Aldous Huxley 3806238456, 9783806238457

Der englische Schriftsteller Aldous Huxley (1894-1963) ist vielen Lesern ein fester Begriff. Mit seinem Roman »Schöne ne

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German Pages 323 Year 2019

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Titel
Impressum
Inhalt
Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens
Frühe Verluste: Kindheit, Jugend und zerstörte Pläne (1894–1916)
Haut
Blind
Oxford
Garsington
Skepsis und Satire: Nachkriegspessimismus, junge Liebe und ein Beruf (1916–1925)
Krieg und Liebe
Eton
London
Fragmentarisches Existieren: Reisen, Schreiben und Lob der Lebenslust (1925–1931)
Weltreise
D. H. Lawrence
Lob des Lebens
Oh, schöne neue Welt: Kritik und Krise (1931–1937)
Ein Haus in Sanary
Freiheit und Leere
Krise
Hollywood und die Wüste: Neues Leben in der Neuen Welt (1937–1945)
Die zufällige Emigration
Hollywood
Ein Sanary am Pazifik
In der Wüste
Pragmatisches Träumen: Zwischen Mystik und Meskalin (1945–1958)
Die Nachkriegszeit
Wieder auf Reisen
Pforten der Wahrnehmung
Liebe und Arbeit: Professor auf Reisen und eine Utopie (1958–1963)
Richtung Utopia
Ein »historisches Gebäude« auf Tournee
Mann ohne Vergangenheit
»… ein langsames, aber unerbittliches Diminuendo«
Zeittafel
Editorischer Hinweis
Literaturverzeichnis und Siglen
Personenregister
Werkregister
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Aldous Huxley
 3806238456, 9783806238457

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Aldous Huxley

Uwe Rasch Gerhard Wagner

Aldous Huxley

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

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Inhalt

Inhalt Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens — 7 Frühe Verluste: Kindheit, Jugend und zerstörte Pläne (1894–1916) — 19 Haut — 19 Blind — 30 Oxford — 36 Garsington — 48 Skepsis und Satire: Nachkriegspessimismus, junge Liebe und ein Beruf(1916–1925) — 55 Krieg und Liebe — 55 Eton — 67 London — 78 Fragmentarisches Existieren: Reisen, Schreiben und Lob der Lebenslust(1925–1931) — 101 Weltreise — 101 D. H. Lawrence — 109 Lob des Lebens — 118 Oh, schöne neue Welt: Kritik und Krise(1931–1937) — 137 Ein Haus in Sanary — 137 Freiheit und Leere — 145 Krise — 153

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Inhalt

Hollywood und die Wüste: Neues Leben in der Neuen Welt (1937–1945) — 167 Die zufällige Emigration — 167 Hollywood — 175 Ein Sanary am Pazifik — 190 In der Wüste — 199 Pragmatisches Träumen: Zwischen Mystik und Meskalin (1945–1958) — 209 Die Nachkriegszeit — 209 Wieder auf Reisen — 221 Pforten der Wahrnehmung — 235 Liebe und Arbeit: Professor auf Reisen und eine Utopie (1958–1963) — 255 Richtung Utopia — 255 Ein »historisches Gebäude« auf Tournee — 257 Mann ohne Vergangenheit — 260 »… ein langsames, aber unerbittliches Diminuendo« — 283 Zeittafel — 289 Editorischer Hinweis — 299 Literaturverzeichnis und Siglen — 300 Personenregister — 312 Werkregister — 317 Sachregister — 319

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Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens Im populären Verständnis gilt Aldous Huxley heute in erster Linie als Romanschriftsteller. Doch von den fünfzig Büchern, die er veröffentlichte, sind nur elf oder zwölf Romane im engeren Sinne. Nur in den Spannungsfeldern zwischen Kunst und Wissenschaft, Literatur und Philosophie, Lebenslust und Lebenskritik lässt sich Huxleys Weg wirklich nachvollziehen. Als junger Mann begann er mit der künstlerisch anspruchsvollsten literarischen Form, der Dichtung, was nicht verwundert: Die Sensibilität des Kindes und Jugendlichen fand zunächst Ausdruck in Malerei und Musik. Das Ästhetische und die besondere Rolle des künstlerischen Umgangs mit der Welt sollten für Huxley immer zentral bleiben. Aus dem Dichter entwickelte sich Anfang der Zwanzigerjahre schnell der Romancier, aus dem Kunstkritiker einer der stilvollsten Essayisten der Geschichte des Genres und aus dem Essayisten schließlich eine sehr moderne Form des Sozialphilosophen: der philosophische Schriftsteller, in dem sich Historiker, Romancier, Dichter, Denker und Essayist zu einem eigentümlichen, faszinierenden Amalgam mischen. Doch wenn man Huxley mit den herausragenden Literaten und Intellektuellen seiner Zeit vergleicht, scheint er heute fast vollständig von der Bildfläche verschwunden zu sein. Bekannt ist er vor allem noch für seinen Roman Schöne Neue Welt. Die herausragende Position dieser negativen Utopie von 1932 als moderner Klassiker, der weltweit weiterhin regelmäßig auf den Schulcurricula steht, überschattet die vielfältigen anderen Talente dieses englischen Schriftstellers, der darüberhinaus einer der außergewöhnlichsten Denker der Geschichte war. Die Sicht auf ihn hat sich über die letzten hundert Jahre mehrfach verändert. Der junge Huxley galt seinen Zeitgenossen und der jüngeren Generation in den 1920er-Jahren als Bilderstürmer, sexueller 7

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

Emanzipator und Befreier vom viktorianischen Muff, ähnlich wie der Rock’n’Roll, die sogenannten Achtundsechziger, die Beatles oder Frank Zappa für ihre Generationen. In den Sechzigerjahren lieferte Huxley den Blumenkindern und Psychedelikern noch einmal utopischen Zündstoff, doch bereits in den Siebzigern, in denen die meisten Studien zu seinem Werk entstanden, überwogen die Abwertung sowie ein zum großen Teil läppischer und rufschädigender Umgang mit seiner Biografie und seinem Werk. Während seine Existenz in den Feuilletons sich in der neueren Zeit im großen Ganzen auf das Schlagwort von der »schönen neuen Welt« und Bezüge auf den gleichnamigen Roman beschränkt, führt Huxley im Internet ein ganz eigenes Leben. Sucht man seinen  Namen, gibt es ähnlich viele Treffer wie bei Thomas Mann, Franz Kafka oder anderen. Im Internet gibt es offensichtlich eine (nicht  ­organisierte) Huxley community, die zum Großteil von dem Huxley fasziniert ist, der in den Zwanzigerjahren als provokativer Vordenker seiner Generation bejubelt wurde und in den Sechzigerjahren Wegbereiter für die Hippiekultur und Ökologiebewegung war. Die jüngere Generation entdeckt wieder das humanistisch-utopische und kritische Potenzial von Huxleys Denken und Werk, das weit über utilitaristisches pädagogisches Reformdenken, alltagspolitische Kapitalismuskritik und religiös-therapeutische Schnellschüsse hinausgeht. Als einer der intellektuellen Begründer des ökologischen Denkens propagierte Aldous Huxley einen umfassenden, systemischen und ganzheitlichen Umgang mit der Realität. Auf Grundlage einer humanistisch geprägten spirituellen Diszipliniertheit plädierte er für ein vernetztes Denken, das sich der Multidimensionalität aller wesentlichen Probleme bewusst ist. Keines unserer drängenden ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen oder ethischen Probleme ist in Isolation zu lösen: weder Migranten- und Flüchtlingsströme, Bankenkrisen oder Ressourcenknappheit und Engpässe in der Energieversorgung noch der Klimawandel mit seinen Folgen oder totalitäre Regimes, zunehmende politische Radikalisierung und Korruption. Hundert Jahre nach der Gründung 8

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

der Weimarer Republik und der Geburtsstunde moderner Demokratien haben die liberalen Gesellschaften weder die demokratieschädigende Eigengesetzlichkeit der sogenannten freien Marktwirtschaft unter Kontrolle bekommen oder der großflächigen Umwelt­ zerstörung Einhalt gebieten noch die Demokratie selbst überlebensfähig machen können. Huxley hat vor diesen Tendenzen, die sich nach seinem Tod ungezügelt weiterentwickelt haben, gewarnt, er hat sie dokumentiert, analysiert und Rezepte zu ihrer Bekämpfung entwickelt. In intellektueller oder philosophischer Hinsicht ist Huxleys Kost für die Gegenwart so ungewohnt wie für seine Zeit. Neben englisch-amerikanischem Pragmatismus verbinden sich darin unter anderem Ideen alternativer Pädagogik und Psychologie mit fernöstlichen Lehren und christlichem Mystizismus. Als Querdenker zwischen »Skepsis und Ekstase« (Richard Reschika, Philosophische Abenteurer, Stuttgart 2001) hat Huxley eine ganz eigene Schneise insbesondere durch die westlichen Denktraditionen geschlagen, die gerade in Deutschland weitgehend in einem steifen Kantianismus und Hegelianismus mit ein wenig verschlepptem Marxismus verharren. Interessanterweise kommen gerade die einflussreichsten westlichen Denker der Neuzeit bei Huxley nicht vor bzw. bestehen den Nützlichkeitstest nicht: Kant, Hegel, Freud und Marx. Abgesehen davon, dass seine Überlegungen wie ein frischer Wind durch die Gegenwart blasen würden, gibt es reichlich weitere gute Gründe, sich ausführlich mit Huxleys Denken, seiner Literatur, seinen Essays und Vorträgen zu beschäftigen. Zunächst einmal ist die Lektüre seines Werks, egal ob Roman, Erzählung oder Essay, immer vergnüglich und anregend. Huxley gilt zu Recht als herausragender Stilist, der mit Wissen und Beobachtungsgabe besticht. Dazu ist sein Werk eine Fundgrube an treffenden Sentenzen und Aphorismen, zeitlos glücklichen Formulierungen sowie originellen Gedanken und Beobachtungen. Abgesehen davon, dass der umfassend gebildete Huxley über einen herausragenden Intellekt, Witz und Klugheit verfügte, war er auch Kritiker mit einer außergewöhnlichen Sensibilität für klassische Musik, Malerei, Dichtung und andere Künste. 9

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

Aufgrund seines enzyklopädischen Wissens, seines stets wachen Verstandes und seines leichten Stils, mit dem er elegant Belehrung und Unterhaltung zu verbinden verstand, gilt er bis heute als einer der herausragenden Vertreter des englischsprachigen Essays. Im Großteil seiner Schriften und Vorträge, die grundsätzlich gesellschaftskritisch und anthropologisch ausgerichtet sind, ist er Sozialphilosoph und Ethiker. Mit Sartre und Camus teilte er die Auffassung, dass der Roman sich besonders gut für philosophische Experimente eigne. Darum war ihm auch daran gelegen, seine Überlegungen zu einer gelingenden Gesellschaft in seinem letzten Werk Eiland in Romanform zu verpacken. Darüber hinaus verkehrte Huxley in einigen der wichtigsten Kreise und Bewegungen seiner Zeit – von der Bloomsbury Group bis zum Hollywood-Jet-Set, von der psychologischen Avantgarde bis zur Speerspitze von Zen-und-Yoga im Westen. Sein beweglicher Intellekt und sein nie ermüdendes Interesse machten ihn zum anregenden und fruchtbaren Gesprächspartner nicht nur für einige der herausragenden Schriftsteller seiner Zeit, sondern auch für Musiker, Hollywoodstars, Philosophen, Naturforscher, Mediziner und Soziologen. Viele dieser verschiedenen Spezialisten wurden sehr gute Freunde wie etwa der Schriftsteller D. H. Lawrence, der Musiker Igor Strawinsky oder der Astronom Edwin Hubble. Aldous Huxley war fest verwurzelt in der bürgerlichen, humanistischen Tradition des 19. Jahrhunderts mit ihrem aufklärerischen, liberalen Wertekanon. Zugleich war er ein Kind der frühen Moderne mit ihrem Aufklärungsskeptizismus und ihrer naturwissenschaftlichen Begeisterung. Er hat die beiden Weltkriege miterlebt und die Frühzeit des Kalten Krieges sowie die brutaler werdenden imperialistischen Kämpfe um Ressourcen und Vormachtstellungen in den 1950er-Jahren genau beobachtet. Wie sein jüngster Biograf, der politische Philosoph Kieron O’Hara, konstatiert, wäre es schwierig, ein tiefes kulturhistorisches Verständnis des 20. Jahrhunderts für sich in Anspruch zu nehmen, ohne Huxley gelesen zu haben. Diese Feststellung betrifft auch dessen gesellschaftskritische, satirische Romane wie insbesondere Kontrapunkt des Lebens. 10

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

Jenseits des Lesegenusses und der historischen Bildung gibt es wenigstens noch drei weitere gute Gründe, aus denen es lohnenswert ist, Huxley zu lesen. Der erste, so O’Hara, liegt in der bislang unerreichten Beschreibung des Geflechts von Kapitalismus, Demokratie, Konsumismus und Technologie. Dem wäre hinzuzufügen, dass es kaum einen besseren Lehrer für das Denken in Zusammenhängen gibt als Huxley. Der zweite Grund liegt in dem soliden historischen Wissen, auf dem alle neuen radikalen Ideen des Bilderstürmers Huxley fußen. Er näherte sich den Problemen der Gegenwart im Rückgriff auf die gesammelte Weisheit der ihm vertrauten künstlerischen und wissenschaftlichen Traditionen, immer bereit, von den großen Denkern und Künstlern der Vergangenheit zu lernen. Als Drittes schließlich hat Huxley immer wieder die unbequeme Frage nach individueller Verantwortung in einer massenorientierten globalisierten Welt gestellt. Aus diesen Gründen hat Huxley auch heute wieder das Potenzial des Emanzipierers. Es gibt nach wie vor viel von ihm zu lernen. Huxley bleibt ein Zeitgenosse – mit Internet, sozialen Netzwerken und der gesamten digitalen Welt würde er nicht fremdeln. Im Gegenteil, er war ein vorausschauender Kritiker der Probleme der Technologisierung, der Virtualisierung und der Dauerablenkung. Was er bereits in den Zwanzigerjahren über die good timers, die Vergnügungssüchtigen seiner Zeit, schrieb, wird heutigen Lesern der Fun- und Partygesellschaft einige Aha-Erlebnisse verschaffen. Huxley ist eine seltsame Hybriderscheinung, zugleich in Hochkultur und Popkultur beheimatet. Kaum jemand hat die Position des Intellektuellen und die Bedeutung von Bildung, Wissen und der Fähigkeit zu komplexem, nuanciertem Denken überzeugender verkörpert und eingefordert als er. Viele seiner Romane und Essays sind deshalb anspruchsvoll, zugleich aber immer unterhaltsam und zugänglich. Auch hatte der fordernde Intellektuelle, der für alles und jeden einfühlsames Interesse bekundete, keine Berührungsängste mit Theater, Radio und Filmindustrie. Der Roman Schöne neue Welt und seine Drogenexperimente haben ihm einen sicheren Platz als Pop-Ikone verschafft. 11

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

Nicht nur als Schriftsteller, Intellektueller und Denker scheint Huxley ein außergewöhnlicher Mensch gewesen zu sein. Die meisten, die ihn persönlich kannten, waren nicht nur von seinem enzyklopädischen Wissen und seiner spitzbübischen Freude an Groteskem und Absurdem beeindruckt, sondern insbesondere auch von seiner Sanftmut und Güte. Sein guter Freund Strawinsky, der in Europa aus den Medien von Huxleys Tod erfuhr, stand noch Wochen später unter Schock: »Ich habe Aldous sehr geliebt«, schrieb er an den Bruder Julian Huxley, »und sein Tod war ein schrecklicher Schlag und Verlust für mich. Ich bin noch immer nicht imstande, darüber nachzudenken, und ich kann nicht über ihn schreiben. […] Seit ich vor einem Vierteljahrhundert nach Kalifornien kam, war mir Aldous ein geistiger Führer. Und ich fühle mich verloren ohne ihn, diesen liebsten Freund.« (Gedächtnis, S. 28)

Im Vorwort zu seiner Sammlung von Huxleys Briefen korrigiert auch Grover Smith das Bild des gefühllosen Intellektuellen, das vor allem durch Huxleys bissige Satire und sein häufig kühles Sezieren der Figuren in seinen Romanen (sich selbst eingeschlossen) entstanden war: »Er war zu liebevoll, um kaltschnäuzig intellektuell zu sein, und zu freimütig für intellektuelle Arroganz. Man kann nicht umhin, in ihm einen der menschlichsten Menschen und Briefschreiber zu sehen – und das genau deshalb, weil in ihm das Gefühl so hochentwickelt war wie der Intellekt. In Huxley fochten Mitgefühl und Verachtung, Abscheu und Zärtlichkeit immer gleichzeitig um die Oberhand und brachten, gleichsam durch eine Dialektik der Emotionen, die durch den Verstand reguliert wurde, seine facettenreiche Haltung zur Welt hervor. Man kann seine Dichtung nicht lesen, ohne dem wissenschaftlichen Philosophen zu begegnen, seine Essays nicht, ohne auf den Künstler zu stoßen. Er hat sich mehr für das Leben als für die Kunst interessiert und für die Kunst nur als Funktion des Lebens. Sein Zugang zu Vedanta war zum Großteil der des Psychologen. Man darf nicht vergessen, dass Huxley grundsätzlich ein Skeptiker war.« (Letters, S. 1 f.)

Als Strawinsky den Briefband gelesen hatte, fand er, dass dieser den Mann, den er gekannt hatte, nur zum Teil zeige. Huxleys Sinn für 12

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

Humor fehle, und seine akademische Seite werde zu stark akzentuiert. Die puritanische Seite, welche die Briefe betonten, würden das verzerrte Bild weiter verzerren, denn in der Realität habe Huxley dazu geneigt, alle moralischen Kategorien auf »intelligentes« oder »unintelligentes« Verhalten zu reduzieren. Ein anderer Freund, der Schriftsteller Christopher Isherwood, betonte: »Furchtlose Neugier war eine von Aldous’ vornehmsten Eigenschaften […]. Kleinbürger haben so viel Angst davor, was die Nachbarn wohl denken, wenn man dem Leben unkonventionelle Fragen stellt. Aldous fragte unablässig, und ihm kam nie der Gedanke, sich um die Nachbarn zu scheren.« (Memorial Volume, S. 157)

Dafür, dass Aldous Huxley heute weniger bekannt ist als andere Autoren seiner Zeit, gibt es zahlreiche Gründe, die einer Verquickung von unglücklichen Umständen geschuldet sind. Eigentlich sollte man meinen, sein Werk müsse heute aktueller sein als in den 1960er- und 1970er-Jahren, gerade weil er der erste ökologische Denker war, weil er schon in den 1920ern und erst recht in den 1950ern auf radikal anderen Erziehungsmethoden, auf ganzheit­ licher Bildung und ganzheitlichem Denken beharrte. Tatsächlich sind sein Denken und seine Weltsicht aber heute unbequemer als damals. Platz für Huxleys Denken gibt es indes auch heute, denn es herrscht ein gewisser laissez faire-Pluralismus. Was sich allerdings vordergründig durchgesetzt hat, ist eine behäbig konservative, selbstgefällige, streitscheue politische und gesellschaftliche Trägheit, in der es generell vorgezogen wird zu beschwichtigen, Kritik zu belächeln oder zu verleumden und bestenfalls an Symptomen zu doktern, anstatt Probleme nachhaltig an den Wurzeln zu behandeln. Die Streitkultur der 1970er Jahre ist im Zuge der Political Correctness gerade in Europa immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die beinahe chinesisch anmutende kulturpolitisch gepflegte Harmoniesucht führt neben Trägheit zu steigender Unruhe, Nervosität und Unfähigkeit, den Sorgen und Nöten eine intel13

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ligente Stimme zu verleihen. Einerseits sind die Fronten schärfer geworden, andererseits ist die Sensibilität gewachsen. Ein explosives Gemisch. Huxleys Einstellungen zu Sexualität, Familie, Erziehung oder Religion scheinen in der breiten Öffentlichkeit keine Resonanzräume mehr zu finden, obwohl es lokale Experimente in alternativer Pädagogik gibt, die Funktionalität der traditionellen Familie immer mehr zerfällt und aufgeklärte Praktiken wie Polyamorie im Schatten des Pluralismus Fuß fassen. Erschwerend kommt hinzu, dass Huxley selbst begann, seinem Nachruhm ein Grab zu schaufeln. Bereits früh sprach er in seiner typischen selbstkritischen Offenheit davon, dass er eigentlich kein »geborener« Romanschriftsteller sei, sondern diese Haltung nur gekonnt imitiere. Diese Aussagen haben, besonders in seiner letzten Lebensphase, einige weniger aufmerksame Kritiker zu wörtlich genommen; dazu wurde »kein geborener« offenbar mit »kein richtiger« übersetzt und die Legende vom literarisch schwachen Huxley war in die Welt gesetzt. Dieses Gerücht wurde durch eine weitere, parallel entstandene Legende unterfüttert, die besagte, dass der ältere Huxley sich vom beißenden, zynischen Intellektuellen zum weltfremden Heiligen gewandelt habe. Es ist richtig: Nach 1936 schrieb er weniger Romane und beschäftigte sich verstärkt mit Forschung sowie anthropologischen, ethischen und sozialpolitischen Fragen, was seiner zugewiesenen Rolle als Romanschriftsteller ebenfalls geschadet hat. Offenbar ist es schwierig bis unmöglich, in der öffentlichen Wahrnehmung in mehr als einer Rolle zu überleben. Dass Huxley im öffentlichen Bewusstsein praktisch nur noch durch die Allgegenwart von Schöne Neue Welt vorhanden ist, hängt darüber hinaus grundsätzlich mit seiner kompromisslosen Experimentierfreude und seiner Abneigung gegen verhärtete Glaubens­ systeme und Lehren aller Art zusammen – seien es Kirchen oder Ideologien jedweder Couleur und Ausprägung; eine Abneigung, die er mit seinem guten Freund Krishnamurti teilte. Alles, für das ein Glaube Voraussetzung ist, war ihm zutiefst suspekt. Er interessierte 14

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sich vor allem für Trainingsprogramme und Methoden, die helfen, ein intelligenterer, liebevollerer und aufmerksamerer Mensch zu werden. Diese geistige Beweglichkeit und Offenheit hat es schon seinen Zeitgenossen schwierig gemacht, ihn einzuordnen und bequem zu kategorisieren. Wie seine Freundin und Biografin Sybille Bedford feststellte: »Aldous’ eigene Philosophie war dynamisch; […] er stand niemals still« (Bedford II, S. 343). Huxley hat sich nicht verändert: er hat sich weiterbewegt. Seine oft pionierhafte Experimentierfreude hat dazu geführt, dass er nach Schöne Neue Welt am bekanntesten ist als Prophet oder Guru der psychedelischen Drogenbewegung, besonders durch seinen Meskalin-Erfahrungsbericht Die Pforten der Wahrnehmung. Bereits mit seinem Einsatz für die Pazifismusbewegung im England der 1930erJahre und der unmittelbar folgenden Emigration in die USA war sein Ruf als angesehener Intellektueller zunehmend durch Häme und Spott angegriffen worden. Die Karikatur von David Low in Nash’s Pall Mall Magazine von September 1936, die Huxley zeigt, wie er und der Gründer der Peace Pledge Union Hitler und Mussolini zu Tränen und Einsicht rühren, stellte erst den Beginn dar. Die Presse nicht allein in Großbritannien, wo man zunächst ein Hühnchen mit ihm als Deserteur von der Heimatfront ins kalifornischen Exil zu rupfen hatte, sah Huxleys intellektuelle Glaubwürdigkeit durch seine Beschäftigung mit anscheinend Abwegigem, Kuriosem und Nebensächlichkeiten zunehmend erodiert. Auf den unzeitigen Pazifismus in den Zeiten des wachsenden Faschismus folgten über die Jahre die Annahme von unorthodoxen Theorien und Therapien wie der psychosomatischen Typologie von Sheldon, der Sehtherapie von Bates, Hypnose und schließlich das Experimentieren mit psychedelischen Drogen. In die psychoaktiven Substanzen setzte Huxley die Hoffnung, dass ihr kontrollierter Einsatz zu einem spirituellen Verständnis der Wirklichkeit verhelfen könne, was zum Teil pauschal als unausgegorener Westentaschenmystizismus eines zunehmend versponnenen Intellektuellen wahrgenommen wurde. So konstatierte der US-amerikanische Chemiker und Pharmakologe Alexander Shulgin 1977 in seinem Vorwort zur englischen Ausgabe des psyche15

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

delischen Sammelbandes Moksha (S. xix): »In seinem letzten Jahrzehnt war Huxley absichtlich kontrovers«. Diese Biografie soll in erster Linie den allgemein interessierten Lesern einen Überblick über die Hintergründe und das Denken dieses bedeutsamen und weiterhin aktuellen Schriftstellers bieten und Anreiz geben, sich ausführlicher mit Aldous Huxleys Werk auseinanderzusetzen. Sie will aber auch seinen Autor wieder ins Licht rücken, der in den letzten Jahrzehnten als Literat und Denker in die zweite Reihe gerückt ist, nachdem er fünf Jahrzehnte lang ein literarischer und intellektueller Star war. Eine Schwierigkeit, vor welcher der Biograf dabei steht, ist es, das folgenreiche Desaster von 1961 auszugleichen. In diesem Jahr brannte das Haus von Laura und Aldous Huxley in den Hollywood Hills ab; das Feuer verschlang fast die gesamte Korrespondenz von Aldous Huxley, insbesondere seine Briefe an seine erste Frau Maria. Es zerstörte Manuskripte und seine persönliche Bibliothek von einigen tausend Bänden mit seinen Anmerkungen. So bleibt die Schwierigkeit, dass von Huxley außer seinem Werk kaum persönliche Zeugnisse überlebt haben und es fast nur Berichte von außen gibt. Eine weitere außergewöhnliche Tatsache, die dem Biografen Schwierigkeiten bereitet, ist es, dass Huxley mit so vielen bedeutenden Menschen Kontakt hatte, dass sie nicht alle sinnvoll in einer Biografie unterzubringen sind. Für einen Künstler und Intellektuellen ist es nicht ungewöhnlich, im Zentrum eines Netzwerks zu stehen, besonders wenn man so kommunikativ und an Austausch interessiert ist wie es Huxleys reger, nie stillstehender Geist war. Aber sein »Adressbuch« sprengt sehr schnell die Grenzen des Recherchierbaren. Man wundert sich eher, mit wem er keinen Kontakt hatte. Huxleys vielfältige Kontakte mit Menschen, Kulturen und Sprachen (er sprach fließend Französisch und Italienisch) waren Ausdruck seines umfassenden Weltbürgertums. Er war beinahe überall mit einer gewissen Leichtigkeit schnell zu Hause – ob in Oxford, London, Italien, Frankreich, New York oder Los Angeles. Er war ein Emigrant unter Emigranten (seine erste Frau war Belgierin, seine 16

Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

zweite Italienerin). Herkunft, Tradition und Kultur hatten bestenfalls persönliche, biografische, aber niemals universelle Bedeutung. Es gibt also einen anregenden Denker, Lehrer, äußerst unterhaltsamen Autor und Ausnahmemenschen wiederzuentdecken, der immerhin mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, sieben Mal zwischen 1938 und 1963. Huxley selbst hätte darauf so viel Wert gelegt wie Woody Allen auf einen Oscar, aber vielleicht hätte es seinem Nachruhm ein wenig gut getan. Besonders die jungen Generationen, die in den 1980er- oder 1990er-Jahren (also 100 Jahre nach Huxley) Geborenen, die sich zunehmenden Umweltkatastrophen stellen müssen und vor den wirtschaftlichen, sozialen, geografischen sowie politischen Herausforderungen des Klimawandels stehen, können einen überraschenden Zeitgenossen entdecken. Noch mehr gilt das für die Generation von Schülern, die in der jüngsten Vergangenheit für ökologische Verantwortung und gegen die korrupten Strukturen des Kapitalismus auf die Straßen gehen, also gegen das, was Aldous Huxley einmal »die Feinde der Freiheit« genannt und aus seiner Zeit heraus bereits scharfsinnig analysiert hat: die großunternehmerische Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche, die Zunahme populistischer, antidemokratischer, gewaltbereiter und totalitärer politischer Bewegungen zusammen mit wachsender digitaler Kontrolle, Überwachung und Steuerung. All diese Tendenzen haben zur Folge, dass demokratische Strukturen und damit die individuelle Freiheit untergraben werden. Wie kaum ein anderer hat Huxley den notwendigen Zusammenhang zwischen Freiheit, Intelligenz und Frieden herausgearbeitet. Und wie kein anderer hat er für Toleranz und Geduld plädiert und versucht, als Brückenbauer zwischen scheinbar unvereinbaren Welten zu vermitteln, zwischen Wissenschaft und Literatur, zwischen Leben und Kunst, zwischen den Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Zusammenlebens und den Bedürfnissen des Einzelnen und zwischen den tierischen, psychologischen und geistigen Bedürfnissen des Menschen.

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Haut

Frühe Verluste: Kindheit, Jugend und zerstörte Pläne (1894–1916) Haut Der vielleicht fünfjährige Aldous war gerade einmal nicht damit beschäftigt, gekonnte Zeichnungen seiner Umwelt anzufertigen, wie er es sonst endlos tat, sondern saß am Fenster und schaute versonnen hinaus. Als seine Patentante vorbeikam, fragte sie ihn: »Na, woran denkst du denn?« Der Knirps drehte sich um, schenkte ihr kurz seine Aufmerksamkeit, ließ ungerührt und einsilbig das Wort »Haut« vernehmen und schaute wieder zum Fenster hinaus. Diese kleine Episode ist doppelt bezeichnend für die Kindheitsund Jugendphase von Aldous Huxley, der einmal einer der rebellischsten und aufregendsten Schriftsteller, vollendetsten Feingeister, einflussreichsten Denker und meistgeschätzten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts und der vielleicht letzte echte Universalgebildete der Neuzeit werden sollte. Einerseits zeigt sie den kleinen Aldous, wie er von seinem Umfeld schon früh wahrgenommen wurde: Er war anders als die anderen. Mit zwölf Jahren erkannte sein sieben Jahre älterer Bruder Julian »intuitiv, dass Aldous eine angeborene Überlegenheit besaß und sich auf einer anderen Ebene des Seins bewegte als wir anderen Kinder. […] Als Kind verbrachte der seine Zeit zu einem guten Teil damit, einfach still dazusitzen und die Seltsamkeit aller Dinge zu beobachten. […] Von dieser Beschäftigung mit dem Seltsamen und Bizarren, dem Unwahrscheinlichen und Außerordentlichen ließ er sein ganzes Leben nicht ab.« (Gedächtnis, S. 21)

Das Seltsame und Bizarre, das Groteske beschäftigten ihn gewiss; aber auch das Naheliegende, augenscheinlich Unscheinbare, das 19

Frühe Verluste: Kindheit, Jugend und zerstörte Pläne

allzu Selbstverständliche – wie eben »Haut« – war für ihn von Bedeutung. Von Anbeginn war sein Blick zugleich der des Forschers und des Ästheten. Aber nicht nur als Objekt seiner Betrachtung, sondern auch als Organ seiner subjektiven Empfänglichkeit ist »Haut« ein guter Begriff für seine frühe Zeit. Denn Aldous war nicht nur ein äußerst sinnliches und empfängliches Kind; leider waren ihm auch schon in jungen Jahren Ereignisse beschert, die tief unter die Haut gingen. Der kleine Aldous träumte nicht davon, Schriftsteller zu werden. »Er zeichnete andauernd«, erinnerte sich sein gleichaltriger Cousin Gervas Huxley, »völlig vertieft – für mich war es Magie, ein kleiner Junge meines Alters, der so schön zeichnete« (zit. in Bedford, S. 3). Maler wollte Aldous werden; noch bis weit in die Jugendzeit hegte er diesen Wunschtraum. Gezeichnet und gemalt hat er immer, doch kaum etwas davon ist erhalten geblieben. Allerdings tauchte Ende 2015 in einem Londoner Antiquariat eine kindlich-düstere Vision des Zweiten Burenkriegs auf, die Aldous im Jahr 1900 im Alter von nur sechs Jahren für die Töchter des im Krieg engagierten Generals Lyttelton gezeichnet und in krakeligen Großbuchstaben am oberen Rand signiert hatte. Das prall gefüllte sechzigseitige Marburger Skizzenbuch aus seinem 17. Lebensjahr ist ebenfalls erhalten geblieben. Doch von den zahllosen Gouachen, die er in den 1930er-Jahren im Süden Frankreichs angefertigt hat, sind bislang nur eine Handvoll wieder ans Tageslicht gekommen. Maler wollte er also werden – oder Mediziner. Sein Lebtag hat sich Aldous Huxley mit Medizinern, Psychologen, Therapeuten, Physiologen aller Art umgeben, mit lebhaftem Interesse die Forschung verfolgt und sich an einigen Experimenten beteiligt. Der Hang zu Biologie und Medizin lag deutlich in der Familie. Später sollte Huxley schreiben, dass er lieber Faraday als Shakespeare geworden wäre. Sein Großvater väterlicherseits war der eminente Biologe (und Humanist und Pädagoge) Thomas Henry Huxley, einer der ersten und der wahrscheinlich wortgewandteste, jedenfalls aber kampflustigste Evolutionstheoretiker der ersten Stunde, was ihm den Beinamen »Darwins Bulldogge« eintrug. Aldous’ älterer Bruder Julian sollte 20

Haut

Der junge Aldous auf den ­Schultern seines Vaters, ­Leonard Huxley

einer der bekanntesten Biologen seiner Zeit werden, Mitbegründer von UNESCO und WWF; der zwanzig Jahre jüngere Halbbruder Andrew erhielt 1963 den Nobelpreis für Medizin. Doch bereits bevor der kleine Aldous sich überhaupt Gedanken über seinen Werdegang machen konnte, war ihm bereits ein quasi dynastisches Erbe mit in die Wiege gelegt worden. In ihm und seinen Geschwistern kamen das Ansehen und die Ansprüche zweier hoch geschätzter Familien der intellektuellen Elite Englands zusammen – ein Segen und eine große Herausforderung zugleich. Beide Familien entstammten der oberen Mittelschicht und hatten sich in der viktorianischen Zeit in besonderem Maße um Aufklärung und Bildung, die Suche nach Wahrheit und Wissen sowie die Idee des kulturellen Fortschritts verdient gemacht. Leonard Huxley, Aldous’ Vater, war ein Sohn des bereits erwähnten berühmten Biologen (und späteren Mitglieds zahlreicher akademischer Institutionen wie auch 21

Frühe Verluste: Kindheit, Jugend und zerstörte Pläne

Thomas Henry Huxley (1825–1895), Aldous’ Großvater väterlicherseits

der Londoner Schulbehörde) Thomas Henry Huxley. Neben seinem Einsatz für die Evolutionslehre von Darwin und Wallace war der glänzende Stilist mitverantwortlich dafür, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts der Wahrheitsbegriff auf immer breiterer Basis mit wissenschaftlicher Erkenntnis gleichgesetzt wurde, die auf empirischer Messung und Überprüfung beruht. Durch die Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode und die Durchsetzung wissenschaftlichen Denkens, so der optimistische Tenor, könnte die Welt zunehmend entschlüsselt, erforscht, verstanden und dem Menschen 22

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gefügig gemacht werden. In diesem Sinne sorgte Thomas Henry Huxley auch dafür, dass die Naturwissenschaften im Schulcurriculum eine stärkere Verankerung fanden. Für seine religiöse Haltung prägte er den Begriff des Agnostizismus. Zwar betonte er, dass es sich dabei nicht um eine atheistische Auffassung handelte, sondern um eine skeptische Grundhaltung gegenüber metaphysischen Annahmen; dennoch wurde er von dogmatischen Kreisen als ungläubig angefeindet. Aldous Huxleys Mutter, Julia Frances Arnold, war eine Enkelin des Theologen und Pädagogen Thomas Arnold, dessen Name heute vor allem mit seinem Ideal des »christlichen Gentleman« und der vorbildlichen Leitung einer Schule in Rugby, die als modellhaft für das englische Erziehungswesen gilt, verbunden ist. Julias Vater, Thomas Arnold d. J., war als Schulinspektor und Literaturwissenschaftler tätig und erlangte aufgrund seiner wiederholten Religionswechsel zwischen Anglikanismus und Katholizismus notorische Berühmtheit. Als erheblich einflussreicher erwies sich sein älterer Bruder Matthew Arnold, ein viktorianischer Dichter und Kulturkritiker, der die fortschreitende Humanisierung, Kultivierung und Moralisierung der Gesellschaft, nicht zuletzt der als bedrückend habgierig und philisterhaft empfundenen Mittelschicht, erstrebte. Matthew hielt dem Absolutheitsanspruch der Naturwissenschaften die Wahrheit moralischen Denkens und kultivierten Handelns entgegen und erklärte die hohe Dichtung – für ihn die vollendete »Kritik des Lebens« – zum maßgeblichen Aufklärungsinstrument. Religion bezeichnete er als »Moral durchdrungen von Gefühl« und stellte sich damit ausdrücklich gegen die Kirchendogmen. Gutes Handeln zeichne einen religiösen Charakter aus. Diese Haltung spiegelt sich auch in dem populären, aber umstrittenen Roman Robert Elsmere (1888) seiner Nichte, Julia Huxleys Schwester Mary Augusta Ward, wider, die ihn unter dem Pseudonym Mrs. Humphry Ward veröffentlichte. Die Figur des Robert Elsmere, eines christlich-orthodoxen Geistlichen, zweifelt im Zuge der Rationalisierung der Welt zunehmend an den überlieferten Doktrinen und Dogmen der anglikanischen Kirche, wird aber in der 23

Frühe Verluste: Kindheit, Jugend und zerstörte Pläne

Folge nicht zum Atheisten, sondern zum praktischen Helfer der Armen, Unterprivilegierten und Ungebildeten. Enorm war also die intellektuelle Verpflichtung, die Aldous Huxley durch seine Herkunft ganz selbstverständlich übertragen wurde. Vorbilder in Bezug auf den beiden Familienlinien innewohnenden Anspruch, Bildung und Wissen zu verbreiten, fand er zweifellos auch in seinen Eltern. Sowohl sein Vater als auch seine Mutter, die beide an der renommierten Universität von Oxford studiert hatten, waren als Pädagogen tätig, sein Vater später auch als Autor und Herausgeber. Aldous’ komplexe Familiengeschichte sorgte zudem dafür, dass ihm einander widerstreitende weltanschauliche Ansätze gleichsam als Vermächtnis zur weiteren Auseinandersetzung in die Wiege gelegt wurden: Die Gegensätze von Wissenschaft und Dichtung, von Wissenschaft und Religion, Denken und Fühlen, Materie und Geist, wertfreier Forschung und wertbehaftetem Leben sollten in seinen philosophischen Überlegungen besondere Berücksichtigung finden. Aldous Leonard Huxley wurde am 26. Juli 1894 auf dem Landsitz Laleham bei Godalming im südenglischen Surrey geboren. Dort lebte die Familie zunächst von dem eher mäßigen Lehrereinkommen des Vaters. Aldous hatte zwei ältere Brüder, Julian (geb. 1887) und Noel Trevenen, kurz Trev (geb. 1889); die jüngere Schwester Margaret wurde 1899 geboren. Aus einer späteren Ehe seines Vaters mit Rosalind Bruce gingen außerdem seine Halbbrüder David Bruce Huxley (geb. 1915) und Andrew Fielding Huxley (geb. 1917) hervor. Die überlieferten Äußerungen zu Aldous’ früher Kindheit deuten auf ein glückliches und harmonisches Familienleben hin, in dem offenbar viel gespielt, gescherzt und gelacht wurde. Aldous liebte Sprachspiele, seit er sprechen konnte. Dem Vorlesen, Lesen und Rezitieren von Büchern wurde in seiner Erziehung hohe Bedeutung beigemessen. Natürlich spielten schon früh das Einüben klarer Verhaltensregeln, die allmähliche Entwicklung eines ausgeprägten Klassenbewusstseins und die Vermittlung der daraus resultierenden Verantwortung eine maßgebliche Rolle. Hier machte sich insbesondere der Einfluss der fürsorglichen und leidenschaftlich verehrten, 24

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Aldous’ Familie mütterlicherseits, ca. 1898. In der mittleren Reihe: Kindermädchen Ella Salkowski (1. v. l.), Aldous’ Mutter Julia (2. v. l.), Aldous’ Tante, die bekannte Schriftstellerin Mrs. Humphry Ward (3. v. l.), Aldous’ Großvater Thomas Arnold, Bruder des einflussreichen Dichters und Kulturkritikers ­Matthew Arnold (re.). Vorne (v. l. n. r.): Aldous, Trevenen und Julian

aber außerordentlich diszipliniert auftretenden Mutter geltend, während sich der Vater gerne auf eine Ebene mit seinen Kindern begab und dementsprechend weniger respektvoll angesehen wurde. Unterstützt wurde die Erziehung durch die junge Gouvernante Ella Salkowski, die aus Königsberg stammte und auf Aldous einen derart prägenden Eindruck machte, dass er sie Jahre später auch als Erzieherin für seinen eigenen Sohn engagieren würde. Mit seinen Brüdern verband ihn eine innige Nähe, obwohl sie ihn wegen seines in den ersten zwei Lebensjahren überdimensional großen Kopfes scherzhaft »Ogie« (»Monsterchen«) nannten. Sie setzten Aldous den Hut des Vaters auf – und er passte, wie Trev bemerkte. Aldous liebte es auch, sich in der herrlichen Natur seiner ländlichen Umgebung aufzuhalten, wo er wilde Blumen pflückte und bestimmte, Schmetterlinge und Käfer sammelte, Vögel beobachtete, spazieren ging und später Fahrrad fuhr. 25

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1899 begann Aldous’ Schulausbildung in St. Bruno’s, einer nahe gelegenen Vorbereitungsschule für kleine Kinder. Zwei Jahre später verließen die Huxleys Laleham und zogen in das drei Kilometer entfernte Landhaus »Prior’s Field«. Dort gründete Julia Huxley Anfang 1902 eine private Mädchenschule, die schnell an Beliebtheit gewann und sich rasch vergrößerte. Im Gründungsjahr nahm auch Aldous am Unterricht teil. Die Vermittlung von Literatur und Kunst stand gemäß Julias Vorlieben und Stärken im Vordergrund. Dabei wurde ihr Sohn sanft, aber nachdrücklich mit dem Familienmotto vertraut gemacht, an das sich schon seine älteren Brüder hatten gewöhnen müssen: »Huxleys schneiden immer mit Auszeichnung ab« (zit. in Bedford, S. 20). Von 1903 bis 1908 besuchte Aldous schließlich als Internatsschüler die Hillside-Schule bei Godalming. Bald verband ihn eine enge Freundschaft mit seinem ebenfalls dort neu eingeschulten Cousin Gervas Huxley. In seinen Erinnerungen beschreibt Gervas Hillside als eine eher wenig einladende Schule mit zwar guten Lehrern, aber schlechtem Essen und viel Schikane seitens der Mitschüler. Sein Cousin Aldous, ein hochgewachsener, aber zarter und krankheitsanfälliger Junge, der häufig nicht am Unterricht teilnehmen konnte, ließ sich von all den negativen Umständen wenig beeindrucken und verschaffte sich auf die ihm eigentümliche Weise Respekt und Bewunderung. Gervas merkte, dass »Aldous den Schlüssel zu einer unangreifbaren inneren Festung besaß, in die er sich aus den Nöten und Leiden eines Schuljungendaseins zurückziehen konnte. Er vermochte alle diese in die richtige Perspektive zu rücken. Ich kann mich nicht erinnern, dass er wie die meisten von uns je die Selbstbeherrschung verlor oder heftigen Gemütsbewegungen nachgab. Es war unmöglich, mit ihm zu streiten.« (Gedächtnis, S. 31)

Jegliche Anfeindungen lösten sich in Luft auf, wenn sie auf Aldous’ Integrität und Uneigennützigkeit trafen. Wann immer Gervas oder der gemeinsame Freund Lewis Gielgud (der ältere Bruder des späteren Theater- und Filmstars John Gielgud) seines Beistandes bedurften, war er an ihrer Seite. Gervas schildert ihn als ausgesprochen 26

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Die vier Kinder von Leonard und Julia Huxley, ca. 1903. V. v. n. h.: Margaret, Aldous, Trevenen und Julian

umgänglichen Gefährten, der zu jedem Unsinn bereit war, allerdings immer in ganz besonders intelligenter Manier. Als Schüler zeigte sich Aldous engagiert und strebsam, konnte aber die in ihn gesetzten hohen Erwartungen nicht vollständig erfüllen, was bei seinen Eltern durchaus für Unmut sorgte. Allerdings glänzte er 1907 in einer Schulaufführung von Shakespeares Kaufmann von Venedig, in der er als Antonio das Publikum zu Tränen rührte. Im selben Jahr produzierte er auf Veranlassung seines Englischlehrers zusammen mit Gervas und Lewis zwei Ausgaben einer kleinen Literaturzeitschrift, in der er erste eigene Texte veröffentlichte, darunter ein Gedicht mit dem Titel »Sea Horses«. Im Juni 1908 beendete Aldous seine Schulzeit in Hillside, um im Herbst zusammen mit Lewis Gielgud an das Eliteinternat Eton College in Berkshire zu wechseln, das schon seine Brüder erfolgreich 27

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absolviert hatten. Die Sommerferien verbrachten die Huxleys zum wiederholten Male in den Alpen, allerdings in diesem Jahr ohne die Mutter, die sich seit Juli nicht gut fühlte. Am 12.  August schrieb Aldous einen Brief an Gervas, in dem er sich enthusiastisch über das Feriendomizil äußerte, aber auch zum Ausdruck brachte, wie sehr er seine Mutter vermisste: »Es ist jammerschade, dass Mutter noch nicht zu uns stoßen kann, aber ich erwarte, dass sie in etwa 10 Tagen kommt« (zit. in Bedford, S. 17). Julia sollte jedoch ausbleiben. Im September bezog Aldous sein neues Quartier in Eton, und er freute sich auf die Umgebung und das akademische Leben dort. Er war noch dabei, sich einzugewöhnen, als er Ende November dringend nach Hause gerufen wurde, weil es seiner Mutter erheblich schlechter ging. Da Aldous genauso wie seine jüngere Schwester Margaret im Vorfeld nicht eingeweiht worden war, traf ihn die Nachricht wie ein Schlag: Nur wenige Monate zuvor hatte Julia erfahren, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt war. Seitdem hatte sich ihr Zustand in kurzer Zeit dramatisch verschlechtert. Am 29. November, dem Tag ihres Todes im Alter von nur 46 Jahren, sah Aldous seine Mutter zum letzten Mal. Zum ersten Mal brach für ihn eine Welt zusammen. Später verarbeitete er dieses traumatische Erlebnis in seinem zweiten Roman Narrenreigen mit der Figur Theodore Gumbrils: »Er hatte nicht gewusst, dass sie dem Tode so nahe war, aber als er in ihr Zimmer trat und sie so schwach in ihrem Bett liegen sah, da hatte er plötzlich unbeherrscht zu weinen begonnen. Alle seelische Kraft, selbst die zu lachen, war auf ihrer Seite gewesen. Und sie hatte mit ihm gesprochen. Es waren nur ein paar Worte, aber in ihnen war alle Weisheit enthalten, die er zum Leben brauchte. Sie hatte ihm klargemacht, was er war und was er versuchen sollte zu werden und wie es zu sein. Und noch immer unter Tränen hatte er ihr versprochen, das zu versuchen.« (S. 9)

Der Stellenwert dieses Versprechens kann angesichts der Liebe, die er für seine Mutter empfand, und der Verpflichtungen, welche die Sterbende ihm auferlegte, kaum hoch genug veranschlagt werden. Julias Tod bedeutete für ihren Sohn den ersten Schritt hin zu einer frühen pessimistischen Einstellung, die er Jahre später in Die graue 28

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Eminenz, der Lebensgeschichte des einflussreichen französischen Kapuzinermönchs Père Joseph, auf den Punkt brachte. Der Held des Romans hatte bereits als Zehnjähriger seinen Vater verloren: »Sein Kummer bei dieser Gelegenheit ging tief; und als der erste Anfall vorbei war, verblieb ihm ein zu gewöhnlichen Zeiten latentes, aber stets an die Oberfläche zu kommen bereites und ihn verfolgendes Gefühl der Eitelkeit, Vergänglichkeit und hoffnungslosen Unsicherheit alles bloß menschlichen Glücks.« (S. 29)

Aldous’ Bruder Julian Huxley äußerte später sogar die Überzeugung, dass der frühe Verlust hauptverantwortlich für den zynischen Ansatz seines Bruders in den frühen Romanen gewesen sei. Fest steht in jedem Fall, dass das Motiv des Muttertods in Huxleys Schaffen zu einem immer wiederkehrenden wurde, so auch in seinen Zukunftsvisionen Schöne neue Welt und Eiland. Bald nach Julias Beerdigung im nahe gelegenen Compton löste sich das traute Heim in »Prior’s Field« auf. Julian setzte sein Zoo­ logiestudium in Oxford fort, Trev und Margaret lebten einige Zeit bei der Familie Humphry Ward, und der Vater Leonard zog nach London um. Aldous selbst ging zurück nach Eton. Nur die von der Mutter gegründete Mädchenschule blieb unter neuer Führung erhalten. In der folgenden Zeit fand Aldous Ablenkung von seiner Trauer, indem er sich in Eton in das vorgesehene Lernprogramm stürzte. Er war von der Schule und den Lehrern begeistert. Seine Mitschüler respektierten ihn. Im Sport entwickelte der lange, schlacksige Junge eine Vorliebe für den Hochsprung. Er erhielt Malunterricht. Das Lernen machte ihm Spaß und fiel ihm leicht; den Lektüreberg meisterte er mühelos. Im Rückblick stellt Huxley fest, als geborener Intellektueller, der eine Vorliebe für Ideen und eine Abneigung gegen praktische Aktivitäten besitze, für die akademische Ausbildung wie geschaffen gewesen zu sein. Auf dem Lehrplan standen Geisteswissenschaften, allen voran klassische Fächer wie Griechisch, Latein und Verskunde, aber auch neuere Fächer wie zum Beispiel moderne Geschichte und Franzö29

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sisch. Englische Literatur gehörte noch nicht dazu, doch Aldous galt als »Ästhet«, der sich gerne mit Autoren wie Walter Pater oder Oscar Wilde beschäftigte. In Eton wurde aber auch großer Wert auf eine solide naturwissenschaftliche Bildung gelegt. Huxley hatte keine Schwierigkeiten, sich zwischen den Disziplinen zu bewegen. Er verspürte immer eine Leidenschaft für das Wissen an sich, ganz gleich, auf welches Gebiet es sich bezog. Jedoch zeichnete sich schon bald eine Spezialisierung auf das geliebte Fach Biologie ab. Aldous träumte davon, eine Karriere in der medizinischen Forschung einzuschlagen und so seinen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft nachzukommen.

Blind Um die Jahreswende 1910/1911 bekam Aldous plötzlich Probleme mit seinen Augen. Sie waren geschwollen und rot. Zunächst ging man von einer vorübergehenden Bindehautentzündung aus, aber es wurde und wurde nicht besser, ganz im Gegenteil: Das Sehvermögen ließ nach. Als Aldous’ Onkel und Gervas’ Vater, der Mediziner Henry Huxley, ihm eines Sonntags einen überraschenden Besuch abstattete, war er schockiert über den Gesundheitszustand seines Neffen und nahm ihn ohne zu zögern mit nach London. Kurz darauf begann die quälende Erfahrung von 18 Monaten fast vollständiger Blindheit, die Huxley später im Vorwort zu seinem Buch Die Kunst des Sehens beschrieb. Nach genauerer ärztlicher Untersuchung stand die Diagnose fest: Keratitis punctata, eine Hornhautentzündung, die beide Augen befallen hatte und deren besonders aggressives und viel zu spät erkanntes Auftreten keine positive Prognose zuließ. Die zu der Entzündung führenden Umstände wurden nie eindeutig geklärt; Gervas sprach von infiziertem Staub, der ungünstig mit körperlicher Schwäche durch eine Grippe oder durch Überarbeitung zusammenwirkte. Die Augenerkrankung bedeutete für Aldous den zweiten herben Schlag innerhalb von drei Jahren. Er, der mit solcher Neugier die 30

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Welt um sich herum beobachtet und erkundet hatte, war jetzt gerade noch in der Lage, hell von dunkel zu unterscheiden. Allein konnte er sich kaum umherbewegen. Von der ihm so immens wichtigen Welt der Bücher war er abgeschnitten. Eine Rückkehr nach Eton stand nicht zur Diskussion, und sein Traum von einer Karriere als Arzt hatte ein schnelles, jähes Ende gefunden. Das Ereignis festigte und intensivierte laut Huxleys eigenen Angaben seinen ohnehin ausgeprägten Hang zur Abgeschiedenheit und Innenschau. Aldous’ Vater Leonard war zu dieser Zeit beruflich stark eingebunden. Nachdem er 1900 eine außerordentlich erfolgreiche Biografie über seinen Vater Thomas Henry veröffentlicht hatte, war ihm ein Jahr später auf Veranlassung von Mary Augusta Ward eine wichtige Position in einem Londoner Verlagshaus angeboten worden. Diese umfasste auch die Mitherausgeberschaft des renommierten Literaturmagazins The Cornhill. Seit seinem Umzug in die Hauptstadt hatte sich Leonard ganz seinen vielfältigen Aufgaben verschrieben. Dementsprechend hielt sich der Witwer vorwiegend in Büros auf und war wenig zu Hause. Aldous wurde daher vor allem von anderen Verwandten umsorgt und gepflegt. Er wohnte abwechselnd bei Gervas’ Eltern, seiner Tante Ethel Collier, den Humphry Wards und anderen. Sein Bruder Trev besuchte ihn, wann immer es sein Studium in Oxford zuließ. Die medizinische Betreuung übernahm zunächst Gervas’ Vater in Absprache mit verschiedenen Augenärzten. In Anbetracht der neuen Situation und der düsteren Zukunftsperspektive wäre ein Verharren in Angst und Wut nur allzu verständlich gewesen. Doch es gelang Aldous erstaunlich schnell, Abstand von seinen Leiden zu gewinnen und sich anderen Herausforderungen und Aufgaben zu stellen. Gervas hielt fest: »Was mich am meisten in Erstaunen setzte an Aldous’ Erblindung war die Tapferkeit, mit der er diesem völligen Riss in seinem Leben heiter und gelassen und ohne die geringste Spur von Selbstbedauern standhielt« (Gedächtnis, S. 33). Aldous entwickelte eine stoische Grundhaltung, die es ihm ermöglichte, die Dinge zu akzeptieren und mit Bedacht auf sie zu reagieren. Ein weiterer mildernder Faktor mag darin bestan31

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den haben, dass der starke Druck, überragend sein zu müssen, nun von ihm abgefallen war. Er nutzte die viele Zeit, die er allein verbringen musste, höchst diszipliniert dazu, die Blindenschrift zu erlernen. Auf diese Weise erschloss er sich nicht nur die Welt der Literatur auf neuem Wege. Mithilfe der Braille-Musikschrift brachte er sich auch selbst das Klavierspielen bei: Musik erhielt für den verstärkt akustische Reize verarbeitenden Huxley eine überragend neue Qualität. Da sein Freund Lewis Gielgud bereit war, ebenfalls die Blindenschrift zu lernen, konnten die beiden sogar eine Korrespondenz aufbauen. Und als Gervas seinen Cousin eines kalten Morgens zusammengekauert und mit den Händen unter der Decke im Bett liegen sah, bemerkte jener bloß lapidar: »Brailleschrift hat einen großen Vorteil: Man kann im Bett lesen, ohne dass einem die Hände kalt werden« (zit. in Gedächtnis, S. 33). Aldous war stets ein begeisterter Leser gewesen. Jetzt konnte er verschlingen, was ihm in Brailleschrift zur Verfügung gestellt wurde – seien es die Klassiker des Altertums, englische Autoren oder auch Werke der französischen Literatur, für deren jüngere, experimentelle Vertreter er ein besonderes Faible entwickelte. Das tastende Lesen stellte sich zwar als langsamer, die Geduld herausfordernder Prozess heraus, schulte jedoch die Gedächtnisleistung in besonderem Maße. Huxley selbst führte später die Ausbildung seines phänomenalen Fakten- und Zitatgedächtnisses vor allem auf die Phase seiner Blindheit zurück. Auch den Pflichtlektüren, die es für das Eton College zu lesen galt, widmete er sich. Durch eine Reihe von Tutoren erhielt er Hausunterricht. Am meisten profitierte er nach eigenen Aussagen von George Clark, der ihn im Herbst 1911 in frühenglischer ­Geschichte unterrichtete und ihn, wenn er Bücher benötigte, zur Braille-Ausleihbibliothek begleitete. Um sich schriftlich besser mitteilen zu können, hatte Aldous das Tippen auf einer tragbaren Schreibmaschine gelernt. Diese Fertigkeit machte er sich nun zunutze, um erforderliche Schreibarbeiten zu erledigen. Doch auch das Schreiben aus anderen, inneren Beweggründen kam nicht zu kurz, und es deutete sich bereits an, in welche Richtung sein beruflicher Weg führen könnte, nachdem ihm eine Zukunft als Wissenschaftler 32

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verwehrt worden war. Auf seiner Schreibmaschine tippte er im Alter von 17 Jahren einen etwa 80 000 Worte umfassenden Roman. Leider verschwand das Typoskript anschließend aus unbekannten Gründen; Huxley bekam es nie zu sehen und konnte sich im Laufe der Zeit nur noch schemenhaft an den Inhalt erinnern. Penicillin und Cortison waren zu dieser Zeit noch nicht entdeckt, und so gestaltete sich die Bekämpfung schwerer Entzündungen generell problematisch – so auch in Huxleys Fall. Schließlich aber übernahm der angesehene Augenchirurg Ernest Clarke die Behandlung, und das Bakterium Staphylococcus aureus wurde als Krankheitsverursacher ermittelt. Nun erhielt Aldous regelmäßig Injektionen, die dazu führten, dass die Hornhautentzündung schrittweise verschwand. Allerdings blieben durch Vernarbungen massive Hornhauttrübungen zurück, die weiteres Eingreifen erforderlich machten. Nach etwa 18 Monaten der Blindheit begann sich Aldous’ Sehvermögen ein wenig zu verbessern. Sein linkes Auge erlangte eine Sehfähigkeit, die es ihm erlaubte, mithilfe einer starken Lupe wieder zu lesen. Das rechte Auge jedoch blieb weiterhin praktisch blind. Sein Leben lang sollte er unter seinen Augenproblemen leiden und nach Behandlungsmöglichkeiten konventioneller wie alternativer Art suchen. Die Osterferien 1912 verbrachte Aldous mit Gervas’ Familie in Cornwall. Er traute es sich jetzt wieder zu, alleine draußen herumzulaufen, und sein Mut wuchs, wie Gervas bemerkte, sogar noch deutlich: »Unfassbar, aber er bestand darauf, Fahrrad zu fahren. Obwohl er nicht wirklich sehen konnte […]; doch Aldous bestand darauf, auf eigene Faust mit dem Fahrrad zum Bahnhof zu fahren« (zit. in Bedford, S. 36). Anschließend zog er für einige Zeit zu seinem Vater nach London-Bayswater. Leonard hatte im Februar die dreißig Jahre jüngere Rosalind Bruce geheiratet, die noch nicht einmal so alt wie die Brüder Julian und Trev und nur vier Jahre älter als Aldous war. Er zeigte sich dankbar dafür, dass Rosalind sich rührend um ihn kümmerte und ihn ihr neues Klavier benutzen ließ, aber er blieb zunächst auf Distanz. Während Trev als einziger der drei Brüder Rosalind mit offenen Armen als neues Familienmitglied empfing, 33

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brauchte Aldous viel länger, um sie zu akzeptieren und schließlich auch zu mögen. Trotz seiner starken Sehbeeinträchtigung begegnete er der Welt mit enormem Selbstvertrauen, wie etwa sein Aufenthalt im deutschen Marburg in den Monaten Mai und Juni 1912 bezeugt, den er ganz allein antrat. Aldous lernte dort Deutsch und studierte Musik; vermutlich wollte er zwischendurch auch weiteren augenärztlichen Rat einholen. Er wohnte bei dem Geologieprofessor Emanuel Kayser, der ihn auch zu Expeditionen in die Umgebung mitnahm. Die wenigen erhaltenen Briefe aus Marburg wirken fröhlich und entspannt. Aldous stöhnt über die Massen an deutscher Literatur, die er zu bewältigen habe, vornehmlich Schillers Balladen und Wallenstein. In Musik beschäftigte er sich mit Werken von Beethoven und Chopin. Erfreut nahm er in der Stadt Werbeplakate für einen »Großen Walzerabend mit der jugendlichen Cornetopistonvirtuosin Fräulein Soundso« (Letters, S. 44) zur Kenntnis. Er äußerte sich verwundert über die vielen Bismarcktürme, die es in Deutschland zu sehen gibt, und beobachtete am Mittsommerabend fasziniert eine Studentenparade zu Ehren Bismarcks. Das Skizzenbuch, welches Huxley in Marburg mit sich führte, wird heute in der Bibliothek der Universität Stanford in Kalifornien aufbewahrt. In Aquarellen und Bleistiftzeichnungen hielt Aldous darin das Lokalkolorit Marburgs und seiner Umgebung fest und erwies sich dabei als erstaunlich genauer Beobachter und versierter Künstler. Dass die Stadt einen nachhaltigen Eindruck auf ihn machte, zeigt auch die Tatsache, dass eine (erst posthum publizierte) Kurzgeschichte namens »The Nun’s Tragedy« in dieser Stadt angesiedelt ist, die dort nur wenig verschleiert »Grauburg« genannt wird. »The Nun’s Tragedy«, 2008 im Aldous Huxley Annual erstveröffentlicht, bildet eine Vorstufe zu der Geschichte »Nuns at Luncheon« (dt. »Nonnen beim Mittagessen«), deren Kernerzählung auf diese erste Fassung zurückgeht und die Huxley in seine zweite Sammlung von Kurzgeschichten, Mortal Coils (1922), aufnahm. Als das Ende des so vielfältige Impressionen bietenden Deutschlandaufenthalts näherrückte, stellten sich bei Aldous verstärkt Ge34

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danken über die Zukunft ein. Sollte er im Herbst ein Studium in Oxford beginnen? Seinem Vater schrieb er: »Ich habe keine rechte Meinung bezüglich des Herbstes: Es hängt alles so sehr von Ernest Clarkes Einschätzungen ab. Ich weiß nicht, ob es gut wäre, das eine Auge zu benutzen, um viel damit zu machen. Das rechte scheint sich nicht viel zu ändern, aber das linke zeigt sicher gute Fortschritte.« (Letters, S. 44)

Zurück in England wurde entschieden, dass es für Aldous noch zu früh sei, ein reguläres Studium aufzunehmen. Das Ende des Sommers genoss er mit Lewis Gielgud und Gervas in Surrey. Weihnachten verbrachte er bei seinem Vater in London. Anfang 1913 bereitete sich Aldous auf die Zulassungsprüfung für das Balliol College in Oxford vor. Es gehörte zur Familientradition, sich für dieses und kein anderes College zu entscheiden, und ab Herbst wollte er dort Englische Sprache und Literatur studieren. Bereits im Frühling und Frühsommer hielt er sich in Oxford auf, wo er bei seinem Bruder Trev wohnte, der mittlerweile 23 war und sich im letzten Studienabschnitt befand. Die beiden verstanden sich glänzend. Trev war ein hervorragender Mathematiker, der aber unter seinem leichten Stottern litt, und hatte immer als der umgänglichste und offenste der drei Brüder gegolten. Er half Aldous, sich zurechtzufinden und den Bewerbungsprozess zu durchlaufen. Man las, lernte, spazierte und vergnügte sich zusammen. Im April wurde Aldous am College angenommen. Obwohl er noch nicht eingeschrieben war, besuchte er schon Vorlesungen zukünftiger Lehrer. Daneben probte er zusammen mit Lewis Gielgud, Trev und anderen für eine Aufführung des ersten, privat gedruckten Theaterstücks Saunes Bairos seiner guten Bekannten Naomi Haldane. Naomi, spätere Mitchison und Autorin zahlreicher historischer, Science-Fiction- und Fantasy-Romane, war die Tochter des Oxforder Physiologieprofessors John Scott Haldane. Der schottischen Aristokratie entstammend, wohnten die Haldanes in »Cherwell«, einem großen Haus in Nordoxford. Dorthin lud die drei Jahre jüngere Naomi Aldous und die anderen wiederholt ein. Die Premiere des Stücks 35

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fand im Mai 1913 in der Lynam-Schule (heute Dragon-Schule) statt, einer namhaften Vorbereitungsschule, die auch von Naomi und ihrem Bruder besucht worden war. Aldous machte die Schauspielerei großen Spaß; es sollte nicht das letzte Mal sein, dass er sich darin versuchte. Vor Antritt seines Studiums wollte er unbedingt seine Französischkenntnisse auffrischen und verbessern. Zu diesem Zweck reiste er Anfang Juli nach La Tronche bei Grenoble, wo er von einem Abbé privaten Französischunterricht erhielt. Aldous übersetzte Werkteile des englischen Schriftstellers Edward Frederic Benson ins Französische und beklagte sich dabei über sein viel zu kleines und ungenaues Wörterbuch, las Werke von de Musset und Taine und beschäftigte sich mit dem Oxford Book of French Verse. Die freie Zeit nutzte er ausgiebig dazu, die Alpenlandschaft zu erkunden. Ende Juli stieß Lewis Gielgud zu ihm, der ihn auf seinen Wanderungen begleitete. Die Briefe, die Aldous von dieser Reise nach England schickte, sprühen vor Lebensfreude und Beobachtungsdrang. Er schildert die schöne, aber nicht ungefährliche Berglandschaft, lobt die Freundlichkeit der Einheimischen, ist belustigt über das Französisch (und Englisch!) der amerikanischen Touristen und freut sich über seine Geburtstagspost. Dass es sich bei den ausführlichen Landschaftsbeschreibungen um die Eindrücke eines weiterhin stark eingeschränkt sehfähigen jungen Mannes handelt, ist der Korrespondenz kaum zu entnehmen. Ganz im Gegenteil: Aldous verzierte seine Briefe sogar mit feinen Skizzen. Und als er im Spätsommer zusammen mit Lewis wieder in England eintraf, konnte Gervas nur darüber staunen, wie hervorragend sich die Französischkenntnisse seines Cousins entwickelt hatten.

Oxford Das erste Studienjahr in Oxford ab Oktober 1913 muss für Aldous allen Äußerungen nach ein ausgezeichnetes gewesen sein. Englische Sprache und Literatur war ein noch vergleichsweise junger Studien36

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gang, der als eher »weich« galt, vorwiegend weibliche Studierende anzog und nicht in eine konkrete berufliche Laufbahn mündete, sondern breit gefächerte Perspektiven eröffnete. Aldous war der Einzige aus seiner Gruppe von Freunden und Bekannten, der sich für dieses Studium entschieden hatte. Doch auch Gervas hielt sich jetzt als einer von 62 freshmen am Balliol College auf; Unterstützung erhielt Aldous zudem durch seinen Bruder Trev, der nach Beendigung des Studiums weiterhin in Oxford wohnte. Trev hatte im Sommer sein Abschlussexamen nicht mit Auszeichnung bestanden, was für ihn und seine Familie eine riesige Enttäuschung war. Er machte sich große Vorwürfe und glaubte, dem Familiennamen geschadet zu haben. Jetzt bereitete er sich auf die Prüfung für den Eintritt in den Staatsdienst vor, während Aldous ein immenses Leseprogramm zu absolvieren hatte, Vorlesungen besuchte, Essays tippte und an Tutorien teilnahm. Letztere genoss er sehr. Noch viel später betonte er, welch außerordentlich fähiger Lehrer ihm mit seinem Tutor Reginald Tiddy beschieden gewesen sei, einem Experten auf dem Gebiet der klassischen und englischen Literatur. Zum Lesen nutzte Aldous zwei Alternativen. Weil die Hornhaut seines linken Auges genau in der Mitte eine Trübung aufwies, erweiterte er die Pupille mithilfe von Atropin und brachte dann seine starke Lupe zum Einsatz. Sofern aber die Literatur in Brailleschrift vorlag, konnte er seine Augen schonen. Auf diese Weise gelang es ihm im Laufe seines Studiums, sich den umfassenden Kenntnisschatz der englischen Literatur anzueignen, der ihm für sein eigenes Schaffen gleichsam auf Abruf zur Verfügung stand. Neben den Anforderungen des Studiums blieb ihm selbstverständlich genügend Zeit, das schöne Studentenleben in Oxford zu genießen. Er besuchte Theater- und Musikveranstaltungen, trat der Oxford Union, dem traditionellen Debattierklub, bei und schloss in kurzer Zeit eine Menge neuer Bekanntschaften. Seine Bildung und sein Esprit machten ihn zu einem Favoriten unter den Kommilitonen, wie Gervas hervorhob: »Alle verehrten Aldous – er faszinierte sie. Er machte einen gewaltigen Eindruck und wurde die beliebteste Person unseres Jahres« (zit. in Bedford, S. 43). Ein weiterer freshman, 37

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Raymond Mortimer, der später zu einem namhaften Schriftsteller, Kunstkritiker und Herausgeber werden sollte und den in späteren Jahren eine enge Freundschaft mit Huxley verband, bezeichnete ihn als »umwerfend, umwerfend … Diese Belesenheit: Er hatte alles gelesen« (zit. in Bedford, S. 44). Entsprechend stark frequentiert war Aldous’ Studentenzimmer, welches auf die geschäftige Broad Street hinausging, auf der es noch keine Automobile, dafür aber Pferde­ kutschen zu sehen und zu hören gab. Dieses Zimmer wurde laut ­Gervas »zu einem Mittelpunkt, wo sich die Elite unseres Jahrgangs versammelte, angezogen von dem Magneten seines Geistes, seiner allumfassenden Wissbegierde und seiner nie anmaßenden Freundlichkeit. […] Das Zimmer schien immer voller Leute zu sein, die redeten und lachten und über alles Erdenkliche, Seriöses wie Frivoles, diskutierten.« (Gedächtnis, S. 34)

Auf seinem Klavier spielte Aldous den Besuchern den neuesten Jazz vor, und seine Unkonventionalität unterstrich er mit einem großen und grellen französischen Poster, das eine Strandszene mit nackten dunkelhäutigen Mädchen zeigte. Hier spiegelte sich die noch entspannte Vorkriegsatmosphäre wider, die es den Studenten ermöglichte, sich jeglichem Vergnügen hinzugeben, das Oxford zu bieten hatte. Aldous nutzte die Freiheit auch dazu, sich mit seinen Freunden wieder der Schauspielerei zu widmen. Im späten Frühjahr 1914, kurz vor dem Ende seines ersten Studienjahres, wirkte er in Aufführungen von Naomi Haldanes zweitem Stück, Prisoners of War, mit und trat außerdem in ihrer Produktion von Aristophanes’ antikem Schauspiel Die Frösche auf. Mit einem Baumwollbart versehen spielte er den Charon, während Lewis Gielgud als Dionysos zu sehen war. Die Veranstaltungen fanden im Garten von Naomis Elternhaus in herrlichster Umgebung statt. Naomi lobte Aldous’ Auftritte, bemerkte aber besorgt, dass er gerade genug sehen konnte, um allein auf die Bühne und wieder hinunter zu gelangen. Die permanente Einschränkung belastete den jungen Mann auch in ganz anderer Hinsicht. Wie sein Vater und seine Brüder hielt sich Aldous mit Begeisterung in den Bergen auf. Aber er musste einse38

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hen, dass neben vielen anderen Aktivitäten auch das Klettern für ihn problematisch oder sogar unmöglich geworden war. Diese Tatsache hatte ihn bereits im März 1914 veranlasst, im Climbers’ Club Journal, dem Organ des britischen Bergsteigervereins, einen bissigen und recht pathetischen Artikel mit dem Titel »A Lunndon Mountaineer­ ing Essay« zu veröffentlichen. Hier beklagte er nicht etwa die Unmöglichkeit, in London Berge zu erklimmen, sondern beschrieb die banalen Tücken und Gefahren des Treppensteigens in der Großstadt für den »blinden, stubenhockerischen Maulwurf«, als den er sich betrachtete. Erleichtert wurde diese erste etwas weiterreichende Veröffentlichung dadurch, dass Trev für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift die Herausgeberschaft übernommen hatte. Trev selbst durchlebte zu dieser Zeit eine massive psychische Krise. Nach der Enttäuschung über sein Abschneiden im Abschlussexamen hatte er sich im November 1913 der Aufnahmeprüfung für den Staatsdienst unterzogen. Zwanzig Plätze waren zu vergeben gewesen – und er hatte als Einundzwanzigster abgeschnitten. Geplagt von Versagensängsten sowie verfolgt von dem Druck, den Familiennamen zu wahren und eine adäquate berufliche Perspektive zu entwickeln, hatte er einen schweren depressiven Schub erlitten. Das war in seiner Familie allerdings kein Einzelfall. Vor ihm hatten bereits sein Großvater Thomas Henry Huxley und sein älterer Bruder Julian wiederholt mit Depressionen zu kämpfen gehabt. Hinzu kam noch, dass Trev, dessen jetzt weit ausgeprägteres Stottern ein deutliches Indiz für seine Verfassung war, seit geraumer Zeit eine heimliche Beziehung zu Nashe, dem jungen Hausmädchen seines Vaters, unterhielt. Diese standesübergreifende Affäre musste selbstverständlich geheim gehalten werden und war aufgrund der sozialen Konventionen der Zeit von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Zögerlich kamen die beiden im Spätfrühling 1914 überein, sich zu trennen, und Nashe reichte bei Leonard Huxley ihre Kündigung ein. Kurz darauf erlebte der völlig überforderte Trevenen einen Nervenzusammenbruch, der ihn dazu veranlasste, sich auf ärztliches Anraten in die Obhut der Privatklinik »The Hermitage« in Surrey zu 39

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begeben, die kurz zuvor schon Julian zweimal aufgesucht hatte. Aus diesem Grund konnte er im August nicht am Familienurlaub in Connel in der schottischen Grafschaft Argyll teilnehmen. Aldous fuhr mit seinem Vater, Rosalind und Julian, der mittlerweile als Biologe am Rice Institut (später Rice Universität) in Houston, Texas, lehrte und gerade Sommerferien hatte. Julian hatte noch vor der Schottlandreise Trev in der Klinik getroffen. Es hieß, sein Bruder sei allmählich auf dem Weg der Besserung. Doch dann erhielten die Huxleys die beunruhigende Nachricht, dass Trev am 15. August ganz plötzlich aus der Klinik verschwunden sei. Trotz der ärztlichen Auflage, den Patienten nicht aus den Augen zu lassen, hatte man es ihm gestattet, allein zu einem Spaziergang aufzubrechen. Er war nicht zurückgekehrt, und noch am selben Abend war die Polizei eingeschaltet worden. Sein Vater machte sich auf den Weg nach Surrey und konnte bald vermelden, Trev sei in der Umgebung gesehen worden. Am 22. August erwiderte Aldous: »Wir haben gerade dein Telegramm erhalten, welches ausgesprochen aufmunternd ist.« (Letters, S. 61) Aber alle Hoffnung sollte zunichte gemacht werden, denn einen Tag später wurde Trevs Leichnam in einem Waldstück gefunden. Er hatte sich erhängt. In seiner Jackentasche fand man einen Brief von Nashe, in dem sie ihm ihre Verzweiflung angesichts der unlösbaren Situation schilderte. Trev hatte keinen Ausweg mehr gewusst, hatte seinen Schuldgefühlen und dem Druck seines Verantwortungsbewusstseins nicht mehr standhalten können. Trevenen Huxley wurde nur 24 Jahre alt. Die Nachricht von seinem Selbstmord erreichte Aldous und Julian in Connel per Telegramm. Die dritte Tragödie innerhalb nur weniger Jahre hatte die Familie ereilt. Für Aldous war der Verlust ähnlich schlimm wie der seiner Mutter, handelte es sich doch bei Trev um denjenigen in seiner Familie, dem er sich am meisten verbunden fühlte und mit dem er in den letzten beiden Jahren so viel Zeit verbracht hatte. Bestürzt zeigte er sich zudem über den bitterbösen Hohn des Schicksals, den er in Trevs Tod zu erkennen glaubte, was seine Einstellung in den kommenden Jahren nachhaltig beeinflussen sollte. Noch aus seinem Feriendomizil schrieb er an Gervas: »Neben 40

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dem äußersten Leid des Verlustes bereitet der Zynismus der Situation noch zusätzlichen Schmerz. Es ist genau das Höchste und Beste in Trev – seine Ideale – was ihn in den Tod getrieben hat […]. Trev war nicht stark, aber er hatte den Mut, dem Leben mit Idealen zu begegnen – und seine Ideale waren zu viel für ihn« (Letters, S.  61 f.). Das Scheitern des Guten, die fatalen Auswirkungen von Idealismus, Sanftmut und Hingabe nährten in ihm einen zynischen Pessimismus, ließen ihn die Moralität und Sinnhaftigkeit des Lebens anzweifeln und glauben, es gäbe für den Menschen nur die ernüchternde Ebene bloßer Existenz. In dem herausragenden Titelgedicht seiner dritten Sammlung The Defeat of Youth (1918) setzte sich Huxley ausführlich mit Trevs innerem Konflikt in Bezug auf seine »unmögliche« Liebe und der Entzauberung einer romantisch-idealistischen Weltsicht auseinander; später schuf er in der Figur des Brian Foxe in Geblendet in Gaza ein unverhohlenes biografisches Porträt seines Bruders. Wenige Wochen nach Trevs Tod hielt sich Aldous im September 1914 im Haus seines Vaters in Bayswater auf, wo er ein Zimmer mit Trev geteilt hatte. Von dort schrieb er seiner Bekannten, der gefeierten Konzertviolinistin Jelly d’Aranyi, einen Brief, in dem er seinem Kummer freien Lauf ließ: »[M]an sollte dankbar und nochmals dankbar sein für all die Jahre, die man mit jemandem verbracht hat, der zu den edelsten und besten Menschen gehörte – aber oh Gott, es ist zuweilen schwer zu ertragen, in diesem Zimmer zu sitzen und vor dem Feuer zu lesen – alleine, und an all die fröhlichen Abende zu denken, an denen wir hier zusammensaßen, und all die Stunden, die ich so gerne wieder hätte, als es ihm besser ging. Es ist vielleicht ein egoistisches Leid, aber oh Jelly, du weißt, was er mir bedeutete.« (Letters, S. 63)

Im Oktober fuhr Aldous zurück nach Oxford, um sein zweites Studienjahr zu absolvieren. Die Stadt und auch die Universität waren wie verwandelt: Am 4. August hatte Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg erklärt, und eine Vielzahl der Studierenden wie auch Lehrenden leistete bereits freiwillig und begeistert Kriegsdienst. Dies betraf mehr als die Hälfte aller Studenten am Balliol College, 41

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wo sich nur noch 90 statt der eigentlich 200 undergraduates aufhielten; und die Zahlen sanken stetig. Bei den Dagebliebenen handelte es sich hauptsächlich um ausländische Studierende – vorwiegend Amerikaner –, Freiwillige, die auf ihre baldige Einsatzmöglichkeit warteten, und aus gesundheitlichen Gründen Abgelehnte, zu denen unfreiwillig auch Aldous gehörte. Ein Freund nach dem anderen zog als Soldat in den Krieg, so auch Lewis Gielgud, Gervas Huxley und J. B. S. Haldane, der Bruder von Naomi. Erneut fühlte sich Aldous ausgegrenzt, isoliert und allein. Da die psychischen Anstrengungen der letzten Monate sich negativ auf sein Sehvermögen ausgewirkt hatten und zudem an der Universität mehr und mehr Unterbringungsmöglichkeiten für Militär­ einheiten sowie für Flüchtlinge aus dem von den Deutschen überrannten Belgien benötigt wurden, machten die Haldanes ihm das Angebot, ihn in Cherwell aufzunehmen. Aldous nahm dankend an. Hier konnte er sich in aller Ruhe auf sein Studium konzentrieren, in diesem Jahr insbesondere auf mittelenglische Literatur, die er nur in Teilen schätzte (vornehmlich die Werke Geoffrey Chaucers), und das von ihm ungeliebte Altenglisch, welches ihm schwieriger als Griechisch erschien und dessen Literatur er langweilig fand. Außerdem musste er eine obligatorische Theologieprüfung aus dem letzten Jahr wiederholen, der er sich ebenfalls nur widerwillig unterzog. Auch im zweiten Anlauf im November fiel er durch, doch im Dezember klappte es zu seiner Erleichterung – und der seines Vaters. Daneben genoss Aldous das Klavierspiel und das Zeichnen, und er widmete sich, seinem unersättlichen, aber physisch anstrengenden Lesehunger folgend, immer stärker seiner großen Vorliebe, der französischen Literatur, allen voran symbolistischen Dichtern wie Mallarmé, Rimbaud, Laforgue und Baudelaire, aber auch Prosaschriftstellern wie Stendhal, Gide, Anatole France oder Marcel ­Proust. Häufig tauchten jetzt französische Zitate in seinen Briefen auf. Die Haldanes unterhielten einen französischen Konversationskreis, an dem er mit Begeisterung teilnahm. Von seiner Anwesenheit in Cherwell profitierte nach eigenen Angaben insbesondere 42

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Naomi, die später unterstrich, dass Aldous sie immer tiefer in die Welt der Literatur eingeführt habe. Er machte sie nicht nur mit den verschiedensten Autoren und Strömungen bekannt, die er während seines Studiums und darüber hinaus rezipierte – seine Unvoreingenommenheit sorgte auch dafür, dass in der Familie noch vorhandene Bastionen viktorianischer Prüderie zu fallen begannen. Durch ihn fingen Naomis Eltern an, die aufklärerische Bedeutung von bislang als »unschicklich« geltenden Texten wie zum Beispiel Henry ­Fieldings Roman Tom Jones (1749) zu akzeptieren. Der Aufenthalt in Cherwell gab Aldous aber auch wieder die Gelegenheit, sich näher mit den Naturwissenschaften und ihrem spezifischen Ansatz zu beschäftigen. Fast schmerzlich wurde er daran erinnert, welchen Berufswunsch er noch vor vier Jahren gehegt hatte. Mit großem Interesse und der ihm eigenen Aufgeschlossenheit verfolgte er John Haldanes physiologische Studien und Experimente; der Wissenschaftler beeindruckte ihn so nachhaltig, dass er Jahre später zur Vorlage der Figur des Lord Edward Tantamount in Kontrapunkt des Lebens (1928) wurde. Anfang 1915 verließ auch Aldous’ verehrter Tutor Reginald Tiddy Oxford, um als Soldat in den Krieg zu ziehen. Der neue Tutor, Percy Simpson, richtete das Augenmerk seines Studenten vor allem auf das Elisabethanische Theater. Aldous verspürte jetzt aber verstärkt den Drang, sich über seine Studien hinaus zu engagieren – sei es innerhalb der Universität oder außerhalb. Er fungierte als Sekretär der Essay Society seines Professors Walter Raleigh, trat der Oxford University Socialist Society bei und erklärte sich bereit, rekonvaleszierende Soldaten auf Spaziergängen in Oxford zu begleiten und sie zugleich daran zu hindern, Pubs zu besuchen. Auch die Teilnahme an meist kurzlebigen Studentenklubs wurde zu einem festen Bestandteil seiner Aktivitäten; diese Klubs blendeten betont die Bedrohlichkeit und Ernsthaftigkeit des Kriegsgeschehens aus und gaben sich dem »Unsinn« des als bedeutungsentleert empfundenen Lebens hin. Hier trat Aldous mit seiner Körpergröße von 1,95 Metern, seinem Faible für gelbe Jerseyhemden, weiße Socken und auffällige Hüte und seiner Belesenheit besonders in Erschei43

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nung. Eine dieser Versammlungen war der Nineties Club, dessen Mitglieder sich in der Nachfolge Walter Paters, Oscar Wildes, Ernest Dowsons und anderer Ästhetizisten ausdrücklich dem Ziel verschrieben, den unmittelbaren Lebensmoment sensualistisch auszukosten und den Reizen der Kunst zu huldigen. Die Gründungsveranstaltung dieses Klubs besuchte auch der amerikanische Student T. S. Eliot, der gerade mit seinem Gedicht »The Love Song of J. Alfred Prufrock« (dt. »J. Alfred Prufrocks Liebesgesang«) für Aufsehen sorgte und in Zukunft zu einem der maßgeblichen Dichter des 20. Jahrhunderts werden sollte. Er kannte Huxley damals nicht, erinnerte sich aber später daran, bei dieser Gelegenheit auf ihn aufmerksam geworden zu sein. Die Zusammenkünfte in solchen Klubs dienten selbstverständlich auch als Gelegenheit, eigene literarische Produktionen vorzustellen. Aldous sah sich jetzt als Dichter, und sein Schaffen gewann schnell an Umfang. Er modellierte seine Gedichte ganz nach Art der französischen Symbolisten, deren Texte er auch ins Englische übersetzte. Charakteristisch waren bereits sein Einsatz eines außergewöhnlichen Wortschatzes und die Herstellung ungewöhnlicher gedanklicher Assoziationen. Sein erstes Gedicht als junger Erwachsener veröffentlichte er 1915 unter dem Titel »Home-Sickness – From the Town« in der Jahresanthologie Oxford Poetry, die er im folgenden Jahr mit herausgab und für deren Folgebände er bis 1918 regelmäßig Beiträge verfasste. Darüber hinaus bewarb er sich mit einem langen, epischen Gedicht über das vorgegebene Thema »Glastonbury« (die sagenumwobene Kleinstadt in Somerset) um den jährlich an der Universität Oxford ausgeschriebenen Newdigate Prize. Diesen hatten vor ihm schon Matthew Arnold und sein Bruder Julian gewonnen. Sein Vater, dem er einen Entwurf zukommen ließ, warnte ihn davor, dass der seltsame Humor und die beißende Satire, die das Gedicht kennzeichneten, bei den Juroren auf wenig Anklang stoßen könnten. Und Leonard sollte recht behalten: Aldous blieb der Gewinn des traditionsreichen Preises verwehrt – was allerdings auch für die anderen Bewerber galt. Der Preis wurde letztlich in diesem Jahr gar nicht vergeben. Bitterlich beklagte sich Aldous bei seinem 44

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Bruder: »Als ob es nicht ganz offensichtlich wäre, dass das Ding absolut ERNST gemeint war« (Letters, S. 81). Nachdem im Juni 1915 auch das zweite Studienjahr erfolgreich, wenn auch weit weniger fröhlich und sorglos als das erste, absolviert worden war, reiste Aldous Ende des Monats wieder nach Connel, um mit seiner Familie dort Urlaub zu machen. Überschattet wurde der Aufenthalt zweifelsohne von den düsteren Erinnerungen an den Sommer des vergangenen Jahres sowie von der allgegenwärtigen Angst um die im Krieg kämpfenden Freunde. Aber die majestätische Stille der schottischen Landschaft wirkte überaus beruhigend auf ihn, wie er in einem außergewöhnlichen Brief an Jelly d’Aranyi zum Ausdruck brachte. Die Umgebung »hilft, den Gedanken daran, dass gerade die Freunde getötet werden, in eine ruhige Art von ergebener Traurigkeit abzumildern«. Sie vermöge demjenigen, der sich ganz auf sie einlässt, sogar ein überragendes Einheitsgefühl zu vermitteln: »Man hat das gewaltige Gefühl, wenn man in dieser bezaubernden Landschaft ist, dass man Teil einer größeren Seele ist, die alles umfasst.« Jedoch folgt die grenzenlose Ernüchterung gleich im Anschluss: »Aber wenn ich dann wieder in der ganzen Erbärmlichkeit des Stadtlebens ankomme, fühle ich genauso deutlich, dass es unmöglich ist, diese großartige Einheit zu erkennen.« Der deutlichen Faszination von mystisch-religiösen Ganzheitsvorstellungen stehen bei Huxley der alltägliche Zweifel und die gewohnte Distanzierung gegenüber, und es deutet sich in diesen Zeilen an, was er später bezüglich seiner frühen Weltanschauung äußerte: »Ich habe mich seit meinem Studium für die Mystik interessiert. Einige Zeit war das Interesse vorwiegend negativer Art; das heißt, ich las eine ganze Menge westlicher und östlicher Schriften, immer mit großem Interesse, aber immer mit dem Ziel, sie zu ›entlarven‹. Später wurde das Interesse positiv.« (zit. in Clark, S. 168)

Metaphysische Systementwürfe zu »entlarven« bedeutete für Huxley, sie auf ihren irrationalen und momenthaften Ursprung zurück­ zuführen und daraufhin als einseitiges Wunschdenken einzustufen. So weit habe die wissenschaftliche Entzauberung der Welt den 45

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­ enschen auf sich selbst zurückgeworfen. Dass dennoch die grundM sätzliche Sehnsucht nach einem allumfassenden Zusammenhang gleichsam von Beginn an mitschwang, bestätigt ein weiterer Abschnitt dieses bemerkenswerten Briefes, in dem Huxley die Hoffnung äußert, »dass wir letztendlich das gesamte gegenwärtige Chaos in ein einziges Prinzip verarbeiten werden, welches ein Absolutum sein wird – das aber gegenwärtig nur potenziell da ist und dessen Natur wir nur sehr vage erahnen können.« (Letters, S. 73)

Am 26. Juli des Jahres wurde Aldous 21 Jahre alt und damit volljährig, musste aber bei seiner Geburtstagsfeier auf etliche Freunde verzichten. Den Sommer verbrachte er mit Vater und Stiefmutter in London sowie in »Prior’s Field«, wo der Familie für diesen Aufenthalt ein Teil der großzügigen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt wurde. Hier wimmelte es nur so von Erinnerungen an Julia, die Aldous wenig später veranlassten, sich erneut in einem Brief Jelly d’Aranyi anzuvertrauen: »Du hast meine Mutter nie kennen gelernt – ich wünschte, du hättest, denn sie war eine wunderbare Frau: Trev ähnelte ihr am meisten. Ich habe gerade noch einmal gelesen, was sie mir geschrieben hat, kurz bevor sie starb. Die letzten Worte ihres Briefes waren: »Sei anderen gegenüber nicht zu kritisch« und »gib viel Liebe« – und mir ist immer klarer geworden, wie weise dieser Rat war. Er ist eine Warnung vor einem recht eingebildeten, egoistischen Zug meiner selbst und eine ganze Lebens­ philosophie.« (Letters, S. 83)

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Aldous bereits wieder in Oxford, um sich seinem dritten und letzten Studienjahr zu widmen. Außerdem plante er, für einen groß angelegten Essay zu dem Thema »Die Entwicklung der politischen Satire in England von der Restauration bis zur Revolution« zu forschen. Mit dieser perfekt auf ihn zugeschnittenen Arbeit wollte er sich um den für 1916 ausgeschriebenen Stanhope Historical Essay Prize bewerben. Naomi Haldane hatte in der Zwischenzeit freiwillig eine Tätigkeit als Krankenschwester in einem Londoner Hospital angenommen, 46

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war jedoch an Scharlach erkrankt und musste sich nun zu Hause erholen. Aldous hielt es für das Beste, sich aus Cherwell zurückzuziehen und wieder ein Zimmer am Balliol College zu bewohnen. Er fühlte sich dort wohl, musste aber feststellen, dass die Zahl der Studierenden und Lehrenden in Oxford weiter drastisch abgenommen hatte: »Die langen Verlustlisten der letzten Wochen waren absolut schrecklich – so viele Namen, die ich kannte« (Letters, S. 83). Engere Freundschaft schloss er jetzt mit exzentrischen Figuren wie Russell Green, der später einer der Herausgeber der Zeitschrift Coterie wurde, in der auch Huxley veröffentlichen sollte, und Tommy Earp, der, obwohl um einiges älter, noch immer ein undergraduate war, weil er permanent an der obligatorischen Theologieprüfung scheiterte. Aldous kannte die beiden bereits aus der Socialist Society und anderen Zirkeln. Vor allem mit Earp schmiedete er den Plan, ein neues Literaturmagazin ins Leben zu rufen, die Palatine Review, deren erste Ausgabe im Februar 1916 erschien. In diesem schmalen und heute außerordentlich raren Band, dem bis 1917 noch vier weitere folgten, präsentierte Huxley unter anderem sein wichtiges Gedicht »Mole« (»Maulwurf«), in dem es um den (metaphorischen) Gegensatz von Blindheit und Sehen geht. »Mole« beeindruckte den Herausgeber der Wochenzeitschrift The Nation, H. W. Massingham, derart, dass er Huxley um die Zusendung anderer selbst verfasster Gedichte bat. Man traf sich auch wieder in Studentenklubs, um eigene Dichtung vorzustellen, über Literatur und Kunst zu diskutieren oder ganz einfach Spaß zu haben. Ein neuer, von Aldous mitgegründeter Klub nannte sich »Die Bewohner von Thule«, dessen erklärtes Ziel in der »Verbreitung von Unsinn und Zeitverschwendung« (Letters, S. 84) bestand. Unter dem Pseudonym »Aloysius Whalebelly« publizierte Aldous in der Oxforder Studentenzeitschrift The Varsity einen Text mit dem Titel »Thule«, in dem er sich über die deutsche Tradition akribischen philologischen Arbeitens lustig machte. Das eigene literarische Schaffen und die Treffen mit Gleichgesinnten wurden für ihn nun zu einem immer wichtigeren Ausgleich zu seinem Studium, welches er zunehmend als anstrengend und quälend empfand. Fort47

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während musste er sich zu einem nicht geringen Teil mit altenglischen Texten und der entsprechenden Grammatik auseinandersetzen, was ihm weiterhin schwerfiel. Wie einige Notizen in einem der wenigen erhaltenen Tagebücher belegen, kam jetzt noch erschwerend hinzu, dass er den Vorlesungen seines Professors Walter Ra­ leigh, die einen wenig inspirierten Eindruck auf ihn machten, kaum noch etwas abgewinnen konnte: Sie »werden immer schlechter. Er zeigt keinerlei Anstrengung, seine Verachtung für sein Publikum zu verbergen. […] Er ist ein altes Monster« (zit. in Bradshaw, S. 216). Dabei war sich Aldous gleichzeitig der bedrohlichen Gewissheit bewusst, dass er im kommenden Juni seine Abschlussprüfungen zu absolvieren hatte und dass die Erwartungen an ihn beträchtlich waren.

