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German Pages 480
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 966
Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung Von
Jörg Antoine
Duncker & Humblot · Berlin
JÖRG ANTOINE
Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 966
Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung Von
Jörg Antoine
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11179-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Würde und Wert des menschlichen Lebens begleiten mich gedanklich und fachlich schon seit vielen Jahren. Die Tätigkeit als Zivildienstleistender auf der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Uniklinikum Bonn war sicherlich prägend für mein Interesse an diesem heiklen Thema. Mein besonderer Dank bei der Erstellung dieser Arbeit gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h. c. Hasso Hofmann, der diese Untersuchung wissenschaftlich betreut und über die Jahre begleitet hat. Er stand immer kurzfristig mit seinem Rat zur Verfügung und gab entscheidende Hinweise. Vor allem hat mich sein wissenschaftliches Ethos tief beeindruckt. Meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Felix Herzog, möchte ich an dieser Stelle noch einmal für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die sehr freundlichen Gespräche danken. Vielen weiteren Beteiligten habe ich zu danken. Meinem juristischen Mitstreiter Ulf Kämpfer danke ich für viele anregende Diskussionen über die Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht. Meinen Freunden Dr. Thomas Fößel und Dr. Olaf Meyer verdanke ich wertvolle theologische Hinweise. Nicht unerwähnt bleiben dürfen meine ärztlichen und philosophischen Gesprächspartner im Freundes- und Familienkreis. Dank schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für den finanziellen Zuschuß zur Drucklegung dieses Buches. Zu danken habe ich wiederum meinen Eltern, deren Vertrauen und Zutrauen zu mir mich in den schwierigen Stunden gestärkt haben. Ohne die Unterstützung meiner Frau Annette wäre die Arbeit nicht zustande gekommen. Ihr habe ich mehr zu verdanken, als ich mit Worten auszudrücken vermag. Ihr und unserem Sohn Paul Elias ist diese Arbeit gewidmet. Die Untersuchung wurde im November 2001 bei der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht. Danach erschienene Literatur wurde nur vereinzelt aufgenommen. An neueren Entscheidungen wurden EGMR (vom 29. 04. 2002 – 2346 / 02, Pretty / Vereinigtes Königreich, NJW 2002, S. 2851 ff.) und BGH (vom 17. 03. 2003 – XII ZB 2 / 03, NJW 2003, S. 1588 ff.) noch berücksichtigt. Hannover, im August 2003
Jörg Antoine
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Erstes Kapitel Strafrechtliche Diskussion
28
§ 1 Einführung in die Begriffe und ihre strafrechtliche Unterscheidungsfunktion . . . . .
28
§ 2 Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
§ 3 Indirekte Sterbehilfe als Unterfall der aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
§ 4 Aktive Sterbehilfe und die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid . . . . . . . . . . . . . . . .
62
§ 5 Ausnahmen vom Verbot der aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
§ 6 Zwischenergebnis und weiterführende Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
Zweites Kapitel Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas § 7 Menschenwürde, Autonomie und Lebensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82 82
§ 8 Die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 § 9 Objektive Grundrechtsordnung und Schutzpflicht für das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 § 10 Verfügungsbefugnis des Rechtsgutträgers über sein Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 § 11 Staatliche Leistungspflicht zur Tötung auf Verlangen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 § 12 Zwischenergebnis zur verfassungsrechtlichen Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
8
Inhaltsübersicht Drittes Kapitel Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
281
§ 13 Staatliche Pflicht zum strafrechtlichen Schutz vor „unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 § 14 Freiwillige aktive Sterbehilfe zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz. Exkurs: Aktive Sterbehilfe in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 § 15 Antizipative aktive Sterbehilfe (bei Hirntoten) und Stellvertreterentscheidung . . . . 314 § 16 Nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe am Beispiel der Früheuthanasie . . . . . . . . . . . . . . . 347 § 17 Zweifelsfälle zwischen un-, nicht- und freiwilliger aktiver Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . 364
Viertes Kapitel Darf der Staat die aktive Sterbehilfe strafrechtlich verbieten?
366
§ 18 Pönalisierung der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 § 19 Verletzung des Übermaßverbots durch § 216 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 § 20 Verbot antizipativer aktiver Sterbehilfe (an Organspendern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 § 21 Untersagung der nichtfreiwilligen aktiven (und indirekten) Sterbehilfe . . . . . . . . . . . 398
Fünftes Kapitel Ergebnisse und Ausblick
401
§ 22 Lebensschutz durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 § 23 Konsequenzen für die strafrechtliche Regelung. Ein Gesetzgebungsvorschlag . . . . 409 § 24 Exkurs: Passive Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 § 25 Abschließender Leitgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Erstes Kapitel Strafrechtliche Diskussion
28
§ 1 Einführung in die Begriffe und ihre strafrechtliche Unterscheidungsfunktion . . . . .
28
§ 2 Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
I. Naturalistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
II. Normative Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
III. Kombinationstheorie von C. Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
IV. Bewertung der gängigen Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
V. Eigene Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
VI. Exkurs: Einstellung der künstlichen Ernährung als Behandlungsabbruch . . .
45
§ 3 Indirekte Sterbehilfe als Unterfall der aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
I. Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
II. Exkurs: Das Prinzip der Doppelwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
III. Begründung für die Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . .
53
IV. Mutmaßliche Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
V. Gründe für die scheinbar geringe forensische Relevanz der Unterscheidung
59
VI. Zusammenfassung zur indirekten Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
§ 4 Aktive Sterbehilfe und die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid . . . . . . . . . . . . . . . .
62
I. Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
II. Freiverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
III. Unglücksfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
IV. Zwischenergebnis zur Beihilfe zum Suizid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
10
Inhaltsverzeichnis
§ 5 Ausnahmen vom Verbot der aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
I. Straffreiheit bei Tötung schwer leidender Patienten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
II. Teleologische Reduktion bei „objektiv vernünftigem Verlangen“? . . . . . . . . .
71
III. Aktive Sterbehilfe und Neugeboreneneuthanasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
IV. Tötung auf Verlangen durch Unterlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
V. Akive Sterbehilfe in der Praxis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
§ 6 Zwischenergebnis und weiterführende Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
Zweites Kapitel Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
82
§ 7 Menschenwürde, Autonomie und Lebensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
I. „Negative“ Definition von Menschenwürdeverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
II. Notwendigkeit einer „positiven Bestimmung“ von Menschenwürde und rechtsphilosophischen Erörterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
III. Mitgifttheorie (Christentum und Kant) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
1. Protologische / statische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
a) Gottebenbildlichkeit im alttestamentlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . .
91
aa) Einführung in den Begriff der Gottebenbildlichkeit . . . . . . . . . . .
91
bb) Alttestamentlicher Begriff der Gottebenbildlichkeit . . . . . . . . . . .
93
b) Kant substantiell aufgefaßt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
c) Potentialität der Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 d) Verfassungsrechtliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Eschatologische / dynamische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Gottebenbildlichkeit (neutestamentlich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Sittliche Autonomie bei Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Verfassungsrechtliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 IV. Leistungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Verfassungsrechtliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 V. Pico della Mirandola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Menschenwürde bei Pico della Mirandola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Fortentwicklung bei Gröschner und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Inhaltsverzeichnis
11
VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 VII. Kommunikative Interpretation der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Grundzüge der Diskursethik und der darin implizierte Menschenwürdegrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Verhältnis der Diskursmoral zum Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Legitimation des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Einschränkung der Moral im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Menschenwürde als grundgesetzliche Anerkennungsgemeinschaft . . . . . 131 4. Inhalt des Versprechens gegenseitiger Anerkennung im Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Sozialer Wert- und Achtungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Wechselseitige Voraussetzung von privater und öffentlicher Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Schutz der grundlegenden Voraussetzungen zur Realisierung von Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 d) Schutz der zum Diskurs Unfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 VIII. Konsequenzen für die Anfragen an die Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG
141
1. Schutz des Menschen vor sich selbst und objektive Verfassungsordnung
141
2. Personelle Reichweite der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Unverletzbarkeit und Menschenwürde als Verfassungsprinzip . . . . . . . . . . 145 4. Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Begründung des Lebensrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Lehre von der „Heiligkeit“ des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Lehre von der Qualität des Lebens und das Überlebensinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 cc) „Investitionsfrustrationsmodell“ nach Dworkin . . . . . . . . . . . . . . . 158 dd) Begründung des Lebensrechtes in der Menschenwürde . . . . . . . 160 b) Absoluter Lebensschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Gleichberechtigtes Lebensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 d) Lebenspflicht als Teil der Schutzpflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 e) Zwischenresümee zum Lebensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 5. Recht auf ein menschenwürdiges Sterben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Recht auf einen würdevollen Tod? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Recht auf Basisversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Recht auf den selbstbestimmten Todeszeitpunkt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
12
Inhaltsverzeichnis
§ 8 Die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Teleologische versus deontologische Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Moralisch / verfassungsrechtlich signifikanter Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Moralische Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Handeln und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Kongruenz zwischen Töten / Tötungsabsicht und Sterbenlassen / keine Tötungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsgüterschutz oder Gesinnungsunterscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . c) Absicht bei der passiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 186 187 187
4. Kombination von Absicht und verwendetem Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5. Risiko der Fehleinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6. Dammbruch-Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 7. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 8. Verfügung über fremdes Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 9. Eingriff in die Autonomie (des Lebens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 § 9 Objektive Grundrechtsordnung und Schutzpflicht für das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Begründung der Schutzpflicht des Staates (Gesetzgebers) für das Leben . . . 198 II. Schutzrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Schutz vor Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Schutz des Menschen vor sich selbst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) b) c) d)
Schutz von Geisteskranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutz von Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutz vor autonomen Entscheidungen gegen das eigene Leben . . . Schutz zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202 203 205 207
III. Inhalt und Reichweite der staatlichen Schutzpflicht (Untermaßverbot) . . . . . 207 § 10 Verfügungsbefugnis des Rechtsgutträgers über sein Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Passiver Suizid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 II. Aktiver Suizid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Auswahl der primär zu untersuchenden Grundrechtsnorm . . . . . . . . . . . . . 220 2. Wortlaut (bzw. grammatische Methode) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Genetisch-historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Inhaltsverzeichnis
13
4. Systematische Auslegung im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Unmittelbarer Kontext im Art. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Tabuisierung der Tötung in Art. 102 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 c) Widerspruch zu den Grundpflichten in Art. 6 Abs. 1 u. 2 und 12 a GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5. Verstoß gegen die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Objektbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) „Biologistische“ oder Eigenwert-Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Objektiv aufgegebene Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 6. Struktur der Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 7. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Freiwilligkeit des Suizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Irreversibler Grundrechtsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 c) Verpflichtung des Gesetzgebers zum Schutz des Grundrechtsträgers vor sich selbst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 d) Leben als subjektives oder objektiviertes Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . 249 8. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Freiheitsrecht am eigenen Körper . . . . . . . . . . . . 251 III. Aktive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Genetisch-historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. Systematische Auslegung: Struktur der Freiheitsrechte: status negativus oder status positivus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 4. Verstoß gegen die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Fremdverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Objektbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 c) „Biologistische“ Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 d) Objektiv aufgegebene Achtung der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . 267 5. Irreversibler Grundrechtsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 6. Schutzpflicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 7. Freiverantwortlichkeit der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 8. Zwischenergebnis: Aktive Sterbehilfe im Schutzbereich des Freiheitsrechtes am eigenen Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 § 11 Staatliche Leistungspflicht zur Tötung auf Verlangen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 § 12 Zwischenergebnis zur verfassungsrechtlichen Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
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Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
281
§ 13 Staatliche Pflicht zum strafrechtlichen Schutz vor „unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 I. Begründung des Tötungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Tötungshandlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Lebensgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3. Lebensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Keine Eingriffsrechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 III. Staatliche Schutzpflicht und Untermaßverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 § 14 Freiwillige aktive Sterbehilfe zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz. Exkurs: Aktive Sterbehilfe in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 I. Pflicht zum Schutz des Sterbewilligen vor sich selbst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 II. Konkrete Schutzpflicht zugunsten Dritter (Schutz vor Mißbrauch) . . . . . . . . . 292 III. Abstrakte Schutzpflicht zugunsten Dritter (Dammbruchargument) . . . . . . . . . 294 1. Logische Version des Dammbrucharguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Psychologische oder empirische Version des Dammbrucharguments . . . 296 IV. Freiwillige aktive Sterbehilfe bei Jugendlichen und Kindern . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. „Grundrechtsmündigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Befugnis des Gesetzgebers zur Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe bei grundrechtsmündigen Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 3. Konflikte zwischen dem Willen der Eltern und dem des Minderjährigen 304 a) Minderjähriger pro / Eltern contra aktive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . 305 b) Minderjähriger contra / Eltern pro aktive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . 307 4. Treuhänderische Entscheidung durch die Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 V. Exkurs: Aktive Sterbehilfe in den Niederlanden und der effektive Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 VI. Ergebnis zur freiwilligen aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 § 15 Antizipative aktive Sterbehilfe (bei Hirntoten) und Stellvertreterentscheidung . . . . 314 I. Patientenverfügung und Stellvertretung bei der passiven Sterbehilfe . . . . . . . 315 1. Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
Inhaltsverzeichnis
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2. Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 3. Betreuerbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 II. Organtransplantation und aktive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1. Todesdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 2. Todeskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Historische Argumentation und „Vorteile“ des Hirntodkriteriums . . . . . . 327 4. Überzeugendes Todeskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Biologisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Mentales Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 5. Normative Rückfrage: Die zutreffende Todesdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . 333 6. Organexplantation als Form der aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Keine direkte Tötung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Zulässigkeit der Organexplantation trotz Tötungshandlung . . . . . . . . 339 III. Antizipative Verfügungsbefugnis über das eigene Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1. Grundsatz: Antizipative Tötung auf Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 2. Selbstbestimmung über den zukünftigen (unmündigen) Willen . . . . . . . . . 343 3. Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 4. Tötung zugunsten von Fremdinteressen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 5. Mißbrauchs- und Dammbruchgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 6. Ergebnis zur antizipativen aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 § 16 Nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe am Beispiel der Früheuthanasie . . . . . . . . . . . . . . . 347 I. Äquivalenzthese und prinzipielles Tötungshandlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . 348 II. Aktive Sterbehilfe aus Fremdinteressen und Organtransplantation . . . . . . . . . 349 1. Grundsatz des Tötungsverbots aus Fremdinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Konsequentialistischer Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 3. Ersetzung der Einwilligung durch die Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 III. Zulässigkeit der nichtfreiwilligen indirekten Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 IV. Zulässigkeit der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 V. Tötung gegen den Willen der Eltern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 VI. Ergebnis zur nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 § 17 Zweifelsfälle zwischen un-, nicht- und freiwilliger aktiver Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . 364
16
Inhaltsverzeichnis Viertes Kapitel Darf der Staat die aktive Sterbehilfe strafrechtlich verbieten?
366
§ 18 Pönalisierung der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 § 19 Verletzung des Übermaßverbots durch § 216 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 I. Grundrechtseingriff beim Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 1. Eingriff in die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG) . . . . . . . . . . . . 369 2. Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . 370 II. Grundrechtseingriff beim Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 III. Zulässiger Gesetzeszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1. Motive des Gesetzgebers: „Unveräußerliches Gut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 2. Tabubruch, absoluter Lebensschutz, Freiwilligkeit u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . 376 3. Schutz vor sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 4. Konkreter Schutz Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 5. Ausweitungseffekte / Dammbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 6. Ärztliches Ethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 7. Solidarität mit dem Sterbenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 8. Abstraktes Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 IV. Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 V. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 1. Angemessenheit des Verhaltensverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 a) Angemessenheit gegenüber dem Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 aa) Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 bb) Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 b) Angemessenheit gegenüber dem Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 2. Angemessenheit der Sanktionsandrohung (gegenüber dem Arzt) . . . . . . . 388 a) Dem Patienten gegenüber unangemessenes Verhaltensverbot . . . . . . 388 b) Dem Patienten gegenüber angemessenes Verhaltensverbot . . . . . . . . . 389 3. Schuldangemessenheit des Sanktionsmittels (gegenüber dem Arzt) und Gerechtigkeitsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 a) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 b) Relative Gerechtigkeitsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
Inhaltsverzeichnis
17
VI. Exkurs: Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 VII. Ergebnis zu § 216 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 § 20 Verbot antizipativer aktiver Sterbehilfe (an Organspendern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 I. Verletzung der Grundrechte des sterbenden Patienten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 II. Verbot der Organtransplantation und Verletzung der Grundrechte der potentiellen Organempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 § 21 Untersagung der nichtfreiwilligen aktiven (und indirekten) Sterbehilfe . . . . . . . . . . . 398 I. Allgemeines Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 II. Vereinbarkeit mit dem Elternprimat zur Bestimmung des Kindeswohls . . . . 399
Fünftes Kapitel Ergebnisse und Ausblick
401
§ 22 Lebensschutz durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 I. Idee des Grundrechtsschutzes durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 II. Ethikkommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 III. „Richter über Leben und Tod“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 § 23 Konsequenzen für die strafrechtliche Regelung. Ein Gesetzgebungsvorschlag . . . . 409 § 24 Exkurs: Passive Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 I. Freiwillige passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 II. Nichtfreiwillige passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 III. Zwischen freiwilliger und nichtfreiwilliger passiver Sterbehilfe . . . . . . . . . . . 418 IV. Unfreiwillige passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 § 25 Abschließender Leitgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
2 Antoine
Abkürzungsverzeichnis1 AA a. a. O. a.A. a. F. Abs. AcP AE AG AK-GG AK-StGB Anm. AöR Apg AP ARSP AT Aufl. BayObLG BayVBl. Bd. Bde. Begr. BGB BGBl. BGH BGHZ BGHSt BK BKGG BN BtÄndG BtPrax BT 1
Akademieausgabe am aufgeführten Ort anderer Ansicht alte Fassung Absatz Archiv für civilistische Praxis Alternativentwurf Amtsgericht Alternativkommentar. Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Alternativkommentar. Kommentar zum Strafgesetzbuch Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Apostelgeschichte Arbeitsrechtliche Praxis Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Allgemeiner Teil Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Band Bände Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Berliner Kommentar zum Grundgesetz Biblische Notizen Betreuungsrechtsänderungsgesetz Betreuungsrechtliche Praxis Besonderer Teil
Zu den näheren Angaben der abgekürzten Literatur siehe das Literaturverzeichnis.
Abkürzungsverzeichnis BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. ca. DÄBl. ders. d. h. d. i. DJT DNotZ DÖV DRiZ DZPhil DVB. ebda. EGMR Einf. Einl. EMRK et al. etc. Ethik Med EuGRZ EuS EvStL f. / ff. FamRZ FAZ Fn. FS GS Gen GewArch GG GÜL hg. v. Hg. h. L. 2*
19
Bundestag-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise circa Deutsches Ärzteblatt derselbige das heißt das ist Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsche Zeitschrift für Philosophie Deutsches Verwaltungsblatt Ebenda Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführung Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention et alii et cetera Ethik in der Medizin Europäische Grundrechtezeitschrift Ethik und Sozialwissenschaften Evangelisches Staatslexikon fortfolgende Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Festschrift Gedächtnisschrift Genesis = 2. Buch Mose Gewerbearchiv Grundgesetz Gesetz zur Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe zur Selbsttötung (Niederlande) herausgegeben von Herausgeber herrschende Lehre
20 h. M. HStR i. e. S. inkl. insb. i. S. v. i. V. m. i. w. S. JA JAMA Jg. JMBl.NW JR Jura JuS JVL JZ KD KJ Kol Kor Kriminalistik KritV KS LG lit. LK LThK m.a.W. MDR m.E. MEPolG Med Ethik MedR MMW MünchArbR m. w. N. neubearb. n. F. NJ
Abkürzungsverzeichnis herrschende Meinung Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Isensee / Kirchhoff (1987 – 2001) im engeren Sinne inklusive insbesondere im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Journal of the American Medical Association Jahrgang Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenvereinigung Lebensrecht e.V. Juristenzeitung Karl Barth (1932 – 1970) Kirchliche Dogmatik Kritische Justiz Kolosser Korinther Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kant Studien. Philosophische Zeitschrift der Kant Gesellschaft Landgericht litera Leipziger Kommentar Lexikon für Theologie und Kirche mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder Zeitschrift für medizinische Ethik Medizinrecht Münchner Medizinische Wochenzeitschrift Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht mit weiteren Nachweisen Neubearbeitet(e / r) neue Fassung Neue Justiz
Abkürzungsverzeichnis NJW nlStGB Nr. NStZ OLG Pastoraltheol. Ps RelKEG resp. RGH RGSt Rn. S. s. a. Sch / Sch SK s. o. Staat StGB st. Rspr. s. u. TPG u. a. usw. u. U. u.v. v. Verf. vgl. v. Chr. VVDStRL z. B. WRV ZEE ZfL Ziff. zit. ZME ZPhF ZStrR ZStW
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Neue Juristische Wochenschrift Strafgesetzbuch der Niederlande Nummer Neue Zeitschrift Strafrecht Oberlandesgericht Pastoraltheologie. Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft Psalm Gesetz über die religiöse Kindererziehung respektive Reichsgerichtshof Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Seite siehe auch Schönke / Schröder Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch siehe oben Der Staat Strafgesetzbuch ständige Rechtsprechung siehe unten Transplantationsgesetz unter anderem und so weiter unter Umständen unter vielen von / versus Verfasserin vergleiche vor Christi Geburt Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zum Beispiel Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Evangelische Ethik Zeitschrift für Lebensrecht Ziffer zitiert Zeitschrift für medizinische Ethik Zeitschrift für philosophische Forschung Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einleitung Die aktive (direkte) Sterbehilfe, insbesondere die Tötung schwerstkranker und sterbender Menschen auf deren Verlangen, ist anhaltend Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Sie wird auf längere Zeit als Grundlagenstreit über unseren Umgang mit Sterbenden von Bedeutung bleiben.1 Die Hintergründe für die Forderung nach einer aktiven Sterbehilfe sind vielfältig: Die moderne Medizin ermöglicht nicht nur die Rettung von Leben, sondern auch die Verlängerung der Sterbens- und damit der Leidensphase des Patienten. Oft ist der Tod unmittelbar mit der Entscheidung verbunden, auf den weiteren Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen zu verzichten. Der Tod unterliegt damit bereits einer technischen Kontrolle, die eine Verfügbarkeit über das Leben nahelegt und eine Unterscheidung zwischen Töten durch Unterlassen und durch Tun zunehmend in Zweifel zieht.2 Andererseits verstärkt sich das Bewußtsein von einer Selbstbestimmung des Patienten.3 Sterben und Tod werden immer mehr als der persönlichen und ethischen Haltung des einzelnen unterworfen aufgefaßt. Ihr entspricht die prononcierte Forderung nach einem „Recht auf den eigenen Tod“.4 Diese Entwicklungen haben in neueren Gesetzgebungen in den Niederlanden5, zeitweise in Australien6 und zuletzt in Belgien7, wonach die Tötung auf Verlangen eines Patienten unter bestimmten Bedingungen zulässig ist, bereits ihren Niederschlag gefunden.8 Eine unerwartete Brisanz erhielt die Auseinandersetzung um die Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe hierzulande durch die mit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes 9 zunehmend verschärft geführte Diskussion um das zutreffen1 Zu den Phasen der Sterbehilfediskussion in der Nachkriegszeit siehe Zimmermann-Acklin, 1997, S. 76 ff. 2 Näher s. u. § 8 II. 3 Bezeichnend für diese Entwicklung ist das Thema der zivilrechtlichen Abteilung des 63. DJT 2000 in Leipzig: „Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens?“ 4 s. u. § 7 VIII. 5. a) und § 10 III. 8. 5 Zu der Rechtslage in den Niederlanden s. u. § 14 V. 6 Siehe hierzu Zimmermann-Acklin, 1997, S. 130 ff.; Wolfslast / Conrads, 2001, S. 195 ff. 7 Siehe Jans, „Sterbehilfe“ in den Niederlanden und Belgien, ZEE 2002, S. 283 ff. 8 Siehe zu der Entwicklung in Spanien: Bacigalupo / Gropengießer, ZStW 106 (1994), S. 663 ff.; in Kanada: Plachta, ZStW 109 (1998), S. 217 (240 f.). 9 Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz) vom 05. 11. 1997, BGBl. I, 1997, S. 2631 ff.
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de Todeskriterium des Menschen.10 Wird entgegen dem von der h. L. vertretenen Hirntodkriterium am irreversiblen Herz-Kreislauf-Stillstand als Todeskriterium festgehalten, ist die Organexplantation eine aktive Tötungshandlung,11 und es stellt sich unmittelbar die Frage, inwieweit bei einem Sterbenden eine aktive Sterbehilfe verfassungsrechtlich erlaubt sein kann. Der Streit um die Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe wird erschwert durch die zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft und den damit einhergehenden unterschiedlichen Lebenskonzepten. Dies hat zur Folge, daß selbst in den grundlegenden Fragen über den Schutz des menschlichen Lebens an seinem Anfang und an seinem Ende in unserer Gesellschaft tiefe Zerwürfnisse bestehen. Die allseits gehegte Hoffnung auf Einverständnis in den Grundfragen richtet sich dann auf die Verfassung. An dieser Entwicklung nimmt in besonderer Weise die Garantie der Menschenwürde im Art. 1 Abs. 1 GG teil.12 Die Verbürgung der Unantastbarkeit scheint geeignet zu sein, politische Grundkonflikte im Wege der Verfassungsinterpretation einer endgültigen Lösung zuzuführen. Dabei ist die Notwendigkeit der Verfassungsdiskussion in Anbetracht der hohen Güter, die vorliegend im Streit stehen, nicht von der Hand zu weisen. Trotz dieser Bedeutung des Grundgesetzes für die Regelung der Sterbehilfe fällt auf, daß sich im juristischen Schrifttum, in einer kaum noch überschaubaren Fülle vorrangig strafrechtlicher Beiträge zur (aktiven) Sterbehilfe13 und der mit dem 63. Deutschen Juristentag nunmehr auch verstärkt zivilrechtlichen Aufbereitung des komplexen Problemfelds der Sterbehilfe,14 erst wenige spezifisch verfassungsrechtliche Erörterungen diesem Thema widmen.15 Leider wird die Menschenwürde in der bisherigen Diskussion oft nur einseitig eingebracht, entweder ausgehend von dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten16 oder der Unverfügbarkeit über das menschliche Leben und der Schutzpflicht des Gesetzgebers;17 das Ergebnis der Untersuchung ist damit bereits vorgegeben. Schließlich fehlt es bislang an einer monographischen Arbeit zur aktiven Sterbehilfe, in der auch die Bereiche der aktiZum Transplantationsgesetz siehe Dippel, 1999, S. 665 ff.; s. u. § 15 II. s. u. § 15 II. 6. 12 Bezeichnend für die Verbindung von Sterbehilfe und Menschenwürde ist Art. 8 Abs. 1 der brandenburgischen Landesverfassung: „Jeder hat das Recht auf Leben, Unversehrtheit und Achtung seiner Würde im Sterben. In die Rechte auf Leben und Unversehrtheit darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ Siehe auch Art. 1 Abs. 1 Thüringische Landesverfassung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie auch im Sterben zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ 13 Siehe nur die Bibliographie bei Bernat, 1994, passim. 14 Siehe Taupitz, 2000, m. w. N. 15 Nunmehr allerdings Czerner, MedR 2001, S. 354 ff.; Höfling, JuS 2000, S. 111 ff.; Hufen, NJW 2001, S. 849 ff.; für Österreich Kneihs, 1998; und für die Schweiz Hangartner, 2000. 16 Vgl. Stürmer, 1989, S. 61 ff. 17 Vgl. Rilinger, GA 1997, S. 418 ff. 10 11
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ven Sterbehilfe bei schwerstgeschädigten Neugeborenen18 oder Kindern und bewußtlosen Patienten aus verfassungsrechtlicher Perspektive behandelt werden.19 Diesen Lücken will sich vorliegende Untersuchung widmen. Ausgangspunkt dieser Arbeit wird im ersten Kapitel eine Übersicht über die gegenwärtige Regelung der aktiven Sterbehilfe im Strafrecht sein. Dieser Einstieg bietet sich an, um anhand der ausführlichen strafrechtlichen Diskussion der Sterbehilfe in die sachlichen Probleme einzuführen, die übliche Terminologie vorzustellen und zu präzisieren und mit den vielfach nur wenig zufriedenstellenden Lösungen der Strafrechtsdogmatik bei der Bestimmung der strafrechtlichen Grenzen der Sterbehilfe die Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Grundlagendiskussion zu verdeutlichen.20 Auch kann die nachfolgende verfassungsrechtliche Erörterung der Frage, ob der Gesetzgeber die aktive Sterbehilfe einführen darf oder gar (teilweise) freigeben muß, nicht sinnvoll ohne Berücksichtigung der jetzigen strafrechtlichen Regelung erfolgen. Die verfassungsrechtliche Analyse wird mit dem zweiten Kapitel eröffnet. Da die Menschenwürde beiden Seiten im Streit um die aktive Sterbehilfe als wichtiges Argument dient, ist zunächst eine genaue Klärung des Begriffs der Menschenwürde notwendig, um bei den jeweiligen Argumenten das ihnen zukommende verfassungsrechtliche Gewicht bestimmen zu können. Im ersten Paragraphen des verfassungsrechtlichen Grundlagenkapitels wird deshalb der Zusammenhang von Menschenwürde, Leben und Autonomie im Art. 1 Abs. 1 GG vorab untersucht werden. Als weitere verfassungsdogmatische Grundlagen des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes werden der verfassungsrechtlich signifikante Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, die Schutzpflicht der staatlichen Gewalt für das Leben einerseits und das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Sterben andererseits entfaltet. Vor diesem Hintergrund widmen sich das dritte und vierte Kapitel anhand von Fallgruppen der verfassungsrechtlichen Würdigung der aktiven Sterbehilfe. Der Grundrechtskonflikt der aktiven Sterbehilfe von Lebensschutz versus Selbstverfügung über das eigene Leben wird dabei von zwei Fragestellungen ausgehend beleuchtet: 18 Aus rechtsphilosophischer und strafrechtlicher Sicht zur Früheuthanasie jeweils Merkel, 2001, S. 393 ff. u. 578 ff.; Everschor, 2001, S. 172 ff. u. 419 ff. 19 Als monographische Schrift widmet sich nur die Dissertation von Stürmer, 1989, im Schwerpunkt der Frage nach der Verfassungsgemäßheit des Verbots der Tötung auf Verlangen; allerdings ohne Berücksichtigung der Früheuthanasie und der aktiven Sterbehilfe bei Bewußtlosen und auch ohne die Schutzpflicht des Gesetzgebers und dessen Ermessen bei der Gestaltung der gesetzlichen Regelung eingehender zu würdigen. Siehe aus rechtspolitischer Sicht Hoerster, NJW 1986, S. 1786 ff.; ders., ZRP 1988, S. 1 ff.; ders., 1989, S. 287 ff.; 1995; ders., 1997, S. 51 ff.; ders., 1998; ders., 1999, S. 101 ff. 20 Eine Nachzeichnung der im Detail vielfältigen strafrechtlichen Diskussionen ist nicht erforderlich. Derartige Übersichten wurden bereits wiederholt gegeben. Siehe v. Dellinghausen, 1981; Laber, 1997; K. M. v. Lutterotti, 1990.
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1. Muß der Staat die aktive Sterbehilfe verbieten (bzw. darf er sie erlauben)? 2. Muß der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben (bzw. darf er sie verbieten)? Der unterschiedliche Blickwinkel läßt sich am Normenquadrat aufzeigen:21
Abb.122
Aus der Sicht der Verfassung entspricht die erste Frage der Prüfung, ob die Verfassung dem Gesetzgeber gebietet, die aktive Sterbehilfe zu verbieten (Gebot). Wird dies verneint, kann umgekehrt entsprechend der zweiten Frage untersucht werden, ob es dem Staat verboten ist, die aktive Sterbehilfe zu verbieten (Verbot). Ist nur ein Teilbereich von der Verfassung als Verbot oder Gebot dem Gesetzgeber vorgegeben, so obliegt die Regelung der aktiven Sterbehilfe im übrigen dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; die Verfassung enthält dann insoweit keine Vorgaben. Die unterschiedliche Betrachtungsweise entspricht dem Doppelcharakter der Grundrechte als Abwehr- und Schutzfunktion.23 Die Grundrechtsprüfung erfolgt somit im dritten Kapitel vor allem unter dem Gesichtspunkt der Schutzfunktion für das Leben und dem Untermaßverbot und im vierten Kapitel im Hinblick auf die Abwehrfunktion des selbstbestimmten Sterbens und das Übermaß21 22 23
Siehe hierzu Adomeit, 1998, S. 34 ff. m. w. N. Die Abbildung ist entnommen aus Adomeit, 1998, S. 37. Zu dieser Unterscheidung siehe BKGG-Enders, vor Art. 1 Rn. 62 ff.
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verbot.24 Die Aufgliederung der Fragestellung ist geeignet, gegenüber dem Gesetzgeber sowohl den von der Verfassung eingeräumten Gestaltungsspielraum als auch die durch die Verfassung vorgegebenen Grenzen deutlich hervorzuheben. Mit dieser Vorgehensweise soll auch der Versuchung entgegengetreten werden, Grundrechtskonflikte vorschnell im Sinne des von einem selbst gewünschten Ergebnisses auflösen zu wollen. Die Arbeit wird abgeschlossen mit einer Stellungnahme zum Grundrechtsschutz durch Verfahren, dem Reformbedarf der gesetzlichen Regelung zur aktiven Sterbehilfe, einem Exkurs über die passive Sterbehilfe und einer abschließenden Überlegung zum tragenden Leitgedanken dieser Abhandlung.
24 Die getrennte Erörterung der Schutz- und der Abwehrfunktion der Grundrechte ist möglich, weil jeweils unterschiedliche Freiheitsdimensionen der Grundrechte betrachtet werden: im dritten Kapitel wird die Schutzpflicht für das Leben (positive Grundrechtsdimension des Rechts auf Leben), im vierten Kapitel ein Eingriff in das Recht auf Verneinung des Lebens (negative Grundrechtsdimension des Rechts auf Leben) geprüft. Das vierte Kapitel hat damit einen eigenständigen Prüfungsgehalt, der den Erörterungen des dritten Kapitels nicht klärend zugrundeliegen muß. Dagegen hat das Prüfungsergebnis des dritten Kapitels unmittelbar Konsequenzen für das nachfolgende Kapitel: Soweit dem Staat die Einführung der aktiven Sterbehilfe verwehrt ist, wird er sie unter Beachtung des Übermaßverbots verbieten können. Da dies nicht umgekehrt gilt – was der Staat verbieten darf, muß er nicht unbedingt verbieten – vermeidet die gewählte Prüfungsreihenfolge doppelte Erörterungen.
Erstes Kapitel
Strafrechtliche Diskussion Im Bereich der Sterbehilfe bestehen keine speziellen strafrechtlichen Bestimmungen. Es gelten die allgemeinen Regelungen über Körperverletzungs- und Tötungsdelikte des Strafgesetzbuches. Das wird teilweise als wenig befriedigend empfunden, da die Regelungen des Strafrechts der Problematik der Sterbehilfe nicht ganz entsprechen sollen und zu für Patienten und Ärzten verunsichernden Unklarheiten führten.1 Auf dem 56. Deutschen Juristentag im Jahr 1986 in Berlin beschäftigte sich die strafrechtliche Abteilung mit einer Reform des Strafgesetzbuches im Hinblick auf die Sterbehilfe.2 Im Ergebnis sah diese allerdings weitgehend keinen Reformbedarf und empfahl lediglich, daß bei der Tötung auf Verlangen von Strafe abgesehen werden können sollte, wenn die Tötung zur Beendigung eines unerträglichen Leidenszustandes erfolgte.3 Dieser Vorschlag wurde vom Gesetzgeber nicht aufgenommen, so daß im Strafgesetzbuch wie gehabt keine spezifischen Regelungen für den Bereich der Sterbehilfe gegeben sind.
§ 1 Einführung in die Begriffe und ihre strafrechtliche Unterscheidungsfunktion Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff „Sterbehilfe“ an die Stelle des historisch gebräuchlichen und weithin im Ausland üblichen Terminus „Euthanasie“ getreten. Das Wort Euthanasie ist durch den Nationalsozialismus in Deutschland in besonderer Weise historisch belastet, da es von den Nationalsozialisten als Euphemismus für die Ermordung von Geisteskranken und Behinderten verwendet wurde. Um Fehlinterpretationen und Konnotationen zum nationalsozialistischen Programm der Euthanasie zu vermeiden, hat sich deshalb in Deutschland der Begriff „Sterbehilfe“ als Oberbegriff allgemein für den Bereich der Hilfe (be)im und zum Sterben4 weitgehend etabliert.5 1 Mit unterschiedlicher Zielrichtung Baumann u. a., 1986, passim (Gesetzgebungsvorschlag); Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (35 f.) (Ablehnung gesetzlicher Regelungen). 2 Siehe Verhandlungen des 56. DJT, Bd I., Gutachten D und Bd. II, Sitzungsberichte M. 3 Siehe DJT, Bd. II., M 193. 4 Bei der „Hilfe im Sterben“ oder „Hilfe beim Sterben“ hat der Einsatz der sterbebegleitenden ärztlichen Maßnahmen im Gegensatz zur „Hilfe zum Sterben“ keine Relevanz für die
§ 1 Einführung in die Begriffe
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Innerhalb des Begriffs Sterbehilfe hat sich ein begrifflicher Kanon herausgebildet, mit dem verschiedene Formen der Sterbehilfe voneinander abgegrenzt werden. Dabei wird zunächst zwischen einer Sterbehilfe im engeren und einer Sterbehilfe im weiteren Sinn unterschieden. Eine Sterbehilfe im engeren Sinn ist erst gegeben, wenn (1) das Grundleiden des Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, (2) einen tödlichen Verlauf angenommen hat und (3) der Tod in kurzer Zeit eintreten wird.6 Die Sterbehilfe im weiteren Sinn stellt dagegen allein auf das Vorliegen einer Krankheit oder Ausfall von Körperfunktionen ab, die mit Sicherheit in einiger Zeit den Tod herbeiführen werden (infauste Prognose).7 Der Sterbevorgang selbst muß danach noch nicht eingesetzt haben.8 Dem Begriff der Sterbehilfe i. e. S. und i. w. S. kommt zunächst nur eine auf den Sachbereich bezogene Ordnungsfunktion zu. Welches Verhalten im einzelnen als Sterbehilfe strafrechtlich oder verfassungsrechtlich zulässig sein kann, wird damit noch nicht bestimmt. Strafrechtliche Unterscheidungsfunktion kommt dagegen der Differenzierung zwischen Sterbebegleitung, passiver Sterbehilfe, indirekter Sterbehilfe und aktiver Sterbehilfe zu. Unter Sterbebegleitung wird eine Hilfe im Sterben verstanden, bei der neben psycho-sozialer Hilfe eine eingesetzte Schmerzlinderung kein lebensverkürzendes Risiko aufweist.9 Ihr Einsatz im tatsächlichen oder mutmaßlichen Einverständnis Dauer des Lebens, siehe zu diesem Begriff Baumgarten, 1998, S. 148; H. Otto, 1999, S. 434 (435). Relevant für vorliegende Arbeit ist deshalb nur die „Hilfe zum Sterben“. Hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit der Sterbehilfeform ist mit dieser Differenzierung allerdings noch nichts ausgesagt, weshalb diese Unterscheidung vorliegend nicht weiter verwendet wird. 5 Einzige Ausnahme ist die aktive Sterbehilfe, die gelegentlich im Unterschied zu den anderen Formen der Sterbehilfe als „Euthanasie“ charakterisiert wird; siehe Wils, 1999, S. 165. 6 BGHSt 40, 257 (260). 7 Zutreffend weist v. Dellinghausen, 1981, S. 15 ff., darauf hin, daß infauste Prognosen grundsätzlich bei schweren Krankheiten und altersbedingtem körperlichen Verfall möglich sind. 8 Vgl. H. Otto, Jura 1999, S. 434 (435); Rieger, 1998, S. 23. Die Berücksichtigung dieses Vorfeldbereichs als Teil der Sterbehilfe ist der Sache grundsätzlich angemessen. Ebenso v. Dellinghausen, S. 12 f.; H. Otto, Jura 1999, S. 434 (435). Denn die psycho-soziale Betreuung im Hinblick auf das Sterben und den Tod und die Hilfsmaßnahmen für den Leidenden sind bereits von Relevanz, wenn der Sterbevorgang noch nicht unmittelbar eingesetzt hat und der Todeszeitpunkt noch völlig unbestimmt ist. Dem entsprechen auch die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung, die eine Änderung des Therapiezieles von der Lebenserhaltung zur palliativen Behandlung und Basisversorgung auch bei generell schlechter Prognose und noch nicht absehbarem Sterbevorgang unter bestimmten Voraussetzungen für möglich erachten. Siehe Bundesärztekammer, NJW 1998, S. 3406 (3407). 9 Vgl. Baumgarten, 1998, S. 148.
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
des Sterbenden10 hat grundsätzlich keine strafrechtliche Relevanz11 und stellt bezüglich des Lebensschutzes keine verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten.12 Bei den anderen Formen der Sterbehilfe ist dagegen eine lebensverkürzende Wirkung gegeben oder nicht ausgeschlossen. Bei der passiven Sterbehilfe wird auf den (weiteren) Einsatz (technisch möglicher) lebenserhaltender bzw. lebensverlängernder Maßnahmen verzichtet.13 Ihr gegenüber steht die aktive Sterbehilfe, bei der durch Einflußnahme auf den Krankheitsprozeß eine Lebensverkürzung bewirkt wird. Im einzelnen erweist sich die Abgrenzung von aktiver und passiver Sterbehlfe allerdings als schwierig, weshalb auf sie noch näher eingegangen werden muß (s. u. § 2). Von der aktiven Sterbehilfe wird die indirekte Sterbehilfe unterschieden.14 Auch wenn dies weitgehend nicht erörtert wird, ist die Abgrenzung zwischen diesen beiden Formen der Sterbehilfe nicht nur in der Praxis, sondern bereits begrifflich noch nicht geklärt. Als erster Anhalt kann an dieser Stelle die weitverbreitete und auch vom BGH15 verwendete Definition der indirekten Sterbehilfe dienen: Eine (erlaubte) indirekte Sterbehilfe liegt vor, wenn eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation bei einem sterbenden Patienten als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann.16 Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe ist der Tod hier nicht primär angestrebtes Ziel, er wird nur als „Nebenwirkung“ in Kauf genommen. Der Begriff „indirekte Sterbehilfe“ als Opposition zur „aktiven Sterbehilfe“ ist nicht glücklich gewählt. Auch bei der indirekten Sterbehilfe wird durch eine aktive Einwirkung auf den Patienten eine Lebensverkürzung bewirkt; sie ist deshalb ein Unterfall der aktiven Sterbehilfe (näher s. u. § 3 II.). Teilweise wird aus diesem Grund eine Gegenüberstellung von indirekter und direkter17 bzw. von aktiver direkter Sterbehilfe und 10 Eine Schmerzlinderung gegen den Willen des Patienten ist dagegen ein unerlaubter Eingriff in die Körperintegrität und nach § 223 StGB als Körperverletzung strafbar; siehe nur Roxin, 2000, S. 87 (89). 11 Dagegen kann das Unterlassen von schmerzlindernden Maßnahmen eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB begründen. Die Garantenstellung des Arztes erstreckt sich auch darauf, dem Patienten unnötiges Leiden zu ersparen; eine Nichtbehebung oder Nichtverminderung von Schmerzen ist deshalb eine Mißhandlung, siehe Roxin, 2000, S. 87 (89). Fehlt im Einzelfall eine Garantenstellung, kann auch eine unterlassene Hilfeleistung gem. § 323c StGB gegeben sein. Zu den strafrechtlichen Aspekten der Sterbebegleitung siehe ausführlich v. Dellinghausen, 1981, S. 18 ff. 12 Weniger geklärt ist dagegen die Frage, inwieweit ein grundrechtlicher Anspruch auf Sterbebegleitung besteht, hierzu siehe unten § 7 VIII. 5. b. 13 Vgl. Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 27; Hoerster, 1998, S. 11, definiert sie als „Herbeiführung des Todes durch Behandlungsverzicht“. 14 Schreiber, NStZ 1986, S. 337 (340); Giesen, 1992, S. 10 (24); Dölling, MedR 1987, S. 6 (7); Schöch, 1997, S. 409 (410); Pelzl, 1994, S. 179 (187 f.). 15 Vgl. BGHSt 42, 301 (305). 16 Auf die sachlich zutreffende Definition wird noch eingegangen, s. u. § 3 I. 17 Laber, 1997, S. 191 u. 199 ff.
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aktiver indirekter Sterbehilfe bevorzugt.18 In der Sache selbst ergeben sich hieraus keine Unterschiede; vorliegend wird der üblichen Terminologie von aktiver und indirekter Sterbehilfe gefolgt.19 Die obigen Unterscheidungen haben strafrechtliche Relevanz. Wird die aktive Sterbehilfe auf ausdrückliches und ernstliches Verlangen des Kranken geleistet, ist sie nach h. M.20 als Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB, sonst als Totschlag nach § 212 StGB oder als Mord21 nach § 211 StGB strafbar. Die indirekte Sterbehilfe wird dagegen fast einhellig im Ergebnis als straflos angesehen.22 Die passive Sterbehilfe wird unter bestimmten Bedingungen für zulässig gehalten, wobei der einseitige Behandlungsabbruch bei mutmaßlichem oder unbekanntem Patientenwillen kontrovers diskutiert wird.23 Werden lebensverlängernde Maßnahmen unterlassen oder abgebrochen, ohne daß die Voraussetzungen einer zulässigen passiven Sterbehilfe gegeben sind, so kommt bei Garanten eine Strafbarkeit gem. §§ 211, 212, 13 StGB24 wegen Tötung durch Unterlassen oder bei fehlender Garantenstellung eine Strafbarkeit nach § 330c StGB wegen unterlassener Hilfeleistung in Betracht. Grundsätzlich bewirkt der Arzt eine Tötung durch Unterlassen, wenn durch die unterlassene Maßnahme eine nicht völlig unwesentliche Verlängerung des Lebens möglich gewesen wäre.25 Als für das Unterlassen nicht völlig unwesentlich werden bereits wenige Stunden angesehen.26 Da die hypothetische Kausalität der geforderten Handlung für den Nichteintritt des tatbestandlichen Erfolges damit sehr weit gefaßt ist, ist die Bestimmung des Umfangs der ärztlichen Garantenpflicht i. S. v. § 13 StGB, die das Unterlassen dem positiven Tun gleichstellt, entscheidend.27 Baumgarten, 1998, S. 150; Hoerster, 1998, S. 43; Rickmann, 1987, S. 60 u. 64. Denn auch die Gegenüberstellung von „direkter“ (= aktiver) und „indirekter“ Sterbehilfe ist sachlich nicht zutreffend, weil die Lebensverkürzung bei der „indirekten“ Sterbehilfe nicht „indirekt“ durch die Abnahme der Schmerzen, sondern direkt durch das schmerzlindernde Medikament herbeigeführt wird (näher s. u. § 3 II.). 20 Zu den vertretenen Einschränkungen siehe unten § 2 I., § 3, § 5 u. § 15 II. 21 Nach h. M. ist die Tötung eines unheilbar Leidenden bei unmittelbarer Todesnähe aus Mitleid kein Mord, siehe z. B. Möllering, 1977, S. 49 f.; v. Dellinghausen, 1981, S. 356 f. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist trotz der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers nicht gegeben, da es an der feindlichen Willensrichtung bzw. dem besonders verwerflichen Vertrauensbruch fehlt. Nach BGHSt 37, 376 (377) ist eine oberflächliche Motivation allerdings nicht ausreichend; das Mitleid muß auf „einer objektiv nachvollziehbaren Wertung des Täters [ . . . ], die der Vermeidung schwersten Leidens den Vorrang gibt“, beruhen. 22 BGHSt 42, 301 (305); Tröndle / Fischer, vor § 211 Rn. 17; Schreiber, 1997, 119 (121); a.A. Kohlhaas, 1973, S. 548 (550); Leisner, 1976, S. 5 (39). 23 Siehe unten § 24 II. 24 Die Verwirklichung der Tötung auf Verlangen gem. § 216 StGB durch Unterlassen ist nach zutreffender Auffassung bei einer freiwilligen passiven Sterbehilfe nicht möglich, da eine Behandlung entgegen dem ernstlichen Verlangen des Patienten nicht erlaubt ist. Näher siehe unten §§ 5 IV., § 10 I. 25 Schreiber, NStZ 1986, S. 337 (341); LK-Jähnke, § 212 Rn. 4. 26 BGH NStZ 1981, S. 218 (219); 1985, 26 (27); Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 27 („kurzfristig“); kritisch hierzu Künschner, 1992, S. 176 f. 18 19
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
Eine Besonderheit ist in Deutschland mit der Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid gegeben. Der im anglo-amerikanischen Raum verwendete Terminus des „assistet death“ (Assistenz zum Sterben; Sterbeassistenz) als Oberbegriff für die Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen28 ist – wohl mangels strafrechtlicher Unterscheidungsfunktion – deshalb bei uns nicht verbreitet.
§ 2 Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe Die Relevanz der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen als Trennlinie zwischen der unzulässigen (aktiven) und der zulässigen (passiven) Sterbehilfe wird in der ethischen Diskussion zunehmend kritisiert.29 Hintergrund ist die Äquivalenzthese philosophischen Ethiker, wonach ein moralisch bedeutsamer Unterschied zwischen Tun und Unterlassen nicht bestünde.30 Auf diese Kritik wird im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchung näher eingegangen (s. u. § 8). Von der Äquivalenzthese zunächst zu unterscheiden ist die begriffliche Frage, ob unabhängig von der moralisch-ethischen Bewertung überhaupt eine überzeugende Definition zur Abgrenzung von aktiver Sterbehilfe einerseits und passiver Sterbehilfe andererseits möglich ist. Bis auf wenige Ausnahmen31 wird in der Strafrechtsdogmatik die Abgrenzung auf der Basis der strafrechtlichen Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen vorgenommen. Ist strafrechtlich ein Unterlassen gegeben, so wird eine passive Sterbehilfe angenommen, bei einem strafrechtlichen Tun dagegen eine aktive Sterbehilfe. Unproblematisch für die Bestimmung von Tun und Unterlassen sind die Fälle, bei denen ein Patient gezielt mit einer Spritze getötet wird (aktiv) oder ein Arzt die Behandlung nicht aufnimmt (passiv). Sehr umstritten ist dagegen der Abbruch von lebensverlängernden Maßnahmen, wenn der Abbruch durch das Abstellen eines Apparats per Knopfdruck, z. B. eines Beatmungsgerätes, oder durch die Anordnung des Arztes erfolgt, bei einem künstlich Ernährten zum Zwecke der Auszehrung nur noch Flüssigkeit durch die Sonde zu verabreichen. Sind diese Verhaltensweisen als Tun zu qualifizieren, weil es ein Handgriff oder eine Anweisung ist, die den Tod des Patienten herbeiführen, oder aber als Unterlassen im Sinne einer Nichtfortsetzung der Behandlung? Da sich diese Sachverhalte regelSchreiber, NStZ 1986, S. 337 (341). Siehe Schöne-Seifert, 1999, S. 98 (100). 29 Siehe z. B. Kuhse, 1994, S. 51 ff.; Singer, 1994, S. 258 ff.; grundlegend Birnbacher, 1995, S. 337 ff.; näher s. u. § 8 II. 30 Birnbacher, 1995, passim, m. w. N. 31 Siehe hierzu untere Fn. 38 u. 109. 27 28
§ 2 Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe
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mäßig in der Intensivmedizin und bei komatösen Patienten einstellen, erweist sich damit gerade ein wesentlicher Bereich der Sterbehilfe als schwierig zu behandelnder Grenzfall. Vorliegend kann es nicht darum gehen, die strafrechtliche Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen umfassend darzustellen. Es soll vielmehr gefragt werden, ob bezogen auf die aktive und passive Sterbehilfe der Strafrechtsdogmatik eine überzeugende Unterscheidung gelingt, die dann möglicherweise auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Erörterung als Differenzierungskriterium Berücksichtigung finden kann. Da die Reanimatorfälle, d. h. das Abstellen eines Beatmungsgerätes oder einer Herz-Lungen-Maschine,32 als klassische und schwierige Grenzfälle intensiv diskutiert33 werden und diese zugleich für die Aktiv-PassivUnterscheidung der Sterbehilfe symptomatisch sind, sollen diese im Mittelpunkt der Erörterung stehen. Bei der Bewertung eines Geschehens als Unterlassen oder als Tun lassen sich im Strafrecht zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze unterscheiden. Während die eine Auffassung sich an ontisch-vorrechtlichen Begebenheiten orientiert – naturalistische Theorien –34, hat nach anderer Auffassung eine normative oder wertende Betrachtung – normative Theorien – (ergänzend) zu erfolgen.
I. Naturalistische Theorien Die zunächst naheliegende Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen stellt auf die „gewillkürte Körperbewegung“ ab. Sie war die klassische Position, wird heute aber nur vereinzelt vertreten.35 Dieser Ansatz erwies sich als zu weit, da Menschen fortlaufend Handlungen vollziehen. Ein wirkliches Unterlassen kann auf dieser Basis kaum vorgefunden werden. Stoffers stellt zu Recht fest, daß man „zur Salzsäule erstarren müßte“, wenn auf der Basis dieser Unterscheidung ein Unterlassen vorliegen soll.36 Herrschend innerhalb der naturalistischen Position ist deshalb bei Erfolgsdelikten das Kausalitätskriterium. Diese Position weist im Detail unterschiedliche Ausformungen aus, die jedoch für vorliegenden Zusammenhang keinen besonderen Unterschied ergeben. Deshalb kann die Definition von Stoffers übernommen werden: Ist der Sich-Verhaltende für den betreffenden konkreten Erfolg ursächlich geworden, hat er gehandelt, ansonsten nicht.37 32 Charakterisiert werden diese Fälle auch als solche des technischen Behandlungsabbruchs. 33 Eine ausführliche Erörterung der fast uferlosen Literatur bietet Stoffers, 1992, S. 386 ff. 34 Strittig dürfte die vorliegende Zuordnung von Engischs Energiekriterium zu den naturalistischen Theorien sein, vgl. Engisch, 1973, S. 163 (173). 35 Neuerdings aber wieder Struensee, 1993, S. 133 (143 ff.); im Grunde auch Gössel, ZStW 96 (1984), S. 321 (326 f.). 36 Stoffers, 1992, S. 97.
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
Die Vertreter der Kausalitätslehre gelangen in den Reanimatorfällen zu einem Handeln und – mit Ausnahmen38 – entsprechend zu einer aktiven Sterbehilfe.39 Am konsequentesten vertreten wird diese Position von Bockelmann. Der Druck auf den Knopf ist für den Tod des Patienten kausales Tun und deshalb aktive Tötungshandlung.40 Sie unterliegt folglich nach Bockelmann uneingeschränkt der Bestrafung als Tötungsdelikt. Zwar ist die strafrechtliche Schlußfolgerung von Bockelmann im Ergebnis vereinzelt geblieben, jedoch wird der Ansatz, daß das Abschalten des Gerätes ein Tun und damit aktive Sterbehilfe darstellt, bei den Vertretern des Kausalitätskriteriums weitgehend geteilt.41 „Der Arzt, der wegen erkannter ,Sinnlosigkeit‘ weiterer Behandlung per Knopfdruck den Reanimator ausschaltet, begeht Totschlag durch aktives Tun, wenn der Patient ohne den Knopfdruck mindestens eine Sekunde länger gelebt hätte.“42 Eine im Ansatz ebenfalls naturalistische Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen ist das von Engisch entwickelte Energiekriterium.43 Die Handlung zeichne sich durch einen Energieaufwand in eine bestimmte Richtung aus, dem Unterlassen fehle dagegen der Energieaufwand in eine bestimmte Richtung.44 Das Abschalten des Reanimators müßte danach als nicht zu bestreitender Energieauf37 Stoffers, 1992, S. 107; siehe auch H. Otto, Jura 2000, S. 548(ebda.); Sieber, JZ 1983, S. 433 ff.; SK-Rudolphi, vor § 13 Rn. 7. 38 Stratenwerth, ZStrR 95 (1978), S. 60 (67), Stoffers, 1992, S. 457 ff.; H. Otto, 1986, D 42 ff., bejahen zwar bei dem Abschalten des Reanimators ein Handeln, verneinen allerdings eine aktive Sterbehilfe. Nach Stratenwerth ist bei fehlender oder geringer Lebenserwartung nur eine passive Sterbehilfe gegeben. Gegen Stratenwerth ist einzuwenden, daß eine fehlende oder geringe Lebenserwartung nur eine bestehende Garantenpflicht des Arztes zur Weiterbehandlung zu beenden vermag, so daß ein Unterlassen straflos ist, nicht aber folgt hieraus die Straflosigkeit aktiven Tuns. Stoffers ordnet dagegen die Reanimatorfälle dem Abbruch rettender Kausalverläufe zu. Ebenso wie Stratenwerth ist auch für Stoffers entscheidend, ob der Tod des Patienten noch abgewendet werden kann (Stoffers, a. a. O., S. 462). Ist dies nicht mehr möglich, so fehlt es bei der Handlung (Abstellen des Reanimators), die die ursprüngliche Handlung (Anschluß an den Reanimator) aufhebt, an der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes, da nur eine objektiv nicht zur Rettung führende Handlung aufgehoben wird (Stoffers, a. a. O., S. 463). Auch Stoffers kann nicht gefolgt werden. Die Handlung des Abschaltens verwirklicht unmittelbar eine Verkürzung des Lebens, da das Leben des Patienten ohne diese Handlung noch länger aufrechterhalten geblieben wäre. Richtig ist zwar, daß die erste Handlung (Anschluß an den Reanimator) nicht geeignet war, den todkranken Patienten zu heilen, sie war aber geeignet, sein Leben weiter aufrechtzuerhalten. Genau dieser Erfolg wird durch das Abschalten aktiv zerstört. 39 Siehe z. B. Bockelmann, 1968, S. 119; Baumann / Weber / Mitsch, 1995, § 15 Rn. 33; Samson, 1974, S. 579 (601 f.); Gössel, 1987, § 2 Rn. 42; Maurach / Gössel / Zipf, 1989, § 45 Rn. 32; Stoffers, 1992, S. 458; jetzt mit umfangreicher Begründung Schneider, 1998, S. 194 ff. u. 225. 40 Bockelmann, 1968, S. 119. 41 s. o. Fn. 39. 42 Baumann / Weber / Mitsch, 1995, § 15 Rn. 33. 43 Engisch, 1973, S. 163 (171 ff.); Maurach / Gössel / Zipf, 1989, § 45 Rn. 30 ff. 44 Engisch, 1973, S. 163 (178).
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wand als Handlung eingestuft werden. Wer streng am Energiekriterium als ausreichendes Abgrenzungskriterium festhält, gelangt deshalb zu einem Tun.45 Engisch selbst verneint dieses Ergebnis, da der Arzt „seiner an sich nicht wegzuleugnenden Aktivität die Bedeutung“ verleihe, daß er weiteren Energieaufwand für die Lebenserhaltung nicht mehr leisten wolle.46 Durch die Bezugnahme auf die intendierte „Bedeutung“ des Engergieaufwandes erweitert Engisch seinen Ansatz um ein normatives Element. Auf der Basis der naturalistischen Ansätze ist das Abstellen von lebenserhaltenden Geräten somit auch im strafrechtlichen Sinn kein Unterlassen, so daß in den Reanimatorfällen keine passive, sondern eine aktive Sterbehilfe gegeben sein müßte.47 Die von Bockelmann gezogene Konsequenz, daß die Reanimatorfälle als verbotene aktive Sterbehilfe nach den §§ 211, 212 oder § 216 StGB geahndet werden müssen, wird weitgehend nicht geteilt. Nach der einen Auffassung fehlt es bereits an der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes.48 Das Abschalten des Respirators sei das Unterbrechen einer rettenden Kausalreihe, die dann straflos sein müsse, wenn in dieser Situation auch der Anschluß an einen Respirator aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten nicht mehr verlangt werden könne.49 Überwiegend wird dagegen ein Tatbestandsausschluß wegen der Haftungsbegrenzung der Tötungsdelikte angenommen.50 Wenn auch die strafrechtsdogmatischen Erwägungen hierzu im Detail differieren, so stimmen sie darin überein, daß die Tötungdelikte die Beendigung einer künstlichen und im Hinblick auf eine aussichtslose Verbesserung des Zustandes des Patienten sinnlosen Verlängerung des Sterbens nicht verbieten.51 Nach Otto ist keine Rechtswidrigkeit gegeben, weil die Handlung des Arztes auf eine Herstellung der Behandlungsfreiheit des Patienten ziele, die als in Art. 1, 2 Abs. 2 GG geschütztes Selbstbestimmungsrecht auch die Tötungshandlung rechtfertige.52 Gössel vertritt eine entschuldigende Pflichtenkollision zwischen der Lebensbewahrung einerseits und der Achtung des Rechts des Menschen auf einen menschenwürdigen Tod andererseits. Es widerspreche dem menschen45 So verneint Maurach / Gössel / Zipf, 1989, § 45 Rn. 32 auf der Basis des Energiekriteriums ein Unterlassen. Der Druck auf den Abschaltknopf ist der letzte Akt der – jetzt tödlichen – ärztlichen Behandlung, erst danach setzt die straflose Unterlassung der weiteren Behandlungen ein. 46 Engisch, 1973, S. 163 (173); ders., 1977, S. 309 (326 f.). 47 Zu den Ausnahmen bei Stratenwerth und Stoffers s. o. Fn 38. 48 Hirsch, 1987, S. 597, (605 f.); im Ergebnis ebenso Stoffers, 1992, S. 459 ff. 49 Die fehlenden Erfolgsaussichten beziehen sich dann auf ein Leben ohne Respirator, während ein Weiterleben mit Hilfe des Respirators nicht als ausreichend angesehen wird. Zur Kritik an dieser Lösung s. o. Fn. 38. 50 Samson, 1974, S. 579 (602); Sax, JZ 1975, S. 137 (149). 51 Siehe hierzu z. B. Samson, 1974, S. 579 (601 f.); Sax,JZ 1975, S. 137 (149 f.); Möllering, 1977, S. 66 f. 52 H. Otto, 1986, D 42 ff., 45 f.; ders., 2000, § 9 Rn. 152: „[ . . . ] wenn das Abstellen des Gerätes das grundgesetzlich garantierte Recht auf Behandlungsfreiheit des Kranken realisiert.“
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
würdigen Sterben, wenn das auf der Stufe der Bewußtlosigkeit angelangte endgültig und irreversibel verlöschende Leben ausschließlich durch Maschinen aufrechterhalten werde und damit ein natürlicher Tod verhindert werde.53 Die Begründung des Tatbestandausschlusses mit der sinnlosen Verlängerung des Sterbens kann nicht überzeugen. Die Verlängerung des Sterbens ist zugleich eine Verlängerung des Lebens und gerade dieser Lebenszeitraum wird durch das Abschalten genommen. Ein Augenblick, in dem die unzulässige Lebensverkürzung in eine zulässige Sterbensverkürzung umschlägt, läßt sich nicht feststellen. Die dogmatischen Schwierigkeiten der Position von Otto und Gössel einmal dahingestellt,54 läßt sich fragen, ob nicht z. B. bei unheilbar Kranken, die unter derart starken Schmerzen leiden, die auch durch eine Schmerztherapie nicht auf ein erträgliches Maß gelindert werden können, eine aktive Sterbehilfe auf Basis obiger Argumentationen erlaubt sein müßte.55 Die Notwendigkeit der strengen Abgrenzung der aktiven und von der passiven Sterbehilfe verliert an Plausiblität.
II. Normative Theorien Die normative Theorie bestreitet nicht, daß „phänotypisch“56 das Abschalten eines Apparates eine Handlung ist. Die strafrechtliche Würdigung von Unterlassen oder Handeln könne allerdings nicht rein empirisch gelöst werden, sondern sei letztlich eine Wertungsfrage.57 Die von der Rechtsprechung getragene Schwerpunkttheorie fragt danach, wo der Schwerpunkt des Verhaltens liegt, nach dem sich die strafrechtliche Vorwerfbarkeit bestimme.58 Andere betonen den sozialen Sinn des Verhaltens.59 Teilweise werden beide Kriterien unter der Fragestellung kombiniert, wo bei „normativer Betrachtung und bei Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens liegt“.60 Schließlich hat Roxin auf die Rechtsfigur des „Unterlassens durch Tun“ zurückgegriffen. Diese Theorien eröffnen damit im Bereich des Lebensschutzes gerade die Hilfsbrücke, um trotz Festhaltens an der prinzipiellen Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen. Das soll anhand der einzelnen Theorien verdeutlicht werden. Gössel, 1987, § 2 Rn. 45. Hierzu siehe Stoffers, 1992, S. 450 ff. 55 Tatsächlich wird mit ähnlichen Erwägungen eine aktive Sterbehilfe bei starken Schmerzen teilweise für erlaubt angesehen (s. u. § 5 I.). 56 Geilen, JZ 1968, S. 145 (151). 57 Wessels / Beulke, 2001, Rn. 700; Tag, 2000, S. 386 f. 58 BGHSt 6, 46 (58 f.), BGH NStZ 1999, S. 607(ebda.); OLG Düsseldorf JMBl.NW 1983, S. 199 (200); zustimmend Trück, 2000, S. 11 ff.; Lissel, 2001, S. 74; Sch / Sch-Stree, vor §§ 13 ff. Rn. 158 m. w. N.; Wessels / Beulke, 2001, Rn. 700. 59 Geilen, JZ 1968, S. 145 (151). 60 Wessels / Beulke, 2001, Rn. 700; Tag, 2000, S. 387. 53 54
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Das Merkmal des sozialen Sinns des Verhaltens wurde erstmals von Geilen zur Begründung eines Unterlassens in den Reanimatorfällen herangezogen.61 Ob der Arzt eine durch Massagebewegung begonnene künstliche Beatmung abbreche oder auf höherer, technisierter Ebene eine Herz-Lungen-Maschine abstelle, sei seinem sozialen Handlungssinn nach gleich.62 Entscheidend sei, daß der Natur ihr Lauf gelassen werde63 und die Wirkung der Handlung bestünde in einem nicht Weiterbehandeln.64 Die Lehre vom sozialen Handlungssinn hat bislang kein näheres Kriterium benennen können, welches die zur Bestimmung des sozialen Sinns der Handlung erforderlichen Merkmale bestimmt. Ihre Auswahl – wie vorliegend der natürliche Verlauf der Krankheit – ist damit der Wahl des Subsumierenden überlassen, der allein hierdurch das Ergebnis vorbestimmt. Die Lehre vom sozialen Handlungssinn ermöglicht damit eine Umwandlung einer Begehungs- in eine Unterlassungstat mit dem Ziel, bei fehlender Garantenstellung zur Straflosigkeit zu gelangen, obschon eine aktive Erfolgsherbeiführung gegeben ist.65 Von der Rechtsprechung und h. L. wird allein oder im Zusammenhang mit dem sozialen Handlungssinn das Schwerpunktkriterium präferiert.66 Entscheidungen der Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem klassischen Respiratorfall, wo ein Arzt das Gerät abschaltet, sind nicht gegeben.67 Die Anhänger dieser Lehre in der Literatur gelangen einhellig zu einem Unterlassen.68 Der Arzt, der die Respiratorbehandlung als aussichtslos einstellt, unterläßt es, den Sterbeprozeß durch einen Komplex zusammengehöriger und sich ergänzender Behandlungsmaßnahmen hinauszuzögern. Der Schwerpunkt seines Verhaltens liege deshalb in dieser Unterlassung und nicht in dem sie begleitenden aktiven Tun, mit dem lediglich der Respirator als Teilaspekt der Behandlung abgestellt wird. Bei einem Dritten sei dagegen ein Tun gegeben, da sich das Gesamtverhalten hier in der aktiven Handlung erschöpfe. Daß auch die Schwerpunktlehre zu wenig differenziert ist und letztlich dem Abwägenden die Auswahl der zu bewertenden Faktoren und die Gewichtung überläßt, vermögen folgende zwei Entscheidungen zu verdeutlichen. In dem Insulin61 Geilen, JZ 1968, S. 145 (151); ders., FamRZ 1968, S. 121(126, Fn. 35). Mit ähnlicher Argumentation: Leonardy, DRiZ 1986, S. 281 (283); Sch. / Sch-Stree, vor §§ 13 ff. Rn. 160. 62 Geilen, JZ 1968, S. 145 (151). 63 Geilen, FamRZ 1968, S. 121 (126, Fn. 35); ders., 1972, S. 373 (383, Fn. 22). 64 Geilen, 1975, S. 22. 65 Zu dieser Kritik siehe Stoffers, 1992, S. 246. 66 s. o. Fn. 57 u. 60. 67 Da der Respiratorfall fast einhellig als straflos angesehen wird, wird die Staatsanwaltschaft in diesen Fällen keinen Anhaltspunkt für die Erhebung einer Anklage sehen. Anders dagegen der Fall, wo ein Dritter eingreift, vgl. LG Ravensburg MedR 1987, S. 196 ff., siehe hierzu unten Fn. 90. 68 Trück, 2000, S. 23 f.; Wessels / Beulke, 2001, Rn. 703.
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Fall69 des OLG Düsseldorf behandelte die angeklagte Ärztin ein an Diabetes erkranktes Kind. Um die Produktion eigenen Insulins wieder anzuregen, ordnete die Ärztin an, daß zukünftig kein Insulin mehr verabreicht werden sollte. Diese Maßnahme führte zum Tod des Kindes. Das OLG Düsseldorf hat die Anordnung der Ärztin als Handeln gewertet.70 Der BGH71 hat dagegen die Anordnung eines Arztes und eines Pflegers, daß einer komatösen Patientin über eine Sonde keine Nahrung, sondern nur noch Tee verabreicht werden sollte, was ebenfalls zum baldigen Tod geführt hätte, als Unterlassen gewertet. Der BGH begründet seine Entscheidung damit, daß die Angeklagten die Grundversorgung des Opfers sicherzustellen hatten. „In dem Verstoß gegen diese Verpflichtung lag der eigentliche Unwert ihres Verhaltens. Nicht die schriftliche Anordnung [ . . . ] war [..] das Mittel zum Zweck, sondern die Nichtvornahme der gebotenen (künstlichen) Ernährung“.72 Diese Argumentation ließe sich auch für die Ärztin vorbringen. Nicht in der Anordnung von Insulin, sondern in der ausreichenden medikamentösen Versorgung ihres Patienten lag die Verpflichtung der Ärztin. Gegen diese Verpflichtung wurde nicht durch die Anordnung, sondern das Unterlassen der Insulinversorgung verstoßen.73 Die Beispiele verdeutlichen, daß die Ergebnisse bei der Schwerpunktlehre durch die Auswahl der entscheidenden Faktoren präjudiziert sind, ohne daß objektive Wertungskriterien gegeben wären. Darüber hinaus zeigt sich die Gefahr, dasjenige Verhalten, welches über die Elemente des Handelns hinaus auch solche des Unterlassens aufweist, der erwünschten Nichtbestrafung zuzuführen.74 Roxin sucht die Lösung in der Rechtsfigur des „Unterlassens durch Tun“.75 Diese Rechtsfigur umfasse auch den „Abbruch eigener Rettungskausalität“, der die Respiratorfälle bei unwiderruflich bewußtlosen Patienten, deren Sterbeprozeß durch den Respirator nur künstlich verlängert wird, zuzuordnen seien.76 Das Abschalten sei bei normativer Betrachtung ein Unterlassen der Weiterbehandlung, da es sich um die Aufgabe eines objektiv nicht gebotenen Erfolgsabwendungsversuches bzw. einer nicht mehr geforderten Lebensverlängerung handle.77 Der Arzt beende damit seine erfolglosen Rettungsbemühungen. Ein Dritter mache dagegen OLG Düsseldorf JMBl.NW 1983, S. 199 ff. OLG Düsseldorf JMBl.NW 1983, S. 199 (201). Siehe hierzu Gropp, 2001, § 11 Rn. 59 ff. Gropp a. a. O., Rn. 59 u. 65, stimmt dieser Entscheidung zu, nimmt allerdings bei dem Abstellen eines Beatmungsgerätes ein Unterlassen als gegeben an. 71 BGH NJW 1995, S. 204 (206). 72 BGH NJW 1995, S. 204 (206). 73 Abgesehen davon ist es zweifelhaft, ob das Verhalten der Ärztin als Anordnung zu werten ist. Die Nichtverabreichung von Insulin ist eher eine Nichtanordnung eines Medikaments; dagegen entspricht die Umstellung der zu verabreichenden Kost von künstlicher Nahrung auf Tee wesentlich eher dem Begriff der Anordnung. 74 Zu dieser Kritik siehe auch Stoffers, JuS 1993, S. 23 (28). 75 Roxin, 1969, S. 380 (381 ff.); ihm folgend: Gropp, 2001, § 11 Rn. 59 ff., 66 ff. 76 Roxin, 1969, S. 380 (381 ff., 395 ff.). 77 Roxin, 1969, S. 380 (398 f.). 69 70
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die Lebenserhaltungshandlungen eines anderen zunichte, weshalb bei diesem kein strafloses Unterlassen, sondern ein strafbares Tötungsdelikt gegeben sei.78 Die Konstruktion des „Unterlassens durch Tun“ gibt bereits begrifflich durch die Gleichsetzung der Gegensätze keine Anhaltspunkte für die Bewertung. Wie stark diese Konstruktion letztlich auf die Strafwürdigkeit abstellt, zeigt sich deutlich an der Besprechung der Entscheidung des LG Ravensburg durch Roxin.79 In dem der Entscheidung des LG Ravensburg zugrundeliegenden Fall hatte ein Ehemann bei seiner Ehefrau das Beatmungsgerät auf deren ausdrücklichen Wunsch hin abgestellt.80 Nach den bis dahin von den normativen Theorien vertretenen Auffassungen sollte gerade der Fall, in dem nicht der Arzt, sondern ein Dritter das Gerät abschaltet, nicht als passive, sondern als aktive Sterbehilfe zu werten sein. Während sich nach der Schwerpunktlehre das Abschalten in dem Gesamtkontext der ärztlichen Handlungen als bloße Beendigung von auf die Lebensverlängerung zielenden Maßnahmen darstellt, greift dagegen ein Dritter in fremde Rettungs- bzw. Lebenserhaltungsmaßnahmen durch das Abschalten des Gerätes ein81 bzw. erschöpft sich dessen Verhalten in einem aktiven Tun.82 Der Dritte begeht deshalb aktive Sterbehilfe. Das LG Ravensburg läßt die Frage offen, ob hier ein Fall von aktiver Sterbehilfe gegeben war, da es die Tat jedenfalls als gerechtfertigt ansah.83 Erstaunlicherweise beurteilt nun Roxin ebenfalls diesen Fall als passive Sterbehilfe.84 Der Behandlungsabbruch auf Wunsch des Sterbenden muß nach Roxin jedem gestattet sein, der Adressat dieser Patientenerklärung ist.85 Strafrechtsdogmatisch überzeugt das nicht, weil der Wunsch des Patienten nur aus der Garantenpflicht entlassen und damit das Unterlassen rechtfertigen kann; eine Umqualifizierung einer Handeln in ein Unterlassen folgt daraus nicht. Anderenfalls leistet jeder, der Adressat des Tötungswunsches des Patienten ist, eine bloß passive Sterbehilfe, auch dann, wenn er dem Patienten eine Spritze verabreicht.86 Es müßte deshalb erklärt werden, warum bei dem Ehemann, der im Gegensatz zum Arzt oder Krankenhaus nicht die umfängliche Behandlungspflicht übernommen hat, in deren Kontext das Abschalten die Beendigung eigener Rettungsbemühungen darstellt, ebenfalls ein Unterlassen gegeben ist.
Roxin, 1969, S. 380 (399). LG Ravensburg MedR 1987, S. 196 ff.; hierzu Roxin, NStZ 1987, S. 345 ff. 80 LG Ravensburg MedR 1987, S. 196 ff. 81 Siehe hierzu Roxin, 1969, S. 380 (399). 82 Wessels / Beulke, 2001, Rn. 704. 83 LG Ravensburg MedR 1987, S. 196 (199). 84 Roxin, NStZ 1987, S. 345 (348 ff.). 85 Roxin, NStZ 1987, S. 345 (350). 86 Diese Schwierigkeit sieht auch Roxin, NStZ 1987, S. 345 (350), weshalb der Patient nicht schlechthin eine Rückgängigmachung einer unerwünschten Behandlung verlangen könne. 78 79
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
Zu den normativen Ansätzen müssen auch Zimmermann und v. Dellinghausen gezählt werden, die auf die Position des Rechtsgutes abstellen.87 Erkennt der Arzt, daß „eine wirkliche Rettung im Sinne einer Lebenserhaltung auf Dauer nicht mehr möglich ist“, dann kann der Arzt die Rettungshandlung zurücknehmen, wenn diese nur noch der „Erhaltung eines bloßen Vitalwertes und die Verlängerung eines von unstillbaren Schmerzen überlagerten Lebens“ dient.88 Entscheidend ist danach allerdings nicht der Behandlungserfolg im Sinne einer Heilung vom Grundleiden, die bei Sterbenden aufgrund der infausten Prognose zweifellos nicht mehr gegeben ist, sondern der Umstand, daß die Lebensverlängerung aufgrund von fehlendem Bewußtsein oder Schmerzen als sinnlos erachtet wird. Damit erfolgt die Einordnung der aktiven / passiven Sterbehilfe anhand einer Bewertung der verbleibenden Lebensqualität. Dagegen würde für v. Dellinghausen und Zimmermann das Abstellen des Reanimators dann nicht als Unterlassen in Betracht kommen, wenn der Betroffene ohne Schmerzen und mit Bewußtsein diese Phase seines Lebens erleben würde.89 Die Zielrichtung dieser Verfahrensweise ist offensichtlich. Der Bewertung des Rechtsgutes entspricht eine Bewertung der Strafwürdigkeit, die ohne weiteres mit der Umsetzung der vorherigen Bewertung durch die Zuordnung der nur noch abiträren Beschreibung als „Tun“ oder „Unterlassen“ erreicht wird.
III. Kombinationstheorie von C. Schneider In einer umfangreichen Untersuchung unternimmt es Schneider auf der Basis einer zweistufigen Verfahrensweise die zuvor geschilderte schwierige Entscheidung des LG Ravensburg einer Lösung zuzuführen.90 Schneiders Ansatz ist eine Kombination ontologischer und normativer Gesichtspunkte von zunächst „natürlicher Betrachtung der Dinge“91 und anschließender Kontrolle anhand der Erwartungen der Rechtsordnung. Schneider wertet die Tat als aktive Sterbehilfe,92 die gem. § 34 StGB gerechtfertigt ist, wenn sie dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten entspricht.93 R. Zimmermann, NJW 1977, S. 2101 (2106); v. Dellinghausen, 1981, S. 463 ff. Siehe v. Dellinghausen, 1981, S. 465. 89 Vgl. v. Dellinghausen, 1981, S. 465; R. Zimmermann, NJW 1977, S. 2101 (2106). 90 Das LG-Ravensburg MedR 1987, 196 (197), kam zu einem Freispruch. Das Gericht ließ dabei offen, ob aktive Sterbehilfe und damit eine Tötung auf Verlangen gegeben sei, da es jedenfalls das Handeln des Ehemanns für gerechtfertigt ansah. Nach der h. M. soll dagegen bei dem Abschalten eines Apparates nur bei den Behandlungspflichtigen, aber nicht bei Dritten ein Unterlassen gegeben sein . Roxin, der diese Unterscheidung maßgeblich trägt, kommt nun ebenfalls zur Auffassung des LG Ravensburg, siehe hierzu näher Roxin, NStZ 1987, S. 345 (348 ff.). 91 Schneider, 1998, S. 142 ff. 92 Schneider, 1998, S. 195 ff., 225. 93 Schneider, 1998, S. 242 ff., 270 ff. 87 88
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Bei dieser Argumentation kann es jedoch keine strafbare Tötung auf Verlangen geben, da Voraussetzung des § 216 StGB eine willentliche und ernsthafte Willensentscheidung ist. Diese Konsequenz will Schneider nicht ziehen. Den Unterschied sieht er in dem natürlichen Sterbeprozeß einerseits und der noch gegebenen unterlassenden Handlungsmomente beim Abschalten des Reanimators.94 Beides kann nicht überzeugen. Das Verhalten nunmehr unterlassend zu bewerten, wirft die Frage auf, ob die zuvor getroffene Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen, wenn sie die Sache offensichtlich nicht trifft, nicht falsch sein muß.95 Hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechtes führt eine Bindung der Selbstbestimmung an den „natürlichen Prozeß“ zu naturrechtlichen Argumentationen, die gerade nicht Ausdruck von Selbstbestimmung, sondern vielmehr von interpretatorischer Fremdbestimmung sind. Im übrigen handelt sich Schneider damit den naturalistischen Fehlschluß ein, weil vom „natürlichen Prozeß“ nicht auf den „gesollten Prozeß“ geschlossen werden kann.
IV. Bewertung der gängigen Lösungsvorschläge Überblickt man die gängigen Lösungsvorschläge der Strafrechtsdogmatik, so sind diese für die Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe nicht recht überzeugend. Die naturalistischen Ansätze vermögen zunächst klare Unterscheidungen zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe zu ziehen. Sie erweisen sich allerdings im Bereich der Sterbehilfe als zu formalistisch und deshalb wenig sachgerecht. Die moderne Technik gibt die Möglichkeit, Handeln und Unterlassen willkürlich zu vertauschen.96 Würde das Abschalten eines das Leben aufrecht erhaltenden Apparates als Tötung angesehen werden, ließe sich die Straffreiheit leicht durch die Konstruktion von Maschinen wieder erlangen, die nur eine begrenzte Zeit laufen und danach eines erneuten Impulses bedürfen.97 Die naturalistischen Theorien verkennen die technische Manipulierbarkeit der Grenzziehung; die formalistischen Ergebnisse lassen sich leicht umgehen, so daß die Unterscheidung als nicht sachgerecht erscheint. Wird stattdessen eine normative oder wertende Betrachtungsweise vorgeschlagen, können die Fälle einer weniger formalistischen und entsprechend der jeweiligen Auffassung mehr sachgerechten Lösung zuzuführen sein. Es wird dadurch vermieden, das intuitiv unerwünschte und nicht plausible Ergebnis über Korrekturen des Schutzgutes im Tatbestand, der Rechtfertigung u. ä. zu berichtigen. Zugleich Schneider, 1998, S. 282 ff. Siehe auch allgemein die zutreffende Kritik von H. Otto, Jura 2000, S. 549 (ebda.): „Werden die Kriterien aber gerade im ,Problemfall‘ ausgetauscht, so erweist sich die zuvor geleistete definitorische Arbeit als wertlos.“ 96 So auch die Einschätzung von AK-StGB-Seelmann, § 13 Rn. 23. 97 So der Einwand von Sch / Sch-Stree, vor § 13 Rn. 160. 94 95
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
verliert sich damit eine klare Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, wenn jeweils konkret unter Berücksichtigung einer Vielzahl und in ihrem Verhältnis und Gewicht nicht näher bestimmter Kriterien nach dem Schwerpunkt der Handlung, dem sozialen Handlungssinn oder der normativen Wertung eines „Tuns durch Unterlassen“ gefragt wird. Die bei dieser Wertung erfolgende Aufgabe rational nachprüfbarer Kriterien findet ihre Überzeugungskraft nur noch in einer intuitiven Akzeptanz des gewünschten Ergebnisses.98 Zu überzeugen vermag die letztlich willkürliche Definition bestimmter Verhaltensweisen als passive Sterbehilfe allenfalls den, der selbst mit dem Ergebnis – der Straflosigkeit bestimmter Formen der Sterbehilfe – übereinstimmt. Die normativen Abwägungen am Einzelfall führen nicht nur zur Ergebnisoffenheit und Ergebnisorientierung bzw. willkürlichen Handhabung, sie untergraben auch die Plausibilität der unterschiedlichen Wertung von passiver und aktiver Sterbehilfe. Denn die bei diesen Wertungen offen99 oder versteckt einfließende Orientierung anhand der moralischen Motivation und der Konsequenzen ist genau der Ansatzpunkt, mit dem in der ethischen Diskussion die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe in Zweifel gezogen wird.100 In Anbetracht der Schwierigkeiten beider Lösungswege ist es nicht verwunderlich, wenn ausgewiesene Strafrechtsdogmatiker, die sich schon seit längerem intensiv mit der Sterbehilfe beschäftigt haben, bei dem Abschalten eines Respirators weitere juristische Bemühungen bei der umstrittenen Einordnung von Tun und Unterlassen im Hinblick auf das nahezu einhellig vertretene Ergebnis der Straffreiheit für wenig fruchtbringend halten.101
V. Eigene Unterscheidung Für die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe im Rahmen der Verfassungsdiskussion muß deshalb ein anderer Ansatzpunkt gewählt werden. Ausgangspunkt können dabei die weitgehend vorgetragenen Erwägungen sein, mit denen entweder bei den naturalistischen Theorien die Strafbarkeit trotz gegebener Handlung verneint wird oder bei den normativen Ansätzen eine Wertung als Unterlassen erfolgt. Die vorgebrachten Argumente decken sich hier weitgehend. Durch 98 Siehe zu dieser Kritik auch H. Otto, Jura 2000, S. 549(ebda.); R. Zimmermann, NJW 1977, S. 2101 (2102). 99 Siehe z. B. v. Dellinghausen, 1981, S. 429 ff. 100 Hierzu siehe unten § 8 I. u. II. 101 Tröndle, 1990, S. 595 (600); Chong, 1998, S. 198 f.; vgl. auch Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn 32. Tröndle nimmt dies gar zum Anlaß, die Sterbehilfe-Problematik insgesamt vom juristischen Ballast befreien zu wollen. Danach soll bei den Tötungstatbeständen der „Schutzbereich der Normen“ durch die lex artis des Arztes begrenzt werden, Tröndle, a. a. O., S. 607 ff.; ders., ZStW 99 (1987), S. 25(35 ff.), ders., MedR 1988, S. 163 ff.; ähnlich LKJähnke, vor. § 211 Rn. 17.
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den Respirator wird in den natürlichen Sterbeprozeß des Patienten eingegriffen. Die Besonderheit in den Reanimatorfällen liegt darin, daß die angeschlossenen Apparate fortlaufend einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten darstellen.102 Sie bedürfen deshalb des mutmaßlichen Einverständnisses des Patienten. Wird gegen dessen Willen der Respirator nicht abgeschaltet, wird sein verfassungsrechtlich garantiertes Selbstbestimmungsrecht verletzt.103 Die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe ergibt sich damit aus der von der Verfassung nahegelegten Umkehrung der Blickrichtung. Während das strafrechtliche Schrifttum geneigt ist, die Handlung des Täters als Anhaltspunkt für die aktive und passive Sterbehilfe zu nehmen, setzt das Verfassungsrecht als Ausgangspunkt der Unterscheidung bei dem existentiell Betroffenen (Patienten) an. Aus dessen Warte muß jeder Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit gerechtfertigt werden.104 Entscheidend ist danach nicht, ob der Sterbehilfe Leistende handelt oder unterläßt. Von Bedeutung ist vielmehr der Bezug des Handelnden / Unterlassenden zum Sterbenden. Eine passive Sterbehilfe ist somit bei einem Geschehenlassen des Sterbens gegeben, eine aktive, wenn der Handelnde an dem Patienten etwas vornimmt.105 Die passive Sterbehilfe zeichnet sich hiernach nicht durch ein Unterlassen, sondern dadurch aus, daß der Handelnde den Tod des Kranken geschehen läßt, wie es z. B. der Fall ist, wenn der Arzt den Reanimator abstellt.106 Der Arzt beendet in diesem Fall den von ihm aufrechterhaltenen fortdauernden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten. Umgekehrt ist es dann auch für die aktive Sterbehilfe nicht wesentlich, ob der Sterbehilfe Leistende etwas „tut“.Von Bedeutung ist dagegen, ob er aktiv auf den Patienten einwirkt. Damit ist die Anordnung, keine weitere Nahrung durch die Sonde zu verabreichen, eindeutig ein Fall der passiven Sterbehilfe, da in diesem Fall keine aktive Einwirkung auf den Patienten erfolgt, sondern ebenfalls auf die Fortführung einer medizinischen oder pflegerischen Maßnahme (z. B. künstliche Ernährung)107 am Patienten verzichtet wird. Vgl. hierzu Geilen, JZ 1968, S. 145 (151); ders., FamRZ 1968, S. 121 (126). H. Otto, 1986, D 45. 104 s. u. § 8 II. 9. u. § 10 II. 105 Zu dieser Unterscheidung siehe Birnbacher, 1995, S. 344; Gert, 1988, S. 299; Wils, 1999, S. 205 f.; auch aus strafrechtlicher Sicht Jakobs, 1991, S. 73 (75 ff.); Merkel, 2001, S. 245 ff. 106 Allerdings ergibt sich hier das Problem der Abgrenzung, ab wann eine aktive Einwirkung des Arztes auf den Patienten gegeben ist. Mit Jakobs, 1991, S. 73(75 ff.), würde ich darauf abstellen, ob die Maschine eine fortlaufende Leistung des Arztes erbringt oder bereits ein vom Arzt – jedenfalls für einige Zeit – unabhängiges Bestandselement im Organisationskreis des Patienten ist. Letzteres ist dann gegeben, wenn eine Integration in den Körper des Patienten wie z. B. bei einem Herzschrittmacher gegeben ist. 107 Dies gilt auch dann, wenn die Magensonde vom Pflegepersonal entfernt wird. Denn die Magensonde wird hier allein deshalb entfernt, weil sie wegen der Ernährungseinstellung nur noch ein nutzloser Fremdkörper im Leib des Patienten ist; im Ergebnis ebenso Verrel, JR 1999, S. 5(6). 102 103
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
Vorstehende Unterscheidung, wie sie gelegentlich in der moralphilosophischen Diskussion vorgetragen wird,108 haben nunmehr Jakobs und Merkel aus strafrechtlicher Sicht aufgenommen.109 Das ist auch strafrechtsdogmatisch überzeugend, wenn mit der herrschenden Auffassung der Strafrechtswissenschaft der Zweck strafrechtlicher Verbote im Rechtsgüterschutz angenommen wird.110 Diesen übergeordneten Zweck strafrechtlicher Regelungen wird die Strafrechtsdogmatik bei der Auslegung ihrer Normen beachten müssen. Der Verfassung kommt hier die Aufgabe zu, als leitender Maßstab für die Bewertung der Rechtsgüter zu fungieren. Die Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe am Integritätsschutz des Patienten und nicht allein am phänotypischen Verhalten111 des Täters auszurichten, ist deshalb auch strafrechtsdogmatisch überzeugender.112
Gert, 1988, S. 299; Birnbacher, 1995, S. 344; Wils, 1999, S. 205 f. Jakobs, 1991, S. 73 (75 ff.); Merkel, 2001, S. 245 ff. 110 Siehe nur Wessels / Beulke, 2001, Rn. 6; Jescheck / Weigend, 1996, § 1, III. 1., S. 7 f. 111 Eine Handlung des Täters wird man als notwendige Bedingung voraussetzen müssen. Der Arzt, der z. B. nur zusieht, wie Wasser aus einem Rohrbruch in den Respirator tropft und dadurch einen tödlichen Kurzschluß verursacht, ist nur Unterlassungstäter. Allerdings ist das Handeln des Arztes nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für den tatbestandlichen Erfolg. 112 Strafrechtlich mißliche Folgen ergeben sich dabei nicht. Da nach dieser Definition nicht das phänotypische Handeln oder Unterlassen, sondern das Geschehenlassen oder die aktive Einwirkung auf den Patienten entscheidend ist, orientiert sich diese Definition an den normativen Theorien. Anders als bei diesen wird vorliegend nicht fallweise nach dem Schwerpunkt der Handlung, dem sozialen Handlungssinn oder über das noch wenig bestimmte Tun durch Unterlassen entschieden, sondern ein einheitliches Kriterium für alle Fälle der Sterbehilfe vorgeschlagen. Danach ist das Abschalten des Reanimators durch den Arzt als ein Geschehenlassen des Sterbens ein Fall der passiven Sterbehilfe. Bei dem Abstellen durch einen Dritten ist zu differenzieren: Handelt der Dritte im Einverständnis mit dem Patienten bzw. wehrt er einen nunmehr unzulässigen fortdauernden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ab? Zu Recht weist hierauf Tröndle, 1990, S. 595 (603), hin. Die Handlung des Dritten verletzt keinen Straftatbestand, weil eine strafrechtlich gebotene Lebenserhaltung gegen den (mutmaßlichen) Patientenwillen nicht besteht (näher s. u. § 10 I., § 12 I.). Gleiches wäre z. B. der Fall, wenn ein Dritter einen von einer giftigen Schlange tödlich Gebissenen gegen die wohlmeinende, aber vom Verletzten unerwünschte Injizierung einer rettenden Spritze verteidigen würde. Ist das Handeln des Dritten dagegen nicht durch den Patientenwillen gedeckt, greift der Dritte in die Rettungs- oder Lebenserhaltungsbemühungen des Arztes ein, die das Leben des Patienten aufrechterhalten. Der Dritte macht sich hier in gleicher Weise wie derjenige, der durch aktives Handeln verhindert, daß dem von der Schlange tödlich Gebissenen eine das Leben verlängernde oder gar rettende Spritze injiziert wird, bei entsprechendem Vorsatz wegen eines Tötungsdelikts strafbar. Das Verhalten des Dritten führt tatbestandlich zum früheren Todeseintritt und greift durch aktives Tun verhindernd in den lebenserhaltenden Kausalverlauf ein. 108 109
§ 2 Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe
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VI. Exkurs: Einstellung der künstlichen Ernährung als Behandlungsabbruch Durch die Kempten-Entscheidung des BGH113 und eine ähnlich gelagerte Entscheidung des OLG Frankfurt a.M.114 zum Behandlungsabbruch bei einem appallischen Patienten, der noch nicht im Sterben liegt, hat sich ein Grundlagenstreit darüber entwickelt, ob bei einem Behandlungsabbruch auch die durch Infusionen oder eine Nasen- und Magensonde erfolgende künstliche Ernährung eingestellt werden darf. Gegen eine Gleichsetzung der künstlichen Ernährung mit sonstigen lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen werden im wesentlichen zwei Argumente vorgebracht: (1) Auch die (künstliche) Ernährung sei Teil der Grundversorgung des Patienten. Durch den Nahrungsentzug würde dem Patienten die Befriedigung elementarer menschlicher Bedürfnisse vorenthalten werden.115 (2) Der Abbruch der Ernährung sei kein Fall der passiven Sterbehilfe, da dann nicht mehr die Krankheit, sondern der Nahrungsentzug als neue, von der Krankheit unabhängige Kausalität zum Tod führe.116 Der Sache nach sei sie deshalb nicht mehr der passiven Sterbehilfe zuzurechnen, vielmehr sei sie als Fall der aktiven Sterbehilfe anzusehen.117 Beide Einwände sind nicht überzeugend. Der Entzug der Nahrung ist ebenso wie der Verzicht auf sonstige lebenserhaltende Mittel (etwa der Atemluft durch Abschalten des Respirators) ein Verzicht auf eine lebenserhaltende medizinische Maßnahme, wenn der Patient zu eigener Nahrungsaufnahme nicht mehr in der Lage ist und nur noch über medizinische Eingriffe wie dem Verlegen einer Sonde oder durch Infusionen ernährt werden kann.118 Wird die Lebenserhaltung als nicht mehr legitim angesehen, kann der Verzicht dieser Maßnahmen ebenfalls in Betracht kommen. Entscheidend dürfte auch hier wie beim Abstellen eines Beatmungsgerätes sein,119 ob der Tod dann vom Patienten gewollt ist und subjektiv als schmerzhaft empfunden wird oder nicht.120 Die erforderliche Basispflege ist kein 113 BGHSt 40, 257 ff. Hierin wird vielfach ein Verstoß gegen das angebliche Verbot der Lebensbewertung gesehen: Alberts, NJW 1999, S. 835 (836); Dörner, ZRP 1996, S. 93 (97); Seitz, NJW 1998, S. 417 (421); Tolmein, KJ 1996, S. 510 (511 f.); Nickel, MedR 1998, S. 520 (522). 114 OLG Frankfurt a.M. NJW 1998, S. 2747 ff. 115 Weißauer / Opderbecke, MedR 1995, S. 456 (461); Eibach, MedR 2000, S. 10 (15). 116 Merkel, ZStW 107 (1995), S. 545 (563); Weißauer / Opderbecke, MedR 1995, S. 456 (461); Hiersche, 1999, S. 697 (709 f.); a.A. Verrel, JR 1999, S. 5(6). 117 So ausdrücklich Schmidt / Madea, MedR 1998, S. 406 (408). 118 Merkel, ZStW 107 (1995), S. 545 (561 f.). 119 Luft ist in gleicher Weise ein lebensnotwendiges Grundbedürfnis des Lebens wie die Nahrung. Wollte man mit Eibach, MedR 2000, S. 10 (15), in dem Vorenthalten eines Grundbedürfnisses einen direkten Akt gegen das Leben erblicken und eine Bewertung des Lebens als lebensunwert vorwerfen, dann muß dieser Einwand konsequenterweise auch gegen das Abschalten eines Beatmungsgerätes vorgebracht werden. Nicht nur die Nahrung, auch die Luft darf „keinem Glied der menschlichen Gemeinschaft verweigert werden“.
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von der Natur vorgegebener Behandlungsumfang, sondern den Umständen des Einzelfalls entsprechend im Hinblick auf den Willen und das Wohl des Patienten einzusetzen. Die Überzeugungskraft des zweiten Einwandes, daß mit dem Ernährungsentzug eine neue Todesursache gesetzt werde und deshalb ein Fall der aktiven Sterbehilfe gegeben sei, hängt zunächst einmal davon ab, nach welchem Kriterium die aktive von der passiven Sterbehilfe unterschieden wird. Im Sinne der Kritiker der genannten gerichtlichen Entscheidungen müßte die aktive Sterbehilfe dahingehend definiert werden, daß sie zur Krankheit des Patienten hinzukommende zusätzliche Faktoren in die Situation einbringt, die zusammen mit der Krankheit den Tod des Patienten zur Folge haben. Ohne diesen zusätzlichen Faktoren würde der Patient nicht (bzw. noch nicht) sterben.121 Aber selbst wenn man dieser Auffassung folgte, wird aus der Einstellung der künstlichen Ernährung kein Fall der aktiven Sterbehilfe. Anders als bei einem von Geburt aus gelähmten Menschen liegt bei einem Patienten, der wegen seiner tödlichen Krankheit künstlich ernährt werden muß, die Ursache der Unfähigkeit zur natürlichen Nahrungsaufnahme in seiner tödlichen Krankheit. Bestünden nicht die medizinischen Kenntnisse der künstlichen Ernährung, würde dieser Patient infolge seiner Krankheit verhungern, so daß auch nach dieser Abgrenzung mit dem Abbruch der künstlichen Ernährung nur eine passive Sterbehilfe gegeben ist.122
§ 3 Indirekte Sterbehilfe als Unterfall der aktiven Sterbehilfe Die Unterscheidung zwischen aktiver und indirekter Sterbehilfe ist in ihrer Begrifflichkeit unklar (s. u. I.)123 und die Begründung für die Straflosigkeit der 120 Beim Patienten mit irreversiblem apallischen Syndrom soll das „Verhungern“ subjektiv nicht verspürt werden (Merkel, ZStW 107 (1995), S. 545 (562); bei anderen Patienten sollen Hunger- und Durstgefühle durch medizinische und pflegerische Maßnahmen unterdrückt werden können, vgl. LG Duisburg, NJW 1999, S. 2744 (2745). Das sind allerdings Fragen der Art und Weise des Behandlungsabbruchs, deren Durchführung vom medizinischen Erkenntnisstand darüber abhängen, welche Maßnahmen der Basispflege dem Wohlbefinden des Patienten dienlich sind oder dafür unbedingt aufrechterhalten werden sollten, vgl. auch Eser, 1977a, S. 75 (137 f. u. Fn. 227); Wuermeling, 1997, S. 91 (96 f.); Oduncu, 1999, S. 541 (550). 121 Zu dieser Abgrenzung nach der Einflußnahme auf den Krankheitsprozeß siehe H. Otto, 1986, D 30. 122 Über die Berechtigung zum Einstellen der künstlichen Ernährung ist damit nichts zwingend gesagt. Aber auch bei einer Mutter, die ihrem Säugling die Nahrung vorenthält, ist nach keiner Auffassung eine Tötung durch Tun, sondern ein Unterlassungsdelikt gegeben. 123 Bezeichnend für die Unklarheiten der juristischen Formulierung ist die Interpretation von Spittler, Ethik Med 2000, S. 236 (240): „Die Sedierung ohne Intubation mit der Folge des
§ 3 Indirekte Sterbehilfe
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indirekten Sterbehilfe äußerst umstritten (s. u. III.). Nunmehr wird auch eingewandt, daß diese Unterscheidung gänzlich überflüssig sei, weil dem Einsatz von Schmerzlinderungsmitteln bei den heutigen Kenntnissen der Palliativmedizin überhaupt keine lebensverkürzende Wirkung mehr zukomme.124 Dagegen halten auch die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbehilfe von 1998 diese Unterscheidung in der Sache anscheinend immer noch für hinreichend relevant, um sie in die Richtlinie aufzunehmen.125 Trotzdem läßt sich nicht verkennen, daß die Differenzierung zwischen aktiver und indirekter Sterbehilfe bis vor kurzem, soweit ersichtlich, noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gewesen war und auch der BGH126 nunmehr zwei Fälle mehr als willkommene Gelegenheit denn aus zwingenden Gründen zum Anlaß genommen hat, zu dieser Problematik Stellung zu nehmen.
I. Begrifflichkeit Wenn auch nahezu einhellig die Abgrenzung zwischen verbotener aktiver und erlaubter indirekter Sterbehilfe bejaht wird,127 so fällt bei genauerer Sichtung auf, daß die Unterscheidung begrifflich nicht hinreichend geklärt ist.128 Übereinstimmung herrscht noch dahingehend, daß bei nur bedingtem Vorsatz (d. h. die Lebensverkürzung wird nur für möglich gehalten und in Kauf genommen) eine zulässige indirekte Sterbehilfe und bei einer beabsichtigten Lebensverkürzung (d. h. die Lebensverkürzung ist das Ziel der Medikation) eine verbotene aktive Sterbehilfe gegeben sein soll.129 Die Meinungen gehen allerdings darüber Atemstillstands [ . . . ] wäre konsequent und mit den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung in Übereinstimmung gewesen.“ 124 Zutreffend ist sicherlich, daß die Schmerzlinderung eine die Vitalität stabilisierende Kraft besitzen kann, während die Schmerzbelastung den Todeseintritt auch zu beschleunigen vermag, vgl. M. v. Lutterottti, 1976, S. 291 (294). Wenn allerdings die atemdepressive Wirkung der schmerzlindernden Medikation zweifellos eine lebensverkürzende Wirkung besitzt, kommt es für den strafrechtlichen Vorwurf darauf an, ob im Verhältnis dazu bei unzureichender, nicht lebensverkürzender Bekämpfung der Schmerzen, der Tod wegen der Schmerzbelastung noch früher eingetreten wäre. Wie will man das allerdings feststellen können? 125 Bundesärztekammer, 1998, S. 3406 (3407). Unabhängig von der Frage der praktischen Relevanz dieser Unterscheidung gibt die allseits befürwortete Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe in dogmatischer Perspektive einen interessanten Aufschluß, wie die Strafrechtswissenschaft in der Abwägung zwischen Lebensverkürzung und Leidensvermeidung die verbotene aktive Sterbehilfe zugunsten der Leidensvermeidung partiell zu umgehen sucht. 126 BGHSt 42, 301 ff.; NJW 2001, S. 1802 f. 127 Nach Leisner, 1976, S. 5(39 f.) verbietet dagegen der verfassungsrechtliche Grundsatz des absoluten Lebensschutzes die indirekte Sterbehilfe. Für eine strafrechtliche Pönalisierung Kohlhaas, NJW 1973, S. 548 (550); Gössel, 1987, § 2 Rn. 30 ff. 128 Die zur Zeit noch bestehende begriffliche Unklarheit wird nur von wenigen hinreichend erkannt und erörtert, anders aber Schöch, 1997, S. 409 (410 f.). 129 Siehe Nachweise bei den Fn. 131, 134 u. 141.
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auseinander, ob der dolus directus zweiten Grades130, wo der Sterbehilfe Leistende nur weiß oder als sicher voraussieht, daß eine Lebensverkürzung eintreten wird, noch als Fall der erlaubten indirekten Sterbehilfe angesehen werden soll.131 Nach der vom BGH aufgenommenen Formulierung ist eine erlaubte indirekte Sterbehilfe gegeben, wenn eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation bei einem sterbenden Patienten als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann.132 Wenn auch nicht mit letzter Klarheit133, spricht diese Formulierung für die Einschränkung der zulässigen indirekten Sterbehilfe auf den Eventualvorsatz.134 Dabei wird auch von dieser Seite eingeräumt, daß die Grenze zur aktiven Sterbehilfe hauchdünn ist.135 Zur weiteren Klärung dieser Streitfrage ist es hilfreich, die ärztliche Praxis, die durch die indirekte Sterbehilfe (übereinstimmend) legitimiert werden soll, näher zu betrachten.136 Der Einsatz von bestimmten, morphinhaltigen oder morphinähnlichen Analgetika hemmt das Atemzentrum.137 Bei höheren Dosen, an die der Körper noch nicht gewöhnt ist, kann es zur Unterversorgung mit Sauerstoff kommen, die Organtätigkeiten verlangsamen sich und eine weitere Schwächung des Körpers 130 D.i. die Vorsatzform zwischen der Absicht (dolus directus ersten Grades) und dem bedingten Vorsatz (dolus eventualis). 131 In dieser Hinsicht unklar sind LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 15; Laber, 1997, S. 199 f., dann aber S. 205 ff.; Möllering, 1977, S. 10 ff.; Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 26; siehe auch ders., 1977b, S. 75 (89 f.) Verrel, MedR 1997, S. 248 (249); Giesen, 1992, S. 10 (24 ff.); ders., 1990, S. 929 (935); Schreiber, 1997, 119 (121). Nicht eindeutig sind auch die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, NJW 1998, S. 3406 (3407): „Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, daß eine möglicherweise unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf. Eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, ist unzulässig [ . . . ].“ 132 BGHSt 42, 301 (305); Tröndle / Fischer, vor § 211 Rn. 17; Laufs / Ulsenheimer, § 149 Rn. 8. 133 Vgl. zu dieser Kritik Schöch, NStZ 1997, S. 409 (411); auch Roxin, 2000, S. 87 (92). Insbesondere die vorrangige Begründung in BGHSt 42, 301 (305), wo die indirekte Sterbehilfe als gerechtfertigter Notstand gem. § 34 StGB bewertet wird, weil die gewünschte Schmerzfreiheit ein höherwertiges Rechtsgut sei als kurze Zeit unter Vernichtungsschmerzen noch länger leben zu müssen, läßt noch offen, ob nicht auch ein dolus directus ersten Grades für zulässig erachtet wird. 134 So ausdrücklich nunmehr BGH NJW 2001, S. 1802 (1803); ebenso Schöch, 1997, S. 409 (410 f.); Dölling, JR 1998, S. 160 (162); siehe zuvor bereits Engisch, 1979, S. 519 (532); Hirsch, 1987, S. 597 (608); Tröndle, 1986, M 31; Kutzer, NStZ 1994, S. 110 (114 f.); ders., ZRP 1997, S. 117 (119); nunmehr ders. den direkten Vorsatz zulassend: MedR 2001, S. 77 (78). 135 Geilen, 1975, S. 23; Kaufmann, MedR 1983, S. 121 (122); Dölling, JR 1998, S. 160 (161). 136 Vgl. Apostolischer Stuhl, 1980, S. 10. 137 Lüllmann / Mohr, 1999, S. 260.
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tritt ein, die den früheren Todeseintritt herbeizuführen vermag.138 Es ist dann nicht die einzelne „Spritze“, sondern der fortdauernd hohe Einsatz von opiathaltigen oder opiatähnlichen Analgetika, der lebensverkürzend wirkt. Zur Gewißheit wird die lebensverkürzende Wirkung der Medikation, wenn der Patient in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der Opiatgabe nur noch in größeren Abständen zu einzelnen tiefen Atmungen ansetzt.139 Wenn allerdings diese medizinische Praxis allseits gebilligt wird,140 dann entspricht dem Prinzip der indirekten Sterbehilfe die andere Auffassung mehr, die eine indirekte Sterbehilfe auch dann noch bejaht, wenn es sich zur Gewißheit verfestigt, daß die schmerzlindernde Medikation als unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt früher herbeiführen wird.141 Der Unterschied zur direkten Sterbehilfe besteht dann darin, daß bei der aktiven Sterbehilfe nicht eine schmerzlindernde Medikation aufgenommen wird, sondern der Arzt direkt den Tod bzw. eine Lebensverkürzung anvisiert, um dadurch – und nicht durch die Bekämpfung der Schmerzen selbst – den Schmerzen ein Ende zu bereiten. Zu dieser Position der indirekten Sterbehilfe kann auch die oft zitierte142 Ansprache Pius’ XII. gezählt werden: 138 Siehe auch Harris, 1995, S. 83: „[ . . . ] daß die Toxizität der Medikamente das Leben der Patienten noch weiter zu kürzen droht.“ Lüllmann / Mohr, 1999, S. 260: „Schon nach therapeutischen Dosen kann eine Anhebung der Schwelle für den physiologischen Reiz (CO2Partialdruck im Blut) festgestellt werden. Die Hemmung des Atemzentrums ist dosisabhängig: Nach hohen Dosen von Morphin wird es völlig gelähmt.Der Tod tritt bei der MorphinVergiftung infolge zentraler Atemlähmung ein.“ 139 Bei Patienten, denen starke Dosen an Morphin verabreicht werden, sind große Atemzugsvolumina mit niedriger Frequenz und sogar Apnoephasen typisch für opiatbedingte Störungen des Atemantriebs. Dagegen aber Laufs, NJW 1986, S. 1515 (1517): „Das mit juristischen Mitteln kaum mehr erfaßbare Risiko einer unbeabsichtigten Lebensverkürzung, das mit dringenden Injektionen schmerzstillender Mittel einhergeht, darf der behutsame Arzt eingehen.“ Die verbreitete Behauptung, daß es eine praktische Bedeutung der indirekten Sterbehilfe nicht mehr gebe, weil die Schmerztherapie medizinisch so weit entwickelt sei, daß sie nur noch selten mit Sicherheit zur Lebensverkürzung führe, so Sch / Sch-Eser vor § 211 Rn. 26; Schöch, NStZ 1997, S. 409 (410 f.); Roxin, 2000, S. 87 (93), ist deshalb nicht zutreffend; s. u. Fn. 254 und auch Merkel, 2001, S. 152 Fn. 120 m. w. N.; Maatsch, 2001, S. 20 f. 140 Offensichtlich liegt dem Streit über die zulässige Vorsatzform ein unterschiedliches Verständnis der medizinischen Praxis zugrunde. Daß zunehmend der dolus directus 2. Grades im Bereich der aktiven Sterbehilfe angesiedelt wird, rührt deshalb eher von der Annahme her, daß eine ausreichende Schmerzlinderung den Bereich des bedingten Vorsatzes nicht überschreiten muß (s. o. Fn. 139). Das scheint mir aber nach dem hier vorgestellten klinischen Bild ausreichender Schmerztherapie nicht überzeugend. 141 Vgl. Maatsch, 2001, S. 238; H. Otto, Jura 1999, S. 434 (440); ders., 1986, D 55; Rieger, 1998, S. 19; Eser, 1977a, S. 75 (90 f.); Dölling, MedR 1987, S. 6 (7); ders., 1987, S. 7 (12); Pelzl, KJ 1994, S. 179 (190); Schick, 1993, S. 121 (134); Arzt, JR 1986, S. 309 (310); Strub / Wolf, 1989, S. 151 (153); Quante, Ethik Med 1998, S. 206 (219); Merkel, 2001, S. 152 f.; differenzierend v. Dellinghausen, 1981, S. 141 ff., 185 ff. u. 236; Möllering, 1977, S. 15 ff., 20 ff. 142 Schreiber, 1997, S. 119 (121); Hirsch, 1987, S. 597 (608); Tröndle, 1987, S. 25 (29); Leonardy, DRiZ 1986, S. 281 (286).
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion „Wenn zwischen der Narkose und der Verkürzung des Lebens kein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht, der auf dem Willen der Interessierten beruht oder in der Natur der Sache liegt [ . . . ], und wenn vielmehr die Verwendung der Narkotika an sich zweierlei verschiedene Folgen nach sich zieht, einerseits die Erleichterung des Schmerzes und andererseits die Verkürzung des Lebens, so ist sie erlaubt. Man muß allerdings auch noch zusehen, ob zwischen diesen beiden Wirkungen ein vernünftiges Verhältnis besteht und die Vorteile der einen die Nachteile der andern aufwiegen.“143
II. Exkurs: Das Prinzip der Doppelwirkung Der zuvor zitierten Ansprache von Pius XII. liegt das von der katholisch-thomistischen Moraltheologie entwickelte Prinzip der Doppelwirkung zugrunde.144 Eine an sich verbotene Handlung – hier Tötung unschuldigen Lebens – ist danach dann erlaubt, wenn sie nur eine unerwünschte und unvermeidliche Nebenwirkung einer gebotenen Handlung ist und zu dieser nicht außer Verhältnis steht.145 Das Prinzip der Doppelwirkung hat in vorliegendem Zusammenhang zwei Intentionen, die es m.E. beide nicht erreicht. Zum einen soll die Lebensverkürzung bzw. Tötung des Patienten als nicht vorsätzlich dargestellt werden können, zum anderen eine Abwägung von Leben und Schmerzlinderung umgangen werden. Das Prinzip der Doppelwirkung kann als Versuch einer deontologischen Ethik verstanden werden, einen Pflichtenkonflikt aufzulösen. Auf der einen Seite steht die Pflicht des Arztes zu helfen und die Schmerzen zu lindern, auf der anderen Seite ist es ihm untersagt, unschuldiges menschliches Leben zu töten. Kann er beiden Pflichten nicht gleichzeitig nachkommen, ist eine streng deontologische Ethik zunächst am Ende. Sie muß hier entscheiden, welcher Pflicht sie den Vorrang gibt. Wird eine der beiden Handlungen unabhängig von ihren Folgen für absolut moralisch falsch gehalten, wie z. B. die Tötung unschuldigen menschlichen Lebens, ist die Antwort bereits vorgegeben. Die Schmerzlinderung hat hinter dem Tötungsverbot zurückzutreten. Was aber, wenn diese Konsequenz im Sonderfall für schlechthin nicht überzeugend gehalten wird? Will man hier das absolute Verbot / Gebot nicht abschwächen, bietet sich als Ausweg das Prinzip von der Doppelwirkung an. Der Sache nach ist sie eine Zusatzregel, um die „Auswirkungen einer deontologischen Norm [ . . . ] in überschaubaren und zumutbaren Grenzen zu halten.“146 Nach dem Prinzip von der 143 Pius’ XII. Ansprache vom 24. Februar 1957, Acta Apostolica Sedis 50 (1957), S. 129 (147), Übersetzung zitiert nach Wolfslast / Conrads, 2001, S. 250. Vgl. auch Apostolischer Stuhl, 1980, S. 10. 144 Auf den Zusammenhang zwischen der indirekten Sterbehilfe und dem Prinzip der Doppellehre verweisen auch Giesen, JZ 1990, S. 929 (935); Pelzl, KJ 1994, S. 179 (190); kritisch zu diesem Prinzip Kuhse, 1994, S. 109 ff., 117 ff. 145 Vgl. Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 65; siehe auch Schockenhoff, 1990, S. 85 ff.; Fuchs, 1997, S. 96 ff.; A. W. Müller, 1997, S. 106 ff. 146 Schockenhoff, 1991, S. 87, spricht auch von „argumentativen Klimmzügen“.
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Doppelwirkung gilt das absolute Verbot nur für die beabsichtigten Folgen der Handlung, nicht aber für den Eintritt einer unerwünschten Nebenfolge. Dem Arzt ist danach die Schmerzlinderung als von ihm beabsichtigte Wirkung seiner Medikation erlaubt, auch wenn als von ihm unerwünschte und unvermeidbare Nebenwirkung eine Verkürzung des Lebens eintritt. Die Grenze zur verbotenen Tötung ist dann überschritten, wenn der Tod das Hauptziel ist oder als Mittel zum Zweck der Leidensbeendigung eingesetzt wird.147 Bei der Umsetzung des Prinzips der Doppelwirkung in die Strafrechtswissenschaft wird vor dem Hintergrund der überzeugenden strafrechtlichen Differenzierung der drei Vorsatzformen fast einhellig148 zu Recht erkannt, daß hinsichtlich des Vorsatzes einer Tötung bei der indirekten Sterbehilfe nicht gezweifelt werden kann. Auch wenn keine Absicht (dolus directus ersten Grades) gegeben ist, so ist bei der Gewißheit über den Eintritt der Lebensverkürzung als (Neben-)wirkung der Handlung, bei einer willentlichen Tätigkeit in Kenntnis ihrer Auswirkungen, das Verhalten als vorsätzlich anzusehen. Auch hinsichtlich der Bejahung eines Eventualvorsatzes ist es gleichgültig, ob die lebensverkürzende Wirkung eine Nebenfolge ist oder nicht. Sachlich zu berichtigen ist auch die Vorstellung, die Sterbehilfe erfolge hier nur „indirekt“. Auch wenn der früher herbeigeführte Tod nur eine „Nebenwirkung“ der intendierten Handlung ist, so stirbt der Patient nicht indirekt an der Abnahme seiner Schmerzen, sondern direkt an dem Medikament, weil der frühere Todeseintritt bzw. konkrete Todeserfolg auf der objektiven Ebene durch morphinhaltige oder morphinähnliche Analgetika direkt herbeigeführt wird.149 Einzig die „subjektive“ Begleitvorstellung kann „indirekt“ sein. Weiterhin kommt auch das Prinzip der Doppelwirkung nicht umhin, abzuwägen, ob die gute Wirkung hinreichend wünschenswert ist, um das Zulassen der schlechten Wirkung aufzuwiegen.150 Anderes würde zu absurden Einschränkungen des „absoluten“ Tötungsverbots führen, wo eine nicht anders zu erfüllende nachrangige Pflicht nur unter Verletzung des Tötungsverbots zu erreichen wäre.151 Deshalb ver147 D. h. die schlechte Wirkung darf nicht Mittel zum Zweck sein, wie es der Fall wäre, wenn durch den Tod die Schmerzen beseitigt werden sollen. Hierauf bezieht sich der erste Teilsatz obigen Zitats aus der Ansprache Pius’ XII. 148 Siehe nur Eisenbart, 2000, S. 22 m. w. N.; anders lediglich Bockelmann, 1968, S. 25 (70); Engisch, 1979, S. 519 (532). 149 So zutreffend Merkel, 2001, S. 175 f.; siehe auch Kuhse, 1994, S. 132 ff.; Harris, 1995, S. 83 f. 150 Siehe nur den letzten Satz obigen Zitats aus der Ansprache Pius’ XII., s. o. I.; siehe auch Kuhse, 1994, S. 118. 151 Wer z. B. durch einen unvorhersehbaren Stau unverschuldet in Zeitverzug gekommen ist, kann anschließend nicht in der Absicht, die verlorene Zeit aufzuholen und pünktlich zum Termin zu kommen, mit 200 km / h durch kleine Ortschaften fahren, auch wenn er die Gefährdung nur als unvermeidbare Nebenwirkung seiner Verpflichtung zur Pünktlichkeit in Kauf nimmt.
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langt Pius XII. in seiner Ansprache auch, darauf zu achten, daß zwischen den beiden Wirkungen Schmerzlinderung und Lebensverkürzung ein vernünftiges Verhältnis bestehen muß (s. o.).152 Die Leidensverringerung wird damit mit der Lebensverkürzung abgewogen und die Bewertung als höheres Rechtgut gegenüber dem Leben für möglich erachtet.153 In einer Hinsicht vermag das Prinzip der Doppelwirkung allerdings seiner Intention gerecht zu werden. Statt einer unmittelbaren Abwägung der Folgen einer Handlung besteht es zunächst auf der Einhaltung des Verbots der Tötung eines Menschen. Nur wenn sich dies im Hinblick auf die Folgen als unverhältnismäßig herausstellt, macht es Einschränkungen, die allerdings streng auf das unbedingt notwendige Maß des zur Befolgung der nachrangigen Pflicht Erforderlichen beschränkt sind.154 Der Arzt darf nur soweit gehen, wie es die unmittelbare Schmerzlinderung erfordert, da nur diese die Absicht seiner Handlung sein darf. Die Schmerzlinderung orientiert sich damit an der „notwendigen“ Dosis, während die aktive Sterbehilfe den Todeseintritt durch die „sichere“ Dosis herbeiführen will.155 Auf einen reinen Gesinnungsunterschied läuft diese Unterscheidung allerdings dann hinaus, wenn die „notwendige“ Dosis zugleich die „sichere“ Dosis für den sofortigen Todeseintritt ist, weil dann nur die innere Einstellung des Arztes den Unterschied ausmachen kann.156 Da aber nach verbreiteter Auffassung die direkte Tötung durch den Arzt auch dann als Fall der aktiven Sterbehilfe gewertet wird, wenn anders keine Bekämpfung der Schmerzen möglich ist, ist die indirekte Sterbehilfe nur verständlich, wenn sie auch eine Eingrenzung im äußeren Geschehensablauf verlangt: Zulässig ist die indirekte Sterbehilfe danach nur dann, wenn überhaupt eine Schmerzlinderung durchgeführt wird,157 deren „unvermeidbare 152 Zuletzt wurde das Prinzip der Doppelwirkung von einer Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz im Zusammenhang mit dem Beratungsschein bei der Schwangerenkonfliktberatung als moralischer Lösungsansatz vorgeschlagen. Die Beratung erfolgt, um die schwangere Frau davon zu überzeugen, keinen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Die unerwünschte Nebenfolge der Beratung ist die Verpflichtung der Kirche im Rahmen der Schwangerenkonfliktberatung, einen Beratungsschein auszustellen. Diese Folge ist unvermeidlich, wenn die katholische Kirche auch die Frauen erreichen will, die nur aufgrund der gesetzlichen Pflichtberatung eine Beratungsstelle aufsuchen. Um die eigene Absicht eindeutig zu dokumentieren, sollte deshalb auf dem Beratungsschein vermerkt werden „Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden“, siehe Kluth, NJW 1999, S. 2720 (2721) m. w. N. Das Prinzip der Doppelwirkung kommt hier m.E. nicht schlechter zur Anwendung als bei der indirekten Sterbehilfe. Den apostolischen Stuhl. hat die Argumentation der Deutschen Bischöfe nicht überzeugt. Siehe Sala, NJW 2001, S. 1773 (ebda); ausführlicher ders., 1997, S. 59 (93 ff.). 153 Welz, 1998, S. 342. 154 Wie noch zu zeigen sein wird, kann in diesem eingeschränkten Sinn das Prinzip der Doppelwirkung im Verfassungsrecht eine sinnvolle Berücksichtigung erfahren, s. u. § 16 III. u. IV. 155 Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (32). 156 Siehe Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (32 f.); Merkel, 2001, S. 174 ff. 157 Hierbei wird allerdings nicht ganz deutlich, ob die lebensverkürzende Wirkung nur hinsichtlich der Gesamtbehandlung feststehen darf oder auch im Zuge einer fortlaufen-
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Nebenwirkung“ die Lebensverkürzung ist.158 Bei der direkten Tötung ist dagegen allein der Tod das Mittel der Schmerzbeendigung.
III. Begründung für die Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe Trotz der im Ergebnis mittlerweile fast einheilligen Übereinstimmung159 einer Zulässigkeit der bedingt vorsätzlichen indirekten Sterbehilfe ist die juristische Begründung hierfür äußerst umstritten und entsprechend vielfältig. Dabei sieht sich die Strafrechtswissenschaft vor die Schwierigkeit gestellt, trotz des Verbots der Tötung auf Verlangen die vorsätzliche und direkte Lebensverkürzung im Rahmen der schmerzlindernden Medikation zuzulassen. Einige Bemühungen sind davon gekennzeichnet, eine Abwägung von Leben gegen Leid zu vermeiden, da diese vor dem Hintergrund eines unabhängig von den Interessen des einzelnen postulierten absoluten Lebensschutzes kaum zugunsten der indirekten Sterbehilfe ausfallen kann. Wenig überzeugend ist es, bereits den Tötungsvorsatz zu verneinen. Denn unbestrittenerweise soll doch zumindest ein bedingter Vorsatz bei der indirekten Sterbehilfe erlaubt sein.160 Nach anderer Auffassung liegt das Verhalten des Arztes bei einer Orientierung an der lex artis bereits außerhalb des Schutzbereiches der Tötungsdelikte.161 Nur tritt das Strafrecht bei dieser Auffassung hinter die verfestigten Vorstellungen der ärztlichen Berufspflichten zurück.162 Damit wird einer strafrechtsdogmatischen Begründung der Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe ausgewichen163 und die ärztliche Praxis zu wenig als normatives Problem erkannt.164 den schmerzlindernden Medikation die tödliche Wirkung der letzten „Injektion“ gewiß sein darf. 158 Siehe auch Roxin, 1993, S. 177 (189): „Man wird also die Rechtfertigung der aktiven Euthanasie auf den Fall beschränken müssen, daß eine erbetene Schmerzlinderung als unvermeidliche Nebenwirkung das Leben des Patienten möglicherweise oder sogar mit Sicherheit verkürzt. Ein Handeln, das aber nicht Schmerzlinderung bei möglichster Lebenserhaltung, sondern Schmerzbeendigung durch direkte Tötung bezweckt, sollte auch im Falle des Verlangens generell strafbar bleiben [ . . . ].“ 159 A. A. allein Gössel, 1987, § 2 Rn. 30 ff. 160 So aber Bockelmann, 1968, S. 25 (70); Engisch, 1979, S. 519 (532 f.); ausführlichere Kritik bei Pelzl, 1994, S. 179 (188); siehe auch Eisenbart, 2000, S. 21 f.; Dölling, 1998, S. 160 (161). 161 LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 17; im Ansatz ähnlich: Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (30); neuerdings auch Herzberg, NJW 1996, S. 3043 (3048 f.): „sozialadäquates Verhalten“. 162 Vgl. LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 17. 163 So auch die ausdrückliche Begründung von Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (33 ff.); ders., MedR 1988, S. 163 ff.; ders., 1990, S. 595 (600). 164 Zu dieser Kritik siehe auch Merkel, ZStW 107 (1995), S. 545(548 Fn. 6); im Ergebnis ebenso Dölling, JR 1998, S. 160 (161).
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Die naturwissenschaftlich-medizinische Sachkenntnis ist zwar eine notwendige Bedingung zur Bestimmung der ärztlichen lex artis; sie ist jedoch keine hinreichende Voraussetzung zur Festlegung dessen, was sich als ärztliches Verhalten einbürgern soll. Es sind vielmehr normativ-ethische Fragestellungen und, soweit es um Leben und Körper des Patienten geht, auch genuin strafrechtliche und verfassungsrechtliche, welche Grenzen dem ärztlichen Verhalten gezogen werden sollen. Dem potentiellen Täterkreis dies zu überlassen, hieße den Ärzten einen Freibrief zu erteilen. Will man dies nicht, muß man die lex artis normativ bestimmen. Der Jurist wird deshalb bei der verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Normauslegung ansetzen müssen. Bedenklich ist es auch, wenn vertreten wird, daß der Schutzzweck der Tötungsdelikte nicht die lebensverkürzende Wirkung beim Todkranken erfasse.165 Wird damit dem verlöschenden Leben die Schutzwürdigkeit abgesprochen, stünde in konsequenter Fortsetzung dieses Ansatzes der aktiven direkten Sterbehilfe – auch gegen den Willen des Sterbenden – nichts mehr im Wege.166 Zu wenig verdeutlicht wird die strafrechtliche Relevanz der Schmerzlinderung mit dem Risiko der Lebensverkürzung auch insofern, als diese nicht erst im Terminalstadium von Bedeutung sein muß.167 Die von Laufs vertretene Verneinung des Schuldvorwurfs168 muß sich fragen lassen, wieso ein verbreitetes Verhalten, welches allgemein für erlaubt und medizinisch geboten angesehen wird, dann der Rechtsordnung zuwider laufen soll und nur als Entschuldigung im Sinne eines Sonderfalls Berücksichtigung findet.169 Überwiegend wird deshalb eine Rechtfertigung der indirekten Sterbehilfe vertreten, wobei nach der Mindermeinung die Lehre vom unverbotenen bzw. erlaubten Risiko einschlägig sein soll.170 Diese Rechtsfigur ist Ausdruck der Sozialadäquanz, da sie bestimmte Verhaltensweisen auch auf die Gefahr ihres Fehlschlagens hin erlaubt, wenn das Risiko von der Rechtsordnung nicht mißbilligt wird.171 Die Lehre vom unverbotenen Risiko hat anscheinend zunächst den Vorteil, die Schmerzlinderung nicht unmittelbar gegen die Lebensverkürzung abwägen zu müssen, da der Täter nur eine Handlungserlaubnis für das riskante Tun, aber keine LK-Jähnke,vor § 211 Rn. 17; Blei, 1983, S. 17. Vgl. Eser, 1977a, S. 75(89 f.); Eisenbart, 2000, S. 22. 167 Siehe Roxin, 2000, S. 87(91 f.). 168 So Laufs, 1993, Rn. 302; LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 15. 169 Pelzl, KJ 1994, S. 179 (189). Zudem könnte jeder Dritte im Wege der Nothilfe dem Arzt in den Arm fallen – eine Konsequenz, die ebenfalls von keiner Seite gewollt ist; siehe Merkel, 2001, S. 216 f. 170 Eser, 1977a, S. 75 (89); Laber, 1997, S. 205 ff.; Möllering, 1977, S. 15 ff. Die Rechtsnatur der Lehre vom erlaubten Risiko, ob als Tatbestandsausschluß, als Rechtfertigungsgrund oder außerhalb hiervon, ist allerdings umstritten, näher siehe Jescheck / Weigend, 1996, § 36, S. 400 ff. 171 Vgl. Sch / Sch-Lenckner, vor §§ 32 ff. Rn. 11; Tröndle / Fischer, vor § 32 Rn. 13. 165 166
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Eingriffsbefugnis in das geschützte Rechtsgut erhält.172 Der Arzt, der seiner Verpflichtung zur Schmerzlinderung nachkommt, die allseits als geboten angesehen wird, darf wegen des sozialen Nutzens dieser Handlung das Risiko ihres Fehlschlagens eingehen.173 Tatsächlich läßt sich allerdings auch bei diesem Ansatz eine implizit vorgenommene Abwägung nicht vermeiden. Denn das Risiko der Lebensverkürzung muß gerade im Hinblick auf die Bedeutung dieses Rechtsgutes zum Gewicht der Leidminderung in einem angemessenen Verhältnis stehen.174 Das mag nach der allgemeinen Auffassung, wie sie sich in der ärztlichen Praxis widerspiegelt, gegeben sein, allein hierauf nur zu verweisen, führt eher zu einer Verdekkung der erforderlichen Begründung für die Rechtfertigung einer Tötungshandlung als zu einer Lösung.175 Darüber hinaus kann die Lehre vom erlaubten Risiko auch nach der Auffassung ihrer Vertreter dann nicht mehr zum Tragen kommen, wenn sich die Möglichkeit einer Lebensverkürzung zur Gewißheit verdichtet.176 Hier wägt der Arzt nicht mehr die Minderung des Leidens gegen das Risiko der Lebensverkürzung, sondern unmittelbar gegen den Tod selbst ab.177 Die h. M. vertritt deshalb eine Rechtfertigung der indirekten Sterbehilfe als gesetzlichen Notstand im Sinn des § 34 StGB.178 Die Lage des Arztes zeichne sich durch eine Pflichtenkollision zwischen der gebotenen Handlungspflicht, das Leiden zu mindern und schmerzlindernde Medikamente in ausreichender Dosierung zu verabreichen, und der Unterlassungspflicht, das Leben seines Patienten nicht zu verkürzen, aus. Da eine Handlungspflicht mit einer Unterlassungspflicht in Kollision stehe, müsse eine Rechtfertigung der ärztlichen Handlung nach Notstandsgrundsätzen gesucht werden.179 Erforderlich ist dann nach dem Prinzip des über172 So die ausdrückliche Intention von Laber, 1997, S. 205 ff., der ausgehend vom absoluten Lebensschutz wegen des Abwägungsverbots die Lehre vom erlaubten Risiko für überzeugend erachtet. 173 Vgl. Jescheck / Weigend, 1996, § 36 I., S. 401. 174 Vgl. Möllering, 1977, S. 16. 175 Ist man der Auffassung, daß mit dem erlaubten Risiko bereits der Tatbestand ausgeschlossen ist – so Geppert, ZStW 83 (1971), S. 947 (995) –, dann verschwimmen vorliegend sogar die Grenzen zu den strafbaren Tötungsdelikten, da auf diese Weise Tötungshandlungen in den erlaubten Bereich verlagert werden. Zu dieser Kritik siehe Pelzl, 1994, 179 (189). 176 Möllering, 1977, S. 21; Eser, 1977a, S. 75 (90); v. Dellinghausen, 1981, S. 187 f. 177 Möllering, 1977; Eser, 1977b, S. 75 (90); v. Dellinghausen, 1981, S. 187 f. 178 Dölling, JR 1998, S. 160 (161); Geilen, 1975, S. 22 f. u. 26; Sternberg-Lieben, 1999, S. 349(362 Fn. 63); Stratenwerth, SchwZStr 95 (1978), S. 60 (79); Hanack, 1975, S. 121 (132 f.); v. Dellinghausen, 1981, S. 185 ff. u.188; Möllering, 1977, S. 15 ff.; Merkel, JZ 1996, S. 1145(1148 ff.); ders., 2001, S. 154 ff. u. 528 ff.; jetzt auch BGH NJW 2001, S. 1802 (1803); zunächst auch Herzberg, NJW 1986, S. 1635 (1639), dann aber ders., NJW 1996, S. 3043(3045 ff.). 179 Allein auf die Pflichtenkollision stellen Leonardy, DRiZ 1986, S. 281 (287) und Wimmer, FamRZ 1975, S. 438 (438 f.) ab, die § 34 StGB nur analog anwenden wollen. Doch die Kollision der Pflichten begründet vorliegend keine rechtfertigende Pflichtenkollision, da bei einem Konflikt zwischen einer Handlungs- und einer Unterlassungspflicht die Regeln des rechtfertigenden Notstandes vorrangig anzuwenden sind, vgl. Küper, 1979, S. 29 ff.; Renzi-
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wiegenden Interesses eine Abwägung der Lebensverkürzung gegenüber den Schmerzen.180 Das stößt auf Schwierigkeiten, weil nach der h. M. das Leben ein absolutes Gut ist, welches sich einer saldierenden Betrachtung entzieht.181 Von diesem Grundsatz wird allerdings bei der indirekten Sterbehilfe von der h. M. eine Ausnahme gemacht.182 In einer bloß abstrakten Güterbetrachtung hat der Wert des Lebens unstreitig einen höheren Rang als das Ertragen von Schmerzen. Bei der gem. § 34 StGB erfolgenden Abwägung der widerstreitenden Interessen ist jedoch zu beachten, daß der Rang der Güter zwar ein wesentlicher, aber nicht der einzige Gesichtspunkt der Bewertung ist.183 Entscheidend ist deshalb nicht, ob das Rechtsgut Leben grundsätzlich nachrangig ist, sondern ob es in dieser Situation als nachrangig betrachtet wird.184 Nicht gefolgt werden kann dabei der Begründung, daß die Lebensverkürzung in dieser Situation nicht beabsichtigt sei, sondern nur als unvermeidbare Nebenfolge eines unverbotenen Tuns hingenommen werde.185 Man würde die Modalität der Begehungsart sicherlich nicht als ausreichend erachten, wenn die Schmerzlinderung zu unbeabsichtigten Verkürzungen im Leben eines Dritten führen würde.186 Zu widersprechen ist auch allen Auffassungen, die den entscheidenden Unterschied zwischen aktiver und indirekter Sterbehilfe in einem reinen Gesinnungsunterschied von Absicht und sicherem Wissen festmachen wollen. Zum einen lassen sich diese Gesinnungsunterschiede im Normalfall nicht erkennen, so daß damit weitgehend nur eine Scheindifferenzierung vorgegeben würde,187 und zum anderen sollte doch der Rechtsgüterschutz des Patienten und damit eine objektiv gebotene schmerzlindernde Medikation nicht davon abhängen, mit welchem Motiv der Arzt seine ärztliche Kunst verfolgt.188 Anderenfalls führte dies zu dem Ergebnis, daß eine an sich zulässige Schmerzlinderung allein deshalb zu unterbleiben hätte, weil der Arzt subjektiv mit der falschen Gesinnung handelte. kowski, 1994, S. 212 ff. Im Ergebnis ergibt sich ohnehin kein Unterschied, ob man unmittelbar von der Pflichtenkollision die höhere Pflicht bestimmt oder über den rechtfertigenden Notstand gem. § 34 StGB die Abwägung vornimmt, so auch Pelzl, 1994, S. 179(189 Fn. 80); siehe auch Merkel, 2001, S. 156). 180 Pelzl, KJ 1994, S. 179 (189). 181 Tröndle / Fischer, § 34 Rn. 10; Lackner / Kühl, § 34 Rn. 7 f. 182 Sch / Sch-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 23 u. 39; Lackner / Kühl, § 34 Rn. 7 u. vor § 211 Rn. 7. 183 Vgl. Lackner / Kühl, § 34 Rn. 6. 184 Hieraus begründet sich auch die Ablehnung dieses Ansatzes bei LK-Jähnke. vor § 211 Rn. 15. Jedoch kommt auch die Lehre vom erlaubten Risiko ebenfalls um diese Abwägung nicht umhin, so zutreffend LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 15. 185 Sch / Sch-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 39. 186 Auch begibt man sich mit der Voraussetzung des „unverbotenen Tuns“ in einen Begründungszirkel, weil doch gerade erst die Prüfung an § 34 StGB ergeben soll, ob die indirekte Sterbehilfe hinreichend gerechtfertigt werden kann. 187 Zutreffend Merkel, 2001, S. 176. 188 So zutreffend Merkel, 2001, S. 186 ff. u. 192 ff.
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Zudem könnte dann jeder Dritte im Wege der Nothilfe die medizinisch indizierte und objektiv gebotene Schmerzlinderung bei falscher Einstellung des Arztes unterbinden.189 Der gewichtigere Umstand zur Rechtfertigung der indirekten Sterbehilfe wird deshalb darin gesehen, daß es nicht um eine Gegenüberstellung von Interessen verschiedener Personen, sondern von Interessen derselben Person geht.190 Dies betonend wird vorgebracht, daß bei unerträglichen Qualen das Schmerzlinderungsinteresse das Lebensinteresse verdränge.191 Nunmehr entgegen den Interessen des Betroffenen an einem vom Rechtsgutträger losgelösten abstrakten Rechtsgut Leben festzuhalten, sei inhuman.192 Von dieser Begründung ausgehend wird allerdings nicht mehr verständlich, warum die indirekte Sterbehilfe, die lebensverkürzend wirkt, erlaubt sein soll, dagegen in der gleichen Abwägungsrelation der Erlösung von Qualen einerseits und der Lebensverkürzung andererseits gerade in den schlimmsten Fällen, bei denen eine Schmerztherapie von vorneherein versagt, nicht der Erlösung von den Schmerzen, sondern der Aufrechterhaltung des Lebens das höhere Gewicht zugewiesen werden muß.193 Es mangelt deshalb nicht an Stimmen, die aufgrund des postulierten „absoluten Lebensschutzes“ den Weg über einen rechtfertigenden Notstand für nicht gangbar halten.194 Bei den anderen Positionen hat sich allerdings gezeigt, daß die Verneinung des Vorsatzes nicht haltbar ist, die tatbestandliche Einschränkung des Tötungsverbotes das Problem ungelöst läßt, der entschuldigende Notstand schwer mit der allgemeinen Erlaubtheit der indirekten Sterbehilfe zu vereinbaren ist und sich bei der Lehre vom erlaubten Risiko die Entscheidung über das vorrangige Rechtsgut bzw. Rechtsinteresse ebenfalls nicht vermeiden läßt.
189 Auf diese Konsequenzen der hier abgelehnten Position weist zutreffend Merkel, 2001, S. 192 ff., hin. 190 Pelzl, KJ 1994, S. 179 (189). 191 Merkel, 1992, S. 71(92 f.); Pelzl, KJ 1994, S. 179 (189 f.); Möllering, 1977, S. 20 ff.; Geilen, 1975, S. 22 f.; Hanack, 1975, S. 121 (132 f.); Hirsch, 1987, S. 597 (609); H. Otto, Jura 1999, S. 434 (440); Schreiber, NStZ 1986, S. 337 (340 f.); Kutzer, ZRP 1997, S. 117 (119); Strub / Wolf, 1989, S. 151 (153 f.); Dölling, 1987, S. 7 (13) auch bei BGHSt 42, 301 (305): „Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit [ . . . ] ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen [ . . . ].“ Damit nicht vereinbar BGH NJW 2001, S. 1802 (1803): „Das Leben eines Menschen steht in der Wertordnung des Grundgesetzes – ohne eine zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter.“ 192 Merkel, 1992, S. 71 (93); ähnlich Strub / Wolf, 1989, S. 151 (154). 193 Vgl. Merkel, 2001, S. 190; dagegen Sch / Sch-Lenckner, § 34 Rn. 39. 194 Laber, 1997, S. 202 ff.; LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 15; Trück, 2000, S. 94 f.; vgl. auch Tröndle / Fischer, § 34 Rn. 10, wonach beim rechtfertigenden Notstand eine Abwägung nur zwischen Leben und Leben in Betracht kommt.
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IV. Mutmaßliche Einwilligung Verlangt wird grundsätzlich die Einwilligung des Patienten in die indirekte Sterbehilfe.195 Die Frage, ob beim bewußtlosen Patienten auch ein mutmaßliches Einverständnis ausreichend ist, wird nur von wenigen Autoren überhaupt behandelt196 und von diesen nach in der Regel kurzer Erörterung fast einhellig bejaht.197 Vergleicht man dies mit den sehr umstrittenen Diskussionen über die Bedeutung und Bestimmung eines mutmaßlichen Willens bei der passiven Sterbehilfe, so ist die geringe Problematisierung dieses Aspekts bei der indirekten Sterbehilfe verwunderlich, ist doch die indirekte Sterbehilfe eine vorsätzliche und aktive Tötung eines Menschen. Das hätte zumindest in den Zweifelsfällen, in denen nur eine mutmaßlich-objektive Entscheidung getroffen werden kann, weil über den mutmaßlich-individuellen Willen keine Anhaltspunkte gegeben sind, eine eingehendere Begründung bedurft, da hier auf der Basis einer qualitativen Bewertung des Lebens der Schmerzlinderung gegenüber dem Leben der Vorrang eingeräumt wird. Trotzdem wird in Zweifelsfällen über den mutmaßlichen Willen – oft ohne nähere Begründung – in der Regel angenommen, daß der Patient in diesem Konflikt eher die Lebensverkürzung als die Schmerzen in Kauf nehmen wolle.198 Der Grund hierfür liegt möglicherweise darin, daß die Lebensverkürzung bei der indirekten Sterbehilfe oft nur eine solche von wenigen Stunden im Terminalstadium sein mag. Im Terminalstadium wird auch bei der passiven Sterbehilfe ein Abbruch nach mutmaßlichen oder allgemeinen Erwägungen eher befürwortet.199 Auch dürfte ein „informed consent“ kaum praktikabel sein, wenn sich die Gefahr der Lebensverkürzung erst gegen Ende der Behandlung ergibt, und der Patient sich wegen seiner Krankheit und der hohen Medikation im halbbewußten Zustand befindet. Trotzdem ist die strafrechtsdogmatische Vernachlässigung dieses Aspekts der indirekten Sterbehilfe in Anbetracht der vorsätzlichen Tötung eines Menschen kaum nachvollziehbar.200 195 Siehe v. Dellinghausen, 1981, S. 233 ff.; Eser, 1977a, S. 75 (90); Möllering, 1977, S. 31 Fn. 200; Engisch, 1979, S. 519 (532 f.); Pelzl, KJ 1994, S. 179 (188); Kaufmann, MedR 1983, S. 121 (122), Giesen, JZ 1990, S. 929 (935). 196 Allein dies zeigt, daß ein bloß mutmaßliches Einverständnis weitgehend nicht als problematisch angesehen wird. 197 Beckert, 1996, S. 326; v. Dellinghausen, 1981, S. 233 ff.; Dölling, JR 1998, S. 160 (161); Eser, 1977a, S. 75 (90); Möllering, 1977, S. 31 Fn. 200; Engisch, 1979, S. 519 (532 f.); Pelzl, KJ 1994, S. 179 (188); Giesen, JZ 1990, S. 929 (935), verlangt für eine wirksame Einwilligung die volle Aufklärung des Patienten. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die mutmaßliche Einwilligung von ihm nicht. Eine mutmaßliche Einwilligung wird für nicht ausreichend erachtet von Wimmer, FamRZ 1975, S. 438 (440). 198 So Arzt, JR 1986, S. 309 (310); Hanack, 1975, S. 121 (135); Geilen, 1975, S. 23; Pelzl, KJ 1994, S. 179 (188); Beckert, 1996, S. 326; a.A. v. Dellinghausen, 1981, S. 235. 199 Siehe BGHSt 40, 257 (260); Bundesärztekammer, NJW 1998, S. 3406 (3407). 200 Es drängt sich der Eindruck auf, daß einer weiteren Zuspitzung der Begründungsschwierigkeiten für die Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe ausgewichen werden soll. Ist doch die Rechtfertigung einer indirekten Sterbehilfe auf der Basis objektiver Gesichtspunkte
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Erst neuerdings von Merkel stärker problematisiert ist schließlich die mutmaßliche Einwilligung bei Neugeborenen. Ein mutmaßlich individueller Wille ist hier nicht gegeben, so daß allein objektive Gesichtspunkte zur Bestimmung des mutmaßlichen Willens herangezogen werden können.201 Nun soll es nach Merkel auf den mutmaßlichen Willen bzw. eine Einwilligung bei der indirekten Sterbehilfe auch beim Erwachsenen nicht entscheidend ankommen. „Denn der Todeserfolg ist per Einwilligung nicht rechtfertigungsfähig (§ 216). [ . . . ] Wenn der Patient in seinen Tod nicht mit rechtfertigender Wirkung einwilligen kann, dann ist zunächst unklar, warum er gleichwohl einwilligen muß, um eine Rechtfertigung zu ermöglichen.“202 Der Einwand von Merkel ist für den dolus directus 2. Grades zunächst bestechend, müßte aber zu einem Erst-recht-Schluß führen: Wenn die Einwilligung in den frühzeitigeren Todeseintritt nur die Strafmilderung des § 216 StGB eröffnet, dann ist die ohne Einwilligung im besten Interesse des Patienten erfolgte Medikation als Totschlag nach § 212 StGB zu werten.203 Der Ausnahmecharakter, den die Straffreiheit der indirekten Sterbehilfe gegenüber den sonstigen Tötungsdelikten hat, kann deshalb nicht allein davon abhängen, ob sie im tatsächlichen oder mutmaßlichen Einverständnis vorgenommen wird. Daraus folgt entgegen der Position von Merkel nicht, daß die (mutmaßliche) Einwilligung nicht erforderlich ist. Sie muß vielmehr kumulativ dazutreten. Denn auch die Schmerzlinderung durch Infusionen u. ä. bedarf als Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten seiner ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung. Dies gilt erst recht dann, wenn ihr eine Abwägung zwischen Lebenszeit und Schmerzlinderung zugrundeliegt.
V. Gründe für die scheinbar geringe forensische Relevanz der Unterscheidung Die indirekte Sterbehilfe war, soweit ersichtlich, bislang nur Gegenstand zweier gerichtlicher Entscheidungen.204 Und auch in diesen Fällen waren die Ausführuneine reine Fremdbewertung der Qualität des Lebens, wenn die Schmerzbeseitigung gegenüber der (drohenden) Lebensverkürzung Vorrang haben soll, d. h. ein kürzeres Leben ohne Schmerzen wiegt mehr als ein längeres Leben mit Schmerzen. 201 Entgegen Merkel, 2001, S. 159 u. 528 ff., ist hier an dem Begriff der „Einwilligung“ festzuhalten, da damit zum Ausdruck kommt, daß allein die Interessen des Neugeborenen zur Legitimation der indirekten Sterbehilfe herangezogen werden dürfen. 202 Merkel. 2001, S. 158. 203 Merkel, 2001, S. 160 f., folgert hieraus, daß das Tötungsverhalten dann nur aus anderen Gründen gerechtfertigt werden kann und auch die Einwilligung durch Dritte auf keinen Fall besser legitimiert werden kann.Um den Einwand vorzubeugen, daß es dann auch umgekehrt bei einer aufgenötigten indirekten Sterbehilfe nicht auf den Willen des Patienten ankommen könne, verweist Merkel, a. a. O., S. 163, auf die Patientenautonomie, wegen der ein „ ,überwiegendes Interesse‘ im Sinne des § 34 StGB – hier: an der Vornahme der lebensverkürzenden Schmerzmedikation – gegen den Willen des Patienten niemals angenommen werden“ könne. 204 BGHSt 42, 301 ff.
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
gen des BGH zu dieser Form der aktiven Sterbehilfe durch die vorgelegte Revision nicht zwingend veranlaßt; der BGH nahm die Fälle eher als willkommene Gelegenheit,205 diese Lücke in den bisherigen Entscheidungen zur Sterbehilfe zu schließen. Als Grund für die geringe Praxisrelevanz ist m.E. die Vermutung unwahrscheinlich, daß den Ärzten diese Unterscheidung bekannt ist und sie in der Praxis penibel eingehalten wird. Eigene Rückfragen bei Ärzten haben ergeben, daß ihnen diese Differenzierung oft unbekannt ist.206 Der unklare Wortlaut in den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbehilfe bestätitgt den Eindruck, daß in der ärztlichen Praxis dieser juristischen Terminologie kein sonderlich großes Gewicht beigemessen wird.207 Neben der durchaus möglichen Zurückhaltung der Ärzte bei lebensverkürzenden Medikationen, die seinerzeit bei den Hausärzten auch durch allzu restriktive Regelungen der Betäubungsmittel- und Verschreibungsverordnung bedingt gewesen sein kann,208 und dem möglicherweise geringen Verfolgungsinteresse209 sind m.E. zwei Gesichtspunkte die ausschlaggebenden: Zunächst einmal ist in der klassischen Formel bis hin zur BGH-Entscheidung vom 15. 11. 1996 durchaus noch offengeblieben, wie im Falle des dolus directus 2. Grades zu verfahren ist.210 Eine absichtliche Lebensverkürzung läßt sich aber gegenüber einer (nur) vorsätzlichen Lebensverkürzung kaum nachweisen, da an der Handlung des Arztes nicht zu ersehen ist, ob er die Lebensverkürzung bei der Schmerzlinderung vorsätzlich oder absichtlich verfolgt. Diese Unmöglichkeit, subjektiv eine absichtlich verfolgte Lebensverkürzung nachzuweisen, korreliert nun nach den sachlichen Ausführungen der vorgenannten BGH-Entscheidung mit den objektiven Schwierigkeiten, eine lebensverkürzende Kausalität eines morphinhaltigen Analgetikaeinsatzes festzustellen. Nach den übereinstimmenden Ausführungen der vor Gericht vortragenden Gutachter sei der Schmerz ein physiologischer Antagonist gegenüber der atemdepressiven Wirkung von Pethidin, d. h. er entfalte eine Gegenwirkung. „Je stärker der Schmerz, desto höher müsse die Dosis sein, so daß aus therapeutischen Gründen Dosierungen gegeben werden dürfen, die für einen Nicht-Schmerzpatienten tödlich sein können.“211 205 Ebenso in BGH NJW 2001, S. 1802 (1803), wo ein Fall der Beihilfe zum Suizid gegeben war. 206 Harte Kritik an den Kenntnissen von der rechtlichen Regelung der Sterbehilfe seiner Kollegen übt der Mediziner Wedler, 1996, S. 5(6). 207 s. o. Fn. 131. 208 Die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung wurde deshalb 1997 dahingehend geändert, daß die Höchstmengen, die auf einmal verordnet werden dürfen, deutlich angehoben wurden und sich der Rezeptformalismus vereinfachte. Siehe Lüllmann / Mohr, 1999, S. 260. 209 Siehe aus kriminologischer Sicht Kreuzer, Kriminalistik 1982, S. 491(ebda.). 210 In BGH NJW 2001, S. 1802 (1803), Einschränkung auf den Eventualvorsatz. 211 BGH MedR 1997, S. 271 (273).
§ 3 Indirekte Sterbehilfe
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Deshalb sei es nicht möglich, eine bestimmte letale Pethidinkonzentration anzugeben. Letztlich führt dies dazu, daß das ärztliche Handeln kaum zu kontrollieren ist. Wird die Beobachtung und Dokumentation des Krankheitsverlaufs vernachlässigt, kann nachträglich anhand der verabreichten Dosen nicht mehr bestimmt werden, ob diese oder der Krankheitsverlauf zum Tod geführt haben.212 Dieses Dilemma verdeutlichen besonders eindringlich die Tatumstände der BGH-Entscheidung.213 Danach war davon auszugehen, daß der Arzt aus Habgier seine im Sterben befindende Patientin mit hohen Dosen von Opiaten ermorden wollte. Die Gerichtsmediziner hielten die verabreichten Mengen nach ihren Erfahrungen für zweifelsfrei letal. Dem konnten sich die weiterhin als Gutachter bestellten ausgewiesenen Palliativmediziner aufgrund der oben aufgezeigten Schwierigkeiten, die tödliche Dosis von Opiaten zu bestimmen, nicht anschließen. Die Ursächlichkeit der Opiate für den Tod der Patientin konnte deshalb im Prozeß nicht nachgewiesen werden, so daß nur eine Bestrafung wegen versuchten Mordes möglich war. Hat man allerdings den Vorsatz nicht aus anderen Umständen, hier Fälschung eines Testamentes und kurzfristige extreme Steigerung der Analgetika, nachgewiesen, was in der Praxis meist der Fall sein dürfte, dann wird auch kein Anhaltspunkt für die Eröffnung eines Ermittlungsverfahren gegeben sein.214
VI. Zusammenfassung zur indirekten Sterbehilfe Die „indirekte“ Sterbehilfe ist tatbestandlich eine direkte und vorsätzliche Tötung und damit eine Form der aktiven Sterbehilfe. Eine nähere Analyse hat weiterhin gezeigt, daß sie ihrer Intention nach über den dolus eventualis hinaus auch den dolus directus zweiten Grades umfaßt und die beabsichtigte Leidminderung zwingend mit der lebensverkürzenden Wirkung der ärztlichen Maßnahme abgewogen wird. Trotzdem wird nach der h.A. ein mutmaßliches Einverständnis nach objektiven Kriterien (Fremderwägungen) für ausreichend gehalten. Weiterhin zeigte sich, daß die verbotene Tötungsabsicht aus medizinisch-praktischen Gründen kaum nachweisbar ist.
212 In BGH MedR1997, S. 271 ff. konnte deshalb trotz der Absicht der Angeklagten, daß „es nur noch darum ging, sie [das Opfer] möglichst rasch sterben zu lassen, um ihr weiteres Leiden zu ersparen“, keine Todesursächlichkeit des Schmerzbekämpfungsmittels festgestellt werden, obwohl die injizierte Dolantinmenge bei jedem Gesunden unweigerlich zum Tod geführt hätte. 213 BGHSt 42, 301(302 f. = MedR 1997, S. 271 ff.). 214 Es ist noch unklar, wie auf diesen Erkenntnisstand der Streubreite von indizierten Opiaten strafrechtsdogmatisch zu reagieren ist. Vorgeschlagen wird eine stärkere Verpflichtung des Arztes, anhand der Patientenakte eine angemessene Schmerztherapie nachzuweisen. Siehe auch Schöch, 1997, 409 (412); Verrel, MedR 1997, S. 248 (249).
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
§ 4 Aktive Sterbehilfe und die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid Nach fast einhelliger Auffassung ist die Selbsttötung nicht strafbar.215 Das hat nach h. M. zur Konsequenz, daß auch die Teilnahme an einem freiverantwortlichen Suizid mangels Tatbestandsmäßigkeit einer entsprechenden Haupttat grundsätzlich straflos ist.216 Die Teilnahme darf sich allerdings nur auf die bloße Förderung der Haupttat beschränken und nicht in täterschaftliche Fremdtötung übergehen. Eine Teilnahme ist weiterhin nur solange straflos, wie der Suizid auf einer frei verantwortlichen Willensentscheidung beruht. Wer die fehlende Freiverantwortlichkeit erkennt, begeht als ein den Suizid Fördernder in der Regel durch das sich tötende Opfer in mittelbarer Täterschaft ein Tötungsdelikt.217 Somit sind zwei Abgrenzungen von erheblicher Bedeutung: 1) Zum einen stellt sich die Frage, wann die aktive Unterstützung eines Suizids in die Fremdtötung eines freiverantwortlich Sterbewilligen umschlägt. 2) Hinsichtlich der Selbstverantwortlichkeit des Suizidenten muß geklärt werden, wann der Selbsttötungsentschluß des Suizidenten freiverantwortlich ist.
I. Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme Bezüglich der ersten Fragestellung ist nunmehr nach der Rechtsprechung unter Aufgabe ihrer anfänglichen Orientierung an der subjektiven Täterlehre218 zur Bestimmung von Täterschaft oder Teilnahme bei einem freiverantwortlichen Suizid entscheidend, wer das zum Tode führende Geschehen dem Gesamtplan zur Folge tatsächlich beherrscht.219 Die Rechtsprechung schließt sich damit bei der Abgrenzung von Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen der im Schrifttum auch anson-
215 BGHSt 32, 367 (371); Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 33 m. w. N.; a.A. Schmidhäuser, 1974, S. 801 (810 ff.). Dabei ist Schmidhäuser zunächst darin zuzustimmen, daß sich die Straffreiheit des Suizids nicht aus dem Wortlaut der §§ 211, 212 StGB ergibt, da diese nicht auf die Tötung eines anderen abstellen. Nach der herrschenden Auffassung sprechen allerdings die Entwicklungsgeschichte, der Schutzzweck der Tötungstatbestände und normtheoretische Gründe gegen eine Strafbarkeit des Suizid, siehe nur Eser, a.a.O . 216 BGHSt 2, 150 (152); 32, 264 (265); 32, 367 (371); BGH NJW 2001, S. 1802 (1803); Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 35; a.A. Schmidhäsuer, 1974, S. 801 (810 ff.); Klinkenberg, JR 1978, S. 441 ff.; Beckert, 1996, S. 161 ff. 217 Merkel, 1992, S. 71 (76). 218 Die Rechtsprechung stellte entsprechend ihrer „animus“-Theorie zunächst rein auf den Willen des Täters ab (vgl. BGHSt 3, 349 (350); 8, 70 (73); 11, 268 (272); 13, 162 (166); 16, 12 (14). 219 BGHSt 19, 135 (139 f.); NStZ 1987, S. 365 (366).
§ 4 Aktive Sterbehilfe
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sten vorherrschenden Tatherrschaftslehre an.220 Dabei wird die Tatherrschaftslehre von der Rechtsprechung allerdings ohne weitere Einschränkungen vorgenommen, so daß auch eine mittäterschaftliche Begehungsweise von Suizidopfer und den Unterstützern des Suizids möglich ist.221 Von der h. L. wird dagegen die Tatherrschaftslehre in vorliegender Abgrenzung insoweit weiter eingeschränkt, als es allein auf die „Herrschaft über den todbringenden Moment“ ankommen soll.222 Dies wird dahingehend näher bestimmt, ob das Opfer nach dem Tatbeitrag des anderen noch die freie Entscheidung über Leben und Tod gehabt hat.223 Dabei soll die Tatherrschaft des Suizidenten die täterschaftliche Fremdtötung ausschließen: Tatherrschaft hat danach entweder der Suizident oder der Außenstehende.224 Hat der Lebensmüde in dem entscheidenden point of no return das tödliche Gesamtgeschehen in der Hand, ergibt sich daraus eine grundsätzliche Sperre für die Strafbarkeit Dritter. Das Abstellen auf den letzten, unmittelbar lebensbeendenden Akt hat darüber hinaus zur Folge, daß auch nach Eintritt der Bewußtlosigkeit der Unterstützer bloß Teilnehmer ist, wenn der Lebensmüde bis zum Eintritt seiner Bewußtlosigkeit den entscheidenden Selbsttötungsakt selbst vorgenommen hat.225 Dagegen hat in diesem Augenblick nach der Rechtsprechung die unterstützende Person die volle Tatherrschaft.226 Das führt dann dazu, daß nach dieser Rechtsprechung ein Garant in dem Augenblick, in dem der Suizident das Bewußtsein verliert, sich grundsätzlich wegen Tötung durch Unterlassen gem. §§ 211, 212 u. 216 StGB strafbar machen kann, wenn er keine Maßnahmen zur Rettung des Selbstmörders unternimmt.227 § 216 kann deshalb nach der Rechtsprechung – auch wegen ihrer anderen Auffassung zur Einschränkung der Garantenpflicht des Arztes bei Suiziden – im Gegensatz zur h. L. vom Arzt auch durch Unterlassen verwirklicht werden.228 Besonders problematisch wird die Auffassung der Rechtsprechung, wenn nicht der Abbruch eines äußerlichen Kausalverlaufs vom Garanten verlangt wird (z. B. das Abstellen eines Motors 220 Nach BGHSt 19, 135 (138) „sind jedenfalls für den Sonderfall der tatbestandlichen Abgrenzung des § 216 StGB gegenüber der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung subjektiv bestimmte Kriterien [ . . . ] nicht geeignet, sinnvolle Ergebnisse zu gewährleisten“. 221 Vgl. BGH NStZ 1987, S. 365 f. 222 Roxin, 1993, S. 177 (178); ders., 1994, S. 569; ders., 2000, S. 87 (104 f.); Blei, 1983, S. 30; U. Neumann, JA 1987, 244 (249); Schreiber, 1997, 119 (127 f.); Beckert, 1996, S. 156 ff.; Jakobs, 1998, S. 24 f. Siehe zu anderen Unterscheidungen Beckert, 1996, S. 147 ff. m. w. N. 223 Blei, 1983, S. 30; U. Neumann, JA 1987, S. 244 (245); Roxin, 1994, S. 570; Tröndle / Fischer, § 216 Rn. 3. 224 U. Neumann, JA 1987, S. 244 (245); Lackner / Kühl, § 216 Rn. 3; Roxin, NStZ 1987, S. 345 (347). 225 Roxin, NStZ 1987, S. 345 (349). 226 BGHSt 19, 135 (139 f.). 227 BGHSt 32, 367 (371). 228 BGHSt 13, 12 (166); 32, 367 (371); a.A. Sch / Sch-Eser, § 216 Rn. 10 m. w. N.
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
oder Abdrehen eines geöffneten Gashahns), sondern ein Arzt verpflichtet werden soll, gegen den Willen des Patienten durch einen Eingriff in dessen körperliche Integrität dessen Leben zu retten (z. B. durch das Auspumpen des Magens bei einer eingenommenen Überdosis von Schlaftabletten).229 Die h. L. kritisiert an der Rechtsprechung, daß diese damit die Straflosigkeit der Suizidbeihilfe unterlaufe.230 Bei der weit überwiegenden Anzahl der Suizide gehe eine Phase der Handlungsunfähigkeit voraus.231 Auch sei es widersprüchlich, wenn die Ehefrau ihrem sich erhängenden Mann zwar den Strick und den Stuhl reichen dürfe, in dem Augenblick aber, wo dieser bewußtlos werde, sofort den Strick durchschneiden müsse.232 Aber auch die h. L. ist nicht ohne Kritik geblieben. Dabei muß die Frage nach der Sachgerechtigkeit der Privilegierung der Suizidbeihilfe von der Beurteilung, ob das vorgeschlagene Kriterium der Unterscheidung eindeutig ist, unterschieden werden. Soweit es um letztere Kritik geht, ist das Kriterium der Herrschaft über den todbringenden Moment entgegen gelegentlich geäußerter Kritik m.E. in besonderer Weise eindeutig.233 Das hängt damit zusammen, daß darin eine gewisse Veräußerlichung des Abgrenzungskriteriums gegeben ist. Nicht der Umfang des Tatbeitrags, die Aufteilung nach einem Gesamtplan oder der subjektive Tatherrschaftswille, sondern allein der Vollzug des letzten irreversiblen Geschehensaktes soll den Ausschlag geben. Trinkt der Suizident den Giftbecher aus234 oder drückt er den Knopf auf eine Selbsttötungsmaschine, dann ist der Außenstehende lediglich Teilnehmer, unabhängig davon, wie umfassend dieser in den Tatplan einbezogen war oder welchen Aufwand er zur Ermöglichung des Suizids getätigt hatte. Gibt dagegen der Außenstehende auf Verlangen die tödliche Spritze, ist dieser nach § 216 StGB strafbar. Auch der von Herzberg235 konstruierte Fall, wonach sich der Suizident B entsprechend eines gemeinsamen Tatplanes in Selbsttötungsabsicht unter den von dem Teilnehmer A gelenkten LKW wirft, läßt sich auflösen.236 Wirft sich B so unter das Fahrzeug, daß der A nicht mehr ausweichen und stoppen kann, hat B die letzte, todbringende Handlung vollzogen. Legt B sich dagegen auf die Näher s. u. § 10 I. Roxin, 2000, S. 87 (106); auch Laber, 1997, S. 267. 231 Gropp, NStZ 1985, S. 97 (99). 232 Vgl. auch die Entscheidung BGHSt 2, 150 (153). 233 Zur Kritik siehe z. B. Schroeder, ZStW 106 (1994), S. 565 (576 f.); Merkel, 1992, S. 71(75 ff.). 234 Da der letzte Willensakt des Lebensmüden entscheidend ist, kann der Teilnehmer sogar den Becher an den Mund führen, da der Suizident immer noch die Möglichkeit hat, das Gift nicht zu schlucken. 235 Herzberg, JZ 1988, S. 771 (776). 236 Im übrigen sind auch die Kritiker nicht in der Lage, ein Abgrenzungskriterium anzugeben, welches zu eindeutigeren Lösungen führen würde. Das scheitert m.E. daran, daß sich kaum ein engerer Abgrenzungsgesichtspunkt aufstellen läßt als die Orientierung an dem letzten irreversiblen Geschehensakt. 229 230
§ 4 Aktive Sterbehilfe
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Straße und überfährt A ihn, ohne daß B entkommen könnte, hat A eine Tötung auf Verlangen begangen.237
II. Freiverantwortlichkeit In der Bestimmung der Freiverantwortlichkeit des Suizids stehen sich die „Exkulpationslösung“ und die „Einwilligungslösung“ gegenüber. Nach der Exkulpationslösung kann eine freiverantwortliche Selbsttötung erst dann verneint werden, wenn nach den herkömmlichen strafrechtlichen Regelungen ein Zustand der Schuldausschließung gem. §§ 19, 20, 35 StGB, 3 JGG analog erreicht ist.238 Dagegen wird im Schrifttum zunehmend ein freies und ernstliches Verlangen nach dem Tod entsprechend der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens im Sinne des § 216 StGB verlangt.239 Die straffreie Beihilfe zum Suizid wird damit enger gezogen als bei der Exkulpationslösung, was als angemessen empfunden wird.240 Gegen die Einwilligungslösung werden die Abgrenzungsschwierigkeiten dieser Position vorgebracht, da bei dieser neuen Rechtsfigur unklar ist, aus welchen juristischen und medizinischen Merkmalen die Freiverantwortlichkeit bestimmt werden soll.241 Bei der Einwilligung ist u. a. noch sehr umstritten und ungeklärt, welche Art von Druck und Irrtum sie unwirksam macht und welches Maß von Einsichtsfähigkeit gegeben sein muß.242 Weiterhin soll der Gesetzgeber mit den Exkulpationsgrundsätzen hinreichend klare Regeln für die Verantwortlichkeit von Handlungen ge237 Der Fall wird auch von Merkel, 1992, S. 75(79 f.) zur Kritik an der herrschenden Lehre aufgegriffen. Merkel räumt dabei selbst ein, daß in seiner Fallannahme der Suizident bis zuletzt – wohl aufgrund der Möglichkeit zu entkommen – noch irgendwie aktiv beteiligt war. Damit gibt er selbst die Lösung einer straflosen Beteiligung des A an. Merkel, a. a. O., S. 80, konstruiert ein weiteres Beispiel: Der Arzt injiziert auf die Bitte seines Patienten diesem ein langsam wirkendes, tödliches Gift und sagt ihm dann, daß noch fünf bis acht Minuten Zeit für Gegenmaßnahmen seien und er, der Arzt, werde diese auch sofort einleiten, wenn der Kranke ihn dazu auffordere. Der Arzt fragt noch mehrmals und hält sich für Gegenmaßnahmen bereit. Der Patient antwortet nicht und verstirbt. Auf der Basis der h. L. müßte nach Merkel eine straflose Beihilfe vorliegen (Merkel, a. a. O., S. 81; zustimmend: Roxin, 1993, S. 177 (185)): Der Patient hatte nach dem letzten Handlungsbeitrag des Arztes noch die freie Entscheidung über sein Leben und sich durch das Schweigen für den Tod entschieden. M.E. ist dagegen eine Tötung auf Verlangen gegeben, da nicht mehr der Patient allein die Entscheidungsfreiheit hatte, sondern darauf angewiesen war, daß der Arzt seinen Tatbeitrag zurücknimmt. Der Patient besaß hier deshalb nicht mehr die „Herrschaft“ über den letzten todbringenden Moment. 238 Roxin, 1993, S. 177 (178); ders., 2000, S. 87 (104). 239 Geilen, JZ 1974, S. 145 (151); Herzberg, JA 1985, S. 336, 340, 344; Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 36. 240 Nach Roxin, 1993, S. 177 (179) ist dies gerade nicht angemessen, da sich der Gesetzgeber seiner Auffassung nach die Mitwirkung an der Selbsttötung von Strafe freistellen wollte und diese Entscheidung durch die Einwilligungslösung unterlaufen werde. 241 Kutzer, MDR 1985, S. 710 (713). 242 Roxin, 1993, S. 177 (179).
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schaffen haben.243 Dagegen läßt sich einwenden, daß sich die Exkulpationsregeln nur auf tatbestandsmäßige Unrechtstaten beziehen, zu denen die Selbsttötung gerade nicht gehört.244 Es sind allerdings weniger strafrechtsdogmatische Erwägungen als vielmehr unterschiedliche Einstellungen über die Strafwürdigkeit der Suizidbeihilfe bzw. Vorstellungen über die Notwendigkeit des Schutzes des Selbstmörders vor sich selbst, auf denen die gegnerischen Positionen basieren.245
III. Unglücksfall Entsprechend der Unterschiede bei der Beurteilung der Straflosigkeit des Unterlassens bei einem bewußtlosen Selbstmörder stehen sich auch in der Frage, ob bei einem Suizid ein zur Hilfe verpflichtender Unglücksfall gem. § 323c StGB gegeben ist, Rechtsprechung und h. L. gegenüber. Während die h. L. bei einem freiverantwortlichen Suizid auch eine Strafbarkeit gem. § 323 StGB verneint, da es sich dann nicht um einen Unglücksfall handelt,246 bejaht die Rechtsprechung247 in der Wittig-Entscheidung grundsätzlich einen Unglücksfall, bei dem nur im Einzelfall die Zumutbarkeit bei pflichtgemäßer ärztlicher Gewissensentscheidung verneint wird. Neben der semantischen Frage des Begriffs „Unglücksfall“ stehen sich hier konsequenterweise wieder die unterschiedlichen Auffassungen über die Pönalisierungswürdigkeit der Unterstützung von Suizidhandlungen gegenüber.
IV. Zwischenergebnis zur Beihilfe zum Suizid Hinsichtlich der Abgrenzung kann damit festgehalten werden, daß der h. L. unter Berücksichtigung der Tatsache, daß jede Grenzziehung auch schwierige Grenzfälle aufweist, eine klare Unterscheidung der Beihilfe zum Suizid von der Tötung auf Verlangen gelingt. Allerdings wird damit die Beihilfe zum Suizid in besonderer Weise privilegiert. Das Kriterium wird äußerst eng gefaßt und Mittäterschaften prinzipiell ausgeschlossen. Entsprechend werden auch die Garantenpflicht und der Unglücksfall gem. § 323c StGB beim freiverantwortlichen Suizid von der h. L. verneint.
Beckert, 1996, S. 146. So Laber, 1997, S. 255. 245 Für die engere Einwilligungslösung spricht immerhin, daß die überwiegende Zahl der Suizide Verzweiflungstaten sind und der Nachweis einer Schuldunfähigkeit im Nachhinein oft nur schwer zu führen ist. 246 Sch / Sch-Cramer, § 323c Rn. 7; Lackner / Kühl, § 323c Rn. 2; H. Otto, 1986, D 70. 247 BGHSt 32, 367 (371). 243 244
§ 5 Ausnahmen vom Verbot der aktiven Sterbehilfe
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§ 5 Ausnahmen vom Verbot der aktiven Sterbehilfe Über die allseits anerkannte indirekte Sterbehilfe werden weitere Einschränkungen des Verbots der aktiven Sterbehilfe in der Literatur erörtert.248 Die eine wurde bereits bei der Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe angesprochen. Die Vertreter der naturalistischen Theorien kommen fast einhellig trotz zuvor angenommener aktiver Sterbehilfe beim technischen Behandlungsabbruch mit unterschiedlichen Erwägungen zu einer erlaubten Ausnahme vom Verbot der aktiven Sterbehilfe (s. o. § 2 I.).249
I. Straffreiheit bei Tötung schwer leidender Patienten? Darüber hinaus wird in der Literatur eine Straffreiheit bei der Tötung eines unheilbar bzw. hilflos schwer Leidenden in Betracht gezogen, wenn keine andere Möglichkeiten der Schmerzlinderung auf ein erträgliches Maß gegeben sind. Als Extrembeispiel wird dabei folgender zunächst von Hart250 genannter Fall, der sich bereits ähnlich wiederholt in der Realität ereignet haben soll251, herangezogen: Nach einem Straßenverkehrsunfall wird eine Person eingeklemmt. Das Fahrzeug gerät in Brand und die eingeklemmte Person droht lebendig und zunächst bei Bewußtsein zu verbrennen. Es besteht keine Möglichkeit, die Flammen zu löschen oder die eingeklemmte Person zu befreien. Die verbrennende Person bittet in Anbetracht des qualvollen Feuertodes um die Tötung. Im Bereich der ärztlichen Sterbehilfe wird die Position vertreten, daß die heutige Palliativmedizin die Extremfälle eines hilflos schwer Leidenden mittlerweile ausschließen würde.252 Tatsächlich würde sich die Frage nach einer Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe in diesen Bereichen253 nicht mehr mit diesem Gewicht stellen, wenn es der modernen Palliativmedizin bereits möglich wäre, jeden Schmerz auf 248 Weitere praktizierte Ausnahme vom Verbot des § 216 StGB ist in der derzeitigen Rechtslage die Organtransplantation bei hirntoten Patienten, s. u. § 15 II. 249 Zur Tötung auf Verlangen durch Unterlassen s. u. IV. und § 12 I. 250 Auch Hart, 1968, S. 123, entnahm sein Beispiel der Lebenswirklichkeit. 251 H. Otto, 1986 D 60 berichtet von einem in Skandinavien eingeklemmten LKW-Fahrer, der von seinem Beifahrer in einer derartigen Situation erschlagen wurde. Gleiches soll nach der FAZ v. 04. 09. 1991, S. 12, einem Autofahrer in einer südafrikanischen Großstadt widerfahren sein, der durch einen schweren Unfall in seinem brennenden Fahrzeug ausweglos eingeklemmt wurde. Der hilflos verbrennende Mann wurde daraufhin von einem Passanten mit einer Pistole erschossen. 252 Wetz, 1998, S. 348 m. w. N. 253 Die verfassungsrechtliche Überprüfung des Verbots der aktiven Sterbehilfe geht darüber hinaus, da ein ernsthafter Sterbewunsch auch unabhängig von schweren Schmerzen gegeben sein kann, s. u. § 10 III. 8. u. 9.
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ein erträgliches Maß zu reduzieren. Dieses Argument, welches das rechtliche und moralische Dilemma zwischen Leidminderung und Tötungsverbot erheblich erleichtern würde, erfreut sich deshalb schon seit den dreißiger Jahren großer Beliebtheit.254 Leider muß man auf genaue Rückfrage bei Medizinern immer noch erfahren, daß die Schmerztherapie auch heute noch an ihre Grenzen kommt.255 In vielen Fällen mag dies daran liegen, daß eine adäquate Schmerztherapie zu spät angesetzt wurde und sich die Schmerzen bereits chronifiziert haben.256 Es gibt allerdings auch Fälle, bei denen die medizinischen Möglichkeiten einer wirksamen Schmerztherapie auch ohne Versäumnisse im Vorfeld an ihre Grenzen kommen.257 Es muß deshalb wie gehabt davon ausgegangen werden, daß es Fälle gibt, in denen unsere heutige Medizin immer noch an ihre Grenzen der Schmerzbekämpfung kommt und eine Minderung der Schmerzen auf ein erträgliches Maß nicht gelingt.258 Hier stellt sich die Frage, ob in solchen Extremfällen eine Straflosigkeit des Arztes, der aktive Sterbehilfe leistet, in Betracht kommt. Die Straflosigkeit der aktiven 254 Vorgebracht wurde es z. B. bereits in der 1933 erschienenen Dissertation von Velidedeoglu, 1933, S. 31 ff. Siehe auch Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 26; Langer, JR 1993, S. 133 (136); Laber, MedR 1990, S. 182 (184). 255 Zu dem gleichen Ergebnis kam bereits Schmitt, JZ 1979, S. 462 (464); skeptisch auch Bottke, 1995, S. 35 (115); siehe auch Merkel, 2001, S. 152 Fn. 120; Schöne-Seifert, 1999, S. 98 (106) jeweils m. w. N. Nach Birnbacher, 1995, S. 365, steht bei ca. 5% der Schwerkranken eine angemesse Schmerztherapie nicht zur Verfügung. Selbst auf einer speziellen palliativ-medizinischen Station hat ein Arzt angegeben, Schmerzfreiheit nur in ca. 90% aller Fälle zu erreichen, wobei allerdings eine Beherrschung der Schmerzen auf ein „erträgliches“ Maß noch möglich sein soll, so daß immer noch eine nicht zu übersehende Restgröße von 5% bliebe, der nur mehr durch Sedierung palliativ begegnet werden kann, siehe Tolmein, 1993, S. 140. 256 Auch wenn es deshalb die Möglichkeit gibt, diese Fälle zu verhindern, so ändert dies nichts daran, daß es diese leidenden Patienten tatsächlich gibt. Man wird in Zukunft weiterhin damit rechnen müssen, daß aufgrund einer im Vorfeld unterlassenen angemessenen Schmerztherapie später eine Kontrolle des Schmerzes nicht mehr möglich ist. 257 Zudem sollte man nicht allein auf schwere Schmerzzustände abstellen. Z. B. Erstikkungsangst auslösende Atemnot und ähnliche Zustände können unerträglich werden und zu schweren, anders nicht zu behebenden Leidenszuständen führen, so zutreffend Roxin, 2000, S. 87 (92). Ein Beispiel möge dies verdeutlichen: Die Amyotrophe Lateralsklerose (Muskelschwund, der mit einer unaufhaltsamen Atemmuskelschwäche einhergeht) ist gekennzeichnet durch über Monate bis Jahre allmächlich zunehmende Lähmungen bis hin zum Ausfall der Schluck-, Husten- und Atemmuskulatur bei voll erhaltenem Bewußtsein, siehe zu diesem Krankheitsbild Spittler, Ethik Med 2000, S. 236 (236 ff.). In späten Phasen führt die Luftnot zu wiederholten Erstickungs- und damit Todesängsten und qualvollen Nächten. Durch Beatmung würde der tödliche Krankheitsverlauf zwar hinausgezögert, aber nicht verhindert. Will ein Patient nicht hilflos, an einem Beatmungsgerät angeschlossen, den Tod abwarten, kann man nur hoffen, daß bei einem Anfall frühzeitig eine Bewußtseinstrübung eintritt, anderenfalls der Patient einen qualvollen und unter Umständen längeren Erstickungstodeskampf erleiden muß. Wird in diesen Fällen eine Sedierung ohne Intubation vorgenommen, führt dies zum kurzfristigen Atemstillstand mit Todesfolge, siehe Spittler, Ethik Med 2000, S. 236 (240). 258 Siehe obere Fn. 255.
