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German Pages 761 [763] Year 2022
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 266
Maximilian Becker
Absolute Herrschaftsrechte
Mohr Siebeck
Maximilian Becker, geboren 1978; Studium des Deutschen und Europäischen Wirtschaftsrechts an der Universität Siegen; 2012 Promotion; 2013–19 Juniorprofessur für Bürgerliches Recht und Immaterialgüterrecht sowie Lehrstuhlvertretung an der Universität Siegen; 2019 Habilitation, Erteilung der venia legendi für Bürgerliches Recht, Immaterialgüterrecht und Medienrecht, Informationstechnologierecht und Datenrecht, Wettbewerbsrecht, Rechtsmethodik; 2019–21 Inhaber des Lehrstuhls für Datenschutzrecht und IT-Recht an der Universität Hannover; seit Oktober 2021 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Immaterialgüterrecht und Medienrecht an der Universität Siegen. orcid.org/0000-0001-8679-8700
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 457773221. ISBN 978-3-16-159765-7 / eISBN 978-3-16-160807-0 DOI 10.1628/978-3-16-160807-0 ISSN 0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Stempel Garamond gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Für A.
Vorwort Diese Arbeit lag der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht der Universität Siegen im Wintersemester 2018/2019 als Habilitationsschrift vor. Literatur und Rechtsprechung wurden weitgehend aktualisiert. Die Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte hat mich schon vor Beginn meiner Dissertation beschäftigt. Dabei zeigte sich, dass sich das Thema besser für ein längeres Werk eignet, weshalb ich es zum Gegenstand meiner Habilitationsschrift gemacht habe. Nun hoffe ich, einen passenden Zeitpunkt für die Veröffentlichung einer solchen Arbeit zu treffen. Die Digitalisierung hat in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder neue Güter in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und der europäische Gesetzgeber arbeitet an einem digitalen Binnenmarkt, dessen Kern eine europäische Datenwirtschaft bilden soll. Spätestens dies sollte Anlass sein, Ausschau nach einem konsistenten Modell eigentumsartiger Rechte zu halten, das ausgehend vom bestehenden System im Sachenrecht und geistigen Eigentum die Voraussetzungen für die Verrechtlichung neuer, insbesondere digitaler Güter entwickelt. Ein solches Modell ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Wenngleich hierbei das deutsche Recht im Mittelpunkt steht, wäre es möglich, dass sich einige der (abstrakteren) Erkenntnisse auch auf andere Rechtsordnungen anwenden lassen, die durch gesetzliche subjektive Eigentumsrechte geprägt sind. Mein hauptsächlicher Dank gilt meinem hochverehrten akademischen Lehrer Prof. Dr. Peter Krebs, der mich seit meinem Studium unter ständigem Einsatz gefördert, unterstützt, beraten und auch immer wieder motiviert hat. Sein Engagement als Hochschullehrer und seine Begeisterung für die Wissenschaft sind beispiellos. Wie schon bei der Erstellung meiner Dissertation waren seine zahlreichen Anregungen und seine stete Diskussionsbereitschaft unentbehrlich für das Gelingen dieser Arbeit. Diese Erfahrung teile ich mit einer großen Zahl Doktorandinnen und Doktoranden und einer noch viel größeren Zahl Absolventinnen und Absolventen. Besonderen Dank schulde ich außerdem den externen Gutachtern der Arbeit, Prof. Dr. Christian Berger und Prof. Dr. jur. Dipl.-Biol. Herbert Zech, für die überaus zügige Erstellung der Zweitgutachten. Ihre wertvollen Anregungen habe ich ganz weitgehend in die Druckfassung aufgenommen. Ich habe an der Universität Siegen durchweg eine aufgeschlossene und bestärkende Atmosphäre sowie ausgezeichnete Arbeitsbedingungen vorgefunden. Das ist nicht selbstverständlich. Ich danke Mohr Siebeck für die Aufnahme in die
VIII
Vorwort
Schriftenreihe „Jus Privatum“ und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Finanzierung der Drucklegung. Zum Abschluss danke ich meiner Familie und ganz besonders meiner Frau für ihre unermüdliche und geduldige Unterstützung beim Verfassen dieser Arbeit. Köln, im Mai 2022
Maximilian Becker
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIX
Einleitung und Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 A. Objektives und subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Trennung von materialer und formaler Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Normstruktur und deontische Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Eine schrittweise Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 43 46 49 49
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 B. Der Rechtsgegenstand bei G. Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 C. Der Rechtsgegenstand bei Sohm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 D. Rechtsgegenstände bei Larenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 E. Jüngere Untersuchungen zum Rechtsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 F. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
2. Kapitel: Rechtsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 § 3 Rechtsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 A. (Lebens)gut, tatsächliche Lebenswelt und Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gegenstände im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Spanne zwischen Vertragsgegenstand und Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . D. Verschiedene Auffassungen des Rechtsobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85 87 90 90 98
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 A. Römisches Recht: res corporales und res incorporales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. Die Sache im Pandektenrecht: Enger und weiter Sachbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 103 C. Abgrenzungskriterien für den Sachbegriff nach § 90 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
X
Inhaltsübersicht
D. Unkörperliche Sachen im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 E. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 A. Definitionen für Immaterialgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Immaterialgüterrecht als Informationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Informationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Information als Rechtsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 138 140 160
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 A. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Konzept der qualia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Koppelung der gesetzlichen Immaterialgüterrechte an menschliches Bewusstsein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Qualia als Differenzierungskriterium für Immaterialgüter . . . . . . . . . . . . . . . . E. Grenzfälle: Menschenfremde Immaterialgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Folgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202 203 204 217 219 231
§ 7 Realgüter und Idealgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 A. Unterscheidung von Real- und Idealgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sinn und Zweck der Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beispielhafte Realgüter(rechte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Beispielhafte Idealgüter(rechte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Mischformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234 234 235 241 242
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens . . . . . . . . . . . . 243 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 B. Rechtsobjekt und Verbietungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 C. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
§ 9 Verfügungsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 A. Begriff und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 B. Das Verhältnis von Verfügungs- und Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 C. Verfügungsobjekte als Überbegriff der Güterordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 D. Eigener Nutzen von Verfügungsobjekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 F. Verfügungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 G. Die Verfügungsfähigkeit von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 H. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 § 10 Besitz und Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 A. Begriff und Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Sachbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtsbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Der Besitz unkörperlicher Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
297 300 326 331 345
InhaltsübersichtXI
F. Exkurs und Abgrenzung: Besitzschutz für unkörperliche Gegenstände? . . . . 348
§ 11. Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 A. Die Persönlichkeit als vorrechtliches Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Natur des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349 362 373 386
4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 § 12 Absolute Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 A. Der Begriff „Absolutheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Primäre und sekundäre Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Abwehranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die positive und die negative Seite absoluter Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
389 402 404 407 418
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 A. Was heißt „Dinglichkeit“ und wozu dient diese Frage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 B. Sachenrechts- bzw. Verfügungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 C. Das numerus clausus-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 D. Spezialitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 E. Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 F. Publizität (Offenkundigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 G. Die Eigenständigkeit von Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 H. Unteilbarkeit (Totalität) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 I. Rangverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 J. Sukzessions- und Verfügungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 K. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 L. Verkehrsfähigkeit der Stammrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 M. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte 561 § 14 Dingliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 A. Rechte und Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Definition/Charakterisierung dinglicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Dingliche Ansprüche aus dem Sacheigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Eigene Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Abgleich mit den Immaterialgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Stammrechte und Rechtsfolgenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
562 563 566 574 575 578 580
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 A. Deliktische Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 B. Eingriffskondiktion und Zuweisungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 C. Gewinnherausgabe, § 687 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 D. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
XII
Inhaltsübersicht
E. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
6. Kapitel: Abgeleitete Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 § 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 A. Belastungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Hauck: Vergemeinschaftung des Stammrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Abspaltungslehre(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Differenzierte Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
625 626 627 631 637 647
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 A. Der Lizenzvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Positive und negative Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ausschließliche und einfache Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Struktur von Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Eigener Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
649 650 653 664 672 674
7. Kapitel: Dogmatisches Modell absoluter Herrschaftsrechte . . . . . . . . . . . 677 A. Rechtsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Absolute und dingliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Abgeleitete Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Schluss: Was bedeutet Dinglichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
677 683 685 688 688
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 Namens- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII
Einleitung und Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 § 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 A. Objektives und subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Objektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 II. Subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Willenstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2. Interessentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Kombinationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Typen subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 III. Zur Funktionsweise subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Der Aufbau von Herrschaftsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Verschiedene Auffassungen der Imperativentheorie . . . . . . . . . . . . . . . 20 a) Befehl und Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 b) Vollständige und unvollständige Rechtssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 c) Präskriptive (regulative) und konstitutive Regeln . . . . . . . . . . . . . . . 21 d) Keine Verneinung überpositiver Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 e) Der Reiz der Imperativentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Die Imperativentheorie in der Weiterentwicklung Buchers . . . . . . . . . 24 4. Schwächen der Imperativentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5. Zur Eigenständigkeit des Dürfens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Hohfeld – das privilege als Dürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Recht und Befugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 c) J. Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 6. Die Geltungsanordnung bei Larenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 7. Das Jörgensensche Dilemma als konstativer Fehlschluss . . . . . . . . . . . 34 a) Das Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Theoretische Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Verbindung zur Welt der Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 aa) Überblick über die institutional theory of law . . . . . . . . . . . . . . 35 bb) Institutionelle Tatsachen und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
XIV
Inhaltsverzeichnis
cc) Konstativer Fehlschluss im Rechtsverständnis . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Der Erkenntniseinwand gegen die Imperativentheorie . . . . . . . . . . . . . 9. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Trennung von materialer und formaler Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Normstruktur und deontische Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Eine schrittweise Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 41 42 43 43 46 49 49
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 B. Der Rechtsgegenstand bei G. Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Die rechtslogische Grundform des Zueigenhabens: Die primäre Eigenrelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 III. Zur Statuslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 IV. Entwicklung des Rechtsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Das Gut im Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Vom Tausch zum Kauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Die finale Eigenrelation als endgültiges Haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Herausbildung eines Etwas von rechtlicher Eigenwertigkeit . . . . . . . . 65 5. Iniurecessio und Rechtsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 V. Rechtsgegenstand und Rechtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 VI. Folgerungen für die Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte . . . . . . . . 69 1. Gleichsetzung von Recht und Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Sachbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Machtwille und Rechtsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Die Rechtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 C. Der Rechtsgegenstand bei Sohm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 D. Rechtsgegenstände bei Larenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Rechtsgegenstände erster und zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Rechtsgegenstände dritter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Gegenstände „unterhalb“ von Rechtsobjekten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 IV. Kritik am Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 E. Jüngere Untersuchungen zum Rechtsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 F. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I. Genese des Rechtsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Der Modus der Rechtsinhaberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 III. Rechtsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 IV. Abgleich Husserl, Sohm und Larenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 V. Speziell: Persönlichkeit als Rechtsgegenstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
2. Kapitel: Rechtsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 § 3 Rechtsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 A. (Lebens)gut, tatsächliche Lebenswelt und Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 B. Gegenstände im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
InhaltsverzeichnisXV
I. Das Leistungssubstrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. Der Vertragsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 III. Können Vertragsgegenstände Rechtsgegenstände sein? . . . . . . . . . . . . . . . 89 C. Die Spanne zwischen Vertragsgegenstand und Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . 90 D. Verschiedene Auffassungen des Rechtsobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Das Definitionsproblem bei Rechtsobjekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Formale Definition – Das Rechtsobjekt als Bezugspunkt von Rechten . . 91 III. Materiale Definition – Das Rechtsobjekt als Herrschaftsgegenstand . . . . 93 IV. „Verhaltensollen“ als Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 V. Rechtsobjekte und die Innen- und Außenseite des Rechts . . . . . . . . . . . . . 95 VI. Funktionen des Rechtsobjekts und eigene funktionale Definition . . . . . . 95 1. Aufnahme in die Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Vergegenständlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Ordnungs- und Bezugsfunktion für subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . 96 4. Zuweisungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5. Ausschließungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6. Herrschaftsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 7. Wirtschaftliche Nutzbarmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 8. Bedeutung der Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 E. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 A. Römisches Recht: res corporales und res incorporales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II. Heutige Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 B. Die Sache im Pandektenrecht: Enger und weiter Sachbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Verschiedene Sachabgrenzungen im Pandektenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 C. Abgrenzungskriterien für den Sachbegriff nach § 90 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Der Sachbegriff in den Vorarbeiten zum BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Der heutige Sachbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 III. Der Gerechtigkeitsgehalt der Körperlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. § 90 BGB als Norm zur Erfassung rivaler Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Erfassung menschlich nutzbarer Güter – pragmatische/intuitive Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Erfassung der beherrschbaren Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5. Erfassung der dem Sacheigentum unterfallenden Güter . . . . . . . . . . . . 120 6. Begrenzung des Eigentums auf leicht erkennbare Güter . . . . . . . . . . . 121 IV. Zwischenergebnis und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 D. Unkörperliche Sachen im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Vorentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Überblick zur heutigen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Verschiedene Zwecke der Subsumtion eines Gegenstandes unter den Sachbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 E. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
XVI
Inhaltsverzeichnis
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 A. Definitionen für Immaterialgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Definitionen aus dem 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Rechtsrealistische Kritik an metaphysischen Immaterialgütern . . . . . . . . 131 III. Die Artefakttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Master-Artefakt als Ansatzpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Zerstörung von Werken als Fall des § 14 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Immaterialgüter als institutionelle Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Informationstheoretisches Verständnis von Immaterialgütern . . . . . . . . . 138 B. Immaterialgüterrecht als Informationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 C. Der Informationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Drei Ebenen von Informationen und Benklers layer model . . . . . . . . . . . . 140 1. Syntaktische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Semantische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Strukturelle Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Verhältnis der Ebenen zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 II. Gedankenexperiment: Informationen auf elementarer Ebene . . . . . . . . . . 147 III. Aktuelle und potentielle Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 IV. Die Existenzweise von Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Der Formgehalt und die quantitative Definition von Information . . . 149 2. Die Information existiert in der Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 V. Bedeutung als konstitutives Merkmal von Information . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Der Begriff „Bedeutung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Menschliches Bewusstsein und Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Kontextabhängigkeit des semantischen Gehalts einer Information . . 157 VI. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 D. Information als Rechtsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Informationen und Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. Informationsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Idealgüter und Informationen im Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Idealgut und Information im Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Existieren Immaterialgüter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Idealgut und Information im Patentrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Idealgut und Information im Marken- und sonstigen Zeichenrecht . . 171 a) Das Zeichen als Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Relevanz der Markenfunktionenlehre für den Schutzgegenstand . 172 c) Relevanz des „Markenwerts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 d) Marken als intersubjektive Realitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 e) Immaterialgut und Information im Markenrecht . . . . . . . . . . . . . . . 179 f) Die Beschreibung des Idealzeichens bei speziellen Markenformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 g) Zeichen als Rechtsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Verhältnis zum Personennamensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Formale oder materiale Definition des Rechtsobjekts? . . . . . . . 185 5. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Sortenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
InhaltsverzeichnisXVII
b) Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte . . . . . . . . . . . V. Das Rechtsobjekt gesetzlicher Immaterialgüterrechte: Information oder Idealgut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenergebnis und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
190 194 197 199
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 A. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 B. Das Konzept der qualia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 C. Koppelung der gesetzlichen Immaterialgüterrechte an menschliches Bewusstsein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 I. Markenrecht und „Maschinenkennzeichen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 II. Patentrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Die Rolle menschlicher Erfinder und Nutzer im Patentrecht . . . . . . . 206 2. Maschinenerfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 III. Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Maschinen als Schöpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Maschinen als Rezipienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 D. Qualia als Differenzierungskriterium für Immaterialgüter . . . . . . . . . . . . . . . . 217 E. Grenzfälle: Menschenfremde Immaterialgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 I. Für Menschen unverständliche Immaterialgüter – Beispiele . . . . . . . . . . . 220 II. Urheberrechtsschutz für Computerprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Datenbankschutz sui generis, §§ 87a ff. UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Schutzobjekt des Datenbankschutzes sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Elemente der Datenbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 F. Folgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
§ 7 Realgüter und Idealgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 A. Unterscheidung von Real- und Idealgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sinn und Zweck der Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beispielhafte Realgüter(rechte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechte an Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechte an Datenbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechte an Internetdomains . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechte an Frequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechte an Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechte an Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechte an Non-Fungible-Tokens (NFT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Beispielhafte Idealgüter(rechte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die geltenden IP-Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechte an Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Persönlichkeitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Mischformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234 234 235 235 236 236 237 237 238 238 241 241 241 242 242
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens . . . . . . . . . . . . 243 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Zwei Regelungskreise: rechtlich und faktisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
XVIII
Inhaltsverzeichnis
1. Rechtlicher Freiraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Faktischer Freiraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Die Zuweisungslücke im Sacheigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 III. Abgleich Immaterialgüterrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Rechtlicher Freiraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Keine Vergrößerung des faktischen Könnens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Keine Zuweisungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 B. Rechtsobjekt und Verbietungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Verbietungsrechte des Sacheneigentümers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Immaterialgüterrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Typen von Immaterialgütern mit typischen Verbietungsrechten . . . . 249 2. Abgleich mit dem Sacheneigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 III. Grundtypen verbietbarer Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Körperliche Einwirkung und informationelle Repräsentation . . . . . . 250 2. Abgrenzungsmerkmale des Rechtsobjekts als Maßstab für Verbietungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
§ 9 Verfügungsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 A. Begriff und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 B. Das Verhältnis von Verfügungs- und Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 C. Verfügungsobjekte als Überbegriff der Güterordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 D. Eigener Nutzen von Verfügungsobjekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Bedeutung in den Wirtschaftswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Verkehrsfähigkeit als Merkmal von Verfügungsobjekten? . . . . . . . . . . . . . 263 F. Verfügungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 I. Standardinstrumente und Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 II. Beispiel: Verpflichtungs- und Verfügungsebene eines Kaufs gem. § 453 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Verfügung: §§ 398, 413 BGB vs. § 929 S. 1 BGB (analog) . . . . . . . . . . . . 268 2. Verschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 G. Die Verfügungsfähigkeit von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 I. Begriff der Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 II. Merkmale übertragender Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Verbrauch von Verfügungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Wechsel in der Rechtsinhaberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 3. Erlangung von Verbotsrechten durch den Erwerber . . . . . . . . . . . . . . . 275 III. Verfügungsmacht und Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Verfügungsmacht als Mittel der Steuerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3. Beschränkung von Verfügungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 4. Positive und negative Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 5. Ausprägungen von Verfügungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Übertragungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Belastungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 c) Aufhebungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
InhaltsverzeichnisXIX
d) Änderungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verhältnis zum subjektiven Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfügungsmacht als Inhalt eines Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . H. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285 285 285 288 291 293
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 § 10 Besitz und Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 A. Begriff und Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Der Sachbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Überblick und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 II. Funktionen des Besitzschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Persönlichkeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 2. Modernere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 III. Beherrschungswille (animus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 IV. Tatsächliche Herrschaft (corpus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 V. „Vergeistigter Besitz“ als Sachherrschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Besitzdienerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 a) Erste Auslegungsoption: Keine Sachherrschaft des Besitzherrn . . 312 b) Zweite Auslegungsoption: Sachherrschaft des Besitzherrn . . . . . . . 313 2. Mittelbarer Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 VI. Funktionen des Traditionsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2. Heutige Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a) Ablauf der traditio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Eigentumsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 c) Besitzerlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 d) Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 e) Visualisierung des Eigentumsübergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 f) Gutglaubensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 C. Rechtsbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 I. Rechtsbesitz als Besitzschutz für Inhaber bestimmter Dienstbarkeiten . 326 II. Rechtsbesitz als Innehabung eines Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 III. Rechtsbesitz in der Darstellung Pawlowskis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 D. Der Besitz unkörperlicher Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 I. Lehren zur Herrschaft im Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 1. Spezialgesetzlicher „Besitzschutz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Werkherrschaft im Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 II. Bestimmungsgewalt über körperliche und unkörperliche Gegenstände . 335 1. Bestimmungsgewalt als Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Infrastruktur und unkörperliche Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Technikabhängige Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 2. Recht und Bestimmungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
XX
Inhaltsverzeichnis
III. Erweiterung faktischer Handlungsmöglichkeiten durch unkörperliche Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abgleich mit Funktionen des Besitzschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Exkurs und Abgrenzung: Besitzschutz für unkörperliche Gegenstände? . . . .
343 344 345 348
§ 11. Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 A. Die Persönlichkeit als vorrechtliches Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Abgrenzung der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 II. Der Siegeszug der Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 III. Sexualität als Teil der gelebten Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 IV. Der Konflikt zwischen Menschenwürde und Individualität . . . . . . . . . . . 358 V. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 B. Natur des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 I. Die Persönlichkeit als „Gegenstand“ von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 II. Unterteilung in Persönlichkeitsgüter(rechte) und Immaterialgüter(rechte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht . . . . . 365 1. Statuslehre und subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 2. Das Personsein als Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 3. Persönlichkeitsrechte als subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 IV. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 I. Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte in der Literatur . . . . . . . . . . . 374 II. Die Begriffe „Kontrollherrschaft“ und „Dispositionsherrschaft“ . . . . . . 376 III. Drohende Disposition über die eigene Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 377 IV. Vom Personstatus zum verkehrsfähigen Persönlichkeitsgegenstand . . . . 379 1. Kontrollherrschaft über nicht-rechtliche Gegenstände . . . . . . . . . . . . . 379 2. Dispositionsherrschaft über Rechtsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 3. Persönlichkeitsrecht als Informationsbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . 383 4. Überlagerung abgelöster Rechtsgegenstände durch Persönlichkeitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 V. Kontrollherrschaft über die Persönlichkeit berührende Gegenstände . . . 384 VI. Beispiel: Datenschutzrecht als Herrschaftsrecht über die eigenen Daten 386 D. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 § 12 Absolute Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 A. Der Begriff „Absolutheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Benennung des Adressatenkreises – Monopolisiertes Verbietungsrecht und exklusives Dürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Löwisch: Trennung von formaler Kategorie und materiellem Gehalt . . . III. Löwisch: Innenbeziehung und Außenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit) . . . . . . . . V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit und Folgerungen für die Dinglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Primäre und sekundäre Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Abwehranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
389 389 390 392 393 397 400 402 404
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D. Die positive und die negative Seite absoluter Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 I. Stimmen aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 1. Peukert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 2. Portmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 3. Schluep . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 4. Folgerungen zur negativen Seite absoluter Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 II. Merkmale positiver Berechtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 2. Die positive Seite als starke Erlaubnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 3. Die Verfügungsmacht als positive Berechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 4. Zugehörigkeit des Gutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 5. Inkongruenz von Verbot und Erlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 6. Sekundäransprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 E. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 A. Was heißt „Dinglichkeit“ und wozu dient diese Frage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 I. Zuordnung und unmittelbare Herrschaft über ein „Ding“ . . . . . . . . . . . . 421 II. Dinglichkeit als Sammelbegriff für bestimmte Merkmale . . . . . . . . . . . . . 423 III. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 B. Sachenrechts- bzw. Verfügungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 I. Dogmatische Stellung der Sachenrechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 1. Der ungewisse Kreis der Sachenrechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 2. Folgerungen für die dogmatische Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 a) Meinungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 b) Stellungnahme: Sachenrechtsprinzipien als Rechtsanalogie . . . . . . 431 II. Zusammenfassung und Bedeutung für den weiteren Gang der Arbeit . . 432 C. Das numerus clausus-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 I. Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang) . . . . . . . . . 432 1. Der sachenrechtliche numerus clausus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 2. Methodische und dogmatische Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 3. Geltung für Rechtseinräumungen außerhalb des Sachenrechts . . . . . . 437 4. Geltung im Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 a) Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 b) Markenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 c) Patentrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 d) Weder immaterialgüterrechtlicher noch vertragsrechtlicher Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 II. Enumeration dinglicher Stammrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 1. Abgrenzung der eigentlichen Streitfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 2. Beispiele: Unmittelbarer Leistungsschutz und sonstige Rechte . . . . . . 446 3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen . . 449 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 III. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 D. Spezialitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 I. Abgrenzung zum Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 II. Eigenständige Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 III. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 E. Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459
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Inhaltsverzeichnis
I. Dogmatik des Bestimmtheitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 II. Beispiel zur Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 III. Relevanz im Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 IV. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 F. Publizität (Offenkundigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 I. Publizität als Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 II. Publizität als Sachenrechtsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 1. Welchen Zwecken diente ein Publizitätsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 2. Gibt es ein Publizitätsprinzip im Sachenrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 a) Immobiliarsachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 b) Mobiliarsachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 c) Mögliche Begründung der unterschiedlichen Publizität . . . . . . . . . 474 3. Exkurs: Prinzip der Einheitlichkeit des Sacheigentums? . . . . . . . . . . . 474 III. Publizität im Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 1. Rechtsentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 a) Patentrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 b) Markenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 c) Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 2. Rechtsübertragung, Rechtsbelastung und Lizenzvergabe . . . . . . . . . . 481 a) Patentrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 b) Markenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 c) Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 3. Anerkennung der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 4. Offenbarung der Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 5. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 IV. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 G. Die Eigenständigkeit von Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 I. Rechtsverkehrsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 1. Trennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 2. Abstraktionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 III. Inhaltliche und äußere Abstraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 IV. Abstraktion als allgemeine Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 V. Verhältnis zum Sukzessionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 VI. Charakterisierung abstrakter Verfügungen mit Blick auf die Dinglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 VII. Eigenständige Verfügungen im Immaterialgüterrecht? . . . . . . . . . . . . . . . 499 1. Das Abstraktionsprinzips und immaterialgüterrechtliche Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 2. Überblick zu den einzelnen Immaterialgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . 501 3. Immaterialgüterrechtliche Einwände gegen die Geltung des Abstraktionsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 a) Besondere Funktion des Kausalverhältnisses mangels Typenzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 b) Analogie zu § 9 Abs. 1 VerlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 c) Schutzbedürftigkeit des Verfügenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 d) Die Gebundenheit urheberrechtlicher Rechtsübertragungen . . . . . 510 VIII. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
InhaltsverzeichnisXXIII
H. Unteilbarkeit (Totalität) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 I. Ungeteiltes Sacheigentum und Funktionseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 II. Die Teilbarkeit von Immaterialgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 1. Zum geltenden Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 2. Zweifel an der Unaufteilbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 III. Verhältnis zur bundle of rights theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 IV. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 I. Rangverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 I. Das Rangverhältnis dinglicher Rechte im Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 526 II. Rangverhältnis von Rechten an Immaterialgütern/Informationen . . . . . 529 1. Kollision abgespaltener Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 2. Kollision gleicher Stammrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 3. Kollision unterschiedlicher Stammrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 J. Sukzessions- und Verfügungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 I. Begriff und Unterarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 II. Sukzessionsschutz durch Verbrauch an Verfügungsmacht . . . . . . . . . . . . 536 III. Rückschlüsse auf das Stammrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 IV. Verfügungsverkehrsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 1. Abstraktions- und Kausalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 2. Sonderansicht C. Berger zum Abstraktionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 539 3. Konsequenzen der unterschiedlichen Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 4. Angeordneter Sukzessionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 V. Sonderproblem: Enkellizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 VI. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 K. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 I. Pfändbarkeit und Anerkennung eines Rechts als „anderes Vermögensrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 II. Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) und Aussonderung (§ 47 InsO) . . . 546 1. Dingliche Rechte in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 2. Bedeutung der Verfügungsverkehrsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 3. Speziell: Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 III. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 L. Verkehrsfähigkeit der Stammrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 I. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 II. Strukturelle Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 III. Persönlichkeitsrecht als Ausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 IV. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 M. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte . 561 § 14 Dingliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 A. Rechte und Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Definition/Charakterisierung dinglicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bindung an das Stammrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bindung von Pflichten an das Rechtsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Dingliche Ansprüche aus dem Sacheigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 II. Vindikation (§ 985 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 III. Beseitigung und Unterlassung (§ 1004 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 1. Prozessuale oder materiellrechtliche Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 2. Regelungsgehalt und Regelungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 IV. Entwicklung der Abwehrrechte aus § 1004 BGB über das Sacheigentum hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 D. Eigene Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 E. Abgleich mit den Immaterialgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 F. Stammrechte und Rechtsfolgenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 I. Hofmann: Rechtsfolgenrechte als Feinabstimmung der Stammrechte . . . 578 II. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 G. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 A. Deliktische Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 I. Zur Dogmatik des Deliktsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 1. Funktion und Funktionsweise des Deliktsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 2. Erfolgs- und Handlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 3. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 II. Subjektive Rechte und deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 1. Die Personalsphäre des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 2. Ausschlusswirkung und Zuweisungsgehalt sonstiger Rechte . . . . . . . 589 3. Die Funktion subjektiver Rechte für die deliktische Haftung . . . . . . . 592 4. Rahmenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 III. Zur Haftungsausfüllung bei der Verletzung absoluter Herrschaftsrechte 598 1. Ordnung der Haftungsausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 2. Die Schutzzwecklehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 a) Integritätsinteresse als deliktisch geschütztes Interesse . . . . . . . . . . 601 b) Schutzzweck der Haftungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 c) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 3. Speziell: Die dreifache Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 a) Dreifache Schadensberechnung in der deutschen Lehre und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 b) Kritik unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . 605 c) Umsetzung der EnforcementRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 d) Folgerungen zum positiven Gehalt absoluter Herrschaftsrechte . . 609 B. Eingriffskondiktion und Zuweisungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 I. Normzweck der Eingriffskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 II. Kritik an der Rechtswidrigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 III. „Positiver“ Zuweisungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 IV. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 C. Gewinnherausgabe, § 687 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 D. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 E. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 I. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 II. Noch einmal zum positiven Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 § 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 A. Belastungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 B. Hauck: Vergemeinschaftung des Stammrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 C. Die Abspaltungslehre(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 I. Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 II. Dogmatische Unklarheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 III. Verständnis als gebundene Übertragung (Forkel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 D. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 I. Charakterisierung beschränkter dinglicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 II. Weitere Anforderungen an eine Abspaltungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 III. Mögliche Bezugspunkte der Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 IV. Spaltung des Rechtsinhalts (qualitative Spaltung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 E. Differenzierte Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 I. Vorüberlegungen anknüpfend an Wilhelm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 II. Unteilbarkeit des Sacheigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 III. Rechtsnatur der Sicherungs- und Erwerbsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 IV. Rechtsnatur der Nutzungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 1. Nießbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 2. Dienstbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 3. Verhältnis von Stammrechtsinhaber und dinglich Berechtigtem . . . . . 642 4. Klarstellung des Unterschieds zu Sicherungs- und Erwerbsrechten . . 642 V. Die Dinglichkeit beschränkter dinglicher Rechte an relativen Rechten . . 643 VI. Elastizität des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 F. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 A. Der Lizenzvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 B. Positive und negative Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 C. Ausschließliche und einfache Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 I. Ausschließliche Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 1. Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 2. Aktivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 3. Vergabe von Unterlizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 4. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 5. Sukzessionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 6. Verkehrsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 7. Numerus clausus abgeleiteter Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 II. Einfache Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 1. Keine Aktivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 2. Keine Vergabe von Unterlizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 3. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 4. Sukzessionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 5. Verkehrsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 6. Unterschied zur rein vertraglichen Nutzungsberechtigung . . . . . . . . . 662 III. Dinglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 D. Struktur von Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
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I. II.