Garsington Am 29.  November 1915 erhielt Huxley eine Einladung in das acht Kilometer entfernte Garsington, welche sich für ihn in verschiedener Hinsicht als wegweisend herausstellen sollte. Die Einladenden waren Lady Ottoline Morrell, die bereits seit geraumer Zeit in ihrem Haus in London einen literarisch-künstlerischen Salon rund um den Bloomsbury-Kreis betrieben hatte, und ihr Mann Philip, ein liberaler Parlamentsabgeordneter, der sich öffentlich vehement gegen den Krieg aussprach und ebenfalls den modernen Künsten zugeneigt war. Ein paar Monate zuvor hatten die Morrells den großen, schönen Landsitz Garsington Manor bezogen, wo sie regelmäßige Treffen mit ausgewählten Literaten, Künstlern, Philosophen und Kritikern organisierten. Wichtige Vertreter der zeitgenössischen Avantgarde gingen dort in den nächsten Jahren ein und aus, unter ihnen Virginia Woolf und ihr Ehemann Leonard, D. H. Lawrence, dessen neuer Roman The Rainbow (1915; dt. Der Regenbogen) wegen seiner sexuellen Freizügigkeit gerade dem Verbot zum Opfer gefallen war, Katherine Mansfield, T. S. Eliot sowie die Malerinnen Dora Carrington, Dorothy Brett und Vanessa Bell (Virginia Woolfs Schwester). Auch 48

Garsington

die Kunstkritiker Clive Bell (Vanessas Ehemann) und Roger Fry, der Ökonom John Maynard Keynes, der Philosoph Bertrand Russell, der Biograf und Kritiker Lytton Strachey, der Herausgeber und Kritiker John Middleton Murry (Katherine Mansfields Ehemann) sowie die Stilikone Mary Hutchinson gehörten zum festen Besucherkreis. Wie es zu der Einladung an Aldous Huxley kam, ist nicht genau bekannt, aber offenbar war er Lady Ottoline, die dafür bekannt war, Nachwuchskünstler zu fördern, aufgrund seines außergewöhnlichen Auftretens und seines vielversprechenden Talents empfohlen worden. Außerdem war er der Enkel des großen Thomas Henry. Das Treffen fand in sehr kleinem Kreise statt, es ging lediglich um ein erstes Kennenlernen. Wie er anschließend seinem Vater schrieb, genoss Aldous den Aufenthalt in Garsington, empfand seine Gast­ geber aber als außerordentlich gewöhnungbedürftig: »Lady Ottoline, Philips Ehefrau, ist eine ziemlich unglaubliche Kreatur – künstlich jenseits jeglicher Vorstellungskraft und eine Mäzenin der Literatur und der modernen Künste. Sie ist intelligent, aber ihre Affektiertheit ist überwältigend. Ihr Ehemann, der MP, ist ein arroganter Esel, sehr liebenswürdig, aber eine ziemliche Knallcharge.« (Letters, S. 86)

Lady Ottoline zeigte sich von Aldous sehr beeindruckt, schilderte ihn jedoch als wortkarg und zurückhaltend. Auch die junge Schweizerin Juliette Baillot, die sich als Gouvernante um die Tochter der Morrells kümmerte und nebenbei ein Teilzeitstudium in Oxford absolvierte, war bei dieser Zusammenkunft zugegen. Sie bestätigte: »Er sprach nicht viel bei diesem ersten Besuch, aber sobald er dann weggegangen war, stimmten alle darin überein, dass er starken Eindruck auf sie gemacht hatte, den Eindruck eines Menschen von einzigartiger Qualität, Sanftmut und Geistestiefe.« (Gedächtnis, S. 38)

Für Aldous war dieses Treffen der Auftakt zu einer langen Reihe von Aufenthalten in Garsington Manor. Bald erstreckten sich seine Besuche über ganze Wochenenden, und die Bediensteten nannten einen der Gästeräume »Mr. Huxleys Zimmer«. Binnen kurzer Zeit übte Garsington eine immense Sogwirkung auf Aldous aus. In dem besonderen Ambiente, das es ihm ermöglichte, bereits etablierte 49

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oder sich etablierende Literaten und Künstler kennenzulernen, zeitgemäße ästhetisch-philosophische Diskussionen zu führen und sich von neuen Ideen inspirieren zu lassen, fühlte er sich sichtlich wohl. Garsington avancierte für ihn bei allem Hang zu Klatsch und Tratsch doch zum Inbegriff des modernen, freien Denkens. Aldous sah sich in einem Hort der Loslösung von überkommenen Normen und Vorstellungen, seien sie religiös-metaphysischer, politisch-ökonomischer, künstlerisch-literarischer oder auch sexueller Natur. Partnerwechsel und unkonventionelle Formen des Zusammenlebens wurden hier nicht nur geduldet, sondern aktiv gepflegt. Der Ort bot ein theoretisches wie auch praktisches Experimentierfeld. Zudem schien sich Huxleys persönliche Einschätzung der Morrells abzumildern, und schon im März 1916 schrieb er an Julian: »Ich weiß nicht, ob du diese entzückende Person [Lady Ottoline] kennst: Ich glaube, du kennst ihren Mann Philip. Der Morrell-Haushalt gehört zu den reizendsten, die ich kenne: immer interessante Leute dort und sehr gute Gespräche.« (Letters, S. 96–97)

Direkt nach Aldous’ erstem Besuch in Garsington Manor wandte sich Lady Ottoline an D. H. Lawrence und empfahl ihm, mit dem jungen Huxley bekannt zu werden. Tatsächlich lud Lawrence Aldous bereits für den 10.  Dezember zu sich und seiner deutschen Frau Frieda nach London ein. Die charakterlichen Gegensätze hätten stärker nicht sein können. Huxleys zurückhaltende, abwägende Intellektualität traf auf Lawrences schonungslose Offenheit und Ehrlichkeit, seine antiintellektuelle und antiwissenschaftliche Haltung, die die Gefühle, Leidenschaften und Triebe des Menschen in das Zentrum des Lebens rückte. Aldous war schockiert und fasziniert zugleich, denn Lawrence verkörperte diejenigen Eigenschaften, die er sich selbst eher absprach oder aktiv zu unterdrücken versuchte. Aber die Gegensätze zogen sich offensichtlich an. Lawrence erzählte Aldous von seinem Plan, in Florida eine Kommune Gleichgesinnter zu gründen, die dem europäischen Zivilisationsverfall und Zerstörungswahn entkommen wollten, und fragte ihn, ob er mitmachen wolle. Aldous sagte zögerlich zu. Das Projekt kam zwar nie zustande, 50

Garsington

Garsington Manor: Vorbild für den Landsitz Crome in Huxleys erstem Roman Eine Gesellschaft auf dem Lande

aber das Aufeinandertreffen der konträren Persönlichkeiten legte den Grundstein für eine intensive Freundschaft, die erst mit ­Lawrences Tod an Tuberkulose im Jahre 1930 ein abruptes Ende fand und mit Huxleys posthumer Herausgabe der Briefe des Freundes eine besondere Würdigung erfuhr. Lawrence teilte Lady Ottoline gleich im Anschluss an das erste Treffen mit, wie sehr er Huxley mochte, und Aldous beschrieb Lawrence in einem Brief als großartigen Mann, obgleich er dessen Geringschätzung des intellektuellen Lebens ausdrücklich ablehnte. Das neue Jahr brachte früh die Einführung der Wehrpflicht, und Huxley unterzog sich einer erneuten Musterung, die ihn natürlich als für den Kriegsdienst völlig unfähig herausstellte. Zu diesem Zeitpunkt liebäugelte er noch mit dem Gedanken, eine Tätigkeit in der Auslandspressestelle des Kriegsministeriums aufzunehmen, musste sich aber eingestehen, dass das zu erwartende Arbeitspensum für seine Augen eine maßlose Überforderung bedeuten würde. Zudem verstärkte sich die bereits jetzt spürbar zunehmende Abküh51

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lung der anfänglichen Kriegseuphorie in Huxleys Fall zusehends in Richtung einer den Kampf ablehnenden und verurteilenden Haltung. Hier erwiesen sich die prägenden Eindrücke und Gespräche in Garsington Manor als einflussreich. Der in der Öffentlichkeit als konspirativ und unpatriotisch angesehene Ort bildete eine pazifistische Oase für anerkannte Kriegsdienstverweigerer wie Bertrand Russell, Clive Bell oder Lytton Strachey. Diese konnten dort wohnen und alternativ zur Kriegstätigkeit produktive Landarbeit verrichten. Außerdem besuchte Aldous im Frühjahr 1916 wiederholt Verweigerertribunale, die er als äußerst entwürdigend und ungerecht wahrnahm und seine Sympathien explizit gegen den vorherrschenden Tenor einnahmen. Bereits Ende März schrieb er an Julian, dem er dringend davon abriet, nach Europa zu kommen und sich im Krieg zu engagieren: »Je länger sich dieser Krieg hinzieht, desto mehr hasst und verabscheut man ihn. Zu Beginn hätte ich sehr gerne gekämpft; aber jetzt, wenn ich könnte […], wäre ich, glaube ich, ein Kriegsdienstverweigerer«. (Letters, S. 97) Nähere Bekanntschaft schloss Aldous bald nach dem ersten Kontakt mit Juliette Baillot, die er zusammen mit ihrem Schützling Julian Morrell zum Tee in sein Studentenzimmer einlud, wo er die Gäste mit brillant rezitierten Passagen aus Alice im Wunderland, dem Struwwelpeter und Max und Moritz unterhielt. In Garsington traf er auch auf eine alte Bekannte aus seinen Kindertagen in »Prior’s Field«: die Malerin Barbara Hiles, die sich dem Bloomsbury-Kreis angeschlossen hatte. Auch Lytton Strachey, den er als »seltsame Kreatur« und »langhaariges und bärtiges Individuum« (Letters, S. 89) beschrieb, lernte Aldous zu dieser Zeit kennen. Allerdings gab es zwischen ihm und dem zukünftigen Autor des biografisch angelegten Großerfolges Eminent Victorians (1918) wohl eher wenige Berührungspunkte. In dem Essay »The Author of Eminent Victorians«, den er in seinen ersten Essayband On the Margin (1923) aufnahm, sah sich Huxley später sogar veranlasst, Strachey scharfer persönlicher Kritik auszusetzen. Neben solchen Begegnungen und den Anforderungen seines Studiums bedurfte jetzt das bevorstehende Erscheinen der Palatine Re52

Garsington

view gezielter Aufmerksamkeit. Aldous bat seinen Bruder schriftlich darum, das Magazin zu abonnieren und in Texas sowie darüber hinaus um amerikanische Subskribenten zu werben. Außerdem galt es, die Arbeit für den Stanhope Historical Essay Prize voranzutreiben. Nachdem Huxley sich seit geraumer Zeit mit der Forschung beschäftigt, aber noch kein einziges Wort zu Papier gebracht hatte, musste er am 22.  Februar konsterniert feststellen, dass der Essay nicht, wie angenommen, am 31. März, sondern bereits am Ersten des Monats einzureichen war. Dies bescherte ihm eine anstrengende Woche rastlosen Schreibens. In Anbetracht der Fülle von Aktivitäten blieb für Entspannung und Ablenkung nur wenig Spielraum. Aber dennoch ließ es sich Aldous nicht nehmen, seinem frisch geweckten Interesse für ein noch junges und damals stummes künstlerisches Medium nachzugehen: dem Film. Begeistert und gleichzeitig belustigt berichtete er seinem Vater von einer im subtropischen Nordamerika angesiedelten Adaptation von Charlotte Brontës Jane Eyre, die er unter Zuhilfenahme eines Opernglases im Kino gesehen hatte. Auch freute er sich auf das baldige Erscheinen des groß angelegten amerikanischen Familienepos The Birth of a Nation, das weltberühmt werden sollte. Zwischen den Zeilen ließ sich allerdings bereits jetzt auch das kritische Verhältnis zum Film erahnen, welches er, entsprechend seiner Einstellung zum frühen Jazz, schon wenig später entwickeln sollte. Als der vorletzte Abschnitt des letzten Studienjahres im Frühjahr 1916 erfolgreich beendet war, genoss Aldous Anfang April ein sommerlich warmes Wochenende in Garsington, wo er sich mit den Besuchern »im Sonnenschein aalte« und »abends heftig tanzte« (zit. in Bradshaw, S. 217). Ostern verbrachte er mit seinem Vater bei den Humphry Wards, und im April gönnte er sich mit Tommy Earp ein paar lang ersehnte und erholsame Wandertage in den hügeligen Cotswolds, ausgehend von dem malerischen Kunsthandwerkszentrum Chipping Campden in Gloucestershire. Ab Mai erfolgten die unter Examensbedingungen durchgeführten Vorbereitungen auf die Abschlussprüfungen. Um die Klausuren im Juni leichter bewältigen zu können, wurde es Aldous gestattet, eine Schreibmaschine zu be53

Frühe Verluste: Kindheit, Jugend und zerstörte Pläne

nutzen, dennoch empfand er die Prüfungssituationen als körperlich sehr anstrengend. Von den gestellten Aufgaben zu Chaucer, Shakespeare oder der Geschichte der englischen Literatur war er enttäuscht und bezeichnete die Prüfungen im Nachhinein als eine Schande für Oxford. Noch spekulierte er über sein Examensresultat, wusste aber bereits, dass er den mit 20 Pfund dotierten Stanhope Historical Essay Prize gewonnen hatte. Am 2. Juli konnte er dann stolz und erleichtert verkünden, dass er sein Studium mit Auszeichnung beendet hatte – eine großartige Leistung, zumal er neben einer Kommilitonin der Einzige war, dem dieses Ergebnis bescheinigt wurde. Er hatte seinem Familiennamen alle Ehre gemacht. Wenig später konstatierte er mit Nostalgie und zugleich im Hinblick auf sein zukünftiges Leben: »Nun, Oxford ist vorbei. […] Nichts mehr von dem behüteten, dem akademischen Leben … dem Leben, welches, glaube ich, wenn es von jemandem mit hohem und unabhängigem Geist geführt wird, das erfüllteste und beste aller Leben ist, wenn auch eines der schäbigsten und er­ bärmlichsten, so wie es von der gewöhnlichen Truppe stumpfsinniger Intellektueller geführt wird. Ich möchte gerne für immer weiterlernen. Ich lechze nach Wissen, sowohl theoretischem als auch empirischem.« (Letters, S. 112)

Im Vordergrund stand allerdings ab jetzt erst einmal die Frage, wie es beruflich mit ihm weitergehen sollte. Diese Frage stellte sich mit zusätzlicher Dringlichkeit, da Aldous in Garsington einen kostbaren »Fund« gemacht hatte, von dem er Julian Anfang Juli in einem Brief in Kenntnis setzte: »Ich habe zu guter Letzt eine nette Belgierin entdeckt: Es geschehen noch Zeichen und Wunder.«

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Krieg und Liebe

Skepsis und Satire: Nachkriegspessimismus, junge Liebe und ein Beruf(1916–1925) Krieg und Liebe Die Belgierin Maria Nys war erst 16 Jahre alt, als sie kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zusammen mit ihrer Mutter sowie den drei jüngeren Schwestern Jeanne, Suzanne und Rose ihre Heimat über Ostende verließ und per Schiff an der englischen Küste anlangte. Marias Mutter Marguerite Baltus-Nys, wie ihr Ehemann Norbert aus wohlhabendem Hause stammend, hatte sich entschlossen, ihre Kinder und sich selbst in der Pension einer Londoner Bekannten in Sicherheit zu bringen. Norbert Nys, der in dem flandrischen Dorf Bellem eine Textilfabrik betrieb, kümmerte sich weiterhin zu Hause um seine Geschäfte. Das nach London mitgenommene Geld reichte für etwa zwei Monate. Als es zur Neige ging und keine Möglichkeit bestand, auf Rücklagen in Belgien zurückzugreifen, setzte Madame Nys auf die Beziehungen ihres Bruders Georges Baltus, der als Maler in Glasgow lebte und an der dortigen Universität die Stelle eines Kunstprofessors innehatte. Mit der jüngsten Tochter Rose reiste sie nach Kent und wohnte im Haus des Pfarrers von Mall­ ing. Jeanne und Suzanne kamen in dem Internat Cheltenham College in Gloucestershire unter. Maria aber wurde in die Obhut der Morrells gegeben, die sie später mit nach Garsington nahmen. Die Gastgeber erwiesen sich als zuvorkommend und großzügig, dennoch durchlebte Maria eine sorgenvolle Zeit. Die hochgestochene Salonatmosphäre sowie die überbordende und zu Lästereien neigende Dominanz Lady Ottolines überwältigten sie und schüchterten sie ein. Außerdem war sie sich ihres ungewohnten, unangenehmen Status als hilfsbedürftiger Flüchtling nur allzu bewusst. 55

Skepsis und Satire: Nachkriegspessimismus, junge Liebe und ein Beruf

Hinzu kamen noch gesundheitliche Probleme, Unsicherheiten mit der englischen Sprache, der Mangel an geregelter Beschäftigung sowie eine nur wenig umrissene Zukunftsperspektive. Marias Frustrationen kulminierten im Frühjahr 1915, als sie offenbar aus Verzweiflung nach einer Auseinandersetzung oder Kränkung giftige Reinigungsflüssigkeit zu sich nahm und schneller ärztlicher Hilfe bedurfte. Sie bedauerte den Vorfall im Nachhinein zutiefst, doch in Lady Ottoline keimte der Gedanke, dass Maria eine andere Umgebung mit klarer strukturiertem Arbeitspensum und höherer Eigenverantwortung guttun würde. Im Laufe des Jahres fasste sie den Entschluss, ihren Gast im Herbst als undergraduate an das Mädchen-College Newnham in Cambridge zu schicken. Dort sollte Maria nicht nur weitere systematische Bildung erhalten und an Reife gewinnen, sondern vor allem auch Gleichaltrige kennenlernen. Die Wochenenden und Ferien konnte sie wie gehabt in Garsington verbringen. Ob sie Aldous Huxley bereits bei seinem ersten Besuch dort traf, ist nicht überliefert. Fest steht jedoch, dass die beiden sich im Frühjahr 1916 während seiner zahlreichen Aufenthalte in Garsington rasch anfreundeten. Am 3.  April hielt er stichwortartig in seinem Tagebuch fest: »Mit Maria baden gegangen. Kalt, aber nicht zu kalt. Sonnenbad auf dem Dach vorzüglich« (zit. in Bradshaw, S. 217). Und Juliette Baillot erinnerte sich, dass Aldous jetzt »sichtlich immer mehr von Maria eingenommen« (Gedächtnis, S. 40) war. Unerfahren und noch keine 18 Jahre alt, reagierte Maria auf seine zunehmenden Avancen zunächst zögerlich und holte sich Rat bei Dorothy Brett, die ihr empfahl, die Beziehung wachsen zu lassen. Allmählich entdeckte Maria tatsächlich ihre tiefere Zuneigung zu Aldous, und retrospektiv hielt sie fest: »Ich spürte, dass ich mich ihm für den Rest des Lebens gänzlich verschreiben würde. Wir waren in der Tat für einander bestimmt« (zit. in Bedford, S. 517). Ihre zukünftige Rolle in Huxleys Leben erfasste sie damit präzise und keineswegs übertrieben: Als Ehefrau und Partnerin sollte sie zugleich seine unermüdliche Vorleserin, Sekretärin, Haushälterin und Chauffeurin werden, seine Bücher für ihn tippen und ungebetene Besucher fernhalten sowie zugleich dafür sorgen, dass er den Kontakt zur Lebenswirk56

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lichkeit aufrechterhielt und sich nicht allzu sehr in die isolierte Welt des Intellekts zurückzog. Im Spätsommer 1916 hielt Aldous auf dem Rasen von Garsington Manor um Marias Hand an und schenkte ihr einen Skarabäusring. Sie gelobten sich gegenseitige Treue und schworen, aufeinander zu warten, denn Aldous’ finanzielle Situation war mit einer schnellen Heirat kaum in Einklang zu bringen. Dass dieses Warten zu einer mehr als zweijährigen Geduldsprobe werden sollte, ahnten sie damals nicht. Aldous träumte nach Beendigung seines Studiums natürlich weiter von einer Karriere als Schriftsteller und bereitete seinen ersten Gedichtband, The Burning Wheel, für die bevorstehende Publikation im Herbst vor. Allerdings war er nicht so naiv zu glauben, dass damit auch nur ansatzweise ein gesichertes Einkommen verbunden wäre, und so setzte er sich bodenständigere Ziele. Seinem Bruder teilte er in einem Brief mit, dass er sich entweder eine journalistische Karriere oder eine pädagogische Laufbahn mit zusätzlichem journalistischem Engagement vorstellen könne. Ein Universitätsposten tat sich auf absehbare Zeit nicht auf, und Gespräche an den ehrwürdigen Schulen in Eton und Rugby fielen nicht zu Aldous’ Zufriedenheit aus. Sein Vater empfahl ihm, sich zunächst um eine Aushilfsstelle an einer anderen public school zu bemühen, und in der Tat lag schon Anfang Juli das Angebot vor, die restlichen Wochen des Schuljahres an der traditionsreichen Repton-Schule in Derbyshire in den Midlands zu verbringen. Aldous unterrichtete dort vornehmlich Latein und Geschichte. Die Briefe aus der Zeit dieses kurzen Intermezzos klingen wenig enthusiastisch. Huxley fühlte sich in Repton einsam, oft niedergeschlagen und unterfordert, ihn langweilte die dörfliche Atmosphäre, er sehnte sich nach dem gewohnten intellektuellen Austausch und machte sich über die Provinzialität einzelner Kollegen lustig. Auch seine eigentliche Tätigkeit dort sah er ausgesprochen distanziert. In einem Brief an Jelly d’Aranyi hielt er ernüchtert fest: »Ich glaube nicht, dass ich Lehrer werde, sofern ich es irgendwie verhindern kann« (SL, S. 28). Zurück in London und Garsington, sah sich Aldous bei aller Erleichterung unweigerlich wieder mit dem leidigen Problem der Ar57

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beitssuche konfrontiert. Immerhin hatte der inzwischen erschienene Band Oxford Poetry 1916 insbesondere seinen eigenen Beiträgen gute Rezensionen beschert. In The Nation waren ein paar seiner Gedichte veröffentlicht worden, allerdings fälschlicherweise im Namen seines Vaters, wie er halb verärgert und halb belustigt zur Kenntnis nahm. Um die nächste Zeit zu überbrücken und Gelegenheit zum intensiven Nachdenken und Sondieren zu erhalten, entschied er sich, bei den Morrells nachzufragen, ob er zumindest den Herbst über bei ihnen wohnen und bei der Landbewirtschaftung behilflich sein könne. Sie sagten sofort zu, und so zog Aldous Mitte September in Garsington Manor ein. Wie die dort ansässigen Kriegsdienstverweigerer verbrachte er die Wochentage damit, auf den umliegenden Feldern zu arbeiten, die Tiere zu versorgen, Bäume zu zersägen oder Sträucher zu beschneiden. In seiner freien Zeit hielt er nicht nur Augen und Ohren nach sich eventuell eröffnenden Zukunftsperspektiven auf, sondern las auch wieder unermüdlich. Lady Ottoline lieh ihm unter anderem Tolstois Krieg und Frieden, dessen monumentaler Ansatz ihn außerordentlich faszinierte, Dantes Inferno, Edgar Allan Poes Gedichte, Joseph Conrads Romane und Montesquieus Persische Briefe. Mit den jüngeren Frauen, nicht zuletzt mit Maria, genoss er die Natur, das Schwimmen und Sonnenbaden. Wenn die verschiedenen Mitglieder des Garsingtonkreises abends oder am Wochenende zusammenkamen, trat er als der gewohnte Zuhörer und Beobachter auf, der sich permanent Notizen machte und nur ab und zu mit brillanten Kommentaren, Bonmots oder auch längeren Ausführungen bestach. Diese intensive und lehrreiche Phase in Garsington beeinflusste die Entwicklung von Huxleys Denken und den Ausbau seiner vielfältigen intellektuellen Interessen enorm. In einem späten Interview ließ er diesen wichtigen Abschnitt seines Lebens noch einmal Revue passieren: »Ich hatte das außerordentliche Glück, viele der fähigsten Persönlichkeiten meiner Zeit zu treffen. Da waren die Bloomsbury-Leute … Da waren

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Virginia [Woolf] und Vanessa [Bell], da war [John] Maynard Keynes. Er konnte immer faszinieren – er hatte dieses immense Wissensspektrum […] … [Bertrand] Russell traf ich damals und Roger Fry – von dem ich enorm viel über Kunst lernte – […] er besaß ein außergewöhnliches ästhetisches Empfinden und ein breites Wissen, und Enthusiasmus; und er war ein wahrhaft guter Mensch und außerdem ausgesprochen reizend und interessant. Er verhielt sich mir gegenüber sehr nett. Und dann Clive Bell – er war immer äußerst anregend und sehr freundlich zu mir – von ihnen lernte ich so viele Dinge über Kunst, von denen ich vorher in der Tat nicht das Geringste wusste. Sie führten mich in die moderne Kunst ein, in den Post-Impressionismus, Kubismus und so weiter … All diese Leute zu treffen war für mich von entscheidender Bedeutung.« (zit. in Bedford, S. 69 f.)

Im Rahmen dieser eingehenden Auseinandersetzung mit moderner Literatur, Philosophie, Ökonomie, bildender Kunst oder Kunstgeschichte festigte sich in den kommenden Monaten Huxleys nüchtern-pessimistische Einstellung. Der wissenschaftliche Ansatz, der nur das Überprüfbare als wahr akzeptierte, hatte seiner Ansicht nach in seinem beeindruckenden Siegeszug die überlieferte Vorstellung von einer religiösen Weltordnung unterhöhlt, damit die Gegebenheit höherer, absoluter Werte und Bedeutungen infrage gestellt und den Menschen auf sein Erdendasein beschränkt. Werte waren demnach bloß relativer und konventioneller Natur, letztlich womöglich nur eine Fiktion oder ein Hilfsmittel, um das gesellschaftliche Zusammenleben zu organisieren. Diese »Philosophie der Bedeutungslosigkeit«, wie Huxley sie später drastisch nannte und die er durchaus auch als ein Instrument der Befreiung von traditionellen Zwängen betrachtete, hatte aktuell noch zusätzlichen Nährboden erhalten. Die wissenschaftliche Zuversicht in den Fortschritt des Menschen – quasi die zeitgemäße Alternative zum ehemaligen Vertrauen in einen metaphysischen Gesamtzusammenhang – war durch die katastrophale Kriegserfahrung schwer ins Wanken geraten und unterlag berechtigterweise herber Kritik. Theorien des kulturellen Niedergangs und der gesellschaftlichen Auflösung, wie sie in Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes (1918/1922) kulminierten, verbreiteten sich. Und während der nach Erkenntnis strebende 59

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Mensch sich immerhin der wissenschaftlichen Methode vergewissert wähnte, so blieb auch diese Bastion seit geraumer Zeit nicht mehr unangetastet. Der Anspruch der Wissenschaften, über objektive Erkenntnisvoraussetzungen zu verfügen, wurde in Anbetracht der bahnbrechenden Forschungsergebnisse etwa Albert Einsteins oder Max Plancks zusehends infrage gestellt. Erkenntnis blieb offenbar stets abhängig vom erkennenden Subjekt. Infolge dieses historischen Ernüchterungsprozesses mehrten sich in intellektuellen Kreisen massiv die Zweifel an den Erkenntnisfähigkeiten des Menschen überhaupt. Das subjektive Bewusstsein, so wurde argumentiert, bildete den Ort, auf den sich alles Erkennen beschränkte. Unter diesen Umständen konnte selbst das rationale, abstrakte Wissen, welches allgemeingültigen Charakter hatte und die Grundvoraussetzung für ein zweck- und zielgerichtetes Handeln darstellte, nur noch als erfolgreiches Ergebnis der spezifisch menschlichen Verstandestätigkeit aufgefasst werden. Es handelte sich zwar um die generelle Auffassung von Wirklichkeit, aber um nicht mehr. Doch was stand bei dieser umfassenden Skepsis dann überhaupt noch außer Zweifel? In seinem Essay »Beliefs and Actions« (1931; dt. »Glaube und Handeln«) brachte Huxley es später kurz und bündig auf den Punkt: »Im Augenblick […] sind wir skeptisch in bezug auf alles, ausgenommen das Unmittelbare.« (Essays, III, S. 21) Nur die im Bewusstsein präsenten Tatsachen, die den gesamten äußeren und inneren Erfahrungsbereich des Menschen umfassten und aus Sinneseindrücken, Gefühlen, Intuitionen, Trieben oder Stimmungen bestanden, konnten nicht hinterfragt werden, da sie unmittelbar und vor jeder Erkenntnis vorlagen. Sie waren allerdings, zumindest im Bereich der inneren Erfahrungen, höchst unterschiedlicher, widersprüchlicher und punktueller Natur und bereiteten dem Menschen das, was Huxley das »Chaos unmittelbarer Erfahrung« nannte. Diese irrationale Unordnung bot dem Menschen einen Grundbestand an gleichrangigen Tatsachen, aus dem er durch Selektion, Abstraktion und Rationalisierung seine Erkenntnisse, Überzeugungen und Konzepte gewann und so sein Leben und die Welt für sich ordnete. 60

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Auch die verschiedenen religiösen Ordnungen gingen demnach auf konkrete Bewusstseinstatsachen zurück, nämlich auf besondere »religiöse« Erfahrungen, die Huxley in Anlehnung an den deutschen Religionswissenschaftler Rudolf Otto als »numinose Gefühle« bezeichnete. Diesen aber standen gleichwertig Gefühle ganz anderer Qualität gegenüber, deren Rationalisierung zu Konzepten führte, die im unvereinbaren Widerspruch zu den religiösen standen. So kam es zu den verschiedensten Weltanschauungen, die für sich zwar möglichst eindeutig, dafür aber gleichzeitig verdächtig einseitig waren. Eine auch nur halbwegs befriedigende, jedoch immer skeptisch zu hinterfragende Weltsicht musste auf möglichst vielen Erfahrungstatsachen aufbauen. Sie musste in der Lage sein, Gegensätze und Ungereimtheiten zu akzeptieren, was aber der nach Schlüssigkeit strebenden und deshalb selektiv verfahrenden Verstandestätigkeit widersprach. Aus dieser unüberbrückbaren Kluft zwischen der ungefilterten, bizarren Erfahrungsvielfalt und dem notwendigerweise filternden, ordnenden Denken ergab sich für den kritisch-wachsamen Menschen sein hauptsächliches weltanschauliches Dilemma. Die überwältigende Mehrheit entzog sich schlichtweg diesem Problem, indem sie vorschnell die einmal abstrahierte Welt mit der Wirklichkeit identifizierte, sie als gegeben annahm und ihr das unmittelbare Erleben rigoros unterordnete. Der Skeptiker aber ging den entgegengesetzten, schwierigen empirischen Weg, denn er warnte vor hastigen Konzepten und öffnete sich der komplexen Erfahrungswelt. Diese Haltung, die Huxley mit etlichen der Gäste in Garsington teilte und die ein prägendes Merkmal der künstlerischen Moderne war, legte einen wichtigen Grundstein für sein literarisches Schaffen. Themen wie der Verlust von Werten, Ordnung und Ganzheit, die Vereinzelung des Menschen, das Aufeinanderprallen verschiedener einseitiger Lebensauffassungen und der Rückzug auf das individuelle Bewusstsein sollten dort zentrale Berücksichtigung finden. Noch im September erschien The Burning Wheel in kleiner Stückzahl bei dem Oxforder Verleger Basil Blackwell, der auch für die 61

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Reihe Oxford Poetry zuständig war. Durchzogen von einer gedämpften Stimmung, die bisweilen ironisch unterwandert wurde, ging es in dem schmalen Band wiederholt um Vergänglichkeit und Desillusionierung, um die Enttäuschung von Hoffnung und Sehnsucht und die Dunkelheit, die den Licht suchenden Menschen umgab. In seiner Wortwahl verfolgte Huxley weiterhin konsequent das Ziel, die Sprache der Dichtung durch den überraschenden Einbezug von wissenschaftlichem Vokabular zu öffnen und zu erweitern. Er freute sich darüber, dass er von der Literaturkritik zur Kenntnis genommen und allgemein als vielversprechend gehandelt wurde, kam allerdings schon jetzt zu der prophetischen Einsicht: »[W]as wir brauchen, sind Leute, die Prosa schreiben« (Letters, S. 112). Maria Nys verließ Mitte Oktober 1916 nach einem Jahr das Newnham College, weil sie den akademischen Anforderungen nicht genügte. Anstatt nach Garsington zurückzukehren, zog sie es vor, nach London zu gehen, wo sie sich mehr schlecht als recht mit Französischunterricht über Wasser hielt. Aldous besuchte sie dort, so oft es ihm möglich war. Auch bewarb er sich jetzt wieder ganz gezielt: erneut am Eton College, darüber hinaus an der Charterhouse-Schule in Godalming, wo sein Vater vor Jahren unterrichtet hatte, und um eine Bürostelle im Rüstungsministerium in London. Aber er blieb erfolglos und wohnte weiterhin in Garsington. Dort besuchte ihn im Laufe des Herbstes und Winters ein ums andere Mal sein Bruder Julian, der trotz Aldous’ ausdrücklicher Warnungen Amerika verlassen hatte, um sich für sein Heimatland im Krieg zu engagieren. (Er sollte bald einen Posten im Nachrichtendienst übernehmen, der ihn bis nach Norditalien führte.) Julians Besuche konzentrierten sich jedoch mehr und mehr auf Juliette Baillot, die er in Garsington lieben lernte. Maria war indessen nicht völlig aus dem Garsingtonkreis verschwunden. Im Rahmen einer Weihnachtsfeier spielte sie neben Aldous, Lytton Strachey, Dora Carrington, Katherine Mansfield und John Middleton Murry in Mansfields Kurzschauspiel The Laurels mit, das leider nur als Fragment erhalten ist. Doch die Tage ihres Aufenthaltes in England waren mittlerweile gezählt. Ihre Mutter, 62

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Marguerite Baltus-Nys, hatte im Sommer die sich plötzlich bietende Gelegenheit, sicher auf das europäische Festland zurückzukehren, beim Schopfe gepackt und war mit ihren jüngeren Töchtern zunächst bis nach Paris gekommen. Maria hatte sich geweigert, England zu verlassen. Als die finanziellen Reserven wieder aufgestockt waren, setzte die Familie ihre Reise bis in die italienische Toskana fort. In dem malerischen Küstenort Forte dei Marmi traf Marguerite Baltus-Nys gute Freunde ihres Bruders Georges, die Fasolas, die dort eine Ferienvilla besaßen. Nach ihrem Urlaub nahmen die Fasolas die befreundete Familie mit in ihre Heimatstadt Florenz. Marguerite mietete dort ein preiswertes, zentral gelegenes Haus. Sie ließ Maria jetzt keine Wahl mehr und forderte sie auf, unverzüglich zu folgen. Aldous war bestürzt. Am Neujahrstag 1917 schrieb er in einem Brief an Lewis Gielgud, der nach einer Kriegsverwundung für das War Office in London tätig war: »Das Schlimmste, mein lieber Lewis, hat seine Chance, tatsächlich einzutreten, nicht verfehlt. […] Die arme Maria wird erbarmungslos zu ihrer dämonischen Mutter nach Florenz gehetzt. […] Es ist einfach nur schmerzvoll […]. Ich finde die bevorstehende Trennung schon hart genug […]. Und dann für wie lange? Es ist die Ungewissheit, die mich so quält.« (Letters, S. 118 f.)

Juliette Baillot bestätigte später in ihren Erinnerungen Aldous’ prekären Gemütszustand, nachdem Maria sich auf die Reise nach Florenz begeben hatte: »Eines Abends waren wir beide allein. Die langen Beine endlos vor sich hingestreckt, starrte er ins Kaminfeuer und platzte plötzlich mit seinen Gefühlen heraus, sprach von der Entsetzlichkeit des Getrenntseins und dem Elend der Ungewissheit. Jene Monate der Trennung von Maria und ebenso die quälende Ungewissheit seiner Lage waren schrecklich schwer für ihn zu ertragen.« (Gedächtnis, S. 41)

Aber das Leben musste weitergehen, und zuoberst stand für Aldous natürlich die Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle. Im Februar absolvierte er eine kurze Testphase in einem Büro des Food Board, des neu eingerichteten Ernährungsministeriums. Nachdem er ein 63

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bewusst allgemein gehaltenes Stellengesuch in der Times geschaltet hatte, mehrten sich die Offerten, doch es handelte sich zumeist um schlecht bezahlte und streng befristete Tätigkeiten. Beinahe hätte er sich auf eine solche Anstellung in der Rechtsabteilung der Admiralty, der für die Führung der Kriegsmarine verantwortlichen Behörde, eingelassen. Aber das finanziell attraktivere Angebot, als Büroangestellter für das Air Board, einen Vorläufer des Luftfahrtministeriums, zu arbeiten, ließ ihn aufhorchen und nicht lange zögern. Im April verließ Aldous Garsington Manor und zog bei seinem Vater ein, der inzwischen in Bracknell Gardens in Hampstead wohnte. In einem ausführlichen Brief bedankte er sich bei seinen ehemaligen Gastgebern, bezeichnete seinen Aufenthalt in Garsington als die glücklichste Zeit in seinem Leben und machte den Morrells das Kompliment, ihm »die beste und fruchtbarste Entwicklung meiner selbst« (SL, S. 49) ermöglicht zu haben. Neben seiner neuen Tätigkeit begann er bereits Anfang des Jahres, sich produktiv mit zwei Textsorten auseinanderzusetzen, die ihn sein Leben lang maßgeblich begleiten beziehungsweise in den kommenden Jahren sehr intensiv beschäftigen sollten: dem literarischen Essay und der journalistischen Rezension. Huxleys Onkel Thomas Humphry Ward lud ihn ein, am fünften und letzten Band seiner groß angelegten Anthologie The English Poets (1880–1918) mitzuwirken, und Aldous steuerte einleitende Essays zur Bedeutung der beinahe noch zeitgenössischen Dichter John Davidson, Ernest Dowson und Richard Middleton bei. Der Literaturredakteur der Wochenzeitung The New Statesman, John Collings Squire, war von Huxleys Gedichten sehr angetan und bat ihn, Buchbesprechungen für den Statesman zu übernehmen. So erschienen dort schon seit Ende Januar Aldous’ Rezensionen, unter anderem zu Gedichten von Émile Verhaeren und zu übersetzten Sammlungen russischer und ukrainischer Gedichte. Da der Rezensent damals häufig unerwähnt blieb, ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass noch nicht alle von Aldous Huxley geschriebenen Kritiken als solche identifiziert worden sind. Dies betrifft auch seine produktivste journalistische Phase ab 1919 und damit noch andere Zeitungen und Zeitschriften. 64

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Maria Nys lebte sich inzwischen rasch in Florenz und im Sommer auch in Forte dei Marmi ein. Sie liebte Italien und die italienische Lebensart und schloss viele neue Freundschaften, darunter eine intensive mit Costanza, der drei Jahre älteren Tochter der Fasolas. Doch sie vermisste Aldous sehr, und es entstand ein reger Briefverkehr zwischen den beiden, der dem permanent auf Nachrichten aus Italien hoffenden Huxley dennoch viel Geduld abverlangte. Auch in Briefen, die Maria zeitgleich an Lady Ottoline schrieb, kam ihre Sehnsucht zum Ausdruck: »Ich wünschte, du könntest Aldous für diesen Teil der Welt verpacken – denn dann hätte ich jemanden, mit dem ich zusammen sein und alles genießen könnte – ich mag A[ldous] so sehr.« (zit. in Murray, S. 87)

Auf der anderen Seite betonte sie die Vorzüge, die ihr die neue Umgebung bot, und schwärmte von den Bekanntschaften, die sie machte. Während Aldous solche Mitteilungen sicher argwöhnisch betrachtete, erfuhr sein eigenes gesellschaftliches Leben mit dem Umzug in die Hauptstadt ebenfalls einen erneuten Schub. Zwar entpuppte sich die Bürotätigkeit im Air Board schnell als außerordentlich eintönig, aber seine Nähe zur künstlerisch-intellektuellen und aristokratischen Bohème in London sorgte dafür, dass Huxley mehr und mehr in deren Bann gezogen wurde. Als aufstrebender Dichter mit herausragendem Intellekt und Esprit war er ein gern gesehener und viel beachteter Neuankömmling. Häufig hielt er sich jetzt an einschlägigen Treffpunkten wie dem Savoy Hotel, dem Restaurant »Eiffel Tower« in Fitzrovia und dem Isola Bella in Soho auf. Noch intensiver als in Garsington konnte er nun seine Kontakte zum Bloomsbury-Kreis, zu Katherine Mansfield, John Middleton Murry, Mary Hutchinson oder auch T. S. Eliot pflegen. Eliot bescheinigte ihm ein enormes literarisches Talent, obwohl er seine Gedichte nicht besonders mochte. Er empfahl ihm deshalb, sich eher der Prosa zu widmen. Aldous vergrößerte seinen Bekanntenkreis stetig. Mit dem Aristokraten und notorischen Lebemann Evan Morgan verband ihn bald eine enge Freundschaft. Wichtige Vertreter der Corrupt Coterie (ei65

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ner erlesenen, für ihre permanente Partylaune und ihren hohen Drogenkonsum bekannte Clique von Aristokraten und Intellektuellen), allen voran die Dichterin und Aktivistin Nancy Cunard sowie die Malerin und Schriftstellerin Iris Tree, wurden zu seinen Vertrauten. Er traf sich mit Szeneberühmtheiten wie der Tänzerin Con­ stance Stewart-Richardson, Katherine »Ka« Cox, der Exgeliebten des jung verstorbenen Poeten Rupert Brooke, oder Marie Beerbohm, der Nichte des populären Karikaturisten und Essayisten Max Beerbohm. Die adlige Dichterin Edith Sitwell, die eigens aus Yorkshire nach London gezogen war, um sich dort vollends der literarischen Moderne zu widmen, kontaktierte Aldous und gewann ihn für die von ihr herausgegebene Anthologie Wheels, ein seit 1916 erscheinendes Jahrbuch neuer Dichtung. Dort hatten neben Edith sowie ihren jüngeren Brüdern Osbert und Sacheverell bereits auch Nancy Cunard und Iris Tree eine Heimstatt gefunden, und von 1917 bis 1921 war Aldous tatsächlich in allen der mittlerweile sehr raren Ausgaben der Reihe vertreten. Die Liste seiner aktuellen Freundschaften, Bekanntschaften und Kontakte ließe sich noch beliebig verlängern, so intensiv erlebte er diese Phase: »Was für ein Leben! Ich sause pausenlos umher« (SL, S. 53), schrieb er im Juni an Lady Ottoline. Wie gewohnt machte er sich bei seinen zahlreichen gesellschaftlichen Auftritten Notiz um Notiz: Viele der genannten und auch nicht erwähnten Personen sollten sich zukünftig in fiktionaler, aber nur leicht verschleierter Form in Huxleys Prosa wiederfinden. Im Juli endete die Arbeit für das Air Board, und Aldous musste wieder nach beruflichen Alternativen Ausschau halten. Obwohl er weiterhin daran zweifelte, ein geeigneter Pädagoge zu sein, stellte er sich erneut am Eton College vor, denn er hoffte, neben dem dort zu leistenden Lehrpensum noch genügend Zeit für den Ausbau seiner literarischen Karriere zu finden. Seit The Burning Wheel hatte er ein beträchtliches Korpus neuer Gedichte geschaffen, in denen er sich nach wie vor stark am französischen Symbolismus, insbesondere den Werken Stéphane Mallarmés und Jules Laforgues, orientierte. Mallarmés Gedicht »L’Après-midi d’un faune« (1876; dt. »Der Nachmittag eines Fauns«) hatte er nach längerem Anlauf ins Englische 66

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übertragen, und Laforgue widmete er nun sogar eine poetische »Hommage« in französischer Sprache. Neben den Publikationen in verschiedenen Periodika wie Oxford Poetry oder Wheels wünschte er sich selbstverständlich weitere eigene Buchveröffentlichungen. Das Vorstellungsgespräch in Eton verlief erfolgreich, und zu Beginn des neuen Schuljahres konnte Aldous dort als Lehrer für klassische Sprachen und Literatur, Französisch sowie Geschichte anfangen; Englische Literatur gehörte weiterhin nicht zum Curriculum. Den Abschluss seines kurzen, aber ausgefüllten Aufenthalts in London beging er im Rahmen von Morgans ausschweifender Geburtstagsfeier am 13. Juli. Anschließend verbrachte er einige Wochen in Oxford, vornehmlich bei den Haldanes, in deren Haus er sogar Italienischunterricht nahm, da er hoffte, in absehbarer Zeit Maria in Florenz besuchen zu können.

Eton Nach der ruhigen Phase in Oxford und wiederholten Besuchen bei den Morrells in Garsington trat Aldous, jetzt mit dicken Brillengläsern versehen, am 18. September seinen neuen Posten als Lehrkraft in Eton an. Zu seinen Schülern gehörten bedeutende Aristokraten wie der spätere Historiker Stephen Runciman und der zukünftige Literaturprofessor David Cecil. Aber auch Mittelstandsvertreter waren darunter, so zum Beispiel Eric Blair, der unter dem Pseudonym George Orwell zu einem der wichtigsten britischen Literaten des 20. Jahrhunderts werden und mit seiner Zukunftsvision 1984 Huxleys eigener Antiutopie Schöne neue Welt Konkurrenz machen sollte. Die Schüler waren ermahnt worden, besondere Rücksicht auf die starke Sehbeeinträchtigung und die vergleichsweise geringe pädagogische Erfahrung ihres neuen Lehrers zu nehmen. Das hielt natürlich etliche von ihnen nicht davon ab, gerade diese Umstände gnadenlos für sich auszunutzen. Edward Sackville-West, der renommierte Musikkritiker und Romancier, erinnerte sich später an seine Zeit als 16-Jähriger in Eton: 67

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»Armer Aldous! Er muss wohl einer der inkompetentesten Lehrer gewesen sein, die jemals vor einer Klasse gestanden haben […]. [Es war] unmöglich, mehr als nur ein gelegentliches Wort von dem zu verstehen, was er vorlas oder sagte, denn der allgemeine Tumult war unbeschreiblich.« (zit. in Bedford, S. 89)

Allerdings dürfte das hier beschriebene Unterrichtschaos stark lerngruppenabhängig gewesen sein. Stephen Runciman, zwei Jahre jünger als Sackville-West, hielt demgegenüber fest, dass das Fehlverhalten der Schüler sofort nachließ, als sie merkten, wie gleichgültig es Huxley war und wie wenig es ihn berührte. Runciman betonte, Aldous sei kein guter Lehrer im engeren Sinne gewesen, habe die Schüler aber durch seine enorme Intellektualität beeindruckt. Huxley selbst bemerkte in einem Brief an Naomi Haldane-Mitchison lapidar: »Ich glaube nicht, dass ich den Jungen irgendetwas beibringe, aber wir kommen einigermaßen gut miteinander aus, und das ist alles, was für ein ruhiges Leben wichtig ist« (Letters, S. 133). Deutliche Anklänge an seine Zeit als Lehrer in Eton präsentierte er später am Anfang seines zweiten Romans Narrenreigen. Während die Wochentage mit dem üblichen Lehrbetrieb ausgefüllt waren und die Abende der Erholung und Vorbereitung dienten, versuchte Aldous, die Wochenenden, so gut es ging, für sich und seine literarische Arbeit zu nutzen. Der Oxforder Verleger Blackwell hatte signalisiert, einen weiteren Band mit seinen Gedichten veröffentlichen zu wollen, und so sortierte und erweiterte Huxley sein poetisches Œuvre zu einer Sammlung, die im nächsten Sommer unter dem desillusionierten Titel The Defeat of Youth erschien. Darüber hinaus gelang es ihm, auch mit der ebenfalls in Oxford ansässigen Holywell Press, bei der bereits die Palatine Review erschienen war, eine Publikation zu vereinbaren. Es handelte sich um den in nur etwa fünfzig Exemplaren gedruckten, zwölf Gedichte umfassenden schmalen Band Jonah, der im Dezember erschien und vornehmlich als Weihnachtsgruß für Freunde und Verwandte gedacht war. Jonah wurde Huxleys mit Abstand unbekanntestes Buch, das heutzutage kaum im Original zum Verkauf angeboten wird und 68

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dann nur zu einem horrenden Preis. In dem Titelgedicht, das auf dem biblischen Motiv von Jona im Bauch des Wals basiert, ließ Aldous in exemplarischer Weise religiöses Hochgefühl und nüchterne Wissenschaftlichkeit aufeinanderprallen. In einem anderen Gedicht mit dem Titel »The Oxford Volunteers« rechnete er harsch mit einem radikalen nationalistisch-chauvinistischen Freiwilligenverband ab, der sich in Oxford unter der Führung des Universitätssprechers A. D. Godley gebildet hatte und dem auch sein ehemaliger Professor Walter Raleigh angehörte. Laut Naomi Haldane-Mitchison reagierten viele Universitätsangehörige schockiert und peinlich berührt auf Huxleys bissige Kritik. Zu diesem Zeitpunkt war er längst zu einem bekennenden Kriegsgegner geworden. Mehrfach hatte er sich in der Zwischenzeit erneuten Tauglichkeitsprüfungen unterziehen müssen und befürchtete stets, zu »sanitären Diensten in Aden oder gleichermaßen angenehmen Aufgaben« (Letters, S. 137) eingezogen zu werden. Glücklicherweise blieb ihm ein solches Schicksal erspart. Am Eton College half Aldous beim Aufbau der linksgerichteten Eton Political Society. Die Initiative ging von einem seiner umtriebigsten Schüler aus, Herbrand Sackville, dem 9. Earl De La Warr. Dieser war trotz seiner hocharistokratischen Herkunft ein leidenschaftlicher Sozialist und bildete dementsprechend einen krassen Gegenpol zu der erzkonservativen Tradition der Schule. Die Gesellschaft verstand sich als aktuelles Diskussionsforum, zu dem regelmäßig gestandene Vertreter der verschiedensten Fachbereiche als Redner eingeladen werden sollten. Während der Gründungsveranstaltung am 8. Dezember sprachen der Labour-Politiker und Pazifist George Lansbury, der Bischof von Oxford sowie der ehemalige Leiter der Schule in Repton William Temple, der sich für soziale Reformen einsetzte. Ergänzt werden sollte die Arbeit der Society durch die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, der Eton Review, und auch hier wirkte Aldous unterstützend und begleitend mit. Das anonyme Vorwort zur ersten Ausgabe im März 1918 zeigte deutlich seinen Einfluss, wenn nicht gar seine Urheberschaft. Auf insgesamt sechs Ausgaben sollte es die Review bis 1920 bringen. 69

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Wann immer es seine spärliche Freizeit erlaubte, versuchte Aldous, der Abgeschiedenheit in Eton in Richtung Garsington oder London zu entkommen. Dort pflegte er weiterhin seine Kontakte vor allem zu Morgan, Mansfield, Carrington, Hutchinson, Marie Beerbohm, den Sitwells und T. S. Eliot. Er war sich mittlerweile sicher, nicht dazu bestimmt zu sein, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Ende 1917 trat er in London im Rahmen eines Gedichtabends auf, der von der bekannten Salondame Sybil Colefax zu Wohltätigkeitszwecken organisiert worden war. Außer ihm nahmen Robert Nichols, den er bereits aus seinen Studientagen in Oxford sehr gut kannte, Viola Tree (Iris Trees Schwester), die Sitwells und T. S. Eliot daran teil. Er ließ im Nachhinein kaum ein gutes Haar an der Veranstaltung: »Eliot und ich waren die einzigen Teilnehmer, die auch nur etwas Würde ausstrahlten […]. Das Beste an der ganzen Angelegenheit war das anschließende Abendessen bei den Sitwells« (Letters, S. 141). Umso mehr freute Aldous sich darauf, Weihnachten wieder in der inspirierenden und entspannten Umgebung von Garsington verleben zu können. Dort würde er auch endlich genügend Zeit finden, um sich erneut ausführlicher der Lektüre wichtiger Werke wie etwa des englischen Renaissancephilosophen Francis Bacon zu widmen. Und er war erfreut zu hören, dass es Maria in Florenz gut ging. Sie hatte sich sogar entschlossen, an der dortigen Universität Sprachkurse zu belegen. Das neue Jahr brachte für Aldous in Eton zunächst eine Verbesserung. Er musste nicht mehr so viel Klassenunterricht erteilen, sondern fungierte jetzt vorwiegend als Tutor, der in Einzelgesprächen mit den älteren Schülern deren Aufsätze diskutierte und korrigierte. Dennoch ging es ihm im Frühjahr nicht besonders gut. Seine stets fragile Gesundheit ließ angesichts des anhaltend schlechten Wetters wieder zu wünschen übrig, und er klagte über eine hartnäckige Erkältung mit Fieber sowie rheumatische Symptome. Zudem machten ihm die recht dürftige Bezahlung am College und das leidige Thema des chronischen Zeitmangels erheblich zu schaffen. Nicht einmal für das Verfassen von Rezensionen fand er ausreichend Muße, und lieber hätte er sich kontinuierlicher seinem neu70

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esten Projekt zugewandt, dem episch angelegten Gedicht »Leda«. Seine Version der Verführung der griechischen Prinzessin Leda durch Zeus in Schwanengestalt sollte eine »völlig ernsthafte und zugleich komplett ironische Behandlung« (Letters, S. 143) des antiken mythologischen Stoffes werden, und Dorothy Brett hatte bereits zugesagt, eine Reihe von Illustrationen beizusteuern. Darüber hinaus nagte der sich schier endlos hinziehende und immer brutalere Formen annehmende Kriegsverlauf zusehends an seinem Gemüt. Besorgt äußerte er sich auch darüber, dass seinem Bekannten Bertrand Russell, dessen öffentlich vorgetragene Kritik am Kriegseinsatz der USA in Europa als provozierender Eingriff in die britische Außenpolitik verstanden wurde, eine sechsmonatige Gefängnisstrafe bevorstand. Huxley teilte Russells Einwände gegen die amerikanische Politik: »Ich fürchte die unweigerliche Beschleunigung der amerikanischen Weltherrschaft, die das Endergebnis von allem sein wird. […] Wir werden alle kolonisiert werden; Europa wird nicht länger Europa sein.« (Letters, S. 160)

Als Julian Huxley im Frühling 1918 für den Nachrichtendienst nach Norditalien entsandt wurde, bat Aldous ihn, die Gelegenheit zu nutzen, um Maria aufzusuchen und herauszufinden, was von dem Rest ihrer Familie zu halten sei. Weder ihre Mutter noch ihre Schwestern hatte er bislang kennengelernt. Marguerite Baltus-Nys hatte inzwischen die zentrale Unterkunft in Florenz aufgeben müssen und war mit den Töchtern in ein Kastell oberhalb der Stadt ganz in die Nähe der Fasolas gezogen. Julian gelang es tatsächlich, der Familie einen kurzen Besuch abzustatten, und er konnte seinem Bruder mitteilen, dass deren Mitglieder wohlauf und nett, wenn auch durchaus eigentümlich seien. Gerade in Bezug auf Maria fand er aber auch kritischere Worte. Aldous pflichtete seinem Bruder in einem Brief im Mai bei, dass Maria sich wirklich in sehr hohem Maße von momentanen Empfindungen beherrschen lasse und dass sie noch lernen müsse, das Leben reflektierter, intellektueller zu verarbeiten. Jedoch verwies er ausdrücklich auf ihren jugendlichen Charakter und un71

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terstrich sein großes Verlangen, sie bald wiederzusehen, damit sie sich gegenseitig in ihrer Entwicklung unterstützen könnten. Zum Zeitpunkt dieses Briefes hatte er bereits einen weiteren Schuljahresabschnitt als Lehrkraft in Eton beendet. In Garsington war er auf den stoisch seiner Haftstrafe entgegensehenden Bertrand Russell gestoßen. Auch hatte er die Korrekturabzüge für The Defeat of Youth gegengelesen, die bedeutendsten Schriften von Machiavelli und Erasmus von Rotterdam rezipiert und sich weiter mit »Leda« beschäftigt. Jetzt plante er ein langes, zynisch-hoffnungsloses Gedicht mit dem (den römischen Dichter Catull zitierenden) Titel »Soles occidere et redire possunt«. Von diesem Text, in dem es um einen einzigen Tag im Leben eines jungen Mannes gehen sollte, des wenig später im Krieg getöteten Gefreiten John Ridley, erhoffte sich Huxley eine insgesamt »recht abstoßend köstliche« (Letters, S. 154) Wirkung voll subtilen Schreckens. Zurück in Eton boten sich ihm derweil die gewohnten unliebsamen Herausforderungen: eine Tätigkeit, die ihn nicht sonderlich begeisterte, die grundsätzliche Knappheit seiner finanziellen Mittel und die Tatsache, dass ihm zum Schreiben viel zu wenig Zeit blieb. Er träumte von einem ganz der Schriftstellerei gewidmeten Leben, denn nur diese schien es ihm wert, konsequent weiterverfolgt zu werden: »Ich habe nie wirklich das Gefühl, eine gänzlich moralische Handlung zu vollziehen, es sei denn, ich schreibe« (Letters, S. 171). Würde es für ihn vielleicht eine Möglichkeit geben, sich für geraume Zeit in das bei Florenz gelegene Ferienschloss der Sitwells zurückzuziehen, um dort ungestört zu arbeiten, das preiswerte Leben in Italien zu genießen und Maria nahe zu sein? Selbst die regelmäßigen Wochenendausflüge in das hektische London, die ihm bislang so viel bedeutet hatten, betrachtete Aldous nun eher als lästige Ablenkung. Er sehnte sich nach Häuslichkeit. Im Zuge seines weiterhin enormen Lesepensums tauchte er erneut in die Welt der Renaissance ein und las mit Begeisterung die satirischen Dunkelmännerbriefe sowie die Aphorismen des französischen Dichters La Rochefoucauld. In seinem eigenen literarischen Schaffen zeichnete sich jetzt eine zukunftsweisende Abwendung von der 72

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Versdichtung ab. Zwar arbeitete er weiter an den bereits begonnenen Gedichten und schrieb auch neue und mit dem selbstironischen »Fifth Philosopher’s Song« (dt. »Fünfter Philosophen-Song«), in dem er beanstandete, dass es anstelle eines Epoche machenden Menschen ausgerechnet ihm vergönnt gewesen sei, geboren zu werden, eines seiner bekanntesten. Jedoch nahm er jetzt auch ganz explizit andere Gattungen verstärkt ins Visier. Das Theater erschien ihm außerordentlich reizvoll, denn mit Theaterstücken ließ sich viel Geld verdienen. Neben seiner immerwährenden Verehrung für Shakespeares Dramen interessierte ihn jetzt speziell das expressionistische Schauspiel. Als vorbildlich sah er das Schaffen des russischen Dramatikers Leonid Andrejew an, der erfolgreich die Widersprüchlichkeit und gar Zerrissenheit des Individuums zum Ausdruck brachte, indem er die widerstreitenden inneren Eigenschaften nach außen kehrte und sie zu eigenständigen Figuren machte. Huxley hoffte, sich im Laufe der Zeit als moderner Dramatiker einen Namen machen zu können. Darüber hinaus – und dies sollte sich als der eigentlich entscheidende Schritt erweisen – wandte er sich mehr und mehr dem Verfassen von Prosaliteratur zu. Er überarbeitete zwei bereits während seines Studiums in Oxford geschriebene und 1916 veröffentlichte Kurzgeschichten, nämlich »The Bookshop« (dt. »Der Bücherladen«) und »Eupompus Gave Splendour to Art by Numbers« (dt. »Eupompus adelte die Kunst durch die Zahl«). Zudem machte er sich daran, eine höchst skurrile und bitterböse Novelle über eine Persönlichkeitsspaltung zu schreiben, die 1920 unter dem Namen »Farcical History of Richard Greenow« den Auftakt zu Limbo, seiner ersten Sammlung von Geschichten, bildete. Die Sommerferien verbrachte Aldous wieder abwechselnd in London, »Prior’s Field« und Garsington. Zwischendurch besuchte er in Witley seinen Cousin Gervas, der sich auf Heimaturlaub befand. Im August erschien The Defeat of Youth, Huxleys dritter Gedichtband, der angeführt wurde von dem aus 22 Sonetten bestehenden Titelgedicht. Darin geht es um die niederschmetternde und im Selbstmord der Hauptfigur endende Ernüchterung einer anfangs idealistisch-romantischen Weltsicht durch die harsche Erfahrung der Lebenswirk73

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lichkeit. Auch dieser Band war durchzogen vom Eindruck der Ungereimtheit und Widersprüchlichkeit des Lebens. Huxley thematisierte die tiefe Enttäuschung, die er angesichts der Vergänglichkeit des als wertvoll Erachteten empfand und der er immer wieder mit (Selbst-)Ironie und Zynismus begegnete. Wie The Burning Wheel wurde auch The Defeat of Youth vorwiegend wohlwollend rezensiert. Aber es gab auch Stimmen (wie diese anonyme, hinter der sich Virginia Woolf verbarg), die meinten, Huxley sei »besser ausgestattet mit dem Vokabular eines Dichters als mit der Inspiration eines solchen« (zit. in Murray, S. 106). Derartige Kommentare hielten ihn aber keineswegs davon ab, »Leda« und andere Projekte weiterzuverfolgen, und wiederholt schrieb er an Dorothy Brett, um mit ihr die vereinbarten Illustrationen zu besprechen. Diese wurden schließlich aus verschiedenen Gründen doch nicht berücksichtigt; allerdings geben Huxleys erhalten gebliebene eigene Skizzen, die in Band 12/13 des Aldous Huxley Annual abgedruckt wurden, einen guten Eindruck von seinen persönlichen Vorstellungen. Am 5. Oktober 1918 wohnte Aldous zusammen mit den Sitwells im Londoner Coliseum einer Ballettaufführung von Nikolai Rimski-Korsakows Schéhérazade bei, als sich die Nachricht eines deutsch-österreichischen Friedensgesuchs an den amerikanischen Präsidenten Wilson verbreitete. Euphorisch und erleichtert (wenn auch voreilig, denn die endgültige Kapitulation der Mittelmächte erfolgte erst mit dem Waffenstillstand vom 11.  November) wurde noch am selben Abend im Restaurant »Eiffel Tower« das bevorstehende Ende des Ersten Weltkriegs gefeiert. An ein Wiedererstarken der deutschen Truppen konnte nun niemand mehr ernsthaft glauben. Zurück in Eton feilte Aldous jetzt erst recht an seinem Plan, nach Italien zu reisen, und wandte sich zwecks Auffrischung und Verbesserung seiner Italienischkenntnisse der Lektüre des spätsymbolistischen Dichters Gabriele D’Annunzio zu. Von Maria hatte er erfahren, dass die Familie Florenz verlassen hatte und sich derzeit in Rom aufhielt, um bald darauf in Richtung Neapel weiterzufahren. Während er gerade mit seiner stark von Andrejew beeinflussten Farce »Happy Families« beschäftigt war, machte ihm der geschätzte 74

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Kunstkritiker Roger Fry das großzügige Angebot, die Redaktion der Kunstzeitschrift The Burlington Magazine zu übernehmen. Aldous jedoch fühlte sich zu inkompetent, empfand das zu erwartende Einkommen als zu gering und lehnte freundlich ab. Seine vage Hoffnung, für die Tageszeitung The Manchester Guardian tätig werden zu können, verlief ebenso im Sande wie das erneute Bemühen, über seinen Professor Raleigh eine Stelle an der Universität von Oxford zu ergattern. Und so blieb ihm zurzeit weiterhin nur sein keineswegs fester Posten in Eton, dessen er sich bestenfalls bis zum nächsten Sommer vergewissert glaubte. Der lang gehegte Plan einer Italienreise kam abrupt zum Erliegen, als Aldous bald nach dem Waffenstillstand von Compiègne erfuhr, dass Marguerite Baltus-Nys sich auf Drängen ihrer Kinder darauf vorbereitete, in der nächsten Zeit nach Belgien zurückzukehren. Jetzt spielte er kurzzeitig mit dem Gedanken, Maria während ihrer Heimfahrt in Paris abzufangen. Deprimiert teilte sie ihm derweil in einem Brief mit, dass das Haus und die Fabrik ihres Vaters in Bellem bei der letzten Flandernoffensive zerstört worden waren – ein Schlag, von dem sich Norbert Nys nie wieder ganz erholte. Zum Glück konnte die Familie bis auf Weiteres bei Marguerites wohlhabenden Eltern in Limburg, der östlichsten Provinz Flanderns, unterkommen. Aber die Vorfreude auf das bevorstehende Wiedersehen und die Rückkehr in die Heimat war angesichts des schlimmen Ereignisses verständlicherweise getrübt. Am Eton College herrschte mittlerweile Ausnahmezustand, da eine Grippeepidemie eine beträchtliche Zahl der Schülerschaft sowie einen Teil des Lehrerkollegiums außer Gefecht gesetzt hatte, was eine erhebliche Kürzung des Unterrichtsangebotes nach sich zog. Aldous, der sich glücklich schätzen konnte, verschont geblieben zu sein, fand jetzt wieder mehr Zeit, sich auf seine laufenden literarischen Arbeiten sowie das Lesen zu konzentrieren. Begeistert empfahl er seinem Bruder die Lektüre von Werken Flauberts, Stendhals und Balzacs, und auch den vorab in der amerikanischen Zeitschrift The Little Review erschienenen Kapiteln aus James Joyces Roman Ulysses (1922), dem er später nur noch wenig abzugewinnen ver75

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mochte, zollte er großes Lob. Was den noch jungen Weltfrieden anbelangte, so äußerte er sich schon jetzt ausgesprochen ernüchtert: »Die ausgelassenen Feiern der ersten Friedenstage sind vorbei, und wir fangen an, die Tatsachen zu überprüfen, die, so muss ich leider sagen, eigentümlich widerwärtig erscheinen« (Letters, S. 169). Mehr denn je beunruhigte ihn die elementare Einflussnahme Amerikas in Europa. Zudem fürchtete er einen Siegeszug der Ideen des Bolschewismus auch im eigenen Land, und ihm graute auf der anderen Seite vor einer Wiederwahl des liberalen Premierministers Lloyd George, dem er die Absicht einer »konsequenten Abschaffung jeglicher Art von echter parlamentarischer Regierung« (Letters, S. 170) unterstellte. Die einzige Hoffnung, so teilte er Dorothy Brett mit, bestehe in einem konzertierten Wahlverhalten zugunsten der demokratisch gesinnten Labour-Partei. Während ihn diese Besorgnisse eher mittelbar beschäftigten, empfand Aldous seine eigenen existenziellen Nöte nun noch intensiver. Marguerite und ihren Töchtern war es tatsächlich schon vor Jahresende gelungen, wieder nach Belgien zu gelangen, womit sich für ihn der Gedanke an eine Parisreise erledigt hatte. Die Freude auf ein Wiedersehen mit Maria, das jetzt endlich in greifbare Nähe rückte, sowie der damit verbundene dringende Wunsch, sie schnellstmöglich zu heiraten, wurden überschattet von Aldous’ entmutigender finanzieller Situation. Zwar hatte ihm Julian, dem für das kommende Jahr eine Stelle an der Universität von Oxford zugesichert worden war, bereits signalisiert, ihn unterstützen zu wollen, aber Aldous war verzweifelt. An Dorothy Brett schrieb er im Dezember: »Das Geld […] ist das Problem. Der gruselige Gedanke daran verfolgt mich bisweilen. Ich fühle, wie ich jede Minute beträchtlich ärmer werde. Ob es jemals einen Ausweg geben wird, scheint mir äußerst fraglich.« (Letters, S. 173)

In dieser bedrückten Stimmung endete für Huxley das reichlich frustrierende Jahr 1918. Anfang des neuen Jahres stand für Aldous trotz aller Geldsorgen fest, dass er in den Osterferien nach Belgien reisen würde, um offi76

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ziell um Marias Hand anzuhalten. Seinen Vater bat er um finanzielle Starthilfe. Noch hoffte er, dass auch Maria etwas Geld in die Ehe einbringen könnte. Unbeirrt und fest entschlossen widmete er sich weiter der Suche nach einer verlässlicheren beruflichen Perspektive. Erneut sprach er an der Universität Oxford vor und zog auch andere Universitäten in Betracht. Außerdem kontaktierte er zahlreiche Herausgeber von Zeitschriften, um sich Aufträge als Rezensent oder Literat zu sichern und eventuelle Möglichkeiten einer festeren Anstellung in Erfahrung zu bringen. Und im Frühjahr begann sich, obwohl der starre universitäre Apparat ihn weiterhin hoffnungslos zurückließ, das Blatt dann endlich zu seinen Gunsten zu wenden. Zunächst heiratete am 29. März sein Bruder Julian Juliette Baillot, und Aldous fungierte als deren Trauzeuge. Kurz darauf machte ihm John Middleton Murry, der Ehemann von Katherine Mansfield, ein attraktives Angebot. Ab Ende April konnte er als Redaktionsassistent bei der beliebten und auflagenstarken, wöchentlich erscheinenden Londoner Literaturzeitschrift The Athenaeum anfangen. Das zugesagte Gehalt versprach zwar keine Reichtümer, aber es war angemessen und bildete einen soliden Ausgangspunkt. Außerdem bedeutete die Arbeit im Grunde eine Rundumbeschäftigung mit Literatur. Aldous war begeistert und erleichtert. Umgehend kündigte er seinen Posten am Eton College und zog vorübergehend wieder bei seinem Vater in London ein. Kurz danach begab er sich auf die für ihn so enorm wichtige Reise nach Belgien. Das Wiedersehen mit Maria war mehr als herzlich, und auch die übrigen Mitglieder der Familie bereiteten ihm einen wohlwollenden Empfang. Aldous mutmaßte: »Sie hatten, glaube ich, eher einen brüllenden Löwen erwartet: Sie sind erleichtert, ein Schäfchen vorzufinden« (Letters, S. 176). Untergebracht wurde er in einem separaten Haus bei Marias Eltern, während diese bei ihren Großeltern wohnte. Doch von vornherein stand fest, dass die Familie nichts gegen die geplante Heirat einzuwenden hatte. Die bieder-provinzielle Atmosphäre in dem Städtchen Saint-Trond, die Huxley später in der Kurzgeschichte »Uncle Spencer« (1924) verarbeitete, empfand er allerdings als sehr gewöhnungsbedürftig. Hier herrschte ein ausgespro77

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chen beschauliches Leben, in dem kaum etwas passierte. Jeder schien mit jedem verwandt zu sein, die Großeltern Baltus pflegten ein übermäßig patriarchalisches Auftreten und versammelten täglich eine Vielzahl Angehöriger um sich, von denen ihm lediglich »ein paar kultiviert, der Rest überhaupt nicht« (Letters, S. 176) vorkamen. Als man sich entschloss, den ruinierten Besitz der Familie Nys in Bellem zu begutachten, wurde Aldous klar, dass er von Marias Seite keine finanzielle Mitgift zu erwarten hatte. Das änderte dennoch nichts an der erfreulichen Tatsache, dass noch während seines kurzen Besuches der Termin der Hochzeit vereinbart wurde. Sie sollte im Juli stattfinden.

