfügung stellten und so diese erneute Manifestation des humanen Sinns der Wissenschaften für das Wohl des Menschen, im Geiste Alexander von Humboldts, ermöglichten.

Berlin, im Februar 1985

Prof. Dr. habil. Heinz Stiller Ordentliches Mitglied und Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften der DDR Vorsitzender des Alexander-von-Humboldt-Komitees bei der Akademie der Wissenschaften der DDR 3

Inhalt

I. Festakt im Plenarsaal der A k a d e m i e der Wissenschaften der D D R am 3. M a i 1984 Prof. Dr. Heinrich Scheel Ordentliches Mitglied und Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften der D D R

Begrüßung

.

9

Prof. Dr. Werner Scheler Ordentliches Mitglied und Präsident der Akademie der Wissenschaften der D D R

Eröffnung

11

Prof. Dr. Edgar Lehmann Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der D D R Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften

Wesen und Werk Alexander von Humboldts aus geowissenschaftlicher Sicht

15

II. Wissenschaftliche Konferenz im Plenarsaal der A k a d e m i e der Wissenschaften der D D R am 4. M a i 1984 Prof. Dr. Manfred Kossok Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der D D R

Alexander von Humboldt und der Freiheitskampf Spanisch-Amerikas . .

31

Prof. Dr. lnnokentij Petrovic Gerasimov f Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR Direktor des Institutes f ü r Geographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR

Die Bedeutung der Reise Alexander von Humboldts nach Rußland aus heutiger Sicht

38

Prof. Dr. Kurt-R. Biermann Leiter der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften der D D R

Alexander-von-Humboldt-Forschung an der Akademie der Wissenschaften der DDR

44

Prof. Dr. Alexander Leonidovic ]ansin Ordentliches Mitglied und Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften der UdSSR

Die Ideen Alexander von Humboldts über die Beziehungen terrestrischer und kosmischer Prozesse und ihre Entwicklung in den Arbeiten russischer Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts

50 5

Prof. Dr. Antonio

Núñez

Jiménez

Ordentliches Mitglied der Kubanischen Akademie der Wissenschaften

Kuba und Alexander von Humboldt Prof. Dr. Inge

Paulukat

Leiter der Sektion Geographie an der Humboldt-Universität zu Berlin

Die gesellschaftlich-geographischen Auffassungen Alexander von Humboldts in seinen Werken über Lateinamerika Prof. Dr. Walter

Vent

Bereich Botanik und Arboretum der Humboldt-Universität zu Berlin

Flora von Kuba - internationales Forschungsprojekt im Geiste Alexander von Humboldts Prof. Dr. Heinz

Kautzleben

Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der D D R Direktor des Zentralinstituts für Physik der Erde der Akademie der Wissenschaften der DDR

Die Förderung von Geodäsie und Geophysik durch Alexander von Humboldt und seine Wirkung bis in die Gegenwart Prof. Dr. Karl-Heinz

Bernhardt

.Vorsitzender der Meteorologischen Gesellschaft der D D R

Alexander von Humboldts Auffassung vom Klima und seine Rolle bei der Gründung des Preußischen Meteorologischen Institutes Prof. Dr. Wolfgang

Mündt

Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der D D R Direktor des Heinrich-Hertz-Institutes für Atmosphärenforschung und Geomagnetismus

Aktualität und Bedeutung Alexander von Humboldts Arbeiten zum Geomagnetismus Prof. Dr. Günter Prof. Dr. Manfred

Hoppe Barthel

Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin

Der Beitrag Alexander von Humboldts zur Entwicklung der geowissenschaftlichen Sammlungen der Berliner Universität Dozent Dr. Ilse

Jahn

Humboldt-Universität zu Berlin

Alexander von Humboldt zu biologischen Problemen in seinem Briefwechsel mit Berliner Zoologen Prof. Dr. Frank

Richter

Bergakademie Freiberg, Sektion Philosophie

Philosophie auf dem Prüfstand zweier Jahrhunderte Dr. Horst

Fiedler

Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften der D D R

Alexander von Humboldt und Georg Forster

Prof. Dr. Heinz

Stiller

Ordentliches Mitglied und Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften der D D R

Schlußwort

117

III. Weitere Beiträge zum J u b i l ä u m Prof. Dr. Helmut

Klein

Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der D D R Rektor der Humboldt-Universität zu Berlin

Ansprache anläßlich der Kranzniederlegung am Denkmal Alexander von Humboldts am 3. Mai 1984

119

I V . Das Alexander-von-Humboldt-Komitee bei der A k a d e m i e der W i s senschaften der D D R

121

V. Bildanhang

123

7

Heinrich Scheel

Begrüßung

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, Sie alle, die Sie sich hier eingefunden haben, um des 125. Todestages Alexander von Humboldts, seiner und seines Werkes würdigend zu gedenken, im Namen der Akademie der Wissenschaften der D D R und ihres Präsidiums auf das herzlichste zu begrüßen. Eine besondere Freude ist es mir, unter den Anwesenden das Ordentliche Mitglied unserer Akademie, Herrn Prof. Dr. Lothar Kolditz, Präsident des Nationalrates der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik, willkommen zu heißen. Ebenso herzlich begrüße ich den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der D D R und Minister für Wissenschaft und Technik, Genossen Dr. Herbert WeizMein besonderer Gruß gilt dem Mitglied des Zentralkomitees der SED, dem Leiter der Abteilung Wissenschaften beim Zentralkomitee der SED, Genossen Prof. Dr. Hannes Hornig, und dem Mitglied des Zentralkomitees der SED, dem Minister für Hoch- und Fachschulwesen Genossen Prof. Dr. Hans-Joachim Böhme. Ich begrüße Genossen Dr. Paul Wandel, Vizepräsident der Liga für Völkerfreundschaft der D D R , und alle anderen anwesenden Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees der SED ebenso wie weitere Vertreter von Partei, Regierung und des geschäftlichen Lebens. Eine ganz besondere Freude ist es mir, die hier anwesenden, in der D D R akkreditierten Botschafter und Geschäftsträger lateinamerikanischer Staaten und weitere Vertreter des Diplomatischen Corps willkommen zu heißen. Herzlichst begrüße ich auch unsere zahlreichen ausländischen Gäste, darunter die Delegation der Akademie der Wissenschaften der UdSSR mit dem Vizepräsidenten Alexander Leonidovic Jansin. Es erfüllt uns mit Stolz und ehrt uns auf besondere Art, Gastgeber dieser Festveranstaltung und wissenschaftlichen Tagung zur Würdigung der Persönlichkeit und des Schaffens des großen Naturforschers, Humanisten und Freundes der Völker Alexander von Humboldt sein zu dürfen, dessen Erbe in der Deutschen Demokratischen Republik sorgsam bewahrt, aufmerksam studiert und fruchtbar gemacht wird.

9

Werner Scheler

Eröffnung

Exzellenzen! Meine Damen und Herren! Genossinnen und Genossen, liebe Freunde! Ich habe die Ehre, hiermit die Festsitzung des Plenums der Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik aus Anlaß des 125. Todestages Alexander von Humboldts zu eröffnen. Es gereicht mir zur besonderen Freude, in unserer Mitte zahlreiche Ehrengäste begrüßen zu dürfen. Ein schöpferisches Verhältnis zur deutschen Geschichte und zur Weltgeschichte ist, wie im Aufruf zum 35. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik betont wird, ein wesentliches Element unseres sozialistischen Nationalbewußtseins. Unter den Persönlichkeiten, deren Vermächtnis wir ehren und aus deren Werk wir lernen, nimmt Alexander von Humboldt einen hervorragenden Platz ein. Die Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik hat sich stets dem Andenken dieses ihres hervorragenden Mitglieds, das ihr durch fast 60 Jahre in aktiver Mitgliedschaft angehört hat, zutiefst verpflichtet gefühlt. Ich erinnere an das feierliche Gedenken anläßlich seines einhundertsten Todestages im Jahre 1959 oder an den vom Ministerrat unseres Staates gemeinsam mit uns und der Humboldt-Universität veranstalteten Festakt aus Anlaß seines zweihundertsten Geburtstages im Jahre 1969. Bei diesen Gelegenheiten sind viele zuvor unbekannt gebliebene oder unterschätzte Aspekte seines Wirkens und Strebens untersucht und ins rechte Licht gesetzt worden. Hierzu trugen die international geschätzten Ergebnisse der seit mehr als 25 Jahren an unserer Akademie betriebenen Humboldt-Forschung wesentlich bei. Hatte 1959 im Mittelpunkt der Ehrung die Bedeutung seines wissenschaftlichen Werks für Meteorologie, Klimatologie und Hydrobiologie, Montanwissenschaften und Mathematik gestanden, so lag 1969 der Hauptakzent auf Humboldts Vorbildwirkung für Fortschritt und Befreiung der Menschheit. Mit berechtigter Genugtuung konnte nachgewiesen werden, daß in unserem Lande die Ideen des kämpferischen Menschentums Humboldts gegen Rassismus, Chauvinismus und Kolonialismus, für alles Gute, Fortschrittliche, Demokratische und Humane zur Grundlage unserer gesellschaftlichen Ordnung wurden. Wenn wir jetzt nun des 125. Todestages des überragenden Naturforschers und Humanisten, Forschungsreisenden und Freundes der Völker gedenken, so wollen wir insbesondere seine Beziehungen zur Geographie und zu anderen Geowissenschaften würdigen. Zugleich werden aber, dessen bin ich gewiß, die Vorträge auch vieles andere Neue und noch heute Gültige zu Tage bringen. Ich darf mich daher in diesen einleitenden Bemerkungen auf wenige Worte darüber beschränken, inwiefern Humboldt als Gelehrter und Humanist, über die Grenzen einzelner Disziplinen hinaus, beispielgebend für den Wissenschaftler unserer Tage zu sein vermag. 11

Immer wieder beeindruckend bei ihm - wie übrigens bei vielen hervorragenden Gelehrten seiner Zeit - ist der Blick des Wissenschaftlers für die praktischen Bedürfnisse des Lebens, sei es des Bergbaues, der Manufakturen, der heraufkommenden Industrie, der sozialen Bereiche. So ersann Humboldt als junger Bergmeister im Fichtelgebirge einen „Licht-Erhalter" und eine „Respirationsmaschine", und er erprobte selbst seine Erfindungen mit ihrer hohen Bedeutung für die Vermeidung von Unfällen bzw. die Rettung verunglückter Bergleute in gefahrvollen Versuchen. Mir scheint, daß dieses Beispiel eindrucksvoll belegt, wie Humboldt schon frühzeitig sich zur gesellschaftlichen Verantwortung und zum ethischen Auftrag des Wissenschaftlers bekannt und wie er ihn verwirklicht hat. Lassen Sie mich Humboldt selbst zitieren: „Wenn es ein Genuß ist, durch neue Entdeckungen das Gebiet unseres Wissens zu erweitern, so ist es eine weit menschlichere und größere Freude, etwas zu erfinden, das mit der Erhaltung einer arbeitsamen Menschenklasse, mit der Vervollkommnung eines gewichtigen Gewerbes in Verbindung steht." Als Humboldt dieses Bekenntnis zu einem beispielhaften sozialen Engagement und den Anwendungen der Wissenschaft niederschrieb, war er noch keine 28 Jahre a l t ! Neben seiner anstrengenden bergbaulichen Tätigkeit widmete sich Humboldt in seiner kärglich bemessenen Freizeit intensiven physiologisch-chemischen Untersuchungen zur Klärung des damals aktuellen Problems der tierischen Elektrizität. Das Ausmaß seiner Versuche wird erkennbar, wenn wir hören, daß Humboldt neben etwa 4 000 Experimenten an Tieren auch zahlreiche schmerzhafte Eigenversuche angestellt hat. Die wissenschaftliche Bedeutung war temporärer Art und weniger folgenreich, als etwa die konkreten Nachrichten über das tödliche Jagdgift Curare, die er als Nebenfrucht von seiner berühmten amerikanischen Forschungsreise rund zehn Jahre später nach Europa brachte. Durch seine Beobachtungen und Erkundungen entriß er das Pfeilgift dem legendären Bereich und machte es der wissenschaftlichen Forschung zugänglich. Was sich bei allen diesen und seinen vielseitigen weiteren wissenschaftlichen Arbeiten offenbarte, das ist vor allem die beständige eigene Initiative Humboldts. Er wartete nicht auf äußere Anregungen oder einen Auftrag; er erkannte vielmehr eine Fragestellung als dringend und fruchtbar und suchte sie sogleich unter Aufopferung seiner Muße zu beantworten. Gewiß haben sich die Verhältnisse seither grundlegend geändert, und natürlich ist heute ein unvergleichlich höherer experimenteller und finanzieller Aufwand erforderlich, der die Möglichkeiten privater Forschung übersteigt - Humboldt trug die Kosten noch selbst, konnte sie selbst bestreiten - , aber seine Risikofreudigkeit und seinen Unternehmungsgeist halte ich für beispielhaft und von bleibender Bedeutung. Sie zeichneten schon den jungen Humboldt aus, der, wenn ich so sagen darf, auch nach Absolvierung der Aufgaben des Tages mit Leidenschaft Wissenschaftler blieb. Auf Fleiß, Initiative und Leistungsbereitschaft gerade junger Wissenschaftler kann die Forschung heute so wenig verzichten wie vor 200 Jahren; sie bedarf ihrer vielmehr in unvermindertem Maße. Nach der unverändert gültigen Humboldtschen Einsicht, daß die Wissenschaft der menschlichen Praxis oder, wie er es ausdrückte, der Mehrung „des Wohlstandes der arbeitsamsten Volksklassen" zu dienen hat, und nach seinem vorbildhaften Einsatz möchte ich ferner sein Gefühl für die Pflicht des Gelehrten zur Popularisierung seiner Erkenntnisse hervorheben. In seinem vielverbreiteten Alterswerk, dem „Kosmos", hat Humboldt einprägsam proklamiert, daß „Wissen und Erkennen die Freude und die Berechtigung der Menschheit" sei. Er seinerseits hat alles in seinen Kräften Stehende getan, um den von ihm

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als begründet anerkannten Anspruch der Menschen an den Wissenschaftler auf Ver breitung des Wissens in allgemeinverständlicher Form zu befriedigen. Wiederum aus eigenem Antrieb hatte Humboldt bereits im Alter von 24 Jahren eine Schule zur Qualifizierung von Bergleuten eingerichtet; noch als fast Neunzigjähriger war er ohne Unterlaß damit beschäftigt, zur Verwirklichung seiner Devise beizutragen: „Mit dem Wissen kommt das Denken, und mit dem Denken der Ernst und die Kraft in die Menge." Im Wissensniveau eines Volkes erblickte Humboldt einen Teil seines „Nationalreichtums", dessen Nutzung Ersatz für mangelnde Rohstoffe bieten könne. Er wies darauf hin, daß rücksichtslose Ausbeutung der vorhandenen Ressourcen unvermeidlich Stillstand und Rückschritt nach sich ziehen werde und rief zur „sorgfältigen Benutzung von Naturprodukten und Naturkräften" auf. Aber nur die Kenntnis der Naturgesetze gestatte dem Menschen, auf die Natur einzuwirken und sich ihre Kräfte anzueignen. „Diejenigen Völker", mahnte er in seinem „Kosmos", „welche an der allgemeinen industriellen Tätigkeit, in Anwendung der Mechanik und technischen Chemie, in sorgfältiger Auswahl und Bearbeitung natürlicher Stoffe zurückstehen, bei denen Achtung einer solchen Tätigkeit nicht alle Klassen durchdringt, werden unausweichlich von ihrem Wohlstande herabsinken. Sie werden es um so mehr, wenn benachbarte Staaten, in denen Wissenschaft und industrielle Künste in regem Wechselverkehr mit einander stehen, wie in erneuerter Jugendkraft vorwärts schreiten." Durch seine „physische Weltbeschreibung", exakt in den Einzelheiten, zugleich populär in der Darstellung und in einer gehobenen, sich an Verstand und Gefühl gleichermaßen wendenden Sprache, von der schon Goethe gesagt hatte, sie sei poetisch zu nennen, ist Humboldt zu einem anspornenden Vorbild auch in der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse, also in der Realisierung einer unvermindert aktuellen A u f gabe der Öffentlichkeitsarbeit, geworden. Weiterhin erheischen Humboldts Ansichten über den wissenschaftlichen Meinungsstreit unsere uneingeschränkte Beachtung. Als er am 18. September 1828 hier in Berlin die unter seinem Vorsitz stehende VII. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte mit rund 600 Teilnehmern eröffnete, sagte er: „Entschleierung der Wahrheit ist ohne Divergenz der Meinungen nicht denkbar, weil die Wahrheit nicht in ihrem ganzen Umfange auf einmal und von allen zugleich erkannt wird. Jeder Schritt, der den Naturforscher seinem Ziel zu nähern scheint, führt ihn an den Eingang neuer Labyrinthe. Die Masse der Zweifel wird nicht gemindert, sie verbreitet sich nur wie ein beweglicher Nebelduft über andere Gebiete. Wer golden die Zeit nennt, wo Verschiedenheit der Ansichten oder, wie man sich wohl auszudrücken pflegt, der Zwist der Gelehrten geschlichtet sein wird, hat von den Bedürfnissen der Wissenschaft, von ihrem rastlosen Fortschreiten ebenso wenig einen klaren Begriff, als derjenige, welcher in träger Selbstzufriedenheit sich rühmt, in der Geognosie, Chemie oder Physiologie seit mehreren Jahrzehnten dieselben Meinungen zu verteidigen." Soweit ein Wort Humboldts, das nach mehr als 150 Jahren noch den Anspruch auf uneingeschränkte Richtigkeit und Gültigkeit erheben kann und uns daher etwas zu sagen hat. Nicht Opposition um des Widerspruchs willen und nicht opportunistische Anpassung sind es, die den wissenschaftlichen Fortschritt antreiben, sondern die Formung der Synthese und Antithese. Wer sachliche Einwände mißachtet, sie nicht kritisch prüft und verarbeitet, wer auf wissenschaftlich unhaltbar gewordenen Positionen verharrt, ist zur Sterilität, zum Stillstand verurteilt. Ohne Meinungsstreit gibt es keine Vorwärtsbewegung in der Wissenschaft. Und ein Letztes schließlich. In einer Zeit, in der der Frieden bedroht ist, haben wir jede Ursache, dem Wirken Alexander von Humboldts für Frieden und Völkerverstän13

digung nachzueifern und uns daran zu erinnern, daß er den Völkern Lateinamerikas in seinen Werken gezeigt hat, über welche Möglichkeiten friedlicher Entwicklung sie nach Erkämpfung der Unabhängigkeit verfügen. D i e Umsetzung der auf seiner amerikanischen Forschungsreise von 1799 bis 1804 gewonnenen Einsichten und Ergebnissen in fruchtbare Anregungen für die Zukunft war es, die ihm den Ehrennamen eines zweiten, eines wissenschaftlichen Entdeckers Amerikas eingetragen hat. Sie führte zu der bekannten Einschätzung durch Simón Bolívar, Humboldt habe mehr Gutes für L a teinamerika bewirkt, als alle seine Eroberer. Ebenso hat ihm seine Auswertung der russisch-sibirischen Reise von 1829 einen Ehrenplatz in den Traditionen gesichert, auf die sich die heutige deutsch-sowjetische Freundschaft mit beruft. Wie lebendig die Erinnerung an Alexander von Humboldt ist, zeigte sich erst vor kurzem, als im September 1980 zur 67. Interparlamentarischen Konferenz Parlamentarier Lateinamerikas in unserer Hauptstadt weilten. Sie legten am Denkmal Alexander von Humboldts vor der nach ihm und seinem Bruder Wilhelm benannten Universität Blumengebinde nieder, und der venezolanische Parlamentspräsident sagte bei dieser Gelegenheit: „Humboldt lebt im Herzen von 300 Millionen Lateinamerikanern." Gleichzeitig zollte er der sorgsamen Pflege des Erbes Humboldts in der D D R , an der, wie ich hinzufügen darf, die Humboldt-Forschungsstelle unserer Akademie wesentlichen Anteil hat, hohe Anerkennung. D i e jetzige Ehrung seines Andenkens beweist erneut durch die Anwesenheit hoher Gäste und Freunde aus Lateinamerika, aus der Sowjetunion und anderen Ländern, daß die Pflege des Humboldtschen Vermächtnisses eine der dauerhaften Bande ist, die uns in der Deutschen Demokratischen Republik mit allen Staaten und Völkern unauflöslich verbindet, welche in seinem Geist für Frieden und Völkerverständigung eintreten. Ich wünsche der heutigen Festsitzung und der morgigen Konferenz reichen wissenschaftlichen Ertrag zum Ruhme Alexander von Humboldts und zu unser aller Nutzen!

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E d g a r Lehmann

Wesen und Werk Alexander von Humboldts aus geowissenschaftlicher Sicht

D a s Besinnen auf Wesen und Werk eines der Großen unter den Wissenschaftlern, Alexander von Humboldts, das diese Feierstunde regiert, wird, wie im Titel des Vortrages angekündigt, aus der geowissenschaftlichen Sicht unserer Zeit erfolgen. Ein verdichtendes Vorgehen dieser Art verspricht eine zeitnahe Konzentration auf Wesentliches. Steht aber eine solche verengende Würdigung der gigantischen Lebensleistung Humboldts nicht von Anbeginn in Widerspruch zu einem der Hauptgrundsätze der weltüber in den Vordergrund rückenden Wissenschaftsgeschichte? Ist nicht jede biographische Bezogenheit zuvörderst Ausdruck der historischen Zeit- und Gesellschaftsgebundenheit einer großen Persönlichkeit? Trifft dies nicht in besonderem Ausmaß für einen so bedeutenden Gelehrten wie Alexander von Humboldt zu, der das Sehen erdräumlicher Phänomene seiner Zeit stark beeinflußte, bis neue Einsichten auf neuer gesellschaftlicher Basis zu neuen Wissenschafts- und Problemkonzeptionen führten? Vor allem, - ist nicht die Distanz unserer Welt- und Wissensanschauung von der Gedankenwelt eines Alexander von Humboldt zu groß geworden, um zum Beispiel die Arbeitsfelder der modernen Atomphysik, der modernen Biowissenschaften bis zu den elektronischen und biologischen Technologien in irgendeine Beziehung zu den Erdwissenschaften zu bringen, so wie Humboldt sie verstand? D i e Antwort auf diese Fragen ist aus unserer engstens praxisverbundenen Wissenschaftsentwicklung ableitbar. Sie befreit uns von jeglichem Zweifel an der Berechtigung, Humboldts Werk aus dem gegenwärtigen Entwicklungsstand der Geowissenschaften heraus zu würdigen. Ein Einwand läge nahe. Wir sind Zeugen, wie fast im Gleichlauf mit den 35 Jahren, seit unsere Republik besteht, über die industriell führenden sozialistischen und kapitalistischen Staaten der E r d e hin eine ganz neue Klasse von Wissenschaften mit der Kybernetik und Informatik an der Spitze entstanden. Diese sind nicht wie die klassischen Naturwissenschaften unmittelbar, sondern nur mittelbar auf die Natur gegründet. D i e durch diese revolutionierenden Wissenschaften gegebene Situation läßt, vielleicht ganz unerwartet, die Grundorientierung, die Humboldt den Geowissenschaften seiner Zeit gab, in einem neuen hellen Licht erscheinen. Und dies aus zwei Gründen. Erstens: Humboldts unmittelbar im Angesicht der Natur gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten haben in unserer Zeit hoher Abstraktion und Spezialisierung eine große, schnell steigende Bedeutung gewonnen. Sein steter Blick auf Zusammenhänge einzelner lokaler oder regionaler Phänomene mit dem Globalen kann der geowissenschaftlichen Forschung und Praxis unserer Zeit neue Impulse geben. Zweitens: Bei aller gar nicht hoch genug einzuschätzenden Bedeutung der Systemanalyse, der Informatik und Kybernetik für die Entwicklung der modernen Geowissenschaften, die es ja sämtlich mit einer sehr großen Anzahl von variablen Elementen zu tun haben, werden heute die geowissenschaftlichen Objekte in erhöhtem Ausmaß - und in einer fast überraschenden Annäherung an die von Humboldt zwangsläufig angewendeten Autopsieverfahren - in ih-

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rer Naturwirklichkeit untersucht. Es sei nur auf die unmittelbaren Beobachtungen gewiesen, die die moderne Satellitenerkundung und die mit ihr verbundene Verfeinerung der Meßmethoden liefert. Wir werden hierauf noch kurz zurückkommen. Humboldts Konstruktion von Höhenprofilen Humboldt beschritt, ganz aus dem Großen denkend und zugleich in strenger Bindung an die Beobachtung des Einzelnen, Wege, die später zu breiten Heerstraßen der Wissenschaft wurden. Durch seine berühmt gewordenen barometrischen Meßzüge durch das Innere Spaniens (1799) schuf er die Voraussetzung, mittels Höhenprofilen die wirkliche, dreidimensionale Oberflächengestaltung dieses Landes wissenschaftlich in den Griff zu bekommen. Seine Anschauungskraft rückte Formen des Reliefs so in die Vorstellung, daß ihre Grundgestalt mit wenigen Strichen vor den Augen entstand. Den von Humboldt entwickelten Höhenprofilen entsprechen heute räumliche Profilreihen, die als konstitutive Elemente zur Gewinnung von Typen des Reliefs durch mathematische Flächenfunktionen dienen. Die E D V , aber auch die Satelliten-Kartographie liefern hierzu wesentliche Beiträge. Humboldt legte den Grund zu dieser Entwicklung aus einer ganz anderen Wissenschaftssituation heraus. Am E n d e des 18. Jahrhunderts, als er seine Amerikareise vorbereitete, setzte er - in einer Art topographischer Kurzschrift - auf Grund exakter Messungen Profilzeichnungen an die Stelle umständlicher Beschreibungen - er, der das Wort so sicher beherrschte, daß seine Werke als künstlerisch wertvolle Literatur ernstgenommen werden müssen. Das Zeichnerische wird ihm zum Instrument des ordnenden Geistes. Örtliches messend in einen größeren Zusammenhang zu stellen, - das ist eines der Ziele Humboldts. E r verfolgt es weiter. Als ein dem Visionären verhafteter Beobachter widmet er sich der Problematik einer allgemein verständlichen Schriftzeichensprache, der Pasigraphie, die mittels Symbolen, Buchstaben oder anderen, möglichst sinnfälligen „Zeichen" die Fülle insbesondere solcher natürlichen Erscheinungen widerspiegeln sollte, die die Sprache kaum zu fassen vermag. Humboldts Ideen zur Pasigraphie [17], die auch in seinen am Colegio de Minería (Bergakademie) in Mexico (Stadt) gehaltenen Vorlesungen einen Niederschlag fanden, lag übrigens ein ursprünglich in spanischer Sprache abgefaßter Originaltext zu gründe, dem H. Beck als einem wissenschaftsgeschichtlich bedeutenden Dokument systematisch nachspürte, wobei er bisher, soweit dies übersehbar ist, einen in der einstigen „Marburger Westdeutschen Bibliothek" befindlichen, allerdings in französischer Sprache geschriebenen Entwurf ausfindig machte und veröffentlichte [2]. D i e schwer verständlichen verbalen Darlegungen zeitgenössischer Geologen über Schichtungen der Gesteine waren es, die Humboldt anregten, die bei der Zeichnung von Höhenprolilen herausgearbeitete Vertikale gleichsam in die Tiefe der Erdrinde fortzusetzen. Die Lagerung der Gesteine und ihre Beziehungen zueinander, mithin ihre Ursächlichkeiten sollten graphisch in die Sicht gestellt werden. In seinem 1823 in französischer Sprache erschienenen „Geognostischen Versuch über die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Erdhälften" [19] ist im Blick auf die „pasigraphischen" Prinzipien die kartographisch und wahrnehmungs-psychologisch heute besonders bemerkenswerte Feststellung zu lesen: „la clarté des idées augmente à mesure que l'on perfectionne les signes que servent ä les exprimer" (die Klarheit der Ideen erhöht sich in dem Ausmaß, in dem man die Zeichen verbessert, die sie ausdrücken sollen). Im zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften der D D R befindet sich ein gedrucktes Exemplar der Arbeit mit Hunderten von handschriftlichen Ergänzungen Humboldts. 16

In Spanien, wo Humboldt in Madrid mit großem diplomatischen Geschick die überraschende Genehmigung zum Aufenthalt in dem sonst Fremden weitgehend verschlossenen kolonialen Lateinamerika (von König Karl IV.) empfing, nutzte er seinen Aufenthalt zur großräumigen Konstruktion von Höhenprofilen [28]. Es war für ein durch M a ß und Zahl gesichertes Herauszeichnen aus der Natur günstig, daß zu dieser Zeit eine exakte Methode zur barometrischen Höhenmessung entwickelt worden war. Die mit dem umständlichen, 1 m langen Quecksilberbarometer bestimmten Höhenangaben Humboldts bildeten bestmögliche, gesicherte 'Fixpunkte für die erstmalige, eindeutige Kennzeichnung der Oberflächengestaltung Alt- und Neukastiliens sowie der angrenzenden Gebiete als Hochflächen [28]. Der von Humboldt gewählte Ausdruck „Tafeln" für den von ihm erkannten Hochflächencharakter Innerspaniens deckt sich mit dem erst nach Humboldts Tod [29] üblich gewordenen Begriff „Mesa" (span. = Tisch) bzw. „Meseta" (großer Tisch). Aus vielen Zeugnissen von Humboldts eigener Hand, unter anderem auch aus einem 1825 an Heinrich Berghaus gerichteten Brief sowie aus einem Berghaus für die Darstellung der Oberflächenformen der Pyrenäen-Halbinsel zur Verfügung gestellten Manuskript Humboldts „Über die Gestalt und das Klima in der iberischen Halbinsel", das zwei Höhenprofile enthielt [12], geht hervor, daß er seine Arbeiten zur Höhenprofilierung auch nach seinem Spanienaufenthalt nicht aus den Augen verlor [siehe auch 3]. Er sah in ihnen das kartographische Mittel, in einer seinen Denkformen gemäßen Weise vergleichende Beobachtungen über die Auswirkungen natürlicher Hauptfaktoren auf die gesetzmäßige Verteilung von Pflanzen, Tieren und Menschen in der Vertikalen anzustellen. Erste Pfade zu einer ökogeographischen Betrachtung wurden von ihm freigelegt. Vor allem aber waren die auf exakten astronomisch-geographischen Ortsbestimmungen und auf Autopsie beruhenden Höhenprofile Humboldts starke Triebkräfte für die Entwicklung einer eigenständigen, sich schnell entfaltenden Orographie und Orometrie. In seinem berühmten „Versuch über den politischen Zustand des Königreiches Neu-Spanien" [18] sagt Humboldt: „Ich habe den Versuch gewagt, ganze Länder nach einer Methode darzustellen, welche bis jetzt nur für Bergwerke oder bei Kanalprojekten angewendet wurde."

Der Bergmann und Naturwissenschaftler Humboldt als p r o g r e s s i v e r H u m a n i s t Der Bergbau entsprach in seiner Vielseitigkeit in geradezu idealer Weise Humboldts Begabung und weitem Interessenkreis. Humboldt, der 1791 nach gezielter Konsultation berühmter Wissenschaftler zum Abschluß seiner Studien an die Bergakademie Freiberg ging, hat praktisch vor Ort gearbeitet, zugleich Kollegs bei dem Geologen Abraham Gottlob Werner besucht. Aber bei allem Engagement als international schnell bekannt gewordener Berg- und Hüttenfachmann, der die Förderung der Gruben (in den Herzogtümern Ansbach und Bayreuth) um ein Vielfaches zu steigern vermochte bei gleichzeitiger Erhöhung sozialer Leistungen für die Bergleute, - bei allem guten Ruf - , der auch die Hoffnung des spanischen Hofes auslöste, daß er durch seine Ratschläge die Erträge des Silberbergbaus, besonders Mexikos, erhöhen könne, bei all dieser fachspeziellen Tätigkeit hat sich Humboldt in der Zeit vor Antritt seiner Amerikareise (1799 von La Coruna aus) sehr verschiedenen anderen naturwissenschaftlichen Problemen zugewandt. Als repräsentative Beispiele seien seine „Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser" (Bd. I 1797, Bd. II 1798, Posen und Berlin) oder seine Abhandlung „Versuche und Beobachtungen über die grüne Farbe unterirdischer Vegetabilen" (in: Journal der Physik, hrsg. von F. C. A. Gren 1792) herausgegriffen. 2

Abh. 2 N 1985

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Sie brachten ihm hohe Anerkennung von führenden Gelehrten der seinerzeitigen geistigen Metropole Paris, aber auch angesehener deutscher akademischer Körperschaften wie der „Leopoldina" ein, deren Mitglied er schon als junger Mann wurde. Humboldt war, wie Ernst Plewe [34] treffend bemerkt, in seinen Studien- und Praxisjahren „fähig zu jeder Spezialisierung". Professor Kurt-R. Biermann [7], der höchst verdienstvolle Leiter der Humboldt-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften der DDR, hat in seiner prägnanten Biographie über Alexander von Humboldt die „ungeheure Belesenheit" des jungen Humboldt hervorgehoben, seine Begeisterungsfähigkeit für alles Neue unterstrichen sowie seine oft gerühmte Fähigkeit betont, Kombinationen zwischen scheinbar unabhängigen Phänomenen durchzuführen. Schon 1794 beschäftigte sich Humboldt mit „Ideen zu einer künftigen Geschichte und Geographie der Pflanzen" und mit der Idee einer „Physischen Weltbeschreibung". W a s sich aber vor allem bereits in den bewegten Lehr- und Praxisjahren Humboldts im Rahmen eines persönlichen, höchst souverän angelegten Studienplanes zur umfassenden eigenen Bildung und Ausbildung zu erkennen gibt, das ist ein Wesenszug, der später, als er über den reichen Erfahrungsschatz seiner Amerikareise verfügte, immer schärfer zum Ausdruck kommt und ihm über seine großen wissenschaftlichen Leistungen hinaus das geistige, tief in unsere Zeit wirkende Profil gibt: seine Progressivität, sein Humanismus! Humboldt hat sich nie einem politischen oder philosophischen System verschrieben. Als Progressiver im wahrsten Sinne stand er stets mitten in der wirklichen Bewegung der Wissenschaften und der Kultur. Er empfängt starke Kraft besonders aus den Erfahrungen und Erlebnissen seiner Amerikareise. Sie reifen in ihm zur Aufforderung, der Unterdrückung lateinamerikanischer Völker wie jeder rassischen Diskriminierung den Kampf anzusagen. Humboldt deckt schonungslos die schwere Schuld von Sklaverei und Kolonialismus auf, tritt für die Würde jedes unterdrückten Volkes ein und zieht sich, fast automatisch, von konservativer Seite schnell den Ruf als „Roter Baron" zu. In dem 125. Jahr des Gedenkens an seinen Tod sei auch nicht übersehen, daß nicht nur die Intensität seiner wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungen, sondern auch ihre Extensität, ihre Wirkung auf breite Bevölkerungsschichten außerordentlich war. Tausende Berliner gaben ihm, der durch sein weitverbreitetes Werk „Kosmos", durch seine öffentlichen Vorträge in der Singakademie zu Berlin und durch seine Haltung im Sturmjahr 1848 bekannt war, zu seinem Begräbnis das letzte Geleit. Es war ein Staatsbegräbnis, „wie es keinem Berliner Gelehrten je ausgerichtet worden ist" [8]. Humboldt stieß bis an die Frontlinien der Wissenschaft und des Fortschritts vor, - dorthin, wo das gesellschaftlich Erkannte in Taten umschlagen kann. Aber er war kein Revolutionär. Seine politischen Aktivitäten beschränkten sich auf die nachhaltige Förderung hervorragender, meist fortschrittlicher Persönlichkeiten und auf das Gebiet der Diplomatie, das er im Dienst des Preußischen Königs mit offenkundigem Erfolg versah. Aufschlußreich ist eine Einschätzung Humboldts durch das Haupt der freiheitsfeindlichen Heiligen Allianz, den Fürsten Metternich, der ja, konträr zu Humboldts Einstellung, nationale Bewegungen bekämpfte. Hedwig Kadletz-Schöffel [26] bemerkt im Anschluß an ein von ihr zitiertes Schreiben Metternichs an Humboldt (vom 21. Juni 1845), der Metternich schon 1807 in Paris als Botschafter kennengelernt hatte: „Es sind also Ordnung und Klarheit, diese Prinzipien der Aufklärung, die Metternich an diesem großartigen Werk Humboldts (dem „Kosmos") rühmend hervorhob." In der kritischen Aufarbeitung der Literatur über Humboldt wie seiner Werke, Schriften und Briefe, die in der Humboldt-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften der D D R ihr weit über die Grenzen unseres Staates wirkendes Zentrum haben, besteht kein Zweifel, daß Humboldt, der große Beobachter, - dieser 18

Wegbereiter zum Verstehen der Zusammenhänge der Naturkräfte und ihres Wechselspiels miteinander sowie mit dem Wirken und den Zielen des Menschen - im Spannungsfeld zwischen Konservatismus und Fortschritt eindeutig in der Kontinuitätslinie alles Progressiven und Humanistischen steht. Bemerkenswert ist, wie Humboldt schon vor seiner Amerikareise, die er mit 30 Jahren antritt, den unermeßlichen Stoff, den ihm seine immer höchst wachsame Naturanschauung und seine Experimentierfreudigkeit zum Nachdenken boten, verarbeitete. Nicht, wie so oft in diesem Lebensabschnitt bedeutender Menschen, führen die Ideen, die ihm auf den verschiedensten Gebieten erwuchsen, zu Zwiespältigkeiten, zu Unsicherheiten bei der Gewinnung eines eigenen festen Standpunktes. Aber einige Schriften des jungen Humboldt halten später der Kritik führender Fachwissenschaftler nicht in allen Punkten stand. Auch waren seine Reise- und Forschungsträume ursprünglich vielmehr auf Asien als auf Amerika gerichtet. Seine innere Beständigkeit indessen, eine Folge seiner als Diplomat später viele Male bewiesenen richtig wertenden Urteilskraft, läßt ihn zugreifen, wo ihm die äußere Sachlage eine Chance bietet. Als Humboldt drei Jahrzehnte später, auf seiner „Asienreise", tief beeindruckt von dem riesigen Rußland und den Aufgaben, vor die er es in Zukunft gestellt sah, seinen 60. Geburtstag feierte, rechnete er diesen Tag, wie er seinem Bruder Wilhelm schrieb, „zu einem der größten seines Lebens". Das ist gewiß keine spontane Augenblicksäußerung. Viele Linien seines Wirkens führten auf diesen Punkt zu, aus dem die Idee seines Lebens, Humanität durch Wissenschaft zu fördern, ungebrochen und unerschütterbar nun in gereifter Stetigkeit hervorleuchtet. Aus dem unruhigen, rastlosen Humboldt der Zeit vor seiner Amerikareise war der begehrte, mit großen Ehren bedachte Besucher eines Landes geworden, in dem seine Erkenntnisse und Erfahrungen ihren bestimmten Platz und ihren bestimmten Wert längst erhalten hatten und bis in die Gegenwart hineinwirken - gefördert und gepflegt besonders vom Geographischen Institut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Humboldts Isothermenkarte Was Humboldt von seiner fünfjährigen Amerikareise als ein mit einem Schlage weltberühmt gewordener Forschungsreisender 1804 heimbrachte, war die alle seine späteren Arbeiten übergreifende und die gesamte erdwissenschaftliche Erkundungsforschung, auch die Asienreise prägende Verbindung des Lokalen mit dem Globalen. Das Fundament aber, auf dem die Einfügung des empirisch erfaßten Einzelnen in Gesamtkomplexe sich vollziehen muß, wird ehedem wie heute von exakt gemessenen bzw. beobachteten Daten gebildet. Es kennzeichnet die Weitsicht, um nicht zu sagen die Modernität von Humboldts Verfahrensweise, daß er vor Antritt seiner Reise in Paris, dem seinerzeitigen Zentrum des wissenschaftlichen Gerätebaus, 40 dem technischen Höchststand entsprechende Instrumente erwarb. Das kreative Umsetzen von Daten bzw. von Beobachtungstatsachen in anschauliche graphische Formen wird zum Signum vieler Arbeiten Humboldts. Ein bekanntes, ja berühmt gewordenes Beispiel ist sein „Physikalisches Gemälde der Aequinoktiailänder", das er unter dem frischen Eindruck der Besteigung des 6 310 m hohen Chimborasso bis zu einer Höhe von 5 759 m zunächst in Guayaquil skizziert, - später für die Aufnahme in den ersten Band seiner großen Reisebeschreibung (Relation historique du voyage aux regions Equinoxales du nouveau Continent) bearbeitet hatte. Ganz anders als es der romantisierend verklärende Titel erwarten läßt, handelt es sich um den wissenschaftlichen Entwurf einer neu gesehenen, nach Inhalt und Form begrifflich zur 2*

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Synthese gebrachten „Abbildung" einer Auswahl von Elementen aus der geographischen Wirklichkeit. Dieses thematische Höhenprofil spiegelt überdies in idealisierter Weise die von Indianern und Spaniern schon längst vor Humboldt vertraute Gliederung in die bekannten Vegetations- und Klimastufen von 10 Grad nördlicher bis 10 Grad südlicher Breite wider, - nämlich die schnee- und eisbedeckte Tierra fria, die bei 2 000 m nach oben endende Tierra templada mit dem Nebelwald und die bei etwa 800 m nach unten beginnende Tierra caliente mit dem tropischen Regenwald. Es wird in dieser Ideenskizze die Eigengesetzlichkeit angedeutet, denen die Natur- und Anbauphänomene in den Zentralanden unterliegen. Sorgfältig sind in der genau fixierten Höhenlage die pflanzlichen Organismen mit ihren Art- und Gattungsnamen in das um der Kernidee willen fast grotesk vereinfachte Gedankenbild gesetzt. Der damals 33jährige Humboldt, der in seiner Kindheit eher schwächlich zu nennen war, überstand übrigens die Strapazen dieser 4 Monate währenden Anden-Expedition teils zu Fuß oder auf dem Rücken eines Maultiers (von Bogotá nach Quito) recht gut. Sie hinderten ihn nicht, gleichsam nebenher die Symptome der Höhenkrankheit exakt zu registrieren und auch archäologisch erste Aufschlüsse über die Ruinen der Inkaresidenz Tomebamba bei Cuenca aufzuzeichnen. Nicht weniger bezeichnend für Humboldts am Globalen orientierte, auf das Einzelne bezogene Denk- und Verfahrensweise ist seine 1807 erschienene kartographische Darstellung der Temperaturverteilung durch Isothermen [20], Humboldt vereinigte schwierig zu überschauende Temperaturwerte in einer Zeichnung, die überdies wissenschafts-historisch als eines der ersten Beispiele für den Einsatz thematischer Karten als Forsohungsmittel angesehen werden kann. Humboldts meisterlicher Zugriff zur kartographischen Methode legt ihn in bewußt physikalischer Denkweise auf den zunächst einseitig zu beobachtenden Gegenstand, die Temperatur, fest. Es gelingt ihm, eine prinzipielle graphische Lösung des Problems zu finden, nachdem er sich aus der kritischen Durchsicht tabellarisch zusammengefaßter Beobachtungswerte klare Vorstellungen über die wirklichen, von der Strahlung keinesfalls allein abhängigen Temperaturverhältnisse gebildet hatte. Die Isothermenkarte, die graphisch nur die Jahresisothermen zum Inhalt hatte, sollte noch viele Verbesserungen und Ergänzungen bis in unsere Gegenwart erfahren. W a s von dieser, recht einfachen, wiederum mehr einer Gedankenskizze als einer Karte ähnlichen Darstellung blieb, das ist das Prinzip ihres Entwurfs, - das ist das unzählige M a l e nachvollzogene Verfahren - , aus dem anschaulichen Vergleich der Abweichungen vom astronomisch-physikalisch gegebenen Normalfall, vom Verlauf der Breitenkreise, auf großräumig wirksame Gesetzmäßigkeiten im Zusammenspiel von Relief-, Pedo-, Litho-, Hydro- und Atmosphäre zu schließen. Die lediglich auf das Gradnetz bezogene Darstellung der Isothermen weist durch die polwärtigen Ausbuchtungen der Isothermen über Westeuropa und Westafrika und durch die gegenläufige Linienführung an der Ostküste Nordamerikas auf zahlenmäßig belegte Unterschiede der Temperaturverhältnisse an den Ost- und Westküsten der Kontinente. Dieses Phänomen führt bis in die Gegenwart zu ständig stärker differenzierten Untersuchungen nicht nur der globalen Luft- und Meeresströmungen, sondern zahlreicher anderer Geokomponenten. Auch in H. Lautensächs [27] Theorie vom geographischen Formenwandel spielt es eine wichtige Rolle. Wenn Humboldt im „Kosmos" [23] vorsichtig bemerkt, er habe mit seinen Untersuchungen über die Isothermen „eine der Hauptgrundlagen der vergleichenden Khmatologie geschaffen", so kann das aus heutiger geowissenschaftlicher Sicht bestätigt werden. An die Stelle des Humboldt'schen Entwurfs, der trotz eines sehr geringen Daten20

materials eine in der Grundanlage richtige Vorstellung vom Verlauf der Isothermen, übrigens nur von der Nordhalbkugel, vermittelt, sind heute Isothermenkarten getreten, die für die gesamte Erdoberfläche auf Grund numerischer Simulation in einem modernen dynamischen Modell der allgemeinen Zirkulation der Atmosphäre und des Ozeans sehr genaue, komplexe Aussagen vermitteln [4]. Zu Humboldts erdmagnetischen Untersuchungen Humboldts Isothermenkarte ist der großen Zahl von Karten zuzuordnen, die durch Linien gleicher Wertigkeit, die Isarithmen [16], die Heraushebung von Intensitätsscufen zum Inhalt haben. Isarithmen sind auch die Linien gleicher magnetischer Mißweisung (sog. Isogonen), die schon frühzeitig für bestimmte Gebiete der Ozeane von Seeleuten lokal kartiert wurden, um 1700 von Edmund Halley unter globalem Gesichtspunkt entworfen wurden, aber in Vergessenheit geraten waren. Humboldt ließ sowohl in seiner Isothermenkarte wie im Rahmen der von ihm in stärkstem Maße vorangetriebenen erdmagnetischen Untersuchungen diese isarithmischen Darstellungen für die wissenschaftliche Welt völlig neu aufleben. Hier wird, wie in vielen Arbeiten Humboldts, die Bedeutung sichtbar, die er dem historischen Element als einem nicht nur kultur- und entwicklungsgeschichtlich wichtigen, sondern zugleich praktisch anwendbaren Forschungsmittel beimaß. Es kann in diesem Zusammenhang nur am Rande auf seine Studien zur Geschichte der Naturdarstellung in Wissenschaft und Kunst gewiesen werden, denen er in seinem „Kosmos" ein umfängliches Kapitel widmete, vor allem aber auf seine Arbeiten zur Geschichte der geographischen Erkundung Amerikas, die in der Wiederentdeckung und Identifizierung der berühmten, von Columbus auf seiner zweiten Reise (1493 und 1494) mitgeführten Weltkarte des Juan de la Cosa seine quellenkundige Tiefe verrät. „The honour of conducting the earliest inquiry into Canadian cartography probable belongs to the German Geographer Baron Alexander von Humboldt. It was he who re-discovered the „la Cosa map" in 1832, stellte T. H. B. Symons [38] fest." Gottfried Pfeifer [33] aber bemerkte treffend in einem seiner grundlegenden Beiträge zur Kulturlandschaftsforschung im Blick auf Humboldts Werk „Examen critique de l'histoire de la geographie du Nouveau Continent . . ." [21]: „Nur wer daran vorbeisieht, daß Humboldt in allen seinen Werken überaus sorgfältig den historischen Zusammenhängen und der Geschichte der Ideen nachgeht, kann überrascht sein, in diesem Buch einen Geschichtsschreiber von hohem Rang zu begegnen". Ernst Plewe [35] schließlich deckt für die Humboldt-Forschung einen neuen historischen Aspekt auf, wenn er in einer grundsätzlichen Studie „Vom technischen Denken zur universellen Weltschau" Humboldts technologischen Arbeiten als ein Denken charakterisiert, „das von der Höhe der Technik seiner Zeit den Ausgang nimmt und von hier nach allen Seiten in die Grundwissenschaften vorstößt". Plewe beendet seine Ausführungen aus dem Reichtum seiner biographisch-historischen Grundlagenforschung heraus so: „Ich glaube nicht, daß der Technik noch einmal so packend aus so weiten Perspektiven und zugleich so tiefer geschichtsphilosophischer Schau die Palme gereicht wird, aber auch ihr ewiger Auftrag umrissen wurde, Befreier und Führer des Menschen im Bereich des empirisch Erfahrbarem zu sein." Wissenschafts-historisch gesehen wurde Humboldt neben Carl Ritter durch den erwähnten zielbewußten Einsatz von Isarithmen zum bedeutendsten Förderer der thematischen Kartographie, die nach einer ersten, bald aber wieder abklingenden Kulmination in dem von Humboldt angeregten und tatkräftig geförderten „Physikalischen Atlas" 21

(erschienen in 1. Auflage 1848) des Heinrich Berghaus erst in unserem Jahrhundert, vor allem aber nach dem 2. Weltkrieg zu voller Entfaltung gelangte. Der Physikalische Atlas, der von Gerhard Engelmann [12] wie überhaupt das kartographische Wirken von Berghaus eine nach den Quellen erarbeitete ausgezeichnete Würdigung erfuhr, ist der erste geglückte großangelegte Versuch, globale, naturräumlich wirksame Faktoren in die Sicht zu stellen. Es gelingt Berghaus, auf der Basis der seinerzeit noch sehr dürftigen Datengrundlage, Intentionen Humboldts in Karten vorwiegend elementar-analytischen Charakters umzusetzen. Und so findet auch das nie nachlassende Interesse Humboldts an erdmagnetischen Fragen in einer entsprechenden Karte von Berghaus „Physikalischem Atlas" einen sinnfälligen Ausdruck. Kein Geringerer als Carl Friedrich Gauss, der auf Grund verbesserter Beobachtungsmethoden 1837 seine berühmt gewordene Theorie des Erdmagnetismus aufstellen konnte, sprach mit großer Anerkennung von Humboldts selbständigen grundlegenden Arbeiten und seiner tatkräftigen Aufstellung eines kleinen internationalen geomagnetischen Beobachtungsnetzes, das Gauss später in Göttingen auf noch wesentlich breiterer internationaler Basis einrichtete. Die wissenschaftsorganisatorischen Leistungen Humboldts auf den verschiedensten Gebieten der Geowissenschaften sind überhaupt ein besonderes Ruhmesblatt seiner bis heute nachwirkenden Beiträge zum nationalen und internationalen Wissenschaftsfortschritt. Bevor Messungen von Satelliten aus dem interplanetarischen Raum vorlagen, stellte man sich das Erdmagnetfeld als ein kontinuierliches Dipolfeld vor. Es überrascht angesichts der gegenwärtigen hoch entwickelten Beobachtungstechnik und dem mit ihr eng verbundenen Fortschritt der astrophysikalischen Forschung nicht,, daß ein stark verändertes Bild über die erdmagnetischen Vorgänge entstand. Bei allen Modifizierungen älterer, z. T. auf Humboldt zurückführender Vorstellungen, z. B. der Umformung einer von Humboldt als kugelsymmetrisch angenommenen Gestalt des magnetischen Erdfeldes zu einer durch den Sonnenwind tropfenförmigen Bildung, bleibt doch die Feststellung, daß Humboldt von dem großen Einfluß der solaren Aktivität auf das gesamte organische Leben überzeugt war und daher auch bis an sein Lebensende geomagnetische Untersuchungen intensiv förderte. Die gegenwärtige Zusammenarbeit der sozialistischen Länder bei der Erforschung und Nutzung des Weltraumes [32] im Rahmen des „Interkosmos-Programmes" liegt durchaus in der Fortsetzung einer Forschungslinie, der Humboldt eine erste entscheidende Richtung gab. Erst in den beiden letzten Jahrzehnten, in denen durch das Eindringen in den Kosmos zum Teil unerwartete Entdeckungen über den Aufbau des erdnahen Weltraums, die Magnetosphäre und die Ionosphäre, gemacht wurden, wurden Forschungsergebnisse erzielt, die in grundstürzender Weise über die wissenschaftlichen Vorstellungen der Vergangenheit weit hinausgingen. Es war überdies eines der vielen Verdienste Humboldts, die er sich durch die Förderung von ihm als schöpferisch erkannter Persönlichkeiten erwarb, daß er das Interesse von Carl Friedrich Gauss für den Erdmagnetismus erheblich zu steigern wußte, wenn es ihm auch nicht gelang, seine Berufung nach Berlin durchzusetzen. Humboldt wußte wie Gauss, daß „alle Messungen der Welt", wie Gauss an Bessel am 14. 3. 1824 schrieb [41], „nicht ein Theorem aufwiegen". Gauss schätzte aber zugleich, wiederum wie Humboldt, den relativen Wert des empirisch Überprüfbaren, das Messen, sehr hoch ein. Humboldt bemerkt im zweiten Band seines „Kosmos" (S. 88), „daß ohne Kenntnis des Einzelnen alle große und allgemeine Weltanschauung nur ein Luftgebilde sein könne", und daß die Einzelheiten im Naturwissen ihrem Wesen nach fähig seien, wie durch eine aneignende Kraft sich gegenseitig zu befruchten.