Struktureller Gleichlauf mit beschränkten dinglichen Rechten? . . . . . . . 664 Abspaltung und Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 1. Rechtsabspaltung – Translative Rechtsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . 667 2. Belastungstheorie – „Konstitutive“ Rechtsübertragung . . . . . . . . . . . . 668 a) Konstitutive Rechtsnachfolge (v. Tuhr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 b) Heutiges Verständnis der konstitutiven Lizenzeinräumung . . . . . 670 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 a) Konstitutive Rechtsübertragung im Wortsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 b) Gebundene Übertragung (Forkel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 E. Eigener Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672 F. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674
7. Kapitel: Dogmatisches Modell absoluter Herrschaftsrechte . . . . . . . . . . . 677 A. Rechtsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Absolute und dingliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Abgeleitete Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Schluss: Was bedeutet Dinglichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
677 683 685 688 688
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 Namens- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Hohfelds Konzeption rechtlicher Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Abb. 2: Joerden, Logik im Recht, 181, „Das deontologische Sechseck“ . . . . . . . . . . . . . . 46 Abb. 3: Zeichen als Gegenstand von Zeichenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Abb. 4: Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Abb. 5: Aufbau von Verfügungsobjekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Abb. 6: Einräumung einer Hypothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Abb. 7: Nießbrauch als Abspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Abb. 8: Abspaltung einer Lizenz als separates Verfügungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674
Abkürzungsverzeichnis Hier nicht genannte Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis bei Duden, Das Wörterbuch der Abkürzungen, 6. Aufl., Mannheim/Zürich 2011 sowie Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 10. Aufl., Berlin 2021. AK-BGB EnforcementRL
Alternativkommentare zum BGB RL 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ER. Eigenrelation GeschäftsgeheimnisRL Richtlinie (EU) 2016/943 über den Schutz vertraulichen Knowhows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung GeschGehG-E Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung GMVO VO (EG) Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke HKK Historisch-kritischer Kommentar zum BGB Iic. Iniurecessio M2M Machine to Machine MarkenRL 2015 RL (EU) 2015/2436 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken2015 Mugd. Mugdan RO Rechtsobjekt RS Rechtssubjekt UMV VO (EU) 2017/1001 über die Unionsmarke VO Verfügungsobjekt
Einleitung und Terminologie In fast jedem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des BGB wie auch in vielen Sachenrechtslehrbüchern findet sich eine Darstellung zu Rechtsobjekten. Zur Veranschaulichung wird gewöhnlich auf Sachen und das an ihnen bestehende Sacheigentum verwiesen.1 Diesen scheinbar gleichgestellt werden im selben Zuge die durch Immaterialgüterrechte geschützten unkörperlichen Güter.2 Rechtsobjekte, so heißt es, stehen Rechtssubjekten gegenüber, Rechtsbeziehungen bestünden aber nur zwischen Letzteren.3 Begriffe wie der des Rechtsobjekts werden zwar nicht immer gleich definiert (etwa hinsichtlich der Frage, ob auch Rechte Rechtsobjekte sein können), in weiten Teilen ähneln sich die Auffassungen aber. Die damit angestrebte einheitliche Systematik wäre überaus nützlich für die Bewältigung des bestehenden Stoffs und insbesondere des wachsenden Anteils immaterialgüterrechtlicher Fragen, was inzwischen auch die Verrechtlichung von Informationen und digitalen Daten4 betrifft (dazu sogleich). Schließlich wäre das Gegenteil eine Rechtsordnung, in der es etwa für Urheber-, Marken- und Patentrecht unterschiedliche und also nicht-übertragbare Strukturen, Funktionsweisen und Grundsätze gäbe und nur punktuelle Parallelen zum Sachenrecht bestünden. Von der Idee eines übergreifenden zivilrechtlichen Eigentumsbegriffs oder zumindest dem Abstraktum eines absoluten Herrschaftsrechts könnte keine Rede sein. Dieses Bild ist freilich eine Strohpuppe. Längst gehen Literatur und Rechtsprechung implizit von der Existenz eines einheitlichen, wenn auch nie ausformulierten abstrakten Modells absoluter Herrschaftsrechte aus. Gängig werden Begriffe wie „Rechtsobjekt“, „Herrschaftsrecht“, „absolutes Recht“, „quasi-dingliches Recht“ oder „Rechtsinhaber“ genutzt. Damit bezieht man sich bewusst oder implizit auf ein System, das diesen Teil der Rechtswelt strukturiert und das als existent und bekannt vorausgesetzt wird. Andernfalls wäre der Gebrauch der abstrakten Begriffe von vornherein wenig erhellend. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung eines Modells der absoluten Herrschaftsrechte im deutschen Zivilrecht. Dabei soll kein erweitertes Sachenund Immaterialgüterrechtslehrbuch entstehen. Ein bloßer Abgleich aller absolu1 Siehe nur Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 1 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 227 ff.; Prütting, Sachenrecht, 34. Aufl. 2010, Rn. 2 ff.; Habersack, SachenR, Rn. 5 ff. 2 Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 6; § 15 Rn. 8 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 229; Habersack, SachenR, Rn. 6. 3 Bork, BGB AT, Rn. 227. 4 Siehe nur Zech, Information als Schutzgegenstand, 2012.
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Einleitung und Terminologie
ten Herrschaftsrechte auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede wäre zu kurz gedacht. Er würde bestenfalls zu einer großen wie unübersichtlichen Matrix führen, die viel beschreiben und wenig erklären würde. Vielmehr sollen die Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte untersucht und modellhaft aufbereitet werden. Das größte Problem liegt wohl darin, dass schon das Sachen- und Immaterialgüterrecht nicht „aus einem Guss“ am Reißbrett geschaffen wurden, sondern sich die einzelnen gesetzlichen Herrschaftsrechte nach und nach unter uneinheitlichen Umständen entwickelt haben. Z. B. hat das Markenrecht eine lauterkeitsrechtliche Vergangenheit und ist nach wie vor mit lauterkeitsrechtlichen Elementen durchsetzt, während das Patentrecht eher auf volkswirtschaftlichen Überlegungen beruht, in denen der Erfindung schon früh eine stark immaterialgüterrechtlich geprägte Position zuerkannt wurde. Es gibt also wahrscheinlich kein Universalmodell absoluter Herrschaftsrechte, das den bisherigen Gesetzgebungen und zahllosen juristischen Quellen unerkannt zugrunde liegt und nur noch freigelegt werden muss. Zu den Zielen dieser Arbeit gehört es daher, die Bausteine und Prinzipien absoluter Herrschaftsrechte funktional zu analysieren. Ermittelt werden soll, ob es sie überhaupt in der behaupteten Grundsätzlichkeit gibt und welche Funktionen sie haben. Notwendiger Teil dieser Untersuchung ist die Frage, ob diese Grundelemente gleichermaßen im Sachen- wie im Immaterialgüterrecht gelten. Das Modell soll nämlich auch dogmatisch streitige Fragen wie die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte und die Vergabe von Lizenzen beinhalten. Ob die Rechtsgebiete eine hinreichende Konsistenz aufweisen, um sie mit einem einzigen, einheitlichen Modell beschreiben zu können, ist offen. Sofern kein einheitliches Modell möglich ist, soll zumindest ein „Baukasten“ absoluter Herrschaftsrechte gezeigt werden, der Widerspruchsfreiheit sichert und das Rechtssystem verschlankt. In der jüngeren Forschung sind besonders die Arbeiten von Jänich,5 Ahrens/ McGuire6 und Peukert 7 zu nennen, die in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Zielsetzungen (auch) der Suche nach einer einheitlichen Dogmatik von Ausschließlichkeitsrechten und der Güterzuordnung gewidmet sind. Der Fokus der vorliegenden Untersuchung ist eher rechtstechnischer, ordnender Natur. Die an der Grenze zur Rechtspolitik verlaufenden Debatten um die gebotene Reichweite bestehender und die Einführung neuer Schutzrechte, sowie um die Frage, in welchem genauen Ausmaß persönlichkeitsnahe Güter eigentumsartig zugewiesen werden sollten, werden hier nur am Rande berührt. Das Vorhaben, ein konsistentes Modell absoluter Herrschaftsrechte abzubilden, begegnet notgedrungen zahlreichen streitigen Punkten in Literatur und Rechtsprechung, die zumindest prämissenartig entschieden werden müssen, um weiter5
Jänich, Geistiges Eigentum, 2002. Ahrens/McGuire, Modellgesetz für Geistiges Eigentum, 2012. 7 Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, 2008. 6
Einleitung und Terminologie3
zukommen. An entsprechend vielen Stellen sind die Ergebnisse angreifbar. Der Versuch einer Ordnung steht zudem vor dem Problem, dass viele Abgrenzungen, Definitionen und Begriffe nicht logisch oder naturwissenschaftlich, sondern oftmals einzelfallgebunden und immer menschengemacht sind. Daher ist jede übergreifende Ordnung ein Korsett, das an manchen Stellen drückt. Methodisch beruht die Arbeit nicht auf einer quasi-induktiven Betrachtung der einzelnen Herrschaftsrechte, sondern auf einer Bewertung und Zusammenführung der Ideen, Funktionen und Theorien, die für Herrschaftsrechte bzw. für Bestandteile von Herrschaftsrechten vertreten werden. Das Sacheigentum als besterforschtes und mit der meisten Literatur versehenes absolutes Herrschaftsrecht nimmt nicht nur notgedrungen einen prominenten Platz in der Untersuchung ein, sondern ist zudem Quelle für zahlreiche Prinzipien und Grundsätze, die man so oder ähnlich auch im Immaterialgüterrecht zu finden meint. Die Untersuchung ist also theoretisch angelegt. Sie soll aber nicht in der Theorie verharren, sondern zeigen, welche unmittelbaren Auswirkungen theoretische Überlegungen auf die praktischen Ergebnisse haben können. Die diversen Beispiele dienen daher nicht nur der besseren Lesbarkeit, sondern auch der Veranschaulichung der praktischen Folgen. Vor allem aber zwingen sie zur Konkretisierung und dienen so dem Verständnis und einer ersten rudimentären Überprüfung theoretischer Ausführungen.8 Dass sich die Untersuchung auf die Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte konzentriert, ist nicht als Aufforderung zu verstehen, Zuteilungskonflikten oder -begehrlichkeiten verstärkt durch die Schaffung neuer Herrschaftsrechte zu begegnen. Dazu verhält sich die Arbeit, wie gesagt, nicht. Ziel ist eine ordnende Dogmatik für den Bereich der absoluten Herrschaftsrechte. Diese Dogmatik dient der Beseitigung von Wertungswidersprüchen, der Erhöhung der Rechtssicherheit und der Vergleichbarkeit. All dies ist entscheidend für die Überzeugungskraft einer Rechtsordnung. Das Offenlegen von Funktionen rechtlicher Strukturelemente ermöglicht einen tiefergehenden Abgleich kollidierender Interessen mit gesetzlichen Wertungen, ist also ganz im Sinne der Wertungsjurisprudenz. Je genauer bekannt ist, wo und wie die Rechtsordnung welche Interessen berücksichtigt, desto systematischer und somit gerechter können Besonderheiten des Einzelfalls gewürdigt werden. Das Gegenteil wäre eine beinahe willkürliche Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Rechtssuchender. Nicht zuletzt wird sich im Laufe der Bearbeitung zeigen, dass viele Streitigkeiten auf Missverständnisse oder Fehlvorstellungen über die eigentlich streitige Frage zurückgehen. Mit Blick auf die Zukunft dient ein dogmatisches Modell absoluter Herrschaftsrechte der Schaffung einer rechtstechnischen Grundlage für die Konstruktion von Herrschaftsrechten an „neuen Gütern“. In den vergangenen 30 Jahren gab es im 8 Siehe zur überragenden Bedeutung von Beispielen zur Erläuterung und Prüfung wissenschaftlicher Theorien nur Feynman, Surely You’re Joking Mr Feynman, 244 f.; Hofstadter, I Am a Strange Loop, XV.
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Einleitung und Terminologie
Zuge der Digitalisierung und medialen Umbrüche zahlreiche Überlegungen, „neue Güter“ eigentumsartig zuzuordnen. Für solche Güter, deren rein vertragliche Erfassung der wirtschaftlichen Realität nicht mehr gerecht wird, gibt es derzeit aber kein klares System, kein Grundmodell, nach dem sie eine eigentumsartige Zuweisung erfahren könnten. Selbst wenn sich der Gesetzgeber entschiede, ein neues Immaterialgüterrecht aus der Taufe zu heben, könnte er derzeit auf keine abstrakten Vorgaben für „diese Art von Rechten“ zurückgreifen. Gleiches gilt für Gerichte bei Auslegungsfragen oder Rechtsfortbildungen. Ohne theoretische Vorarbeit steigt die Gefahr von Systembrüchen, Wertungswidersprüchen und nicht oder falsch genutzten systemimmanenten Optionen. Diese theoretische Vorarbeit hat aber gravierende Konsequenzen für den Umfang der Zuweisung exklusiver Befugnisse, die spiegelbildlich eine Begrenzung der Gemeinfreiheit darstellen. Es ist daher wichtig zu verstehen, wie eine eigentumsartige Zuordnung funktioniert und welche Gestaltungsoptionen sich bieten. Unter besagten neuen Gütern, deren Zuweisung seit einigen Jahren diskutiert wird, befinden sich auch Daten und Informationen. Wenngleich es in Deutschland und Europa aller Voraussicht nach vorläufig nicht zu einem „Dateneigentum“ kommen wird, zwingen das Datenrecht und die (nicht-juristische) Informationstheorie das Immaterialgüterrecht dazu, dogmatisch präziser zu werden. Die ungenaue Sprechweise von „geistigen Gütern“ und „daran“ bestehenden Rechten wird einer technisierten Informationsgesellschaft und Informationsmärkten nicht mehr gerecht. Sachenrecht, Immaterialgüterrecht und Daten- bzw. Informationsrecht müssen dieselbe Sprache sprechen. Die Arbeit soll daher eine dogmatische Verbindung nicht nur zwischen dem allgemeinen Zivilrecht und dem Immaterialgüterrecht, sondern auch mit dem neu hinzugetretenen Datenwirtschaftsrecht9 schaffen. Letzteres bildet ein neues Rechtsgebiet im Zentrum des digitalen Binnenmarktes.10 Der verbreitet genutzte Begriff für die hier zu behandelnden subjektiven Rechte lautet „Ausschließlichkeitsrechte“.11 Mitunter werden die Bezeichnungen „Ausschließlichkeitsrechte“ und „absolute Herrschaftsrechte“ auch synonym verwendet.12 Was spricht also dafür, stattdessen den sperrigeren Begriff „absolute Herrschaftsrechte“ zu verwenden? 9 Zum Begriff nur Berger, ZGE/IPJ 9 (2017), 340; Steinrötter, FS Taeger, 491; Becker, ZGE/ IPJ 9 (2017), 253. 10 Vgl. nur COM(2014) 442; COM(2015) 192; COM(2017) 9. 11 Entsprechende Suchen – „Ausschließlichkeitsrecht“ vs. „Herrschaftsrecht“ bei Beck Online (> 5000 : 685) und Juris (1802 : 334) sind zwar ungefiltert, sie sprechen aber eine deutliche Sprache. Bei Google Books ist das Verhältnis hingegen umgekehrt (14100 : 34600), was daran liegen könnte, dass die Suche dort interdisziplinär, also nicht auf juristische Inhalte begrenzt ist (z. B. spielt der Begriff „Herrschaftsrecht“ auch in der Philosophie eine Rolle) und sehr viel mehr ältere Werke einbezieht. 12 Siehe etwa Mager, AcP 193 (1993), 68 (71); die von Peukert gewählte Abgrenzung von Ausschließlichkeitsrechten ist ähnlich eng wie das vorliegende Verständnis absoluter Herrschaftsrechte; er zieht ersteren aber vor um „stark wirklichkeits- und damit potentiell begriffsjuristisch-ergebnisgeneigte Formulierungen“ zu vermeiden (was dem Thema seiner Untersuchung geschuldet ist), Peukert, Güterzuordnung, 57 ff.
Einleitung und Terminologie5
Der Begriff „Ausschließlichkeitsrecht“ ist nicht etwa falsch oder irreführend und dürfte auch künftig der üblichere Begriff bleiben, zumal er teils auch im Gesetz verwendet wird.13 Aus Sicht einer genaueren Untersuchung des hier gemeinten Typs subjektiver Rechte ist er aber wenig informativ. Er legt sich dem Wortlaut nach nur auf eine Ausschließlichkeit unbestimmter Richtung fest und beansprucht nicht einmal irgendeine Form der Zuweisung oder besonderer Rechtsmacht. Daher kann er für wesentlich mehr Rechte verwendet werden, als hier untersucht werden sollen. Der Begriff „absolutes Herrschaftsrecht“ ist älter,14 ein gutes Stück aussagekräftiger und rechtspolitisch sensibel. Er spricht das an, was bei vielen immateriellen und auch bei persönlichkeitsrechtlich geprägten Schutzgütern von Berechtigten gewünscht wird, aber rechtspolitisch und dogmatisch heikel ist: die Herrschaft über das Gut. Zugleich macht er die Frage, welche Rechte genau zur Gruppe der „absoluten Rechte“ zählen, vorerst entbehrlich – denn er ist schon begrifflich eine Unterart davon. Der Ansatz dieser Untersuchung liegt nicht in einer Abgrenzung der Rechte, die zum Kreis absoluter Herrschaftsrechte zählen. Er liegt auch nicht vornehmlich darin, eine Liste an Komponenten zu erstellen, die ein „vollständiges“ absolutes Herrschaftsrecht aufweisen muss. Das Ziel ist vielmehr, die Funktionsweise und Komponenten absoluter Herrschaftsrechte zu verstehen. Welchen Grad an Vollständigkeit man dann für ein „vollständiges“/„echtes“ absolutes Herrschaftsrecht fordert, ist eine rechtspolitische Entscheidung, da davon keine Rechtsfolgen abhängen. Z. B. könnte man die Grenze leicht so eng ziehen, dass nur das Sacheigentum übrig bliebe, oder so weit, dass auch familienrechtliche Ansprüche darunter fielen. Eine erste funktionale Abgrenzung absoluter Herrschaftsrechte gibt die Beschreibung von Larenz: „Ihr Kennzeichnen besteht darin, daß sie dem Berechtigten einen Freiheitsbereich zuweisen, in dem er unter Ausschluß aller anderen Personen und ohne auf deren Mitwirkung angewiesen zu sein, allein bestimmt. Die Herrschaftsbefugnis zeigt sich gerade darin, daß der Berechtigte seine Macht alleine ausüben kann, und nicht der aktiven Mithilfe anderer Personen zur Verwirklichung seines Rechtes bedarf. Andere Personen haben lediglich störende Eingriffe zu unterlassen.“15
Zu dieser Art von Rechten zählt Larenz Rechte an Sachen, die gesetzlichen Immaterialgüterrechte und die Persönlichkeitsrechte.16 Dies gibt zugleich den Rahmen 13 Siehe etwa §§ 14 f. MarkenG, § 15 UrhG sowie Regelungen zu „ausschließlichen“ Lizenzen (vgl. etwa § 15 Abs. 2 PatG; § 31 UrhG). 14 Siehe etwa v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 62 („Herrschaftsrechte“ als subjektive Rechte gewährten „eine Herrschaft über ein außerhalb des Subjekts stehendes Stück der Außenwelt: ein Objekt“); Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 73 I. (440) („Beherrschungsrechte“), die aber von den „Immaterialgüterrechten“ klar geschieden werden, § 79 B. (Rn. 462); Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, 230 f. (trennt noch „Herrschaftsrechte an Sachen“ und „Immaterialgüterrechte“). 15 Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 2. 16 Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 3 ff.
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Einleitung und Terminologie
der vorliegend zu untersuchenden Rechte vor: Die Untersuchung ist auf besagte Rechtsgebiete begrenzt. Denn diese Gebiete weisen Rechte an vorrechtlichen Gütern zu. Nicht behandelt werden daher z. B. Mitgliedschaftsrechte als Rechte an juristischen Konstruktionen (also an rechtlichen Gütern) oder persönliche Familienrechte als auf personenrechtliche Verhältnisse17 bezogene Rechte. Die Betrachtung der Rechtssubjektseite wiederum wird vor allem dort wichtig, wo Menschen für die Rechtsentstehung und/oder -inhaberschaft erforderlich sind, was insbesondere persönlichkeitsrechtlich geprägte Rechte betrifft. Relevant wird der Mensch als Rechtssubjekt außerdem bei der Genese des Rechtsgegenstands und der Stellung von unter dem Schlagwort „künstliche Intelligenz“ zusammengefassten Technologien im Immaterialgüterrecht. Differenzierungen innerhalb der verschiedenen Erscheinungsformen von juristischen Personen und Personenverbänden haben für die Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte hingegen keine absehbare Bedeutung. Sie bilden ein eigenständiges Rechtsgebiet, zu dem insbesondere das Personen- und Gesellschaftsrecht gehören. Die Arbeit stellt daher den Menschen als Inhaber absoluter Herrschaftsrechte in den Mittelpunkt.
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Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 26.
1. Kapitel
Rechtstheoretische Grundlegung Absolute Herrschaftsrechte sind eine Unterart subjektiver Rechte. Daher ist zunächst ein Grundverständnis der Natur und Struktur subjektiver Rechte zu entwickeln. Hieraus ergeben sich die kleinsten Teile, die Grundelemente absoluter Herrschaftsrechte. Solche Grundsatzfragen spielen zudem für verschiedene speziellere Zusammenhänge eine entscheidende Rolle, wie etwa für die Frage nach dem positiven Gehalt absoluter Herrschaftsrechte oder nach der subjektivrechtlichen Natur von Persönlichkeitsrechten.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts Die Lehre vom subjektiven Recht „an sich“ hat eine ähnliche Funktion wie die Lehren von einzelnen Bausteinen absoluter Herrschaftsrechte, z. B. die Lehren vom Rechtsgegenstand oder der Ontologie geistiger Schöpfungen: Sie erklärt einen Aspekt des Gesamtgebildes. Die Lehre vom subjektiven Recht ist die Lehre von der übergeordneten und damit absoluten Herrschaftsrechten zugrunde liegenden Rechtskategorie. Eine Untersuchung der Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte als Typus subjektiver Rechte kommt daher nicht ohne die Untersuchung der grundsätzlicheren Gruppe – der subjektiven Rechte – aus.
A. Objektives und subjektives Recht Zunächst ist zu klären, welche Funktion subjektive Rechte erfüllen, wie sie aufgebaut sind und funktionieren. Hierzu gehört auch die Frage, welcher Erklärungsanspruch mit der normlogisch starken, womöglich aber dennoch erklärungsschwachen Imperativentheorie verbunden wird und insofern insbesondere, welche Funktion die Annahme eines eigenständigen „Dürfens“ im Aufbau subjektiver Rechte hat.
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
I. Objektives Recht Unter dem objektiven Recht ist die Summe1 oder der Inbegriff aller Rechtsnormen,2 die „generell geltenden, abstrakten Vorschriften und Verhaltensanweisungen“,3 wenn nicht gleich die „Rechtsordnung“4 zu verstehen. Im Englischen können objektives Recht tendenziell mit law und subjektive Rechte mit rights übersetzt werden.5 Der Begriff bezeichnet weniger die Aufsummierung einer großen Zahl von Rechtsnormen als vielmehr den „Inbegriff der Rechtssätze“.6 Unter dem Topos „Objektives Recht“ wird daher häufig das Wesen staatlich gesetzten Rechts in Abgrenzung zu Begriffen wie Sitte und Moral untersucht.7 Objektives Recht kann somit als geltendes Recht an sich beschrieben werden. Die Frage nach dem Wesen objektiven Rechts ist daher eng mit der Rechtsquellenlehre verwandt.8 Darin ist die Summe aller Gesetzesnormen notwendig enthalten. Da das entscheidende Kriterium die abstrakte Geltung dieses Rechts ist, zählt auch das Gewohnheitsrecht9 zum objektiven Recht.10 Vom subjektiven Recht unterscheidet es sich, wenn überhaupt, durch die fehlende Individualisierung. E. Wolf schlägt deshalb statt subjektivem Recht den Begriff „individuelles Recht“ vor;11 objektives Recht wäre demzufolge das überindividuelle Recht. Das subjektive Recht setzt objektives Recht voraus, es „ruht“ auf der Rechtsordnung und ist aus objektivem Recht „abgeleitet“.12 Kelsen versteht das subjektive Recht nur als besondere Erscheinungsform des objektiven Rechts, Letzteres mache nur ein von ihm bestimmtes Verhalten des Individuums zur Bedingung 1 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 380 (die Rechtsordnung besteht aus Normen deren Summe das objektive Recht bildet); Lehmann/Hübner, BGB AT, § 10 I. (S. 79). 2 Engisch, Einführung in das juristische Denken, 49; Schack, BGB AT, Rn. 44; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 61 (es bedeute „so viel wie ‚Rechtsordnung‘ oder ‚rechtliche Regelung‘“). 3 Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 1. 4 So Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 72 (428). 5 Olivecrona, Law as Fact, 275 f.; Kelsen, Reine Rechtslehre, 130 f. 6 v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, 113. 7 So bei E. Wolf, BGB AT, 74 ff. (kritisiert aber die mit dem Begriff des objektiven Rechts gängig verbundenen Lehren zur Rechtserkenntnis und verwendet sich für ein „objektive[s] wissenschaftliche[s] Erkennen rechtlicher Gesetze und Allgemeinbegriffe“); Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, §§ 30 ff. (196 ff.); v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, § 15 (112 ff.). 8 Das zeigt sich insbesondere bei Larenz/Wolf, BGB AT, § 3 Rn. 6 („Das objektive Recht besteht aus den Rechtsnormen als abstrakten Rechtssätzen, die unabhängig von konkreten Anwendungsfällen gelten und ihre normative Kraft allgemein als Orientierung für jedermann entfalten.“), siehe weiter Rn. 31 ff. 9 Dazu Krebs/Becker, JuS 2013, 97 (98). 10 Siehe nur Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 32 (205 ff.). 11 E. Wolf, BGB AT, 106 (dort Fn. 1). 12 Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. 1, 58 (stellt fest, „daß das objektive Recht nicht gedacht werden darf ohne seinen Inhalt, der sich auf subjektive Rechte bezieht, und das subjektive Recht nicht ohne das objektive Recht als seine Quelle“); Kasper, Das subjektive Recht, 47; Larenz/Wolf, BGB AT, § 3 Rn. 6 (aus den Rechtsnormen des objektiven Rechts entstehe im konkreten Fall für eine bestimmte Person ein einzelnes Recht, ein subjektives Recht erwachse aus dem objektiven Recht).
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts9
bestimmter Folgen.13 Dem folgend ist jedes subjektive Recht zugleich objektives Recht und objektives Recht betrifft letztlich immer Individuen: „Es gibt kein bloß objektives Recht.“.14 Unabhängig von der Frage, ob es objektives Recht in „Reinform“ überhaupt gibt, hat der Begriff seine Berechtigung schon als Bezeichnung für die Summe aller geltenden Rechtsnormen.
II. Subjektive Rechte Was ein subjektives Recht ist, bzw. was der Begriff bezeichnet, ist so unklar, dass man nicht einmal von einem echten Meinungsstreit sprechen kann. Kelsen bringt das Problem vieler Lehren zum subjektiven Recht auf den Punkt. Es liege im „Mangel einer korrekten und präzisen Fragestellung“, so bleibe vielfach offen, „was der gesuchte Begriff eines subjektiven Rechtes dem Juristen zu leisten habe, man war sich nicht klar genug darüber, auf welche Frage er eine Antwort sein solle“.15
Es handelt sich bei der Diskussion um das „Wesen“, die „Natur“ subjektiver Rechte daher eher um einen Auffassungsstreit i. w. S., da nicht einmal Einigkeit darüber herrscht, wozu der Begriff dienen soll.16 Man spricht mit Recht von einem reichlich konturenlosen Begriff.17 Einigkeit besteht wohl zumindest darüber, dass die Bezeichnung „subjektives Recht“ ausdrücken soll, dass es sich im Gegensatz zum objektiven Recht „um ein Recht einer Person – eines ‚Subjekts‘ –, also um ein individuelles Recht handelt“.18 Subjektive Rechte sind die durch objektives Recht vorgegebenen konkreten Berechtigungen einer Person.19 Ein anschauliches Beispiel zur Unterscheidung sind Verkehrsregeln. Bei ihnen handelt es sich um objektives Recht. Die dem von rechts kommenden Fahrer zustehende Vorfahrt ist nur ein Reflex der StVO. Er „hat“ weder gegenüber dem Staat und erst recht nicht gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern ein subjektives „Recht auf Vorfahrt“. Vielmehr steht es ihm frei, denjenigen anzuzeigen, der ihm die Vorfahrt genommen hat, was in dessen Be-
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Kelsen, Reine Rechtslehre, 140 f.; hierzu Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 24. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 380 (das subjektive Recht sei „nur eine andere Darstellungsweise des objektiven Rechts, die von der Person des Berechtigten ausgeht und eine Position kennzeichnet, die sich für ihn aus den Verhaltenspflichten anderer ergibt“), 407 („zwei verschiedene Seiten derselben Medaille […] Es gibt kein bloß objektives Recht. […] Objektives ‚Recht‘ ohne subjektive Rechte wäre bloß soziale Ordnung.“). 15 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 618. 16 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 149 merkt zutreffend an: „Versteht man unter Definition eine Vereinbarung darüber, wie man den Ausdruck versteht, so gilt es gerade beim subjektiven Recht zu beachten, daß Definitionen keinen Inhalt ausdrücken, sondern nur festsetzen, wie sein Inhalt auszudrücken ist.“. 17 Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 149. 18 E. Wolf, BGB AT, 106 (dort Fn. 1). 19 Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 1; Schack, BGB AT, Rn. 45; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1558 („Qualifizierung bestimmter Teile des objektiven Rechts als personenbezogen“). 14
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
strafung (durch ein Bußgeld), nicht aber in einen Ersatzanspruch oder dergleichen für der Ersten mündet.20
Fragt man, welchem Zweck subjektive Rechte dienen und was sie schützen, scheinen Interessen-, Willens- und Kombinationstheorie eine Antwort zu geben. Im Folgenden ist kurz zu zeigen, welcher Erklärungsanspruch von diesen Theorien im Einzelnen verfolgt wird.