London Nachdem er wieder in London eingetroffen war, nahm Aldous unverzüglich seine Tätigkeit für The Athenaeum auf. Ihm wurde schnell bewusst, dass eine Unmenge an Rezensionsarbeit auf ihn zukommen, er aber gleichzeitig ausreichend Gelegenheit erhalten würde, sein essayistisches Talent zu entfalten. Jetzt begann für ihn eine bedeutende Phase, in der das journalistisch rasche, fast rastlose Verfassen kürzerer Texte zu den verschiedensten Büchern, Autoren und Themen zur Routine werden sollte. Die meisten dieser Texte erschienen anonym oder unter dem von Aldous gewählten Pseudonym »Autolycus« (der Taschendieb und »Aufschnapper von unbedeutenden Kleinigkeiten« in Shakespeares Wintermärchen). Neben dieser Tätigkeit gelang es Huxley bald, eine preiswerte, wenn auch kleine und spartanisch eingerichtete Wohnung für sich und Maria in Hampstead Hill Gardens zu finden, nicht weit entfernt vom Haus seines Vaters. Hier machte er sich nun mit der Unterstützung von Freunden und Verwandten an die Gestaltung der Inneneinrichtung. Seine wenige Freizeit widmete er wie üblich der eigenen literarischen Produktion sowie der Pflege seiner zahlreichen Londoner Kontakte. Als Anfang Juli alle für die Hochzeit und den Aufenthalt notwendigen Dokumente beisammen waren, reiste Aldous erneut nach Bel78

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gien. Am 10. Juli heiratete er Maria im Hôtel de Ville in Bellem im Rahmen einer bewusst einfach und kurz gehaltenen standesamtlichen Zeremonie. Nur Marias Mutter und ihre Schwester Jeanne wohnten der Trauung bei. Norbert Nys hatte seine Teilnahme krankheitsbedingt absagen müssen. Bereits ein paar Tage später fanden sich die Huxleys in ihrem neuen Domizil in London ein. Maria zeigte sich in einem Brief an ihren in Schottland weilenden Schwiegervater, den sie bislang noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte, entzückt über die Wohnung und erstaunt über die praktischen Fähigkeiten, die Aldous beim Zusägen von Regalteilen und Anstreichen von Möbelstücken demonstrierte. Julian gegenüber äußerte sie ihre beträchtlichen Ängste vor der obligatorischen Vorstellungsrunde bei der Verwandtschaft. Bis auf wenige Ausnahmen erwiesen sich diese glücklicherweise als unbegründet. Auch die zu erwartenden Zusammentreffen mit Aldous’ zahlreichen literarischen und künstlerischen Bekanntschaften erfüllten Maria mit Unbehagen. Dennoch verbrachte sie mit ihm etliche der kommenden Wochenenden in Garsington, denn in der ländlichen und ihr bestens vertrauten Atmosphäre fühlte sie sich einfach wohl. Schon im August wurde Maria schwanger. Es wurde eine sehr komplizierte, sogar lebensbedrohliche Schwangerschaft, und die Ärzte rieten ihr dringend von einer weiteren ab. Aldous arbeitete derweil geradezu fieberhaft, und seine Briefe aus dieser Zeit erwecken zwischen den Zeilen den Eindruck, dass er seine Belastungsgrenze austestete. Neben dem Athenaeum, in dem er die verschiedensten Autoren von Aischylos über John Donne, Jakob Boehme, Gustave Flaubert und Maurice Maeterlinck bis hin zu André Gide, Mark Twain und Marcel Proust behandelte, schrieb er auch für andere Zeitschriften wie den Statesman oder Wheels. Doch auch gerade erst im Entstehen befindliche Periodika wie das Monatsmagazin The London Mercury oder die modernistische Vierteljahreszeitschrift Coterie hofften auf seine Texte. So blieben ihm unter der Woche nur wenige Abende, um sich mit Freunden und Bekannten zu treffen, während Maria, der es häufig nicht gut ging, meist zu Hause blieb. 79

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Im Herbst meinte Huxley, genug Geschichten für einen ersten eigenen Prosaband verfasst zu haben. Neben der bizarren »Farcical History of Richard Greenow« entschied er sich für fünf weitere kürzere Texte, nahm zusätzlich die Farce »Happy Families« mit auf und reichte sein Typoskript bei dem renommierten Londoner Verlag Chatto & Windus ein. Dessen Lektor Frank Swinnerton war von der inhaltlichen und sprachlichen Qualität der Texte überzeugt, und der Verlag akzeptierte das Buch. Es sollte für Aldous der Beginn einer lebenslangen Zusammenarbeit sein. Die Sammlung Limbo erschien bereits Ende Januar 1920. Die Verkaufszahlen hielten sich in Grenzen. Aber für viele junge Intellektuelle schien ein Stern am Autorenhimmel aufzugehen und eine Stimme laut zu werden, die ihnen aus der Seele sprach. Limbo zeigte bereits im Ansatz Huxleys grundsätzliches Anliegen, das er in den kommenden Gesellschaftsromanen und Kurzgeschichten immer wieder verfolgen würde. Schonungslos präsentierte er die sinnentleerte, ihres moralischen Zusammenhalts entledigte und gottlose Gegenwartsexistenz, wie er sie in der ihm bestens vertrauten intellektuellen Bohème beispielhaft wahrnahm. In ihrer Subjektivität gefangen, wirken Huxleys Figuren auch in Gesellschaft isoliert und allein. Es wird zwar viel und clever-ironisch gesprochen, aber es findet wenig echte Kommunikation statt, da man weitgehend mit sich selbst beschäftigt ist, aneinander vorbeiredet oder den anderen nicht versteht. Die verschiedenen, einseitig vertretenen Haltungen, die einer persönlichen Sinnsuche entsprechen, bleiben unvermittelt nebeneinander stehen und ergeben ein Konglomerat von Annahmen, die sich gegenseitig relativieren. Zwischenmenschliche Beziehungen und das Handeln der Figuren erscheinen oberflächlich und unverbindlich, werden überschattet von Heuchelei, (Selbst-)Täuschung, Engstirnigkeit, Unsicherheit und Inkonsequenz und gehen folglich ins Leere. Huxley zeigt den Menschen als ein widersprüchliches Wesen, das gleichzeitig auf verschiedenen und häufig unvereinbaren Ebenen existiert (Körper und Geist, äußere und innere Erfahrung, Denken und Fühlen, Wollen und Handeln), momentanen Schwankungen unterliegt und deshalb eher durch Unbeständigkeit als durch Geradlinigkeit gekennzeichnet ist. 80

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Das Bemühen, an eindeutigen Positionen festzuhalten, steht daher geradezu im Widerspruch zur menschlichen Natur, zumal keine Seinsebene mehr einen höheren Stellenwert beanspruchen kann als die anderen. Über alldem schwebt der zynisch-satirische Blick des Autors, der die Figuren und mit ihnen den prekären Zustand des Zeitalters der Lächerlichkeit preisgibt und dabei auch nicht davor zurückschreckt, körperliche Gebrechen, Krankheit und Tod mit einzubeziehen. Wenn es darum geht, gefühlvolles Erleben zu schildern, sieht er sich geradezu in der Pflicht, die naturwissenschaftliche Erklärung dazu beizusteuern, um beiden Ebenen gleichermaßen gerecht zu werden. Es verwundert somit kaum, dass sich Huxley schon in Kürze den Vorwurf der emotionalen Kälte einhandeln sollte; aber er gab letztlich nur überspitzt wieder, was er beobachtete, und er schonte sich dabei selbst keineswegs. Wiederholt taucht in seinen Texten die eigene Person nur wenig verschleiert als satirische Zielscheibe auf. Auch die oft vorgebrachte Beschuldigung, er wolle sich lediglich an seinem Pessimismus weiden, war unangemessen. Wie jeder Satiriker von Rang hatte er ein grundsätzlich ernstes Anliegen, das er durch die Schriftstellerin Mary Thriplow in Parallelen der Liebe (1925) zum Ausdruck brachte: Die Leser »mögen meine Bücher, weil sie flott und verblüffend und recht paradox und zynisch und auf verfeinerte Weise brutal sind. Sie begreifen nicht, wie ernst das alles auch ist. Sie spüren nicht das Tragische und Zarte dahinter« (S. 52). Huxley beklagte und kritisierte den offensichtlichen Wertebankrott seiner Zeit sowie das Fehlen eines stabilen, übergreifenden Zusammenhangs. Allerdings – und dies unterschied seine Satire von der herkömmlichen – konnte er kein Korrektiv, kein Ordnungsmodell zur Verfügung stellen, denn als rigoroser Skeptiker sah er sich der gegenwärtigen Situation zunächst selbst ratlos ausgeliefert. Er konnte nur möglichst eindringlich auf den Missstand hinweisen, und dabei erwies sich ihm die Satire als die geeignete und einzig adäquate Kunstform. Zu Aldous’ Bestürzung verstarb seine verehrte Tante Mary Augusta Ward am 24. März 1920. Kaum einen Monat später, am 19. April, wurde sein Sohn Matthew geboren, den er nach Matthew Arnold 81

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benannte. Als hätte ihm dieses freudige Ereignis einen zusätzlichen Energieschub verliehen, begann Aldous schon am darauffolgenden Tag ein weiteres regelmäßiges Engagement, diesmal als Theaterkritiker für die Tageszeitung The Westminster Gazette. Nun musste er auch noch etliche Abende dem Besuch von häufig als schlecht empfundenen Stücken opfern und sich anschließend an das Verfassen der betreffenden Rezensionen machen. Gleichwohl bestätigte ihm diese Tätigkeit, welch gute Einnahmemöglichkeiten das Theater bot, und er äußerte sich fest entschlossen, auch eine Karriere als Dramatiker weiterzuverfolgen. Maria erholte sich nach Matthews Geburt mit ihrem Sohn bei den Morrells in Garsington, wo die beiden mehrere Wochen verbrachten. Aldous besuchte sie, wann immer es ging, an den Wochenenden. Im Mai mutete er sich noch einen dritten Posten zu: Zeitweilig arbeitete er als Berater und Manager im »Chelsea Book Club«, einem exklusiven Buchgeschäft mit Kunstgalerie und Ausstellungsforum. Um die beträchtlichen Distanzen zwischen seiner Wohnung und seinen verschiedenen Wirkungsstätten leichter und preiswerter bewältigen zu können, schaffte er sich trotz seiner schlechten Sehkraft ein neues Fahrrad an. Noch im selben Monat erschien bei Chatto & Windus sein vierter Gedichtband, Leda, der für längere Zeit sein letzter blieb. Angeführt von dem fast 600 Verse umfassenden Titelgedicht und abgerundet durch »Soles occidere et redire possunt«, knüpfte Leda thematisch und sprachlich eng an die Vorgängerbände an. Wiederum ging es häufig darum, die sich widersprechenden Gegebenheiten des Lebens durch eine gleichzeitig ernsthafte und ironische, einfühlende und distanzierte Herangehensweise zum Ausdruck zu bringen. Während Harold Monro, der Gründer der Poetry Review und seit 1919 Herausgeber der Zeitschrift Chapbook, für die Aldous sporadisch schrieb, Leda in den höchsten Tönen lobte, veröffentlichte die Sunday Times einen Komplettverriss des Bandes – so stark polarisierte Huxleys Dichtung. Insgesamt überwogen jedoch wieder die positiven Meinungen. Nachdem Maria und Matthew im Juni aus Garsington zurückgekehrt waren, stellte sich recht schnell heraus, dass die Wohnung in 82

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Der junge Dichter und Kultur­journalist: Aldous Huxley Anfang der 1920er

Hampstead auf Dauer zu klein sein würde. Auch fiel es Aldous jetzt deutlich schwerer, sich dort auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er fühlte sich überarbeitet, merkte, dass er dabei war, über seine Grenzen hinauszugehen, und sehnte sich nach Veränderungen. Im August gab er seine Nebentätigkeit im »Chelsea Book Club« auf, denn er hatte frustriert feststellen müssen, dass man dort den Zahlungsverpflichtungen nur allzu zögerlich nachkam. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich bereits eine finanziell sehr interessante Alternative zu seiner gegenwärtigen Hauptbeschäftigung ab. Im Oktober konnte er für den amerikanischen Medienmogul Condé Nast tätig werden, dem populäre Magazine wie Vogue und Vanity Fair gehörten und der für die entstehende britische Ausgabe der ebenfalls beliebten Monatszeitschrift House and Garden einen Redakteur suchte. Dies bedeutete zwar eine Hinwendung zu neuen Themen wie Architek83

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tur, Design, Dekoration oder Inneneinrichtung, aufgrund seines ausgeprägten ästhetischen Interesses und seiner umfassenden Bildung arbeitete sich Aldous jedoch schnell und fundiert ein. So steuerte er in den kommenden Jahren eine Vielzahl von (meist anonymen) Essays bei, die erst jetzt eine systematischere Sammlung und Wiederveröffentlichung im Aldous Huxley Annual erfahren. Auch seine Tätigkeit für die Westminster Gazette setzte er fort und schrieb weiterhin für The Athenaeum und andere Zeitschriften. Ende November nahm Huxley zusammen mit T. S. Eliot an einem Vortragsabend im Londoner Lyceum teil, bei dem er kollabierte. Er konnte sich zum Glück schnell wieder erholen. Im Dezember reiste Maria mit Matthew nach Belgien, um dort den Winter zu verbringen. Aldous plante, bis zum Frühling in London zu bleiben, um weiter möglichst viel Geld zu verdienen. Dann wollte er mit seiner kleinen Familie einige Monate in Italien verbringen. Ende des Jahres gab er die Wohnung in Hampstead auf und zog bei zwei Freunden aus seiner Studienzeit, Tommy Earp und Russell Green, in Bloomsbury ein. Bis Ende März 1921 mobilisierte er noch einmal seine ganze Arbeitskraft und hatte dann endlich genug Geld beisammen, um sich, überanstrengt und ausgelaugt, auf die Reise nach Florenz zu begeben, wo Maria und Matthew ihn bereits sehnsüchtig erwarteten. Russell Green beobachtete Aldous beim Zusammenpacken der für ihn nötigsten Dinge: Bezeichnenderweise gehörte auch ein handliches Set der Encyclopaedia Britannica dazu. Die Fasolas hatten dafür gesorgt, dass die Huxleys ganz in der Nähe ihrer eigenen Villa oberhalb von Florenz unterkommen konnten. Aldous, Maria, Matthew und die »neue« Kinderfrau Ella Salkowski bewohnten preiswert einen Flügel der Villa Minucci. Auf Elektrizität mussten sie verzichten, wurden aber durch die grandiose Aussicht auf Florenz und auf die toskanische Hügellandschaft entschädigt. Für Aldous ging es zunächst ausschließlich darum, sich zu erholen, was ihm angesichts der angenehmen Witterung ausgezeichnet gelang. Der beträchtlichen Zahl der entweder zeitweilig oder permanent in und um Florenz lebenden Briten versuchte er, bis auf wenige Ausnahmen, aus dem Weg zu gehen. Von der Stadt selbst war 84

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er insgesamt recht enttäuscht, und er äußerte sich wenig schmeichelhaft und durchaus hochnäsig über die Wiege der Renaissance: »Für meinen Geschmack […] ist Florenz zu viel dreizehntes und vierzehntes Jahrhundert. Es gibt zu viel Gotik in der Architektur und zu viel primitive Kunst in den Gallerien. Ich bin ein enthusiastischer Post-­ Raffaelit. Die Architektur des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts ist es, die ich genieße, und es gibt nur wenig davon in Florenz. Man muss nach Rom wegen der Architektur und nach Venedig wegen der Malerei.« (Letters, S. 197)

Als es im Mai deutlich heißer wurde und der Scirocco fast permanent über Florenz wehte, empfahlen die Fasolas Aldous und seiner Familie, sie ans Meer nach Forte dei Marmi zu begleiten. Maria hatte den dreißig Kilometer nördlich von Pisa gelegenen Badeort bereits kennen und lieben gelernt. Aldous mietete dort ein Häuschen mit vier Zimmern gegenüber dem Sommerquartier der Fasolas. Auch er war von der neuen Umgebung sehr angetan. Ihn reizten die ständigen Bademöglichkeiten und das schöne, zum Spazierengehen einladende Umland unterhalb der Apuanischen Alpen, in denen der berühmte Carrara-Marmor abgebaut wird. Da Aldous sich jetzt wieder vollends bei Kräften fühlte, machte er sich daran, seinen eigentlichen Plan zu verwirklichen, den er schon in London entworfen hatte. Er wollte in Ruhe und Abgeschiedenheit in möglichst kurzer Zeit seinen ersten Roman verfassen. Dafür legte er sich ein Programm zurecht, welches nun zum typischen Tagesablauf wurde: morgens Arbeit nach dem Frühstück, dann ein Bad im Meer, Mittagessen, Ruhe, Tee, weitere Arbeit, ein Spaziergang, Abendessen und schließlich Lesen, Musik oder Arbeit bis zur Schlafenszeit. Aldous hielt sich sehr diszipliniert an diesen Ablauf, nur gelegentlich erlaubte er sich Ausflüge mit seiner Familie nach Lucca, Pisa oder Siena. Bereits Ende Juni konnte er seinem Vater von den Fortschritten seines »Peacockschen Romans« (Letters, S. 198) berichten, dem er anschließend den Titel Crome Yellow (dt. Eine Gesellschaft auf dem Lande) gab. Es war kein Zufall, dass er sich dabei an dem Schaffen des englischen Romanciers Thomas Love Peacock (1785–1866) orientierte. Peacock hatte in seinen Landhaus85

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satiren eine bunte Mischung unterschiedlicher Charaktere an einem begrenzten Ort versammelt. Er war dabei aber nicht so sehr an der Entfaltung einer Handlung oder einer Entwicklung der Personen interessiert gewesen. Ihn hatte es vor allem gereizt, ironisch den rastlosen Austausch von interessanten Ideen, persönlichen Überzeugungen und Einfältigkeiten zu präsentieren. Als Intellektuellem und Skeptiker kam Huxley diese außergewöhnliche Form des »Ideenromans« perfekt entgegen. Zeit seines Lebens sollte er darauf verweisen, dass er »kein geborener Romancier« (Letters, S. 295) im herkömmlichen Sinne sei. Noch im Juli schickte er die erste Hälfte des von Maria getippten Typoskripts an Chatto & Windus, und Mitte August war der Roman nach etwas mehr als zwei Monaten fertig. Diese Erfahrung bewies Aldous, wie kreativ und produktiv er sein konnte, sobald er die Gelegenheit erhielt, sich ganz auf sein literarisches Schaffen zu konzentrieren. Er belohnte Maria und sich selbst mit einem einwöchigen Aufenthalt in Rom, das ihn mehr als begeisterte. Hier stellte er fest: »Architektur, Bildhauerei und Malerei bereiten mir […] genauso viel Vergnügen wie die Musik. Rom ist so gut wie ein immerwährendes Konzert« (Letters, S. 204). Wie gerne hätte er noch weitere Zeit schlicht und einfach mit dem Erkunden von Orten und deren Menschen verbracht, aber die Geldfrage stellte sich nun wieder dringender. Obwohl er lieber in Italien bleiben wollte und der Gedanke an die journalistische Arbeit in London ihn abschreckte, entschied er sich, Anfang Oktober mit seiner Familie Forte dei Marmi zu verlassen und nach England zurückzukehren. Es kam hinzu, dass ihm Condé Nast kürzlich ein komfortableres, jetzt deutlich höher dotiertes Angebot gemacht hatte. Die Huxleys fanden eine neue und viel geräumigere Unterkunft in Westbourne Terrace in Paddington, die allerdings auch dauernd von Ungeziefer heimgesucht wurde. Zwei von Marias Schwestern kamen, um beim Anstreichen der Wohnung zu helfen. Aldous hatte nun sogar ein eigenes Arbeitszimmer. Er nahm seine Tätigkeit als Redakteur für House and Garden wieder auf, begann aber auch für Vogue und Vanity Fair zu schreiben. Damit erweiterte sich sein Themen­ 86

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spektrum noch einmal beträchtlich und umfasste die Bereiche Kultur, Kunst, Mode, Unterhaltung, aktuelles Geschehen und Politik. Bei der Westminster Gazette avancierte er bald vom Theater- zum Musikkritiker, was ihm sehr entgegenkam. Seit seiner Jugend war er ein begeisterter Rezipient, verfügte über profunde musikhistorische Kenntnisse und hatte außerdem keinerlei Probleme damit, sich auch mit zeitgenössischen Komponisten wie Paul Hindemith, Eric Satie, Arnold Schönberg oder Igor Strawinksy zu beschäftigen. Im November erschien Eine Gesellschaft auf dem Lande und festigte Huxleys Ruf als Sprachrohr der desillusionierten jüngeren Generation. Der Roman erhielt zahlreiche gute Rezensionen – auch in Amerika, wo George Doran die Veröffentlichung übernommen hatte – und konnte bald zufriedenstellende Verkaufszahlen verbuchen. Der große Karikaturist Max Beerbohm teilte Aldous sogar per Brief seine Bewunderung mit, was Letzterem natürlich außerordentlich schmeichelte. Negative Kritik erntete das Buch vor allem von Vertretern der älteren Generation, die mit Huxleys satirischem Ansatz wenig anfangen konnten und den Autor für überheblich und böswillig hielten. Aber auch Aldous’ Schwester Margaret beklagte die Einstellung ihres Bruders dem Leben gegenüber als lieblos – eine Anschuldigung, der er mit dem Hinweis auf seine grundsätzlich offene und ehrliche Sicht der Dinge begegnete. Und noch ein weiterer Punkt sorgte für Aufsehen und einigen Missmut: Da Aldous ganz im Sinne des Empirismus das persönliche Erleben und Erfahren (experience) zum Ausgangspunkt seines literarischen Schaffens machte, war es für ihn selbstverständlich, typische Charakter-, Denk- und Verhaltenseigenschaften, die er bei anderen oder sich selbst beobachtete, aufzunehmen und in seinen Figuren zu verarbeiten. Damit setzte er sich fast zwangsläufig dem Vorwurf aus, real existierende Personen diffamieren zu wollen, was er zwar vehement, aber mehr oder weniger erfolglos abstritt. Eine Gesellschaft auf dem Lande wurde wie die folgenden Romane nicht zuletzt als Schlüsseltext gelesen, und die Identifizierung der Charaktere mit lebenden Personen nahm in der Rezeption breiten Raum ein. Zwar reagierte Huxleys Umfeld in den meisten Fällen gelassen und amüsiert – ver87

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Lady Ottoline ­Morrell (ca. 1912), die Gastgeberin in Garsington

einzelt aber brodelte es. Lady Ottoline Morrell etwa erkannte in dem Landsitz Crome unschwer Garsington Manor wieder und in dessen überdrehter Inhaberin sich selbst; sie war darüber derart erbost, dass sie Aldous schriftlich ihre herbe Enttäuschung mitteilte und ihm für geraume Zeit die Freundschaft aufkündigte. Bereits kurz nach Erscheinen des Romans wurde Aldous auf Vorschlag seines Vaters und Walter Raleighs zum Mitglied des ehrwürdigen Londoner Athenaeum Club gewählt, in dem sich die künstlerische und wissenschaftliche Elite des Landes traf. Aldous genoss die intellektuelle Atmosphäre in dem Club sehr, und er hielt sich bald mit Vorliebe dort auf. Die journalistische Arbeit für Condé Nast gestaltete sich trotz des vielen Schreibens und der Mannigfaltigkeit der Themen insgesamt entspannter als vorher. Auch bereiteten Huxley die Besuche von 88

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Musikaufführungen für die Westminster Gazette meist deutlich mehr Vergnügen als die zurückliegenden Theaterbesuche. Begleitet wurde er seit dem Frühjahr 1922 des Öfteren von Marias Schwester Suzanne, die für einige Monate bei den Huxleys wohnte, um sich in der Großstadt künstlerisch zu orientieren (sie wurde schließlich Bildhauerin). Nach wie vor legte Aldous in Gesellschaft enormen Wert auf feine, maßgeschneiderte Kleidung, und seine recht dandyhafte Erscheinung wurde von einem großen schwarzen Hut mit breiter Krempe gekrönt, der fast wie ein Sombrero wirkte. Seine Körpergröße tat ein Übriges, und so stach er unverkennbar und erhaben aus der Menge hervor. An Abenden, die er zu Hause verbringen konnte, wurden nun häufig Freunde und Bekannte zum Essen eingeladen. Zu den regelmäßigen Gästen zählten die Sitwells, Mary Hutchinson und ihr Mann Jack, der Wissenschafts- und Literaturjournalist J. W. N. Sullivan, der Maler Mark Gertler und Tommy Earp. Die Tatsache, dass Aldous seine Gäste anschließend gerne zu Fuß nach Hause begleitete, sorgte bei Maria wegen der weiterhin stark eingeschränkten Sehfähigkeit ihres Mannes immer wieder für Unwohlsein. Sie zog es ohnehin vor, wenn sie abends mit ihm allein sein konnte, um mit ihm die neuesten Begebenheiten auszutauschen und ausgiebig zu lauter Grammofonmusik zu tanzen. Noch im Mai 1922 brachte Chatto & Windus Huxleys zweite Sammlung von Prosatexten, Mortal Coils, heraus, die sich im Gefolge von Eine Gesellschaft auf dem Lande schon deutlich besser verkaufte als Limbo. Zum ersten Mal hatte Aldous eine literarische Anspielung als Werktitel ausgewählt – hier auf Hamlets berühmten Monolog –, was in Zukunft fast zur Regel wurde. Mortal Coils enthielt die Farce »Permutations Among the Nightingales« sowie vier Kurzgeschichten, darunter auch seine bekannteste, »The Gioconda Smile« (dt. »Das Lächeln der Gioconda«). Die schon im Jahr zuvor in der English Review erschienene Kriminalgeschichte basierte auf einem aktuellen Fall, war aber in typischer Manier satirisch verfremdet. »The Gioconda Smile« blieb Huxley derart im Gedächtnis, dass er die Geschichte über zwanzig Jahre später (wenn auch mit deutlichen Veränderungen) für die Holly­wood-Filmindustrie in ein 89

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Drehbuch verwandelte. Der Film erschien 1948 unter dem Titel A Woman’s Vengeance (dt. Qualen der Liebe) mit Charles Boyer, Ann Blyth und Jessica Tandy in den Hauptrollen. Im selben Jahr wurde zudem eine Bühnenversion von »The Gioconda Smile« veröffentlicht, und das Stück lief in London immerhin neun Monate lang. Im Sommer 1922 verließ zunächst Ella Salkowski mit Matthew London, um ihre Familie in Königsberg zu besuchen und anschließend nach Forte dei Marmi zu reisen, wo die beiden auf Matthews Eltern warteten. Dann machte sich Maria mit Zwischenstationen in Saint-Trond und Paris auf den Weg nach Süden, während Aldous und Suzanne noch in Westbourne Terrace die Stellung hielten. Gesellschaft leistete ihnen dabei eine siamesische Katze, die Aldous ursprünglich angeschafft hatte, um der Ungezieferplage in seiner Wohnung Herr zu werden. Sie war für ihn in kürzester Zeit zu einer anhänglichen Gefährtin geworden, die sich im Arbeitszimmer sogar gewohnheitsmäßig auf seine Schulter setzte, um ihm bei der Arbeit zuzusehen. Schließlich begab sich im August auch Aldous samt Katze auf die Reise, und Suzanne, die in London gerade einen Kunstkurs absolvierte, blieb allein zurück. Auf halber Strecke traf Aldous sich mit Maria, und die beiden fuhren nach Salzburg, wo sie auf Kosten der Westminster Gazette die jährlichen Festspiele besuchten, über die Aldous eine Reihe von Artikeln verfasste. Auch in Wien hielten sie sich für kurze Zeit auf, wo sie entsetzt über das fortwährende Nachkriegselend waren. In Italien erlebten sie zum ersten Mal Venedig, eine Stadt, die Aldous zutiefst beeindruckte, dann führte sie der Weg in Richtung Forte dei Marmi über Padua und Bologna. Am Ziel angelangt, trafen sie Matthew und Ella wohlbehalten an und genossen mit ihnen einen dreiwöchigen Familienurlaub voller Entspannung und Sorglosigkeit. Mitte September kehrte Aldous nach London zurück; Maria, Matthew und Ella machten noch einen Zwischenstopp in Belgien. Es dürfte wohl etwa in dieser Zeit gewesen sein, dass Huxley sich in London Hals über Kopf in Nancy Cunard verliebte, die er seit Jahren kannte. Cunard, die aus sehr vermögendem Hause stammte, sich in ihrem Lebensstil aber drastisch davon distanzierte, war eine 90

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der bekanntesten Exzentrikerinnen der Londoner und später Pariser Szene. Neben ihrer literarischen Arbeit engagierte sie sich politisch und trat für den Feminismus, den Kommunismus und gegen Rassismus ein. Sie mochte Aldous’ clevere Gesellschaft, aber seine Avancen erwiderte sie kaum, denn er war ihr zu zurückhaltend und nicht exzessiv genug. Die Affäre blieb deshalb mehr oder weniger einseitig. Maria reagierte auf die starken Sehnsüchte, das anstrengende Verhalten und die zunehmenden Abwesenheiten ihres Mannes zunächst höchst tolerant. Sie hatte bereits in Garsington die »modernen« Formen des Zusammenlebens kennengelernt, und ihre heutzutage unbestrittenen bisexuellen Neigungen förderten ihre Offenheit ohne Zweifel. Es heißt sogar, sie habe ihn in seinem Vorgehen aktiv unterstützt, um ihn aus seiner isolierten Intellektualität herauszulocken und ihm intensivere Kontakte zur Lebenswelt zu ermöglichen. Dies ist umso bemerkenswerter, da Aldous etwa gleichzeitig anscheinend noch eine weitere Beziehung einging, nämlich mit Mary Hutchinson. (Dies belegen einige erstmals veröffentlichte Briefe.) Doch auch dieses Verhältnis wurde von Maria offenbar geduldet und – vielleicht auch im eigenen Interesse – gefördert. Ein deutliches Indiz für Huxleys gestiegene Popularität war der Umstand, dass der renommierte Maler und Zeichner William Rothen­stein ihn im Oktober 1922 bat, für ein Porträt Modell zu sitzen. (Die Zeichnung erschien 1923 in Rothensteins Buch Twenty-Four Portraits: Second Series.) Zu diesem Zeitpunkt suchte er für sich und seine Familie eine akzeptablere Unterkunft in London und fand sie schließlich in Princes Gardens in Kensington, wohin die Huxleys Anfang 1923 zogen. Am 8.  Januar unterschrieb Aldous dann einen Vertrag mit Chatto & Windus, der ihm endlich die langersehnte Freiheit als Schriftsteller bot. In diesem auf drei Jahre befristeten Vertrag wurde ihm ein jährliches Einkommen von 500 Pfund zugesichert. Im Gegenzug verpflichtete er sich, jedes Jahr zwei Bücher mit Erzählliteratur zu verfassen, von denen jeweils eines ein Roman zu sein hatte. Die fertigen Manuskripte mussten im Juli und im Januar eingereicht werden. Nach Vertragserfüllung bestand die Möglichkeit einer Erneuerung. Zwar sah sich Huxley bis in den 91

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Frühling mit seinen Verpflichtungen für Condé Nast und die Westminster Gazette konfrontiert, aber bereits im Februar konnte er euphorisch festhalten: »Nach April werde ich schreiben können, was ich möchte« (Letters, S. 211). Dies bedeutete gleichwohl nicht, dass er von da an auf weitere Beiträge zu den verschiedensten Zeitschriften verzichtete. Ganz im Gegenteil: In den kommenden Jahren schrieb er weiterhin regelmäßig vor allem für Vogue und Vanity Fair, denn mit seinen fiktionalen und essayistischen Texten nahm er dort einen guten Zusatzverdienst ein. Noch im April gönnte sich Aldous einen Kurzurlaub mit Maria in Florenz. Zwischendurch veröffentliche Chatto & Windus seinen ersten Essayband, On the Margin. Es handelte sich um eine lockere Sammlung von zuvor in verschiedenen Zeitschriften erschienenen Texten, die Huxleys souveränen Umgang mit dem Genre demonstrierten, das ihm mehr und mehr ans Herz wuchs. Inhaltlich boten die Essays eine breite Palette von Themen, die den Autor in den letzten Jahren beschäftigt hatten. So setzte er sich mit wichtigen Personen der englischen Literaturgeschichte (Chaucer, Ben Jonson, Wordsworth, Shelley) auseinander und widmete sich dem architektonischen Genie Christopher Wrens. Außerdem kritisierte er die moderne Unterhaltungsindustrie, die mit ihrer Musik und ihren Filmen den Menschen nur noch zu berieseln und einzulullen versuche. In »Subject-Matter of Poetry« (dt. »Der Gegenstand der Poesie«) beharrte er darauf, dass die Literatur nicht um ihrer selbst willen existiere, sondern die wichtige Aufgabe habe, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen und im Idealfall auch das Wissen und Denken der Zeit aufzunehmen. »Accidie« (dt. »Acedia«) behandelte die einstmals als Todsünde aufgefasste, jetzt aber fast ehrenwerte Weltmüdigkeit, welche den »modernen« Menschen aufgrund der philosophischen Entwicklungen und der Kriegserfahrungen geradezu schicksalhaft ereilt habe. Und in »Water Music« präsentierte Huxley den frühesten Umriss seiner Weltanschauung. Der nachts im Bett liegende Autor lauscht dem Geräusch unregelmäßig von der Dach­ traufe auf die Kellertreppe fallender Wassertropfen und versucht vergeblich, der Zusammenhanglosigkeit und Disharmonie eine 92

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Ordnung, einen Sinn zu entnehmen. Die fragmentierte und kakophone »Wassermusik« wird für ihn zum Symbol der gesamten gegenwärtigen Welt, die er als unverständlich und chaotisch wahrnimmt. Ende Mai hatte Aldous im Rahmen seiner Vertragserfüllung noch keine einzige neue Zeile verfasst. Dies lag nicht zuletzt daran, dass ihn sein frustrierendes Werben um die Gunst Nancy Cunards mehr und mehr beanspruchte und auch schwächte. Die permanenten langen Nächte in Bars und Kneipen im Gefolge Cunards laugten ihn aus und machten ihn krank, und seine weitgehend erfolglosen Annäherungsversuche zerrten an seinem Gemüt. Maria war zusehends besorgt und verärgert; ihre enorme Geduld näherte sich dem Ende. Dann setzte sie ihrem Mann ein unvermitteltes Ultimatum: Am nächsten Morgen würde sie England auf Dauer in Richtung Italien verlassen – mit ihm oder ohne ihn. In aller Hast packte sie das Nötigste zusammen und veranlasste Nachsendungen, während Aldous ihr zuschaute und zögerlich mithalf. Letztlich begleitete er sie und setzte damit einen abrupten Schlussstrich unter das Kapitel Nancy Cunard. Anfang Juni befanden sich die Huxleys also wieder bei den Fasolas in Forte dei Marmi, wo Aldous seinen zweiten Roman, Antic Hay (dt. Narrenreigen), schrieb – erneut in etwa zwei Monaten. Er verzichtete diesmal auf die Landhausatmosphäre und siedelte das Geschehen im Londoner Großstadtleben an, wo er seine Figuren ihren absurden, hoffnungs- und erfolglosen Bemühungen nachgehen ließ. Für den Titel bediente er sich bei dem Renaissancedramatiker Christopher Marlowe. Am Prinzip des Ideenromans und an der Typenhaftigkeit der Charaktere hielt er strikt fest. In der Figur der Myra Viveash tauchte jetzt auch der Typus der verführerischen, aber gelangweilten, unzufriedenen und kalten Femme fatale auf, ganz so, als wollte sich Huxley seine Enttäuschung über Nancy Cunard von der Seele schreiben. Die Hauptfigur, Theodore Gumbril Junior, seines Zeichens master an einer public school, trägt wieder unverkennbar Züge des Autors. Der Ton des Romans erscheint bitterer und zynischer als der des Vorgängers; Huxley war am Tiefpunkt seiner negativen Weltsicht angelangt. 93

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Nachdem er das Typoskript Ende Juli nach London geschickt hatte, reisten die Huxleys nach Saint-Trond. Aldous lernte Suzannes Verlobten, den holländischen Juristen und Maler Joep Nicolas, kennen, mit dem er sich ausgezeichnet verstand. Aber es ging ihm schon seit ein paar Tagen nicht besonders gut. Die lang anhaltende Hitze setzte ihm zu, und Anzeichen einer leichten Gelbsucht machten sich breit. Daher entschied er sich schon bald, mit seiner Familie nach Italien zurückzukehren. In Mailand wartete etwas gänzlich Neues auf sie. Maria hatte in der Zwischenzeit den Autoführerschein erworben, und Aldous hatte alle Ersparnisse zusammengekratzt, um die Anschaffung eines Automobils zu ermöglichen. Es handelte sich um einen Citroën-Viersitzer, und die Huxleys waren sogleich hingerissen von der sich ihnen nun eröffnenden Unabhängigkeit. Über Modena und Lucca gelangten sie nach Forte dei Marmi, wo sie einige Ferientage verbrachten und Aldous sich erholen konnte. Dann besuchten sie Florenz, Volterra und Siena, wo sie sich den Palio, das berühmte halsbrecherische Pferderennen um den Rathausplatz, ansahen. Anschließend fuhren sie zurück nach Florenz und bezogen hoch über der Stadt ihr für einen längeren Zeitraum gemietetes neues Domizil, das Castel Montici, in dem Maria bereits mit ihrer Mutter und den Schwestern einen Teil der Kriegsjahre verbracht hatte. Das Castel war eher hässlich und ermöglichte keine luxuriöse Lebensführung, aber es bot enorm viel Raum und eine grandiose Aussicht. Für Aldous stellte es just den Rückzugsort dar, den er brauchte, um sich in Ruhe seinem literarischen Schaffen zu widmen. Ganz entspannt konnte er nun sein nächstes Projekt in Angriff nehmen, eine weitere Sammlung von Kurzgeschichten. Von den beiden wichtigsten dieser Texte, dem in Belgien angesiedelten »Uncle Spencer« sowie der rührend-tragischen Geschichte »Young Archimedes« (dt. »Der junge Archimedes«), die von einem aus einfachen Verhältnissen stammenden musikalisch-mathematischen Wunderkind handelte, hatte er bereits klare Vorstellungen. Zu den zahlreichen britischen expatriates in Florenz hielten die Huxleys weiterhin eher Abstand, nur der erst kürzlich zugezogene schottische Schriftsteller Norman Douglas bildete eine Ausnahme. 94

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Das nun sehr viel komfortablere Reisen mit dem Auto wurde für Aldous und Maria ein begeistert betriebenes Hobby. Nach einer kurzen Stippvisite in London im Oktober brachen sie im November zu einer weiteren Fahrt nach Rom auf, gönnten sich diesmal aber etliche Zwischenstopps, etwa in Chiusi, Orvieto, Montefiascone und Viterbo, um die wunderbare Landschaft, die Orte und die italienische Kunst zu genießen. Gleiches galt für die Rückfahrt via Tivoli, Frascati, Ostia, die Berge über dem Tibertal, Spoleto, Assisi und Perugia. Es war fast exakt dieselbe Reiseroute, die Aldous in seinem nächsten Roman, Parallelen der Liebe, beschreiben sollte. Ebenfalls im November erschien zunächst aber Narrenreigen, und die Verkäufe gingen im Vergleich zu Eine Gesellschaft auf dem Lande schnell deutlich in die Höhe. Mit seiner »brutalen Ehrlichkeit, seinem Ikonoklasmus, seinem Skeptizismus« (Bedford, S. 144) erlangte Huxley für die jüngeren Intellektuellen jetzt den Status, der ihn, mit den Worten des Philosophen Isaiah Berlin, »einer der großen Kulturheroen unserer Jugendzeit« (Gedächtnis, S. 140) werden ließ. Demgegenüber beanstandeten die negativen Rezensionen erwartungsgemäß den bissig-ironischen Ton des Romans und seine nihilistische Ausrichtung. In den USA drohte zunächst sogar die Gefahr eines Publikationsverbots wegen angeblich pornografischer Inhalte. Im Frühjahr 1924 forderte auch der Bischof von London eine »bereinigte« Version des Romans, blieb aber erfolglos. Am meisten jedoch beschäftigte Aldous die aus der eigenen Familie kommende Kritik. Leonard Huxley beklagte ebenfalls den Pessimismus seines Sohnes, und er äußerte sich verärgert über Passagen, die er für allzu biografisch hielt, insbesondere Gumbril Juniors ausführliche Erinnerungen an den frühen und qualvollen Tod der Mutter. Aldous verteidigte sich, indem er seinen Wahrheitsanspruch geltend machte und sich darauf berief, einer Generation anzugehören, »die den brachialen Verfall fast aller Standards, Konventionen und Werte, die in der vorherigen Epoche galten« (Letters, S. 224), erlebt habe. Er bezeichnete Narrenreigen sogar ausdrücklich als »ein sehr ernsthaftes Buch […], in dem all die normalerweise getrennten Kategorien – das Tragische, Komische, Fantastische, Realistische – sozusagen chemisch 95

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zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen sind« (Letters, S. 224). Damit gab er frühen Aufschluss über seinen bewusst inklusiven Literaturansatz. In dem bitterkalten und im Castel Montici ziemlich ungemütlichen Winter 1923/24 vervollständigte Aldous seine neue Sammlung von Kurzgeschichten, Little Mexican, die im Februar fertig wurde. Ein ständiger Gast war zu dieser Zeit sein Freund J. W. N. Sullivan, den er bereits in Garsington als Fachmann für das moderne wissenschaftliche Denken, vor allem die Relativitätstheorie Albert Einsteins, kennengelernt hatte. Die vielen Gespräche mit Sullivan, der gerade sein Buch Aspects of Science veröffentlicht hatte, festigten Huxleys Überzeugung, dass auch das wissenschaftliche Verfahren keine absolut objektive Erkenntnis ermöglichte. Vielmehr schienen die neuen Forschungen eher zu demonstrieren, dass sich die Welt zusehends der rationalen Entschlüsselung durch den Menschen entzog. Daraus jedoch ergab sich für Aldous ein ganz neuer, spannender Blickwinkel, der einer Wiederentdeckung des Geheimnisvollen gleichkam. Zum ersten Mal reagierte er jetzt – wenn auch versuchsweise und noch wenig ausformuliert – auf seine Sehnsucht, den lähmenden Zustand einer negativen, bodenlosen Weltsicht zu überwinden. Wenn der wissenschaftliche Ordnungsansatz in seine Grenzen gewiesen worden war, dann bedeutete dies eine Aufwertung des irrationalen, gefühlsmäßigen Einheitserlebens, wie es in der langen Tradition der mystischen Erfahrung immer wieder beispielhaft zum Ausdruck gekommen war. Die Mystik hatte Aldous von jeher fasziniert, weil sie das unmittelbare Erleben in den Mittelpunkt rückte und daher empirischen Charakter hatte. »Man kann der Mystik nicht entgehen; sie drängt sich einem, als die einzige Möglichkeit, geradezu auf« (Letters, S. 88), hatte er bereits 1915 an Julian geschrieben und ihm wenig später die Auseinandersetzung mit den Schriften zweier wichtiger westlicher Vertreter empfohlen: »[William] Blake fortwährend, mit Jacob Behmen [Jakob Böhme] als Grundlage; das wird deine religiöse Einstellung aufrechterhalten, deren Bedeutung ich nicht genug betonen kann« (Letters, S. 96). Vielleicht bot die 96

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mystische Erfahrung, die die Ungereimtheiten der Welt nicht ausschloss, sondern sie auf einer höheren, spirituellen Ebene aufhob, Huxley tatsächlich den entscheidenden Zugang, um seinem weltanschaulichen Dilemma zu begegnen. In »Uncle Spencer« hielt er jedenfalls ausdrücklich fest, dass es für einen Wissenschaftler jetzt nicht nur möglich, sondern fast unabdingbar sei, sich auch als Mystiker zu verstehen. Obwohl er im Frühling 1924 ganz im Sinne der Erfüllung seines Vertrages mit Chatto & Windus bereits sein nächstes Projekt, einen weiteren Roman, ins Auge fasste, begab sich Aldous mit Maria zunächst auf eine ausgedehnte Autotour durch Norditalien. Sie überquerten den Apennin, wo sie kurzzeitig im Schnee stecken blieben, und fuhren dann weiter nach Bologna, Parma, Mantua, Padua und Venedig. Wie üblich nutzten sie die Stationen insbesondere dazu, sich an der italienischen Kunst und Architektur zu erfreuen. In Aldous reifte jetzt der Plan, einen Band mit Reiseessays zu veröffentlichen, in dem es um beeindruckende Orte, kunstkritische Beobachtungen und kulturell-philosophische Reflexionen gehen sollte. Den Rückweg nahmen die Huxleys über Ferrara, Ravenna und erneut Bologna. Kaum wieder in Florenz eingetroffen, machte sich Maria im April auf die Reise nach Saint-Trond, um der Hochzeit ihrer Schwester Suzanne beizuwohnen. Aldous begann derweil, seinen neuen Roman zu entwerfen. Der Einstieg erwies sich diesmal als schwieriger und bedurfte mehrerer Anläufe, obwohl wichtige Aspekte des Buches schnell feststanden. Den Ort des Geschehens bildete die gut vertraute italienische Landschaft. Bei den Charakteren handelte es sich um satirisch überzeichnete englische expatri­ ates, die in der Residenz der absonderlichen Lady Aldwinkle zusammenkamen. Dem Ideenroman fühlte sich Aldous weiter zutiefst verbunden. Sein Ziel war »eine Diskussion und fiktionale Illustration verschiedener Lebenshaltungen. Das bloße Erzählen einer Geschichte interessiert mich immer weniger. […] Die einzig wirklich und dauerhaft fesselnden Dinge sind Einstellungen zum Leben und das Verhältnis des Menschen zur Welt.« (Letters, S. 228)

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Suzanne und ihr Mann Joep verbrachten ihre Flitterwochen im Anschluss an die Hochzeit in Norditalien und nutzten die Reise auch für einen ausgedehnten Aufenthalt bei den Huxleys. Währenddessen erschien Little Mexican und erhielt ähnlich positive Kritiken wie Mortal Coils. Zudem veröffentlichte Chatto & Windus ein bereits seit längerer Zeit fertiggestelltes Nebenprojekt Huxleys: seine moderne, für eine zeitgemäße Neuaufführung geschriebene Adaptation von The Discovery (1763), der bekannten Komödie der irischen Schriftstellerin Frances Sheridan. Eine baldige Produktion unter der Leitung des Schaupielers und Theatermanagers Nigel Playfair im Londoner »300 Club« war bereits vereinbart worden. Gegen Ende ihres Besuches luden Aldous und Maria Joep und Suzanne zu einer entspannten, kunsthistorisch orientierten Romfahrt ein. Anschließend schrieb Aldous in Forte dei Marmi in aller Ruhe und sehr diszipliniert an seinem Roman weiter, der bis Ende Juli solche Fortschritte gemacht hatte, dass sich ein Abschluss abzeichnete. Die letzten Kapitel verfasste er im August in dem französischen Alpenort ­ ­Ambérieu, wo er mit Maria während einer längst geplanten Reise nach England zehn Tage lang festsaß. Sintflutartiger Regen und plötzlich einsetzende Kälte verhinderten eine Weiterfahrt mit dem Citroën über die Alpen. Anfang September trafen die Huxleys in London ein und kamen dort bei Bekannten in Chelsea unter. Aldous nutzte die nächsten Wochen, um seinen Geschäften nachzugehen, sich in Bibliotheken aufzuhalten, Ärzte zu konsultieren sowie Verwandte und Freunde zu treffen. Vor allem suchte er die Nähe zu Mary Hutchinson, mit der er von Florenz aus in regem Briefkontakt gestanden hatte. Doch zu seiner Frustration betrachtete ihn Mary eher als Freund denn als Liebhaber. Die Rückfahrt führte Maria und ihn zunächst nach Holland, wo die beiden sich bei Suzanne und Joep in Groet einquartierten, einem kleinen, nördlich von Alkmaar gelegenen Ort. Von dort aus unternahmen sie Touren durch die holländische Landschaft, deren schier endlose Ebenheit Aldous tief beeindruckte. Danach ging es quer durch Belgien nach Paris und von dort aus über ­Chartres, Orléans und Lyon nach Süden in die Provence, in deren angenehm 98

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mediterranes Klima sich die Huxleys sofort verliebten. Via Orange, Avignon, Marseille, Cannes und Nizza gelangten sie nach Genua und kehrten Anfang Oktober zurück nach Florenz. Maria hatte sich als ausgezeichnete und ausdauernde Autofahrerin erwiesen. Trotz der teilweise mehr als bedenklichen Straßenverhältnisse war es zu keinerlei nennenswerten Unterbrechungen gekommen. Im Castel Montici machte sich Aldous nun rasch an seinen geplanten Band mit Reiseessays, für den ihm schon früh der Titel Along the Road einfiel. Dass er an mehr als der bloßen Wiedergabe von Reiseeindrücken interessiert war, teilte er dem neuen Cheflektor bei Chatto & Windus, Charles Prentice, in einem Brief mit: »Das zentrale Thema wird das Reisen sein; aber ich beabsichtige, es als Vorwand für eine Vielzahl geistiger Exkursionen zu nehmen« (zit. in Murray, S. 166). Während Maria und Aldous das Leben in Italien weiterhin sehr genossen, fanden sie an Florenz selbst und ihrer Unterkunft zunehmend weniger Gefallen. Aldous empfand die klimatischen Bedingungen in der kälteren Jahreszeit sowie die nur schleppende Versorgung mit Wasser und Wärme als Belastung. Maria störten die endlosen Besuche in ihrem Haus, und beiden war die große Kolonie der in Florenz ansässigen Briten ein Graus. Sie wünschten sich eine entlegenere und gleichzeitig durchgehend wärmere Umgebung in Italien, zumindest bis Matthew seine Schullaufbahn beginnen würde. Am Monte Circeo, etwa einhundert Kilometer südlich von Rom gelegen, sahen sie sich im November ein Haus an, das sie sogleich begeisterte. Auch die artenreiche Fauna der dortigen Landspitze faszinierte Aldous. Er zeigte sich in seinen Briefen sehr zuversichtlich, im Frühjahr 1925 mit seiner Familie dorthin umziehen zu können. Leider jedoch kam der Plan kurzfristig zum Erliegen. Bald nach der Fertigstellung von Along the Road erschien Ende Januar Those Barren Leaves (dt. Parallelen der Liebe), Huxleys dritter Roman innerhalb von knapp drei Jahren. Die Verkaufszahlen sprachen für sich und übertrafen rasch sogar die von Narrenreigen. Den Titel hatte er diesmal William Wordsworths Gedicht »The Tables Turned« (1798; dt. »Den Spieß herumgedreht«) entlehnt. Darin for99

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derte der große romantische Dichter die Abkehr von einer vorschnellen geistigen Auseinandersetzung mit der Welt (den »trockenen Buchseiten« der Wissenschaft) zugunsten einer direkten, intuitiv-emotionalen Herangehensweise. Mit Blick auf seinen Roman hatte Aldous diesen Prozess bereits im Jahr zuvor in einem Brief an Robert Nichols als »das Unterhöhlen von allem durch eine Art hoffnungslosen Skeptizismus und dann wiederum dessen Untergrabung durch den mystischen Ansatz« (Letters, S. 234) beschrieben. Mit der Figur des Calamy, der zunächst als typisch selbstzentrierter Lebemann und Zyniker auftritt, sich dann aber mit seiner Weltsicht nicht mehr zufriedengibt, präsentierte er erstmals einen Charakter, der den philosophischen Engpass seines Zeitalters zu überwinden trachtete. Calamy wird sich im Laufe des Romans der geheimnisvollen Vielschichtigkeit des Daseins bewusst, die er der Schriftstellerin Mary Thriplow in einer legendären Passage verdeutlicht, in welcher er ihr die vielfältigen Existenzweisen der menschlichen Hand vor Augen führt. Er beschließt, sich auf einen Berg zurückzuziehen und sich der mystischen Kontemplation hinzugeben, um auf diesem Wege zu versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Seine skeptischen Gefährten Cardan und Chelifer verlachen ihn. Und in der Tat bleibt es bei Calamys Vorhaben – von einer Durchführung oder gar einem Erfolg seines Experiments ist am Ende keine Rede mehr. Offenbar hatte sich Huxley letztlich doch nicht dazu durchringen können, dem faszinierenden neuen Impuls ausschlaggebendes Gewicht zuzugestehen. Den Schlusspunkt setzt wieder der Zweifel. Gleichwohl demonstriert Parallelen wie kein anderes der zuvor erschienenen Werke Huxleys: Er hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dem Leben einen tieferen Sinn abzugewinnen, und war intensiv auf der Suche danach.

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Fragmentarisches Existieren: Reisen, Schreiben und Lob der Lebenslust (1925–1931) Weltreise Obwohl Huxley Parallelen der Liebe als seinen bis dahin besten Roman betrachtete, ging er im Nachhinein harsch mit sich selbst ins Gericht. Er war unzufrieden mit seiner geistigen Arbeit, bezeichnete sie als ein »Getue im intellektuellen Nichts« (Letters, S. 242) und wünschte sich sogar, eine Zeit lang mit dem Schreiben aufhören zu können, was natürlich nicht mit seinem bestehenden Vertrag mit Chatto & Windus zu vereinbaren war. In einer Epoche, die den Verfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts erlebt hatte und den Einzelnen immer mehr sich selbst überließ, schienen ihm Werte wie Liebe, Bescheidenheit und Vertrauen immer schwieriger zu leben. Die Konsequenz der Auflösungserscheinungen bestand für das Individuum fast notwendigerweise in einer »exzessiven Selbstbezogenheit« (Letters, S. 244). Diese Selbstbezogenheit praktisch zu überwinden, ohne sich dabei wie Calamy aus dem sozialen Leben zu verabschieden, sah Huxley nun als elementare Aufgabe des vereinzelten Menschen an, zumal er sich jetzt sicher war, dass die wissenschaftliche Erklärung der Welt den Wert ethischer und religiöser Erfahrungen nicht schmälern konnte. Im März 1925 holte er mit Maria eine Reise nach Tunesien nach, die eigentlich schon für das vorige Jahr geplant gewesen war. Beide genossen dort die Wärme und waren beeindruckt von den schönen Oasen in der Sahara. Aldous schrieb unterdessen an der langen Titelgeschichte seines nächsten Erzählbandes, »Two or Three Graces« (dt. »Zwei oder drei Grazien«). Zudem mussten sie sich Gedanken über ihren weiteren Aufenthalt machen. Ende Juni würde der Pachtver101

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trag in Florenz enden, und eventuell stünde ein Umzug nach Rom bevor. Doch bereits im Frühjahr reiften in ihnen Pläne, im Herbst eine ausgedehnte Reise nach Indien zu unternehmen. In deren Rahmen wollten Aldous und Maria auch den ehemaligen Herausgeber der Zeitschrift Coterie, Chaman Lall, besuchen, den Huxley aus seiner Studienzeit in Oxford kannte und der als Anwalt und Politiker in Lahore lebte. Doch im Juni machten die Huxleys zunächst unliebsame Bekanntschaft mit den italienischen Faschisten. Eines Morgens durchsuchten vier Polizisten unangekündigt und ohne schriftliche Befugnis ihr Haus. Sie waren auf der Suche nach dem florentinischen Geschichtsprofessor Gaetano Salvemini, der sich öffentlich gegen das Regime ausgesprochen hatte. Doch Aldous und Maria kannten den Professor gar nicht persönlich. Huxley war erbost über die rüden Methoden der Faschisten und drohte damit, den britischen Botschafter einzuschalten. Der Vorfall bestärkte ihn in seinem Entschluss, Italien für die nächste Zeit den Rücken zu kehren. Als am Ende des Monats alle Habseligkeiten verpackt worden waren und die Familie das Castel Montici endgültig geräumt hatte, begaben sich die Huxleys mit dem Auto auf den Weg nach SaintTrond. Dort wurde Matthew in die Obhut seiner belgischen Großeltern gegeben, und ein paar Tage später fuhren Maria und Aldous ohne ihn weiter nach London. Ihre ursprüngliche Idee, ausschließlich Indien zu bereisen, erweiterte sich bald ganz erheblich. Aldous gelang es, mit der Londoner Zeitschrift The Nation and Athenaeum und dem New Yorker Magazin The Bookman eine lange Reihe von Artikeln unter der Überschrift »Diary of an Eastward Journey« zu vereinbaren, die außerdem bei Chatto & Windus als Reisetagebuch mit dem Titel Jesting Pilate erscheinen sollten. Nach Indien standen nun noch verschiedene Stationen in Südostasien auf dem Programm, danach sollten Shanghai, Hongkong, Japan sowie eine ausgedehnte Zugfahrt quer durch die USA von San Francisco und Los Angeles bis nach New York folgen. Die gesamte Reise gestaltete sich zu einer neunmonatigen tour du monde. Selbstverständlich erhoffte sich Huxley auch in weltanschaulicher Hinsicht frische Einflüsse und Inspirationen. 102

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Die nächsten Wochen verbrachte er zusammen mit Maria in London damit, den Verlauf der Reise genauer festzulegen, Passagen zu buchen, Besuche zu organisieren, sich medizinisch vorzubereiten und notwendige Reiseutensilien zu besorgen. Daneben tauchten die beiden wieder in das gesellschaftliche Leben der Stadt ein, trafen Verwandte oder Freunde und intensivierten ihre Kontakte zu Mary Hutchinson, die für beide weiterhin eine magische Anziehungskraft besaß. Ende Juli fuhren sie über Paris zurück nach Saint-Trond, wo sie die letzten Wochen vor ihrer langen Abwesenheit mit Matthew verbrachten. Maria fiel es sehr schwer, ihren fünfjährigen Sohn bei den Großeltern zurückzulassen. (Als sie später in Indien von einer Erkrankung Matthews erfuhr, wäre sie am liebsten sofort wieder umgekehrt.) Aldous gelang es in dieser Zeit, Two or Three Graces weitgehend fertigzustellen. Am 15. September stachen die Huxleys von Genua aus in See: Das Abenteuer hatte begonnen. Kurz nach der Abfahrt erschien Along the Road, Aldous’ erste Sammlung von Reiseessays, die ihn als begeisterten Touristen zeigt, der sich gleichwohl der oftmals spürbaren Prätentionen des Reisenden bewusst ist und sich darüber lustig macht. Er liebte die Natur und die unterschiedlichen Landschaftsformen, begegnete aber genauso enthusiastisch den von Menschen geschaffenen Kunstwerken. Bei der Beschreibung von Gemälden demonstrierte er eine tiefgreifende kunsthistorische Sachkenntnis und offenbarte eine intensive Auffassungsgabe: Meist näherte sich Aldous dem Kunstwerk mit einer großen Lupe bis auf wenige Zentimeter. Der bedeutende Kunsthistoriker und Museumsdirektor Kenneth Clark erklärte sogar, dass Huxley »in den Jahren zwischen den beiden Kriegen einer der großen Wieder­ entdecker war. Ganz unbewusst und unbeabsichtigt hatte er beträchtlichen Einfluss auf den Geschmack seiner Zeit. Breughel, Callot, Piranesi, Goya, Caravaggio – wir denken jetzt anders über sie.« (Gedächtnis, S. 14)

Dabei ging es Aldous keineswegs vorrangig um formale Kriterien. In »The Best Picture« (dt. »Das beste Bild«), einem Essay über Die Auferstehung Christi des Frührenaissancemalers Piero della Francesca, 103

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Piero della Francesca: Die Auferstehung Christi (um 1460). Huxleys Aufsatz „Das beste Bild“ bewahrte das Fresko im 2. Weltkrieg vor der Zerstörung durch britische Truppen

spricht er von einem »absoluten Standard künstlerischer Leistung. Und dieser Standard ist letztlich ein moralischer. Ob ein Kunstwerk gut oder schlecht ist, hängt ganz und gar von dem Eigencharakter ab, der sich darin ausdrückt« (Essays, II, S. 182). Andere Essays in Along the Road lassen das Reiseerleben zugunsten eines assoziativen Verfahrens, wie es für Huxleys inklusiven 104

Weltreise

Ansatz charakteristisch ist, in den Hintergrund treten. In »A Night at Pietramala« (dt. »Eine Nacht in Pietramala«) fühlt sich der Reisende, dessen Lieblingslektüre ohnehin in den einzelnen Bänden der Encyclopaedia Britannica besteht, plötzlich an die Vorzüge wissenschaftlicher Arbeit, deren Abgeschiedenheit, klare Zielrichtung und Rationalität, erinnert. Viel diffuser und unbefriedigender erscheint ihm im Vergleich dazu die kreative Tätigkeit des Schriftstellers. Er gelangt zu dem Schluss, dass er selbst dann, wenn er mit der genialen Begabung eines Shakespeare geboren worden wäre, die Tätigkeit und das Leben eines Faraday bevorzugen würde. Ausgesprochen treu blieb Huxley im Übrigen seiner bereits in On the Margin vorgebrachten Kritik an der populären Massenkunst, die dem bloßen Unterhaltungsbedürfnis des unkritischen Konsumenten entgegenkommt, geistigen Anspruch durch übertriebene Emotionalität ersetzt und dabei auch niedere Instinkte zu befriedigen sucht. Am 2.  Oktober 1925 erreichten Aldous und Maria Bombay. Sie wurden dort als Berühmtheiten begrüßt und von Vertretern der britischen Kolonialherrschaft, von indischen Intellektuellen und Würdenträgern, Journalisten und Politikern empfangen. Dieses Erlebnis sollte sich im Laufe ihrer Reise regelmäßig wiederholen. Per Zug nach Norden erreichten sie Lahore, wo sie Chaman Lall trafen, und fuhren dann weiter nach Norden über Rawalpindi in die Grenzregion Kashmir. In Srinagar wohnten sie einen Monat lang in einem Bungalow, den ihnen Lall zur Verfügung gestellt hatte und von dem aus sie ausgiebige Touren in die Umgebung unternahmen und dabei Tempel und Gärten, aber auch das städtische Gefängnis und sogar die Psychiatrie besuchen konnten. Im Anschluss daran unternahmen die Huxleys eine mehrmonatige, äußerst anstrengende Zugreise durch das Inland, die sie zuerst über Taxila, Peshawar und erneut Lahore nach Amritsar führte. Es folgten Aufenthalte in der Region Rajputana, und die letzte große Etappe in Indien führte sie über Benares und Delhi bis nach Kalkutta. In Agra sahen sie sich eines der berühmtesten Bauwerke Indiens an, das Taj Mahal. Allerdings konnte Aldous mit der Architektur und der künstlerischen Ausarbeitung des Gebäudes nur wenig an105

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fangen und gab dem Mausoleum ein vernichtendes Urteil, welches die indischen Begleiter nachhaltig enttäuschte und empörte. Insgesamt hielt sich seine Begeisterung für die indische Kunst deutlich in Grenzen; sie erschien ihm oft qualitativ minderwertig und oberflächlich. In Cawnpore besuchten die Huxleys im Dezember als geladene Gäste den All India Congress der demokratischen Unabhängigkeitspartei und erlebten dort Auftritte der Politiker Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru. Während Aldous in seinen veröffentlichten Tagebucheinträgen eher Zurückhaltung übte, äußerte er sich in seinen Briefen recht überheblich und despektierlich über Gandhi, obwohl er sich selbst eindeutig für ein Ende der britischen Herrschaft in Indien aussprach. Er war der Auffassung, dass auch die Unabhängigkeit den Indern wenig nützen würde, um ihre grundsätzlichen Probleme wie die große Armut, das enorme soziale Gefälle, die mangelnde Hygiene oder das schwache Bildungssystem in den Griff zu bekommen. Sein Hauptanliegen bestand darin, die Weltabgewandtheit des religiösen Denkens der Inder zu kritisieren: »Meiner Ansicht nach ist die ›Spiritualität‹ […] der grundlegende Fluch, der über Indien lastet, und die Ursache all seines Unglücks. Es ist dieses Vertieftsein in ›spirituelle‹ Realitäten, die sich komplett von den tatsächlichen historischen Wirklichkeiten des alltäglichen Lebens unterscheiden, welches Abermillionen von Männern und Frauen über die Jahrhunderte dazu gebracht hat, sich mit einem Schicksal zufrieden zu geben, das eines Menschen unwürdig ist. Ein bisschen weniger Spiritualität und die Inder wären jetzt frei – frei von fremder Herrschaft und von der Tyrannei ihrer eigenen Vorurteile und Traditionen. Es gäbe weniger Schmutz und mehr Nahrung. Es gäbe weniger Maharajas mit Rolls-­ Royces und mehr Schulen.« (Jesting Pilate, S. 128)

Die Reise durch Indien, so faszinierend und voller freundschaftlicher Kontakte sie für Aldous und Maria auch war, konfrontierte die beiden schonungslos mit dem Elend des Subkontinents, und sie reagierten verständnislos und entsetzt darauf. Aldous nahm jetzt ausdrücklich Abstand von metaphysischen Spekulationen und konzentrierte sich auf das diesseitige Erleben, was sein Denken für die nächsten Jahre programmatisch steuern sollte. Provozierend forderte 106

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er eine Hinwendung zum »Materialismus«, worunter er allerdings nicht nur die sinnlich wahrnehmbare, äußere Realität verstand, sondern auch die ganze Tatsachenvielfalt der inneren Erfahrungen des Menschen. Verdeutlichend hielt er fest: »Wenn die Menschen die wirkliche Existenz von Werten bezweifelt haben, dann nur deshalb, weil sie nicht ihrer eigenen unmittelbaren und intuitiven Überzeugung gefolgt sind« (Jesting Pilate, S. 73). Kurz bevor sie im Februar 1926 Indien per Schiff in Richtung Südpazifik verließen, erlebten die Huxleys in Kalkutta noch einen besonderen Höhepunkt ihres Aufenthaltes. Sie besuchten dort das berühmte Bose Institut, wo ihnen der Gründer selbst, der indische Forscher Jagdish Chandra Bose, Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit des Instituts gewährte und ihnen in faszinierenden Experimenten die erstaunliche Sensitivität der Pflanzenwelt vor Augen führte. Über Burma, Britisch-Malaya, Singapur, Java und Borneo erreichten Aldous und Maria im März die Philippinen. Während dieser überwiegend an Bord verbrachten Reise entdeckte Aldous in der Schiffsbibliothek eine Ausgabe der Autobiografie Henry Fords, des amerikanischen Automobilgiganten und Mitbegründers der Fließbandfertigung. Fords Ideal bestand in der maximalen Produktivität des Arbeitsprozesses; er glorifizierte die Massenproduktion und eine entsprechende Konsumhaltung des Verbrauchers. Diese Ideen befremdeten Huxley nachhaltig, sodass er sie ein paar Jahre später zu einem wichtigen Fundament seiner satirischen Antiutopie Schöne neue Welt machen sollte. Am 7.  April brachen die Huxleys von Manila aus auf einem Ozean­dampfer Richtung Nordamerika auf. Kurze Aufenthalte in China und Japan fanden bei ihnen wenig Anklang. Anfang Mai erreichten sie San Francisco, dann ging es mit dem Zug weiter nach Los Angeles. Auch in den USA wurde Aldous hofiert und gefeiert. Er war ein Prominenter, und die Journalisten rissen sich um ihn. Einer seiner Radioauftritte wurde gar von 43 Millionen Hörern empfangen. In Hollywood traf Aldous seinen langjährigen Freund, den englischen Dichter Robert Nichols, der vorübergehend dort wohnte, vor allem aber Weltstars wie Charlie Chaplin, seinen größten Film107

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helden. Ebenfalls begegnete ihm dort jedoch auch in komprimierter Form die ihm verhasste Oberflächlichkeit der Menschen, die in Konsum, Unterhaltung und bloßem Vergnügen ihre hauptsächliche Lebenserfüllung sahen. Niemals, so mutmaßte er, würde er sich in dieser Umgebung niederlassen können – ein klares Fehlurteil, wie sich später herausstellen sollte. Nach einem Abstecher in den Grand Canyon, wo sie sich Zeremonien der Hopi-Indianer anschauten, sowie einem Zwischenaufenthalt in Chicago verbrachten Aldous und Maria die letzten beiden Wochen ihrer Nordamerikareise in New York City. Erneut absolvierte Huxley einen Öffentlichkeitstermin nach dem anderen. Zudem nutzte er die Gelegenheit, die Schriftstellerin Anita Loos kennenzulernen, deren Buch Gentlemen Prefer Blondes (1925; dt. Blondinen bevorzugt) ihn begeisterte und der er aus Chicago einen wahren Verehrerbrief geschickt hatte. Die Zusammenkunft mit Loos initiierte eine intensive lebenslange Freundschaft. Darüber hinaus konnte Huxley endlich den geschätzten Journalisten und Schriftsteller Henry Louis Mencken treffen, mit dem er seit Jahren korrespondierte und zu dessen einflussreicher Literaturzeitschrift The Smart Set er bereits beigetragen hatte. Aber die endlose Hektik des Herumgereichtwerdens forderte ­ihren Tribut, und Aldous schrieb am 21. Mai 1926 an Mary Hutchinson, ohne eine gehörige Portion Stolz zu verhehlen: »Ich kann es kaum noch abwarten, in mein Heimatland zurückzukehren: Denn ich bin [hier] dermaßen damit beschäftigt, berühmt zu sein« (SL, S. 173). Ende Mai reisten die Huxleys zurück nach England, wo sie am 5. Juni in Plymouth andockten. Während Maria sich sofort auf den Weg nach Saint-Trond begab, um Matthew wiederzusehen, zog Aldous es vor, die nächsten Wochen in London zu verbringen. Er wollte dort seine Geschäfte regeln, sich den zahlreichen Freunden und Verwandten widmen und seine Beziehung zu Mary Hutchinson pflegen. Das weltanschauliche Ergebnis der langen, eindrucksvollen Weltreise formulierte er schließlich kurz und bündig und wenig überraschend: »Die Frucht von Wissen und Erfahrung ist im Allgemeinen der Zweifel« (Jesting Pilate, S. 287). 108

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D. H. Lawrence Bereits im Januar 1926 war der Dreijahresvertrag mit Chatto & Windus ausgelaufen – diese Tatsache dürfte der Hauptgrund für Huxleys unverzügliche Rückkehr nach London gewesen sein. Zwar hatte er die Vereinbarungen nicht in allen Punkten erfüllen können, aber das Verlagshaus war mit den insgesamt erzielten Verkaufsergebnissen derart zufrieden, dass einer Vertragserneuerung nichts im Wege stand. Die inzwischen veröffentlichte Kurzgeschichtensammlung Two or Three Graces erfreute sich wachsender Beliebtheit und konnte schon einen Monat nach ihrem Erscheinen nachgedruckt werden. Aber nicht nur als Verfasser von fiktionaler Literatur, sondern auch als Essayist stellte Aldous nun eine feste Größe dar, sodass Chatto & Windus für das kommende Weihnachtsfest die Herausgabe einer streng limitierten, als Liebhaberedition gedachten Anthologie mit dem Titel Essays New and Old plante. Am 7.  Juni unterzeichnete Huxley den neuen Vertrag. Die einzige, aber beachtliche Änderung in den Bedingungen bestand darin, dass sein jährliches Festeinkommen von 500 Pfund auf stolze 650 Pfund erhöht wurde. Tagsüber verweilte Huxley in dieser Zeit oft im Athenaeum Club, wo er sich mit Verwandten und Freunden verabredete, in Ruhe las und schrieb und über mögliche Projekte nachdachte. Mittags und abends ging er ausgiebig der Pflege seiner vielen sozialen Kontakte nach. So traf er unter anderem T. S. Eliot, Tommy Earp, J. W. N. Sullivan, die Sitwells, die Woolfs und die Hutchinsons wieder. Huxleys Briefe an Mary Hutchinson legen nahe, dass es darüber hinaus zu etlichen intimeren Begegnungen mit ihr kam. Im Juli besuchte Aldous auch nach längerer Zeit wieder die Morrells in Garsington, denn die schäumenden Wogen, die Eine Gesellschaft auf dem Lande verursacht hatte, schienen mittlerweile geglättet. Anfang August reiste Aldous nach Saint-Trond, wo er Maria und Matthew wohlbehalten vorfand. Allerdings hatten die Huxleys wegen der labilen Gesundheit ihres Sohnes eine klimatische Veränderung bereits fest ins Auge gefasst. Der Umzug in eine höher gelegene, trockenere Umgebung sollte Matthew guttun, und die Wahl war 109

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dabei auf den italienischen Wintersportort Cortina d’Ampezzo in den Dolomiten gefallen. Noch im August bezogen die Huxleys dort ihr neues Mietshaus, die Villa Ino Colli. Aldous gefiel die Abgeschiedenheit, die ihm die nötige Ruhe für seine Arbeit geben würde, zunächst sehr. Maria dagegen fühlte sich in Cortina nicht besonders wohl; der drohenden Isolation sowie den Bergen und der zunehmenden Kälte konnte sie nur wenig abgewinnen. Matthew aber kam das Höhenklima perfekt entgegen, und sein allgemeiner Zustand machte rasch große Fortschritte. Auch mit seiner neuen Erzieherin verstand er sich blendend; die ausgezeichnet ausgebildete Mademoiselle La Porte hatte die lieb gewonnene alte Kinderfrau Ella Salkowski abgelöst. Bald nach der Ankunft im neuen Domizil begann Huxley mit den Vorbereitungen für einen höchst »ambitionierten Roman«. »[Dessen Ziel wird es sein], ein Stück des Lebens zu zeigen, und zwar nicht nur aus einer Vielzahl individueller Perspektiven, sondern auch unter seinen verschiedentlichsten Aspekten, wie dem wissenschaftlichen, emotionalen, ökonomischen, politischen, ästhetischen etc. Dieselbe Person ist gleichzeitig eine Masse von Atomen, ein lebendiger Organismus, ein Geist und Verstand, ein Objekt mit einer Form, die gemalt werden kann, ein Rad in der ökonomischen Maschine, ein Wähler, ein Liebhaber etc etc.« (Letters, S. 274 f.)

Er las gerade André Gides wuchtigen neuen Roman Die Falschmünzer (1925), dessen kunstvolle Verknüpfung unterschiedlichster Figuren, Handlungsstränge und Erzählperspektiven ihn sehr beeindruckte, auch wenn er sich zu Gides Person und übrigem Schaffen ansonsten eher distanziert äußerte. Im Oktober erschien dann Jesting Pilate, dessen Titel Huxley Francis Bacons Essay »Of Truth« (1625; dt. »Über die Wahrheit«) entnommen hatte. Trotz eines recht hohen Verkaufspreises konnte der Band schnell mit 3000 verkauften Exemplaren aufwarten. Marias besonderer Stolz wurde jetzt ein neues Automobil, ein Itala, der den viel gefahrenen Citroën ersetzte. Mit dem Itala fuhr sie Aldous, der seit einiger Zeit über Zahnschmerzen klagte, Ende Oktober zur Behandlung nach Florenz. Dort trafen die beiden auch 110

D. H. Lawrence

Aldous Huxley und D. H. Lawrence Mitte der 1920erJahre

D. H. Lawrence und dessen deutsche Frau Frieda. Das Wiedersehen mit dem umstrittenen Autor war bereits im vergangenen Sommer durch eine flüchtige Begegnung in London vorbereitet worden. Im Grunde handelte es sich aber um die erste ausführliche Zusammenkunft seit 1915. Lawrence und seine Frau waren nach Jahren des Umherziehens durch Frankreich, Italien, Ceylon, Australien, Mexiko und Nordamerika nach Europa zurückgekehrt. Eine akute Verschlimmerung seiner seit Langem diagnostizierten Tuberkulose hatte den Schriftsteller, der gerade an seinem Skandalroman Lady Chatterley’s Lover (1928; dt. Lady Chatterleys Liebhaber) arbeitete, zu diesem Schritt bewogen. In Scandicci bei Florenz wollte er mit Frieda den Winter verbringen. Das Verhältnis der beiden so gegensätzlichen, sich dabei aber erstaunlich anziehenden Schriftsteller war nach wie vor ambivalent. Huxley faszinierten Lawrences schonungslose Direktheit und seine überzeugt emotional-intuitive Herangehensweise an die Welt. Lawrence hingegen schätzte Huxleys beeindruckende Gelassenheit und freundliche Zurückhaltung, wenn er auch mit dessen extremer Intellektualität kaum etwas anfangen konnte. Zu Maria dagegen, die er als eine Seelenverwandte kennen111

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lernte, entwickelte Lawrence sofort eine besondere Affinität. Dieses Treffen bildete den Auftakt zu einer Reihe von unregelmäßigen gegenseitigen Besuchen in der kommenden Zeit. Wieder in den Alpen angekommen, stürzte sich Aldous sofort in die weitere Arbeit an seinem neuen Roman. In den nächsten Wochen aber musste er frustriert feststellen, dass das groß angelegte Projekt, das die verwirrende Komplexität und Widersprüchlichkeit des Lebens darstellen sollte, zusehends ins Stocken geriet – eine ernüchternde Erfahrung, die er von seinen bisherigen Romanen nicht kannte. Er entschloss sich deshalb, Chatto & Windus mitzuteilen, dass es wohl zu Verzögerungen kommen werde und er es daher für angebracht halte, einen neuen Band mit Essays vorzuschalten. Zuletzt hatte er sich ausführlich mit dem umfassenden Werk des 1923 verstorbenen italienischen Soziologen Vilfredo Pareto auseinandergesetzt, das ihn dazu inspirierte, selbst eine aktuelle Betrachtung des Individuums und der Gesellschaft, in der es lebt, vorzunehmen. Proper Studies sollte das Buch heißen: in Anlehnung an Alexander Popes berühmten Vers: »The proper study of Mankind is Man« (»Das wahre Studium der Menschheit ist der Mensch«) aus seinem Essay on Man (1734; dt. Vom Menschen). Paretos grundsätzliche Zweifel an der Gleichheit aller Menschen und sein Dafürhalten, dass es sich bei Überzeugungen und Anschauungen um nicht mehr als scheinlogische Rechtfertigungen emotionaler Verhaltensgrundlagen handle, sprachen Huxley in besonderem Maße an. Das Leben in Cortina d’Ampezzo gestaltete sich jetzt auch für Aldous zunehmend unbefriedigend, und bereits im November lieb­ äugelte er mit einem erneuten Umzug nach Florenz. Dennoch hielten er und Maria es im folgenden Jahr noch zwei weitere Monate in den Alpen aus. Marias jüngste Schwester Rose war ab Weihnachten für ein paar Wochen ihr Gast, und im Februar besuchte der englische Schriftsteller und Kritiker Arnold Bennett Cortina, wo ihn Huxley jeden Tag traf. Ende Februar 1927 verließen Aldous und Maria ihr Domizil, während Matthew und seine Gouvernante noch zurückblieben. Eigentlich war eine Autoreise durch die Toskana geplant, aber Aldous wurde von einem grippalen Infekt geplagt, und 112

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so kam es nur zu einem Aufenthalt in Florenz. Dort schloss sich ihnen die von beiden sehnsüchtig erwartete Mary Hutchinson an, die endlich ihrer längst bestehenden Einladung nach Italien gefolgt war. Gemeinsam verbrachten sie die nächsten Tage und statteten dabei auch D. H. Lawrence einen Besuch ab. Anschließend fuhren die Huxleys mit dem Auto nach London, wo Aldous für Proper Stud­ ies recherchierte und sich wieder ausführlich seinen vielen Kontakten in der Metropole widmete. Darunter befand sich auch H. G. Wells, der »Vater« der Science-Fiction-Literatur. Huxley äußerte sich zwar oft sehr kritisch über ihn, an seinen politischen Ansichten war er jedoch stark interessiert: Wells hatte seit Januar eine Reihe von Artikeln im Sunday Express veröffentlicht, in denen er seine Zweifel am gegenwärtigen demokratischen System zum Ausdruck brachte. Anfang Mai erhielt Maria die schlimme Nachricht, dass ihr Großvater im Sterben lag, und so machte sie sich mit ihrem Mann unverzüglich auf die Reise nach Saint-Trond. Nach dem pompösen katholischen Begräbnis, das Aldous als gleichzeitig traurig und grotesk empfand, und einigen Tagen des mitfühlenden Daseins für Marias Familie, kehrten die beiden quer durch Frankreich nach Italien zurück. Nachdem sie in Cortina d’Ampezzo endgültig ihren Auszug organisiert hatten, eilten die Huxleys mit Matthew und Mademoiselle La Porte weiter in das geliebte, sonnige Forte dei Marmi, wo sie bis in den Spätherbst in der Villa Majetta unterkamen. Hier fand Aldous, der sich wie früher einen klar strukturierten Tagesablauf auferlegte, die notwendige Muße und die perfekte Umgebung, um innerhalb der nächsten zwei Monate Proper Studies zu beenden. Von einem abgeschiedenen Leben in Forte dei Marmi konnte gleichwohl keinerlei Rede sein. Freunde und Verwandte nahmen die Anwesenheit der Huxleys zum Anlass, sich im Sommer in dem schönen Badeort aufzuhalten. J. W. N. Sullivan und auch die Morrells genossen das wunderbare Klima, Lewis Gielgud und seine französische Frau reisten aus Paris an, und Marias Onkel Georges Baltus, der ein Ferienschloss oberhalb von Carrara besaß, kam mit seiner deutschen Frau zu Besuch. Doch D. H. Lawrence ließ sich erst auf nachdrückliches Drängen hin dazu bewegen, einige Wochen in Forte dei 113

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Marmi zu verbringen, und er erwies sich in der Tat als schwieriger Gast, der unverhohlen seine Abneigung gegen den Ort und das luxuriöse Leben dort zum Ausdruck brachte. Am besten verstand er sich mit Maria und Matthew, aber auch mit dem italienischen Hausmädchen Rina Rontini, die seit kurzer Zeit die Huxleys unterstützte und in den kommenden Jahren zu einer treuen Begleiterin der Familie wurde. Aldous wandte sich jetzt wieder mit voller Energie seinem mehrere Monate auf Eis gelegten Romanvorhaben zu. Er machte langsam Fortschritte, betrachtete das Projekt aber weiterhin als außerordentlich schwierig. Alles in allem hoffte er, dass das Werk im kommenden Frühling publiziert werden könnte. In musikalischer Anspielung sollte es Point Counter Point (dt. Kontrapunkt des Lebens) heißen. Das kontrapunktische Prinzip der Musik wollte Huxley auf das Denken und Handeln der Figuren übertragen; die Musik sollte in dem Roman einen besonderen Stellenwert erhalten. In seiner spärlichen Freizeit las Huxley unter anderem Cervantes’ Don Quijote (1605–1615) und beschäftigte sich mit den Ansichten des einflussreichen viktorianischen Kardinals John Henry Newman. Auch rezipierte er die über 250 Jahre alten religionsphilosophischen Schriften des Franzosen Blaise Pascal und las erneut die Gedichte Baudelaires. Für die amerikanische Zeitschrift Harper’s Magazine schrieb er einen gut dotierten Essay mit dem Titel »The Outlook for American Culture: Some Reflections in a Machine Age«. Darin diagnostizierte er sehr deutlich den überragenden Einfluss der amerikanischen Kultur auf Europa und warnte eindringlich davor, die zunehmende Technisierung des Lebens, die den Menschen immer passiver und konsumfreudiger werden lasse, mit kulturellem Fortschritt gleichzusetzen. Proper Studies erschien im November 1927 und zeigte einen ernsthaften, um nüchterne Klarheit bemühten Essayisten, der humanistische Ziele verfolgte, aber als »Kritiker der oberflächlichen, im achtzehnten Jahrhundert aufkommenden Betrachtung der menschlichen Natur als grundsätzlich rational, wohlwollend und gut« (Murray, S. 205) auftrat. Huxley betonte die enorme Verschiedenheit der Individuen, die sich schon aus der genetischen Prädisposition und in 114

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zweiter Linie aus den unterschiedlichen Umwelteinflüssen ergebe. Er bevorzugte den kritischen, offenen, intellektuell Gebildeten, der sich mit Wissenschaft und Kunst auseinandersetzt. Überdies folgte er C. G. Jungs fundamentaler Einteilung der Menschen in Introvertierte und Extrovertierte (sich selbst bezeichnet er interessanterweise als »moderat extrovertiert«). Seine politische Gesinnung war zwar nicht undemokratisch zu nennen, jedoch verschrieb er sich dem Ideal einer Geistesaristokratie. Huxley behandelte die bedenkliche Tendenz der Menschen, in Zeiten des Glaubensverfalls nach Ersatzreligionen zu suchen, und sprach dabei insbesondere den Nationalismus, den ökonomischen Materialismus und die Kunst an. Ausgehend von seiner Auffassung des Individuums unterstützte er die reformpädagogischen Ideen Helen Parkhursts und sprach sich dafür aus, den Schüler im Unterricht weitgehend seinen individuellen Vorlieben und Stärken folgen zu lassen, um so das selbstgesteuerte Lernen zu fördern. Gleichwohl widmete er sich in dem vorletzten Essay dem brisanten, aber damals hochaktuellen Thema der Eugenik. Er liebäugelte mit einer planvollen »Verbesserung« des menschlichen Erbgutes, ohne jedoch konkrete Maßnahmen für eine gezielte Umsetzung vorzuschlagen. Für den kommenden Frühling stand Matthews Einschulung an, und Aldous und Maria waren sich darin einig, dass er ein Institut in England besuchen sollte. Vorübergehend spielten sie sogar mit dem Gedanken, sich selbst auf dem Lande in der Nähe von London niederzulassen, aber beide hatten mittlerweile aus verschiedenen, vor allem jedoch aus klimatischen Gründen das Leben außerhalb von Aldous’ Heimatland sehr zu schätzen gelernt. Sie planten daraufhin, sich bald im neuen Jahr um die Unterbringung ihres Sohnes in einem angesehenen und nicht zu weit von London entfernten Internat zu kümmern. Das Weihnachtsfest 1927 verbrachten die Huxleys zusammen mit D. H. Lawrence und seiner Frau in Florenz. Anschließend begaben sie sich in die Schweizer Alpen, wo sie von Aldous’ Bruder Julian mit Juliette und ihren Söhnen Anthony und Francis erwartet wurden. Julian hatte seinen Bruder und dessen Familie für die Winterferien in das dortige Chalet des Arolles eingeladen. Aldous 115

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hatte ursprünglich absagen wollen, um sich ausschließlich seinem Roman zu widmen, dann aber doch auf die inspirierende Atmosphäre in der vertrauten Gesellschaft gehofft. Die Männer schrieben den gesamten Vormittag über – Julian an dem voluminösen Biologiewerk The Science of Life, einer Kollaboration mit H. G. Wells und dessen Sohn George Philip – und anschließend fuhr man Ski oder gab sich anderen Aktivitäten hin. Dann fanden weitere Arbeitsphasen statt, unterbrochen von der obligatorischen Teezeit. Abends gingen alle der alten Tradition der Huxleys nach, dem lauten Vorlesen bedeutender Literatur, sodass im Laufe der Wochen Charles ­Dickens’ erster Roman, The Pickwick Papers (1836/37; dt. Die Pickwickier), in ganzer Länge zum Vortrag kam. Aldous und Maria vermissten jedoch die Anwesenheit der Law­ ren­ces, und auf ihr Bitten hin bezogen D. H. und Frieda bald eine nahe gelegene Skihütte. Lawrence hasste zwar den Schnee und die Kälte, aber er hatte das Manuskript von Lady Chatterley bei sich, welches er von Maria abtippen ließ. Die Huxleys wurden so die ersten Leser des lange Jahre umstrittenen und aufgrund seines angeblich pornografischen Inhalts vielfach zensierten und verbotenen Romans. ­Lawrence zeigte sich derweil so, wie Aldous ihn bereits kannte: Er wetterte gegen die vielen wissenschaftlichen Gespräche, welche die Brüder zu führen pflegten, belächelte Julians Verteidigung der Evolutionstheorie und beharrte darauf, dass allein das unmittelbare, emotionale Erleben von Belang sei. Aldous schien mehr und mehr gebannt von dieser eigentümlichen Persönlichkeit, die seinem skeptischen Denken aus der Seele sprach, ihm als Intellektuellem jedoch weitgehend fremd blieb. Lawrence manifestierte trotz seiner schwachen Gesundheit eine beeindruckende Lebensnähe. Er verkörperte für Huxley den vollkommen »geerdeten« Menschen, der es gar nicht für nötig befand, die Existenz dem nach Erklärungen suchenden und dabei immer nur vereinfachenden Intellekt zu unterwerfen. Begeistert reagierten Aldous und Maria auf Lawrences Einladung, ihn und Frieda in absehbarer Zeit für einen längeren Aufenthalt nach Taos in New Mexico zu begleiten. Der Plan sollte allerdings im Sande verlaufen. 116

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Trotz seiner Bemühungen und Fortschritte wurde Aldous bewusst, dass er Kontrapunkt des Lebens nicht, wie erhofft, früh im neuen Jahr würde fertigstellen können. Dies teilte er Charles Prentice, dem Cheflektor bei Chatto & Windus, Ende Januar 1928 in einem Brief mit. Er fühlte sich sogar veranlasst, selbst eine Kürzung seines Gehalts vorzuschlagen. Prentice aber zeigte sich großzügig und unterstrich die Bedeutung des neuen Romans. Er wusste, was er an Huxley hatte. Mitte Februar fuhr Julian mit seiner Familie zurück nach England, Frieda Lawrence besuchte ihre Verwandtschaft in Deutschland, und Maria machte sich mit dem Itala auf den Weg nach Florenz. Aldous blieb noch bis Ende des Monats mit seinem Sohn in der Schweiz und reiste dann mit dem Zug nach Paris, wo er bei den Gielguds unterkam und seine Frau erwartete. ­Matthew wurde unterdessen bei seinen Großeltern in Saint-Trond untergebracht. Bald nach Marias Ankunft in Paris ging es mit dem Auto weiter nach London. Für die nächsten drei Monate bezogen die Huxleys eine zentral gelegene Mietwohnung in Onslow Mews/Südkensington, und wann immer es Aldous’ Zeit erlaubte, sahen sie sich Schulen in und um London an. Ihre Wahl fiel schließlich auf die in der Nähe von »Prior’s Field« gelegene, reformpädagogisch ausgerichtete Schule Frensham Heights. Aldous brachte in diesen Wochen nach langem Ringen seinen neuen Roman zu einem Abschluss. Er zog eine Änderung des Titels in Betracht und schlug jetzt Diverse Laws (Widerstrebende Gesetze) vor, ein Zitat aus dem Schauspiel Mustapha (1609) des Renaissancedichters Fulke Greville, das sich auf den Widerstreit von Gefühl und Verstand bezieht. Huxley hatte die ihn seit Langem faszinierenden Verse, in welche die Worte eingebettet sind, bereits früher in verschiedenen Texten zitiert oder angesprochen. Vor allem sein amerikanischer Verlag (erst kürzlich zu Doubleday, Doran and Co. fusioniert) beharrte aber auf dem ursprünglichen Titel, woraufhin Aldous es sich immerhin vorbehielt, dem Roman die Verse als Motto voranzustellen. In der zweiten Maiwoche reichte er das Typoskript ein, und ihm fiel ein enormer Stein vom Herzen. Zwar kam es in den folgenden 117

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Wochen noch zu einigen Veränderungen und Ergänzungen, aber im Großen und Ganzen konnte das Projekt als beendet betrachtet werden. Mittlerweile war Matthew aus Belgien eingetroffen und hatte begonnen, sich in Frensham Heights einzuleben. Aldous nutzte die Zeit in London wie immer dazu, seine Verwandten, Freunde und Bekannten zu treffen, darunter jetzt auch den Schauspieler und Schriftsteller Noël Coward. Beherzt setzte er sich für D. H. Law­ rences neuen Roman ein, der in einer auf 1000 Exemplare begrenzten und bereits verbotenen Privatedition bei Pino Orioli in Florenz erschienen war und nun vor massiven Veröffentlichungsproblemen stand. Huxley las zudem Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) und ließ kaum ein gutes Haar an dem Werk des deutschen Dichterfürsten, das er noch Jahre später als »das ungeheuerlichste Zeugnis eines abgeklärten und selbstgefälligen Egoismus in der ganzen Literatur« (Letters, S. 601) abtun sollte.