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Tötung als Mittel zur Schmerzbeseitigung wird ebenso wie im Reanimatorfall strafrechtsdogmatisch unterschiedlich begründet. Abwegig ist allerdings die Annahme eines Gewohnheitsrechtes.259 Die Bildung von Gewohnheitsrecht setzt eine verbreitete ständige Übung in der Überzeugung rechtlicher Gebotenheit / Erlaubtheit voraus.260 Weder läßt sich eine verbreitete Übung nachweisen noch kann von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung ausgegangen werden. Aktive Sterbehilfe wird von Ärzten in der Öffentlichkeit nicht eingeräumt und im übrigen in den ärztlichen Standesrichtlinien, die am ehesten die ärztliche Übung und Überzeugung wiedergeben, ausdrücklich als „unzulässig und mit Strafe bedroht“ erwähnt.261 Verbreiteter ist dagegen in diesen extremen Fällen die Annahme eines rechtfertigenden Notstandes gem. § 34 StGB.262 Die Notstandslage besteht danach darin, daß der Sterbewillige furchtbare körperliche und seelische Qualen erleidet, die nur durch den Tod abzuwenden sind. Das getötete Leben wiege hier weniger als die Erlösung des Patienten von seinen Qualen.263 Die Notstandsabwägung überspielt deshalb nach Merkel dann § 216 StGB, wenn (1) der Verlangende – etwa aus physischen Gründen – nicht zum Suizid in der Lage ist264 und (2) sein ernsthaftes Verlangen auf einem echten, objektivierbaren Sterbensinteresse beruht, das an existentiellem Gewicht für diesen selbst dem prinzipiellen Lebensinteresse eines (beliebigen anderen) Menschen gleichkommt.265 Weitgehend wird dem nicht gefolgt, obwohl auch die h. L. die indirekte Sterbehilfe im Sinne einer Höherrangigkeit der Schmerzfreiheit vor dem Leben als rechtfertigenden Notstand bejaht.266 Die Notstandsabwägung bei der aktiven Sterbehilfe wird teilweise nicht prinzipiell, sondern wegen der in § 34 S. 2 StGB vorgeschriebenen Voraussetzung der NotstandsSo aber Wimmer, FamRZ 1975, S. 438 (439). BVerfGE 57, 121 (134 f.); Maunz / Zippelius, 1998, § 37 II. 5. 261 Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Präambel, NJW 1998, S. 3406(ebda.). Damit dürfte auch ein Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB nicht in Betracht kommen, so auch v. Dellinghausen, 1981, S. 311 ff. Darüber hinaus läßt sich mit dem Verbotsirrtum nur eine Straflosigkeit im konkreten Einzelfall begründen, eine weitgehende Straflosigkeit einer verbreiteten Tatvariante kann dies nicht begründen. 262 Hirsch, 1987, S. 597 (609 f.); Merkel, 1992, S. 71 (97); ders., 2001, S. 578 ff.; H. Otto, 1986, D 59 f.; Simson, 1973, S. 89(89 ff.); Schroeder, ZStW 106 (1994), S. 565 (580); Blei, 1983, S. 16; Herzberg, NJW 1986, S. 1635(1639 ff.); insoweit auch noch in NJW 1996, S. 3043 (3047 f.). 263 Herzberg, NJW 1986, S. 1635 (1639); Merkel, 1992, S. 71 (97); ders., 2001, S. 587; ähnlich auch H. Otto, 1986, D 59 f. Simson, 1973, S. 89 (109 f.), sieht die Rechtfertigung in einer unabweisbaren Pflichtenkollision des Arztes zwischen dem Lebensschutz und der Barmherzigkeit. 264 Merkel, 2001, S. 420 f. 265 Merkel, 2001, S. 427. Das objektivierbare Sterbensinteresse muß bei diesem Ansatz allerdings nicht derart gravierend für ein Sterbensinteresse sprechen wie es bei einem qualvollen Feuertod gegeben ist. 266 Dölling, 1987, S. 7 (15 ff.); Roxin, 1978, S. 85 (93); Schreiber, NStZ 1986, S. 337 (339); Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 25; Tröndle, 1990, S. 595 (602); v. Dellinghausen, 1981, S. 299 ff. 259 260
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handlung als generell angemessenes Mittel im Hinblick auf die Mißbrauchsgefahr und das zu schützende Tabu des Tötungsverbots abgelehnt.267 Schließlich wird in obigen Extremfällen auf das zwar nicht von der Rechtsprechung, wohl aber von der h. M. im Schrifttum anerkannte Institut des übergesetzlichen entschuldigenden Notstandes268 zurückgegriffen.269 Nach Simson liege eine unabweisbare Kollision zwischen dem Tötungsverbot und der menschlichen Pflicht zu mitleidiger Barmherzigkeit vor.270 Entscheide sich der Arzt in diesem tragischen Konfliktfall aus Barmherzigkeit für die Erlösung des Patienten von seinen Qualen, sei sein Handeln nicht rechtswidrig.271 Nach v. Dellinghausen kann ein übergesetzlicher Notstand analog § 35 StGB angenommen werden, wenn die verlangte Tötung wirklich ultima ratio bei einem fortwährend schwerste Qualen erleidenden Patienten ist, dem keine herkömmlichen Mittel mehr helfen272. Schließlich wird ein Schuldspruch unter Strafverzicht analog § 60 StGB für möglich gehalten.273 Roxin274 hält in solchen Extremfällen ein auf eine Gewissensentscheidung des Handelnden gestützten Verantwortungsausschluß für begründbar.275 Dagegen erlaubt nach einer verbreiteten Auffassung das jetzige Recht unter keinen Umständen eine derartige Mitleidstötung.276 Es müsse an der „ausnahmslosen Unzulässigkeit und Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe als Mittel zur Schmerzbe267 Geilen, 1975, S. 26 ff.; Schreiber, NStZ 1986, S. 337 (339). Das Tötungstabu wird auch von Herzberg, NJW 1996, S. 3043(3047 f.) und Merkel, 2001, S. 2001, S. 582 ff., nicht grundsätzlich bestritten. Nur soll es in den Fällen, wo andere Möglichkeiten der Beendigung (schwerer) Schmerzen nicht gegeben sind, gegenüber dem Tötungsverlangen bei der Notstandsabwägung gem.§ 34 StGB nachrangig sein. 268 Siehe hierzu m. w. N. Sch / Sch-Lenckner, vor §§ 32 ff. Rn. 115 ff. 269 Simson, 1973, S. 89 (109 f.); v. Dellinghausen, 1981, S. 337 ff.; nicht ablehnend Tröndle / Fischer, vor § 211 Rn. 16; Giesen, JZ 1990, S. 929 (935). Der unmittelbare Rückgriff auf § 35 StGB scheidet aus, da es an dem dabei vorausgesetzten nahen Verhältnis in der Regel fehlt, so auch Pelzl, KJ 1994, S. 179 (195). 270 Simson, 1973, S. 89 (110). 271 Simson, 1973, S. 89 (110). Hieraus ergibt sich auch die Kritik an Simson, der die Kollisionssituation nicht innerhalb der Rechtsordnung, sondern zwischen einer Rechtspflicht und einer sozialethischen Pflicht aufführt, hierzu siehe Möllering, 1977, S. 40. 272 v. Dellinghausen, 1981, S. 337 ff., 348 f., 353; ebenso Möllering, 1977, S. 48; Bade, 1988, S. 127 ff.; Hirsch, 1986, S. 597 (615); im Ansatz auch Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (42). 273 De lege ferenda Dölling, 1987, S. 7(16 f.); Eser, 1977b, S. 75(91 f.); Engisch, 1979, S. 519 (536 f.); Hanack, 1975, S. 121 (155 f.). 274 Roxin, 2000, S. 87 (110); auch Maatsch, 2001, S. 239. 275 Zumindest de lege ferenda wird ein Absehen von Strafe in Betracht gezogen u. a. von Dölling, MedR 1987, S. 6(11 f.); Eser, 1977b, S. 75 (92); Roxin, 1978, S. 85(93 f.). 276 Bockelmann, 1968, S. 24; Dölling, 1987, S. 7(16 f.); ders., MedR 1987, 6(11 f.); Eser, 1977b, 75(90 ff.); LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 14; Lissel, 2001, S. 76 f.; Roxin, 1978, S. 85 (93); anders ders., 2000, S. 87 (110). Es läßt sich bei genauerer Sichtung des Schrifttums m.E. nicht wirklich ausmachen, ob es sich hierbei um das überwiegende juristische Schrifttum handelt.
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seitigung“ festgehalten werden.277 In der Begründung wird dabei neben dem absoluten Verbot der Verfügung über fremdes Leben die angeblich „unzweifelhafte Priorität des Lebensschutzes“ gegenüber der Abkürzung der Qualen vorgebracht.278 Das gelte auch für das verlöschende Leben.279 Nach Eser ist es schließlich ein normlogischer Widerspruch, wenn die Person, der geholfen werden soll, durch eben diese Hilfsaktion vernichtet wird.280 Die Begründungen decken sich vielfach mit den Gründen, aus denen heraus ein verfassungsrechtliches Verbot der Einführung der aktiven Sterbehilfe behauptet wird, so daß auf diese Argumente erst an späterer Stelle näher eingegangen werden soll (s. u. § 10 III. 4. u. § 14).
II. Teleologische Reduktion bei „objektiv vernünftigem Verlangen“? Neuerdings vertritt Jakobs eine weitgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 216 StGB auf Tatbestandsebene.281 Da die Beihilfe zum Suizid straffrei sei, könne der Zweck des § 216 StGB nur darin liegen, die Vollzugsreife eines ernstlichen Verlangens zu garantieren. „Die Tötung auf Verlangen ist strafrechtstechnisch gesprochen ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Sie garantiert, daß – bei grundsätzlicher Straffreiheit der Selbsttötung – der Selbsttötungswille des Lebensmüden nur dann verwirklicht wird, wenn er subjektiv vollzugsreif, das heißt vollständig aus einer Zwecksetzung des Lebensmüden begründet ist, die keiner Überprüfung durch andere mehr bedarf.“282
Weil bei einer Tötung auf Verlangen der Zweck vom Lebensmüden vorgegeben werde und lediglich die Ausführung der Tötungshandlung arbeitsteilig verfolgt werde,283 sei bei einem „objektiv vernünftigen Verlangen“ einer geforderten Tötung die Vollzugsreife rechtlich zu vermuten.284 Das sei immer dann der Fall, wenn es analog zur passiven Sterbehilfe „vernünftig wäre, sich einer ohne eigenes Zutun einsetzenden Wendung zu einem baldigen Tod nicht zu widersetzen.“285 Ob der Lebensmüde zur Selbsttötung noch in der Lage ist, hat nach Jakobs keine ReleLaber, 1997, S. 199. Laber, 1997, S. 193. 279 Laber, 1977, S. 196. 280 Eser, 1975, S. 45 (63). 281 Jakobs, 1998, ders., 1993, S. 459 (470 ff.). Tendenziell auch Merkel, 2001, S. 423, bei „[ . . . ] eindeutigen Fällen der Unerträglichkeit eines weiteren Lebens, die auch ,von außen‘ keinen sinnvollen Zweifel mehr erlauben [ . . . ]“. 282 Jakobs, 1998, S. 23. 283 Jakobs, 1998, S. 16. 284 Jakobs, 1998, S. 29. Andererseits kann nach Jakobs, a. a. O., S. 26, aber auch nur ein objektiv vernünftiges Sterbeverlangen vom Anwendungsbereich des § 216 StGB ausgenommen sein, um Tötungen bei nicht vollzugsreifem Verlangen zu vermeiden. 285 Jakobs, 1998, S. 31. 277 278
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vanz.286 Derartiges werde ja auch nicht bei der „indirekten Sterbehilfe“ abverlangt.287 Ob die Position von Jakobs den Zweck des § 216 StGB hinreichend ausschöpft, wird noch zu untersuchen sein (s. u. § 19 III.).288
III. Aktive Sterbehilfe und Neugeboreneneuthanasie Während die Sterbehilfe bei Erwachsenen von einem sehr umfangreichen juristischen Schrifttum behandelt wird, lagen im Verhältnis dazu bislang nur wenige Beiträge zur sogenannten Früheuthanasie289 vor. Erst neuerdings widmen sich die umfangreichen Monographien von Reinhard Merkel (Habilitation) und Monika Everschor (Dissertation) aus rechtsethischer und strafrechtlicher Sicht diesem Themenbereich.290 Bei der Sterbehilfe bei Neugeborenen sind folgende Sonderprobleme bezeichnend: (1) Über instinktive Bedürfnisse hinaus, hat sich bei Neugeborenen noch kein individueller Wille gebildet, der zur Feststellung des mutmaßlichen Interesses des Säuglings herangezogen werden könnte; die Bewertung seines Lebenswertes durch Dritte ist damit unvermeidlich gegeben.291 (2) Ein Blick auf die medizinische Praxis zeigt weiterhin, daß es nicht mehr nur um Sterbehilfe geht, da in einem weiten Ausmaß über die Säuglinge mit infauster Prognose hinaus ein Behandlungsabbruch auch allein bei schwersten Behinderungen erwogen und praktiziert wird.292 Die Grenze der Sterbehilfe – auch einer Sterbehilfe im weiteren Sinn – ist damit zur Selektion oder gar Eugenik hin überschritten. (3) Die Zulässigkeit und Notwendigkeit der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe wird vor allem gegenüber Jakobs, 1998, S. 31 f. Jakobs, 1998, S. 32. 288 Kritisch hierzu Chong, 1998, S. 117. 289 Der Begriff „Früheuthanasie“ wird vielfach als Oberbegriff für die Sterbehilfe bei Neugeborenen verwendet, siehe Kaufmann, JZ 1982, S. 481 (ebda.); Laber, MedR 1990, S. 182 (ebda.); Merkel, 1992, S. 71 (100). Das ist im Grunde verwirrend, da Euthanasie seit der einschränkenden Definition von Engisch 1948, S. 12, nur die „durch Mitleid bestimmte, direkt gewollte und aktiv ins Werk gesetzte Lebensverkürzung bei unheilbarem Leiden und mehr oder minder großer Todesnähe“ bezeichnen soll, siehe auch Schmitt, JZ 1979, S. 462 (463); Kaufmann, JZ 1982, S. 481 (481 f.). Man wird dem Begriff der Früheuthanasie allerdings insofern eine sinnvolle Verwendung zuweisen können, wenn unter ihn als Oberbegriff sowohl die Sterbehilfe wie auch die reine Eugenik bei Neugeborenen subsumiert wird. 290 Merkel, 2001; Everschor, 2001. 291 Das wird zwar immer wieder bestritten. Verwiesen sei dagegen auf die umfangreiche Analyse von Merkel, 2001, S. 294 ff.; siehe auch Kuhse / Singer, 1993, S. 59 ff.; Kuhse, 1994, S. 51 ff. 292 Siehe die empirische Untersuchung von Zimmermann / v. Loewenich, Ethik Med 1997, S. 56 ff. 286 287
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schwerstgeschädigten Säuglingen gefordert.293 Letzteres soll hier näher behandelt werden. Die aktive Sterbehilfe wird weit überwiegend bei Neugeborenen de lege lata als verboten angesehen.294 Anerkannte Ausnahme ist die indirekte Sterbehilfe.295 Eine Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe in Extremfällen wird weitgehend kategorisch abgelehnt, insbesondere mit der Erwägung, daß das Neugeborene diese nicht ausdrücklich verlangen kann.296 Everschor erkennt in der aktiven Sterbehilfe bei Neugeborenen nur eine Mitleidstötung, die als rein subjektive Empfindung die Tötungshandlung nicht rechtfertigen könne und deshalb auch de lege ferenda ausscheide.297 Trotzdem wird von wenigen gerade im Hinblick auf die Früheuthanasie zumindest de lege ferenda eine Freigabe der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe bei Neugeborenen gefordert.298 Dabei werden zwei Gesichtspunkte hervorgehoben. Zum einen erscheint es als Normwiderspruch, wenn die Abtreibung aus medizinisch-sozialen Gründen ohne Fristbegrenzung erlaubt ist, ein durch einen künstlichen Abort in diesem Stadium geborener Säugling aber mit Hilfe intensivmedizinischer Maßnahmen heute eine sehr gute Überlebenschance besitzt.299 Was zuvor durch eine aktive Handlung getötet werden durfte, soll nunmehr verstärkten Lebensschutz genießen und u. U. sogar durch eine aufwendige Intensivmedizin am Leben erhalten werden müssen – obwohl dieses Leben in keiner Weise gegenüber seinem ungeborenen Zustand mehr Bewußtsein, Schmerzempfindlichkeit u. ä. besitzt?300 Als zweiter Gesichtspunkt wird für die aktive Sterbehilfe vorgebracht, daß die willentliche Entscheidung, einen Säugling sterben zu lassen, bei der passiven und aktiven Sterbehilfe in gleicher Weise erfolgt.301 Dann sei es allerdings 293 Besonders deutlich Kuhse / Singer, 1993, passim; Kuhse, 1994, passim; Singer, 1998, S. 131 ff. 294 Eser, 1988, S. 47 (55); Gämmerler, 1989, S. 161 (162); Kaufmann, JZ 1982, S. 481 (483 f.); Laber, MedR 1990, S. 182 (184); Ulsenheimer, MedR 1994, S. 425 (426); vgl. auch Einbecker Empfehlung (1986) III. und Einbecker Empfehlung (1992) II. 1. 295 Eser, 1988, S. 47 (55); Kaufmann, JZ 1982, S. 481 (483); Ulsenheimer, MedR 1994, S. 425 (426); Everschor, 2001, S. 41 u. 202; zweifelnd Gämmerler, 1989, S. 161 (162); ablehnend Wimmer, FamRZ 1975, S. 438 (440). 296 So ausdrücklich Schmitt, JZ 1979, S. 462 (463 f.); Laber, 1990, S. 182 (184); Everschor, 2001, S. 206 u. 429; bei den anderen Autoren wird dagegen ohne nähere Erläuterung die aktive Sterbehilfe bei Neugeborenen ohne Ausnahme abgelehnt (s. o. Fn. 294); in der Tendenz seinerzeit bereits dafür Merkel, 1992, S. 71 (109 ff.); ders., 1995, S. 1145 (1155); grundsätzlich dafür Hoerster, 1995, S. 109 ff. 297 Everschor, 2001, S. 419 ff. u. 429 f. 298 Siehe z. B. Hoerster, 1995, passim; Kuhse, 1993, passim; Singer, 1998, S. 87 ff., 110 ff.; in der Tendenz seinerzeit auch schon Merkel, JZ 1996, S. 1145 (1151 f. u. 1154 f.); jetzt de lege lata dieser Auffassung ders., 2001, S. 578 ff. u. 590 ff. 299 Merkel, 1992, S. 71 (100 ff.); ders., 2001, S. 590 ff.; ähnliche Kritik auch bei Schmitt, 1983, S. 329 (332). 300 Singer, 1998, S. 87 ff.; Everschor, 2001, S. 349.
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geradezu inhuman, wenn man den Säugling langsam dahinsterben lasse, anstatt ihm durch eine direkte Tötung ein qualvolles Sterben zu ersparen.302 Für letzteres scheint insbesondere der Umstand zu sprechen, daß der Säugling nicht in der Lage ist, einen bewußten oder sinnvollen Sterbeprozeß durchzumachen.303 Die unterschiedliche strafrechtliche Würdigung des Schwangerschaftsabbruchs einerseits (§§ 218 ff. StGB) und der aktiven Tötung des geborenen Kindes (§§ 211 ff. StGB und u. U. § 217 StGB bei der Mutter) andererseits gibt in der gegenwärtigen Regelung der Abtreibung besondere Schwierigkeiten auf.304 Das Bewertungsproblem wird dann massiv, wenn gem. § 218a Abs. 2 StGB die nicht rechtswidrige und damit straffreie Abtreibung eines genetisch geschädigten Fötus nach der 21. Schwangerschaftswoche durch die Einleitung einer künstlichen Frühgeburt erfolgt305 und das Neugeborene lebt.306 Läßt man einen eugenischen / selektiven Behandlungsabbruch von Neugeborenen nicht zu, müßte dies dazu führen, daß nunmehr eine gegebene Chance der Lebensrettung genutzt werden muß und die erforderlichen intensivmedizinischen Maßnahmen einzuleiten sind. Was zuvor aktiv getötet werden durfte, müßte dann mit allen Maßnahmen am Leben erhalten werden, anderenfalls würden sich der Arzt oder die eine Einwilligung verweigernden Eltern wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen strafbar machen.307 Selbst wenn eine solche Verpflichtung zur Lebenserhaltung abgelehnt würde, läßt sich ein Widerspruch darin ausmachen, daß die wenige Stunden zuvor mit Billigung der Rechtsordnung eingeleitete Tötungshandlung, nunmehr aktiv zu Ende geführt, für den Arzt als Tötung und damit als Verbrechen gewertet wird.308 Anstatt dem Neugeborenen seinen Tod durch eine aktive Tötungshandlung zu erleichtern, muß nunmehr zugesehen werden, wie dieses langsam dahinstirbt.309 Naheliegende Milderung dieses Widerspruchs ist die Verkürzung der Abtreibungsfrist.310 Die Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs würde dann von den Birnbacher, 1995, S. 350; näher s. u. § 8. Merkel, 1992, S. 71 (109 ff.); Hoerster, 1995, S. 101 ff. 303 Beide Gesichtspunkte verbindet Merkel, 2001, S. 593: „Kurz: wenn die Rechtsordnung schon Abtreibungen im 3. Schwangerschaftstrimester mit der mehr als problematischen Großzügigkeit des heutigen § 218 a Abs. 2 StGB zuläßt, dann darf sie nachfolgende Handlungen, die eine Tortur der abgetriebenen Kinder vermeiden, nicht mit Strafe bedrohen.“ 304 Siehe zu dieser Kritik Schmitt, 1983, S. 329 (332 f.); Merkel, 1992, S. 71 (100 ff.). 305 Mit der Neufassung des § 218a StGB ist die embryopathische (eugenische) Indikation faktisch unbegrenzt zulässig, siehe Sch / Sch-Eser, § 218a Rn. 43; Tröndle / Fischer, § 218a Rn. 21. 306 Siehe zu diesen Fällen Merkel, 1992, S. 71 (102); Sch / Sch-Eser, § 218a Rn. 43; Tolmein, 1993, S. 36 ff. 307 Zu dieser Kritik siehe auch Singer, 1998, S. 87 f. 308 Merkel, 1992, S. 71 (103). 309 Merkel, 1992, S. 71 (103). 310 Für die geforderte Fristenangleichung des Schwangerschaftsabbruchs an die Lebensfähigkeit kann (logisch), auch im Hinblick auf eine Verlängerung der Abtreibungsfristen, 301 302
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Fähigkeiten der Medizin abhängen, Frühgeborene intensivmedizinisch am Leben zu erhalten. Der Widerspruch würde dadurch zwar in der Praxis gemildert, an der grundsätzlich unterschiedlichen Wertung der im Regelfall straffreien aktiven Tötung von Föten einerseits und der als Verbrechen eingestuften Tötung von Neugeborenen durch einen Arzt andererseits ändert dies nichts. Die daraus folgende Kritik, daß das Strafgesetzbuch dem vorgeburtlichen und nachgeburtlichen Leben einen unterschiedlichen Schutzstatus zuweist, kann allerdings nach beiden Seiten hin verwendet werden: der Schutzstatus des Lebens läßt sich einander angleichen, indem entweder der vorgeburtliche Lebensschutz verstärkt oder der nachgeburtliche Schutz des menschlichen Lebens über die Zuweisung von unterschiedlichen Schutzstadien nach qualitativen Kriterien abgeschwächt wird.311 Letzteres wird im Rahmen der verfassungsrechtlichen Würdigung der aktiven Sterbehilfe bei Neugeborenen in vorliegender Untersuchung zu erörtern sein.312
IV. Tötung auf Verlangen durch Unterlassen? Die gelegentlich vertretene Auffassung, eine Tötung auf Verlangen könne vom Arzt bei der passiven Sterbehilfe auch durch Unterlassen verwirklicht werden,313 ist nicht haltbar.314 Sie steht im klaren Kontrast zur mittlerweile fast einhelligen Auffassung, daß der Arzt bei einem ausdrücklichen Verlangen nicht nur zur passiven Sterbehilfe berechtigt,315 sondern sogar verpflichtet ist.316
argumentiert werden: Erweist die Pränataldiagnostik, daß der Fötus wegen eines Potter-Syndroms nicht lebensfähig ist, dann soll der Schwangerschaftsabbruch unbefristet zulässig sein, so Hiersche / Jähnke, MDR 1986, S. 1 (3 ff.). 311 Nach Hoerster, 1995, S. 57 ff., sollen Neugeborene ein Lebensrecht erst mit einem Gesamtalter von mindestens 28 Wochen besitzen. Gegen eine Angleichung letztlich Everschor, 2001, S. 346 ff., 361 ff. u. 369 f., die eine zumutbare Lösung zur frühzeitigen Vernichtung behinderten Lebens in der pränatalen und Präimplantations-Diagnostik erkennt. 312 S.u. § 7 VIII. 4 c u. 16. 313 BGHSt 13, 162 (166); 32, 367 (371); Bockelmann, 1968, S. 114 f.; Schmitt, MDR 1986, S. 617 (620); Langer, 1986, S. 101 (129 f.); zuletzt Deichmann, MDR 1995, S. 983 (985); Staudinger-Bienwald, § 1896 BGB Rn. 57; Stalinski, BtPrax 1999, S. 43 (45); Merkel, 2001, S. 242. 314 Nicht ausgeschlossen sind allerdings im Allgemeinen Fallkonstellationen, in denen eine Tötung auf Verlangen durch Unterlassen verwirklicht wird, siehe das Sprungtuchbeispiel von Merkel, 2001, S. 242. 315 Siehe hierzu v. Dellinghausen, 1981, S. 358 ff.; Hirsch, 1987, S. 597 (600 f.); Laufs / Uhlenbruck, 1999, § 149 Rn. 18. 316 Laufs / Uhlenbruck, 1999, § 149 Rn. 18; Geilen, 1975, S. 8 ff.; Merkel, ZStW 107 (1995), S. 545 (557 f.), Hirsch, 1987, S. 597 (601) Leonardy, DRiZ 1986, S. 281 (285); a.A. Wimmer, FamRZ 1975, S. 438 (439 f.); einschränkend auch Bockelmann, 1968, S. 25; Laufs, NJW 1999, S. 1758 (1762).
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
Die Verpflichtung des Arztes zum Behandlungsabbruch ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten, nach dem Eingriffe in seinen Körper, auch wenn sie aus ärztlicher Sicht zu seinem Besten erfolgen, seines Einverständnisses bedürfen.317 Der Arzt muß die Entscheidung des Patienten respektieren, „der es ablehnt, einen lebensrettenden Eingriff zu dulden.“318 Wegweisend war hier die „Myom“-Entscheidung des BGH, die dem lebensgefährlich Erkrankten zubilligt, in freier Selbstbestimmung zu entscheiden, ob er sich einer Heilbehandlung unterziehen möchte.319 Dieses Recht des Patienten wird mittlerweile auch im Bereich der passiven Sterbehilfe anerkannt.320 Gegen den Willen des Patienten darf kein Eingriff vorgenommen und keine ursprünglich mit seinem Willen begonnene medizinische Maßnahme fortgesetzt werden – selbst dann nicht, wenn der Patient dadurch in Lebensgefahr gerät oder bereits in Todesgefahr schwebt.321 Dabei spielt es weiterhin keine Rolle, ob der Patient bereits in der Terminalphase seines Sterbens sich befindet oder nicht.322 Auf die Beweggründe des „einwilligungsfähigen“323 Patienten kommt es nicht an, mögen diese auch nach der Beurteilung Dritter nicht nachvollziehbar sein.324 Von der Rechtsprechung wird dieses Recht des Patienten in besonderer Weise dadurch geschützt, daß auch der ärztliche Eingriff – unbeschadet seines heilsamen Zweckes – tatbestandlich als Körperverletzung gem. §§ 223 StGB gewertet wird,325 der nur bei einer tatsächlichen oder mutmaßlichen Einwilligung des Patienten nicht rechtswidrig ist.326 BVerfGE 52, 131 (170); BGHSt 45, 219 (221); weiter s. u. § 10 I. u. § 24 I. BGHSt 32, 367 (378). 319 BGHSt 11, 111 (113 f.); vgl. auch BGHSt 32, 367 (378). 320 Hierzu steht auch nicht die bekannte Wittig-Entscheidung im Widerspruch, BGHSt 32, S. 367 ff. Dort unterschied der BGH zwischen „Normal-“ und Suizid-Patienten. Bei letzterem ist der Arzt trotz vorheriger ausdrücklicher Aufforderung des Patienten, keine Lebenserhaltungsmaßnahmen zu ergreifen, aus seiner Garantenpflicht auch bei einem freiverantwortlichen Suizid nicht grundsätzlich entlassen. 321 Laufs / Uhlenbruck, 1999, § 149 Rn. 18; Geilen, 1975, S. 7 ff.; Roxin, 1978, S. 85 (89). 322 H. Otto, Jura 1999, S. 434 (437 f.); a.A. bezüglich der Einstellung der Basisversorgung Tolmein, KJ 1996, S 510 (517 f.). 323 Durchaus problematisch ist hier immer noch die Forderung, daß der Patient in den Behandlungsabbruch einwilligen muß, so aber. Laber, 1997, S. 218 f. Damit wird die Einwilligungserfordernis auf den Kopf gestellt. Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten bedarf der Einwilligung, nicht das Unterlassen weiterer solcher Eingriffe. Richtigerweise müßte deshalb umgekehrt nach einer zumindest mutmaßlichen „Einwilligung“ in die Behandlung gefragt werden. Begründet wird diese Umkehrung mit dem Verbot der Tötung auf Verlangen in § 216 StGB, s. u. § 24 I. 324 Merkel, ZStW 107 (1995), S. 545 (557). 325 RGSt 25, 375; BGHZ 29, 176 (179 f.); NJW 1988, S. 2946, BGHSt 11, 111 (112); 45, 219 (221). Der Arzt steht damit bei nicht ausreichender Einwilligung unter dem Verdikt der Begehung einer Körperverletzung, was in der Literatur überwiegend als nicht sachgerecht beurteilt wird. Gute Übersicht zur Diskussion bei Tag, 2000, S. 13 ff. Die ärztliche Heilbehandlung wird deshalb auch de lege lata für reformbedürftig angesehen. Bislang hat sich allerdings noch kein Reformvorschlag durchgesetzt. Zu den Gründen des Scheiterns des letzten 317 318
§ 5 Ausnahmen vom Verbot der aktiven Sterbehilfe
77
Die Verpflichtung des Arztes zum Behandlungsabbruch muß konsequenterweise zu einer Beschränkung der ärztlichen Garantenpflicht führen, die eine Tötung durch Unterlassen ausschließt.327 Dieses Ergebnis hat Konsequenzen für die Interpretation des § 216 StGB, der die Tötung eines Menschen auch auf dessen ernstliches Verlangen für strafbar erklärt. Läßt sich die Tötung auf Verlangen auch durch Unterlassen verwirklichen, was nach einer älteren Entscheidung des BGH nicht ausgeschlossen sein soll,328 dann trifft dies auf den einverständlichen Behandlungsabbruch prima facie zu. Überwiegend wird dagegen eingewandt, daß § 216 StGB schon von seinem Tatbestand nur die aktive Tötung erfassen will.329 Anderenfalls würde die Strafandrohung des § 216 StGB in eine gesetzliche Ermächtigung zur Zwangsbehandlung umgedeutet werden.330 Das wird allerdings zu Recht von der herrschenden Auffassung abgelehnt,331 da die ernstliche Aufforderung des Patienten zum Behandlungsabbruch stets befolgt werden muß. Im Grundsatz folgt die Rechtsprechung dieser Auffassung,332 nur im Falle eines Suizids macht der BGH jedenfalls in der Wittig-Entscheidung333 dagegen Einschränkungen. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte ein Hausarzt bei seiner bewußtlos vorgefundenen 76jährigen Patientin, die in Selbsttötungsabsicht eine Überdosis Schlafmittel zu sich genommen hatte und auf einen Zettel darum bat, sie in Ruhe sterben zu lassen, keine Rettungsversuche vorgenommen. Ist der Suizid unfrei oder unernstlich, wird die Garantenpflicht nach einhelliger Auffassung nicht aufgehoben.334 Ist der Suizid dagegen freiverantwortlich, scheiReferentenentwurfs des Bundesjustizministeriums 1996 siehe Meyer, 1998, S. 415 ff.; auch Tag, 2000, S. 31 ff. 326 Hieraus ergeben sich dann besondere Pflichten an den Arzt, den Patienten aufzuklären, da anderenfalls seine Einwilligung an Willensmängeln leidet und die tatbestandliche Körperverletzung nicht rechtfertigen kann. Zur Einwilligung siehe Voll, 1996, passim; J. Kuhlmann, 1996, passim; Tag, 2000, S. 285 ff. 327 Siehe hierzu Sch / Sch-Eser, § 216 Rn. 10; Detering, JuS 1983, S. 418 (419); Rieger, 1998, S. 43 ff.; Francke / Hart, 1999, S. 221; Kaufmann, MedR 1983, S. 121 (122); H. Otto, 1986, D 65 f.; im Ergebnis ebenso OLG München NJW 1987, S. 2940 (2943). 328 BGHSt 32, 367 (371); zustimmend: Bockelmann, 1968, S. 114 f.; Schmitt, MDR 1986, S. 617 (620); Langer, 1986, S. 101 (129 f.); zuletzt Deichmann, MDR 1995,S. 983 (985); Stalinski, BtPrax 1999, S. 43 (45); Staudinger-Bienwald, § 1896 BGB Rn. 57. 329 Sch / Sch-Eser, § 216 Rn. 10; ders., 1977a, S. 75 (109 f.). 330 Kaufmann, MedR 1983, S. 121 (122); H. Otto, 1986, D 65 f. 331 Aus den gleichen Gründen und nach teilweise vertretener Auffassung wegen der fehlenden Voraussetzungen eines Unglücksfalles wird auch eine Strafbarkeit des Arztes wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB bei einem vom Patienten geforderten Behandlungsabbruch abgelehnt, siehe hierzu Sch / Sch-Cramer, § 323c Rn. 7 u. 21. 332 Das ergibt sich allein aus der Kempten-Entscheidung, BGHSt 40, 257 (262), wo im Falle eines im mutmaßlichen Einverständnis mit dem Patienten erfolgenden Behandlungsabbruchs der BGH nicht von einer Tötung durch Unterlassen ausgeht, die nur wegen eines Gewissenskonflikt straffrei sein soll, vgl. auch OLG München, NJW 1987, S. 2940 (2943). 333 BGHSt 32, S. 367 ff. 334 Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 Rn. 39 ff. m. w. N.
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
det nach der h. L. eine Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen grundsätzlich aus. Dagegen differenziert der BGH weiter danach, ob es sich um eine nachvollziehbare vernünftige oder unvernünftige und aus keinem ausweglosen Leid entspringende Entscheidung handelt.335 Im ersteren Fall ist dem ärztlichen Garanten in der Grenzsituation des Lebensschutzes und der Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes eine Gewissensentscheidung zugestanden, die ihm erlaubt, nicht einzuschreiten.336 Im letzteren Fall überwiegt dagegen nach der Wittig-Entscheidung der Lebensschutz, so daß eine Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen gem. § 216 StGB oder unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB in Betracht kommt.337 Dieser Differenzierung ist nicht zuzustimmen. Ein ernsthaftes Verbot ärztlicher Maßnahmen muß auch bei Suizidpatienten beachtet werden. Eine angemessene Verhinderung von Selbsttötungsversuchen wird dadurch nicht blockiert, da bei der überwiegenden Zahl starke psychische Störungen gegeben sind, die auch ein ernsthaftes Verlangen ausschließen.338
V. Aktive Sterbehilfe in der Praxis? Den ärztlichen Verlautbarungen Glauben schenkend, kann es die aktive Sterbehilfe in Deutschland nur als mißbräuchliche Einzelerscheinung geben. Anders als in den Niederlanden gibt es in Deutschland keine empirischen Untersuchungen, die diese Annahme überprüfen. Tatsächlich spricht viel dafür, daß in der medizinischen Praxis aus humanitären Gründen bereits aktive Sterbehilfe geleistet wird – allerdings ohne sich dem oft wirklich bewußt zu sein. Bei starken Schmerzen, schwerer Luftnot oder qualvoller Übelkeit wird der Patient sediert,339 d. h. er wird mit Medikamenten in den Zustand der finalen Bewußtlosigkeit versetzt.340 Der bewußtlose Patient muß in 335 BGHSt 32, S. 367 ff.; so auch die zutreffende Interpretation der Wittig-Entscheidung von Herzberg, NJW 1986, S. 1021 (1026). 336 BGH JZ 1984, S. 893 (896 f.). 337 Nachfolgende Entscheidungen deuten allerdings darauf hin, daß die Rechtsprechung geneigt ist, dieses dreistufige Konzept aufzugeben und allein mit der h. L. darauf abzustellen, ob ein freiverantwortlicher Suizid vorliegt oder nicht, siehe BGH NStZ 1988, S. 127; OLG München NJW 1987, S. 2940 (2943 f.) – Fall Hackethal; kritisch auch OLG Düsseldorf JMBl.NW 1983, S. 197 ff. Dieser Entwicklung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zuzustimmen, s. u. § 10 I. u. § 12 I. 338 Näher s. u. § 11 II. 7 a u. III. 7. 339 Siehe Schöne-Seifert, 1999, S. 98 (111 f.); Spittler, Ethik Med 2000, S. 236(ebda.): „Wegen der gequält wirkenden Unruhe des Patienten haben wir eine Sedierung begonnen, unter deren Wirkung der Patient langsam ruhiger wurde. Noch in einer Stimmung der Gemeinsamkeit mit der Stationsärztin und dem unmittelbar betreuenden Pfleger erhöhte ich nach langem Zögern schließlich die Sedierung und stellte die Beatmungsmaschine ab.“ Ders., a. a. O., S. 240: „Die vorgelegte Kasuistik beschreibt eine typische ärztliche Entscheidungssituation [ . . . ].“ 340 Schöne-Seifert, 1999, S. 98 (111).
§ 5 Ausnahmen vom Verbot der aktiven Sterbehilfe
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diesem Zustand u. U. künstlich beatmet werden. Jedenfalls ist er zur natürlichen Nahrungsaufnahme außerstande, so daß er auf eine künstliche Ernährung angewiesen ist. Der Tod des Patienten kann nun herbeigeführt werden, indem ein u. U. notwendiger Respirator abgestellt wird oder eine nahrhafte Ernährung eingestellt bzw. erst gar nicht aufgenommen wird, um den „Sterbeprozeß“ nicht zu verzögern und den Tod durch Entkräftung früher herbeizuführen.341 Infusionen werden bei letzterem Verfahren im wesentlichen nur gegeben, um ein Austrocknen des Körpers zu verhindern. Als aktive Sterbehilfe wollten die von mir angesprochenen Ärzte diese Vorgehensweisen nicht gewertet wissen.342 Dem kann nicht zugestimmt werden.343 Wenn bei einem natürlichen Sterbeverlauf der Krankheitszustand dazu führt, daß der Patient zur Nahrungsaufnahme außerstande ist, dann ist der Verzicht auf eine künstliche Ernährung in der Tat eine passive Sterbehilfe, weil nur auf einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verzichtet wird (s. o. § 2 V.). Wenn dagegen erst durch einen Eingriff in den Körper der Patient zur natürlichen Nahrungsaufnahme außerstande ist, dann ist dieser Eingriff kausal für den Hungertod, wenn keine Maßnahmen der künstlichen Ernährung ergriffen werden. Eindeutig wird dies bei einer Betrachtung dieser Fallkonstellation außerhalb der Sterbehilfe. Wer einen lebensmüden Patienten, der am nächsten Tag geheilt aus dem Krankenhaus entlassen werden könnte, auf dessen Bitte hin sediert und dann am Hungertod sterben läßt, hat keine passive Sterbehilfe, sondern eine Tötung auf Verlangen geleistet. Zwar hätte sich der Patient auch ohne Bewußtlosigkeit für den Hungertod entscheiden können, nur war ihm diese Möglichkeit der Bestimmung über den todbringenden Moment durch die Sedierung genommen. Der Arzt hat hier mit seinen Injektionen die letzte Entscheidung über das todbringende Geschehen durch einen aktiven Eingriff in den Körper des Patienten in der Hand gehabt. Kaum diskutabel kann dann aber auch die aktive Sterbehilfe sein, wenn auf die wegen der Sedierung des Patienten notwendige künstliche Beatmung von vorneherein oder zeitlich verzögert verzichtet wird. Sollten obige Verfahren in der Tat eine verbreitete Form der Sterbehilfe in der Praxis sein, dann ist davon auszugehen, daß in einer Vielzahl von Fällen der Sache nach bereits aktive Sterbehilfe geleistet wird.344 Bedenkt man hier weiterhin, daß auch die indirekte Sterbehilfe sich bei der oft gegebenen Kenntnis des früheren Todeseintritts nur graduell von der aktiven Ster341 Eine einheitliche Praxis besteht allerdings nach den mir gegebenen Auskünften nicht. Je nach ethischer Grundhaltung der maßgeblichen Entscheidungsträger vor Ort (Chefarzt, Oberarzt, Stationsleiter) wird unterschiedlich verfahren. 342 Vgl. auch Spittler, Ethik Med 2000, S. 236 (243), der das unter Fn. 339 beschriebene Verfahren als passive Sterbehilfe wertet. Siehe auch die Kritik von Schöne-Seifert, 1999, S. 98 (111 f. m. w. N.) an der Praxis der Sterbehilfe in den USA, wo dieses Verfahren bereits offiziell ist und vielfach diskutiert wird. 343 Siehe bereits oben Fn. 255. 344 Hinsichtlich der Praxis in der Neonatologie siehe Merkel, 2001, S. 581.
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1. Kap.: Strafrechtliche Diskussion
behilfe unterscheidet (s. o. § 3. I.), dann ist die vehemente Behauptung der Ärzteschaft, keine Tötung (auf Verlangen) zu leisten, nicht wirklich überzeugend.345
§ 6 Zwischenergebnis und weiterführende Fragestellungen Die Begrenzung der ärztlichen Behandlungsmaßnahme durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wird kaum noch ernsthaft bestritten. Der Patient hat das Recht, jede medizinische Behandlung auch aus unvernünftigen Gründen zu untersagen. Wer somit seinen Lebenswillen aufgibt und Maßnahmen zur Lebensverlängerung ablehnt, darf vom Arzt nicht mehr zwangsweise weiter am Leben erhalten werden. Das Recht des einwilligungsfähigen Patienten, jede lebensverlängernde Behandlung auch aus unvernünftigen Gründen abzulehnen, führt dazu, daß eine Tötung auf Verlangen durch Unterlassen im Bereich der passiven Sterbehilfe nicht gegeben ist. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und sein Anspruch auf körperliche Unversehrtheit umfaßt damit das Recht zu einem willentlichen Sterben durch Unterlassen. Hat der Patient dagegen aktiv an sich Hand angelegt, wird jedenfalls beim schwerkranken sterbenden Patienten ein solcher Suizid und das Nichtweiterbehandeln des Arztes auch von der Rechtsprechung als zulässige ärztliche Gewissensentscheidung akzeptiert. Eine Beihilfe zu einem freiverantwortlichen Suizid ist zwar straffrei, die ärztlichen Standesregeln346 betrachten dieses Verhalten dagegen als unärztlich. Trotzdem erweitert die h. L. den Bereich der straffreien Beteiligung am Suizid, wenn allein die aktive Beherrschung des „point of no return“ durch den Suizidenten jede Form der Mittäterschaft ausschließen soll. Beides, das Recht zum Behandlungsabbruch auch aus unvernünftigen Gründen und die Straflosigkeit der Suizidteilnahme, führt zu Legitimationszweifeln am Verbot der Tötung auf Verlangen.347 Die gängige Begründung, § 216 StGB schütze das Leben an sich – auch gegen den Willen seines Inhabers –, wird brüchig, wenn allein der freie Wille des Inhabers zur Straffreiheit der Beteiligung am passiven oder aktiven Suizid führt. Prima facie geschützt wird über den § 216 StGB im Strafrecht dann nicht mehr das Leben an sich, denn der Handlungserfolg als sol345 Laut Untersuchungen soll in den westlichen Ländern von 19 – 75% der Ärzte aktive Sterbehilfe erbeten und von etwa 24 – 40% der Ärzte auch gewährt werden; siehe Uhlenbruck, NJW 2001, S. 2770 (2771) m. w. N. Im übrigen bestehen nach meinem Eindruck auch begrifflich unterschiedliche Vorstellungen darüber, was als aktive Sterbehilfe anzusehen ist. Was in der Tat in der Praxis weitgehend abgelehnt wird, ist die aktive Sterbehilfe, die nicht mehr im Zusammenhang mit Maßnahmen der Schmerzlinderung steht. Wie noch zu zeigen sein wird, ist hierin auch ein normativer Unterschied zu sehen. Es ist allerdings zu vermuten, daß sich die aktive Sterbehilfe in Deutschland nicht auf „mißbräuchliche Ausnahmeerscheinungen“ beschränkt. 346 Vgl. Bundesärztekammer, NJW 1998, S. 3406 (ebda.). 347 Siehe Merkel, 1992, S. 71 (85 ff.); s. u. § 19 III.
§ 6 Zwischenergebnis
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cher (der Tod) ist bei freiwilliger Lebensaufgabe eben gerade nicht strafbar, sondern es wird vielmehr nur noch der Modus der Ausführung der Tötung durch fremde Hand pönalisiert. Ist das bloße Verbot des Modus der Tötung bei einer ernstlich gewollten Tötung auf Verlangen damit nicht der metaphysische Rest einer paternalistischen Sichtweise? Kann im Bereich der Sterbehilfe ein solches Verbot vor den Grundrechten eines säkularen Verfassungsstaates Bestand haben? Das Verbot der aktiven Sterbehilfe wird mit einer gewichtigen Ausnahme eingeschränkt.348 Bei der indirekten Sterbehilfe zeigte sich, daß sich diese strafrechtsdogmatisch nur als höhere Gewichtung des Leidminderungsinteresses gegenüber dem Interesse an einem unverkürzten Leben rechtfertigen ließ. Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Beurteilung spitzt sich im Rahmen der aktiven (direkten) Sterbehilfe zu. Darf dem Interesse an der Leidminderung auch dann Vorrang vor dem Lebensinteresse eingeräumt werden, wenn eine erfolgreiche Schmerztherapie nicht mehr möglich ist, sondern nur noch die direkte Tötung vom Leiden erlöst? Und gilt dies auch dann, wenn eine Einwilligungsfähigkeit wie z. B. bei Säuglingen nicht gegeben ist? Als wenig stichhaltig zeigte sich der Vorwurf, die einzelnen Formen der Sterbehilfe wiesen durchgehend nur eine geringe Trennschärfe auf. Dem ist weitgehend nicht zuzustimmen. Die passive Sterbehilfe ist ein Geschehenlassen, wogegen bei der aktiven Sterbehilfe der Handelnde an dem Patienten etwas vornimmt. Die praktisch relevanten Fälle lassen sich klar voneinander unterscheiden. Deskriptiv eindeutig gelingt auch die Abgrenzung zwischen assistiertem Suizid und aktiver Sterbehilfe, wenn mit der h. L. auf die „Herrschaft über den todbringenden Moment“ abgestellt wird. Problematisch ist allein die Abgrenzung zwischen aktiver und indirekter Sterbehilfe, weil letztere der Sache nach ebenfalls eine aktive und direkte Tötungshandlung ist. Allerdings hat die indirekte Sterbehilfe nicht die sicher tödliche Dosis zum Ziel, sondern versucht, die angemessene Schmerzlinderung mit der minimalen Dosis zu erreichen. Schwierig ist bei ihr der Nachweis, daß der Arzt mit dieser Absicht gehandelt hat.
348 Auf die zweite Ausnahme, die Organtransplantation bei Hirntoten, wird noch einzugehen sein, s. u. § 15 II.
6 Antoine
Zweites Kapitel
Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas § 7 Menschenwürde, Autonomie und Lebensrecht Aktive Sterbehilfe und Menschenwürde werden nicht nur in der allgemeinen ethischen Debatte als Zusammenhang erkannt.1 Der Bezug läßt sich auch im juristischen Kontext herstellen2 und liegt nach der Judikatur des BVerfG auf der Hand. Auf der einen Seite hat das BVerfG festgehalten: „Wo menschliches Leben existiert, da kommt ihm Menschenwürde zu“3 und hieraus die Verpflichtung zum strafrechtlichen Schutz des Lebens auch vor Eingriffen privater Dritter entwickelt.4 Auf der anderen Seite „sichern das [ . . . ] Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde [ . . . ] jedem einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann.“5 Das BVerfG erkennt damit in ständiger Rechtsprechung ein von Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht an. Von hier aus stellt sich die Frage, ob nicht gerade der Tod und das Sterben eine zutiefst den einzelnen Menschen in seiner Identität, Integrität und Intimsphäre betreffende und von persönlichen Einstellungen geprägte Lebensphase darstellen. Ist deshalb unter dem Einfluß der Menschenwürdegarantie auch einer personalen Selbstbestimmung über den eigenen Tod ein besonderes verfassungsrechtliches Gewicht im Sinne eines selbstbestimmten menschenwürdigen Sterbens zuzuweisen?6 Damit sind Anknüpfungspunkte an Art. 1 Abs. 1 GG genannt, die sowohl zur Belegung der Verfassungswidrigkeit des § 216 StGB wie auch zur Begründung der Grundgesetzwidrigkeit der aktiven Sterbehilfe vorgebracht werden. Die Vielseitigkeit der Verwendung der Menschenwürde in diesem Streit findet ihren besonderen Grund in der Unbestimmtheit dieses Verfassungsartikels selbst. 1 2 3 4 5 6
Vgl. Siehe nur Böckle, 1992; Schockenhoff, 1991; Jens / Küng, 1995. Vgl. Wilms / Jäger, ZRP 1988, S. 41 ff.; Burkart, 1983; näher s. u. VIII. 5. a. BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (251). BVerfGE 88, 203 (296). BVerfGE 79, 256 (268); vgl. auch 27, 1 (6). So z. B. Koppernock, 1997, S. 63 ff., 178 ff.; Hillgruber, 1992, S. 84 f.
§ 7 Menschenwürde, Autonomie und Lebensrecht
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Bezüglich der vorliegenden Thematik der aktiven Sterbehilfe ergeben sich insbesondere folgende Fragen: (1) Wie ist der Zusammenhang von Menschenwürde und Leben? Ist jeder Eingriff in das Leben eine Verletzung der Menschenwürde? (2) Enthält die Menschenwürde auch Verpflichtungen gegenüber sich selbst? Ist eine Einwilligung in die eigene Tötung deshalb unbeachtlich? (3) Sind auch zur willentlichen Selbstbestimmung unfähige Menschen von dem Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde des Grundgesetzes umfaßt? (4) Wie kann das Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde mit seiner praktischen Relevanz vereinbart werden? Kann es z. B. bei schwer leidenden Neugeborenen eine Abwägung eines in der Menschenwürde begründeten Tötungsverbotes mit der Leidminderung geben? (5) Ist das selbstbestimmte Sterben und damit die Tötung auf Verlangen des Sterbenden Gewährleistungsinhalt der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes? Der Begriff der Würde des Menschen versteht sich nicht von selbst.7 Einer erst jungen Aufnahme in das Verfassungsrecht8 stehen zweieinhalbtausend Jahre philosophische und theologische Entfaltungen der Menschenwürde mit je unterschiedlichem Bedeutungsgehalt gegenüber.9 Zudem ergibt sich die Offenheit des Verfassungsbegriffs der Menschenwürde auch daraus, daß er ebenso wie das allgemeine Freiheitsrecht in Art. 2 Abs. I GG oder der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. I GG sich im Gegensatz zu den Spezialgrundrechten (z. B. Art. 12 GG, Art. 14 GG) nicht auf einen spezifischen Lebensausschnitt bezieht, sondern in beliebigen Lebenszusammenhängen relevant werden kann.10 Eine begrifflich-inhaltliche Klärung dieser Norm ist deshalb in besonderer Weise schwierig. Gegen die teilweise wegen dieser Schwierigkeiten erhobene Forderung, in Anbetracht der Offenheit dieses Verfassungsartikels von einer rechtsverbindlichen Interpretation der grundgesetzlichen Menschenwürde abzusehen,11 spricht jedoch der Verfassungsartikel selbst: Die im ersten Satz des Art. 1 GG postulierte Unverletzlichkeit der Menschenwürde und im nachfolgenden Satz geforderte Achtung und Schutz 7 Anders dagegen noch Nipperdey, 1954, S. 1, nach dem der Begriff der Menschenwürde keiner weiteren juristischen Definition bedarf. 8 Siehe Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 17 ff. m. w. N.; v. Münch, 2001, S. 27 (27 ff.); Stein / Frank, 2000, § 29 I, S. 229: „Aufnahme ins Verfassungsrecht fand eine Garantie der Menschenwürde erstmals in Portugal 1933 und in Irland 1937.“ Siehe aber bereits Art. 151 Abs. 1 WRV: „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen.“ 9 Übersichten siehe Horstmann, 1980, Sp. 1124 ff.; Wils, 1991a, S. 130 ff.; Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 1 ff.; Stern, III / 1, § 58, S. 6 ff.; Geddert-Steinacher, 1990, S. 38 ff. 10 Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 6 f.; Geddert-Steinacher, 1990, S. 22. 11 Hoerster, JuS 1983, S. 93 ff.; ders., ZRP 1988, S. 185 f.; vgl. auch Denninger, 1973, S. 25 ff.; Badura, JZ 1964, S. 337 (343); Krawietz, 1977, S. 245 (255 ff., 263 ff. u. 275).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
durch alle staatliche Gewalt gibt einem kaum mehr zu überbietenden Normanspruch Ausdruck, der geradezu in sein Gegenteil verkehrt wird, wenn der Begriff interpretatorisch zur „Leerformel“ reduziert würde.12 Die Versuche, die Menschenwürde einer begrifflich-inhaltlichen Bestimmung näher zuzuführen, lassen sich unterscheiden in eine eher negativ-ausgrenzende, am Verletzungsvorgang orientierte Strategie, und einer positiv-inhaltlichen Bestimmung dessen, was die Menschenwürde ausmacht.13
I. „Negative“ Definition von Menschenwürdeverletzungen Das Vorgehen des BVerfG, eine Verletzung der Menschenwürde vom Verletzungsvorgang her auf der Basis der von Dürig entwickelten Objektformel festzustellen, hat jedenfalls als Ausgangspunkt der Prüfung Zustimmung gefunden.14 Nach Dürig ist die Menschenwürde dann verletzt, „wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.“15 Das BVerfG formuliert in gleicher Weise. Danach widerspricht es der „menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen.“16 „Der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben“.17 Er darf nicht einer Behandlung ausgesetzt werden, „die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.“18 Die Menschenwürde sei verletzt, wenn die einzelne Person unter Mißachtung ihres personalen Eigenwerts zum Objekt herabgewürdigt werde.19 Die Schwierigkeit besteht nunmehr darin, daß diese Objektformel offensichtlich kein hinreichendes Kriterium zur Feststellung einer Verletzung der Menschenwürde ist. Verstößt es gegen die Menschenwürde, wenn ein Mensch auf sein Verlangen 12 Dem Anspruch dieses Verfassungsartikels werden deshalb auch die einschränkenden Interpretationen der streng historischen Verengung auf die nationalsozialistischen Greueltaten (vgl. Badura, JZ 1964, S. 337 (341 ff.)) oder dasjenige, über das nach allgemeiner Überzeugung bereits Konsens besteht (vgl. Lerche, 1986, S. 88 (101)), nicht gerecht. Die Beschränkung auf den bestehenden Konsens nimmt dem Art. 1 GG den praktisch-kritischen Gehalt, die Historisierung führt zu einer Erstarrung, die gegenüber neu auftretenden Gefährdungen der Menschenwürde – z. B. „gläserner Bürger“; Gentechnik – ebenfalls keine Auskunft und damit keinen Schutz zu geben vermag. 13 Zu dieser Unterscheidung siehe Dreier-Dreier Art. 1 I Rn. 36. 14 BVerfGE 9, 89 (95); 27, 1 (6); 28, 386 (391); 50, 166 (175); 57, 250 (275); 63, 133 (142 f.); 87, 209 (228); Häberle, HStR I, § 20 Rn. 38 u. 43; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 22 f. 15 Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (127). 16 BVerfGE 5, 85 (204); 7, 198 (205); 27, 1(6). 17 BVerfGE 45, 187 (228). 18 BVerfGE 30, 1 (26); 50, 166 (175). 19 Vgl. BVerfGE 45, 187 (229); BVerwGE 64, S. 274 (278); Höfling / Gern-Höfling, NJW 1983, S. 1582 (1585).
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hin getötet wird? Ist die Tötung eines Menschen immer eine Verletzung seiner Subjektqualität? Oder ist nicht vielmehr das Verbot der aktiven Sterbehilfe eine Objektbehandlung des Sterbewilligen, indem er als sittliches Subjekt in seiner Entscheidung zum Freitod nicht ernst genommen wird? Wie wenig allein die Objektformel als Subsumtionsobersatz ausreicht, zeigt sich symptomatisch dann, wenn die Rechtsprechung sittlich mißliebiges Verhalten mit der Objektformel dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu belegen sucht.20 Entsprechend stellte der BGH21 jüngst in Orientierung an der Objektformel die Sittenwidrigkeit von Telefonsex fest, weil sich die Anbieterin den Wünschen des Kunden unterordnen müsse, „so daß der Gesprächsinhalt nicht ihrer freien Willensbestimmung unterliegt und damit ihre ,aktive Rolle‘ nur scheinbar ist.“22 Nach diesen Maßstäben würden auch der Friseur und der Taxifahrer, denen der Haarschnitt oder das Fahrtziel vorgeben wird, einer ihrer Würde verletzenden Objektbehandlung unterliegen, weil sie ihre Tätigkeit nicht frei bestimmen können?23 Jedes Arbeitsverhältnis wäre eine Verletzung der Würde des Arbeitnehmers, da nach der Rechtsprechung des BAG Arbeitnehmer ist, wer sich in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis befindet, insbesondere weil er fremdbestimmte Arbeit leisten muß.24 Die Objektformel ist deshalb wenig aussagekräftig, weil sich nach ihr sehr vieles als Objektbehandlung interpretieren läßt; man denke nur an die Abnahme von Fingerabdrücken oder die Trikotwerbung, wodurch Fußballspieler als laufende Werbeträger eingesetzt werden.25 Das BVerfG 20 So z. B. in der umstrittenen Peep-Show Entscheidung, BVerwGE 64, 274 (277 ff.), nach der es gegen die Menschenwürde verstößt, wenn bei einer Live Peep-Show keine Möglichkeit zum Blickkontakt zwischen dem Betrachter und der Betrachteten besteht. Ähnlich auch die Diskussion um die „reality-shows“ im Fernsehen: In einer „reality-show“ begeben sich mehrere Personen freiwillig für mehrere Wochen in eine von der Außenwelt abgeschlossene „Lebensgemeinschaft“, wo sie rund um die Uhr in jedem ihrer Lebensbereiche beobachtet werden. Der Fernsehzuschauer nimmt daran entweder live oder über aufgezeichnete Ausschnitte des Geschehens teil. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde bejaht Hinrichs, NJW 2000, S. 2173 (2173 ff.), unter Verweis auf die Objektformel; dagegen Huster, NJW 2000, S. 3477 (3477 ff.); siehe auch Schmitt Glaeser, ZRP 2000, S. 395 (395 ff.); Hartwig, JZ 2000, S. 967 (967 ff.). 21 BGH NJW 1998, S. 2895 ff. 22 BGH NJW 1998, S. 2895 (2896); vgl. auch BVerwGE 64, 274 (278 ff.). 23 Entscheidend kann deshalb in der Beurteilung des Telefonsex nicht die Einschränkung der freien Willensbestimmung durch die Orientierung der Dienstleistung an den Kundenwünschen sein. Dem Telefonsexanbieter ist bekannt, welchen vertraglichen Inhalt er zur Verfügung stellt und der Gesprächspartner im Laufe der Vertragsbeziehung abfordern wird. Hierauf läßt sich der Telefonsexpartner durch den Vertragsschluß ebenso freiwillig ein wie jeder sonst um seinen Erwerbsunterhalt bemühte Dienstleister. Überzeugender ist es deshalb die Vertragsnichtigkeit allein mit der Sittenwidrigkeit des vertraglich Vereinbarten zu begründen. Entsprechend hat das das BVerwG die zunächst mit der Objektformel erfolgte Begründung der Sittenwidrigkeit der Peep-Show (s. o. Fn. 20) aufgegeben und allein auf die Vermarktung des Intimbereichs abgestellt, vgl. BVerwGE 84, 314 (317 ff.); siehe aber auch BVerwG GewArch 1996, S. 19 (21). 24 BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Stichwort Abhängigkeit; MünchArbR-Rickardi, § 23 Rn. 12 ff.; kritisch zu dem Begriff der persönlichen Abhängigkeit Zöllner / Loritz, 1998, § 4 III. 5. , S. 45 f.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
stellt selbst zutreffend fest: „Allgemeine Formeln, wie die, der Mensch dürfe nicht zum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, können lediglich die Richtung andeuten, in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden werden können. Der Mensch ist nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, insofern er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich fügen muß. Eine Verletzung der Menschenwürde kann darin nicht gefunden werden.“26 Das BVerfG hat deshalb in seiner Abhörentscheidung die Objektformel im Sinne einer Behandlung zu präzisieren gesucht, welche die menschliche „Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt, oder daß in der Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Mißachtung der Würde des Menschen liegt. Die Behandlung [ . . . ] muß also Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, also in diesem Sinne eine ,verächtliche‘ Behandlung sein.“27 Offensichtlich gibt es danach eine willkürfreie und eine willkürliche Verletzung der Menschenwürde, abhängig von der Einstellung. Nur läßt sich bei staatlichen Gewalten eine Einstellung kaum feststellen. Auch die Konkretisierung mit der Verächtlichkeit der Behandlung leidet an dieser intentionalen Orientierung. In neueren Entscheidungen finden sich diese Einschränkungen nicht mehr. Mit dem damaligen Sondervotum zur Abhörentscheidung kann die Entscheidung über den Verstoß gegen die Menschenwürde von Folter, Sklaverei u. ä. nicht von einer Mißachtungsabsicht abhängig gemacht werden.28 Weder die willkürfreie Mißachtung noch die „gute Absicht“ bewahren vor Menschenwürdeverletzungen. Obschon die beschränkte Eignung der Objektformel selbst wie auch ihre subjektiven Ergänzungen zur Konkretisierung weitgehend eingestanden werden,29 wird 25 Ähnlich Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (360). Gleiche Schwierigkeiten bereitet es, wenn das Verbot der Objektbehandlung des Mitmenschen als Instrumentalisierungsverbot verstanden wird. Ein ehrgeiziger Arzt, der seinen Patienten einzig zu dem Zweck erfolgreich operiert, berühmt zu werden, instrumentalisiert seinen Patienten, verletzt aber nicht dessen Würde, siehe zu diesem Beispiel Hilgendorf, 2001, S. 1147 (1154 u. Fn. 28). Vgl. auch Maio, ZEE 2001, S. 135 (144): „Wollte man jede Instrumentalisierung als Angriff auf den Kern persönlicher Schutzrechte bewerten, dann wäre eine soziale Interaktion unter den Menschen gar nicht möglich, denn soziale Rollen sind unvermeidbar mit wechselseitigen Instrumentalisierungen verbunden, die stillschweigend toleriert oder gar akzeptiert werden.“ Im übrigen gibt es auch Verletzungen der Menschenwürde ohne Instrumentalisierungen, wenn z. B. ein Völkermord allein zu dem Zweck der Vernichtung ohne weitergehende (End-)Zwecke betrieben wird, siehe Hilgendorf, a. a. O., Fn. 27. 26 BVerfGE 30, 1 (25 f.). 27 BVerfGE 30, 1 (26). 28 BVerfGE 30, 1 (39 f.). Siehe auch Geddert-Steinacher, 1990, S. 45 ff.; Häberle, JZ 1971, S. 145 (145 ff.); Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (360); Schlink, Staat 12 (1973), S. 85 ff. 29 Anders dagegen die Auffassung von Geddert-Steinacher, 1990, S. 30 u. 58, die in der Objektformel auch einen materialen Maßstab des Rechts erkennt. Die von ihr angegebenen materialen Momente wie die Begründung der Würde des Menschen in seiner Autonomie (Selbstbestimmung, Verantwortung, Personalität) sind allerdings ebenfalls in besonderer
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die Notwendigkeit einer inhaltlichen Ergänzung der Objektformel oder Begründung der Menschenwürde vielfach nicht verlangt.30 Von dieser Seite beläßt man es bei der Nachzeichnung allgemein oder bereits vom BVerfG anerkannter Gewährleistungen der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes in die drei Gruppen (1) der Sicherung des Existenzminimums, (2) des Verbots der Verletzung der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Menschen sowie (3) des Schutzes der körperlichen und seelischen Identität und Integrität.31 Damit sind allerdings mehr die vordringlichen Sachbereiche einer möglichen Menschenwürdeverletzung angegeben; allein hieraus ergibt sich kein Maßstab zur Feststellung ihrer Verletzung in neuen Fallkonstellationen oder gar Sachbereichen.32 Die Objektformel ist dann nur ein Merkposten,33 eine den Weg weisende Aussage.34 In der weiteren Argumentation muß dann ausgeführt werden, vor welchen im Rechtsleben vorkommenden verobjektivierenden Tendenzen Art. 1 I GG Schutz gewährt.35 Es wird dann unmittelbar in Ansehung des konkreten Falles zwischen zulässiger und nicht zulässiger Objektivierung wertend entschieden. Die beispielhafte Beschreibung vom Verletzungsvorgang, kann von ihrem Ansatz her auch nur auf eine Nachzeichnung und Übersicht der getroffenen Entscheidungen hinauslaufen. Sie liefert wegen der Unbestimmtheit der Objektformel selbst kein Kriterium der Entscheidungslenkung. Das bestätigt allerdings, daß der Sache nach die Richtigkeit der kasuistisch gefundenen Resultate nur in einer positiven Formulierung der Menschenwürde ihren Grund finden kann. Erst darin würden die dem Einzelfall zugrundegelegten Vorstellungen von der Menschenwürde im Rahmen der grundgesetzlichen Garantie zusammengehalten.36
Weise abstrakt und vermögen gerade nicht anzugeben, welche Selbstverwirklichungen der Staat einschränken darf. 30 Siehe z. B. Höfling, JuS 1995, S. 857 (859); v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 22 . 31 Vgl. Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 361; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 36; Badura, JZ 1964, S. 337 (341 f.); Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 19 ff. 32 Nach Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 358, zeigt der Umstand, daß trotz fehlender Übereinstimmung über den positiven Gehalt der Menschenwürde die Orientierung an der unbestimmten negativen Umschreibung vielfach zu Einigkeit führt, eine „soziologisch[e] Funktion der Menschenwürdeverbürgung als Tabugrenze [ . . . ]: Unsere Gesellschaft ist sich, ohne dies jeweils hinterfragen zu wollen und allgemein begründen zu können, eben darin einig, daß gewisse Weisen des Umgangs der öffentlichen Gewalt mit dem Menschen schlechterdings unerträglich sind.“ Das ist in der Beschreibung weitgehend zutreffend, vermag jedoch Konflikte nicht aufzulösen, wenn wie bei der aktiven Sterbehilfe die Auffassungen über die Tabuwürdigkeit auseinandergehen. Hier muß nicht nur entschieden werden, ob und inwieweit der Menschenwürdeartikel einschlägig ist, sondern auch eine Begründung erfolgen. 33 Siehe v. Münch / Kunig-Kunig, Art 1 GG Rn. 23. 34 BVerfGE 30, 1 (25). 35 Siehe v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 23. 36 So auch Enders, 1997, S. 21; Lorenz, ZfL 2001, S. 38 (41).
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II. Notwendigkeit einer „positiven Bestimmung“ von Menschenwürde und rechtsphilosophischen Erörterung Wird deshalb eine Ergänzung der Objektformel durch positive inhaltliche Bestimmungen über das, was die Würde ausmacht, gesucht, so lassen sich nach der von Hofmann37 getroffenen Unterscheidung zwischen Wert- oder Mitgifttheorien und Leistungstheorien und der von ihm eingeführten kommunikativen Interpretation im wesentlichen drei verschiedene Ansätze ausmachen:38 Die klassischen Wert- oder Mitgifttheorien39 verstehen unter Würde eine bestimmte menschliche Eigenschaft, eine den Menschen auszeichnende Qualität. Sie haben ihren ideengeschichtlichen Hintergrund im Begriff der Gottebenbildlichkeit im Christentum (s. u. III. 1. a u. 2. b) und in der materialen Wertethik Schelers.40 Zu den Mitgifttheorien wird auch die naturrechtlich-idealistische Variante einer Begründung der besonderen Qualität des Menschen mit der menschlichen Vernunft gezählt, die vor allem auf Kant Bezug nimmt.41 Diese Zuordnung Kants zu den Werttheorien entspricht zwar seiner Rezeption im juristischen Schrifttum, sie ist allerdings geeignet, die wesentliche Abgrenzung zu übersehen, die Kants Formulierung der Menschenwürde gegenüber den wertorientierten Begrifflichkeiten leistet. Die Menschenwürde beruht bei Kant nicht auf einer dem Menschen zukommenden Eigenschaft, sondern wird transzendental als normative Achtungspflicht begründet. Ihre Begründung ist damit kategorial anderer Art als in der Wertethik. Denn die Achtung der Menschenwürde ergibt sich für Kant nicht aus einem Wertbegriff über den Menschen, sondern umgekehrt verlangt der kategorische Imperativ eine besondere Achtung des Menschen.42 Diesen Unterschied empfiehlt es sich allein deshalb zu beachten, weil die Objektformel wie ein Prinzip formuliert ist. Anhaltspunkte für eine weitere Aufhellung dieser Formel sollten deshalb primär in Kants eigenem Ansatz gesucht werden, ohne seine eigentliche Pointe durch eine vorschnelle Wertinterpretation zu verfehlen. Auf Kants spezifischen Ansatz wird deshalb zur weiteren Klärung des Gehalts der Objektformel eingegangen werden. Im Gegensatz zu den Formulierungen der Menschenwürde als unverlierbarer Eigenwert des Menschen steht die Leistungstheorie. Nach der Leistungstheorie Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353(357, 364 ff.). Die von Kloepfer, 2001, S. 77 (82) vorgeschlagene Zusammenschau aller drei Ansätze dürfte allerdings weniger erhellend als vielmehr verwirrend sein. 39 Zur Unterscheidung zwischen Mitgift- und Leistungstheorien siehe Hofmann nachfolgend auch Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 41; ders., DÖV 1995, S. 1036 (1038 f.); Gröschner, 1995, S. 33; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 354 f. 40 Hierzu siehe Geddert-Steinacher, 1990, S. 115 f. m. w. N. 41 Siehe z. B. Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 41; Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (358); Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 354. 42 Die genauere Begründung und der Zusammenhang mit dem Reich der Zwecke s. u. III. 1. b). 37 38
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beruht die Menschenwürde nicht auf etwas, was der Mensch immer schon ist, sondern wird erst in einem gelingenden Prozeß der Identitätsbildung und Selbstdarstellung gewonnen (s. u. IV. b). Als dritter Ansatz wird nunmehr die Funktion des Menschenwürdeartikel als Staatsfundamentalnorm stärker hervorgehoben. Dabei wird eine kommunikative Interpretation der Menschenwürde in ihrer Funktion als Staatsfundamentalnorm als Relationsbegriff im Gegensatz zu substantiellen Interpretationen entwickelt.43 Da die Verfassung nicht der Ort ist, um einer philosophischen Vorliebe über den Artikel 1 Abs. 1 GG zur absoluten Verbindlichkeit gegenüber der Allgemeinheit zu verhelfen, verdient die skeptische Haltung gegenüber voreiligen Anleihen an die Ideengeschichte durchaus Zustimmung.44 Entgegen der gelegentlich in neueren Kommentierungen zu Art. 1 Abs. I GG anzutreffenden geradezu abstinenten Haltung gegenüber der Ideengeschichte, soll vorliegend der geistesgeschichtliche Hintergrund des Würdebegriffs nicht ausgeblendet werden.45 Ganz im Gegenteil wird vorliegend eine kritische Würdigung der explizit oder implizit erfolgenden Anleihen an in der Philosophiegeschichte erprobte Formulierungen der Menschenwürde bei der verfassungsrechtlichen Interpretation dieses Rechtssatzes versucht.46 Dabei gilt es zunächst die Implikationen bestimmter Ansätze vor ihrem geistesgeschichtlichen Hintergrund kritisch herauszustellen, um sie dann jeweils in einem zweiten Schritt einer explizit verfassungsrechtlichen Würdigung zu unterziehen. Ziel dieser Vorgehensweise ist es, die in dem Begriff der Menschenwürde tradierten und damit auch der Verfassungsinterpretation zumindest immer auch unausgesprochen zugrundeliegenden Annahmen sichtbar zu machen, um so über die Klärung der Positionen, die Diskussion der jeweiligen Auffassungen offen führen zu können. Gerade bei der Würdigung der aktiven Sterbehilfe ist diese tiefergehende Analyse 43 Betrachtet man die verschiedenen Hauptrichtungen, ließe sich auch eine Einteilung der Formulierungen der Menschenwürde anhand der drei Paradigmen von Ontologie, Bewußtseinsphilosophie und Sprachphilosophie vornehmen. Siehe zu der Einteilung der Philosophiegeschichte in diese drei Paradigmen Schnädelbach, 1994, S. 37 ff.; Apel, 1993, S. 41(54 ff.); siehe auch Hösle, 1990, S. 205 ff. Dem ersten Paradagima der Ontologie würde die substantielle Formulierung der Menschenwürde in den Mitgifttheorien entsprechen. Das bewußtseinsphilosophische Paradigma hätte mit der Abwendung von einer ontologischen Fundierung oder einer Einordnung des Menschen in einen übergreifenden Ordo bei Pico della Mirandola seinen Ausgangspunkt in einer solipsistisch formulierten „Freiheit von“ und bei Kant in einer sittlich bestimmten „Freiheit zu“ seinen profilierten Ausdruck gefunden. Im dritten Paradigma könnte dann die kommunikativ formulierte Leistungstheorie von Luhmann angesiedelt werden, die allerdings einerseits die staatsfundamentale Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG zu wenig beachtet und andererseits noch weiterer Klärungen der kommunikativen Fassung der Menschenwürde bedürfte (s. u. VII.). 44 Siehe v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 19 ff.; BK-Zippelius, Art. 1 Rn. 10. 45 Siehe z. B. v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 19 ff.; Sachs-Höfling, Art. 1 passim; bewußt anders v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 3 ff. 46 Genauere Untersuchungen zeigen im übrigen, daß ein „rein juristischer Würdebegriff“ von keiner Seite eingebracht wird und wohl auch kaum mit Inhalt formuliert werden könnte, siehe Vögele, 2000, S. 299 ff. u. 351.
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erforderlich, weil einerseits am Begriff der Menschenwürde das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Würdigung bereits entscheidend vorbestimmt wird und andererseits sich gerade dieser Verfassungsartikel dazu eignet, die eigene ethische Haltung zu dieser Grundsatzfrage suggestiv und kurzschlüssig in die Verfassungsinterpretation einzuschleusen.
III. Mitgifttheorie (Christentum und Kant) Die Würde des Menschen im Sinne der Mitgifttheorie als gottgegebenen oder in der Vernunftnatur des Menschen begründeten überragenden Wert aufzufassen, war die zunächst vorherrschende Interpretation dieses Grundgesetzartikels.47 Sie entsprach damit auch den vornehmlich geäußerten Auffassungen im Parlamentarischen Rat.48 Ihren klassischen Ausdruck findet sie bei Nipperdey, der die Würde als „den Eigenwert und die Eigenständigkeit, die Wesenheit, die Natur des Menschen schlechthin“ definiert.49 Und weiter ausführt: „Das Wesen des Menschen besteht in der Freiheit der Entscheidung.“50 Ähnlich sieht Dürig die Menschenwürde in einer Seinsgegebenheit begründet, die er in der Geistnatur des Menschen ausmacht.51 Für die Mitgifttheorien bezeichnend scheint danach eine Begründung der menschlichen Würde mit bestimmten, den Menschen auszeichnenden Eigenschaften zu sein. Innerhalb der Mitgifttheorie muß zwischen einer statischen und einer dynamischen Dimension unterschieden werden. Auf der zunächst statischen Betrachtungsweise wird jedem Menschen ein aus der Sach- und Tierwelt herausragender Wert und damit Würde zugeschrieben. Weder Kant noch die christliche Gottebenbildlichkeitsvorstellung bleiben bei dieser Betrachtungsweise stehen; vielmehr besitzen sie eine dynamische Dimension, welche die Menschenwürde mit einem dieser Würde entsprechenden Verhalten inhaltlich präzisiert.
1. Protologische / statische Interpretation Zunächst zu der statischen Dimension der ideengeschichtlichen Wurzeln der Mitgifttheorien in ihren zwei grundsätzlichen Varianten: der christlichen Basierung 47 Siehe Wertenbruch, 1960, Sp. 665 ff.; ders., 1958, S. 155 f., 160 u. 173 f.; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 1 ff., 17 ff.; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 10. 48 Siehe hierzu JöR, Bd. 1 (1951), S. 49 ff.; vgl. auch Stern, III / 1, § 58, S. 21. 49 Nipperdey, 1954, S. 1. 50 Nipperdey, 1954, S. 1. Weiter formuliert Nipperdey, a. a. O., S. 5, daß „die Würde des Menschen die idelle Substanz, das Wesen des Menschen ausmacht [ . . . ]“. 51 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 17 f.
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in der Gottebenbildlichkeit52 (s. u. a.) und der naturrechtlich-idealistischen Orientierung an der Vernunft des Menschen,53 seiner Fähigkeit zu freier Selbstbestimmung und sittlicher Autonomie (s. u. b.).54
a) Gottebenbildlichkeit im alttestamentlichen Kontext aa) Einführung in den Begriff der Gottebenbildlichkeit Wenn zur positiven Bestimmung des Begriffs der Menschenwürde auf seinen christlichen Hintergrund verwiesen wird, dann insbesondere unter Bezugnahme auf den Begriff der Gottebenbildlichkeit. 55 Allein dieser Verweis ist zur Klärung des Begriffs der Menschenwürde nicht hinreichend, da die Gottebenbildlichkeit in der Bibel selbst wie auch im Verlauf der abendländischen Geschichte der Theologie einen unterschiedlichen Inhalt erfahren hat56. Erst in neuerer Zeit wird theologisch auf die Menschenwürde zur Begründung der Menschenrechte verwiesen.57 Zu kurz gegriffen ist es, wenn zwischen der jüdisch-christlichen Gottebenbildlichkeitslehre und der Menschenwürde als Basis der Menschenrechte ein Ausschlußoder konträres Verhältnis angenommen wird.58 Ganz im Gegenteil kam mit der allen Menschen zugesprochenen Gottebenbildlichkeit eine Idee auf, die trotz ihrer Verdunkelung im Verlauf der abendländischen Geschichte den Hintergrund dafür bildete, daß sich im abendländischen Rechtskreis die Idee der Menschenrechte ent52 Vgl. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 14 Fn. 2; Lindemann, 1957, S. 37 (39 Fn. 36); v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck Art. 1 Rn. 4 f. 53 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig Art. 1 Rn. 18; vgl. auch Nipperdey, 1954, S. 1 ff.; Geddert-Steinacher, 1990, S. 32; Redeker, BayVBl. 1985, S. 73 (76). 54 Gottebenbildlichkeit und Vernunft müssen sich nicht ausschließen, sie werden vielmehr auch in der christlichen Tradition eng miteinander verknüpft, wenn z. B. nach Thomas von Aquin, Summe der Theologie I-II Prolog, die Vernunft zusammen mit dem freien Willen Inhalt der Gottebenbildlichkeit ist. Entgegen einem verbreiteten essentialistischen Mißverständnis des Neothomismus ist mit der neueren Forschung bei Thomas v. Aquin diese Vernunft nicht in einem statisch kosmotheologischen Weltbild entmündigt, sondern vereinbar mit der Autonomie eines sittlichen Subjekts, siehe hierzu: Honnefelder, 1992, S. 151 (174 ff.); Korff, 1973, S. 42 ff.; ders., 1991, S. 439 (445 ff.); Kluxen, 1980, passim; Merks, 1990, S. 28 ff.; Böckle, 1991, S. 85 ff. u. 249 ff. Die Teilhabe der Vernunft an der lex aeterna (Weltgesetz) geht bei Thomas entgegen der Neuscholastik nicht in einer schlichten Anerkennung und Nachfolge einer feststehenden Naturteleologie auf (,secundam naturam vivere‘), sondern wird umgeformt zum ,secundum rationem esse vivendum‘ einer in der konkreten Lebens- und Rechtspraxis sich entfaltenden geschichtlichen Vernunft. Zu dieser Unterscheidung siehe Böckle, a. a. O., S. 246 ff. Der Mensch nimmt aktiv an der gesetzgeberischen Vernunft teil. 55 Messner, 1974, S. 221 (227); v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 4. 56 Übersicht siehe bei Seibel, 1967, S. 806 ff.; Schulze, 1979, S. 76. 57 Kasper, 1991, S. 45 (53); Waldschütz, 1978, S. 394 ff.; Moltmann, 1979, S. 13 (19 ff.); siehe auch die Übersicht bei Huber / Tödt, 1977; W. Huber, 1992, S. 577 ff. 58 So aber Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 5 ff.
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wickeln konnte. Zwar kann diese Entwicklung hier nicht nachgezeichnet werden,59 möglich ist vorliegend dagegen eine genauere Analyse der Gottebenbildlichkeitslehre. Dabei fällt zunächst auf, daß im Alten Testament wie auch im Neuen Testament von der Gottebenbildlichkeit die Rede ist, aber offensichtlich mit einer unterschiedlichen Bedeutung; im Neuen Testament wird die Gottebenbildlichkeit vornehmlich auf Christus bezogen (s. u. 2. a), wogegen sie im Alten Testament ausdrücklich dem Menschen generell zugesprochen wird.60 Während im Alten Testament die Erschaffung des Menschen zum Ebenbild Gottes im Schöpfungsbericht eine „protologische“ Setzung darstellt, ist sie im Neuen Testament durch den Christusbezug in einen eschatologisch-soteriologischen Horizont gesetzt.61 Das darin zum Vorschein kommende Spannungsverhältnis hat(te) auch zwischen den Konfessionen in einer unterschiedlichen und spezifisch konfessionell gebundenen Auslegung der Gottebenbildlichkeit Ausdruck gefunden: Während im römisch-katholischen Kontext zwischen einer natürlichen, allen Menschen wesenhaft-konstitutiv zukommenden, und einer übernatürlichen, durch die Erbsünde verlorengegangenen und nur durch die Gnade in Christus wiederherstellbaren Gottebenbildlichkeit unterschieden wurde, sah sich Luther genötigt, die Gottebenbildlichkeit des Menschen durch die Erbsünde für gänzlich verlustig gegangen anzusehen.62 Beide Konfessionen nähern sich nunmehr einander an, wenn von römisch-katholischer Seite die ontologische Beschreibung der Gottebenbildlichkeit als Wesenseigenschaft des Menschen zwar nicht aufgegeben wird, aber doch hinter der funktionalen Bestimmung der Gottebenbildlichkeit als unverlierbare Gottesbeziehung zurücktritt63 und auf protestantischer Seite die Rede von einem Verlust einer onto59 Siehe allgemein zu den säkularisierten Werten des Christentums: Horster, 1995, S. 140 ff. 60 Vollenweider, 1998, S. 123 (125 f.). 61 Vollenweider, 1998, S. 123 (126). 62 Im Hintergrund dieses Streits stand auch eine exegetische Auseinandersetzung: Ausgangspunkt von Irenäus und Augustinus war die Vorstellung von der vollkommenen Schöpfung und dem vollkommenen Urzustand des Menschen (Adam), der erst duch den Sündenfall seine ursprüngliche Vollkommenheit verloren hat, hierzu siehe Trillhaas, 1980, S. 178 ff. Zur Verknüpfung der Urstandslehre mit der Gottebenbildlichkeit bot die biblische Darstellung dieses Sachverhalts die zwei Begriffe „säläm“ (Bild, imago, eikon) und „dmut“ (Ähnlichkeit, similitudo, homoiosis) an (vgl. Gen 1,26: „Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich.“). Mit dem Patristen Irenäus wurde deshalb weitgehend auch in der Scholastik unterschieden zwischen der Gottebenbildlichkeit (imago dei) als zuständlich bleibendem Charakteristikum des Menschen und der daneben im Urstand gegebenen Gottähnlichkeit (similitudo) als aktueller Gottverbundenheit, die als Urstandsgnade noch hinzukommt, siehe Seibel, 1967, S. 806 (808 ff.). Die similitudo ist nach Irenäus’ Auffassung durch den Sündenfall Adams verloren gegangen, während die Gottebenbildlichkeit als Eigenschaft der menschlichen Natur bestehen blieb. Nach mittlerweile nahezu einhelliger exegetischer Überzeugung ist diese Unterscheidung von den Begriffen imago und similitudo her nicht gerechtfertigt, siehe Groß, BN 68 (1993), S. 35(38 ff. m. w. N.). 63 Böckle / Höver, 1991, S. 349 (354 ff.); Langemeyer, 1991, S. 220 (221). Siehe auch Seibel, 1967, S. 806 (816); der trotz der Betonung des relationalen Verständnisses der Gott-
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logisch verstandenen Gottebenbildlichkeit ihren Sinn verliert, da der alt- und neutestamentalische Sinn der Gottebenbildlichkeit vornehmlich in einem dauerhaften relationalen (und damit nicht durch die Erbsünde verlustig gegangenen) Sinn verstanden werden kann.64 Was unter einem relationalen Verständnis der Gottebenbildlichkeit zu verstehen ist, soll im folgenden erhellt werden. bb) Alttestamentalischer Begriff der Gottebenbildlichkeit Dabei ist zunächst der Begriff der Gottebenbildlichkeit aufzuzeigen, wie er sich nach neueren exegetischen Untersuchungen im Alten Testament darstellt. Der alttestamentalische, schöpfungstheologische Kontext der Gottebenbildlichkeit dürfte der Mitgifttheorie auch näher liegen, da in ihm die Gottebenbildlichkeit anders als im Neuen Testament unmißverständlich auf alle Menschen bezogen wird.65 Trotz der wenigen Stellen ist die Bedeutung der Gottebenbildlichkeit für die alttestamentalische Anthropologie eminent. Ausdrückliche Erwähnung findet sie in den ersten Kapiteln der Priesterschrift (Gen. 1, 26 f.; 5,1; 9,6) und an zwei Stellen der Weisheitsbücher (Weish. 2, 23; Sir. 17, 3). Die grundlegende Stelle ist Gen. 1, 26 f.: „Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die [ . . . ] ganze Erde [ . . . ]. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht [ . . . ] [über alle Tiere und Pflanzen – J.A.]“66. In Gen. 9,6 wird die Gottebenbildlichkeit explizit als Begründung des Lebensrechts angeführt: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut wird durch Menschen vergossen. Denn: Als Abbild Gottes hat er den Menschen gemacht.“ Mit ihrem Eintrag in den Schöpfungsbericht und der Wiederholung im Noah-Bund, in dem die Weltschöpfung trotz der sündigen Situation vor der Sintflut im Herrschafts- und Vermehrungsauftrag an Noah wiederholt bzw. bestätigt wird, ist die Gottebenbildlichkeit in der alttestamentalischen Perspektive eine anthropologische Grundkonstante.67 ebenbildlichkeit als unaufgebbares Gottesverhältnis ein „ontisches Substrat in der Person“ annimmt; aus protestantischer Sicht ähnlich Pannenberg, 1991, S. 232 ff. u. 261 f. 64 Siehe Vollenweider, 1998, S. 123 (138 f.); W. H. Schmidt, 1996, S. 263 ff.; Härle, 1995, S. 435 f.; Groß, BN 68 (1993), S. 35(47 f.); Link, 1998, S. 147 (152 ff.); Anselm, ZEE 1999, S. 123 (132 ff.); Ebeling, 1979, S. 414; Huber / Tödt, 1977, S. 189 f.; Zimmermann-Acklin, 1997, S. 182 f.; Barth, KD III / 1, S. 206 f. 65 Im Neuen Testament beziehen sich nur zwei Stellen auf den natürlichen Menschen (Jak 3,9; 1 Kor 11,7), wobei Paulus hier sogar eine Einschränkung der Gottebenbildlichkeit auf den Mann (1. Kor. 11,7) vornimmt. Die auf Christus bezogenen Stellen stehen in der Gefahr die Gottebenbildlichkeit nicht allen Menschen, sondern nur den konkret Glaubenden zuzusprechen, siehe hierzu Vollenweider, 1998, S. 123 (138 ff.). 66 Bibelstellen sind nach der Einheitsübersetzung zitiert.
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Die in der Theologiegeschichte dominierende und immer noch anzutreffende Position versteht die Gottebenbildlichkeit als eine den Menschen auszeichnende Qualität. Kirchengeschichtlich vorherrschend war dabei die Auffassung, daß sie in der Vernunftbegabung des Menschen oder seinem Geist ihre Wurzel hat;68 andere erkannten sie in dem aufrechten Gang des Menschen, seiner Gestalt und Aussehen oder dem Subjektsein69 als der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen.70 Durchgesetzt hat sich in der theologischen Forschung nunmehr allerdings, daß die Gottebenbildlichkeit ihren Ausdruck gerade nicht in einzelnen Eigenschaften oder Fähigkeiten des Menschen findet.71 Während römisch-katholischerseits in der Regel zwar noch an einem ontologischen Moment festgehalten wird72 und nach den neueren protestantischen Positionen die Gottebenbildlichkeit gerade kein wie immer beschreibbarer Habitus oder ontologische Ausstattung des Menschen ist,73 so treffen sich beide Positionen darin, daß die Gottebenbildlichkeit in ihrem Kern relational zu verstehen ist und das Beziehungsverhältnis des Menschen zu Gott, aber auch zu den Mitmenschen und zur Schöpfung betrifft.74 Für das Alte Testament ergibt sich dies aus folgendem: Da die Gottebenbildlichkeit nach dem alttestamentalischen Verständnis dem ganzen Menschen gilt,75 kann der alttestamentalische Gehalt der Würde des Menschen nicht in einer personalen 67 Seibel, 1967, S. 806 (807). Vgl. auch Vgl. Gen 5, 1: „Das ist die Liste der Geschlechterfolge nach Adam: Am Tag, da Gott den Menschen erschuf, machte er ihn Gott ähnlich.“ Weish 2, 23: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit geschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht.“ Sir 17, 3 f.: „Ihm selbst ähnlich hat er sie mit Kraft bekleidet / und sie nach seinem Abbild erschaffen. / Auf aller Wesen legte er die Furcht vor ihnen, / über Tiere und Vögel sollten sie herrschen.“ 68 Thomas v. Aquin, Summa Theologia, I-II Prolog u. I, 93,4. U. I, 93, 6. 69 Brunner, 1958, S. 21 ff. 70 Siehe die Übersicht bei Pannenberg, 1991, S. 218 ff. 71 Siehe Fn. 63 u. 64; W. H. Schmidt, 1996, S. 263 ff.; Zimmermann-Acklin, 1997, S. 182. 72 Das ontologische Moment basiert dabei nicht auf konkreten Eigenschaften des Menschen, sondern dem Menschen kommt als Schöpfung Gottes ein intrinsischer Wert zu; vgl. Fn. 63. Diesem Verständnis nähert sich auch die protestantische Seite an, unterstützt durch die alttestamentliche Forschung – ist doch der alttestamentlichen Anthropologie das griechische Weltbild einer Trennung oder Isolierung des Körperlichen vom Geistigen fremd. Die Gottebenbildlichkeit ist deshalb eine Aussage über den „ganzen Menschen“: Die Gottebenbildlichkeit äußert sich deshalb nicht in besonderen Wesens- oder artspezifischen Gattungsmerkmalen, sie kommt der leib-seelischen Ganzheit des Menschen zu; vgl. W. H. Schmidt, 1996, S. 264; Zimmermann-Acklin, 1997, S. 182. 73 s. o. Fn. 64. Sie beschreibt nicht etwas am Menschen. 74 s. o. Fn. 63 u. 64. Aus diesem Grund ist die Gottebenbildlichkeit in Gen 1, 26 f. entgegen Enders, 1997, S. 177, gerade keine „naturhafte, wesensmäßige Bestimmung der imago dei“. Enders zieht deshalb m.E. auch die nicht zutreffende Schlußfolgerung, wenn er die Gottebenbildlichkeit unter Verweis auf Gen 3,22 als die Fähigkeit zwischen gut und böse zu unterscheiden ansieht. Damit wird die Begründung einer jeden Menschen individuell zukommenden Würde in den Grenzbereichen des Lebens wieder zweifelhaft, da hierzu z. B. komatöse Patienten nicht mehr in der Lage sind. 75 Vgl. Ps. 8, 6; Seibel, 1967, S. 806 (807); Trillhaas, 1980, S. 212; s. o. Fn. 72.
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oder vernunftbezogenen Wesensbestimmung des Menschen liegen.76 Vielmehr steht die Teilhabe an der Herrschaft und den Hoheitsrechten Gottes in der Welt im Vordergrund.77 Die Herrschaftsfunktion der Gottebenbildlichkeit wird neben dem Genesisauftrag78 auf Ps. 8 zurückgeführt.79 Beachtlich ist dabei, daß sich beide Stellen gegen die Anthropologie der Umwelt Israels stellen, welche die Menschen als Sklaven der Götter definiert und lediglich den König als Abbild der Gottheit aus der Masse der Göttersklaven heraushebt.80 Als Bild der Gottheit vertritt der König Gott in der Welt, ist er dessen Repräsentant und wird dadurch in sein königliches Amt eingewiesen.81 Wird in Gen. 1,26 ff. und Ps. 8 die Gottesbildlichkeit auf alle Menschen übertragen, dann wird das Herrschaftsrecht auf den Menschen als Gattungswesen universalisiert – gewissermaßen demokratisiert82 –, und der Mensch nimmt an der königlichen Würde teil. Gottebenbildlichkeit bezieht sich damit nicht auf das geistige Wesen des Menschen, ist keine ontologische Auszeichnung, sondern die Einweisung in die Repräsentanz Gottes, in ein Amt und damit in seine Stellung in der Welt.83 Von einer Herrschaft des Menschen über den Menschen redet die Priesterschrift nicht, und im Kontext der Psalmen 3 – 14, in denen sich die Armen der Verfolgungen und Unterdrückung zum Trotz ihrer jedem zukommenden königlichen Würde vergewissern, ist eine Herrschaft des Menschen über den Menschen gerade nicht impliziert.84 Da alle Menschen als Repräsentanten angesprochen sind und somit der Herrschaftsauftrag zwar an alle Menschen ergeht, aber sich nur auf die nicht menschliche Schöpfung bezieht, enthält er auch das Moment der Gleichheit und der für niemanden verfügbaren Würde des Menschen.85 Bezeichnend für letzteres ist die explizite Begründung des Tötungsverbotes, d. h. der Unverfügbarkeit des Lebens des Mitmenschen, in Gen. 9,6. Menschenwürde im Sinne der Gottebenbildlichkeit zu interpretieren, spricht mithin für (1) eine allen Menschen zukommende Würde, (2) die Betonung der So z. B. Seibel, 1967, S. 806 (807); Trillhaas, 1980, S. 213. Link, 1998, S. 147 (152 ff.); Groß, BN 68 (1993), S. 35 (47 f.); Hossfeld / Zenger, 1993, Ps 8, S. 77. 78 Gen 1, 28: „Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht [ . . . ] über alle Tiere [ . . . ] .“ 79 Ps. 8, 5 ff.: „Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, / des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst? / Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, / hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. / Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände / hast ihm alles zu Füßen gelegt / [ . . . ]“. 80 Link, 1998, S. 147 (152 ff.); Groß, BN 68 (1993), S. 35 (47 f.); Hossfeld / Zenger, 1993, Ps 8, S. 77. 81 Link, 1998, S. 147 (153). 82 Link, 1998, S. 147 (152 ff.); Hossfeld / Zenger, 1977, Ps 8, S. 77; vgl. auch Kasper, 1991, S. 45 (49 f.). 83 W.H. Schmidt, 1996, S. 267. 84 Im Ergebnis ebenso: Hossfeld / Zenger, 1993, Ps. 8, S. 80; Kasper, 1991, S. 45 (49 f.); W. H. Schmidt, 1996, S. 268. 85 Moltmann, 1979, S. 13 (20 f.). 76 77
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Gleichheit der Menschen und (3) einen engen Zusammenhang von Menschenwürde und Leben.86 Ersteres kann konsistent begründet werden, weil die Würde des Menschen nicht an bestimmten Eigenschaften festgemacht wird. Diese Argumentation gerät damit nicht an ihre Grenzen, wenn sich Eigenschaften wie Vernunft und Geist, welche die Würde des Menschen begründen sollen, empirisch bei einzelnen Menschen (Ungeborenen, Sterbenden) nicht mehr feststellen lassen (vgl. unten c). Die gemeinhin im juristischen Schrifttum in der Mitgifttheorie rezipierte Gottebenbildlichkeit als eine den Menschen auszeichnende Qualität steht damit zumindest mit den neueren exegetischen Erkenntnissen der Theologie nicht mehr im Einklang, wenn sie einzelne menschliche Eigenschaften, die Grund der Würde sein sollen, konkret zu benennen sucht.87 Wesentlich stärker wird die Mitgifttheorie, wenn sie sich von diesen ontologischen Momenten löst und die Gottebenbildlichkeit als eine dem Menschen unabhängig von seinen menschlichen Fähigkeiten und Wesensmerkmalen von Gott her zugewiesene Repräsentanz (Amt) und damit besondere Würdestellung versteht.88 Trotzdem ist die Erklärung des Begriffs der Gottebenbildlichkeit bis hierhin noch unvollständig. Die für das Christentum und seine Dogmengeschichte entscheidende Erweiterung der Gottebenbildlichkeit durch die neutestamentalischen Aussagen steht noch aus. Soll sich der Begriff der Menschenwürde insbesondere aus dem christlichen Verständnis der Gottebenbildlichkeit ergeben, kann dieser Aspekt folglich nicht umgangen werden. Allein in alttestamentalischer Beziehung ist dem Begriff der Gottebenbildlichkeit zwar die von Gott zugewiesene Sonderstellung des Menschen eigen, doch droht in dieser Beschränkung statt des Bezuges zu Gott der Mensch zur Richtgröße zu werden.89 Die Würde des Menschen als eine Kontinuität des Menschseins verstanden scheint in sich zu ruhen; die besondere Bedeutung der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und Erlösung durch Christus bleibt noch unberücksichtigt. Letzteres eröffnet allerdings im Begriff der Gottebenbildlichkeit eine spezifisch christliche Dynamik, weshalb auf sie noch einzugehen ist (s. u. 2. a).
86 Aus vorstehendem ergibt sich auch, daß entgegen der Auffassung von Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 5 ff., der Begriff der Menschenwürde seine Wurzel im jüdisch-christlichen Begriff der Gottebenbildlichkeit hat. 87 So z. B. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 18: „Diese Seinsgegebenheit ,Menschenwürde‘ [ . . . ] besteht in folgendem: Jeder Mensch ist Mensch kraft seines Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten.“ 88 Hierfür auch im grundrechtlichen Kontext und von der Rechtfertigungslehre her plädierend Anselm, ZEE 1999, S. 123 (132 ff.). 89 Zutreffend Enders, 1997, S. 177.
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b) Kant substantiell aufgefaßt Da sich spezifisch religiöse Erklärungen der Menschenwürde dem Einwand einer unzulässigen Anleihe von für den säkularen Staat fremden Ideen ausgesetzt sehen, wird zur werthaften Begründung der Menschenwürde insbesondere auf Kant verwiesen.90 Das ist zunächst verwunderlich, da Kant die Ethik jenseits der klassisch-aristotelischen Wert- und Güterlehre begründen wollte.91 Nicht aufzufindende Werte, sondern unbedingt geltende Prinzipien, die unabhängig von aller Empirie Gültigkeit besitzen, wollte Kant als Maßstab des Gesollten nachweisen. Aus empirisch-kontingenter Erfahrung und der durch diese Erfahrung gewonnenen Kenntnis der menschlichen Natur92 lassen sich, so Kant, keine streng notwendigen und allgemeingültigen Gesetze entwickeln.93 Da die strenge Verbindlichkeit der Ethik einen Rückgang auf Neigungen und deren Gegenstände verbietet, gelangt Kant zum formalen Prinzip der Allgemeinheit, wie er ihm im kategorischen Imperativ Ausdruck gegeben hat (erste Formulierung): „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“94
Kategorisch und nicht bloß hypothetisch ist dieser Imperativ, weil er kein Mittel zum Zweck bzw. kein bedingtes Sollen ausdrückt,95 sondern eine Forderung der Vernunft ohne Rücksicht auf einen Zweck bzw. Materie des Willens zur Geltung bringt. Kant gelangt zu diesem formalen, aller Inhalte entleerten Sittengesetz in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, indem er von der Frage ausgeht, was uneingeschränkt gut sei. Hierzu bestimmt er den Willen als einzig uneingeschränkt Gutes – unter der Voraussetzung, daß dieser sich nicht der Neigung unterwirft, sondern aus Pflicht handelt. Da dieses Sollen weder der Neigung als heteronomer Natur noch der Offenbarung als heteronomer Transzendenz entspringt, sondern dasjenige ist, wodurch sich die Vernunft selbst lenken kann, wird sie, obschon Pflicht, Grund menschlicher Autonomie. Die Berufung auf Kant zur Belegung eines dem Menschen zukommenden inneren Wertes findet scheinbar ihren Anknüpfungspunkt in der auch für vorliegenden Exponiert z. B. Geddert-Steinacher, 1990, S. 31 ff. Zur Gegenüberstellung von Wertethik einerseits und Normenethik andererseits siehe grundsätzlich W. Kuhlmann, 1984, S. 495 ff. 92 Kant, 1968 (1785), AA IV, S. 385 (410). 93 Bezeichnend für seine Kritik an Wertethiken ist Kant,1788 , AA V, S. 1 (34): „Alle Materie praktischer Regeln beruht immer auf subjektiven Bedingungen, die ihr keine Allgemeinheit für vernünftige Wesen [ . . . ] verschaffen, und sie drehen sich insgesamt um das Prinzip der eigenen Glückseligkeit“. 94 Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (421). 95 Ein solcher hypothetischer Imperativ wäre z. B.: „Wenn du glücklich werden willst, dann mußt du tugendhaft leben.“ 90 91
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Zusammenhang maßgeblichen zweiten Formulierung des kategorischen Imperativs, der „Zweck-an-sich-Formel“, die auch Grundlage der bekannten Objektformel ist: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“96
Die erste Formulierung des kategorischen Imperativs füllt Kant mit einem im Unterschied zu allen äußeren Handlungszwecken unbedingten, allgemeingültigen Zweck an sich, dem Menschen. Der Mensch soll im Unterschied zu allen äußeren Handlungszwecken, die unter der Bedingung des Glücksstrebens stehen und von daher niemals allgemeingültig sind, unbedingter, allgemeingültiger Zweck-an-sich sein. Als Begründung Kants für diese Sonderstellung des Menschen läßt sich zunächst die Stellung des Menschen als Vernunftwesen anführen. Das zur Vernunft fähige Wesen ist nicht nur Objekt, sondern stets zugleich auch Subjekt der moralischen Gesetzgebung. Aus der Vernunft des Menschen entspringt das moralische Gesetz, so daß der Mensch in Ansehung der Naturgesetze frei ist.97 Er gehorcht nur den von ihm als Gesetz erkannten Maximen und nichts hat „einen Wert als den, welchen ihm das Gesetz bestimmt. Die Gesetzgebung selbst aber, die allen Wert bestimmt, muß eben darum Würde, d. i. unbedingten, unvergleichbaren Wert haben, für welchen das Wort Achtung allein den geziemenden Ausdruck der Schätzung abgibt, die ein vernünftiges Wesen über sie anzustellen hat. Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“98
Menschenwürde ist somit bei Kant in der Autonomie als der Fähigkeit begründet, unabhängig von der Natur Freiheit durch moralische Gesetzgebung zu erringen. Man würde allerdings die eigentliche Pointe des kantischen Ansatzes verfehlen, wollte man die postulierte Würde nunmehr im Sinne eines Eigenwerts zum Ausgangspunkt der geforderten Achtung nehmen. Damit würde entgegen der kantischen Intention ein Wert zum Ausgangspunkt des Gesollten genommen werden. Von daher ist auch Kants „Warnung“ zu verstehen, „daß man es sich ja nicht in den Sinn kommen lasse, die Realität dieses Prinzips aus der besonderen Eigenschaft der menschlichen Natur ableiten zu wollen. Denn Pflicht soll praktisch-unbedingte Notwendigkeit der Handlung sein; sie muß also für alle vernünftigen Wesen (auf Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (429). Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (435). 98 Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (436). Die bekannte andere Formulierung von Kant, a. a. O., S. 434 f., ist: „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“ Und weiter differenziert Kant: „Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis; [ . . . ] das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d.i einen Preis, sondern einen inneren Wert, d. i. Würde.“ 96 97
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die nur überall ein Imperativ treffen kann) gelten, und allein darum auch für allen menschlichen Willen ein Gesetz sein.“99 Der Inhalt der Achtungspflicht ergibt sich damit aus dem kategorischen Imperativ in seiner zweiten Formulierung und nicht aus dem Eigenwert des Menschen.100 Will man deshalb nach dem normativen Gehalt des kategorischen Imperativs fragen, muß sich die weitere Untersuchung am kategorischen Imperativ selbst orientieren (hierzu s. u. 2. b) und nicht an davon losgelösten Wertbegriffen.101 Die weitere Konsequenz aus Kants Abstraktion von allen menschlichen Eigenheiten besteht darin, daß bei ihm Würde nicht allein den Menschen, sondern allen Vernunftwesen als solchen zukommt.102 In dieser Abstraktion vom empirischen Menschen scheint nun nach Geddert-Steinacher die argumentative Stärke Kants zu liegen, wenn der Würdebegriff als transzendentales Prinzip apriori gültig ist und damit jedem Menschen, auch dem Geisteskranken, dem Kind oder dem Verbrecher, unabhängig von seiner Fähigkeit zur Autonomie zukommt.103 Durchaus zutreffend ist, daß Kant eine Achtungspflicht gegenüber allen Menschen kraft ihres Menschseins annimmt.104 Das beantwortet allerdings noch nicht die kritische Anfrage, ob Kant diese Wertzuweisung auf der Basis seines transzendentalphilosophischen Argumentationsgangs gelingt. Wie bereits ausgeführt, soll sich der Inhalt der Pflicht bzw. des kategorischen Imperativs bei Kant nicht aus der Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (425). Dies ergibt sich auch daraus, daß Kant vor dem Hintergrund seiner Unterscheidung zwischen homo noumenon und homo phainomenon keine Aussage über den wirklichen – empirischen – Menschen treffen will (s. u. Fn. 108) Zutreffend deshalb die Kritik von Fechner, JZ 1986, S. 653 (654): „Würde des Menschen im Sinne Kants ist keine ihm als Wesen der empirischen Welt von Natur aus zukommende Qualität.“ 101 Deshalb kann Geddert-Steinacher, 1990, S. 37, nicht darin gefolgt werden, daß für Kant letzter Maßstab die Autonomiebestimmung gewesen sein soll. Im Gegenteil sollte sich der Inhalt der Autonomie bei Kant aus dem kategorischen Imperativ selbst ergeben. Siehe Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (440): „Das Prinzip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen als so, daß die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien.“ 102 Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (428): „Nun sage ich: der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst [ . . . ].“ 103 Geddert-Steinacher, 1990, S. 34 f.; a.A. Stern, III / 1, § 58 I. 1. b, S. 8 f. 104 Kant, 1968 (1797), AA VI, S. 203 (463): „Nicht desto weniger kann ich selbst dem Lasterhaften als Menschen nicht alle Achtung versagen, die ihm wenigstens in der Qualität eines Menschen nicht entzogen werden kann, ob er zwar durch seine Tat sich derselben unwürdig macht.“ Daß Kant trotz der im zweiten kategorischen Imperativ gebotenen Achtung vor der Menschheit selbst – nicht des Menschen – die Würde über die Gattungseigenschaft der Menschheit auch jedem anderen Menschen unabhängig von seiner aktuellen Autonomie zuspricht, zeigt sich auch in seiner Begründung der Pflichtwidrigkeit des Selbstmordes, da hierdurch über den Menschen (nicht die Menschheit) in meiner Person unzulässig disponiert würde: Kant, 1968 (1785), S. 385 (429): „Der Mensch aber ist keine Sache, mithin nicht etwas, das bloß als Mittel gebraucht werden kann, sondern muß bei allen seinen Handlungen stets als Zweck an sich selbst betrachtet werden.“ 99
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menschlichen Natur ergeben. Vielmehr: „Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst.“105 Die Existenz der vernünftigen Wesen als Zweck an sich selbst ergibt sich daraus, daß die vernünftige Natur zur Gesetzgebung und damit Autonomie fähig ist, wogegen vernunftlose Wesen nur aus Neigungen leben und damit bloß relative Zwecke verfolgen. Die Zuschreibung eines Zweck an sich selbst kommt damit jedem zur Autonomie fähigen Wesen zu. Andererseits impliziert dieser Begründungsgang, daß Zweck an sich selbst nur vernünftige Wesen sein können. Warum sind nach Kant alle Menschen Vernunftwesen? Dies wird von Kant nicht belegt, sondern schlicht behauptet: „Nun sage ich: der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst [ . . . ].“106 Selbst wenn mit Kant die bloße Fähigkeit zur Autonomie ausreichend sein soll, um jemanden die Anerkennung als Zweck an sich selbst nicht zu versagen,107 so bleibt immer noch offen, warum nicht bloß der Gattung, sondern jedem Menschen diese Fähigkeit zukommt, wo diese Fähigkeit doch offensichtlich manchen Menschen fehlt.108 Gerade weil Kant nicht auf empirische Merkmale wie Gattungseinteilungen, sondern auf ein allen vernünftigen Wesen zukommendes objektives Vernunftprinzip verweist, kann ihm der Sprung von diesem Prinzip auf alle Menschen nicht gelingen, weil ohne Zweifel nicht alle menschlichen Wesen zu einer Vernunft im kantischen Sinne fähig sind.109 Einwenden ließe sich nun, daß Kant sich mit der Unterscheidung zwischen dem homo phaenomenon und dem homo noumeonon dieser Einsicht nicht zu stellen bräuchte. Dem empirischen Menschen, dem homo phaenomenon, können wir seine Autonomie niemals ansehen; aus dem Postulat der Vernunft oder der Moral müssen wir allerdings beim homo noumenon die Fähigkeit zur Autonomie unterstellen. Selbst wenn man diesen nonkognitivistischen Rückzug Kants aus der Wirklichkeit mittragen wollte, Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (429). Kant, 1968 (1785), AA IV.,S. 385 (428). Vgl. auch Kant, a. a. O., S. 429: „Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst. So stellt sich nothwendig der Mensch sein eigenes Dasein vor; so fern ist es also ein subjektives Prinzip menschlicher Handlungen.“ 107 s.o. Fn. 103. Vgl. auch Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (435): „Also ist Sittlichkeit und die Menschheit, sofern sie derselben fähig ist, dasjenige, was allein Würde hat.“ 108 Enders, 1997, S. 195 ff., weist zutreffend darauf hin, daß Kant vor dem Hintergrund seiner Unterscheidung zwischen dem in der phänomenalen Welt unfreien Menschen (homo phainomenon) und dem nur in der intelligiblen Welt einer idealen Subjekt-Welt freien Menschen (homo noumenon) – der nur deshalb notwendig frei gedacht werden muß, weil es anderenfalls keine Sittlichkeit geben würde –, kein Urteil darüber treffen kann, ob dem Menschen tatsächlich Freiheit und damit Würde zukommt. Im Gegenteil gerät Kant in einen Begründungzirkel, wenn er die Freiheit als Bedingung der Möglichkeit des Sittengesetzes begründet, das Sittengesetz aber als Faktum der reinen praktischen Vernunft voraussetzen muß, siehe zu dieser Kritik W. Kuhlmann, 1992, S. 28 ff. Kant setzt dann als Beweisgrund die Sittlichkeit voraus, obschon er deren Möglichkeit und Grenzen erst durch den transzendentalen Beweisgang darlegen wollte. 109 Im Ergebnis ebenso Schnoor, 1989, S. 55. Auf weitere Kritikpunkte an Kants transzendentalem Begründungsprogramm – solipsistische Fassung der Vernunft- braucht deshalb vorliegend nicht näher eingegangen zu werden, hierzu siehe W. Kuhlmann, 1992, passim. 105 106
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dann bliebe Kant uns doch die Antwort schuldig, warum nicht auch Tiere und Pflanzen Zweck an sich selbst sind.110 Wenn Kant dagegen menschliche Autonomie und menschliche Natur im Umfang als deckungsgleich ansieht, dann muß er eine substantielle Annahme unterstellen, die sich theoretisch nicht ausweisen läßt, weil doch die Einheit beider nach den Annahmen seiner theoretischen Vernunft nicht erkennbar ist.111 Ohne empirisch-substantielle Annahmen über den Menschen kann damit auch Kant der Sprung vom transzendentalen Prinzip auf den Umfang der realen Achtungssubjekte nicht gelingen. c) Potentialität der Autonomie Erweist sich damit der transzendentale Ansatz Kants gerade aufgrund seiner Abstraktion vom empirischen Menschen als nicht geeignet, eine allgemeine Würde des Menschen auszuweisen, so bleibt noch zu prüfen, ob dem die übliche Argumentation mit der Potentialität gerecht wird. Für die Erörterung der Potentialitätsargumente kann vorliegend dahinstehen, auf welcher spezifisch menschlichen Eigenschaft die den Menschen auszeichnende Würde beruhen soll. Unabhängig davon, ob diese sich aus der Vernunft, der Sprachfähigkeit, dem aufrechten Gang, der Freiheitsfähigkeit, Autonomie, Personhaftigkeit u. ä. ergeben soll, immer lassen sich Zustände menschlicher Existenz aufweisen, denen es gerade an diesen, angeblich den Menschen auszeichnenden Fähigkeiten gebricht.112 Hierauf soll es nach den Vertretern der Mitgifttheorie nicht ankommen, weil allein die im menschlichen Sein angelegten Möglichkeiten genügten, um Würde zu begründen.113 Allerdings ist auch unter dieser Einschränkung auf das Gegebensein späterer Fähigkeiten, unabhängig von ihrer Nutzung, die Potentialität nicht in allen Fällen ausreichendes Argument einer universalen Würde. Schwer geistesgestörte Säuglinge haben an dieser Potentialität zu Vernunft und Freiheit nicht mehr Anteil als vielleicht normale Schimpansensäuglinge, was zunächst gegen eine besondere Würde des Menschen gegenüber den Tieren spräche. Sie besitzen allerdings im Gegensatz zu den Affen eine „Potentialität zweiter Stufe“114, d. h. eine Potentialität, Potentialitäten zu haben. Der gehirngeschädigte Säugling könnte die Potentialität gehabt haben, ein personales Wesen zu werden, wogegen dies beim 110 Man könnte auch umgekehrt einwenden, daß Kants Menschheit dann ja auch gar nicht in der Lage wäre, bei Engeln und Marsmenschen die Autonomiefähigkeit zu erkennen. 111 So zutreffend Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 161 (199). 112 Die Lösung ergibt sich auch nicht über den Peronbegriff. Soll der schillernde Begriff der Person etwas spezifisch Menschliches auszeichnen, muß mit ihm eine besondere menschliche Eigenschaft gemeint sein. 113 v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 17; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 19 f.; ebenso BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (252). 114 Skirbekk, DZPhil 1995, S. 419 (425).
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Schimpansen nicht gegeben ist. Damit wechselt aber die Argumentation von der realen Potentialität eines Individuums zur Betrachtung der Potentialitäten der Gattung, der das Individuum angehört.115 Die Argumentation mit den potentiellen Fähigkeiten erweist sich damit als eine Argumentation mit den Fähigkeiten der Gattung.116 Das steht im Widerspruch zu der gerade von der Mitgifttheorie erhobenen Forderung,117 daß die Menschenwürde nicht bloß eine Eigenschaft der Menschheit zum Ausdruck bringt, sondern der konkrete einzelne Mensch Schutzobjekt sein soll.118 Zudem wechselt damit das Argument von der Potentialität zum Speziezismus, der zur Begründung der Menschenwürde allein auf die Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung abstellt.119 Das allein reicht allerdings nicht aus, da die biologische Gattungseinteilung selbst noch kein Argument ihrer Würde gibt.120 Skirbekk, DZPhil 1995, S. 419 (426). So auch die Kritik von Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (361). In der Diskussion um die Abtreibungsregelung wird oft das Überlebensinteresse bzw. die Rechtsfähigkeit bereits geborener und personaler Menschen ins Spiel gebracht. Das Argument läßt sich auch erweitern auf das Überlebensinteresse bzw. die Rechtsfähigkeit personal menschlicher Wesen überhaupt. Dies bedeutet, daß sich die spätere Rechtsfähigkeit auch auf die vorherigen Momente erstreckt. Wenn damit vom potentiell späteren Zustand eines personalen Wesens zur Begründung der Rechtsfähigkeit einer apersonalen, aber entwicklungsfähigen biologischen Masse rückgeschlossen wird, dann muß auch die Verhinderung der Befruchtung einer weiblichen Eizelle durch die Benutzung eines Kondoms beim Geschlechtakt als Eingriff in das Recht eines potentiell personalen Wesens angesehen werden. Denn allein vom späteren Interesse am Zustand der Rechtsfähigkeit ist es irrelevant, ob ein Fötus abgetrieben oder die Zeugung verhindert wurde. Obschon damit eine gewisse Absurdität dieser ex post-Betrachtung aufgezeigt ist, könnte man noch dahingehend argumentieren, daß die Potentialität zur Personalität bereits eine zu achtende Selbstbestimmung darstelle. Im Moment des Eingriffs wird aber keine Selbstbestimmung verletzt; wird dieses apersonale menschliche Wesen gänzlich vernichtet, kann es auch nie ex post zu einer Verletzung seiner Selbstbestimmung gelangen. Etwas anderes ist es natürlich, wenn z. B. ein nasciturus durch einen Autounfall körpergeschädigt wird. Hier ist eine Kausalität für eine Verminderung seiner Selbstbestimmungsmöglichkeiten gelegt, die ihn später auch als personales Wesen beeinträchtigt und damit verletzt. Zu dieser Differenzierung siehe Hoerster, 1991, S. 98 ff. 117 Vgl. v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 11 u. 17; BK-Zippelius, Art. 1 Rn. 49 u. 55; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 17. 118 So bereits die Kritik U. Neumann, 1988, S. 139 (144 f.). 119 So auch Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 20: „Der allgemein menschliche Eigenwert der Würde ist auch als vorhanden zu denken, wenn ein konkreter Mensch (etwa der Geisteskranke) die Fähigkeit zur freien Selbst- und Lebensgestaltung von vorneherein nicht hat.“ 120 Das fundamentale Problem des Speziezismus ist zudem, daß es kein zwingendes Abgrenzungskriterium gibt. Zunächst einmal ist jede Speziesabgrenzung auch eine Ausgrenzung. Wenn die menschliche Gattung abgegrenzt wird, erhebt sich die Frage, warum man nicht die Klasse der Säugetiere zusammengefaßt hat oder die Tiere mitaufgenommen hat. Andererseits kann auch gefragt werden, warum keine weitere Unterteilung vorgenommen wurde. Es hat immer wieder Einschränkungen der Würde auf die eigene Rasse, die Nation, das männliche Geschlecht etc. gegeben. Der entscheidende Gesichtspunkt kann also nicht eine Einteilung an sich sein. 115 116
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Schließlich versagen Potentialitätsargumente da, wo z. B. der irreversibel komatöse Patient am Ende seines Lebens auch potentiell keine Fähigkeit mehr besitzt, eines der die menschliche Würde auszeichnenden Merkmale wie Personalität, Freiheit u. ä. wahrzunehmen.121 Er hat dann auch keine Potentialität zu Potentialitäten mehr, sondern seine Potentialität schlichtweg erschöpft.122 d) Verfassungsrechtliche Kritik Die substantielle Interpretation der Menschenwürde als dem Menschen zukommender unverfügbarer Eigenwert123 hat prima facie den Vorteil, allen Menschen unabhängig von ihren Fähigkeiten eine Würde zuzuweisen.124 Ein genauerer Blick zeigt allerdings, daß sich der in den Mitgifttheorien ausgewiesene Anspruch nicht mit spezifisch menschlichen Eigenschaften begründen läßt. Vor allem kann das Potentialitätsargument bei Sterbenden nicht überzeugen, wenn diese zu personalen u. ä. Leistungen auch potentiell nicht mehr in der Lage sind. Auch die transzendentale Argumentation Kants kann eine allgemeine Achtungspflicht nicht belegen – Schwierigkeiten des transzendentalen Begründungsprogramms sogar einmal dahingestellt. In sich schlüssig zur Begründung einer allgemeinen Würde ist der relationale Ansatz im christlichen Verständnis der Gottebenbildlichkeit. Man wird allerdings fragen müssen, wie dies im weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes ohne ergänzenden Rückgriff auf den christlichen Glauben ausgewiesen werden kann.125 Es ließe sich zur Begründung der individuellen Würde noch der genetische Anthropozentrismus erwähnen. Entscheidend soll hiernach sein, daß jeder Mensch eine genetisch festgelegte Individualität besitzt. Dagegen ist zunächst einzuwenden, daß dies auf eineiige Zwillinge oder Mehrlinge mit identischer genetischer Information nicht zutrifft. Wenn bloße genetische Individualität Grund der Würde sein soll, dann müßte weiterhin aufgezeigt werden, warum dies nicht für jede genetische Individualität gelten soll, die z. B. bei Affen ebenfalls gegeben ist. Schließlich stimmen 99 Prozent unserer Strukturgene mit denen der Schimpansen überein, vgl. Irrgang, 1990, S. 67 (87). Aus einem Prozent genetischer Differenz läßt sich jedoch kein absoluter Unterschied im Sinne einer dem Menschen vorbehaltenen Würde begründen. 121 Aus diesem Grund kann auch Gröschner, 1995, S. 34 f., mit der Orientierung an der potentiellen Entwurfsfähigkeit dem irreversibel komatösen Patienten keine Würde zuweisen. 122 Auf ein weiteres Argument gegen die Potentialitätsargumente weist Hilgendorf, 2001, S. 1147 (1163), hin. „Wie die neuen Klontechniken zeigen, lassen sich bald aus nahezu beliebigen Körperzellen Menschen bilden. Soll daraus folgen, daß sämtlich Körperzellen, [da potentielle Menschen, J.A.] für sich genommen Träger von Menschenwürde und eines Rechtes auf Leben sind?“ 123 BVerfGE 5, 85 (205); 45, 187 (228); Nipperdey, 1954, S. 1. 124 Siehe z. B. Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 356. 125 In diesem Sinne die Auffassung von Isensee, Böckenförde und Kriele im Diskussionsbericht zu Böckenförde / Spaemann, 1987, S. 324 f., wonach die Menschenwürde zwar nicht vom christlichen Glauben abhänge, aber nur durch diesen begründet werden könne. Siehe auch Isensee, 1987, S. 138 (165); Pannenberg, 1991, S. 204 f.; auch neuerdings Vögele, 2000,
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Unabhängig von diesen Begründungsschwierigkeiten ergeben sich weitere Einwände gegen die Bestimmung der Menschenwürde als Eigenwert. Dabei ist bei einer statischen Feststellung des Eigenwerts zunächst noch gänzlich unbestimmt, welche Verpflichtungen sich für den Staat aus dem Eigenwert jedes Menschen ergeben.126 Das gilt gerade dann, wenn dieser Eigenwert wegen der im Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG geforderten Unantastbarkeit zum höchsten und unverletzlichen Wert der Verfassung127 erhoben wird. Dieses Vorgehen ist in seinem normativen Anspruch besonders stark, doch ist die Feststellung eines absoluten Wertes des Menschen derart umfassend, daß sie keinen Spielraum mehr für Eingriffe jedweder Art läßt. Auf die dabei gelegentlich vollzogene biologistisch-kurzschlüssige Gleichsetzung von Würde und Leben128 im Sinne einer Heiligkeit des Lebens wird noch gesondert einzugehen sein (s. u. VIII. 4. a, aa). An dieser Stelle wird man die Beschränkung der Menschenwürde auf das Leben jedenfalls als einseitig ansehen müssen, weil der absolute Eigenwert des Menschen verbunden mit der weitgehenden Identifikation dieser Würde mit seiner sittlichen Autonomie nicht nur die Unverfügbarkeit über sein Leben, sondern auch die Uneinschränkbarkeit seiner Freiheit verlangen würde.129 S. 492 et passim. Vgl. auch das bekannte Diktum von Böckenförde, 1967, S. 42 (60): „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dagegen die Kritik an spezifisch christlichen Interpretationen der Menschenwürde im Grundgesetz: Dreier, DÖV 1995, S. 1036 (1038); Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (361). 126 So auch Redeker, BayVBl. 1985, S. 73 (76). 127 Vgl. BVerfGE 45, 187 (222); 39, 1 (43); 96, 375 (398); Messner, 1974, S. 221 (239). 128 Nach v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 Rn. 189, berühren sämtliche Eingriffe in das Leben die Würdegarantie. Diese Gleichsetzung ist jedenfalls dann nicht haltbar, wenn v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 29 ff., an der Uneinschränkbarkeit der Menschenwürde festhält und gleichzeitig Eingriffe in das Leben bei schweren Angriffen auf die Rechtsordnung für zulässig erachtet, siehe v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 Rn. 189. 129 Wird die Menschenwürde in diesem Sinne als möglichst weitgehende Selbstbestimmung des Menschen verstanden, vgl. BVerfGE 5, 85 (204 f.); Morgenthaler, 1999, S. 211, 214 f.; Maihofer, 1968, S. 17 ff. u. 29 ff.; K. Fischer, 1997, S. 80; Klug, 1988, S. 235: „[ . . . ] jede Verletzung des Selbstbestimmungsrechts ist eine Verletzung der Menschenwürde“, dann ist schwer zu erklären, wie sich die Einschränkungen dieser Autonomie, mit der Unverletzlichkeit der Menschenwürde vereinbaren lassen. BVerfGE 4, 7(15 f.) begegnete dieser Konsequenz mit dem Menschenbild des Grundgesetzes: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum-Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“ Siehe auch Benda, 1994, § 6 Rn. 5; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 46. Hieraus folgert BVerfGE 4, 7 (17), weiterhin: „Der Einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt.“. Damit ist man allerdings wieder beim Anfang angelangt, denn die Eigenständigkeit der Person wird durch die Beschränkung seiner Handlungsfreiheit gerade eingeschränkt, und was „unzumutbar“ ist, ist nicht weniger offen als das, was „menschenunwürdig“ ist.
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Kann damit Menschenwürde im Sinne eines Eigenwertes des Menschen nicht mit dieser Absolutheit verstanden werden, bleibt die Frage offen, welche Achtungspflichten gegenüber diesem Eigenwert zu erbringen sind. Allein die Behauptung eines dem Menschen zukommenden höchsten Wertes vermag ebensowenig wie die Objektformel hinreichend Aufschluß über den normativen Maßstab zu liefern.
2. Eschatologische / dynamische Interpretation Näheren Aufschluß kann deshalb vielleicht eine genauere Betrachtung von Kants „Zweck-an-sich-Formel“ und der Gottebenbildlichkeit im Neuen Testament geben. Wie bereits bei Kant aufgezeigt, ergibt sich für ihn der Inhalt des Achtungsanspruchs nicht aus dem Eigenwert, sondern aus dem kategorischen Imperativ als normativen Prinzip. In gleicher Weise beschränken sich auch die theologischen Folgerungen aus der Gottebenbildlichkeit nicht auf eine protologische Wertzuschreibung oder Autonomiestellung des Menschen, sondern erfahren im Neuen Testament inhaltliche Präzisierungen. Allein eine statische oder substantielle Interpretation wird bei genauerer Sichtung deshalb weder dem theologischen Gehalt noch Kants transzendentaler Begründung eines universellen Moralprinzips, dessen zweite Formulierung die Selbstzweckformel darstellt, gerecht. Bei beiden wird der Begriff der Menschenwürde in einem weiteren Kontext entwickelt, auf den nunmehr einzugehen ist.
a) Gottebenbildlichkeit (neutestamentlich) Bis auf zwei Stellen130 wird im Neuen Testament die Gottebenbildlichkeit auf Christus bezogen (2 Kor 4,4; Kol 1,15 – 20; Hebr 1,3).131 Während 2 Kor 4,4 be130 Jak 3,9: „Mit ihr preisen wir den Herrn und Vater, und mit ihr verfluchen wir die Menschen, die als Abbild Gottes erschaffen sind.“ 1. Kor 11, 7 – 11: „Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes [ . . . ]. Doch im Herrn gibt es weder die Frau ohne den Mann noch den Mann ohne die Frau .“ Vergleicht man letzteres mit Gal 3, 27 (und Kol 3,11), läßt sich hier immerhin ein christologischer Bezug herstellen: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ,einer‘ in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung.“ 131 Vgl. Kol 1, 15 f.: „Er [Christus] ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung [ . . . ] Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ 2. Kor. 4,4: „[ . . . ] So strahlt ihnen der Glanz der Heilsbotschaft nicht auf, der Botschaft von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Ebenbild ist.“ Hebr 1, 3: „[ . . . ] er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens, er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt, [ . . . ] .“
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
sonders die Herrlichkeit Christi betont, baut Kol 1,15 – 20 die Gottebenbildlichkeit darüber hinaus zur Beschreibung der Schöpfungsmittlerschaft Christi und seiner Erlösung aus.132 Es soll hier nun keine Nachzeichnung der neutestamentlichen Exegese dieser Stellen vorgenommen werden.133 Für vorliegenden Zusammenhang wichtig ist der Bezug, der zwischen den Glaubenden und Christus als dem Bild Gottes gezogen wird. Dabei wird besonders unter Verweis auf 1 Kor 15,49, 2 Kor 3,18 und Röm 8,29 die Verwandlung des Glaubenden in das Bild des Christus bzw. die Verordnung Gottes, daß sie dem Ebenbilde seines Sohnes gleichgestaltet sein sollen, hervorgehoben.134 Diese Verwandlung ist die Erneuerung nach dem Bild Gottes des Schöpfers (Kol 3,9 f.). Die Verwandlung in das Ebenbild Christi kann dann als Verwandlung in das Ebenbild Gottes verstanden werden. Nun ergibt sich die Schwierigkeit, wie der alttestamentalische Sinn der allgemeinen Gottebenbildlichkeit mit diesen spezifischen Zuführungen auf Christus und die Gläubigen in Bezug gebracht werden kann. Theologiegeschichtlich wurden hierauf unterschiedliche Antworten gegeben,135 vorliegend soll nur auf die neuere relationale Interpretation hingewiesen werden. Danach ist die Gottebenbildlichkeit nicht eine Eigenschaft des Menschen, sondern es ist seine Existenz im Gegenüber und in Beziehung zu Gott, die seine Erschaffung und Bestimmung zum Bild Gottes ausmacht.136 Sie betrifft den ganzen Menschen aufgrund seiner Herkunft von Gott und seiner Beziehung zu ihm.137 Wenn auch die Gottebenbildlichkeit ein bleibendes Gottesverhältnis ausdrückt,138 so ist dieses Verhältnis doch nicht statisch gedacht. Vielmehr bedarf der Mensch der Erlösung, was auch den Bezug zu den paulinischen Stellen herstellt: Jesus ist die Erfüllung der Bestimmung des Menschen als Ebenbild Gottes zur Gemeinschaft von Gott und Mensch.139 Die Ebenbildlichkeit Christi wird so als Vollendung der Ebenbildlichkeit des Menschen aufgezeigt und damit ein Zusammenhang zwischen der Schöpfung und der Erlösung hergestellt. Christus ist das Symbol wahren Menschseins.140 Aus der Identifizierung der Gottebenbildlichkeit mit Christus folgt aber auch, daß der Inhalt der Gottebenbildlichkeit in Christus seinen besonders klaren Ausdruck Auf die unterschiedlichen Theologien in Kolosser (pseudopaulinisch), Korinther (paulinisch) und Hebräer (nachpaulinisch) kann hier nicht näher eingegangen werden. Bemerkenswert ist, daß sich der Grundgedanke der Zuordnung der Gottebenbildlichkeit zu Christus und seiner Heilsordnung durchgehend hält. 132 Strecker, 1995, S. 580 f. 133 Siehe hierzu Vollenweider, 1998, S. 123 (127 ff.). 134 Siehe auch Schulze 1979, S. 83 f.; Vollenweider, 1998, 123 (134 f.); Seibel, 1967, S. 806 (808). 135 Die prominenteste Erklärung s. o. Fn. 62. 136 Härle, 1995, S. 435. 137 Scheffczyk, 1995, Sp. 874 (875). 138 Seibel, 1967, S. 806 (814). 139 Pannenberg, 1991, S. 259. 140 Schockenhoff, 1996, S. 244 ff.
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gefunden hat,141 deren inhaltliche Füllung sie durch den Weg Jesu gewinnt.142 Damit gewinnt die Gottebenbildlichkeit auch ethisch einen dynamischen Gehalt im Sinne der Nachfolge und nimmt so den sittlichen Gehalt des Christentums in sich auf.143 Wird dieser Gehalt der Gottebenbildlichkeit zur Interpretation der Menschenwürde im Grundgesetz herangezogen, gibt er in einem weiten Umfang ein bestimmtes sittliches Verhalten vor. Das ist allerdings nicht nur wegen des spezifisch christlichen Gehalts, sondern auch wegen des sittlich-moralischen Umfangs für die Bestimmung des verfassungsrechtlichen Begriffs der Menschenwürde zu weitgehend (s. u. c).
b) Sittliche Autonomie bei Kant Kant gibt dem kategorischen Imperativ drei Fassungen.144 Zwei Varianten wurden bereits vorgestellt (s. o. 1. b). In der dritten Fassung erweitert Kant die Formulierung um das Reich der Zwecke.145 Nach Kants Auffassung sollen diese drei Formulierungen des kategorischen Imperativs gleichberechtigt nebeneinanderstehen und jeweils nur einen anderen Aspekt des gleichen Inhalts zur Geltung bringen.146 Während die erste Formulierung ein Universalisierungsprinzip statuiert, führt die zweite den Menschen als Zweck-an-sich ein, wogegen die dritte Formulierung die vernunftfähigen Wesen im Reich der Zwecke miteinander verbindet.147 Mit der Vlg. Seibel, 1967, S. 806 (817); Schulze, 1979, S. 83. Vollenweider, 1998, S. 123 (139 f.). 143 Schulze, 1979, S. 83; Vollenweider, 1998, S. 123 (140); Seibel, 1967, S. 806 (817); Schockenhoff, 1996, S. 246; siehe auch Scheffczyk, 1995, Sp. 874 (876); Ebeling, 1979, S. 414; Pannenberg, 1991, S. 259. 144 Genau genommen gibt Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (421), dem kategorischen Imperativ noch eine vierte Formulierung: „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“ Mit dieser Gleichsetzung zu einem Naturgesetz wird die Bedeutung des kategorischen Imperativs zur Ermittlung unbedingt (kategorisch) gültiger Normen besonders deutlich. 145 Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (434): „Moralität besteht also in der Beziehung aller Handlung auf die Gesetzgebung, dadurch allein ein Reich der Zwecke möglich ist. Diese Gesetzgebung muß aber in jedem vernünftigen Wesen selbst angetroffen werden und aus seinem Willen entspringen können, dessen Prinzip also ist: keine Handlung nach einer anderen Maxime zu tun, als so, daß es auch mit ihr bestehen könne, daß sie ein allgemeines Gesetz sei, und also nur so, daß der Wille durch Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne.“ 146 Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (436). 147 Mendonca, 1993, S. 167 (177 ff.), zeigt instruktiv, daß der erste kategorische Imperativ der Rechtslehre und der zweite kategorische Imperativ der Tugendlehre zuzuordnen ist. Während ersterer als fomales Universalisierungsprinzip die formalen Bedingungen der äußeren Freiheit zu bestimmen sucht, will die zweite Formulierung der Intentionalität des Handelns als Zweck den Menschen zuordnen. Das zieht für vorliegenden Zusammenhang allerdings 141 142
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Gleichberechtigung der Formulierungen betont Kant ihre Übereinstimmung in ihrem sittlichen Gehalt. Wenn Kant behauptet, daß sich mittels des kategorischen Imperativs apriorisch gewisse Gesetze des menschlichen Zusammenlebens ermitteln lassen, dann stünde es hierzu im Widerspruch, wenn je nach Formulierung unterschiedliche Ergebnisse folgten.148 Zwar läßt sich nun, wie Kant an vier Beispielen aufzeigt, mit den unterschiedlichen Formulierungen des ersten und zweiten kategorischen Imperativs zu den gleichen Ergebnissen gelangen,149 doch erhebt sich die Frage, inwieweit die kategorischen Imperative überhaupt einen heuristischen Wert besitzen oder wegen ihrer Offenheit jede beliebige Maxime als allgemeines Gesetz zu belegen vermögen.150 Dabei ist offensichtlich, daß die erste Formulierung des kategorischen Imperativs nur im Sinne eines Prinzips der Widerspruchsfreiheit im Denken und Wollen verstanden werden kann (Prinzip der Verallgemeinerbarkeit).151 Ohne Widerspruch lassen sich allerdings eine Vielzahl von Maximen denken oder wollen, wie z. B. „Iß im März am Montag immer Muscheln“152. Sollen sie deshalb eo ipso praktische Gesetze sein?153 Zudem, wie Geddert-Steinacher zutreffend feststellt, erschöpfen sich die Entscheidungen des BVerfG nicht in der Feststellung einer bereits begrifflichen oder voluntativen Inkonsequenz.154
die weitere Kritik nach sich, daß die Zweck-an-sich-Formel als Tugendbegriff im Recht aus Kants Perspektive ein Fremdkörper ist. Dies gilt erst recht dann, wenn mit Höffe, 1979, S. 98 ff., die kategorischen Imperative allein als Kriterium für die Moralität und nicht für die Legalität angesehen werden. 148 Hinsichtlich der praktischen Brauchbarkeit räumt Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (436 f.), allerdings der ersten Formulierung den Vorzug ein. 149 Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (421 ff. u. 429 f.). 150 So die fortlaufende Kritik: Schopenhauer, 1986 (1841), §§ 5 u 8, S. 652 ff. u. 689 ff.; Welzel, 1990, S: 169 f.; Hoerster, JuS 1983, S. 93 (94). 151 So Höffe, 1979, S. 111. 152 Das Beispiel entstammt von MacIntyre, 1987, S. 69; vgl. auch Frankena, 1994, S. 52: „Wenn Du allein im Dunkeln bist, pfeife.“ Auch wenn man Höffe, 1979, S. 89 ff. darin folgt, daß Maximen allgemeine Bestimmungsgründe sind, die deshalb mehrere Regeln unter sich haben, so können doch viele Grundsätze widerspruchslos gedacht werden, ohne daß sie zugleich allgemein gewollt werden sollten. 153 Nach Höffe, 1979, S. 103, verwendet Kant den kategorischen Imperativ allerdings nicht als Kriterium sittlich gebotener, sondern nur als Kriterium sittlich verbotener Maximen; andere Beurteilung von Kants Position bei Wellmer, 1986, S. 22 ff.; Frankena, 1994, S. 52. 154 Nach Geddert-Steinacher, 1990, S. 37, ist vielmehr letzter Maßstab der Widerspruchsfreiheit als materialer Gehalt „auch bei Kant die Autonomiebestimmung des Menschen selbst.“ Und weiter, a. a. O., S. 38: „Die Autonomie des Menschen und nicht das zunächst formale Prinzip der Widerspruchsfreiheit steht in der Rechtsprechung des BVerfG in den Fällen im Vordergrund, in denen der Verletzungstatbestand der Menschenwürde streitig ist.“ Dagegen ist einzuwenden, daß der Maßstab bei Kant der kategorische Imperativ selbst ist und die Autonomie sich erst aus der Befolgung dieses Prinzips der allgemeinen Gesetzgebung ergibt. Wenn dagegen die Autonomie entscheidender Maßstab sein soll, so ist damit der kategorische Imperativ durch einen nicht minder abstrakten Begriff ausgetauscht (s. o. 1. d).
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Schwierigkeiten bei der inhaltlichen Bestimmung stellen sich auch bei der zweiten Formulierung des kategorischen Imperativs ein. Was bedeutet es, einen Menschen bloß als Mittel zu behandeln? Kommt es dafür entscheidend auf die fehlende Zustimmung des Betroffenen in die ihn betreffende Handlung an?155 Auf die Übereinstimmung im Willen kann es nach Kant nicht ankommen, da der kategorische Imperativ auch Verpflichtungen gegen sich selbst begründen soll.156 Kant gelangt nun zu einer Vielzahl von gegen sich selbst geltenden Pflichten,157 wie dem Verbot des Abgebens eines Zahnes an einen anderen158 oder der Sittenwidrigkeit eines Geschlechtsaktes aus purer Lust.159 Das entscheidende Problem ergibt sich bei der „Zweck-an-sich-Formel“ daraus, daß der Gebrauch eines anderen oder von sich selbst bloß als Mittel, nur dann gegeben ist, wenn kein legitimer Zweck genannt werden kann. Ist der verfolgte Zweck legitim, entspricht er der menschlichen Würde, ist er es nicht, so entspricht der Zweck nicht dem, wie Menschen mit sich umzugehen haben. Oder anders formuliert: Wenn die Zustimmung der jeweils Betroffenen kein Maßstab der zulässigen Zwecke ist, so bedarf es eines anderen Kriteriums, welches die objektiv als vernünftig zu achtenden bzw. legitimen Zwekke auswählt.160 Genau dieses Kriterium liefert der zweite kategorische Imperativ nicht. Kant würde zur Auswahl legitimer Zwecke vermutlich auf den Universalisierungsgrundsatz der ersten Formulierung verweisen.161 Doch wie bereits erwähnt ist dieser gegenüber einer Vielzahl von Maximen offen.162 Selbst wenn Kants kategorische Imperative nicht an ihrer fehlenden Bestimmtheit leiden würden, sind wesentlich gravierendere Bedenken gegen eine Bestimmung des grundgesetzlichen Gebots der Menschenwürde anhand von Kants Konzept der Menschenwürde anzumelden. Ziel der kategorischen Imperative ist nicht bloß die Bestimmung grundlegender Achtungspflichten gegenüber den Menschen, sondern die Festlegung des Prinzips der Sittlichkeit überhaupt.163 Der kategorische Imperativ (in der Zweck-an-sich-Formel) ist nach Kant geeignet, ein weites Feld des sittlich Verbotenen abzustecken, von der Frage der Schönheitsoperation, der Organspende, dem sich Betrinken bis hin zum Geschlechtsakt aus purer Lust, die er allesamt als unzulässig erachtet.164 Kants kategorischer Imperativ soll nicht nur So die Auslegung von MacIntyre, 1987, S. 69. Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (429 f.), erstes und drittes Beispiel. 157 Kant, 1968 (1785), AA IV., S. 385 (429). 158 Kant, 1968 (1797), AA VI., S. 203 (423 f.). 159 Kant, AA VI., S. 203 (426 ff.). 160 Im Ergebnis ebenso Schnoor, 1989, S. 52 f. 161 Vgl. Wils, 1991a, S. 130 (147). 162 Deshalb ist Hoerster, JuS 1983, S. 93 (94 f.), zuzustimmen, wenn er gegen die Orientierung an Kants „Zweck-an-sich-Formel“ einwendet, daß es letztlich um die Frage ginge, welche Formen der freien menschlichen Selbstbestimmung sittlich legitim seien und welche nicht. 163 Siehe hierzu auch Fechner, JZ 1986, S. 653 (655). 164 Kant, 1968 (1785), S. 385 (422 ff.). 155 156
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bestimmte, gegenüber Menschen besonders verächtliche Verhaltensweisen als unzulässig ausweisen, sondern geeignet sein, den Gesamtinhalt der sittlichen Pflicht sowohl in zu unterlassender wie auch in zu erbringender Sicht zu bestimmen.165 Den kantischen Inhalt des kategorischen Imperativs ernstnehmend müßte der Artikel von der Menschenwürde bei kantischer Interpretation zur Vorgabe allen sittlichen Verhaltens führen. Denn Kants Begriff der Freiheit ist kein solcher der offenen Selbstbestimmung einer „Freiheit von“, sondern der durch das allgemeine Gesetz inhaltlich bestimmten „Freiheit zu“. Damit erweist sich Kants ethisches Universalprinzip wenig geeignet, in einem pluralistischen Verfassungsstaat das oberste Verfassungsprinzip näher zu bestimmen.
c) Verfassungsrechtliche Kritik Beide Vorgaben der Mitgifttheorien neigen damit in ihrem relational-dynamischen Gehalt zu einem umfassenden Verständnis menschlicher Würde im Sinne eines zu erfüllenden menschenwürdigen Verhaltens.166 Die Feststellungen des BGH167 zur Sittenwidrigkeit von Telefonsex oder des BVerwG168 bezüglich der Selbstdarstellung von Frauen in Peep-Shows nutzen damit folgerichtig die kantische Objektformel zur Bestimmung eines weiten Sittlichkeitsgehalts.169 Problematisch wird diese Aufladung der Menschenwürde besonders dann, wenn der Inhalt über den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte170 hinaus auch im Privatbereich verpflichtend ist, weil „die Würde des Menschen etwas Unverfügbares“ ist171 und der Verzicht auf die eigene Würde unzulässig ist.172 Eine Objektbehandlung soll nach dieser Auffassung auch dann gegeben sein, wenn die fragliche, verobjektivierende Handlung im Einverständnis mit dem Betroffenen erfolge.173 Auf die Freiwilligkeit der Teilnahme komme es nicht an, weil der einzelne auf die Men-
165 So schlußfolgert Kant, 1968 (1785), S. 385(423 u. 430), aus dem kategorischen Imperativ als Maxime einer Handlungspflicht, daß niemand wollen kann, daß ihm die Not der anderen egal ist. Vielmehr hat er die Zwecke der anderen zu fördern. 166 Dies aber im Sinne der christlichen Wertauffassung vertretend: Höfling / Gern-Gern, NJW 1983, S. 1582 (1589). 167 BGH NJW 2895 (2896). 168 BVerwGE 64, 274 (278 f.); siehe auch BVerwGE 84, 314 (318 f.), wo die Begründung mit der Menschenwürde verlassen wurde dann aber wieder in BVerwG GewArch 1996, S. 19 (21) aufgegriffen wird. 169 s. o. Fn. 20 f. 170 Vgl. BVerfGE 45, 187 (229); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 4; Hinrichs, NJW 2000, S. 2173 (2174). 171 BVerfGE 45, 187 (229). 172 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 22; Redeker, BayVBl. 1985, S. 73 (77). 173 BVerwGE 64, 274 (278 f.); Hinrichs, NJW 2000, S. 2173 (2175).
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schenwürde angesichts ihres Charakters als einer „objektiven Wertentscheidung“ nicht verzichten könne.174 Die grundsätzliche Frage des objektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte an dieser Stelle einmal dahingestellt (hierzu s. u. VIII. 1.), kann dem extensiven Verständnis der Menschenwürde im Sinne einer konkreten Form von Sittlichkeit nicht gefolgt werden. Insoweit haben die Bedenken gegenüber philosophiegeschichtlichen Anleihen bei der Interpretation der Menschenwürde eine gewisse Berechtigung.175 Wird die Menschenwürde in der überwiegenden philosophischen und theologischen Tradition zum Anknüpfungspunkt für ein umfassendes Verständnis würdigen Verhaltens, wie es jedenfalls in der christlichen Tradition und bei Kants kategorischem Imperativ der Fall ist, dann wächst sich eine daran orientierte Interpretation des Menschenwürdeartikels zur Festschreibung einer bestimmten Form von Sittlichkeit aus. Drei grundsätzliche Einwände sind dagegen zu erheben. Zum einen sind diese Interpretationen der Sittlichkeit selbst immer im Fluß, sie können deshalb nicht den Status eines unverletzlichen verbindlichen Gehalts annehmen.176 Zum anderen müssen Art. 1 Abs. 1 GG und das Grundgesetz insgesamt eine gemeinsame Basis für die weltanschauliche Grundposition einer pluralistischen Gesellschaft bieten.177 Eine konkret ausformulierte Sittlichkeit oder Form des guten Lebens kann deshalb nicht Vorgabe der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sein. Und schließlich ist der Pluralismus in den westlichen Staaten Ausdruck des Bekenntnisses zur Freiheit des Menschen.178 Das BVerfG hat diese Freiheit selbst zum zentralen Gegenstand der Menschenwürde erhoben, wenn es feststellt, daß das „Grundgesetz [ . . . ] von der Würde der freien, sich selbst bestimmenden menschlichen Persönlichkeit als höchstem Rechtswert“ in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ausgeht,179 „denn die Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, daß er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.“180 Der Mensch muß deshalb über sich selbst verfügen und sein Leben selbstverantwortlich gestalten können.181 Zwar kann diese Freiheit wegen der Gemeinschaftsgebundenheit und Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen nicht grenzenlos sein,182 was seinen Ausdruck in der vom Verfassungstext vorgesehenen Beschränkbarkeit von Grundrechten findet, der Freiheitsgehalt kann aber auch nicht vorab im MenschenwürdeMaunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 22 u. 74; BVerwGE 64, 274 (279). Redeker, BayVBl. 1985, S. 73 (75); v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 19. 176 Vgl. v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 19 f.; bedenklich deshalb Bleye, ZME 1999, S. 291 ff., der die Menschenwürde als „rechtsethische Norm aus kulturellem Gedächtnis“ statisch interpretieren möchte. 177 Brugger, Staat 29 (1990), S. 496 ff.; Häberle, HStR I., § 20 Rn. 40; v. Münch / KunigKunig, Art. 1 Rn. 20. 178 Vgl. Brugger, Staat 29 (1990), S. 496 (499 f.). 179 BVerfGE 48, 127 (163); vgl. auch BVerfGE 12, 45 (53). 180 BVerfGE 45,187 (228). 181 BVerfGE 49, 286 (298). 182 BVerfGE 50, 166 (175); Redeker, BayVBl. 1985, S. 73 (77). 174 175
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artikel von einer spezifischen Formulierung des sittlichen Gehalts verdrängt werden.183
IV. Leistungstheorie 1. Darstellung Ausgangspunkt von Luhmanns Konzept der Menschenwürde ist die Ablehnung naturrechtlicher Grundrechtsbegründungen und die Analyse des Rechts unter der Prämisse, daß der Grund des Rechts in seiner Funktion liegt.184 Würde ist nach Luhmann nichts Vorgegebenes, keine natürliche Qualität menschlicher Existenz, sondern Ergebnis und Bedingung gelungener Selbstdarstellung.185 Statt einer substantiell-statischen setzt er eine funktional-dynamische Definition der Würde.186 Selbstbewußte Individualität gewinne der Mensch nur dadurch, daß er sich als Interaktionspartner darstelle. Die Darstellungsleistung liegt in der Abgrenzung von anderen Individuen und Systemen durch Herstellung und Aufrechterhaltung selbstbewußter Individualität.187 Das bedeutet, daß Selbstdarstellung jener Vorgang ist, der den Menschen in Kommunikation mit anderen zur Person werden läßt und ihn damit in seiner Menschlichkeit konstituiert. Luhmann sieht die Funktion der Grundrechte entsprechend nicht in der Sicherung von Werten, sondern in der Erhaltung und Stabilisierung des Systems als solchem. Folglich steht nicht die – ohnehin im nachmetaphysischem Zeitalter nicht mehr zu gewährleistende – normative Verbindlichkeit von Handlungsnormen im Zentrum der Auslegung, sondern die Funktion der Normen im sozialen System. Würde ist deshalb keine Naturausstattung des Menschen, sondern eine Leistung, die der einzelne Mensch erbringen, aber auch verfehlen kann.188 Wenn Würde allerdings im Luhmannschen Sinne kein Wertbegriff ist, sondern Resultat erfolgreicher Identitätsbildung, ergibt sich die Frage, welche Würdeleistung vom Art. 1 I GG geschützt sein 183 Beim Ringen um den Gehalt der Verfassung im pluralen Verfassungsstaat darf keine Gruppe ausgeschlossen werden. Der öffentliche Diskurs – wie auch der Interpretationsdiskurs der Verfassung – muß deshalb auch den Kirchen und Christen in gleicher Weise zugänglich sein, wenn das Grundgesetz Grundlage des neutralen und nicht des atheistischen Verfassungsstaates sein soll; siehe zu den berechtigten Anliegen der „öffentlichen Theologie“ Vögele, 1994, S. 418 ff.; ders., 2000, S. 23 ff.; W. Huber, 1996, S. 14. Nur wird man hier unterscheiden müssen, zwischen dem politischen Streit um die Ausrichtung des Gemeinwesens und der gemeinsamen Basis dieses Prozesses im Grundgesetz. Das Grundgesetz muß die Heimstatt aller Bürger sein, was gerade der spezifischen Interpretation des unantastbaren Prinzips der Menschenwürde Grenzen setzt. 184 Luhmann, 1965a, S. 38 ff. u. S. 38 f. Fn. 2. 185 Luhmann, 1965a, S. 68 u. Fn. 44. 186 So auch Grimm, 1982, S. 41 f. 187 Luhmann, 1984, S. 346 ff. 188 Luhmann, 1965a, S. 68 ff.
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soll. Luhmann stellt hier als Verletzungsmoment auf die Erzwingung einer Korrespondenzrolle ab, die der Betroffene mit einer achtungswürdigen Selbstdarstellung nicht verbinden kann. Ein anderer Fall der Verletzung wären Eingriffe in die private Regie der Selbstdarstellung.189 Im übrigen hätten die Grundrechte nicht die Funktion, Würde zu gewährleisten, sondern nur die Bedingungen ihrer Leistung zu erhalten.190 Von Luhmann nicht ausgesprochene Konsequenz ist dann allerdings auch, daß, wer nicht zur Identitätsbildung durch Selbstdarstellung in der Lage ist, nicht in seiner Würde verletzt werden kann.191
2. Verfassungsrechtliche Kritik Die in der Leistungstheorie zum Ausdruck kommende Menschenwürde-Idee als einer Befreiung von jedem Versuch, ein Bild des Menschen, eine bestimmte menschliche Natur oder Substanz normativ verbindlich zu machen,192 vermag zunächst als Verfassungsnorm in einer pluralistischen Gesellschaft zu überzeugen. Die Absicht, in Art. 1 Abs. 1 GG der Vorrangigkeit des Menschen vor dem Staat Ausdruck zu verleihen, verträgt sich nicht mit wertethisch überspannten Vorgaben eines bestimmten würdigen Verhaltens.193 Der menschlichen Würde ein selbstbestimmtes Verhalten zuzuweisen, läßt sich auch besser mit den sonstigen Grundentscheidungen des Grundgesetzes vereinbaren, die in den Freiheits- und Gleichheitsrechten sowie im Rechts- und Sozialstaatsprinzip eine „subjektive menschliche Identitätsbildung ermöglichen und sichern“.194 Andererseits kann mit einer bloßen Willkürfreiheit die Bestimmung der vom Grundgesetz zu schützenden Menschenwürde nicht ausreichend erfolgen.195 Die Luhmann, 1965a, S. 73 Fn. 54. Luhmann, 1965a, S. 72 u. 77. 191 So auch in der Beurteilung: v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 8; Starck, JZ 1981, S. 457 (463); Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 356; Badura, JZ 1964, S. 337 (340 f.); Benda, 1975, S. 15; Budde, 1992, S. 14. 192 Bayertz, 1995, S. 465 (479), sieht hier den Kern der philosophischen Idee der Menschenwürde. 193 Dementsprechend wird die erste Peep-Show-Entscheidung in BVerwGE 64, 274 ff., zu Recht weitgehend abgelehnt. Siehe v. Olshausen, NJW 1982, S. 2221 ff.; Gusy, DVBl. 1982, S. 984 ff.; Höfling / Gern-Höfling, NJW 1983, S. 1582 ff.; Hoerster, JuS 1983, S. 93 ff.; Laskowski, 1997, S. 185 ff.; a.A. Höfling / Gern-Gern, NJW 1983, S. 1585 ff. Aus dem gleichen Grund muß auch der Begründung des BGH zur Sittenwidrigkeit des Telefonsexes oder der Prostitution muß widersprochen werden, s. o. Fn. 23. 194 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (362). 195 Ähnlichen Schwierigkeiten sieht sich auch Pico della Mirandola, 1990 (1487), S. 11, ausgesetzt, wenn er an die zunächst radikale Bestimmung der menschlichen Freiheit unmittelbar die sich aufdrängende Frage stellt: „Aber wozu dies?“ Bei der vollkommenen Unbestimmtheit der Freiheit verbleibt Pico della Mirandola deshalb nicht. Vielmehr erkennt er, a. a. O., das Ziel des Menschen in der Glückseligkeit der Gottesschau einer reinen Geistigkeit. Die geistbestimmte Denkweise bei Pico della Mirandola offenbart allerdings einen 189 190
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
vollkommene Wahlfreiheit kann von einer Rechtsordnung nicht garantiert werden, da Rechtsordnungen immer die Einschränkung der Willkür einzelner zum Schutz anderer und zugunsten des Gemeinwohls zum Ziel haben. Dieser Einwand gilt allerdings in gleicher Weise für Mitgifttheorien, die den Wert des Menschen in seiner Fähigkeit zur Autonomie und Freiheit erblicken.196 Das naheliegende Mißverständnis, daß Art. 1 Abs. 1 GG alle Formen der Realisierung der menschlichen Freiheit schützt,197 löst sich auf, wenn mit der Leistungstheorie die Gewährleistung des Menschenwürdeschutzes nicht in einem Optimum menschlicher Freiheit, sondern der Herstellung und Sicherung der Möglichkeit der Wahrnehmung von Autonomie erkannt wird.198 Im demokratischen Verfassungsstaat kann diese Autonomie damit nicht die Garantie eines Maximums an individueller Willkür sein. Will man den individuellen Schutz der Menschenwürde und die Befugnis der demokratischen Gesellschaft zur notwendigen Regelung der gesellschaftlichen Ordnung im Zusammenhang und als gegenseitige notwendige Ergänzung erkennen, dann richtet sich der Menschenwürdeschutz auf die Herstellung und Sicherung der Voraussetzungen, durch die der einzelne in die Lage versetzt wird, sich als Person erfolgreich am gesellschaftlichen Leben beteiligen zu können.199 Geschützt werden damit die grundlegenden Voraussetzungen der Freiheitsrealisierung und nicht die Realisierung jeder möglichen Freiheit selbst. Gegenüber der Leistungstheorie bleibt allerdings der Einwand, daß in ihr gerade demjenigen kein Schutz der Menschenwürde zugewiesen wird, der zur Selbstbestimmung außerstande ist.200 Damit wird gerade der hilfloseste Mensch außerhalb Mangel. Wie Autonomie und Freiheit in einer realen, konfliktbelasteten Gesellschaft gewährleistet werden können, beantwortet er nicht. Zur Kritik an dieser geistbestimmten Denkweise der Renaissance, welche zu einer anthropologisch-gesellschaftlich defizitären Theorie führte, siehe auch S. Otto, 1984, S. 9 ff., besonders S. 84 u. 338 ff. 196 So besteht nach der Formulierung von Wintrich, 1957, S. 15, die Menschenwürde darin, „daß der Mensch als geistig-sittliches Wesen von Natur darauf angelegt ist, in Selbstbewußtsein und Freiheit sich selbst zu bestimmen, sich zu gestalten und sich in der Umwelt auszuwirken.“; Nipperdey, 1954, S. 1 f.: „Das Wesen des Menschen besteht in der Freiheit der Entscheidung [ . . . ].“ 197 Diese Kritik formuliert Höfling / Gern-Gern, NJW 1983, S. 1585 (1588) an der Leistungstheorie. 198 Vgl. Luhmann, 1965a, S. 72 u. 77. Aus diesem Grund kann auch Gröschner, 1995, S. 42 u. 47 ff., insoweit nicht zugestimmt werden als er in der Menschenwürde ein Kulturstaatsprinzip als Optimierungsgebot erkennt, welches den Staat zur Bereitstellung eines möglichst reichhaltigen Kulturangebots verpflichten soll. Zum einen ist jeder kulturelle Wandel auch mit der Aufgabe bisheriger kultureller Formen und damit mit einem kulturellen Verlust verbunden. Soll der Staat deshalb dem kulturellen Wandel autoritativ entgegen treten können? Zum anderen ist es eher freiheitsgefährdend als –sichernd, wenn sich der Staat zum Hüter der kulturellen Vielfalt aufspielt. Die Wahrnehmung der Freiheit und damit der kulturellen Selbstverwirklichung der Menschen steht, wie Luhmann, 1965a, S. 72, zutreffend feststellt, nicht in der Macht des Staates. Dieser muß voraussetzen, daß der Mensch genug Verstand und Erfahrung besitzt, um ihm eingeräumte Entwurfsfreiheiten wahrzunehmen. 199 Im Ergebnis ähnlich Häberle, HStR I., § 20 Rn. 47 u. 52; Gröschner, 1995, S. 7.
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des Menschenwürdeschutzes gestellt. Mit der Idee der Menschenrechte, allen Menschen unabhängig von weiteren qualitativen Leistungen oder Fähigkeiten Rechte zuzuweisen, ist es jedoch nicht vereinbar, wenn gerade die Menschenwürde als Fundamentalnorm der Menschenrechte nicht allen Menschen zukommen soll.201
V. Pico della Mirandola 1. Menschenwürde bei Pico della Mirandola Während die theologische Interpretation der Menschenwürde zu einer Integration der Menschenwürde in eine Vorstellung vom guten Leben neigt, jedenfalls der Autonomie einen spezifisch christlichen Sittlichkeitsgehalt zuweist, wird die Menschenwürde in der Oratio von Pico della Mirandola bereits im Jahre 1487 erstmalig in dem modernen Sinn der Freiheit oder Autonomie interpretiert.202 Sie kommt dem im Grundgesetz vorausgesetzten Begriff der Freiheit auch näher, weil sie entgegen der Position Kants, der Freiheit nur als sittlich bestimmte „Freiheit zu“ anerkennen konnte, die Menschenwürde als „Freiheit von“ interpretiert. Anders als bei Kant ist die Fassung der Menschenwürde bei Pico deshalb auch weniger gefährdet, als Ansatzpunkt für positive Vorgaben über menschenwürdiges Verhalten zu dienen. Auf die Frage, worin denn eigentlich der Wert oder die Würde des Menschen bestünde, lehnt Pico essentialistische Entwürfe wie den Verweis auf die adelige Natur, den Verstand oder die Vermittlerrolle des Menschen zwischen den Geschöpfen als Antworten ab.203 Vielmehr sieht er den Grund der menschlichen Würde in der Naturlosigkeit, in der Fähigkeit des Menschen, seine Natur nach freiem Ermessen zu bestimmen.204 Er könne aus eigener Macht zum Tierischen ent200 Zu dieser Kritik siehe Häberle, HStR I., § 20 Rn. 44; Badura, JZ 1964, S. 337 (340 f.); Benda, 1975, S. 15 m. w. N. 201 Zu dieser Kritik siehe Häberle, HStR I., § 20 Rn. 39; v. Mangoldt / Klein / StarckStarck, Art. 1 Rn. 17. 202 Den Gedanken der Entwurffähigkeit des Menschen als Grund seiner Würde nimmt bereits die frühere Schrift „Über die Würde und Erhabenheit des Menschen“ von Manetti aus dem Jahre 1452 auf. Die überragende Würde des Menschen ruht danach u. a. in seiner Fähigkeit, seine über die Welt eingeräumte Herrscherstellung in der menschlichen Kultur zu vollenden, vgl. Manetti, 1990 (1452), Drittes Buch Nr. 20 u. 37, S. 77 u. 86. Das Spezifische des Menschen und seine Aufgabe sind nach Manetti deshalb das menschliche Denken und Handeln, da der Mensch als Schöpfer der Kultur die ihm dienstbare Welt dank der Verbindung dieser beiden Fähigkeiten beherrscht, Manetti, a. a. O., Nr. 46, S. 90. 203 Pico della Mirandola, 1990 (1487), S. 3. 204 Pico della Mirandola, 1990 (1487), S. 5 f.: „Wir haben dir keinen festen Wohnsitz gegeben, Adam, kein eigenes Aussehen noch irgendeine besondere Gabe, damit du den Wohnsitz, das Aussehen und die Gaben, die du dir selbst ausersiehst, entsprechend deinem Wunsch und Entschluß habest und besitzest. Die Natur der übrigen Geschöpfe ist bestimmt und wird innerhalb von uns vorgeschriebener Gesetze begrenzt. Du sollst dir deine ohne jede Einschränkung und Enge, nach deinem Ermessen, dem ich dich anvertraut habe, selber bestimmen.“
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
arten, aber auch ins Göttliche wiedergeboren werden.205 Während die Welt somit aus einer Hierachie von Pflanzenwelt, tierischem Dasein und himmlischer Welt besteht, wird der Mensch bei Pico ob seiner Würde nicht nur in den Mittelpunkt des Universums eingerückt, sondern erhält ein von allen Dingen losgelöstes Dasein und ist völlig frei in der Wahl seiner eigenen Lebensweise. Er hat innerhalb der Hierachie des Universums (Pflanzen, Tiere, Engel, Gott) keinen festen Platz. Der Mensch ist damit der Mikrokosmos der Welt, da in ihm die unendliche Fülle der Möglichkeiten angelegt ist206 und alle Dinge des Himmels und der Erde sich in ihm spiegeln und konzentrieren.207 Mit diesem beim Mikrokosmos des Menschen ansetzenden Gedanken einer Wahlfreiheit ergibt sich das Wesen des Menschen nicht aus einer Bestimmung des Seins, sondern umgekehrt setzt erst die Ergreifung einer Möglichkeit das eigene Sein bzw. Wesen. Bei Pico ist die Freiheit damit dem Sein vorgeordnet, indem er den Menschen aus der Einordnung in die Schöpfung herausnimmt und ihm selbst die Wahl läßt, sich in der Welt der Pflanzen / Tiere oder als Betrachtender über sie als himmlisches Wesen einzusetzen. Es ist eine Änderung des Verhältnisses des Menschen zur Umwelt, da der Mensch selbst und nicht mehr das Sein die Stellung des Menschen bestimmt.208 Pico interpretiert damit die Menschenwürde nicht wie Kant als sittlich vorbestimmte „Freiheit zu“, sondern als offene Entwurfsfähigkeit und damit „Freiheit von“.
2. Fortentwicklung bei Gröschner und offene Fragen Pico kommt damit ebenso wie der Leistungstheorie das Verdienst zu, die Menschenwürde nicht als eine bestimmte Form zu verwirklichender Sittlichkeit vorzugeben. Gröschner sieht nun Picos Interpretation der Menschenwürde als Freiheitsvermögen für geeignet an, zwischen der Mitgift- und der Leistungstheorie zu vermitteln.209 Die Menschenwürde begründe sich allein schon in der Fähigkeit zum Entwurf einer Lebensform, nicht aber in deren Realisierung. Die Ausstattung mit dem Vermögen zum eigenen Lebensentwurf (Mitgift) sei Bedingung dafür, die Entwurfsleistung / Identitätsbildung (Leistung) zu erbringen: „Wäre ihm Würde nicht ,mitgegeben‘, wäre er zu einer (eigenständigen) Leistung gar nicht fähig.“210 Pico della Mirandola, 1990 (1487), S. 6. Hierzu siehe Cassirer, 1987, S. 68 ff. u. 68 f. 207 Pico della Mirandola, 1990 (1487), S. 9. 208 Vgl. Skinner, 1978, S. 89 f. Entsprechend lehnt Pico della Mirandola, 1905, S. 242 ff., eine Beeinflussung der menschlichen Zukunft durch die Planetenbewegung, wie es die Astrologie vertritt, entschieden ab. Bezeichnend ist hier, daß Pico della Mirandola, a. a. O., S. 243, die Astrologie unter ausdrücklicher Anerkennung der mathematisch-physikalischen Astronomie, welche durch Beobachtung und Messung Kausalitäten nachweist, ablehnt. Siehe auch Cassirer, 1987, S. 123 ff. 209 Gröschner, 1995, S. 33 ff.; siehe auch P. M. Huber, Jura 1998, S. 505 (511). 210 Gröschner, 1995, S. 33. 205 206
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Auf die oben bereits wiederholt problematisierte Frage, inwieweit eine Begründung von einer allen Menschen zukommenden Würde gelingt, bedient sich auch Gröschner des Potentialitätsarguments. Die Entwurfsfähigkeit kommt nach Gröschner nicht nur der menschlichen Gattung, sondern auch jedem Mitglied zu, weil nicht die Wahrnehmung, sondern bereits die potentielle Fähigkeit beim Ungeborenen oder behinderten Menschen ausreichend seien.211 Erst der Hirntod stelle das Ende jeder nur potentiellen menschlichen Entwurfsfähigkeit dar.212 Der Verweis auf die potentiellen Entwurfsfähigkeiten vermag allerdings auch bei Gröschner entgegen seiner Behauptung nicht jedem Menschen eine Menschenwürde zuzuweisen. Menschen mit schwersten geistigen Behinderungen oder irreversibel komatöse Patienten, die definitiv außerstande sind eine eigenständigen Entwurfsleistung zu erbringen, besitzen auch keine potentielle Fähigkeit zur Entwurfsleistung (s. o. III. 1. c).
VI. Zwischenergebnis Überblickt man die verschiedenen Positionen, so kommen Mitgift- und Leistungstheorie darin überein, daß die Menschenwürde eine Sicherung der menschlichen Autonomie beinhaltet. Beide Ansätze zeigen spezifische Schwachstellen. Die Mitgifttheorien kantischer und christlicher Provenienz neigen zu einer Verpflichtung auf eine zu erfüllende Würde. Dies wird auch dann nicht verhindert, wenn die Menschenwürde als faktische Grundgegebenheit des Eigenwerts gefaßt wird, da damit kein Kriterium der inhaltlichen Verifikation dessen geliefert wird, das im Begriff der Menschenwürde eher emphatisch angedeutet als präzise gesagt wird. Die latente Ideologieanfälligkeit ist hiermit gegeben.213 Die Leistungstheorie ist dagegen defizitär, wenn nach der Würde von zur Selbstbestimmung nicht fähigen Menschen gefragt wird. Das steht im Widerspruch zu dem Gewährleistungsinhalt der Menschenrechte, die allen und insbesondere den Schwachen zukommen sollen. Doch auch vor dem Hintergrund der Mitgifttheorien ließ sich eine allen Menschen zukommende Würde nicht überzeugend aufzeigen, sobald das Gewicht der Argumentation auf spezifisch menschliche Eigenschaften gelegt wurde. Der transzendentale Ansatz Kants vermochte ebenfalls keine individuelle Würde zu begründen. Am überzeugendsten, wenn auch am voraussetzungsreichsten, erwies sich hier noch die in der neueren Theologie verbreitete relationale und nicht ontologische Interpretation der Gottebenbildlichkeit und damit Begründung der Würde des Menschen. Positiv läßt sich bislang weiterhin konstatieren, daß der verfassungsrechtliche Sinn der Autonomieverbürgung nicht die Verpflichtung zur Wahrnehmung einer wie auch immer gefaßten Autonomie sein kann, sondern nur die grundlegende Si211 212 213
Gröschner, 1995, S. 34. Gröschner, 1995, S. 34 f. Wils, 1991a, S. 130 (154).
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cherung ihrer Voraussetzungen – wobei allerdings noch offen blieb, welche dies sein sollen.
VII. Kommunikative Interpretation der Menschenwürde Die von Hasso Hofmann214 eingebrachte kommunikative bzw. relationale Bestimmung des Begriffs der Menschenwürde als Staatsfundamentalnorm ist erst neueren Datums. Soll sie sich gegenüber den Mitgift- und Leistungstheorien als überzeugender darstellen, müßte sie nach obigen Feststellungen folgendes (s. o. III. 1. d, 2. c; IV. 2., V. 2.; VI.) leisten: 1) eine überzeugende Begründung, warum die Menschenwürde allen menschlichen Individuen unabhängig von ihren Fähigkeiten und Eigenschaften zukommt, und 2) die Fassung der Menschenwürde als Gewährleistung der Bedingung von Autonomie ohne Vorgabe eines verpflichtenden Menschenbildes. Die kommunikative Interpretation der Menschenwürde soll ausgehend von der Diskurstheorie – genauer der Diskursethik – entwickelt werden. Obschon Jürgen Habermas mit seinem Buch „Faktizität und Geltung“215 einen umfassenden Beitrag zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats geleistet hat, wird vorliegend von der Architektonik der Diskurstheorie, wie sie K. O. Apel als Transzendentalpragmatik vorgelegt hat, ausgegangen, weil diese m.E. zum einen klarer und zum anderen gegenüber dem Entwurf von Habermas in der Begründungsleistung stärker ist. Mit dieser Präferenz für die von Apel vorgelegte Diskurstheorie ergeben sich bereits Konsequenzen für den nachfolgenden Aufbau. Nach Habermas liegt dem Recht wie der Moral gleichermaßen ein moralisch neutrales, fundamentales Diskurspinzip zugrunde, welches sich durch „Spezifikation“ in ein Moralprinzip einerseits und ein Rechtsprinzip (Grundrechte und Demokratie) andererseits aufspaltet.216 Damit sucht Habermas das Recht von der Moral zu entkoppeln; eine Vorrangstellung der Moral gegenüber dem Recht ist durch ihre „gleichursprüngliche“ Stellung nicht gegeben.217 Demgegenüber wird vorliegend mit Apel davon ausgegangen, daß das Diskursprinzip nicht ethisch neutral aufzufassen ist, sondern ihm ein normativer Gehalt genuin zu eigen ist.218 Anderenfalls würde sich die Frage stellen, woraus der normative Gehalt des Moral- und Rechtsprinzips bei der Spezifikation des neutralen Diskursprinzips sich ergeben kann.219 214 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (364 ff.). Siehe zum folgenden auch Antoine, 2002, S. 447 (448 ff.). 215 Habermas, 1992. 216 Habermas, 1992, S. 135 ff.; zur Kritik daran siehe Apel, 1998, S. 733 ff. u. 759 ff.; Lohmann, 1998, S. 62 (73 ff.); Blanke, 1994, S. 439 (447 ff.). 217 Vgl. Habermas, 1992, S. 138. 218 Apel, 1998, S. 733 ff. u. 759 ff.
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Um den Unterschied zwischen einem moralischen und dem grundgesetzlichen Menschenwürdegrundsatz verständlich zu machen, sind drei Schritte notwendig. Zunächst ist auf die Diskursethik als primordiales Moralprinzip einzugehen, soweit sie sich für die Interpretation der Menschenwürde von Bedeutung erweist. Die Ergebnisse hieraus können nicht einfach in die verfassungsrechtliche Interpretation übertragen werden. Es ist ein Zwischenschritt notwendig, in dem das Verhältnis von Recht und Moral geklärt wird. Erst im abschließenden dritten Schritt kann dann eine kommunikative Interpretation der Menschenwürde des Grundgesetzes aus dem Horizont der Transzendentalpragmatik versucht werden.