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Humboldts pflanzen- und klimageographische Arbeiten Bereits vor Antritt seiner Amerikareise hatte Humboldt ein Phänomen der Natur an die Spitze seiner Grundfragen gestellt, das ihm - ähnlich wie seine erdmagnetischen Arbeiten - zunächst aus rein wissenschaftlichem Erkenntnisstreben, aber auch wegen seiner in steigendem Maße wirtschaftlichen Bedeutung erklärungsbedürftig erschien. Es ist die Frage nach den Naturgesetzlichkeiten, denen bestimmte, miteinander in wechselseitiger Verbundenheit stehende Sachverhalte, wie die Pflanzenwelt und das Klima, unterworfen sind. Georg Forster, J. P. Tournfort und andere Naturwissenschaftler, vor allem J.-L. Giraud-Soulavie (1780-84), hatten Gedanken entwickelt, die nahe an Humboldts Konzeption einer Pflanzengeographie heranführten. Dennoch ist Humboldt, nicht Soulavie [36] in die Wissenschaftsgeschichte als Begründer dieser Disziplin eingegangen. Es ist nur ein kleiner, bedeutsamer, für Humboldt sehr charakteristischer Schritt, der ihn stärker als Soulavie den Blickpunkt vom Lokalen und Regionalen als bleibender, unabdingbarer Ausgangsbasis auf große, quantitativ und qualitativ abzusichernde Zusammenhänge richten läßt. Überdies wirkt in Humboldts pflanzengeographischen und pflanzenphysiognomischen Arbeiten, auch im Stil der Darstellung, die starke treibende Kraft seines anschauenden Denkens mit, das mit Goethes schlichter gegenständlicher Lebensanschauung tief harmonisierte. Beide, der um 20 Jahre ältere Goethe und Humboldt, waren ja seit der ersten Begegnung in Jena im Jahre 1794 freundschaftlich in kongenialem, wissenschaftlichem Gedankenaustausch verbunden. Humboldt gelangt durch die Analyse seiner statistisch-klimatischen Höhenstufenwerte und pflanzlichen Verbreitungsdaten zur Erkenntnis wesentlicher Zusammenhänge und Gesetzlichkeiten der unbelebten mit der belebten Natur. Bei der Auswertung der peinlich genau in seinen Reisetagebüchern fixierten, riesigen Menge von Einzelheiten findet er die dem Spezialisten nicht selten verdeckten Linien heraus, die Zusammenhänge erschließen. Diese „Optik" Humboldts, die durch die Weite der Gesichtspunkte und ihre Unmittelbarkeit noch effektiver wird, befähigte ihn zu einer Klimadefinition, die noch heute, sofern in sie nach einem Vorschlag K. H. Bernhardt's (Mitteilung im Rahmen eines im März 1984 in der Klasse „Umweltschutz/Umweltgestaltung" der A d W der D D R gehaltenen Vortrages) auch die Hochatmosphäre und der erdnahe interplanetare Raum einbezogen wird, zu den klarsten und umfassendsten Formulierungen gehört, die es in der langen Reihe von Umschreibungen dieser Art gab. Das Geheimnis einer solchen, bis in unsere Zeit wirksamen Lebensfähigkeit von Humboldts Klimabegriff liegt in seiner streng physikalischen Definition [37], aber zugleich in seiner Kombinationsfähigkeit mit nicht-klimatischen, z. B. biophysikalischen und geophysikalischen Faktoren, insbesondere solchen des Reliefs. Eine Karte über die Klimagliederung im „Atlas D D R " von W . Boer und G. Schmidt [1] zeigt beispielhaft, wie im Sinne Humboldts nach übergeordneten Gesichtspunkten geographisch erfaßte, nichtmeteorologische Beobaohtungstatsachen berücksichtigt werden müssen, wenn das Ergebnis natur- und gesellschaftsgesetzlicher Verteilungsfaktoren wirklichkeitsgetreu in das Blickfeld gestellt werden soll. Der g e o w i s s e n s c h a f t l i c h e u n d g e o g r a p h i s c h e G r u n d z u g in H u m b o l d t s A r b e i t s w e i s e Aus Humboldts Werk springt reicher Stoff für heutige Kommentatoren wie für Erklärer seiner Zeit, zum Beispiel B. Cotta [11], den bekannten Geognosten, der ein 3bändiges Erläuterungswerk zu Humboldts „Kosmos" veröffentlichte. Nicht selten wird Hum23

boldt als letzter Vertreter der Aufklärungszeit gewürdigt. Humboldt sei Universalist gewesen, wird abwertend gesagt. Er habe das Wissen seiner Zeit eben gerade noch übersehen können. Der Kern universalistischen Denkens wird seit dem schnellen Aufstieg der analytisch verfahrenden Naturwissenschaften in steigendem Ausmaß verkannt, um erst in unserer Zeit, nicht zuletzt unter dem Einfluß der in den Vordergrund gerückten Umweltproblematik einem ersten neuen Verständnis zu begegnen. E. Neef [30] bemerkte treffend, daß im Werk Humboldts die „umfassendste Wahrnehmung des Ganzen und die minutiöse Erfassung des Details nebeneinander bestehen, und zwar als zwei notwendige und legitime geistige Interessen." Das universalistische Prinzip, das auf die Erfassung des Ganzen gerichtet ist, findet nach Humboldts Tod keine Weiterführung. Es verkümmert: Die speziellen Geowissenschaften wenden sich der isolierten sachorientierten Analyse bestimmter Geofaktorengruppen mit Erfolg zu. Sie fördern die Teile, verlieren aber das Ganze, die Totalität und die mit ihr verbundene Individualität der geographischen Wirklichkeit aus der Sicht. Die an sich zuständige Wissenschaft, die Geographie, der insbesondere C. Ritter die synthetische Orientierung durch klare methodische Zielrichtung gegeben hatte, geriet, dem Zuge der Zeit folgend, in den Sog der allgemeinen, auf spezielle Phänomene, nicht auf große Zusammenhänge gerichteten Wissenschaftsentwicklung. Angesichts der wissenschaftlichen Spezialisierung wird offenkundig, daß selbst die moderne Systemforschung nicht eine wissenschaftlich zureichende Erfassung der immer ganzheitlichen Wirklichkeit gewährleistet. In den Geowissenschaften, besonders in der Geographie, deren zentrale Forschungsaufgabe darin besteht, komplizierte Zusammenhänge in Vielstoffsystemen auf die Ebene einwandfreier exakter Erkenntnis zu ziehen (oft als Integrationsebene bezeichnet), bietet sich das Komplementaritätsprinzip als eines von verschiedenen Mitteln an, voneinander unabhängig scheinende Beobachtungssachen und Vorgänge in dialektische Beziehungen einzuordnen. Dem Geophysiker W . Buchheim ist zu danken, daß auf Grund seiner Initiative und unter seiner Leitung in der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften von 1977 bis 1982 „Rundgespräche" über das Problem der Komplementarität (nach Niels Bohr) geführt wurden, deren Ergebnisse [10] als eine Art wissenschaftshistorischen Nebeneffekts zeigen, wie der Verengung der Blick- und Denkweise durch Hinwendung zu den als Komplementaritäten identifizierten Beziehungen im Humboldtschen Sinne entgegengewirkt werden kann. Die Synthese, das Verstehen des Gestaltcharakters höchst komplizierter Zusammenhänge, ist heute möglich. Die komplementären Teilsysteme, die nicht hierarchisch gestuft sind, finden im „Gestaltcharakter", der Kombination von Teilsystemen, ihren Ausdruck. Man las in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bis in unsere Zeit hinein, über den Kern von Humboldts - und übrigens auch Kants - erdwissenschaftlichen Auffassungen hinweg. D a ß der synthetische Charakter von Humboldts Arbeits- und Denkweise nicht die gebührende Beachtung fand, wird auch deutlich in einem von K. Bruhns herausgegebenen biographischen Sammelwerk, das sich streckenweise als eine Verkennung, ja Herabsetzung der wissenschaftlichen Lebensleistung Humboldts erweist. Zum Teil erklärt sich dies daraus, daß Humboldt nach seiner Rückkehr von seiner Amerikareise (1804) seinen Zeitgenossen nicht, wie ein halbes Jahrhundert später, in seinem Todesjahr (1859) Ch. Darwin, eine grundstürzende neue Lehre schenkte. Es darf unter solchem Aspekt nicht übersehen werden, daß Humboldts unvollendet gebliebenes, in französischer Sprache abgefaßtes, 34 Bände umfassendes Werk [24] mit 9 000 Textseiten und 1 425 Kupfertafeln (meist Pflanzenarten darstellend), zu dessen Bearbeitung er bedeutende Gelehrte heranzog, während er selbst die Leitgedanken 24

schrieb, - zusammen mit seinem „Kosmos" [22] - der feste Hintergrund blieb, aus dem heraus er eine neue geowissenschaftliche Vorstellungs- und Denkweise schuf. Alle seine Veröffentlichungen - von den aus unmittelbarem Erleben heraus geschriebenen „Ansichten der Natur" (1808) mit ihren noch heute begeisternden Landschaftsdarstellungen der Llanos des Orinoko, sein tief lotendes, auf Autopsie und emsiger Quellenbearbeitung beruhendes 3-bändiges Werk „Essai politique sur le Royaume de la Nouvelle Espagne", das übersetzt (1810) vorliegt, bis hin zu dem erwähnten Reisewerk, das H. Hauff in einer gekürzten, noch von Humboldt, zwar sehr bemängelten, aber doch schließlich genehmigten Übersetzung im Todesjahr Humboldts veröffentlichte [6] alle diese Zeugnisse seines Wirkens einschließlich des umfänglichen, menschlich wie sachlich so aufschlußreichen Briefwechsels [5, 6, 25] und der Gespräche [37] Humboldts mit einer großen Zahl berühmter Zeitgenossen, lassen das Bild eines Gesamtwirkens entstehen, das über die inzwischen erfolgten gewaltigen Problemwandlungen hinweg - eine überraschende Analogie zwischen der Forschungsmotivation Humboldts und dem Trend der modernen geographisch-geowissenschaftlichen Fachrichtungen widerspiegelt. Humboldts Beobachtungen und Messungen, etwa die schnell populär gewordene Klärung der schon vor ihm bekannten Bifurkation des Cassiquiare, seine Forschungsund Sammelarbeiten beim Aufstieg auf verschiedene Andengipfel, insbesondere den Chimborasso, die bedeutsamen Pflanzenbeobachtungen des passionierten Botanikers, seine klimatischen, geologischen, vulkanologischen ebenso wie seine siedlungs-, wirtschafts- und sozialgeographischen Studien in Mexiko und Kuba hätten nie zu der durch Humboldt selbst bewirkten Eröffnung ganzer neuer Forschungsrichtungen führen können, wie auch der später von C. Troll [39] in Humboldts Geist aufgenommenen vergleichenden Erforschung tropischer Hochgebirge, insbesondere ihrer dreidimensionalen klimatischen und pflanzengeographischen Zonierung, und nicht zuletzt zu seiner mutigen Bekämpfung des Kolonialsystems mit Sklaverei und Monopolismus, wenn er nicht sein riesiges spezielles Beobachtungsmaterial als mächtige, nie verstummende Aufforderung angesehen hätte, seine Ideen in einer den Grundgedanken Kants nahestehenden Weise in allgemeine Begriffe, zugleich aber in leicht eingängige anschauliche Vorstellungen umzusetzen. Im Rückblick darf gesagt werden: Humboldt war der „Begründer der modernen Geowissenschaften - wie Akademiker J. P. Gerasimov [13] mit Recht betonte. Er zielte in einer Zeit, die noch nicht über das moderne technische Instrumentarium (der Fernerkundung, der Spektroskopie, der Datenbänke oder computergestützten statistischen Bearbeitungsmethoden) verfügte, auf eine Integration präziser Beobachtungsdaten in die Untersuchung der Wechselwirkungen von physikalischen, biotischen und humanen Faktoren. Unter dem gleichen Aspekt enthüllt sich die moderne Geographie in ihrer ökologischen, mit der ökonomischen Wissenschaft engstens zu verbindenden Arbeitsrichtung als eine vorzüglich synthetisierende Geowissenschaft, die dem Vermächtnis Alexander von Humboldts besonders verpflichtet ist. Humboldt, der in seinen großen zusammenfassenden Werken letzten Sinnes dem Zusammenspiel von Faktoren der Natur und'Gesellschaft auf die Spur zu kommen suchte, mußte sich aus dem Wissensstand seiner Zeit heraus noch auf die Herausarbeitung wesentlicher elementarer Züge beschränken. Er sah sich mitunter allein auf das eigene, gedankenreiche Beobachten gestellt. Quantitative Daten standen ihm nur in spärlichem Ausmaß zur Verfügung, wo er nicht auf die Schriften einiger bedeutender lateinamerikanischer Gelehrter oder statistische, von der spanischen Kolonialverwaltung - nach dem Urteil Humboldts - ausgezeichnet bearbeitete ökonomische Materialien zurückgreifen konnte. Humboldt blieb dem Einzelnen, dem Analytischen wie der 25

Synthese gleichermaßen verhaftet. Heute gewinnt die unvergleichliche Individualität der Humboldtschen Lebensleistung, die schon vor seinem Tode zwischen die Fronten der sich mächtig entfaltenden Einzeldisziplinen gedrängt worden war, wegen ihres Trends zur Synthese innerhalb ökologischer oder ökonomischer Teilbereiche und wegen ihres integrativen Charakters auf der Grundlage analytischer, nunmehr aber zureichend durch Daten gesicherter oder zu sichernder Untersuchungen eine neue Aktualität. Geowissenschaftliche Untersuchungen müssen heute im richtigen Verhältnis zu Humboldts weit gestecktem Ziel einer Verbindung von empirischer spezieller Forschung in der ganzen Breite integrativer Zusammenfassung und Zusammenhänge durchgeführt werden. Eine der wesentlichen Anregungen, die aus Humboldts Wesen und Werk gezogen werden kann, liegt in der Beachtung der Nahtstellen - etwa zwischen geoökologischen und ökonomisch-geographischen Untersuchungen - , die die naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Kenntnisse zum Vorteil einer Verbesserung der optimalen natürlichen Flächennutzung und der landeskulturellen Gestaltung erarbeiten. D i e m o d e r n e F e r n e r k u n d u n g im V e r h ä l t n i s zu H u m b o l d t s a n a l y t i s c h e n u n d synthetischen M e t h o d e n Viele geowissenschaftliche Phänomene lassen sich nicht auf einige wenige fundamentale Vorgänge reduzieren, wie etwa in der Molekularbiologie oder der Elementarteilchenphysik, wo sie im Zentrum stehen, während der verbleibende Rest - als aus ihnen ableitbar - vernachlässigt wird. Humboldt war sich offenkundig solcher im Wesen wissenschaftlicher Entwicklung liegenden Grenzen bewußt. Das wird deutlich, wenn wir aus Humboldts Arbeits- und Denkweise folgendes behutsam herausstellen: 1. Humboldt, der den erst später von E. Haeckel geprägten Begriff Ökologie vorwegnahm, konnte sich noch nicht wie die moderne Landschaftsforschung und die aus ihr entwickelte Naturraumerkundung der Herausarbeitung von erdräumlichen flächenhaften Einheiten zuwenden. Humboldt beobachtete das Verhalten elmentarer Einzelzüge der Landesentwicklung in ihrer physiognomischen und physiologischen Bedeutung. Eine tiefer greifende Herausstellung von Räumen bestimmter Fläche, Struktur und Funktion ließ der Erkundungsstand seiner Zeit noch nicht zu. Humboldt bahnte aber die Pfade, die zur Synthese, seinem klaren ökogeographischen Hauptziel, führen. 2. Die hervorragenden Ergebnisse der modernen Geoökologie und Geoökonomie, die sich auf diffizil untersuchte Flächeneinheiten stützen, lassen sich mit der Humboldtschen Methodik der Elementaranalysen größerer Räume kombinieren, ja sie fordern hierzu heraus. Die real existierenden Verkörperungen integrierter physischer und ökonomischer Sachverhalte, wie sie sich in Fernerkundungsbildern abzeichnen, erschließen die Grundlagen für Einsichten, die Humboldt durch seine Prinzipien einer Zusammenschau dominanter Elemente der Natur und Kultur erstrebte. Der Schlüssel zur Interpretation von Bildern der Fernerkundung liegt in der Herausfindung korrelationsbildender Faktoren sowie der Prozesse der Gesellschaft, die sich im jeweiligen, von der Kamera erfaßten räumlichen Bedingungsfeld bzw. in dem widerspiegelten räumlichen Verteilungsmuster vollziehen [15], Das integrative Vorgehen verschiedener, an einer bestimmten Problemlösung zusammenarbeitender Geowissenschaften kann nur bei Beschränkung auf klar umrissene Teilkomplexe der Natur, Wirtschaft oder Kultur erfolgreich sein. Die in der D D R entwickelte Forschungsmethodik der naturräumlichen Ordnung, der Naturraumpotentiale 26

und ihrer Nutzungseignung, die international sehr beachtet und von verschiedenen Ländern aufgegriffen wurde, vermag hierzu eine wissenschafts-theoretisch eindrucksvolle Beweiskette aufzulegen. Ich nenne nur wenige Namen als Repräsentanten: Günter Haase, Hans Richter, Karl Herz, R. Krönert, Hans Kugler, Heiner Barsch und deren Mitarbeiter in der Nachfolge von Ernst Neef, dem Kreator - im Anschluß an C. Troll - der geoökologischen Arbeitsrichtung in unserer Republik, sowie für die Wirtschaftsraumforschung Heinz Lüdemann, Gerhard Mohs, Dieter Scholz, Heinz Sänke und Alfred Zimm. Professor R. Krönert, Institut für Geographie und Geoökologie der A d W der DDR, machte jüngst auf die Landschaftselemente im Sinne von E. Niemann [31] aufmerksam, von denen auf Grund „struktureller Eigenschaften gesellschaftlich interessierende Wirkungen unmittelbar ausgehen und an denen sich gesellschaftliche Einwirkungen, wie z. B. technologische Maßnahmen, unmittelbar vollziehen." Krönert weist, angeregt durch verwandte Arbeiten in der Sowjetunion, auf „natürlich-technische Einheiten", die bisher bei der Interpretation von Satelliten-Erkundungen durch die M a schen der angewandten ökologischen und ökonomischen Methoden fielen. Diese neue Qualität der Anschauung, die bei der Luft- und Satellitenbild-Auswertung gewonnen würde, führt unmittelbar zu einer überraschenden Analogie zwischen der Forschungsmotivation Humboldts und den modernen Geowissenschaften, insbesondere der Geographie. Alle Versuche Humboldts, geowissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten aufzudekken, begegnen sich mit dem durch die Fernerkundung mächtig vorangetriebenen Bestreben, Ursächlichkeiten und Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft in lokalen, regionalen oder globalen Objektverbänden aufzuweisen, genauer gesagt, die bedeutende Verfeinerung der aerophotographischen Arealgefügeabbildung im Sinne der Arealstrukturtheorie von K. Herz [14] zu Aussagen über die „spezifischen Leistungen der die Landschaft tragenden Strukturen, Mechanismen und Bedingungsfelder" zu nutzen. Das Primat, das Herz den Arealgefügeelementen gegenüber den topologischen und chorologischen Verteilungsmustern einräumt, ermöglicht die Herausarbeitung landschaftlicher Funktionseinheiten, die, unmittelbar objektgebunden, mit den global anwendbaren Prinzipien der Korrelativität in Einklang stehen.

H u m b o l d t als W e g b e r e i t e r zu einer h ö h e r e n Q u a l i t ä t der i n t e r d i s z i p l i n ä r e n Z u s a m m e n a r b e i t Noch diffiziler und noch exakter also als selbst aus den besten zur Zeit zur Verfügung stehenden thematischen Karten im mittleren Maßstab, wie sie z. B. im Atlas D D R , etwa in der Karte „Flächennutzung und naturräumliche Ausstattung" (von H. Richter und H. Barsch u. a.) vorliegen, können die Angriffsflächen der Technologien durch die Interpretation von Fernerkundungsbildern erkannt werden. Die große Reichweite der Fernerkundung und die immer präziser werdenden Methoden ihrer Auswertung führen an die sonst schwer überschaubare Wirklichkeit größerer Räume in einer Weise heran, die gewiß kühnste Vorstellungen Humboldts weit überstiegen hätte! Der große Schritt nach vorn besteht in dem unmittelbaren Zugriff zu den Objekten bzw. ihren Merkmalen: Durch die Bindung an die von der Kamera, etwa der Multispektralkamera M K F 6, aufgenommenen Objekte wird überdies die Bedeutung und Funktion der geographischen Lage als Korrektiv abstrakter Abbildungsformen, wie ökonomischen Systemen und Modellen, deutlich sichtbar. Hier liegt die tiefere Begründung für Humboldts erwähnte Beiträge zur thematischen Kartographie - nicht zuletzt dafür, daß er seinem erwähnten „Essay über das Königreich Neu-Spanien" einen ganzen Atlas beifügte. Erst durch die auf den Karten eindeutig festgelegte geographische Lage erhalten 27

die verschiedensten Sachverhalte ihren einmaligen, höchst individuellen, von Modellen und Systemen nicht zureichend zu erfassenden Charakter [40], Humboldt hatte ein scharfes Auge für das physiognomisch-individuelle Element in der Flucht terrestrischer Phänomene. E r verstand es, einerseits von seinem hohen E r fahrungsniveau aus zur Erkenntnis gesetzmäßiger Zusammenhänge durch Abstraktion zu gelangen, andererseits bestimmte Einzelzüge aus der durch die Lage bedingten Wirklichkeit herauszulösen, um ihre Individualität zu kennzeichnen. Beispiele sind in großer Menge seinen Reisewerken wie seinen Essais über K u b a und Mexiko zu entnehmen. H u m b o l d t greift aus dem Sichtbaren Elemente heraus, die heute durch die Satellitenerkundung in feinster Ziselierung in die Ebene visionärer Schau gerückt werden. D a s Problem des Zusammenhangs der zu analysierenden Einzelerscheinungen steht ihm, dem Erkennen durch gegenständliche Anschauung sein eigenes Lebensgesetz vorschrieb, dennoch über den Objekten. D a s aber ist der kardinale Punkt, in dem geowissenschaftlich-geographische Arbeiten unserer Zeit aus Humboldts Arbeits- und Denkweise mannigfache Anregungen ziehen können. Der auf allgemeine geowissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten gerichtete Aspekt und der auf das Besondere gerichtete Aspekt, der das Allgemeine dort zu erfassen sucht, wo es sich in ein gebrochen Kompliziertes abzuwandeln beginnt, diese beiden Blickrichtungen schließen sich nicht aus. Sie stehen in einem fruchtbaren Ergänzungs- und Spannungsverhältnis zueinander. D i e neuen Felder des Sehens zwingen uns, die globale Welt und die unmittelbare nahe Umwelt als ein Ganzes zu begreifen, - wie H u m b o l d t es aus seiner Wissenschafts- und Weltsituation heraus tat. Ein neuer Blick für die W e r t e der Technik, f ü r einen positiven Trend ihrer steuerbaren Entwicklung ist zwangsläufig mit neuen wissenschaftlichen Problemstellungen verbunden. Es ist eine offene Frage, wie die Angriffsflächen der Technik in Raum und Zeit sich auswirken werden. Es ist aber eins gewiß: auf die erfolgreiche Beherrschung der großen Veränderungen, z . B . in der sozialistischen Flächennutzung durch Industrie und Bevölkerung, auf die E r forschung der optimalen Formen und Bedingungen des sich ständig ändernden Gleichgewichts zwischen Mensch und Umwelt, überhaupt auf die Nutzung raumgebundener Objekte, insbesondere der natürlichen Ressourcen, kann sich Humboldts Arbeits- und Denkweise ungemein förderlich auswirken. Humboldt, der Empirist, wird heute - etwas zugespitzt gesagt zum Herausforderer der modernen Geowissenschaften, die wissenschafts-geschichtlich betrachtet, ihren A u f trieb, zum erheblichen Anteil sogar ihre Entstehung der Auflösung dessen verdanken, was sich in den N a t u r - und Kulturlandschaften als einheitliche, in sich vielfältige Komplexe abzeichnet. D i e Aktualität von Humboldts Wesen und Werk liegt in unserer Zeit, in der wir durch die alles tangierende Umweltproblematik auf zum Teil nicht mehr umkehrbare Entwicklungen gestoßen wurden, an jener Stelle seiner D e n k - und Handlungsweise, die auf den gesellschaftlichen Fortschritt durch die Erkenntnis natürlicher und gesellschaftlicher Zusammenhänge gerichtet ist. Humboldt weiß, d a ß die von ihm o f t vor Augen geführten „Totalitäten" definitiv nicht als Ganzes zu erfassen sind. E r peilt sie daher unter verschiedenen Aspekten an. M a n kann Humboldts H a u p t werke und Hauptschriften als das Bemühen auffassen, die durch die notwendige Spezialisierung der Wissenschaften gefährdete Erkenntnis der Zusammenhänge nicht aus den Augen zu verlieren. Sein „Kosmos", seine „Ansichten der N a t u r " , sein „Versuch über Neu-Spanien" - sie ergänzen sich kompositorisch zur Erfassung jener totalen W i r k lichkeit, der wir uns heute, nicht zuletzt auf der Grundlage der Satellitenbildtypen, wieder nähern, und zwar - auf dem Hintergrund von Humboldts Grundanliegen - H u manität durch Wissenschaft zu steigern. i 28

Literatur [1] Atlas Deutsche Demokratische Republik: Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften der D D R in Zusammenarbeit mit dem VEB Hermann Haack, Geogr.-Kartogr. Anstalt Gotha/Leipzig, 1981. Karte 9.1 „Klimagebiete und bioklimatische-Situation der Sanatorien, Kur- und Erho: lungsorte, 1 :1 000 000. [2] Beck, H. : Alexander von Humboldt „Essai de Pasographie". Forschungen und Fortschritte, Bd. 32, H. 2, 1958, S. 33 ff. [3] Beck, H . : Wihelm Ludwig von Eschwege und Alexander von Humboldt. In: Alexander von Humboldt - Gedenkschrift zur 100. Wiederkehr seines Todestages. Hrsg. v. Alexander von Humboldt-Kommission der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, S. 48, 1959. [4] Bernhardt, K. H. : Globale physikalische Prozesse und Gesellschaft. Wiss. Ztschr. d. HumboldtUniv. Berlin, Math.-Nat.-Reihe XXVII (1968) 2, S. 10. [5] Biermann, K.-R. (Hrsg.) : Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauss. Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 4, Berlin 1977. [6] Biermann, K.-R. "(Hrsg.) : Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Heinrich Christian Schumacher. Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 6, Berlin 1979. [7] Biermann, K.-R.: Alexander von Humboldt, 3. Aufl., Berlin 1983, S. 29. [8] Bitterling, R. : Alexander von Humboldt. München und Berlin, S. 91, 1959. [9] Bruhns, K. (Hrsg.): Alexander von Humboldt. Eine wiss. Biographie, Bd. 1 - 3 , Leipzig 1872. [10] Buchheim, W. (Hrsg.) : Beiträge zur Komplementarität. Abh. d. Sächs. Akademie d. Wissenschaften, Math.-naturw. Klasse, Bd. 55, H. 5. [11] Cotta, B.: Briefe über Alexander von Humboldts Kosmos. Leipzig, 1850. [12] Engelmann, G. : Heinrich Eerghaus - der Kartograph von Potsdam. Acta Histórica Leopoldina Halle/S., 1977, S. 61. [13] Gerasimov, J. P.: Alexander von Humboldt 1769-1859. Gedenkfeier d. Dt. Akademie d. Naturforscher Leopoldina am 14. 9. 1969 in Halle (Saale), Acta Histórica Leopoldina, Nr. 6, S. 13, 1971.' [14] Herz, K . : Analyse der Landschaft. Studienbücherei Geographie für Lehrer, Bd. 6, Gotha/ Leipzig 1980, S. 9 ff. [15] Herz, K. : Struktur-Funktiops-Verhalten. Versuch einer wissenschaftsgeschichtlichen Interpretation geographischer Landschaftsforschung. Vortrag 13. 12. 1983 in der Sektion Phys. Geographie der Geogr. Gesellschaft d. D D R . [16] Horn, W . : Die Geschichte der Isothermenkarten. Petermanns Geogr. Mitteilungen, 1959, S. 233 ff. [17] Humboldt, A. v.: Essay de Pasigraphie géologique dressé à l'usage de l'Ecole Royalle des Mines du Mexique. Mexico 1803. [18] Humboldt, A. v.: Versuch über den politischen Zustand des Königreiches Neu-Spanien Tübingen, 1809, 1. Bd., S. 43. [19] Humboldt, A. v.: Essai Géognostique sur le Gisement des Roches dans les deux Hémisphères Paris 1823. Vorwort, S. VII. [20] Humboldt, A. v.: D e lignes isothermes et de la distribution de la Chaleur sur le globe. Mém. de phys. el de chimie Soc. d'Arcueil 3 (1817), S. 462 ff. Deutsch in: Kleinere Schriften von A. v. H., 1. Bd., Stuttgart 1853, S. 206 ff. [21] Humboldt, A. v.: Examen critique de l'histoire de la géographie du Nouveau Continent et des Progrès de l'astronomie nautique dans les 15e et 16e siècles, Paris 1836-1839. [22] Humboldt, A. v.: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Bd. 1, Stuttgart und Augsburg, 1845, S. 340. [23] Humboldt, A. v.: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Stuttgart und Augsburg. 1. Bd. 1845, 2. Bd. 1847, 3. Bd. 1850, 4. Bd. 1858, 5. Bd. postum 1862. [24] Humboldt, A. v.: Relation historique du Voyage aux régions équinoxiales du nouveau Continent. Paris 1814-1825, unvollendet. (Ein ungekürzter Neudruck des Originals erschien als Bd. 8 in „Quellen und Forschungen z. Geschichte d. Geographie", eingeleitet von H. Beck, Stuttgart 19 ). [25] Jahn, I. u. F. G. Lange (Hrsg.): Die Jugendbriefe Alexander von Humboldts 1787-1799. Beitr. z. Al.-v.-Humboldt-Forschung. Bd. 2, 1973. [26] Kadletz-Schöffel, H . : Fürst Metternich und die Gründung der Geographischen Gesellschaft in Wien. Österr. Akad. d. Wiss., Philosoph.-Histor. Kl., Anzeiger, 119. Jg., 1982, S. 34.

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[27] Lautensach, H . : D e r geographische Formenwandel. Studien zur Landschaftsdynamik. Colloquium Geograficum Bd. 3, Bonn 1952. [28] Lautensach, H . : D i e Iberische Halbinsel. München 1964, S. 23. [29] Lautensach, H . u. E . M a y e r : Iberische Meseta und Iberische Masse. Ztschr. f. Geomorphologie, 1961, Bd. 5, H . 3, S. 161. [30] N e e f , E . : G e o g r a p h i e - einmal anders gesehen. Geogr. Ztschr. Jg. 70, H. 4, 1982, S. 243. [31] Niemann, E . : Methodik zur Bestimmung der Eignung, Leistung und Belastbarkeit von L a n d schaftselementen und Landschaftseinheiten. Wiss. Mitteilungen d. Inst. f. Geographie und G e o ökologie d , A d W d. D D R , Sonderheft 2, 1982, S. 16. [32] Petrow, B. N . : Entwicklung und Perspektiven der Kosmosforschungen. Sitz.-Ber. d. A d W d. D D R , Jg. 1980, N r . 2 0 / N , S. 6. [33] Pfeiffer, G . : Alexander von H u m b o l d t (II. Teil), „Ruperto Carola", XI. Jg., Bd. 26, S. 12, 1959. [34] Plewe, E . : H u m b o l d t 1 7 6 9 - 1 8 5 9 . I n : D i e berühmten Erforscher und E n t d e c k e r der E r d e . Köln 1965. S. 10 ff. [35] Plewe, E . : Vom technischen D e n k e n zur universellen Weltschau. Karlsruher Akademische Reden, N e u e Folge, N r . 1 7 , ' 1 9 5 8 , S. 18. [36] Ramakers, G . : Geographie des Plantes des Jean-Louis Giraud-Soulavie ( 1 7 5 2 - 1 8 1 3 ) . D i e E r d e , 1976, H . 1, S. 8 ff. [37] Schneider-Carius, K . : D a s Klima, seine Definition und D a r s t e l l u n g ; zwei Grundsatzfragen d e r Klimatologie. Veröffentlichungen des Geophysikal. Inst. d. K M U Leipzig, 2. Serie, Bd. X V I I , 1961, S. 154. [38] Symons, T . H. B.: T h e N a t u r e and V a l u e of N a t i o n a l and Regionale Atlases in Cartographica Toronto. Monograph. N o . 23, S. 1 ff., 1979. [39] Troll, C.: D i e tropischen Gebirge. Ihre dreidimensionale klimatische und pflanzengeographische Zonierung. Bonner Geogr. A b h . 25, S. 1 - 9 3 . [40] Wirth, E . : Z u r wissenschafts-theoretischen Problematik der L ä n d e r k u n d e . Geogr. Ztschr. 1978, S. 241 f f . [41] Wussing, H . : Carl Friedrich Gauss. Biographien hervorragender Naturwissenschaftler. Techniker und Mediziner, 1982, Bd. 15, S. 62.

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Manfred Kossok

Alexander von Humboldt und der Freiheitskampf Spanisch-Amerikas

Als sich über die deutschen Staaten und Europa die Nacht der Heiligen Allianz herabsenkte, schien es, daß auch der Unabhängigkeitskampf Spanisch-Amerikas einem ruhmlosen Ende zutrieb. Mit Ausnahme der Revolutionsherde von Buenos Aires und Asunción triumphierte allerorten von Mexiko bis zum Bio-Bio die spanisch-royalistische Konterrevolution. In diese Hoffnungslosigkeit zuckte wie ein Blitz Simón Bolívars „Brief aus Jamaica" (1815). Aus dem Exil entwarf der künftige Befreier die kühne Vision eines von allen kolonialen Fesseln entledigten Kontinents. Im Frühjahr 1816 landete er von Haiti aus mit seinen Getreuen und nahm jenen gigantischen Kampf erneut auf, an dessen Ende die Schlacht von Ayacucho (9. Dezember 1824) und der Zusammenbruch einer mehr als dreihundertjährigen Kolonialherrschaft standen. David hatte über Goliath gesiegt. Die Entstehung einer neuen Staatenwelt wurde in Alteuropa auf vielfältige Weise als Herausforderung verstanden. Für die Propheten der Heiligen Allianz, mit Metternich an der Spitze, schienen die W e l t aus den Fugen geraten und die kaum gebannten Gespenster von 1789 erneut auf die historische Bühne getreten. Halb drohend, halb flehend wandte sich Metternich an den Insurgentenkaiser Pedro I. von Brasilien mit den Worten: „Ne jacobinisez pas!", hoffend, das monarchische Brasilien in einen Cordon sanitaire gegen das republikanische Restamerika verwandeln zu können. Und Frankreichs großer Dichter Chateaubriand, der als Außenminister eine Politik im Sinne seines Hauptwerkes „Der Geist des Christentums" (1802) verfolgte, erlag dem T r a u m a : „Die Revolution Lateinamerikas ist das Ende der europäischen Monarchien". Umgekehrt pflanzte den Vertretern des fortschrittlichen Denkens die Wende in SpanischAmerika neue Hoffnung in die Herzen. Spaniens Revolution und der heroische Befreiungskampf der Griechen zeigten, daß auch in Europa die 1789 freigesetzten Energien weiterwirkten. An den Namen Bolívar, Riego und Rhigas schieden sich die Geister der Zeitgenossen. Im Kreis derjenigen, deren ungeteilte Sympathie der Unabhängigkeitsrevolution in Spanisch-Amerika galt, nahm Alexander von Humboldt eine gewiß überragende Stellung ein. Wurden Simón Bolívar und José de San Martin die politischen Väter der Independencia, so dürfen wir Alexander von Humboldt als einen ihrer geistigen Väter bezeichnen. Zu den großen Leistungen Humboldts gehört, mit seinem vielbändigen Reisewerk, das aus der epochalen Expedition von 1799 bis 1804 durch das nördliche Südamerika, die Karibik und Mexiko erwuchs, den Grundstein für das Selbstbewußtsein und für das Wissen um die schier unerschöpflichen Entwicklungsmöglichkeiten dieses Kontinents gelegt zu haben. Humboldts Werke übten auf das neue Nationalgefühl einen tiefgreifenden Einfluß aus. Im Falle Mexikos wurde für oder gegen Humboldt zu sein ein Kriterium der Unversöhnlichkeit zwischen Liberalen und Konservativen. José Miranda hat diesen Prozeß treffend als „humboldteanización" des politischen Lebens bezeichnet. Von Simón Bolívar wurde Humboldt in den Rang des Wiederent31

deckers Mittel- und Südamerikas gehoben, der sich mehr Verdienste als alle Konquistadorgenerationen zusammengenommen erworben habe. Auf eine gewiß fast einmalige Weise vereinte Alexander von Humboldt in seiner Person und in seinem Werk die Talente eines begnadeten Natur- und Geisteswissenschaftlers. W a s sich heutige Generationen durch interdisziplinäre Zusammenarbeit mühselig anzueignen suchen, verkörperte er als Individuum; er selbst war ein Kosmos. Obwohl in erster Linie Naturwissenschaftler, galt sein Interesse der Totalität der von ihm und seinem Gefährten Aimée Bonpland bereisten Gebiete. So fühlte sich Humboldt, nach eigener Aussage, „als Geschichtsschreiber von Amerika" [1], der ein „politisches Gemälde" [2], identisch mit einer Gesamtschau der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer natürlich-geographischen und ökonomischen Grundlagen, entwerfen wollte. Der von Humboldt hinterlassene Reichtum ist bis in die Gegenwart durchaus nicht bewältigt. Welche Schätze es noch zu heben gilt, zeigen die 1982 durch die Alexandervon-Humboldt-Forschungsstelle der A d W der D D R veröffentlichten Auszüge aus seinen Reisetagebüchern, deren Teile über Kolumbien inzwischen auch in Bogotá erschienen sind [3]. Gerade diese Tagebuchnotizen, die noch nichts von der obligatorischen Selbstkontrolle der Veröffentlichungen spüren lassen, beweisen, daß Humboldt unentwegt „die Ideen von 1789" im Herzen trug, wenn er auch keinerlei Sympathien für die jakobinische Intransigenz der Großen Revolution - die „Schreckensherrschaft", wie er abwehrend formulierte - hegte. Desungeachtet blieben sein Denken und sein Handeln zutiefst von jener geschichtsträchtigen heroischen Illusion der Jahre 1789/94 geprägt, deren Wesen M a r x und Engels in ihrem Jugendwerk „Die Heilige Familie" so eindringlich beschrieben. Von dieser Position aus wertete Humboldt den Charakter des spanischen Kolonialsystems, die Lage Spanisch-Amerikas am Vorabend der Revolution, den historischen Ort der Independencia und die Zukunftsaussichten des befreiten Amerikas.Obwohl selbst kein Revolutionär sondern Befürworter einer im Geiste des bürgerlich-progressiven Humanismus geprägten Reformpolitik, der er auch als „Hofdemokrat" im preußischen Staatsdienst nicht abschwor, erkannte Humboldt die tiefere Gesetzmäßigkeit, die den Revolutionen seiner Zeit zugrunde lag. Mit dem Aufstand der USA und dem Sturz des Absolutismus in Frankreich (zu dessen „Leichenfeier" sein Bruder nach dem Sturm auf die Bastille nach Paris eilte) setzte Humboldt die Independencia in die Kette „der großen Revolutionen, welche von Zeit zu Zeit das Menschengeschlecht in Bewegung bringen" [4]. Indem Humboldt vom objektiven Charakter der Bedingungen für den Ausbruch der Revolution ausging und sie nicht aus dem subjektiven Versagen dieser oder jener Kolonialregierung ableitete, nahm er zugleich jener Argumentation den Wind aus den Segeln, die in der konservativen Historiographie der Gegenwart erneut Urstände feiert: „Man hört immer wieder behaupten, die HispanoAmerikaner seien für freie Institutionen noch nicht weit genug, in der Kultur vorgeschritten. Es ist noch nicht lange her (d. h. seit 1775 und 1789, M. K.), so sagte man dasselbe von anderen Völkern aus, bei denen aber die Zivilisation überreift sein sollte . . ." [5], Welche Kolonialmacht - so dürfen wir hinzufügen - hätte je einer um ihre Befreiung kämpfenden Region freiwillig das Reifezeugnis ausgestellt. Für das von Humboldt über Spanisch-Amerika am Vorabend der Revolution von 1810 entworfene „Gemälde" sind folgende Elemente kennzeichnend: Die Verurteilung des Kolonialismus, die bedingungslose Ablehnung der Sklaverei, der programmatische Antirassismus, das kritisch-differenzierte Urteil über die Kolonialkirche, das Gespür für die unaufhebbaren Interessengegensätze zwischen Metropole und Kolonie, die Würdigung der sich abzeichnenden antikolonialen Opposition, aber auch die Erkenntnis der inneren 32

Widersprüche, von denen die Entstehung einer neuen Staatenwelt jenseits des Atlantik begleitet sein würde. In völligem Gleichklang mit den Leitideen der Epoche: Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit, schrieb Humboldt im Jahre 1803, „daß die Idee der Kolonie selbst eine unmoralische Idee ist . . . . Jede Kolonialregierung ist eine Regierung des Mißtrauens. . . . J e größer die Kolonien sind, je konsequenter die europäischen Regierungen in ihrer politischen Bosheit sind, um so stärker muß sich die Unmoral der Kolonien vermehren" [6]. Aus seiner Verurteilung der Sklaverei, die nicht nur in die intimen Reisenotizen verbannt, sondern, z. B. im Reisewerk über Kuba, auch publik gemacht wurde, erklärt sich, daß Humboldt nicht den weitverbreiteten Horror vor den „schwarzen Jakobinern", die unter Toussaint L'Ouverture und Dessalines Haiti befreit hatten, teilte, sondern in der ersten erfolgreichen Sklavenrevolution der Weltgeschichte den Keim für eine „afrikanische Föderation der freien Staaten der Antillen" [7] sah. Nicht zuletzt auf Humboldts Einfluß ging die spätere abolitionistische Gesetzgebung der preußischen Krone zurück. Besondere Erwähnung verdienen die Verdienste Humboldts um die Rehabilitierung der indianischen Grundkomponente in der Geschichte Mittel- und Südamerikas, „der alten rechtmäßigen Herren des Landes". Das von ihm aus eigener Anschauung entworfene Bild kontrastierte fundamental mit der Verständnislosigkeit, die sein großer Zeitgenosse Hegel in dieser Frage zeigte. Humboldt blieb weit davon entfernt, einem platten Rousseauismus anzuhängen und den „bon sauvage" von rein philanthropischer Warte aus zu sehen, ebensowenig teilte er die nativistischen Neigungen bestimmter Spielarten des späteren Indigenismus. Bemerkenswert ist sein ausgeprägtes Verständnis für den sozialen Hintergrund der Indianer- wie jeder Rassenfrage in Lateinamerika. Das „Hauptresultat" seines Werkes über Neu-Spanien (Mexiko) sah Humboldt in der Erkenntnis, daß „das Glück der Weißen aufs innigste mit dem der kupferfarbigen Race verbunden ist, und das es in beiden Americas überhaupt kein dauerhaftes Glück geben wird als bis diese, durch die lange Unterdrückung zwar gedemütigte, aber nicht erniedrigte Race alle Vortheile theilt, welche aus den Fortschritten der Civilisation und der Vervollkommnungen der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen" [8]! Humboldts objektives Bild des Indianers, sein Wissen um dessen eigene Geschichtlichkeit war zugleich Ausdruck eines Geschichtsverständnisses, das die Dinge nicht von „oben" nach „unten" sondern eher umgekehrt betrachtete. Für ihn war „das Zeugnis der Geschichte" unbestreitbar „die auf Erden gefestetste Macht", und er wußte um die Massen als ein letztlich tragendes Element historischen Fortschreitens: „Die Geschichte der letzten Klassen eines Volkes ist nichts als die Erzählung der Ereignisse, welche die große Ungleichheit des Vermögens, die Genüsse und des individuellen Glücks begründet und damit nach und nach einen Teil der Nation unter die Vormundschaft und Abhängigkeit des andern gestzt haben. Aber diese Erzählung suchen wir beinahe ganz vergebens in den Annalen der Geschichte. Sie bewahren wohl das Andenken an große politische Revolutionen, an Kriege, Eroberungen und andere Geißeln, welche die Menschheit betroffen haben; aber sie lassen uns nur weniges über das mehr oder minder klägliche Schicksal der ärmsten und zahlreichsten Klasse der Gesellschaft wissen" [9]. Obwohl Humboldt später einräumte, das volle Ausmaß der Krise der Kolonialherrschaft am Vorabend der Revolution von 1810 nicht erkannt zu haben, vermittelte er desungeachtet eine umfassende Vorstellung von der sich abzeichnenden oppositionellen Grundströmung. Ihm entging nicht, „daß die politischen Bewegungen, welche seit 1789 in Europa stattfanden, die lebhafteste Teilnahme bei Völkern erreicht haben, die schon 3

Abh. 2 N 1985

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lange nach Rechten strebten, deren Beraubung zugleich ein Hindernis der sittlichen Wohlfahrt und eine Ursache des Rachegefühls gegen den Mutterstaat ist" [10]. Immer wieder betonte er die zäsursetzende Funktion des Jahres 1789 und dessen bestimmenden Einfluß auf die nachfolgenden Revolutionen. Hohen Respekt zollte Humboldt den Märtyrern des antikolonialen Widerstandes: E r trug sich mit dem Gedanken, eine Biographie Tupac Amárus, des Führers des bedeutendsten Indianeraufstandes, zu schreiben, und von José España, der an der Spitze einer sansculottisch inspirierten republikanischen Verschwörung stand, schrieb Humboldt: „España empfing den Tod mit dem Mut eines Mannes, der für die Ausführung großer Pläne gemacht ist" [11]. D i e profunde Lokalkenntnis durch die intensive Berührung mit der Realität der K o lonialgesellschaft bewahrten Humboldt vor jeglicher Idealisierung der Independencia im Sinne des fortschrittsgläubigen Liberalismus. Seine Werke und vor allem sein Reisetagebuch enthalten viele Zeugnisse über die wachsende politische Unruhe in der kreolischen Aristokratie, aus deren Reihen die künftigen Führer der Revolution hervorgingen. Die Ideen von 1775 und besonders die von 1789 hatten feste Wurzeln geschlagen und große Erwartungen geweckt. Jedoch entging Humboldt nicht die für die innere Widersprüchlichkeit der Independencia fundamentale Tatsache,- daß diese kreolische Aristokratie zwar ihre eigene Emanzipation, ihren Aufstieg zur politisch herrschenden Klasse, im Auge hatte, dagegen an keine soziale Revolution dachte, deren Ergebnisse den Sklaven, Indianern und anderen unterjochten Klassen und Schichten zugute gekommen wären. D i e Unabhängigkeit sollte auf der Basis des sozialen Statuts quo ante errichtet werden. D i e „Furcht des Weißen und Freien . . . vor den vielen Schwarzen und Indianern" [12] bremste nicht nur den oppositionellen Elan vor 1810, er wirkte auch als die entscheidende Negativhypothek der folgenden Revolution. Obwohl Humboldt die Sklaverei kategorisch verwarf und die entsprechenden Gesetze zu deren A b schaffung begrüßte, erkannte er, daß die kreolischen Gesetzgeber nicht aus philanthropischen Überschwang oder selbstkritischem Meinungswandel, sondern unter dem Zwang der Umstände handelten, da auf andere Weise die Revolutionsarmeen nicht aufzufüllen waren: „. . . in verschiedenen Ländern des spanischen Amerika wurde die allmähliche oder plötzliche Aufhebung der Sklaverei verkündigt, nicht sowohl aus Gefühlen und Menschlichkeit als weil man sich des Beistandes eines unerschrockenen, an Entbehrungen gewöhnten und für sein eigenes Wohl kämpfenden Menschenschlages versichern wollte" [13]. E s war natürlich Humboldt nicht entgangen, daß als erste die Royalisten den Furor der Sklaven gegen die kreolischen Plantagen- und Bergwerksbesitzer entfesselten und damit die Revolution um den Preis des Überlebens in Zugzwang brachten. D i e enthusiastischen Worte Bolivars von 1 8 1 6 : „Ich habe die Sklaverei abgeschafft!" widersprachen noch über Jahrzehnte den realen Gegebenheiten, und die weitreichenden Reformprojekte des Befreiers scheitern vor dessen Augen. Humboldt legte mit seinen Einsichten in die innere Widersprüchlichkeit der Revolution eines jener Hauptelemente frei, das entscheidend auf die soziale Nichtvollendung der Independencia einwirkte. Jeglichem Eurozentrismus abgeneigt, kam es Humboldt nicht in den Sinn, die Lage des sich befreienden Spanisch-Amerikas an alteuropäischen Normen und Realitäten zu messen. Während sich die Anhänger der Restauration und des Legitimismus durch die Welle von neu gegründeten Republiken traumatisiert fühlten und mit diplomatischer Geschäftigkeit an den Plänen für die Einsetzung von Segundogenituren arbeiteten, um das rebellische Mittel- und Südamerika zu monarchisieren, schrieb Humboldt: „der wachsende Wohlstand einer Republik ist kein Schimpf für monarchische Staaten . . ." [14]; und weiter: „. . . die wahren Grundlagen der Monarchie sind im Schöße 34

der heutigen Kolonien nirgends zu finden" [15]. H u m b o l d t ließ auch das vermeintliche Gegenbeispiel Brasilien nicht gelten, d a hier die Monarchie „von außen hereingebracht" [16] wurde. W a s vielen zeitgenössischen Beobachtern als bloße Anarchie erschien, erkannte Humboldt, der stets von der verwirrenden Fülle äußerer Erscheinungen zum Wesen vordrang, als den komplizierten und widerspruchsvollen Prozeß antikolonialer Emanzipation und nationalstaatlicher Konsolidierung. D i e von ihm keineswegs mit Sympathie beobachtete „große Zentralisation der Staatsverwaltung" [17], in der Regel mit offener Diktatur verbunden, wertete H u m b o l d t bemerkenswert objektiv als ein Resultat des militärisch-politischen Ausnahmezustandes, hervorgegangen aus einem fünfzehnjährigen, mit gnadenloser H ä r t e geführten Befreiungskampf, der alle traditionellen Vorstellungen zu Staub zerfallen ließ. „Jede Änderung wäre, so lange noch auswärtige Feinde vorhanden sind, gefährlich" [18], Mit eindeutigem Bezug auf die Erfahrungen der Großen Revolution, betonte Humboldt, d a ß die Formen, welche für die Verteidigung (der Revolution, M . K.) „als die zweckmäßigsten erscheinen können", nach deren Beendigung und Institutionalisierung durchaus nicht „der Beförderung individueller Freiheit und der Entwicklung des öffentlichen Wohlstandes am meisten zusprechen" [19] müssen. Simón. Bolívar hat diesen tragischen Widerspruch an seiner eigenen Person wohl am intensivsten durchlebt und ist letztlich deren O p f e r geworden. H u m b o l d t wußte, d a ß in der Einheit der Patrioten das entscheidende U n t e r p f a n d für die kaum gewonnene und noch ungefestigte Freiheit lag. O h n e das sich in der Herausbildung selbständiger Staaten reflektierende nationale Eigenleben in Frage zu stellen, sah H u m b o l d t - in völligem Einklang mit der großen Vision Bolivars - die Notwendigkeit einer kontinentalen Föderation. Welche prophetische Weitsicht verraten seine W o r t e : „Die Geschichte zeigt vollends auch, d a ß in dieser Schwierigkeit. . ., mehr denn einmal sich die Klippe befand, an welcher der Enthusiasmus und die Neigungen der Völker gescheitert sind" [20], E n d e der heroischen Illusion? W i e realistisch H u m b o l d t die entstandene Situation einschätzte, belegen seine W o r t e : „Der eigentliche kritische Zeitpunkt ist der, wo es lange Zeit unterjochten Völkern auf einmal in die H a n d gegeben ist, ihr Leben nach den Erfordernissen ihres Wohlergehens einzurichten" [21]. Während Bolívar feststellte, die USA seien von der Vorsehung dazu ausersehen, das spanische Amerika „im N a m e n der Freiheit mit Elend zu plagen", und vergeblich darum rang, den Kongreß von Panamá (1826) ohne die Teilnahme der USA und deren mögliche Hegemonie stattfinden zu lassen, schrieb Humboldt, d a ß infolge der mangelnden Einheit zwischen den befreiten Staaten schon „eine nicht entfernte Z u k u n f t " die Entscheidung bringen werde, ob Mexiko dem Expansionsdruck der USA standhalten könne oder nicht; der Krieg von 1848, den er noch erlebte, bestätigte seine Vorahnung. D a s persönliche Engagement Humboldts f ü r die Sache der Freiheit Spanisch-Amerikas f a n d beredten Ausdruck in der engen Verbindung mit Simón Bolívar. Beide begegneten sich zum ersten Male in Paris im Jahre 1804. Als H u m b o l d t im Salon der M a d a m e Dévieu du Villars gewisse Zweifel an einer baldigen Unabhängigkeit Spanisch-Amerikas zum Ausdruck brachte, entgegnete ihm der 21jährige kreolische Heißsporn: „Die Völker sind in den Augenblicken, da sie Notwendigkeit empfinden frei zu sein; so stark wie Gott . . . " . H u m b o l d t zeigte sich allerdings von dem Imponiergehabe des Salonlöwen aus Caracas, der seine Siege vornehmlich noch im Alkoven und nicht auf dem Schlachtfeld vollbrachte, wenig beeindruckt. Bald jedoch verband beide eine aufrichtige Freundschaft. Aus der Erinnerung schrieb H u m b o l d t : „Die Taten, die T a lente und der Ruhm dieses großen Mannes ließen mich der Momente seiner Begeiste3*

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rung gedenken, als wir gemeinsam unsere Wünsche für die Befreiung des spanischen Amerika vereinten" [22]. Freimütig bekannte Humboldt, die historische Berufung Bolivars - im Gegensatz zu Bonpland - nicht auf den ersten Blick erkannt zu haben, er sah in ihm zunächst nur „einen Träumer" [23]. Um so entschiedener vertrat er dessen Sache, als Bolívar „zum Führer eines amerikanischen Kreuzzuges" [24] avancierte. Bedingungslos stand Humboldt später auf der Seite des Befreiers, „dessen Freundschaft mir zur Ehre wurde und dessen Ruhm der Welt angehört" [25], Man muß, um die historische Dimension dieser Freundschaft orten zu können, sich durchaus nicht zu der Behauptung versteifen, Humboldt habe Bolívar den Gedanken der Befreiung SpanischAmerikas eingegeben. Das hieße den prägenden Einfluß seines Erziehers und glühenden Rousseauanhängers Simón Rodriguez-Carreño zu übersehen. Aber zweifellos konnte Humboldt aus seinem reichen Wissen („da ich die spanischen Kolonien vollends untersucht und bei vielen von ihnen ihre politische Situation erfühlt hatte" [26]) die Überzeugungen Bolivars, die 1805 im Schwur auf dem Monte Sacro gipfelten, festigen und orientieren. Das Schicksal der beiden Großen kreuzte sich an deren Lebensende in einer fast schon tragisch zu nennenden Weise. Bolívar, verfolgt, desillusioniert, vom Tode gezeichnet, starb 1830 auf dem Weg in das europäische Exil. Verbittert schrieb er knapp einen Monat vor seinem Tode: wer einer Revolution dient, pflügt im Meer . . . [27], das einzige, was man in Amerika tun kann, ist auszuwandern". Humboldt seinerseits trug sich zeitweilig mit dem Gedanken des Aufbaus einer neuen, unabhängigen Existenz im lateinischen Amerika, um der stickigen Restaurationsatmosphäre zu entgehen. Die Welten, zu deren Zierde sie gereichten, vermochten Persönlichkeiten, die über ihre Zeit hinausdachten und das Erbe von 1789 im Herzen bewahrten, nicht zu ertragen. Aus seiner positiven Einstellung zum Freiheitskampf Spanisch-Amerikas zog Humboldt auch praktische politische Schlußfolgerungen. Entschieden wandte er sich gegen den von den Parteigängern des Legitimismus geschürten apokalyptischen Pessimismus, daß in Mittel- und Südamerika eine von Anarchie geprägte Staatenwelt entstehe, deren bloße Existenz schon Europa bedrohe. „Im zunehmenden Wohlstand irgendeiner anderen Gegend unseres Planeten den Untergang oder das Verderben des alten Europa erblicken zu wollen" [28], war in den Augen Alexander von Humboldts ein „gottloses Vorurteil" [29]. Er hoffte vielmehr auf den „edlen Wettstreit in der Zivilisation, in den Künsten, der Industrie und Handel" [30]. Mit anderen Worten, er vertraute auf die Gesetze der Konkurrenz. „Die Unabhängigkeit der Kolonien wird nicht zur Folge haben, sie zu isolieren, sie werden vielmehr dadurch den Völkern alter Kultur nähergebracht werden" [31]. Eine Pionierrolle bei der Anknüpfung kommerzieller und wirtschaftlicher Beziehungen spielten - trotz intensiven Gegendrucks der „großen Politik", d. h. der Allianzmächte - die Hansestädte. Humboldt gab dieser Politik wider den Strom seine moralische Unterstützung. „Der Handel wirkt naturgemäß dahin zu verbinden, was eifersüchtige Staatskunst solange auseinandergehalten" [32], Seine Erwartung: „Das gewerbefleißige und handeltreibende Europa wird aus der neuen Ordnung der Dinge, wie sie sich im spanischen Amerika gestaltet, seinen Nutzen ziehen . . ." [33], Für die relativ freie hanseatische Presse waren Humboldts Werke und Zeugnisse die Hauptquelle, um die neuen Horizonte der Prosperität in den herrlichsten Farben zu schildern. Selbst den Werbern für Bolivars Armee gestattete der Hamburger Senat - wenn auch nur verdeckt - den Aufenthalt. In seiner Eigenschaft als preußischer Gesandter in London, schlug Alexanders Bruder, Wilhelm von Humboldt, bereits 1818 die Aufnahme kommerzieller und diplomatischer Beziehungen zu den damals existierenden Republi36

ken vor, um den Engländern den Rang beim Zugang zu den neuen Märkten abzulaufen. Aber, weder der damalige Staatskanzler Freiherr von Hardenberg noch Außenminister Graf von Bernstoff zeigten die geringste Neigung, in der „Südamerikanischen Frage" den Bruch mit der Heiligen Allianz zu wagen. Trotzdem griff die Erosion unter dem Zwang der Umstände bald um sich. Kaum hatte sich Metternich von der Verkündung der Monroedoktrin (1823), womit die U S A ihren Vormachtanspruch anmeldeten, erholt, den er ganz gegen seine ansonsten so gewählte Sprache - als „eine bodenlose Unverschämtheit" bezeichnete, da stellte das bourbonische Frankreich diplomatische Beziehungen mit den „schwarzen Jakobinern" Haitis (1825) her. Für Humboldt war der Schritt des Kabinetts in Paris ein „ebenso bedeutsam als glücklich zu nennendes Ereignis" [34], Dieser Dammbruch hatte den Weg für eine offensive Anerkennungspolitik durch die Hansestädte freigelegt. Nur wenige Jahre später folgten Schritt für Schritt die größeren deutschen Staaten. Die Mächte des Gestrigen mußten sich den neuen Realitäten der Weltgeschichte beugen. Für diese Wende hatte Humboldt den geistigen Grundstein gelegt. Sich des Wirkens Alexander von Humboldts in und für Lateinamerika zu erinnern, heißt vor allem im Sinne seiner Ideen der Völkerverständigung des historischen Fortschritts tätig zu sein.