Lob des Lebens Anfang Juni 1928 verließen die Huxleys London in Richtung Italien und besuchten in Paris wieder für ein paar Tage die Gielguds. Obwohl sie Italien liebten, hatten sie bereits seit längerer Zeit mit zunehmender Besorgnis die politische Entwicklung im Land verfolgt. Als sie westlich von Paris in dem Städtchen Suresnes ein zu vermietendes Haus sahen, zögerten sie daher trotz des renovierungsbedürftigen Zustands nicht lange und schlossen einen Mietvertrag ab, der bis April 1930 bestehen bleiben sollte. Maria und Aldous waren glücklich: Für Matthew würde es nun leichter sein, in den Schulferien seine Eltern zu besuchen. Darüber hinaus zeigte sich Marias Schwester Jeanne sehr interessiert daran, mit ihrem Ehemann René Moulaert und der gemeinsamen Tochter Sophie ein gesondertes Apartment in dem Haus zu bewohnen. Und nicht zuletzt schätzten sie beide die unmittelbare Nähe zur französischen Hauptstadt, deren Kultur sie genossen und in der sie mittlerweile über eine beträchtliche Anzahl an Freunden und Bekannten verfügten. 118

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Während sie die Instandsetzungsarbeiten in Angriff nehmen ließen, fuhren die Huxleys weiter nach Forte dei Marmi. Unterwegs besuchten sie in der Schweiz D. H. Lawrence, der in dem oberhalb des Genfer Sees gelegenen Dorf Chexbres weilte und erstaunlich gesund wirkte, auch wenn er sich berechtigte Sorgen um die Zukunft von Lady Chatterley machte. In Forte dei Marmi zogen Maria und Aldous in die ruhige, abseits in einem Pinienwald stehende Villa Il Canneto ein, in der sie sich bis in den Oktober an dem mediterranen Klima erfreuten, während Aldous gespannt der Veröffentlichung seines Romans entgegensah. Noch im Juli erfuhr er, dass Kontrapunkt des Lebens schon vor dem offiziellen Erscheinungstermin im Herbst von der Redaktion des großen amerikanischen Buchklubs Literary Guild zum Buch des Monats erkoren worden war. Als der mit über 600 Seiten bis dahin deutlich umfangreichste von Huxleys Romanen Anfang Oktober herauskam, sorgte er sogleich für Furore und verkaufte sich binnen kurzer Zeit allein in England über 10 000 Mal. Auch die in Deutschland, Frankreich und etlichen anderen Ländern folgenden Übersetzungen waren erfolgreich und festigten Huxleys internationalen Ruhm. Bis heute zählt der Roman zu den wichtigsten Werken der englischen Erzählliteratur der 1920er-Jahre. Ausdrücklicher denn je hielt Aldous dabei am Ideenroman fest, den er in den eingestreuten Aufzeichnungen seines fiktionalen Alter Ego, des Schriftstellers Philip Quarles, nicht nur klar definierte und für sich beanspruchte, sondern auch auf nicht gerade bescheidene Art und Weise »kritisierte«: »Der Hauptnachteil des Ideenromans ist der, dass man in ihm von Leuten schreiben muss, die überhaupt Ideen auszudrücken haben – was das ganze Menschengeschlecht mit Ausnahme von etwa 0,01 Prozent ausschließt. Daher schreiben die wirklichen, die geborenen Romanciers keine solchen Bücher. Aber ich habe auch niemals vorgegeben, ein geborener Romancier zu sein.« (Kontrapunkt des Lebens, S. 377)

Erneut erwartete die Leser eine bunte Ansammlung von satirisch überzeichneten und typenhaften Figuren aus der Bildungsschicht, die im zeitgenössischen London ihren subjektiv-einseitigen Le119

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bensentwürfen nachgingen. Darunter befinden sich der emotional verkümmerte Überintellektuelle, verkörpert durch Quarles, der mit Scheuklappen behaftete Wissenschaftler (Lord Tantamount) und der politische Fanatiker (Everard Webley). Aber auch der diabolische und zum (Selbst-)Mörder avancierende Pessimist (Maurice ­Spandrell), der als Publizist tätige und eine moralische Gesinnung lediglich vortäuschende Heuchler (Denis Burlap) und die kühl-berechnende Femme fatale in der Art Nancy Cunards (Lucy Tantamount) kommen zum Zuge. Diesem Kaleidoskop steht jedoch als Korrektiv der Künstler Mark Rampion gegenüber, welcher als Einziger die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Existenz anerkennt und bewusst auslebt. Rampion lehnt es ab, die Welt der Instinkte und Gefühle durch den Verstand einzuengen und zu unterdrücken. Er verachtet alles Einseitige. Sein Leben wirkt ausgewogen und vollständig, und bezeichnenderweise führt nur er eine glückliche Ehe. Wie es schon bei den vorhergehenden Romanen der Fall war, so gab auch Kontrapunkt des Lebens hinreichend Anlass, als Schlüsselroman gelesen zu werden. Offenbar porträtierte und kritisierte Aldous mit der Figur des Philip Quarles wieder einmal sich selbst, und Philips Frau Elinor besaß unverkennbar Züge Marias. Spandrells frühe Biografie hat Ähnlichkeit mit der Baudelaires, während Burlap recht deutlich als Anspielung auf John Middleton Murry aufgefasst werden konnte (was diesen angeblich so erzürnte, dass er gar mit dem Gedanken spielte, Huxley zum Duell zu fordern). Lord Tantamount weist Eigenschaften John Scott Haldanes auf, und Rampion war unmissverständlich als Hommage an D. H. Lawrence konzipiert. Die Liste ließe sich noch erheblich erweitern. Maria äußerte sich erbost darüber, dass ihr Mann Philips und Elinors Sohn, den kleinen Phil, der gerade in Matthews Alter war und einige seiner Eigenheiten teilte, gegen Ende des Romans an Meningitis sterben ließ. Während Aldous darauf bestand, mit diesem fiktiven Tod die bisweilen brutale Schicksalhaftigkeit des Lebens zum Ausdruck bringen zu wollen, warf ihm seine Frau vor, allzu gefühllos und geradezu boshaft vorgegangen zu sein. Laut D. H. Lawrence kühlte der Dissens das Verhältnis der beiden zueinander eine Zeitlang spürbar ab. 120

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Im Oktober reisten die Huxleys zurück nach Frankreich, mussten aber zunächst bei den Gielguds wohnen, da ihr Haus in Suresnes noch immer nicht bezugsfertig war. Zuvor hatte Aldous in Forte dei Marmi damit begonnen, sich einigen biografischen Studien zu widmen, »die unterschiedliche Abweichungen von der harmonisch menschlichen Norm illustrieren« (Letters, S. 301). Anhand berühmter historischer Beispiele, darunter Spinoza, Swift, Wordsworth, Baudelaire und Pascal, wollte er nun in essayistischer Form der in Kontrapunkt des Lebens geübten Kritik Nachdruck verleihen. Als mustergültiger Vertreter seiner neu gewonnenen Lebensphilosophie sollte ihm der schottische Dichter Robert Burns dienen, den er als Beispiel für einen Menschen anführen wollte, »der kein Irregeführter war, sondern sich […] als vollständiger und harmonischer Mensch entwickelte« (Letters, S. 301). Ende Oktober konnte dann endlich der Einzug in das weitgehend renovierte Haus erfolgen. Jeanne musste sich allerdings mittlerweile allein um ihre Tochter kümmern. René Moulaert hatte zwar tatkräftig bei der Innendekoration mitgeholfen, im Sommer jedoch eine andere Frau kennengelernt und sich kurzerhand entschlossen, seine Familie samt der neuen Wohnung im Stich zu lassen. Aldous und Maria unterstützten Jeanne, die sich um die Scheidung bemühte, wo und wie sie nur konnten. Das Haus empfanden sie aber sehr schnell bloß als eine Notlösung. Sie mochten es nicht, es war ihnen zu klein; die vielen zukünftigen Zeiten der Abwesenheit wurden zu einem deutlichen Indiz für ihre Abneigung. Gleichwohl sorgten sie, wann immer sie sich dort aufhielten, für ein reges soziales Leben, indem sie Pariser Freunde und Bekannte zum Essen einluden, unter anderen den Philosophen Gabriel Marcel sowie die Schriftsteller Drieu la Rochelle und Paul Valéry. Gerne begaben sie sich aber auch selbst in den Strudel des Pariser Großstadtlebens. Im Herbst 1928 bat D. H. Lawrence, der sich inzwischen in der südfranzösischen Gemeinde Bandol an der westlichen Côte d’Azur niedergelassen hatte, Aldous erneut um Hilfe bezüglich Lady Chatterleys Liebhaber. Es kursierten bereits zu horrenden Preisen gehandelte Raubdrucke, und Lawrence suchte selbstverständlich nach Pu121

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blikationsmöglichkeiten, von denen er selbst profitieren konnte. Er hoffte dabei nicht zuletzt auf die moderne und alternative Literaturmetropole Paris. Aldous versprach ihm, sein Möglichstes zu tun. Anfang 1929 reiste er aber zunächst für ein paar Tage nach London, um seinen Folgevertrag mit Chatto & Windus abzuschließen. Zwar hatte er erneut die Bedingungen der letzten Vereinbarung nicht erfüllen können, aber angesichts des großen Erfolges von Kontrapunkt des Lebens waren seine Verleger gerne bereit, darüber hinwegzusehen und ihm sogar ein erheblich attraktiveres Angebot zu unterbreiten. Er sollte in den nächsten drei Jahren nur noch zwei Romane und, wenn möglich, drei weitere Bücher einreichen. Darüber hinaus würde sein jährliches Festeinkommen auf 1000 Pfund erhöht werden. Natürlich zögerte Aldous nicht lange und unterschrieb den Vertrag. Während seines kurzen Aufenthalts in London traf er sich wieder mit Mary Hutchinson und anderen Freunden. Als ungeahnt wichtig und geradezu schicksalhaft sollte sich jedoch eine Begegnung erweisen, die er im Hause eines alten Bekannten aus seiner Zeit in Oxford und Garsington, des Kritikers und Lektors Raymond Mortimer, hatte. Dort lernte er den Schriftsteller und Philosophen Gerald ­Heard kennen, der mit Naomi Mitchison befreundet war und gerade das im Entstehen befindliche Magazin The Realist vorbereitete, als dessen Mitherausgeber er fungierte. Huxley und Heard verstanden sich auf Anhieb blendend. Beide waren fasziniert von der intellektuellen Schärfe, den Ansichten und der rhetorischen Finesse des Gegenübers. Aldous war schnell bereit, zu der neuen Monatszeitschrift beizutragen. (Der lange Essay »Pascal« erschien dort, verteilt auf die ersten drei Ausgaben, ab April 1929, bevor er später im selben Jahr eine wichtige Position in Huxleys nächster Essaysammlung einnahm.) Er hatte auch nichts dagegen, mit seinem bekannten Namen als Mitglied der Redaktion geführt zu werden. Die beiden Männer unterhielten sich bis in die Morgenstunden, und als keine Verkehrsmittel mehr zur Verfügung standen, begleitete Aldous ­Heard mehrere Kilometer zu Fuß nach Hause. Anschließend machte er sich auf den ebenfalls einige Kilometer langen Fußweg zu seinem eigenen 122

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Domizil. Er liebte lange Spaziergänge im Dunkeln. Und er spürte, dass er in Gerald Heard einen bedeutenden Geistesverwandten gefunden hatte, wenn nicht gar einen Mentor. Kaum war Aldous Mitte Januar nach Suresnes zurückgekehrt, bat D. H. Lawrence, dem es gesundheitlich wieder schlechter ging, um einen Besuch. Trotz der eiskalten Temperaturen begaben sich die Huxleys auf den Weg nach Bandol. Sie blieben dort einige Tage und konnten erleichtert feststellen, dass sich Lawrences Zustand stabilisierte. Der ungewöhnlich harsche Kälteeinbruch machte aber auch ihnen zu schaffen. Maria fühlte sich unwohl, und ihr Mann klagte über Symptome, die auf eine Lebererkrankung hindeuteten. Dennoch fuhren die beiden im Anschluss durch das zugefrorene und von Schneestürmen heimgesuchte Norditalien bis nach Florenz, wo sie nach längeren Strapazen eintrafen und den Itala in einer Autowerkstatt unterbrachten. Sie wollten ihn in Italien, wo er auch registriert war, verkaufen lassen und damit teuren Gebühren und lästiger Bürokratie in Frankreich entgehen. Schon vor Wochen hatten sich Maria und Aldous nämlich dazu entschlossen, ein neues Auto anzuschaffen, und ihre Wahl war auf einen brandaktuellen edlen Bugatti-­ Sportwagen gefallen. Der rote Zweisitzer wurde maßangefertigt und speziell an Aldous’ lange Beine angepasst. Er stellte den größten Luxus dar, den sich die Huxleys von den Einnahmen aus Kontrapunkt des Lebens leisteten. Allerdings befand sich der Wagen noch in der Herstellung. Nach einigen Tagen in Florenz ging es für Aldous und Maria mit dem Zug die extrem windige und kühle italienische Riviera entlang und anschließend durch die gleichermaßen winterliche französische Landschaft zurück nach Suresnes. Zu Hause fuhr Aldous mit der intensiven Arbeit an seiner Essaysammlung fort. Im März besuchte D. H. Lawrence Paris, denn der dort ansässige Verleger Edward Titus hatte signalisiert, eine neue Ausgabe von Lady Chatterley herausbringen zu wollen. (Sie erschien tatsächlich im Mai 1929.) Lawrence, der in einem Pariser Hotel wohnte, hatte erneut gravierende gesundheitliche Probleme, sodass Aldous es für besser hielt, ihn einige Tage lang bei sich in Suresnes aufzunehmen. Dort waren gerade auch 123

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Aldous und Maria mit ihrem roten Bugatti 1930

Marias Schwester Suzanne und ihr Mann, der Maler Joep Nicolas, zu Besuch, und Joep ließ es sich nicht nehmen, den umstrittenen Schriftsteller zu porträtieren. Wenig später konnten die Huxleys ihren ganzen Stolz, den neuen Sportwagen, in Empfang nehmen. Um den Wagen ordnungsgemäß einzufahren, gönnten sie sich ihre erste Reise nach Spanien, die sie bis nach Madrid führte, wo sie ausgiebig die Kunstsammlung des Prado bewunderten. Von Madrid aus fuhren sie ohne Umschweife nach London. Maria demonstrierte wieder ihre unermüdlichen, exzellenten Fahrkünste. Aldous arbeitete unterwegs viel in Hotelzimmern, denn für sein Schaffen benötigte er lediglich die mitgenommenen Bücher und Unterlagen sowie seine Schreibmaschine. Fehlende Materialien und Informationen konnte er im Anschluss in London beschaffen. Als er Anfang Mai wieder in Frankreich war, konnte er erleichtert vermelden, seinen neuen Essayband nach monatelanger Arbeit abgeschlossen zu haben. Dessen Titel, Do What You Will, war einer Version des Gedichts »The Everlasting Gospel« (1818) des frühromanti124

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schen englischen Dichters, Künstlers und Mystikers William Blake entnommen, wo es pointiert heißt: »Do what you will, this life’s a fiction/And is made up of contradiction« (»Tu, was du willst, das Leben ist ein Fantasiegebilde/Und besteht aus Widersprüchen«). Und noch bevor die Huxleys im Juni nach Italien reisten, um in Forte dei Marmi den Sommer zu verbringen, erschien mit Arabia Infelix Aldous’ erster Gedichtband seit fast einer Dekade. Die schmale Sammlung umfasste 17 Gedichte, die in den letzten Jahren entstanden und zum Teil bereits an anderer Stelle, darunter auch in Parallelen der Liebe, erschienen waren. Als Liebhaberedition konzipiert, bestand die Auflage aus lediglich 692 Exemplaren, welche Huxley während seines letzten Besuches in London allesamt signiert hatte und von denen 300 auf den amerikanischen Markt kamen. Arabia Infelix spiegelt unterschiedliche Denkphasen und Stimmungen des Dichters wider. Den Auftakt bildet das Titelgedicht, in dem die arabische Wüste als Metapher für eine spirituell öde innere Landschaft dient, die sich vergeblich nach Erneuerung und Erfüllung sehnt. Am Ende steht passend das herausragende »The Cicadas« (dt. »Die Zikaden«), welches Huxleys »vielleicht schönstes Gedicht ist, eine Akzeptanz des Lebens, wie es gegeben ist« (Bedford, S. 220). In Italien verbrachten Aldous und Maria zunächst zehn Tage in Rom und Umgebung, wo sie sich insbesondere für die alten etruskischen Siedlungen interessierten. Alarmiert nahmen sie allerdings die Allgegenwart der Faschisten zur Kenntnis. Danach mieteten sie sich in Forte dei Marmi ein weiteres Mal in der Villa Il Canneto ein, und bald darauf stieß Matthew in Begleitung von Marias Schwester Rose hinzu. Wenn er nicht mit seiner Familie die mediterrane Wärme und das Schwimmen im Meer genoss, widmete sich Aldous bereits wieder einem neuen Kurzgeschichtenprojekt. Noch im Juni tauchte für ein paar Tage auch D. H. Lawrence auf, der seit dem letzten Treffen einige Zeit mit Frieda auf Mallorca verbracht hatte. Offensichtlich suchte er immer wieder nach neuen Orten, die seiner Gesundheit vielleicht zuträglicher sein könnten als die bisher aufgesuchten. Maria und Aldous machten sich große Sorgen um ihn, denn sie merkten, dass sich sein Zustand trotz aller Bemühungen weiter ver125

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schlechtert hatte. Sie waren außerdem verärgert darüber, dass dieser einzigartige Mensch, den sie beide so sehr schätzten, sich standhaft weigerte, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Von Forte dei Marmi reiste Lawrence zuerst weiter nach Florenz und dann nach Baden-Baden. Da Aldous fortwährend unter den Nachwirkungen seiner Lebererkrankung im Frühjahr litt, entschied er sich im Juli für eine einwöchige Kur in dem unweit gelegenen Heilbad Montecatini am Fuß der Apuanischen Alpen. Begleitet wurde er von Pino Orioli, Lawrences florentinischem Herausgeber. Während er den Kuraufenthalt selbst eher als Farce empfand und vortrefflich in seiner nächsten Novelle, »After the Fireworks« (dt. »Nach dem Feuerwerk«), zu verarbeiten wusste, beeindruckte ihn die Bergregion samt ihrer guten Luft so sehr, dass er im August mit seiner Familie für eine Woche dorthin zurückkehrte. Bereits in Forte dei Marmi hatte er wieder begonnen, sich einem seiner liebsten Hobbys zu widmen, dem Malen, und in den Bergen fuhr er in aller Ruhe damit fort. Leider ist der Verbleib der dort entstandenen Bilder fast gänzlich ungeklärt. Mitte September machten sich die Huxleys auf den Rückweg nach Suresnes. Sie freuten sich kaum auf ihr Haus und hegten bereits Pläne, in eine schönere Gegend zu ziehen, vielleicht nach Südfrankreich. Suresnes bedeutete für Aldous allerdings auch diesmal ohnehin bloß einen Zwischenstopp, denn kaum dort angekommen, brach er schon in Richtung London auf, wo er seinen geschäftlichen und privaten Angelegenheiten nachging. Außerdem hatte er eine Einladung zu einem Kongress für geistige Zusammenarbeit im Oktober in Barcelona erhalten. Auf die Veranstaltung an sich legte er zwar weniger Wert, aber er wollte die Gelegenheit nutzen, um im Anschluss mit Maria eine neuerliche und viel ausgedehntere Reise durch Spanien zu unternehmen. Während der Vorbereitungen der Fahrt kam Anfang Oktober Do What You Will heraus. Das zentrale Stichwort des zwölf Texte umfassenden Bandes klang so euphorisch, wie man den Autor bislang kaum vernommen hatte: life-worship (»Lebensanbetung«). In dem 126

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Essay »Pascal« erklärt Huxley, »dass das Leben auf diesem Planeten an sich wertvoll ist, ohne dass es dazu des Verweises auf hypothetische höhere Welten, Ewigkeiten und künftige Existenzen bedarf«, und fährt fort, dass der Zweck des Lebens »ein Mehr an Leben ist, dass eben der Sinn des Lebens darin liegt zu leben« (Essays, III, S. 175). Dabei ging es ihm vornehmlich darum, den rational schlussfolgernden Fähigkeiten des Menschen gegenüber den ursprünglichen Wert des unmittelbaren, von Gefühlen, Instinkten und Intuitionen erfüllten Erlebens zu behaupten. Dieses, so betont er, sei gerade durch seine schier grenzenlose Vielfältigkeit und Bedeutungsfülle, aber auch durch seine Wechselhaftigkeit und Widersprüchlichkeit gekennzeichnet. Es auf eindeutige gedankliche Modelle zu reduzieren und von ihnen dominieren zu lassen, sei ein lebenshemmender und damit falscher Ansatz. Vielmehr müsse sich der Mensch – soweit er nicht als intellektuelles und rational handelndes Wesen gefordert sei – dem Erleben bewusst öffnen, um so dessen multiple Bedeutungen intensiv und umfassend erfahren zu können. Auf diesem Wege gelte es zu versuchen, die Potenziale des gesamten Menschen auszuschöpfen. Damit brachte Huxley zum ersten Mal ganz deutlich eines der wichtigsten Leitmotive seines späteren Denkens zum Ausdruck. Die besten Voraussetzungen für dieses Ziel bot seiner Ansicht nach der unvoreingenommene Ansatz solch herausragender Künstler wie Chaucer, Shakespeare, Rubens, Montaigne, Mozart, Blake und Burns, die für ihn dem Ideal der Vollständigkeit am nächsten kamen und deshalb große Vorbilder für den Menschen darstellten. Do What You Will präsentiert ein kraftvolles Plädoyer für die Anerkennung von Offenheit, Vielfalt und Vieldeutigkeit und setzt sich damit für eine Lebensauffassung ein, die in der damaligen, auf Vereinheitlichung ausgerichteten Welt mehr und mehr als anrüchig galt. Nach der Konferenz in Barcelona, die Aldous als eine Zumutung empfand, reiste er mit Maria mehrere Wochen lang durch Spanien. Wie üblich erkundeten sie neben den Städten und der Natur auch die Kunst des Landes. Sie nahmen die Route entlang der Mittelmeerküste nach Süden über Tarragona, Valencia, Alicante und Murcia nach Almería, wo Huxley eigens ein Gedicht über diese äußerst 127

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trockene, aber so sonnenhelle Stadt verfasste. Dann überquerten sie die Sierra Nevada nach Granada, fuhren weiter über Ronda und Jerez nach Cadiz und dann nordwärts nach Sevilla und Cordoba. Durch die großflächige und karge Landschaft Kastilien-La Manchas, der Szenerie von Don Quijote, brausten sie nach Madrid, wo sie erneut einige Tage verbrachten, bevor sie wieder zurückkehrten. Ende November kamen Aldous und Maria erschöpft, aber sehr zufrieden und voller beeindruckender Erfahrungen wieder in Suresnes an. Das Weihnachtsfest verbrachten sie zusammen mit Matthew und Marias belgischer Familie. Für Aldous, der damit beschäftigt war, seinen Kurzgeschichtenband abzuschließen, und eigentlich ruhebedürftig war, gestalteten sich diese Tage zu einem unruhigen und beengten Ärgernis, sodass er vorübergehend sogar in ein Hotelzimmer flüchtete. Mitte Januar 1930 begleiteten Aldous und Maria ihren Sohn zurück nach England. Danach wohnte Aldous in London den Proben zu This Way to Paradise bei, einer Bühnenversion von Kontrapunkt des Lebens, die der junge Schriftsteller Campbell Dixon verfasst hatte. Produziert wurde das Stück von dem erfahrenen Schauspieler und Regisseur Leon M. Lion. Die Uraufführung fand am 30. Januar im Daly’s-Theater am Leicester Square statt. Huxley fühlte sich hinund hergerissen. Auf der einen Seite wurde ihm wieder einmal deutlich bewusst, in welch große Abhängigkeit sich ein Dramatiker begab: Einige der Schauspieler vergaßen ihren Text, und Lions Produktion erwies sich in Teilen als banal. Auf der anderen Seite war er fasziniert von den magischen Momenten, die zum Beispiel durch den treffenden Einsatz von Musik auf der Bühne erzeugt werden konnten. This Way to Paradise hatte lediglich mäßigen Erfolg und lief nur bis zum 1. März. Aldous sah noch die ein oder andere Aufführung, machte sich dann aber Anfang Februar mit Maria auf den Rückweg nach Frankreich. Sein Appetit war jedoch geweckt: Er wollte so bald wie möglich einer lang gehegten Idee nachgehen und sich dem Schreiben eines abendfüllenden Bühnenstücks widmen. Für die Huxleys brachen jetzt die letzten Wochen in Suresnes an, denn sie planten, schon in Kürze rund um Bandol an der Côte 128

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d’Azur Ausschau nach einem neuen Haus zu halten. Marias Schwester Jeanne war mit ihrer Tochter bereits in eine andere Wohnung umgezogen, nachdem Aldous ihr einen Posten in der Redaktion der Condé-Nast-Zeitschrift Le Jardin des Modes beschafft hatte. Zur gleichen Zeit setzte sich unglücklicherweise der Ärger um D. H. Law­ rences letzten Roman auch in Paris fort. Die Polizei beschlagnahmte alle zugänglichen Exemplare von Lady Chatterleys Liebhaber. Aldous bat namhafte französische Autoren darum, ihren Einfluss geltend zu machen und sich an höherer Stelle für den englischen Schriftsteller einzusetzen. Lawrence selbst allerdings sollte von den Geschehnissen möglichst nichts erfahren. Er hatte den Huxleys bereits am 7. Februar geschrieben, dass er sich letztlich doch dazu durchgerungen hatte, ein Sanatorium in Vence an der östlichen Côte d’Azur aufzusuchen. Maria und Aldous wussten, was dies bedeutete: Es ging Law­rence offenbar schlechter denn je. Als er sie am 21.  Februar dringend einlud, ihn zu besuchen, machten sie sich unverzüglich auf den Weg. Sie wollten die Gelegenheit auch nutzen, um Rob­ert ­Nichols und dessen Frau zu besuchen, die sich unweit von Vence in Villefranche aufhielten. Darüber hinaus hofften sie, ihre Haussuche weiter westlich in Angriff nehmen zu können. Aldous und Maria waren entsetzt, als sie den stark veränderten und völlig ausgemergelten Lawrence sahen. Auch Frieda, die mit ihrer Tochter Barbara aus erster Ehe ganz in der Nähe des Sanatoriums wohnte, war sich der Tatsache bewusst, dass mit dem Schlimmsten gerechnet werden musste. Am 1.  März holte sie D. H. zu sich. Einen Tag später verschlechterte sich sein Zustand derart, dass ein Arzt gerufen wurde, der ihm Morphium verabreichte. Noch am Abend verstarb Lawrence. Während Frieda erstaunlich gefasst wirkte und Aldous versuchte, seine Emotionen zu verbergen, ließ Maria ihren Tränen freien Lauf. Lange hielt sie Lawrence in ihren Armen. Doch auch Aldous war sichtlich am Boden zerstört. Viel zu früh war ein Leben zu Ende gegangen, das er und Maria in den letzten Jahren wie kaum ein anderes wertgeschätzt hatten. Am übernächsten Tag fand in Vence im engsten Kreis und in aller Kürze die Beerdigung ohne jegliches Zeremoniell statt. 129

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Bei aller Trauer um den wichtigen Freund ging das Leben für die Huxleys weiter: Ihr Traum von einem neuen Haus erfüllte sich schneller als erwartet. Auf der felsigen Landspitze La Gorguette, die zu der östlich von Bandol gelegenen Gemeinde Sanary-sur-Mer gehört, wurden sie schnell fündig. Diesmal mieteten sie nicht, sondern kauften. Auch dieses Haus bedurfte aufwendiger Vergrößerungsund Modernisierungsmaßnahmen, die sich noch lange hinziehen würden. So legten die Huxleys mittlerweile unter anderem großen Wert auf eine Zentralheizung. Aber sie fühlten sich durch die angenehme und zum Schwimmen einladende Umgebung mehr als entschädigt. Außerdem standen ihnen wieder einige Reisen bevor. Es galt, den Umzug aus Suresnes vorzubereiten und durchzuführen, und Aldous hatte sich bereit erklärt, zu Ehren D. H. Lawrences unentgeltlich eine Sammlung von dessen Briefen herauszugeben. Der Kontakt zu den Empfängern der Briefe sowie die Sichtung und Auswahl des Materials nahmen künftig viel von seiner und Marias Zeit in Anspruch. Während sie also abwesend waren, malte ein Handwerker als Überraschung für die neuen Hausbesitzer ihren Namen auf die Torpfosten der Einfahrt. Dort prangte nun in großen, leuchtend grünen Buchstaben der Schriftzug »Villa Huley«. Aldous und Maria waren gerührt von der Idee, sahen über den Rechtschreibfehler hinweg und beließen es erst einmal dabei. »Villa Huley« hieß jetzt ihr Zuhause und blieb es für die kommenden sieben Jahre. Zu den ersten Besuchern im Frühjahr 1930 zählten Aldous’ alter Studienkamerad Roy Campbell und dessen Frau. Die Campbells waren gerade in Sanary, als sie davon erfuhren, dass Huxley sich in dem Ort aufhielt. Sie brachten die Tochter ihrer Gastgeber, die 19-jährige Sybille von Schoenebeck, mit zu diesem Spontanbesuch. Sybille wurde schnell eine der engsten Freundinnen der Huxleys und sollte das Paar ihr Leben lang begleiten. Auch der junge Literaturkritiker Cyril Connolly und seine Frau, die sich Mitte 1930 in Sanary niederließen, kamen in der ersten Zeit oft zu Besuch. Connolly zeigte sich als glühender Verehrer von Huxleys Werken, aber die Chemie zwischen ihnen stimmte von Beginn an nur bedingt. Aldous, der mittlerweile 36 Jahre alt war, empfand Connolly als zu bohèmehaft 130

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und hedonistisch, und Maria konnte weder mit Cyril noch seiner Frau etwas anfangen. Das Verhältnis kühlte zusehends ab, und schon 1931 zogen die Connollys weiter. Zu der bereits betagteren, sehr wohlhabenden amerikanischen Schriftstellerin Edith Wharton, die in dem benachbarten Hyères ein Schloss bewohnte, hatten Aldous und Maria dagegen guten Kontakt. Unter den in den nächsten Jahren regelmäßig nach Sanary wiederkehrenden Gästen befanden sich insbesondere Raymond Mortimer, Gerald Heard, J. W. N. Sullivan und Eddy Sackville-West. Im Mai 1930 erschien Huxleys nächste Geschichtensammlung Brief Candles (dt. Nach dem Feuerwerk), deren Titel eine Zeile aus Shakespeares Macbeth verfremdet. In den vier Texten geht es erneut um einseitige, bis ins Absurde übersteigerte Lebenshaltungen, so zum Beispiel in der Geschichte »The Claxtons« (dt. »Die Claxtons«), in der Huxley den puritanischen Lebensstil satirisch auf die Spitze trieb. Im selben Monat veröffentlichte der Evening Standard den Beitrag »Babies – State Property«. Einerseits konstatierte Huxley darin ein allgemein schwindendes Interesse an Nachkommen, das dem zunehmenden Individualismus der Menschen geschuldet sei. Andererseits beobachtete er am Beispiel der Sowjetunion die beunruhigende Tendenz, die Erziehung (und in Zukunft vielleicht sogar die Produktion?) der Kinder mehr und mehr in die Hände des Staates zu geben, um so für landestreue und möglichst unkritische Bürger zu sorgen. Der Artikel war ein deutlicher Vorgriff auf ein zentrales Thema seines nächsten Romans Schöne neue Welt. Den gesamten Sommer des Jahres 1930 verbrachten Aldous, Maria und Matthew in Sanary, obwohl die Bauarbeiten am Haus noch keineswegs abgeschlossen waren. Huxley entwickelte wieder äußerst diszipliniert den bereits aus Forte dei Marmi gewohnten Tagesrhythmus mit festgelegten Arbeitseinheiten. So kam er gut mit seinem aktuellen Schauspielprojekt voran, das er The World of Light nannte, und schrieb auch an neuen Essays und Gedichten. Noch größere Bedeutung erlangte für ihn jetzt die Malerei, vor allem in Öl, die er immer regelmäßiger und mit fortschreitendem Enthusiasmus betrieb. Auch über diese vermutlich zahlreichen Gemälde, die in den 131

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Jahren in Sanary entstanden, ist wenig bekannt; einige von ihnen, die sein Talent klar bezeugen, sind in Band 10/11 des Aldous Huxley Annual (2010/11) wiedergegeben. Für die Familien­tradition, abends laut vorzulesen, wurde diesmal Henry Fieldings großer Roman Tom Jones aus dem 18. Jahrhundert ausgewählt. Trotz der beträchtlichen Länge des Buches schaffte man im Laufe der Wochen die gesamte Lektüre. Am Ende der Herbstferien brachten Aldous und Maria ihren Sohn zurück an seine Schule. Aldous schloss sich danach seinem Freund J. W. N. Sullivan an, der für den Observer nach Berlin und Paris entsandt wurde, um dort bedeutende Wissenschaftler zu interviewen. Begeistert äußerte Huxley sich darüber, Größen wie Albert Einstein, Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger kennenlernen zu können. In Berlin stellte ihm Sullivan zudem einen äußerst exzentrischen Bekannten vor, den gerade dort verweilenden Okkultisten Aleister Crowley, dem es ein besonderes Vergnügen war, seine Gäste in das berüchtigte Berliner Nachtleben einzuführen. Zurück in England begab Aldous sich mit Maria auf eine sehr außergewöhnliche Reise nach Nordengland. Er war gebeten worden, für Nash’s Pall Mall Magazine einen Artikel über die Lebensbedingungen der Arbeiter in der dortigen Bergbauregion zu verfassen. Da es sich für ihn in jeder Hinsicht um fremdes Gebiet handelte, nannte er seinen Beitrag »Abroad in England«. Die desolaten Umstände, die Armut der Menschen und die hohe Arbeitslosigkeit, welche die schwere Rezession mit sich brachte, schockierten ihn so sehr, dass er zu einem nationalen Plan zur Verbesserung der Situation aufrief. Außerdem nahm er sich vor, im kommenden Jahr seine Streifzüge im Norden Englands und auch in den Arbeitervierteln Londons fortzusetzen. Daraus sollte eine ganze Reihe von Artikeln entstehen, die sein wachsendes soziales und politisches Engagement dokumentierten. Gesammelt wurden sie 1994 von David Bradshaw in The Hidden Huxley veröffentlicht. Im Februar 1931 besichtigte Aldous die Fabrik der Imperial Chem­ical Industries (ICI) in Billingham bei Durham. Er sah sich konfrontiert mit einer Anlage, die durch ihre Grandiosität und kühle 132

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Ästhetik bestach und in der ganz offensichtlich dem von Henry Ford beschworenen Gott der Massenproduktion gehuldigt wurde. Inte­ ressiert und beunruhigt nahm er den monotonen Ablauf der indus­ triellen Arbeitsprozesse zur Kenntnis: Je einfacher die Arbeit war, desto eintöniger erschien sie ihm. Grundlegende Fragen gingen ihm durch den Kopf. Wie ertrugen die Menschen diese hoffnungslos unkreative Tätigkeit? Wie konnten die Oberen langfristig sicherstellen, dass sich die Arbeiter mit ihrer Situation zufriedengaben? Wie würde der offenbare Siegeszug von Fords Ideen auf Dauer die Welt und den Menschen verändern? Die Auseinandersetzung mit solch brisanten Themen inspirierte ihn zu seiner düsteren Zukunftsvision Schöne neue Welt, die im Sommer in Sanary konkrete literarische Gestalt annahm und seinen bis heute anhaltenden Weltruhm begründete. Mehrere Wochen hielten sich Aldous und Maria im Frühjahr in London auf, denn für den 30. März war die Uraufführung von The World of Light im Royalty Theater in Soho geplant, und das erneut von Leon M. Lion produzierte Stück bedurfte guter Vorbereitung. Ein zentrales Thema des Schauspiels war der Spiritismus, der gerade wieder verstärkt diskutiert wurde. In Eine Gesellschaft auf dem Lande hatte Huxley den Glauben an eine Geisterwelt als Humbug belächelt. Für das Theaterpublikum wurde es jetzt jedoch schwieriger, die aktuelle Position des Autors festzustellen, denn Satire und realistische Darstellung hielten sich durchaus die Waage. Aldous hatte in der Zwischenzeit einige Bücher studiert, in denen Fragen nach dem Übersinnlichen und Übernatürlichen diskutiert wurden, darunter C. D. Broads The Mind and Its Place in Nature (1925), Gerald Heards The Ascent of Humanity (1929) und James Leubas The Belief in God and Immortality (1916). Es schien, als wollte er sich in seinem Schauspiel bewusst nicht festlegen, sondern vielmehr mit den verschiedenen Möglichkeiten experimentieren. Während sich die Kritiker fast einhellig positiv äußerten, blieb das Publikum mehr und mehr aus. Das Stück floppte und wurde nach kurzer Laufzeit eingestellt. Huxley war enttäuscht. Als Bühnenautor blieb ihm der erhoffte Erfolg verwehrt. 133

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Eine weitere geistige Auseinandersetzung zeichnete sich ab: Huxleys Begeisterung für D. H. Lawrences Lebensphilosophie begann schon bald nach dessen Tod zu bröckeln, was eigentlich kaum überraschend kam. Viel zu unterschiedlich waren die persönlichen Voraussetzungen der beiden Freunde. Aldous’ Intellektualität gebot ihm, auf längere Sicht nicht auf der Ebene des Erlebens stehen zu bleiben, sondern nach übergeordneten Erklärungsmustern Ausschau zu halten. Er lehnte Lawrences Ansatz nicht ab – ganz im Gegenteil: Das Erleben in seiner gesamten Vielfalt bildete den Maßstab, an dem sich jede metaphysische Spekulation zu orientieren hatte. Aber er schien jetzt bereit zu sein, sein schlummerndes Verlangen, der Welt eine Grundstruktur zu entnehmen, wieder in Konkurrenz zu seinem Zweifel treten zu lassen. In nur vier Monaten schrieb Aldous von Mai bis August 1931 Schöne neue Welt und knüpfte damit an das schnelle Entstehen seiner ersten beiden Romane an. Im Mai kam mit The Cicadas auch eine um neuere Gedichte erweiterte und diesmal nicht limitierte Version der letzten Sammlung heraus. George Doran, sein amerikanischer Verleger, unterbreitete ihm das äußerst lukrative Angebot, Essays für Zeitschriften des Medien-Tycoons William Randolph ­Hearst zu verfassen. In den folgenden vier Jahren arbeitete Huxley deshalb nicht zuletzt für den amerikanischen Markt, denn pro Artikel erhielt er immerhin stolze 100 Dollar. Im September erschien dann der hervorragende Essayband Music at Night. Einige der Texte behandeln Themen, die auch in Schöne neue Welt eine wichtige Rolle spielen. Aldous’ erwachtes sozialpolitisches Interesse fand gebührende Berücksichtigung. In den literaturtheoretischen Essays knüpfte er eng an Do What You Will an. Große Literaten, so betonte er, nähmen sich der schwierigen, aber ehrlichen Aufgabe an, die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des Lebens darzustellen. Dem Grundsatz »nicht nur, sondern auch« folgend, gingen sie nicht selektiv, sondern integrativ vor. Die besten Musikstücke wie etwa Beethovens Missa solemnis oder Bachs Kunst der Fuge seien imstande, überwältigende Gefühle auszulösen, die der mystischen Einheitserfahrung ähnelten. Letzterer widmete sich Huxley in Music at Night 134

Lob des Lebens

Aldous sitzt auf einer Säule der Villa Huley in Sanary

an verschiedener Stelle und bestätigte dabei, welch große Anziehungskraft die Mystik auf ihn hatte. Zu diesem Zeitpunkt äußerte er deutlich in einem Brief, dass ihm die Lawrencesche Verehrung des Lebens um seiner selbst willen nicht mehr genügte. Vielmehr sehnte er sich ausdrücklich nach der »freien Luft intellektueller Abstraktion und purer Geistigkeit« (Letters, S. 353). Allerdings sollten die nächsten Jahre zeigen, wie schwer ihm der Weg zu einem weltanschaulichen Durchbruch dennoch fiel.

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Ein Haus in Sanary

Oh, schöne neue Welt: Kritik und Krise(1931–1937) Ein Haus in Sanary Aldous Huxley hatte einen sehr produktiven, aber auch entspannten und erholsamen Sommer 1931 in seinem neuen Haus in Sanary verbracht. Er hatte viel gemalt und das regelmäßige Schwimmen im Meer mit seiner Familie und Freunden genossen. J. W. N. Sullivan war für einige Zeit zu Besuch gekommen, und als Feriendauergast hielt sich Marias Nichte, Jeannes Tochter Sophie, bei den Huxleys auf. Aldous und Maria mochten das Mädchen sehr, und auch Matthew verstand sich gut mit ihr. Der alten Tradition entsprechend war im Laufe der Wochen in den Abendstunden wieder ein gesamter Literaturklassiker laut gelesen worden, diesmal Alexandre Dumas’ beliebter Abenteuerroman Der Graf von Monte Christo (1844–1846). Nun war es Oktober, und die Huxleys fuhren abermals nach London, um dort bis ins neue Jahr zu bleiben. Sie wohnten zunächst in einem Apartment in der zentralen Duke Street in St.  James’s, anschließend im nahe gelegenen Cavendish Hotel. Aldous wollte seine Edition der Lawrence-Briefe abschließen und war mit einer ausführlichen Einleitung beschäftigt. Außerdem plante er eine thematisch angelegte Anthologie von Gedichten quer durch die Literaturgeschichte. Es schwebte ihm vor, die verschiedenen Themen und Gedichte mit eigenen Kurzessays zu kommentieren und zu verknüpfen, um so, seinen Gedanken in Music at Night folgend, ein Panorama des Lebens zu präsentieren. Darüber hinaus hatte er sich bereit erklärt, im kommenden Frühjahr eine Gedenkvorlesung zu Ehren seines Großvaters Thomas Henry Huxley am Imperial College of Science and Technology in London zu halten. Sein Beitrag sollte sich den literarischen Qualitäten der Schriften seines Großvaters widmen. Jedes dieser Projekte bedurfte eingehender Recherchen, des137

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halb hielt sich Aldous jetzt für seine Arbeit vornehmlich in Londoner Bibliotheken auf. Anfang Januar 1932 trat er auf Einladung seines Freundes Gerald Heard zweimal im britischen Radio auf. Heard war seit 1930 Moderator bei der BBC und stellte regelmäßig aktuelle Themen und bedeutende Persönlichkeiten im Radio vor. Heute weitgehend vergessen, galt er damals als Universalgelehrter, der mit den wichtigsten britischen Wissenschaftlern und Philosophen persönlich bekannt war und sich stets auf der Höhe des Denkens seiner Zeit befand. Er war es auch gewesen, der Aldous im Vorfeld zu The World of Light auf die Arbeit der Society for Psychical Research aufmerksam gemacht hatte, die parapsychologische Phänomene erforschte. In der ersten Sendung interviewte Heard Huxley zum Thema Gewalt und deren Fortbestand in der Menschheitsgeschichte. Was die staatliche Gewaltanwendung anbelangte, so äußerte Aldous die feste Überzeugung, dass in Zukunft physische Maßnahmen mehr und mehr durch subtileres psychologisches Einwirken ersetzt werden würden. Bei dem zweiten Auftritt handelte es sich um einen Solovortrag, der an das Interview anknüpfte. Huxley forderte eine neutrale Wissenschaft, die sich für das Wohl der Menschen einsetzte und es ablehnte, diese für politische oder ökonomische Zwecke zu vereinnahmen. Er warnte vor dem enormen psychologischen Einfluss, den staatliche Propaganda und Massensuggestion durch Radio- und Plakatwerbung auszuüben vermochten. Damit sprach er ein zentrales Thema seines Romans Schöne neue Welt an, der jetzt kurz vor der Veröffentlichung stand. Als das Buch im Februar erschien, befanden sich Aldous und Maria bereits wieder in ihrem Haus in Sanary, wo sie Raymond Mortimer für ein paar Wochen als Gast beherbergten. In seinen Briefen hatte Huxley Schöne neue Welt, dessen Titel Shakespeares Schauspiel The Tempest (dt. Der Sturm) entnommen war, als ironische Antwort auf H. G. Wells’ allzu positive Zukunftsvisionen in Romanen wie Men Like Gods (1923; dt. Menschen, Göttern gleich) angekündigt. Er verarbeitete darin all seine Bedenken, die er angesichts der politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Ent138

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wicklung der Welt hegte, und trieb sie auf die Spitze. Dabei wirkt der fiktive Weltstaat im Jahre 632 nach Ford oberflächlich gesehen geradezu paradiesisch. Es gibt keine Kriege mehr, es herrscht größtmögliche Stabilität und Sicherheit. Jeder Bürger hat seinen Platz in der Gesellschaft, besitzt eine Arbeit, kann sorglos und glücklich seinem Leben nachgehen und die Freizeit genießen. Aber dieser Zustand ist sehr teuer erkauft, denn dafür haben die wenigen Machthaber den Bürgern ihre geistige Freiheit und damit ihre Identität geraubt. Schon als künstlich gezeugter Embryo ist das Individuum für seine spätere Tätigkeit und seine Position in der gesellschaftlichen Hierarchie vorgesehen und wird dementsprechend von Wissenschaftlern gezielt manipuliert und standardisiert. Spezielle Konditionierung von frühester Kindheit an sorgt dafür, dass sich der Einzelne ganz mit seiner Rolle in der Gesellschaft identifiziert und sie stolz vertritt. So bildet jeder Mensch ein mehr oder minder kleines Zahnrad in der riesigen Maschinerie des Weltstaats, der sich vollständig Henry Fords Leitvorstellungen von Produktivität und Konsum verschrieben hat. Kritisches oder kreatives Denken, wie es in der Vergangenheit in Literatur, Philosophie und Religion zum Ausdruck gekommen ist, stellt für das System eine elementare Bedrohung dar und wird deshalb von vornherein so weit wie möglich ausgeschaltet. Wenn es innerhalb der höheren und damit intelligenteren Kasten der Gesellschaft doch hin und wieder zum Vorschein kommt, kann als Gegenmittel die glücklich machende Droge »Soma« eingesetzt werden. Hilft auch sie nicht nachhaltig, wird der Betreffende an den Rand des Weltstaats verbannt. Die Verkaufszahlen von Schöne neue Welt knüpften in England und bald auch in anderen europäischen Ländern nahtlos an den Erfolg von Kontrapunkt des Lebens an, während das amerikanische Publikum deutlich verhaltener reagierte. Obwohl der Roman vorwiegend in England spielte, wurde Huxleys Satire insbesondere als Angriff auf Tendenzen in den Vereinigten Staaten aufgefasst. Die Huxleys gönnten sich derweil mit Sybille von Schoenebeck einen Kurzurlaub in Cannes. Auf dem Weg dorthin sahen sie sich eine gelungene Amateuraufführung von The World of Light an, die 139

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Aldous trotz des vergangenen Desasters darin bestärkte, am Genre des Schauspiels festzuhalten. Während ihres Aufenthaltes in Cannes besuchten sie H. G. Wells, der in der Nähe ein Haus besaß. Nicht unerwartet verurteilte der berühmte Science-Fiction-Autor Schöne neue Welt heftig und warf Huxley bloße Schwarzseherei vor. Wie Aldous’ recht drastische Äußerungen über Wells in zeitgleichen Briefen bezeugen, ließ ihn die herbe Kritik keineswegs unberührt. Anfang Mai hielt er in London die vereinbarte Vorlesung zu Ehren seines Großvaters, die noch im selben Monat in kleiner Auflage als T. H. Huxley as a Man of Letters erschien. Außerdem wurde die Erneuerung seines Vertrages mit Chatto & Windus fällig. Die Konditionen blieben die gleichen, nur dass das jährliche Festeinkommen jetzt sogar auf 1250 Pfund erhöht wurde. Huxleys Vertrag mit dem amerikanischen Verlag Doubleday & Doran lief dagegen aus, und er entschloss sich nach einigem Hin und Her, zu dem ebenso renommierten Verlag Harper zu wechseln. Dort war sein Freund Eugene Saxton, den er 1926 in New York kennengelernt hatte, als Cheflektor tätig. Für die nächsten drei Jahre wurden Aldous von amerikanischer Seite jährlich 7000 Dollar garantiert; finanziell konnte er also sehr gelassen in die Zukunft blicken. Schließlich vereinbarte er mit der politischen Wochenzeitschrift Time and Tide, die der Feministin Margaret Mackworth gehörte, auch noch eine Reihe von Artikeln unter dem Namen »Notes on the Way«, in denen er sich essayistisch mit wichtigen Themen seines letzten Romans auseinandersetzen wollte. Von London aus begaben sich Aldous und Maria im Frühjahr aus höchst ungewöhnlichem Anlass nach Brüssel. Der belgische König, Albert I., hatte den Wunsch geäußert, Huxley persönlich kennenzulernen, sodass auf Vermittlung von Marias Onkel Georges Baltus ein gemeinsames Mittagessen im königlichen Palast stattfand. Aldous war in Anbetracht der erwarteten Hofetikette zunächst nervös, aber das Treffen erwies sich als unkompliziert und angenehm. Amüsiert stellte er fest, dass die Motten aus den Polstern flogen, wenn man sich auf einem der alten Sitzmöbel niederließ. Im Anschluss an die140

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Aldous und Maria in Berlin 1932

sen Besuch nahmen die Huxleys zusammen mit Raymond Mortimer einen Zug nach Deutschland, wo sie sich Bamberg, Würzburg und andere Städte im Süden des Landes anschauten. Dann fuhren sie weiter nach Kassel und schließlich nach Berlin. Dort wurden sie von Sybille von Schoenebeck begrüßt, die mit ihrem Automobil angereist war. Berlin vermittelte ihnen das Gefühl, sich in einem Land zu befinden, das eine unheilvolle politische Entwicklung erlebte, aber sie waren vornehmlich als Touristen unterwegs, die Museen, den Zoo und die Oper besuchten. Sybille chauffierte sie auch nach Potsdam, dessen Schloss Sanssouci Aldous nicht sehr begeisterte und dem er eine ebenso wenig schmeichelhafte Abfuhr erteilte wie 1925 dem Taj Mahal. 141

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Mittlerweile näherte sich Matthews Grundschulzeit ihrem Ende. Auf Anraten von Gerald Heard meldete Huxley seinen Sohn im Juni für das kommende Schuljahr an der Dartington Hall School bei Totnes in der südwestenglischen Grafschaft Devon an. Dieses weiterführende Internat war reformpädagogisch ausgerichtet, besaß einen exzellenten Ruf und entsprach Aldous’ Vorstellungen von einer zeitgemäßen Erziehung. Zwar wusste er, dass Matthew ein völlig anderer Lerntyp als er selbst war, sich intellektuell schwerer tat und weniger selbstdiszipliniert arbeitete, aber er hoffte trotzdem, dass sich die entspannte Atmosphäre des individuellen Lernens positiv auf seinen Sohn auswirken würde. Die erheblichen Defizite, die Matthew im Laufe der Zeit an seiner neuen Schule aufweisen sollte und die schließlich im Sommer 1935 zum Wechsel an eine Schule im schweizerischen Lausanne führen würden, sah sein Vater nicht voraus. Die zweite Hälfte des Jahres 1932 verbrachten die Huxleys weitgehend in Sanary. Wie üblich hielten sich fast immer Gäste bei ihnen auf. Auch Julian fand endlich die Zeit, seinem Bruder in Südfrankreich einen Besuch abzustatten. Zum Mittag- oder Abendessen wurden in der Umgebung wohnende Freunde und Bekannte eingeladen, darunter etwa Edith Wharton und Paul Valéry. Regelmäßig nahmen Aldous und Maria auch ihrerseits Einladungen an. Sybille von Schoenebeck stellte ihnen ihre Freundin Eva Herrmann vor. Herrmann war eine junge, aber bereits etablierte deutsch-amerikanische Zeichnerin und Malerin, die Aldous mit der Gouachetechnik vertraut machte, die Elemente der Aquarell- und der Ölmalerei miteinander verbindet. Er war fasziniert von den sich damit bietenden Möglichkeiten, malte intensiver denn je und konnte sogar Julian dazu bewegen, malerisch aktiv zu werden. Auch Eva Herrmann wurde in der Folgezeit zu einer engen Vertrauten der Huxleys. Sanary und die umliegenden Dörfer und Städtchen hatten schon seit Jahren Literaten und andere Künstler angezogen. Dieser Trend hielt unvermindert an. Als neuen Nachbarn konnte Aldous den amerikanischen Schriftsteller und Okkultisten William Seabrook begrüßen, einen Globetrotter, der sich mit den magischen Kulten 142

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von Naturvölkern beschäftigte. Vor allem aber ließen sich jetzt mehr und mehr deutschstämmige oder deutschsprachige Intellektuelle, die aus konfessionellen, politischen oder moralischen Gründen der drohenden NS-Herrschaft entkommen wollten, an der französischen Riviera nieder. Als einer der ersten fand sich der schon ältere Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe ein, der die von den Nationalsozialisten als »entartet« verschmähten Künstler verteidigte. Schon bald sollten etliche hochrangige Autoren folgen, darunter Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, die gesamte Familie Mann, Ludwig Marcuse, Erwin Piscator, Franz Werfel, Arnold Zweig, Stefan Zweig und René Schickele. Sanary entwickelte sich ab 1933 vorübergehend zu einem »Montparnasse-sur-Mer«, einer wahren Künstlerkolonie. Aldous und Maria pflegten zwar ihre Kontakte zu den Exilanten, aber sie fühlten sich nicht dazugehörig und hielten meist beobach­ tende Distanz. Mit der jüdischen Ärztin und Psychologin Charlotte Wolff, die nach ihrem Berufsverbot 1933 Deutschland verließ, verband die Huxleys jedoch bald eine engere Freundschaft. Wolff, die als Flüchtling ihre Approbation verloren hatte, ging jetzt professionell ihrer Leidenschaft, der Chirologie (dem Handlesen), nach, und sie konnte sowohl Maria als auch Aldous dafür interessieren. Ihrem Buch Studies in Hand-Reading, das 1936 in London erscheinen sollte, widmete Huxley sogar eigens ein Vorwort. Neben der Malerei verbrachte Aldous im Sommer 1932 wie gewohnt viel Zeit mit dem Lesen. Er entdeckte das philosophisch geprägte Werk des zeitgenössischen österreichischen Schriftstellers Hermann Broch für sich. Begeistert bezeichnete er Broch als den größten deutschsprachigen Literaten neben Franz Kafka. Erneut las er Tolstois Krieg und Frieden, eines seiner Lieblingsbücher, dessen kolossaler Ansatz für ihn nichts von seiner Faszination verloren hatte. Aber Aldous dachte auch wieder an die Bühne. Inspiriert von dem Schicksal des schwedischen Zündwaren-Tycoons Ivar Kreuger, der im März 1932 in Paris Selbstmord begangen hatte, schrieb er ein kapitalismuskritisches Stück mit dem Titel Now More Than Ever, den er dem Gedicht »Ode to a Nightingale« (1819; dt. »Ode an eine Nachtigall«) des romantischen Dichters John Keats entnahm. Das 143

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Schauspiel hatte eine klare moralische Zielrichtung und bezeugte erneut den Stellenwert, den politisch-ökonomische Fragen jetzt in Huxleys Denken einnahmen. Aber es war sehr textlastig, und nicht zuletzt deshalb fand er weder einen Produzenten noch ein Theater für das Stück. Zwei Jahre hielt er hoffnungsvoll, jedoch erfolglos an dem Projekt fest, dann geriet das Typoskript auf lange Zeit in Vergessenheit. Das Stück wurde schließlich zu Huxleys 100. Geburtstag im Jahr 1994 im Rahmen des 1. Internationalen Huxley-Symposiums unter der Regie von Uwe Rasch uraufgeführt. Die Buchausgabe erschien sechs Jahre später. Sehr zufriedenstellende Kritiken erhielt Aldous’ Auswahl der Briefe D. H. Lawrences, die im September 1932 veröffentlicht wurde und sich gut verkaufte. Die Gedichtanthologie Texts and Pretexts, die zwei Monate später herauskam, wurde ebenfalls wohlwollend zur Kenntnis genommen, allerdings hielten sich die Verkaufszahlen in Grenzen. Zwischendurch reisten Aldous und Maria nach Italien, um Freunde und Bekannte zu besuchen. In Forte dei Marmi trafen sie den jungen Schriftsteller Alberto Moravia, dessen existenzialistischen Roman Die Gleichgültigen (1929) Huxley bewunderte. Als sie nach Sanary zurückgekehrt waren, kamen Marias Schwester Suzanne und Joep Nicolas zu Besuch, und die folgenden Tage standen ganz im Zeichen der Malerei und der Diskussion visueller Kunst. Gleichwohl machte sich Aldous Gedanken über sein nächstes Romanprojekt, aber ihn beschlich von Beginn an ein ungutes Gefühl. Im November berichtete er Eugene Saxton in einem Brief von seinen Problemen, einen Ausgangspunkt und eine thematische Richtung für den Roman zu finden. Selbstverständlich wollte er an den Erfolg von Kontrapunkt des Lebens und Schöne neue Welt anknüpfen, und das erhöhte den Druck noch zusätzlich. Es zeichnete sich der Anfang einer Krise ab, die zu Huxleys fundamentalster und langwierigster werden und ihn sowohl psychisch als auch körperlich extrem belasten sollte. Sein vorläufiges Rezept bestand darin, sich auf journalistische Arbeiten zu konzentrieren. Außerdem lockte ihn erneut die Idee, räumliche Distanz zu gewinnen und in fremder Umgebung frische Erfahrungen zu sammeln. Er beschloss, mit Maria eine wei144

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tere Reise nach Übersee zu unternehmen. Diesmal zog es die beiden über den Atlantik nach Westen, wo sie mehrere Monate lang Mittelamerika erkunden wollten.

Freiheit und Leere Ende Januar 1933 fuhren die Huxleys auf dem Kreuzfahrtschiff Brit­ annic von Liverpool aus in die Karibik. An Bord beobachtete Aldous amüsiert die oftmals banalen Vergnügungen, denen sich die wohlhabenden Gäste hingaben und die für ihn in infantilen Mottofeiern ihren Tiefpunkt fanden. Selbstverständlich hielt er seine Eindrücke schriftlich fest, denn er plante ein Buch mit Reiseessays im Stile von Jesting Pilate. Erneut würde er seine Erlebnisse zum Anlass nehmen, die Natur des Menschen zu beleuchten sowie soziopolitische, religiöse und ästhetische Fragen zu diskutieren. Mit einem Zitat aus dem politisch motivierten Gedicht »Bermudas« von Andrew Marvell, einem der großen englischen Dichter des 17. Jahrhunderts, fand er einen geeigneten Titel für sein Buch: Er nannte es Beyond the ­Mexique Bay. Die Britannic steuerte zunächst für jeweils kurze Aufenthalte Barbados, Trinidad, Venezuela, Panama und Jamaika an. Trotz der freundlichen und entspannten Umgebung in der Karibik nahm Aldous insbesondere die einfachen Lebensverhältnisse und die Armut vieler Menschen dort zur Kenntnis. In der jamaikanischen Hauptstadt Kingston verließ er mit Maria erleichtert das Schiff, um auf eigene Faust weiterzureisen. Auf einem Bananendampfer erreichten die beiden das damals noch zu Britisch-Honduras gehörende Belize, das Aldous wie das Ende der Welt vorkam. Ihr erstes großes Ziel aber war Guatemala, wo sie mehr als einen Monat verbrachten und sich ausgiebig den faszinierenden Relikten der Maya-Kultur widmeten. In Quirigua hielten sie sich einige Tage bei dem schottischen Arzt Dr. MacPhail auf, dessen Großherzigkeit und Selbstlosigkeit Aldous so nachhaltig beeindruckten, dass er ihm später in seinem letzten Roman Eiland ein Denkmal setzte. Anschlie145

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ßend fuhren die Huxleys mit dem Zug nach Guatemala-Stadt. Dort wurden sie von hochrangigen politischen Funktionären, von Diplomaten und Literaten empfangen. Auch lernten sie den Engländer Roy Fenton kennen, der sie auf seine Kaffeeplantage »Progreso« im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca einlud. Zuvor aber erkundeten sie in Guatemala historische Orte, schlossen sich einer amerikanischen Reisegruppe an und flogen nach Honduras, um die alte Maya-Stadt Copán zu besichtigen. Von Guatemala-Stadt aus begleiteten Aldous und Maria dann Ende März ihren Gastgeber Roy Fenton nach »Progreso«. Die anstrengende Reise führte sie zunächst per Zug und Bus an den Pazifik. Ein Schiff brachte sie bis zur mexikanischen Küste, wo ein Auto bereitgestellt wurde, das sie in Richtung der Plantage beförderte. Den letzten Abschnitt der Strecke mussten sie allerdings auf dem Rücken von Mulis absolvieren. In »Progreso« erlebten die Huxleys einige unbeschwerte Tage bei besten klimatischen Bedingungen. Fenton erwies sich als sehr angenehm und klug. Wiederholt gab er ihnen Unterricht im adäquaten Umgang mit den Maultieren, denn ihr Plan war es, in Kürze einen Teil der Gebirgskette Sierra Juárez in Richtung der Hauptstadt des Bundesstaates, Oaxaca de Juárez, reitend zu bewältigen: Es gab kein ausgebautes Verkehrsnetz. Über verschlungene und sehr abenteuerliche Wege ging es in erschöpfenden Tagesmärschen über San Pedro und Miahuatlán nach Ejutla, wo Aldous und Fenton in einer Bar unliebsame Bekanntschaft mit einem betrunkenen Mexikaner machten, der gerade noch daran gehindert werden konnte, seinen Revolver gegen die Fremden einzusetzen. Weiter ritt die Reisegruppe bis nach Ocotlán. Dort bestand endlich die Möglichkeit, einen Zug zu nehmen, um Oaxaca de Juárez zu erreichen. In der Hauptstadt Oaxacas und den umliegenden archäologisch erschlossenen Stätten bestaunten Aldous und Maria die historischen Zeugnisse der indigenen Kulturen, vor allem das aztekische Erbe. Über Puebla, Cholula und Taxco erreichten sie schließlich Mexiko-Stadt. Erneut waren sie die umworbenen Gäste zahlreicher Empfänge. Aldous aber äußerte sich in seinen Aufzeichnungen und Briefen insgesamt sehr kritisch über Mexiko – wie auch über ganz 146

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Mittel­amerika. D. H. Lawrences verklärte Sicht des einfachen, ursprünglichen Lebens auf dem Subkontinent konnte er nicht nachvollziehen. Die primitiven Verhältnisse, die in Schmutz, Armut und Krankheit ihren Ausdruck fanden, erinnerten ihn an seine in Jesting Pilate niedergeschriebenen Erlebnisse in Indien. Zudem stellte er fest, dass all die negativen Eigenschaften des Menschen, die er in Europa wahrnahm und die mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland eine fatal neue Qualität zu erlangen schienen – Hass und Neid, Raffgier, Feindseligkeit und Gewaltbereitschaft –, auch in Mittelamerika deutlich ausgeprägt waren. Es handelte sich offenbar um Konstanten der menschlichen Psyche. Angestachelt und kanalisiert durch nationalistische Propaganda konnten sie leicht für kriegerische Zwecke vereinnahmt werden. Aldous wünschte sich daher die Einberufung einer Weltkonferenz für Psychologie, in deren Rahmen die besten Experten die psychologischen Ursachen menschlichen Handelns analysieren und die Mechanismen moderner Propaganda aufdecken sollten, um so der schon jetzt drohenden Kriegsgefahr in Europa zu begegnen. Ende April 1933 befanden sich die Huxleys auf dem Schiffsweg von Mexiko nach New York City. Aldous schrieb seinem Vater einen Brief über die letzten Etappen der Reise. Er konnte nicht ahnen, dass dieser Brief seinen Empfänger nicht mehr erreichen würde. Leonard Huxley starb völlig unerwartet am 3. Mai im Alter von 72 Jahren an einem Herzinfarkt. Aldous und Maria waren bereits in New York angekommen, als sie die traurige Nachricht ereilte. Spontan gaben sie ihre weiteren Reisepläne auf, ermittelten Rückreisemöglichkeiten nach Europa und fuhren auf der SS Statendam nach England, um bei Rosalind Huxley und ihren Kindern zu sein und mit der Familie zu trauern. Für das Begräbnis kamen sie allerdings zu spät. Als Maria und Aldous in der zweiten Junihälfte schließlich nach Sanary zurückkehrten, hatte sich die Zahl der deutschen Exilanten vor Ort deutlich erhöht. Viele davon lernten sie im Rahmen eines großen Sommerfestes kennen, das William Seabrook und seine Geliebte, die Schriftstellerin Marjorie Worthington, in ihrem Garten veranstalteten. Während die Huxleys William und Marjorie als 147

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gute, wenn auch exzentrische Freunde betrachteten, empfanden sie einige deutsche Literaten, nicht zuletzt auch Thomas und Heinrich Mann, als befremdlich überheblich und pompös. Aldous arbeitete jetzt intensiv an Beyond the Mexique Bay, obwohl er wusste, dass seine Verleger von der Idee eines Reisebuches in Zeiten der Rezession nicht sonderlich begeistert waren. Daneben ging er wieder ausgiebig der Malerei nach, die für ihn weiterhin die schönste Ablenkung darstellte. Maria hingegen kümmerte sich mit Vorliebe um ihren Garten, in dem sie nun auch mexikanische Jacaranda-Bäume züchtete. Da beider ohnehin labile Gesundheit im Laufe der Mittelamerikareise in größere Mitleidenschaft gezogen worden war, entschieden sie sich, systematisch die von William ­Howard Hay entwickelte Trennkostdiät auszuprobieren, die sie in New York kennengelernt hatten. Es sollte das erste von vielen noch folgenden Experimenten mit alternativen Ernährungsmethoden sein. Maria bereitete die Speisen jetzt oft alleine zu, da Rina Rontini, das über Jahre treue Haus- und Küchenmädchen der Huxleys, überstürzt den italienischen Chauffeur der Seabrooks geheiratet hatte und aus der »Villa Huley« ausgezogen war. Im Herbst 1933 kam Gerald Heard für einige Tage zu Besuch nach Sanary. Er äußerte sich sehr besorgt über die politische Situation in Deutschland, hielt die Kriegsgefahr in Europa für akut und empfahl seinen Freunden, möglichst bald nach Südamerika oder auf eine der Pazifikinseln auszuwandern. Aldous sah sich in seinen Befürchtungen bestärkt, und die Teilnahme an einem Kongress für geistige Zusammenarbeit, der unter der Leitung Paul Valérys in Paris stattfand, ließ ihn noch frustrierter zurück. Das endlose Debattieren und Theoretisieren der Teilnehmer und die Ergebnislosigkeit der Veranstaltung erzürnten ihn maßlos. Nachdem Aldous im November Beyond the Mexique Bay abgeschlossen hatte, flog er mit Maria nach Madrid und traf dort Sybille von Schoenebeck und Eva Herrmann, die ihnen vorausgereist waren. Fast zwei Wochen blieben sie in der spanischen Hauptstadt und besuchten jeden Tag den grandiosen Prado, um die von El Greco, Goya, Velazquez und anderen Künstlern geschaffenen Meisterwerke 148

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zu bewundern. Zurück in Sanary musste sich Aldous wohl oder übel seinem bereits seit längerer Zeit auf Eis gelegten Romanprojekt zuwenden. Zumindest hatte er jetzt eine grobe Vorstellung, worum es darin gehen sollte. In einem kurz vor Weihnachten geschriebenen Brief hieß es: »Das grundlegende Thema ist Ungebundenheit. Was mit jemandem geschieht, der wirklich sehr frei wird – zunächst materiell (denn Freiheit ist nun mal sehr stark von Besitz abhängig) und dann mental und emotional. Die ganz furchtbare Leere, als die sich eine solche Freiheit entpuppt. Aber ich habe noch nicht die komplette Geschichte ausgearbeitet – bloß den ersten Teil.« (Letters, S. 376)

Offensichtlich beschäftigte er sich wieder mit einem seiner zentralen Themen, der Distanzierung des Menschen von der Lebensrealität und der Flucht in eine einfache, aber bedeutungsarme Eigenwelt. Doch weiterhin blieb es zunächst bei der Kritik an dieser Haltung, wenn sie auch noch so scharf formuliert wurde. Von einer positiven Ausrichtung, die hier erkennbar ersehnt wurde, war er noch immer entfernt. Er stagnierte. Bezeichnenderweise war 1933 für Huxley das erste Jahr seit seinem ursprünglichen Vertrag mit Chatto & Windus, in dem es zu keiner Buchveröffentlichung mit neuem Material kam. Schon ab dem nächsten Frühjahr konnte er feststellen, dass etliche der deutschen Exilanten, unter ihnen auch Thomas Mann, Sanary lediglich als Zwischenstation betrachtet hatten und nach und nach weiterreisten. Nur wenige folgten Lion Feuchtwangers oder René Schickeles Beispiel und blieben länger. Maria hielt sich wegen einer ärztlichen Behandlung in London auf, und Sybille von Schoenebeck zog vorübergehend in die »Villa Huley« ein, um Aldous zu unterstützen. Er arbeitete an einigen politischen und soziologischen Artikeln für Nash’s Pall Mall Magazine, Time and Tide und die amerikanischen Hearst-Zeitschriften, kümmerte sich aber auch um das Fortschreiten seines Romans. Mary Hutchinson teilte er in einem Brief mit, dass er literarisch damit experimentiere, verschiedene Phasen eines Lebens gleichzeitig zu präsentieren, um aufzuzeigen, wie sie 149

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aufeinander bezogen und zugleich bezugslos sind. Dies war der erste Hinweis auf die eigentümliche Struktur des zukünftigen Eyeless in Gaza (dt. Geblendet in Gaza), in dem die Biografie der Hauptfigur Anthony Beavis in parallele Erzählstränge aufgebrochen wird. Nach Marias Rückkehr fuhren die Huxleys für einen Monat nach Italien, wo sich ihre Wege bisweilen mit denen von Sybille von Schoenebeck und Eva Herrmann kreuzten. In Rom holten sie Matthew, dessen Osterferien begonnen hatten, vom Flughafen ab und genossen ausgiebig eine ihrer erklärten Lieblingsstädte. Danach reisten sie nach Neapel und anschließend über einige Stationen zurück in den Norden. In Florenz und Forte dei Marmi ließen sie ihren Italienaufenthalt ausklingen. Aldous’ Resümee dieser Reise war aber mehr als verhalten. Zum einen hatte ihnen das über weite Teile überraschend schlechte Wetter ein Schnippchen geschlagen, zum anderen hatten die allerorts stattfindenden Aufmärsche von Mussolinis Faschisten für ein Gefühl der Einschüchterung und Bedrohung gesorgt, wie es nur noch von den Nationalsozialisten in Deutschland gesteigert wurde. Das eigentlich geliebte Italien stellte jetzt lediglich einen finsteren Schatten seiner selbst dar. In der Zwischenzeit war Beyond the Mexique Bay erschienen und verkaufte sich unerwartet gut. Dagegen ärgerte es Aldous, dass seine Hoffnungen, einen Käufer für die Filmrechte an Schöne neue Welt gefunden zu haben, kurzfristig zum Erliegen gekommen waren. Den Sommer verbrachten die Huxleys wie üblich in Sanary. Charlotte Wolff hielt sich jetzt ständig bei ihnen auf und wertete die Handabdrücke ihrer Gastgeber und vieler Besucher aus, darunter Paul Valéry und Edith Wharton. Aldous schrieb und malte, und er las wieder viel, auch – wohl auf Anregung Gerald Heards – das im Frühjahr erschienene Buch Yoga and Western Psychology (dt. Yoga und Tiefenpsychologie) von Geraldine Coster. Deren Beschäftigung mit Möglichkeiten, die individuelle Persönlichkeit zu entwickeln, beeindruckte ihn sehr. Coster stützte sich auf die Weisheiten des altindischen Gelehrten Patanjali, der noch vor dem 5. Jahrhundert n.  Chr. das Yogasutra, einen frühen Meditations-Leitfaden, verfasst hatte. Sie beschrieb meditative Wege, die Aufmerksamkeit und da150

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Matthew, M ­ aria und Aldous A ­ nfang der 1930er-Jahre

mit das Bewusstsein zu schärfen, gewohnheitsmäßige Denk- und Handlungsmuster aufzubrechen, gedanklichen Ablenkungen entgegenzuwirken und das Denken zu steuern, um so insgesamt eine höhere Selbstkontrolle zu erlangen. Das Ziel dabei bestand darin, im Menschen schlummernde, aber im alltäglichen Leben verdrängte Potenziale zu verwirklichen. Aldous sprach von der »Vervollkommnung einer Reihe von psychologischen Techniken, um die Persönlichkeit angemessen auszuschöpfen« (SL, S. 299), womit 151

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er an eine Leitidee von Do What You Will anknüpfte. Auch betonte er jetzt, dass er die Entwicklung des Individuums als entscheidende Voraussetzung für eine positive Veränderung der Gesellschaft ansah. Im September schrieb er für Nash’s Pall Mall Magazine einen ausführlichen Essay über die Society for Psychical Research, den er »Science Turns to the Supernatural« nannte. Er würdigte die Arbeit der Gesellschaft und äußerte seine Ansicht, dass sie die Existenz übersinnlicher Fähigkeiten wie Telepathie und Hellsichtigkeit, die in wissenschaftlichen Kreisen zumeist bestritten wurde, mittlerweile überzeugend demonstriert habe. Es handele sich offenbar um seltene Begabungen, die mit denen herausragender Künstler und Wissenschaftler vergleichbar seien. Zum ersten Mal überschritt Aldous damit eine für ihn lange als unüberwindbar geltende Schwelle. Es zeigte sich jetzt immer deutlicher, in welche Richtung seine Überlegungen und Bestrebungen gingen. Ende des Monats fuhr er mit Maria nach London. Geplant war ein längerer Aufenthalt von etwa vier Monaten. Huxley wollte erneut für seine journalistischen Arbeiten recherchieren, suchte nach frischen Inspirationen für das weiterhin nur schleppend voranschreitende Romanprojekt und verspürte das dringende Bedürfnis, sich in der zunehmenden europäischen Krise verstärkt in seinem Heimatland aufzuhalten. Maria folgte eher widerwillig. Sie mochte die Londoner Luft, die britische Esskultur und die Menschenmassen in der Me­ tropole überhaupt nicht. Aber sie wusste, wie wichtig der Umgebungswechsel für ihren Mann war. Nach einem kurzen Zwischenstopp in der bereits vertrauten Duke Street mieteten sich die beiden in einer äußerst preisgünstigen Studiowohnung am St. Alban’s Place ganz in der Nähe von Piccadilly Circus ein. Wenig später entschloss sich Aldous kurzerhand, einen auf sieben Jahre angelegten Mietvertrag für eine Unterkunft in der exklusiv gelegenen Wohnanlage »The Albany« einzugehen. Auch sie war nur ein paar Schritte von Piccadilly Circus entfernt. Berühmte Schriftsteller wie Lord Byron, diverse Premierminister, Historiker und Schauspieler hatten dort eine Heimstatt gefunden. Die Länge des Vertrags deutet darauf hin, wie 152

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sehr Huxley daran gelegen war, unbeschwert zwischen Sanary und London hin- und herpendeln zu können; dass aus den sieben Jahren letztlich nur zwei werden würden, konnte er nicht voraussehen.