1. Willenstheorie Nach der Darstellung Wagners begreift die Willenstheorie das subjektive Recht „als einen von der Rechtsordnung geschützten Handlungsspielraum, in dem der einzelne nach seinem eigenen Gutdünken schalten und walten kann.“ Seine Funktion sei „ganz auf die Verbürgung individueller Freiheit ausgerichtet.“21
Sie legt den Schwerpunkt dabei auf die Willensfreiheit des Menschen,22 mit der er im subjektiv-rechtlich zugewiesenen Raum nach Belieben verfahren darf. So heißt es bei Savigny, dem Begründer der deutschen Willenstheorie: „Betrachten wir den Rechtszustand, so wie er uns im wirklichen Leben von allen Seiten umgiebt und durchdringt, so erscheint uns darin zunächst die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht, und mit unsrer Einstimmung herrscht. Diese Macht nennen wir ein Recht dieser Person, gleichbedeutend mit Befugnis: Manche nennen es das Recht im subjectiven Sinn.“23 Das entspricht Savignys Verständnis von Rechtsverhältnissen an sich; diese seien „eine Beziehung zwischen Person und Person, durch eine Rechtsregel bestimmt“, die darin bestehe, „daß dem individuellen Willen ein Gebiet angewiesen wird, in welchem er unabhängig von jedem fremden Willen zu herrschen hat“.24
Diese Lehre einer – möglicherweise naturrechtlich geprägten – Dominanz des individuellen Willens, dem nur ein Freiheitsraum gegebenen werden muss, stellt normative oder moralische Vorgaben hintan.25 Eine solche von äußeren Wertvorgaben abgekoppelte, dem Individuum zur Ausfüllung überlassene Freiheit wirkt heute allerdings keineswegs unvertraut. Tatsächlich spricht Einiges für eine Interpretation von Savigny als „Positivist […] mit moralischem Hintergrund“.26 Er hat im Kantischen Sinne das Recht als „Mittel zum Zweck“ verstanden, es solle „der
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Vgl. zu dem Beispiel Brehm, BGB AT, Rn. 608. Wagner, AcP 193 (1993), 319 (322). 22 So baut Georg Friedrich Puchta unmittelbar auf dem christlichen Verständnis der menschlichen Willensfreiheit auf, Puchta, Institutionen, Bd. 1, 3 ff.; siehe auch Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 217. 23 Savigny, System, Bd. 1, 7. 24 Savigny, System, Bd. 1, 333. 25 Vgl. Coing/Lawson/Grönfors/Coing, Das subjektive Recht, 7 (19). 26 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 356. 21
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts11
autonomen Sittlichkeit der Person den notwendigen Raum verschaffen“,27 auf die Savigny selbst verweist: „Alles Recht ist vorhanden um der sittlichen, jedem einzelnen Menschen innewohnenden Freyheit willen.“28
Auch Puchta begreift das (subjektive) Recht als Wort „für den Willen des Einzelnen“, als Wort „für die Herrschaft oder Macht (wie man auch sagt, die Befugnis), die der Person über einen Gegenstand gegeben ist.“29 Am deutlichsten ist Windscheid: „Recht ist eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft.“30
Die Willenstheorie beantwortet damit aber nur die Frage, was das vorläufige Ziel subjektiver Recht ist: Willensherrschaft. Das ist eine enge Antwort auf eine enge Frage. Sie lässt Manches offen wie insbesondere die weiter gefasste Frage, weshalb, d. h. zu welchem Zweck dem Berechtigten ein solcher Willensfreiraum eingeräumt wird. Sie ignoriert auch weitgehend gesellschaftliche/soziale Fragen (was dem Vertrauen in das sittliche Individuum geschuldet ist). Dieser Einwand wurde zum Ausgangspunkt für v. Jherings Interessentheorie.31 Zudem wird geltend gemacht, dass die Willenstheorie einige Rechtsverhältnisse nicht gut erfasse, die aber unter anderen Gesichtspunkten zu den subjektiven Rechten zu zählen sein könnten. Zum einen seien dies Forderungen, deren Geltendmachung zwar dem Willen des Gläubigers unterliege, während ein darüber hinausreichender Wille des Gläubigers als Macht über das Verhalten des Schuldners fraglich erscheine.32 Zum anderen würfen Persönlichkeitsrechte Probleme auf – dem Berechtigten werde keine Macht über seine Person, sondern nur ein Schutzbereich gegen Verletzungen derselben eingeräumt.33 Da Forderungen klageweise geltend gemacht werden können, wird dem entgegengehalten, dass sie gegenüber dem Schuldner nicht erkennbar weniger Macht begründeten als ein Herrschaftsrecht gegenüber einem Verletzer. Die Macht des Eigentümers über die Sache äußere sich genauso wie die Macht des Gläubigers über die zu verrichtende Handlung des Schuldners (z. B. sein Auto zu waschen) immer nur in einem zwischenmenschlichen Verhältnis (relational).34 20.
27 28
Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 357; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne,
Savigny, System, Bd. 2, 2. Puchta, Institutionen, Bd. 1, 11. 30 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht Bd. 1, § 37 (156). 31 Siehe unten 2. Interessentheorie. 32 Vgl. Coing/Lawson/Grönfors/Coing, Das subjektive Recht, 7 (22); Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 38 („[…] Schuldner ist nicht Objekt einer willkürlichen Bestimmung durch den Gläubiger, sondern verpflichtet […]“); Portmann, Wesen und System, Rn. 26. 33 Portmann, Wesen und System, Rn. 27. 34 Vgl. Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. 1, 54 („Und wie man da, wo sich der gewährleistete Handlungsinhalt auf eine Person oder Sache bezieht, gern abgekürzt von einem Recht an der Person, an der Sache spricht, so wird man auch die rechtliche Macht, die man in 29
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Der Unterschied scheint daher im Verhältnis des Berechtigten zum Gegenstand der Forderung bzw. zum Gegenstand des Herrschaftsrechts und nicht im zwischenmenschlichen Verhältnis zu liegen. Abgesehen von Ausnahmen wie insbesondere der (gewaltsamen) Selbsthilfe (§§ 229 f., 859 BGB) ist zwischenmenschlich der Klageweg das Mittel der Wahl.35 Auch für Persönlichkeitsrechte ist zu entgegnen, dass – wiederum von Ausnahmen wie Notwehr oder Notstand (§§ 227, 228 BGB) abgesehen – ein anderes Machtmittel als die klageweise Abwehr von Verletzern ohnehin nicht zu Gebote steht.
2. Interessentheorie Die Problematik, zu welchem Zweck der Schutz durch die Rechtsordnung verliehen wird, räumt der auf v. Jhering zurückgehenden Interessentheorie ihren Platz ein,36 die subjektive Rechte als „rechtlich geschützte Interessen“37 versteht. V. Jhering führt damit seine Lehre vom „Zweck im Recht“38 fort und wendet sich gegen eine enge individualistische Auffassung des subjektiven Rechts zugunsten eines Verständnisses, das den gesellschaftlichen Rahmen, die Verantwortung des Individuums in der Gesellschaft in die Zwecksetzung mit einbezieht.39 Er erweitert also den Blickwinkel vom Willen des Individuums hin zu einem eher utilitaristischen Ansatz.40 Mit Rücksicht auf nicht oder eingeschränkt willensfähige Personen,41 die keine Rechte haben könnten, wenn es nur auf die Willensmacht ankäme,42 legt er dar: „Berechtigt ist nicht, wer das Wollen, sondern den Genuß beanspruchen kann. […] Subject des Rechts ist der, dem der Nutzen desselben zugedacht ist (der Destinatär); der Schutz des Rechts hat keinen anderen Zweck, als die Zuwendung dieses Nutzens an ihn zu sichern.“43
V. Jhering erkennt den Zweck nicht in der „Satisfaktion, seinen Willen durchzusetzen“,44 sondern in den dahinter liegenden Interessen. Seine Untersuchungen zum Begriff des Interesses wiederum fasste er folgendermaßen zusammen: „Interesse im subjectiven Sinn bezeichnet das Gefühl der Lebensbedingtheit.“45 einem solchen Recht besitzt, als rechtliche Macht unmittelbar über die Person oder über die Sache bezeichnen.“). 35 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 381 („die Klagbarkeit bleibt letztlich das einzige unverwechselbare Kennzeichen des subjektiven Rechts“). 36 Vgl. Wagner, AcP 193 (1993), 319 (322 f.). 37 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 339. 38 V. Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1; Bd. 2. 39 Hierzu Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 221 f. 40 Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, 272 f. 41 Diesem Argument versucht v. Tuhr durch den Rekurs auf den „potentiellen Willen“ beizukommen, notfalls komme dessen Schutz den Erben zugute, v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 57. 42 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 332. 43 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 336, siehe auch 338: „Die Rechte sind nicht dazu da, um die Idee des abstrakten ‚Rechtswillens‘ zu verwirklichen, sondern um den Interessen, Bedürfnissen, Zwecken des Verkehrs zu dienen.“ 44 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 337. 45 V. Jhering, JherJb Bd. 18 (1880), 1 (96).
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts13
Der Grund weshalb er sich für eine Person, einen Gegenstand oder ein Verhältnis interessiere, liege in der Abhängigkeit seines Daseins, Wohlseins, seiner Zufriedenheit oder seines Glücks von denselben. Er fährt in einer ökonomisch recht fortschrittlichen Denkweise fort: „Interessen sind also Lebensbedingungen im weiteren Sinne. Der Sinn, in dem der Begriff der Lebensbedingung hier genommen wird, ist ein durchaus relativer; was für den Einen zum vollen Leben d. h. zum Wohlsein gehört, ist für den Anderen völlig wertlos.“46
Diese Interessen zu sichern ist für v. Jhering der Kern und Zweck subjektiver Rechte, die folglich das hierfür gedachte Mittel sind: „Rechte sind rechtlich geschützte Interessen, Recht ist die Sicherheit des Genusses.“47 „Jedes Recht des Privatrechts ist dazu da, daß es dem Menschen irgend einen Vortheil gewähre, seine Bedürfnisse befriedige, seine Interessen, Zwecke fördere.“48
Dieses Mittel-Zweck Verhältnis kleidet v. Jhering in ein formales und ein dahinter liegendes substantielles Moment: „Zwei Momente sind es, die den Begriff des Rechts konstituieren, ein substantielles, in dem der praktische Zweck desselben liegt, nämlich der Nutzen, Vorteil, Gewinn, der durch das Recht gewährleistet werden soll, und ein formales, welches sich zu jenem Zweck bloß als Mittel verhält, nämlich der Rechtsschutz, die Klage. Ersteres ist der Kern, letzteres die schützende Schale des Rechts.“49
Das formale Element sieht v. Jhering für private Rechte in der „zur Verfügung gestellten Privatklage“ und ersetzt es im Übrigen zugunsten der Einbeziehung öffentlicher subjektiver Rechte (z. B. des Wahlrechts) durch die „Möglichkeit der Konstatierung einer individuellen Rechtsverletzung“.50 Hiervon soll die bloße Reflexwirkung eines im staatlichen Interesse erlassenen Gesetzes (z. B. Schutzzölle) nunmehr streng unterschieden werden.51 Diese definiert v. Jhering folgendermaßen: „Die Rückwirkung, welche eine rechtliche oder ökonomische Thatsache über ihre eigentliche, durch das Gesetz oder die Absicht des Handelnden oder Berechtigten gesetzte Wirkungssphäre hinaus für dritte Personen äußert, bezeichne ich als Reflexwirkung.“52
Für das subjektive Recht im übergreifenden Sinne soll hiernach also der Bezug einer Rechtsverletzung auf eine konkrete Person genügen. Trifft die Umgehung 46
V. Jhering, JherJb Bd. 18 (1880), 1 (96). V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 351. 48 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 340. 49 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 339. 50 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 352 f. 51 Vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 351; Wagner, AcP 193 (1993), 319 (326 ff., insb. 328). 52 V. Jhering, JherJb Bd. 10 (1871), 245 (248); ähnlich Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 69 f. In früheren Auflagen stand die Reflexwirkung auf einer Stufe mit subjektiven öffentlichen Rechten, vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 339. 47
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
besagter Schutzzölle indirekt den Kreis aller Konkurrenten, verletzt die Blockade des individuellen Wahlrechts nach dieser Auffassung ein individuelles, ein subjektives Recht.
3. Kombinationstheorie Sowohl Willens- als auch Interessentheorie sind nicht unangreifbar. Die Willenstheorie ist, wie oben gezeigt, zumindest verkürzt, insbesondere hängt sie zu stark von der freiwilligen Berücksichtigung gesellschaftlicher/sozialer Aspekte durch den Einzelnen ab. Selbst eine Person mit den höchsten moralischen Ansprüchen dürfte im Übrigen nicht den vollständigen Überblick darüber haben, welches Handeln inwieweit im Gemeininteresse liegt. Umgekehrt wird an der Interessentheorie kritisiert, dass das Interesse das sei, was durch ein subjektives Recht geschützt werde, es sei nicht aber Teil des subjektiven Rechts.53 Ohnehin gibt es „Rechte […], denen kein Interesse des Berechtigten zugrunde liegt“.54/55 Der Einwand, dass es umgekehrt Interessen gebe, „welche zwar rechtlich geschützt, aber nicht Gegenstand eines Rechts sind, weil der Schutz nicht auf einer Willensmacht des Interessenten beruht“,56 tut v. Jhering hingegen Unrecht. Dieser stellt selbst fest, dass der Nutznießer mancher rechtlich geschützter Interessen keinen „Rechtsanspruch auf Gewährung dieses Schutzes habe“; dennoch sei das Gesetz „in seinem Interesse“ erlassen,57 nur eben kein subjektives Recht.58/59 V. Jhering hat das Willensmoment zudem nie ganz aufgegeben, das ja in der Klagemöglichkeit liegt und der damit verbundenen Freiheit – je nach Willen – zu klagen oder nicht zu klagen.60 Dennoch geht ein weiterer Vorwurf dahin, dass 53
Portmann, Wesen und System, Rn. 28; Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 14.; siehe auch Windscheid/Kipp, Pandektenrecht Bd. I, § 37 (156 f.), dort Fn. 3. („[…] in die Definition des R. gehört der Zweck um dessen willen es verliehen wird, nicht.“). 54 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 60. 55 V. Jhering selbst nennt „[…] die Aussichtsgerechtigkeit für einen Blinden, die Berechtigung zum Besuch eines Concerts für einen Tauben.“, v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 341. Somló macht geltend, dass sowohl Willens- als auch Interessentheorie, aber andere Lösungsversuche „nicht von irgendwelchem psychologischen Willen gänzlich Abstand“ nehmen können, Somló, Juristische Grundlehre, 476 f., 480. Daher müsse das zugewiesene Recht, „unabhängig vom Durchsetzungswillen des Berechtigten“ sein, Esser, Einführung, 158. 56 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 60. Dies betrifft etwa § 823 Abs. 2 BGB. Im Gegensatz zu Abs. 1 wird kein subjektives Recht, sondern ein Schutzgesetz verletzt, das also nur die Interessen des Rechtsgutsinhabers schützt, ohne diesen Schutz seinem Willen zu unterwerfen (primär ist das Schutzgesetz, der Schadensersatzanspruch ist sekundär). Ein anderes Beispiel ist der unechte Vertrag zugunsten Dritter: Der Gläubiger und nicht der Dritte kann (anders als gem. § 328 Abs. 1 BGB) die Leistung an den Dritten verlangen, vgl. zu beiden Lehmann/Hübner, BGB AT, § 10 III. (81 f.). Siehe auch Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 71. 57 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 351. 58 Siehe oben 2. Interessentheorie (a. E.). 59 Vgl. Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 274. 60 Wagner, AcP 193 (1993), 319 (340 f.); Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 21 (dort Fn. 23); ebenso Portmann, Wesen und System, Rn. 30; siehe auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 384.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts15
die Interessentheorie einen zu großen Akzent auf der materialen Seite hat, also dass bestimmte einer Person zugedachte Werte überhaupt geschützt werden. Das sei nicht sehr „kennzeichnungskräftig für die funktionsmäßige Eigenart des subjektiven Rechts“.61 Da also keine der beiden Theorien eine hinreichende Definition subjektiver Rechte liefert, wird heute herrschend die Kombinationstheorie vertreten, so etwa bei Larenz/Wolf: „Die subjektiven Rechte schützen bestimmte, durch ihren Rechtsinhalt festgelegte Interessen und enthalten eine von der Rechtsordnung verliehene Rechtsmacht zur selbstbestimmten Wahrnehmung der geschützten Interessen durch den Rechtsinhaber selbst.“62
Wie (un)vereinbar sind diese zwei bzw. drei Theorien miteinander? Wie eingangs gesagt kann man von keinem eigentlichen Meinungsstreit sprechen. Die Frage ist eher, ob eine formale, auf die Durchsetzung (mit v. Jhering auf das Mittel/die „Schale“) bezogene Definition gesucht wird,63 oder der Zweck des subjektiven Rechts mit einbezogen werden soll. Auf der zweiten Ansicht beruht die Kombinationstheorie.64 Wichtig an der Kombinationstheorie ist also, dass sie nicht nur Auskunft über die „normlogische Struktur des subjektiven Rechts“, sondern auch über seinen Zweck geben soll.65 Problematisch bleibt die Frage, wie eng das formale Element gefasst werden sollte. Begrenzt man es auf die Möglichkeit, das Verhalten eines anderen Rechtssubjekts einklagen zu können,66 wird es zu eng, um den Kreis der Positionen zu erfassen, die mitunter ebenfalls zu den subjektiven Rechten gezählt werden. Die Klagemöglichkeit umschreibt eher einen Anspruch67 i. S. d. § 194 Abs. 1 BGB. Der stattdessen vorgeschlagene Begriff der Rechtsmacht ist zwar weiter, aber konturlos, da „die Rechtsmacht bei den verschiedenen Rechten einen unterschiedlichen Inhalt hat“.68 Hier stellt sich das typische Problem von Definitionen – je aussagekräftiger sie sind, desto enger sind sie. In der Lehre des subjektiven Rechts wird die weitere 61
Esser, Einführung, 157. Larenz/Wolf, BGB AT, § 13 Rn. 24; als weitere prägnante Formulierungen vgl. Lehmann/ Hübner, BGB AT, § 10 III. (81) („Zum Schutz eines bestimmten Interesses durch die Verpflichtung irgendwelcher Personen muß also noch hinzukommen, daß der Geschützte selbst zur Ausübung und zum Schutz dieses Interesses berufen ist […]“); sowie Kindl/Feuerborn, Bürgerliches Recht, § 3 Rn. 9 („[…] die dem Einzelnen vom Privatrecht im objektiven Sinne verliehene Rechtsmacht bzw. die dieser Person vom Privatrecht verliehene Willensmacht zur Befriedigung menschlicher Interessen.“). 63 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 583, demnach „dieser Zustand des Geschütztseins […] als einziger Inhalt des Iheringschen subjektiven Rechtes verbleibt“. 64 Vgl. Larenz/Wolf, AT, § 14 Rn. 10; Wagner, AcP 193 (1993), 319 (339 f.): „Der Streit um das substantielle Element des Rechts […] betrifft allein die begriffliche Ebene“. „[Subjektive Rechte] sind begrifflich Rechtsmacht […] ihrem Zweck nach Mittel zur Befriedigung menschlicher Interessen“, siehe auch Staudinger/Heinze (2018), Einl. Sachenrecht Rn. 8. 65 Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 10. 66 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 382. 67 Wagner, AcP 193 (1993), 319 (343); Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 382. 68 Vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 13; Wagner, AcP 193 (1993), 319 (343). 62
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Konkretisierung über die Herausarbeitung von Typen erreicht.69 Einer dieser Typen sind absolute Herrschaftsrechte. Entsprechend müssen sich weiter gefasste Definitionen des subjektiven Rechts beim formalen Element auf sehr allgemeine Merkmale beschränken: Löbl ersetzt die Rechtsmacht durch die Zuständigkeit zu einer bestimmten Person.70 Noch weiter begreift E. Wolf das subjektive Recht als „Zuständigkeit für eine Entscheidung“ im Rahmen rechtlicher Verhältnisse und betont, dass subjektive Rechte „individuelle“ Rechte seien.71 Der Berechtigte müsse nicht wissen, dass er mit seiner Entscheidung für eine Handlung oder Unterlassung ein subjektives Recht ausübt; die Handlung sei rechtmäßig, solange sie dem Inhalt des subjektiven Rechts entspreche. Inhalt eines subjektiven Rechts sei daher „eine rechtliche Entscheidungsfreiheit“.72 Larenz hingegen sieht die entscheidende Abgrenzung des subjektiven Rechts in der individuellen Zuweisung, also dass jemandem der ein subjektives Recht hat, „etwas rechtens zukommt und zugewiesen ist“, ihm „gebührt“.73 An anderer Stelle betont Larenz besonders die „privilegierte Stellung“ des subjektiv Berechtigten, dass er „rechtens etwas darf, was andere nicht dürfen“: „Jedem subjektiven Recht kommt in irgendeiner Form Ausnahmecharakter zu.“74
M. E. treffen hier eine formale und eine materielle/normative Sichtweise aufeinander. Larenz kennzeichnet seine Beschreibung („etwas rechtens gebührt“) explizit als „der normativen Sphäre“ zugehörig. E. Wolfs Definition ist insofern tatsächlich klarer, allerdings nicht nur sehr weit gefasst, sondern von allen Zwecken befreit. Die Kombinationstheorie eliminiert also die Schwächen von Willens- und Interessentheorie, erreicht aufgrund der Kombination aber nicht die Definitionsbreite, die eine rein materielle (also nach der Zuweisung von etwas definierte) Abgrenzung bietet. Beim formalen Element wiederum kann sie nur entweder in die eine oder die andere Richtung konkret werden – oder sie muss allgemein bleiben („Zuständigkeit“, „Rechtsmacht“, „privilegierte Stellung“). 69
Wagner, AcP 193 (1993), 319 (343). Zuständigkeit zu einer bestimmten Person ist es also, die dem subjektiven Recht gegenüber der objektiven Rechtsnorm seine begriffliche Eigenart verleiht. Subjektives Recht ist die zu einer bestimmten Person zuständig gedachte objektive Rechtsnorm.“, Löbl, AcP 129 (1928), 257 (293). 71 „Rechtliches Verhältnis“ sei das Gattungs- und besagte Zuständigkeit das Artmerkmal subjektiver Rechte, E. Wolf, BGB AT, 106. 72 E. Wolf, BGB AT, 107. 73 Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 15, 17; E. Wolf, BGB AT, 112 f. (scharfe Kritik angesichts des Wortes „etwas“; die Formel sei „inhaltsleer“; denn E. Wolf spricht dem Staat die Möglichkeit ab, subjektive Rechte zu verleihen; dies spreche diesem sonst „als metaphysischem Subjekt überweltliche Kräfte zu“, worauf auch seine Kritik an Larenz hinausläuft; ebd., 111, 113). Ähnlich wie Larenz etwa Somló, Juristische Grundlehre, 482 („Das genus proximum des subjektiven Rechts darf also weder als Wille, noch als Interesse, noch als Rechtssatz oder Norm bezeichnet werden, es ist vielmehr die Gewährung oder das Zuteilwerdenlassen, es ist also in einer besondern Intention der Rechtsnorm, die im Rechtsinhalte zum Ausdruck gelangt, zu suchen.“). 74 Larenz, FS Sontis, 129 (138) [Hervorh. im Original]; siehe auch Portmann, Wesen und System, Rn. 65. 70 „Die
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts17
Wertvoller als den zahlreichen kombinierten Definitionen subjektiver Rechte eine weitere hinzuzufügen ist der Versuch, zu benennen, auf welche Frage diese Lehren antworten: Die (kombinierten) Lehren vom subjektiven Recht beschreiben bzw. erklären, wie und zu welchem Zweck die Rechtsordnung Menschen subjektive Rechte einräumt. Dabei kann der Akzent stärker auf die formale („Mittel“) oder die materielle Seite („Zweck“) gelegt werden. Die materielle Seite kann dabei alternativ auch mit der Frage erfasst werden, was die Rechtsordnung mit der Vergabe subjektiver Rechte beabsichtigt. Die gezeigten Theorien verengen diese Frage darauf, welche Interessen zugunsten des Individuums geschützt sind. Es liegt jedoch nahe, daneben auch volkswirtschaftliche, soziale oder andere übergeordnete Zwecke einzubeziehen, zu deren Erreichung subjektive Rechte aus Sicht des Staates nur eines von mehreren möglichen Instrumenten sind. Eine auf solch übergeordneter Ebene rangierende Theorie ist die property rights theory, die Verfügungsrechte (zu denen absolute Herrschaftsrechte wohl75 zählen) als Mittel zur Internalisierung externer Effekte und damit als Mittel zu einer effizienten Ressourcenallokation versteht.76
4. Typen subjektiver Rechte Der problematischen Definition subjektiver Rechte entspricht es, dass in der Typenbildung keine Einigkeit darüber besteht, welche Rechtsverhältnisse einer Person im Einzelnen zu den subjektiven Rechten zählen.77 Die Bandbreite ist groß.78 Dabei werden in zunehmender Tiefe verschiedenste Unterteilungen der subjektiven Rechte vorgeschlagen: Larenz79 widmet den aufgezählten neun „Arten subjektiver Rechte“ ein ganzes Kapitel; der Begriff gelte „für alle individuellen Berechtigungen“, darunter auch relative Rechte wie Forderungen.80 Zitelmann81 fasst unter den Begriff des subjektiven Rechts „absolute Rechte“, „relative Rechte oder Obligationen“ und die „reinen Rechte des rechtlichen 75 Die Frage, was Verfügungen sind und wie der Mechanismus der Rechtseinräumung funktioniert, sowie weitere Fragen, die zur genaueren Beantwortung nötig sind, ob absolute Herrschaftsrechte identisch mit Verfügungsrechten im ökonomischen Sinne sind, sind Gegenstand dieser Arbeit. 76 Siehe nur Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 90 ff.; Erlei/Leschke/Sauerland, Institutionenökonomik, 284 ff. 77 Vgl. die Zuspitzung bei Alexy, Theorie der Grundrechte, 168 ff.: „Soll der an Vielfalt und Vagheit kaum zu übertreffende Ausdruck ‚(subjektives) Recht‘ für einige Positionen reserviert oder soll er in einem möglichst umfassenden Sinne gebraucht werden?“ (170). 78 Wagner, AcP 193 (1993), 319 (343); Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 149 f. (der Begriff subjektives Recht sei „reichlich konturenlos“). 79 Auf diesen geht die im Lehrbuch beibehaltene Typisierung zurück, vgl. Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 19 I. 80 Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 1. Aufgezählt werden: Absolute Herrschaftsrechte, Persönliche Familienrechte, Forderungsrechte, Ansprüche, Gestaltungsrechte, Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, Erwerbsrechte und Teilhaberechte, ebd., § 15 passim. 81 Zitelmann, BGB AT, 22 f.
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Könnens“, die unter anderem Gestaltungsrechte und die beschränkten dinglichen Rechte des BGB erfassten. Enneccerus/Nipperdey unterscheiden als „drei Formen, in denen das subjektive Recht in Erscheinung treten kann“ Beherrschungsrechte, Ansprüche und Gestaltungsrechte.82 Alexy wiederum unterteilt auf einer noch tieferen Ebene subjektive Rechte in Ansprüche, Freiheiten und Kompetenzen.83 Die vorliegende Arbeit tritt nicht zur Klärung des Gesamtbegriffs subjektiver Rechte an. Es genügt die Feststellung, dass formale und materielle Seite (oder mit v. Jhering ein formales und ein substanzielles Moment) zu unterscheiden sind, sowie der obige Abriss ihrer geschichtlichen Herkunft, auf den im Verlaufe der Arbeit zurückzukommen sein wird. Die exemplarisch angeführten Unterteilungen verschiedener Typen subjektiver Rechte machen erneut deutlich, dass Beiträgen zu subjektiven Rechten häufig sehr unterschiedliche Fragestellungen bzw. Untersuchungsebenen zugrunde liegen. Bei der Diskussion ist daher besonderes Augenmerk auf die von den verschiedenen Ansichten verfolgten Untersuchungsziele zu legen.
III. Zur Funktionsweise subjektiver Rechte Der Diskussion über Herrschaftsrechte ist nach dem Gesagten eine Unterscheidung von drei Fragen voranzustellen, die die Problematik von Herrschaftsrechten als Untergruppe subjektiver Rechte etwas überschaubarer machen sollen:
1. Der Aufbau von Herrschaftsrechten Frage 1: Warum wird das Gut geschützt? Was ist der Grund, die Rechtfertigung dafür, dass die Rechtsordnung (i. d. R. durch den Gesetzgeber) ein Gut zugunsten eines Individuums schützt?84 Antwort hierauf geben die Theorien des geistigen Eigentums (z. B. Persönlichkeitsschutz85 oder ökonomische Ziele [Investitionsanreize, Förderung Substitutionswettbewerb etc.]). Frage 2: Wie wird das Gut geschützt? Welcher Schutz wird dem Individuum an dem Gut zugestanden? Was ist die „rechtliche Funktion [der] Rechtseinrichtung“?86 Antworten hierauf können sein eine negative und/oder positive Berechtigung, gesetzliche Vorgaben für Verträge oder teilverdinglichte Rechtspositionen. Die Auffassung des Rechts als „sozialtechnologische Disziplin“ setzt an dieser Stel82 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 72 I. 2. (431 f.) („Beherrschung, Anspruch, Gestaltungsbefugnis“), hierzu Kasper, Das subjektive Recht, 11 ff. 83 Dies als „Basis der analytischen Theorie der Rechte“, Alexy, Theorie der Grundrechte, 171 ff. 84 Ähnlich Schluep: „Fragt man nach dem Grund der dem Subjekt zum Schutz seiner Interessen eingeräumten Rechte, so sucht man die Ausgangskräfte, die subjektive Rechte bewirken.“ [Hervorh. im Original], Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 279. 85 I. d. S. die Antwort bei Schluep, „der innere Grund der Zuerkennung subjektiver Rechte“ sei die „rechtliche Anerkennung des Eigenwertes der Person und ihrer Entfaltungsmöglichkeiten“, Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 280. 86 Vgl. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 347.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts19
le die realwissenschaftliche Prüfung des Wirkungszusammenhangs an – ob also die betreffende Norm als Mittel wirksam den in der ersten Frage gesetzten Zweck umsetzt.87 Frage 3: Wie wird dieser Schutz rechtstechnisch/dogmatisch umgesetzt?88 Anders als die zweite zielt die dritte Frage nicht auf das Ergebnis, sondern auf das Mittel des Schutzes, seine „rechtliche Struktur“89. Indem möglicherweise wenige universelle Mittel (welche das sind, ist Gegenstand der Forschungen zum Aufbau aller subjektiven Rechte) eingesetzt werden, werden Rechtspositionen geschaffen. Die wohl gängigste Antwort auf die dritte Frage lautet: durch Imperative in Form von Verbotssätzen. Die erste Frage ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Wohl aber die beiden anderen. Während die dritte Frage auf die Normstrukturlehre abzielt, sind die erste und die zweite Frage teleologischer Natur. Was war der Grund für die Schaffung einer Norm (1.) und welcher Schutz/welche Wirkung sollte mit der Norm bewerkstelligt werden (2.)? Die Trennbarkeit der zweiten und dritten Frage zielt auf den „Zusammenhang zwischen den rechtlichen Funktionen einer Rechtseinrichtung und ihren rechtlichen Strukturen“.90 Der gezeigten Unübersichtlichkeit der Definitionsversuche subjektiver Rechte kann durch die Benennung der Fragestellungen ein Stück weit beigekommen werden. Die vorgeschlagenen Fragen finden sich z. B. in Essers Abgrenzung subjektiver Rechte (und damit auch subjektiver Herrschaftsrechte) wieder: „Das subjektive Recht ist ein sozialgebundenes Bestimmungsrecht – und zwar über die zugeteilten Werte selbst (Genuß- und Verfügungsfunktion) wie über fremdes, die Zuweisung herstellendes (Durchsetzungsfunktion) oder störendes (Schutzfunktion) Verhalten“.91
Vor Essers Abgrenzung steht die Frage, warum die betreffenden Werte überhaupt zugewiesen werden (1.). Auf sie gibt die Definition selbst keine Antwort. Genussund Verfügungsfunktion zielen auf die Frage, in welchem Umfang bzw. in welcher Hinsicht die Wertzuweisung erfolgt (2.). Der Schwerpunkt liegt bei der Frage, wie die Zuweisung der Werte umgesetzt wird (2. und 3.) – Mittel der Zuweisung ist die Bestimmung über fremdes Verhalten, das die Zuweisung herstellt oder stört.
87 Vgl. Albert, Rechtswissenschaft als Realwissenschaft, 31; zur Kritik, Hoerster, Rechtstheorie 41 (2010), 13 (21 f.). 88 Mit Aicher formuliert handelt es sich um „die Frage nach der Form des Schutzes als Bestandteil des subjektiven Rechts, nicht […] [um] die Frage nach dem Geschützten“, ders., Eigentum als subjektives Recht, 21; siehe auch die Entgegnung auf Kasper, ebd., 22. 89 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 347. 90 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 347 (Kritik an Aichers „rechtsformaler“ Theorie des Eigentums als subjektives Recht [1975]); Fezer verweist auf den geringen Erkenntniswert einer solchen Theorie, sowie deren den Errungenschaften der Neuzeit widersprechenden aktionenrechtlichen Orientierung, ebd., 348). 91 Esser, Einführung, 158 [Hervorh. im Original].