Literatur [1] Humboldt, A. v. Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba, in: Gesammelte W e r k e von Alexander von Humboldt, hrsg. v. H. Hauff, Bd. 12, Stuttgart o. J. S. 67. [2] Humboldt, A. v.: Politischer Versuch über das Königreich Neu-Spanien, Tübingen 1809 bis 1814, Bd. 5, S. 51. [3] Humboldt, A. v . . Lateinamerika am Vorabend der Unabhängigkeitsrevolution, zusammengestellt u. erläutert von M. Faak, eingeleitet v. M. Kossok, Berlin 1982. [4] Humboldt, A. v. Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Kontinents, in Gesammelte W e r k e von Alexander von Humboldt, Bd. 8, S. 286. [5] Humboldt, A. v.: Reise . . . a. a. O., Bd. 8, S. 291. [6] Humboldt, A. v . . Lateinamerika . . . a. a. O., S. 65. [7] Humboldt, A. v Versuch über den politischen Zustand . . . a. a. O., Bd. 6/1, Stuttgart, Tübingen 1 8 1 5 - 1 8 2 9 , S. 83 (Reise II). [8] Humboldt, A. v.: Politischer Versuch . . . a. a. O., Bd. 5, S. 55. [9] Ebenda, Bd. 2, S. 140 f. [10] Ebenda, Bd. 5, S. 42. [11] Ebenda, S. 43. [12] Ebenda, S. 44. [13] Humboldt, A. v. Reise . . . a. a. O., Bd. 6, S. 100. [14] Ebenda, a. a. O., S. 291. [15] Ebenda, S. 290 ff. [16] Ebenda, S. 291. [17] Humboldt, A. v. Reise II, Bd. 5, S. 297. [18] Ebenda. [19] Ebenda. [20] Ebenda. [21] Ebenda. [22] Brief Humboldts an D. F. O'Leary, zit. in: H. Heimann, Humboldt und Bolivar. Begegnungen zweier Welten in zwei Männern, i n : A. v. Humboldt. Studien zu seiner universalen Geisteshaltung, hrsg. v. H. J. Schultze, (West-) Berlin 1959, S. 233 ff [23] Ebenda. [24] Ebenda. [25] Ebenda. [26] Ebenda. [27] Cartas del Libertador, 10 Bd., hrsg. v. V. Lecuna, Caracas 1929 ff, Bd. 9, S. 376 f. [28] Humboldt, A. v. • Reise . , . a. a. O., Bd. 8, S. 289. [29] Ebenda. [30] Ebenda. [31] Ebenda. [32] Ebenda. [33] Ebenda, S. 290. [34] Humboldt, A. V Versuch . . . a. a. O., Bd. 12, S. 74.

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Innokentij Petrovic Gerasimov t

Die Bedeutung der Reise Alexander von Humboldts nach Rußland aus heutiger Sicht

Mein hochverehter Freund und Kollege, Akademiemitglied Edgar Lehmann, würdigte in seinem gestrigen Vortrag auch die geographischen Reisen Alexander von Humboldts. In den Arbeiten und im gesamten Leben dieses großen deutschen Wissenschaftlers kommt den Reisen eine herausragende Bedeutung zu. Sie bereicherten seine außerordentliche Wißbegier mit einer Vielzahl neuer Beobachtungen und Tatsachen; sie waren die Quelle fruchtbringender wissenschaftlicher Ideen und theoretischer Verallgemeinerungen ; sie ermöglichten seinem Verstand und seiner Seele die Entfaltung hohen Edelmuts und eines tiefempfundenen Humanismus. Gerade die Reisen machten Humboldt zu dem, als der er in die Geschichte der Weltwissenschaft eingegangen ist. „Wenn man einen Namen nennen kann, der auf einen vorderen Platz in der wissenschaftlichen E r d kunde gehört, dann ist das zweifellos der Alexander von Humboldts . . .", schrieb 1915 der große russische Geograph D . N. Anucin im Vorwort zur russischen Ausgabe der Arbeit Alexander von Humboldts „Centraiasien" (1915). Anucin fährt fort:

In der

ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann man wohl kaum auf einen anderen Wissenschaftler verweisen, der in Wissenschaftlerkreisen wie in der gebildeten Gesellschaft Europas und Amerikas einen derart hohen Ruf besessen hätte. Gleichzeitig war Alexander von Humboldt wohl einer der letzten Vertreter jenes alten, aristotelischen Typs von Wissenschaftlern, die versuchten, mit ihrem geistigen Blick die gesamten Naturwissenschaften zu erfassen, in den Kreis ihrer Forschungsarbeiten aber auch solche Gebiete einbezogen wie Geschichte, Philologie, Archäologie, Ethnographie, Statistik usw." [1]. Im Lichte späterer, bis in die Gegenwart reichender Umwertungen der wissenschaftshistorischen Bedeutung Humboldts muß jedoch die oben angeführte Meinung des Klassikers der vorrevolutionären russischen Geographie wesentlich ergänzt werden. Anläßlich des 100. Todestages Alexander von Humboldts im Jahre 1959 schrieb der namhafte sowjetische Geograph Akademiemitglied A. A. Grigorev: „Die Arbeiten Alexander von Humboldts unterscheiden sich von denen seiner Zeitgenossen durch die Ideen der E n t wicklung, der kausalen Wechselbeziehungen der Naturerscheinungen sowie durch die Auffassung der Natur als Ganzheit, die durch natürliche Kräfte in Bewegung gesetzt wird" [3], Sie sind somit nicht nur klassisch, indem sie den Enzyklopädismus vollenden, sondern auch außerordentlich progressiv. Das kommt in neueren Entwicklungstendenzen der Wissenschaften zum Ausdruck und spiegelt sich auch in den Vorträgen auf dieser dem 125. Todestag Alexander von Humboldts gewidmeten Tagung in der Akademie, der Wissenschaften der D D R wider. Alexander von Humboldt legte den Grundstein für die Anwendung präziser quantitativer Methoden bei der Erforschung von Naturerscheinungen während seiner Reisen (insbesondere bei astronomischen Ortsbestimmungen, barometrischen Messungen der Höhe des Geländes, bei meteorologischen Beobachtungen, magnetischen Meßverfahren usw.). Deshalb wird Alexander von Humboldt zu Recht als einer der Begründer des

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modernen Systems der Erdwissenschaften, vor allem auch der physischen Geographie, die auf genauen quantitativen Methoden und Verfahren beruht, angesehen. Wenden wir uns nun dem eigentlichen Thema meines Vortrags zu. Die Reise Alexander von Humboldts nach Rußland im Jahre 1829 war die dritte große und gleichzeitig letzte in seinem Leben. Ich erlaube mir, daran zu erinnern, d a ß die erste geographische Reise des noch jungen Humboldt ihn im Jahre 1790 in den Harz und an den Niederrhein sowie anschließend nach Holland, Großbritannien und Frankreich geführt hatte. Diese Reise stand unter Leitung eines herausragenden Naturforschers jener Zeit, G. Forster, der an der Weltreise von J. Cook (1772-1775) teilgenommen hatte. Alexander von Humboldt schrieb an seinem Lebensabend über seine Beziehungen zu G. Forster • „Ich habe ein halbes Jahrhundert zugebracht, wohin mich auch immer ein unruhiges, vielbewegtes Leben geführt hat, mir selbst und anderen zu sagen, was ich meinem Lehrer und Freunde Georg Forster in Verallgemeinerungen der Naturansicht, Bestärkung und Entwicklung von dem, was lange vor jener glücklichen Vertraulichkeit in mir aufdämmerte, verdanke" [8], In den folgenden Jahren verband Alexander von Humboldt seine Pflichten in der Preußischen Bergbaubehörde mit kleinen Reisen in Europa. Allmählich erweiterte und vertiefte er sein Interesse für die allseitige Erforschung der Natur. Gleichzeitig erarbeitet er Pläne für künftige große Reisen. So erfolgte in den Jahren 1799-1804 seine bekannte, ausgedehnte Reise nach Amerika, die eine herausragende Rolle in seinem weiteren Leben und Wirken spielte. Alexander von Humboldt bearbeitete nahezu 30 Jahre lang die wissenschaftlichen Materialien, die er während seiner Reise nach Amerika gesammelt hatte. Diese Arbeit leistete er neben einer vielseitigen staatlichen und gesellschaftlichen Tätigkeit. Im Ergebnis entstand das grundlegende Werk „Reise in die Aequinoctialgegenden des Neuen Kontinents" [4]; in der gleichen Zeit schrieb Alexander von Humboldt ein so bekanntes Buch wie „Ansichten der Natur" [5] und leistete eine große Arbeit zur Zusammenstellung des grandiosen Werkes „Kosmos", dessen letzter (fünfter) Band erst 1862 herauskam [9]. Es ist bekannt, daß die große Reise nach Amerika und die nachfolgende angespannte, langjährige Arbeit zur Verallgemeinerung der Beobachtungen und wissenschaftlichen Ideen, die mit dieser Reise zusammenhingen, Alexander von-Humboldt den Weltruhm eines großen Naturforschers und des größten Denkers seiner Zeit einbrachten, der in seinen Werken Grundfragen des Weltgebäudes behandelte. Gerade auf dem Höhepunkt dieses weltweiten Ruhms unternahm Alexander von Humboldt im Jahre 1829 seine Reise nach Rußland. Sie dauerte 23 Wochen (160 Tage) und führte über 14 500 Werst (15 424 km), von denen 590 Werst (628 km) auf Flüssen und Gewässern verliefen (darunter 100 Werst auf dem Kaspisee). Der größte Teil der Reiseroute wurde mit Pferdegespannen zurückgelegt, wofür über 12 000 Pferde benötigt wurden. Alexander von Humboldt fuhr von Petersburg (dem heutigen Leningrad) nach Moskau; von hier aus ging es über Niznij Novgorod (Gorkij), Kasan' und Perm bis zum Mittleren Ural (Ekaterinburg/Sverdlovsk) und den hier gelegenen Gruben und Schachtanlagen; ferner durch Westsibirien ( Tobolsk, Barnaul, Omsk) und das Östliche Siebenflußgebiet bis zum Altai (Ust-Kamenogorsk, Naryn, Semipalatinsk), mit Rückkehr über Orenburg, den Südlichen Ural (Orsk, Miass, Slatoust) und das Wolgagebiet (Saratov, Astrachan) nach Moskau und Petersburg (Leningra'd) (vgl. Abb. 17). Das unmittelbarste Ergebnis der Rußlandreise Alexander von Humboldts war das Werk G. Roses „Mineralogisch-geognostische Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kaspischen Meere", Berlin 1837-1842 [12], Dieses Werk entstand mit unmittelbarer Beteiligung Humboldts und unter Verwendung seiner Tagebücher. In russischer Sprache

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erschien dieses Buch 1837 unter dem Titel: „Die Reise von Baron Alexander Humboldt, Ehrenberg und Rose im Jahre 1829 durch Sibirien und zum Kaspischen Meer". Außerdem wurden die Materialien dieser Reise in großem Umfang für die Arbeiten Alexander von Humboldts „Fragmente einer Geologie und Klimatologie Asiens" [6], „Centraiasien - Untersuchungen über die Gebirgsketten und die vergleichende Klimatologie" [7] und in einzelnen Abschnitten des fünfbändigen Werkes „Kosmos" [9] genutzt. Eine generelle Vorstellung von den konkreten Ergebnissen der Reise Alexander von Humboldts nach Rußland gibt am besten die Gliederung des obengenannten russischen Werkes. D i e Titel seiner einzelnen Abschnitte lauten: „1. Historischer Bericht über die Reise Humboldts nach Sibirien und über die Entdekkung von Diamanten der europäischen Abdachung des U r a l ; 2. Über die Gebirgsketten und Vulkane Innerasiens (das Altai-System, das TienschanSystem, das Kunlun-System, das Himalaja-System) ; 3. Beschreibung des Alakolsees und der Uaiwe-Höhle; 4. Über Schlammvulkane und Feuer bei B a k u ; 5. Beschreibung der Reiserouten in Innerasien auf der Grundlage von Materialien, die Humboldt während seiner Reise durch Sibirien sammelte; 6. Bemerkungen und Ergänzungen von Klaproth: Beschreibungen des Altai-Gebirges; 7. Vulkanische Erscheinungen in China, Japan und in anderen Teilen Ostasiens" [12, Russische Ausgabe]. In dieser Gliederung kommt prägnant zum Ausdruck, daß Alexander von Humboldt während seiner Rußlandreise sowohl den vulkanischen Erscheinungen als auch dem Aufbau der Gebirge Innerasiens große Aufmerksamkeit widmete. Natürlich war das kein Zufall. Bereits während seines Studiums an der Bergakademie Freiberg wurde Alexander von Humboldt in die heftige wissenschaftliche Diskussion der sogenannten „Neptunisten" und „Vulkanisten" einbezogen, bei der es um die geologischen Kräfte ging, die die Erdoberfläche gestalteten. Er besuchte die Vorlesungen des prominentesten „Neptunisten" A. Werner, der die Meinung vertrat, daß die Bildung aller Gesteine auf der Erdoberfläche letztlich auf marine Transgressionen und Regressionen sowie überhaupt auf die Gesteinsbildung im Wasser zurückgeht. Die Anhänger des „Vulkanismus" hingegen, und zwar vor allem D . Hutton und Leopold von Buch, hielten die vulkanische Tätigkeit, d. h. die Wirkung magmatischer Kräfte, für den Hauptfaktor der Gesteinsbildung. D i e Reise Alexander von Humboldts nach Amerika, die unmittelbaren Eindrücke von der dort vorhandenen, außerordentlich großen Verbreitung vulkanischer Gesteine und des stark entwickelten aktiven Vulkanismus verwandelten ihn in einen begeisterten „Vulkanisten". Der Aufenthalt im Ural, den Ausläufern des Tienschan und des Altai bestätigte jedoch den universellen Charakter der Konzeption des Vulkanismus nicht. Ungeachtet dessen bemühte sich Alexander von Humboldt auf das gründlichste, alle Quellen, darunter auch chinesische, über rezente und alte vulkanische Erscheinungen in den Gebirgsregionen Innerasiens zu sammeln. Hierin bezog er sogar Angaben über Schlammvulkane auf der Halbinsel Apseron bei Baku ein. Alexander von Humboldt spürte jedoch zweifellos, daß die Rolle vulkanischer Prozesse bei der Bildung von Ural, Tienschan, Altai und anderer Gebirge nicht überbewertet werden sollte. E r entwickelte deshalb die Vorstellung von der Existenz einer besonderen „elastischen" und erwärmten Schicht unterhalb der „erstarrten" Kruste unseres Planeten, welche - wie er schrieb „. . . Kontinente, Domkuppen und Gebirgszüge emportrieben . . . , Erhebungen und Vertiefungen bildeten". Ein Beispiel für die Senken ist - nach Humboldt - „. . . die große 40

Depression West-Asiens . . . , in der die Oberflächen des Caspi- und Aral-Sees . . . den tiefsten Theil bilden." Und ferner: „Die Bildung dieser Senkung, dieser großen Concavität der Erdoberfläche im Nordwesten Asiens scheint mir in einem innigen Zusammenhang mit der Erhebung der Gebirge des Kaukasus, Hindu-khu und der Hochebene von Persien, . . . vielleicht auch mit der östlichen großen Massenerhebung, die man mit dem . . . Namen des Plateaus von Inner-Asien belegt" [6]. Diese umfassende „geognostische" Konzeption Humboldts, die nicht nur auf alten und neuen empirischen Angaben, sondern vielmehr auch auf der hervorragenden Intuition dieses großen Wissenschaftlers beruhte, können mit modernen Auffassungen über die Existenz eines oberen „plastischen" Mantels unter der festen Erdkruste sowie mit der Rolle von Isostasieprozessen bei der Bildung der großen Höhenunterschiede des Reliefs der Erdoberfläche in Beziehung gesetzt werden. Wenn man sehr kühn wäre, könnte man diese Vorstellung Humboldts mit der modernen Auffassung von der Krustenverdickung in Zentralasien in Beziehung zur Unterschiebung der Hindostanischen Platte unter das Himalajagebirge und das Hochland von Tibet vergleichen. Gehen wir in unseren Auslegungen aber nicht so weit, unterstellen wir Humboldt keine Ansichten, die erst 100 Jahre nach ihm geäußert wurden? Glauben wir in dieser Beziehung lieber unserem größten Kenner Zentralasiens, Akademiemitglied V. A. Obrucev, der seine Einführung zur russischen Ausgabe des Werkes „Centraiasien" folgendermaßen überschrieb: „Die Veränderung der Ansichten über das Relief und den Aufbau Zentralasiens von A . v. Humboldt bis E d . Sueß". Darin schrieb er: „Humboldt verwies darauf, daß Europa nur eine halbinselförmige Fortsetzung Asiens ist, und bestimmte erstmals den geographischen Begriff Zentralasien. E r bewies, daß diese Region mit einem ganzen System verschiedener Gebirgsketten bedeckt ist" [11]. Und ferner: . . das ganzheitliche geometrische System (der Gebirgsketten Zentralasiens) ersetzte die bedeutend weniger vollkommenen Auffassungen der Vorgänger Humboldts und war ein großer Schritt vorwärts . . . E s bildet gewissermaßen die Grenze zwischen zwei Perioden der Erforschung dieser Region - mit ihm endet die Periode der am Schreibtisch entstandenen Thesen, die auf einem dürftigen Tatsachenmaterial beruhten. Durch das Talent und das Wissen Humboldts war in seinem System vieles der Wirklichkeit nah. Dieses System", so schlußfolgert V. A. Obrucev, „bildete den Beginn der modernen Periode der Erforschung des Reliefs Zentralasiens" [11]. In meinem gedrängten Vortrag ist es selbstverständlich unmöglich, die wissenschaftlichen Ergebnisse der Rußlandreise Alexander von Humboldts auch nur annähernd vollständig darzulegen. Seine Tagebuchaufzeichnungen, die in verschiedenen Ausgaben veröffentlicht wurden, enthalten eine Vielzahl von geographischen, geologischen, meteorologischen, barometrischen und magnetischen Beobachtungen und Angaben. D i e wissenschaftlichen Ideen und Verallgemeinerungen der obengenannten Art wurden in vielen Artikeln und großen wissenschaftlichen Werken Humboldts dargelegt, beispielsweise in Artikeln der russischen „Bergbauzeitschrift" (1830-1833), in „Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie", in „Fragmente einer Geologie und Klimatologie Asiens" [6], bis hin zur Monographie „Centraiasien" [7] und dem „Kosmos" [9]. Generell kann gesagt werden, daß die von Humboldt veröffentlichten Arbeiten zum größten Teil dem russischen Leser gut bekannt waren. In dem Buch von V. A . Essakov „Alexander von Humboldt in Rußland" [2] wird darauf hingewiesen, daß von den Arbeiten Humboldts 28 in russischer Sprache erschienen sind. D i e Bibliographie der russischen bzw. sowjetischen Arbeiten über Humboldt umfaßte bis 1959 142 Titel. Als Verfasser von Arbeiten über Humboldt traten so bekannte Gelehrte hervor wie K . F. Rule, A. N . Beketov, A. N . Baer, P. P. Semjonov-Tjan-Sanskij, M. Rykacov, D . N . Anu41

ein, V . A. Obrucev, E . V . Vulf, A. A. Grigorev, S. V . Kalesnik, E . M. Mursaev und D . I. Scerbakov. Somit besteht alle Veranlassung für uns, Alexander von Humboldt zu jenen ausländischen Wissenschaftlern zu zählen, deren wissenschaftliches Werk in Rußland gut bekannt war. Mehr noch, der weltweite Ruhm Humboldts als größter Wissenschaftler und bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens seiner Zeit, seine umfassenden Beziehungen zu Wissenschaftlern und großen Staatsmännern verschiedener Länder - darunter auch solcher Rußlands - verliehen der Reise Humboldts nach Rußland den Rang eines großen historischen Ereignisses. Sie hatte große Bedeutung für die Entwicklung der russischen Wissenschaft und wirkte weit über diese hinaus. Bekannt ist, daß der Höhepunkt dieses Ereignisses die Festversammlung der Russischen Akademie der Wissenschaften unter Teilnahme von Humboldt und seiner Begleiter am 16. (28.) November 1829 war, d. h. einen Monat nach der Rückkehr von seiner Reise. D a s war allerdings schon der zweite Besuch der Akademie der Wissenschaften. E r nahm bereits am 29. April (11. Mai) 1829, also vor seiner Reise, an deren Sitzung teil, auf der Akademiemitglied A. K . Storch, Vizepräsident der Akademie, ihm feierlich das Diplom eines Ehrenmitglieds der Akademie überreichte. V . A. Essakov beschreibt nach russischen Archivmaterialien die erwähnte Festversammlung folgendermaßen: „Humboldt sprach im Namen der Teilnehmer (seiner) E x pedition, gab einen kurzen historischen Überblick über die Entwicklung der exakten und Naturwissenschaften in Rußland und ging besonders auf die Erforschung der N a turreichtümer des Landes durch zahlreiche wissenschaftliche Expeditionen ein, die von der russischen Regierung und der Petersburger Akademie der Wissenschaften organisiert wurden. Humboldt erläuterte einige allgemeine Ergebnisse der von ihm durchgeführten Expedition und verwies auf die große Bedeutung magnetischer und meteorologischer Beobachtungen für die Wissenschaft. E r empfahl eine Reihe von Maßnahmen, die mit der wissenschaftlichen Erforschung der Atmosphäre und des Magnetismus der Erde zusammenhingen. E r unterstrich die Bedeutung der Erforschung der Depressionen des Kaspisees und seines Wasserspiegels" [2], Aus dem von mir Gesagten wird sichtbar, wie schwer es ist, in zusammengefaßter Form den konkreten Beitrag und die allgemeinen Ergebnisse des Einflusses der wissenschaftlichen Arbeiten und des Wirkens Alexander von Humboldts auf die Entwicklung der russischen Wissenschaft zum Ausdruck zu bringen. Am einfachsten und offensichtlichsten sind jene umfassenden, neuen geographischen und geologischen Angaben, die in seinen Beschreibungen und Messungen enthalten sind. Nicht weniger offenkundig ist auch die große Rolle Humboldts bei der Entwicklung der meteorologischen und geophysikalischen (magnetischen) Forschungen in unserem Land. So wurde auf seinen unmittelbaren R a t hin und mit seiner Hilfe in Rußland das Physikalische Hauptobservatorium in Petersburg (Leningrad) geschaffen, das 1849 unter Leitung von A. J . Kupffer eröffnet wurde und bis heute besteht. Diese wissenschaftliche Einrichtung war das Zentrum der Herausbildung eines umfassenden Netzes geomagnetischer und meteorologischer Stationen in Rußland. Sie leitete deren Arbeit und verallgemeinerte wissenschaftlich die Beobachtungsergebnisse. Wahrscheinlich ist es aber unmöglich, mit diesen Ergebnissen der Forschungsreise Humboldts allein den grundlegenden Einfluß seiner Arbeiten auf die Entwicklung sowohl der russischen als auch der Weltwissenschaft, vor allem der Erdwissenschaften, voll zu erfassen. Ich hatte bereits die These formuliert, daß wir gerade Alexander von Humboldt als einen der Begründer der modernen Etappe bei der Herausbildung dieser Wissenschaften ansehen müssen. D a er jedoch - der klassischen Tradition folgend -

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ein U n i v e r s a l g e l e h r t e r

aristotelischen T y p s w a r , ein a u f g e k l ä r t e r

Denker

materialisti-

s c h e r O r i e n t i e r u n g , d e r d u r c h g ü n s t i g e U m s t ä n d e in R u ß l a n d s e h r g u t b e k a n n t w a r , g i n g sein E i n f l u ß

auf

die progressive

russische

Öffentlichkeit

weit über die Grenzen

W i s s e n s c h a f t hinaus. M e i n e n V o r t r a g m ö c h t e ich m i t d e r W i e d e r h o l u n g eines kens

beenden,

den

Akademiemitglied

S. V . K a l e s n i k

anläßlich

des

der

Gedan-

100. Todestages

A l e x a n d e r von Humboldts äußerte: „Durch den Humanismus, die materialistische W e l t auffassung und den G l a u b e n an eine bessere Z u k u n f t (ich w ü r d e sagen für a l l e Z e i t e n . I. G . ) all jenen n a h e , lismus leben und arbeiten"

der Menschheit steht

Humboldt

d i e in d e n L ä n d e r n d e s S o z i a -

[10].

Literatur [1] Anucin, D . N . : Vorwort zur russischen Ausgabe des W e r k e s Alexander von Humboldts „Centraiasien", 1 9 1 5 , S. 9. [2] Essakov, V . A . : Alexander von Humboldt in R u ß l a n d (russ.), Moskva 1 9 5 0 , S. 6 9 . [3] Grigorev, A . A . : Alexander von Humboldt - der größte Naturforscher und Geograph der ersten H ä l f t e ds 19. Jahrhunderts ( 1 7 6 9 - 1 8 5 9 ) . Mitteilungen der A d W der U d S S R , Serie Geographie, H e f t 3, 1 9 5 9 (russ.), S. 1 2 2 - 1 2 3 . [4] Humboldt, A . v., und A . B o n p l a n d : Voyagc aux régions équinoxiales du Nouveau Continent. Paris 1 8 0 7 ff. Deutsche Ausgabe: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. 6 Teile, Stuttgart 1 8 1 5 - 1 8 3 2 . [5] Humboldt, A . v . : Ansichten der Natur. 1. Aufl. Stuttgart und Tübingen 1 8 0 8 . Russische Ausg a b e : Moskva 1 8 5 5 . [6] Humboldt, A . v . : Fragments de géologie et de climatologie asiatiques. 2 vols., Paris 1 8 3 1 . Deutsche A u s g a b e : Fragmente einer Geologie und Klimatologie Asiens. A . d. Franz. v. J . L ö wenberg. Berlin 1 8 3 2 , S. 1 1 - 1 2 , russische Ausgabe: 1 8 3 7 . [7] Humboldt, A . v . : Centraiasien. Untersuchungen über die Gebirgsketten und die vergleichende Klimatologie. 2 B d e . Berlin 1 8 4 3 - 1 8 4 4 . Französische A u s g a b e : „Asie central", 3 vols., Paris 1 8 4 3 , Russische Ausgabe (nur 1. B a n d ) , 1 9 1 5 . [8] Humboldt, A . v . : B r i e f an Heinrich König vom 2 8 . Juli 1 8 5 8 . Zitiert nach Löwenberg, J . : Alexander von Humboldt. Seine Jugend und ersten Mannesjahre. I n : Alexander von Humboldt. E i n e wissenschaftliche Biographie. B e a r b . u. hrsg. v. K a r l Bruhns. B d . 1. Leipzig 1 8 7 2 , S. 1 0 4 . [9] Humboldt, A . v . : Kosmos, Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. 5 Bde., Stuttgart 1 8 4 5 bis 1 8 6 2 , russische Ausgabe: Moskva 1 8 4 8 - 1 8 5 3 . [ 1 0 ] Kalesnik, S. V . : D a s Leben und der schöpferische W e g Alexander von Humboldts. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft der U d S S R . B d . 9 1 , 4/1959, S. 3 2 3 (russ.) [11] Obrucev, V . A . : Einführung in die russische Ausgabe des W e r k e s Alexander von Humboldts „Centraiasien", 1 9 1 5 , S. [ 1 2 ] Rose, G . : Mineralogisch-geognostische Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kaspischcri* Meere, 2 B d e . , Berlin 1 8 3 7 - 1 8 4 2 . Russische Ausgabe unter dem T i t e l : D i e Reise von Baron Alexander Humboldt, Ehrenberg und Rose durch Sibirien und zum Kaspischen M e e r " , Petersburg 1 8 3 7 .

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Kurt-R. Biermann

Alexander-von-Humboldt-Forschung an der Akademie der Wissenschaften der DDR

Auf dem Festakt des Ministerrats der D D R , der Akademie der Wissenschaften der D D R und der Humboldt-Universität zum 200. Geburtstag Alexander von Humboldts im Jahre 1969 erkannte Alexander Abusch den Arbeiten der Alexander-von-HumboldtForschungsstelle der Akademie das Prädikat „tiefschürfend" zu und er ergänzte, sie verfüge über das „umfassendste Humboldt-Archiv". D e r 125. Todestag Humboldts gibt nun Veranlassung, darüber zu berichten, wie sich die Forschungsstelle eine solche Hochschätzung verdient hatte und was sie seither getan hat, um die ihr gezollte Anerkennung weiter zu rechtfertigen. D e r Herr Akademiepräsident hat gestern die Begründung gegeben, warum an der Akademie bereits 1956 die Humboldt-Forschung institutionalisiert worden ist. Ich brauche dies daher hier nicht zu wiederholen, sondern kann sofort mit meinem Überblick beginnen. D i e Forschungsstelle hatte den A u f t r a g erhalten, das Leben und Schaffen Humboldts, seinen bis in unsere Tage fortwirkenden E i n f l u ß , allseitig auf der Grundlage der Sammlung und Auswertung seiner Briefe, Tagebücher und sonstiger Primärquellen zu erforschen und die Ergebnisse zu publizieren. W e n n ich über die Erfüllung dieser Aufgabenstellung referiere, beginne ich mit den Monographien. D i e Forschungsstelle hat bisher acht Monographien ediert und war an der Herausgabe von fünf weiteren Monographien maßgeblich beteiligt. 1968 wurde eine Chronologische Übersicht über wichtige Daten im Leben Alexander von Humboldts herausgegeben. D a m i t wurde zum ersten Mal ein zuverlässiger Überblick über den Ablauf des Lebens und Wirkens Humboldts geboten; es wurden zahlreiche Irrtümer in der biographischen Literatur korrigiert und viele zuvor unbekannte, aber wichtige Ereignisse erfaßt. So wurde eine solide Basis für die künftige Arbeit mit und über Alexander von Humboldt geschaffen. (Eine zweite, wesentlich vermehrte Auflage ist vor wenigen Monaten erschienen.) 1973 folgten die Jugendbriefe Humboldts aus den Jahren 1787-1799. Diese Briefe Humboldts, geschrieben in der Zeit seines Reifens, lassen uns erkennen, wie und wo die Keime für seine spätere Bedeutung und G r ö ß e gelegt wurden. Es ist die erste Strecke des Lernens und Reifens auf dem Wege zur Weltgeltung, die der Leser kennenlernt. Die Bedeutung dieser Korrespondenz ist nicht zuletzt aus den N a m e n der Briefpartner zu ersehen, von denen nur einige genannt seien: Georg Forster, Wilhelm von Humboldt, Sir Joseph Banks, Sömmerring, Lichtenberg, Lamétherie, Hardenberg, F. A. Wolf, Goethe und Schiller. Eine Bibliographie der in der D D R erschienenen Humboldt-Literatur w u r d e 1974 der Öffentlichkeit vorgelegt. 458 Titel legen Zeugnis für die Tiefe und Breite der Humboldt-Forschung in der D D R ab. Diese Bibliographie weist in- und ausländischen Interessenten den W e g sowohl zu der in der D D R erschienenen Literatur als auch zu den Handschriften in staatlichem Besitz. D i e sachliche Gruppierung erleichtert die Be-

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nutzung in optimaler Weise. Durch die Einbeziehung von „Humboldt im Bild" wird auch eine ikonographische Orientierungshilfe gewährt. Der 200. Geburtstag des „Fürsten der Mathematiker", des Astronomen, Physikers und Geodäten Carl Friedrich Gauß im Jahre 1977 gab die Veranlassung, im gleichen Jahr den Briefwechsel Humboldts mit ihm zu edieren. Dieser Briefwechsel Humboldts aus den Jahren 1807 bis 1854 macht ein Stück Geschichte der Erforschung des Erdmagnetismus sichtbar, führt uns in die Zeit der Entdeckung und ersten Anwendung der elektromagnetischen Telegraphie und läßt den Leser an mancherlei anderen damals aktuellen wissenschaftlichen und politischen Fragen und ihrer Beantwortung sowie an der Förderung junger Talente teilnehmen. Eine sehr ausgedehnte Kommentierung erleichtert das Verständnis der Briefe und dient der allseitigen Beleuchtung des Themas „Humboldt und Gauß". Thematisch damit zusammenhängend war die Edition des Briefwechsels Humboldts mit Heinrich Christian Schumacher im Jahr 1979. Den Astronomen von heute ist Schumacher, dessen 200. Geburtstag (1980) der Band gewidmet ist, vor allem als Gründer und erster Herausgeber der bis auf den heutigen Tag erscheinenden und sich in der wissenschaftlichen Welt hohen Ansehens erfreuenden Fachzeitschrift „Astronomische Nachrichten" ein Begriff. Darüber hinaus ist er Mathematikern, Geodäten und Physikern als engster Korrespondent von Gauß wohlbekannt. Sein Briefwechsel mit Humboldt ergänzt in mannigfacher Hinsicht die Korrespondenz mit Gauß und gibt vielfältigen Einblick auch in Humboldts wissenschaftsorganisatorisches und -förderndes Wirken. 1982 folgte eine aus Humboldts Reisejournalen zusammengestellte Anthologie von Impressionen und Urteilen Humboldts über Lateinamerika am Vorabend seiner Unabhängigkeitsrevolution. Auf der amerikanischen Reise geführt, gehören sie zu den wertvollsten Handschriften in der Deutschen Staatsbibliothek zu Berlin, D D R . In ihnen finden sich zahlreiche Urteile Humboldts über koloniale Mißwirtschaft, rassische Diskriminierung und die Sklaverei sowie andererseits über Ansätze revolutionärer Bewegung, die Humboldt in seinen Publikationen aus zeitbedingter Rücksichtnahme unterdrücken mußte oder nur andeuten konnte. Äußerungen solcher Art wurden hier, nach Sachgebieten gegliedert, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Dokumentation belegt den Humboldtschen Glauben an „ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten eines von kolonialer Knechtschaft freien Lateinamerika" (M. Kossok). Im gleichen Jahr 1982 wurde der Briefwechsel Humboldts mit dem Mathematiker P. G. Lejeune Dirichlet ediert. Dirichlets Werke sind „Juwelen, und Juwelen mißt man nicht mit der Krämerwaage", urteilte einst Gauß. An dieser Einschätzung hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Dirichlet, dessen Laufbahn, von den ersten Anfängen an, entscheidend durch Humboldt bestimmt worden ist, wird auch gegenwärtig zu den bedeutendsten Mathematikern des vorigen Jahrhunderts gerechnet. Humboldts Briefe an ihn spiegeln ihre engen Beziehungen, aber auch viele Ereignisse in der Berliner Akademie, in Politik und Gesellschaft im Laufe von drei Jahrzehnten wider. Diese sieben Veröffentlichungen erschienen innerhalb der Schriftenreihe der Forschungsstelle „Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung" im Akademie-Verlag, die von den Akademiemitgliedern Prof. Werner Hartke, Prof. Edgar Lehmann und Prof. Günther Rienäcker sowie von mir als Redaktor herausgegeben wird. Diese Schriftenreihe wurde von der Union Internationale d'Histoire et de Philosophie des Sciences, Division d'Histoire des Sciences, als förderungswürdiges Unternehmen anerkannt. Eine achte Monographie stellt eine in der Reihe des Teubnerverlages „Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner" veröffentlichte Lebensbeschreibung Humboldts dar. Der ersten Auflage von 1980 folgte 1982 eine zweite, durchgese45

hene Auflage und 1983 eine dritte, wesentlich vermehrte Ausgabe. Sie vereint populäre, allgemein verständliche Darstellung mit Kompaktheit der Information und G e nauigkeit im Detail unter Einbeziehung der letzten Forschungsergebnisse. Einige Worte auch über die Monographien, an denen sich die Forschungsstelle beteiligte. Anläßlich der Humboldt-Jubiläen 1959 und 1969 wurden Gedenk- bzw. Festschriften im Akademie-Verlag herausgegeben, in denen vorher wenig beachtete Aspekte der Bio- und Ergographie Humboldts analysiert und geschildert wurden. 1967 erschien, von der Forschungsstelle initiiert und eingeleitet, ein Nachdruck des Katalogs der Humboldtschen Bibliothek (Verlag des Zentral-Antiquariats der D D R ) , der zusammen mit dem überwiegenden Teil der Bücher selbst 1865 in London verbrannt und daher von der größten Seltenheit war, andererseits aber hohe Bedeutung für die Humboldt-Forschung hat, nicht zuletzt wegen der in ihm enthaltenen Angaben über Randbemerkungen Humboldts und über Widmungen. Als Ergebnis der Zusammenarbeit mit dem französischen Humboldtforscher Jean Théodoridés erschien 1972 in Paris ein Band mit den diplomatischen Berichten Humboldts 1835/47, der diesen Bereich des Humboldtschen Wirkens der Legende entzog. 1982 schließlich wurden in Bogotá diejenigen Tagebucheintragungen Humboldts veröffentlicht, die seine Reise durch das Gebiet der heutigen Republik Kolumbien betreffen. Diese gemeinsam mit der Kolumbianischen Akademie veranstaltete Ausgabe wurden ebenso wie die eben erwähnte Festschrift von 1969 mehrsprachig publiziert, d. h. deutsch (bzw. französisch) und spanisch. Neben ihrer Publikations- und Editionstätigkeit veröffentlichten die Mitarbeiter der Forschungsstelle seit deren Gründung bisher 74 Originalbeiträge zur Humboldt-Forschung unter Benutzung zuvor ungedruckter Quellen in wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelbänden und 5 0 populärwissenschaftliche Abhandlungen, welche z. T . von lateinamerikanischen Presseorganen übernommen wurden. Sie traten mit 45 Vorträgen über verschiedene Aspekte des Humboldtschen Wirkens auf nationalen und internationalen Kongressen, Symposien und Kolloquien bzw. im Hörfunk auf. D e n Bedürfnissen der Schule und der U R A N I A wurde durch Auswahl von Bildmaterial und Lieferung der erläuternden Texte für drei Dia-Serien entsprochen. Es wurde das Drehbuch für einen im Ausland gezeigten Dokumentarfilm über die Humboldt-Ehrungen in der D D R 1969 verfaßt; die Herstellung einer speziell für Lateinamerika bestimmten Schallplatte wurden ebenso beraten wie der Schriftsteller Claus Hammel bei der Redigierung seines Schauspiels „Humboldt und Bolívar oder Der Neue Continent" im Jahre 1979, das inzwischen auch auf lateinamerikanischen Bühnen gezeigt worden ist. Humboldt-Schulen und -Klubs sowie Museen wurden mit Bild- und Anschauungsmaterial für Ausstellungen versorgt. In Bezirks- und Kreisorganen des Kulturbundes wurde über die Beziehungen Humboldts zu Mecklenburg, zu Prenzlau, zu Bad Freienwalde berichtet. D i e Themen der wissenschaftlichen Abhandlungen der Forschungsstelle waren, durch Humboldts Vielseitigkeit bedingt, mannigfaltiger A r t : Sein Werdegang zum Forschungsreisenden wurde auf Grund autobiographischer Aufzeichnungen aufgehellt, angemeldete Zweifel an seiner Chimborazo-Besteigung wurden widerlegt, die genaue Reiseroute Humboldts in Italien 1805 wurde rekonstruiert und es wurde die sich über 3 % Jahrzehnte erstreckende Vorgeschichte seiner Reise nach Asien dargestellt. Sein V e r hältnis zur Weimarer Klassik wurde ebenso untersucht wie seine Rezeption der antiken Klassik. Weitere Gegenstände der Abhandlungen der Mitarbeiter waren Humboldts meteorologische, klimatologische, ozeanographische, allgemein geophysikalische sowie botanische Aktivitäten, seine wirtschaftlichen Lebensverhältnisse, sein Verhältnis zur

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Mathematik und zu Mathematikern, die Entstehungsgeschichte seines „Kosmos", seine Stellung und Wirkung als Akademiemitglied in Berlin, seine physiologischen Versuche, sein Verhältnis zur experimentellen Elektrobiologie, seine Beziehungen zur Astronomie und zu Astronomen, die Fruchtbarmachung der Methode des Vergleichs in seinen Händen, sein Interesse an Japan und sein Einfluß auf die Japanforschung, sein Anteil an der Entwicklung weltweiter geomagnetischer Forschung, die Geschichte der Publikation des vielbändigen Werks über seine amerikanische Reise 1799-1804. All diesen Arbeiten ist gemeinsam, daß sie keineswegs nur die vorhandene Literatur kritisch benutzen, sondern darüber hinaus unveröffentlichtes Materials heranziehen und daher Irrtümer, Fehlinterpretationen und Verfälschungen richtigstellen. Die bei der Arbeit mit undatierten Briefen gewonnenen Datierungsmethoden sowie die bei der Entzifferung schwer lesbarer Handschriften gemachten Erfahrungen wurden verallgemeinert und durch Publikation anderen, mit vergleichbaren Editionen befaßten Autoren vermittelt. Das wissenschaftsorganisatorische Programm, das Humboldt nach seiner Rückkehr aus Paris ab 1827 in Berlin verfolgte, wurde erstmals publiziert, und es wurde nachgewiesen, daß er in seiner ungemein ausgedehnten Wissenschaftsförderung von einer klaren Konzeption ausging, die auf einer weit vorausschauenden Einsicht in die fundamentale Bedeutung der M a thematik für den Fortschritt der Naturwissenschaften und der Technik beruhte. Das ist umso bemerkenswerter, als Humboldt die eigentliche Sphäre seiner Kenntnisse bescheiden auf Geologie und physikalische Geographie begrenzt wissen wollte und er seine eigentlichen Hauptleistungen in seiner Pflanzengeographie, seiner Theorie der isothermen Linien und in der Initiierung weltweiter Erforschung des Erdmagnetismus erblickte. Ferner wurde Humboldts epistolarisches Erbe klassifiziert. An den sogenannten Memoiren Humboldts wurden zahlreiche Fälschungen durch literarische Freibeuter nachgewiesen. Sein positives Verhältnis zur Anwendung der Fotografie in der Wissenschaft und zur Rechentechnik wurde deutlich gemacht. Höhen und Tiefen in den Beziehungen zwischen Humboldt und seinem Reisebegleiter in Amerika, Aimé Bonpland, wurden ausgelotet. Seinem freundschaftlichen Verhältnis zu Simón Bolívar, dem Befreier Südamerikas vom spanischen Kolonialjoch, wurde besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Tätigkeit des jungen Humboldt in Franken als Münzreformer wurde ans Licht gebracht, zur Ikonographie Humboldts wurden Beiträge geliefert. Neuerscheinungen der Humboldtliteratur des In- und Auslandes wurden rezensiert. Die wissenschaftlichen Aktivitäten und die Öffentlichkeitsarbeit der Forschungsstelle waren nur auf der Grundlage einer ausgedehnten Such- und Sammeltätigkeit möglich, als deren Ergebnis heute in der Forschungsstelle ein Humboldt-Archiv vorhanden ist, das wohl kaum seinesgleichen in der Welt haben dürfte. Einige Zahlen mögen das belegen. Es wurden über 12 900 Briefe von Humboldt, mehr als 3 100 an ihn gerichtete Schreiben und über 2 500 Korrespondenten erfaßt. Fast 400 Eigentümer von Originalen Archive, Handschriftenabteilungen von Bibliotheken, Museen, Privatpersonen - in 27 Ländern Europas, Amerikas, Afrikas und in Australien stellten Reproduktionen von über 11 000 Humboldt-Dokumenten zur Verfügung. Darunter befinden sich rund 2 400 Briefe Humboldts, die bereits durch Veröffentlichung des Wortlauts, durch Regesten oder Zitate ganz oder teilweise bekannt oder belegt waren; fast 7 000 Briefe waren jedoch unveröffentlicht. Der Forschungsstelle wurden ferner Reproduktionen von mehr als 200 Schriftstücken von Humboldts Hand, die keinen Briefcharakter haben, von 30 Humboldtschen Skizzen sowie von weiteren Dokumenten, die für Humboldt bestimmt waren, in denen von ihm die Rede ist oder die auf seine Veranlassung entstanden, zur Verfügung gestellt. Unter den Aufzeichnungen Humboldts finden sich dienstliche Be-

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richte und Memoranda; Manuskripte, Fragmente und Notizen aus dem Gebiet der Geowissenschaften, der Botanik und der Zoologie, der Instrumentenkunde, des Unterrichtswesens und der Geschichte der Wissenschaften; Stellungnahmen, Gutachten, Vorschläge und andere Schriftsätze in akademischen Angelegenheiten; Konzepte für Reden und Vorträge; Manuskripte für Mitteilungen in der Presse; Titelblatt- und Vorwortentwürfe ; Druckkorrekturen; finanzielle und geschäftliche Schriftstücke; Briefentwürfe zur Benutzung durch Dritte; bibliographische Notizen, Exzerpte und Zitate; Ratschläge und Hinweise; Randbemerkungen und Widmungen, Album- und Stammbucheintragungen. So geben diese bei der Briefsammlung mit angefallenen Ausarbeitungen und Skizzen kartographischen, geologischen und zoologischen Charakters einen Querschnitt durch Humboldts, schon von Goethe staunend bewunderte Vielseitigkeit. Die genannten Briefe und Dokumente wurden transkribiert und liegen maschinenschriftlich vor. Angesichts der bekanntermaßen schwer lesbaren Handschrift Humboldts war für die Entzifferung ein erheblicher Arbeits- und Zeitaufwand notwendig. Eine weitere Quelle von hervorragender Bedeutung sind die schon mehrfach genannten, meist als Tagebücher bezeichneten Reisejournale Humboldts, die in der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin aufbewahrt werden und deren Transkription durch die Forschungsstelle etwa 5 000 Seiten umfaßt. Ihr Inhalt wurde durch ausführliche Verzeichnisse erschlossen, und sie dienten und dienen als unentbehrliche Grundlage wichtiger Publikationen und Editionen. Weiter verfügt die Forschungsstelle über rund 2 700 Drucke, Abschriften oder Reproduktionen von Arbeiten Humboldts oder über ihn, darunter sehr seltene oder an ganz entlegener Stelle erschienene Schriften. Eine datenreiche chronologische Kartei, eine materialreiche bibliographische Kartei, eine Sammlung von Humboldtporträts und eine Kartei von Humboldtbildnissen gehören ebenso zu den Arbeitsmaterialien der Forschungsstelle wie Register zu Standardwerken der Humboldtliteratur. Ein solcher Fundus an Informationen gestattet es, tief in Humboldts Ansichten und Pläne, Anschauungen und Vorstellungen, Hoffnungen und Wünsche, in die Geschichte der von ihm ausgegangenen oder der von ihm empfangenen Anregungen, in seine Arbeits- und Organisationsmethodik, in sein Fühlen und Handeln einzudringen, vorhandene Lücken zu schließen, zahlreiche Irrtümer der früheren Humboldt-Forschung zu berichtigen und unzulässigen Vereinfachungen oder gar Verfälschungen des Humboldtbildes entgegenzutreten. Von diesen Möglichkeiten hat die Forschungsstelle reichen Gebrauch gemacht, vor allem in ihren Veröffentlichungen und Vorträgen. Darüber hinaus konnten vielen Interessenten des In- und Auslandes die gewünschten Auskünfte erteilt werden. Hervorgehoben sei die Beratung sowjetischer Forscher bei der Herausgabe des Briefwechsels Humboldts mit russischen Gelehrten und Staatsmännern, sowie die Auskunftserteilung an polnische Wissenschaftler, die die Humboldtschen Beziehungen zu Polen untersuchen. Leider reicht die zur Verfügung stehende Zeit nicht aus, um einen Überblick auch über die künftige Forschungs- und Publikationstätigkeit zu geben. Ich begnüge mich daher mit dem Hinweis auf eine bereits im Manuskript abgeschlossene Ergänzung des Humboldtschen Berichts seiner Reise auf dem Rio Magdalena, durch die Anden und Mexiko auf Grund von Tagebucheintragungen, die sicherlich besonders in Lateinamerika auf großes Interesse rechnen darf, auf eine Darstellung seiner russisch-sibirischen Reise von 1829, ebenfalls unter Benutzung seiner Reisejournale, die für die Geschichte der deutsch-russischen wissenschaftlichen Begegnung in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von erheblicher Bedeutung sein wird, und auf die Fortsetzung der Herausgabe ausgewählter Briefwechsel, von denen drei weitere Bände bereits unmittelbar vor 48

dem Abschluß stehen, una schließlich mit dem Hinweis auf die geplante Herausgabe Humboldtscher Maximen und Reflexionen, die die heute noch aktuellen brieflichen Äußerungen in seinem epistolarischen Erbe vereinen wird. Weitere Vorhaben auf editorischem, aber auch auf bibliographischem Gebiet sind bereits konzipiert. Aber ich muß innehalten. Seien Sie versichert, daß es der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle auch ferner nicht an ebenso wichtigen wie dankbaren Themenstellungen fehlen wird und daß ihre Mitarbeiter auch künftighin alle Kraft daransetzen werden, die an sie gestellten Erwartungen mit Elan und Akribie zu erfüllen, zum Ruhme und im Sinne Alexander von Humboldts. Wie motivierte er doch sein eigenes Interesse an der Historie? Er sagte: „Das Sein wird in seinem Umfang und inneren Sein erst als ein Gewordenes erkannt."