1. Grundzüge der Diskursethik und der darin implizierte Menschenwürdegrundsatz Fragt man nach dem übereinstimmenden Kern der verschiedenen Varianten der Diskursethik,220 dann dürfte er darin liegen, daß sich Diskursethiken als kognitivistische Verfahrensethiken verstehen. Kognitivistisch ist die Diskursethik, weil sie die Frage nach dem „Was sollen wir tun?“ für beantwortbar erachtet; Verfahrensethik ist sie, weil sie zur Beantwortung dieser Frage auf den rationalen Diskurs verweist. Die Bedeutung des Diskurses ergibt sich daraus, daß die Wahrheit einer Aussage oder Richtigkeit einer Norm nicht im Selbstgespräch festgestellt werden kann.221 Vielmehr kann sie nur in einem Diskurs aller ermittelt werden. Zudem müssen in diesem Diskurs gewisse Bedingungen eingehalten sein – es muß ein rationaler Diskurs sein.222 Die Diskursethik erkennt vor diesem Hintergrund die Grundlage der Ethik in einem formalen Prinzip.223 Dafür werden verschiedene Formulierungen vorgeschlagen. Als sparsamste Version sei an dieser Stelle das Diskursprinzip von Habermas genannt: „Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten.“224 Nun bestehen grundlegende Differenzen zwischen den Diskurstheorien, wie sie einerseits in der von Habermas begründeten Universalpragmatik und andererseits in der von Apel formulierten Transzendentalpragmatik gegeben sind, u. a. in folgenden Fragen: (1) Ist das Diskursprinzip letztbegründet (Apel) oder gibt es nur 219 Tatsächlich ist nach Habermas, 1992, S. 143, die Rechtsform weder „epistemisch noch normativ begründbar.“ Die Legitimität des Rechts ist damit nicht gegeben. Das Rechtsprinzip begründet sich bei Habermas letztlich dezisionistisch. Zur Kritik hieran siehe Höffe, 1996, S. 154 f.; Brune, 2000, S. 147 (167). 220 Siehe die Übersicht bei P. Müller, 1992, S. 235 ff. 221 Böhler, 1984c, S. 845 (858 f.). 222 Alexy, 1991, S. 219 ff. 223 Wellmer, 1986, S. 8. 224 Habermas, 1992, S. 138; ders., 1983, S. 103; vgl. auch Alexy, 1995, S. 110; Gronke, 1993, S. 273 (280 ff.).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
die fallible Beschreibung unseres vortheoretischen Argumentations- und Handlungswissens (Habermas) wieder?225 (2) Ist das Diskursprinzip moralisch neutral (Habermas) oder enthält es bereits moralische Grundnormen (Apel)?226 (3) Wie ist das Verhältnis von Begründungs- und Anwendungsdiskursen?227 Diese Fragen können in vorliegender Arbeit selbstredend nicht hinreichend erörtert werden. Ich möchte stattdessen den Gedankengang der Transzendentalpragmatiker im folgenden kurz entfalten, weil sich hieran Grundunterscheidungen innerhalb der Diskursethik aufzeigen lassen, die sich für eine kommunikative Interpretation der Menschenwürde als fruchtbar erweisen. Die Diskursethik der Transzendentalpragmatiker Apel, Kuhlmann und Böhler versteht sich als transzendentalpragmatische Aufhebung der Ethik Kants. Ihr Anspruch ist es, nicht eine geschichtlich-kontingente Vorstellung vom guten Leben in den Mittelpunkt der Ethikkonzeption zu stellen, sondern die Frage nach dem Sollen in einem starken verpflichtenden Sinn bzw. als nichthintergehbares Gebot aufzuzeigen.228 Sie sieht sich in der Lage, eine transzendentalpragmatische Letztbegründung des Diskursprinzips als universelles Moralprinzip zu leisten.229 Dabei wird unterschieden zwischen einem idealisierenden Legitimationsteil der Ethik (A), in dem nach Böhler der Menschenwürdegrundsatz letztbegründet enthalten ist, und einem verantwortungsethischen Teil (B) der Ethik, der als Ergänzungsgehalt ein regulativ-teleologisches Prinzip enthält, in dessen Horizont auch erst das Recht eine Begründung erhalten soll. Vorstehendes sei nun näher erläutert.
Vgl. Habermas, 1983, S. 53 ff.; Gronke, 1993, S. 273 ff. Vgl. Apel, 1998, S. 733 ff. u. S. 759 ff. 227 Vgl. Alexy, 1995, S. 52 ff.; Gronke, 1993, S. 273 ff. 228 W. Kuhlmann, 1984, S. 495 ff. 229 Der Letztbegründungsanspruch wird vielfach kritisiert, siehe nur Hilgendorf, Rechtstheorie 1995, S. 183 ff. M.E. hat sich bisher aus der Fülle der vorgebrachten Einwände gegen die transzendentalpragmatische Letztbegründung keiner als wirklich schlüssig erwiesen. Eine adäquate Diskussion einzelner Einwände würde über vorliegenden Rahmen hinausgehen, siehe hierzu W. Kuhlmann, 1985; Niquet, 1991; Hösle, 1990, S. 143 ff. Ich werde mich deshalb an die eingeschlagene Methode der vorherigen Abschnitte halten und aus der dargestellten Ethik den jeweiligen Beitrag zur Menschenwürde herausstellen. Die Bedeutung des Letztbegründungsanspruchs ist in der moralischen Diskussion von größerem Gewicht als bei der Verfassungsinterpretation dieser Arbeit, da bei der moralischen Debatte die Begründung eines (unbedingten) Sollens überhaupt im Streit steht. Für die Auslegung des Art. 1 GG ist weniger der Sollensanspruch als vielmehr der Inhalt umstritten. Wer Letztbegründungen für ein vergebliches Unterfangen ansieht, der wird ohnehin nur auf der Basis von Plausibilitäten Urteile treffen können. Ihm gegenüber erweist sich eine kommunikative Menschenwürdeinterpretation immer noch als plausible Erklärung, da sie am ehesten die Bedingungen einer „offenen Gesellschaft“ darzulegen vermag, vgl. aber die Kritik von Hilgendorf, a. a. O., S. 200. Pragmatischer Grund dafür, Konflikte rational durch Diskurse zu lösen, ist das lebenspraktische Ziel einer friedlichen Koordination. Zur pragmatischen Begründung einer Diskursethik siehe Steinmann / Löhr, 1991, S. 3 (10 ff.). Auf eine Letztbegründung verzichtet auch Habermas, 1976, S. 174 ff., der nur eine universalpragmatische Begründung angibt. 225 226
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Ansatzpunkt der Transzendentalpragmatik ist die Frage: „Läßt sich alles sinnvoll bestreiten?“230 Die Transzendentalpragmatik sucht diese Frage durch einen striktreflexiven Nachweis zu verneinen, indem sie zeigt, daß selbst der radikalste Zweifler noch bestimmte Argumentationsregeln befolgen muß, anderenfalls er keinen sinnvollen Zweifel geäußert hat. Jeder, der in irgendeinem Sinn argumentiert oder Geltungsansprüche erhebt, muß von bestimmten Voraussetzungen seiner Argumentation oder Rede Gebrauch machen. „Wenn nicht x, dann auch nicht das von dir als Skeptiker aktuell und notwendig immer in Anspruch genommene (für die Skepsis also unverzichtbare) y.“231 Letztbegründet, weil nicht hintergehbar, ist dann dasjenige, was weder ohne Selbstwiderspruch durch Kritik in Frage gestellt noch ohne Voraussetzung seiner selbst deduktiv begründet werden kann.232 Es geht der Transzendentalpragmatik mithin um die Aufdeckung desjenigen, das auch der Skeptiker notwendig in Anspruch nehmen muß, wenn er denn für seine Position Geltung beanspruchen will. In dem Augenblick, wo jemand eine Behauptung aufstellt, also Geltung beansprucht, lassen sich eine Reihe von Argumentationsvoraussetzungen aufdecken, die man lediglich bei Strafe des pragmatischen Selbstwiderspruchs verletzen kann. Dasjenige, was in dem performativen Teil der Rede notwendigerweise zur Verständlichkeit einer Aussage in Anspruch genommen wird, kann nicht auf propositionaler Ebene zugleich bestritten werden, wenn die Argumentationshandlung nicht an ihrem inneren Widerspruch scheitern will. Dieses „know how“ vom Argumentieren will die Transzendentalpragmatik in ein „know that“, durch die Aufdeckung mittels Konfrontation mit dem je aktuell unvermeidlich involvierten Handlungswissen, überführen.233 Welches sind nun die wesentlichen Gehalte, die jeder in Anspruch nehmen muß, der etwas behauptet,234 sei es als Beschreibung von Wirklichkeit, sei es über die Richtigkeit einer Norm?235 Der Sprecher muß immer zugleich einen Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit erheben, anderenfalls verwickelt er sich in einen performativen Selbstwiderspruch.236 Das läßt sich an folgender Behauptung erweisen: „Ich behaupte, daß es regnet.“ Unterstellt der Sprecher zugleich auf performativer Ebene, daß er seine Behauptung nicht für wahr erachtet, dann bleibt sein Sprechakt unverständlich. Was auf propositionaler Ebene behauptet wird, wird zugleich auf W. Kuhlmann, 1985, S. 71. W. Kuhlmann, 1992, S. 28. 232 Hösle, 1990, S. 127. 233 Vgl. W. Kuhlmann, 1992, S. 31 f.; ders., 1985, S. 105 ff. 234 Vor allem kann für den juristischen Diskurs dahingestellt bleiben, ob es sinnvolle Sprechakte gibt, die keine Behauptung enthalten (z. B. Sprechrollen auf der Bühne). Mir jedenfalls ist kein Jurist bekannt, der am juristischen Diskurs teilnimmt, ohne etwas zu behaupten. 235 Die nachfolgenden Ausführungen operieren in erster Linie mit dem Begriff der „Wahrheit“, sie treffen aber für den normativen Anspruch auf Richtigkeit in gleicher Weise zu. Der Argumentationsgang bliebe sich gleich. 236 Alexy, 1995, S. 127 (135 f.). 230 231
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
performativer Ebene wieder zurückgenommen. Wie bei einem Schachspieler, der den Zug, den er getan hat, zugleich wieder zurückzieht. Es ist, als wenn er nichts gesagt hätte, seine Rede bleibt unverständlich. Die Behauptung als wahr, ist allerdings nicht nur eine solche, die sich nur „entre nous“ zwischen Sprecher und Hörer als wahr versteht. Die Behauptung beansprucht vielmehr, begründet wahr zu sein, und zwar gegenüber allen möglichen Einwänden. Anderenfalls gäbe es für den Diskurspartner keinen Grund, die Behauptung als wahr anzuerkennen, wenn der Sprecher selbst unterstellte, daß die Behauptung aus noch unbenannten Gründen falsch sei. Letzteres würde den Behauptungsakt als sinnlos erweisen, der Sprechakt würde an einem performativen Selbstwiderspruch scheitern, da nicht mehr klar wäre, ob die Behauptung als wahr geltend gemacht wird oder nicht. Der Sprecher muß deshalb für seine Behauptung unterstellen, daß seine Aussage sich nicht nur im gegenwärtigen realen Diskurs, sondern auch gegenüber einer idealen Kommunikationsgemeinschaft, wo die Behauptung auf alle (Gegen-) Argumente hin überprüft würde, als wahr erweist. Die Behauptung müßte Gegenstand eines allgemeinen Konsenses sein können.237 Der Argumentierende verfolgt deshalb nur dann seinen Anspruch auf Wahrheit ernsthaft, wenn er sich um den umfassenden argumentativen Konsens für seine Behauptung bemüht, d. h. um die wahre Aussage oder richtige Norm, die sich auch in einer idealen offenen Kommunikationsgemeinschaft als wahr oder richtig bestätigen würde.238 Als diskursethisches Handlungsprinzip folgt hieraus (Diskursprinzip D): „Als Argumentierender erhebe ich Ansprüche auf Geltung in einem unbegrenzten Diskursuniversum und bin daher zur Bemühung um den argumentativen Konsens verpflichtet, der sich auch und zumal unter den idealen Bedingungen eines Diskursuniversums mit gänzlicher dialogischer Reziprozität einstellen würde.“239 Der letzte Halbsatz des Diskursprinzips verweist darauf, daß der Sprecher die Bedingungen der idealen Kommunikationsgemeinschaft zur Bedingung seiner Rede hat. Er muß unterstellen, daß seine Behauptung sich in einer Situation, in der alle Argumente zugelassen würden, als begründet wahr erweist. Die ideale Kommunikationssituation wäre mithin eine solche, in der der zwanglose Zwang des besseren Arguments dadurch gewährleistet ist, daß alle Argumente in gleicher Weise geprüft würden, folglich alle Gesprächspartner in gleicher Weise zur Teilnahme berechtigt sind, jede Behauptung in Frage stellen oder einbringen dürften und weder innerhalb noch außerhalb des Diskurses durch Zwang hieran gehindert W. Kuhlmann, 1985, S. 189. Vgl. W. Kuhlmann, 1985, S. 184 ff.; Böhler, ZEE 1991, S. 166 (167 f.). 239 Böhler, 1992, S. 201 (203). Klarer zum Ausdruck kommt der Zusammenhang dieses Diskursprinzips zum reflexiven Handlungswissen durch die ausführlichere Formulierung von Gronke, 1993, S. 273 (281 f.): „Als argumentierendes Mitglied der realen Kommunikationsgemeinschaft habe ich immer schon kontrafaktisch als kategorische Pflicht anerkannt, das unbegrenzte Diskursuniversum gleichberechtigt Argumentierender, in dem sich ein idealer Konsens einstellen würde, als Geltungsinstanz für Richtigkeit von Handlungen und der ihnen zugrunde liegenden Normen (aber auch für die Wahrheit von Aussagen über Sachverhalte oder die Wahrhaftigkeit von Erlebnisäußerungen) anzuerkennen.“ 237 238
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würden.240 Die Kommunikationspartner müßten sich damit als im Diskurs gleichberechtigt anerkennen.241 Der Bezug zur Menschenwürde zeigt sich darin, daß jede sinnvolle Rede damit einen notwendigen Bezug auf alle möglichen anderen enthält und damit eine universale Geltungs-Gegenseitigkeit begründet.242 Die Wahrheit einer Behauptung ergibt sich nicht auf der Basis eines durch Zwang erzeugten Konsenses; die Übereinstimmung, die der Behauptende einfordert, soll ob ihrer Begründung jeden unter der Voraussetzung freier und gleicher Teilnahme an einer Argumentation überzeugen können. Wenn wir argumentieren, müssen wir uns deshalb wechselseitig als Personen anerkennen, die zur freien und gleichen Stellungnahme mit Ja oder Nein fähig und berechtigt sind.243 Es ist dies das Postulat der „Autonomie der Person“, der ein eigenständiges, frei und unabhängig gefälltes, gültiges Urteil zugetraut wird.244 Dies gilt nicht nur im Nah-Horizont des unmittelbaren Gesprächspartners, sondern universal, da der Anspruch auf Wahrheit im Hinblick auf die ideale Kommunikationsgemeinschaft gegenüber allen möglichen Gesprächspartnern erfolgt.245 Hieran schließen sich zwei Fragen an: (1) Ergeben sich aus dem Achtungsanspruch konkrete Verpflichtungen? (2) Gilt der moralische Achtungsanspruch nur gegenüber demjenigen, der selbst zur sprachlichen Kommunikation fähig ist? Um die Fragen hinreichend beantworten zu können, ist es zunächst erforderlich, das Verhältnis zwischen dem idealen und dem realen Diskurs näher zu klären. In jeder Rede mitgewußt ist nicht nur die ideale Kommunikationsgemeinschaft, sondern auch ihre faktische Einschränkung in der gegenwärtigen realen Kommunikationsgemeinschaft. Es besteht offensichtlich ein Spannungsverhältnis zwischen der realen bzw. geschichtlichen und von daher eingeschränkten, kontingenten Kommunikationsgemeinschaft und andererseits der idealen, nicht eingeschränkten Kommunikationsgemeinschaft, auf die sich der idealisierende Anspruch der Wahrheit oder Richtigkeit als Ort eines logischen Universums richtet. Aus der Differenz zwischen dem doppelten Kommunikationsapriori (reale und ideale Kommunikationsgemeinschaft) ergibt sich als regulatives Prinzip U reg.-tel.: „Erstens muß es in allem Tun und Lassen darum gehen, das Überleben der menschlichen Gattung als der realen Kommunikationsgemeinschaft sicherzustellen, zweitens darum, in der 240 Vgl. Alexy, 1995, 127 (130); auch Habermas, 1983, S. 97 (99); Cortina, ARSP 1990, S. 37 (43). 241 Böhler, 1984c, S. 845 (858). Da es in der idealen Kommunikationssituation auch keine Mißverständnisse in der Kommunikation geben würde, impliziert das Diskurspzrinzip auch eine allgemeine Verständigungs-Gegenseitigkeit, siehe Böhler, a. a. O. 242 Böhler, 1984c, S. 845 (858 ff.). 243 Günther, 1991, S. 205 (206); vgl. auch Apel, 1973, S. 400 f.; Cortina, 1993, S. 238 (246); Alexy, 1995, S. 127 (137 ff.); Böhler, 1984a, S. 313 (348 f.). 244 Böhler, 1984a, S. 313 (349). 245 Vgl. Apel, 1973, S. 400; Böhler, ZEE 1991, S. 166 (167).
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realen die ideale Kommunikationsgemeinschaft zu verwirklichen.“246 Dieses Realisierungs- und Erhaltungsprinzip ist Ergebnis desjenigen, das Argumentationssubjekte aufgrund der Differenz zwischen der idealisierenden Situation und der realen Welt stets mitbedenken. Wenn nämlich einerseits die Verpflichtung zum argumentativen Konsens besteht, der sich auch unter den idealen Bedingungen eines Diskursuniversums einstellen würde, andererseits jedoch in den realen Diskursen immer ein Minus zu dieser idealen Kommunikationssituation besteht, dann kann aus der Reflexion auf diese Doppelstruktur der Kommunikation nur folgen, daß der reale Diskurs, der sich ja immer um die Einhaltung der idealen Diskursanforderungen bemühen soll, in seinen Bedingungen dem idealen stets angenähert werden soll. Dies setzt neben der Orientierung des realen Diskursuniversums an der idealen Kommunikationsituation die Erhaltung derjenigen Strukturen bzw. Gegebenheiten voraus, die eine solche Annäherung überhaupt erst ermöglichen bzw. erleichtern. Aus dem doppelten Kommunikationsapriori ergibt sich weiterhin, daß die Diskursethik sich nicht einfach als eine Aufforderung zum „Handle so, als wärest du Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeinschaft“ verstehen läßt.247 Dies hieße die Umstände der realen Kommunikationsgemeinschaft auszublenden. Die mittels idealisierender Legitimitationsdiskurse generierten Normen müssen deshalb bezüglich der Folgen ihrer Anwendung unter kontra-idealen Bedingungen der antagonistischen Lebenspraxis problematisiert werden. Im Rahmen der Unterscheidung von Recht und Moral wird hierauf zurückzukommen sein. Die beiden Fragestellungen lassen sich nunmehr wie folgt beantworten: Ad (1): Bei strikt-reflexiver Argumentation sind die Prinzipien D und U reg.-tel. letztbegründet ausweisbar. Geltungskriterium für die Richtigkeit einer Norm ist der allseitige argumentative Konsens. Für die Prüfung einer konkreten Norm läßt sich dies als argumentativ-kommunikativer Universalisierungsgrundsatz U formulieren: „Zu prüfen ist, ob für eine konkrete Norm (k.N.) ein argumentativer Konsens möglich ist, der insbesondere die sinnvollen Argumente einschlösse, die – als Einwände – aus dem Kreis derer vorgebracht werden könnten, deren Interessen von Folgen und Nebenwirkungen einer allgemeinen Befolgung der k.N. beeinträchtigt werden mögen.“248 U ist das Prinzip einer deontologischen Verfahrensethik, da es die Bedingung festlegt, unter der eine Norm Anspruch auf Geltung erheben kann. Hiervon zu unterscheiden ist die situationsbezogene Rechtfertigung von Normen in der geschichtlichen Situation (Ebene A 2) anhand von U. Diese 246 Apel, 1973, S. 431. Aus dem doppelten Kommunikationsapriori folgt auch die Verantwortung für den Erfolg der moralischen Realisierungsbemühungen durch strategisches Verhalten gegenüber einer sich strategisch verhaltenden Umwelt (U-strat. bzw. SKS = StrategieKonter-Strategie): „Die Bemühung um die Annäherung an Bedingungen eines dialogischen Diskursuniversums und die Pflege des zu diesem Zwecke Erhaltungswürdigen soll in dem Maße strategisch erfolgen, als solche Strategien – gemäß D – gerechtfertigt sind, um amoralische Gegenstrategien zu neutralisieren.“ Böhler, 1992, S. 201 (206). 247 So aber Pieper, 1985, S. 172. 248 Böhler, 1992, S. 201 (205).
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konkreten Normen werden nicht aus dem Universalisierungsprinzip abgeleitet, sondern es wird anhand von U geprüft, ob in der spezifischen Situation die vorgeschlagene Norm Grundlage eines argumentativen Konsenses abbilden kann. Als allgemeiner praktischer Diskurs ist er von der reflexiven Letztbegründung zu unterscheiden. Die Ergebnisse der Anwendung von U stehen unter einem Fallibilitätsvorbehalt, weil die Bedingungen der idealen Kommunikationsgemeinschaft (unbegrenzte Zeit, unbegrenzte Teilnehmerschaft, vollkommene Informiertheit und begriffliche Klarheit, vollkommene Bereitschaft zum argumentativen Konsens)249 nicht hergestellt werden können. Die Idee der idealen Kommunikationsgemeischaft ist deshalb eine regulative Idee. Oben wurde nun gezeigt, daß das Diskursprinzip D über ein reines Universalisierungsprinzip hinausgeht. Das Postulat der Antizipation einer idealen Kommunikationsgemeinschaft impliziert eine universale Geltungs-Gegenseitigkeit. Als Argumentierende müssen wir uns gegenseitig den Status von zum eigenen Urteil fähigen autonomen Personen zusprechen. Aus der transzendentalen Reflexion auf die Bedingungen dieser idealen Kommunikationsgemeinschaft lassen sich weitere Verpflichtungen aufweisen, die jeder, der ernsthaft argumentiert, immer schon anerkannt hat. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß alle Gesprächspartner in gleicher Weise zur Teilnahme berechtigt sein müssen, jede Behauptung in Frage stellen oder einbringen dürfen und weder innerhalb noch außerhalb des Diskurses durch Zwang hieran behindert werden dürfen.250 Diese Rechte lassen sich zum Recht auf kommunikative Freiheit und Gleichberechtigung zusammenfassen.251 Die Freiheit von Zwang verweist weiterhin auf die Unverletzlichkeit der Person, der schließlich die Teilnahme am Diskurs durch ein Lebensrecht überhaupt erst ermöglicht sein muß.252 Als Verpflichtungen bzw. Rechte der Diskurspartner auf der Ebene der transzendentalen Reflexion (A 1) sind sie nicht hintergehbar.253 Aufgrund von U reg.-tel. besteht weiterhin die Verpflichtung, sich um die Verhältnisse zu bemühen, in denen diese Rechte gewährt werden. Das Diskursprinzip D und mit ihm U reg.-tel. sind somit weder leer noch moralisch neutral. Es stellt sich allerdings umgekehrt die Frage, ob der Diskursethik mit diesen materialen Gehalten von D und U reg.-tel. nicht die einleitend skizzierte Aufgabenstellung mißlingt, die Menschenwürde als Gewährleistung der Bedingung von Autonomie ohne Vorgabe eines verpflichtenden Menschenbildes zu entfalten. Fällt die Diskursethik damit auf die aristotelische Formulierung einer Ethik des guten Lebens254 zurück? Das Gegenteil ist der Fall. Die Organisation und Siehe Alexy, 1991, S. 412. Vgl. Alexy, 1995, S. 130. 251 Böhler, ZEE 1991, S. 166 (171); 1992, S. 201 (209). 252 Böhler, ZEE 1991, S. 166 (171); Cortina, ARSP 1990, S. 37 (46). 253 Sie nehmen deshalb den Status von den Rechtsordnungen vorgegebenen moralischen Menschenrechten ein: vgl. Cortina, ARSP 1990, S. 37(45 f.). 254 Siehe hierzu W. Kuhlmann, 1984, S. 495 (509 ff.). 249 250
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Wahrnehmung der kommunikativen Freiheit ist überhaupt erst Bedingung dafür, daß sich die Menschen über das, was ihr Glück sein soll, Klarheit verschaffen und den Sinn des guten Lebens ermitteln können. Sie werden durch die Ermöglichung der Bedingungen eines möglichst idealen Diskurses erst in den Stand gesetzt, eine Realisierung des guten Lebens in Selbstbestimmung zu finden.255 Die Diskursethik fordert deshalb auch nicht eine konkrete Sozialutopie, sondern als regulatives Prinzip zielt U reg.-tel. nur auf „die progressive, aber niemals vollständige Realisierung der (kommunikativen) Rahmen-Bedingungen eines gleichberechtigten und gleichmitverantwortlichen Miteinanders“.256 Den verschiedenen substantiellen Formen der Selbstverwirklichung werden lediglich einschränkende Bedingungen auferlegt.257 Der weite Bereich der situationsbezogenen Rechtfertigung von Normen bleibt den praktischen Diskursen, einer sich in rationaler Argumentation entfaltenden Gesellschaft vorbehalten. Ad (2): Gilt der moralische Achtungsanspruch nur gegenüber demjenigen, der selbst zur sprachlichen Kommunikation fähig ist? Wird die Beantwortung dieser Frage nur im Horizont der realen Argumentationsgemeinschaft gesucht, so scheint es jedenfalls keinen Sinn zu machen, auch denjenigen in die Gemeinschaft der Argumentierenden einer realen Diskursgemeinschaft aufzunehmen, dem die kommunikativen Fähigkeiten zur Teilnahme fehlen. Unterstellt wird aber vom Argumentierenden, daß sich sein Anspruch gegenüber allen möglichen Einwänden einer idealen Kommunikationsgemeinschaft als wahr erweisen würde. Nun zeichnet sich die ideale Kommunikationsgemeinschaft nicht nur dadurch aus, daß alle an ihr teilnehmen können, sondern auch in der allseits bestehenden sprachlichen Kompetenz der Teilnehmer.258 Der Konsens kann sich nur dann als allseitiger ausweisen, wenn er nicht das Ergebnis rhetorischer Vorteile einzelner ist. Wer sollte somit Mitglied der idealen Kommunikationsgemeinschaft sein? Hierzu gehören zunächst alle virtuellen Diskurspartner, die von einer Handlung bzw. Norm betroffen sein könnten. In einer idealen Diskursgemeinschaft müßten auch unterschiedliche kommunikative Kompetenzen, die z. B. zum argumentativen Übergewicht des rhetorisch Geschickten führen, ausgeblendet sein. Idealerweise würden alle gleichermaßen diskursfähig sein. In der realen Diskursgemeinschaft bestehen gegenüber diesen Anforderungen vielfältige Abweichungen. Daß im praktischen Diskurs nicht alle Betroffenen ausreichend gehört werden können, kann sich ergeben aus zeitlichen und räumlichen Schwierigkeiten der Organisation der Beteiligung, Sprach- und Verständnisschwierigkeiten bis hin zum Ausfall aller kommunikativen Fähigkeiten beim Betroffenen. Die Verpflichtung zur Bemühung um die Annäherung an die ideale Kommunikationsgemeinschaft kann dann nur durch die Stellvertretung von Kommunikationsunfähigen realisiert werden. Die Diskursethik gelangt deshalb zur 255 256 257 258
Vgl. Apel, 1988, S. 147. Apel, 1992, S. 29 (37). Apel, 1992, S. 29 (37); ders., 1988, S. 147; siehe auch Böhler, 1984c, S. 845 (864). Vgl. Alexy, 1991, S. 412.
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Verpflichtung zum advokatorischen Diskurs all derjenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht aktuell am Diskurs teilnehmen können.259 Vorstehende Erörterungen sind solche der Moral. Sie gilt es im rechtlichen Horizont des Grundgesetzes zu beleuchten. Dazu ist zunächst auf das Verhältnis von Recht und Moral einzugehen.
2. Verhältnis der Diskursmoral zum Recht Der gewichtigste Unterschied zwischen dem Recht und der Moral ergibt sich aus dem Zwangscharakter des Rechts. Rechtsnormen können durch staatlichen Zwang gewährleistet werden, moralische Normen können über soziale Sanktionen Druck ausüben, sie sind aber im Gegensatz zum Recht zu ihrer Durchsetzung letztlich auf die Einsicht des Handelnden angewiesen.260 Moralische Normen befolgt man deshalb primär aus einer internen Verpflichtung heraus, rechtlichen Normen genügt die Übereinstimmung des äußeren Verhaltens.261 Nach der Transzendentalpragmatik ist das moralische Diskursprinzip dem Recht primordial vorgeordnet (s. o. VII., vor 1.). Das hat zwei Konsequenzen: Die Legitimation des Rechts ergibt sich aus dem Horizont der Moral und nicht aus der Faktizität des Rechts (s. u. a.), und der Verpflichtungsgehalt der Moral geht auch im demokratischen Verfassungsstaat nicht vollständig auf, sondern verbleibt gegenüber der jeweiligen Rechtsordnung in einer ständigen und notwendigen kritischen Distanz (s. u. b.).
a) Legitimation des Rechts Das Verhältnis der Diskurstheorie zur Legitimation des Rechts läßt sich unter zwei Gesichtspunkten aufzeigen: in bloß formaler Hinsicht steht die Legitimation des Zwangs als Zumutbarkeitsbedingung und damit des Rechtsstaats überhaupt im Vordergrund, in materialer Beziehung geht es um die Legitimation einer bestimmten Ausformung des Rechtsstaats, nämlich des demokratischen. In moralischer Perspektive stützt sich die Diskursethik auf den zwanglosen Zwang des besseren Arguments. Die Zwangsordnung des Rechts erscheint ihr danach fremd.262 Damit kann sie aber auch keine faktische Normbefolgung gewähr259 Apel, 1988, S. 272; Böhler, ZEE 1991, S. 166 (177 f.); Skirbekk, DZPhil 1995, S. 419(427 u. 430); Habermas, 2001, S. 78 f. u. 91 f.; kritisch hierzu Brumlik, 1986, S. 265 ff. Die Verpflichtung geht hin bis zur Antizipation der Konsensfähigkeit einer situationsbezogenen Norm im Gedankenexperiment eines einzelnen, siehe Apel, 1984, S. 606 (629). 260 Rüthers, 1999, Rn. 410; zur weiteren Differenzierung siehe Radbruch, 1932 (1999), § 6, S. 41 ff. 261 Tugendhat, 1993, S. 339 ff.; Lohmann, 1998, S. 62 (66). 262 Vgl. Apel, 1988, S. 736.
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leisten. Das Prinzip der idealen Diskursmoral (Teil A der Diskursethik) bezieht sich nun aber „von vornherein auf die Situation der verallgemeinerten Reziprozität der menschlichen Interaktionsbeziehungen“. 263 Das Universalisierungsprinzip der idealen Diskursmoral ist somit nur dann auch im realen Diskurs unmittelbar befolgungsgültig, wenn man in reziproker Verantwortung unterstellen kann, daß es alle befolgen würden.264 In der Lebenswelt kann davon aber nicht ausgegangen werden, so daß sich in der geschichtsbezogenen Verantwortung – Teil B der Diskursethik – ein Vorbehalt hinsichtlich der empirischen Zumutbarkeit und der Veränderung der Verhältnisse bei Nichtzumutbarkeit ergibt.265 Der Rechtsstaat legitimiert sich nun daraus, die Zumutbarkeitsbedingung allgemeiner Normbefolgung zu schaffen.266 Dem Recht kommt damit die Aufgabe zu, die Anwendungsbedingungen der Diskursmoral herzustellen.267 Mit der Betonung des Zwangselements zur Herstellung allgemeiner Normbefolgung ist die Legitimation des Staates allerdings noch unterbestimmt.268 Das Recht steht hier den Rechtsunterworfenen als bloß äußere Gewalt fremd gegenüber. Materialiter erfährt der Rechtsstaat seine Legitimität erst, wenn seine Normen selbst Anspruch auf Gültigkeit erheben können. Aus der Perspektive der Diskurstheorie wäre dies gerade dann der Fall, wenn seine Normen von allen akzeptiert werden könnten. In einer idealen Demokratie würden nur solche Gesetze in Kraft treten, die in einem diskursiven Rechtssetzungsprozeß die Zustimmung aller Rechtsgenossen gefunden haben.269 Die Identität der Adressaten des Rechts mit Apel, 1998, S. 798. Bei Habermas, 1983, S. 75 f. u. 103 f., müßte sich dies aus folgender Formulierung des Universalisierungsprinzips ergeben: „Jede gültige Norm muß der Bedingung genügen, daß die Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen jedes einzelnen voraussichtlich ergeben, von allen Betroffenen zwanglos akzeptiert werden können.“ 265 Apel, 1998, S. 798 u. 811. 266 Siehe Apel, 1992, S. 29 ff.; Günther, 1991, S. 205 (207 ff.). 267 Apel, 1998, S. 736. Im Grunde kann die Diskurstheorie ohnehin erst im Rahmen des Rechts praktisch werden, siehe Kriele, 1979, 30 ff. u. 62 ff. Das Diskursprinzip steht in dem Dilemma, daß die ideale Kommunikationsgemeinschaft nur eine regulative Idee ist. Soll allerdings erst in einer idealen Kommunikationsgemeinschaft ein moralisches Urteil hinreichend begründet sein, dann erweist sich die hinreichende Begründung eines moralischen Urteils als unerreichbar. Schmücker, 1993, S. 135 (152 ff.) will deshalb die Diskurstheorie als eine solche des Rechts und nicht der Moral begreifen. Dagegen spricht allerdings, daß moralische Prinzipien auch als regulative Prinzipien handlungsleitend sind. Richtig ist es deshalb mit Apel, 1998, S. 811, von einer Angewiesenheit der Diskursethik auf die Existenz von Institutionen zu sprechen. Die Notwendigkeit der Ergänzung der Diskursethik durch das Recht ergibt sich nach Alexy, 1995, S. 144 f., zudem aus dem Erkenntnisproblem (Unendlichkeit des Diskurses und Notwendigkeit einer Entscheidung), dem Durchsetzungsproblem (Einsicht in die Richtigkeit und die Befolgung einer Norm sind zweierlei) und dem Organisationsproblem (zahlreiche erstrebenswerte Ziele können nur gemeinsam und nicht spontan gelöst werden). 268 So auch die Kritik von J. P. Müller, 1993, S. 78 ff. 269 Zum folgenden siehe Alexy, 1998, S. 262 f. 270 Vgl. Habermas, 1992, S. 52, 135, 153, 160, 492 u. 503. 263 264
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seinen Autoren wäre vollkommen hergestellt.270 Doch kann die reale Demokratie die ideale Demokratie ebensowenig wie der reale Diskurs die ideale Kommunikationsgemeinschaft einholen. Allerdings kann die Idee des Diskurses nur durch die Institutionalisierung einer argumentativen oder deliberativen271 Demokratie approximativ verwirklicht werden.272 Ergibt sich die Richtigkeit einer Norm aus der Einhaltung der Verfahrensbedingungen – z. B. Teilnahme aller, Zulässigkeit jeden Arguments, Gleichheit u.s.w., dann läßt sich in der Realität eine Annäherung an die Richtigkeit nur über die freiheitliche Demokratie verwirklichen, weil sie die Rechtsform ist, in der Normen von einem Prozeß öffentlicher Diskussion begleitet werden. Verknüpft man beide Legitimationsaspekte miteinander, dann ergibt sich die Legitimation des jeweiligen Rechtsstaates daraus, inwieweit in ihm das unter den geschichtlichen Bedingungen mögliche Potential einer deliberativen Demokratie verwirklicht wird, bzw. inwieweit in ihm vom rationalen Diskurs zur Erzielung eines allseitigen Konsenses unter verantwortungsethischer Berücksichtigung der geschichtlichen Bedingungen Gebrauch gemacht und dadurch die Identität der Gesetzgeber und der Adressaten des Rechts hergestellt wird.273 b) Einschränkung der Moral im Recht Die Begründung des Rechtsstaats aus der Verantwortungsebene des Diskursprinzps zeigen, daß die Diskursmoral im Recht Einschränkungen erfährt. Seinen offensichtlichsten Ausdruck findet dies in der primären Rechtsgewährleistung für die eigenen Staatsbürger. Der universelle Menschenrechts- und Demokratieanspruch des Diskursprinzips wird weitgehend beschränkt auf eine konkrete Rechtsgemeinschaft.274
271 Nach dem deliberativen Demokratiemodell können Legitimität und Rationalität nur in einem kollektiven Entscheidungsfindungsprozeß erreicht werden, bei dem die Institutionen so angeordnet sind, daß das, was als Gemeinwohl aufgefaßt wird, sich aus einem rational und fair geführten Prozeß kollektiver Entscheidungsfindung unter freien und gleichen Individuen ergibt. Siehe zum deliberativen Modell demokratischer Legitimität Benhabib, DZPhil 1995, S. 3 ff.; Vogel, 2001, S. 105 (110). 272 Alexy, 1996, S. 343 (354). 273 Siehe Apel, 1998, S. 814; Vogel, 2001, S. 105(109 f. u. 112 ff.) 274 Siehe unten 3. Siehe auch Apel, 1998, S. 527 (828 ff. u. 837); auch Wellmer, 1998, S. 265 (282 ff.). Apel berücksichtigt m.E. aber bei seiner Beurteilung der partikularen Demokratie zu wenig, daß für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie – gerade aus diskursethischer Sicht – der öffentliche Meinungsbildungsprozeß wesentlich ist, siehe auch Bleckmann, 1997, § 26 Rn. 1 ff.; Alexy, 1996, S. 343 (352 ff.). Der reale Diskurs wird dem Anspruch einer Annäherung an die ideale Kommunikationsgemeinschaft mehr gerecht, wenn keine sprachlichen Barrieren für die Teilnahme bestehen. Der universale Horizont der Diskursethik stößt damit auf die Schwierigkeit der praktischen Realisierbarkeit gesamtgesellschaftlicher Diskurse. Letzteres ist ein gewichtiges Argument für partikulare Demokratien, spricht gegen
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Das Recht kann weiterhin zwar auf die Möglichkeit einer rationalen Zustimmung aller Betroffenen abzielen, es wird aber bei der Entscheidung strittiger Fälle in aller Regel nicht auf den Konsens warten können.275 Auch das prozeduralisierte Recht sieht deshalb demokratische, administrative oder richterliche Entscheidungen vor, wodurch der Diskurs abgebrochen wird.276 Der demokratische Rechtsprozeß kann sich immer nur um einen möglichst rationalen Konsens bemühen, ihn aber nicht garantieren. Die Differenz zwischen der idealen und der realen Kommunikationsgemeinschaft und die dadurch notwendige Verantwortungsebene zeigen, daß die Diskursethik dem realen Staat nicht per se die Etablierung einer direkten Demokratie anraten kann. Das Mißverständnis, die Diskursethik fordere unbedingt eine unmittelbare Volksherrschaft in einer plebiszitären Demokratie, geht an der Diskursethik in gleicher Weise vorbei wie die Auffassung, sie komme auf moralischer Ebene zu dem kategorischen Imperativ „Handle so, als ob du Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeinschaft wärst“.277 Das Verhältnis von repräsentativer und plebiszitärer Demokratie278 ist immer eine Frage verantwortungsethischer Realisierbarkeit kommunikativer Vernunft, die sich nicht einfach oder eindeutig oder nur auf eine Weise beantworten läßt.279 Diese Punkte lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß die Transzendentalpragmatik aufgrund der Fassung des Diskursgrundsatzes als regulatives Prinzip keinen Staat als idealen Staat auffassen kann.280 Kein realer Staat wird einen idealen Diskurs verwirklichen können. Der reale Staat kann vielmehr nur der Ort sein, in dem die Annäherung an Bedingungen eines idealen Diskurses gesucht wird. Das universale Moralprinzip der Diskursethik bleibt deshalb in einer notwendigen kritischen Spannung zum Staat.
einen Weltstaat und dürfte auf absehbare Zeit Grund für berechtigte Kritik am Demokratiedefizit der EU sein, siehe Bleckmann, JZ 2001, S. 53 (57 f.). 275 Wellmer, 1998, S. 265 (271). 276 Zu Recht sieht Schmücker, 1993, S. 135 (152 ff.), hierin aber auch eine Stärke einer Diskurstheorie des Rechts, da dadurch die Unerreichbarkeit eines begründeten moralischen Urteils in eine praktische Zumutbarkeit diskursiver Bemühungen überführt wird. 277 So z. B. Pieper, 1985, S. 172. 278 Oder auch schwächerer Demokratieformen wie einer konstitutionellen Monarchie. 279 Die Antwort wird deshalb für ein Entwicklungsland wesentlich anders ausfallen müssen als für ein industrialisiertes westliches Land. An einem politischen „Homogenitätsdogma“ sind zu Recht Zweifel anzumelden, siehe Hofmann, JZ 2001, S. 1(8). Entsprechend differenziert zur partizipatorischen Demokratie aus diskursethischer Sicht Cortina, 1993, S. 238 (254 ff.). 280 Böhler, 1984c, S. 845 (867 f.).
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3. Menschenwürde als grundgesetzliche Anerkennungsgemeinschaft Jede Fassung der Menschenwürde als Substanz-, Qualitäts- oder Leistungsbegriff ist nicht in der Lage, auf der Basis einer solchen Begründung eine allgemeine Würde zu belegen. Wenn auch die theologische Deutung des Begriffs der Menschenwürde wegen ihrer glaubensbezogenen Voraussetzungen als Begründung im neutralen Verfassungsstaat nicht herangezogen werden kann, so ist doch der Grundgedanke, daß sich allgemeine Würde nur als Relationsbegriff ausweisen läßt, zutreffend. Nicht substantiell im Sinne von Eigenschaften auch nicht als Eigenwert oder Leistung des Individuums, sondern erst als Beziehungsbegriff kann die Menschenwürde deshalb als allen Menschen zukommend begründet werden.281 Ohne theologische Dimension ist deshalb Würde im Rechtssinne als „Kategorie der Mitmenschlichkeit des Individuums“282 aufzufassen.283 Menschenwürde ist damit Ausdruck der gegenseitigen und voraussetzungslosen Anerkennung. Dieses wechselseitige Versprechen der Achtung284 liegt der diskursethischen Formulierung der Menschenwürde zugrunde. Wenn wir argumentieren, müssen wir uns wechselseitig als Personen anerkennen, die zur freien und gleichen Stellungnahme mit Ja oder Nein fähig und berechtigt sind. Diese Achtungspflicht gilt gegenüber allen Menschen – auch dem zum Diskurs aktuell Unmündigen (s. u. 4. c).285 Ist die Menschenwürde ein wechselseitiges Verhältnis der gegenseitigen Anerkennung, kann sie folglich auch nicht losgelöst von einer Anerkennungsgemeinschaft gedacht werden.286 Auf der moralischen Ebene der Transzendentalpragmatik kann diese Anerkennungsgemeinschaft nur universal gedacht werden, da sich im Horizont des idealen Moralprinzips sich die Gültigkeit gegenüber jedem möglichen anderen ausweisen können soll.287 Auf der Verantwortungsebene im Teil B, z. B. dem Bereich des Nationalstaats, führt der Zusammenhang von Menschenwürde und Anerkennungsgemeinschaft dagegen zu einer Einschränkung des rechtlichen Prinzips der Menschenwürde. Menschenrechte und Menschenwürde sind zwar allein begrifflich schon von ihrem Anspruch her universal, das Grundgesetz würde sich allerdings überheben, wollte es weltweit die Sicherung der menschlichen Würde 281 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (364 ff.); ähnlich auch Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 43 u. 45 ff.; Koppernock, 1997, S. 18 ff.; Skirbekk, DZPhil 1995, S. 419 (426). 282 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (364); bereits ders., JZ 1986, S. 253 (260). 283 Siehe auch Habermas, 2001, S. 62: Menschenwürde „ist deshalb „nicht eine Eigenschaft, die man von Natur aus ,besitzen‘ kann wie Intelligenz oder blaue Augen; sie markiert vielmehr diejenige ,Unantastbarkeit‘ die allein in den interpersonalen Beziehungen reziproker Anerkennung, im egalitären Umgang von Personen miteinander eine Bedeutung haben kann.“ Wobei auch bei Habermas, a. a. O., S. 64 f., der einzelne nicht wegen bestimmter Eigenschaften zur Person wird, sondern durch den gesellschaftlich individuierenden Akt der Aufnahme in den öffentlichen Interaktionszusammenhang als Person anerkannt wird. 284 Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 44. 285 Günther, 1991, S. 205 (206); Apel, 1973, S. 400 f.; Cortina, 1993, S. 28 (246). 286 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (364). 287 Böhler, 1984c, 845 (858 ff.).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
garantieren. Die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist deshalb zurückzubeziehen auf den Kontext ihrer Gewährleistung, nämlich als Bekenntnis des deutschen Volkes als der verfassunggebenden Gewalt.288 Die Menschenwürde ist damit zunächst einmal auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes begrenzt. Mit dieser Beschränkung und der allseits anerkannten Funktion als oberstes Konstitutionsprinzip289 dieses Staates wird deutlich, daß sich dieser Gehalt am ehesten als ein Staatsgründungsakt im Sinne eines Gesellschaftsvertrages verstehen läßt, in welchem sich die Mitglieder zu einer konkreten Anerkennungsgemeinschaft zusammenschließen.290 Mit dieser systematischen Einordnung und Klärung des Modus ist noch nicht hinreichend geklärt, was der maßgebliche und bleibende Gehalt der Menschenwürde als Staatsfundamentierungsnorm291 einer konkreten Anerkennungsgemeinschaft sein soll. Hierauf kommt es an, denn genaugenommen findet der hypothetisch geschlossene Gesellschaftsvertrag erst in seinem Inhalt seine Legitimation. Die Theorie vom Gesellschaftsvertrag will vor dem Forum eines autonomen Individuums rationale Gründe aufzeigen, weshalb seine zunächst nur faktisch bestehende Teilnahme an der staatlichen Ordnung aufgrund der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit dieser auch normativ legitimiert ist.292 Oben (s. o. 2. a) wurde bereits festgehalten, daß das Recht seine formale Legitimation in diskurstheoretischer Perspektive in dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit findet. Damit ist aber nicht jede Rechtsordnung diskursethisch legitimiert. Auch das Grundgesetz steht mit dem Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG nur für eine Rechtsordnung ein, in der die Menschenwürde gewahrt ist.293 Der Vorzug einer kommunikationstheoretischen Interpretation der Menschenwürde zeigt sich nun gerade darin, daß die weiteren grundlegenden Anforderungen der Diskurstheorie an die Rechtsordnung in besonderer Weise kohärent mit der übereinstimmend bejahten Funktionsbestimmung der Menschenwürde als tragendes Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes294 sind (s. u. 4. b). Das gilt es anhand der Klärung des Inhalts des gegenseitigen Versprechens zu zeigen.
Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (367). Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 4; Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 41; Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 72. 290 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (364 ff.). 291 Vgl. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 9: „Staatsfundamentalnorm“. 292 Siehe nur Kersting, 1994, S. 17. 293 Insofern greift auch der Einwand von v. Münch, 2001, S. 27 (39) gegen die Menschenwürde als Staatsfundamentalnorm oder Staatsgründungsversprechen zu kurz, als „ob ohne ausdrückliche Erwähnung des Grundrechts der Menschenwürde dieser Staat nicht ,gegründet‘ [worden] wäre.“ Selbstverständlich wäre auch ein Staat gegründet worden. Aber es wäre eben nicht „dieser Staat“ gewesen, wenn er nicht den noch aufzuzeigenden Gehalt der Menschenwürde als seine Grundlage anerkannt hätte. 294 BVerfGE 6, 32 (36); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 4; Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 41; Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 72; Lorenz, ZfL 2001, S. 38 (39); Häberle, HStR I., § 20 Rn. 56: „Staatsfundamentalnorm“. 288 289
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4. Inhalt des Versprechens gegenseitiger Anerkennung im Art. 1 Abs. 1 GG a) Sozialer Wert und Achtungsanspruch Die erste Folgerung aus dem Versprechen gegenseitiger Anerkennung ergibt sich unmittelbar: Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Menschen.295 Wenn auch zur Subsumtion nicht ausreichend (s. o. I. u. III. 2. c), so läßt sich dies mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in einem ersten Anhaltspunkt als Verpflichtung auffassen, den Menschen nicht zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.296 Dieser Satz bedarf ergänzend, wie bereits ausgeführt, einer positiven Bestimmung der Menschenwürde. b) Wechselseitige Voraussetzung von privater und öffentlicher Autonomie Die Markierung des Art. 1 Abs. 1 GG als oberstem Konstituionsprinzip der Verfassung scheint eine Grundspannung der grundgesetzlichen Legitimationsstränge naiv überbrücken zu wollen. Folgt man Isensee, dann hat das Grundgesetz zwei Legitimationsstränge aufgenommen: einen individuell-freiheitlichen als Grundlage der Grundrechte und den egalitär-demokratischen in der Volkssouveränität.297 Dabei sieht Isensee mit der politischen Theorie ein Spannungsverhältnis zwischen Volkssouveränität und Menschenrechten: „Die Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht, bildet das Gegenüber des Individuums, als mächtigster Garant der grundrechtlichen Freiheit und als deren gefährlichster Widersacher.“298 Die Mehrheit kann zur Tyrannei ausarten, wenn nicht die Grundrechte die Privatheit sichern.299 Volkssouveränität und Menschenrechte scheinen danach in einem Spannungsverhältnis einander gegenüber zu stehen, so daß in der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG kein gemeinsamer Anknüpfungspunkt gefunden werden könnte.300 BVerfG, NJW 2001, S. 61 (63). BVerfG, NJW 2001, S. 61 (63). 297 Isensee, 1981, S. 9; ebenso Böckenförde, 1998, S. 233 ff.; Hofmann, JZ 2001, S. 1 ff. Andererseits erkennt Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (370) – vgl. auch Hofmann / Dreier, 1989, § 5 Rn. 57 u. 68 – in dem Versprechen gegenseitiger Anerkennung die Vereinigung der beiden Legitimationsstränge des Grundgesetzes. 298 Isensee, 1981, S. 13. 299 Isensee, 1981, S. 21. 300 Isensee, 1981, S. 20: „In der gegenwärtigen Menschenrechts-Euphorie kommt die Neigung auf, die klassischen Freiheitsrechte und ein „Menschenrecht auf Demokratie“ einfach zu addieren, in der naiven Erwartung, die Summe beider sei gleich der menschenwürdigen Ordnung. Derartige Menschenrechtskonkordanzen verharmlosen und verdrängen die verfassungsrechtliche Grundspannung.“ 295 296
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Diese angebliche Differenz301 läßt sich in ein Verhältnis der wechselseitigen Voraussetzung zueinander auflösen, wenn der Zusammenhang zwischen grundrechtlichem und demokratischem Verfassungsstaat über die Diskurstheorie hergestellt wird. Dabei erweist sich gerade der Art. 1 Abs. 1 GG als der entscheidende Anknüpfungspunkt. Den Gehalt des Art. 1 Abs. 1 GG als Autonomie aufzufassen, ist weithin anerkannt.302 Er ist mit der Forderung, den anderen als Subjekt und nicht bloß als Objekt zu achten, unmittelbar gegeben.303 Wem eine Subjektstellung zugeschrieben wird, dem wird damit auch ein autonomer Status zuerkannt. Allerdings ist der Verweis auf die Autonomie als Gehalt der Menschenwürdenorm zunächst wenig einsetzbar: Nicht jede Selbstbestimmung kann Ausdruck der im Grundgesetz verbürgten Menschenwürde sein, da diese sonst fortlaufend in jeder Einschränkung der Freiheit verletzt würde.304 Um hier zu einer näheren Bestimmung des Begriffs der Autonomie zu gelangen, soll zunächst zwischen privater und öffentlicher Autonomie unterschieden werden. Bei der privaten Autonomie geht es um die individuell zu treffende Wahl und die Realisierung einer persönlichen Konzeption des Guten. Gegenstand der öffentlichen Autonomie ist die gemeinsam mit anderen zu treffende Wahl und Realisierung einer politischen Konzeption des Gerechten und Guten.305 Soll sich die öffentliche Autonomie wirklich als gemeinschaftliche Autonomie erweisen, dann kann sie sich nicht in der willkürlichen oder autoritativen Festlegung politischer Konzeptionen erschöpfen. Ist sie Ausdruck gemeinschaftlicher Autonomie, dann wird sie sich vielmehr nur in einem Prozeß der öffentlichen Kommunikation und rationalen Auseinandersetzung herstellen können, der idealiter Ausdruck eines gemeinsamen Konsenses ist.306 Erst wenn sich der einzelne 301 Hier geht es um eine normative Rekonstruktion dieses Verhältnisses unter Berücksichtigung des transzendentalpragmatischen Ansatzes. Eine andere Frage ist es, ob sich dieses Verhältnis historisch oder praktisch immer im Gleichschritt entwickelt (hat). Daß letzteres nicht der Fall ist, zeigt zutreffend Hofmann, JZ 2001, S. 1 ff. Immerhin finden Menschenrechte und Volkssouveränität aber in den für den modernen Verfassungsstaat wegbereitenden Proklamationen der französischen Revolution von 1789 und in den Virginia Bill of Rights von 1776 gleichzeitig Anerkennung, vgl. auch Böckenförde, 1998, S. 233 (234). 302 BVerfGE 50, 166 (175): „Eigenständigkeit der Person“; Geddert-Steinacher, 1990, S. 31 f. u. 86 ff.; Olshausen, NJW 1982, S. 2221 (2222 f.); Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 32 u. 90; Lipp, 2000, S. 127; Sternberg-Lieben, 1997, S. 38. 303 Siehe hierzu nur Kant, 1968 (1785), S. 385 (436): „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“ 304 Dies besonders gegen Klug, 1988, S. 235(ebda.). Auch die Einschränkung auf die sittliche Selbstbestimmung bzw. sittliche Formen der Autonomie erscheint mir wenig hilfreich. Wer bestimmt und woran soll sich bestimmen lassen, welche Freiheitsausübungen „sittlich“ sind? Der Begriff der Sittlichkeit ist entweder nur Ausdruck von Üblichkeit bzw. allgemeiner Auffassung oder er lebt von naturrechtlich-moralisch starken Voraussetzungen. Im ersteren Fall hätte die Menschenwürde keinen kritischen Gehalt mehr, im letzteren würde sie zum Einfallstor für persönliche Moralauffassungen, was in einer pluralistischen Gesellschaft nicht vertretbar ist. 305 Zu dieser Definition siehe Alexy, 1995, S. 127; ders., 1998, S. 244 (261).
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durch die Möglichkeit der Beteiligung am öffentlichen Prozeß nicht mehr nur als deren Regelungsobjekt, sondern als Ko-Subjekt verstehen kann, dann läßt sich auch von öffentlicher Autonomie sprechen. Das Diskursprinzip trifft dies, wenn genau diejenigen Regelungen Legitimität beanspruchen dürfen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten.307 Die Annäherung an die Richtigkeit und Legitimität läßt sich dann nur durch demokratische Prozeduren der Meinungs- und Willensbildung approximativ realisieren.308 Grundanschauung der freiheitlichen Demokratie ist „die ständige geistige Auseinandersetzung [ . . . ] nicht in dem Sinne, daß er immer objektiv richtige Ergebnisse liefere [ . . . ], aber doch so, daß die ständige gegenseitige Kontrolle und Kritik die beste Gewähr für eine (relativ) richtige politische Linie als Resultante und Ausgleich zwischen den im Staat wirksamen Kräften gibt.“309 Wenn nun das demokratische Verfahren die Vermutung auf legitime Ergebnisse begründen soll und Diskurse der Ort sind, an dem sich erst ein vernünftiger politischer Wille bilden kann, dann ergibt sich ein interner Zusammenhang zwischen Volkssouveränität und Menschenrechten: Die für eine vernünftige – und daher legitimitätsverbürgende – Willensbildung des politischen Gesetzgebers notwendigen Voraussetzungen der Kommunikation müssen ihrerseits geschützt werden. Um die Rechte näher zu bestimmen, welche die Ausübung der Volkssouveränität erst ermöglichen, soll wiederum an das Diskursprinzip angeknüpft werden:310 1. Jedem Teilnehmer an einem praktischen Diskurs muß zumindest ein Recht auf Leben zukommen, anderenfalls könnte er schwerlich an einer Argumentation teilnehmen oder in ihr berücksichtigt werden (Recht auf Leben). 2. Ein durch Gewalt erzwungener Konsens bzw. Redebeitrag ist keine Berücksichtigung eines argumentativen Beitrags. Hierdurch würde der Geltungsanspruch auf Wahrheit durch eine Scheinaussage ausgehebelt. Neben dem Recht auf ungenötigte bzw. freie Diskursteilnahme ist damit auch der Schutz der körperlichen In306 Die Legitimation wird damit in dem „zwanglosen Zwang des besseren Argumentes“ gesucht. Konflikte sind damit friedlich in einem Verfahren rationaler Argumentation zu lösen, vgl. Kriele, 1979, S. 62. 307 Habermas, 1998a, S. 386 (390). 308 Habermas, 1992, S. 161; Alexy, 1995, S. 163. Wie Cortina, 1993, S. 238 (238 ff.), zu Recht ausführt, muß dies nicht im Widerspruch zu einer repräsentativen Demokratie stehen, vgl. auch Häberle, 1987, HStR I, § 20 Rn. 68. Das Diskursprinzip läßt sich nicht im Sinne von Pieper, 1985, S. 172, verstehen, als ob man so handeln solle, als wäre man bereits Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeinschaft. Die verantwortungsethische Anwendung des Diskursprinzips in geschichtsgebundenen Kontexten ist im Gegenteil erst der Grund, warum überhaupt eine Rechts-(Zwangs)ordnung errichtet werden kann. Der Umstand, daß sich die Praktikabilität der Partizipation eher in einer repräsentativen denn in einer direkten Demokratie verwirklichen läßt, erfährt von daher sein Recht. 309 BVerfGE 5, 85 (135). Siehe hierzu auch Alexy, 1996, S. 343 (352 ff.). 310 Hinzuweisen ist darauf, daß die Rekonstruktionen der Menschenrechte aus dem Diskursprinzip vielfältig sind. Siehe hierzu: Alexy, 1995, S. 127 ff.; ders., 1997, S. 187 ff.; Cortina, ARSP 1990, S. 37 (46 f.); Habermas, 1992, S. 151 ff.
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tegrität vor der gewaltsamen Einwirkung impliziert (Recht auf Meinungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit). 3. Da die Diskursgemeinschaft auf keinen Beitrag verzichten kann, noch vorab das Ergebnis des Konsenses festlegen darf, muß jeder als gleichberechtigter Gesprächspartner anerkannt sein. Hieraus ergibt sich, daß jeder zum Diskurs zugelassen werden muß und innerhalb des Diskurses die gleichen Rede-, Frage- und Antwortrechte besitzen muß (Recht auf Gleichheit im Diskurs). 4. Jedes Argument muß zulässig sein, da nur alle bzw. möglichst viele Argumente auf ihre Berechtigung hin geprüft werden können. (Recht auf Meinungsfreiheit). 5. Mit den formulierten Rechten auf Leben und körperliche Integrität ist bereits ersichtlich, daß über die politischen Bürgerrechte im engeren Sinn auch klassische Freiheitsrechte Voraussetzung der öffentlichen Autonomie sind. Der Zusammenhang zur privaten Autonomie ergibt sich zudem daraus, daß von der öffentlichen Autonomie erst dann ein angemessener Gebrauch gemacht werden kann, wenn aufgrund gleichmäßig gesicherter privater Autonomie eine hinreichende Unabhängigkeit gegeben ist.311 Nur wer nicht im öffentlichen Prozeß aufgeht, sondern die Möglichkeit erhält, sich als Person zu entwickeln,312 ist überhaupt in der Lage, nicht als Sprachrohr der Masse, sondern mit einem eigenständigen Urteil teilzunehmen.313 Voraussetzung der öffentlichen Autonomie ist damit auch die Wahrung der personalen Identität bzw. psychischen, seelischen und intellektuellen Integrität.314 Der demokratische Prozeß kann damit nur dann mit hinreichendem Anspruch auf Legitimität gelingen, wenn auch die Kommunikationsbedingungen für eine vernünftige politische Willensbildung geschützt sind.315 Diese Grundrechte gewährleisten die „verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dieses freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes.“316 Was aber die Volkssouveränität erst ermöglicht, kann ihr gegenüber nicht als Beschränkung von außen erscheinen, sondern liegt ihr genuin zugrunde.317 311 Vgl. Habermas, 1997, S. 301 f.; ders., 1998a, S. 386 (391), der allerdings die private Autonomie als Voraussetzung der Begründung eines Rechtskodes ansieht, weshalb es kein Recht ohne die private Autonomie von Rechtspersonen überhaupt gibt. Für vorliegenden Zusammenhang scheint mir dagegen der Hinweis ausreichend zu sein, daß ohne private Autonomie auch keine öffentliche Autonomie gewährleistet sein kann. 312 Deshalb darf die freie Kommunikation auch nicht auf die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten beschränkt werden, vgl. Bleckmann, 1997, § 26 Rn. 4. 313 Sie müssen nach Habermas, 1998b, S. 170 (177), aufgrund der ihnen gesicherten privaten Autonomie hinreichend unabhängig sein. 314 Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 28. 315 So auch Dreier-Dreier Art. 20 (Demokratie) Rn. 72; Hofmann / Dreier, 1989, § 5 Rn. 57 u. 68; Hesse, 1995, Rn. 150 ff.; J. P. Müller, EuGRZ 1983, S. 337 (338). 316 BVerfGE 44, 125 (139); 20, 56 (97 f.); 21, 362 (369).
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Jedoch darf der damit erwiesene theoretisch-systematische Zusammenhang nicht als Aufforderung zu einer „unbedingten“ und weltweiten ad hoc Installation des demokratischen Verfassungsstaats mißverstanden werden.318 Die Funktionsfähigkeit einer demokratischen Ordnung hat Voraussetzungen,319 bei deren Fehlen Beschränkungen der öffentlichen Autonomie unausweichlich sein mögen, aber es gibt keine guten Gründe dafür, daß dies so bleiben sollte.320 Jedenfalls aus der moralischen Perspektive der Diskursethik besteht die Verpflichtung, sich zur Annäherung an die Bedingungen einer idealen Diskursgemeinschaft zu bemühen.321 Als unbedingter moralischer Verpflichtungsgehalt übt er gegenüber einer jeden Rechtsordnung eine ständige und notwendige Kritik (s. o. 2. a). Die Begründung der privaten Autonomie aus ihrem wechselseitigen Voraussetzungsverhältnis zur öffentlichen Autonomie nimmt jedoch nicht den gesamten Freiheitsgehalt der privaten Autonomie, z. B. der Berufs- und Eigentumsfreiheit, in sich auf. Im Zusammenhang mit dem Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde im Grundgesetz erweist sich dies rechtssystematisch als überzeugender. Würde der Gesamtinhalt der Grundrechte in der Menschenwürde enthalten sein, wäre nicht nachvollziehbar, worin ihr spezifischer Gehalt bestünde.
c) Schutz der grundlegenden Voraussetzungen zur Realisierung von Autonomie Der Begriff der Autonomie bedarf noch wichtiger Klarstellungen. Einleitend wurde die private und öffentliche Autonomie begrifflich jeweils mit der Verwirklichung einer Konzeption des guten Lebens definiert (s. o. b). Die Diskursethik wurde dagegen als eine Ethik vorgestellt, die keine bestimmte Form des guten Lebens vorschreibt (s. o. 1.).322 Die Diskursethik als Verfahrensethik erhebt nicht den Inhalt, sondern das Verfahren und dessen Bedingungen zum ethischen Maßstab. Das hat Konsequenzen für eine Diskurstheorie des Rechts. Zunächst einmal kann die in 317 Habermas, 1998b, S. 386 (390); ders., 1992, S. 161 f.; ders., 1997, S. 300; ebenso Apel, 1998, S. 816 f.; a.A. Hofmann, JZ 2001, S. 1(8). Ebenfalls den Zusammenhang zwischen Menschenwürde bzw. Grundfreiheiten und freiheitlicher Demokratie betonend: Häberle, HStR I, § 20 Rn. 61 ff.; siehe zu Habermas’ Rekonstruktion dieses Verhältnisses auch Maus, Rechtstheorie 1995, S. 507 (507 ff.); W. Kuhlmann, 1994, S. 83 (98 f.). 318 So z. B. Böckenförde, 1998, 233 (239). 319 Siehe hierzu Böckenförde, 1998, S. 233 (237 ff.), der zwischen soziokulturellen (Maß an Emanzipationsstruktur in der Gesellschaft), politisch-strukturellen (Beurteilbarkeit der politischen Entscheidungsfragen durch die Bürger) und ethischen Voraussetzungen (Mindestmaß an demokratischem Ethos) unterscheidet. 320 Alexy, 1998, S. 244 (261); anderes für möglich haltend Böckenförde, 1998, S. 233 (241). 321 Gronke, 1993, S. 273 (290 ff.). 322 Vgl. Apel, 1988, S. 103 ff., 147; zum Unterschied zwischen der Diskursethik als normativer Verfahrensethik und einer Wertethik als Ethik des guten Lebens siehe auch W. Kuhlmann, 1984, S. 495 ff.; Habermas, 1991, S. 77 (81 ff.).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
der Menschenwürde gewährleistete Autonomie nicht zur Pflicht zur Autonomie umfunktioniert werden – ihr Ziel kann nicht die Verpflichtung zu einem Maximum an Autonomie sein.323 Das stünde im Widerspruch zum Diskursprinzip, welches sich nicht als Vorgabe einer bestimmten Form des guten Lebens versteht. Die Menschenwürde kann als Rechtsgrundsatz aber auch nicht im Sinne eines Anspruchs auf ein Maximum an Autonomie verstanden werden. Das Grundgesetz kann ein solches Versprechen nicht geben, da zum einen bei dem Widerspruch der jeweils zueinander in Anspruch genommenen privaten Autonomie notwendig jede an der Autonomie des anderen ihre Grenze finden muß, und zum anderen auch die Realisierung der öffentlichen Autonomie im Rechtsstaat in Konflikt gegenüber der privaten Autonomie kommen kann. Zwar würden in der idealen Demokratie alle Rechte in einem gemeinsamen Konsens widerspruchsfrei bestimmt werden, doch in der realen Demokratie muß davon ausgegangen werden, daß der öffentliche Diskurs weder einen allseitigen Konsens herzustellen vermag, noch alle Spannungsverhältnisse sich darin auflösen lassen. Die diskursive Reformulierung des demokratischen Rechtsstaats kann sich deshalb auch nicht als Klärung aller Rechte zueinander im Detail verstehen. Die reale Demokratie steht vielmehr immer in einem schwierigen Prozeß der Klärung, inwieweit sich der moralische Anspruch auf Annäherung an eine ideale Diskursgemeinschaft verantwortungsethisch im freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat umsetzen läßt. Diese Konkretisierung kann die Diskursethik nicht aus einem „Philosophenturm“ vorgeben, dies ist vielmehr Aufgabe der demokratischen Gesellschaft selbst. Das impliziert dann auch, daß der moralische Grundsatz, sich um die Annäherung an die Verhältnisse einer idealen Diskursgemeinschaft zu bemühen, nicht unmittelbar Gehalt des Art. 1 Abs. 1 GG sein kann. Das liefe in die Gefahr eines verfassungsgerichtlichen Paternalismus, wenn nun das Bundesverfassungsgericht die Funktion der „Philosophenkönige“ einnähme, indem es die verantwortungsethische Frage der Realisierbarkeit einer idealen Kommunikationsgemeinschaft aus dem Art. 1 Abs. 1 GG unmittelbar ableitete. Vielmehr behauptet sich das Diskursprinzip hier nur, wenn diese Bestimmung den Mitgliedern des demokratischen Rechtsstaats im Ganzen aufgegeben ist. Das Verfassungsgericht nimmt dabei seinen Platz ein, wenn es „jenes System der Rechte hüte[t], welches die private und öffentliche Autonomie der Staatsbürger ermöglicht.“324 Aus dem Horizont der Diskurstheorie kann es deshalb nur um die Sicherung der Voraussetzungen dieses Prozesses im Sinne von Minimalbedingungen gehen. Mithin ist nicht die naive Vorstellung einer unbeschränkten Autonomie Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde des Grundgesetzes, sondern nur die Bedingungen der Möglichkeit von Autonomie.325 Diese Formulierung des AutonoKritisch zu einem extensiven Autonomieverständnis Hofmann, JZ 1992, S. 165 (172 f.). Habermas, 1992, S. 320. Zur Funktion des BVerfG siehe auch Alexy, 1998, S. 244 (262 ff.). 325 Ähnlich Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 42; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 14; Hofmann, JZ 1986, S. 253 (260): „Im Rechtssinne kann es hier nur darum gehen, was nach unserem Selbstverständnis – die Mitmenschlichkeit konstituierenden – Bedingungen der 323 324
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miegehalts hat sich bereits bei der Kritik von Mitgift- und Leistungstheorie als notwendige Einschränkung erwiesen (s. o. IV. 2.). Die diskurstheoretische Formulierung der Menschenwürde kann diese Kritik trotz positiver Bestimmung des Menschenwürdegehalts als ihre eigene aufnehmen und gerecht werden, da sie als Verfahrensethik nicht bestimmte Ergebnisse vorgibt, sondern die Herstellung der Bedingungen möglicher Autonomie verlangt. Als solche bietet sie auch die Grundlage, um für eine plurale Gesellschaft einer demokratischen Grundrechtsordnung als gemeinsame Basis aller dienen zu können. Eine diskurstheoretische Interpretation leistet damit die weltanschauliche Neutralität, die allein geeignet ist, zugleich den Anspruch des Grundgesetzes als Wertordnung nicht aufzugeben.326 Inhaltlich kann eine kommunikative Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG den weitgehend327 bejahten Grunddimensionen dieses Verfassungsartikels (1) mit dem grundlegenden Achtungsanspruch, (2) der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen, (3) dem Schutz des Lebens (4) der Wahrung der körperlichen Integrität und (5) personalen Identität sowie der (6) Existenzsicherung zustimmen. Hinzu kommt die Dimension der öffentlichen Autonomie, an welcher der Bürger über kommunikative Freiheiten328 in einer öffentlichen Willensbildung teilnimmt: das Wahlrecht und die Grundrechte auf demokratische Teilhabe (Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit). Sie sind „als ,funktionelle Grundlage der Demokratie‘ konkrete Ausformungen der aktivbürgerlichen ,Schicht‘ der Menschenwürdeklausel“329. Schließlich verlangt eine transzendentalpragmatisch beeinflußte Interpretation der Menschenwürde den Schutz der Bedingung der Möglichkeit von Autonomie als Zukunftsverantwortung dahingehend, daß auch künftig eine Anerkennungsgemeinschaft besteht.330 Sie ergibt sich aus der Pflicht, sich um die Erhaltung derjenigen Strukturen zu bemühen, die Voraussetzung einer idealen Kommunikationsgemeinschaft sind, damit auch in Zukunft eine Menschheit gegeben ist, die sich um die Realisierung einer Annäherung an die ideale Kommunikationsgemeinschaft bemühen kann.331 Möglichkeit sind, als körperlich kontingentes Individuum der biologischen Gattung Mensch selbstverantwortlich Persönlichkeit zu entwickeln.“ 326 Das hier überbrückte Problem wird von Kimminich, 1977, S. 53 (76), zutreffend erkannt: „Die Bejahung des Pluralismus bei gleichzeitiger Zurückweisung des Begriffs der Wertneutralität gehört zu denjenigen Prinzipien unserer Verfassung, die am schwierigsten zu begreifen sind.“ 327 Siehe hierzu AK3-Podlech, Art. 1 I Rn. 23 ff.; Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 44; Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (363); Hilgendorf, 2001, S. 1147 (1154 f.); Lorenz, ZfL 2001, S. 38 (41 f.). 328 Zur Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie siehe BVerfGE 12, 113 (125). 329 Häberle, HStR I, § 20 Rn. 69. 330 Vgl. Böhler, ZRP 1993, S. 389 (389 ff.). 331 Das entspricht dem vom Umweltstaatsprinzip in Art. 20a GG geforderten Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen“ in „Verantwortung für die künftigen Generationen“. Art. 20a GG ist deshalb im Grundgesetz kein Fremdkörper, sondern als Bestandteil des Art. 1 Abs. 1 GG konstitutiver Gewährleistungsgehalt der Grundrechtsordnung. Die überwiegende Auffas-
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d) Schutz der zum Diskurs Unfähigen Berücksichtigt eine kommunikativ interpretierte Menschenwürde des Grundgesetzes nur denjenigen, der selbst aktuell zu kommunikativen Verständigungsleistungen in der Lage ist? Dies scheint jedenfalls die naheliegende Intention zu sein, da Diskursrechte nur für denjenigen sinnvoll zu sein scheinen, der sprechen kann.332 Diese Auffassung würde zwei wesentliche Gesichtspunkte nicht hinreichend berücksichtigen. (1) Zunächst einmal wurde festgestellt, daß die ideale Kommunikationsgemeinschaft nur eine regulative Idee ist. Wir befinden uns dagegen immer nur in einer realen Kommunikationsgemeinschaft, die gegenüber der idealen Kommunikationsgemeinschaft in vielerlei Hinsicht defizitär ist (s. o. 1.). Würden nun die Autonomiegewährleistungen selbst wiederum von der aktuellen und vollen Partizipationsfähigkeit abhängig gemacht werden, dann wäre die vom Diskursprinzip geforderte Gleichheit aller möglichen Betroffenen oder Kommunikationspartner nicht mehr gegeben. Das stünde im offenen Widerspruch zum Diskursprinzip selbst. Die grundlegende Gleichheit kann nur dann gewährleistet werden, wenn keinem Befugnis zukommt, darüber zu befinden, wer aufgrund fehlender kommunikativer Fähigkeiten aus der Anerkennungsgemeinschaft ausgeschlossen werden soll: „Das gegenseitige Versprechen, uns als in gleicher Weise würdige Mitglieder des Gemeinwesens anzuerkennen, schließt es folglich aus, irgendjemanden die Befugnis zuzugestehen, einem anderen Individuum diesen Status – aus welchen Gründen auch immer – prinzipiell abzusprechen.“333 (2) Die Transformation des Diskursprinzips in das Recht beruht auf der Einsicht, daß eine ideale Kommunikationsgemeinschaft nicht besteht (s. o. 2.). Mit der Transformation der moralischen Grundnormen in den demokratischen Grundrechtsstaat sollen die basalen Voraussetzungen gewährleistet werden, damit sich die reale Diskursgemeinschaft der idealen approximativ annähern kann. In der idealen Diskursgemeinschaft wären alle Mitglieder gleich kompetente Diskurspartner und mit gleichen Rechten ausgestattet. In der realen Diskursgemeinschaft ist die gleiche Kompetenz der Diskurspartner nicht gegeben. Es besteht vielmehr ein Kontinuum unterschiedlicher Fähigkeiten bis hin zur gänzlichen Unfähigkeit zur Kommunikation bei Gehirntoten. Hieraus folgt zunächst nur eine unterschiedliche Ausübungsfähigkeit des Autonomiestatus. Dieser ist selbst daran nicht gebunden sung im juristischen Schrifttum erkennt dagegen in Art. 20a GG nur einen für den ändernden Verfassungsgesetzgeber streichbaren Artikel, siehe Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 20a Rn. 76. 332 So hat Alexy, 1995, S. 123 (130), die moralischen Diskursregeln auf jeden, der sprechen kann, beschränkt, ebenso Habermas, 1983, S. 53 (99); Cortina, ARSP 1990, S. 37 (43). Wenn Alexy, a. a. O., damit tatsächlich die Rechte auf diejenigen einschränken möchte, die sprechen können, dann kann eine nachfolgende Begründung der Menschenrechte auch für die zur Kommunikation unfähigen Menschen auf der Basis dieses eingeschränkten Diskursprinzips nicht gelingen. 333 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (376).
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und sollte es auch nicht sein.334 Denn die Einräumung öffentlicher und privater Autonomie soll zu ihrer Wahrnehmung befähigen. Autonomie soll sich damit auch in einem diskursiven Prozeß realisieren. Deshalb darf der Autonomiestatus335 nicht an Bedingungen geknüpft werden, sondern ist vorab allen einzuräumen, um so den Raum zur Realisierung dieser Autonomie all denjenigen offen zu halten, denen sie aus dem Horizont der idealen Kommunikationsgemeinschaft heraus zugesprochen ist – sprich allen Betroffenen, deren Einwände aus ihrer Perspektive heraus gehört werden müßten.336
VIII. Konsequenzen für die Anfragen an die Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG Welche Konsequenzen hat die kommunikative Interpretation der Menschenwürde nun auf die eingangs gestellten Fragen?
1. Schutz des Menschen vor sich selbst und objektive Verfassungsordnung Die Menschenwürdegarantie will jedem die Möglichkeit der individuellen Selbstbestimmung und gemeinschaftlichen Mitbestimmung sichern, aber nicht die Wahrnehmung dieses Freiheitsgehalts gewährleisten. Dies obliegt vielmehr der Selbstbestimmung des einzelnen wie auch der Grundrechtsgemeinschaft. Damit ist offensichtlich, daß Art. 1 Abs. 1 GG kein Zwang zu einem bestimmten „würdegemäßen Verhalten“ entnommen werden kann (s. o. III. 2. c).337 Die in der Menschenwürde zugesprochene Autonomie würde in ihr Gegenteil verkehrt werden, wollte man aus ihr eine Verpflichtung zur Wahrnehmung oder Erfüllung dieser entnehmen.338 Dies verpflichtet auch zur Zurückhaltung gegenüber dem sogenannten 334 Entsprechend auch die Unterscheidung zwischen Grundrechtsberechtigung (Grundrechtsträgerschaft) und Grundrechtswahrnehmungs- (Grundrechtsausübungsfähigkeit); siehe hierzu Stern, III / 1, § 70 IV u. V., S. 1044 ff. u. 1064 ff. 335 Auf einer anderen Ebene liegen dagegen pragmatische Erwägungen zur Mündigkeit, die eben nicht den Autonomiestatus (ähnlich der Grundrechtsträgerschaft), sondern nur die Autonomieausübung (entsprechend zur Grundrechtsausübungsfähigkeit) betreffen. 336 Mit anderer Begründung, aber im Ergebnis weitgehend wie hier Habermas, 2001, 62 ff. u. 64 f., der jedoch die Voraussetzung „der Aufnahme in den öffentlichen Interaktionszusammenhang“ bzw. in die Menschenwürde verbürgende Anerkennungsgemeinschaft erst mit der Geburt für gegeben ansieht. 337 So die überwiegende Auffassung: Sternberg-Lieben, 1997, S. 47; Laskowski, 1997, S. 192; Hufen, NJW 2001, S. 849 (851); v. Münch, 2001, S. 27 (38); a.A. BVerwGE 64, 274 (277 f.). 338 Vgl. auch Dreier-Dreier Art. 1 I. Rn. 90 f.; Geddert-Steinacher, 1990, 86 ff.
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„Menschenbild“ des Grundgesetzes.339 Es ist vielmehr Ausdruck der Menschenwürde, keinem vorgegebenen Menschenbild entsprechen zu müssen.340 Problematisch wird dieser Ansatz, wenn nicht nur auf die Wahrnehmung der Partizipation, sondern auf die Möglichkeit der Partizipation überhaupt verzichtet wird, wie dies bei einer Tötung auf Verlangen oder dem vertraglich vereinbarten Wechsel in den Status des Sklaven der Fall wäre. Nun kann nach überwiegender Auffassung der Betroffene in die Verletzung seiner Menschenwürde nicht wirksam einwilligen,341 da Art. 1 Abs. 1 GG ein seiner Disposition entzogenes Konstituionselement des Rechtsstaates bildet.342 Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Gewährleistungsgehalt der Sicherung der grundlegenden Freiheitsbedingungen nicht auch dem Betroffenen selbst überläßt, seinen eingeräumten Freiheitsraum gegen sich selbst, bis hin zur vollständigen Selbstaufgabe, zu nutzen. Der Gewährleistungsinhalt des Art. 1 Abs. 1 GG würde dann nicht weiter gehen, als der Betroffene in freier Selbstdefinition hiervon in Anspruch nehmen will.343 Eine als aufgezwungene Maßnahme gegen die Menschenwürde verstoßende Behandlung würde dagegen, im Konsens mit dem Betroffenen erfolgt, nach dem Grundsatz „volenti non fit iniuria“ keinen Verstoß darstellen.344 Dafür spricht, daß andernfalls die Gefahr bestünde, die Freiheitsverbürgung der Grundrechte und die Vorordnung des Menschen vor den Staat ausgerechnet über ihre verfassungsrechtliche HauptsicheSiehe hierzu BVerfGE 4, 7(15 f.); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 46. Siehe P. M. Huber, Jura 1998, S. 505 (511): „Im Grunde zeichnet die Verfassung gar kein eigenes Bild vom Menschen, sondern sie gibt nur Raum für ganz unterschiedliche Menschenbilder.“ 341 BVerfGE 45, 187 (229); Geddert-Steinacher, 1990, S. 86 f. 342 Dietlein, 1992, S. 225. 343 Dies natürlich nur soweit, wie er selbst von seiner Einwilligung oder seinem Verhalten betroffen ist. Das unterscheidet vorliegende Selbstdefinition der eigenen Verletzung der Würde auch von der von Isensee, 1980, S. 29 ff., kritisierten subjektiven Auslegung der Grundrechtsbereiche. Der Schutzanspruch der Menschenwürde kommt jedem unabhängig von seinem Selbstverständnis in gleicher Weise zu. Nur ob er diesen Schutz in Anspruch nimmt oder gar gegen sich selbst verwendet, ist ihm selbst überlassen. Der einzelne kann damit nicht seinen Schutzbereich durch sein Selbstverständnis erweitern und damit nach eigenem Gutdünken in den Freiheitsbereich der anderen ausdehnen. Die Allgemeinheit und Gleichheit der Freiheitsrechte ist damit gewährleistet und eine Kollision der Rechtsgüter oder Selbstverständnisse nicht heraufbeschworen, vgl. dagegen die Kritik von Isensee, a. a. O., S. 29 ff. Schwierigkeiten bereitet es allerdings, wenn der Staat sich allein an der objektiven Seite der Grundrechte ausrichten will, vgl. Isensee, a. a. O., S. 35. Der Staat wird zwar den grundsätzlichen Schutzumfang an demjenigen ausrichten müssen, der den ihm verbürgten Schutz seiner Würde in Anspruch nehmen will; der Staat ist aber nicht verpflichtet, diesen Schutz auch gegen den Willen des Grundrechtsträgers aufzudrängen. Insofern ist eine „Deutung der Grundrechte als überindividueller, objektiver Ordnungsbasis“ (Isensee, a. a. O.) nur der halbe Gehalt, da die Grundrechte eine individuelle Freiheitsgarantie begründen und gerade nicht über die „objektive Ordnungsbasis“ Tugendpflichten gegen sich selbst statuieren dürfen. 344 So die h. M. Hillgruber, 1992, S. 138; Geddert-Steinacher, 1990, S. 87; Robbers, JuS 1985, S. 925 (929). 339 340
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rung in der Menschenwürde auszuhebeln.345 Denn in der Menschenwürde eine Verpflichtung zur Erhaltung der Partizipationsfähigkeit zu erblicken, könnte zum verfassungsrechtlichen Verbot von Rauschmitteln, gefährlichen Sportarten bis hin zur Verpflichtung zur Bildung entwickelt werden. Trotzdem bedarf es zweier Einschränkungen. Im Hinblick auf den Schutz der eigenen Würde gilt es zu unterscheiden zwischen einer bestimmten Ausübung oder aktuellem Verzicht und der Übertragung bzw. dem dauerhaften Verzicht auf die Beteiligung an der Anerkennungsgemeinschaft. Es ist eine Sache, ob jemand, ohne hierzu verpflichtet zu sein, bereit ist, einem anderen wie ein Sklave zu dienen, eine andere, ob er sich für einen gewissen Zeitraum oder gar lebenslang in die Sklaverei verkaufen kann, so daß er sich nachfolgend von dieser Verpflichtung nicht mehr jederzeit lösen kann. Sollte letzteres in der Grundrechtsordnung erlaubt sein, so müßte es dem Gesetzgeber auch möglich sein, das vertraglich vereinbarte Sklavendasein mit der staatlichen Zwangsordnung durchzusetzen. Der Weg in die Sklavenhaltergesellschaft wäre damit eröffnet, was der Grundrechtsordnung eklatant widerspräche. Die Lösung ergibt sich nun daraus, daß sich aus der Menschenwürdegarantie grundsätzlich keine Pflicht zu einem bestimmten Verhalten gegenüber sich selbst ergibt, die Selbstaufgabe grundlegender Voraussetzungen der Selbstbestimmung aber immer nur aktuell erfolgen kann und die Möglichkeit zum Widerruf jederzeit gegeben sein muß. Der Status als Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft ist insofern unverwirkbar und unverzichtbar. Eine Übertragung der Verfügungsbefugnis über die eigene Freiheit und das eigene Leben ist deshalb nicht möglich. Eine Einschränkung der Beteiligung an der Anerkennungsgemeinschaft kann deshalb immer nur im aktuellen Einverständnis mit dem Betroffenen, aber nicht unwiderruflich erfolgen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit der ja immer irreversible Eingriff in das Leben bei einer Tötung auf Verlangen einer Übertragung der Verfügungsbefugnis gleichkommt (hierzu s. u. § 10 II. 5. c u. III. 5. d und 6.). Weiterhin kann sich eine Einschränkung der Selbstbestimmung aus dem Gesichtspunkt der Menschenwürde ergeben, wenn hierdurch die Würde anderer Menschen tangiert ist. So ist der Zwergenweitwurf346 nicht im Hinblick auf die Würde desjenigen, der sich werfen läßt,347 wohl aber im Hinblick auf den sozialen Achtungsanspruch kleinwüchsiger Menschen überhaupt bedenklich.348 Eine verächtliche Herabwürdigung mißgebildeter Menschen in der Öffentlichkeit stünde im Widerspruch zu der von der Menschenwürde des Grundgesetzes geforderten Anerkennungsgemeinschaft.349 Der Schutz der Menschenwürde verlangt die Sicherstellung eines sozialen Achtungsanspruchs, der jedenfalls dann verletzt ist, wenn der 345 346 347 348 349
Sternberg-Lieben, 1997, S. 47 f. Siehe hierzu VG Neustadt NVwZ 1993, S. 98 ff. A. A. VG Neustadt NVwZ 1993, S. 98 (99). Siehe zu dieser Differenzierung auch Huster, NJW 2000, S. 3477 (3478). Vgl. auch Isensee, HStR V., § 111, Rn 103.
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Status einer Gruppe, Teil der Anerkennungsgemeinschaft zu sein, durch öffentliche Herabwürdigung verneint wird. Diese Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde auf die Rechtsordnung kann als objektiver Drittschutz der Menschenwürde bezeichnet werden.350 Im Hinblick auf vorliegende Thematik der aktiven Sterbehilfe wird deshalb nicht nur eine Verletzung der Würde des Sterbenden erörtert werden müssen, sondern auch die Frage, ob nicht die Freigabe der Tötung sterbender Menschen, selbst wenn diese auf deren Wunsch hin erfolgt, mit einer Mißachtung überhaupt von sterbenden Menschen oder des Lebensrechts von Menschen derart verbunden ist, daß hierdurch der von der Menschenwürde des Grundgesetzes geforderte allgemeine Achtungsanspruch verletzt wird. Diese Einschränkungen widersprechen nicht der hier vertretenen Auslegung der Menschenwürde, die nicht ein bestimmtes würdiges Verhalten vorschreibt, sondern die verfassungsrechtliche Ausstrahlungsfunktion der Menschenwürde in dem Schutz der grundlegenden Voraussetzungen der öffentlichen und privaten Autonomie erkennt.351 Letztlich gestärkt und nicht beschränkt wird diese Autonomie, wenn die Verfassungsordnung es verhindert, daß sich seine Mitglieder gegen ihren Willen an einem Status unterhalb der Anerkennungsgemeinschaft festhalten lassen müssen. Weiterhin schließt die Nichtvorgabe eines bestimmten Menschenbildes nicht aus, daß auch demjenigen der Schutz der Anerkennungsgemeinschaft zukommt, der selbst nicht in der Lage ist, Autonomie wahrzunehmen (s. u. 2.). Problematischer im Hinblick auf die subjektiv-rechtliche Gewährleistung der Grundrechte stellt sich dagegen die Einschränkung bestimmter Verhaltensweisen dar, die – wie z. B. vielleicht der Zwergenweitwurf – dem Achtungsanspruch Dritter eklatant widersprechen. Doch darf auch hier nicht übersehen werden, daß der Schutz des Achtungsanspruchs Dritter seinen Grund in dem Schutz der jedermann zukommenden Mitgliedschaft in der Anerkennungsgemeinschaft findet. Der Einfluß des Menschenwürdeprinzps auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte schränkt mithin bei dieser Auffassung nicht den subjektiv-freiheitlichen Grundrechtsgehalt ein, sondern verstärkt ihn.352 350 Siehe zur unmittelbaren Drittwirkung auch Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig Art. 1 Rn. 2, v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 27; siehe auch und zur Häberle, HStR I, § 20 Rn. 28: „Strukturnorm für Staat und Gesellschaft“; Schmitt Glaeser, ZRP 2000, S. 395 (400 ff.): „Infrakstruktur der Menschenwürde“; Huster, NJW 2000, S. 3477 (3478): „Gemeinschaftsgut, der öffentlich moralischen Kultur“. 351 Klarstellend sei darauf hingewiesen, daß die Interpretation der Menschenwürde als objektives Verfassungsprinzip nun nicht heißt, daß die Menschenwürde nur in der objektivrechtlichen Funktion der Grundrechte zur Geltung kommt. Im Gegenteil kommt auch nach hiesiger Auffassung der Menschenwürde in erster Linie die Rolle zu, als leitendes Verfassungsprinzip die individuell-rechtliche Dimension der Grundrechte zu stärken. 352 Gewichtiger erscheint mir dagegen der Einwand, daß die Auffassung von den Grundrechten als Elementen einer objektiven Ordnung die Letztentscheidungskompetenz des BVferG auf Kosten des Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers erheblich gestärkt hat, siehe hierzu Brohm, NJW 2001, S. 1 (5 f.). Die dadurch gestützte Neigung, dem BVerfG eine Allzuständigkeit in allen grundlegenden Fragen des Gesellschaft zuzuweisen, ist im Hinblick auf den damit verbundenen Bedeutungsverlust des Gesetzgebers bedenklich, vgl. Brohm,
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2. Personelle Reichweite der Menschenwürde Wenn auch die verfassungsrechtliche Verbürgung der Menschenwürde grundsätzlich jeweils vom Individuum wahrzunehmen ist, so steht doch der Inhalt der Menschenwürde im Sinne einer Aufnahme in die Anerkennungsgemeinschaft nicht zu seiner Disposition. Wer von dem grundsätzlichen Gewährleistungsgehalt des Achtungsanspruchs der Rechtsgemeinschaft keinen Gebrauch machen will, kann dies nur in einer aktuellen und freien Willensentscheidung realisieren (s. o. 1.). Sowohl in seinem eigenen, sich eventuell ändernden Interesse wie auch im Interesse einer am allgemeinen Achtungsanspruch festhaltenden Anerkennungsgemeinschaft kann sich keiner dauerhaft und unabhängig von seinem sich ändernden Willen aus der Anerkennungsgmeinschaft verabschieden. Anders als nach der Leistungstheorie muß keiner von seiner Würde positiv Gebrauch machen können oder diese selbstbestimmt ausfüllen können, um in die Anerkennungsgemeinschaft aufgenommen zu werden (s. o. VII. 4. d). Der Achtungsanspruch kommt jedem Menschen kraft seiner Menschqualität zu.353 Keinem kann im Hinblick auf sein „Anders-Sein“ die Subjektqualität abgesprochen werden.354 „Menschenwürde kommt jedermann zu, ohne Rücksicht auf seine persönlichen, körperlichen, geistigen oder seelischen Eigenschaften und auf seine sonstigen Verhältnisse.“355
3. Unverletzbarkeit und Menschenwürde als Verfassungsprinzip Die vom Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG verlangte Unantastbarkeit führt zu einem Konkretisierungsdilemma:356 Nimmt man den Normtext ernst, droht ein Verzicht auf seine praktische Relevanz als Verfassungssatz. Um die Unantastbarkeit zu gewährleisten, müßte die Vorschrift auf wenige unstreitige Extremfälle verengt ausgelegt werden, um trotz der Dynamik und Offenheit, die ein Begriff wie Menschenwürde a. a. O., S. 1 ff. Trotzdem sollte m.E. im Hinblick auf die mit der objektiv rechtlichen Funktion der Grundrechte gegebene Ergänzung und Stärkung der subjektiven Rechte an der Doppelfunktion der Grundrechte auch als objektiven Wertvorgaben festgehalten werden, so auch Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 202. Die Korrektur des Verfassungsgefüges zwischen Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht läßt sich auch mit einer stärkeren Betonung des Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erreichen (s. u. § 9 I. u. III.). 353 Vgl. BVerfGE 39, 1 (41 f.); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 18; v. Münch / Kunig-Kunig Art. 1 Rn. 14. 354 Geddert-Steinacher, 1990, S. 61. 355 Benda, 1994, § 6 Rn. 9; ebenso BVerfGE 87, 209 (228); auch Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 46, der allerdings dann bei Rn. 50 „unbewußtes menschliches Leben“ wieder ausklammert. 356 Zur Konstatierung dieses Dilemmas siehe Brugger, 1997, S. 20; Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (374 Fn. 106); Kloepfer, 1976, S. 405 (411); Höfling, JuS 1995, S. 857 (859); Picker, 1998, S. 155 (157 f.). 10 Antoine
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im rechtlichen Diskurs immer hat, nicht unweigerlich zu kaum akzeptablen Ergebnissen zu gelangen. Eine dynamische und die Rechtsentwicklung begleitende Menschenwürde ist dann nicht möglich.357 Will man der Menschenwürdegarantie dagegen eine rechtspraktische Bedeutung zuweisen, droht entweder ein gesinnungsethischer Rigorismus, der keinen Spielraum für eine Abwägung im Sinne der praktischen Konkordanz läßt, oder eine Aufweichung und Relativierung des Normbefehls. Die verbreitete Lösung dieses Dilemmas wird deshalb in der Interpretation vom Verletzungsvorgang her gesehen (s. o. I.). Da jedoch die Objektformel wegen ihrer Offenheit selbst nicht gegenüber Marginalisierungen gewappnet ist und die Sachbereiche (Gleichheit, Schutz der körperlichen Identität und Integrität) ebenfalls zu weit geraten, sucht man die Lösung weiterhin in Einschränkungen wie bespielsweise, daß die Verletzung der Menschenwürde in diesen Bereichen nur bei besonders schweren Beeinträchtigungen elementarer Persönlichkeitskomponenten gegeben sei.358 Wie allerdings die Rechtfertigung des polizeilichen Todesschusses bei einer Geiselnahme oder die Tagebuchbeschlüsse des BVerfG359 gezeigt haben, ist es illusorisch, gravierende Eingriffe unabhängig von einer Erwägung und Abwägung im Einzelfall feststellen zu wollen.360 Zwar soll die Objektformel nicht abstrakt, sondern in Ansehung des Einzelfalls eingesetzt werden,361 doch wird der dabei unvermeidliche Abwägungsvorgang in Anbetracht der Unverletzlichkeit abgelehnt bzw. nicht eingestanden.362 Das hat zur Folge, daß die tatsächlichen Beweggründe bei der schematischen und darum wenig überzeugenden Anwendung der Objektformel nicht hinreichend ausgewiesen werden. Die Anwendung der Objektformel wird zur Scheinargumentation. Ohne positive Würdebestimmung gerät die Einzelabwägung zudem zu einer kaum mehr kontrollierbaren und diffusen adhoc-Entscheidung im Einzelfall (siehe bereits oben I.). Die erforderliche positive Bestimmung scheint nun aber wieder auf die andere Seite des Dilemmas zu führen, weil die geforderte Unverletzlichkeit der Menschenwürde mit positiven Bestimmungen ihres Inhalts nicht durchzuhalten ist. Die negative Menschenwürdebestimmung sucht dieses Dilemma zwar zu vermeiden, aber doch nur um den Preis argumentativ nicht hinreichend ausgewiesener Behauptungen der Verletzung der Menschenwürde. 357 Kloepfer, 2001, S. 77 (101): „Die Verabsolutierung des Schutzes von Art. 1 Abs. 1 GG führt im Ergebnis zur Schutzreduktion.“ 358 Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 17; vgl. auch Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 361; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 14. 359 BVerfGE 18, 146 f.; 80, 367 ff. Bei diesen Entscheidungen ging es darum, ob Tagebuchaufzeichnungen zum Zwecke der Strafverfolgung verwertet werden dürfen. Man wird nicht umhin kommen, gerade Tagebücher nicht dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, sondern der Intimsphäre zuzuordnen. Trotzdem bejahte das BVerfG eine Verwertbarkeit der Aufzeichnungen, wenn dies zur Verfolgung einer schweren Straftat notwendig ist. 360 Ebenso die Kritik von Brugger, 1997, S. 28. 361 BVerfGE 30, 1(25 f.); Schmitt Glaeser, ZRP 2000, S. 395 (397); v. Münch / KunigKunig, Art. 1 Rn 22. 362 BVerfGE 93, 266 (293).
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Das Dilemma läßt sich auflösen, wenn die Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG mit der vordringenden Auffassung363 nicht als subjektives öffentliches Recht (Grundrecht), sondern als oberstes objektives Verfassungsprinzip aufgefaßt wird. Als oberstes Verfassungsprinzip verlangt die Menschenwürde die Sicherung der grundlegenden Voraussetzungen der privaten und öffentlichen Autonomie. Verfassungsprinzip meint hier, daß die Norm noch einer Konkretisierung bedarf.364 Als Prinzip ist die Menschenwürde im Grundgesetz unabänderlich vorgegeben. Seiner Fassung als unverletzbares Prinzip entspricht seine Bestimmung als objektives Verfassungsprinzip, welches auf die anderen Verfassungsbestimmungen ausstrahlt, aber selbst keine unmittelbare Grundrechtsqualität hat.365 Nicht die Menschenwürde selbst ist dann Gegenstand der Abwägung, vielmehr leitet und beherrscht sie die Abwägungen der nachfolgenden Grundrechte. Sie wirkt dann in flexibler Weise auf das Verständnis der Grundrechte wie der gesamten Verfassungsordnung ein; sie kann als Schranken-Schranke die Rechtfertigungslast für Eingriffe erhöhen oder auch zum Ergreifen bestimmter Maßnahmen bis hin zur Erbringung von Leistungen wie der Sicherung des Existenzminimums anhalten.366 Die geforderte Sicherung der menschlichen Autonomie im Sinne einer Gewährleistung ihrer existentiellen Voraussetzungen ist der unveränderliche Anspruch der Vefassung,367 der aber immer wieder neu auf die Konfliktsituationen und neu auftretende Gefährdungen dieser Autonomie hin konkretisiert werden muß. 363 Siehe Geddert-Steinacher, 1990, S. 22 ff. u. 167 ff.; Gröschner, 1995, S. 47; Brugger, 1997, S. 21 f. u. 41; Enders, 1997, S. 101 ff. u. 113 ff.; Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 67 ff.; vermittelnd Lorenz, ZfL 2001, S. 38 (39). 364 Näher zur Menschenwürde als zu konkretisierendem Prinzip siehe Geddert-Steinacher, 1990, S. 22 ff., bzw. als obersten Auslegungsgrundsatz siehe Enders, 1997, S. 310 ff. Nicht gefolgt wird hier der Unterscheidung von Alexy, 1986, S. 94 ff., von Prinzip und Regel der Menschenwürdenorm. Zur Kritik an dieser Unterscheidung siehe Enders, 1997, S. 119 ff.; Geddert-Steinacher, 1990, S. 24. 365 Siehe Enders, 1997, S. 101 ff.; Geddert-Steinacher, 1990, S. 167 ff. Der Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde kann auch bei der Interpretation der Menschenwürde als objektives Verfassungsprinzip unverkürzt bestehen bleiben, wenn die Menschenwürde – wie in der Rechtsprechung des BVerfG vorherrschend – in Verknüpfung mit den einschlägigen Grundrechten zur Anwendung gelangt. Entgegen der Auffassung von Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 5 f., ergibt sich auch keine Schutzverkürzung bei dem Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums. Soweit das nackte Überleben in Rede steht, ist Art. 2 Abs. II S. 1 GG als Anknüpfungsnorm gegeben, soweit darüber hinaus auch die grundsätzliche Partizipationsfähigkeit durch die Finanzierung von Gebühren für Kommunikationsmittel u. ä. betroffen ist, kann auch an die allgemeine Handlungsfreiheit oder Meinungsfreiheit als Leistungsanspruch angeknüpft werden. Auch hinsichtlich der Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde und bei einer Verletzung der Menschenwürde durch eine Verfassungsänderung ergeben sich keine Klagbarkeitslücken. Die Erfüllung einer Schutzpflicht als klagbarer Grundrechtsinhalt wird vom BVerfG nicht per se abgelehnt. So jedenfalls im Schleyer-Beschluß BVerfGE 56, 54 (70); siehe auch Geddert-Steinacher, 1990, S. 97 f., s. u. § 9 I. 366 Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 72; Geddert-Steinacher, 1991, S. 164 ff. 367 Mit diesem Inhalt unterscheidet sich das hier vorgestellte Prinzip allerdings auch von den sehr abstrakten Fassungen der Menschenwürde als Prinzip der Autonomie.
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Bestätigt wird die Fassung des Begriffs der Menschenwürde als Prinzip durch den Verfassungstext selbst. Mit der allgemeinen Auffassung ist Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG das Konstitutionsprinzip der deutschen Verfassung, die grundlegende Bestimmung über das Verhältnis der Organisation der Staatsgewalt zu ihren Bürgern.368 Ihre Konkretisierung erfährt sie aber über den Art. 1 Abs. 2 GG, wo es heißt, daß sich das Deutsche Volk „darum“ – eben zum Schutz der Menschenwürde – „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten bekennt.“
4. Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Leben Die Würde des Menschen und das menschliche Leben stehen in einem spezifischen Zusammenhang. Entsprechend hält das BVerfG auch in seinem zweiten Urteil zur Abtreibungsregelung daran fest, daß die Verpflichtung des Staates, menschliches Leben zu schützen, ihren Grund in Art. 1 Abs. 1 GG hat.369 Im verfassungsrechtlichen Schrifttum wird dagegen zunehmend bei der Interpretation des Lebensschutzes in Art. 2 Abs. 2 GG ein besonderer Bezug zur im Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Achtung der Menschenwürde verneint.370 Die Menschenwürde und der Lebensschutz sollen entkoppelt werden und so nach teilweise vertretener Auffassung einen differenzierter Lebensschutz ermöglichen.371 Nach den hier getroffenen Feststellungen ist dagegen an einem spezifischen Bezug zwischen Menschenwürde und Lebensschutz festzuhalten.372 Die Menschenwürde nimmt dabei auf die Interpretation des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dahingehend Einfluß, daß (a) das Lebensrecht in der Menschenwürde begründet ist, (b) die Menschenwürde dem Leben deshalb einen besonderen Wert sowie (c) gleichberechtigten Lebensschutzstatus zuweist und (d) der staatlichen Gewalt eine Schutzverpflichtung für das Leben aufgibt. Diese Zusammenhänge gilt es näher zu erklären.
368 BVerfGE 6, 32 (36); 87, 209 (228); 96, 375 (399); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 4; Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 32 m. w. N. 369 BVerfGE 88, 203 u. 251 f. 370 Schwabe, 1977, S. 231; ders., JZ 1998, S. 66 (69); Hermes, 1987, S. 140 f.; Fink, 1992, S. 92 f. – differenzierter dagegen in Jura 2000, S. 210 (210 ff.); Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 60 m. w. N.; Dreier, DÖV 1995, S. 1036 (1037); Dreier-Dreier., Art. 1 I Rn. 51; tendenziell auch Heun, JZ 1996, S. 213 (219); vgl. auch Hilgendorf, NJW 1996, S. 758 (761); Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (361); ders., 2001, S. 874 (893 f.); Hufen, NJW 2001, S. 849 (850); a.A. v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 84 u. Art. 2 Rn. 187 u. 189; Kunig, Jura 1991, S. 415 (ebda.). 371 So z. B. Dreier, DÖV 1995, S. 1036 (1037); Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 51; vgl. auch Hilgendorf, NJW 1996, S. 758 (761); noch weitergehend Hoerster, 1995a, passim, S. 144 f.; Hamann / Lenz, Art. 2 Anm. 8, die jeden Lebensschutz des Ungeborenen in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verneinen. 372 Siehe auch Antoine, ZfL 2001, S. 16 ff.
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a) Begründung des Lebensrechtes Um die Besonderheit der Begründung des Lebensrechtes in der Menschenwürde hinreichend würdigen zu können, ist es notwendig, sie anderen Begründungen des Lebensrechtes vergleichend gegenüberzustellen. Die aktuelle bioethische Auseinandersetzung um die aktive Sterbehilfe und den Lebensschutz überhaupt ist an ihren Extremen durch zwei Grundpositionen geprägt, die sich in vielen Punkten konträr gegenüberstehen: der Behauptung der Heiligkeit allen menschlichen Lebens auf der einen und der Ethik der Qualität des Lebens auf der anderen Seite. Die Heiligkeit des Lebens373 wird besonders von der römisch-katholischen Kirche vertreten, eine Ethik der Qualität des Lebens findet sich insbesondere im Utilitarismus des englischsprachigen Raums.374 Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen diesen Positionen lassen sich an drei Problemkreisen aufzeigen: (1) die Begründung des Lebensrechtes, (2) die Bewertung der Lebensqualität und (3) die Relevanz der Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe. Nach der Lehre von der Heiligkeit des Lebens kommt jedem Leben grundsätzlich das gleiche Lebensrecht zu, ist eine Bewertung der Lebensqualität zur Bestimmung des Lebensrechtes unzulässig und die aktive Sterbehilfe stets moralisch verwerflich. Für die Ethik der Qualität des Lebens basiert der Lebensschutz auf dem Interesse ihres Trägers, ist die Bewertung der Qualität von Leben im Rahmen des Lebensschutzes unumgänglich und sind Töten und Sterbenlassen für sich gleichwertig. Die drei Aspekte lassen sich selbstverständlich nicht voneinander trennen. Trotzdem möchte ich den dritten Problemkreis, ob zwischen Töten und Sterbenlassen ein ethisch und verfassungsrechtlich signifikanter Unterschied besteht, vorerst zurückstellen (s. u. § 8), und mich an dieser Stelle den anderen beiden Aspekten widmen. Ergänzend in die Untersuchung aufgenommen wird der Vermittlungsvorschag von Dworkin, der eine Wertbestimmung des Lebens anhand von „Investitionsfrustrationen“ empfiehlt (s. u. cc).375
aa) Lehre von der „Heiligkeit“ des Lebens Das von Gott her dem Menschen zugesprochene Gottesverhältnis, seine Gottebenbildlichkeit, hebt den Menschen aus der Schöpfungsordnung heraus und verleiht ihm einen besonderen Wert (vgl. Gen. 1,26 – 30; s. o. III. 1. a). Da dieser Wert nicht in den Eigenschaften des Menschen, sondern in seiner voraussetzungslosen Apostolischer Stuhl, 1980, S. 7. Siehe Kuhse, 1991, S. 51 ff.; dies., 1994, S. 255 ff.; dies. / P. Singer, 1993, S. 160 ff.; P. Singer,, 1994, passim; ders., 1998, S. 189 ff.; Harris, 1995, passim. 375 Die ethische Auseinandersetzung ist nicht ohne Einfluß auf die juristische Diskussion. Der Erörterung der sich in der Ethik konträr gegenüberstehenden Positionen kommt deshalb auch die hermeneutische Funktion zu, den verfassungsrechtlichen Standpunkt gegenüber dem ethischen Grundlagenstreit abzugrenzen und damit klarer vorzustellen. 373 374
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Ansprache von Gott her begründet ist, ist er jedem Menschen auch in gleicher Weise zugesprochen. Jedem menschlichen Leben kommt deshalb grundsätzlich unabhängig von seinem biologischen Status aufgrund seiner (in der Gottebenbildlichkeit) begründeten Menschenwürde ein herausragender und gleichberechtigter Anspruch auf Unverfügbarkeit über sein Leben zu.376 Das menschliche Leben ist deshalb als etwas Heiliges anzusehen. Seine biblische Fundierung hat das Tötungsverbot nach christlicher Lehre in zwei Gedanken des ersten Buch Moses:377 einmal die bereits erwähnte Gottebenbildlichkeit des Menschen, die es dem Menschen nach Gen. 9,6 verbietet, seinesgleichen zu töten, und zum anderen, weil Gott nach Gen. 4,15 u. 9,5 als der Schöpfer des Lebens auch Eigentümer und Besitzer des Lebens ist, so daß die Tötung eines Menschen einen unzulässigen Eingriff in Gottes Hoheitsrechte bedeutet.378 Ein generelles oder absolutes Tötungsverbot wird allerdings nicht vertreten. Die Todesstrafe, die Tötung im Krieg, die Notwehr und der Tyrannenmord sind von der unbedingten Geltung des Tötungsverbots ausgenommen.379 Das Tötungsverbot gilt deshalb nur gegenüber Unschuldigen absolut.380 Neben der Einschränkung des absoluten Tötungsverbots auf das unschuldige menschliche Leben wird eine Zusatzregel von erlaubten, tödlichen Nebenwirkungen im Hinblick auf die indirekte Sterbehilfe vertreten (s. o. § 3 II.). Wichtig zum Verständnis der Lehre von der Heiligkeit des Lebens ist weiterhin, daß mit Gottes Hoheitsrecht über das Leben auch das eigene Leben nicht in der freien Verfügung des Menschen steht, sondern als Gabe Gottes an sein Geschöpf auch gegenüber seinem Schöpfer zu verantworten ist.381 Letzteres begründet nach römisch-katholischer Lehrauffassung ein Verfügungsverbot über das eigene Leben, weil dadurch ebenfalls in die Oberherrschaft Gottes über das Leben eingegriffen würde.382 Der Suizid wird deshalb in der Regel als moralisch verwerflich383 und 376 Vgl. auch Apostolischer Stuhl 1995, Nr. 53: „Das menschliche Leben ist als etwas Heiliges anzusehen, da es ja schon von seinem Anfang an ,das Handeln des Schöpfers einfordert‘ und immer in einer besonderen Beziehung mit dem Schöpfer, seinem einzigen Ziel, verbunden bleibt.“ 377 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 53; siehe auch Schockenhoff, 1991, S. 82 ff. 378 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 53. 379 Auch die katholische Kirche vertritt mithin keinen „absoluten Lebensschutz“, so auch Schockenhoff, 1991, S. 84. 380 Schockenhoff, 1991, S. 85; ders. 1996, S. 210 ff. Wobei auch hier die Tötung eines Unschuldigen für den tragischen Fall, daß das Leben zweier Menschen in Konkurrenz zueinander steht, ohne daß einer am anderen schuldig wäre, gelegentlich für zulässig erachtet wird, siehe Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 161 (191); Barth, KD III / 4, S. 480 f. 381 Aus katholischer Sicht: Auer, 1977, S. 1 (41); Küng, 1985, S. 13 (59 f.); aus protestantischer Sicht: Barth, KD III / 4, S. 380 f.; Trillhaas, 1965, S. 191 ff.; Honecker, 1995, S. 133. Siehe auch Rilinger, GA 1997, S. 418 (420 f.). 382 Siehe Fn. 20 ff.; ebenso Barth, III / 4, S. 456 ff. u. 459 ff. Das Argument ist nicht stichhaltig. Wenn in dem natürlichen Verlauf des Lebens eine Oberherrschaft Gottes erkannt wird, dann müßte diese auch dann verletzt werden, wenn der durch eine ebenso natürliche Krankheit drohende Tod durch ärztliche bzw. künstliche Maßnahmen hinausgezögert oder gar ver-
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stets als aus objektiver Sicht schwere unsittliche Tat384 angesehen.385 Das Verfügungsverbot über das eigene Leben schließt entsprechend eine Berechtigung zur Einwilligung in die eigene Tötung aus.386 Zudem obliegt jedem aus diesem Grund über das Verbot der aktiven Selbsttötung auch eine Verpflichtung zum Leben, die es ihm untersagt, gewöhnliche Maßnahmen zur Lebensverlängerung oder gar Lebensrettung in der Absicht abzulehnen, tot sein zu wollen.387 Die freiwillige Selbstaufopferung eines Menschen im Dienste eines als vorrangig erkannten Wertes ist dagegen möglich und erfährt in der christlichen Tradition des Märtyrertodes eine besondere Wertschätzung.388 eitelt wird. Wenn wir uns aber der Verantwortung für das Sterbenlassen mit dem Verweis auf ihre Natürlichkeit nicht entziehen können, dann kann auch beim Beendigen des Lebens nicht die Künstlichkeit bzw. der Eingriff in den Naturverlauf als entscheidendes Argument vorgebracht werden, ebenso Wolbert 1999, S. 56 (61 ff.); auch Kuitert, 1991, S. 81 ff. u. 90 ff.; Küng, 1995, S. 13 (53 ff. u. 58 ff.), die deshalb bei der Beendigung des eigenen Lebens – auch hinsichtlich der aktiven Sterbehilfe – kein absolutes göttliches Verbot annehmen. Auch das Ende des menschlichen Lebens steht in des Menschen Verantwortung, er darf mit ihm allerdings nicht leichtfertig oder willkürlich umgehen. Siehe aus philosophischer Sicht Birnbacher, 1990, S. 395 (397 f.). 383 Apostolischer Stuhl, 1980, S. 7: „Der Freitod oder Selbstmord ist daher ebenso wie der Mord nicht zu rechtfertigen, denn ein solches Tun des Menschen bedeutet die Zurückweisung der Oberherrschaft Gottes und seiner liebenden Vorsehung.“ Vgl. auch Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 64 u. 66: „In seinem Kern stellt der Selbstmord eine Zurückweisung der absoluten Souveränität Gottes über Leben und Tod dar [ . . . ].“ 384 Allerdings können pychologische, kulturelle und soziale Gegebenheiten einen Menschen derart in die Selbsttötung drängen, daß „dadurch die subjektive Verantwortlichkeit vermindert oder aufgehoben sein mag“, Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 66. Der protestantische Theologe Barth, III / 4, S. 467 ff. u. 470, erkennt dagegen Grenzfälle an, in denen ein Suizid auch objektiv gerechtfertigt sein kann; z. B. die Selbsttötung, um in einem totalitären Regime zu verhindern, daß man unter dem Einfluß der Folter seine Freunde verrät. Siehe auch Honekker, 1995, S. 133. 385 Ein ausdrückliches Verbot der Selbsttötung findet sich im Gegensatz zur Fremdtötung in der Bibel nicht, siehe Küng, 1995, S. 13 (62 f.); Barth, KD III / 1, S. 465 f. Im Alten Testament werden die Selbsttötungen von Saul (1 Sam 31,4), Ahitofel (2 Sam 17,23), Abimelech (Ri 9,54 – Tötung auf Verlangen) nicht ausdrücklich getadelt. Allerdings ist Barth, a. a. O., S. 466, zuzustimmen, daß diese Selbsttötungen von der Bibel als trauriger Ausdruck ihres Scheiterns dargestellt werden, weil Gott nicht der gebotene Gehorsam geleistet wurde. Insbesondere die Selbsttötung von Judas im Neuen Testament (Mt 27,5 u. Apg 1, 16 ff. u. 25). Wenn damit der Suizid anders als im Verständnis des römisch-katholischen Lehramts auch nicht mit dem Gewicht einer schweren Sünde behandelt wird, läßt sich eine Akzeptanz oder gar positive Würdigung der Selbsttöung aus der Bibel nicht entnehmen. 386 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 66; J. Gründel, 1997, S. 89 (107 ff.); a.A. Kuitert, 1991, S. 67 ff.; Küng, 1995, S. 13 (65 ff.). 387 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 65. 388 Vgl. Apostolischer Stuhl, 1980, S. 7. Siehe auch Joh 15,13: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Die Bewahrung des eigenen Lebens ist damit auch im Christentum nicht das höchste Gut. Denn gerade mit der Begründung der menschlichen Würde aus der bleibenden Gottesrelation kann das Leben selbst weder der höchste Wert noch ein Selbstwert sein. Vgl. Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 2: „Zugleich unterstreicht diese übernatürliche Berufung die Relativität des irdischen Lebens von Mann
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
bb) Lehre von der Qualität des Lebens und das Überlebensinteresse Anders als die Lehre von der Heiligkeit des Lebens lehnt die Gegenauffassung einen intrinsischen Wert des menschlichen Lebens ab. Nicht dem Leben an sich kommt ein Wert zu, sondern wertvoll ist es nur im Hinblick auf die Interessen, denen das Leben dient.389 Insoweit stimmen der klassische Utilitarismus Jeremy Benthams und John St. Mills, der Präferenzutilitiarismus Peter Singers, die Institutionalisierung des rationalen Eigeninteresses am Überleben bei Norbert Hoerster390 und die Konstruktion eines Anwartschaftsrechts bei Reinhard Merkel (s. u. S. 157 f.) überein. Gemeinsam ist diesen Auffassungen, Rechte primär anhand von Interessen zu ermitteln.391 Der klassische Utilitarismus hat als Maßstab, Handlungen von ihren Folgen her zu beurteilen (Konsequentialismus) und diese Folgen ausschließlich nach ihrer Nützlichkeit zu bemessen (Utilitätsprinzip), die sie für eine größtmögliche Zahl von Menschen haben (Sozialprinzip).392 Hierin erkennt diese Auffassung eine möglichst unparteiische Bewertung der Eigeninteressen (Transsubjektivitätstprinzip). Entscheidend für die Beurteilung einer Handlung ist danach, ob dadurch der Gesamtsaldo des Nutzens erhöht wird. Nutzenindikator sind dabei Lust und Unlust. Unverletzliche individuelle Rechte kann es nach dieser Position nicht geben.393 Zwar wird die Tötung anderer empfindungsfähiger Wesen grundsätzlich mehr Leid als Lust verursachen, wenn allerdings der Gesamtsaldo bei der Tötung einzelner höher ausfällt, dann gibt es keine Gründe, auf die Tötung zu verzichund Frau. In Wahrheit ist es nicht ,letzte‘, sondern ,vorletzte‘ Wirklichkeit; es ist also heilige Wirklichkeit, die uns anvertraut wird, damit wir sie mit Verantwortungsgefühl hüten und in der Liebe und Selbsthingabe an Gott sowie die Schwestern und Brüder zur Vollendung bringen.“ Im Grunde ebenso die protestantische Sicht, siehe Barth, III / 4, S. 467 ff.; Trillhaas, 1965, S. 189 f.; Honecker, 1995, S. 133. Siehe auch Boshard / Höver / Schulte / Waldenfels, 1997, S. 243 (294 ff.); auch Häring, 1977, S. 261 (263 f.), der zwischen Suizid und Selbstaufopferung im Hinblick auf die „absehbaren Auswirkungen auf das Zusammenleben“ unterscheidet. 389 Vgl. Kuhse, 1993, S. 260 ff. 390 Nicht behauptet wird damit, daß Hoerster nach seinem eigenen Selbstverständnis eine utilitaristische Position einnimmt; vgl. Hoerster, 1995b, S. 44 ff.; siehe aber unten Fn. 432. Zu weitgehend jedoch Rilinger, GA 1997, S. 418 (424 f.), der den Grundgedanken von Hoersters Position im klassischen Utilitarismus Mills annimmt. 391 P. Singer, 1994, S. 130 ff.; Kuhse, 1994, S. 260 ff.; Hoerster, 1993, S. 61 (62 f.); Merkel, 2001, S. 439 ff. Auch beim klassischen Utilitarismus ist der Ausgangspunkt zur Bestimmung des Richtigen das Eigeninteresse jedes einzelnen. Fraglich ist allerdings, inwieweit diese Ansätze nicht dem naturalistischen Fehlschluß unterliegen, da allein aus der deskriptiven Feststellung bestimmter Interessen nicht folgt, daß diese Interessen auch normativ Geltung besitzen sollen, vgl. Hilgendorf, 1997, S. 90 (97 ff.). Hoerster vermittelt die normative Ebene allerdings über einen Gesellschaftsvertrag (s. u.). 392 Siehe hierzu Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 182 f. 393 Zutreffend v. Kutschera, 1982, S. 138; Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 182; Hilgendorf, 1996a, S. 249 (267 ff.).
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ten.394 Benötigen z. B. zwei Menschen zum Überleben eine Spenderniere, dann ist aus utilitaristischer Sicht nichts dagegen einzuwenden, wenn zur Deckung dieses Bedürfnisses eine tödlich erkrankte Person mit zwei gesunden Nieren umgebracht wird. Es ist offensichtlich, daß sich dies mit der Vorstellung individueller Menschenrechte, einer um seiner selbst willen bestehenden Würde des Menschen und dem Zugeständnis an alle, gegenüber dem Gemeinwesen einen autonomen Freiheitsraum zu besitzen, nicht vereinbaren läßt.395 Zur Vermeidung dieser Konsequenzen modifizierte Peter Singer den utilitaristischen Ansatz durch die Einführung eines Personbegriffs hin zum Präferenzutilitarismus.396 Eine Person ist danach ein selbstbewußtes Wesen, das sich seiner selbst als einer distinkten Entität bewußt ist und fähig ist, zukunftsbezogene Wünsche zu bilden.397 Personen haben deshalb Präferenzen hinsichtlich ihrer eigenen zukünftigen Existenz.398 Aufgrund dieser Interessen kommt ihnen auch grundsätzlich ein Recht auf Leben zu.399 In der Tötung einer Person erkennt Singer nun einen besonders schwerwiegenden Eingriff, weil damit deren Interesse am Weiterleben vereitelt bzw. ihr Recht auf Leben verletzt wird.400 Zudem kommt Personen aufgrund ihrer Fähigkeit, die Zukunft ins Auge zu fassen, Wünsche zu formulieren und deshalb Handlungen aufgrund eigener Entscheidungen vollziehen zu können, eine Autonomie zu, die durch eine Tötung mißachtet wird.401 Andere Lebewesen, die diese Fähigkeit von Personen, zukunftsbezogene Interessen auszubilden, nicht besitzen, haben entsprechend kein Lebensrecht. Singer folgt damit – ebenso wie Hoerster und Merkel402 – dem speziellen Interessenprinzip von Tooley, wonach „ein Wesen kein spezielles Recht R haben kann, wenn es nicht über ein Interesse I verfügt, das durch den Besitz des Rechts R gefördert wird.“403 Singer erkennt allerdings auch unterhalb der Wesen mit Personenstatus 394 Siehe Hilgendorf, 1996a, S. 249 (267 ff.); Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 180 f.; Margalit, 1999, S. 89 f. 395 Auf weitere Kritikpunkte am klassischen Utilitarismus sei hier nur hingewiesen: (1) Warum sollen wir das Glück und nicht das Richtige anstreben? (2) Warum sind Lust und Leid überhaupt Indikatoren für das Glück der größtmöglichen Zahl? (3) Wie lassen sich Lust und Leid überhaupt objektiv bemessen, wo doch nichts subjektiver ist als das Empfinden von Lust und Leid oder gar die Vorstellung vom Glück? (4) Hinsichtlich des Utilitarismus als Verfassungsprinzip wäre zu fragen, wie zu verfahren ist, wenn das Nützlichkeitsprinzip Maßnahmen erfordert, die von der Bevölkerung abgelehnt werden. Zu diesen Einwänden siehe auch Hilgendorf, 1996a, S. 249 (263 ff.). 396 P. Singer, 1994, S. 124 ff. .u. 129. 397 P. Singer, 1994, S. 123. 398 P. Singer, 1994, S. 129; ders., 1998, S. 199. 399 P. Singer, 1994, S. 130 ff.; ders., 1998, S. 219 f.; vgl. auch Kuhse, 1994, S. 262 f.; Tooley, 1990, S. 157 (185 u. 188). 400 P. Singer, 1994, S. 129; ders. 1998, S. 199 f. 401 P. Singer, 1994, S. 134 ff. 402 Merkel, 2001, S. 440 ff. 403 Tooley, 1990, S. 157 (188).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
noch einen zu achtenden Lebenswert an,404 der auf der Fähigkeit beruht, Lust und Schmerz zu empfinden.405 Auch das Leben dieser Wesen soll aufgrund ihrer Empfundungsfähigkeit geachtet werden.406 Nur ist ihre Tötung von weit niedrigeren Gewicht als bei Personen, weil bei ihnen nur gegenwärtige Empfindungen, aber keine zukünftigen Interessen vereitelt werden können.407 Dem Leben von menschlichen Wesen, die noch nicht einmal Lust oder Schmerz empfinden können – komatöse Patienten (?)408 – , kommt entsprechend kein Wert zu.409 Entscheidend für den Ansatz Singers ist nun, daß das Kriterium der Person nicht-willkürlich und deshalb unabhängig von biologischen Gattungs- und Speziesgrenzen eingesetzt werden darf.410 Nun gibt es menschliche Wesen wie Embryonen, Föten, Neugeborene und irreversibel Komatöse, die nach Singer nicht Personen sind, weil sie nicht die oben beschriebene Personeigenschaft besitzen, und umgekehrt verfügen bestimmte Affenspezien, Schweine und andere höhere Säugetiere über diese Fähigkeit, so daß sie als Personen zu betrachten sind.411 Soll Grund für die Achtung eines Lebensrechtes jedoch nicht das diskriminierende Merkmal der biologischen Klasseneinteilung oder der Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies sein,412 dann kann nach Singer dem nicht personalen menschlichen Leben nicht ein höherer Lebensschutz zukommen, als einem Tier mit Personeigenschaft.413 Und umgekehrt muß das nichtpersonale menschliche Leben mit solchem von Tieren gleichen Bewußtseinsniveaus auf einer Stufe stehen.414
404 Sie haben allerdings nach P. Singer kein Lebensrecht, weil Rechte nach ihm nur haben kann, wer auch Interessen oder Wünsche auszubilden in der Lage ist, vgl. P. Singer, 1994, S. 130 ff. 405 P. Singer, 1994, S. 136 ff. Konsequenter scheint mir hier Tooley, 1990, 157 (160), zu sein, der nur im Quälen einer Katze oder ungeborener Menschen, aber nicht in deren schmerzfreier Tötung ein Unrecht erkennen kann. 406 P. Singer, 1994, S. 137 ff. Auf einer dritten Stufe setzt Singer nicht bewußtes, etwa pflanzliches Leben an, das weder über Empfindungs- und Erlebnisfähigkeit, noch über einen bewußten Willen oder Interessen verfügt, deshalb auch keinen Wert an sich hat, vgl. P. Singer, a. a. O., S. 335 ff. 407 P. Singer, 1994, S. 158 ff. u. 195 ff.; ders., 1998, S. 199 f. 408 Es ist zweifelhaft, ob diese Beschreibung auf komatöse Patienten zutrifft. Siehe hierzu Zieger, 1997, S. 154(158 ff. m. w. N.). 409 P. Singer, 1998, S. 192. 410 P. Singer, 1994, S. 136 ff. u. 155 ff. 411 P. Singer 1994, S. 218 ff. 412 P. Singer, 1994, S. 33 ff. u. 82 ff. 413 P. Singer, 1998, S. 202 ff. 414 Potentialitätsargumente haben deshalb bei Singer kein Gewicht, vgl. P. Singer, 1994, S. 198 ff. Die alleinige Orientierung an den aktuellen Interessen und die Begründung des Tötungsverbots mit der Fähigkeit zu langfristigen Interessen und Wünschen, muß dann aber dazu führen, daß dann schlafende, vorübergehend bewußtlose, zeitweilig emotional Verwirrte für diesen Zeitraum nicht mehr vom generellen Tötungsverbot geschützt sind, so zu Recht die Kritik von Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, S. 161 (206).
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Im Ergebnis gelangt damit die Position von Singer, die von Kuhse übernommen und als „Ethik der Qualität des Lebens“ bezeichnet wird,415 dazu, nur personalem menschlichen Leben aufgrund seiner Interessen am Leben ein Lebensrecht einzuräumen, dagegen bei apersonalem menschlichen Leben wie das von Föten oder Neugeborenen zwar ein Lebensrecht zu verneinen, aber doch anzuerkennen, daß auch diesen kein unnötiges Leiden zugefügt werden darf.416 Ihre Tötung sollte jedenfalls nicht gänzlich unnötig oder grausam sein.417 Wie Singer und Kuhse verlangt auch Hoerster für die Einräumung eines Lebensrechtes ein bestehendes Überlebensinteresse,418 denn durch eine Tötung könnten nur diejenigen in ihren Interessen verletzt werden, die auch über ein Überlebensinteresse verfügten.419 Entsprechend zu Singer und Kuhse sind dies nach Hoerster aber nur solche menschlichen Wesen, die eigene auf die Zukunft bezogene Wünsche haben, die durch eine Tötung vereitelt würden.420 Bis hierhin hat Hoerster allerdings nur aufgezeigt, bei wem aufgrund bestehender Interessen überhaupt nur Lebensrechte verletzt werden können, nicht aber, warum überhaupt Lebensrechte anerkannt werden sollen. Aus einem bestehenden Interesse allein kann noch kein Recht auf Schutz dieses Interesses folgen, da auch Interessen zunächst nur deskriptive Aussagen sind, die für sich noch keinen normativen Anspruch zu begründen vermögen.421 Letzteres begründet nun Hoerster wie folgt: Das menschliche Individuum mit Personenstatus habe danach im Normalfall ein starkes Interesse am Überleben, allerdings beschränkt auf sich selbst und persönlich Nahestehende.422 Ganz im Sinne eines Gesellschaftsvertrags folgert Hoerster im Hinblick auf die langfristigen Eigeninteressen eines jeden, daß jeder von einem generellen Tötungsverbot profitiert, weil er so sein eigenes Überleben und das der ihm Nahestehenden am besten gesichert weiß.423 „Die Institutionalisierung eines allgemeinen Tötungsverbots findet unter dieser Voraussetzung ihre intersubjektive Begründung also darin, daß jeder von ihr profitiert [ . . . ],“424 da jeder ein größeres Interesse am eigenen Überleben als am gelegentlichen Töten hat und sein größeres Überlebensinteresse nur durch eine gegenseitige Übereinkunft sichern kann.425 Kuhse, 1994, S. 255 ff. Kuhse, 1994, S. 267; P. Singer, 1998, S. 212 ff. 417 Zu den Schwierigkeiten der Bewertung der Qualität des Lebens siehe Rilinger, GA 1997, S. 418 (425 f.). 418 Hoerster, Erkenntnis 1983, S. 225 (227 ff.); ders., NJW 1986, S. 1786 (1788); ders. 1993, S. 61 ff.; ders., 1995a, S. 19 ff., ders., 1995b, S. 11 ff.; ebenso Stürmer, 1989, S. 55 ff. 419 Hoerster, 1995a, S. 70. 420 Hoerster, 1993, S. 61 (65). Das Potentialitätsargument weist Hoerster, 1995a, S. 96 ff., mit ähnlichen Argumenten wie P. Singer zurück. 421 Siehe auch Hilgendorf, 1997, S. 90 (97 ff.). 422 Hoerster, 1995a, S. 20. 423 Hoerster, 1995a, S. 20. 424 Hoerster, Erkenntnis 1983, S. 225 (229). 425 Hoerster, Erkenntnis 1983, S. 225 (228); ebenso Stürmer, 1989, S. 55 f. 415 416
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Orientiert sich nach Singer, Kuhse, Hoerster und Merkel das Lebensrecht allerdings allein an den Interessen seines Trägers am Leben, dann steht es ihm auch frei, sich gegen sein eigenes Leben zu entscheiden. Entsprechend kann auch die Tötung auf ein ernsthaftes Verlangen hin das eigene Lebensinteresse und damit das Lebensrecht nicht verletzen.426 Inkonsequent ist Hoerster allerdings, wenn er verlangt, allen geborenen menschlichen Wesen mit der Geburt ein eigenständiges und gleichberechtigtes Lebensrecht einzuräumen.427 Denn er müßte der Orientierung an Tooleys Interessenprinzip auch allen Neugeborenen im ersten Lebensmonat sowie Geisteskranken und altersdementen Menschen, bei denen die Fähigkeit zur Lebensinteressebildung nicht gegeben ist, ein Recht auf Leben bestreiten.428 Das will Hoerster allerdings aus pragmatischen Erwägungen im Sinne des Dammbrucharguments nicht zulassen, weil dadurch die Gefahr zu groß wäre, daß auch personales Leben mißachtet würde.429 Die Geburt würde dagegen den Schutz aller personalen Wesen am besten sicherstellen, weil sie ein besonders eindeutiges Abgrenzungskriterium sei.430 Auch dieser Ansatz wird allerdings nicht konsequent verfolgt, wenn Hoerster die angeblich eindeutige Abgrenzung durch die Geburt bei Frühneugeborenen ablehnt und ein Lebensrecht erst mit der 28. Lebenswoche anerkennen will.431 Das Kriterium der Geburt kann also auch Hoerster nicht für so wichtig erachten, daß man nicht Ausnahmen von ihm zulassen sollte. Hoerster schägt damit selbst die Lücke in den Damm, den er zuvor für so notwendig erachtet hatte.432 In einen grundlegenden Selbstwiderspruch verwickelt sich Hoerster m.E. dadurch, daß er apersonalen menschlichen Lebewesen nicht nur einen objektiv-rechtlichen Lebensschutz, sondern jedem menschlichen Individuum mit der Geburt ein eigenständiges Lebensrecht durch Sozialmoral und Rechtsordnung zugesteht.433 Hoerster kann nicht zunächst unter Verweis auf Tooleys Interessenprinzip individuelle Rechte und deren Verletzung dort ablehnen, wo kein darauf gerichtetes 426 Kuhse, 1994, S. 264 f.; P. Singer, 1998, S. 220; Hoerster, NJW 1986, S. 1786 (ff.); ders., ka; ZRP 1988, S. 1 (3 f.); ders., 1997, S. 51(59 ff.); ders. 1998, S. 27 ff.; Stürmer, 1989, S. 57. 427 Hoerster, 1995a, S. 128 ff., ders., 1995b, S. 38 ff. 428 Zutreffend die Kritik von Tröndle, GA 1995, S. 249 (256). 429 Hoerster, 1995a, S. 128 ff. u. 141 ff. 430 Hoerster, 1995a, S. 132 ff. 431 Hoerster, 1995b, S. 49 ff. 432 Unverständlich ist Hoerster, 1995b, S. 44 ff. u. 47, in seiner Kritik an Singers utilitaristischer Begründung des Lebensrechtes für Neugeborene ab dem zweiten Lebensmonat, weil dadurch den Neugeborenen kein individuelles Recht auf Leben eingeräumt würde. Hoerster selbst räumt apersonalen Wesen ein Lebensrecht doch nur deshalb ein, weil dies zum besseren Lebensschutz der personalen Wesen erforderlich sein soll, Hoerster, 1995b, S. 24 ff.; ders., 1995a, S. 139 f. Jedenfalls bei diesen, dient deren Lebensrecht nicht einem fundamentalen Interesse eines Individuums, sondern primär der Gesamtheit. 433 Hoerster, 1995a, S. 140.
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Interesse besteht, dann aber sich von dieser Basis vollkommen lösen, um von der Rechtsordnung verlangen zu können, daß den geborenen apersonalen Wesen ebenfalls ein individuelles Recht auf Leben zugesprochen wird – soweit die 28. Lebenswoche erreicht ist. Wenn die Rechtsordnung apersonalen Wesen nach der Geburt individuelle Lebensreche einräumen kann, ja sogar auch soll, dann muß es dem Verfassungsgeber sowohl normativ als auch praktisch möglich sein, einen individuellen Lebensschutz allen menschlichen Wesen, auch vor der Geburt einzuräumen, und dies unabhängig von der Fähigkeit zur Interessenbildung. Tooleys Interessenprinzip wird auch von Merkel zugrundegelegt.434 Moralische Lebensrechte können danach sinnvollerweise nur dem zugewiesen werden, der auch ein Lebensinteresse besitzt. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes verfolgt Merkel über die Konstruktion eines Anwartschaftsrechtes. Dieses garantiere zwar noch nicht das Vollrecht, aber gewährleiste den Fortbestand der Chance des Vollrechtserwerbs.435 Das verlangt aber beim Lebensrecht de facto den gleichen Rechtsstatus wie ein volles Lebensrecht.436 Eine Begründung für die Einräumung des Anwartschaftsrechtes gibt Merkel nicht. Ebenso dezisionistisch behauptet er schlicht, daß sich das Anwartschaftsrecht mit der Identität begründe.437 Die Orientierung an der ontologisch-biologischen Identität im Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei und Samenzelle lehnt Merkel mit dem Verweis ab, daß wegen der Teilungsmöglichkeit bis zur Nidation immer noch die Möglichkeit bestünde, daß die ursprüngliche Identität bei einer Teilung in der neuen Identität der Zwillinge untergeht.438 Das Argument ist nicht zureichend. Hieraus folgt einzig, daß die Identität der Zwillinge später beginnt und die ursprüngliche Identität durch einen biologischen Unfall untergegangen ist.439 Unfälle, die im Einzelfall bei einem Anwartschaftsrecht den Vollrechtserwerb vereiteln, sind allerdings nie ausgeschlossen. Der mögliche Sonderfall vermag deshalb die Anwartschaft im Normalfall nicht zu widerlegen. Merkel plädiert dagegen dafür, die Identität in dem Zeitpunkt anzunehmen, wo das Gehirn die physiologischen Voraussetzungen für eine Ich-Identität – ca. ab der 20. Schwangerschaftswoche – besitzt.440 Der Ansatz von Merkel ist nicht nur reichlich konstruiert, sondern setzt sich fundamentalen Einwänden aus. Anwartschaftsrechte erlöschen bekanntlich nicht nur Merkel, 2001, S. 440 ff. Merkel, 2001, S. 490. 436 Merkel, 2001, S. 490. 437 Merkel, 2001, S. 491. 438 Merkel, 2001, S. 495. 439 Merkel muß sich hier auch fragen lassen, wieso er die ansonsten von ihm so geschätzte Denkfigur mit möglichen Welten (vgl. Merkel, 2001, S. 471 (Atomkrieg) , S. 402 (Gregor Samsar Beispiel); S. 504 (Teletransporter); S. 506 (Robinsoinsel)) nicht zur Anwendung bringt. Denkmöglich ist der biologische Unfall einer Teilung des Menschen auch zu jedem anderen späteren Zeitpunkt, so daß Merkel entweder diesen Argumentstypus oder die ganze Konstruktion des Anwartschaftsrechts aufgeben müßte. 440 Merkel, 2001, S. 498 ff. u. 509. 434 435
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mit dem Erstarken zum Vollrecht, sondern auch bei dem endgültigen Ausfall der Erwerbsmöglichkeit.441 Ein Lebensrecht müßte deshalb nach Merkel nur demjenigen zukommen, der auch die (biologische) Aussicht auf den Vollrechtserwerb – ein eigenes Überlebensinteresse – besitzt, was allerdings bei geistig Schwerstbehinderten und komatösen Patienten nicht gegeben ist. Die Rechtsfigur des Anwartschaftsrechts ist deshalb nicht geeignet, um die Behandlung von allen Neugeborenen „normativ als Träger eines [ . . . ] vollständigen Lebensinteresses“442 zu begründen. Zweifelhaft ist es auch, die Identität wiederum an einer physiologischen Voraussetzung festmachen zu wollen. Es gibt hier nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist die psychologische Identität maßgeblich, dann kann erst die bestehende und nicht eine bloß organisch mögliche Ich-Identität ausreichen, oder es genügt eine ontologisch-biologische Identität, dann ist auf den Zeitpunkt der Verschmelzung abzustellen, weil mit ihm bereits diese Identität gegeben ist. cc) „Investitionsfrustrationsmodell“ nach Dworkin Einen Vermittlungsversuch unternimmt nun Dworkin.443 Dabei unterscheidet er zwischen zwei Gründen, aus denen heraus der Schutz von menschlichem Leben in Betracht kommen kann: einmal wegen eigener Interessen einer Person, am Leben zu bleiben, zum anderen, weil dem Leben ein intrinsischer Wert innewohnt, es heilig ist.444 Prämisse seiner Untersuchung ist allerdings wie bei Singer und Hoerster, daß Träger von Rechten nur sein kann, wer fähig ist, eigene Lebensinteressen auszubilden.445 Diese sind jedoch nicht bei allen Menschen gegeben.446 Lebensrechte werden damit auch bei Dworkin nur denjenigen zugesprochen, die Überlebensinteressen besitzen (s. o. bb). Trotzdem folgt Dworkin der Lehre von der Heiligkeit des Lebens insoweit, als „zumindest intuitiv“447 bei allem menschlichen Leben ein intrinsischer Wert angenommen wird. Mit der Dogmatik des Grundgesetzes gesprochen, würde Dworkin somit einen Grundrechtsanspruch des Fötus vor der 26. Schwangerschaftswoche448 ablehnen, allerdings einen Lebensschutz allen menschlichen Lebens als Ausfluß der objektiven Wertordnung grundsätzlich bejahen.449 Nur ist der Wert des Lebens Creifelds, 2000, Stw: Anwartschaftsrecht, S. 75. Merkel, 2001, S. 509. 443 Dworkin, 1994. 444 Dworkin, 1994, S. 20. 445 Dworkin, 1994, S. 20. 446 Dworkin, 1994, S. 26 ff. 447 Dworkin, 1994, S. 102. 448 Dworkin, 1994, S. 28 f. 449 Stein / Frank, 2000, § 33 II 1. a, S. 268, Ipsen, 2000, Rn. 233; sehen ebenso das ungeborene Leben nur von der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes geschützt; a.A. h. M. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 21; v. Mangoldt /Klein / Starck-Starck, 441 442
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nicht gleichbleibend. Dworkin verwendet zur Differenzierung den Begriff der „Frustrationen“.450 Danach gehen wir von einem bestimmten Verlauf des menschlichen Lebens aus,451 zu dessen Gelingen wir natürliche (Zeugung und Entwicklung des Fötus) und kulturelle Investitionen (Ernährung, Erziehung, Ausbildung u. ä.) tätigen. Diese Aufwendungen der Umwelt werden frustriert, wenn durch einen vorzeitigen Tod natürliche und künstliche Investionen unrealisiert bleiben.452 Und umgekehrt ist der Verlust des Lebens geringer, wenn die „Früchte“ der Investitionen bereits gezogen wurden.453 Der Unterschied zwischen den konträren Positionen im Kontext der Abtreibung bestünde nun darin, daß die einen die natürlichen Investitionen, die anderen die künstlichen Investitionen für entscheidend ansehen würden.454 Hinsichtlich der Sterbehilfe orientiert Dworkin seine Argumentation weniger anhand der Investitionen, sondern im Hinblick auf die Vorstellungen des guten Lebens.455 Jeder habe ein Interesse daran, daß sein Leben mit einer inneren Stimmigkeit zu Ende gehe.456 Wenn das Lebensende aber entscheidend von persönlichen Faktoren der Vorstellung von einem guten Leben geprägt sei, dann könne es auch keine allgemeingültigen Entscheidungen über die Art und Weise des Sterbens geben.457 Es müsse deshalb jeder für sich darüber entscheiden können, ob er eine aktive Sterbehilfe wünsche oder nicht. (US-)Verfassungsrechtlich stützt Dworkin seine Position mit dem Recht auf „privacy“ ab. Zum einseitigen Behandlungsabbruch nimmt Dworkin implizit Stellung durch die Unterscheidung zwischen wertbezogenen und erlebnisbezogenen Interessen.458 Erstere sind Überzeugungen, die sich darauf beziehen, ein Leben im Ganzen gelungener zu machen; letztere sind auf das unmittelbare Erleben gerichtet. Wer wertbezogene Interessen ausbilden konnte, wird am Ende seines Lebens auch entsprechend dieser Lebensvorstellungen sterben wollen; wer dagegen nur zur erlebnisbezogenen Interessensbildung fähig war, dessen Interessen können wohl nur nach seinem Lust oder Schmerzempfinden beurteilt werden.459 Art. 2 Rn. 187; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 47; ders. 1991, S. 415 (417); v. Münch, 2001, S. 27 (30 f.); Jarass / Pieroth, Art. 2 GG Rn. 55, die einen individuellen Grundrechtsanspruch des Fötus auf Leben bejahen. Offengelassen noch in BVerfGE 39, 1 (36 f.); jetzt aber BVerfGE 88, 203 (252): „eigenes Lebensrecht des Ungeborenen“. 450 Dworkin, 1994, S. 127 ff. 451 Dworkin, 1994, S. 127. 452 Dworkin, 1994, S. 128. 453 Dworkin, 1994, S. 128. 454 Dworkin, 1994, S. 132 ff. 455 Dworkin, 1994, S. 295 ff. 456 Dworkin, 1994, S. 284. 457 Dworkin, 1994, S. 295. 458 Dworkin, 1994, S. 277 ff. 459 Allerdings nicht ausdrücklich von Dworkin, 1994, S. 281, gezogene Konsequenz.
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dd) Begründung des Lebensrechtes in der Menschenwürde Die kommunikative Interpretation der Menschenwürde sieht das Lebensrecht dagegen nicht in den Interessen ihres Trägers, sondern in der Würde des Menschseins begründet (s. o. VII. 4. c.). Mit der Zuschreibung von menschlicher Würde als Akt gegenseitiger Anerkennung gründet die Anerkennung dabei in nichts mehr als dem schlichten Dasein eines Menschen. Besondere Fähigkeiten oder Leistungen muß der Mensch gerade nicht aufweisen, um sich diese Anerkennung erst zu verdienen (s. o. 2.).460 In gleicher Weise hat das BVerfG festgestellt: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu [ . . . ] Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen. Es zu achten und zu schützen bedingt, daß die Rechtsordnung die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechtes des Ungeborenen gewährleistet. [ . . . ] Dieses Lebensrecht, das nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet wird, sondern dem Ungeborenen schon aufgrund seiner Existenz zusteht, ist das elementare und unveräußerliche Recht, das von der Würde des Menschen ausgeht [ . . . ].“461 Der Schutz des Lebens gründet damit in nichts mehr als der biologisch-physiologischen Existenz von menschli460 Nicht erforderlich ist dann die philosophisch-theologisch umstrittene Diskussion um den Personbegriff. Einschränkend allerdings Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (376): „die persönliche Individualität muß erst einmal Dasein haben“; auch Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 46 u. 48 ff. Hier wäre zu fragen, was das „persönliche“ Dasein gegenüber dem bloßen Dasein auszeichnet, und warum nicht bereits das Dasein ausreichender Achtungsgegenstand sein kann? Der Personbegriff erschwert die Diskussion, weil es nicht an Stimmen fehlt, die bereits im ungeborenen menschlichen Leben eine Person erkennen, siehe nur Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 161 (192 ff.); Boshard / Höver / Schulte / Waldenfels, 1997, S. 243 (280 ff.); Rilinger, GA 1997, S. 418 (427 f.). Dagegen wird von anderer Seite geistig Schwerbehinderten und Kindern unter zwei Jahren das Personsein abgesprochen, siehe P. Singer, 1994, S. 218 ff. Im Recht scheint mir der Begriff der Person auch mehr eine Folge davon zu sein, welchen menschlichen Wesen wir individuelle Rechte zuweisen, und nicht eine zu erfüllende Voraussetzung, die wir einfordern, um jemandem einen Rechtsstatus einzuräumen, vgl. auch Hofmann, 1988, Sp. 336 ff. Entsprechend erweitertete sich der Personbegriff auf alle Menschen erst mit der Vorstellung von den allen Menschen zukommenden Menschenrechten. Wollen wir hinter diesen Stand nicht zurückgehen, sollte nicht beim Personbegriff angesetzt werden, sondern allein danach gefragt werden, wann von einem „individuellen Dasein“ menschlichen Lebens ausgegangen werden kann, das wir dann in die Anerkennungsgemeinschaft aufnehmen und deshalb als Folge seines Daseins auch als Person anerkennen. Es ist nur zu fragen, wann überhaupt menschliches Leben existiert, da erst solches Gegenstand der Anerkennungsgemeinschaft sein kann. Einfache menschliche Gewebeproben, die erst durch weitere technische Eingriffe die Fähigkeit erhielten, sich durch einen eigenen Organismus von der Umwelt abgrenzend darzustellen, können nicht hierzu gezählt werden. Dagegen erfüllt das ungeborene menschliche Leben diese Voraussetzung. Schwierig ist dagegen die Bestimmung des Status von Embryonen. Mit Vitzthum, MedR 1985, S. 249 (252 f.), auch Fink, Jura 2000, S. 210 (215), würde ich menschliches Leben bereits bei der Zygote und vor einer möglichen Nidation bejahen wollen, a.A. Hofmann, JZ 1986, S. 253 (259 f.). Die Konsequenzen die sich hieraus für die Gentechnik ergeben würden, zeigen Heuermann / Kröger, MedR 1989, S. 168 ff. 461 BVerfGE 88, 203 (252).
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chem Leben überhaupt.462 Die spezifischen Konsequenzen, die diese Begründung des Lebensrechtes aus dem Horizont der Menschenwürde für die Interpretation des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hat, sollen nunmehr verdeutlicht werden. b) Absoluter Lebensschutz? Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Fristenregelung von 1975 festgehalten: „Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muß, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.“463 Hieraus könnte auf den ersten Anschein gefolgert werden, daß dem Leben als „vitale[r] Basis der Menschenwürde und [ . . . ] Voraussetzung aller anderen Grundrechte“, in der Grundrechtsordnung die Stellung eines „schlechthin höchsten Wert [es]“464 bzw. „unbedingten Höchstwert[es]“465 der Verfassungsordnung zukommt, die als Bedingung der Menschenwürde auch dieser vorgehen muß.466 Zudem müßten staatliche Eingriffe in das Leben sämtlich die Würdegarantie berühren.467 Die Tötung eines Menschen wäre eine Vernichtung der ihm eigenen Menschenwürde. Die vom Grundgesetz geforderte Unantastbarkeit der Menschenwürde könnte dann nur durch einen „absoluten Lebensschutz“468 gesichert werden.469 Eine derartige „biologistische Gleichsetzung“470 von Menschenwürde- und Lebensschutz kann nicht überzeugen. Das Lebensrecht steht in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG unter einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt.471 Praktisch relevant wird dieser 462 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 10; Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 8; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 Rn. 176; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 15; Kloepfer, 2001, S. 77 (81); Trück, 2000, S. 27; ähnlich wie hier Höfling, 2001, S. 363 (374 f.). 463 BVerfGE 39, 1 (42). 464 Kloepfer, 1976, S. 405 (412). 465 Leisner, 1976, S. 23. 466 Leisner, 1976, S. 24 f.; Kloepfer, 1976, S. 406 (412). 467 So v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 Rn. 189; Sengler / Sschmidt, MedR 1997, S. 241 (243); vgl. auch die Kritik von Schwabe, JZ 1998, S. 66 (69). 468 Laber, 1997, S. 115 ff., folgert hieraus einen absoluten Lebensschutz; ebenso Muschke, 1988, S. 20: „[ . . . ] ein absoluter Lebensschutz außer Zweifel steht.“ Siehe auch Trück, 2000, S. 25; Burkart, 1983, 140; B. Reuter, 2001, S. 230. Dagegen aber bereits, Stratenwerth, SchwZStrR 95 (1978), S. 60 (77 f.); Kaufmann, 1997, S. 182. 469 Anders die Lösung von Kloepfer, 2001, S. 77 (97): „Grundrechtsschranken auch im Bereich des Art. 1 Abs. 1 GG anzuerkennen“. 470 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (361); U. Neumann, 1988, S. 139 (147); ders. 1998, S. 51 (61 f.). 471 Siehe auch BVerfGE 88, 203 (253 f.): „Der Schutz des Lebens ist nicht in dem Sinne absolut geboten, daß dieses gegenüber jedem anderen Rechtsgut ausnahmslos Vorrang genösse; das zeigt schon Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG.“
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bei polizeirechtlichen Befugnissen, die den finalen Rettungsschuß472 ermöglichen, und in der strafrechtlichen Rechtfertigung notwehrbedingter Tötungen nach § 32 StGB,473 die auch die Verteidigung von Rechtsgütern unterhalb der Menschenwürde umfaßt. Im Hinblick auf die vom Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG geforderte Unantastbarkeit der Menschenwürde kann deshalb nicht jeder Eingriff in das Leben einem Verstoß gegen die Menschenwürde gleichkommen.474 Selbst wenn man bei den vorgenannten Beispielen Bedenken hat, so ist doch der Gesetzesvorbehalt Ausdruck einer immanenten Begrenzbarkeit und damit der möglichen Nachrangigkeit des Lebensschutzes im Rahmen der Güterabwägung.475 Und schließlich erschöpft sich andererseits der materielle Gehalt der Menschenwürde nicht in der physischen Existenz des Menschen. Sichtbaren Ausdruck findet dies in der Rechtsprechung des BVerfG zum postmortalen Persönlichkeits- und Ehrenschutz.476 Die Klärung des Zusammenhangs von Menschenwürde und Leben, die zwischen der Gleichsetzung eines Eingriffs in das Leben mit einer Verletzung der Menschenwürde477 und der schlichten Entkopplung von Menschenwürdegarantie und Lebensschutz478 vermittelt, ergibt sich mit der Interpretation der Menschenwürde als objektivem Verfassungsgrundsatz.479 Die Menschenwürde weist der Achtung und dem Schutz eines jeden Lebens besondere Bedeutung zu. Das Leben ist die Grundlage der Wahrnehmung aller Grundrechte. Seine Verknüpfung gemäß der „in-Verbindung-mit-Dogmatik“ des BVerfG480 mit der Menschenwürde, deren vitale Basis es ist, weist dem grundrechtlichen Rechtsgut Leben einen „Höchstwert“ innerhalb des Grundgesetzes zu.481 Eine Kollisionslage, welche die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der indirekten und auch aktiven Sterbehilfe zu begründen vermag, wird vom Art. 1 Abs. 1 GG allerdings nicht prinzipiell ausgeschlossen. Einen absoluten Lebensschutz oder die Unverletzlichkeit des Lebens garantiert das Vgl. § 41 II 2 MEPolG. Kritisch zur h. M. Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 ff. m. w. N. 474 Das menschliche Leben bereits durch Art. 1 I GG geschützt anzusehen, führt entgegen, Fink, 1992, S. 93; Hermes, 1987, S. 141, nicht zum Widerspruch zu Art. 102 GG, weil diese Vorschrift dann angeblich ihren Sinn verlieren würde, da auch die Klarstellung keineswegs sinnlos wäre, so zutreffend Schwabe, 1977, S. 230. 475 BVerfGE 88, 203 (253 f.); Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 38; Fink, 1992, S. 93; ders., Jura 2000, S. 210 (211). 476 BVerfGE 30, 173 (194); NJW 1994, S. 783 f.; vgl. auch Gröschner, 1995, passim; Enders, 1997, S. 470 f.; Bremer, NVwZ 2001, S. 167 (168 f.); zu weitgehend dagegen Klinge, 1996, S. 210 ff. u. 217 ff., die sogar den Toten als Träger eines individuellen Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG ansieht. 477 In dieser Richtung v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 84; Leisner, 1976, S. 23 ff.; differenzierend Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 1 Rn. 2a. 478 So Hofmann, AöR 118 (1993), 353 (376); Dreier, DÖV 1995, 1036 (1039 f.); SachsHöfling, Art. 1 Rn. 11. 479 Vgl. auch Enders, 1997, S. 337 ff.; siehe auch Kloepfer, 1976, S. 405 (413). 480 Steiner, 1992, S. 13. 481 Steiner, 1992, S. 13; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 84. 472 473
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Grundgesetz nicht. Wegen der Fassung der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes als Verfassungsprinzip folgt aus der (gleichberechtigten) Aufnahme jeden menschlichen Lebens in die Anerkennungsgemeinschaft noch nicht, daß jeder Eingriff in das menschliche Leben einer Verletzung der menschlichen Würde gleichkommt.482 Die notwendige weitere Konkretisierung des Menschenwürdeprinzips ist deshalb auf eine Güterabwägung am einzelnen Falltypus angewiesen.483 Diese Ausführungen decken sich mit der Methodik des BVerfG in seinen Entscheidungen zu den Abtreibungsregelungen. Im Fristenurteil von 1975 hat das BVerfG eine Abwägung zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung der Schwangeren und dem Lebensrecht des nasciturus vorgenommen.484 Der Menschenwürde kam dabei eine Richtlinien- und Maßstabsfunktion zu,485 da „beide Verfassungswerte in ihrer Beziehung zur Menschenwürde als dem Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung zu sehen [ . . . ]“486 seien. Auf die gleiche Funktion der Menschenwürde als objektives Prinzip verweisen die Präzisierungen des BVerfG in seinem zweiten Fristenurteil von 1993 bei der Überprüfung des Beratungsschutzkonzeptes. Danach sieht es zwar den Grund der staatlichen Schutzpflicht im Art 1. Abs. 1 GG, der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG soll allerdings zunächst selbständig entfaltet werden.487 Der Einfluß der Menschenwürde zeigt sich mithin auch hier in der Ausstrahlungswirkung als objektives Verfassungsprinzip auf die nachfolgenden Grundrechte.
c) Gleichberechtigtes Lebensrecht Während die besondere Bedeutung des Lebensgrundrechtes im Rechtsstaat grundsätzlich noch weithin Zustimmung findet – keine der oben skizzierten, abweichenden Lebensbegründungen steht hierzu im Widerspruch –488 kann doch die weitere Folgerung von einem allem menschlichen Leben zukommenden gleichberechtigten Lebensrechtstatus als eine der umstrittensten Kernfragen angesehen werden.489 Jedem menschlichen Leben, unabhängig von seinen Fähigkeiten zur 482 Anderenfalls hätte das BVerfG in BVerfGE 39, 1 ff. keine Indikationslösung zulassen können. 483 Vgl. auch die Methode bei BVerfGE 30, 1 (25); Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 358. 484 BVerfGE 39, 1(42 f.); auch 88, 203 (255 f.). 485 Enders, 1997, S. 339. 486 BVerfGE 39, 1 (43). 487 BVerfGE 88, 203 (251): „Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und – von ihm her – ihr Maß wird durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt.“ 488 Vgl. Hoerster, 1995, 19 ff. u. 162; ders., 1998, S. 30 f. 489 A. A. Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 55; Model / Müller, Art. 2 Rn. 21, Hilgendorf, NJW 1996, S. 758 (761); ders., 1997, S. 90 (105 ff.); Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 51; ders., DÖV 1995, S. 1036 (1037); U. Neumann, 1998, S. 51 (62); Hofmann, 2001, S 873 (894); Kloepfer,
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Willensbildung, einen besonderen Wert zuzuweisen, ist ohne Zweifel gegenüber der bis heute gegebenen Rechtlosigkeit von Tieren – insbesondere bei Säugetieren der höheren Art – eine Form von Speziezismus, weil für die Sonderstellung nur die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies verlangt wird.490 Nun ist aber bereits nach dem Begriff der Menschenwürde notwendig allen Menschen eine besondere Würdestellung eigen. Wollte man diese Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG für die grundgesetzliche Ordnung bestreiten, müßte man diesen Absatz tatsächlich als „Leerformel“491 bezeichnen, bestenfalls als Verfassungslyrik ignorieren. Zu Recht hält deshalb das BVerfG an der Würdestellung allen menschlichen Lebens fest.492 Wenn allerdings dem Menschen um seiner selbst willen493 und unabhängig davon, ob er sich dieser Würde bewußt ist,494 eine Würdestellung zukommt, dann ist er auch um seiner selbst willen und nicht im Hinblick auf seine Nützlichkeit für die Gesellschaft zu achten.495 Wird jedem Menschen um seines Eigenwertes willen ein eigenes Lebensrecht zugesprochen, das zudem bei allen Menschen einen hohen Wert darstellt,496 dann verbieten sich auch Vorenthaltungen dieses Lebensrechtes mit Blick auf Alter und Entwicklungsstand des Lebens.497 Ausgeschlossen sind Einschränkungen der Träger des Rechtes auf Leben wegen des Geschlechts, der Rasse, Behinderungen oder genetischer Aberrationen.498 Beurteilungen der Gesellschaft darüber, welchem menschlichen Leben überhaupt ein Lebensrecht zukommt oder nicht, sind dann nicht möglich. Menschliches Leben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist mithin mit dem „Lebendigsein“ eines menschlichen Lebens unmittelbar gegeben.499 Mit der biologisch-physischen Existenz von menschlichem Leben überhaupt beginnt deshalb der Lebensschutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.500 Das wird man in dem Moment annehmen müssen, wo 2001, S. 77 (103); auch A. Lübbe, KritV 1993, S. 313 (315 ff.), die das vorgeburtliche Leben, umso intensiver schützen will, je menschenähnlicher es ist. 490 Siehe Martin, ARSP 1996, S. 416 (428); Hruschka, JZ 1991, S. 507 (508); Höfling, 2001, S. 363 (375); auch Hoerster, 1995a, S. 55 ff.; siehe aber auch zur „Entrückung“ des Menschen aus dem Naturverhältnis durch das Würdeverständnis die kritischen Einwände Hofmanns, Staat 37 (1998), S. 349 ff. 491 Vgl. Hoerster, JuS 1983, S. 93 (96). 492 BVerfGE 39, 1 (41); auch 88, 203 (252); vgl. auch 5, 85 (205); 45, 178 (228): „Dies bedeutet, daß auch in der Gemeinschaft grundsätzlich jeder Einzelne als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt werden muß.“ 493 BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (251 f.). 494 BVerfGE 39, 1 (41). 495 Vgl. Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 161 (167); Kriele, 1992, S. 96. 496 BVerfGE 39, 1 (42); 88, 203 (252). 497 BVerfGE 88, 203 (267). 498 Fink, Jura 2000, S. 210 (213). 499 Höfling, 2001, S. 363 (374). 500 Verweist der Begriff „Leben“ schon auf eine natürliche Eigenschaft als Schutzgegenstand, Höfling, 2001, S. 363 (374).
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durch biologischen Stoffwechselaustausch eine Identität aufrechterhalten wird.501 Auch kann keine menschliche Eigenschaft Grund für ein „Lebensrecht zweiter Klasse“502 sein. Der spezifische Einfluß der grundgesetzlich aufgegebenen Menschenwürde auf die Interpretation des Lebensrechtes ist damit in besonderer Weise Ausdruck der mit der Menschenwürde implizierten rechtlichen Gleichheit503 im basalsten Grundrecht auf Leben.504 Die Begründung für die Verpflichtung der Menschenwürde auf einen gleichberechtigten Lebensrechtsstatus kann vor dem Hintergrund der kommunikativen Interpretation der Menschenwürde deutlicher zum Ausdruck gebracht werden. Die besondere Bedeutung des Lebens im Kontext der Achtungsgemeinschaft ergibt sich allein daraus, daß ohne die Anerkennung eines Lebensrechtes der Mitgliedschaft in der Anerkennungsgemeinschaft etwas Wesentliches fehlen würde. Es verträgt sich nicht mit einer wechselseitigen Anerkennung als Gleiche, wenn die einen frei darüber befinden können, ob die anderen überhaupt als Achtungssubjekte fortbestehen dürfen.505 Die Aufnahme in die Anerkennungsgemeinschaft und der entsprechende Partizipationsstatus können deshalb nicht von seinen Fähigkeiten oder Leistungen abhängen.506 Die Menschenwürde wird somit ihrer Funktion als oberstes Konstitutionsprinzip der Verfassung bei der Interpretation des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gerecht, indem sie den prinzipiellen Lebensschutz dahingehend verstärkt, daß das Leben ein besonderer Wert der Verfassung ist und der Schutz des menschlichen Lebens auch Ausdruck der wechselseitigen Achtung als gleichberechtigte Mitglieder ist.507 Die Menschenwürde verbietet es, dem Leben ihrer Mitglieder an sich einen unterschiedlichen Wertstatus zuzuweisen.508 Die Differenzierung des Lebensschutzes Vgl. Jonas, 1994, S. 145 ff. u. 151 ff. Hoerster, 1995a, 47 u. 141 ff. 503 Vgl. AK3-Podlech, Art. 1 Rn. 29 ff.; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 11. 504 Genau entgegengesetzt zu hier Model / Müller, Art. 2 GG Rn. 20: „Die von der Menschenwürde ausgehende Interpretation des Lebensbegriffs ermöglicht es auch, die schlimmsten Formen und Folgen auf dem Gebiet der Teratologie („Ohnköpfe“, „Nurköpfe2) aus dem Schutzbereich des Lebens auszuklammern.“ Entsprechend soll auch nur noch durch Maschinen aufrechterhaltenes Leben nicht mehr im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG als Leben gewertet werden, „weil die Garantie des Lebens nur aus der Fähigkeit des Lebens, Subjekt der Menschenwürde zu sein, ihren Sinn erhält.“, Model / Müller, Art. 2 GG Rn. 20. 505 Hofmann, AöR 118 (1993), S. 353 (376). 506 Geddert-Steinacher, 1990, S. 62; Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 46 ff.; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 17 ff. 507 Kriele, 1992, S. 95 ff.; vgl. auch Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 161 (240). 508 Im Ergebnis ebenso Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 15; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 44; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 10; AK2-Podlech, Art. 2 II Rn. 10; Leisner, 1976, S. 24; Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 8; a.A. Hilgendorf, NJW 1996, S. 758 (761); ders., 1997, S. 90 (105 ff.); Dreier-Dreier, Art. 1 I Rn. 51; ders., DÖV 1995, 501 502
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
nach den Fähigkeiten oder der Entwicklungsstufe ihres Trägers widerspräche dem. Möglich bleibt aber wegen der objektiv-rechtlichen Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG und seinem Einfluß auch auf andere Grundrechte eine Differenzierung in unterschiedlichen Konfliktsituationen. 509 Den Grund des Lebensschutzes in der Menschenwürde anzuerkennen, heißt mithin nicht, den von der Verfassung ohne Zweifel nicht postulierten absoluten Lebensschutz zu behaupten, sondern die grundsätzliche Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens zu bejahen. Der gleichberechtigte Lebensschutz wird schließlich durch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes in Reaktion auf das nationalsozialistische Herrschaftsregime gestützt. Art. 2 Abs. 2 GG sollte ebenso wie die Abschaffung der Todesstrafe den grundsätzlichen Wert jeden menschlichen Lebens hervorheben, in betontem „Gegensatz zu den Anschauungen eines politischen Regimes [ . . . ], dem das einzelne Leben wenig bedeutete und das deshalb mit dem angemaßten Recht über Leben und Tod des Bürgers schrankenlosen Mißbrauch trieb.“510 Einer „Vernichtung von lebensunwertem Leben“, der „Endlösung“ und der „Liquidierung“ sollte damit entgegengetreten werden.511 Differenzierungen bei der Beurteilung des menschlichen Lebens nach eugenischen, politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Kriterien sollten verhindert werden.512 Auf die Konsequenzen,513 die eine Begründung des gleichberechtigten Lebensschutzes aus der Menschenwürde über die Sterbehilfe hinaus für den Bereich der Gentechnik514 und den Schwangerschaftsabbruch515 hat, kann hier nicht näher S. 1036 (1037); auch A. Lübbe, KritV 1993, S. 313 (315 ff.); siehe nunmehr auch Lorenz,ZfL 2001, S. 38 (45). 509 Im Ergebnis ebenso Enders, 1997, S. 340 f. 510 BVerfGE 18, 112 (117). 511 Vgl. BVerfGE 39, 1 (36). 512 Wassermann, DRiZ 1986, S. 291 (292); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 8 ff.; Hoerster, ZRP 1988, S. 1 (3). 513 Entscheidende Konsequenz ist dabei die Rechtsträgerschaft des nasciturus und wohl auch des In-vitro-fertilisierten Embryos, siehe hierzu Fink, Jura 2000, S. 210 (212 ff.). 514 Ein Totalverbot im Bereich der Gentechnik hat dies m.E. nicht zur Folge. Die Reagenzglasbefruchtung, heterologe Insemination, Ei- und Embryonenspende und die Ersetzung defekter Gene (negative Eugenik) dürften im Gegensatz zu verbrauchenden Embryonenforschungen und von ökonomischer, wissenschaftlicher oder bevölkerungspolitischer Instrumentalisierung bezweckter (positiver) Eugenik grundsätzlich erlaubt sein, da der Heileingriff und die Freigabe zur Adoption unserer Rechtsordnung nicht fremd sind. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings bei der Bestimmung der Grenze zwischen der negativen und der positiven Eugenik, vgl. Habermas, 2001, S. 38. Der Widerspruch einer positiven, bevölkerungspolitischen Eugenik und auch der Klonierung zur Menschenwürde ergibt sich dagegen nach hiesiger Auffassung daraus, daß die Grunddimension der Gleichheit aller Rechtspersonen verletzt ist, wenn die einen mittels der Bestimmung des genetischen Programms frei über andere und deren Handlungsfähigkeiten bestimmen können, so daß die abhängige Person unter Eingriff in ihre körperliche bzw. genetische Integrität persönlich fremdbestimmt wird, vgl. Habermas, 2001, S. 30 f. u. 109 ff.; siehe auch Rüttgers, ZME 1997, S. 182 (183); siehe grundsätzlich zum Bereich der Gentechnik weitgehend wie hier Heuermann / Kröger, MedR 1989, S. 168 ff.;
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eingegangen werden; zu diskutieren werden aber die Konsequenzen für das zutreffende Todeskriterium sein, wenn das Recht auf Leben nur die biologisch-physiologische Existenz menschlichen Lebens voraussetzt (s. u. § 15 II.).
d) Lebenspflicht als Teil der Schutzpflicht? Das BVerfG hat in seiner ersten Entscheidung zur Fristenregelung erstmals eine die Abwehrfunktion der Grundrechte ergänzende Schutzverpflichtung des Staates für das menschliche Leben herausgestellt.516 Zur Begründung und Verstärkung insoweit auch Hofmann, JZ 1986, S. 253 (259 f.). Dagegen verneinen Frankenberg, KJ 2000, S. 325 (329); Hilgendorf, 2001, S. 1147 (1152 ff., 1157), wohl auch Fink, Jura 2000, S. 210 (216), eine Verletzung der Menschenwürde des klonierten Menschen, weil dieser ab dem Zeitpunkt seiner Existenz Anspruch darauf hat, in gleicher Weise Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft zu sein. Letzteres ist zutreffend, doch folgt hieraus nicht, daß mit der ,Zeugung‘ auch das Recht gegeben wäre, die genetische Struktur des gezeugten Menschen festzulegen. Da genau dies aber bei der Klonierung aufgrund der Totalbestimmung des genetischen Codes eines Menschen der Fall ist, verbietet sie sich, wenn die gegenseitige Achtung als Gleichberechtigte nicht durch die Möglichkeit unterlaufen werden soll, andere Menschen durch Festsetzung von deren genetischem Programm nach eigenen Vorstellungen zu kreieren. 515 Ein Verbot jeder Form von Abtreibung ergibt sich hieraus m.E. nicht, wenn die Abtreibung nicht als aktive Tötung, sondern als Tötung durch Unterlassen zu bewerten ist. Letzteres kommt beim künstlich herbeigeführten Abort in Betracht, weil hierdurch in erster Linie die Kappung der „Versorgungsstation“ Mutter beabsichtigt ist, vgl. Bernsmann, JuS 1994, S. 9 (12); sehr instruktiv hierzu das Geigerbeispiel bei Thomson, 1990, S. 107 (108 ff.). Von daher kommt es entscheidend darauf an, welche Gründe für eine Garantenpflicht der Mutter zur Fortsetzung der Schwangerschaft sprechen. Im Normalfall ergibt sich die Garantenpflicht wegen Ingerenz aus dem freiverantwortlich vorgenommenen Geschlechtsverkehr, dessen Risiko eben die Kindszeugung ist. Die herrschende Meinung im Strafrecht verlangt für die Ingerenz zwar ein rechtswidriges Vorverhalten (siehe nur LK-Jescheck, § 13 Rn. 33 m. w. N.), im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 GG ist eine erweiternde Auslegung im Sinne eines Verursachungsprinzips m.E. zu bejahen (vgl. Tröndle, GA 1995, S. 249 (257), a.A. aus philosophischer Sicht Thomson, a. a. O., S. 119 ff., die jede besondere Verantwortung der Mutter verneint). Bei einer Vergewaltigung ist deshalb eine Garantenpflicht nicht begründbar. Auch die Fortsetzung der Schwangerschaft in den Fällen der medizinischen Indikation wird kaum zumutbar sein (vgl. zur Verneinung der Garantenpflicht bei Unzumutbarkeit, Sch / Sch-Stree, vor §§ 34 ff. Rn. 155 f.). Daß weiterhin keine Frau in eine Konfliktsitutation gebracht werden darf, in der das Verbot der sozialen und eugenischen Indikation unzumutbar ist, wird auch vom derzeit geltenden Beratungsschutzkonzept erkannt. Diese Seite des Schutzkonzepts bedarf evt. noch der Verbesserung, so daß ein Schwangerschaftsabbruch nicht wegen sozialer oder eugenischer Gründe freigegeben werden darf. Die Begründung einer Garantenpflicht zur Fortsetzung der Schwangerschaft aus dem rechtlichen Grundsatz der Ingerenz verlangt den Partnern somit eine verantwortete Sexualität ab, die eine Konfliktsituation durch Verhütung zu vermeiden sucht und nicht durch Abtreibung zu Lasten des ungeborenen menschlichen Lebens einseitig löst. Auch steht sie im Gegensatz zur derzeitigen Tendenz, den Schwangerschaftsabbruch als unproblematische Form der Geburtenplanung und zur Zeugung von Kindern nach Wahl – ohne Behinderung und zur Geschlechtsbestimmung – einzusetzen.
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dieser Schutzpflicht verweist es auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG.517 Die Kritik der abweichenden Auffassung,518 die Grundrechte würden in ihr Gegenteil verkehrt, wenn ihnen auch die Funktion zukäme, als Basis für freiheitsbeschränkende Regelungen zu dienen, hat sich nicht durchgesetzt.519 Die grundsätzliche Bedeutung der Grundrechte auch als Schutzverpflichtung des Staates gegenüber privaten Übergriffen ist nunmehr weithin anerkannt.520 Übereinstimmung besteht auch dahingehend, daß die aus der Schutzpflicht begründete Garantenpflicht521 zwar wie das Abwehrrecht im Staat denselben Adressaten hat, aber ihr Grundmodell aus einem Dreieck besteht: dem Staat, demjenigen, gegen den sich der private Übergriff richtet (Opfer) und demjenigen, von dem der Übergriff ausgeht (Störer).522 Strittiger ist dagegen, ob auch die zweipolige Konstellation von Staat und sich selbst schädigendem Bürger im Sinne eines „Schutzes vor sich selbst“ Teil der Schutzpflicht des Staates ist (s. o. 1. und ausführlicher s. u. § 9 II. 2.). Von diesen Aspekten zu unterscheiden – wenn auch nicht gänzlich losgelöst – ist die Frage, ob das Grundgesetz auch eine Grundpflicht zum Leben enthält (status passivus).523 Diese Fragestellung drängt sich bei der hier vertretenen Position geradezu auf, wenn mit einer verbreiteten Auffassung die Menschenwürde als Wurzel der Grundpflichten angesehen wird.524 Verlangt die Menschenwürde über eine Schutzverpflichtung des Staates für das Leben auch eine Grundpflicht des einzelnen zum Leben, wie es der Lehre von der Heiligkeit des Lebens entsprechen 516 BVerfGE 39, 1 (42 ff.); vgl. auch 88, 203 (251 ff.). Die Sicherung des Lebens ist allerdings bereits klassischer Bestandteil der Legitimation staatlicher Gewalt seit Hobbes und Locke, siehe Isensee, 1983, S. 3 ff.; auch Robbers, 1987a, S. 40 ff. u. S. 29 ff., der bereits frühere Ansätze feststellt. Die Entdeckung der Schutzpflicht ist damit eine Formulierung des Selbstverständlichen, Hofmann, 1990, S. 115 (ebda.). 517 BVerfGE 39, 1 (41 f.); besonders deutlich in BVerfG 88, 203 (251): „Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG [ . . . ].“ Vgl. auch Maunz / Dürig / Herzog / ScholzDürig, Art. 1 Rn. 16; diesen Zusammenhang ablehnend für den Lebensschutz: Schwabe, 1977, S. 211 ff. u. 230 ff. 518 BVerfGE 39, 1 (73 ff. u. auch 69 ff.). 519 Der Einwand geht insbesondere deshalb fehl, weil die Grundrechte gerade von privater Seite einer Vielzahl von Gefahren ausgesetzt sind, denen sich der Staat gegenüber nicht teilnahmslos verhalten darf. Die klassische Theorie des Gesellschaftsvertrags bei Hobbes und Locke zeigen sehr deutlich, daß die Legitimation des staatlichen Gewaltmonopols dem einzelnen ein Mindestmaß an Sicherheit bieten muß. Aus dem Horizont der kommunikativen Menschenwürdeinterpretation darf die Bedingung der Möglichkeit individueller wie auch kollektiver Autonomie auch durch private Dritte nicht verhindert werden. 520 Isensee, HStR V., § 111 Rn. 3 ff. 521 Nach überwiegender Auffassung vermittelt die objektivrechtliche staatliche Schutzpflicht dem einzelnen auch ein subjektives Recht, s. u. § 9 I., Fn. 736. 522 Isensee, HStR V., § 111 Rn. 5; Jarass, 2001, S. 35 (40). 523 Siehe zu dieser Form der Festlegung des staatlichen Verhältnisses zum Bürger Hofmann, HStR V., § 114 Rn. 30; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 161 f. 524 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 16; Luchterhandt, 1988, S. 444 ff.; Häberle, Rechtstheorie 1980, S. 389 (412 ff.).
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würde? Das hätte Bedeutung für den Bereich der passiven Sterbehilfe oder den ärztlichen Eingriff, wenn Patienten einen lebensrettenden oder lebenserhaltenden Eingriff aus zwar freiverantwortlichen, aber unvernünftigen Gründen ablehnen. Ein ärztlicher Eingriff könnte dann im Hinblick auf die Grundpflicht zum Leben, auch gegen den Willen des Patienten, zulässig sein. Fast einhellig wird eine verfassungsrechtliche Grundpflicht zum Leben verneint.525 Entsprechend hat das BVerfG die Schutzhelmtragepflicht für Kraftradfahrer nicht im Hinblick auf eine Selbstverpflichtung zum Schutz des eigenen Lebens als verfassungsgemäß angesehen, sondern auf die Lasten der Gemeinschaft für Krankenhauskosten u. ä. sowie die höhere Gefährdung anderer Verkehrteilnehmer durch den infolge von Kopfverletzungen nicht mehr steuerungsfähigen Unfallbeteiligten verwiesen.526 Auch das VG Karlsruhe527 postuliert keine Grundpflicht zum Leben, wenn es zwar eine Schutzpflicht des Staates für das Leben gegen das Interesse des Suizidenten bejaht, sich hierzu aber nur auf die objektive Wertordnung des Grundgesetzes beruft. Die objektive Wertordnung kann vielleicht eine Pflicht des Staates zum Einschreiten begründen, aus ihr allein folgt aber noch nicht eine Pflicht des Bürgers, sich die staatliche Schutzpflicht gegenüber sich selbst zu eigen zu machen.528 Die Beurteilung einer Grundpflicht hat bei der sachlich einschlägigen Verfassungsnorm, hier dem Art. 2 Abs. 2 GG anzusetzen. Auf dieser Ebene zeigt sich zunächst, daß der Normtext der Verfassung die Postulierung einer Grundpflicht zum Leben nicht unterstützt, da darin jedem ein „Recht auf Leben“, aber nicht die „Pflicht zum Leben“ zugesprochen wird.529 Aus einem Grundrecht allein kann im freiheitlichen Verfassungsstaat nicht auf eine Grundpflicht geschlossen werden,530 da Rechte und Pflichten sich nicht entsprechen müssen531 und die Freiheitsrechte 525 Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 62; Eser, JZ 1986, S. 786 (790); Laber, 1997, S. 215; Nußbaum, 1999, S. 48; Fink, 1992, S. 113 ff.; vgl. auch Knemeyer, VVDStRL 35 (1977), S. 221 (256). In den „Grundpflichtenkatalogen“ bei Götz, VVDStRL 41 (1983), S. 9 (21 ff.); Hofmann, HStR V., § 114 Rn. 17 ff.; Luchterhandt, 1988, S. 463 ff., Stern, III / 2, § 44, S. 1026 ff. u. 1039 ff.; Isensee, DÖV 1982, S. 609 (616 ff.); T. I. Schmidt, 1999, S. 169 ff., ist eine Pflicht zum Leben ebenfalls nicht aufgeführt; a.A. Schmidhäuser, 1974, S. 801 (817 ff.); Klinkenberg, JR 1978, S. 441 (443 f.); tendenziell auch Roellecke, 1976, S. 336 (338). 526 BVerfGE 59, 275 (278 f.); kritisch Hillgruber, 1992, 96 ff. 527 VG Karlsruhe JZ 1988, S. 208 (209). 528 Dagegen folgern Klinkenberg, JR 1978, S. 441 (443 f.) und Schmidhäuser, 1974, S. 801 (817 f.) aus dem Recht der Polizei, den Selbstmord verhindern zu dürfen, also durch die Eingriffsermächtigung den Suizidenten zum Weiterleben zwingen zu dürfen, auch die Rechtspflicht des Bürgers zum Weiterleben. A. A. Dolderer, 2000, S. 170 ff., der allein den Staat und nicht den Bürger als verpflichtet ansieht, die objektiven Grundrechtsgehalte und damit die Schutzpflicht zu verwirklichen. 529 Anders dagegen in Art. 5 Abs. 3 S. 2, 6 Abs. 2 S. 1, 12a, 14 Abs. 2, 15, 17a, 18 GG, in denen der Normtext selbst Grundpflichten statuiert. 530 Stober, NVwZ 1982, S. 473 (474). 531 Stober, NVwZ 1982, S. 473 (474).