Krise Das Mobiliar für die neue Wohnung bezogen Aldous und Maria weitgehend aus zweiter Hand. Sie legten nach wie vor wenig Wert auf eine teure Vorzeigeeinrichtung. Dennoch wurde E2, »The Albany« umgehend zu einem beliebten Treffpunkt für Freunde und Verwandte, nachdem Mitte Dezember der Einzug erfolgt war. Zu den häufigsten Besuchern zählte Gerald Heard, der jetzt zu einem der engsten und wichtigsten Freunde der Huxleys wurde. Silvester feierten sie im »Albany« in fröhlicher Runde. Gleichwohl gab es hinreichend Grund zur Besorgnis. J. W. N. Sullivan war an Multipler Sklerose erkrankt und befand sich zudem in größeren finanziellen Schwierigkeiten. Aldous hatte umgehend eine Spendenkampagne gestartet, um seinem Freund zu Hilfe zu kommen. Doch auch ihm selbst ging es nicht sonderlich gut. Er litt an bislang ungewohnter Schlaflosigkeit, einem Symptom innerer Unruhe, das auf eine größere psychische Krise hindeutete. Zunächst wählte er die konventionelle Herangehensweise und nahm milde Schlaftabletten sowie das Beruhigungsmittel Sedobrol. Gerald Heard empfahl ihm, aus seinem theoretischen Interesse für Yoga praktischen Nutzen zu ziehen und zu versuchen, durch bewusste Atemübungen und gedankliche Konzentration das innere Gleichgewicht wiederzufinden. Huxley ließ sich darauf ein, spürte leichte Erfolge, merkte aber auch, wie enorm schwierig und zeitaufwendig dieser Weg war. Zweimal fuhr er früh im neuen Jahr 1935 nach Paris, um für in Aussicht gestellte Artikel für die Zeitschrift Paris-Soir zu recherchieren. Die Arbeit verlief jedoch im Sande, was ihn zusätzlich frus­ trierte. Aldous sah seine Geldressourcen schwinden. Er fürchtete eine fortdauernde Schreibblockade. Die Schlaflosigkeit kam mit voller Wucht zurück, und neben den Beruhigungsmitteln und Yoga153

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übungen setzte er nun auf Wochenenden auf dem Lande, Massagen, die Einnahme von Vitaminen und sogar Hypnose, um Fortschritte zu erzielen. Eine geplante Reise in die East Midlands, wo er sich erneut dem Schicksal der Bergwerksarbeiter widmen wollte, musste er auf unbestimmte Zeit verschieben. Gerald Heard gelang es, ihn für eine der sonntäglich stattfindenden Vorlesungen an der Dartington School zu gewinnen. Huxley sprach über die Vorherrschaft des wissenschaftlichen Denkens und die dennoch fortbestehenden religiösen Sehnsüchte des Menschen. Er beklagte die Unzulänglichkeiten und Gefahren der modernen Ersatzreligionen, insbesondere des Nationalismus. Ziel müsse es sein, eine »neue«, umfassende Religion zu finden, die auch die Wissenschaften akzeptiere, um sie anschließend zu transzendieren. Dass es sich dabei für ihn um keine andere als die mystische Einheitsreligion handeln konnte, ließ er noch unerwähnt. Huxley hatte jetzt offenbar einen Punkt erreicht, der im Englischen als point of no return bezeichnet wird. Aber die britische Wissenschaftstradition und das agnostische Familienerbe standen ihm weiterhin im Weg, und seine nervliche Krise war vermutlich eine direkte Folge des anhaltenden inneren Ringens. Der weltanschauliche Durchbruch ließ noch auf sich warten. Natürlich nutzten die Huxleys bei ihrem Besuch der Schule die Gelegenheit, Matthew zu treffen. Er wirkte zufrieden, hatte seine pädagogischen Freiräume selbstständig genutzt und sich auf das Werken mit Holz konzentriert. Sein Vater reagierte jedoch enttäuscht und besorgt. Er hatte gehofft, Matthew würde die Familientradition aufrechterhalten und eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen. Das konservative Denken setzte sich durch. Aldous schien keine Probleme damit zu haben, von seinen reformpädagogischen Ansichten abzuweichen, wenn es um das eigene Kind ging. Spätestens zu dieser Zeit dürfte sein Entschluss gefallen sein, Matthew am Ende des Schuljahres von der Dartington School abzumelden und in einem anderen Internat unterzubringen. Zurück in London musste er sich um die Fortsetzung seines Vertrages mit Chatto & Windus kümmern. Es war ihm unangenehm, dass er dem Verlag in den letzten drei Jahren nur wenig Material 154

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hatte bieten können, und seine Bescheidenheit gebot es ihm, bis auf Weiteres auf Vorschüsse zu verzichten. Wie bereits zuvor kam ihm sein Verleger aber sehr freundschaftlich und gelassen entgegen. Huxley war nach wie vor ein stark nachgefragter und viel gelesener Autor. Die finanziellen Vereinbarungen blieben unverändert, und ansonsten ergaben sich für ihn sogar Verbesserungen: In den kommenden drei Jahren brauchten nur drei Bücher geschrieben zu werden, und keines davon musste zwangsläufig ein Roman sein. Beschämt und erleichtert zugleich stimmte Aldous dem Vertrag zu. Er suchte erfolgreich nach einem akzeptablen Untermieter für die Wohnung im »Albany« und reiste dann, auf Anraten seines Arztes, mit Maria in die französischen Alpen, um dort Ruhe und Entspannung zu finden. Die Schlaflosigkeit konnte in der Umgebung von Grenoble zwar in Schach gehalten werden, war aber keineswegs überwunden, als Huxley für den Frühling und Sommer 1935 nach Sanary zurückkehrte. Der innere Kampf um eine religiöse Glaubenshaltung ging in seine nächste Phase. Zusätzlich zu den bisherigen Beruhigungsmaßnahmen begann Aldous jetzt mit gezielter körperlicher Ertüchtigung, die in intensiver Gartenarbeit ihren Ausdruck fand. Ablenkung bot ihm ebenfalls wieder die Malerei. Auch der Roman schritt deutlich voran – so viel konnte Huxley seinem amerikanischen Lektor und Freund Eugene Saxton mitteilen, der im Sommer mit seiner Frau zu Besuch kam. Aber er wusste, dass ein Abschluss erst dann in greifbare Nähe rücken würde, wenn er mit sich selbst ins Reine gekommen war. Geblendet in Gaza – stark autobiografisch geprägt wie die meisten seiner längeren Texte – musste zu einem Entwicklungsroman werden, und die Hauptfigur, Anthony Beavis, musste eine optimistische Weltanschauung gewinnen, die Huxleys frühere Romanfiguren fast einhellig abgelehnt hatten. Den entscheidenden Impuls gab ihm schließlich der Pazifismus, der ihn mehr und mehr in seinen Bann zog und immer aktiver werden ließ. Bereits im letzten Herbst hatte er sich in London an einer aufsehenerregenden Friedensaktion beteiligt, die von dem charismatischen Geistlichen Dick Sheppard, Domkapitular der St. Paul’s-Ka155

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thedrale, initiiert worden war. Sheppard hatte in der Presse dazu aufgerufen, ihm Postkarten zuzusenden, auf denen der jeweilige Absender seine bedingungslose Ablehnung des Krieges bekunden sollte. Wie Tausende andere hatte auch Aldous eine Karte abgeschickt, aber er hatte London längst wieder verlassen, als im Juli 1935 die erste, von 7000 Interessierten besuchte Versammlung der zukünftigen Peace Pledge Union in der Royal Albert Hall stattfand. Von Sanary aus unterstützte Huxley indessen den französischen Schriftsteller und Pazifisten Henri Barbusse bei der Organisation einer Friedenskonferenz. Im Juni sprach er sich im Rahmen eines internationalen Schriftstellerkongresses in Paris für den Frieden aus. Er begann, jüdische Flüchtlinge aus Deutschland finanziell zu unterstützen und ihnen durch seine hervorragenden Kontakte Wege nach Großbritannien zu eröffnen. Seiner guten Freundin Sybille von Schoenebeck, selbst jüdischer Abstammung, vermittelte er über Naomi Mitchison die Scheinehe mit dem Offizier Walter Bedford, welche ihr die englische Staatsbürgerschaft ermöglichte. Zu den Gästen der standesamtlichen Trauung, die am 15. November in London abgehalten wurde, zählten neben den Huxleys und Mitchison auch Virginia Woolf und Robert Nichols. Zu diesem Zeitpunkt hatte Gerald Heard Aldous bereits mit Dick Sheppard bekannt gemacht, und Huxley war zu einem enthusiastischen Anhänger und Sponsor der neuen Friedensbewegung geworden. Sheppards klare Zielrichtung beeindruckte ihn sehr. Obwohl er dessen christlichen Glauben nicht teilte, spürte er, dass nur ein religiöses Fundament dem Pazifismus seine ganze Kraft verleihen konnte. Schon am 27. November stand er in der Royal Albert Hall für die Friedensbewegung auf dem Rednerpodium. Eine Woche später sprach er vor vielen interessierten Hörern im Friends House, der Londoner Zentrale der britischen Quäker in der Euston Road. Hier äußerte er zum ersten Mal öffentlich seine schwer errungene neue Anschauung, die er bald darauf in einem Brief festhielt: »Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass nichts auch nur annähernd funktionieren und uns aus der gegenwärtigen Krise führen kann außer

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ein vollkommener Pazifismus nach Art der Quäker oder Buddhisten. Die Implikationen sind, natürlich, prinzipiell religiös – christlich für die, die an das Christentum glauben; für diejenigen, die das nicht tun (und das Christentum hat einen sehr schlechten Ruf, was den Frieden anbelangt), [bestehen sie] in der viel einfacheren Vorstellung von einer zugrunde liegenden spirituellen Einheit, die durch praktische Meditation erfahrbar ist.« (SL, S. 313)

Endlich hatte Aldous den entscheidenden Schritt gewagt, der aus seiner langjährigen Beschäftigung mit der mystischen Erfahrung erwuchs. Zwar würde er sich weiterhin konsequent als Agnostiker bezeichnen, von der metaphysischen Idee eines Weltzusammenhangs, eines spirituellen Urgrundes, auf den alle Phänomene, so verschieden und widersprüchlich sie auch erscheinen, zurückzuführen sind, sollte er aber zeit seines Lebens nicht mehr abweichen. Sie dominierte sein zukünftiges Denken und Handeln mit all den moralischen Konsequenzen, die sich aus ihr ergaben. Insbesondere prägte sie seine Einstellung zum individuellen Selbst, das er jetzt immer in Relation zu einem größeren, umfassenden Ganzen betrachtete. Neben Heard und Sheppard gab es noch eine weitere Person, die enormen Anteil daran hatte, dass Huxley seine seelisch-körperliche Krise überwand. Es handelte sich um den australischen Atem-, Sprech- und Körpertherapeuten Frederick Matthias Alexander, der seit etlichen Jahren in London praktizierte und dort im Laufe der Zeit einen ausgezeichneten Ruf erworben hatte. Wer Aldous die Empfehlung gab, Alexanders Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist ungeklärt; vermutlich ging die Initiative von Heard oder George Bernard Shaw aus. Fest steht aber, dass er seit der ersten Begegnung im November von dem Ansatz des Therapeuten so angetan war, dass er in den kommenden Wochen, ja Monaten, fast täglich Unterricht bei ihm nahm. Alexander vertrat die Überzeugung, dass die Ausbildung von unbewussten alltäglichen Verhaltensmustern, von Gewohnheiten, zu körperlichen Fehlhaltungen führt, die sich durch Schmerzen, Verspannungen oder andere Funktionsbeeinträchtigungen äußern. Sein Ziel bestand darin, dass seine Schüler ihre Körperwahrnehmung verbesserten, indem sie sich ihrer Gewohnheiten bewusst 157

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wurden und sie fortan zu vermeiden versuchten. Auf diese Weise, so argumentierte er, könne der Geist stark positiven Einfluss auf das Funktionieren des Körpers nehmen. Da Alexander außerdem die in der Yoga-Lehre vermittelte Ansicht teilte, dass im menschlichen Organismus die körperlichen, geistigen und seelischen Prozesse untrennbar miteinander verbunden seien, ging er im Umkehrschluss davon aus, dass ein gut funktionierender Körper sich wohltuend auf das Denken und die Psyche des Einzelnen auswirke. Aldous entbrannte förmlich für die ihm so lange fremd gebliebene Idee, Körper und Geist könnten in Einklang miteinander gebracht werden. In meditativer Kleinschrittigkeit erlernte er die kontrollierte und durch eine verbesserte Körperhaltung optimierte Durchführung ganz alltäglicher Handlungen. So widmete er sich unter ­Alexanders Anleitung ausführlich dem aufmerksamen Stehen, Gehen, Hinsetzen, Aufstehen, Zähneputzen oder Schuhebinden. Er empfand die Therapie als Offenbarung. Bis an sein Lebensende sollte er ein Verfechter der Alexander-Technik bleiben. Alexander war es auch, der Huxley empfahl, zusätzlich den Alternativmediziner J. E. R. McDonagh zu Rate zu ziehen. Dieser unterstützte die Theorie, dass viele Funktionsstörungen auf Vergiftungen des Darmes zurückzuführen seien. McDonagh schlug eine aus Darmspülungen, Impfungen und einer streng vegetarischen Diät bestehende Behandlung vor, der sich auch Maria unterzog. Schon früh im neuen Jahr 1936 konnte Aldous feststellen, dass die vielen positiven Einflüsse sein Befinden wesentlich verbesserten. Seine Schlaflosigkeit ging zurück, und er fühlte sich gestärkt, die vor ihm liegenden Aufgaben aktiver in Angriff zu nehmen. Einerseits galt es, die Belange der Peace Pledge Union voranzutreiben. Regelmäßig traf er sich jetzt mit Sheppard, Heard und anderen Befürwortern, um das Profil der Bewegung zu schärfen. Kundgebungen mussten vereinbart werden, Pressemitteilungen waren zu schreiben. Aldous erklärte sich sogar bereit, einen zusammenhängenden Text zu verfassen, der die grundlegenden Annahmen und Ziele der Vereinigung verdeutlichte. Außerdem wollte er nun endlich seinen Roman abschließen, der sich mittlerweile seit fast vier 158

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Jahren dahinschleppte. Bis Ende März 1936 arbeitete er an den Kapiteln, die das Buch vervollständigten. Sie behandelten Anthony ­Beavis’ jüngste Geschichte bis Februar 1935 und umfassten die zentrale Begegnung mit seinem zukünftigen Lehrmeister, Dr. Miller, Anfang 1934 in Mexiko sowie den anschließenden, fast komplett in Form von Tagebucheinträgen festgehaltenen Einsatz für den Pazifismus und eine mystische Weltsicht in England. In der Zwischenzeit war auf dringendes Anraten der Huxleys Charlotte Wolff aus Frankreich nach London gekommen. Sie wohnte ganz in ihrer Nähe in der Duke Street, in ebenjenem Gebäude, welches auch Aldous und Maria bereits wiederholt beherbergt hatte. Aldous stellte Wolff vielen seiner Freunde und Verwandten vor. Dadurch erhielt sie hinlänglich Gelegenheit, ihre chirologischen Studien fortzusetzen und den ersten thematischen Band, Studies in Hand-Reading, fertigzustellen. Als man ihr nahelegte, England aus Sicherheitsgründen nicht mehr zu verlassen, zögerte sie keinen Moment, in London zu bleiben. Noch während Huxley Geblendet in Gaza beendete, bemühte er sich wieder um möglichst lukrative Zeitschriftenbeiträge. Seine finanziellen Rücklagen waren merklich geschrumpft, und er musste für Aufstockung sorgen. Vor allem Time and Tide gab ihm die Möglichkeit, regelmäßig Artikel zu veröffentlichen. In diesem Zusammenhang holte er seine lange verschobene Reise in die East Midlands nach, wo er die düsteren Lebensumstände der Minenarbeiter beobachtete. Im April erschien dann bei Chatto & Windus sein nur 35 Seiten umfassendes Büchlein What Are You Going to Do About It? The Case for Constructive Peace (dt. Plädoyer für den Weltfrieden). Die Tantiemen flossen allesamt der Peace Pledge Union zu. Es dauerte nicht lange, bis vor allem vonseiten der marxistischen Linken harsche Kritik erfolgte. Huxleys bedingungslose Ablehnung von Gewalt und Krieg wurde als idealistisch und wirklichkeitsfremd abgestempelt. Der anglo-irische Schriftsteller Cecil Day Lewis antwortete mit der Schmähschrift We’re Not Going to Do Nothing, die von der kommunistischen Zeitschrift Little Review herausgegeben wurde. Wenig später veröffentlichte der Dichter Stephen Spender in der 159

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Little Review seinen »Open Letter to Aldous Huxley«, in dem er den Landsmann beschuldigte, die unterdrückten Pazifisten in Italien, Deutschland und Österreich ihrem Schicksal zu übereignen. Huxley aber ließ sich von der Polemik nicht beeindrucken. Er blieb bei seinem festen Standpunkt, dass die Ausübung von Gewalt vornehmlich Gegengewalt erzeuge. Allein ein gewaltloses Auftreten berge die Hoffnung, auf Dauer Fortschritte im Zusammenleben der Menschen und Völker zu erzielen. Nachdem im April 1936 ein neuer Untermieter für die Wohnung im »Albany« gefunden worden war, kehrten die Huxleys nach Sanary zurück, wo sie wie üblich den Sommer verbrachten. Aldous ging von dort aus seiner Arbeit für die Friedensbewegung nach und unterstützte zudem die Aktivitäten des neuen Intellektuellenverbands For Intellectual Liberty, dem er sich in London angeschlossen hatte. Aber er schrieb auch Zeitschriftenartikel und plante seinen nächsten Essayband. Darin wollte er einige wichtige Texte versammeln, die bereits verstreut veröffentlicht worden waren, etwa die Einleitung zu den Briefen D. H. Lawrences oder die Hommage an seinen Großvater. Doch das Buch sollte auch neues Material enthalten. Zu Recht benannte er es nach dem herausragenden Essay »The Olive Tree« (dt. »Der Ölbaum«). Diesen schrieb er als Hymne an eines der schönsten Symbole für das gelassene, friedliche mediterrane Leben. Im Nachhinein betrachtet präsentierte »Der Ölbaum« den einfühlsamen Schwanengesang des »europäischen« (oder besser »französisch-italienischen«) Huxley. Am 18.  Juni kam Geblendet in Gaza heraus. Aldous hatte den Titel John Miltons Lesedrama Samson Agonistes (1671; dt. Simson der Kämpfer) entnommen, in dem es um den alttestamentarischen Samson geht, der von den Philistern seiner Haarpracht und seines Augenlichts beraubt wird, durch ein Gottesgebet jedoch seine ursprüngliche Kraft zurückerlangt. Bis Ende des Monats wurden allein in England 10 000 Exemplare verkauft. Am Jahresende waren es fast 27 000. Die kritische Rezeption des Romans erwies sich allerdings als gemischt. Während einige Rezensenten Huxleys neue Weltanschauung ausdrücklich begrüßten, warf ihm eine beträchtliche Zahl von 160

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Huxley signiert Geblendet in Gaza 1936

Kritikern vor, Verrat an seinen ursprünglichen Prinzipien begangen zu haben. Man war enttäuscht von der Wandlung des Vorzeigeautors, der bislang so eindrucksvoll die »Philosophie der Bedeutungslosigkeit« beschworen hatte. Diese Aufspaltung der Huxley-Kritik in zwei konträre Lager, die den »früheren« und den »späteren« Autor gegeneinander auszuspielen trachteten, sollte für Aldous zukünftig zur leidigen Normalität werden. Dabei setzte Geblendet in Gaza vieles von dem fort, was Huxleys Leser längst von ihm gewohnt waren. Am Ideenroman hielt er programmatisch fest. Auch die persönlichen und familiären Bezüge nahmen weiterhin großen Raum ein. Erneut verarbeitete er den frühen, als sinnlos und ungerecht empfundenen Tod der Mutter. In dem Selbstmord von Anthony Beavis’ Jugendfreund Brian Foxe spiegelt sich das schlimme Schicksal des geliebten Bruders Trev. Anthony, der Protagonist, bot Aldous über weite Strecken die Gelegenheit, sich wieder selbstkritisch mit den Unzulänglichkeiten der eigenen Person auseinanderzusetzen. Wie gehabt ging es vor allem 161

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um die intellektuelle Distanz zur Welt und um emotionale Defizite. Nicht ohne Grund sah Huxleys Stiefmutter Rosalind in der Darstellung von Anthonys Vater, John Beavis, ein nur wenig schmeichelhaftes Porträt ihres verstorbenen Mannes, was zu einigen Unstimmigkeiten führte. Natürlich fühlte sich Aldous wie schon in früheren Fällen veranlasst, auf der Fiktionalität seiner Figuren zu bestehen, aber wirklich überzeugen konnte er Rosalind nicht. Andere Personen in Geblendet in Gaza verwiesen ebenfalls deutlich auf Huxleys Umfeld, allen voran Dr. Miller. In ihm fasste er seine wichtigsten aktuellen Einflüsse zusammen. Millers Ansichten ließen sich unschwer auf Ideen Gerald Heards, Dick Sheppards, F. M. Alexanders und Dr. McDonaghs zurückführen. Und was Huxleys neue positive Ausrichtung anbelangte, so konnte den Lesern früherer Romane wie Parallelen der Liebe und Kontrapunkt des Lebens nicht entgangen sein, dass der Autor immer wieder damit geliebäugelt hatte, sich weltanschaulich weiterzubewegen. Obwohl der Sommer 1936 in Sanary ruhig und entspannt verlief, spürte Maria, dass Aldous unzufrieden war und sich nach Veränderungen sehnte. Selbst der Malerei konnte er jetzt kaum etwas abgewinnen. Finanzielle Engpässe machten ihm zu schaffen. Seine Tätigkeit für die Peace Pledge Union beanspruchte ihn stark, was er eigentlich begrüßte: Er bürdete sich sogar die Herausgabe von An Encyclopaedia of Pacifism (dt. Enzyklopädie des Pazifismus) auf, einem Band, der Mitte 1937 erscheinen sollte und aufgrund der Anonymität der Beiträge bis heute ungeklärt lässt, wer sich an der Sammlung beteiligte und wie groß Huxleys eigener Textanteil war. Aldous merkte, welch große Opposition dem Grundsatz der Bewegung, dass jegliche Form von Gewalt kategorisch abzulehnen sei, aus den verschiedenen politischen Lagern entgegenschlug. Auch die Regierung zeigte sich, wohl erwartungsgemäß, kaum empfänglich. Zwar hoffte Aldous inständig, dass eine Konferenz der Weltmächte einberufen werden möge, um auf friedlichem Wege Konfliktlösungen herbeizuführen, jedoch musste er besorgt feststellen, dass sich die europäische Krise mit dem von General Franco angeführten rechtsradikalen Staatsstreich in Spanien noch mehr verschärfte. 162

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Anfang September fuhr Huxley mit seinem Sohn nach Brüssel, anschließend nach Saint-Trond und dann nach Holland, wo sie Suzanne und Joep besuchten. Schließlich ging es weiter nach London. Da die Wohnung im »Albany« noch von ihrem Untermieter bezogen war, quartierten sie sich in dem großen Wohnkomplex »Mount ­Royal« in der Oxford Street ein, wo sich ihnen noch im selben Monat Maria anschloss. Huxley konnte jetzt wieder vor Ort für die Peace Pledge Union tätig werden, was notwendigerweise auch die ungeliebte Herausforderung einbezog, vor großem Publikum sprechen zu müssen. Daneben sammelte er nach der Fertigstellung von The Olive Tree Notizen für einen Essayband, der zusammenhängend die ethischen und soziologischen Konsequenzen seiner Weltanschauung darlegen sollte. Daraus entstand 1937 eines seiner wichtigsten nichtfiktionalen Werke, Ends and Means (dt. Ziele und Wege). Um das körperliche und geistige Wohlbefinden zu stärken, vertraute er sich (und seine Familie) erneut den bewährten Therapieansätzen F. M. Alexanders und Dr. McDonaghs an. In den vielen Gesprächen, die Aldous während dieser Zeit mit Gerald Heard führte, ging es selbstverständlich vorrangig um die Friedensbewegung, deren Fortkommen und Schwierigkeiten im gegenwärtigen Europa. Aber auch familiäre Belange wurden diskutiert, insbesondere Matthews weiterer Werdegang. Huxleys Sohn war jetzt 16 Jahre alt und hatte ein anstrengendes, aber sehr erfolgreiches Schuljahr am Institut Rauch in Lausanne absolviert. Aldous wünschte sich weiterhin eine medizinische Laufbahn für Matthew. Er stimmte Heard darin zu, dass vor allem die amerikanischen Universitäten mit ihren pre-medical schools, die auf ein Medizinstudium vorbereiteten, hervorragende Möglichkeiten boten. Von besonderem Interesse war dabei die Duke University in Durham, North Carolina, denn dort hatte Joseph Banks Rhine 1935 das weltweit erste parapsychologische Laboratorium gegründet. Vielleicht würde es gelingen, Matthew an dieser Universität unterzubringen. Aus solchen Überlegungen erwuchs die Idee einer ausgedehnten Nordamerikareise, die im kommenden Frühjahr beginnen sollte und für die etwa neun bis zwölf Monate veranschlagt wurden. Die Huxleys be163

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geisterten sich schnell für das Projekt. Ihrem geliebten Nomadentum entsprechend würde ihnen die Reise die Gelegenheit geben, ein riesiges Land, das sie vor über zehn Jahren nur in Ansätzen kennengelernt hatten, näher zu erkunden. Sie könnten viele ihrer dort ansässigen Bekannten besuchen. Außerdem würden sie mit Gerald Heard, der einen größeren Nachlass in Montana zu verwalten hatte, einen ihrer besten Freunde als Begleiter haben. Gerald und Aldous spielten sogar bereits mit dem Gedanken, in den USA eine gemeinsame Vortragsreise für den Frieden und für ihre Weltsicht durchzuführen. Trotz aller Vorfreude verspürte Maria auch Wehmut. Schon im Sommer hatte sie intuitiv erfasst, dass ihr Mann dabei war, ein weiteres Lebenskapitel abzuschließen. Jetzt machte er Nägel mit Köpfen. Der Mietvertrag für die Wohnung im »Albany« sollte so bald wie möglich aufgelöst werden. In der Tat kehrten die Huxleys nie mehr in ihre Londoner Wohnung zurück. Als sie vor Weihnachten 1936 wieder nach Sanary fuhren, offenbarte Aldous, dass er auch die »Villa Huley« aufgeben und zum Verkauf anbieten wolle. Alles deutete darauf hin, dass er einen klaren Schnitt suchte, und obwohl keineswegs von einer Auswanderung die Rede war, machte sich Maria daran, besonders wichtige Dinge zusammenzusuchen, um sie mit auf die Reise zu nehmen. Darunter befand sich auch ihr früher Briefwechsel mit Aldous. Das neue Jahr begann mit einem familiären Schicksalsschlag. Norbert Nys starb im Januar an den Folgen eines Genickbruches, den er im Dezember erlitten hatte. Nach der Beisetzung des Vaters in Belgien nahm Maria ihre Mutter mit nach Frankreich, und es folgten ein paar in gedämpfter Stimmung verlebte Wochen. Am 19. Februar 1937 verließen die Huxleys dann Sanary endgültig. Den legendären Sportwagen übergab Maria ihrer Freundin Renée Kisling, der Ehefrau des Malers Moise Kisling. In London kamen sie erneut im »Mount Royal« unter. Der Folgemonat stand ganz im Zeichen der aufwendigen Reisevorbereitungen und der Konkretisierung des Reiseverlaufs. Huxley schrieb zwischendurch an Ziele und Wege und arbeitete für die Peace Pledge Union, der er bald für wohl längere Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Schließlich 164

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galt es, Freunde und Bekannte zu treffen und sich nach und nach von ihnen zu verabschieden. Maria hatte immer wieder die Vorahnung, dass es sich um einen dauerhaften Abschied handelte. Am 7. April 1937 brachen Aldous, Maria und Matthew schließlich zusammen mit Gerald Heard und dessen Partner Christopher Wood auf dem Ozeandampfer Normandie in Richtung New York City auf. Ein weiteres Abenteuer, vielleicht ihr bislang größtes, hatte begonnen.

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Die zufällige Emigration

Hollywood und die Wüste: Neues Leben in der Neuen Welt (1937–1945) Die zufällige Emigration Im Gegensatz zu den berühmten deutschen Flüchtlingen, die zwischen 1933 und 1941 aus Hitlerdeutschland in die Vereinigten Staaten flohen und sich teils in New York oder an der Ostküste, teils in Kalifornien niederließen, ahnten die Huxleys noch nicht, dass ihre geplante USA-Reise nicht nur ein kurzes Ausreißen sein, sondern sie in ihre neue Heimat verschlagen würde. Aber nicht allein in biografischer Hinsicht stellten die Jahre 1936 und 1937 für Aldous Huxley einen Umbruch dar. Die persönliche Krise, die in den Konversionsroman Geblendet in Gaza gemündet hatte, und der Aufstieg der Faschisten in Europa führten zu einer entscheidenden und markanten Entwicklung in Huxleys Denken, die sich durch den folgenden Krieg und die unselige Nachkriegsordnung noch weiter fortsetzen sollte. Allerdings war diese Entwicklung nicht, wie üblicherweise überspitzt auf den Punkt gebracht, ein drastischer Wandel vom Zyniker und Satiriker zum Mystiker und Heiligen. Auch wenn die Lehre aus seinem Engagement in der englischen Pazifismusbewegung für Huxley am Ende eher schmerzhaft und desillusionierend war, fiel er doch nicht in die Haltung des distanziert-zynischen Ironikers zurück. Seine Entwicklung vom jugendlichen Ästheten über den Anhänger der von Lawrence und Blake inspirierten life-worship (Lebensanbetung) zum politischen Aktivisten hatte dem analytischen Skeptiker und satirischen Kritiker einen pragmatisch orientierten Sozialkritiker und engagierten Philosophen an die Seite gestellt, der in der nun begonnenen Phase eine immer größere Rolle zu spielen begann. 167

Hollywood und die Wüste: Neues Leben in der Neuen Welt

Nun also Amerika. Seit ihrem ersten und relativ kurzen Aufenthalt im Mai 1926 war der Wunsch der Huxleys, die Staaten für längere Zeit zu bereisen, in den Jahren danach immer gegenwärtig gewesen. Hinzu kam jetzt, was die spontane Flucht aus dem sich verdunkelnden Europa im Nachhinein wie eine unbewusst geplante Emigration erscheinen ließ: Aldous’ gerade überwundene persönliche Krise, die vehementen Attacken auf die Peace Pledge Union und die europäische Katastrophe, die in der Luft lag. Maria wünschte, sie könnte für ihre ganze Familie Passagen in die USA kaufen. Matthew, der Sohn, jedenfalls freute sich auf Amerika, wo er hoffte, der Last des berühmten Familiennamens zu entkommen. Wie auch immer – es sollte keine kurze Stippvisite werden; in ihren Briefen sprechen Aldous und Maria von mehr als sechs Monaten bis zu einem Jahr. Obwohl sie für die Überfahrt auf der Normandie Touristenklasse gebucht hatten, wurde die Familie von der französischen Schifffahrtslinie in einer Luxuskabine untergebracht. Thomas Mann, der sich zusammen mit seiner Frau Katia auf dem Weg zu einer Vortragsreise ebenfalls auf dem Schiff befand, wurde eine solche Ehrbezeugung nicht erwiesen – vielleicht, weil er ohnehin bereits erster Klasse reiste. Die Manns trafen sich mit den Huxleys zum Tee im Salon und gingen gemeinsam mit ihnen ins Schiffskino. Obwohl vertraut mit den Nachbarn aus Sanary, fühlte Thomas Mann sich bei den Treffen wegen der Sprachbarriere nicht so recht in seinem Element, wie er in seinem Tagebuch notierte. Bei ihrer Ankunft in New York am 12. April 1937 war Maria über den Empfang durch die Medien überrascht: Ihr Mann wurde mit Interviewanfragen überhäuft. »Du glaubst nicht, wie berühmt Aldous hier ist«, schrieb sie an ihre Schwester Jeanne. Die Huxleys blieben zunächst ein paar Wochen in Rhinebeck im Staat New York bei anderen ehemaligen Nachbarn aus Sanary, dem Tausendsassa William Seabrook und seiner Frau, der Schriftstellerin Marjorie Worthington. Im Mai waren die Huxleys dann wieder on the road, Gerald Heard im Schlepptau. Über Virginia, Georgia, Florida, Louisiana und Texas nahmen sie die Route durch die Südstaaten, um schließlich, nach fünf Wochen und 6000 Meilen auf der Straße in 168

Die zufällige Emigration

New Mexico bei Frieda Lawrence auf deren Ranch in San Cristobal anzukommen. Frieda war nach dem Tod D. H. Lawrences wieder in die USA zurückgekehrt. Auf dem Weg hielten sie wie geplant bei einigen Universitäten und Colleges – in erster Linie, um für Matthew eine geeignete Fortbildungsstätte zu finden. Zunächst besuchten sie Thomas Jeffersons University of Virginia in Charlottesville (»modrig«, wie Aldous an Julian schrieb). Dann folgte das experimentelle Black Mountain College in North Carolina (»interessant«), in dem John Deweys Vorstellung von ganzheitlicher, interdisziplinärer und kunstbasierter Bildung umgesetzt wurde. Noch immer in North Carolina, folgten die Huxleys dann der Einladung an die Duke University (»ein bemerkenswertes Phänomen«). Black Mountain musste eigentlich nach Aldous’ Geschmack sein: Die Institution zog viele einflussreiche Lehrer und Studenten an wie etwa Lyonel Feininger, Albert Einstein, Robert Rauschenberg, Merce Cunningham, Willem de Kooning und Zen-Adepten wie John Cage und Allen Ginsberg. Nach der Schließung des Bauhaus durch die Nationalsozialisten 1933 waren neben Josef Albers viele deutsche Flüchtlinge an der Gründung des Black Mountain College beteiligt gewesen. Auch Bauhausgründer Walter Gropius, der erst im Februar 1937 von London in die USA emigriert war, sollte dort unterrichten. In Duke war Huxley wie gesagt besonders interessiert an J. B. Rhine und dessen Labor für parapsychologische Forschung. Huxley stand bereits in Kontakt mit dem Wissenschaftler, der ein paar Jahre zuvor sein erstes Buch Extrasensory Perception veröffentlicht und im April das Journal of Parapsychology gegründet hatte. Huxley würde 1954 einen langen Essay für Life über Rhines Forschung schreiben. Rhine war auch unter jenen Psychologen gewesen, welche die hellseherischen Fähigkeiten des namhafen Mediums Eileen Garrett getestet hatten, die ab Anfang der 1940er-Jahre eine zentrale Rolle in Huxleys weiteren Vorstößen in die Parapsychologie spielen sollte. Gerald Heard war darüber hinaus in Duke der Lehrstuhl für Historische Anthropologie angeboten worden. (Nach dem ersten Semester fand er die Bindung an eine Universität zu einschränkend 169

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Aldous Huxley und Gerald Heard 1937 auf dem Campus der Duke University in Carolina

und zog weiter nach Los Angeles, wo auch die Huxleys sich niederließen.) Duke war auch die Universität, die Aldous für seinen Sohn Matthew ausgeguckt hatte. Der nächste Stopp war das Dillard College in New Orleans, das ursprünglich für afroamerikanische Studierende gegründet worden war (»ziemlich deprimierend«). In Knoxville, Tennessee, trafen die Huxleys sich mit einem Freund von Aldous’ Bruder Julian, dem Bauingenieur und Reformpädagogen Arthur E. Morgan, der einerseits ein erfolgreiches Dammbauprojekt in Tennessee durchgesetzt und sich andererseits in verschiedenen Institutionen für das Konzept der Cooperative Education, dem Zusammenwirken von Schulunterricht und praktischer Berufsausbildung, eingesetzt hatte. Morgans Nähe zu den reformpädagogischen Ideen von John Dewey, Pestalozzi und Maria Montessori lag ganz auf Huxleys Linie. Kurz vor der Abreise in die Vereinigten Staaten hatte Aldous Sybille Bedford eine Art Interview im Telegrammstil gegeben, in dem er sagte, er hoffe, Ma170

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terial für sein in Arbeit befindliches Buch Ziele und Wege sammeln und mehr über die amerikanischen Experimente im Bildungswesen und der industriellen Organisation erfahren zu können. Bevor die Huxleys schließlich nach 9700 Kilometern Friedas Ranch in der Bergwüste von San Cristobal erreichten, erlebten sie auf der letzten Wegstrecke John Steinbecks Früchte des Zorns (1939) sozusagen live. Auf der staubigen Route 66 gen Westen waren sie unterwegs mit den sogenannten »Okies«. So wurden die mittellosen und elenden Farmer aus dem »Dust Bowl« von Oklahoma bis Arkansas bezeichnet, die Opfer der schweren Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre waren und sich vom Orangenland Kalifornien Rettung erhofften. Die jämmerlichen ausbeuterischen Verhältnisse, die sie dort als Orangenpflücker tatsächlich erwarteten, schilderte auch Huxley später in After Many a Summer (dt. Nach vielen Sommern), der kurz nach Steinbecks Roman erscheinen sollte. In San Cristobal überredete Frieda Lawrence ihre Gäste, den Sommer über zu bleiben. Die Huxleys bezogen eins der Blockhäuser, während Frieda pausenlos überfallartige Besuche von vagen Freunden und Fremden bekam. Seit Jahren war auch die Malerin Georgia O’Keeffe regelmäßiger Gast, von deren Bildern Aldous zwei Jahre später in einem Brief an beider Freundin Eva Herrmann schrieb: »Ihre urino-genitalen Blumen blühen weiterhin erfolgreich.« Trotz des ständigen Fremdenverkehrs konnte Huxley in der Abgeschiedenheit über dem Grand Canyon sein »soziologisches Buch« beenden. Ziele und Wege, das im November 1937 erschien, war als philosophische Grundlegung der Friedensbewegung gedacht. Um allgemein gewünschte Ziele wie Frieden, Gerechtigkeit usw. zu erreichen, sei es notwendig, die Mittel zu untersuchen, die dazu beitragen können, diese Ziele zu erreichen. Wie Huxley noch vor seiner Abreise nach Amerika seinem Bruder Julian geschrieben hatte, galt seine Kampfansage dem »überzogenen Vereinfachungswahn«, der alles einer prinzipiellen Ursache zuschreibe und zum Beheben von Problemen entsprechend eindimensionale Lösungen vorschlage. Aus dem geplanten Bändchen, das Huxley seinem Verleger in selbst­ ironischer Bescheidenheit und in Anspielung auf Dr. Pangloss aus 171

Hollywood und die Wüste: Neues Leben in der Neuen Welt

Voltaires Candide als »philosophisch-pychologisch-soziologisches« Buch ankündigte, wurde allerdings ein 300-seitiges Grundlagenwerk pragmatischer Philosophie. In zweierlei Hinsicht stellte dieses Buch einen entscheidenden Schritt für Huxley dar. Einerseits zeigte es, dass er begonnen hatte, sich selbst als Philosoph zu akzeptieren. Andererseits markiert Ziele und Wege deutlich seinen Bruch mit der Nachkriegsresignation und seinem jugendlichen Zynismus, wie Mr. Propter in seinem bald folgenden Roman Nach vielen Sommern sagt: »Es hat sein Gutes, zynisch zu sein – vorausgesetzt, dass man weiß, wann man aufhören muss.« Huxleys Kritik der Verhältnisse und menschlichen Gebarens blieb scharf, satirisch und biszweilen auch zynisch, aber er hatte sich jetzt deutlich auf die »Suche nach Werten« begeben, wie es Milton Birnbaum später umschreiben sollte. Auf der Grundlage seines unausgesetzten Skeptizimus wurde sein Denken integrativer und bewegte sich im pragmatischen Rahmen des Menschenmöglichen, wie der Untertitel von Ziele und Wege versprach: »Eine Untersuchung des Wesens von Idealen und der Methoden zu ihrer Verwirklichung«. Ein Ideal, das gleich zu Beginn postuliert wird, ist das des »unabhängigen Menschen« (non-attached man). Mit »unabhängig« ist dabei nicht »gleichgültig« oder »unbeteiligt« gemeint, sondern die Unabhängigkeit von »körperlichen Empfindungen und Begierden«, wie sie von vielen ethischen Traditionen gefordert wird: die Freiheit vom Diktat des weltverhafteten Egoismus und damit die Fähigkeit, an der Welt teilzuhaben, ohne ihren materialistischen und emotionalen Zwängen zu verfallen. Diese Nichtverhaftetheit befreit das Individuum auch dazu, alle Tugenden zu entwickeln und zu pflegen, darunter die für Huxley wichtigste: Nächstenliebe bzw. Achtung und Achtsamkeit (charity). Hier bereits beginnen hinduistische und buddhistische Einflüsse das Fundament von Huxleys Philosophie zu bilden. Einen weiteren Grundsatz betonte Huxley im Folgenden immer wieder: Man muss die Probleme von allen Seiten zugleich angehen. Komplexe, das heißt multidimensionale Probleme erfordern multidimensionale Lösungen. Kein anderer Philosoph oder Sozialrefor172

Die zufällige Emigration

mer hat diese Erkenntnis der Multidimensionalität von Problemen und der gegenseitigen Abhängigkeit von scheinbar trennbaren Sachverhalten so konsequent verfolgt wie Huxley. Ziele und Wege wurde zu einem seiner Bestseller, erhielt ausgesprochen positive Rezensionen und verkaufte sich in Großbritannien innerhalb der ersten drei Wochen nach Erscheinen 6000 Mal. Während Huxley noch an diesem Buch arbeitete, kam im Sommer der Buchhändler Jacob Zeitlin auf Friedas Ranch, um mit ihr einen Verkaufspreis für D. H. Lawrences Manuskripte zu besprechen. Zeitlin war mehr als nur ein Buchhändler und in Los Angeles eine treibende kulturelle Kraft; zu dieser Zeit hatte er zum Beispiel gerade eine Ausstellung von Käthe Kollwitz organisiert. Und er hatte viele Kontakte zum Filmbusiness. Während Aldous beim gemeinsamen Frühstück von dem Buch erzählte, das er gerade schrieb, fragte Zeitlin ihn, ob er nicht nach Hollywood kommen und für die Studios arbeiten wolle. Huxley war nicht abgeneigt. Bereits 1937 eröffnete sich also die Aussicht, auf die Aldous spekuliert hatte, nämlich in Hollywood mit dem Drehbuchschreiben gutes Geld verdienen zu können. Um die Lage zu eruieren, verließen Aldous und Maria Frieda und ließen sich im September 1937 für eine Weile in Los Angeles nieder, wo sie sogleich in der Hollywood-Szene aufgenommen wurden. Über ihre alten Freunde Anita Loos und Charlie Chaplin machten sie sofort Bekanntschaft mit weiterer Hollywood-Prominenz. Besonders gut verstand sich Aldous mit Harpo Marx. Englischer Humor und amerikanische Empfindlichkeiten trafen allerdings eines champagnerfeuchten Abends unglücklich aufeinander, als Aldous Harpo vorschlug, Groucho, Chico und er sollten einen Film über die »echten Marx Brothers« machen: Marx, Engels und Bakunin. Harpo erwiderte beunruhigt: »Solche Filme macht man hier nicht, Aldous.« In einem Brief hatte Aldous Jacob Zeitlin einige Vorschläge gemacht, welche seiner Bücher und Geschichten sich für Verfilmungen eignen könnten. Darunter waren Narrenreigen, Kontrapunkt des Lebens, Geblendet in Gaza und die Erzählung »Das Lächeln der Gioconda«. Aber die Studios bissen nicht an. Stattdessen schlugen sie 173

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ihm Adaptionen von John Galsworthys The Forsyte Saga vor, oder Somerset Maughams Of Human Bondage (dt. Der Menschen Hörigkeit). Aber selbst die Aussicht fürstlicher Bezahlung konnte Huxley nicht dazu bewegen, »monatelang mit dem Geist des armen toten John Galsworthy eingesperrt zu sein« (Letters, S. 428). Stattdessen schrieb er in einem verzweifelten Versuch, doch noch einen Fuß in die Tür der Traumfabrik zu kriegen, schnell selbst einen Filmentwurf. Success war eine satirische Farce, in der Huxley seine ersten Eindrücke des modernen Amerika aufs Korn nahm: Es ging um Geld, Sex, Gesundheitswahn – und die allgegenwärtige Reklame. Dabei wird die Geschichte eines kleinen Wurstfabrikanten erzählt, der dank moderner Werbetechniken zum Nationalhelden wird. Am 19. Oktober startete in Los Angeles die gemeinsam mit Gerald Heard geplante Pazifismus-Vortragsreihe. Jacob Zeitlin und Maria erinnerten sich, wie die gegensätzlichen Vortragsstile der beiden sich ergänzten: Aldous las von Zetteln ab – ruhig und passiv, aber leider auch wenig mitreißend – und Gerald sprach frei, vehement, eindringlich, hektisch. Zu Huxelys Verdruss endete der Doppelakt abrupt, als Heard sich im Schnee in Iowa den Arm brach und Huxley sich von November bis Januar allein dem Publikum stellen musste. Maria war sicher, dass »das Hollywood-Abenteuer« ein Ende gefunden hatte, und in der Zwischenzeit wieder an die Ostküste zurückgekehrt, wo sie Aldous und Matthew, der in Colorado zur Schule ging, zu Weihnachten erwartete. Da erhielt Aldous ein Telegramm von Zeitlin: »MGM stark interessiert an Story mit dem aktuellen Titel Success Entscheidung in vier bis fünf Tagen.« Vielleicht hätte Huxley eine seiner liebsten und prägnantesten Verdrehungen eines Gemeinplatzes beherzigen sollen: »Nothing fails like success« – Nichts scheitert zuverlässiger als Erfolg. Im Interview mit David Dunaway erinnerte sich der 85-jährige Zeitlin später, dass Success »so schlecht war, dass wir es nie jemandem gezeigt haben. […] Wir dachten, es sei besser, es nicht zu verkaufen, um einen besseren Eindruck zu hinterlassen« (Recollected, S. 44).

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Hollywood »Südkalifornien glitt an den Wagenfenstern vorüber, und er brauchte nur die Augen offen zu halten. […] An jeder Ecke stand ein Drug Store. Zeitungsjungen verkauften Fettgedrucktes über Francos Vormarsch auf Barcelona. Fast alle vorübergehenden Mädchen schienen in stilles Gebet vertieft zu sein, aber, so überlegte Jeremy, es war wohl nur Kaugummi, was sie unablässig bewegte. Gummi – nicht Gott! Der Wagen glitt in einen Tunnel und tauchte in einer anderen Welt wieder auf, einer weiten, unordentlichen Vorstadtwelt von Benzinpumpen und Reklametafeln, […] Bürogebäuden und Kirchen – Methodistenkirchen, überraschenderweise im Stil der Cartuja von Granada, katho­ lischen Kirchen nach dem Muster der Kathedrale von Canterbury, ­Synagogen, als Moscheen aufgemacht, Kirchen der Christian Science mit Säulen und Giebeln wie Banken. Es war ein Wintertag und früh am Morgen, aber die Sonne strahlte, und der Himmel war wolkenlos. Der Wagen fuhr westwärts, und das Sonnenlicht, das schräg von hinten kam, während sie voranglitten, ließ jedes Gebäude, jede Leuchtreklame und jede Werbetafel wie mit einem Spot aufleuchten, wie inszeniert, um dem Neuankömmling alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen. snacks. cocktails. ganze nacht geöffnet. jumbo malzmilch. […] was die sterne sagen! ihre schicksals-zahlen! botschaften aus dem jenseits! hier gibt’s nutbergers. Was immer ein Nutberger sein mochte, er beschloss, bei der nächsten Gelegenheit einen zu bestellen; und dazu eine Jumbo Malzmilch. […] feine leckereien. riesenhörnchen. jesus rettet. hamburger. […] gehen sie in die kirche und sie werden sich die ganze woche ­besser fühlen. was gut fürs geschäft ist, ist gut für sie.« (Nach vielen Sommern, Übersetzung leicht bearbeitet, S. 8–10)

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Dieser kamerafahrtartige Autotrip vom Anfang des Romans, den Huxley Ende 1938 begann, dokumentiert die ungewohnte Realität von Los Angeles, wie sie im September 1937 auf die Huxleys und Gerald Heard einprasselte, als sie von San Cristobal aus in der Filmmetropole eintrudelten. Marias Schilderung klingt ebenfalls wie der Anfang von einem David-Lynch-Film: »[Hollywood] ist wie eine internationale Dauerausstellung. Die Gebäude sind hinreißend, fantastisch und wackelig. Sie sind alle umgeben von grünem Rasen und hohen Palmen und blühendem Hibiskus und zum krönenden Abschluss läuft die Bevölkerung in Fastnachtskostümen herum oder eher, bei dem heißen Wetter, Fast-nackt-Kostümen, und alle schauen glücklich und fröhlich drein.« (Letters, S. 425 f.)

Kalifornien kam Aldous vor wie eine »virtuelle Realität«, »wo wirklich alles geschehen kann«. »Und tatsächlich geschieht im Moment beinah alles – Filme, Astronomie, schweißtreibende Arbeit in den Feldern, Wohltätigkeit, wissenschaftliche Forschung, falsche Religionen, echte Religionen – alles zusammengerührt zu einem großen Chaos inmitten der erstaunlichsten Landschaft.« (Letters, S. 425 f.)

Huxley ahnte es noch nicht, aber diese Beschreibung war bereits eine Kurzfassung der kommenden Jahre. Nachdem er mit seiner Familie bis zum Abschluss der Vortragsreise im Januar 1938 in Rhinebeck überwintert hatte, lockte sie die Aussicht, dass die Produktionsgesellschaft Metro-Goldwyn-Meyer (MGM) Success verfilmen würde und weitere lukrative Filmaufträge folgen könnten, wieder nach Hollywood. Erneut kreuzten sie den Kontinent, machten einen Zwischenstopp auf Friedas Ranch und zogen im Februar in Hollywoods North Laurel Avenue. Ganz nach Huxleyscher Nomadenmanier blieben sie vorerst unstet und bewohnten bis Ende des Jahres drei unterschiedliche Adressen zwischen Beverly Hills und Hollywood. Während Aldous sich im Dezember und Januar noch alle Türen für eine baldige Rückkehr nach Europa offenhielt, hatte sich Maria bereits an die Aussicht gewöhnt, »etwas länger zu bleiben«, auch weil sie Matthew nicht allein zurücklassen wollte. Für den Sohn war die 176

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neue Welt aufregend und vielversprechend. Er hatte bereits sein Abschlussjahr an der progressiven Fountain Valley School in Colorado Springs aufgenommen, wo ihn seine Eltern en route von New York nach L. A. besuchten. Von dort aus würde er im September an die Universität von Colorado wechseln, um sein Medizinstudium zu beginnen. Bereits in Tucson/Arizona hatte Aldous angefangen, sich krank zu fühlen. Kaum war er im neuen Zuhause angekommen, brach sich die Krankheit fiebrig Bahn und streckte ihn mit einer Kombination aus subakuter Lungenentzündung und Nesselsucht nieder. Vier Wochen musste Aldous das Bett hüten, einen Teil davon im Krankenhaus. Das Ausbrechen der Lungenentzündung konnte in langwieriger Behandlung zwar unterbunden werden, aber Aldous’ Bronchien waren deutlich angegriffen, und er kränkelte das ganze Jahr 1938 über und wurde schnell müde. Wie er Julian noch im Juli mitteilte, ging er bei der kleinsten Überanstrengung »zu Boden wie ein Expressfahrstuhl«. Noch im November verordneten die Ärzte ihm zwölf Stunden Ruhe am Tag, und drohten ihm eine Winterkur im Wüsten­ kurort Palm Desert an, falls sich der Lungenbefund nicht verbessern sollte. Aldous’ Konstitution, gerade was die Bronchien, das Herz und Hautreaktionen betraf, sollte die kommenden Jahre weiterhin anfällig bleiben. Verantwortlich dafür gemacht wurde eine seit Langem bestehende unterschwellige Dauerinfektion, die in unterschiedlichen Formen hervorbreche, wie Aldous Julian im April 1940 schrieb. Und höchstwahrscheinlich schwelte auch die Bedrückung des heraufziehenden europäischen Krieges in dieser Infektion mit. Während eine Rückkehr nach Europa aus gesundheitlichen und mit dem »Anschluss« Österreichs im März 1938 auch aus politischen Gründen immer weniger erstrebenswert wurde, erteilte MGM Aldous im Juli den Auftrag für ein Treatment über das Leben von Marie Curie. Drei Monate hatte er darauf gewartet, denn »die Filmindustrie ist gegenwärtig in einem Zustand der Nervenschwäche und Panik«, wie Aldous im April an Julian geschrieben hatte. Während seiner Rekonvaleszenz stellte Huxley das Treatment innerhalb von acht Wochen fertig, das darauf, wie im Hollywood-System üb177

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lich, von verschiedenen Autoren in ein industriegemäßes Drehbuch verarbeitet werden sollte. Ursprünglich als Starvehikel für Greta Garbo unter der Regie von George Cukor geplant, wurde die Produktion durch Besetzungsprobleme verzögert, sodass der Film erst 1943 in die Kinos kam – ohne Garbo und Cukor. Aldous’ Treatment geriet im Verlauf als »zu literarisch« unter die Räder und sein Name tauchte auf der Leinwand nicht mehr auf. Trotz der zunehmend kniffligen Lage auch in der Filmindustrie hatte Huxley guten Grund, sich Hoffnung auf lukrative Aufträge aus Hollywood zu machen. Neben den reinen Drehbuchautoren waren die Studios darauf erpicht, sich mit berühmten Namen zu schmücken. Außer erfolgreichen Schriftstellern wie Anita Loos, Ben Hecht oder S. J. Perelman gehörten dazu allein bei MGM, dem dominierenden Studio der 1930er-Jahre, Dorothy Parker, F. Scott Fitzgerald und William Faulkner. Nirgendwo sonst konnte ein Schriftsteller annähernd so viel Geld verdienen. Mit Scott Fitzgerald und Faulkner verband Huxley übrigens mehr als gemeinsame Hollywood-Ambitionen. 1939 würde der Erstere Huxley als Boxley in Der letzte Tycoon auftreten lassen, und Faulkner hatte bereits 1927 seinen Roman Moskitos nach den frühen Ideenromanen seines bewunderten Vorbildes Huxley modelliert. Vor und nach der Unterbrechung durch das Treatment war Aldous mit einer neuen, anspruchsvollen Romanidee beschäftigt, die sich allerdings nicht materialisieren sollte. Stattdessen drängte sich ihm im Verlauf des Winters die Idee für einen anderen, kurzen fantastischen Roman auf. Tatsächlich kam er damit besser zurecht und vollendete Nach vielen Sommern einen Tag vor seinem 45. Geburtstag. Sein erster amerikanischer Roman sollte in den USA im Oktober 1939 als After Many a Summer Dies the Swan veröffentlicht werden. Der Titel ist einmal mehr ein Zitat, diesmal aus dem Gedicht »Tithonus« von Alfred Tennyson. Bei Tennyson schenkt die Göttin Eos dem Trojaner Tithonus ewiges Leben. Da dieser aber vergessen hat, sich zugleich ewige Jugend zu wünschen, ist er dazu verdammt, auf ewig zu altern. Diese Ironie ist auch die Pointe von Huxleys Ge178

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schichte, wobei die Unsterblichkeit schenkende Göttin hier die Wissenschaft ist – oder genauer: die Darmflora von Karpfen. Huxley hätte gern einen Karpfen als Bild auf dem Schutzumschlag gehabt. Das ist nicht die einzige stramme Ironie in dieser Amerikasatire. Nach vielen Sommern war eine Reaktion auf seine neue Umgebung – und ganz der alte Huxley. Wie schon aus der eingangs zitierten Passage deutlich wird, nahm der Autor die Exzesse und grotesken Absurditäten der oberflächlichen amerikanischen Konsumgesellschaft aufs Korn. Wie gewohnt sind viele der Protagonisten von realen Personen inspiriert. Der philosophierende Mr. Propter hat Gerald Heard zum Vorbild, Huxleys zeitweiliger Arbeitgeber Anfang der 1930er-Jahre, der Zeitungsmagnat William Randolph Hearst erscheint als Mr. Stoyte, und seine Geliebte, Marion Davies, als Miss Maunciple. Wie wenig Huxley aber an Karikaturen wirklich lebender Personen gelegen war, zeigt sich daran, dass er kurz vor Ver­ öffentlichung des Romans den Namen der Stoyte-Geliebten von Dowlas zu Maunciple ändern ließ, »wegen einer zufälligen Ähnlichkeit mit dem einer allzu bekannten Dame aus der Nachbarschaft«. Marion Davies war offensichtlich gar nicht sein Ziel. Das seit Eine Gesellschaft auf dem Lande eingespielte Muster wiederholte sich dennoch, und zwar mit dem Präsidenten des Occidental College, Remsen Bird. Huxley hatte im September 1938 zur Einweihung von Thorne Hall, einem neuen Trakt der Universität, über »Words and Their Meanings« gesprochen, und der Präsident, angeblich mit Huxley befreundet, fand sich in Nach vielen Sommern im läppischen Dr. Mulge und das Occidental College als Tarzana College veralbert. Berichten zufolge war für Huxley eine Literaturdozentur am College vorgesehen gewesen und es hatte eine Huxley-­ Heard-Friedensbibliothek geben sollen, doch nun schnaubte Bird in einem Brief an Jacob Zeitlin: »und nun das …« Wieder einmal hatte sich Huxley durch seine spitze Feder zu einer persona non grata gemacht. Das einzige eindeutig identifizierbare Objekt der Satire ist Hearst Castle in den Hügeln über San Simeon an der kalifornischen Küste, inklusive künstlicher Grotte und Privatzoo. Der überladene, pseu179

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dohistorische Kitsch von Hearsts Märchenschloss über der weißen Wolkendecke am Pazifik wird hier ebenso genüsslich ausgemalt wie kurz darauf in Orson Welles’ Debütfilm Citizen Kane. Obwohl ­Herman J. Mankiewicz und Orson Welles bei der Entwicklung des Skripts die Titelfigur aus mehreren Magnaten zusammengesetzt hatten, wie es auch Huxley und andere Autoren überlicherweise ­taten, brachte das vermeintliche Porträt von Hearst und Marion ­Davies dem 26-jährigen Regisseur mehr Ärger ein als Huxley sein Mr. Stoyte. Einiges spricht dafür, dass Nach vielen Sommern eine Inspirationsquelle für Welles war. In Welles’ Film geht es zwar statt um Jugendwahn und ewiges Leben darum, wie der Verlust der Kindheit einen gefühllosen Machtmenschen erzeugt, aber die Darstellung und zentrale Rolle des bombastischen Schlosses und seiner Bewohner sind der Huxleys sehr ähnlich. Als Aufhänger wählte der Shakespeare-Schauspieler Welles nicht Tennyson, sondern Coleridge, und Hearst Castle wird zu »Xanadu« aus dem Gedicht »Kublai Khan«. Bevor er Anfang 1940 mit Überlegungen zu dem Film beginnen würde, lernte Welles Huxley bei einer der vielen Hollywood-Partys kennen und sollte auch auf dessen 45. Geburtstag im Juli 1939, kurz vor Erscheinen des Romans, zu Gast sein. Schon im Oktober 1937 hatte Maria sich davon beeindruckt gezeigt, wie viele Berühmtheiten sie in Hollywood im Handumdrehen kennenlernten oder trafen (Gary Cooper, Anita Loos und Charlie Chaplin am selben Tag), aber nun begann für die Huxleys ein Leben im Zentrum der Filmindustrie. Neben Loos, Chaplin und dessen Gattin Paulette Goddard (Partnerin in Moderne Zeiten und Der große Diktator) gehörten dazu außer Harpo Marx bald auch Greta Garbo, die Schauspielerin Constance Collier – unter anderem bekannt aus Hitch­cocks Cocktail für eine Leiche – und Salka Viertel. Die österreichische Max-Reinhardt-Schauspielerin Salka Viertel war eine weitere Emigrantin, die Anfang der 1930er-Jahre in Hollywood hängengeblieben war, als die Nationalsozialisten eine Rückkehr zunehmend unmöglich machten. Ihr Mann Berthold war 1928 durch Friedrich Wilhelm Murnaus Hilfe als Regisseur bei der Produktionsfirma Fox gelandet. Salka hatte sich als Vermittlerin und 180

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Skriptschreiberin für ihre Freundin Greta Garbo in Hollywood etabliert. Huxleys Beteiligung an dem Projekt Madame Curie war in erster Linie dem Schulterschluss von Anita Loos, Salka Viertel und Greta Garbo zu verdanken. Wenn nicht bei Chaplins oder auf Anita Loos’ Brunches und Dinnerpartys, fand sich die haute volée besonders der Exilanten in Salkas Salon ein: Sergej Eisenstein, Chaplin, Arnold Schönberg, Christopher Isherwood, Hanns Eisler, Bertolt Brecht, Max Reinhardt oder Thomas Mann waren hier zu Gast. Über Salka lernten die Huxleys auch die relativ erfolglose amerikanische Schriftstellerin Mercedes de Acosta kennen, mit der sie zudem ein Interesse an hinduistischer Philosophie und Meditationspraxis teilten. Sie sollte auch bald an Eileen Garretts parapsycho­ logischem Magazin Tomorrow federführend beteiligt sein. Am bekanntesten wurde de Acosta durch ihren Ruf, mit den wichtigsten Frauen ihrer Zeit im Bett gewesen zu sein, wie zum Beispiel Marlene Dietrich und, laut eigener Aussage, Greta Garbo, die sie durch Salka kennengelernt hatte und mit der sie über die Jahre eine stürmische Freundschaft verband. Zu diesem Kreis sollte sich auch in Kürze Eva Herrmann gesellen, um hier ein »Sanary am Pazifik« vorzufinden. Abgesehen davon, dass sich Hollywood in seinem »goldenen Zeitalter« in eine Art Athen verwandelt hatte, »dichtbesiedelt mit Künstlern wie Florenz zu Zeiten der Renaissance« (zit. in Dunaway, S. 89), wie ein Journalist der New York Times es beschrieb, blieben die Künstler nicht unter sich: Wissenschaftler, Ärzte und Intellektuelle aller Art mischten sich ins lebhafte Treiben. Schon im Spätsommer 1937 hatten die umtriebigen Huxleys Naturwissenschaftler, Literaten, Geisteswissenschaftler, und Soziologen aller Couleur kennengelernt, der Herstellung eines Micky-Maus-Films beigewohnt, die einzige Chinchillafarm der Welt besucht, florierende Ranches mit Riesenschweinen, Orchideenfarmen, Ölfelder und, so Maria, »die beste und größte Sammlung moderner französischer Malerei im Hause eines netten Verrückten« (Letters, S. 427) gesehen. Eine herzliche und dauerhafte Freundschaft entwickelte sich auf Anhieb zwischen den Huxleys und Edwin und Grace Hubble. Grace Hubbles Tagebücher sind eine aufschlussreiche Quelle für Huxleys 181

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Der Astronom ­Edwin Hubble, mit dem sich Huxley 1937 anfreundete

gesellschaftlichen Aktivitäten in diesen Jahren. Der Astronom Edwin Hubble sorgte für eine fundamentale Änderung unseres Bildes vom Weltall, als er 1924 entdeckte, dass die Milchstraße nicht das gesamte Universum, sondern nur eine unter zahllosen Galaxien ist und dass das Universum sich mit zunehmender Geschwindigkeit ausdehnt. Wie so oft bei Huxleys Freundschaften verband sich zwischen Hubble und ihm gegenseitige Wertschätzung mit einem lebhaften geistigen Austausch. Sie hatten nicht nur einen ähnlichen Bildungshintergrund und gleiche intellektuelle Interessen, sondern teilten auch die Liebe zur Natur. Edwin nahm die Huxleys und deren Freunde des Öfteren mit zu seinem Mount-Wilson-Teleskop. Durch Hubble erhielt Huxley die neuesten Forschungsergebnisse aus erster Hand, und er sah als einer der Ersten die Bilder vom neuen Fünf­ meter­spiegel­tele­skop im Palomar-Observatorium. 182

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Besondere Anziehungskraft auf die breite Prominenz übte in dieser Zeit der Philosoph Jiddu Krishnamurti aus. Bereits im September 1937 hatte Huxley vorgehabt, ihn im idyllischen Ojai-Tal nördlich von Los Angeles zu besuchen. Dieser Versuch war gescheitert, da Krishnamurti auf Vortragstour war, und der zweite Versuch im Februar 1938 war von Huxleys Lungenentzündung durchkreuzt worden. Schließlich besuchte Krishnamurti Huxley in Los Angeles. Ein Jahr jünger als Aldous, war der junge Krishnamurti von C. W. Leadbeater und Annie Besant am Strand in Madras entdeckt und 1910 von ihnen kurzerhand zum »Weltlehrer« erklärt worden. Die beiden überzeugten den Vater des Jungen, und Krishnamurti kam zur weiteren Ausbildung nach England. Leadbeater und Besant, die Nachfolgerin der arg verrufenen Helena Blavatsky, gehörten der seinerzeit gerade im englischsprachigen Raum äußerst populären Theosophischen Gesellschaft an. Nach der »Entdeckung« von Krish­ namurti (Jiddu ist der Nachnahme) war 1911 der »Order of the Star in the East« (Orden des Sterns im Osten) mit dem 16-jährigen als Führer gegründet worden. Das hatte im Übrigen den Theosophen Rudolf Steiner dazu veranlasst, sich mit seiner deutschen Sektion aus dem Verbund zu lösen und als Anthroposophische Gesellschaft weiterzumachen. Nachdem der akademisch wenig interessierte Junge in England erzogen worden war, waren ihm seine Berufung und der um ihn entstehende Kult immer ungeheurer geworden, und er hatte den Orden 1929 bei einem Jahrestreffen in Holland überraschend aufgelöst. Er war zu der Überzeugung gekommen, dass »Wahrheit ein pfadloses Land ist«, das jeder nur allein erfahren könne, ohne Führer, Guru, Institution, Religion, Philosophie und ohne Methode. Dieser Einsicht bedingungslos folgend, hatte er sich in Ojai niedergelassen, schrieb weiter und sprach weltweit vor interessierten Gruppen. Aldous, der ebenfalls organisierte Religion und religiöse Führer ablehnte, musste Krishnamurtis rigoros individualistische Haltung gefallen. Krishnaji, wie er von seinen Freunden genannt wurde, sollte nach D. H. Lawrence und Gerald Heard nicht nur den größten Einfluss auf Huxleys weitere pragmatisch-philosophische Entwicklung 183

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haben, sondern zwischen den beiden entstand auch eine außer­ gewöhnliche und andauernde Freundschaft. Bis zum Ende von Huxleys Leben verbrachten sie von 1939 an oft Zeit miteinander, sofern sie nicht jeweils auf Reisen waren. Krishnamurti beschrieb ihre Beziehung als eigentümlich, warmherzig und rücksichtsvoll sowie von wortlosem Verständnis. Häufig würden sie einfach schweigend beisammen sitzen oder ausgedehnte Spaziergänge machen. Diese besondere Freundschaft war aber auch, wie alle Freundschaften Huxleys, nicht exklusiv, sondern schloss Krishnajis Vertraute, D. Rajagopal und seine Frau Rosalind, sowie auf Huxleys Seite Maria, später Christopher Isherwood, Igor Strawinsky und andere ein. Mehr noch als bei Lawrence und Heard war bei Krishnamurti und Huxley deutlich, dass sie sich durchgehend gegenseitig beeinflussten. Wie sehr die beiden intellektuell miteinander im Einklang waren, lässt sich an Huxleys langem Vorwort zu Krishnamurtis Buch The First and the Last Freedom (dt. Schöpferische Freiheit) von 1948 ablesen. Andererseits konnte Aldous Krishnaji mit anschaulichen Beispielen davon überzeugen, dass der Intellekt, das Denken, das nach Krishnamurtis Überzeugung die Wurzel allen menschlichen Übels war, auch wundervolle Dinge zu erbringen vermochte. Dass sich die beiden fast Gleichaltrigen besonders nah waren, mag an einer ähnlichen Grundkonstitution zusammen mit gleichen einschneidenden Grunderfahrungen liegen. Krishnaji war, ähnlich wie Aldous, ein empfindsamer, häufig abwesend wirkender, verträumter Junge gewesen. So wie Huxleys drohende Erblindung und seine gesundheitliche Anfälligkeit sein Leben bestimmen sollten, hatte Krishnaji schon in jungen Jahren nach einer Malariaerkrankung gekränkelt, und Rückfälle sollten ihn über Jahre begleiten. Statt Huxleys Keratitis punctata hatte Krishnaji praktisch zeitgleich die Theosophische Gesellschaft »ereilt«, die ihn seiner Familie und eines normalen Lebens entriss. Und 1925 schließlich hatte der überraschende Tod des geliebten Bruders Nitya, seines ständigen Begleiters und engsten Vertrauten, ihn so sehr erschüttert, dass er den schmerzhaften Prozess seiner Erkenntnis und der Loslösung vom Orden einleitete. 184

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Jiddu Krishnamurti im Jahr 1930

Neben Lawrence, Heard und Krishnamurti gab es aber noch einen weiteren tief greifenden und stetigen Einfluss auf die Entwicklung von Huxleys Denken. Mit seinem sieben Jahre älteren Bruder Julian war Aldous von jeher in engem Kontakt, wie die vielen ausführlichen Briefe belegen. Sie tauschten sich nicht allein über Familienbelange regelmäßig aus, sondern auch hinsichtlich aller sozial­ politischen und technologisch-wissenschaftlichen Fragen, die die beiden Brüder gleichermaßen, wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen bewegten. Auch nach 1937 sahen sich die Brüder regelmäßig, sei es in den USA oder London, und behielten einen steten intimen und intellektuellen Austausch bei. Auch in Amerika beschäftigte Huxley sich eingehend mit dem geistigen Zustand der Menschheit und zeigte dabei weiterhin seine 185

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bekannte Skepsis und teilweise Resignation. Während der Friedensvortragsreise schrieb er folgende Beobachtung an Julian: »Ich fühle mich häufig ein wenig überwältigt davon, wie seltsam starr und schwer nachvollziehbar der Großteil der Menschen ist. Die meisten von ihnen haben etwas trostlos fixiertes, versteinertes, sklerotisches – einen Mangel an Einfühlsamkeit, Achtsamkeit und Flexibilität, der äußerst deprimierend ist. Es scheint, dass man daran nicht viel machen kann außer […] sich selbst zu einem Fenster zu machen, das ein wenig Licht durchlässt; sich selbst am Leben zu erhalten, so dass wenigstens ein Punkt in der gewaltigen Versteinerung in der Lage ist zu wachsen und zu reagieren.« (Letters, S. 428) »Die meisten wollen nicht angemessen über die Welt nachdenken, weil unangebrachtes Denken und unvernünftiges Verhalten so eine Menge kurzfristigen Spaß bringen (der für sie das langfristige Elend, das immer folgt, überwiegt).« (Letters, S. 443)

Dieser sehr persönliche Seufzer benannte das Kernproblem, das Huxley von nun an beschäftigen sollte: Wie kann man dieser frühen »Sklerotisierung« von Menschen entgegenarbeiten, wenn die Welt zunehmend komplexer wird, technologisch, politisch und global mehr und mehr Anforderungen an die Individuen stellt, deren »Mündigkeit« spätestens seit Kant eine Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie sein sollte? Für sich selbst folgte Huxley strikt einer Auffassung, die ihn auch mit Krishnamurti verband: Der einzige Ort des Universums, den man wirklich verändern kann, ist man selbst. In Krishnamurtis Worten war das »the only revolution«. Doch das schien im Allgemeinen schwierig zu sein. »Es sieht so aus, als sei die überwältigende Mehrheit damit zufrieden, auf etwa zwanzig Prozent ihrer potenziellen Möglichkeiten stehenzubleiben. Die Entdeckung von Methoden, mit denen man die vollen hundert Prozent verwirklichen kann – das scheint das einzig Vernünftige und Konstruktive zu sein, was man in diesem Irrenhaus, in das wir hineingeraten sind, tun kann.« (Letters, S. 445)

Das schrieb Huxley im August 1939 an Eva Herrmann, der er von dem neuen Augentraining nach William Bates berichtete, das er Anfang des Jahres unter Margaret Corbett begonnen hatte. Die so186

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genannte Bates-Methode sprach, ähnlich wie F. M. Alexanders bewusster Umgang mit dem Körper, den gesamten Sehprozess an und trainierte das Auge unter Einbezug psychischer und hirnphysiologischer Faktoren. Neben grundsätzlicher Entspannung gab es ganz einfache Übungen, wie das Lichtbaden der Augen mit geschlossenen Lidern, das Abdecken mit den Handflächen, entspanntes Konturensehen usw. Die Bates-Methode stand schon lange in der Kritik von Optikern wie von Augenärzten, aber Huxley führte das in erster Linie darauf zurück, dass Optiker Einbußen beim Brillenverkauf befürchteten. Denn dieses Augentraining hatte nicht nur den fortgeschrittenen grauen Star seiner Freundin, der Schauspielerin Constance Collier, innerhalb von vier Monaten beseitigt, auch seine eigenen Therapieerfolge waren sensationell. Angewiesen auf Zweistärkenbrillen von 8 und 15 Dioptrien sowie eine Lesebrille von 15 Dioptrien, konnte er nach wenigen Wochen Training seine Brillen beiseitelegen. Das Typoskript seines neuen Romans, Nach vielen Sommern, hatte er ohne Brille und ohne Ermüdung bearbeitet. Im Januar 1940 würde er Julian berichten können, dass er zum ersten Mal seit seiner Kindheit räumlich sehen könne, also ein Gesamtbild von beiden Augen bekomme. Bis zu seinem Lebensende würde er zum Lesen zwar noch Lupen benutzen, aber keine Brille mehr tragen. Seinen Verleger bat er bald, im Schutzumschlag seiner neuen Bücher – »zu Ehren von Bates« – die alten Fotos von ihm mit Brille durch eins ohne zu ersetzen. Huxley war so überzeugt von der Methode, dass er ihr 1942 das Buch The Art of Seeing (dt. Die Kunst des Sehens) widmete, mit dem er sie in erster Linie gegen ihre Kritiker verteidigen und zu ihrer offiziellen Anerkennung beitragen wollte. Das Buch ist nicht nur ein praktischer Leitfaden, sondern auch philosophisch wieder interessant. Zum einen verband Huxley hier wie kein anderer pragmatischer Philosoph Praxis und (wissenschaftliche) Theorie aufs Engste und Anschaulichste miteinander. Zum anderen waren die theoretischen Ausführungen ein weiterer Schritt in der Darlegung seines antikartesianischen, also nicht dualistischen Programms. Wie für 187

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eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen, den Dichter William Blake, gab es auch für Huxley jetzt keinen Unterschied zwischen Körper und Geist. Das klassische philosophische Leib-Seele-Problem existierte für ihn nicht mehr. Für die emotionalen, körperlichen, geistigen, seelischen, spirituellen, bewussten, unbewussten, vorbewussten, biochemischen, mechanischen und anderen Vorgänge, die in nicht trennbarem Zusammenspiel den Organismus und sein Erleben ausmachen, wählte Huxley den Begriff mind-body. Der psychologische Blick des Romanschriftstellers erlaubte es Huxley, die starken Zusammenhänge von psychischen und körperlichen Vorgängen sowie deren Einfluss auf Verhalten und Lebenseinstellung philosophisch prägnanter herauszuarbeiten, als es den meisten akademischen Philosophen bislang gelungen ist. Dazu sollten ihm in den kommenden Jahren besonders die philosophischen Biografien über Père Joseph und Maine de Biran sowie sein Roman über die »Teufel von Loudun« dienen. Dass das Körperliche eine zentrale Rolle in seiner sich immer klarer ausprägenden Philosophie spielte, wird auch durch Huxleys Begeisterung für die psychosomatische Theorie des amerikanischen Psychologen William H. Sheldon deutlich. Während der Pazifismustour 1937 hatte Huxley den von ihm geschätzten Psychologen in Chicago besucht und sich mit ihm angefreundet. Sheldons Körperbautypologie sollte in Huxleys Standardvokabular übergehen und in Die ewige Philosophie ebenso wie in seinen Romanen und Essays auftauchen. Nach Sheldon beeinflusst die körperliche Konstitution, der Somatotyp, die grundsätzliche psychische Einstellung – eine Unterteilung, die stark an die Temperamentenlehre der alten Griechen erinnert: Endomorphe (adipöse, weiche, runde) Typen sind eher »Bauchmenschen«, gemütlich, intuitiv, gesellig und sinnenfreudig. Der mesomorphe Typ ist tendenziell muskulös und athletisch, aggressiv und körperorientiert. Der ektomorphe Typ, zu dem sich Huxley natürlich rechnete, ist dünn, groß, gesundheitlich anfällig und ein Denker, der zum Rückzug in sich selbst neigt. Es war also nicht allein die Sorge um sich selbst – im Schatten seiner eigenen chronischen oder immer wieder auftauchenden kör188

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perlichen und seelischen Malaisen –, die ihn dazu bewegten, sich mit Ärzten und medizinischen Forschern zu umgeben sowie immer wieder neue Methoden und Experimentformen in sein Alltagsregime aufzunehmen. Für Huxley handelte es sich dabei nicht allein um Therapien und die Erforschung seiner Potenziale. Er suchte nach einem Repertoire an Methoden, mit denen Menschen ihre gesamten potenziellen Fähigkeiten verwirklichen könnten bzw. mit denen man die Denk-, Fühl-, Verhaltens- und Glaubensgewohnheiten, welche die Übel der Welt hervorbrächten, in positive Formen verändern könnte. Bei den Übeln dachte Huxley aktuell an die »extrem grässliche« Judenverfolgung in Deutschland; der 9. November 1938 hatte bereits angedeutet, dass es noch schlimmer werden würde. Zu jenem Repertoire gehörte für Huxley auch zunehmend die grundlegende Notwendigkeit, dass jeder sich einen Begriff vom Verhältnis von Sprache und Realität machen müsse. Grundsätzlich sei die Persönlichkeitsbildung eines jeden Menschen und sein Verhältnis zur Welt von der Fehlannahme bestimmt, Dinge, Ereignisse und Wahrnehmungen seien nur Illustrationen der Wörter, durch die sie benannt werden. Kaum jemand verstehe die willkürliche und welterzeugende Gewalt von Sprache und Symbolen. »Wie Fische im Wasser, so leben wir in Sprache«, würde Aldous im April 1940 an Julian schreiben. »[A]ber alle Sprachen enthalten fossilisierte neusteinzeitliche Metaphysik, und wenn wir nicht die wirklichen Beziehungen zwischen Wörtern, Dingen und Gedanken begreifen, und wenn wir nicht lernen, wie wir uns davor schützen können, von unseren neusteinzeitlichen Vorurteilen [in unserer Sprache] getäuscht zu werden, dann sind wir dazu verdammt, uns weiter so kopflos zu verhalten, wie wir es jetzt tun und in der Vergangenheit getan haben.« (Letters, S. 452)

Das Thema Propaganda, dem er sich von Proper Studies bis Schöne neue Welt gewidmet hatte, machte nun einer umfassenden Beschäftigung mit elementaren sprachtheoretischen Fragen Platz. Der linguistische Ansatz kristallisierte sich als eine der wichtigsten Säulen seiner Zivilisations- und Kulturkritik und seiner pragmatischen Überlegungen zu Bildung und Erziehung heraus. Auch hier wieder 189

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ist die Rigorosität seiner Verknüpfung von theoretischer Erkenntnis und pragmatischen Schlüssen bislang unerreicht – in der Linguistik wie in der Bildungsphilosophie und Pädagogik. (Tatsächlich sickern in den letzten Jahren Huxleys Erkenntnisse in minimalen Formen und kleinsten Dosen in die klassische Pädagogik ein, speziell was nonverbale und unbewusste Lernformen sowie Meditation und andere Formen des Achtsamkeitstrainings angeht.) In engem Zusammenhang mit dieser Sprachkritik stehen die hinduistischen oder buddhistischen Formen der Meditation, die Huxley und Heard praktizierten. Das Ziel von Meditation, gelehrt vom Yoga-Klassiker Patanjali bis hin zu Krishnamurti, ist das vollständige Loslassen des Egos bzw. die Erfahrung, dass es kein Ich, kein Selbst gibt. Diese Erfahrung, samadhi genannt, ist zugleich das Einsgefühl mit allem oder Brahman. Das primäre Ziel von Meditation ist es also, das »plappernde Ich«, wie Krishnamurti es ausdrückt, das das Bewusstsein einlullt und ablenkt, abzustellen.

Ein Sanary am Pazifik Maria und Aldous hatten im April 1939 innerhalb kürzester Zeit die vierte Wohnung in Los Angeles bezogen. Der Bungalow lag in der beliebten ozeannahen Wohngegend Pacific Palisades im Santa Monica Canyon. Der Amalfi Drive lag damals noch praktisch auf dem Land, und die Huxleys konnten sich unter Feigenbäumen im Garten ihr kleines Sanary am Pazifik einrichten. Anita Loos, Greta Garbo, Mercedes de Acosta und Salka Viertel wohnten ganz in der Nähe. Bald sollten sich auch Eva Herrmann sowie Thomas und Katia Mann dazugesellen. Die sonntägliche Ruhe in der neuen Behausung genießend, schrieb Aldous am 30.  Juli seinem Bruder von den erstaunlichen Erfolgen des Bates-Verfahrens bei ihm und Constance Collier und fügte hinzu: »Wir leben sehr zurückgezogen, sehen nur wenige Leute«. Der darauf folgende Trubel sollte seine Worte Lügen strafen: Charlie Chaplin tauchte mit einer Riesengeburtstagstorte und zwölf Fla190

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schen Sekt zum Lunch auf, natürlich in Begleitung von Paulette Goddard, die wie immer hinreißend aussah, in kurzen Hosen und – wie Grace Hubble beobachtete – »einem Hauch von Büstenhalter, der in der Mitte von einem großen viereckigen Juwel zusammengehalten wurde« (zit. in Dunaway, S. 121). Die Hubbles und die Chap­ lins läuteten die Überraschungsparty zu Aldous’ 45. Geburtstag ein. Constance Collier und Gerald Heard, Peggy Bok (später Kiskadden), Matthew, der Drehbuchautor Charles MacArthur, seine Frau, die Schauspielerin Helen Hayes, und deren Freundin Lillian Gish versammelten sich nach und nach unter den Eukalyptusbäumen. Auch Orson Welles kam – und ein neuer Freund war ebenfalls unter den Gästen. Christopher Isherwood war zusammen mit dem befreundeten Dichter W. H. Auden gerade erst in den USA angekommen. Er kannte Gerald Heard aus London und hatte ihn nun in Los Angeles aufgesucht, weil ihn, nach der Lektüre von Ziele und Wege, Heards und Huxleys Friedensphilosophie interessierte. Der 35-jährige englische Schriftsteller war insbesondere durch seine autobiografischen Berlin-Geschichten, Mr. Norris steigt um und Leb wohl, Berlin, das soeben erst erschienen war, bekannt geworden. Aus Motiven der beiden Bände entstand später das Musical Cabaret. In jüngerer Zeit ist Isherwood durch die Verfilmung seines nach Kritikerurteil eindringlichsten, subtilsten und witzigsten Romans A Single Man (1964; dt. Der Einzelgänger) im Jahre 2009 noch einmal verstärkt Aufmerksamkeit zuteil geworden. A Single Man ist auch eine Hommage an den Freund Huxley und eine subtile Liebeserklärung an ihre Freundschaft sowie den bleibenden Einfluss des intellektuellen Wegbereiters auf den 1939 noch »jungen Wilden« Isherwood. In Roman und Film ist der Titelheld George ein Bewunderer Huxleys und diskutiert mit seinen Literaturstudenten Nach vielen Sommern. Im Film steht auf Georges Nachttisch eins der bekannten Huxley-Porträts von Isherwoods Lebensgefährten Don Bachardy. Obwohl sich Huxley und der zehn Jahre jüngere Isherwood in vielerlei Hinsicht unähnlich waren – hinsichtlich ihrer Temperamente zum Teil sogar diametral entgegengesetzt –, entwickelte sich 191

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zwischen den beiden eine herzliche Freundschaft. Maria schloss der impulsive, gefühlsgeleitete Isherwood ohnehin sofort ins Herz. Wie Huxley sollte auch Isherwood bald auf der MGM-Gehaltsliste stehen und später mit ihm zusammen an einigen Filmprojekten arbeiten. Gerald Heard brachte zunächst Huxley und dann auch Isherwood zum Vedanta Tempel in Hollywood und zu dem Guru Swami Prabhavananda. Huxley und Heard standen der östlichen Mystik und dem hinduistisch-buddhistischen Prinzip der Nicht-Bindung, das Huxley in Ziele und Wege als wichtigstes ethisches Prinzip dargelegt hatte, eindeutig nahe, während Isherwood anfangs skeptisch war. Insbesondere als Homosexueller, der unter einer strengen katholischen Erziehung gelitten hatte, misstraute er allem, was den Ruch des Klerikalen hatte. Ironischerweise sollte er bald unter den Dreien der einzig treue Schüler des Swami werden. Und erstaunlicherweise zog ihn genau das an, was ihn hätte abstoßen müssen. Die Lehre des Vedanta verlangt nämlich eine lebenslange Hingabe an den Guru. Das war genau der Grund, der Huxley auf Distanz hielt. Swami Prabhavananda bestand zwar darauf, er habe Heard und Huxley zu seinen Jüngern geweiht, aber wie Krishnamurti hatte Aldous nichts übrig für Gurus und Frömmelei. Für ihn war der Swami eher ein Freund, mit dessen vedantischer Lehre er sympathisierte, von dem er Meditationstechniken lernte und den er in Fragen zum Hinduismus konsultieren konnte. Aldous blieb Prabhavananda und der Vedanta Society verbunden, hielt Vorträge im Vedanta-Tempel und lieferte zwischen 1941 und 1960 maßgebliche Beiträge zur später von Isherwood geleiteten Hausschrift Vedanta and the West. Auch Gerald Heard hielt dem Swami zwar die Treue, wollte aber ebenfalls seine Ideale im Alleingang verwirklichen. Er war selbst zu sehr Führerpersönlicheit, um einem Guru zu folgen, und voller eigener Weltentwürfe. Gerald und Aldous verbrachten bis Anfang 1940 noch viel Zeit miteinander. Doch nach der Initiation durch den Swami wurde der Umgang mit Heard besonders für Maria zu­ sehends verdrießlicher. Nicht nur, dass er sich bereits die ganze Zeit von ihr herumchauffieren ließ, weil er sich weigerte, Autofahren zu 192

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Christopher Isherwood (re.) mit seinem Lebensgefährten Don Bachardy, der Anfang der 1960er die bekanntesten Alters­porträts von Huxley zeichnen sollte

lernen, jetzt begann er auch noch über ihren Zeitplan zu bestimmen. Maria beschwerte sich in einem Brief aus dieser Zeit: »Er macht keine Anstrengung uns zu besuchen« (zit. in Dunaway, S. 148). Wegen seines strikten Meditationsplans könne er das Haus für nicht mehr als zwei Stunden verlassen. Wenn Heard weitermeditieren musste und Maria Aldous nicht rechtzeitig bei ihm abholte, wurde der Freund kurzerhand vor die Tür gesetzt. Maria schimpfte ihn einen »Diktator – einen spirituellen – aber die Gefahr ist dieselbe«. Tatsächlich verwandelte Heard sich zusehends selbst in eine Art Guru, der sich in der Führungsrolle durchaus gefiel. Aldous zufolge verhielt sich Gerald hartleibig und doktrinär, als sei er der erste Vorsitzende der Buddhistischen Partei. Noch konnte Huxley das Gerücht abwimmeln, er und Heard planten eine Kommune. Der Freund war indessen bereits auf dem besten Weg, sein persönliches Kloster zu gründen. Wenn sie nicht auf Gesellschaften bei Anita Loos, Salka Viertel oder Charlie Chaplin waren, entführten die Huxleys ihre Freunde 193

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auf Picknicks. Einen dieser Ausflüge hat Anita Loos in ihrer Autobiografie ausführlich geschildert, weil sie die Zusammensetzung der Truppe so »fantastisch« fand, als wäre sie aus Alice im Wunderland. Krishnamurtis indische Theosophen-Entourage war in elegante Saris gekleidet, der Rest trug leger-sportliche Outfits. Der alle überragende Aldous wirkte mal wieder wie der Riese aus einer Zirkusshow, Loos und Maria wie die Zwerge, Chaplin, Bertrand Russell und Isher­wood wie freche Kobolde. Greta Garbo versuchte, sich mit Männerklamotten und Schlapphut unkenntlich zu machen, Paulette Goddard trug mexikanische Tracht. Nur Matthew sah aus wie ein normaler Teenager. Als alle begannen, ihre jeweils spezielle Diät zuzubereiten – die Inder hatten Unmengen an Töpfen dabei, Paulette wie immer Champagner und Kaviar, Greta war auf Karottendiät –, hörten sie plötzlich eine barsche Stimme: »Was zum Teufel ist hier los?« Vor ihnen stand ein Sheriff mit gezückter Waffe. Offenbar hatte die lustige Gesellschaft ein »Betreten verboten«-Schild übersehen. Nach dem ersten Schock dachte Aldous, den Gesetzeshüter mit dem Starbonus beeindrucken zu können, und wies auf die Anwesenheit von Garbo, Chaplin und Goddard hin. Der Polizist kniff seine Augen zusammen, warf einen kurzen Blick auf den bunten Haufen und sagte: »Ach ja? Also, ich habe jeden Film von denen gesehen und entdecke keinen davon in dieser Truppe. Also, wenn ihr Penner hier nicht sofort verschwindet, buchte ich euch ein.« Woraufhin die Picknickgesellschaft schnell ihre Sachen zusammenraffte und sich schuldbewusst davonstahl. Zurück im Huxley-Garten malte man sich die Schlagzeilen aus, denen man gerade entgangen war: »Massenfestnahme in Hollywood: Greta Garbo, Paulette Goddard, Charlie Chaplin, Aldous Huxley, Lord Bertrand Russell, Krishnamurti und Christopher Isherwood in Untersuchungshaft«. Kurz nach seinem 45. Geburtstag flatterte ein weiteres Geschenk für Aldous zur Tür herein: MGM wollte, dass Aldous Jane Austens Klassiker Pride and Prejudice (dt. Stolz und Vorurteil) für die Leinwand bearbeitete. Tatsächlich wurden seine Mühen diesmal in jeder Hinsicht belohnt. »Pee & Pee«, so der Arbeitstitel bei MGM, sollte 194

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eins der besten Drehbücher Huxleys werden und der Film, mit Laurence Olivier und Greer Garson in den Hauptrollen, ein Klassiker. Weihnachten 1939 verbrachte man mit Julian, den Hubbles und Bertrand Russell, dem sein 1929 erschienenes Buch Ehe und Moral gerade zum Fallstrick geworden war. Ein katholischer Richter hatte seine Berufung zum Professor für Logik am City College in New York rückgängig gemacht, weil Russell »moralisch unreif« sei. Auch der öffentliche Protest von Größen wie John Dewey und Albert Einstein fruchtete nichts. Trotz mittlerweile unterschiedlicher Haltungen zum Pazifismus verstanden sich »Bertie« und Aldous nach wie vor gut. Über den Krieg wurde nicht gesprochen. Aldous ließ sich über Aalwanderungen aus. »Ich glaub’ kein Wort«, scherzte Russell. Nach dem Ausbruch des Krieges im September 1939 überfielen die Deutschen im April 1940 auch Dänemark und Norwegen. Während im Mai der sogenannte phoney war, der Sitzkrieg, endete, als die deutschen Truppen durch die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Nordfrankreich vordrangen, brach der Kontakt zu Marias Mutter und Schwester Rose ab, und nach der Einnahme von Paris am 14. Juni hörten die Huxleys auch nichts mehr von Jeanne. Erst im Juli kam Nachricht, dass Marguerite und Rose sich bis Bordeaux durchgeschlagen und Jeanne und ihr zweiter Mann Georges Paris vor der Okkupation verlassen hatten. Geld konnte jedenfalls im Moment nicht mehr geschickt werden. Sophie, Jeannes älteste Tochter, war bereits im November in den USA angekommen und wohnte seitdem bei Maria und Aldous. Nach ihrem Schulabschluss begann »Miss Huxley«, wie sie jetzt genannt wurde, im Spätsommer 1940 an der Max-Reinhardt-Schule in Hollywood Schauspiel zu studieren. Maria und Aldous überlegten, die Nichte zu adoptieren; düstere Aussichten verdunkelten den Blick: »Falls wir alle umkommen«, schrieb Maria. Sophie sollte wenigstens, zusammen mit Matthew, ein bisschen etwas erben. Marias dritte Schwester Suzanne und ihr Mann Joep Nicolas lebten ebenfalls seit Ende 1939 mit ihren beiden Töchtern in den USA. Während die Katastrophe in Europa an Fahrt aufnahm, brach im April 1940 Huxleys unterschwellige Infektion wieder durch. Ver195

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schiedene Komplikationen wie Ödeme, begleitet von bronchialen und Magen-Darm-Beschwerden, später dazu noch Nesselsucht und Herzmuskelschwäche legten ihn für die nächsten Monate lahm. Zur Behandlung seiner Schreibunfähigkeit war Aldous nun Patient bei Isherwoods österreichischem Arzt Joseph Kolisch. Bill Kiskadden, Peggy Boks späterer Mann und selber Arzt, fand Kolisch nicht koscher: »Der Mann hat die dickste Akte an Beschwerdebriefen bei der Ärztekammer« (Recollected, S. 82). Auch Sybille Bedford kam im Juli in Kalifornien an und war sehr besorgt über die Veränderung, die sie bei Aldous und Maria vorfand. Maria hatte sehr viel Gewicht verloren und wirkte erschöpft und nervös: »Man fühlte, dass ihr alles zu viel war, körperlich, jede Minute«. Dabei legte sie trotzdem ihre unerschütterliche Heiterkeit an den Tag. Aldous wirkte mitgenommen und sorgenvoll, wie unter schwerer Last. Die französische Leichtigkeit war verschwunden; die Huxleys folgten nun strikter Disziplin und einem rigorosen Zeitplan. Zu allen übrigen Sorgen kam noch die Erkenntnis, dass Huxleys englische Literaturagenten, die Brüder Pinker, ihm 500 Pfund schuldig bleiben sollten. Schon im vergangenen Sommer hatte er auf seinem englischen Konto hohe Ausstände festgestellt, die Pinkers umgehend angeschrieben und keine Antwort erhalten. Jetzt informierte ihn Julian, dass die Agenten sich verspekuliert hatten und Konkurs anmelden mussten. Angesichts der Huxley fast obszön erscheinenden Einkünfte aus »Pee & Pee« war dieser Verlust nicht so schmerzlich, wie er es noch vor einigen Jahren gewesen wäre; aber dennoch: Gerade jetzt, wo die Zurückgebliebenen in Europa unterstützt werden mussten, war jeder Penny wichtig. Zunächst hatte Aldous Pride and Prejudice gar nicht annehmen wollen. Es schien ihm unmöglich, 1500 Dollar die Woche zu verdienen, während Familie und Freunde in Europa hungerten. »Aber Aldous«, beschwichtigte ihn Anita Loos, »warum schickst du den Großteil nicht einfach nach England?« Zum wiederholten Male hatte Huxley die komplexe Romanidee, die ihn Anfang des Jahres noch umtrieb, ad acta gelegt. Ab Oktober machte er sich an ein anderes Projekt, zu dem Gerald Heard ihn 196

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angeregt hatte. Die Geschichte des Kapuziners Père Joseph, der als sprichwörtliche »graue Eminenz« Richelieus Geheimdienstschef und außenpolitische Stoßwaffe war, lieferte Huxley das perfekte Material, um mithilfe der Geschichte die Gegenwart zu kommentieren. In der Nachfolge von Ziele und Wege lieferte Huxley die Detailstudie eines Falles, der zeigt, wie die Mittel eben nicht durch die Zwecke geheiligt werden und warum »nichts so scheitert wie der Erfolg«. Was Huxleys Fantasie besonders anregte, war die Widersprüchlichkeit des Ordensbruders, der, auf dem besten Weg, ein Heiliger zu werden, seine Karriere als Mystiker in der des brutalen Machtpolitikers auflöste. Dieses neue Genre, eine Mischung aus historischen Quellen, romanhafter Erzählung und essayistischem Kommentar, das Huxley als »spekulative philosophische Biografie« ankündigte, sollte in seiner langen Studie über Maine de Biran (in Themen und Variationen) und Die Teufel von Loudun noch zweimal erfolgreich zum Einsatz kommen. Während Huxley sich also Ende des Jahres 1940 in die Arbeit an Grey Eminence (dt. Die graue Eminenz) stürzte und die »verlorene Zeit« des Sommers einzuholen versuchte, lud Charlie Chaplin zu einer Privataufführung von Der große Diktator. In den vergangenen Jahren hatte Charlie seine Mussolini-Parodie schon öfters auf Partys zum Besten gegeben und zuletzt auch, wie es vor Drehbeginn seine Gewohnheit war, ganze Szenen aus dem Film. Maria und Aldous hatten also das Privileg, bei der Entstehung des Films in jeder seiner Phasen live zusehen zu können. Aldous fand das Endergebnis »ungemein lustig und sehr bewegend«. 1941 verwandelte sich Pacific Palisades gänzlich in ein Sanary am Pazifik. Sybille war nicht geblieben, aber mittlerweile war Eva Herrmann eingetroffen. Bislang war sie mit Klaus und Erika Mann in New York geblieben, jetzt zog es sie aber auch an den Pazifik – wegen der Huxleys, aber auch wegen der Eltern Mann. Thomas und Katia waren ebenfalls Mitte 1940 von Princeton nach Brentwood gezogen, dem Nachbarbezirk von Pacific Palisades. Im April 1941 wurden sie direkte Nachbarn der Huxleys auf dem Amalfi Drive; das heutige 197

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Thomas Mann-Haus, die Villa auf dem San Remo Drive, war noch im Bau und wurde erst 1942 bezogen. Einige Mitglieder der literarischen Exilkommune – die neben Eva Herrmann, Salka und Berthold Viertel, Vicki Baum, Max Reinhardt, Ludwig Marcuse, Hanns Eisler, Bertolt Brecht, Helene Weigel und Arnold Schönberg auch bald Lion Feuchtwanger und Theodor W. Adorno aufnehmen würde – taten sich mit der Beheimatung in der anglophonen Umwelt etwas schwerer. So wurde Pacific Palisades für die deutsche Kolonie nicht nur ein Sanary am Pazifik, sondern »Weimar am Meer«. Thomas Mann, der »Magier«, der pazifische Goethe, sorgte mit norddeutscher Strenge für das Überleben der deutschen Enklave. Sohn Klaus, der mit dem englischsprachigen Umfeld ebenso wenig fremdelte wie Eva oder seine Schwester Erika, fand es bei seinem Vater vor wie auf dem Zauberberg, angesichts der »leicht makabren Animiertheit dieser ›German Colony‹ – very much à la Magic Mountain« (Flügge, S. 248). Thomas hatte sein Englisch bewundernswert verbessert, wie Maria feststellte. Man wohnte direkt gegenüber und begegnete sich auf Spaziergängen. Die Manns wussten ihre alten Nachbarn aus Sanary weiterhin zu schätzen. Schon als sie 1938 Los Angeles besucht hatten, hatten sie sich auf ein Picknick mit den Huxleys getroffen. Der Nachmittag hatte mit einem Spaziergang an einem menschenleeren Strand in der Bucht von Santa Monica geendet. Während die Herren in ein Gespräch über Shakespeare und Glasharfen vertieft waren, bemerkten die Damen eine seltsame Naturerscheinung. So weit das Auge reichte, war der Strand um sie herum plötzlich übersät mit seltsam im Wind flatternden, kleinen weißen Blumen. Die Blumen waren aus Gummi: Abermillionen von Kondomen zuckten aufgebläht in der Brise. Was für eine gigantische Orgie mochte hier stattgefunden haben? Aldous fand die Antwort: Die Kondome waren mit dem Klärschlamm aus dem in der Nähe liegenden Hyperion-­ Klärwerk an den Strand geschwemmt worden. Mitte der 1950erJahre sollte Huxley dieses Erlebnis zum Anlass für einen poetischen und witzigen Einstieg in seinen Essay »Hyperion to a Satyr« nehmen. Auch in seiner postnuklearen Satire Ape and Essence (1948, dt. Affe und Wesen) sollte das beeindruckende Bild wieder auftauchen. 198

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Die Hollywood-Party konnte nicht ewig weitergehen, jedenfalls nicht für die Huxleys. Besonders Maria wurde es zu viel. Seit geraumer Zeit spielten sie und Aldous mit der Idee, in die Mojave-Wüste hinauszuziehen, mit der sie von vielen Autoausflügen ins Hinterland von Los Angeles vertraut waren. Schon auf Friedas Ranch im einsamen San Cristobal waren sie dem Zauber der unwirtlichen Kargheit der Landschaft erlegen. Bislang glaubte Huxley, in der Nähe der Studios bleiben zu müssen. Jetzt aber durfte er immer häufiger daheim arbeiten. Den letzten Anschub aber gab Marias Befinden. Sie war müde und überarbeitet, die Ärzte diagnostizierten Anzeichen von Tuberkulose. Trockene Luft war angesagt. Also setzten die Huxleys ihren lange gehegten Wunsch um: Sie zogen in die Wüste.