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Abb. 2 N 1985

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Alexander Leonidovic Jansin

Die Ideen Alexander von Humboldts über die Beziehungen terrestrischer und kosmischer Prozesse und ihre Entwicklung in den Arbeiten russischer Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts Das gewaltige Werk Alexander von Humboldts überragt die gesamte Naturforschung der 1. Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Akademiemitglied I. P. Gerasimov hat in seinem Vortrag Humboldt den letzten Gelehrten des aristotelischen Typs genannt. Und das zu Recht. So wie Aristoteles am Ende des 4. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung mit einem Blick all das erfaßte, was die Menschen der damaligen Ökumene, des heutigen Mittelmeerraumes, wußten, so wie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Buffon einen gleichen Versuch unternahm - aber bereits für unsere ganze Erde so verallgemeinerte auch Alexander von Humboldt in seinen Arbeiten das gesamte in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorliegende Wissen über die auf der Erde und im erdnahen Raum ablaufenden Prozesse. Alexander von Humboldt faßte die Forschungen vieler Generationen auf dem Gebiet der Naturkunde zusammen. Seine Arbeiten galten der physischen Geographie, der Zoologie und Botanik, der Meteorologie und Klimatologie, der Geologie und Mineralogie ebenso wie der Geschichte und Ethnographie. In seinem Todesjahr erschien in London Darwins Buch „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" - damit begann eine neue Ära in der Entwicklung der biologischen Wissenschaften. W i e jeder große Wissenschaftler, so zog auch A. v. Humboldt nicht nur Bilanz des Vergangenen, sondern richtete seinen Blick ebenso in die Zukunft. In diesem Zusammenhang sind jene Gedanken von Interesse, die an mehreren Stellen seines letzten und nicht vollendeten umfassenden Werkes, des „Kosmos - Versuch einer physischen Weltbeschreibung" äußerte, dessen erster Band 1845 erschien, der fünfte (unvollendete) jedoch bereits nach dem Tode des Autors, im Jahre 1862. Bereits 300 Jahre vor Humboldt wies der polnische Wissenschaftler und Mönch Nikolaus Kopernikus nach, daß nicht die Sonne die Erde umkreist, wie seit Ptolemäos angenommen wurde, sondern die Erde zusammen mit anderen Planeten auf einer ellyptischen Bahn die Sonne. Trotzdem blieb in den Naturwissenschaften bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die geozentrische Konzeption vorherrschend. Die auf der Erde ablaufenden Prozesse wurden zwar untersucht, in keinem Fall aber mit jenen Vorgängen in Zusammenhang gebracht, die auf anderen Planeten des Sonnensystems ablaufen. Alexander von Humboldt war der erste Wissenschaftler, der die Erde gedanklich aus dem Kosmos betrachtete, der in seiner letzten fundamentalen Arbeit die Erde nicht isoliert, sondern als Teil des riesigen Weltalls begriff. Besonders deutlich wird das in seinen Beobachtungen über das Magnetfeld der Erde. Alexander von Humboldt führte während seiner Reisen magnetische Beobachtungen durch und organisierte ständig arbeitende Magnetometrische Stationen. Solche Stationen entstanden nach seiner Reise im Jahre 1829 auf seine Empfehlungen auch in Rußland: bei der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg (dem heutigen Leningrad) und in Kasan. A. v. Humboldt interessierten dabei besonders die zeitlich-räumlichen Veränderungen des Magnetfeldes sowie die sog. magnetischen Stürme, die er mit 50

Zyklen der Sonnenaktivität, mit dem verstärkten Auftreten „schwarzer Flecken" in Verbindung brachte. Besonders ausführlich berichtet Humboldt darüber in Band IV des „Kosmos". In seinen Arbeiten zur Klimatologie finden wir ebenfalls Hinweise darauf, daß in den inneren Regionen der Kontinente das Wettergeschehen eng mit Mondphasen in Zusammenhang steht und daß besonders die Dürrejahre gewöhnlich mit Jahren erhöhter Sonnenaktivität zusammenfallen. Darüber schreibt Humboldt in seinem 1943 in Paris veröffentlichten dreibändigen Werk „Zentralasien". In Band IV des „Kosmos" schreibt er: „Alles, was auf unserem Planeten geschieht, ist ohne wechselseitige kosmische Verbindung undenkbar" (S. 61 der russischen Ausgabe, Moskau 1963). Für die Mitte des vergangenen Jahrhunderts erschienen die zukunftsweisenden Ideen A. v. Humboldts noch allzu kühn und fanden noch nicht überall die gebührende Beachtung, doch einige Generationen nach seinem Tode - lange vor dem Flug Juri Gagarins - traten in Rußland Wissenschaftler auf, welche die Erde als Teil eines komplexen kosmischen Systems betrachteten. Drei Namen seien genannt: Es sind dies Konstantin Eduardovic Ciolkovskij, Aleksandr Leonidovic Cizevskij und Vladimir Ivanovic Vernadskij. Ciolkovskij arbeitete an den technischen Problemen des Eindringens des Menschen in den Kosmos. Er war fest davon überzeugt, daß der Mensch in Kürze andere Planeten des Sonnensystems erreichen wird und schlägt als erster bereits in den 20er Jahren Raketen vor, das einzige Verfahren, um das Schwerefeld der Erde zu überwinden und sich im interplanetaren Raum bewegen zu können. Es sollten zwar noch Jahrzehnte vergehen, bevor ein für die im luftleeren Raum fliegende Rakete geeigneter Antriebsstoff zur Verfügung stand, prinzipiell jedoch wurden die Grundzüge der künftigen Raketentechnik von Ciolkovskij richtig erkannt; ihm gebührt das Verdienst, den Weg des Menschen in den Kosmos gewiesen zu haben [1]. Ganz anders im Charakter seines Wirkens stand jedoch Cizevskij A. v. Humboldt näher. Bereits in den 20er und 30er Jahren untersuchte er sehr detailliert den Einfluß der Sonnenaktivität auf die meteorologischen und klimatologischen Besonderheiten verschiedener Erdregionen, auf die Eisbedeckung der Arktis, auf die Schwankungen der Ernteerträge vieler Pflanzen und die Populationsdichte von Nagetieren, auf die Verbreitung einer Reihe epidemischer Krankheiten, auf Schwankungen der Mortilität bei Infarkten und anderen Herz-Kreislauferkrankungen. Seine wichtigste und in vielen Auflagen herausgegebene Arbeit zu diesen Fragen trägt den bezeichnenden Titel „Das terrestrische Echo solarer Stürme" [2], Kürzlich durchgeführte überprüfende Arbeiten, die von Forschern verschiedener Institute der Akademie der Wissenschaften der UdSSR mit einem umfangreichen Material durchgeführt worden sind, haben die Richtigkeit der Hauptfolgerungen Cizevskijs [14] bestätigt. In der Moskauer naturforschenden Gesellschaft wird alle 2 Jahre ein Symposium zu Ehren dieses Wissenschaftlers durchgeführt, auf denen jeweils die neuesten Fakten über die Abhängigkeiten irdischer Erscheinungen von der Sonnenaktivität, vorwiegend im Bereich der Biologie und Medizin, vorgelegt werden [6]. In einer Reihe seiner Arbeiten bezieht sich Cizevskij auf Humboldt und sieht in ihm den Begründer der Ideen solar-terrestrischer Beziehungen. Die tiefste philosophische Durchdringung dieser Ideen erreicht der große russische Wissenschaftler Vladimir Ivanovic Vernadskij in seinen Arbeiten. Obwohl er ein Jahrhundert später, im Jahre 1863, geboren wurde, stand er in der Breite seines Weltbildes, in seinem Einfluß auf dieEntwicklung vieler Wissenschaftsgebiete und im Umfang seiner wissenschaftsorganisatorischen Tätigkeit Humboldt zweifellos nahe. 4*

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Die Vorstellungen über die Erde als ein Teil des Kosmos durchdringen alle Arbeiten Vernadskijs. Selbst den Ideen des schwedischen Wissenschaftlers Svante Arrhenius über die Herkunft des irdischen Lebens aus dem fernen Kosmos brachte er Hochachtung und große Aufmerksamkeit entgegen, obwohl er glaubte, daß innerhalb des Sonnensystems die Erde der einzige bewohnbare Planet ist. In seinen Arbeiten zur Geochemie und Biogeochemie verweist er nachdrücklich auf die Menge der von der Pflanzendecke aufgenommenen Sonnenenergie, erklärt die mit dieser Energie zusammenhängenden mineralischen Umbildungen und verfolgt die Wege ihrer Einbettung in den Schichten der Erdkruste. In seiner postum veröffentlichten Monographie „Der chemische Aufbau der Biosphäre der Erde und ihres Umfeldes" vergleicht er die Verbreitung verschiedener chemischer Elemente im organischen Material, in den Gesteinen der Erdkruste, in Meteoriten und Meteoritenstaub sowie im Spektrum der Sonnenkorona. Diese und andere Gedanken über die Beziehungen biologischer und geochemischer Prozesse auf der Erde zur Wärme- und Lichtenergie der Sonne sowie zu Schwankungen ihrer Intensität können wir in vielen Arbeiten Vernadskijs finden. Vernadskij waren alle Werke Humboldts sehr gut bekannt, er erwähnte sie häufig in seinen Arbeiten und brachte ihm große Hochachtung entgegen. In dem Buch „Seiten der Biographie V. I. Vernadskijs" [7] wird ein Zitat aus seinem Tagebuch angeführt: „Das war für mich ein entscheidendes Jahr (1881). Ich habe in dieser Zeit meine Kenntnisse der deutschen Sprache vervollständigt. Ich habe vier Bände des „Kosmos" von A. v. Humboldt und seine „Ansichten der Natur" gelesen". Sehr viele Hinweise auf A. v. Humboldts Forschungen finden wir in den Arbeiten V. I. Vernadskijs „Versuch einer beschreibenden Mineralogie" [8] und „Geschichte der Minerale der Erdkruste" [9]. Sie betreffen Goldlagerstätten, Lösung und Diffusion von Gasen, Gasaustausch, „Stickstoff-Ströme", Beziehungen von Thermalquellen und Schichtdislokationen der Erdkruste, Schwefelwasserstoffthermen, sulfidische Quecksilberverbinden, Zersetzung des Wassers durch bakterielle Prozesse, verschiedene Sauerstoff-Löslichkeit in Süß- und Salzwasser, Schwarzwasserflüsse in den Tropen und vieles andere mehr. In dem erwähnten Buch „Der chemische Aufbau der Biosphäre der Erde und ihres Umfeldes" schreibt V. I. Vernadskij, daß „der wissenschaftliche Inhalt des Begriffes Landschaft erstmals von A. v. Humboldt geprägt worden ist, von einem der größten Naturalisten des 19. Jahrhunderts. Mit diesem auf das Festland angewendeten deutschen Wort in seiner wörtlichen Bedeutung versucht der Geograph - auf den Spuren Humboldts - heute die von ihm untersuchten Erscheinungen zu verallgemeinern" [10], In seinem Buch „Abriß der Geochemie" schreibt V. I. Vernadskij: „Die wichtigsten und glänzendsten Arbeiten vollbrachte A. v. Humboldt, Preuße von Herkunft, außerhalb Preußens, und er lebte während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ausschließlich in der geistigen Atmosphäre von Paris. Rail sah die Notwendigkeit einer sorgfältigen quantitativ-chemischen Erforschung der Organismen und suchte darin eine Lösung des Rätsels Leben. . . . Dem gleichen Weg folgten die Gedanken eines der erstaunlichsten Männer der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - Alexander von Humboldts. In seinen frühen Arbeiten, besonders in den „Florae Fribergensis specimen" (1793), noch bevor er tiefer in die Natur des tropischen Amerika eindrang, kam A. v. Humboldt vielen heutigen Problemen der Geochemie außerordentlich nahe. Die Arbeiten des jungen Humboldt wurden von mehrjährigen Reisen und deren wissenschaftlicher Auswertung unterbrochen, später durch seine Arbeiten an der erstaunlichen Synthese des „Kosmos". Und erst im Alter kehrte er in dem unvollendeten Band V des „Kosmos" zu einem geochemischen Problem, dem Einfluß des Lebens auf die Umwelt, zu52

rück. Doch dieser Arbeit setzte der Tod ein jähes Ende. In der erwähnten Arbeit des jungen v. Humboldt (1793) war der treffende Versuch enthalten, die lebenden Organismen aus dem Blickwinkel ihrer chemischen Elemente her zu begreifen, wobei v. Humboldt als Mineraloge und Geologe unerschütterlich ihre Herkunft in der die Pflanzen umgebenden inerten Materie suchte. Es sollten Jahrzehnte vergehen, bis dieses Problem mit der gleichen Nachdrücklichkeit, wie das v. Humboldt getan hatte, erneut gestellt wurde. Seine Problemstellung der geographischen Verbreitung der Organismen geht über die Arbeiten seiner Nachfolger weit hinaus; sie ist tiefgehender als die unter seinem Einfluß entstandenen neuen Teildisziplinen der Geographie und kommt bereits den geochemischen Konzeptionen unserer Zeit nahe. Für ihn ist die lebende Materie ein untrennbarer und gesetzmäßiger Teil der Oberfläche des Planeten, unteilbar von seinem chemischen Milieu" [12]. Etwas weiter schreibt V. I. Vernadskij in der gleichen Arbeit: „Humboldt war der Synthese geochemischer Probleme außerordentlich nahe gekommen. Noch heute enthalten seine detaillierten Reisebeschreibungen und sein „Kosmos" eine Fülle wertvollster Hinweise, die von der derzeitigen Wissenschaft noch keineswegs beherrscht werden. Obwohl v. Humboldt als Begründer der Pflanzengeographie gilt, hat in der Geschichte der Geographie sein Werk die gebührende Würdigung noch nicht gefunden. Probleme der Phytosoziologie und Ökologie, Erscheinungen, die mit Biocönosen zusammenhängen, können in allen Grundzügen in ersten vortrefflichen Erwähnungen verfolgt werden" [13], In der Arbeit „Lebende Materie" schreibt V. I. Vernadskij: „In den Arbeiten A. v. Humboldts finden wir bis heute scharfsinnige Beobachtungen und Verallgemeinerungen, die den Forschungen unserer Zeit näherkommen, als die Arbeiten seiner unmittelbaren Nachfolger . . . Viel größere Bedeutung hat für den Geochemiker die Lehre von den Gemeinschaften bzw. die Phytozoologie in ihrer geographischen Erforschung. Und auch hier gehen wir von dem erstaunlich tiefen Naturverständnis A. v. Humboldts aus" [11]. Auch in anderen Arbeiten V. I. Vernadskijs finden wir viele Hinweise auf A. v. Humboldt und Bewertungen seines gewaltigen Werkes. Ju. A. Zdanov [16], 1.1. Mocalov [5], B. L. Lickov [4], I. M . Zabelin [15] und andere Erforscher des Lebenswerkes V. I. Vernadskijs erwähnen ebenfalls die Kontinuität vieler von ihm weiterentwickelten Ideen und Vorstellungen Alexander von Humboldts. So ist z. B. eine der wichtigsten Lehren V. I. Vernadskijs, die Lehre von der Biosphäre der Erde, eine vertiefte Weiterentwicklung der Humboldtschen Vorstellungen von der Existenz einer „Lebenssphäre", von der in der 2. A u f l a g e (1826) der „Bilder der Natur" und im Band III des „Kosmos" [3] gesprochen wird. Aus den von mir angeführten Beispielen entnehmen wir, daß sich die Wissenschaft nicht isoliert in einem beliebigen Lande allein entwickelt. Die erstmalig von einem Wissenschaftler einer Nationalität entwickelten Ideen werden häufig in den Werken anderer Forscher anderer Nationalität weitergeführt. Daraus entwickelt sich das Fortschreiten der globalen Wissenschaft. Und deshalb sind wir der Akademie der Wissenschaften der D D R dafür zu Dank verpflichtet, daß sie auf dieser Festtagung zum Gedenken an den großen deutschen Gelehrten Alexander von Humboldt die Möglichkeit gegeben hat, mit bedeutenden Wissenschaftlern anderer Länder in einen fruchtbaren Meinungsaustausch zu treten und unsere freundschaftlichen und wissenschaftlichen Kontakte weiter zu festigen.

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Literatur [1] Ciolkovskij, K E. Issledovanie mirovych prostranstv reaktivnymi priborami (Die Untersuchung des Weltraums mit Raketen). - Izbrannye trudy, S. 1 3 6 - 1 6 6 , Izdvo A N SSSR, Moskva 1962. [2] Cizevskij, A. L . : Zemnoe echo solnecnych bur' (Das terrestrische Echo solarer Stürme). - Vtoroe lzdanie, Izdatel'stvo „Mysl'", Moskva 1976. [3] Humboldt, A. v . : Cosmos. - Bd. III, Paris 1855, S. 369. [4] Lickov, B. L. • Naucnye idci i tvorcestvo poslednych let zizni V. I. Vernadskogo. - In Zizn' i tvorcestvo Vladimire Ivanovica Vernadskogo po vospominanijam sovrmennikov, Izd-vo „Nauka", Moskva 1963. [5] Mocalov, I. I. Vladimir Ivanovic Vernadskij. - Izd-vo „Nauka", Moskva 1982. [6] Solnce, elektricestvo, zizn' (Sonne, Elektrizität, Leben). - Izd-vo Moskovskogo obscestva lspytatelej prirody, vyp. 1, Moskva 1969, vyp. 2, Moskva 1972. [7] Stramcy avtobiografu V. I. Vernadskogo (Seiten der Autobiographie V. I. Vernadskijs). Izd-vo „Nauka", Moskva 1981, S. 25. [8] Vernadskij, V. I. Opyt opisatel'noj mineralogu (Vcrsuch einer beschreibenden Mineralogie). Izd-vo AN SSSR, Bd. 2, Moskva 1955, Bd. 3, Moskva 1959. [9] Vernadskij, V. I.- Istorija mineralov zemnoj kory. Izbrannye socinenija. - (Geschichte der Minerale der Erdkruste. Ausgewählte Werke). - Izd-vo A N SSSR, Bd. 4, Buch 1, Moskva 1959, Bd. 4, Buch 2, Moskva 1960. [10] Vernadskij, V. I.. Chimiceskoe stroenie biosfery Zemli i ee okruzeme (Der chemische Aufbau der Biosphäre der Erde und ihres Umfeldes). - Izd-vo „Nauka", Moskva 1965, S. 63. [11J Vernadskij, V. I.. Zivoe vecestvo (Die lebende Materie). - Izd-vo „Nauka", Moskva 1978, S. 65, 66 [12] Vernadskij, V. I.: Ocerki geochimn (Abriß der Geochemie). - Izd-vo „Nauka", Moskva 1983, S. 18, 19. [13] Ebenda, S. 298. [14] Vlijanie solnccnöj aktivnosti na atmosferu i biosferu Zcmli (Der Einfluß der Sonnenaktivität auf die Atmosphäre und Biosphäre der Erde). - Izd-vo „Nauka", Moskva 1971. [15] Zabelin, I. M . : Razvitie geograficeskoj mysli i V. I. Vernadskij (Die Entwicklung des geographischen Gedankens und V. I. Vernadskij). - In: Voprosy istorii estestvoznanija i techniki, Nr. 1, 1982. [16] Zdanov, Ju. A . : Predislovie. V kn. Mocalov I. I. Vladimir Ivanovic Vernadskij (Vorwort zum Buch Mocalov, I. I. Vladimir Ivanovic Vernadskij). - Izd-vo „Nauka", Moskva 1982.

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Antonio Núñez Jiménez

Kuba und Alexander von Humboldt

Der Beitrag Alexander von Humboldts zur Kultur und zur Wissenschaft in der W e l t umfaßt die verschiedensten Bereiche: Als einer der ersten hat er die Auffassung vom asiatischen Ursprung der Indoamerikaner dargelegt; 1799 studiert er als Astronom den eindrucksvollen Fall der Meteoriten; gemeinsam mit dem Gelehrten Laplace trägt er dazu bei, den Kalender der Azteken zu entziffern; seine botanischen Untersuchungen sind wesentlich für die Kenntnis der Flora der Neuen und der Alten Welt. Auf eben diesem Gebiet begründet er die Botanische Geographie. Er entwickelt gleichermaßen die Physiographie und schafft Grundlagen für die Politische und Ökonomische Geographie. Er ist Pionier der wissenschaftlichen Kartographie Amerikas. Als er den Chimborazo besteigt, gelangt er in eine Höhe wie kein anderer Mensch jener Zeit. Er führt das System der geologischen Schnitte ein, um die regionale Struktur zu studieren. Als erster bringt er bestimmte Erdstrukturen mit dem Vulkanismus in Verbindung. Auf dem Gebiet der Geophysik haben seine Untersuchungen zum Magnetismus grundlegenden Charakter. Er analysiert die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre. Er gehört zu den ersten, die die unterirdische Luftzirkulation untersuchen. Sein Beitrag zur Ozeanographie ist von einer außerordentlichen Bedeutung: ihm, Humboldt, verdanken wir erste wissenschaftliche Untersuchungen über die physischen Eigenschaften der Meeresgewässer. Er ist Pionier auf dem Gebiet der Forschungen zur Elektrotherapie, die er an sich selbst durchführt. Als Zoologe entdeckt er zahlreiche Arten. In bemerkenswerter Weise teilt er seine Zeit ein, durchquert die äquinoktialen W ä l d e r der Neuen Welt, die Steppen und Gebirge Asiens, bereist mehrere Orte Europas und Nordamerikas und steigt herab in die vulkanischen Krater dreier Kontinente. Als Ökonom betreibt er bedeutungsvolle Studien in Kuba, Mexiko und anderen Ländern. Er erfindet Geräte zum Schutz der Bergleute. Die Reise Alexander von Humboldts in die Neue Welt gehört zu seinen glorreichsten Erfahrungen. Die langersehnte Stunde seiner großen Träume, auf Erkundungen zu gehen, wird in dem Maße Wirklichkeit, wie der Bug der „Pizarro" auf den blauen Wellen des Atlantischen Ozeans vorankommt in Richtung Amerika. Das Ziel seiner Reise, seiner wissenschaftlichen Ambitionen, legt Humboldt in einem sehr persönlich gehaltenen Brief an seinen Lehrer und engen Freund Freiesleben d a r : „Ich werde Pflanzen und Fossilien sammeln, und ich werde mit den besten Instrumenten astronomische Beobachtungen durchführen. Dies ist jedoch nicht das hauptsächliche Ziel meiner Reise. Ich werde vielmehr versuchen, herauszubekommen, wie die Kräfte der Natur aufeinander wirken und auf welche Weise die geographische Umwelt auf die Pflanzen und Tiere wirkt. Kurzum, ich will Beobachtungen über die Harmonie in der Natur machen." Um ein derartig hohes und anspruchsvolles Ideal zu erreichen, steigt Alexander von Humboldt auf den Krater des Pico Tenerife, studiert die Ozeanströmungen an den Küsten Chiles, besteigt er den Chimborazo, untersucht die Inseln im Süden Kubas,

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beobachtet die Lavahöhlen Südamerikas, steigt in die Brunnen und Bergstollen Mexikos, durchschifft den gewaltigen Orinoco, studiert die Gebräuche der Kariben und die megalithischen Monumente der Azteken, durchläuft die dunklen Gänge der Höhle von Guácharo, sammelt Angaben über die amerikanische Folklore. Mit seinem tragbaren Teleskop beobachtet er den Meteoritenregen, mißt die magnetische Senkung, legt die astronomischen Punkte der Längen- und Breitengrade vieler Teile Amerikas fest, analysiert die Anatomie der Vögel, Reptilien und Fische, macht geologische Schnitte von Acapulca bis Mexiko, sammelt Tausende von Pflanzen zusammen mit seinem Freund Bonpland. E r beobachtet und studiert alles, und alles erweckt seine Aufmerksamkeit. Diese Leidenschaft für die Gesamtheit der Natur ist die unaufhaltsame Kraft, die ihn im Alter dazu bringt, den „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung" zu verfassen, ein Werk, in dem er seine Kenntnisse über Nebelflecken, Gestirne, Planeten, Vulkane, Felsen, Kontinente und Menschen zum Ausdruck bringt. Der 19. Dezember 1800 ist kein Tag wie jeder andere in der Geschichte Kubas. An jenem T a g gelangt Humboldt nach Havanna, der Mann, der von dem Philosophen und Lehrer José de la Luz y Caballero für seine wissenschaftlichen Beiträge zur Geographie unseres Landes der „Zweite Entdecker Kubas" genannt wurde. W i r können hier nur einige seiner Leistungen erwähnen. Auf dieser ersten Reise war er drei Monate auf Kuba und bei der zweiten Reise, im Jahre 1804, anderthalb Monate. Im Jahre 1826 veröffentlicht Humboldt in Paris sein bedeutsamstes Werk über unser Land „Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba". Im ersten Kapitel dieses Buches macht er allgemeine Betrachtungen über die Lage und die physische Beschaffenheit unseres Landes und legt seine astronomischen Beobachtungen dar. Im zweiten Kapitel macht er mit den verschiedenen Arten geologischer Beschaffenheit bekannt und stellt erste Beobachtungen über die Topographie Kubas an: „Ich fand keine oolithischen Schichten, sondern poröse Schichten und fast löchrige Stellen zwischen Conde de Mopox und dem Hafen Batabanó, die ähnlich wie die schwammigen Schichten waren, die die kalkigen Juraformationen in Franken bei Dondorf, Pegnitz und Tumbach aufweisen. Gelbliche hohlräumige Gelände mit Gruben von drei bis vier Zoll Durchmesser wechseln ab mit kompakteren und versteinerten. D i e Hügelkette, die die Ebene von Güines nach Norden umschließt und sich mit den Bergen von Camoa und denen von Tetas de Managua vereint, gehört zur leichteren Art und ist weiß-rötlich und fast litographisch wie der Jurakalk von Popenheim. D i e kompakten und ausgehöhlten Schichten enthalten Adern von dunkelbraunem Eisen, das ockerfarben durchsetzt ist; vielleicht stammt diese so sehr von den Kaffeepflanzern gesuchte und begehrte farbige E r d e aus der Zersetzung einiger Oberflächenschichten oxydierten Eisens, das sich mit Kiesel und Ton vermengt hat oder aus einem rötlichen Sand, der sich über den Kalkstein gesetzt hat. Diese gesamte Formation, die ich Kalkstein von Güines nennen werde, um sie von einer anderen, moderneren, zu unterscheiden, bildet in der Nähe von Trinidad auf den Bergen von San Juan abschüssige Karste, die an die Kalksteinberge von Caripe in der Nähe von Cumaná erinnern. Sie enthält ebenfalls große Hohlräume in der Nähe von Matanzas de Jaruco ; mir ist nicht bekannt, daß man dort irgendwann fossile Knochen gefunden hätte. Diese Anhäufung von Hohlräumen, in denen sich die Regenwasser stauen und in denen die Bäche enden, rufen gelegentlich Verwirrung hervor . . ." Das Juraalter, das er für den Kalkstein von Güines angibt, entspricht in Wirklichkeit dem Miozän. Im Hinblick auf die geologische Formation der Berge von San Juan bei Trinidad ist bislang angesichts der intensiven Verwandlungen, die die Kalksteinschiefer durchmachen, keine genaue Altersangabe möglich, obwohl sich vermuten läßt, 56

daß sie dem Jura entstammt. In bezug auf die Hohlräume, die er für die Gegend um Matanzas de Jaruco angibt, müssen wir sagen, daß zu der Zeit, da Humboldt sein Buch veröffentlicht, die berühmte Höhle von Bellamar noch nicht entdeckt war, so daß es sich also um die von Simpson und anderen nahegelegenen handeln muß. Weiter vorn schildert der Reisende aus Preußen: „Über die Bildung der Koralleninseln des Südmeeres haben jüngst die Herren Chamizo und Guamard viele Kenntnisse vermittelt. Wenn man sich in der Nähe von Havanna und am Fuße des Castillo de la Punta auf den hohlräumigen Felsbänken befindet, . . . , dann gibt es Anlaß dafür, anzunehmen, daß dieser ganze Kalksteinfelsen, aus dem sich der größte Teil der Insel Kuba zusammensetzt, das Ergebnis einer ununterbrochenen Operation der Natur, der produktiven organischen Kräfte und teilweiser Zerstörungen ist, wobei sich diese Prozesse heute inmitten des Meeres fortsetzen". An dieser Stelle seines Buches fügt Humboldt die folgende Fußnote a n : „Da das Meer in die Felsspalten eindringt und in den Hohlraum am Fuße des Castillo del Morro fließt, wird die Luft hier zusammengedrückt und tritt mit einem außerordentlichen Geräusch heraus. Das wiederum führt zu jenem den Seereisenden wohlbekannten Schnarchlaut, den man hört, wenn man von Jamaica zur Mündung des Rio San Juan in Nicaragua oder zur Insel San Andrés fährt." Humboldt verweist auch auf die unterirdischen Verbindungen der Kalksteine Kubas mit den Süßwasserquellen, die man in den Gewässern und Buchten Kubas, beispielsweise in der Bucht von Jagua (Cienfuegos), sieht. Weiter heißt es in der Beschreibung Kubas: „Das hohlräumige Gewebe der Kalksteinformationen, das wir soeben beschrieben haben, die große Neigung der Bänke, die geringe Breite der Insel, die Häufigkeit und das Fehlen von Bäumen in den Ebenen, die Nähe der Gebirge, die eine hohe Kette entlang der Südküste bilden, können als die Hauptursachen für das Fehlen von Flüssen und die Trockenheit angesehen werden, was besonders für den westlichen Teil Kubas gilt . . . " Unter den wichtigen Flüssen Kubas nennt er „den Rio San Antonio, der wie viele andere in den Hohlräumen der Kalkfelsen verschwindet . . ." „. . . Der Umfang der Wassermassen, die durch die Spalten der Felsschichten gefiltert werden, ist derart, daß durch den hidrostatischen Druck das Süßwasser weit von den Küsten entfernt aus dem Salzwasser hervorsprudelt." Sehr bedeutsam sind seine Untersuchungen über das Klima. Es ist ein weiteres Verdienst des Autors des „Kosmos", die Erscheinungen, die er in Kuba beobachtet, mit anderen zu vergleichen, die er in weit entfernten Ländern festgestellt hat. So schreibt er: „Wenn es in Kanton und in Macao häufig hagelt, so kann es sein, daß dies in Havanna einmal in fünfzehn Jahren geschieht, und während in Kanton das Thermometer manchmal auf Null Grad fällt, erlebt Havanna derartige Temperaturen niemals." Humboldt studiert die tropischen Hurrikans. Er untersucht die Beschaffenheit des Bodens, protestiert gegen den exzessiven Abhieb unserer Wälder, studiert deren Beschaffenheit, legt Statistiken vor und protestiert gegen die Sklaverei. So bemerkenswert all diese Beobachtungen sind, so hat sich Humboldt noch größere Verdienste bei seiner kartographischen Arbeit erworben, als er die erste Landkarte Kubas mit der Anlage der wichtigsten Orte erstellte und dabei vor allem die Längenund Breitengrade feststellte. Humboldt findet dabei heraus, daß der Längengrad Havannas um lV,-,° falsch angegeben war und die magnetische Neigung in dieser Stadt um 6° 22' 15" nach Osten verlief; er betonte ferner, daß Kuba um ein Siebentel kleiner ist als bislang vermutet worden war. All diese Studien führt er, wie er selber sagt, mit Hilfe spanischer Experten und Seereisender durch. Seine Bescheidenheit findet Ausdruck in seinem Urteil über seine eigene „Karte von der Insel Kuba", die, „obgleich

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sie sehr unvollständig im Hinblick auf die Gestaltung des Landesinneren ist, die einzige ist, die die dreizehn Städte und sieben weitere Orte enthält". Das dritte Kapitel seines „Versuches über den politischen Zustand der Insel Cuba" behandelt die Bevölkerung. Im Jahre 1825 lebten auf Kuba 715 000 Einwohner, von denen 455 000 frei und 260 000 Sklaven waren. Im Kapitel vier behandelt er die Landwirtschaft, die bereits damals, als Humboldt sein berühmtes Buch veröffentlichte, auf die Zuckerproduktion ausgerichtet war. So betrug nach Angaben des Gelehrten im Jahre 1824 die Produktion 245 329 Kästen gegenüber 204 406 Kästen im Jahre 1802, dem Jahr nach seiner ersten Reise. Im Kapitel fünf, das den Titel „Handel" trägt, legt Humboldt dar, daß der Reichtum Kubas nicht allein auf seinen Produkten beruht, sondern auf der „günstigen Lage des Hafens von Havanna am Eingang zum Golf von Mexiko, wo sich die großen Routen der Handelsvölker beider Welten genau kreuzen". Das Kapitel sechs untersucht die Frage der „Haziendas", und das siebte Kapitel trägt den Titel „Über die Sklaverei". Das Buch schließt mit dem achten Kapitel, „Reise ins GüinesTal, nach El Batabanó und zum Hafen de la Trinidad, sowie zu den Gärten und Parks des Königs und der Königin". Tatsächlich waren es nur wenige Gegenden Kubas, die Humboldt besuchte. Außerhalb der Hauptstadt Havanna bereiste er ihre nähere Umgebung: Guanabacoa, Managua und Bejucal. In der Kutsche durchquerte er die Insel, von Havanna aus durch das Gebiet von Güines bis nach Surgidero de Batabanó. Von dort aus segelte er die Südküste entlang bis nach Trinidad und steuerte auch einige Eilande des Canarreos-Archipels an. Es ist erstaunlich, daß Humboldt mit der Kenntnis so weniger Orte eine so nützliche und außerordentliche Studie anfertigen konnte, die nicht nur die Geographie des Landes, sondern auch seine Geschichte entscheidend beeinflussen sollte. Diese wissenschaftliche Fähigkeit verdankte der deutsche Gelehrte ohne Zweifel seinem umfassenden Wissen und seiner bemerkenswerten enzyklopädischen Bildung, die, gepaart mit seinem Genie, eine solche geistige Großtat möglich machte. Neben dem „Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba" veröffentlichte Humboldt weitere Monographien und Angaben über Kuba: die „Bemerkungen zur Mineralogie des Cerro de Guanabacoa", enthalten im „Patriota Americano", 1812; Buch X. Kapitel 28, der „Reise in die Äquinoktial-Gegenden" ; Teil XIX der „Jahresberichte der Ökonomischen Gesellschaft der Landesfreunde", Havanna, 1844; sowie seinen „Geognostischen Versuch über die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Erdhälften", Straßburg, 1823-1826, in dem er ebenfalls die Geologie Kubas abhandelte. Der Feder Humboldts entstammt auch das Werk „Plantes Equinoxiales recueillies au Mexique et dans l'ile de Cuba", Paris, 1808-1809 („Äquinoktiale Pflanzen, gesammelt in Mexiko und auf der Insel Kuba"). Sehr bedeutsam für die kubanische Kultur ist das 1831 ebenfalls in Paris gedruckte „Tableau statistique de l'ile de Cuba pour les années 1825 à 1829" („Statistische Übersicht über die Insel Kuba für die Jahre 1825 bis 1829"). In der Bibliographie Humboldts über Kuba seien nicht die zahlreichen Erwähnungen unseres Landes in seinem großartigen fünfbändigen Werk „Examen critique de l'Histoire de la Géographie du Nouveau Continent aus XV e m e et XVI e m e siècles", Paris, 1830 bis 1839, vergessen („Kritische Untersuchungen über die historische Entwicklung der geographischen Kenntnisse von der Neuen Welt und die Fortschritte der nautischen Astronomie in dem 15. und 16. Jahrhundert"). Kuba ist eine wichtige Station im Schaffen Humboldts. Beim Verlassen unseres Landes ließ er alle seine Manuskripte, Karten und Herbarien bei seinem Freund Francisco Ramírez zurück, einem anerkannten Chemiker, der sie seinem Bruder Wilhelm von Humboldt nach Europa schicken sollte. 58

In Havanna und anderen Landcsteilen knüpfte Humboldt Beziehungen zu bedeutenden Kubanern der damaligen Zeit an. Unter ihnen war z. B. Francisco de Arango y Parraño, ein Mann, der als Begründer der neuen kubanischen Zuckerindustrie seit dem Ende des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts maßgeblich die Geschicke Kubas beeinflußte. In Deutschland gab er José de la Luz y Caballero in Gesprächen Hinweise für die Einrichtung eines Magnet-Observatoriums in Havanna, wovon er in seinem Brief vom 1. Juli 1831 berichtet. Beim gründlichen Studium der Werke von José Martí fällt auf, welch großen Einfluß Humboldt auf den Nationalhelden Kubas ausübte. Leidenschaftlich prophezeite der gelehrte Autor des „Kosmos" unserem Land eine große Zukunft: „Schon hat sich die Weite, das Klima und die geographische Beschaffenheit eines Landes gezeigt, das der menschlichen Zivilisation ein weites Feld öffnet". Sodann spricht er von dem „Gewicht, das kraft einer starken Natur die reichste der Antilleninseln eines Tages in die politische Waagschale der amerikanischen Inselwelt legen werden kann". Jahre später rief Marti unter Hinweis auf Kuba und Puerto Rico aus: „Es ist eine Welt, die wir ins Gleichgewicht bringen", und im Jahre 1895 hob er in einem gemeinsam mit dem General Máximo Gómez unterzeichneten Brief hervor: „Die Kubaner erkennen ihre dringliche Pflicht an, die ihnen ihre geographische Lage und die gegenwärtige Stunde des Weltgeschehens vor der Welt auferlegen, und auch wenn es die kindischen Beobachter und die Eitelkeit der Hochmütigen bestreiten wollen, sind sie vollständig in der Lage, diese Pflicht kraft ihrer Intelligenz und dem Ungestüm ihrer Arme zu erfüllen; und sie wollen sie erfüllen." An der Mündung der ozeanischen Kanäle, am Kreuzungspunkt dreier Erdteile, in einem Augenblick, da die Menschheit in ihrem kühnen Voranschreiten mit der Sinnlosigkeit der spanischen Kolonialherrschaft in Kuba zusammenprallen wird, im Angesicht eines Volkes, das von der Überfülle der Produkte aufgewühlt ist, die sie hervorbringen könnte, doch heute noch bei seinen Tyrannen kauft, will Kuba frei sein, damit der Mensch sich in seiner vollen Bestimmung verwirkliche, damit in diesem Land die W e l t wirke und Kuba seine verborgenen Reichtümer auf den natürlichen Märkten Amerikas verkaufe, wo ihm heute der Eigennutz seines spanischen Herrn den Handel verbietet. Die Kubaner erbitten von der Welt nichts, als die Anerkennung und die Achtung ihrer Opfer, und sie geben der Welt ihr Blut." Gegenüber der Behauptung derjenigen, die seinerzeit von einer Minderwertigkeit mancher Völker schrieben, hebt Humboldt mit viel Verstand hervor: „gleich den Individuen sollten die Völker nicht nach einem einzigen Abschnitt ihres Lebens beurteilt werden; denn es ist erforderlich, daß sie an das Ende ihres Geschicks gelangen und zuvor den ganzen Weg einer wohlhabenden Zivilisation in ihrem Nationalcharakter und ihrer physischen Beschaffenheit durchlaufen". Die Sympathie Humboldts für Kuba und seine liberalen und demokratischen Ansichten, die hauptsächlich in seinem „Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba" zum Ausdruck kommen, beunruhigen die kubanische Sklavenhaltergesellschaft, so daß der Stadtrat von San Cristóbal de La Habana mit Wirkung vom 29. November 1827 die Verbreitung des Buches in der damaligen spanischen Kolonie verbietet. Der Urheber des Entschlusses ist ein kreolischer Sklavenhalter namens Manuel Zayas, der erklärte: „. . . dieses in vielerlei Hinsicht so schätzenswerte Werk stellte für uns eine außerordentliche Gefahr der Ansichten dar, die sein Verfasser in Hinblick auf die Sklaverei vertritt, und zuvörderst ob des in seiner Wahrhaftigkeit um so schrecklicheren Bildes, das er von der gewaltigen Kraft der Farbigen auf dieser Insel, von ihrem 59

maßlosen Übergewicht auf allen Antillen-Inseln und an den uns umgebenen Küsten des Kontinents zeichnet." Die gegen die erste wissenschaftliche Geographie Kubas gerichtete Unterdrückung erfährt unter der niedergehenden Bourgeoisie Kubas im 20. Jahrhundert eine Neuauflage, als die in Vorbereitung befindliche „Physische Geographie Kubas" des Doktor Salvador Massip in der Druckerei vernichtet wird und schließlich erst 1942 herauskommen kann, sowie unter der proimperialistischen Batista-Diktatur, die unsere 1954 gedruckte „Geographie Kubas" brutal verbrennt. Es war nicht das einzige Mal, daß die Tyrannen versuchten, die Verbreitung der Humboldtschen Ideen zu verhindern. Als er sich auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn als Geograph der brasilianischen Grenze nähert, gibt die Regierung den Befehl zu seiner Festnahme. In der „Kölner Zeitung" spiegelte sich damals die Haltung der Tyrannen gegenüber den Gelehrten: „. . . ein gewisser Baron von Humboldt, gebürtig aus Berlin, unternahm Reisen durch das Innere Amerikas, wobei er astronomische Beobachtungen anstellte, um gewisse Fehler in vorhandenen Landkarten zu korrigieren, und Pflanzen sammelte . . . Unter so geartetem Vorwand gelingt es dem Ausländer, seine Pläne zur Propagierung neuer Gedanken und gefährlicher Prinzipien unter den Untertanen des Königs in diesem Gebiet zu tarnen . . ." Diese fortschrittlichen, für ihre Zeit revolutionären Ideen Humboldts haben ihre Wurzeln in der Jugend des Gelehrten. D e r Umgang Humboldts mit dem Bergwerksproletariat läßt ihn das tiefe Leiden der Klasse verstehen, die damals gerade im Begriff war, sich selber Ausdruck zu verleihen. Am eigenen Leib erfährt der Aristokrat die Schrekken der Arbeit in den feuchten Stollen, das körperliche Elend der Männer, die unter seinem Befehl arbeiten, und er sieht die Schutzlosigkeit der Bergarbeiterfamilien, wenn irgendein Unfall den Ernährer arbeitsunfähig macht. Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, gründet er die erste praktische Schule für Bergarbeiter in seiner Zeit. In einem Bericht an den verantwortlichen Minister von Heinitz schreibt er daraufhin: Als ich im vergangenen September nach dem Besuch einer Reihe von Bergwerken einen Moment des Ausruhens fand, beschloß ich, für die Arbeiter eine Winterschule zu eröffnen (auch wenn ich. den Unterricht in eigner Person abhalten mußte). Alle, die mein Vorhaben kannten, rieten mir davon ab . . . Doch ihre Einwände konnten mir nicht den Mut nehmen und folglich entschloß ich mich, die Kosten für besagte Einrichtung aus eigner Tasche zu begleichen . . ." Als das Ministerium sich bereiterklärt, Humboldt die Kosten zurückzuerstatten, spricht dieser sich dafür aus, das Geld unter den Bergleuten aufzuteilen. Kaum daß die Königliche Bergakademie in Stehen Gestalt annimmt, verfaßt Humboldt einen Entwurf für die Pensionierung von Bergleuten und wird so zu einem Wohltäter der Arbeiterklasse, was umso bezeichnender ist, wenn man die Zeit bedenkt, in der er lebte. Später richtet er noch einen gemeinschaftlichen Hilfsfonds für die Arbeiter ein. „Das Vertrauen, das die Bergleute im Allgemeinen in mich setzen, läßt mich an meiner B e schäftigung Freude finden. Tatsächlich mache ich die Arbeit eines Vorarbeiters, nicht die eines Bergwerksdirektors. D i e Hitze ist unerträglich und die Luft in den Minen verzehrend." Im März 1808, schon , nach seinen amerikanischen Ruhmestaten, auf der Rückreise nach Europa, bemerkt er: „Auch wenn ich alles verloren habe, glaube ich doch, mit vierzig Centavos am Tag meine Unabhängigkeit erhalten zu können." Zu diesem Zeitpunkt teilt der Gelehrte mit dem großen Gay Lussac sein Zimmer in Paris. In dieser Stadt lernt er einen schlanken, leidenschaftlichen Jüngling kennen, dessen vertrauter Freund er wird. D e r junge Mann fragt Humboldt eindringlich über die politischen Eindrücke aus, die er in Südamerika gesammelt hat, und entwickelt ihm gegen-

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über Ideen über die Unabhängigkeit Amerikas. Der Preuße antwortet ihm: „Ich kenne nicht den Mann, der fähig wäre, ein derartiges Unternehmen zu verwirklichen." Alexander von Humboldt spricht von niemand anderem als von Simón Bolívar, dem künftigen Befreier von Unserem Amerika. Sie verstehen sich so gut, daß sie in Begleitung von Gay Lussac gemeinsam nach Italien fahren. Zusammen mit Leopold Buch besteigen sie den Vesuv, um den Krater zu untersuchen, der Pompei und Herculano unter sich begrub. Niemand kann den Einfluß des liberalen Denken Humboldts auf die Entwicklung des amerikanischen Bewußtseins bestreiten. Am 29. Juli 1822 schreibt Humboldt einen Brief an Bolívar, als dieser schon den Ehrentitel Libertador, Befreier, trägt: „Die Freundschaft, mit welcher mich der General Bolívar nach meiner Rückkunft aus Mexiko zu einer Zeit beehrte, da wir innigst die Unabhängigkeit und Freiheit des Neuen Kontinents wünschten, läßt mich hoffen, daß in dem Maße der Siege, die von der auf großer und beschwerlicher Arbeit gegründeten Glorie gekrönt sein werden, der Präsident der Republik Kolumbien weiterhin mit Anteilnahme den Ausdruck meiner Bewunderung und meiner herzlichen Zuneigung entgegennehmen wird." Seine Freundschaft und Bewunderung für Bolívar und die lateinamerikanische Unabhängigkeit hebt sich von einigen seiner Meinungsäußerungen über den mächtigen nordamerikanischen Staat ab. Dazu lesen wir in seinem Brief an Varnhagen im Jahre 1854: „Die Vereinigten Staaten haben in mir große Hochachtung geweckt; aber es hat sich mir in Gänze gezeigt, daß dort die Freiheit allein ein Mechanismus für das Nützliche ist und keineswegs veredelnd und belebend auf den Intellekt und die Gefühle wirkt, wie es das Ziel der politischen Freiheit sein soll." Angesichts der Herrschaftsausdehnung der Vereinigten Staaten schreibt Humboldt im Jahre 1851 an den nordamerikanischen Mineralogen Silliman: „. . . es sind moralische Gründe, die mich ein maßloses Anwachsen ihrer Konförderation und die Versuchung zum Mißbrauch der Macht fürchten lassen, die, nicht ohne Gewalt, neue Bevölkerungsklassen über die eingeborenen Rassen setzen . . ." Im Jahre 1848 hallen in den Straßen Berlins Schüsse wider. Das königliche Schloß selbst ist Ziel des Volkszorns. Friedrich Wilhelm IV. hatte es nicht verstanden, rechtzeitig auf die liberalen Ratschläge Humboldts zu hören, der die Zeit, in der er lebte, begriffen hatte. Drei Tage später findet sich das Volk zu einer mächtigen Trauerkundgebung zu Ehren der Gefallenen unter der Forderung nach Freiheit zusammen. De Terra berichtet, daß „Die Arbeiter aus den Fabriken und die Studenten . . . Fahnen (trugen), und "voran marschierte Humboldt. Diesmal marschierte er allein, ohne Könige noch Titel, die ihn umgaben, sein Körper gebeugt, während ein kalter Winterwind sein weißes Haar zauste . . ." Elf Jahre waren vergangen. Am 6. Mai 1858, in seinem neunzigsten Lebensjahr, schlössen sich für immer die Augen desjenigen, der wie kein anderer zu einer Gesamtsicht des Kosmos fähig war. Kuba wird seiner durch die Jahrhunderte gedenken. Gestatten Sie mir, abschließend die wissenschaftliche Voraussicht darzulegen, die Humboldt in seinem „Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba" hinsichtlich der Sklaverei und der bevorstehenden Revolution bewies: „Wenn die Gesetzgebung auf den Antillen und die Lage der Farbigen nicht sehr bald eine heilsame Änderung erfährt, und wenn weiter diskutiert wird, ohne zu handeln, wird die politische. Vormachtstellung in die Hände derjenigen übergehen, welche die K r a f t der Arbeit, den Willen, das Joch abzuschütteln, und die Fähigkeit besitzen, lange Entbehrungen zu ertragen." 61

Inge Paulukat

Die gesellschaftlich-geographischen Auffassungen Alexander v o n Humboldts in seinen Werken über Lateinamerika

Alexander von Humboldt war in erster Linie Naturwissenschaftler. Aber sein Wirken und Werk widerspiegeln das große Interesse, das er Zeit seines Lebens gesellschaftlichen Problemen entgegenbrachte. Das dokumentieren besonders die im Ergebnis der großen amerikanischen Forschungsreise entstandenen Werke über die spanischen Kolonien in Amerika. In ihnen setzt er sich mit politischen, ökonomischen und sozialen Zuständen in den von ihm bereisten Ländern und Gebieten auseinander. Er nimmt eindeutig Stellung gegen koloniale Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Rassendiskriminierung und Sklaverei. Die Geographen unseres Landes betrachten wie alle dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichteten Wissenschaftler diese Seite des umfangreichen Schaffens A. v. Humboldts mit besonderer Bewunderung und Hochachtung. Denn mit seinen in den Länderdarstellungen über Spanisch-Amerika niedergelegten gesellschaftlich-geographischen Auffassungen unterscheidet sich Humboldt grundlegend von vielen seiner Zeitgenossen und der Mehrzahl seiner Nachfolger in der bürgerlichen deutschen Geographie. Aus der breiten Palette gesellschaftlich-geographischer Fragestellungen, denen sich Humboldt in seinen Werken widmete, sollen in diesem Beitrag nur zwei Problemkomplexe angesprochen werden.

Alexander von Humboldt zum Verhältnis v o n N a t u r u n d Gesellschaft Zu den Grundfragen in der Entwicklung der Geographie gehört seit jeher die Frage vom Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein besaßen in der bürgerlichen deutschen Geographie geographisch-deterministische Konstruktionen Bedeutung. Sie dienten letztlich dazu, gemeinsam mit anderen Apologien, die imperialistische Expansions- und Unterdrückungspolitik ideologisch zu untermauern. Um so höher ist deshalb das Verdienst A. v. Humboldts zu werten, bereits zu seiner Zeit in Natur und Gesellschaft zwei Systeme erkannt zu haben, die in enger Wechselwirkung zueinander stehen, aber unterschiedlichen Gesetzen unterliegen. Humboldt hat seine Grundkonzeption zum Verhältnis von Natur und Gesellschaft am ausgereiftesten und theoretisch am stärksten verallgemeinert im „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung" [1] niedergelegt. Aber die auf seiner großen Forschungsreise in das spanische Amerika gesammelten Erfahrungen und erzielten Ergebnisse waren für sie eine wesentliche Grundlage. Humboldt betrachtete die Natur als natürliche Existenzbedingung der menschlichen Gesellschaft. Das setzt für ihn als erstes die Kenntnis der Natur voraus. Mit seinen exakten Untersuchungen, genauen Beobachtungen, kritischen Vergleichen und einer spontan-materialistischen Betrachtungsweise gelang es Humboldt, sich sowohl die 62

Grundlagen für die wissenschaftliche Darstellung der Natur, ihrer Erscheinungsformen und Zusammenhänge als auch für die „Verallgemeinerung des Besonderen, das stete Forschen nach empirischen Naturgesetzen" [2] zu erarbeiten. D i e Ergebnisse seiner Forschungen in Spanisch-Amerika erweiterten die Kenntnisse über das tropische Amerika. H u m b o l d t vermittelte eine Gesamtschau der N a t u r der von ihm bereisten Gebiete. E r demonstrierte an vielen Beispielen den E i n f l u ß der N a tur auf die gesellschaftliche Entwicklung im allgemeinen und die Wirtschaft der Länder im besonderen und kommt letztlich zu dem Schluß: „Die Physiognomie eines Landes . . . steht in innigster Verbindung mit den Fortschritten, der Bevölkerung und mit dem Wohlstande der Menschen. Unverkennbar ist der E i n f l u ß der äußern Gestaltung der Erdfläche auf den Ackerbau, dessen N a t u r nach der Beschaffenheit der Himmelsstriche verschieden ist, auf das innere, mehr oder minder begünstigte, Handelsverkehr, auf die militärische Vertheidigung, und auf die äußere Sicherheit der Colonie" [3]. H u m b o l d t wertet den E i n f l u ß der N a t u r auf die Entwicklung der Gesellschaft als fördernd oder hemmend. „So groß die Fülle der Lebensmittel ist, die dieser Reichtum des Bodens, die strotzende K r a f t der organischen N a t u r hervorbringt, dennoch wird die Kulturentwicklung der Völker dadurch niedergehalten. In einem milden, gleichförmigen Klima kennt der Mensch kein anderes dringendes Bedürfnis als das der Nahrung. N u r wenn dieses Bedürfnis sich geltend macht, fühlt er sich zur Arbeit getrieben" [4]. W e r wird bei diesen Worten nicht an die Ausführungen von Karl M a r x im „Kapital" erinnert, wo er begründet: „Nicht das tropische Klima mit seiner überwuchernden Vegetation, sondern die gemäßigte Zone ist das Mutterland des Kapitals. Es ist nicht die absolute Fruchtbarkeit des Bodens, sondern seine Differenzierung, die Mannigfaltigkeit seiner natürlichen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bildet und den Menschen durch den Wechsel der N a t u r u m s t ä n d e innerhalb deren er haust, zur Vermannigfachung seiner eignen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt" [5], Im Gegensatz zu M a r x und Engels erkennt H u m b o l d t nicht, d a ß der E i n f l u ß des geographischen Milieus auf die Entwicklung der Gesellschaft über Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse erfolgt. Humboldt erlangte keine Einsicht in die Bewegungsgesetze der Gesellschaft. Es waren für ihn „Gesetze anderer, geheimnisvollerer A r t " [6]. Diese fehlende Einsicht verleitet ihn jedoch nicht zu metaphysischer Spekulation, religiöser Weltdeuterei oder zur Konstruktion eines geographischen Determinismus bei der Erklärung gesellschaftlicher Erscheinungen, Zusammenhänge und Prozesse. Vielmehr erkennt er gesellschaftliche Faktoren als Triebkraft der politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung an, dringt - ähnlich wie bei der Erforschung der N a t u r - zu wesentlichen und kausalen Zusammenhängen zwischen den von ihm untersuchten gesellschaftlichen Erscheinungen vor. Viele Aussagen in seinen Werken belegen das. So schreibt er z. B. „Leider steht der Wohlstand der Bewohner weder mit ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der N a t u r im Verhältnis. D i e das Land bebauen, sind meist nicht Eigentümer desselben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel, und das Lehnsystem, das solange ganz Europa unglücklich gemacht hat, läßt noch heute das Volk der K a n a rien zu keiner Blüte gelangen" [7]. Für H u m b o l d t war das Studium der Natur, die Vermehrung der Kenntnisse über die Natur, die Erforschung der in ihr waltenden Gesetzmäßigkeiten nie Selbstzweck, sondern wesentliche Voraussetzung, den Menschen zu befähigen, sich den natürlichen Reichtum nutzbar zu machen. In seinem „Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien" strebt H u m b o l d t deshalb eine ökonomische Wertung der Naturbedingungen an, unterbreitet Vorschläge für die Nutzung des räumlich differen-

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zierten geographischen Milieus und warnt die Menschen, in ihrem tätigen Einfluß auf die Natur nicht das ökologische Gleichgewicht zu zerstören [8]. Humboldt verweist wiederholt darauf, daß die von der Natur gegebenen Möglichkeiten unter den Bedingungen des Kolonialregimes einseitig und unrationell genutzt werden. In den Kolonien, deren Funktion als Rohstofflieferanten und Absatzmärkte Humboldt aufdeckt, dominieren die mineralische und agrarische Monoproduktion. „Die Bergwerke des neuen Continents enthalten, so gut wie die des alten, Eisen, Kupfer, Blei und eine große Menge andrer mineralischer Substanzen, die der Ackerbau und die Künste einmal nicht entbehren können. Allein wenn sich der menschliche Fleiß in Amerika beinah ausschließend auf den Gewinn von Gold und Silber beschränkt hat, so liegt der Grund davon darin, daß die einzelnen Glieder der Gesellschaft immer aus ganz andern Rücksichten handeln, als diejenigen sind, welche die ganze Gesellschaft leiten sollten. Ueberall, wo der Boden Indigo und Mais zugleich erzeugt, trägt die Cultur des erstem den Sieg über die des leztern davon, unerachtet der allgemeine Vortheil es verlangt, denjenigen Vegetabilien, die dem Menschen zur Nahrung dienen, den Vorzug vor den andern zu geben, welche blos zum Tauschhandel mit fremden Ländern geeignet sind" [9]. Humboldt verurteilt den Raubbau an den mineralischen Ressourcen der Kolonien, weil die natürlichen Schätze Spanisch-Amerikas „ohne einen Gedanken an die Zukunft" geplündert werden [10]. Für die unabhängigen lateinamerikanischen Staaten waren die Einschätzungen A. v. Humboldts über den natürlichen Reichtum der von ihm bereisten Gebiete von außerordentlicher Bedeutung. Der mexikanische Außenminister Lucas Alamän (1824) bekennt Humboldt gegenüber: „Durch Ihre lichtvollen Werke kann man sich ein Bild dessen machen, was in Mexiko unter einer guten Verfassung werden könnte, weil es alle Voraussetzungen des Wohlstandes in sich trägt. Das ganze Volk ist von dem Gefühl der Dankbarkeit für Ihre Arbeiten erfüllt, die der Welt gezeigt haben, was es zu werden imstande ist" [11]. A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t zu P r o b l e m e n der E n t w i c k l u n g u n d S t r u k t u r der B e v ö l k e r u n g Neben den Fragen des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft nehmen Probleme der Bevölkerung einen breiten Raum in den Lateinamerikawerken Humboldts ein. Humboldt beschäftigt sich mit der Ethnologie der Völker Lateinamerikas, mit der Struktur, der zahlenmäßigen Entwicklung und räumlichen Verbreitung der Bevölkerung. Auch bei der Behandlung dieses Problemkomplexes unterscheiden sich die Auffassungen A. v. Humboldts grundlegend von denen vieler Nachfolger in der bürgerlichen deutschen Geographie, die durch die Diskriminierung anderer Völker und Rassen geprägt wurden. Humboldts im „Kosmos" niedergelegte Proklamation gegen die „Annahme von höheren und niederen Menschenracen", für die „Einheit des Menschengeschlechtes" erwuchs aus den Erfahrungen seiner Amerikareise [12]. Seine Betrachtungen über die körperlichen Merkmale und charakterlichen Eigenschaften der Menschengruppen in den von ihm bereisten Gebieten führen ihn zu der Erkenntnis ihrer - von den ökonomischen und sozialen Verhältnissen abhängigen - historischen Bedingtheit. Das niedrige Niveau der Lebensweise der Menschen entspricht nicht „rassischen Anlagen", sondern liegt in der kolonialen Ausbeutung und Unterdrückung begründet. Humboldt resümiert, daß „das Glück der Weißen aufs innigste mit dem der kupferfarbigen Race verbunden ist, und das es in beiden America's überhaupt kein dauerndes Glück geben wird, als bis 64

diese durch die lange Unterdrückung zwar gedemütigte, aber nicht erniedrigte, Race alle Vortheile theilt, welche aus den Fortschritten der Civilisation und der Vervollkommnung der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen" [13]. Humboldts eindeutige Stellungsnahmen für die Gleichberechtigung der Menschen sind nicht reduziert auf das Verhältnis der verschiedenen ethnischen Gruppen, sondern gelten auch für den sozialen Bereich. Er betrachtet auf seinen Reisen die klassenbedingten Gegensätze zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten - gleich welcher Hautfarbe - , die sich auch in unterschiedlichen Positionen im nationalen Befreiungskampf ausdrücken, wenn ein Teil „Einheimischen", d. h. die kreolische Oberschicht, die Politik der Spanier unterstützt [14]. „ . . . die Scheu, sich in Unternehmen einzulassen, das schlimm ablaufen kann, halten diese ab, sich der Sache der Unabhängigkeit anzuschließen oder für die Einführung einer eigenen, wenn auch vom Mutterlande abhängigen Repräsentativregierung aufzutreten. Die einen scheuen alle gewaltsamen Mittel und leben in der Hoffnung, durch Reformen werde das Kolonialregiment allgemach weniger drückend werden; Revolution ist ihnen gleichbedeutend mit dem Verlust ihrer Sklaven . . . Sie wollen lieber gewisse Rechte gar nicht bekommen, als sie mit allen teilen; ja eine Fremdherrschaft wäre ihnen lieber als eine Regierung in den Händen von Amerikanern, die im Range unter ihnen stehen; sie verabscheuen jede auf Gleichheit der Rechte gegründete Verfassung" [15]. Die Werke über Lateinamerika lassen erkennen, daß Humboldt immer auf Seiten der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen stand. Er schildert die soziale Lage der arbeitenden Menschen, wendet sich gegen die diskriminierenden Ausbeutungsmethoden im Bergbau, in Landwirtschaft und Industrie. Besonders harte Anklagen richtet Humboldt gegen die unmenschlichste Ausbeutungsform im kolonialen Amerika, die Sklaverei. Mit Hilfe von Appellen und Gesetzesvorlagen an die maßgeblichen Behörden versucht Humboldt zur Abschaffung der Sklaverei - „das größte aller Übel, welche jemals die Menschheit betroffen" [16] - beizutragen. Er erhofft von den revolutionären Bewegungen in Lateinamerika, besonders von der haitischen Revolution - „dem großen und glücklichen Ereignis" [17] - eine Verbesserung der Lage der Sklaven. Nach A u f hebung der Sklaverei stellte Humboldt allerdings fest, daß dieser A k t nicht aus „Gefühlen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit", erfolgte, sondern „. . . weil man sich des Beistandes eines unerschrockenen, an Entbehrungen gewöhnten und für sein eigenes Wohl kämpfenden Menschenschlages versichern wollte" [18]. W i e wichtig Humboldt seine Anklagen gegen die Sklaverei waren, wird aus der Stellungnahme deutlich, die Humboldt abgibt, als bei der Herausgabe seines Werkes „Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba" in den USA das Kapitel über die Sklaverei fehlt. „Auf diesen Theil meiner Schrift lege ich eine weit größere Wichtigkeit, als auf die mühevollen Arbeiten astronomischer Ortsbestimmungen, magnetischer Intensitätsversuche oder statistischer Angaben . . ." [19]. Humboldt ist zutiefst davon überzeugt, daß „mangelhafte Staatsformen" und eine „widersinnige Verwaltung" sich „nicht ewig dem Gesamtinteresse der Menschen entgegenstemmen" können [20], Aber trotz weitreichender historischer Einsichten, die er vor allem in seinem Mexiko-Werk darlegt, erwartet Humboldt letztlich von der „Aufklärung und intellectuellen Entwicklung" eine fortschreitende Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft [21]. Durch ihre progressive, dem Humanismus verpflichtete Grundkonzeption, durch die in ihnen gewiesene optimistische Perspektive der politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung Lateinamerikas wurden die Werke Humboldts über das spanische Amerika zu einem Kampfprogramm für die um ihre Freiheit ringenden Völker. 5

Abh. 2 N 1985

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Durch die inhaltliche und methodische Gestaltung seiner Werke, speziell durch den „Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien" ist Humboldt zum Wegbereiter eines auf die gesellschaftlichen Probleme orientierenden, selbständigen Wissenschaftszweiges in der Geographie geworden. D a ß Humboldt von seinen Nachfolgern in der bürgerlichen Geographie mehr als Begründer der physischen Geographie und einzelner Teildisziplinen (Pflanzengeographie, Klimatologie, Hydrogeographie), weniger als Wissenschaftler, der gesellschaftlich-geographische Probleme untersuchte, gewürdigt wurde, lag an den veränderten sozialökonomischen Bedingungen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts und dem aus ihnen entspringenden Inhalt und Wesen der bürgerlichen Anthropo- und Wirtschaftsgeographie. Sie versuchte auf geographischem Gebiet den Kapitalismus zu verteidigen; sie war von geographisch deterministischen, rassistischen, malthusianistischen und anderen bürgerlichen Ideologien durchsetzt. In ihr Konzept paßten nicht die scharfen Worte Alexander v. Humboldts gegen koloniale Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Rassismus und Sklaverei. Die Geographen unseres Landes bekämpften und bekämpfen konsequent unwissenschaftliche Konstruktionen, menschenfeindliche und menschenverachtende Ideen in der Geographie. Sie fühlen sich dem Erbe A. v. Humboldts, seiner humanistischen Gesinnung und seinem progressiven Anliegen, seinen wissenschaftlichen Leistungen und wissenschaftsmethodischen Erkenntnissen verpflichtet und sind gewillt, diese Tradition der deutschen Geographie fortzusetzen.