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
2. Verschiedene Auffassungen der Imperativentheorie Wie gezeigt wurde, wurzelt die Typenbildung subjektiver Rechte in der formalen Seite der Abgrenzung des subjektiven Rechts. In diesen Bereich gehört die im vorigen Punkt mit der dritten Frage angesprochene Problematik der Struktur subjektiver Rechte. Sie spielt für die Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte eine überragende Rolle, weshalb sie hier näher zu untersuchen ist. Die meistberufene Theorie der Struktur subjektiver Rechte ist die Imperativentheorie. Die Imperativentheorie hat verschiedene Facetten, deshalb wird sie nicht überall gleich dargestellt.
a) Befehl und Zwang Bentham und Austin betonen vor allem die Zwangsbewehrung und die Befehlsform des Rechts: „command, duty and sanction are inseparably connected terms“.92 Aus diesem Blickwinkel stellt sich die Imperativentheorie vor allem als eine Theorie des Geltungsanspruchs des Rechts dar.93 Logisch führt dies zurück zur Frage nach dem letzten Geltungsgrund von Recht, die Kelsen mit der bekannten Annahme der Grundnorm als letzte, höchste vorausgesetzte Norm beantwortet, deren Geltungsgrund nicht mehr in Frage gestellt werden kann.94 Struktur und Gültigkeit von Rechtssätzen sind aber unterschiedliche Fragen95 die allzu leicht vermengt werden.
b) Vollständige und unvollständige Rechtssätze Normstrukturell geht die Imperativentheorie von einer Rückführbarkeit aller Rechtsnormen auf Befehle in Form von Geboten oder Verboten aus96 – jeder vollständige Rechtssatz müsste demnach ein solches enthalten.97 Unvollständig sind 92 Austin, Lectures, 91. Grundlegend Bentham, Of Laws in General, 1: „A law may be defined as an assemblage of signs declarative of a volition conceived or adopted by the sovereign in a state, concerning the conduct to be observed in a certain case by a certain person or class of persons, who in the case in question are or are supposed to be subject of his power […].“ 93 So etwa Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, Rn. 102 ff. 94 Kelsen, Reine Rechtslehre, 196 ff. 95 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 253. 96 Vgl. Bentham, Theory of Legislation, 267 (hierzu Marschelke, Jeremy Bentham – Philosophie und Recht, 72 ff., der einschränkend anmerkt, dass Bentham auch nicht-befehlenden Gesetzen [„counter-commands“] den Status von Gesetzen zuerkannt [S. 78] und insgesamt eine spürbar gemäßigte Imperativentheorie vertreten habe [81 f.]); Austin, Province, 21, 25 f.; ders., Lectures, 90; v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III/1, 330 f.; Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 27 ff.; Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. 1, 44; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148. Schon Hobbes benennt ausdrücklich den Befehlscharakter des Gesetzes, Hobbes, Leviathan, 26. Kap. „Von den bürgerlichen Gesetzen“, 228, 231, 232, 234; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 48 („Die eigentlichen Sinnträger der Rechtsordnung sind die aus den grammatischen Sätzen des Gesetzbuches herauspräparierten und herauskonstruierten Verbote und Gebote an die Rechtsunterworfenen, zu denen übrigens auch die Staatsorgane zu zählen sind.“). 97 Engisch, Einführung in das juristische Denken, 46 ff.; Instruktiv Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 230–234; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148 f.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts21
damit all die Rechtssätze, die kein Ge- oder Verbot enthalten.98 Aus dieser Annahme entwickelt Larenz seine Kritik an der Imperativentheorie. Vor allem müssten Ermächtigungsnormen (z. B. die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Vollmacht) als unvollständiger Rechtssatz verstanden werden,99 was die Gegenseite auch bejaht, aber für weniger problematisch hält.100 Es ist also Ansichtssache, wie nützlich man eine solche Theorie findet.101 Eine Alternative ist die insbesondere von H. L. A. Hart vorgeschlagene Unterscheidung zwischen primären Regeln, die Pflichten setzen und sekundären Ermächtigungsnormen,102 die primäre Regeln hervorbringen oder abändern.103 Ganz ähnlich ist der Ansatz, Ermächtigungsnormen als „Delegationsstufen“ im Stufenbau der Rechtsordnung zu verstehen.104
c) Präskriptive (regulative) und konstitutive Regeln Weiter nimmt die Imperativentheorie an, dass die Rechtsordnung ausschließlich aus Normen handlungsanleitenden Charakters besteht, i. e. aus präskriptiven Normen.105 Um die Unterscheidung präskriptiver und konstitutiver Regeln zu verstehen, die später noch einmal wichtig wird, ist hier ein kurzer Überblick voranzustellen: Regulative/präskripte Regeln106 sind Regeln, „die bereits bestehende oder unabhängig von ihnen existierende Verhaltensformen regeln“, sie regeln „eine Tätigkeit, deren Vorhandensein von den Regeln logisch unabhängig ist“.107 Ihr Bezugspunkt sind „rohe Tatsachen“, also Tatsachen, die „unabhängig von allen menschlichen Institutionen“ existieren – z. B. regelt das Rechtsfahrgebot nur die schon vorher bestehende Tätigkeit des Fahrens,108 oder die (ungeschriebene) Regel, zu Einladungen nicht zu früh zu kommen. Entsprechend „dienen regulative Regeln häufig als Grundlage für die Bewertung von Verhaltensweisen“.109 98 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 230; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148. 99 Larenz, Methodenlehre, 253 ff. 100 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148d („Ermächtigungsnormen können also – mit einigem Argumentationsaufwand – als Gebotsnormen verstanden werden“). 101 Zum Erklärungswert der Imperativentheorie siehe unten 8. Der Erkenntniseinwand gegen die Imperativentheorie. 102 „Rules of the first type concern actions involving physical movement or changes; rules of the second type confer powers, public or private“, Hart, The Concept of Law, 27 ff., 81. 103 „[T]hey provide that human beings may by doing or saying certain things introduce new rules of the primary type, extinguish or modify old ones, or in various ways determine their incidence or control their operations.“, Hart, The Concept of Law, 81. 104 Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 51 (dort Fn. 33); mit der Bezeichnung subjektiver Rechte als „Delegationssachverhalt“ meint Bucher aber etwas anderes, Bucher, Normsetzungsbefugnis, 56. 105 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148. 106 Rüthers nennt sie „präskriptive Normen“, Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148b. 107 Searle, Sprechakte, 54 f. 108 Searle, Konstruktion, 37 f. 109 Searle, Sprechakte, 58.
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Konstitutive Regeln dagegen „regeln nicht nur, sondern erzeugen oder prägen auch neue Formen des Verhaltens. Die Regeln für Fußball oder Schach zum Beispiel regeln nicht bloß das Fußball- oder Schachspiel, sondern sie schaffen überhaupt erst die Möglichkeit, solche Spiele zu spielen. Die Handlungen beim Fußball- oder Schachspiel sind dadurch konstituiert, daß sie in Übereinstimmung mit (zumindest dem größten Teil der) entsprechenden Regeln ausgeführt werden.“110
Dass eine bestimmte physische Bewegung beim American Football als die Handlung zählt, einen Touchdown zu erzielen, existiert nur dank der Football-Regeln:111 „The distinction is a distinction between those rules which create the possibility of new forms of activity and those rules which regulate preexisting forms of activity.“112
Sie „gehören zur Definition (‚Konstitution‘) einer Handlung, die dann ‚per definitionem‘ diesen Regeln gehorchen muß“, sie machen die „konstituierte Handlung“ erst möglich.113 Regulative Regeln stehen konstitutiven Regeln „als explizit vereinbarte oder implizit befolgte Einschränkungen bereits konstituierter Handlungen gegenüber“, sie „schreiben für bestimmte Situationen ein bestimmtes Handeln vor“,114 z. B. bezieht sich das Verbot, sonntags Bäume zu fällen, auf die Existenz von Bäumen. Genauso können sie ein durch konstitutive Regeln erzeugtes Verhalten betreffen, wie z. B. das Verbot, sonntags Fußball zu spielen. Die Imperativentheorie vertritt nun, dass konstitutive Normen letztlich auf handlungsanleitende (präskriptive) Normen zurückführbar sind, sich mithin die gesamte Rechtsordnung „theoretisch“ mit den Mitteln der Logik vollständig als besagtes System von Pflichten beschreiben lässt.115 Theoretisch könne man die Rechtsordnung „vollständig als ein System von Pflichten beschreiben“.116
d) Keine Verneinung überpositiver Normen Der Rechtspositivismus – als Überbegriff für Positionen, nach denen jedes staatliche Recht unabhängig von seinem Inhalt Gültigkeit hat117 – ist dem Vorwurf der Verneinung vor- oder überpositiver Normen als rechtsinterne, d. h. rechtlich ver110
Bis hier Searle, Sprechakte, 54 f. Searle, Philosophy and Phenomenological Research 57 (1997), 449 (456). 112 Searle, Philosophy and Phenomenological Research 57 (1997), 449 (455). 113 Mittelstraß/Kambartel/Jantschek, Bd. 3, „Regel“ (1). 114 Mittelstraß/Kambartel/Jantschek, Bd. 3, „Regel“ (1). 115 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148b f.; so wohl auch Engisch, Einführung in das juristische Denken, 47 (dort auch Fn. 15). 116 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148d; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 47; Austin, Province, 21 („laws are a species of commands“), 29 („every law, really conferring a right, imposes expressly or tacitly a relative duty, or a duty correlating with the right“). 117 Siehe etwa Kelsen, der die Rechtsgeltung von der Weise der Normerzeugung abhängig macht: „Eine Rechtsnorm gilt […] weil sie in einer bestimmten […] Weise erzeugt ist. Darum und 111
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts23
bindliche Kriterien ausgesetzt.118 Dies begünstige unrechtes Recht119 bis zur Befolgung von lex corrupta.120 Inwiefern der Vorwurf gerechtfertigt ist,121 sei an dieser Stelle dahingestellt. Er könnte jedenfalls auch die dem Rechtspositivismus nahestehende Imperativentheorie treffen.122 Dazu ist klarzustellen, dass die Imperativentheorie zwar als Theorie und auch Instrument des Rechtspositivismus zu verstehen ist, da ihr größter Nutzen in der Erklärung des Zusammenwirkens eines Systems streng positivrechtlicher Normen liegt. Das Eliminieren überpositiver Wertungen und eine möglichst große Geschlossenheit der Rechtsordnung123 verstärken dabei ihre Stringenz. – Vom Erklärungsausschnitt her sagt sie aber nichts über die Frage aus, auf welchem Geltungsgrund positives Recht beruht. Grundsätzlich ließe sich die Imperativentheorie auch auf ein System naturrechtlicher Rechtssätze anwenden, beispielsweise könnten das Regelsystem einer Religion mit der Imperativentheorie dargestellt werden. Gewissermaßen ist die Imperativentheorie für die Frage der Geltung überpositiver Normen nicht zuständig.
e) Der Reiz der Imperativentheorie Der Reiz der Imperativentheorie liegt in dem Versprechen, das geltende Recht als logisch geschlossenes System korrespondierender Rechte und Pflichten darstellen zu können,124 was eine gewisse Mathematisierbarkeit zur Folge hat – aus den gesetzlichen Vorschriften ließe sich bei hinreichender Bestimmtheit allein mit logischen Mitteln ein konkreter Befehl an den Richter ableiten. Keuth demonstriert am Beispiel eines Falles zu § 985 BGB, wie aus unvollständigen Rechtssätzen für den Einzelfall vollständige Rechtssätze konstruiert werden können: Dafür wird § 985 BGB zunächst in einen Konditionalsatz umformuliert,125 dessen Voraussetzungen durch die Einführung immer neuer Prädikate in Symbolsprache übersetzt werden. Für eine enge Fallgruppe lässt sich dann ein vollständiger Rechtssatz konstruieren, der „kein Prädikat enthält, das sich in irgendeiner Weise auf das subjektive Recht Eigentum“ bezieht.126 Hierzu werden die Prädikate soweit substituiert, bis nur noch der Eigentumserwerb übrig bleibt, der durch die Implikationen des betreffenden Erwerbstatbestandes (hier § 950 BGB) ersetzt wird, welcher dem Eigentumserwerb zwar nicht äquivalent ist, ihn aber nur darum gehört sie zu der Rechtsordnung, deren Normen dieser Grundnorm gemäß erzeugt sind. Daher kann jeder beliebige Inhalt Recht sein.“, Kelsen, Reine Rechtslehre, 200 f. 118 Gniffke/Herold/Mohr, Philosophie – Problemfelder und Disziplinen, 35 (53 f.); Honsell/ Mayer-Maly, Rechtswissenschaft, 14 ff.; siehe dazu auch Hoerster, Was ist Recht?, 44 ff. 119 Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Bd. 1, 145 (zur Differenzierung zwischen der Beurteilung als „Missrecht“ und als „Nicht-Recht“). 120 Vgl. nur Radbruch, SJZ 1946, 105; R. Dreier, NJW 1986, 890 (891). 121 Siehe etwa zur Frage, ob der Rechtspositivismus die deutschen Juristen im NS-Regime wehrlos gemacht habe, Deiseroth, Betrifft JUSTIZ 113 (3/2013), 5. 122 So wohl Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Rn. 160. 123 Vgl. Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 79. 124 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148d. 125 Keuth, Zur Logik der Normen, 48 ff. 126 Keuth, Zur Logik der Normen, 75 f.
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
„material impliziert“.127 So könne das gesamte Eigentumsrecht kodifiziert werden, ohne von der Entität Eigentum ausgehen zu müssen, die eingeschobenen Rechtssätze dienen so (nur) der ökonomischeren Darstellung.128 Die Nähe zu Ross (subjektives Recht als semantische Verknüpfung)129 ist unverkennbar, auf den sich Keuth auch mehrfach bezieht.130 Rechtsfolge sei eine Urteilsanweisung an den zuständigen Richter, weshalb alle vollständigen Rechtssätze „als generelle konditionalisierte an den Richter adressierte Imperative formuliert werden“ könnten.131
Entsprechend interessant ist die Imperativentheorie für die vorliegende Untersuchung der Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte, weil ihre strenge Logik ein gewisses Maß an Einheitlichkeit verspricht. Sie wirft dort aber ein zentrales Problem auf: Wenn logisch allein Ge- und Verbote zur Verfügung stehen, ist es schwierig zu erklären, welche Bedeutung die Erlaubnis/Befugnis bzw. das Dürfen – kurz jenes Element von Herrschaftsrechten hat, das die meisten Menschen intuitiv und vorrangig mit demselben verbinden und das eng mit der „positiven Seite“ absoluter Herrschaftsrechte (s. etwa § 903 S. 1 BGB: „mit der Sache nach Belieben verfahren“) assoziiert ist. Ob dieses Problem aber überhaupt ein Problem ist, hängt von der verfolgten Fragestellung ab.
3. Die Imperativentheorie in der Weiterentwicklung Buchers Die Imperativentheorie erfuhr eine vielbeachtete und häufig kritisierte Weiterentwicklung durch Bucher, nach dessen zentraler These das Recht im subjektiven Sinn eine „dem Berechtigten von der Rechtsordnung verliehene Normsetzungsbefugnis“ ist.132 Der Erwerber eines Rechts erhalte vom Veräußerer eine Befugnis zur Normsetzung im bestimmten Rahmen. Beispiel: Erwirbt ein Filmhersteller vom Urheber die Lizenz zur Verfilmung seines Romans (und zur Vermarktung des Filmwerks), erhält er nach Buchers Theorie grob gesagt die Befugnis, verbindliche Sollens-Normen hinsichtlich des Filmwerks in den vereinbarten Grenzen (räumlich, zeitlich, Nutzungsart etc.) setzen zu dürfen.
Bucher sieht die Funktion subjektiver Rechte in der Subjektivierung der rechtlichen Verhältnisse, also darin, die rechtlichen Verhältnisse „in Abhängigkeit von der Entscheidung des Trägers der subjektiven Rechte zu stellen“.133 Die Bedeutung subjektiver Rechte liege in ihrer, dem Berechtigten anheimgestellten Flexibilität 127
Keuth, Zur Logik der Normen, 15, 72 ff. Keuth, Zur Logik der Normen, 81. 129 Ross versteht Rechte lediglich als eine Art Bindeglied zwischen Tatbestand und Rechtsfolge: „It will be clear from this that the ‚ownership‘ inserted between the conditional facts and the conditioned consequences is in reality a meaningless word […].“/„Words like ‚ownership‘, ‚claim‘ and others, when used in legal language […] are words without any semantic reference […]“, Ross, Scandinavian Studies in Law 1 (1957), 138 (148 f.). 130 Keuth, Zur Logik der Normen, 12 f. 131 Keuth, Zur Logik der Normen, 21. 132 Bucher, Normsetzungsbefugnis, 55; ders., AcP 186 (1986), 1 (16 f.). 133 Bucher, AcP 186 (1986), 1 (15). 128
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts25
bezüglich ihres Inhalts, ihrer Geltendmachung sowie des besseren Zugangs zu den auf ihre Missachtung stehenden Sanktionen.134 Vorliegend interessiert besonders die Bedeutung einer Normsetzungsbefugnis für absolute Rechte. Bucher zieht die – nach seinem Ansatz logische – Konsequenz, dass sich deren normativer Gehalt „in der Befugnis des Berechtigten, […] Unterlassungspflichten zu statuieren, erschöpft“ und die Sachbeherrschung lediglich Motiv für diese Normsetzungsbefugnis ist, zumal Sachen nicht Adressaten, sondern nur Beziehungspunkte von Normen sein könnten.135 An dieser Stelle kommt der Begriff der positiven Zuweisung ins Spiel, da laut Bucher – der der Zuweisung nur Motivcharakter beimisst – die Freiheit im Verfahren mit der Sache nur „Folge des negativen Umstandes“ ist, dass dem Eigentümer keine Rechtsnormen den Sachgebrauch versagen.136 Wie bereits angedeutet wurde und unten137 auszuführen sein wird, ist diese Verneinung einer eigenständigen positiven Befugnis, eines normlogischen Dürfens-Elements charakteristisch für die Imperativtheorie. „Erlaubtheit“ stellt ihr zufolge keine Norm, sondern „die Negation einer Norm, die Bezeichnung eines rechtsfreien, da normativ nicht geregelten Bereiches dar […]“.138 Dieser geschlossene Rechte-Pflichten-Kreis ist zentral: immer da, wo Rechte zugesprochen werden, werden einer anderen Person Pflichten auferlegt.139 Bucher kritisiert in der Betrachtung absoluter Rechte eine wechselnde Betonung des „Zwecks der absoluten Rechte […] dem Berechtigten den Genuß einer Sache zu verschaffen“ und des „normativen Elements“ als „Möglichkeit des Berechtigten, alle übrigen Rechtsgenossen von der Sache auszuschließen“.140 Er führt dies zurück auf die Verschiedenheit des Untersuchungsgegenstandes, je nachdem ob normativer Gehalt oder Normzweck im Mittelpunkt standen und tritt für die strikte Trennung des Zwecks der Verleihung absoluter Rechte von der zur Umsetzung verwendeten normativen Mittel ein.141 Entsprechend seiner Idee der Normsetzungsbefugnis bestimmt sich für Bucher der Inhalt eines absoluten Rechts nur nach Umfang und Intensität des Unterlassungsanspruchs.142 Die Verleihung subjektiver Rechte sieht er nicht als eine von Imperativen unterschiedliche Ermächtigung, sondern konsequent als „Delegati134
Bucher, AcP 186 (1986), 1 (15 f.). Bucher, Normsetzungsbefugnis, 153; siehe auch zur Relationalität subjektiver Rechte unten § 2 A. Einführung. 136 Bucher, Normsetzungsbefugnis, 153. 137 Siehe unten 4. Schwächen der Imperativentheorie. 138 Bucher, Normsetzungsbefugnis, 52. 139 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148d; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 234. 140 Bucher, Normsetzungsbefugnis, 152. 141 Bucher, Normsetzungsbefugnis, 153; ähnlich Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 53 f. (verneint, wie Bucher, ein normlogisches Dürfens-Element, was er gleichfalls auf eine unzulässige, weil Missverständnissen Vorschub leistende Vermischung von Zweck und normativem Mittel zurückführe). 142 Bucher, Normsetzungsbefugnis, 156 f. 135
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
onssachverhalt“. Das subjektive Recht sei nichts anderes als „die unterste Stufe in der Delegationshierarchie der Rechtserzeugung“.143
4. Schwächen der Imperativentheorie Dies führt zu einer konstruktiven Schwierigkeit, Bucher tritt nämlich für die einer normativen Darstellung (also durch objektive und subjektive Rechte) vorzuziehende aktionenrechtliche Darstellung des Privatrechts ein.144 Letztlich bedeutet dies eine noch weiter gehende Subjektivierung der rechtlichen Verhältnisse insofern die durch das „Vorliegen der Gefährdung von Drittinteressen bedingte Geltung“ in den Mittelpunkt gerückt werden soll.145 Auch hier ließe sich daher die gelegentliche Polemik hinsichtlich erst durch Ansprüche lebendig werdender Imperative anführen: „Der glückliche Eigenthümer, der gestorben ist, ohne daß ihn jemand in seinem Eigenthume angegriffen hätte – er ist nie Inhaber eines Eigenthumsrechtes gewesen […]“.146
Auch J. Schmidt wendet ein, dass die Möglichkeit der Geltendmachung des Verbots in der Norm selbst schon beschlossen liegt, mithin deshalb gilt, weil sie Norm ist und nicht, weil sie „von dem ‚Berechtigten‘ geltend gemacht wird“.147 Die Berechtigung sei mit der Möglichkeit, die Verbotsnorm geltend zu machen, nicht im klassischen Sinne definiert (und damit nicht hinreichend gegenüber dem Verbot abgegrenzt – es fehle das genus proximum), da die Berechtigung gerade in der „Ausschließlichkeit der gewährten Freiheit“ zu erblicken sei.148 Kelsen löst dieses Problem der mangelnden Abgrenzbarkeit von Verhaltensvorschrift und Berechtigung, indem er den Rechtssatz als Statuierung einer doppelten Pflicht begreift – „nämlich einerseits die eines Untertanen zu einem pflichtgemäßen Verhalten, andererseits die des Staates, mangels dieses pflichtmäßigen Verhaltens eine Unrechtsfolge zu verhängen“.149 In Kritik des aktionenrechtlichen Denkens (bzgl. der Imperativentheorie Thons)150 formuliert er daher:
143
Bucher, Normsetzungsbefugnis, 56. Bucher, AcP 186 (1986), 1 (15 f.). Auch Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 160 (stellt fest, dass nur der Rechtsanspruch das „wahrhaft ‚subjektive Recht‘“ sei, „denn nur er, nicht was der Sprachgebrauch sonst noch als ‚Recht einer Person‘ bezeichnet, ist selbst durch und durch positives Recht“). 145 Bucher, AcP 186 (1986), 1 (14). 146 Binding, Krit. Vierteljahresschrift 21 (1879), 542 (566). 147 J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 18 f. (Nr. 2.0201); zustimmend Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 49. 148 J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 18 f. (Nr. 2.0201); hierzu Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 47 ff. 149 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 620; Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 50; Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, Rn. 102. 150 Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, 1878. 144
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts27
„Das subjektive Recht ist […] der Rechtssatz in seinem Verhältnis zu derjenigen Person, von deren Verfügung die Realisierung des im Rechtssatze ausgesprochenen Willens des Staates zur Unrechtsfolge abhängig gemacht ist.“151
Dieser Definition wurde aber vorgehalten, „den Begriff des subjektiven Rechts wieder auf den mit einem Klageanspruch verknüpften Erfüllungsanspruch“ zu beschränken und dass „Verfügung“ nichts anderes als der irgend geäußerte Wille, mithin kein wirklicher Unterschied zur Willenstheorie vorhanden sei.152 Man wird daher zugestehen müssen, dass die Imperativentheorie in der gewährenden Mitte des subjektiven Rechts einen Hohlraum lässt. Dies gilt aber nur bei rein formaler Betrachtung. Ein weiterer Punkt, der gegen Bucher und grundsätzlich gegen die Imperativtheorie angeführt wird, ist nämlich die schon angesprochene Ableitung des „Dürfens“ aus einer nicht auf die Norm zurückführbaren Freiheitsvermutung. Vom Ansatz des Befehls her die Verbindung zur rechtsinhaltlichen Ebene herzustellen, könnte (nicht nur, aber) insbesondere bei absoluten Rechten zu Problemen führen.153 Vorweggreifend kann hier schon festgehalten werden: Der rechtliche Hohlraum ist ein tatsächlicher Freiraum. Kasper wendet gegen Bucher ein, dass wenn man „die ‚Variabilität‘ des individuellen (einseitigen) Normsetzungswillens“ nicht stark beschränke, nicht mehr Recht, sondern die Willkür von Einzelnen herrsche.154 Überdies stellt er unter Verweis auf die prozessrechtliche Durchsetzung fest, dass ein solcher Ansatz, der auf erst über Einzelbefehle individuell-konkret werdende statt fertig formulierte generell-abstrakte Normen abstelle, im aktionenrechtlichen Denken münde,155 das Bucher wie gesagt auch vertritt.156 Zusammenfassend wirft die Imperativentheorie konstruktiv also folgende Bedenken auf: Sie ist auf ein stark prozessual geprägtes Denken verwiesen, so dass sich die positiven Befugnisse des Berechtigten nur in der Verteidigung des Gutes abzuzeichnen scheinen, weshalb deren Wahrnehmbarkeit zu einem Gutteil vom Willen des Berechtigten abhängt. Die Berechtigung lässt sich nur anhand des aufgezeigten Kunstgriffs Kelsens greifbar machen, der aber bereits eine deutlich abgewandelte Form der Imperativentheorie vertritt. 151
Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 625. Somló, Juristische Grundlehre, 480 f. 153 Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, 55 ff., 111 f., der (für das Sacheigentum) in den Ausschließungsbefugnissen des Eigentümers ein „Abgrenzungskriterium“ sieht, „das für den Fall einer Störung des Eigentums die Annahme eines Rechtsverhältnisses zwischen Eigentümer und Störer ermöglicht, aus dem dann Abwehransprüche des Eigentümers fließen“, ders., AcP 192 (1992), 355 (378). 154 Kasper, Das subjektive Recht, 151; so auch Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, 93. 155 Kasper, Das subjektive Recht, 151. 156 Vgl. Buchers Beitrag „Für mehr Aktionendenken“, AcP 186 (1986), 1 ff. (siehe oben). In diesem Sinne auch Thon, der vom Anspruch als der „Macht zur Wachrufung der Imperative, welche dem Richter Rechtshülfe zu leisten befehlen“ spricht, Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, 229. 152
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
5. Zur Eigenständigkeit des Dürfens Befriedigend scheint die Imperativentheorie und auch die Lösung Kelsens für eine Betrachtung absoluter Herrschaftsrechte an Sachen und Immaterialgütern, die typischerweise von irgendwem gehabt und genutzt werden sollen, nicht zu sein, da sie dem „Dürfen“ nur den Platz eines Reflexes belässt.157 Die Frage nach der normstrukturellen Konzeption des Dürfens verdient daher Aufmerksamkeit: Zum „Dürfen“ als eigenständige Kategorie führte Thon aus: „Der Genuss des rechtlich geschützten Guts gehört niemals zu dem Inhalte des Rechts.“158 „Rechtlich Geschütztes“159 muss diese Lehre aus Sicht ihrer Kritiker daher als „Loch im Zentrum des Normenkreises“160 begreifen. In der Tat stellt die Imperativentheorie das Verbot als das Wesentliche in den Vordergrund und versteht die Erlaubnis, das Dürfen, als erwünschten Reflex. Besonders prägnant unterscheidet etwa Bierling, dass bei einer ausschließlichen Erlaubnis wie dem Sacheigentum das an alle Rechtsgenossen gerichtete Verbot „die Hauptsache, […] das sachlich Ursprüngliche“ sei und nicht die Erlaubnis.161 Vielmehr sei es Zweck der Ausschlussansprüche, dem Anspruchsinhaber die Vorteile des Dürfens zu sichern.162 Ist das „Dürfen“ nach der Imperativentheorie damit nur ein Verbotsreflex, so scheint aus ihm auch stets auf eine Verbietungsmacht des Berechtigten zurückgeschlossen werden zu dürfen.163 Dieser Ansicht tritt indes die wirkmächtige Lehre Hohfelds entgegen.
a) Hohfeld – das privilege als Dürfen Hohfeld entwarf folgende Konzeption rechtlicher Relationen: right
(correlatives)
(opposites) no-right
duty (opposites)
(correlatives)
privilege
Abb. 1: Hohfelds Konzeption rechtlicher Relationen 157
Siehe etwa Kohler, Autorrecht, 2 f. Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, 288. 159 Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 53. 160 Binding, Krit. Vierteljahresschrift 21 (1879), 542 (563). 161 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 95 f. 162 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 164. 163 So z. B. Kraßer, dem zufolge die imperativische Betrachtungsweise vernachlässigt, dass die Zuordnung eines Gegenstandes zu einer Person auf der rechtlichen Anerkennung von Interessen des Begünstigten an dem betreffenden Gegenstand beruht: „Die Ausschlußwirkung ist […] notwendig mitgedacht; anderenfalls erschiene die Zuordnung nur als Erlaubnis, als bloße Bestätigung der allgemeinen Handlungsfreiheit bezüglich des Gegenstandes.“, Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (230). 158
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts29
Er spricht sich dafür aus, nicht bloß zwischen den korrelierenden Begriffen Recht (right) und Pflicht (duty) zu unterscheiden164 – als Recht werde auch bezeichnet, was in Wirklichkeit nur eine Begünstigung (privilege) sei.165 So habe der Landeigentümer nicht nur gegenüber einem jeden das Recht, diesem das Betreten seines Grundstücks zu verbieten, er selbst ist in der begünstigten Position (privilege) es selbst betreten zu dürfen.166 Man könnte das privilege m. E. parallel zu den Gegensätzen right und no-right auch als no-duty, also als Zustand der Pflichtenfreiheit verstehen. Als Hohfelds eigentliche Leistung gilt der Nachweis, dass sich aus bloßer Freiheit kein Recht herleiten lässt, sondern dass Freiheit gesetzlicher Grenzen bedarf und sich deshalb die Rechtsordnung nicht als lückenloses System subjektiver Rechte und Pflichten167 interpretieren lässt168 (was die reine Imperativentheorie aber wie gesagt unterstellt). Dem Recht des einen entspreche zwar die Pflicht des anderen, das Gegenteil des Rechts sei aber das Nicht-Recht: Beispiel: Der Eigentümer A einer Wiese hat das Recht, dem Nicht-Eigentümer B deren Betreten zu verbieten. B hat die Pflicht, dem Folge zu leisten. Auf der Wiese Fußball zu spielen ist aber die Freiheit und nicht das Recht (right) des A, das privilege. Hiermit korreliert das Nicht-Recht des B, nicht auf der Wiese Fußball spielen zu dürfen. Genauso hat B kein Recht (= ein Nicht-Recht) gegen A, diesem zu verbieten, ihm die Sonne zu nehmen oder ihm durch die Freude am Fußballspielen die Laune zu verderben. Das Recht-Pflicht-System der gegenläufigen Ansicht kann die Freiheiten des A und die Nicht-Rechte (no-rights) des B nicht sinnvoll integrieren.