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im allgemeinen auch das Recht zum Nichtgebrauch einschließen.532 Es besteht mithin eine Rechte- und Pflichten-Asymmetrie in der Verfassung der Freiheit.533 Das allein spricht jedoch noch nicht zwingend gegen eine Grundpflicht zum Leben. Zweifelhaft ist allerdings der Ansatz, aus der Menschenwürde Grundpflichten gegenüber sich selbst entwickeln zu wollen (vgl. oben 1.).534 Überzeugender ist es dagegen im Hinblick auf die Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums535 bzw. Kategorie der Mitmenschlichkeit und Wechselseitigkeit der Menschenwürde,536 den Art. 1 Abs. 1 GG nicht zur Begründung von Selbstverpflichtungen, sondern von Verpflichtungen gegenüber dem Mitmenschen537 zu berücksichtigen. Zu Recht zeichnen sich deshalb die behaupteten Grundpflichten durch ihren Pflichtencharakter gegenüber dem Mitmenschen und nicht gegenüber sich selbst aus.538 Doch auch in dieser Beziehung gerät die Grundpflicht zu weit, wenn moralische Beziehungen der Privatrechtssubjekte zueinander unmittelbar als Verhältnisse von Grundpflichten angesehen werden.539 Man wird deshalb für die Begründung von Grundpflichten einen staatlichen Bezug fordern müssen540 – dies um so mehr als den etablierten Grundpflichten ein spezifischer Staatszweckbezug gemeinsam ist:541 „Sie dienen dem Rechtsfrieden und der Landesverteidigung, dem Schutz der Verfassung und sozialem Ausgleich, der Erziehung des Nachwuchses und der Dekkung des staatlichen Finanz- und Landesbedarfs.“542 Folgt aus dem gemeinsamen Zweck der anerkannten Grundpflichten eine Grundpflicht zum Leben? Würde doch die staatliche Gemeinschaft untergehen, wenn sie bei ihren Bürgern nicht einen Willen zum Leben voraussetzen könnte.543 Gleicher Schaden droht der staatIsensee, DÖV 1982, S. 609 (614 f.). Die Asymmetrie zwischen verfassungsrechtlichen Grundrechten und Grundpflichten als Charakteristikum des freiheitlichen Verfassungsstaates ist allgemein anerkannt, siehe Hofmann, HStR V., § 114 Rn. 38 ff., ders., VVDStRL 1983, S. 42 (49 ff.); Götz, VVDStRL 41 (1983), S. 7 (13 f.); Stober, NVwZ 1982, S. 473 (474); Isensee, DÖV 1982, S. 609 (614 f.); Saladin, 1984, S. 213; T. I. Schmidt, 1999, S. 47 ff. 534 Ausdrücklich verneinend z. B. T. I. Schmidt, 1999, S. 86 f. u. 280. 535 Siehe bereits BVerfGE 4, 7(15 f.). 536 Vgl. Luchterhandt, 1988, S. 444. Ausgangspunkt der Begründung sollte allerdings auch hier eine normative Fundierung in den nachfolgenden Artikeln des Grundgesetzes sein. 537 Vgl. Luchterhandt, 1988, S. 456 f.; Häberle, 1980, S. 389 (413 f.); Bachof in Hofmann, VVDStR 41 (1983), S. 42 (99): „Solidaritätspflicht als ,Grundpflicht‘“; vgl. auch Saladin, 1984, S. 212. 538 Siehe obere Fn. 525 und auch Hofmann, VVDStR 41 (1983), S. 42 (74 u. 125). 539 Vgl. auch Stern, III / 2, § 88, S. 1000. 540 A. A. T. I. Schmidt, 1999, S 85 f., wobei ihm allerdings insoweit zu folgen ist, als von einer Grundpflicht auch Mitbürger begünstigt sein können. 541 Hofmann, HStR V., § 114 Rn. 30; vgl auch Saldin, 1984, S. 217. 542 Hofmann, HStR V., § 114 Rn. 30. 532 533
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lichen Gemeinschaft jedoch auch beim Geburtenrückgang544 oder durch die Ausreise seiner Staatsbürger.545 Dies legitimiert weder die Bürgerpflicht zur Kindszeugung noch eine Bleibepflicht546. Deshalb muß für die Begründung einer Grundpflicht von dem spezifischen Staatszweckbezug mehr verlangt werden. Es sollte zumindest dem Leben selbst der Charakter eines Gutes der staatlichen Gemeinschaft zukommen. Dafür scheint nun die Unabhängigkeit des Lebensschutzes von einem eigenen Interesse am Leben als objektive Wertentscheidung der Verfassung zu sprechen (s. o. b). Was unabhängig von einem eigenen Interesse am Leben erhalten werden soll, könnte dann auch seinem Träger als zu erhaltendes Gut aufgegeben sein.547 Verstärkt wird dieses Argument durch systematische Erwägungen. Das Leben ist nicht nur die Voraussetzung aller anderen Grundrechte, sondern auch der Grundpflichten. Den Grundpflichten würde es aber widersprechen, wenn der Bürger nicht auch ihre Erfüllung durch die Erhaltung seines eigenen Lebens sicherstellen müßte.548 Doch erheben sich gegen die Auffassung vom Leben als einem in der objektiven Wertordnung niedergelegten (staatsbezogenen) Gemeinschaftsgut grundsätzliche Einwände: (1) Wenn die Lebensschutzverpflichtung für jedes menschliche Leben unabhängig von der Fähigkeit zur Bildung eines Überlebensinteresses ihren Grund darin hat, daß die Würde des Menschseins „um seiner selbst willen zu schützen“549 ist, dann besteht der Lebensschutz gerade nicht darin, einem Gemeinschaftsgut zur Geltung zu verhelfen, sondern es verhält sich genau umgekehrt: Es soll ein individuelles Gut ganz um seiner selbst willen geschützt werden.550 Die Würde des Men543 In dieser Hinsicht z. B. Schmidhäuser, 1974, S. 801 (817). Zur Diskussion der Staatsschädlichkeit des Suizids siehe ausführlich Chatzikostas, 2001, S. 219 ff. 544 Ebenso Stürmer, 1989, S. 54 f.; Czinczoll, 1984, S. 124. 545 Die Bedeutung der Ausreisefreiheit ist in der ehemaligen DDR unmittelbar anschaulich geworden. Erst die über Ungarn erfolgte massenhafte Ausreise hat das DDR-Regime zu Fall gebracht und der Bau der Mauer bewahrte die DDR vor einem frühzeitigeren Desaster, das ihr wegen der Flucht seiner Leistungsträger drohte. 546 Zur Bedeutung der Ausreisefreiheit siehe auch Hesse, 1995, Rn. 371; Dreier-Pernice, Art. 11 Rn. 15; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 11 Rn. 1: „Ungeheuerlichkeit, daß man vor Unterdrückung sonstiger Freiheit nicht einmal durch Wegziehen ,ausweichen‘ darf.“ Entgegen BVerfGE 6,32(35 ff.), Ziekow, 1997, S. 493 ff., ist deshalb die Ausreisefreiheit mehr als ein Stück „allgemeine Handlungsfreiheit“, sondern vom Schutzbereich des Art. 11 GG umfaßt. 547 So VG Karlsruhe JZ 1988, S. 208 (209): „Diese, vom BVerfG im Blick auf das werdende menschliche Leben getroffene Feststellung macht deutlich, daß die umfassende Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben nicht davon abhängen kann, ob derjenige, um dessen Leben es geht, diesen Schutz will [ . . . ].“ 548 Ähnlich Roellecke, 1976, S. 336 (338), der dieses Argument allerdings nur hinsichtlich der aktiven Selbstvernichtung des Lebens verwendet. 549 BVerfGE 88, 203 (252): „Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen. Es zu achten und zu schützen bedingt, daß die Rechtsordnung die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechtes des Ungeborenen gewährleistet.“
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
schen als Grund des Lebensschutzes anzuerkennen, verbietet es deshalb, dieses Verhältnis umzukehren und das Leben um seiner selbst willen von seinem Grundrechtsträger zu trennen und diesem dann als Lebenspflicht vorzuhalten.551 (2) Der zweite Gesichtspunkt, der gegen den Gemeinschaftsgutcharakter des Lebens spricht, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. Sie sollte in Reaktion zum nationalsozialistischen Volksgedanken, der dem einzelnen Leben ideologisch durch den Vorrang der „Rasse“ keinen Wert zuweisen konnte, die individuelle menschliche Existenz vor staatlichen Unwerturteilen in Schutz nehmen.552 Dem BVerfG ist auch von daher in der explizit individuellen Begründung des Lebensschutzes zu folgen.553 (3) Entsprechend kann dann auch das systematische Argument, nach dem das Leben als Bedingung der Möglichkeit der anderen Grundpflichten ebenfalls einen Grundpflichtcharakter besitzen müsse, nicht überzeugen. Der Mensch wird eben nicht geboren und in seinem Leben geschützt, um die Grundpflichten zu erfüllen. Der letzte Zweck seines Lebens ruht in ihm selbst und nicht in der Erfüllung einer Wehrpflicht, der Erhöhung des Steueraufkommens oder der Zeugung und Erziehung von Kindern. Eine um ihrer selbst willen bestehende Lebenserhaltungspflicht läßt sich deshalb nicht summarisch aus den Grundpflichten ermitteln.554 Die Begründung einer Grundpflicht zum Leben scheitert mithin daran, daß das Leben kein spezifisch staatliches und auch kein Gemeinschaftsgut, sondern ein ausdrücklich individuelles Rechtsgut ist. Auch das Leben ist deshalb kein den Menschen übersteigender höchster Wert der Verfassung, dem er im Sinne einer Lebenspflicht zu dienen hat. Das Grundrecht auf Leben und der davon abgeleitete Schutz des Lebens ordnet sich damit ein in die Rechte- und Pflichten-Asymmetrie der Verfassung der Freiheit. Das Recht auf Leben begründet nicht vice versa eine Pflicht zum Leben.
550 Im Ergebnis ebenso die Auffassungen, die im Leben kein Rechtsgut der Allgemeinheit, sondern nur ein höchstpersönliches Rechtsgut sehen: Schmitt, 1972, S. 113 (117). 551 Weiterhin folgt hieraus, daß auch die objektivrechtliche Aufgabe des Staates zum Lebensschutz nicht Ausdruck einer abstraken Wertordnung sein kann, sondern den subjektivrechtlichen Charakter dieses Grundrechts zu stärken bestimmt ist (s. o. 1. und s. u. § 10). 552 So zutreffend Stürmer, 1989, S. 39; Wassermann, DRiZ 1986, S. 291 (292); ders., 1996, S. 47 (51); Nußbaum, 1999, S. 48; Beckert, 1996, S. 131; vgl. auch Hofmann, HStR V., § 114 Rn. 41: „Die Verfassung der Freiheit [ . . . ] schließt aus, daß eine solche Verfassung den Menschen für ein Ziel über dem Menschen – es heiße Gemeinwohl, Volk, Rasse oder Klasse – ebenso kategorisch, das heißt unbedingt, positiv in Anspruch nimmt.“ 553 Im Ergebnis ebenso Czinczoll, 1984, S. 124 ff. Bedenklich ist insofern die Formulierung von Roellecke, 1976, S. 336 (337), daß der „Staat das Recht hat, über Leben und Tod seiner Bürger zu verfügen [ . . . ]: Der Staat hat das Tötungsmonopol.“ 554 Nicht gänzlich ausgeschlossen ist dagegen m.E. eine Lebenspflicht, wenn im Einzelfall eine konkret zu erfüllende Grundpflicht in Abwägung mit der noch aufzuzeigenden negativen Freiheit des Lebensrechtes die Erhaltung des Lebens gebietet.
§ 7 Menschenwürde, Autonomie und Lebensrecht
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e) Zwischenresümee zum Lebensrecht Nach hier vertretener Auffassung ist der Schutz des Lebens im Grundgesetz damit weder mit einer Heiligkeit des Lebens noch mit einem bloßen Interessenschutz zutreffend wiedergegeben. Die Lehre von der Heiligkeit des Lebens entspricht dem Grundgesetz allerdings insoweit, als jedem menschlichen Leben ein besonderer Wert zukommt. Das Recht auf Leben beruht nicht auf der Fähigkeit zur persönlichen Autonomie oder dem Überlebensinteresse, sondern der gegenseitigen Anerkennung einer Würdestellung um seiner selbst willen. Begründet sich der Lebensschutz in der individuellen Würde, dann ist richtigerweise auch jeder Mensch Träger des Grundrechts auf Leben. Damit wird Tooleys „Interessenprinzip“ widersprochen, wonach Rechte Lebewesen nur insoweit zugesprochen werden, als sie darauf gerichtete (aktuelle) Interessen besitzen. Dieses Prinzip ist unserer Rechtsordnung ohnehin fremd. Erbt ein verwaister Säugling von seinen Eltern Häuser und Fabriken, dann beschränkt sich sein Eigentumsrecht bekanntlich nicht auf die Wickelkommode, weil Aktien und Mieterlöse jenseits seiner begrifflichen Vorstellungswelt oder seines Interesses liegen.555 Von der „Lehre von der Heiligkeit des Lebens“ unterscheidet sich der in der Menschenwürde des Grundgesetzes begründete Lebensschutz in einem wesentlichen Punkt. Der Lebensschutz ergibt sich nicht aus einer Stiftung Gottes oder der staatlichen Gemeinschaft. Der einzelne ist deshalb auch nicht gegenüber der Gemeinschaft zum Leben verpflichtet. Das Leben ist ein individuelles Grundrecht. Damit wird das Lebensrecht im Grundgesetz zwar einerseits unabhängig von der Fähigkeit zur Interessenbildung allen Menschen gleichermaßen zugesprochen, andererseits aber auch nicht als Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft zum Leben auferlegt. Inwieweit dies auch ein Verfügungsrecht des einzelnen über sein Leben impliziert, wird noch zu prüfen sein (s. u. § 10). Wenn damit das Grundgesetz zwischen „Heiligkeit des Lebens“ und „Interessenschutz“ im Lebensschutz eine mittlere Position einnimmt,556 so steht ihr doch das Vermittlungsmodell von Dworkin diametral entgegen. Mit dem Recht auf Leben um seiner selbst willen ist es nicht vereinbar, wenn sein Wert bei interessenlosen Menschen von den Erwartungen und Ambitionen der anderen Rechtsgutträger abhängig sein soll.557 Der Vermittlungsversuch Dworkins scheitert hinsichtlich der Wertbegründung allen menschlichen Lebens daran, daß „die Unverletzlichkeit des Lebens nicht erst dort angegriffen [wird, J.A.], wo die ,Investitionen‘ frustriert werden, sondern wo dessen Innerlichkeit durch ,Investitionserwägungen‘ verrechnet wird.“558 Selbstzweckhaftigkeit, Autonomie oder Menschenwürde und ein gleichberechtigtes Lebensrecht kommen bei Dworkin nur den Menschen zu, die 555 556 557 558
Siehe auch die Kritik von Hilgendorf, 1997, S. 90 (97 ff.). Vgl. auch bereits Eser, 1977b, S. 377 (396 ff.). So auch die Kritik von Martin, ARSP 1996, S. 416 (420 f.). Boshard / Höver / Schulte / Waldenfels, 1997, S. 243 (306).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
ein Überlebensinteresse besitzen.559 Im Grundgesetz haben dagegen alle Menschen Anspruch auf Achtung ihrer Würde.
5. Recht auf ein menschenwürdiges Sterben? Konsens besteht selbstverständlich dahingehend, daß die Menschenwürde auch beim sterbenden Menschen nicht verletzt werden darf. Die Möglichkeit von Verletzungen der Menschenwürde beim Sterbenden ergibt sich allein daraus, daß die Achtung der Menschenwürde ebenso wie der Gleichheitssatz nicht auf einen bestimmten Lebensbereich beschränkt ist. Eine Verletzung des Achtungsanspruchs ist deshalb im Bereich des Sterbens möglich und aufgrund der Hilflosigkeit des Menschen in dieser Situation besonders naheliegend.560 Eine Verletzung des Achtungsanspruchs als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft kommt z. B. dann in Betracht, wenn das Sterben des Menschen ohne oder gegen seinen Willen zur Erprobung medizinischer Experimente hinausgezögert wird.561 Vorliegend soll allerdings nach einem spezifischen Zusammenhang der Menschenwürde zum Sterbenden unter drei grundlegenden Aspekten gefragt werden: (a) Gibt es ein Recht auf einen würdevollen Tod? (b) Gibt es einen Anspruch auf Basisversorgung des Sterbenden, die auch die Schmerzlinderung umfaßt? (c) Impliziert die Menschenwürde ein Recht auf den selbstbestimmten Tod(eszeitpunkt)?
a) Recht auf einen würdevollen Tod? Menschenwürde und Sterbehilfe wird vielfach im Sinne eines Rechtes auf einen „(menschen)würdigen Tod“ oder „würdiges Sterben“ verstanden.562 Problematisch 559 Das weithin diskutierte Problem, ob dem Fötus ein eigenes, gleichberechtigtes Lebensrecht zukommt, weil er Person ist, klammert Dworkin, 1994, S. 18 f., aus. Gerade von der personalen Stellung des Fötus sind aber die Vertreter des Konzepts von der „Heiligkeit des Lebens“ überzeugt. Nach dieser Auffassung kann das Leben auch nicht ein bloßes Kalkül sein, vgl. Boshard / Höver / Schulte / Waldenfels, 1997, S. 243 (280 ff. u. 305 f.). In vorliegender Arbeit wird auf den Personbegriff nicht näher eingegangen, weil die kommunikative Menschenwürdeinterpretation im advokatorischen Diskurs über die Diskursmündigen auch die Berücksichtigung aller Betroffenen verlangt. Empirische Merkmale der Personalität, seien sie aktuell oder biologisch-potentiell, sind deshalb keine Voraussetzung. 560 Zu Recht wird dies im Art. 8 Abs. 1 S. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg berücksichtigt: „Jeder hat das Recht auf Leben, Unversehrtheit und Achtung seiner Würde im Sterben.“ Vgl. auch Art. 1 Abs. 1 S. 2 Thüringische Landesverfassung. 561 Vgl. Lorenz, HStR V., § 128 Rn. 47; Engisch, 1979, S. 519 (534); siehe auch Eser, 1975, S. 45 (59 f.); Hufen, NJW 2001, S. 849 (850 f.); U. Neumann, 1998, S. 51(58 f.). 562 Burkart, 1983, S. 125 ff., passim; Czerner, MedR 2001, S. 354 (357); Günzel, 2000, S. 81; Chong, 1998, S. 222; Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 66; ders., ZfL 2001, S. 38 (48); Häberle, HStR I, § 20 Rn. 96 f.; AK3-Podlech, Art. 1 I Rn. 54; Uhlenbruck, ZRP 1986, S. 209 (214 f.); Trück, 2000, S. 30; Scheffen, ZRP 2000, S. 313(ebda.); Dölling, MedR 1987,
§ 7 Menschenwürde, Autonomie und Lebensrecht
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wird diese Verbindung dann, wenn nicht hinreichend zwischen individual-ethischen Vorstellungen vom guten Sterben und dem Verfassungsrechtssatz von der Menschenwürde unterschieden wird. Wie der Mensch mit seiner eigenen Endlichkeit zurechtkommen soll, läßt sich nicht der Verfassung entnehmen. In Anbetracht des Todes eine Antwort auf die Sinnfrage seines Lebens zu finden, ist eine Grundfrage menschlicher Existenz, die verknüpft ist mit weltanschaulichen und religiösen Anschauungen. Wie auch immer man sich zu Sterben und Tod stellt, es besteht eine enge Verknüpfung mit den eigenen Grundhaltungen, die nicht von allen gleich beantwortet werden, sondern eng verknüpft sind mit der je eigenen Vorstellung vom guten Leben. Der Christ hat ein eigenes Verständnis vom Leiden, weil er sein Leid weder als endgültig anerkennen muß noch sich in ihm allein gelassen fühlen muß; er kann sogar im Leiden einen Sinn entdecken.563 Anders dagegen bei dem, der seine Vorstellung von einem würdigen Tod dann gewahrt sieht, wenn er statt eines allmählichen Dahinsterbens, ganz bewußt seinem Leben ein Ende setzen kann, bevor er auf das Mitleiden anderer angewiesen ist. Den würdigen Tod im Sinne einer adäquaten Lebensvorstellung formulieren zu wollen,564 stößt deshalb auf Bedenken. Hier ist festzuhalten, daß die Menschenwürde der Verfassung keinen emphatischen Gehalt eines Sterbens in Würde in sich aufnehmen kann – allein schon deshalb nicht, weil es nicht die Form des Sterbens oder eines verbindlichen Umgangs mit dem eigenen Sterben gibt. Das entspricht dem Menschenwürdeverständnis des Grundgesetzes, das nicht den Gesamtgehalt einer bestimmten Form von Sittlichkeit, sondern die Erhaltung der Bedingung der Möglichkeit von Autonomie zum Gegenstand hat (s. o. VII. 4. c).565 Doch lassen sich auch unter Beachtung dieser Einschränkung verschiedene Dimensionen des grundrechtlichen Prinzips der Menschenwürde im Zusammenhang mit den einzelnen grundrechtlichen Gewährleistungen für den Bereich der Sterbehilfe aufzeigen. Aufgrund der Integration der Menschenwürde mit den Grundrechten als „Verknüpfungsgrundrecht“ ist methodisch darauf zu achten, die Prüfung der Menschenwürde im Kontext der konkreten grundrechtlichen FreiheitsgewährleiS. 6 (10); Hillgruber, 1992, S. 84; Laber, 1997, S. 215 f.; H. Otto, D 24 ff.; Wassermann, DRiZ 1986, S. 291 (294); ders., 1996, S. 53 f.; Art. 8 der Verfassung von Brandenburg; Art. 1 der Verfassung von Thüringen; siehe auch Jens / Küng, 1995; Die deutschen Bischöfe, 1978; Humphry / Wickett, 1986. 563 Vgl. Spaemann, 1977, S. 116 (116 ff.); Apostolischer Stuhl, 1980, S. 9 f.; dies., 1995, Nr. 67. 564 Vgl. z. B. Burkart, 1983, S. 125; Laber, 1997, S. 215 f.; Chong, 1998, S. 222 u. 229: „Recht auf natürliches Sterben“. Bedenklich sind die darin teilweise zum Vorschein kommenden Neigungen einer romantischen Verklärung des Sterbens. Das Sterben vollzieht sich oft alles andere als in friedlichen Bahnen, sondern als grausame Auflösung des Körpers – als Todeskampf. Der „natürliche Tod“ darf deshalb nicht mit einem schönen Tod verwechselt werden, vgl. Schockenhoff, 1991, S. 44 ff.; Wetz, 1998, S. 349 ff. 565 Kritisch zum Verständnis eines Rechtes des Patienten auf einen menschenwürdigen Tod Höfling, JuS 2000, S. 111 (114); v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 36 Stw. „Sterbehilfe“.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
stung vorzunehmen. Deshalb können vorliegend nur Anhaltspunkte für die weitere Prüfung aufgezeigt werden. b) Recht auf Basisversorgung Die staatliche Garantie des Existenzminimums „für ein menschenwürdiges Dasein“ hat sich nach anfänglicher Zurückhaltung des BVerfG566 über Entscheidungen des BVerwG567 mittlerweile weitgehend durchgesetzt.568 Soweit die Vorenthaltung lebensnotwendiger Mittel zum Tod führen würde, wird überwiegend Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (teilweise i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) als subjektiver Leistungsanspruch angesehen.569 Darüber hinausgehende Leistungen werden dagegen aus Art. 1 Abs. 1 GG allein oder i. V. m. mit dem Sozialstaatsprinzip bejaht.570 Besondere Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des Umfangs des (menschenwürdigen) Existenzminimums, da es mehr als nur die Sicherung der „nackten Existenz“ durch Nahrungsmittel und Obdach gewährleisten soll.571 Die Vorstellung über das zu gewährende Minimum unterliegt im Laufe der Zeit Schwankungen, die abhängig von dem allgemeinen Wohlstand – Vorbehalt des Möglichen – und den Lebensvorstellungen sind.572 Die Übertragung der Grundsätze der Sicherung des Existenzminimums auf den Bereich der medizinischen Grundversorgung liegt nahe, ist doch die medizinische Heilbehandlung ebenfalls eine Form der Existenzsicherung.573 Entsprechend wird teilweise auch die medizinische Grundversorgung als 566 Zunächst ablehnend in BVerfGE 1, 97 (104); jetzt bejahend in BVerfGE 40, 121 (133); 82, 60 (85). 567 BVerwGE 1, 159 (161 f.); 14, 294 (296 f.); 25, 307 (317); 52, 339 (346). 568 Siehe hierzu Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 58; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 60; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 27; AK2-Podlech, Art. 2 II Rn. 23; OVG Berlin NVwZ 1987, S. 440; Klie, BtPrax 2001, S. 10 (10 f.). 569 Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 224; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 60; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 27; differenzierend Lorenz, HStRVI., § 128 Rn. 52. 570 BVerfGE 82, 60 (85); v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 30; Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 25; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 36. Strittig ist, ob insoweit auch ein subjektives Recht: bejahend Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 25; verneinend wohl Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 1 Rn. 13. 571 Vgl. v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 30. 572 Ob z. B. fließendes Wasser, Telefon und ein Fernseher zum Existenzminimum dazugehören kann nicht zeitlos festgestellt werden. Die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums ist deshalb in seinem Umfang nicht apriori gegeben, sondern muß zeitgemäß konkretisiert werden, vgl. v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 1 Rn. 30; siehe auch V. Neumann, NVwZ 1995, S. 426 (429). 573 Verkürzt wird deshalb die Problematik, wenn die Beschränkung von Ansprüchen im Gesundheitssektor auf einen „minimalen Kernbestand“ mit dem angeblich gegensätzlichen Begriffspaar der „bestmöglichen (medizinischen) Versorgung“ und dem „Existenzminimum“ begründet wird; so D. Esser, 2000, S. 45. Wenn sich nur durch die bestmögliche medizinische Versorgung die Existenz sichern läßt, dann ist gerade dies das zur Lebenserhaltung notwendige Existenzminimum.
§ 7 Menschenwürde, Autonomie und Lebensrecht
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aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgender subjektiver Leistungsanspruch angesehen.574 Damit stellen sich allerdings wie bei der Sicherung des Existenzminimums Schwierigkeiten bei der Festlegung des erforderlichen Umfangs des Versorgungsanspruchs des Patienten.575 Soll sich dieser auf eine erfolgversprechende Heilbehandlung richten, kann dies in Anbetracht der teilweise immensen Kosten für z. B. Rückenmarktransplantationen zu einer Überforderung des Staates führen.576 Die überwiegende Auffassung will deshalb nur eine objektive Gewährleistung in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip auf Aufbau und Unterhaltung einer leistungsfähigen medizinischen Versorgungsstruktur anerkennen.577 Ein unmittelbarer subjektiver Anspruch auf bestimmte medizinische Leistungen besteht danach nicht. Überträgt man diese Grundsätze auf den Bereich der Sterbehilfe, dann läßt sich ein subjektiver Leistungsanspruch auf kostenintensive Maßnahmen zur Lebenserhaltung nicht bejahen (näher s. u. § 24 IV.). Anders steht es dagegen nach einer Änderung des Therapieziels, wenn statt der Lebenserhaltung oder gar Lebensrettung nur noch Maßnahmen der Sterbebegleitung in Betracht kommen. Die „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ von 1998 geben dabei einen Anhalt, welche Behandlungen als „unverzichtbare“ Basisversorgung in Betracht kommen: „Dazu gehören u. a.: Menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst.“578 Dieser Bereich läßt sich weitgehend noch dem für die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins anerkannten Umfang der Existenzsicherung zuordnen, weshalb die Basispflege in gleicher Weise als Leistungsanspruch gegenüber dem Staat anzuerkennen ist.579 Insoweit kann von einem Anspruch auf einen „würdevollen Tod“ gesprochen werden. Dabei wird man allerdings die Zuwendung seitens des Personals letztlich nur als Kostenübernahme für den zeitlichen Einsatz von Ärzten und Pflegenden für die psycho-soziale Betreu574 Lorenz, HStR VI., § 129 Rn. 52; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 58; Seewald, 1981, S. 139 f., vertritt ein Verfassungsrecht auf Gesundheit, dem er auch Leistungsansprüche gegenüber dem Staat entnimmt; dabei bejaht er zwar grundsätzlich die leistungsrechtliche Dimension des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Anspruchsgrundlage, die Konkretisierung des Leistungsinhalts erfolgt bei ihm allerdings über die Untersuchung der Schrankenregelungen des Grundgesetzes. 575 So z. B. Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 225; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 60; vgl. auch Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 2 Rn. 21. 576 Bedenklich auch deshalb, weil damit die Frage der Verteilung des Staatshaushalts und der Aufwendungen der Privatbürger für Gesundheitsausgaben immer stärker dem Richterrecht unterliegen würde, wo doch der Staatshaushalt traditionellerweise zentrale Aufgabe des Parlaments ist. 577 Siehe v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 60; Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 225; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art 2 Rn. 194; neuerdings aus der staatlichen Schutzpflicht begründend, aber im Ergebnis ebenso: D. Esser, 2000, S. 31 ff. 578 Bundesärztekammer, NJW 1998, S. 3406 (ebda.). 579 Im Ergebnis ebenso Burkart, 1983, S. 105 ff.; Everschor, 2001, S. 286; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 1 Rn. 13; Klie, BtPrax 2001, S. 10 (11); LG Berlin, FamRZ 1981, S. 1113.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
ung gewährleisten können.580 Auf die Leistungspflicht des Staates zur angemessenen Schmerztherapie wird noch gesondert einzugehen sein (s. u. § 16 III.).581 Zu beachten ist allerdings, daß die Basisversorgung einen Leistungsanspruch begründet, eine Pflicht zu ihrer Inanspruchnahme folgt hieraus nicht.582 Ebenfalls verkehrt wäre es, diese Maßnahmen in ihrer Gesamtheit als „unverzichtbar“ anzusehen. Ob z. B. eine nahrhafte Ernährung oder nur die Stillung des Hungergefühls angeraten ist, kann nur am Einzelfall entsprechend dem jeweiligen Krankheitszustand des Patienten ermessen werden.583 Das Ziel, unnötiges Leid im Sterbeprozeß zu vermeiden, kann auch die Einstellung von Nahrung und Flüssigkeitszufuhr abverlangen.584 Maßstab müssen die (mutmaßlichen) Interessen des Patienten sein, nicht ein Katalog abstrakt festgelegter Maßnahmen, der auf die Bedürfnisse des Einzelfalls keine Rücksicht nimmt. Die Orientierung anhand der ohnehin wenig aufschlußreichen Unterscheidungen nach „gewöhnlichen“ oder „außergewöhnlichen Maßnahmen“ einerseits oder nach „künstlichen“ und „natürlichen Maßnahmen“ andererseits ist deshalb abzulehnen,585 weil sie nicht auf das Wohl des Patienten abstellen.586
c) Recht auf den selbstbestimmten Todeszeitpunkt? Zielt die kommunikative Menschenwürdeinterpretation auf die Erhaltung der Bedingung der Möglichkeit von Autonomie, dann kann aus ihr ein Recht auf die eigene Tötung nicht unmittelbar abgeleitet werden. Von Bedeutung kann allerdings die Menschenwürde in ihrer Ausstrahlungswirkung auf die private Autonomie dahingehend sein, daß das Selbstbestimmungsrecht des Patienten auch die Selbst580 Eindringlich auf die Bedeutung der menschlichen Zuwendung weist Fritsche, 1995, S. 3 (19) hin. Siehe auch LG Berlin FamRZ 1981, S. 1113: „Der alt gewordene Mensch [ . . . ] hat es nicht verdient [ . . . ] vom Staat [ . . . ] im Stich gelassen zu werden. [ . . . ] Er hat es vielmehr verdient, vom Staat eine seine Persönlichkeit respektierende und berücksichtigende besondere Zuwendung und Fürsorge zu erfahren. Diesem der Würde des Menschen Rechnung tragenden Grundsatz haben sich vormundschaftsgerichtliche Instanzen und Pfleger verpflichtet zu fühlen [ . . . ]“. 581 Entsprechend verletzt der Staat bei strukturell oder finanziell verursachter unzureichender Schmerztherapie bei Patienten seine ihm aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG obliegende Leistungspflicht; siehe Hufen, NJW 2001, S. 849 (854). 582 Wer auf Schmerzlinderungen verzichtet, um den Sterbeprozeß bewußt zu erleben, kann deshalb nicht im Hinblick auf seine „menschenunwürdigen“ Schmerzen zur Schmerztherapie gezwungen werden. 583 Zutreffend Merkel, 2001, S. 251 f. 584 Unklar ist damit nicht, welche Maßnahmen als mögliche Basisversorgung von einem Leistungsanspruch umfaßt sind, sondern nur, welche Bestandteile der Basispflege im konkreten Fall indiziert sind. 585 Siehe Merkel, 2001, S. 263 f. 586 Zutreffend Merkel, 2001, S. 262 ff.
§ 7 Menschenwürde, Autonomie und Lebensrecht
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bestimmung zum eigenen Tode einschließt,587 denn der Menschenwürde ist auch der Schutz der personalen Identität bzw. psychischen, seelischen und intellektuellen Integrität zu eigen.588 Allerdings bereitet allein die Bestimmung des einschlägigen Grundrechts bereits erhebliche Schwierigkeiten. In Betracht kommt neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf Leben. Bezeichnend für die Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde auf die nachfolgenden Grundrechte ist die Rechtsprechung des BVerfG zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Von der allgemeinen Handlungsfreiheit wird im Art. 2 Abs. 1 GG ein allgemeines Persönlichkeitsrecht unterschieden, welches aufgrund seines Bezugs zum Art. 1 Abs. 1 GG einen verstärkten Schutz genießt.589 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt neben der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit die engere persönliche Lebenssphäre,590 um die Integrität der menschlichen Persönlichkeit in geistig-seelischer Beziehung zu gewährleisten.591 Die Feststellungen zur kommunikativen Interpretation der Menschenwürde stimmen hier grundsätzlich überein. Die Partizipationsfähigkeit als selbstdenkender und selbstbewußter Kommunikationspartner geriete in Gefahr, wenn ihm ein persönlicher Lebensbereich oder die personale Ausbildung seiner selbst592 vorenthalten würden. Trotzdem ist unverkennbar, daß nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens Ausdruck des verstärkten Schutzes der Menschenwürde sein kann.593 Das BVerfG hat deshalb eine Sphärentheorie entwickelt, die zwischen einer Privatsphäre, in die unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingegriffen werden kann, und dem unantastbaren Bereich der Intimsphäre594 unterscheidet.595 Nun hat das BVerfG die Intimsphäre noch nie betroffen gesehen und eine nähere Bestimmung des Bereichs der Intimsphäre nicht vorgenommen.596 Das ist verständlich, da die Annahme von Lebensbereichen, die keiner gesetzlichen Einschränkung unterliegen sollen, kaum sinnvoll ist. Deshalb sollte mit obigen Feststellungen zum Prinzipiencharakter der Menschenwürde ein unantastbarer Intimbereich nicht per se statuiert werden. Das Prinzip der Menschenwürde ist vielmehr bei der Bestimmung von In587 Vgl. BGHSt 11, 111 (113); BGHZ 90, 103 (105 f.); v. Münch / Kunig-Kunig Art. 1 Rn. 36 Stw. „Sterbehilfe“; Hillgruber, 1992, S. 84 f. 588 Sachs-Höfling, Art. 1 Rn. 28. 589 Vgl. BVerfGE 54, 148 (153); vgl. auch BVerfGE 27, 344 (350 f.). 590 Im einzelnen siehe v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 32 ff. 591 BVerfGE 27, 344 (351). 592 Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 51 bezeichnet dies als autarken Privatbereich der Selbstfindung und personalen Identität. 593 Vgl. BVerfGE 27, 344 (351). 594 BVerfGE 32, 373 (379); vgl. auch BVerfGE 34, 238 (245): „absolut geschützter Bereich privater Lebensgestaltung“. 595 BVerfGE 6, 32(41 f.); 38, 312 (320). Eine dritte Sphäre, die Sozialsphäre, schlösse alles ein, was sich weder der Intim- noch der Privatsphäre zuordnen läßt, siehe hierzu Alexy, 1986, S. 327 ff. 596 Vgl. Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 376.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
halt und Gewährleistungsumfang Interpretationsrichtlinie, d. h. je stärker der Bereich der persönlichen Integrität597 getroffen ist, desto erheblicher müssen die Gründe für den Eingriff sein, bzw. können die Gründe den Eingriff nicht rechtfertigen.598 Nun ließe sich überlegen, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht auch als ein umfassendes Recht auf bioethische Selbstbestimmung und damit als Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu verstehen.599 Dafür sprechen insbesondere die einleitenden Feststellungen in diesem Paragraphen zu der existentiellen Bedeutung des Sterbens, der Prägung durch die eigene Identität und ihrem urpersönlichen Charakter. Doch müßte zuvor geklärt werden, ob nicht der Lebensschutz in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG das einschlägigere Grundrecht ist. Denn in gleicher Weise nimmt die Menschenwürde Einfluß auf die Auslegung des Schutzes des Lebens und der körperlichen Integrität. Der Zusammenhang zwischen der Menschenwürde und dem Lebensrecht in Art. 2 Abs. 2 GG wurde als positive Gewährleistung des Lebens bereits aufgezeigt (s. o. 4.). Die Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde auf die körperliche Unversehrtheit wurde auch vom BVerfG anerkannt.600 Der enge Zusammenhang ergibt sich nicht nur aus der Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2 GG601, sondern entspricht auch der Entwicklung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Rechtsprechung des BVerfG. Das BVerfG konstruierte den Schutz der Persönlichkeit ausdrücklich in Parallelität zu dem Grundrecht der körperlichen Integrität.602 Der Parallelität des Integritätsschutzes entspricht es, wenn Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht als spezieller Gesundheits- oder Lebensschutz, sondern zuvörderst als Freiheitsrecht im Bereich der leiblich-seelischen Integrität aufgefaßt wird (s. u. § 10 II u. III.).603 Damit kommen zwei verschiedene Grundrechte als Anknüpfungspunkt für eine Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde für ein basales Freiheitsrecht zum selbstbestimmten Sterben in Betracht.604 Die weitere Erörterung eines Rechtes auf den selbstbestimmten Todeszeitpunkt kann deshalb nur im Kontext der Prüfung der einzelnen Grundrechte unter besonderer Berücksichtigung des Prinzips der Menschenwürde gelingen (s. u. § 10).
Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 16 m. w. N. Im Sinne einer Abwägung auch Alexy, 1986, S. 327 ff. 599 Koppernock, 1997, S. 63 ff.; siehe auch Czerner, MedR 2001, S. 354 (357 f.). 600 Vgl. BVerfGE 52, 131 (173 ff.) – Minderheitsvotum –; BVerfGE 56, 54 (74 f.). 601 Vgl. BVerfGE 56, 54 (75). 602 BVerfGE 27, 344 (351); Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 61; v. Mangoldt / Klein / StarckStarck, Art. 2 Rn. 82. 603 Vgl. BVerfGE 52, 131 (175) – Minderheitsvotum –; bestätigt in BVerfGE 89, 120 (130); zustimmend Höfling, JuS 2000, S. 111 (114). 604 Einleitend zu diesem Abschnitt wurde bereits aufgezeigt, daß der Umgang mit dem eigenen Sterben, wesentlich mit dem eigenen weltanschaulichen Grundverständnis verwoben ist, so daß auch Art. 4 Abs. 1 GG einschlägig sein kann. 597 598
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§ 8 Die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe im Verfassungsrecht Zu den Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe im Strafrecht wurde bereits Stellung genommen (s. o. § 2). Dabei stand die strafrechtlich-begriffliche Frage einer überzeugenden Abgrenzung im Vordergrund. Als überzeugendes Kriterium zur Unterscheidung von Töten und Sterbenlassen erwies sich dabei, „ob der Handelnde dem Patienten etwas tut (aktive Sterbehilfe) oder etwas mit ihm geschehen läßt“ (s. o. § 2 V.).605 Entscheidend ist danach, ob der Arzt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit seines Patienten vornimmt oder auf diesen verzichtet bzw. einen fortdauernden Eingriff beendet. Die Diskussion ist an dieser Stelle aus dem verfassungsrechtlichen Horizont fortzuführen. Die Frage lautet in diesem Zusammenhang: Besteht zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe ein verfassungsrechtlich signifikanter Unterschied? Es soll somit nicht untersucht werden, ob sich beide Formen der Sterbehilfe hinreichend voneinander unterscheiden lassen (hierzu s. o. § 2), sondern ob dem hier vorgestellten Unterscheidungsmerkmal eine verfassungsrechtliche Relevanz zukommt. Nicht erörtert wird an dieser Stelle, ob sich hieraus bereits ein Verbot der aktiven Sterbehilfe ergibt. Nun gibt es eine umfangreiche philosophische Diskussion zur moralischen Signifikanz der Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe.606 Da eine explizit verfassungsrechtliche Erörterung dieser Thematik noch nicht erfolgte, die allgemeine philosophische Diskussion aber bereits einige Argumente strukturiert hat, möchte ich an die moralische Erörterung anknüpfen. Zum Verständnis der moralischen Argumente ist es zunächst erforderlich, die Unterscheidung zwischen teleologischen und deontologischen Ethiken vorzustellen.
I. Teleologische versus deontologische Ethik Hintergrund der Auseinandersetzung darüber, ob zwischen Töten und Sterbenlassen ein ethisch relevanter Unterschied besteht, sind die unterschiedlichen ethischen Modelle einer folgenorientierten, konsequentialistischen bzw. teleologischen Position einerseits und einem deontologischen Ansatz andererseits.607
Vgl. Birnbacher, 1995, S. 344 f.; vgl. auch Fuchs, 1997, S. 31 (67 ff.). Siehe nur Birnbacher, 1995, S. 337 ff. m. w. N.; Kuhse, 1994, S. 51 ff. m. w. N.; dies., 1993, S. 105 ff.; P. Singer, 1994, S. 258 ff.; Harris, 1995, S. 61 ff. m. w. N. 607 Vgl. Frankena, 1994, S. 32 ff. 605 606
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Die teleologische Auffassung stellt für die Bewertung einer Handlung oder Unterlassung ausschließlich auf die Folgen der Handlung ab – Handeln um ein erstrebenswertes Gut zu erreichen –, während die deontologische Position Handlungen unabhängig von ihren Folgen als in sich richtig oder falsch beurteilt – Handeln aus Pflicht. Kriterium der Richtigkeit ist im teleologischen Modell die Summe guter Konsequenzen bzw. der Wert der Resultate. Bei der Orientierung allein an den äußeren Folgen kommt der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen keine ethische Relevanz zu. Ob der Arzt seinen Patienten sterben läßt oder direkt tötet, führt zum gleichen Ergebnis: dem Tod des Patienten. Der Arzt verfügt danach grundsätzlich in gleicher Weise über das Leben. Entscheidend sei allerdings, ob der Arzt sich für den Tod seines Patienten entscheide. Den Mitteln oder Methoden, wie er diese Entscheidung umsetzt, komme nur eine nachrangige Bedeutung zu. Die Entscheidung orientiere sich nur an den Folgen der Handlung oder Unterlassung. Aus dieser Perspektive kann dem qualvollen langsamen Sterbenlassen eines Säuglings die aktive schmerzlose Tötung vorzuziehen sein, weil sie dem ohnehin dem Tod geweihten Säugling ein schmerzhaftes Sterben erspart:608 „Haben wir uns für den Tod entschieden, dann sollten wir sichergehen, daß er auf die bestmögliche Weise eintritt.“609 Dagegen behaupten deontologische Positionen, daß die eingesetzten Mittel nicht wertfrei sind. Die deontologische Ethik bestreitet, daß das Richtige (immer) am größeren Übergewicht der guten gegenüber den schlechten Folgen zu messen sei. Haupteinwand gegen den teleologischen Ansatz ist dabei, daß die Normen relativiert würden. Bei permanenter Beurteilung anhand des Gesamtergebnisses kann es grundsätzlich keine unverletzlichen Rechte geben.610 Klassische deontologische Positionen werden von Kant und der römisch-katholischen Kirche vertreten. Während Kant den Gesamtgehalt der Ethik anhand des kategorischen Imperativs aus sich heraus befolgungsgültig zu erweisen sucht,611 anerkennt die römisch-katholiP. Singer, 1994, S. 271 f.; siehe auch Merkel. 1992, S. 71 (111 f.). P. Singer, 1994, S. 272. 610 Schockenhoff, 1996, S. 209 f. Der klassische Fall solch utilitaristischer Argumentation ist Kaiphas’ Argument vor den Hohepriestern, wonach besser einer (Jesus) stürbe, als daß das ganze Volk verdürbe, Joh 11, 50. 611 Bezeichnend für Kants deontologische Position ist seine Diskussion mit dem französischen Philosophen Benjamin Constant über ,das vermeinte Recht aus Menschenliebe zu lügen‘, Kant, 1968 (1797a), AA VIII., S. 423 ff. Darin verlangt Kant die ausnahmslose Befolgung der deontologischen Pflicht, nicht zu lügen- auch dann, wenn der eigene Freund zu Unrecht von Soldaten verfolgt wird und sich im Haus versteckt hält. Kants, a. a. O., S. 426 f., zentrales Argument zur Abweisung der Berücksichtigung der Folgen der eigenen Handlung ist, daß im Falle der Lüge der Lügner die Verantwortung aus dem Verstoß gegen die moralische Pflicht übernimmt, wenn z. B. der Freund aus dem Hinterfenster gesprungen ist und die Soldaten ihn aufgrund der Lüge außerhalb des Hauses suchend entdecken. Wer sich dagegen an das deontologische Prinzip des kategorischen Imperativs hält, kann nach Kant, a. a. O., S. 428 ff., für schlechte Folgen in der Welt nicht verantwortbar gemacht werden. Die anhand des kategorischen Imperativs ermittelte ethische Norm ist damit unabhängig von den Folgen gültig, Kants Ethik mithin aber auch verantwortungsethisch blind. 608 609
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sche Kirche allerdings nur bestimmte Handlungen als in sich schlecht.612 Zu den Handlungen, die unabhängig von ihren Folgen stets moralisch verwerflich sind und weder als Ziel noch als Mittel zu einem guten Zweck gestattet sind613, zählt sie neben der Vergewaltigung und dem Ehebruch auch die Tötung unschuldigen menschlichen Lebens.614 Der theologische Grund für die grundsätzliche Unverfügbarkeit unschuldigen menschlichen Lebens ist die absolute Souveränität Gottes über Leben und Tod des Menschen.615 Wird in bewußter Absicht der Tod herbeigeführt, wird in die Oberherrschaft Gottes eingegriffen.616 Die aktive Sterbehilfe ist stets ein solcher Fall, wo sich der Mensch zum Herrn über Leben und Tod erhebt.617 Bei der passiven Sterbehilfe, bei der keine außergewöhnlichen Maßnahmen ergriffen werden, um das Sterben zu verhindern, soll eine solche Verfügung dagegen nicht gegeben sein.618 Die Begründung des absoluten Tötungsverbots von unschuldigen menschlichen Leben besteht folglich aus einem Dreischritt: (1) Das Tötungsverbot gilt, weil jedem Leben ein besonderer Wert zukommt.619 (2) Aus diesem Grund darf auch das Leben des Schuldigen oder ungerechten Angreifers nur in unvermeidbaren Notlagen getötet werden.620 (3) Bei einem unschuldigen Leben ist eine solche Notlage, die zur Tötung berechtigen würde, niemals gegeben; unschuldiges menschliches Leben genießt deshalb absoluten Schutz.621 Diese Argumentation ist allerdings noch nicht ausreichend. Jedes Jahr sterben viele unschuldige Menschen an Unterernährung. Es werden deshalb Zusatzargumente vorgebracht, welche die besondere Verwerflichkeit des Tötens gegenüber dem Sterbenlassen belegen sollen: die Asymmetrie von Handeln und Unterlassen, die unterschiedliche Absicht, das verschieden hohe Risiko der Fehleinschätzung, die natürliche vs. künstliche Kausalität, das Argument der schiefen Ebene und die Sinnstruktur des ärztlichen Handelns.622 Diese Argumente sind kein religiöses Sondergut, sondern einer allgemeinen ethischen Argumentation zugänglich. Sie sollen deshalb im folgenden überprüft werden. 612 Nicht zutreffend wäre es, die christliche Ethik insgesamt als deontologische Ethik aufzufassen. Die christliche Ethik enthält sowohl teleologische, wertethische wie auch deontologische Ansätze, siehe Frey, 1990, S. 150 ff. ders., 1994, S. 209 ff. 613 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 57. 614 Apostolischer Stuhl, 1980, S. 7. 615 Apostolischer Stuhl, 1995 Nr. 53 u. 66. 616 Apostolischer Stuhl, 1995 Nr. 64. 617 Apostolischer Stuhl, 1980, S. 8 f. 618 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 65. 619 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 53 f. 620 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 55 f. 621 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 57. 622 Selbstverständlich kein ausreichendes Argument sind intuitive Konnotationen vom Sterbenlassen als etwas Menschlichen und Töten als etwas Unmenschlichen, so auch Höfling, JuS 2000, S. 11 (113). Die emotionale Bewertung ersetzt kein sachliches Argument. Zudem gibt es verwerfliche Formen des Sterbenlassens: z. B. wenn Eltern ihr Kind aus Sadismus verhungern lassen.
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II. Moralisch / verfassungsrechtlich signifikanter Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe 1. Moralische Intuition Teilweise wird zur Belegung des Unterschieds zwischen Töten und Sterbenlassen schlicht auf die moralische Intuition verwiesen. Es bestehe eine prämoralische und präjuristische Intuition, „daß der Tod eines anderen Menschen nicht herbeigeführt werden darf, sondern abgewartet werden muß [ . . . ].“623 Das Handeln des Arztes müsse deshalb in Übereinstimmung mit dieser Intuition erfolgen. Nun ist aber das Faktum einer moralischen Position kein ausreichender Grund, ihm auch normativ Geltung zuzusprechen.624 Selbst wenn viele ein bestimmtes Verhalten erwarten, folgt hieraus nicht, daß diese verbreitete Überzeugung auch normative Richtigkeit besitzt.625 Zudem können uns unsere moralischen Intuitionen täuschen. Was uns selbstverständlich erscheint, ist vielfach Ergebnis moralischer Traditionen, ohne deshalb einer unvoreingenommenen Prüfung standhalten zu müssen.626 Erforderlich sind deshalb sachliche Begründungen, um die moralische Intuition als richtig auszuweisen.627 2. Handeln und Unterlassen Teilweise wird der moralisch signifikante Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe allein in der Asymmetrie zwischen Handeln (aktive Sterbehilfe) und Unterlassen (passive Sterbehilfe) gesehen.628 Es wurde bereits im Rahmen der strafrechtlichen Erörterung gezeigt, daß die phänotypische Unterscheidung nach dem Handeln und Unterlassen des Arztes keine hilfreiche Unterscheidung ist (s. o. § 2 IV.). Die hier vorgestellte Unterscheidung zwischen aktiver Sterbehilfe (Töten) und passiver Sterbehilfe (Sterbenlassen) orientiert sich deshalb auch nicht am Handeln und Unterlassen, sondern dem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten. So z. B. J. Fischer, ZEE 1999, S. 98 (114). Vom Faktum der Sittlichkeit auf ihre Verpflichtung zu schließen, unterliegt dem unzulässigen naturalistischen Fehlschluß, weil aus einem Sein allein rein logisch nicht auf ein Sollen geschlossen werden kann. Siehe hierzu z. B. Ilting, 1994, S. 277 ff. 625 Kriterium der Diskurstheorie für die Wahrheit einer Behauptung oder Richtigkeit einer Norm ist deshalb nicht der Konsens an sich, sondern der Konsens als Ergebnis eines rationalen Diskurses, d. h. Wirklichkeitsbehauptungen oder Normen sollen sich als begründet wahr oder richtig erweisen. 626 Verwiesen sei an dieser Stelle nur darauf, daß in der Menschheitsgeschichte die Todesstrafe, Folter und Sklaverei über lange Zeiträume für legitim gehalten wurden. 627 Ebenso Birnbacher, 1995, S. 19 ff.; Wolbert, 1999, S. 56 (58 ff.); Höfling, JuS 2000, S. 111 (113). 628 So z. B. Beauchamp, 1989, S. 265 (272 f.). 623 624
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Wird dagegen das Handeln oder Unterlassen zum alleinigen Kriterium genommen,629 dann muß das Abstellen eines Respirators als aktive Sterbehilfe angesehen werden. Das überzeugt nicht. Wenn die Nichtaufnahme einer möglichen lebensverlängernden Maßnahme als passive Sterbehilfe zulässig ist, dann ist es kontraintuitiv, den Abbruch der aufgenommenen Behandlung als unzulässige aktive Sterbehilfe zu werten.630 Zudem wird man nicht umhin kommen, auch das Sprechen als eine Handlung anzusehen.631 Ein Arzt, der die Anweisung an das Pflegepersonal erteilt, die Sondenernährung einzustellen, würde danach eine aktive Sterbehilfe begehen, wogegen das Pflegepersonal selbst nur eine passive Sterbehilfe begangen hätte. Würde der Arzt dagegen selbst die Sondenernährung leisten und dann einstellen, wäre auch beim Arzt nur eine passive Sterbehilfe gegeben. Aktive und passive Sterbehilfe sind in diesen Fällen allein abhängig von der Organisation der Arbeitsteilung. Ein unterschiedliches moralisches Gewicht kann darin aber nicht enthalten sein.632 Sind Handeln und Unterlassen nicht der Maßstab zur Unterscheidung von aktiver Sterbehilfe (Töten) und passiver Sterbehilfe (Sterbenlassen),633 dann gehen auch Argumente zur Asymmetrie von Tun und Unterlassen an der Sache vorbei, weil Töten und Sterbenlassen eben nicht synonym mit Tun und Unterlassen sind.634 Ob dem Handeln an sich ein höheres Maß an Verantwortung zukommt als dem Nichthandeln, hat für die Bewertung von aktiver und passiver Sterbehilfe keine Bedeutung, wenn beide Formen der Sterbehilfe durch Handlungen (Anweisungen, Abstellen von Maschinen) vollzogen werden (können).635 629 Tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen Handeln und Nichthandeln nicht immer genau zu treffen, vgl. Reichenbach, 1990, S. 318 (324 f.). Ist es eine Handlung, wenn ein Arzt sich auf die Frage der Schwester, ob der Patient reanimiert werden soll, umdreht und weggeht? 630 So Birnbacher, 1995, S. 341 f. 631 In der Sprachphilosophie wird der ausgesprochene Satz deshalb auch als „Sprechakt“ bezeichnet. Im übrigen ist der Handlungscharakter des Sprechens mit der Formulierung der Beleidigungsdelikte als Erfolgsdelikte auch dem Recht bekannt. 632 Im übrigen ist es sogar zweifelhaft, ob das bewußte Sterbenlassen nicht jedenfalls moralisch als Form des Handelns aufzufassen ist, da der Entscheidung zum „Nicht-Handeln“ ebenfalls ein geistiger Akt zugrundeliegt. So Rachels, 1989, S. 254 (262); auch Eibach, MedR 2000, S. 10 (12). 633 Tun und Unterlassen sind auch nach Auffassung des katholischen Lehramts nicht mit einem erlaubten Sterbenlassen und einer verbotenten Tötung gleichzusetzen: Deutsche Bischofskonferenz, 1995, S. 308: „Allerdings wird ein Verzicht auf die Anwendung von Mitteln zu einer aktiven Euthanasie, wenn es sich um eine schuldhafte Unterlassung handelt, in der die Absicht enthalten ist, das Leben vorzeitig zu beenden.“ Siehe auch Wolbert, 1999, S. 56 (67 ff.). 634 Im Ergebnis ebenso Fuchs, 1997, S. 31 (68); Eibach, MedR 2000, S. 10 (12); Quante, 1998, S. 206 (213). 635 Mißverständlich deshalb A. W. Müller, 1997, S. 99 ff.; Höfling, JuS 2000, S. 111 (113). Von Bedeutung können die Asymmetrien allerdings dann sein, wenn gegenüber dem Konsequentialismus eine Ethik der begrenzten Verantwortung geltend gemacht wird. Insofern zutreffend A. W. Müller, 1997, S. 96 ff.
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3. Absichten Verbreiteter ist es dagegen, den moralisch bedeutsamen Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen in den Absichten des Akteurs zu sehen.636 Während beim Töten eine Absicht besteht, dem Leben der anderen Person ein Ende zu setzen, werde beim Sterbenlassen der Tod der sterbenden Person weder beabsichtigt noch gesucht oder gewünscht.637 Im letzteren Fall liege die Motivation darin, keine zusätzlichen Schmerzen oder weiteres Leid zu verursachen und das Sterben nicht weiter zu verhindern. Der Arzt läßt das Sterben des Patienten nur geschehen.638 Bei dieser Position wird mithin zwischen den vorhergesehenen und den beabsichtigten Folgen unterschieden. In beiden Fällen der Sterbehilfe wird der Tod des Patienten vorhergesehen, jedoch bei der passiven angeblich nicht beabsichtigt. Diese Position ist drei Einwänden ausgesetzt. a) Keine Kongruenz zwischen Töten / Tötungsabsicht und Sterbenlassen / keine Tötungsabsicht Zunächst einmal kann beim Töten und Sterbenlassen die Intention jeweils die gleiche sein.639 Zum einen kann auch beim Sterbenlassen eine Tötungsabsicht gegeben sein. Der Arzt kann das Beatmungsgerät in der Absicht abstellen, durch einen baldigen Tod dem Patienten ein weiteres Leiden zu ersparen. Als Absicht des Arztes ist deshalb auch bei der passiven Sterbehilfe möglich, nicht das Leid des Patienten zu beenden, sondern seinen Tod herbeizuführen.640 Noch deutlicher wird dies, wenn auf Reanimationsmaßnahmen verzichtet wird oder ein Respirator ausgestellt wird, um ein belegtes Intensivbett frei zu bekommen, weil dieses für die Nachbehandlung einer lukrativen Herzoperation benötigt wird, die anderenfalls in einem anderen Haus erfolgen würde. Hier ist die Absicht eindeutig auf den Tod des Patienten gerichtet. Aber auch umgekehrt gibt es Tötungshandlungen, die eben nicht beabsichtigt sind.641 Ein Arzt tötet seinen Patienten ohne Absicht, wenn er ihm aus Versehen die falsche Spritze injiziert und der Patient deshalb stirbt. Fuchs, 1997, S. 31 (78). Fuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (85); Eibach, MedR 2000, S. 10 (13); Schockenhoff, 1991, S. 91 f. 638 Fuchs, 1997, S. 31 (78); vgl. auch Eibach, MedR 2000, S. 10 (13). 639 Reichenbach, 1990, S. 318 (319 f.); Eibach, MedR 2000, S. 10 (12); Guckes, 1997, S. 144; Kuitert, 1991, S. 44 f. 640 Aus diesem Grund ist es nur folgerichtig, wenn nach Auffassung des katholischen Lehramts eine verbotene Euthanasie auch dann gegeben ist, wenn lebensverlängernde Maßnahmen in der Absicht unterlassen werden, das Leben vorzeitig zu beenden, vgl. Deutsche Bischofskonferenz, 1995, S. 308. 641 Guckes, 1997, S. 144; Reichenbach, 1990, S. 318 (327). 636 637
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Damit kann die Absicht nicht als Unterscheidungskriterium zwischen Töten und Sterbenlassen und damit auch nicht zur Erklärung des signifikanten Unrechtsunterschieds herangezogen werden. b) Rechtsgüterschutz oder Gesinnungsunterscheidung? Zudem wäre grundsätzlich zu fragen, ob die Absicht des Arztes, mit dem er eine Handlung verfolgt, in bezug auf die Rechtsgüter des Patienten die entscheidende Leitlinie sein soll. Erkennt man nicht das ärztliche Ethos, sondern die Rechtsgüter des Patienten als zentralen Maßstab der Sterbehilfe an, dann kann die Zulässigkeit des Behandlungsabbruchs nicht davon abhängen, mit welcher Absicht der Arzt diesen verfolgt. Werden durch den Behandlungsabbruch keine Rechte des Patienten verletzt, dann kann es nicht entscheidend sein, ob der Arzt nur aus purer Gewinnsucht und Egoismus oder aus christlicher Nächstenliebe handelte. Ohne Zweifel war das Handeln des Arztes in obigem Beispiel, wo der Respirator in der Absicht abgestellt wird, dadurch ein Intensivbett für eine lukrative Herzoperation frei zu bekommen, moralisch von einer niedrigen, auf den Tod zielenden Absicht bestimmt. Man nehme nun an, der Arzt hätte das Beatmungsgerät zuvor angeschlossen, um gegenüber der Krankenkasse einen Intensivpatienten weiterhin abrechnen zu können, obwohl er Kenntnis von dem vorher geäußerten Willen seines Patienten hatte, daß dieser bei einem dauerhaften Koma keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht. Aus dem Horizont des Patienten wäre dann der Behandlungsabbruch nicht nur zulässig, sondern sogar geboten;642 der Behandlungsabbruch kann in diesem Fall dann aber auch nicht wegen der niedrigen Gesinnung des Arztes als unzulässige Tötung angesehen werden.643 Und umgekehrt wird eine Tötung nicht deshalb legal, weil der Arzt sie ohne Absicht begangen hat. c) Absicht bei der passiven Sterbehilfe Schließlich wäre zu fragen, ob die passive Sterbehilfe überhaupt im Normalfall nur ein nicht gewolltes Geschehenlassen ist. Passive Sterbehilfe zeichnet sich zunächst dadurch aus, daß der Arzt davon ausgeht, daß mit der Nichtergreifung oder der Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen der Krankheitsprozeß unvermeidlich den Tod des Patienten herbeiführt.644 Es handelt sich mithin um ein s. u. § 10 I. u. 12. I. Nicht bestritten wird damit, daß ein allein am Kostenkalkül orientierter Arzt moralisch verwerflich handelt. Nur sollte die Trennlinie zwischen der prima facie zulässigen passiven und der verbotenen aktiven Sterbehilfe nicht anhand der Absicht des Arztes erfolgen. Bedenklich wäre hieran nicht allein ein Gesinnungsstrafrecht, sondern daß in obigen Konfliktfall der Rechtsgüterschutz des Patienten gegenüber der Pönalisierung der Gesinnung des Arztes nachrangig wäre. 644 Überlebt der Patient trotzdem, hat der Arzt keine passive Sterbehilfe geleistet, sondern eine überflüssige Behandlung abgebrochen bzw. nicht ergriffen. 642 643
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wissentliches Geschehenlassen des Todeseintritts. Wird nun die mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit erwartete Folge des Geschehenlassens allerdings auch beabsichtigt, gewollt oder bedingt gewollt, d. h. billigend in Kauf genommen? Hier wird vielfach behauptet, daß der Tod beim Behandlungsabbruch nur eine erwartete, aber nicht beabsichtigte Folge des Behandlungsabbruchs sei.645 Zutreffend ist zunächst, daß das Ergebnis nicht gewollt sein muß, wenn etwas infolge einer Nicht-Ausführung einer Handlung eintreten kann. Wer von möglichen Rettungsmaßnahmen gegenüber einem Ertrinkenden absieht, kann dies aus Gleichgültigkeit oder um sich selbst nicht zu gefährden unterlassen. Das Geschehenlassen ist dann wissentlich, aber nicht willentlich. Anders ist dies dagegen, wenn das Geschehenlassen um eines weitergehenden Zwecks willen erfolgt, der durch den Tod realisiert oder befördert wird. Es ist nicht möglich, einen bestimmten Zweck mittels einer erwarteten Folge, aber zugleich nicht beabsichtigten (Neben-)Folge des Geschehenlassens erreichen zu wollen.646 Denn das hieße, den Tod einerseits in eine Mittel-Zweck-Beziehung zu bringen, andererseits aber nicht zugleich als Mittel zu wollen oder zu beabsichtigen.647 Der Arzt kann sich deshalb beim Sterbenlassen nicht darauf zurückziehen, er erwarte den früheren Tod des Patienten, beabsichtige ihn aber nicht, wenn der Zweck des Abbruchs zwar nicht der Tod des Patienten, aber ein darüber hinausgehender Zweck ist, der durch den früheren Tod erreicht wird. Gerade diesen Fall wird man aber als einen verbreiteten der passiven Sterbehilfe ansehen, wenn der Zweck des Abbruchs die Leidensminderung,648 die Erfüllung eines entsprechenden Patientenverlangens oder die Verfügbarmachung knapper medizinischer Ressourcen für aussichtsreichere Fälle ist. In diesen Fällen wird mit dem Tod des Patienten ein weitergehender Zweck erfüllt. Der Tod ist dann zwar nicht der Zweck, aber doch als Mittel zur Erreichung eines darüber hinausgehenden Zwecks gewollt.649 Im Normalfall ist deshalb auch bei der passiven Sterbehilfe der Tod des Patienten gewollt.
In diesem Sinne wohl Eibach, MedR 2000, S. 10(12 f.). Birnbacher, 1995, S. 106. 647 Birnbacher, 1995, S. 106. 648 Dem Patienten soll beim einseitigen Behandlungsabbruch oft ein langsames, schmerzhaftes Sterben erspart werden. Da nur der Tod ihm diese Leiden erspart, ist er deshalb unvermeidliches Mittel dieses Zwecks. 649 Birnbacher, 1995, S. 106 f. u. 350 f.; ders., 1992, S. 50 (56 f.); differenziert M. v. Lutterotti, ZME 1998, S. 209 (216), der den Tod als Absicht des Arztes in den Fällen bejaht, bei denen der Behandlungsabbruch wegen der endgültigen Bewußtlosigkeit des Patienten erfolgt; noch weitergehend Rachels, 1989, S. 254 (260), der in jeder Einstellung weiterführender Behandlungen den Tatbestand einer vorsätzlichen Beendigung des Lebens für gegeben ansieht. A. A. Fuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (85), der die Intention des Arztes allein darin sieht, „nicht zusätzliche, d. h. menschlich herbeigeführte und unnötige Leiden verursachen“ zu wollen. 645 646
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4. Kombination von Absicht und verwendetem Mittel Wenn Handeln und Unterlassen und die Absicht je für sich zur Unterscheidung des Unrechts zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe nach überwiegender Auffassung nicht ausreichend sind, so wird doch vielfach, unter anderem vom römisch-katholischen Lehramt, vertreten, daß sie in Kombination geeignet sind, den Unterschied zu markieren.650 Und zwar wird dabei eine Kombination von Absicht und verwendetem Mittel vorgenommen. Eine unzulässige Euthanasie ist danach „eine Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise jeden Schmerz zu beenden. [ . . . ] Von ihr zu unterscheiden ist die Entscheidung, auf ,therapeutischen Übereifer‘ zu verzichten, das heißt bestimmte ärztliche Eingriffe nicht zu ergreifen, die der tatsächlichen Situation des Kranken nicht mehr angemessen sind, weil sie in keinem Verhältnis zu den erhofften Ergebnissen sind, oder auch, weil sie für den Sterbenden und seine Familie zu beschwerlich sind.“651 Letzteres wird auch als Verzicht auf außergewöhnliche oder unverhältnismäßige Mittel bezeichnet.652 Die Abgrenzung zwischen Töten und Sterbenlassen erfolgt danach nicht wie hier anhand des Eingriffs in den Organisationskreis des Patienten. Ein Töten ist nach dieser Auffassung jedes Tun oder Unterlassen, das die Absicht hat, den Tod des betroffenen Individuums herbeizuführen. Die in dieser Arbeit als aktive Sterbehilfe charakterisierte Form der Sterbehilfe gilt dann immer als ein Fall von Töten, da die Handlung den Tod herbeiführen soll. Als Tötung werden allerdings auch solche Formen der Sterbehilfe angesehen, bei denen gewöhnliche oder außergewöhnliche Behandlungen zur Lebenserhaltung nicht ergriffen werden, um den Tod früher herbeizuführen.653 Sterbenlassen hat dagegen die Absicht, den Sterbevorgang nicht zu verlängern und darauf zu verzichten, unverhältnismäßige Maßnahmen zur Lebenserhaltung zu ergreifen oder fortzuführen. Bevor anhand dieser Unterscheidung der wesentliche Unrechtsunterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe untersucht werden kann, müßte zunächst geklärt werden, worin sich hier Töten und Sterbenlassen unterscheiden. Im Unterschied zur Orientierung allein an der Absicht wird hier ergänzend auch auf das Mittel der Umsetzung der Absicht Wert gelegt. Das Mittel – der Verzicht auf eine außergewöhnliche Behandlung – ist deshalb bei dieser Position der maßgebliche Gesichtspunkt. Nun kann allerdings dieses Mittel auch als solches der unzulässigen Tötung eingesetzt werden. Es ist möglich, daß der Arzt den Tod seines Patienten beabsichtigt und dieses Ziel dadurch erreicht, daß er darauf verzichtet, eine außergewöhliche Behandlung vorzunehmen.654 Beim Sterbenlassen besteht dagegen die 650 Vgl. Apostolischer Stuhl, 1980, S. 8; dies., 1995, Nr. 65; auch J. Gründel, 1997, S. 89 (102). 651 Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 65. 652 Apostolischer Stuhl, 1980, S. 11. 653 Auf die Notwendigkeit dieser Konsequenz weist zutreffend Hoerster 1998, S. 68, hin. 654 So auch Guckes, 1997, S. 145.
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Absicht, den Sterbevorgang nicht zu verlängern und auf eine außergewöhnliche Behandlung zu verzichten. Einzig relevanter Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen ist somit auch bei diesem Differenzierungsvorschlag letztlich nicht das Mittel, sondern die Absicht.655 Nun wurde allerdings bereits gezeigt, warum die Absicht weder als Differenzierungskriterium noch zur Herausstellung des signifikanten Unterschieds zwischen Töten und Sterbenlassen im Recht geeignet ist (s. o. 3.).
5. Risiko der Fehleinschätzung Zwischen aktivem Eingreifen und Geschehenlassen wird weiterhin ein gewichtiger Unterschied im verschieden hohen Risiko von Fehleinschätzungen gesehen.656 Die Bewertung eines Lebenszustands als irreversibel kann einer Fehlprognose unterliegen. Bei der aktiven Sterbehilfe ist die Entscheidung unumkehrbar, während bei lediglich passiver Sterbehilfe die Möglichkeit offen gelassen wird, daß sich der Zustand des Patienten zum Positiven wendet. Verwiesen wird dabei auf Fälle, in denen wider Erwarten das Abschalten eines mechanischen Beatmungsgerätes nicht zum Tod geführt hat, sondern der Patient überlebt hat, obwohl nach dem Urteil erfahrener Ärzte keine Überlebenschancen mehr bestanden.657 Diese Argumentation ist grundsätzlich zutreffend. Fehldiagnosen oder Fehlprognosen sind nicht auszuschließen. Das ärztliche Handeln unterliegt Grenzen der Beurteilung empirischer Zusammenhänge; die Fehlbarkeit ärztlicher Entscheidungen ist deshalb unvermeidlich. Auch nimmt die aktive Auslöschung eines Lebens dem Patienten jede Lebenschance, während bei der passiven Sterbehilfe noch Restchancen bestehen bleiben. Nur ist damit kein prinzipieller sondern nur ein gradueller Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe benannt. Entscheidet sich der Arzt gegen die Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen, verringert er die Chancen seines Patienten zum Überleben. Denn die Entscheidung zur passiven Sterbehilfe kann ebenfalls auf Fehldiagnosen oder Fehlprognosen beruhen. Auch hier gibt es die als aussichtslos eingestuften spektakulären Fälle, in denen die medizinische Behandlung ,wider besseres Wissen‘ fortgesetzt wurde und sich das Blatt zugunsten des Patienten wendete. Wenn das unterschiedlich hohe Risiko von Fehleinschätzungen das maßgebliche Kriterium sein soll, dann müßte die entscheidende Trennunglinie nicht zwischen der aktiven und der passiven Sterbehilfe, sondern zwischen dem Behandlungsabbruch und der Fortsetzung der Behandlung gezogen werden, da erst bei letzterer das Risiko der Fehlentscheidung minimiert ist.658 Im Ergebnis ebenso Guckes, 1997, S. 145 f.; Reichenbach, 1990, S. 318 (331 ff.). Beauchamp, 1989, S. 265 (269 ff.); A. W. Müller, 1997, S. 99 f.; Höfling, JuS 2000, S. 111 (113); vgl. auch Thomas, Ethik Med 1993, S. 70 ff. 657 Beauchamp, 1989, S. 265 (271). 655 656
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Abgesehen davon stellt sich die Frage, warum diejenige Vorgehensweise, die mögliche alternative Ergebnisse offenläßt, moralisch immer besser sein soll. Normalerweise entscheidet sich der Arzt oder Patient gerade deshalb für die passive Sterbehilfe, weil das weitere Leben im Hinblick auf die Situation des Patienten nicht mehr als sinnvoll angesehen wird. Das weitere Leben ohne entsprechende Lebensqualität wird nur als verlängertes Sterben gewertet, weshalb die maximale „Quantität der Lebenstage“ nicht das Hauptziel der ärztlichen Maßnahme sein soll.659 Damit wird nicht nur bei aktiver, sondern auch bei passiver Sterbehilfe bestritten, daß das weitere Überleben immer gegenüber dem Sterben vorteilhaft ist.660 Bei aktiver wie passiver Sterbehilfe wird deshalb die Beendigung des Leidens des Patienten bzw. die Verkürzung seines Sterbeprozesses gegenüber den alternativen Möglichkeiten des Verlaufs bei Weiterbehandlung für gewichtiger erachtet. Das Risiko der Fehleinschätzung kann somit die ethische Differenz zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe nur in bestimmten Einzelfällen und dann auch nur graduell, aber nicht entscheidend markieren.661 6. Dammbruch-Argument662 Im Rahmen der Beurteilung der aktiven Sterbehilfe nimmt das „DammbruchArgument“,663 auch als Argument des slippery slope bzw. der schiefen Ebene bekannt, einen prominenten Platz ein.664 Bei diesem Argument „wird davor gewarnt, daß bei Vollzug einer bestimmten Handlung ein Prozeß in Gang gesetzt wird, an dem der Handelnde Schritt für Schritt beteiligt ist und der bei einem katastrophalen Resultat endet.“665 Hinsichtlich der aktiven Sterbehilfe wird die Gefahr gesehen, daß mit der Zulassung der Tötung von Menschen in Sonderfällen – z. B. auf der Basis einer autonomen Entscheidung eines im Sterben liegenden und schwer leidenden Patienten – die Hemmschwelle sinkt, Menschen auch ohne oder gegen deren Willen zu töten.666 Das deontologische Verbot der Ausführung von in sich schlechten Handlungen wird dabei mit teleologischen Folgeerwägungen verknüpft. 658 Reichenbach, 1990, S. 318 (330): „[ . . . ] es wäre sicherer, das Leben, so gut es geht, zu verlängern, da eine solche Verlängerung die (wenn auch geringe) Möglichkeit einer vorteilhaften Entwicklung offenließe.“ 659 Vgl. Eibach, MedR 2000, S. 10 (16). 660 Vgl. Reichenbach 1990, S. 318 (330 f.). 661 Birnbacher, 1992, S. 50 (59 f.) sieht dagegen in der Standardsituation, wo der Leidenszustand des Patienten irreversibel ist und dieser sterben möchte, die Sicherheit des Todeseintritts als Vorzug der aktiven Sterbehilfe. 662 Im Einzelnen siehe hiezu unten § 14 II. 663 Hierzu siehe allgemein Guckes, 1997, passim; Birnbacher, 1995, S. 289 ff. 664 Siehe Kinsauer Manifest, 1992, S. 171 f.; Spaemann, 1997, S. 12 (21 f.); Fuchs, 1997, S. 31 (59 ff.); Rest, 1992, passim; Beauchamp, 1989, S. 265 (273 ff.). 665 Guckes, 1997, S. 1. 666 Siehe z. B. auch Birnbacher, 1995, S. 292.
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Ausgangspunkt ist das Verrohungsargument:667 Wer aktiv tötet, wird auch künftig eher töten, weil sich durch seine Handlungen sein (ärztliches) Ethos verändern wird.668 Der Charakter des Akteurs und auch der Gesellschaft wird sich deshalb ändern. In letzter Konsequenz würde die Selbstverständlichkeit des Tötungsverbots mit der Erlaubnis von aktiver Sterbehilfe derart geschwächt, daß der Lebensschutz allgemein in Gefahr geriete. Die Tötung auf Verlangen sei nur die Einstiegsdroge für die Enttabuisierung der Tötung „lebensunwerten Lebens“ – auch ohne Zustimmung.669 Der Sache nach ist dieses Argument allerdings keines, das die in Frage stehende Handlung an sich verwirft. Lediglich im Hinblick auf die Folgen wird dieses Verhalten für nicht verantwortbar erachtet.670 Als konsequentialistisches Argument ist dieser Einwand von Gewicht (s. u. § 14 III.), nur belegt es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe.671 Der Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen ist vielmehr die Voraussetzung des Dammbruch-Arguments, weil er die Begründung für die zu beachtende höhere Hemmschwelle des Tötens gegenüber dem Sterbenlassen enthält.
7. Kausalität Ein bedeutsamer Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen wird weiterhin in der Kausalität erkannt.672 Beim Sterbenlassen sei die Krankheit ursächlich für den Tod des Patienten, während bei der aktiven Sterbehilfe der Tod durch das aktive Eingreifen in das Geschehen verursacht werde.673 Auch hier stellt sich die Frage, ob einerseits die Todesursache das entscheidende Abgrenzungskriterium sein sollte und andererseits ihm eine ethische Signifikanz zukommt. Die Todesursache vermag weder deskriptiv die Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe deutlicher aufzuzeigen noch normativ die entscheidende moralisch relevante Differenz hervorzuheben. Die deskriptive Schwäche ergibt sich daraus, daß es zweifelhaft sein kann, ob der Tod in einer Krankheit seine Ursache hat. Ist nicht z. B. auch die unterlassene Vorsorge Ursache für den Tod, wenn jemand an einer Lungenentzündung erkrankt und stirbt, weil bei ihm auf eine mögliche Impfung verzichtet wurde?674 Hier scheint doch die fehlende Impfung nicht weniger ursächlich für den Tod zu sein als die Lungenentzündung selbst. Wolf, 1999, S. 76 (89). Siehe hierzu auch Spaemann, ZPhF 2000, S. 514 ff. 669 Spaemann, 1997, S. 12 (21 f.). 670 Allerdings wird es oft als ergänzendes Argument zu grundsätzlichen Einwänden gegen aktive Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbruch, Tötung Neugeborener und Selbsttötung eingebracht. 671 A. A. Höfling, JuS 2000, S. 111 (113). Aus dem gleichen Grund wird deshalb auf das ärztliche Ethos und das Mißbrauchsargument hier noch nicht eingegangen. 672 Fuchs, 1997, S. 78 (83 ff.); Eibach, MedR 2000, S. 10 (12 f. u. 15). 673 Fuchs, 1997, S. 78 (84). 667 668
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Das führt über zu der normativen Schwäche dieses Arguments. Die Orientierung an der Ursächlichkeit spricht dafür, auch Unterlassungen als conditio sine qua non für den Tod zu berücksichtigten. Die Entscheidung, ein lebensverlängerndes oder lebensrettendes Mittel nicht anzuwenden, müßte dann ebenfalls als künstliche Ursache berücksichtigt werden. Der Patient stirbt z. B. nicht deshalb zu dem früheren Zeitpunkt, weil er eine Lungenentzündung hat, sondern weil die Entscheidung getroffen wurde, ihn durch Nichtanwendung von Antibiotika an einer Lungenentzündung sterben zu lassen. Wenn allerdings auch Unterlassungen als moralisch relevante Ursachen für den Tod in Betracht kommen, dann wäre das Sterbenlassen als künstliche Todesursache moralisch von gleichem Unwert wie die aktive Sterbehilfe.675 Abgesehen davon stellt sich aber auch die Frage, aus welchem Grund die natürliche Todesverursachung gegenüber einer künstlichen moralisch richtiger sein soll. In Frage steht damit die Sein-Sollen-Problematik bzw. der naturalistische Fehlschluß.676 Aus einem natürlichen Verlauf des Sterbens kann nicht unmittelbar gefolgert werden, daß dieser gegenüber einem künstlichen Tod vorzuziehen ist. Auch die natürliche Geburt ist gegenüber dem Kaiserschnitt nicht moralisch richtiger.677
8. Verfügung über fremdes Leben Weiterhin wird vorgebracht, daß dem Töten im Gegensatz zum Sterbenlassen eine Verfügung über fremdes Leben zukomme.678 Doch ist der Begriff der Verfügung allein nicht geeignet, das unterschiedliche moralische Gewicht zu markieren, weil eine Verfügung über Leben jedenfalls auch beim einseitigen Behandlungsabbruch im Rahmen der passiven Sterbehilfe gegeben ist. Denn Verfügen wird man dahingehend verstehen müssen, daß die Dauer eines Lebens nach eigenen Vorstellungen bemessen wird bzw. die zeitliche Grenze aus eigener Vorstellung gesetzt wird.679 Eine Verfügung ist deshalb auch beim einseitigen Abbruch lebenserhaltener Maßnahmen gegeben, weil sie Ausdruck einer Entscheidung des Arztes zum wissentlichen Sterbenlassen ist.680 Denn auch das Unterlassen lebensbewahrender 674 Vgl. Kuhse, 1994, S. 81 ff.; dies., 1993, S. 112 ff.; Wolbert, 1999, S. 56 (64 ff.); Birnbacher, 1995, S. 79 ff.; Siep / Quante, 1999, S. 37 (46). 675 Vgl. für den Behandlungsabbruch bei Patienten mit apallischen Syndrom M. v. Lutterotti, ZME 1998, S. 209 (213), siehe auch Kuhse, 1994, S. 81 ff.; Birnbacher, 1995, S. 65 ff. 676 Hierzu siehe Moore, 1984, S. 35 ff. u. 79 ff. 677 Reichenbach, 1990, S. 318 (341). 678 Vgl. Deutsche Bischofskonferenz, 1995, S. 307 ff. 679 Birnbacher, 1995, S. 350; Wils, 1999, S. 243; vgl. auch Fuchs, 1997, S. 31 (76): „Auch die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung eines Todkranken ist de facto eine ,Entscheidung über Leben und Tod‘ [ . . . ].“ 680 Hofmann, 1990, S. 115 (121), spricht deshalb von einer „vorsätzliche[n] Tötung“.
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Maßnahmen ist eben nicht ein rein passives Geschehen. Ihm liegt vielmehr eine Entscheidung zum „Nicht-Handeln“, also ein geistiger Akt zugrunde, in dem über die Fortdauer des Lebens bestimmt bzw. verfügt wird.681
9. Eingriff in die Autonomie (des Lebens) Die vorstehend aufgeführten Argumente zur Belegung eines moralisch signifikanten Unterschieds vermochten nicht zu überzeugen. Wie bei der Untersuchung eines adäquaten Kriteriums zur Unterscheidung von passiver und aktiver Sterbehilfe überhaupt ergibt sich der moralisch signifikante Unterschied erst, wenn die paternalistische Perspektive zugunsten der Perspektive des Patienten und seiner Rechtsgüter verlassen wird. Der Blickwinkel ändert sich damit sowohl gegenüber konsequentialistischen wie auch gegenüber deontologischen Ansätzen. Deontologische Ansätze neigen in dieser Frage dazu, nicht die Wünsche oder Interessen des Patienten,682 sondern die Auswirkung bestimmter Handlungen auf den Tötenden oder die Allgemeinheit für entscheidend anzusehen. Es ist in erster Linie der Akteur oder das zum Schutz der Allgemeinheit errichtete Tötungsverbot und nicht der im brennenden Auto Eingeklemmte, der bei einer Tötung auf Verlangen Schaden nimmt. Dem scheint nun der Konsequentialismus eher gerecht zu werden, weil er die Tötung eines Menschen als Mittel der Sterbehilfe zuläßt, wenn der Sterbende es wünscht. Doch auch die Äquivalenzthese des Konsequentialismus ist mit einem paternalistischen blinden Fleck behaftet. Wer Sterbenlassen mit Töten gleichsetzt, kann im Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Patienten kein eigenes Unrecht erkennen. Die Äquivalenzthese übersieht, daß Sterbenlassen und Töten nur dann äquivalent sein können, wenn der Rechtssphäre des Patienten gegenüber der ethischen Verantwortung des Arztes kein eigenständiges Gewicht zukommt. Es trifft zwar zu, daß unter gegebenen Bedingungen Sterbenlassen und Töten gleicherweise den Tod des Patienten herbeiführen können. Nur heißt dies nicht, daß zwischen diesen beiden Formen normativ kein wesentlicher Unterschied auszumachen ist. Wünscht der Patient keine weitere lebenserhaltende Behandlung, dann kann der Arzt im Hinblick auf die Äquivalenzthese nicht kurzerhand zur Giftspritze greifen, auch wenn diese den Tod zum gleichen Zeitpunkt herbeiführen würde. Es ist auch dann kein Recht des Arztes zur Tötung gegeben, wenn kein Anspruch auf Durchführung weiterer lebenserhaltender Maßnahmen besteht.683 Eibach, MedR 2000, S. 10 (12). Dies gilt auch für das zur Begründung eines absoluten Tötungsverbots gegenüber unschuldigen menschlichen Lebens vorgetragene Argument, daß sich jede Tötung – auch die auf Verlangen – notwendig gegen die Person des Getöteten richtet. So z. B. Fuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (86 ff.). Diese Begründung ist ihrer Struktur nach ebenfalls paternalistisch, weil sie sich nicht am Willen des Getöteten orientiert, sondern an vorgegebenen zulässigen Zwekken. 683 So auch Schockenhoff, 1991, S. 75. Eine Behandlungspflicht ist z. B. dann nicht gegeben, wenn der Patient kostenintensive lebenserhaltende Maßnahmen verlangt, aber die Kosten 681 682
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Der prinzipielle Unterschied, der hier zwischen Töten und Sterbenlassen zum Ausdruck kommt, ist die Achtung der körperlichen Integrität des Menschen. Es ist primär der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Menschen, welcher der Rechtfertigungslast unterliegt.684 Das ist zunächst Ausdruck des rechtsethischen Unterschiedes zwischen dem ungleichen Unrechtsgehalt, der zwischen der Verweigerung einer geforderten Handlung gegenüber der Mißachtung einer geforderten Unterlassung von Eingriffen in fremde Rechtsbereiche besteht.685 Vom Arzt wird wie von jedem anderen erwartet, daß er die Regeln der ärztlichen Kunst nicht eigenmächtig an den Körpern anderer Menschen zum Einsatz bringt. Verlangt wird zumindest ein mutmaßliches Einverständnis des Behandelten. Umgekehrt ist der Arzt auf unser Verlangen aber nicht zwangsläufig verpflichtet, tätig zu werden. Hierzu bedarf es einer besonders begründeten Garantenpflicht durch z. B. einen Behandlungsvertrag. Es bestehen damit gegenläufige Vermutungen: besonderer Begründung bedarf die rechtliche Verpflichtung des Arztes zur Hilfeleistung einerseits und der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit andererseits. In dieser rechtsethischen Unterscheidung wird die schützenswerte Fähigkeit zur Selbstorganisation im eigenen Rechtskreis vorausgesetzt. Dieser Grundsatz der Autonomie ist in besonderer Weise Ausdruck des Lebens selbst. Leben ist die Fähigkeit zur Selbstorganisation, durch die eine Identität im fortlaufenden Stoffwechselaustausch aufrechterhalten wird.686 Diese Fähigkeit des Lebens muß von der Verfassungsordnung nicht erst hergestellt werden, sie liegt ihr als natürliches Vermögen des Menschen voraus. Die Verfassung kann darum im Hinblick auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation des menschlichen Lebens grundsätzlich diese Autonomie unterstellen. Die Achtung gegenüber der körperlichen Integrität eines jeden Menschen ist dabei nicht bloßer Ausdruck des Schutzes eines natürlichen Verlaufs, sondern die Autonomiefähigkeit des Menschen ist vielmehr mit der Anerkennung der Menschenwürde als obersten Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes eine normative Grundannahme der Verfassung selbst. Es ist deshalb in erster Linie die Intervention in den Lebensprozeß, die gerechtfertigt werden muß.687 Gleiches muß auch beim Sterbenden gelten. Der lebende Organismus zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, seine Teile und Subsysteme fortwährend zu einer Einheit zu integrieren.688 Gerät der Organismus in einen „Prozeß innerorganisatoriweder selbst tragen kann noch diese von einem Dritten (z. B. der Krankenkasse) übernommen werden. Die ärztliche Garantenpflicht ist nach allgemeiner Auffassung keine altruistische Pflicht, bei welcher der Arzt notfalls auch die Kosten der Behandlung übernehmen müßte. 684 So auch Hoerster, 1998, S. 65 f.; vgl. auch Birnbacher, 1995, S. 203; Merkel, 2001, S. 582 f. Zur Bedeutung der freien Selbstbestimmung des Patienten über seine körperliche Integrität s. u. § 10 I. 685 So auch Hoerster, 1998, S. 65; Duttge, GA 2001, S. 158 (176 f.). 686 Jonas, 1994, S. 145 ff. u. 151 ff. 687 So im Ergebnis auch Fuchs, 1997, S. 31 (71). 688 Siehe zum folgenden Fuchs, Ethik Med, 1997, S. 78 (83 f.); ders., 1997, S. 31 (67 ff.); Höfling, JuS 2000, S. 111 (113); Eibach, MedR 2000, S. 10 (12 f.). 13*
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scher Auseinandersetzung von integrativen und desintegrativen Tendenzen“, ist er krank.689 Tritt dieser Prozeß schließlich in eine Phase der irreversiblen Desintegration des Organismus, so spricht man vom Sterben.690 Die Tötung zeichnet sich dagegen dadurch aus, daß der „Organismus [ . . . ] von einer äußeren Einwirkung oder Noxe gewissermaßen überwältigt wird: hier läßt die direkte und irreversible Ausschaltung lebenswichtiger Subsysteme eine prozeßhafte organismische Reaktion eines Reintegrationsversuchs gar nicht mehr zu. Die Negativität tritt hier dem Organismus von außen entgegen und wirkt unmittelbar tödlich, ohne von ihm noch in die innere Negativität der Krankheit verwandelt zu werden.“691 Beim Sterbenlassen wird damit dem innerorganismischen Desintegrationsprozeß seinen Lauf gelassen, ohne die zentralen Lebensfunktionen zu stützen oder zu substituieren, wogegen beim Töten eine den Organismus äußerliche, ihn unmittelbar schädigende Einwirkung erfolgt.692 Mit dieser Asymmetrie zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe bzw. ihrer unterschiedlichen Begründungslast ist noch nicht über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der passiven Sterbehilfe und das verfassungsrechtliche Verbot der aktiven Sterbehilfe entschieden.693 Weder die Moral noch das Recht legitimieren eine Unterlassung allein mit der Erwägung, man habe „nur der Natur ihren Lauf gelassen“694. Andererseits statuiert das Grundgesetz auch kein absolutes TötungsFuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (83 f.). Höfling, JuS 2000, S. 111 (113). 691 Fuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (84). 692 Fuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (84); ders., 1997, S. 31 (67); siehe auch Höfling, JuS 2000, S. 111 (113). Die letzten Erwägungen könnten nun dazu verleiten, in der Kausalität die entscheidende Differenz zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe anzunehmen. So z. B. Fuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (84): „Nur bei der aktiven Sterbehilfe wird der Arzt im eigentlichen Sinn zum Verursacher des Todes.“ Wie bereits im Kontext der strafrechtlichen Erörterung ausgeführt (s. o. § 2 I.), muß ein Kausalitätskriterium in dem Abschalten des Reanimators eine ursächliche Tötungshandlung erkennen, wenn der Patient ohne den Knopfdruck mindestens eine Sekunde länger gelebt hätte. Auch wird man ein Sterbenlassen kaum bejahen wollen, wenn der innerorganisatorische Desintegrationsprozeß durch einen implantierten Herzschrittmacher aufgehalten wurde und der Arzt sich nun entschließt, dem Sterben seinen Lauf zu lassen, indem er den Herzschrittmacher wieder entfernt. Entscheidender Gesichtspunkt ist deshalb nicht die Kausalität, sondern das Verhältnis zur Autonomie des Patienten, d. h. seiner körperlichen Integrität. Beendet der Arzt einen fortlaufenden Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten, um einem irreversiblen Desintegrationsprozeß seinen Lauf zu lassen, läßt er ihn sterben. Greift er dagegen in dessen Körper bzw. ein einverleibtes Bestandselement im Organisationskreis des Patienten ein, so tötet er ihn. Die Beschreibung von Töten und Sterbenlassen anhand des Organismus muß deshalb im Kontext der Autonomie des Patienten und nicht der „Sinnstruktur des ärztlichen Handelns“ gesehen werden; anders dagegen bei Fuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (83 f.); Höfling, JuS 2000, S. 111 (113). 693 Daß nicht jedes Sterbenlassen oder passive Sterbehilfe moralisch erlaubt ist, ist einhellige Auffassung: siehe Fuchs, 1997, S. 31 (68 f.). 694 Fuchs, 1997, S. 31 (68 f.); Eibach, MedR 2000, S. 10 (12); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 26: „Aber bekanntlich kann man nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen töten. Beim Staat ist es nicht anders [ . . . ]. Daß auch lebens689 690
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verbot, da es mit dem Gesetzvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG Eingriffe in das Leben zuläßt.
§ 9 Objektive Grundrechtsordnung und Schutzpflicht für das Leben Seit der Lüth-Entscheidung des BVerfG kommt den Grundrechten ein Doppelcharakter zu. Sie sind nicht nur Abwehrrechte, sondern zugleich Element einer objektiven Wertordnung.695 Die Grundrechte sind damit auch als objektive Normen ein Wertsystem, das als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht.696 Daraus folgt eine Bindung jeder Staatstätigkeit,697 die dann aber auch über die Gesetzgebung, Exekutive und Gerichtsbarkeit zur mittelbaren Bindung der Bürger führt.698 Die Weiterentwicklung der Grundrechte von den subjektiven Freiheitsrechten zu objektiven Grundsatznormen oder Wertentscheidungen der Verfassung hat damit zwar einerseits den Anwendungsbereich der Grundrechte erweitert, führt aber andererseits zu der Frage, wie sich hierzu die subjektive Dimension der Grundrechte verhält. Neben der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte betrifft dies besonders die grundrechtlichen Schutzpflichten.699 Eng verbunden ist damit die Kritik an der zunehmenden Einschränkung gesetzgeberischer Gestaltungsspielräume durch das „Verfassungsgericht als Nebengesetzgeber“.700 Zentraler Gegenstand bei der dogmatischen Entwicklung staatlicher Schutzpflichten war bislang in Rechtsprechung und Literatur der Schutz des menschlichen Lebens.701 Der grundrechtsdogmatische Bestand ist insoweit umfassend diskutiert702; allerdings in der für diese Arbeit gewichtigen Fragestellung nach vernichtende Unterlassungen des Staates tatbestandsmäßig i.S. des Art. 2 II sein können, ist demnach nicht zu bezweifeln.“ 695 BVerfGE 7, 198 (204 f.); siehe auch die Elfes Entscheidung 6, 32 (40). 696 BVerfGE 5, 85 (204 f.); 6, 55 (72); 7, 198 (204 f.); 21, 362 (371 f.); 49, 89 (141 f.); Ipsen, 2000, Rn. 85. 697 BVerfGE 46, 160 (165); Dietlein, 1992, S. 70 ff.; Klein, DVBl. 1994, S. 489 (494). Bedingt durch den Untersuchtungsgegenstand soll im Folgenden die Schutzpflicht nur hinsichtlich der Verpflichtung der Legislative behandelt werden. 698 Stern, III / 1, § 69 III., S. 923 ff. 699 Zu den verschiedenen Wirkungsbereichen der objektiven Gehalte von Freiheitsrechten siehe Jarass, 2001, S. 35 (39 ff.). 700 Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1 (2). 701 Siehe BVerfGE 39, 1 ff.; 46, 160 ff.; 49, 89 ff.; 88, 203 ff.; Hermes, 1987, S. 219 ff.; Hillgruber, 1992, S. 78 ff. Nach zutreffender Auffassung kommt eine Schutzpflicht allerdings grundsätzlich für jedes Freiheitsrecht in Betracht; vgl. Erichsen, Jura 1997, S. 85 (86).
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dem Schutz des Lebens gegen den Willen seines Trägers noch recht umstritten. Bei der staatlichen Schutzpflicht ist zu unterscheiden,703 (1) ob überhaupt eine staatliche Schutzpflicht besteht und welche dogmatische Begründung ihr zugrunde liegt, (2) wem gegenüber diese verlangt wird und (3) welche Maßnahmen diese Schutzpflicht erfordert.704
I. Begründung der Schutzpflicht des Staates (Gesetzgebers) für das Leben Das Recht auf Leben begründet nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG eine Pflicht des Staates, sich gegenüber Gefährdungen oder gar Angriffen schützend vor das Leben zu stellen.705 Es genügt danach nicht, wenn der Staat selbst von Eingriffen in das Lebensrecht absieht, er muß auch Verletzungen des Lebensrechts seitens privater Dritte durch eigene Tätigkeiten706 verhindern.707 Die klassische Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte hat damit eine Ergänzung durch staatliche Schutzpflichten erfahren, die den Staat dazu verpflichtet, durch aktives Tätigwerden die Grundrechtsgüter auch vor nichtstaatliche Gefährdungen zu schützen.708 In dieser Deutlichkeit hat das Bundesverfassungsgericht diesen Gedanken zuerst in seinem ersten Urteil zur Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch zum Ausdruck gebracht.709 Die anfänglich kritischen Stimmen, die auch im abwei702 A. A. Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (156): „vieles unklar und umstritten“. In der juristischen Dogmatik läßt sich die „Unklarheit“ immer nur relativ zu umstritteneren Bereichen feststellen. In den abstrakten Grundaussagen zu der dogmatischen Figur der Schutzpflicht für das Leben besteht m.E. weitgehend Einigkeit. 703 Vgl. Lagodny, 1996, S. 255; a.A. BKGG-Enders, Art. 1 Rn. 67, der eine strenge Unterscheidung zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ der staatlichen Schutzpflicht für nicht sinnvoll erachtet. 704 Ob die Schutzpflicht (bloß) eine objektive Norm oder auch ein subjektives Recht ist, hat dagegen für vorliegende Arbeit keine besondere Relevanz. Die Antwort hierauf ergibt sich zwar aus der dogmatischen Begründung bzw. Funktion der Schutzpflichten (s. u. Fn. 736); für den in dieser Arbeit zu prüfenden Spielraum des Gesetzgebers ist es dagegen ohne Bedeutung, ob der Gesetzgeber zur Beachtung der ihm eingeräumten Grenzen nur im Wege der Normenkontrolle und Richtervorlage oder auch durch Verfassungsbeschwerden angehalten werden kann, siehe auch Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1 (15). Zu den Prüfungspunkten einer Verfassungsbeschwerde bei der Geltendmachung der Verletzung des Untermaßverbots siehe Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1029 ff.); Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (155 ff.). 705 BVerfGE 39, 1 (42); 88, 203 (251); 49, 89 (141); 53, 30 (57). 706 Die Schutzpflicht verlangt dem Staat damit „Tätigkeiten“ ab, Klein, NJW 1989, S. 1633 (ebda.). 707 BVerfGE 39, 1 (42); 88, 203 (251). Zu den vorlaufenden Entscheidungen siehe Klein, NJW 1989, S. 1633 (1634 m. w. N.); zu den Grundlinien der beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch siehe Starck, 2001, S. 377 ff.). 708 Erichsen, Jura, 1997, S. 85 (ebda.). 709 BVerfGE 39, 1(36 ff. u. 42).
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chenden Votum Ausdruck fanden,710 haben sich nicht durchgesetzt.711 Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung Selbstverständliches verdeutlicht: Grundrechte werden nicht nur durch den Staat, sondern auch durch Private bedroht. Eine grundrechtliche Freiheit, die sich nur gegenüber dem Staat behaupten dürfte, würde in der bürgerlichen Gesellschaft der privaten Gewalt anheim fallen.712 Grundrechte wären dann nur noch Privilegien des Stärkeren.713 Schutzpflichten sind damit Teil der dem Staat prinzipiell auferlegten Friedensordnung.714 Die Struktur der Schutzpflicht zeichnet sich damit – im Gegensatz zum zweipoligen Staat–Bürger-Verhältnis bei Eingriffen – durch das Hinzutreten eines privaten Dritten (Störers) als dreipolige Beziehung aus.715 Der Staat wechselt aus der Sicht des Grundrechtsberechtigten vom potentiellen Gefährder des Grundrechts zu seinem Garanten.716 Wenn auch die staatliche Schutzpflicht für das Leben gegenüber Angriffen von Privaten im Ergebnis nunmehr unbestritten ist, so steht seine genauere grundrechtsdogmatische Begründung noch im Streit.717 Das Bundesverfassungsgericht sah die Begründung zunächst in der „objektiven Wertordnung“ der Grundrechtsnormen, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelte und Richtlinien und Impulse für alle staatliche Gewalt vorgebe.718 Den zu abstrakten und wenig justitiablen Begriff der „objektiven Wertordnung“719 hat das BVerfG allerdings bald wieder eingeschränkt und rekurriert in ständiger Rechtsprechung auf die „objektiv-rechtlichen Gehalt[e]“720 der einzelnen Grundrechte, die zugleich „objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung“ darstellen,721 oder nunmehr einfach auf „die sich aus der objektiven Bedeutung der Grundrechte ergebenden Schutzpflichten“722. Normativ wird diese Dimension entBVerfGE 39, 68 (73 f.). Näher siehe Isensee, HStR V., § 111 Rn. 82 m. w. N. 712 Dolderer, 2000, 179 Fn. 12, verweist dabei zutreffend am Beispiel der Atomkraftwerke und der Gentechnologie auf die Gefährdung durch die wirtschaftlich stärkeren gesellschaftlichen Gruppen hin. 713 Isensee, 1983, S. 32. 714 Stern, III / 1, § 69 IV 5.a, S. 946; Klein, DVBl. 1994, S. 489 (491). 715 So Isensee, 1983, S. 34 ff.; ders., HStR V., § 111, Rn. 3 u. 5; Hermes, 1987, S. 204 ff.; Klein, 1994, S. 489 (491); Stern, III / 1, § 69 IV 5 a, S. 946; Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (156); weitergehend Robbers, 1987a, S. 124; Erichsen, Jura 1997, S. 85 (87): auch zum Schutz des Menschen vor sich selbst. 716 Stern, III / 1, § 69 IV 5 a, S. 946; Isensee, 1983, S. 52 f.; Dietlein, 1992, S. 18; Dolderer, 2000, S. 180; Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (156). 717 Siehe den Überblick bei Stern, III / 1, § 69 IV 5 b, S. 947 ff.; Nitz, 2000, S. 336 ff.; Pietrzak, JuS 1994, S. 748 (748 f.). 718 BVerfGE 39, 1 (41). 719 Zur Kritik siehe Isensee, HStR V., § 111 Rn. 81; Nitz, 2000, S. 346. 720 BVerfGE 53, 30 (57); 56, 54 (73). 721 BVerfGE.49, 89 (142); 77, 170 (214). 722 BVerfGE 96, 56 (64); auch 92, 26 (46). 710 711
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weder unmittelbar dem einzelnen Grundrecht entnommen723 oder oft ergänzend auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG724 gestützt.725 Entgegen kritischen Stimmen726 läßt sich den Entscheidungen des BVerfG durchaus eine Begründung entnehmen. Bereits in der Lüth-Entscheidung hat es in der „objektiven Wertordnung“ eine „prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte“ erkannt.727 Konsequenterweise hat das BVerfG hinsichtlich der Freiheitsgrundrechte festgestellt, daß diese „nicht nur vor Eingriffen der Staatsgewalt in eine dem Individuum verbürgte Freiheitssphäre“ schützen. „Vielmehr verpflichten sie den Staat auch, diese Freiheitssphäre zu schützen und zu sichern.“728 Das entspricht dem beibehaltenen Ansatz, die objektivrechtliche Seite den Grundrechten und nicht allgemein der Verfassungsordnung zu entnehmen. Dies gilt es zu beachten, weil dann die Schutzpflicht von der Funktion des betroffenen Grundrechts her interpretiert werden muß. Diesen Ansatz hat das Bundesverfassungsgericht für den Lebensschutz wiederholt aufgenommen.729 In seinem zweiten Fristenurteil stellt es hierzu fest: „Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG [ . . . ]; ihr Gegenstand und – von ihm her – ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt.“730 Als Begründung für die staatliche Schutzpflicht wird man dies wegen der Schwierigkeit und Auslegungsbedürftigkeit der Menschenwürde als nicht ausreichend ansehen können. Der Ansatz ist allerdings richtig gewählt und läßt sich unter Berücksichtigung der weiteren Feststellungen des BVerfG zur Schutzpflicht und der hier entwickelten Konturierung der Menschenwürde zusammenführen.731 Dabei hat man sich zunächst von einem räumlichen Verständnis eines zu schützenden „Menschenwürdekerns“ zu lösen.732 Überzeugend ist der Ansatz des BVerfG dagegen vor dem Hintergrund der Menschenwürde als oberstem Konstitutionsprinzip und damit als Richtlinien- und Maßstabsfunktion für die verfassungsmäßige Ordnung.733 Der BVerfGE 77, 170 (214). BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (251); 46, 160 (164); 49, 89 (142); 96, 56 (64). 725 Stern, III / 1, § 69 IV 6, S. 950 ff., verweist dagegen auf Art. 1 Abs. 3 GG. 726 Siehe Isensee, HStR V., § 111 Rn. 80 f.; Nitz, 2000, S. 346; Hillgruber, 1992, S. 143 f. 727 BVerfGE 7, 198 (205). Das hat allgemeine Zustimmung gefunden: BKGG-Enders, vor Art. 1 Rn. 68; Klein, DVBl. 1994, S. 489 (493); Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (160); Erichsen, Jura 1997, S. 85 (89); Lipp, 2000, S. 126 f.; Jarass, 2001, S. 35 (36). 728 BVerfGE 92, 26 (46). 729 BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (251); 46, 160 (164); 49, 89 (142); 96, 56 (64). 730 BVerfGE 88, 203 (251). 731 Dagegen Isensee, HStR V., § 111 Rn. 80: „Das Argument aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG leistete zunächst Geburtshelferdienste, hat aber jetzt seine Schuldigkeit getan.“ 732 Siehe aber Hermes, 1987, S. 140 ff.; Nitz, 2000, S. 358; Dolderer, 2000, S. 184; Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (159). 733 Im Ergebnis ebenso Enders, 1997, S. 335 ff. u. 356 ff., insbesondere S. 341. Wird der Prinzipiencharakter der Menschenwürde für die Schutzpflicht zu wenig berücksichtigt, dann ergibt sich das Mißverständnis von Nitz, 2000, S. 357 ff.: Die Menschenwürde kann wegen ihrer Unverletzbarkeit dann nur den Schutz vor „schwerwiegende[n], insbesondere verächt723 724
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Sicherung der Bedingung der Möglichkeit von öffentlicher und privater Autonomie kann der Staat nicht gerecht werden, wenn diese Autonomie gegenüber den Angriffen durch private Dritte schutzlos gestellt ist. Art. 1 Abs. 1 GG ist deshalb Grund der staatlichen Schutzpflicht für das Leben. Der Funktion der Menschenwürde als Verfassungsprinzip entspricht es, daß das „Maß“ der staatlichen Schutzpflicht dann von ihrem Gegenstand, dem einzelnen Grundrecht, her bestimmt wird. Die Menschenwürde wirkt damit in gleicher Weise auf die Abwehr- und die Schutzpflichtseite der Grundrechte (nur) als oberstes Verfassungsprinzip. Nach dieser Maßgabe ist den Grundrechten die Schutzpflichtseite dann ebenso zu eigen wie ihre Abwehrfunktion.734 Die „objektivrechtliche“ Seite der Grundrechte erweist sich damit als Verstärkung ihrer subjektivrechtlichen Dimension, insbesondere weil nur die Bedingungen der Autonomie oder der Freiheitsgewährleistung erhalten werden sollen, nicht aber wird der einzelne einem angeblich „objektiven“, tatsächlich aber „zeitgebundenen Wertungssubjektivismus“735 untergeordnet.736 Dem Leben als Voraussetzung aller Autonomie kommt dabei eine fundamentale Bedeutung zu. Dem BVerfG ist deshalb zuzustimmen, daß die staatliche Schutzpflicht besondere Bedeutung beim Schutz des menschlichen Lebens hat.
lichmachende[n] Diskriminierungen“ gebieten (Nitz, 2000, S. 359). Der Anwendungsbereich der Schutzpflicht würde dann allerdings zu eng gezogen werden. 734 Wird der Zusammenhang der Menschenwürde zu der Schutzpflichtseite der einzelnen Grundrechte auf diese Weise gezogen, dann verfolgt das BVerfG auch nicht zwei Konstruktionsweisen der Begründung, einmal aus Art. 1 Abs. 1 GG und dann aus dem einzelnen Grundrecht; a.A. Alexy, 1985, S. 413 f.; Dolderer, 2000, S. 180. 735 Siehe die Kritik von Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 (463). 736 Mit dieser Begründung ergibt sich dann aber auch die Antwort auf die Frage darauf, ob die Schutzpflicht ein subjektives Recht oder (bloß) eine objektive Norm ist. Wenn die grundrechtliche Abwehrseite auf Schutzpflichten angewiesen ist, dann muß aus der „objektivrechtlichen“ Seite auch wieder zurück zum subjektiven Recht der Grundrechte gefunden werden (vgl. Isensee, HStR V., § 111 Rn. 183). Dieses Ergebnis entspricht dem von der Menschenwürde vorgegebenen Grundsatz der Autonomie und Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen, da erst durch die Subjektivierung der Schutzpflichten diese Autonomie auch in der objektivrechtlichen Seite realisiert wird, siehe Pietrzak, JuS 1994, S. 748 (752). Das BVerfG und mit ihm die h. L. bejahen deshalb zu Recht im Ergebnis ein subjektives Recht auf Schutz; BVerfGE 77, 170 (214); 92, 26 (46); 96, 56 (64); Alexy, 1985, S. 414 f.; Isensee, HStR V., § 111 Rn. 183 f.; Pietrzak, JuS 1994, S. 748 (752); Murswiek, 1985, S. 106 f.; Schwabe, 1977, S. 213 ff. u. 219 ff.; Dietlein, 1992, S. 152 ff.; BKGG-Enders, vor Art. 1 Rn. 83; Klein, NJW 1989, S. 1633 (1636 f.); ders., DVBl. 1994, S. 489 (493); Erichsen, Jura 1997, S. 85(88 f.); Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1032 f.); Unruh, 1996, S. 58 ff.; Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (157 f.); auch Dolderer, 2000, S. 386 f.; Jarass, 2001, S. 35 (46 ff.); a.A. v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 160: nur soweit vom Verfassungstext ausdrücklich eingeräumt.
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II. Schutzrichtung Die staatliche Schutzpflicht kann sich nicht nur gegen Dritte richten, sondern auch gegen den Grundrechtsträger selbst, sogenannter „Schutz des Menschen vor sich selbst“737.
1. Schutz vor Dritten Als Schutzrichtung der staatlichen Schutzpflicht ist die Pflicht des Staates, das Leben vor Eingriffen Dritter zu schützen, nach allen Auffassungen gegeben.738 Auch wenn die Schutzpflicht private Übergriffe abwehren soll, bleibt diese Pflicht staatsgerichtet (Adressat der Schutzpflicht ist allein der Staat). Die unmittelbare Drittwirkung, d. h. die Grundrechtsbindung Privater, wird zu Recht verworfen, weil sie die liberale Wurzel der Grundrechte verkennt, welche die Unterscheidung der Sphären bürgerlicher Freiheit und staatlicher Kompetenzausübung voraussetzt.739 Allerdings erfordert die Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht in aller Regel Eingriffe in den Freiheitsbereich Dritter.740 Wesentlichkeitslehre und Gesetzesvorbehalt verpflichten in besonderer Weise den Gesetzgeber zur Umsetzung der an alle staatlichen Organe gerichteten Schutzverpflichtung. Insofern kann von einer „Gesetzesmediatisierung“ der staatlichen Schutzpflicht gesprochen werden.741
2. Schutz des Menschen vor sich selbst? Besonders umstritten ist dagegen, inwieweit eine staatliche Schutzpflicht für das Leben auch zum Schutz des Menschen vor sich selbst verpflichtet.
a) Schutz von Geisteskranken Übereinstimmung besteht insoweit noch, als eine staatliche „Schutzpflicht“ oder besser Fürsorgepflicht742 immer da besteht, wo der Betroffene unfrei oder nicht fähig ist, autonom über seine grundrechtlich geschützten Interessen zu entscheiSiehe Hillgruber, 1992; vgl. auch Littwin, 1993, K. Fischer, 1997. Siehe nur Lorenz, HStR VI., § 128, Rn. 44 m. w. N. 739 Klein, DVBl. 1994, S. 489 (491); Pietrzak, JuS 1994, S. 748 (753). 740 Jarass, 2001, S. 35 (40). 741 Wahl / Masing, JZ 1990, S. 553 (557 ff.); Pietrzak, JuS 1994, S. 748 (753). 742 Lipp, 2000, S. 141 f.; Isensee, HStR V., § 111 Rn. 115 ordnen diese Aufgabe nicht der staatlichen Schutzpflicht, sondern der Grundrechtsfürsorge zu. 737 738
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den.743 Das ist bei Personen ohne die notwendige Einsichtsfähigkeit oder Willensfreiheit der Fall. Gegenüber zur Selbstbestimmung Unfähigen ist deshalb der Staat aufgefordert, Lebensmüde von einer Selbsttötung abzuhalten.744 Grund der Fürsorgepflicht des Staates ist Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip.745 Wer zu einer freiheitlichen Entscheidung nicht in der Lage ist, demgegenüber ist die Sicherung seiner Existenz Teil der Anerkennung seiner als Rechtsperson. Dessen Schädigung oder die (unfreiwillige) Selbstschädigung darf nicht zugelassen werden.746 Ziel der staatlichen Fürsorge muß es dann sein, den Betroffenen zur Autonomie zu befähigen – sofern dies möglich ist. b) Schutz von Minderjährigen Schwieriger ist dagegen die Begründung einer generellen Schutzpflicht des Staates gegenüber Kindern und Jugendlichen. Anders als bei Geisteskranken kann eine Unfähigkeit zur freien Selbstbestimmung bei Kindern und Jugendlichen – auch hinsichtlich des Lebens – nicht durchweg angenommen werden (näher s. u. § 14 IV. 1.). Die persönliche Fähigkeit zu selbstbestimmten Entscheidungen ist deshalb von dem Typisierungsrecht des Gesetzgebers zu unterscheiden,747 ab wann dieser grundsätzlich von der vollen Einsichtsfähigkeit ausgeht. Eine Lösung des Problems ergibt sich deshalb auch nicht unter Verweis auf die „Grundrechtsmündigkeit“. Anders als für rechtsgeschäftliche Handlungen ist bei Grundrechten, die an naturgegebene Fähigkeiten und Eigenschaften des Menschen als solchen anknüpfen, die Ausübung des Grundrechts an keine Altersgrenzen gebunden.748 Sie 743 BVerfGE 22, 180 (219); 58, 208 (225); 60, 123 (133); Hillgruber, 1992, S. 121 ff.; Robbers, 1987a, S. 221 f.; Schwabe, JZ 1998, S. 66 (70); v. Sachsen Gessaphe, 1999, S. 54 f.; Taupitz, 2000, A 79. Problematisch bleibt natürlich die Grenzziehung, ab der die Fähigkeit zur Willensfreiheit verneint wird, siehe hierzu eingehend v. Sachsen Gessaphe, a. a. O., passim. 744 BayObLG BayVBl. 1989, S. 219 (220); BayVerfGH BayVBl. 1989, S. 205 (206 f.); Schwabe, JZ 1998, S. 66 (70); Hillgruber, 1992, S. 121 f.; Taupitz, 2000, A 79; a.A. Fink, 1992, S. 156 ff.; Heide, 2001, S. 208 ff. 745 Vgl. BVerfGE 40, 121 (133); Lipp, 2000, S. 142; v. Sachsen Gessaphe, 1999, S. 55; siehe auch Isensee, HStR V., § 111 Rn. 115, der zu Unrecht eine Fürsorgepflicht des Staates auch gegen den autonomen Willen des Betroffenen bejaht. 746 Vgl. auch Lipp, 2000, S. 142: Die staatliche Fürsorge dient der „[ . . . ] Herstellung seiner Rechtsperson und damit seiner Rechtsgleichheit.“ Problematisch ist dagegen die Schlußfolgerung von Lipp, a. a. O., S. 130, daß eine die Grundrechte tangierende Freiheitsbeschränkung nur gegenüber demjenigen bestehen könne, der auch in der Lage sei, freie Entscheidungen zu treffen und damit Freiheit wahrzunehmen, a.A. die h. M. BVerfGE 10, 302 (309); NJW 1998, S. 1774 (1775); v. Sachsen Gessaphe, 1999, S. 59; Taupitz, 2000, A 72. Gerade weil Geisteskranke Anspruch auf Achtung haben, sind auch ihnen gegenüber Beschränkungen Eingriffe, die am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen sind, d. h. geeignet und erforderlich sein müssen. Inwieweit Einschränkungen auch tatsächlich Freiheitsbeschränkungen sind, läßt sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. e. S. angemessen würdigen. 747 Schwabe, JZ 1998, S. 66 (70). 748 Stern, III / 1, § 70 V 3 d, S. 1069; Hillgruber, 1992, S. 123; Taupitz, 2000, A 57.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
hängt von den konkreten geistig-physischen Fähigkeiten ab.749 Von der natürlichen Handlungsfreiheit können deshalb auch Kinder und Jugendliche Gebrauch machen und „von einem bestimmten Entwicklungsstadium wissen sie auch, was sie tun oder lassen wollen“750. Das wird man ihnen auch im Hinblick auf das eigene Leben nicht abstreiten können, wenn sie Wesen, Bedeutung und Tragweite dieser Entscheidung ermessen können. Insoweit sind dann Bestimmungen zum Schutz der Jugendlichen vor Fehlentscheidungen bei ihrem Lebensrecht Freiheitsbeschränkungen, die der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen. Ausdrücklich findet sich der Jugendschutz als Grundrechtsschranke in Art. 5 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 GG. Als verfassungsrechtliche Grundlage für einen über diesen speziellen Bereich hinausgehenden Jugendschutz durch den Staat kommt allein das „Wächteramt“ der staatlichen Gemeinschaft für die Erfüllung der elterlichen Erziehungsaufgabe nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG in Betracht. Eine Schutzpflicht des Staates zum Wohle der Minderjährigen ist mit dem in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG festgelegten „Wächteramt“ des Staates gegenüber den Eltern gegeben.751 Einem Mißbrauch der elterlichen Erziehungsgewalt, wie er bei der Tötung der eigenen Kinder vorliegt, muß der Staat entgegen treten. Anerkannt ist darüber hinaus, daß diese Schutzpflicht dem Staat auch subsidäre Gestaltungsbefugnisse verleiht, insbesondere dort, wo besondere Gefährdungslagen bestehen, die von den Eltern allein nicht mehr beherrscht werden können.752 Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes und der Jugendlichen findet Begrenzungen, aber nicht erst in dem das Erziehungsrecht der Eltern lediglich ergänzenden und überwachenden staatlichen Wächteramt, 753 sondern bereits in dem primären und vorrangigen Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG.754 Dabei sind die Selbstbestimmungsrechte des Heranwachsenden gegen das elterliche Erziehungsrecht unter Berücksichtigung des die Gewichte verlagernden Entwicklungs- und Reifungsprozesses im Einzelfall abzuwägen.755 Hierauf wird dann bei Stern, III / 1, § 70 V 3 d, S. 1069. Hillgruber, 1992, S. 123. 751 Dietlein, 1992, S. 30; Schwabe, 1977, S. 211; Jeand’Heur, 1993, S. 95 ff.; Isensee, HStR V., § 111 Rn. 14: „Paradigma einer Schutzpflicht im Grundgesetz“. 752 Hohm, NJW 1986, S. 3107 (3113); Hillgruber, 1992, S. 124. 753 Böckenförde, 1980, S. 54 (76). 754 BK-Jestaedt, Art. 6 Rn. 143: „Diese Befugnis stellt einen verfassungsunmittelbaren Sonderfall des an sich grundrechtswidrigen Schutz des Menschen vor sich selbst dar.“ Der Staat nimmt allerdings auf diesen Konflikt entscheidend Einfluß, indem er den Zeitpunkt bestimmt, bis zu dem junge Menschen als erziehungs- und schützbedürftig im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG gelten. Bei der Festsetzung des Volljährigkeitsalters muß und darf der Staat typisieren, um für möglichst viele Tatbestände eine angemessene Regelung zu schaffen, vgl. BVerfGE, 13, 230 (236); 74, 102 (125); Hillgruber, 1992, S. 124. Schwabe, JZ 1998, S. 66 (70). Die derzeitige Grenze des 18. Lebensjahres erfüllt diese Voraussetzung, kritisch v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 161. Unterhalb der Schwelle der Volljährigkeit kann der Gesetzgeber den Kindesgrundrechten aber auch durch differenzierte Regelungen gerecht werden, v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 159; Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 72. 749 750
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der Besprechung der Fallgruppen der aktiven Sterbehilfe zurückzukommen sein (s. u. § 14 IV). Jedenfalls ist eine verfassungsrechtliche Legitimation der Einschränkungen von Entscheidungen Minderjähriger, die ihr eigenes Leben gefährden oder verneinen, wegen des Erziehungsrechts der Eltern und des ergänzenden Wächteramtes des Staates möglich. Das gilt sogar dann, wenn es nur dem Schutz der Jugendlichen und Kinder vor sich selbst dient – auch wenn diese ab einem gewissen Alter als „grundrechtsmündig“ zu Entscheidungen gegen ihr eigenes Leben anzusehen wären.
c) Schutz vor autonomen Entscheidungen gegen das eigene Leben Geht die staatliche Schutzpflicht nun zusätzlich dahin, die zu schützenden Rechtsgüter auch gegen den Willen ihres Trägers zu schützen?756 Beantworten läßt sich diese Frage nur vor dem Hintergrund der Funktion der staatlichen Schutzpflicht. Die Herleitung der Schutzpflicht aus der „objektiv-rechtlichen“ Seite der Grundrechte verleitet zu der Ansicht, ihr Bestehen nicht von der Person abhängig 755 BVerfGE 59, 360 (382 u. 387); Hillgruber, 1992, S. 124; Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 69; Becker, 1975, S. 37 (44 f.). Nach verbreiteter Auffassung besteht dagegen überhaupt keine Kollision zwischen den Kindesgrundrechten und dem Erziehungsrecht der Eltern, es gehe ausschließlich um den Inhalt des elterlichen Erziehungsrechts in Art. 6 Abs. 1 S. 1 GG, siehe Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Maunz, Art. 19 Rn. 21 f.; Ossenbühl, 1981, S. 53 ff. Im Ergebnis trägt der Streit für vorliegende Thematik wenig bei, da nach allen Auffassungen die Grundrechtsposition des Kindes bei der Bestimmung des vom elterlichen Erziehungsrecht zu beachtenden Kindeswohls zu berücksichtigen ist. „Der Ordnungsauftrag des Elternrechts ist deshalb so zu erfüllen, daß er auch den ,wachsenden Kindesgrundrechten‘ Rechnung trägt“, Zacher, HStR § 134 Rn. 69; siehe auch v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 150; AK3-Richter, Art. 6 Rn. 9.; BK-Jestaedt, Art. 6 Rn. 141. 756 So z. B. BayObLG BayVBl. 1989, S. 219 (220); Stern-Sachs, III / 1, § 67 V 2 a, S. 736; Czerner, MedR 2001, S. 354 (356); Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 17 u. 50; Knemeyer, VVDStRL 35 (1977), S. 221 (253). Das BVerfG hat diese Frage noch nicht entschieden. Die umstrittenen Einschränkungen der „Vertragsfreiheit“ fanden ihre Begründung gerade darin, daß es zur „Fremdbestimmung“ komme, wenn die eine Seite ein so starkes Übergewicht besitze, daß sie die vertraglichen Regelungen faktisch einseitig setzen kann; siehe BVerfGE 89, 214(232 – Bürgschaftsverpflichtung); 81, 242 (254 f. – Ausschluß der Karenzentschädigung bei Wettbewerbsverboten für Handelsvertreter). Derartigen Einschränkungen der Vertragsfreiheit ist zuzustimmen. Wegen des Verhandlungsungleichgewichts muß sichergestellt werden, daß auf lange Sicht existentiell bindende Entscheidungen wirklich autonom getroffen wurden. In der Entscheidung zur Anhebung der Altersgrenze beim Transsexuellengesetz auf das 25. Lebensjahr betont das BVerfG die Absicht des Gesetzgebers, daß ein Rückkehrwille des Transsexuellen zu seinem ursprünglichen Geschlecht nicht mehr zu erwarten sei (BVerfGE 60, 123 (132)). Damit dient die Beschränkung nur der Absicherung einer hinreichend autonomen Entscheidung, nicht gegen die Interessen des Betroffenen, sondern in seinem langfristigen Interesse. Auch in der „Lebendspende“-Entscheidung hat das BVerfG, NJW 1999, S. 3399 (3402), nur festgestellt, daß der Gesetzgeber mit den Einschränkungen der Organentnahme von lebenden Personen, legitimerweise den „Schutz des Spenders vor sich selbst“ beabsichtigt. Das BVerfG hat dagegen nicht festgestellt, daß der Gesetzgeber von Verfassung wegen dieses Ziel verfolgen muß.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
zu machen, von der die Gefahr herrührt.757 Nun wurde gezeigt, daß der Schutzpflicht des Staates die Funktion zukommt, die subjektivrechtliche Seite der Grundrechte zu stärken (s. o. 1.).758 Es wäre euphemistisch, wollte man die Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten zugleich als Verwirklichung der Grundrechte bezeichnen. Freiheitsbeschränkungen von grundrechtlich geschützten Bereichen sind Grundrechtseingriffe, die der verfassungsrechtlichen Legitimation bedürfen.759 Die Legitimation eines Grundrechtseingriffs kann aber nicht allein darauf gestützt werden, die Rechtsgüter dessen zu schützen, dem die Beschränkungen auferlegt werden.760 Die Grundrechte würden sich anderenfalls „unter der Hand aus einem Hort der Freiheitssicherung zur Grundlage einer Fülle von freiheitsbeschränkenden Reglementierungen“ verwandeln.761 Eine Pflicht des Staates zum Schutz des Bürgers vor sich selbst würde die Grundrechte zu Grundpflichten und damit in ihr Gegenteil verkehren.762 Die objektive Funktion der Grundrechte, ihr Schutzpflichtcharakter, ist deshalb prinzipiell nicht geeignet, die Dispositionsbefugnis über eigene Rechtsgüter einzuschränken.763 Allerdings ergeben sich gegenüber diesem Grundsatz zwei Einschränkungen: (1) Der Betroffene muß sich freiverantwortlich bzw. autonom gegen seine Rechtsgüter entschieden haben (s. o. a). (2) Das zu schützende Grundrecht muß zur Disposition seines Trägers stehen.764 Richtet sich die Schutzpflicht dagegen auf „objektivierte Schutzgüter“ die nicht der Disposition des einzelnen unterliegen, dann kann ihr auch nicht die Funktion der Schutzpflicht zur Verstärkung der Grundrechte entgegengehalten werden. Ob das Leben allerdings ein „subjektives“ oder allein ein „objektiviertes“ Schutzgut ist, das ist umstritten (s. u. § 10 II. 7. d., u. III. 8.). An der Dispositionsbefugnis fehlt es auch, soweit der Status des Betroffenen als Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft betroffen ist (s. o. § 7 VIII. 1.). Beide Einschränkungen der Dispositionsbefugnis werden noch zu erörtern sein (s. u. § 10 II. u. III. u. § 14 I.).
Erichsen, Jura 1997, S. 85 (87). Allgemeine Auffassung, s. o. Fn. 727; vgl. auch BVerfGE 7, 198 (205): „Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz [ . . . ] in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt.“ 759 BVerfG NJW 1999, S. 3399 (3401); Hillgruber, 1992, S. 148. 760 Schwabe, JZ 1998, S. 66 (69); insoweit a.A. BVerfG NJW 1999, S. 3399 (3401 u. 3402). 761 So die Bedenken im Sondervotum von BVerfGE 39, 1(68 ff., 73), das allerdings zu Unrecht diesen Einwand auf die Schutzpflicht gegenüber Dritten vorbringt. 762 Hermes, 1987, S. 229; Klein, DVBl. 1994, S. 489 (493 f.). 763 So die herrschende Auffassung: Hillgruber, 1992, S. 142 ff. u. 148; Schwabe, JZ 1998, S. 66 (70); K. Fischer, 1997, S. 197 ff.; Hermes, 1987, S. 228 ff.; Klein, DVBl. 1994, S. 489 (494); insoweit auch Isensee, HStR V., § 111 Rn. 113 ff.; ders., 1983, S. 48 f.; a.A. Erichsen, Jura 1997, S. 85 (87). 764 Vgl. Schwabe, JZ 1998, S. 66 (68 f.). 757 758
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Die Pflicht des Staates zum Schutz des Lebens gegen den freiverantwortlichen Willen seines Trägers kann deshalb an dieser Stelle noch nicht abschließend beantwortet werden. Vorerst bleibt festzuhalten, daß die Schutzpflicht des Staates nicht als dogmatische Figur eines harten staatlichen Paternalismus verstanden werden darf. Bei Freiheitsrechten bzw. subjektiven Schutzgütern ist ein „besseres“ Verständnis des Staates von seinem Gebrauch her abzulehnen. Die Schutzpflicht des Staates begründet dann keine Eingriffsbefugnis des Staates, wenn allein der Schutz (subjektiver) Rechtsgüter gegen den Willen seines Trägers beabsichtigt ist. d) Schutz zugunsten Dritter Allerdings ist damit der Umgang des Menschen mit sich selbst im Bereich der Freiheitsrechte nicht freigestellt. Eingriffe kommen sowohl zugunsten der Belange Dritter wie auch der des Gemeinwohls in Betracht.765 Gegenüber dem Betroffenen wird damit aber nicht die Schutzpflichtseite seiner Grundrechte, sondern ihre abwehrrechtliche Dimension angesprochen.766 Im Ergebnis kann damit der Staat zum Schutz des Menschen vor sich selbst verpflichtet sein, wenn er nur dadurch der Schutzpflicht für das Leben Dritter gerecht werden kann. Im Bereich der aktiven Sterbehilfe wird eine derartige Schutzpflicht oft unter Verwendung von Dammbruchargumenten behauptet.767
III. Inhalt und Reichweite der staatlichen Schutzpflicht (Untermaßverbot) Umstritten sind weniger die abstrakten normativen Aussagen des BVerfG zu Inhalt und Reichweite der staatlichen Schutzpflicht, als vielmehr im jeweiligen Fall ihre konkrete Anwendung auf die zu beurteilenden staatlichen Maßnahmen. Dabei steht vor allen Dingen im Streit, inwieweit der Staat den Lebensschutz mit den Mitteln des Strafrechts gewährleisten muß. Zunächst zu den weithin von BVerfG und Schrifttum geteilten Grundlinien der Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht, deren zentrale Kernaussage dahin geht, daß die „Verfassung [ . . . ] den Schutz als Ziel vor[gibt, J.A.], nicht aber seine Ausgestaltung im einzelnen.“768 Der Gesetzgeber darf grundsätzlich frei darüber entscheiden, wie er seine Schutzpflicht erfüllt, nicht aber darüber, ob er sie zu erfüllen gedenkt.769 Siehe auch Schwabe, JZ 1998, S. 66(70 ff.); Robbers, 1987a, S. 222 f. Ob sich gegenüber einem vom Staat aufgedrängten Lebensschutz ein Abwehranspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG oder aus dem negativen Freiheitsrecht des Lebens ergibt oder überhaupt nicht gegeben ist, ist Gegenstand des folgenden Paragraphen (s. u. § 10). 767 Das wird der Kern der Prüfung im § 14 sein. 768 BVerfGE 88, 203 (254). 769 Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (162). 765 766
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Das Schutzziel besteht in einem umfassenden Schutz menschlichen Lebens. Dieser Schutz gebietet es, das Leben vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren.770 Zwar kann in Anbetracht der Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens kein absoluter Schutz verlangt werden,771 aber auf kosmetische Maßnahmen kann sich der Staat nicht zurückziehen. Gefordert ist ein effektiver Schutz,772 der durch ein positives Tätigwerden des Staates zu gewährleisten ist.773 Vorgegebene Ziele lassen sich nun aber in aller Regel mit verschiedenen Mitteln erreichen. Eine abschließende inhaltliche Umschreibung kann deshalb nicht Gehalt der Schutzpflicht sein.774 Nur in besonders gelagerten Fällen ist lediglich ein Mittel geeignet, einen effektiven Lebensschutz herzustellen.775 Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip muß aber dem Gesetzgeber die Auswahl der zweckdienlichen und gebotenen Schutzmaßnahmen zukommen.776 Das „Wie“ der staatlichen Schutzpflicht obliegt damit „in erster Linie“, „weithin“ oder „grundsätzlich“ dem Gesetzgeber.777 Die Probleme der Schutzpflicht ergeben sich daraus, daß (1) die Umsetzung der Schutzpflicht einer sachlichen Konkretisierung bedarf, für die es auf die „Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse, der konkreten Zielsetzungen und ihrer Priorität sowie der Eignung der denkbaren Mittel und Wege“ ankommt778, (2) jenseits dieser Beurteilungsschwierigkeiten die Schutzmittel, u. U. auch klar erkennbar, mehr oder weniger effektiv sein können779 und (3) berechtigte entgegenstehende Interessen einen verminderten Lebensschutz erfordern können. Das BVerfG reagiert hierauf, indem es zunächst grundsätzlich festhält, daß dem Gesetzgeber ein „Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum“ auch dann zukommt, wenn er wie beim Lebensschutz verfassungsrechtlich verpflichtet ist, wirksame und ausreichende Maßnahmen zu ergreifen.780 Darin kommt zum Ausdruck, daß diskursive, öffentliche Prozesse einer Richtigkeitsvermutung unterliegen.781Allerdings behält sich das BVerfG vor, den Gesetzgeber bei Bestimmung von Art und Umfang des Schutzes auf die Einhaltung eines Mindestschutzes zu BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164). BVerfGE 49, 89 (143). 772 BVerfGE 39, 1 (44); 46, 160 (164). 773 BVerfGE 88, 203 (254??); Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 45; Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (162). 774 Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (162). 775 BVerfGE 46,160 (165); Klein, NJW 1989, S. 1633 (1637). 776 BVerfGE 39, 1 (44); 46, 160 (164); 56, 54 (80 f.). 777 BVerfGE 39, 1 (42, 44); 46, 160 (164). 778 BVerfGE 56, 54 (81). 779 Alexy, 1985, S. 442. 780 BVerfGE 88, 203 (262). 781 So zutreffend Raabe, 215 ff., 226 f. u. 308 f.; vgl. auch Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1037). 770 771
§ 9 Objektive Grundrechtsordnung und Schutzpflicht für das Leben
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kontrollieren.782 Im Mitbestimmungsurteil783 hat das BVerfG zwischen drei Stufen der Intensität der Kontrolle unterschieden. Der Kontrollumfang reiche von einer „Evidenzkontrolle“ über eine „Vertretbarkeitskontrolle“ bis hin zu einer „intensivierten inhaltlichen Kontrolle“.784 Umfang und Reichweite des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes hängt dabei u. a.785 von der Bedeutung des betroffenen Rechtsgutes ab.786 Unmittelbare Konsequenz hieraus ist, daß sich die Kontrollpflicht des Bundesverfassungsgerichts um so intensiver gestaltet, je gewichtiger das zu schützende Rechtsgut ist. Je „intensiver eine Regelung oder Maßnahme den personalen Kern der Grundrechte ergreift“, desto größer ist der Kontrollumfang.787 Das ist zwar grundsätzlich der Sache angemessen, erschwert es aber, den legislativen Spielraum vom verfassungsgerichtlichen Kontrollumfang klar abzugrenzen.788 Wie aus den Entscheidungen zu den Fristenregelungen ersichtlich, hat das BVerfG,789 wenn der Schutz des Lebens gegenüber unmittelbaren Tötungshandlungen in Rede steht, der Sache nach stets besonders weitreichende Prüfungen in Anspruch genommen. Das kann bei der vorliegend zu beurteilenden aktiven Sterbehilfe nicht anders sein. Der hohe Wert des Rechtsguts Leben, seine Vernichtung durch eine Tötungshandlung und die Irreparabilität einer umgesetzten Entscheidung gegen das Leben lassen keinen geringeren Kontrollumfang zu. Eine „intensivierte inhaltliche Kontrolle“, die über die Vertretbarkeitskontrolle hinausgeht, läßt sich allerdings – hier und auch sonst – nicht rechtfertigen. Ein „vertretbares“ Schutzkonzept verwerfen zu dürfen, würde dem BVerfG das Recht geben, an sich ausreichende Regelungen durch eigene politische Vorstellungen zu ersetzen.790 Da dies in einer demokratischen Gesellschaft Aufgabe der Legislative ist, sollte nur zwischen einer „Evidenzkontrolle“ und einer „Vertretbarkeitskontrolle“ unterschieden werden. Bei einer „Evidenzkontrolle“ wird ein Verstoß festgestellt, wenn staatliche Organe untätig geblieben sind oder offensichtlich ist, daß getroffene Maßnahmen ungeeignet oder unzulänglich sind.791 Soll die „VertretbarkeitsBVerfGE 88, 203 (254). BVerfGE 50, 290 (333); zustimmend zu den drei Stufen Ossenbühl, 2001, S. 33(53 f.). 784 BVerfGE 50, 290 (333). Siehe hierzu auch Raabe, 1998, S. 316 ff. 785 Auch von der Eigenart des Sachbereichs und den im Einzelfall bestehenden Möglichkeiten, sich ein sicheres Urteil bilden zu können, vgl. BVerfGE 50, 290 (334); 73, 40 (92); s. u. S. 147. 786 BVerfGE 39, 1 (42). 787 Hesse, 1995, Rn. 570. 788 Das ist ein Problem, welches auch bei der Überprüfung von grundrechtlichen Abwehransprüchen gegeben ist, da deren Prüfungsintensität ebenfalls vom Gewicht des Gutes, in das eingegriffen wird, abhängt. 789 Das wird man jedenfalls der Sache nach so beurteilen müssen, auch wenn beim 2. Abtreibungsurteil das BVerfGE 88, 203 (262 f.), behauptet, nur eine Vertretbarkeitskontrolle vorzunehmen. Vgl. BVerfGE 39, 1 (51 ff.). 790 Siehe auch die Kritik von Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1038). 791 Vgl. BVerfGE 56, 54 (71, 80 ff.); 77, 170 (214 f.); 77, 381 (405); Isensee, HStR V., § 111, Rn. 164; Lagodny, 1996, S. 258. 782 783
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
kontrolle“ sich dagegen nicht mit der „Evidenz“ begnügen dürfen, dann wird sie auf der Basis einer „intensivierten inhaltlichen Kontrolle“ die Vertretbarkeit einer Regelung überprüfen müssen. Insoweit kann auch der Anspruch einer „intensivierten inhaltlichen Kontrolle“ als sinnvoll angesehen werden, wenn er die sachliche Intensität der Auseinandersetzung bzw. das Ausmaß der Tatsachenkontrolle792 zum Ausdruck bringt, mit der die Vertretbarkeitskontrolle durchgeführt wird.793 Methodisch hat das BVerfG in seinem zweiten Abtreibungsurteil mit dem von Isensee entwickelten Begriff des „Untermaßverbots“ einen überzeugenden Ansatzpunkt aufgegriffen.794 Diesen Maßstab näher erläuternd führt das Gericht aus: „Notwendig ist ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Güter – angemessener Schutz; entscheidend ist, daß er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen.“795 Die Ausführungen zeigen, daß das „Untermaßverbot“ nicht nur sprachlich, sondern auch strukturell dem abwehrrechtlichen Übermaßverbot korreliert. Das ist in der verfassungsrechtlichen Literatur weithin auf Zustimmung gestoßen; methodisch konsequent wird deshalb zunehmend bei der Beurteilung der Einhaltung des Untermaßverbots in Anlehnung an die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein dreistufiges Prüfungsschema verwandt.796 Damit soll mit Rücksicht auf die entgegenstehenden Güter im Sinne des Grundsatzes der Konkordanz der verfassungsrechtlich geforderte angemessene und wirksame Schutz ermittelt werden.797 Obwohl im Detail unterschiedliche Formulierungen bestehen, lassen sich die maßgeblichen Prüfungselemente umreißen. (1) Zunächst ist zu bestimmen, welche Interessen durch die vorhandene oder zu schaffende Regelung zum Ausgleich gebracht werden sollen (Schutzkonzept).798 792 Die grundsätzliche Kompetenz des BVerfG zur Tatsachenkontrolle, d. h. die Überprüfung von Gesetzen auf empirische Fragen hin, die das BVerfG fortlaufend in Anspruch nimmt, wird nicht mehr bestritten, siehe Raabe, 1998, S. 28 ff. m. w. N. Denn anderenfalls wäre das BVerfG „in wesentlichen Bestandteilen substantiell kompetenzlos“ gestellt, Ossenbühl, 1976, S. 458 (468 f.). 793 Auf diese Weise läßt sich auch der Prüfungsumfang in BVerfGE 88, 203 (262), erklären, worin das BVerfG behauptet, nur eine „Vertretbarkeitskontrolle“ vorzunehmen, der Sache nach aber eine „intensivierte inhaltliche Kontrolle“ vornimmt. Grundrechtsdogmatisch nicht haltbar sind dagegen die detaillierten Regelungsvorschriften in dieser Entscheidung. Sie lassen sich nur rechtspolitisch als Absicht erklären, einer dritten Normenkontrolle vorzubeugen, so zutreffend Lagodny, 1996, S. 258. 794 BVerfGE 88, 203 (254); Isensee, HStR V., § 111 Rn. 165 f. 795 BVerfGE 88, 203 (254). 796 Grundlegend Hermes, 1987, S. 253 f.; siehe weiterhin BKGG-Enders, vor Art. 1 Rn. 133; Pietrzak, JuS 1994, S. 748 (751); Möstl, DÖV 1998, S. 1029(1038 f.); Michael, JuS 2001, S. 148 (151); siehe auch Starck, JZ 1993, S. 816 (817); Böckenförde, Staat 29 (1990), S. 1(19 ff.). 797 BKGG-Enders, vor Art. 1 Rn. 133. 798 BKGG-Enders, vor Art. 1 Rn. 133.
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Anders als das Leben, dessen Schutz verfassungsrechtlich gefordert ist, muß geprüft werden, ob das Ziel oder Vorhaben, das einen verminderten Lebensschutz rechtfertigen soll, verfassungsgemäß ist799. (2) Geeignetheit (1. Stufe): Sind die eingesetzten Mittel weder einem effektiven Schutz noch den gegenläufigen Interessen förderlich? Nicht ausreichend ist es, auf dieser Ebene das Schutzkonzept bereits für ungeeignet anzusehen, wenn das Mittel den Lebensschutz nur suboptimal herstellt. Ein verminderter Schutz kann auch darin begründet sein, daß die entgegenstehenden Interessen im Sinne der Angemessenheit (3. Stufe) überwiegen.800 (3) Effektivität oder Erforderlichkeit (2. Stufe): Ist die Beeinträchtigung des Lebensschutzes notwendig, um die entgegenstehende Position zur Geltung zu bringen?801 Oder gibt es effektiver schützende Mittel, welche das gegenläufige Interesse nicht stärker beeinträchtigen? 802 (4) Angemessenheit (3. Stufe): Besteht ein angemessenes Verhältnis zwischen der Lebensbeeinträchtigung einerseits und der entgegenstehenden Position andererseits (vgl. 3. Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung). Ein derartiges Prüfungsschema löst nicht die materiellen Frage, zeigt aber gewichtige Gesichtspunkte und erleichtert die Überprüfbarkeit einer Entscheidung. Die Ebenen (1) und (4) sind maßgeblich normativer Art, (2) und (3) geben dagegen vorwiegend tatsächliche Schwierigkeiten auf. Der Prüfungspunkt (1) ist vom BVerfG anhand der Vorgaben des Grundgesetzes normativ zu bestimmen. Bei dem Punkt (4) steht der Wertungs- oder Abwägungsspielraum des Gesetzgebers im Vordergrund. Daß sich Konflikte zwischen einem Grundrecht und anderen Grundrechten, verfassungsrechtlich anerkannten Positionen oder sonstigen Interessen nicht durch pauschale Abwägungen anhand von Gütern oder Werten angemessen lösen lassen, wurde von verschiedener Seite bereits wiederholt gezeigt.803 Auch die Verhältnismäßigkeit i. e. S. oder die Angemessenheitskontrolle läßt sich deshalb nicht einfach unter Verweis auf eine angebliche Güterhierarchie in der Grundrechtsordnung beantworten. Es kann deshalb nicht ein optimaler Ausgleich der entgegenstehenden Positionen gefordert werden, lediglich ein „Mißverhältnis“ ist verboten. Damit unterfällt die Zuordnung primär in die Ver799 Hermes, 1987, S. 253. In Betracht kommen auch Güter der Allgemeinheit, vgl. BVerfGE 46, 160 (165). 800 So zutreffend Michael, JuS 2001, S. 148 (151). 801 Hermes, 1987, S. 254. 802 Vgl. BKGG-Enders, vor Art. 1 Rn. 133; Michael, JuS 2001, S. 148 (151). Auf dieser Stufe läßt sich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Eingriffs in das gegenläufige Rechtsgut durch folgende Prüfungsfrage integrieren: Gibt es mindestens gleich effektiv schützende Mittel, welche das gegenläufige Interesse weniger stark beeinträchtigen? 803 Hermes, 1987, S. 252 f. m. w. N.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
antwortung der Gesetzgebung, deren Ergebnis aber durch das Verfassungsgericht daraufhin überprüfbar bleibt, ob die gegenläufigen Positionen „nicht außer Verhältnis zueinander“ stehen.804 Beim Lebensschutz wird man allerdings beachten müssen, daß u. U. „die miteinander kollidierenden Rechtsgüter [ . . . ] nicht zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden können“ weil auf der einen Seite „alles, nämlich das Leben selbst, in Frage steht.“805 Trotzdem sind „Ausnahmelagen denkbar.“806 In vorliegender Arbeit sind insbesondere die Ebenen (2) und (3) wichtig (s. u. § 14), da sich bei der aktiven Sterbehilfe folgende Fragen stellen: Ist die Schmerzlinderung auf ein erträgliches Maß medizinisch bereits gegenwärtig möglich? Können vom Gesetzgeber hinreichende Schutzmaßnahmen erlassen werden? Würde die Einführung der aktiven Sterbehilfe das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstören, mißbräuchlich gegen den Willen von Patienten eingesetzt werden, das Tötungsverbot überhaupt aus den Angeln heben, unweigerlich in die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ abgleiten („Dammbruchargument“)? Die Beurteilung der medizinischen Möglichkeiten, sozialpsychologische Annahmen über gesellschaftliche Tendenzen und die Effektivität gesetzlicher Schutzmaßnahmen lassen sich einerseits nicht aus der Verfassung ablesen und können andererseits dem Gesetzgeber nicht freigestellt werden, da sich dieser sonst mit „Lippenbekenntnissen“ zum Schutz des menschlichen Lebens begnügen könnte.807 Die Vielschichtigkeit der im Zusammenhang mit der Geeignetheit und Erforderlichkeit in Betracht zu ziehenden Faktoren eröffnet der Legislative Gestaltungsfreiheiten, die auch durch die Begriffe „Einschätzungsprärogative“ und Prognosespielraum808 gekennzeichnet sind. Bei der Prognose billigt das BVerfG dem Gesetzgeber eine „Einschätzungsprärogative“ für das Wahrscheinlichkeitsurteil zu, dessen Grundlagen ausgewiesen werden müssen. Der Gesetzgeber „muß die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können“809. Das BVerfG kann die Legislative bei dieser Tätigkeit nicht ersetzen, sie aber zu einer bestimmten Sorgfalt anhalten. Die zusätzlichen Schwierigkeiten der Beurteilung von Prognoseentscheidungen der Legislative führt dazu, daß das Ausmaß verfassungsgerichtlicher Kontrolle nicht allein von den betroffenen Rechtsgütern abhängen kann, sondern auch von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs und Hermes, 1987, S. 257. BVerfGE 88, 203 (255). 806 BVerfGE 88, 203 (256); im Schleyer-Fall, BVerfGE 46, 160 (165) wurde die Bundesregierung nicht verpflichtet, das einzig effektive Mittel zum Lebensschutz von Hans M. Schleyer, die Freilassung von Terroristen, zu ergreifen. 807 Vgl. auch Ossenbühl, 2001, S. 33 (51): „Die Frage der Kontrolldichte von Tatsachenfeststellungen und Prognosen des Gesetzgebers hat besonderes Gewicht, weil hier oft die Würfel für die zu treffende Entscheidung fallen.“ 808 Badura, HStR VII., § 163 Rn. 25. 809 BVerfGE 50, 290 (334). 804 805
§ 10 Verfügungsbefugnis des Rechtsgutträgers über sein Leben
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den Möglichkeiten abhängen muß, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden.810 Der Gesetzgeber darf deshalb auch ein gewisses Wagnis eingehen, um neue Schutzkonzepte zu erproben.811 Die Irreparabilität der Zerstörung des Lebens fordert von der Schutzkonzeption den Vorrang der Prävention vor der Repression.812 Mit dem Erlaß einer Regelung ist der Staat nicht aus seiner Schutzpflicht entlassen. Er muß sein Schutzkonzept nicht nur konsequent verfolgen, um einen effektiven Schutz sicherzustellen, sondern auch nachbessern, wenn sich seine ex ante vertretbaren Prognosen ex post als nicht zutreffend herausstellen: „Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, dann kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist.“813 Der Gesetzgeber unterliegt damit einer „Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht“814. Das gilt besonders nach einem Wechsel des Schutzkonzepts.815 Letztlich steht die Legislative damit auch prozessual in einer Beweislast, da sie nachweisen muß, stets auf dem Stand gegebener Erkenntnismöglichkeiten den Lebensschutz durch Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art effektiv sichergestellt zu haben.
§ 10 Verfügungsbefugnis des Rechtsgutträgers über sein Leben In vorliegendem Paragraphen soll geprüft werden, ob und welches Grundrecht als Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben in Betracht kommt. Nicht gefragt wird nach möglichen Beschränkungen dieser Grundrechtsausübung durch den Gesetzgeber. Bei der Untersuchung eines Rechts auf ein selbstbestimmtes Sterben ist auf810 BVerfGE 50, 290 (334); 73, 40 (92); Möstl, DÖV 1998 S. 1029 (1038); Erichsen, Jura 1997, S. 85 (89); Brüning / Helios, Jura 2001, S. 155 (162). 811 Hieraus begründet sich die „Experimentierphase“ der Gesetzgebung, die der Gesetzgeber nutzen kann und soll, um Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln. Nach Pietrzak, JuS 1994, S. 748 (758), besteht bei neuen Regelungen sogar eine Erprobungspflicht, um auf begrenztem Feld zunächst Erfahrungswissen zu sammeln. Das neuartige Beratungsschutzkonzept bei der Abtreibung ist ein derartiges „experimentelles Gesetz“, da es vom strafrechtlichen Lebensschutz (faktisch ganz) auf den noch unbekannten Beratungsschutz umgestellt hat. 812 BVerfGE 39, 1(44 u. 52 f.). Das hat Bedeutung vor allem für die Effektivität einer Regelung, kann aber für die Beurteilung der Angemessenheit ebenfalls von Gewicht sein. 813 BVerfGE 49, 89 (130) u. Leitsatz 3; 56, 54 (81); vgl. auch BVerfGE 88, 203(265, 269, 289 f. u. 309 ff.). Der Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen verändert jedoch „nicht den Zuschnitt der verfassungsrechtlichen Schutzgüter“, Starck, JZ 1993, S. 816 (821); vgl. BVerfGE 88, 203 (310). 814 BVerfGE 88, 203 (269). 815 BVerfGE 88, 203 (310).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
grund der normativ bedeutsamen Differenz zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe danach zu unterscheiden, ob auf den Sterbeprozeß durch ,Eingriffe‘ in die körperliche Integrität verkürzend eingewirkt werden soll oder lebensverlängernde oder -erhaltende Maßnahmen abgewehrt werden sollen. Letzteres ist der Bereich der passiven Sterbehilfe, ersteres läßt sich in den Suizid, den assistierten Suizid und die aktive Sterbehilfe unterteilen. Beginnen möchte ich (I.) mit der Untersuchung der Abwehr von Einflußnahmen auf den natürlichen Sterbeprozeß. Bei der Frage, ob und welches Grundrecht ein Recht gibt, in den eigenen Sterbeprozeß aktiv verkürzend eingreifen zu dürfen, wird zunächst (II.) auf den selbsthändigen Suizid eingegangen. Ist dieser bereits nicht geschützt, dann kann sich auch die Tötung auf Verlangen auf keine grundrechtliche Gewährleistung berufen. Erst im letzten Abschnitt (III.) wird dann auf den grundrechtlichen Schutz der aktiven Sterbehilfe eingegangen.
I. Passiver Suizid816 Im Kontext der strafrechtlichen Erörterungen wurde darauf hingewiesen, daß es nach Auffassung des BGH das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gebietet, daß auch Heileingriffe nur mit dessen Einverständnis vorgenommen werden dürfen, anderenfalls der Arzt den Tatbestand der Körperverletzung verwirklicht.817 Dem Patienten wird ein freies Selbstbestimmungsrecht darüber zugesprochen, ob ärztliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden dürfen (s. o. § 5 IV.). Dies auch dann, wenn er dadurch in Lebensgefahr gerät oder die Beweggründe objektiv unvernünftig erscheinen mögen (s. o. § 5 IV.). Gestützt wird diese Auffassung unter Hinweis auf ein vom Grundgesetz verbürgtes Selbstbestimmungsrecht des Patienten.818 Die verfassungsrechtlich verbürgte freie Selbstbestimmung zum „natürlichen“, d. h. behandlungsfreien Sterben wird kaum noch bestritten.819 Strittig ist allerdings, ob das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung über seine körperliche 816 Zu dem Begriff siehe Bottke, 1995, S. 35(45 u. 96); Schneider, 1997, S. 230 Fn. 725; kritisch Baumgarten, 1998, S. 105. 817 BGHSt 11, 111 (113 f.); vgl. auch BGHSt 32, 367 (378). 818 Grundlegend BGHSt 11, 111 (113 f.); siehe auch BGHSt 32, 366 (378); BGHZ 29, 46(54 f.); 106, 391 (397 f.); LG Kassel FamRZ 1996, S. 1501(ebda.). Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten war allerdings bereits durch die Festlegungen des Reichsgerichts grundsätzlich anerkannt: RGSt 25, 375 (381). 819 BK-Zippelius, Art. 1 I, II Rn. 96; Hufen, NJW 2001, S. 849 (851); siehe Fn. 820 f. Anders dagegen noch Leisner, 1976, S. 40: „Die Verfassung erlaubt also nur die Sterbehilfe ohne jede, auch die geringste, feststellbare Lebenszeitverkürzung [ . . . ].“ Ebenso Klinkenberg, JR 1978, S. 441 (444): „Die Rechtspflicht zum Weiterleben endet also dort, wo der Sterbende nur noch unter unangemessenen Qualen leben muß.“
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Integrität im Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG)820 oder nach der herrschenden821 und mittlerweile auch vom BVerfG vertretenen Auffassung822 im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG enthalten ist.823 Nach letzterer Position ist Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht auf einen speziellen Gesundheitsschutz beschränkt, sondern zuvörderst Freiheitsschutz im Bereich der leiblich-seelischen Integrität des Menschen, über die auch der Kranke das volle Selbstbestimmungsrecht besitzt.824 Dem entspricht es, wenn auch der ärztliche Heileingriff der Einwilligung des Patienten bedarf, da nur dadurch der Patient seine Selbstbestimmung über seine körperliche Integrität wahrnehmen kann.825 Die zunächst zögerliche Haltung des BVerfG, die freie Selbstbestimmung des Patienten über seine körperliche Integrität auch als Freiheitsrecht gegenüber jeder Form des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 GG anzuerkennen, war jedoch keine Verneinung dieser Patientenautonomie an sich, sondern wollte den zu Heilzwecken erforderlichen ärztlichen Eingriff nicht auf eine Stufe mit einer Körperverletzung stellen.826 Art. 2 Abs. 2 GG wurde damit auf den Schutzanspruch der Lebensbewahrung und der Gesundheit verengt ausgelegt. Die sorgfältig ausgeführte und / oder erfolgreiche Heilbehandlung würde dann nicht den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG berühren, sondern könnte allenfalls entgegenstehende Vorstellungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verletzten. Auch nach Zuck ist das körperliche Selbstbestimmungsrecht des Patienten als besondere Ausgestaltung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG anzusehen, weil es dabei „weniger um den Schutz vor den Eingriffsfolgen als um die Entscheidungsfreiheit bei den Eingriffsvoraussetzungen“ gehe.827 Die Auffassung von Zuck kann nicht überzeugen, wenn es sich gerade um einen Eingriff in die körperliche Integrität handelt. Der Verlagerung auf das allgemeine 820 BVerfGE 52, 131 (168); auch Koppernock, 1997, S. 63 ff.; Bernat, 1999, S. 443 (445 f.); Füllmich, 1990, S. 23 ff.; Deutsch, AcP 1992, S. 161 (162 u. 166); Zuck, 1983, S. 34; ders., NJW 1991, S. 2933 (ebda.); Uhlenbruck, ZRP 1986, S. 209 (214); Muschke, 1988, S. 55 f. 821 BGHZ 106, 391 (397 f.); BGHSt 11, 111 (113 f.); Maunz / Dürig / Herzog / ScholzDürig, Art. 2 II Rn. 12 Fn. 3 u. Rn. 36 ff.; Höfling, JuS 2000, S. 111 (114); Höfling / Lang, 1999, S. 17 (19); Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 64 ff.; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 62 u. 72 Stw. „Selbstbestimmung des Patienten“; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 30 u. 32; Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 154 u. 212; Nußbaum, 1999, S. 47; Francke, 1994, S. 99 ff.; Kutzer, MedR 2001, S. 77 (ebda.); Lilie, 1995, S. 273 (277); T. Hoffmann, 1989, S. 127 (131); Sternberg-Lieben, 1998, S. 349 (353); Trück. 2000, S. 29; Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (177). 822 BVerfGE 52, 131 (173 f.) – Minderheitsvotum; jetzt aber 89, 120 (130). 823 Beides heranziehend Taupitz, 2000, A 12; Schneider, 1997, S. 229 f. 824 BVerfGE 52, 131 (174); 89, 120 (130); vgl. auch Tag, 2000, S. 88. 825 BVerfGE 52, 131 (175 f.). 826 Vgl. BVerfGE 52, 131 (168 ff.); entsprechend auch die Ausführungen im Minderheitsvotum, BVerfGE, a. a. O., S. 174 f. 827 Zuck, NJW 1991, S. 2933 (ebda.).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Persönlichkeitsrecht bedarf es nicht, da dieses gegenüber dem benannten Grundrecht der körperlichen Integrität zurücktreten müßte.828 Zu Recht verweist die herrschende Auffassung weiterhin darauf, daß die „Bestimmung über seine leiblich-seelische Integrität [ . . . ] zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen“829 gehört. „Denn auch der zu Heilzwecken vorgenommene Eingriff tastet die leibliche und gegebenenfalls auch die seelische Integrität des Menschen an.“830 Auch die körperliche Integrität muß deshalb im Lichte der Würde der menschlichen Persönlichkeit als von individuellen Einstellungen geprägt angesehen werden.831 „In diesem Bereich ist er aus Sicht des Grundgesetzes frei, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu leben und zu entscheiden.“832 Die Anerkennung eines „grundsätzlich[ . . . ] freien Selbstbestimmungsrecht[s] des Menschen über seinen Körper“833 hat damit in letzter Konsequenz die Freiheit der Selbstbestimmung zu einem natürlich verursachten Tod zum Inhalt.834 Der Wille, weitere bzw. andauernde Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit nicht zuzulassen, erhält dadurch gegenüber einem von der staatlichen Schutzpflicht getragenen Bestreben der Lebenserhaltung oder -verlängerung „absoluten Vorrang“.835 Dem Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG damit ein „Recht auf den eigenen Tod“836 zuzuordnen, stößt auf Bedenken, da die Entscheidung des Patienten, unter bestimmten Umständen lieber sterben zu wollen, als durch ärztliche Eingriffe gerettet oder künstlich am Leben erhalten zu werden, einer Verfügung über das eigene Leben gleichkommt.837 Nun bejaht allerdings auch die Gegenauffassung, die aus diesem Grund die Patientenautonomie gegenüber der ärztlichen Lebenserhaltung nicht im Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 GG ansiedelt, selbst im Hinblick auf den Vorrang der Menschenwürde ein Recht des Patienten aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG, sich gegen künstliche lebensverlängernde Maßnahmen zu wehren. Wenn jedoch die Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde als oberstes Konstitutionsprinzip der Verfassung auf die nachfolgenden Grundrechte dafür spricht, im allgeSo Koppernock, 1997, S. 56. BVerfGE 52, 131 (175); auch Francke, 1994, S. 103. 830 BVerfGE 52, 131 (175). 831 Vgl. BGHSt 11, 111 (114). 832 BVerfGE 52, 131 (175); Höfling, JuS 2000, S. 111 (114). 833 BGHSt 11, 111 (114); BGHZ 90, 103 (111). 834 Allgemeine Auffassung: Lorenz, HStR V., § 128 Rn. 66; Uhlenbruck, ZRP 1986, S. 209 (214); Schneider, 1997, S. 229 f.; Bottke, 1995, S. 35(45 ff.); Giesen, 1992, S. 10 (15); Kutzer, MedR 2001, S. 77 (ebda.); Lipp, 1999, S. 75 (77). 835 Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 66; Bottke, 1995, S. 35(45 ff. u. 95 ff.); Dreier-SchulzeFielitz, Art. 2 II Rn. 43 u. 50; Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 212; Hufen, NJW 2001, S. 849 (856); Schneider, 1997, S. 230; Geilen,1975, S. 8: „Auch wenn es um Lebensrettung geht, ist das oberste Gesetz nicht ,salus‘, sondern ,voluntas‘ aegroti.“ 836 Dieses Recht zu Sterben wird auch als „Recht auf einen menschenwürdigen Tod“ beschrieben: Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 66; Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 212. 837 Füllmich, 1990, S. 23 ff. 828 829
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meinen Persönlichkeitsrecht auch das Recht zum passiven Suizid anzuerkennen, dann muß ebendiese Ausstrahlungswirkung doch im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als dem sachlich naheliegenderen Grundrecht ebenfalls zur Geltung kommen können. Ob sich der Patient nach seiner freien Entscheidung gegen Maßnahmen der Lebenserhaltung aussprechen darf, hängt damit entscheidend davon ab, ob dem Art. 2 Abs. 2 GG eine Rechtspflicht zum Leben entnommen werden kann838 oder ob dieses Grundrecht als individuelles Freiheitsrecht aufzufassen ist, das es jedem freistellt, der Bewahrung seiner körperlichen Integrität gegenüber seiner Lebenserhaltung oder -rettung den Vorrang einzuräumen. Will man letzteres nicht anerkennen, ist die Zwangsbehandlung zur Durchsetzung einer Lebenserhaltungspflicht möglich. Zu Recht wird dagegen eingewandt, daß die Autonomie des Menschen in ihrem Kern berührt wird, wenn dem einzelnen zugemutet würde, zur Aufrechterhaltung seines Lebens ärztliche Eingriffe dulden zu müssen.839 Insbesondere wenn das Lebensrecht seinen Grund in der individuellen Würde des Menschen hat, dann kann der Lebensschutz nicht um seiner selbst willen gegen den Grundrechtsträger ausgespielt werden.840 Damit findet die Pflicht des Arztes zum helfenden Einsatz nicht, wie noch Bockelmann841 meinte, erst dort ihre Grenze, wo dessen Möglichkeiten versagen, sondern bereits in der selbstbestimmten Entscheidung des Patienten, der seine Einwilligung nicht erteilt.842 An dieser Stelle bleibt damit festzuhalten, daß der Schutz der körperlichen Integrität gegenüber einem abstrakten Lebensschutz vorrangig ist, wenn der Betroffene keine (weiteren) lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht. Letztlich anerkannt wird damit ein Recht auf den „passiven Suizid“, weil auch der erfolgversprechende Heileingriff bei gegebener freier Willensentscheidung aus jedem erdenklichen Grund abgelehnt werden darf.843 Folglich ist nicht das Leben das höchste von der Verfassung geschützte Gut; ihr gegenüber steht die (auf Abwehr des Eingriffs in die körperlich Integrität gerichtete) Autonomie im Rang höher.844 Der Mensch 838 So allerdings BGH NJW 1983, S. 350 (351): „Der [einer Heilbehandlung, J.A.] entgegenstehende Wille der Kranken war unbeachtlich, weil ihr Leben bedroht war und sie hierüber nicht verfügen konnte.“ 839 Vgl. BGHSt 11, 111 (114); Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 64; Füllmich, 1990, S. 26 ff.; Laber, 1997, S. 214 ff. 840 Das muß dann entgegen der Rechtsprechung (s. o. § 4 I.) auch für Rettungsmaßnahmen im Gefolge eines freiverantwortlichen Selbsttötungsversuchs gelten. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann auch von demjenigen, der einen freiverantwortlichen Suizidversuch ausgeführt hat, in Anspruch genommen werden. Ebenso Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 67. 841 Bockelmann, 1968, S. 115. 842 Steht es dem einzelnen frei, seine körperliche Integrität über seine Lebenserhaltung zu stellen, und besteht keine Rechtspflicht zum Leben, dann darf sich der Staat auch dem Hungertod nicht durch eine Zwangsernährung entgegen stellen, im Ergebnis ebenso AK2Podlech, Art. 2 II Rn. 24; AK3-Podlech, Art. 1 I Rn. 55; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 392; siehe auch Ostendorf, 1983, S. 77 ff. 843 Sternberg-Lieben, 1998, S. 349 (352 f.).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
wird damit auch im Bereich seiner körperlichen Integrität als autonom entscheidende Rechtsperson anerkannt.845 Bis hierhin ist gezeigt, daß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die körperliche Unversehrtheit und das Leben nicht allein als objektive Verfassungsgüter schützt, sondern jedenfalls in seinem Abwehrcharakter auch ein Freiheitsrecht ist.846
II. Aktiver Suizid Die verfassungsrechtliche Bewertung des aktiven Suizids, d. h. die Selbsttötung durch die eigene Hand,847 ist sehr umstritten. Weitgehend Einigkeit besteht nur dahingehend, daß der nicht freiverantwortliche Suizid848 verhindert werden darf.849
844 Taupitz, 2000, A 13; vgl. auch Ostendorf, 1983, S. 113; a.A. Kloepfer, 1976, S. 405 (412): „Dann aber ist das menschliche Leben als Maß aller Dinge ein Wert, der unabhängig von dem Menschenwürdekern besteht und Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG übergeordnet ist.“. 845 Lipp, 1999, S. 75 (ebda.). 846 Mit der Anerkennung eines Rechts auf den passiven Suizid steht eine Form der Sterbehilfe unter Grundrechtsschutz, die nach der Lehre von der Heiligkeit des Lebens, wie sie von der katholischen Kirche vertreten wird, von keiner Autorität rechtmäßig angeordnet oder zugelassen werden dürfte, vgl. Apostolischer Stuhl, 1980, S. 8. Nach dieser Auffassung ist eine verbotene Euthanasie „eine Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise jeden Schmerz zu beenden“, dies., a. a. O., S. 8; dies., 1995, Nr. 65. Kommen Arzt und Patient überein, die Sondenernährung in der Absicht einzustellen, durch den früheren Tod alle Schmerzen zu beenden, macht sich nach dieser Auffassung der Arzt der verbotenen Euthanasie und der Patient des ebenso verwerflichen Suizids schuldig. Ablehnen darf der Patient nur außergewöhnliche oder unverhältnismäßige Maßnahmen, wenn der Tod unvermeidlich droht und bevorsteht, vgl. dies., a. a. O. Die katholische Kirche kann deshalb kein Recht darauf anerkennen, eine erfolgversprechende Behandlungsmaßnahme allein aus dem Wunsch heraus abzulehnen, nicht mehr leben zu wollen. Das Grundgesetz kennt dagegen keine Pflicht zum Leben, die durch ärztliche Heileingriffe zwangsweise umgesetzt werden dürfte. Die Ablehnung des natürlichen Suizids kann nur eine Forderung der Moral sein. 847 Schwierigkeiten bereitet es, den Hungerstreik dem passiven oder dem aktiven Suizid zuzuordnen. Mit dem passiven Suizid hat der Hungerstreik gemeinsam, daß sein „Erfolg“ nur durch einen ärztlichen Eingriff verhindert werden kann; dem aktiven Suizid entspricht er, weil der Tod nicht krankheitsbedingt verursacht wird. Für die rechtliche Behandlung im Sinne des passiven Suizids spricht allerdings, daß seine Verhinderung immer eine Verletzung der körperlichen Integrität erfordert. Damit spitzt sich auch hier die Problematik darauf zu, inwieweit ärztliche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit zur Rettung des Lebens gegen den Willen seines Trägers zulässig sind. Der Hungerstreik ist deshalb rechtlich ebenso wie der passive Suizid zu behandeln; a.A. Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 50. 848 Zu diesem Begriff s. o. § 3 II. 849 BayVerfGH BayVBl. 1989, S. 205 (206f.); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 12a Fn. 1; R. Herzog, 1987, Sp. 3112 (3113); Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 210; a.A. Fink, 1992, S. 156 ff.
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Bei der Frage, ob die freiverantwortliche Selbsttötung vom Schutzbereich eines Grundrechts umfaßt ist, werden im wesentlichen drei Auffassungen850 vertreten: (1) Die anfänglich vorherrschende Position verneint ein Grundrecht auf Selbsttötung generell.851 Wobei nach der einen Auffassung852 der Suizid im rechtsfreien Bereich853 liegen soll, nach anderer Auffassung dagegen verfassungsrechtlich verboten ist,854 was nach vereinzelter Ansicht auch die Pönalisierung der Beihilfe zum Suizid erfordert.855 Im übrigen wird besonders von Vertretern dieser Position eine Pflicht des Staates angenommen, jeden Suizid zu verhindern.856 850 Die Auffassung von Luhmann, AöR 80 (1965), S. 257(265 u. 269 f.), auch R. Herzog, 1987, Sp. 3112 (3113), für das Recht auf Suizid auch den Schutzbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit in Art. 4 Abs. 1 GG einschlägig zu halten, mag vielleicht in besonderen Einzelfällen zutreffen, der Normalfall dürfte dagegen keinen Bezug zu dieser Grundrechtsvorschrift besitzen, vgl. auch Schwabe, JZ 1998, S. 66 (69), zu weiteren möglichen Grundrechtskonkurrenzen. Religiöse Pflichten, die die Selbsttötung gebieten, oder ernste sittliche Entscheidungen, die eine Selbsttötung als für sich bindend und unbedingt verpflichtend empfinden lassen, treten kaum in Erscheinung, siehe auch Niestroj, 1983, S. 64 ff.; Fink, 1992, S. 63 f.; Wagner, 1975, S. 86 ff.; Günzel, 2000, S. 65 ff. Eine andere Frage ist es dagegen, inwieweit bestimmte sittliche Vorstellungen über die Unzulässigkeit der Selbsttötung oder der Tötung auf Verlangen als Verfassungsgehalt angenommen werden können oder der Staat solche Auffassungen gegenüber seinen Staatsbürgern durchsetzen darf. Thematisch muß man diese Fragen allerdings bereits bei der Auslegung der einschlägigen speziellen Einzelfreiheitsrechte berücksichtigen, so Fink, 1992, S. 65 u. 142 ff. Das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität, dem der Staat als Heimstatt aller Staatsbürger unterworfen ist (vgl. BVerfGE 93, 1 (16 f.); Brenner, 2000, S. 264 (270 f.)), erlaubt es nicht, spezifisch religiöse oder moralische Vorstellungen über die Grundrechtsinterpretation zum verbindlichen Leitmaßstab aller zu erheben. 851 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 12; Czinczoll, 1984, S. 126 ff.; Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 62; Roellecke, 1976, S. 336 (337 ff.); H. Otto, 1986, D 11 ff.; Bleckmann, 1997, § 23 Rn. 1; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 Rn. 176; Robbers, 1997, S. 71 (75 f.); Frotscher, DVBl. 1976, S. 695 (702); vgl. auch BGHSt 6, S. 147 (153). 852 Czinczoll, 1984, S. 129; Niestroj, 1983, S. 78 ff.; widersprüchlich Baumgarten, 1998, S. 119: „Allerdings läßt sich [ . . . ] keine subjektive Berechtigung zum Suizid ableiten.“ Dann aber ein Verbot der Suizidverhinderung behauptend, a.a.o., S. 124: „Der Lebensmüde macht von seinem Recht der Autonomie Gebrauch, und die Gesellschaft hat dies grundsätzlich nicht zu verhindern.“ 853 D. h. es besteht weder ein Recht zum Suizid noch ein rechtliches Verbot des Suizids. Siehe Gallas, JZ 1960, S. 649 (654 f.); Niestroj, 1983, S. 78 ff.; Czinczoll, 1984, S. 129 u. 75 m. w. N., ausführlich zu dieser Lehre T. Müller, 1999, S. 88 ff., passim. Der Begriff wird im Sinne von „straffreien Raum“ verstanden, weil von dieser Auffassung eine (verfassungsrechtliche) Schutzpflicht des Staates für das Leben mit den verlangten Eingriffsbefugnissen für die Polizei zur Verhinderung eines Suizids durchaus bejaht wird, siehe Gallas, a. a. O., S. 655; Czinczoll, 1984, S. 134 f. 854 Lindemann, DVBl. 1957, S. 37 (40); vgl. auch BGHSt 6, 147 (153): „Daß das Sittengesetz jeden Selbstmord – von äußersen Ausnahmefällen vielleicht abgesehen – streng mißbilligt, da niemand selbstherrlich über sein eigenes Leben verfügen darf [ . . . ].“; zuletzt BGH, NJW 2001, S. 1802 (1803): „Das Leben eines Menschen steht in der Werteordung des Grundgesetzes – ohne eine zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter. Die Rechtsordnung wertet eine Selbsttötung deshalb – von äußersten Ausnahmefällen abgesehen – als rechtswidrig [ . . . ].“
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
(2) Die mittlerweile eher überwiegende Auffassung sieht ein Recht zur Selbsttötung im Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit von Art. 2 Abs. 1 GG,857 häufig auch i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG im allgemeinen Persönlichkeitsrecht.858 (3) Zunehmend wird der Suizid auch als negative Handlungsfreiheit des Rechtes auf Leben in Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG aufgefaßt.859 Die äußersten Pole dieser Diskussion werden durch diejenigen Positionen eingenommen, die eine Verbindung zur Garantie der Menschenwürde herstellen, indem nach der einen Auffassung860 der Suizid diese verletzt, nach der entgegengesetzten Position861 dagegen die Verhinderung der freiverantwortlichen Selbsttötung einen solchen Verstoß begründen kann.