Literatur [1] Humboldt, A . v. : Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. I. Band. Stuttgart und Tübingen 1845. S. 386. [2] Ebenda. S. 68. [3] Humboldt, A. v. : Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien. I. Band. Tübingen 1809. S. 43. [4] Humboldt, A . v. : Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Kontinents. I. Band. In : Gesammelte Werke von Alexander von Humboldt. V . - V I I I . Band. Stuttgart o. J. S. 217. [5] Marx, K.: D a s Kapital. I. Band. Berlin 1951. S. 538 f. [6] Humboldt, A . v . : Kosmos. A . a. O., S. 386. [7] Humboldt, A. v. : Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Kontinents. A . a. O., S. 68. [8] Siehe u. a. A. v. Humboldt: Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien. I. Band. Buch I. 3. Kapitel. [9] A. a. O., IV. Band. Tübingen 1813. S. 1 f. [10] Ebenda. S. 93. [11] Zitiert in: H. Scurla. Alexander von Humboldt. Sein Leben und Wirken. Berlin. 1982. S. 192. [12] A. V. Humboldt: Kosmos. A . a. O., S. 385. [13] Humboldt, A. v. : Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien. V. Band. Tübingen 1814. S. 55. [14] Humboldt, A. v. : Reise in die Aequinoctial-Gegcnden des neuen Kontinents. II. Band. S. 104. [15] Ebenda. [16] Humboldt, A. v . : Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba. In: Gesammelte Werke von Alexander v. Humboldt. Hrsg. v. H. Hauff, XII. Band. Stuttgart o. J. S. 69. [17] Ebenda. S. 74. [18] Humboldt, A. v. : Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Kontinents. II. Band. S. 100. [19] Zeitschrift für allgemeine Erdkunde. N e u e Folge. 1. Band. Berlin 1856. S. 114 f. [20] Humboldt, A . v. : Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Kontinents. IV. Band. S.60. [21] Humboldt, A. v. : Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien. I. Band. S. 140 f.

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Walter Vent

Flora von Kuba - internationales Forschungsprojekt im Geiste Alexander von Humboldts

Alexander von Humboldt schätzte die Bedeutung der Botanik sehr hoch ein, wie in einem Brief vom 25. 2. 1789 an Wilhelm Gabriel Wegener zum Ausdruck kommt: „Die meisten Menschen betrachten die Botanik als eine Wissenschaft, die für Nichtärzte nur zum Vergnügen oder allenfalls (ein Nutzen, der selbst wenigen erst einleuchtet) zur subjektiven Bildung des Verstandes dient. Ich halte sie für eine von den Studien, von denen sich die menschliche Gesellschaft am meisten zu versprechen hat" [1], Während seiner Reisen in Süd- und Mittelamerika waren etwa 6 000 Pflanzenarten gesammelt worden. Mehr als die Hälfte dieser Arten waren neu für die Wissenschaft. Dagegen erscheinen die während seiner beiden Aufenthalte (19. 12. 1800 bis 9. 3. 1801 und von Mitte März 1804 bis 29. 4. 1804) in Kuba erzielten botanischen Ergebnisse bescheiden. Nach der Bearbeitung der Exsikkate durch 6 a r l Sigismund Kunth werden insgesamt 156 Arten in Vol. VII des Werkes „Nova genera et species plantarum" [2] erwähnt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sein Interesse vor allem dem Klima, der Geologie, der Bevölkerung, der Sklaverei, der Landwirtschaft und dem Handel galt. Die Suche nach Ursachen, Prinzipien und Verallgemeinerungen waren charakteristisch für Alexander von Humboldt. Aus einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen und -erkenntnissen, die er auf Grund seines breiten Wissens sorgfältig registrierte, versuchte er, natürliche Zusammenhänge zu erschließen. Aus seinen Beobachtungen der räumlichen Beziehungen der Pflanzen wurde ein außerordentlich fruchtbares Verfahren entwickelt, die Genese von Pflanzensippen in ihrer raumzeitlichen Phase zu erschließen, eine Methode, die heute und künftig in Verbindung mit anderen Methoden für die botanische Sippenstrukturforschung unverzichtbar ist. Als im Jahre 1959 nach der Revolution der sozialistische Aufbau in Kuba begonnen wurde, benötigte man auch in der Land- und Forstwirtschaft eine umfassende wissenschaftliche Grundlage über die pflanzlichen Ressourcen des Landes, die höheren Anforderungen und Interessen der neuen gesellschaftlichen Entwicklung entsprechen mußte. Zu den gesicherten wissenschaftlichen Grundlagen für die Nutzer der natürlichen pflanzlichen Ressourcen gehört die Bearbeitung und Erschließung der Flora eines Landes. Im Jahre 1959 waren 3 Bände der „Flora de Cuba" [3, 4, 5] in La Habana erschienen. In den Jahren 1957 und 1964 folgten weitere 2 Bände [6, 7], die 1969 mit einem Ergänzungsband [8] erweitert wurden. Diese Flora wurde von den Hermanos Leon (Dr. J. S. Lauget) und Alain (Dr. E. E. Liogier) herausgegeben. Sie konnten sich auf die im 19. und 20. Jahrhundert gesammelten Exsikkate stützen, die in bedeutenden Herbarien der Welt und vor allem in Kuba deponiert wurden. Vieles von dem bis dahin eingebrachten Mateiial war bereits systematisch bearbeitet worden. Die Ergebnisse dieser Bearbeitungen waren Teil der Grundlagen, die von den Herausgebern zur „Flora de Cuba" erweitert und synthetisiert wurden. Trotz dieser „Flora" beschloß die Regierung Kubas die Flora ihres Landes weiter zu erforschen und eine „Nueva Flora de Cuba" zu 5*

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schaffen. Nach einem Beschluß des nationalen Komitees Kubas im Jahre 1983 soll dieses Werk „Flora de la Republica de Cuba (Plantes vasculares)" genannt werden. Eine Reihe von Abkommen zwischen der D D R und Kuba besiegelt die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit dieser Länder. Darunter ist die >> Direktvereinbarung über die gemeinsame Erforschung der Flora von Kuba" [9], w i e sie am 27. November 1974 zwischen dem Ministerium für das Hoch- und Fachschulwesen der D D R und dem Ministerium für Erziehung der Republik Kuba als langfristige Konzeption abgeschlossen wurde, unmittelbare Grundlage für das gemeinsame Forschungsprojekt (siehe Bild 12). Dem wissenschaftlichen Komitee wurde die Planung, Leitung, Koordinierung und Kontrolle des Forschungsprojektes übertragen. Es besteht aus 10 Wissenschaftlern Kubas und der D D R . Seit der Unterzeichnung der .Direktvereinbarung' arbeiten Botaniker Kubas und der D D R auf der Grundlage von Zweijahres-Arbeitsplänen, die vom wissenschaftlichen Komitee vorgeschlagen werden. Sie gliedern die langfristige Zusammenarbeit in überschaubare Etappen. Inhaltlich schließen sie Beginn, Dauer und Ziel der Feldarbeiten ebenso ein, wie den Austausch von Wissenschaftlern und die Weiterbildung junger Nachwuchskader, wobei besonders die Betreuung von kubanischen Doktoranden im Vordergrund steht. Nicht zuletzt ist auch die materielle Unterstützung eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen des Werkes, so z. B. die Beschaffung von wissenschaftlicher Literatur, Ausrüstungen und Fahrzeugen für die Feldarbeit, sowie die gegenseitige Hilfe beim Aufbau der Botanischen Gärten in Havanna, Berlin und Jena. Von größter Bedeutung für die Erforschung und Erschließung der Flora Kubas war der bereits in den 60er Jahren gefaßte Beschluß, im südlichen Vorfeld Havannas einen repräsentativen Botanischen Garten in einer Ausdehnung von etwa 600 ha anzulegen. Es spricht für die Leistungsfähigkeit und Zielstrebigkeit unserer kubanischen Kollegen, wenn ein Teil dieses Botanischen Gartens im März 1984 eröffnet werden konnte. Viele Vertreter von Arten der Flora Kubas, die von den zahlreichen Expeditionen aus allen Teilen des Landes lebend eingebracht wurden, als Samen oder Jungpflanzen, zeugen in diesem gut gestalteten Garten von dem Reichtum, der Vielfalt und der Eigenart dieser tropischen Inselflora. Die Zahl ihrer Arten schätzt man auf etwa 7 000, von denen etwa die Hälfte endemisch ist. Nahezu die Hälfte aller Arten besteht aus Holzgewächsen, wie Bäumen, Sträuchern und Lianen. Beeindruckend ist der auch für tropische Florengebiete beispiellose Reichtum an Palmenarten. Davon zeugen 72 z. T. recht eigenartig wirkende Arten, die 7 Gattungen zugeordnet werden. Mit dem Aufbau des Botanischen Gartens in Havanna und der Bearbeitung der Flora Kubas hat sich eine leistungsfähige Mannschaft junger kubanischer Wissenschaftler entwickelt. Charakteristisch für diese Entwicklung ist z. B. die wissenschaftliche Laufbahn der Direktorin dieses großen Botanischen Gartens, Frau Dr. Angela Leiva Sanchez, die bereits als Studentin in der ersten Phase des Aufbaus dieser großartigen Anlage mitwirkte. Ebenfalls von Anfang an ist Prof. Dr. Johannes Bisse 1 aus der D D R dabei. Unmittelbar nach seiner Promotion ist er dort seit 1968 als wissenschaftlicher Berater tätig und hat verdienstvoll bei der Ausbildung von jungen Wissenschaftlern und bei der Erforschung der Flora Kubas mitgearbeitet. Für die 210 Familien der „Flora de la Republica de Cuba" stehen gegenwärtig 62 Wissenschaftler als Bearbeiter zur Verfügung, von denen 32 in Kuba, 20 in der DDR, 7 in der UdSSR, je einer in der VR Ungarn und der VR Polen und einer in den USA beheimatet sind. 1

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A m 19. Dezember 1 9 8 4 in Havanna verstorben.

Von den 10 Wissenschaftlern des Bereichs Botanik und Arboretum der Humboldt-Universität, die an der „Flora von Kuba" mitarbeiten, haben 7 an Sammelexpeditionen und Forschungsaufenthalt'jn in Kuba teilgenommen und durch die Feldarbeit die Flora unter natürlichen Bedingungen kennengelernt. So ist dieses Forschungsprojekt auch für unsere Wissenschaftler ein gutes Trainingsfeld in einem einzigartigen Florengebiet der Neotropis, das für die wissenschaftliche Entwicklung unserer Kader unverzichtbar ist. Erstmalig hatte auch der leitende Gartenmeister unserer Botanischen Anlage des Bereiches in Blankenfelde (Stadtbezirk Berlin-Pankow) die Gelegenheit, im März und April 1984 in Kuba tropische Pflanzenwelt in der Natur und in dem Botanischen Garten Havanna mit seinen reichen Lebendsammlungen und spezifischen Kulturbedingungen kennenzulernen und seine Erfahrungen an kubanische Gärtner zu vermitteln. Er brachte 70 Arten als lebende Pflanzen mit und mehr als 30 in Form von keimfähigen Samen. Unsere Lebendsammlung kubanischer Pflanzen in der Botanischen Anlage Blankenfelde hat damit einen Umfang von mehr als 400 Provenienzen erreicht. Insgesamt konnten die Mitarbeiter unseres Bereichs an 25 meist mehrere Monate dauernde Kuba-Aufenthalte teilnehmen. Zu den schönsten Ergebnissen und Erlebnissen in der gemeinsamen Erforschung der Flora Kubas gehören u. a. wiedergefundene Vertreter von verloren geglaubten Arten, wie z. B. Lyonia ekmanii Urban an der Nordküste der Provinz Pinar del Rio und erstmalig nachgewiesene Vertreter von bisher im Gebiet nicht bekannte Arten, wie Acacia daemon Ekman & Urban im Arroyo Blanco bei Sancti Spiritus. Im Juni 1983 wurde auf einer Sammelexpedition in ,Oriente' die 50 OOOste Sammelnummer für das Flora Projekt eingebracht. Die Ziele der Sammelexpeditionen der Jahre 1974 bis 1984 sind in der Karte [siehe Abb. 12] zusammengestellt. Jede Sammelnummer ist 4- bis 6mal aufgelegt worden. In dem Botanischen Garten in Havanna wurde auch ein Herbarium (HAIB) eingerichtet, in dem diese wertvolle Sammlung ihren festen Platz fand. Weitere Herbarien Kubas, die ebenfalls im „Index Herbariorum" [10] aufgeführt sind, enthalten ebenso wertvolle Exsikkate für die Erarbeitung der Flora. Große Teile dieser bedeutenden Belegsammlung an Herbarmaterial wurden als sogenannte Dubletten Herbarien der D D R übergeben, wie dem Herbarium Haussknecht der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und dem Herbarium des Bereichs Botanik und Arboretum der Humboldt-Universität zu Berlin. Neben den lebenden Pflanzen Kubas, die in unseren Gewächshäusern kultiviert werden und zum überwiegenden Teil prächtig gedeihen, sind die Herbarbelege für die Sippenstrukturuntersuchungen von fundamentaler Bedeutung. Sie werden von weiteren Sammlungen ergänzt, so z. B. von Pollen, Holzproben, Früchten und Samen. Alkoholpräparate von Organen sind für Demonstrationen im Rahmen der akademischen Lehre geeignet, ebenso ein Fotoarchiv und eine sehr umfangreiche Diapositiv-Sammlung. Herbarbelege kubanischer Pflanzen aus früheren Aufsammlungen können zur Bearbeitung von ausländischen Herbarien, in denen sie aufbewahrt werden, ausgeliehen werden, sie gehören ebenfalls zu den Voraussetzungen für umfassende systematische Untersuchungen von Sippen. Arbeitstagungen zur Erforschung der Flora von Kuba, wie sie 1978 in Jena/Kapellendorf und 1981 in Havanna stattfanden, gaben allen Mitarbeitern Gelegenheit, über die erzielten Ergebnisse ihrer Untersuchungen zu berichten und die wachsende Leistungsfähigkeit in Form von Publikationen zu dokumentieren. Die 3. Arbeitstagung zur Flora von Kuba fand vom 4. bis 7. Oktober 1984 in Berlin/Egsdorf statt. In fast 40 Vorträgen wurde über neue Forschungsergebnisse berichtet, die in internationalen Fachzeitschriften, wie Feddes Repertorium und Gleditschia veröffentlicht werden. Die 10jährige Laufzeit der „Direktvereinbarung" mit ihren beeindruckenden wissenschaftlichen Er69

gebnissen w a r g l e i c h z e i t i g A n l a ß z u einer W ü r d i g u n g der erbrachten L e i s t u n g e n durch d e n Minister für das H o c h - und F a c h s c h u l w e s e n u n d d e n R e k t o r der H u m b o l d t - U n i v e r sität zu Berlin. D a r i n k a m e i n e h o h e W e r t s c h ä t z u n g z u m A u s d r u c k , d i e der b e i s p i e l h a f ten internationalen Z u s a m m e n a r b e i t im G e i s t e A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t s n e u e

Im-

pulse verlieh.

Literatur [1] Krüger, G. • Alexander von Humboldt. Ein großer deutscher Naturforscher und Humanist. Berlin 1959. [2] Humboldt, A. v. • Nova genera et species plantarum . . . Paris 1815-1825. [3] León Flora de Cuba 1. - Contr. Ocas. Mus. Hist. Nat. Colegio „De la Salle" 8, 1946. [4] León & Alain: Flora de Cuba 2. - Contr. Ocas. Mus. Hist. Nat. Colegio „De la Salle" 10, 1951 [5] Alain Flora de Cuba 3. - Contr. Mus. Hist. Nat. Colegio „De la Salle" 13, 1953. [6] Alain: Flora de Cuba 4. - Contr. Ocas. Mus. Hist. Nat. Colegio „De la Salle" 16, 1957. [7] Alain Flora de Cuba 5. La Habana 1964. [8] Alain Flora de Cuba. Suplemento. Caracas 1969. [9] Klotz, G. 4 Jahre Direktvereinbarung zur gemeinsamen Erforschung der Flora Cubas, eine Zusammenfassung der erbrachten Leistungen und erzielten Ergebnisse, m Wiss. Z. FSU Jena. 28. 4/1979, 547-550. [10] Stafleu, F. A. (Gen. ed.): Index Herbariorum (6. ed.) Part I. The Herbaría of the World. Netherlands, Utrecht 1974. Weitere Literatur. Biermann, K.-R • Alexander von Humboldt, in Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner Band 47, Leipzig 1983. Borch, R. • Alexander von Humboldt. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten. Berlin 1948. Humboldt, A. v. Essai sur la Geographie des Plantes. Paris 1809. Humboldt, A. v & Bonpland, A.. Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 und 1804. Stuttgart und Tübingen 1815-1829 Stearn, T. W. (ed.) Humboldt, Bonpland, Kunth and tropical american Botany. A miscellany on the ,Nova genera et species plantarum'. Lehre 1968. Vent, W. Moderne Systematik der höheren Pflanzen, in: Biol. Rdsch. Jg. 15, 6, 1977, 345-357. Vent, W Zur Dendroflora der Nordhemisphäre, in. Gleditschia, Bd. 9, 57-76, 1982.

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Heinz Kautzleben

Die Förderung von Geodäsie und Geophysik durch Alexander von Humboldt und seine Wirkung bis in die Gegenwart

1. Alexander von Humboldt war ein Naturwissenschaftler von universeller Bildung. Das Schwergewicht seiner Kenntnisse, Studien und Ergebnisse lag auf dem Gesamtgebiet der Geowissenschaften. Es ist dennoch zulässig, seinen Einfluß auf die Entwicklung einzelner Disziplinen der Geowissenschaften nachzuzeichnen. Man kommt dabei zur Feststellung, daß Humboldt mit seinem Lebenswerk zumeist am Beginn der Entwicklung der einzelnen Disziplinen, zumindest aber am Beginn neuer Entwicklungsetappen steht. 2. Von den beiden hier betrachteten Teilgebieten der Geowissenschaften ist die Geodäsie als die Wissenschaft, die sich mit der Vermessung der Erde, ihrer Oberfläche insgesamt und einzelner Teile davon befaßt, die weitaus älteste; ihre Anfänge reichen bis in die Antike zurück. Ihr Name taucht erstmals bei Aristoteles um 350 v. u. Z. auf. Die geodätische Vermessung der Erde ist einerseits mit der Astronomie, andererseits mit der Navigation eng verbunden und ist die unerläßliche Grundlage für jede topographische Landesaufnahme. Praktische Arbeiten mit dieser Zielstellung wurden erstmals in Frankreich seit Mitte des 18. Jahrhunderts und seit Anfang des 19. Jahrhunderts in allen europäischen Staaten durchgeführt. Die Geodäsie ist eine ausgesprochene Approximationswissenschaft. Am deutlichsten wird das erkennbar aus der historischen Entwicklung der Kenntnisse von der Figur der Erde. Von den Zeiten eines Eratosthenes, dem als ersten um 220 v . u . Z . die Bestimmung des Erdradius gelang, bis zu Newton genügte die Annahme, daß die Erde im wesentlichen eine Kugel sei. Isaak Newton begründete 1686 in seinen „mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie" in Verbindung mit seiner Theorie der Massenanziehung die Vorstellung, daß die Erde im wesentlichen ein an den Polen abgeplattetes Rotationsellipsoid sei. Karl Friedrich Gauß löste sich als erster von dieser Vorstellung; er führte 1828 als Gegenstand der geodätischen Untersuchungen eine Niveaufläche der Schwerkraft ein, die seit 1873 als Geoid bezeichnet wird. Die bisher letzte Etappe der wissenschaftlichen Geodäsie begann mit der geodätischen Nutzung der künstlichen Erdsatelliten. Humboldt steht mit seinem Lebenswerk am Übergang zur vorletzten Etappe der Geodäsie. Im Vergleich zur Geodäsie hat sich die Geophysik erst spät zur eigenständigen Wissenschaft entwickelt. Der Name „Geophysik" dürfte etwa zwischen 1820 und 1848 geprägt worden sein. Er wird in Meyers Großem Conversationslexikon erstmals 1848 aufgeführt. Wer ihn erfunden hat, ist noch nicht geklärt. Es gibt viele Gründe, den Erfinder des Namens in der Umwelt von Alexander von Humboldt zu suchen. Die im erwähnten Lexikon-Artikel genannten Teilgebiete der Geophysik Eigenwärme des Erdkörpers, seine Dichtigkeit, der Erdmagnetismus und die tellurischen Lichterscheinungen waren Hauptarbeitsgebiete Humboldts, die er im „Kosmos" in einem, wie er es nennt, „Naturgemälde" darstellte. Die Wurzeln der Geophysik reichen bis zu William Gilbert, der 1600 die Erde als

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großen Magnet beschrieben hat, und Newton, der sich 1686 mit den physikalischen Theorien von Erdfigur, Gezeiten, Präzession und Nutation befaßt hat, und noch weiter in der Geschichte der Naturforschung zurück. Seit Newton war die Erde ein wichtiges Studienobjekt der Physik; das blieb so bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Dann wandte sich die Physik anderen Dingen zu, und es begann die eigenständige Entwicklung einer Geophysik. Über die physikalischen Fragen der Erde hinaus interessierte sich die neue Geophysik auch für solche Erscheinungen aus der Geologie und aus der Geographie, die sich experimentell erforschen, messend erfassen und mathematisch darstellen lassen und die allgemeingültigen Gesetzen unterliegen. Diese beiden Disziplinen begannen sich ebenfalls an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zu entwickeln. Ihnen ist jedoch die physikalische Methode zu fremd; die mit dieser Methode erreichbaren Aussagen sind ihnen zu allgemein bzw. zu speziell. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Herausbildung der Geophysik abgeschlossen. Zum Forschungsbereich der Geophysik zählt man heute die natürlichen physikalischen Erscheinungen auf der Erde, in ihrem Innern wie auch in dem Teil des interplanetaren Raumes, den man als Umgebung der Erde ansehen kann. Dazu gehören auch die Einflüsse anderer Himmelskörper auf die Erde, insbesondere Wirkungen der Sonne und des Mondes. Zu den charakteristischen Kennzeichen der Geophysik ebenso wie der Geodäsie gehören ihre spezifischen Arbeitsmethoden, die den Eigenheiten des Untersuchungsobjektes Erde angepaßt sind. Geophysiker und Geodäten arbeiten in einem enorm großen Laboratorium. Geophysik und Geodäsie sind wie kaum andere Fächer auf die Zusammenarbeit vieler Beobachter in vielen Teilen der Welt angewiesen. Charakteristisch ist schließlich die außerordentlich große Bedeutung der sorgfältigen, über lange Zeiten durchzuführenden Beobachtung, während zielgerichtete Experimente nur selten möglich sind. Zur Geophysik und Geodäsie gehören Observatorien ebenso wie Expeditionen und ausgedehnte Feldmessungen. Humboldt hat diese spezifischen Arbeitsmethoden meisterhaft beherrscht. 3. Alexander von Humboldt hat die Entwicklung der beiden Wissenschaftsdisziplinen Geodäsie und Geophysik über einen langen Zeitraum inhaltlich und organisatorisch maßgeblich beeinflußt. Am Anfang steht seine große Reise - sprich Expedition - nach Spanisch-Amerika von 1799 bis 1804. Durch diese Reise, die erste wissenschaftliche Forschungsreise durch die damaligen spanischen Kolonien in Mittel- und Südamerika überhaupt, hat Humboldt zweifellos den Grundstein für sein hohes Ansehen als Naturforscher gelegt. Mit den außerordentlich umfangreichen Arbeiten zur wissenschaftlichen Auswertung der Reise, an denen er bezahlte Helfer beteiligte und zu denen er befreundete Gelehrte hohen Ranges gewann, sicherte er sich einen festen Platz in der wissenschaftlichen Welt mit großem Einfluß. Er wurde zum Mitglied sowohl in der Pariser als auch in der Berliner Akademie der Wissenschaften gewählt und war in beiden Akademien äußerst aktiv. Humboldt zählte zu seinen Freunden und Bekannten eine Vielzahl von hervorragenden Wissenschaftlern und weiteren Geistesgrößen seiner Zeit sowie Persönlichkeiten der Gesellschaft mit hohem Einfluß. Er war Kammerherr der beiden Preußenkönige Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. Seine Anliegen im Interesse der Wissenschaft und der Wissenschaftler verstand Humboldt sowohl schriftlich als mündlich wirkungsvoll vorzutragen. Er hat über die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeiten von Jugend an stets ausführlich vorgetragen und publiziert. Eine bibliographische Übersicht aus dem Jahre 1872 enthält über 600 Veröffentlichungen. Er hat eine umfangreiche briefliche Korrespondenz geführt. Von 1786 bis zu seinem Tode hat er rund 50 000 Briefe geschrieben und über 100 000 Briefe empfangen. Die Liste seiner Briefpartner enthält über 2 500 Namen. 72

Höhepunkt des geistigen Lebens jener Jahre in Berlin mit nachhaltiger Wirkung waren die Vorlesungen über physikalische Geographie von 1827/28, die Humboldt selbst als „Kosmosvorlesungen" bezeichnete. Sie enthielten in allgemeinen Zügen bereits alle wesentlichen Teile des Hauptwerkes seiner letzten Lebensjahrzehnte, des „Kosmos-Entwurf einer physischen Weltbeschreibung". Es war ein populärwissenschaftliches Werk im besten Sinne des Wortes. Am Ende seines Lebens war Alexander von Humboldt unbestritten zum Repräsentanten der bürgerlichen deutschen Wissenschaft geworden. Sein Ruhm als Forschungsreisender, Naturforscher und Humanist wirkt noch bis in die Gegenwart. 4. Der Einfluß Alexander von Humboldts auf die Entwicklung der Geodäsie und Geophysik wirkte in erster Linie ebenso wie sein Einfluß auf die Entwicklung der Geowissenschaften insgesamt. Dieser ist vor allem in der Richtung und der Zielstellung der seit Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzenden W e l l e von wissenschaftlichen Forschungsreisen nach Südamerika, in das Innere Afrikas und das Innere Asiens zu erkennen. Seine Amerika-Reise und deren Auswertung wurden zum Vorbild für alle folgenden Reisen, insbesondere im Hinblick auf die exakte Beobachtung, die Sammlung zahlreicher Details und die ganzheitliche Betrachtung. Zum Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens wurde die vergleichende Betrachtung unter Einbeziehung der bereits vorliegenden Kenntnisse und deren historischen Werdens. Humboldt hat vor allem die Entwicklung der physischen Geographie geprägt. Der Begriff „Vergleichende Erdkunde" wurde von ihm eingeführt. Als seine bedeutendste wissenschaftliche Leistung hat er die Begründung der Pflanzengeographie bezeichnet. Alle seine Leistungen zur Geodäsie und Geophysik stehen in irgend einer Weise in Verbindung mit der physikalischen Geographie. 5. Die Anregung zu seinen Arbeiten auf dem Gebiet der Geodäsie und zu angrenzenden astronomischen und geographischen Fragen erhielt Alexander von Humboldt 1797 durch den berühmten Direktor der damaligen Sternwarte auf dem Seeberg bei Gotha, Freiherr F. von Zach. Sie betraf vor allem die Durchführung geographischer Ortsbestimmungen während der geplanten großen Reise. Die Bestimmung der geographischen Breite und Länge eines Ortes auf der Erdoberfläche mit Hilfe von astronomischen Beobachtungen dient der großräumigen Orientierung auf der Erde, der Festlegung der Ausdehnung der Kontinente und der Lagefixierung der hochozeanischen Inseln. Sie ist damit Voraussetzung für die Herstellung von Weltkarten und überhaupt von Karten kleinen Maßstabs. Während die Bestimmung der geographischen Breite (zumindest im Prinzip) relativ einfach ist, stellte die Bestimmung der geographischen Länge bis zur Erfindung und Einführung des Telegraphen und der telegraphischen Zeitübertragung ein sehr kompliziertes astronomisches und technisches Problem dar. Humboldt war noch gezwungen, zur Längenbestimmung Beobachtungen der Mondbewegung und der Jupitertrabanten heranzuziehen. Lediglich bei nahe beieinander liegenden Orten konnte er die Zeit mit Hilfe seines Chronometers übertragen. Die erforderlichen Instrumente beschaffte sich Humboldt entsprechend den Empfehlungen Zachs zumeist in englischen Werkstätten. Es gelang ihm, sich in erstaunlich kurzer Zeit die Beobachtungstechnik anzueignen. Bei seinen Beobachtungen in Amerika war er äußerst sorgfältig, beobachtete oft mit mehreren Instrumenten, überprüfte sie durch Beobachtungen an Orten, wo die Länge und Breite bereits bekannt waren, und machte ausführliche Aufzeichnungen. Einen großen Teil der Beobachtungen hat Humboldt selbst noch auf der Reise vorläufig berechnet. Nach der Rückkehr gewann er in Jabbo Oltmanns einen höchst gewissenhaften Rechner zur sorgfältigen endgültigen Auswertung. Während seiner Amerika-Reise hat Humboldt 201 Ortsbestimmungen ausgeführt. Sie blieben über ein Dreivierteljahrhundert die einzigen bzw. die genauesten. 73

Humboldt hat auf allen seinen Reisen wie kaum jemand vor ihm mit großem Eifer barometrische Höhenmessungen durchgeführt, in Lateinamerika waren es insgesamt 500. Er konnte dabei auf den Erkenntnissen von de Luc und de Saussure aufbauen, die kurz vor seiner Abreise das Barometer zu einem zweckmäßigen Instrument für die Höhenmessung entwickelt hatten, und konnte bei der Auswertung der Beobachtungen die genaue Barometerformel verwenden, die von Ramond 1803 bestimmt worden war. Humboldt hat auch während seiner russisch-sibirischen Reise von 1829 exakte Ortsund Höhenbestimmungen durchgeführt, wobei er im wesentlichen dieselben Instrumente und Methoden wie in Lateinamerika verwendet hat. Von allen bereisten Gegenden hat Humboldt teils nach der eigenen, teils nach vorhandenen, jedoch mit eigenen Messungen wesentlich verbesserten Aufnahmen Karten angefertigt. Er hat damit Maßstäbe für alle folgenden Forschungsreisen gesetzt, die leider nicht immer eingehalten worden sind. Tatsächlich hat Humboldt auf diese Weise einen großen Beitrag zur Entwicklung kleinmaßstäbiger Karten und der thematischen Kartographie geleistet. Er hat sich darüber hinaus stark um das Verständnis der Fakten bemüht. Alle Höhenmessungen sind von Humboldt eingehend analysiert worden, um bessere Vorstellungen über die Orographie, z. B. anhand der von ihm eingeführten Höhenprofile, und über die mittlere Geländehöhe eines Gebietes, Landes oder Kontinents zu erhalten. 6. Humboldt hat sich Zeit seines ganzen späteren Lebens ein reges Interesse an geodätischen Arbeiten anderer bewahrt. Er hat enge Beziehungen zu hervorragenden Geodäten gepflegt, insbesondere zum berühmten Königsberger Astronomen und Geodäten Friedrich Wilhelm Bessel und zu Johann Jakob Baeyer, dem Leiter der Trigonometrischen Abteilung im Preußischen Generalstab, später Begründer der Internationalen Erdmessung (1862) und des Preußischen Geodätischen Instituts (1870). Dieses Institut hat bedeutende Beiträge zur Entwicklung von Geodäsie und Geophysik geleistet. Es ist 1969 im heutigen Zentralinstitut für Physik der Erde der Akademie der Wissenschaften der D D R aufgegangen. Dem unmittelbaren Eingreifen Humboldts ist es zu verdanken, daß die preußischen und die russischen Triangulationsketten in den Jahren 1832 bis 1850 miteinander verbunden wurden. Er unterstützte in jeder Weise die Pendelbeobachtungen in Königsberg und Berlin und veranlaßte in Verbindung damit, daß eine genaue Bestimmung der Höhe von Berlin durch ein trigonometrisches Nivellement zwischen der Ostsee und Berlin durchgeführt wurde. Er interessierte sich lebhaft für Ebbe und Flut in der Ostsee. Auf seine Forderung hin wurden in allen Häfen an den preußischen Küsten permanente Pegelstationen eingerichtet. Die damals begonnenen Registrierungen sind heute eine wichtige Grundlage für die Erfassung rezenter Bewegungen der Erdkruste in Mitteleuropa. Diese Bewegungen gehören unbedingt zu denen, die von Geodäsie, Geophysik und Geologie nur gemeinsam erforscht werden können. 7. Ähnlich wie in der Geodäsie und in noch stärkerem Maße hat Alexander von Humboldt in der Geophysik ausgehend von eigenen Forschungsarbeiten zu relativ speziellen Problemen, die jedoch stets als Teil einer weitaus generelleren Zielstellung betrachtet wurden, die Entwicklung der gesamten Wissenschaftsdisziplin weit über seine eigene Tätigkeit hinaus beeinflußt und gefördert. Als eine seiner bedeutenden Leistungen hat Humboldt selbst die „Theorie der isothermen Linien" betrachtet. Tatsächlich hat er hiermit die Entwicklung der Klimatologie gefördert, die man heute sowohl zur Geographie wie auch zur Geophysik zählt. Durch vergleichende Betrachtungen der Witterungsbedingungen in den Tropen, in Europa und in Mittelasien erkannte er den Unterschied zwischen einem hypothetischen Klima, das lediglich von der Sonnenhöhe bestimmt wird, und dem realen Klima. Durch 74

seine Darstellung der Temperaturverteilung mit Hilfe von Isothermen, zeigte er, wie das Klima durch vieljährige Beobachtungen bestimmt und wie es in seiner regionalen Verteilung dargestellt werden kann. Unter dem Einfluß Humboldts befaßten sich die Meteorologen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorwiegend mit Fragen des Klimas. Ab der Mitte des Jahrhunderts mußten entsprechend den Forderungen der Schiffahrt wieder die eigentlichen meteorologischen Fragen aufgegriffen werden. Daran beteiligte sich Humboldt selbst nicht mehr. Er hat jedoch ganz wesentlich in indirekter Weise auch 'zur weiteren Entwicklung der Meteorologie beigetragen. Alexander von Humboldt hat dafür gesorgt, daß an den von ihm angeregten geomagnetischen Stationen im Russischen Reich ebenso wie in Großbritannien und seinen Kolonien neben den geomagnetischen auch regelmäßig meteorologische Beobachtungen durchgeführt wurden. Auf seine Initiative hin wurde 1847 das Preußische Meteorologische Institut in Berlin gegründet, das als Vorläufer des heutigen Meteorologischen Dienstes der D D R zu betrachten ist. 8. Zu seinen Arbeitsgebieten, die Alexander von Humboldt als wichtig und eigentümlich bezeichnet hat, gehören unbedingt „die Beobachtungen über den Geomagnetismus, welche die über den ganzen Planeten auf meine Veranlassung verbreiteten magnetischen Stationen zur Folge gehabt haben". Humboldt hat sich ab etwa 1795 über vier Jahrzehnte persönlich und gemeinsam mit anderen mit Fragen des Geomagnetismus befaßt. Am Anfang stehen vereinzelte Beobachtungen des Bergmanns an Basaltkuppen. Der Aufschwung beginnt mit der Übergabe von Geräten für die genaue Messung der Deklination, der Inklination und der Intensität des Magnetfeldes durch Borda vom Längenbüro in Paris an den zur Amerika-Reise aufbrechenden Humboldt mit der Anregung, die Lage des magnetischen Äquators zu bestimmen. Humboldt ist dieser Anregung nicht nur in Amerika gefolgt, sondern hat in der Folgezeit auch bei Reisen in Europa und ebenfalls während der russisch-sibirischen Reise zahlreiche Messungen ausgeführt. Bei der Auswertung erkannte er nicht nur die Änderung des Erdmagnetfeldes von Ort zu Ort, sondern auch die säkularen Veränderungen, die tagesperiodischen Veränderungen und den Zusammenhang mit den Polarlichtern. Zur Untersuchung der beiden letztgenannten Fragen hat er selbst in Berlin 1806/1807 und 1827/29 regelmäßig beobachtet. Mit sicherer Voraussicht strebte Alexander von Humboldt schon frühzeitig nach seiner Rückkehr gleichzeitige Beobachtungen an weltweit verteilten Stationen an. Seiner Anregung sind ab 1829 Kupffer in Rußland und ab 1836 Sabine in Großbritannien und dessen Kolonien gefolgt. Humboldt gelang es, eine internationale Zusammenarbeit für erdmagnetische Beobachtungen zu organisieren, einen Verein, der von 1829 bis 1834 bestand. Einen gleichgesinnten Partner fand Humboldt 1828 in dem bedeutenden Mathematiker, Astronomen, Geodäten und Physiker Carl Friedrich Gauß. Gauß gelang es gemeinsam mit Wilhelm Weber, in Form des sog. Göttinger Magnetischen Vereins in den Jahren 1834 bis 1841 eine wirklich weltweite Organisation zu gleichzeitigen magnetischen Beobachtungen zustandezubringen. Gauß befaßte sich vor allem eingehend mit instrumenteilen Fragen (absolute Meßmethode, 1834) und der Auswertung der Beobachtungen (Allgemeine Theorie des Erdmagnetismus, 1837) und erreichte dabei Lösungen, die Alexander von Humboldt nur schwer verständlich waren. Seit 1837 hat Humboldt keine weiteren eigenen Arbeiten zum Erdmagnetismus durchgeführt; er verfolgte jedoch bis an sein Lebensende mit Interesse die Arbeiten anderer Forscher auf diesem Gebiet. Die Arbeiten Humboldts zum Erdmagnetismus sind von weitreichender Wirkung in der gesamten Geophysik gewesen. Es wurden grundlegende wissenschaftliche Fragen aufgeworfen, mit denen sich die Zeitgenossen und die Nachfolger bis in die Gegenwart

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auseinanderzusetzen haben. Es w u r d e mit dem A u f b a u einer zielgerichteten internationalen Gemeinschaftsarbeit begonnen, die ihre Fortsetzung in den beiden Internationalen Polarjahren 1881/82 und 1931/32 f a n d und die noch spürbar w a r in dem großartigen Unternehmen des Internationalen Geophysikalischen J a h r e s 1957/58. D i e straff organisierte internationale geophysikalische Gemeinschaftsarbeit ist seitdem niemals w i e d e r aufgegeben worden. In der H e i m a t Humboldts w u r d e n die Forschungen zum Geomagnetismus nach einer Pause in seinem Geiste 1889 mit der Errichtung des Magnetischen Observatoriums in Potsdam w i e d e r begonnen. Sie w e r d e n bis heute ununterbrochen betrieben. 9. Humboldts Beiträge zur Physik des Erdinnern stehen in engem Zusammenhang mit seinen Arbeiten zur Geologie und über diese zur physischen Geographie. In jungen J a h r e n b e f a ß t e sich H u m b o l d t intensiv mit M i n e r a l i e n und Gesteinen und als Bergmann auch eingehend mit geologischen Problemen. Dadurch, d a ß er von seiner A m e r i k a - R e i s e eine Fülle sorgfältiger Beobachtungen von V u l k a n e n mitbrachte und damit den geringen Erfahrungsschatz der mitteleuropäischen Geologen entscheidend erweiterte, trug er wesentlich zum Sieg der Plutonisten über die von A b r a h a m Gottlob W e r n e r geführten Neptunisten bei. Ausgehend von seinen umfangreichen Beobachtungen in L a t e i n - A m e r i k a über die vulkanischen Erscheinungen und d a m i t verbundene Erdbeben hat Humboldt sich über viele J a h r e d a m i t befaßt, w i e diese zu erklären seien. Er hat Vorstellungen entwickelt, die in die Geschichte der Geotektonik, der V u l k a n o l o g i e und schließlich der Geophysik eingegangen sind. Er näherte sich dabei Vorstellungen Leopold von Buchs, die als Hypothese von den Erhebungskratern eine der ersten in der Gruppe der sogenannten magmatischen Theorien der- Geotektonik w a r . D e r wesentliche Beitrag zur E n t w i c k lung der Geowissenschaften besteht darin, d a ß im Erdinnern eine feurig-flüssige M a s s e angenommen w u r d e , die a k t i v auf die äußere Erdkruste einwirkt. Diese Vorstellung stimmt gut mit den Vorstellungen von K a n t und L a p l a c e über die Entstehung der E r d e überein. H u m b o l d t betrachtete die V u l k a n e als B e w e i s für die Existenz dieser feurigflüssigen M a s s e im Erdinnern. Er betonte die v e r t i k a l e Richtung des Einflusses auf die Erdkruste und begann mit Untersuchungen zum Chemismus sowie zum E i n f l u ß auf das K l i m a . A n seine Arbeiten über die V u l k a n e schließen die über die Erdbeben an. Er w a r einer der ersten, die sich nicht darauf beschränken, die Schadenswirkungen der E r d b e ben zu registrieren, sondern den sie begleitenden geologischen und physikalischen Erscheinungen nachspürten. H u m b o l d t w a r ein typischer Vertreter der Erdbebengeographie. Erst viele J a h r e nach seinem T o d , gegen E n d e des 19. Jahrhunderts, begann die auf ausreichend leistungsfähige Instrumente gestützte E n t w i c k l u n g der Seismologie im heutigen Sinne. Humboldt hat einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der V u l kanologie und der Seismologie mitgestaltet. Er hat dabei Vorstellungen über die Physik des Erdinnern entwickelt, die, natürlich wesentlich erweitert, bis in die G e g e n w a r t erhalten geblieben sind. Heute verfügen w i r in Form der sog. Plattentektonik über eine Vorstellung, die, w i e es bereits H u m b o l d t angestrebt hat, wesentliche Züge aller für die Geowissenschaften interessanten Erscheinungen aus einem dynamischen Erdinnern abzuleiten vermag. 10. Im vorliegenden Beitrag ist b e w u ß t auf biographische und bibliographische A n gaben zu A l e x a n d e r von H u m b o l d t verzichtet worden. Diese können der ausführlichen wissenschaftlichen Biographie in drei Bänden von K a r l Bruhns (erschienen 1872 bei Brockhaus in Leipzig) entnommen werden. Eine moderne, kurzgefaßte Biographie w u r d e 1983 in 3. A u f l a g e von Kurt-R. Biermann bei Teubner Leipzig veröffentlicht.

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Karl-Heinz Bernhardt

Alexander von Humboldts Auffassung vom Klima und seine Rolle bei der Gründung des Preußischen Meteorologischen Institutes

1. E i n l e i t u n g Probleme der Meteorologie spielen im wissenschaftlichen Lebenswerk Alexander von Humboldts, des Polyhistors der beschreibenden Naturforschung, eine tragende Rolle. Ungeachtet vielfältiger Einzelbeiträge zu Fragen der Physik der Atmosphäre - so zu den tagesperiodischen Luftdruckschwankungen, zur Temperaturabnahme mit der Höhe, zur Luftzusammensetzung, zur Hagelbildung und zu Problemen der atmosphärischen Strahlungsprozesse, der Optik und der Akustik der Atmosphäre [9, 26, 33] - galt seine Hauptaufmerksamkeit der Klimatologie. D a s entsprach zum einen seiner an Beobachtung und Messung orientierten, ausgeprägt empirischen Denk- und Arbeitsweise, die „beginnt mit Verallgemeinerung des Besondren, mit Erkenntnis der Bedingungen, unter denen die physischen Veränderungen sich gleichmäßig wiederkehrend offenbaren" und weiterleitet „zu der denkenden Betrachtung dessen, was die Empirie uns darbietet", wie es Humboldt [23, S. 10] selbst in der Einleitung zum dritten Band des „Kosmos" programmatisch formuliert hat. Zum anderen trat die Atmosphäre dem Geographen und Forschungsreisenden Humboldt vornehmlich als Komponente der von ihm studierten Naturräume gegenüber; als Bestandteil der Naturraumausstattung ist es aber die Atmosphäre in der statistischen Gesamtheit ihrer Zustände und Prozesse (einschließlich deren raum-zeitlicher Verteilung), d. h. das Klima, welches das permanente Wirken des Umweltfaktors Atmosphäre auf die anorganische und organische Natur, auf Pflanze, Tier und menschliche Gesellschaft vorrangig charakterisiert. E s war Humboldts erklärtes „Bestreben, die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere K r ä f t e bewegtes und belebtes Ganze aufzufassen" [22] was ihn bei der physischen Weltbeschreibung zwangsläufig zum Klimastudium führte: „ D i e beschreibende Botanik, nicht mehr in den engen Kreis der Bestimmung von Geschlechtern und Arten festgebannt, führt den Beobachter, welcher ferne Länder und hohe Gebirge durchwandert, zu der Lehre von der geographischen Vertheilung der Pflanzen über den Erdboden nach Maaßgabe der Entfernung vom Aequator und der senkrechten Erhöhung des Standortes. Um nun wiederum die verwickelten Ursachen dieser Vertheilung aufzuklären, müssen die Gesetze der Temperatur-Verschiedenheit der Klimate wie der meteorologischen Prozesse im Luftkreise erspähet werden. So führt den wißbegierigen Beobachter jede Classe von Erscheinungen zu einer anderen, durch welche sie begründet wird oder die von ihr abhängt" [22], In diesem Kontext einer dialektischen und naturwüchsig materialistischen Naturanschauung müssen Humboldts Beiträge zur Klimatologie verstanden werden, von denen hier die Einführung der Isothermen, die Klimadefinition und die Vorstellungen zur Klimagenese sowie Humboldts anregende Tätigkeit für die Einrichtung meteorologischer Stationsnetze und Institute herausgegriffen seien.