Eingewandt wurde gegen die Vorstellung, dass right und duty bzw. privilege und noright miteinander korrelierten, dass es sich um keine Korrelation im Wortsinne, sondern vielmehr um zwei sich vollkommen entsprechende Aussagen zu ein und derselben Sache handele („two absolutely equivalent statements of the same thing“).169 164 Austin, Province, 25 f.; Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 169 („Rechtspflicht ist das einzige und vollständige Korrelat des Rechtsanspruchs“). 165 Hohfeld, Yale L. J. 23 (1913), 16 (33). Kritisch hinsichtlich dieses Ansatzes als normlogische Theorie, Kasper, Das subjektive Recht, 155 ff. 166 Hohfeld, Yale L. J. 23 (1913), 16 (33). 167 So aber Bentham, Theory of Legislation, 93: „In the nature of things, the law cannot grant a benefit to one without imposing, at the same time, some burden upon another; or, in other words, it is not possible to create a right in favour of one, except by creating a corresponding obligation imposed upon another. How confer upon me the right of property in a piece of land? By imposing upon all others an obligation not to touch its produce. How confer upon me a right of command? By imposing upon a district, or a number of persons, the obligation to obey me.“ 168 Singer, Wisc. L. R., 975 (1026 f.) verweist auf Hohfelds Feststellung des „no-right“, mit dem sich die Fälle der damnum absque injuria (= „damage against which the victim has no protection and no redress“, S. 1012) theoretisch einbeziehen ließen. Also Fälle, in denen die Ausübung der Freiheit des einen zu handeln oder nicht zu handeln zwar einen anderen stört (violate), diesem aber keine rechtliche Handhabe gegeben ist, wie etwa bei der Errichtung eines Hauses, dass dem Nachbarn den Blick versperrt. Siehe auch Auer, AcP 208 (2008), 584 (585 f.) (zeigt anhand Hohfelds Konzept Fehler im kantischen Rechtsbegriff auf, in dem die Pflichtgebundenheit des Rechts eine „Systemnotwendigkeit“ sei, S. 625). 169 Radin, Harvard L. R. 51 (1938), 1141 (1149 f.) führt aus, dass die Aussage „A wurde durch
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Offenbar geht gerade hieraus auch die Vorstellung eines geschlossenen RechtePflichten-Systems hervor. Recht und Pflicht sind eins – wo kein Recht, da keine Pflicht. Soweit sich die Betrachtung auf die Frage beschränkt, welche Rechte und Pflichten Parteien gegeneinander haben, trifft die Geschlossenheit zu. Was Hohfeld hiervon abhebt, ist die Überwindung der bloßen Freiheitsvermutung. Die gegenläufige Ansicht vertritt: was nicht verboten ist, ist erlaubt,170 mithin reduziert sich die positive Befugnis des Eigentümers zum bloßen Reflex seiner Ausschließungsrechte gegenüber deren Adressaten.171 Der Eigentümer stellte sich von seinen positiven Befugnissen her durch den Erwerb also nicht besser, als er bei einem zuvor gemeinfreien Stück Land ohnehin schon stand. Genau dies bestreitet die Idee des privilege. Dass der Eigentümer auf seinem Land Fußball spielen darf, gewinnt rechtliche (und wirtschaftliche!) Eigenständigkeit, wenn man sich klar macht, dass er dies als Einziger darf.172 Das privilege bildet daher den juristisch und wirtschaftlich bedeutenden Umstand exklusiver (statt nur allgemeiner) Handlungsfreiheit ab. Für nicht-exklusive Rechte wie z. B. einfache Nutzungsrechte gilt Entsprechendes für einen größeren Kreis Berechtigter, die alle Nichtberechtigten, nicht aber einander ausschließen können.
b) Recht und Befugnis Die Unschärfe der Bezeichnung die Hohfeld bei einigen englischsprachigen Autoren hinsichtlich der Benutzung des Wortes „right“ aufzeigt, findet sich in abgewandelter Form auch in der deutschen Rechtsliteratur. Bedeutung hat sie aber auch hier nicht: Das Eigentumsrecht aus § 903 BGB wird, der gesetzlichen Überschrift entB ermordet“ und „B hat A ermordet“ keine Korrelation, sondern besagte zwei entsprechende Aussagen zur selben Sache seien, während das Recht, die Zahlung zu verlangen, mit dem Recht, die Ware zu verlangen, korreliere. 170 Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, 292 („Die natürliche Freiheit des Menschen besteht rechtlich überall fort, bis ihr durch die Rechtsordnung eine Schranke gesetzt ist.“). Siehe auch den Abschnitt „Freiheitsvermutung“ bei Bucher, Normsetzungsbefugnis, 53 f. („Ist ein Verhalten nicht geboten, darf es unterlassen werden, ist ein Verhalten nicht verboten, ist es erlaubt.“); ebenso Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 52 f. Voraussetzung ist ein geschlossenes Normensystem, das also nur dann widerspruchsfrei ist, wenn umgekehrt gilt: Was nicht erlaubt ist, ist verboten. Im Prinzip muss also von jedem Sachverhalt bestimmt werden können, ob er verboten oder erlaubt ist. Weinberger zufolge wird die Rechtsordnung – abgesehen vom Strafrecht (crimen sine lege [previa]) zwar als offenes System angesehen, in dem es also gesetzlich unentschiedene Sachverhalte geben kann, was an der freiheitlichen Grundausrichtung jedoch nichts ändert, Weinberger, Norm und Institution, 67 ff. Peukert vertritt, dass auch hinter Kelsens „reiner“ Rechtslehre materielle Zwecke stünden, da die Freiheitsvermutung, aus der die positiven Befugnisse des Eigentümers geschöpft werden, bereits das Bekenntnis zu einer freiheitlichen Rechtsordnung erfordere, Peukert, Güterzuordnung, 859 f. Auch das deutsche Deliktsrecht beruht darauf: „was nicht widerrechtlich ist, ist erlaubt“, Mot. II, 725 f. = Mugd. II, 405. 171 Siehe oben 4. Schwächen der Imperativentheorie. Vgl. zudem nur Kelsen, Reine Rechtslehre, 56: „Unselbständige Rechtsnormen sind auch jene, die ein bestimmtes Verhalten positiv erlauben. Denn sie schränken nur den Geltungsbereich einer Rechtsnorm ein, die dieses Verhalten dadurch verbietet, daß sie an das Gegenteil eine Sanktion knüpft.“; Bucher, Normsetzungsbefugnis, 153. 172 Vgl. Oertmann, AcP 123 (1925), 129 (136).
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts31
sprechend, aufgeteilt in einerseits die positive „Befugnis“ des Eigentümers, seine Sache nach Belieben zu gebrauchen bzw. mit ihr zu verfahren und andererseits die negative „Befugnis“, Dritte von jeder Einwirkung auszuschließen,173 was unten174 noch ausführlich untersucht wird. Nur im Einzelfall175 wird die Unterscheidung zwischen einem „Ausschließungsrecht“, das also dem right entspricht und den positiven „Befugnissen“ des Eigentümers, entsprechend den privileges, vollzogen. So wurde die sprachliche Einlassung Hohfelds auch Gegenstand eines Verbesserungsvorschlags, der mit der Feststellung, dass Literatur und Gesetz mit dem was Hohfeld als privilege bezeichnete, unverrückbar den Terminus right belegt hätten, zugleich das Grundproblem der fehlenden Eigenständigkeit des Dürfens auf den Punkt bringt: „So clearly are these ‚privileges‘ rights, that they are usually the first thing that are thought of as rights when the word occurs in speech.“176
Das Recht mit der Sache zu tun und zu lassen was man will, dürfte in der Tat ungefähr das sein, was juristische Laien unter „Eigentum“ verstehen. Es handelt sich um einen zentralen Aspekt der positiven Seite eigentumsartiger Rechte: dem Berechtigten steht die Nutzung als einzigem frei.
c) J. Schmidt In Anlehnung an Hohfeld bezeichnet auch J. Schmidt177 mit dem Begriff „privilege“ die Norm, gemäß welcher der Berechtigte das Recht zur Vornahme der in der Berechtigung umschriebenen Handlungen hat.178 Aus ihr heraus kommt (entsprechend Hohfelds Modell) der gedachten zweiten Person eine no-right Position zu,179 „[j]eder Nichtberechtigte, der die in der Berechtigung umschriebenen Handlungen vornehmen will, ist im Unrecht.“180 Die Norm des negativen Sollens heißt „right“ – diese verbietet es dem Nichtberechtigten, den betreffenden Tatbestand zu setzen.181 Die Berechtigung fasst J. Schmidt nun als einen „Komplex aus right 173 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 8 II 1 c (273 f.); Baur/Stürner verstehen die Formulierung des § 903 BGB wohl als ein „Dürfen“ des Eigentümers, Sachenrecht, § 24 Rn. 5. Besonders trennscharf in diesem Punkt Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, § 48 (150 f.). 174 Siehe unten § 12 D. Die positive und die negative Seite absoluter Rechte; § 15 E. II. Noch einmal zum positiven Gehalt. 175 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 740 ff., 744. 176 Radin, Harvard L. R. 51 (1938), 1141 (1148 f.). 177 Besondere Aufmerksamkeit erfuhr Schmidts Arbeit bei Ellger, der seine Habilitationsschrift in wesentlichen Teilen auf Schmidts Theorie zum subjektiven Recht gründet, da Schmidts Konzept eine besonders enge Verbindung zu den von Ellger dargelegten ökonomischen Funktionen der subjektiven Vermögensrechte aufweise, Ellger, Bereicherung durch Eingriff, 418; siehe ferner 417 ff. sowie Kap. V passim (Untergliederung der Immaterialgüterrechte nach Aktions- und Vermögensberechtigung). 178 J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 55 (Nr. 2.1200). 179 J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 32 (Nr. 2.025). 180 J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 55 (Nr. 2.1201). 181 J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 55 (Nr. 2.1201).
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
und privilege“ auf, genauer gesagt „aus zwei normativen Aussagen zu der sich im gleichen Sachverhalt“ aus Sicht sowohl aller Nichtberechtigten wie des Berechtigten „stellenden Frage nach der Rechtsfolge des [betreffenden] Tatbestands“.182 Um sagen zu können, dass eine Berechtigung besteht, bedürfe es einer zweigliedrigen Normenstruktur: eine Norm, laut der der Berechtigte „in einem Sozialsachverhalt bestimmte, sozialrelevante Veränderungen vornehmen darf“ und eine nach der „alle anderen die gleichen Tatbestände nicht setzen dürfen. Diese beiden Normen: Freiheitsermächtigung und Generalverbot, machen die Struktur der Berechtigung aus.“183
Auch hiergegen wurde hinsichtlich des eigenständigen erlaubenden Elements in subjektiven Rechten eingewandt, dass Zweckelement und normativer Begriff vermengt würden.184 Das Verhaltendürfen sei nicht das „Mittel, mit dem die Rechtsordnung dem Rechtsträger einen sachlichen Bereich zu eigener Verfügung“ überlasse, vielmehr sei es das „Schutzobjekt“.185
6. Die Geltungsanordnung bei Larenz Vielleicht lässt sich ein erlaubendes Element durch eine Veränderung des Blickfelds strukturell rechtfertigen. Die Imperativentheorie ist so lange logisch unangreifbar, wie man als vollständige und damit echte Rechtssätze einzig die Sätze des Gesetzes gelten lässt, „die sich als Imperativ auffassen lassen“.186 Entfernt man sich hingegen von der Idee einer unmittelbar bezweckten Verhaltensänderung des Individuums, gelangt man zu Larenz’ erweiterter Auffassung der Struktur subjektiver Rechte. Larenz folgt Jürgen Schmidt mit einer Definition, die Herrschaftsrechte als ein zugewiesenes „Dürfen“ versteht187 und für die übrigen subjektiven Rechte Unterschiede in ihrer Struktur zulässt, je nachdem, „was dem Berechtigten zukommt oder gebührt“188 . Grundlegend ist hierfür Larenz’ Verständnis von Rechtssätzen als „Geltungsanordnung“,189 die es ihm erlaubt, „von der Imperativentheorie als bloße Hilfssätze angesehene Sätze, deren Sinn eine Gewährung, Einräumung, Ermächtigung oder Zuteilung ist“, als echte Rechtssätze aufzufassen.190 Vereinfacht ausgedrückt führt er damit die normstrukturelle Kategorie des Dürfens in sein Modell ein.
182
J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 37 (Nr. 2.026). J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 17 (Nr. 2.012). 184 Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 53 f.; ähnlich Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, 90 („Hereinnahme des materiellen Momentes der Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung“). 185 Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 67. 186 Larenz, FS Engisch, 150 (160). 187 Larenz, FS Sontis, 129 (138 f.). 188 Larenz, FS Sontis, 129 (148). 189 Larenz, FS Engisch, 150 (154). 190 Larenz, FS Engisch, 150 (153). 183
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts33
Als Basis der gleich folgenden Definition aller Rechtssätze weist Larenz auf den Unterschied zwischen dem tatsächlich Geschehenden und dem rechtlich Eintretenden hin,191 was an die Trennung von Rechts- und Realfolgen erinnert.192 Rechtssätze seien so strukturiert, dass sie allesamt den Sinn hätten, „… zu bestimmen, daß etwas, eine bestimmte Rechtsfolge, unter bestimmten Voraussetzungen eintreten soll. Da der ‚Eintritt‘ einer Rechtsfolge nichts anderes bedeutet, als daß sie fortan ‚gilt‘, so haben alle diese Sätze den Sinn einer ‚Geltungsanordnung‘.“193
Sie seien die „Bestimmung“ einer bestimmten Rechtsfolge, die unter bestimmten Voraussetzungen (dem näher beschriebenen Sachverhalt) eintreten soll, i. e. eine Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge.194 Den Unterschied zwischen Imperativ und Geltungsanordnung markiert Larenz mit einem phänomenologischen Vergleich von „Befehl“ und „Bestimmung“ – die unmittelbare Wirkung des Befehls liege „im Bereiche des tatsächlich Geschehenden“, während sich die unmittelbare Wirkung der Bestimmung („die Geltung des Bestimmten“) „ausschließlich im Bereich der rechtlichen Sachverhalte und Beziehungen“ finde, mithin die „Bestimmung“ und damit die Geltungsanordnung nicht synonym für einen Imperativ stehe.195 Trotzdem gibt es nach Larenz auch Rechtssätze, die über die Geltungsanordnung hinaus auch als Befehle gedeutet werden könnten, z. B. der Gesetzesbefehl, unter bestimmten Bedingungen Schadensersatz zu leisten.196 Auch diese seien zugleich aber Geltungsanordnungen. Denn nicht nur die Pflicht zur Ersatzleistung, sondern auch der Befehl (i. e. das rechtskräftige Leistungsurteil), diese zu vollziehen entständen unabhängig vom tatsächlichen Geschehen, also unabhängig davon, ob der Bestimmung tatsächlich Folge geleistet wird. Die Bestimmung entsteht allein durch Verwirklichung des Tatbestandes.197 Diese Abgrenzung erinnert an die Unterscheidung zwischen Einzelbefehlen und Norm, die zwischen Verpflichtungen zu speziellen/individuellen Handlungen (der Herr befiehlt dem Diener am Folgetag um sechs Uhr aufzustehen) und der generellen Verpflichtung zu einer Klasse von Handlungen (der Herr befiehlt dem Diener immer um sechs Uhr aufzustehen) trennt.198 191 Larenz, Methodenlehre, 252 (Die „Rechtfolge tritt ein, weil sie in einem gültigen Rechtssatz angeordnet ist, ohne daß es hierfür noch auf weitere Fakten ankäme“). 192 „Rechtsfolgen sind Folgen, die durch Rechtssätze an das Vorliegen mehr oder weniger bestimmter Voraussetzungen geknüpft sind, Realfolgen sind die tatsächlichen Folgen der Geltung und Anwendung von Rechtssätzen.“, Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 25. 193 Larenz, FS Engisch, 150 (154). 194 M. a. W. als eine Verknüpfung von Sachverhalt und Rechtsfolge, Larenz, FS Engisch, 150 (154); ders., Methodenlehre, 251 f. 195 Larenz, FS Engisch, 150 (154, 157); ders., Methodenlehre, 256. 196 Larenz, FS Engisch, 150 (158); ders., Methodenlehre, 256. 197 Larenz, FS Engisch, 150 (158); ders., Methodenlehre, 256. 198 Vgl. Austin, Lectures, 93; ders., Province, 13, „Now where it obliges generally to acts or forbearances of a class, a command is a law or a rule. But where it obliges to a specific act or forbearance, or to acts or forbearances which it determines specifically or individually, a command
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Das Verständnis von Rechtssätzen als Geltungsanordnung wird bei der Abgrenzung des subjektiven Persönlichkeitsrechts zum Personstatus noch einmal relevant.199
7. Das Jörgensensche Dilemma als konstativer Fehlschluss Abgesehen von den schon mit Hohfeld angesprochenen Einwänden gegen ein geschlossenes System von Rechten und Pflichten, ist auch die eben benannte Prämisse der Rückführbarkeit sämtlicher Rechtsregeln auf formale Logik 200 angreifbar.
a) Das Dilemma J. Jörgensen zeigt, dass imperative Sätze, die als solche keines Wahrheitsbeweises zugänglich seien, in indikative Sätze transformiert und so als gewöhnliche Aussage der Logik zugänglich gemacht werden können.201 Aus „Schließ die Türe“ werde letztlich ein Indikativ wie „Der Vorgang des Türschließens gehört zu den Vorgängen die geschehen sollen.“ Die einzig verifizierbare Aussage, auf die ein Satz dieser Art („Dies und das soll so und so sein.“) zurückführbar sei, betreffe eine Beziehung zwischen dem „dies und das“ und einer Person, die dieses will, wünscht oder befiehlt.202 Die mit deontischer Logik in Imperativen auffindbare Wahrheit endet damit nach dieser Auffassung in der Feststellung des Bestehens einer – im Falle von Rechtsnormen gesetzlichen – Geltungsanordnung.203 Das Dilemma besteht nun im Konflikt dieser fehlenden Wahrheitsfähigkeit von Befehlen mit der Evidenz normativer Folgerungen (z. B.: „Niemand darf hier rauchen.“ – Daher darf X hier nicht rauchen.), da Folgerungen als Wahrheitsbeziehungen definiert sind.204 Können also aus Normen keine wahren Folgerungen abgeleitet werden? is occasional or particular.“ Ganz ähnlich fasst Kelsen den Unterschied zwischen Befehl und Norm auf, um Schwächen der auf den Befehlsbegriff verwiesenen Imperativentheorie bloßzulegen, wie sein folgendes Beispiel zum Unterschied subjektiven und objektiven Sollens zeigt: „[…] nur der Befehl des Steuerbeamten, nicht der Befehl des Gangsters hat den Sinn einer geltenden, den Adressaten verpflichtenden Norm, nur der eine, nicht der andere ist ein norm-setzender Akt“, Kelsen, Reine Rechtslehre, 8; hierzu Weinberger/Krawietz/Koller, Reine Rechtslehre im Spiegel, 129 (138 f.). 199 Siehe unten § 11 B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. 200 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 148d. 201 Zugrunde liegt seine Feststellung zweier Faktoren in Imperativsätzen, „the imperative factor and the indicative factor, the first indicating that some thing is commanded or wished and the latter describing what it is that is commanded or wished.“, J. Jörgensen, Erkenntnis 7 (1937/1938), 288 (291 f.). Sätze der Logik wiederum sind lediglich Tautologien, sie „geben schlechterdings überhaupt keine Erkenntnis“, sondern sind „bloße Regeln der Umformung von Aussagen“, Schlick, Fragen der Ethik, 447. Die Logik ermöglicht es also nur, Aussagen auf ihre Schlüssigkeit und Konsistenz hin zu überprüfen. 202 J. Jörgensen, Erkenntnis 7 (1937/1938), 288 (293); so auch Schlick, Fragen der Ethik, 448. 203 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 29 („Norm ist Ausdruck eines Wollens“, siehe auch S. 30 f.). 204 J. Jörgensen, Erkenntnis 7 (1937/1938), 288 (296); Weinberger, Logische Analyse, 81.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts35
b) Theoretische Lösung Zur Auflösung des Dilemmas gibt es mittlerweile verschiedene Lösungsvorschläge. Am pauschalsten ist vielleicht Hoersters Vorschlag, wonach logische Ableitungsbeziehungen nicht auf wahrheitsfähige Aussagen beschränkt sind, sondern anstelle der Wahrheit auch die „Zustimmungswürdigkeit“ von Aussagen übertragen können.205 Kelsen206 und Weinberger 207 lösen das Dilemma auf, indem sie die Norm als gültigen Befehl verstehen, aus dem mit den Mitteln der Logik gültige Folgerungen abgeleitet werden können. Denn sofern man die Normen, innerhalb derer anhand der Logik Aussagen getroffen werden sollen, axiomatisch als wahr voraussetzt, können und dürfen Aussagen durch die Ableitung der individuellen aus der generellen Norm auch logisch verifiziert werden.208 Die Logik von Imperativen ist unabhängig von ihrer Quelle.209
c) Verbindung zur Welt der Tatsachen Die Verbindung imperativer Sätze zur Welt der Tatsachen, schafft m. E. aber erst das Verständnis von Recht i. S. d. die institutional theory of law.
aa) Überblick über die institutional theory of law Die institutional theory of law (ITL) kann knapp umrissen werden als vermittelnder Ansatz zwischen strengem Positivismus und Naturrecht und damit zwischen Methodenmonismus und Methodendualismus: „ITL shares with traditional legal positivism the idea that the existence (validity) of legal norms cannot be derived from morality, while the normativity of law is not necessarily rooted in objective values or immanent principles of right. Moreover, ITL rejects any reductionism which accounts for the existence of law in terms of brute fact alone.“210
205
Hoerster, Was ist Recht?, 42. Kelsen stellt auf den Gehalt, auf das „indifferente Substrat“ (z. B. „Tür-schließen“) des Satzes ab, das nicht „im Modus des Seins“ („Türe wird geschlossen“), sondern im „Modus des Sollens“ („schließ die Türe“) verwendet werde, die aber jeweils einen völlig unterschiedlichen „Sinngehalt“ hätten, Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 156 ff. (dort auch Endnote 138 [= S. 314 ff.] in der Kelsen seine Theorie verschiedenen anderen Theorien zur Bedeutung imperativer Sätze gegenüberstellt). 207 Weinbergers Ansatz ist etwas anschaulicher als der Kelsens und kommt letztlich zum selben Ergebnis. Aus einer Aussage kann nur dann eine wahre Folgerung abgeleitet werden, wenn die Aussage als wahr vorausgesetzt wird. Entsprechend kann eine gültige Normfolgerung nur aus einer als gültig angenommenen Norm deduziert werden: in jedem System, in dem N gilt, muss aus rein logischen Gründen auch N F gelten, Weinberger, Logische Analyse, 82 f. Vgl. Kelsen: „Die Geltung einer Norm ist […] etwas völlig anderes als die Wahrheit einer Aussage.“, Allgemeine Theorie der Normen, 317. 208 Klug, Juristische Logik, 202. 209 Keuth, Zur Logik der Normen, 25. 210 De Jong/Werner, Law and Philosophy 17 (1998), 233 (237). 206
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Sie untersucht, aufbauend auf den Theorien insbesondere von J. R. Searle, das Recht als institutionelle Tatsache. Wie in vorigem Zitat zu sehen ist, weckt sie die Hoffnung auf ein Verständnis von Rechten, das diese weder in ihrer Existenz leugnet noch unmittelbar aus einer vorausgesetzten Moral ableitet und darüber hinaus möglicherweise auch nicht auf Gebilde wie einen schwer greifbaren Staatswillen (will-theory) oder die Angst vor Strafen abzustellen gezwungen ist. Elemente des Normativismus und Realismus werden verbunden.211 Neil MacCormick legt als einer der Hauptvertreter dieser Denkrichtung den hierfür wichtigsten Punkt in Searles Überlegungen dar als: „The idea that the world around us, our human world as well as our planetary environment, includes not just sheer physical facts and realities, but also institutional facts […].“212
bb) Institutionelle Tatsachen und Recht Da sie sowohl für die Funktionsweise subjektiver Rechte als auch i. R. d. Ontologie des Immaterialgüterrechts von Bedeutung ist,213 ist im Folgenden kurz Searles Theorie institutioneller Tatsachen zu umreißen. Instruktiv ist auch der Titel eines seiner dafür maßgeblichen Bücher: „Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit“. Allgemein unterschieden werden können konstitutive und regulative Regeln. Hiervon geht auch Searle aus: Regulative Regeln 214 sind Regeln, „die bereits bestehende oder unabhängig von ihnen existierende Verhaltensformen regeln“, sie regeln „eine Tätigkeit, deren Vorhandensein von den Regeln logisch unabhängig ist“.215 Ihr Bezugspunkt sind „rohe Tatsachen“, also Tatsachen, die „unabhängig von allen menschlichen Institutionen“ existieren – z. B. regelt das Rechtsfahrgebot nur die schon vorher bestehende Tätigkeit des Fahrens,216 oder die (ungeschriebene) Regel, zu Einladungen nicht zu früh zu kommen, die Tätigkeit des Besuchens. Entsprechend „dienen regulative Regeln häufig als Grundlage für die Bewertung von Verhaltensweisen“.217 „Konstitutive Regeln dagegen regeln nicht nur, sondern erzeugen oder prägen auch neue Formen des Verhaltens. Die Regeln für Fußball oder Schach zum Beispiel regeln nicht bloß das Fußball- oder Schachspiel, sondern sie schaffen überhaupt erst die Möglichkeit, solche Spiele zu spielen. Die Handlungen beim Fußball- oder Schachspiel sind dadurch konstituiert, daß sie in Übereinstimmung mit (zumindest dem größten Teil der) entsprechenden Regeln ausgeführt werden.“218 211
Weinberger, Norm und Institution, 74 f. MacCormick, Law and Philosophy 17 (1998), 301 (301). 213 Siehe unten § 5 A. III. 3. Immaterialgüter als institutionelle Tatsachen. 214 Rüthers bezeichnet diese als „präskriptive Normen“, Rechtstheorie, Rn. 148c. 215 Searle, Sprechakte, 54 f. 216 Searle, Konstruktion, 37 f. 217 Searle, Sprechakte, 58. 218 Bis hier Searle, Sprechakte, 54 f. 212
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts37
Die Tatsache, dass eine bestimmte physische Bewegung beim Football als die Handlung zählt, einen Touchdown zu erzielen, beruht auf den Football-Regeln:219 „The distinction is a distinction between those rules which create the possibility of new forms of activity and those rules which regulate preexisting forms of activity.“220
Sie „gehören zur Definition (‚Konstitution‘) einer Handlung, die dann ‚per definitionem‘ diesen Regeln gehorchen muß“, sie machen die „konstituierte Handlung“ erst möglich.221 Während die „rohen“ oder „natürlichen“ Tatsachen Teil eines naturwissenschaftlichen Weltbildes sind (neben körperlichen Gegenständen zählt Searle auch Naturgesetze oder körperliche Empfindungen hierzu),222 passen ethische und ästhetische Aussagen nicht recht in diese Begriffswelt. Tatsachen wie „Hochzeitsfeier, Baseballspiel, Gerichtsverfahren oder legislative Handlung“ sind mit einer Beschreibung der mit ihnen einhergehenden physischen Bewegungen, Zustände und elementaren Gefühle nicht hinreichend beschrieben. Vielmehr setzen sie nach Searle „die Existenz bestimmter menschlicher Institutionen voraus“, sie sind „Institutionelle Tatsachen“.223 „Diese Institutionen stellen Systeme konstitutiver Regeln dar.“224 Eine institutionelle Tatsache liegt darüber hinaus darin, dass jemand einen bestimmten Sprechakt wie etwa ein Versprechen oder eine Entschuldigung vollzieht.225 Searle moniert also die Beschränktheit des naturwissenschaftlichen Weltbilds auf natürliche Tatsachen. Die von ihm ergänzten institutionellen Tatsachen sind so unzweifelhaft objektiv existent, dass sie nicht in den Bereich der Metaphysik abgeschoben werden können. Auch wer z. B. die Existenz von Eigentumsrechten leugnet, wird zumindest anerkennen müssen, dass sich die meisten Menschen so verhalten, als gäbe es Eigentumsrechte. Searle entwickelt darauf aufbauend eine Theorie, nach der eine institutionelle Tatsache durch kollektives Verhalten, genauer gesagt durch eine kollektive Intentionalität einer Gruppe226 geschaffen werden kann.227 Eine durch eine Mauer 219
Searle, Philosophy and Phenomenological Research 57 (1997), 449 (456). Searle, Philosophy and Phenomenological Research 57 (1997), 449 (455). 221 Mittelstraß/Kambartel/Jantschek, Bd. 3, „Regel“ (1). 222 Searle, Sprechakte, 78 ff. 223 Searle, Sprechakte, 80; Searle, Konstruktion, 37. Mitunter vermischen Kritiker die Kategorie institutioneller Tatsachen mit „sozialen Tatsachen“ (social facts) oder „sozialen Objekten“ (social objects). Institutionelle Tatsachen sind für Searle eine Unterkategorie sozialer Tatsachen (Searle, Philosophy and Phenomenological Research 57 [1997], 449 [452]), während er den Begriff sozialer Objekte als Missverständlich ablehnt, B. Smith/J. R. Searle/Searle, American Journal of Economics and Sociology 62 (2003), 285 (302). 224 Searle, Sprechakte, 81. 225 Searle, Sprechakte, 81. 226 Searle bezieht sich auf „social groups“ die er definiert als „people who feel themselves bound together by the concept of ‚we‘ or ‚us‘“, Philosophy and Phenomenological Research 57 (1997), 449 (451). 227 Searle, Konstruktion, 47 ff. 220
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
physisch geschaffene Grenze kann nach Abriss der Mauer weiterhin als Grenze in der Art gesellschaftlich anerkannt sein, dass sie das Verhalten der Menschen beeinflusst.228 Der „radikale Schritt“ von solchen einfachen gesellschaftlichen Tatsachen „zu institutionellen Tatsachen wie Geld, Eigentum und Ehe […] ist die kollektive Funktionszuweisung an Gebilde, die […] diese Funktion nicht einzig und allein dank ihrer physischen Struktur verrichten können“.229 Ein prominentes Beispiel der „Schaffung institutioneller Tatsachen“ durch „konstitutive Regeln“, ist Papiergeld: „Wir weisen einer Sache, die wir aufgrund ihrer rein physischen Eigenschaften nicht für wertvoll halten, kollektiv einen Wert zu.“.230 Abstrakter formuliert wird einem Phänomen eine Funktion zugewiesen, „dass diese Funktion nicht einzig dank seiner physischen Konstruktion verrichtet, sondern auf der Basis fortgesetzter kollektiver Intentionalität“.231
Nun kann man Geld nur durch die Bezugnahme auf andere institutionelle Tatsachen, definieren, z. B. durch die Worte „Kaufen“, „Schulden“ oder den Hinweis auf seine Verwendung als Wertspeicher. Eine derartige „Selbstbezüglichkeit“ der Erklärung ist auch anderen institutionellen Tatsachen zu eigen, wie z. B. der Auffassung eines gesellschaftlichen Anlasses als Cocktailparty. Die Kodifizierung der zugrunde liegenden konstitutiven Regel löst aber die Selbstbezüglichkeit vom einzelnen Beispiel ab und beschränkt sie auf den Typ. Beispiel: Wäre niemand der Ansicht, dass der betreffende Anlass eine Cocktailparty sei, wäre er auch keine. Die Gesetze über Geld hingegen weisen bestimmten Gegenständen bestimmte Funktionen zu, weshalb es nicht in jedem Einzelfall darauf ankommt, dass genügend Leute der Ansicht sind, es handele sich um Geld.232
Die Ansicht und damit die institutionelle Tatsache wird durch eine gesetzliche Regel des Typs „X zählt als Y in K“ konstituiert. Searle spricht von der Zuweisung einer „Statusfunktion“ – Papierscheine mit bestimmten Merkmalen (X) haben von nun an den Status Geld233 (Y). Mit der Statusfunktion wird dem X (gleich ob Person oder Objekt) in fast allen Fällen Macht übertragen, z. B. öffnet ein Pass Grenzen, oder kann der neu ernannte Geschäftsführer Personal entlassen.234 Je größer die Bedeutung dieses neuen Status ist, desto eher sei man wiederum „geneigt zu fordern, daß er durch explizite, nach strikten Regeln zu vollziehende Sprechakte geschaffen wird.“235
228 Vgl.
Searle, Konstruktion, 49. Searle, Konstruktion, 51. 230 Searle, Konstruktion, 57. 231 Searle, Konstruktion, 68. 232 Searle, Konstruktion, 62 f. 233 Vgl. zur „Wertsubstanz“ des Geldes als „soziale Geltung“, Brodbeck, Die Herrschaft des Geldes, 472. 234 Vgl. Searle, Konstruktion, 105. 235 Searle, Konstruktion, 126. 229
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts39
Beispiel: Das BGB sieht für bedeutende Rechtsgeschäfte strenge Formvorschriften (§ 128 BGB) vor, während im Übrigen konkludente Erklärungen (i. w. S. Sprechakte!) ausreichen.