1. Auswahl der primär zu untersuchenden Grundrechtsnorm Zunächst wäre zu klären, an welcher Grundrechtsnorm die Untersuchung sich zuerst zu orientieren hat. Die Prüfung allein anhand von Art. 1 Abs. 1 GG scheidet nach der hier vertretenen Ansicht von der Menschenwürde als objektivem Verfassungsprinzip und damit als „Verknüpfungsgrundrecht“ aus (s. o. § 7 VIII. 3.). Ein Recht auf Suizid als Teil 855 Bringewat, ZStW 87 (1975), S. 623(ebda.); Klinkenberg, JR 1978, S. 441 (443 ff.); Schmidhäuser, 1974, S. 801 (817); a.A. auch Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 12; Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 62; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 50. 856 Lindemann, DVBl. 1957, S. 37 (40); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 12; auch v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 50; kritisch Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 211; Frotscher, DVBl. 1976, S. 695 (701 f.). 857 Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 52; Bottke, 1982a, S. 42 ff.; ders., GA 1982, S. 346 (350 ff.); ders., 1995, S. 35 (105 ff.); Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 17; K. Fischer, 1997, S. 75 ff., 85 ff. u. 104 f.; Model / Müller, Art. 2 Rn. 22; Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 211; Wassermann, DRiZ 1986, S. 291 (293 f.); ders., 1996, S. 47(52 f.); Kunig, Jura 1991, S. 415 (418); Schwabe, JZ 1998, S. 66 (69). 858 Günzel, 2000, S. 79 ff. u. 99 ff.; Wagner, 1975, S. 90 ff.; Stürmer, 1989, S. 66 f.; Uhlenbruck, ZRP 1986, S. 209 (214 ff.), Sachs, 2000, B2 Rn. 81; Hillgruber, 1992, S. 83 f.; differenzierend Burkart, 1983, S. 79 ff. 859 Hamann / Lenz, Art. 2 Anm. B 8; Fink, 1992, S. 72 ff.; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 392; R. Herzog, 1987, Sp 3112 f.; Kloepfer, 1970, S. 35; – tendenziell auch T. Hoffmann, 1989, S. 127 (133 f.); Hufen, NJW 2001, S. 849 (851); a.A. Hellermann, 1993, S. 136 f.; Wassermann, 1996, S. 47 (51 f.). 860 Schittek, BayVBl. 1990, S. 137 f.; H. Otto, 1986, D 17 f.; Isensee, HStR V., § 111 Rn. 115; letztlich auch Wilms / Jäger, ZRP 1988, S. 41(45 f.). 861 Dusik, 1976, S. 101 ff.; Stürmer, 1989, S. 89 ff.; Möllering, 1977, S. 90; siehe auch Giese, 1975, S. 103 ff.; AK3-Podlech, Art. 1 I Rn. 55 u. AK2-Podlech, 2. Aufl., Art. 2 II Rn. 24; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 392; vgl. auch Eser, 1977b, S. 377 (412 f.) für die passive Sterbehilfe „Würde man dem Heiligkeitsgebot den absoluten Vorrang einräumen, so würde der aus dem Leben strebende Mensch praktisch zum Objekt erniedrigt, da er sich ausschließlich um der Gesellschaft willen am Leben erhalten müßte.“
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der allgemeinen Handlungsfreiheit müßte wegen des Auffangcharakters der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG hinter das speziellere Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zurücktreten.862 Erkennt man dagegen den Suizid als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, ist eine Idealkonkurrenz zwischen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG prinzipiell möglich,863 so daß der Schutz der Selbsttötung nach beiden Grundrechten zu bestimmen wäre.864 Zu beachten ist allerdings, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht und der Schutz des Lebens – zumindest grundsätzlich – unterschiedlichen Schrankenregelungen unterliegen: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat wie die allgemeine Handlungsfreiheit die verfassungsmäßige Ordnung, die Rechte anderer und das Sittengesetz zur Schranke865, wogegen das Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG nur auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden darf.866 Bei unterschiedlich starken Schutzwirkungen zweier einschlägiger Grundrechte ohne Spezialitätsverhältnis orientiert sich ein Eingriff letztlich an dem Grundrecht mit dem stärkeren Schutz.867 Ob der Suizid somit auch Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, kann folglich dahinstehen, wenn Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im Hinblick auf die Verfügung über das eigene Leben als spezielles Freiheitsrecht auch den einen Suizid betreffenden Persönlichkeitsgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in sich aufnimmt.868 Das muß allerdings zunächst durch Auslegung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG untersucht werden.869
2. Wortlaut (bzw. grammatische Methode) Die Auslegung des Gesetzes beginnt mit dem möglichen Wortsinn.870 Ihr kommt aufgrund der Gesetzesbindung der Rechtsprechung ein Primat zu, weil der mögliche Wortsinn auch die Grenze der Auslegung gegenüber der Rechtsfortbildung markiert.871 Die herrschende Auffassung meint nun, ein Recht auf SelbsttöPieroth / Schlink, 2001, Rn. 369; Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 66. BVerfGE 21, 73 (86); Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 67; Kunig, Jura 1993, S. 595 (603). 864 Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 343. 865 BVerfGE 65, 1 (43 f.); 79, 256 (269); Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 36; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 382. 866 Siehe Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 59. 867 Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 343. 868 Zur Idealkonkurrenz zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und einem speziellen Freiheitsrecht siehe Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 67. 869 Siehe auch die umfangreiche Prüfung der zu untersuchenden Norm bei Fink, 1992, S. 50 ff. 870 Larenz, 1991, S. S. 320. 871 Eine richterrechtliche Rechtsfortbildung ist davon nicht ausgeschlossen ist. Siehe nur Larenz, 1991, S. 366 ff. 862 863
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
tung bereits unter Verweis auf den Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – „Jeder hat das Recht auf Leben [ . . . ]“ – verneinen zu können:872 Mit dem Recht „auf“ Leben sei gerade kein Recht „über“ sein Leben873 und vor allem kein Recht auf den „Tod“874 verbürgt.875 Bei genauerer Überprüfung erweist sich dieses Argument als nicht stichhaltig. Zur Feststellung des Wortsinns wird im methodischen Schrifttum auf den Sprachgebrauch verwiesen.876 Bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist zweifelhaft, ob ein „Recht auf etwas“ nicht auch als „Befugnis über etwas“ verstanden wird. Wird jemanden die Befugnis zum Nichtgebrauch eines Rechts nicht zugestanden, so pflegt man bekanntlich weniger von einem „Recht auf etwas“, als vielmehr von einer „Pflicht zu etwas“ zu sprechen. Wer z. B. von der Treuhandanstalt ein Unternehmen mit der Auflage zu seiner Fortführung übertragen bekommen hat, der hat nicht nur ein Eigentumsrecht erworben, sondern wurde auch mit einer Verpflichtung belegt. Ein Recht auf etwas zu haben, intendiert deshalb nach allgemeinen Sprachgebrauch auch die Befugnis eines Rechtsgebrauchs nach eigenen Vorstellungen und damit auch den Nichtgebrauch dieses Rechts. Noch problematischer wird die herrschende Auffassung, wenn die Auslegung sich nicht am allgemeinen Sprachgebrauch, sondern am besonderen Sprachgebrauch im Grundgesetz orientiert.877 Überall da, wo ansonsten im Grundrechtsteil von einem „Recht auf etwas“ die Rede ist (vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 17 GG), wird eine Dispositionsbefugnis nicht verneint, sondern von der h. M. eine sogenannte negative Seite des Freiheitsrechts in dem jeweiligen Grundrecht angenommen.878 Jeder hat bekanntlich auch das Recht, seine Persönlichkeit nicht zu entfalten,879 keine Meinung zu besitzen oder kundzutun,880 sein Kind nicht am Religionsunterricht 872 s. o. Fn. 873 f; im Ergebnis auch Schwabe, JZ 1998, S. 66 (69); kritisch zu diesem Argument Beckert, 1996, S. 130 f.; Fink, 1992, S. 84 f.; Stürmer, 1989, S. 39 f.; Klug, 1988, S. 235 (245). 873 Maunz / Zippelius, 1998, § 24 II. 1., S. 182; auch Maunz / Dürig / Herzog / ScholzDürig, Art. 2 II Rn. 12. 874 Roellecke, 1976, S. 336 (337 f.); H. Otto, 1986, D 11; Laber, 1997, S. 116. 875 Ebenso würde nach EGMR, NJW 2003, S. 2851 (2852) der Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 EMRK („Das Recht aller auf Leben“) in sein Gegenteil verdreht werden, wollte man ihm ein Recht zu sterben entnehmen. 876 Bydlinski, 1991, S. 437 ff.; Larenz, 1991, S. 320. 877 Dagegen umgekehrt wie hier Günzel, 2000, S. 52. 878 A. A. Hellermann, 1993, passim. 879 Siehe v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 17; Merten, JuS 1976, S. 345 (346). Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit beschränkt sich deshalb nach h. M. auch nicht auf „positive Entfaltungen der Persönlichkeit“, vgl. BVerGE 90, 145 (171); Wagner, 1975, S. 91; Ostendorf, 1983, S. 103; auch o. Fn. 858. 880 BVerfGE 65, 1 (40); Merten, DÖV 1990, S. 761 (765 ff.); AK2-Hoffmann-Riem, Art. 5 I. u. II. Rn. 24; auch negative Informationsfreiheit, vgl. Kloepfer, 1970, S. 64 f.; Fenchel, 1997, S. 70 ff. u. passim.
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teilnehmen zu lassen,881 keiner Versammlung beizuwohnen,882 einer Koalition883 oder einem Verein884 nicht beizutreten, keine Petition einzureichen885 und jedenfalls auch keinen Beruf auszuüben.886, 887 Nun ist davon auszugehen, daß die jeweilige Fachsprache bzw. bestimmte Termini im Gesetz bewußt verwendet werden, was zu einem grundsätzlichen Vorrang des besonderen Sprachgebrauchs führt, zu dem der allgemeine subsidär ist.888 Für die Interpretation juristischer Fachausdrükke ist deshalb der Sprachgebrauch der Juristen maßgeblich.889 Eine Auslegung des Wortlautes von Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG gemäß dem juristischen Sprachgebrauch im I. Abschnitt des Grundgesetzes spricht mithin nicht gegen, sondern eher für eine Dispositionsbefugnis des Rechtsgutträgers über sein Leben.890 881 v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 7 Rn. 104 u. 109; v. Münch / Kunig-Hemmerich, Art. 7 Rn. 22. 882 BVerfGE 69, 315 (343); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-R. Herzog, Art. 8 Rn. 26 ff. 883 BVerfGE 44, 322 (352); 50, 290 (354); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Scholz, Art. 9 Rn. 221 u. 226 ff. 884 BVerfGE 38, 281 (297 f.); Merten, HStR VI., § 144 Rn. 53 ff.; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Scholz, Art. 9 Rn. 88 ff. 885 Eine negative Dimension des Petitionsrechts in Art. 17 GG wird allerdings bislang nicht in den Blick genommen, da diese Fragestellung noch nicht relevant war. Das kann anders sein, wenn durch die Regierung Druck ausgeübt wird, um z. B. über Petitionen die Volksvertretung zu einer Verfassungsänderung zu bewegen. Nun kommt den Petitionen über die Interessen- und Rechtsschutzfunktion hinaus auch eine Integrations- und Partizipationsfunktion und damit eine Artikulations- und Informationsfunktion zu; vgl. Dreier-Bauer, Art. 17 Rn. 12. Diese Funktion wird allerdings verfehlt, wenn der „Petitionsdialog“ mit dem Parlament durch Einflußnahmen inhaltlich verfälscht wird. Die das Schutzgut des Art. 17 GG mitprägende Artikulationsfunktion spricht deshalb dafür, im Petitionsrecht auch eine negative Dimension anzunehmen. Strittig ist allerdings, welchen Status das Petitionsrecht überhaupt begründet (siehe Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 17 Rn. 3 f., 10 f.; Dreier-Bauer, Art. 17 Rn. 13 Fn. 40), so daß auch seine Funktion als Abwehroder Freiheitsrecht zweifelhaft sein kann. Allerdings sprechen obige Ausführungen dafür, jedenfalls im Vorfeld der Einbringung einer Petition im Petitionsrecht auch einen status negativus anzunehmen, vgl. v. Mangoldt / Klein / Starck-Brenner, Art. 17 Rn. 45; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 17 Rn. 3. 886 BVerfGE 58, 358 (364 f.); einschränkend allerdings in BVerfGE 83, 119 (129); wie hier aber Breuer, HStR VI., § 147 Rn. 56. 887 Siehe auch zur negativen Religionsfreiheit BVerfGE 41, 29 (49); 93, 1 (15 f.); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-R. Herzog, Art. 4 Rn. 78 f.; zur negativen Ehefreiheit Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 641; Kingreen, Jura 1997, S. 401 (402); v. Mangoldt / Klein / StarckRobbers, Art. 6 Rn 57; a.A. BVerfGE 56, 363 (384), nur durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet. Siehe allgemein zu den negativen Freiheitsrechten die Übersicht bei Hellermann, 1993, S. 20 ff. m. w. N. 888 Larenz, 1991, S. 321 f. 889 Palandt-Heinrichs, 2001, Einl. Rn. 35. 890 Der Verweis von Hamann / Lenz, Art. 2 Anm. B. 8, auf den Sprachgebrauch beim „Recht[ . . . ] auf körperliche Unversehrtheit“ ist damit als Argument der Wortauslegung zutreffend; a.A. Roellecke, 1976, S. 336 (338), Laber, 1997, S. 116, die darin eine Analogie ausmachen wollen. Methodisch sollte man die Analogie aber eher den Instrumenten der
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Jedoch verlangt der Wortlaut nicht zwingend diesen weiteren Sinn des Rechts auf Leben als Verfügungsrecht über das eigene Leben. Mit ihm vereinbar ist jedenfalls im Wege einer teleologischen Reduktion auch eine engere Auslegung, die das Recht auf Leben nur als Abwehrrecht versteht. Für den Wortlaut bleibt allerdings festzuhalten, daß entsprechend dem juristischen Sprachgebrauch auch eine negative Dimension des Rechtes auf Leben möglich891 und nach hier vertretener Auffassung naheliegend ist.892 3. Genetisch-historische Auslegung Soweit zwischen genetischer und historischer Auslegung differenziert wird, bezieht sich erstere auf den Willen des Gesetzgebers, oft als subjektiv-teleologische Auslegung bezeichnet, und letztere auf die frühere Rechtssituation.893 Hinsichtlich seiner historischen Entwicklung ist bei dem Recht auf Leben die weitgehend fehlende ausdrückliche Benennung in der Verfassungstradition bis hin zur Weimarer Reichsverfassung auffällig.894 Trotzdem hat das Recht auf Leben seinem Gehalt nach eine weitreichende Vorgeschichte. Sie ist hier nicht erneut nachzuzeichnen, sondern nur ihr entscheidendes Charakteristikum hervorzuheben.895 Ihr Spezifikum besteht seit ihrem Anfang in der magna charta libertatum gerade darin, daß der Schutz des Lebens in erster Linie durch die Sicherung der persönlichen Freiheit gewährleistet werden sollte.896 In der älteren europäischen Verfassungsgeschichte, als die Todesstrafe und körperliche Züchtigung noch grundsätzlich zulässig erschienen, konnte das Lebensrecht nicht allgemein, sondern nur prozessual vor einer willkürlichen Mißachtung gesichert werden.897 Der Reglementierung des staatlichen Zugriffs auf die Freiheit der Person kam damit in einem die Aufgabe zu, vor willkürlicher Folter oder Todesstrafe zu bewahren.898 Historisch kennzeichnend wurde damit für den Lebensschutz seine enge VerbinRechtsfortbildung und nicht der Ermittlung des Wortsinns zuordnen, vgl. Larenz, 1991, S. 381 ff. 891 Im Ergebnis ebenso Fink, 1992, S. 84 f.; Beckert, 1996, S. 131; Stürmer, 1989, S. 40. 892 Wie hier R. Herzog, 1987, Sp. 3112 f.; vgl. auch Maunz / Dürig / Herzog / ScholzR. Herzog, Art. 4 Rn. 54: „Auch Art. 4 enthält also m. a. W. jene negative Komponente, die nach der hier durchweg vertretenen Auffassung ein unabdingbares Begriffsmerkmal der Grundrechte ist.“ Anderer Auffassung Hellermann, 1993, S. 40 f. u. 147 ff., der zwar eine negative Seite der Freiheitsrechte bei allen speziellen Grundrechten verneint, dann aber der Sache nach von der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ansieht, vgl. Hellermann, a. a. O., passim u. S. 180 ff. 893 Vgl. auch Brugger, AöR 119 (1994), S. 1 (26). 894 Leisner, 1976, S. 9 ff.; auch Fink, 1992, S. 86 f. 895 Siehe hierzu Leisner, 1976, S. 9 ff.; Fink, 1992, S. 85 ff. 896 Leisner, 1976, S. 11 f.; Fink, 1992, S. 86 f. 897 Siehe hierzu Leisner, 1976, S. 9 ff. 898 Leisner, 1976, S. 11 f.; der hierzu auf die magna charta libertatum von 1215 verweist.
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dung zur persönlichen Freiheit. Ihren gesetzlichen Ausdruck findet dies in den tatbestandlich zusammengefaßten Rechten auf Leben und persönliche Freiheit, wie z. B. in der Section 1 (vgl. auch Sec. 8) der Virginia bill of rights von 1776, dem Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 und schließlich dem Art. 2 Abs. 2 GG.899 Die historische Auslegung stützt damit die Auffassung, die auch im Leben ein vorstaatliches Freiheitsrecht annimmt. Kann in diesem Kontext keine transzendente Eigentümerstellung, wie beispielsweise das Hoheitsrecht Gottes über das Leben, angenommen werden, dann muß der Träger des Lebens auch als Eigentümer seines Lebens angesehen werden.900 Als nur sich selbst gegenüber verantwortlicher Eigentümer seines Lebens, kann ihm ein negativer Gebrauch seines Rechts auf Leben kaum verwehrt werden. Vorherrschend ist allerdings der Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2 GG, um ein Recht auf Selbsttötung zu verneinen.901 Mit der ausdrücklichen Aufnahme eines Rechts auf Leben in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stellte sich der Verfassungsgeber gegen die grenzenlose Mißachtung des menschlichen Lebens im NS-Staat durch „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, „Endlösung der Judenfrage“ und „Liquidierung politischer Gegner“ (näher s. u. III. 2.).902 Die ausdrückliche Verbürgung des Lebensrechtes im Grundgesetz verdankt sich damit dem Erfahrungsunterricht seiner Mißachtung während der Diktatur der Nationalsozialisten.903 Art. 2 Abs. 2 GG ist ebenso wie die Abschaffung der Todesstrafe in Art. 102 GG ein Bekenntnis zum grundsätzlichen Wert des Menschenlebens, in betontem Gegensatz zu den Anschauungen eines politischen Regimes, das mit dem angemaßten Recht über Leben und Tod des Bürgers schrankenlosen Mißbrauch trieb.904 Verbreitet ist nun der Schluß, aufgrund dieser unstreitig vom Verfassungsgeber angestrebten Verhinderung der lebensvernichtenden Praktiken des Nationalsozialismus den subjektiven Gehalt des Grundrechts auf Leben zugunsten einer einseitigen Betonung des abwehrrechtlichen Charakters dieser Vorschrift gegenüber der staatlichen Vernichtung des Lebens zu bestreiten.905 Durchaus zutreffend ist diese Siehe hierzu auch die Materialien zum Grundgesetz, JöR 1, S. 54 ff. Vgl. auch Locke, 1992 (1690), Kap. V, § 27, S. 216 f. 901 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 8 u. 12; Leisner, 1976, S. 14 ff. u. 25; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 Rn. 174 u. 176; Günzel, 2000, S. 54. 902 BVerfGE 39, 1 (36); Leisner, 1976, S. 14 ff.; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 8 ff.; Schmidt-Bleibtreu / Klein, 1999, Art. 2 Rn. 20a. 903 BVerfGE 39, 1 (36); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 2; Leisner, 1976, S. 14 ff. 904 BVerfGE 18, 112 (117); auch 39, 1 (36); Leisner, 1976, S. 14. 905 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 8 ff.; Leisner, 1976, S. 14 ff.; Ostendorf, 1983, S. 99; Wassermann, DRiZ 1986, S. 291 (292); ders. 1996, S. 47 (51); Laber, 1997, S. 117 f.; Chong, 1998, S. 224 f.; vgl. auch BVerfGE 1, 97 (104 f.), worin das BVerfG einen Fürsorgeanspruch auf Existenzsicherung unter Verweis auf den alleinigen Abwehrcharakter des Lebensschutzes verneint: „Man hat sich darauf beschränkt, negativ ein Recht auf 899 900
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Auffassung insoweit, als es sicherlich nicht in der Vorstellung des parlamentarischen Rates lag, mit dem Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch ein Recht auf Suizid zum Bestandteil der Grundrechtsordnung zu erheben.906 Wichtiger als die damalige konkrete Moralvorstellung des Gesetzgebers wird man allerdings den anvisierten Zweck dieser Vorschrift nehmen müssen, der eben nicht nur den Schutz der individuellen menschlichen Existenz gegen staatliche Unwerturteile, sondern auch die Selbständigkeit des Lebensrechtes gegenüber dem Volksgedanken hervorheben sollte (s. o. § 7 VIII. 4. d). Dieser Zweck läßt sich nun allerdings weit oder eng interpretieren. In der engen Auslegung verbleibt es beim bloßen Abwehrcharakter, in der weiten Auslegung wird dagegen das Lebensrecht aus der Gemeinschaftsgebundenheit gelöst und als individuelles Freiheitsrecht zugeordnet.907 Für die weite Interpretation spricht aus historischer Perspektive immerhin, daß diese dem vorgenannten Zweck besser gerecht wird, weil dadurch die Funktion des Lebensrechtes als individuelles Gut gegenüber der Ideologie des Nationalsozialismus, die dem einzelnen menschlichen Leben doch nur in seiner Funktion für das Volksganze Bedeutung zumessen konnte, noch deutlicher zum Ausdruck kommt. Hinsichtlich der historischen Auslegung bleibt somit festzuhalten, daß sie eine Zweckbegrenzung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf ein bloßes Abwehrrecht oder objektive Schutzverpflichtung nicht zu belegen vermag, sondern im Gegenteil auch diese Auslegungsmethode zu einer Interpretation des Lebensrechts als individuellem Freiheitsrecht tendiert. 4. Systematische Auslegung im engeren Sinn Die nun zu berücksichtigende systematische Auslegung versucht den maßgeblichen Sinn eines Wortes oder Satzes aus dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes oder der Rechtsordnung zu gewinnen.908 Maßgebliches Kriterium ist bei ihr die Leben und körperliche Unversehrtheit zu statuieren, d. h. insbesondere den staatlich organisierten Mord und die zwangsweise durchgeführten Experimente an Menschen auszuschließen.“ 906 Man wird dies jedenfalls als Erst-recht-Schluß annehmen dürfen, da im parlamentarischen Rat bereits ein Recht auf Selbstverstümmelung bedenklich erschien, man aber wegen Schönheitsoperationen u. ä. eine Einschränkung der körperlichen Unversehrtheit auf Eingriffe, die nicht der Heilung dienen, ablehnte, vgl. JöR, 1, S. 59 f. Vgl. auch BGHSt 6, 147 (153) – 10. März 1954 –: „Da das Sittengesetz jeden Selbstmord – von äußersten Ausnahmefällen vielleicht abgesehen – streng mißbilligt, da niemand selbstherrlich über sein eigenes Leben verfügen und sich den Tod geben darf, kann das Recht nicht anerkennen, daß die Hilfepflicht des Dritten hinter dem sittlich mißbilligten Willen des Selbstmörders zu seinem eigenen Tod zurückzustehen habe.“ 907 Insoweit zutreffend Wassermann, DRiZ 1986, S. 291 (292 f.); Stürmer, 1989, S. 39 f.; Beckert, 1996, S. 131 f.; Nußbaum, 1999, S. 48; Muschke, 1988, S. 92, die der historischen Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kein Verfügungsverbot über das eigene Leben entnehmen können. 908 Staudinger-Coing, Einl. Rn. 143.
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Vermeidung von Widersprüchen.909 Dieser Methode kommt erhebliche Bedeutung zu, weil sie auf der für eine rationale Rechtsinterpretation notwendigen Vorstellung beruht, daß die Summe der Vorschriften nicht isoliert für sich dastehen können, sondern ein System aufeinander bezogener Regelungen sein sollen.910 Wenn diese Auslegungsmethode aber die Kohärenz und Konsistenz möglichst aller relevanten Rechtsnormen herzustellen sucht,911 dann muß in ihren Untersuchungsbereich auch die Kohärenz mit übergeordneten Verfassungsprinzipien fallen. Die überwiegende Zahl der Streitpunkte um ein Recht auf den selbstbestimmten Tod fällt deshalb in den Bereich dieser Auslegungsmethode. Unter vorliegender Ziffer soll nur der unmittelbare Kontext im Art. 2 GG, der Bezug zu Art. 102 GG und zu einzelnen eventuell entgegenstehenden Grundpflichten untersucht werden. Weitere Einwände im Hinblick auf übergreifende Verfassungsprinzipien sollen ihrem Gewicht entsprechend in den nachfolgenden Ziffern behandelt werden. a) Unmittelbarer Kontext im Art. 2 GG Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt in seinem Wortlaut das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit in gleicher Weise: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Dies spricht dafür, daß auch die Schutzrichtung in beiden Vorschriften die gleiche ist. Nun ist weitgehend anerkannt, daß die körperliche Unversehrtheit nicht einem objektiven Gesundheitsschutz dient, sondern als individuelles Freiheitsrecht eine grundsätzlich freie Selbstbestimmung über die Abwehr von Eingriffen in seinen Körper schützt (s. o. I.). Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist insofern auch ein solches „über“ sie.912 Hamann / Lenz folgern hieraus, daß deshalb auch das Lebensrecht ein Recht zum Suizid umfassen müßte.913 Gegen die Vergleichbarkeit wird nun vorgebracht, daß zum einen die Selbsttötung im Verhältnis zur Selbstschädigung irreversibel sei914 und zum anderen ein „Recht über die körperliche Unversehrtheit“ nur aus Gründen der Strafrechtsdogmatik angenommen werde.915 Nur weil der BGH den ärztlichen Heileingriff als Körperverletzung i. S. d. § 223 StGB werte, müsse dem Patienten auch das Recht eingeräumt werden, über seine körperliche Unversehrtheit zu verfügen.916 Staudinger-Coing, Einl. Rn. 144. Im Bereich des Verfassungsrechts findet sich dieser Gedanke als Grundsatz der Einheit der Verfassung, vgl. BVerfGE 1, 14 (32); 55, 274 (300); Hesse, 1995, Rn. 71; Starck, HStR VII., § 164 Rn. 19. 911 Vgl. auch Brugger, AöR 119 (1994), S. 1 (24). 912 Hamann / Lenz, Art. 2 Anm. B 8. 913 Hamann / Lenz Art. 2 Anm. B 8. 914 Roellecke, 1976, S. 336 (337); Wassermann, DRiZ 1986, S. 291 (292); Bade, 1988, S. 121; Czerner, MedR 2001, S. 354 (356). 915 Roellecke, 1976, S. 336 (338); Bade, 1988, S. 121. 916 Roellecke, 1976, S. 336 (338). 909 910
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Beide Argumente werden jedoch von der herrschenden Auffassung nicht konsequent umgesetzt. (1) Wäre die Irreversibilität der Entscheidung ausschlaggebend, dann müßte das Recht, über die körperliche Unversehrtheit zu verfügen, jedenfalls da seine Grenze finden, wo das Leben des Patienten nur durch einen ärztlichen Heileingriff gerettet werden kann. Das wird allerdings zu Recht aus den bereits genannten Gründen nicht vertreten (s. o. I.). (2) Der Rechtsprechung des BGH ließe sich auch durch die bereits aufgegebene Verfassungsrechtsprechung entsprechen, den ärztlichen Heileingriff am Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu messen (s. o. I.); § 223 StGB würde dann als weiteres Schutzgut das allgemeine Persönlichkeitsrecht über die körperliche Integrität aufnehmen, welches bei ärztlichen Eingriffen gegen den Willen des Patienten zum Tragen käme.917 Die Ahndung der selbstmächtigen Heilbehandlung als Körperverletzung im Sinne des Strafrechts wäre auch in diesem Fall durch ein verfassungsrechtliches Gut hinreichend legitimiert.918 Die vorstehend skizzierte Diskussion unterliegt einem grundlegenden Mißverständnis. Nach der überwiegenden Auffassung ist ein negatives Einwirkungsrecht auf den eigenen Körper nicht in Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG, sondern nur von der allgemeinen Handlungsfreiheit oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gewährleistet.919 Leben und körperliche Unversehrtheit werden deshalb beide als „objektivierte Schutzgüter“ aufgefaßt, die keine freie Selbstbeeinträchtigung 917 Abgesehen von diesen Einwänden kann der Verweis auf die Rechtsprechung des BGH ohnehin nicht maßgeblich sein, weil das Strafrecht als einfaches Gesetz nicht die Leitlinie für die Auslegung der Verfassung sein kann, so daß auch die strafgerichtliche Rechtsprechung zur Körperverletzung nicht als Auslegungsmaßstab für die Interpretation der körperlichen Unversehrtheit im Grundgesetz in Betracht kommt, so auch Niestroj, 1983, S. 57; letztlich auch Roellecke, 1976, S. 336 (338). 918 Die Erweiterung des Schutzgutes des § 223 StGB über die Funktionsfähigkeit des Körpers auch auf die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist mit der weiten Auslegung des Begriffs der Körperverletzung ohnehin bereits ständige Rechtsprechung. Der Einwand der Strafrechtswissenschaft, daß damit die Rechtsprechung unter Verstoß gegen Art. 102 Abs. 2 GG den Wortlaut des § 223 StGB überschreitet, ist m.E. nicht zwingend. Ausreichend für eine Körperverletzung ist nach dem Wortlaut des § 223 StGB nicht nur die „Gesundheitsschädigung“, sondern auch eine „körperliche Mißhandlung“. Es hat allerdings erniedrigenden und mithin mißachtenden Charakter, wenn sich ein Arzt das Recht zuspricht, die körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht seines Patienten nicht beachten zu müssen, vgl. auch Eser, ZStW 97 (1985), S. 1 (4 ff. u. 17 f.). Der Begriff „körperliche Mißhandlung“ läßt es seinem Wortlaut jedenfalls zu, in seinen Tatbestand auch Mißachtungen aufzunehmen, die im Wege der Verletzung der körperlichen Integrität erfolgen (a.A. die h. L. LK-Hirsch vor § 223 Rn. 3 ff.; vgl. die differenzierenden Positionen von Sch / SchEser, § 223 Rn. 31 ff.; Knaur, 2000, S. 9 (15), die allerdings zumindest eine Beeinträchtigung der körperlichen Substanz verlangen. Strafrechtsdogmatisch möglich erscheint mir, daß mit dem Einverständnis in die Heilbehandlung die Körperverletzung bereits tatbestandlich entfällt, weil der Arzt seinen Patienten dann nicht mißhandelt. Damit wäre dem Unterschied zwischen einem Messerstecher und dem ärztlichen Heileingriff auch tatbestandlich angemessen Rechnung getragen. Ganz im Sinne dieser Ausführungen Tag, 2000, S. 87 ff., 175 ff. u. 441 f. 919 Schwabe, JZ 1996, S. 66 (69).
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erlauben, sondern nur als Abwehranspruch Freiheitsrechte sind (s. u. 7. d).920 Eingriffe in den Körper dürfen danach nicht nur mit der Konsequenz eines fortbestehenden körperlichen Defekts, sondern auch der des unvermeidlichen Todeseintritts abgelehnt werden. In der Abwehrrichtung gegenüber Eingriffen in die körperliche Integrität sind damit beide Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gleichlaufend, da sie insofern ein Verfügungsrecht über die körperliche Unversehrtheit wie auch das eigene Leben sind. Doch ergeben sich möglicherweise durch die Verlagerung der negativen Einwirkungsfreiheit auf die körperliche Unversehrtheit in den Art. 2 Abs. 1 GG sytematische Widersprüche im Art. 2 GG. Das den Art 2 Abs. 2 S. 1 GG unmittelbar umgebende Normgefüge fällt durch die doppelte Betonung der Freiheit auf – einmal im Abs. 1 als freie Entfaltung der Persönlichkeit, dann im Abs. 2 S. 2 als Freiheit der Person im Sinne ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit. Der Abs. 2 zeichnet sich durch einen einheitlichen Bezug auf die menschliche Körperlichkeit aus: dem körperlichen Dasein (Leben), dem körperlichen „Sobeschaffensein“ und dem körperlich-räumlichen „Bewegungsfreisein“921. Abs. 1 hat dagegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit und damit primär die geistig-sittliche Persönlichkeit zum Gegenstand.922 Die durch den Normtext des Art. 2 GG nahegelegte klare systematische Unterscheidung nach der menschlichen Körperlichkeit im Abs. 2 einerseits und seiner geistig-sittlichen Persönlichkeitsentfaltung im Abs. 1 (als Auffanggrundrecht zu den nachfolgenden Grundrechten des Art. 2) andererseits hat nun aber bedingt durch die Verengung des Abs. 2 S. 1 auf einen bloßen Integritätsschutz dazu geführt, im Abs. 1 den nicht abweisbaren Freiheitsanspruch des Menschen auch im Bereich seiner Körperlichkeit aufzunehmen. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung923 und Transsexualität,924 die Einsichtnahme in die Krankenunterlagen,925 die Sterilisation926 und auch die Schwangerschaft927 wurden deshalb trotz ihrer eminenten Körperlichkeit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zugeordnet.928 Besonders bezeichnend für diese Verlagerung des körperlichen Schutzbereichs ist das Gewicht, das den Selbstbestimmungen über den eigenen Körper durch die Zuweisung an das allgemeine Persönlichkeitsrecht zukommt. Der Bedeutung der persönlichen Entscheidung über die eige920
hin. 921 922 923 924 925 926 927 928
Hierauf weist im Zusammenhang dieser Diskussion zutreffend Günzel, 2000, S. 55 ff., AK2-Podlech, Art. 2 Rn. 4; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II. Rn. 1. Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 9. BVerfGE 47, 46 (73 f.). BVerfGE 49, 286 (298) ; 60, 123 (132). BVerwGE 82, 45 (48). BGH NJW 1995, S. 2407 (2409). BVerfGE 88, 203 (254). Zur Kritik siehe auch Koppernock, 1997, S. 57 f.
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ne Körperlichkeit scheint doch erst ihr verstärkter Schutz im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und nicht ihre Bewertung als allgemeine Handlungsfreiheit gerecht zu werden.929 Nun hat aber das BVerfG den Schutz der menschlichen Integrität in geistig-persönlicher Beziehung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Grundsätze, die es zum Schutz der körperlichen Integrität entwickelt hat, zunächst konstruiert.930 Die Verlagerung der körperlichen Integrität in den Schutzbereich der geistig-seelischen Integrität des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann damit nur allein dem Zweck dienen, auch Formen der Selbstbestimmung über seinen Körper als Freiheitsbetätigungen des Art. 2 Abs. 1 anzusehen, ohne ihnen aber den verstärkten Schutz vor staatlicher Fremdbestimmung, wie er im Abs. 2 gewährleistet ist, zu nehmen. Aus alledem läßt sich nur der Schluß ziehen, daß es nicht nur systematisch klarer, sondern auch dogmatisch konsequenter wäre, der vom Normtext des Art. 2 GG vorgegebenen sachlichen Unterscheidung zwischen der körperlichen Dimension des Menschen in Abs. 2 und der geistig-persönlichen Funktion in Abs. 1 durch die Interpretation des Abs. 2 auch als negatives Freiheitsrecht Rechnung zu tragen, so daß keine Verlagerung der Freiheitsdimension über den eigenen Körper in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgen müßte. Im Ergebnis sprechen damit die „Einrahmung“ des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch die unbestrittenen Freiheitsrechte in seinem unmittelbaren Kontext und die Bemühungen der Rechtsprechung, auch der körperlichen Integrität indirekt negative Freiheitsgewährleistungen zukommen zu lassen, dafür, Art. 2 GG in seiner Gesamtheit als umfassendes Freiheitsrecht – geistig-seelisch wie auch körperlich – anzusehen.
b) Tabuisierung der Tötung in Art. 102 GG? Nach Roellecke hat das Grundgesetz den „Tod“ überhaupt durch die Abschaffung der Todesstrafe tabuisiert.931 Dieser Auffassung wird man allerdings allein schon den Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG vorhalten können.932 Zudem wird in Art. 102 GG nicht die Tötung und insbesondere nicht die Selbsttötung, sondern die Todesstrafe als eine besondere Form der Tötung untersagt.933
929 Die Verbindung von Art. 2 Abs. 1 mit Art. 1 Abs. 1 hat tendenziell eine Verstärkung des Schutzes zur Folge, vgl. Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 63, 103 ff. 930 BVerfGE 27, 344 (351); Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 61. 931 Roellecke, 1977, S. 336 (338); ebenso Bade, 1988, S. 121. 932 Zu weitgehend deshalb auch Günzel, 2000, S. 58: „[ . . . ], daß dem Staat eine Verfügungsmacht über das Leben einzelner generell verwehrt sein soll.“ 933 Vgl. Sachs-Degenhart, Art. 102 Rn. 1 f.; a.A. Seitz, ZRP 1998, S. 417 (418): „Nicht einmal durch Verfassungsänderung könnte deshalb wohl eine staatliche Mitwirkung an Lebensbeendigungen eingeführt werden.“
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Ob die Todesstrafe zudem einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt,934 kann vorliegend dahinstehen; sie zeichnet sich jedenfalls dadurch aus, daß sie als Sanktion jeden Bezug zum Täter verliert. Die Todesstrafe kann als Strafzweck nur noch die Generalprävention oder den Gedanken der Rache verfolgen.935 Damit wird aber das Leben des Täters zugunsten der Abschreckung anderer geopfert und ihm jede Chance auf Resozialisierung und damit auf Integration in die Anerkennungsgemeinschaft abgesprochen.936 Bei der Selbsttötung oder der Tötung auf Verlangen ist dagegen eine negative Freiheitswahrnehmung durch oder im Auftrag des Trägers des Lebens nicht per se ausgeschlossen. Aus dem Verbot der Tötung als Sanktion des Strafrechts ergeben sich damit keine Hinweise für eine Verneinung des Rechts auf Suizid (oder der Tötung auf Verlangen) im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. c) Widerspruch zu den Grundpflichten in Art. 6 Abs. 1 u. 2 und 12a GG? Gegen ein Recht, über sein Leben zu verfügen, wird weiterhin aus systematischen Gründen auf die Pflicht der Eltern in Art. 6 Abs. 2 GG zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder und die Verpflichtung von Männern ab dem vollendeten achtzehnten Lebensjahr zum Wehr- oder Zivildienst in Art. 12a GG verwiesen.937 „Diesen Inpflichtnahmen würde ein Recht der Bürger widersprechen, sich selbst zu vernichten.“938 Nun wurde bereits gezeigt, daß der Verweis auf verfassungsrechtliche Grundpflichten nicht geeignet ist, eine allgemeine Grundpflicht zum Leben zu begründen (s. o. § 9 VIII. 4. d). Entsprechend können dann aber auch einzelne Grundpflichten nicht zur verfassungsunmittelbaren Begrenzung des Lebensrechtes auf ein bloßes Abwehrrecht führen.939 Möglich und nicht gänzlich ausgeschlossen sind dann nur noch Grundrechtskollisionen zwischen dem Recht auf Suizid und den davon betroffenen Grundrechten Dritter (echte Grundrechtskollisionen)940 oder anderweiti934 Einen Verstoß gegen die Menschenwürde bejahend Sachs-Degenhart, Art. 102 Rn. 8; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 102 Rn. 18; differenzierend Maunz / Dürig / Herzog / ScholzScholz, Art. 102 Rn. 11 f.; u. 29 ff. 935 Siehe Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Scholz, Art. 102 Rn. 11. 936 Hohmann, Jura 2000, S. 285 (292). BVerfGE 45, 187 (245): „[ . . . ] denn der Kern der Menschenwürde wird getroffen, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben muß.“ 937 Roellecke, 1977, S. 336 (338). 938 Roellecke, 1977, S. 336 (338). 939 Im Ergebnis ebenso Fink, 1992, S. 120 ff. 940 Nach der hier vertretenen Auffassung können Grundpflichten Dritte begünstigen, aber nicht berechtigen, so daß nur unechte Grundrechtskollisionen in Betracht kommen dürften, wobei allerdings ein Schutzpflichtanspruch des Begünstigten gegenüber dem Staat in Betracht kommen kann; vgl. auch T. I. Schmidt, 1999, S. 83 ff.
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gen Verfassungsrechtsgütern bzw. -pflichten (unechten Grundrechtskollisionen).941 Diese Kollisionen sind allerdings im Sinne der praktischen Konkordanz durch einen angemessenen Ausgleich aufzulösen.942 Abzuwägen ist danach anhand der einzelnen Kollisionslage, die bei einem Vater im gesunden und wehrfähigen Alter anders ausfällt als bei einem sterbenden Patienten ohne Kinder und Ehepartner, der die letzten Wochen eines qualvollen Sterbens vermeiden möchte. Da bei letzterem eine Grundpflicht, die eine Leistung einfordert, zu der er herangezogen werden könnte,943 nicht in Betracht kommt, sind die Inpflichtnahmen nicht geeignet, ein Recht auf Suizid per se zu verdrängen. Diese Fallkonstellation wird man sogar in dem hier zu behandelnden Bereich der Sterbehilfe als den Normalfall ansehen müssen. Aus systematischen Gründen können damit einzelne andere Grundpflichten nicht zu einem generellen Ausschluß einer negativen Handlungsfreiheit im Bereich des Lebensrechtes führen. 5. Verstoß gegen die Menschenwürde Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen hat nach der Rechtsprechung des BVerfG seine Unverfügbarkeit zur Folge.944 Aus diesem Grund kann nach verbreiteter Auffassung keiner über seine Menschenwürde frei disponieren oder auf sie verzichten.945 Entsprechend wird man dann aber auch eine Freiheitsdimension in einem Grundrecht ablehnen müssen, wenn damit die Verletzung der Menschenwürde garantiert werden sollte. Auf die Verletzung der eigenen Würde kann kein Grundrechtsanspruch bestehen.946 Nur wird man hier den Autonomiegedanken der Menschenwürde im Auge behalten müssen (s. o. § 7 VII. 4. c). „Was als aufgezwungene staatliche Maßnahme gegen die Menschenwürde verstößt, kann als freiwillige Bindung gerade Ausdruck dieser Würde sein.“947 Andererseits garantiert die Menschenwürde jedoch nicht nur den Achtungsanspruch des von einer Handlung unmittelbar Betroffenen, sondern auch den Achtungsanspruch Dritter, die darin durch ein bestimmtes Verhalten verletzt werden können.948 So für echte Grundrechtskollisionen zutreffend Bottke, GA 1982, S. 346 (353). Stern, III / 1, § 82 II. 4 c, S. 625 ff. 943 Anders mag dies für die Steuerpflicht sein, wenn sein Vermögen noch Einkünfte erzielt; Unterlassungspflichten (Friedensgebot u. ä.) können durch die eigene Tötung ohnehin nicht verletzt werden. 944 BVerfGE 45, 187 (229). 945 AK3-Podlech, Art. 1 I Rn. 71; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 I Rn. 22. 946 Insoweit zutreffend Enders, 1997, S. 366 f.; Czerner, MedR 2001, S. 354 (356). Das zu klärende Problem ist allerdings, inwieweit selbstbestimmtes Verhalten überhaupt die eigene Würde verletzen kann. 947 Robbers, JuS 1985, S. 927 (929); auch Geddert-Steinacher, 1990, S. 87. 948 Sexistische Bilder müssen deshalb nicht allein darum im öffentlichen Raum zugelassen werden, weil die darauf abgebildete Frau mit der Bildaufnahme einverstanden war. Das Ver941 942
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Entsprechend den unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs der Menschenwürde lassen sich drei Typen von Begründungen unterscheiden, mit denen eine Verletzung der Menschenwürde durch den Suizid belegt werden soll: (a) Objektbehandlung, (b) biologistischer Ansatz und (c) objektiv aufgegebene Menschenwürde. a) Objektbehandlung Die klassische Verneinung eines Rechts auf Suizid hat Kant in der Anwendung der Zweck-an-sich-Formel gegeben: „Das Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist eben so viel, als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, so viel an ihm ist, aus der Welt vertilgen, welche doch Zweck an sich selbst ist; mithin über sich als bloßes Mittel zu ihm beliebigen Zweck zu disponieren, heißt die Menschheit in seiner Person (homo noumenon) abwürdigen, der doch der Mensch (homo phaenomenon) zur Erhaltung anvertrauet war.“949
Wilms / Jäger haben diese Argumentation aufgegriffen. Nach ihrer Auffassung widerspricht die Selbsttötung dem kategorischen Imperativ in der Zweck-an-sichFormel: „Die Selbsttötung widerspricht diesem Gebot [die Menschheit in der eigenen Person wie auch in der Person eines jeden anderen immer zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel zu gebrauchen, J.A.]. Zweck des Menschen ist es zu existieren.“950
Auf die Schwierigkeiten der Zweck-an-sich-Formel wurde bereits hingewiesen (s. o. § 7 I.). Die vorstehende Argumentation mit dieser Formel kann nicht überzeugen. Tatsächlich weist sie nicht eine eigene bloße Mittelbehandlung, sondern nur die Verletzung eines vorgegebenen Zwecks aus. Bei Kant ist es die Sittlichkeit951 bzw. die dazu an dieser Stelle synonym gefaßte Menschheit in der eigenen bot der Verbreitung kann u. U. auch mit der Verletzung des Achtungsanspruchs nicht abgebildeter Personen begründet werden, die von der Art der Darstellung (als Gruppe) herabgewürdigt werden, vgl. auch BVerfGE 87, 209 (228 f.). 949 Kant, 1968 (1797), AA VI., S. 423. 950 Wilms / Jäger, ZRP 1988, S. 41 (45), die allerdings zu Recht feststellen, daß Kant das Verbot des Suizids nur als Tugendpflicht gegenüber sich selbst, nicht als erzwingbare Rechtspflicht behandelt. Nach Wilms / Jäger kann es deshalb kein rechtliches Verbot des Suizid geben; ob umgekehrt der Suizid aufgrund seines Verstoßes gegen die eigene Menschenwürde vom Grundgesetz her kein Gegenstand eines Rechtsanspruchs sein kann, lassen Wilms / Jäger, a. a. O., dagegen offen. 951 Genau genommen gelingt Kant auch nicht der Nachweis eines Verstoßes gegen die Sittlichkeit. Wer sich selbst tötet, beendet zunächst nur ein sittliches Dasein. Darin liegt aber nicht zwingend ein Verstoß gegen das Gebot, ein menschliches Leben sittlich zu führen, weil es nicht ausgeschlossen ist, daß die Sittlichkeit sowohl die Beendigung wie die Fortsetzung des eigenen Lebens gebietet. Kant verwechselt deshalb die Sittlichkeit „ihrer Existenz nach“ mit der Sittlichkeit „ihrem Begriff oder auch ihrer Idee nach“; Jakobs, 1998, S. 10. Siehe auch Birnbacher, 1990, S. 395 (399 f.) und bereits Schopenhauer, 1986 (1841), § 5, S. 653 f.
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Person,952 bei Wilms / Jäger ist es die Existenzpflicht, gegen die verstoßen wird. Beides entspricht allerdings nicht der Vorstellung von der Menschenwürde als Selbstzweck, wenn dem Menschen sein letzter Zweck gegen seine eigene sittliche Selbstbestimmung übergeordnet wird. Es ist in der Grundrechtsordnung weder der Zweck des Menschen, die Sittlichkeit der Menschheit zu realisieren, noch ist es seine Pflicht zu leben.953 Eher geeignet scheint die Anwendung der Zweck-an-sich-Formel von Kant in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten zu sein: „Wenn er [der Selbstmörder, J.A.], um einen beschwerlichen Zustande zu entfliehen, sich selbst zerstört, so bedient er sich einer Person bloß als eines Mittels zur Erhaltung eines erträglichen Zustandes bis zu Ende des Lebens. Der Mensch aber ist keine Sache, mithin nicht etwas, das bloß als Mittel gebraucht werden kann, sondern muß bei allen seinen Handlungen jederzeit als Zweck an sich selbst betrachtet werden. Also kann ich über den Menschen in meiner Person nichts disponieren, ihn zu verstümmeln, zu verderben, oder zu tödten.“954
In dieser Formulierung läßt sich die Selbsttötung als Verstoß gegen die Würde der eigenen Person auffassen. Diese Argumentation läßt sich nun leicht auf Dürigs Objektformel übertragen. Wer sich selbst tötet, behandelt sich nur noch als Objekt und nicht mehr als Subjekt seines Willens, weil er mit der Tötung auch sich selbst als Subjekt zerstört.955 Nur ist diese Position zumindest dann widersprüchlich, wenn dagegen beim Märtyrertod oder der Rettung von Kindern aus einem brennenden Haus die Opferung des eigenen Lebens für zulässig gehalten wird.956 Denn das Subjekt der Handlung wird in diesen Fällen zur Realisierung von höheren Zielen oder den Interessen Dritter vernichtet; mithin wird das Leben als Mittel zur Realisierung eines nicht mit dem Selbstzweck des Subjekts übereinstimmenden Zwecks eingesetzt.957 Wenn dieser Einsatz des Lebens trotzdem anerkannt wird, 952 Bezeichnend deshalb auch, daß Kant, 1968 (1797), AA VI., S. 423 ff., die freiwillige Organspende (S. 423), den empfängnisverhüteten Geschlechtsverkehr (S. 424 f.), die Trunkenheit – und nicht nur die auf dem Kutschbock – (S. 427), die Lüge (S. 429 f.), den Geiz (S. 432 f.) und die Kriecherei (S. 434 ff.) in gleicher Weise als Verstoß gegen die eigene Menschenwürde ansieht. 953 Siehe bereits oben zur Lebenspflicht § 9 V. 4. d; auch die berechtigte Kritik von Hoerster, ZRP 1988, S. 185 f., an Wilms’ / Jäger’s, ZRP 1988, S. 41 (45) Behauptung „Zweck des Menschen ist es zu leben“. 954 Kant, 1968 (1785), AA IV, S. 429, auch S. 421 f. Ebenso Spaemann, 1997, S. 12 (19); ähnlich Roellecke, 1977, S. 336 (339 f.). 955 Ähnlich die Auffassungen, die ein Recht auf Suizid in Art. 2 Abs. 1 GG ablehnen, weil dadurch nicht die eigene Persönlichkeit entwickelt, sondern zerstört wird (s. u. Fn. 966). 956 Nach Dürig, Art. 2 II Rn. 12 d, ist der Verzicht auf das eigene Lebensrecht rechtsbeachtlich, wenn es zur Rettung anderer Leben erfolgt. Siehe auch die christliche Einstellung zum Märtyrertod, dem als Zeugnis des Glaubens eine hohe und positive Würdigung zuteil wird; vgl. Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 2. 957 Für Kant ist allerdings entscheidend, daß der Mensch den Zweck der Menschheit verfolgt, also um der Sittlichkeit willen handelt. Um den Selbstzweck eines einzelnen Menschen
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dann deshalb, weil es dem Menschen möglich ist, fremde Interessen und Ziele zu seinen eigenen zu machen. Deshalb ist seine Selbstopferung auch keine Objektbehandlung, sondern Ausdruck dessen, daß der Mensch nicht in seiner Leiblichkeit aufgeht und aufgrund seiner Freiheit fähig ist, seinen eigenen Körper, sein Leben zugunsten höherer Ziele einzusetzen. Da er sein Leben als Person freiwillig und nach eigener Zielsetzung hingibt, hat er als Subjekt und nicht an sich selbst als Objekt gehandelt. Nichts anderes muß dann aber für den Suizid gelten. Wer das zu erwartende Leben mit dem sofortigen Tod vergleicht und zu dem Schluß kommt, daß es seinen Interessen und Zielen mehr entspricht, nicht zu leben, hat sich als Subjekt für seinen Tod entschieden. Er verfolgt damit ebenso wie der Märtyrer als Person ein selbstbestimmtes Ziel bzw. Zweck, so daß eine Objektbehandlung seiner selbst im Suizid nicht gegeben ist.958 Die Objektformel kann damit ebensowenig wie die Zweck-an-sich-Formel im Suizid einen Verstoß gegen die Menschenwürde begründen. Auch ohne einem makabren Freitodpathos zu huldigen, wird man die nur beim Menschen gegebene Fähigkeit zur Selbsttötung als radikalsten Ausdruck seiner Freiheitsfähigkeit auffassen müssen.959 Den Suizid als Objektbehandlung seiner selbst zu charakterisieren, verkehrt dieses Geschehen in sein Gegenteil.960
b) „Biologistische“ oder Eigenwert-Argumentation Der oben herausgestellte enge Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Leben (s. o. § 7 VIII. 4.) hat nach einer verbreiteten Auffassung zur Folge, daß ein Recht auf Suizid nicht anerkannt werden kann.961 Die Menschenwürde besteht nach dieser Ansicht in der Anerkennung eines jedem Menschen zukommenden Eigenwertes, der menschlicher Verfügungsmacht entzogen ist.962 Wegen der Unantastbarkeit der menschlichen Würde könne dann auch dem Träger dieses Wertes nicht das Recht zustehen, willkürlich über diesen Wert durch Vernichtung des eigenen Lebens zu verfügen.963 geht es dann gerade nicht. In der Objektformel von Dürig soll dagegen nicht der einzelne Mensch zugunsten einer höheren Sittlichkeit der Menschheit instrumentalisiert werden, sondern als Subjekt geachtet werden, vgl. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 1 Rn. 17 ff. u. 28. 958 Siehe auch Birnbacher, 1990, S. 395 (403): „Es kann deshalb nicht sein, daß der Selbstmörder, indem er sich als Mittel gebraucht, sich als bloßes Mittel gebraucht.“ 959 Dusik, 1976, S. 101; vgl. auch Luhmann, AöR 80 (1965), S. 257 (269). 960 Daß in einer Gesellschaft der Mitmenschlichkeit der Suizid im Normalfall Ausdruck eines schweren Versagens ist, soll damit nicht übersehen werden. Nur ist der Suizid auch eine letzte Form der Ich-Leistung, durch den sich der Betroffene mit seiner Umwelt auseinandersetzt, siehe Klessmann, Pastoraltheol. 90 (2001), S. 39 (46 f. m. w. N.). 961 H. Otto, 1986, D 17 f.; Czerner, MedR 2001, S. 354 (356). 962 H. Otto, 1986, D 17. 963 H. Otto, 1986, D 18.
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Erstaunlich ist an dieser Argumentation zunächst, wie der „Eigenwertcharakter“ der Menschenwürde in einen objektiven Wert transformiert wird. Während zunächst der Mensch um seiner selbst willen geschützt werden sollte,964 vollzieht sich hier eine Reduktion auf den Schutz des Lebens um seiner selbst willen. Das Mißverständnis dieser Ansicht hat seinen tieferen Grund in dem Verständnis von Menschenwürde als substantiellen Wert, der mit dem Leben gleichgesetzt wird, weshalb über dieses Leben auch von keinem verfügt werden darf. Menschliche Würde als ontologische Werteigenschaft verstanden, kommt damit zwar den Individuen als ihren „Trägern“ zu, neigt aber zur Verobjektivierung dieses Wertes, der dann gegen die Interessen und Bedürfnisse der Individuen gerichtet werden kann.965 Das Ableitungsverhältnis von Menschenwürde und Leben ist dagegen genau umgekehrt. Die Menschenwürde ist als relationale Kategorie Ausdruck der Mitmenschlichkeit und hat den Schutz der Bedingung der Möglichkeit von Autonomie zum Ziel (s. o. § 7 VII. 4. c). Zu diesen Bedingungen gehört der Schutz des Lebens. Damit steht das Leben im dienenden Verhältnis zur Autonomie. Die Autonomie wird nicht um des Lebens willen eingeräumt. Das Begründungsverhältnis wird auf den Kopf gestellt, wenn die autonome Selbstbestimmung über das eigene Leben wegen des Wertes des Lebens eingeschränkt werden soll. Der hier vorgestellte spezifische Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Lebensrecht spricht damit nicht für ein Verfügungsverbot, sondern umgekehrt für ein Verfügungsrecht über das eigene Leben. Trotzdem scheint folgender Einwand damit noch nicht hinreichend widerlegt zu sein: Da das menschliche Leben Bedingung für die Wahrnehmung aller weiteren Grundrechte und auch der Menschenwürde sei, könne die Menschenwürde nicht die Vernichtung des eigenen Lebens zulassen, ohne sich selbst zu verletzen.966 Daß die physische Existenz Voraussetzung für die Ausübung der Grundrechte und damit von Autonomie überhaupt ist, ist zweifellos richtig. Warum allerdings die Garantie eines Rechts ihren Träger auch dazu zwingt, die Voraussetzungen dieses Rechts zu bewahren, ist damit nicht belegt. Wer sich gegen sein Leben entscheidet, wohlweislich, daß er damit die Ausübung aller weiteren Grundrechte und die zukünftige Ausübung von Autonomie verhindert, verletzt deshalb nicht seine Autonomie, sondern nutzt sie nur in einer zwar endgültigen, aber doch immer noch selbstbestimmten Weise.
Vgl. BVerfGE 88, 203 (252). U. Neumann, 1998, S. 51 (61); siehe auch ders., 1991, S. 248 (259). 966 Paulduro, 1992, S. 165. Ähnlich auch die Argumentation, mit der ein Recht auf Suizid im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG abgelehnt wird: Der Selbstmörder entfalte seine Persönlichkeit nicht, sondern vernichte sie, vgl. LK-Jähnke, vor § 211 StGB Rn. 22; Chong, 1998, S. 226; a.A. Wagner, 1975, S. 91; Ostendorf, 1983, S. 103, die zutreffend darauf hinweisen, daß auch das ,Ob‘ eine Form der Selbstbestimmung ist, durch die sich die Persönlichkeit handelnd bestimmt. 964 965
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c) Objektiv aufgegebene Menschenwürde Der freiwillige Suizid begründet nach alledem keinen Verstoß gegen die Würde des Betroffenen selbst. Es wurde allerdings gezeigt, daß die Menschenwürde weiterhin eine objektiv-rechtliche Wirkung dahingehend besitzt, daß ihr auch solche Verhaltensweisen widersprechen, die den Achtungsanspruch Dritter in Frage stellen. Einem Verhalten, das „den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt“, muß die rechtliche Anerkennung versagt bleiben.967 Wenn kleinwüchsige Menschen sich zur Belustigung des Publikums zum „Weitwurf“ zur Verfügung stellen, dann kann diesem Verhalten Ausstrahlungswirkung auf den Achtungsanspruch von anderen behinderten Menschen zukommen.968 Zu weit gehen allerdings die Auffassungen, die ohne Bezug auf Dritte der Menschenwürde einen objektiven Gehalt von zu erfüllender Sittlichkeit beigeben wollen (s. o. § 7 VIII. 1.).969 Würde ist immer zurückzubinden, auf die eigene Subjektstellung oder die der Mitmenschen. Dem Suizid fehlt die Mißachtung gegenüber der Subjektstellung oder dem Lebensrecht anderer Menschen. Der Selbstmörder gibt nur seinem Urteil über sein eigenes Leben Ausdruck. Anders als beim „Zwergenweitwurf“ wird damit keine gesellschaftliche Gruppe in ihrem Wert als minderwertig herausgehoben. Das Recht zur Selbsttötung impliziert auch kein Recht zur Tötung anderer Menschen.970 Ein derartiger Schluß von Rechten über sich selbst zu Verfügungsrechten über andere wird auch bei anderen Freiheitsrechten von keinem vertreten, kann dann auch nicht ernsthaft als Argument gegen ein Recht auf Suizid eingebracht werden. Aus dem Recht auf Ehe und Familie folgt ebensowenig eine Vermutung, andere Menschen in die Ehe mit jemanden zwingen zu können, wie aus dem Recht auf Eigentum ein Recht auf Diebstahl geschlossen werden kann. Eine Mißachtung der Würde der Mitmenschen ist deshalb dem Suizid nicht eigen.971 Ein Menschenwürdeverstoß des Suizids läßt sich unabhängig von einer konkreten Mißachtung von Würde dann nur noch mit einer objektiv aufgegebenen Menschenwürde begründen.972 Man könnte an die Verfassungserwartung973 denken, Vgl. BVerfGE 12, 1(4); 75, 369 (380); 87, 209 (228 f.); Enders, 1997, S. 366 f. Siehe z. B. Huster, NJW 2000, S. 3477 (3478); Schmitt Glaeser, ZRP 2000, S. 395 (40 ff.). 969 Zu weitgehend deshalb auch BVerwGE 64, 264 (278 ff.); Enders, 1997, S. 368 ff.; Huster, NJW 2000, S. 3477 (3478). Näher bereits oben § 9 V. 1. 970 So aber Kant, 1924, S. 189: „[ . . . ] wer es schon so weit gebracht hat, daß er jedesmal ein Meister über sein Leben ist, der ist auch Meister über jedes anderen sein Leben [ . . . ].“ 971 Man wird auf die Fallkonstellation abstellen müssen. Anders wäre es z. B. zu beurteilen, wenn ein Fernsehsender unter dem Titel „Nutzlose Existenzen werden reich“ mit Sozialhilfeempfängern in einer Quizshow ,Russisch Roulette‘ spielte. 972 Isensee, HStR V., § 111 Rn. 115. 973 Siehe hierzu Isensee, HStR V., § 115 Rn. 222 ff. 967 968
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daß sich der Bürger nicht durch Suizid der Gemeinschaft entziehen soll. Sollen damit aber nicht moralische Vorstellungen einer bestimmten Zeit über den Menschenwürdeartikel festgeschrieben werden, fallen Begründungen schwer, die mit dem Autonomieanspruch in Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar sind. Einen solchen Versuch, den Suizid als Verstoß gegen das Prinzip gegenseitiger Achtung zu erweisen, unternimmt Schittek.974 Die Menschenwürde beruhe „auf der grundsätzlichen und vom Willen unabhängigen Anerkennung der Freiheit des Subjekts Mensch als freier Person.“ Schittek transformiert den individuellen Charakter der Menschenwürde in einen solchen der Gattung: „Menschliches Leben bedarf der Existenz des Nächsten auch als Vorgabe für das Überleben der Menschheit schlechthin. Die Würde des Menschen [ . . . ] schützt damit nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch seine Gattung. [ . . . ] Die Subjektstellung steht daher niemandem zur Disposition, sie ist vielmehr seinem Willen vorgegeben. Wer immer sie verletzt, verletzt daher die öffentliche Ordnung der menschlichen Gemeinschaft und deren Prinzip gegenseitiger Achtung.“975
Schitteks Auffassung, die Menschenwürde habe das Überleben der Menschheit schlechthin zum Gegenstand, kann eine kommunikative Interpretation der Menschenwürde teilweise zustimmen (s. o. § 7 VII. 4. c). Der Verfassungsauftrag in Art. 1 Abs. 1 GG als Konstitutionsprinzip richtet sich auch auf die Erhaltung der realen Kommunikationsgemeinschaft in zukünftigen Generationen. Von dieser Seite der öffentlichen Autonomie kann aber nicht unmittelbar auf einen Verpflichtungsgehalt individueller Autonomie geschlossen werden, da anderenfalls auch das Recht auf Ehe keinen Nichtgebrauch dulden dürfte.976 Das Ziel, ein Überleben der zukünftigen Generation zu sichern, liegt vielmehr in der Gesamtverantwortung aller und muß nicht zwingend individuelle Autonomie im Bereich von Ehe und Familie ausschließen. Die Sicherung des Instituts von Ehe und Familie977 gelingt dem Staat auch durch familienfreundliche Rechtsgestaltung und insbesondere finanzielle Förderung.978 Die Verneinung eines Rechts auf Tötung des eigenen Lebens ist in gleicher Weise weder normativ noch aus praktischen Gründen erforderlich, um auch zukünftig eine reale Diskursgemeinschaft zu sichern. Damit entfällt das Argument, mit dem Schittek meinte, im Suizid einen Verstoß gegen das Prinzip gegenseitiger Achtung erweisen zu können.
Schittek, BayVBl. 1990, S. 137 ff. Schittek, BayVBl. 1990, S. 137 (138). 976 Nach zutreffender Auffassung schützt Art. 6 Abs. 1 GG auch die Entschließungsfreiheit, keine Ehe einzugehen, siehe Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 641; Kingreen, Jura 1997, S. 401 (402); v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 57; a.A. BVerfGE 56, 363 (384), nur durch Art. 2 Abs. 1 GG. 977 Vgl. v. Münch / Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 12 ff. 978 Siehe auch Isensee, HStR V., § 115 Rn. 262, zur Förderung von Verfassungserwartungen, ohne die grundrechtlichen Freiheiten aufzuheben. 974 975
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Mithin ist festzuhalten, daß mit der h.A. der Suizid keinen Verstoß gegen die Menschenwürde begründet.979 Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG widerspricht damit nicht einem Recht auf negative Selbstbestimmung über das eigene Leben. 6. Struktur der Freiheitsrechte Es wurde darauf hingewiesen, daß der Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 „Jeder hat das Recht auf [ . . . ]“ entsprechend der Auslegung anderer Grundrechtsartikel mit der Formulierung „Recht auf“ eine negative Seite des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nahelegt; genauer, daß eine einheitliche juristische Verwendung dieser Terminologie im I. Abschnitt des Grundgesetzes sich durchgesetzt hat, die allein sprachlich einen entsprechenden Gehalt im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG annehmen läßt. Diese erste Vermutung gilt es zu vertiefen. Im Rahmen der systematischen Auslegung im weiteren Sinne ist zu klären, ob die negative Seite der Freiheitsrechte in anderen Grundrechten aufgrund struktureller Ähnlichkeiten Rückschlüsse auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zuläßt. Bei der Frage nach der negativen Seite der Grundrechte geht es um den gleichrangigen Schutz von Aktivität und Passivität im Schutzbereich eines Grundrechts, d. h., ob und inwieweit darin auch das Unterlassen des grundrechtlich verbürgten Verhaltens oder die Nicht-Inanspruchnahme grundrechtlich gewährleisteter Seinsund Daseinsformen geschützt ist.980 Trotzdessen die negative Seite der Freiheitsrechte weitgehend nur isoliert anhand einzelner Grundrechte festgestellt wird, hat sich diese dogmatische Figur über die Anerkennung der negativen Seite bei der Meinungs-, Religions-, Vereins-, Koalitions-, Versammlungs-, Freizügigkeits-981 und Berufsfreiheit grundsätzlich durchgesetzt.982 Die negative Seite der Grundrechte wird von der h. M. teilweise bereits logischbegrifflich,983 jedenfalls aber doch als freiheitsrechtlich notwendiges Korrelat984 zur jeweiligen positiven Seite gesehen. Freiheit kann nur gegeben sein, wo eine 979 Ebenso BK-Zippelius, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rn. 72 ff.; Papageorgiou, 1994, S. 223 Fn. 368; vgl. auch U. Neumann, 1998, S. 51 (60). 980 Kneihs, 1998, S. 177. 981 BK-Randelzhofer, Art. 11 Rn. 55. 982 Stern-Sachs, III / 1 § 66 II 2, S. 628 ff.; Hesse, 1995, Rn. 288; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 230; Götz, VVDStRL 41 (1983), S. 7(15 f.); Alexy, 1985, S. 197 ff. u. 319 ff.; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 199; Bleckmann, 1997, Rn. 240; und s. o. Fn. 879 bis 887; kritisch Hellermann, 1993, passim. 983 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-R. Herzog, Art. 4 Rn. 54; ders., 1987, Sp. 3112 f.; Alexy, 1985, S. 197 ff. u. 203 ff.; Hesse, 1995, Rn. 288; Stern-Sachs, III / 1 § 66 II 2 b, S. 629. 984 Merten § 144 Rn. 53 ff.; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Scholz, Art. 9 Rn. 88 ff.; Bleckmann, 1997, Rn. 240; Götz, VVDStRL 41 (1983), S. 7 (15 f.); Schnur, VVDStRL 22 (1965), S. 101 (111).
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Alternative besteht.985 Mit der Anerkennung der negativen Seite der Grundrechte sollen Tendenzen abgewehrt werden, das grundrechtliche „Dürfen“ in ein „Müssen“ zu verkehren.986 Geprägt wird diese Position von der Vorstellung, daß die grundrechtlich gewährte Freiheit jedem eine vom Staat unbeeinflußte und unbeeinflußbare Sphäre zu einem beliebigen Handeln zur Verfügung stellt.987 Schutzgegenstand sind deshalb nicht Leitbilder eines rechten Freiheitsgebrauchs, sondern die freie Disposition in der grundrechtlich geschützten Sphäre, die den Nichtgebrauch einschließt.988 Die grundsätzliche Ablehnung dieser grundrechtsdogmatischen Figur, wie sie noch Krüger989 und Hamel990 formulierten, wird nicht mehr vertreten.991 Während diese die Möglichkeit, von einer Freiheit keinen Gebrauch zu machen, nicht als Inhalt von Freiheit anerkennen konnten,992 der Bürger vielmehr von seinen Grundrechten Gebrauch zu machen habe,993 verneint Hellermann in seiner Monographie zu diesem Thema zwar eine sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, der Sache nach bejaht er aber die Gewährleistung des Nichtgebrauchs von Grundrechten über Art. 2 Abs. 1 GG.994 Strittig ist weniger die negative Freiheitsgewährleistung überhaupt, sondern, ob die letztlich zur Anwendung kommenden Kriterien der Einschränkbarkeit der Nicht-Betätigung dem speziellen Freiheitsrecht oder nur der Schrankentrias der allgemeinen Handlungsfreiheit zu entnehmen sind.995 Es ist durchaus zweifelhaft, ob der Gesetzesvorbehalt zum Schutz des Lebens vor seiner Vernichtung in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG in gleichem Maße für Einschränkungen der Aufgabe des eigenen Lebens zur Anwendung kommen soll.996 Das ist keine Frage Hesse, 1995, Rn. 288. Merten, VerwArch 1982, S. 103(107 ff. u. 116 ff.). 987 Bleckmann, 1997, Rn. 240; Stern-Sachs, III / 1 § 66 II 2 b, S. 629: „[ . . . ] die negative Komponente ist dem Begriff der Verhaltensfreiheit immanent. Auch dies ist bei den Vorarbeiten zum Grundgesetz in aller Klarheit formuliert worden: ,Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen, . . .‘“; vgl. auch Böckenförde, 1976, S. 221 (224 ff.). 988 Vgl. Merten, VerwArch 1982, S. 103 (116 ff.); Hesse, 1995, Rn. 288. 989 Krüger, 1966, S. 538 ff. 990 Hamel, 1971, S. 105 f. 991 Auch Amelung, 1981, S. 29 ff., verneint nur, daß mit jedem Freiheitsrecht bereits logisch auch eine negative Freiheitsausübung gewährleistet sei; ein negatives Freiheitsrecht könne nur im Wege der Interpretation des Einzelgrundrechts festgestellt werden. 992 Hamel, 1971, S. 105: „ ,Bastarderklärung‘ nennt Kant die Ansicht, daß die Fähigkeit, von der Freiheit keinen Gebrauch zu machen, zur Freiheit gehöre.“ Vgl. Kant, 1968 (1797), AA VI., S. 227. 993 Krüger, 1966, S. 543. 994 Hellermann, 1993, passim u. S. 180 ff.; siehe auch BVerfG NJW 1999, S. 3399 (3401), wo selbstschädigende Handlungen der allgemeinen Handlungsfreiheit zugeordnet werden. 995 Hellermann, 1993, S. 227 ff.; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 230; Kneihs, 1998, S. 181 f. 996 Verneinend z. B. Kneihs, 1998, S. 267 f. 985 986
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der Rechtslogik, die unmittelbar aus dem Wortlaut einer Norm oder Funktion der Grundrechte zur Freiheitssicherung überhaupt gefolgert werden könnte.997 Letztlich erfordert dies eine Wertung des Gewichts, das einer Freiheitssphäre auch in negativer Hinsicht zukommen soll.998 Damit ist den Auffassungen zuzustimmen, die zur Feststellung der negativen Seite auf die Interpretation des Einzelgrundrechts verweisen;999 allgemeine dogmatische Erwägungen können nur die grundsätzliche Möglichkeit dieser negativen Seite darlegen. Auf zwei Gesichtspunkte, die eine negative Seite des Grundrechts auf Leben in Frage zu stellen scheinen, ist aufgrund ihres allgemeinen Charakters bereits an dieser Stelle einzugehen. Nach verbreiteter Auffassung beschränkt sich die negative Seite nur auf Handlungsgrundrechte; bei reinen Schutz- bzw. Abwehrrechten komme diese Seite dagegen von vornherein nicht in Betracht.1000 „Abwehrrechte schützen keine Freiheitsbetätigungen und können durch Handlungen nicht ausgeübt werden. So verleiht das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nicht die Befugnis, zu schreiben und zu telefonieren, sondern bietet nur verfassungsrechtlichen Schutz davor, daß in die gesicherten Bereiche anders als nach Maßgabe der Gesetzesvorbehalte eingegriffen wird.“1001
Entsprechend wird vertreten, daß das Leben und die körperliche Integrität keine Handlungen sind, sondern Zustände darstellen, in denen sich jemand befindet und die vor staatlicher Beeinträchtigung bewahrt werden sollen.1002 Die Bestimmung der negativen Freiheitsrechte anhand einer Unterteilung in Handlungsrechte einerseits und Abwehrrechte andererseits ist jedoch kein überzeugender Ansatzpunkt, weil sie im Widerspruch zu der maßgeblichen Begründung der negativen Freiheitssphäre steht. Grundrechte haben nicht die Funktion, spezifische Handlungen zu schützen, sondern von der Verfassung benannte Lebensbereiche als Freiheitssphären in „die autonome, eigenverantwortliche Entscheidungsfähigkeit und -beliebigkeit des Freiheitsträgers“ 1003 zu stellen.1004 Wenn aber die Einräumung bestimmter Schutzzonen1005 prägendes Argument dafür ist, daß Zutreffend Kneihs, 1998, S. 182. Für eine negative Freiheitssphäre spricht es auch, wenn die positive Gewährleistung ohne die negative Gewährleistung Gefahr liefe, ausgehebelt zu werden; vgl. z. B. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Scholz, Art. 9 Rn. 88 ff.; Merten, HStR VI., § 144 Rn. 55. 999 Stern-Sachs, III / 1, § 66 II 2 b, S. 629 f.; Amelung, 1981, S. 27 f. 1000 Merten, VerwArch 1982, S. 103 (103 f.); ders., DÖV 1990, S. 761 (ebda.); ders., HStR VI., § 144 Rn. 53; Hesse, 1995, Rn. 288; Stern, III / 1, § 88 II 2 b, S. 628 ff.; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 230; Schwabe, JZ 1998, S. 66 (69); Günzel, 2000, S. 61. 1001 Merten, VerwArch 1982, S. 103 (ebda.). 1002 Hellermann, 1993, S. 136. 1003 Stern, FamRZ 1976, S. 129 (ebda.). 1004 Merten, VerwArch 1982, S. 103 (104 ff.); siehe auch Kneihs, 1988, S. 183 f. 1005 Merten, VerwArch 1982, S. 103 (105 f.) 997 998
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Handlungsrechte zugleich die Garantie ihrer Nichtbetätigung aufnehmen,1006 dann ist die Gewährleistung individueller Schutzbereiche in gleicher Weise ein starkes Indiz für eine der Dispositionsbefugnis des Bürgers unterliegende Freiheitssphäre, in der er frei ist, „zu tun und zu lassen“1007, wie es ihm beliebt. Entscheidende Frage kann nur sein, ob der sachliche Schutzbereich grundrechtlicher Verbürgung jedes mögliche positive und negative Verhalten in der definierten Freiheitssphäre umfaßt, nicht aber, ob die grundrechtliche Formulierung aktivisch oder auf den Schutzbereich bezogen ist.1008 Der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit läßt sich ohne weiteres als Freiheitssphäre über die körperliche Integrität auffassen, über die aktiv verändernd wie auch passiv bewahrend verfügt werden darf. Handlungsfreiheit im Schutzbereich von Leben und körperlicher Unversehrtheit ist nicht logisch ausgeschlossen. Der zweite allgemeine Einwand gegen eine negative Freiheitsdimension könnte sich ergeben aus der Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG als oberstem Konstitutionsprinzip, das individuelle und öffentliche Autonomie wechselbezüglich verbindet. Die vehemente Ablehnung der negativen Ausübungsfreiheit bei Hamel und Krüger beruht erkennbar in dem Bestreben, den Grundrechten einen demokratischfunktionalen oder objektiv-institutionell geprägten Bedeutungsgehalt zuzuweisen.1009 In gleicher Weise könnte vorgebracht werden, daß die öffentliche Autonomie dann nicht mehr realisiert wird, wenn die individuelle Autonomie nicht ausgeübt wird. Die Verschränkung von öffentlicher und individueller Autonomie spräche mithin dafür, daß von den Grundrechten Gebrauch zu machen sei,1010 anderenfalls drohe die öffentliche Autonomie in Gefahr zu geraten.1011
Merten, VerwArch 1982, S. 103 (104 ff.); Hesse, 1995 Rn. 288. Vgl. den Entwurf zu Art. 2 Abs. 1 im parlamentarischen Rat, JöR 1951, S. 56: „Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen . . . .“ 1008 Kneihs, 1998, S. 184; vgl. auch Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 199. 1009 Hamel, 1971, S. 106: „Freiheit bedeutet sinnvolles Verhalten, sie bedeutet insbesondere Verantwortung für andere tragen.“ Krüger, 1966, S: 538 ff.; hier 538 f.: „Der äußerste verfassungsrechtliche Ausdruck einer solchen staatlichen und gesellschaftlichen Funktionslosigkeit der Grundrechte ist die These, der zufolge ihnen auch die Befugnis innewohnen soll, von der von ihnen umschriebenen Freiheit keinen Gebrauch zu machen. Mit einem solchen Ergebnis verzichtet man darauf, das Sein des Staates theoretisch zu erklären und dessen Verwirklichung als praktische Aufgabe zu stellen [ . . . ]. Es bedarf keiner Worte, um darzutun, daß mit einem solchen Verzicht eine Staatslehre das Wichtigste schuldig bleiben würde, das Erkenntnis und Leben von ihr verlangen dürfen. Hat man aber als erstes das Sein des Staates zu erklären, dann ist es ausgeschlossen, die Grundrechte als Gewährleistung sozialer Funktionslosigkeit des Menschen zu verstehen.“ In der Tendenz ähnlich auch Hellermann, 1993, S. 234 ff. Siehe auch die Überblicksdarstellung bei Merten, VerwArch 1982, S. 103 (109 ff.). 1010 Vgl. Krüger, 1966, S. 543. 1011 Vgl. auch Isensee, HStR V., § 115 Rn. 163 ff., der ein Spannungsverhältnis zwischen individueller Grundrechtsausübung und den Bedürfnissen des Gemeinwesens annimmt, siehe hierzu bereits oben § 9 IV. 4. b. 1006 1007
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Das Gegenteil ist der Fall. Die negative Seite der Freiheitsrechte ist besonders geeignet, das gegenseitige Bedingungsverhältnis von öffentlicher und privater Autonomie zu verdeutlichen. Zunächst ist es widersprüchlich, wenn der freie Diskurs selbst durch Druck erzwungen werden soll. Sehr wohl kann und soll der Staat vom Diskurs gewaltsame Einflüsse fernhalten, sprich die Bedingungen der Meinungsfreiheit und des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses sichern.1012 Etwas anderes ist es, ob die Inanspruchnahme dieses Grundrechts verpflichtend auferlegt wird. Es ist Ausdruck totalitärer Staatsmodelle, dem Individuum beliebige Freiheitssphären vorzuenthalten, um ihn in die Gesamtheit als Volksgenossen gliedhaft einzuordnen.1013 Die Pflicht zur Äußerung der Meinung ist in diesem System „Ausdruck des dem totalitären Regime eigenen Mißbehagens, den Feind nicht genau zu kennen“.1014 Wird in diesem Prozeß die Ausbildung individueller Autonomie und die Fähigkeit, als autonomes Subjekt am allgemeinen Diskurs teilzunehmen, verhindert, dann kann dies für den Prozeß der öffentlichen Autonomie nicht ohne Folgen sein. Gemeinschaftliche Autonomie kann nur dann gelingen, wenn der Beitrag des einzelnen nicht fremdgesteuert ist. Wird letzteres erfolgreich durch die Aufhebung der Privatsphäre verhindert, ist der öffentliche Prozeß nur Ausdruck eines selbstreferentiellen Verfahrens ohne Partizipation von Subjekten, mithin kein Verfahren gemeinschaftlicher Autonomie mehr. Das Recht zum Nichtgebrauch der Grundrechte zu leugnen, muß somit unter der Annahme einer Verschränkung von privater und öffentlicher Autonomie dazu führen, die Autonomie insgesamt, privat wie öffentlich, aufzuheben. Letztlich kann das Grundgesetz nur Verfassungserwartungen eines seine Grundrechte zur eigenen Reife nutzenden und am demokratischen Prozeß partizipierenden Bürgers besitzen, ohne daran eine normative Ausübungspflicht zu knüpfen.1015 Denn es stünde im Widerspruch zur Verfassungserwartung selbst, wenn die Autonomiefähigkeit des Menschen im rationalen Diskurs durch einen Zwang zum Diskurs vereitelt würde. Für diesen Abschnitt kann damit festgehalten werden, daß die grundrechtsdogmatische Figur der negativen Seite der Grundrechte nicht auf die sogenannten Handlungsgrundrechte beschränkt ist; auch die Einräumung eines individuellen Schutzbereichs spricht für die Dispositionsbefugnis des Grundrechtsträgers über dieses Gut.
Vgl. auch Schmidt-Jortzig, HStR VI., § 141 Rn. 7 ff. Merten, VerwArch 1982, S. 103 (119 f.). 1014 Schnur, VVDStRL 22 (1965), S. 101 (111). 1015 Insofern kann Isensee, HStR V., § 115 Rn. 165 ff., zugestimmt werden, der eine rechtliche Inpflichtnahme für die Verfassungserwartungen ablehnt. Problematisch ist es allerdings, wenn Isensee, a. a. O., Rn. 163 ff. u. 227 ff., über die Sicherung des demokratischen Prozesses hinaus inhaltliche Bestimmungen des Wohls der Allgemeinheit vornimmt. Dies sollte nach hier vertretener Auffassung nicht der Verfassungsinterpretation, sondern der freien Selbstbestimmung aller Bürger obliegen. 1012 1013
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7. Teleologische Auslegung Die teleologische Auslegung orientiert sich an den Zielen oder Zwecken einer Norm oder mehrerer Normen. Mit dem vorrangigen objektiven Auslegungsziel ist sie primär eine objektiv-teleologische Auslegungsmethode, die weniger nach den Zielen des Gesetzgebers, sondern vornehmlich nach den objektiven Zwecken des Rechts fragt.1016 Die Zweckauslegung ist implizit oder explizit bereits Gegenstand der grammatikalischen, systematischen und historischen Auslegung.1017 Die teleologische Methode zeichnet sich von diesen dadurch aus, daß sie die anderen Auslegungsschritte aufgreift und vertiefend den Sinn einer Regelung zu erfassen sucht. Der Teleologie kommt damit die Aufgabe zu, bei widerstreitenden Auslegungsergebnissen der ersten drei Methoden zu einem zuverlässigen Schluß zu gelangen1018 oder das übereinstimmende Ergebnis der anderen Auslegungsmethoden einer letzten Schlüssigkeits- und Sachangemessenheitskontrolle zuzuführen1019. Um eine freie Rechtsschöpfung durch die teleogische „Auslegung“ zu verhindern, ist von den Ergebnissen der anderen, konkreteren Auslegungsmethoden auszugehen. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik tendieren vorliegend dazu, im Recht auf Leben auch ein negatives Freiheitsrecht auf Verneinung des Lebens anzunehmen (s. o. 2. – 6.). Da sie im Ergebnis übereinstimmend sind, kommt ihnen für das Auslegungsergebnis eine vorentscheidende Bedeutung zu.1020 Trotzdem ist eine Schlüssigkeitskontrolle sinnvoll, weil ein negatives Lebensrecht vom Verfassungsgesetzgeber erkennbar nicht angedacht war und der teleologischen Auslegung die Aufgabe zukommt, eine Norm dahingehend in ihren Konsequenzen zu durchdenken, ob sie auch „vernünftigerweise“ wirken soll.1021 Gewichtigster praktischer Einwand gegen ein negatives Freiheitsrecht des Lebens ist zunächst die Behauptung, daß Suizide immer Ausdruck krankhafter Störungen sind und deshalb ein grundrechtlich anzuerkennender Freiheitsgebrauch per se ausgeschlossen ist (s. u. a). Weiterhin ist auf die wiederholt vorgebrachten Einwände einzugehen, daß die Vernichtung des eigenen Lebens als irreversibler Grundrechtsverzicht nicht zulässig sei (s. u. b) und wegen der Schutzpflicht des Gesetzgebers für das Leben (s. u. c) auch nicht angenommen werden könne. Gebündelt und zum Abschluß gebracht wird die Prüfung eines Rechts auf Suizid dann unter d), wo der Schutzbereich des Rechtsguts Leben daraufhin untersucht wird, ob eine negative Handlungsfreiheit in bezug auf das Leben überhaupt ,sinnvoll‘ sein kann.
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Larenz, 1991, S. 333. Brugger, AöR 119 (1994), S. 1 (27), Starck, HStR VII., § 164 Rn. 21. Starck, HStR VII., § 164 Rn. 21. Vgl. Larenz, 1991, S. 333 ff.; Brugger, AöR 119 (1994), S. 1 (28). Vgl. zur teleologischen Methode Brugger, 119 (1994), S. 1 (28). Vgl. Starck, HStR VII., § 164 Rn. 21.
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a) Freiwilligkeit des Suizids Beim Suizid wird zunächst begrifflich zwischen dem Bilanzsuizid und der ambivalenten Selbsttötung unterschieden. Während der Bilanzsuizid auf einer Abwägung der Umstände beruht, hat letzterer die Intention eines Aufrufs zur Hilfe bei der Bewältigung von Lebensproblemen.1022 Beim ambivalenten Suizid fehlt es somit an einer ernstlichen Selbsttötungsabsicht.1023 Nun wird im juristischen Schrifttum unter Berufung auf die empirische Suizidforschung1024 vielfach behauptet, daß jeder Suizid Ausdruck einer krankhaften psychischen Entwicklung sei, weshalb ein freiverantwortlicher Bilanzsuizid praktisch nicht vorkomme.1025 Was hier als medizinisch-empirisch gesicherte Erkenntnis ausgegeben wird, erweist sich bei näherer Betrachtung der genannten empirischen Suzidforschung als mit einigen Fragezeichen versehen.1026 Neben Suchtkrankheiten wird die psychische Störung besonders in Depressionen ausgemacht.1027 In den empirischen Untersuchungen schwankt nun der Anteil depressiv Kranker an den Suizidraten zwischen 30% und 80%.1028 Grund hierfür ist nach Pohlmeier, daß nicht von einem einheitlichen Krankheitsbegriff ausgegangen wird und insbesondere die Kriterien für die Abgrenzung zwischen Depression als Krankheit und als Zustand nicht verbindlich festgelegt werden können.1029 Zum Vorschein kommt hier nicht ein naturwissenschaftliches, sondern ein philosophisch-soziologisches Problem: Welche Zustände oder psychologische Bereitschaften definieren wir als krank?1030 Die Definition psychischer Krankheiten steht auch mit Verhaltenserwartungen der Gesellschaft und gesellschaftlichen Funktionsfähigkeitsverlusten der Siehe v. Münch, 1977, S. 113 (122 f.); Geddert-Steinacher, 1990, S. 90. Zur empirischen Seite bei dieser Suizidform siehe Fink, 1992, S. 161, der insoweit ebenfalls eine Rettungspflicht des Staates bejaht, weil diese dem eigentlichen Willen des Suizidenten entspreche, Fink, a. a. O., S. 194 f. 1024 Grundlegend Ringel, 1953, passim u. S. 172: „[ . . . ] weil der Selbstmord immer ein pathologisches Geschehen ist und es daher keinen ,normalen‘ Selbstmord gibt.“ 1025 Bringewat, ZStW 87 (1975), S. 623 (625 ff. u. 632 ff.); ders., JuS 1975, S. 155 (158 f.); Geilen, JZ 1974, S. 145 (152 f.); vgl. auch Wagner, 1975, S. 60 u. 119 ff. 1026 Siehe auch den Überblick zur Suizidforschung bei Fink, 1992, S. 156 ff.; Günzel, 2000, S. 145 ff.; differenzierend zu der Problematik aus klinischer Sicht Böhme, 1996, S. 161 ff. 1027 Siehe Sonneck / Ringel, 1976, S. 77 (78 ff.). 1028 Pohlmeier, 1996, S. 33 (35); stellt in bekannten Fallstudien Schwankungen zwischen 30% und 90% angenommener Geisteskranker bei Selbsttötungshandlungen fest. Siehe auch LK-Jähnke, vor § 211 Rn. 29: 95% unfreie Suizide; Wagner, 1975, S. 114: 25% unfreie Suizide. 1029 Pohlmeier, 1996, S. 33 (35). 1030 Man denke hier nur an die Entwicklung der Beurteilung der Homosexualität von ihrer Pönalisierung in den §§ 175 f. StGB a. F., ihrer Beurteilung als Verstoß gegen das Sittengesetz – vgl. BVerfGE 6, 389 (434 ff.) – über ihr Verständnis als Krankheit – vgl. bereits BVerfGE 6, 389 (436) – bis hin zur gegenwärtigen Tendenz als persönliche Lebensentscheidung, die nicht diskriminiert werden darf, siehe hierzu Risse, 1998, passim. 1022 1023
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Betroffenen im Zusammenhang.1031 Der Verweis auf die empirische Suizidforschung verkürzt deshalb die Problematik, weil dort kein Einverständnis über das, was als „krank“ gelten soll, gewonnen werden kann.1032 Zudem steht die psychologische Suche nach Ursachen für ein bestimmtes Verhalten immer in der Gefahr, freiverantwortliche Entscheidungen systematisch auszublenden.1033 Entscheidungen stehen wie jedes menschliche Verhalten immer in einem Strom von Ursachen und Verursachungen.1034 Die Beschreibung eines Verhaltens als freiverantwortlich enthält von daher immer eine normative Dimension, durch die eine Betrachtung der Ursachenketten an einer bestimmten Stelle abgebrochen wird.1035 Man wird deshalb auch für die Fähigkeit zur freiverantwortlichen Suizidentscheidung zunächst einmal von der normativen Grundvermutung des Art. 1 Abs. 1 GG über die Fähigkeit des Menschen zu Autonomie und Freiheit ausgehen müssen. Letztlich spricht dies für die Auffassungen, die die Freiverantwortlichkeit beim Suizid auf der Grundlage des Verantwortungsprinzips beantworten.1036 Die Freiverantwortlichkeit ist als Regelzustand anzunehmen, der nur negativ ausnahmsweise entsprechend der in den §§ 19 ff. StGB analog aufgestellten Umständen entfällt.1037 Was suizidtherapeutisch als Diagnose sinnvoll ist, nämlich alle Suizidäre durch Behandlung in die Gesellschaft zurückführen zu wollen und deshalb als „krank“ anzusehen, reicht nicht hin, um eine umfassende Vernunfthoheit über alle Menschen zu begründen, die an depressiven Verstimmungen, neurotischen Störungen u. ä. leiden.1038 Wenn leichte psychische Krankheiten weder die Geschäftsfähigkeit noch die Grundrechtsmündigkeit noch die Verantwortlichkeit für Fremdverletzungen aufheben, dann kann bei gleicher psychischer Konstitution nicht im Hinblick auf Selbstgefährdungen die Mündigkeit bestritten werden. Vor diesem Hintergrund ist den gerichtlichen Entscheidungen zuzustimmen, die einen normativ engeren Krankheitsbegriff vertreten, als er gelegentlich in der Suizidforschung anzutreffen ist, und deshalb die freiverantwortliche Suizidentscheidung in der Praxis bejahen konnten.1039 Grundlegend Foucault, 1969, passim; ders., 1980, passim. Naheliegend ist es deshalb nach Pohlmeier, 1996, S. 33 (38), zwischen einem depressiven Zustand und der Entscheidungsfähigkeit des Betroffenen zu unterscheiden. Depressive Zustände müssen nach Pohlmeier, a. a. O., die Willens- und Bewußtseinszustände nicht aufheben, die für die Willens- und Geschäftsfähigkeit verlangt werden. 1033 Wenn auch leicht überspitzt, aber doch zutreffend ist deshalb die Kritik von Dusik, 1976, S. 102 ff., daß sich auch das „unbedingte Leben-Wollen“ als psycho-pathologischer Zustand beschreiben ließe. 1034 Amelung, ZStW 104 (1992), S. 821 (822). 1035 Amelung, ZStW 104 (1992), S. 821 (822). 1036 Die Einwilligungslehre stellt dagegen höhere Anforderungen an die Freiverantwortlichkeit, vgl. Sch / Sch-Eser, § 216 Rn. 8; Wagner, 1975, S. 117 f. 1037 Siehe Roxin, 1977, S. 332 (349); Bottke, GA 1983, S. 22 (30 f.). 1038 Bottke, GA 1982, S. 346 (352). 1039 Siehe BGHSt 32, 367 (368 ff.); BGH NStZ 1988, S. 127 ebda.). Zu weitgehend allerdings Fink, 1992, S. 184 ff., der wegen der empirischen Unbeweisbarkeit von Freiheit und des 1031 1032
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b) Irreversibler Grundrechtsverzicht Nach einer vielfach vertretenen Ansicht entspreche die Selbsttötung einem Verzicht auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG.1040 Ein solcher Verzicht auf das eigene Leben sei aber wegen dessen unwiderruflichen Verlusts unzulässig. Teilweise wird die Unzulässigkeit des Verzichts auch in einer mit der Selbsttötung gegebenen Verletzung der Menschenwürde gesehen.1041 Der in diesem Einwand angesprochene Grundrechtsverzicht weist eine Vielzahl umstrittener Aspekte auf.1042 Man wird allerdings zunächst einmal klären müssen, ob in der Selbsttötung überhaupt ein Grundrechtsverzicht gegeben sein kann. Dazu ist eine Bestimmung darüber erforderlich, was unter einem Grundrechtsverzicht zu verstehen ist. Auch wenn im einzelnen keineswegs Übereinstimmung in der Definition des Grundrechtsverzichts besteht,1043 so wird zumindest eine Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes verlangt.1044 Erforderlich ist danach zumindest ein duales Verhältnis, bei dem ein Dritter in die Grundrechtsposition des Betroffenen eingreift. Richtigerweise wird man darüber hinaus sogar einen Willensakt des Bürgers gegenüber dem Staat für erforderlich ansehen müssen, durch den unter Einschränkung der eigenen Grundrechtsposition der Handlungsspielraum des Staates erweitert wird.1045 Beim Suizid kann davon keine Rede sein.1046 Durch die Selbsttötung wird gegenüber keinem Dritten die Befugnis erweitert, in die Grundrechtsposition des fehlenden sozialrelevanten Bezugs keinen Krankheitszustand anerkennt, der gegen einen freiverantwortlichen Suizid sprechen könnte. Übersehen wird dabei von Fink, daß die Beihilfe zum Suizid straffrei ist, und psychisch erkrankte Menschen sehr suggestibel sind. Sie geben deshalb schnell dem Druck eines auf die Selbsttötung drängenden Umfeldes nach; siehe hierzu Bahro / Strnad, Ethik Med 2000, S. 257 (259): „Gerade der eigene Wille ist jedoch bei seelisch Kranken häufig geschwächt, womit sich ein weiter Raum für Einflüsse fremden Willens öffnet.“ 1040 Dürig, Art. 2 II Rn. 12; Wilms / Jäger, 1988, S. 41 (42); Beckert, 1996, S. 132 f.; Czinczoll, 1984, S. 127; Leisner, 1976, S. 38; auch Niestroj, 1983, S. 70 f., die dies im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit behandelt. 1041 Czinczoll, 1984, S. 126 f.; Schittek, BayVBl. 1990, S. 137 (138). 1042 Immerhin besteht insoweit Übereinstimmung, daß ein Grundrechtsverzicht unwirksam ist, der gegen die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG verstößt; siehe Stern, III / 1, § 86 III. 3. a, S. 923; Robbers, JuS 1985, S. 925 (929); Spieß, 1997, S. 91 ff.; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 139; im Ergebnis ebenso auch Sturm, 1974, S. 173 (188 f.). 1043 Siehe die Übersicht bei Stern, III / 1, § 86 I. u. II., S. 887 ff. u. 902 ff.; ganz auf den Begriff verzichten will Dreier-Dreier, Vorb. Rn. 83. 1044 Amelung, 1981, S. 13 ff. 1045 In diesem Sinne Spieß, 1997, S. 50 f., Stern, III / 1, § 86 II. 4. u. 6., S. 906 u. 912 f.; Schwabe, 1977, S. 97 u. 127; vgl. auch Pietzcker, Staat 17 (1978), S. 527 (531): „[ . . . ] daß eine Willensäußerung des Bürgers seine grundrechtlich abgesicherte Position den staatlichen Organen gegenüber schmälern soll.“ Tendenziell auch Beeinträchtigungen von Grundrechten durch Private einbeziehend dagegen Amelung, 1981, S. 16. 1046 Man könnte zwar noch daran denken, daß das Recht auf Suizid konkludent einen Verzicht auf die staatliche Schutzpflicht enthält. Dies setzt aber beim Suizid anders als bei der
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Suizidenten einzugreifen. Wer sich tötet, nimmt eine faktische Handlung an sich selbst vor. Damit wird weder konkludent noch ausdrücklich gegenüber dem Staat eine Veränderung der Grundrechtsposition erklärt. Die Rechtsfigur des Grundrechtsverzichts kann deshalb zur Belegung eines Verbots auf Suizid nicht herangezogen werden.1047
c) Verpflichtung des Gesetzgebers zum Schutz des Grundrechtsträgers vor sich selbst? Die dogmatische Konstruktion geht zumeist dahin, in der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf Selbsttötung zu bejahen, zugleich aber, eine Pflicht des Gesetzgebers zum Schutz des Lebens in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG anzunehmen.1048 Grundrechtsdogmatisch hat dies zur Konsequenz, daß zwischen dem Recht auf Suizid und der staatlichen Schutzpflicht für das Leben eine Grundrechtskollision angenommen wird. Vorausgesetzt wird dabei die Abstraktion des Rechts auf Leben von seinem Träger. Das Lebensrecht wird als eigenständiges, objektives Verfassungsgut um seiner selbst willen geschützt.1049 Das Rechtsgut Leben wird mithin nicht als ein rechtlich geschütztes Interesse konkreter Individuen, sondern als eigenständiger schutzwürdiger Wert interpretiert.1050 Isensee spricht hier im Unterschied von subjektiven Schutzgütern von einem objektivierten Schutzgut, welches nicht Gegenstand der Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers ist, sondern dessen Verfügungsbefugnis vorausliegt.1051 Das Verhältnis zwischen der Schutzpflicht des Staates für das Leben und dem Selbstbestimmungsrecht über das Leben in dieser Weise aufzuschlüsseln, ist grundrechtsdogmatisch in sich konsistent, wenn eine staatliche Verpflichtung zur Verhinderung des Suizids mit der dogmatischen Figur der Schutzpflicht des Staates begründet werden soll. Denn die Funktion der Schutzpflichten des Staates ist die Verstärkung der Grundrechte. Bei grundrechtlichen Freiheitsrechten ist deshalb eine Pflicht zum Schutz des Menschen vor sich selbst abzulehnen. Sie führte zur Vorgabe einer individuellen Grundrechtsausübung, die nicht in das liberale Konaktiven Sterbehilfe voraus, daß die Rechtsfigur der Schutzpflicht des Staates auch in der zweipoligen Konstellation zwischen Staat und Bürger zum Schutz des Menschen vor sich selbst angewendet werden darf. Die Anwendung der Rechtsfigur der Schutzpflicht auch in der Zweierkonstellation ist bei freiverantwortlich handelnden Erwachsenen zu verneinen (s. o. § 9 II. 2.). 1047 Im Ergebnis ebenso Schwabe, JZ 1998, S. 66 (68); Hillgruber, 1992, S. 137; K. Fischer, 1997, S. 200. 1048 Götz, 2001, Rn. 109; siehe auch Erichsen, Jura 1997, S. 85 (87). 1049 VG Karlsruhe JZ 1988, S. 208 (209); in diesem Sinne für die passive Sterbehilfe Trück, 2000, S. 30 f. 1050 So zutreffend die Kritik von U. Neumann, 1991a, S. 393 (398). 1051 Isensee, HStR V., § 111 Rn. 41.
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zept der Freiheitsrechte paßte (s. o. § 9 II. 2. c). Anderes läßt sich vertreten, wenn das Schutzgut als objektiviertes Gut der Selbstbestimmung vorausliegt. Hier ist es nicht widersprüchlich, wenn der Staat den Schutz nach allen Seiten hin, Dritten wie auch dem Grundrechtsträger gegenüber, wahrnimmt. Mit der Schutzpflicht des Staates für das Leben sucht man nun weiterhin zu belegen, warum Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (und auch jedes andere Grundrecht) kein Recht auf Suizid verbürgen könne: Wenn der Staat zum Schutz des Lebens aus der objektiven Wertordnung verpflichtet ist, dann ist es inkonsequent, wenn diese Verpflichtung zugleich durch ein Recht auf Suizid konterkariert werde.1052 Dieser Argumentationsgang läuft auf einen Zirkelschluß hinaus. Weil das „Recht auf Leben“ ein objektiviertes Schutzgut sei, sei der Staat verpflichtet, das Leben auch vor seinem Träger zu schützen. Das „Recht auf Leben“ ist wiederum nur ein objektiviertes Schutzgut, weil anderes der staatlichen Schutzpflicht für das Leben zuwiderliefe. Der Zirkelschluß zeigt, daß der Verweis auf die Schutzpflicht des Gesetzgebers ungeeignet ist, um ein Recht auf Suizid aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu widerlegen. Ist das Leben ein subjektives Schutzgut, dann ist die Dogmatik der Schutzpflicht des Staates gegen den Grundrechtsträger selbst nicht anwendbar. Zunächst zu klären ist somit, ob das Leben ein subjektives oder ein objektiviertes Schutzgut ist. Das ergibt sich aber nicht aus der Funktion der Schutzpflichten des Staates, sondern liegt dieser Feststellung voraus.1053
d) Leben als subjektives oder objektiviertes Schutzgut Abschließend zu klären ist damit die Behauptung, daß eine Verfügung über das eigene Leben trotz der aktivischen Formulierung des Lebensrechtes im Grundgesetz nicht sinnvoll sei. Sind das Leben und die körperliche Integrität Zustände, die nicht Gegenstand der Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers sein können, sondern der Selbstbestimmung vorausliegen?1054 Ist das Leben deshalb kein subjektives, sondern nur ein objektiviertes Schutzgut?1055 1052 Vgl. aber VG Karlsruhe, JZ 1988, S. 208 (209); Stoermer, 1998, S. 58; ähnlich auch Hesselberger, 2001, Art. 2 Rn. 10; Lindemann, DVBl. 1957, S. 37 (40). 1053 Zweifeln unterliegt der Verweis auf die staatlichen Schutzpflichten beim Suizid auch wegen der bei einer staatlichen Schutzpflicht erforderlichen Dreierkonstellation von Staat, Bürger und Störer bei den Schutzpflichten, s. o. § 9 II. 2. u. Isensee, HStR V., § 111 Rn. 1 ff., 5 f. u. 114. Greift der Staat nur in einem zweipoligen Verhältnis von ihm zum Bürger ein, dann wäre es euphemistisch, dies als Verstärkung der Grundrechte des Bürgers durch seinen Schutz zu charakterisieren. Sachlich gesehen sind derartige Beschränkungen Eingriffe, welche die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte, aber nicht als Schutzrechte ansprechen. 1054 Hellermann, 1992, S. 136; Isensee, HStR V., § 111 Rn. 41; Heide, 2001, S. 192; B. Reuter, 2001, S. 230. 1055 Isensee, HStR V., § 111 Rn. 41.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Wie der freiverantwortliche Suizid und die Schönheitsoperation zeigen, gibt es Überzeugungen, die einer Selbstbestimmung in diesen Bereichen einen Sinn abgewinnen können. Diese Zustände liegen nur dann der Selbstbestimmung voraus, wenn sich diese nicht darauf erstrecken darf, was letztlich hinsichtlich der körperlichen Unversehrtheit über den Umweg des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG von keiner Seite behauptet wird.1056 Auch beim Leben kann deshalb nicht gesagt werden, dieses liege dem Grundrechtsberechtigten „voraus“, „eine Selbstbestimmung hierüber sei nicht sinnvoll“. Über das Leben kann durch Freitod disponiert werden. Art. 2 Abs. 2 GG ist deshalb wie jedes andere Grundrecht zur Feststellung einer negativen Seite danach zu befragen, ob es dem einzelnen über seinen eigenen Körper einen Bereich rechtlicher und faktischer Selbstbestimmung zur beliebigen Gestaltung überlassen will. Das erfordert die Untersuchung des jeweiligen Grundrechts, ob es nach seiner Teleologie einen individuellen oder nur objektivierten Schutz einräumt.1057 Die obigen Analysen lassen sich hierzu nun wie folgt zusammenführen: Die Auslegung von Wortlaut, Historik / Genese und Systematik legten ein negatives Selbstbestimmungsrecht über das Leben nahe (s. o. 2. – 6.). Weiterhin ist das Leben gerade aufgrund seiner Begründung in der Menschenwürde kein Gemeinschaftsgut, sondern ein individuelles Rechtsgut (s. o. § 7 VIII. 4 a, dd u. d). Der Lebensschutz um seiner selbst willen spricht deshalb für einen dem Grundrechtsträger zugeordneten Freiheitsbereich. Der Bezug zur Menschenwürde zeigt sich weiterhin bei einer vergleichenden Betrachtung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht – wird hierin doch anerkannt, daß der Schutz der persönlichen Integrität auch ein Recht zur Selbstbestimmung im Bereich der eigenen Persönlichkeit umfaßt (s. o. 4 a).1058 Deutlich wird hieran, daß der Körper des Menschen, weil mit seiner Person eng verwoben, einen starken Bezug zur privaten und persönlichen Sphäre besitzt.1059 Verletzungen dieser Sphäre berühren deshalb auch immer die Person.1060 Aber auch umgekehrt sind Dispositionen über den eigenen Körper Ausdruck grundlegender persönlicher Entscheidungen; seien dies nun Einwilligungen in Operationen, Bestimmungen über das eigene Geschlecht oder kosmetische Veränderungen, um mit einem anderen Gesicht aufzutreten. Die bereits aufgezeigte systematische Inkonsequenz, diesen starken Bezug auf die eigene Person in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auszublenden, widerspricht der Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde auch als Schutz der individuellen Autonomie. Betrachtet man den Schutzbereich von Leben und körperlicher Integrität im Horizont der Menschenwürde, spricht dies für die Auffassung, im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein allgemeines Persönlichkeitsrecht der Selbstbestimmung über die eigene Körperlichkeit zu se1056 1057 1058 1059 1060
s. o. 4. a. Ebenso Kneihs, 1988, S. 267. Siehe Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 374. Vgl. auch Koppernock, 1997, S. 73 ff. Vgl. BVerfGE 52, 131 (175).
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hen.1061 Das Leben und auch die körperliche Unversehrtheit sind deshalb Rechtsgüter, die dem Rechtsträger als persönliche Freiheitssphäre zu seiner Disposition zugewiesen sind.1062 Fraglich ist allerdings, ob der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG auch der negativen Seite des Lebensrechtes als Grundrechtsschranke gerecht wird. Vom Verfassungsgeber wurde diese Schrankenregelung für lebensbedrohende oder lebensvernichtende Handlungen konzipiert; kann sie dann auch für die negative Freiheit der Selbstbestimmung über die eigene Körperlichkeit sinnvoll Anwendung finden? Dafür spricht zunächst, daß das BVerfG die Intensität des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die von ihm angewandten Grundsätze beim Schutz der körperlichen Integrität entwickelt hat.1063 Die Schrankenregelung der Selbstbestimmung über die körperliche Integrität dem Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG zu entnehmen, stünde im Einklang mit der Dogmatik dieser Rechtsprechung. Sachlich begründet sich der verstärkte Schutz zudem aus den oben genannten Gründen, wonach der Bereich des eigenen Körpers auch bei verändernden Eingriffen in diesen Zustand immer Ausdruck des Kernbereichs der eigenen Persönlichkeit ist. Wenn damit für die negative Selbstbestimmung über das eigene Leben ebenfalls der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG zur Anwendung kommt, dann hat dies jedoch nicht die Konsequenz, daß Eingriffe in das Recht auf Selbsttötung nur unter gleichsam bedeutenden Gesichtspunkten zulässig sind, wie beispielsweise die Tötung gegen den Willen des Grundrechtsträgers. Einschränkungen der Selbstbestimmung über das Leben stehen im Rahmen des Gesetzesvorbehalts unter Berücksichtigung der Menschenwürde immer noch unter unterschiedlich hohen Voraussetzungen, weil das Lebensrecht ein gewichtiger Wert der Verfassungsordnung ist, dagegen die Vernichtung des eigenen Lebens aus gänzlich unterschiedlichen Beweggründen – zum Versicherungsbetrug oder um schweren Schmerzen zu entgehen – und Situationen – privat oder zur Profilierung in der Öffentlichkeit – erfolgen kann.
8. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Freiheitsrecht am eigenen Körper Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet ein allgemeines Persönlichkeitrecht über den eigenen Körper, das auch als Selbstbestimmungsrecht ausgeprägt ist. Das Recht auf Leben ist kein objektiviertes, sondern ein individuelIm Ergebnis auch Fink, 1992, S. 98. Deshalb ist es zutreffend, wenn Koppernock, 1997, S. 63 ff., zu einem Recht auf bioethische Selbstbestimmung gelangt. Anders als bei Koppernock wird dieses hier nicht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG über die geistigseelische Integrität, sondern wie der Partikel „bio“ schon nahelegt, dem über die körperlichphysische Integrität im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zugeordnet. 1063 BVerfGE 27, 344 (351). 1061 1062
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
les Rechtsgut. Leben und körperliche Unversehrtheit sind individuelle Freiheitsrechte. Dieses Grundrecht schützt auch die Freiheit seiner Nichtausübung, die bei Vernichtung des eigenen Lebens und Veränderungen am eigenen Körper ausgeübt wird. Allerdings steht auch die negative Seite dieses Grundrechts unter dem Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG. Seine Einschränkung ist deshalb im Hinblick auf schützenswerte Interessen Dritter möglich. Nicht auszuschließen ist deshalb, daß das Überlebensinteresse der Gesellschaft, die Versorgungsansprüche von Verwandten, die Verpflichtung zum Wehrdienst oder Gefährdungen des Lebensrechtes Dritter (Dammbruchargument) Eingriffe in dieses Grundrecht zu rechtfertigen vermögen.1064 Diese Aspekte reichen aber nicht aus, um ein Recht auf Selbsttötung prinzipiell zu verneinen; gegenläufige Interessen können deshalb nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchgesetzt werden.1065
III. Aktive Sterbehilfe Wenn danach die Selbsttötung dem Schutzbereich der negativen Ausübungsfreiheit des Rechts auf Leben unterfällt, ist nunmehr erweiternd zu fragen, ob von diesem Schutzbereich auch die Tötung auf Verlangen umfaßt ist oder die Organisation der eigenen Tötung durch Einschaltung Dritter kein Gegenstand verfassungsrechtlicher Gewährleistung sein kann. Geprüft werden soll damit allein der status negativus auf Abwehr staatlicher Einschränkungen der aktiven Sterbehilfe im Arzt-Patienten-Verhältnis.1066
1. Wortlaut Hinsichtlich des Wortlauts ergeben sich zunächst keine Unterschiede zu oben (s. o. II. 2.). Der Wortlaut legt eine Dispositionsbefugnis über das eigene Leben 1064
Wie hier R. Herzog, 1987, Sp. 3112 (3113); a.A. Fink, 1992, S. 144 ff., insbesondere
S. 151. 1065 Letztlich zieht damit auch das Verfassungsrecht die Konsequenz daraus, daß sich ein grundsätzliches Verbot der Selbsttötung nur theologisch begründen läßt; aus philosophischer Sicht siehe bereits Löwith, 1962, S. 399 (403): „Es gibt nur ein einziges stichhaltiges Argument gegen das Recht zur Selbstvernichtung, und dieses ist kein eigentlich moralisches, sondern ein religiöses. Es steht und fällt mit dem christlichen Glauben, daß der Mensch ein Geschöpf Gottes ist, daß er sein Leben als eine Gabe geschenkt bekam. Dann, aber auch nur dann, ist der Selbstmord in der Tat ein Mord, ein höchstes Unrecht gegen Gott[ . . . ].“ Ebenso der Theologe Auer, 1977, S. 1 (41 f.). 1066 Inwieweit der Patient durch das Verbot des § 216 StGB, das nur das Verhalten des Arztes pönalisiert, in seinem eigenen Grundrecht betroffen ist, wird noch zu untersuchen sein, s. u. § 19. Zum status positivus im Sinne eines Leistungsrechts gegenüber dem Staat auf aktive Tötung s. u. § 13.
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nahe. Ob der Schutzbereich auch die Umsetzung der getroffenen Disposition zum Tod durch fremde Hand umfaßt, kann aus dem Wortlaut nicht ermittelt werden. Zweifel läßt der Wortlaut nur aufkommen gegen einen Leistungsanspruch, getötet zu werden (status activus). Aus dem Recht auf Leben folgt semantisch nicht ein Recht auf Tötung. Prüfungsgegenstand ist hier allerdings nicht ein Leistungsanspruch gegenüber Dritten (hierzu s. u. § 11), sondern der status negativus, d. h. ob der einzelne das Recht hat, seinen negativen Freiheitsanspruch im Bereich des Lebens unbeeinflußt vom Staat im Einverständnis mit seinem Arzt durch aktive Sterbehilfe umzusetzen.
2. Genetisch-historische Auslegung Auf die Intention des Verfassungsgebers, für die Grundrechtsordnung eine Mißachtung des Lebens zu verhindern, wie sie der NS-Staat u. a. mit der sogenannten „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ betrieb, wurde bereits hingewiesen (s. o. II. 3.). Historische Untersuchungen kommen zu der Annahme, daß während der Kriegsjahre durch nationalsozialistische „Euthanasieaktionen“ im Reichsgebiet wahrscheinlich mehr als 100.000 Menschen wegen ihrer psychischen, geistigen oder körperlichen Krankheiten getötet wurden.1067 Von einer auf Verlangen ausgeübten aktiven Sterbehilfe unterschieden sich diese Tötungsprogramme dadurch, daß sie sich zum einen prinzipiell auch gegen nicht sterbende Menschen richteten1068 und zum anderen nicht nach einem Tötungswunsch der Ermordeten fragten.1069 Mithin ging es dabei nicht um Tötung auf Verlangen oder aktive Sterbehilfe.1070 Ziel war es vielmehr, sich vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Rassenideologie sogenannter „Ballastexistenzen“ zu entledigen.1071 Mit der Begründung des Lebensrechtes in der Menschenwürde wurde bereits gezeigt, daß diese Vorstellungen über „lebensunwertes“ Leben nicht verfassungskonform sind. Die eugenisch begründete Tötung Geisteskranker oder sonst mit Behinderungen lebender Menschen verstößt gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Hat der Verfassungsgeber damit auch ein eindeutiges „Nein“ gegen jede Form der aktiven Sterbehilfe zum Ausdruck gebracht? 1067 Ausführlich hierzu Schmuhl, 1987, S. 127 ff. Am bekanntesten ist das unter dem Namen „T-4-Aktion“ bezeichnete organisierte Tötungsprogramm von Kriegsbeginn bis August 1941. Der Begriff bringt zum Ausdruck, daß das Vernichtungsprogramm in der Tiergartenstraße 4 in Berlin beraten und entworfen wurde; Pohlmeier, 1996, S. 53 (55); Dörner, 1989, S. 74 (93); siehe Schmuhl, 1987, S. 190 ff. 1068 Dörner, 1989, S. 74 (75). 1069 Zimmermann-Acklin, Ethik Med 2000, S. 2 (4). 1070 Siehe Klee, 1985, S. 27 f. 1071 Siehe die Dokumente bei Klee, 1985, S. 35 ff. u. 60 ff.; Kaiser / Nowak / Schwartz, 1992, S. 200 ff.; siehe auch Dörner, 1989, S. 74 (76 ff.).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Im Kontext der historischen Auslegung ist der Zusammenhang zwischen den unter strenger Geheimhaltung als „Aktion Gnadentod“ bezeichneten eugenischen Tötungen im NS-Staat und der hier in Frage stehenden aktiven Sterbehilfe zu untersuchen. Drei Gesichtspunkte sprechen dabei zunächst dafür, daß der Verfassungsgesetzgeber mit dem Lebensrecht auch jede Form der aktiven Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung verhindern wollte. (1) Trotzdessen eine „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ nicht mit Sterbehilfe gleichgesetzt werden kann, belegen eine Reihe von Dokumenten, daß die Nationalsozialisten ihre eugenischen Tötungsaktionen unter Verwendung der Begriffe „Euthanasie“ und „Sterbehilfe“ diskutiert haben.1072 Deshalb war nicht die Entscheidung des Nürnberger Prozesses, diese Vorgänge unter dem Namen „Euthanasie-Verbrechen“ zu behandeln, für die gedankliche Verknüpfung ausschlaggebend, die Konnotation wurde bereits durch den Sprachgebrauch in der Zeit des Nationalsozialismus hergestellt.1073 (2) Zu Recht wird weiterhin darauf hingewiesen, daß im Nationalsozialismus öffentlich für die Tötung unheilbar kranker Menschen auf deren Verlangen geworben wurde. Bekanntestes Beispiel ist hier der Film „Ich klage an“ von 1941, in welchem ein Sterbender, der unter seiner Krankheit schwer leidet, um aktive Sterbehilfe bittet.1074 Propagandistischer Zweck dieses Films war dabei, einer Veränderung im Bewußtsein der Bevölkerung Vorschub zu leisten; das nationalsozialistische Regime erhoffte sich hierdurch Sympathien für den „Gnadentod“ an geistig behinderten Menschen.1075 (3) In der ersten Nachkriegszeit war das Thema „Euthanasie“ weitgehend tabuisiert; die ersten Stellungnahmen in der verfassungsrechtlichen Literatur erkannten einhellig die aktive Sterbehilfe als verfassungsrechtlich verboten an.1076 Die Annahme ist deshalb nicht fernliegend, daß der parlamentarische Rat in Anbetracht der nationalsozialistischen Verbrechen nicht weniger restriktiv dachte.1077 Eine historisch-genetische Auslegung wird an dieser Stelle nicht mit der Analyse aufhören dürfen. Bei genauerer Untersuchung zeigen sich Unterschiede zwischen einer aktiven Sterbehilfe als Ausfluß der Patientenautonomie und der nationalsozialistischen „Euthanasie“, welche zu einem offeneren Ergebnis der historischen Auslegung führen – vorbehaltlich des Dammbruch-Arguments.1078 Die zunächst nur 1072 Siehe die Dokumente bei Klee, 1985, S. 87 ff.; 219 f.; 303; vgl. auch S. 167 f., 170 ff., 182 ff., 231 f.; Kaiser / Nowak / Schwartz, 1992, S. 200 f. 1073 Ebenso Zimmermann-Acklin, 1997, S. 73 f. 1074 Spaemann, 1997, S. 12 (14); Zimmermann-Acklin, 1997, S. 374 f. 1075 Spaemann, 1997, S. 12 (14). 1076 Vgl. Nipperdey, 1954, S. 29. 1077 In den Beratungen eines Unterausschusses des Grundsatzausschusses des Parlamentarischen Rates waren sich die Abgeordneten im Anschluß an die Äußerungen von Mangoldts einig, daß mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Schutzvorschrift gegen Euthanasie, Zwangssterilisation u. ä. in die Verfassung aufgenommen werden sollte, siehe JöR 1 (1951), S. 56; Littwin, 1993, S. 49.
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äußerliche Betrachtung, daß die Diskussion um die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ auch während der Zeit des Nationalsozialismus im Zusammenhang mit Fragen der aktiven Sterbehilfe geführt wurde,1079 läßt den markanten und für den Vergleich zwischen einem demokratischen Grundrechtsstaat und dem totalitären nationalsozialistischen Unrechtsstaat wesentlichen Gesichtspunkt ausgeblendet, daß für die damalige Diskussion der zentrale Legitimationspunkt in dem Gemeinwohl, dem Nutzen für das deutsche Volk oder der genetischen Verbesserung der Rasse gesucht wurde.1080 Ein individuelles Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper lag dieser Perspektive gänzlich fern.1081 Nicht weniger bezeichnend sind die vorlaufenden Diskussionen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, auf deren markanteste Vertreter, Jost1082 und Binding / Hoche,1083 kurz eingegangen werden soll. Gemeinsam ist diesen Autoren, daß sie in ihren einschlägigen Werken sowohl die aktive Sterbehilfe an qualvoll Sterbenden wie auch die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ befürworteten und die Argumentation maßgeblich von utilitaristischen oder Gemeinwohlerwägungen geprägt ist. Dabei läßt der Titel von Josts Studie „Das Recht auf den Tod“ und die darin geforderte Legalisierung einer Tötung auf Verlangen und der Legitimation des Suizid zunächst anderes vermuten. Tatsächlich beruht seine Untersuchung aber auf „objektiven“ Kriterien zur Bestimmung des Lebenswertes einzelner Menschen: „Der Wert eines Menschenlebens kann, einer rein natürlichen Betrachtungsweise nach, sich nur aus zwei Factoren zusammensetzen. Der erste Factor ist der Werth des Lebens für den betreffenden Menschen selbst, also die Summe von Freude und Schmerz, die er zu erleben hat. Der zweite Factor ist die Summe von Nutzen oder Schaden, die das Individuum für seine Mitmenschen darstellt.“1084
Gerät dabei die errechnete Summe des Menschen in den Minusbereich, ist er eine ,nutzlose Last‘ für die Gesellschaft. In diesem Fall ist ein Recht auf Suizid oder Tötung auf Verlangen anzuerkennen: „Der Wert des menschlichen Lebens kann eben nicht blos Null, sondern auch negativ werden, wenn die Schmerzen so groß sind, wie es in der Todeskrankheit der Fall zu sein
1078 Auf das historische Analogie-Argument, daß sich in der Zeit von 1890 bis 1945 eine Linie der zunehmenden Entwertung menschlichen Lebens zeigt, die sich zwingend einstellt, wenn das Tötungsverbot erst einmal durchbrochen ist, ist im Zusammenhang mit slipperlyslope Arguments einzugehen, s. u. § 14 II. 2. 1079 Besonders deutlich in der Denkschrift des preußischen Justizministers Kerrl von 1933, in Auszügen abgedruckt in: Kaiser / Nowak / Schwartz, 1992, S. 200 f. 1080 Siehe Schmuhl, 1987, S. 173 ff. 1081 Am ehesten läßt sich dieser Ansatz noch in der Dissertation von Hilschenz, 1936, passim, finden. 1082 Adolf Jost, 1895: „Das Recht auf den Tod. Sociale Studie“. 1083 Karl Binding / Julius Hoche, 1920: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“. 1084 Jost, 1895, S. 13.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
pflegt. Der Tod selbst stellt gewissermaßen den Nullwerth dar, ist daher gegenüber einem negativen Lebenswerth noch immer das Bessere.“1085
Das Selbstbestimmungsrecht über das Leben wird bei Jost nun nicht nur dadurch aufgehoben, daß Jost meint, den ,subjektiven Nutzen‘ des Lebens objektiv bestimmen zu können, sondern der Wert des menschlichen Lebens wird auch nach seinem Nutzen für die Gesellschaft festgelegt, d.h nach der Leistungsfähigkeit, den finanziellen Kosten für die Lebenserhaltung, den psychischen Einflüssen und dem „Aufwand“ an menschlichem Mitleid für ihn bemessen. Gibt dann der Saldierung aus subjektiven und objektiven Nutzen den Lebenswert und damit das Lebensrecht an, dann hat der Sterbende der Sache nach nicht ein Recht auf Tötung, sondern er verliert sein Lebensrecht, weil von seinem Leben er selbst nur wenig Nutzen haben kann und die Kosten der Gesellschaft für die Pflege den Wert dieses Lebens in den Minusbereich drücken müssen. Ihre Konsequenz findet diese „objektive“ Bewertung des Lebens bei Geisteskranken, bei denen der subjektive Nutzen nach Jost nur sehr gering sein kann, aber die gesellschaftlichen Kosten sehr hoch sind, so daß ihr Lebenswert negativ zu bewerten sei; es genügt deshalb für Jost die „Diagnose auf Unheilbarkeit, um einen Menschen töten zu dürfen.“1086 Es ist mithin gerade nicht eine Dispositionsbefugnis des Betroffenen über das eigene Leben, für die Jost’ Schrift eintritt, sondern es sind utilitaristische Erwägungen, die den Wert des Lebens nach objektiven Maßstäben und den Lasten oder Nutzen für die Gesellschaft zu bestimmen suchen. Auf gleicher Linie bewegt sich die einflußreiche Schrift von Binding / Hoche, die in sich sozialdarwinistische und utilitaristische Überlegungen vereint. Ein Recht auf Suizid wird darin von Binding – ebenso wie ein Recht auf Leben1087 – ausdrücklich verneint, weil die Rechtsordnung kein Recht einräumen könne, das ihr nicht generell förderlich erscheint.1088 Mit diesem Ansatzpunkt ist bereits ersichtlich, daß Binding auch bei der aktiven Sterbehilfe die paternalistische Außenperspektive einnimmt und die Tötung eines Sterbenden zur Beseitigung seiner Jost, 1895, S. 26. Jost, 1895, S. 32. 1087 Binding / Hoche-Binding, 1920, S. 3(11 f.): „Da die Tötung nur des Nebenmenschen verboten ist, so wird gefolgert, hat jeder Mensch ein Recht entweder auf Leben oder am Leben oder gar über das Leben – alle drei Auffassungen sind gleich verkehrt [ . . . ]. Lasse ich das ganz unmögliche Recht auf oder am oder über das eigene Leben einmal auf sich beruhen [ . . . ], so ist gegen das Selbst-Tötungsrecht einzuwenden, daß Handlungsrechte nur zu Zwecken verliehen werden, welche der Rechtsordnung generell als ihr konform, ihr förderlich erscheinen.“ Entsprechend befürwortet Binding / Hoche-Binding, a. a. O., S. 13 ff., auch nur die Straffreiheit der Selbsttötung als „rechtlich unverbotene Handlung“ für den Suizidenten, der Teilnehmer am Suizid soll (te) dagegen bestraft werden. Zur Privilegierung bei einer Tötung auf Verlangen siehe Binding / Hoche-Binding, a. a. O., S. 21 ff. 1088 Hier auch widersprüchlich, wenn Binding / Hoche-Binding, 1920, S. 3 (28), andererseits „die volle Achtung des Lebenswillens aller, auch der kränksten und gequältesten und nutzlosesten Menschen“ verlangt. Siehe auch Binding, a. a. O., S. 34. 1085 1086
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Qualen als reine Heilhandlung ansieht,1089 für die es als „unverbotenes Heilwerk“ auch gar nicht auf die Einwilligung des gequälten Kranken ankomme.1090 Bei den „unheilbar Blödsinnigen“ kann Binding weder einen „Willen zu leben, noch zu sterben“ ausmachen, weshalb ihre Tötung rein utilitaristisch mit der Belastung der Gesellschaft durch ihre Pflege begründet wird.1091 Hoche, der sich in seinem Teil der gemeinsamen Abhandlung allein mit der Tötung unheilbar kranker Menschen beschäftigt, ergänzt die Argumentation Bindings, indem er den Staat mit einem menschlichen Organismus vergleicht, der im Interesse der Wohlfahrt des Ganzen einzelne, wertlos gewordene Glieder preisgebe oder abstoße.1092 Solche Existenzen zu töten, die für ihre Umgebung eine wirtschaftliche und moralische Belastung darstellen („Ballastexistenzen“ 1093), weil sie zu produktiven Leistungen nicht imstande sind und im Zustand völliger Hilflosigkeit („geistig Tote“1094) auf die Versorgung Dritter angewiesen sind, ist nach Hoche ein erlaubter und nützlicher Akt,1095 Mitleid mit den „geistig Toten“ „die an letzter Stelle angebrachte Gefühlsregung“.1096 Die Argumentation von Jost und Binding / Hoche,1097 die im Nationalsozialismus ihre Umsetzung in die Tat fand, steht dem grundrechtlichen Ansatz der Autonomie diametral entgegen. Denn bei diesen Autoren ist es zum einen der Nutzen des einzelnen für die Gemeinschaft, der den Wert seines Lebens bestimmt, und zum anderen wird in dieser Überordnung des Gemeinwohls eine Dispositionsbefugnis über das eigene Leben verneint. Die Tötung auf Verlangen findet ihre Legitimation nicht in dem Willen des Sterbenden, sondern in seiner Wertlosigkeit für die Gesellschaft und der objektiv festgestellten Nutzlosigkeit dieses Lebens für den unter Schmerzen Leidenden. Bezeichnend für den Einsatz der „Euthanasie“ als Instrument des nationalsozialistischen Staates zur willkürlichen Vernichtung unerwünschten Lebens aus Gründen der Rassenideologie ist auch der Umstand, daß der im geheimen beratene Gesetzesentwurf von Hitler verworfen wurde: „Entscheidend dürfte gewesen sein, daß die ,Euthanasiediskussion‘ nicht in eine normative Prozedur eingebunden werden sollte, die die Liquidierungskapazität des Binding / Hoche-Binding, 1920, S. 3 (18); einschränkender aber auf den Seiten 29 ff. Binding / Hoche-Binding, 1920, S. 3 (19). Immerhin lehnt Binding, a. a. O., die Tötung entgegen dem Verbot des Sterbenden ab. 1091 Binding / Hoche-Binding, 1920, S. 3 (31 f.); noch vehementer Hoche, a. a. O., S. 43 (51 ff.). 1092 Binding / Hoche-Hoche, 1920, S. 43 (56). 1093 Binding / Hoche-Hoche, 1920, S. 43 (55). 1094 Binding / Hoche-Hoche, 1920, S. 43 (51 ff.). 1095 Binding / Hoche-Hoche, 1920, S. 43 (57). 1096 Binding / Hoche-Hoche, 1920, S. 43 (59); dagegen nach Binding, a. a. O., S. 3 (30 f. u. 37), die Tötung „Ausfluß freien Mitleids mit den Kranken“ sein müsse. 1097 Den fortlaufend engen Zusammenhang der vorlaufenden Diskussion mit rassenhygienischen und sozialdarwinistischen Vorstellungen oder Nützlichkeitserwägungen für die Gemeinschaft zeigt Schmuhl, 1987, S. 106 ff. 1089 1090
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Euthanasieapparates eingeschränkt hätte.“1098 Für ein Recht des Sterbenden, in vom Staat unbeeinflußter Sphäre über sein Leben bestimmen zu können, war im nationalsozialistischen Denken kein Raum. Ist dagegen wie hier die von der Menschenwürde des Grundgesetzes geforderte Autonomie Ausgangspunkt der Überlegung, dann verlangt gerade diese Autonomie, daß keiner befugt ist, anderen ein Lebensrecht prinzipiell abzusprechen. Dazu steht es nicht in Widerspruch, wenn das Lebensrecht zudem als individuelle Freiheitssphäre aufgefaßt wird und jedem in der negativen Seite auch die Dispositionsbefugnis über das eigene Leben zukommt. Die ohne Zweifel gegebene Intention des Verfassungsgebers, mit dem Recht auf Leben utilitaristische und rassenideologische Bewertungen des Lebens zu verhindern, widerspricht dann nicht einem Recht auf aktive Sterbehilfe, sondern wird in der weiteren Abkopplung des Lebensrechtes von Erwägungen seiner Gemeinschaftsgebundenheit noch stärker hervorgehoben. Die historische Auslegung widerspricht zwar eindeutig der eugenischen Euthanasie, sie ist aber nicht geeignet, ein generelles Verbot der aktiven Sterbehilfe zu begründen.
3. Systematische Auslegung: Struktur der Freiheitsrechte: status negativus oder status positivus Im Hinblick auf die Struktur der Freiheitsrechte scheint sich bei der aktiven Sterbehilfe gegenüber dem Suizid ein wesentlicher Unterschied zu ergeben. Beim Suizid konnte festgehalten werden, daß den Freiheitsrechten der gemeinsame Zweck zu eigen ist, einen Einbruch von staatlichen Repräsentanten in bestimmte Sphären abzuwehren. Die Abwehrdimension gegenüber dem Staat wird damit auf den negativen Freiheitsgebrauch erweitert. Von anderem Charakter scheint es dagegen zu sein, wenn im Freiheitsrecht nun die Befugnis erkannt werden soll, fremden Einfluß in den individuellen Freiheitsraum hereinzuholen.1099 In staatlichen Krankenhäusern scheint dies nun zur Verkehrung der Grundrechte in ihr Gegenteil zu führen, wenn der Freiheitsgebrauch auch die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes durch den Staat beinhalten soll.1100 Dagegen ist zwar einzuwenden, daß der auf sein Verlangen hin Getötete dies nicht als Beeinträchtigung seines Grundrechtsgutes, sondern als Umsetzung seiner negativen Lebensfreiheit ansieht. Nur scheint hier ein Wechsel vom klassischen Bereich der „Freiheit vom Staat“ (status negativus) hin zur „Freiheitsgewährleistung durch den Staat“ (status positiSchmuhl, 1987, S. 296 f. Zutreffend Amelung, 1981, S. 29. 1100 Vgl. Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 36; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 II Rn. 191; v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 51, ders., a. a. O., Art. 1 Rn. 36 Stw. Sterbehilfe, die eine aktive Sterbehilfe durch unmittelbaren hoheitlichen Akt und damit in staatlichen Krankenhäusern für verfassungswidrig erachten. 1098 1099
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vus)1101 zu liegen.1102 Der status positivus ist nun zwar eine wichtige Ergänzung der klassischen abwehrrechtlichen Grundrechtsdimension, seine verfassungsrechtliche Gewährleistung unterliegt aber nicht der gleichen strukturellen Vermutung, wie dies für ein Abwehrrecht auch in negativer Dimension gilt. Zwei Gründe sprechen dagegen, die Schutzbereichsdimension der aktiven Sterbehilfe nicht abwehrrechtlich zu beurteilen, weil sie auch in staatlichen Krankenhäusern erfolgen könnte. Zum einen handelt es sich bei der aktiven Sterbehilfe gerade nicht um eine Freiheit, zu deren Ermöglichung eine staatliche Leistung erforderlich ist.1103 Auch der Arzt in einer privaten Klinik kann dem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe ohne ergänzende staatliche Aktivitäten nachkommen. Es fehlt mithin an einem notwendigen staatlichen Leistungsbezug. Des weiteren steht die aktive Sterbehilfe im Verhältnis von Arzt und Patient nicht für sich. Verantwortet wird sie kaum als ambulante Dienstleistung, sondern nur im Verlauf eines Sterbeprozesses im Hinblick auf die äußeren Umstände und vor allem die persönlichen Vorstellungen des Patienten über einen ihm angemessenen Tod in Betracht kommen. Der Arzt begleitet seinen Patienten in einem Sterbeprozeß, an dessen Endpunkt allenfalls eine aktive Sterbehilfe möglich sein kann. Für Arzt und Patient wird damit der persönliche Charakter dieser Beziehung im Vordergrund stehen. Staatliche Kliniken unterscheiden sich hierin kaum von privaten. Der Staat greift allerdings durch das Verbot der Tötung auf Verlangen von außen in das Verhältnis von Arzt und Patient freiheitsbeschränkend ein. Dem Patienten, der seine negative Lebensfreiheit ausüben möchte, kommt es deshalb entscheidend auf die Abwehr des staatlichen Einflusses auf seine Beziehung zum Arzt an. Damit steht aber auch die aktive Sterbehilfe nicht im Widerspruch zur klassischen Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte (status negativus),1104 so daß die negative Freiheitsdimension der Grundrechte für die Verankerung der aktiven Sterbehilfe im Schutzbereich des Lebensrechtes spricht.1105
1101 Zum Begriff des „status positivus“ siehe v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 152 ff. 1102 In diesem Sinne z. B. Roellecke, 1976, S. 336 (341 f.); Burkart, 1983, S. 90 f.; Möllering, 1977, S. 92 f. 1103 Das wird man allerdings voraussetzen müssen, wenn Grundrechte einen status positivus begründen sollen, vgl. v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 157; BKGG-Enders, vor Art. 1 Rn. 72 f. 1104 Entgegen dem gelegentlichen Mißverständnis ist deshalb mit der Feststellung, die aktive Sterbehilfe unterfalle dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, noch nicht gesagt, ob der Staat verpflichtet ist, den Patienten auf seinen Willen hin zu töten (status positivus), näher s. u. § 11. 1105 Hinsichtlich der systematischen Auslegung im engeren Sinne führt die aktive Sterbehilfe nicht zu anderen Ergebnissen als beim Suizid, so daß insoweit auf obige Ausführungen verwiesen werden kann (s. o. II. 4.).
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4. Verstoß gegen die Menschenwürde Während im Suizid nur von wenigen ein Verstoß gegen die Menschenwürde angenommen wird (s. o. II. 5.), wird dies bei einer aktiven Sterbehilfe vielfach anders beurteilt.1106 Als zentraler Gesichtspunkt, der im Verhältnis zum Suizid zu einer unterschiedlichen Wertung führen soll, wird dabei der Umstand gesehen, daß das Tötungsgeschehen nunmehr in der Hand eines Dritten liege und damit das Leben einer Fremdverfügung unterworfen sei.1107 Soweit dagegen nicht speziell die Fremdverfügung in Rede steht, ist die Argumentation allerdings vielfach ähnlich wie beim Suizid. Vorliegend wird zunächst auf das Argument der „Fremdverfügung“ eingegangen, anschließend auf Besonderheiten der Argumentation gegenüber der Suizidargumentation bei der Objektformel, der biologistischen Argumentation und dem objektiv-rechtlichen Achtungsanspruch.
a) Fremdverfügung Wie bereits ausgeführt, ist der zentrale Gehalt der Menschenwürde der Schutz der Bedingung der Möglichkeit von individueller und öffentlicher Autonomie. Dies verlangt zwar nicht einen Schutz vor sich selbst, die Rechtsordnung kann aber kein Recht auf Aufgabe dieses Rechts zuerkennen. Eine Übereignung der eigenen Person unter Aufgabe seiner Freiheitsrechte ist deshalb im Bereich der Grundrechtsordnung nicht zulässig. Deutlich wird dies im Verbot der Sklaverei, die auch nicht vertraglich herbeigeführt werden darf.1108 In gleicher Weise widerspräche aber auch ein Vertrag über den Verkauf des eigenen Lebens dieser Voraussetzung, weil mit der Zerstörung des Lebens auch alle Freiheitsrechte irreversibel genommen werden. Das Leben sei ein höchstpersönliches Gut, dessen freie Verfügung dann auch sein Inhaber nicht einem anderen übertragen könne.1109 Nach Fuchs würde ein Recht, getötet zu werden, in gleicher Weise einer Veräußerung der eigenen Freiheit wie die Selbstverpflichtung zum Sklavendienst entsprechen.1110 Für die Ansicht von Fuchs spricht zunächst, daß mit der Zerstörung des eigenen Lebens auch zukünftig alle Möglichkeiten der Entfaltung der eigenen 1106 Wilms / Jäger, ZRP 1988, S. 41(45 f.); Leisner, 1976, S. 39; Paulduro, 1992, S. 165 f.; Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (32); AK3-Correll, Art. 2 II Rn. 66 f.; B. Reuter, 2001, S. 250; tendenziell auch Häberle, HStR I., § 20 Rn. 97; letztlich natürlich implizit alle Auffassungen, die bereits im Suizid einen Verstoß gegen die Menschenwürde erkennen. 1107 Nipperdey, 1954, S. 29; Paulduro, 1992, S. 165 f.; Rilinger, GA 1997, S. 418 (429); Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (32); AK3-Correll, Art. 2 II Rn. 65 ff.; vgl. auch Eser, 1977b, S. 377 (410 f.); Schroeder, ZStW 106 (1994), S. 565 (573 f.). 1108 Sich vertraglich in die Leibeigenschaft zu begeben, war historisch ein gängiger Einstieg in die Versklavung von Mitgliedern der eigenen Gesellschaft. 1109 Jakobs, 1998, S. 15. S.o. § 7 VIII. 1. 1110 Fuchs, 1997, S. 31 (65).
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Person vereitelt werden. Der Vergleich mit der Sklaverei scheint hier treffend, weil in ihr die Selbstbestimmung der Person aufgehoben ist. Denn der Zustand der Sklaverei ist nicht dadurch charakterisiert, daß jemand für andere Dienste ausführt. Der überwiegende Teil der arbeitenden Bevölkerung verdient seinen Lebensunterhalt durch nichtselbständige, weisungsgebundene Tätigkeiten. Und auch wer einem anderen auf dessen Anweisung hin mit seiner ganzen Person unselbständige Dienste leistet und als Gegenleistung nur etwas Verpflegung erhält, ist rechtlich nicht dessen Sklave, wenn er faktisch und normativ die Möglichkeit besitzt, seine Arbeitsleistung jederzeit einzustellen.1111 Zum Verstoß gegen die Menschenwürde wird ein solcher Dienst erst, wenn er gegen den Willen des Dienstleistenden eingefordert werden kann, weil dieser erst dann seine eigene Freiheit veräußert hat. Kennzeichnend für die Sklaverei ist es deshalb, mit der ganzen Person auch gegen den eigenen Willen gebunden zu sein. Ist allerdings die Freiheit der Entscheidung die wesentliche Trennlinie zwischen unvernünftigem Verhalten und die Würde verletzenden Zuständen, dann wird man auch bei einer Tötung auf Verlangen wesentlich auf die faktische und normative Freiwilligkeit abstellen müssen. Die von Fuchs behauptete „Veräußerung“ des eigenen Lebens bei einer Tötung auf Verlangen1112 ist deshalb dann nicht gegeben, wenn die Freiheit der Entscheidung nicht nur aktuell im Moment eines bindenden Vertragsschlusses, sondern auch zukünftig in der jederzeitigen Berechtigung zur Änderung der eigenen Entscheidung gewährleistet ist. Eine vertragliche Bindung zur Hingabe des eigenen Lebens ist dann aber nicht möglich. Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht die Irreversibilität der eigenen Tötung einem Zustand der Sklaverei gleichsteht, weil mit ihr die zukünftige personale Entwicklung unwiderruflich verloren ist. Die Gleichstellung mit der Sklaverei ist jedoch auch hier verfehlt. Nicht die Irreversibilität an sich, sondern die Verfügungsbefugnis über eine Person, d. h. eine Handlung gegen ihren Willen, begründet die Sklaverei. Ist dieser Zustand irreversibel, ist die Sklaverei im Verhältnis zur Leibeigenschaft auf Zeit besonders unerträglich. Wer allerdings auf sein Verlangen hin getötet wurde, über den wurde zu keinem Zeitpunkt gegen dessen Willen verfügt.1113 Nach Eser ergibt sich die Fremdbestimmung dagegen bereits daraus, daß die Letztentscheidung über Leben und Tod einem anderen anheim gegeben wird.1114 Daß die Letztentscheidung beim Arzt liegt, ist allerdings schon sachlich nicht im1111 Um keinen in die Gefahr derartiger Abhängigkeiten zu bringen, ist die Sicherung des Existenzminimums auch aus diesem Grund eine Verpflichtung des Grundgesetzes, um Abhängigkeitsverhältnisse, die im Widerspruch zur Menschenwürde stehen, zu verhindern. 1112 Fuchs, 1997, S. 31 (65). 1113 Allerdings führt die Irreversibilität der Entscheidung gegen das eigene Leben dazu, daß die Tötung auf Verlangen vom Gesetzgeber nur dann zugelassen werden kann, wenn sie auch seinem wirklichen, d. h. nicht nur aktuellen, sondern langfristigen Interesse entspricht. 1114 Eser, 1977b, S. 377 (410); ebenso AK3-Correll, Art. 2 II Rn. 66 f. u. 71.
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mer zutreffend. Bei einer Tötung auf Verlangen entscheidet sich zwar der Arzt erst im Anschluß an die Bitte des Patienten zur Tötung, nur verbleibt dem Patienten immer noch die Möglichkeit, bis zur Unumkehrbarkeit des tödlichen Handlungserfolges seine Entscheidung zu widerrufen. Die Letztentscheidung liegt sogar beim Patienten, wenn der Arzt eine langsam laufende, tödlich wirkende Infusion anhängt und der Patient danach noch für kurze Zeit die Möglichkeit besitzt, den Arzt zur Abtrennung der Infusion aufzufordern. Der Patient besitzt in diesem Fall auch nach der tödlichen Handlung des Arztes noch die Letztentscheidung über sein Leben. Hirsch erkennt die unzulässige Fremdverfügung bereits in dem Umstand, daß nicht wie im Suizid eine Selbstverletzung, sondern eine einverständliche Fremdverletzung erfolge.1115 Außenstehende „verfügen“ danach allein dadurch über das Leben des Patienten, daß sie das tatsächliche Geschehen in der Hand halten. Es ist allerdings ein voreiliger Schluß, von dem Vollzug einer Handlung durch einen anderen auf eine „Fremdverfügung“ zu schließen. Bei einer Tötung auf Verlangen übergibt der Patient seinem Arzt sein Leben nicht zu dessen beliebiger Verfügung.1116 Anders wäre dies, wenn er dem Arzt die eigene Tötung nach dessen Zwecken oder Interessen freistellen würde. Das ist bei einer Tötung auf Verlangen gerade nicht der Fall, weil der Patient den Wunsch nach der eigenen Tötung nicht davon abhängig macht, ob auch der Arzt davon für sich Vorteile erhofft. Vielmehr will der Verlangende durch den Arzt einen selbst gesetzten Zweck umsetzen, nämlich durch die Tötung den Sterbeprozeß beenden. Der Unterschied zwischen Suizid und Tötung auf Verlangen besteht mithin darin, daß der Zweck des Patienten bei der Selbsttötung eigenhändig, dagegen bei der verlangten aktiven Sterbehilfe durch Hilfspersonen umgesetzt wird.1117 Ebenso wie bei der Selbsttötung die eigene Zweckverfolgung eine Objektbehandlung ausschließt, ist mit der Verfolgung der Zwecke des Patienten eine Fremdverfügung nicht gegeben. Wollte man hier anders urteilen, stünde dies im Widerspruch zu den sonstigen Annahmen, die wir im Recht treffen. Eine gewünschte Schönheitsoperation am Patienten ist ebensowenig eine Fremdverfügung über dessen Körper wie die Reise mit einem Flugzeug eine Freiheitsberaubung darstellt. Man setzt sich absurder Schlußfolgerungen aus, wollte man die Inanspruchnahme von Mitmenschen zur Umsetzung des eigenen Willens als Formen der Fremdverfügung ansehen. Vielmehr werden durch die Einsetzung anderer Menschen für selbstgesetzte Ziele zusätzliche Handlungsmöglichkeiten und damit Freiheitsspielräume erschlossen. Ein Sterbender, der seinen Willen zum Tod wegen fehlender Kräfte nicht mehr umsetzen kann, erschließt sich mit der Bereitschaft des Arztes, ihn auf sein Verlangen hin zu töten, eine weitere Alternative der Selbstbestimmung, die ihm ansonsten verwehrt wäre. Die Einsetzung weiterer Personen zur Realisierung des eigenen Willens kann deshalb – 1115 1116 1117
Hirsch, 19887, S. 597 (612). Siehe zum folgenden Jakobs, 1998, S. 15 f. Jakobs, 1998, S. 16.
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jedenfalls für denjenigen, der die zu realisierenden Zwecke vorgibt – keine Fremdverfügung sein, sondern ist vielmehr Ausdruck einer Ausweitung autonomer Selbstbestimmungsmöglichkeiten. Bezweifelt wird nun jedoch, daß die Tötung auf Verlangen überhaupt dem Interesse des Betroffenen dienen kann. Eser begründet die Unmöglichkeit, daß eine Tötung als Mittel der Schmerzbeseitigung im Interesse des Getöteten vorgenommen werden könnte, mit dem Verweis auf einen normlogischen Widerspruch: „Zum anderen dürfte auch ein normlogischer Widerspruch darin liegen, daß die Person, der man helfen will, durch die Hilfsaktion beseitigt wird. Schmerzlinderung, die nicht nur die Schmerzen beseitigt, sondern auch den Leidenden selbst, liquidiert die Schutzperson, der sie eigentlich dienen will.“1118
In der Tat erscheint es widersprüchlich, wenn die Person, deren Schmerzen beseitigt werden sollen, nunmehr selbst vernichtet wird. Nur wird die Person, die den Tod in der Absicht wünscht, keine weitere Schmerzen zu empfinden, nicht die Möglichkeit eines Lebens ohne Schmerzen haben. Der Patient kann in dieser Situation offensichtlich nur zwischen einem Leben mit Schmerzen oder dem Tod ohne Schmerzen wählen. Entscheidet er sich für letzteres, dient die Tötung diesem Interesse. Ein (norm-)logischer Widerspruch besteht nicht.1119 Ebensowenig in den Fällen, in denen der eigene Tod gegenüber dem Weiterleben aus anderen Gründen bevorzugt wird, z. B. wenn der eigene hilflose Zustand als unerträglich angesehen wird. b) Objektbehandlung Soweit eine unzulässige Objektbehandlung deshalb angenommen wird, weil bei der Tötung auf Verlangen immer ein Moment von Fremdbestimmung gegeben sein soll,1120 kann dem aufgrund obiger Argumentation nicht gefolgt werden. Die Vorgabe des zu erfüllenden Zwecks und die Bestimmung des Mittels zu dessen Realisierung durch den Patienten schließen eine Fremdverfügung aus. Zur Belegung einer die Würde mißachtenden Objektbehandlung bei einer Tötung auf Verlangen werden nun weitere Argumente vorgebracht. Wilms / Jäger nehmen sich der der Objektformel zugrundeliegenden Zweck-ansich-Formel wieder an, um auch die Tötung auf Verlangen als Verstoß gegen die Menschenwürde nachzuweisen. Dabei sehen sie nunmehr den zu achtenden Zweck in der Gewährleistung der gleichen Freiheit für alle.1121 1118 Eser, 1975, S. 45 (63); ebenso Möllering, 1977, S. 40. Allerdings verwenden beide dieses Argument zur Widerlegung des strafrechtlichen Arguments, daß die direkte Tötung auf Verlangen, wenn sich schwere Schmerzen nicht anders beseitigen lassen, als rechtfertigender Notstand erlaubt sei, so. z. B. Simson, 1973, S. 89 (109 f.). 1119 So auch Stürmer, 1989, S. 77; Merkel, 2001, S. 197 f. 1120 Nipperdey, 1954, S. 29. 1121 Wilms / Jäger, ZRP 1988, S. 41 (46).
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„Zweck des Rechts ist, die Freiheit, als Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür zu gewährleisten. [ . . . ] Wer einen Menschen tötet, hebt damit dessen Freiheit auf, vernichtet sie. Die Tötung auf Verlangen stellt eine Fremdbestimmung der Person des Todeswilligen insgesamt dar.“1122
Die Einwilligung in die eigene Tötung vermag nach dieser Auffassung die Fremdbestimmung deshalb nicht aufzuheben, weil „die Vernichtung der Bedingung der Möglichkeit eines möglichen Freiheitsgebrauchs, des Subjekts der Freiheit, gerade der ausgezeichnete Fall von nötigender Willkür ist. Es ist ein Eingriff in die Freiheit des anderen. [ . . . ] Tötung auf Verlangen ist strafwürdig, weil es der Freiheit des Individuums zuwider ist, da sie Freiheit unmöglich macht.“1123
Richtig an dieser Argumentation ist, daß die Tötung eines anderen Menschen eine Vernichtung seiner Freiheitsmöglichkeiten ist. Das gleiche Ergebnis tritt allerdings auch beim Behandlungsabbruch ein, wenn der Eintritt des Todes die sichere Folge ist. Wer allerdings den vorgegebenen Zweck des Menschen in der Erhaltung seiner Freiheitsmöglichkeit sieht, weil ihre Aufgabe der Freiheit des Individuums zuwider sein soll, der darf dann auch keinem eine freie Selbstbestimmung über den Behandlungsabbruch zubilligen. Es wurde allerdings bereits gezeigt, daß diese Auffassung dem Grundgesetz widerspricht (s. o. I.). Damit fällt die von Wilms / Jäger aufgestellte Voraussetzung weg, wegen der eine Einwilligung in die eigene Tötung nicht möglich sein soll. Über die Bedingung der Möglichkeit seines Freiheitsgebrauchs darf verfügt werden. Was aber im zulässigen Einverständnis des Betroffenen erfolgt, ja sogar auf dessen Verlangen hin geschieht, kann aber dessen Willen gegenüber niemals als „nötigende Willkür“1124 angesehen werden.1125 Wenn eine von A an B vorgenommene Handlung fortlaufend von dem Einverständis des B gedeckt ist, dann wird B von A weder „genötigt“ noch „willkürlich“ behandelt, wenn A genau das vollzieht, was B gefordert hat. Weiterhin wird vorgebracht, daß die Tötung auf Verlangen gerade nicht nur auf das Verlangen hin erfolgt, sondern nur dann, wenn der Arzt diese Entscheidung für begründet ansieht. Ein Arzt wird seinen Patienten deshalb nur dann töten wollen, wenn er selbst zu der Auffassung gelange, daß die Tötung für den Patienten besser sei als weiter zu leben.1126 Voraussetzung der Tötung auf Verlangen sei damit auch ein Unwerturteil über das Leben des Patienten als „lebensunwert“1127 oder „sinnlos, würde- oder wertlos“,1128 sie erfolge deshalb immer unter Mißachtung des LeWilms / Jäger, ZRP 1988, S. 41 (45). Wilms / Jäger, ZRP 1988, S. 41(45 f.). 1124 Warum nach Wilms / Jäger, ZRP 1988, S. 41(45 f.) die „Aufhebung der Freiheit anderer Personen [ . . . ] nötigende Willkür“ sein soll, auch wenn sie im Einverständnis des Betroffenen erfolgt, wird leider an keiner Stelle belegt. 1125 Vgl. auch Schroeder, ZStW 106 (1994), S. 565 (571). 1126 So z. B. A. W. Müller, 1997, S. 65 ff.; Fuchs, 1997, S. 31(79 ff.); ders., Ethik Med 1997, S. 78 (87). 1127 Fuchs, 1997, S. 31 (80). 1122 1123
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bens- oder Subjektwertes des Getöteten.1129 An diesem Argument ist zutreffend, daß der Arzt nicht das willenlose Werkzeug seines Patienten ist und auch nicht zur Leistung von aktiver Sterbehilfe verpflichtet werden kann (s. u. § 11). Diese Argumentation verkürzt jedoch den aus der Menschenwürde sich ergebenden Achtungsanspruch auf das Leben. Anspruch auf Achtung als Subjekt hat nicht das Leben an sich, sondern der ganze Mensch. Der Arzt mißachtet deshalb seinen Patienten nicht, wenn er dessen persönliche Entscheidung über sein Leben in dieser Situation nachvollzieht. Nur behält sich der Arzt vor, lediglich unter bestimmten Voraussetzungen, die ihm seine eigene Ethik vorgibt, für ein derartiges Tötungsverlangen zur Verfügung zu stehen. Das ist keine Mißachtung des Patienten, sondern Voraussetzung dafür, daß zwei Menschen sich als gleichberechtigte Subjekte anerkennen, da keiner über das Gewissen des anderen verfügen darf. Nach Fuchs kann dagegen allein die Umsetzung einer Tötung auf Verlangen wegen der psychisch-physischen Einheit des Menschen niemals ohne Mißachtung der Person des Patienten durch den Arzt erfolgen.1130 Ein Angriff auf das Leben könne wegen der psychisch-physischen Einheit nicht von einem Angriff gegen die Person getrennt werden. Wer das Leben eines anderen Menschen zerstöre, vernichte damit auch immer dessen Person.1131 Nach Fuchs kann deshalb keiner in die Vernichtung seines Lebens einwilligen, ohne für sich zugleich die Mißachtung der eigenen Person einzufordern.1132 Eine dienende, dem Interesse des zu Tötenden sich unterordnende Tötungshandlung sei wegen der psychisch-physischen Einheit des Menschen unmöglich. Die Gegenauffassung verfalle dagegen dem bereits überwundenen Leib-Seele-Dualismus.1133 Fuchs ist insoweit zuzustimmen, daß der Getötete niemals nur an seinem Körper, sondern auch als Person vernichtet wird. Fuchs zeigt nicht, warum sich die Tötung in einem mißachtenden Sinn gegen die Person richtet, wenn diese auf ihre Bitte hin getötet wird. Im Gegenteil kann von einem Angriff oder einer Mißachtung dann nicht gesprochen werden, wenn etwas im Einverständnis mit dem Betroffenen erfolgt. Wer Bauarbeiter beauftragt, auf seinem Grundstück ein Haus abzureißen, wird nach getaner Arbeit kaum empört behaupten können, man habe sein Eigentum mißachtet. Sein Eigentum mißachtet hier höchstens der Eigentümer selbst. Dritten kann erst dann der Vorwurf der Mißachtung gemacht werden, wenn diese die Rechte des Eigentümers, mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren, nicht beachten. Eine Mißachtung der Person ist deshalb entsprechend erst dann gegeben, wenn das Recht der Person an sich selbst und über ihren Körper nicht beachtet wird. 1128 1129 1130 1131 1132 1133
Fuchs, Ethik Med 1997, S. 78 (87); ähnlich auch Duttge, GA 2001, S. 158 (170 f.). Fuchs, 1997, S. 31 (79 ff.); der., Ethik Med 1997, S. 78 (87). Fuchs, 1997, S. 31 (79 ff.); ders., Ethik Med 1997, S. 78 (87 f.). Fuchs, 1997, S. 31 (80); ders., Ethik Med 1997, S. 78 (88). Fuchs, 1997, S. 31 (80) ders., Ethik Med 1997, S. 78 (87 f.). Fuchs, 1997, S. 31 (79); ders., Ethik Med 1997, S. 78 (88).
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c) „Biologistische“ Argumentation Wie beim Suizid gibt es auch bei der Tötung auf Verlangen eine biologistische Position, die in der Begründung des Lebens aus der Menschenwürde und der Heiligkeit des Lebens auf das absolute Verbot der aktiven Sterbehilfe schließt.1134 Tatsächlich besitzt in der Grundrechtsordnung jedes menschliche Leben allein aufgrund seines Daseins ein Recht auf Leben; ein Interesse am eigenen Leben ist nicht Voraussetzung für das Lebensrecht (s. o. § 7 VIII. 2.).1135 Daraus folgt nicht, daß sich der Träger dieses Lebens, nicht gegen sein eigenes Leben entscheiden darf (s. o. I. u. II.). Wird dies eingestanden,1136 ergibt die Begründung des Lebensrechtes in der Menschenwürde kein absolutes Verfügungsverbot über das Leben. Relevant kann die biologistische Argumentation dann allenfalls zur Begründung eines absoluten Fremdverfügungsverbots über das Leben anderer Menschen sein, weil durch die Tötung eines anderen Menschen nicht nur dessen Leben, sondern immer auch dessen Menschenwürde betroffen sei.1137 Diese Position beruht auf einer unzulässigen biologistischen Gleichsetzung von Leben und Menschenwürde, die weder dem Prinzipiencharakter der Menschenwürde gerecht wird, noch mit dem Gesetzgebungsvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG vereinbart werden kann und schließlich nicht der geltenden Rechtsordnung bei Notwehr, Kriegseinsatz und finalen Rettungsschuß entspricht (s. o. § 7 VIII. 4. b). Da die biologistische Gleichsetzung offensichtlich zu weit gerät, schränkt deshalb Beckmann diesen Ansatz entsprechend der römisch-katholischen Lehre ein. Das Leben sei in seinem „Kernbereich – dem ,Menschenwürdekern‘ des Rechts auf Leben“ erst bei einer „Tötung unschuldiger, nicht angreifender Menschen“ betroffen.1138 In der Tat müßte unter dieser Annahme die Tötung auf Verlangen als Verstoß gegen die Menschenwürde (oder den unantastbaren Kernbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 2 GG) gewertet werden. Dies hätte die weithin unerwünschte Konsequenz, daß dann auch die indirekte Sterbehilfe einen Verstoß gegen die Menschenwürde begründen würde (vgl. oben § 3 I. u. II.). Auch sie führt zur Tötung unschuldigen menschlichen Lebens. Entscheidend gegen die Position von Beckmann spricht, daß die maßgebliche Begründung dieser Behauptung – in ihrer biologistischen Variante – auf der Annahme beruht, daß „unschuldiges Leben“ überhaupt „unverfügbar“ ist.1139 Dem wurde bereits mit der Begründung des Suizidrechts widersprochen (s. o. I. u. II., insbesondere II. 5. b).
1134 So z. B. Paulduro, 1992, S. 165; Sengler / Schmidt, MedR 1997, S. 241 (243); ähnlich Rilinger, GA 1997, S. 418 (428 f.), der jedoch keinen absoluten Lebensschutz vertritt. 1135 Rilinger, GA 1997, 418(passim). 1136 So auch Paulduro, 1992, S. 165; Rilinger, GA 1997, S. 418 (429). 1137 Sengler / Schmidt, MedR 1997, S. 241 (243). 1138 Beckmann, MedR 2001, S. 169 (171); ebenso Büchner, 2000, S. 9(ebda.). 1139 Gestützt wird diese Position mit dem Fremdverfügungsverbot, insoweit siehe bereits die Diskussion unter a.
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d) Objektiv aufgegebene Achtung der Menschenwürde Die aktive Sterbehilfe im freien Einverständnis mit dem Patienten begründet nach alledem keinen Verstoß gegen die Würde des Betroffenen selbst. Stellt sie den Achtungsanspruch Dritter in Frage? Anders als beim Suizid liegt bei einer Vernichtung fremden Lebens eine Gefährdung des Achtungsanspruchs Dritter nahe. Deshalb müsse nach verbreiteter Auffassung die Fremdtötung ein Tabu bleiben, das keine Ausnahme kenne – ansonsten bestünde die Gefahr einer Ausuferung.1140 Dies knüpft teilweise an die Dammbruchargumentation an. Im Kern wenden sich Dammbruchargumente nicht gegen den Einzelfall, sondern nur gegen die vermuteten Auswirkungen einer verbreiteten Rechtspraxis. Die Würde Dritter ist durch eine Tötung auf Verlangen nicht unmittelbar betroffen, sondern nur bei einer entsprechenden Praxis gefährdet. Nach Schmitt Glaeser verlangt die objektive Dimension der Menschenwürde auch, einer Untergrabung und Auflösung der Menschenwürdekonzeption entgegen zu treten.1141 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Doch wem kommt die Aufgabe der Gefahrenprognose zu? Von seiner Struktur her verweisen Dammbruchargumente auf die Schutzpflicht des Gesetzgebers, die ihn verpflichtet, eine Gefährdung der Achtung der Menschenwürde zu verhindern. Sollte das Dammbruchargument zwingend sein, dann müßte die aktive Sterbehilfe unter allen Umständen zum Schutz der Menschenwürde untersagt werden. Wie allerdings noch gezeigt werden soll, sind Dammbruchargumente Spekulationen, die keinen zwingenden Kausalverlauf wiedergeben. Sie können deshalb den Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers nicht automatisch aufheben (s. u. § 14 III.). Trotzdessen kann vorliegend gefragt werden, ob nicht jede Fremdtötung für sich Ausdruck einer auch Dritte in ihrem Achtungsanspruch verletzenden Mißachtung des personalen Eigenwerts des Menschen ist. Eine vom Patienten geforderte aktive Sterbehilfe stellt gegenüber dem „Opfer“ keine Mißachtung dar. Aus ihr folgt auch nicht logisch die Verfügbarkeit fremden Lebens, weil bei einer Tötung auf Verlangen der Patient seinen Handlungsspielraum über den Arzt erweitert, aber rechtlich der Arzt nicht über das Leben des Patienten verfügt. Was dem Arzt im Einverständnis mit dem Patienten erlaubt ist, ist ihm noch lange nicht ohne dessen Einverständnis und erst recht nicht gegenüber Dritten gestattet. Aus der Einwilligung in die prophylaktische Blinddarmentfernung beim Patienten A folgt bekanntlich keine Einwilligungsvermutung zu einem solchen Eingriff beim Patienten B. Die Tötung auf Verlangen kann deshalb nicht normativ als allgemeine Mißachtung des Lebens aufgefaßt werden. Mit der Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe wäre allerdings das grundsätzlich geltende Tötungsverbot für die spezifische Gruppe der sterbenden Menschen auf breiter Ebene durchbrochen. Ähnlich zum „Zwergenweitwurf“ liegt es dann nahe, 1140 1141
Hirsch, 1987, S. 597 (612). Schmitt Glaeser, ZRP 2000, S. 395 (400 f.).
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eine Mißachtung des gleichberechtigten Subjektstatus von sterbenden Menschen überhaupt anzunehmen. Doch ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zu Fällen wie dem Zwergenweitwurf, wenn Forderungen nach einer aktiven Sterbehilfe nicht aus Gründen der Kostenersparnis oder der Entlastung von Verwandten und Pflegekräften erhoben werden, sondern auf dem freiverantwortlichen Bedürfnis von Menschen beruhen, ihren Todeszeitpunkt auch dann noch selber zu bestimmen, wenn ihnen die Möglichkeit zum Suizid erschwert ist. Dann ist die Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe nicht Ausdruck einer Einschätzung des Lebens von Sterbenden als lebensunwert, sondern sachlich durch die hilflose Lage der Sterbenden begründet, die auf Dritte zur Umsetzung ihres Willens angewiesen sind. Zudem ist die aktive Sterbehilfe in diesem Bereich nicht auf Außenwirkung aus, sondern eine Frage des individuell-persönlichen und damit privaten Umgangs mit dem eigenen Tod. Die aktive Sterbehilfe auf Verlangen verletzt deshalb weder die Würde des Patienten noch die Dritter.1142
5. Irreversibler Grundrechtsverzicht Ebenso wie beim Suizid (s. o. II. 7. b) wird bei der Tötung auf Verlangen wegen der irreversiblen Zerstörung des Lebens ein unzulässiger Grundrechtsverzicht angenommen.1143 Der Grundrechtsverzicht ist ein Willensakt des Bürgers gegenüber dem Staat, in welchem er unter Einschränkung seiner Grundrechtsposition den Handlungsspielraum des Staates erweitert.1144 Wenn auch der Begriff des Grundrechtsverzichts mißverständlich ist, weil damit die Vorstellung eines Totalverzichts verbunden ist,1145 ist sein entscheidender Gedanke durchaus gewichtig: Inwieweit kann über die eigene Grundrechtsposition verfügt werden, so daß an sich gegebene Grundrechtseingriffe nach dem Motto „volenti non fit iniuria“ zulässig sind?1146 Nun ist der Nichtgebrauch eines Grundrechts keineswegs gleichbedeutend mit einem Verzicht. Erforderlich ist es deshalb, den Grundrechtsverzicht von der negativen Ausübungsfreiheit von Grundrechten und der bloßen Nichtausübung eines Grundrechtes abzugrenzen.
Im Ergebnis ebenso BK-Zippelius, Art. 1 I, II Rn. 96; U. Neumann, 1998, S. 51(59 ff.). Tendenziell auch Bade, 1988, S. 122 f. 1144 In diesem Sinne Spieß, 1997, S. 50 f.; Stern, III / 1, § 86 II. 4. u. 6., S. 906 u. 912 f.; Schwabe, 1977, S. 97 u. 127; vgl. auch Pietzcker, Staat 17 (1978), S. 527 (531). 1145 Zutreffend die Kritik von Dreier-Dreier, Vorb. Rn. 83; Pietzcker, Staat 17 (1978), S. 527 (531); Stern III / 1, § 86 I. 1., S. 887: „Wer immer den Begriff Grundrechtsverzicht erfunden haben mag, er hat damit eine wenig glückliche Bezeichnung in die juristischen Terminologie eingeführt.“ 1146 Dreier-Dreier, Vorb. 83. 1142 1143
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Bei der Nichtausübung wird ein Grundrecht nicht geltend gemacht, wenn z. B. eine verfassungswidrige Steuer bezahlt wird, ohne dagegen Rechtsbehelfe einzulegen.1147 Nun kann in der Nichteinlegung von Rechtsmitteln nicht ein Verzicht auf ein Grundrecht gesehen werden, weil das Grundrecht unbeschadet möglicher gesetzlicher Einschränkungen, wie etwa des Fristablaufs für Rechtsbehelfe, weiterhin geltend gemacht werden kann.1148 Besonders deutlich ist der Unterschied zum Grundrechtsverzicht bei den Grundrechten, die unstreitig eine negative Freiheitsdimension aufweisen. Art. 4 Abs. 1 GG schützt nach einhelliger Auffassung auch die Freiheit, keinen Glauben zu haben oder zu bekennen. Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet neben der Freiheit sich zusammenzuschließen die negative Vereinigungsfreiheit, d. h. das Recht, einer Vereinigung nicht beitreten zu müssen.1149 Beides ist deshalb kein Verzicht auf ein Grundrecht, sondern die Wahrnehmung der negativen Freiheitsdimension.1150 Soll nun geklärt werden, ob das Recht auf Leben auch eine negative Freiheitsverbürgung aufweist, dann kann aus der Verneinung des Lebens nicht auf einen Grundrechtsverzicht geschlossen werden. Denn in der Selbsttötung wird nicht auf ein Grundrecht verzichtet, sondern von dem Recht Gebrauch gemacht, über sein Leben zu verfügen.1151 Auch die Irreversibilität1152 der Entscheidung führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Irreversibilität ist ein Gesichtspunkt, der bei einem gegebenen Grundrechtsverzicht ausschlaggebend für seine Unzulässigkeit sein kann,1153 aber dazu muß zunächst einmal ein Grundrechtsverzicht gegeben sein. Damit verfängt sich die Argumentation, die ein Recht auf aktive Sterbehilfe unter Verweis auf den angeblichen Grundrechtsverzicht ablehnt, in einen Zirkelschluß: ein Recht auf aktive Sterbehilfe wird wegen des irreversiblen Grundrechtsverzichts verneint, der Grundrechtsverzicht wiederum soll nicht zulässig sein, weil das Lebensrecht keine negative Grundrechtsseite besitzt. Erforderlich für eine stringente Argumentation ist deshalb zunächst die Klärung, ob der Grundrechtsträger über sein Grundrecht dispositionsbefugt ist,1154 d. h. insbesondere, ob nicht auch ein negatives Freiheitsrechtsrecht Gegenstand des Grundrechts auf Leben ist. Robbers, JuS 1985, S. 925(ebda.); siehe auch Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 133. Robbers JuS 1985, S. 925(ebda.). 1149 Siehe Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-R. Herzog, Art. 4 Rn. 78 f.; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Scholz, Art. 9 Rn. 88 ff. 1150 Stern, III / 1, § 86 II. 2., S. 904 f.; Robbers, JuS 1985, S. 925 (925 f.); einschränkend Amelung, 1981, S. 28. 1151 So aber Beckert, 1996, S. 132; Czinczoll, 1984, S. 127 f., die die Selbsttötung dem Grundrechtsverzicht gleichstellen wollen, weil der Suizid sich nicht in einer bloßen „Nichtausübung“ des Grundrechts erschöpfe. 1152 So z. B. Beckert, 1996, S. 132 f.; Czinczoll, 1984, S. 127. 1153 Siehe Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (153); Dreier-Dreier, Vorb. Rn. 83; Ipsen, 2000, Rn. 71. 1154 Vgl. Stern, III / 2, § 86 II. 6. a, S. 913. 1147 1148
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Das Recht auf Leben beinhaltet das Recht auf Bestimmung des eigenen Todeszeitpunkts (s. o. II. 8.). Die Tötung auf Verlangen ist, soweit sie im dienenden Verhältnis zum Grundrechtsträger erfolgt, ein Verwirklichungsmodus zur Umsetzung der negativen Freiheit in Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG (s. o. 5. a). Wenn der Staat bei der Verwirklichung eines Grundrechts unterstützend zur Seite steht, wie es z. B. bei der Finanzierung der Hochschulen zur Förderung der Wissenschaftsfreiheit gegeben ist, führt dies nicht zum Grundrechtsverzicht. Die Teilnahme des Staates an der grundrechtlich gewährleisteten Verneinung des eigenen Lebens kann somit nicht als Grundrechtsverzicht angesehen werden.1155 Doch wirft dies besonders bei einer Tötung auf Verlangen ein erhebliches Problem auf: Dem Staat werden dadurch im Bereich des Lebens massive Möglichkeiten des Mißbrauchs eröffnet. Zwar kann auch dies nicht die Wahrnehmung eines Grundrechts zum Grundrechtsverzicht umdefinieren. Im Verhältnis zum Staat bietet es sich wegen der Irreversibilität dieser Form der Grundrechtsausübung an, Gedanken des Grundrechtsverzichts und seiner Voraussetzungen aufzugreifen. Der Grundrechtsverzicht hat als individuelle Voraussetzungen (1) die Dispositionsbefugnis des Grundrechtsberechtigten über sein Rechtsgut, (2) die Freiwilligkeit des Verzichts und nach zutreffender Auffassung (3) die freie Widerruflichkeit der Erklärung.1156 Objektive Voraussetzungen des Grundrechtsverzichts sind (4) die Unantastbarkeit der Menschenwürde und (5) der Wesensgehalt der Grundrechte gem. Art. 19 Abs. 2 GG.1157 Mit der Feststellung der individuellen Verfügungsbefugnis über sein Leben durch Tötung auf Verlangen sind die Voraussetzung (1) und mit ihr die objektiven Bedingungen (4) und (5) gegeben. Die freie Widerruflichkeit (3) ist im Kontext der Menschenwürdegarantie Zulässigkeitsbedingung für die Einwilligung in die eigene Tötung. Insbesondere im Verhältnis zum Staat ist auf das Merkmal der Freiwilligkeit (2) besonderer Wert zu legen (näher s. u. 7.). Bezeichnenderweise hat das BVerfG1158 im Lügendetektorfall die Berechtigung zum Verzicht auf den Schutz aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verneint, weil die für die wirksame Einwilligung erforderliche Freiheit der Entscheidung nicht angenommen werden kann. Bei dem von einer Freiheitsstrafe bedrohten Angeklagten muß sich die Untersuchung durch den ,Lügendetektor‘ als eine günstige Gelegenheit darstellen, die er nicht ausschlagen sollte.1159 Im Verhältnis zum Staat ist deshalb besonders darauf zu achten, inwieweit dieser durch die Regelung des Umfeldes eine Entscheidung zu lenken ver1155 Aus den gleichen Gründen kann dann keine Veräußerung der Grundrechte im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG gegeben sein; zur Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit der Grundrechte siehe v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck Art. 1 Rn. 116 f. 1156 Siehe Stern, III / 1, § 86 II. 6., S. 912 ff. m. w. N. 1157 Siehe Stern, III / 1, § 86 III., S. 916 ff. m. w. N. 1158 BVerfG NJW 1982, S. 375 (ebda.). 1159 BVerfG NJW 1982, S. 375 (ebda.); kritisch, Schwabe, NJW 1982, S. 367 (ebda.).
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mag. Die Überprüfung der Freiwilligkeit einer Entscheidung wird deshalb diesen Gesichtspunkt besonders zu beachten haben.1160
6. Schutzpflicht des Gesetzgebers Anders als beim Suizid ist bei der aktiven Sterbehilfe, die für die staatliche Schutzpflicht dreipolige Beziehung gegeben, weil der Arzt als Dritter den Patienten tötet. Der Staat ist grundsätzlich verpflichtet, sich schützend vor das Leben seiner Einwohner zu stellen (s. o. § 9 II). Inwieweit darf nun auf die staatliche Schutzpflicht verzichtet werden?1161 Die Parallelität dieser dogmatischen Fragestellung gegenüber dem Grundrechtsverzicht spricht dafür, auch hier der Sache nach die Voraussetzungen für einen zulässigen Grundrechtsverzicht anzuwenden (vgl. oben 5.). Das kann allerdings nicht zu einem anderen Ergebenis führen. Die Wahrnehmung einer negativen Freiheitsdimension muß in einem auch die Schutzpflicht des Staates einschränken. Dies entspricht den obigen Ausführungen (§ 9 II. 2 c), daß eine staatliche Schutzpflicht zum Schutz des grundrechtsmündigen Menschen vor sich selbst zu verneinen ist. Anders als beim Suizid ist allerdings die stärkere Bedrohung Dritter durch die Zulässigkeit von Tötungshandlungen nicht von der Hand zu weisen. Sie eröffnet ein ganz anderes Ausmaß an Mißbrauchsmöglichkeiten und Gefahren des Dammbruchs. Damit sind aber nicht Gefährdungen desjenigen, der getötet werden will, sondern Dritter angesprochen. Insoweit besteht zweifellos eine Schutzpflicht des Gesetzgebers. Einschränkungen eines Grundrechts wegen der Grundrechte Dritter sind allerdings im Wege der Grundrechtskollision aufzulösen.1162 Drohende Gefahren für die Grundrechte Dritter begründen keine einseitige Verkürzung des Schutzbereichs des kollidierenden Grundrechts. Anders mag dies sein, wenn ein bestimmtes Verhalten – z. B. Verbrechen – immer massiv ein anderes Grundrecht tangiert.1163 Eine aktive Sterbehilfe hat dagegen für sich betrachtet keine Auswirkung auf die Grundrechte Dritter. Die Schutzpflicht des Gesetzgebers für das Leben derjenigen, die keine aktive Sterbehilfe wünschen, führt deshalb nicht zwangsläufig dazu, die aktive Sterbehilfe aus dem Schutzbereich der negativen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG auszuklammern.