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2. D i e E i n f ü h r u n g der I s o t h e r m e n Die Einführung der isothermen Linien und im weiteren auch der isothermen Flächen sowie die Veröffentlichungsgeschichte der ersten schematischen Jahresisothermenkarte der Nordhalbkugel im Jahre 1817 sind in neuerer Zeit an anderer Stelle (z. B. [2, 6, 28]) ausführlich dargestellt worden. Ihre Bedeutung erschöpft sich nicht in der Begründung einer in Meteorologie und Geophysik seither allgemein üblichen Darstellungsweise, bei der Humboldt [20] auf eine „Methode . . . , welche noch nicht versucht worden w a r : obgleich der Vortheil, den sie gewährt, seit einem Jahrhunderte anerkannt ist in der Darstellung der Erscheinung der magnetischen Abweichung und Neigung (Declination und Inclination)" als Vorbild verweisen konnte [vgl. hierzu 16, 17]. Friedrich Engels zählte im ursprünglichen Entwurf der Einleitung zur „Dialektik der Natur" an sechster Stelle „das vergleichende Element in Anatomie, Klimatologie (Isothermen), Tier- und Pflanzengeographie (wissenschaftliche Reiseexpedition seit Mitte 18. Jahrhunderts), überhaupt physikalischer Geographie (Humboldt), das Zusammenbringen des Materials in Zusammenhang" [10, S. 4 6 5 - 6 6 ] zu den „Breschen", die in die „konservative Naturanschauung sowohl im Anorganischen wie im Organischen" geschlagen wurden, welche die „erste Periode der neueren Naturwissenschaft", die „Periode der Bewältigung des gegebnen Stoffs" gekennzeichnet hatte. Engels hatte mit seiner Bemerkung offenbar den engen Zusammenhang zwischen dem „vergleichenden Element" in der Klimatologie und der „Vergleichung der Lebensformen untereinander, von Untersuchung ihrer geographischen Verbreitung, ihren klimatologischen etc. Lebensbedingungen" [10, S. 314] im Sinn, und in der Tat ist dieser Gedanke, der Humboldts klimatologische Arbeiten durchzieht, auch in der Abhandlung von den isothermen Linien enthalten, wenn es heißt: „Ist die Rede von dem organischen Leben der Pflanzen und Thiere, so muß man alle Reize oder äußeren Antriebe prüfen, welche ihre Lebensthätigkeiten modificieren. Die Verhältnisse zwischen den Mittel-Temperaturen der Monate reichen nicht hin, um das Klima bestimmt zu bezeichnen. Sein Einfluß besteht aus der gleichzeitigen Wirksamkeit aller physischen Kräfte; und er hängt gleichmäßig ab von der Wärme, der Feuchtigkeit, dem Lichte, der electrischen Spannung der Dünste und dem wechselnden Luftdrucke" [20, S. 270]. Und im ersten Band des „Kosmos" wird ausgeführt [22, S. 5 5 - 5 6 ] : „Der höchste Zweck der p h y s i s c h e n E r d b e s c h r e i b u n g ist aber, wie schon oben bemerkt worden, Erkenntniß der Einheit in der Vielheit, Erforschung des Gemeinsamen und des inneren Zusammenhanges in den tellurischen Erscheinungen. . . . So ist es die Aufgabe der physischen Geographie, nachzuspüren, wie auf der Oberfläche der Erde sehr verschiedenartige Formen, bei scheinbarer Zerstreuung der Familien und Gattungen, doch in geheimnißvoller genetischer Beziehung zu einander stehen (Beziehungen des gegenseitigen E r s a t z e s und A u s s c h l i e ß e n s ) , wie die Organismen, ein tellurisches Naturganze bilden, durch Athmen und leise Verbrennungs-Processe den Luftkreis modificiren und, vom Lichte in ihrem Gedeihen, ja in ihrem Dasein prometheisch bedingt, trotz ihrer geringen Masse, doch auf das ganze äußere Erde-Leben (das Leben der E r d r i n d e ) einwirken." Die letztzitierten Worte verweisen weit vorausschauend auf die aktive Rolle der Biosphäre für Klimabildung und Klimaänderung auf einem belebten Planeten, wie sie im Einfluß der Pflanzendecke auf die Strahlungs-, hygrischen und thermischen Eigenschaften der Unterlage, vor allem aber in der Stellung der Biosphäre im bio-geochemischen Zyklus begründet liegt, der die atmosphärischen Haupt- und Spurengase einschließt. Wenn nach heutigen Erkenntnissen der freie Sauerstoff der Atmosphäre und damit

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auch die stratosphärische Ozonschicht nicht nur Existenzbedingung der Biosphäre in ihrer gegenwärtigen Gestalt, sondern zugleich Produkt der Lebenstätigkeit autotropher Organismen - beginnend mit den Blaualgen vor etwa 2,7 • 10 9 Jahren - ist, so wird deutlich, in welchem Maße die moderne geowissenschaftliche Forschung das Bild der Dialektik der Natur auf dem Planeten Erde um faszinierende Züge der Wechselwirkung zwischen belebter und unbelebter Materie bereichert hat. (Man vergleiche z. B. die Darstellungen bei [29, 2, 7, 24].) „Je tiefer man eindringt in das Wesen der Naturkräfte, desto mehr erkennt man den Zusammenhang von Phänomenen, die lange, vereinzelt und oberflächlich betrachtet, jeglicher Anreihung zu widerstreben schienen; desto mehr werden Einfachheit und Gedrängtheit der Darstellung möglich" [22, S. 3 0 - 3 1 ] , Humboldt hat diesen Wesenszug der Naturforschung seiner Zeit nicht nur erkannt, sondern nach Kräften befördert - auch mit seinen Arbeiten klimatologischen Inhalts, denen er selbst einen hohen Rang in seinem Lebenswerk beimaß. So nannte er in einem Brief an den Verleger G. v. Cotta vom 30. 4. 1850 die „Lignes isothermes" die „ausgezeichnetste" seiner Arbeiten, und in einem weiteren Brief vom 31. 10. 1854 führte er als die drei „wichtigsten und eigentümlichsten" seiner Arbeiten die Geographie der Pflanzen und das damit verbundene Naturgemälde der Tropenwelt, die Theorie der isothermen Linien sowie die Beobachtungen über den Geomagnetismus [vgl. 6] an. Humboldts erkenntnisoptimistische Naturanschauung, der zugleich jegliche Vorstellung von einer Beschränktheit des Erkenntnisgegenstandes fremd war, ermöglichte ihm bemerkenswerte Voraussichten künftiger wissenschaftlicher Entwicklungen, so wenn es im Anschluß an die oben zitierte Passage aus dem „Kosmos" weiter heißt: „Es ist ein sicheres Criterium der Menge und des Werthes der Entdeckungen, die in einer Wissenschaft zu erwarten sind, wenn die Thatsachen noch unverkettet, fast ohne Beziehung auf einander dastehen, ja wenn mehrere derselben, und zwar mit gleicher Sorgfalt beobachtete, sich zu widersprechen scheinen. Diese A r t der Erwartungen erregt der Zustand der Meteorologie, der neueren Optik und besonders . . . der Lehre von der Wärmestrahlung und vom Electro-Magnetismus. Der Kreis glänzender Entdeckungen ist hier noch nicht durchlaufen . . . " [22, S. 31]. Die Maxwellsche Theorie des Elektromagnetismus und letztlich Plancks Ableitung des Gesetzes der Wärmestrahlung sollten Humboldts Zukunftserwartungen auf das glänzendste bestätigen, nicht minder auch die weitere Entwicklung der Meteorologie, die in der Thermohydrodynamik eine sichere theoretisch-physikalische Grundlage fand und mit der Einrichtung weltweiter Beobachtungs- und Nachrichtensysteme Zugriff zu einem globalen Datenmaterial gewann. 3. H u m b o l d t s K l i m a b e g r i f f Die berühmte Klimadefinition von Humboldt 1831 [21], nur wenig verändert im „Kosmos" [22, S. 340] wiederholt, wurzelt wiederum in Humboldts Einsicht in die Bedeutung des Klimas für das organische Leben. Bereits in der ersten Abhandlung Humboldts, die nach seinen vorangegangenen geologisch-mineralogischen, montanwissenschaftlichen, physikalisch-chemischen und physiologischen Studien den „Luftkreis" zum Gegenstand hatte, findet sich die Feststellung: „Von einem elastischen Medium umgeben, gleichsam auf dem Boden des grenzenlosen Luftmeeres, werden unsere Organe von jeder Veränderung dieses Mediums affiziert. Die meteorologischen Instrumente können allein den Totaleindruck zerlegen, den wir empfangen" [19] (zitiert nach [14, S. 63]). Die spätere Begriffsbestimmung des Klimas durch „alle Veränderungen in der Atmo-

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Sphäre, von denen unsere Organe merklich affiziert werden", ist in ihrer Bezugnahme auf (von H u m b o l d t im folgenden aufgezählte) physikalisch definierte und quantifizierbare Parameter präziser, als es zeitgenössische Klimadefinitionen von Schouw oder Kämtz waren, die die Klimatologie als geographische Meteorologie, als Lehre von der geographischen Verbreitung der Witterungserscheinungen (vgl. [34, S. 154]) auffaßten. Im Vergleich zu zahlreichen Klimadefinitionen nachfolgender Autoren mit ihrer oft einseitigen Orientierung auf Mittelwerte, auf mittlere atmosphärische Zustände und durchschnittliche Witterungsverläufe läßt Humboldts Terminus „Veränderungen" eine allgemeinere Interpretation zu. D i e ausdrückliche Beschränkung des Klimabegriffes auf solche Elemente, „die unsere Organe merklich affizieren", hat zwar bis in unser Jahrhundert namhafte Nachfolger unter Geographen (L. S. Berg) und Klimatologen (W. Koppen) gefunden, ist aber als Definitionsprinzip zweifellos zu eng, existierten und existieren doch unzweifelhaft statistische Ensemble atmosphärischer Zustände wie im atmosphärischen Lebensraum, so auch vor der Entstehung des Lebens auf der E r d e , in unbewohnbaren und unbelebten Regionen der Lufthülle sowie auf anderen Planeten (vgl. auch [3]). 4. V o r s t e l l u n g e n H u m b o l d t s z u r K l i m a g e n e s e Die moderne Auffassung vom Klima betont dessen Systemcharakter, wie er etwa in der schematischen Darstellung des „klimatischen Systems" bei Flohn [13], in der Charakterisierung der Klimatologie als einer nicht nur atmosphärischen, sondern im weiteren Sinne geophysikalischen Wissenschaft durch den gleichen Autor [11, 12] oder in der Definition des Klimas als deá statistischen Ensembles der Zustände zum Ausdruck kommt, die das System Ozean - Festland - Atmosphäre im Zeitraum einiger Jahrzehnte durchläuft [30]. Bemerkenswerterweise hat H u m b o l d t die Genese des Klimas aus der Wechselwirkung von Atmosphäre, Ozean und Festlandsoberfläche umrissen, wenn es im „Kosmos" noch vor der oben erwähnten Begriffsbestimmung des Klimas heißt: „Beide Umhüllungen des Planeten, L u f t und Meer, bilden e i n N a t u r g a n z e s , welches der Erdoberfläche die Verschiedenheit der Klimate giebt: nach Maaßgabe der relativen Ausdehnung von Meer und Land, der Gliederung und Orientierung der Feste, der Richtung und Höhe der Gebirgsketten. Aus dieser Kenntniß der gegenseitigen Einwirkung von L u f t , M e e r und L a n d ergiebt sich, d a ß große meteorologische Phänomene, von geognostischen Betrachtungen getrennt, nicht verstanden werden können. D i e Meteorologie, wie die Geographie der Pflanzen und Thiere haben erst begonnen einige Fortschritte zu machen, seitdem man sich von der gegenseitigen Abhängigkeit der zu ergründenden Erscheinungen überzeugt hat. D a s W o r t K l i m a bezeichnet allerdings zuerst eine specifische Beschaffenheit des Luftkreises; aber diese Beschaffenheit ist abhängig von dem perpetuirlichen Z u s a m m e n w i r k e n einer all- und tiefbewegten, durch Strömungen von ganz entgegengesetzter Temperatur durchfurchten M e e r e s f l ä c h e mit der wärmestrahlenden t r o c k n e n E r d e , die mannigfaltig gegliedert, erhöht, gefärbt, nackt oder mit W a l d und Kräutern bedeckt ist" [22, S. 304]. Bereits in der im zweiten Abschnitt zitierten Arbeit über die isothermen Linien hatte Humboldt bei der Unterscheidung von solarem und wirklichem Klima die „fremdartigen Ursachen" näher beschrieben, die zusätzlich zum Einfall der Sonnenstrahlung das Klima eines Ortes bestimmen: „Zu diesen Ursachen rechnen wir: das durch die W i n d e hervorgebrachte Gemisch der Temperaturen verschiedener Breiten; die Nachbarschaft der Meere, welche ungeheure Behälter einer wenig veränderlichen W ä r m e sind; die Neigung, chemische Beschaffenheit, Farbe, Strahlung und Ausdünstung des Bodens; die

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Richtung der Gebirgsketten, welche das Spiel der niedersteigenden Luitströme begünstigen oder Schutz gegen erkältende Winde gewähren; die Gestalt der Länder, ihre Masse und ihre Horizontal-Ausdehnung gegen die Pole hin; die Schneemenge, die sie während des Winters bedeckt; ihre Temperatur-Zunahme und Reverberation in der Sommerzeit; endlich jene Eismassen, welche gleichsam pol-umgebende Festländer bilden, wandelbar in ihrer Ausdehnung: deren abgesonderte Teile, von den Meeresströmungen fortgerissen, auf das Klima der gemäßigten Zone merklich wirken." [20, S. 212 bis 213], Humboldts Klimaauffassung, über mehrere Lebensjahrzehnte in Wechselbeziehung mit seinen „geognostischen", pflanzenphysiologischen und -geographischen sowie länderkundlichen und regional-klimatologischen Forschungen gereift, enthält also zwei wesentliche Komponenten: das Klima als Resultat der miteinander wechselwirkenden Untersysteme Atmosphäre, Ozean, Meereis und Festland einschließlich Schnee- und Eisbedeckung sowie Biosphäre im solaren Strahlungsfeld - und das K l i m a als ständig wirkender Einflußfaktor auf das Tier- und Pflanzenleben sowie auf den Menschen. 5. H u m b o l d t und die G r ü n d u n g des Preußischen M e t e o r o l o g i s c h e n Instituts Humboldt, für den „der materielle Reichtum und der wachsende Wohlstand der Nationen in einer sorgfältigeren Benutzung von Naturproducten und Naturkräften gegründet" war und der daher eine „ernste Belebung chemischer, mathematischer und naturhistorischer Studien" [22, S. 35-36] forderte, argumentierte aus der Einsicht in die Bedeutung von Witterung und K l i m a für die landwirtschaftliche Produktion, aber auch bereits mit dem Gedanken an mögliche anthropogene Einflüsse auf das Klimaregime für regelmäßige meteorologische Beobachtungen in Preußen und für die Gründung einer entsprechenden zentralen staatlichen Einrichtung. Freilich beschränkte er sich dabei auf den „ersten Anstoß" und auf „Rathschläge", wie er in einem Brief aus dem Jahre 1846 selbst erklärte und als Begründung seine „Lage vor dem König", eigene literarische Arbeiten, sein hohes Alter und seinen „Abscheu vor Correspondenz" geltend machte (vgl. [25]). Für die historische Wertung von Humboldts wissenschaftsorganisatorischen Anregungen zur Einrichtung meteorologischer Stationsnetze ist zu beachten, daß zwar erste derartige Bestrebungen bis in das 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden können (z. B. [18, 8]), all diesen Bemühungen aber ein dauerhafter Erfolg versagt geblieben war, mochten sie nun in der Anlage regional großzügig - wie das berühmte Beobachtungsnetz der Societas Meteorologica Palatina (1781-1792) - oder räumlich eng begrenzt gewesen sein wie die von Goethe im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach a b 1821 ins Leben gerufenen „Anstalten für Witterungskunde" [32], Humboldt nun verwies bereits in einem Brief vom 13. August 1844, in welchem er den ihm befreundeten Statistiker und Nationalökonomen Dieterici (1790-1859) zu dessen Ernennung zum Direktor des Königlichen Statistischen Bureaus beglückwünschte, auf die Bedeutung von Temperatur- und Regenmessungen „für den Ackerbau und die Schiffahrt", und fuhr dann fort: „An vielen Punkten wird schon beobachtet aber nicht berechnet, und alles bleibt in Tagesschriften zerstreut. In welchem Lande spricht man mehr von Wassermangel, Seichterwerden der Flüsse u. s. w., und wo im Preussischen Staate wird Regen gemessen? nicht einmal in Berlin! Viele haben die tiefste Verachtung für diese neuen Hauptelemente der Beurteilung von Dürre, Misswachs, Verschiedenheit der Kornpreise, Anwendung auf Schiffahrt - und doch ist ohne Geld nichts, gar nichts zu thun! D i e Person, 6

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welche von solchen Dingen am meisten weiss, sich enthusiastisch ihnen widmen möchte M a h l m a n n - stirbt vor Hunger, da den unglücklichen jungen Mann eine Halsschwindsucht gezwungen hat, die kleine innegehabte Schulstelle aufzugeben. Wenn man diesen M a h l m a n n , der die herrlichen Tabellen über Temperatur herausgegeben (eine Arbeit, wie sie keine Nation aufzuweisen hat), doch in einem Bureau beschäftigen könnte, wo er 300 Thlr. gewänne! Aber zu allem gehören Fonds!" (zitiert nach [15]) Dicterici setzte sich daraufhin mit W . Mahlmann (1812-1848) in Verbindung, der einen Plan für die Organisation der meteorologischen Beobachtungen sowie eine erste Instruktion entwarf, worauf Dieterici unter dem 17. Dezember 1845 ein Memorandum an den Präsidenten des Handelsamtes, v. Rönne, richtete. In einem Begleitschreiben verwies Humboldt auf den „innigen Zusammenhang, in dem unläugbar alle klimatischen Veränderungen und meteorologischen Prozesse mit den Kornpreisen und einem grossen Theile der Gewerbe stehen", um weiter auszuführen: „Wärme und Feuchtigkeit sind die wichtigsten Elemente des Pflanzenlebens und, ohne numerische Angaben des Maasses ihrer Veränderungen in verschiedenen Jahren, den Küsten nahe, oder im Innern des ebenen oder bergigen Landes, ist alles Raisonnement über die Ursachen des Misswachses ein leeres Gespräch. In keiner Region wird soviel über Dürre geklagt, als bei uns, und im ganzen Deutschland sind Regenmessungen häufiger, als in dem Preussischen Staate. . . . Unvorsichtige Entholzung der Höhen hat nicht blos, wie genaue Pegelmessungen und Berechnungen des Professor B e r g h a u s lehren, seit 40 Jahren die Wassermengen der Oder, der Elbe und des Rheins gleichmässig verändert, es hat durch Kultur des Bodens die allgemeine Luftfeuchtigkeit abgenommen" [15]. Neben dem deutlichen Hinweis auf das Zurückbleiben bei der Durchführung und Bearbeitung meteorologischer Messungen in Preußen, wobei Humboldt gegenüber der verbreiteten Überbetonung des thermischen Faktors die Bedeutung der Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse für die Landwirtschaft betont, ist der Gedanke an eine mögliche anthropogene Beeinflussung des Klimaregimes besonders interessant und aktuell. Nach einem Verweis auf mehrjährige Beobachtungsreihen in Frankreich, Belgien sowie im Staat New York heißt es: „In dem weiten Russischen Reiche ist $eit 1830 auf meinen Vorschlag ein grosses meteorologisches Institut zustande gekommen, dessen Central-Bureau in Petersburg ist und das neben den magnetischen Beobachtungen, von Nertschinsk und dem Baikal-See bis Moskau, von Aabo bis Odessa und Astrachan, in zahlreichen Stationen Luftdruck, Temperatur, Feuchtigkeit der Luft und Regenmenge beobachten lässt. In Berlin hat im ganzen vorigen Jahre mit eisernem Fleisse der sehr verdienstvolle Buchhalter S c h n e i d e r (Magazinstrasse 17) jeden Tag 5 mal Thermometer, Barometer, Windrichtung und das August'sche Psychrometer zur Berechnung der Luftfeuchtigkeit beobachtet und mit der Sterblichkeit in jedem Alter und beiderlei Geschlechtern zusammengestellt. Die medicinische Topographie von Berlin, die wegen Mangel meteorologischer Beobachtungen sehr im Argen liegt, kann aus einer solchen Arbeit erst Resultate ziehen, wenn der Staat dieselbe 10 bis 15 Jahre hinter einander unterstützt. Es ist hier einer der glücklichen Fälle, wo die Erweiterung wissenschaftlicher Kenntnisse unmittelbar mit dem practischen Nutzen für Ackerbau, Gewerbe und Medicinalwesen zusammen hängt. Der erwartete „practische Nutzen für Ackerbau, Gewerbe und Medicinalwesen" also stand am Beginn der Institutionalisierung der Meteorologie in Berlin, die mit der Gründung des Preußischen Meteorologischen Instituts als wissenschaftlicher Abteilung des Statistischen Bureaus durch königliche Kabinettsorder vom 17. Oktober 1847 Wirklichkeit wurde. Nach dem Tod des ersten Direktors, Mahlmann, auf einer Inspektionsreise am 8. De82

zember 1848 wurde im Jahre 1849 dem Ordinarius für Physik an der Berliner Universität, H. W . Dove (1803-1879), die Stelle eines „wissenschaftlichen Beirathes bei dem mit dem statistischen Bureau verbundenen meteorologischen Institute" als Nebenamt übertragen. Im Anschluß an ein mehrjähriges Interregnum nach dem Ableben Doves trat 1885 W . v. Bezold (1837-1907), zugleich mit der Berufung zum ersten ordentlichen Professor für Meteorologie an der Universität Berlin, an die Spitze des Instituts, das, reorganisiert, bis zum Jahre 1934 bestand. Mit dieser Entwicklung ist ein weiterer Wesenszug in der Geschichte der Berliner Meteorologie verbunden, der schon über Humboldts unmittelbares Wirken hinausweist - ihr Beitrag zur mathematisch-physikalischen Fundierung dieser Wissenschaftsdisziplin als exakter Wissenschaft. Daran hatten neben den Lehrstuhlinhabern der Meteorologie, die zugleich Direktoren des Preußischen Meteorologischen Instituts waren, das auch Lehrzwecken der Universität diente, Berliner Physiker hervorragenden Anteil, allen voran H. v. Helmholtz (1821 bis 1894), wie an anderer Stelle ausführlich dargelegt [1], Mit seinem Hinweis auf das „große meteorologische Institut in dem weiten Russischen Reiche" in dem oben wiedergegebenen Schreiben nimmt Humboldt auf seine fördernde Rolle bei der Errichtung des Physikalischen Hauptobservatoriums in Petersburg Bezug, aus dem später das Geophysikalische Hauptobservatorium (GGO) in Leningrad hervorging, heute eine der führenden meteorologischen Forschungseinrichtungen der UdSSR und der Welt. Allerdings hat Humboldt, so mit seinem Vortrag vor der Petersburger Akademie der Wissenschaften am 28. (16.) November 1829 und mit Briefen an Nikolaus I. bzw. dessen Finanzminister, Graf Cancrin, im Jahre 1839 und später nur bereits bestehende Vorstellungen und Pläne fortschrittlicher russischer Gelehrter, besonders A . A . Kupffers (1799-1865), tatkräftig unterstützt, die endlich im Jahre 1849 mit der Gründung des genannten Observatoriums ihre Verwirklichung fand (vgl. [31, 5 ] ) . Das Zusammenwirken Alexander von Humboldts mit progressiven russischen Naturforschern hat auch auf dem Gebiet der Meteorologie eine Tradition begründet, die über hoffnungsvolle Anfänge deutsch-sowjetischer Wissenschaftsbeziehungen in der Zeit der Weimarer Republik in die vielseitige und enge Zusammenarbeit zwischen den Meteorologen der UdSSR und der D D R im Rahmen der Meteorologischen Dienste, der K A P G und der Interkosmos-Kooperation mündete; die gemeinsame Teilnahme an Hochsee-, Gebirgs- und Polarexpeditionen bis hin zum benannten Raumflug markiert Beiträge zur Entwicklung der „Physique du Monde" im besten Humboldtschen Sinne. Und auch der Bereich Meteorologie und Geophysik an der Berliner Universität, die seit dem Gründungsjahr der D D R den Namen der Gebrüder Humboldt trägt, setzt mit seinen Arbeiten zur Klimaforschung, zur Physik der troposphärischen Grenzschicht als des unmittelbaren atmosphärischen Lebensraumes einschließlich der anthropogenen Modifikation der Atmosphäre im Bereich von Großstädten und industriellen Ballungsgebieten, die der Vertiefung der wissenschaftlichen Grundlagen für die Versorgung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft mit meteorologischen Informationen dienen, zugleich Traditionen des Humboldtschen Lebenswerkes auf dem Gebiet der Wissenschaft von der Atmosphäre fort.

Literatur [1] B e r n h a r d t , K . : D e r Beitrag Hermann v o n Helmholtz' zur Physik der A t m o s p h ä r e . W i s s . Z. H u m b o l d t - U n i v . Berlin, math.-nat. Reihe 2 2 ( 1 9 7 3 ) , 3 3 1 - 3 4 0 . [2] Bernhardt, K . : G l o b a l e physikalische Prozesse und G e s e l l s c h a f t . W i s s . Z. H u m b o l d t - U n i v . B e r lin, math.-nat. Reihe 2 7 ( 1 9 7 8 ) , I - X V I I .

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Wolfgang Mündt

Aktualität und Bedeutung Alexander von Humboldts Arbeiten zum Geomagnetismus

1. E i n l e i t u n g Das Wirken Alexander von Humboldts war so breit und erfolgreich zugleich, daß es nicht leicht fällt, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. Auch in vielen Publikationen, in denen Darstellungen und Interpretationen seines Schaffens gegeben werden, vermitteln kein eindeutiges Bild [1, 2, 3, 4, 5, 14]. So ist es sicherlich legitim, Humboldt selbst über sein wissenschaftliches Schaffen urteilen zu lassen. In einem Brief an den Verleger Georg von Cotta schrieb er 1854 als Fünfundachtzigjähriger: „Der wichtitigen und eigentümlichen Arbeiten von mir gibt es nur drei: - die Geographie der Pflanzen und das damit verbundene Naturgemälde der Tropenwelt, - die Theorie der isothermischen Linien und - die Beobachtungen über den Geomagnetismus, welche die über den ganzen Planeten auf meine Veranlassung verbreiteten magnetischen Stationen zur Folge gehabt haben" [12]. Würdigungen der geomagnetischen Arbeiten Alexander von Humboldts, von Geomagnetikern vorgenommen, sind bisher kaum zu finden. Ausnahmen stellen die Einschätzungen von Sydney Chapman und Otto Schneider dar, die vor mehr als 20 bzw. 30 Jahren verfaßt wurden [6, 7]. Es erscheint daher nützlich, Humboldts Spuren in der geomagnetischen Forschung sowie deren Bedeutung für die Entwicklung dieses Wissenschaftsgebietes aus heutiger Sicht zu beleuchten. 2. A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t s A k t i v i t ä t e n 2ur E r f o r s c h u n g des G e o m a g n e t i s m u s Beschäftigt man sich mit den geomagnetischen Aktivitäten Alexander von Humboldts, so stellt man fest, daß er sich über einen Zeitraum von 60 Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen und mit wechselnder Intensität, mit geomagnetischen Fragen befaßt hat [1, 2, 3, 4, 8, 9, 10, 11, 12, 13]. Humboldt kam mit dem Geomagnetismus erstmals in Kontakt, als er im Jahre 1796 auf einer kurzen Reise in das Fichtelgebirge an den Gesteinen des Haidberges bei Gefrees permanenten Magnetismus entdeckte. Seine letzte Handlung in Sachen Geomagnetismus geht wohl auf das Jahr 1857 zurück. Der damals 88jährige Humboldt wies die an der österreichischen Weltumseglung mit der „Novara" beteiligten Wissenschaftler auf die Beobachtung der „Wanderung der magnetischen Kurven" hin, da er die magnetische Säkularvariation in der Deklination und deren Bedeutung für die Schiffahrt und die Entschleierung des Wesens des geomagnetischen Feldes klar erkannt hatte. In den Jahren zwischen den hier erwähnten Aktivitäten leistete Humboldt Beiträge zu einer ganzen Anzahl von Problemkreisen der geomagnetischen Forschung, die auch heute noch Gegenstand intensiver Untersuchungen sind. Dazu gehören die Anomalien des erdmagnetischen Feldes, die kurzzeitigen Variationen, die geomagnetische Säkularvariation sowie der Gesteinsmagnetismus und Paläomagnetismus. Um diese

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Beiträge richtig einordnen zu können, erscheint es günstig, sie in kurzgefaßter Form chronologisch darzustellen. M i t der meßtechnischen Erfassung der Komponenten und Elemente des geomagnetischen Feldes w u r d e A l e x a n d e r von Humboldt im J a h r e 1798 in Paris durch den französischen Physiker und M a t h e m a t i k e r J e a n Charles B o r d a näher vertraut gemacht, nachdem er schon 1797 in der Gegend von Salzburg eigene magnetische Messungen vorgenommen hatte. B o r d a führte in Paris Messungen der magnetischen Deklination sowie Intensitätsmessungen durch, leitete H u m b o l d t bei diesen Messungen an und weckte damit in ihm großes Interesse für dieses Forschungsgebiet. So ist es nicht verwunderlich, d a ß Humboldt auf seiner großen amerikanischen Forschungsreise von 1799 bis 1804 Messungen der Deklination, der Inklination und der Vertikalintensität zu seinen H a u p t a u f g a b e n zählte. Auf der G r u n d l a g e der so gewonnenen Daten wies Humboldt gemeinsam mit Biot vor der Pariser A k a d e m i e im Dezember 1804 nach, d a ß die Intensität des geomagnetischen Feldes vom magnetischen Ä q u a tor zu den magnetischen Polen hin zunimmt, eine Erscheinung, die, w i e w i r heute wissen, auf die Vorherrschaft des Dipolanteiles an der Struktur des magnetischen E r d f e l d e s zurückgeht. Humboldt w a r dieser systematischen Variation auch in der Folgezeit weiter auf der Spur. So hielt er sich 1805 gemeinsam mit Gay-Lussac und weiteren Freunden w i e von Buch und O'Etzel über 6 M o n a t e in Italien auf und führte an mehreren Orten Inklinationsbeobachtungen durch. Auch auf seiner Rückreise von Italien über die Schweiz nach Deutschland nutzte H u m b o l d t die Zwischenstationen zu geomagnetischen Messungen. Die Ergebnisse dieser A k t i v i t ä t e n hat er 1807 in geschlossener Form veröffentlicht. D a mit leistete A l e x a n d e r von Humboldt beachtliche Beiträge zur Erforschung der r ä u m l i chen Struktur des geomagnetischen Feldes, die er auf späteren Meßreisen noch bedeutend erweitert hat. Nach seiner Rückkehr nach Berlin E n d e 1805 w i d m e t e sich A l e x a n d e r von Humboldt, unterstützt von einem kleinen Forscherkollektiv, dem u. a. ein Astronom, ein Geophysiker und ein Geologe angehörten, nun der Untersuchung der zeitlichen Variationen des geomagnetischen Feldes. Von 1806 bis 1807 w u r d e n e t w a 6 000 Messungen der Deklination in Stundenintervallen durchgeführt und d a m i t eine gute G r u n d l a g e zur Erforschung der regelmäßigen Variationen sowie der geomagnetischen Stürme geschaffen. Offensichtlich entstanden schon w ä h r e n d dieser Zeit, ausgelöst durch die Ergebnisse der Beobachtungen, erste Pläne, Variationsmessungen an mehreren Orten gleichzeitig durchzuführen, um die Natur dieser Schwankungen und auch ihren Zusammenhang mit Polarlichtern zu klären. W ä h r e n d seines fast 20jährigen Aufenthalts in Frankreich ( 1 8 0 7 - 1 8 2 7 ) w u r d e H u m boldts Interesse am Geomagnetismus vor a l l e m durch seine Kontakte zu dem Physiker und Astronomen Francois A r a g o bestimmt. Dieser führte seit längerer Zeit stündliche Beobachtungen der geomagnetischen Variationen durch und überzeugte H u m b o l d t am Beispiel der Messungen in Paris und Kasan von dem W e r t gleichzeitiger, abgestimmter Beobachturigen an verschiedenen Orten. 1817 w a r e n beide in E n g l a n d , wobei A r a g o in Gegenwart Humboldts bei Messungen am berühmten Greenwicher Hügel ein Phänomen entdeckte, das 1825 als Rotationsmagnetismus, 1831 durch F a r a d a y aber als Induktion erklärt w u r d e . Nach seiner Rückkehr nach Berlin im M a i 1827 betrachtete es H u m b o l d t als eine seiner wichtigsten A u f g a b e n , die stündlichen geomagnetischen Beobachtungen der J a h r e 1806/07 w i e d e r aufzunehmen bzw. die Veränderungen in den geomagnetischen Elementen und Komponenten seit 1827 zu bestimmen. Gleichzeitig nutzte er seine wissen-

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schaftliche Autorität, um andere für geomagnetische Messungen zu begeistern. Seine Bemühungen führten zur Beteiligung des Freiberger Physikers F. Reich mit Messungen unter T a g e , weiterhin zu Messungen des Franzosen Boussingault in Kolumbien und W r a n g e i s in A l a s k a , weiter zu geomagnetischen Beobachtungen auf der K r i m , auf K u b a und auf Island. Auch auf seiner russisch-sibirischen Reise im J a h r e 1829 w a r A l e x a n d e r von H u m boldt mit geomagnetischen M e ß g e r ä t e n ausgestattet. Er benutzte, w i e auch schon früher, eine Gaipbey'sche Bussole in einer Konstruktion von B o r d a zur Inklinationsmessung, weiterhin ein Deklinatorium sowie einen Oszillationsapparat für Intensitätsmessungen. Ein eisenfreies Zelt schützte vor Sonne, W i n d und anderen störenden meteorologischen Einflüssen. Neben eigenen magnetischen Messungen, unter anderem an einem Ort mit verschwindender Deklination (D = o), w a r es sein Ziel, in R u ß l a n d das Interesse für vergleichende geomagnetische Beobachtungen zu wecken. D a b e i stellte er in Moskauer Archiven fest, d a ß Leibniz bereits über 100 J a h r e früher versucht hatte, den Zaren Peter I. zu bewegen, sowohl im europäischen als auch asiatischen Teil seines Herrschaftsgebietes Deklinations- und Inklinationsmessungen durchführen zu lassen. Humboldts Bemühungen trafen sich mit den Interessen von K u p f f e r , der für die K a s a ner Messungen verantwortlich w a r und die Errichtung eines Physikalischen Z e n t r a l l a boratoriums - heute würden w i r von einem Hauptobservatorium sprechen - , in Petersburg anstrebte. 1830 konnte H u m b o l d t mit Genugtuung feststellen, d a ß die Linie geomagnetischer Stationen bereits von S ü d a m e r i k a über Europa bis nach China reichte. 1831 sandte A l e x a n d e r von Humboldt einen Brief an W i l h e l m W e b e r nach Göttingen mit dem Ziel, Göttingen in das Netz der geomagnetischen Stationen einzubeziehen. Er hatte bereits 1828 bei G a u ß , als dieser ihn in Berlin besuchte, das Interesse am Geomagnetismus neu belebt, w u ß t e aber nicht, d a ß G a u ß und W e b e r bereits gemeinsam begonnen hatten, sich mit geomagnetischen Untersuchungen zu befassen, die M e ß instrumente zu verbessern sowie die theoretischen G r u n d l a g e n auszubauen. In der Folgezeit entwickelte G a u ß eine neue Methode zur absoluten Bestimmung der geomagnetischen Horizontalintensität, er verfeinerte das D e k l i n a t o r i u m und das Variometer für die Deklination, führte das Bifilarmagnetometer zur Messung der Variationen der Horizontalintensität ein, untersuchte das Inklinatorium und bereicherte die geomagnetische Meßtechnik durch den Induktor. A u ß e r d e m führte er ein neues Prinzip der Messung physikalischer Größen durch die Schaffung des absoluten M a ß s y s t e m s in die Physik ein, l i e ß 1832/33 auf dem G e l ä n d e der Göttinger Sternwarte ein eisenfreies H a u s für die geomagnetischen Beobachtungen errichten, verbesserte das Prinzip der H u m b o l d t schen „Terminbeobachtungen" und gründete gemeinsam mit W e b e r den „Göttinger Magnetischen Verein", in dem geomagnetische Stationen abgestimmte Beobachtungen durchführten. D i e Ergebnisse dieser Untersuchungen w u r d e n in 6 B ä n d e n als „Resultate aus den Beobachtungen des Magnetischen Vereins" herausgegeben. D a m i t w a r eine neue Q u a l i t ä t in der Beobachtung, A n a l y s e und theoretischen Deutung des Geomagnetismus erreicht. So müssen w i r feststellen, d a ß seit dem Beginn der dreißiger J a h r e des vorigen J a h r hunderts die führende Rolle in der geomagnetischen Forschung von H u m b o l d t auf G a u ß und W e b e r überging. Humboldt ist jedoch als Initiator dieser E n t w i c k l u n g anzusehen. Trotzdem hat er sie zunächst mit einer gewissen Skepsis betrachtet, als sich aber 1835 auch Kupffer entschloß, mit den russischen Stationen an den Göttinger Terminbeobachtungen teilzunehmen, nutzte A l e x a n d e r von H u m b o l d t nochmals seine ganze Autorität, um ein weltumspannendes Netz geomagnetischer Observatorien zu schaffen. M i t einem Brief an den Präsidenten der Royal Society in London 1836 erreichte er die

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Errichtung geomagnetischer Stationen in der britischen Einflußsphäre, so daß sich in den Jahren 1836-1841 etwa 50 Stationen an koordinierten Beobachtungen beteiligten. Diese Briefe an die Royal Society, ein zweiter war 1838 gefolgt, stellten jedoch noch nicht den Schlußpunkt unter Humboldts organisatorische Aktivitäten auf geomagnetischem Gebiet dar, denn 1839 orientierte er die britische Expedition von Sir James Ross in die Antarktis (1838-1843) auf die Verfolgung der Linien mit verschwindender Deklination (D = o). Ein ähnlicher Hinweis von Alexander von Humboldt an die Besatzung der „Novara" wurde bereits erwähnt. 3. A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t s E i n f l u ß auf die E n t w i c k l u n g der g e o m a g n e t i s c h e n F o r s c h u n g Will man Humboldts Leistungen in der geomagnetischen Forschung würdigen, muß man neben den von ihm vorgelegten Ergebnissen auch die Ausstrahlung seiner Aktivitäten auf die Wissenschaftler seiner Zeit betrachten. Auch in dieser Funktion hat Humboldt sehr Wesentliches vollbracht. Die Bedeutung seiner wissenschaftlichen Aktivitäten für die Entwicklung der geomagnetischen Forschung im 18. und 19. Jahrhundert zeigt sich in dreierlei Richtung: Humboldt hatte erstens ein Gespür für die Notwendigkeit, die Kenntnisse über die Raum-Zeit-Struktur des geomagnetischen Feldes durch Messungen der Elemente und Komponenten an möglichst vielen Orten sowie durch regelmäßige, aufeinander abgestimmte Terminbeobachtungen an mehreren Stationen zu erweitern. Zweitens besaß er die Gabe und Autorität, andere für die Erforschung der geomagnetischen Phänomene zu begeistern und drittens wirkte er außerordentlich erfolgreich beim Aufbau einer internationalen wissenschaftlichen Kooperation, die gerade auf geophysikalischem und speziell geomagnetischem Gebiet auf Grund des Forschungsgegenstandes von besonderer Wichtigkeit ist. Die Bedeutung der geomagnetischen Messungen Alexander von Humboldts für die Erforschung der Raum-Zeit-Struktur des Erdfeldes resultiert aus dem damaligen Kenntnisstand auf diesem Gebiet. Die Lehre des Geomagnetismus hat ihre Anfänge bereits im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Schon im Jahre 1600 gab Gilbert in seinem berühmten Werk „De Magnete" die erste zusammenfassende Beschreibung des Magnetismus des Erdkörpers. Von Halley stammt die erste Weltkarte der Deklination aus dem Jahre 1701, Wilcke publizierte schon 1768 die erste Weltkarte der Inklination, doch war 6s Alexander von Humboldt vorbehalten, 1804 die erste Karte mit isodynamischen Zonen, d. h. gleicher magnetischer Intensität, vorzulegen. Allen diesen Karten war gemeinsam, daß sie den Verlauf des geomagnetischen Feldes auf der Erdoberfläche nur näherungsweise quantitativ darstellten, da die Anzahl der Meßpunkte, verglichen mit der Komplexität des magnetischen Erdfeldes, viel zu gering war. Gleichsam waren die Strukturen der zeitlichen geomagnetischen Variationen sowie ihre physikalischen Zusammenhänge mit anderen bekannten Naturerscheinungen, z. B. den Polarlichtern, nur auf der Basis umfangreicher Terminbeobachtungen zu entschleiern. Humboldt hatte diese Notwendigkeit erkannt und ging daran, die vorhandenen Lücken zu schließen. Humboldts Einfluß auf andere, sich ebenfalls mit geomagnetischen Messungen und Untersuchungen zu befassen, geht schon aus der Darstellung seiner eigenen Aktivitäten hervor. Dabei wurden sowohl sein persönliches Vorbild, sein ausgeprägter Hang zur Gemeinschaftsarbeit als auch seine umfangreiche Korrespondenz wirksam. Namen wie Dove, Kupffer, Reich, Rieß, Sabine und W . Weber seien hier nur stellvertretend für

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ziele andere genannt. Vor allem ist in diesem Zusammenhang aber C. F. Gauß zu ermähnen. Obwohl sich Gauß schon 1803 im Zusammenhang mit der geographischen Ortssestimmung mit dem Geomagnetismus beschäftigt hatte, war es doch Alexander von Humboldt, der Gaußes Interesse auf den Geomagnetismus lenkte. Es war die Vorbild¡virkung des von Humboldt nach seiner Südamerikareise organisierten „Vereins zum Zwecke erdmagnetischer Beobachtungen", die Gauß aufmerksam machte. Beide wurden läher bekannt, nachdem Gauß 1828 eine Einladung von Humboldt nach Berlin zur Versammlung deutscher und skandinavischer Naturforscher annahm. Humboldt machte Gauß auch mit W . Weber bekannt, der 1831 nach Göttingen ging, woraus sich in den folgenden Jahren die sehr fruchtbare Zusammenarbeit entwickelte. Die dritte These über Humboldts Bedeutung für die geomagnetische Forschung seiner Zeit bezog sich auf seine Verdienste in der Wissenschaftskooperation. Die Beweise dazu wurden bereits erwähnt. Es handelt sich im weitesten Sinne um seine Leistungen im Rahmen des „Vereins zum Zwecke erdmagnetischer Beobachtungen", wobei insbesondere seine Bemühungen auf der russisch-sibirischen Reise sowie seine Schreiben an den Präsidenten der Royal Society hervorzuheben sind. 4. W e r t u n g u n d W i c h t u n g A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t s geomagnetischer Aktivitäten Alexander von Humboldts Beiträge zur Erforschung des Geomagnetismus sind bedeutend, auch unter Berücksichtigung der Tatsachen, daß er nicht theoretisch gearbeitet hat wie z. B. Gauß, daß seine von Borda stammenden Meßgeräte nicht die exaktesten waren und daß er keine Gesetze entdeckt hat. Denn die Abnahme der magnetischen Totalintensität vom Pol zum Äquator ist kein Gesetz im eigentlichen Sinne und zum anderen gab es um diese Erkenntnis auch noch Diskussionen mit seinem Freund Sabine, der die Priorität dieser Erkenntnis dem britischen Admiral De Rossel zuschrieb. Humboldt selbst äußerte sich dazu brieflich folgendermaßen: De Rossel „hat früher als ich schwingen lassen unter sehr verschiedenen Breiten, ist aber erst durch mich veranlaßt worden, als ich von meiner Reise (nach Amerika) zurückkam, in seinen Manuskripten nachzusehen" [12], Alexander von Humboldts bleibende Leistungen auf geomagnetischem Gebiet sind in Folgendem zu sehen: a) Alexander von Humboldt hatte die Komplexität und unendliche Mannigfaltigkeit der Raumstruktur des erdmagnetischen Feldes erkannt, deren genaue Beschreibung und spätere Analyse nur auf der Grundlage exakter Messungen an vielen Orten der Erdoberfläche möglich ist. Heute wissen wir, daß die Quellen des geomagnetischen Innenfeldes sowohl im äußeren Erdkern als auch in der Erdkruste zu suchen sind. Ist das Kernfeld noch gut analytisch beschreibbar, so erzeugt doch die unterschiedliche Magnetisierung der Gesteine in der Erdkruste oberhalb der Curie-Isotherme eine solche Vielzahl magnetischer Anomalien, daß eine analytische Beschreibung bzw. Extrapolation zwischen entfernteren Meßpunkten nur sehr ungenau möglich ist. Nur die Messung entschleiert die Feldstrukturen, heute meist vom Flugzeug oder Satelliten aus durchgeführt, aber die punktweise magnetische Messung auf der Erdoberfläche hat auch jetzt noch große Bedeutung. Alexander von Humboldt hat viele Beobachtungen selbst durchgeführt, wirkte beispielgebend für magnetische Vermessungsarbeiten auf Expeditionen und leistete Beiträge zur magnetischen Kartographie. b) Alexander von Humboldt hatte die Notwendigkeit der Beobachtung der kurzperiodischen Variationen des geomagnetischen Feldes an einzelnen Stationen erkannt

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und w a r auch auf diesem Gebiet sehr aktiv. Er wußte, d a ß diese kurzzeitigen Phänomene breiten- bzw. längenabhängig sind, so d a ß nur gleichartige Beobachtungen möglichst vieler Stationen eine zuverlässige Datenbasis liefern konnten. Heute ist das geomagnetische Zeitspektrum gut bekannt, es erstreckt sich über 12 Größenordnungen von den geomagnetischen Pulsationen mit Perioden von Bruchteilen von Sekunden bis zur Säkularvariation am l a n g w e l l i g e n Ende. D a die geomagnetischen Variationen jedoch Ausdruck und Resultat der durch die Sonne gesteuerten solar-terrestrischen Beziehungen sind, muß an den geomagnetischen Observatorien ständig registriert werden, der W e r t der Datenreihen wächst mit der L ä n g e des Beobachtungszeitraumes. H u m b o l d t hatte diese N o t w e n d i g k e i t erkannt, wenn er z. B. erwähnte, d a ß „durch A r a g o eine glänzende Epoche für die Erforschung des tellurischen Magnetismus begann. D i e auf der Pariser Sternwarte r e g e l m ä ß i g zu bestimmten Stunden gemachten Beobachtungen über die täglichen Veränderungen der Abweichung umfassen eine größere Periode von Jahren, als je diesem Zweige der messenden Physik g e w i d m e t worden sind" [11]. c) A l e x a n d e r von Humboldt w a r erfahren in der geomagnetischen Observatoriumspraxis, seine vor e t w a 150 J a h r e n geäußerten Anforderungen an den Observatoriumsbetrieb könnten auch 1984 v e r f a ß t sein. Er schrieb über die N o t w e n d i g k e i t , „inner- und außerhalb Europas einen regelmäßigen Cursus correspondierender Beobachtungen des tellurischen Magnetismus zu begründen; Gleichmäßigkeit der A p p a r a t e und Methoden, verständige A u s w a h l der Beobachtungsorte, steter Verkehr zwischen den geübten Beobachtern und Sicherung des Antheils gelehrter Corporationen, d a m i t das von meinen Freunden und mir gegründete Institut permanent bleibe" [11], Humboldts B e m ü hungen um ein ständiges Netz geomagnetischer Stationen waren nicht erfolglos, gegenwärtig arbeiten e t w a 200 Observatorien weltweit. d) A l e x a n d e r von Humboldt hatte die Bedeutung der Erforschung der S ä k u l a r v a r i a tion des Innenfeldes erkannt, d i e zu den interessantesten geomagnetischen Phänomenen gehört und in ihrer räumlichen und zeitlichen Feinstruktur auch gegenwärtig noch Forschungsgegenstand ist. H u m b o l d t nutzte jede Gelegenheit, Expeditionen w i e die von Ross in die Antarktis oder die der österreichischen W e l t u m s e g l u n g mit der „ N o v a r a " auf Beobachtungen der langzeitlichen Änderungen des geomagnetischen Feldes, insbesondere der Deklination, hinzuweisen. W e n n w i r heute auf modernen analytischen M e thoden beruhende magnetische Karten aus dem 18. und 19. J a h r h u n d e r t besitzen, die uns ein ungefähres B i l d von der S ä k u l a r v a r i a t i o n vermitteln, so v e r d a n k e n w i r sie zum großen Teil den Messungen und fördernden Einflüssen A l e x a n d e r von Humboldts. D e r Zugang zu den langperiodischen Anteilen der S ä k u l a r v a r i a t i o n , aus denen Informationen über die physikalischen Prozesse im äußeren Erdkern gewonnen werden, w ä r e uns nicht gegeben ohne magnetische Messungen aus den früheren Jahrhunderten. K u r v e n für die V e r ä n d e r u n g in der Deklination, die eine e t w a 450jährige Periode aufzeigen, liegen uns z. B. für Freiberg, wo auch Reich gewirkt hat, für London, Paris, Rom und Oslo vor. Bei der W e r t u n g und Wichtung der geomagnetischen Arbeiten von A l e x a n d e r von Humboldt seien auch seine Interessen am Gesteinsmagnetismus hervorgehoben, der erst in den letzten Jahrzehnten in enger Verbindung zum Paläomagnetismus wesentliche Fakten zur Begründung der modernen Plattentektonik lieferte. Humboldts Verdienste hinsichtlich einer breiten internationalen wissenschaftlichen Kooperation auf geomagnetischem Gebiet sollen ebenfalls noch einmal betont w e r d e n . D i e generelle Bedeutung der Arbeiten A l e x a n d e r von Humboldts für die Erforschung des Geomagnetismus und insbesondere die W i c h t u n g seines Beitrages im Verhältnis zu den Leistungen von G a u ß auf geomagnetischem Gebiet hat F. W . Bessel in einem populärwissenschaftlichen Aufsatz „Über den Magnetismus der E r d e " vor fast 150 J a h r e n

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s e h r t r e f f e n d z u m A u s d r u c k g e b r a c h t , w e n n er s c h r e i b t : „ I n d i e s e m J a h r h u n d e r t g e w i n n t der Eifer

für den M a g n e t i s m u s der E r d e neues L e b e n ; A l e x a n d e r von H u m b o l d t

er-

r e g t ihn u n d s t e i g e r t ihn d u r c h e i g e n e E r f o l g e . . . . D e r m a g n e t i s c h e A p p a r a t f ä n g t a n , ein hauptsächlicher T e i l der A u s r ü s t u n g aller R e i s e n d e n zu w e r d e n . In w e n i g e n J a h r e n liefern sie eine hinreichende G r u n d l a g e für die G a u s s i s c h e Theorie. E s gelingt boldt, die Regierungen

von England, Frankreich, Rußland

. . . für den

Hum-

Magnetismus

der E r d e zu interessieren und große, kostbare E x p e d i t i o n e n sind die F o l g e d a v o n . D i e s e rüsten sich m i t d e n G a u s s i s c h e n A p p a r a t e n a u s u n d f o l g e n d e n ihnen v o n

Humboldt

vorgezeichneten W e g e n " [12]. D i e s e E i n s c h ä t z u n g hat auch aus heutiger Sicht ihre volle Gültigkeit bewahrt.

Literatur [1] Humboldt, A. v . : Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Bd. 1 - 5 , Stuttgart und Tübingen 1 8 4 5 - 1 8 6 2 . [2] Humboldt, A. v . : Ansichten der Natur, 3. Auflage, Bd. 1 - 2 , Stuttgart und Tübingen 1849. [3] Humboldt, A. v . : Ansichten der Natur. Ein Blick in Humboldts Lebenswerk, von H. Scurla, Berlin 1959. [4] Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß, hrsg. von K . - R . Biermann, Berlin 1977. [5] Festakt und Tagung aus Anlaß des 200. Geburtstages von Carl Friedrich Gauß, hrsg. v. M. Sachs; Abh. A d W der D D R , Abt. Math. Naturwiss. Technik, Jahrgang 1978, N r . 3 N . [6] Chapman, S . : Alexander von Humboldt and geomagnetic science. Archive for the History of the Exact Sciences. % (1962), Nr. 1, 4 1 - 5 1 . [7] Schneider, O . : Humboldt y el geomagnetismo, Ciencia e investigación. 1 (1945), 5 4 3 - 5 4 8 . [8] Biermann, K . - R . : Alexander von Humboldt; Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Bd. 47, Leipzig 1983. [9] Wussing, H . : Carl Friedrich G a u ß ; Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Leipzig 1976. [10] Biermann, K.-R., I . J a h n und F. G . L a n g e : Alexander von Humboldt; Chronologische Übersicht über wichtige Daten seines Lebens, Berlin 1968. [11] Biermann, K . - R . : Alexander von Humboldt als Initiator und Organisator internationaler Zusammenarbeit auf geophysikalischen Gebieten, Proc. of the XVth Int. Congress of the History of Science, Edinburgh 1978, 1 2 6 - 1 3 8 . [12] Biermann, K . - R . : Streiflichter auf geophysikalische Aktivitäten Alexander von Humboldts, Gcrl. Beitr. Geophysik 80 (1971) 4, 2 7 7 - 2 9 1 . [13] Biermann, K . - R . : D e r Brief Alexander von Humboldts an Wilhelm Weber von E n d e 1831 ein bedeutendes Dokument zur Geschichte der Erforschung des Geomagnetismus, Monatsberichte der D A W Berlin, Bd. 13 (1971), 2 3 4 - 2 4 2 . [14] Alexander von Humboldt, Vorträge und Aufsätze anläßlich der 100. Wiederkehr seines Todestages am 6. Mai 1959, Geophys. Gesellsch. der D D R , Wiss. Abh., Bd. 2, Berlin 1960.