Die Vorstellung konstitutiver Regeln und institutioneller Tatsachen überlistet den naturalistischen Fehlschluss auf gesellschaftlicher Höhe:236 „Daß man bestimmte Verpflichtungen und Rechte hat, ist keine natürliche, sondern eine institutionell bedingte Tatsache,“237 wie z. B. der Umstand, dass aus einem Versprechen die Verpflichtung zur Befolgung desselben folgt. Ihre Ableitung aus dem Sein, i. e. aus dem geäußerten Versprechen, setzt dabei die konstitutive Regel voraus, „dass derjenige, der ein Versprechen gibt, damit eine Verpflichtung übernimmt“.238 Insoweit ist die – auch als Humes Gesetz239 bekannte – Einsicht, dass es unmöglich ist, aus deskriptiven Aussagen eine Wertaussage abzuleiten, falsch.240
cc) Konstativer Fehlschluss im Rechtsverständnis Zurück zur Verbindung imperativer Sätze zur Welt der Tatsachen. – Ausgangspunkt ist das auch von Olivecrona241 (einem Vertreter der metaphysikkritischen skandinavischen Rechtsschule) angedeutete Verständnis der imperativen Äußerung als Sprechakt i. S. J. L. Austins (dem akademischen Lehrer von Searle): „viele Äußerungen, die wie Aussagen oder Feststellungen aussehen“ sollten „eigentlich gar nicht oder nur zum Teil Informationen über Tatsachen vermitteln“. Wer Äußerungen, „die etwas ganz anderes als Aussagen oder Feststellungen darstellen sollen, einfach als Feststellungen über Tatsachen“ auffasse, begehe einen konstativen Fehlschluss („constative fallacy“).242
Charakteristisch für solche Äußerungen ist, dass sie „in keine bisher anerkannte grammatische Kategorie fallen“ und für sie gilt: „A. Sie beschreiben, berichten, behaupten überhaupt nichts; sie sind nicht wahr oder falsch; B. das Äußern des Satzes ist, jedenfalls teilweise, das Vollziehen einer Handlung, die man ihrerseits gewöhnlich nicht als ‚etwas sagen‘ kennzeichnen würde.“243 236 Searle, Sprechakte, 261 ff. („Der Gegenstand unseres Interesses ist das Sollen, nicht das moralische Sollen.“); Searle setzt nur die Anerkennung der Prämisse voraus, dass durch bestimmte Äußerungen z. B. eine Verpflichtung entsteht. Das moralische Prinzip ist hiervon aber unabhängig – Searle geht es nur um „die Kritik eines bestimmten Modells der Beschreibung linguistischer Fakten“, 282 f. 237 Searle, Sprechakte, 275. 238 Searle, Sprechakte, 274 f., dies ist eng verwandt mit Searles zentraler Hypothese des Buches „Sprechakte“, nämlich „daß eine Sprache zu sprechen bedeutet, Sprechakte in Übereinstimmung mit Systemen konstitutiver Regeln zu vollziehen“, 61. 239 Dieses bildet eines der Argumente des eben angeführten naturalistischen Fehlschlusses, siehe Mittelstraß/R. Wimmer, Bd. 2, „Naturalismus (ethisch)“. 240 Searle, Sprechakte, 262, 279. 241 Olivecrona, Law as Fact, 126: „(… the essential characteristic of commands is overlooked when they are interpreted as constative utterances.“). 242 J. L. Austin, Theorie der Sprechakte, 26 f. 243 J. L. Austin, Theorie der Sprechakte, 28 [Hervorh. im Original]; siehe auch Walker, American Philosophical Quarterly 6 (1969), 217 (217) (kritisiert, dass Austin keine Argumente dafür
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Hierzu zwei Beispiele: 1) Der von der Taufpatin bei einer Schiffstaufe ausgesprochene Satz: „Ich taufe dieses Schiff auf den Namen Eva“ hat nicht die Funktion, die Anwesenden darüber zu informieren, was die Taufpatin gerade tut.244 Auch könnte man feststellen, dass es wahr ist, dass die Taufpatin sagt, dass sie das Schiff auf den Namen Eva tauft. Was aber von ihr gewollt und Sinn und Zweck des unter diesen Umständen gesprochenen Satzes ist, ist eine Veränderung durch eine Handlung, genauer durch eine Namensgebung: Die Veränderung eines namenlosen Schiffes in ein Schiff namens Eva. Die ersten beiden Deutungen waren konstative Fehlschlüsse, sie verwechselten die durch Sprache getätigte Handlung (performative Äußerung) der Taufpatin mit einer Feststellung über Tatsachen (konstative Äußerung).245 Voraussetzung ist freilich die Einbeziehung der Umstände, unter denen die Aussage getätigt wird. 2) Auch aus § 985 BGB lässt sich mit bloßer Logik nur die Aussage ableiten, dass der deutsche Gesetzgeber anordnet, dass der Eigentümer vom Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen können soll. Das stimmt mit den Tatsachen überein. Zudem vermittelt der Gesetzgeber mit dem Satz Informationen über die Vindikation, i. e. welcher Tatbestand welche Rechtsfolge hat. Als weitere Kategorie wäre noch eine deskriptive Deutung denkbar, nämlich als Aussage darüber, ob der Eigentümer Herausgabe verlangt 246 – worüber § 985 BGB allerdings keine Auskunft gibt. Missachtet wird damit aber die Weise, in der der (hinter dem Wortlaut liegende) Imperativ („Auf Verlangen des Eigentümers soll der Besitzer diesem die Sache herausgeben.“) genutzt wird. Die eigentliche Wahrheit ist, dass der gesetzgeberische Erlass der Regel eine performative Handlung ist, durch die eine institutionelle Tatsache erzeugt wird: Das Rechtsinstitut der Vindikation.
Vor jedem Gesetzesbefehl kann ein „ich ordne an“ oder „der Gesetzgeber ordnet an“ gedacht werden. Beispiel: „Ich (der Gesetzgeber) ordne an, dass der Eigentümer vom Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen kann.“
In der Äußerung manifestiert sich die Absicht einen Befehl zu geben, also nicht bloß eine Äußerung zu tätigen:247 „‚I hereby order you to leave‘ is […] a manifestation of the intention to order you to leave.“248 Der Gesetzgeber ordnet an/setzt in Kraft, dass der Eigentümer (in Deutschland) vindizieren kann – „Saying makes it so“.249 Die zu prüfende Wahrheit liegt nicht in liefere, dass seine in diesem Zusammenhang angeführten Beispiele [Heirat, Schiffstaufe, Vererbung, Wette] unter diese Definition passten). 244 Auch wenn diese Aussage hierin zweifelsohne enthalten ist, vgl. Searle, Linguistics and Philosophy 12 (1989), 535 (557). 245 Vgl. J. L. Austin, Theorie der Sprechakte, 164. 246 Vgl. Hoerster, Ethik und Interesse, 45, der diese natürlich als falsch verwirft. 247 Genauer: Zur Handlung wird die Äußerung durch ihre Selbstbezogenheit auf das Verb („anordnen“). Dieses enthält den Begriff der Absicht, einen Befehl zu geben. Vgl. Searle, Linguistics and Philosophy 12 (1989), 535 (555 f.). So steht das Verb „Versprechen“ im Satz „Ich verspreche zu kommen.“ zu Recht im aktuellen Präsens, da der Vorgang des Versprechens gleichzeitig mit der Äußerung geschieht (vgl. S. 557). 248 Searle, Linguistics and Philosophy 12 (1989), 535 (556). 249 Vgl. Dunn, Yale L. J. 113 (2003), 493 (525), die einen ähnlichen Ansatz für die Recht-
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts41
der Logik des Satzes, sondern in seiner Funktion verborgen. Geprüft werden kann nur, ob der Satz unter den richtigen Umständen von den richtigen Personen geäußert wurde und ob, sowie welche Wirkung er im Verhalten der Betroffenen zeitigt. Im gewollten Idealfall wird, mit Searle gesprochen, eine konstitutive Regel gesetzt und durch diese eine institutionelle Tatsache erzeugt. Mithin sind gesetzliche Regelungen in ihrer Konstituierung als Handlungen des Gesetzgebers aufzufassen, mit denen er eine tatsächliche Änderung, i. e. eine Wirkung herbeiführt. Folge kann und soll sein, dass Menschen ihr Verhalten nach diesen Normen ausrichten.250 Auf eine Einschränkung bleibt freilich hinzuweisen: Institutionelle Tatsachen und die daraus mögliche Ableitung normativer Vorgaben sind begrenzt durch den Grad an Verbindlichkeit mit dem die institutionelle Tatsache geschaffen bzw. die darauf beruhende performative Handlung durchgeführt wurde. Verspricht ein Betrüger, einen bestimmten Geldbetrag zu zahlen, steht die Folgerung, dass er zahlen muss, unter dem Vorbehalt, dass dieses „Müssen“ die übliche Auffassung eines Versprechens ist und er dieser Auffassung möglicherweise zuwiderhandelt.251 Folgern lässt sich also nur, dass er das Geld gemäß der Institution von Versprechen zahlen muss. Es geht mithin um ein sprachliches Missverständnis, da die konstitutiven/ normativen Voraussetzungen institutioneller Tatsachen an ihrer sprachlichen Form nicht immer zu erkennen sind und auch konstitutive Regeln konstativ formuliert sein können: „Institutionelle Tatsachen enthalten […] normative Voraussetzungen, ohne diese an ihrer sprachlichen Form sichtbar zu machen.“252
d) Zwischenergebnis Jörgensen kann also kein logischer Fehler vorgeworfen werden; von der klassischen Wahrheitsdefinition 253 her besteht das Dilemma, sofern die Norm als Aussage des Gesetzgebers verstanden wird. Nur hat der Gesetzgeber sie nicht in dieser Funktion verwendet. Er wollte mit ihr Recht setzen, eine Anordnung oder „normative Aufforderung“254 treffen. In den Worten Searles erschafft er durch den Erlass von Gesetzen und insbesondere durch die gesetzliche Zuweisung subjektiver Rechte institutionelle Tatsachen. Diese sprachphilosophische Interpretation deckt sich in erstaunlichem Ausmaß mit Larenz’ Idee der Geltungsanordnung. sprechung im Common Law verfolgt: „Judges enact the constative fallacy when they pretend to interpret the law instead of creating it. […] Here, in the common law, judges do not have a fixed, external body of law on which to rely; the only texts that judges can reference are the texts of earlier judicial opinions.“ In abgeschwächter Form findet sich diese Wirkung von Präjudizien auch im deutschen Recht, da von diesen eine Begründungslast ausgeht, die denjenigen trifft, der vom Präjudiz abweicht, vgl. Krebs, AcP 195 (1995), 171 (182 ff.). 250 Hoerster, Ethik und Interesse, 45 spricht von normativen „Aufforderungen zu Handlungen“. 251 Siehe sinngemäß Ferber, ARSP 79 (1993), 372 (376). 252 Ferber, ARSP 79 1993, 372 (376). 253 Wahrheit als Übereinstimmung einer Aussage mit den Tatsachen (Korrespondenztheorie), vgl. Becker, Absurde Verträge, 231 ff. 254 Hoerster, Ethik und Interesse, 45.
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
8. Der Erkenntniseinwand gegen die Imperativentheorie Ein berechtigter Einwand gegen die Imperativentheorie ist ihre große Entfernung zur „natürlichen Anschauung“.255 Auch wenn man davon ausgeht, dass die theoretische Möglichkeit der Rückführung aller Rechtssätze etwa des BGB auf Geund Verbote nicht in Abrede gestellt werden kann,256 gilt dies nicht für den Mangel der sich bietenden Erkenntnismöglichkeiten.257 Dies trifft besonders auf Normen von Verfassungsrang zu.258 Auf den Erkenntniswert bezieht auch Peukert seine Kritik an den abstrakten, nicht an eine bestimmte Rechtsordnung anknüpfenden Ansätzen (genannt werden die Imperativentheorie sowie die auf ihr aufbauende reine Rechtslehre bzw. Normlogik). Ohne ein teleologisches Element würden letztlich keine Aussagen über „wirkliches“ Recht gemacht.259 Dies vermag in der Tat nur ein teleologisches Axiomensystem zu leisten.260 Peukert gibt der Sicht ausschließlicher Rechte als relationale Verhaltensgebote zwar zu, durch die Einbeziehung der hiermit notwendig verbundenen „Freiheitseinschränkung potentieller Schuldner“ das Eigentumskonzept des Art. 14 GG zu verwirklichen, stellt aber zutreffend fest, dass nicht das Verbot, sondern der Respekt vor der Autonomie des Eigentümers die „Triebfeder“ des anderen sei, Verletzungen zu unterlassen. Außerdem setze „die Übertragbarkeit subjektiver Rechte voraus, dass man sie als selbständiges, ideales ‚Etwas‘ begreift, das unabhängig von einer akuten Verletzung der Handlungs- oder Unterlassungsgebote besteht“.261 Zu den relevanten Sollenssätzen zählten daher nicht nur Geund Verbote.262 Treffend erscheint hieran zunächst, dass Peukert die Autonomie des Eigentümers neben den Ausschließungsrechten als Schutz gegen Verletzer begreift. So passend Peukerts Kritik und insbesondere die Formulierung des „selbständigen, idealen Etwas“ aber für die vorliegende Untersuchung ist, so wenig erschüttert auch sie den streng normlogischen Ansatz. Soweit Peukert also ein Dürfen in der „rechtstheoretische[n] Betrachtung“ befürwortet, ist ihm zuzustimmen, in der reinen Normlogik wird dieses hingegen zu Recht verneint. Die Vorteile der Imperativentheorie – namentlich: die Möglichkeit, mit ihr den Stufenbau der Rechtsordnung 255 Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. 1, 44; i. d. S. auch Fischer, AcP 117 (1919), 143 (170) der die Imperativentheorie für einen der Ausgangspunkte einer bilderfeindlichen Denkrichtung hält, die das Verständnis von Rechtsgegenständen, wie insbesondere dem subjektiven Recht als Objekt (woran er den Vermögensbegriff knüpft) zerstöre, 168 f. 256 Eingehend Larenz, FS Engisch, 150 (152 f.). 257 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 348; Larenz, Methodenlehre, 254; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 197 f.; Hart, The Concept of Law, 38 ff. („… they purchase the pleasing uniformity of pattern to which they reduce all laws at too high price: that of distorting the different social functions which different types of legal rule perform.“). 258 Alexy, Theorie der Grundrechte, 207 f. 259 Peukert, Güterzuordnung, 859 f. 260 Klug, Juristische Logik, 204 f. 261 Peukert, Güterzuordnung, 860 f. 262 Peukert, Güterzuordnung, 861.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts43
abzubilden, die Geltungsbedingungen des Rechts anzugeben und den Rechtsstoff zu systematisieren, den Gegensatz von Rechtsgeltung und Rechtswirklichkeit abzubilden 263 – liegen gänzlich außerhalb der Erkenntnisfrage, welchen Zustand eine Norm herbeizuführen bezweckt ist.264 Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird aber noch ein Argument zu behandeln sein, das eher zur Makroebene zählt: Der Streit zwischen der Bündeltheorie von Rechten und der Unteilbarkeit absoluter Herrschaftsrechte. Hieraus folgen zwar gleichfalls keine logischen Einwände, wohl aber Argumente, die die Schwächen einer allzu normlogischen Auffassung zeigen.265
9. Zwischenergebnis Zusammenfassend ist ein eigenständiges Dürfen mit der Imperativentheorie ausgeschlossen, also logisch nicht erforderlich. Auch der Ansatz Hohfelds vermag dies nicht zu ändern. Um ein Gut ausschließlich zuzuweisen, genügen in einer freiheitlichen Rechtsordnung Rechte und Pflichten. Zu einer für Rechtsunterworfene und -anwender plausiblen und erkenntnisstiftenden Beschreibung von Rechten genügen sie allerdings nicht. Hierfür bedarf es eines teleologischen Zusatzes, i. e. der Betonung der gewährenden, zuweisenden Seite des Eigentums.
B. Die Trennung von materialer und formaler Betrachtung Wie ein roter Faden zieht sich ein Prinzip durch die Gesamtproblematik. Die Unterscheidung von Willens- und Interessentheorie beruht ähnlich wie die Streitigkeiten über ein eigenständiges Dürfen darauf, dass die widerstreitenden Theorien nur scheinbar konkurrieren, da sie von unterschiedlichen Fragen ausgehen. Dieses Prinzip wird sich auch in der Trennung der positiven und negativen Seite absoluter Rechte zeigen.266 Unterschieden werden müssen die formale und die materiale Seite des Rechts, vergleichbar mit Form und Inhalt des Rechts.267 Die Ansicht, dass diese Unter263 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 235 (zudem helfe sie bei der teleologischen Methode der Rechtsfindung), siehe dazu unten D. Eine schrittweise Teleologie. 264 So weist auch Schapp auf die Beschränktheit der Imperativentheorie hin, die diese „durch unterschiedliche Zuordnungen der beiden Pole des Verbots und der Gewährung zu überwinden trachte […]“ was ihr aber nicht gelinge, Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, 56 f. Er tritt ein für eine Sichtweise, die das Recht als Strukturteil eines marktwirtschaftlichen Systems versteht und dafür, es in seinem Funktionszusammenhang zu betrachten, S. 31 ff. (insbesondere S. 36). Die Aussagen, die man über Eigentum und Anspruch machen könne, ergäben sich daher nur „im Hinblick auf die Funktionen des Eigentums und des Anspruchs im wirtschaftlichen Sinne“, S. 36. So kommt er zum Eigentum als „Zustand des Zugeordnetseins“, S. 40. 265 Siehe unten § 13 H. III. Verhältnis zur bundle of rights theory. 266 Siehe unten § 12 D. Die positive und die negative Seite absoluter Rechte, § 15 E. II. Noch einmal zum positiven Gehalt. 267 Vgl. Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 299 f.; Aicher, Eigentum als subjektives Recht, 86 f.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 4 f., 100 (Rechtsform und Rechtsinhalt),
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
scheidung „gar keine Aussagen über ‚wirkliches‘ Recht machen will“,268 überzeugt nicht recht, da die teleologische Seite zum klaren Bekenntnis über die verfolgten Ziele zwingt, während die Vermengung von Mittel und Zweck nicht zur Klarheit beiträgt. Auch die „verhaltenssteuernde Wirkung allgemeiner Regeln“269 wird weder verkannt noch affiziert. „[P]ositive Befugnisse und damit unverletzt gedachte, primäre subjektive Rechte“270 werden lediglich als Ziel aufgefasst, das es mit Mitteln der Rechtstechnik zu verwirklichen gilt. Dies betrifft nicht einmal die Gesetzesformulierung. Betroffen ist nur eine bestimmte Verständnisebene. Verhaltenssteuernd wäre es selbstredend Unsinn, den Eigentümer als „alleinausschlussberechtigt“ o. ä. zu bezeichnen. Das ändert aber nichts daran, dass er alleinausschlussberechtigt ist. Die hier verfolgte Trennung will zur Rückbesinnung auf die zu beantwortenden Fragen anhalten. Sie macht sich bei den verschiedenen Konflikten in unterschiedlicher Weise bemerkbar. Die Interessentheorie fragt nach dem Sinn und Zweck eines subjektiven Rechts und grenzt es dementsprechend anhand seiner Zuordenbarkeit zu einer Person ab.271 Die Willenstheorie fragt, welches Mittel die Rechtsordnung dafür verwendet. Denn: „Die Willensmacht ist das formale, das Gut oder Interesse das materiale Element im subjektiven Rechte.“272
Entsprechend beantwortet die Kombinationstheorie nicht dieselbe Frage richtiger, sondern beide Fragen zugleich:273 Zu welchem Zweck und wie wird einer Person ein Recht zugewiesen? (Interessentheorie) – und – Wie wird dieses Recht geschützt? (Willenstheorie). Die vorliegenden Überlegungen behandeln freilich nur einen Teilbereich der mit Interessen-, Willens- und Kombinationstheorie verbundenen Folgen für die Rechtstheorie. Sie zielen einzig auf eine Darlegung der Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte. Für andere Probleme wie die Auslegung von Verträgen oder Willenserklärungen beansprucht die getroffene Abgrenzung keine Gültigkeit. Auch der Erklärungsanspruch der Imperativentheorie ist auf die formale Seite des Rechts begrenzt: „Die Imperativentheorie darf nicht psychologisch oder soziologisch interpretiert werden.“ Sie erklärt nicht „die De-facto-Geltung des Rechts“, ist also „nicht autoritär“ zu versteder mit „formellem und materiellem Recht“ allerdings etwas anderes bezeichnet; Becker, GRUR Int. 2010, 940 (942). 268 Peukert, Güterzuordnung, 860. 269 Peukert, Güterzuordnung, 860. 270 Peukert, Güterzuordnung, 857. 271 Vgl. oben v. Jherings Abgrenzung von bloßer Reflexwirkung, 2. Interessentheorie (a. E.). 272 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 45. 273 In diesem Kontext schreiben Larenz/Wolf: „Da jede dieser Betrachtungsweisen bestimmte Aspekte des subjektiven Rechts zum Ausdruck bringt, ist es sinnvoll, alle ins Auge zu fassen.“, Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 10.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts45
hen – Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit müssen anders begründet werden. Auch sagt sie weder etwas über die Legitimität des Rechts aus, noch will sie die Entstehung oder den Ursprung von Rechtsnormen erklären.274
Wozu dient die Imperativentheorie also? Sie ist ein analytisches Instrument. Sie führt Regeln auf dahinterstehende vollständige Rechtssätze zurück und hilft „bei der teleologischen Methode der Rechtsfindung“.275 Sie dient schlicht der formalen Betrachtung des Rechts – „Befehlsnormen bilden nur das Mittel, den gewünschten Zustand herbeizuführen.“276 Die Imperativentheorie trifft daher keine Aussagen über das Resultat, den „Effekt“277 der durch den Befehl gesetzten Zuweisung. Beispielsweise müssen daher normlogische Betrachtungen zum Sacheigentum von dessen „Ordnungsfunktion in einem Privatrechtssystem“ unterschieden werden.278 Hierin liegt m. E. ein wichtiger Schritt zum Verständnis von Hohfelds rightprivilege-Schema. Denn right und duty sind no-right und privilege vorgelagert (!), erstere sind das Mittel, letztere das Resultat. Daraus dass A Verbietungsrechte eingeräumt werden, ergibt sich für A ein privilege. Genauso bleibt die korrespondierende Situation desjenigen, der außerhalb seiner Pflicht, das Gut nicht zu schädigen, ein no-right hat, von der Imperativentheorie unberücksichtigt. Seine Lage ist ebenfalls ein Resultat des eingesetzten Mittels, also der Ausschlussrechte. Resultat der Zuweisung von Verbietungsrechten ist also das Dürfen, der Zweck der Norm gibt hingegen darüber Auskunft, warum jemandem das Dürfen eingeräumt wird und bei Zweifelsfragen auch, wie weit dieses reicht. Diese Zweck-Mittel Relation zeigt sich auch bei Engisch: Subjektive Rechte entstünden nur dort, „wo Imperative so geartet und zusammengeordnet sind, dass aus ihnen bestimmungsgemäß jene Machtpositionen hervorgehen, die wir subjektive Rechte nennen.“ Berechtigungen könnten „nur gewährt werden […], indem andere mit Anforderungen und Pflichten […] belastet werden“. „Der Bestand der subjektiven Rechte kann sich immer nur Hand in Hand mit dem Bestand der Verbote und Gebote erweitern“.279
Die formale Betrachtungsweise muss also um die materiale ergänzt werden.280 Das ist es letztlich, was die Kombinationstheorie ausdrückt und ihr zum Erfolg verholfen hat. 274
Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 236. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 235. 276 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 235. 277 „Die subjektiven Rechte sind da und sie sind ein Positivum. Jedoch wird die Imperativentheorie darauf hinweisen, dass das Recht diesen positiven Effekt nur erzielt durch sinnreichen Einsatz von Imperativen“, Engisch, Einführung in das juristische Denken, 51. Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, § 45 (147 f.) spricht vom „Können, das dem einzelnen vor anderen zusteht […] man kann etwas zu dem Zweck, um Lebensgüter kraft des Könnens zu erfassen“. 278 Vgl. Raiser, FS Sontis, 167 (167 f.). 279 Engisch, Einführung in das juristische Denken, 51 f. 280 Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 299. 275
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So schützt z. B. das Markenrecht formal bestimmte Verwendungen des Zeichens – wenn man so will, Rechte „an“ der Zeichenfolge. Was es damit für den Markeninhaber schützt, ihm gewährt, was also das Gut einer Marke ausmacht, kann aber nur unter Einbeziehung seines materiellen Ziels beantwortet werden.281
Zur mehrfach aufgeführten Frage der Trennung von Mittel und Zweck bleibt zu sagen, dass zwischen dem gerade aufgezeigten Resultat einer Norm und ihrem Telos unterschieden werden muss. Es handelt sich um eine schrittweise Teleologie – Befehl, Resultat, Gesetzeszweck.282 Parallel steigt der Abstraktionsgrad.
C. Normstruktur und deontische Logik Es wurde dargelegt, dass eine imperativische, formale Betrachtung unabhängig von den mit der Rechtssetzung verfolgten Zwecken erfolgen kann. Nun folgt ein kurzer Abstecher zum logischen Aufbau von Regeln. Die Grundmodalitäten der deontischen Logik werden nur so weit wiedergegeben, wie es die vorliegende Betrachtung erfordert:283 pflichtig
geboten
verboten
(relativ) erlaubt
Implikation Disjunktion Exklusion Kontravalenz
ungeboten (freigestellt)
indifferent (absolut) erlaubt
Abb. 2: Joerden, Logik im Recht, 181, „Das deontologische Sechseck“
281
Becker, GRUR Int. 2010, 940 (942). Siehe sogleich D. Eine schrittweise Teleologie. 283 Vgl. zum Folgenden Alexy, Theorie der Grundrechte, 182 ff. 282
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts47
Aus dem Gebot (Op)284 „Es ist geboten zu lügen“ folgt eine Erlaubnis (Pp) – die Erlaubnis zu lügen (also die Erlaubnis eines Tuns, eine positive Erlaubnis).285 Aus dem Verbot (Fp) „Es ist verboten zu lügen“ folgt ebenfalls eine Erlaubnis (P ¬p) – die Erlaubnis, nicht zu lügen 286 (also die Erlaubnis einer Unterlassung, eine negative Erlaubnis). Zum gleichen Ergebnis kommt man durch Negationen. Die Negation eines Gebots, etwas zu tun, ist mit der Erlaubnis, es nicht zu tun, äquivalent.287 Die Negation von „Es ist geboten zu lügen“ lautet „Es ist nicht geboten zu lügen“; dann ist es erlaubt, die Lüge zu unterlassen (negative Erlaubnis). Das Gebot (Op) verhält sich zu dem Verbot (Fp) konträr: die beiden sind logisch unvereinbar. Es kann nicht gleichzeitig ge- und verboten sein, zu lügen.288 Die Erlaubnis des Tuns (Pp) verhält sich zu der Erlaubnis des Unterlassens (P ¬p) hingegen subkonträr: die beiden sind logisch vereinbar. Es kann gleichzeitig erlaubt sein zu lügen und erlaubt sein, nicht zu lügen. Gemeinsam ergeben positive und negative Freiheit eine zusammengesetzte Position, eine Freistellung (Lp). O. Weinberger und Joerden bezeichnen dieselbe als „indifferent“289 bzw. „absoluterlaubt“.290 Ein Beispiel ist die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Der Begriff „indifferent“ stellt klar, dass es dem Gesetzgeber gleichgültig ist, ob die Handlung (Autofahren) vorgenommen wird oder nicht.291
Festzuhalten ist: Je nachdem ob eine Handlung ge- oder verboten ist, folgt aus ihr eine positive oder negative Erlaubnis. Der gängigen Vorstellung einer mit Handlungsfreiheit assoziierten Erlaubnis entspricht keine von beiden. Denn erst zusammen ergeben sie die Freiheit, die betreffende Handlung nach Belieben zu tun oder zu unterlassen (Freistellung). Erforderlich ist also, dass die Handlung weder ge- noch verboten ist. Wichtig ist nun die Unterscheidung von Gebot und Erlaubnis. Das Gebot ist nichts anderes als das Verbot der gegenteiligen Handlung (einschließlich der Untätigkeit):292 284 Folgende Operatoren sind zu unterscheiden: „O“ (Gebotsoperator), „F“ (Verbotsoperator), „P“ (Erlaubnisoperator), während „p“ für den deskriptiven Gehalt der Äußerung steht, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 81. 285 Allgemein: „jede Handlung, die geboten ist, ist zugleich (relativ) erlaubt, im Sinne von nicht verboten“, Joerden, Logik im Recht, 182. 286 M. a. W. ist die Handlung „ungeboten“, Joerden, Logik im Recht, 182. 287 Alexy, Theorie der Grundrechte, 190. 288 Joerden nennt dies eine „Exklusionsbeziehung“, Joerden, Logik im Recht, 182. 289 „Aus ‚p ist indifferent‘ folgt ‚p ist erlaubt‘ und ‚nicht-p ist erlaubt‘. Begründung: Die Indifferenz von p ist nämlich definiert als Erlaubnis, p zu tun, und der Erlaubnis, nicht-p zu tun.“, Weinberger, Norm und Institution, 68. 290 „Indifferent ist definiert als ‚(relativ) erlaubt und ungeboten […]‘“; „‚Absolut erlaubt‘ ist also eine andere Ausdrucksweise für indifferent.“, Joerden, Logik im Recht, 181 f. 291 Vgl. Joerden, Logik im Recht, 182. 292 Dass Verbot und Gebot logisch unvereinbar sind, meint wiederum etwas anderes, nämlich besagte „Exklusionsbeziehung“. Z. B. ist das Lügegebot nicht gleich der Verneinung des Lügever-
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Es ist geboten zu lügen = Es ist verboten nicht zu lügen. Es ist verboten zu lügen = Es ist geboten nicht zu lügen.