In der Wüste Während Gerald Heard seine eigene Klause in den Bergen baute, übernahmen die Huxleys die Ruinen einer alten Kommune – um ein ganz und gar unkommunales Leben zu führen. Im südwestlichen Zipfel der Mojave-Wüste, 80 Kilometer nördlich von Los Angeles, liegt die Kleinstadt Llano am Pearblossom Highway, den der Maler David Hockney mit seiner imposanten Fotocollage unsterblich gemacht hat. Dort, im sogenannten Antelope Valley, wo es seit den 1880er-Jahren keine Antilopen mehr gab, hatten sich Aldous und Maria eine zehn Hektar große Ranch gekauft. Die Anlage Llano del Rio, wörtlich »die Flussebene«, war ab 1914 eine sozialistische Kommune gewesen: Ihr Gründer, der Politiker Job Harriman, hatte die Hoffnung gehabt, dass sein Experiment in kooperativer Kollektivwirtschaft das herrschende kapitalistische System zu einem Strukturwandel inspirieren könnte. Am Ende hatte die Kolonie 1100 Bewohner. Wasserknappheit und Isolation beendeten das Experiment 1918. Huxley sprang auf diese Geschichte natürlich sofort an, nicht nur wegen der dezentralisierten, kommunalen Wirtschaftsform, sondern auch, weil es sich um eine Kommune von pazifistischen 199

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Kriegsdienstverweigerern während des Ersten Weltkriegs gehandelt hatte. Er hat ihr den Essay »Ozymandias, the Utopia that Failed« gewidmet, der in Adonis and the Alphabet (1956) zu finden ist. Im Februar 1942 fuhren Matthew und Maria schon mal mit dem Umzugswagen vor. Seit November des vergangenen Jahres war die verfallene Anlage wieder in Schuss gebracht worden. Es gab aber immer noch Einiges zu tun für die Vorhut. Auf die Holzabdeckung des in der Erde versenkten Generators kam eine Büste von Heard, und das Arrangement bekam den scherzhaften Beinamen »Geralds Gruft«. Aldous blieb zurück in L. A. und fand Unterschlupf bei Eva Herrmann, um für seine Arbeit am Filmskript für Jane Eyre vor Ort zu sein. Seit Sommer letzten Jahres arbeitete er für Twentieth-Century Fox. Von »Pee & Pee« und Jane Austen war er nun also zu Charlotte Brontë gekommen. Produzent David O. Selznick, der in den vergangen beiden Jahren gerade mit Vom Winde verweht und Rebecca Kassenschlager herausgebracht hatte, wollte Huxley für fein gedrechselte britische Dialoge in Jane Eyre. Aldous’ Freund Orson Welles, der den Roman mit seinem Mercury Theater bereits fürs Radio inszeniert hatte, bekam nicht nur die männliche Hauptrolle, sondern war auch an Drehbuch, Besetzung und Ausstattung maßgeblich beteiligt. Wie zu erwarten, wurde der Film, als er 1944 in die Kinos kam, ein großer Erfolg. Die knapp 80 Kilometer von Los Angeles bis nach Llano waren in den 1940er-Jahren ein langer Weg: Der breite Rücken der San Gabriel Mountains musste über den Mill Creek Pass in 1500 Meter Höhe überwunden werden, bevor sich die Ebene des Antelope Valley vor einem öffnete. Aber die Huxleys hatten es sich gut eingerichtet. Der weite Blick auf das Bergpanorama, das intensive Licht, das Spiel der Wolken, die Einsamkeit, die Ruhe – Maria war begeistert: »Ich wohne nicht in einer Wüste, ich wohne in einer Oase« (zit. in Bedford II, S. 30). Dazu gab es neun kleine Katzen, die unter den Bäumen tollten, den Garten, die ikonischen Joshua Trees, Pappeln, ­Feigen, Äpfel, Tomaten, Pfirsiche, Trauben, die Farbenpracht des Wüstenfrühlings – und Matthew in seinem geräumigen chinesisch-grünen Zimmer. Aber es gab auch Koyoten, die die Hunde 200

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jagten, und Klapperschlangen, vor denen man sich auf Spaziergängen in Acht nehmen musste. Matthew hatte mit Spiegeln und Glas einen »Sonnenkocher« gebaut, mit dem man alles von Tee über Eier bis zu Marmelade kochen konnte. Unter Huxleys Louis-Philippe-Schreibtisch und alle Möbel waren Rollen geschraubt worden, sodass die Betten beim Bettenmachen oder der Esstisch beim Fleischschneiden wegrollten: »Ich hoffe, Aldous’ Schreibtisch rollt nicht einfach in die Wüste davon«, sorgte sich Maria (zit. in Bedford II, S. 30). Auch wenn das Leben auf der Ranch zwischen Haus und Garten Knochenarbeit war, auch wenn es noch Probleme mit der Wasserversorgung und dem Generator gab, und auch wenn ihr die Hände schmerzten und sie am Ende des Tages in einen erschöpften ­ aria war glücklich. Zehn-Stunden-Schlaf fiel – M Für Aldous war die Wüste eine machtvolle Erfahrung, aufgeladen mit symbolischer Bedeutung. Das Entscheidende an Huxleys ­(agnostisch-)religiösem Ansatz war, dass alles Symbolische ein auf Bedeutung konzentrierter Ausdruck von intensiver Erfahrung ist. Daher rührte sein Interesse an der Mystik, die ausschließlich erfahrungsbasiert ist. Huxley kannte die intensive Wirkung der Wüste bereits, bevor er begann, in ihr zu wohnen. Ihre Grenzenlosigkeit und Leere war für ihn Ausdruck der dimensionslosen Allgegenwart und Leere des Urgrunds allen Daseins, oder »Soheit« (tatha im Buddhismus), wie sie in der Mystik von China bis Meister Eckhart auftauchen. Ihre Eintönigkeit breitete einen Mantel universeller Einheit über alles. Ihre Stille war die Stille des schweigenden Geistes in der Meditation, wenn das ruhelos geschäftige und »plappernde« Ich, befreit vom Denken, ruhiggestellt ist und bereit für reines Gewahrsein. Dieser Wüste und ihrer spirituellen Bedeutsamkeit hat er später den Aufsatz »The Desert« in Adonis and the Alphabet gewidmet. Auch im ersten Teil seiner Nachkriegssatire Affe und Wesen spielt die Mojave eine Schlüsselrolle. Ihr stilles, spektakuläres Schauspiel bildet den jähen (und ironischen) Kontrast zur geistesabwesenden Geschäftigkeit Hollywoods und zum düsteren Stumpfsinn in einer bäuerlichen Hütte. 201

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Während Horkheimer und Adorno in Pacific Palisades mit der Dialektik der Aufklärung begannen, arbeitete Huxley an zwei anderen Aufklärungsprojekten: Obwohl er bei Ausbruch des Krieges geglaubt hatte, dass es unmöglich sei, in diesen Zeiten Romane zu schreiben, hatte er noch im November 1941 in Pacific Palisades mit Time Must Have a Stop (dt. Zeit muss enden) begonnen. Nach der Unterbrechung durch die Arbeit an Jane Eyre hakte es ein wenig, und er legte den Roman beiseite, um zügig zwischen März und Juli das Kompendium Die Kunst des Sehens niederzuschreiben. Danach kehrte er zu Zeit muss enden zurück. Es wurde ein heißer und sehr guter Sommer 1942. Gerald Heards Pläne hatten sich mittlerweile konkretisiert und sein Studienkolleg im Trabuco Canyon südöstlich von Los Angeles, sein »Club für Mystiker«, wie er es nannte, nahm den Seminarbetrieb auf. Huxley verbrachte dort zusammen mit den ersten 24 Teilnehmern, darunter auch Christopher Isherwood, drei Wochen zwischen Juli und August. Nachdem ihre Freundschaft während Heards Phase asketischer Klausur nach sehr intensiven Jahren der Nähe durch eine besonders Maria betrübende Flaute gegangen war, schien sie nun wieder volle Fahrt aufzunehmen. Eine der besten Nachrichten des Sommers war, dass Rose mit Mann und Kind in New York eingetroffen war. Und im August erreichte auch Marguerite Nys Amerika. Trotz dieser guten Nachrichten und der Isolation in der Wüste, trotz der Abwesenheit der täglichen Kriegsnachrichten und -gespräche und trotz des kalifornischen Sonnenscheins blieb der Zweite Weltkrieg eine zunehmende seelische Last für Maria und Aldous. Sie waren nicht zwangsexiliert wie die Manns, Feuchtwangers, Brechts, Adornos usw. – im Gegenteil: So wie dem in jeder Hinsicht wehruntauglichen Aldous während seines Engagements für die Peace Pledge Union Feigheit und Wehrkraftzersetzung vorgeworfen worden war, so wurde sein Exil während der sechs Kriegsjahre von der britischen Presse und anderen patriotischen Stimmen als weitere feige Vaterlandsflucht angesehen. Diese Vorwürfe trafen natürlich auch Leute wie Isherwood, W. H. Auden und Bertrand Russell. Während England von Hitler zu Schutt 202

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und Asche gebombt wurde, ließen diese Herrschaften es sich im sonnigen Kalifornien gut gehen, so schien es: »Gone with the Wind Up« – »Vor Furcht verweht«, gifteten englische Zeitungen. Andere, wie der Schriftsteller J. B. Priestley oder Laurence Olivier, kehrten zum Kriegseinsatz nach England zurück. Doch gerade diese Distanz zum Geschehen, die Ungewissheit drückte den Huxleys auf der Seele; sie bangten um die Dortgebliebenen, ohne selbst mittendrin zu sein und den Albtraum an ihrer Seite bewältigen zu können. Zu Marias Hauptaufgaben gehörte es in diesen Jahren, wöchentlich Care-­Pakete nach Belgien zu schicken, von denen viele ihr Ziel nicht erreichten. Seit Beginn des Krieges hatten Aldous und sie regelmäßig Geld nach England, Belgien, Frankreich und, als es schwieriger wurde, über die Schweiz geschickt. Zusammen mit seiner Cousine Joan Buzzard (geb. Collier) unterstützte Aldous auch zwei jüdische Kinder, die zusammen mit 10 000 anderen in einer Eilaktion bis Kriegsbeginn aus Deutschland nach Großbritannien gerettet worden waren. Joan war während Huxleys Kindheit mit deren deutscher Mutter zusammen bei Julia Huxley in »Prior’s Field« gewesen. Sie und ihr Mann nahmen die beiden Kinder auf, und Huxley steuerte regelmäßig zu ihrer Ausbildung bei. »100 Pfund jährlich kriege ich wohl für die nächsten beiden Jahre hin: mehr, wenn ich noch einen überbezahlten Filmjob bekomme!« (Letters, S. 441) Nach dem Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 waren mittlerweile auch die USA im Krieg. Das hatte starke Rationierungen von Autoreifen und Benzin zur Folge, was für Aldous und Maria bedeutete, dass Fahrten in die Stadt oder nach Trabuco zunehmend schwieriger wurden. Die USA allein schickten wöchentlich 100.000 Tonnen an Nahrungsmitteln ins Vereinigte Königreich, da die deutschen U-Boote beinahe alle Handelsschiffe der Alliierten versenkt hatten. Bei Eintritt der USA in den Krieg war Matthew dem Medical Corps beigetreten, aber schon bald ernsthaft erkrankt, sodass er entlassen werden musste. Auch Marias und Aldous’ Gesundheit blieb heikel.

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Dennoch tat das friedliche und ländliche Leben den beiden gut. Auf den Fotos in Llano wirkt Aldous gesund und robust, mit einem vollen Gesicht. Dem permanenten gesellschaftlichen Trubel in Los Angeles, den Partys und den Diskussionen über den Krieg waren er und Maria entkommen, aber wie die Mönche lebten sie auch nicht. Immer wieder mussten sie die Rundreise nach L. A. auf sich nehmen, sei es wegen Aldous’ Arbeit für die Filmstudios, ärztlicher Termine oder anderer Treffen. In den Sommern 1942 und 1943 verbrachte Aldous mehrere Wochen auf Trabuco. Dann wurde das Benzin zu knapp. Treibstoff wurde extra angespart, um Krishnaji und seine Geliebte Rosalind in Ojai besuchen zu können. »Unsere Freundschaft wird immer enger und wir vermissen sie« schrieb Maria Ende November 1943. Besser als alle Bücher seien die Gespräche mit Krishnamurti, hatte Huxley an Christopher Isherwood geschrieben. Freunde wie er oder Peggy (die gerade Bill Kiskadden geheiratet hatte) schauten in Llano vorbei. Aldous verstand sich auch gut mit den Farmern in der Nachbarschaft und konnte sich selbstverständlich angeregt und bestens informiert mit ihnen über Landwirtschaft austauschen. Wenn er nicht mit beiden Beinen und hochgekrempelten Hosenbeinen in einem Bottich Trauben stand, saß er in seinem sonnendurchfluteten Schreibatelier. Mit Isherwood arbeitete Huxley im Jahr 1944 zum ersten Mal gemeinsam an Filmstorys. Filmproduzent Wolfgang Reinhardt, der Sohn von Max Reinhardt, wollte sie für ein Skript von The Miracle, eine Geschichte über den Triumph des Glaubens. Interessanterweise hatten Isherwood und Aldous sich gemeinsam bereits ein ähnliches Thema ausgesucht. Jacob’s Hands (dt. Jakob der Heiler) war eine weitere von Huxleys Geschichten, in der die Mojave eine zentrale Rolle spielt, und inspiriert von einer der kuriosen Personen, die Aldous auf den umliegenden Ranches kennengelernt hatte. Der Mann besaß die Gabe, Tiere zu heilen, weigerte sich aber, »wegen der unvorhersehbaren Auswirkungen«, seine Künste auf Menschen anzuwenden. Jacob der Heiler war die Geschichte dieser unvorhersehbaren Auswirkungen. The Miracle wurde nicht geschrieben und Ja204

In der Wüste

cob der Heiler blitzte bei den Hollywoodproduzenten ab – sehr zum Erstaunen von Isherwood, der sich sicher war, diesmal einen unfehlbaren Hit in den Händen zu halten. Das Manuskript von Jakob der Heiler blieb jahrzehntelang verschollen, bis die Schauspielerin Sharon Stone, die in Isherwoods Tagebüchern davon gelesen hatte, Aldous’ zweite Frau, Laura, Ende der 1990er-Jahre dazu brachte, in alten Kartons zu stöbern. Laura wurde fündig, und 1998 konnte die Filmstory veröffentlicht werden. Eine weitere Hollywood-Niederlage musste Huxley Ende 1945 hinnehmen. Ausgerechnet Walt Disney hatte sein Agent als Arbeitgeber ausgeguckt. Der Film war Alice in Wonderland, der als Mischung aus Real- und Zeichentrickfilm gedacht war. Huxley sollte die Hintergrundgeschichte zu Alice-Autor Lewis Carroll beisteuern. Das Oxford der 1860er-Jahre – das war natürlich genau Huxleys Kragenweite. Und – unter den kleinen Mädchen, die Carroll so gerne fotografiert hatte, war auch Huxleys Mutter gewesen. Disneys Kommentar zu seinem historisch akribischen zehnseitigen Entwurf: »Ich verstand nur jedes dritte Wort. Wenn man in Hollywood arbeiten will, darf man nicht zuviel Grips haben« (zit. in Clark, S. 295). Der Film kam 1951 als reiner Zeichentrickfilm in die Kinos. Der Beitrag von Huxley fand wieder einmal keine Verwendung. Immerhin hatte er 5000 Dollar verdient. Auch noch eine andere Wüstengeschichte wurde erst nach Huxleys Tod veröffentlicht: Für Roses kleine Tochter Olivia hatte Aldous zu Weihnachten 1944 die Geschichte The Crows of Pearblossom (dt. Die Krähen von Birnblüte, 1979) verfasst. Pearblossom ist ein kleiner Ort vor Llano, wo Rose und ihre Familie zu der Zeit wohnten. Während Thomas Mann mit Adorno ab 1943 in Pacific Palisades an den musikphilosophischen Passagen des Dr. Faustus bastelte (unter Mithilfe von Schönberg, Eisler und Strawinsky), tat sich Huxley in Llano mit dem Fertigstellen seines zweiten amerikanischen Ro­ mans so schwer wie lange nicht mehr. Die Kunst des Sehens war im Oktober 1942 erschienen und zu einem sofortigen Bestseller geworden. 10 000 Exemplare waren in nur wenigen Tagen über die Ladentheken gegangen. Nach mehr als zwei Jahren konnte Huxley den 205

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Roman Time Must Have a Stop (dt. Zeit muss enden), den er und Maria für seinen besten hielten, endlich im Februar 1944 abschließen. Er wurde auch Huxleys populärster Roman: 40 000 Exemplare wurden in den ersten Wochen verkauft. Der literarische Kniff, dessen erfolgreiche Durchführung Huxley wahrscheinlich zu Beginn so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte, lag darin, dass sich in seine typische Charaktersatire unvermittelt eine spirituelle Nachtodreise mischt. Ausgerechnet die zentrale komische Figur, der rosig-adipöse Bonvivant Onkel Eustace, gibt auf halber Romanstrecke den Dessertlöffel ab: »Es musste dieser verdammte Fisch gewesen sein.« Onkel Eustaces Bewusstseinsstrom nach seinem Ableben folgt nun, Stufe für Stufe, dem tibetanischen Totenbuch Bardo Thodol, mit dessen englischem Herausgeber, EvanWentz, sich Huxley gerade noch in Trabuco getroffen hatte. Während sich Eustace immer weiter auf das Befreiung versprechende Licht der ewigen Seligkeit zubewegt, hält Huxley eine ironische Pointe bereit. Huxleys nächstes Buch, The Perennial Philosophy (1945, dt. Die Ewige Philosophie), ist sozusagen der philosophische Begleitband zu diesem spirituellen Romanexperiment. Im Grunde war er bereits seit Geblendet in Gaza in Arbeit, wo der Protagonist Anthony Beavis überlegt, dass es möglich sein sollte, eine vollständige und definitive Ars contemplativa zu erstellen. Als Nebenprodukt dieser laufenden Arbeit entstand zugleich der erste Schub an Essays für die Zeitschrift Vedanta in the West. Bis 1960 sollten es über vierzig Beiträge werden. Bereits in Die graue Eminenz hatte Huxley in einem langen Kapitel eine erste systematische Feldbegehung mystischer Philosophie gemacht. Einen Abriss seiner philosophia perennis lieferte er 1944 in einem seiner diesbezüglich wichtigsten Texte, der Einführung in Prabhavanandas und Isherwoods Übersetzung der Bhagavad-Gita. Wie in seiner Gedichtanthologie Texts and Pretexts aus dem Erscheinungsjahr von Schöne neue Welt 1932 sind auch die Texte der Ewigen Philosophie thematisch geordnet und in einen laufenden Kommentar eingebettet. Diese komplett literarische Aneignung der diversen Zeugnisse aus allen großen religiösen und spirituellen Tra206

In der Wüste

ditionen durch Huxleys Intellekt unterscheidet dieses Buch drastisch von ähnlichen Versuchen, wie etwa Martin Bubers Mystische Zeugnisse (1909) oder Mircea Eliades religionsübergreifende Untersuchungen von Ekstase und Mythos. Huxleys Ansatz ist zwar sichtlich vedantisch-buddhistisch geprägt, aber die Bandbreite der Texte und Huxleys Blick für deren Verwandtschaft macht dieses Buch wirklich zu einem erstaunlichen religiösen Kompendium. Neben vedischen und buddhistischen Texten verschiedener Traditionen oder dem Tschuang-tse und dem Tao te King finden sich auch Auszüge von Kabir, Rumi und Rabi’a, Zeilen von Huxleys Lieblingsmystikern Meister Eckhart und William Law ebenso wie von Thomas von Kempen und christlichen Heiligen oder aus Die Wolke des Nichtwissens sowie Passagen von Tolstoi, Shakes­ peare und William Blake. Die Kernthese, die Huxley hier stringent und mit typisch stilistischer Eleganz herausarbeitet, ist, dass spirituelle Erkenntnis nur auf (mystischer) Erfahrung beruhen kann. Jegliche Form von Glaube, von Indoktrination durch religiöse Führer, Kirchen und organisierte Religion – und im weiteren Sinne durch die Kultur und die in der Sprache versteinerten Strukturen – stehen der Möglichkeit spirituellen Fortschritts im Weg. Das ist auch die These und spirituelle Methode seines Freundes Krishnamurti. Huxley wird in den nächsten Jahren daran weiterarbeiten. Mit dem Krieg sollte auch die Zeit in Llano enden. Bereits 1943 hatte Aldous eine heftige Allergie gegen ein Kraut entwickelt, das womöglich Maria unter seinem Fenster angepflanzt hatte. Jedenfalls bekam er starken Hautausschlag und Schwellungen im Gesicht. Über zwei Jahre versuchte er, der allergischen Reaktion durch Arztkonsultationen und Abwesenheit in der Blütezeit Herr zu werden, doch schließlich mussten er und Maria aufgeben. Hinzu kamen andere Schwierigkeiten: die Wasserversorgung, der kapriziöse Stromgenerator, die unerträgliche Sommerhitze. Die Zeit in der Oase war vorbei. Und der Krieg war auch vorbei.

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Die Nachkriegszeit

Pragmatisches Träumen: Zwischen Mystik und Meskalin (1945–1958) Die Nachkriegszeit In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg kristallisiert sich für Huxley ein zentrales Thema heraus, das sich von der Grauen Eminenz bis hin zur Ewigen Philosophie bereits angedeutet hatte: das Bemühen, das menschliche Bewusstsein zu verstehen. Die Philosophie des Geistes ist zwar so alt wie die Menschheit, aber mit seinem deutlich naturwissenschaftlich geprägten Erkenntnisinteresse gehörte Huxley zu den Pionieren einer Disziplin, die seit den 1990er-Jahren erst richtig begonnen hat, Geistesphilosophie und Psychologie zu revolutionieren: der neurowissenschaftlichen Gehirnforschung. Die kuriose Mischung in seinem Denken aus phänomenologischer Mystik und hirnphysiologischer Forschung bescherte Huxley in den nächsten Jahren sowohl neue wichtige Bekanntschaften als auch ein einschneidendes Erlebnis, das auf lange Sicht einige seiner Anhänger enttäuschen würde, die ihren einstigen Helden in die dunstigen Sphären der Esoterik abdriften sahen. Tatsächlich ließ sich im Nachkriegsjahrzehnt bei Aldous eine deutliche Veränderung beobachten, die aber eher seine Erscheinung und sein Auftreten betraf als einen dramatischen Geisteswandel oder gar eine Konversion. Im Gegenteil: Weniges bleibt sich so treu wie Aldous’ elastischer Mix aus unbändiger Neugier, Beobachtungs- und Erkenntnislust, Begeisterung für Fakten, Freude am Grotesken, grundsätzlicher Skepsis und ironisch-satirisch abgemildertem Misanthropismus. Auch seine wirtschaftliche Situation blieb gleich: Er versuchte weiterhin, unter anderem zusammen mit Christopher Isherwood, lukrative Film- und Fernsehaufträge zu bekommen und mit Büh209

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nenstücken und Essays sein schlankes Schriftstellerkonto aufzubessern. Dazu kamen zahlreiche Einführungen und Vorworte zu anderen Werken, die zum Teil zu seinen wesentlichen Texten gehören. Winter und Frühjahr 1946 verbrachten die Huxleys noch in Llano, doch das Ende ihrer Zeit im Wüstenrefugium zeichnete sich ab. Im Spätsommer 1945 hatten sie bereits ein neues Haus in Wrightwood gekauft, einem 2000 Meter hoch gelegenen Ski- und Erholungsgebiet in den Bergen zwischen Palmdale und San Bernardino. Ab Sommer 1946 waren sie in erster Linie dort, auf der Flucht vor dem widrigen Kraut. Im Februar 1947 zogen sie endgültig nach Wrightwood, während das Haus in Llano noch auf einen Käufer wartete. Wie in der Wüste tat Huxley auch hier die Einsamkeit gut, während gleichzeitig die Abwesenheit seines »bunten Harems«, wie Maria es ausdrückte und womit sie gewiss Eva, Mercedes, Paulette und Grace meinte, ein wenig auf seine Stimmung zu drücken schien. Maria drängte Krishnamurti, sich in der Nähe ein Haus zu kaufen, und er und Rosalind Rajagopal kamen ab und zu von Ojai herauf. Obwohl er weder in seinen Briefen noch in seinen Schriften explizit oder gar ausführlich auf Auschwitz oder Hiroshima und Nagasaki einging, war Huxleys Reaktion auf die Gräuel des Krieges und die wachsende nukleare Bedrohung deutlich spürbar – neben seiner Brotarbeit für Hollywood, Zeitschriften und das Theater folgten in den nächsten Jahren seine düstersten Visionen. Sein Pessimismus und Misanthropismus hatten durch die Entwicklungen der letzten Jahre wieder die Oberhand gewonnen. So notwendig der Sieg über den europäischen Faschismus auch war – Huxley sah keine friedlichen, gerechten Zeiten intelligenter Politik heraufziehen, die zuvorderst das Wohl des Individuums im Blick hätte. Nicht nur wegen des sich anbahnenden Kalten Krieges, sondern auch wegen eindeutiger Zeichen der Verselbstständigung des militärisch-politischen und plutokratisch-kapitalistischen Komplexes, also des Zuwachses der Macht kleiner, losgelöster Eliten, war Huxley beunruhigt. Bereits im März 1946 erschien in Buchform der lange Essay Science, Liberty and Peace (dt. Wissenschaft, Freiheit und Frieden), den er im vorangegangen Sommer verfasst hatte, während Hiroshima und Nagasaki bom210

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bardiert wurden. Seine Ausgangsthese war, dass aufgrund der enormen Fortschritte in den Naturwissenschaften die kleine Gruppe der politisch-wirtschaftlichen Elite eine bislang ungekannte technologische Kontrolle über die Masse nationalstaatlicher Bevölkerungen ausüben konnte; er diagnostizierte eine Ausgangslage, die seiner Auffassung nach zu dem führen würde, was sich zwanzig Jahre nach seinem Tod in neoliberaler Entfesselung (radikaler wirtschaftlicher Deregulierung) und einer immer höheren Konzentration von Macht (Geld, Ressourcen) in den Händen Weniger bis heute zu nie gekannten Höhen aufgeschwungen hat: Der technologisch induzierte Prozess des ausschließlich profitregulierten Wirtschaftswachstums (Massenproduktion und -konsum) erzeuge zwangsläufig dauerhafte wirtschaftliche und soziale Unsicherheit, die Unternehmen wie Arbeitnehmer dazu zwingt, Hilfe beim Staat zu suchen. Für den Normalbürger führe das Szenario zu einem progressiven Verlust bürgerlicher Freiheiten, persönlicher Unabhängigkeit und Möglichkeiten der wirtschaftlichen wie sozialen Selbstorganisation. Nicht allein in dieser Hinsicht liest sich der Text knapp achtzig Jahre nach seinem Entstehen, als wäre er gestern verfasst worden. Unter den Möglichkeiten, die Wissenschaftler haben, um sich für eine friedfertige und gerechte Gesellschaft einzusetzen, hebt Huxley zwei fundamentale sozioökonomische Faktoren hervor: die Versorgung mit Nahrung und die Versorgung mit Energie. Schon 1946 sah er in der Abhängigkeit vom Erdöl ein erhebliches politisches Problem und drängte darauf, erneuerbare Ressourcen wie Wasser, Wind und Sonnenenergie (vor der Entwicklung von Sonnenkollektoren damals noch in Form von Reflektoren, die Sonnenlicht hochenergetisch bündeln konnten) intensiv zu nutzen und das Problem der Energiespeicherung durch effektive Batterien konzentriert anzugehen. Seit Huxley in der pazifistischen Bewegung das Schreiben mit aktivem politischem und sozialem Engagement verbunden hatte, waren solche Texte keine bloßen intellektuellen Fingerübungen mehr. Von Enzyklopädie des Pazifismus über Wege und Ziele, Die Kunst des Sehens bis hin zu Die ewige Philosophie ging es Huxley um die Praktikabilität, die Machbarkeit und die Umsetzbarkeit seiner 211

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Überlegungen. Die zentrale Frage seiner Untersuchungen war nicht mehr »Was ist der Mensch?«, sondern »Was ist menschenmöglich?« Was ist wünschenswert, und was davon ist auf welche Weise erreichbar? Im Laufe der kommenden Jahre versuchte er immer wieder, über Bekannte und Freunde Projekte zu initiieren und zu unterstützen. Von den pragmatischen Philosophen seiner Zeit war er der vielleicht am meisten praxisorientierte. So sollte er seine dringlichsten Schlüsse aus Wissenschaft, Freiheit und Frieden in drei langen Briefen an seinen Bruder Julian zusammenfassen, der im November 1946 Generaldirektor der frisch gegründeten UNESCO werden sollte. Anfang Dezember würde ihm Aldous sofort einen Brief schreiben und ihn bitten, sich mit der UNESCO für einen humanistischen Einsatz von Technologien einzusetzen. Wäre es nicht möglich, unter der Schirmherrschaft dieser neugegründeten UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur internationale Technologen und Wissenschaftler an einen Tisch zu bekommen, um gemeinsam globale Strategien zu entwickeln, mit denen grundsätzliche menschliche Bedürfnisse (Nahrung, Grundversorgung, Wohnen, individuelle Freiheit, Selbstorganisation usw.) befriedigt werden könnten? Interessanterweise betonte Huxley auch hier wieder die Notwendigkeit, Alternativen zur Energieversorgung durch Erdöl zu finden. 1946 gab es zwar noch keine Atomkraftwerke, aber neben der militärischen Nuklearforschung lief auch die Entwicklung der zivilen Kernenergie auf Hochtouren. Knapp acht Jahre vor dem ersten laufenden Kernreaktor warnte Huxley allerdings auch vor dieser Energiequelle: Uran stelle ebenso wie Erdöl eine Monopolressource und damit eine politische Gefahr dar. Wieder einmal zeigt sich, dass die vermeintliche Prophetie Huxleys lediglich ein Verstehen von politischen Zusammenhängen und von historischen wie aktuellen Entwicklungen war. In diesem Zusammenhang steht auch das Vorwort, das Huxley für die Neuausgabe von Schöne neue Welt im Sommer 1946 schrieb. Der Text fasst seine Überlegungen der letzten Zeit zusammen und gibt bereits einen Vorgeschmack auf seinen letzten Roman Eiland. Denn, wie Huxley im Vorwort sagt, 14 Jahre nach der Erstpublika212

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tion des mittlerweile modernen Klassikers empfinde er es als Defekt, dass er John Savage am Ende nur zwei Auswege offenlässt, beide ungesunde Alternativen: entweder der utopische Irrsinn des totalitären Staates oder der primitive Stumpfsinn der Wildnis. Heute würde er S­ avage einen dritten Weg anbieten: den der geistigen Gesundheit und der Vernunft. Er umreißt ein konkretes Bild dieses dritten Wegs: Es wäre eine Gesellschaft, die wirtschaftlich und politisch dezentralistisch, lokal, kooperativ, mit Achtung für die Allmende organisiert wäre. Wissenschaft und Technologie wären strikt den Bedürfnissen der Menschen unterworfen und nicht umgekehrt. Und Religion schließlich wäre »die gezielte und intelligente Erforschung des Letzten Sinns und Zwecks menschlichen Daseins, die Uranfängliche Einheit und Immanenz des Tao beziehungsweise die Gesamtsicht des Logos, göttliche Transzendenz beziehungsweise Brahman« (Schöne neue Welt, S. 301). Nachdem die Huxleys im Frühjahr 1946 angefangen hatten, aus ihrem Eremitendasein langsam wieder dauerhafter in das Hollywoodleben einzutauchen, kam es im Sommer zu einer zufälligen Begegnung, die zu einer lebenslangen Freundschaft führen sollte. Maria und Aldous hatten es sich mittlerweile zur Gewohnheit gemacht, sich ein- oder zweimal die Woche mit Freunden im Town and Country Market an der Spaghetti- und Brathähnchenbude ihrer Freundin Yolanda Loeffler zu treffen und dort zu Mittag zu essen. Der Farmers Market an der Ecke Fairfax Avenue und Third Street liegt sehr zentral, unweit von Beverly Hills, und war damals schon eine Institution und Magnet für Stars und Sternchen. Eines schönen Nachmittags entdeckten Claire und Sylvia, die munteren Nichten Marias, dort Igor Strawinsky. Die beiden hatten ihn kurz zuvor auf einer Party kennengelernt und sprachen ihn keck an. Aldous gesellte sich dazu und stellte sich in seiner üblich zurückhaltend höflichen Art vor: »Ich bin ein Freund von Victoria Ocampo.« Tatsächlich waren Strawinsky und Huxley sich vor Jahren schon einmal begegnet, eben über diese gemeinsame Freundin. Victoria hatte sie im Juli 1934 in London miteinander bekannt gemacht. Es ist erstaunlich, dass die beiden sich jetzt erst wiederbegegneten, denn 213

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der russische Komponist befand sich bereits seit 1940 im kalifornischen Exil. Wie dem auch sei – in diesem Sommer entstand zwischen Aldous und Igor eine lebenslange, herzliche Freundschaft. Genauer gesagt entwickelte sich zwischen den Huxleys und Strawinskys, Maria und Vera also eingeschlossen, eine innige Beziehung, über die Maria sagte: »Die Strawinskys und wir sind so eine glückliche Familie.« Man verstand sich gut, wusste sich zu schätzen und verbrachte gern Zeit miteinander, beim Essen, gemeinsamen Museums- oder Zoobesuchen, bei Picknicks oder Spaziergängen. Sofern sie nicht jeweils auf Reisen waren, sah »die glückliche Familie« sich regelmäßig bei Yolanda im Farmer’s Market oder im jeweiligen Zuhause. Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre trafen sich Aldous und der »Maestro« zwei- bis dreimal die Woche bei Yolanda. Für Strawinsky wurde Huxley zum wandelnden Nachschlagewerk. Oft ging die Auskunft schnell über das Telefon, bei komplexeren Sachverhalten schickte Huxley Strawinsky eine Notiz. Selbstverständlich unterhielten sich die beiden – zumeist auf Französisch – über Gott und die Welt, insbesondere aber über Musik. Daraus ergaben sich – wie hätte es anders sein können – auch einige Kollaborationen, unter anderem auch angestoßen durch Strawinskys umtriebigen Adlatus Robert Craft, der dem Maestro nicht nur den Rücken freihielt, sondern selbst auch ein äußerst produktiver und intelligenter Musikkritiker und Dirigent war. Zu diesen Projekten gehörte die Premiere von In Memoriam Dylan Thomas, mit dem Strawinsky befreundet gewesen war und mit dem er 1953, kurz vor dessen Tod, eine Oper geplant hatte. Huxley hielt zu diesem Anlass eine Ansprache, ebenso wie später bei dem Konzert zu Ehren Strawinskys an dessen 75. Geburtstag beim Los Angeles Musikfestival 1957. Gemeinsam erweckten sie zwischen 1954 und 1955 das Werk des Renaissance-Komponisten Carlo Gesualdo zu neuem Leben, und nach Huxleys Tod sollte der Maestro dem Freund sein letztes Orchesterwerk widmen: Variations: Aldous Huxley in Memoriam. Zu Beginn des Jahres 1946 hatte Huxley weitere Beiträge für Vedanta in the West geschrieben und zugleich mit einem Projekt 214

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Igor Strawinsky, porträtiert von ­Picasso

begonnen, das wie maßgeschneidert schien für ihn, der in seiner Jugend nie ohne einen Band der Encyclopaedia Britannica gereist war und seine Zeitgenossen wie kein Zweiter mit seinem eigenen enzyklopädischen Wissen beeindruckt hatte. Die Redaktion der Encyclopaedia Britannica hatte eine von Huxley kommentierte Anthologie literarischer Essays und Kritiken quer durch die Geistesgeschichte in Auftrag gegeben. Sehr zum Ärger von Huxley, der bis 1947 bereits eine Menge Arbeit in das ausufernde Werk gesteckt hatte, zog sich der Verlag später aus bislang nicht eindeutig geklärten Gründen aus dem Projekt zurück. Bis 1962 wurde er im Unklaren gehalten und erhielt dann einen Scheck über 1200 Dollar. Maßgeschneidert oder nicht – Huxley bedauerte bereits zu Beginn des Projekts Anfang 1946, seine Mitarbeit überhaupt zugesagt 215

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zu haben, denn es bedeutete viel Arbeit für jemanden, der seine Energie in einträglichere Unterfangen stecken wollte. Nach dem Debakel von Alice in Wonderland schien sich nun der lang gehegte Wunsch zu erfüllen, seine Erzählung »Das Lächeln der Gioconda« auf die große Leinwand zu bringen. Regisseur Zoltán Korda und die Firma Universal Pictures, die im Vorjahr die Filmrechte erworben hatten, wandten sich an Aldous, um das bereits vorhandene, aber misslungene Drehbuch überarbeiten zu lassen. Huxley fand, dass eine komplette Neufassung erforderlich war. Und diesmal hatte er Glück. Nach der Premiere in New York Ende Januar 1948 kam der Film im Februar unter dem Titel A Woman’s Vengeance (dt. Die Rache einer Frau/Qualen der Liebe) in die Kinos und lief bis Mitte 1949 weltweit, von Großbritannien und Europa über Australien bis zu Japan und Brasilien. Neben Kordas versierter Regie sorgten die Stars Charles Boyer, Ann Blyth und Jessica Tandy für einen gelungenen Genrefilm. Im März 1948 und 1949 sendeten zwei amerikanische Radiostationen jeweils sechzigminütige Radio­ adaptionen, ebenfalls mit Charles Boyer und Ann Blyth. Huxley war sehr angetan von seinen Hauptdarstellern und auch von der Zusammenarbeit mit Korda. In diesem Zusammenhang berichtete er Anita Loos eine amüsante Episode, die kurze Zeit darauf Eingang in Huxleys nächsten Roman, Affe und Wesen, finden sollte: Claude Rains, dem wenige Jahre zuvor in Casablanca (1942) Humphrey Bogart den Beginn »einer wunderbaren Freundschaft« angekündigt hatte und der zunächst für die männliche Hauptrolle in Die Rache einer Frau vorgesehen war, hatte ein höheres Salär für seinen Auftritt verlangt. »In diesem Studio könnte nicht mal Jesus eine Gehaltserhöhung bekommen«, speiste ihn der Besetzungschef ab. Die nächsten zwei Jahre standen also ganz im Zeichen der Gioconda. Huxley sah das kommerzielle Potenzial der Geschichte und schrieb neben der Filmversion im September 1946 auch eine Bühnenfassung. Interessanterweise ist Das Lächeln der Gioconda bis heute Huxleys erfolgreichstes Filmstück geblieben; es wurde nicht nur von den 1950ern- bis in die frühen 1960er-Jahre mehrfach für das kanadische, amerikanische, englische und australische Fernse216

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hen verfilmt, sondern es gab auch zwischen 1953 und 1966 allein drei unterschiedliche Fassungen im deutschen Fernsehen. Mitte 1947 hegte Huxley Hoffnungen, auch für Point Counter Point ein Drehbuch unter den gleichen Bedingungen verfassen zu können wie für »Gioconda«, das heißt ohne Einmischung der Produzenten und nur in Rücksprache mit dem Regisseur. Die erste und einzige Filmfassung von Kontrapunkt des Lebens kam 1968 als BBC-Mehrteiler ins englische Fernsehen (und 1973 auch in die USA). Bereits im Oktober 1945 hatte Huxley zusammen mit Anita Loos, Paulette Goddard und Burgess Meredith enthusiastisch begonnen, auch eine Filmversion von Schöne neue Welt zu planen. Aber aufgrund vertraglicher Schwierigkeiten, bei denen Huxleys Agenten, den Pinker-Brüdern, wieder einmal ein unrühmlicher Part zukam, wurde der Film nicht verwirklicht. Es ist eine der großen Ironien in Huxleys Leben, dass es bis heute keine ansprechende Filmversion von seinem bekanntesten Buch gib – abgesehen von zwei mehr oder minder erfolgreichen Fernsehversionen aus den Jahren 1980 und 1998. Zwischen 2008 und 2012 gab es den bislang letzten Versuch, den Klassiker auf die große Leinwand zu bringen. Leonardo DiCaprio, der in den 1970er-Jahren bei Huxleys zweiter Frau Laura im Garten gespielt hat, und sein Vater George, der zu Recherchezwecken am 4. internationalen Aldous Huxley Symposium 2008 in Los Angeles teilnahm, hatten sich endlich die Rechte sichern können. Regie sollte Blade Runner-­Spezialist Ridley Scott führen, DiCaprio vermutlich John Savage spielen. Aber auch diesmal wurde nichts aus dem Projekt, anscheinend, weil keine der Drehbuchfassungen auf einen zufriedenstellenden Stand gebracht werden konnte. Ridley Scott meinte resigniert, das Buch sei wohl nicht fürs Kino geeignet. In den Jahren 2015 und 2016 gab es auch Hinweise auf eine Fernsehserie, die von Steven Spielberg für das Fernsehen produziert werden sollte. Aber auch davon war in den letzten Jahren nichts mehr zu hören. Während die Huxleys den Sommer 1946 also bereits im luftigen Wrightwood verbrachten, arbeitete Aldous vornehmlich an dem »Gioconda«-Filmskript. Auf dem Weg nach Los Angeles führte die 217

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Reise immer über Llano. Maria wurde in Wrightwood nicht recht heimisch und beklagte, wie sehr ihr die Wüste fehle. Im Juni war Krishnaji zum Glück in die Nachbarschaft gezogen. Er hatte sich während der Kriegsjahre zurückgezogen und erst 1944 wieder begonnen, im Ojai Valley öffentlich aufzutreten. Im September steckte Aldous gedanklich bereits wieder in einem neuen Projekt, einem Roman über Katharina von Siena, für den er anfangs ein zeitgenössisches Setting vorgesehen hatte, der aber nun ein historischer Essayroman werden sollte; dieses neue Genre hatte er mit Die graue Eminenz erfunden, und er sollte zu ihm noch ein paarmal zurückkehren. Die Geschichte basiert auf einem seltsamen Vorfall, in den die Heilige verwickelt war; für Huxley ein Anlass, das breite Panorama des 14. Jahrhunderts zwischen Boccaccio, der Pest, Petrarca und Chaucer zu entfalten und mit seinem analytisch-ironischen Blick zu durchleuchten. Die Arbeit an diesem Roman beschäftigte ihn noch bis 1950, doch am Ende verlief das Vorhaben endgültig im Sande. Obwohl die Huxleys im Januar 1947 endgültig in die Berge nach Wrightwood umgezogen waren, war Aldous gesundheitlich nicht in bester Form. Er hatte sich über den Herbst und Winter wieder einmal überanstrengt und arbeitete nun fieberhaft an der Fertigstellung der Bühnenfassung von Das Lächeln der Gioconda, die es im Juni 1948 tatsächlich in ein Londoner Theater schaffen sollte, wo sie für neun Monate lief. In Amerika kam keine Produktion zustande, obwohl das Stück – zeitgleich mit dem Kinostart von A Woman’s Vengeance – im Februar 1948 veröffentlich wurde, zunächst unverständlicherweise unter dem Titel Mortal Coils. Im Februar 1949 sollte es in der Übertragung von Jeannes zweitem Ehemann Georges Neveux unter dem Titel Le sourire de la Gioconde auch in Paris laufen. Während Aldous im März weiter an »Katharina von Siena« arbeitete und angesichts der Materialmenge ein wenig den Mut verlor, kam ihm bereits die Idee zu einer postatomaren Farce, die er von November 1947 bis Februar 1948 fertigstellte. Wie so vielen Schriftstellern nach Hiroshima und Nagasaki drängten sich auch Huxley Bilder einer postapokalyptischen Gesellschaft auf: Wie würden sich 218

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die genmutierten Überlebenden eines globalen Atomkrieges organisieren? Welches Wertesystem würde sich in einer Generation herausbilden, die die atomaren Verwüstungen hautnah erlebt hatte? Aus diesen Überlegungen entstand der schmale experimentelle Roman Ape and Essence (dt. Affe und Wesen), dessen Titel wieder einer Shakes­pearepassage entlehnt war, diesmal aus Maß für Maß. Huxley war sich sicher, dass eine konventionelle Romanform dem Stoff nicht gerecht werde. Die Farce ist daher in Form eines Drehbuchs geschrieben, dessen Verfasser angeblich ein gewisser William Tallis ist. Die ironische Geschichte des Verfassers wird im ersten Teil des Romans von einem Mann erzählt, der das Skript auf dem Gelände eines Filmstudios vor der Verbrennungsanlage rettet. Fasziniert von dem Drehbuch begibt er sich auf der Suche nach dessen Autor auf eine erleuchtende Reise in die Mojavewüste. Der Gesuchte ist in der Zwischenzeit gestorben, und der Erzähler der Rahmenhandlung beschließt, das Filmskript von Affe und Wesen unverändert der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das Skript ist das Werk eines misanthropischen Einsiedlers, der seine ganze Desillusioniertheit in Bezug auf die Menschheit in diese schwarze Kinofarce gegossen hat. Kein Wunder, dass kein Studio dieses in vielen Teilen von Huxley mit augenzwinkerndem Trotz auch rigoros unfilmisch geschriebene Drehbuch anfassen wollte und es sofort mit Hunderten anderen in die Flammen geschickt wurde. Huxley nutzte die Rahmenerzählung für satte satirische Seitenhiebe auf das oberflächliche Hollywood-Business, das es ihm in diesen Jahren nicht leicht machte. Nach Schöne neue Welt und vor dem letzten Roman Eiland ist Affe und Wesen der zweite von drei utopischen Romanen Huxleys. Schöne neue Welt war formal als Persiflage auf H. G. Wells’ technologischen Optimismus und die ausgreifende Amerikanisierung angelegt, Eiland sollte der ernst gemeinte Versuch eines utopischen Entwurfs werden. Affe und Wesen befindet sich genau dazwischen und spiegelt die emotionale und intellektuelle Verfassung Huxleys unter dem noch frischen Eindruck von Auschwitz und Hiroshima wider. 219

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Dem Rückzug in die Wüste und der selbsttherapeutischen Beschäftigung mit Lösungsansätzen für die Welt folgte nun ein Nachkriegskater, da das Ausmaß der Folgen des Zweiten Weltkriegs nicht mehr zu ignorieren war. Tatsächlich sollte Huxleys Pessimismus für knapp fünf Jahre wieder die Oberhand gewinnen – eine Krise, der er mit durchgehenden therapeutischen Experimenten entgegenarbeitete. Huxleys Pessimismus und sein unbändiger Wille – ja, seine oft attestierte Fähigkeit – zum Guten fochten stets um die Oberhand in seinem Inneren. Er war nüchtern und mitfühlend genug, um Dummheit und deren breitflächig zerstörerische Folgen zutiefst deprimierend zu finden, und er war zu sehr intellektueller und sinnlicher Genussmensch, um sich den Schneid abknöpfen zu lassen und die Verteidigung der Lebensfreude aufzugeben. Huxley war sehr präsent in den großen Zeitschriften dieser Jahre; mehrseitige, reich bebilderte Features erschienen in Vogue, Life, Time und Paris Match. Zehn Jahre nach seiner Verwandlung in einen kalifornischen Schriftsteller war Huxley so populär wie eh und je. Im März 1947 konnte er seinen neunten Dreijahresvertrag mit Chatto & Windus abschließen. Das Arrangement würde bis zu seinem Tod alle drei Jahre erneuert werden. Im November desselben Jahres erschien in der Reihe »Grosset’s Universal Library« der Sammelband The World of Aldous Huxley: An Omnibus of His Fiction and Non-Fiction Over Three Decades mit dem kompletten Narrenreigen, Auszügen aus mehreren Romanen, Geschichten, Gedichten und wichtigen Essays, herausgegeben und mit einem Vorwort versehen vom eminenten Literaturhistoriker Charles J. Rolo. Ende 1947 gab es ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Zeit der Verkapselung vorüber war. Im September verließen die Huxleys zum ersten Mal seit 1938 Kalifornien. Nach einem kleinen Abstecher zu Frieda in Taos reisten sie weiter nach New York, um Matthew, der im Februar seinen Abschluss in Berkeley gemacht hatte und jetzt in New York lebte, bei seinem Start an Elmo Ropers renommiertem sozialwissenschaftlichen Umfrageinstitut zu begleiten. Besonders Maria war froh, endlich Kalifornien hinter sich lassen zu können, 220

Wieder auf Reisen

das sie nach dem Verlust der geliebten Wüste und der Übersiedlung ins »hässliche« Wrightwood leidlich über hatte. Wie üblich war der soziale Kalender der Huxleys schnell voll. Sie trafen sich mit Victoria Ocampo, sahen John Gielgud, der in Robinson Jeffers’ Medea spielte, und da neben Julian und Juliette auch Aldous’ Cousin Gervas zufällig in New York war, kam es zu einem vergnüglichen Familientreffen mit sechs Huxleys.

Wieder auf Reisen Ende März 1948 erhielt Aldous einen Brief von Laura Archera, die mit ihm ein Dokumentarfilmprojekt über das berühmte Pferderennen in Siena, den Palio, besprechen wollte. Die Italienerin war Anfang der 1930er-Jahre auf der Flucht vor den europäischen Faschisten mit ihrer Freundin Ginny Pfeiffer zunächst in New York gelandet, bevor sie später zusammen nach Los Angeles übersiedelten. Laura hatte ihre Karriere als Konzertviolinistin aufgegeben, die sie in Italien als Wunderkind begonnen hatte – inklusive Auftritten vor der italienischen Königin und in der Carnegie Hall. In Amerika hatte sie zunächst verschiedene Karriereversuche gestartet. Zuletzt war sie als Cutterin in Hollywood gescheitert und versuchte sich nun als Filmemacherin. Auf Anraten von Regisseur John Huston suchte sie einen guten Drehbuchautor. Wie sie ausgerechnet auf Huxley kam, ist nicht ganz klar; sein Aufsatz über den Palio in Siena von 1925, der in Along the Road enthalten ist, war ihr jedenfalls unbekannt. Vermutlich kam sie auf ihn, weil er, wie sie glaubte, ebenfalls in Los Angeles wohnte. Archera war ein wenig erstaunt, dass sie in das Hinterland der Metropole und hinauf in die Berge fahren musste, um den berühmten Autor aufzusuchen. Laura und die Huxleys verstanden sich sofort gut, und sie hatte Freunde fürs Leben gewonnen, wie Laura im Dokumentarfilm Huxley on Huxley (2009) erzählt, auch wenn aus dem Filmprojekt nichts werden sollte. Affe und Wesen sowie die Bühnenfassung der »Gioconda« waren vom Tisch, A Woman’s Vengeance in den Kinos, und Aldous hatte 221

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im Moment keine Pläne für ein neues Buch. Nach knapp zehn Jahren in Kalifornien beschlossen die Huxleys, Europa wieder einen Besuch abzustatten. Die Reise wurde von Zoltán Korda und seinem Bruder Alexander finanziert, die vorschlugen, dass Huxley für eine Verfilmung der Erzählung »The Rest Cure« aus Brief Candles vor Ort in Italien recherchieren sollte. Besonders Maria freute sich auf Frankreich und Italien, und nach dem strapaziösen Leben in Wrightwood wuchs in ihr die Hoffnung, dass sie sich vielleicht doch wieder in Europa niederlassen könnten. Aber Aldous machte keine Anstalten, Wrightwood zu verkaufen. Die Reise nach Europa dauerte von Juni bis Oktober 1948 und führte die Huxleys an die alten vertrauten Orte: von Cherbourg ging es nach Paris, dann nach Siena und Rom und schließlich zurück nach Sanary. Im Juni und Juli waren sie zunächst zu Gast bei Marias Schwester Jeanne und ihrem Mann Georges, dem Dramatiker, der die Gelegenheit nutzte, um Aldous bei seinen Schriftstellerkollegen herumzureichen, die ihn feierten, und dann, auf Anfrage, für das französische Radio interviewte. Im Juli wohnten die Huxleys in ­Siena, wo Aldous wie vorgesehen am Skript von »The Rest Cure« arbeitete. In Rom erwartete sie Anfang August eine Suite im Hotel de Ville über der Spanischen Treppe, gebucht von der Filmproduktionsfirma Rank. Von dort ging es Ende August weiter über Genua nach Sanary, wo Jeanne die Möbel und Bücher aus der »Villa Huley« in ein neues Domizil, La Rustique, verfrachtet hatte. Maria seufzte in einem Brief an Matthew: »Schatz, jetzt sind wir wirklich zu Hause« (zit. in Bedford II, S. 100). Zu Jeanne und Georges, die sie an der Côte d’Azur erwartet hatten, gesellte sich auch noch Jeannes Tochter Sophie, und am 10. September feierte man Marias 50. Geburtstag im angenehm schattigen Garten. Wenn Aldous nicht auf seiner Schreibmaschine klapperte, um das Filmskript zu beenden, stöberte er in seinen einst zurückgelassenen Büchern. Dabei stieß er auf seine ausgiebig von ihm mit Anmerkungen versehene Ausgabe von Maine de Birans Journal Intime; beim Blättern wuchs in ihm die Idee für eine neue Studie. Statt Katharina von Siena wurde nun Maine de Biran Huxleys neue Graue Eminenz. Beim Räumen stolperten Maria und 222

Wieder auf Reisen

Aldous auch über seine Bilder aus der Malphase Mitte der 1930erJahre und begannen, sie im Haus aufzuhängen. Kaum fanden sie ihre alten Wanderstöcke, ging es über die Felder. Anfang Oktober fuhren sie nach London. Wieder hatte die Rank-Filmproduktion ihre Zimmer gebucht, und zwar im traditionellen Fünfsternehotel »Claridge’s«, das landläufig auch »Anbau des Buckingham Palace« genannt wurde. Julian und Juliette waren zwar nicht in London, aber Huxley traf sich mit Harold Raymond, absolvierte einen Kurzauftritt bei der BBC-Sendung In Town Tonight und sah, wie erhofft, eine Aufführung von The Gioconda Smile im West End, wo das Stück seit Juni lief. Cyril Connolly nutzte die Gelegenheit des Wiedersehens für einen reich bebilderten Aufmacher in der Picture Post. Der englische Schriftsteller und Kritiker kannte Huxley ebenfalls aus Sanary, wo er sich 1930 als großer Verehrer Huxleys unweit der »Villa Huley« niedergelassen hatte, aufgrund persönlicher Differenzen zwischen ihm und Huxley aber bald danach weitergezogen war. Trotzdem hatte er als erster englischer Literat nach dem Krieg Huxley im Winter 1946 in Kalifornien besucht. Das Interview für die Picture Post fand in Huxleys Zimmer im »Claridge’s« statt, und die den Artikel begleitenden Bilder zeigen einen charakteristisch animierten Huxley, sodass sie über die Jahre gern reproduziert wurden. Connollys langer Artikel hat wahrscheinlich nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass sich das Bild von Huxley als Mystiker und Heiliger in den kommenden Jahren in immer verzerrteren Formen festsetzen sollte. In der einleitenden Bildunterschift wurde Huxley als »Autor und religiöser Reformist« eingeführt. In seiner Frühzeit, so hieß es weiter, habe man über den jungen Autor ausgerufen »Wie gescheit!«, aber heute mache der 55-Jährige auf einen Interviewer eher den Eindruck von »heiterer Gelassenheit und Ruhe«. Im November – zurück in New York – suchte Huxley den Augenspezialisten Gustav Erlanger auf, um mit einer weiteren Methode die Aufhellung seiner Eintrübungen zu versuchen. Eine erneute schwere Bronchitis zwang ihn aber zur sofortigen Rückkehr nach Kalifornien, wo er zunächst ein paar Wochen im Sauerstoffzelt verbringen 223

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musste, und direkt darauf zu einem dreimonatigen Aufenthalt in dem Wüstenkurort Palm Springs. Offenbar war das englische Klima nach wie vor Gift für Aldous’ Augen und Bronchien. Das Überwintern in der Wüstenluft von Palm Springs tat den Huxleys auf Dauer gut, und Wrightwood war ohnehin unter einer Schneewehe verschwunden. Aldous und Maria hatten für die befreundeten Hubbles direkt nebenan ein Ferienhaus gemietet, und wenn Aldous gerade nicht arbeitete, begaben sich die vier auf ausgedehnte Spaziergänge auf die Hochebenen und durch die Canyons außerhalb der Stadt, beobachteten Vögel und notierten die Namen seltener Pflanzen. Aldous machte sich, bestärkt durch den moderaten Erfolg der »Gioconda«, bereits während des Wüstenaufenthalts an eine Bühnenfassung von Affe und Wesen, von der er auch gleich eine französische Übersetzung für Georges Neveux anfertigte. Als er im Frühjahr 1949 mit Maria nach L. A. zurückkehrte, begann er die Arbeit an einer Reihe von Essays, zu denen er während der Europareise inspiriert worden war, besonders der langen Studie über Maine de Biran. Auf einem ihrer Abendspaziergänge von Beverly Hills durch West Hollywood entdeckten die Huxleys zwischen Santa Monica Boulevard und Melrose Avenue eine ruhige Straße mit einem Haus nach ihrem Geschmack: schlichter neospanischer Stil, schöner Garten mit Bäumen, in der Nachbarschaft nur große Anwesen, mitten in Holly­ wood und doch irgendwie auf dem Land. Für Maria kam die Entscheidung, Wrightwood endlich loszuwerden, natürlich keine Sekunde zu früh. Auch wenn ihr der erneute Hauskauf klarmachte, dass sie wohl nie wieder auf Dauer nach Frankreich zurückkehren, sondern den Rest ihrer Tage in Kalifornien verbringen würden. Während ihres letzten Sommers in Wrightwood, von Mai bis Oktober 1949, arbeitete Huxley konzentriert an der Fertigstellung der Essays, die im darauffolgenden April gesammelt unter dem Titel Themes and Variations erschienen. Neben »Variationen« über El Greco, Goya, Barockgräber, Piranesis Serie von Radierungen »Die Kerker« und dem soziopolitischen Essay »The Double Crisis« aus 224

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dem Vorjahr füllte die Studie über Maine de Biran mehr als die Hälfte des Bandes. Sie trug den Titel »Variations on a Philosopher« und hätte aufgrund ihres Umfangs durchaus eine Einzelveröffentlichung gerechtfertigt. »The Double Crisis« war 1948 zuerst im World Review erschienen und ist einer der zentralen Essays in der Entwicklung von Huxleys sozialpolitischem Denken. Die doppelte Krise ist für ihn auf einer höheren Ebene eine politisch-wirtschaftliche und auf einer niedrigeren Ebene eine ökologisch-demografische. Nicht nur sah er das politisch-wirtschaftliche Zusammenschnurren auf eine nationalistisch-militärische Machtpolitik sowie das Binden von Ressourcen und Produktivkräften im Zusammenhang mit einer wachsenden Bevölkerung und deren zunehmenden Bedürfnissen nach Versorgung und Freiheit. Mit diesem Aufsatz gehörte er auch zu den Ersten, die auf die umfassenden umweltzerstörerischen Konsequenzen dieser Tendenzen hinwies. Huxley hatte sich indessen gut erholt und war blendender Stimmung, die durch Besuche von Krishnamurti noch aufgehellt wurde. Die beiden unternahmen lange Spaziergänge, und Krishnaji brachte Aldous und Maria neue Yoga-Übungen bei. Auch die Strawinskys kamen zu einem Picknick mit Krishnamurti nach Wrightwood he­ raus. Im Gegensatz zu Aldous fühlte sich Maria durchgehend müde und lustlos, aber dem Umzug nach Hollywood sah sie mit Vorfreude und Erleichterung entgegen. Auch ein neues Auto hatten sie, natürlich den letzten Schrei: ein 1949er Oldsmobile, 135 PS, mit sogenanntem V8-Rocket-Motor und das erste amerikanische Auto mit Vollautomatik. Wann immer sie mit diesem neuen »Schlitten« von ihrem ruhigen und smogfreien Refugium in der Höhe in die Stadt hinunterfuhren, trafen sie sich mit den Strawinskys und deren stetem Begleiter Robert Craft. Ein Treffen im Juli zeichnete Craft minutiös auf und veröffentlichte es später in der Zeitschrift Encounter (1965). Am 10. August, an dem sich alle wieder zum üblichen Lunch im Farmer’s Market trafen, lernte auch Christopher Isherwood die Strawinskys und Craft kennen und schätzen. Für Strawinsky und Isher­wood war dies der Beginn einer lebenslangen herzlichen Freund­schaft. Die beiden machten es sich rasch zur Gewohnheit, einmal die Woche an 225

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den Strand am Ende des Santa Monica Canyons zu ziehen und den Abend feucht-fröhlich zu beschließen. Den Winter verbrachten die Huxleys in ihrem neuen Haus in der North Kings Road. Aldous versuchte, mit dem Roman über Katharina von Siena voranzukommen, und beschloss, man müsse im nächsten Jahr für weitere Recherchen nochmal nach Italien reisen. Bis zum Frühjahr lebten sich die Huxleys in ihrem neuen Domizil ein. Im März 1950 arbeiteten Isherwood und Huxley intensiver an einem Filmskript zu einer südamerikanischen Politfarce mit dem Arbeitstitel Below the Equator, aber dann ließ Aldous seinen Partner mehr oder weniger allein mit dem Skript zurück, da die Huxleys zu einer weiteren langen Europareise aufbrachen. Zuvor nahmen sie im April in New York an Matthews Heirat mit Ellen Hovde teil. Ellen und Matthew hatten sich in Elmer Ropers Umfrageinstitut kennengelernt und im Dezember verlobt. Aldous und Maria waren beide gleich von Ellens zurückhaltendem und doch aufgeschlossenem und einfühlsamen Wesen eingenommen. Zwischen Aldous und Ellen sollte sich in den kommenden Jahren eine besonders innige Verbundenheit entwickeln. Die Hochzeitsreise führte das junge Paar in die neuerstandene Villa La Rustique in Sanary, wohin Aldous und Maria im Spätsommer nachkommen würden. Zuvor wollten sie von Mai bis September in Frankreich, Italien und England alte Freunde aufsuchen. Erste Anlaufstation für Maria und Aldous war wie im Vorjahr Paris, wo sie ein Hotel in der Nähe von Jeanne und Georges bezogen. Nach drei Wochen Pariser Museen und Theaterstücken ging es weiter nach Rom und dann nach Siena, wo Huxley weiter für seinen Roman recherchierte. Im Juli reiste Aldous über Paris nach London zu seinem Bruder in Hampstead weiter, während Maria mit ihrer Schwester und Georges in ein Sommerhaus in Zentralfrankreich ­ reffen fuhr. Neben dem Maßnehmen für neue englische Anzüge und T mit alten Bekannten wie Raymond Mortimer, T. S. Eliot, Osbert und Edith Sitwell, Stephen Spender und Cyril Conolly hatte sich Aldous vorgenommen, neue »Quacksalber« ausfindig zu machen, wie er 226

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Aldous Huxley (1950)

sagte. Dazu gehörte Wilhelm Luftig in Brighton, der sich mit Lichttherapie und Homöopathie beschäftigte. Es gab auch Pläne, C. G. Jung in der Schweiz zu besuchen, aber dazu reichte die Zeit nicht. Maria, Matthew und Ellen befanden sich bereits in Sanary, als Aldous Ende Juli dort ankam. Auch Julian und Juliette sowie Sybille Bedford gesellten sich im heißen August dazu, bevor Maria und Aldous mit dem jungen Ehepaar im September zu Jeanne und ­Georges nach Juillac im französischen Zentralmassiv fuhren. Dort besichtigte man Grotten, die Höhlen von Lascaux und Rocamadour, und die Huxleys machten eine weitere wichtige Bekanntschaft: Der Arzt und Philosoph Roger Godel war mit seiner Frau Alice extra aus Paris angereist, um Huxley persönlich kennenzulernen. Godel sollte in den nächsten Jahren ein wichtiger Freund und Briefpartner werden. 227

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Im August oder September legte Aldous noch einen Zwischenstopp in der kleinen Stadt Loudun ein, bevor es nach New York zurückgehen sollte. Schon im Juli 1942, kurz nach Erscheinen von Die graue Eminenz, hatte Huxley in einem Brief an Harold Raymond als mögliches nächstes Projekt die außerordentliche Geschichte von teuflischer Besessenheit und Exorzismus, die sich Anfang des 17. Jahrhunderts in Loudun zugetragen hatte, ins Spiel gebracht. Jetzt wollte er sich ein Bild vor Ort machen. Aber leider drängten schlechte Nachrichten aus New York zu einer verfrühten Rückreise. Die Huxleys kamen gerade rechtzeitig zu den Endproben für die Broadway-Produktion von The Gioconda Smile in New York an. Während der Premiere am 3.  Oktober mit Basil Rathbone in der männlichen Hauptrolle blieb Aldous allerdings in seinem Hotelzimmer. Anscheinend hatten Schauspieler und Regisseur sich zerstritten und Huxley, der die letzten Proben mit hohem Einsatz begleitet hatte, befürchtete eine Katastrophe. Die Premiere lief glatt, aber die Kritiken der New York Times und des Herald Tribune waren vernichtend. Nicht nur deshalb lief das Stück schlecht, und so wurde es nach fünf Wochen bereits wieder von der Bühne genommen. Zu diesem Zeitpunkt waren Aldous und Maria allerdings längst wieder in Holly­wood. In dem neuen Haus entstand in dieser Zeit die Tradition der vom engeren Zirkel so genannten »North-Kings-Dienstage«. Man traf sich gewöhnlich an diesem Wochentag bei den Huxleys, um Experimente im Bereich des Übersinnlichen durchzuführen. Dazu gehörten in erster Linie Hypnose und magnetic passes, eine Methode, bei der man mit den Händen über Körperregionen fährt. Beides waren Spezialitäten von Aldous, der diese in Kombination mit anderen Methoden beherrschte und so zum Beispiel auch Strawinskys Schlaflosigkeit kuriert hatte. Auch parapsychologische Experimente und spiritistische Sitzungen wurden durchgeführt. Es wurden Medien eingeladen, Wahrsager, Magier, ein Fakir. Neben Meditation, Yoga und der Bates-Methode kamen für die Huxleys Anfang der 1950er-Jahre die E-Therapie, entwickelt von dem Mathematiker und Allround-Genie A. L. »Beau« Kitselman, und L. Ron Hubbards Dia228

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netik hinzu. Die meisten dieser Experimente waren Teil von Huxleys Vorhaben, ans unterbewusste Nicht-Selbst heranzukommen, welches »deutlich weniger dumm ist« als das bewusste Selbst. Dieses Vorhaben war wiederum Teil des umfassenden Programms, das er »träumen in einer pragmatischen Art und Weise« nannte. So begeistert und engagiert die Huxleys und ihre Gäste bei jedem dieser Experimente auch bei der Sache waren, sie blieben dennoch kritisch und berücksichtigten die Möglichkeit von Betrug oder mannigfaltigen Erklärungen. Wie ernst Aldous diese Dienstagabendexperimente genommen hat, ist schwer zu sagen, aber laut Marias Schwester Rose herrschte bei diesen Treffen eher Partystimmung. Auch Maria übernahm in diesen Dingen Aldous’ Leichtigkeit. Ihre Neigung zum Okkulten war allerdings deutlich ausgeprägter, und sie gab einmal zu, dass sie nur Aldous zuliebe auf ihren Katholizimus verzichtet hätte. Zu den Gästen der Dienstage gehörten Eileen Garrett, ab und an Heard und Isherwood, die Hypnotherapeuten Milton Erickson und Leslie LeCron, das Schauspielerpaar Paulette Goddard und Burgess Meredith, Huxleys Zahnarzt Jim Hixon und dessen Frau. Die Augen- und Entspannungsübungen nach Bates sowie die Haltungsübungen von F. M. Alexander gehörten ohnehin zum Standardprogramm von Maria und Aldous. Dazu kamen die Yoga- und Meditationsübungen, mit denen sie durch Krishnamurti und Vedanta bekannt geworden waren. Für jemanden wie Aldous war es nicht verwunderlich, dass er für alle möglichen therapeutischen Methoden nicht nur empfänglich war, sondern geradezu eine halb obsessive, halb spielerisch neugierige Leidenschaft entwickelte. Er, der zunächst hatte Arzt werden wollen, hatte sein Lebtag mit seinem schlechten Sehvermögen, mit immer wieder bedrohlichen Augen­ infektionen und zunehmenden Problemen mit Bronchien und Lunge zu kämpfen. Für den Sozialkritiker und Anthropologen gab es aber auch noch die weitere Dimension der Erforschung von allem, was zur Befreiung schlummernder Potenziale des Individuums von den Zwängen enger Selbstheit führen mochte. Um 1952 konstatierte Maria etwas, das auch andere Mitte der 1950er-Jahre bei ihm beobachteten, besonders diejenigen, die Huxley 229

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länger nicht gesehen hatten. Aldous wirkte wie verwandelt, aus Marias Sicht quasi verklärt. Unterschwellig sei diese Wandlung seit langer Zeit im Gange gewesen, aber nun an die Oberfläche »explodiert«. Sein Äußeres habe sich verändert und seine Haltung zur Welt sei eine völlig andere geworden. Er treffe eigene Entscheidungen, setze sich durch, sei konsequent in seiner Routine. All das würde nicht allein von seinen philosophischen Interessen kommen, sondern aus seiner täglichen Praxis. Sybille Bedford, die Aldous seit 1950 nicht mehr gesehen hatte, bestätigte diese Beobachtung zwei Jahre später bei Aldous’ und Marias Besuch in Rom kurz vor Aldous’ 60. Geburtstag. Die Änderung sei so durchgreifend, dass man meine, es mit einer neuen Version desselben Mannes zu tun zu haben. Aldous würde plötzlich robust, kräftig, jung und unverletzlich wie nie zuvor wirken. Seine Sanftheit sei jetzt von Souveränität untermauert und er würde mit einer Erfülltheit leuchten, die eine zutiefst beruhigende Wirkung habe. Während abends also in einem ausgewählten Zirkel die Möglichkeiten und Mechanismen des menschlichen Geistes jenseits des Alltagsbewusstseins ausgelotet wurden, arbeitete sich Huxley tagsüber parallel intensiv durch das Material zur Geschichte der Bessessenheit in Loudun. Auch hier war es sein Ziel, anhand dieser Geschichte »ein zusammenhängendes Bild des menschlichen Geistes zu formulieren« (Letters, S. 633), wie er seinem neuen Freund Roger Godel im Dezember 1950 schrieb. Ohne Huxleys Mithilfe hatte die britische Rank-Gruppe im November mittlerweile seine Geschichte »Young Archimedes« (1924) unter dem Titel Prelude to Fame in die Kinos gebracht. Doch Ende des Jahres deutete sich endlich noch mal ein viel versprechendes Kinoprojekt für ihn selbst an: ein Film über das Leben von Gandhi. Das war natürlich ganz auf Huxleys Linie. Der ungarische Produzent Gabriel Pascal hatte durch seine Bekanntschaft mit dem spirituellen Lehrer Meher Baba vom indischen Ministerpräsidenten Nehru das schriftliche Einverständnis für das Projekt bekommen. Allderdings ließ Huxleys Instinkt ihn schon ahnen, dass auch dieser Film wieder zum Scheitern verurteilt sein würde. »Er ist eine Art 230

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mitteleuropäischer Baron Münchhausen«, schrieb er über Pascal an seinen Bruder. »Er hat allerdings den Gräuel des Bohemiens, sich eindeutig festzulegen« (Letters, S. 644 f.). Und so musste der große Gandhi-Film dreißig Jahre und auf Richard Attenborough warten. Bereits nach dem New Yorker Gioconda-Debakel hatte Maria geahnt, dass die Hoffnung, im Film- oder Theatergeschäft leichter Geld verdienen zu können, wohl für immer ad acta gelegt werden müsse. Da Huxley 1950/51 auch mit The Devils of Loudun kämpfte, beruhigte sie ihn zuversichtlich, dass man von seinen Magazinartikeln und Vorträgen gut leben könne. Doch im Februar fingen sich Aldous und Maria eine asiatische Grippe ein. Als die klassischen Symptome abklangen, setzte sich die Infektion in Aldous’ rechtem, schlechterem Auge fest. Nach einem Monat und einer fatalen Kortisonbehandlung verschlimmerte sich die Situation. Huxley hatte große Schmerzen, und die Panik, blind zu werden, warf ihn vollkommen aus der Bahn. Ein Arzt riet sogar zur operativen Entfernung des rechten Auges. Schließlich, im Laufe des Sommers 1951, waren die Ärzte in der Lage, die Beschwerden als Regenbogenhautentzündung zu diagnostizieren. Erst im August wurde man mit Antibiotika der Infektion Herr. Trotz der Schmerzen und seiner drohenden Erblindung arbeitete Huxley an seinem Buch weiter, schrieb Briefe, wenn auch wenige, und überarbeitete während zweier Wochen im Juli die Dialoge einer Bühnenfassung von After Many a Summer, die der Radioautor und -regisseur Ralph Rose verfasst hatte und deren Hörfassung mit Paul Henreid bereits im Dezember 1948 über den Äther gegangen war. Huxley litt nicht nur unter den erneuten gesundheitlichen Beschwerden, sondern auch unter der Verschlechterung der politischen Atmosphäre. Mittlerweile hatte die Kommunistenhatz, die als McCarthy-Ära (ca. 1947–1956) in die Geschichte eingehen würde, an Fahrt aufgenommen und betraf nun insbesondere auch Hollywood. Die Institution mit dem amerikanischsten aller Namen, das Komitee für unamerikanische Umtriebe (HUAC), gab es zwar schon seit Ende der 1930er-Jahre, aber mit den sinkenden Temperaturen des Kalten Krieges nahm die von bestimmten konservativen Kräften geförderte 231

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Kommunistenhysterie solch unerträgliche Formen an, dass Arthur Miller 1953 als Gegenreaktion sein Drama Hexenjagd auf die Bühne brachte. Die Dramatisierung der Hexenprozesse von 1693 in Salem, Massachusetts, war eine unmissverständliche Attacke auf den ­McCarthyismus. Es ist kein Wunder, dass Huxleys The Devils of Loudun (1952, dt. Die Teufel von Loudun), in dem es auch um Missbrauch von politischer Gewalt unter dem Deckmantel einer Teufels­ austreibung geht, ebenfalls sofort als allegorische Anklage des HUAC gesehen wurde. Interessanterweise hatte Lion Feuchtwanger, der ebenfalls als Linksintellektueller auf dem Radar des Komitees war, bereits 1947 ein Stück über die Hexenjagd in Massachusetts geschrieben, Wahn oder Der Teufel in Boston, das 1949 in Frankfurt am Main, 1953 als The Devil in Boston in Los Angeles uraufgeführt worden war. Das Thema lag also in der Luft. Thomas Mann, Hanns Eisler und Bertolt Brecht waren schon 1947 vor das Komitee zitiert worden, worauf Brecht noch am nächsten Tag das Land in Richtung Zürich verlassen hatte. Seit 1948 gab es eine ständig wachsende schwarze Liste, und eilfertige Hollywood-­ Studios und -produzenten beschäftigten Filmschaffende von dieser Liste nicht weiter. Während seinem Freund Charlie Chaplin der antikommunistische Wind so scharf entgegenschlug, dass ihm 1952 nach einer Europatour für seinen Film Rampenlicht zunächst die Wiedereinreise verweigert wurde, hatte Huxley bislang einigermaßen Glück gehabt. Am 23. Mai 1951 war er in den Ruch gekommen, ein Sympathisant zu sein, weil er eine angeblich prokommunistische Organisation finanziell unterstütze. Huxley war natürlich nicht bekannt, dass das FBI bereits bei seiner Einreise 1937 eine Akte über ihn angelegt hatte, in erster Linie wegen seines pazifistischen Engagements. Während des Krieges erweiterte sich die Akte und sein Name tauchte in verschiedenen Vorgängen zur inneren Sicherheit auf. Was ihn möglicherweise vor einer schärferen Verfolgung in Zeiten des McCarthyismus bewahrte, war seine immer wieder geäußerte deutlich ablehnende Haltung gegenüber dem Stalinismus. Diese wurde schließlich im Mai 1953 in einem geheimen Memorandum des FBI in Los 232

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­Angeles verbrieft. Nichtsdestotrotz: Das Klima war angespannt und sollte sich auch auf die Einbürgerungsbestrebungen der Huxleys zwischen 1953 und 1954 übertragen. Am 14. Juni 1951 stand ein Besuch in der Happy Valley School in Ojai, Krishnamurtis Wohnsitz nördlich von Los Angeles, auf dem Programm. Aldous hielt in diesem Jahr die Schulabschlussrede, deren Titel »Aún Aprendo« (»Ich lerne immer noch«) nicht nur Huxleys eigenes Motto war, sondern auch Schulmotto werden sollte. Der Satz steht auf einer Goya-Zeichnung, die einen alten gebeugten Mann am Stock zeigt. Krishnamurti, seine Mentorin Annie Besant, Huxley und einige andere hatten die Schule, die heute Besant Hill School heißt, 1946 mit dem Ziel gegründet, ihre Vorstellungen von alternativer Schul-

»Aún aprendo«: Zeichnung von Francesco Goya und Huxleys Lebens­motto.