Z. B. in einem Gefängniskrankenhaus. Vgl. insoweit Robbers, 1987a, S. 221. 1162 Vgl. auch Robbers, 1987a, S. 222: „Geraten dabei das Recht des einen auf Schutz mit dem Recht des anderen auf Selbstgefährdung in Konflikt, gelten die Regeln der Grundrechtskollision und es muß zu einer Zuordnung der betroffenen Rechte kommen.“ 1163 Siehe allgemein zu dieser Problematik Schwarz, JZ 2000, S. 126 ff. 1160 1161
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
7. Freiverantwortlichkeit der Entscheidung Die Freiwilligkeit der Entscheidung ist bei einer aktiven Sterbehilfe wichtig. Entsprechend zum Suizid schließt das juristische Schrifttum teilweise die Fähigkeit zur wirksamen Einwilligung in die eigene Tötung generell aus.1164 „Wenn ein Wesen, das normalerweise so zäh am Leben hängt, wie der Mensch, in seine Tötung einwilligt, so liegt der Gedanke an eine pathologische Ursache dieser Einwilligung nahe.“1165 Offensichtlich ist der Gesetzgeber hier anderer Auffassung. Denn das Erfordernis der „Ernstlichkeit“ des Verlangens in § 216 StGB setzt einen subjektiv freiverantwortlichen Entschluß des Opfers1166 und damit dessen Einwilligungsfähigkeit voraus.1167 § 216 StGB ist allerdings nur eine normative Annahme, keine empirische Wirklichkeitsaussage. Nun wurde bereits beim Suizid auf die Möglichkeit von nach rechtlichen Maßstäben freiverantwortlichen Todeswünschen in der Wirklichkeit hingewiesen (s. o. II. 7. a). Kann dies auch bei Sterbenden der Fall sein? Daß Menschen immer dann, wenn sie noch zurechnungsfähig sind „zäh am Leben“ hängen, kann von all den Auffassungen nicht ohne Selbstwiderspruch mitgetragen werden, die eine freiverantwortliche Entscheidung des Patienten gegen lebenserhaltende Maßnahmen im Bereich der passiven Sterbehilfe für möglich erachten. Anerkannt werden damit Entscheidungen von Patienten, die den Tod unter bestimmten Bedingungen einem Weiterleben vorziehen. Dies gilt nach obigen Ausführungen auch dann, wenn die Entscheidung „unvernünftig“ erscheint (s. o. I.).1168 Hier kann für die passive und aktive Sterbehilfe nur einheitlich entschieden werden. Ob Menschen dem Tod nun künstlich oder natürlich begegnen wollen, ist gegenüber der Entscheidung zum Tod nur eine Frage seiner Umsetzung, hat aber keinen Einfluß darauf, ob diese Entscheidung freiverantwortlich ist oder nicht.1169 R. Schmitt, 1972, S. 113 (118). R. Schmitt, 1972, S. 113 (118). 1166 Sch / Sch-Eser, § 216 Rn. 8. 1167 Gropp, 1996, S. 13 (15); Schroeder, ZStW 106 (1994), S. 565 (568); ebenso Schmitt, 1972, S. 113 (118), der deshalb § 216 StGB als systemwidrig ansieht. 1168 Hieraus folgt dann, daß die „Vernunft“ folglich nicht der Maßstab sein kann, nach dem die Freiverantwortlichkeit einer Entscheidung zu beurteilen. Für die freiverantwortliche Entscheidung zur aktiven Sterbehilfe kann dann aber nichts anderes gelten, so daß es nicht darauf ankommt, ob die Entscheidung auch von Außenstehenden für richtig angesehen wird. 1169 Bedenken gegenüber leichtfertigen Annahmen freiverantwortlicher Suizidentscheidungen von sterbenden älteren Menschen sind angebracht. Tendenziell höhere Suizidneigungen im Alter gehen oft einher mit Einsamkeit sowie ganz allgemein mit fehlender Anerkennung durch die Umwelt und Minderwertigkeitsgefühle, weil körperliche und geistige Fähigkeiten im Alter abnehmen, siehe Teising, 1992, S. 25 ff. u. 43 ff. Überdacht werden müßte der Umgang mit älteren Menschen und wie die familiären Strukturen wieder gestärkt werden können. Die generelle Entmündigung älterer Menschen in den Entscheidungen über ihren Körper und ihr Leben bestätigt dagegen gerade deren Gefühl, nicht mehr Ernst genommen zu werden. Die Behandlungsbevormundung von älteren und sterbenden Menschen wird deshalb 1164 1165
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Der Alternativentwurf von 1986 sah eine Straffreiheit vor, „wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustands dient“.1170 Ist eine freiwillige Entscheidung noch gegeben, wenn der Patient aufgrund starker körperlicher Schmerzen von der Natur zum Todeswunsch gezwungen wird und zu dem nüchternen Urteil eines Außenstehenden überhaupt nicht mehr in der Lage ist? Nun werden Entscheidungen immer unter bestimmten Bedingungen oder Umständen getroffen. Täglich stehen wir in Situationen, die uns bestimmte Entscheidungen „abnötigen“. Das nimmt den Entscheidungen nicht die Freiverantwortlichkeit, vorausgesetzt, daß nicht andere Personen durch die Beeinflussung der Situation eine bestimmte Entscheidung erzwingen.1171 Freiverantwortlich ist eine Entscheidung zum Tode dann, wenn eine natürliche Einsichtsoder Urteilsfähigkeit hinsichtlich der Tragweite und Unwiderruflichkeit dieses Schrittes gegeben ist.1172 Körperliche Qualen können einen Wunsch nach Tötung maßgeblich beeinflussen, sie heben allerdings nicht das Verständnis für die Tragweite einer Entscheidung zum Tode auf.1173 Allerdings ist derjenige, der aufgrund seiner starken Schmerzen jede andere Entscheidung für inakzeptabel erachtet, fest entschlossen.1174 Problematischer für die Frage der Freiwilligkeit von Todeswünschen, sind dagegen Untersuchungen mit Sterbenden und Berichte von Ärzten und Pflegenden, die auf typische Verläufe während eines Sterbeprozesses hinweisen.1175 Die Einstellung zum Sterben und zum eigenen Tod ist danach nicht statisch, sondern unterliegt einem Prozeß, in dem der Sterbende lernt, mit seiner eigenen Endlichkeit umzugehen. Patienten haben im Nachhinein sehr oft eine andere Haltung gegenüber ihrem Sterben und unter Umständen auch Leiden gewonnen, wenn in Phasen der zu Recht im Bereich der passiven Sterbehilfe nicht mehr vertreten; für die aktive Sterbehilfe folgt hieraus, daß der Wunsch lieber tot sein zu wollen, auf einem freiverantwortlichen Beschluß beruhen kann. Daß die Bitte um die Erlösungsspritze, wie der Mediziner Fritsche, 1995, S. 3 (23) berichtet, „fast immer Ausdruck eines Mangels an menschlicher Zuwendung, an echtem Sterbebeistand, Anhalt für die Befürchtung, die letzte Stunde allein erleben und durchleiden zu müssen“, sein soll, müßte zu stärkeren Bedenken gegenüber dem leichtfertigen Umgang mit der passiven Sterbehilfe führen. Im übrigen müßte kritisch gefragt werden, wie es zu diesem Bild kommt. Bittet ein Patient um seinen Tod, wird dies aber abgelehnt und sich ihm nunmehr mehr zugewandt, dann weiß der Patient, daß er mit seiner Bitte nicht durchdringen kann und zum anderen wird er sich in seiner Situation auch nicht undankbar gegenüber dem Pflegepersonal zeigen wollen. 1170 Baumann u. a., Alternativentwurf, 1986, S. 12. 1171 Das wäre z. B. der Fall, wenn eine mögliche Schmerzlinderung verweigert würde, um den Patienten sterbewillig zu machen. 1172 Siehe Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 Rn. 36. 1173 Siehe auch Herzberg, JA 1985, S. 336 (344). 1174 Besteht dagegen Aussicht, daß die Schmerzen erheblich gelindert werden können, dann beruht die Entscheidung u. U. auf irrtümlichen Annahmen über die Möglichkeiten der Medizin und ist damit fehlerhaft. 1175 Bahnbrechend hierzu Kübler-Ross, 1987 (1969), passim; siehe auch Spittler, Ethik Med 2000, S. 236 (241 f.). 18 Antoine
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
Entmutigung ihren aktuellen, durchaus ernsten Todesverlangen nicht nachgegeben wurde. Die damit aufgeworfene Problematik läßt sich nicht einfach beantworten. Soweit ein Todeswunsch nur Äußerung in einer bestimmten und unter Umständen typisch depressiven Phase des Sterbens ist, liegt es nahe, die Entscheidung im längerfristigen Interesse des Sterbenden als nicht ernstlich gewollt anzusehen.1176 Mir scheint damit nur ein Teil derjenigen erfaßt zu sein, die eine aktive Sterbehilfe wünschen. Man wird von einer zunehmenden Zahl von Menschen ausgehen müssen, deren Vorstellungen von einer Ethik des guten Lebens (und Sterbens) dahin gehen, Leidens- und Sterbensphasen gänzlich zu vermeiden (näher s. u. 9.).1177 Sie unterscheiden sich von denen, die während des Sterbeprozesses in einer depressiven Phase den Tod wünschen, dadurch, daß sie unter Zugrundelegung ihrer Werte und Einstellungen den Sterbeprozeß nur bis zu einer bestimmten Grenze mitgehen wollen. Dies läßt sich schwerlich als Argument heranziehen, ein Tötungsverlangen als unfreiwillig zu bewerten oder Menschen das Recht vorzuenthalten, bestimmte Erfahrungen nicht machen zu wollen. Damit ist andererseits nicht ausgeschlossen, daß viele von denen, die jeden Sterbeprozeß vorab ablehnen, im Verlaufe dieses Prozesses ihre Einstellung ändern würden. Nur wird eine „Pädagigik des Sterbens“ vom Grundgesetz nicht vorgegeben. Bleibt noch die Frage, ob als normativer Maßstab für die Freiverantwortlichkeit des Sterbens bei einer aktiven Sterbehilfe eine Orientierung an der Verantwortlichkeit im Sinne von § 20 f. StGB zugrundegelegt werden sollte. Das strafrechtliche Schrifttum stellt bei der Tötung auf Verlangen für die Privilegierung des § 216 StGB höhere Anforderungen als an den eigenhändigen Suizid und das dort angewandte Verantwortungsmodell. Vorherrschend ist hier die Einwilligungslehre (s. o. § 4 II.) und ihre weitergehenden Anforderungen: (1) natürliche Einsichtsfähigkeit, (2) Urteils- und Hemmungsvermögen, (3) Ernstlichkeit der Entscheidung, (4) Mangelfreiheit der Willensbildung, (5) Freiheit von Zwang und zielgerichteter Täuschung und (6) die Fähigkeit, nach geistiger Reife und psychischem Zustand die Tragweite des Entschlusses sachgerecht zu erfassen (und nach dieser Einsicht zu handeln).1178 Der Gedanke der hinter diesen höheren Anforderungen steht, läßt sich durchaus auf die verfassungsrechtliche Ebene übertragen. „Die ,Einwilligung‘ ist in der Realität ein schnell gesprochenes, oft mißdeutbares und übereiltes und bisweilen bereutes Wort, an dessen Gültigkeit man von vorneherein zweifeln muß, wenn sie sich auf etwas so Ungewöhnliches wie eine meist irreparable Schädigung des ,Zustimmenden‘ bezieht.“1179 Zwar wird man auch eine Bitte um Beendigung 1176 Hier ist die Schutzpflicht des Gesetzgebers im Sinne des weichen Paternalismus gefordert, s. o. § 9 II. 2. b und s. u. § 15 II. 1177 Vgl. Zimmermann-Acklin, 1997, S. 428 f.; ders., Ethik Med 2000, S. 2 (12 f.); Dworkin, 1994, S. 324 ff. 1178 Siehe Gropp, 1996, S. 13(26 f.); Sch / Sch-Eser, § 216 Rn. 8. 1179 Gropp, 1996, S. 13 (27).
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einer lebenserhaltenden Behandlung auf ihre Ernstlichkeit hinterfragen müssen, nur gibt der Schutz der Autonomie gegenüber Eingriffen in das eigene Leben eine höhere Rechtfertigungslast für diese Fremdschädigungen vor (s. o. § 8 II. 9.). Die normativ im Art. 1 Abs. 1 GG vorausgesetzte Autonomie führt zu einer Vermutung für einen Willen gegen Fremdschädigungen, der es nahelegt, die Freiverantwortlichkeit der Einwilligung in die eigene Tötung unter höhere Voraussetzungen zu stellen. Allerdings können inhaltliche Vorstellungen über verständliche Sterbewünsche oder was nach „vernünftiger“ Auffassung gewollt werden sollte, der Autonomie des Patienten nicht entgegen gehalten werden.1180 Die Erkenntnis bei der passiven Sterbehilfe, daß eine nach allgemeinen Maßstäben unvernünftige Entscheidung einem freiverantwortlichen Willen nicht entgegensteht, muß grundsätzlich auch hier gelten. Ausreichend ist es deshalb, wenn der Verlangende nach seinen eigenen Wertmaßstäben die Bedeutung der Entscheidung für seine Güter und Interessen zu beurteilen vermag.1181 Wegen der Irreversibilität von Entscheidungen gegen das eigene Leben muß die Entscheidung mit dem langfristigen Interesse des Sterbenden übereinstimmen. Nur ist es dabei seiner Beurteilung anheim gestellt, ob er bereit ist, durch einen Sterbeprozeß ein tieferes Verständnis von Leben, Sterben und Tod zu gewinnen.
8. Zwischenergebnis: Aktive Sterbehilfe im Schutzbereich des Freiheitsrechtes am eigenen Körper Tröndle hat die Forderung nach Zulassung einer aktiven Sterbehilfe als „Argumentation eines bequemen Hedonismus“ charakterisiert.1182 Zutreffend verweist Tröndle damit darauf, daß die Einstellung zum Tod und die Forderung nach aktiver Sterbehilfe Ausdruck bestimmter ethischer Grundhaltungen sind. Sie sind menschliche Antworten, die sich der Sterbende gibt, weil Sterben kein einfach biologischer Vorgang, sondern eine Sinnfrage ist. Der Betroffene sieht sich vor die Frage gestellt, warum er die Schmerzen, Entstellung, Isolation, Angewiesenheit auf andere, den Verlust der Selbstkontrolle und die Zweifelsfragen über den Sinn seines bisherigen Lebens und des evtentuell zu frühen oder grausamen Todes überhaupt auf sich nehmen soll. Die Beantwortung dieser Fragen wird immer davon abhängen, mit welchem Verständnis jemand sein Leben geführt hat. Zimmermann-Acklin hat die Möglichkeiten des praktischen Umgangs mit dem eigenen Sterben nach drei Modelltypen unterschieden.1183 Der hedonistische Typus lebt aus dem Ideal, 1180 Deshalb bedenklich Herzberg, JA 1985, S. 265 (268 f.) u. 336 (344); ders. JZ 1988, S. 182 (184 ff.), der die Freiverantwortlichkeit eines Suizids nur bei plausiblen Beweggründen bejaht; kritisch hierzu Gropp, 1996, S. 13 (29). 1181 Vgl. Amelung, JR 1999, S. 45 (46 f.), der richtigerweise auf einen subjektiven Rationalitätsbegriff abstellt. 1182 Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (39). 1183 Siehe Zimmermann-Acklin, Ethik Med 2000, S. 2(12 f.); ders., 1997, S. 421 ff.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
möglichst gesund zu sterben. Das eigene Weiterleben wird für wertlos befunden, wenn die eigene Fitness verloren gehe. Die Abhängigkeit von anderen Menschen wird als würdelos empfunden.1184 Das stoische Modell beruht dem ähnlich auf einem starken Leib-Seele-Dualismus und nimmt Schmerzen beharrlich in Kauf solange noch Aussicht auf Genesung und ein selbständiges Leben besteht. Für beide Modelle seien die Selbsttötung oder die Tötung auf Verlangen realistische Alternativen, um die „offene Sinnfrage“ gemäß dem bisherigen Lebenskonzept zu beantworten. Im biblischen Modell (des Hiob) steht die menschliche Bezogenheit auf Gott im Zentrum, die auch im sinnlosen Leiden und über allen Tod hinaus bestehen bleibt. Unabhängig davon, wie man nun diese Modelltypologie und die dargestellten Lebensweisen beurteilt, kommt in ihnen doch zum Ausdruck, daß es auf die Frage nach dem „richtigen“ Sterben keine allgemeingültigen Antworten gibt. Der Umgang mit dem eigenen Tod ist Ausdruck von Grundhaltungen. Ebenso wie die Vorstellung vom guten Leben gibt es eine solche vom „guten“ Sterben. Mit der Anerkennung der privaten Autonomie im Grundgesetz kann über den Wunsch nach selbstbestimmten Sterben nicht einfach hinweggegangen werden. Niemand möchte sein Leben auf eine Weise beschließen, die der eigenen Persönlichkeit widerspricht.1185 Nun ist die Tendenz in der säkularisierten Gesellschaft unverkennbar, den eigenen Sterbeprozeß dann für nicht mehr sinnvoll zu erachten, wenn das Leben eine erwartete Qualität nicht mehr erreicht oder das eigene Bewußtsein verloren gegangen ist.1186 Der Anspruch, über das Ende seines Lebens und die Art des Sterbens selbst verfügen zu können, wird deshalb zunehmend erhoben. Dadurch droht das Selbstverständnis desjenigen in Gefahr zu geraten, der aufgrund seines Glaubens im Sterbeprozeß für sich auch da noch einen Sinn abgewinnt, wo eine atheistische Umwelt nur noch Leid zu erblicken vermag. Die Anerkennung eines Persönlichkeitsrechts am eigenen Körper bzw. eines selbstbestimmten Sterbens sollte sich deshalb von der einseitigen Orientierung des „hedonistischen“ Typus lösen. Mit diesem Recht wird auch der Schutz desjenigen angemahnt, dessen Form des Sterbens durch die „hedonistische“ Tendenz zunehmend in Gefahr gerät. Die Grundrechtsinterpretation kann diese Seite menschlicher Autonomie nur einheitlich anerkennen. Persönlichkeitsrecht und Bestimmung über die eigene Körperlichkeit sind eng miteinander verwoben. Entsprechend zu den obigen Feststellungen muß dies zur Interpretation des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Freiheitsrecht über den eigenen Körper führen, das aufgrund seiner starken Prägung durch die „bioethische Selbstbestimmung“1187 Elemente des Persönlichkeitsrechts in sich aufnimmt. Wie das hedonistische und das stoische Modell zeigen, ist der Schutzbe1184 1185 1186 1187
Siehe Dworkin, 1994, S. 290; bereits Nietzsche, 1993 (1883), S. 94. Dworkin, 1994, S. 294; Wils, 1999, S. 241; Schöne-Seifert, 1999, S. 98 (107). Siehe nur Dworkin, 1994, S. 287 ff. Siehe Koppernock, 1997, passim.
§ 11 Staatliche Leistungspflicht zur Tötung auf Verlangen?
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reich auf die aktive Sterbehilfe auszudehnen, weil andernfalls die biblische Vorstellung vom „guten“ Sterben zum verbindlichen Maßstab für alle erhoben würde. Ebensowenig wie das Grundgesetz nicht eine bestimmte Form des guten Lebens vorgeben darf, darf es dies im Hinblick auf eine „gute Form des Sterbens“. Dem Dispositionsrecht über das eigene Leben muß deshalb aufgrund seines höchstpersönlichen Charakters ein besonderes Gewicht zukommen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben findet seinen sachlichen Gehalt gerade darin, daß auch das Sterben von persönlichen Entscheidungen geprägt ist, in denen eigene Lebensvorstellungen noch einmal symptomatisch zum Abschluß gelangen. Sein enger Bezug zu den ureigensten Vorstellungen vom gelungenen Leben und Sterben entspricht einem Recht auf bioethische Selbstbestimmung, das in Parallelität zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt ist. Der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG ist eine angemessene Schrankenregelung,1188 weil der Bereich des Sterbens zur Privat- und Intimsphäre des Menschen gehört.1189
§ 11 Staatliche Leistungspflicht zur Tötung auf Verlangen? Ein verbreitetes Mißverständnis ist es, den grundrechtlichen Abwehranspruch gegenüber gesetzlichen Verboten einer Tötung auf Verlangen (status negativus) dahingehend aufzufassen, als ob dies ein Grundrecht gegen den Staat auf die eigene Tötung zur Folge habe, d. h. der Bürger einen auf die eigene Tötung gerichteten Leistungsanspruch gegen den Staat geltend machen könne (status positivus).1190 Bereits im Kontext des Grundrechtscharakters eines Rechts auf aktive Sterbehilfe zeigte sich, daß (1) die Tötung auf Verlangen nicht speziell ein staatliches Leistungsverhältnis erfordert und (2) das Verhältnis zwischen Arzt und sterbenden Patienten ein genuin persönliches Vertrauensverhältnis in der letzten Phase des Lebens eines Menschen ist, in das der Staat durch das Verbot der Tötung auf Verlangen limitierend eingreift. Hat aber der Patient, wenn sein Arzt zur aktiven Sterbehilfe nicht bereit ist, einen Anspruch gegen den Staat, den Wunsch auf Tötung vollziehen zu lassen? Man 1188 Ebenso wie beim Suizid folgt hieraus mitnichten, daß die Gründe für die Einschränkungen der aktiven Sterbehilfe von gleichem Gewicht sein müssen wie für Eingriffe in das Lebensrecht, vgl. oben § 12 II. 7. d. 1189 Vgl. auch EGMR NJW 2003, S. 2851 (2853 f.), zum in Art. 8 EMRK garantierten Recht auf Achtung der privaten Sphäre, das auch die Selbstbestimmung im Sterben umfassen soll. 1190 So z. B. Roellecke, 1976, S. 336 (341 f.); Burkart, 1983, S. 90 f.; Möllering, 1977, S. 92.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
wird hierbei zunächst beachten müssen, daß auch andere Grundrechte nur begrenzt geeignet sind, unmittelbare Leistungspflichten zu begründen.1191 Aus der Berufsfreiheit ergibt sich z. B. keine Verpflichtung zur Errichtung einer Fabrik oder ein Anspruch auf einen Arbeitsplatz und aus dem Recht auf Ehe und Familie folgt bekanntlich keine Pflicht des Staates, eine Ehefrau oder Ehemann zur Verfügung zu stellen. Zudem kann der Arzt als Privatperson nicht unmittelbar Grundrechtsverpflichteter einer Tötung auf Verlangen sein. Vor allem kann der Arzt gegenüber dem Verlangen nach aktiver Sterbehilfe eigene Grundrechte geltend machen. Neben seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG kommt dabei seiner in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgten Glaubens- und Gewissensfreiheit besondere Bedeutung zu. Das Recht des Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und die Gewissens- und Religionsfreiheit des Arztes aus Art. 4 Abs. 1 GG können in folgendem Konflikt in ihrer Ausstrahlungswirkung auf das Privatrecht gegenläufig zum Tragen kommen: Der Patient wünscht eine aktive Sterbehilfe, um allen Schmerzen sofort ein Ende zu bereiten; sein vom römisch-katholischen Glauben überzeugter Arzt lehnt es dagegen sogar ab, lebenserhaltende Maßnahmen einzustellen, weil der Patient mit gewöhnlichen Maßnahmen noch mehrere Monate am Leben erhalten werden könnte. Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich signifikanten Unterschieds zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe (s. o. § 8 II. 9.), ist dieser Konflikt wie folgt aufzulösen: Der Schutz der körperlichen Integrität des Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG genießt gegenüber den Lebenserhaltungsinteressen des Arztes absoluten Vorrang (s. o. § 10 I. u. s. u. § 24 I.).1192 Auf der anderen Seite ist der Arzt berechtigt, unter Berufung auf sein Gewissen eine aktive Sterbehilfe abzulehnen, auch wenn dies die einzige Möglichkeit der Schmerzbeseitigung ist. Die Tötung eines Menschen ist eine ethisch-existentielle Grundfrage, die in der Grundrechtsordnung von keinem gegen das eigene Gewissen abverlangt werden kann. Das Grundgesetz hat dies mit dem vorbehaltlosen Grundrecht1193 des Art. 4 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebracht, dessen maßgeblicher Kern nach h. M. die Abwehr eines staatlichen Zwangs zum Töten ist.1194 Wenn der Staat verpflichtet ist, Einschränkungen bei der Sicherung des Gemeinwesens und damit auch des Lebensschutzes seiner Bürger gegen Bedrohungen von außen hinzunehmen, um niemanden gegen sein Gewissen zum Töten zwingen zu müsSiehe allgemein Murswiek, HStR V., § 112, passim. Siehe hierzu auch Hufen, NJW 2001, S. 849 (853). 1193 Sachs-Kokott, Art. 4 Rn. 125; vgl. auch BVerfGE 28, 243 (259). 1194 H.M. BVerfGE 28, 243 (262); 32, 40 (45); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-R. Herzog, Art. 4 Rn. 179; Sachs-Kokott, Art. 4 Rn. 86; v. Münch / Kunig-Mager, Art. 4 Rn. 78; a.A. Dreier-Morlok, Art. 4 Rn. 135, der maßgeblich auf die Eingliederung in bewaffnete Verbände abstellt – Schutz vor fremdbestimmter Waffenführung abstellt. 1191 1192
§ 11 Staatliche Leistungspflicht zur Tötung auf Verlangen?
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sen,1195 dann kann die im Einzelfall bestehende negative Freiheitsdimension in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG keinen Arzt dazu verpflichten, gegen seine in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Gewissensfreiheit eine aktive Sterbehilfe zu leisten. Kein Arzt kann deshalb – auch nicht vom Gesetzgeber – gegen sein Gewissen zur Tötung auf Verlangen gezwungen werden. Allerdings würde es die Gewissensfreiheit des Arztes nicht unmittelbar verletzen, wenn der Anspruch auf Tötung nur gegenüber dem Staat bestehen würde. Der Arzt dürfte für seine Person die Leistung einer aktiven Sterbehilfe ablehnen. Allerdings stünde ein derartiger Anspruch im merkwürdigen Kontrast zur ausdrücklichen Gewährleistung des Art. 4 Abs. 3 GG. Nach diesem Artikel kann jeder bei der staatlichen Verpflichtung zur wirksamen Landesverteidigung einen eigenen Tötungsbeitrag verweigern. Das spricht allerdings auch dafür, daß das Grundgesetz von einer allgemeinen Leistungspflicht des Staates zur Tötung auf Verlangen nicht ausgeht; andernfalls hätte ein ausdrückliches Recht des Arztes, zu diesem staatlichen Dienst nicht gegen das ärztliche Gewissen herangezogen werden zu dürfen, im Verfassungstext Aufnahme finden müssen. Denn das Grundgesetz würde mit dem Leistungsanspruch auf aktive Sterbehilfe einen ganzen Berufsstand entgegen seinem ärztlichen Ethos der Erwartung aussetzen, einem solchen Anspruch Folge zu leisten, ohne ihm ensprechend den Kriegsdienstverweigeren im Text der Verfassung ausdrücklich den besonderen Gewissensschutz gegenüber Tötungsforderungen zuzusprechen. Nicht zuletzt wegen des normativ hohen Stellenwertes des Grundgesetzes für die gesamte Rechtsordnung wäre damit das persönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patient unter unzumutbare Vorzeichen zu Lasten der Gewissensfreiheit des Arztes gestellt.1196 Das Verfassungsgefüge spricht mithin dafür, daß einerseits das Recht des Arztes nicht zur Tötung verpflichtet zu sein, und andererseits das Lebensverneinungsrecht des Patienten, nur dadurch im Gleichgewicht zu halten sind, wenn der Staat nicht im Wege einer grundgesetzlichen Leistungspflicht auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient einseitig Einfluß nimmt. Ein Leistungsanspruch gegenüber dem Staat auf die eigene Tötung kann somit kein Gewährleistungsinhalt des Grundgesetzes sein.
1195 Vgl. Sachs-Kokott, Art. 4 Rn. 132 f.; ebenso Dreier-Morlok, Art. 4 Rn. 162; BVerfGE 69, 1(64 f.) – Sondervotum. 1196 Da aber nicht nur das Recht auf Selbstbestimmung über die körperliche Integrität, sondern auch die Gewissensfreiheit besonderer Ausdruck der Achtung des Einzelnen als Subjekt ist, besteht zwischen diesen beiden Gewährleistungen kein Verhältnis der Nachrangigkeit. Zum Zusammenhang zwischen der Menschenwürde und der Gewissensfreiheit siehe BK-Zippelius, Art. 4 Rn. 56; siehe auch Filmer, 2000, S. 108.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Grundlegung des Themas
§ 12 Zwischenergebnis zur verfassungsrechtlichen Grundlegung Das Recht auf Leben gründet in der menschlichen Würde. Der spezifische Zusammenhang des Lebens mit der Autonomie begründet den verfassungsrechtlich signifikanten Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Aus diesem spezifischenVerhältnis legitimiert sich weiterhin der individualrechtliche Charakter des Lebensrechtes. Eine verfassungsrechtliche Grundpflicht zum Leben besteht deshalb nicht (status passivus).1197 Die freiverantwortlich getroffene Entscheidung gegen (weitere) ärztliche Maßnahmen kann aus beliebigen Gründen erfolgen – auch der Absicht, Tod sein zu wollen. Unstreitig begründet Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein Abwehrrecht gegen den Staat vor Eingriffen in das Leben (status negativus).1198 Nach umstrittener, aber hier vertretener Auffassung, umfaßt der status negativus des Art. 2 Abs. 2 GG als Freiheitsrecht des weiteren ein Recht zur Selbsttötung, in dessen Schutzbereich auch die Tötung auf Verlangen fällt. Als Leistungsanspruch begründet Art. 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eine Verpflichtung des Staates, menschliches Leben vor Eingriffen Dritter zu schützen (status positivus). Dadurch wird der individualrechtliche Anspruch auf Leben verstärkt. Dagegen umfaßt der status positivus nicht die Pflicht des Staates, eine Tötung auf Verlangen sicherstellen bzw. leisten zu müssen.
1197 Zum Begriff des status passivus siehe Hofmann, HStR V., § 114 Rn. 30; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 161 f. 1198 Zur Beschreibung der verschiedenen Arten bzw. Funktionen von Grundrechten über die Statuslehre siehe v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 147 ff. Wie die obige Untersuchung gezeigt hat, können einzelne Grundrechte auch verschiedene Statusrechte garantieren, vgl. auch v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, a. a. O., Rn. 147.
Drittes Kapitel
Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben? In vorliegendem dritten Kapitel dieser Arbeit soll der Spielraum des Gesetzgebers zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe bestimmt werden. Zu klären ist damit die Auflösung der Grundrechtskollision zwischen dem selbstbestimmten Sterben (s. o. § 10 III.) sowie dem Leistungsanspruch auf Schmerzminderung auf der einen Seite (s. o. § 7 VIII. 5. b) und der Schutzpflicht des Staates für das Leben auf der anderen Seite (s. o. § 9). Gelingen kann die Erörterung nur unter weiterer Differenzierung in verschiedene Fallgruppen. Gewichtiger als die Unterscheidung zwischen aktiver und indirekter Sterbehilfe ist die Differenzierung zwischen der freiwilligen, nichtfreiwilligen und unfreiwilligen1 aktiven Sterbehilfe. Bei der freiwilligen aktiven Sterbehilfe erfolgt die aktive Sterbehilfe auf Verlangen des Patienten, bei der unfreiwilligen gegen seinen Willen.2 Bei der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe ist ein Wille weder für noch gegen eine aktive Sterbehilfe gegeben und kann auch nicht erfragt werden, weil diese Fähigkeit aufgrund angeborener Behinderung nicht gegeben, noch nicht entwickelt (Säuglinge und Kinder) oder durch Unfall, Krankheit oder Altersdemenz verloren gegangen ist und zuvor kein erkennbarer Wille dahingehend gebildet wurde. Die Fälle der Patientenverfügung und der mutmaßlichen Einwilligung liegen zwischen der freiwilligen und nichtfreiwilligen Sterbehilfe. Bei der Patientenverfügung fehlt es an einer aktuellen Einwilligung, bei der mutmaßlichen Einwilligung an einer ausdrücklichen Einwilligung.
§ 13 Staatliche Pflicht zum strafrechtlichen Schutz vor „unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe“ Das Verbot der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe, d. h. der aktiven Tötung eines Sterbenden gegen dessen Willen, steht außer Frage. Zwei Grundfragen im Kontext 1 Zu dieser Differenzierung siehe Baumgarten, 1998, S. 150; Harris, 1985, S. 129; P. Singer, 1984, S. 175 ff.; Quante, Ethik Med 1998, S. 206 (212); Wils, 1999, S. 207. 2 Hierzu gehört m.E. auch der Fall, daß der Betroffene nicht gefragt wurde, obwohl er zu einer Entscheidung fähig wäre.
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
der aktiven Sterbehilfe lassen sich anhand dieser Fallgruppe erörtern: (1) Worauf gründet sich das prinzipielle Tötungsverbot aus der Sicht des Grundgesetzes? (2) Ist der Gesetzgeber verpflichtet, mit den Mitteln des Strafrechts unfreiwillige Tötungen zu verhindern?
I. Begründung des Tötungsverbots Das der staatlichen Gewalt auferlegte Tötungsverbot läßt sich rechtsphilosophisch von zwei Seiten her konstruieren: einmal als Grundsatz, nach dem menschliches Leben der Verfügung durch den Menschen schlechthin entzogen sein soll – dies läßt sich entweder als Tötungshandlungsverbot oder als Lebensgebot begründen – und zum anderen als Ausfluß des Lebensrechtes. 1. Tötungshandlungsverbot Unter der Annahme eines Tötungshandlungsverbots wäre die Tötung eines Menschen als solche verboten. Die römisch-katholische Lehre formuliert ein derartiges Verbot, indem sie die absichtliche Tötung von unschuldigem menschlichen Leben als in sich schlechte Handlung auffaßt, die unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist (s. o. § 7 VIII. 4. a, aa). Behauptet wird damit ein deontologisches Prinzip, wie es sich auch in einer kantischen Pflichtenethik formulieren ließe. Nun wird weder in der römisch-katholischen Lehre noch bei Kant ein absolutes Tötungsverbot vertreten. Anerkannt werden vielmehr Konflikte, in denen von dieser Grundregel Ausnahmen erlaubt sind. (s. o. § 7 VIII. 4. a, aa). Dem einfachen Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG liegt diese Annahme ebenfalls zugrunde. Ein absolutes Tötungshandlungsverbot besteht mithin nicht. Dies widerspricht nicht zwingend der Rekonstruktion des Tötungsverbotes auf der Basis einer deontologischen Pflicht. Handlungsprinzipien werden durch Ausnahmen eingeschränkt, aber nicht unbedingt aufgehoben.3 Allerdings müßte ein verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für dieses Prinzip genannt werden können. Prima facie entspricht dem Tötungshandlungsverbot die in der Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe getroffene Feststellung, daß der Eingriff in die Sphäre des Körpers des Mitmenschen dessen Autonomie tangiert. Die Tötung von Menschen unterliegt einer besonderen Rechtfertigungslast (s. o. § 8 II. 9.). Bei näherer Untersuchung und unter Zugrundelegung des Autonomieprinzips zeigte sich, daß ein „Tötungshandlungsverbot“ mit der Autonomie in Kollision gerät, wenn die Tötung Ausdruck einer freiverantwortlichen Entscheidung zum Tod ist (s. o. § 10 II. u. III.). Gerade um der Autonomie willen kann deshalb der Lebensschutz in diesem Prin3 Unzureichend ist deshalb die Begründung von Stürmer, 1989, S. 51, daß das Tötungsverbot seinen Grund nicht in einem Tötungshandlungsverbot haben könne, weil ein „absolutes Verbot, andere Menschen zu töten“ nicht bestünde.
§ 13 Staatliche Pflicht zum Schutz vor „unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe“
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zip nicht seinen alleinigen Anknüpfungspunkt finden. Allerdings setzt die Einschränkung dieses Prinzips grundsätzlich eine Disposition gegen das eigene Leben voraus. Das Tötungshandlungsverbot hat deshalb als grundsätzliche Regel4 zum Schutz der Autonomie durchaus seine Richtigkeit. Zu fragen ist allerdings, ob die Begründung des Tötungsverbots nicht einen Anknüpfungspunkt in der Verfassung findet, der beide Gesichtspunkte in sich vereint.
2. Lebensgebot Die Annahme eines Lebensgebots kommt dafür nicht in Betracht. Dem Grundgesetz ist eine grundsätzliche oder allgemeine Pflicht zum Leben fremd (s. o. § 7 VIII. 4. d). Anders als im religiösen Kontext kann die staatliche Gemeinschaft eine Pflicht zum Leben nicht beanspruchen. Menschliches Leben ist in der Grundrechtsordnung ein Individualgut und kein Gemeinschaftsgut.
3. Lebensrecht Das Leben als Individualgut bietet den Anknüpfungspunkt für das prinzipielle Tötungsverbot. Das in der Menschenwürde um seiner selbst willen begründete Lebensrecht (s. o. § 7 VIII. 4. a) verlangt vom Staat, die grundlegende Autonomie des Menschen in seinem Leben zu achten. Dieser Achtungsanspruch wird nicht durch Leistung erworben, sondern von der Gemeinschaft voraussetzungslos entgegengebracht; ein Lebensinteresse ist dafür keine Bedingung. Das Leben steht allerdings als Individualrechtsgut in der Dispositionsbefugnis seines Trägers (s. o. § 10); der Schutz des Lebens erfolgt eben um seiner selbst – seines Trägers – willen, nicht zum Schutz eines vom Grundrechtsträger abstrahierten Lebens an sich. Das Tötungshandlungsverbot steht deshalb in einer dienenden Funktion zu der Normallage, die sich durch einen Lebenswillen des Menschen auszeichnet. Die Begründung des Lebensrechtes in der Menschenwürde beinhaltet damit beides in sich: ein prinzipielles Tötungshandlungsverbot und die Dispositionsbefugnis des Rechtsgutträgers über sein Leben (vgl. o. § 8 II. 9. u. § 10 II. u. III.). Trifft sein Träger keine Disposition gegen sein Leben, dann besteht am Tötungsverbot keine Zweifel. Mit dem engen Zusammenhang zwischen Lebensrecht und Individuum ist offensichtlich, daß das Lebensrecht nicht deshalb aufgehoben werden kann, weil der Zustand, in dem sich dieses Leben befindet, nach Auffassung der Umwelt derart jämmerlich ist, daß ihm der Tod vorzuziehen sei. Weder schwerste Schmerzen noch völlige Funktionslosigkeit des Lebens für die Gesellschaft sind geeignet, dem 4 Ausnahmen müssen dabei gesondert begründet werden. Neben der Disposition gegen das eigene Leben sind dies die bekannten Kollisionsfälle von Notwehr und kriegerischer Auseinandersetzung.
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Leben gegen den Willen seines Trägers seinen grundgesetzlichen Schutz zu nehmen. Das prinzipielle Tötungshandlungsverbot gilt uneingeschränkt für den sterbenden Menschen, der an seinem Leben festhält.
II. Keine Eingriffsrechtfertigung Wie der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG zum Ausdruck bringt, kann das Recht auf Leben und das von ihm abgeleitete Tötungshandlungsverbot in Kollision mit anderen Grundrechten oder Verfassungswerten geraten. Deshalb muß seine Einschränkbarkeit möglich sein. Die dabei in Betracht kommenden Kollisionslagen müssen allerdings aufgrund des normativen Unterschieds zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe bei einer Tötungshandlung ein anderes Gewicht aufweisen als beim Sterbenlassen. Die Erhaltung seines Lebens kann vom Sterbenden nicht um jeden Preis gefordert werden (s. u. § 24 IV.). Sehr wohl kann er aber auch als Sterbender verlangen, daß seine zu achtende körperliche Integrität und der Achtungsanspruch gegenüber seinem Leben nach wie vor darin zum Ausdruck kommt, daß niemand ihm durch Eingriff in seinen Organisationskreis oder gar Körper das Leben vernichtet. Ein zur aktiven Sterbehilfe berechtigender Eingriff in das Leben des Patienten kommt nicht in Betracht. Mögliche Kollisionslagen sind unter dem Einfluß des Prinzips der Menschenwürde nicht zu Lasten des Sterbenden auflösbar. Eine aktive Sterbehilfe kann z. B. nicht damit gerechtfertigt werden, daß sich die Kosten für die Bettenbelegung des ohnehin zum Tode verurteilten Patienten nicht mehr rechtfertigen ließen; denn die „Basispflege“ ist entsprechend dem Existenzminimum innerhalb der Grundrechtsordnung ein von der Menschenwürde garantierter Minimalanspruch (s. o. § 7 VIII. 5. b). Ebenfalls nicht zu rechtfertigen ist die Tötung, um dem Patienten ein Organ oder einen Herzschrittmacher zu entnehmen, weil dadurch das Leben eines anderen Menschen gerettet werden könnte. Darin unterscheidet sich die Begründung des Lebens in der Menschenwürde und ihr Individualgutcharakter von utilitaristischen Auffassungen. Nach utilitaristischer Lesart ist das Leben des einen mit dem Leben Dritter nicht nur verrechenbar, sondern es ist im konsequentialistischen Blick zwischen Tötung und Sterbenlassen kein normatives Ungleichgewicht auszumachen (s. o. § 7 VIII. 4. a, bb). Plastisch wird diese Auffassung in folgendem Beispiel:5 Chirurg C hat einen kranken Sohn S, dem nur noch mit einer Herztransplantation geholfen werden kann. Die einzige Möglichkeit der Rettung besteht darin, den Patienten P, der ein geeignetes Herz hat, zu töten und das Herz des S dem P zu implantieren. Das Interesse von S und P an der Erhaltung ihres Lebens ist gleich 5 Das Beispiel ist von Joerden, 1997, S. 43 (45), übernommen; siehe auch Hruschka, JZ 2001, S. 261 (265).
§ 13 Staatliche Pflicht zum Schutz vor „unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe“
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groß. Nach der Äquivalenzthese müßte der Arzt frei entscheiden können, ob er den Patienten P tötet, um den S zu retten. Mit der Zuordnung des Lebens zur Autonomie des Menschen verbieten sich Verrechnungen dieser Art. Die Würde des Menschen hat einen Wert, aber keinen Preis.6 Die Unverfügbarkeit der Person und der Anspruch seiner zu achtenden existentiellen Autonomie lassen eine Tötung aus Nutzenerwägungen zugunsten Dritter nicht zu. Anderenfalls würde der Mensch in seinem Selbst-Zweck-Charakter oder Autonomieanspruch total negiert werden.7 Insoweit kann auch auf die vom BVerfG präferierte Objektformel verwiesen werden, weil die Tötung eines Menschen, um ihn gegen seinen Willen als Organbank auszunehmen, Ausdruck einer kaum mehr zu überbietenden Degradierung zum Objekt ist.8 Das verfassungsrechtliche Verbot der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe im Verhältnis zwischen dem Bürger und dem Staat ist damit aufgrund seiner Begründung in der Menschenwürde eindeutig gegeben. Einschränkungen des prinzipiellen Tötungshandlungsverbots kommen insoweit nicht in Betracht.
III. Staatliche Schutzpflicht und Untermaßverbot Nun drohen dem selbstbestimmten Leben und Sterben nicht nur von seiten des Staates, sondern in den privatrechtlich geführten Krankenhäusern auch von seiten Privater Gefahren. Die staatliche Pflicht zum Schutz vor unfreiwilligen Tötungen durch Angriffe privater Dritter wird ohne Einschränkung bejaht (s. o. § 9 I.). Umstritten ist, ob der Staat den effektiven Schutz des Lebens mit den Mitteln des Strafrechts gewährleisten muß. Ausgehend von dem Grundsatz, daß der Gesetzgeber nur einen effektiven Schutz des Lebens sicherzustellen hat, er aber zwischen in gleicher Weise für dieses Ziel geeigneten Mitteln grundsätzlich frei wählen darf (s. o. § 9 III.), kann der Erlaß strafrechtlicher Normen keine zwingende Vorgabe des Grundgesetzes sein. Als massivster Eingriff in die Rechte Dritter ist das Strafrecht vielmehr „ultima ratio“.9 Der strafrechtliche Lebensschutz kann deshalb erst dann zum Einsatz kommen, wenn weniger stark eingreifende Maßnahmen keinen effektiven Lebensschutz zu gewährleisten vermögen. „Es handelt sich dann nicht um eine ,absolute‘ Pflicht zu strafen, sondern um die aus der Einsicht in die Unzulänglichkeit aller anderen Mittel erwachsende ,relative‘ Verpflichtung zur Benutzung der Strafandrohung.“10 Vgl. Kant, 1968 (1785), S. 385 (434 f.). Siehe auch Baumgartner / Honnefelder / Wickler / Wildfeuer, 1997, S. 161 (213 ff.). 8 Das gilt auch für die Organentnahme ohne vorheriges Einverständnis des zu Tötenden (s. u. § 15 II.). 9 Vgl. BVerfGE 39, 1 (47); 88, 203 (258). 10 BVerfGE 39, 1 (47). 6 7
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Entgegen gelegentlicher Kritik hat sich das Bundesverfassungsgericht zu diesen Grundsätzen in seinen beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch nicht in Widerspruch gesetzt.11 In seiner ersten Entscheidung fordert das Gericht zu Recht eine „Gesamtbetrachtung, die einerseits den Wert des verletzten Rechtsgutes und das Maß der Sozialschädlichkeit der Verletzungshandlung – auch im Vergleich mit anderen unter Strafe gestellten und sozialethisch gleich bewerteten Handlungen – in den Blick nimmt, andererseits die traditionellen rechtlichen Regelungen dieses Lebensbereichs ebenso wie die Vorstellungen über die Rolle des Strafrechts in der modernen Gesellschaft berücksichtigt und schließlich die praktische Wirksamkeit von Strafdrohungen und die Möglichkeit ihres Ersatzes durch andere rechtliche Sanktionen nicht außer acht läßt.“12
Das BVerfG beansprucht mit diesen Vorgaben eine Stimmigkeitskontrolle des gesetzgeberischen Schutzkonzepts. Der Gesetzgeber setzt die Glaubwürdigkeit seines Schutzkonzepts in Zweifel, wenn er allgemein einen strafrechtlichen Rechtsgüterschutz für notwendig erachtet, hochrangige Grundrechtsgüter oder bestimmte Formen des Lebens aber davon ausnimmt. Entweder setzt die Legislative dann bei den anderen Rechtsgütern zu Unrecht auf den Einsatz des Strafrechts, obschon ihr mildere Mittel zur Durchsetzung eines effektiven Schutzes zur Verfügung stehen, oder sie gibt sich für bestimmte Bereiche des Lebensschutzes mit unzureichenden Maßnahmen zufrieden. Zudem wird dem Rechtsunterworfenen der Widerspruch im Schutzkonzept nicht verborgen bleiben. In der Straffreistellung einzelner Rechtsgüter kommt im Kontext der Pönalisierung von für gewichtiger erachteten Rechtsgütern eine Preisgabe des für straflos erachteten Rechtsgutes zum Ausdruck,13 die Zweifel an der Effektivität des alternativen Schutzkonzepts aufkommen lassen.14 Wenn das BVerfG in seiner zweiten Entscheidung trotzdem das Beratungsschutzkonzept als zulässig ansieht, dann allein aus der vom Gesetzgeber nach seiner Einschätzungsprärogative angenommenen Sondersituation der „Zweiheit in Einheit“ beim Schwangerschaftsabbruch. Aus diesem Grund soll in der Vergangenheit das strafrechtliche Schutzkonzept nicht erfolgreich gewesen sein.15 Der 11 Als Kritik siehe BVerfGE 39, 1 (68 ff.) – Sondervotum; zur zweiten Entscheidung siehe Schütz, 1997, S. 62. Allerdings hat das BVerfG in Einzelpunkten den Einschätzungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers wiederholt einfach übergangen und ein besseres Wissen für sich beansprucht, hierzu siehe Hermes / Walther, NJW 1993, S. 2337 (2340): „[ . . . ] das BVerfG weiß alles und weiß es besser als der Gesetzgeber.“ Seine Entscheidungskompetenzen hat das BVerfG in dieser Entscheidung auch dadurch überschritten, daß es meinte, ins Detail gehende Regelungspflichten aus dem Grundgesetz ableiten zu dürfen, siehe Hermes / Walter, a. a. O., S. 2339 ff.; Lagodny, 1996, S. 258. 12 BVerfGE 39, 1 (45). 13 Vgl. BVerfGE 39, 1 (57 f.). 14 BVerfGE 39, 1 (58): „Der ,gefährliche Schluß von der rechtlichen Sanktionslosigkeit auf das moralische Erlaubtsein‘ [ . . . ] liegt zu nahe, als daß er nicht von einer großen Anzahl Rechtsunterworfener gezogen würde.“ 15 BVerfGE 88, 203(263 u. 265 f. u. 266): „Sie allein und nur von ihr selbst ins Vertrauen Gezogene wissen in diesem Stadium der Schwangerschaft um das neue Leben, das noch ganz
§ 13 Staatliche Pflicht zum Schutz vor „unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe“
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Gesetzgeber darf deshalb den Versuch wagen, über den Weg der Beratung gemeinsam mit der Mutter einen Weg zum Lebensschutz zu suchen. In diesem Kontext ist das vom BVerfG weiterhin geforderte strafrechtliche Unwerturteil auch kein Widerspruch. Damit wird nicht jenseits des effektiven Lebensschutzes ein „moralisches“ Unwerturteil abgefordert, sondern ein Mindestmaß an Kohärenz mit dem ansonsten vom Gesetzgeber durchgängig verfolgten strafrechtlichen Schutz elementarer Rechtsgüter abverlangt, damit das Beratungsschutzkonzept nicht einem Mißverständnis der Freigabe des vorgeburtlichen menschlichen Lebens unterliegt.16 Wie ist vor diesem Hintergrund eine Verpflichtung des Gesetzgebers zum Einsatz des Strafrechts zu beurteilen, der den Schutz des Patienten vor einer unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe gewährleisten soll? Ausgangspunkt der Beurteilung einer Verletzung des Untermaßverbots ist zunächst die Erkenntnis, daß Art und Umfang des Schutzes unter Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit des Schutzgutes einerseits und dem Gewicht der kollidierenden Rechtsgüter andererseits zu bestimmen ist. Der „effektive“ Schutz ist deshalb nicht als absolut zu verstehen. Wie das mehrstufige Prüfungsschema des Untermaßverbots verdeutlicht (s. o. § 9 III.), sind diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nicht nur für einen wirksamen, sondern auch angemessenen Schutz erforderlich sind und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen.17 Vorliegend zeichnet sich die Situation dadurch aus, daß anzuerkennende kollidierende Rechtsgüter unter keinem Gesichtspunkt eine unfreiwillige aktive Sterbehilfe zu rechtfertigen vermögen (s. o. II.).18 Eine Gesamtbetrachtung der derzeitigen rechtlichen Regelungen läßt die Straffreistellung der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe nicht zu. Elementare Rechtsgüter19 erfahren gegenwärtig bis auf das ungeborene Leben der Mutter zugehört und von ihr in allem abhängig ist. Diese Unentdecktheit, Hilflosigkeit und Abhängigkeit des auf einzigartige Weise mit der Mutter verbundenen Ungeborenen lassen die Einschätzung berechtigt erscheinen, daß der Staat eine bessere Chance zu seinem Schutz hat, wenn er mit der Mutter zusammenwirkt.“ 16 BVerfGE 88, 20 (255 u. 273 ff.); siehe auch R. Esser, 1992, S. 80. Allerdings führt eine derartige Konstruktion „rechtswidrig und doch erlaubt“ zu nicht unerheblichen rechtsdogmatischen Inkonsistenzen, die letztlich auch Zweifel an der sozialpsychologischen Wirksamkeit der normativen Mißbilligung aufkommen lassen; im Einzelnen siehe die Kritik von Hermes / Walther, NJW 1993, S. 2337 (2340 ff.). Nicht zu rechtfertigen dürfte auch die Konsequenz der verfassungsgerichtlichen Entscheidung sein, daß die Mißbilligung auch gegenüber der Frau, die sich in einer rechtfertigenden Notlage befindet, im Beratungsschutzkonzept zur Geltung gebracht werden muß, siehe Hermes / Walther, a. a. O., S. 2342 f. 17 BVerfGE 88, 203 (254); Starck, 2001, 377 (379); Lagodny, 1996, S. 258 f. 18 Tatsächliche Einschränkungen des zu fordernden effektiven Schutzes vor unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe können sich aber ergeben, wenn die freiwillige aktive Sterbehilfe erlaubt wird und sich dadurch das Mißbrauchsrisiko erhöht. Dies begründet allerdings erst recht für den Gesetzgeber eine strafrechtliche Pönalisierungspflicht, um dadurch der erhöhten Gefahr unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe ausreichend zu begegnen (s. u. § 14 II.). 19 Das Leben ist die Voraussetzung aller weiteren Menschen- und Bürgerrechte und kann nie teil- oder zeitweise, sondern nur stets ganz und irreversibel entzogen werden. Der Schutz
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
durchgängig einen strafrechtlichen Schutz. Die praktische Wirksamkeit anderer Schutzkonzepte hat der Gesetzgeber einzig beim Schwangerschaftsabbruch mit der dort behaupteten Sondersituation, einen Schutz nicht gegen den Willen der Mutter durchsetzen zu können, erprobt. Diese Ausnahmelage ist bei der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe nicht gegeben. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber hinsichtlich der Beurteilung der Erfolgswirksamkeit von Geld- und Freiheitsstrafen zu einer anderen Beurteilung gelangt. Er wird jedoch diese Überzeugung nicht einzig auf die strafrechtliche Freigabe des Lebensschutzes beschränken können, ohne seine Schutzkonzeption im Ganzen fundamentalen Selbstwidersprüchen auszusetzen. Denn der Gesetzgeber würde dann entweder bei Rechtsgütern, deren Schutz weiterhin mit strafrechtlichen Mitteln verfolgt wird, das Übermaßverbot verletzen oder dem Leben als besonderem Wert der Verfassung einen effektiven Schutz versagen. Im gegenwärtigen, strafrechtlichen Schutzkonzept für elementare Rechtsgüter ist deshalb das BVerfG verpflichtet, vom Gesetzgeber auch für den Schutz des Lebens einen gleichwertig effektiven Schutz einzufordern. Eine Verletzung des Übermaßverbots wäre durch ein strafrechtliches Verbot nicht gegeben (s. u. § 18). Gesamtkonzeptionen jenseits des Strafrechts sind zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber derzeit nicht gebräuchlich, so daß einer unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe gegenwärtig mit den Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten ist.20
§ 14 Freiwillige aktive Sterbehilfe zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz Exkurs: Aktive Sterbehilfe in den Niederlanden Anders als bei dem strafrechtlichen Verbot der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe ist bei der Legalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe eine Kollisionslage zwischen dem Schutz sterbender Menschen vor einer unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe bzw. dem Lebensschutz überhaupt und dem von der negativen Freiheitsdimension des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG umfaßten Recht auf selbstbestimmtes Sterben durch aktive Sterbehilfe (s. o. § 10 III.) gegeben. Die Legalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe muß daraufhin überprüft werden, ob sie nicht das Untermaßverbot der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem Leben Dritter verletzt. Sachlich zu unterscheiden ist dabei zwischen dem durch die Legalisierung des Lebens genießt deshalb in der Verfassungsordnung einen besonders hohen Stellenwert, s. o. § 7 VIII. 4., siehe auch R. Esser, 1992, S. 79. 20 Unter dieser Voraussetzung läßt sich mit BVerfGE 27, 17 (29) „an Hand der grundgesetzlichen Wertordnung“ ermitteln, was in den „Kernbereich des Strafrechts gehört“; zustimmend Tiedemann, 1991, S. 53 f. Der Einsatz des Strafrechts verstößt in diesem Fall gegenüber dem Täter auch nicht gegen das Übermaßverbot (vgl. unten § 19).
§ 14 Freiwillige aktive Sterbehilfe
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der freiwilligen Sterbehilfe geschaffenen höheren Risiko unfreiwilliger aktiver Sterbehilfen (s. u. II.) und den abstrakt drohenden Gefahren im Sinne der Dammbruch-Argumente – vor allem einer zunehmenden Mißachtung des Lebensrechtes überhaupt (s. u. III.). Zu bestimmen sind aber auch die Schutzpflichten des Gesetzgebers gegenüber dem Suizidenten selbst (s. u. I.).
I. Pflicht zum Schutz des Sterbewilligen vor sich selbst? Entscheidungen gegen das eigene Leben müssen freiverantwortlich sein. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, ist die trotzdem ausgeführte aktive Sterbehilfe eine unfreiwillige, bestenfalls eine nichtfreiwillige. Eine freiwillige aktive Sterbehilfe ist nach den Maßstäben der Verfassung nur bei einer Disposition gegen das eigene Leben gegeben, die auf einer autonomen Entscheidung beruht. Die Menschenwürde enthält eine Grundvermutung darüber, daß Menschen ab einer gewissen Reife, die mit der Volljährigkeit unterstellt wird (näher s. u. IV.), zu autonomen Entscheidungen fähig sind (s. o. § 10 III. 7.). Dies sichert die Grundrechtsordnung vor paternalistischen Entmündigungen seiner Bürger. Die vorausgesetzte Autonomie läßt sich als die „Fähigkeit und Kompetenz zum präferentiellen und wertenden Urteil über das eigene Wohl“21 bezeichnen. Grundsätzlich ist deshalb der Maßstab der Freiverantwortlichkeit nicht das, was nach allgemeiner Auffassung vernünftig ist. Maßgeblich ist, ob der Verlangende nach seinen eigenen Wertmaßstäben die Bedeutung der Entscheidung für seine Güter und Interessen zu beurteilen vermag.22 Entscheidungen gegen das eigene Leben zeichnen sich dadurch aus, daß sie einzigartig, gravierend und irreversibel sind.23 Mit der Tötung wird die Basis für jeden weiteren Freiheitsgebrauch vernichtet, und die Entscheidung ist nach ihrem Vollzug unwiderrufbar. Zwar sind auch andere Entscheidungen oft nicht mehr rückgängig zu machen, aber sie sind kaum von dieser Tragweite. Mit dem Tod endet vorbehaltlich des postmortalen Persönlichkeitsschutzes die Mitgliedschaft in der Anerkennungsgemeinschaft. Nun wurde bereits festgehalten, daß der Status eines gleichberechtigten Mitglieds in der Anerkennungsgemeinschaft zwar gegenüber sich selbst zu nichts verpflichtet, jederzeit aber gegenüber der Anerkennungsgemeinschaft eingefordert werden kann. Gegen seinen Willen muß sich niemand von den Gewährleistungen der Anerkennungsgemeinschaft ausschließen lassen; gegenteilige vertragliche Verpflichtungen sind nichtig (s. o. § 7 VIII. 1.). Da der Tod die Korrektur der Entscheidung gegen das eigene Leben unmöglich macht, die freie Widerrufbarkeit aber niemandem verwehrt werden darf, führt dies letztlich zu der Wils, 1999, S. 240. Vgl. Amelung, JR 1999, S. 45 (46 f.), der richtigerweise auf einen subjektiven Rationalitätsbegriff abstellt. 23 Hoerster, 1998, S. 30. 21 22
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Maßgabe, daß Entscheidungen gegen das eigene Leben vom Gesetzgeber nur dann als hinreichend autonom anerkannt werden können, wenn sie auch im langfristigen Horizont den Vorstellungen des die Tötung Verlangenden entsprechen.24 Ein Widerspruch zu der oben festgestellten Beschränkung der Schutzpflichten des Gesetzgebers (s. o. § 9 II. 2. c) ergibt sich hieraus nicht; die Entscheidung beruht auf einer Fehleinschätzung, wenn der Betreffende sie zu einem späteren Zeitpunkt bereute. Wirklich autonom ist erst die von Willensmängeln freie Entscheidung. In diesem schwach paternalistischen Sinn25 besteht eine Pflicht des Staates, den Grundrechtsträger vor sich selbst zu schützen, wenn seine irreversible Beendigung der Mitgliedschaft in der Anerkennungsgemeinschaft in Rede steht. Diese Anforderung stellt den Gesetzgeber bei der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe vor besondere Schwierigkeiten. „Vielfache Möglichkeiten zeit- und situationsgebundener Irrtümer und Fehleinschätzungen des eigenen ,Wohls‘ sind möglich und der Alltagserfahrung geläufig.“26 Die recht häufige Erfahrung, daß Suizidenten, deren Tod abgwendet werden konnte, später über ihre Rettung froh waren und den Selbsttötungsversuch für unsinnig erachteten, spricht für sich. Die Feststellung, daß ein Tötungswunsch auch im langfristigen Horizont den Vorstellungen des Sterbenden entspricht, erfordert deshalb weitgehende Motivforschungen, die kaum rechtspraktisch umsetzbar sind. Letztlich handhaben kann der Gesetzgeber diese Schwierigkeit nur, wenn er den zulässigen Bereich der aktiven Sterbehilfe auch nach äußeren Umständen hin einschränkt. Erst wenn das Verlangen nach einer aktiven Sterbehilfe in einer Situation vorgebracht wird, bei der nach allgemeinen Erwägungen ein geforderter Behandlungsabbruch (passive Sterbehilfe) nachvollziehbar vernünftig wäre, kann davon ausgegangen werden, daß die Entscheidung gegen das Leben fehlerfrei ist und damit hinreichend autonom getroffen wurde.27 Nachvollziehbar ist der Wunsch zu sterben, wenn sich der Sterbende in einem Zustand schweren Leidens28 befindet und keine Aussicht auf Besserung besteht.29 Daß es solche Situationen gibt, in denen der Wunsch eines 24 Vgl. Schmitt, 1972, S. 113 (117 f.); Jakobs, 1993, S. 459 (470 f.); ders., 1998, S. 29; Merkel, 2001, S. 411 f.; Hoerster, 1998, S. 30 ff. u. 36 ff. 25 Zu der Unterscheidung zwischen einem ,weichen‘ Paternalismus für eine zeitweilig nicht zur freiverantwortlichen Entscheidung fähige Person und dem ,harten‘ Paternalismus im Sinne eines fremddefinierten „wahren Wohls“ siehe Merkel, 2001, S. 410; Richter, Ethik Med 1992, S. 27 (28); Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (357 f.). In diesem Sinne läßt sich auch BVerfGE 60 (132 – Transsexuellengesetz) auffassen. Bei schwerwiegenden (irreversiblen) Entscheidungen ist sicherzustellen, daß die Entscheidung den langfristigen Interessen des Betroffenen entspricht. 26 Merkel, 2001, S. 408. 27 Im Ergebnis ähnlich Hoerster, 1998, S. 38. 28 Dabei ist der Zustand des Leidens nicht allein ein solcher mit körperlich unerträglichen Qualen, sondern kann sich auch aus Hilflosigkeiten (z. B. Körperlähmungen) oder Todeskämpfen wegen Atemnöten (z. B. bei Muskelschwund) ergeben. 29 Jakobs, 1993, S. 459 (470 f.); ders., 1998, S. 29; Hoerster, 1998, S. 37 f. Es ist nicht überzeugend, den Wunsch nach der Beendigung des Sterbeprozesses, wenn ihn die Natur
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Menschen verständlich ist, den baldigen Tod dem Weiterleben vorzuziehen, ist mit der passiven Sterbehilfe, besonders beim einseitigen Behandlungsabbruch, grundsätzlich anerkannt.30 Zudem wird bei der indirekten Sterbehilfe der Verkürzung des Lebens einem Sterben unter starken Schmerzen bewußt der Vorzug gegeben (s. o. § 3 III.). Führt nun aber nicht die Einschränkung der Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe auf bestimmte Zustände dazu, daß manche Formen des Lebens vom Gesetzgeber als minderwertig charakterisiert werden?31 Und wie verhält sich dies mit der Voraussetzung der Autonomie, wenn ein Gesetz verdeckt den Vorwurf der Sinnlosigkeit des weiteren Lebens mit sich führt und damit die Entscheidung des Sterbenden und die Haltung seine Umfeldes negativ zu beeinflussen droht? Die Gefahr entsteht, daß die Zulässigkeit der Organisation der Selbsttötung durch fremde Hand gerade die Selbstbestimmungsfähigkeit von Sterbenden einschränkt, die es doch eigentlich ermöglichen wollte.32 Auch der wachsende Kostendruck im Gesundheitswesen und die Wünsche von Angehörigen, für die aufgrund ihrer eigenen Einstellung ein Lebenswille des Betroffenen nicht mehr nachvollziehbar ist, können zu „Selbstabschaffungsphantasien“ beim Sterbenden führen.33 Diese Befürchtungen sind berechtigt.34 Sie sind jedoch kein Spezifikum der aktiven Sterbehilfe, sondern ebenso auf die passive Sterbehilfe anwendbar.35 Allerdings sind diese Bedenken bei der aktiven Sterbehilfe wegen des signifikanten Unterschieds zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe besonders zu berücksichtigen. Damit ergibt sich ein Zusammenhang mit der staatlichen Leistungsseite. Eine autonome Entscheidung des Sterbenden ist um so eher frei von negativen Einflußnahmen seines Umfelds, je weniger Arzt oder Angehörige aus finanziellen Gründen ein Interesse am Tod des Sterbenden haben können und je stärker der Staat durch eine angemessene Unterbringung, Förderung der Palliativmedizin, ausreichende personelle Sterbebegleitung, kurz die Unterstützung der Hospizarbeit die Verbundenheit mit dem Sterbenden – in welchem Zustand sich dieser auch immer befinden mag – zum Ausdruck bringt. Erst die gesellschaftliche Solidarität schafft die Voraussetzungen für eine autonome Entscheidung. Ein effektives Schutzkonzept wird somit zum Schutz der autonomen Entscheidung des Sterbenden einen geäußerten Sterbewunsch einer Prüfung, subjektiv auf seine freie und reifliche Überlegung und objektiv auf einen leidenden Zustand hin, zwangsläufig erfüllt, als vernünftig anzuerkennen, dies aber kategorisch zu bestreiten, wenn die Natur nicht nachhilft, sondern nur durch eine aktive Sterbehilfe der Wille des Sterbenden erfüllt werden kann. 30 Siehe hierzu ausführlich Jakobs, 1998, S. 26 ff. 31 Vgl. Spaemann, 1997, S. 12 (22 f.); B. Reuter, 2001, S. 238 f. 32 Vgl. Spaemann, 1997, S. 12 (24 ff.). 33 Vgl. Wils, 1999, S. 208. 34 Siehe auch Rau, 2001, S. 27 f. 35 Hegselmann, 1992, S. 197 (212). 19*
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unterziehen müssen, den Sterbenden und sein Umfeld hinsichtlich der Basispflege von einem Kostendruck befreien und auch sonst sicherstellen müssen, daß die beeinflußbaren Umstände Sterbende nicht zum Tod drängen. Die Irreversibilität einer Entscheidung gegen das Leben verlangt vom Gesetzgeber in erster Linie diese präventiven Schutzmaßnahmen. Bedenklich wären deshalb Regelungen, die sich wie im niederländischen Modell (s. u. V.) wesentlich auf eine Kontrolle stützen, wenn die aktive Sterbehilfe bereits vollzogen wurde. In Betracht kommen dagegen als Kontrollorgane im Vorfeld der Umsetzung einer aktiven Sterbehilfe Ethik-Kommissionen, die einer Dokumentationspflicht unterliegen, und (vormundschafts-)gerichtliche Genehmigungsverfahren.36 Im Hinblick auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers können aus verfassungsrechtlicher Sicht keine konkreten Regelungen aus dem Grundgesetz abgeleitet werden. Erst das aus der Vielzahl möglicher Maßnahmen vom Gesetzgeber getroffene Schutzkonzept kann nach seiner Gesamtregelung auf eine Verletzung des Untermaßverbots hin überprüft werden.
II. Konkrete Schutzpflicht zugunsten Dritter (Schutz vor Mißbrauch) Unabhängig davon, welches Schutzkonzept der Gesetzgeber verfolgt, wird er eine Konsequenz kaum vermeiden können: Mit der Freigabe der freiwilligen aktiven Sterbehilfe erhöht sich das Risiko einer versehentlichen oder gar mißbräuchlichen unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe.37 Nur das absolute Verbot der aktiven (und auch indirekten)38 Sterbehilfe bietet den sichersten Schutz. Daß Freiheitsgewährleistungen immer auch Risiken eröffnen, ist kein Spezifikum einer erlaubten freiwilligen aktiven Sterbehilfe. Die Vorteile des automobilen Straßenverkehrs ziehen jedes Jahr tausende Verkehrstote nach sich. Zum Ausgleich kommen kollidierende Grundrechtsgüter nicht durch einen abstrakten Vergleich z. B. der Wertigkeit des Lebens hier und der Selbstbestimmung dort, sondern nach dem Untermaßverbot entsprechend der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit. Der effektive Schutz des Lebens ist nicht der absolute Lebensschutz, 36 Der Staat wird dadurch nicht zum „Herrn über Leben und Tod“, weil nicht der Staat über den Einsatz der aktiven Sterbehilfe entscheidet, sondern aufgrund seiner Schutzpflicht nur überprüft, ob tatsächlich eine freiverantwortliche und autonome Entscheidung beim Sterbewilligen gegeben ist. 37 Jochemsen, ZME 2001, S. 90 (95): „Es muß zugestanden werden, dass es [ . . . ] unmöglich ist, alle (potentiellen) lebensbeendigenden Handlungen des Arztes zu kontrollieren.“ 38 Birnbacher, 1995, S. 293. Man bedenke an dieser Stelle, daß bereits die Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe, das Risiko einer unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe vergrößert, vgl. BGHSt 42, 301 ff. Auch das freie Selbstbestimmungsrecht des Patienten bei der passiven Sterbehilfe hat die größere Gefahr unfreiwilliger passiver Sterbehilfen zur Kehrseite.
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sondern der in Anbetracht des Rechtsgutes und der Eigenart des jeweiligen Sachbereichs angemessene Lebensschutz (vgl. oben § 9 III.). Ob der Gesetzgeber die Kollisionslage angemessen aufgelöst hat, sollte methodisch anhand des vorgestellten vierstufigen Schemas überprüft werden (s. o. § 9 III.). Dabei ist vorab nach der verfassungsrechtlichen Legitimität des Zieles zu fragen, wegen dem ein verminderter Lebensschutz in Kauf genommen wird. Wie im § 10 ausgeführt, unterfällt die freiwillige aktive Sterbehilfe dem Schutzbereich der negativen Gewährleistung des Lebensrechtes in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG. Die verfassungsrechtliche Legitimität des gegenläufigen Ziels zum Lebensschutz ist damit gegeben. Wenig Schwierigkeiten gibt auch die Geeignetheitsprüfung auf (1. Stufe). Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ist die Voraussetzung, mithin das einzige Mittel, mit dem ein Recht auf aktive Sterbehilfe verwirklicht werden kann. Ob es Mittel gibt, die den Schutz vor einer unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe besser sicherstellen, ohne das gegenläufige Interesse stärker zu beeinträchtigen (2. Stufe), läßt sich nur anhand der vom Gesetzgeber getroffenen Maßnahmen feststellen. Auch die Angemessenheit der Lebensschutzbeeinträchtigung im Verhältnis zur Selbstbestimmung durch aktive Sterbehilfe (3. Stufe) läßt sich nur am Gesamtkonzept der gesetzlichen Regelung beurteilen, weil die Angemessenheit einer Regelung wesentlich davon abhängt, welche Risiken der Gesetzgeber mit seinen Regelungen für das Leben in Kauf nimmt. Vorliegend können deshalb nur Leitlinien für eine derartige Regelung angegeben werden. Das unvermeidlich höhere Risiko unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe darf der Gesetzgeber eingehen. Auch die freiwillige aktive Sterbehilfe hat verfassungsrechtliches Gewicht, da sie dem Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts am eigenen Körper aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG unterfällt. Das jeweils hohe Gewicht beider Güter – Leben und selbstbestimmtes Sterben – eröffnet dem Gesetzgeber einen Abwägungsspielraum. Die Erhöhung des Risikos unfreiwilliger Tötungen steht deshalb nicht per se außer Verhältnis zur Legalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe. Allerdings gebietet es der Wert des Lebens, daß der Gesetzgeber besondere Schutzanstrengungen unternimmt, um die Gefahren für das Leben Dritter in weitem Umfang präventiv abzuwenden. Grundsätzlich wird dieses Ziel bereits mit den unter I. genannten Maßnahmen verfolgt. Kann nach Maßgabe obiger Schutzvoraussetzungen von einem freiverantwortlichen Verlangen nach aktiver Sterbehilfe ausgegangen werden, so bestehen damit gleichzeitig Schutzregelungen, die Dritte vor einer unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe schützen. Vergrößert der Gesetzgeber allerdings mit der Eröffnung eines Freiheitsbereichs die Gefahr, daß die Grenze zum verfassungsrechtlich Verbotenen überschritten wird, muß er die Grenzziehung zu dem Bereich des Verbotenen umso eindeutiger vornehmen. Diffuse Regelungen mit weiten Interpretationsspielräumen würden dem nicht gerecht. Das Verbot und die Pönalisierung der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe muß deshalb bei der Legalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe
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um so nachdrücklicher zur Geltung kommen. Eine Privilegierung unfreiwilliger Mitleidstötungen wäre damit nicht vereinbar.
III. Abstrakte Schutzpflicht zugunsten Dritter (Dammbruchargument) Anderer Struktur als die unter I. und II. erörterten Schwierigkeiten, die letztlich die Sicherung der Freiwilligkeit im Einzelfall zum Ziel haben, sind die Argumente, die in der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe den Einstieg in eine unvermeidbare gesellschaftliche Tendenz erkennen – „schiefe Ebene“ –, die dazu führt, daß man sich derer, die nicht oder nicht mehr am Produktionsprozeß teilnehmen können und deren Pflege beträchtliche Kosten verlangt, notfalls gewaltsam entledigt.39 Ergänzt wird diese These durch das bereits besprochene Mißbrauchsrisiko und die Annahme, daß sich das ärztliche Berufsethos in negativer Richtung verändern würde40 und eine Praxis der aktiven Sterbehilfe das Vertrauen zwischen Arzt und Patient untergraben müßte41. Das Dammbruch- bzw. „Schiefe-Bahn“-Argument („slipperly-slope-argument“) behauptet folglich, daß eine aktive Sterbehilfe (auch) deshalb nicht eingeführt werden dürfte, weil sich nach ihrer Einführung zwangsläufig und unaufhaltsam katastrophale Folgen und Weiterungen zeitigen, die moralisch eindeutig zu mißbilligen bzw. verfassungsrechtlich zweifellos verboten sind.42 Die Begründungsstruktur des slipperly-slope-arguments läßt sich nach einer logischen und einer empirisch-psychologischen Version hin unterscheiden.43
1. Logische Version des Dammbrucharguments Die logische oder theoretische Version besagt, daß eine bestimmte gesellschaftliche Praxis A1 dann zur Toleranz gegenüber einer anderen, unter Umständen umstrittenen Praxis B zwingt, wenn sich von der Praxis A1 über A2, A3 usw. eine Kette zu B bilden lasse, bei der jeweils zwischen den einzelnen Gliedern nur ein minimaler bzw. kein signifikanter Unterschied besteht.44 Wenn die Zulassung von 39 Kinsauer Manifest, 1991, S. 171 (171 f.); Spaemann, 1997, S. 12 (21 f.); Jochemsen, ZME 2001, S. 90(95 f.). 40 Siehe die Zusammenfassung der Bedenken bei Birnbacher, 1992, S. 50 (61); siehe auch Kinsauer Manifest, 1991, S. 171 (172 f.); Spaemann, 1997, S. 12 (21 ff.); Jochemsen, ZME 2001, S. 90 (95); Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (39 ff.). 41 Bockelmann, 1968, S. 24; Dölling, MedR 1987, S. 6 (8); Lissel, 2001, S. 77. 42 Zur Struktur der Dammbruch-Argumente und den Regeln zur Überprüfung ihrer Berechtigung siehe Hegselmann, 1992, S. 197 (206 ff.); Guckes, 1997, passim. 43 Siehe Zimmermann-Acklin, 1997, S. 365 ff.; Merkel, 2001, S. 596.
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A1 gerechtfertigt wird, dann sei es logisch unmöglich, zu rechtfertigen, daß die Praxis A2, die sich nur insignifikant von A1 unterscheide, nicht zugelassen werden sollte. Denn wer die Zulassung einer Praxis ablehnt, die sich nur insignifikant von der bereits zugelassenen unterscheide, der vertrete ein inkonsistentes Überzeugungssystem. Könne eine Grenzziehung logisch nicht gerechtfertigt werden, bleibe nur eine willkürliche Bestimmung, die aber wegen ihrer Inkonsistenz aufgegeben werde. Daher führe die Zulassung von A1 über kleine Zwischenschritte schließlich zu B. Auf die aktive Sterbehilfe wird das Argument wie folgt angewandt. Es mag ein moralischer Unterschied zwischen der freiwilligen, nichtfreiwilligen und unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe bestehen. Die Grenzen zwischen diesen Formen sind fließend,45 was nachfolgendes Beispiel verdeutlichen kann: P1 besitzt die volle geistige Reife und Bewußtsein, P2 ist gelegentlich leicht verwirrt, P3 hat leichte Bewußtseinstrübungen, P4 ist leicht depressiv, P5 ist leicht beeinflußbar, P6 ist minderjährig, P7 ist in der Regel leicht verwirrt, P8 ist ohne Bewußtsein, P 9 hat sich nicht gegen eine aktive Sterbehilfe erklärt, P 10 ist vermutlich dagegen, P 11 ist eindeutig gegen eine aktive Sterbehilfe. Diese Kette gibt nur einen Teil der möglichen Ausprägungen der Willenbildung an. Weiterhin lassen sich die praktischen Fälle den Falltypen nicht sicher zuordnen. Der Übergang von der unfreiwilligen zur freiwilligen aktiven Sterbehilfe ist damit fließend. Trotzdem belegt dieses Argument nicht logisch zwingend eine schiefe Ebene. Die notgedrungen dezionistische Grenzziehung führt nicht zur Inkonsistenz der Grenzziehung, wenn jedem bewußt ist, daß allein aus praktischen Gründen eine Grenze gezogen werden muß, die Endpunkte dieser Linie aber unterschiedlich zu beurteilen sind. Anderenfalls müßte auch die Volljährigkeitsgrenze willkürlich und unhaltbar sein, weil die Entwicklung vom Säugling zum Erwachsenen kontinuierlich ist, ohne daß sich zu irgendeinem Zeitpunkt eine Grenzlinie aufzeigen läßt. Keiner ist logisch gezwungen, Neugeborene für volljährig zu erklären, nur weil die Grenzziehung zur Volljährigkeit dezisionistisch erfolgen muß und niemand sagen kann, an welcher Stelle der Wendepunkt liegt bzw. ein Einschnitt überhaupt nicht besteht. Die Schwierigkeit einer Grenzziehung widerlegt nicht den relevanten Unterschied zwischen den Endpunkten eines Kontinuums, sondern verlangt allein pragmatische Urteilskraft, die zu einer vernünftigen Grenzziehung führt.46 Sinnvoll kann das Dammbruchargument allerdings nach zwei Seiten hin sein. Wer eine bestimmte Praxis bejaht, muß jedenfalls im Vergleich zur unerwünschten Praxis signifikante Unterschiede benennen können, auch wenn die Grenzziehung zwischen beiden Formen im Einzelfall schwierig sein mag. Der andere Aspekt ist 44 Vorgetragen wird das Argument von Fuchs, 1997, S. 31 (59 ff.); siehe auch die erläuternde Darstellung bei Guckes, 1997, S. 16 ff.; Zimmermann-Acklin, 1997, S. 365 ff.; Merkel, 2001, S. 597 f. 45 Siehe Zimmermann-Acklin, 1997, S. 365 f. 46 Guckes, 1997, S. 19 ff.; Merkel, 2001, S. 475.
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dagegen empirischer Natur. Es wird psychologisch schwierig, die Überschreitung der gezogenen Grenze zu tadeln, wenn sie sich nur geringfügig von der anerkannten Praxis unterscheidet. Damit besteht die Gefahr einer schrittweisen Veränderung des Normbewußtseins, wenn über die Ausweitung der Grenzfälle die zuvor unerwünschte Praxis sich zunehmend durchsetzt. 2. Psychologische oder empirische Version des Dammbrucharguments Letzteres ist bereits der sozialpsychologischen oder empirischen Version der Dammbruch-Argumentation zuzuordnen.47 Diese geht von der Möglichkeit der Abstumpfung der Ärzte, welche regelmäßig Sterbende töten, und einem Gewöhnungseffekt und Anpassungsdruck in der Gesellschaft aus, der auf die Dauer die Achtung vor dem menschlichen Leben aushöhlen muß. Sollte die im Argument der schiefen Ebene behauptete unvermeidbare Handlungsabfolge von der Legalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe zu unfreiwilligen Tötungen sogenannten „lebensunwerten Lebens“ zutreffend sein, dann muß der Gesetzgeber auch die Tötung auf Verlangen verbieten, weil er anderenfalls den Schutz des Lebens von Behinderten, Säuglingen und Sterbenden, die keine aktive Sterbehilfe wünschen, nicht mehr aufrechterhalten könnte. Das Verbot der Tötung auf Verlangen wäre ein unverzichtbares Mittel, um in geeigneter, effektiver und angemessener Weise dem Schutz des Lebens zu genügen.48 Geeignet wäre das Verbot, weil kein milderes Mittel in Betracht käme, da jede Freigabe (Legalisierung) nach dem slipperly-sloge-Argument unweigerlich zur Vernichtung sogenannten „lebensunwerten Lebens“ führen würde. Zur Effektivität des Verbots könnte auf den Erfolg der bisherigen Regelung in § 216 StGB verwiesen werden. Die Angemessenheit wäre in Anbetracht des hohen Wertes des Schutzguts Leben ebenfalls gegeben. Die Frage ist allerdings, welcher Art diese Gesetzmäßigkeit der schiefen Ebene ist und wie sie begründet werden kann. Dammbruch-Argumente sind empirische Prognosen über psychologische Konsequenzen oder gesellschaftliche Entwicklungen. Sie können deshalb nicht normativ-logisch, sondern nur als sozialpsychologisches oder soziologisches Erklärungsmodell auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden.49 Hierzu ist man vor allen Dingen auf empirische Daten angewiesen.50 Untersuchungsgegenstand könnte einmal die Verrohung durch die Ausführung von sogenannten in sich schlechten Handlungen, der Widerspruch zum ärztlichen Ethos und zum anderen die Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen bei Freigabe der Tötung auf Verlangen sein. So auch Guckes, 1997, S. 53 ff. Zur Reduktion des Auswahlermessens des Gesetzgebers auf Null bei der grundrechtlichen Schutzpflicht siehe Michael, JuS 2001, S. 148 (151 f.). 49 Wolf, 1999, S. 76 (89); Quante, Ethik Med 1998, S. 206 (225). 50 Quante, Ethik Med 1998, S. 206 (225). 47 48
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Das Verrohungsargument müßte als sozialpsychologisches Phänomen dahingehend untersucht werden, ob bestimmten Handlungen eine notwendige Rückwirkung auf den Charakter des Akteurs zukommt. Eine zwingende Lebenserfahrung gibt es dafür nicht. Es wird entscheidend davon abhängen, inwieweit der Ausnahmecharakter der Tötung dem Akteur deutlich bleibt. Daß diese Grenzziehung mit jeder Freigabe des Tötungsverbots schwerer verständlich wird, ist naheliegend. Ist aber der Verlust der Grenze auch zwingend? Gegen die generelle Verrohungsvermutung spricht immerhin die Fähigkeit von Menschen, Handlungen kontextbezogen auszuführen und von ihrem Charakter bis zu einem gewissen Grade abzuspalten.51 Weder neigt der Fleischer unbedingt dazu, seine Haustiere umzubringen, noch der Soldat, im Streit mit seinem Nachbarn zur Waffe zu greifen. Allerdings ist die Gefahr der Ausweitung von Tötungshandlungen umso größer, je stärker die Handlungsfelder ineinander verwoben sind. Die vorsätzliche Tötung von unschuldigen Zivilisten bei Kampfhandlungen oder bereits gefangen genommenen Soldaten ist im Krieg kein Einzelphänomen. Die naheliegende Gefahr ergibt sich im Zusammenhang der Sterbehilfe beim Arzt gerade daraus, daß sich die Tötungshandlung weder räumlich noch sachlich von seinen sonstigen ärztlichen Tätigkeiten trennen läßt. Die gesetzliche Regelung wird damit höheren Anforderungen ausgesetzt sein, die erlaubte von der verbotenen Tötung auch praxistauglich zu trennen. Ob dies möglich ist, ist aber keine Frage, die sich als logisches Kalkül vorab beurteilen läßt, sondern hängt ab von der konkreten Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung und den – empirisch ungewissen – Annahmen über die notwendige Rückwirkung bestimmter Handlungen auf den Charakter. Die verbreitete Behauptung einer Zerstörung des ärztlichen Ethos und dadurch wachsenden Mißtrauens zwischen Arzt und Patient ist ebenfalls nicht zwingend. Das Telos der ärztlichen Handlung wird mit seiner Verpflichtung, dem Leben zu dienen, nur verkürzt wiedergegeben. Der Arzt hat neben der Erhaltung von Gesundheit und Leben auch Schmerzen zu lindern und Sorge für ein dem Selbstverständnis des Patienten gerecht werdendes Sterben zu tragen.52 Unter dieser Maßgabe ist ein integres ärztliches Verhalten trotz freiwilliger aktiver Sterbehilfe möglich, wenn sie strikt am Patientenwillen orientiert erfolgt.53 Das steht zwar im Widerspruch zum Wortlaut des „hippokratischen Eids“54, aber das darin formulierte Tötungsverbot wird bereits durch die „indirekte“ Sterbehilfe im Hinblick auf den erweitert betrachteten ärztlichen Handlungsauftrag durchbrochen.55 Auch sind die Wolf, 1999, S. 76 (89 f.). Vgl. auch Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung, NJW 1998, S. 3406 (ebda) – Präambel. 53 Schöne-Seifert, 1999, S. 98 (114 f.); siehe auch Wiesing, 1999, S. 233 (242 f. u. 244 f.). 54 „Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen; gleicherweise werde ich keiner Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben.“ Zitiert nach Wolfslast / Conrads, 2001, S. 253. 55 Auch im übrigen weist der Hippokratische Eid zeitgemäße Vorstellungen auf. Der hippokratische Eid gibt deshalb das ärztliche Standesethos nur eingeschränkt wieder und bedarf 51 52
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Ärzte bereits gegenwärtig gezwungen, Entscheidungen zu treffen bzw. Handlungen auszuführen, die das Sterben des Patienten beeinflussen. Hätte dann nicht auch die Zulässigkeit der passiven Sterbehilfe unter den Patienten die Angst schüren müssen, spätestens im Zustande der Bewußtlosigkeit vom Arzt im Stich gelassen zu werden?56 Die angesprochenen negativen Folgen für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient hängen deshalb wesentlich davon ab, inwieweit es zu den unerwünschten Ausweitungseffekten kommt (hierzu siehe bereits oben I. u. II.).57 Der für das ärztliche Gewissen befürchteten Gefahr, faktisch oder gar rechtlich zur aktiven Sterbehilfe verpflichtet zu werden – was verfassungswidrig wäre (s. o. § 11) –, könnte der Gesetzgeber durch eine gesetzliche Klarstellung58 und ergänzende Schutzregelungen begegnen.59 Zur Belegung des Dammbruch-Arguments läßt sich außerdem die gesellschaftliche Ebene heranziehen. Zu denken wäre hier an die Zeit des Nationalsozialismus und die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden. Hinsichtlich des nationalsozialistischen Deutschlands stößt man allerdings im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Systeme und Schutzregelungen auf Grenzen. Die dort durchgeführten Euthanasieaktionen der aktiven Sterbehilfe wollten nicht der Selbstbestimmung Sterbender Raum lassen. Sie waren allein von der nationalsozialistischen Rassenideologie bestimmt, weshalb die nicht- und unfreiwillige Tötung von Anfang an ebenso beabsichtigt war wie die von (nicht sterbenden) Menschen allein aufgrund ihrer Behinderungen (näher s. o. § 10 III. 3.). Der Vergleichbarkeit mit einer aktiven Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung steht auch die geheime Durchführung der Euthanasieaktionen sowie die Ausschaltung einer öffentlichen und gerichtlichen Kontrolle entgegen; ein Bundesverfassungsgericht als „Hüter der Verfassung“ ist im totalitären nationalsozialistischen System undenkbar. Die dort fortschreibender Interpretationen, siehe hierzu z. B. Bauer, ZME 1995, S. 141 ff. Kritisch zum Wandel des ärztlichen Berufsethos in Bezug auf die Abtreibungen siehe R. Esser, 1992, S. 24 ff. 56 Wie sich anhand der Patientenverfügungen ablesen läßt, wird weit überwiegend eher eine Maximaltherapie befürchtet. Allerdings wünschen Patienten aus Angst, eine Behandlung könnte aus Kostengründen vorschnell abgebrochen werden, zunehmend genau diese Maximalbehandlung; siehe Eisenbart, 2000, S. 19 f. m. w. N. 57 Das Vertrauensargument läßt sich nach Wiesing, 1999, S. 233 (243 f.) auch umdrehen: „Es könnte auch das Vertrauen in die Ärzteschaft stärken, wenn sie bereit wäre, die fundamentalen Rechte ihrer Patienten zu akzeptieren und unter bestimmten Bedingungen bei der Umsetzung Hilfe anzubieten.“ 58 Z. B.: „Kein Arzt ist verpflichtet, gegen sein Gewissen eine aktive Sterbehilfe leisten zu müssen.“ 59 Als arbeitsrechtliche Regelungen kämen in Betracht: Beim Einstellungsgespräch darf nicht nach der Bereitschaft zur Leistung einer aktiven Sterbehilfe gefragt werden; arbeitsvertragliche Verpflichtungen hierzu sind nichtig; Beförderungen, Gratifikationen, Lohnzusätze dürfen nicht an die Erbringung von aktiver Sterbehilfe gekoppelt werden. Ergänzender faktischer Schutz könnte das Verbot an den Träger des Krankenhauses sein, sich gegenüber dem Patienten zur Leistung einer aktiven Sterbehilfe zu verpflichten.
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nach jeder Seite hin gebrochenen Dämme lassen sich deshalb nicht redlich als konkrete Gefahren innerhalb der Grundrechtsordnung behaupten.60 Besser vergleichbar sind dagegen die Niederlande, da sie ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer Rechtsstaat sind. Bezüglich der niederländischen Praxis gibt die Interpretation der empirischen Daten keine eindeutige Antwort. Zwar sind die Befürchtungen des slipperly-slope-arguments dort nicht von der Hand zu weisen, allerdings weist das dortige Schutzkonzept eklatante Lükken auf, so daß letztlich offen bleibt, ob dem Gesetzgeber ein effektives Schutzkonzept möglich wäre (näher s. u. V.). Wie sind vor diesem Hintergrund Dammbruch-Argumente verfassungsrechtlich zu würdigen? Dammbruch-Argumente sind im besten Fall empirisch fundierte Abschätzungen über zukünftige Wirkungsverläufe.61 Sie gehören damit eindeutig in den weiten gesetzgeberischen Prognose- und Einschätzungsspielraum bei der Erfüllung der Schutzpflichten (vgl. oben § 9 III.).62 Das stellt den Gesetzgeber bekanntlich nicht frei. Bei der Entscheidung über das Schutzkonzept muß er das relevante empirische Material heranziehen, es sorgfältig auswerten und zu verläßlichen Prognosen über zukünftige Wirkungen verarbeiten.63 Dabei sind die maßgeblichen Faktoren (Bedeutung des Rechtsgutes, Eigenart des jeweiligen Sachbereichs) ausreichend zu berücksichtigen, um auf diese Weise zu einer vertretbaren und tragfähigen Einschätzung des angemessenen und wirksamen Schutzes zu gelangen.64 Als relevantes empirisches Material stehen dem Gesetzgeber derzeit nur die nationalsozialistische und niederländische Praxis der aktiven Sterbehilfe zur Verfügung. Er wird sich deshalb mit diesen auseinandersetzen und anhand der eigenen Regelungen vertretbar zeigen müssen, warum seine Schutzmaßnahmen geeignet sind, den Dammbruchgefahren zu wehren. Im wesentlichen wird diese 60 Abwegig wäre es, mit Verweis auf die militärstrategische Funktion des Autobahnbaus im Dritten Reich in dem Bau einer Bundesautobahn die Vorbereitung eines Angriffskrieges (Art. 26 GG) zu vermuten. Dies zeigt: der gleichen Regelung oder Maßnahme kann in einem anderen Kontext eine gänzlich andere Funktion zukommen. 61 Oft neigen sie allerdings mehr zum Ausdenken von worst-case-Szenarien, bei denen nicht mehr nach den Eintrittswahrscheinlichkeiten gefragt wird; siehe z. B. Rest, 1992, passim. 62 Hier ist die verbreitete und den Gütern der Verfassung nicht recht zuzuordnende Warnung aufzunehmen, die aktive Sterbehilfe würde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient untergraben, so Bockelmann, 1968, S. 24; Dölling, MedR 1987, S. 6(8); Lissel, 2001, S. 77. Auch das Gegenteil ist möglich. Der Patient hat zu einem Arzt, von dem er weiß, daß er ihm auch bei diesem Wunsch beistehen würde, vielleicht sogar größeres Vertrauen. Siehe auch Zimmermann-Acklin, 1997, S. 257. Im übrigen sind die Ärzte bereits gegenwärtig gezwungen, Entscheidungen zu treffen bzw. Handlungen auszuführen, die das Sterben des Patienten beeinflussen. Hätte dann nicht auch die Zulässigkeit der passiven Sterbehilfe unter den Patienten die Angst schüren müssen, spätestens im Zustande der Bewußtlosigkeit vom Arzt im Stich gelassen zu werden? 63 BVerfGE 88, 203 (262 f.). 64 BVerfGE 88, 203 (262).
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Funktion bereits durch die oben aufgeführten Regelungsmöglichkeiten zur Verhinderung von Mißbräuchen übernommen. Insoweit kann auf die unter I. und II. gezeigten präventiven Schutzmaßnahmen verwiesen werden. Eine erfolgte Grenzziehung muß konsequent umgesetzt werden, um einem allmählichen Ausufern zu wehren. Besonders wichtig ist es auch, durch die Sicherstellung ausreichender Pflege und fortschreitende Bemühungen um die Verbesserung der Palliativmedizin zu verhindern, daß der Patient durch vermeidbare Umstände zum Tod gedrängt wird. Die real greifbare Solidarität der Gesellschaft muß zeigen, daß kein Mensch sein Leben vor der Gesellschaft rechtfertigen muß oder zukünftig einer solchen Zumutung ausgesetzt wird. Man könnte nun noch einbringen, daß unabhängig von dem Prognosespielraum der Gesetzgeber ein derartiges Risiko überhaupt nicht eingehen dürfte. Der Gesetzgeber dürfe die Aushebelung der Grundrechtsordnung nicht versuchsweise testen, indem er das von der Menschenwürde geforderte grundlegende Lebensachtungsgebot der Gefahr der unwiderruflichen Mißachtung preisgebe. Schließlich unterstellen Vertreter der Dammbruch-Argumente auch, daß ein mögliches Ausufern unumkehrbar ist. Nun unterliegt der Gesetzgeber hinsichtlich der von ihm getroffenen Schutzmaßnahmen einer Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht, wenn sich die getroffenen Regelungen als untauglich erweisen. Die Korrektur von Gesetzen ist faktisch nicht ausgeschlossen. Die von den Dammbruch-Argumenten unterstellte Unumkehrbarkeit geht allerdings von einer Veränderung des Normbewußtseins in der Gesellschaft aus. Der Gesetzgeber wird dieser Gefahr nur dadurch ausreichend begegnen können, daß der verfassungsrechtlich unzulässige Bereich der aktiven Sterbehilfe normativ eindeutig markiert wird. Im übrigen kann dieser Aspekt der Dammbruch-Argumente als empirische Prognose nicht der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers entzogen werden. Hier muß das Grundgesetz wie sonst auch auf das eigene System der wehrhaften Grundrechtsordnung vertrauen. Das Bundesverfassungsgericht könnte dieses Argument kaum konsistent vorbringen – würde es doch sich damit selbst die Bereitschaft unterstellen, die Grundrechte aus „oberflächiger Zeitgeistigkeit“ oder gar Opportunismus preiszugeben, obwohl es die Verletzung des Untermaßverbots feststellen müßte. Zu Recht weisen die Dammbruch-Argumente nachdringlich auf die Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers hin. Der Gesetzgeber wird deshalb bereits zum Zeitpunkt der Neuregelung zeigen müssen, daß er hierzu hinreichende Maßnahmen getroffen hat. Die Entwicklungen sind mit repräsentativen Erhebungen zu verfolgen.65 Die Untersuchungen müssen sich nach ihrer Anlage auch darum bemühen, interpretationsfest zu sein, d. h. die Standards der empirischen Sozialforschung müssen eingehalten werden.66 Vor allen Dingen mahnt das 65 Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb m.E. bei der Überprüfung des Beratungsschutzkonzepts mit den Anforderungen an die statistische Kontrollpflicht des Gesetzgebers nur das Unvermeidliche festgestellt, siehe BVerfGE 88, 203 (310 f.). 66 Die Erhebungen in den Niederlanden weisen m.E. hier Schwachpunkte auf (s. u. V.).
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Argument der schiefen Ebene die ernsthafte Nachbesserung einer ineffektiven Schutzregelung an. Besteht z. B. ein wesentlicher Teil des Schutzkonzepts aus der Meldepflicht, dann erweisen hohe Anteile nicht gemeldeter Fälle die Regelung als unzureichend. Gleiches ist der Fall, wenn über ein unvermeidliches Mißbrauchsrisiko hinaus eine verbotene nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe in vielen Fällen erfolgt. Der Hinweis, man könne nicht wissen, ob bei der früheren Regelung nicht in gleichem Ausmaß nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe geleistet wurde, überzeugt hierbei nicht. In diesem Fall wurde nur ein unzureichendes Schutzkonzept durch ein ebenso das Untermaßverbot verletzendes Konzept ersetzt. Der Gesetzgeber wird dann ein neues und gegenüber beiden alten Regelungen verstärktes Schutzkonzept aufstellen müssen.67
IV. Freiwillige aktive Sterbehilfe bei Jugendlichen und Kindern Die aktive Sterbehilfe bei Jugendlichen und Kindern weist besondere Probleme auf. (1) Zunächst einmal ist zu klären, ob und inwieweit Kinder und Jugendliche überhaupt grundrechtsmündig über ihr Leben verfügen können. (2) Das staatliche „Wächteramt“ kann es gebieten, daß der Gesetzgeber eine freiwillige aktive Sterbehilfe gegenüber Minderjährigen nicht zulassen darf. (3) Der Wille des Kindes oder Jugendlichen kann den Vorstellungen der Eltern widersprechen. Soweit ein hinreichend grundrechtsmündiger Wille für eine aktive Sterbehilfe nicht gegeben ist, wäre auch der Umfang einer treuhänderischen Vertretung durch die Eltern zu klären. 1. „Grundrechtsmündigkeit“ Bei der „Grundrechtsmündigkeit“ wird diskutiert, bis wann und inwieweit Kinder und Jugendliche in der Innehabung und Ausübung von Grundrechten beschränkt sind.68 Der Begriff der „Grundrechtsmündigkeit“ ist erklärungsbedürftig.69 Ist damit die Grundrechtsberechtigung, die Grundrechtswahrnehmung- oder Grundrechtsausübungsfähigkeit oder die Grundrechtsprozeßfähigkeit gemeint? In dieser Arbeit wird sie als Grundrechtswahrnehmungs- oder Grundrechtsausübungsfähigkeit verstanden. Ein Kind kann z. B. das Recht der Meinungsfreiheit erst dann wahrnehmen, wenn es auch bereits eine „Meinung“ hat. Erforderlich für 67 In Betracht kommt z. B., das strafrechtliche Verbot jeder Form von aktiver Sterbehilfe wieder einzuführen und zusätzlich die Kontroll- und Schutzmaßnahmen, wie sie bei der Legalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe einzuführen wären, modifiziert beizubehalten. 68 Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 124. 69 Stern, III / 1, § 70 V. 1, S. 1066; kritisch auch Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 130.
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die Grundrechtsausübungsfähigkeit sind damit natürliche Eigenschaften.70 Der grundrechtlichen Eigenwertigkeit des Minderjährigen würde es allerdings wenig gerecht werden, wenn die vom Gesetzgeber gezogene Grenze der Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit (Volljährigkeit) als maßgebliche Grenzlinie für die Grundrechtsmündigkeit im Grundgesetz angesehen wird.71 Wird Jugendlichen und Kindern, obschon sie dazu in der Lage sind, die Wahrnehmung von Grundrechten vorenthalten, muß dies als Eingriff in ihre Grundrechte angesehen werden.72 Mit der Grundrechtswahrnehmungs- und Grundrechtsausübungsfähigkeit sind deshalb Kinder und Jugendliche (materiell) als „grundrechtsmündig“ anzusehen. Dazu sind jedoch je nach Grundrecht unterschiedliche Voraussetzungen erforderlich; starre Altersgrenzen für die Grundrechtsmündigkeit sind deshalb abzulehnen.73 Die Grundrechtsmündigkeit hängt deshalb von den konkreten geistig-physischen Fähigkeiten ab. Da das Recht auf Leben an die menschliche Existenz geknüpft ist, ist die Grundrechtsmündigkeit mit der biologisch-physischen Existenz unmittelbar gegeben. Das Kind nimmt das Grundrecht allein dadurch wahr, daß es lebt.74 Bezüglich der positiven Inanspruchnahme des Rechts auf Leben ist deshalb bei jedem lebenden Menschen Grundrechtsmündigkeit anzunehmen.75 Die negative Freiheitsdimension des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG wird dagegen erst durch einen Dispositionsakt über das eigene Leben aktiviert. Ist der grundrechliche Schutzbereich wie hier auf ein „natürliches Handeln“ gerichtet, kann für die Grundrechtsmündigkeit anders als bei rechtsgeschäftlichen Handlungen nicht auf die allgemeinen Schranken des Rechts verwiesen werden.76 Das wird im Grunde auch von den obersten Gerichten anerkannt. Nach dem BGH kann auch ein Minderjähriger rechtlich wirksam die erforderliche Einwilligung zu einer Operation erteilen, „wenn er nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“.77 Kindesgrundrechte werden auch in Entscheidungen des BVerfG angenommen, da Verfassungsbeschwerden von Minderjährigen wegen der Verletzung eigener Grundrechte bei gegebener Einsichtsfähigkeit zugelassen werden.78 Eine GrundrechtsmündigStern III / 1, § 70 V. 2. a, S. 1066. Siehe v. Münch / Kunig-v. Münch, vor Art. 1 – 19 Rn. 13; Stern, III / 1, § 70 V. 2 a, S. 1065. 72 Noch weitergehend Hohm, NJW 1986, 3107(3108 ff.), der eine unbeschränkte Befugnis Minderjähriger zur Ausübung von Grundrechten annimmt. 73 Robbers, DVBl. 1987, S. 709 (713); Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 126; v. Münch / Kunigv. Münch, vor Art. 1 – 19 Rn. 13. 74 Stern, III / 1, § 70 V 2 a, S. 1067; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 124. 75 Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 124; v. Münch / Kunig-v. Münch, vor Art. 1 – 19 Rn. 13. 76 Stern, III / 1, § 70 V. 3 d, S. 1069. 77 BGHZ 29, 33 (36). 78 BVerfGE 93, 1 (15); 28, 243 (255); 72, 122 (133 ff.). 70 71
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keit für Entscheidungen gegen das eigene Leben ist entsprechend bei Minderjährigen zu bejahen, wenn sich das Kind oder der Jugendliche über die Tragweite einer Entscheidung gegen sein eigenes Leben im klaren ist. Auch diese Fähigkeit entsteht nicht schlagartig mit dem 18. Geburtstag,79 weshalb eine Grundrechtsmündigkeit in diesem Bereich vor der Vollendung des 18. Lebensjahres nicht ausgeschlossen ist.80
2. Befugnis des Gesetzgebers zur Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe bei grundrechtsmündigen Minderjährigen Die staatliche Gemeinschaft ist nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verpflichtet, auch von den Eltern ausgehende Gefährdungen des Kindeswohls abzuwenden (vgl. oben § 9 II. 2 b).81 Der Staat setzte sich nun aber mit seinem eigenen Wächteramt in Widerspruch, wenn er gesetzlich die (freiwillige) aktive Sterbehilfe bei Minderjährigen zuließe, zugleich aber zum Schutz des Kindeswohls verpflichtet wäre einzugreifen, wenn die sorgeberechtigen Eltern einem Verlangen ihres Kindes nach aktiver Sterbehilfe nicht entgegentreten würden. Beeinträchtigungen des Kindeswohls, welche den Eltern trotz ihres Interpretationsprimats nicht zustehen, kann der Gesetzgeber deshalb nicht zulassen. Zentrale Leitidee des Art. 6 Abs. 2 GG ist das Kindeswohl, das maßgeblich durch die Wertentscheidungen seiner Grundrechte bestimmt ist.82 Da der wesentliche Gehalt der Menschenwürde die Autonomie ist und sein Inhalt auf die nachfolgenden Grundrechte ausstrahlt, muß in der „Erziehung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft“ die maßgebliche Pflichtbindung des Erziehungsrechts der Eltern gesehen werden.83 Wird dieses Ziel grundsätzlich und auf Dauer verfehlt, tritt das staatliche Wächteramt ein. Eine Entscheidung für eine aktive Sterbehilfe vereitelt zwar dieses Erziehungsziel, doch gilt dies ebenso für eine passive oder indirekte Sterbehilfe. Ausschlaggebend ist, ob der irreversibel tödliche Krankheitsverlauf ein Stadium erreicht hat, in dem es nur noch um die unterschiedliche Handhabung des Sterbens geht und weitergehende Erziehungsziele nicht mehr in Betracht kommen.84 Eine freiwillige aktive Sterbe79 Zacher, HStR VI, § 134 Rn. 70: „Daß die Entwicklung der rechtlichen Selbstverantwortung des Kindes ein Kontinuum ist, dessen Fluß nicht bis zur Mündigkeit gestaut werden kann, ist eine alte Erkenntnis.“ 80 Zweifelnd dagegen Czerner, MedR 2001, S. 354 (360). 81 BVerfGE 24, 119 (144). 82 BVerfGE 24, 119 (144); v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 145. 83 BVerfGE 24, 119 (144); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 6 Rn. 25g; v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 145. 84 Man bedenke, daß hier eine „grundrechtsmündige“ Dispositionsfähigkeit des Minderjährigen über sein Leben vorausgesetzt wird. Nur dann kann dem Minderjährigen auch zustehen, sein „Kindeswohl“ in dieser Frage selbst zu bestimmen.
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hilfe beim insoweit grundrechtsmündigen Minderjährigen verletzt unter dieser Voraussetzung nicht das staatliche Wächteramt, wenn wie bei der freiwilligen aktiven Sterbehilfe bei Erwachsenen, ausreichende Schutzvorkehrungen gegen Irrtümer, Mißbrauchs- und Dammbruchgefahren getroffen werden.85 Schwieriger zu beantworten ist die Frage, welches Mindestalter dabei nicht unterschritten werden darf. Anerkannt ist die Mündigkeit von Entscheidungen Minderjähriger über ärztliche Eingriffe ab dem 16. Lebensjahr.86 Tendenziell bejaht wird die „Einwilligungsfähigkeit“ bereits ab dem 14. Lebensjahr, unterhalb des 14. Lebensjahres wird sie weitgehend abgelehnt.87 Wie bei der Festlegung des Volljährigkeitsalters ist der Gesetzgeber zu Typisierungen berechtigt. Die Abgrenzung darf allerdings nicht willkürlich erfolgen und ist deshalb einheitlich zu verfolgen,88 so daß derzeit nur eine freiwillige aktive Sterbehilfe bei Minderjährigen frühestens ab dem 14. Lebensjahr in Betracht kommt.89
3. Konflikte zwischen dem Willen der Eltern und dem des Minderjährigen Unter der Annahme einer Grundrechtsmündigkeit von Jugendlichen zu Entscheidungen über ihr Leben kann sich unter der Voraussetzung, daß der Gesetzgeber die aktive Sterbehilfe gegenüber Minderjährigen zuläßt, ein Konflikt zwischen dem Elterngrundrecht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG90 und dem Kindesgrundrecht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nach zwei Seiten hin ergeben. 85 Inwieweit Minderjährige tatsächlich in der Lage sind, freiverantwortliche Entscheidungen gegen ihr Leben zu treffen, ist ein heikles Problem. Rechtspolitisch kann eine angemessene Lösung m.E. nur dahin gehen, eine indirekte (und aktive Sterbehilfe) nur soweit zuzulassen, wie auch eine nichtfreiwillige Sterbehilfe möglich wäre; innerhalb dieses Rahmens könnte den Minderjährigen die Letztentscheidung zugebilligt werden. 86 Siehe Taupitz, 2000, A 60 m. w. N. 87 Im einzelnen siehe zu der Diskussion um die Altersgrenze jeweils m. w. N. Rouka, 1996, S. 111 ff.; Taupitz, 2000, A 60; Voll, 1996, S. 66 ff. 88 Vgl. Hillgruber, 1992, S. 125. 89 Die einheitliche Senkung der Einwillungsfähigkeit bei medizinischen Eingriffen und der Sterbehilfe auf das 14. Lebensjahr wäre vom Gesetzgeber unter Beachtung der Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie besonders zu prüfen. Das 12. Lebensjahr wäre m.E. eine zu junge Lebensaltergrenze; ebenso Jochemsen, ZME 2001, S. 90 (95 f.); zweifelnd auch Czerner, MedR 2001, S. 354 (360). 90 Nach der derzeitigen Regelung endet das elterliche Erziehungsrecht mit dem 18. Lebensjahr (vgl. BVerfGE 74, 102 (125); v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 161 m. w. N.). Der Gesetzgeber kann zwar grundsätzlich bezogen auf einzelne Grundrechte eine an den Elternwillen nicht gebundene Alleinentscheidungskompetenz des Minderjährigen durch generelle Regelungen jeweils früher einführen (vgl. die Religionsmündigkeit, siehe v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 159), bei der Verneinung des eigenen Lebens scheidet einer derartige generelle Regelung aus. Mit einem solchen Recht hätte es der Min-
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a) Minderjähriger pro / Eltern contra aktive Sterbehilfe Ein zur Entscheidung gegen sein Leben grundrechtsmündiger Jugendlicher kann entgegen den Vorstellungen seiner Eltern den Wunsch nach einer aktiven Sterbehilfe haben. Der dogmatische Ansatz zur Lösung von Konflikten zwischen dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und den Grundrechten des Kindes ist nicht abschließend geklärt.91 Übereinstimmung besteht insoweit, als im Verhältnis von Eltern und Kindern die Grundrechte nicht unmittelbar gelten können, weil die Eltern gegenüber den Kindern nicht Träger öffentlicher Gewalt sind.92 Unstrittig ist auch, daß das Erziehungsrecht der Eltern einer Pflichtbindung unterliegt, die sich am Wohl des Kindes zu orientieren hat. Das Kindeswohl selbst wird wiederum durch die Wertentscheidungen seiner Grundrechte bestimmt.93 Es kann deshalb vorliegend dahinstehen, ob der Konflikt zwischen dem Willen des (partiell) grundrechtsmündigen Kindes und dem Erziehungsrecht seiner Eltern als Grundrechtskollision anzusehen94 ist oder nicht95. Jedenfalls muß das elterliche Erziehungsrecht den „wachsenden Kindesgrundrechten“ wegen seiner Orientierung am Kindeswohl Rechnung tragen.96 Der Konflikt verlangt deshalb eine differenzierte Betrachtung, die am Kindeswohl und damit an den Kindesgrundrechten anzusetzen hat.97 Die freiverantwortliche Entscheidung gegen das eigene Leben ist eine besonders persönlich geprägte Entscheidung im Bereich der eigenen Körperlichkeit (s. o. § 10 II. u. III.). Ist das Kind hier zu einer grundrechtsmündigen Entscheidung in der Lage, folgt hieraus aber nicht sogleich eine Aufhebung des Erziehungsrechts der Eltern. Das ergibt sich daraus, daß die Fähigkeit zur Grundrechtsausübung bereits bejaht werden kann, wenn die Erziehungsbedürftigkeit immer noch gegeben ist. Denn die Erziehungsbedürftigkeit entfällt nicht bereits dann, wenn der Minderjährige fähig ist, eine Meinung zu äußern oder einen Glauben zu haben.98 Für die danach erforderliche Abwägung ist folgender Zusammenhang wesentlich. Zwar derjährige in der Hand, durch Vernichtung seines eigenen Lebens das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zur Gänze aufzuheben. Ein solches Recht kann dem Minderjährigen nicht vor dem 18. Lebensjahr eingeräumt werden, da es einer Absenkung der Volljährigkeitsgrenze unter das 18. Lebensjahr gleichkäme, vgl. auch Zacher, HStR VI, § 134 Rn. 58. 91 Siehe zu den einzelnen Ansätzen BK-Jestaedt, Art. 6 Rn. 132 m. w. N. 92 BK-Jestaedt, Art. 6 Rn. 132 u. 134; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 127. 93 Siehe v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 145. 94 Hillgruber, 1992, S. 124; Czerner, MedR 2001, S. 354 (359); wohl auch Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 69. 95 AK3-Richter, Art. 6 Rn. 9; Ossenbühl, 1981, S. 55; differenzierend BK-Jestaedt, Art. 6 Rn. 139 u. 141. 96 Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 69. 97 Vgl. Zacher, HStR VI, § 134 Rn. 72; v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 149. BVerfGE 99, 145 (156): „Bei einer Interessenkollision zwischen Eltern und Kind ist das Kindeswohl der bestimmende Maßstab.“ 98 BK-Jestaedt, Art. 5 Rn. 140. 20 Antoine
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„hat für die Ausübung höchstpersönlicher Rechte der Grundsatz zu gelten, daß der zwar noch Unmündige, aber schon Urteilsfähige die ihn um seiner Persönlichkeit willen zustehenden Rechte soll eigenständig ausüben können.“99 Allerdings folgt dieser Grundsatz aus dem Leitbild des Erziehungsrechts, nach dem sich aus dem Kind eine „eigenverantwortliche Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft“ entwickeln soll.100 Wirkungsvolle Unterstützung zur Freiheits- und Persönlichkeitsentfaltung des Kindes verlangt, daß die Eltern negative Einflüsse auf die Entwicklung und Entfaltung des Kindes abwehren und unterbinden.101 Wird den Eltern dieses Erziehungsrecht gerade deshalb eingeräumt, um ihre Kinder von Selbstgefährdungen abzuhalten,102 dann ist ihre Entscheidung pro vita gegenüber dem freiverantwortlichen Todeswunsch ihrer Kinder oder Jugendlichen grundsätzlich vorrangig.103 Und aufgrund der Pflichtbindung des Erziehungsrechts sind sie grundsätzlich sogar zu dieser Entscheidung verpflichtet. Allerdings sind Einschränkungen dieses Grundsatzes aufgrund der Abwägung des Kindeswohles im Bereich der Sterbehilfe nicht ausgeschlossen, wenn wegen der tödlichen Krankheit nur noch Aussicht auf ein kurzfristiges Überleben unter schweren Schmerzen besteht. Hier ist aufgrund der infausten Prognose das langfristige Erziehungsziel bereits vereitelt. Erlaubt der Gesetzgeber in diesem Fall die aktive Sterbehilfe (vgl. oben 1), ist der Interpretationsprimat der Eltern für das Kindeswohl daran nicht gebunden. Während die nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe gegen den Willen der Eltern ausgeschlossen ist (s. u. § 16 V.), unterscheidet sich vorliegende Konstellation davon durch die grundrechtsmündige Entscheidung des Minderjährigen für eine aktive Sterbehilfe. Eine generelle Aussage zur Auflösung dieses Konflikts läßt sich nicht treffen, weil die Abwägung im Einzelfall vom Krankheitsbild, den Möglichkeiten der Schmerzlinderung, dem Reifegrad des Kindes, den jeweils vorgebrachten Gründen u. a. abhängt. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß der Entscheidung des Minderjährigen vor der Elternentscheidung in diesem Konflikt der Vorrang zukommen kann.104
BVerfGE 74, 360 (387 f.); Taupitz, 2000, A 63 ff. BVerfGE 24, 119 (144); auch Ossenbühl, 1981, S. 56; Taupitz, 2000, A 64. Böckenförde, 1980, S. 54 (67) folgert hieraus zutreffend: „Als Recht [das Erziehungsrecht, J.A.], das um des Kindes und seiner Persönlichkeitsentfaltung willen besteht, hat es aus sich die Tendenz, in dem Maße überflüssig und gegenstandslos zu werden, in dem das Kind in die Mündigkeit hereinwächst.“ 101 BK-Jestaedt, Art. 6 Rn. 140. 102 BK-Jestaedt, Art. 6 Rn. 143. 103 Mit anderer Begründung, aber insoweit im Ergebnis ebenso Czerner, MedR 2001, S. 354 (360). 104 A. A. Czerner, MedR 2001, S. 354 (360). 99
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b) Minderjähriger contra / Eltern pro aktive Sterbehilfe Nun läßt sich auch der umgekehrte Fall denken, daß das Kind einen (einfachen) Willen zum Leben ausgebildet hat, die Eltern dagegen eine aktive Sterbehilfe befürworten. Für diesen Konflikt wäre zunächst einmal festzuhalten, daß die Grundrechtsmündigkeit für das Recht auf Leben mit der Existenz des Lebens unmittelbar gegeben ist (s. o. 1.). Die Grenze zur unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe kann dann aber nicht erst mit dem freiverantwortlichen Willen, sondern muß bereits mit dem einfachen Willen zum Leben gezogen werden. Dann hat aber auch der einfache Wille zum Leben bereits absoluten Vorrang gegenüber andersartigen Vorstellungen der Außenwelt, da für eine unfreiwillige aktive Sterbehilfe eine Rechtfertigung unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt (vgl. oben § 13 II.). Ein auf eine aktive Sterbehilfe des Kindes gerichteter Elternwille kann deshalb nicht gegen den Willen des Kindes / Jugendlichen geltend gemacht werden.105 4. Treuhänderische Entscheidung durch die Eltern Ist bei dem Kind allerdings noch keine freiverantwortliche Fähigkeit zur Entscheidung für oder ein einfacher Wille gegen eine aktive Sterbehilfe gegeben, stellt sich die Frage, inwieweit die Eltern als Treuhänder das Grundrecht des Kindes oder Jugendlichen auf Verneinung des eigenen Lebens ausüben dürfen. Grundsätzlich wird den Eltern auch die treuhänderische Ausübung der Kindesgrundrechte zugestanden.106 Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist im Unterschied zu anderen grundrechtlichen Gewährleistungen allerdings nicht beliebig, sondern wesentlich im Interesse des Kindes auszuüben (Pflichtrecht).107 Das BVerfG hat deshalb das Kindeswohl zu einem zentralen Element bei der Auslegung des Art. 6 GG entwickelt.108 Das Elternrecht gestattet keinen rechtsmindernden Eingriff in den Bereich des Kindes,109 und zur Bestimmung des Kindeswohls sind maßgeblich dessen Grundrechte zu berücksichtigen. Dann ist aber zur Bestimmung der Zulässigkeit einer aktiven Sterbehilfe beim nicht einwilligungsfähigen Kind systematisch als erstes eine Klärung von dessen Grundrechtsposition erforderlich, d. h. zu beurteilen ist zunächst die nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe, um von da 105 Noch weitergehend Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 72: „Gewisse Grundrechte widersetzen sich a priori jeder Überlagerung durch das Elternrecht (so das [ . . . ] Recht auf Leben)“; siehe auch Stern III / 1, § 70 III / 4 b, S. 1072. Vgl. auch andere gesetzliche Vetorechte des Kindes § 2 II TPG und § 5 S. 2 RelKEG; siehe hierzu Taupitz, 2000, A 75 ff. 106 Czerner, MedR 2001, S. 354 (359). Grundsätzlich müssen auch Grundrechte, welche die Selbstbestimmung sichern, durch einen Vertreter ausgeübt werden, weil anderenfalls bestimmte Grundrechte überhaupt nicht ausgeübt werden könnten, siehe Stern III / 1, § 70 III / 4 b, S. 1072. 107 Jarass / Pieroth, 2000, Art. 6 Rn. 31; Isensee, HStR V., § 111 Rn. 14. 108 BVerfGE 24, 119 (144); siehe auch Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 3. 109 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Maunz, Art. 6 Rn. 25 f. (36. Lfg.).
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aus zu fragen, welcher Interpretationsspielraum des Kindeswohls den Eltern zur treuhänderischen Wahrnehmung der Kindesrechte im Hinblick auf die aktive Sterbehilfe noch zustehen kann (s. u. § 16). Zudem kann wegen der Höchstpersönlichkeit von Entscheidungen gegen das eigene Leben, eine nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe an Kindern und Jugendlichen allein wegen der Entscheidung des gesetzlichen Vertreters nicht als freiwilliges Verlangen des betroffenen Kindes gewertet werden.
V. Exkurs: Aktive Sterbehilfe in den Niederlanden und der effektive Lebensschutz Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden nimmt in der Diskussion einen breiten Raum ein. Die Entwicklung in den Niederlanden soll hier kurz reflektiert werden,110 weil sich daran die bisherigen Ergebnisse bestätigen lassen, daß (1) Dammbruch-Argumente empirisch derzeit nicht eindeutig zu belegen sind, (2) aber auch nicht einfach von der Hand zu weisen sind. Daraus folgt einerseits (3) die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers in dieser Fragestellung, andererseits (4) gebieten die drohenden Gefahren für den Schutz des Lebens eine intensivierte inhaltliche Vertretbarkeitskontrolle der gesetzlichen Regelungen durch das BVerfG.111 Grundsätzlich sind in den Niederlanden die Beihilfe zum Suizid und die Tötung auf Verlangen nach Art. 293 f. des niederländischen Strafgesetzbuchs (= nlStGB) strafbar.112 Mit Beginn der siebziger Jahre setzte dort eine Entwicklung113 der Rechtsprechung ein, die eine Straffreiheit des Arztes bei diesen Delikten (Assistenz zum Sterben, s. o. § 1) wegen eines psychischen Notzustands (sog. „overmacht“ gem. Art. 40 nlStGB) anerkannte, wenn bestimmte Sorgfaltskriterien beachtet wurden: (1) ein freiverantwortliches, wohlüberlegtes und dauerhaftes Verlangen des Patienten, (2) der aussichtslos und unerträglich leidet, (3) die vorherige Aufklärung des Patienten über seinen Zustand und dessen Aussichten, (4) vernünftige Möglichkeiten der Schmerzlinderung bestehen nicht, (5) Einholung eines Gutachtens von einem weiteren unabhängigen Arzt und (6) die sorgfältige Ausführung der Lebensbeendigung durch einen Arzt.114 Siehe ausführlich hierzu B. Reuter, 2001. Die Punkte (3) und (4) stehen nicht im Widerspruch zueinander. Die intensivierte inhaltliche Vertretbarkeitskontrolle hebt die Eintschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht auf, sondern verlangt von ihm in erster Linie, zu seinen Einschätzungen auf der Basis umfangreicher Untersuchungen zu gelangen und dementsprechend Regelungen vorzunehmen. 112 Gesetzestext siehe bei Wolfslast / Conrads, 2001, S. 141 f. 113 Allgemein zu der Chronologie der schrittweisen Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden siehe B. Reuter, 2001, S. 15 ff.; Sagel-Grande, ZStW 111 (1999), S. 742 (744 ff.); Grodijn, 1997, S. 29 (31 ff.); ders., Ethik Med 1998, S. 12 (20 ff.); Visser, 1996, S. 107 (109 ff.); Joachemsen, ZME 2001, S. 90 (91 u. 92 f.); Reis, ZfL 1994, S. 42 ff. 110 111
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Zur formellen gesellschaftlichen Kontrolle wurde 1990 ein Meldeverfahren eingeführt, das erstmals 1994 rechtlich in dem Gesetz über die Leichenbestattung verankert wurde.115 Danach mußte der Arzt eine Sterbeassistenz dem Leichenbeschauer melden, der diese Meldung mit der eigenen Feststellung der unnatürlichen Todesursache wiederum an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben hatte. Diese überprüfte, ob die Sorgfaltskriterien eingehalten wurden oder eine Anklage erfolgen mußte. 1998 wurden ergänzend multidisziplinär besetzte regionale Prüfungskommissionen eingeführt, denen die Aufgabe zukam, den Bericht des Arztes zu prüfen und an die Staatsanwaltschaft mit einem eigenen beratenden – nicht bindenden – Urteil darüber weiterzuleiten, ob die Sorgfaltskriterien eingehalten wurden.116 Zudem wurde das Meldeverfahren zweigeteilt zwischen den Fällen der Sterbeassistenz auf Verlangen einerseits und der Lebensbeendigung ohne ausdrückliches Verlangen andererseits.117 Am 28. 11. 2000 stimmte die zweite Kammer und am 10. 04. 2001 die erste Kammer des niederländischen Parlaments für das „Gesetz zur Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe zur Selbsttötung“ (GÜL), das zugleich eine Änderung des nlStGB und des „Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen“ vorsieht.118 Die gesetzliche Regelung kodifiziert praktisch die vorherige von der Rechtsprechung geprägte Regelung und nimmt die obigen Sorgfältigkeitsanforderungen (1 – 6) leicht variierend auf (siehe Art. 1 Abs. 1 GÜL). Werden diese Voraussetzungen eingehalten und wird nach erfolgter Assistenz zum Sterben dem Leichenbeschauer der Gemeinde die unnatürliche Todesursache auf einem Formular unter Beifügung eines begründeten Berichts über die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen mitgeteilt, 119 ist nach Art. 293 Abs. 2 oder 294 Abs. 2 S. 2 nlStGB die Tat des Arztes nicht strafbar. Nach der Neuregelung kann der Patient das Verlangen auch vorab durch eine schriftliche Euthanasieerklärung für den Fall abgeben, daß er im Stadium der gewünschten Tötung nicht mehr mitteilungsfähig ist (Art. 2 Abs. 2 GÜL). Ist ein Minderjähriger zu einer angemessenen Einschätzung seiner diesbezüglichen Belange in der Lage, darf der Arzt dessen Wunsch nach Lebensbeendigung ab dem 16. Lebensjahr ohne Zustimmung der Eltern nachkommen. Bei Minderjährigen zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr ist ihm das gestattet, wenn außerdem die Eltern oder der Vormund zustimmen (Art. 2 Abs. 3 u. 4 GÜL). 114 Siehe Sagel-Grande, ZStW 111 (1999), S. 742 (744 f.) m. w. N.; Zimmermann-Acklin, 1997, S. 135 m. w. N.; Gordijn, Ethik Med 1998, S. 12(22 f.); ders. 1997, S. 29 (34 f.); B. Reuter, 2001, S. 50. 115 Siehe Reis, ZfL 1993, S. 42 ff.; Gordijn, Ethik Med 1998, S. 12 (21 ff.); B. Reuter, 2001, S. 114 ff., 124 ff. 116 Siehe Sagel-Grande, ZStW 111 (1999), S. 742 (750 ff.). 117 Sagel-Grande, ZStW 111 (1999), S. 742 (750). 118 Siehe FAZ vom 14. April 2001, S. 11; Janssen, ZRP 2001, S. 179 ff.; zur Vorgeschichte teilweise noch B. Reuter, 2001, S. 178 ff. 119 Im einzelnen siehe zu diesem Verfahren Janssen, ZRP 2001, S. 179 (180).
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Regelungen, welche die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen gewährleisten sollen, sind wie gehabt die strafrechtlich sanktionierte Verpflichtung, einen zweiten Arzt hinzuzuziehen, der die Einhaltung der Voraussetzungen (1) – (4) schriftlich festzuhalten hat, und die Melde- und Berichtspflicht gegenüber dem Leichenbeschauer, der diese an eine der fünf regionalen Prüfungskommissionen120 weiterleitet. Die Staatsanwaltschaft wird nunmehr von der Prüfungskommission nur noch in Kenntnis gesetzt, wenn letztere nach der ihr aufgetragenen Prüfungspflicht (Art. 8 Abs. 1 GÜL) zu der Auffassung gelangt, daß die Sorgfältigkeitsanforderungen nicht eingehalten wurden (Art. 9 Abs. 2 GÜL).121 Die Prüfungskommissionen können selbst weitere Untersuchungen anstellen oder den Bericht vom Arzt ergänzen lassen (Art. 8 Abs. 2 u. 3 GÜL). Die Kommissionen haben weiterhin gemeinsam einen Jahresbericht vorzulegen, der über die Anzahl und Art der gemeldeten Fälle, die gefällten Entscheidungen und dabei angestellten Überlegungen Auskunft gibt (Art. 17 GÜL). Problematisch an der niederländischen Regelung ist weniger der Umfang der im Art. 1 Abs. 1 GÜL abverlangten Sorgfältigkeitsanforderungen an den Arzt – sie entsprechen den oben aufgestellten Mindestregelungen (s. o. I.-III.) – sondern die geringe präventive Absicherung der Einhaltung dieser Voraussetzungen. Schwerpunkt der Schutzregelung ist im niederländischen Modell eine ex-post-Überprüfung durch die Prüfungskommissionen und die repressive Strafandrohung für den Fall, daß die Sorgfältigkeitsanforderungen nicht eingehalten wurden oder der Meldepflicht nicht nachgekommen wurde. Eine den Bericht der Prüfungskommissionen ergänzende Beobachtungspflicht der weiteren Entwicklung durch empirische Untersuchungen ist in dem Gesetz nicht festgehalten. Das ist um so bedauerlicher, als vorherige empirische Untersuchungen in den Jahren 1990 („Remmelink-Report“) und 1995 („A Secound nationwide tudy of Euthanasia and other Medical Practices Involving the End of Life“) – 1991 und 1996 veröffentlicht122 – bedrohliche Lücken zwischen den normativen Vorgaben, die mit der jetzigen gesetzlichen Regelung weitgehend identisch sind, und der tatsächlichen ärztlichen Praxis feststellten: (1) Der Meldepflicht wurde überwiegend nicht nachgekommen. Gemeldet wurden 1990 nur 18% und 1995 nur 41% der zu meldenden Fälle.123
120 Die Prüfungskommissionen setzen sich aus einer ungeraden Anzahl von Mitgliedern – mindestens drei – zusammen. Zu berufen sind in jedem Fall ein Jurist, der den Vorsitz innehat, sowie ein Arzt und ein „Spezialist in ethischen Fragen“ (Art. 3 Abs. 2 GÜL). 121 Näher siehe Janssen, ZRP 2001, S. 179 (181 f.). 122 Siehe hierzu Zimmermann-Acklin, 1997, S. 134 ff. u. 390 ff. m. w. N.; B. Reuter, 2001, S. 19 ff.; eine gute Übersicht auch bei Gordijn, 1997, S. 29 (39 ff.). 123 1995 erfolgten nur 1466 Meldungen bei 4600 meldepflichtigen Fällen, 1990 wurden sogar nur 486 der gebotenen 3700 Meldungen gemacht; siehe zum vorstehenden Zimmermann-Acklin, 1997, S. 137 f. u. 408 m. w. N. Auch die Änderung des Meldeverfahrens im Jahr 1998 an die Prüfungskommissionen ergab nach dem Erstjahresbericht keine wesentliche Zunahme der gemeldeten Fälle. Siehe Jochemsen, ZME 2001, S. 90 (93) m. w. N.
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(2) In jeweils ca. 1000 Fällen wurde in den Berichtszeiträumen die verbotene nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe ausgeübt, weitgehend nicht gemeldet124 und entsprechend nicht strafrechtlich verfolgt. Nach den Untersuchungen von 1990 waren dabei über ein Drittel (37%) und 1995 ein Fünftel (21%) der von einer nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe betroffenen Patienten in der Lage, eine Entscheidung selbst zu treffen.125 Generell besteht eine ansteigende Tendenz bei den Ärzten, die Entscheidung ohne Konsultation mit anderen (Kollegen, Pflegern, der Familie) zu fällen126. Unfreiwillige aktive Sterbehilfe muß man danach immerhin für möglich ansehen. (3) Die Tötung auf Verlangen hat im beobachteten Zeitraum wesentlich zugenommen von (1990) 2300 Fälle (= 1,8%) auf (1995) 3200 Fälle (= 2,4%). Zur Begründung für die gewünschte Sterbeassistenz wird nur von 5% der Patienten als einziger Grund der unerträgliche Schmerz angegeben; auffallend ist zudem das vorrangige Motiv eines „würdigen Sterbens“. Als Motive gaben die Patienten an: menschliche Würde (57%), Schmerz (46%), unwürdiges Sterben (46%), Abhängigkeit von anderen Menschen (33%), allgemeine Lebensmüdigkeit (23%).127
Ob die Freigabe der Sterbehilfe auf Verlangen zur Praxis der Sterbehilfe ohne Verlangen führt, kann trotz dieses empirischen Befunds noch nicht sicher festgestellt werden, da keine Vergleichsdaten aus früheren Zeiten des Verbots der freiwilligen aktiven Sterbehilfe zur Verfügung stehen, weiterhin in den Untersuchungen von 1990 und 1995 die absoluten Zahlen nichtfreiwilliger aktiver Sterbehilfe gleichbleibend hoch sind (1000 Fälle) und der prozentuale Anteil sogar von 0,8% auf 0,7% gesunken ist, so daß negative Entwicklungstendenzen in diesem Punkt nicht nachzuweisen sind. Die (absolut und relativ zur Gesamtzahl aller Sterbehilfen) steigende Zahl freiwilliger aktiver Sterbehilfe ist ebenfalls noch kein ausreichender Nachweis eines gesellschaftlichen Drucks auf Patienten, ihre Tötung zu fordern, weil sich daran die Freiwilligkeit einer Entscheidung nicht widerlegen läßt. Die Erprobung der Neuregelung wurde von den Patienten unter Umständen erst abgewartet, bevor der Entschluß reifte, selbst von ihr Gebrauch zu machen. Zudem kann sich die Einstellung zum Sterben in einem selbstbestimmten Sinn verändert haben, wenn das „hedonistische Sterbemodell“ immer mehr aus Überzeugung übernommen wird. Auf der anderen Seite sind in der Gesamtentwicklung in den Niederlanden bedenkliche Anhaltspunkte festzustellen, die für einen bestehenden Ausweitungseffekt sprechen. Während anfänglich ein schweres körperliches Leiden ausschlaggebend für die Notlage war, hat die Rechtsprechung der Praxis nachfolgend dann 124 1990 sollen davon zwei, 1995 drei Fälle gemeldet worden sein, siehe ZimmermannAcklin, 1997, S. 139 Fn. 186 m. w. N. 125 Zimmermann-Acklin, 1997, S. 394 u. 402 f. m. w. N. Als Gründe gaben die Herausgeber des „Remmelink-Reports“ an, daß Patienten früher als erwartet entscheidungsunfähig werden können, teilweise bewußt eine paternalistische Entscheidung des Arztes wünschen und auch der Mut zu einem Gespräch fehlen kann oder aus Zeitmangel kein Gespräch zwischen Arzt und Patient zustandekommt, siehe Zimmermann-Acklin, a. a. O., S. 395 m. w. N. 126 Zimmermann-Acklin, 1997, S. 393 f. m. w. N. 127 Die Mehrfachnennung war möglich, siehe Zimmermann-Acklin, 1997, S. 140 m. w. N.
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auch schwere psychische Leiden hierfür anerkannt.128 Der Bereich der „Freiwilligkeit“ wurde über die psychisch Kranken schrittweise auf Minderjährige ab dem 12. Lebensjahr erweitert. Die von den Patienten angegebenen Motive sprechen für eine Tendenz, ein schweres Leiden bereits dann anzunehmen, wenn ein anderes Sterben den Vorstellungen des Patienten vom „guten Sterben“ widerspricht. Statt eines aktuellen Tötungsverlangens wird nunmehr die Tötung auf Verlangen durch Patientenverfügung zugelassen (Art. 2 Abs. 2 GÜL). Obschon nach den normativen Vorgaben nicht erlaubt, bestehen keine ausreichenden Bemühungen, durch eine Änderung der gesetzlichen Regelungen die faktisch vorgenommene nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe zu unterbinden.129 Es besteht damit eine Praxis der Duldung,130 die insbesondere wegen der steigenden Tendenz von Ärzten, diese Entscheidung im Alleingang (paternalistisch) zu treffen (s. o.), gefährlich ist. Fördernd für diese Entwicklung ist die Tendenz der Rechtsprechung, in heiklen Präzedenzfällen, insbesondere im Bereich der Früheuthanasie, durch Freispruch oder Verurteilung ohne oder mit sehr geringem Strafmaß eine rechtliche Anerkennung zu schaffen.131 Auch wenn die Verifikation einer schiefen Ebene noch offen bleibt, läßt sich die Feststellung nicht umgehen, daß das niederländische Modell den Anforderungen des Grundgesetzes zum effektiven Lebensschutz nicht gerecht würde. Die präventiven Schutzmaßnahmen bleiben hinter den hier vorgestellten zurück. Präventive Leistungsmaßnahmen der Förderung der Palliativmedizin, Sicherung eines „menschenwürdigen Sterbens“ (Basispflege, Unterbringung, Sterbebegleitung) und der Gewissensfreiheit des Arztes, nicht faktisch zum Töten gezwungen zu werden, sind nicht Gegenstand des niederländischen Gesetzes zur Überprüfung bei Lebensbeendigung.132 Eine wegen der Irreversibilität der Entscheidung gegen das Leben notwendige Kontrolle der ärztlichen Entscheidung ex ante ist mit der Hinzuziehung eines unbeteiligten weiteren Arztes nur unzureichend gegeben. Im Rahmen der Grundrechtsordnung ist dieses Modell außerdem nicht anwendbar, weil die in diesem Konzept um so gewichtigeren repressiven Schutzregelungen bereits theoretisch keinen ausreichenden Schutz versprechen, was sich faktisch an der Vielzahl nichtfreiwilliger aktiver Sterbehilfen bestätigt.133 Die Kontrolle 128 Siehe B. Reuter, 2001, S. 163 ff.; Fuchs, 1997, S. 31(82 ff.); Wils, 1999, S. 173 ff.; Zimmermann-Acklin, 1997, S. 399 ff. m. w. N. 129 Die Einführung eines eigenen Meldeverfahren für die nichtfreiwillige aktive Sterbehilfen kann an dem Meldeverhalten der Ärzte nichts ändern; es sei denn, man beabsichtigt entgegen dem GÜL eine schrittweise Erprobung der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe; vgl. Sagel-Grande, ZStW 1999 (111), S. 742 (751). 130 Siehe auch Gordijn, Ethik Med. 1998, S. 12 ff. 131 Siehe Zimmermann-Acklin, 1997, S. 408 f. m. w. N. 132 Politische Bemühungen in den Niederlanden, die Palliativmedizin zu fördern, sind allerdings nicht zu bestreiten, siehe bereits Gordijn, 1997, S. 29 (47). 133 Verbreitete und berechtigte Kritik am niederländischen Modell: siehe Birnbacher, 1995, S. 362; Zimmermann-Acklin, 1997, S. 393 ff.; Jochemsen, ZME 2001, S. 90 (passim).
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des Arztes ist nur dann gewährleistet, wenn der Arzt seiner Meldepflicht nachkommt. Institutionell verankerte Mechanismen, welche die Meldung sicherstellen, bestehen nicht.134 Wenn entsprechend nur ca. 1 / 3 aller meldepflichtigen Tötungen oder Beihilfen zum Suizid gemeldet werden, ohne daß eine strafrechtliche Verfolgung in den Fällen gegeben ist, wo keine Meldung erfolgte,135 dann ist die Einhaltung der Meldepflicht offensichtlich leicht zu ignorieren und der strafrechtliche Schutz durch das Verbot der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe läuft ins Leere.136 Der Arzt kann weitgehend risikolos eine nichtfreiwillige (oder gar unfreiwillige) aktive Sterbehilfe vornehmen.137 Daß es bereits gegenwärtig in einem erschreckend hohen Ausmaß zur ungefragten Tötung von Patienten kommt, wenn diese noch selbst entscheidungsfähig sind, ist keine quantité negliable, sondern eine massive Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Betroffenen. Eine Schutzregelung ist nicht ausreichend, die keine oder offensichtlich nur unzureichende Ansatzpunkte bietet, dieser Gefahr zu begegnen. Die Kontrolle ex post durch ein faktisch freiwilliges Meldeverfahren weist zudem einen Systemfehler auf.138 Einerseits wird der Arzt, auch wenn er von der Rechtmäßigkeit seiner Handlung überzeugt ist, einen Grenzfall – verständlicherweise – nur ungern melden wollen, weil ihm dann eher eine Pönalisierung droht, als wenn er (weitgehend risikolos) die Meldung unterläßt. Auf der anderen Seite sind aufgrund der festgestellten fließenden Linien die Grenzen zwischen der freiwilligen und nichtfreiwilligen Sterbehilfe nicht genau markierbar. Die leichte Übertretung der anerkannten Praxis läßt sich deshalb nur schwer tadeln (s. o. III. 1.). Die Prüfungskommissionen und Gerichte werden deshalb geneigt sein, einen Arzt, der seiner Meldepflicht nachkam, nicht mit der ihn ächtenden strafrechtlichen Verurteilung zu belegen.139 Das eröffnet aber die von den Damm134 Vgl. B. Reuter, 2001, S. 190 ff. Abhilfe sollte die Ablösung der juristischen Kontrolle der Staatsanwaltschaften durch die medizinisch-ärztliche Kontrolle der Prüfungskommissionen schaffen, siehe Gordijn, 1997, S. 29 (47 f.); Jochemsen, ZME 1997, S. 90 (92 f.). 135 Man bedenke, daß die Straffreistellung vom assistierten Suizid nur bei erfolgter Meldung gegeben ist. 136 Hier besteht ein Zielkonflikt zwischen möglichst vollständigen (freiwilligen) Meldungen und der Kontrolle des ärztlichen Verhaltens. Auf der einen Seite soll durch die Meldepflicht das Verhalten der Ärzte kontrolliert werden, auf der anderen Seite halten tatsächliche Kontrollen und entsprechende Strafverfolgungen die Ärzte von der Meldung ab. Lösen läßt sich dieser Zielkonflikt nur, wenn die Meldepflicht auch faktisch eingefordert wird und nicht dem Belieben des Arztes überlassen wird. 137 Verständlicherweise meiden die Ärzte die Meldung gerade in den schwierigen Grenzfällen oder den eindeutig die Grenze überschreitenden Fällen, vgl. oben Fn. 1322. 138 Zweifel ergeben sich gegenüber einer im Schwerpunkt erfolgenden ex-post-Kontrolle auch deshalb, weil die Prüfungskommissionen oder die Staatsanwaltschaft nachträglich kaum in der Lage sind, tatsächlich eine Kontrolle auszuüben. Der tote Patient kann nicht mehr befragt und sein damaliger Zustand nur noch unzureichend über die Patientenakte und Zeugenbefragungen rückwirkend erschlossen werden. 139 Die Rückkopplungseffekte zwischen Meldung und Reaktion der Prüfungskommissionen und Gerichte (s. o. Fn. 1334) wirken sich zudem fatal auf das Schutzkonzept aus. Rea-
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bruch-Argumenten befürchtete schrittweise Ausweitung der Praxis der aktiven Sterbehilfe hin zu den unerwünschten Fällen. Begegnen läßt sich einem Ausweitungseffekt nur, wenn die Überschreitung der gesetzlich markierten Grenzen nicht geduldet wird und die Grenze zum verfassungsrechtlich Verbotenen deutlich markiert ist (s. o. II. u. III.).
VI. Ergebnis zur freiwilligen aktiven Sterbehilfe Die Legalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe verlangte vom Gesetzgeber ganz erhebliche Anstrengungen, um den damit verbundenen Risiken nicht gewollter aktiver Sterbehilfen zu begegnen. Der Gesetzgeber müsste durch diverse und primär präventive Maßnahmen sicher stellen, dass die Entscheidung des Sterbenden für eine aktive Sterbehilfe frei von Mängeln getroffen wird, dies nachprüfbar festgestellt wird und Schutzmaßnahmen gegen Mißbräuche etabliert sind. Insbesondere wegen der Gefahr des Dammbruchs wird der Gesetzgeber fortlaufend sein Schutzkonzept überprüfen müssen. Die niederländische Regelung der aktiven Sterbehilfe könnte vor der Grundrechtsordnung nicht bestehen, weil die Schutzmaßnahmen primär repressiv sind und leicht umgangen werden können, so dass sie keinen effektiven Lebensschutz bieten. Minderjährige können grundrechtsmündig zu Entscheidungen über ihr Leben und Sterben sein. Das staatliche Wächteramt verpflichtet hier ebenfalls zu ausreichenden Schutzvorkehrungen gegen Irrtümer und Mißbräuche. Eine aktive Sterbehilfe auf Wunsch der Eltern und gegen den Willen des Kindes ist nicht zulässig. Im Einzelfall könnte aber der Wunsch des Kindes nach aktiver Sterbehilfe dem Elternwunsch dagegen vorgehen.
§ 15 Antizipative aktive Sterbehilfe (bei Hirntoten) und Stellvertreterentscheidung Weithin nicht diskutiert ist bislang die Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe, wenn keine aktuelle Einwilligung gegeben ist.140 Aus zwei Gründen ist die Aufargieren die Kontrollorgane streng auf die Überschreitung der Grenze, riskieren sie, daß ihnen die Grenzfälle nicht mehr gemeldet werden. Bemessen sie dagegen das Verhalten der Ärzte großzügig, droht die schrittweise Ausweitung der aktiven Sterbehilfe auf die zunächst unerwünschten Fälle. Die bisherige Tendenz war eine Abnahme von Strafverfolgung und Verurteilungen und eine gleichzeitige Zunahme der gemeldeten Fälle, siehe Zimmermann-Acklin, 1997, S. 408. 140 Eisenbart, 2000, S. 184 f., hält dies auf der Basis einer Patientenverfügung de lege ferenda grundsätzlich für möglich. Soweit nur de lege lata hierzu Stellung genommen wird,
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beitung dieser Lücke erforderlich: Zum einen würde sich diese Frage bei einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, wie das Beispiel der Niederlande zeigt,141 unmittelbar stellen. Denn ein unvermeidbar schweres Leiden ist oft mit dem Zustand der Einwilligungsunfähigkeit verbunden.142 Zum zweiten ist umstritten, ob „Hirntote“ nach den Maßgaben des Grundgesetzes für tot erklärt werden dürfen. Wird dies verneint, ist die Organtransplantation auch bei gegebenem Hirntod eine Form der aktiven Sterbehilfe (s. u. II.). Der Untersuchung vorangehen soll zunächst ein Überblick zur gegenwärtigen Lage der Selbstbestimmung von Patienten im Bereich der Sterbehilfe für den Fall, daß diese zukünftig nicht mehr in der Lage sind, Entscheidungen selbst zu treffen.
I. Patientenverfügung und Stellvertretung bei der passiven Sterbehilfe Wie ist mit einem Patienten zu verfahren, der aktuell nicht mehr zur Selbstbestimmung fähig ist? Ausgehend von dem verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper (s. o. § 10 I.) muß die Rechtsordnung einem jedem grundsätzlich die Möglichkeit eröffnen, auch vorab bestimmen zu dürfen, wie bei eintretender Bewußtlosigkeit oder Unzurechnungsfähigkeit mit ihm verfahren werden darf.143 Steht der auf einen Behandlungsabbruch gerichtete antizipierte Wille eines Patienten zweifellos fest, muß dieser befolgt werden.144 Dieses Ergebnis ist insbesondere dann zwingend, wenn mit der hier vertretenen Auffassung nicht die Einwilligung in den Behandlungsabbruch erforderlich ist, sondern umgekehrt bereits die Behandlung und damit auch die Weiterbehandlung der Einwilligung bedarf (s. o. § 10 I.). Es gibt drei Möglichkeiten, auf das eigene Sterben auch für den Fall Einfluß zu nehmen, daß man zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr entscheidungsfähig ist: (1) die Patientenverfügung, (2) die Vorsorgevollmacht und (3) die Betreuungsverfügung.
wird eine aktive Sterbehilfe im Wege der Patientenverfügung oder Stellvertretung abgelehnt. In einer Patientenverfügung oder vom Stellvertreter könnten vom Arzt nicht rechtswidrige Handlungen gefordert werden, siehe Röver, 1997, S. 163 f. u. 205 f.; Rickmann, 1987, S. 63 f.; Saueracker, 1990, S. 111; Schöllhammer, 1993, S. 70; Taupitz, 2000, A 49 f., 100, 121 u. 126; Uhlenbruck, 1999, S. 849 (857); Berger, JZ 2000, S. 797 (801 u. 804); Bundesärztekammer, BtPrax 2000, S. 10 (11); Spann, MedR 1983, S. 13 (15). 141 Beispielsweise läßt Art. 2 Abs. 2 GÜL eine antizipative aktive Sterbehilfe zu. 142 Siehe Wolbert, 1999, S. 56 (70). 143 Vgl. Höfling, JuS 2000, S. 111 (114 f.); Berger, JZ 2000, S. 797 (801); Taupitz, 2000, A 108; Bottke, 1995, S. 35 (99 f.); Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (355). 144 Höfling, JuS 2000, S. 111 (116); Hufen, NJW 2001, S. 849 (855).
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1. Patientenverfügung In einer Patientenverfügung145 hält der Verfügende seine Vorstellungen über die Zulässigkeit, Reichweite und Intensität einer medizinischen Behandlung persönlich und zu einem Zeitpunkt fest, zu dem er noch einsichts-, einwilligungs- und äußerungsfähig ist.146 Eine Form ist nicht vorgeschrieben.147 Adressat der Verfügung ist nicht nur der behandelnde Arzt, sondern jeder, der über den Behandlungseinsatz zu „entscheiden“ hat.148 Besonders umstritten ist der Umfang der Bindungswirkung von Patientenverfügungen. Nach vordringender Auffassung kommt den Patientenverfügungen – unter bestimmten Voraussetzungen – eine (strafbewehrte) Bindungswirkung zu.149 Nach bislang vorherrschender Auffassung haben Patientenverfügungen nur eine widerlegbare Beweisvermutung (indizielle Wirkung);150 die Abwertung der Patientenverfügung als weitgehend unbrauchbar151 hat sich nicht durchgesetzt. Einwände gegen die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen sind: (1) Die Ernstlichkeit, Freiwilligkeit und Einsichtsfähigkeit lasse sich für den Arzt aus einer ihm vorgelegten Patientenverfügung nicht ersehen.152 (2) Im Normalfall beschreiben diese Vorab-Erklärungen abstrakt typische Situationen. Meist sei der Verfügung keine auf die konkrete Situation bezogene ärztliche Aufklärung vorangegangen.153 (3) Eine Willensänderung könne nicht ausgeschlossen werden.154 (4) Pa145 Gelegentlich wird auch der mißverständliche Begriff „Patiententestament“ genannt. Testamente sind Verfügungen von Todes wegen, „Patiententestamente“ wollen dagegen Regelungen im Vorfeld des Todes treffen, so daß der Begriff Patientenverfügung überzeugender ist, siehe auch Verrel, MedR 1999, S. 547 (ebda.). 146 Berger, JZ 2000, S. 797 (800); Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (182). 147 Baumann / Hartmann, DNotZ 2000, S. 594 (611); Berger, JZ 2000, S. 797 (802); Bundesärztekammer, BtPrax 2000 S. 10(11 – Ziff. 4); Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (182); differenzierend Taupitz, 2000, A 118. 148 Baumann / Hartmann, DNotZ, 2000, S. 549 (604). 149 Sternberg-Lieben, NJW 1985, S. 2734 (2738); Berger, JZ 2000, S. 797 (800 f.); Uhlenbruck, ZRP 1986, S. 209 (215); Baumann / Hartmann, DNotZ 2000, S. 594 (610); Eisenbart, 2000, S. 181; Spickhoff, NJW 2000, S. 2297 (2301 f.); Tröndle / Fischer, vor § 211 Rn. 23; Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (361); Zöller, ZRP 1999, S. 317 (319); Wolfslast, 1999, S. 473 (485 f.). 150 Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 28; Rieger, 1998, S. 85 ff.; Laufs, NJW 1999, S. 3399 (3400); Dölling, MedR 1987, S. 6(9); Schreiber, 1995, S. 129 (135); vermittelnd Verrel., MedR 1999, S. 547 (548): grundsätzlich indizielle Wirkung, die sich bei Eindeutigkeit zur Bindungswirkung hin verstärken kann. 151 Spann, MedR 1983, 13 (14 ff.); siehe auch Eibach / Schaefer, MedR 2001, S. 21 ff., die eine Fähigkeit des Menschen zur Autonomie in weitem Umfang bestreiten und deshalb für das ärztliche Handeln eine paternalistische Ethik der Fürsorge befürworten. Das dürfte in diametralen Gegensatz zu der in dieser Arbeit verfolgten Konzeption stehen, und mit den Vorgaben des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren sein. 152 Rehborn, MDR 1998, S. 1464 (1467). 153 Rehborn, MDR 1998, S. 1464 (1467). Die ärztliche Aufklärung ebenfalls für die Bindungswirkung der Patientenverfügung betonend Spickhoff, NJW 2000, S. 2297 (3202).
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tientenverfügungen können gefälscht sein oder widerrufen worden sein; der Arzt kann dies nicht überprüfen. (5) Die Erklärung werde meist in gesunden Zeiten verfaßt. In der konkreten Situation sei bei Patienten jedoch vielfach eine Änderung der Einstellung festzustellen155 (6) Patientenverfügungen seien meist zu vage oder zu speziell, um im konkreten Fall ausreichend Auskunft geben zu können.156 Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Ausgangslage, dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten, sind prinzipielle Einwände gegen die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen nicht überzeugend. Grundsätzlich gilt deshalb der in der Patientenverfügung geäußerte Wille, sofern die Wirksamkeit der Erklärung gegeben ist und keine Anhaltspunkte für eine Veränderung des Willens vorliegen.157 Damit ist das Kernproblem allerdings noch nicht beantwortet. Je strenger die Wirksamkeitsvoraussetzungen statuiert werden, desto mehr werden Patientenverfügungen in ihrer Relevanz entwertet. Wirksam kann eine Patientenverfügung jedenfalls nur sein, wenn der Erklärende überhaupt abstrakt – d. h. nicht auf seine konkreten Kenntnisse von der Krankheit bezogen – die Fähigkeit besitzt, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer Entscheidung über das „Ob“ einer ärztlichen Behandlung in einer terminalen Krankheitssituation zu erfassen (Entscheidungsfähigkeit158). Selbstredend muß eine Entscheidung auch frei von äußeren Zwängen getroffen werden (Entscheidungsfreiheit), und bei irreversiblen Entscheidungen gegen das eigene Leben sollte die Entscheidung auch ernsthaft gewollt sein (Ernstlichkeit der Entscheidung).159 Eine wirksame Einwilligung in eine Behandlungsmaßnahme verlangt aber darüber hinaus auch die Kenntnis von den entscheidungserheblichen Faktoren, also von Diagnose, Prognose und den Konsequenzen (Entscheidungsmöglichkeit160).161 Hieraus begründen sich die hohen Anforderungen Spann, MedR 1983, S. 13 (14); Tolmein, KJ 1996, S. 510 (518 ff.). Fritsche, 1995, S. 3 (27); Eibach / Schaefer, MedR 2001, S. 21 (23); Rehborn, MDR 1998, S. 1464 (1467); ähnlich Tolmein, KJ 1996, S. 510 (518 ff.); siehe auch Spann, MedR 1983, S. 13 (14), der Willensänderungen unter Vergleich auf Suizidpatienten für sehr wahrscheinlich erachtet. 156 Laufs, NJW 1998, S. 3399 (3400); vgl. auch differenzierend in der Schmitten, 1999, S. 131 (146). 157 So jetzt auch Bundesärztekammer, BtPrax 2000, S. 10(11 – Ziff. 5). 158 Nach zutreffender Auffassung ist Voraussetzung einer wirksamen Patientenverfügung nicht die Geschäftsfähigkeit im Sinne der §§ 104 ff. BGB, sondern die Einsichtsfähigkeit, Bedeutung und Tragweite von Einsatz und Unterlassung der ärztlichen Maßnahme beurteilen zu können, so Berger, JZ 2000, S. 797 (802); Baumann / Hartmann, DNotZ 2000, S. 594 (606 f.); Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (182); Spickhoff, NJW 2000, S. 2297 (2302); auch Bundesärztekammer, BtPrax 2000, S. 10(11 – Ziff. 5.); a.A. Taupitz, 2000, A 117; Eisenbart, 2000, S. 131 f. Dieses Ergebnis entspricht obigen Feststellungen zur Grundrechtsmündigkeit bei Entscheidungen über den eigenen Körper (s. o. § 14 IV.), die nicht erst mit der Geschäftsfähigkeit gegeben ist. 159 Im Einzelnen nach seinen Anforderungen strittig, siehe näher Schöllhammer, 1993, S. 96 ff., Eisenbart, 2000, S. 154 ff. 160 Zutreffend weist Sternberg-Lieben, NJW 1985, S. 2374 (2376), darauf hin, daß Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium durchaus über Kenntnisse bezüglich der weiteren 154 155
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an die Aufklärungspflicht des Arztes. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen für den rechtfertigungsbedürftigen ärztlichen Heileingriff sind nicht auf die ärztliche Untätigkeit infolge eines vom Patienten ausgesprochenen Behandlungsverbotes übertragbar.162 Behandlungsabwehrende Entscheidungen sind in ihrer Wirksamkeit nach der h. M. im Gegensatz zur Einwilligungserklärung nicht von einer vorherigen Aufklärung durch den Arzt abhängig.163 Zu legitimieren ist in erster Linie der Eingriff (s. o. § 8 II. 9.). Die unbedingte Anweisung gibt konkludent den grundsätzlich zulässigen Verzicht auf eine Aufklärung zum Ausdruck,164 und die Verfügungen beziehen sich zumeist auf hoffnungslose Zustände. Ist diese Situation gegeben, besteht kein weiterer Aufklärungsbedarf mehr.165 Die Patientenverfügung verliert ihre Gültigkeit auch nicht durch den zeitlichen Abstand zwischen der Erklärung und der geregelten Situation. Einer Änderung des Patientenwillens wird mit der unstreitig anerkannten Möglichkeit, die Patientenverfügung jederzeit formfrei widerrufen zu können, Rechnung getragen.166 Wenn die Patientenerklärung nicht eindeutig ist,167 gibt sie selbstverständlich keine verbindliche Regelung vor.168 Sie muß dann nach dem mutmaßlichen Willen des Erklärenden ausgelegt werden. Daß Patientenverfügungen generell auslegungsoffen sind, läßt sich nicht belegen.169 Entwicklung ihrer Krankheit verfügen und bei gesunden Verfassern, die sich nun einmal in einer Patientenverfügung mit ihrem eigenen Sterben auseinandersetzen, eher eine verständige Beschäftigung mit den in Frage stehenden Problemen angenommen werden kann. 161 Schöllhammer, 1993, S. 95; Eisenbart, 2000, S. 119 ff. u. 132 ff. 162 So auch Baumann / Hartmann, DNotZ 2000, S. 594 (607); Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (356); einschränkend dagegen Taupitz, 2000, A 111 ff.; Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (183). 163 Taupitz, 2000, A 32 f. 164 Sternberg-Lieben, NJW 1985, S. 2734 (2736); Uhlenbruck, MedR 1992, S. 134 (137); Schöllhammer, 1993, S. 84 ff. 165 Baumann / Hartmann, DNotZ 2000, S. 594 (607). Zu überlegen ist allerdings auch eine Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem Betreuer oder Bevollmächtigten, die dann zu überlegen haben, ob ein „hypothetischer“ Widerruf gegeben ist, weil der Patient sich in Anbetracht dieser Informationen anders entschieden hätte, vgl. Berger, JZ 2000, S. 797 (801); restriktiver Taupitz, 2000, A 41: „erhebliche Änderung der Sachlage“. 166 Taupitz, 2000, A 115; Sternberg-Lieben, NJW 1985, S. 2734 (2735). Wie die Parallele zum Testament zeigt, steht die jederzeitige Widerrufbarkeit der Wirksamkeit und Verbindlichkeit einer Erklärung nicht entgegen, Taupitz, 2000, A 115 ff.; Sternberg-Lieben, NJW 1985, S. 2734 (2735); Baumann / Hartmann, DNotZ 2000, S. 594 (607); Uhlenbruck, MedR 1983, S. 16 (ebda.); siehe auch Verrel, MedR 1999, S. 547 (548); a.A. Detering, JuS 1983, S. 418 (422); Spann, MedR 1983, S. 13 (14). 167 Die fehlende Eindeutigkeit und damit Verbindlichkeit kann sich nicht nur aus zu unbestimmten Formulierungen, sondern auch aus Veränderungen der Umstände (z. B. medizinischer Fortschritt) ergeben. Das begründet auch die Möglichkeit eines „hypothetischen Widerrufs“, siehe Baumann / Hartmann, DNotZ 2000, S. 594 (608 ff.). Die Eindeutigkeit einer Patientenverfügung kann allerdings nur im Einzelfall festgestellt werden. 168 Sternberg-Lieben, NJW 1985, S. 2734 (2735); Verrel, MedR 1999, S. 547 (548 f.).
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Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, der Patient könne nicht im voraus verständig einschätzen, was seinem wirklichen Willen zu dem Zeitpunkt entspreche, in dem die Maßnahme notwendig würde.170 Hier steht der paternalistische Gedanke im Zentrum, daß der Arzt wesentlich besser entscheiden könne, was dem Willen des Patienten zu entsprechen habe. Dieses Argument widerlegt sich selbst. Weder der Arzt noch Verwandte können geltend machen, bereits selbst eine Sterbephase durchlebt zu haben, wie sie der Patient gerade durchmacht.171 Sie befinden sich genau so wenig als Betroffene in der Situation wie der Patient zum Zeitpunkt seiner Erklärung. Da nach allen Seiten hin ein Situationsabstand festzustellen ist, muß in Anbetracht der Pluralisierung der Vorstellungen vom guten Sterben (s. o. § 10 III. 8.) eine ärztliche Bevormundung abgelehnt werden. Die Vorstellung vom eigenen Sterben und der Wertigkeit des Todes für den Sterbenden wird niemand besser formulieren können, als der Patient selbst.172 Der Patient hat deshalb auch antizipativ das Definitionsprimat, welche Behandlung er sich zumuten lassen will,173 und es kann nicht darauf ankommen, ob er bereits entsprechende Erfahrungen gesammelt hat.174 Um Zweifeln an der Verbindlichkeit seiner Patientenverfügung – ad (1) und (3) – zu begegnen hat der Patient die Möglichkeit, seine Erklärung schriftlich und in Gegenwart von Zeugen abzufassen, in regelmäßigen Abständen zu bestätigen und in oder auf konkrete Situationen hin zu ergänzen. Auch die Möglichkeit zur Aufnahme der Erklärung in die Patientenakte175 oder Hinterlegung bei dritten Stellen (Notar, Vertrauensperson, Hausarzt, Hinterlegungsstelle)176 ist gegeben. Notwendige Voraussetzungen sind das nicht.177 Steht der Wille des Patienten trotzdem zweifelsfrei fest, ist dieser maßgeblich. Immerhin sichert sich der Patient durch obige Maßnahmen die Beachtung seines Willens, weil er damit selbst Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Erklärung ausräumt.
Hierzu siehe in der Schmitten, 1999, S. 131 (143). Negativ zu weiteren Argumenten dieser Art referierend Taupitz, 2000, A 109 m. w. N. 171 Eisenbart, 2000, S. 160. 172 Siehe auch Sternberg-Lieben, 1999, S. 349(356 Fn. 38). 173 Im Ergebnis ebenso Höfling, JuS 2000, S. 111 (115); Verrel, MedR 1999, S. 547 (548); vgl. auch in der Schmitten, 1999, S. 131 (144). 174 Spickhoff, NJW 2000, S. 2297 (2301); Taupitz, 2000, A 46. Wer verlangt, daß sich der Betroffene bereits in der Situation befunden haben muß, müßte bei der Einwilligung in eine Operation ebenfalls die absurde Forderung stellen, daß der Betroffene bereits eine gleichartige Operation erlebt haben muß. 175 Siehe Taupitz, 2000, A 119. 176 Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (182). 177 Siehe Berger, JZ 2000, S. 797 (802). 169 170
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2. Vorsorgevollmacht Während bei der Patientenverfügung der Patient selbst die Entscheidung antizipativ trifft, bevollmächtigt er hierzu in der Vorsorgevollmacht eine von ihm ausgewählte Vertrauensperson. Die strittige Frage, ob in Gesundheitsfragen auch vom Patienten bevollmächtigte Stellvertreterentscheidungen zulässig sind, hat der Gesetzgeber mit der Ergänzung des § 1904 BGB um einen Absatz 2 beantwortet: die Entscheidungen des Vorsorgebevollmächtigten in Gesundheitsangelegeheiten unterliegen denselben Genehmigungserfordernissen des Vormundschaftsgerichts wie die des Betreuers.178 Die Möglichkeit der gewillkürten Stellvertretung in höchstpersönlichen Angelegenheiten ist damit anerkannt;179 soweit die Stellvertreterentscheidung das Leben des Patienten gefährdet (oder verkürzt), bedarf die Vollmacht nach § 1904 Abs. 2 S. 2 BGB der (gesteigerten) Schriftform durch Benennung der erlaubten Maßnahmen.180 Der Bevollmächtigte ist an die Weisungen des Vollmachtgebers gebunden, soweit er darin nicht zum Rechtsverstoß aufgefordert wird.181 Möglich ist deshalb die Verbindung einer Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht.182 Auch wenn keine Patientenverfügung gegeben ist, muß sich der Bevollmächtigte bei der Entscheidung über medizinische Maßnahmen am mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers orientieren.183 Obschon die Ermächtigung eines anderen, über den Behandlungsabbruch zu entscheiden, zur Fremdbestimmung führt, enthält die Fremdbestimmung durch einen selbstgewählten Vertreter immer noch ein Element der Selbstbestimmung.184 Insbesondere sichert sich der Patient durch einen Bevollmächtigten einen „Anwalt“, der sich an seinem mutmaßlichen Willen orientiert und seine Interessen vorbringt. Da bei einem nicht äußerungsfähigen Patienten stets Außenstehende über den Behandlungsabbruch entscheiden müssen,185 wird durch die Möglichkeit der Vorsorgevollmacht die Patien178 Siehe Art. 1 Ziff. 14 BtÄndG vom 25. Juni 1998, BGBl. I, 1580 (1582); hierzu die Beurteilung bei Eisenbart, 2000, S. 216; Taupitz, 2000, A 96; Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (178); kritisch gegenüber der Neuregelung Schwab, 2000, S. 511 (525 ff.). 179 So bereits zuvor Eisenbart, MedR 1997, S. 305 (306 ff.); Uhlenbruck, MedR 1992, S. 134 (138 ff.); siehe auch ders., 1998, S. 15; ders., 1999, S. 849 (855). 180 Taupitz, 2000, A 100; noch weitergehend Spickhoff, NJW 2000, S. 2297 (2303): auch Benennung der konkreten Gefahren der Maßnahmen. Eine vorhergehende ärztliche Aufklärung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Vorsorgevollmacht, siehe Taupitz, 2000, A 101. Wie bei der Patientenverfügung muß der Vollmachtgeber nur einwilligungsfähig, aber nicht geschäftsfähig sein, Staudinger-Bienwald, § 1896 Rn. 116; a.A. Taupitz, 2000, A 102. 181 Berger, JZ 2000, S. 797 (804); Uhlenbruck, 1999, S. 849 (857); letztlich auch Spickhoff, NJW 2000, S. 2297 (2303). 182 Uhlenbruck, 1999, S. 849 (857); Verrel, MedR 1999, S. 547 (549). 183 Berger, JZ 2000, S. 797 (804). 184 Baumann / Hartmann, DNotZ 2000, S. 594 (601); Berger, JZ 2000, S. 797 (803); Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (365 ff.). 185 Entsprechend kann die Möglichkeit einer gewillkürten Stellvertretung durch eine Vorsorgevollmacht nicht mit dem Argument verneint werden, eine Vertretung in höchstpersönlichen Gesundheitsangelegenheiten sei nicht zulässig. Denn dies würde in gleicher Weise
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tenautonomie grundsätzlich gestärkt.186 Damit verhindert der Patient auch das staatliche Verfahren einer Betreuerbestellung, da ein Betreuer nach § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB nur bestellt werden darf, wenn die Angelegenheit nicht durch einen Bevollmächtigten oder andere Hilfen (z. B. bestehende Patientenverfügungen) besorgt werden kann.187
3. Betreuerbestellung Möglich ist dem Patienten aber auch bei der Betreuung eine Betreuungsverfügung, in der er Bestimmungen hinsichtlich der Person des Betreuers (§ 1897 Abs. 4 S. 3 BGB) und dessen Amtsführung (§ 1901 Abs. 3 S. 2 BGB) trifft.188 Umstritten ist, inwieweit der Betreuer entsprechend dem Wortlaut des § 1901 Abs. 3 S. 1 u. 2 BGB an die im einwilligungsfähigen Zustand getroffenen Entscheidungen oder Willensvorstellungen des Betreuten (z. B. in einer Betreuungsverfügung) nicht gebunden ist, wenn das „Wohl“ des Betreuten dem widerspricht. Nach richtiger Auffassung ist die „Wohlbindung“ des § 1901 Abs. 3 S. 2 BGB nur anwendbar, wenn eine Betreuungsverfügung Interpretationsspielraum beläßt;189 ansonsten ist sie auf die von einem nicht Einwilligungsfähigen geäußerten Wünsche beschränkt.190 Die gegenteilige Auffassung würde zur verfassungsrechtlich untersagten Zwangsbehandlung gegen den eigenen Willen führen (vgl. oben § 10 I.), wenn eine zweifellos auf den Behandlungsabbruch gerichtete Betreuungsverfügung, der tatsächliche oder mutmaßliche Wille zum „Wohl“ des Patienten, mißachtet werden dürfte. Die Verpflichtung des Betreuers zur Orientierung am Willen des Patienten und hilfsweise an dessen „Wohl“ kann damit ebenfalls als Schutz der Patientenautonomie angesehen werden.191
gegen die gesetzliche Vertretung durch einen Betreuer sprechen. Vielmehr kommt die gewillkürte Stellvertretung der Patientenautonomie stärker entgegen als die durch einen gesetzlichen Vertreter nach dem Betreuungsgesetz, weil der Patient dadurch an die Stelle eines staatlichen Verfahrens privatautonome Regelungen setzt. 186 Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (366 f.); Fröschle, JZ 2000, S. 73 (74). Dem Bevollmächtigten wie dem Betreuer kommt damit die Aufgabe zu, die Interessen des Patienten zu vertreten. Diese beiden Institute sind damit rechtspraktische Ausformungen des advokatorischen Diskurses. 187 Taupitz, 2000, A 97 u. 120; Lipp, 1999, S. 75 (90 f.); Uhlenbruck, 1999, S. 849 (855 f. u. 860); Spickhoff, NJW 2000, S. 2297 (2303); Sternberg-Lieben, 1998, S. 349 (360). Notwendig wird die Betreuung damit auch dann, wenn die konkrete Situation von einer Patientenverfügung nicht hinreichend deutlich erfaßt wird. 188 Lipp, 1999, S. 75 (92); Verrel, MedR 1999, S. 547 (549). 189 Berger, JZ 2000, S. 797 (805); im Grunde auch Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (183). 190 So auch Mayer, 1995, S. 88 f., 91 f. u. 152; siehe auch Staudinger-Bienwald, § 1901 Rn. 25 ff.; einschränkend Taupitz, 2000, A 121; a.A. Spickhoff, NJW 2000, S. 2297 (2303). 191 Taupitz, 2000, A 89. 21 Antoine
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Äußerst kontrovers diskutiert wird schließlich die Frage, inwieweit die Einwilligung in den Behandlungsabbruch durch einen Betreuer oder Bevollmächtigten durch das Vormundschaftsgericht genehmigungsfähig und genehmigungspflichtig ist. Nach der einzig in Betracht kommenden Vorschrift des § 1904 BGB ist nur eine das Leben gefährdende Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff genehmigungspflichtig, die „Einwilligung“ in den das Leben verkürzenden Behandlungsabbruch ist nicht erwähnt. Nach der überwiegenden Auffassung192 ist für die Einwilligung des Betreuers in den Abbruch lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen ebenfalls die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts193 erforderlich, wenn der Sterbevorgang noch nicht unmittelbar eingesetzt hat. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Ist bereits eine das Leben gefährdende ärztliche Maßnahme genehmigungspflichtig, muß dies erst recht für den das Leben verkürzenden Behandlungsabbruch gelten,194 um den Patienten vor gegen sein Leben gerichteten mißbräuchlichen Entscheidungen zu schützen.195 Die verfahrensrechtliche Kontrolle durch 192 BGHSt 40, 257 (261 f.); OLG Frankfurt a.M. NJW 1998, S. 2747 (2748); NJW 1999, S. 2744 ff.; Baumann / Hartmann, DNotZ 2000 S. 594 (602); Berger, JZ 2000, S. 797 (803 f.); Coeppicus, NJW 1998, S. 3381 (3383); Lipp, 1999, S. 75 (87); Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (178 f.); Fröschle, JZ 2000, S. 72(79 f.); Knieper, NJW 1998, S. 2720(2720 f.); M. Gründel, NJW 1999, S. 3391 (3392); Taupitz, 2000, A 90 ff.; Saliger, JuS 1999, S. 16(18 f.); a.A. LG München I NJW 1999, S. 1788 (1789); AG Hanau BtPrax 1997, S. (82 f.); Scheffen, ZRP 2000, S. 313 (314 f.); Schwab, 2000, S. 511 (523 f.); Alberts, NJW 1999, S. 835 (835 f.); Bernsmann, ZRP 1996, S. 87(90 ff.); Laufs, NJW 1998, S. 3399 (3400); Müller-Freienfels, JZ 1998, S. 1123 (1125 f.); Seitz, ZRP 1998, S. 417 (419 f.); Eberbach, MedR 2000, S. 267 (269); Stoffers, ZfL 1999, S. 90 (96 f.); Stalinski, BtPrax, 1999, S. 86 (87); Deichmann, MDR 1995, S. 983 (984 f.). 193 BGHSt 40, 257 (261 f.) wendet § 1904 BGB analog an. Dagegen lehnt BGH NJW 2003, S. 1588 (1592), eine analoge Heranziehung der §§ 1904 bis 1907 BGB bei vormundschaftsgerichtlichen Überprüfungen von Behandlungsabbrüchen ab und sieht „im Wege einer Fortbildung des Betreuungsrechts eine vormundschaftsgerichtliche Prüfungszuständigkeit“ eröffnet. 194 Der Streit, ob eine zur Analogie berechtigende Gesetzeslücke gegeben ist, hat sich mit dem BtÄndG vom 25. Juni 1998, (BGBl. I, 1998, S. 1580 ff.) erledigt. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung keine Änderung beschlossen und damit die Akzeptanz der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, so auch M. Gründel, NJW 1999, S. 3391 (3392); Knieper, NJW 1998, S. 2720 (2721); ähnlich Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (179); a.A. BGH NJW 2003, S. 1588 (1591 f.); LG München I NJW 1999, S. 1788 (1789); Alberts, NJW 1999, S. 835 (835 f.). 195 Nach dem Beschluss des XII. Zivilsenats des BGH NJW 2003, S. 1588 (1593), ist die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts lediglich erforderlich, wenn der Betreuer eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder –verlängernde Maßnahme ablehnen will. Sind sich Arzt und Betreuer in der Frage des Abbruchs dagegen einig, so besteht nach BGH NJW 2003, S. 1588 (1593), kein Anlass für eine vormundschaftsgerichtliche Kontrolle: „Für eine Einwilligung des Betreuers in eine lebensverlängernde oder –erhaltende Behandlung ist von vornherein kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung nicht angeboten wird – sei es, dass sie nach Auffassung der behandelnden Ärzte nicht indiziert, sinnlos geworden oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist [ . . . ].“ Der BGH verkennt hier, dass ärztliche Entscheidungen über den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nicht wissenschaftlich determiniert sind, sondern das „medizinisch indizierte“ auf einer Bewertung beruht. Welche
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das Vormundschaftsgericht ex ante dient dem Lebensschutz weit besser als eine strafgerichtliche Kontrolle ex post (vgl. unten § 22). Das Vormundschaftsgericht wird nicht deshalb zum „Richter über Leben und Tod“,196 weil es überprüft, ob die Entscheidung des Betreuers, der sich am tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten zu orientieren hat, rechtmäßig ist.197 Sachlich läßt sich eine derartige Entscheidung nicht umgehen, weil auch die Behandlungsfortführung nicht weniger fremdbestimmt als ihr Abbruch ist. Das Verfahren schützt den Patienten vor mißbräuchlichen Entscheidungen durch den Arzt, Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten und gibt dem Arzt und Betreuer Rechtssicherheit198.
II. Organtransplantation und aktive Sterbehilfe Die Sterbehilfe endet, wenn der Mensch tot ist. Das ist trivial; problematisch ist allerdings die Bestimmung der Grenze. Bei der Bestimmung des genauen Todeszeitpunkts ist zu unterscheiden zwischen dem Todesbegriff selbst, der nachgeordneten Ebene des Kriteriums, an welchem wir den Tod erkennen sollen, und der Verläßlichkeit der diagnostischen Tests zur Feststellung des Todes im Einzelfall.199
1. Todesdefinition Es liegt nahe, die entscheidende rechtliche Weichenstellung in der Bestimmung des Todesbegriffs anzunehmen,200 aus dem erst die rechtspraktische Konkretion des Kriteriums (Todeszeichen) erfolgt. Erstaunlicherweise findet der vehement geführte Streit um das richtige Todeskriterium seinen Grund weitgehend nicht in einer unterschiedlichen Todesdefinition.
Abwägung dem vom Grundgesetz vorgegebenen Rechtsrahmen entspricht, sollte nicht einer – evt. auch missbräuchlichen – ärztlichen Praxis zur Beantwortung überlassen werden. 196 So aber der Vorwurf von AG Hanau BtPrax 1997, S. 82 (83); Alberts, NJW 1999, S. 835 (836); Laufs, NJW 1998, S. 3399(ebda.); Stalinski, BtPrax1999, S. 86 (89); Deichmann, MDR 1995, S. 983 (984 f.); siehe auch Seitz, ZRP 1998, S. 417(passim); Dörner, ZRP 1996, S. 93 (ebda.): „Hält der BGH die ,Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ wieder für diskutabel?“. 197 BGH NJW 2003, S. 1588 (1592 ff.); Taupitz, 2000, A 85; Lipp, 1999, S. 75 (87 f.), Verrel, JR 1999, S. 5 (8); zu weitgehend deshalb M. Gründel, NJW 1999, S. 3391 (3392), der dem Betreuer immer einen eigenen Entscheidungsspielraum zubilligt. 198 Beides verkennt BGH NJW 2003, S. 1588 (1593), wonach das Vormundschaftsgericht nicht einzuschalten ist, wenn Arzt und Betreuer übereinstimmend für den Abbruch votieren. Siehe hierzu auch Stackmann, NJW 2003, S. 1568 (1568 f.). 199 Zu dieser Unterscheidung siehe statt aller Rixen, 1999b, S. 254 ff. 200 So z. B. Anderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (512). 21*
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Dabei ist festzustellen, daß der Erörterung darüber, ob die Todesdefinition normativ oder naturwissenschaftlich-medizinisch zu erfolgen habe,201 keine ausschlaggebende Relevanz zukommt.202 Denn zum einen wird für und gegen das Hirntod-Kriterium jeweils sowohl normativ wie auch naturwissenschaftlich-medizinisch gestritten.203 Zum anderen besteht in der grundgesetzlichen Vorgabe des Art. 2 Abs. 2 GG jenseits dieser Streitlinie weitgehend Einigkeit.204 Mit dem Recht auf Leben wird das körperliche Dasein, die biologisch-physische Existenz des Menschen geschützt.205 Das Grundrecht auf Leben wird unabhängig vom Grad der Lebensfähigkeit, den gegenwärtigen oder zukünftigen Möglichkeiten eines menschlich-selbstverantworteten Lebens, dem Geisteszustand oder der Fähigkeit zur Interessenbildung206 gewährleistet.207 Das Rechtsgut Leben soll einschränken201 Dagegen ist nach überwiegender Auffassung eine normative Feststellung des Todesbegriffs erforderlich: Heun, JZ 1996, S. 213 (214); Anderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (512 f.); Wallrabenstein, JA 1999, S. 128 (129) – Definitionskompetenz des Gesetzgebers – ; a.A. Tröndle, 1999, S. 779 (781): „Juristisch kann diese Frage nicht entschieden werden, da es hierfür primär auf die Beurteilung medizinischer und anthropologischer Kriterien ankommt, die wissenschaftlich aber umstritten sind.“ 202 Problematisch ist es allerdings, wenn die Notwendigkeit der normativen Todesbestimmung mit dem Verweis auf die „Stadien des Todes“ vom klinischen Tod über Kortextod und Gesamthirntod bis hin zum Tod der einzelnen Körperzelle gestützt wird, vgl. Karl, 1995, S. 19 f.; Laber, 1997, S. 28; Funck, 1992, S. 182 (184); Schreiber, JZ 1983, S. 593 (ebda.); Merkel, Jura 1999, S. 113 (115). Von diesen Stadien des Todes müsse nun einer normativ bestimmt werden; vgl. Merkel, Jura 1999, S. 113 (115); Karl, a. a. O., S. 18. M.E. ist damit bereits der Ausgangspunkt falsch gelegt. Ob wir es bei diesen Stadien mit solchen des Todes oder des Sterbens zu tun haben, hängt zunächst von einer Bestimmung darüber ab, wo die Grenzlinie zwischen Leben und Tod verläuft. Die vorherige Beschreibung dieser Stadien als Todeszeitpunkte verführt dazu, innerhalb dieser Stadien nur noch wertend pragmatischen Erwägungen Raum zu geben. Den zweiten Schritt nicht vor den ersten zu setzen, verlangt hier zunächst, die Begriffe Leben und Tod zu bestimmen. Theoretisch kann man nun entweder den Begriff des Lebens oder den des Todes zuerst festlegen, um dann ex negativo auf das Gegenteil zu schließen. Da sich Tod sinnvoll nicht anders denn als Zustand der Leblosigkeit beschreiben läßt, verbleibt damit zunächst nur der Weg, den Begriff des Lebens festzulegen. Was nicht lebendig ist, ist tot, weil Leben und Tod ein einander ausschließendes Begriffspaar sind – tertium non daretur; siehe Anderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (515). 203 Für das Hirntodkriterium: normativ: Lorenz, 1989, § 128 Rn. 8 u. 15; Heun, JZ 1996, S. 213 (214 ff.); medizinisch-naturwissenschaftlich: Ugowski, 1998, S. 16; dagegen: normativ: Höfling / Rixen, 1996, S. 59 ff.; medizinisch-naturwissenschaftlich: Roth / Dicke, 1995, S. 51 ff. 204 Von der folgenden Bestimmung des Lebens wird allerdings zunehmend für das ungeborene Leben eine einschränkende Interpretation vertreten; vgl. z. B. AK2-Podlech, Art. 2 II Rn. 9 u. 11. Die Beurteilung dieser Auffassung kann vorliegend dahinstehen, da die Abtreibung kein Fall der hier zu erörternden Sterbehilfe ist. 205 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 9 f.; Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 44; Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 8; AK2-Podlech, Art. 2 II Rn. 9; v. Mangoldt / Klein / StarckStarck, Art. 2 Rn. 176; Höfling, JZ 1995, S. 26(31 f.); D. Esser, 2000, S. 20. 206 Anders dagegen Hoerster, 1995, S. 11 ff.; ders., 1991, S. 69 ff., der ein Lebensrecht nur bei einem bestehenden Überlebensinteresse einräumt, s. o. § 7 VIII. 4. a) bb). 207 s. o. Fn. 205.