Diese Feststellung hat weniger Bedeutung für die logischen Relationen, als dass sie zeigt, dass sich die Mittel auf eine Art von Imperativen beschränken lassen, aus denen die Erlaubnisse folgen. Für eine positive und eine negative Erlaubnis reichen ebenso wie für eine Freistellung (all dies zählt zu den Zwecken) Ge- oder Verbote aus (als Mittel). Das dreigliedrige deontologische Begriffssystem kennt die Grundbegriffe „geboten“, „verboten“ und „indifferent“ (= freigestellt).293 Die ersten beiden lassen sich als ein Imperativ („du sollst in einer gewissen Weise handeln“) zusammenfassen, die Handlung ist pflichtig 294. Für den dritten Begriff (Indifferenz [= absolute Erlaubnis = Freiheit]) reicht daher die Feststellung, dass die Handlung nicht vorgeschrieben, also nicht pflichtig ist (= nicht ge- und nicht verboten). Pflichtig ist die Negation von Indifferent.295 So bleibt es dabei: „Alle Rechte bilden nur das Komplement von Pflichten (und umgekehrt). Man kann das Recht vollständig als ein System von Pflichten beschreiben.“296
Unter „unbewehrten Freiheiten“ versteht Alexy die gezeigte Freistellung i. S. d. bloßen Verbindung von negativer und positiver Freiheit (Lp) und scheint der Imperativentheorie (insoweit) zuzustimmen: Unter logischen Gesichtspunkten seien unbewehrte Freiheiten „nichts anderes als eine bestimmte Kombination von Negationen des Sollens“.297 Letztlich spricht Alexy sich aber für „grundrechtliche Erlaubnisnormen“ aus.298 In der Tat lässt sich die Imperativentheorie ohne die Annahme der freiheitlichen Grundordnung nicht durchhalten. Privatrechtlich erlaubt ist, was nicht verboten ist.299 Die Betrachtung ist nämlich rein formaler Natur; es wird nichts darüber ausgesagt, „ob man Freiheiten als Negationen des Sollens oder das Sollen als Negation von Freiheiten betrachtet“.300 Tritt nun zu der Freistellung das Recht hinzu, „an der Wahrnehmung dieser Freiheiten nicht gehindert zu werden“, wird die unbewehrte zur bewehrten Frei-
bots. Oder einfacher: Nur weil es nicht verboten ist zu lügen, ist es noch längst nicht geboten zu lügen. Siehe auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 184 (dort insbesondere Fn. 90). 293 Vgl. Joerden, Logik im Recht, 189. 294 Sie ist mit einer Handlungs- oder Unterlassungspflicht verbunden, vgl. Joerden, Logik im Recht, 181. 295 Joerden, Logik im Recht, 181. 296 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 234. 297 Alexy, Theorie der Grundrechte, 204. 298 Alexy, Theorie der Grundrechte, 206. Diese sind es wohl, die Portmann als „erlaubende Rechtsnormen mit konstativer Bedeutung“ bezeichnet und deshalb das Dürfen als eigenständige, logische Kategorie fordert, Portmann, Wesen und System, Rn. 52 [Hervorh. im Original]. 299 Wahl, ARSP Beiheft Nr. 65 (1996), 49 (52) dort Rn. 19; siehe auch die Nachweise in Fn. 170. 300 Alexy, Theorie der Grundrechte, 205.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts49
heit.301 Für die Struktur absoluter Herrschaftsrechte ist an der unbewehrten Freiheit vor allem wichtig, dass es niemanden gibt, der dem Berechtigten die Handlung verbieten kann, bei Alexy betrifft dieses fehlende Verbietungsrecht zuvorderst den Staat.302
D. Eine schrittweise Teleologie Bis hierin wurde gezeigt, dass gesetzliche, subjektive Rechte formal mit der Imperativentheorie beschrieben werden können. Danach wurde die notwendige Trennung von materiellem und formalem Recht bei der Betrachtung subjektiver Rechte gezeigt. Sie beginnt bei der Normstruktur. Gleich zu welchem Zweck eine Norm gesetzt wird oder welchen Inhalt sie hat, ist sie auf Befehlssätze rückführbar. Dies hat zwar in einigen Fällen keinen großen Erklärungswert und ist auch wenig anschaulich, es ist aber die kleinste logische Einheit. Der Übergang von der Normstruktur über formales hin zu materiellem Recht und schließlich der Rechtfertigung eines Herrschaftsrechts (Entsprechendes gilt für andere Arten subjektiver Rechte) vollzieht sich in einer schrittweisen Teleologie:303 Dem Berechtigten werden Verbietungsrechte eingeräumt, um ihm einen Freiheitsraum zu geben. Dieser Freiheitsraum ist das Mittel, um dem Berechtigten die für das jeweilige Recht typischen Handlungen zu ermöglichen. Auch dies ist aber nur ein Mittel, um übergeordnete Ziele (z. B. den Gesetzeszweck) zu verwirklichen, der seinerseits einem höheren (z. B. sozialen oder volkswirtschaftlichen) Zweck dienen kann.304 Die formalen Elemente dienen der Realisierung der materialen Zwecke,305 wobei die materialen Zwecke ihrerseits formale Funktion für Zwecke der nächsthöheren Ebene haben.
E. Zusammenfassung und Folgerungen Die Lehren vom subjektiven Recht beschreiben bzw. erklären, wie und zu welchem Zweck die Rechtsordnung Menschen subjektive Rechte einräumt. Dabei kann der Akzent stärker auf die formale Seite („Mittel“) gelegt werden, wofür tendenziell die auf die Einräumung privatautonom gestaltbarer Freiheitsräume ge301
Alexy, Theorie der Grundrechte, 205. „Wenn diese drei Positionen zusammentreten, eine rechtliche Freiheit, ein Recht gegen den Staat auf Nichthinderung und eine Kompetenz, die Verletzung dieses Rechts gerichtlich geltend zu machen, kann von einem voll ausgebildeten negativen Freiheitsrecht gegenüber dem Staat [!] gesprochen werden.“ Alexy, Theorie der Grundrechte, 210 [Hervorh. im Original]. 303 Becker, GRUR Int. 2010, 940 (943). 304 Siehe dazu auch die zum Aufbau von Herrschaftsrechten aufgeworfenen Fragen: 1) Warum wird das Gut geschützt?, 2) Wie wird das Gut geschützt?, 3) Wie wird dieser Schutz rechtstechnisch/dogmatisch umgesetzt?, oben A. III. 1. Der Aufbau von Herrschaftsrechten. 305 I. d. S. z. B. Fabricius, AcP 162 (1963), 456 (471) zum Sacheigentum: „Herrschaftsmacht und Unmittelbarkeit der Sachbeziehung werden durch die Zuordnung des Eigentumsrechts als Rechtsgegenstand vermittelt.“ 302
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
richtete Willenstheorie steht. Er kann aber auch auf die materiale Seite („Zweck“) gelegt werden, die mit der Interessentheorie assoziiert wird. Sie stellt, mit Rücksicht auf gesellschaftliche Verantwortung, d. h. auf die „Lebensbedingungen im weiteren Sinne“, die zugunsten des Individuums geschützten Interessen in den Vordergrund. Eine Verlängerung der materialen Seite sind Theorien höherer Zweckebenen wie etwa die property rights theory (soweit sie sich mit den Zwecken von Verfügungsrechten befasst). Hier verläuft zugleich eine Abgrenzung der individuellen zur kollektiven Betrachtung. Da die herrschend vertretene Kombinationstheorie, um eine gewisse Erklärungsbreite zu behalten, zu allgemein gehaltenen Formulierungen auf der formalen Seite gezwungen ist, muss die Differenzierung über verschiedene Typen subjektiver Rechte geleistet werden, zu denen auch absolute Herrschaftsrechte zählen.306 Die formale, konstruktive Seite subjektiver Rechte ist zudem Gegenstand verschiedener rechtstheoretischer Untersuchungen. Dominant ist dabei die analytisch leistungsfähige Imperativentheorie, die das geltende Recht als logisch geschlossenes System korrespondierender Rechte und Pflichten darzustellen beansprucht (auch wenn Rechtsordnungen praktisch meist nicht geschlossen sind, d. h. es kann – ausnahmsweise – gesetzlich nicht explizit bestimmte Fälle geben). Dies erfasst auch konstitutive Normen und Normen, die Berechtigten ein „Dürfen“ einräumen. Letztere sind dann einerseits das von Binding sog. „Loch im Zentrum des Normenkreises“, ein bloßer Verbotsreflex. Andererseits ist das „Dürfen“ das, was Menschen spontan vorrangig mit dem Konzept Eigentum verbinden. Die von Hohfeld vertretene, erweiterte Konzeption rechtlicher Relationen, die ein „privilege“ einführt, das diesen Zustand exklusiver (statt nur allgemeiner) Handlungsfreiheit abbildet, ist denselben normlogischen Bedenken ausgesetzt. Zwar ist dieses privilege, das exklusive Dürfen, der Kern und die Idee eigentumsartiger Rechte: dem Berechtigten steht die Nutzung als Einzigem frei. Gegen sie und ähnliche Ansätze wurde aber logisch treffend eingewandt, dass das Dürfen kein Mittel, sondern Zweck/Ergebnis subjektiver Rechte sei.307 Der Einwand, dass die für die Imperativentheorie entscheidenden gesetzlichen Befehle logisch nicht weiter als bis zur Feststellung einer Geltungsanordnung rückführbar sind, kann entschärft werden, indem man die Norm als gültigen Befehl versteht. Wie ein solcher entsteht, zeigt die institutional theory of law: Das Verständnis gesetzlicher Regeln als Feststellungen über Tatsachen begeht einen konstativen Fehlschluss. Gesetzliche Regeln sind nicht als die Feststellung, dass etwas gelten soll – z. B., dass bestimmte Handlungen verboten sind – zu verstehen. Vielmehr erfüllt die Rechtsnorm als Äußerung des Gesetzgebers die Funktion, dieses Recht zu geltendem Recht zu machen, das es in einem wahrheitsfähigen Sinne dann auch ist. Sie ist keine Aussage, sondern erfüllt die Funktion einer Anordnung. Dies deckt sich mit Larenz’ Idee von Recht als Geltungsanordnung. Der Gesetzesbefehl 306 307
Siehe oben A. II. Subjektive Rechte. Siehe oben A. III. 1.–5.
§ 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts51
ist damit die notwendige Prämisse, auf der das System aus Sicht des Positivismus aufbaut.308 In der gesamten Diskussion subjektiver Rechte muss zwischen einer formalen und einer materialen Betrachtungsweise unterschieden werden. Die Imperativentheorie gehört ersterer an, sie ist ein starkes analytisches Instrument, sie trifft keine Aussagen über die Zuweisung als Resultat. So zeigt sich, dass das was Hohfeld als no-right und privilege bezeichnet, tatsächlich Effekte von Verbot und Pflicht sind. Verbot und Pflicht sind das Mittel, no-right und privilege der Zweck.309 Die Imperativentheorie lässt sich nach alldem auch gegen den Einwand mangelnder Wahrheitsfähigkeit verteidigen und so im Ergebnis die Notwendigkeit eines eigenständigen Dürfens für freiheitliche Rechtsordnungen ausschließen.310 Positiv gewendet lässt sich eine freiheitliche Rechtsordnung, in der neue, keiner bestehenden Regel unterfallende Handlungen vom Grundsatz her erlaubt sind, mit relativ wenigen Imperativen organisieren. Diese Prämisse der Freiheit kommt in Deutschland besonders prominent in Art. 2 Abs. 1 GG zum Ausdruck, für den das BVerfG die Weichen i. S. e. Begründungslast für Ausnahmen von der allgemeinen Handlungsfreiheit gestellt hat. Es wäre weitaus komplizierter, freiheitsfeindlicher und volkswirtschaftlich nachteiliger, neue Handlungsweisen zunächst explizit freistellen zu müssen. Im Falle absoluter Herrschaftsrechte beträfe dies die exklusive Erlaubnis bestimmter Handlungsweisen mit dem Gut, deren praktisch relevantester Akzent dann doch wieder das Verbietungsrecht gegenüber Dritten wäre. Dieser logischen und praktischen Stärke der Imperativentheorie steht allerdings der Einwand der Erkenntnisarmut entgegen, für Rechtsunterworfene und Rechtsanwender ist Eigentum stark durch seine gewährende, zuweisende Seite definiert.311 Die Kombination von formalem und materialem Element, von Mittel und Zweck greift im Wege einer schrittweisen Teleologie in einer aufsteigenden Reihung ineinander. Diese Reihung beginnt bei Befehlssätzen als kleinster logischer Einheit und endet bei gesamtvolkswirtschaftlichen Zwecken.312 Die vorliegende Untersuchung zur Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte gilt ganz vornehmlich der mittleren, teleologisch-individualistischen Ebene. D. h. sie bewegt sich oberhalb der formal-dogmatischen Konstruktion (Normstruktur) und unterhalber rechtspolitischer oder rechtsphilosophischer Gerechtigkeitsfragen (abstrakter bzw. übergeordneter Zweck).
308
Siehe oben A. III. 6.–7. Siehe oben B. Die Trennung von materialer und formaler Betrachtung. 310 Siehe oben C. Normstruktur und deontische Logik. 311 Siehe oben A. III. 8. Der Erkenntniseinwand gegen die Imperativentheorie. 312 Siehe oben D. Eine schrittweise Teleologie. 309
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands Nachdem kurz die Theorie des subjektiven Rechts behandelt wurde, geht es nun um die Herleitung und die Konstruktion des Rechtsgegenstands und die Bedeutung des Gegenstandsbegriffs im Recht. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Gegenstände in die Rechtsordnung aufgenommen und so weit verrechtlicht werden, dass sie auf andere Rechtssubjekte übertragen werden können. Für die theoretische Grundlegung erscheinen aus den verschiedenen Abhandlungen zum Rechtsgegenstand drei Lehren besonders relevant, nämlich die von Gerhart Husserl, Rudolph Sohm und Karl Larenz. Zu betonen ist, dass es bei diesen Untersuchungen also um keine rechtsgeschichtlichen oder rechtsethnologischen Thesen zur Entstehung des Rechtsgegenstands geht, auch wenn dieser Gedanke angesichts der Rückgriffe Husserls (sogleich B.) auf das römische Recht naheliegen mag. Es geht um die konstruktive Herleitung und die Theorie des Rechtsgegenstands.
A. Einführung Eine im Übergangsbereich von Rechtsphilosophie und -theorie beheimatete Problematik ist die Frage nach dem Ursprung, dem Wesen und dem Austausch des rechtlichen Zueigenhabens. Sie bewegt sich in unmittelbarer Nähe zur Zuweisung von Rechten bzw. Gütern. Ein Beispiel verdeutlicht die Relevanz und Schwierigkeit der Frage: A hält einen Meißel in der Hand, den B gerne dauerhaft benutzen würde. A wäre zu einem Austausch gegen die Axt des B bereit. Was kann A dem B geben, bzw. hat A überhaupt etwas zu geben? Ist der Meißel sein Eigen und bleibt er es, wenn er ihn ablegt? Und wenn ja – kann A sein Eigen an B so weitergeben, dass es zu dessen Eigen wird? Und kann B dieses Eigen wiederum an C weitergeben? Offenbar muss neben dem Meißel als körperlichem Gegenstand noch etwas anderes weitergegeben werden. Dieses Etwas kann aber nicht einfach als das Recht an dem Meißel gedacht werden. Denn in der Rechtswelt, auf deren Ebene sich die Frage stellt, existiert der Meißel nicht. Für diese Nichtexistenz sei vorläufig auf die bekannte Vorstellung verwiesen, dass Sonne, Meer und Wolken für die Rechtswelt auch nicht in dem Sinne existieren, dass sie einem Individuum zugewiesen sein können (wenn auch aus anderen Gründen).313 Güter müssen – nach geläufiger Terminologie – erst zu Rechtsobjekten werden, i. e. ein rechtliches Sein erhalten.
Dies gibt eine – vereinfachte – Vorstellung von der im ersten Abschnitt zu behandelnden Problematik. Mit ihr hat sich vor allem Gerhart Husserl in seinem Werk „Der Rechtsgegenstand“ auseinandersetzt. Dieses wird hier ausführlich behandelt.314 Einem zumindest benachbarten Problem ging vor Husserl schon Kant mit der Frage nach der Möglichkeit eines vom physischen Besitz unterscheidbaren intel313 Vgl. 314
Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 2 I 1 b (55). Siehe unten B. Der Rechtsgegenstand bei G. Husserl.
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands53
ligiblen Besitzes nach: Kann eine Sache auch dann die Meine sein, wenn ich nicht im physischen Besitz derselben bin?315 „So werde ich einen Apfel nicht darum mein nennen, weil ich ihn in meiner Hand habe (physisch besitze), sondern nur, wenn ich sagen kann: ich besitze ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es auch sei, gelegt habe …“
In beiden Fällen geht es um die rechtliche Zuordenbarkeit eines Gegenstandes zu einer Person, und zwar unabhängig von unmittelbarer physischer Gewalt – physischer Besitz allein hilft A aus dem Eingangsbeispiel nicht weiter. Während aber Gerhart Husserl das weit vorgelagerte Problem des Rechtsgegenstandes untersucht, schenkt Kant diesem so gut wie keine Aufmerksamkeit, sondern widmet sich ganz der Möglichkeit und dem Erwerb des äußeren Mein und Dein. Dabei fokussiert er nicht auf das Innenverhältnis Person-Gegenstand, sondern (gemäß seines allg. Rechtsprinzips) auf die Vereinbarkeit von Freiheit und Willkür „in Ansehung eines Gegenstandes“. Entsprechende Bedeutung genießt bei Kant die Relationalität subjektiver Rechte. Während also Kant die Sache als Bezugspunkt relationaler Rechte als existent voraussetzt, stellt Husserl rechtsphänomenologische Überlegungen über deren Wesen, ihr rechtliches Abbild sowie über dessen Herkunft an. Husserls Untersuchungen tragen für einige der hier zu Beginn interessierenden Fragen weiter als die Kants. Denn dessen Rechtslehre beschränkt sich, was Gegenstände (als Gegensatz zu Personen) betrifft, auf Sachen.316 Husserl bedient sich in dem für das vorliegende Thema wichtigen Werk einer teils komplizierten Sprache, die es so weit wie möglich zu vereinfachen gilt. Dennoch werden aufgrund der Bedeutung seiner Terminologie einige wörtliche Zitate erforderlich sein. Die Darstellungsfolge orientiert sich weitgehend an derjenigen Husserls, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
B. Der Rechtsgegenstand bei G. Husserl Damit ist eingeleitet zur Darstellung der Lehre vom Rechtsgegenstand bei Gerhart Husserl. Obwohl sie jünger ist, soll diese Lehre derjenigen von Rudolph Sohm vorangestellt werden, da sie an einem grundlegenderen Punkt, nämlich der Genese des Rechtsgegenstandes ansetzt. Das gleichnamige Buch („Der Rechtsgegenstand“) wird in der Literatur zwar häufiger zitiert, i. d. R. beschränkt sich dies aber auf die ersten und die letzten Seiten, eine umfängliche Darstellung fand sich nicht.317 Zielsetzung des Werks ist eine rechtlogische Genese des Rechtsgegenstandes über mehrere historische Pha315
Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 245 ff., 247. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI (249 ff.). 317 Den gegenwärtig besten Einblick bieten wohl Kreutz, Das Objekt, 252 ff.; HKK/Rüfner, §§ 90–103, Rn. 11; recht umfänglich scheint auch Brecher das Buch rezipiert zu haben, Brecher, Das Unternehmen als Rechtsgegenstand, passim. 316
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
sen,318 wobei der besondere Akzent auf der Ablösung des Rechtsgegenstandes vom bzw. der Zuordenbarkeit zum Individuum liegt. Eine streng historische Betrachtung ist es dabei ausdrücklich nicht; Husserl319 versteht sich als Rechtstheoretiker, nicht als Rechtshistoriker.320 In einer vorrechtlichen Gesellschaft, in der weder Eigentum noch Besitz Rechtsschutz genießen, kann ein Gut in keiner rechtlich relevanten Weise weitergegeben werden. Die Rechtsmacht des Erwerbers vergrößert sich nicht, da Gegenstand der Übertragung kein Recht ist. Husserl zeichnet den von hier ausgehenden Weg nach, der in der Existenz eines entindividualisierten Rechtsgegenstandes mündet.
I. Einleitung Husserl zählt zu den Vertretern der Rechtsphänomenologie. Deren Ansichten eingehend darzulegen ist hier nicht der Ort. Kurz gesagt geht es um „den Versuch, eine Wesenslehre des Rechts zu etablieren. Positiv-rechtliche Elemente (Anspruch, Eigentum, Demokratie) werden hier in eine phänomenologische Welt der Wesenheiten gespiegelt, in der diese Elemente ein vom positiv-rechtlichen Gehalt unabhängiges Wesen finden.“321
Für eine nähere Beschäftigung mit Husserls „Rechtsgegenstand“ spricht nicht, dass die vorliegende Untersuchung einen besonderen Fokus auf die Rechtsphänomenologie hätte. Ausschlaggebend sind zwei konkretere Gründe. Der erste Grund ist der Umstand, dass sich kein Autor vor und nach Husserl in derartiger Tiefe und Abstraktion mit dem rechtlichen Gegenstandsbegriff befasst hat. Der Zweite ist der theoretische Ansatz von Husserls Untersuchung, der ihr einen besonderen Reiz verleiht. Die verschiedenen Autoren, die sich zum Rechtsgegenstand geäußert haben, taten dies keineswegs mit einheitlicher Zielsetzung, worauf noch zu sprechen zu kommen ist. Husserl verschreibt sich als Einziger – und diese Zielsetzung ist der Rechtsphänomenologie geschuldet – einer „grundbegrifflichen Reduktion“ des Rechts, um „allgemeingültige Rechtsbegriffe“ zu finden.322 Dabei geht er davon aus („wissenschaftliche Überzeugung“), dass es „ein materiales Apriori im Recht“ im Sinne „apriorisch vorgezeichneter Möglichkeiten“ gibt, bei dem es sich aber nicht um normative Wertungen, sondern um „eine eigenständige Welt idealer Rechtsgegenstände“ handelt.323
318
Siehe auch HKK/Rüfner, §§ 90–103, Rn. 11. Der Kürze halber steht „Husserl“ von nun an für Gerhart Husserl (und nicht seinen Vater). 320 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, IV f.; siehe auch sogleich I. Einleitung; Kreutz, Das Objekt, 253 f. 321 Depenheuer/Funke, Reinheit des Rechts, 21 (37). Vgl. zur Kritik der Strömung etwa Hassemer/Neumann/Saliger/Kaufmann/von der Pfordten, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 2.2.4.2. 322 Vgl. G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, V. 323 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, IV f.; Larenz, Methodenlehre, 113 f. 319
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands55
Dabei bedient sich Husserl einer „Reduktionsmethode“, mit der er den „Sachverhalt, der um sein Rechtsein befragt wird“, so weit entkleiden will, bis sich die gesuchten Grundstrukturen zeigen: „Unser ganzes Bemühen muß darauf gerichtet sein, vom konkreten Etwas, das uns fraglich geworden ist, das Geschichtlich-Einmalige und Außerrechtliche abzustreifen, um das Wesentliche festzuhalten und seiner selbst in einer ihm adäquaten Erkenntnishaltung habhaft zu werden.“324
Die größte Gefahr bei diesem Unterfangen gehe von der „Apriorisierung empirischer Sachverhalte“ aus, dementsprechend sieht Husserl in rechtsgeschichtlichen wie rechtsvergleichenden Studien keinen Beweis für apriorische Elemente, sondern eher Ausgangsmaterial von Tatbeständen.325 Bei der nachfolgenden Rezeption seiner verschiedenen Exkurse ins ältere Recht muss dies stets bedacht werden. Gleiches gilt für den Umstand, dass Husserls Ausführungen stets vor dem Hintergrund seiner These zu verstehen sind, dass es kein Recht gibt, „das sich der Wesensgesetzlichkeit des Rechts ‚überhaupt‘ (des Systems der reinen Rechtsvoraussetzungen) zu entziehen vermag“.326 Die Suche nach einer gemeinsamen Struktur absoluter Herrschaftsrechte ist schon begrifflich einer gewissen Allgemeingültigkeit verpflichtet. Nur beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf die Suche nach dem für das deutsche Zivilrecht maßgeblichen Aufbau absoluter Herrschaftsrechte. Der ontologische Aspekt der Rechtsphänomenologie ist hier nicht relevant.
II. Die rechtslogische Grundform des Zueigenhabens: Die primäre Eigenrelation Husserl beginnt seine Untersuchungen mit den von ihm zu prüfenden Thesen (§ 1). Sie erscheinen aus der modernen Dogmatik durchaus vertraut. Unter einem dem Rechtssubjekt gegenüberstehenden Rechtsgegenstand sei zu verstehen: „ein werthaftes Etwas, das von einem Rechtssubjekt gehabt zu werden vermag. Das Haben des Rechtsgegenstandes ist ein Zueigenhaben kraft rechtlicher Zuordnung. Wir nennen diese subordinative Rechtsbeziehung, die das Rechtssubjekt mit dem Rechtsgegenstand verbindet, Rechtszuständigkeit.“327
Es folgt die eingangs erwähnte Ablösung und Zuordnung: „Der Rechtsgegenstand besitzt rechtliche Eigenwertigkeit. Er ist bei Wahrung seiner rechtlichen Selbstheit (Identität) des Zuordnungswechsels fähig. Im Rechtsgegenstand hat ein entindividualisierter Machtwille (den das Recht stützt) Vergegenständlichung erfahren.“
Ein zentraler Begriff in Husserls Denken ist die „Eigenrelation“, die in verschiedenen Abwandlungen Anwendung findet. Die primäre Eigenrelation ist das „rechts324
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, V. G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, V; ders., Der Rechtsgegenstand, V f. 326 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, V. 327 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 1 (1). 325 Vgl.