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Günter Hoppe und Manfred Barthel

Der Beiträg Alexander von Humboldts zur Entwicklung der geowissenschaftlichen Sammlungen der Berliner Universität

Bei der Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810 wurden einige naturwissenschaftliche Institutionen, die in Berlin bereits existierten und auch schon Unterrichtszwecken dienten, der Universität einverleibt. Sie brachten den dringend benötigten wissenschaftlichen Fundus in die Universität ein. Darunter befanden sich einige Museen und Sammlungen, so das anatomische Museum, der botanische Garten, das Mineralienkabinett und andere. An diese Institutionen und ihre Sammlungsobjekte, wie auch an einige zunächst noch private Sammlungen, z. B. an die des Berliner Chemikers Martin Heinrich Klaproth (1743-1817), waren bedeutende wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Zeit vor der Universitätsgründung gebunden. Die Vorläuferinstitution auf dem Gebiet der mineralogisch-geologischen Wissenschaften war das Königliche Mineralienkabinett, das bis zur Universitätsgründung dem Bergwerks- und Hüttendepartement des preußischen Staates unterstand und als Unterrichtssammlung der 1770 gegründeten ersten Berliner Bergakademie gedient hatte. Hier hatte der Bergbeamte und Mineraloge, Akademiemitglied Carl Abraham Gerhard (1738-1821) als Lehrer der Mineralogie und Bergbaukunde gewirkt. Er trat mit mehreren bemerkenswerten geowissenschaftlichen Lehrbüchern und einer der Zeit vorauseilenden Kohlenentstehungstheorie hervor [3]. An seine Stelle war ab 1789 in der Bergakademie und am Mineralienkabinett Dietrich Ludwig Gustav Karsten (1768-1810) getreten, ein junger Schüler des führenden, berühmten Freiberger Mineralogen Abraham Gottlob Werner (1749-1817), dessen Lehre damit in Berlin einzog [8], Man verstand damals Mineralogie als umfassenden Begriff, etwa im Sinne der heutigen geologischen Wissenschaften, nur daß die jetzigen Teildisziplinen meist erst in Anfängen oder noch gar nicht bemerkbar waren. D. L. G. Karsten trug Wesentliches zur Entwicklung der „Oryktognosie" (Mineralogie im engeren Sinn) bei. Er erweiterte die Lehre A. G. Werners, die sich auf genaueste Unterscheidung der äußeren Merkmale der Minerale gründete, indem er die mathematische Behandlung der Kristallgestalten des Franzosen René Just Haüy (1743-1822) durch Übersetzung von dessen Lehrbuch aufgriff sowie indem er mit M. H. Klaproth eng zusammenarbeitete und dessen zahlreichen Mineralanalysen für die Mineralsystematik verwendete [8]. D. L. G. Karsten war auch der Initiator der Berliner Preisfrage zum Basaltproblem. Er hatte sie unter dem Einfluß des ihm .eng befreundeten Berliner Geologen Leopold von Buch (1774-1853) aufgestellt, nachdem diesem in den Vulkangebieten Italiens und Frankreichs die ersten Zweifel an den neptunistischen Anschauungen seines Lehrers A. G. Werner gekommen waren. Bekanntlich wurde L. v. Buch später zusammen mit A. v. Humboldt deren Überwinder. A. v. Humboldt, der auch die Schule A. G. Werners durchlaufen hatte (1791/2), trat frühzeitig mit D. L. G. Karsten in Beziehung. Offensichtlich beeindruckte ihn dessen Tätigkeit für das Berliner Mineralienkabinett. Im Gegensatz zu den Gepflogenheiten 92

A. G. Werners hatte D. L. G. Karsten seine private Sammlung in das Kabinett gegeben und sammelte erfolgreich und rege weiter, aber nur noch für das Kabinett und nicht mehr privat [8]. Diese Haltung entsprach der Handlungsweise A. v. Humboldts, der von der Studienzeit an zwar eifrig, aber nicht für sich selbst gesammelt hat. W i e aus Briefen A. v. Humboldts an D. L. G. Karsten und an andere [12] hervorgeht, kam seine Sammeltätigkeit besonders dem Berliner Mineralienkabinett zugute. Den Höhepunkt dabei bildete die Schenkung der Mineral- und Gesteinssammlung, die er von seiner großen Forschungsreise nach Mittel- und Südamerika 1799-1804 mitgebracht hatte. Diese Sammlung war eine höchst wertvolle Bereicherung und fand allgemein großes Interesse. Vielfältige Untersuchungen wurden an dem Material durchgeführt, besonders von M. H. Klaproth und D. L. G. Karsten. Bis heute dient die Sammlung als Vergleichs- und Originalmaterial der Forschung, zumal sich A. v. Humboldt bemüht hatte, die Objekte mit genauen und instruktiven Angaben zu versehen, wie es die Etiketten von seiner Hand zeigen. Im Begleitbrief an D. L. G. Karsten vom 10. 3. 1805 zählte er eine Reihe von Gründen auf, warum die Sammlung nicht umfangreicher sein konnte [5]. Immerhin füllte sie aber, zusammen mit einigen ethnographischen und anderen Gegenständen, 7 große Kisten. Infolge Platzmangels im Mineralienkabinett mußte die amerikanische Sammlung A . v. Humboldts zusammen mit einer sehr großen, im Jahre 1803 von Zar Alexander I. geschenkten russischen Mineralsammlung vorübergehend in einem Saal des Palais des Prinzen Heinrich, des späteren Universitätsgebäudes, ausgestellt werden [1]. Das Mineralienkabinett hatte zwar 1801 einen stattlichen Neubau gegenüber der FriedrichWerderschen Kirche' erhalten, mußte ihn aber mit der Staatlichen Münze und bis 1806 auch noch mit der Bauakademie teilen. Bis zur Universitätsgründung war das Königliche Mineralienkabinett zu einem international bedeutenden Museum angewachsen, das vorwiegend Minerale und Gesteine enthielt, aber auch schon einige Fossilien. Bereits 1804 konnte der Begründer der wissenschaftlichen Paläobotanik Ernst Friedrich von Schlotheim (1764-1832) Material des Mineralienkabinetts für seine Forschungsarbeiten über fossile Pflanzen verwenden [16]. Der „Aufseher" des Kabinetts, D. L. G. Karsten, war inzwischen zu einem hohen Beamten des Berg- und Hüttenwesens Preußens aufgestiegen, zuletzt zu derem Leiter. Er wurde auch zu den Vorbereitungen der Akademiereform und der Universitätsgründung hinzugezogen, verstarb aber plötzlich noch vor der Gründung am 20. 5. 1810. Das Königliche Mineralifenkabinett kam im Zuge der Universitätsgründung im Jahre 1810 als „Mineralogisches Museum" in den Besitz der Universität. Es wurde 1814 in das Universitätsgebäude überführt, wo es im 1. Obergeschoß den größten Teil des östlichen Mittel- und Seitenflügels erhielt und bis 1888 innehatte. Inoffiziell lief es noch lange, auch bei A. v. Humboldt, unter der alten Bezeichnung. In den ersten Jahren der Universität ist nur ein geringer Einfluß A. v. Humboldts auf die Entwicklung des Mineralogischen Museums zu bemerken. Solange er noch zur Auswertung seiner Amerikareise in Paris weilte, waren es im wesentlichen nur Schenkungen oder Vermittlungen einzelner Sammlungsobjekte. Als Nachfolger von D. L. G. Karsten für die Berliner Universität wurde der Leipziger Physiker Christian Samuel Weiss (1780-1856) gewonnen, der noch 1810 die Berufung als ord. Professor der Mineralogie erhielt [7]. Durch seine Mitarbeit an der Übersetzung des französischen Lehrbuchs der Mineralogie von R. J. Haüy hatte er sich bereits in Berlin bekannt gemacht. Auch er war ein Schüler von A. G. Werner und vertrat dessen Lehre in voller Breite. Seine Interessen lagen jedoch vorwiegend auf dem von A. G. Werner kaum beachteten kristallographischen Teilgebiet, das er unter dem 93

E i n f l u ß R . J . Haüys und der Naturphilosophie entscheidend entwickelte. E r erkannte wesentliche Baugesetze der K r i s t a l l e und stellte im Gegensatz zu Haüys atomistischer Auffassung die dynamische K r i s t a l l t h e o r i e auf. Für A . v. H u m b o l d t bot jedoch seine mathematische D e n k w e i s e keinen besonderen Anreiz. In dieser Zeit, die für die Herausbildung der Kristallographie außerordentlich wichtig war, fand zunächst die frühere Zusammenarbeit der B e r l i n e r Mineralogen und Chemiker D . L . G . K a r s t e n und M . H . K l a p r o t h , die für die E n t w i c k l u n g der M i n e r a l o g i e im engeren Sinn so fruchtbar gewesen ist, keine Fortsetzung. Immerhin wurde aber die höchst bedeutende Mineralsammlung des 1817 verstorbenen M . H . K l a p r o t h für das Mineralogische Museum erworben [ 1 0 ] . Sie enthält die Originale zu dessen sehr zahlreichen Mineralanalysen und zu den bekannten

Elemententdeckungen

(U, Z r , Sr, T i ,

T e u. a.). E r s t mit dem Mineralogen G u s t a v R o s e ( 1 7 9 8 - 1 8 7 3 ) , Schüler von C. S. W e i s s und dem berühmten schwedischen Chemiker J o n s J a c o b Berzelius ( 1 7 7 9 - 1 8 4 8 ) , wurde die mineralogisch-chemische Zusammenarbeit wieder lebendig. G . R o s e war besonders an der messenden Untersuchung der M i n e r a l e mit physikalischen und chemischen M e t h o den interessiert und arbeitete mit den B e r l i n e r Chemikern Heinrich R o s e ( 1 7 9 5 - 1 8 6 4 ) , seinem B r u d e r , und E i l h a r d Mitscherlich ( 1 7 9 4 - 1 8 6 3 ) zusammen. M i t letzterem verband G . R o s e eine lebenslange Freundschaft. Sie entstand in der Zeit von E . Mitscherlichs E n t d e c k u n g der Isomorphie im J a h r e 1 8 1 9 , woran G . R o s e nicht unwesentlich beteiligt war. G . R o s e wandte sich auch der mineralogischen Erforschung der M e t e o r i t e zu ( 1 8 2 5 ) . Zusammen mit dem von C. S. W e i s s bewiesenen Interesse an Meteoriten w a r dies der A n l a ß für die testamentarische Schenkung der berühmten

Meteoritensamm-

lung des Begründers der Meteoritenkunde E r n s t Florens Friedrich Chladni ( 1 7 4 3 bis 1 8 2 7 ) [6]. M i t der endgültigen Übersiedlung A , v. H u m b o l d t s nach Berlin im J a h r e 1827 beginnt die P e r i o d e der nachhaltigen F ö r d e r u n g des Mineralogischen Museums durch ihn. Im V e r l a u f e der Auswertung seiner geologischen und vulkanologischen Beobachtungen in A m e r i k a hatte sich A . v. H u m b o l d t schließlich vom Neptunismus des 1817 verstorbenen A . G . W e r n e r gelöst. E s war nun auch die Z e i t der stürmischen E n t w i c k l u n g der verschiedenen

T e i l g e b i e t e der mineralogisch-geologischen

Wissenschaften

gekommen.

Hier reiht sich die Förderung durch A . v. H u m b o l d t ein. E r unterstützte vor allem zwei Disziplinen, die mineralogische Richtung im engeren Sinn in der Person G . Roses und die paläontologische Richtung. Beides bedurfte in seinen Augen offenbar der besond e r e n Fürsorge. F ü r G . R o s e war es zweifellos eine große Auszeichnung, von A . v. H u m b o l d t als mineralogischer Reisebegleiter für dessen Forschungsreise nach R u ß l a n d im J a h r e

1829

ausgewählt zu werden. D i e R e i s e führte vor allem in die Bergbaugebiete des U r a l s und Altais. D a m i t ergaben sich höchst interessante und wichtige A u f g a b e n für G . Rose. I n folge der günstigen Bedingungen, die die russische Regierung für die E x p e d i t i o n geschaffen hatte, konnte eine umfangreiche M i n e r a l - und Gesteinssammlung für das M u seum eingebracht werden. Bereits auf der Reise und in mehreren darauf folgenden J a h ren arbeitete G . R o s e das M a t e r i a l auf. In zahlreichen Publikationen, zusammengefaßt in dem bekannten Reisewerk [ 1 5 ] , lieferte G . R o s e die erste moderne Mineralogie R u ß lands, die für lange Zeit ein unerreichtes Beispiel aufstellte [9]. In der Folgezeit förderte A . v. H u m b o l d t die Mineralogie in der Person G . Roses weiterhin, unter anderem bei seiner W a h l in die A k a d e m i e der Wissenschaften im J a h r e 1 8 3 4 und bei der B e r u fung als zweiter ord. Professor der Mineralogie neben C. S. W e i s s 1 8 3 9 [ 1 1 ] . E i n e F ö r derung von C. S. W e i s s als dem etablierten V e r t r e t e r der Mineralogie erübrigte sich,

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zumal sich das Verhältnis zwischen ihm und A. v. Humboldt verschlechterte. Zu dieser Entwicklung kann mehreres beigetragen haben, so die der Naturphilosophie nahestehende Haltung von C. S. Weiss, dessen übertriebenen Maßnahmen gegen die Sammlungsnutzung durch andere Lehrkräfte und sein Widerstand gegen die Förderung von G. Rose [7]. Auch war die Unterstützung bei der Beschaffung von Mineralsammlungen zur Vervollständigung der mineralogischen Bestände durch A. v. Humboldt nicht erforderlich, da derartiges von C. S. Weiss selbst bei der Regierung durchgesetzt wurde, wie es die Ankäufe der sehr großen Sammlungen Bergemann 1837 und G. Tamnau 1841 zeigen. Demgegenüber war aber der Einsatz A. v. Humboldts bei der Schaffung eines hinreichenden Fundus für den Aufbau einer paläontologischen Richtung in Berlin offenbar dringend notwendig. C. S. Weiss hat über Versteinerungskunde nur im Jahre 1816 eine besondere Vorlesung gehalten, wohl in Anlehnung an George Cuvier (1769-1832), bei dem er 1808 in Paris gehört hatte [7]. Sonst spielte dieses Gebiet bei ihm, wie bei A. G. Werner, nur eine Nebenrolle. Immerhin hatte aber A. G. Werner, wie A. v. Humboldt hervorhob, ein „lebhaftes Vergnügen" empfunden, als E. F. v. Schlotheim im Jahre 1792 anfing, die Beziehungen der Fossilien zu den verschiedenen Erdschichten zu dem Hauptgegenstand seiner Untersuchungen zu machen. E. F. v. Schlotheim, ein Freiberger Consemester A. v. Humboldts, gehört zu den Begründern der Paläontologie als Wissenschaft. Er war auch einer der ersten, der die binäre Nomenklatur von Carl von Linne (1707-1778) auf Fossilien anwandte. Er baute eine berühmte Sammlung auf, die unter anderem die Originale zu seinem großen Werk „Die Petrefaktenkunde auf ihrem jetzigen Standpunkte" (1820) enthielt. Es ist das Verdienst A. v. Humboldts im Zusammenwirken mit L. v. Buch und Johann Jacob Noeggerath (1788-1877), daß diese Sammlung im Jahre 1833, nach dem Tode E. F. v. Schlotheims, durch den preußischen Staat für das Berliner Mineralogische Museum angekauft worden ist [11, 14], Zusammen mit den bereits vorhandenen Fossilien wurde die Sammlung E. F. v. Schlotheims in den Jahren 1833-37 von Friedrich August Quenstedt (1809-1889) katalogisiert. Aus diesem Grundstock heraus hat sich die paläontologische Hauptsammlung zur führenden paläontologischen Sammlung Europas entwikkelt, vor allem durch die Tätigkeit des Kustos Heinrich Ernst Beyrich (1815-1896), der 1865 ord. Professor für Mineralogie und nach dem Tode von G. Rose 1873 Direktor des Mineralogischen Museums wurde [4]. H. E. Beyrichs Hauptinteressen galten den wirbellosen Tieren. Die Bearbeitung der fossilen Pflanzen, die das Kernstück der Sammlung E. F. v. Schlotheims ausmachten und durch sehr viele Typen überragende wissenschaftliche Bedeutung hatten, wurden erst später von Mitarbeitern der Preußischen Geologischen Landesanstalt, wo die Paläobotanik dann bis in die 30er Jahre unseres Jahrhunderts institutionell verankert war, aufgegriffen. Eine ebenso wichtige und nicht auf die Nutzung durch die Universität beschränkte Erwerbungspolitik zeigte A. v. Humboldt auch im Falle der großen Sammlungen von Heinrich Cotta (1763-1844) und von L. v. Buch, die 1845 bzw. 1854 erworben wurden [11]. Auch diese Sammlungen waren nicht aus dem Jahresetat des Mineralogischen Museums zu kaufen und erforderten Sondermittel des Staates, deren Erlangung dem Einsatz A. v. Humboldts zu verdanken ist. Die wichtigsten Stücke der Sammlung H. Cottas waren die geschliffenen Kieselhölzer aus dem Rotliegenden Sachsens (Erzgebirgisches Becken), die seinem Sohn, Bernhard von Cotta (1808-1879), in dessen Dissertation 1832 zur erstmaligen Darstellung zellstrukturzeigender fossiler Achsen dienten. A. v. Humboldts Eingreifen sicherte diese Sammlung, von der ein Teil bereits

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1839, vor dem Tode H. Cottas, an das Britische Museum nach London verkauft worden war, für Berlin [17]. Die Sammlung L. v. Buchs, dessen Wirken stets besonders eng mit Berlin verbunden gewesen war, enthielt Material aus allen seinen geowissenschaftlichen Arbeits- und Interessengebieten. A. v. Humboldt schätzte die Sammlung verständlicherweise sehr hoch ein und schrieb im Antrag an den König: „Wie unaussprechlich schmerzhaft würde es sein, wenn die Frucht eines ganzen ruhmvollen Lebens, von Reisen nach dem äußersten Norden, dem canarischen Archipel, Griechenland und ganz Süd- und Mitteleuropa dem Vaterlande verloren ginge und . . . (am wahrscheinlichsten) nach den Vereinigten Staaten wanderte" [11]. Heute sind die durch A. v. Humboldts Vermittlung gekauften Sammlungen Anziehungspunkt für Gastforscher aus aller Welt und Vergleichsmaterial für die eigene Forschung an neuen Funden auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Es ist wertvollstes Kulturgut. Dabei wollen wir nicht vergessen, daß wir die Rettung der paläontologischen Kulturgüter aus den feuchten Rü'dersdorfer Untertagebauten 1945 der Sowjetunion verdanken, die dieses Material zusammen mit Kunstschätzen der Staatlichen Museen Berlins im ersten Nachkriegsjahrzehnt bewahrte und pflegte. Das Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin ist heute das zentrale naturhistorische Museum der D D R . Die Sammlungen aller seiner Abteilungen nehmen mit ca. 50 Millionen Objekten, davon etwa Vi geowissenschaftlichen Objekten, auch international eine Spitzenposition ein. Die Bewahrung, Pflege und Erschließung sowie der weitere Ausbau der Universitätssammlungen sind Schwerpunktaufgaben des Museums, die auf den großen Leistungen unserer Vorgänger basieren und weit in die Zukunft zielen, auf die Nutzung durch künftige Generationen. Dies betrifft beide Seiten der Arbeit mit dem Kulturgut, die erkenntnisvermittelnde und die erkenntnisproduzierende Aufgabe. In beiden Funktionen sind die naturhistorischen Sammlungsobjekte, die „originalen Sachzeugen der Evolution", durch nichts zu ersetzen [13]. Bereits A. v. Humboldt schätzte die unmittelbare Anschauung und die vergleichenden Untersuchungsmethoden. Für die Weiterentwicklung des Sammlungsbestandes sind auch heute noch die von A . v . H u m b o l d t beschrittenen zwei Wege am wichtigsten: die eigene Feldarbeit und die Übernahme von Sammlungen aus der Hand privater Spezialsammler. Als Beispiel für die eigene Sammeltätigkeit seien hier die Ausgrabungen eines quartären Tierbautensystems in Pisede bei Malchin durch das Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität genannt. Die Anforderungen an die Durchführung und Dokumentation von Aufsammlungen sind inzwischen sehr hoch geworden. An die Stelle von Einzelfunden sind häufig umfangreiche Suiten aus ganzen Profilen und Fundschichten getreten. So umfaßte das Material von Pisede Zehntausende von Wirbeltierknochen und in der Auswertung ergab sich eine Gemeinschaftsarbeit im Umfang von 3 Heften der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Universität [18].. Wenn auch die Bestandserweiterung durch die eigene Feldarbeit wissenschaftlich am ergiebigsten ist, so darf doch die Übernahme von privaten Sammlungen nicht vernachlässigt werden, da auch dieses Material mit wissenschaftlich wertvollen, sonst vielfach unbekannt bleibenden Sachverhalten zusammenhängt bzw. zusammenhängen kann. Bei aller Problematik der privaten Sammlungen sind die Bemühungen der ernsthaften Freizeitforscher besonders dann sehr positiv zu werten, wenn z. B. die Aufsammlungen temporäre Aufschlüsse erfassen und wenn dabei wissenschaftliche Grundsätze berücksichtigt werden. Natürlich fallen den Museen auch hier keine Geschenke in den Schoß. 96

Voraussetzungen für Erfolge sind die ständige Betreuung und die Weiterbildung der meist in Fachgruppen des Kulturbundes gesellschaftlich organisierten Sammler. Beispiele für übernommene, hochstehende Sammlungen dieser A r t sind unter vielen anderen die vogtländische Mineralsammlung des Lehrers Curt Gerber, die Mineral- und pflanzliche Fossilsammlung des Eislebener Steigers M a x Köhler, die Sammlung von Pflanzenfossilien der Halde des Steinkohlenbergwerkes Plötz bei Halle durch den Techniker der Leunawerke Rudolf Simon (ausgezeichnet mit der Leibniz-Medaille der Akademie der Wissenschaften der D D R ) und auch die Mitwirkung der Fachgruppe Ilmenau des Kulturbundes bei den Arbeiten des Museums f ü r Naturkunde der Humboldt-Universität an den Pflanzenfossilien des Thüringer Rotliegenden [2], Gegenwärtig vollzieht sich ein bedeutsamer W a n d e l in der sozialen Zusammensetzung und in der Organisiertheit der sich so betätigenden Menschen. W i r sind ganz sicher, daß wir an die moralische und wissenschaftliche Haltung A . v. Humboldts anknüpfen, wenn w i r unsere gesellschaftliche Verpflichtung der naturwissenschaftlich-weltanschaulichen Bildung breiter Bevölkerungsschichten mit der Weiterbildung besonders interessierter Personen verbinden und sie gegebenenfalls in die museale Sammlungs- und Forschungstätigkeit einbeziehen. Das Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin bekennt sich ausdrücklich zu diesem kulturellen Humboldtschen Erbe. Literatur [1] Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg, Kultusministerium, Rep. 76 alt Abt. IV Nr. 5 Bl. 138 f. [2] Barthel, M.: Pflanzenfossilien als Kulturgut. - Neue Museumskunde 26 (1983) 1, S. 2-14. [3] Daber, R.: Zur Frühgeschichte der wissenschaftlichen Sammlungen im Museum für Naturkunde an der Humboldt-Universität zu Berlin 1770-1810. - Neue Museumskunde Ii (1970) 4, S. 245-256. [4] Dietrich, W. O.: Geschichte der Sammlungen des Geologisch-Paläontologischen Instituts und Museums der Humboldt-Universität zu Berlin. - Ber. Geol. Ges. Berlin 5 (1960), S. 247-289. [5] Bruhns, K.: Alexander von Humboldt. Eine wissenschaftliche Biographie. Leipzig 1872, Bd. 1, S. 408-409. [6] Hoppe, G.: Ernst Florens Friedrich Chladni. Zum 150. Todestag des Begründers der Meteoritenkunde. - Chem. d. Erde 36 (1977), S. 249-262. [7] Hoppe, G.: Christian Samuel Weiss und das Berliner Mineralogische Museums. — Wiss. Z. Humboldt-Univ. Berlin, Math.-nat. R. 37 (1982) 3, S. 245-254. [8] Hoppe, G.: Dietrich Ludwig Gustav Karsten (1768-1810). Mineraloge und Bergbeamter in Preußen. In: Prescher, H. (Hrsg.): Leben und Wirken deutscher Geologen im 18. und 19. Jahrhundert. Leipzig 1985. [9] Hoppe, G., Wappler, G.: Mineralogische Forschungsergebnisse Gustav Roses von der Rußlandreise mit Alexander von Humboldt. - Z. geol. Wiss., Berlin 4 (1976), S. 337-344. [10] Hoppe, G., Wappler, G.: Die Mineralsammlung M. H. Klaproths und seine mineralanalytischen Bestrebungen. - Z. geol. Wiss., Berlin 11 (1983), S. 1245-1253. [11] Jahn, I.: Über die Einwirkung Alexander von Humboldts auf die Entwicklung der Naturwissenschaften an der Berliner Universität. - Wiss. Z. Humboldt-Univ. Berlin, Math.-nat. R. 21 (1972), S. 131-144. [12] Jahn, I., Lange, F. G. (Hrsg.): Die Jugendbriefe Alexander von Humboldts. 1787-1799. Berlin 1973. [13] Jahn, I., Senglaub, K.: Die naturhistorischen Museen und das kulturelle Erbe. - Neue Museumskunde 20 (1977) 1, S. 4-17. [14] Martens, T . : Ernst Friedrich von Schlotheim - ein bedeutender Paläontologe der Goethezeit. Abh. Ber. Mus. Nat. Gotha, 11 (1982), S. 5-22. [15] Rose, G.: Mineralogisch-geognostische Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kaspischen Meere. 2 Bde. Berlin 1837, 1842. [16] Schlotheim, E. F. v.: Beschreibung merkwürdiger Kräuter-Abdrücke und Pflanzen-Versteinerungen. Ein Beitrag zur Flora der Vorwelt. 1. Abtheilung. Gotha 1804, 68 S. [17] Süss, H., Rangnow, P.: Die Fossiliensammlung Heinrich Cottas im Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin. - Neue Museumskunde 27 (1984) 1, S. 17-30. [18] Wiss. Z. Humboldt-Univ. Berlin, Math. nat. R. 24 (1975) 5; 26 (1977) 3; 32 (1983) 6. 7 Abh. 2 N 1985

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Ilse Jahn

Alexander von Humboldt zu biologischen Problemen in seinem Briefwechsel mit Berliner Zoologen

„Seit einem halben Jahrhundert mit den organischen Naturwissenschaften beschäftigt . . . " - so oder ähnlich heißt es in zahlreichen Briefen und Berichten Humboldts in seinem letzten Lebensjahrzehnt [1], und damit wird deutlich, wie sehr ihn „le phénomène de la vie" [2], das faszinierende Problem „Leben", seit seiner Jugendzeit beschäftigt hat. Die Organismenwelt gehörte für ihn zu einer umfassenden Weltansicht, oder wie er es im „Kosmos" ausspricht: „Der naturbeschauenden Stimmung . . . ist es ein Bedürfnis, die physischen Erscheinungen auf der Erde bis zu ihrem äußersten Gipfel", nämlich dem „Organisch-Lebendigen zu verfolgen" [3]. Aber in dem von Humboldt bezeichneten halben Jahrhundert hatten die biologischen Disziplinen entscheidende Wandlungen durchlaufen, waren Botanik und Zoologie von „beschreibenden" zu „vergleichenden" Wissenschaften geworden, hatten sich als „Biologie" von der „Naturgeschichte der 3 Reiche" getrennt und damit von der anorganischen Mineralogie abgegrenzt; sie' hatten eine naturphilosophisch-spekulative Phase durchlaufen und waren schließlich - wie Physik und Chemie - auch zu einer experimentellen und „induktiven Wissenschaft" [4] geworden. Berliner Gelehrte oder ihre Schüler waren an dieser Entwicklung maßgeblich mitbeteiligt, und Humboldt nahm an ihren Erkenntnisfortschritten bis ins hohe Alter hinein lebhaften Anteil [5] ; ja, man kann wohl mit einer gewissen Berechtigung sagen, er habe sie mitbewirkt [6], Da ist der Zoologe H. Lichtenstein (1780—1857) zu nennen, der das mit der Gründung der Berliner Universität 1810 entstandene Zoologische Museum aufbaute und 1842 den Zoologischen Garten gründete, K. A. Rudolphi (1771-1832), der das anatomisch-zootomische Museum als Arbeitsstätte der vergleichenden Anatomie einrichtete und naturphilosophischen Strömungen erfolgreich Widerstand leistete, dann vor allem sein Schüler und Nachfolger Joh. Müller (1801-1858), über dessen Berufung 1833 Humboldt an Minister Altenstein schrieb: „Mit großer Freude höre ich, daß Sie der hiesigen Universität Müller aus Bonn schenken, eine überaus glükliche Wahl. Ich habe den merkwürdigen, anspruchslosen Mann in Paris physiologische Versuche über den Ursprung der Rükkenmarksnerven machen sehen - eine wahre Meisterschaft . . ." [7]. In Berlin erlebte Humboldt durch Joh. Müller die Entstehung einer wissenschaftlichen Schule der vergleichenden Morphologie und Entwicklungsgeschichte, aus der nachmals berühmte Zoologen hervorgingen,, und er verfolgte interessiert und selbst fördernd und anregend die Laufbahn so bedeutender Schüler wie M. J . Schleiden (1804 bis 1881) und Th. Schwann (1810-1882) und die Entstehung ihrer Zellentheorie, E. Du Bois-Reymond (1818-1896) und die Herausbildung seiner neuen Disziplin, der Elektrophysiologie, W. Peters (1815-1883) und seine zoologischen und zoogeographischen Arbeiten oder die der Mediziner R. Remak (1815-1865) und J. Henle (1809-1885), um nur einige zu nennen. Persönliche Neigung für die Scientia amabilis verband ihn auch mit den Berliner Bo98

tanikern, so schon von Jugend an mit dem ersten Ordinarius für Botanik C. L. W i l l d e now (1765-1812), dann auch mit Joh. Horkel (1769-1846), dem „vergleichenden" Physiologen, Onkel und Lehrer M . J. Schleidens, den Mikroskopikern und Pflanzenanatomen F. J. F. Meyen (1804-1840) und H. Schacht (1814-1864), dem Pflanzengeographen K. H . E . K o c h (1809-1879), sowie den Systematikern K. S. Kunth (1788-1850) und J. F. Klotzsch (1805-1860), so daß er seinem Urteil über die Besetzung des Berliner Lehrstuhls nach dem Tod von Kunth und H. F. Link (1767-1851) mit den Worten Gewicht verleihen konnte: „Da ich mich von meinem 18ten bis 35ten Jahre . . . vorzugsweise praktisch mit Botanik beschäftigt und stets mit den ausgezeichnetsten Botanikern unter meinen Zeitgenossen in engstem Verkehr gestanden bin, so habe ich 6 Richtungen unterschieden..." [8], In ganz besonderer Weise war Humboldt dem Pionier der wissenschaftlichen Mikroskopie, Chr. G. Ehrenberg (1795-1876) verbunden, den er zum Reisegefährten seiner russisch-sibirischen Reise gewählt hatte, und durch den sich Humboldt eine neue W e l t der Mikroorganismen erschloß. Er ließ durch ihn Erdproben der Schlammvulkane von Turbaco auf Mikroorganismen untersuchen [9] und wurde von seiner A u f fassung der Infusorien „als vollkommene Organismen" [10] beeinflußt, denn er äußerte gegenüber C. Th. von Siebold: „Ist es nicht auffallend, wie 'durch die Entdeckungen neuerer Zeit Ihre, Purkinje's, Baer's, des trefflichen Rudolph Wagners und meines sibirischen Reisegefährten und Freundes Ehrenberg alle Thierformen gleichsam von unten nach oben steigen, wie die Einfachheit verschwindet, viele der sogenannten unteren Thiere sich den höchsten nähern . . . Auch die Welt von Schmarotzerthieren in den Puppen ist eine wunderfeine Welt, deren Entwirrung Sie noch erleben werden" [11]. In ähnlicher Weise kommentierte Humboldt neue Entdeckungen und Erkenntnisse auf biologischem Gebiet auch in den Briefen an die Berliner Gelehrten, setzte sie in Vergleich mit eigenen Beobachtungen, stellte sie in größere Zusammenhänge und knüpfte Fragen oder neue Anregungen daran. Mit jedem der in Berlin führenden Zoologen stand Humboldt in persönlichem und brieflichem Kontakt und ging in manchen seiner Äußerungen zu offenen Problemen über das von ihm Publizierte hinaus, so daß in dem Schriftwechsel wertvolle zusätzliche Quellen auch für die Geschichte der Biologie zu sehen sind [12]. So belegen rund 40 Schriftstücke in der Bild- und Schriftgutsammlung des Museums für Naturkunde der Humboldt-Universität die zahlreichen Sammlungszugänge durch Humboldts Vermittlung. Darüber hinaus aber geben gerade auch die Briefe an die Zoologen Lichtenstein, Ehrenberg und Peters im Akademie-Archiv Zeugnis davon, d a ß Humboldt keineswegs den Erwerb von Sammlungen allein als Endzweck der von ihm geförderten Forschungsreisen ansah, sondern nur als Mittel zum Gewinnen höherer Einsichten (durch vergleichende Untersuchung), wie er es selbst in seinem Reisewerk oder im „Kosmos" wiederholt ausgesprochen hat. In den vorliegenden Briefen kommt dieser Gesichtspunkt erstmals gegenüber H. Lichtenstein zum Ausdruck, als er dessen „freien lebendigen Vortrag" (vermutlich für die Teilnehmer der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte im Jahre 1828) [13] lobte und dabei die von Lichtenstein eingeführten farbigen Etiketten zur Kennzeichnung des geographischen Vorkommens jeder Tierart im Zoologischen Museum hervorhob [14]. Humboldt erbat sich in diesem Brief einige dieser Kärtchen für Paris, als Beispiel für eine „Geographie der Thiere", und er fügt hinzu, „ein Wort, das S i e wohl hätten aussprechen sollen, da die verglichenen Faunen diese Wissenschaft sind." Und dann schließt sich eine weitergehende Anregung an: „Bei Ihren Betrachtungen über die 7*

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Verbreitung der Thierformen ist mir eine veraltete Spekulation von mir über die fixen Proportionen zwischen Säugethieren und Vögeln . . . eingefallen" [15], Wenige Jahre später, nach der Rückkehr von der russisch-sibirischen Reise drängte er seine beiden Begleiter G. Rose und Chr. G. Ehrenberg, die Reiseergebnisse in geschlossener Form zu publizieren, um der „schon in Petersburg verbreiteten Sage" entgegenzuarbeiten, „wir hätten nur Sammlungen haben wollen", es werde aber „nichts Ganzes über die Früchte erscheinen" [16]. Dabei dachte Humboldt nicht an Teilveröffentlichungen, vielmehr schrieb er 1831 an Ehrenberg: „Ich wage es nicht, meine Idee aufzudrängen . . . Aber eine große Freude würde es mir sein, wenn statt des Einrückens einzelner Abhandlungen in Zeitschriften Sie sich beide entschließen könnten, eigene Werke anzufangen . . . Zum Schwimmen muß man sich ins Wasser stürzen" [17]. Wie sich Humboldt etwas „Ganzes" vorstellte, das er speziell von Ehrenberg erwartete, erfahren wir, als er nach weiteren vier Jahren noch immer die Hoffnung ausspricht, „auch zu dieser Arbeit, einer Abhandlung über geographische Verhältnisse der Organismen, wird sich einst in Ihrem reichen Leben Raum finden" [18]. Immer wieder hat Humboldt auch in den folgenden Jahren versucht, seine Berliner Freunde zu tiergeographischen Arbeiten im Sinne einer vergleichenden Wissenschaftsdisziplin anzuregen, in dem Sinne, wie er sie in den „einleitenden Betrachtungen" des ersten Kosmos-Bandes (1845) kennzeichnete: „Die räumliche und klimatische Verbreitung organischer Typen (Geographie der Pflanzen und Thiere) ist so verschieden von der beschreibenden Botanik und Zoologie, als die geognostische Kenntnis des Erdkörpers verschieden ist von der Oryctognosie" [19]. Offenbar fühlte sich Humboldt in seinen Bestrebungen nach einer vergleichenden, überschauenden Tiergeographie - unter ökologischen Aspekten - von den Berliner Zoologen noch keineswegs voll verstanden. Das geht schließlich auch aus Briefen an W. Peters hervor. Bei den Arbeiten zum „Kosmos" bedurfte Humboldt als Ergänzung zu seinen eigenen botanischen Detailkenntnissen entsprechend verwertbarer zoologischer Daten, weshalb er sich 1853 mit gezielten Fragen an W. Peters (damals Prosektor bei Joh. Müller am anatomisch-zootomischen Museum) wandte. Aber dessen Antwort, eine „kleine Note über Antilopen", hatte ihn nicht befriedigt, und so bedrängte er Peters in einem längeren Brief beinahe ungeduldig und belehrend, als er schrieb: „Vielen Dank mein theurer Freund, für das Mss und die kleine Note über Antilopen. Sie haben die ganze Hand voll Wahrheit und sind doch recht homöopathisch in meiner Belehrung. Ich will Sie so nun mit einzelnen Fragen anzapfen. Es ist in meinem Buche gar nicht von Vollständigkeit die Rede, sondern von Beispielen, die den Geist andeuten, in dem ich Pflanzen- und Thiergeographie behandeln will. Dahin gehören örtliche Verbreitung der Arten, die ein Urphaenomen sind od. sich bisher gar nicht aus meteorol. Verhältnissen erklären lassen; umgekehrt klimatische Vertheilung, welche Species vielen Zonen gemeinschaftlich; Zahlenverhältnisse unter Mammalien, wie viel von einer grossen Ordnung (Chiroptera, Ruminantia, od. Nagethiere) in allen in einer bestimmten Zone lebenden Säugethieren, wie ich gefunden, daß überall in der temperirten Zone (lat. 45 0 bis 52 °) die Familie der Leguminosen Vis, die Labiaten Vso, die Composeen i/% der Summe aller Phanerogamen eines Districts sind. Meeresformen, die sich auf dem Lande in den Flüssen wiederholen: Raja, Delphine . . . Nachdem ich Sie nun, theurer Peters, über Ihre Kargheit gescholten, will ich mich auf's Flehen legen und ganz bestimmte Fragen thun, die ich als Beispiele der Behandlung des Gegenstandes zu Noten brauche. Vergessen Sie nicht, daß meine Bücher bisweilen darum Glük machen und Vertrauen erregen, weil neben der größten Verallgemeinerung der Erscheinungen in das Aller100

Particulärste eingegangen wird. Das ist ein Kunstgriff der Composition, auf den ich viel halte . . . " [20], Die nun folgenden konkreten Fragen gruppierte Humboldt zu drei Themenkomplexen, die eigentlich seiner Zeit vorausgreifen und erst in der nachdarwinschen Biologie verstanden und einer Lösung zugeführt werden konnten. 1. wollte Humboldt „etwas über Zahl und Formanalogien der americanischen Antilopen" wissen, ob es in America Antilopen aus den Gebirgen der tropischen Zonen gäbe wie Peru, Brasilien? Ob es „etwas Antilopenartiges in Südsee, Australien" gäbe (woran er zweifle)? Ob man Zahl und eigene Species an der Ost- und Westküste Afrikas unterscheiden könne und wie viele Antilopen-Species wohl im Kaplande zusammengedrängt seien? Zur Klärung dieser Fragen verweist Humboldt auf Literatur von Prinz Maximilian zu Wied, von Tschudi und auf die Zoologie der Reise von Ch. Darwin. 2. wünschte Humboldt „etwas Allgemeines, mit Angabe der Genera und Orte, über die Thiere, die wie in ihrer Entwickelung stehen geblieben" seien, wie „halb entwickelte Salamander-Kinder" oder „meine Axolotl" aus Mexico, und was davon in jedem Weltteil existiere; auch wünschte Humboldt „eine kurze Auseinandersezung, was von diesen Uebergangsthieren den Salamandern, Schlangen . . . , was den Fischen am nächsten" stehe und ob es solche Formen fossil gäbe. 3. möchte Humboldt etwas über Tiere mit verkümmerten Augen wissen und ob dies nur unterirdisch lebende Tiere beträfe, z. B. den blinden, höhlenbewohnenden Fisch Nordamerikas; „auch ein Wort über blinde Mammalien" wie die Talpaceae (Maulwürfe) erbittet er von Peters oder Joh. Müller. Da sich zu allen diesen interessanten Fragen im „Kosmos" jedoch keine detaillierten Angaben oder ein Hinweis auf W. Peters und J. Müller in diesem Zusammenhang finden, werden die Berliner Zoologen damals mit diesen Fragen Humboldts wohl überfordert worden sein. Aber Humboldt wußte, daß sich der junge Ch. Darwin schon in seiner Reisebeschreibung, die ihm der Autor im Erscheinungsjahr 1839 zugesandt hatte [21], mit solchen Problemen auseinandergesetzt hatte wie dem Einfluß klimatischer Bedingungen auf die Verbreitung von Tierarten, der Artenzusammensetzung in einem Faunengebiet oder mit Vergleichen über die analogen Tierformen verschiedener Kontinente. Aus Briefen an Ehrenberg (den Humboldt auch über den Gebrauch optischer Instrumente zu Rate zog, z. B. über ein Reisemikroskop von Chevalier aus Paris [22], über Mikroskope von Pistor und Schieck in Berlin [23] oder ein Amici-Mikroskop [24]) erfahren wir, daß Humboldt in den letzten zwei Lebensjahrzehnten interessiert die zeitgenössischen Auseinandersetzungen über den Formen- und Artenwandel verfolgte und z. B. die Transmutationsvorstellungen von L. Agassiz gegenüber Ehrenberg und Peters, verteidigte, die allen naturphilosophischen Ideen von einem Artenwandel abgeneigt waren. Ehrenbergs scharfe Unterscheidung von Varietät und Art, mit der er die Konstanz der letzteren begründete, hatten Humboldt „sehr aufgeregt", und er resümiert Ehrenbergs Ansicht: „Ich verstehe demnach, als gäbe es zwei Ursachen der Formveränderung: a) eine, die mehr von dem Urtypus selbst aus inneren Ursachen ausgeht. Varietäten, die unter allen Zonen eine Species umgeben, ein Oszillieren derselben Form, in bestimmten Grenzen Gruppen bildend, die sich fortpflanzen; b) Formveränderungen mehr durch äußere Ursachen klimatischer Unterschiede bestimmt. Wahre Species, kein Oszillieren, Beharren in der Form" [25]. Die Negierung eines Artenwandels durch Ehrenberg resultierte aus seiner konsequen101

ten Ablehnung der spekulativen, teilweise metaphysischen Entwicklungsideen der romantischen deutschen Naturphilosophie, die auch in Berlin ihre Vertreter hatte [26], in diese Abneigung waren auch die Arbeiten von L. Agassiz (1807-1873), den Humboldt förderte, einbezogen, insbesondere seine Arbeiten über fossile Fische [27], worauf sich Humboldts Brief an Ehrenberg bezieht als er 1838 schrieb: „Hier, mein theurer Freund, das lezte Heft von Agassiz, das schöner als die vorigen ist. Gerade die Blätter, die man wahrscheinlich Ihnen hat mit Gehässigkeit bezeichnen wollen (p. 59-64), haben mir von dem größten Interesse geschienen, und das seit Aristoteles gebrauchte Wort Naturphilosophie, das man auf alle Aufsuchung des Gesezlichen in dem Organismus anwenden kann, hat mich, wie es p. 63 steht, nicht erschreckt. Wenn man vorher eine Masse isolierter Beobachtungen über das allmähliche Erscheinen der Organismen nüchtern gegeben, kann man sich ja wohl eine allgemeine Vermuthung erlauben. Agassiz sagt ja nicht, daß ein Fisch zum Pachydermen wird, er macht bloß auf die Epochen des Erscheinens aufmerksam. Poissons sauroides, Fische, die mit Saurier viel gemein haben, dann einzelne Saurier, dann solche, die den Cetaceen ähnlich sind. Ich glaube nicht, daß man den Gebrauch der Vernunft oder gar das Wort Naturphilosophie verpönen darf, man muß nur dem Worte durch bessere Anwendung der Vernunft zu Ehren helfen. Das Anordnen des Empirischen nach Ideen ist eine erlaubte Naturphilosophie, das Schaffen aus bloßen Ideen, ohne empirisches Substrat, ist eine verderbliche . . . Geognosie führt auf Zeitfolge und also auf die gefährlichen Wege des Grübelns über das Werden, Entstehen, die Christen sagen Schaffen. Das ist die Nachtseite unseres Wissens, aber ein träumerisches Wort darüber ist neben vielen nicht erträumten Factis wohl zu entschuldigen . . ." [28]. Diese aufschlußreiche Äußerung Humboldts muß natürlich im Zusammenhang mit seiner eigenen empirischen Forschungsweise und der sonstigen Zurückhaltung von voreiligen Schlußfolgerungen gesehen werden, die ihn andererseits auch Agassiz's „Idee der Gebirgsarten, die sich organisch auseinander entwickelten", tadeln ließ [29], oder Ehrenberg 1852 loben, daß er „einmal mit logischer Strenge in das lockere Treiben unserer Zeit, in die sich wiederholenden Saturnalien der sogenannten Naturphilosophie gefahren" sei [30], Zweifellos war es die sachlich-nüchterne Faktenforschung zusammen mit dem „Anordnen des Empirischen nach Ideen", was Humboldts Einfluß auf die jüngere Naturforschergeneration bedingte, die die Entwicklung der Biologie im 19. Jh. maßgeblich prägte, wie M.J.Schleiden durch seine „induktive" Botanik [31], E. Haeckel durch seine „Generelle Morphologie" [32] und vor allem Ch. Darwin durch seine „Entstehung der Arten" [33], die in Humboldts Todesjahr erschienen. Zum Schluß seines Hauptvortrages hat Herr Professor Lehmann gestern diese Vorbildwirkung Humboldts auf junge Wissenschaftler betont, was für die drei Biologen genau zutrifft. In dem kurzen Schriftwechsel zwischen Darwin und Humboldt wurde das 1839 explicit ausgesprochen, als Humboldt, damals 70jährig, dem Dreißigjährigen für die Übersendung seiner Reisebeschreibung [34] dankte und hinzufügte: „Sie sagen mir in Ihrem freundlichen Brief, daß meine Art, die Natur der heißen Zone zu studieren und zu zeichnen, dazu beitragen konnte, in Ihnen den Eifer und das Verlangen nach weiten Reisen zu entfachen. Nach der Wichtigkeit Ihrer Arbeiten wäre das der größte Erfolg meiner schwachen Arbeiten. Die Werke sind nur gut, so weit sie bessere entstehen lassen" [35],

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Literatur [1] Z . B . Brief Humboldts an F . Arago, am 2 . 7 . 1 8 4 9 in der Pariser Acad. des sciences verlesen, gedr. in Comptes rendus B d . 29, S. 8 - 9 : „Occupé moi-même depuis plus d'un demi-siècle de ce genre de recherches physiologiques . . . " [2] Ebenda. [3] Humboldt, A . v . : Kosmos, Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, B d . 1, 1845, S. 368. [4] Vgl. M . J . S c h l e i d e n : Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik, Leipzig 1 8 4 2 - 1 8 4 3 (2. Aufl. D i e Botanik als inductive Wissenschaft behandelt, Leipzig 1 8 4 5 - 1 8 4 6 ) . [5] Über H.s Förderung für Lichtenstein und Ehrenberg vgl. E . Stresemann : Hinrich Lichtenstein, Lebensbild des ersten Zoologen der Berliner Universität, in: Forschen und Wirken, B d . 1. Berlin 1960, S. 7 3 - 9 6 , spez. S. 87 ff. Über seinen Einfluß auf Schleiden vgl. I . J a h n : Matthias Jacob Schleiden an der Universität Jena, in: Beih. z. Zschr. N T M , Berlin 1963, S. 6 3 - 7 2 , und über E . D u Bois-Reymond vgl. I. Jahn : D i e Anfänge der instrumenteilen Elektrobiologie in den Briefen Humboldts an Emil D u Bois-Reymond, in: Medizinhist. J . 2 (1967), S. 1 3 5 - 1 5 6 . [6] Vgl. dazu auch I. Jahn : The influence of Alexander von Humboldt on young biologists and biological thinking during the X l X t h century, in: Actes X I e Congr. Int. d'Hist. Sc. 1965, B d . 5, Wroclaw - Varsovie - Cracovie 1968, S. 8 1 - 8 6 , sowie Über die Einwirkung A . v. H.s auf die Entwicklung der Naturwissenschaften an der Berliner Universität, in: Wiss. Z. d. HumboldtUniv. Berlin, Math.-Nat. R. 21 (1972), S. 1 3 1 - 1 4 4 . [7] Briefe H.s an Altenstein, Zentr. Staatsarchiv Merseburg, Rep. 76, I. Sekt. 30, Abt. 1, N r . 429, Bl. 116 r (Brief v. 2 9 . 4 . 1833). [8] Brief H.s an Lichtenstein, Febr. 1851, Jahn 1972 (s. Anm. 6), S. 141. [9] Brief H.s an Ehrenberg (v. 5. 5. 1854), Ehrenberg-Slg. im Paläont. Museum des Museums für Naturkunde der Humboldt-Univ., Briefband 3. [10] Ehrenberg, Chr. G . : D i e Infusionsthierchen als vollkommene Organismen - ein Blick in das tiefere organische Leben der Natur, Leipzig 1838. [11] Zitiert nach einer von der A . v. Humboldt-Forschungsstelle der A d W der D D R freundlicherweise zur Verfügung gestellten Transkription. [12] D a ß dieses Briefwerk auch für diese biologiegeschichtliche Auswertung erschlossen und zugänglich ist, verdanke ich der A.-v.-Humboldt-Forschungsstelle der A d W der D D R , insbesondere Herrn Prof. D r . K . - R . Biermann, sowie dem früheren Leiter, Herrn Fritz G . L a n g e ; für den Vortrag wurden vor allem auch die Briefe Humboldts an Ehrenberg und an W. Peters genutzt, wofür ich dem Z. Archiv der A d W der D D R , F r a u D r . Christa Kirsten, danken möchte. [13] Über die Bedeutung dieser Versammlung und die Zusammenarbeit von Humboldt und Lichtend e m bei ihrer Durchführung vgl. H . D e g e n : D i e Naturforscherversammlung zu Berlin im Jahre 1828 und ihre Bedeutung für die deutsche Geistesgeschichte, in: Naturwiss. Rundsch. (1956), S. 3 3 3 - 3 4 0 . [14] Vgl. H. Lichtenstein: D a s zoologische Museum der Universität zu Berlin. Berlin 1816. [15] Brief H.s an Lichtenstein (undat.), in: Westermann's J b . 14 (1863), S. 545. [16] Brief H.s an Ehrenberg v. 19. 12. 1 8 3 1 ; Zentr. Archiv der A d W der D D R , Nachlaß Ehrenberg N r . 421, S. 5 7 - 5 8 . [17] [18] [19] [20]

Ebenda. Brief H.s an Ehrenberg, ca. 1835, ebenda S. 1 1 1 - 1 1 2 . Kosmos, Bd. 1. 1845, S. 39. Brief H.s an W . P e t e r s (undat., nach 1 7 . 8 . 1 8 5 3 ) ; Zentr. Archiv Literatur-Archiv.

der A d W der D D R ,

Abt.

[21] Darwin, Ch.: Narrative of the surveying voyages of Her Majesty's Ship „Adventure" and „ B e a g l e " between the years 1 8 2 6 - 1 8 3 6 . . . Vol. 3, Journal and remarks 1 8 3 2 - 1 8 3 6 , London 1839. [22] Briefe H.s an Ehrenberg (undat.) ca. 1828, Zentr. Archiv d. A d W D D R , a. a. O und S. 15.

Nr. 421 S 9

[23] Brief H.s an Ehrenberg (undat.) ca. 1840, ebenda S. 238 und S. 461. [24] Brief H.s an Ehrenberg (undat.) 1833 oder 1834, ebenda S. 6 5 - 6 6 . (anläßl. E . s Untersuchungen über Gehirn- und Nervenanatomie). [25] Ebenda. [26] Z . B . der Ordinarius für Botanik H . F . Link ( 1 7 6 7 - 1 8 5 1 ) oder der Botaniker und Physiologe K . H. Schultz-Schultzenstein ( 1 7 9 8 - 1 8 7 1 ) . [27] Agassiz, L . : Recherches sur les poissons fossiles, Paris 1 8 3 3 - 1 8 4 2 .

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[28] [29] [30] [31] [32] [33]

Brief H.s an Ehrenberg (undat., ca. 1833 od. 1834), a. a. O. Nr. 421, S. 174-175. Ebenda. Brief H.s an Ehrenberg v. 21. 1. 1852, Zentr. Archiv der A d W der D D R , a. a. O. S. 362-363. Siehe Anm. 4. Generelle Morphologie der Organismen, Jena 1866. On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of faaoured races in the struggle for life, London 1859. [34] Siehe Anm. 21. [35] Brief H.s an Ch. Darwin v. 18. 9. 1839, Darwin Papers, University Library Cambridge (Engl.); Orig. französ.; dt. Übers, gedr. in I . J a h n : Dem Leben auf der Spur - Die biologischen Forschungen Humboldts. Leipzig - Jena - Berlin 1969, S. 185-190; orig. Wortlaut des Zitats: „Vous me dites dans Votre aimable lettre que, très jeune, ma manière d'étudier et de peindre la nature sous la zone torride avoit pu contribuer à exciter en Vous l'ardeur et le désir des voyage lointains. D'après l'importance de Vos travaux, Monsieur, ce seroit là le plus grand succès que mes faibles travaux auroit pu obtenir. Les ouvrages ne sont bons qu'autant qu'ils en font naître de meilleurs."