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den Wertungen im Sinne eines lebensunwerten Lebens unzugänglich sein.208 Über die biologisch-physische Existenz hinaus werden deshalb keine besonderen Fähigkeiten oder Leistungen des Menschseins verlangt. Eine definitorische Entziehung des Lebensschutzes nach der sozialen Wertigkeit, Nützlichkeit, dem körperlichen Zustand oder der geistigen Verfassung ist danach nicht möglich.209 Ebenfalls übereinstimmend orientiert sich die Definition des Lebens am (biologischen) Organismus als System.210 Leben ist die Fähigkeit der Selbstherstellung und Selbsterhaltung eines Organismus durch Organ-Interaktionen. 211 Tod ist dann der dauerhafte Funktionsverlust des Organismus als ganzem.212 Der Tod tritt danach bereits dann ein, wenn der Organismus als Funktionsverbund aufhört, nicht erst mit dem Tod des ganzen Organismus, der erst mit dem Tod jeder einzelnen Zelle gegeben wäre.213
208 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 10; Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 46; AK2-Podlech, Art. 2 II Rn. 10; D. Esser, 2000, S. 20. 209 Es wird allerdings noch darauf einzugehen sein, daß neuere Auffassungen, die erkannt haben, daß unter diesen Voraussetzungen sich das Hirntodkriterium nicht vertreten läßt, diesen Konsens nicht mehr teilen. Auf ihre normativen Einwände und Einschränkungen soll nach Klärung der überwiegenden Auffassung eingegangen werden (s. u. 5.). 210 Ebenso in der Beurteilung der Diskussion Sachs, 2000, B 2 Rn. 79. Alternative Bestimmungen des Lebens über eine phänomenologische Betrachtungsweise oder die Betonung des Metabolismus müssen hier nicht näher untersucht werden, weil sie allein in dem Ausfall der Hirntätigkeiten nicht den Tod eines Lebewesens erkennen können. Auf phänomenologischer Ebene ist es mit dem Begriff des Todes nicht zu vereinbaren, wenn die wichtigsten Vitalfunktionen wie Blutkreislauf, Atmung (nur das Atemholen wird durch die Maschine ersetzt) und Stoffwechsel (Verdauung und Ausscheidung) noch funktionieren oder gar eine schwangere Hirntote noch ein Kind austragen kann. Die Gesichtsformen unterscheiden sich kaum von denen eines Schlafenden, der Körper ist rosig und warm, Arme und Beine können sich auf Reflexe hin rasch bewegen. Definiert man Leben wesentlich über den Metabolismus, d. h. als Austausch von Stoffen mit der Umwelt bei gleichbleibender Stoff-Identität der Form, ist der Hirntote ebenfalls noch nicht als Lebewesen gestorben. Die wesentlichen Stoffwechsel wie Luftaustausch und Verdauung werden auch beim Hirntoten noch vom Körper selbst übernommen. Die nach einem Hirntod verbliebene Organ-Interaktion zwischen Herz, Lunge, Verdauungsorgan u. a. wird beim Hirntoten zwar nur durch massive Unterstützungen von außen aufrechterhalten, aber bei dem Ausfall einer Niere, würde auch keiner wegen der Ersetzung dieses lebensnotwendigen Organs durch die Dialysemaschine den Menschen als tot bezeichnen. Siehe zum klinischen Bild eines „Hirntoten“ Holthausen, Ethik Med 2000, S. 257 ff.; Jonas, 1985a, S. 219 (227 f.); Rixen, 1999a, S. 346 (358 ff.). 211 Vgl. Roth / Dicke, 1995, S. 51(52 f.). Mit Jonas, 1994, S. 145 ff. u. 151 ff., läßt sich auch sagen: Leben ist die Fähigkeit eines biologischen Organismus, im Stoffwechselaustausch Identität aufrecht zu erhalten. 212 Harris, 1995, S. 328. 213 Hoff / in der Schmitten, S. 153 (221).
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
2. Todeskriterien Vorrangig werden drei Todeskriterien vertreten:214 Herz-Kreislauf-Tod, Hirntod und Teilhirntod. (1) Die klassische Position215 stellt auf den Stillstand von Kreislauf und Atmung ab. In Kritik geriet diese Auffassung durch den Umstand, daß der Herztod aufgrund der medizinischen Fortschritte keinesfalls irreversibel zum Tod führt. Die Möglichkeiten der Reanimation und (zeitweisen) Ersetzung der Herzfunktion durch eine Herz-Lungen-Maschine ermöglichen es, den Patienten nach einem Stillstand von Kreislauf und Atmung wieder in das Leben zurückzuholen.216 Damit konnte der kurze Stillstand von Herzschlag und Atmung nicht mehr als Nachweis des völligen Ausfalls der vitalen Lebensfunktionen bzw. als unwiderruflicher Tod des Menschen gelten. Dieses Todeskriterium wird deshalb nunmehr dahingehend präzisiert, daß sich der Nachweis des irreversiblen Kreislaufstillstands über eine bestimmte Dauer erstrecken muß und eine Wiederbelebung somit ausgeschlossen werden kann.217 So wird dieses Todeskriterium auch von den Vertretern der Hirntodkriterien akzeptiert, weil bei einem irreversiblen Kreislaufstillstand ab einem bestimmten Zeitpunkt das Gehirn ebenfalls irreversibel abgestorben ist.218 Strittig ist lediglich, ob daneben als engeres Kriterium auch bei aufrechterhaltener HerzKreislauf-Tätigkeit allein der Hirntod ein ausreichendes Todeskriterium sein soll. (2) Dies wird von der herrschenden Auffassung im Sinne des Gesamthirntods vertreten,219 d. h. den Ausfall von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm.220 Mit dem Hirntod sind die vegetativen Organfunktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und auch Körperreflexe allerdings noch nicht aufgehoben. Das Herz 214 Strittig ist, ob § 3 TPG eine Todesdefinition enthält oder nur die Voraussetzungen festsetzt, unter denen eine (tödliche) Organentnahme zulässig ist; in letzterem Sinne Merkel, 2001, S. 113 ff.; Forkel, Jura 2001, S. 73 (77); a.A. mit beachtlichen Argumenten Nickel / Schmidt-Preisigke / Sengler, 2001, § 3 TPG Rn. 2; siehe auch Deutsch, NJW 1998, S. 778 (778); Wallrabenstein, JA 1999, S. 128 (ebda.). 215 Neuerdings vertreten von Höfling, JZ 1995, S. 26 (28); ders. / Rixen, 1996, S. 52; Rixen, 1999b, passim; D. Esser, 2000, S. 17 ff.; im Ergebnis ebenso Dippel 1999, S. 665 (691); tendenziell auch Sachs, 2000, B 2, Rn. 79 f. 216 Irreversible kortikale Schäden hat der Herz-Kreislauf-Stillstand wegen der fehlenden Sauerstoffversorgung erst nach ca. drei Minuten. 217 Hoff / in der Schmitten, 1995, S. 153 (225); Höfling / Rixen, 1996, S. 52. 218 Deshalb wird neben dem Hirntod auch der irreversible Herz-Kreislauf-Stillstand als weiteres Todeskriterium von den Vertretern des Hirntodkriteriums anerkannt. 219 OLG Köln NJW-RR 1992, S. 1480 (1481); Palandt-Heinrichs, 2001, § 1 BGB Rn. 3; Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 Rn. 18 f.; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck Art. 2 Rn. 176; Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 15; Merkel, 2001, S. 111 ff.; Anderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (513 ff.); Klinge, 1996, passim; zweifelnd nunmehr Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 16; Tröndle, 1999, S. 779 (781, 783 u. 784 f.); Tag, 2000, S. 145 ff. 220 Bundesärztekammer – Wissenschaftlicher Beirat 1986, B-2940 (ebda.); vgl. auch § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG, BGBl. I 1997, S. 2631 (2632).
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schlägt noch selbsttätig, lediglich die Zwerchfelltätigkeit der Atmung, d. h. das Ein- und Ausatmen, muß durch ein Beatmungsgerät ersetzt werden, wenn es nicht zum Herz-Kreislauf-Stillstand kommen soll. (3) Teilweise wird auch allein der Teilhirntod als ausreichendes Todeskriterium angesehen, wenn der Hirnstamm noch intakt ist, einzelne Teile des Gehirns, insbesondere Teile des Großhirns, jedoch irreversibel geschädigt sind.221 Fallen nur die zum Großhirn gehörigen Gehirnfunktionen aus, dann geht die bewußte Wahrnehmung und das Erleben von Schmerzen verloren. Das Stammhirn und mit ihm die vegetativen Funktionen von Atmung, Kreislauf und Verdauung sind trotz abgestorbenem Großhirn noch intakt. Da Teilhirntote oft unselbständig atmen und schlukken können sowie normale Schlaf- und Wachphasen haben, können sie ohne mechanische oder andere lebenserhaltende Maßnahmen – auch über Jahrzehnte – am Leben bleiben.222 In der Medizin wird dieser Zustand als ,persistant-vegetative state‘ oder apallisches Syndrom bezeichnet. Entscheidend für die Teilhirnkonzeption ist damit der Ausfall der höheren Funktionen des Gehirns wie Selbstbewußtsein und Kommunikation.223 Neben Apallikern hat das Teilhirntotkriterium besondere Bedeutung für anenzephale Neugeborene. Bei den Anenzephalen fehlt die Hirnschale und meist auch das gesamte Großhirn. Sie kommen oft mit funktionstüchtigen Hirnstamm und entsprechend funktionierender Atmungs-, Herz- und Kreislauffunktion auf die Welt.224 Ohne besondere lebenserhaltende Maßnahmen sterben sie in der Regel innerhalb der ersten Stunden, Tage oder Wochen; es soll allerdings auch eine Überlebenszeit von drei Jahren schon vorgekommen sein.225 3. Historische Argumentation und „Vorteile“ des Hirntodkriteriums Der Streit um das Hirntodkriterium ist unter anderem stark von historischen Argumenten geprägt.226 Dabei geht es um die Frage, was der Auslöser des Hirntodkriteriums war, daß zu seinen Gunsten die klassische Todesdefinition des HerzKreislauf-Stillstands aufgegeben wurde. Die Kritiker des Gehintodkriteriums ver221 Funck, 1992, S. 184 (186 ff.); Dencker, NStZ 1992, S. 311 (314 f.); unter Vorbehalt diagnostischer sicherer Möglichkeiten der Feststellung auch Hoerster, 1997, S. 42 ff. 222 Siehe hierzu Starz, 1997, S. 128 ff. 223 Teilweise wird der Großhirntod deshalb auch als Persontod bezeichnet; siehe Baumgarten, 1998, S. 100 f. 224 Da die Anenzephalen oft vollkommen funktionstaugliche Organe besitzen und ein großer Mangel von Transplantationsorganen für Säuglinge besteht, würde das Teilhirntodkriterium hier eine erhebliche Entlastung schaffen. Dieser Umstand wird gerade im angelsächsischen Raum zugunsten des Teilhirntodkriteriums eingebracht; siehe zu dieser Debatte Wolfslast, 1989, S. 163 (164 ff.). 225 Siehe zum vorstehenden Wolfslast, 1989, S. 163 (164). 226 Siehe hierzu Schlich, 1999, S. 79 ff.; umfangreiche Erörterung auch bei Rixen, 1999b, S. 55 ff.
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weisen auf die 1968 von einer sogenannten Ad-hoc-Kommission der Harvard Medical School abgegebenen Empfehlung, den Tod des Gehirns („Irreversible Coma“) als neues Kriterium für den Tod des Menschen anzusehen.227 Als Begründung gab diese Kommission an, daß (1) zum einen die Belastungen durch irreversibel komatöse Patienten zu groß seien und (2) es anderenfalls Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Organen geben könne.228 Letzteres wurde insbesondere wegen einer kurz zuvor erstmals erfolgreichen Herztransplantation für notwendig erachtet.229 Dagegen wird von den Befürwortern des Hirntodkriteriums vorgebracht, daß sich die Notwendigkeit der Neudefinition bereits in den fünfziger Jahren ergab, als es möglich wurde, Menschen lange Zeit mittels künstlicher Beatmung und Intensivtherapie zu behandeln, obwohl ihr Gehirn bereits abgestorben war.230 Dieses Argument mag vielleicht gegenüber Kritikern der Organtransplantation überzeugen; die grundsätzliche Kritik, daß der Tod im Hinblick auf die Lösung auftretender praktischer Probleme neu definiert wurde, wird hierdurch nicht widerlegt. Die Vorteile des Hirntodkriteriums sind vielmehr praktischer Natur. Gegenüber einem Toten kann der Arzt kein Tötungsdelikt mehr begehen. Für die passive Sterbehilfe folgt daraus, daß mit Eintritt des Hirntods auch kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der Körperfunktionen mehr gegeben ist.231 Ein Lebensrecht kann nur bei bestehendem Leben beachtet werden. Weiterhin stellt sich das Abgrenzungsproblem von aktiver und passiver Sterbehilfe in den Reanimatorfällen bei Hirntoten Patienten nicht mehr. Bei einem Toten ist es irrelevant, ob die verbliebenen Körperfunktionen handelnd oder unterlassend beendet werden. Schließlich muß die Organtransplantation dann nicht neben der indirekten Sterbehilfe als weiterer Fall der erlaubten aktiven Sterbehilfe legitmiert werden.232 Zudem unterliegt die Zulässigkeit der Organtransplantation niedrigeren gesetzlichen Anforderungen; die Zustimmung des Organspenders kann durch die der Angehörigen ersetzt werden.233
4. Überzeugendes Todeskriterium Allerdings kann weder aus dem Umstand, daß die Möglichkeiten der modernen Medizin die Frage aufwarfen, ob Hirntote noch leben, noch aus den Vereinfachungen, die das Gehintodkriterium hinsichtlich des Behandlungsabbruchs und der 227 228 229 230 231 232 233
Beecher u. a., JAMA 1968, S. 337 ff. Beecher u. a., JAMA 1968, S. 33 (ebda.). Zu der historischen Entwicklung der Herztransplantation siehe Fieber, 1991, S. 108 ff. Siehe zu diesem Argument Schlich, 1999, S. 79(83 m. w. N.). Baumgarten, 1998, S. 99. So auch H. Otto, 1997, S. 7 f. Zutreffend Tröndle, 1999, S. 779 (783 f. u. 789 f.).
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Organtransplantation bietet, für oder gegen den Hirntod als Todeskriterium geschlossen werden.234 Die Aufdeckung schlechter Motive vermag allein gute Argumente nicht zu widerlegen. Während nur wenige ein Teilhirntodkriterium vertreten,235 verläuft der Streit im wesentlichen zwischen den Vertretern des Gesamthirntodkriteriums einerseits und des Herz-Kreislauftod-Kriteriums andererseits. a) Biologisches Argument236 Wie bereits ausgeführt besteht weitgehend darüber Einigkeit, daß mit dem dauerhaften Funktionsverlust des Organismus als ganzem der Tod eintritt (s. S. 325). Streit besteht nun darüber, ob dieser Zustand allein mit dem Hirntod bereits gegeben ist. Dies wird von den Vertretern des Hirntodkriteriums behauptet. Mit dem Tod des Gehirns sei der Organismus in seiner funktionellen Ganzheit unwiderruflich zerstört. Der vollständige und endgültige Ausfall des gesamten Gehirns habe den Verlust der Autonomie, Spontaneität, Steuerung, Integration, Anpassung und Abgrenzung des Organismus zur Folge.237 Von der Gegenseite wird nicht bestritten, daß mit dem Hirntod integrative Funktionen des Körpers ausfallen und der Sterbevorgang unwiderrufbar eingeleitet ist. Bei einem Vergleich des Ausfalls des Gehirns mit dem irreversiblen Ausfall anderer lebenswichtiger Organe läßt sich jedoch keine Sonderstellung des Hirntods im Hinblick auf den biologischen Tod ausmachen. Dieser Auffassung ist aus folgenden Gründen zuzustimmen. (1) Der Fakt, daß mit dem Tod des Gehirns ein Organ unwiderruflich zerstört ist, wird nicht bestritten. Nur kann dieser Umstand nicht entscheidend dafür sein, einen Menschen für tot zu erklären. Man würde auch keinen für tot ansehen, wenn seine Nieren ausgefallen sind und keine Chance der Nierentransplantation besteht. (2) Die Lebenswichtigkeit des Gehirns zur Aufrechterhaltung des Lebens kann ebenfalls nicht der ausschlaggebende Gesichtspunkt sein. Das System des menschlichen Körpers kommt auch zum Erliegen, wenn andere Teile des menschlichen Körpers wie das Herz, die Lunge oder Niere aussetzen. Das Gehirn trägt damit nicht mehr zur Erhaltung des Lebens bei als andere lebensnotwendige Organe auch.238 (3) Auch die Möglichkeit des maschinellen Ersatzes oder der Kompensation der anderen Organfunktionen durch Reanimatoren, Dialysegeräte u. ä. kann aus zwei Gründen nicht den wesentlichen Unterschied markieren. Merkel, 2001, S. 127. s. o. Fn. 221. 236 Zu der Differenzierung der Argumentation der Vertreter des Gesamthirntodkriteriums in ein biologisches und ein mentales Argument siehe Höfling / Rixen, 1996, passim. 237 Bundesärztekammer – Wissenschaftlicher Beirat, DÄBl. 1993, C 1975 ff. 238 Roth / Dicke, 1995, S. 5 (53); Hoff / in der Schmitten, 1995, S. 153 (186). 234 235
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(a) Der zur Aufrechterhaltung des Organismus als ganzem lebensnotwendige Beitrag des Gehirns kann über einen längeren Zeitraum ersetzt werden. Tritt der Hirntod ein, fehlt dem Körper ein antidiuretisches Hormon, welches normalerweise im Gehirn entsteht.239 Der Tod tritt ohne dieses Hormon dann trotz anderweitiger intensivmedizinischer Maßnahmen innerhalb weniger Tage ein. Wird dieses Hormon über Infusionen zugeführt, läßt sich mit Hilfe weiterer Maßnahmen das Leben des Patienten lange Zeit in diesem Zustand aufrechterhalten. 240 Die wichtigsten Vitalfunktionen wie Blutkreislauf, Atmung241 und Stoffwechsel (Verdauung und Ausscheidung) funktionieren auch noch ohne das Gehirn. Der Körper ist rosig und warm, Arme und Beine können sich auf Reflexe hin rasch bewegen. Die nach einem Hirntod verbliebene Organ-Interaktion zwischen Herz, Lunge, Verdauungsorgan u. a. wird beim Hirntoten zwar nur durch massive Unterstützungen von außen aufrechterhalten, aber bei dem Ausfall einer Niere, würde auch keiner wegen der Ersetzung dieses lebensnotwendigen Organs durch die Dialysemaschine den Menschen als tot bezeichnen. Die Integrationsfähigkeit des Organismus ist beim Hirnausfall ohne Zweifel gemindert, aber, wie die Fortsetzbarkeit einer Schwangerschaft zeigt, offensichtlich nicht weggefallen.242 Eine völlige Desintegration des Körpers tritt beim Ausfall des Gehirns nicht ein. Das Gehirn ist somit bei den heutigen medizinischen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Lebens des übrigen Körpers kein unverzichtbares Organ. (b) Daß der Ausfall der vegetativen, für die Integration des Organismus vermeintlich unersetzlichen Zentren des Hirnstamms nicht als unwiderrufliche Zerstörung des Organismus in seiner funktionellen Ganzheit angesehen wird, zeigt das „Locked-in-Syndrom“. Es handelt sich hierbei um den seltenen Fall eines Hirnstammtodes bei noch intaktem Großhirn, womit die vegetative Funktionsleistung des Gehirns ausfällt.243 Das Leben dieser Patienten läßt sich ebenso wie bei Gesamthirntoten nur mit einer großen apparativen Unterstützung aufrechterhalten. Die Patienten verfügen aber über Bewußtsein und wären unter Umständen sogar in der Lage, Fragen zu verstehen.244 Für den Organismus als ganzem trägt das Großhirn in diesem Zustand nichts mehr entscheidend bei. Trotzdem würde keiner diesen Patienten als tot bezeichnen. P. Singer, 1998, S. 36. In den USA konnte ein hirntoter Mensch bereits über 201 Tage am Leben gehalten werden; siehe hierzu Singer, 1998, S. 37 u. Fn. 15 m. w. N. In der Öffentlichkeit bekannt wurden diese Möglichkeiten der Medizin auch beim Erlanger Fall, wo eine hirntote Schwangere bis zur Entbindung hin am Leben gehalten werden sollte. Im Erlanger Fall ist das zwar nicht geglückt; in den USA konnte dagegen bei einer Hirntoten die Schwangerschaft von der 17. Woche bis zur Geburt eines gesunden Kindes erfolgreich fortgesetzt werden, siehe hierzu Singer, 1998, S. 15. 241 Nur das Atemholen wird durch die Maschine ersetzt. 242 Ebenso Schmidt-Jortzig, 1999, S. 14 f. 243 Siehe hierzu Starz, 1997, S. 128 (129 u. 195 ff.). 244 Hoff / in der Schmitten, S. 153 (164) m. w. N. 239 240
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Auf der Basis der biologischen Todesdefinition kann deshalb beim Hirntod ein Ende des Organismus in seiner funktionellen Ganzheit bzw. der Tod des Organismus im ganzen nicht festgestellt werden. Der Körper löst sich nicht in seine Bestandteile auf, sondern vollzieht noch einige integrative Leistungen. Übernimmt man die weithin akzeptierte Definition des Todes245 als des Endes des „Organismus als ganzem“246 – was nach obigen Feststellungen erst dann zutrifft, wenn alle Vitalfunktionen auf der Ebene des Gesamtorganismus erloschen sind – dann tritt der Tod ein, wenn keine funktionelle Wechselbeziehung zwischen den Organen zur Aufrechterhaltung des Gesamtorgans mehr gegeben ist.247 Diese Interaktion zwischen dem Gesamtorganismus bricht mit dem Ausfall des Blutkreislaufs zusammen.248 Unabänderlich wird dieser Zustand, wenn eine Wiederbelebung ausgeschlossen ist. Bei einer biologischen Argumentation ist deshalb das Todeskriterium des irreversiblen Herz-Kreislauf-Stillstands überzeugend.
b) Mentales Argument Da der Organismusbegriff auf der biologischen Ebene allein zum Ausweis des Hirntodkriteriums offensichtlich nicht ausreicht, ergänzen die Vertreter der Hirntodkonzeption ihre Position um ein weiteres Argument. Das zweite zentrale Argument verfährt nun nicht mehr biologisch, sondern ganz im Gegenteil über eine anthropologische Wesensbestimmung beim Menschen. Der Mensch verliere mit dem Ausfall des Gehirns eine für das Menschsein notwendige Eigenschaft, da der Mensch ein Lebewesen in körperlich-geistiger Einheit sei.249 Mit dem Organtod des Gehirns seien die unabdingbaren Voraussetzungen für jedes personale menschliche Leben erloschen.250 „Ein Mensch dessen Gehirn abgestorben ist, kann nichts mehr aus seinem Inneren und aus seiner Umgebung empfinden, wahrnehmen, beobachten und beantworten, nichts mehr denken, nichts mehr entscheiden.“251 Ihm fehle ein konstitutives Merkmal des Menschseins, die Fähigkeit zur Wahrnehmung und subjektivem Erleben.252
245 Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob die Definition des Todes nicht bloß eine biologisch-medizinische Feststellung, sondern immer ein interpretativer Vorgang ist, da über die biologische Todesdefinition selbst kein vehementer Streit besteht. 246 Im Gegensatz zu einem „Tod des ganzen Organismus“, der den Tod jeder einzelnen Körperzelle voraussetzen würde, vgl. Hoff / in der Schmitten, 1995, S. 153 (221 f.). 247 Hoff / in der Schmitten, 1995, S. 153 (223 f.). 248 Hoff / in der Schmitten, 1995, S. 224. 249 Siehe Laber, 1997, S. 34; Schreiber, 1983, S. 593 (ebda.); Anderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (518); Merkel, 2001, S. 122 f.; Fritsche, 1995, S. 3 (10). 250 Bundesärztekammer – Wissenschaftlicher Beirat 1986, B 1940 (29459; 1997, C 957 (957 ff.). 251 Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin u. a., 1995, S. 7.
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Mit diesem Argument wird die zuvor eingenommene allgemein biologische Argumentation verlassen. Der Begriff des Lebens erfährt hier eine sonst nicht getragene Sonderdefinition. Besonders deutlich wird dies in dem Hinweis, daß die Hirnfunktion eine unerläßliche Eigenschaft des Menschsein sei.253 Das ist zunächst insofern nicht richtig, weil alle höheren Säugetiere eine Hirntätigkeit besitzen. Die Hirnfunktion ist damit kein spezifisches Charakteristikum des Menschseins. Soll das spezifisch Menschliche ausschlaggebend sein, würde der Teilhirntod noch eher überzeugen.254 Mit dem Ausfall der Großhirnrinde (= appallisches Syndrom) ist kein kommunikativer Außenbezug mehr möglich.255 Er wird deshalb auch als Persontod bezeichnet.256 Beide Bestimmungen, ob Teilhirntod oder Gesamthirntod, verlangen für ein vom Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschütztes Leben jedenfalls mehr als eine bloß biologisch-physische Existenz des Menschen. Einem Menschen den Lebensschutz des Grundgesetzes bei fehlender Geistigkeit, Personalität, Selbstbewußtsein, Kognition oder Kommunikationsfähigkeit gänzlich zu versagen, wird nur von den Vertretern des Teilhirntodkriteriums vorgebracht, somit nach fast einhelliger Auffassung für nicht zulässig erachtet (s. o. § 7 VIII. 4 c).257 Biologisch lebende Menschen beim Fehlen bestimmter Eigenschaften als Tote zu betrachten, ist die Aburteilung eines Lebens als „lebensunwertes Leben“.258 Vorausgesetzt werden darf für den Lebensschutz des Grundgesetzes deshalb nur die biologischphysische Existenz von menschlichem Leben überhaupt.259 Dessen sind sich auch 252 Merkel, Jura 1999, S. 113 (116). Erstaunlich ist nun, warum Merkel bei dieser Argumentation nicht zum Teilhirntodkriterium gelangt. Die von ihm vorgebrachten phänomenologischen Merkmale (a. a. O.) finden sich weitgehend auch bei Teilhirntoten. 253 Vgl. Eser, ZStW 97 (1985), S. 1 (29 f.); Schreiber, 1983, S. 593 (ebda.); Laber, 1997, S. 34. Bei Laber, a. a. O., ist diese Einschränkung nicht mehr nachvollziehbar, wenn er unmittelbar zuvor feststellt, daß der „Begriff des ,Lebens‘ [ . . . ] der denkbar weiteste sein“ müsse. 254 Ist das mentale Argument ausschlaggebend, ist es konsequenter, auch Anenzephale und Apalliker als tot anzusehen; ebenso die Kritik von Schmidt-Jortzig, 1999, S. 13 u. 15. 255 Eine wirklich spezifische Eigenschaft des Menschen zu benennen, dürfte im übrigen schwer fallen. Klassische Eigenschaften wie der aufrechte Gang, die Benutzung von Werkzeugen und das Sprachvermögen lassen sich auch außerhalb der Spezies Mensch vorfinden: Känguruhs bewegen sich auf zwei Beinen hüpfend, Affen benutzen Werkzeuge und mittlerweile ist es gelungen, mit Affen in Zeichensprache zu kommunizieren; siehe hierzu P. Singer, 1998, S. 161 ff. Dabei erwiesen die Affen sogar die Fähigkeit zur Lüge. 256 Baumgarten, 1998, S. 100 f. Wer das Todeskriterium mit dem eintretenden Persontot begründet, müßte konsequenterweise das Teilhirntodkriterium vertreten. 257 Vgl. BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (251 f.); Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 8; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig Art. 2 Rn. 9 f.; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 Rn. 176; Klug / Sander, 1996, S. 1285 (1288); Klinge, 1996, S. 126 f., 138 f. 258 Diese Wertungen wie fehlende Kommunikationsfähigkeit, Unwiderruflichkeit des Sterbeprozesses müssen dann im Rahmen der Konflikterörterung von Behandlungsabbruch und Organtransplantation als entscheidende Gesichtspunkte offen eingebracht werden, was gegenüber der definitorischen Entziehung des Lebensschutzes vorzuziehen ist. 259 Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 9; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig Art. 2 II Rn. 10, v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 Rn. 176; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 15.
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die Vertreter des Hirntodkriteriums bewußt. Von dieser Seite wird deshalb auf die Feststellung des Verlustes auch des biologischen Lebens beim Hirntoten Wert gelegt (s. o. a). Da letzteres, wie bereits gezeigt, nicht überzeugend dargelegt werden kann, müßte von dieser Seite zur Verteidigung der eigenen Position behauptet werden, daß der grundrechtlich verbürgte Lebensschutz mehr voraussetzt als die bloß biologisch-physische Existenz von menschlichem Leben.
5. Normative Rückfrage: Die zutreffende Todesdefinition Ausdrücklich erkannt und bejaht wird die vorgenannte Einschränkung nunmehr von Anderheiden und Merkel. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG könne nicht bloß das physiologische Dasein, sondern nur die psycho-physische Einheit des Menschen zum Schutzgegenstand haben, weil in dieser Vorschrift mit dem Begriff „jeder“ ein Subjekt vorausgesetzt werde, daß bei einer bloß physiologischen Existenz fehle.260 Nach dieser Auffassung ist allein auf der Basis der biologisch-physischen Existenz keine fortdauernde Identität des Menschen gegeben, was letztlich zu grundlegenden Widersprüchen zu den sonstigen Annahmen in der Rechtsordnung führen müsse.261 Zur Belegung dieser Behauptung werden nun verschiedene argumenti ad absurdum gegen das Herz-Kreislauf-Tod-Kriterium vorgebracht: Wenn das Gehirn oder Bewußtsein nicht entscheidend für die Identität des Menschen sei, dann sei nicht klar, wer überlebt habe, wenn das Gehirn von A in den „enthirnten“ Körper des B transplantiert werde.262 Auch führe das Hirntodkriterium in die kaum akzeptable Situation, daß Hirntote, was mittlerweile technisch für einen langen Zeitraum möglich ist, fortdauernd am Leben erhalten werden müßten, wenn dieser Wunsch vorab vom Patienten erklärt wurde.263 Und schließlich verfehle diese Auffassung ihr Ziel, das Leben des Menschen zu schützen, weil sie dann in der vollkommenen Zerstörung des Gehirns eines Menschen keine TötungsAnderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (516); Merkel, 2001, S. 125. Anderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (518). Kaum einleuchtend ist allerdings der Einwand von Anderheiden, a. a. O., daß dann alle Vorschriften, die auf den Schutz der psychischen oder seelischen Entwicklung abstellen, auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit reduziert werden müßten. Das von Anderheiden, a. a. O., selbst herangezogene Beispiel des Art. 6 Abs. 5 GG widerlegt dies treffend. Darin wird die Herstellung gleicher Bedingungen für die „leibliche und seelische“ Entwicklung unehelicher Kinder gefordert. Offensichtlich geht der Verfassungsgeber davon aus, daß beides je für sich in Gefahr geraten kann, so daß beides zu erwähnen ist. Warum aus dem Umstand, daß die Leiblichkeit des Menschen für sich schon Schutz genießt, folgen soll, daß dann auch alle anderen Vorschriften, die sich auf das Bewußtsein oder die Psyche des Menschen beziehen, nur noch körperliche Zustände schützen, ist nicht nachvollziehbar. 262 Merkel, 2001, S. 122. 263 Merkel, 2001, S. 128 ff. Zutreffend ist hier der von Merkel, Jura 1999, S. 113 (119), eingebrachte Gesichtspunkt, daß man mit solchen Forderungen von sterbenden Menschen rechnen müßte und in der Fortsetzung der Behandlung, zu welcher der Patient zuvor sein Einverständnis erklärt hat, auch kein Verstoß gegen die Menschenwürde gegeben ist. 260 261
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handlung mehr erblicken könnte, wenn dessen Organismus noch am Leben erhalten werde.264 Zunächst zu den aufgeworfenen Fragen nach der Identität des Menschen. Der Wortlaut „Jeder“ in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gibt nicht vor, ob diese Identität eine solche des Bewußtseins oder des Daseins zu sein hat. Zwingend vorausgesetzt wird darin nur die Identität eines Daseins, nicht das Identitätsbewußtsein seines Trägers. Letzteres wird zu Recht im Hinblick auf das Teilhirntodkriterium abgelehnt.265 Problematisch wird diese Identität bei einer Gehirntransplantation. Was bei dieser Transplantation „geschaffen“ wird, ist eine Chimäre.266 Wenn in obigen Gedankenexperiment z. B. der verheiratete, männliche „Gehirnspender“ A in den „enthirnten“ Körper der ebenfalls verheirateten und weiblichen B eingepflanzt wird, dann ist es offen, ob B’s geschlechtliches Identitätsbewußtsein männlich oder weiblich ist. Zwingend ist es nicht, daß in obigen Beispiel der überlebende Gesamtorganismus B einen Männernamen erhält und mit der Frau von A verheiratet ist. Gerade wer die psychisch-physische Einheit des Menschen postuliert, wird das Identitätsproblem bei einer Organtransplantation des Gehirns nicht einfach zugunsten des Gehirns entscheiden können.267 Folgt man diesen Gedankenspielen weiter, dann zeigen sie, daß Organtransplantationen Identitätsschwierigkeiten nach sich ziehen, weil zwei vorher selbständige biologische Entitäten zu einer neuen gemischt werden. Das Identitätsproblem muß dann nach dem überwiegenden Gesichtspunkt aufgelöst werden. Dabei mag das fortbestehende Bewußtsein in der Regel entscheidend sein. Das führt aber noch nicht zu dem Schluß, daß ein Leben ohne Bewußtsein kein solches mehr ist. Verdeutlichen läßt sich dies am Beispiel einer Teilhirnoperation, z. B. eines Spenderstammhirns. Man wird hier wohl eher geneigt sein, das Großhirn als ausschlaggebend für die Identität des neuen Organis264 Merkel, 2001, S. 122 f.; ähnlich auch auf S. 121; ders., Jura 1999, S. 113 (ebda.). Die Ausführungen von Anderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (519 ff.), wonach beim „Herztodkriterium“ einerseits (a) bei einer Organtransplantation nicht mehr klar wäre, ob der Empfänger die Transplantation überlebt habe und andererseits (b) jeder Blutkreislauf durch künstliche Organe am Leben erhalten werden müßte, beruhen m.E. auf einem Mißverständnis. Ad a: Das Herz-Kreislauf-Todkriterium stellt nicht auf den Tod des Herzens ab – es ist eben nicht ein „Herztodkriterium“ –, sondern auf den Untergang des lebenden Organismus, wenn dieser seine Fähigkeit verliert, im Stoffwechselaustausch seine Identität aufrecht zu erhalten. Der „Tod“ des Herzens hat dies nicht zur Folge, wenn seine Funktion durch eine Herz-LungenMaschine aufrechterhalten wird. Der Funktionsausfall des Herzens führt deshalb auch nicht zum kurzzeitigen Tod. Ad b: Der Blutkreislauf durch künstliche Organe ist dagegen ein rein mechanischer und kein biologischer Vorgang, das Herz-Kreislauf-Todkriterium stellt aber entscheidend und allein auf biologisches Leben ab. 265 Auch Anderheiden, Staat 40 (2000), S. 509 (517). 266 Auf dieser Ebene liegt dann auch die Antwort auf Merkels, 2001, S. 121 f., Einwand, daß die Abtrennung eines der beiden Köpfe bei einem siamesischen Zwilling, nach dem engeren Herz-Kreislauftodkriterium nur als Amputation eines überflüssigen Körperteils und nicht als Tötung aufgefaßt werden müßte. Wenn die Biologie zwei an sich selbständige Existenzen miteinander vereint, dann ergibt auch dies eine Chimäre. 267 Im übrigen kommt auch die Gegenauffassung spätestens dann in Schwierigkeiten, wenn man von einer Teilgehirnoperation ausgeht.
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mus anzusehen. Folgt hieraus aber nicht das Teilhirntodkriterium, dann kann auch nicht aus dem Beispiel der Transplantation des gesamten Gehirns das Gesamthirntodkriterium gefolgert werden. Das Problem der Identität ist damit keines, daß sich nur beim Herz-Kreislauf-Tod-Kriterium stellt.268 Was die unbegrenzte Fortsetzung der Behandlung beim Hirntoten betrifft, so sieht man sich bei einem irreversibel apallischen Patienten vor die gleiche Problemlage gestellt. Beantworten läßt sich dies mit der Begrenzung der Behandlungspflicht (s. u. § 24 IV.).269 Das letzte argumentum ad absurdum läßt sich ebenfalls auf das Hirntodkriterium anwenden. Für den Betroffenen ist es in gleicher Weise grausam, ob ihm sein gesamtes Gehirn zerstört wird oder der Täter ihm das Stammhirn beläßt.270 Wollte man diesen Gefahren begegnen, würde sich die Einführung eines Straftatbestands der Persönlichkeitszerstörung eher anbieten, als hirntote Menschen für Tod zu erklären. Wenn damit die argumenti ad absurdum nicht weit tragen,271 und die in unserer Rechtsordnung vorausgesetzte Identität des Trägers des Lebens und von Rechten 268 Damit erledigt sich auch das literarische Beispiel Merkels, Jura 1999, S. 113 (117): Ein Verurteilter bittet um Begnadigung seiner Organe, die nichts für die aus seinem Gehirn entsprungene böse Tat könnten. Der Gouverneur gewährt die Begnadigung und läßt die Organe auf andere Menschen transplantieren oder konservieren. Das „Organismustod-Kriterium“ ist hier eindeutig: Dieser biologische Organismus wurde ebenso wie seine Fähigkeit zur Selbstherstellung und Selbsterhaltung bzw. sein Funktionsverbund irreversibel zerstört. Die nur normativ wertend zu beantwortende Frage nach einer weiterbestehenden Identität dürfte bei der weiträumigen Verteilung der Organe und der Konservierung des Gehirns ebenfalls zu verneinen sein. 269 Im übrigen auch von Merkel, 2001, bei diesem Falltypus (S. 344 f.) und bei anenzephalen Neugeborenen (S. 621 ff.) angedacht. Unzureichend ist allerdings der Einwand von Rixen, 1999b, S. 381 f., daß der hirntote Patient, der sich zur Organspende bereit erklärt hat, damit auch konkludent im Anschluß an die Organentnahme die Beendigung der Behandlung wünscht. Das ist zwar zutreffend, sagt aber nichts über den Behandlungsabbruch bei dem Patienten aus, der unter fortlaufender intensivmedizinischer Betreuung aufgrund von Verschlechterungen seines Krankheitsbildes in den Status des Hirntoten gerät und sich nicht zur Organtransplantation bereit erklärt hat. 270 Deshalb vermag auch das Beispiel Merkels, Jura 1999, S. 113 (116), eines zum Schafott Verurteilten, bei dem der vom Kopf getrennte Restkörper am Leben erhalten wird, nicht zu überzeugen. Dieser ist genauso lebendig wie derjenige, dem man mit Ausnahme des Stammhirns zur Zwangsextraktion des übrigen Gehirns verurteilte und entsprechend „hinrichtete“. 271 Abwegig ist auf der Basis von Merkels Position allerdings sein Einwand, Jura 1999, S. 113 (121 f.), daß die Transplantationsmediziner die Organentnahme einstellen würden, wenn Ihnen bewußt wäre, daß sie damit lebende Menschen zum Nutzen Dritter töten würden. Ähnlich auch Pichlmayr, zitiert nach Höfling / Rixen, 1996, S. 100 Fn. 366: „[D]ie deutsche Ärzteschaft [ . . . ] [will] [ . . . ] nicht töten [ . . . ].“ „Wir können nicht töten.“ „[W]ir [werden] nicht töten.“ Dieses ärztliche Selbstverständnis ist mit den 100.000fachen Tötungshandlungen durch Abtreibung und der verbreiteten Praxis der indirekten Sterbehilfe (Tötung) als Lippenbekenntnis entlarvt. Da Merkel, 2001, S. 195 ff. u. 236, ebenfalls keine Zweifel daran läßt, daß Abtreibung und indirekte Sterbehilfe Tötungshandlungen sind, ist es unplausibel,
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überhaupt mit dem Dasein des Lebens gegeben ist, dann ist die Antwort des Grundgesetzes nach obigen Feststellungen zur Begründung des Lebensrechtes in der Menschenwürde eindeutig: Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG will dem Menschen in der Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft die Bedingung der Möglichkeit seiner Freiheit eröffnen. Dazu steht es im Widerspruch, wenn dieser basale Anspruch auf Gleichberechtigung unter den Vorbehalt materialer Wesenskriterien des Menschseins gestellt würde. Es kann deshalb eben nicht essentialistisch gefragt werden „Was ist der Mensch?“272 oder „Was macht den Menschen zum Menschen?“, sondern nur existentialistisch: „Ist ein menschliches Leben gegeben oder nicht?“ Das wurde mit dem einleitend eingeführten Begriff des Lebens auch beim Hirntoten bejaht (s. o. 1.) und fällt erst nach Eintritt des irreversiblen Herz-Kreislauf-Todes weg. Auch der hirntote Mensch ist damit lebendes Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft und genießt den Lebensschutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.273
6. Organexplantation als Form der aktiven Sterbehilfe Obwohl das Hirntodkriterium zunehmend in die Kritik gerät, wird die Verfassungswidrigkeit der Organexplantation nicht geltend gemacht.274 Verlangt wird von den Kritikern des Hirntodkriteriums lediglich eine enge Zustimmungslösung,275 d. h., der hirntote, sterbende Mensch müsse in gesunden Zeiten für den Fall, daß bei ihm der irreversible Ausfall aller meßbaren Hirnfunktionen festgestellt wird, die Entnahme von seinen Organen verfügt haben.276 Eine mutmaßliche warum Transplantationsmediziner eine Tötung zur Organtransplantation stricte dicta verweigern sollten, wenn der Sterbende sogar vorher dazu seine Zustimmung gegeben hat. 272 So aber Merkel, Jura 1999, S. 113 (116). 273 Auf den Streit, ob sich der irreversible Hirntod sicher feststellen läßt, soll vorliegend nicht eingegangen werden. Die Beurteilung der Möglichkeiten einer sicheren Diagnose des Hirntodes läßt sich nur medizinisch entscheiden; sie kann deshalb vorliegend nicht geleistet werden. Ein Eingehen auf den Streit um die sichere Feststellung der Todeskriterien erübrigt sich vorliegend auch, weil sich der Herz-Kreislauf-Tod bereits aus vorgenannten Gründen als das überzeugendere Todeskriterium erwiesen hat und die Feststellung des Herz-KreislaufStillstands der heutigen Medizin keine Schwierigkeiten bereitet. 274 Vgl. Tröndle, 1997, S. 3 (5 f.); ders., 1999, S. 779 (786 f.). 275 Bei dem Widerspruchsmodell sind alle grundsätzlich potentielle Organgeber; einer evtentuellen Organtransplantation kann man nur durch den vorab ausdrücklich erklärten Widerspruch entgegentreten. Das im Transplantationsgesetz verabschiedete Informationsmodell verlangt ebenso wie das Zustimmungsmodell grundsätzlich die Zustimmung des Organgebers. Hat dieser wie im Regelfall keine Erklärung abgegeben, ist abweichend vom Zustimmungsmodell die Zustimmung der Angehörigen ausreichend, die unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Spenders erfolgen soll. Da bei Neugeborenen kein mutmaßlicher Wille gegeben ist, entscheiden in diesem Fall die Eltern allein nach ihren eigenen Vorstellungen, siehe zum vorstehenden §§ 3 f. TPG, BGBl. I, 1997, S. 2631 (2632). 276 Wissenschaftler für ein verfassungsgemäßes Transplantationsgesetz, 1995, S. 513 (518).
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Zustimmung oder die Einwilligung durch Verwandte ist danach nicht ausreichend. Eine Ausnahme wird hiervon bei Minderjährigen gemacht. Hier sollen die Eltern aufgrund ihres grundgesetzlich in Art. 6 Abs. 2 GG garantierten Sorgerechts in die Tötung ihres Kindes zum Zwecke der Organtransplantation einwilligen dürfen.277 Besonderer Wert wird auf die Feststellung gelegt, daß die Einwilligung in die Organtransplantation kein Fall der Tötung auf Verlangen sei, auch wenn dem Sterbenden lebenswichtige Organe wie Herz und Lunge entnommen werden.278
a) Keine direkte Tötung? Nach vereinzelter Auffassung fehlt es bei der Entnahme von Organen bereits an einer Tötungshandlung, da das Beatmungsgerät erst im Anschluß an die Explantation abgestellt werde.279 Die Praxis der Organtransplantation ist wohl im Detail unterschiedlich, widerspricht aber jedenfalls dieser Behauptung. Eindeutig ist dies bei der Herzexplantation, wenn mittels Perfusion, d. h. Ausspülen des Blutes aus den Blutgefäßen durch eine Art Kochsalzlösung (kardioplegische Lösung), das Herz vor der Explantation und vor dem Abstellen des Beatmungsgerätes gezielt stillgestellt (konserviert) wird.280 Der Herz-Kreislauf-Stillstand tritt dann unmittelbar ca. 20 – 40 Sekunden nach dem Beginn der Perfusion ein und nicht erst durch das Abschalten des Beatmungsgerätes. Auch bei einer Organentnahme ohne Entnahme des Herzens tritt der Herz-Kreislauf-Stillstand nicht in gleicher Weise ein wie beim Abschalten des Beatmungsgerätes. Es besteht die Praxis, während der Explantation und vor dem Abstellen des Beatmungsgerätes das Blut mit einer Kochsalzlösung aus den Adern zu spülen (Perfusion)281 oder nach einer venösen Entlastung Zementstücke in die Blutbahn zu gießen282. Beides verursacht kausal den Herz-Kreislauf-Stillstand. Jedenfalls wird vor Beginn der Perfusion des zu entnehmenden Organs eine venöse Entlastung vorgenommen, die zu einem ganz erheblichen Blutverlust führt.283 Bei dem anschließenden Abstellen des Beatmungsgerätes tritt der Herz-Kreislauf-Stillstand deshalb sehr viel schneller ein, als er ohne dem vorherigen Eingriff erfolgen würde. Die Organtransplantation bewirkt damit kausal einen früheren Todeseintritt.
277 Wissenschaftler für ein verfassungsgemäßes Transplantationsgesetz, 1995, S. 513 (519); Höfling / Rixen, 1996, S. 104 ff. 278 Wissenschaftler für ein verfassungsgemäßes Transplantationsgesetz, 1995, S. 513 (519). 279 Vgl. Tröndle, 1999, S. 779 (787). 280 Siehe zum folgenden: Sengler / Schmidt, MedR 1997, S. 241 (ebda.) m. w. N. Im einzelnen beschreibt Rixen, 1999b, S. 355, den Vorgang der Herzexplantation. 281 So Grewel, 1995, S. 217 (218) m. w. N. 282 Sengler / Schmidt, MedR 1997, S. 241 (241 f. m. w. N.). 283 Sengler / Schmidt, MedR 1997, S. 241 (241 f. m. w. N.).
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Lütz bemüht sich deshalb um eine weitergehende Begründung.284 Die Funktion des Herzens sei durch eine Herz-Lungen-Maschine zeitweilig ersetzbar, so daß die Entnahme „in sich“ keine Tötungshandlung sei; auch dem Empfänger werde ja das Herz entnommen. Stelle man anschließend die Herz-Lungen-Maschine beim Spender ab, sei keine aktive Tötungshandlung, sondern nur ein Unterlassen gegeben.285 Abgesehen davon, daß dieser Vorgehensweise die medizinische Praxis der Organtransplantation nicht entspricht,286 wird die aktive Tötung hierdurch nicht vermieden. Wie oben bereits aufgezeigt, zeichnet sich die passive Sterbehilfe durch ein Geschehenlassen und die aktive Sterbehilfe durch eine aktive Einwirkung auf den Patienten aus (s. o. § 2 V., § 8 II. 9.). Betrachtet man allein die letzte Handlung – das Ausschalten der Herz-Lungen-Maschine – ließe sich eine passive Sterbehilfe annehmen. Dem geht allerdings durch die Entnahme eines lebenswichtigen Organs eine aktive Einwirkung voraus, und gerade dieses Organ fehlt dem Patienten nach dem Abschalten der Herz-Lungen-Maschine. Der Tod tritt dann wegen der vorhergehenden Entnahme des Herzens kausal früher ein. Die Beschränkung des Blicks auf die letzte ,unterlassende‘ Handlung der vorgenommenen Organtransplantation darf nicht die vorherige Entnahme eines lebenswichtigen Organs übersehen lassen.287 Ein letztes phänomenologisches Argument sei noch vorgebracht. Der Organspender erhält vor der Operation eine ganz normale Narkose, um einen gefährlichen Blutdruckanstieg und Spontanreaktionen des Sterbenden zu vermeiden.288 Nach dem Einlaufen der kalten Perfusionslösung in den Körper des Patienten wird immer wieder Eiswasser in den Brustkorb und die Bauchhöhle gekippt.289 Das Herz schlägt immer langsamer. „Das Gesicht verfärbt sich blass und grau, und man spürt förmlich, wie das Leben dieses Menschen mit dem Einlaufen der Perfusionslösung langsam erlischt.“290 Das Pflegepersonal, Anästhesisten und das Operationsteam empfinden deshalb Organtransplantationen oft seelisch als schwere Belastungen, haben Schwierigkeiten, Organentnahmen bei jungen Patienten und besonLütz, 1995, S. 496 (498). Lütz, 1995, S. 496 (498). 286 Auch würde dieser Ansatz bei einer Explantation anderer Organe als des Herzens die Herstellung von Brücken zur Umgehung der zu explantierenden Organe erfordern, da anderenfalls mit deren Entnahme der Blutkreislauf zusammenbrechen würde. 287 In gleicher Weise kann auch bei dem sterbewilligen Patienten keine bloß passive Sterbehilfe vorliegen, wenn ihm mit dem Ziel, die Atmung stillzulegen, zunächst eine große Menge Morphium verabreicht wird, um ihn danach zunächst an ein Beatmungsgerät anzuschließen, welches kurz darauf wieder ausgeschaltet wird, um dem „Sterben seinen Lauf zu lassen“. Hier tritt der Tod aufgrund der verabreichten Dosis Morphium früher ein, als wenn der Patient ohne zusätzlich Maßnahmen an ein Beatmungsgerät angeschlossen würde und nach dessen Entfernung wieder im eigenen Rhythmus atmen würde. 288 Trotzdem ist nach erfolgter Transplantation der Mund des Organspenders als Panikreaktion weit geöffnet; Holthaus, Ethik Med 2000, S. 247 (255). 289 Siehe hierzu Holthaus, Ethik Med 2000, S. 247 (254). 290 Holthaus, Ethik Med 2000, S. 247 (254). 284 285
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ders bei Kindern zu verarbeiten, und befürchten, eine Organtransplantation bei einem Bekannten vornehmen zu müssen.291 b) Zulässigkeit der Organexplantation trotz Tötungshandlung Überwiegend292 wird deshalb – auch bei den Kritikern des Hirntodkriteriums – eine aktive Tötungshandlung bei der Explantation nicht bestritten, wenn unterstellt wird, dass Hirntote lebende Menschen sind.293 Der Unterschied zur aktiven Sterbehilfe soll sich dagegen aus folgendem ergeben: (1) Bei der Explantation willige der potentielle Spender lediglich darin ein, daß sein Sterbeprozeß nach dem Hirntod mit dem Ziel der Rettung anderer Leben zur Transplantation hinausgezögert werde.294 Während ohne Transplantation beim Eintritt des Hirntodes die lebenserhaltenden Maßnahmen sofort eingestellt würden, werden diese bei einer Organtransplantation bis zur Explantation noch aufrechterhalten. Der Spender willige deshalb nicht in eine Lebensverkürzung, sondern in eine Lebensverlängerung ein.295 (2) Da der Hirntote Mensch einen Anspruch auf Abbruch der Intensivbehandlung habe, entscheide er sich mit der Organtransplantation nur für eine andere Sterbeart.296 (3) Der Arzt handele anders als bei der aktiven Sterbehilfe nicht mit dem Ziel der Lebenskürzung beim Spender, sondern in der Absicht der Lebensrettung des Empfängers und zu dessen Leidminderung.297 Eine altruistische Organspende sei nicht mit einer Tötung vergleichbar.298 (4) In diesem Zusammenhang wird auch ein Vergleich zur indirekten Sterbehilfe gezogen.299 Auch hier werde 291 Die Vorgänge der Organtransplantation und die Belastungen des Pflegepersonals bei der Pflege und Tötung von Hirntoten schildert nachdrücklich Holthaus, Ethik Med 2000, S. 247 ff. 292 Höfling / Rixen, 1996, S. 95 f.; Grewel, 1995, S. 217 (218); Rixen, 1995a, S. 461 (465); siehe auch Wagner / Brocker, 1996, S. 226 (229); H. Otto, 1997, S. 7 (ebda.); Sengler / Schmidt, MedR 1997, S. 241 (ebda.); Dippel, 1999, S. 665 (681); Heun, JZ 1996, S. 213 (218). 293 Allerdings sucht man dieses Ergebnis gelegentlich durch begriffliche Verwirrspiele abzumildern. Nach Höfling / Rixen, 1996, S. 98, ist eine Tötung nur eine „unrechtmäßige Lebensvernichtung, die per se verwerflich ist“. Das ist kaum haltbar. Wenn eine Frau in Notwehr einen zur Vergewaltigung ansetzenden Angreifer erschießt, ist dies ohne Zweifel eine Tötung, auch wenn die Handlung nicht verwerflich ist. Ähnlich zweifelhaft sind die Ausführungen von Tröndle, 1999, S. 779 (787), der aus den Gesichtspunkten, die vielleicht die Tötungshandlung zu rechtfertigen vermögen (siehe die nachfolgenden Punkte im Text), schlußfolgert, daß der Explantationsarzt nicht tötet. 294 Tröndle, ZfL 1997, S. 3 (5); ders,. 1999, S. 779 (781 u. 787 f.); Dippel, 1999, S. 665 (681); Höfling / Rixen, 1996, S. 97; Schmidt-Jortzig, 1999, S. 20 f. 295 Wissenschaftler für ein verfassungsgemäßes Transplantationsgesetz, 1995, S. 513 (518 f.). 296 Tröndle, 1999, S. 779 (787); ähnlich auch Schmidt-Jortzig, 1999, S. 21. 297 Höfling / Rixen, 1996, S. 97; Dippel, 1999, S. 665 (681 f.). 298 Tröndle, 1999, S. 779 (788); Höfling / Rixen, 1996, S. 97; Schmidt-Jortzig, 1999, S. 21 f. 299 Höfling / Rixen, 1996, S. 98 f.
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vor dem Hintergrund einer Abwägung von Leidminderung und Lebensverkürzung eine Ausnahme vom Ausschluß der Dispositionsbefugnis hinsichtlich des eigenen Lebens gemacht. (5) Weiterhin müßten zwei zeitliche Phasen unterschieden werden: die Therapiephase, die mit dem Gesamthirntod endet, und die Spendephase, die mit der Behandlung zur Realisierung des Spenderwillens beginnt. Die zweite Phase dürfe man nicht von der intendierten Spende in den gegenteiligen Lebensverzicht umdeuten.300 (6) Schließlich wird ein Unterschied zur aktiven Sterbehilfe in dem ohnehin vom baldigen Tod bedrohten Leben des hirntoten Menschen gesehen.301 (7) Daran anknüpfend ließe sich einwenden, daß im Zeitpunkt des Hirntodes das Lebensrecht auf den Vorgang des Sterbens reduziert ist. In diesem Fall könnte das Selbstbestimmungsrecht des Spenders gegenüber dem Lebensschutz vorrangig sein. (8) Strafrechtsdogmatisch wird aus den vorstehenden Gesichtspunkten eine Einschränkung des Schutzzwecks der §§ 212 I, 216 I StGB geschlossen.302 Die mit Einwilligung des Spenders erfolgende Organexplantation sei bereits tatbestandlich keine Tötungshandlung auf Verlangen, weil § 216 StGB nur die Freiwilligkeit der Entscheidung schützen will.303 Anders als der Hirntote könne der schwerkranke Patient seinem Leben selbst ein Ende setzen. Sei dieser zum Suizid nicht bereit, dokumentiere dies die fehlende Freiwilligkeit des Tötungsverlangens.304 Gegen diese Argumentationen ist einzuwenden, daß (ad 5) weder das Therapieziel des Arztes noch (ad 1) die maschinell unterstützte Sterbeverlängerung noch (ad 6) der kurz bevorstehende Tod etwas daran ändert, daß der am Leben gehaltene Mensch durch die Organentnahme getötet wird.305 Auch der Umstand, daß (ad 6) ein Leben ohnehin bald verlöschen würde, kann nach allgemeiner Auffassung eine Tötung nicht rechtfertigen. Daran ändert auch (ad 1) die vorherige Verlängerung des Sterbens aufgrund der beabsichtigten Explantation der Organe nichts. Keiner darf über das Leben eines anderen allein deshalb verfügen, weil dieser ohne vorherige Rettungsaktivitäten bereits tot wäre.306 Zutreffend ist sicherlich die Feststellung, daß (ad 2) die Durchführung einer Organtransplantation im Anschluß an den Hirntod im Verhältnis zum ansonsten sofort erfolgten Behandlungsabbruch nicht lebensverkürzend wirkt, der Spender somit der Sache nach sich nicht einen früheren Tod herbeiwünscht, sondern nur die Art des Sterbens bestimmt. Die von ihm gewählte Art der Todesherbeiführung ist jedoch eine Tötung durch die Entnahme von Organen und damit eine aktive Sterbehilfe.
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Tröndle, ZfL 1997, S. 3 (6). Rixen, 1995a, S. 461 (465); Tröndle, 1999, S. 779 (787). Rixen, 1999b, S. 358 ff., 376 ff. Rixen, 1999b, S. 374. Rixen, 1999b, S. 374 f. So auch Wagner / Brocker, ZRP 1996, S. 226 (229); H. Otto, 1997, S. 7 (ebda.). Stoecker, 1997, S. 194 (206 f.); Sengler / Schmidt, MedR 1997, S. 241 (242).
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Die Kernfrage ist also, ob diese Todesart zulässig ist. Richtig ist auch, daß (ad 3) der Arzt zum Zeitpunkt der Organentnahme nicht in der Absicht der Lebensverkürzung und Leidminderung in Bezug auf den Spender handelt, sondern eine Leidminderung und Lebensrettung beim Organempfänger beabsichtigt. Das Argument verstärkt allerdings die Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der Organtransplantation, da diese nur zugunsten des Empfängers stattfindet. Die Tötung eines Menschen mit dem Ziel, ihm die Organe zugunsten eines Dritten zu entnehmen, wird man als Objektbehandlung eines Menschen zugunsten Dritter ansehen müssen, wenn dies gegen den Willen des „Spenders“ erfolgt (ad 4). Aus dem gleichen Grund ist der Vergleich mit der indirekten Sterbehilfe nicht überzeugend. Bei der indirekten Sterbehilfe erfolgt eine Abwägung zwischen dem Leiden des Patienten und dessen eigenen Leben. Bei der Organtransplantation erfolgt dagegen eine Abwägung zwischen dem Leben des Spenders und dem Leiden der Organempfänger. Der entscheidende Gesichtspunkt ist deshalb (ad 7) die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht des Sterbenden dazu führen kann, daß diesem die Einwilligung in die eigene Tötung zum Zwecke der Organtransplantation erlaubt werden kann. Das ist die genuin verfassungsrechtliche Frage, um die man bei der Beurteilung nach der Zulässigkeit der Organtransplantation nicht umhin kommt. Nicht gefolgt werden kann der Annahme von Höfling / Rixen, (ad 8) daß § 216 StGB nur einen „Schutz vor Übereilung“ begründe, der bei der Organtransplantation im Gegensatz zu allen anderen Fällen einer aktiven Sterbehilfe wegfiele.307 Es ist nicht ersichtlich, warum bei der Organtransplantation solche Zweifel immer ausgeschlossen sind, dagegen aber bei der klassischen Sterbehilfe bestehen sollen.308 Ein Organspender kann seine Einwilligung unüberlegt erklärt haben und 307 Strafrechtsdogmatisch wäre eine entsprechende Einschränkung des Schutzzwecks der Norm bedenklich. Überzeugender ist es m.E., die Rechtswidrigkeit der Tötung zu verneinen, wenn die Voraussetzungen des Transplantationsgesetzes eingehalten wurden. Wird das Leben des Hirntoten als vom Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG umfaßt angesehen, dann sollte dieses Leben grundsätzlich auch in gleicher Weise als Rechtsgut der Tötungsdeliktstatbestände der §§ 211 ff. StGB angesehen werden. Dann ist es aber überzeugender das Organtransplantationsgesetz erst auf der Rechtswidrigkeitsebene zur Begründung der Straffreiheit der Tötung auf Verlangen heranzuziehen. Das entspricht der sonstigen strafrechtlichen Dogmatik, welche die zulässige Einwilligung in eine Rechtsgutsverletzung (Rechtsschutzverzicht), auf welche die Vertreter des Hirntodkriteriums bei der Organtransplantation ja entscheidend zur Begründung der Straflosigkeit abstellen, nicht als Aussschluß des Tatbestandes, sondern als Rechtfertigungsgrund ansieht (vgl. Tröndle, vor § 32 Rn. 3b; anders dagegen, wenn der Tatbestand wie in den §§ 123, 177 StGB bereits die Überwindung des Willens des Opfers voraussetzt, vgl. Tröndle, vor § 32 Rn. 3a). De lege lata läßt sich die Straflosigkeit der Organtransplantation dagegen bereits mit dem Transplantationsgesetz systematisch begründen. Die Organtransplantation ist eine gesetzlich normierte Ausnahme vom strafrechtlich gefaßten Verbot der aktiven Sterbehilfe. Beide Normen stehen in der Normenhierachie auf gleicher Ebene, und gegenüber dem § 216 StGB ist das Transplantationsgesetz die speziellere Vorschrift. 308 Zutreffend hier auch die Kritik von Merkel, 2001, S. 131 f.
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
ein Patient kann zum Suizid wegen einer Lähmung außerstande sein.309 Zu fragen wäre auch, welchen Anwendungsbereich § 216 StGB noch haben kann, wenn er nur vor voreiligen Entscheidungen schützen will. Die Ernsthaftigkeit der Entscheidung setzt ihre Freiwilligkeit als notwendige Bedingung logisch voraus. Eine voreilige Entscheidung wird aber kaum als hinreichend ernsthaft angesehen werden können. Weiterhin würde unter dieser Voraussetzung die Spendenbefugnis nicht auf den Hirntoten beschränkt bleiben. Auch bei der freiwilligen Lebendspende des eigenen Herzens kann der Spender nicht selbst die hierzu erforderliche Tötung begehen. Nach Höfling / Rixen dürfte ihr deshalb nicht das Verbot des § 216 StGB entgegen stehen, wenn die Spenderentscheidung nicht voreilig getroffen wurde.
III. Antizipative Verfügungsbefugnis über das eigene Leben Bei den derzeitigen Verfahren läßt sich deshalb die totale Organexplantation bei Hirntoten nur dann verfassungsrechtlich rechtfertigen, wenn das Grundgesetz die eigene Tötung zugunsten fremder Interessen auch durch eine vorherige Erklärung (Patientenverfügung) zuläßt. Ausgehend von dem Grundsatz, daß (1) eine antizipative Tötung auf Verlangen möglich ist, ergeben sich folgende Sonderprobleme: (2) Kann die Tötung im Widerspruch zu einem zukünftigen, unmündigen und auf das Leben gerichteten Willen verfügt werden? (3) Ist wie bei der passiven Sterbehilfe auch eine Stellvertreterentscheidung durch einen Betreuer oder Bevollmächtigten möglich? (4) Kann die eigene Tötung wie bei der Organtransplantation auch zugunsten dritter Interessen verfügt werden? (5) Ergeben sich im Hinblick auf die Dammbruch- und Mißbrauchsgefahren bei einer Legalisierung der antizipativen Tötung auf Verlangen höhere Anforderungen an das Schutzkonzept des Gesetzgebers für das Leben als bei der Tötung auf ein gegenwärtiges Verlangen?
1. Grundsatz: Antizipative Tötung auf Verlangen Gefragt ist zunächst, inwieweit ein Patient durch vorherige Erklärung seine Tötung zu einem Zeitpunkt verfügen kann, in dem er selbst nicht mehr in der Lage ist, eine solche Entscheidung zu treffen. Das wird davon abhängen, ob die Voraussetzungen für eine freiwillige aktive Sterbehilfe und die für eine verbindliche Patientenverfügung kumulativ erfüllt werden können. Wenn man bei der aktiven 309 Verkürzt ist es m.E. auch, wenn Rixen, 1999b, S. 370 ff., allein aus einem verfassungsrechtlich festgestellten Selbstbestimmungsrecht über das eigene Leben eine einschränkende Auslegung des § 216 StGB folgert. Es müßte vielmehr zunächst gefragt werden, ob ein gesetzliches Verbot der Organtransplantation verfassungswidrig ist. Erst dann ließe sich die teleologische Reduktion des § 216 StGB als verfassungskonforme Auslegung hinreichend begründen.
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Sterbehilfe die Mißbrauchs- und Dammbrucheinwände zurückstellt (s. u. 5.), dekken sich diese Voraussetzungen wesentlich mit den Anforderungen an die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung (vgl. oben I.). Das antizipative Verlangen nach einer aktiven Sterbehilfe muß die Situation eindeutig benennen (z. B. Hirntod und Zweck der Organexplantation) sowie auf einer ernsthaften, wohlüberlegten, freiwilligen und von Irrtümern freien Entscheidung des autonom Entscheidungsfähigen beruhen. Da bei der aktiven Sterbehilfe – anders als bei der passiven Sterbehilfe – ein Eingriff in den Körper gegeben ist, muß die Patientenverfügung durch eine sich auf die konkrete Situation beziehende Aufklärung materialisiert sein.310 Der Widerruf der Patientenverfügung muß dem Patienten stets ohne Hindernisse möglich gewesen sein; der höheren Schutzpflicht entspricht es, wenn die Patientenverfügung in gewissen Abständen und markanten Situationsabschnitten bestätigt werden muß. Zur Sicherung der Freiwilligkeit kommt auch hier die (objektive) Einschränkung auf bestimmte Situationen in Betracht (vgl. oben § 14 I.). Dabei muß das Umfeld derart sein, daß es keinen Druck auf den Willen ausübt. Die Einhaltung dieser Voraussetzungen könnte vom Gesetzgeber normiert werden. 2. Selbstbestimmung über den zukünftigen (unmündigen) Willen Gemeinsames wesentliches Element der freiwilligen aktiven Sterbehilfe wie der Patientenverfügung ist das Recht, diese jederzeit widerrufen zu können. Genügt für den Widerruf ein einfacher Wille zum Leben oder kann für den Widerruf verlangt werden, daß der Betroffene wie bei einer Disposition gegen sein Leben in der Lage ist, die Tragweite und Bedeutung einer Verfügung über sein Leben zu erkennen (vgl. oben § 10 III. 7. u. § 14 I.). Der Sache nach vertritt Dworkin letzteres. Eine frühere Entscheidung habe wirksam zu bleiben, wenn sie nicht durch eine Entscheidung auf der Grundlage der Fähigkeit zur Selbstbestimmung aufgehoben werde.311 Das führt Dworkin zu der Auffassung, daß auch die eigene Tötung für den Fall der späteren Demenz verlangt werden kann, selbst wenn in diesem späteren Stadium ein natürlicher Lebenswille gegeben sein sollte. Ein z. B. an Alzheimer erkrankter Patient soll deshalb verfügen dürfen, daß in einem späteren Stadium seiner Krankheit, wenn ihm jede Erinnerung an sein früheres Leben verloren gegangen ist, durch eine Tötung dieser „entwürdigende Zustand“ beendet wird.312 Nach Merkel geht dagegen mit dem 310 Dies fordert bereits bei der passiven Sterbehilfe Taupitz, 2000, A 111 ff.; teilweise auch Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (183). 311 Dworkin, 1994, S. 316 f.: „Das Recht eines geistig zurechnungsfähigen Menschen auf Selbstbestimmung verlangt, daß seine früheren Entscheidungen über Art und Weise seiner Behandlung im Fall der Demenz auch dann respektiert werden, wenn sie seinen Wünschen in dieser späteren Situation widersprechen.“ Siehe auch Hoerster, 1998, S. 81 f. 312 Dworkin, 1994, S. 303 ff.
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Verlust der Autonomiefähigkeit auch die Identitätsbeziehung verloren.313 Der heutige Patient sei mit der früheren Person nicht identisch; in seiner Entscheidung verfüge der frühere Patient deshalb über das Leben eines anderen.314 Die Auflösung der in einem Körper kollidierenden Interessen – Verfügung über den eigenen Leichnam des alten Ich versus Lebenswillen des neuen Ich – müsse durch Abwägung des überwiegenden Interesses aufgelöst werden, die hier zugunsten des Alzheimer-Patienten (= neuen Ich) ausginge.315 Beiden Auffassungen ist zu widersprechen. Merkels Position ist die konsequente Fortführung seiner Orientierung am Hirntodkriterium. Wird mit dem „mentalen Tod“ der Tod des Menschen angenommen, ist es nur folgerichtig, dem personalen Tod die gleiche Bedeutung zukommen zu lassen, weil mit dem personalen Tod die maßgebliche mentale Identitätsbeziehung einen radikalen Umbruch erfährt. Dies in die Rechtsordnung umsetzend, müßte diese, wie Merkel auch erkennt,316 umgeschrieben werden. Das ist nicht erforderlich, wenn entgegen Merkel der Mensch nicht mit dem Hirntod stirbt (s. o. II.), so daß die organisch-ontologische Identitätsrelation maßgeblich ist.317 Der Verlust der Autonomie führt deshalb im Körper nicht zum Wechsel des Subjekts; die antizipative Verfügung betrifft keinen Dritten. Dworkin ist im Kontext der Grundrechtsordnung zu widersprechen, weil die Grundrechtsmündigkeit für das Leben mit der Existenz des Lebens unmittelbar gegeben ist (s. o. § 14 IV. 1.). An die Willenserklärung zum Leben können deshalb nicht die gleichen qualitativen Anforderungen wie an eine Verfügung gegen das Leben gestellt werden. Die antizipative Verfügung der eigenen Tötung wird folglich bereits mit einem einfachen Willen zum Leben widerrufen.318 Der in seiner Persönlichkeit veränderte Alzheimer-Patient hat deshalb mit einer einfachen Willensäußerung zum Leben seine vorherige Verfügung gegen sein Leben widerrufen.319 Merkel, JZ 1999, S. 502 (507 f.); ders., ZStW 111 (1995), S. 545 (567 f.). Merkel, JZ 1999, S. 502 (507 u. 508). 315 Merkel, JZ 1999, S. 502 (508). 316 Merkel, JZ 1999, S. 502 (511). 317 Im Ergebnis ebenso Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (359): „Einheit des Körpers als Einheit des fraglichen Rechtssubjekts.“ 318 Wie hier in Bezug auf Patientenverfügungen bei der passiven Sterbehilfe Taupitz, 2000, A 117 f.; vgl. auch Rieger, 1998, S. 159. 319 Im bloß kreatürlichen Lebensinstinkt kann allerdings kein Widerruf erkannt werden, weil sonst auch der Hirntote und überhaupt jeder Suizident mit der Existenz ihres Lebens für ihr Weiterleben votierten. Dann wäre jede Disposition gegen das eigene Leben immer im gleichen Augenblick durch das Leben selbst widerrufen. Die autonome Entscheidung zum Nichtgebrauch des Lebens kann deshalb nicht mit der Existenz des Lebens widerrufen sein, sondern erst dann, wenn zum Leben selbst eine darauf gerichtete Willensänderung hinzukommt. Beim Hirntoten ist ein derartiger Willenswandel ausgeschlossen. Auch beim irreversibel bewußtlosen Patienten scheint mir eine Willensänderung nicht unbedingt gegeben zu sein, während beim halbbewußten Patienten eine Änderung seiner Willensrichtung nicht zwingend gegeben, aber möglich ist. 313 314
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3. Stellvertretung Der Auffassung, daß in persönlichen Angelegenheiten über die körperliche Unversehrtheit und das Leben keine Stellvertretung möglich sein soll, ist der Gesetzgeber im Betreuungsrecht und der Anerkennung von Vorsorgevollmachten im § 1904 Abs. 2 BGB nicht gefolgt (s. o. I. 2. u. 3.). Sind dann bei einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe auch Stellvertreterentscheidungen möglich, die zur Tötung des Patienten auf Verlangen des Stellvertreters führen? Die Antwort wird man danach unterscheiden müssen, ob der Stellvertreter als Bote den Willen des Patienten übermittelt oder eine eigene Entscheidung abgibt. Handelt der „Stellvertreter“ nur als Bote, der lediglich den vorab erklärten Willen des Patienten an den Arzt weitergibt, dann ergibt sich vorbehaltlich der Mißverständnis- und Mißbrauchsgefahr kein Unterschied zur Patientenverfügung. Es ist der Wille des Patienten, der über den Boten zum Ausdruck kommt. Schwieriger zu beurteilen ist es, wenn der Wille des Patienten nicht oder nicht hinreichend sicher festgestellt werden kann und der Stellvertreter nicht nur als Bote den Willen des Patienten vorbringt, sondern nach seiner eigenen Einschätzung des Patientenwillens eine Erklärung abgibt. Das ist im Grunde auch der Sinn der Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten und der Betreuung, wenn der Patient nicht willens oder fähig ist, hinreichend eindeutig durch vorab abgegebene verbindliche Erklärungen Regelungen zu treffen.320 Vorsorgevollmacht und Betreuung haben nach obigen Ausführungen eine autonomiesichernde Funktion, weil sie den Einfluß eines Patienten auch für den Zeitpunkt seiner Einwilligungsunfähigkeit sichern wollen. Zu weitgehend wäre allerdings die Schlußfolgerung, der Patient erweitere durch Stellvertreterentscheidungen seine Selbstbestimmung.321 Im besten Fall hat der Patient sein Wohl aufgrund eines Vertrauensverhältnisses in die Hand eines Menschen seiner Wahl gegeben. Entscheidungen des Vertreters können dem Patienten nur formal, aber nicht unmittelbar als eigener Wille zugerechnet werden, wenn dieser mangels sicherer Anhaltspunkte den Willen seines Auftraggebers nicht mehr aufklären kann und deshalb die Vertretungsvollmacht ihren Sinn entfaltet. Stellvertreterentscheidungen sind Fremdverfügungen, die sich bei der passiven Sterbehilfe daraus rechtfertigen, daß auch die Behandlungsfortsetzung eine Fremdverfügung über die körperliche Integrität des Patienten ist.322 Bei der aktiven Sterbehilfe kommt es dagegen erst durch den Einsatz der aktiven Sterbehilfe zur Fremdverfügung. Der für die passive Sterbehilfe maßgebliche Konflikt zwischen Lebenserhaltung und Achtung der körperlichen Integrität ist deshalb bei der aktiven Sterbehilfe nicht gegeben. 320 Im Gegenteil erübrigt sich eine Betreuerbestellung, wenn der Betroffene durch verbindliche Erklärungen alles zukünftige geregelt hat, vgl. § 1896 Abs. 2 S. BGB; siehe auch Staudinger-Bienwald, § 1904 Rn. 45. 321 So aber Lipp, 1999, S. 75 (80). 322 Vgl. Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (365 ff.).
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Ist damit der Stellvertreterentscheidung bei der aktiven Sterbehilfe eine die Autonomie des Patienten sichernde Funktion nicht zu eigen, läßt sie sich der freiwilligen aktiven Sterbehilfe nicht mehr zuordnen. Eine Stellvertreterentscheidung kommt damit nur noch in dem Umfang in Betracht, wie eine nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe möglich ist (s. u. § 16). Weitergehende Befugnisse des Stellvertreters verbieten sich allein deshalb, weil dies der Übertragung der Verfügungsbefugnis über das eigene Leben gleich käme.
4. Tötung zugunsten von Fremdinteressen? Während in vorgenannten Konstellationen die aktive Sterbehilfe im eigenen Interesse gefordert wird, läßt sich bei der Organtransplantation zusätzlich fragen, ob die eigene Tötung auch zugunsten fremder Interessen erlaubt sein kann. Damit scheint die bislang unterstellte Voraussetzung zu entfallen, daß eine freiwillige aktive Sterbehilfe nur dann grundsätzlich erlaubt werden kann, wenn der Betroffene einen eigenen Zweck verfolgt bzw. dies wünscht. Im Zusammenhang mit dem Einsatz des eigenen Lebens zugunsten Dritter, z. B. bei Soldaten oder Märtyrern, wurde bereits ausgeführt, daß auch fremde Interessen allein durch den Willen diese zu fördern, zu eigenen werden (s. o. § 10 III. 4. a). Nicht anders ist dies bei der „Opferung“ des eigenen Lebens, um durch die Weitergabe der eigenen Organe das Leben anderer Menschen zu retten. Wer dies wissentlich und willentlich verfügt, der hat damit diesen Akt der Nächstenliebe in seinen Willen aufgenommen. Die Tötung des Organspenders erfolgt damit (auch) im seinem eigenen Interesse, weil er darin eine vor seinem Gewissen zu rechtfertigende gute Tat erblickt. Daß die Tötung auch fremden Interessen dient, tritt gegenüber dem Dispositionsakt des Organspenders über das eigene Leben dann in den Hintergrund, wenn die Organtransplantation nur wegen der Zustimmung des Spenders zulässig ist. Der Wille des Sterbenden, anderen Menschen mit seinen Organen zu helfen, ist dann der maßgebliche rechtliche Gesichtspunkt, aus dem heraus die Organtransplantation vorgenommen werden darf. Insoweit ergeben sich keine Unterschiede zu der bislang erörterten freiwilligen aktiven Sterbehilfe, weil der Vorteil der Tötung zugunsten Dritter nur die Motive des Sterbenden beeinflusst. Die Freiwilligkeit seiner Entscheidung wird dadurch ebensowenig aufgehoben wie der Umstand, daß er mit seiner Tötung einen eigenen Zweck verfolgt, nämlich anderen Menschen zu helfen.323 Die Tötung zugunsten fremder Interessen ist in diesem Stadium des Lebens allgemein nachvollziehbar (vgl. oben II. 6. b u. § 14 I.). 323 Die Entscheidung des BVerfG NJW 1999, S. 3399 ff., zur Lebendspende von Organen steht dem nicht entgegen. Das BVerfG beurteilt darin nur, ob die Einschränkung der Organentnahme bei lebenden Personen durch den Gesetzgeber verfassungsgemäß ist. Nicht Gegenstand der Entscheidung ist eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Einschränkung der Lebendspende oder die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zum „Schutz des Spenders vor sich selbst“, vgl. oben § 9 II. 2. c.
§ 16 Nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe am Beispiel der Früheuthanasie
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5. Mißbrauchs- und Dammbruchgefahr Die Selbstbestimmung des Patienten, antizipativ über sein Leben verfügen zu können, führt zu höheren Risiken einer mißbräuchlichen (unfreiwilligen) aktiven Sterbehilfe. Patientenverfügungen können unernsthaft und unzurechnungsfähig erklärt, widerrufen oder verfälscht sein. Die Problematik ist den Patientenverfügungen auch in der passiven Sterbehilfe zu eigen (s. o. I.) und läßt sich hinsichtlich der Spezifika der aktiven Sterbehilfe nicht anders als bei der freiwilligen aktiven Sterbehilfe beantworten (vgl. o. § 14). Die mit der Freiheitseröffnung verbundenen Gefahren für andere, sind nach dem Untermaßgebot anhand der vom Gesetzgeber getroffenen Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung von dessen weit bemessener Einschätzungsprärogative abzuwägen. Der Unterschied zum freiwilligen aktuellen Verlangen nach einer aktiven Sterbehilfe ist nur graduell, so daß auf obige Ergebnisse verwiesen werden kann (s. o. § 14 I. – III.). Der erhöhten Mißbrauchsgefahr muß durch höhere Anforderungen an das Schutzkonzept begegnet werden. Die Fälschung der Patientenverfügung oder die (mißbräuchliche) Verfertigung einer Erklärung durch einen hierzu Unzurechnungsfähigen läßt sich nur durch eine Dokumentationspflicht bei einer dritten („neutralen“) Stelle und Verfertigung der Erklärung in Gegenwart von neutralen Zeugen verhindern. Auch die Umsetzung des Patientenwillens müßte kontrolliert werden, d. h. ob tatsächlich in dieser Situation die aktive Sterbehilfe gewünscht war. Eine Kontrolle ex ante wäre nur mit einem Genehmigungsverfahren möglich.
6. Ergebnis zur antizipativen aktiven Sterbehilfe Die Legalisierung antizipativer aktiver Sterbehilfen – zu der bei derzeitiger Praxis auch die Organexplantation bei Hirntoten zu zählen ist – ist möglich, wenn der Gesetzgeber sicher stellt, dass ihr eine ernsthafte, freiwillige, wohlüberlegte und von Irrtümern freie Entscheidung des Spenders zugrunde liegt. Diese Entscheidung kann nicht an Stelle des Spenders durch einen Stellvertreter getroffen werden. Die auf die aktive Sterbehilfe gerichtete vorherige Verfügung kann jederzeit widerrufen werden. Ausreichend ist ein einfacher Wille zum Leben; für den Widerruf ist die Geschäftsfähigkeit nicht erforderlich.
§ 16 Nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe am Beispiel der Früheuthanasie Während die unfreiwillige aktive Sterbehilfe eindeutig von der Grundrechtsordnung nicht gebilligt werden kann (s. o. § 13) und die freiwillige aktive Sterbehilfe unter bestimmten Einschränkungen grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig ist
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
(s. o. § 14 f.), ist nun zu prüfen, inwieweit eine nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe legitim sein kann. Exemplarische Fallgruppe sind hier Neugeborene, weil sich bei Ihnen noch kein individueller Wille gebildet hat, der zur Feststellung des mutmaßlich-individuellen Interesses des Säuglings herangezogen werden könnte. Vorliegend sollen vier Problemkonstellationen erörtert werden: (1) der Einsatz der aktiven Sterbehilfe, wenn das Sterbenlassen des Neugeborenen zulässig wäre; (2) die Tötung eines Neugeborenen aus Fremdinteressen am Beispiel der Organtransplantation, (3) die Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe und (4) die Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe, wenn keine anderweitigen Möglichkeiten einer angemessenen Schmerzlinderung bestehen.
I. Äquivalenzthese und prinzipielles Tötungshandlungsverbot Die Äquivalenzthese, nach der zwischen Töten und Sterbenlassen kein moralisch signifikanter Unterschied besteht, scheint gerade bei Neugeborenen intuitiv einleuchtend zu sein. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Entscheidung, lebenserhaltende Maßnahmen einzustellen, ist bei der nichtfreiwilligen passiven Sterbehilfe allgemein die Absicht, dem Sterbenden einen verlängerten, qualvollen und damit sinnlosen Sterbeprozeß zu ersparen. Singer meint hierzu: „Wenn wir fähig sind zuzugeben, daß unser Ziel ein schneller und schmerzloser Tod ist, sollte nicht der Zufall bestimmen dürfen, ob dieses Ziel erreicht wird oder nicht. Haben wir uns für den Tod entschieden, dann sollten wir sichergehen, daß er auf die bestmögliche Weise eintritt.“324
Dagegen besteht aus der Sicht des Grundgesetzes zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe ein signifikanter Unterschied. Nur die aktive Sterbehilfe greift zur Beendigung des Lebens in die körperliche Integrität des Patienten ein. Allein die paternalistische Außenperspektive Singers ignoriert diesen Punkt. Allerdings besteht zwischen der nichtfreiwilligen und der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe ein gewichtiger Unterschied. Wer in Kenntnis aller Konsequenzen die aktive Sterbehilfe ablehnt, hat im Hinblick auf seine eigenen Interessen eine Entscheidung getroffen, die unbedingt zu respektieren ist (s. o. § 13 I. u. II.). Damit verbleibt kein Raum für paternalistische Erwägungen, ob die aktive Sterbehilfe nicht den Interessen des Sterbenden besser entspricht. Eine derartige Entscheidung kann der Säugling dagegen nicht treffen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß auch die (mutmaßlichen) Interessen des Säuglings es gebieten können, das Tötungshandlungsverbot zu durchbrechen. Das gilt es zu überprüfen (s. u. III. u. IV.). Zunächst wird allerdings der Frage nachgegangen, inwieweit Kollisionen mit Fremdinteressen eine aktive Sterbehilfe rechtfertigen können. 324
P. Singer, 1994, S. 272; ebenso Kuhse, 1994, S. 51 ff.; Kuhse / Singer, 1993, S. 105 ff.
§ 16 Nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe am Beispiel der Früheuthanasie
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II. Aktive Sterbehilfe aus Fremdinteressen und Organtransplantation Da das Recht auf Leben in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG unter einem Gesetzesvorbehalt steht, sind Einschränkungen des prinzipiellen Tötungsverbots aufgrund von Kollisionen mit Fremdinteressen nicht ausgeschlossen. Eine solche Einschränkung könnte sich insbesondere bei anenzephalen und hirntoten Neugeborenen ergeben, deren Organe andere Kinder zum Überleben dringend benötigen. Drei Aspekte sind in diesem Zusammenhang zu klären (1) Ist die Tötung allein aus Femdinteressen ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig? (2) Kann ein Tötungsverbot in diesen Fällen auch gegenüber konsequentialistischen Einwänden überzeugend vorgebracht werden? (3) Können die Eltern die erforderliche Einwilligung in Vertretung des betroffenen Säuglings abgeben? 1. Grundsatz des Tötungsverbots aus Fremdinteressen Bekanntlich besteht ein großer Mangel an Transplantaten für bedürftige Säuglinge und Kinder.325 International wird deshalb seit längerem eine Debatte darüber geführt, ob nicht anenzephale Neugeborene326 als Organspender in Betracht kommen.327 Die Organe dieser Neugeborenen (insbesondere Herz und Nieren) eignen sich weitgehend gut zur Organtransplantation, die Lebenserhaltung dieser Säuglinge ist auch unter Einsatz der Intensivmedizin nur für einen begrenzten Zeitraum möglich.328 Anenzephale sind trotz verschiedener funktionierender Reflexe permanent und vollständig bewußtlos, auch ist die Fähigkeit zur Außenkommunikation ausgeschlossen.329 Die weit überwiegende Auffassung, die den Teilhirntod ablehnt, sieht Anenzephale als lebende Menschen.330 Erkennt man mit der hier verVgl. Laufs, 1989, S. 145 (160). Zum klinischen Erscheinungsbild siehe Kloth, MedR 1994, S. 180 (ebda.) m. w. N.: „Bei der Anenzephalie handelt es sich um eine schwere Fehlbildung, bei der eine knöcherne Schädelbasis, nicht aber das Schädeldach vorhanden ist. Rückenmark und Hirnstamm sind entwickelt, andere wesentliche Teile des Gehirns, wie das Großhirn fehlen. Anenzephale Neugeborene kommen mit intakten Herz-Kreislauf- und Atmungsfunktionen zur Welt. Auch die anderen Organe wie Nieren, Leber und Pankreas können in aller Regel normal funktionieren, obwohl auch sie vielfach vorgeschädigt sind.“ 327 Siehe jeweils m. w. N. Kloth, MedR 1994, S. 180 (180 ff.); Merkel, 2001, S. 66 f. u. 621 ff. 328 Allerdings gelang es, ein solches Kind mit künstlicher Beatmung, Reanimation bei Herzversagen u. ä. intensivmedizinischen Maßnahmen über zweieinhalb Jahre am Leben zu erhalten, siehe Merkel, 2001, S. 67 m. w. N. 329 Siehe Merkel, 2001, S. 66 f. m.w.N; Wolfslast, MedR 1989, S. 163 (165). 330 Sch / Sch-Eser, vor §§ 211 ff. Rn. 14; Bottke, 1995, S. 30(59 ff.); Isemer / Lilie, MedR 1988, S. 66 (68 f.); Kloth, MedR 1994, S. 180 (181); Wolfslast, 1989, S. 161 (164); Ugowski, 1998, S. 96 ff.; a.A. LK-Jähnke, § 218 Rn. 4, der den Anencephalus dem Hirntoten gleichsetzt, weil beide nicht ohne maschinelle Unterstützung existieren können. 325 326
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tretenen Position auch den hirntoten Menschen als lebenden Menschen an (s. o. § 15 II.), dann unterscheidet sich die Situation des hirntoten Säuglings von dem des anenzephalen nur graduell. Beide sind zur Kommunikation mit der Umwelt nicht in der Lage und können nur mit intensivmedizinischen Unterstützungsmaßnahmen am Leben erhalten werden. Eine Aussicht auf Verbesserung ihrer Situation ist ausgeschlossen.331 Für beide Fallgruppen ist eine Organtransplantation bei den derzeitigen Verfahren nur möglich, wenn die nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe aus Fremdinteressen verfassungsrechtlich zulässig ist; denn beim Säuglinge kann kein eigenes „Interesse“ an einer aktiven Sterbehilfe oder Organtransplantation angenommen werden. Kann an dem ohnehin dem Tode geweihten Säugling eine aktive Sterbehilfe vorgenommen werden, um durch seine Organe das Überleben von Säuglingen und Kleinkindern zu ermöglichen, die im schlimmsten Fall sonst ebenfalls stürben? Damit ist die Stellungnahme der Verfassung zu dem ethischen Grundstreit zwischen der deontologischen und der konsequentialistischen Position gefordert. Wer allein auf die Folgen abstellt, wird sich für die Organtransplantation entscheiden. Denn das Spenderkind stirbt so oder so, aber ohne Organtransplantation stirbt zusätzlich mindestens ein weiteres potentielles Organempfängerkind.332 Singer stellt zu diesem Konflikt fest: 333 „Wenn die Eltern eines anenzephalen Kindes wünschen, daß seine Organe gespendet werden, um das Leben eines anderen Kindes zu retten, dann sollte uns die Tatsache, daß das anenzephale Kind lebt, nicht davon abhalten, das Nächstliegende zu tun: das Herz eines Babys zu nehmen, das von einer Fortdauer seines Lebens keinen Nutzen hat, und es einem Baby zu geben, bei dem das der Fall wäre.“334 331 Die klinischen Schwierigkeiten, den Hirntod bei Säuglingen noch zu einem Zeitpunkt hinreichend sicher feststellen zu können, zu dem der Organverfall noch nicht derart weit fortgeschritten ist, daß eine Transplantation nicht mehr möglich ist, haben deshalb nach der hier vertretenen Position keine Relevanz. Ansonsten siehe hierzu Isemer / Lilie, MedR 1988, S. 66 (69); Wolfslast, MedR 1989, S. 163 (164); Merkel, 2001, S. 624; Kloth, MedR 1994, S. 180 (182): „Diese längere Beobachtungszeit führt allerdings dazu, daß die für eine Transplantation in Betracht kommenden Organe des anenzephalen Neugeborenen durch Sauerstoffmangel derart geschädigt werden, daß der Erfolg der Transplantation vereitelt wird. Im Ergebnis sind daher nach geltendem Recht anenzephale Neugeborene als Organspender nicht verfügbar.“ 332 Mit den Organen nur eines anenzephalen Neugeborenen können bis zu fünf kranke Kinder überlebenswichtige Transplantate erhalten; siehe Kloth, MedR 1994, S. 180 (185) m. w. N. 333 P. Singer, 1998, S. 209. 334 Erwägen wird man auch, daß das Überleben der (potentiellen) Spenderkinder fortlaufende intensivmedizinische Maßnahmen erfordert. Entscheidet man sich, diese Kinder sterben zu lassen, würden Maßnahmen der Lebenserhaltung erst gar nicht ergriffen werden. Sollen sie dagegen durch eine Organexplantation getötet werden, dann werden bis dahin Maßnahmen zur Lebenserhaltung eingesetzt. Das hat zur Konsequenz, daß dieser Kinder von der reinen Lebenszeit her eher länger leben werden, als solche, bei denen keine Organexplantation vorgenommen wird und die man deshalb sofort sterben läßt. Der nachteilige Unterschied reduziert sich damit auf die Modalität ihres Sterbens durch Tötung, um durch die Organtransplantation das Überleben anderer Kinder zu ermöglichen.
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Doch ist zum Überleben einer möglichst großen Zahl von Menschen jedes Mittel erlaubt? Das Prinzip der Menschenwürde im Grundgesetz läßt eine rein konsequentialistische Betrachtungsweise nicht zu. Die aktive Sterbehilfe unterscheidet sich kategorial von der passiven, und bedarf zu ihrer Durchbrechung wie jede andere Tötung besonderer Gründe. Nicht ausreichend ist hierzu eine Gesamtsaldierung des Gesetzgebers, wo das Überleben einer größeren Zahl bei Opferung einiger ermöglicht werden soll.335 Denn der Achtungsanspruch erfolgt gegenüber dem einzelnen Menschen und nicht gegenüber einer abstrakten Menschheit. Die Menschenwürde ist die Würde des Menschen nicht der Menschheit.336 Das Lebensrecht ist im Grundgesetz deshalb nicht utilitaristisch, sondern individuell begründet (s. o. § 7 VIII. 4 a). Hieraus folgt, daß der aktive Angriff auf ein Leben nicht zulässig ist, wenn dieses Leben selbst nicht in einer konkreten Konfliktsituation steht.337 Anderenfalls wäre sein Anspruch als gleichberechtigtes Mitglieds der Anerkennungsgemeinschaft faktisch aberkannt. Diese konkrete Konfliksituation fehlt bei der Organtransplantation, weil grundsätzlich zur Organspende nicht nur das Leben des sterbenden Kindes, sondern das eines jeden anderen Kindes in gleicher Weise in Betracht kommt. Die Tötung einzelner bei einer nur allgemeinen Konfliktsituation, die jedes andere Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft in gleicher Weise betreffen könnte und zu dem Zweck, anderen Vorteile zu ermöglichen, verstößt gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, weil hierdurch das Versprechen grundsätzlicher gegenseitiger Achtung aufgehoben würde.338 Vorstehendes läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß die aktive Sterbehilfe nicht zugunsten fremder Zwecke eingesetzt werden darf, um sich z. B. der Organe eines anderen Menschen zu bedienen, oder ebenso verwerflich, sich einer „Ballastexistenz“ zu entledigen. Es ist dies die Konsequenz von Menschenrechten, die sich gegenüber utilitaristischen Erwägungen des Gemeinwohls behaupten.339 335 Vgl. BVerfGE 39, 1 (58): „Die pauschale Abwägung von Leben gegen Leben, die zur Freigabe der Vernichtung der vermeintlich geringeren Zahl im Interesse der angeblich größeren Zahl führt, ist nicht vereinbar mit der Verpflichtung zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens.“ 336 Aus diesem Grund kann auch das zweite Abtreibungsurteil nicht überzeugen, weil es zwar richtigerweise die Würde individuell zugewiesen hat, seinen Schutz aber abstrakt im Sinne einer Gesamtsaldierung dahingehend zuläßt, bei welchem Verfahren insgesamt weniger ungeborene Menschen getötet werden; siehe Antoine, ZfL 2001, S. 16 (19). 337 Auf die Schuld kommt es allerdings nicht an, weil man sich anderenfalls dem Geisteskranken, der einen bedroht, nicht erwehren dürfte. 338 Im Ergebnis ebenso Heide, 2001, S. 189; bei anenzephalen Neugeborenen ebenso Kloth, MedR 1994, S. 180 (185). Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß sich hier auch die gängige Objektformel nicht in einem anderen Sinn einsetzen läßt, weil bei dem Spenderkind ein Eigeninteresse oder Selbstzweck zur Tötung, um die Organtransplantation auf andere Säuglinge zu ermöglichen, nicht gegeben ist. Seine Tötung ist nur noch Mittel für andere; vgl. auch Merkel, 2001, S. 628. 339 Äußerst bedenklich und methodisch inkonsequent deshalb Merkel, 2001, S. 628 f. Merkel stellt zunächst fest, daß die Organentnahme beim Anenzephalen wegen der Menschenwürde de lege lata nicht in Betracht kommt. De lege ferenda hält er dagegen die Tötung
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2. Konsequentialistischer Einwand Ist vorstehendes nicht ein unverantwortlicher gesinnungsethischer Rigorismus? Kann den Eltern, deren Kind durch eine Organtransplantation vor dem Tod gerettet werden könnte, eine solche Antwort zugemutet werden? Das sind Anfragen, die sich nicht einfach übergehen lassen. Der Schutz der Menschenwürde im Grundgesetz hat aber nicht nur eine prinzipielle, sondern auch eine konsequentialistische Seite. Wenn wir den grundlegenden gegenseitigen Achtungsanspruch nicht aufgeben und auf ein gesellschaftliches Niveau einer Zweiklassengesellschaft zurückfallen wollen, bei der sich das Lebensrecht der einen darin erschöpfen kann, dem Nutzen anderer zu dienen, dann muß immer da, wo der Zweck des einen in dem Nutzen des anderen gänzlich aufgehen soll, eine Grenze gezogen werden.340 Wenn wir diese Grenze nicht mehr zu ziehen vermögen, bleibt offen, wohin eine Gesellschaft sich bewegt, die glaubt, einzelne aus der Anerkennungsgmeinschaft zum Nutzen anderer ausschließen zu können. 3. Ersetzung der Einwilligung durch die Eltern Fast einhellig wird die Tötung von Anenzephalen zur Organtransplantation abgelehnt.341 Die vorgetragenen Gründe entsprechen im wesentlichen der oben aufzur Organtransplantation für nicht ausgeschlossen; man müsse nur den „Menschenwürde-Begriff“ anders auslegen. Dagegen ist festzuhalten: Wenn die Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG die Tötung zur Organtransplantation verbietet, dann ist wegen der Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG auch de lege ferenda keine andere Regelung möglich. Wenn dagegen eine andere Interpretation der Menschenwürde – oder besser seine Weginterpretation – möglich ist, dann ist bei dem Ansatz von Merkel auch de lege lata die Tötung aus Drittinteressen nicht unbedingt ausgeschlossen. Sachlich stellt sich die Frage, was denn von der Menschenwürde noch übrig bleibt, wenn mit ihr sogar die Tötung des Mitmenschen ohne oder gegen dessen Willen zur Organgewinnung möglich sein soll. Mit einer jedem Menschen zukommenden Würde ist es jedenfalls nicht vereinbar, wenn das Leben der einen für so gering geachtet wird, daß die anderen sich dieser Menschen zur freien Verfügung als „Ersatzteillager“ bedienen dürfen. 340 Diese Grenze ist überschritten, wenn menschliches Leben allein zu Forschungszwecken oder als „Organersatzbank“ „produziert“ wird. Daß der Mißbrauch von Menschen als Organersatzteillager eine naheligende Gefährdung ist, zeigen bereits seit Ende der siebziger Jahre vorgenommene erfolgreiche Versuche einer sogenannten „kapselgeschützten Organtransplantation“ an Schafen (hierzu siehe Ugowski, 1998, S. 105 f. m. w. N.). Diese Versuche dienten der Erprobung von Verfahren, um im Humanbereich entsprechend angewendet zu werden. Dabei würde einer Frau, welche an einem Organ (z. B. der Niere) schwer erkrankt ist, so daß eine Organtransplantation indiziert ist, mit dem Ziel schwanger werden, daß die Nieren des Fötus die Funktion der kranken Nieren der Mutter übernimmt. Dazu müßte zunächst die Geburt des Kindes verhindert werden, indem das Gehirn des ungeborenen Kindes zerstört wird. Unnötige andere Gewebeteile werden ebenfalls entfernt. Im optimalen Falle bleiben nur die Nieren des Fötus übrig. Diese übernehmen die Funktion der kranken Nieren der Mutter, so daß letztere dann entfernt werden können. 341 Kloth, MedR 1994, S. 180 (185); Isemer / Lilie, MedR 1988, S. 66 (69); Ugowski, 1998, S. 101 ff.; Bottke, 1995, S. 35 (62); de lege lata auch Merkel, 2001, S. 628 f.
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geführten Begründung des Tötungsverbots aus Drittinteressen (s. o. 1.).342 Lehnt man wie hier den Hirntod als Todeskriterium ab, dann müßte die Organtransplantation von hirntoten Säuglingen mit der von anenzephalen gleichbehandelt werden (s. o. 1.). Höfling / Rixen kommen dagegen trotz Verneinung des Hirntodkriteriums zu einem anderen Ergebnis. Zwar fordern auch sie für die Organtransplantation bei Hirntoten eine enge Zustimmungslösung des Betroffenen,343 meinen aber, daß auch die Eltern die Einwilligung in die Tötung ihrer Kinder zur Organtransplantation bis zu deren 16. Lebensjahr344 geben könnten.345 Zur Begründung verweisen Höfling / Rixen auf das Recht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG.346 „In einer derartigen Grenzsituation muß es dem elterlichen Interpretationsprimat anheimgestellt bleiben, das der Eltern-KindBeziehung konkret Angemessene in einer ,existentiellen Handlung‘ zu bestimmen und zu tun.“347 Höfling / Rixen ist zunächst zuzustimmen, daß die Eltern die Treuhänder der grundrechtlichen Belange ihrer noch nicht grundrechtsmündigen Kinder sind.348 Nur ist dieses Elternrecht im Unterschied zu anderen grundrechtlichen Gewährleistungen nicht beliebig, sondern wesentlich im Interesse des Kindes auszuüben (Pflichtrecht).349 Das BVerfG hat deshalb das Kindeswohl zu einem zentralen Element bei der Auslegung des Art. 6 GG entwickelt:350 „Das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 I und 2 I GG“. Da das Kind sich gegen Gefährdungen seiner Rechte nicht selbst wehren kann, kommt dem in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG statuierten Wächteramt des Staates eine besondere Funktion zu. Es soll das Kind „davor bewahren, daß seine Entwicklung durch einen Mißbrauch der elterlichen Rechte oder eine Vernachlässigung Schaden leidet“.351
342 Siehe auch zur kontroversen Diskussion bereits bei der nicht tödlichen Lebendspende von Minderjährigen und einwilligungsunfähigen Patienten Ugowski, 1998, S. 81 ff.; D. Esser, 2000, S. 103 ff. Beide verneinen die Ersetzung der Einwilligung des minderjährigen Spenders in die Organspende durch die Eltern oder Betreuer, weil die Einwilligung nur vom Interesse des Organempfängers getragen sein kann, Ugowski, 1998, S. 93; D. Esser, 2000, S. 112 ff. 343 Höfling / Rixen, 1996, S. 83 ff. 344 So Höfling / Rixen, 1996, S. 104, wenn die Kinder und Jugendlichen nicht einen ausdrücklich oder sonstwie zum Ausdruck gebrachten widersprechenden (natürlichen) Willen geäußert haben. 345 Höfling / Rixen, 1996, S. 105 ff. 346 Höfling / Rixen, 1996, S. 104 ff. 347 Höfling / Rixen, 1996, S. 108. 348 Höflin / Rixen, 1996, S. 106; Isensee, ZRP 1996, S. 10 (12); Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Maunz, Art. 6 Rn. 25 f. (36. Lfg.); v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 244. 349 Jarass / Pieroth, Art. 6 Rn. 31; Isensee, HStR V, § 111 Rn. 14. 350 BVerfGE 24, 119 (144); siehe auch Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 3. 351 BVerfGE 24, 119 (144).
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Allein der Umstand, daß die Eltern im Bereich der Sterbehilfe auch über Schmerz, Leben und Tod ihres Kindes entscheiden, sollte allerdings noch nicht als mißbräuchliche Ausübung der Elternverantwortung gewertet werden. Die Pflicht der Eltern, die Grundrechte ihrer Kinder in deren wohlverstandenem Interesse wahrzunehmen, kann auch Entscheidungen im Bereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG legitimieren, um auf diese Weise als Treuhänder den verfassungsrechtlich zu beachtenden Willen des Kindes zu aktualisieren.352 Auch wenn das Wächteramt des Staates nicht zur „Vernunftoberhoheit“ im Bereich der Elternverantwortung führen darf, ist die staatliche Schutzpflicht des Staates dann gefordert, wenn anderenfalls eine Verletzung der Würde des Kindes droht.353 Es wurde bereits ausgeführt, daß die Tötung im Drittinteresse nur dann legitim sein kann, wenn der Betroffene sich diese Interessen durch seine Einwilligung zu seinen eigenen gemacht hat (s. o. 1.). Ein Säugling kann eine solche Entscheidung nicht treffen. Die Organentnahme dient nicht dem Kindeswohl und steht ihm auch nicht neutral gegenüber. Vielmehr verletzt eine im Drittinteresse erfolgende nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe den gleichberechtigten Status des Säuglings als Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft (s. o. 1). Dazu sind weder der Gesetzgeber noch die Eltern berechtigt. Die aller staatlichen Gewalt aufgegebene Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde gibt zugleich den Kerngehalt des staatlichen Wächteramts in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG vor. Das Sorgerecht der Eltern ist deshalb nicht geeignet, drittnützige Eingriffe in das Leben der Kinder zu legitimieren.354
III. Zulässigkeit der nichtfreiwilligen indirekten Sterbehilfe Die Selbstverständlichkeit, mit der weithin eine nichtfreiwillige indirekte Sterbehilfe als zulässig angesehen wird (s. o. § 3 IV.), ist erstaunlich,355 da auch die indirekte Sterbehilfe eine Unterform der aktiven Sterbehilfe ist. Genauer gesagt: Die indirekte Sterbehilfe ist eine Tötungshandlung, bei der die Leidvermeidung im Verhältnis zur Lebensverkürzung als gewichtiger eingestuft wird.356 Die zu prüfen352 Höfling / Rixen, 1996, S. 107; vgl. auch Hufen, NJW 2001, S. 849 (852 f., 854 u. 856); tendenziell auch v. Münch / Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 67. Nicht überzeugend ist deshalb die Auffassung von Merkel, 2001, S. 604 ff. u. Fn. 393, daß nur dem Arzt ein Beurteilunsspielraum über den Einsatz der Sterbehilfe zukommen soll, die Eltern dagegen keinerlei Beurteilungs-, Mitentscheidungs- oder Vetorechte besitzen sollen. 353 Siehe auch Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 72. 354 Im Ergebnis ebenso Sengler / Schmidt, MedR 1997, S. 241 (246); Merkel, Jura 1999, S. 113 (121). 355 Die grundsätzliche Zulässigkeit der freiwilligen indirekten Sterbehilfe ergibt sich dagegen bereits aus der Zulässigkeit der freiwilligen aktiven Sterbehilfe. 356 Nach dem Prinzip der Doppelwirkung soll nun bei der indirekten Sterbehilfe aber gerade keine Tötungshandlung, sondern lediglich eine nicht beabsichtigte Nebenwirkung
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de Kollisionslage besteht mithin zwischen der Pflicht des Staates zur angemessenen Schmerztherapie (s. o. § 7 VIII. 5. b) und seiner Schutzpflicht für das Leben. Letztere gilt es daraufhin zu überprüfen, ob der Staat durch die zugelassene Praxis der indirekten Sterbehilfe das Untermaßverbot verletzt. Spezifische gesetzliche Regelungen zur indirekten Sterbehilfe bestehen nicht. Beschränkungen ergeben sich für Analgetika und Opiate nur aus dem Arzneimittelgesetz. Die grundrechtliche Schutzpflicht wird aber nicht nur dann verletzt, wenn die erforderliche Einschätzung, Bewertung und Abwägung fehlerhaft ist. Die Schutzpflicht ist „auch dann und ohne Rücksicht auf gegenläufige Positionen verletzt, wenn Einschätzung, Bewertung und Abwägung schlicht unterbleiben“.357 Jedenfalls im Hinblick auf die Gefährdung Dritter, durch eine unfreiwillige indirekte oder aktive Sterbehilfe getötet zu werden, wird man die gegenwärtige Regelung der indirekten Sterbehilfe als unzureichend ansehen müssen.358 Aus der gegenwärtigen Verletzung der Schutzpflicht für das Leben folgt nicht, daß der Gesetzgeber keine verfassungsgemäße Regelung treffen könnte, die eine nichtfreiwillige indirekte Sterbehilfe zuläßt. Bei den zu ergreifenden Maßnahmen zur Verhinderung unfreiwilliger indirekter – auch aktiver Sterbehilfen – kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu, der hinsichtlich der getroffenen Schutzmaßnahmen durch einen Gestaltungsspielraum ergänzt wird (vgl. oben § 9 III. u. § 14 I., II., III.). Das spezifische Problem der nichtfreiwilligen indirekten Sterbehilfe liegt gegenüber der freiwilligen aktiven Sterbehilfe allerdings darin, ob die Angemessenheit i. e. S. überhaupt gewahrt ist. Dies bezieht sich hier vor allem auf die Abwägung zwischen der Schutzpflicht für das Leben des Neugeborenen selbst und der Leidensminderung bei ihm. Ist das Interesse an der indirekten Sterbehilfe hinreichend gewichtig, um deswegen, gemessen an der Intensität der Beeinträchtigung und der Bedeutung des beeinträchtigten Grundrechtes, den Lebensschutz zurückzustellen?359 Zu beurteilen ist der gesetzgeberische Wertungs- oder Abwägungsspielraum.360 zum Tod führen. Das ist aus den bereits dargestellten Gründen nicht überzeugend (s. o. § 3). Der frühere Todeseintritt wird direkt durch die Medikation verursacht und darf nach dem vorherrschenden Verständnis zur indirekten Sterbehilfe auch als sicheres Wissen in den Vorsatz aufgenommen werden. Es mag durchaus sein, daß vom Ethos des Arztes her gesehen das Prinzip der Doppelwirkung Sinn besitzt, weil es den Arzt in den Glauben beläßt, keine Tötungshandlung begangen zu haben. Das Verfassungsrecht wird hier strengere Maßstäbe anlegen müssen, weil zentraler Schutzgegenstand des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht das ärztliche Ethos, sondern das Leben des Einzelnen ist. 357 Enders, AöR 1990 (115), S. 610 (630). 358 Man sieht sich in der Praxis z. B. nicht genötigt, die Patienten danach zu befragen, ob sie im Endstadium mit einer indirekten Sterbehilfe einverstanden sind, und es besteht auch keine dahingehende Dokumentationspflicht. Zu den Mißbrauchsmöglichkeiten siehe oben § 3 V. 359 BK-Enders, vor Art. 1 Rn. 133. 360 Vgl. zum Wertungsspielraum BVerfGE 88, 203 (262). 23*
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Für einen gesetzgeberischen Abwägungsspielraum spricht zunächst der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG. Einfache Gesetzesvorbehalte ermächtigen den Gesetzgeber, die Rechtsgüter zu bestimmen, zugunsten derer ein Grundrecht begrenzt werden darf, weil die politischen Auffassungen über die Bedeutung dieser Rechtsgüter für die bestehende oder angestrebte Ordnung des Gemeinwesens differieren können.361 Auch das Leben „bedarf der abwägenden Zusammenordnung aller beteiligten Rechtsgüter und legitimen Interessen.“362 In dieser Bestimmung ist der Gesetzgeber bekanntlich nicht frei; er muß eine angemessene Regelung treffen. Nur kann die Frage der Angemessenheit unterschiedlich beantwortet werden.363 Das BVerfG erkennt dies grundsätzlich an, indem es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne den Einsatz eines gesetzlichen Mittels zum Rechtsgüterschutz erst dann für „unangemessen“ erachtet, wenn „die davon ausgehenden Beeinträchtigungen der Grundrechte der Betroffenen den Zuwachs an Rechtsgüterschutz deutlich überwiegen“364 oder, wie es in anderem Zusammenhang heißt, „ersichtlich wesentlich schwerer wiegen.“365 Auszugehen ist dabei zunächst von der bestehenden staatlichen Leistungspflicht zur Schmerzlinderung, wenn keine lebensverkürzende Wirkung gegeben ist (s. o. § 7 VIII. 5. b). Sie ist ein grundsätzlich uneingeschränkt geltender Minimalanspruch des Sterbenden und basiert ebenso wie die ihr analoge Existenzsicherung in einer Verknüpfung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG366 mit Art. 1 Abs. 1 GG.367 Starke Schmerzen beeinträchtigen nicht nur das Wohlbefinden, sondern wirken negativ auf die Persönlichkeit ein. Die Kosten der Schmerzlinderung sind eher niedrig, ihr Einsatz für den Sterbenden im Normalfall von großer Bedeutung. Eine angemessene Schmerzlinderung läßt sich nicht verweigern, ohne damit eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Mitmenschen zum Ausdruck zu bringen, die einer Mißachtung seiner Person gleichkommt. Gleiches gilt für den nicht zur Selbstbestimmung Fähigen, da sein Leiden in gleicher Weise ernst genommen werden muß, wie das der Einwilligungsfähigen. Problematisch wird diese Leistungspflicht des Staates dann, wenn die angemessene Schmerztherapie lebensverkürzend wirkt. Beim einwilligungsfähigen Patienten entfällt wegen dessen Dispositionsbefugnis über sein Leben die Kollision mit dem prinzipiellen Tötungshandlungsverbot, wenn die indirekte Sterbehilfe auf desHesse, 1995, Rn. 320. Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 47; vgl. auch Eser, JZ 1986, S. 786 (789). 363 Hesse, 1995, Rn. 320, bezogen auf die Verhältnismäßigkeit i. e. S. 364 BVerfGE 90, 145 (185). 365 BVerfGE 44, 353 (373). Diese Feststellungen wird man auf die Beurteilung der Angemessenheit beim Untermaßverbot aufgrund seiner parallelen Struktur zum Übermaßverbot übertragen können. 366 Hier allerdings in der Var. 2 von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG. 367 Bejaht wird der Leistungsanspruch von Hufen, NJW, 2001, S. 849 (854); vgl. auch Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 30: „Grundrecht auf Freiheit vor Schmerzen“. 361 362
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sen Wunsch hin erfolgt.368 Anders ist dies dagegen, wenn der Betroffene eine solche Einwilligung nicht geben kann. Die Leidvermeidungspflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG kollidiert hier mit dem prinzipiellen Tötungshandlungsverbot aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG. Da beide Prinzipien einen Bezug zur Menschenwürde aufweisen, läßt sich eine Höherrangigkeit des einen über den anderen nicht leichthin bestimmen. Bei Sterbenden ist es durchaus plausibel, in der „Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit [ . . . ] ein höherwertiges Rechtsgut“ anzunehmen „als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen“.369 Aber auch der gegenteilige Schluß erscheint nicht abwegig: „Die Tötung unschuldiger, nicht angreifender Menschen“ sollte unter allen Umständen abgelehnt werden.370 Letzterer Grundsatz ist als prinzipielles Tötungshandlungsverbot anzuerkennen. Dieses Verbot muß – wie bereits bei der aktiven Sterbehilfe gezeigt – im dienenden Verhältnis zum Träger des betroffenen Lebens gesehen werden. Dann wird man dem Gesetzgeber im Hinblick auf das Leiden eines Sterbenden auch zubilligen müssen, der Leidensminderungspflicht den Vorrang einräumen zu können. Das deckt sich jedenfalls mit der fast einhelligen Auffassung im Strafrecht, welche die nichtfreiwillige indirekte Sterbehilfe für rechtmäßig erkennt (s. o. § 3 IV.). Die nichtfreiwillige „indirekte Sterbehilfe“ ist damit eine der Konfliktsituationen, 371 die es dem Gesetzgeber erlaubt, eine Ausnahme vom Tötungsverbot zuzulassen.
IV. Zulässigkeit der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe Bei einigen Krankheitsbildern ist davon auszugehen, daß eine vollständige Schmerzbekämpfung oder Schmerzlinderung auf ein „erträgliches“ Maß unmöglich ist.372 Kann hier die Verfassung als letztes „Mittel“ die aktive Sterbehilfe er368 Das ergibt sich aus obigen Ausführungen in einem Erst-recht-Schluß, da der Gesetzgeber aufgrund der Dispositionsbefugnis des Patienten über sein Leben sogar eine aktive Sterbehilfe zulassen darf (s. o. § 14). 369 BGHSt 42, 301 (305); vgl. auch Kutzer, NStZ 1994, S. 110 (115). 370 Vgl. Apostolischer Stuhl, 1995, Nr. 72; Beckmann, MedR 2001, S. 169 (171). 371 Vgl. BVerfGE 88, 203 (255). 372 Der von Merkel, 2001, S. 44 f. m. w. N., dargestellte Fall eines Kindes mit einer genetischen Hautkrankheit des Typ Herlitz zeigt dies deutlich. Ist diese Hautkrankheit in ihrer schwersten Art gegeben (Epidermolysis bullosa atrophicans letalis), dann löst sich fortschreitend die Haut vom Körper. Dabei auftretende Blutungen und Blasenbildungen werden mit jeder Berührung des Kindes verstärkt. Eiweiß-, Flüssigkeits- und Blutverlust und die begleitenden Schmerzen entsprechen denen von Verbrennungen dritten Grades. Eine natürliche Ernährung ist wegen der Infektionsgefahr und der Schleimhautablösungen im Mund nicht möglich. Die durchnäßten Verbände müssen mehrmals täglich gewechselt werden, das Kind in einer bestimmten medizinischen Lösung gebadet werden, wodurch sich das Grundübel wiederum verschärft. Der Blutverlust macht zahlreiche Transfusionen erforderlich. Die wegen der Hautablösung unweigerlich eintretenden Infektionen können zwar mit Antibiotika
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lauben? Die Zulässigkeit der freiwilligen aktiven Sterbehilfe begründete sich wesentlich daraus, daß die „Zwecke“ des Patienten verfolgt wurden, so daß die Tötung auf Verlangen weder seine Autonomie mißachtete noch eine unerlaubte Verfügung über fremdes Leben begründen konnte (s. o. § 10 III. 4.). Bei der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe kann dagegen diese Einwilligung nicht eingeholt werden,373 so daß der Einwand einer unzulässigen Verfügung über fremdes Leben, einer Objektbehandlung oder Mißachtung der Autonomie naheliegt. Gewiß zutreffend ist dieser Vorwurf, wenn eine Einwilligung eingeholt werden könnte, weil dann das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen „ohne Not“ übergangen wird. Gleiches ist der Fall, wenn mit der Tötung objektiv nur Fremdinteressen verfolgt werden (s. o. II.). Die Schmerzlinderung geschieht selbstverständlich nicht um ihrer selbst willen, den Eltern oder dem Arzt zuliebe. Vielmehr liegt ihr die Überzeugung zugrunde, daß das Kind, wie jeder andere Mensch auch, keine Schmerzen empfinden möchte.374 Diese Absicht ändert sich nicht dadurch, wenn die Schmerzlinderung zugleich das Leben verkürzt oder nur durch eine aktive Sterbehilfe umgesetzt werden kann.375 Einzig fraglich ist hier, ob der Tod überhaupt im (mutmaßlichen) Interesse des Säuglings liegen kann. Mit der Zulässigkeit der passiven Sterbehilfe ist diese Möglichkeit bereits mit einem „Ja“ beantwortet. Richtet sich die aktive Sterbehilfe am mutmaßlichen Interesse des Säuglings aus, dann ist weder eine bloße Objektbehandlung noch eine eigennützige Verfügung über fremdes Leben gegeben. Verfolgt wird vielmehr ein Selbstzweck aus dem Horizont des Säuglings, der vor einem sinnlosen Leiden, daß wir weder uns selbst noch anderen Lebewesen zumuten würden, bewahrt werden soll. Verfassungsrechtlich rechtfertigt sich die Durchbrechung des prinzipiellen Tötungshandlungsverbots wegen der einzuhaltenden Erforderlichkeit nur bei einem unvermeidbaren Konflikt zwischen dem Recht auf Leidensminderung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und der Achtung der körperlichen Autonomie bzw. dem Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG i. V. m. bekämpft werden, trotzdem stellen sich Sepsisphänome, begleitet vom Ausfall verschiedener Organfunktionen (insbesondere der Niere), ein. Das Kind hat keine Überlebenschance und die vollständige Schmerzbekämpfung ist nicht möglich. Siehe zum vorstehenden Merkel, 2001; ders., JZ 1996, S. 1147 (1147) m. w. N.; Hoerster, 1995, S. 104 f. 373 Selbstverständlich kommt eine nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe nur in Betracht, wenn keine Möglichkeit besteht, eine Einwilligung einzuholen. 374 Da das Kind nicht selbst befragt werden kann, andererseits aber seine mutmaßlichen Interessen auch nicht übergangen werden dürfen, bleibt nur die Möglichkeit, im (gedanklichen) Rollentausch sich in die Lage des Kindes zu versetzen. Aus diskurstheoretischer Sicht entspricht dem die Forderung, fremde Interessen im advokatorischen Diskurs stellvertretend einzubringen. Ein derartiger „Diskurs“ ist zwar defizitär, aber die einzige Möglichkeit, auch Diskursunfähige als Achtungssubjekte bei sie betreffenden Entscheidungen zu berücksichtigen (s. o. § 7 VII. 4 d). 375 An der Sache vorbei geht deshalb der pauschale Vorwurf, mit der aktiven Sterbehilfe wolle man nur sich selbst von seinem eigenen „Mitleid“ erlösen.
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Art. 1 Abs. 1 GG. Ob dieser Konflikt unvermeidbar ist, ist eine empirisch-medizinische, keine normative Frage. Der Gesetzgeber wird allerdings in Anbetracht des hohen Gutes Leben sehr intensiv der umstrittenen Beurteilung nachgehen müssen, ob sich jeder Schmerz auf ein erträgliches Maß reduzieren läßt oder nicht. Auch das BVerfG wird die Feststellungen des Gesetzgebers auf seine Plausibilität hin überprüfen müssen. Von Bedeutung wird weiterhin sein, daß die Legislative, trotz ihres Gestaltungsspielraums durch geeignete Verfahren, auf die Einhaltung des zur Schmerzvermeidung unbedingt Erforderlichen achtet, einen „Dammbruch“ und Mißbräuche verhindert (vgl. oben § 14 II., III. u. § 15 III. 5.). Zudem wird der Gesetzgeber wegen der gegebenen Fortschritte der Palliativmedizin fortlaufend die medizinische Notwendigkeit der Durchbrechung des Tötungshandlungsverbots überprüfen müssen. Da das grundgesetzliche Recht auf Leben mit der Existenzsicherung dem Staat auch Leistungspflichten aufgibt (s. o. § 7 VIII. 5. b), wird der Gesetzgeber bei der Einrichtung des Gesundheitswesens Maßnahmen ergreifen müssen, damit Fortschritte in der Palliativmedizinforschung und ihre praktische Anwendung die Konfliktlage vermeiden könen. Denn der Gesetzgeber genügt seiner Schutzpflicht für das Leben nur dann, wenn er ausreichende Maßnahmen auch „tatsächlicher Art“ ergreift, damit „ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Güter – angemessener und als solcher wirksamer Schutz erreicht wird.“376 Von der indirekten Sterbehilfe unterscheidet sich die aktive Sterbehilfe nur graduell, weil beide Formen der Sterbehilfe Tötungshandlungen auf der Basis unvermeidbarer Abwägungen zwischen Leidensminderung und Lebensverkürzung sind, so daß sich auch hier der Gesetzgeber unter obigen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe entscheiden kann. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die praktisch-medizinische Behandlung? Zunächst einmal ist die aktive Sterbehilfe damit auch bei solchen Menschen möglich, bei denen sich ein dahingehender Wille nicht hat bilden können. Entgegen einer verbreiteten Auffassung (s. o. § 5 I.) ist die „indirekte“ und aktive Sterbehilfe auch dann verfassungsrechtlich zulässig, wenn die Schmerzbekämpfung sicher zum Tod führt. Allerdings ist sie nur ultima ratio einer auf die Beseitigung der physischen Schmerzen377 gerichteten Tätigkeit. Sonstige grundrechtliche Güter, die aus dem Horizont des Neugeborenen für eine aktive Sterbehilfe sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Mit dem Verbot der aktiven Sterbehilfe aus Fremdinteressen scheiden auch anderweitige Verfassungsgüter als Legitimation für eine aktive Sterbehilfe an nichteinwilligungsfähigen aus (vgl. oben II. u. § 13 II.). Eine aktive Sterbehilfe ist damit bei NeugeboreBVerfGE 88, 203 (261). Allein zu erwartendes psychisches Leiden, wie es bei schwersten Entstellungen möglich ist (z. B. beim ADAM-Komplex, siehe hierzu Merkel, 2001, S. 62 f.), kann dagegen keine nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe legitimieren. 376 377
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
nen nur soweit zulässig, wie dies unbedingt notwendig ist, um sie vor einem Sterben in Schmerzen zu bewahren.378 Damit ergibt sich aber auch die Antwort auf die zurückgestellte Frage, inwieweit die Eltern als treuhänderische Vertreter der Interessen des Neugeborenen aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG einer aktiven Sterbehilfe zustimmen dürfen (s. o. § 14 IV. 3.). Das Elternrecht hat sich an dem Kindeswohl, unter besonderer Berücksichtigung seiner Grundrechte zu orientieren. Da die aktive Sterbehilfe aus Fremdinteresssen verfassungsrechtlich verboten ist, und ein mutmaßliches Todesinteresse des Säuglings nur wegen der Vermeidung von Schmerzen angenommen werden kann, darf auch den Eltern kein weitergehendes Bestimmungsrecht über die Tötung ihrer Kinder zustehen.
V. Tötung gegen den Willen der Eltern? Die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit von indirekter und aktiver Sterbehilfe in dem oben genannten Umfang kollidiert mit dem Elternrecht in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, wenn diese eine indirekte oder aktive Sterbehilfe zur Schmerzlinderung ablehnen. Ist dann der Staat befugt eine indirekte oder aktive Sterbehilfe gegen den Willen der Eltern durchsetzen, d. h. steht es der staatlichen Gewalt zu, zur Schmerzlinderung oder Schmerzvermeidung die Tötung der Kinder gegen den Willen der Eltern zu verfügen?379 378 Vorausgesetzt wird hier allerdings eine infauste Prognose. Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, inwieweit Säuglingen übergangsweise oder auf Dauer qualvolle Zustände zugemutet werden können, wenn diese mit oder ohne medizinische Unterstützung eine Überlebenschance besitzen. 379 Das angesprochene Grundproblem ist keine rein akademische Fragestellung. Derartige Konfliktlagen ergeben sich immer wieder bei der Trennung von siamesischen Zwillingen, wenn überlebenswichtige Organe (z. B. das Herz) nur einmal für beide Kinder vorhanden sind. Ärzte und Eltern stehen dann vor dem Problem, daß ohne die Trennung keines der Kinder eine Überlebenchance besitzt und durch die Trennung zwar eines der Kinder möglicherweise gerettet werden kann, dabei aber das andere Kind sicher getötet wird (siehe hierzu Merkel, 2001, S. 630 ff.; ders., 2000, S. 137 ff., jeweils m. w. N.). Wenn auch (strafrechtliche) Rechtfertigungen unter dem Gesichtspunkt des „Lebensnotstand in Gefahrengemeinschaft“ möglich erscheinen (zweifelnd hierzu Merkel, 2000, S. 137 (150 ff. u. 160 ff.)), ist der Tatbestand eindeutig: Durch die Trennungsoperation wird das Kind getötet, dem die Partizipation an dem bis dahin gemeinsamen überlebenswichtigen Organ verweigert wird. Denn das gemeinsame Organ ist dem körperlichen Organisationskreis von beiden Kindern in gleicher Weise zugeordnet. Die Trennungsoperation ist damit ein Eingriff in den Körper von beiden Kindern. Mit der „Abtrennung“ des Herzens von einem der beiden Kinder wird deshalb in gleicher Weise in dessen Körper eingegriffen, wie es bei einem gesunden Kind der Fall wäre, wenn diesem das Herz weggenommen würde. Da die Trennungsoperation weiterhin nur erfolgversprechend ist, wenn sie nicht im gleichen Augenblick mit dem ansonsten natürlichen Todeseintritt vorgenommen wird, ist der frühere Todeseintritt bei dem Kind, dem das Herz weggenommen wird, auch praktisch immer gegeben. Zur Rechtfertigung kaum überzeugend dürfte hier die Anwendung des katholischen Prinzips der Doppelwirkung sein: Der Arzt beabsichtige nur die Lebensrettung des einen Kindes,
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Gesehen wird dieses Problem von Merkel, der bereits de lege lata anhand einer Notstandsabwägung gem. § 34 StGB zu der Auffassung gelangt, daß die Tötung eines Kindes gegen den Willen der Eltern durchzusetzen ist, wenn dies dem „Kindeswohl“ entspricht.380 Kriterium zur Beurteilung des „Kindeswohls“ bzw. von dessen Überlebens- oder Sterbensinteressen sind für Merkel die zu erwartende Quantität und Qualität von dessen Leben.381 Selbst wenn man wie hier Merkel382 weitgehend in der Feststellung folgt, daß die Eltern kein eigenes Recht zur Entscheidung über Leben und Tod ihres Kindes haben, reicht dies nicht hin, um das Elternrecht in dieser Konstellation rundweg zu verneinen. Es ist eine Sache, ob die Eltern die Tötung ihres Kindes anordnen dürfen, eine andere, ob sie einer Tötung ihres Kindes durch den Staat entgegentreten dürfen. Zweck des qualifizierten Gesetzesvorbehalts in Art. 6 Abs. 3 GG ist es, die Trennung des Kindes von den Eltern, nur unter besonderen Voraussetzungen zuzulassen.383 Wenn auch Art. 6 Abs. 3 GG mit der drohenden Verwahrlosung eine andere Konfliktsituation vor Augen hat, müssen seine Schranken-Schranken ihrem Zweck nach auch als Mindestvoraussetzung für eine Tötung gegen den Willen der Eltern herangezogen werden. Denn die Tötung ist gegenüber der einfachen räumlichen Trennung die massivste Form der Zerstörung der Gemeinschaft von Eltern und Kind, so daß dieser staatliche Eingriff in einem Erst-recht-Schluß nicht geringeren Voraussetzungen unterliegen kann als der einer einfachen räumlichen Tren-
den Tod des anderen nehme er lediglich als unvermeidbare Nebenfolge in Kauf. Wie bereits gezeigt, ist das Prinzip der Doppelwirkung weder geeignet die direkte Kausalität des Todeserfolgs noch den Vorsatz für die Tötungshandlung zu widerlegen (s. o. § 3 II.). In Großbritanien hat diese Argumentation ein katholisches Ehepaar auch nicht zu überzeugen vermocht. Siehe hierzu und zum folgenden Bockenheimer-Lucius, Ethik Med 2000, S. 223 (223 ff.). Dieses lehnte deshalb eine „Notoperation“ bei seinen siamesischen Zwillingskindern zur Rettung eines der beiden Kinder ab, weil es die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen menschlichen Lebens für absolut verboten ansah. Die Ärzte riefen daraufhin ein Gericht an. In beiden Instanzen wurde die Tötung des einen Kindes zum Überleben des anderen Kindes gegen den Willen der Eltern angeordnet. 380 Ausdrücklich festgestellt von Merkel, 2001, S. 604 ff. u. 162, bei der passiven Sterbehilfe und indirekten Sterbehilfe: „Nicht weil und erst wenn die Eltern einwilligen, wird die tödliche Schmerzlinderung legitim, sondern sie wäre und bliebe es auch ohne die Einwilligung und würde daher selbst gegen deren Verweigerung durchgesetzt, wenn es das Kindeswohl, nämlich das Ergebnis der Notstandsabwägung verlangte.“ Zu diesem Ergebnis muß Merkel aber auch bei der aktiven Sterbehilfe gelangen, da auch die schnelle aktive Tötung nach Merkel, a. a. O., S. 591, im Rahmen einer objektiven Interessenabwägung (Notstandsabwägung) gem. § 34 StGB in bestimmten Fällen geboten sein kann. Dabei soll der Arzt zwar nicht zu einer indirekten oder aktiven Sterbehilfe verpflichtet sein (a. a. O., S. 594 f.), aber, so stellt Merkel, a. a. O., S. 585, fest: „Sterbehilfe bei Neugeborenen findet jedoch immer ohne ein Verlangen oder eine Einwilligung statt (und die der Eltern ist für die Legitimation irrelevant).“ 381 Merkel, 2001, S. 526 u. 552 ff. 382 Merkel, 2001, S. 606. 383 BVerfGE 60, 79(89 f.); Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 660.
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
nung. Auch die Tötung des Kindes gegen den Willen seiner Eltern kann deshalb, wenn überhaupt, nur aufgrund eines Gesetzes384 und nur bei einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls385 von staatlicher Seite angeordnet werden. § 34 StGB ist, da zu wenig spezifisch, keine hinreichende Gesetzesgrundlage.386 Abgesehen davon ist hinsichtlich der Qualifikationsvoraussetzung des Art. 6 Abs. 3 GG zweifelhaft, inwieweit die Verweigerung einer indirekten oder aktiven Sterbehilfe durch die Eltern zur Gefährdung des „Kindeswohls“ führt. Oben wurde ausgeführt, daß die Konfliktsituation zwischen Schmerzvermeidung und Tötungsverbot den Gesetzgeber zur Durchbrechung des prinzipiellen Tötungsverbots berechtigen kann. Die Verfassung gibt in diesem Konflikt keine eindeutige Lösung vor. Der Gesetzgeber kann deshalb nur abwägend zu dem Ergebnis kommen, daß wegen des überwiegenden Leidvermeidungsinteresses des Kindes auch eine Tötungshandlung zulässig sein kann. Fraglich ist aber, ob diese Interpretation des Kindeswohls durch den Gesetzgeber auch für die Eltern maßgeblich sein muß. Zu beachten ist dabei zunächst der „Interpretationsprimat“ der Eltern zur Bestimmung des Wohls des Kindes.387 Grenzen erfährt dieses Elternrecht erst in der objektiven Interpretation des Kindeswohls nach dessen Grundrechtspositionen.388 Allein die gesetzgeberische Entscheidung, aktive und indirekte Sterbehilfe bei nicht einwilligungsfähigen Patienten zuzulassen, kann deshalb die Freiheit der Eltern, das Kindeswohl zu bestimmen, nicht aufheben. „Der Primat der Eltern, das Kindeswohl zu definieren, ist hinzunehmen bis zu der Grenze, an der das Verhalten der Eltern auch ,bei weitester Anerkennung der Selbstverantwortung‘ nicht mehr als Pflege und Erziehung verstanden werden kann. Und je schwerwiegender der Eingriff in das Elternrecht ist, desto dringender ist zu fragen, ob der Eingriff gegenüber dem Elternrecht unerläßlich ist.“389
Nicht die „Vernunftoberhoheit“ des Staates, sondern die Abwehr von Gefahren in Grenzfällen, „wenn die Eltern (schuldhaft oder nicht) ihre Grundpflicht vernächlässigen, das Kind verwahrlosen lassen, es körperlich oder seelisch mißhandeln oder sich an ihm sittlich vergehen“, aktiviert die Wächterpflicht des Staates.390 Es 384 Neben den Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG tritt damit auch der des Art. 6 Abs. 3 GG. Da es zum einen um das Recht des Kindes auf Leben und zum anderen das der Eltern auf Pflege und Erziehung der Kinder geht, stehen beide Gesetzesvorbehalte nebeneinander und müssen kumulativ eingehalten werden. 385 Vgl. BVerfGE 60, 79 (91); v. Münch / Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 103; SachsSchmidt-Kammler, Art. 6 Rn. 74. 386 De lege lata kommt damit derzeit eine Tötung eines Kindes gegen den Willen der Eltern nicht in Betracht. 387 Isensee, HStR V., § 111 Rn. 15; Höfling / Rixen, 1996, S. 108; vgl. auch v. Mangoldt / Klein / Starck-Robbers, Art. 6 Rn. 243; Jeand’Heur, 1993, S. 21. 388 Isensee, HStR V., § 111 Rn. 14; siehe auch grundlegend zum Kindeswohl-Begriff Coester, 1983, S. 134 ff., 175 ff. u. 365 ff. 389 Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 95. 390 Isensee, HStR V., § 111 Rn. 16; Höfling / Rixen, 1996, S. 107.
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muß damit eine Grenze mißbräuchlich ausgeübter Elternverantwortung überschritten sein.391 Art. 6 Abs. 3 GG kann nur eingreifen, wenn „äußerste Grenzen verfehlt werden“.392 Dabei ist zu beachten, daß die in Art. 6 Abs. 1 u. 2 GG garantierte „Autonomie der Familie“393 familiären Gemeinschaften einen Raum ethisch-existentieller Selbstbestimmung eröffnen will. Im Verfassungstext selbst wird dieser Primat der Familie ausdrücklich im Art. 7 Abs. 2 GG festgehalten: Die Erziehungsberechtigten haben beispielsweise das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Es zeichnet totalitäre Staaten aus, selbst innerhalb der Familie keinen Spielraum für autonome ethische Entscheidungen oder Prägungen zuzulassen. Insbesondere der qualifizierte Gesetzesvorbehalt in Art. 6 Abs. 3 GG will staatliche Tendenzen einschränken, familiäre Gemeinschaften zur Durchsetzung verbindlicher staatlicher Erziehungsziele zwangsweise aufzuheben, selbst wenn diese mit Vorstellungen vom Kindeswohl gerechtfertigt werden.394 Führt man obige Punkte zusammen, dann kann der Staat im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 GG nicht die Tötung der Kinder gegen den Willen der Eltern zulassen oder anordnen. Die Verantwortung der Eltern für die Pflege der Kinder, d. h. die Sorge für deren körperliches Wohl,395 eröffnet auch im Bereich von deren körperlicher Unversehrheit den Eltern einen Interpretationsraum des Kindeswohls.396 Grundsätzlich mißbraucht wird dieses Elternrecht zwar, wenn die Kinder gequält werden oder eine gebotene ärztliche Behandlung verweigert wird,397 aber vorliegend ist das Mittel, mit dem den körperlichen Qualen begegnet werden kann, alles andere als eindeutig im Wohl dieser Kinder. Denn die Tötung ist der massivste Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Zudem ist die Abneigung von Eltern gegenüber einer Tötung ihrer Kinder der Grundrechtsordnung nicht fremd, sondern findet im prinzipiellen Tötungsverbot des Grundgesetzes Verständnis. Auch wenn die Verfassung hier eine andere Entscheidung des Gesetzgebers zuläßt, so kann deshalb das Verhalten von Eltern, die in Respekt vor der körperlichen Autonomie ihres Kindes jede Tötung ablehnen, nicht als evident mißbräuchlich für das Kindeswohl angesehen werden. Die ethische Konfliktlage läßt sich auch und gerade aus dem Horizont der Verfassung heraus nicht mit der Eindeutigkeit zugunsten der Kindstötung auflösen, daß deshalb den ethischen Einwänden der Eltern nicht 391 Höfling / Rixen, 1996, S. 107; siehe auch Dreier-Gröschner, Art. 6 Rn. 86; SachsSchmitt-Kammler, Art. 6 Rn. 67 f.; Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Maunz, Art. 6 Rn. 26d (36. Lfg.). 392 Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 97. 393 Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 95. 394 BVerfGE 24, 119 (142); Dreier-Gröschner, Art. 6 Rn. 91. 395 Siehe v. Münch / Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 63. 396 Höfling / Rixen, 1996, S. 107; Ulsenheimer, 1987, S. 111 (117 f.); umfassend Everschor, 2001, S. 70 ff., 93 ff. u. 125; grundsätzlich auch v. Münch / Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 67; ablehnend Isensee, HStR V, § 111 Rn. 15. 397 Zacher, HStR VI., § 134 Rn. 97.
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3. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe erlauben?
Beachtung geschenkt werden müßte. Im Gegenteil ist es eine schwere Mißachtung der Autonomie der Familie in grundlegenden ethischen Entscheidungen, wenn der Staat bei nicht eindeutig auflösbaren Konfliktlagen meint, seine Interpretation des Kindeswohls gegen den Willen der Eltern durch Zerstörung dieser Gemeinschaft durchsetzen zu dürfen. Mit der Grundrechtsordnung ist es nicht vereinbar, wenn Eltern ohnmächtig zusehen müssen, wie der Staat gegen ihr ethisches Gewissen Zugriff auf das Leben ihrer Kinder nimmt, und deshalb ein Klima der Angst vor den „Ansprüchen“ des Staates auf das Leben seiner Bürger herrschen muß.398
VI. Ergebnis zur nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe Die Durchbrechung des prinzipiellen Tötungshandlungsverbots kann bei einem unvermeidbaren Konflikt zwischen dem Recht auf Leidensminderung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und der Achtung der körperlichen Autonomie bzw. dem Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein (s. o. III. und IV.). In diesem Konflikt steht dem Gesetzgeber ein Abwägungsspielraum zu, der ihn zu einer Legalisierung der nichtfreiwillien indirekten und aktiven Sterbehilfe berechtigt. Berücksichtigt werden kann dabei allerdings nur das Leid des sterbenden Kindes. Eine aktive Sterbehilfe aus Fremdinteressen heraus – wie zur Organtransplantation – ist deshalb nicht zulässig (s. o. II.). Gegen den Willen der Eltern darf der Staat keine vom Kind nicht grundrechtsmündig verfügte aktive Sterbehilfe durchsetzen (s. o. V.).
§ 17 Zweifelsfälle zwischen un-, nicht- und freiwilliger aktiver Sterbehilfe Ebenso wie bei der passiven Sterbehilfe werden sich auch bei der aktiven Sterbehilfe Fälle nicht vermeiden lassen, die nicht eindeutig einer bestimmten Form zugeordnet werden können. Für derartige Zweifelsfälle sind Entscheidungsregeln erforderlich. Die Frage stellt sich, inwieweit das Verfassungsrecht Maximen zur Handhabung im Bereich bloß mutmaßlicher Einwilligung vorgibt. Die mutmaßliche Einwilligung in eine aktive Sterbehilfe muß zum Entscheidungszeitpunkt von einem hierzu Grundrechtsmündigen gebildet worden sein. An398 Man denke an die unerträglichen Belastungen, mit denen sich christliche Eltern in diesem Fall konfrontiert sähen. Sie müßten bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen in schwerwiegenden Fällen stets mitbedenken, daß sie damit ihre Kinder der Gefahr einer von ihnen nicht gewollten Tötung aussetzten. In der Zeit des nationalsozialistischen Unrechtsstaats haben diese Befürchtungen Menschen davon abgehalten, ihre behinderten Kinder oder auch pflegebedürftigen Eltern in ein staatliches Krankenhaus zu geben.
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derenfalls sind nur die Grundsätze für eine nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe anwendbar. Aufgrund des weitreichenden Verbots der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe ist ein mutmaßlicher Wille gegen eine aktive Sterbehilfe unbedingt zu beachten. Anders als bei der passiven Sterbehilfe (s. u. § 24 III.) ist hier für ein Abwägungsprinzip kein Raum; denn die passive Sterbehilfe kann auch gegen den Willen des Patienten zulässig sein, die unfreiwillige aktive Sterbehilfe ist dagegen nie erlaubt. Das hat grundsätzlich zur Konsequenz, daß in allen Zweifelsfällen eine aktive Sterbehilfe verboten ist. Besteht die 90ïge Vermutung für eine aktive Sterbehilfe, bleibt immer noch eine 10% ige Vermutung dagegen. Letztere muß wegen des unbedingten Verbots der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe den Ausschlag geben. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann nur zugelassen werden, wenn der Betroffene selbst eine anderweitige Entscheidungsregel vorgibt. Das ist immer dann der Fall, wenn der Patient in einer Patientenverfügung seine aktive Sterbehilfe verfügt hat. Auch die Patientenverfügung läßt gegenüber der aktuellen Einwilligung in der Regel einen Zweifel übrig, weil die zukünftige Situation nicht genau vorhersehbar ist und der Wille sich zwischenzeitlich geändert haben kann. Soll die Patientenverfügung nicht leerlaufen, muß ihr eine Zweifelsregelung zu eigen sein.399 Vorstehendes verdichtet sich damit zu einer Obliegenheit. Wer zu Entscheidungen gegen sein Leben „grundrechtsmündig“ ist, muß sich in einer Patientenverfügung zur indirekten oder auch aktiven Sterbehilfe äußern, anderenfalls ist aufgrund der (eigentlich immer) bestehenden Zweifel weder eine mutmaßlich aktive noch indirekte Sterbehilfe bei ihm rechtlich möglich. Eine derartige Obliegenheit mag zunächst lebensfremd wirken.400 Die verbreitete Praxis der indirekten Sterbehilfe darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit das prinzipiell geltende Tötungshandlungsverbot durchbrochen wird. Ein Mehr an Autonomie hat eben nicht nur einen Zuwachs von Rechten, sondern auch an „Selbstverpflichtung“ zur Folge. In Anbetracht des Rechtsgutes Leben steht der erforderliche formelle Aufwand einer Erklärungsobliegenheit hierzu nicht außer Verhältnis.401
So auch Murmann, GA 1999, S. 558 (560). Wegen der Typisierungspflicht des Gesetzgebers ist es allerdings möglich, daß Minderjährige trotz u. U. bestehender „Grundrechtsmündigkeit“ nicht dieser Obliegenheit unterliegen, sondern bis zur Volljährigkeit die Regelungen der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe auf sie angewendet werden. 401 Der positive Begleiteffekt dieser Obliegenheit – das „momento mori“ – müßte sich rechtspolitisch zugunsten der Sterbenden auswirken. Denn das stärkere Wissen darum, selbst einmal sterben zu müssen, kann eine „hermeneutische Brücke“ der Solidarität zum Nächsten sein, der diesen Weg bereits vor einem selbst antreten muß. 399 400
Viertes Kapitel
Darf der Staat die aktive Sterbehilfe strafrechtlich verbieten? Verfassungsrechtliche Untersuchungen neigen hin und wieder zu einer Überforderung des Grundgesetzes. Das Verständnis der Grundrechte als objektive Wertordnung und die Auflösung von Grundrechtskollisionen im Wege der praktischen Konkordanz führen gelegentlich zu der Versuchung, dem Grundgesetz eine „verfassungskonformste“ Lösung unmittelbar entnehmen zu wollen. Tendenzen zur Verschiebung der rechtspolitischen Macht vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber hin zum Verfassungsgericht lassen sich nur begegnen, wenn dem Gesetzgeber – wie im 3. Kapitel ausgeführt – Beurteilungs-, Gestaltungs- und auch Wertungsspielräume verbleiben. Im vorliegenden 4. Kapitel ist nun umgekehrt zu fragen, inwieweit die Verfassung dem Gesetzgeber bei dem strafrechtlichen Verbot der aktiven Sterbehilfe Grenzen setzt. Nach der h. M. erfährt die aktive Sterbehilfe im Strafgesetzbuch ein ausnahmsloses Verbot (s. o. § 5 I.).1 Damit entspricht dieser Abschnitt einer Überprüfung der Verfassungsgemäßheit der derzeitigen Regelung der aktiven Sterbehilfe. Außerdem wird untersucht, ob der Gesetzgeber darüber hinaus die tödliche Organexplantation bei Hirntoten verbieten dürfte. Systematisiert ist diese Untersuchung entsprechend der bereits vorgestellten Fallgruppen: unfreiwillige, freiwillige und nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe. Die Erörterung erfolgt in gleicher Reihenfolge wie im dritten Kapitel, beginnend mit der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe.
§ 18 Pönalisierung der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des strafrechtlichen Verbots einer unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe durch die §§ 211 f. StGB ist kaum zweifelhaft.2 Der 1 Tatsächlich bestehen die bereits genannten Einschränkungen bei der indirekten Sterbehilfe und der Organtransplantation. 2 Dies war bereits Ergebnis der Prüfung in § 13. Begründet wurde dies in § 13 vornehmlich mit der Kohärenz zum sonstigen (strafrechtlichen) Schutzkonzept des Gesetzgebers für
§ 19 Verletzung des Übermaßverbots durch § 216 StGB?
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Gesetzgeber ist verpflichtet, sich effektiv schützend vor das Leben zu stellen (s. o. § 9). Aufgrund seines breiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum obliegt ihm primär die Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Strafrechts zum Schutz des Lebens vor unfreiwilligen Tötungen. Wollte man Eignung und Erforderlichkeit der strafrechtlichen Normen zum Schutz vor der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe in Abrede stellen, müßte überhaupt an der Legitimität strafrechtlich sanktionierter Tötungsverbote gezweifelt werden. Die These von der Wirkungslosigkeit strafrechtlicher Verbote oder des minderen Erfolgs gegenüber anderen Instrumenten wird zwar gelegentlich vertreten,3 läßt sich aber empirisch nicht erhärten,4 so daß die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten des strafrechtlichen Lebensschutzes von seiner Beurteilungsprärogative gedeckt ist (näher s. u. § 19 IV.).5 Keinen Zweifeln unterliegt der Einsatz des Strafrechts zum Schutz vor unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Es gibt kein Verfassungsrecht, das geeignet wäre, eine unfreiwillige aktive Sterbehilfe zu legitimieren (s. o. § 13 II.). Umgekehrt wird jedoch mit dem Leben desjenigen, der nicht getötet werden will, ein gewichtiger Wert geschützt. Dieser begründet sich gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG aus dem Lebensrecht desjenigen, der noch lebendes Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft bleiben möchte, und dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Der Strafrahmen der §§ 211 f. StGB ist in Anbetracht dieser Güter und der Nachrangigkeit oder Unbeachtlichkeit gegenläufiger Interessen angemessen.
§ 19 Verletzung des Übermaßverbots durch § 216 StGB? Die Strafandrohung des Verbots der Tötung auf Verlangen in § 216 StGB richtet sich nur an den Arzt; der Patient, der den Arzt zur Tötung auffordert, ist straffrei. Trotzdem können die Grundrechte des Patienten bei einer Beurteilung der Verfassungsgemäßheit des § 216 StGB nicht außer Betracht bleiben. Denn gegenüber dem Arzt kann kein strafrechtlicher Unrechtsvorwurf erhoben werden, wenn das an ihn gerichtete strafrechtliche Handlungsverbot zugleich Grundrechte des Patienten verletzt (s. u. V. 2.).
wesentliche Rechtsgüter. Vorliegender § ergänzt diese Ausführungen dahingehend, ob der Gesetzgeber an sich überhaupt zum strafrechtlichen Schutzkonzept berechtigt ist. Insoweit mußte in § 13 III. bereits auf vorliegenden § verwiesen werden. 3 Siehe nur Plack, 1974, passim; vgl. auch Lüderssen, 1995, passim. 4 Laber, 1997 S. 78. 5 Vgl. auch BVerfGE 90, 145 (182 f.); ebenso Tiedemann, 1991, S. 51.
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4. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe strafrechtlich verbieten?
Das BVerfG hat in der Cannabis-Entscheidung6 Ansätze für ein verfassungsrechtliches Prüfungskonzept von Strafvorschriften entwickelt, die der nachfolgenden Untersuchung als Basis dienen sollen. Bei Strafvorschriften kommt der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine gesteigerte Bedeutung zu.7 Dabei ist zum einen zu prüfen, ob zum Schutze des jeweiligen Rechtsgutes bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe gestellt werden dürfen (Verhältnismäßigkeit der Strafbewehrung), zum anderen, ob Art und Höhe der angedrohten Strafe den Anforderungen der Verfassung standhalten (Verhältnismäßigkeit der Strafandrohung).8 Deutlicher unterschieden werden die verfassungsrechlichen Prüfungsmaßstäbe bei einer dreifachen Unterteilung.9 Bei der Verhaltensvorschrift, die ein bestimmtes Verhalten verbietet, ist das betroffene spezielle Freiheitsrecht oder – sofern keines greift – die allgemeine Handlungsfreiheit die Maßstabsnorm.10 Werden Verhaltensvorschriften nicht allein präventiv umgesetzt, sondern auch repressiv mit strafrechtlichen Mitteln verfolgt, dann kommt das in jeder Strafnorm „mit staatlicher Autorität versehene [ . . . ], sozialethische [ . . . ] Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise“11 hinzu. Die in der Öffentlichkeit vollzogene sittliche Mißbilligung des Verhaltens des Täters trifft in besonderer Weise den Ehr- und Achtungsanspruch des Verurteilten. Die Sanktionsvorschrift beeinträchtigt deshalb als Eingriff in den sozialen Ehr- und Achtungsanspruch das von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht.12 Das von § 216 StGB angeordnete Sanktionsmittel der Freiheitsstrafe ist an Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zu messen.13 Die dreifache Unterscheidung der Maßstabsnormen gilt es im folgenden zu beachten; zur Vermeidung von Wiederholungen werden sie auf der jeweiligen Prüfungsstufe der Verhältnismäßigkeit gemeinsam angesprochen. BVerfGE 90, 145 ff. Siehe BVerfGE 90, 145 (172); 88, 203 (258); 50, 125 (133); 39, 1 (47). 8 BVerfGE 90, 145 (145 u. 171); 90, 145, 199 (200) – Sondervotum Graßhof; siehe auch Appel, 1998, S. 173 u. 188. In BVerfGE 92, 277 (326) wird als drittes Element der Verhältnismäßigkeitsprüfung „die dazwischenliegende Entscheidung über die Strafverfolgung“ aufgenommen, siehe hierzu Weigend, 1999, S. 917 (922 f.). Für die in dieser Arbeit gestellte Fragestellung hat diese Ebene allerdings keine Relevanz. 9 Siehe Lagdodny, 1996, S. 78 ff., 96 ff. u. 129 ff.; anders dagegen der dreistufige Aufbau in BVerfGE 92, 277 (326), s. o. Fn. 8. 10 Appel, 1998, S. 173; vgl. auch BVerfGE 90, 145 (183 f.). 11 BVerfGE 27, 18 (29); siehe auch 45, 272 (288); 90, 145 (172); 90, 145, 199 (200) – Sondervotum Graßhof; 95, 96 (140); 101, 275 (287). 12 BVerfGE 90, 145, 199 (200) – Sondervotum Graßhof; Lagodny, 1996, S. 116 ff. u. 127; siehe auch BVerfGE 96, 245 (249): „Vor allem dieses sozial-ethische Unwerturteil berührt den in der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch des Verurteilten.“ Ebenso BVerfGE 101, 275 (287). 13 BVerfGE 90, 145 (172); Lagodny, 1996, S. 130 ff. 6 7
§ 19 Verletzung des Übermaßverbots durch § 216 StGB?
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Zunächst sind jedoch die durch das Handlungsverbot betroffenen Grundrechte festzustellen.
I. Grundrechtseingriff beim Arzt Als betroffene Grundrechte des Arztes kommen seine Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG und seine Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG in Betracht.
1. Eingriff in die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG) Eine religiös vorgegebene Verpflichtung zur aktiven Sterbehilfe ist soweit nicht ersichtlich, so daß nur ein Eingriff in die Gewissensfreiheit eines Arztes in Betracht kommt. Nicht gänzlich ausgeschlossen ist es, daß sich ein Arzt in Anbetracht eines ihn um den Tod bittenden, schwer leidenden Patienten aufgrund seiner Schmerzlinderungspflicht14 vor seinem Gewissen unbedingt verpflichtet fühlt, diesen von seinem Leiden durch eine aktive Sterbehilfe zu erlösen.15 Die Gewissensfreiheit umfaßt nicht nur das forum internum der Gewissensausbildung, sondern auch den Außenbereich (forum externum), die vom Gewissen ausgelösten und von ihm bestimmten Unterlassungen wie auch positiven Handlungen.16 Ein Zwang zu einer bestimmten Gewissenshandlung ergibt sich allerdings erst dann, wenn die Zwangssituation nicht anders lösbar ist. Dem Gewissenstäter müssen in der von ihm nicht gewählten Konfliktsituation keine zumutbaren Alternativen zur Verletzung des rechtlichen Handlungsverbotes zur Verfügung gestanden haben.17 Eine 14 Eine derartige Konfliktsituation des Tötungsverbots mit der Schmerzlinderungspflicht des Arztes übersieht v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 1 Rn. 278. Starck vertritt die zunächst durchaus plausible Annahme, daß Freiheiten zum Töten, Stehlen u. ä. keine sinnvolle Gewährleistung der Verfassung sein können, wenn sie „sogleich ausnahmslos über Grundrechtsschranken wieder zurückzunehmen sind“; im Ergebnis ebenso Klein, DVBl. 1994, S. 489 (491); Schwarz, JZ 2000, S. 126 (128 ff.). Der Auffassung von Starck liegt die Annahme zugrunde, daß es in sich schlechte Handlungen gibt, die unter keinen Umständen gerechtfertigt werden können. Trotzdem bereitet es m.E. Schwierigkeiten, vorab bestimmte Handlungen als immer und unter allen Umständen verboten anzusehen. Z. B. müßte Starck beim „Mundraub“, d. h. den Hungertod verhindernden Diebstahl, um sich selbst vor dem Hungertod zu bewahren, kategorisch eine Grundrechtskollision zwischen dem Eigentumsschutz und dem Lebensrecht verneinen. In Anbetracht des Höchstwertes des Leben wäre es jedoch unangemessen, in diesem Konflikt nur das Eigentum von der Grundrechtsordnung als geschützt anzusehen. 15 Zum Begriff der Gewissensentscheidung siehe Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 4 Rn. 8. 16 Siehe nur BVerfGE 78, 391 (395); Dreier-Morlok, Art. 4 Rn. 64; v. Münch / KunigMager, Art. 4 Rn. 27; AK3-Preuß, Art. 4 Rn. 41 ff.; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 524. 17 AK3-Preuß, Art. 4 Rn. 43; Dreier-Morlok, Art. 4 Rn. 64; v. Münch / Kunig-Mager, Art. 4 Rn. 27.
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Gewissensverpflichtung des Arztes zur aktiven Sterbehilfe kommt deshalb nicht in Betracht, wenn er andere zumutbare Möglichkeiten hat, dem Leiden seines Patienten zu begegnen. Soweit die indirekte und passive Sterbehilfe oder die Sedierung des Patienten möglich sind, wird der Arzt zu diesen Mitteln greifen müssen. Auch kann von demjenigen, dem seine Überzeugung ein bestimmtes Handeln in einer Situation gebietet, „zugemutet und abverlangt werden, seinerseits Alternativen zu eröffnen und die Verantwortung anderen zu überlassen“.18 Sieht der Arzt gegenüber dem Leiden seines Patienten keine andere Möglichkeit als die aktive Sterbehilfe, kann von ihm verlangt werden, die ärztliche Betreuung an einen Kollegen weiterzugeben.19 Ärzte sind von ihrem Selbstverständnis her weit überwiegend gegen eine aktive Sterbehilfe, so daß sich ein zur Behandlungsübernahme bereiter Kollege finden lassen müßte. Daß dadurch das schwere Leiden des Patienten nicht behoben ist, wird der Arzt nicht für sich reklamieren können. Ist das Verbot der aktiven Sterbehilfe gegenüber dem leidenden Patienten verfassungsgemäß, kann der Arzt dessen Grundrechtsbeeinträchtigung nicht für seine Gewissenstat in Anspruch nehmen. Nicht anders lösbare Konfliktsituationen sind nur Extremfälle, wenn z. B. ein Notfallarzt20 die Behandlung an keinen Kollegen weitergeben kann.21 Hier kann ein Eingriff in die Gewissensfreiheit des Arztes im Einzelfall nicht ausgeschlossen sein. 2. Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) In Betracht kommt weiterhin ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Arztes aus Art. 12 Abs. 1 GG,22 da das Verbot des § 216 Abs. 1 GG dem Arzt die aktive Sterbehilfe als Mittel seiner Betätigung untersagt. Jedoch ist der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Arztes insofern fraglich, als das ärztliche Selbstverständnis wesentlich durch den hippokratischen Eid geprägt ist. Dieser gibt dem Arzt auf, Leben nicht zu töten.23 Mithin bestehen Zweifel, ob die aktive Sterbehilfe überhaupt Teil der beruflichen ärztlichen Betätigung sein kann. Mit der ZuPieroth / Schlink, 2001, Rn. 530. Dies verlangt Hufen, NJW 2001, S. 849 (853), vom Arzt für den Fall, daß dieser eine von einem Patienten geforderte und deshalb bindende passive Sterbehilfe nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann. 20 Auch dem Notfallarzt dürften sich m.E. derartige Situationen, wo er einem schwer leidenden Menschen hilflos gegenüber steht, nicht alltäglich stellen. 21 Vgl. das geschilderte LKW-Fahrer-Beispiel (s. o. § 5 I.). 22 Zur Unterscheidung zwischen der Berufsausübungsfreiheit und der Berufswahlfreiheit siehe v. Münch / Kunig-Gubelt, Art. 12 Rn. 1 u. 37 ff. 23 „Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen; gleicherweise werde ich keiner Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben; Heilig und fromm werde ich mein Leben bewahren und meine Kunst.“ Zitiert aus Wolfslast / Conrads, 2001, S. 251. 18 19
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lässigkeit der indirekten Sterbehilfe ist diese Auffassung allerdings nicht mehr prägend für das ärztliche Selbstverständnis. Der ärztliche Heilauftrag umfaßt auch die Linderung von Schmerzen oder Leidenszuständen beim sterbenden Patienten. Diese Pflicht kann in Kollision mit dem Tötungsverbot geraten. Dies wird bei der indirekten Sterbehilfe zugunsten der Pflicht zur Leidensminderung aufgelöst. Dann läßt sich aber auch bei der aktiven Sterbehilfe nicht bestreiten, daß diese als Mittel der ärztlichen Schmerzlinderungspflicht vom Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit umfaßt ist. Das Verbot der aktiven Sterbehilfe schränkt mithin die ärztliche Berufsausübungsfreiheit ein.
II. Grundrechtseingriff beim Patienten Nach obigen Feststellungen umfaßt die negative Dimension des Freiheitsrechtes auf Leben auch die Bestimmung des eigenen Todeszeitpunktes. Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG hat auch die aktive Sterbehilfe in seinen Schutzbereich aufgenommen (s. o. § 10 III.). Da sich aus der negativen Freiheitsdimension des Lebensrechtes kein Anspruch auf die Instrumentalisierung Dritter zur eigenen Tötung ergibt – d. h. es besteht keine Leistungspflicht des Staates oder gar des Arztes zur Tötung auf Verlangen (s. o. § 11) – und sich das staatliche „Verbot der Tötung auf Verlangen“ und damit der aktiven Sterbehilfe in § 216 StGB allein an den Arzt wendet, ließe sich bezweifeln, ob durch dieses Verbot eigene Grundrechte des Sterbenden betroffen sind.24 Die Frage stellt sich, ob durch § 216 StGB in das Grundrecht des Sterbenden hinsichtlich seiner negativen Freiheitsdimension in Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG eingegriffen wird, obwohl sich dieses Verbot nur an den Arzt richtet. Ein Grundrechtseingriff durch eine Norm ist dann gegeben, wenn diese in den tatbestandlich fixierten Schutzbereich des Grundrechts beschränkend einwirkt.25 Nach dem klassischen Eingriffsbegriff war ein solcher nicht bei einem faktischen, sondern nur bei einem rechtlichen Eingriff in ein Grundrecht gegeben.26 Voraussetzung war damit, daß die Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und dem betroffenen Grundrechtsträger durch rechtliche Akte geregelt wurde.27 Das ist beim § 216 StGB im Hinblick auf den Patienten nicht gegeben, weil allein der Arzt Adressat der Verbotsverfügung ist; der Patient ist nur mittelbar und faktisch betroffen. Das BVerfG ist der engen Auslegung des Grundrechtseingriffs28 bereits in seinen ersten Entscheidungen nicht gefolgt. Bejaht wird dagegen – auch nach allgemeiner Fink, 1992, S. 198. Lerche, HStR V., § 121 Rn. 45. 26 Bleckmann, 1997, § 12 Rn. 37, S. 412. Zu den weiteren Voraussetzungen des klassischen Eingriffsbegriffs siehe Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 238; Bleckmann, 1997, § 12 Rn. 34 ff., S. 411 ff.; Eckhoff, 1992, S. 175 ff.; Stern-Sachs, III. / 2, § 78 II., S. 82 ff. 27 Bleckmann,1997, § 12 Rn. 37, S. 412; siehe auch Eckhoff, 1992, S. 214 ff. 28 BVerfGE 13, 181 (185 f.); 230 (233); 46, 120 (137); 95, 267 (302). 24 25
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Auffassung – grundsätzlich die Möglichkeit eines mittelbaren Eingriff bei demjenigen, der nicht selbst „Adressat“ des staatlichen Normbefehls ist.29 Nach dem modernen Eingriffsbegriff ist ein Eingriff immer dann gegeben, wenn ein „staatliches Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich (faktisch / informal), mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt.“30
Entsprechend bejaht das BVerfG31 einen Eingriff in die Grundrechte eines nur mittelbar Betroffenen, wenn die an einen anderen gerichtete Norm bei dem Dritten „wie ein unmittelbar an diesen gerichtete[r] Gesetzesbefehl“ wirkt.32 Ist der Arzt bereit, dem Wunsch seines Patienten nach aktiver Sterbehilfe zu entsprechen, ist durch das Verbot des § 216 StGB nicht nur der Arzt, sondern auch der Patient betroffen, weil dieser damit in seinen Möglichkeiten zur Verwirklichung seines Rechtes auf Lebensverneinung beschränkt wird. Durch das Verbot in § 216 StGB wird dem Patienten jede Möglichkeit genommen, seinen Todeszeitpunkt durch eine aktive Sterbehilfe zu bestimmen. Da die Organisation der eigenen Tötung durch dritte Hand vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfaßt ist (s. o. § 10 III.), ist nach obigem modernen Eingriffsbegriff auch beim Patienten ein Eingriff33 durch § 216 StGB gegeben.34 Geprüft werden soll nunmehr, ob das straf29 Stern-Sachs III / 2, § 78 III., S. 128 ff.; Bleckmann / Eckhoff, DVBl. 1988, S. 343 (376 ff.); Eckhoff, 1992, S. 178 ff. u. 236 ff.; Koch, 2000, passim; Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 240 ff.; Ipsen, 2000, Rn 156 f. 30 Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 240. 31 BVerfGE 13, 230 (233); siehe auch Th. Koch, 2000, S. 213 ff. 32 Nicht überzeugen kann deshalb BVerwG NJW 1993, S. 3002(3002 f.). Das BVerwG verneint darin die Klagebefugnis eines Patienten gegen den Widerruf der Zulassung eines von diesem benötigten Medikaments, weil sich der Widerruf der Zulassung nur an das pharmazeutische Unternehmen richte (BVerwG, a. a. O., S. 3002). Die mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung verneint das Gericht, a. a. O., weil es „dem Kläger trotz Widerrufs der Zulassung unbenommen [bleibe], sich das in Rede stehende Arzneimittel zu applizieren; freilich wird er kaum die Gelegenheit haben, es künftig zu erwerben.“ Letztere Feststellung ist ebenso zynisch wie zutreffend, zeigt allerdings auch, daß der Widerruf einer Arzneimittelzulassung der Anordnung einer Verhaltenspflicht gegenüber dem Patienten „faktisch“ gleichkommt (ebenso Th. Koch, 2000, S. 213 f.). 33 Nach Roth, 1994, S. 361 ff. u. 381, fehlt es an der Zurechnung, wenn der „Kausalmittler“ – hier wäre dies der Arzt – selbst belastet ist und sich nicht gegen die Beeinträchtigung wehrt („Selbstbehauptungsprinzip“), weil sonst Dritte über die Geltendmachung seiner Rechte entscheiden würden. Anderes gilt allerdings auch nach Roth, a. a. O., S. 366 ff., wenn dem Kausalmittler keine Abwehrrechte zustehen, weil die Maßnahme gegenüber diesem rechtmäßig ist. Die Einschränkung des „Selbstbehauptungsprinzips“ muß richtigerweise darüber hinaus auch dann gelten, wenn der Dritte in seinen Grundrechten stärker betroffen ist als der Adressat der belastenden Maßnahme (tendenziell auch Roth, a. a. O., S. 375 ff.). Letzteres zeigt, daß die Konstruktion des „Selbstbehauptungsprinzips beim Kausalmittler“ zweifelhaft ist, weil z. B. faktische Eingriffe in das Leben des einen nicht davon abhängen können, ob der rechtliche Adressat eines ebensolchen Eingriffs in sein Leben als Kausalmittler gewillt ist, dies hinzunehmen.
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rechtliche Handlungsverbot auch unter Berücksichtigung dieses Eingriffs in die Grundrechte des Patienten verfassungsgemäß ist. Die Prüfung konzentriert sich vorliegend auf das Übermaßverbot.35
III. Zulässiger Gesetzeszweck Als Prüfungselemente des Grundsatzes von der Verhältnismäßigkeit sind weithin anerkannt, daß der Eingriff in ein Grundrecht zur Verfolgung des hinter diesem Eingriff stehenden Zwecks geeignet, erforderlich und zumutbar bzw. angemessen oder verhältnismäßig im engeren Sinne zu sein hat.36 Inhaltlich ist die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Strafnorm in hohem Maße von der Zweckbestimmung des Gesetzgebers abhängig.37 Der mit einer Strafnorm verfolgte Regelungszweck eines Gesetzes muß nicht ein einziger sein. Besonders bei § 216 StGB zeigt sich, daß für diese Vorschrift ein Bündel von Zielen in Betracht kommt. Zulässig sind diese Zwecke nicht erst dann, wenn der Gesetzgeber mit ihnen seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht nachkommt. Nur ist zwischen dem Verbot einer Verhaltensweise und seiner Bewehrung durch 34 Es führt zu keinem anderen Ergebnis, wenn, wie teilweise vertreten, für den faktischen Eingriff die Vorhersehbarkeit des Eingriffs, Gallwas, 1970, S. 23 u. 94 ff., eine bestimmte Intensität, Scherzberg, 1989, S. 203 ff.; Koch, 2000, S. 281 ff., oder die Zurechenbarkeit, Eckhoff, 1992, S. 270 ff.; Stern-Sachs, III / 2, § 78 III., S. 129 ff., gefordert wird. Das Vorhersehbarkeitserfordernis will den Staat nur für solche Grundrechtsbeeinträchtigungen einstehen lassen, die er selbst vorhergesehen hat oder konnte. Daß das Verbot der „Tötung auf Verlangen“ zugleich dem Patienten eine „aktive Sterbehilfe“ unmöglich macht, ist unmittelbar ersichtlich; die Vorhersehbarkeit ist somit gegeben. Die geforderte Intensität des Eingriffs, die teilweise nur als Bagatellgrenze, Eckhoff, a. a. O., S. 255 ff., BVerwG NVwZ 1984, S. 514 (515), fungiert, teilweise aber auch eine schwere oder unerträgliche Beeinträchtigung, vgl. Pieroth / Schlink, 2001, Rn. 926, verlangt, ist mit der Einschränkung im Bereich der Selbstbestimmung über den eigenen Körper des Sterbenden hinreichend gegeben (s. o. § 10 III. 9.). An der schließlich geforderten Zurechenbarkeit der faktischen Grundrechtsbeschränkung zum staatlichen Handeln bestehen ebenfalls keine Zweifel, da das Verbot der Tötung auf Verlangen unmittelbar die rechtliche Verhinderung der Gewährung von aktiver Sterbehilfe zur Folge hat. 35 Andere Gesichtspunkte geben vorliegend keine Probleme auf: (1) Der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG verlangt ein förmliches Gesetz (vgl. BVerfGE 22, 180 (219)), das mit § 216 StGB gegeben ist. (2) Auch wenn das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG nach dem Wortlaut seines Satz 3 nur „auf Grund eines Gesetzes“ eingeschränkt werden darf, ist eine Beschränkung unmittelbar durch Gesetz damit nicht ausgeschlossen (Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 54). (3) Als vorkonstitutionelles Gesetz unterliegt § 216 StGB nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (st. Rspr. BVerfGE 2, 121 (121 ff.); Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 19 Rn. 7 m. w. N.). (4) Ein Einzelfallgesetz im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 1 GG ist das Verbot der Tötung auf Verlangen als allgemeine Regelung ohnehin nicht. Probleme gibt das Verbot vielmehr auf, weil es die aktive Sterbehilfe eines schwer leidenden Patienten in gleicher Weise untersagt wie die Tötung eines bloß Lebensmüden. 36 BVerfGE 30, 292 (316); im übrigen siehe v. Arnauld, 1999, S. 219 m. w. N.; Schlink, 2001, S. 445 (449 ff.) 37 Staechelin, 1998, S. 119.
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die Androhung von Kriminalstrafe zu unterscheiden.38 Der Gesetzgeber ist bei der Wahl der von ihm verfolgten Zwecke zur Bestimmung einer Verhaltensvorschrift grundsätzlich frei, soweit er nicht verfassungswidrige Zwecke verfolgt oder das abverlangte Verhalten gegen die Verfassung verstößt.39 Vornehmlich im straf- und rechtsphilosophischen Schrifttum wird umfangreich erörtert, welche Rechtsgüter darüber hinaus mit einer strafrechtlichen Sanktionsvorschrift geschützt werden dürfen (materielle Legitimation des Strafrechts) und welchen Zweck staatliche Strafnormen überhaupt verfolgen dürfen.40 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es Aufgabe des Strafrechts, die Gesellschaft vor sozialschädlichen Verhalten zu bewahren41 und „elementare Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen“.42 Zulässiger Gesetzeszweck strafrechtlicher Sanktionen kann danach nur der Schutz solcher Werte sein, deren Unversehrtheit für die Gemeinschaft von grundlegender Bedeutung sind, weil sie „Grundlage für ein geordnetes Gemeinschaftsleben“ sind.43 Ein „bestimmtes Verhalten [muß, J.A.] über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich“ sein.44 Dies bedarf zwar der weiteren Konkretisierung, ist aber kein Widerspruch zu den vom überwiegenden strafrechtlichen Schrifttum45 vorgeschlagenen Aufgabenbeschreibungen des Strafrechts. Diese verweisen vornehmlich auf den Schutz von Rechtsgütern46 oder der Friedens- und Schutzordnung für das Zusammenleben der MenBVerfGE 90, 145 (183 f.); F. Herzog, ZRP 2001, S. 393 (396). Appel, 1998, S. 577; Staechelin, 1998, S. 120. 40 Siehe statt aller Jakobs, 1991a, 1. u. 2. Abschn.; Sch / Sch-Eser, vor § 1 Rn. 27; F. Herzog, 1987, S. 137 ff. 41 BVerfGE 45, 187 (254). 42 BVerfGE 39, 1 (46); 27, 18 (29); 45, 187 (253). 43 BVerfGE 88, 203 (257); siehe auch die umfangreiche Untersuchung von Paulduro, 1992, S. 120 u. 126 ff. 44 BVerfGE 88, 203 (258); 96, 245 (249). 45 Nach Jakobs, 1991a, 1. Abschn. Rn. 15, erfolgt dagegen Strafe zur „Einübung in Normvertrauen“. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Eine materielle Eingrenzung strafrechtlicher Zwecke wird damit jedoch nicht vorgegeben, so daß diese Zweckbestimmung unterbestimmt ist; siehe auch die Kritik von AK-StGB-Hassemer, vor § 1 Rn. 254. Differenziert zu beurteilen ist die von Hassemer, StGB-AK2-Hassemer, vor Art. 1 Rn. 285 ff., vorgenommene Konkretisierung der Rechtsgutlehre zu einer „personalen Rechtsgutlehre“ auf strafrechtlich schutzbedürftige menschliche Interessen. Die Verengung des schillernden Begriffs „Rechtsgut“ ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings geht Hassemer mit einer an den „Interessen“ orientierten „personalen“ Rechtsgutlehre über das Ziel hinaus. Denn sie müßte in letzter Konsequenz menschliches Leben, das zur Interessenbildung außerstande ist, den strafrechtlichen Schutz vorenthalten. Das widerspricht den Vorgaben der Verfassung (s. o. § 7 VIII. 4a); a.A. Kayßer, 1997, S. 162 ff. Hassemers Formulierung gibt weiterhin Anlaß, die „anthropozentrische“ Orientierung bei ihm wie auch der h. M. zu überdenken, weil sonst strenggenommen das Quälen von Tieren nicht mit den Mitteln des Strafrechts als sozialethisches Fehlverhalten verfolgt werden dürfte. 46 Freund, 1998, § 1 Rn. 2; Gropp, 2001, § 1 Rn. 122. 38 39
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schen.47 Strafrechtlich geächtet werden darf auch nach dieser Auffassung nur solches Verhalten, das sich sozialschädlich auswirkt; allein die sittliche Selbstverfehlung genügt nicht.48 „Allerdings ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage im einzelnen verbindlich festzulegen.“49 Bei der umfangreichen Diskussion zu dem Zweck des Bestrafungsaktes (Generalprävention, Spezialprävention, Repression) hat das BVerfG die Vereinigungstheorie, d. h. die Verbindung der verschiedenen Ansätze aufgrund ihrer je eigenen Schwachpunkte, anerkannt, ohne diese als allein maßgeblich für die Grundrechtsordnung anzusehen.50 Der Gesetzgeber hat die „Gestaltungsfreiheit, einzelne Strafzwecke anzuerkennen, sie gegeneinander abzuwägen und miteinander abzustimmen.“51 Legitime Funktion der Strafe ist deshalb nach der Ansicht des BVerfG, die Schuld des Täters auszugleichen sowie die Allgemeinheit durch („negative“ und „positive“) Generalprävention vor Verletzungshandlungen zu schützen.52 1. Motive des Gesetzgebers: „Unveräußerliches Gut“ Zur Feststellung des Gesetzeszwecks soll zunächst auf die Motive des historischen Gesetzgebers, soweit diese heute noch erkennbar sind, eingegangen werden. Die Geschichte des § 216 StGB führt bis auf das Jahr 1870 zurück. Die Motive des Gesetzgebers für den „Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund“ lauten wie folgt:53 „Es entspricht dem Rechtsgefühl, daß die Tödtung eines Einwilligenden, wie sie der Entwurf näher charakterisiert, nicht mit der Strafe belegt werde, wie die gegen den Willen des Getödteten erfolgte Tödtung. Aber das unbestrittene Sittengesetz: daß das Leben ein nicht veräußerliches Gut ist, läßt weder Straflosigkeit, noch eine niedrig bemessene Strafe zu. Der Entwurf hat deshalb im Anschluß an die meisten deutschen Strafgesetzbücher zwar eine besondere Bestimmung über diesen Fall der Tödtung aufgenommen, jedoch die Strafe auf den Mindestbetrag von drei Jahren Gefängnis festgesetzt.“54
Jescheck / Weigend, 1996, § 1 I. 2., S. 2 f. Vgl. BVerfGE 96, 245 (249); 88, 203 (258). 49 BVerfG NJW 1999, S. 3399 (3403). 50 Vgl. BVerfGE 45, 187 (255 ff.). 51 BVerfGE 45, 187 (253). 52 Siehe BVerfGE 45, 187 (255 ff.); auch 95, 96 (140). 53 § 216 StGB des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund lautete seinerzeit: „Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getödteten zur Tödtung bestimmt worden, so ist auf Gefängnis nicht unter drei Jahren zu erkennen.“ 54 Motive zu dem Entwurfe eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, Drucksachen des Reichstages, 1870, zu No. 5, S. 110 – § 111; auch abgedruckt in Höinghaus, 1870, S. 154 – Motive zu § 216; Blum, 1870, S. 281 – § 216, siehe zur Entstehungsgeschichte des Strafgesetzbuchs Schubert, GA 1982, S. 191 (192 u. 194 ff.). 47 48
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Die voraussetzungsreiche Formulierung „Sittengesetz“ einmal dahingestellt, ist das Grundgesetz einer freiwilligen aktiven Sterbehilfe gegenüber weniger restriktiv, weil die Organisation der Tötung durch fremde Hand keine Veräußerung des Lebensrechtes ist, soweit keine Selbstbindung an das Verlangen besteht (s. o. § 14 I.). Trotzdem läßt sich die Motivlage des historischen Gesetzgebers in den gegenwärtigen Vorstellungs- und Regelungskontext sinngemäß übertragen. Auch der heutige Gesetzgeber erkennt die Entscheidung über den eigenen Tod als derart existentiell an, daß er eine Abschiebung des Vollzuges auf einen anderen nicht gestatten will.55 Ebenso, wie bei einer Reihe von Rechtsgeschäften wegen ihrer höchstpersönlichen Bedeutung eine Stellvertretung ausgeschlossen wird, wird hier eine Stellvertretung im Handeln nicht zugelassen, weil die Scheu vor dem Selbstmord und der Wunsch nach einer Abschiebung der Verantwortung auf den Arzt auf Entscheidungsdefizite hinweisen. Die Einschaltung eines anderen zu dem Zweck, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, läßt Zweifel am Entschlußwillen aufkommen, wenn der naheliegende Weg der Selbsttötung nicht gewählt wurde.56 Dieser Erklärungsansatz hat den Vorteil, am Sinn der Unterscheidung zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen einerseits und strafloser Beteiligung am Selbstmord andererseits anzusetzen. Allerdings hat diese Begründung zwei Schwächen: Einmal beschränkt sie sich auf die Fälle, wo dem Patienten der Suizid möglich ist, zum anderen besteht zur Tötung auf Verlangen durch den Arzt nicht unbedingt eine zumutbare Alternative, wenn z. B. nur der Sprung aus dem Fenster verbleibt.