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bildung in die Praxis umsetzen zu können: Kooperation und Forschung statt Konformität und Karriere, ausgewogene Förderung von intellektuellen wie kreativen Potenzialen, insbesondere herausragender individueller Fähigkeiten, intregrales, interdisziplinäres Lernen in einer sinnstiftenden Atmosphäre, die Achtsamkeit, Verantwortlichkeit und Bewusstsein für Zusammenhänge fördert. Die Direktorin von Happy Valley, Rosalind Rajagopal, war Vetraute und Geliebte von Krishnamurti und eine gute Freundin der Huxleys. Zu den Rednern und Gästen der Schulabschlussfeiern gehörten im Laufe der Jahre auch Isherwood, Alan Watts, Arnold Schönberg sowie andere bekannte Künstler und Persönlichkeiten. Im Oktober 1951 wurde Huxleys erstes Enkelkind geboren; Mark Trevenen wurde in Erinnerung an Aldous’ Bruder Trev benannt. Um die gleiche Zeit wurde in Marias rechter Brust eine Zyste entdeckt, die sich als bösartiger Tumor herausstellte. Im Januar unterzog sie sich der nötigen Operation und strahlte wie üblich Zuversicht und Beruhigung in alle Richtungen aus. »Ich bin eine Amazone«, scherzte sie in einem Brief an Matthew und Ellen. Sie versicherte allen inklusive ihres Mannes, dass sie sich vollständig erholen und der Krebs nicht zurückkehren würde. Durch Bill Kiskadden, Peggys Mann und ärztlicher Vertrauter der Huxleys, wusste sie es allerdings eigentlich besser. Die Prognose war nicht gut. Der Krebs hatte bereits gestreut. Während Maria sich im Januar 1952 von dem schweren Eingriff erholte, nach dem Aldous sie mit seinen hypnotherapeutischen Fähigkeiten unterstützt hatte, war er in der Lage, Die Teufel von Loudun zu beenden. Er litt noch unter Schlaflosigkeit und chronischer Bronchitis, bei der er sich von einem Druckbeatmungsapparat helfen lassen musste. Von Februar bis Juni gab es noch ein langes Hin und Her wegen des Gandhi-Films; noch im März hoffte Huxley, bald mit dem Scheiben beginnen zu können. Gabriel Pascal war offenbar der Auffassung, dass Huxley das Thema zu wissenschaftlich anginge. Ihm und seiner »Labormystik« fehle das Verständnis für Gandhis »alles beherrschende Liebe«. Die Arbeit mit Pascal führte für Huxley zu einer Wiederbegegnung mit Laura Archera, die damals Pascals Schnittassistentin war. 234

Pforten der Wahrnehmung

Dem kalifornischen Zeitgeist enstprechend stellten sie ein gemeinsames Interesse an den etwas abwegigeren psychotherapeutischen Experimenten fest, die gerade populär waren. Unabhängig von Huxley hatte auch Laura bereits 1950 Vorträge von L. Ron Hubbard besucht, der ihr gegenüber eines Abends sogar Huxley erwähnte. Der Kontakt zwischen ihr und den Huxleys verfestigte sich, Laura lernte die Hubbles, die Kiskaddens, Heard und Isherwood kennen. Im April machten Maria und Aldous eine Autotour durch die Wüste von Arizona, aus der unter anderem die Erzählung »Consider the Lilies« (dt. »Schauet die Lilien«) hervorging, die 1955 zuerst auf Deutsch publiziert werden sollte. Bei dieser Gelegenheit stattete Aldous der militärischen Forschungsbasis in der Mojave-Wüste etwa 240 Kilometer nördlich von Los Angeles einen äußerst lehrreichen Besuch ab. Er hatte sogar Zutritt zu den Michelson-Laboratorien, die John F. Kennedy im Juni 1963 besuchen würde. »Tausend Quadratkilometer Testgelände«, schrieb Aldous seinem Bruder Julian im Mai. »Und eine Stadt mit zwölftausend Einwohnern, die meisten mit Doktortitel, vollklimatisiert, inmitten der ödesten aller Einöden. Das Ganze nur, um größere und bessere Raketen zu bauen. Das war die schreck­ erregendste Demonstration von wissenschaftlichem und höchstorganisiertem Irrsinn, die ich jemals gesehen habe. […] Und die Welt wimmelt nur so vor Physikern in stacheldrahtumzäunten Testgeländen, die in drei Tagesschichten ad majorem Diaboli gloriam arbeiten. Was für eine ­Erleichterung, zum Buch von [Konrad] Lorenz zurückzukehren, zu dem du das Vorwort geschrieben hast! Schauet die Wölfe und Dohlen […].« (Letters, S. 645)

Pforten der Wahrnehmung 1953 sollte für Huxley eine ebenso erdrutschartige Veränderung bringen wie 1936, das Jahr, in dem er durch sein politisches Engagement den Ausweg aus seiner persönlichen Krise gefunden hatte. Die Schlüsselbegegnung in dieser Phase von Huxleys Leben war die mit dem englischen Psychiater Humphry Osmond aus Saskatchewan. Mit Osmond sollte sich eine ebenso intensive, herzliche, wichtige 235

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Freundschaft entwickeln wie bereits mit Lawrence, Heard, den Strawinskys, Krishnamurti, Edwin Hubble oder Roger Godel – man sieht das an den vielen und langen Briefen, die Huxley Osmond in den folgenden Jahren bis zu seinem Tod schreiben sollte. Die Begegnung mit dem Psychiater setzte aber auch eine Entwicklung in Gang, die Huxleys öffentliches Image noch einmal verändern, für die Zukunft ikonografisch prägen und schließlich auch beschädigen sollte. Wie schon die Freundschaft mit Anita Loos begann auch diejenige zwischen Huxley und Osmond mit einem Brief. Huxley schrieb dem englischen Psychiater nach Kanada, wo er am Saskatchewan Hospital tätig war. Zusammen mit seinen Kollegen John Smythies und Abram Hoffer erzielte Osmond mit Meskalin und ähnlichen Halluzinogenen Ergebnisse, die vielversprechende Rückschlüsse auf die Realitätswahrnehmung von Schizophreniepatienten zuließen. Huxley hatte einen diesbezüglichen Artikel von Osmond und ­Smythies gelesen. Der Psychiater, der seinerseits bereits Huxley-Fan war und während der Bombardierung Londons immer eine Ausgabe von Texts and Pretexts bei sich geführt hatte, schrieb dem von ihm bewunderten Autor zurück und kommentierte auch die Teufel von Loudun. Als Huxley im April erfuhr, dass Osmond im Mai zu einem Psychiaterkongress nach Los Angeles kommen würde, lud er ihn kurzerhand zu sich ein und bat ihn, etwas Meskalin mitzubringen, das damals noch legal war. Der Begriff, den Osmond für diese Halluzinogene prägte und der Geschichte machen sollte, deutet auf das hin, was er und Aldous sich von diesen Pharmazeutika erhofften: »psychedelisch« (Huxley bevorzugte »psychodelisch«) bedeutet »Seele zeigend«, »das Bewusstsein zum Vorschein bringend«. In den 1960er-Jahren machten diese Substanzen auch als »bewusstseinserweiternde« Drogen Karriere. Huxley und Osmond versprachen sich von den psychedelischen Drogen allerdings mehr als nur andere Formen der Wahrnehmung, sondern den Vorstoß zum Eigentlichen des Bewusstseins. Huxleys Forschungsinteresse an den sogenannten paranormalen Phänomenen liegt die folgende wichtige Annahme zugrunde, die er 1944 in seiner »minimalen Arbeitshypothese« für die Zeitschrift 236

Pforten der Wahrnehmung

Vedanta for the Western World und seinen Roman Zeit muss enden formuliert hatte. Konform mit neuplatonischem und hinduistischem Denken gibt es einen einheitlichen Urgrund aller Erscheinungen, der für das Individuum erfahrbar ist. Das individuelle Bewusstsein ist nur lokaler Ausdruck bzw. Ventil des kosmischen Bewusstseins oder der universalen Geistigkeit, bei Huxley häufig Mind at Large genannt, also »Gesamtgeist«, oder auch »Gottheit«. Trotz seiner nichtmateriellen Vorstellung von Geist betonte Huxley, dass alle Erkenntnisse in diesem Bereich eine wissenschaftlich gut fundierte Basis haben müssen, wie er es in seinem Artikel »The Oddest Science« für den Esquire im März 1957 formulierte: »Es kann keine Spiritualität geben außer auf der Grundlage eines gut informierten Materialismus«. Was mit Osmond und Meskalin begann, sollte sich in den folgenden Jahren mit LSD, der Bekanntschaft mit dessen »Erfinder«, Albert Hofmann, sowie weiteren psychoaktiven Substanzen wie Psylocibin, das Hofmann 1957 aus Pilzen isolierte, fortsetzen. In seinem Vorwort zu Moksha erläutert Albert Hofmann, was Huxleys literarischen Umgang mit der Drogenerfahrung von Vorgängern wie Thomas de Quincey, Baudelaire oder Ernst Jünger unterscheidet: »Huxley liefert hingegen […] nicht nur eine meisterhafte Beschreibung seiner ersten Erfahrungen mit Meskalin, sondern auch eine Bewertung dieser Art von Drogen vom höchsten seelischen und geistigen Standpunkt aus, wobei er soziologische, ästhetische und philosophische Aspekte einbezieht.« (S. 11)

Am 4. Mai 1953 nahm Huxley unter der Betreuung von Osmond das erste Mal Meskalin zu sich. Er schrieb diese erste Meskalinerfahrung im Juni und Juli innerhalb eines Monats nieder. Unter dem Titel The Doors of Perception (dt. Die Pforten der Wahrnehmung) erschien das schmale Buch im darauffolgenden Februar. Der minutiöse Bericht über seine Erlebnisse an diesem Nachmittag unter dem Einfluss von Meskalin ist in typischer Huxley-Manier eingebettet in die Geschichte von Meskalin sowie in philosophische Überlegungen zu der Verwandtschaft von psychedelischen und mystischen Bewusstseins237

Pragmatisches Träumen: Zwischen Mystik und Meskalin

Aldous Huxley am 4. Mai 1953 bei seiner ersten Meskalinerfahrung

zuständen bei Blake und Meister Eckhart, in Christentum und Buddhismus. Im folgenden Jahr, im Dezember 1954, begann Huxley einen weiteren langen Aufsatz mit dem Titel Heaven and Hell (dt. Himmel und Hölle), in dem er versuchte, die Geschichte mystischer Visionen und ihren Zusammenhang mit insbesondere religiöser Kunst und Architektur unter dem Eindruck seiner Drogenerfahrung systematisch aufzuarbeiten. Heute ist nur noch Schöne neue Welt weitläufig bekannt, aber Die Pforten der Wahrnehmung ist wahrscheinlich dasjenige von Huxleys Büchern, welches auf die Sechzigerjahre den größten Einfluss ausübte. Der Titel basiert auf der Zeile »Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene den Menschen alles, wie es ist: unendlich« aus William Blakes Die Vermählung von Himmel und Hölle (entstanden 1790–93). Jim Morrison von der kalifornischen Rockband The Doors las zwar ohnehin Blake, aber es war Huxleys Buch, das ihm 1965 die Idee für den Bandnamen gab. Und ohne Die Pforten der Wahrnehmung wäre Huxley wahrscheinlich auch nicht auf das Cover von der Beatles-Platte Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club 238

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Band (1967) gelangt. Gleichzeitig war sein Bericht der Startschuss für die Drogenwelle der 1960er-Jahre, die Enthusiasten und Schwärmer wie Timothy Leary sowie die Beat- und Popkünstler von Greenwich Village bis Haight Ashbury und Swinging London noch kräftig anschoben. Wie sehr Huxley der Urvater dieser Bewegung ist, ist fraglich; jedenfalls wurde er zu ihrem intellektuellen Schutzheiligen. Seiner zweiten Frau Laura und Sybille Bedford zufolge nahm Huxley zwischen 1953 und 1963 vielleicht zehn- bis zwölfmal psychedelische Drogen, davon drei- oder viermal im Beisein von Osmond, mit Laura vielleicht insgesamt siebenmal. Angesichts des zunehmenden Kontakts mit Drogenforschern wie Puharich, Leary, Al Hubbard oder Heard, die an Experimenten interessiert waren, vermutet der Huxley-Biograf David Dunaway allerdings, dass sich die Zahl mindestens auf das Doppelte beläuft. Während Huxley also den neuen Bereich der Erfahrungen mit bewusstseinsverändernden Drogen erforschte und in seine Überlegungen zu Spiritualität und mystischer Erkenntnis zu integrieren suchte, blieb er weiterhin in ein Umfeld eingebettet, das sich mit eher klassischen Methoden spirituellen Erkenntnisgewinns beschäftigte. Chistopher Isherwood hatte Ende 1953 endlich zusammen mit seinem Guru Swami Prabhavananda den klassischen hinduistischen Grundlagentext zur Meditation, den Yoga-Leitfaden des Patanjali, unter dem Titel How to Know God (ein Titel, der ihm später gar nicht mehr gefiel) veröffentlichen können. Und Krishnamurti, dessen eigene Meditationspraxis ähnlich zentral und puristisch war wie die des Patanjali, brachte zur gleichen Zeit sein erstes Buch Education and the Significance of Life bei einem kommerziellen Verlag heraus, Huxleys amerikanischem Verleger Harper. Huxley, den Krishnamurtis öffentliche Reden sehr beeindruckten, hatte seinen Freund darin bestärkt, zu schreiben, und ihm den Kontakt zu Harper vermittelt. Bislang waren Krishnamurtis Bücher nur von kleinen Spezialverlagen bzw. ihm nahestehenden Organisationen veröffentlicht worden. Im darauffolgenden Jahr erschien The First and the Last Freedom, das ihn als Autor etablierte und seine Ideen einem größe239

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ren Publikum bekannt machte. Maßgeblich trug das umfangreiche Vorwort von Huxley – einer seiner wichtigsten Texte aus dieser Zeit – dazu bei. Es machte nicht nur deutlich, wie sehr und auf welche ­ iteinander Weise Krishnamurtis und Huxleys Denken im Einklang m waren, sondern auch, wie Huxley die radikal individualistische Heilsphilosophie seines Freundes in seine eigenen Überlegungen integrierte. Ein Punkt allerdings, in dem sich die beiden überhaupt nicht einig waren, war Huxleys Überzeugung, dass ­psychoaktive Drogen wie Meskalin, Psilocybin und LSD ähnliche Effekte auf das Bewusstsein hätten wie Meditation und zumindest quasivisionäre Zustände erzeugen könnten. Für Krishnamurti waren Psychedelika einfach genauso Rauschmittel wie Alkohol, mit denen man niemals Erkenntniszustände erreichen könne, wie das die Technik der Meditation erlaube. Mit der Hinrichtung von Julius und Ethel Rosenberg erreichte im Juni 1953 die Anspannung des Kalten Krieges einen ihrer Höhepunkte. Doch Huxley war mit persönlicheren Schicksalsschlägen beschäftigt: Im Februar war sein guter Feund aus Kindertagen, Lewis Gielgud, gestorben und im September überraschend Edwin Hubble. Im Juli waren die Hubbles noch mit Eva Herrmann, Vera Strawinsky, Robert Craft, Gerald Heard und anderen auf Huxleys Geburtstagsparty gewesen und hatten sich Geschichten von Aldous und Marias 5000-Meilen-Reise in den Nordwesten angehört, von der sie gerade zurückgekommen waren (die Jungfernfahrt ihres neuen, exorbitant teuren Oldsmobile mit Servobremsen und Servolenkung). Im Gedenken sowohl an den guten Freund der letzten Jahrzehnte als auch an einen der bedeutendsten Astronomen verfasste Aldous direkt eine lange Würdigung unter dem Titel »Stars and the Man«, die seinerzeit leider nicht veröffentlicht wurde, aber heutzutage im 5.  Band der Complete Essays (2000–2002) nachzulesen ist. Darin zollt Huxley Hubble Achtung nicht nur als herausragendem Physiker und Astronomen, sondern auch als einem geistesverwandten Universalgeist, der ebenfalls das mystische Wissen »vom Einssein im Unterschied, der absoluten Andersheit, die dennoch identisch ist mit dem Grund und dem Wesen des wahrnehmenden Geistes«, kennt. 240

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Im Oktober 1953 musste sich Maria einer zweiten Operation und nachfolgenden Röntgenbehandlung unterziehen, die ihr sehr zusetzte. Bislang wussten nur die Kiskaddens (und Osmond), wie ernst die Lage war. Maria hatte alles darangesetzt, Aldous in Unkenntnis zu halten. Sie wollte nicht, dass die Sorge um sie ihn belastete und möglicherweise seine Arbeit behinderte. Ein großer Trost in dieser schweren Zeit waren ihre Enkelkinder. Trevenen hatte im Oktober eine kleine Schwester bekommen, Tessa. Im November versuchten Maria und Aldous mit Unterstützung ihrer Freundinnen, Krishnamurtis Assistentin und Geliebter Rosalind Rajagopal sowie der Schriftstellerin und Hollywoodautorin Betty Wendel, sich einbürgern zu lassen. Die Entscheidung war überfällig und auch Matthew, der seit 1945 amerikanischer Staatsbürger war, lag daran, dass seine Eltern endlich diesen Schritt vollziehen würden. Leider stellte sich Aldous bei den Fragen bezüglich seiner Wehrbereitschaft etwas stur und wählte nicht den einfachen Weg. Statt die ihm angebotenen religiösen Gründe für seine Weigerung, Waffen zu tragen, anzunehmen, beharrte er auf philosophischen Überzeugungen – was für die prüfende Behörde keine akzeptable Grundlage darstellte. Auch die Tatsache, dass Aldous aufgrund seines Sehvermögens und Gesundheitszustandes wohl niemals in die Verlegenheit kommen würde, an aktiven bewaffneten Einsätzen teilnehmen zu müssen, spielte bei dem Verfahren selbstverständlich keine Rolle. Das Patt der Prinzipien führte in diesem Fall zu einer bei Behörden üblichen Reaktion. Die Sache wurde stillschweigend zu den Akten gelegt. Die Huxleys warteten in den nächsten beiden Jahren noch auf Nachricht von der Einwanderungsbehörde, aber als sie nichts mehr hörten, gaben sie sich ihrem Schicksal hin, keine Amerikaner zu werden. Anders als Charlie Chaplin würden sie in der Zukunft keine Probleme bei ihren Wiedereinreisen aus Europa haben. Aber das war ihnen im Frühjahr 1954 noch nicht klar. Sie waren mitgenommen von dem unerquicklichen Prozedere und leicht beunruhigt, was ihre für den Sommer geplante Mittelmeertour durch Europa und den Nahen Osten anbetraf. Auf der Reise, die von Eileen Garrett finan241

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ziert wurde, begann Huxley mit einem neuen Buch, The Genius and the Goddess (dt. Das Genie und die Göttin), das er über den Sommer beendete und dessen Bühnenpotenzial er gleich bei seiner Rückkehr mit Betty Wendel besprach. Schon im November begannen die beiden, gemeinsam an einer Bühnenfassung zu arbeiten. Marias und Aldous’ Reisepläne bestanden darin, abgesehen von den üblichen Stationen wie Paris, Rom und London, insbesondere Kairo, Jerusalem, Beirut, Zypern und Athen zu besuchen. Nachdem im Vorjahr schon die Indienreise mit Roger Godel und seiner Frau hatte abgesagt werden müssen, wollte man die beiden nun in Ismailia in Ägypten besuchen, wo Godel Chefarzt des Suez Canal Hospital war. Auf der Queen Elisabeth setzten sie Anfang April von New York nach Le Havre über. In Paris musste sich Huxley mithilfe seines Sauerstoffgerätes erst noch erholen, während Maria einen Spezialisten aufsuchte. Wie zu erwarten war, blieb es bei der schlechten Diagnose. Maria besprach sich mit ihrer Schwester Jeanne und deren Mann Georges und insistierte: Aldous durfte nichts erfahren. Er musste sein Buch beenden und dafür inneren Frieden haben. Marias besondere Sorge war es, vor ihm zu sterben. Wie sollte er nur ohne sie auskommen? Ende des Monats waren die beiden in St. Paul de Vence, unweit von Nizza. Dort beteiligte sich Aldous mit einem Vortrag über »The Far Continents of the Mind« an Eileen Garretts Symposium zu Philosophie und Parapsychologie. Anfang Mai ging es direkt weiter nach Ägypten, von wo aus Aldous und Maria zusammen begeistert an Matthew schrieben. Seit ihrer Bekanntschaft vor vier Jahren herrschte zwischen Huxley und Roger Godel ein reger Austausch über Aldous’ zentrale Interessen im Bereich der Psychologie, die Verwirklichung verborgener menschlicher Potenziale, über Zen und natürlich über die Teufel von Loudun, die im Sommer 1950 aktuelles Gesprächsthema gewesen waren. Huxley hatte auch das Manuskript von Godels Buch Essais sur l’expérience libératrice (1952) gelesen. Kurzum, der Arzt war ein ganzheitlicher Mensch nach Huxleys Geschmack: Mediziner und Philosoph, ein Herzspezialist, der seine Patienten auch psychologisch behandelte, eminenter Hellenist (der 242

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später auch einige Bände zu sokratischer Philosophie veröffentlichen sollte) und moderner Wissenschaftler. In einem gemeinsamen Brief an Matthew sangen Aldous und Maria das Loblied Godels und des Ortes Ismailia und forderten den Sohn auf, unbedingt – mit oder ohne Forschungsstipendium – nach Ägypten zu kommen, von Godel zu lernen und Material für eine Doktorarbeit zu sammeln. Ellen und die Kinder sollten auch mitkommen, die Godels würden sie alle herzlich empfangen. Maria malte sich in ihrem tpyischen Überschwang bereits aus, alle im kommenden Jahr wieder in Ägypten zu besuchen. Sie hatte Godel, den sie nicht nur für einen herausragenden Arzt, sondern insbesondere auch für einen guten und weisen Menschen hielt, unbedingt sehen wollen, um mit ihm über ihre schwere Krankheit und ihr Sterben zu sprechen. Dann ging die Reise weiter über Kairo, Jerusalem und Beirut – damals noch das »Paris des Nahen Ostens« – nach Damaskus und dann weiter über Zypern und Istanbul nach Athen. Während Maria schrieb, dass man ernsthaft überlegt habe, sich im Libanon niederzulassen – »besseres Klima als Südfrankreich, billiger, und moderner als Ägypten« –, schlug Aldous in einem Brief an Eileen Garrett aus Athen andere Töne an: »Es war eine wunderbare Reise durch Raum und Zeit – wunderbar, aber sehr deprimierend; denn noch niemals hatte ich ein solch deutliches Gefühl vom Tragischen des menschlichen Daseins, dem Schrecken einer Geschichte, in der die großen Kunstwerke, die Philosophien und Religionen nichts weiter sind als Inseln in einem endlosen Strom von Krieg, Armut, Scheitern, Elend und Krankheit. Man sieht die Not der Ägypter, die sich um die Pyramiden kauern, die Hoffnungslosigkeit der Einwohner von Jerusalem, für die die heiligste aller Städte ein Gefängnis dauerhafter Verzweiflung ist, gelegentlich unterbrochen von der Panik, wenn die Handgranaten zu fliegen beginnen.« (Letters, S. 709)

Offenbar hatte Aldous verdrängt, dass er spätestens seit der Weltreise 1925 und insbesondere beim Anblick des Elends in Indien ein zumindest ähnliches Gefühl für das Tragische der menschlichen Existenz gehabt hatte. 243

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Schließlich kehrten die Huxleys wieder in heimatliche Gefilde zurück, zunächst nach Rom. Dort gab es ein Wiedersehen mit Sybille Bedford, die ihre alten Freunde sofort in ihrem Hotel an der Spanischen Treppe aufsuchte. Auch Laura Archera war zu dieser Zeit in Rom, und Maria machte die beiden wenige Tage später miteinander bekannt. Laura und Sybille mochten und verstanden sich auf Anhieb. Auch Aldous war wieder bei bester Gesundheit und voller Pläne für Besichtigungen. Laura packte die Huxleys in ihren kleinen Fiat und kutschierte sie durch die Gegend um Rom, unter anderem zu den etruskischen Gräbern bei Tarquinia. In dieser kurzen Woche, so erinnerte sich Laura, wurde ihre Freundschaft mit Aldous und Maria vertrauter und inniger als bei den sporadischen Treffen in den vorangegangenen Jahren. Schon in Los Angeles hatte Maria Laura hinsichtlich ihrer Krankheit ins Vertrauen gezogen und ihr gesagt, dass sie vom Leben genug habe und bereit sei zu gehen. Jetzt, bei einem langen Gespräch auf Sybille Bedfords Terrasse in Rom, gestand sie Laura, dass sie ihre Meinung geändert habe und doch noch ein wenig leben wolle. Im Juli ging es über Paris mit Jeanne und Georges weiter nach Dieulefit, einem Luftkurort östlich von Montélimar und der Rhône. Dort klapperte Aldous wohlgemut im sommerlichen Garten auf seiner Schreibmaschine und arbeitete weiter an seinem Roman Das Genie und die Göttin. Die Anspannung, die in der Luft lag, Marias Müdigkeit und nervöse Verzweiflung, schien er nicht zu bemerken – im Gegensatz zu Jeanne, für die diese Wochen »der tragische Sommer« waren. Kurz nach Aldous’ 60. Geburtstag am 26. Juli war Maria über einige Symptome so beunruhigt, dass sie einen Spezialisten in Paris aufsuchen wollte. Der überstürzte Aufbruch brachte Aldous aus der Fassung. Der Pariser Spezialist empfahl eine sofortige Rückkehr nach Amerika. Da es nicht möglich war, sofort eine Passage zurück nach New York zu buchen, brach Aldous nach London auf, um Julian und Juliette, seinen Verleger und alte Freunde zu sehen. Maria blieb im sommerlich leeren Paris zurück, sah Sophie und Jeanne, die ein paar Tage von Dieulefit hochkamen, Eileen Garrett, zu der sie nach Nizza runterflog, und Rina Rontini, die sich in den 244

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letzten Jahren um die Villa Rustique gekümmert hatte und immer für ihre angebetete Maria zur Stelle war. Am 27. August 1954 schließlich waren Maria und Aldous wieder zurück in New York, wo sie zwei Wochen blieben – in erster Linie, um Zeit mit den Enkeln Trev und Tessa zu verbringen. Anfang September begann Maria eine weitere Röntgenbehandlung. Ein Wochenende in Ojai bei Rosalind und Krishnaji tat ihr besonders gut, Krishnamurtis Präsenz verlieh ihr die lange vermisste Ruhe. Anfang Oktober musste Aldous allein für knapp zehn Tage zurück in den Osten reisen, um einen Vortrag zum Thema visionäre Erfahrung und Kunst zuerst am Institute of Modern Art in Washington, dann bei J. B. Rhine an der Duke University und tags darauf an der University of North Carolina zu halten. Die Zusage Huxleys hatte nicht nur die Englische Fakultät von Duke in freudige Erwartung versetzt – auch für die Studierenden war die Ankunft des berühmten Schriftstellers und Intellektuellen wie das Kommen eines Stars. Der größte Vorlesungssaal des Campus war gerammelt voll und die Frage- und Diskussionsstunde, die an der University of North Carolina seinem Vortrag folgte, wirkte wie ein frühes Sit-in. Die Studierenden saßen um seinen Sessel überall auf dem Boden verstreut herum und hingen an seinen Lippen. Aldous, der zu dem Zeitpunkt noch herzlich wenig Erfahrung mit Universitätsvorträgen hatte, bekam hier einen Vorgeschmack von dem, was in den nächsten Jahren eine seiner Hauptaktivitäten werden sollte. Im Januar 1955 schneite ein gewisser Captain Alfred Matthew Hubbard bei den Huxleys in der North Kings Road herein. Der exzentrische wissenschaftliche Leiter der Uranium Corporation von Vancouver hatte bereits mit LSD experimentiert, die Bekanntschaft von Osmond gesucht und jetzt Meskalin mitgebracht. Heard, Huxley, und Hubbard experimentierten zu dritt; Maria fühlte sich nicht wohl genug, um ebenfalls daran teilzunehmen. Im Laufe dieses Januars wurde auch Aldous langsam klar, dass Marias Rückenbeschwerden offenbar Symptom eines ernsthafteren Problems waren. Noch schrieb er an Freunde, dass es sich anscheinend um eine Darm- oder Niereninfektion handelte. Maria musste 245

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erneut ins Krankenhaus. Während Aldous mit Betty Wendel an der Bühnenfassung von Das Genie und die Göttin arbeitete, schien er zuversichtlich, dass Maria wieder auf den Damm kommen würde, sobald man die Rückenbeschwerden in den Griff bekäme. Nachdem Maria ein weiteres Mal ins Krankenhaus musste und ihr Zustand sich verschlimmerte, wurde Aldous endlich reiner Wein eingeschenkt. Matthew wurde benachrichtigt, und Peggy Kiskadden flog aus dem Nahen Osten ein. Am 7. Februar war Maria wieder zu Hause. Aldous kümmerte sich um sie, Freunde kamen. Leslie LeCron und Aldous behandelten sie mit Hypnose und Handauflegen und konnten so ihre Übelkeit und Schmerzen bekämpfen. Ihre Mutter Marguerite Nys und ihre Schwester Suzanne fanden Maria in friedvollem, ruhigen Zustand vor, ganz ihr liebevolles Selbst, aber sehr schwach. Die letzten drei Stunden verbrachte sie in der Gegenwart von Matthew und Aldous. Aldous legte seine Linke auf ihren Kopf und die rechte Hand auf ihren Solarplexus und flüsterte ihr Worte aus dem Bardo Thodol, dem Tibetischen Totenbuch, ins Ohr, für die sie, wie er wusste, empfänglich war: Sie solle loslassen und alles zurücklassen, was sich zwischen sie und das Licht stelle … Huxley schrieb im Nachhinein für Verwandte und Freunde, Julian und Juliette, Humphry Osmond, Gerald Heard und Yolanda einen Bericht über Marias letzte Stunden, der eine der bewegendsten Schilderungen einer Begleitung vom Diesseits ins Jenseits ist, die je niedergeschrieben wurden. Der Text ist sowohl in einer Fußnote im Briefband von Grover Smith (Letters, 1969) zu finden als auch in Laura Huxleys Erinnerungsbuch This Timeless Moment (1968). In seinem letzten Roman Eiland (1962) wird Huxley die Situation detailgetreu in der Ehe von Dr. MacPhail und dessen Frau Lakshmi rekonstruieren, die ebenfalls nach 37 Jahren Ehe an Brustkrebs stirbt. Aldous, dem es so lange unter der Mithilfe von Maria gelungen war, den Ernst der Lage zu ignorieren und das Sterben seiner Begleiterin und engsten Freundin zu verdrängen, traf Marias Tod mit voller Wucht. Noch lange hat er über den Verlust von Maria wie von einer Amputation gesprochen. Freunde boten ihm Unterstützung an 246

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– Matthew, Humphry, Frieda Lawrence, Anita Loos, Rose und Olivia waren da. Auch Eva Herrmann, Chris Isherwood und die Strawinskys nahmen an der Beerdigung teil. Isherwood, dem Marias Tod besonders nahe ging, lud Aldous und etliche Freunde einen Monat später in sein Haus. Er und Eva Herrmann berichteten, wie schlecht Aldous aussah, aschfahl, dünn, erschöpft, »fast wie eine Totenmaske«. Aldous zog es vor, erst einmal allein zu sein und sich mit Arbeit abzulenken. Ende Februar schrieb er mit Betty weiter an dem Theaterstück und machte sich Notizen für seinen utopischen Roman (Eiland), der seit einiger Zeit in seinem Kopf herumschwirrte. Und er arbeitete weiter an Essays. Im Januar hatte das gehobene Herrenmagazin Esquire ihm einen Vertrag für eine Essayreihe angeboten, die regelmäßig unter dem Titel »From the Study of Aldous Huxley« erscheinen sollte. »Dank der nackten Damen können sie gut bezahlen«, kommentierte Huxley die Vereinbarung. 1000 Dollar pro Essay waren in der Tat eine erkleckliche Summe; Huxley hatte bei der Themenwahl freie Hand, und die Redakteure versprachen ihm, sich nicht einzumischen. So entstanden zwischen 1955 und 1957, bis Esquire den Vertrag nicht mehr verlängerte, knapp zwei Dutzend seiner wichtigsten Essays und Studien, von denen die frühen 1956 in Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow (britische Ausgabe: Adonis and the Alphabet) gesammelt wurden. Im April und Mai 1955 reiste Aldous in Begleitung von seiner Schwägerin Rose Tausende von Meilen durch die Staaten – nach Houston, Baton Rouge, New Orleans, Florida, Savannah, Charleston, Washington, Atlantic City –, um Konferenzen zu besuchen, Vorträge zu halten und interessante Wissenschaftler zu treffen. Den heißesten Sommer in der Geschichte Connecticuts, wie Huxley notierte, verlebte er dann mit Matthew und Ellen sowie den Enkeln Trev und Tess in einem Sommerhaus in Guilford, Connecticut, dessen Miete er aus seinen Esquire-Honoraren finanzierte. Wie üblich arbeitete er am Morgen und schrieb geschäftliche und private Briefe – an Grace Hubble, Jeanne, Humphry Osmond. Von der Sommerresidenz aus war es auch nicht weit bis New York, wo er sich im Juni 247

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noch mit Betty Wendel und Helen Harvey von der William Morris Agency traf, um über eine Broadway-Produktion von Das Genie und die Göttin zu verhandeln. Der Roman war gerade erschienen. Zwar unternahm Aldous auch von Guilford aus noch einiges wie Museums- und Theaterbesuche in Boston oder einen Abstecher nach Maine zu einem parapsychologischen Treffen, das von dem Mediziner und Parapsychologen Henry Puharich organisiert wurde, aber insgesamt kam er hier anscheinend endlich etwas zur Ruhe. Der maßgebliche Grund dafür war seine Schwiegertochter Ellen, zu der Aldous und Maria von Anbeginn eine herzliche Beziehung gehabt hatten. Bei Alltagsverrichtungen, beim Einkaufen, auf langen Spaziergängen, Autoausflügen und in Gesprächen über das Essen, das Wetter und vor allem die Kinder verlebten die beiden schüchternen Menschen Wochen außergewöhnlicher Nähe. Aldous fand dabei nicht nur Gelegenheit, sich mit dem Verlust Marias und ihrer Bedeutung für sein Leben auseinanderzusetzen, sondern auch, bei Ellen vorsichtig vorzutasten, was sie davon hielte, wenn er sich wieder verheiraten würde. Das war – was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnte – nicht ins Blaue hineingesprochen. Auch Maria hatte vor ihrem Tod vorsichtige Vorkehrungen getroffen, dass Aldous nicht allein bleiben würde. Die Person, die dafür in Frage kam, war Laura Archera. Zufällig war Laura am 12.  Februar wenige Stunden vor Marias Tod zurückgekehrt, ohne von deren Zustand zu wissen. Als sie von Marias Tod gehört hatte, meldete sie sich sofort bei Aldous, und die beiden sahen sich in den darauffolgenden Wochen häufiger, bevor Aldous mit Rose nach New York aufbrach. Mit Laura konnte Aldous über Maria reden. Und Laura konnte sehen, wie Aldous versuchte, die Philosophie, die er Maria auf dem Sterbebett mitgegeben hatte, auch für sich selbst in die Tat umzusetzen: loslassen, sich nicht an die Vergangenheit, den Schmerz, den Kummer klammern. In der Gegenwart leben, das Bewusstsein auf das Hier und Jetzt lenken. Auch Laura gegenüber sprach er von der Amputation, die Marias Verlust für ihn bedeutete, und manchmal versank er in niedergeschlagenes Schweigen. 248

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In New York sahen Aldous und Laura sich noch einmal für einige Tage. Nach seiner Rückkehr nach Los Angeles im September setzten sie ihre Treffen fort. Zunächst arbeitete er konzentriert und quasi in Klausur weiter an der Bühnenfassung von Das Genie und die Göttin, an Artikeln für den Esquire, und brachte Himmel und Hölle zu Ende, das im folgenden Februar erscheinen sollte. Tagsüber war er viel alleine, aber die Abende verbrachte er bei den Strawinskys, den Kiskaddens, bei Eva Herrmann und Betty Wendel und ihrem Mann. An den Abenden, wo er nicht irgendwo zu Gast war, kam Laura und die beiden redeten über Gott und die Welt und insbesondere über Lauras psychotherapeutische Ansätze. Sie hörten Musik und kochten zusammen, wenn Marias bretonische Köchin Marie Le Put nichts vorbereitet hatte. Schließlich unternahm Aldous im Oktober 1955 sein drittes Meskalinexperiment mit Laura als Beobachterin. Sie hatte bislang keinerlei Erfahrung mit psychedelischen Drogen und es war dies ihr erstes Mal als Begleiterin. Sie sollte diese Funktion in den folgenden Jahren, auch nach Huxleys Tod, bei verschiedenen Freunden und als Teil ihres psychotherapeutischen Ansatzes einnehmen. Nach Monaten dieser wachsenden Intimität hatte Aldous offenbar starke Gefühle für Laura entwickelt. Laura war ganz anders als Maria. Sie war eigenständig, eigenwillig und hatte nie mit dem Gedanken gespielt zu heiraten oder eine Familie zu gründen. Die Rolle der fürsorglichen Unterstützerin, die Maria all die Jahrzehnte für Aldous übernommen hatte, lag ihr überhaupt nicht. Das war Aldous auch klar und interessierte ihn nicht. Als er sie in seiner typisch umständlichen Art fragte, ob sie jemals versucht gewesen wäre zu heiraten, löste das bei Laura zunächst Angst vor dem Verlust des höchsten Guts, ihrer persönlichen Freiheit, aus. Angesichts der besonderen Vertrautheit, die sich zwischen den beiden entwickelt hatte, sagte sie aber nach einigem Überlegen: »Es scheint logisch.« In der Dokumentation Huxley on Huxley fügte sie vor laufender Kamera schelmisch hinzu: »Und Aldous wusste seitdem meine Logik immer zu schätzen.« Im März 1956 setzten sich die beiden ohne Vorwarnung nach Yuma, Arizona, ab, um dort in der Drive-in Wedding Chapel spon249

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tan zu heiraten – eine typisch impulsive Idee Huxleys, bei der sein Hang zum Unkonventionellen und Unfeierlichen Resonanz bei Laura fand. Im Gegensatz zu Familie und Freunden hatte die Presse von der Aktion Wind gekriegt, und bevor die Briefe, die Aldous am selben Tag noch geschrieben hatte, ihre Ziele erreichen konnten, erfuhren die Freunde und Matthew es aus Radio und Zeitung: »Schriftsteller Huxley heiratet Violinistin«. Besonders Matthew war gekränkt, auf diese Art von der Nachricht überrascht zu werden. Neben den endlosen Überarbeitungen des Bühnentexts von Das Genie und die Göttin sowie zwei Vorträgen im Hollywood Temple der Vedanta Society im April und November hatte Aldous im Oktober 1955 eine Einführung für eines von Robert Crafts Montagabendkonzerten an der Southern California Chamber Music Society vorbereitet, die zu einem langen Essay werden sollte: »Gesualdo: Variations on a Musical Theme«. Der Essay erschien in Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow (1956) und wurde auch auf der Plattenhülle von »Aldous Huxley Presents the Madrigals of Gesualdo« abgedruckt. Die Vorderseite zeigte ein Foto von Huxley. »Das ist wahrscheinlich das erste Mal in der Geschichte der Langspielplatte, dass der Verfasser des Begleittextes auf dem Coverfoto abgebildet ist«, schrieb der Saturday Review. Der Essay, zusammen mit Crafts und Strawinskys Einspielungen, läutete eine Gesualdo-Renaissance ein, ähnlich wie Huxleys Essay »The Best Picture« aus Along the Road (1925) den übersehenen Maler Piero della Francesca ins Licht der Kunstgeschichte gerückt hatte. Nach Aldous’ Vortragstour nach Lexington, Kentucky, Washington und Baltimore zog das frischvermählte Paar Aldous und Laura im Juli 1956 in ein neues Domizil im Deronda Drive, direkt unter dem »Hollywood«-Schriftzug in den Hollywood Hills. Das Jahr füllte sich mit Artikeln für den Esquire, ernsthafterer Arbeit an Eiland, einer Musical-Version von Schöne neue Welt und nicht enden wollenden Überarbeitungen von Das Genie und die Göttin. Im Oktober hatte Huxley noch dicht gestaffelte Termine in seinem Kalender. Erst ging es mit einem Vortrag zur »History of Tension« nach New York, kaum zurück in Los Angeles dann gleich weiter nach 250

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Aldous Huxley auf der Plattenhülle von Gesualdos ­Madrigalen

St. Louis zu einem Seminar zum Thema »menschliche Potenziale«. Der Begriff human potentials oder human potentialities begann jetzt, eine zentrale Rolle für ihn zu spielen. Auf St. Louis folgte in Los Angeles direkt ein Fern­seh­auf­tritt zusammen mit Gerald Heard. Ebenfalls im Oktober erschien Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow. Neben seiner Arbeit an den Essays für den Esquire versuchte sich Huxley Ende des Jahres an einem weiteren Bühnenprojekt: einer Musical-Version von Schöne neue Welt. Allerdings wollte er kein herkömmliches Musical à la Oklahoma!, sondern ein »Stück mit Musik«. Welche Art von Musiktheater ihm vorschwebte, zeigte die Wahl der Komponisten, die er sich wünschte. Er ließ im März 1957 über Robert Craft den »Maestro« Strawinsky für die Musik anfragen und schrieb kurz darauf an Leonard Bernstein, der zu dieser Zeit allerdings mit der Premiere der West Side Story und anderen Verpflichtungen alle Hände voll zu tun hatte. Weder von Strawinsky noch von Bernstein ist eine Antwort überliefert. Das »Stück mit Musik« wurde nie produziert und erst 2004 im Aldous Huxley Annual veröffentlicht. 251

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In der Zwischenzeit zerschlugen sich auch andere Filmprojekte wie eine Dokumentation zum Überbevölkerungsproblem, die zusammen mit Bill Kiskadden, Bevölkerungsexperte Harrison Brown vom California Institute of Technology, Julian Huxley und Okla­ homa!-Erfolgsregisseur Fred Zinnemann geplant wurde. Zu Aldous’ großem Bedauern ließ der Esquire im Februar 1957 seine Essayreihe auslaufen, weil die Zeitschrift ihr Format änderte – Bilder und Text mussten im gleichen Verhältnis die Seiten füllen. So ein bequemes und gut bezahltes Podium werde ihm wahrscheinlich nicht noch mal geboten, seufzte Aldous in einem Brief an Osmond. Die größte künstlerische Katastrophe hielt das Jahr allerdings noch für ihn in petto. Der Ablauf der Ereignisse war für Huxley so zermürbend und niederschmetternd, dass er im Nachhinein ein kleines Memorandum unter dem Titel »Postscript to a Misadventure« (Nachwort zu einem Missgeschick) verfasste. Nachdem er im Frühjahr in Stanford Vorlesungen über kreatives Schreiben (»was immer das sein soll«) gehalten hatte und nach einem Abstecher zu Matthew und Ellen in Washington und New Hampshire gesprochen hatte, traf er sich im Juli mit Betty wegen neuer Entwicklungen in Bezug auf das Stück Das Genie und die Göttin. Da ahnte er noch nicht, dass es ein langer, harter Sommer werden würde – bis in den November –, der ihn fast an den Rand seiner Kräfte bringen sollte. In den letzten zwei Jahren waren Produzenten und Regisseure gekommen und gegangen, und Betty und Aldous waren zu immer neuen Änderungen genötigt worden. Mittlerweile hatte der Produzent hinter ihrem Rücken einen weiteren Schreiber engagiert, der das Drama nach Huxleys Auffassung in ein aalglattes Stück von durchschnittlicher Handwerklichkeit verwandelt hatte – ohne Tiefe und mit einem schwachen, kitschigen Ende. Wieder einmal, so Aldous, habe er den Fehler gemacht, den Experten zu glauben, dass die neue Fassung besser, kommerzieller, bühnengerechter sei. Den heißen Sommer 1957 verbrachten Aldous und Betty in New York damit, der neuen Version wieder etwas Leben einzuhauchen. Eines Nachmittags, als Betty den Autor in seinem Hotel aufsuchte, wurde sie von der aufgeregten Hotelmanagerin abgefangen: »Mr. Huxley ist 252

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auf dem Dach – und er sollte da herunterkommen.« Tatsächlich fand sie Aldous in der Sommerhitze auf dem typischen Teerpappe-Flachdach der New Yorker Hochhäuser, umgeben von Wäscheleinen und Liegestühlen. Er stand barfüßig und in einem leichten Sommer­ anzug in der gleißenden Sonne, und schlenkerte langsam mit seinen langen Armen, während er sich um seine eigene Achse drehte. »Aldous!« Ohne seine Routine zu unterbrechen antwortete Huxley: »Dieser verdammte Anzug wird nicht trocken. Ich habe ihn unter der Dusche gewaschen und bin dann nach hier oben getrabt. Auf dem Etikett steht ›Waschen und nass aufhängen‹. Der einzige andere Anzug, den ich für diese verdammte Hitze habe, ist in der Reinigung.« (Bedford II, S. 230)

Diese Szene, die auch von Hitchcock für James Stewart hätte ausgedacht sein können, ist symptomatisch für die absurde und gereizte Spannung, die sich während dieser langen heißen Monate in New York entwickelt hatte. Schließlich kam ein neuer Regisseur ins Spiel, Richard Whorf, Schauspieler wurden gefunden, und im Oktober konnten überraschend die Proben beginnen. Allerdings hatte es erneut Änderungen gegeben, die in erster Linie aus drastischen Kürzungen bestanden. Am 13.  November 1957 fand eine erste Premiere in New Haven, Connecticut, statt, eine Woche später lief das Stück in Philadelphia an. Ohne Wissen von Betty und Aldous hatte es schon für die Aufführung in New Haven weitere Eingriffe gegeben; Text wurde geändert, eine Szene hinzugefügt. Während die so verstümmelte Fassung von Philadelphia nach Boston wanderte, verfasste Huxley auf juristischen Ratschlag hin ein Schreiben an den Produzenten Courtney Burr, in dem er ihn auffordert, Betty Wendel die Spielfassung abnehmen zu lassen. Burr nahm die nicht autorisierten Änderungen vor Ende der Laufzeit in Boston wieder heraus, fügte aber stattdessen Szenen ein, gegen die Aldous und Betty schon während der Proben ihr Veto eingelegt hatten. Aldous forderte Burr auf, seinen und Betty Wendels Namen aus der Produktion zu entfernen, und kehrte resigniert nach Kalifornien zurück. Im Dezember lief das Stück für fünf 253

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Aufführungen am Broadway – mit Aldous’ und Bettys Namen auf dem Plakat. Helen Harvey, die für die Morris-Agentur die Stückrechte vertrat, bestätigte Aldous’ späte Erkenntnis: »Die Produktion war wirklich entsetzlich. Viele der Beteiligten waren so inkompetent und ineffizient, wie es im Theater üblich ist, und Aldous Huxley konnte einfach nicht glauben, dass diese Profis wirklich keine Ahnung hatten, was sie taten!« (Bedford II, S. 233) Die deutsche Fassung in der Übertragung von Huxleys Stamm­ übersetzer Herberth E. Herlitschka, mit dem er in engem persönlichen Kontakt stand, hatte mehr Glück und Erfolg und wurde gleich nach der Übertragung 1959 von Walter Rilla mit Martin Benrath, Albrecht Schoenhals und anderen für den SWR verfilmt. Auch im australischen Fernsehen wurde das Stück in der von Huxley und Wendel autorisierten Fassung gezeigt. Gedruckt gibt es diese Fassung erst seit 2005 im Aldous Huxley Annual 4.

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Richtung Utopia

Liebe und Arbeit: Professor auf Reisen und eine Utopie (1958–1963) Richtung Utopia Die kalifornische Küste von Los Angeles bis hinauf zu Big Sur ist Huxley-Landschaft. Wenn man vom damaligen Haus der Huxleys in den Hollywood Hills Los Angeles zunächst Richtung Westen verlässt und der Küste nach Norden folgt, kann man bei Ventura zunächst wieder ins Landesinnere abbiegen, nach Ojai, in das Tal, wo Jiddu Krishnamurti lebte und wo die Happy Valley School steht. Folgt man weiter der Küste, ist der nächste Stopp Santa Barbara, wo Huxley 1959 seine berühmten Vorlesungen zur Situation der Menschheit halten würde. Dann geht es weiter die Küste hinauf, durch San Luis Obispo bis zum Hearst Castle, das in den Hügeln über San Simeon liegt und Vorlage für die erstaunlichen Schlösser in Huxleys Nach vielen Sommern und Orson Welles’ Citizen Kane war. Fährt man weiter auf dem Cabrillo Highway, verwandelt sich die Küstenstrecke zwischen Los Angeles und San Francisco in ihren berühmtesten Abschnitt: Big Sur. Etwa 60 Kilometer vor Carmel und Monterey stößt man an diesem spektakulären Stück Küste auf das Esalen-Institut, das Huxley mit auf den Weg brachte. Die beiden Stanford-Absolventen und Gründer Michael Murphy und Richard »Dick« Price hatten sich von Gerald Heards Trabuco College inspirieren lassen. So wie Trabuco sollte Esalen ein quasi monastischer Seminarbetrieb sein, aber dabei mehr als ein religionsübergreifendes Meditationszentrum. Im Titel seiner umfassenden Esalen-Geschichte benannte der Philosoph Jeffrey Kripal das Programm, das bald auch Einfluss auf mehrere spirituelle Umbruchsbewegungen im Amerika der 1960er- und 1970er-Jahre haben sollte: 255

Liebe und Arbeit: Professor auf Reisen und eine Utopie

»Die Religion der Nicht-Religion«. Allgemeines Ziel des Instituts war es, die Möglichkeiten menschlicher Bewusstseinserweiterung zu erforschen. Auf der Grundlage von Abraham Maslows humanistischer Psychologie und Idee der Selbstverwirklichung hatte Huxley mit seinen Schriften und Vorlesungen zu den unausgeschöpften psychischen und intellektuellen Potenzialen des Menschen (human potentialities) das Leitbild für dieses wissenschaftliche Zentrum geliefert. Das Programm war weit gefächert von Gestaltpsychologie bis zu Quantenphysik. Dementsprechend beeindruckend sieht auch die Liste der Gastdozenten aus, die über die Jahre dort unterrichten sollten: Künstler und Schriftsteller wie Ansel Adams, Joan Baez, Susan Sontag, Ray Bradbury, Ken Kesey und der Musiker Fred Frith, die Physiker Richard Feynman und Fritjof Capra sowie die wichtigen Pioniere der humanistischen und Gestaltpsychologie wie Gregory Bateson, Abraham Maslow, Fritz Perls, Carl Rogers und Stanislav Grof. Zu den ersten Dozenten gehörten Aldous Huxley und seine Freunde Linus Pauling, Humphry Osmond, J. B. Rhine, Huston Smith, Alan Watts und Albert Hofmann. Auch Huxleys intellektueller Kreis hatte sich immer mehr in alle Richtungen erweitert und besonders jüngere Adepten angezogen. Anfang 1950 war der Psychologe Milton Erickson mit Huxley in Kontakt getreten und hatte hie und da an den »North Kings Dienstagen« teilgenommen. Er veröffentlichte seine Beobachtungen während eines gemeinsamen Hypnoseexperiments unter dem Titel »A Special Inquiry with Aldous Huxley Into the Nature of Various ­States of Consciousness« (1965). Ericksons (hypno-)therapeutischer Ansatz sollte einige wichtige therapeutische Schulen wie unter anderem Paul Watzlawick und die sogenannte Palo-Alto-Gruppe beeinflussen, deren Grundlage die systemisch-kybernetischen Ideen von Gregory Bateson waren. Auch Huxley interessierte sich neben Hypnose, humanistischen und gestaltpsychologischen Ansätzen außerordentlich für Bateson, Ludwig von Bertalanffys Systemtheorie und Gardner Murphys »Human Potentialities«. Mit den meisten dieser Theoretiker hatte er auch persönlich Kontakt. 256

Ein »historisches Gebäude« auf Tournee

Aus der jüngeren Generation sollten besonders Alan Watts und Huston Smith nach Huxleys Tod seine Ideen der philosophia perennis hochhalten. Watts war Dekan der American Academy of Asian Studies und spielte nicht nur eine entscheidende Rolle in der psychedelischen Bewegung, sondern war auch eine treibende Kraft in der Popularisierung östlicher Philosophie, insbesondere von Taoismus und Zen, in Amerika. Er machte Huxley mit Daitetz Suzuki bekannt, dem einflussreichsten Lehrer von östlicher Mystik und Zen in seiner Zeit. Huston Smith war begeisterter Huxley-Anhänger und hatte als junger Religionsphilosoph Gerald Heard in Trabuco aufgesucht, wo er auch Huxley kennengelernt hatte. Diese konzentrierte Entwicklung hin zu einer gangbaren Utopie, die 1962 in der Gründung von Esalen und der Veröffentlichung von Huxleys letztem Roman Eiland gipfeln sollte, begann bereits Ende der 1950er-Jahre.

Ein »historisches Gebäude« auf Tournee Als hätte das äußerst unerquickliche »Missgeschick« mit der New Yorker Produktion von Das Genie und die Göttin Marias Vorahnung endgültig bestätigt, begann nun eine Periode, in der Huxley neben Tantiemen praktisch nur noch von seinen Essays und von Vorträgen lebte. Eingeläutet wurde dies durch eine Reihe von Artikeln über die enemies of freedom, die im Sommer 1958 als Sonderbeilage der Zeitschrift Newsday unter dem Titel Tyranny Over the Mind erschien. Im Herbst wurden sie in überarbeiteter Fassung als Brave New World Revisited (dt. Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt) publiziert. Bereits im gleichnamigen Esquire-Essay von 1956 und im Vorwort zur Ausgabe von Brave New World von 1946 hatte Huxley die wichtigsten sozialen Implikationen seiner Zukunftsvision von 1932 noch einmal unter die Lupe genommen. Die Feinde der Freiheit, die er in Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt ins Visier nahm, waren die Probleme der Überbevölkerung und der Überorganisation sowie Formen klassischer und moderner Propaganda, wie insbesondere die subtilen und einflussreichen Methoden der Fernsehwerbung, die 257

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in dem gerade erschienenen Buch Die geheimen Verführer (1957, dt. 1958) von Vance Packard untersucht wurden. Zentral waren die Technologien der psychologischen Kontrolle, welche Regierungen zur Verfügung stehen. Das Thema mind control war die Blaupause für Huxleys Vorträge und Fernsehauftritte, die in den nächsten Jahren folgen sollten. Zu Zeiten der Paranoia des Kalten Krieges traf dieses Thema offenbar einen Nerv. Allein 1958 trat Huxley in mindestens fünf Fernsehsendungen auf, obwohl er den Großteil des Jahres sowieso schon auf Achse war. Auch in den darauffolgenden Jahren waren renommierte Journalisten interessiert daran, den prominenten Intellektuellen und Schriftsteller zu Lebenswerk und aktueller Zeitkritik zu befragen – sei es in den Hollywood Hills oder bei seinen Aufenthalten in London. Für das kanadische Fernsehen gab er gar ein Interview in perfektem und elegantem Französisch, und Starjournalist Alistair Cooke (»Letter from America«) stellte fest, als er die Brüder Julian und Aldous gemeinsam erlebte, dass beide zusammen wohl »so ziemlich« alles wüssten. Auch im deutschen Fernsehen war Huxley zu sehen. Für den NDR nahm der Physiker Heinz Haber 1962 in San Francisco ein langes Interview mit Huxley auf, das 1963 als »Wiedersehen mit der Wackeren neuen Welt« ausgestrahlt wurde. (2013 wurde es zum 50. Todestag unter dem irreführenden Titel »Aldous Huxley – Ein Porträt« wiederholt.) Haber – quasi der Urvater solcher Wissenschaftspopularisierer im deutschen Fernsehen wie Hoimar von Ditfurth oder Harald Lesch – kannte Huxley von der University of California, wo er Anfang der 1950er-Jahre eine Privatdozentur innegehabt hatte. In der Erstausgabe des 1964 von ihm begründeten populären Magazins Bild der Wissenschaft war Huxley mit dem Artikel »Die wissenschaftliche Diktatur« vertreten. Viele Interviews mit Huxley sind heutzutage im Internet auf YouTube beziehungsweise auf den Webseiten der Fernsehsender zu finden. Bevor es von Juli bis Dezember 1958 wieder auf große Reise ging, konnte Aldous sich für den Rest des Frühjahrs wieder seinem utopischen Romanprojekt Eiland widmen. Auf Einladung der brasilianischen Regierung reisten Aldous und Laura Ende Juli zunächst (über 258

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Mexiko und Peru) nach Brasilien. Wenn sein Besuch in Peru schon Aufmerksamkeit auf sich zog – sein Vortrag zu den Themen von Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt und Interviews füllten die Zeitungen –, dann sollte es Huxley in Brasilien erst recht zu viel werden. Ein offizieller Empfang jagte den nächsten, Journalisten folgten ihm auf Schritt und Tritt, drei Tageszeitungen berichteten, in einer gab es eine tägliche Kolumne. Aldous fühlte sich, als wäre er »der schiefe Turm von Pisa« (Letters, S. 858): »Man behandelt mich zwar mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit hier, aber auch ein bisschen wie ein historisches Gebäude.« (SL, S. 467) Die amerikanische Dichterin Elisabeth Bishop sollte ihn für einen langen Artikel bei einem Teil seines Programms begleiten. Sie war von seiner Erscheinung beeindruckt, fand ihn aber zu kühl und passiv und dadurch etwas anstrengend. Aldous war wahrscheinlich distanzierter als gewöhnlich, da er sich im nasskalten Winter von Lima verkühlt hatte und wieder einmal gesundheitlich angeschlagen war. Nach einem Empfang bei Präsident Juscelino Kubitschek in Rio de Janeiro folgten São Paulo, Belo Horizonte und weitere Stationen, schließlich die neue Hauptstadt Brasília, wo Huxley einen ihrer Architekten, Oscar Niemeyer, traf. Am Ende standen Salvador in Bahia und ein Besuch bei dem brasilianischen Schriftsteller Gilberto Freyre in Recife auf dem Programm; mit Freyre stellte Huxley in einem veröffentlichten Dialog eine enge Geistesverwandtschaft fest. Die lokale Presse äußerte Bedenken darüber, dass man Huxley, diese »kostbarste Blüte englischer Kultur«, in eine Favela führte, wo er einem Candomblé beiwohte. Huxley hingegen war beeindruckt: Das Voodoo-Ritual ließ ihn die korybantischen Ritualtänze des antiken Griechenland besser verstehen. Plötzlich sah er live, wovon er nur in alten Büchern gelesen hatte – »bis hin zu den Gesten«. Für Laura war der Höhepunkt dieser Reise der Besuch bei einer Indianerstation am Oberlauf des Río Xingu, mitten im Dschungel von Matto Grosso, worüber die lokale Presse unter dem Titel »Der Weise unter den Wilden« berichtete. Laura war glücklich darüber, mit ihrer neuen Polaroidkamera Bilder von den sympathischen Uiala­piti aufnehmen zu können, die großen Spaß dabei hatten. Einer 259

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der drei Brüder, die erfolgreich dieses Projekt zum Schutz der Xingu-­ Indianer betrieben, Cláudio Villas Bôas, kam aus dem Dschungel und wurde dem Besuch vorgestellt. Der Anthropologe konnte seinen Ohren nicht trauen: »Ushley? Der Ushley? … Contraponto?« Stand hier wirklich der Mann vor ihm, der Kontrapunkt des Lebens geschrieben hatte? Freudentränen standen Villas Bôas in den Augen, als er Aldous bei der Hand nahm, um im kühlen Schatten einer der Hütten mit rauer Stimme erregt auf den berühmten Autor einzureden, als habe er seit langer Zeit auf diese Gelegenheit gewartet. Die Rührung beruhte auf Gegenseitigkeit. Dass sein Name noch in den äußersten Winkeln des Amazonas solche Gefühlswallungen erzeugen konnte, war für Huxley eine der außerordentlichsten Ehrenbezeugungen. Nach Aufenthalten in Lissabon und Lauras Heimat Italien war Huxley im Oktober wieder einmal in London. Seit Neujahr war sein Bruder Julian nicht mehr »Professor Huxley«, sondern »Sir Julian« – er war von der Königin zum Ritter geadelt worden. Zum nächsten Neujahr war auch Aldous für diese Ehrung vorgesehen; aber er lehnte unter dem Vorwand, dass er ja nicht mehr im Commonwealth residiere, höflich ab. Inoffiziell waren Laura und Aldous sich allerdings darin einig, dass die Ansprachen »Sir Aldous« und »Lady Laura« nicht zu ihrem Lebensstil passten. Darüber hinaus wollte Aldous offenbar auch nicht Julians Ruhm durch einen ebenbürtigen Titel schmälern.

Mann ohne Vergangenheit Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt mit seiner Thematisierung der Bedrohung von Freiheit und Demokratie zog Fernsehauftritte, Vorträge und zuletzt auch eine erfolgreiche Vorlesungsreise durch Italien nach sich. Für die erste der nun folgenden Gastprofessuren spannte Huxley den Bogen noch weiter als in seinem Buch. In seiner Vorlesungsreihe zur menschlichen Situation (»The Human Situation«) 1959/60 an der Universität von Santa Barbara versuchte er, im Überblick eine aktualisierte Synthese seiner Anthropologie von Ziele 260

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und Wege über Die Ewige Philosophie bis hin zu den Feinden der Freiheit zu entwerfen. In einem Brief an Matthew umriss er das Programm. Zuerst wolle er über die biologischen Grundlagen sprechen: den Zustand des Planeten, das Bevölkerungsproblem, das Verhältnis von genetischem Erbgut und Umweltfaktoren. Dann werde der Fokus auf den »alles bestimmenden Faktor moderner Zivilisation« gelenkt, den Einfluss neuer Technologien auf die soziale und politische Ordnung in allen menschlichen Bereichen. Und schließlich werde er über das Individuum sprechen und Überlegungen zur bestmöglichen Verwirklichung von dessen Potenzialen anstellen. Huxley war über die Jahre mit zunehmender Häufigkeit immer wieder zu Gastvorträgen eingeladen worden. Jetzt bekam er aber Aufforderungen, eine ganze Semesterreihe, häufig mit begleitendem Seminar, zu gestalten. Die Lehre war keine Fertigkeit, die er sich leicht angeeignet hatte, aber er hatte begonnen, seinen eigenen Stil zu entwickeln. Laura beschrieb seinen Konversationsstil in den Seminaren als eine Art persönliches Gespräch. Nicht nur bei den Studierenden waren Huxleys Vorträge und Seminare beliebt; auch Lehrende der Institutionen füllten die Hörsäle und kamen zum Teil sogar von auswärts. Dank der kalifornischen Sonne hatte sich Aldous Anfang des Jahres 1959 von den Folgen der venezianischen Grippe gut erholt. Neben seinen Vorbereitungen für Santa Barbara brauchte er jetzt seine Kräfte, um Matthew zu unterstützen, der in einer Ehekrise steckte. Aldous war sich mit Freunden wie Eileen Garrett und Humphry Osmond, bei denen er Rat einholte, darin einig, dass Matthews und Ellens Temperamente einfach zu unterschiedlich waren. Matthew nahm die folgende Trennung zunächst sehr schwer, aber mit Aldous’ Zuspruch begann er, seine Lage langsam zu akzeptieren. Für den größten Teil des Jahres wurde Aldous aber von Vorlesung und Seminar in Santa Barbara beansprucht. Er hatte zwar schon viel Arbeit in die Vorbereitungen gesteckt, da er möglichst frei vortragen und nicht ablesen wollte, aber offenbar belegten ihn seine Studierenden so sehr mit Beschlag, dass er kurz vor Ende des Frühjahrssemesters davor stand, seine Stimme zu verlieren. 261

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Laura und Aldous 1959 auf der Terrasse ihres Hauses in den Hollywood Hills

Mit seiner Vorlesungsochsentour schien Huxley denjenigen recht zu geben, die in ihm besonders in seinen späten Jahren eher einen Essayisten und Intellektuellen als einen Romancier sehen. Darüber hinaus erschien im August ein gut edierter Band seiner Collected Essays. Allerdings gab es in Literatenkreisen auch weiterhin einen harten Kern, der Huxleys Romanwerk als eine der herausragenden literarischen Leistungen des 20. Jahrhunderts betrachtete. So wurde er zum wiederholten Male (nach 1938, 1939 und 1955) auch 1959 für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Im Mai reiste Huxley nach New York, um den Award of Merit in der Kategorie »Roman« von der American Academy of Arts and Letters entgegenzunehmen. Dieser Preis war eine besondere Ehre, da er nur alle fünf Jahre verliehen wurde. Huxley war der vierte Preisträger nach Theodore Dreiser, Thomas Mann und Ernest Hemingway. Der außerordentliche Erfolg der Santa-Barbara-Vorlesungen hatte sich bereits im April so weit herumgesprochen, dass Huxley sich vor weiteren Einladungen nicht zu retten wusste: »Wenn ich jede dieser 262

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Einladungen annehmen würde, die gerade hereinflattern, müsste ich für die nächsten zwei Jahre non-stop reden«, schrieb er im April 1959 an Matthew. Und so füllte sich auch 1960 Huxleys Kalender mit Gastprofessuren und Vorträgen. Das erste Engagement führte ihn in das damalige amerikanische Mekka der Psychoanalyse, an die Menninger Foundation in Topeka, Kansas. Eigentlich hätte er dieses Sanktuarium des Freudianismus meiden müssen wie der Teufel das Weihwasser. Schon bei seinem ersten Treffen mit Humphry Osmond während des Psychiaterkongresses 1953 in L. A. hatte Huxley sich – sehr zum Vergnügen von Osmond – jedesmal bekreuzigt, wenn der Name Freud gefallen war. Auch jetzt fand er in Topeka zwar »vieles Interessante und Bewundernswerte, aber auch einiges, worüber ich nur verständnislos den Kopf schütteln kann« (Letters, S. 888), wie er in einem Brief an seine Schwägerin Juliette Huxley schrieb. Darin bringt er auch seine Grundkritik am Freudschen Ansatz auf den Punkt: Im Gegensatz zu den normalen Patienten würden Privatpatienten hier im Menninger-Krankenhaus ausschließlich »gediegen freudianisch behandelt, als hätten sie keinen Körper – abgesehen von Mündern und Anussen« – und als könnte man sie von ihren Beschwerden allein mit Psychologie befreien, »und dann nur mit einer nicht allzu realistischen Sorte«. Aldous hatte von jeher den psychologischen Ansatz des Freud-­ Schülers Carl Gustav Jung bevorzugt, der sich von seinem Meister getrennt hatte, weil er dessen Psychologie zu sexualfixiert fand. An der Behandlung der Normalpatienten im Menninger-Krankenhaus gefiel Huxley die Umsetzung seines eigenen ganzheitlichen Ansatzes. Er wurde nicht müde zu betonen, dass komplexe Probleme niemals durch nur ein Hilfsmittel beseitigt werden können, sondern von allen Seiten zugleich angegangen werden müssen. Darin war er sich auch mit Laura einig, die genau diese Einsicht in ihrer psychotherapeutischen Praxis umsetzte. Der multimethodische Ansatz war individuell anpassbar und schloss von Ernährung über Gymnastik, Meditation und psychologische Methoden bis hin zu psychoaktiven Drogen alles ein, was das therapeutische Kochbuch zu bieten hatte und Erfolge zeigte. 263

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Darüber hinaus – so sollte er im kommenden Jahr in einem langen Interview in London präzisieren – werde es immer offensichtlicher, dass bei schweren psychischen Erkrankungen organische Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Neurologie und Biochemie würden die Psychotherapie von grundauf verändern, und wünschenswert sei ein »totaler organischer Ansatz«. Bündig fasst Huxley sein Credo zusammen: »Menschen sind multiple Amphibien, die in ungefähr zwanzig verschiedenen Welten gleichzeitig leben. Wenn irgendetwas geschehen soll, damit sie mehr Freude am Leben und bessere Möglichkeiten haben, ihre wünschenswerten Potenziale zu verwirklichen, gesünder leben, die Beziehungen zu ihren Mitmenschen besser gestalten, ethischer leben, müssen wir an allen Fronten zugleich angreifen.« (Bedford II, S. 260)

Huxley war als Gastprofessor ohne spezifische Aufgaben an die Menninger Foundation eingeladen worden und hatte angeboten ein paar Vorlesungen zu psychologischen Themen und ein Seminar zum Schreiben von Fallgeschichten zu halten. Nach seinen sechs Wochen in Topeka folgten weitere Vorträge, unter anderem in Berkeley, am Idaho State College und an der Universität von Arizona. Im Mai 1960 ließ Huxley eine kleine Verhärtung unter seiner Zunge untersuchen, die schmerzte und ihn beim Essen störte. Anscheinend hatte er sich bereits in der Menninger Foundation von einem Zahnarzt erfolglos behandeln lassen. Jetzt ging er in Begleitung von Laura ins Krankenhaus und ließ eine Gewebeprobe entnehmen. Der Befund war niederschmetternd: Krebs. Mit zitternden Händen malten ihm die Chirurgen den aus ihrer Sicht notwendigen Eingriff auf: Ein Drittel oder gar die Hälfte der Zunge müsse entfernt werden. Aldous und Laura verstanden schlagartig, was das bedeutete: Aldous würde wahrscheinlich nie wieder richtig sprechen können – ausgerechnet jetzt, wo er damit einen Großteil seines Lebensunterhalts sicherte. Ohne auf die Rückkehr der Ärzte zu warten, reichte Laura ihrem Mann seine Kleider und sagte: »Nichts wie raus hier«. Aldous sah, dass sie vor Wut kochte, und lächelte. »Wir sollen das Hasenpanier ergreifen?« 264

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Nachdem sie sich unter den Protesten der Krankenschwestern an der Rezeption vorbei schnell in den Fahrstuhl geflüchtet hatten, war die nächste Station der angesehene Onkologe Max Cutler, von dem Laura und Aldous viel hielten. Aldous hatte ihn bereits in der Endphase von Marias Krankheit konsultiert. Cutler war kein Freund von radikalen chirurgischen Eingriffen. Er empfahl die Behandlung mit Radiumnadeln, der sich Huxley im Verlauf des Sommers auch unterzog. Bereits im August war er beschwerdefrei. Huston Smith hatte es geschafft, Aldous an das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge zu lotsen. Dort hielt er von September bis November sechs Vorträge unter dem Shakespear’schen Motto »What a Piece of Work is Man?« Darin versuchte er, ein umfassendes Bild der verschiedenen Welten zu liefern, in denen die »mehrfache Amphibie« Mensch lebe: die Welt unmittelbarer Erfahrung, die Welt der Symbole, die private und die soziale Welt, die Welt der Vernunft und die des Instinkts, die Welt des Körpers und die des Geistes, die des Bewusstseins und die des Unbewussten. 1961 sollte wieder ein Reisejahr werden. Im Januar verbrachten Aldous und Laura eine Woche auf Hawaii, um sich die Inseln anzugucken, die er lange nicht mehr besucht hatte. Als »Vorwand« diente ihnen die Verpflichtung, »ein paar Vorträge« in Honolulu halten zu müssen, wie Huxley es ausdrückte. Aldous war beeindruckt von einem der Vulkane und den Regenwäldern. Nur die hawaiianische Musik, die überall und permanent dudelte sowie die amerikanischen Touristen in Hawaiihemden und Shorts und mit Kamera um den Hals gaben der Schönheit einen Dämpfer. Von Hawaii ging es gleich weiter nach San Francisco zu einer Konferenz zum Thema mind control (Manipulation des Denkens), für die er im Vorfeld auch für das Fernsehen interviewt wurde. Danach stattete er der psychiatrischen Klinik in Salem, Oregon, einen Besuch ab, weil ihn die Erfahrungen mit dem gerade eingeführten System einer offenen Klinik interessierten. Im April nahm Huxley an der einwöchigen Hundertjahrfeier des MIT teil, wo er einer der vielen illustren Vortragsgäste war und zum Thema nonverbale Erziehung sprach. 265

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Am 12. Mai 1961 entstand in den frühen Abendstunden eines der typischen Buschfeuer, unter denen Kalifornien und insbesondere Los Angeles periodisch zu leiden haben. Den Fernsehnachrichten zufolge wurde es von einem achtlosen Raucher ausgelöst. Von Griffith Park direkt östlich von Huxleys Haus hoch oben in den Holly­ wood Hills ausgehend und vom Wind angefacht, breitete es sich schnell auf eine Fläche von über 1300 Hektar aus und erreichte auch bald den Deronda Drive. Aldous saß an diesem Abend zu Hause und arbeitete an Eiland. Laura war gerade weiter unten im Canyon, um im Haus ihrer Freundin Ginny Pfeiffer nach dem Rechten zu sehen und die Katze zu füttern, als sie das Feuer bemerkte. Schnell holte sie Aldous mit dem Wagen zu sich, aber erst als sie zusammen neben Ginnys brennendem Haus standen, fiel beiden auf, dass auch ihr Haus in Gefahr war. Die Flammen kamen immer näher und die Straßen waren mittlerweile von der Polizei blockiert. Nur über Umwege gelangten sie zurück zu ihrem Haus. Aldous konnte noch das Manuskript von Eiland retten, aber Laura hatte eine seltsame Lähmung befallen. Wie hypnotisiert konnte sie nur in die Flammen starren – die ihr eigene Geistesgegenwart in Notsituationen hatte ausgesetzt. In seltsamer Trance ging sie durch das Haus, um sich von den Objekten zu verabschieden, ohne auch nur eines hinauszutragen. Aldous griff sich drei seiner Anzüge; während sie über die Versicherungssumme nachdachte, sah Laura ihre Guarnieri-Violine von 1705 bereits in den Flammen verschwinden. Schließlich nahm sie, noch immer benommen, das unersetzliche Stück sowie eine chine­ sische Por­zel­lan­skulp­tur aus der T’ang Dynastie und andere Kleinigkeiten mit. Polizei und Fernsehreporter waren eingetroffen, aber weit und breit keine Feuerwehr, denn die löschte woanders. Das Haus der Huxleys brannte bis auf den Boden nieder. In den Flammen verschwanden die 4000 Bücher seiner wertvollen Bibliothek, alle indiziert und annotiert, Thomas Henry Huxleys Erstausgabe von Voltaires Candide, Manuskripte von D. H. Lawrence und auch seine eigenen, darunter Kontrapunkt des Lebens, zwei Romanfragmente, sein Briefwechsel mit Maria, Marias ausführliche biografische Briefe 266

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Aldous und Laura (Bildmitte) in den Trümmern ihres abgebrannten Hauses

über Aldous an ihre Schwester Suzanne, die Huxley sich vor kurzer Zeit noch hatte für seine Memoiren schicken lassen, Briefe von Virginia Woolf, Lawrence, H. G. Wells, Paul Valéry und anderen Berühmtheiten, Notizbücher, Fotografien, der Briefwechsel mit Laura. Aldous erklärte nach dem Feuer in einem Brief an Matthew: »Ich bin jetzt ein Mann ohne Habseligkeiten und ohne Vergangenheit« (SL, S. 477). Und dem Freund Robert Hutchins von der Ford Foundation schrieb er: »Seltsam, in meinem Alter nochmal von vorne anfangen zu müssen […]. Offenbar war vorgesehen, dass ich ein wenig vor der letzten Entblößung noch lernen sollte, dass man nichts mit sich nehmen kann.« (Letters, S. 912).

Jake Zeitlin hatte kurz vor dem Brand damit begonnen, ein Inventar von Huxleys Schätzen zu erstellen, und die University of Texas hatte Interesse daran gezeigt, seine Manuskripte und literarische Korrespondenz anzukaufen. Jetzt hatte sich all das in den »dicken Ascheteppich« verwandelt, den Huxley – welch böse Ironie – 1947 in ei267

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nem Artikel mit dem Titel »If My Library Burned Tonight« mit Grauen vorausgeahnt hatte. In dem Artikel damals hatte er über seine wichtigsten Bücher schreiben sollen, die im Falle eines Brandes sofort ersetzt werden müssten. In der Gegenwart fanden sich jetzt tatsächlich sofort Freunde – allen voran die Broadway-Schauspielerin Lucille Kahn –, die sich in den nächsten Monaten darum bemühten, ihm einige seiner verlorengegangenen Bibliotheksbestände neu zu beschaffen. Das Magazin Time berichtete, dass »der fast blinde britische Autor« wie ein Kind geweint habe, als die endlich doch noch einge­ troffenen Feuerwehrleute ihn davon abhielten, ins Flammeninferno seines Hauses zurückzustürzen. Aldous fand einmal mehr sein ­ Misstrauen gegenüber dem fabulierenden Sensationsjournalismus bestätigt, sah sich diesmal allerdings genötigt, in einem ironischen Leserbrief den Sachverhalt richtig zu stellen. Innerlich war er durch dieses Ereignis aufgewühlt, aber nach außen zeigte er schicksalsergebene Stoik. Alle greifbare Verbindung mit der Vergangenheit hatte sich in Rauch und Asche verwandelt. »Eine interessante Herausforderung«, fand Huxley, mit der er hoffe, angemessen umgehen zu können (zit. in Bedford II, S. 279). Laura und einige Freunde bemerkten bei ihm in den nächsten Wochen eine besondere Niedergeschlagenheit. Als Sybille Bedford ihn zwei Monate später fragte, wie er es geschafft habe, einfach wieder von vorne zu beginnen, antwortete Aldous in seiner typisch trockenen Art (und zugleich wahrheitsgemäß): »Naja, ich bin losgezogen und hab mir eine Zahnbürste gekauft« (zit. in Bedford II, S. 282). Das gerettete Manuskript rettete in diesen Tagen seinerseits seinen Verfasser. Nach dem Feuer fand Huxley zunächst Unterschlupf bei Freunden in Santa Monica, wo er Eiland im Juni 1961 endlich abschließen konnte. Kontinuierlich hatte er an dem Roman, der ihm Schwierigkeiten wie kein zweiter bereitete, in den letzten fünf Jahren nicht arbeiten können. Nachdem der zermürbende Kampf um die Bühnenversion von Das Genie und die Göttin im Spätherbst 1957 sein niederschmetterndes Ende gefunden hatte, hatte er gehofft, mit neuem Elan an dieser anspruchsvollen Synthese seiner konstrukti268

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ven Ideen arbeiten zu können. Parallel zu Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt war es auch erst einmal scheinbar vorangegangen. Aber dann kamen die Gastprofessuren und Huxley war nur in Schüben vorangekommen. Zwischendurch hatte er sich Rat bei Christopher Isherwood geholt, da er immer noch mit dem narrativen Gerüst unzufrieden war, das seine pragmatischen Ideen zu tragen hatte. Isherwood hatte ihn offenbar davon überzeugt, dass die Einführung einer neuen Figur dem Roman zusätzlichen dramatischen Schwung geben würde. Natürlich war diese Figur – ein Bösewicht beziehungsweise ein intriganter Jago – besonders wichtig in einem Roman über das Gute: Bekannterweise ist Konfliktfreiheit der Tod jeden Dramas. Tatsächlich war Huxleys letzter veröffentlichter auch sein erster und einziger Roman, bei dem sein Verlag deutliche Eingriffe verlangte; in erster Linie waren das drastische Kürzungen der philosophischen Passagen. Genützt hat es nicht viel: Die Kritiker, die von Island (1962, dt. Eiland) offenbar wenig intellektuell angeregt wurden und in erster Linie Unterhaltung erwarteten, sahen in dem Buch mangels raffinierter Dramaturgie und Figurendrama einen schwachen bis gar keinen Roman. Huxley, dem diese Schwäche von Anbeginn erhebliches Kopfzerbrechen bereitet hatte, wäre wohl besser beraten gewesen, auf die Stärken des Buches als pragmatische Philosophie und Utopie zu vertrauen – ein Genre, das sich gegen die romanhafte Behandlung grundsätzlich sträubt. Seine Stärken jedenfalls haben Eiland bei den Lesern, die an dem frischen utopischen Entwurf interessiert waren, einen festen Platz gesichert. Wie der Huxley-Biograf David Dunaway bestätigt, wurde das Buch in der humanistisch-pazifistischen Aufbruchsstimmung der 1960er-Jahre sofort zur »Hippie-Bibel«. Auch bei den Kindern und Kindeskindern der Flower-Power-Generation trifft Huxleys Modellgesellschaft, in der Freiheit, selbstloser Individualismus sowie eine Kultur der Intelligenz- und Achtsamkeitspflege eine im wahrsten Sinne utopisch zentrale Rolle spielen, einen Nerv. Das von der Kritik geschmähte Buch findet sich bei ihnen gewöhnlich unter den drei beliebtesten Romanen von Aldous Huxley. 269

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Eiland ist eine klassische Utopie, die modellhaft eine ideale Gesellschaft, ihre Bedingungen und Funktionsweise beschreibt. Das positive Ideal von Huxleys Utopia lässt sich knapp zusammenfassen: Es ist eine Gesellschaft, die Lebensbedingungen erzeugt, welche es jedem einzelnen Mitglied ermöglichen, die größte Anzahl seiner Potenziale zu verwirklichen. Alle anderen positiven Ideale ergeben sich aus dieser Maßgabe. Selbstverwirklichung kann nur unter größtmöglicher individueller Freiheit entstehen; wenn man die ethischen Implikationen dieser Art der Selbstverwirklichung einbezieht, kann man sogar von absoluter individueller Freiheit sprechen. Eine der Grundvoraussetzungen dieser Freiheit ist radikale Friedfertigkeit. Die anderen Umweltbedingungen sind komplexer, denn sie schließen sehr individuelle »Rezepte zum Leben und Lieben« ein, die den einzelnen Ausprägungen der unterschiedlichen multiplen »Amphibien« dieser Gesellschaft gerecht werden. Bei Thomas More hieß der Nicht-Ort aller verwirklichten Tugend Utopia, bei Huxley heißt er Pala und ist eine fiktive Insel im indischen Ozean südöstlich des Subkontinents, irgendwo zwischen Sri Lanka und Sumatra – also dort, wo in der Realität nichts als endloses Blau ist. Der Name leitet sich in erster Linie ab von Pali, einer Sakralsprache des frühen Buddhismus. Die globale machtpolitische Situation, die Huxley zu Beginn der 1960er-Jahre vorfand und in die er sein fragiles Eiland einbettete, ist auch im fortschreitenden 21. Jahrhundert ein allzu bekanntes Szenario. Der Journalist Will Farnaby ist damit beauftragt, die Ölrechte von Pala für den englischen Ölbaron Joe Aldehyde zu ergattern, und lässt sich absichtlich als Schiffbrüchiger an die Gestade der verbotenen Insel spülen. Der Chefzyniker hat allerdings so viele eigene Päckchen zu tragen, dass er nach und nach dem Zauber der Vernunft und Liebe, die die Insel regieren, erliegt. Die lokalen Myna-Vögel mahnen die Bewohner wie lebendige buddhistische Ritualglöckchen zu Aufmerksamkeit und Mitgefühl. Durch seine Krankenpfleger, den Arzt Robert MacPhail und dessen Schwiegertochter Susila, wird Will in die seltsamen Gebräuche der Palanesen eingeführt. Familien im engen Sinne gibt es keine; sexuelle Treue wird gelebt, aber nicht verlangt, und Kinder 270

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haben überhaupt kein Verständnis für das Konzept der Tragödie: Sie lachen sich schlapp bei der Kasperltheaterdarbietung von Ödipus. Eine der eindrücklichsten philosophisch-poetischen Passagen ist die Beschreibung des kosmischen Tanzes von Shiva Nataraja, dem König (raja) des Tanzes (nata). Für wie bedeutend Huxley dieses Symbol gehalten hat, erklärte er 1961 in dem langen BBC-Radiointer­ view Speaking Personally, das bislang nicht in Druckform vorliegt: »Wir [im Westen] haben kein auch nur annähernd so umfassendes Symbol, das zugleich kosmisch und psychologisch und spirituell ist. Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass wir solch dürftige Symbole haben. Es ist im Übrigen völlig mit moderner wissenschaftlicher Auffassung vereinbar; es beinhaltet die Welt von Masse, Energie, Raum und Zeit, die Vorstellung endloser Energie, die zeitlos ewig durch diese Welt tanzt.«

Niels Bohr und Aldous Huxley haben als Erste die enge Verbindung wahrgenommen, die zwischen dem modernen physikalischen Weltbild, das den Begriff der Materie endgültig in der Quantenphysik aufgelöst hat, und der hinduistisch-buddhistisch-taoistischen Welt­ anschauung besteht. Mittlerweile ist das Verständnis von dieser Verbindung Standard in beiden Weltanschauungen, wie etwa die große, von der indischen Atombehörde gespendete Shiva-Nataraja-Statue auf dem CERN-Gelände bei Genf belegt. Nachdem das Manuskript von Eiland endlich bei den Verlegern war, begab sich Huxley von Juli bis Oktober 1961 wieder einmal auf Reisen. Der erste Stopp war diesmal London, zum fünften Mal seit 1937 kehrte er nach England zurück. Laura war nicht mitgereist, und während der ersten sechs Wochen schrieb er ihr 23 Briefe. Von Julian und Juliette wurde er in Ennismore Gardens in Kensington untergebracht. Sein Bruder entführte ihn zunächst auf eine Reise in die Vergangenheit nach Compton in Surrey, unweit von Godalming und südlich von Guildford, wo sein Vater, seine Mutter und Trev beerdigt waren, nach »Prior’s Field« und zum Haus in Laleham, wo er geboren worden war. Im Schulgarten von »Prior’s Field« fand Aldous zwanzig Meter hohe Bäume vor, die gepflanzt worden waren, als er ein Kind war, und aussahen, »als seien sie seit 300 Jahren hier«. Mit seinem 271

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Die beiden Brüder bei Julian in Hampstead Anfang der 1960er-Jahre

Cousin Gervas kehrte er kurz darauf noch einmal nach Surrey zurück, um in Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit zu schwelgen. In London erwartete Aldous die übliche Mischung aus Kulturprogramm und Dinners mit der intellektuellen Elite. Auf einer Party lernte er Iris Murdoch kennen, er traf sich mit Eileen Garrett, seiner Schwester Margaret und dem jungen Arzt Felix Mann, um mit ihm über Akupunktur zu reden und sich selbst einer kurzen Puls­ diagnose und Akupunktur zu unterziehen. Für Manns Buch Acupuncture: The Ancient Art of Healing (1962) wird Huxley ein Vorwort beisteuern. Und auch mit Sybille Bedford traf er sich, die seit einiger Zeit für große Magazine über spektakuläre Gerichtsver­ fahren schrieb. Im Vorjahr hatte sie über den aufsehenerregenden Lady-­Chatterley-Prozess berichtet und mit diesem Fokus auf den Prozess das neue Genre der Gerichtsschriftstellerei erfunden. (Als Ergebnis des Prozesses konnte der Penguin-Verlag D. H. Lawrences Lady Chatterleys Liebhaber endlich, nach dreißig Jahren, veröffentlichen.) 272

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Ein weiterer wichtiger Termin war für Huxley die Aufführung von John Whitings Stück The Devils, das auf dem Roman Die Teufel von Loudun basiert. Huxley hatte im Vorjahr mit dem Autor korrespondiert und einige dramaturgische Vorschläge gemacht. Die Inszenierung der Royal Shakespeare Company lief seit Februar erfolgreich im West End, unter anderem mit Ian Holm und Diana Rigg, die damals noch unbekannt waren. 1971 würde der englische Regisseur Ken Russell Whitings Stück zusammen mit Huxleys Roman als Vorlage für seine Verfilmung von The Devils (mit Oliver Reed und Vanessa Redgrave) verwenden. Russell verfilmte auch die beiden Lawrence-Romane Women in Love (1969, dt. Liebende Frauen) und The Rainbow (1989, dt. Der Regenbogen). Die angemessen wüste Verfilmung von The Devils wurde von Anfang an kontrovers aufgenommen und stark zensiert. Der junge englische Filmkritiker Mark Kermode, der mit dem British Film Institute 2012 eine restaurierte Fassung herausbringen sollte, war allerdings der Auffassung, dass das »atemberaubende Meisterwerk« Russells bester Film wäre. Auch Krzysztof Penderecki verwendete Whitings Bühnenversion in der Übertragung von Erich Fried als Vorlage für seine Hamburger Oper Die Teufel von Loudun (1969). Huxley selbst war von Whitings Fassung und der Inszenierung sehr angetan und ließ sich gemeinsam mit dem Dramatiker im Sommer 1961 von der BBC interviewen. Weitere Interviewtermine folgten: eins fürs BBC-Fernsehen mit John Morgan, eins mit Walter Allen für BBC Radio, wo er insbesondere auf Eiland eingehen konnte. An zwei Nachmittagen Mitte Juli hatte er den englischen Schauspieler und Radiosprecher John Chandos in Ennismore Gardens zu Besuch und gab ihm bei Sherry und Tee ein karriereumspannendes, rund neunzigminütiges Interview für die BBC, das unter dem Titel Speaking Personally veröffentlicht wurde. Mit Chandos hatte er einen empathischen und ebenbürtigen Partner und plauderte entspannt über sein Leben und Werk. Mitte Juli reiste Aldous weiter nach Frankreich, zunächst zu Eileen Garretts parapsycholgischer Konferenz über interdisziplinäre Studien. Unter anderem ging es dort um die Forschung in der Sow273

Liebe und Arbeit: Professor auf Reisen und eine Utopie

jetunion, den Einfluss von LSD auf die außersinnliche Wahr­ nehmung und um psychoanalytische Ansätze (C. G. Jung war auch bei einigen dieser Konferenzen anwesend). Danach holte Marias Schwester Jeanne ihn ab, und er konnte auf dem Weg nach Vaison la Romaine nach langer Zeit noch einmal Aix en Provence bewundern. Die nächsten Tage verbrachte er mit Jeanne und Georges Neveux in  Vaison, was ihn an seinen letzten Besuch mit Maria 1954 erinnerte. Er zeigte sich entzückt darüber, dass auch Rina aus Marseille kam, um ihn wiederzusehen. Von Orange aus nahm Aldous dann den Zug nach Genf, wo er und Laura endlich wieder zusammen­ kamen. Die beiden reisten von dort aus weiter nach Gstaad, um Krishnamurti reden zu hören. Krishnajis Vortragstourneen wurden von Jahr zu Jahr ausgedehnter; in diesem Jahr hatte er bereits je ­sieben bis zwölf seiner intensiven öffentlichen Auftritte in NeuDehli, Bombay und London hinter sich gebracht. Paris und Madras sollten noch folgen. Aldous, der Krishnaji seit über fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte, zeigte sich verwundert darüber, dass sein Freund nun ein altes Männlein mit weißem Haarkranz war. Seine Bewunderung für den alten Weggefährten hatte allerdings noch zugenommen. Nachdem er ihn in der Schweiz gehört hatte, schrieb er an Humphry Osmond: »Es war, als ob man einer Rede des Buddha zuhörte – eine solche Kraft, eine solche dem Gesagten innewohnende Autorität, eine solche kompromisslose Weigerung, den einfachen Leuten irgendwelche Fluchtwege oder Ersatzmittel, irgendwelche Gurus, Erlöser, Führer [im Original auf Deutsch] oder Kirchen zu gestatten.« (Letters, S. 917)

Yehudi Menuhin, der mit seiner Frau Diana seit 1957 in Gstaad lebte und in Saanen das Menuhin Musikfestival ins Leben gerufen hatte, befand sich ebenfalls im Bann von Krishnamurti. Laura kannte Menuhin bereits durch ihren Geigenlehrer, und Aldous fand in dem humanistisch und spirituell orientierten Musiker einmal mehr einen Geistesverwandten. Er machte Huxley auch mit dem einflussreichen Yoga-Lehrer Iyengar bekannt. Die Bewunderung und Zuneigung der beiden Paare füreinander beruhte auf Gegenseitigkeit. Und noch ein 274

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weiterer berühmter Gast hatte die Huxleys in ihrem Hotel entdeckt und lud sie zum Essen ein: Marie José, die exilierte Königin von Belgien, und der von ihr bewunderte Huxley verständigten sich sofort über Themen wie Die Kunst des Sehens, Krishnamurti und außersinnliche Wahrnehmung. Aldous hatte Marie Josés Mutter Elisabeth gekannt, die ebenfalls bei Iyengar Yoga gelernt hatte, und die Königin erinnerte sich daran, dass die 14-jährige Laura eines ihrer ersten Konzerte in ihrer Gegenwart gespielt hatte. Nach dem zehntägigen Aufenthalt in der Schweiz ging es für ein paar Tage weiter nach Turin zu Lauras Familie, dann nach Kopenhagen zum Kongress für angewandte Psychologie, wo Huxley zum Thema der visionären Erfahrung sprach. Den großen Physiker Niels Bohr, der – eigentlich nach Huxleys Geschmack – einzig im Taoismus das neue Weltbild der Physik philosophisch abgebildet fand, hielt Aldous auf dessen alte Tage für etwas zu geschwätzig: »Er hat die Tendenz sich in Niels Bore [Langweiler] zu verwandeln«, schrieb er an Julian (SL, S. 479). Auf dem Rückweg nutzte Aldous die Gelegenheit, um sich endlich mit Albert Hofmann, dem Entdecker von LSD, im Züricher Hotel Sonnenberg zu treffen. Auch in Hofmann fand Huxley einen Gleichgesinnten, der ebenso wie er selbst glaubte, es sei »verrückt, mit LSD und Pilzen unter Laborbedingungen zu experimentieren«. Allerdings bereiteten Aldous die Pläne zweier Kollegen vom MIT, Tim Leary und Dick Alpert (später Ram Dass), mehr Sorgen: Sie wollten psychoaktive Drogen großflächig unter die Leute bringen und waren ebenfalls auf der Konferenz in Kopenhagen gewesen. Huxley fand Leary nett und intelligent, aber »ein wenig naiv«; Alpert war für ihn »wie ein kleiner Junge«. »Aber wenigstens sind ihre Absichten gut.« Ein überschwenglicher Alan Ginsberg, Beat-Poet der ersten Stunde, der Anfang des Jahres ebenfalls mit Aldous in Kontakt getreten war, würde Leary und Alpert bald dazu bewegen, psychedelische Drogen als Königsweg für die Hippie-Revolution anzupreisen. Diese Tendenz gipfelte Mitte der 1960er-Jahre in Learys Vorschlag, LSD ins städtische Trinkwasser zu geben. Sein fanfarenartiges »Turn on, tune in, drop out« traf den Nerv der Blumenkinder: Es war eine Auf­ 275