Frank Richter

Philosophie auf dem Prüfstand zweier Jahrhunderte

So unbillig wäre es nicht, von einem Referenten aus der Bergstadt Freiberg zu erwarten, er möge sich über eine Tätigkeit Alexanders von Humboldt äußern, die den damaligen Bergbau in Theorie und Praxis betrifft und welche im großen und ganzen seinen naturwissenschaftlichen Studien vorausgeht. Dagegen soll über Philosophie geredet werden, über Philosophie auf dem Prüfstand zweier Jahrhunderte, geprüft auf Verwendbarkeit, Nützlichkeit, wenigstens: Verträglichkeit. Mit Bergbau und Montanwissenschaften scheint das nun allerdings nichts oder nur sehr wenig zu tun zu haben; kaum ist ein schreienderer Gegensatz zwischen dem Hauer vor Ort und dem Philosophen an Schreibtisch und Katheder vorstellbar. Wir werden jedoch sehen, daß sich auch diese Extreme berühren. Vorerst soll jedoch betont werden, daß es nicht mein Anliegen ist, die bisher vorliegenden Analysen zu den philosophischen Positionen A. v. Humboldts zu kommentieren oder zu vertiefen. Hier ist auf die entsprechende Literatur zu verweisen [1], Vielmehr soll es um die Frage gehen, ob und wie die Philosophie helfen kann, einen dem objektiv-realen Kosmos im Humboldtschen Sinne entsprechenden Kosmos der Wissenschaften zu schaffen - als eine der Voraussetzungen dafür, daß die Wissenschaft den von ihr in unserer Epoche erwarteten Beitrag auch wirklich zu leisten vermag. Dabei interessieren insbesondere zwei Teilprobleme: das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis sowie die Beziehung von Einzelwissenschaft und Philosophie. Die Bemerkungen zu Wissenschaft und Praxis werden relativ kurz ausfallen und speziell Humboldts Erfahrungen in dieser Hinsicht aus Freiberger Sicht reflektieren: Der für damalige Verhältnisse schon „alte", 21jährige Alexander von Humboldt absolviert in ca. 8% Monaten ein Studium an der Bergakademie Freiberg, verbunden mit harter körperlicher Arbeit und systematischen wissenschaftlichen Untersuchungen. Beides ist auf Körper und Geist des heranwachsenden Naturforschers nicht ohne Einfluß geblieben, ohne Zweifel trug diese Verbindung entscheidend zur Persönlichkeitsentwicklung Humboldts bei. Später interessieren ihn Fragen der Bewetterung in den Gruben des fränkischen Fichtelgebirges nicht nur aus ökonomischen, sondern zumindest gleichermaßen aus humanistischen Gründen. In moderner Terminologie hieße das: Humboldt begriff die den Ingenieurwissenschaften innewohnende Tendenz zur Integration naturwissenschaftlicher, technischer und sozialer Aspekte. Ais Oberbergmeister in preußischen Diensten müht er sich um die Realisierung dieser Tendenz unter dafür äußerst ungünstigen gesellschaftlichen Bedingungen. Als er diese Tätigkeit aufgibt und sich der „reinen" Naturforschung zuwendet, nimmt er aus seiner Freiberger Zeit die dort weiter vertiefte methodische Überzeugung mit, daß Naturforschung ohne exakteste Detailforschung zum einen und ohne Einordnung der Details in ein übergreifendes Ganzes andererseits nicht zum gewünschten Ergebnis führen kann. Jenes Ganze ist Ordnung, Struktur, Kosmos, als durch objektive Naturbedingungen selbst gesetzte Ordnung ist dieser Kosmos: Gesetz. Wunder sind damit ausgeschlossen, und der in diesem Beitrag noch eine Rolle spielende Freiberger Geologe Bernhard von Cotta schreibt im Jahre 105

1848 in den Briefen über A. v. Humboldts Kosmos: Die Welt bleibt anbetungswürdig genug, wenn man alle ihre Einzelheiten als gesetzmäßig und keine als Wunder erkennen sollte [2], Wir sehen, wie nahtlos sich der Übergang zum zweiten Problemkomplex, dem Verhältnis von Einzelwissemchaft und Philosophie, gestaltet. Ein wissenschaftliches Streben nach Ordnung, also eine die bloße Empirie überschreitende Forschung - Humboldt nennt es „denkende Betrachtung des Beobachteten" [3] - stößt auf Fragen, damit also auf Aufgaben, die auf den ersten Blick naturwissenschaftliches Fragen zu überschreiten scheinen. Wir sind geneigt zu sagen, es handele sich dabei um philosophische Fragen. Bevor wir die Berechtigung einer solchen Zuordnung prüfen, sollen einige markante Punkte in der Geschichte der Verknüpfung von Naturwissenschaft und Philosophie genannt werden: - Georgius Agricola, der „Vater der Montanwissenschaften" [4], nannte seine wissenschaftliche Tätigkeit Philosophie, weil sie mehr als eine bloße Beschreibung sein und Spekulation in Gestalt von Alchimie und Astrologie überwinden sollte. - I. Newton verstand sein Hauptwerk als Darlegung der mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie. - Die romantischen Naturforscher bzw. Naturphilosophen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wie Oken, Oerstedt, Steffens u. a. bemühten sich um eine Überwindung empiristischen Denkens durch die Entwicklung von Ganzheits- und Evolutionskonzepten. - Die Naturphilosophie innerhalb der klassischen deutschen Philosophie (Schelling, Hegel) begreift sich bereits nicht mehr als Naturwissenschaft, sondern als eine Bestimmung der Voraussetzungen der Naturforschung [5], - F. Engels verweist auf die sich in den Naturwissenschaften immer stärker durchsetzende Dialektik in Gestalt von Ganzheits- und Entwicklungskonzepten, wodurch eine aparte Naturphilosophie überflüssig werde [6]. Die Naturwissenschaft verwandele sich in ein System der materialistischen Naturerkenntnis. In der Reihe der Persönlichkeiten, die sich um das Schlagen von Breschen in die alte metaphysisch-mechanizistische Naturauffassung verdient gemacht haben, wird A. v. Humboldt an 6. Stelle genannt [7]. - Marx betont in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 die Einheit von Natur und Gesellschaft und fordert eine einheitliche Wissenschaft, welche Natur- und Gesellschaftswissenschaft in einem ist [8]. Auch wenn diese Formulierung in manchem an Forderungen der romantischen Naturforschung erinnert, so wird damit die Grundlage für ein dialektisch-materialistisches Konzept künftiger Wissenschaftsentwicklung, eingebettet in ein umfassendes Gesellschaftskonzept, gelegt. Diese Entwicklung ist so glatt nicht verlaufen und sowohl aus objektiven wie subjektiven Gründen sehr widerspruchsvoll reflektiert worden. Humboldt äußert sich im „Kosmos" zu diesen Dingen sehr vorsichtig. Die den alten Griechen gleichsam intuitiv gegebene Idee vom Kosmos sei heute als Ergebnis langer, mühevoll gesammelter Erfahrungen darzustellen [9]; der rohe Stoff empirischer Anschauung ist dabei gleichsam durch Ideen zu beherrschen, ohne daß die Naturwissenschaft ihren Charakter als Erfahrungswissenschaft verlieren dürfe. Den Geist der Natur ergreifen - ja, aber nicht durch die Konstruktionen einer rationalen Wissenschaft der Natur. Philosophie und Naturforschung treten nicht in Widerspruch, wenn die beiden Extreme Hohlheit in der Spekulation und Anmaßung der Empirie vermieden werden. Dann ist die Philosophie keine Bedrohung für den Schatz empirischer Anschauung, vielmehr ist eine durch wissenschaftliche Erfahrung begründete Weltanschauung möglich. 106

Zollt Humboldt den Philosophen seiner Zeit - reduziert allerdings auf die Vertreter der klassischen deutschen (idealistischen) Philosophie - in diesem Zusammenhang seine Hochachtung, so geht der Freiberger Geologe B. v. Cotta mit der Philosophie Hegels und Schellings weitaus härter zu Gericht: Die spekulierenden Metaphysiker leiten die Natur aus dem Begriff her, weil sie vergessen haben, wie sie eigentlich zu ihren Abstraktionen gekommen sind. Die Irrtümer der Naturphilosophen beruhen entweder auf mangelhaftem Tatsachenwissen oder auf ganz unpassenden Ideen zu ihrer Verbindung [10], Spinoza, Leibniz, Kant, Fichte und Hegel hätten Außerordentliches geleistet; sobald sie jedoch das Gebiet der Natur berührten, und hier werden insbesondere Scheliing, Steffens und Oken genannt [11], beginnen die Irrtümer. Interessant ist dabei seine Überlegung, die spekulative Philosophie habe sich wohl deshalb in Deutschland vorzugsweise ausgebildet, weil eine praktische Philosophie der Politik bisher unmöglich war, selbst unter der Einschränkung, daß Cotta die sich gerade in dieser Hinsicht in jenen Jahren vollziehenden Veränderungen nicht erkennt. Cotta geht schließlich so weit, die Dialektik gänzlich abzulehnen und diese mit einer spekulativen Naturphilosophie zu identifizieren. Da man die Reihe solch kritischer Stimmen leicht fortsetzen kann (z. B. Justus von Liebig), scheint die Prüfung der Philosophie im vergangenen Jahrhundert durch die Naturwissenschaften mit dem Ergebnis „non sufficit" zu enden. - Eine solche Wertung ist jedoch aus mehreren Gründen nicht korrekt: 1. So wie Hegel keineswegs den Streit um die Existenz eines weiteren Planeten zwischen Mars und Jupiter zu entscheiden die Absicht hatte, sondern nur zwei verschiedene mathematische Progressionen (nämlich die Bode'sche und die Plato/Kepler-Reihe) vergleicht, welche das allgemeine Gesetz für die Abstände der Planetenbahnen abgeben könnten (wobei im zweiten Fall kein Platz für einen weiteren Planeten vorhanden wäre), so will die klassische deutsche Naturphilosophie, welche von der der Renaissance und der Romantik zu unterscheiden ist, nicht in den Gang der Naturforschung eingreifen, sondern nur deren Voraussetzungen klarstellen. Naturphilosophie ist für Schelling keine allgemeine Theorie der Natur, sondern eine systematische philosophische Begründung der Möglichkeit objektiver Wahrheit [12], Dennoch gab es Grenzüberschreitungen, und dies nicht nur bei der romantischen Naturphilosophie, zu der neben den schon Genannten auch Goethe und A. v. Humboldt gezählt werden können. Insbesondere der ältere Schelling hielt eine Naturerscheinung bereits dann für begriffen, wenn sie z. B. unter die Kategorie der Polarität subsumiert werden konnte, wogegen der „aufrichtige Jugendgedanke" (K. Marx) Schellings von der Selbstproduktion und -Organisation der Natur von der damaligen Naturforschung noch nicht rezipiert werden konnte. 2. F. Engels erkannte, daß sich die Naturphilosophie zur dialektisch vorgehenden Naturwissenschaft wie der utopische zum wissenschaftlichen Sozialismus verhält [13]. Wohlgemerkt - er setzt die Naturphilosophie nicht ins Verhältnis zu seiner eigenen philosophischen Konzeption, etwa der Naturdialektik, denn diese stellt für Engels ja gar keine Philosophie dar, sondern eine „einfache Weltanschauung, die sich in den Naturwissenschaften zu bewähren hat" [14] und die eigentlich von diesen Wissenschaften selbst hervorgebracht wird - was Lenin später auch zum Verhältnis von Dialektik und Physik sagen wird [15]. - So kann man wohl behaupten, daß die Naturphilosophie auf Wissenschaftler wie A. von Humboldt in zweifacher Weise gewirkt hat: positiv als Druck zur Überwindung flach-empiristischen Denkens und hin zur theoretischen Verallgemeinerung, negativ als abschreckendes Beispiel durch bestimmte Mißerfolge. Objektiv hat die Philosophie also auch im vergangenen Jahrhundert ihre Prüfung gegenüber den Naturwissenschaften bestanden, und damit wird deutlich: Selbst die Natur107

philosophie dieser Zeit war eine eminent politische Angelegenheit, denn die Wissenschaftsentwicklung in dieser Zeit ist nicht zuletzt Ausdruck der Realisierung von zunächst durchaus progressiven Klasseninteressen. 3. Bis in die Gegenwart hinein, und damit tritt das nächste Jahrhundert in unser Blickfeld, ist die Diskussion um das Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft lebendig [16], und gelegentlich ist dabei auch die Frage nach einer marxistisch-leninistischen Naturphilosophie gestellt worden. Möglicherweise sind die fast immer ablehnenden Stimmen noch durch eine Interpretation der klassischen deutschen Naturphilosophie geprägt, die nicht in jeder Hinsicht der Intention ihrer Begründer entspricht. Treder hat erst unlängst auf positive Aspekte in Hegels Naturphilosophie verwiesen (sie könne zwar keine Naturwahrheiten, wohl aber Denkmöglichkeiten für Naturforschung sichtbar machen) [17], denen weiter nachgegangen werden sollte. Das Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft im vergangenen Jahrhundert ist also durch eine Reihe von Asynchronizitäten und von fehlenden Anschlußstücken, demzufolge dann auch von Mißverständnissen geprägt worden; auch die entsprechenden Arbeiten von Marx, Engels und Lenin haben da nicht sofort Abhilfe schaffen können. Ja, es schien so, als ob der Graben zumindest zwischen der materialistischen Philosophie und moderner Naturwissenschaft in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts noch weiter vertieft würde. Mittlerweile ist der Nachweis der Verträglichkeit geleistet worden, heute sind die Ansprüche weiter gewachsen. Die Naturwissenschaften haben an dialektischer Ausdruckskraft gewonnen - Engels wie Humboldt hätten ihre Freude an ihnen. Was letzterer noch sehr behutsam ansprach, die Evolution, ist heute Gegenstand auch von Physik, Kosmologie, Chemie - von Geologie und Biologie sowieso. Verbale Gegner der Dialektik können führende Positionen in der Evolutionsforschung einnehmen - so weit geht also heute die Dialektik! Dennoch haben wir jenen, eingangs erwähnten Kosmos der Wissenschaften noch nicht - weder hinsichtlich der Naturwissenschaften selbst und erst recht nicht in Bezug auf das Gesamtgebäude der Wissenschaften, wobei bestimmte Fortschritte durch Gegentendenzen eingeschränkt werden. Die Ursachen dafür sind mannigfaltig, wobei in erster Linie die Antagonismen unserer Epoche genannt werden müssen, welche die integrative Funktion der Gesellschaftswissenschaften nur partiell umzusetzen gestatten. Die spontane Dialektik von Integration und weitergehender Spezialisierung in allen Wissenschaftsgebieten und im Gesamtsystem tut ihr übriges, die Herausbildung jenes Kosmos zu einem langfristigen, widersprüchlichen Prozeß zu gestalten. Was liegt näher, als unter diesen Bedingungen mit der Forderung an die Philosophie heranzutreten, jenen Marxschen Gedanken von der einen Wissenschaft weiter auszuführen und seine Realisierungsmöglichkeiten theoretisch zu konkretisieren. Damit ist nicht nur die Frage nach der Lösung eines praktischen Problems aufgeworfen, sondern auch die Frage nach der Wirklichkeit von Philosophie in einer Zeit zunehmend dialektischer werdender Einzelwissenschaft. Einer der rationellen Grundgedanken der Naturphilosophen des vorigen Jahrhunderts war ja der, daß der Naturforscher selber philosophisch bewußt, hier: dialektisch vorzugehen habe. Daraus entstand dann „folgerichtig" die Überlegung, daß Philosophie als eigenständiges theoretisches System überhaupt unnötig werde [18], Erscheint uns diese Konsequenz übertrieben, so bleibt wohl nur - um nicht wieder in vormarxistische philosophische Systembildnerei zurückzufallen - folgender Ausweg: Philosophie muß, um praktisch wirken zu können, in einem Prozeß theoretischer Konkretisierung aufgehoben werden. Dieser Vorgang führt einmal aus der Philosophie heraus (so ist die politische Ökonomie von Marx eine solche Aufhebung), zum anderen jedoch auf die Ausgangskategorien zurück (der durch die Schule des Kapital gegangene Ma108

teriebegriff ist konkreter geworden). Philosophie ist dann nichts anderes als eine bestimmte Form theoretischer Entwicklung mit der Zielsetzung, die praktischen Interessen der Arbeiterklasse nach einem Leben in Frieden und Freiheit hinsichtlich ihrer allgemeinen Realisierungsbedingungen unter Gebrauch des gesamten Fundus menschlichen Wissens begrifflich fassen zu können. Gelingt das, so lassen sich die daraus ergebenden Anforderungen ins allgemeine Bewußtsein erheben; Philosophie wird dann zur Weltanschauung. Dieser Prozeß ist als „Kreis von Kreisen" (Hegel), noch besser als Spirale vorstellbar und Letztbegründungen lassen sich nun nicht mehr denken. Das gilt natürlich auch hinsichtlich der künftigen Wissenschaftsentwicklung. Mit dem heute verfügbaren Wissen jenen Gedanken von Marx „auszuführen", wäre in theoretischer Form nichts anderes als jenes von Humboldt und anderen so heftig abgelehnte spekulative Philosophieren. Wollen wir nun unser Wissen konkretisieren, so müssen wir die Gesetze der Wissenschaftsentwicklung aufdecken, welche nun aber selbst Entwicklungsgesetze sein werden. Gegenwärtig prüft unsere Philosophie die Rolle von Widersprüchen, Zufällen und Möglichkeitsräumen hinsichtlich solcher Gesetze [19], gleichzeitig wird untersucht, inwiefern sich Wissenschaftstheorie als ein Weg der Konkretisierung philosophischer Kategorien entwickeln läßt [20]. Dabei deutet sich jetzt schon an, daß eine Polymodellierung philosophischer Grundkategorien (z. B. „Wissenschaft") auch im Rahmen des dialektischen und historischen Materialismus nützlich sein kann, wobei miteinander konkurrierende Modelle entstehen. Diese haben unterschiedliche Wissenschaftsgebiete als Ausgangspunkt, wobei unter den gegenwärtigen Bedingungen die Technikwissenschaften besonders interessant sind [21]. Leider kann das nicht weiter ausgeführt werden, zumal sich dieses hier vorgetragene Konzept von Philosophie selbst noch in der Diskussion befindet. Neben vielen anderen Argumenten kann es sich jedoch auch auf die von Humboldt praktizierte innige und zugleich behutsame Verknüpfung von Philosophie und Naturforschung stützen. So wie es keine linearen Determinationen gibt, so ist auch nicht nur die Philosophie auf dem Prüfstand; letztlich wird die Wissenschaft insgesamt in die Verantwortung genommen.

Literatur [1] Vgl. dazu insbesondere die Arbeiten von E. Herlitzius, K . Reiprich und P. Möller im Sammelband Alexander von Humboldt. Seine Bedeutung f ü r den Bergbau und die Naturforschung, Berlin 1 9 6 0 (Freiberger Forschungshefte Reihe Kultur und Technik, D 3 3 ) ; vgl. aber auch K . Wenig, Alexander von Humboldt, Dt. Z. f. Phil. 3 2 ( 1 9 8 4 ) , 4, S. 3 1 0 f. [2] Cotta, B.: Briefe über A . v. Humboldts Kosmos (1. Teil), Leipzig 1 8 4 8 , S. 3 0 7 . [3] Humboldt, A . v . : Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, 1. Bd., Stuttgart und Tübingen 1 8 4 5 , S. 5. [4] Vgl. dazu: Philosophische und historische Fragen der Entwicklung der Bergbauwissenschaften (1. Agricola-Kolloquium), Aktuelle Fragen der marxistisch-leninistischen Wissenschaftstheorie, Bergakademie Freiberg 1 9 8 1 . [5] Schelling, F. W . J . : Über das Verhältnis der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt, in: F. W . J. Schelling/G. W . F. Hegel, Kritisches Journal der Philosophie ( 1 8 0 2 / 1 8 0 3 ) , Leipzig 1 9 8 1 , S. 1 6 4 . [6] Engels, F.: Anti-Dühring, Marx-Engels-Werke Bd. 20, S. 24, 1 2 9 . [7] Engels, F.: Dialektik der Natur, Marx-Engels-Werke Bd. 20, S. 4 6 6 . [8] Marx, K . : Ökonomisch-philosophische Manuskripte von 1 8 4 4 , Marx-Engels-Werke, Ergänzungsband 1, S. 5 4 4 . [9] Humboldt, A . v . : Kosmos, a. a. O. S. 4. [ 1 0 ] Cotta, B . : Briefe über A .v. Humboldts Kosmos (3. Teil, 2. Abt.), Leipzig 1 8 5 2 , S. 4 4 7 . [ 1 1 ] Cotta, B . : Briefe . . . , (1. Teil), a. a. O., S. 339.

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[12] Schelling, F. W. J . : Über das Verhältnis der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt, a. a. O., S. 165. [13] Engels, F.: Anti-Dühring, a. a. O., S. 12. [14] Ebenda, S. 129. [15] Lenin, W. I.: Materialismus und Empiriokritizismus, Lenin Werke Bd. 14, S. 316. [16] Vgl. z . B . Wessel, K.-F.: Marxistisch-leninistische Philosophie und die Wissenschaften, Dt. Z. f. Phil. 32 (1984), H . 5 . S. 460. [17] Treder, H.-J.: Hegel zu den Begriffen „Schwere", „Trägheit", „Masse" und „Kraft", in: M. Buhr und T. I. Oisermann (Hrg.): Vom Mute des Erkennens, Berlin 1981, S. 208. [18] Vgl. dazu Richter, F . : Dialektik in der Geologie oder dialektische Geologie? Z. f. angew. Geologie? Z. f. angew. Geologie 1983, H. 12, S. 593. [19] Hörz, H., und Wessel, K.-F.: Philosophische Entwicklungstheorie, Berlin 1984. [20] Richter, F., und Gebauer, H . : Philosophie-Politik-Wissenschaft, Dt. Z. f. Phil. 31 (1983), H. 8, S. 954. [21] Ebenda S. 955.

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Horst Fiedler

Alexander von Humboldt und Georg Forster

Unter den prägenden Eindrücken, die Alexander von Humboldt in seiner Jugend empfing, steht Georg Forster in der ersten Reihe. Mit Forster war Humboldt „der hellste Stern seiner Jugend aufgegangen", schrieb der Humboldt-Biograph Julius Löwenberg [1], Mehr oder minder ausführlich und mehr oder minder zutreffend schildern alle biographischen Darstellungen Humboldts Freundschaft mit Forster und den fortdauernden Einfluß, der von Persönlichkeit und Schriften des 15 Jahre älteren „deutschen Weltumseglers" auf Humboldt ausging. Am schönsten und tiefsten ist dieser Einfluß in Humboldts eigenen Schriften zum Ausdruck gebracht, im „Kosmos" etwa, dessen zweiter Teil ein bleibendes Denkmal [2] für den Schriftsteller und Reisenden Forster enthält, aber auch in den „Ansichten der Natur" [3] oder in der Beschreibung der Amerikareise [4], Nicht nur an diesen, gewissermaßen öffentlichen Orten, sondern auch an entlegeneren Stellen seiner Schriften sowie in zahlreichen Briefen versäumte Humboldt keine Gelegenheit, der Freundschaftsbeziehung mit Forster zu gedenken, auf den einen oder anderen Aspekt in dessen Schriften hinzuweisen, so daß man wörtlich nehmen darf, was er im letzten Lebensjahr gegenüber dem Forster-Biographen Heinrich König in dem folgenden Satz zusammenfaßte: „Ich habe ein halbes Jahrhundert zugebracht, wohin mich auch immer ein unruhiges, vielbewegtes Leben geführt hat, mir selbst und andern zu sagen, was ich meinem Lehrer und Freunde Georg Forster in Verallgemeinerung der Naturansicht, Bestärkung und Entwicklung von dem, was lange vor jener glücklichen Vertraulichkeit in mir aufdämmerte, verdanke" [5], Was Forster für Humboldt bedeutet hat, läßt sich thesenartig etwa so zusammenfassen: Am Anfang stand, wie Humboldt mehrfach betont, eine von Forsters Schriften und Persönlichkeit ausgehende emotionale Wirkung, durch die Humboldts Hang zum Reisen, seine Sehnsucht in die Tropenwelt, wesentlich bestärkt wurde. Als Forscher sah Humboldt den wissenschaftlichen Geist des allseitigen Beobachtens und Vergleichens von geographischen, naturkundlichen und sozialen Phänomenen in Forster vorbildhaft verkörpert. „Durch ihn begann", heißt es im „Kosmos", „eine neue Ära des wissenschaftlichen Reisens, deren Zweck vergleichende Völker- und Länderkunde ist" [6]. Damit verbunden war drittens Forsters Tendenz, in den wahrgenommenen Erscheinungen gesetzmäßige Zusammenhänge aufzudecken. E s ist nach Humboldts Ausdruck die „philosophische Behandlung Naturhistorischer Gegenstände", worin Forster „eigentlich groß und selten war" [7]. Viertens sei erwähnt, daß Humboldt durch Forster auch eine Reihe von einzelwissenschaftlichen Anregungen empfing, etwa zu Fragen der Geographie oder der Pflanzengeographie. Hinzuweisen ist fünftens auf die Kunst der literarischen Darstellung der Natur, der Landschaft und ihrer Bewohner, die Forster auf eine hohe Stufe gebracht hatte. Auch in ästhetischer Hinsicht war Forster für Humboldt ein Vorbild, nicht jedoch ein Muster

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im Sinne der Nachahmung, wie die höchst unterschiedliche Schreibweise beider Autoren zeigt. Sechstens, aber nicht zuletzt: Forster war der bedeutendste Vertreter progressiven politisch-weltanschaulichen Denkens, mit dem der junge Humboldt in nähere Berührung kam. Wesentlich ist in dieser Hinsicht nicht allein Forsters Eintreten für die Französische Revolution, sondern beispielsweise auch seine Haltung in der Sklaverei- und Menschenrassendebatte der Zeit. All diese Gesichtspunkte eingehend zu würdigen, kann hier nicht versucht werden. D i e folgenden Ausführungen beschränken sich auf eine kurze biographische Geschichte jener Beziehung und weisen an entsprechender Stelle auf den einen oder anderen der eben genannten Wirkungsaspekte hin. Enges Zusammenleben mit Humboldt brachte für einige Zeit Forsters ganze, vielschichtige geistige Individualität ins Spiel, andererseits wirkten manche Forstersche Anregungen nur als Bestärkung der in Humboldt selbst schon vorgebildeten Neigungen und Auffassungen. Eine Wirkungsbeziehung von so komplexer Natur läßt sich ohnehin wohl eher biographisch beschreiben als systematisch analysieren. D i e persönliche Bekanntschaft wurde im Oktober 1789 zu Mainz geschlossen, an welchem Ort Georg Forster als kurfürstlicher Bibliothekar tätig war. D e r damals 35jährige Forster könnte auf ein vielbewegtes Leben zurückblicken. E r war im Alter von elf Jahren als botanisierender Gehilfe seines Vaters quer durch Rußland gereist und hatte als Heranwachsender in England, der Heimat seiner Vorfahren, durch harte literarische Fronarbeit die zahlreiche Forstersche Familie miternähren müssen. Wiederum als Begleiter seines Vaters, des namhaften Naturforschers Johann Reinhold Forster, hatte er in den Jahren 1 7 7 2 - 7 5 unter der Leitung des unvergleichlichen Kapitäns Cook an dessen zweiter Kreuzfahrt im Pazifik teilgenommen, der größten maritimen Entdeckungsreise des Jahrhunderts. Georg Forsters klassisch gewordene Beschreibung dieser Reise, literarisches Meisterwerk und zugleich reifstes Produkt der Ethnographie der Aufklärungsepoche, hatte den Namen ihres jungen Autors weithin in Europa berühmt gemacht. D e r „deutsche Weltumsegier" - diese üblich gewordene Bezeichnung wird allerdings der Leistung seines Vaters Johann Reinhold Forster nicht gerecht - hatte nach so frühem Ruhm in London, später in Kassel und Vilnius bittere Enttäuschungen hinnehmen müssen. 1787 war Forster von der St. Petersburger Regierung zur Leitung einer ersten russischen Pazifikexpedition berufen worden, doch die mit fünf Schiffen vorgesehene Reise war durch einen Kriegsausbruch verhindert worden. Nach einjähriger Wartezeit in Göttingen konnte Forster froh sein, in Mainz eine Anstellung zu finden, die ihm Zeit ließ, seinen zunehmenden schriftstellerischen Neigungen nachzugehen. Denn in den letzten Jahren hatte der einstige Weltreisende begonnen, durch menschheitsphilosophische Essays, in denen Reiseerfahrungen verallgemeinert wurden, und durch Arbeiten über Literatur und Künste eine geachtete Stellung in der aufblühenden deutschen Nationalliteratur einzunehmen. Politisch vertrat er die damals fortgeschrittenste, die liberale Position, er verfolgte die Französische Revolution von Anfang an mit gespanntester Aufmerksamkeit und war deren entschiedener Anhänger, in dessen Ansichten sich die spätere radikale Position als deutscher Jakobiner schon gelegentlich bemerkbar machte. In dieser Situation traf Humboldt Forster im Oktober 1789 an. Forsters gastfreies Haus in Mainz stand durchreisenden Besuchern offen; Wilhelm von Humboldt hatte sich schon kurz zuvor bei Forster und dessen geistreicher Frau Therese aufgehalten und wird zweifellos den Bruder dorthin empfohlen haben. D e r Student 112

Alexander kam aus Göttingen, was ohnehin für Forster Empfehlung war. D i e Anziehung war gegenseitig. Mit Forster, der auch im Gespräch seine Partner zu bezaubern wußte, begegnete dem jungen Humboldt zum ersten Mal ein führender Repräsentant der literarischen Kultur des Zeitalters. Humboldts dankbarer Brief vom 11. November [8], nach achttägigem Aufenthalt bei Forster, bezeugt Respekt und Zuneigung. Forster, von dem eine briefliche Reaktion auf die erste Begegnung nicht überliefert ist, machte den ungewöhnlichen Vorschlag [9], Humboldts Jugendarbeit über den rheinischen Basalt [10] in seine, d . h . Forsters, Sammlung von „Kleinen Schriften" [11] mit aufzunehmen; sie wurde statt dessen vom Autor, als dessen erste selbständig erschienene Publikation, Forster „mit innigster Freundschaft und Verehrung" gewidmet. Forster revanchierte sich später, indem er in seinen „Ansichten vom Niederrhein" die „Beobachtungen unseres scharfsinnigen Freundes A . v. H." [12] ausdrücklich hervorhob; im übrigen schloß er sich in der eigenen Darstellung den geologischen Auffassungen Humboldts an. Anfang 1790 lud Forster Humboldt ein, ihn auf einer Fahrt nach Belgien, Holland, England und Frankreich zu begleiten. Für Humboldt wurde diese erste Auslandsreise zum bedeutungsvollsten Bildungserlebnis seiner Studienjahre, bedeutungsvoll sowohl durch das vier Monate dauernde, ununterbrochene Zusammensein mit einem Reisegefährten wie Forster, als auch durch den Reiseweg, den Forster gewählt hatte. Forster und Humboldt fuhren von Mainz aus zu Schiff den Rhein abwärts bis Düsseldorf, von wo aus sie über Aachen und Lüttich die damals österreichischen Niederlande mit ihrem Hauptort Brüssel erreichten. Unterwegs beobachteten sie die Eigenheiten der wechselnden Landschaft und ihrer Bewohner, studierten sie merkwürdige geologische Verhältnisse oder Zeugnisse der bildenden Kunst, wie etwa den Kölner Dom oder die berühmte Düsseldorfer Gemäldegalerie. D i e belgischen Provinzen standen am Vorabend großer politischer Veränderungen, die von der Französischen Revolution ausgingen. „Wir konnten diese Reise zu keiner glücklicheren Zeit machen als gerade jetzt", berichtete Humboldt seinem Jugendfreund Wegener. „Wir sind alle einzelnen belgischen Provinzen durchzogen, haben den Hauptauftritten dort, [. . .] dem Bruche zwischen Brabant und Flandern, ja selbst dem Aufruhr in Lille beigewohnt. Forsters Name, der allgemeines Interesse erwekt, Empfehlungen usw. verschaften uns überall Zugang zu den handelnden Personen" [13], Nach den belgischen Provinzen, wo reaktionäre Priesterherrschaft liberale Reformen verhinderte, erschien das republikanische Holland, obgleich es politisch und ökonomisch stagnierte, noch immer als Hort bürgerlichen Wohlstands und politischer Freiheit. Überall wurden von den Reisenden Fabriken und Häfen, wissenschaftliche Einrichtungen oder Theater, Museen und Bauwerke besichtigt. Mit der Überfahrt nach London betraten Forster und Humboldt das Land des am weitesten entwickelten ökonomischen Fortschritts, der emanzipiertesten bürgerlichen Gesellschaft ihrer Zeit. In London, dem größten merkantilen Umschlagplatz Europas, auf dem Informationen und Reiseberichte aus Übersee zusammenflössen, blieb man etwa einen Monat, um Stätten von Kultur und Wissenschaft zu besuchen, um persönliche Beziehungen zu entwickeln oder anzuknüpfen - Humboldt nennt später beispielsweise förderliche Kontakte zu dem Akademiepräsidenten Banks oder zu Cavendish, der ihn in die moderne Chemie zuerst einführte. Forster und Humboldt studierten den britischen Parlamentarismus und nahmen z. B. als Zuhörer am Oberhausprozeß gegen den ostindischen Generalgouverneur Hastings teil. Eine Exkursion durch landschaftlich reizvolle und geologisch aufschlußreiche Gegenden Mittelenglands rundete den Eindruck ab. 8

Abh. 2 N 1985

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D i e Heimfahrt ging über Frankreich, denn Forster wollte die Revolution in ihrem eigenen Land beobachten. Humboldt, der Paris zum ersten Mal betrat, erlebte hier seine einzige unmittelbare Anschauung von der Aufstiegsphase der Französischen Revolution. Von der Stimmung der Volksmassen mitgerissen, legten Forster und Humboldt persönlich Hand an zur Errichtung eines Freiheitstempels. Humboldt empfand den kurzen Frankreichaufenthalt als den Höhepunkt der Reise. Spätere Erinnerungen zeigen, wie nachhaltig gerade Humboldts emotionale Reiseeindrücke waren; aber auch die wissenschaftlich-kulturellen Erfahrungen, die sich vielfältig in den Briefen und Schriften widerspiegeln, waren für seine Entwicklung von kaum berechenbarer Bedeutung. Andererseits hielten Forsters Tagebücher und Briefe interessante Reaktionen und charakteristische Wesenszüge Humboldt fest. Auf all das kann hier nur summarisch hingewiesen werden. Leider sind von Humboldts eigenen Tagebüchern aus dem Frühjahr 1790 bisher nur wenige Bruchstücke bekannt geworden [14]. In Mainz blieb Humboldt noch einige Wochen zu Gast bei Forster. D e r geistige Austausch setzte sich im Zusammenhang mit beiderseitigen Arbeiten und Plänen fort: In den „Ideen zu einer Geographie der Pflanzen" (1807) erwähnt Humboldt, er habe den Entwurf zu dieser Arbeit dereinst mit Forster besprochen. Das altindische Schauspiel „Sakontala", dessen Übersetzung Forster damals begann, dürfte Humboldts Blick zum ersten Mal auf indische Kultur gelenkt haben. Forsters Hauptprojekt war inzwischen die Ausarbeitung der Tagebücher und Briefe für sein reifstes schriftstellerisches Werk, die „Ansichten vom Niederrhein". Humboldt erkannte sofort den literarischen Rang der entstehenden Darstellung, wenngleich er seine andere Art zu sehen und zu urteilen betonte und abgrenzte. Anderthalb Jahrzehnte später erwies er Forsters Hauptwerk eine postume Reverenz, indem er sein eigenes, literarisch anspruchvollstes Buch mit demselben ungewöhnlichen Titelwort „Ansichten", nämlich „Ansichten der Natur", überschrieb. Besondere Beachtung verdient ein Gesprächsthema, das durch Zitate zwar nicht belegt, das aber in jenem Juli 1790 im Forsterschen Hause unvermeidbar war, nämlich die Diskussion des Sklaverei- und Rassenproblems. Forster hatte sich vom Skeptiker zum entschiedenen Gegner der kolonialen Sklaverei entwickelt, wozu der Aufenthalt in England, wo die aktuelle Sklavereidebatte in vollem Gange war, beigetragen hatte. Seit längerem schon führte er eine versteckte Polemik gegen die biologistische G e schichts- und Rassentheorie des Göttinger Anthropologen Christoph Meiners. Meiners leitete die Menschheitsgeschichte aus dem Konflikt zwischen angeblich wertvollen und minderwertigen Rassen ab, von denen die ersteren, natürlich die Europäer, von der Natur dazu bestimmt seien, über „minder begabte" (und daher minder entwickelte) Rassen und Völker zu herrschen und sie als Sklaven in „Obhut" zu nehmen. Meiners hatte während Forsters Abwesenheit auch in den „Göttingischen Anzeigen" entsprechende Auffassungen vertreten, und da Forster, wie jedermann wußte, ein führender Mitarbeiter dieser Zeitschrift war, alle Beiträge aber anonym erschienen, konnte man Meiners' Äußerungen Forster zuschreiben. Forster war empört und schickte einen Protestbrief nach Göttingen. Es ist undenkbar, daß Forster seinem Gast und Hausgenossen Humboldt diese Vorgänge verschwiegen haben sollte. Für Forster gaben sie den Anstoß zur großen publizistischen Auseinandersetzung mit Meiners, mit der er entschieden für die humanistische Idee der Einheit und Gleichberechtigung aller Rassen und Völker eintrat [15]. Bekanntlich hat Humboldt zeitlebens sowohl gegenüber der Sklaverei als auch dem Rassenproblem eine klare humanistische Position vertreten. Diese Position 114

hatte natürlich mancherlei Wurzeln und Antriebe, vor allem auch die eigene Reiseerfahrung, einen frühen Impuls aber dürfte sie durch Georg Forster empfangen haben. Gegen Ende seines Lebens sollte Humboldt mit einer ideologischen Nachwirkung der Meiners'schen Rassentheorie in Berührung kommen: Gemeint sind die Rassenlehre des Grafen Gobineau und Humboldts ebenso höfliche wie entschiedene Ablehnung, als dieser Autor ihm eine seiner Hauptschriften schickte [16]. Gobineau nennt unter seinen geistigen Vätern den Anthropologen Meiners, dessen Ideen somit im 19. Jahrhundert eine unheilvolle Auferstehung fanden [17]. In gewisser Weise wiederholte sich also mit dem Gegensatz Humboldt - Gobineau jene zwei Generationen frühere Konstellation Forster - Meiners, nur daß Humboldt nicht zu polemisieren brauchte, sondern schlicht und einfach auf seine vor allem aus dem Kosmos allgemein bekannte Auffassung von der Einheit der Menschheit und der Gleichberechtigung aller Völker und Rassen hinweisen konnte. Nachdem Humboldt Mainz verlassen hatte, stand er noch etwa ein Jahr lang mit Forster in Briefwechsel, der leider nicht überliefert ist. Zu einem Wiedersehen kam es nicht. Daß soviel persönliche Nähe und Einwirkung in dem jüngeren Reisegefährten auch eine innerliche Abgrenzung und kritische Distanz erwecken mußten, sollte uns nicht verwundern. Kritik an gewissen Charakterzügen Forsters, Vorbehalte gegenüber dessen Leistung als Naturforscher, kommen am deutlichsten zum Ausdruck in jenen Aufzeichnungen [18] aus dem Jahre 1801, in denen Humboldt seine frühen Jahre in einem Akt autobiographischer Selbstbefreiung zu deuten unternahm. Im Spätherbst 1792, als der preußische Oberbergmeister Humboldt gerade österreichische Biergwerke besichtigte, veränderte sich die Situation in Forsters Wohnort grundlegend. Nach einem Vorstoß französischer Revolutionstruppen zum Mittelrhein und der Einnahme von Mainz kam es in Stadt und weiterer Umgebung zu einer revolutionär-demokratischen Umgestaltung, zu deren führenden Kräften Georg Forster gehörte. Aus dem „deutschen Weltumsegier" war der deutsche Jakobiner Forster geworden. Im März 1793 konstituierte sich die Mainzer Republik, die erste deutsche Staatsgründung auf der Grundlage der Volkssouveränität, und Forster eilte nach Paris, um deren Schutz durch Angliederung an Frankreich zu beantragen. Unmittelbare Reflexe Humboldts auf diese Ereignisse sind nicht überliefert. Nach der Belagerung und Rückeroberung von Mainz durch Österreich und Preußen, womit die Mainzer Republik ein frühes Ende fand, war Forster unter öffentlicher Strafandrohung die Rückkehr nach Deutschland verwehrt. In Frankreich setzte er sich weiter für die Ziele der Revolution ein und fand im Januar 1794 durch Krankheit, 39 Jahre alt, einen frühen Tod. Manche von Forsters einstigen Freunden mißbilligten sein politisches Handeln, die meisten aber hatten Furcht, mit ihm in Zusammenhang gebracht zu werden und schwiegen. Zu diesen gehörte Alexander von Humboldt nicht. In den nachfolgenden, für Forsters Andenken kritischen Jahren und Jahrzehnten wies Humboldt wie kein anderer immer wieder und unbekümmert gegenüber den öffentlichen Anfeindungen, die dem Jakobiner Forster galten, auf dessen wissenschaftliche und literarische Leistung hin, bekannte er sich brieflich und öffentlich zu seiner Freundschaft mit ihm. Revolutionäres Handeln im Sinne der Mainzer Jakobiner hätte ihm sicherlich fern gelegen, auch zwangen politische Verhältnisse und die eigene öffentliche Stellung zur Vorsicht im Hinblick auf politische Bekenntnisse. D a ß er aber politisch im Grundsätzlichen mit Forster übereinstimmte, wird durch briefliche Äußerungen bestätigt. In dem bereits zitierten Brief an König betonte Humboldt seine „gleiche Richtung politischer Meinungen" mit Forster, und in einem Schreiben an Ludwig Uhland vom Jahre 8*

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1853 findet sich der S a t z : „Auch m e i n e Gesinnungen, meine unveränderte Anhänglichkeit an freie Institutionen stehen offenbar in meinen Schriften, die bis 1790 hinaufreichen, als ich mit G e o r g Forster in Paris w a r " [19]. Wir wissen, d a ß H u m b o l d t ein Leben lang an den Ideen von 1789 festhielt. E s war das auch zugleich ein Festhalten an seinem Freund und Lehrer G e o r g Forster.

Literatur [1] Löwenberg, Julius: Alexander von Humboldt. Seine Jugend und ersten Mannesjahre. I n : Alexander von Humboldt. Eine wissenschaftliche Biographie. Hrsg. von K a r l Bruhns. B d . 1. Leipzig 1872. S. 94. - D i e persönlichen Beziehungen zwischen Humboldt und Forster sind am ausführlichsten dargelegt in: Leitzmann, Albert: G e o r g und Therese Forster und die Brüder Humboldt. Bonn 1936. [2] Humboldt, A . v. : Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart, Tübingen 1847. S. 72. Vgl. ebd. S. 65. [3] Humboldt, A . v. : Ansichten der Natur, mit wissenschaftlichen Erläuterungen. 3. verb. u. verm. Ausg. Bd. 2. Stuttgart, Tübingen 1849. S. 365. [4] Im ersten Kapitel der Voyage aux régions équinoxiales du N o u v e a u Continent . . . T . 1. Paris 1814. [5] Zit. nach Löwenberg, a. a. O., S. 104. [6] A . a. O. S. 72. [7] Biermann, Kurt-R. ; Lange, Fritz G . : Alexander von Humboldts W e g zum Naturwissenschaftler und Forschungsreisenden. I n : Alexander von Humboldt. Wirkendes Vorbild für Fortschritt und Befreiung der Menschheit. Festschrift aus Anlaß seines 200. Geburtstages. Berlin 1969, S. 96. [8] D i e Jugendbriefe Alexander von Humboldts 1 7 8 7 - 1 7 9 9 . Hrsg. u. erl. von Ilse Jahn u. Fritz G . Lange. Berlin 1973. S. 7 2 - 7 3 . [9] E b d . S. 8 0 - 8 1 u. 83. [10] (H[umbold]t, [Alexander v o n ] : ) Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein. Mit vorangeschickten, zerstreuten Bemerkungen über den Basalt der ältern und neuern Schriftsteller. Braunschweig 1790. [11] Forster, G e o r g : Kleine Schriften. Ein Beytrag zur Völker- und Länderkunde, Naturgeschichte und Philosophie des Lebens. Th. 1. Leipzig 1789. T h . 2 - 6 . Berlin 1 7 9 4 - 9 7 . [12] Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Hrsg. v. d. Deutschen A k a d e m i e der Wissenschaften zu Berlin. B d . 9. Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, M a i und Junius 1790. Bearb. v. Gerhard Steiner. Berlin 1958. S. 18. [13] D i e Jugendbriefe, a. a. O . S. 93. [14] Abdruck bei Löwenberg, a. a. O., S. 2 9 0 - 2 9 2 . Ein Tagebuchheft wurde nach Abschluß dieses Beitrages vom Verf. aufgefunden. [15] Georg Forsters Werke (s. Anm. 12). B d . 11. Rezensionen. Bearb. v. Horst Fiedler. Berlin 1977 S. 2 3 6 - 2 5 2 . [16] Théodoridès, J e a n : Humboldt et Gobineau. I n : Revue de littérature comparée. 36. 1962, S. 443 bis 447. [17] Simar, Théophile: E t u d e critique sur la formation de la doctrine des races au X V I I I e siècle et son expansion au X I X e siècle. Bruxelles 1922. S. 128. [18] Biermann, K . - R . ; Lange, F . G . (s. Anm. 7), S. 9 5 - 9 6 . [19] Uhlands Briefwechsel. Hrsg. v. Julius Hartmann. T . 4. Stuttgart, Berlin 1916. S. 79.

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Heinz Stiller

Schlußwort

Wir sind damit am Ende unserer Konferenz angelangt, und ich darf mir aus der Sicht des Alexander-von-Humboldt-Komitees einige abschließende Bemerkungen gestatten. Alexander von Humboldt bekannte sich zeitlebens, wie er selbst ausführte, zu „dem großen Enfwicklungsprozess der fortschreitenden Menschheit". In diesem Sinne haben wir Alexander von Humboldt nach den bedeutenden Jubiläen von 1959 und 1969 mit unserer Veranstaltung zum 125. Jahrestag seines Todes hier in Berlin erneut geehrt. Das Alexander-von-Humboldt-Komitee bei der Akademie der Wissenschaften der D D R dankt dem Präsidenten der Akademie, Prof. Dr. Werner Scheler, für die orientierenden, wertenden und weiterführenden Feststellungen in seiner Eröffnungsrede. Der Grundgedanke, daß die Pflege des Erbes Alexander von Humboldts in unserer Republik Tradition hat, war eines der bestimmenden Momente unserer zweitägigen Veranstaltung. Sie war gewollt keine Ehrung um der Ehrung willen, sondern ein erneuter Beitrag zur noch umfassenderen Rezipierung einer bedeutenden humanistischen Leistung als Bestandteil unseres marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes. Die Teilnahme von Vertretern der Parteiführung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Regierung der DDR, des Magistrats von Berlin und weiterer gesellschaftlichen Organisationen unserer Republik unterstrichen die Bedeutung, die Alexander von Humboldt in der Wissenschaft zukommt. Der Vortrag von Akademiemitglied Prof. Dr. Edgar Lehmann, des Seniors der geowissenschaftlichen Forschung unserer Republik hat uns den Geowissenschaftler Alexander von Humboldt aus heutiger Sicht überzeugend vor Augen geführt. Ich darf ihm besonders aufrichtigen Dank sagen für die Mühe und die Last, die er mit diesem wichtigen Vortrag auf sich genommen hat, der die weitere Nutzung des Humboldtschen Erbes mit Sicherheit stimulieren wird. In diesen Dank sind alle Mitwirkenden eingeschlossen, die in ihren Vorträgen auf der wissenschaftlichen Konferenz an ausgewählten Beispielen die Vielseitigkeit des Wissenschaftlers, des Humanisten und Freundes der Völker Alexander von Humboldt verdeutlichen konnten. Der internationale Charakter der Alexander-von-Humboldt-Ehrung fand hervorragenden Ausdruck in der Beteiligung und aktiven Mitwirkung unserer ausländischen Gäste. Ihnen gebühren daher besondere Worte des Dankes, die ich bei dieser Gelegenheit nochmals an Sie richten möchte. Für das Alexander-von-Humboldt-Komitee bei der Akademie der Wissenschaften der D D R und für die Akademie in ihrer Gesamtheit war die Teilnahme von in der D D R akkreditierten Botschaften der UdSSR und von lateinamerikanischen Ländern eine besondere Ehre, die wir hoch würdigen. Eine Veranstaltung wie diejenige, die heute zu Ende geht, bedarf des helfenden Einsatzes vieler Mitarbeiter und Helfer über einen längeren Zeitraum. Sie alle hier zu nennen, ist nicht möglich. Stellvertretend darf ich insbesondere Frau Dr. Inga Deters als Sekretär des Alexander-von-Humboldt-Komitees, Herrn Dr. Heinz Heikenroth

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für seine ständige aktive Mitwirkung und Frau Sieglinde Päßler für die Gestaltung der Ausstellung erwähnen. Ein großer Gewinn war die gute Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der D D R sowie mit der Humboldt-Universität zu Berlin, mit der uns das Wirken Alexander von Humboldts in der Vergangenheit und die enge kooperative Zusammenarbeit in der Gegenwart fest verbindet. Die Alexander-von-Humboldt-Ehrung der D D R war - ich darf es wiederholen weder ein Anfang noch ein Ende. Sie ordnet sich ein in die Wissenschaftspolitik der DDR. Einer ihrer Grundzüge war und bleibt, das Erbe der gesamten deutschen Geschichte zu erforschen und zu vermitteln. Gerade auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte und der Nutzung ihrer Erfahrungen für die Gegenwart ist in dieser Hinsicht, wie die ergebnisreichen Darlegungen auf dieser Konferenz gezeigt haben, noch viel zu tun. Revolutionäre Traditionen, denen stets unsere vorrangige Aufmerksamkeit gilt, und humanistisches Erbe stehen in unseren marxistisch-leninistischen Geschichtsbildauffassungen nicht beziehungslos nebeneinander. Alexander von Humboldts Werk, vollbracht zum Wohle des wissenschaftlichen Fortschritts im Geiste des Friedens und der Freundschaft der Völker, wird uns über das Historische hinaus immer auch Ansporn sein, der Verantwortung der Wissenschaftler für den Frieden heute gerecht zu werden. In dieser Gewißheit schließe ich unsere Konferenz. Vielen Dank.

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Helmut Klein

Sehr verehrte D a m e n und Herren des diplomatischen K o r p s , liebe ausländische G ä s t e , liebe Kollegen, Freunde und G e n o s s e n ! Im N a m e n des Alexander-von-Humboldt-Komitees bei der A k a d e m i e der Wissenschaften der D D R danke ich Ihnen sehr herzlich d a f ü r , daß Sie an der Kranzniederlegung hier am D e n k m a l Alexander von Humboldts teilnehmen. Wir ehren gemeinsam das Andenken einer in vieler Beziehung außergewöhnlichen Persönlichkeit, deren T o d e s t a g sich am 6. M a i zum 125. M a l jährt. Alexander von H u m b o l d t nimmt einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Naturwissenschaften ein, die er vor allem durch seine Forschungsreisen in E u r o p a , nach Rußland und A m e r i k a um zahlreiche wertvolle Erkenntnisse bereicherte. Seine von humanistischen Idealen durchdrungenen wissenschaftlichen Forschungen führten ihn folgerichtig zu konsequenten Stellungnahmen gegen Rassismus und Sklaverei, gegen koloniale Unterdrückung und Ausbeutung. Seine Vorschläge zur Verbesserung der politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse wurden zu einem K a m p f p r o g r a m m für die um ihre Freiheit ringenden Völker Lateinamerikas. Ich darf sicher in Ihrem N a m e n sprechen, wenn ich im G e d e n k e n an A l e x a n d e r von H u m b o l d t unsere tiefe Verbundenheit und Solidarität mit den Völkern Lateinamerikas, vor allem in K u b a , N i k a r a g u a und E l S a l v a d o r zum Ausdruck bringe, die sich gegenwärtig einer brutalen und völkerrechtswidrigen Bedrohung und Intervention durch die U S A erwehren müssen. In diesen T a g e n finden auch im sozialistischen K u b a Veranstaltungen aus A n l a ß des 125. T o d e s t a g e s des Mannes statt, der als „Zweiter Entdecker K u b a s " bezeichnet wird und von dem Simon B o l i v a r gesagt hat „ H u m b o l d t hat mehr G u t e s für A m e r i k a bewirkt als alle seine E r o b e r e r " . Heute verbindet uns eine tiefe Freundschaft und eine ständig an Breite und Intensität wachsende Zusammenarbeit mit K u b a , aber auch mit M e x i k o und anderen lateinamerikanischen Staaten. A l e x a n d e r und Wilhelm von H u m b o l d t haben die Entwicklung der Berliner Universität, vor der wir uns hier befinden, entscheidend geprägt. E s war folgerichtig und erfüllt uns mit Stolz, daß die Universität im Gründungsjahr unserer Republik, also 1949, den N a m e n der G e b r ü d e r H u m b o l d t erhielt. In diesem G e b ä u d e und in der benachbarten Singakademie, dem heutigen M a x i m Gorki-Theater, hielt A l e x a n d e r von H u m b o l d t 1827/28 seine berühmten öffentlichen Kosmos-Vorlesungen. E r begründete damit eine Tradition der Ö f f n u n g der Universität für die interessierte Bevölkerung, die in den letzten Jahren in vielfältigen Formen neu belebt und weiterentwickelt wurde und auf die sich mit Recht die gesamte populärwissenschaftliche Arbeit, z. B . der U R A N I A , berufen kann.

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D a s Werk Alexander von Humboldts ist Teil des progressiven, humanistischen Erbes, das in unserem Staat sorgsam bewahrt und gepflegt wird. „Seine humanistischen Ziele, seine Beharrlichkeit bei der Überwindung von Hindernissen - so stellte der Generalsekretär des Z K der S E D und Vorsitzende des Staatsrates der D D R , Erich Honecker, in seiner Rede vor dem mexikanischen Bundeskongreß 1981 fest sein Verständnis und vertrauensvolles Verhältnis zur jungen Generation haben ihm einen festen Platz unter den Leitbildern der Jugend unseres Landes gesichert". Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und für Ihre Teilnahme.

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Mitglieder des Alexander-von-Humboldt-Komitees

Prof. Dr. rer. nat. habil. Heinz Stiller Ordentliches Mitglied und Vizepräsident der AdW der D D R Vorsitzender Prof. Dr. paed, habil. Dr. phil. h. c. Helmut Klein Korrespondierendes Mitglied der A d W der D D R Rektor der Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. rer. nat. habil. Wolf gang Böhme Ordentliches Mitglied der A d W der D D R Direktor des Meteorologischen Dienstes der D D R Prof. em. Dr. phil. habil. Dr.-Ing. e. h. Edgar Lehmann Ordentliches Mitglied der A d W der D D R Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Prof. em. Dr. rer. pol. habil. et sc. oec. Heinz Sänke Ordentliches Mitglied der A d W der D D R Prof. Dr. rer. nat. habil. Dr. rer. nat. h. c. mult. Hans-Jürgen Treder Ordentliches Mitglied der A d W der D D R Leiter des Einstein-Laboratoriums der A d W Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Strzodka Ordentliches Mitglied der A d W der D D R Bergakademie Freiberg Dr. h. c. Paul Wandel Vizepräsident der Liga für Völkerfreundschaft der D D R Dr. Ludwig Eben Ministerium für Wissenschaft und Technik der D D R Frau Irene Krause Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der D D R Prof. Dr. rer. nat. habil. Kurt-R. Biermann Leiter der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der AdW der D D R Prof. Dr. habil. Conrad Grau Zentralinstitut für Geschichte der A d W der D D R Dr. phil. Heinz Heikenroth Leiter des Büros des Vizepräsidenten für das wissenschaftliche Leben der A d W der D D R Dr. Inga Deters Büro des Vizepräsidenten für das wissenschaftliche Leben der A d W der D D R Sekretär

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Bildanhang

Bild 2 E i n g a n g zum Plenarsaal der Akademie der Wissenschaften der D D R , O r t der Festveranstaltung

Bild 3 Prof. D r . sc. med. D r . med. h. c. mult. Werner Scheler, Ordentliches Mitglied u n d Präsident der A d W der D D R

Bild 4 Prof. D r . rcr. nat. habil. Heinz Stiller, Ordentliches Mitglied und Vizepräsident der A d W der D D R , Vorsitzender des Alexander-von-Humboldt-Komitees

Bild 5 Prof. em. D r . phil. habil. Dr.-Ing. c. h. Edgar L e h m a n n , Ordentliches Mitglied der A d W der D D R , Vizepräsident der Sächsischcn Akademie der Wissenschaften

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Bild 6 Festsitzung in der A d W der DDR Herren Prof. H.-J. Böhme, Minister für Hoch- und Fachschulwesen der D D R ; Prof. Dr. H. Klemm, 1. Sekretär der SED-Kreisleitung der A d W der D D R ; Prof. Dr. H. Hörnig, Leiter der Abteilung Wissenschaften beim Zentralkomitee der S E D ; Dr. H. Weiz, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der D D R ; Prof. Dr. W . Scheler, Präsident der A d W der D D R ; Prof. Dr. L. Kolditz, Präsident des Nationalrates der Nationalen Front der D D R ; Prof. Dr. H. Scheel, Vizepräsident der A d W der D D R ; Dr. P. Wandel, Vizepräsident der Liga für Völkerfreundschaft der D D R ; H. Groschupf, Stellvertreter des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen der D D R ; G. König, Stellvertreter des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten der D D R ; Dr. J. Schuchardt, Stadtrat für Kultur beim Magistrat von Berlin, Hauptstadt der DDR (1. Reihe von links nach rechts) Herren Prof. Dr. A. L. Jansin, Vizepräsident der A d W der U d S S R ; Prof. Dr. H. Stiller, Vorsitzender des Alexander-von-Humboldt-Komitees; Prof. Dr. E. Lehmann, Vizepräsident der Sächsischen A d W ; Prof. Dr. U. Hofmann, 1. Vizepräsident der A d W der DDR (2. Reihe von links nach rechts)

Bild 7 Gcsprächc in der Pause Herren Prof. Dr. A . L. J a n s i n , Vizepräsident der A d W der U d S S R ; A . V. L e b c d e v , Botschaftsrat für Wissenschaft der Botschaft der U d S S R in d e r D D R ; Prof. Dr. U. H o f m a n n , 1. Vizepräsident der A d W der D D R (von links nach rechts)

Bild 8 Prof. Dr. I. P. Gerasim o v f , Ordentliches M i t g l i e d der A d W der U d S S R und D i r e k tor des Institutes f ü r G e o g r a p h i e

Bild 11 Reiseroute A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t s durch R u ß l a n d im J a h r e 1829 (nach historischen Q u e l l e n )

Bild 13 u n d 14 Ausstellung „Alexander von H u m b o l d t , sein E r b e in der Deutschen Demokratischen Republik" (5 fotografische A u s f ü h r u n g e n dieser Ausstellung mit dem Text in Spanisch und Portugiesisch sind an die ausgewählten lateinamerikanischen Länder übergeben worden)

Bild 15 u n d 16 Alexander-von-Humboldt-Ehrenmedaille (Meißner Porzellan, E n t w u r f v o n Reiner Müller nach der Vorlage von Emil Weigand)

Bild 17 K r a n z n i e d e r l e g u n g v o r dem D e n k m a l A l e x a n d e r von H u m b o l d t s in Berlin, Unter den Linden