2. Tabubruch, absoluter Lebensschutz, Freiwilligkeit u. a. Einige Begründungen für die Legitimation des § 216 StGB scheiden nach den bisherigen Feststellungen in dieser Arbeit aus. Die Tötung auf Verlangen verstößt nicht gegen die Menschenwürde (s. o. § 10 III. 4.) und ein Tötungsverlangen ist auch nicht immer unfreiwillig57 (s. o. § 10 III. 7.). Das Leben ist weiterhin kein Gemeinschaftsgut, das seinen Träger zu seiner Erhaltung verpflichtet (s. o. § 7 VIII. 4. d). Unerfindlich bliebe auch, aus welchem Grund der Todeswunsch einzelner – insbesondere sterbender – die Existenz der Gemeinschaft gefährden sollte. Die Sicherung des physischen Fortbestands der Gemeinschaft stünde im übrigen im Widerspruch zur Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid. Zweck des § 216 StGB kann deshalb auch nicht der Schutz des Lebens an sich58 bzw. das uneingeSchroeder, ZStW 106 (1994), S. 565 (574). Rixen, 1999b, S. 374; Roxin, 2000, S. 87 (109); Möllering, 1977, S. 96; Simson, 1973, S. 89 (99). 57 Dieses Argument müßte im übrigen ebenfalls zur Aufhebung des § 216 StGB führen, weil das darin geforderte „ernstliche Verlangen“ die Freiverantwortlichkeit des Verlangens voraussetzt. 58 So aber Bade, 1988, S. 117. 55 56
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schränkte Interesse der Rechtsordnung an der Erhaltung des Lebens eines jeden Rechtsgenossen sein.59 Mit der erlaubten Beihilfe zum Suizid läßt sich auch der wiederholt behauptete Grundsatz vom „absoluten Lebensschutz“60 nicht vereinbaren, der im übrigen weiterhin durch die passive und vor allem indirekte Sterbehilfe wie auch die Zulässigkeit der Organtransplantation durchbrochen wird (s. o. § 4 I., § 3 I. u. II., § 10 I., § 15 II. 6. a). Das führt über zu der geringen Überzeugungskraft des behaupteten „Tabubruchs“61 der Fremdtötung, wenn die zulässige indirekte Sterbehilfe und (tödliche) Organexplantation als vorsätzliche und direkte Tötungshandlungen zu werten sind (s. o. § 3 I. u. II., § 15 II. 6. a).62 Entsprechend gebietet auch die staatliche Schutzpflicht für das Leben nicht zwingend ein Verbot der freiwilligen aktiven Sterbehilfe (s. o. § 14).63
3. Schutz vor sich selbst Bis auf die aus dem Autonomieprinzip selbst folgenden Einschränkungen besteht grundsätzlich keine Pflicht des Gesetzgebers zum „Schutz des Menschen vor sich selbst“ (s. o. § 7 VIII. 1., § 9 II. 2 c u. § 14 I.). Daraus folgt allerdings nicht, daß dem Gesetzgeber die Verfolgung eines derartigen Zwecks verwehrt wäre. Das BVerfG ist der Auffassung, daß der Gesetzgeber legitimerweise mit strafrechtlichen Regelungen den „Schutz eines Menschen vor sich selbst“ verfolgen darf.64 Als zulässigen Gesetzeszweck wird man dies jedenfalls bei einer strafrechtlichen Pönalisierung des Selbstschädigers ablehnen müssen, weil der Selbstschädigung ein zum sozialethischen Unwerturteil führender Bezug auf den Mitmenschen oder Verletzung wesentlicher Gemeinschaftswerte fehlt.65 Der Umgang des MenSo aber Engisch, 1966, S. 399 (412). So Burkart, 1983, S. 140; Chong, 1998, S. 233. 61 So Sch / Sch-Eser, § 216 Rn. 13; Möllering, 1977, S. 96; Burkart, 1983, S. 140; Chong, 1998, S. 232. 62 Die behauptete „Unantastbarkeit fremden Leben“, so z. B. Möllering, 1977, S. 95 f., ist damit nicht mehr gegeben. 63 Dagegen aber Chong, 1998, S. 233. 64 Siehe BVerfGE 90, 145 (172); BVerfG, NJW 1999, S. 3399(3402 u. 3401): „Zwar bedarf der Schutz des Menschen vor sich selbst als Rechtfertigungsgrund staatlicher Maßnahmen in Ansehung der durch Art. 2 I GG verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit grundsätzlich seinerseits einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Auch selbstgefährdendes Handeln ist Ausübung grundrechtlicher Freiheit. Das ändert aber nichts daran, daß es ein legitimes Gemeinwohlanliegen ist, Menschen davor zu bewahren, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen [ . . . ].“ 65 Weithin geteilte Auffassung, siehe Paulduro, 1992, S. 127 ff.; Sternberg-Lieben, 1997, S. 105; Roxin, 1994, § 2 Rn. 12; Papageorgiou, 1994, S. 223 ff. u. 229 ff.; siehe auch Schroth, 2001, S. 871 (881); anders noch BVerfGE 6, 389 (433), das zu Unrecht mit Verweis auf das Sittengesetz einen strafrechtlichen Eingriff in den Privatbereich – homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen – für zulässig erachtete. 59 60
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4. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe strafrechtlich verbieten?
schen mit sich selbst, der keine Schädigung Dritter beinhaltet, vermag eine strafrechtliche Verurteilung nicht zu legitimieren, da diese mit der öffentlichen Mißbilligung schwerwiegend in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift. Pönalisiert wird im § 216 StGB allerdings nicht das Opfer, sondern der tötende Arzt. Ansatzweise begründen läßt sich dies mit der Pflicht des Gesetzgebers, wegen des Gewicht des „Lebens“ als Grundlage jedweder Persönlichkeitsentfaltung und Freiheitsbetätigung sowie der Irreversibilität des vollzogenen Entschlusses gegen das eigene Leben, den Patienten vor leichtsinnig oder übereilt getroffenen Entscheidungen zu schützen (vgl. oben § 14 I.).66 Während bei der Selbsttötung angesichts des menschlichen Selbsterhaltungstriebes eine natürliche Hemmung als lebensschützende Sperre wirkt, sind diese Hemmungen beim Arzt, der die aktive Sterbehilfe als Teil seiner ärztlichen Praxis versteht, nicht unbedingt gegeben.67 Weitgehend entspricht dies dem (aktualisierten) Sinn der Motive des Gesetzgebers (s. o. 1.), ist aber auch dem gleichen Einwand ausgesetzt. Der Übereilungsschutz des § 216 StGB68 vermag dann keine ausreichende Legitimation für diese Norm zu bieten, wenn im Einzelfall ein wohldurchdachtes, objektiv plausibles Tötungsverlangen vorliegt, jedoch die Fähigkeit zum Suizid nicht gegeben oder praktisch keine zumutbare Alternative ist.
4. Konkreter Schutz Dritter Als strafrechtspolitischer Zweck des § 216 StGB werden in der Literatur Beweisschwierigkeiten benannt. Das Opfer einer Tötung könne eine vom Täter behauptete Einwilligung nicht mehr widerlegen, so daß der Täter, auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ vertrauend, strafrechtlich nichts riskiere.69 Bestraft wird mithin der Verdacht, eine Einwilligung habe tatsächlich vielleicht gar nicht vorgelegen.70 Kriminalpolitisch überzeugend ist dieses Argument nicht. Denn es hätte bereits in der Vergangenheit entsprechende Schutzbehauptungen der Täter geben müssen, um den erheblichen Vorteil der Privilegierung des § 216 StGB in Anspruch nehmen zu können. Tatsächlich sind strafrechtliche Verurteilungen wegen Tötung auf Verlangen sehr selten.71 Zudem begründet dieser Zweck nicht, warum ein strafwür66 Als „weicher Paternalismus“ zum Schutz der Rahmenbedingungen, unter denen Autonomie möglich ist, ist auch der „Schutz vor sich selbst“ ein legitimer Zweck einer Strafrechtsnorm, insoweit auch Schroth, 2001, S. 871 (882). 67 Vgl. Engisch, 1966, S. 399 (412); ders., 1977, S. 309 (318); Möllering, 1977, S. 95. 68 Vgl. Rixen,1999b, S. 373 f. 69 Vgl. Arzt, ZStW 83 (1971), S. 1 (36); Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (38); Muschke, 1988, S. 147; Bade, 1988, S. 117 f. 70 Siehe Arzt, ZStW 83 (1971), S. 1(37 – Fn. 97); Sternberg-Lieben, 1997, S. 107. 71 Die Bundeskriminalstatistik weist dies leider nicht aus, da Totschlag und Tötung auf Verlangen nicht getrennt ausgewiesen werden.
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diges und strafbedürftiges Verhalten auch in den Fällen vorliegt, bei denen der Verdacht einer Tötung ohne Verlangen des Betroffenen gar nicht besteht.72 Überzeugender ist der Verweis auf die Beweisschwierigkeiten nach einer anderen Seite hin. Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe erhöht die Gefahr des Mißbrauchs oder auch nur irrtümlich vorgenommener unfreiwilliger oder nichtfreiwilliger aktiver Sterbehilfen (vgl. oben § 14 II. u. III.).73 5. Ausweitungseffekte / Dammbruch Auch wenn ein „Tötungstabu“ nicht besteht, ist die Gefahr einer schwindenden Achtung vor fremden Leben bei einer Aufhebung des strafrechtlichen Verbots der Tötung auf Verlangen nicht auszuschließen (s. o. § 14 III. u. V.). Die Annahme ist naheliegend, daß der lebensverkürzende Eingriff leichter fällt, wenn er bereits als Handlung im Einverständnis mit den Betroffenen zur gängigen Praxis geworden ist. Verhindert werden soll mit § 216 StGB die Verrohung der zwischenmenschlichen Verhältnisse und die Senkung der Schwelle zur Mitleidstötung.74 Als Gesetzeszweck des § 216 StGB ist die Sicherung eines allseitigen effektiven Lebensschutzes vor Dammbrucheffekten wesentlich.75 Ebenso wie das Mißbrauchsargument (s. o. 4.) ist nach diesem Argument der Zweck des Gesetzes nicht der Schutz eines Todeswilligen vor sich selbst, sondern die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit.76 6. Ärztliches Ethos Besonders von ärztlicher Seite wird die Befürchtung geäußert, daß sich mit der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe das ärztliche Ethos negativ verändere. Ärzte würden im Widerspruch zu ihrem Heilauftrag Patienten töten. Das könnte nicht ohne Auswirkung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis geschehen.77 Die erweiterten 72 Sternberg-Lieben, 1997, S. 107. Ob weiterhin Verdachtsstrafen gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen – bejahend Göbel, 1992, S. 30; verneinend, Sternberg-Lieben, a. a. O. – kann deshalb dahinstehen. Im übrigen weist Möllering, 1977, S. 94, zutreffend darauf hin, daß eine Beweislastregelung wie in § 186 StGB den Beweisschwierigkeiten angemessen Rechnung tragen würde. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit müßte der Gesetzgeber sogar zu diesem milderen Mittel greifen, weil er damit die Beweisschwierigkeiten hinreichend berücksichtigen könnte. 73 Auf die Mißbrauchs- und Irrtumsgefahr hinweisend Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 31(38 f.); siehe auch Sch / Sch-Eser, § 216 Rn. 1 u. 13. 74 Siehe zur Mitleidstötung z. B. BGHSt 36, 376 ff. 75 Tröndle, ZStW 99 (1987), S. 25 (39 f.); Papageorgiou, 1994, S. 234 ff. u. 238 ff.; siehe auch Beauchamp, 1989, S. 265 (273 ff.); B. Reuter, 2001, S. 234 ff. 76 Sternberg-Lieben, 1997, S. 120; Papageorgiou, 1994, S. 238. Beckert, 1996, S. 255 und Chatzikostas, 2001, S. 248, sprechen von einem „generalpräventiven Argument.“ 77 Vgl. Rau, 2001, S. 27 f.; B. Reuter, 2001, S. 250.
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Handlungs- und damit auch Mißbrauchsmöglichkeiten müßten die Patienten verängstigen und damit ein Klima des Mißtrauens schaffen. Weiterer gesetzgeberischer Zweck des § 216 StGB ist mithin die Bewahrung eines positiven Leitbildes für den Arzt.78 7. Solidarität mit dem Sterbenden Mit dem ärztlichen Ethos eng verbunden sind weitergehende gesellschaftspolitische Ziele einer Kultur des Sterbens. Es ist zu befürchten, daß sich das Umfeld eines Sterbenden verändert, wenn die Tötung als Abkürzung des Sterbeprozesses Anerkennung gefunden hat. Anstatt die Palliativmedizin zu fördern, das Sterben durch Anteilnahme erträglicher zu gestalten oder sich den Anfragen eines sterbenden Mitmenschen bei seiner Begleitung auszusetzen und die eigene Hilflosigkeit auszuhalten, bietet sich der Verweis auf den „sanften Tod“ als einfacher Ausweg an, um die Verweigerung des eigenen Beitrags vor dem Gewissen zu legitimieren. Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe kann Sterbenden deshalb, entgegen ihrer Intention, die Autonomie zu fördern, nötigen, wenn die Sterbenden im Stich gelassen und damit Todeswünsche gefördert werden.79 Eine Entsolidarisierung ist insbesondere deshalb zu verhindern, weil gerade Sterbende aufgrund ihrer Hilflosigkeit, oft auch Mutlosigkeit und Angst, in besonderer Weise auf die Solidarität ihrer Umwelt angewiesen sind. Zweifel kann der Gesetzgeber auch daran haben, ob ein den Verpflichtungen zum effektiven Lebensschutz entsprechendes präventives Schutzverfahren bei der aktiven Sterbehilfe, tatsächlich das Sterben humaner gestaltet. Das persönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patienten würde zu einem staatlich reglementierten Verfahren; der Patient wird zum Antragsteller, der bangend auf einen günstigen „Bescheid“ hofft.80
8. Abstraktes Gefährdungsdelikt Nach den Feststellungen zum Gesetzeszweck des § 216 StGB werden bei einer tatsächlich gegebenen freiwilligen aktiven Sterbehilfe nicht die Rechtsgüter des getöteten Patienten verletzt. Der Arzt, der eine aktive Sterbehilfe auf Verlangen ausübt, geht allerdings das Risiko ein, sich über die Ernsthaftigkeit oder gar Freiverantwortlichkeit des Verlangens seines Patienten zu irren. Eine konkrete 78 Zur Legitimation des § 216 StGB ist dieser Zweck allerdings nicht ausreichend. Das ärztliche Ethos ist einerseits keine statische Gegebenheit und andererseits die freiwillige aktive Sterbehilfe mit seinen Grundaussagen nicht unbedingt unvereinbar (s. o. § 14 III. 2.). 79 Vgl. Rau, 2001, S. 27 f. 80 Siehe Burkart, 1983, S. 91 u. 138. 81 Vgl. Sch / Sch-Heine, vor §§ 306 ff. Rn. 3.
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Gefährdung der Rechtsgüter seines Patienten wird man aber dann nicht behaupten können, wenn im gegebenen Fall davon auszugehen war, daß ein ernsthaftes Verlangen vorlag. Dann ist die aktive Sterbehilfe durch den Arzt, wenn überhaupt, nur noch ein typischerweise „gefährliches Verhalten“. Die weiterhin aufgezeigten Mißbrauchs- und Dammbruchgefahren sind nicht genuiner Bestandteil einer einzelnen und gewissenhaft durchgeführten aktiven Sterbehilfe; sie ergeben sich erst, wenn eine allgemeine Praxis der aktiven Sterbehilfe hinzutritt (Kumulationseffekt). § 216 Abs. 1 StGB entspricht dann seinem Gesetzeszweck nach einem abstrakten Gefährdungsdelikt, weil ein nur typischerweise gefährliches Verhalten81 unter Strafe gestellt wird.82 Denn der Zusammenhang zwischen der Gefährdung Dritter und der Pönalisierung des Verhaltens eines einzelnen beruht letztlich auf der Annahme von Gefährdungen, welche die aktive Sterbehilfe im allgemeinen besitzt. Das zu schützende Rechtsgut muß im konkreten Fall nicht verletzt, noch nicht einmal konkret gefährdet gewesen sein.83 Bei abstrakten Gefährdungsdelikten wird der strafrechtliche Schutz der Gemeinschaftsgüter vor einer konkreten Gefährdung oder gar Verletzung vorverlagert. Sie sind auch ein Instrument, um mit den Mitteln des Strafrechts ein Verhalten zu verhindern, von dem nicht sicher gesagt werden kann, ob es tatsächlich eine Verletzung der zu schützenden Rechtsgüter zur Folge hat.84 Das BVerfG hat die Statuierung von abstrakten Gefährdungsdelikten grundsätzlich für zulässig gehalten.85 Nur liege es „in der Natur eines so umfassend konzipierten Strafrechtsschutzes, daß die Straftatbestände Begehungsweisen erfassen, die erhebliche Unterschiede in bezug auf die Art und das Maß der Gefährdung der geschützten Rechtsgüter und in bezug auf den individuellen Unrechts- und Schuldgehalt aufweisen.“ Das wird vorliegend bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu berücksichtigen sein (s. u. V. 2. b). Die Parallele der abstrakten Gefährdungsdelikte zum § 216 StGB ergibt sich vorliegend, neben der Vorverlagerung der Strafbarkeit bei unsicherer Wirkungsprognose über Dammbruchgefahren, auch aus dem Umstand, daß diese Gefahr und die des Mißbrauchs nicht einer einzelnen, gewissenhaft durchgeführten ärztlichen freiwilligen aktiven Sterbehilfe zu eigen sind, sondern erst bei einer allgemeinen
So auch Jakobs, 1998, S. 23. Bei einem konkreten Gefährdungsdelikt muß im Einzelfall eine wirkliche Gefahr für das durch die jeweilige Strafbestimmung geschützte Objekt eingetreten sein, siehe Sch / SchHeine, vor §§ 306 ff. Rn. 5. 84 Insofern berechtigt kritisch hierzu F. Herzog, 1991, S. 154: „Je komplexer, entfremdeter und riskanter die sozialen Beziehungen werden, umso mehr Strafrecht wird für die soziale Kontrolle erforderlich. Und – die Ausweitung des Strafrechts hat mit der Vorverlagerung der Strafbarkeit als Schutztechnik einherzugehen. Also – je schwieriger die Verhältnisse, umso mehr in seinen Zurechnungsstrukturen vereinfachtes Strafrecht.“ 85 BVerfGE 90, 145 (184); grundsätzliche Kritik an abstrakten Gefährdungsdelikten dagegen bei F. Herzog, 1991, passim. 82 83
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Praxis eintreten, d. h. die Schädlichkeit des Verhaltens ergibt sich vor allem erst dann, „wenn es alle machen würden“.86
IV. Geeignetheit und Erforderlichkeit „Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames Mittel hätte wählen können.“87 „Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung des erstrebten Zwecks sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom Bundesverfassungsgericht je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann.“88
Insoweit ergeben sich keine Unterschiede zur Überprüfung einer Verletzung des Untermaßverbots (s. o. § 8 III.). Die im Strafgesetzbuch sich manifestierende Auffassung des Gesetzgebers, strafrechtliche Verbote zur Durchsetzung von Verhaltensvorschriften grundsätzlich für geeignet anzusehen, wurde vom BVerfG noch in keiner Entscheidung in Zweifel gezogen. Die Androhung von Strafe vermag einerseits in der Bevölkerung das Bewußtsein von der Verbindlichkeit der betreffenden Norm wachzuhalten und andererseits demjenigen, der sich über die Norm hinwegsetzen möchte, ein starkes Motiv dafür zu geben, seine gesetzeswidrigen Regungen zu unterdrücken.89 Der Gesetzgeber wird jedenfalls nach seiner Einschätzungsprärogative von diesen psychologischen Prozessen ausgehen dürfen. Allerdings muß die strafrechtliche Sanktion auch für den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck geeignet sein. Der gesetzgeberische Zweck wurde vorliegend aus den Gefahren der Handlung (Tötung auf Verlangen) selbst ermittelt (s. o. III.). Dann ist selbstredend auch die Verhinderung dieser Handlung geeignet, die von ihr ausgehenden Gefahren für wesentliche Werte des Gemeinschaftslebens zu verhindern und damit den Gesetzeszweck zu fördern. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung problematischer ist die Erforderlichkeit einer strafrechtlichen Regelung. Dabei statuiert das BVerfG gegenläufige Prinzipien: Einerseits soll der Einsatz des Strafrechts nur als „ultima ratio“ in Betracht 86 Zum Kumulationsdelikt im Umweltstrafrecht siehe Kuhlen, GA 1986, S. 388 (399 f.); ablehnend hierzu die h. L., siehe AK-StGB-Hassemer, vor § 1 Rn. 280; F. Herzog, 1991, S. 144 ff.; Zieschang, 1998, S. 241 ff. 87 BVerfGE 90, 145 (172); vgl. auch 30, 292 (316 f.); 63, 88 (115); 67, 157 (173). 88 BVerfGE 90, 145 (173); vgl. auch 77, 170 (215 f.); 88, 203 (262).
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kommen,90 andererseits wird dem Gesetzgeber ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zugestanden.91 Die Erforderlichkeit strafrechtlicher Regelungen läßt sich bei entsprechend gesetzgeberischer Kreativität vielfach in Zweifel ziehen.92 So könnten z. B. die obengenannten gesetzgeberischen Schutzmaßnahmen (s. o. § 14 I., II., III.) das strafbewehrte Verbot der aktiven Sterbehilfe obsolet erscheinen lassen. Die Verpflichtung des Gesetzgebers zu derartigen alternativen Regelungen würde allerdings in weitem Umfang in den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum eingreifen. Die Legislative müßte präventive Kontrollregeln ausarbeiten, materielle Leistungen erbringen und die Wirksamkeit ihres neuen Schutzkonzepts überwachen (vgl. oben § 9 III.). Insbesondere wäre die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative letztlich aufgehoben, wenn das BVerfG von der Legislative Gesetzesexperimente abverlangen könnte, die dann wiederum vom BVerfG auf ihren effektiven Lebensschutz hin zu überprüfen wären. Es ist deshalb dem BVerfG zuzustimmen, wenn es dem Gesetzgeber bei der „Wahl zwischen mehreren potentiell geeigneten Wegen zur Erreichung eines Gesetzesziels“ eine „Einschätzungs- und Entscheidungsprärogative“ zubilligt, die sich erst bei „gesicherte[n] kriminologischen Erkenntnisse[n]“ auf ein bestimmtes Mittel beschränkt.93 Der Gesetzgeber kann (bislang) davon ausgehen, daß der von einer Strafandrohung erzeugte Motivationsdruck besonders stark und deshalb anderen Instrumenten gegenüber überlegen ist. Die Tendenzen der Ausweitung der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden auf Kinder und psychisch Kranke, die dort bleibend hohe Zahl nichtfreiwilliger aktiver Sterbehilfen und überhaupt einer steigenden Zahl assistierter Suizide (s. o. § 14 V.),94 geben dem Gesetzgeber im gegenwärtigen Erkenntnisstadium hinreichend Anhaltspunkte, um im strafrechtlichen Verbot der aktiven Sterbehilfe einen notwendigen Schutz vor den Dammbruch- und Mißbrauchsgefahren95 unfreiwilliger aktiver Sterbehilfen zu sehen.96
Weigend, 1999, S. 917 (926); a.A. F. Herzog, 1991, S. 145. BVerfGE 88; 203 (258); 96, 245 (249). 91 S.o. § 9 III. 92 Siehe im einzelnen Lüderssen, 1995; passim; Staechelin, 1998, S. 134 ff. 93 BVerfGE 90, 145 (182 f.); auch NJW 1999, S. 3399 (3403). „Das BVerfG kann dessen [des Gesetzgebers, J.A.] Entscheidung nicht darauf überprüfen, ob er die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.“ 94 Siehe besonders B. Reuter, 2001, S. 234 ff. 95 Siehe zur Einschätzungsprärogative (= Prognosespielraum) des Gesetzgebers hinsichtlich drohender Gefahren Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Scholz, Art. 12 Rn. 321 m. w. N. 96 Im Ergebnis ebenso Sternberg-Lieben, 1997, S. 120; kritisch gegenüber „SchiefeBahn-Argumenten“ zur Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte Wohlers, 2000, S. 324 u. 342. 89 90
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V. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Auf der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung müssen die als geeignet und erforderlich erkannten Maßnahmen einer gegenläufigen Kontrolle daraufhin unterworfen werden, ob die eingesetzten Mittel unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkungen noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen.97 Das ist zu verneinen, wenn die Beeinträchtigung der Grundrechte des Betroffenen den Zuwachs an Rechtsgüterschutz deutlich überwiegt, so daß der Einsatz des Schutzmittels als unangemessen erscheint.98 Verhältnismäßig im engeren Sinne müssen sowohl das Verhaltensverbot (s. u. 1.), die Sanktionsandrohung (s. u. 2.) wie auch das Sanktionsmittel (s. u. 3.) sein.
1. Angemessenheit des Verhaltensverbots Das Verhaltensverbot ist auf seine Angemessenheit (1) gegenüber der Gewissens- und Berufsausübungsfreiheit des Arztes aus Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG und (2) im Verhältnis zum Recht des Patienten auf selbstbestimmtes Sterben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu überprüfen.
a) Angemessenheit gegenüber dem Arzt aa) Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) In oben genannten Extremsituationen (LKW-Fahrer-Beispiel, s. o. I. 1.), in denen der Arzt einem schwer leidenden Patienten machtlos gegenüber steht, ohne die Behandlung an einen Kollegen weitergeben zu können, ist der Arzt im Normalfall nicht ausgesetzt. Ausnahmesituationen führen aufgrund der Notwendigkeit des Gesetzgebers zur Typisierung, nicht zur Nichtigkeit der jeweiligen Norm.99 Der Strafrechtswissenschaft steht ein im Detail strittiges, aber flexibles Instrumen97 BVerfGE 90, 145 (185). Auf dieser Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung lassen sich vor allem die in dem Sondervotum von Sommer zur Canabis-Entscheidung, BVerfGE 90, 145, 212 (214), genannten Kriterien für die Dringlichkeit eines strafbewehrten Verbots heanziehen: die Wertigkeit des betroffenen Rechtsguts, das Ausmaß des drohenden Schadens, den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und den Zeit- und Problemdruck des Gesetzgebers einerseits und andererseits die Schwere des Eingriffs seine Breite und die Nähe des inkriminierten Verhaltens zu dem erwarteten Schaden. Siehe auch F. Herzog, ZRP 2001, S. 393 (396). 98 BVerfGE 90, 145 (185). 99 Siehe allgemein zum Typisierungsrecht des Gesetzgebers Lerche, HStR V., § 122, Rn. 18.
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tarium zur Verfügung, um Gewissenskonflikte in atypischen Extremsituationen verfassungskonform zu berücksichtigen. Verwiesen sei z. B. auf den Vorschlag von Rixen,100 der in derartigen Fällen ein auf eine Gewissensentscheidung des Handelnden gestützten Verantwortungsausschluß in Betracht zieht. Eine Verletzung der Gewissensfreiheit des Arztes durch das strafrechtliche Handlungsverbot des § 216 StGB scheidet mithin aus, weil in den atypischen Extremfällen eine Straffreiheit des Arztes strafrechtsdogmatisch angemessen begründet werden kann.
bb) Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Einschränkungen bei der Berufsausübung unterliegen der Verhältnismäßigkeitsprüfung.101 Bei reinen Berufsausübungsregelungen muß der Gesetzgeber den Eingriff mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründen können. Das ist vorliegend mit dem angestrebten effektiveren Lebensschutz gegeben. Das Verbot der aktiven Sterbehilfe hat auf das erwerbswirtschaftliche Fortkommen des Arztes kaum Einfluß. Der vom Gesetzgeber angestrebte verstärkte Lebensschutz ist sogar ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut. Im Hinblick auf die Berufsausübungsfreiheit des Arztes ist die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne deshalb zu bejahen.
b) Angemessenheit gegenüber dem Patienten Der mit dem Verbot der aktiven Sterbehilfe bezweckte Schutz des Lebens Dritter steht grundsätzlich nicht außer Verhältnis zur Beeinträchtigung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben. Die kollidierenden Grundrechte sind beide vom Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfaßt. Das Strafgesetzbuch ist in seiner gegenwärtigen Regelung in besonderer Weise Ausdruck der praktischen Konkordanz. Denn der Patient hat grundsätzlich noch die Möglichkeit, seine Selbstbestimmung im Sterben durch die eigenhändige Tötung zu verwirklichen. Auch unterliegt der Arzt, der seinen Patienten dabei unterstützt, nicht einer strafrechtlichen Pönalisierung. Einschränkungen könnten sich allenfalls aus den ärztlichen Berufsordnungen ergeben. Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung betrachten beispielsweise die Beihilfe zum Suizid als unärztlich.102 Soweit die von den Landesärztekammern erlassenen ärztlichen Berufsordnungen Einschränkungen der Suizidbeihilfe entsprechend dieser Feststellung der Bundesärztekammer statuieren wollen, können die generalklauselartigen Ermächtigungen in den Kammergesetzen 100 101 102
Roxin, 2000, S. 87 (110). Siehe v. Münch / Kunig-Gubelt, Art. 12 Rn. 48 ff.; Jarass / Pieroth, Art. 12 Rn. 27 u. 32. Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung, NJW 1998, S. 3406 (ebda.).
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der Länder, nach denen die Landesärztekammern die Berufsausübung und Berufspflichten in den Berufsordnungen näher regeln dürfen,103 keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage sein. In das Recht auf Leben auch in seiner negativen Dimension des selbstbestimmten Sterbens darf gem. Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG nur auf Grund eines formellen Gesetzes eingegriffen werden. Zweifelhaft ist deshalb bereits, ob Einschränkungen in die Rechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG überhaupt auf Satzungsgeber übertragen werden dürfen.104 Jedenfalls müßte die Einschränkung durch untergesetzliche Normen, wie Satzungen oder Berufsordnungen der Kammern, in der Ermächtigung ausreichend bestimmt sein.105 Zu den Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigung hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem „Facharztbeschluß“ festgestellt, daß diese von der jeweiligen Intensität der durch sie ermöglichten Eingriffe abhängt.106 Das zulässige Maß von Eingriffen in einen Grundrechtsbereich muß um so deutlicher in der gesetzlichen Ermächtigung bestimmt werden, je empfindlicher solche Eingriffe sind.107 Alle für die Grundrechtsausübung wesentlichen Fragen muß der Gesetzgeber selbst regeln oder inhaltlich maßgeblich vorformen.108 Der Gesetzgeber darf deshalb Körperschaften nicht mit dem Recht der Selbstverwaltung dazu ermächtigen, einschneidende Grundrechtsbeschränkungen durch Satzungen vorzunehmen.109 Vorstehendes gilt vor allem dann, wenn auch ein relevantes Interesse der Allgemeinheit an der fraglichen Regelung besteht110 oder die Berufsregelung den Kreis eigener Angelegenheiten überschreitet und schutzwürdige Interessen von Nichtmitgliedern berührt111. Die Generalklauseln der Kammer- und Heilberufgesetze können deshalb in mehrfacher Hinsicht keine ausreichende ärztliche Ermächtigungsgrundlage für ein kategorisches Verbot der Beihilfe zum Suizid durch den Arzt in den ärztlichen Berufsordnungen sein. Das Recht des oft hilflosen Patienten auf selbstbestimmtes Sterben wird empfindlich eingeschränkt, da diesem dadurch u. U. Möglichkeiten des Suizids überhaupt verhindert werden oder ihm nur grausame Alternativen – z. B. Sprung aus dem Fenster – verbleiben. Der Umgang mit Sterbenden berührt Siehe z. B. Art. 4a Abs. 1 Berliner Kammergesetz. Verneinend v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 2 II Rn. 183; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 34; a.A. Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 64. Die Frage ist richtigerweise zu verneinen. Wenn der Begriff des „formellen Gesetzes“ überhaupt ein spezifisches Erfordernis begründen soll, dann können „autonome“ Satzungen – eben Gesetze im materiellen Sinn – nicht ausreichend sein. 105 Vgl. Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 64. 106 BVerfGE 33, 125 (160); 86, 28 (40). 107 BVerfGE 33, 125 (160); 86, 28 (40); Maunz / Zippelius, § 37 VI., S. 340. 108 BVerfGE 33, 125 (160); Jarass / Pieroth, vor Art. 1 Rn. 43; Ossenbühl, HStR III., § 66 Rn. 28. 109 Stein / Frank, 2000, § 20 II 7., S. 154. 110 Degenhart, 2000, Rn. 291. 111 BVerfGE 33, 125 (160); Ossenbühl, HStR III., § 66 Rn. 32. 103 104
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weiterhin ein Interesse der Allgemeinheit in einer für das Gemeinwesen grundlegenden Frage und die faktische Wirkung einer derartigen Berufspflicht würde weniger die Grundrechte des Arztes als vor allem die des Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berühren.112 Mangels ausreichender Ermächtigung sind dann auch berufsgerichtliche Maßnahmen gegen Ärzte, die eine Beihilfe zum Suizid leisten und ihre Verpflichtung zur gewissenhaften Berufsausübung dabei nicht verletzen,113 nicht erlaubt. Verbleiben dem Patienten damit bei der bestehenden gesetzlichen Regelung weitgehend zumutbare Ausweichmöglichkeiten, den Tod willentlich durch einen aktiven Eingriff früher herbeizuführen, dann kann in Anbetracht des Gewichts des zu schützenden Rechtsguts – der dauerhafte Schutz des Lebens Dritter – an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn kein Zweifel sein. Nun gibt es Fälle, bei denen der Patient physisch114 zum Suizid außerstande ist. Nach der hier getroffenen Abgrenzung zwischen Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen (s. o. § 4 I.) käme bei der freiwilligen aktiven Sterbehilfe neben dem besagten LKW-Fahrer-Beispiel (s. o. § 5 I.) nur die Konstellation in Betracht, in der ein geistig wacher Patient wegen vollkommener Lähmung zum Suizid nicht mehr in der Lage ist. Bei diesem in der Praxis kaum vorkommenden Fall steht der mögliche Rechtsgüterschutz nicht mehr im Verhältnis zur Einschränkung der Rechte eines leidenden Patienten. Die Straffreistellung dieser extremen Einzelfälle, begründet aufgrund ihrer Ausnahmesituation kaum die Gefahr eines Abgleitens in eine allgemeine Praxis der aktiven Sterbehilfe. Berücksichtigt werden muß hier weiterhin die Einschätzung des Gesetzgebers, mit der Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe den Lebensschutz nicht zu unterhöhlen.115 Nur ist bei diesem Falltypus eine Überschreitung der indirekten Sterbehilfe zur aktiven Sterbehilfe noch nicht gegeben, wenn die künstliche Ernährung eingestellt oder nicht aufgenommen wird und der Patient durch Sedierung seiner Schmerzen – wie seines Bewusstseins – 112 Entsprechend scheidet beim Arzt ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz oder das Betäubungsmittelgesetz aus, wenn er verschreibungspflichtige Medikamente oder dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende Stoffe an einen Patienten zur Selbstapplikation weitergibt, wenn dieser nur auf diese Weise von einem schweren Leiden erlöst werden kann. 113 Ein Verstoß gegen die Pflicht des Arztes zur gewissenhaften Berufsausübung kommt allerdings in Betracht, wenn der Arzt z. B. seinen Patienten ungefragt eine Beihilfe zum Suizid anbietet. Insoweit werden die Berufsordnungen dem Arzt auf der Basis der Generalklauseln Einschränkungen auferlegen dürfen, weil die Grundrechte der Patienten nicht dadurch eingeschränkt werden, wenn der Arzt bei seinen Patienten keine „Todeswünsche“ wachrufen darf. Ganz im Gegenteil würde ein derartiges Verhalten autonome Entscheidungen der Patienten eher verstellen. 114 Sieht er sich psychisch außerstande, fehlt es an Entschlußreife, so daß eine trotzdem erfolgende aktive Sterbehilfe nicht mehr als „freiwillige“ aktive Sterbehilfe charakterisiert werden kann. 115 Die Zweifel an der Notwendigkeit des Verbots der aktiven Sterbehilfe in diesen Fällen mögen wegen des weiten Ermessensspielraums des Gesetzgebers nicht ausreichend sein, können aber bei der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht gänzlich ausgeblendet werden.
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enthoben werden kann. Praktisch relevante Fälle sind damit kaum ersichtlich, so dass in dieser kaum anzunehmenden Ausnahmesituation eine im Verhältnis zum unverbrüchlichen Lebensschutz unzumutbare Beeinträchtigung des Rechts des Patienten auf Schmerzfreiheit und Selbstbestimmung im Sterben bei einem Verbot der aktiven Sterbehilfe gegeben wäre.116
2. Angemessenheit der Sanktionsandrohung (gegenüber dem Arzt) Die Angemessenheit der Sanktionsandrohung ist unterschiedlich danach zu beurteilen, ob das Verhaltensverbot gegenüber dem Patienten unangemessen ist [s. u. a)] oder nicht [s. u. b)]. Unangemessen gegenüber dem Sterbenden wäre das Verbot der freiwilligen aktiven Sterbehilfe nur insoweit, als ein schwer leidender Patient keine Möglichkeit zum Suizid besitzt und auch die Sedierung als angemessener Ausweg ausscheidet.
a) Dem Patienten gegenüber unangemessenes Verhaltensverbot Jede strafgerichtliche Verurteilung enthält ein sozial-ethisches Unwerturteil, das den in der Menschenwürde wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch des Verurteilten berührt.117 Eine strafrechtliche Ächtung kann deshalb nur gegenüber solchem Verhalten angemessen sein, das in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich ist.118 Verstößt der Arzt gegen ein Handlungsverbot, das die Grundrechte seines Patienten unverhältnismäßig einschränkt, kann ihm dieser Vorwurf nicht gemacht werden. Der Arzt ist bei einer darauf folgenden strafrechtlichen Sanktionsandrohung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Fraglich ist, ob und auf welche Weise die Einschränkung des strafrechtlichen Verbots der aktiven Sterbehilfe bereits de lege lata berücksichtigt werden kann. Die Wechselbezüglichkeit von Verfassungsrecht und Strafrecht erlaubt und gebietet eine verfassungskonforme Auslegung,119 die allerdings wegen des „nulla poena sine lege“ Grundsatzes in Art. 103 Abs. 2 GG auch bei einer Reduktion der strafrechtlichen Vorschrift den Bestimmtheitsgrundsatz nicht unterlaufen darf.120 Ist 116 Man bedenke auch, daß Ausweichmöglichkeiten der Selbsttötung bei der indirekten Sterbehilfe faktisch nicht gegeben sind, wenn der starke Einsatz von Analgetika neben der respiratorischen Wirkung zur Bewußtseinstrübung führt, so daß der Patient die Medikation selbst nicht fortführen kann. 117 BVerfGE 101, 275 (287). 118 BVerfGE 96, 245 (249). 119 Siehe Sch / Sch-Eser, vor § 1 Rn. 27 u. 30. 120 Siehe allgemein Hill, HStR VI., § 156 Rn. 62 f.
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dies nicht möglich, muß die Verfassungswidrigkeit einer strafrechtlichen Regelung festgestellt werden. Einer Lösung auf der Schuldebene steht wie bei der indirekten Sterbehilfe der Umstand entgegen, daß dann jeder Dritte im konkreten Fall eine aktive Sterbehilfe verhindern dürfte (vgl. oben § 3 III.) und damit das von der Verfassung nicht erlaubte Verbot durchsetzen könnte.121 Die bei der indirekten Sterbehilfe vorgetragenen tatbestandlichen Lösungen (kein Vorsatz, lex artis, Schutzzweck der Tötungsdelikte) scheiden entweder nach ihrem eigenen Verständnis aus (z. B. kein Vorsatz) oder sind aus den bereits obengenannten Gründen abzulehnen (s. o. § 3 III.). Auch eine einschränkende Auslegung des § 216 Abs. 1 StGB nach seinem Regelungszweck ist nicht plausibel.122 Nicht der Regelungszweck gebietet vorliegend die Straflosigkeit, sondern die Unverhältnismäßigkeit seines sozialen Nutzens zur Einschränkung des selbstbestimmten Sterbens. Strafrechtsdogmatisch überzeugender Lösungsansatz ist deshalb wie bei der indirekten Sterbehilfe eine entsprechende Anwendung des § 34 StGB. Das Recht, nicht hilflos einem leidenden Sterben ausgesetzt zu sein, überwiegt in dieser Konstellation das allgemeine Interesse, Durchbrechungen des prinzipiellen Tötungsverbots zum Schutz aller möglichst restriktiv zu handhaben.
b) Dem Patienten gegenüber angemessenes Verhaltensverbot Auch wenn sich der Arzt nicht auf diesen Ausnahmefall berufen kann, ist das sozial-ethische Unwerturteil ihm gegenüber problematisch. Denn bei einer tatsächlich freiwilligen aktiven Sterbehilfe verletzt er nicht die Rechtsgüter des betroffenen Patienten. Seine Handlung entfaltet ihre Gefahr für Dritte erst dann, wenn sie zur allgemein üblichen Praxis würde. Man könnte hieraus folgern, daß sich ein sozialethisches Unwerturteil durch einen Strafausspruch verbietet, wenn mangels allgemeiner Praxis die zu verhindernde Gefahr noch nicht gegeben ist und deshalb nur ein „formaler Verstoß“ gegen ein gesetzliches Verbot vorliegt.123 Nur kann das vom Gesetzgeber intendierte Ziel des Rechtsgüterschutzes durch die Strafandrohung nicht erreicht werden, wenn nicht auch die Vollstreckung der angedrohten 121 Entsprechend kommt allein schon aus diesem Grund eine lediglich prozessuale Straffreistellung des Arztes nicht in Betracht. Im übrigen widersprecht die Anwendung einer prozessualen Lösung für eine verbreitete Praxis dem Betimmtheitsgrundsatz; siehe bereits BVerfGE 90, 145, 212 (224 ff.) – Sondervotum Sommer. Dagegen ist nach BVerfGE 90, 145 (191 f.), dem Gesetzgeber überlassen, auf welche Weise er das Ergebnis der Straffreistellung erreicht; neben entsprechenden Regelungen im materiellen Recht kämen auch prozessuale Möglichkeiten der Nichtverfolgung in Betracht. 122 Vgl. dagegen Rixen, 1999b, S. 373 ff. 123 Nach Maatsch, 2001, S. 41, wird dann der Täter durch die Verurteilung „zur Vermeidung bestimmter Sachverhalte willen, die mit seiner Tat an sich nichts zu tun haben [ . . . ] als ein bloßes Objekt staatlicher Gewalt“ behandelt, was Art. 1 Abs. 1 GG verletze. Ebenso Gutmann, NJW 1999, S. 3387 (3389).
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Strafe glaubhaft gemacht werden kann. Allein generalpräventive Gesichtspunkte können eine strafrechtliche Verurteilung jedoch nicht tragen. Die Ächtung des Täters kann deshalb nicht allein in der Abschreckung Dritter vor Nachahmungen seinen Grund finden, sondern muß auch von einer individuellen Schuld getragen sein.124 Anderenfalls wird der vom Art. 1 Abs. 1 GG gebotene Achtungsanspruch verletzt und damit der Verurteilte unzulässig instrumentalisiert.125 Basierend auf seinem weiten Beurteilungsspielraum kann der Gesetzgeber davon ausgehen, daß ihm gesamtgesellschaftlich auf Dauer und vor Mißbräuchen im Einzelfall ein effektiver Lebensschutz nur gelingt, wenn er eine verbreitete Praxis der freiwilligen aktiven Sterbehilfe verhindert (s. o. IV.).126 Die Gefahr für das Rechtsgut tritt damit erst im Massenverstoß bzw. seiner Kumulierung127 ein, während die Gefährdungsintensität der einzelnen Handlung für sich genommen oft gering ist. Vor diesem Hintergrund stellt allerdings jede einzelne Handlung einen eigenen Beitrag zu einer zunehmenden Rechtsgüterbedrohung dar. „Wird daher die jeweilige Einzelhandlung als – abstrakt gefährliche – Beteiligung an einem ein Rechtsgut bedrohendes Geschehen als Rechtsgüterangriff mit Strafe bedroht, so macht dies den Täter nicht – grundrechtswidrig – zum Objekt eines Strafverfahrens; er wird nicht für die von anderen verursachte Rechtsgütergefährdung mitbestraft, sondern für seinen Beitrag hierzu.“128
3. Schuldangemessenheit des Sanktionsmittels (gegenüber dem Arzt) und Gerechtigkeitsgleichheit a) Verhältnismäßigkeit Im Bereich des staatlichen Strafens folgt aus dem Schuldprinzip, welches seine Grundlage in Art. 1 Abs. 1 GG hat, und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, daß jede nach dem Strafgesetz zu verhängende Strafe in einem gerechten Ver124 Vgl. BVerfGE 96, 245 (249): „Jede nach dem Strafgesetz zu verhängende Strafe setzt Schuld voraus [ . . . ].“ 125 Siehe auch die – allerdings wesentlich weitergehende – Kritik von F. Herzog, 1987, S. 41 ff. 126 Entgegen Wohlers, 2000, S. 342, muß der Gesetzgeber auch nicht das Wagnis einer Veränderung des „Welt- oder Menschenbildes“ eingehen. Dem Zerfall ethischer Grundüberzeugungen wird der Gesetzgeber angesichts des Ausmaßes des drohenden Schadens nicht abwartend zusehen müssen, vgl. auch F. Herzog, ZRP 2001, S. 393 (396 f.), bei der Präimplantationsdiagnostik. 127 Nach AK-StGB-Hassemer, vor § 1 Rn. 280, haben „Kumulationsdelikte“ nichts im StGB zu suchen. Dem ist entgegenzuhalten, daß es dem Gesetzgeber auch von einer personalen Rechtsgutlehre nicht verwehrt sein kann, „Kumulationsdelikten“ strafrechtlich zu begegnen, wenn anders das Leben einzelner der Gefahr ausgesetzt ist, einer nicht gewollten Tötungshandlung zum Opfer zu fallen. 128 BVerfGE 90, 145, 199 (204) – Sondervotum Graßhof.
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hältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters stehen muß.129 Eine Strafandrohung darf nach Art und Maß dem unter Strafe stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein.130 Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein.131 Dem Richter muß bei der Entscheidung konkreter Fälle die Möglichkeit offenbleiben, eine jeweils schuldangemessene Strafe zu verhängen.132 § 216 Abs. 1 StGB sieht im Mindestmaß eine Freiheitsstrafe von einem halben Jahr vor. Freiheitsstrafen dürfen nach Auffassung des BVerfG nur aus besonders gewichtigen Gründen angedroht werden, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies erfordert.133 Soweit für den Arzt die Beihilfe zum Suizid als angemessene Ausweichmöglichkeit bestand, ist die strafrechtliche Sanktion angemessen im Verhältnis zum Sanktionsziel, einen effektiven Lebensschutz auf Dauer aufrecht zu erhalten. Der Schutz des Lebens Dritter, den der Arzt bei einer aktiven Sterbehilfe durch seinen Beitrag gefährden würde (s. o. 2.), steht zur Androhung der Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann, nicht außer Verhältnis.
b) Relative Gerechtigkeitsgleichheit Grenzen für eine Strafandrohung ergeben sich neben der allgemeinen Verhältnismäßigkeit aus der Vergleichbarkeit von Strafandrohungen untereinander. Die strafrechtlichen Normierungen müssen deshalb eine relative Gerechtigkeitsgleichheit untereinander aufweisen.134 Auffallend und vielfach kritisiert ist die Straffreistellung der Beihilfe zum Suizid im Verhältnis zur aktiven Sterbehilfe.135 Der in Art. 3 Abs. 1 GG festgelegte Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender und sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt.136 Als sinnvolle Regelungszwecke des § 216 StGB wurden solVgl. BVerfGE 6, 389 (439); 45, 187 (259); 96, 245 (249); NJW 1999, S. 3399 (3403). BVerfGE 90, 145 (173). 131 BVerfGE 90, 145 (173); 54, 100 (108 f.); 50, 125 (133 f.). 132 BVerfGE 45, 187 (260). Zur Erreichung dieses Ziels hat das BVerfG in weiten Umfang eine verfassungskonforme Auslegung zugelassen. Dabei hat das BVerfG selbst rechtsfortbildend bei Mordfällen, in denen die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe unverhältnismäßig wäre, praeter legem eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB vorgeschrieben, vgl. BVerfGE 30, 105 (118 ff.). 133 BVerfGE 90, 145 (172). 134 Siehe Kau, 1997, S. 761 (771); auch Hill, HStR VI., § 156 Rn. 27; BVerfGE 4, 352 (355 f.). 135 Krack, KJ, 1995, S. 60(70 ff.); Stürmer, 1989, S. 28 ff.; Hoerster, 1998, S. 55 ff. u. 168 f.; grundsätzlich zu dem Problem der Gleichbehandlung von Selbstverletzung und einverständlicher Fremdverletzung Rönnau, 2001, S. 393 f. 136 Siehe BVerfGE 1, 14 (52); 4, 352 (356); Kau, 1997, S. 761 (772). 129 130
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che vorgestellt, die einen Unterschied zur Beihilfe zum Suizid markieren (s. o. III. 1., 4., 5.). Die bei einer Fremdtötung spezifisch größere Gefahr der Ausweitung, des Mißbrauchs und der Überwindung noch bestehender Willenszweifel beim Betroffenen, die ihn vom Suizid zurückscheuen lassen, sind sachlich einleuchtende Anhaltspunkte für die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung.137
VI. Exkurs: Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde Das BVerfG hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1987 eine der Sache nach gegen das Verbot der aktiven Sterbehilfe gerichtete Verfassungsbeschwerde eines Arztes und der ihn um Sterbehilfe bittenden Patientin als unzulässig verworfen.138 Die Patientin war aufgrund eines Autounfalls vom Hals abwärts querschnittsgelähmt. Dem Beschwerdeführer wurde im Wege einer Polizeiverfügung eine geplante Beihilfe zum Suizid untersagt, bei der zweifelhaft war, ob diese nicht bereits den Straftatbestand des § 216 StGB verwirklicht.139 Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers (Arzt) wurde als unzulässig verworfen, weil er zum einen nicht vorgetragen habe, worin für ihn der schwere und unabwendbare Nachteil bei Nichtleistung der Sterbehilfe liegen soll. Zum anderen greife der Arzt zwar die Polizeiverfügung an, tatsächlich aber beabsichtige er, unter Ausschaltung der Strafgerichte vom Verstoß gegen § 216 StGB „freigesprochen“ zu werden, bevor er überhaupt die geplante Sterbehilfe geleistet habe.140 Die Beschwerdeführerin (Patientin) sah das BVerfG durch die Polizeiverfügung als nicht betroffen an, weil die Überprüfung der Polizeiverfügung zur Klärung ihres Anspruchs auf aktive Sterbehilfe durch Dritte nichts beitragen könne.141 Wenn auch die Absicht des BVerfG verständlich ist, einer fachgerichtlichen Überprüfung schwieriger Fragen im Bereich der Sterbehilfe und dem u. U. die Rechtsfrage weiter aufklärenden Diskurs im Instanzenzug nicht vorgreifen zu wollen – überzeugen kann diese Argumentation nicht. Die Argumentation des BVerfG will die Polizeiverfügung und § 216 StGB gegeneinander ausspielen und versucht entsprechendes mit den Grundrechten142 des Arztes und der Patientin. 137 Daß auch Formen der Suizidbeihilfe trotz gegebener Freiverantwortlichkeit einer Pönalisierung zugänglich wären, soll damit nicht bestritten werden. Allein zur Belegung einer willkürlichen Ungleichbehandlung reicht dies nicht aus. Es ist nicht ausreichend, wenn es lediglich andere, dem Rechtsempfinden noch weiter entgegenkommende Gestaltungsmöglichkeiten gegeben hätte, die möglicherweise zweckmäßiger und gerechter gewesen wären, vgl. BVerfGE 50, 142 (164); 4, 352 (355 ff.); Kau, 1997, S. 761 (772). 138 BVerfGE 76, 248 (251). 139 Siehe BVerfGE 76, 248 (248 f.). 140 BVerfGE 76, 248 (251 f.). 141 BVerfGE 76, 248 (252 f.).
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Der nach § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG zunächst auszuschöpfende Rechtsweg verlangt nach der Rechtsprechung des BVerfG vom Beschwerdeführer, bei Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Gesetze (hier § 216 StGB) zunächst einen Vollzugsakt abzuwarten und dann diesen anzufechten.143 Vorliegend erwartete das BVerfG vom Arzt entsprechend, zunächst die beabsichtigte Sterbehilfe auszuüben und eine Bestrafung abzuwarten. In der Konsequenz heißt dies, daß ein strafrechtliches Verbot nur von demjenigen im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann, der auch bereit ist, dagegen zu verstoßen und das Risiko einer strafrechtlichen Pönalisierung hinzunehmen. Der rechtstreue Bürger müßte dagegen die Einschränkung seiner Freiheiten durch strafrechtliche Verbote hinnehmen; die Verfassungsbeschwerde wäre ihm verwehrt. In Anbetracht der persönlichen Belastung von Strafrechtsverfahren, der gesellschaftlichen Ächtung durch eine strafrechtliche Verurteilung und der bei einer Verurteilung wegen Verletzung des § 216 StGB drohenden Entziehung der Approbation entspricht der Verweis auf die Begehung des Delikts, um den strafgerichtlichen Rechtsweg zu eröffnen, einem schweren und unabwendbaren Nachteil im Sinne des § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG.144 Der vom Arzt eingeschlagene Weg, sein Vorhaben vorab der Staatsanwaltschaft mitzuteilen, um dann gegen die allein mögliche präventive Verbotsverfügung vorzugehen,145 muß ihm deshalb als Umweg zur Ausschöpfung des Rechtswegs zugebilligt werden, wenn ihm schon eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz verwehrt wird. Dann muß aber auch bei der Verfassungsbeschwerde das hinter der präventiven Polizeiverfügung146 stehende repressive strafrechtliche Verbot der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen werden. Das BVerfG räumt immerhin ein, daß bei der Patientin, obschon sie nicht Adressatin der Polizeiverfügung ist, ein faktischer Eingriff in ihre Grundrechte nicht ausgeschlossen ist.147 Nicht verständlich ist allerdings, warum die Überprüfung der Polizeiverfügung zur Klärung einer Verletzung ihres möglicherweise bestehenden „verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf aktive Sterbehilfe durch Dritte“ nicht geeignet gewesen sein soll.148 Dabei hatte die Polizeiverfügung unmißver142 Dem Arzt wird der Sache nach vorgehalten, selbst keinen schweren und unabwendbaren Nachteil zu erleiden, weil nicht seine Selbstbestimmung im Sterben verhindert wird. Die Patientin wiederum ist nicht Adressatin der Polizeiverfügung, so daß die Überprüfung der Polizeiverfügung angeblich nichts zur Klärung ihrer Grundrechte beitragen könne. 143 BVerfGE 79, 1 (19 ff.); Schlaich / Korioth, 2001, Rn. 244 ff. 144 Deshalb zutreffend BVerfGE 81, 70(82 f.); 97, 157 (165): „Der Grundsatz der Subsidarität verlangt allerdings nicht, daß ein Betroffener vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldliche Rechtsnorm verstößt und dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend macht.“ 145 Siehe BVerfGE 76, 248 (248 f.). 146 Wenn, wie in dem vor dem BVerfG geführten Verfahren, die strafrechtliche Frage von der Polizeiverfügung bewußt dahingestellt bleibt – vgl. BVerfG 76, 248 (249) –, dann hat der Beschwerdeführer jedenfalls seinerseits alles zumutbare getan, um seine Frage zunächst im Rechtsweg behandeln zu lassen. 147 Vgl. BVerfG 76, 248 (252).
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ständlich zum Ziel, die beabsichtigte (aktive) Sterbehilfe bei der Beschwerdeführerin zu verhindern. Daß der Patientin wegen der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens die aktive Sterbehilfe wahrscheinlich faktisch unmöglich gemacht wurde, muß jedenfalls bei einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde als schwerer und unabwendbarer Nachteil angesehen werden; denn sie konnte bei Anrufung der Verwaltungsgerichte allein aus zeitlichen Gründen einen effektiven Rechtsschutz hinsichtlich der geltend gemachten Grundrechtsverletzung durch § 216 StGB nicht mehr in Anspruch nehmen.149 Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden hätte folglich in BVerGE 76, 248 ff., sowohl für den Arzt wie auch für die Patientin bejaht werden müssen.150
VII. Ergebnis zu § 216 StGB Das Verbot der aktiven Sterbehilfe greift in die Berufsausübungsfreiheit des Arztes (Art. 12 Abs. 1 GG) und das bioethische Recht des Patienten auf Selbstbestimmung im Sterben ein (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), das als negatives Freiheitsrecht auch die Tötung auf Verlangen umfasst. § 216 StGB verfolgt mit dem Schutz der Sterbenden vor unfreiwilligen Tötungen als abstraktes Gefährdungsdelikt einen zulässigen Gesetzeszweck. Das ausnahmslose Verbot der aktiven Sterbehilfe ist dann nicht mehr angemessen gegenüber dem Patienten und verletzt das Übermaßverbot, wenn der Patient zum Suizid außerstande ist und eine Sedierung des Patienten unter Einstellung der künstlichen Ernährung als Ausweg nicht möglich ist. Dieser Fall dürfte allerdings in der medizinischen Praxis kaum gegeben sein. Eine aktive Sterbehilfe wäre in dieser besonderen Ausnahmesituation gem. § 34 StGB als rechtfertigender Notstand nicht rechtswidrig. Unter Beachtung dieser Einschränkung ist § 216 StGB verfassungsgemäß.
BVerfG 76, 248 (253). Siehe auch BVerfGE 71, 305 (336 f.); Schlaich / Korioth, 2001, Rn. 245: „Die Grenze der Zumutbarkeit ist erreicht, wenn durch die Anrufung der Fachgerichte ein effektiver Rechtsschutz im Hinblick auf die geltend gemachte Grundrechtsverletzung nicht mehr gewährleistet werden kann.“ Aus dem in der Entscheidung des Verfassungsgerichts mitgeteilten Sachverhalt ist allerdings nicht erkennbar, ob nicht die Anrufung der Verwaltungsgerichte im einstweiligen Verfahren möglich war. 150 Bei einem ähnlich gelagerten Fall hat dagegen der EGMR NJW 2003, S. 2851 ff., ganz zu Recht eine Beschwerde einstimmig für zulässig erklärt. Auch hier war die Beschwerdeführin vom Hals abwärts gelähmt und machte geltend, dass das Vereinigte Königreich Großbritanien durch das an ihren Ehemann gerichtete Verbot der Beihilfe zum Suizid, sie in ihren Rechten der EMRK aus Art. 2 (Recht auf Leben), 3 (Verbot der Folter), 8 (Gebot der Achtung der privaten Sphäre), 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) und 14 (Diskriminierungsverbot) verletze. 148 149
§ 20 Verbot antizipativer aktiver Sterbehilfe (an Organspendern)
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§ 20 Verbot antizipativer aktiver Sterbehilfe (an Organspendern) Ein konsequentes Verbot der aktiven Sterbehilfe hätte über das Verbot hinaus, die eigene Tötung durch eine Patientenverfügung anordnen zu dürfen, auch ein Verbot der derzeitigen Verfahren der totalen Organexplantation bei hirntoten Spendern zur Folge. Zunächst soll die Begrenzung der antizipativen Verfügungsbefugnis über die eigene Tötung geklärt werden, um dann auf die Besonderheit der grundrechtlichen Betroffenheit Dritter durch das Verbot einer tödlichen Organexplantation einzugehen.
I. Verletzung der Grundrechte des sterbenden Patienten? Bei der auf eine aktive Sterbehilfe gerichteten Patientenverfügung ist der betroffene Patient in dem in der Verfügung benannten Zustand zu Erklärungen außerstande und eine willentliche eigenhändige Tötung faktisch ausgeschlossen. Der Extremfall einer Unfähigkeit zum Suizid, der dem Gesetzgeber wegen der unzumutbaren grundrechtlichen Beeinträchtigung des Patienten ein strafrechtliches Verbot der aktiven Sterbehilfe nicht erlaubt, scheint als Standardfall in dieser Fallgruppe die Antwort vorzugeben. Aus drei Gründen ist das Verbot der aktiven Sterbehilfe in diesen Fällen trotzdem zumutbar. (1) Geht die Unfähigkeit zur Selbstbestimmung – wie oft in der Sterbephase – mit einer künstlichen Ernährung einher, ist eine Sedierung des Patienten zur Behebung schwerer Schmerzen bei gleichzeitiger Einstellung der künstlichen Ernährung kein Fall der aktiven Sterbehilfe, weil dann die Unfähigkeit zur eigenen Ernährung durch den krankheits- oder altersbedingten Verfallprozeß bereits gegeben war und nicht erst durch die Sedierung verursacht wurde. Einem schweren Leiden des Patienten kann angemessen begegnet werden, ohne den Tod durch einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit handelnd herbeizuführen. (2) Weiterhin wird dem betroffenem Patienten nicht die Umsetzung seines aktuell auf die eigene Tötung gerichteten Willens versagt. Übergangen wird nur eine vorherige Verfügung. Derartige Einschränkungen des Willens sind aber weniger belastend als aktuelle Beschränkungen eines widerstrebenden Willens. Der Patient wird nicht gegen seinen aktuellen Willen an einem für ihn unerträglichen Zustand festgehalten. (3) Schließlich ergeben sich für den Lebensschutz wesentlich größere Gefahren, wenn durch Patientenverfügungen die aktive Sterbehilfe angeordnet werden darf. Ein aktueller, auf die aktive Sterbehilfe gerichteter Wille ist nicht gegeben, vorherige Erklärungen können unbedacht geäußert, auf eine andere Situation bezogen oder überholt sein und der Patient kann sich gegen Mißverständnisse oder Mißbräuche nicht mehr wehren. Auch ist der Schritt zur nichtfreiwilligen oder gar unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe durch die Ähnlichkeit der Situation – aktive Sterbehilfe an einem äußerungsunfähigen Patienten – naheliegender.
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4. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe strafrechtlich verbieten?
Die aus dem Verbot der patientenverfügten aktiven Sterbehilfe folgende Beeinträchtigung der Grundrechte des Patienten überwiegt damit nicht den Zuwachs an Rechtsgüterschutz für das Leben Dritter, so daß der Einsatz des strafrechtlichen Verbots angemessen ist.
II. Verbot der Organtransplantation und Verletzung der Grundrechte der potentiellen Organempfänger Ob Einschränkungen der Organtransplantation auch den Organempfänger in seinen Grundrechten beeinträchtigen, war bereits Gegenstand der Entscheidung des BVerfG zur Einschränkung der „Lebendspende“151 von Organen, die sich nicht wieder bilden können. Eine solche Lebendspende kann nach § 8 Abs. 1 S. 2 TPG nur an Verwandte, Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit nahestehen, erfolgen. Das BVerfG bejahte zu Recht eine faktische Grundrechtsbeeinträchtigung des potentiellen Organempfängers, wenn dem Spender und dem Arzt die Möglichkeit der Organspende bzw. Organentnahme strafrechtlich verwehrt ist.152 Die Einschränkung der Möglichkeiten der Organtransplantation vereitelt dem Empfänger eine nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell mögliche Therapie, die z. B. bei einer Niereninsuffizienz oder Herzkrankheit mit einer Verlängerung des Lebens, mindestens mit einer nicht unwesentlichen Minderung des Leidens verbunden ist.153 Die Beeinträchtigung des Empfängers in seinem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG übersteigt das Maß sozialadäquater Behinderungen und wäre einem strafrechtlichen Verbot der Organtransplantation bei hirntoten Spendern auch normativ zurechenbar. Schwieriger als die Eingriffsqualität in das Recht auf Leben oder die körperliche Unversehrtheit ist die Verhältnismäßigkeit eines Verbots der Organtransplantation zu beurteilen. Die gesetzgeberischen Zwecke zur Einschränkung der „Lebendspende“ in § 8 Abs. 1 TPG – Gefahr des Organhandels, Sicherstellung der Freiwilligkeit der Organspende und Schädigung des Spenders durch die Organentnahme154 – lassen sich auf den Fall des hirntoten Organspenders weitgehend nicht übertragen. 151 Gemeint ist damit die Organspende von nicht hirntoten Spendern, bei welcher der Spender durch die Spende anders als bei der Totalexplantation u. U. gefährdet, aber nicht sicher getötet wird. 152 Siehe BVerfG NJW 1999, S. 3399(3399 f. u. 3401); insoweit zustimmend Gutmann, NJW 1999, S. 3387 (3388). Siehe zur faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung auch oben § 19 II. 153 Vgl. BVerfGE NJW 1999, S. 3399 (3400). 154 Siehe BT-Dr 13 / 4355, S. 20 f.; BVerfG NJW 1999, S. 3399 (3401); Nickel / SchmidtPreisigke / Sengler, § 8 Rn. 1 u. 10.
§ 20 Verbot antizipativer aktiver Sterbehilfe (an Organspendern)
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Die derzeitige Regelung zeigt, daß bei der Organtransplantation von hirntoten Spendern ein Organhandel vermieden und die Freiwilligkeit der Organspende sichergestellt werden kann. Eine Schädigung des freiwilligen Spenders ist ebenfalls nicht gegeben. Die Tötung bei vorab erklärter Einwilligung verletzt nicht die Autonomie des Sterbenden. Außerdem würden lebenserhaltende Maßnahmen bei Hirntoten ansonsten nicht fortgesetzt, so daß die nach dem Eintritt des Hirntods getroffenen oder fortgesetzten Maßnahmen der Lebenserhaltung das Leben des Patienten zeitlich verlängert. Allerdings beruht die Annahme von der Legalität der Totalexplantation weitgehend auf dem Mißverständnis, daß der hirntote Mensch als tot anzusehen ist. Setzt sich dagegen die verfassungsdogmatisch wie auch phänomenologisch begründete Auffassung von der Lebendigkeit des hirntoten Menschen durch, kann die Totalexplantation nicht mehr als Zerlegung einer Leiche angesehen werden. Als Tötungshandlung erkannt, wird die Durchbrechung des prinzipiellen Tötungsverbots offensichtlich. Das Dammbruchargument gewinnt eine neue Relevanz, weil die Praxis des Tötens von aktuell Einwilligungsunfähigen eine Ausweitung zur nichtfreiwilligen und unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe verstärkt befürchten läßt.155 Wegen der veränderten Situation kann die gegenwärtige gesetzliche Regelung für den Gesetzgeber nicht bindend sein. Die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit156 kann der Gesetzgeber dann ebenso beantworten wie bei der antizipativ verfügten aktiven Sterbehilfe.157 Ein Verbot der antizipativ verfügten aktiven Sterbehilfe wäre deshalb vom Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, auch wenn dies in einem weiten Bereich faktisch zum Verbot der Organtransplantationen führt.
155 Diese Begründung gibt auch P. Singer, 1998, S. 26 ff., 43 ff. u. 58 ff. Da hirntote Säuglinge noch leben, müsse die Tötung von anenzephalen Säuglingen zur Organtransplantation ebenfalls gestattet werden. 156 Vgl. zum weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum BVerfG NJW 1999, S. 3399 (3401). 157 Der bei der „Lebendspende“ so vehement kritisierte Paternalismus des vom BVerfG anerkannten Zwecks des Gesetzes, einen Schutz des Spenders vor sich selbst zu etablieren (siehe BVerfG NJW 1999, S. 3399 (3401 u. 3402); kritisch Gutmann, NJW 1999, S. 3387 (3388); Rittner / Besold / Wandel, MedR 2001, S. 118(ebda.); insoweit auch Seidenath, MedR 1999, S. 33 (34)), kann beim hirntoten Spender nicht das ausschlaggebende Argument sein. Die freiwillig verfügte eigene Tötung kann für den hirntoten Spender keinen Schaden bedeuten, da ihm durch die Explantation keine weiteren Entwicklungschancen genommen werden.
398
4. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe strafrechtlich verbieten?
§ 21 Untersagung der nichtfreiwilligen aktiven (und indirekten) Sterbehilfe I. Allgemeines Verbot Im Konflikt zwischen dem Recht auf Leidensminderung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und der Achtung der körperlichen Autonomie bzw. dem Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG steht dem Gesetzgeber ein Abwägungsspielraum zu, der ihn zu einer Legalisierung der nichtfreiwillien indirekten und aktiven Sterbehilfe berechtigt (s. o. § 16 III. u. IV.). Der Gesetzgeber überschreitet seinen Abwägungsspielraum erst dann, wenn das beeinträchtigte Rechtsgut „ersichtlich schwerer wiegt“ als der Nutzen für das geschützte (s. o. § 16 III.). Eine Verletzung des Übermaßverbots läßt sich aber auch für ein entgegengesetztes Abwägungsergebnis des Gesetzgebers – Verbot der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe – nicht belegen. Die nichtfreiwillige Tötung des Mitmenschen ist, wie das prinzipielle Tötungsverbot der Verfassung zeigt,158 eine gewichtige Beeinträchtigung eines Rechtsguts. Die Abwägung ist von einer Vielzahl ethischer Erwägungen geprägt; das Grundgesetz liefert in diesem Wertkonflikt keine eindeutige Vorgabe (vgl. oben § 16 III. u. IV.). Da die indirekte Sterbehilfe in diesem Konflikt lediglich ein Unterfall der aktiven Sterbehilfe ist (s. o. § 3 I., II. u. § 16 III. 2.), muß für sie gleiches gelten. Im Bereich der nichtfreiwilligen Sterbehilfe kann der Gesetzgeber das Tötungsverbot gegenüber der Leidensminderung als nach seiner Einschätzung gewichtigeres Rechtsgut verteidigen. Rechtfertigt die gesetzgeberische Entscheidung allerdings über das Handlungsverbot hinaus auch die Pönalisierung? Nach Kayßer ist eine „strafrechtliche Norm [ . . . ] immer dann inhaltlich unrichtig, wenn aus der Perspektive der Moral vernünftige Meinungsverschiedenheiten über ihre Richtigkeit bestehen.“159 Die hier postulierte Absicht der Entkriminalisierung von lediglich „moralwidrigen“ Verstößen ist von der Vorstellung getragen, eine liberalistische Sittlichkeitsvorstellung als allgemeinen Maßstab der Vernunft ausgeben zu können. Es ist kein Geheimnis, daß die Renaissance der ethischen Analysen in der Philosophie keinen neuen Konsens über Fragen der Moral hervorgebracht hat. Gestritten wird im Grunde über alles, und die in vorliegender Arbeit vertretene Position, einen Minimalbestand ethischer Normen als vor der Vernunft unbestreitbar auszuweisen (s. o. § 7 VII.), 158 Ein Dispositionsakt gegen das eigene Leben ist bei der nichtfreiwilligen Sterbehilfe gerade nicht gegeben. 159 Kayßer, 1997, S. 167 f. Weiter heißt es dort: „Das Gewicht des prinzipiellen Zweifels an der Richtigkeit der strafrechtlichen Norm deutet zugleich auf die Stelle seiner systematischen Verortung: sie liegt im strafrechtsfreien Raum im eigentlichen Sinne.“
§ 21 Untersagung der nichtfreiwilligen aktiven (und indirekten) Sterbehilfe
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sieht sich ebenfalls vielfacher Kritik ausgesetzt.160 Selbst wenn man den m.E. einzig möglichen Weg zur Widerlegung vernünftiger Zweifel, den transzendentalpragmatischen Ansatz, verfolgt, bleibt ein weiter Bereich „vernünftiger Meinungsverschiedenheiten“. 161 Allein dies zeigt: Die Normen des Strafgesetzbuchs unterliegen weitgehend vernünftigen Meinungsverschiedenheiten. Auch das gegenwärtige Strafrecht ist nur eine Erprobung konkret gelebter Sittlichkeit und steht unter dem Vorbehalt einer vernünftigeren Ordnung. Dem BVerfG kann deshalb nicht die Aufgabe zukommen, festzustellen, ob „aus der Perspektive der Moral vernünftige Meinungsverschiedenheiten“ zwischen dem Beschwerdeführer und dem Staat bestehen. Primär zu entscheiden sind derartige rechtspolitische Fragestellungen bei dem Repräsentativorgan des Staatsvolkes. Dem Gesetzgeber muß deshalb grundsätzlich zugebilligt werden, das Ergebnis seiner Abwägung mit den Mitteln des Strafrechts zu verteidigen, um das für wertvoller befundene Gut vor Angriffen zu schützen.162 Getragen wird die Verhältnismäßigkeit eines strafrechtlichen Verbots der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe durch die größeren Gefahren ihres mißbräuchlichen Einsatzes und der gefährlichen Nähe zur unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe und damit bestehenden Ausweitungsgefahr. Insoweit kann entsprechend auf obige Ausführungen verwiesen werden (s. o. § 20)
II. Vereinbarkeit mit dem Elternprimat zur Bestimmung des Kindeswohls Letzteres ergibt den Anhaltspunkt, warum der Staat das Verbot der aktiven Sterbehilfe auch gegenüber den Eltern eines schwer leidenden Neugeborenen durchsetzen darf. Das Primat der Eltern bei der Bestimmung des Wohls ihres Kindes (s. o. § 14 IV., § 16 V.) begründet Einschränkungen des gesetzgeberischen Abwägungsspielraums. Allerdings widerlegt dies nicht die von der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers getragene Annahme, daß die nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe gegenüber der freiwilligen leichter mißbräuchlich eingesetzt werden kann, um sich z. B. eines behinderten Kindes zu entledigen, da dieses nicht einen entgegenstehenden Willen äußern kann. Auch drohen Ausweitungstendenzen über das verfas160 Siehe nur Höffe, 1982, S. 518 ff.; Hilgendorf, 1995, S. 138 ff.; siehe auch die Kritik an der Diskurstheorie bei Hain, Der Staat 40 (2001), S. 195 ff.; Keller, Staat 39 (2000), S. 185 ff. 161 Begründet verschiedener Meinung kann man allein in Anbetracht der weltweit ungleichen Wohlstandsverteilung hinsichtlich des Ausländerstrafrechts für Aufenthaltsdelikte und dem Schutz einer „ungerechten“ Eigentumsordnung sein. Bezeichnend vielleicht auch, daß nun gerade die von Kayßer, 1997, passim, vertretene Freigabe der Tötung ungeborener Menschen nach den Ausführungen in dieser Arbeit den einzuhaltenden Minimalbestand verletzt. 162 Wird doch auch derjenige für die Eigentumsverletzung strafrechtlich verfolgt, der meint, einen verlorenen Zivilprozeß, in dem beide Seiten vernünftige Argumente für sich reklamieren konnten, durch einen Diebstahl korrigieren zu dürfen.
400
4. Kap.: Darf der Staat die aktive Sterbehilfe strafrechtlich verbieten?
sungsrechtlich erlaubte Maß eines unvermeidbaren physischen Leidkonflikts hinaus (vgl. oben § 16 III. u. IV.), denn die enge Grenze des bei der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe Erlaubten ist schnell zur freien Bewertung der Qualität des Lebens hin überschritten. Der Gesetzgeber darf mithin die nichtfreiwillige aktive Sterbehilfe mit den Mitteln des Strafrechts für jeden Fall untersagen, auch gegen den Willen der Eltern.
Fünftes Kapitel
Ergebnisse und Ausblick § 22 Lebensschutz durch Verfahren Die Erörterungen dieser Arbeit erwiesen wiederholt einen engen Zusammenhang zwischen den Grundrechten einerseits und den Verfahrensgestaltungen andererseits. Zum einen ergab er sich aus der diskurstheoretischen Legitimation der Grundrechte überhaupt und zum anderen als wesentlicher Aspekt der Auflösung von Grundrechtskollisionen im Bereich des Lebensschutzes. Die Diskurstheorie erschöpft sich nicht in einer reinen Verfahrenstheorie, sondern gelangt in ihrer transzendentalpragmatischen Version zu einer Explikation materialer Rechte. Kooperative Verständigung kann nur gelingen, wenn die Bedingungen der Möglichkeit privater und öffentlicher Autonomie, sprich die Grundrechte und das Demokratieprinzip, geachtet werden (s. o. § 7 VII. 4. b). Umgekehrt zeigte die an der Rechtsprechung und dem verfassungsrechtlichen Schrifttum orientierte Analyse der Grundrechtsdogmatik, daß Organisations- und Verfahrensregelungen von großer Bedeutung sind für die Auflösung der Grundrechtskollision zwischen dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben einerseits und dem Lebensschutz andererseits. Eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe würde zwar erweiterte Möglichkeiten eröffnen, das Sterben selbstbestimmt zu gestalten, würde allerdings ebenso für andere eine größere Gefahr begründen, Opfer einer un- oder nichtfreiwilligen Tötungshandlung zu werden. Das verfassungsrechtliche Gewicht dieser Gefahr für die Aktivierung der gesetzgeberischen Schutzpflicht wurde ausführlich erörtert. Sie bildet den kritischen Maßstab gegenüber überschwenglichen Vorhaben einer prozeduralen Legalisierung der Sterbehilfe durch die Zivilgesellschaft. Zur näheren Strukturierung der Grenzen eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren bei der Sterbehilfe ist zunächst auf die Idee des Grundrechtsschutzes durch Verfahren aus verfassungsdogmatischer und diskurstheoretischer Sicht einzugehen. In Erinnerung an die Erörterungen in dieser Arbeit zur gesetzgeberischen Schutzpflicht (s. o. § 9), der analogen Anwendung des § 1904 BGB (s. o. § 15 I.) und der niederländischen Regelung der aktiven Sterbehilfe (s. o. § 14 V.) sollen die Einschränkungen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums bei der aktiven Sterbehilfe am Beispiel der Ethikkommisionen verdeutlicht werden.
26 Antoine
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
I. Idee des Grundrechtsschutzes durch Verfahren Obschon der Zusammenhang zwischen Grundrechten einerseits und Organisation und Verfahren andererseits erst seit den 70er Jahren Gegenstand näherer Betrachtung der Grundrechtsdogmatik ist,1 hatten bereits die Vorläufer der heutigen Verfahrensgrundrechte (Art. 19 Abs. 4, 101 bis 104 GG) auch eine inhaltliche Schutzfunktion. Das Recht auf Leben entfaltete sich im Schatten der Verfahrensgrundrechte: Das existentielle Recht auf Leben forderte bereits früh für sich einen besonderen Schutz, den es zunächst im Anspruch erlangen sollte, durch ein geregeltes öffentliches Verfahren vor seiner willkürlichen Beeinträchtigung durch die Staatsgewalt geschützt zu werden (s. o. § 10 II. 3.). Sollte historisch zunächst das Verfahren inhaltliche Grundrechtswirkung entfalten, so gilt nunmehr auch umgekehrt, daß „Grundrechte [für, J.A.] ihre Funktion in der sozialen Wirklichkeit“ nicht nur näherer inhaltlicher Normierung bedürfen, „sondern auch geeigneter Organisationsformen und Verfahrensregelungen“.2 Indessen sind die Verbindungslinien zwischen Grundrechten und Verfahren vielfältig. Aus grundrechtsdogmatischer Sicht geht es im vorliegenden Zusammenhang um die Bedeutung der Organisations- und Verfahrensregelungen für den Ausgleich kollidierender Verfassungsrechtspositionen.3 Die Grundrechte sollen durch grundrechtsschützende Verfahrensvorschriften sachgerecht einander zugeordnet werden.4 Deutlich wird diese Funktion des Grundrechtsschutzes durch Verfahren(srecht) in seiner Abgrenzung vom Grundrechtsschutz im Verfahren(srecht).5 Letztere fragt als grundrechtsorientierte Verfahrensnormauslegung aus einer verfahrensinternen Perspektive nach dem Grundrechtsschutz in einer bestimmten prozessualen Situation. Dagegen bezieht sich der Grundrechtsschutz durch Verfahrensrecht aus der verfahrensexternen Perspektive auf die Tauglichkeit des Verfahrens als Ganzes für die Grundrechtsverwirklichung.
Näher siehe Stern, 1988, III / 1, § 69 V. 1., S. 955 m. w. N. BVerfGE 53, 69 (71) – Sondervotum; siehe auch Hesse, EuGRZ 1978, S. 427 (434). 3 Stern, 1988, III / 1, § 69 V. 7. d, S. 974, zählt daneben noch vier weitere Funktionen auf: (1) bestimmte Verfahren oder Organisationen als Bedingung der grundrechtlichen Wirksamkeit, (2) Einwirkung der Grundrechte auf das Verfahrensrecht, (3) Organisation und Verfahren als Instrumente für die unmittelbare Verwirklichung der Grundrechte und (4) besondere Anforderungen für die Verfahrensgestaltung oder -teilhabe aus den Grundrechtsbestimmungen. Siehe auch Ossenbühl, 1982, S. 183 (184 ff.); Hesse, EuGRZ 1978, S. 427 (434 ff.). 4 Allerdings steht das Recht auf aktive Sterbehilfe nicht in einem direkten Kollisionsverhältnis zum Lebensschutz. Die Verfahrensregelungen haben deshalb in erster Linie das Ziel, Mißbräuche zu verhindern, den tatsächlichen Willen des Sterbenden zu ermitteln oder im Bereich der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe die Aufrechterhaltung der strengen Grenzen des Verfassungsrechts sicherzustellen. Die Kollision ergibt sich damit erst aus dem erhöhten Gefährdungspotential einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, unfreiwillig Opfer eines Tötungsdelikts zu werden. 5 Ossenbühl, 1982, S. 183 (ebda.); Saliger, ARSP 2000, S. 101 (124). 1 2
§ 22 Lebensschutz durch Verfahren
403
Drei Gründe lassen sich anhand der Rechtsprechung des BVerfG für die Bedeutung des Grundrechtsschutzes durch Verfahren aufzeigen.6 „Prozeduraler Grundrechtsschutz ist insbesondere dort geboten, wo die Grundrechte ihre materielle Schutzfunktion nicht hinlänglich erfüllen können.“7 Zum ersten kommen dafür Regelungsdefizite auf normativer Ebene in Betracht, wenn das Grundrecht keine materiellen Maßstäbe für bestimmte grundrechtsrelevante staatliche Maßnahmen liefert. Eine Ergebniskontrolle am Maßstab des Grundrechts fällt dann aus.8 Von Bedeutung sind zum zweiten kognitive Defizite, wenn kein gesichertes Wissen, sondern nur ein Annäherungswissen – z. B. bei komplexen Sachverhalten – gegeben ist.9 Schließlich sind zeitliche Beschränkungen relevant, „wenn eine Ergebniskontrolle an materiellen Maßstäben zwar noch denkbar ist, aber erst zu einem Zeitpunkt stattfinden kann, in dem etwaige Grundrechtsverletzungen nicht korrigierbar sind“10. In diesen „Fällen ist es erforderlich, den Grundrechtsschutz in den Prozeß der Entscheidungsfindung vorzuverlagern und nicht erst auf das Entscheidungsergebnis zu beziehen“11. Der Zusammenhang zwischen dem Grundrechtsschutz durch Verfahren und der Transzendentalpragmatik verdeutlicht sich besonders in der skeptischen Grundhaltung der Diskurstheorie. Die Beschränkung letztbegründeter moralischer Legitimationen auf den engen Bereich der Bedingung der Möglichkeit von Autonomie geht von einem weiten Feld unterschiedlicher Auffassungen über das Gesollte aus. Nicht anders wird die empirische Erkenntnis als unabgeschlossener Prozeß angesehen, der erst im Rahmen einer idealen Kommunikationsgemeinschaft seinen Abschluß finden könnte. Diskurse vermögen – abgesehen von dem engen Bereich der transzendentalen Explikation des nicht sinnvoll Bestreitbaren – damit immer nur zu einem vorläufigen Abschluß zu gelangen. Da diese realen Diskurse immer unter zeitlichen, sozialen und sachlichen Beschränkungen stehen, können ihre Ergebnisse nur eine Vermutung auf Gültigkeit in Anspruch nehmen. Die Grundhaltung der Diskurstheorie ist damit die Annahme normativer, kognitiver und zeitlicher Defizite, weshalb der Erkenntnisprozeß grundsätzlich im allseitig fortdauernden Diskurs offengehalten werden muß.12 Die skeptische Haltung der Diskurstheorie kann dazu verleiten, die Grundrechte in plurale und partikulare Diskurse aufgehen zu lassen, um auf diese Weise mögSiehe Saliger, ARSP 2000, S. 101 (105 f.). BVerfGE 90, 60 (96). 8 BVerfGE 90, 60 (96); Saliger, ARSP 2000, S. 101 (105). 9 BVerfGE 53, 69(76 f.) – Sondervotum; Saliger, ARSP 2000, S. 101 (105). 10 BVerfGE 90, 60 (96). 11 BVerfGE 90, 60 (96); siehe auch 53, 30 (64 f.). 12 Die Forderung der Diskurstheorie nach einer stärkeren rechtlichen Institutionalisierung von Diskursen wird durch den internen Zusammenhang zwischen privater und öffentlicher Autonomie bestärkt. Erst in den „Formen der Kommunikation, in denen sich diese Autonomie allein äußern und bewähren kann“, liegt die Legitimität der Rechtsordnung und „der Schlüssel zu einem prozeduralistischen Rechtsverständnis“; Habermas, 1992, S. 493. 6 7
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
lichst weitgehend allen eine aktive und mitverantwortliche Teilnahme an einer sich selbst regulierenden Zivilgesellschaft zu ermöglichen. Das würde für einen weiten Zuständigkeitsbereich der Ethikkommissionen sprechen. Dabei würde übersehen, daß sich dem Ziel der Verwirklichung der Autonomie nur dann approximativ angenähert werden kann, wenn die Bedingung der Möglichkeit von öffentlicher und privater Autonomie (Grundrechte, öffentliche Kommunikation, Wahlen usw.) gewährleistet ist. Der Schutz durch Verfahren läßt sich deshalb nicht vom materiellen Gehalt des jeweiligen Grundrechts lösen, sondern muß in seiner Funktion grundrechtsgeprägt sein, um grundrechtsdienlich sein zu können.13 „Erfüllt das vom Gesetzgeber geschaffene Verfahrensrecht seine Aufgabe nicht oder setzt es der Rechtsausübung so hohe Hindernisse entgegen, daß die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtspostion entsteht, dann ist es mit dem Grundrecht, dessen Schutz es bewirken soll, unvereinbar.“14 Deshalb stehen die oben genannten hohen Anforderungen an den Gesetzgeber zum effektiven Lebensschutz nicht im Widerspruch zum prozeduralistischen Rechtsverständnis der Diskurstheorie, sondern gehen ihm als seine Bedingung notwendig voraus. Unter dieser Maßgabe ist der zunehmenden Anerkennung des Grundrechtsschutzes durch Verfahren auch im Bereich des Lebensschutzes15 grundsätzlich zuzustimmen. Das eingeführte Verfahren muß theoretisch einen ausreichenden Schutz versprechen, seine praktischen Auswirkungen überwacht und Fehlentwicklungen entgegengetreten werden. Aufgrund der Irreversibilität der Zerstörung des Lebens kommt dem präventiven Lebensschutz der Primat gegenüber repressiven Regelungen zu (s. o. § 9 III.). In dem präventiven Verfahren müssen die Interessen des Patienten, mindestens durch advokatorische Diskurse, zur Geltung kommen (vgl. oben § 7 VII. 4. d). Unzulässig wäre es, wenn die Gewissensfreiheit des Arztes als Verfügungsrecht über das Leben seines Patienten angesehen würde (s. o. § 11).
II. Ethikkommissionen Inwieweit kann sich unter diesen Vorgaben der Gesetzgeber zur Erfüllung seiner Schutzpflicht im Bereich der Sterbehilfe der Etablierung von Ethikkommissionen bedienen? Ethikkommissionen sind in der Regel interdisziplinär zusammengesetzte Beratungs- und u. U. auch Kontroll- oder Entscheidungsgremien. Im Bereich der Medizin wurden seit den 70er Jahren teils bei den medizinischen Fakultäten, teils bei den Ärztekammern Ethikkommissionen angesiedelt. Sachlich begründet werden 13 14 15
Deninnger, HStR V., § 113 Rn. 20; Saliger, ARSP 2000, S. 101 (120). BVerfGE 63, 131 (143). Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 55.
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diese Gremien mit dem dort gebündelten Sachverstand, einem allgemeinen öffentlichen Kontrollinteresse durch diese Gremien, der Institutionalisierung eines rationalen Diskurses zwischen verschiedenen Fachkompetenzen sowie der Repräsentation und Berücksichtigung einer großen Interessenvielfalt.16 Ethikkommissionen können deshalb in einem prozeduralistischen Rechtssystem ein wichtiges Element zur öffentlichen Zivilgesellschaft sein. Da dem Gesetzgeber bei der Etablierung eines Schutzkonzepts ein nicht unerheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt (s. o. § 9 III.), ist grundsätzlich auch die Integration von Ethikkommissionen bei der Organisation eines effektiven Lebensschutzes nicht ausgeschlossen. Im Hinblick auf die in Betracht kommenden Aufgaben ist dabei zwischen der Beratungs-, Kontrollund Entscheidungsfunktion von Ethikkommissionen zu unterscheiden. Eine Funktion der Ethikkommissionen als Entscheidungsinstanzen hinsichtlich der aktiven Sterbehilfe scheidet dabei aus. Einschränkungen des Grundrechts auf Leben unterliegen ebenso dem Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG wie die Beschränkung der negativen Selbstbestimmung über das eigene Leben (s. o. § 10 III. 9.). Ethikkommissionen können deshalb nicht nach der eigenen ethischen Grundüberzeugung eine aktive Sterbehilfe untersagen. Auch der Wesentlichkeitsbzw. Parlamentsvorbehalt steht einer Entscheidungsgewalt der Ethikkommissionen in diesem Bereich entgegen. Nach der Wesentlichkeitslehre muß der Gesetzgeber „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst [ . . . ] treffen“17. Wegen der doppelten Prägung der aktiven Sterbehilfe durch die Menschenwürde – Schutz des Lebens und urpersönliche Selbstverfügungsrechte über den eigenen Körper – und der grundlegenden Bedeutung der Regelung der Sterbehilfe für das Individuum wie die Rechtsgemeinschaft muß der Gesetzgeber den wertenden Ausgleich der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, Dritter und der Allgemeinheit selbst vornehmen. Er kann dies weder dem rechtsfreien Raum privater Beliebigkeit zuweisen, noch der Selbstregulierung durch Standesorganisationen, deren Ethikkommissionen, oder Interessenverbänden überlassen.18 Das deliberative Modell, das der Bürgergesellschaft wieder mehr Partizipation und Eigenverantwortung zuweisen will, wird damit durch die Wesentlichkeitslehre in grundsätzlichen Fragen dem öffentlich zugänglichen Verfahren der formellen Gesetzgebung vorbehalten. Berechtigt ist dieser Vorbehalt im Bereich der Sterbehilfe, weil die Allgemeinheit kaum über die Ethikkommissionen eines Krankenhauses, sondern nur über eine allgemeine gesellschaftliche Diskussion hinreichend an der Entscheidungsfindung partizipieren kann. Der Autonomieanspruch des Patienten geriete sonst strukturell ins Abseits, da in den Ethikkommissionen die maßgeblichen Entscheidungsträger aufgrund ihrer beruflichen Sach16 17 18
Siehe Jung, 1991a, S. 401 (403). BVerfGE 49, 89 (126 f.); 61, 260 (275); 88, 103 (116). Lorenz, HStR VI., § 128 Rn. 48; Kaufmann, JZ 1982, S. 481 (486).
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
kenntnis die Ärzte sind – insbesondere bei den den Ärztekammern zugeordneten Ethikkommissionen. Die Partikularisierung der ethischen Entscheidungsfindung in den Krankenhäusern würde zur Pluralisierung der Ergebnisse führen und damit den Patienten das Risiko zuweisen, von der ethischen Haltung des Krankenhauses überrascht zu werden. Normierungen sind im Bereich der Sterbehilfe allerdings nur begrenzt möglich. Den grundrechtlichen Vorgaben zuordnenbare Grenzen können nicht immer scharf gezogen werden, da sich die „Biologie des Sterbens“ nicht in Sprüngen, sondern in fließenden Linien vollzieht.19 Nicht weniger schwierig sind kognitive Begrenzungen des Wissens. Z. B. sind Prognosen oft mit Unsicherheiten behaftet, oder die lebensverkürzende Wirkung von Medikamenten kann nicht sicher ausgeschlossen werden. Zudem befindet sich das Wissen in der Medizin aufgrund der aufwendigen Forschungen in einer stetigen Veränderung. Medizinisch-technische Fortenwicklungen können zu neuen Therapieformen führen, die Schmerztherapie verändern. Früher aussichtslose Fälle erfahren eine positive Prognose. Beispielhaft sind die heutigen medizinischen Möglichkeiten der Neonatalmedizin, die selbst Frühgeburten unter 1000 Gramm Überlebenschancen ermöglichen20. Im Bereich der Sterbehilfe ist damit eine Prozeduralisierung des Grundrechtsschutzes erforderlich, weil anderenfalls Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht seine materiellrechtliche Wirkung entfalten könnte. Ethikkommissionen, die die medizinische Praxis und ethischen Schwierigkeiten bei der Konkretisierung der gesetzgeberischen Wertungen auch nach außen hin kommunizieren, können damit eine wichtige Ergänzung eines effektiven Grundrechtsschutzes sein. Auch von daher könnten in einem deliberativen Rechtsmodell Ethikkommissionen die wichtige Funktion erfüllen, als beratende Organe einen durch interdisziplinäre Diskussionen aufbereiteten Wissens- und Meinungsstand in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Die Praxis des Sterbens wäre dann aus dem Sonderbereich der beruflich damit beauftragten Spezialisten wieder mehr als gemeinsamer Gegenstand der Bürgergesellschaft zurückgewonnen. In Betracht kommen können Ethikkommissionen ebenfalls als Kontrollorgane (s. u. III.), wenn auch die Selbstkontrolle der Ärzte bei Verfügungen über das Leben und Sterben ihrer Patienten nicht unbedenklich ist.
III. „Richter über Leben und Tod“? Wie am Beispiel der Ethikkommissionen gezeigt, ist es nicht die Aufgabe der Prozeduralisierung des Lebensschutzes in der Grundrechtsordnung, den basalen Lebensschutz zu „verhandeln“. Die Grundrechtsverwirklichungsfunktion eines 19
lich? 20
Z. B. Wann ist eine Person noch bei klarem Verstand? Wann ist ein Zustand unerträgSiehe Weber / Vogt-Weber, ArztRecht 1999, S. 4 (4 ff.).
§ 22 Lebensschutz durch Verfahren
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prozeduralisierten Lebensrechtes würde vor allem das bislang bestehende repressive strafrechtliche Schutzsystem durch ein präventives prozedurales Schutzsystem ablösen. Diesen Schritt hat auch der 63. Deutsche Juristentag vollzogen, der die zivilrechtlichen Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie zum Gegenstand seiner Tagung hatte.21 Während die auf dem 56. Deutschen Juristentag behandelte strafrechtliche Perspektive22 vor allem die Pflichtenstellung des Arztes, die objektiven Grenzen der Sterbehilfe und die repressive Verfolgung der Verbotsverletzung im Blick hatte, richtet sich der zivilrechtliche Ansatz stärker auf die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung und Selbstgestaltung des Patienten und der prozeduralen Regelungen, um durch präventive Kontrollregelungen Rechtssicherheit zu schaffen.23 Dabei müssen und sollten strafrechtliche und zivilrechtliche Regelungen nicht als Ausschlußverhältnisse verstanden werden, sondern können in der richtigen Abstimmung den verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich zwischen dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben und dem allgemeinen Lebensschutz herstellen. Das Grundgesetz bietet dabei den Ansatzpunkt für die Verknüpfung beider Perspektiven, indem es der Autonomie des Menschen einen besonders hohen Stellenwert zuweist. Realisieren läßt sich diese Autonomie im Bereich des Sterbens nur, wenn einerseits präventive prozedurale Regelungen bestehen, die geeignet sind, den Patientenwillen rechtzeitig zu ermitteln, und andererseits diesem Verfahren, seinen Maßstäben und den Entscheidungen des Patienten durch repressive Regelungen hinreichend Achtung verschafft wird. Ein derartiges Zusammenspiel entspricht dem umfassenden Autonomieanspruch des Grundgesetzes im Sinne eines Schutzes vor Fremdverfügungen und dem Recht auf Selbstbestimmung im Sterben. Daß dem Staat im Bereich des Sterbens eine dominante Rolle zukommen soll, stößt auf verbreitete Kritik. Ebenso wie im Bereich der Abtreibung, die nach zunehmender Auffassung allein der Gewissensentscheidung der betroffenen Frau unterliegen soll, wird die in der Prozeduralisierung liegende Tendenz kritisiert, „auf den Staat und seine Bürokratie in schwierigen familiären Angelegenheiten als Unparteiische zurückzugreifen und damit staatlichen Organen die Verantwortung aufzubürden.“24 Betreuer, Angehörige und behandelnde Ärzte würden den wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten am besten kennen. Der Vormundschaftsrichter müsse sich ohnehin auf deren Urteil verlassen, und es fehle „jeglicher Beleg, daß die Entscheidung des Richters hier für den Betroffenen besser wäre.“25 Zugespitzt wird die Kritik in der Behauptung, daß die Privatheit des SterSiehe Taupitz, 2000. Siehe H. Otto, 1986. 23 Taupitz, 2000, A 11; Saliger, ARSP 2000, S. 101 (142). 24 Müller-Freienfels, JZ 1998, S. 1123 (1125); ebenso Eberbach, MedR 2000, S. 267 (269); Hufen, NJW 2001, S. 849 (852); Laufs, NJW 1998, S. 3399 (3400). 25 Eberbach, MedR 2000, S. 267 (269); auch Wagnitz / Engers, FamRZ 1998, S. 1256 (1257). 21 22
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
bens nicht einem gerichtlichen Verfahren unterworfen werden dürfe und es nicht die Aufgabe des Staates sein könne, über „Leben und Tod von Kranken“ zu entscheiden. Eine solche Verstaatlichung widerspräche der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde.26 Gegen diese Einwände ist festzuhalten, daß die effektive Schutzverpflichtung des Staates für das Leben und die Menschenwürde genau umgekehrt fordert, den sterbenden und dabei oft schutz- und wehrlosen Patienten vor seinen potentiellen Angreifern zu schützen. Weiterhin ermöglicht erst die Prozeduralisierung, daß der Patient über sein Sterben selbst bestimmen kann, ohne daß z. B. durch die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe oder des in einer Patientenverfügung geforderten Behandlungsabbruchs das Untermaßverbot gegenüber anderen Patienten verletzt wird. Zutreffend ist allerdings, daß es dem Gesetzgeber vorbehalten ist, innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen den Bereich des Legalen abzustecken. Nur kann das öffentliche Verfahren einer parlamentarischen Gesetzesregelung, der in dieser Frage eine breite gesellschaftliche Diskussion vorausgehen würde, eine höhere Vermutung der Richtigkeit für sich in Anspruch nehmen, als wenn ein einzelner Arzt oder seine Standesorganisation aus einem paternalistischen Verständnis heraus meinen, das Wohl des Patienten festlegen zu dürfen. Jede angemessene Regelung der Sterbehilfe wird allerdings unvermeidlich Konkretisierungs- und Anwendungslücken aufweisen, bei denen Ethikkommissionen eine wichtige Aufklärungs- und Ergänzungsfunktion ausüben können. In diesem System wäre der Richter auch nicht „Richter über Leben und Tod“, sondern er überwacht, ob der Arzt oder die Angehörigen die Grenzen der gesetzlichen Regelung beachtet haben. Die prozedurale Einbeziehung des Gerichts ermöglicht ein höheres Maß an Entscheidungsrationalität und eine weitestgehende Absicherung der Patientenautonomie gegenüber Mißbräuchen.27 Allerdings könnte die Überwachung statt von Gerichten durch interdisziplinär besetzte Ethikkommissionen übernommen werden, wenn diese selbst einer ausreichenden staatlichen Kontrolle unterliegen, welche die Einhaltung der grundgesetzlichen Anforderungen an den Lebensschutz überwacht.28 Die Anwendungsprobleme und die Irreversibilität der Entscheidungsfolgen sprechen mithin für eine Prozeduralisierung der Sterbehilfe und wären auch im Bereich der aktiven Sterbehilfe für einen Grundrechtsschutz durch Verfahren geeignet, durch eine ex ante Prüfung mehr Rechtsgüterschutz für die Patienten und mehr Rechtssicherheit für die Ärzte und Verwandten zu schaffen. Zudem bewirkte die Institutionalisierung in einer öffentlichen Kommunikation eine Aufklärung der Eberbach, MedR 2000, S. 267 (269); siehe auch Ankermann, MedR 1999, S. 387 (390 f.). Taupitz, A 84; Saliger, KritV 1998, S. 118(125 u.134). 28 Damit könnte auch den Intentionen von BGH NJW 2003, S. 1588 (1594), entsprochen werden, dass „die Vormundschaftsgerichte nur in Konfliktlagen angerufen werden können“ und nicht „mit einer Aufgabe bedacht werden, die ihnen nach ihrer Funktion im Rechtssystem nicht zukommt“. 26 27
§ 23 Konsequenzen für die strafrechtliche Regelung
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Allgemeinheit über die sachlichen Schwierigkeiten und damit einen realistischeren Umgang mit den Problemen der Sterbehilfe.
§ 23 Konsequenzen für die strafrechtliche Regelung. Ein Gesetzgebungsvorschlag Die Frage nach einer Reform der Tötungsdelikte im Hinblick auf die Sterbehilfe war bereits Gegenstand des 56. Deutschen Juristentags.29 Ihm sind eine Fülle von Reformvorschlägen vorausgegangen und nachgefolgt.30 Wie stark über die Sterbehilfe hinaus allgemein die Fragen des Lebens im Streit stehen, läßt sich an den vehementen Diskussionen im Bereich der Humangenetik, des Schwangerschaftsabbruchs und der Organtransplantation ablesen. Der 56. Deutsche Juristentag31 empfahl, auch künftig die aktive Sterbehilfe nicht zuzulassen. Befürwortet wurde allerdings entsprechend dem Alternativentwurf über ein Gesetz zur Sterbehilfe gesetzlich die Möglichkeit vorzusehen, daß das Gericht von Strafe absehen kann, wenn die Tötung zur Beendigung eines unerträglichen Leidenszustandes vorgenommen worden ist. Der Alternativentwurf empfahl die Ergänzung des § 216 StGB um folgenden Absatz:32 „Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von Strafe absehen, wenn die Tötung der Beendigung eines schweren, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann.“
Das entspricht teilweise den Feststellungen vorliegender Arbeit. Das strafrechtliche Verbot der aktiven Sterbehilfe ist ein unverhältnismäßiges Mittel zum Schutz des Lebens, wenn der Patient den Tod seinem unvermeidbar schweren Leiden vorzieht und zum Suizid nicht mehr in der Lage ist (s. o. § 19 V.). Dennoch empfiehlt sich insoweit eine Ergänzung des § 216a StGB nicht, weil kaum Fälle ersichtlich sind, in denen der Notsituation des Patienten unter Vermeidung der aktiven Sterbehilfe nicht angemessen begegnet werden kann. Wenn der Patient noch schlucken kann, dann ist die Beihilfe zum Suizid möglich. Ist der Patient auch hierzu außerstande, dann muss er nur die Zuführung nahrhafter Nahrung durch eine Magensonde u. ä. verweigern; schweren Leidenszuständen bis zum Tod durch Entkräftung könnte durch eine Sedierung begegnet werden. Siehe H. Otto, 1986. Am bekanntesten ist der von Baumann u. a., 1986, vorgelegte Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe. Siehe auch Muschke, 1988; Hoerster, 1998, S. 169 f.; Küng, 1995, S. 13 (65 f.). 31 DJT, 1986, M 193. 32 Auch abgedruckt in DJT, 1986, M 55. 29 30
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
Hilfreich wäre jedoch die Einführung eines § 216a StGB hinsichtlich der indirekten Sterbehilfe: § 216a StGB Eine Tötung ist nicht rechtswidrig, wenn ein Arzt im ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einverständnis eines infaust erkrankten Patienten33 zur Linderung von dessen Leidenszuständen nicht mehr Mittel einsetzt, als zur physischen Schmerzbehebung nach ärztlichem Ermessen erforderlich ist, und dadurch eine unvermeidbare Beschleunigung des Todeseintritts bewirkt.
Der Absatz 2 würde die Legalität der indirekten Sterbehilfe trotz ihrer vorsätzlichen und direkten Tötungshandlung – begrenzt auf das zur Schmerzstillung oder -linderung notwendige Maß – klarstellen. Ein effektiver Lebensschutz würde allerdings weitere Maßnahmen erfordern. Geboten wäre bei der indirekten Sterbehilfe eine stärkere Kontrolle des Arztes zum Schutze des Patienten, da der Tod mit nicht indizierten höheren Dosen früher herbeigeführt werden kann. Die jetzige Regelung wird deshalb der verfassungsrechtlich dem Gesetzgeber auferlegten Schutzpflicht nicht gerecht (vgl. oben § 16 III.). Da dem Gesetzgeber einerseits bei der Ausgestaltung seiner Schutzpflichten ein weiter Ermessensspielraum zusteht und andererseits ein ernsthafter Gesetzgebungsvorschlag nur durch Berücksichtigung des medizinischen Sachverstandes möglich ist34, kann vorliegend hierzu kein Vorschlag unterbreitet werden. Als Anhaltspunkte für eine Neuregelung könnten dabei die in § 24 genannten Verfahrensaspekte eines Zusammenspiels zwischen Gesetzgeber, Ethikkommissionen und Gerichten dienen. Weitergehende Änderungen der derzeitigen Regelung der aktiven und indirekten Sterbehilfe sind dagegen primär rechtspolitische Fragestellungen. Der dem Gesetzgeber eingeräumte Einschätzungs-, Abwägungs- und Gestaltungsspielraum, verweist die Verantwortung an das Sittlichkeitsverständnis des Gemeinwesens. Der Verfasser präferiert bei der freiwilligen aktiven Sterbehilfe mit den vorgestellten notwendigen Korrekturen die strengere gegenwärtige Regelung. Die Argumente für die gegenwärtige Regelung wurden bereits ausgeführt (s. o. § 14 u. § 19). Hinsichtlich der Neugeborenen scheint dem Verfasser dagegen die unter § 16 dargestellte Regelungsmöglichkeit unter Berücksichtigung der aufgezeigten Verfahrensanforderungen angemessener zu sein. Neben der persönlichen Vorstellung vom humanen Verhalten und dem nur schwer zu vermittelnden Sinn eines bloßen Leidens entspricht diese Einstellung der eigenen Vermutung über die Behandlung, die man für sich selbst wünschte, wenn sich das Bewußtsein auf das Erleiden von Schmerz reduzierte und weitere Sinndimensionen, die auch ein Leiden im Sterben 33 Der Gesetzgeber kann den lebensverkürzenden Analgetikaeinsatz bei solchen Patienten untersagen, bei denen mangels Willensbildung auch kein mutmaßliches Einverständnis gegeben ist (s. o. § 21 III.). Die herrschende Strafrechtsdogmatik konstruiert allerdings z. B. bei Neugeborenen ein mutmaßliches Einverständnis in indirekte Sterbehilfe, s. o. § 3 IV. 34 Diesem Zweck dienen z. B. die Hearings des Deutschen Bundestages im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens.
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zur Aufgabe werden lassen können, nicht mehr möglich wären. Dahinter steht die Auffassung, daß von anderen nicht mehr abverlangt werden sollte, als man sich selbst zumutet.35
§ 24 Exkurs: Passive Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht An jede Darlegung des verfassungsrechtlichen Lebensschutzkonzeptes ist die Erwartung der Konsistenz zu stellen.36 Die Ausführungen dieses Exkurses dienen der Überprüfung der inneren Schlüssigkeit des eigenen Ansatzes, die nur dann hinreichend dargelegt ist, wenn die getroffenen Aussagen zum Lebensschutz im Grundgesetz auch im Bereich der passiven Sterbehilfe überzeugend sind.
I. Freiwillige passive Sterbehilfe Mit der Darlegung des Rechts des einwilligungsfähigen Patienten, ärztliche Maßnahmen aus welchen Gründen auch immer abzulehnen, wurde zum einverständlichen Behandlungsabbruch bereits hinreichend Stellung genommen (s. o. § 10 I.). Die Autonomie des Patienten, Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit abzulehnen, läßt für eine Lebenserhaltungspflicht des Arztes gegen den Willen des Patienten keinen Raum. Der Arzt ist dann nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, seine Lebenserhaltungsbemühungen einzustellen.37 Der Schutz der körperlichen Autonomie verlangt, daß Behandlungsaufnahme und Behandlungsfortführung nur mit Einwilligung des Patienten erfolgen dürfen.38 Nicht erst der 35 Das ist im Grunde die goldene Regel, vgl. Mt. 7, 12: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten.“ 36 Dem wird z. B. Laber, 1997, S. 115 ff. u. 247, nicht gerecht, wenn er in der Verfassung einen absoluten Lebensschutz und ein Verbot der Bewertung der Qualität von Leben darlegt, dann aber im Bereich des einseitigen Behandlungsabbruchs eine qualitative Lebensbetrachtung befürwortet, kritisch auch Ingelfinger, GA 1999, S. 294 (296 f.). Konsequent verfolgt wird dagegen ein absoluter Lebensschutz bei Leisner, 1976, S. 9 ff., der entsprechend jede Form der Sterbehilfe ablehnt, die auch nur die geringste feststellbare Lebenszeitverkürzung zur Folge hat. Die Verfassung erlaubt danach weder die aktive noch die indirekte noch die passive Sterbehilfe, Leisner, a. a. O., S. 39 f. 37 Klar sollte sein, daß das den Arzt nicht zu einem gänzlichen „Behandlungsabbruch“ berechtigt. Normalerweise lehnt der Patient nur konkrete einzelne Maßnahmen ab, siehe Taupitz, 2000, A 17 f.; Lipp, 1999, S. 75 (85). Die gewünschte palliative Behandlung und pflegerische Versorgung muß dann nach wie vor erbracht werden, s. o. § 9 VIII. 5. b. 38 Um eine freie Entscheidung zu ermöglichen, bedarf es allerdings der Aufklärung des Patienten (informed consent). Vgl. BVerfGE 52, 131 (176); Francke, 1994, S. 110 ff. Im Einzelfall kann es zweifelhaft sein, ob der Patient die Wahrheit verträgt. Das Entscheidungsrecht
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
Abbruch bedarf einer Einwilligung des Patienten, sondern schon die Behandlung und damit auch die Weiterbehandlung.39 Folgt man der hier vertretenen Auffassung, daß sich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt, läßt sich die gängige strafrechtsdogmatische Konstruktion, daß auch bei der freiwilligen passiven Sterbehilfe ein Konflikt zwischen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten bestünde, nicht mehr aufrecht erhalten.40 Entscheidet sich der Patient gegen die Lebenserhaltung, ist kein Raum für die Annahme, der Arzt sei zur Erhaltung dieses menschlichen Lebens zwar grundsätzlich verpflichtet, nur trete diese Pflicht hinter das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zurück. Mit der Disposition des Patienten gegen seine Lebenserhaltung entfällt vielmehr die Konfliktlage zwischen Lebensschutz und Patientenautonomie.
II. Nichtfreiwillige passive Sterbehilfe Der Behandlungsabbruch bei (zwischenzeitlich) einwilligungsunfähigen Patienten ist danach zu unterscheiden, ob Anhaltspunkte für einen mutmaßlich individuellen Willen des Betroffenen vorliegen oder nicht.41 Ist dies nicht der Fall, kann nur nach objektiven Kriterien entschieden werden. In der Regel lassen sich jedoch aus vorherigen Äußerungen, den Grundhaltungen (z. B. religiöse Einstellungen) und bestenfalls Patientenverfügungen bestimmte Anhaltspunkte über den mutmaßlichen Willen ermitteln. Ist der vorab geäußerte Wille des Patienten eindeutig auf wird damit auch zur Entscheidungspflicht. Aber der Angst vieler Menschen, im Krankenhaus nicht gehört zu werden, läßt sich nur so begegnen, daß ihr Recht der Selbstbestimmung gegenüber den wohlmeinenden Ärzten grundsätzlich Vorrang genießt. Im Zivil- und Strafrecht wird dieser Anspruch dadurch umgesetzt, daß die Einwilligung den Eingriff nur dann legitimiert, wenn ihr eine hinreichende Aufklärung vorausgegangen ist. Aus zivilrechtlicher Sicht Taupitz, 2000, A 12 ff. m. w. N.; aus strafrechtlicher Sicht Tag, 2001, S. 43 ff. u. 332 ff. m. w. N. 39 BGHSt 37, 376 (378); Merkel, ZStW 107 (1995), S. 545 (559); Lipp, 1999, S. 75 (76 f.); Höfling, JuS 2000, S. 111 (116); Sternberg-Lieben, 1999, S. 349 (354); Taupitz, 2000, A 18 u. 44 f.; Dodegge / Fritsche, NJ 2001, S. 176 (181); hieraus darf aber nicht gefolgert werden, daß als ärztlicher Grundsatz „in dubio contra vitae“ gelten würde, s. u. II. 40 So aber die verbreitete Auffassung, die auch bei der freiwilligen passiven Sterbehilfe von einer den strafrechtlichen Normen zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Kollisionslage zwischen der Lebensschutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten ausgeht: Rieger, 1998, S. 27 ff. 41 Der Begriff des einseitigen Behandlungsabbruchs darf nicht als gänzliche Untätigkeit des Arztes mißverstanden werden. In erster Linie bezieht er sich auf die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen, wogegen Schmerzbehandlung, Basispflege und Basisversorgung zwar im Grundsatz den gleichen Regeln der Patientenautonomie folgen müssen, für diese aber doch im Normalfall ein mutmaßliches Einverständnis angenommen werden kann, siehe Lipp, 1999, S. 75 (85).
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einen Abbruch der Behandlung ausgerichtet, ist für weitere Mutmaßungen kein Raum. Der fortwirkende, eindeutige Wille des Patienten, hat absoluten Vorrang vor den Vorstellungen des Arztes oder der Familie, die eine Behandlungsfortsetzung wünschen.42 Allerdings kann der Wille des Patienten in diesen Fällen nicht mit der Deutlichkeit zum Ausdruck kommen wie beim ausdrücklich und aktuell erklärten einverständlichen Behandlungsverzicht. Die Entscheidungsunsicherheit ist in diesen Fällen typisch43 und wird auch durch Patientenverfügungen nicht immer ausgeräumt.44 Spätere Situationen lassen sich nur beschränkt vorab erkennen und der Wille des Patienten kann sich nach Abfassung der Patientenverfügung geändert haben. Man wird deshalb oft nur überwiegende Wahrscheinlichkeiten für einen bestimmten Willen feststellen können. Erforderlich ist damit eine Entscheidungsregel für die unklaren Fälle. Um zu tragfähigen Begründungen zu kommen, müssen zunächst die eindeutigen Bereiche diesseits und jenseits dieser Fallkonstellation geklärt werden: der einverständliche Behandlungsverzicht (s. o. I.) und das Fehlen jeglicher Anhaltspunkte für einen mutmaßlich individuellen Willen wie z. B. bei der Früheuthanasie. Letztere ist im Gegensatz zum Vorrang der Autonomie des einwilligungsfähigen Patienten verfassungsrechtlich noch wenig geklärt. Dabei ergibt sich das unvermeidare Problem, daß mangels Willensvorstellungen des Neugeborenen neben den Kosten der Lebenserhaltung nur der physisch-psychische Zustand des Säuglings Grund für den Behandlungsabbruch sein kann. Damit ist eine Bewertung der Qualität des Lebens unvermeidlich. Nun ergab die verfassungsrechtliche Erörterung, daß die Menschenwürde als Grund des Lebensschutzes eine grundsätzliche Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens verlangt (s. o. § 9 V. 4. c). Verbietet das Grundgesetz damit jede Bewertung der Qualität des Lebens? Dann wäre der einseitige Behandlungsabbruch, da die Lebensqualität bewertend, unter allen Umständen untersagt.45 Die scheinbare Unauflösbarkeit dieses Dilemmas des Verfassungsanspruchs einerseits und der Inhumanität einer solche Praxis andererseits, zeigt sich besonders deutlich dann, wenn die Lösung im unmittelbaren Rückgriff auf den Menschenwürdeartikel des Grundgesetzes mit folgender Argumentation gesucht wird.46 Auf der einen Seite gebiete es danach die Menschenwürde, jedes menschliche Leben als gleichwertig zu achten. Eine Differenzierung des Lebens mit Blick auf das Lebensgefühl oder Lebensinteresse verbiete sich deshalb.47 Andererseits begrenze 42 43 44 45 46 47
Vgl. auch Lipp, 1999, S. 75 (78). Siehe Merkel, ZStW 107 (1995), S. 545 (560). Eibach, MedR 2001, S. 21 (21 f.). So z. B. Leisner, 1976, S. 39 f. Siehe Laber, 1997, S. 115 u. 242 ff. BVerfGE 88, 203 (267).
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
das Gebot der Achtung der Menschenwürde diese Pflicht, weil die Menschenwürde die geistige Persönlichkeit des Menschen und dessen Befähigung, seiner selbst bewußt zu werden und sich selbst zu bestimmen, umfasse.48 Die Weiterbehandlung des irreversibel Bewußtlosen führe deshalb zur Objektbehandlung, weil die Lebensverlängerung dann nur noch außenstehenden Interessen dienen könne.49 Mit dieser Argumentation wird das, was zuvor vom Begriff der Menschenwürde ausgehend verneint wurde, gerade zum Verpflichtungsgehalt der Menschenwürde erhoben: die Vorrangstellung des Lebensschutzes der geistigen Persönlichkeit gegenüber anderen Formen des menschlichen Lebens.50 Das ist ein offener Widerspruch. Die Lösung des einseitigen Behandlungsabbruchs ergibt sich erst, wenn die paternalistische Außenperspektive zugunsten der Autonomieperspektive des Patienten verlassen wird.51 Anzusetzen ist bei der Rechtfertigungslast jeden Eingriffs in die körperliche Integrität. Denn der Begriff der Autonomie hat im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einen doppelten Aspekt: einmal als selbstbestimmte willentliche Entscheidung über das eigene Leben (s. o. § 10) und andererseits als basaler Ausdruck des Lebens, der einen grundsätzlichen körperlichen Integritätsschutz begründet (s. o. § 10 II. 9.). Da beides Ausdruck der Autonomie des Menschen ist, kann die Frage, ob jemand durch ärztliche Eingriffe zum Weiterleben gezwungen werden soll, keinem Automatismus des technischen Stands der Medizin unterliegen.52 Der Achtungsanspruch vor dem menschlichen Körper muß zu der Erwägung führen, ob der ärztliche Eingriff, der das Weiterleben ermöglicht, im mutmaßlichen Interesse des Betroffenen liegen kann.53
48 Laber, 1997, S. 244; vgl. auch Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig Art. 1 Rn. 18; noch weitergehend Model / Müller, Art. 2 GG Rn. 20: „Darüber hinaus ist zu fragen, ob nicht der Begriff Leben von der Menschenwürde her ausgelegt werden muß, so daß Vegetationsformen, in denen alle oder doch die überwiegenden Lebensfunktionen von Maschinen ersetzt werden, nicht mehr als Leben zu werten sind, weil die Garantie des Lebens nur aus der Fähigkeit des Lebens, Subjekt der Menschenwürde zu sein, ihren Sinn erhält.“ 49 Everschor, 2001, S. 397 ff. u. 418. 50 Das erkennt zutreffend Leisner, 1976, S. 24 f. 51 Es ist allerdings nicht ausreichend, die Grenze der eingesetzten Technik darin zu sehen, ob autonomes Leben erhalten oder wiederhergestellt werden kann und deshalb die Behandlung folglich dann abzubrechen, wenn „voraussichtlich die Autonomie des Organismus“ nicht wiederherzustellen ist, so aber Fuchs, 1997, S. 31 (72 f.). Denn die Autonomie des Organismus, d. h. die Fähigkeit, selbständig ohne Eingriffe von außen das Leben aufrechterhalten zu können, ist streng genommen auch beim zuckerkranken Patienten nicht gegeben, wenn dieser fortlaufend Insulinspritzen benötigt, um nicht der desintegrativen Tendenz seines Körpers tödlich zu erliegen. 52 Der Sache nach auch Hufen, NJW 2001, S. 849 (852); a.A. Leisner, 1976, S. 39, der jede Form des Sterbenlassens für rechtswidrig erachtet. 53 Grundlegend hierzu Geilen, 1975, S. 20 f.; jetzt zutreffend Hufen, NJW 2001, S. 849 (852).
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Hiergegen wird nun vorgebracht, daß der „Tod im Verhältnis zum noch so minimalisierten Leben kein ,Wohl‘ verspricht“.54 Gestützt wird diese Auffassung durch ein Verständnis des Integritätsschutzes in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als verfassungsrechtlich vorgegebene Lebenserhaltungsvermutung,55 da das „Lebenwollen“ die „fundamentalere Tatsache unseres Lebens“ sei.56 Richtig ist diese Auffassung insofern, als „typischerweise lebende Menschen ihr Leben, die Lebendigkeit des Körpers geachtet wissen wollen.“57 Auch wird man insoweit zustimmen müssen, daß eine „Vermutung für den auf Abwehr von Eingriffen gerichteten Willen des einzelnen zum (Weiter-)Leben“ gegeben ist.58 Dem wird die Verfassung mit der Anerkennung des Lebensschutzes als hohem Wert der Grundrechtsordnung gerecht.59 Hieraus folgt allerdings nicht, daß der Integritätsschutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf seine Var. 1 verengt ausgelegt werden darf.60 Der Achtungsanspruch gegenüber der körperlichen Integrität gilt für den ganzen Menschen und nicht nur einem davon losgelösten Lebenssubstrat.61 Die Achtung der körperlichen Integrität gebietet es, den Patienten nicht den jeweiligen Errungenschaften der Medizin gnadenlos preiszugeben, weil angeblich auch das minimalisierteste,62 mithin wohl auch das schmerzhafteste, „technisierteste“ oder gar „fremdbestimmteste“ Leben besser sei, als nicht zu leben. Wird die Entscheidung zum Behandlungsabbruch aber allein nach objektiven Kriterien getroffen, weil keine aufschlußreichen früheren Äußerungen des Patienten gegeben sind, dann läßt sich der Vorwurf nicht bestreiten, daß von außen über den Sinn der Dauer des Lebens entschieden wird.63 Das Problem ist allerdings, daß auch die Fortsetzung der ärztlichen Behandlung eine Fremdverfügung ist.64 Zu Recht hat man deshalb in der Medizin zunehmend erkannt, daß gegen den ärztlichen Grundsatz des „primum nil nocere“ auch dadurch verstoßen werden kann, wenn mit allen Mitteln für eine Verlängerung des Lebens um seiner selbst willen gearbeitet wird.65 Bernsmann, ZRP 1996, S. 87 (92); vgl. auch Höfling, JuS 2000, S. 111 (117). So z. B. Höfling, JuS 2000, S. 111 (117). 56 A.W. Müller, 1997, S. 61 ff. u. 80; Thomas, ZfL 1999, S. 23 (25). 57 Höfling, JuS 2000, S. 111 (116). 58 Höfling, JuS 2000, S. 111 (116). Man beachte allerdings, daß es beim einseitigen Behandlungsabbruch gerade nicht wie Höfling, a. a. O., wohl annimmt, um die Abwehr von Eingriffen geht, sondern um die Limitierung eines Eingriffs. 59 Höfling, JuS 2000, S. 111 (116). 60 So aber Höfling, JuS 2000, S. 111 (116). 61 In diesem Sinn auch Hufen, NJW 2001, S. 849 (852). 62 Bernsmann, ZRP 1996, S. 87 (92). 63 So z. B. Dörner, ZRP 1996, S. 93 (94 f.); siehe auch AG Hanau, BtPrax, 1997, S. 82 (83); Tolmein, KJ 1996, S. 510 (523). 64 Zutreffend, Saliger, KritV 1998, S. 118 (132 ff.); Lipp, 1999, S. 75, (84 f.). 65 Fuchs, 1997, S. 31 (72): „Es war dieser Aktionismus, der für gnadenlose Chemotherapie-Schemata verantwortlich war, mit denen krebskranken Patienten die letzten Lebensmo54 55
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Die Frage, nach welchen näheren Kriterien der einseitige Behandlungsabbruch unter Berücksichtigung der Vorgaben der Verfassung letztlich erfolgen sollte, kann in dieser Arbeit nicht abschließend verfolgt werden.66 Es wäre erforderlich, sich in der Diskussion der unvermeidlichen Bewertung der Qualität von Leben beim einseitigen Behandlungsabbruch zu stellen. Als Leitlinie des Grundgesetzes wäre zu beachten, daß die Lebenserhaltung und vor allem Lebensrettung ein gewichtiges Verfassungsgut ist,67 der Schutz der körperlichen Integrität dem aber nicht per se nachrangig gegenübersteht, weil einerseits das Leben normalerweise Ausdruck eines autonomen Prozesses ist und andererseits der Schutz der körperlichen Integrität auch eine Begrenzung des medizinisch Möglichen impliziert, um dem Sterben gegenüber einer anhaltenden Fremdbestimmung Raum zu lassen. Die grundsätzliche Verpflichtung des Staates zur Leidensminderung wäre hier ebenfalls zu berücksichtigen (s. o. § 19 III.). Die Möglichkeit der „Umkehrung der Werteordnung“ zwischen Leben und körperlicher Unversehrtheit ist letztlich Ausdruck davon, daß nicht das Leben, sondern die von der Menschenwürde geforderte Achtung der menschlichen Autonomie höchster Grundwert der Verfassung ist68 und als Auslegungsprinzip auf die nachfolgenden Grundrechte Einfluß nimmt.69 Erst darin eröffnet sich der Spielraum, der es ermöglicht, bezogen auf eine aus der Sicht des Betroffenen zu erwartende negative Qualität des Lebens von Maßnahmen der Lebenserhaltung abzusehen. Maßstab dürfen dabei nicht paternalistische Lebensqualitätshierarchien nach dem Bewußtseinsniveau seines Trägers sein. Advokatorische Diskurse sind gefordert, in denen die Perspektive des Betroffenen eingenommen wird.70 Andererseits ist aber auch einer Überbeanspruchung des Begriffs der Menschenwürde hier entgegen zu treten. Weder die Verlegung einer Magensonde noch die Weiterbehandlung bei wahrscheinlich irreversibler Bewußtlosigkeit lassen sich kurzerhand als Verletzung von menschlicher Würde subsumieren.71 Zu weit geht nate zur Qual gemacht wurden, um vielleicht noch ein paar Wochen für die statistische ,Überlebensrate‘ herauszuschinden.“ 66 Grundsätzliche Ausführungen hierzu bei Lorenz, HStR VI, § 128 Rn. 47 ff., der zu Recht darauf hinweist, daß dieser Wertungskonflikt in Anbetracht der grundlegenden Bedeutung der betroffenen Güter für die Rechtsgemeinschaft eine Regelung durch den Gesetzgeber erfordert und nicht der Selbstregulierung der Standesorganisationen und Interessenverbände überlassen werden darf, Lorenz, a. a. O., Rn. 48; a.A. Kutzer, MedR 2001, S. 77 (79). 67 Es ist davon auszuehen, daß Menschen grundsätzlich leben und überleben wollen. Wenn bei einem an Trisomie 21 erkrankten Säugling das Leben durch die Öffnung eines Darmverschlusses gerettet werden kann, dann gibt es keinen Zweifel, daß dieser ärztliche Eingriff in dem mutmaßlichen Interesse dieses Kindes liegt. 68 Siehe v. Münch, 2001, S. 27 (29 f.); Taupitz, 2000, A 13. 69 Ähnlich auch H. Otto, 1986 D 24 ff.; Hufen, NJW 2001, S. 849 (850 ff.). 70 Beispiele für einen advokatorischen Diskurs bei Böhler, ZEE 1991, S. 166 (177 f.); Habermas, 2001, S. 78 f. u. 91 f. 71 Zutreffend die kritischen Bemerkungen von Rieger, 1998, S. 36 ff.; a.A. Everschor, 2001, S. 397 ff. m. w. N. Eine Verletzung der Menschenwürde kommt hier in der Regel nur in Betracht, wenn gegen den vorher erklärten Willen des Patienten weiter behandelt wird.
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es auch, wenn Menschenwürde mit Schmerzfreiheit gleichgesetzt wird und deshalb Frühgeborenen „wegen schwerster Behinderungen und größten Leidens ein menschenwürdiges Leben nicht möglich“ sein soll.72 Es gibt kein Leiden, das den Menschen seiner Würde beraubt oder seine Existenz menschenunwürdig werden läßt.73 Würdeverletzung ist eine relationale Kategorie, eine Verletzung der Mitmenschlichkeit. Nicht der Hungertod an sich verletzt die Würde von Menschen, sondern er ist erst dann Ausdruck einer Würdeverletzung, wenn der Reiche den Armen vor dem Verhungern bewahren kann, aber nicht bereit ist, mit ihm zu teilen, um ihn als Mitglied der Anerkennungsgemeinschaft zu erhalten.74 Beim Frühgeborenen kann es deshalb keinen Schmerz geben, der diesen Menschen aus der Anerkennungsgemeinschaft ausschließt.75 Allerdings kann es Ausdruck der Achtung vor der körperlichen Integrität anderer Menschen sein, wenn wir ihre Leidensfähigkeit nicht auf die Probe stellen und bereit sind, auf den Einsatz des medizinisch Möglichen zu verzichten.76 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie das verfassungsrechtliche Verbot der Bewertung von menschlichem Leben als „lebensunwert“ genauer zu verstehen ist. Es wurde bereits festgestellt, daß der gleichberechtigte Schutz des Lebens im Dasein des Menschen selbst beruht, die bereits mit seiner biologisch-physiologischen Existenz gegeben ist (s. o. § 9 V. 4. a, dd). Mit der Feststellung eines Lebens als lebensunwert wird genau dies bestritten, da damit dem Leben an sich das Lebens72 Vgl. dagegen Hufen, NJW 2001, S. 849 (856) und S. 855 f.: „Erreicht der Zustand des Leidens den Grad buchstäblicher Menschenunwürdigkeit – etwa bei nicht lebensfähigen, aber in schwerstem Maße leidenden Neugeborenen, dann geht die Menschenwürde vor und die Schwergewichtigkeit des Satzes: ,Der Arzt darf nicht Herr über Leben und Tod sein‘ verfälscht nur den Verfassungsauftrag. ,Herr über die Menschenwürde‘ darf der Arzt erst recht nicht sein.“ A. a. O., S. 852: „Die Freiheit von Leid und der Schutz vor Schmerz hindern den Staat daran, durch seine Gesetzgebung und Rechtsprechung den Schutz der biologischen Existenz so weit zu treiben, dass buchstäblich unwürdiges menschliches Leben verlängert wird.“ A. a. O., S. 856: „[ . . . ] oder steht dem Komapatienten ohne jede Aussicht auf ,Rückkehr‘ ein möglicherweise jahrelanges Dahinvegetieren in einem menschenunwürdigen Zustand bevor, so sind dies Fälle, in denen unterstellt werden kann, dass der mutmaßliche Wille nicht auf das ,biologische Leben um jeden Preis‘ geht.“ 73 Letztlich wie hier Margalit, 1999, S. 260 ff., der eine Entwürdigung durch Armut dann annimmt, wenn die Gesellschaft die Entstehung einer in Armut lebenden Gesellschaftsschicht nicht zu verhindern oder bestehende Armut nicht zu überwinden sucht. 74 Deshalb ist es auch unbedenklich, in einem reichen Land wie der Bundesrepublik das Existenzminimum ebenso wie eine medizinische Grundversorgung als Ausfluß der Garantie der Menschenwürde anzuerkennen. Aufgrund des relationalen – nicht relativen – Charakters der Menschenwürde besteht dieser Anspruch nicht an sich, sondern ist eine Konkretisierung des Achtungsanspruchs auf die gegenwärtige Situation. In unserer Gesellschaft kann diese Form der Solidarität eingefordert werden, ohne zur unzumutbaren Belastung zu werden. 75 Um ein Beispiel zu geben: Wird ein frühgeborenes Kind durch intensivmedizinische Maßnahmen gerettet, allerdings mit schweren geistigen und körperlichen Behinderungen, dann ist die Würde dieses Menschen gerade dann nicht verletzt, wenn das Kind in Familie und Betreuungsstätte als Mensch mit vollem Achtungsanspruch aufgenommen wird. 76 Insofern im Ergebnis vielfach wie hier Hufen, NJW 2001, S. 849 (855 f.).
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recht abgesprochen wird.77 Dem Leben soll danach, unabhängig von Konfliktsituationen aus sich heraus kein Lebenssrecht zukommen.78 Es hat aus dieser Sicht keine Bedeutung, ob dieses Leben in der Lage ist, die Autonomie des Organismus, den Prozeß des Lebens, von alleine aufrecht zu erhalten. Nicht sein Sterbenlassen, sondern sogar seine Tötung ist deshalb freigegeben.79 Davon unterscheidet sich die in dieser Arbeit vertretene Position maßgeblich, weil hier nicht das Lebensrecht von Menschen an sich in Frage gestellt wird, sondern jede Verfügung über fremdes Leben, sei es negativ durch dessen Tötung, sei es positiv durch lebenserhaltende ärztliche Maßnahmen, als Eingriff in die körperliche Integrität bzw. basale Autonomie des Menschen für rechtfertigungsbedürftig angesehen wird. Die Achtungspflicht wird damit nicht eingeschränkt, sondern auch auf das entscheidungsunfähige Leben erweitert.80 Die Feststellung eines Lebens als „lebensunwert“ spricht dagegen bestimmten Formen des menschlichen Lebens ein zu achtendes Lebensrecht prinzipiell ab. Der darin liegende Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 GG wurde bereits benannt (s. o. § 7 VIII. 4. c).
III. Zwischen freiwilliger und nichtfreiwilliger passiver Sterbehilfe Wie ist nach alledem in den Fällen zu entscheiden, in denen sich der mutmaßlich-individuelle Willen nicht sicher feststellen läßt? Nach herkömmlichen Verständnis gilt als Entscheidungsmaxime „in dubio pro vita“. Diese Auffassung basiert auf dem dargestellten verengten Integritätsschutz: „In einer solchen Konstellation tritt der Selbstbestimmungsaspekt des Lebensgrundrechts – der ja nicht ,aktiviert‘ werden kann – gleichsam zurück und der integritätsschützende Hauptaspekt des Art. 2 II 1 Var. 1 GG tritt in den Vordergrund. Es gilt dann eine Vermutung dafür, dass der Grundrechtsinhaber ein unbeeinträchtigtes Fortdauern seines Lebens will.“81 77 Siehe zum Begriff „lebensunwert“ auch Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Dürig, Art. 2 II Rn. 10 ff. 78 Vgl. Binding / Hoche-Binding, 1920, S. 31 ff.: „Sie [die unheilbar Blödsinnigen, JA] haben weder den Willen zu leben, noch zu sterben. [ . . . ] Ihr Leben ist absolut zwecklos, aber sie empfinden es nicht als unerträglich. Für ihre Angehörigen wie für die Gesellschaft bilden sie eine furchtbar schwere Belastung. Ihr Tod reißt nicht die geringste Lücke [ . . . ]. Da sie großer Pflege bedürfen, geben sie Anlaß, daß ein Menschenberuf entsteht, der darin aufgeht, absolut lebensunwertes Leben für Jahre und Jahrzehnte zu fristen. [ . . . ] Wieder finde ich [ . . . ] keinen Grund, die Tötung dieser Menschen, die das furchtbare Gegenbild echter Menschen bilden und fast in Jedem Entsetzen erwecken, der ihnen begegnet, freizugeben [ . . . ].“ Dies., a. a. O., S. 51: „Zustände endgültigen unheilbaren Blösinns oder wie wir in freundlicherer Formulierung sagen wollen: Zustände geistigen Todes [ . . . ].“ 79 Binding / Hoche, 1920: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens.“ 80 Letztlich ebenso Hufen, NJW 2001, S. 849(passim). 81 Höfling, JuS 2000, S. 111 (117).
§ 24 Exkurs: Passive Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht
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Hier wäre zunächst anzumerken, daß die Problematik gerade darin besteht, daß in dieser Situation nicht ein „unbeeinträchtigtes Fortdauern“ des Lebens, sondern im Kontext der passiven Sterbehilfe leider oft nur ein durch die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigtes Fortdauern möglich ist. Wenn dagegen nach den obigen Feststellungen auch der Lebensschutz im Lichte des Autonomieanspruchs zu sehen ist, so daß primär der Eingriff in den Körper eines Mitmenschen gerechtfertigt werden muß, dann kann der vorher geäußerte Wille, daß das Leben nicht durch ärztliche Maßnahmen aufrechterhalten werden soll, nicht für bedeutungslos angesehen werden. Im Gegenteil muß die zuvor geäußerte Selbstbestimmung über die körperliche Integrität fortwirken. Es kann jedoch ebensowenig die gegenteilige Vermutung „in dubio contra vitam“ gelten. Denn dies liefe für den Grundrechtsinhaber auf die Obliegenheit hinaus, seine Lebenserhaltung oder gar Lebensrettung durch vorherige Kundgaben erst sichern zu müssen.82 Auszugehen ist deshalb von einer Grundvermutung für einen Lebenswillen, aber als Abwägungsregel sollte nicht ein wirklichkeitsblindes Prinzip wie „in dubio pro vita“ oder „in dubio contra vitam“, sondern eine mehrere Aspekte – die Vermutung für einen Lebenswillen wie den Integritätsschutz – einbeziehende „je-desto-Formel“ zur Anwendung kommen:83 Je mehr objektive Kriterien – z. B. verbleibende Lebenszeit, geringe Schmerzen und Kommunikationsfähigkeit – für einen Eingriff in die körperliche Autonomie sprechen, desto weniger muß ein vorheriger, auf ärztliche Maßnahmen der Lebenserhaltung gerichteter Wille erkennbar sein, um den Lebenserhaltungseingriff zu rechtfertigen.
Diese Formel vereinbart sich nicht nur entsprechend den obigen Ausführungen mit den Vorgaben der Verfassung, sie scheint mir auch einer angemessenen medizinischen Praxis zu entsprechen.
IV. Unfreiwillige passive Sterbehilfe Kaum erörtert ist bislang der einseitige Behandlungsabbruch gegen den Willen des Patienten. Kein Einzelfall ist die apodiktische Feststellung von Kneihs: „Lebensverkürzung gegen den Willen eines selbstbestimmungsfähigen Menschen ist aus grundrechtlicher Sicht unter allen Umständen ausgeschlossen.“84 Und zur 82 So zutreffend Höfling, JuS 2000, S. 111 (117). Auch spricht nicht jede unbedachte Äußerung gegen den üblicherweise bei Menschen gegebenen Lebenswunsch. 83 Tendenziell auch Roxin, 2000, S. 87 (102). 84 Kneihs, 1999, S. 64 (81), siehe auch Möllering, 1977, S. 54; H. Otto, 1986, D 36; v. Dellinghausen, 1981, S. 368; Laber, 1997, S. 216 f. Andererseits stellt Kneihs, a. a. O., S. 133 ff., zutreffend fest, daß der Staat nur beschränkt verpflichtet ist, medizinische Leistungen zu erbringen. Der Zusammenhang zum Bereich der passiven Sterbehilfe liegt allerdings auf der Hand, wenn man bedenkt, daß ca. 2 / 3 der gesamten Gesundheitskosten in einem „normalen“ Menschenleben in den letzten sechs Monaten vor dem Lebensende anfallen, siehe Uhlenbruck, 1998, S. 22.
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
Lebensverkürzung zählt Kneihs eben auch die passive Sterbehilfe, wenn die „Unterlassung medizinischer Maßnahmen unmittelbar zur Vorverlegung des Todeszeitpunktes“ führt.85 Diese Feststellung kann nicht überzeugen. Es ist offensichtlich, daß die medizinische Forschung einerseits und der Geburtenrückgang, die steigende Lebenserwartung und damit der höhere Anteil älterer, nicht erwerbstätiger Menschen andererseits notwendig zu einer Schere im Gesundheitswesen führen. Das Maximum medizinisch-technischer Heilmöglichkeiten dürfte bereits nicht mehr finanzierbar sein.86 Zudem würde der Anspruch auf maximale medizinische Versorgung eine gravierende volkswirtschaftliche Umverteilung erfordern. Die Kehrseite eines materiellen Leistungsanspruchs ist bekanntlich die Abforderung der Beiträge von Dritten und damit die Begrenzung der Grundrechte anderer.87 Einen grundrechtlichen Leistungsanspruch gegenüber dem Staat auf maximale Gesundheitsversorgung bejahen, hieße weiterhin die gesetzgeberiche Kernkompetenz der Haushaltsverteilung in weitem Umfang dem BVerfG anheimzustellen. 88 Das Grundgesetz stellt sich einer solchen Tendenz durch die maßvolle Aufnahme von staatlichen Leistungspflichten im Kontext der Grundrechte in Art. 6 Abs. 4, Art. 7 Abs. 4 S. 3 und Art. 104 Abs. 4 GG einschränkend in den Weg. Auf der anderen Seite sind soziale „Grundrechte“ der Grundrechtsordnung nicht fremd.89 Die überwiegende Auffassung gelangt deshalb zutreffend zu einer objektiven Gewährleistung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatprinzip auf Aufbau und Unterhaltung einer leistungsfähigen medizinischen Versorgungsstruktur, aber nicht eine Garantie des medizinisch-technisch Möglichen.90 Ein Grundrechtsanspruch auf eine konkrete medizinische Maßnahme läßt sich nur als Basisversorgung unumschränkt bejahen (s. o. § 9 VIII. 5. b). Den Wunsch eines Patienten oder Sterbenden nach lebenserhaltenden oder auch äußerst kostenintensiven lebensrettenden medizinischen Maßnahmen nicht nachzukommen, ist deshalb nicht „unter allen Umständen ausgeschlossen“, sondern die Umstände gebieten leider eine gesellschaftspolitische Verteilungsentscheidung über dieses knappe Gut. Der Gleichheitsgrundsatz, die Bedeutung des Lebensschutzes und der Kneihs, 1999, S. 64 (67). Man denke hier besonders an den Zusammenhang zwischen Forschung und der Erschließung solcher Möglichkeiten. Je mehr Mittel der Ausbildung von Medizinern und der medizinischen Forschung zur Verfügung gestellt würden, desto weitergehend wäre auch das medizinisch Mögliche. 87 Zu dieser Grundkritik gegenüber einer extensiven Interpretationen der Leistungsgrundrechte siehe Stern, HStR V., § 109 Rn. 45. 88 Vgl. auch Stern, HStR V., § 109 Rn. 45. 89 Murswiek, HStR V., § 112 Rn. 40 ff. u. 43. 90 Siehe v. Münch / Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 60; Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 225; v. Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art 2 Rn. 194; im Ergebnis nicht anders die neuere Auffassung, die hierzu auf die staatliche Schutzpflicht abstellt: D. Esser, 2000, S. 31 ff.; vgl. auch BVerfG MedR 1997, S. 318 (319). 85 86
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Menschenwürdegrundsatz geben Grenzen vor, und das BVerfG wird wie bei anderen existentiellen Fragen eine Grenzziehung nicht aus Achtung vor den Bundesund Länderhaushalten generell verweigern, aber ein absolutes Verbot der passiven Sterbehilfe gegen den Willen des Patienten kann es nicht geben. Auch beim status positivus genießt das Lebensrecht zwar durch den Leistungsanspruch auf die Sicherung des Existenzminimums einen gewichtigen Rang, aber im Bereich der Medizin gerät dieser Leistungsanspruch an seine Grenze und teilt damit mit den anderen sozialen „Grundrechten“ die traurige Realität der Knappheit von Gütern, den „Vorbehalt des Möglichen“ und die Abhängigkeit von politischen Entscheidungen über die vorrangig zu befriedigenden Bedürfnisse.
§ 25 Abschließender Leitgedanke Die Vorgaben der Verfassung im Streit um die aktive Sterbehilfe waren vor allem nach drei Seiten hin abzugrenzen: gegenüber der allgemeinen moralischen Diskussion, der geltenden Regelung im Strafrecht und strafrechtlichen Erörterung sowie dem Einschätzungs-, Gestaltungs- und Abwägungsspielraum des Gesetzgebers. Umfang und Unterschiedlichkeit der dabei behandelten Aspekte zeigen, welche Vielzahl von Problemen die aktive Sterbehilfe aufwirft. Nicht nur der verfassungsrechtliche Schwerpunkt dieser Arbeit rechtfertigte Beschränkungen bei der Erörterung; es sind vor allem die unbefriedigenden Ergebnisse der bisherigen ethischen und auch strafrechtlichen Diskussion, die eine Konzentration auf den grundrechtsdogmatischen Entwurf empfahlen. Der stetig wachsende Umfang an Literatur zum Thema Sterbehilfe verdeutlicht das Gewicht der Fragestellungen ebenso wie die unabgeschlossene Suche nach befriedigenden Antworten. Am konsequentesten sind in der aktuellen bioethischen Diskussion die Extrempositionen: die Behauptung der Heiligkeit allen menschlichen Lebens auf der einen und die Bewertung des Lebenswertes anhand der aktuellen Lebensinteressen seines Trägers auf der anderen Seite. Immerhin kommt diesen Auffassungen gegenüber den lavierenden Zwischenlösungen das Verdienst zu, die Fragen des Lebensschutzes einheitlich und nicht unter Inkaufnahme offener Ungereimtheiten auflösen zu wollen. Allerdings beinhalten auch sie gravierende Inkonsistenzen. Die Lehre von der Heiligkeit des Lebens, deren juristisches Pendant die Behauptung eines absoluten Lebensschutzes ist, wird weder theoretisch konsequent verfolgt noch findet sie sich in unserer Rechtsordnung wieder. Die aktive indirekte Sterbehilfe ist als vorsätzliche und direkte Tötungshandlung ein theoretischer Bruch im Konzept der Heiligkeit des Lebens. Auch die Patientenhoheit bei der passiven Sterbehilfe stellt die Interessen des Sterbenden über den abstrakten Lebensschutz. Unvereinbar ist mit der „Heiligkeit des Lebens“ die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid.
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
Ebensowenig überzeugend sind die Bemühungen der Gegenposition, Lebensrechte beim anenzephalen Neugeborenen, komatösen und bewußtlosen Patienten entgegen dem eigenen Ansatz konstruieren zu wollen. Die Bindung der Lebensrechte an die Lebensinteressen kann die Brücke zum Lebensrecht aller Menschen nur mit zweifelhaften Hilfskonstruktionen schlagen. Zudem kann die Differenzierung des Lebenswertes nach dem kognitiven Interesse seiner Träger – hilfsweise der Freiheit von körperlichen Leiden – nicht mit dem Gehalt der Menschenwürde in Einklang gebracht werden. An die Stelle der gleichberechtigten Anerkennungsgemeinschaft droht die Instrumentalisierung von Menschen, an deren Anfang und Ende, zu treten. Der Schwerpunkt dieser Arbeit lag nicht auf der Destruktion dieser Positionen, sondern auf der Entwicklung einer in sich schlüssigen Alternative, indem die Vorgabe der Verfassung im Art. 1 Abs. 1 GG – die Würde des Menschen zu achten und zu schützen – mit dem erarbeiteten grundrechtsdogmatischen Bestand konsequent auf die aufgeworfenen Fragen der aktiven Sterbehilfe angewendet wird. Zur Rekonstruktion des verfassungsrechtlichen Gehalts der Menschenwürde erwies sich der diskurstheoretische Ansatz, vor allem in seiner transzendentalpragmatischen Ausprägung, als überzeugend. Mit ihm konnten die beiden Legitimationsbasen des Grundgesetzes, Demokratie einerseits sowie Menschen- und Bürgerrechte andererseits, als ein Verhältnis der wechselseitigen Verschränkung im Würdeartikel ausgewiesen werden. Die Menschenwürde ist oberstes Konstitutionsprinzip der Grundrechtsordnung und hat die Sicherung der Bedingung der Möglichkeit von individueller und öffentlicher Autonomie und nicht die Vorgabe eines bestimmten Menschenbildes zum Gegenstand. Neben den Gewährleistungen der öffentlichen Autonomie (demokratische Teilhabe, öffentlicher Meinungsbildungsprozeß, Erhaltung der Umwelt) umfaßt dies auch die anerkannten Dimensionen der Menschenwürde wie den grundlegenden Gleichheitsanspruch, die Existenzsicherung und die Wahrung der körperlichen Integrität und personalen Identität vor schweren Beeinträchtigungen. Mit dieser Gewährleistung strahlt die Menschenwürde auf die nachfolgenden Grundrechte aus, die ihren Gehalt durch eine „i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG“-Dogmatik in sich aufnehmen. Unter dieser Maßgabe erweist sich ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Menschenwürde und dem Lebensrecht, den das BVerfG zutreffend formulierte: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu. [ . . . ] Diese Würde des Menschseins liegt [ . . . ] im Dasein um seiner selbst willen.“91 Findet das Lebensrecht in der Würde des einzelnen seinen Grund, dann ist es Aufgabe der Verfassungsinterpretation, im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Autonomieperspektive als zentralen Gehalt zu entwickeln. Hieraus ergaben sich für den Gegenstand dieser Arbeit gewichtige Folgerungen. Charakteristisch ist dem Leben die Fähigkeit zur Selbstorganisation, durch die eine Identität im fortlaufenden Stoffaustausch aufrechterhalten wird. In diese 91
BVerfGE 88, 203 (252).
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Autonomie des Lebens wird durch die Tötung eingegriffen. Der Eingriff in die körperliche Integrität, der die aktive Sterbehilfe im Gegensatz zur passiven Sterbehilfe auszeichnet, tangiert damit in einem auch immer die Autonomie des Menschen in seinem Leben. Als vitale Basis aller Autonomie und Grundrechte des Menschen gründet das Lebensrecht nicht im Interesse seiner Träger, sondern wird von der Anerkennungsgemeinschaft jedem menschlichen Leben voraussetzungslos zugesprochen. Das Recht auf Leben darf deshalb nicht an qualifizierende Bedingungen geknüpft werden; ausreichend ist die biologisch-physische Existenz des Menschen. Deshalb sind auch Hirntote mit einem Lebensrecht ausgestattete lebende Mitglieder der Anerkennungsgemeinschaft. Allerdings kann entgegen der Lehre von der Heiligkeit des Lebens das Lebensrecht im Grundgesetz nicht von der Autonomie seines Trägers abstrahiert werden. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgt deshalb auch ein Recht auf bioethische Selbstbestimmung über das eigene Leben und Sterben. Wahrgenommen wird dieses Recht bei der aktiven Sterbehilfe durch die negative Disposition seines Trägers. Der Konflikt bei der freiwilligen und antizipativ geforderten aktiven Sterbehilfe ist damit primär ein solcher mit den Lebensrechten anderer, die bei Legalisierung der aktiven Sterbehilfe einem höheren Mißbrauchsrisiko und der Gefahr des Dammbruchs ausgesetzt sind. Diesen Konflikt muß der Gesetzgeber verhältnismäßig im Sinne einer Gesamtabwägung zwischen den konfligierenden Interessen oder Rechtsgütern auflösen. Bei der Wahrnehmung seiner Pflicht zum effektiven, d. h. verhältnismäßigen und nicht absoluten Lebensschutz besitzt der Gesetzgeber einen Einschätzungs-, Gestaltungs- und Abwägungsspielraum, der ihm gegenwärtig Verbot wie Legalisierung der aktiven Sterbehilfe grundsätzlich gestattet. Eine Verletzung des Untermaßverbots durch die Erlaubnis der aktiven Sterbehilfe wäre bei entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der Patienten vor unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe und zur Verhinderung einer allgemeinen Mißachtung von behinderten, kranken und alten Menschen nicht gegeben. Umgekehrt verletzt zwar das Verbot der aktiven Sterbehilfe insoweit das Übermaßverbot, wie einem unvermeidbar schwer leidenden Patienten keine angemessene Schmerzlinderung angeboten werden kann und ihm kein Ausweg verbleibt, weil er zum Suizid physisch außerstande ist. Da in diesen Fällen allerdings die Sedierung unter Verzicht auf die Zuführung von Nahrung als Ausweg normalerweise verbleibt, ist aus Sicht des Verfassers kaum ein Fall in der medizinischen Praxis ersichtlich, in dem das Verbot der aktiven Sterbehilfe das Übermaßverbot verletzt.92 Ist weder ein erklärter Willen zum Leben noch eine willentliche Disposition gegen das eigene Leben gegeben, ist vom prinzipiell geltenden Tötungshandlungsverbot auszugehen. Der Zusammenhang zwischen der Menschenwürde und dem 92 Der Verfassung widerspricht dann allerdings immer noch die Pönalisierung der aktiven Sterbehilfe, wenn ein im brennenden Fahrzeug eingeklemmtes Unfallopfer umgebracht wird, um diesen vor einem qualvollen Tod zu bewahren.
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5. Kap.: Ergebnisse und Ausblick
Lebensrecht entspricht jedoch nicht einer biologistischen Gleichsetzung und begründet auch keinen absoluten Lebensschutz. Als Verfassungsprinzip weist die Menschenwürde dem Leben zwar einen besonderen Wert zu, Konfliktsituationen mit anderen Grundrechtsgütern sind aber nicht ausgeschlossen. Eingriffe können deshalb in das Leben nicht per se mit einem Verstoß gegen die Menschenwürde gleichgesetzt werden. Die im Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Basisanspruch gewährleistete Schmerzlinderungspflicht des Staates eröffnet dem Gesetzgeber einen Abwägungsspielraum, der es ihm gestattet, eine indirekte und auch eine aktive nichtfreiwillige Sterbehilfe zuzulassen, wenn sich anders ein schmerzhafter Sterbeprozeß beispielsweise bei einem schwerstgeschädigten Säugling nicht vermeiden läßt. Allerdings darf der Gesetzgeber eine aktive (und auch die indirekte) nichtfreiwillige Sterbehilfe nur in diesen Grenzen erlauben und nicht gegen den Willen der Eltern durchsetzen. Der Gesetzgeber ist jedoch wegen der hohen Gefahr des Mißbrauchs und des Dammbruchs zur Beibehaltung des gänzlichen Verbots der nichtfreiwilligen aktiven Sterbehilfe berechtigt. Eine Konfliktsituation, die eine unfreiwillige aktive Sterbehilfe zu legitimieren vermag, ist dagegen nicht erkennbar. Die Legalisierung der unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe wäre eine eklatante Verletzung der Schutzpflicht des Gesetzgebers für das Leben und der Selbstbestimmung im Sterben. Der Gesetzgeber ist derzeit verpflichtet, die Ausübung von unfreiwilliger aktiver Sterbehilfe zu pönalisieren. Der grundgesetzliche Lebensschutz behauptet damit eine Position jenseits der Alternative von Heiligkeit des Lebens versus Schutz von Lebensinteressen.93 Die vorgetragenen Ergebnisse wirken in ihrer Kombination zunächst verblüffend, stellen sich aber bei der konsequenten Analyse des Lebensrechtes aus der Autonomieperspektive der Menschenwürde – nicht der Personenwürde – heraus zwangsläufig ein. Darüber hinaus nimmt diese Interpretation für sich in Anspruch, auch bei der passiven Sterbehilfe das Lebensrecht konsistent und den Problemen angemessen entfalten zu können. Mit der Dispositionsbefugnis über sein Leben ergibt sich der allseits anerkannte absolute Vorrang des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten gegenüber Bestrebungen der Lebenserhaltung oder Lebensverlängerung von selbst. Dagegen scheint die nichtfreiwillige passive Sterbehilfe nicht vereinbar zu sein mit dem basalen Gleichheitsanspruch der Menschenwürde, der allen Menschen grundsätzlich ein gleichberechtigtes Lebensrecht zuspricht. Die Lösung ergibt sich auch hier aus der Autonomieperspektive des Grundgesetzes. Der Eingriff in die körperliche Integrität des einwilligungsunfähigen Mitmenschen ist ein fremdbestimmender Akt, von dem abgesehen werden darf, wenn ansonsten dieses Leben in einem qualvollen Dasein festgehalten würde. Es entspricht der Achtung, die dem ganzen Menschen und eben nicht nur einem davon losgelösten Lebenssubstrat gilt, dem Sterben vor der technisierten Fremdverfügung den Vorrang einzuräumen.
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Vgl. auch bereits Eser, 1977b, S. 377 (396 ff.).
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Selbstredend sind mit diesen Vorgaben der Verfassung die praktischen Probleme der Sterbehilfe nicht gelöst. Es würde die Möglichkeiten der Verfassung vollkommen überspannen, suchte man aus ihr die optimale Lösung der Sterbehilfe zu entwickeln. Im Gegenteil, und dies sollte vorliegend ebenfalls deutlich werden, ist das Problem der Sterbehilfe und insbesondere des menschenwürdigen Sterbens im moralischen Sinn eine Aufgabe an die Gesellschaft und jeden einzelnen, die weit über das hinausgeht, was die Verfassung vorgeben darf.94 Die Verfassung kann hier nur Grenzen aufzeigen, um die Bedingungen der öffentlichen und individuellen Autonomie zu sichern.95 Um dieser Autonomie willen sind aber der einzelne und die Gesellschaft aufgefordert, im persönlichen Entwurf des „guten Sterbens“ auch in diesem Bereich ihre sittliche Selbstbestimmung zu verwirklichen. An dieser Stelle kann eine freiheitliche Verfassung kein Menschenbild vorgeben, sondern muß sich selbst Grenzen auferlegen. Ziel dieser Arbeit konnte es deshalb auch nicht sein, für den Bereich der Sterbehilfe einen konkreten Regelungsvorschlag in die Diskussion einzubringen. Dies ist die rechtspolitische Aufgabe eines allgemeinen gesellschaftlichen Diskurses, der unter angemessener Berücksichtigung des aus Erfahrungen gewonnen ärztlichen Sachverstandes zu erfolgen hat.96
94 Das dürfte auch durch den Gegenstand selbst vorgegeben sein. Vgl. auch Roxin, 2000, S. 87 (112): „Eine ,befriedigende Regelung‘, die wir Juristen in anderen Bereichen [ . . . ] anstreben, kann es hier nicht geben; denn das qualvolle Sterben eines Menschen bleibt immer schrecklich.“ 95 Das entspricht der Untersuchung von Lagodny, 1996, S. 274, zur staatlichen Schutzpflicht überhaupt: „Jenseits des verfassungsrechtlich Zwingenden eröffnet sich ein doch sehr großer Bereich des verfassungsrechtlich Erlaubten.“ 96 In diesem Sinne bedürfte es eines praktischen Diskurses, zu dem vorliegende Arbeit aus verfassungsrechtlicher Sicht einen Beitrag leisten möchte, indem die dem Gesetzgeber durch die Verfassung gesetzten Grenzen im Bereich der aktiven Sterbehilfe verdeutlicht wurden. Zugleich hat diese Arbeit damit die dem BVerfG auferlegte Grenze bei seiner Kontrolle des Gesetzgebers aufgezeigt. Eine nicht minder wichtige Aufgabe der Verfassungsrechtswissenschaft, siehe Schlink, 2001, S. 445 (465).
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Sachregister Absicht 30, 47 ff., 50 ff., 56, 60 f., 86, 183, 186 ff., 189 ff., 339, 341, 348 Absoluter Lebensschutz 50 ff., 56 f., 71, 104, 150, 160, 161 ff., 183, 196 f., 208, 260, 282, 292, 411 (Fn. 36) Abstraktes Gefährdungsdelikt 71 f., 198 f., 380 f., 390 Abtreibung (s. Schwangerschaftsabbruch) Abwägungsspielraum (s. Gesetzgeber) Abwehrfunktion / -recht 26, 201 Advokatorischer Diskurs 126 f., 140 f., 174 (Fn. 559), 358 (Fn. 374), 404, 416 Allgemeine Handlungsfreiheit 221, 228, 368 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 82, 179 f., 215, 221, 250 ff. Alternativentwurf (s. a. Strafrecht: – Reform) 273, 409 f. Aktive Sterbehilfe 252 ff. – Abgrenzung zur Suizidbeihilfe 62 ff. – Abgrenzung zur passiven 30, 32 ff., 42 ff., 181 ff., 348 – Abgrenzung zur indirekten 30 f., 46 ff., 52 f. – antizipative (durch Patientenverfügung) 309, 314 ff. – Begriff 30 f. – freiwillige 156, 159, 288 ff., 305 f., 367 ff. – Leistungsanspruch / -pflicht 277 ff. – mutmaßliche 364 f. – nichtfreiwillige 307 f., 311 f., 347 ff., 357 ff., 398 ff. – Praxis 78 ff., 310 f., 336 ff. – Straflosigkeit (de lege lata) 67 ff., 388 f. – unfreiwillige 281 ff., 307, 366 f. – durch Unterlassen 63 f., 75 ff. – Verfassungswidrigkeit des Verbots 367 ff., 387 ff., 409 Appallischer / komatöser Patient 32 ff., 45 ff., 103, 154, 328, 332
Arzt (s. a. Ethikkommissionen) 369 ff. – Berufsfreiheit 278, 370 ff., 385 – Bestrafung 388 ff., 390 ff. – Gewissensfreiheit 278, 298, 369 f., 384 f. – Kammern / Berufsordnung 385 ff. – lex artis 55 – Standesethos / hippokratischer Eid 279, 294, 297 f., 379 f. Assistenz zum Sterben (assistet death) (s. a. Beihilfe zum Suizid) 32 Aufklärungspflicht 308, 316 ff., 343 Australien 23 Autonomie (s. a. Menschenwürde) 98 ff., 101 ff., 107 ff., 115, 117 f., 118, 123 f., 133 ff., 137 ff., 194 ff. 200, 217 f., 242 f., 414, 416 Basisversorgung (s. a. künstliche Ernährung) 45 f., 176 ff., 356 Behandlungsabbruch (s. a. künstliche Ernährung, passive Sterbehilfe, Reanimatorfall) 45 f., 77, 176 f. Beihilfe zum Suizid (s. a. Suizid) 32, 62 ff., 219, 308, 376 f., 385 ff., 391 f., 409 Belgien 23 Betreuer / Betreuungsverfügung 320, 321 ff., 342, 407 Beurteilungsspielraum (s. Gesetzgeber) Bioethische Selbstbestimmung (s. Recht auf bioethische Selbstbestimmung) Biologismus 104, 161 f., 235 f., 266 Christentum (s. a. Menschenwürde: – Gottebenbildlichkeit) 91 ff., 105 ff., 149 ff., 182 f. Dammbruch-Argument 191 f., 207, 212, 294 ff., 311 ff., 347, 379, 383
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Sachregister
Diskursethik / -theorie (s. a. advokatorischer Diskurs, Ethik) 118 ff., 208, 238, 243, 401, 403 DJT (Deutscher Juristen Tag) 24, 28, 409 Eingriff 43, 59, 76, 194 ff., 284 f., 369 ff., 371 ff. Einschätzungsprärogative (s. Gesetzgeber) Einwilligung – Einverständnis (s. aktive, passive, indirekte Sterbehilfe: – freiwillige) – mutmaßliche 29 f., 31, 58 f., 72, 178, 185, 281, 318, 320, 321, 337 f., 347 f., 358, 364 f., 409 – Einwilligungsfähigkeit (s. Freiwilligkeit) Eltern 204 ff., 304 ff., 352 ff., 360 ff., 399 f. Ethik (s. a. Diskursethik, Moral, Transzendentalpragmatik, Utilitarismus) – deontologische 50, 181 ff. – teleologische 120 ff., 181 ff. Ethikkommissionen 404 ff., 410 Euthanasie 28, 189, 253 ff., 298 Fehldiagnose (s. a. Irreversibilität)190 f. Freiwilligkeit / Freiverantwortlichkeit 65 f., 75 ff., 245 f., 272 ff., 289 ff., 301 ff., 343 ff. Fremdverfügung / -bestimmung (s. a. Verfügungsbefugnis) 193, 260 ff. Früheuthanasie (s. a. aktive, indirekte, passive Sterbehilfe: – nichtfreiwillige) 72 ff., 312, 347 ff. Garantenstellung 31 Gefährdungsdelikt (s. abstraktes Gefährdungsdelikt) Geisteskranke 202 f. Gesetzgeber 26 f., 207 ff., 366, 409 ff. – Abwägungsspielraum 211 f., 347, 355 ff., 369, 397 f. – Beurteilungsspielraum (s. a. Prognose) 212 f., 299 ff., 347, 355, 359, 366 f., 382 f., 397, 399 f., 405 – Gestaltungsspielraum 144 (Fn. 352), 197, 212 f., 347, 355, 359, 382 f., 384, 405 Gestaltungsspielraum (s. Gesetzgeber)
Gewissen / Gewissensfreiheit 70, 78, 298, 312, 346, 369 f., 384 f., 404 Gottebenbildlichkeit (s. Menschenwürde: – Gottebenbildlichkeit) Grundpflichten 167 ff., 206, 231 f., 283, 362 Grundrechte (s. a. allgemeines Persönlichkeitsrecht, körperliche Integrität, Menschenwürde) – Eingriff 284 f., 369 ff., 371 ff. – Mündigkeit 203 f., 301 ff. – negative Seite 218 ff., 244 ff., 251 f., 252 ff., 258 f., 269, 302, 386 – Kollision 162 f., 232, 248, 271, 281 ff., 288 ff., 292 f., 362 – praktische Konkordanz 146, 210, 232, 366, 385 – Verzicht 247 f., 268 ff. Grundrechtsschutz durch Verfahren (s. Verfahren) Handeln und Unterlassen (s. Tun und Unterlassen) Heiligkeit des Lebens 104, 149 ff., 168 f., 173, 218 (Fn. 846), 266 Hippokratischer Eid (s. Arzt: – Standesethos / hippokratischer Eid) Hirntod 313 ff. Indirekte Sterbehilfe (s. a. Prinzip der Doppelwirkung) 46 ff., 354 ff. – Begriff 30 f., 47 ff. – freiwillige 58 – nichtfreiwillige 58 f., 354 ff., 398 ff. – Praxis 48 f., 59 ff., 79 f. – Straflosigkeit 53 ff. – Verfassungswidrigkeit 355 Integritätsschutz (s. körperliche Integrität) Intimsphäre 82, 179 f., 277 Irreversibilität 29, 143, 228, 247 ff., 251, 268 ff., 289 f., 312, 317, 377 f., 408 Jugendliche (s. Minderjährige) Kinder (s. Minderjährige) Koma / komatös (s. appallischer Patient) Kommunikation (s. Diskurs, Menschenwürde: – kommunikative)
Sachregister Körperliche Integrität / Körperverletzung 30 (Fn. 11), 59, 64, 75 ff., 135, 139, 180, 195 f., 214 ff., 227 ff. 398, 411 f. Künstliche Ernährung (Abbruch) 45 f., 79, 178, 387, 395 Leben (Begriff) 195 f., 325 Lebenspflicht (s. a. Grundpflicht) 167 ff., 283 Lebensrecht (s. a. absoluter Lebensschutz, Menschenwürde: – Leben) 283 f. – Begründung 135 f., 160 ff. – Gleichwertigkeit 140 f., 163 ff., 332, 344 f., 354, 413 ff. – objektiviertes Schutzgut (s. a. objektives Verfassungsrecht) 161 ff., 249 ff. – Wert 56, 144 ff., 152 ff., 161 ff. Lebensschutz durch Verfahren (s. Verfahren) „Lebensunwertes Leben“ 166, 192, 212, 225 ff., 253 ff., 264, 296, 325, 332, 417 f. Leistungsanspruch / -pflicht 176 ff., 277 ff., 420 f. Letztbegründung 120 ff. Lex artis 42 (Fn. 101), 53 f., 389 LKW-Fall 67, 370 (Fn. 21), 384, 387 Menschenwürde (s. a. Heiligkeit des Lebens, Autonomie) – Anerkennungsgemeinschaft 131 ff., 143 ff., 160 (Fn. 460), 165, 336, 351, 388, 417 – Autonomie 98 f., 101 ff., 141 f. – Gottebenbildlichkeit 90 ff., 105 ff., 117, 149 f. – Kant 97 ff., 107 ff. – kommunikative Interpretation89, 118 ff., 165 – (und) Leben 95, 125, 135, 148 ff., 160 ff., 200 f., 351 f., 354, 416 f. – Leistungstheorie 88 f., 112 ff. – Objektformel 84 f., 98 ff., 109 f., 233 ff., 263 ff., 285 – Schutzpflicht 200 f. – Sterben 174 – Umfang (personeller) 140 f., 145 – Unantastbarkeit 143 f., 145 ff., 237 f. – Verletzung 143 f., 252 ff., 285
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– Wert- und Mitgifttheorien 80, 90 ff. Minderjährige (s. a. Früheuthanasie) 203 ff., 301 ff., 309, 312 Mißbrauchsgefahr 69 f., 166, 204, 225, 270, 271, 292 ff., 301, 304, 342, 345, 347, 353, 379 f., 380 ff., 383, 392 Moral 127 ff., 181 ff. Nationalsozialismus 28, 160, 172, 215 f., 253 ff., 298 ff. Negative Freiheitsrechte (s. Grundrechte: – negative Seite) Niederlande 23, 299, 308 ff., 383 Objektformel (s. Menschenwürde: – Objektformel) Objektive Verfassungsordnung 139, 141 ff., 171 f., 197 f., 248 ff., 366 Organtransplantation / -explantation 323 ff., 349 f., 395 ff. Palliativmedizin (s. Schmerzen / Schmerzlinderung) Parlament (s. Gesetzgeber) Passive Sterbehilfe – Begriff 30 – freiwillige 75 ff., 214 ff., 315 ff., 411 f. – nichtfreiwillige 412 ff. – unfreiwillige 419 ff. Patientenverfügung 309, 312, 314 ff., 316 ff., 342 ff., 395 ff., 412 Pönalisierung(-spflicht) (s. Strafrecht) Potentialität 101 ff. Praktische Konkordanz (s. Grundrechte) Praxis der aktiven Sterbehilfe (s. aktive Sterbehilfe: – Praxis) Prinzip der Doppelwirkung 50 ff., 354 (Fn. 356), 360 (Fn. 379) Prognose (s. a. Irreversibilität, Gesetzgeber) 29, 72, 212 f., 296, 299 f. 306, 317, 355, 382, 406 Qualität des Lebens 152 ff., 361, 399 f. Reanimatorfall 32 ff., 42 f. Recht auf – bioethische Selbstbestimmung180, 251 f., 275 ff., 394
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Sachregister
– Sterben 178 ff., 214 – den eigenen / würdigen Tod 174 ff., 214 ff., 251 f., 275 ff., 387 f., 411 f. Rechtfertigender Notstand 40, 55 ff., 69 f., 361 f., 389 Ressourcen, medizinische 176 ff., 419 ff. Richter (über Leben und Tod) 323, 406 ff. Right to die (s. Recht auf Sterben) Schiefe-Ebene-Argument (s. DammbruchArgument) Schmerzen / Schmerzlinderung 27, 30, 46 ff., 67 f., 70 f., 73 f., 177, 182, 212, 255 f., 273, 275 ff., 354, 356, 357 ff., 387 f., 406, 410, 417 Schutzpflicht des Staates (s. a. Untermaßverbot) 197 ff., 271, 285 ff. – konkrete / vor Dritten 202, 208, 292 ff., 378 f. – des „Täters“ vor sich selbst 202 ff., 248 f., 289 ff., 317 f. – Umfang 207 ff., 312 Schwangerschaftsabbruch 52 (Fn. 152), 74 f., 102 (Fn. 116), 167 (Fn. 515), 174 (Fn. 559), 198 f. Sedierung 68 (Fn. 255), 78 f., 370, 387 f., 395, 409 Selbstbestimmungsrecht (s. a. allgemeines Persönlichkeitsrecht, Autonomie, körperliche Integrität, Recht auf . . . , Menschenwürde) 43 f., 76 ff., 82 f., 97 ff., 110 ff., 203 f., 205 ff., 213 f., 216 f., 249 f., 251 ff., 275 ff., 288 ff., 343 ff., 411 f. Selbsttötung / – mord (s. Suizid) Slipperly-slope-Argument (s. DammbruchArgument) Standesethos (s. Arzt) Stellvertretung (s. a. Eltern, Betreuer) 307 f., 320 ff., 345 f., 352 ff. Sterbebegleitung 29 f. Sterbehilfe – aktive (s. aktive Sterbehilfe) – Begriffsbestimmung 28 ff., 281 – freiwillige (s. aktive, indirekte, passive Sterbehilfe: – freiwillige) – indirekte (s. indirekte Sterbehilfe)
– nichtfreiwillige (s. aktive, indirekte, passive Sterbehilfe: – nichtfreiwillige) – passive (s. passive Sterbehilfe) – unfreiwillige (s. aktive, passive Sterbehilfe: – unfreiwillige) Strafrecht – aktuelle Rechtslage 28 ff., 387 ff. – Geeignetheit 288, 367, 382 ff. – Erforderlichkeit 288, 367, 382 ff. – Pflicht zur Pönalisierung 285 ff. – Reform 354 ff., 387 f., 409 ff. – Schuldangemessenheit 367, 390 ff. – Strafmaß 367, 391 f. – Verhältnismäßigkeit i. e. S. 389 ff., 395, 398 ff. Suizid (s. a. Beihilfe zum Suizid) 32, 62 ff., 77 f., 150 f., 218 ff., 255 ff., 308 Tabu 70, 192, 230 f., 254, 267, 376 f. Todesdefinition 323 ff., 328 ff. Todeskriterium 326 f., 328 ff. Tötung auf Verlangen 31 f., 62 ff., 67 ff., 75 ff., 252 ff., 288 ff., 314 ff., 342 ff., 367 ff. – durch Unterlassen 63 f., 75 ff. Tötungsverbot 50, 95, 150, 152 ff., 181 ff., 191 f., 194 ff., 267 f., 282 ff., 344 ff., 354, 357 ff. Transzendentalpragmatik (s. a. Diskursethik) 119 f., 127 ff., 131 ff., 139 ff., 403 Transplantationsgesetz (s. a. Organtransplantation) 23 f. Tun und Unterlassen 32 ff., 181 ff., 184 ff. Übermaßverbot 26 f., 210, 267 ff., 366 f., 367 ff., 382 ff., 384 ff., 395 ff., 398 ff. Unmündige (s. Minderjährige) Unterlassen (s. a. aktive Sterbehilfe: – durch Unterlassen) 31 ff., 63, 74 ff., 181 ff., 184 f. Untermaßverbot (s. a. Schutzpflicht) 26, 207 ff., 248 f., 271 f., 284 ff., 292 f., 294 ff., 347, 354 ff., 357 ff., 408 Unverfügbarkeit (s. a. absoluter Lebensschutz, Biologismus, Menschenwürde) 95, 104, 149 f., 152 ff., 284 f. Utilitarismus 152 ff., 255
Sachregister Verfahren (s. a. Diskursethik, Gesetzgeber, Schutzpflicht des Staates) – Lebensschutz durch Verfahren 312 ff., 343, 347, 401 ff. Verfassungsbeschwerde / – gericht 392 ff. Verfassungswidrigkeit – der indirekten Sterbehilfe 354 f. – von § 216 StGB 367 ff., 387 f., 388 f. Verfügungsbefugnis (s. a. Recht auf . . . , Selbstbestimmungsrecht) 213 ff., 193 f.
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Verhältnismäßigkeit (s. Übermaß- und Untermaßverbot) Vorausverfügung (s. Patientenverfügung, aktive Sterbehilfe: – antizipative) Vormundschaftsgericht (s. a. Richter über Leben und Tod) 292, 320, 321 ff. Vorsorgevollmacht 320 f. Zweck-an-sich-Formel (s. Menschenwürde: – Kant, – Objektformel)