Liebe und Arbeit: Professor auf Reisen und eine Utopie

forderung, mithilfe von Drogentrips das konventionelle, bürgerliche Leben hinter sich zu lassen – und die Geburtsstunde der »Aussteiger«. Den Rest des Sommers 1961 verbrachten Aldous und Laura in Italien und London. Im August war das Paar in Torre del Mare an der ligurischen Küste südöstlich von Turin bei Lauras Familie zu Gast. Nette Fotos aus der Sommerfrische zeigen einen entspannten Aldous. Die beiden Kinder von Lauras Schwester Rossana, Piero und Paola, lagen ihm besonders am Herzen. In diesem streng katholisch-italienischen Milieu eckte er mit seinen Ansichten jedoch zwangsläufig an. Piero war mit seinen 14 Jahren in einem sensiblen

Aldous in Italien 1959 mit Piero and Paola Rossi Ferrucci, den Kindern von Lauras Schwester

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Alter, und würde dem Schriftsteller zwei Jahre später per Brief Fragen zu Literatur, Musik und Berufswahl stellen, auf die er fürsorgliche Antworten von Aldous erhielt. Unter dem Eindruck von Huxleys Worten sollte Piero Ferrucci Psychologe werden und 1977 Huxleys Santa-Barbara-Vorlesungen zu The Human Situation in Buchform herausgeben. Während Laura schon wieder nach Kalifornien zu ihren Patienten und zu Ginny Pfeiffer zurückreiste, blieb Aldous bis Anfang Oktober noch bei Julian und Juliette, wo er die Fahnen von Eiland korrigierte. Kaum in New York angekommen, ging die Odyssee weiter. Zuerst besuchte er Peggy Lamson und ihren Mann Roy, Bekannte vom MIT, um mit Peggy an einer Bühnenfassung seiner Erzählung »Voices« zu arbeiten. Danach traf er sich an der Colgate University, Syracuse, mit dem Psychologen George Estabrooks, um mit ihm ausführlich über die klinische und therapeutische Bedeutung von Hypnose zu sprechen. Hypnose hatte einerseits wegen der intensiven Erfahrungen mit Leslie LeCron und Milton Erickson, aber insbesondere auch wegen seiner eigenen Therapieerfolge bei Maria, Igor Strawinsky und anderen einen zentralen Platz in Aldous’ Methoden­ kasten für ein besseres Leben. Besonders bestärkend fand er die Geschichte des Mediziners James Esdaile, der, in Ermanglung von moderner Anästhesie und sterilen Operationssälen, durch den Einsatz von Hypnose bei Operationen in Indien die Mortalität drastisch senkte. Huxley hatte Esdaile nicht nur einen langen Essay im ­Esquire, sondern auch eine bedeutende Rolle in Eiland gewidmet. Doch noch war für Aldous das Reisejahr 1961 nicht abgeschlossen. Im November begab er sich mit Laura auf Indientour. Auch Krishnamurti war mittlerweile in Madras, wo die Huxleys ein paar Tage mit ihm verbrachten. In Neu-Delhi war Aldous Gast bei der Hundertjahrfeier zu Ehren des Dichterphilosophen Rabindranath Tagore. Auf der Konferenz forderte ein junger Inder ihn heraus: Neben Gandhi sei das Taj Mahal das kostbarste Gut des indischen Volkes; warum hatte er sich in Jesting Pilate so abfällig darüber geäußert? Huxley erwiderte beschwichtigend, vielleicht sei er damals ein wenig harsch gewesen. Offenbar konnte er den Einwand des 277

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jungen Inders nicht leichtfertig abtun und plante sofort eine zusätzliche Reise zum Taj Mahal ein, um sein ehemaliges Urteil zu überprüfen. Vor Ort lenkte er tatsächlich ein und gab zu, dass es ein achtbares Bauwerk sei – bis auf die Minarette, die er nach wie vor für einen architektonischen Missgriff hielt und als »Schornsteine« bezeichnete. Noch immer, wie schon 1926, fand Aldous den Subkontinent im großen Ganzen »fast unendlich deprimierend«. Über Bombay, Ceylon und Japan ging es wieder nach Hause. Die intensiven Reisen nach dem Hausbrand hatten es Aldous über das Jahr hinweg etwas leichter gemacht, den Gedanken an all das, was die Flammen ihm genommen hatten, zu verdrängen. Jetzt, am Beginn des Jahres 1962 hieß es, sich der neuen Realität zu stellen. Ginny Pfeiffer hatte bereits ein neues Haus gekauft, in dem Aldous und Laura vorübergehend – wie sie dachten – unterkommen konnten. Da ahnte das Paar noch nicht, dass es ein dauerhaftes Arrangement werden würde. Ginnys Haus auf dem Mulholland Highway sollte ihre letzte Wohnung werden. Heute ist es in eine Luxusvilla verwandelt worden, die für über vier Millionen Dollar im April 2018 einen neuen Besitzer fand. Anfang 1962 experimentierte Aldous wieder mit einer psycho­ aktiven Substanz, Psilocybin. Das besondere an dieser Drogensitzung im Januar war, dass Laura, die die Sitzung begleitete, Aldous’ Kommentare auf Tonband aufzeichnete. In This Timeless Moment hat sie dieser Sitzung ein ganzes Kapitel gewidmet. Während Huxley die Erfahrung des »reinen Lichts« machte, von Ewigkeit und Befreiung von aller menschlichen Last, betonte er zugleich, dass diese Erfahrung wieder geerdet werden müsse und es »katastrophal« sei, sich im Nirvana dem Leben und der weltlichen Realität zu entziehen. Alle Erfahrung müsse in Liebe und Arbeit aufgehoben werden. Das sei das Ideal des Bodhisattva in der Mahayana-Richtung des Buddhismus. Der Bodhisattva hat zwar Erleuchtung erfahren, entzieht sich aber nicht, wie der Buddha selbst, auf immer im Nirvana dem Kreislauf des Lebens und der Welt der Relativität. Mithilfe der Erkenntnis der weltlichen Illusion, Maya, wende er sich dem Leben und den Mitmenschen zu, um sie auf dem Weg zur Befreiung vom 278

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Leid zu leiten. Schon lange bevor Huxley sich ausführlich mit östlichen Lehren zu beschäftigen begonnen hatte, hatte er in dem Aufsatz »Spinozas Wurm« 1929 geschrieben: »Da wir dieser Welt der Illusion also doch nicht entrinnen werden, versuchen wir eben, das Beste aus der Sache herauszuholen«. Mit anderen Worten: Man kann das Relative der menschengemachten Welt und der vielfältigen Bedeutungen, die wir den Erscheinungen zumessen, begreifen; man kann verstehen, wie die illusorischen Vorstellungen mithilfe von Sprache entstehen, und dadurch ein angemesseneres Verhältnis zu Welt und Leben gewinnen. Aber wir können aus unserem Verständnisvermögen nicht heraustreten und in einer anderen Welt leben. Auch 1962 war Huxleys Kalender mit Vorlesungen, Seminaren, Interviews und Konferenzen gefüllt. Sein Frühjahrsprogramm sah aus wie die Tournee einer Rockband. Im März ging es mit wenigen Pausen über Santa Barbara, Los Angeles, Berkeley und wieder L. A. nach Alabama und Philadelphia. Im April war er zunächst an der Ostküste in New York, Boston, Syracuse, dann kehrte er wieder zurück nach Berkeley und L. A. und fuhr dann nach Oregon. Im Mai besuchte er Los Alamos, Anaheim, Berkeley, L. A., New York, Philadelphia, San Francisco – und das waren nur die markantesten Sta­ tionen. In Santa Barbara nahm Huxley am Center for the Study of Democratic Institutions, das 1959 von seinem Freund Robert Hutchins von der Ford Foundation gegründet worden war, an einer Technologiekonferenz teil. In Berkeley hatte er von Februar bis April eine Gastprofessur oder, wie Aldous es ausdückte, »eine Professur für nichts Bestimmtes«. Mit Huxley holte man sich einen Star an die Uni und konnte sich darauf verlassen, dass er, entgegen seiner ironischen Selbstbetitelung, immer etwas Besonderes zu bieten hatte. In Los Alamos sprach er vor Wissenschaftlern des Scientific Laboratory, das während des Zweiten Weltkriegs das Herz des Manhattan-Projekts zum Bau der Atombombe gewesen war. Dort, wo nach seiner Einschätzung zwei von drei Wissenschaftlern einen Intelligenzquotienten über 160 hatten, sprach Aldous über visionäre Erfahrung. In Portland, der Hauptstadt von Oregon, traf er sich mit Julian, lauschte 279

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dessen Vortrag und nahm an einer Konferenz zu Bevölkerungsfragen teil. Zusammen fuhren die Brüder zum Bonneville-Staudamm, wo sie die Fischleitern bestaunten, die den Fischen über den Damm halfen. Von einem lokalen Psychiater ließ sich Aldous zudem über dessen Früherkennungsprogramm von Schizophrenie bei Kindern unterrichten. In Berkeley hatte er sich im Februar eine Erkältung eingefangen, die sich einmal mehr zu einer Lungenentzündung entwickelte, aber mit Antibiotika gebändigt werden konnte. Während er sich in seinen einsamen Quartieren in Berkeley ein wenig langweilte, hörte Aldous viel Radio mit klassischer Musik und interessanten Berichten und fasste Pläne für ein Reiseessaybuch über die amerikanische Westküste von Kanada bis nach Mexiko. Wenn man sich seine permanenten Reisen, die zunehmende Häufigkeit seiner öffentlichen Auftritte, Vorträge, Interviews und Fernsehauftritte in den letzten sechs Jahren seines Lebens anschaut, so scheint es, als habe Huxley in der kurzen Zeit, die ihm noch blieb, fiebrig versucht, seine Botschaft so weit wie möglich zu verbreiten. Seit 1960 hatte ihn der Krebs fest im Griff. Tatsächlich ahnte er davon aber nichts – im Gegenteil. Selbst als gute Bekannte wahrnahmen, wie alt, müde und fahl er in den letzten Jahren aussah, wollte er selbst davon nichts wissen. Für ihn war der Krebs nach der Radiumbehandlung besiegt. Aldous war überzeugt davon, dass der Körper fähig sei, Resistenzen gegen diese bösartigen Zellen aufzubauen. Huxley lebte gern und intellektuell und sinnlich aus dem Vollen. In einem Interview mit einem kanadischen Fernsehsender antwortete der damals 63-Jährige auf die Frage, ob er nun, im Alter, das Leben gut und aufregend finde: »Ganz gewiss. Ich finde es ein bisschen besorgniserregend, aber man kann wirklich nicht sagen, es sei langweilig im Moment« (CBC, Close-up, 1958). Nachdem er Ende Mai 1962 alle Termine des Frühjahrs hinter sich gebracht hatte, suchte Aldous wegen einer leicht geschwollenen und schmerzhaften Halsdrüse Dr. Cutler auf. Cutler entfernte die Drüse und fand in ihr eine bösartige Geschwulst. Im Juli wurden alle befallenen Drüsen wegoperiert und Aldous mit Gammabestrahlung 280

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Aldous Huxley 1963

nachbehandelt. Sein Arzt beruhigte ihn, dass diese Art von Metastasen kein Grund zur Sorge seien. Anscheinend hatte der Zahnarzt in der Menninger-Klinik an der ursprünglichen Wucherung an der Zunge herumgekratzt und, wie Peggy Kiskadden vermutete, zur Streuung der bösartigen Zellen beigetragen. Wegen dieser Behandlung konnte Aldous im Juli nicht nach London reisen, um dort den Festlichkeiten der Royal Society of Literature beizuwohnen, die ihn gerade zum Companion of Literature gewählt hatte. Und noch aus einem weiteren Grunde wäre er gern um diese Zeit in England gewesen: Während er noch in Berkeley geweilt hatte, hatte er mit Betty Wendell und dem Regisseur Frank Hauser eine Fassung von Das Genie und die Göttin für eine mögliche Aufführung in London durchgesprochen. Mittlerweile war das Stück in Oxford, Manchester, Leeds und auch in London gelaufen. Offenbar war wieder daran herumgebastelt worden und es hatte Missgriffe bei der Besetzung gegeben. Erst im August konnte Huxley wieder nach Europa aufbrechen. Zuvor begutachtete er noch zusammen mit Chris Isherwood die Apollo-Mondkapsel der North American Aviation in Los Angeles 281

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und sprach dann zu den Ingenieuren, die er recht konsterniert zurückließ. Warum verschwendeten sie so viel Geld darauf, auf den Mond zu gelangen, statt hier auf der Erde etwas gegen die bevorstehende Bevölkerungsexplosion zu unternehmen? Besonders regte er sich über die ebenfalls vor Ort entstehenden Marschflugkörper auf, deren Entwicklung Milliarden kostete, »um schließlich in ein Waisenhaus oder ein Altenheim gelenkt zu werden«, wie er an Humphry Osmond schrieb (Letters, S. 936). Im Zeichen dieser Äußerungen stand auch Huxleys Besuch des ersten Treffens der World Academy of Art and Science in Brüssel, einer Initiative von Nobelpreisträgern. Seine Teilnahme an diesem Treffen sei ein Versuch, dem »gegenwärtigen organisierten Wahnsinn« wenigstens etwas entgegenzusetzen. Der »gegenwärtige organisierte Wahnsinn« – das war in diesen Jahren einer seiner Lieblingsausdrücke für den allgemeinen Zustand der Welt. Aus der geplanten Weiterreise zur PEN-Konferenz in Argentinien wurde nichts, da ihn bereits in Belgien und Holland, wo er Marias Familie aufsuchte, die Bronchitis erneut einholte. Stattdessen verbrachte Aldous einige Zeit mit Julian und Juliette in London. Er sah auch seinen Cousin Gervas, und zusammen mit Humphry Osmond, der ebenfalls aus Surrey stammte, besuchte er noch einmal Stätten seiner Jugend um Godalming. Aus dem Vortrag, den Huxley für das PEN-Treffen in Buenos Aires vorgesehen hatte, wurde sein langer, wichtiger Essay Literature and Science (1963, dt. Literatur und Wissenschaft), an dem er den Winter über arbeitete. Gegen Versuche, Literatur (bzw. Kunst) und Wissenschaft als miteinander unvereinbar gegeneinander auszuspielen, plädiert der buchlange Essay für eine Kooperation der Disziplinen: »Dass die gereinigte Sprache der Naturwissenschaft oder sogar die reichere geläuterte der Literatur je der Gegebenheit der Welt und unseres Erlebens gerecht werden können, ist schon dem Wesen der Dinge nach unmöglich. Das mit heiterer Gelassenheit hinnehmend, wollen wir […] gemeinsam weiter und weiter in die sich immer mehr ausdehnenden Regionen des Unbekannten vordringen.« (S. 128)

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»… ein langsames, aber unerbittliches Diminuendo«

Im November absolvierte Huxley noch eine Vorlesungstour im Mittleren Westen und an der Ostküste und verbrachte anschließend Zeit in New York mit Matthew und dessen zukünftiger Frau Judy sowie Marias mittlerweile kinderreicher Nichte Claire. Im Winter kam er in Ginnys Haus auf dem Mulholland Highway ein wenig zur Ruhe und konnte sich bis zum Frühjahr 1963 wieder seinen Projekten widmen. Nach dem Abschluss des langen Essays begann er, sich Notizen zu einem komplizierten und langen Roman zu machen. Offenbar handelte es sich um eine Weiterentwicklung der Ideen, die schon in der einen oder anderen Form seit den 1940er-Jahren in ihm gegärt hatten. Jetzt schienen sie allerdings Form anzunehmen. Das erste Kapitel dieses unvollendeten Werks ist in Laura Huxleys Erinnerungsband This Timeless Moment nachzulesen. Im März 1963 war Aldous schon wieder unterwegs: Er reiste nach Rom zu einem Kongress der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der weltweiten Hungersnöte. Bei dieser Gelegenheit nahm er auch eine Audienz bei Papst Johannes XXIII. wahr. Auch für dieses Jahr hatte er wieder eine Reihe von Vorträgen angenommen. Im März und April sprach er in Oregon, Berkeley und Stanford, und für den Herbst waren weitere Vorträge an der Ostküste geplant. Am 6. September waren die Vorlesungsskripte für Aldous fertig. Am 13. September sagte er die Vortragsreise ab.

»… ein langsames, aber unerbittliches Diminuendo« Im April 1963 gab es schlechte Nachrichten für die Huxleys: Bei Aldous war ein neuer Tumor aufgetreten. Dr. Cutler war jetzt nicht mehr so zuversichtlich wie bisher und setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um Aldous von allen möglichen Spezialisten unter­suchen zu lassen – von San Francisco bis nach New York, London und Turin. Erneut wurde beschlossen, ihn einer Radiumbehandlung zu unterziehen. Nach 25 Sitzungen war Aldous so geschwächt, dass seine geisterhafte Erscheinung, die Christopher Isherwood und auch Be283

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kannte in England schon in den vergangenen beiden Jahren festgestellt hatten, nun niemandem mehr entgehen konnte. Auftritte in München und London mussten ebenso wie die Vortragsreise im September abgesagt werden. Mittlerweile war Lauras psychotherapeutischer Ratgeber You Are Not the Target erschienen, der unter starker redaktioneller Mithilfe von Aldous entstanden war und für den er ein Vorwort geschrieben hatte. Viele von Lauras Ansätzen, die sie allesamt aus ihrer therapeutischen Praxis entwickelt hatte, hatten auch Eingang in Huxleys Roman Eiland gefunden. Bereits nach einer Woche musste eine zweite Auflage des Ratgebers gedruckt werden und bis August 1963 sollten 100 000 Exemplare über die Ladentheken gehen. Aldous, der solche Verkaufserfolge nicht kannte, teilte mit seiner Frau eine »verblüffte Hochstimmung« (Letters, S. 952). Anfang August fühlte er sich wieder fit genug, um an einem Treffen der World Academy of Arts and Science in Stockholm teilzunehmen. Dort trug er seine Ideen zu den human potentialities offenbar so nachdrücklich und überzeugend vor, dass er zusammen mit Humphry Osmond, der ebenfalls dort war, von der Akademie aufge­ fordert wurde, einen Sammelband unter dem Titel Human Resources herauszugeben. Laura, die mitgekommen war, reiste von Stockholm aus weiter zu ihrer Familie in Turin, Aldous besuchte Julian und Juliette in London. Familie, Freunde und Bekannte waren schockiert, wie fahl und wächsern er aussah. Seine Stimme war ganz dünn. Bruder und Schwägerin nahmen ihn mit über Land nach Dartmoor, Exeter, Oxford und Saltwood Castle zu dem bekannten Historiker Kenneth Clark, der ein Bewunderer von Aldous war. Ende August waren die Huxleys wieder zurück in Hollywood. Aldous begann, seine Vorträge für die Ostküste vorzubereiten, und schickte Osmond seine Ideen für den Human-Resources-Band. An diesem Tag begann das, was Laura Huxley in ihrem Erinnerungsband This Timeless Moment »ein langsames, aber unerbittliches Diminuendo« nennt (S. 241). Huxley war schwach und konnte nicht mehr reisen. Den September und Oktober durch arbeitete er ein wenig und machte kleine Spaziergänge. Freunde wie Gerald Heard 284

»… ein langsames, aber unerbittliches Diminuendo«

Aldous Huxley bei Kenneth Clark im Saltwood Castle 1963

kamen vorbei. Anfang November besuchte Christopher Isherwood Huxley im Krankenhaus. Wenige Wochen zuvor hatte Laura Christopher gegenüber noch von Aldous’ »Infektion« gesprochen (Isherwood, The Sixties, S. 294); jetzt sah er selbst, wie schlimm es wirklich um seinen Freund bestellt war. Am 21. November 1963 schloss Aldous Huxley seinen letzten großen Essay »Shakespeare and Religion« ab. Am selben Abend schlug er Laura vor, dass sie beide sich ein eigenes Apartment nehmen sollten, bis »die Situation« vorbei sein würde, um Ginny nicht zur Last zu fallen. Mit der »Situation« meinte er seine Krankheit, die er immer noch als Infektion abtat. Wenige Stunden später ging es ihm allerdings immer schlechter. Sein Puls stieg auf 140, er war fiebrig und schlief nur mit Unterbrechungen. Gegen 9 Uhr am nächsten 285

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Morgen wurde er sehr ruhelos und musste andauernd bewegt werden. Dabei hatte er mittlerweile kaum noch Kraft zu sprechen. Am Vorabend hatte er noch Pläne und Notizen für zukünftige Projekte festgehalten, jetzt aber wurde auch ihm klar, dass er starb. Erst jetzt akzeptierte er die Tatsache, dass sein Körper den Kampf verloren hatte. Noch bis zum Morgen war er sich sicher gewesen, dass er in wenigen Wochen, wenn die »Infektion« bekämpft sei, wieder auf dem Damm sein würde und sich weiter mit seinem neuen Roman und weiteren Projekten im Rahmen der human potentialities beschäftigen könnte. Wie die Wirkung von Medikamenten akzeptierte Huxley auch das Sterben erst, als er es deutlich spürte. Aber dann nahm er es, wie damals bei Maria, mit äußerster Klarheit und Ruhe an. Aldous hatte bis zur letzten Minute gearbeitet, und jetzt, im Sterben, würde er wieder einmal tun, was er gepredigt hatte: Er würde ein letztes Experiment unternehmen. Mit schwacher Hand notierte er auf ein Blatt, was er von Laura wünschte: »Versuche LSD 100 mmg intramuskulär«. Laura hatte schon zuvor darüber nachgedacht, Aldous LSD zu geben, und es ihm in den letzten Wochen angeboten. Doch er hatte es erst wieder nehmen wollen, wenn es ihm besser ginge. Als sein Zustand rapide schlechter wurde, klärte Laura die Bedenk­ lichkeit einer LSD-Gabe mit Dr. Cutler ab. Der hatte keine Einwände, und Laura verabreichte Aldous zunächst 100 Mikrogramm, also eine Minimaldosis. Als er nach einer halben Stunde zu ver­ stehen gab, dass er keine Wirkung verspürte, injizierte Laura ihm weitere 100 Mikrogramm. Aldous wurde ruhiger und Laura begann ihm zuzureden. Sie tat genau das, was Aldous auch bei Maria getan hatte, und flüsterte ihm Sätze aus der Sterbebegleitung des Bardo Thodol zu. Mittlerweile war es zwei Uhr nachmittags geworden. Laura sprach ununterbrochen zu Aldous, und er wurde ruhiger und ruhiger. Um fünf Uhr zwanzig am 22. November 1963 hörte er auf zu atmen. Laura wusste inzwischen, was zur gleichen Zeit in Dallas, Texas, geschehen war. Während sie sich um Aldous gekümmert hatte, hatten Krankenschwestern, Arzt, Rosalind Rajagopal und Ginny im 286

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Nebenzimmer wie gebannt vor dem Fernseher gesessen. Präsident John F. Kennedy war erschossen worden. Laura bemerkte in ihrem Erinnerungsband, man könne sich einen größeren Gegensatz nicht vorstellen: der gewaltsame Tod Kennedys, den sich Millionen von Menschen an ihren Bildschirmen wieder und wieder ansahen, und Huxleys stilles, unbemerktes, friedvolles Eingehen in einen Ozean der Liebe. Die sogenannte »Kunst des Sterbens«, hochgeschätzt von griechischen und fernöstlichen Philosophen, wird gern zitiert und wenig praktiziert. Viel hat man sich über Huxleys letzten LSD-Trip mokiert (und tut das bis heute), während in der modernen Geriatrie mit ganz anderen Drogencocktails das Sterben verwaltet wird. Huxley hatte in den letzten Jahren seines Lebens immer wieder in kleinen, kon­ trollierten Dosen mit psychoaktiven Substanzen experimentiert, häufig zusammen mit Laura. Wie die meisten der Methoden, die Pala in Eiland zu einer friedlichen, wachen, glücklichen, intelligenten Gesellschaft machen, entsprang auch die Vorstellung der Moksha genannten Medizin Huxleys eigener positiver Erfahrung. Während einer seiner psychedelischen Sitzungen mit Laura erkannte Aldous, dass auch spirituelle Erleuchtung nichts weiter als eine Sucht sei, wenn man sich in der Erfahrung der Ewigkeit, also der totalen Befreiung von aller Gebundenheit verkapsele und Erleuchtung nicht erfüllt sei von Liebe und Arbeit. Liebe und Arbeit bedeuteten die Verbindung zur sinnlichen Welt und den Mitmenschen. Von der Öffentlichkeit als Weltweiser gehandelt, sagte Huxley in einem seiner letzten Interviews: »Es ist ein wenig beschämend, aber der beste Ratschlag, den ich den Menschen nach 45 Jahren Forschung und Studien geben kann, ist, dass sie ein wenig freundlicher miteinander umgehen sollten.« (zit. in A ­ rchera 1969, S. 117)

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Zeittafel 1887  Geburt von Julian Huxley, Aldous’ sieben Jahre älterem B ­ ruder. 1891  Geburt von Aldous’ Bruder Noel Trevenen Huxley. 1894  Aldous Leonard Huxley wird am 26.  Juli als dritter Sohn von Leonard und Julia Huxley, geb. Arnold, in Godalming, Surrey, geboren. 1898  10. September: Geburt von Maria Nys, Aldous’ erster Ehefrau. 1899  Geburt von Aldous’ Schwester Margaret Huxley. 1902  Julia Huxley eröffnet die Mädchenschule in »Prior’s Field«, die bis heute erfolgreich besteht und jährlich die Julia-Huxley-Vorlesung veranstaltet. 1903  Aldous geht auf die Vorschule in Hillside. 1908  Julia Huxley stirbt. Aldous geht zusammen mit seinem Cousin Gervas nach Eton. 1910  Im Herbst zieht sich Aldous eine Augeninfektion zu, die in der Folge seine Blindheit verursacht. 1911  Aldous’ Augeninfektion entwickelt sich zu einer Keratitis punc­ tata, die ihn für die kommenden Monate blind macht, sodass er die Braille-Schrift lernt. Am 2. November wird Laura Archera geboren, Huxleys zweite Ehefrau. 1912  Verbesserung von Aldous’ Sehfähigkeit. Im Mai bis Juni Studienaufenthalt in Marburg bei Emanuel Kayser, wo das Marburger Skizzenbuch entsteht. 1913  Von Juli bis August: Studienaufenthalt in Grenoble; im Oktober beginnt Huxley sein Studium am Balliol College, Oxford, und besucht Vorlesungen des eminenten Literaturwissenschaftlers Walter Raleigh.

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1914  Aldous’ geliebter Bruder Trevenen begeht Selbstmord. 1915  Aldous beschäftigt sich intensiv mit französischer Dichtung (u. a. Mallarmé) und beginnt selbst, preisverdächtige Gedichte zu schreiben. Im Dezember besucht er zum ersten Mal Garsington und Ottoline und Philip Morrell, wo er seine zukünftige Frau Maria Nys und D. H. Lawrence kennenlernt. 1916  Aldous wird wegen seiner unzureichenden Sehkraft vom Kriegsdienst freigestellt. Zusammen mit seinem Freund T. W. Earp startet er The Palatine Review. Im Sommer ist Huxley Aushilfslehrer in Repton. Im September erscheint sein erster Gedichtband, The Burning Wheel. 1917  Bis zum April Aufenthalt in Garsington als Farmarbeiter, wo sich der Kontakt zu Mitgliedern der Bloomsbury Group intensiviert; von April bis Juni Arbeit für das Air Board. Am 18. September wird Aldous Lehrer in Eton. Einer seiner Schüler ist Eric Blair, der sich später George Orwell nennen wird. Im Dezember erscheint sein zweiter Gedichtband Jonah. 1918  Lehrer in Eton. Er schreibt weiter Gedichte und beginnt mit Prosa (»Farcical History of Richard Greenow«). 1919  Aldous gibt seine Lehrerstelle in Eton auf und beginnt seine journalistische Arbeit für Middelton Murrys Athenaeum. Im Juli heiraten er und Maria Nys. 1920  Geburt von Matthew, Aldous’ und Marias einzigem Kind. Der Erzählband Limbo und der Gedichtband Leda erscheinen. Neue journalistische Arbeiten für Westminster Gazette und House & Garden. 1921  Im November erscheint Huxleys erster Roman Crome Yellow (dt. Eine Gesellschaft auf dem Lande). Aufenthalte in Florenz, Rom und Forte dei Marmi. 1922  Der zweite Erzählband Mortal Coils erscheint. Im Spätsommer Aufenthalt in Forte dei Marmi.

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1923  Huxley schließt seinen ersten Dreijahresvertrag mit Chatto & Windus. Die Konditionen werden sich im Laufe der Jahre leicht ändern, aber der Londoner Verlag erneuert das Arrangement immer wieder bis zu Huxleys Tod. Im Mai erscheint sein erster Essayband, On the Margin, im November der zweite Roman, Antic Hay (dt. Narrenreigen). Im August ziehen die Huxleys von London nach Florenz. 1924  Im Mai erscheint der Erzählband Little Mexican. Aufenthalte in Florenz, Forte dei Marmi, Paris und London. 1925  Im Januar erscheint der dritte Roman, Those Barren Leaves (dt. Parallelen der Liebe) und im September der erste Band mit Reise­ essays, Along the Road. Im März/April sind die Huxleys in Tunesien. Im Juni durchsuchen die italienischen Faschisten ihr Haus in Florenz. Im September beginnen Aldous und Maria ihre Weltreise mit einem ersten Aufenhalt in Indien, wo sie Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru treffen. 1926  Von Indien geht es im Februar weiter nach Burma, durch Indonesien, die Philippinen, Singapur, dann über Hongkong und Japan nach San Francisco und Los Angeles. Bei diesem ersten Amerikabesuch lernen sie u. a. auch Charlie Chaplin kennen. Über Chicago geht es kurz nach New York, im Juni sind sie zurück in London. Im Mai erscheint der Erzählband Two or Three Graces und Ende des Jahres der kritische Bericht der Weltreise unter dem Titel Jesting Pilate sowie ein erster Sammelband, Essays New and Old. 1927  Huxley bleibt in Florenz, wo er sich viel mit D. H. Lawrence trifft. Er unterbricht die Arbeit an seinem Roman Point Counter Point (dt. Kontrapunkt des Lebens) für die sozialpolitisch-anthropologische Untersuchung Proper Studies, die im November veröffentlicht wird. 1928  Wegen der zunehmenden politischen Spannungen in Italien ziehen die Huxleys im Sommer nach Suresnes in der Nähe von Paris. Im November erscheint Point Counter Point.

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1929  Erstes Treffen mit Gerald Heard. Der sehr kranke D. H. Law­ rence besucht die Huxleys in Suresnes und später in Forte dei Marmi. Der Gedichtband Arabia Infelix erscheint im Mai und der Essayband Do What You Will im Oktober. Nach einem Kurztrip im April folgt im Oktober und November die große Spanienreise. 1930  Im Januar hat die Bühnenadaption von Point Counter Point unter dem Titel This Way to Paradise in London Premiere. Im März stirbt D. H. Lawrence in Venedig. Aldous und Maria kaufen die »Villa Huley« in Sanary. Im Oktober besichtigen sie den Kohleabbau in Durham/Nordengland. Im Mai wird der Erzählband Brief Candles (dt. Nach dem Feuerwerk) veröffentlicht. 1931  Im März hat Huxleys erstes Theaterstück, The World of Light, in London Premiere. Im Juni besucht Huxley Alfred Monds Chemiewerke in Billingham/Nordengland. Seine Eindrücke fließen unmittelbar in den Roman Brave New World (dt. Schöne neue Welt) ein, den er in Sanary in vier Monaten niederschreibt. Im Mai wird der Gedichtband The Cicadas, im September der Essayband Music at Night veröffentlicht. 1932  Die Huxleys leben weiter in Sanary. Huxley schreibt das Theaterstück Now More Than Ever. Im Februar erscheint Schöne neue Welt, im September die von Huxley herausgegebene Sammlung der Briefe von D. H. Lawrence. Im November erscheint die Gedichtanthologie Texts and Pretexts. 1933  Von Januar bis Mai reisen die Huxleys durch die Karibik, Guatemala, Venezuela und Mexiko, woraus im Sommer in Sanary der Reiseessay Beyond the Mexique Bay entsteht. Im Mai stirbt Huxleys Vater Leonard. Im November reisen die Huxleys durch Spanien. 1934  Seit 1932 arbeitet Huxley mit Unterbrechungen an Eyeless in Gaza (dt. Geblendet in Gaza). Im April erscheint Beyond the Mexique Bay. Bis Oktober sind die Huxleys in Sanary. Ende des Jahres mieten sie ein zusätzliches Apartment in London, wo sie den Winter verbringen. Im November beginnt Huxleys Krise mit Schlaflosigkeit und Depressionen. 292

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1935  Von März bis Oktober arbeitet Huxley in Sanary weiter an Eyeless in Gaza. Im Oktober beginnt er seine Übungen mit F. M. Alexander, die ihm helfen, seine psychische Krise zu überwinden. Zugleich wird Huxley aktiv in Dick Sheppards Friedensbewegung Peace Pledge Union und hält im November seinen ersten Vortrag für die Bewegung. 1936  Mit Sheppard und Gerald Heard engagiert sich Huxley weiter in der Peace Pledge Union. Von April bis September sind die Huxleys wieder in Sanary. Huxleys Flugschrift What Are You Going to Do About It? wird im April veröffentlicht, Eyeless in Gaza im Juni. Im Dezember erscheint Huxleys Essayband The Olive Tree. 1937  Die Huxleys verlassen Europa und reisen zusammen mit Gerald Heard auf demselben Schiff wie Thomas und Katia Mann nach New York. Aufenthalt bei Frieda Lawrence in Taos/New Mexico, wo Huxley seine sozialphilosophische Studie Ends and Means (dt. Ziele und Wege) beendet, die noch im November veröffentlicht wird. Ende des Jahres beginnen Heard und Huxley ihre Vorlesungsreise durch die USA, um für Pazifismus zu werben. 1938  Die Huxleys ziehen in der Hoffnung, für die Filmindustrie arbeiten zu können, nach Hollywood. Für MGM arbeitet Huxley an Madame Curie. Matthew nimmt sein Studium an der Universität von Colorado auf. Huxley und Jiddu Krishnamurti begegnen sich zum ersten Mal. 1939  Die Huxleys ziehen nach Pacific Palisades. Im Oktober wird der satirische Kalifornienroman After Many a Summer (dt. Nach vielen Sommern) veröffentlicht, für den Huxley den James Tait Black Memorial Prize erhält und der einige Parallelen zu Orson Welles’ spektakulärem Filmdebüt Citizen Kane (1941) aufweist. Huxley lernt Christopher Isherwood kennen und kommt in Kontakt mit der Vedanta Society und Swami Prabhavananda. Das Training mit der Bates-Methode hat Huxleys Sehkraft verbessert. 1940  Für MGM arbeitet Huxley weiter am Drehbuch für Pride and Prejudice (Laurence Olivier). 293

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1941  Huxley arbeitet am Drehbuch für Jane Eyre (Orson Welles) für Twentieth Century Fox. Im Oktober erscheint Grey Eminence (dt. Die graue Eminenz). 1942  Die Huxleys ziehen nach Llano del Rio in der Wüste nordöstlich von Los Angeles. Aldous arbeitet weiter an Jane Eyre und beginnt im Frühjahr The Art of Seeing (dt. Die Kunst des Sehens) zu schreiben, das im Oktober veröffentlicht wird. 1943  Im Sommer hilft Huxley Gerald Heard in dessen Trabuco College. Aldous hat eine erste starke allergische Hautreaktion auf Pflanzen in Llano. Die Huxleys legen sich eine Zweitwohnung auf dem South Doheny Drive in Los Angeles zu. 1944  Am 26.  Juli wird Huxley 50 Jahre alt. Er und Christopher Isher­wood arbeiten zusammen u. a. am Drehbuch von Jacob’s Hands (dt. Jakob der Heiler). Im August erscheinen der Roman Time Must Have a Stop (dt. Zeit muss enden) sowie Isherwoods und Prabhavanandas kommentierte Übersetzung des Sanskrit-Klassikers Bhagavad Gita: The Song of God mit einer Einführung von Huxley. 1945  Aldous und Maria verbringen ihren ersten Sommer in Wrightwood. Die Anthologie The Perennial Philosophy (dt. Die ewige Philosophie), die Huxley im Frühjahr beendet hat, erscheint im September. Pläne für eine Verfilmung von Schöne neue Welt zerschlagen sich wegen rechtlicher Fragen. 1946  Science, Liberty and Peace wird im Frühjahr veröffentlicht. Aldous arbeitet an Film- und Bühnenversionen von The Gioconda Smile sowie seinem Katharina-von-Siena-Projekt und beginnt, Essays für die Encyclopaedia-Britannica-Anthologie zu sammeln. Beginn der Freundschaft mit den Strawinskys. 1947  Im September verlassen die Huxleys Kalifornien zum ersten Mal seit 1938 für einen Aufenthalt in New York. Huxley arbeitet weiter an dem Gioconda-Film, an Katharina von Siena und beginnt Ape and Essence (dt. Affe und Wesen). Im November erscheint der umfangreiche Sammelband The World of Aldous Huxley, herausgegeben von dem Literaturhistoriker Charles J. Rolo. 294

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1948  The Gioconda Smile erscheint als Stück zunächst unter dem Titel Mortal Coils und läuft im Sommer erfolgreich in London; der Film kommt als A Woman’s Vengeance in die Kinos. Die Huxleys kehren das erste Mal nach Europa zurück und reisen nach Paris, Siena, Rom und London. Bei der Rückkehr erkrankt Aldous an schwerer Bronchitis und muss für den Winter in Palm Desert kuren. Dort arbeitet er an einer Bühnenfassung des Romans Affe und Wesen, der im August erschienen ist. 1949  Weiterer Aufenthalt in Palm Desert. Arbeit an den langen Essays, inklusive der langen Studie über Maine de Biran, die als Themes and Variations gesammelt werden. Das Lächeln der Gioconda läuft in der französischen Übertragung von Georges Neveux in Paris. Die Huxleys kaufen ein Haus in der North Kings Road in Hollywood. Huxley schreibt an George Orwell, um ihm zu seinem gerade erschienenen Roman 1984 zu gratulieren. 1950  Matthew Huxley heiratet Ellen Hovde. Themes and Variations erscheint im April. Die zweite Europareise führt die Huxleys über Paris nach Rom, Siena, London und Sanary sowie in die Corrèze. Im Oktober ist Huxley bei der unglücklichen Broadway-Premiere von The Gioconda Smile in New York. 1951  Eine Grippe schlägt sich auf Huxleys Augen nieder. Es besteht die Gefahr einer kompletten Erblindung. 1952  Marias erste Brust-OP. Huxley beendet The Devils of Loudun (dt. Die Teufel von Loudun), das im Oktober erscheint. Pläne für einen Gandhi-Film mit Huxleys Drehbuch zerschlagen sich. 1953  Im Mai erstes Treffen mit dem Psychiater Humphry Osmond, mit dem Huxley das erste Meskalin-Experiment durchführt, das er in The Doors of Perception (dt. Die Pforten der Wahrnehmung) beschreibt. Aldous und Maria machen im Juni eine dreiwöchige Autotour durch den Nordwesten der USA. 1954  The Doors of Perception erscheint im Februar. Im April beginnen die Huxleys eine lange Reise durch Europa und den Nahen Osten: Paris, Ägypten, Jerusalem, Beirut, Zypern, Athen und Rom. 295

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Aldous hält einen Vortrag über visionäre Erfahrung und Kunst in Washington, bei J. B. Rhine an der Duke Universität und an der Universität von North Carolina. Während des Sommers hat Aldous The Genius and the Goddess (dt. Das Genie und die Göttin) beendet, im Winter arbeitet er an einer Bühnenfassung und diversen Essays. 1955  Im Januar schließt Huxley einen Vertrag mit dem Esquire über die Artikelreihe »From the Study of Aldous Huxley« ab. Im Februar erliegt Maria ihrem Krebsleiden. Im Juni erscheint Das Genie und die Göttin. Den Sommer verbringt Aldous wegen einer Bühnenfassung des Romans in New York und bei Matthew und Ellen in Connecticut. 1956  Im Februar erscheint Heaven and Hell (dt. Himmel und Hölle). Im März heiratet Huxley Laura Archera und sie beziehen ein neues Domizil im Deronda Drive. Arbeit an Island (dt. Eiland) und einer Musical-Version von Schöne neue Welt. Im Oktober erscheint die Essay-Sammlung Tomorrow and Tomorrow and Tomorrw/Adonis and the Alphabet. 1957  Im April überarbeitet Huxley Ralph Roses Bühnenfassung von Nach vielen Sommern. Im Juni erscheinen die Collected Short Stories. Vom Sommer bis zum Ende des Jahres ist Huxley in New York, um die Bühnenfassung von Das Genie und die Göttin fertigzustellen; die Produktion endet im Desaster. 1958  Aldous und Laura sind im Spätsommer in Peru und Brasilien, danach in Italien. Aldous besucht Julian in London. Brave New World Revisited (dt. Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt) erscheint. Im November unternimmt er eine Vortragsreise nach Turin, Mailand, Rom und Neapel. Danach erkrankt er erneut an einer Grippe mit bronchialen Komplikationen. 1959  Matthew und Ellen trennen sich. Im Sommer- und Wintersemester hat Aldous eine Gastprofessur in Santa Barbara zum Thema »The Human Situation«. Er erhält die Ehrenmedaille der American Academy of Arts and Letters und einen Ehrendoktortitel. Im August erscheinen die Collected Essays. 296

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1960  Gastprofessur bei der Menninger Foundation, Topeka, und am MIT in Cambridge, Massachusetts. Im Mai wird bei Huxley Zungenkrebs festgestellt. 1961  Ein typisches kalifornisches Buschfeuer brennt Huxleys Haus im Deronda Drive bis auf die Grundmauern nieder und zerstört seine umfangreiche Bibliothek mit seinen Anmerkungen und wertvollen Einzelstücken, Manuskripte, Briefe und persönliche Aufzeichnungen. 1962  Gastprofessur in Berkeley. Esalen wird gegründet und Huxley spricht dort zum Thema »Human Potentialities«. Island (dt. Eiland) wird veröffentlicht. Huxley wird in England Companion of Literature. Er unterzieht sich einer Krebsoperation. 1963  Huxley nimmt an einem Treffen der World Academy of Arts and Sciences in Stockholm teil und trifft sich mit Niels Bohr. Letzte Reisen nach England und Italien. Bis kurz vor seinem Tod diktiert Huxley »Shakespeare and Religion«. Er stirbt am 22. November, wenige Stunden nach der Ermordung John F. Kennedys. 1968  Lauras Erinnerungsband This Timeless Moment erscheint. 1969  Letters of Aldous Huxley wird von Grover Smith herausgegeben. 1971  Huxleys Asche wird ins Familiengrab auf dem Friedhof in Compton, Surrey (bei Godalming, südlich von Guildford), überführt. 1972  Marias Asche wird ebenfalls in das Grab in Compton überführt. 1977  Huxleys Vorlesungen in Santa Barbara von 1959 werden von Lauras Neffen Piero Ferrucci unter dem Titel The Human Situation herausgegeben. 1994  Zu Huxleys 100. Geburtstag findet in Münster, Westfalen, das erste internationale Aldous-Huxley-Symposium statt. Zu diesem Anlass wird in der Studiobühne der Universität Münster Huxleys Stück Now More Than Ever (Regie: Uwe Rasch) von 1932 uraufgeführt. 297

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1998  Am 25. Juni wird in Münster die International Aldous Huxley Society gegründet. Seitdem fanden Huxley-Symposien 2000 in Singapur, 2004 in Riga, 2008 in Los Angeles, 2013 in Oxford, 2017 in Almería statt (2020 in Toulon/Sanary geplant). Zahlreiche Veröffentlichungen der Huxley-Monografienreihe »Human Potentialities« und seit 2001 des Jahresbandes Aldous Huxley Annual (AHA). In AHA erscheinen seitdem neben Essays und Kurzgeschichten auch Huxleys Musicalversion von Schöne neue Welt (2003) und das Stück The Genius and the Goddess (2004) sowie zahlreiche bis dahin unveröffentlichte Texte Huxleys. Jacob’s Hands/Jakob der Heiler von Aldous Huxley und Christopher Isherwood erscheint. 2000  Now More Than Ever erscheint. 2000–2002  Die Sammlung Complete Essays, herausgegeben von Robert S. Baker und James Sexton, erscheint in sechs Bänden. 2005  Matthew Huxley stirbt am 10. Februar. 2007  Laura Huxley stirbt am 13. Dezember im Alter von 96 Jahren im selben Haus, in dem auch Huxley starb. 2013  Die International Aldous Huxley Society und der Aldous & Laura Huxley Literary Trust stiften eine Sitzbank für den Friedhof in Compton in Erinnerung an Aldous Huxley. In die Rückenlehne ist der Aufruf zur Achtsamkeit aus Huxleys letztem Roman Eiland eingefräst: »Here and Now, Boys!«

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Editorischer Hinweis

Editorischer Hinweis Alle im Text auf Deutsch wiedergegebenen Originaltexte, die keinen Verweis auf eine deutsche Übersetzungsquelle haben, wurden von den Verfassern selbst übersetzt. Um die Überprüfbarkeit zu gewährleisten, wurde bei wichtigen Passagen die englischsprachige Quelle angeführt.

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Literaturverzeichnis und Siglen

Literaturverzeichnis und Siglen Ab 1937 erschienen Huxleys neue Bücher, fiktionale wie essayistische, generell zunächst bei Harper & Brothers in New York und kurz darauf in London bei Chatto & Windus (bei manchen Bänden erst im Jahr darauf). In der Literaturliste wird nur der Erscheinungsort London angegeben (bei Differenz das Erscheinungsjahr der amerikanischen Erstausgabe in Klammern). Deutsche Erstausgaben erscheinen am Ende in Klammern mit der Angabe EA. In eckigen Klammern stehen die Kurztitel für Verweise im Text.

I. Werke von Aldous Huxley Romane und historisch-philosophische Biografien Crome Yellow, London 1921. Eine Gesellschaft auf dem Lande. Übers. von Herbert Schlüter, München 2017 (EA München 1977) Antic Hay, London 1923. Narrenreigen. Übers. von Herbert Schlüter, München 2017 (EA München 1983). [Narrenreigen] Those Barren Leaves, London 1925. Parallelen der Liebe. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 2017 (EA Frankfurt/M. 1961). [Parallelen der Liebe] Point Counter Point, London 1928. Kontrapunkt des Lebens. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 2017 (EA Leipzig 1930) [Kontrapunkt des Lebens] Brave New World, London 1932. Schöne neue Welt. Übers. von Uda Strätling, Frankfurt 2013 (frühere Titel: Welt – Wohin?, 1932 bzw. Wackere neue Welt, 1950) [Schöne neue Welt] Eyeless in Gaza, London 1936. Geblendet in Gaza. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 2017 (EA Hamburg 1959) [Geblendet] After Many a Summer, London 1939. Nach vielen Sommern. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 1954 (EA Zürich 1945) [Nach vielen Sommern] Grey Eminence: A Study in Religion and Politics, London 1941. Die graue Eminenz. Père Joseph – Der geheime Vertraute und Berater Richelieus. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 2017 (EA München 1941) [Die graue Eminenz]

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Literaturverzeichnis und Siglen

Time Must Have a Stop, London 1944. Zeit muss enden. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 2017 (EA Zürich 1950) Ape and Essence, London 1948. Affe und Wesen. Ein Roman aus der Zeit nach dem Atomkrieg. Übers. von Herbert Schlüter, München 2017; übers. von Herberth E. Herlitschka, München o. J. (EA Zürich 1959) [Affe und Wesen] The Devils of Loudun, London 1952. Die Teufel von Loudun. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 1955 (EA) The Genius and the Goddess, London 1955. Das Genie und die Göttin. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 1956 (EA München 1954) Island, London 1962. Eiland. Übers. von Marlys Herlitschka, München 1984 (EA München 1973) [Eiland]

Erzählungen und kürzere Prosa Limbo, London 1920. Cynthia. Übers. von Herbert Schlüter, Herberth E. Herlitschka und Theo Schumacher, München/Zürich 1988 Mortal Coils, London 1922. Glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Übers. von Herbert Schlüter und Herberth E. Herlitschka, München 1985 Little Mexican, London 1924. Der kleine Mexikaner. Übers. von Herbert Schlüter und Herberth E. Herlitschka, München 1986 Two or Three Graces, London 1926. Zwei oder drei Grazien: Ein kleiner Roman. Übers. von Herberth E. Herlitschka, Leipzig 1931 Brief Candles, London 1930. Nach dem Feuerwerk. Übers. von Herberth E. Herlitschka, Leipzig undatiert [1930] Collected Short Stories, London 1957 Meisternovellen. Übers. von Herberth E. Herlitschka, Zürich 1951 Schauet die Lilien: Erzählungen. Übers. von Herberth E. Herlitschka, Stuttgart 1955 Meistererzählungen. Übers. von Herbert Schlüter und Herberth E. Herlitschka, München 2017 (EA München 1979)

Gedichte The Burning Wheel, Oxford 1916 Jonah, Oxford 1917 The Defeat of Youth, Oxford 1918 Leda, London 1920 Arabia Infelix, London/New York 1929 The Cicadas, London 1931

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Literaturverzeichnis und Siglen

Verses & a Comedy, London 1946 The Collected Poetry of Aldous Huxley. Hrsg. von Donald Watt, New York 1971

Essays, Reiseberichte und philosophische Abhandlungen On the Margin, London 1923 Along the Road, London 1925 Jesting Pilate, London 1926 [Jesting Pilate] Proper Studies, London 1927 Do What You Will, London 1929 Music at Night, London 1931 Texts and Pretexts, London 1932 Beyond the Mexique Bay, London 1934 What Are You Going to Do About It? The Case for Constructive Peace, London 1936. Plädoyer für den Weltfrieden. Übers. von Ute Mäurer, München 1984 The Olive Tree, London 1936 An Encyclopaedia of Pacifism. Hrsg. von Aldous Huxley, London 1937. Enzy­ klopädie des Pazifismus. Übers. von Ute Mäurer, München 1984 Ends and Means, London 1937. Ziele und Wege. Übers. von Elisabeth Fischer, Berlin/Bielefeld 1949 Words and Their Meanings, Los Angeles 1940 The Art of Seeing, London 1943 (1942). Die Kunst des Sehens. Übers. von Christoph Graf, München/Zürich 1999 The Perennial Philosophy, London 1946. Die ewige Philosophie: Philosophia perennis. Übers. von H. R. Conrad, überarbeitete Fassung, Freiburg 2008 (EA Zürich 1948) [PP] Science, Liberty and Peace, London 1946. Wissenschaft, Freiheit und Frieden. Übers. von Herberth E. Herlitschka, Zürich 1947 Themes and Variations, London 1949. Themen und Variationen. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 2018 The Doors of Perception/Heaven and Hell, London 1954, 1956. Die Pforten der Wahrnehmung/Himmel und Hölle. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 1970 Brave New World Revisited, London 1959. Schöne neue Welt: Dreißig Jahre danach, Gütersloh 1958. Dreißig Jahre danach oder Wiedersehen mit der »Wackeren neuen Welt«, München 1960. Wiedersehen mit der Schönen

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Literaturverzeichnis und Siglen

neuen Welt. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 2017 [Wiedersehen 1960] Collected Essays, London 1958 Literature and Science, London 1963. Literatur und Wissenschaft. Übers. von Herberth E. Herlitschka, München 1963 The Politics of Ecology: The question of survival. Hrsg. vom Center for the Study of Democratic Institutions, Santa Barbara, Cal., 1963 [Einzelveröffentlichung eines Vortrags von 1962] Moksha. Writings on Psychedelics and the Visionary Experience (1931–1963). Hrsg. von Michael Horowitz und Cynthia Palmer, New York 1977. Moksha. Auf der Suche nach der Wunderdroge. Übers. von Kyra Stromberg, München 1983 The Human Situation: Lectures at Santa Barbara 1959. Hrsg. von Piero Ferrucci, London 1978 Huxley and God: Essays on Religious Experience. Hrsg. von Jacqueline Hazard Bridgeman, mit einer Einführung von Huston Smith, San Francisco 1992. The Divine Within: Selected Writings on Enlightenment, New York 2013. Gott ist: Essays. Übers. von Jochen Eggert, München 1993 The Hidden Huxley. Hrsg. von David Bradshaw, London/Boston 1994 Aldous Huxley’s Hearst Essays. Hrsg. von James Sexton, New York/London 1994 Essays. 3 Bände. Hrsg. von Werner von Koppenfels. Übers. von H. H. Henschen, Herberth E. Herlitschka, Sabine Hübner und Werner von Koppenfels, München 1994 [viele der Essays sind leicht gekürzt] [Essays] Essays. Band I: Streifzüge. Ansichten der Natur und Reisebilder. Hrsg. von Werner von Koppenfels, München 2018 Essays. Band II: Form in der Zeit. Über Literatur, Kunst, Musik. Hrsg. von Werner von Koppenfels, München 2018 Essays, Band III: Seele und Gesellschaft. Diagnosen und Prognosen. Hrsg. von Werner von Koppenfels, München 2018 Complete Essays. Hrsg. von Robert S. Baker und James Sexton. 6 Bände, Chicago 2000–2002 [CE]

Theaterstücke The World of Light, London 1931 Now More Than Ever (1932). Hrsg. von David Bradshaw und James Sexton, Austin 2000 The Gioconda Smile (1947), unveröffentlicht

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Literaturverzeichnis und Siglen

Ape and Essence (1949), unveröffentlicht Brave New World: A Musical Comedy, in: AHA 3, Münster 2004 The Genius and The Goddess: A Play [zusammen mit Beth Wendel], in: AHA 4, Münster 2005

Filmdrehbücher Madame Curie (1938), Metro-Goldwyn-Mayer (herausgekommen 1943, Huxleys Beitrag wird nicht erwähnt) Pride and Prejudice (1940), Metro-Goldwyn-Mayer, Regie: Robert Z. Leonard Jane Eyre (1944), Twentieth Century-Fox A Woman’s Vengeance (1947), Universal International Alice in Wonderland (1951), RKO Pictures (Huxleys Beteiligung wird nicht erwähnt) Jacob’s Hands (1944), zusammen mit Christopher Isherwood, London 1998. Jakob der Heiler. Übers. von Michael Mundhenk, Berlin 1998 Below the Equator (1950), zusammen mit Christopher Isherwood, in: AHA 17/18, Münster 2018

Kinderbuch The Crows of Pearblossom (1944), New York, 1967/2011. Die Krähen von Pearblossom und die Geschichte, wie dieses und jenes und überhaupt etwas sehr Komisches geschah, Neuauflage, Frankfurt 2018

Briefe Letters of Aldous Huxley. Hrsg. von Grover Smith, London 1969 [Letters] Selected Letters of Aldous Huxley. Hrsg. von James Sexton, Chicago 2007 [SL]

II. Bearbeitungen von Huxleys Werken Theaterstücke Dixon, Campbell: This Way to Paradise. Bühnenadaption von Point Counter Point, Premiere am 30. Januar 1930 im Daly’s Theatre/London Walinsky, Louis J.: Brave New World, 1938 in Paris aufgeführt Neveux, Georges (in Kollaboration mit A. Huxley): Le sourire de la Gioconde, 1949 in Paris aufgeführt Rose, Ralph (in Kollaboration mit A. Huxley): After Many a Summer Dies the Swan (1951–1957), unveröffentlicht

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Literaturverzeichnis und Siglen

Whiting, John Robert: The Devils, London 1961. Premiere am 18. November 1962 im Aldwych Theatre/London Rogers, David: Brave New World, Chicago 1970 Gieseler, Achim und Ludwig, Volker: Schöne Neue Welt. Musical-Fassung nach Huxleys Roman, Berlin 2006

Verfilmungen (Auswahl) A Woman’s Vengeance (1948). Die Rache einer Frau (Österreich). Qualen der Liebe (BRD). Regie: Zoltán Korda. Mit Charles Boyer, Ann Blyth, Jessica Tandy, Cedric Hardwicke u. a. Prelude to Fame (1950). Das Wunder von San Marino. Britische Verfilmung der Geschichte »Young Archimedes«. Regie: Fergus McDonell The World of Light (1950). BBC-Fernsehproduktion des gleichnamigen Bühnenstücks The Gioconda Smile (1953–1954). US-amerikanische CBS-Fernsehproduktion in der Serie The Philip Morris Playhouse The Gioconda Smile (1954). CBS-Fernsehproduktion Das Lächeln der Gioconda (1953). Fernsehfassung, basierend auf Huxleys Bühnenfassung in der Übertragung von Herberth E. Herlitschka. Regie: Werner Völger. Mit Gisela Uhlen, Erwin Linder, Gustl Busch, Christiane Harlan, Helmut Gmelin The Gioconda Smile (1957). US-amerikanische NBC-Fernsehproduktion. Regie: Boris Sagal The Gioconda Smile (1957). Englische TV-Adaption (ITV). Regie: Cyril ­Butcher Das Lächeln der Gioconda (1958). Fernsehfassung, basierend auf Huxleys Bühnenfassung in der Übertragung von Herberth E. Herlitschka. Regie: Michael Kehlmann. Mit Inge Langen, Karl John, Else Knott, Herta Staal, Walter Rilla u. a. Produktion: Hessischer Rundfunk Das Genie und die Göttin (1959). Fernsehfassung, basierend auf dem Bühnenstück von Aldous Huxley und Betty Wendel in der Übertragung von Herberth E. Herlitschka. Regie und Drehbuch: Walter Rilla. Mit Martin Benrath, Albrecht Schoenhals, Karl Ludwig Lindt, Erika Dannhoff, Rolf Hübner, Ingrid Stenn u. a. The Gioconda Smile (1960). Kanadische TV-Adaption The Gioconda Smile (1963). Englische TV-Adaption (ITV: Granada Television). Regie: David Boisseau The Gioconda Smile (1963). Australische TV-Adaption (Australian Broadcasting Commission). Regie: Patrick Barton

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Literaturverzeichnis und Siglen

Das Lächeln der Gioconda (1966). Fernsehfassung, basierend auf Huxleys Bühnenfassung in der Übertragung von Herberth E. Herlitschka. Regie: Ilo von Jankó. Mit Agnes Finck, Alexander Kerst, Ilse Fürstenberg, Christine Wodetzky, Dieter Borsche, Walter Hauttmann, Gery Müller Ape and Essence (1966). BBC-Fernsehadaption in der Reihe The Wednesday Play. Regie: David Benedictus After Many A Summer (1967). BBC-Fernsehadaption. Regie: Douglas Camfield Point Counter Point (1968). BBC-Fernsehadaption. Regie: Rex Tucker Eyeless in Gaza (1971). BBC-Fernsehadaption. Regie: James Cellan Jones. Mit Michael Gambon, Ian Richardson u. a. The Devils (1971). Basierend auf John Whitings Bühnenfassung und Huxleys Roman. Regie: Ken Russell. Mit Vanessa Redgrave, Oliver Reed, Gemma Jones u. a. Il piccolo Archimede (Der kleine Archimedes) (1979). Italienische Fernsehfassung (Rai 2), basierend auf Huxleys Geschichte »Little Archimedes«. Regie und Drehbuch: Gianni Amelio. Mit John Steiner, Franco Pugi, Liliana Vannini Brave New World (1980). US-amerikanische NBC-Fernsehproduktion. Regie: Burt Brinckerhoff. Mit Julie Cobb, Bud Cort, Keir Dullea u. a. Brave New World. Geklonte Zukunft (1998). US-amerikanische NBC-Fernsehproduktion. Regie: Leslie Libman, Larry Williams. Mit Peter Gallagher, Leonard Nimoy, Miguel Ferrer u. a.

Oper Die Teufel von Loudun (1969). Basierend auf der Dramatisierung von John Whiting in der Übertragung von Erich Fried. Libretto und Komposition von Krzysztof Penderecki. Uraufführung am 20. Juni 1969, Hamburgische Staatsoper

Hörspielfassungen von Brave New World/Schöne neue Welt Huxley, Aldous: Brave New World, New York 1956, CBS-Radiohörspiel mit Aldous Huxley als Erzähler Wackere neue Welt (1967). Regie: Ludwig Cremer. Mit Manfred Schradi, Wolfram Besch, Joachim Ernst, Isabelle Stumpf u. a. Helmar, Helmut: Schöne neue Welt (1969). Regie: James Meyer Swoboda, Helmut: Schöne neue Welt, München 1984. Bayerischer Rundfunk. Regie: Wolf Euba. Mit Karl Walter Diess, Thomas Holtzmann, Peter Lieck, Eva Astor, Wolfgang Büttner, Hans Quest, Robert Atzorn u. a.

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Literaturverzeichnis und Siglen

Schöne neue Welt. Hörbuch (6 CDs, gelesen von Hans Eckardt), Marburg 2004 Huxley, Aldous: Brave New World, BBC Audiobooks America 2003: Black­ stone Audio Ashland, Oregon, 2008. Mit Michael York Strätling, Uda: Schöne neue Welt: Ein Roman der Zukunft, München 2013. Mit Matthias Brandt und Sven Stricker Diernberger, Jörg: Brave Neue Welt. Hörspiel, welches nicht die Geschichte von Brave New World erzählt, aber im gleichen Universum spielt, Köln 2013. Mit Christian Ulmen, Kathrin Angerer, Sabine Vitua u. a. Strätling, Uda: Schöne neue Welt, Berlin 2016. Regie: Regine Ahrem. Mit Gerd Wameling, Leslie Malton, Lars Rudolph, Irm Hermann u. a.

III. Sekundärliteratur Aldous Huxley Annual, Münster, seit 2001 [AHA] Attenborough, Anthony: »Huxley Workshops on Bates and Erickson«, in: Aldous Huxley, Man of Letters: Thinker, Critic and Artist – Proceedings of the Third International Aldous Huxley Symposium, Riga 2004. Hrsg. von Bernfried Nugel, Uwe Rasch, Gerhard Wagner, Berlin 2007, S. 237–278 Baker, Robert S.: The Dark Historic Page: Social Satire and Historicism in the Novels of Aldous Huxley, Madison 1982 Bedford, Sybille: Aldous Huxley: A Biography. 2 Bände, London 1973/74 [Bedford I/II] Bedford, Sybille: Quicksands: A Memoir, London 2005 Birnbaum, Milton: Aldous Huxley’s Quest for Values, Knoxville 1970 Bishop, Elisabeth: »A New Capital, Aldous Huxley, and Some Indians (1958)«, in: AHA 14 (2014), S. 69–104 Borgonovi, Rosa: »Aldous Huxley and the Sense of Travel: Between Journey and Metaphysical Exploration«, in: AHA 12/13 (2012/2013), S. 57–79 Bradshaw, David: »The Flight from Gaza: Aldous Huxley’s Involvement with the Peace Pledge Union in the Context of His Overall Intellectual Development«, in: Now More Than Ever: Proceedings of the Aldous Huxley Centenary Symposium Münster 1994. Hrsg. von Bernfried Nugel, Frankfurt am Main 1995, S. 9–27 Bradshaw, David: »The Best of Companions: J. W. N. Sullivan, Aldous Huxley, and the New Physics«, in: Review of English Studies, 47 (1996), S. 188–206, 352–368 Bradshaw, David: »›A Blind Stay-at-Home Mole‹: Huxley at Oxford, 1913– 1916«, in: AHA 12/13 (2012/2013), S. 195–222 [Bradshaw]

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Literaturverzeichnis und Siglen

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Personenregister

Personenregister Adorno, Theodor W.  198, 202, 205 Acosta, Mercedes de  181, 190, 210 Alexander, Frederick Matthias  157, 162−163, 187, 229, 293 Alpert, Richard (Ram Dass)  275 Arnold, Matthew  23, 25, 44, 81 Auden, W. H.  191, 202 Baba, Meher  230 Bach, Johann Sebastian  134 Bachardy, Don  191, 193 Bacon, Francis  70, 110 Balzac, Honoré de  75 Barbusse, Henri  156 Bateson, Gregory  256 Baudelaire, Charles  42, 114, 120−121 Bedford, Sybille (geb. von Schoenebeck)  15, 130, 139, 141−142, 148–150, 156, 170, 196–197, 227, 230, 239, 244, 268, 272 Beethoven, Ludwig van  34, 134 Bell, Vanessa  48, 59 Bennett, Arnold  112 Berlin, Isaiah  95 Bertalanffy, Ludwig von  256 Besant, Annie  183, 233 Biran, Maine de  188, 197, 222, 224−225, 295 Bishop, Elisabeth  259 Blake, William  96, 125, 127, 167, 188, 207, 238 Blavatsky, Helena  183 Blyth, Ann  90, 126 Boehme, Jakob  79 Bohr, Niels  271, 275, 297

312

Boyer, Charles  90, 216 Brecht, Bertolt  143, 181, 198, 202, 232 Brett, Dorothy  48, 56, 71, 74, 76 Broad, C. D.  133 Broch, Hermann  143 Brooke, Rupert  66 Buddha  274, 278 Burns, Robert  121, 127 Byron, Lord George Gordon  152 Carrington, Dora  48, 62, 70 Cervantes, Miguel de  114 Chaplin, Charlie  107, 173, 180−181, 190−191, 193−194, 197, 232, 241, 291 Chaucer, Geoffrey  42, 54, 92, 127, 218 Chopin, Frederic  34 Clark, Kenneth  103, 284−285 Collier, Constance  180, 187, 190−191 Connolly, Cyril  130−131, 223 Coster, Geraldine  150 Coward, Noël  118 Craft, Robert  214, 225, 240, 250−251 Crowley, Aleister  132 Cunard, Nancy  66, 90, 93, 120 Cukor, George  178 D’Annunzio, Gabriele  74 d’Aranyi, Jelly  41, 45−46, 57 Darwin, Charles  22 Day-Lewis, Cecil  159 Dewey, John  169−170, 195 DiCaprio, Leonardo  217

Personenregister

Dickens, Charles  116 Donne, John  79 Dumas, Alexandre  137 Eckhart (Meister Eckhart)  201, 207, 238 Einstein, Albert  60, 96, 132, 169, 195 El Greco  148, 224 Eliot, T. S.  44, 48, 65, 70, 84, 109, 226 Erickson, Milton  229, 256, 277 Esdaile, James  277 Faraday, Michael  20, 105 Faulkner, William  178 Ferrucci, Piero  276−277, 297 Feuchtwanger, Lion  143, 198, 232 Fielding, Henry  43, 132 Fitzgerald, F. Scott  178 Ford, Henry  133, 139 Franco, Francisco (General Franco)  162 Freud, Sigmund  9, 263 Fry, Roger  49, 59, 75 Galsworthy, John  174 Gandhi, Mahatma  106, 230, 234, 277, 291 Garbo, Greta  178, 180−181, 190, 194 Garrett, Eileen  169, 181, 229, 241−244, 261, 272−273 Gertler, Mark  89 Gesualdo, Carlo  214, 250−251 Gide, André  42, 79, 110 Gielgud, John  26, 221 Gielgud, Lewis  26−27, 32, 35−36, 38, 42, 63, 113, 240 Ginsberg, Allen  169, 275 Goddard, Paulette  180, 191, 194, 210, 217, 229 Godel, Roger  227, 230, 236, 242−243

Goethe, Johann Wolfgang von  118 Goya, Francisco de  148, 224, 233 Green, Russell  47, 84 Greville, Fulke  117 Haber, Heinz  258 Haldane, J. B. S.  42 Haldane, John Scott  35, 43, 120 Hearst, William Randolph  134, 179−180 Heisenberg, Werner  132 Herrmann, Eva  142, 148, 150, 171, 181, 186, 190, 197−198, 200, 210, 240, 247, 249 Hindemith, Paul  87 Hofmann, Albert  237, 256, 275 Hubbard, Alfred Matthew »Al«  239, 245 Hubbard, L. Ron  228, 235 Hubble, Edwin  10, 182, 236, 240 Hubble, Grace  181, 191, 210, 247 Huston, John  221 Hutchinson, Mary  49, 65, 70, 89, 91, 98, 103, 108−109, 113, 122, 149 Huxley, Ellen  226−227, 234, 243, 247−248, 252, 261, 295−296 Huxley, Gervas  20, 26−28, 30−33, 35−38, 40, 42, 73, 221, 272, 282, 289 Huxley, Julia  23−29, 40, 46, 161, 203, 205, 271, 289 Huxley, Juliette (geb. Baillot)  49, 52, 56, 62–63, 77, 115, 221, 223, 227, 244, 246, 263, 271, 277, 282, 284 Huxley, Laura Archera  16, 205, 217, 221, 234–235, 239, 244, 246, 248–250, 259–268, 271, 274–278, 283–287, 289, 296, 298 Huxley, Leonard  21, 24, 27, 29, 31, 33, 39, 44, 95, 147, 289, 292

313

Personenregister

Huxley, Margaret  24, 27, 29, 87, 272, 289 Huxley, Rosalind  24, 33, 40, 147, 162 Huxley, Thomas Henry  20, 22−23, 31, 39, 49, 137, 140, 160, 266 Huxley, Trevenen  24−25, 27, 29, 31, 33, 35, 37, 39−41, 46, 161, 234, 271, 289–290 Isherwood, Christopher  13, 181, 184, 191−194, 196 202, 204−206, 209, 225−226, 229, 234−235, 239, 247, 269, 281, 283, 285, 293–294, 298 75 Joyce, James Jung, C. G.  115, 227, 263, 274 Kafka, Franz  8, 143 Katharina von Siena  218, 222, 226, 294 Kayser, Emanuel  34, 289 Keynes, John Maynard  49, 59 Kiskadden, Bill  196, 204, 234, 252 Kiskadden, Peggy  191, 196, 204, 234, 246, 281 Kisling, Renée und Moise  164 Korda, Zoltán  216, 222 Kreuger, Ivar  143 Krishnamurti, Jiddu  14, 183−186, 190, 192, 194, 204, 207, 210, 218, 225, 229, 233−234, 236, 239−241, 245, 255, 274−275, 277, 293 Laforgue, Jules  42, 66−67 La Rochelle, Pierre Drieu  121 Lawrence, D. H.  10, 48, 50−51, 109−121, 123, 125−126, 129−130, 134, 136, 144, 147, 160, 167, 169, 173, 183−185, 236, 266−267, 272, 290−292

314

Lawrence, Frieda  50, 111, 116−117, 125, 129, 169, 171, 220, 247, 293 Leary, Timothy  239, 275 LeCron, Leslie  229, 246, 277 Lloyd George, David  76 Loeffler, Yolanda  213–214, 246 Loos, Anita  108, 173, 178, 180−181, 190, 193−194, 196, 216−217, 236, 247 Lorenz, Konrad  235 Mallarmé, Stéphane  42, 290 Mann, Erika  197 Mann, Heinrich  148 Mann, Klaus  197−198 Mann, Thomas  8, 148−149, 168, 181, 197−198, 205, 232, 262, 293 Mansfield, Katherine  48, 62, 65, 70, 77 Marcel, Gabriel  121 Marcuse, Ludwig  143, 198 Marlowe, Christopher  93 Marvell, Andrew  145 Marx, Harpo  173, 180 Maslow, Abraham  256 Maugham, Somerset  174 Meier-Graefe, Julius  143 Mencken, H. L.  108 Menuhin, Yehudi  274 Meredith, Burgess  217, 229 Miller, Arthur  232 Milton, John 160 Mitchison, Naomi (geb. Haldane)  35, 68, 69, 122, 156 Montaigne, Michel de  127 Moravia, Alberto  144 Morrell, Ottoline  48–51, 55–56, 58, 65–66, 88, 290 Morrell, Philip  48, 50, 290 Mortimer, Raymond  38, 122, 131, 138, 141, 226

Personenregister

Moulaert, Sophie  118, 137, 195, 222, 244 Mozart, Wolfgang Amadeus  127 Murphy, Gardner  256 Murry, John Middleton  49, 62, 65, 77, 120 Mussolini, Benito  15, 150, 197 Nehru, Jawaharlal  106, 230, 291 Neveux, Georges  195, 218, 222, 224, 226–227, 242, 244, 274, 295 Neveux, Jeanne (Moulaert; geb. Nys)  55, 79, 118, 121, 129, 137, 168, 195, 218, 222, 226–227, 242, 244, 247, 274 Newman, John Henry (Cardinal ­Newman)  114 Nichols, Robert  70, 100, 107, 129, 156 Nicolas, Suzanne (geb. Nys)  55, 89, 90, 97−98, 124, 144, 163, 195, 246, 267 Nys, Marguerite  55, 63, 71, 75, 202, 246 Nys, Norbert  55, 75, 79, 164 Nys, Rose  55, 112, 125, 195, 202, 205, 229, 247−248 Ocampo, Victoria  213, 221 O’Keeffe, Georgia  171 Orioli, Pino  118, 126 Orwell, George (Eric Blair)  67, 290, 295 Osmond, Humphry  235−237, 239, 241, 245−247, 252, 256, 261, 263, 274, 282, 284, 295 Otto, Rudolf  61 Pareto, Vilfredo  112 Parkhurst, Helen  115 Pascal, Blaise  114, 121

Patanjali  150, 190, 239 Pater, Walter  30 Pauling, Linus  256 Peacock, Thomas Love  85 Penderecki, Krzysztof  273 Perls, Fritz  256 Piero della Francesca  103−104, 250 Piranesi, Giovanni Battista  103, 224 Planck, Max  60 Pope, Alexander  112 Prabhavananda  192, 206, 239, 293−294 Proust, Marcel  42, 79 Puharich, Henry  239, 248 Rajagopal, Rosalind  184, 204, 210, 234, 241, 245, 286 Raleigh, Walter  43, 48, 69, 75, 88, 289 Rhine, J. B. (Joseph Banks)  163, 169, 245, 256, 296 Rimbaud, Arthur  42 Rogers, Carl  256 Rothenstein, William  91 Runciman, Stephen  67−68 Russell, Bertrand  49, 52, 59, 71−72, 194−195, 202 Russell, Ken  273 Sackville-West, Edward  67−68, 131 Seabrook, William  142, 147, 168 Schickele, René  143, 149 Schiller, Friedrich  34 Schönberg, Arnold  87, 181, 198, 205, 234 Schrödinger, Erwin  132 Scott, Ridley  217 Shakespeare, William  20, 27, 54, 73, 78, 105, 127, 131, 138, 207 Shaw, George Bernard  157 Sheldon, William H.  15, 188

315

Personenregister

Shelley, Percy Bysshe  92 Sheppard, Dick  155−158, 293 Sitwell, Edith und Osbert  66, 226 Smith, Huston  257, 265 Spender, Stephen  159, 226 Spengler, Oswald  59 Spielberg, Steven  217 Spinoza, Baruch  121 Steinbeck, John  171 Steiner, Rudolf  183 Stendhal  42, 75 Stewart-Richardson, Constance  66 Strachey, Lytton  49, 52, 62 Strawinsky, Igor  10, 12, 184, 205, 213−215, 225, 228, 236, 277 Sullivan, J. W. N.  89, 96, 109, 113, 131−132, 137, 153 Suzuki, Daitetz  257

Valéry, Paul  121, 142, 148, 150, 267 Viertel, Salka  180−181, 190, 193, 198

Tandy, Jessica  90, 216 Tolstoi, Lew  207

Zeitlin, Jacob  173−174, 179, 267

316

Ward, Mrs. Humphry (Mary ­Augusta)  23, 25, 31, 81 Ward, Thomas Humphry  64 Watts, Alan  234, 256−257 Watzlawick, Paul  256 Wells, H. G.  113, 116, 138, 140, 219, 267 Wharton, Edith  131, 142, 150 Wilson, Woodrow  74 Wolff, Charlotte  143, 150, 159 Woolf, Virginia  48, 59, 74, 109, 156, 267 Wordsworth, William  92, 99, 121 Worthington, Marjorie  147, 168 Wren, Christopher  92

Werkregister

Werkregister Adonis and the Alphabet (Tomorrow and Tomorrow and Tomorrow)  200−201, 247, 296 Affe und Wesen (Ape and Essence)  198, 201, 216, 219, 221, 224, 294−295 Along the Road  99, 103−104, 221, 250, 291 Arabia Infelix  125, 292 Beyond the Mexique Bay  145, 148, 150, 292 The Burning Wheel  57, 61, 66, 74, 290 The Cicadas  125, 134, 292 The Defeat of Youth  41, 68, 72−74 Do What You Will  124, 126−127, 134, 152, 292 Eiland (Island)  10, 29, 145, 212, 219, 246−247, 250, 257−258, 266, 268−271, 273, 277, 284, 287, 296−298 Eine Gesellschaft auf dem Lande (Crome Yellow)  85, 87, 89, 95, 109, 133, 179, 290 Enzyklopädie des Pazifismus (An Encyclopædia of Pacifism)  162, 211 Die ewige Philosophie (The Perennial Philosophy)  188, 206, 211, 261, 294

Geblendet in Gaza (Eyeless in Gaza)  41, 150, 155, 159−162, 167, 173, 206, 292−293 Das Genie und die Göttin (The Genius and the Goddess)  242, 244, 246, 248−250, 252, 257, 268, 281, 296, 298 Die graue Eminenz (Grey Eminence) 28–29, 197, 206, 209, 218, 222, 228, 294 The Hidden Huxley  132 Himmel und Hölle (Heaven and Hell)  238, 249, 283, 296 The Human Situation  260, 277, 296−297 Jakob der Heiler (Jacob’s Hands)  204−205, 294, 298 Jesting Pilate  102, 110, 145, 147, 277, 291 Jonah  68, 290 Kontrapunkt des Lebens (Point ­ ounter Point)  10, 114, 117, C 119−123, 128, 139, 144, 162, 173, 217, 260, 266, 291−292 Die Krähen von Pearblossom (The Crows of Pearblossom)  205 Die Kunst des Sehens (The Art of ­Seeing)  30, 187, 205, 211, 275, 294 Leda  71−72, 74, 82, 290 Limbo  73, 80, 89, 290

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Werkregister

Literatur und Wissenschaft ­(Literature and Science)  282 Little Mexican  96, 98, 291 Moksha  16, 237, 287 Mortal Coils  34, 89, 98, 218, 290, 295 Music at Night  134, 137, 292 Nach dem Feuerwerk (Brief Candles)  126, 131, 292 Narrenreigen (Antic Hay)  28, 68, 93, 95, 99, 173, 220, 291 Now More Than Ever  143, 292, 297−298 The Olive Tree  160, 163, 293 On the Margin  52, 92, 105, 291 Parallelen der Liebe (Those Barren Leaves)  81, 95, 99, 101, 125, 162, 291 Die Pforten der Wahrnehmung (The Doors of Perception)  15, 237−238, 295 Plädoyer für den Weltfrieden (What Are You Going to Do About It? The Case for ­Constructive Peace)  159, 293 Proper Studies  112−114, 189, 291 Qualen der Liebe (A Woman’s ­ engeance)  90, 216, 218, 221, V 295

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Schöne neue Welt (Brave New World)  7, 11, 14−15, 26, 67, 107, 131, 133−134, 138−140, 142, 144, 150, 189, 206, 212−213, 217, 219, 238, 250−251, 257, 292, 294, 296, 298 Die Teufel von Loudun (The Devils of Loudun)  196, 232, 234, 236, 242, 273, 295 Texts and Pretexts  144, 206, 236, 292 Themen und Variationen (Themes and Variations)  197, 224, 295 Two or Three Graces  101, 103, 109, 291 Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt (Brave New World Revisited)  257, 259−260, 269, 296 Wissenschaft, Freiheit und Frieden (Science, Liberty, and Peace)  210, 212, 294 The World of Light  131, 133, 138−139, 292 Zeit muss enden (Time Must Have a Stop)  202, 206, 237, 294 Ziele und Wege (Ends and Means)  163−164, 171−173, 191−192, 197, 293

Sachregister

Sachregister Achtsamkeit (Aufmerksamkeit)  15, 150, 158, 172, 186, 190, 234, 269–270, 298 Alexander-Technik  157–158, 187, 229 The Athenaeum  77−78, 84 Bardo Thodol (Das tibetanische ­Totenbuch)  206, 246, 286 Bates-Methode  15, 186–187, 190, 228–229, 293 Bloomsbury  10, 48, 52, 58, 65, 84, 290 Brahman  190, 213 Buddhismus (auch Zen)  9–10, 45, 169, 172, 190, 192, 207, 242, 257 270–271, 278–279, 287 Coterie  47, 65, 79, 102 Dianetik  228–229, 235 The Doors  238 Esquire  237, 247, 249−252, 257, 277, 296 E-Therapie  228 Happy Valley School (Besant Hill School)  233–234, 255 Hinduismus (auch Yoga)  9–10, 45, 150, 153, 158, 172, 181, 190, 192, 225, 228–229, 237, 239, 271, 274– 275, 287 human potentialities  127, 151, 186, 189, 229, 234, 242, 251, 256, 261, 264, 270, 284, 286, 297−298 Hypnose  15, 154, 228, 246, 256, 277 Ideenroman  86, 93, 97, 119, 161, 178

Jane Eyre  53, 200, 202, 294 LSD  237, 240, 245, 274−275, 280, 286−287 mind-body  188 Meditation  150, 157, 181, 190, 192−193, 201, 228, 239−240, 263 Meskalin  15, 236−237, 240, 245, 295 Mystik  45, 96−97, 135, 167, 192, 201, 209 Ökologie  8, 13, 17, 225 Parapsychologie  138, 163, 169, 181, 228, 242, 248, 273 Pazifismus (auch Peace Pledge Union)  15, 52, 155−157, 159– 160, 162, 167, 174, 188, 195, 199, 211, 232, 269, 293 Pride and Prejudice/Stolz und ­Vorurteil  194, 196, 293 Psilocybin  240, 278 psychedelische Drogen  8, 15, 236– 240, 249, 257, 293, 275, 287 Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band  238 Stalinismus  131, 232 Tao  9, 45, 207, 213, 220, 257, 271, 275, 287 Theosophie  183−184, 194 Vanity Fair  83, 86, 92 Vedanta  12, 192, 206–207, 214, 229, 237, 250, 293 Vogue  83, 86, 92, 220 The Westminster Gazette  82, 84, 87, 89−90, 290

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Bildnachweis akg-images: S. 215, 227 akg-images/Album/ASPHALT STARS PRODUCTIONS: S. 193 akg-images/Album/NY Metropolitan Museum of Art: S. 88 akg-images/Album/Oronoz: S. 233 akg-images/Erich Lessing: S. 104 akg-images/Imagno/Austrian Archives: S. 185 akg-images/MONDADORI PORTFOLIO/Marisa Rastellini: S. 281 akg-images/Science Photo Library: S. 182 akg-images/Science Source: S. 83 Alamy Stock Photo/The History Collection: S. 51 David King Dunaway: Huxley in Hollywood. New York: Doubleday, 1991: S. 111, 124, 151, 238, 267 Heritage-Images/Oxford Science Archive/akg-images: S. 22 Nicholas Murray: Aldous Huxley. An English Intellectual. London: Little, Brown, 2002: S. 135, 161, 272 Piero Ferrucci: S. 276 Sybille Bedford: Aldous Huxley. A Biography. Volume One: 1894 – 1939. London: Chatto & Windus, 1973: S. 21, 25, 27, 141, 170 Sybille Bedford: Aldous Huxley. A Biography. Volume Two: 1939 – 1963. London: Chatto & Windus, 1974: S. 262, 285 William Claxton: S. 251 Trotz sorgfältiger Recherche ist es nicht immer möglich, die Inhaber von Urheber­rechten zu ermitteln. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

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Über den Inhalt: Mit seiner Anti-Utopie »Schöne neue Welt« wurde Aldous Huxley als warnender Prophet berühmt. Doch auch über sein Hauptwerk hinaus war er ein anerkannter und gefeierter Intellektueller, der für seinen engagierten Humanismus ebenso geschätzt wurde wir für seine Scharfzüngigkeit und Skepsis. Im geistigen Leben seiner Zeit spielte er eine herausragende Rolle: mit Krishnamurti, Strawinsky, Yehudi Menuhin und Charlie Chaplin war er eng befreundet, Thomas Mann traf er im Exil und Adorno widmete ihm einen Aufsatz. Als universeller Denker beschäftigte er sich nicht nur mit Kunst, Musik und Literatur, sondern auch mit Spiritualität und fernöstlicher Meditation, widmete sich Drogenexperimenten und war ein wichtiger Wegbereiter der ökologischen Bewegung.

Über die Autoren:

Uwe Rasch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Aldous-Huxley-Forschungsstelle an der Universität Münster und arbeitet an der Herausgabe des »Aldous Huxley Annual« und der Huxley-Monografien-Reihe »Human Potentialities« mit. Er hat jahrzehntelang als Kulturjournalist gearbeitet. Hauptberuflich ist er Dozent für akademisches Englisch am Sprachenzentrum der Universität Münster.

Gerhard Wagner promovierte mit einer Arbeit über die Dichtungstheorie in Aldous Huxleys Essayistik. Vorausgegangen war ein Studium der Fächer Englische Philologie, Neuere Geschichte und Nordische Philologie. Seit ihrer Gründung 1998 ist er Mitarbeiter der Aldous-Huxley Forschungsstelle der Universität Münster. Hauptberuflich ist er im öffentlichen Schuldienst tätig. Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main Umschlagabbildung: Porträt von Aldous Huxley um 1960. © akg-images