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
logisch erste Zueigenhaben von Gütern“,328 ein „vorrechtliches Machthaben“.329 Husserl rekurriert dafür insbesondere auf den Naturzustand bei Locke330 und dessen naturrechtlichen Eigentumsbegriff, der einzig die Arbeit331 als Quelle des Eigentums zulässt.332 Eine ähnliche, ursprüngliche Form des Eigentumserwerbs findet sich auch in einer viel zitierten Stelle bei Gaius: „Wenn wir also ein wildes Tier, einen Vogel oder einen Fisch gefangen haben, so gehört uns von diesem Zeitpunkt an alles, was gefangen ist, und bleibt begreiflicherweise so lange unser Eigentum, wie es durch unsere Bewachung festgehalten wird.“333
Eigentum im gerade genannten Sinne erwirbt der Mensch an Gegenständen seiner Umwelt durch körperliches Handeln.334 Damit identifiziert Husserl bei Locke, W. Blackstone und Donellus eine „Region des Eigen“, eine „Freiheitssphäre als eine im Wesen unveränderte Entfaltung der freien Persönlichkeit“.335
Die Eigenrelation betrifft nicht nur Träger und Objekt, sondern hat eine „zur Rechtsmacht erhärtete Außenseite“ mit Publizitätswirkung für die Rechtsgenossen, jedoch „keine vom Rechtsträger lösbare Existenz“.336 Diese Unablösbarkeit hängt mit der gleich zu erläuternden Bedeutung der Statustheorie in Husserls Modell zusammen: die (allgemeinere) Dingrelation ist sozusagen Teil der Person, sie ist „einer Lösung von der Person des Relationsträgers unfähig“.337 Überlagert und gleichsam verdoppelt wird die primäre Eigenrelation von der Begründung einer von der Rechtsgemeinschaft gegebenen „Garantie im Falle eines eigenmächtigen und nicht-einverständlichen Eindringens des Rechtsgenossen A in die Eigensphäre des Rechtsgenossen B“.338
328
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 14 (18). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 19 (22). 330 „[…] ein Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken, und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint – ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne von dem Willen eines anderen abhängig zu sein.“, Locke, Über die Regierung, § 4, siehe auch § 6 (unkontrollierbare Freiheit über seine Person und seinen Besitz zu verfügen). 331 Locke, Second Treatise, § 27 („[…] yet every man has a property in his own person: this no body has any right to but himself. The labour of his body, and the work of his hands, we may say, are properly his.“), vgl. zum Zueigenmachen ebd., § 28; zur Arbeitswertlehre (labor theory) ebd., §§ 44 f. 332 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 5 (7 f.). 333 Gai. Inst. 2.67, Übersetzung von Manthe, Die Institutionen des Gaius, 135 [Hervorh. im Original]. 334 Siehe auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 11 IV 5 (488) (tatsächliche Macht/Beherrschbarkeit als entscheidendes Kriterium der Rechtsmacht). 335 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 7 (12). 336 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 61 (70). 337 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 124 (137) (dort Fn. 274); siehe auch § 112 (124). 338 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 13 (17). 329
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands57
Hierin liegt bereits ein erster Schritt der Verrechtlichung. Wichtig ist dabei das Verständnis der Eigenrelation als Modus, genauer, als ein Haben: „Die primäre ER. hat den Charakter einer von der Rechtsordnung anerkannten Relation, auf Grund deren dem individuellen Rechtsgenossen konkrete Güter zu Eigen gegeben sind. […] Es handelt sich bei der primären (und jeder anderen) ER. um einen Zuordnungsmodus, um ein Haben (nostrum esse) von Werten, nicht aber um ein Etwas das gehabt wird.“339
Die Eigenrelation wird später von der Rechtszuständigkeit 340 abgelöst. In dem hier noch betrachteten frühen Stadium der Rechtsentwicklung ist sie es, die ein Gut (Ausschnitt der tatsächlichen Lebenswelt) überhaupt mit rechtlicher Bedeutung versieht: „Die primäre ER. hat Rechtswert.“ Rechtsfremde Güter haben hingegen einen solchen Rechtswert nicht. Sie erhalten ihn erst durch die ER; sie ist der Modus, durch den dem Rechtsgenossen rechtsfremde Güter mit Rechtswert zugeordnet werden: „Die ER. verleiht dem Gut, welches an und für sich, d. h. ohne Rücksicht auf die konkrete Herrschaftsbeziehung, ein rechtsfremdes Sein besitzt, die Qualität eines Eigen.“341
So kann das Zueigenhaben mit dem Charakter einer primären Eigenrelation als Herrschaft bezeichnet werden.342 Die primäre Eigenrelation ist eng personengebunden. Sie kommt als „spezielle Dingrelation“343 von der Person und geht zum Ding,344 deshalb kann sie keine „vom Rechtsträger lösbare Existenz“ haben, sie ist Teil seines „Individualseins“.345 Kurz: Die primäre Eigenrelation entspricht in ihrer Urform als vorrechtliches Machthaben m. E. der den unmittelbaren Eigenbesitz (§§ 854 ff. BGB) kennzeichnenden tatsächlichen Sachherrschaft (in einem sehr engen Sinne).346 Ihre erste rechtliche Anerkennung (verrechtlichte primäre Eigenrelation) gibt für den Gütertausch noch nichts her. Der Veräußerer kann dem Erwerber kein Rechtsgut übertragen. Er kann lediglich auf die eigene Eigenrelation zu dem Gut so verzichten, dass der Erwerber Gelegenheit hat, eine eigene Eigenrelation zum Gut aufbauen. Diese Unzulänglichkeit gehört zum Wesen der primären Eigenrelation, sie kann nicht übertragen werden, sondern bedarf einer erneuten originären Begründung.347 339
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 14 (18). Siehe unten V. Rechtsgegenstand und Rechtszuständigkeit. 341 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 14 (18). 342 Sie ist das „So-Sein“ dieses Zueigenhabens, G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 15 (19). 343 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 56 (63). 344 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 50 (55 f.), siehe auch § 82 (95) („Die primäre ER. kommt vom Individuum und geht zum Gut. In ihr lebt [und tritt sichtbar in Erscheinung] der Herrschaftswille des einzelnen.“). 345 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 61 (70). 346 Vgl. dazu Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, 104 ff. 347 „Wer in zeitlicher Nachfolge des früheren Relationsträgers das gleiche Gut als eigen in Händen hält, hat es so, als ob es niemandem vor ihm gehört hätte. […] Jede primäre ER. ist eine erste, ist ihrem Wesen nach originär.“, G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 105 (118). 340
58
1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
III. Zur Statuslehre Als nächstes wendet sich Husserl dem „Subjekt der primären Eigenrelation“ zu.348 Die Rechtsgarantie trete nicht dem Zueigenhaben von außen hinzu, sondern forme „den Machtwillen des Relationssubjekts in entscheidender Weise um“.349 Zur näheren Beschreibung der Rechtsstellung des Subjekts stellt Husserl auf die Statuslehre der Neuzeit ab. Mit dem Status eines Menschen kennzeichnet diese grob gesagt dessen Stellung in der Rechtsgemeinschaft.350 Ihre bis heute bedeutendste Ausarbeitung findet die Statuslehre bei Jellinek.351 Die Unterscheidung von Recht und Status wird noch einmal wichtig für die Einordnung des Persönlichkeitsrechts und die Trennung von Persönlichkeits- und Immaterialgütern.352 An das Folgende wird daher später anzuknüpfen sein: Jellinek stellt zunächst den Eintritt des Menschen in die Rechtsgemeinschaft dar, der fortan nicht mehr bloß Pflichtsubjekt (was jeder Mensch kraft seines Wesens ohnehin sei), sondern Rechtssubjekt ist: „Ein Wesen wird zur Persönlichkeit, zum Rechtssubjekt erhoben in erster Linie dadurch, dass der Staat ihm die Fähigkeit zuerkennt, seinen Rechtsschutz wirksam anzurufen.“353
Sodann verwirft Jellinek die Vorstellung der Persönlichkeit als Recht354 und führt aus: „Die Persönlichkeit ist theoretisch eine das Individuum qualifizierende Beziehung zum Staate. Sie ist juristisch daher ein Zustand, ein Status, an den das einzelne Recht anknüpfen kann, der aber selbst nicht Recht ist.“355
Jellinek unterscheidet vier Status. Der passive Status (status subiectionis) bedeutet nicht mehr als die Unterwerfung unter den Staat als Adressat von Ge- und Verboten; in ihm ist „die Selbstbestimmung und daher die Persönlichkeit“ noch „ausgeschlossen“.356 Der negative Status (status libertatis)357 gewährt der Person „eine staatfreie, das Imperium verneinende Sphäre“, eine „individuelle Freiheitssphäre“.358 Eine solche „unbewehrte rechtliche Freiheit“ liegt bei nichtpflichtigen
348
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 59 ff. (67 ff.). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 58 (66). 350 Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, 168. 351 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 94 ff.; hierzu Sachs, Verfassungsrecht II, Kap. 4 Rn. 39 ff.; Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, 125 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 229 ff. 352 Siehe unten § 11 B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. 353 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 82. 354 Unter Bestätigung der berühmten Verneinung eines Eigentumsrechts an den eigenen „Geisteskräften“ bei Savigny, System, Bd. 1, 335 f. 355 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 82 ff. 356 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 86; Alexy, Theorie der Grundrechte, 231. 357 Vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 94 ff. 358 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 87. 349
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands59
Handlungen vor, die also weder ge- noch verboten, mithin rechtlich irrelevant sind.359 Ansprüche gegen den Staat und die rechtliche Fähigkeit, „die Staatsmacht für sich in Anspruch zu nehmen, die staatlichen Institutionen zu benutzen“ verleiht der positive Status (status civitatis).360 Hier wird auch das (zivil)rechtliche Können (Alexy: „Kompetenz“)361 zu verorten sein, denn dieses beruht darauf, dass dem Individuum „ausdrücklich die bisher nicht vorhandene Fähigkeit eingeräumt wird, in seinem Interesse staatliche Anerkennung und Tätigkeit zu fordern“.362 Kompetenzen wie die, einen rechtswirksamen Vertrag schließen oder Eigentum erwerben zu können, zählen jedenfalls nicht zum vierten Status, dem der aktiven Zivität (aktiver Status).363 Er fügt die Person der staatlichen Organisation als Glied ein,364 sie hat die Kompetenz zur „Teilnahme am Staate“.365 Sie kann z. B. wählen, eine öffentliche Versammlung beantragen oder eine Partei gründen, soweit dies Kompetenzen im Staat-Bürger- und nicht im Bürger-Bürger-Verhältnis betrifft. Ganz ähnlich hängt nun auch nach Husserl der Status nicht davon ab, ob die Person bestimmte Rechte trägt, sondern dass sie ein „spezifisch rechtliches (abstraktes) Können“ besitzt.366 Die „vorrechtliche Sozialwirklichkeit“ wird „von der Rechtsordnung erfaßt“ und der Person „erneut zugeordnet“: Aus dem „vorrechtlichen Haben“ wird ein „Haben-Sollen.“367 Das Recht kann also nicht außerpersönlich sein,368 sondern das Personenrecht und damit der Status der Person „zentriert“ in der Person – das rechtliche Können wurzelt im „Rechtsgenossesein“,369 was den „status personae“ voraussetzt.370 Dieser ist unmittelbar an das „Willensfundament einer existenten Person“ gebunden: 359
Alexy, Theorie der Grundrechte, 233 f. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 87, siehe auch 121 (er verleihe dem Einzelnen „die rechtlich geschützte Fähigkeit, positive Leistungen vom Staate zu verlangen, für den Staat die rechtliche Verpflichtung, im Einzelinteresse tätig zu werden“). 361 Alexy unterscheidet drei Weisen, auf die die Rechtsordnung den Handlungsspielraum des Einzelnen aktiv vergrößern kann: 1) durch die Einräumung privatrechtlicher (z. B. Vertragsschluss, Eigentumserwerb) oder öffentlich-rechtlicher (z. B. Wahlrecht) Kompetenzen; 2) durch die Statuierung von Schutznormen (insbesondere Strafrecht) sowie 3) durch die Gewährung von Rechten auf Leistungen i. e. S., Alexy, Theorie der Grundrechte, 222. 362 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 48. Zur Bedeutung des rechtlichen Könnens als positiver Gehalt absoluter Herrschaftsrechte siehe unten § 9 G. III. 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht; § 12 D. II. 3. Die Verfügungsmacht als positive Berechtigung. 363 Alexy, Theorie der Grundrechte, 242. 364 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 139. 365 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 139; Alexy, Theorie der Grundrechte, 242. 366 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 68 (79). 367 G. Husserl, AcP 127 (1927), 129 (177 f.). 368 Entsprechend werden subjektlose Rechte als „widersinnig“ verneint, denn: „Ein subjektives Recht ‚ist‘ nur als Recht jemandes, der es ‚hat‘“, G. Husserl, AcP 127 (1927), 129 (179). 369 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 68 (79). 370 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 63 (70) („Wir nennen das personale Fundament allen rechtlichen Könnens den Status personae.“). 360
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Die Rechtsmacht ist „die rechtliche Außenseite der primären ER. Das ‚Außen‘ ist nichts ohne das ‚Innen‘, welches die Wesensgrundlage der ER. bildet. Die Willensvorgeschichte des zur Rechtskategorie umgewerteten Zueigenhabens lebt im Personstatus fort.“371
Im status personae liegt also ein erstes rechtliches Können, das aber noch keiner Übertragung auf andere Personen fähig ist. Diesen Status setzt Husserl nun ins Verhältnis zum subjektiven Recht und der darin enthaltenen Rechtsmacht: „Damit das verfügbare subjektive Recht zur Person (dem Rechtssubjekt) in eine daseinsmäßige Beziehung trete, bedarf es eines Prozesses der Aktualisierung des im Rechtsgegenstand abstrakt gewordenen, rechtslogisch auf jedermann bezogenen rechtlichen Könnens. Die dem Rechtsgegenstand immanente Rechtsmacht zu aktualisieren, ist das Individuum befähigt, indem es eine Rechtsperson ist. Im status personae steckt eben diese Fähigkeit, Rechte sich zueignen, sie haben, sie abstoßen zu können.“372
Damit gibt Husserl eine Antwort auf eine konstruktiv wichtige Frage. Denn das Verhältnis der mit einem Recht einhergehenden Verfügungsmacht zum subjektiven Recht wie zur Rechtsinhaberschaft ist keineswegs geklärt. Es ist streitig, inwieweit die Verfügungsmacht Teil des subjektiven Rechts ist oder ob sie eine unabhängige, vom Recht zu unterscheidende Größe ist und inwieweit sie an eine bestimmte Fähigkeit/einen Status der Person anknüpft.373
IV. Entwicklung des Rechtsgegenstands Für den weiteren Gang der Arbeit zentral ist die Entwicklung des Rechtsgegenstands bei Husserl. Wie gesagt geht es ihm nicht um eine historische Reihenfolge, sondern um eine rechtstheoretische Grundlegung. Selbst, wenn man in einigen Punkten anderer Ansicht sein mag, scheinen die Kerngedanken zur Konzeption und Funktion des Rechtsgegenstands wohl erhalten zu bleiben.
1. Das Gut im Rechtsstreit Der erste Schritt vom reinen Personen- zum Gegenstandsrecht – auf dem Weg zum eigenständigen Rechtsgegenstand – erfolgt im Streit um das rechtliche Zueigenhaben des Gutes.374 Indem sich die Parteien in eine von der Rechtsordnung etablierte Auseinandersetzung begeben, entsteht in Relation zu dem Gut g eine thetische Eigenrelation. Sie ist an dieser Stelle kurz zu behandeln, bleibt im Übrigen aber ausgespart:375 Wird das Zueigenhaben der primären ER. von einem Prätendenten im Rechtsstreit bestritten, so stellt sich ein „eigentümlich relativiertes Haben“ ein, – das 371
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 73 (84 f.). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 68 (79); siehe auch § 75 (87). 373 Dazu unten § 9 G. III. 6. Verhältnis zum subjektiven Recht, IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. 374 Vgl. G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 79 (90 f.), § 103 (115). 375 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 85 ff. (97 ff.). 372
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands61
Rechtsstreitverhältnis bringt mit der thetischen Eigenrelation einen neuen Modus hervor.376 „Thetisch“ steht in diesem Zusammenhang für das Setzen einer These,377 genauer gesagt einer Angriffsthese, die in der Behauptung besteht, „selbst ein im Rechtssinn Habender zu sein“378 . Wie bei Edmund Husserl379 ist der Begriff auf einen Akt (bei E. Husserl auf Wahrnehmungsakte) bezogen. Die thetische Eigenrelation hat also einen aktmäßigen Daseinsmodus,380 sie existiert nur in der Angriffshandlung.
Der Rechtsstreit führt also zu einer rechtlichen Existenz des Gutes in Form eines „Haben[s] dieser oder jener Rechtsperson“, das Gut erscheint als „Gegenstand einer alternativen Zuordnung“.381 Mit der Entscheidung des Streits wird das Haben des Obsiegenden für den Gegner auch für die Zukunft unbestreitbar, ein Angriff seinerseits würde „von vornherein nur nach deliktischen Grundsätzen gewertet werden können“.382 Diese erste, zeitlich begrenzte und auf „schmalster Personbasis“ stehende Existentwerden eines Rechtsgegenstands eröffnet aber den Weg „zur Schaffung von Rechtsgegenständen, welche die Dauerhaftigkeit anderer intersubjektiver Wertgegebenheiten, die für jedermann da sind, besitzen: von Rechtsgegenständen, deren persontranszendentes Sein sie zu einem Dasein befähigt, das nicht von einem Anfang her und auf ein Ende hin ist.“383
2. Vom Tausch zum Kauf Von dieser Möglichkeit „eines Erstarkens der Normposition des Angreifers zu einer neuen, nachprozessualen Dingrelation“384 aus beschreitet Husserl den Weg zum Übergang vom rein faktischen zum rechtlichen Gütertausch.385 Anfangs liege 376
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 97 (107). Thetik ist die Wissenschaft „der Festsetzungen, Thesen oder dogmatischen Lehren (Philos.)“, entsprechend bedeutet thetisch „behauptend, setzend, dogmatisch“, Online/Duden, Fremdwörterbuch (Stichw. „Thetik“, „thetisch“). 378 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 80 (91). 379 Das Adjektiv „thetisch“ spielt in der Philosophie Edmund Husserls eine wichtige Rolle, es kennzeichnet in seiner Phänomenologie menschliche Wahrnehmungsakte. Diese sind durch ein Überzeugtsein charakterisiert, durch ein „Setzen des Wahrgenommenen“. Die Phänomenologie setzt voraus, dass sowohl die Wahrnehmung der Welt als auch Urteile darüber in der „natürlichen thetischen Einstellung“ erfolgen, Ingarden, Einführung in die Phänomenologie Edmund Husserls: Osloer Vorlesungen, 101; E. Husserl, Untersuchungen zur Urteilstheorie – Texte aus dem Nachlass (1993–1918), 165. Siehe auch Arnold/Nolda/Nuissl/Blume, Wörterbuch Erwachsenenbildung, Stichwort „Epoché“: Bei E. Husserl seien thetische Akte setzende Akte des Bewusstseins. Die in der natürlichen Einstellung vorgefundene Welt sei das Resultat besagter Akte; die „durch den Akt der Urteilsenthaltung erreichte phänomenologische Einstellung“ ermögliche hierauf einen Blick von außen. 380 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 117 (129). 381 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 101 (112.). 382 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 102 (114 f.). 383 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 103 (115 f.). 384 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 104 (117). 385 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 105 ff. (117 ff.). 377 Die
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
er noch „im rechtsfreien Raum individueller Machtbetätigung“, der Zuordnungswechsel sei auf die zeitweise fehlende Zuordnung des Gutes, gefolgt von einer durch den Erwerber neu zu begründenden primären Eigenrelation angewiesen: „Der Gütertausch sieht dann so aus: Der derzeitige Relationsträger sondert das Gut aus seiner Wertregion aus, indem er seinen Herrschaftswillen von diesem Objekt ‚zurückzieht‘, das er einem fremden Zugriff preisgibt. Der andere greift auf das Gut und ordnet es kraft Eigenmacht seiner Herrschaftssphäre ein. Es ist ein Bild sittenmäßig gebundener Gewaltübung und Gewaltduldung […].“386
Demgegenüber verhalte sich das Recht „passiv“, es nehme davon nur Kenntnis. Um aktiv einzugreifen, müsse die Rechtsgemeinschaft dem Zueigenhaben einen „rechtlichen Anfang“ geben, indem sie den geschichtlichen Tatbestand, also den „Nahmeakt“ der einen und das noch unklare „Willensverhalten“ der anderen Seite, verrechtliche.387 – Auf diese Entwicklung weist auch Sohm388 hin. – Die vorrechtliche Machtrelation der Beiden müsse „in ein Rechtsverhältnis überführt“ werden, um für die neu begründete Eigenrelation einen Rechtstitel zu schaffen.389 Der Nahmeakt des S(ukzessors) und das korrespondierende Willensverhalten des A(uktors) müssten so umgeformt und rechtlich stabilisiert werden, dass sich der – in diesem Stadium noch deliktische Folgen nach sich ziehende – Zugriffsakt des S nicht mindernd auf dessen Personstatus auswirkt.390 Dafür findet in einer ersten Phase eine „Willensumstellung des Relationsträgers A in bezug auf g“ statt, A sondert g aus.391 Hat A damit seine „Dingrelation“ zum Gut gelöst, verbleibt seine Rechtsmacht, die sich nun als durch den Angriff des S „aktualisiertes rechtliches Können“ darstellt, auf das A verzichten kann, ohne durch den Zugriff Schaden in der eigenen Rechtspersonalität zu erleiden.392 In diesem Stadium stellt sich der Vorgang aber noch als Vereinbarung eines deliktischen Eingriffs dar, für den A von S eine „Bußzahlung“ erhält.393 Hier stellt Husserl die entscheidende Frage: „Was ist als Gegenstand dieses urtümlichen Kaufrechtsgeschäfts anzusprechen, was ist das ‚wofür‘ der Zahlung, die der Erwerber des Gutes g (eines Grundstücks etwa) zu leisten hat? […] g hat […] keine rechtliche Existenz; es ist kein Rechtsgegenstand. Und das Zueigenhaben von g, die spezielle ER., welche dieses Gut zum Relationsobjekt hat, ist keine intersubjektive, 386
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 106 (118). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 106 (118 f.). 388 Vgl. Sohm, JherJb 53 (1908), 373 (381 ff.) („Eigentum und Forderungsrechte sind durch ihre Umwandlung in veräußerliche Rechte aus personenrechtlichen Befugnissen zu Vermögensrechten geworden.“, 382); Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (204 ff.). 389 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 106 (119). 390 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 107 f. (119 ff.). Dem Rechtsbrecher droht der „Personverfall“, ebd., § 114 (126). 391 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 110 (122). 392 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 110 (122 f.). Denn: „Auf das generelle rechtliche Können verzichten, welches die ‚Norm negativen Sollens‘ auf den Träger der primäre ER. reflektiert, hieße in einer entscheidenden Richtung die eigene Rechtspersönlichkeit verleugnen.“, ebd., § 111 (123). 393 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 111 (123). 387
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands63
das ist auf jedermann bezogene Gegebenheit; vielmehr ein Etwas von personaler Wesensbeschaffenheit, für das ein Subjektwechsel niemals in Frage kommen kann.“394
Einfacher formuliert fehlt es dieser einfachen Form des Erwerbs an einer Erklärung, was es ist, das rechtlich betrachtet erworben wurde. Die Antwort findet sich im folgenden Teil: Im Kaufrechtsgeschäft sind die beschriebenen (Tausch)handlungen der beiden Kontrahenten zu Rechtsakten umgeformt. Husserl betrachtet hierfür als ursprüngliche Form die römische Mancipatio,395 bei der der Erwerber (S) die Sache ergreift und die Formel spricht, während A stumm das Geld entgegennimmt. Da A sich auf das Geschäft willentlich eingelassen hat, kann die im Zugriff liegende Gewalt als eine „geduldete Gewalt“ von normalen Angriffen abgesondert werden.396 Lässt sich A seinen Widerspruchsverzicht abkaufen,397 macht er das Zueigenhaben des S unbestreitbar. Aus seiner thetischen Eigenrelation wird damit eine finale Eigenrelation.398
3. Die finale Eigenrelation als endgültiges Haben Die finale Eigenrelation ist ein „endgültiges Haben“, ein „zu Unbestreitbarkeit erhärtetes rechtliches Können, das in dieser seiner Relativität eine Rechtsgegebenheit ist, die alle Rechtsgenossen gelten lassen müssen“.399 Die finale Eigenrelation wirkt gegenüber den Rechtsgenossen also nur insofern, als sie die Klärung der besseren Berechtigung respektieren müssen, die zwischen den beiden Parteien erfolgte. Sie beinhaltet außerdem das Anerkenntnis der Unbestreitbarkeit durch den Unterlegenen. Die Abwehr weiterer Prätendenten bewirkt sie nicht. Die finale Eigenrelation ist die erste „isolierte, von der Individualsphäre des Relationsträgers gelöste Rechtsmacht“.400 Sie bezieht sich auf dasselbe Gut wie die thetische Eigenrelation, das nämlich zwischen den Parteien liegt und von den Prätentionen beider Parteien festgehalten wird.401 Personal unterscheidet sich die finale von der primären Eigenrelation aber dadurch, dass sie allein auf den Personstatus und nicht den Menschen als solchen („das dahinterstehende Individuum in seiner vorrechtlichen Personenganzheit“) abstellt.402 394
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 112 (124). Mancipatio ist nach Gaius „eine Art symbolischen Verkaufs“, Gai. Inst. 1.119. Sie hat eine doppelte Wirkung, sie macht sowohl den Erwerber zum Eigentümer und begründet außerdem die Gewährschaftshaftung des Veräußerers (siehe hierzu Fn. 410), vgl. Kaser, Eigentum und Besitz, 109, siehe auch 113 f. 396 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 113 (124 f.). 397 Mit Blick auf die Parallele zur Vindicatio sprechen auch Kaser/Knütel/Lohsse von einem „Abstandsgeld“, Römisches Privatrecht, § 17 Rn. 4. 398 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 115 (127). 399 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 116 (128). 400 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 116 (128). 401 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 130 (147). 402 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 130 (148). 395 Die
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Anders als die primäre Eigenrelation (in der A zu dem Gut stand) hat die finale Eigenrelation „eine Vorgeschichte“, die „als wesentlicher Konstitutionsfaktor“ in ihr fortwirkt; diese Vorgeschichte und zugleich ihre Daseinswurzel ist die Entscheidung bzw. das Ende des Rechtsstreits.403 Diesen Punkt betont Husserl noch einmal: Die finale Eigenrelation folgt gerade nicht aus der primären Eigenrelation, sondern nur aus dem Rechtsstreit und seiner Entscheidung.404 Das Zueigenhaben hat universale Rechtsgeltung, es wirkt inter omnes, während allerdings die Unbestreitbarkeit auf die Parteien beschränkt bleibt.405 Die aus dem Rechtsgeschäft entstandene finale Eigenrelation sei eine universale Dingrelation des S. Aufgrund ihrer Geschichtlichkeit nennt Husserl sie „kausale ER.“ Anders als die primäre Eigenrelation ist sie in Richtung auf die Vergangenheit beschränkt, sie hat ihren „Rechtsanfang“ im Vollzug des Kaufgeschäfts: „S hat, nachdem A vor ihm gehabt hat.“.406 Die durch S (den Erwerber) im Wege des Kaufs begründete Dingrelation nennt Husserl „titulierte Dingrelation“: „Das Kaufgeschäft wirkt zugunsten des Erwerbers S als ein Erwerbstitel fort, auf den er sich muß berufen können, wenn sein Haben später angezweifelt wird.“407
Der Entstehungstatbestand der kausalen Eigenrelation beinhaltet keine zwischenzeitliche Dereliktion mehr. Anders als der „vorrechtliche“ Gütertausch funktioniert der Kauf über die Anerkennung (per gültigem „Rückgriffsverzicht“) des über die Garantienorm abwehrbaren Eingriffs als Erwerbsakt – A lässt sich die „reaktive Geltendmachung der Garantienorm abkaufen“.408 Die kausale Eigenrelation hat eine „vom Recht geformte […] Vorzeit“, die ihr zugehörig ist, allerdings auf die ursprüngliche Eigenrelation des A zurückgeht. Letztgenannte muss nämlich im Prozess bestehen: „S macht in der Verteidigung geltend, er verdanke, was er in bezug auf g rechtlich vermöge, der Nachfolge in die Dingrelation A-g.“409
Diese Angewiesenheit auf die vormalige Rechtsstellung des Veräußerers führt Husserl zum Rechtsinstitut der Gewährschaft.410 Es zeigt sich, dass die mehrfache 403
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 116 (127); § 117 (129). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 117 (129). 405 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 119 (130 f.). 406 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 119 (131). 407 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 119 f. (131 f.). 408 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 122 (135). 409 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 123 (135 f.); § 124 (137). 410 Im altrömischen Recht konnte der Erwerber vom Veräußerer verlangen, ihn bei der Verteidigung der gekauften Sache gegen einen prätendierenden Dritten zu unterstützten – der Veräußerer haftete für „Gewährschaft“ (auctoritas). Er kannte die rechtliche Vorgeschichte des Gutes i. d. R. besser, konnte seinerseits aber ebenfalls die Verteidigung an den Vormann weitergeben, wenn er von ihm die Sache auf Grund eines Kaufs per mancipatio erworben hatte. Diese Kette ließ sich am wirkungsvollsten durch eine „gegen jedermann (‚absolut‘) gesicherte Erwerbsposition“ abbrechen, wofür insbesondere die (auch von Husserl betonten) Gründe der Ersitzung (usucapio) oder „ursprüngliche“ Erwerbsgründe wie eigene Herstellung oder Jagd in Frage kamen, vgl. Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, §§ 32 ff. (129 ff.). 404
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands65
Weiterveräußerung eines Guts die Darlegung eines „rechtgemäßen Daseinsbeginns“ schwierig gestaltet, da ein Rückgriff (innerhalb seiner Daseinsvorgeschichte) nur auf den Gewährsmann möglich ist.411 Dieser Rückgriff erübrigt sich aber, „nachdem die neubegründete Herrschaft des Erwerbers eine gewisse Zeit angedauert hat“ – die „von einem sinnlich bekundeten Machtwillen getragene Dingrelation“ hat „den Rechtswert einer anfangslosen primären ER.“.412 Die Ersitzung ermöglicht „die Abwehr der Frage nach dem ‚woher‘ des ersessenen Gutes“ – der Rechtsstreit verlagert sich auf die Frage der Dauer der bisherigen Herrschaft.413 Nur hat sich die kausale Eigenrelation zurückentwickelt zur primären Eigenrelation (Erwerb kraft Zeitablaufs).
4. Herausbildung eines Etwas von rechtlicher Eigenwertigkeit Weg von der Ersitzung und zurück zur Entwicklung des Rechtsgegenstandes über die kausale Eigenrelation: Was ist es nun, das S von A erhält, was ist der Gegenstand des Kaufs? S bleibt Dritten gegenüber auf seinen Auktor – A – angewiesen, während er im Innenverhältnis „die erhöhte Geltungskraft eines unbestreitbaren Handelns für sich in Anspruch nehmen“ kann.414 Wenngleich noch kein eigentlicher Rechtsgegenstand in Sicht ist, fand doch in Bezug auf „das eine, in Wertidentität festgehaltene Gut“ ein „rechtsgeschäftlich vermittelter Zuordnungswechsel“ statt. Da aber A wie S in Dingrelation zu g stehen, untereinander durch den Kauf rechtlich verbunden sind („Rechtsnexus“), und dies auch für weitere Erwerber und Veräußerer dieses Guts gilt,415 sieht Husserl neben g nun das „betroffene werthafte Ding“ d, das „die Qualität eines Etwas von Rechtserheblichkeit“ besitzt.416 Das „vormalige Zueigenhaben des A“ ist d „mitgegeben“: „Die personale Vorzeit der kausalen ER. lebt in d sinnlich-dinghaft vergegenwärtigt fort“.417
Es zeigt sich eine Abspaltung des Gutes g, „das als dasselbe Ding (oder Dingderivat) von Hand zu Hand gegangen ist“ vom „Relationsetwas d, welches dem gegenwärtigen Relationsträger S im Modus der kausalen ER. zugeordnet und in eben dieser Zuordnung als ein Etwas von rechtlicher Eigenwertigkeit für das Recht da ist“.418 d ist eine erste dinghafte „Vergegenständlichung des Machtwillens“.419 Um d ein „weltoffenes Dasein für alle“ zu verleihen, bedarf es seiner Ablösung vom betreffenden Relationsträger und seiner Vorfahren – d muss abstrahiert werden.420 411
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 124 (138). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 125 (139). 413 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 125 (141). 414 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 126 (143). 415 Husserl spricht voneinander folgenden, „durch einen Rechtsnexus miteinander verbundenen Dingrelationen“, G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 127 (144). 416 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 127 (143 f.). 417 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 128 (144). 418 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 129 (145). 419 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 129 (146). 420 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 129 (146). 412
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
5. Iniurecessio und Rechtsgegenstand Sozusagen als letzte Stufe zum Rechtsgegenstand, widmet Husserl sich der iniurecessio. Diese stellt sich im altrömischen Recht (sehr grob formuliert) als eine Art Zweckentfremdung der Vindikationsklage dar.421 Indem der Zedent auf die Spruchformel des Zessionars, mit der dieser sein Eigentum behauptet hat, keine Gegenbehauptung aufstellt, wird das Gut dem Zessionar zugesprochen.422 Sie ist von der Mancipatio verschieden. Sie begründet auch kein Rechtsstreitverhältnis, sondern bedarf einer eigenen rechtstheoretischen Erklärung. Der wichtigste Unterschied liegt darin, dass nicht ein Normverstoß erst begangen und dann abgegolten wird (mit dem Resultat d), sondern von Beginn an feststeht, dass eine „normative Zuordnung“ in Bezug auf das schon vorgefundene d (den Zessionsgegenstand) stattfindet, i. e. der Zessionar dieses zu eigen haben soll.423 Die Iniurecessio wird von einem „auf dieses Ziel eines rechtsgültigen Zuordnungswechsels gerichtetem Parteiwillen“ getragen.424 Was der Iniurecessio in den Augen Husserls im Vergleich zur Mancipatio insbesondere fehlt, ist „der Herrschaftswille eines Individuums“, das sich das betreffende Gut „unter Einbruch in die Wertregion eines anderen zueignen will“.425 Die Iniurecessio zeichne sich vielmehr aus durch das Weichen (cedere in iure), also den „wertbezogenen Freigabeakt“, den „Akt der Selbstverurteilung“, der demselben „Etwas“ gelten müsse wie die Vindikation.426 Dieses Etwas sieht Husserl im Objekt der kausalen Eigenrelation als ein von Gut g zu unterscheidendes „Etwas von Rechtserheblichkeit“, dem eben benannten Ding d.427 Die Iniurecessio funktioniert zweiaktig. Zunächst sondert der Zedent das Gut aus.428 Damit ist die Iniurecessio aber noch „imperfekt“. Der Akt bewirkt eine „in ihrer temporalen Beschaffenheit abgewandelte kausale ER“ und wird von einem zweiten davon abstrakten Akt gefolgt.429 An dieser Stelle vollzieht sich die Substitution des werthaften Guts g durch das eben gezeigte „Relationsetwas“ d (das als „ein Etwas von rechtlicher Eigenwertigkeit für das Recht“ von seinem „rechtsgeschäftlichen Daseinsgrund“ abgelöst wird).430 Im Zeitpunkt, in dem der Zedent das d für den Zugriff des Zessionars bereitstellt, wird d zu d1, da es neben der „rechtlich geformten Vergangenheit“ anstellte der personengebundenen Geschichtlichkeit nun eine „normative Zukunft“431 in sich trägt: 421 Vgl.
Honsell, Römisches Recht, 34. Gai. Inst. 2.24, siehe auch 4. 92. 423 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 135 f. (155). 424 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 136 (155). 425 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 133 (151). 426 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 134 f. (153 f.). 427 Vgl. G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 135 (155); siehe auch § 127 (143 f.). 428 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 136 (155). 429 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 136 (156). 430 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 136 (156) sowie §§ 127–129 (143 ff.). 431 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 137 (158) (Durch „Inbeziehungsetzung von d zu der 422
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands67
„Der ER. des Z1 ist ein Ende gesetzt, und es steht fest, daß d1 auch dieses Ende überdauern wird. […]“ „d […] erfährt eine wesensmäßige Lösung von dem Band dieser individuellen, (noch) daseienden ER. des Zedenten.“432
War Ergebnis des Rechtsstreits eine finale ER. des Gewinners, ist Ergebnis der Iniurecessio eine „abgewandelte finale ER.“.433 Dies liegt an der temporalen Neutralisierung, die d in seiner Wandlung zu d1 erfährt: „d1, das temporal neutralisierte Gut, ist ein Etwas, zu dessen Wesen es gehört, daß es nicht zu diesem, nicht zu jenem Rechtssubjekt in ER. steht.“434 – „d1 wird von Z1 nicht mehr, von Z2 noch nicht gehabt […].“435
Der bei kausaler und primärer ER. bestehende Individualbezug des Gutes wird gelöscht; d1 kann nun von jedermann gehabt werden.436 Aufgrund der temporalen „Negation individueller Dingrelationen“ entbehrt d1 jeder personalen Vorzeit und Zukunft, die es erst wieder durch den Erwerb im Modus einer abgewandelten finalen ER. erhält.437 Mit Vollzug der Iniurecessio hat der Erwerber schließlich einen Rechtsgegenstand r „zueigen“, der nun zwar „für alle da“ aber ihnen doch entzogen ist, da die Rechtsgenossen „als Nichtberechtigte das Zueigenhaben dieses Relationssubjekts gegen sich gelten lassen“ müssen.438 Nun ist r aber nur das Ergebnis, i. e. „individuelle Leistung der jeweiligen Iic.“, mithin könnte Rechtsgegenstand nur sein, was auch Gegenstand einer Iniurecessio sein kann.439 Es sei an der Rechtsordnung, r Gelegenheit zu geben, sich als Rechtsgegenstand zu bewähren, rechtstechnische Aufgabe soll sein „einen Weg der Neuzuordnung von r zu finden, bei der es von Rechts wegen als das gegeben und genommen wird, was es ist: ein Rechtsgegenstand“.440
6. Zusammenfassung Langsam schält sich der Begriff des Rechtsgegenstandes bei Husserl heraus: An die Stelle der Aussonderung/Dereliktion und Aneignung des Guts setzt Husserl mit dem ersten Kaufrechtsgeschäft einen Rechtsakt. Der Veräußerer duldet öffentlich gegen Geld den Zugriff des Erwerbers, den er rechtlich hätte abwehren können. Die gerichtliche Auseinandersetzung schafft einen neuen Modus für das Gut g, da künftigen ER. des Zessionars“ wird mit Einleitung des Aussonderungsaktes „eine normative Zukunft hinzugewonnen“.). 432 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 141 (161). 433 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 144 (165). 434 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 146 (168). 435 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, XVIII. 436 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 146 (168). 437 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 147 (170). 438 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 149 (172). 439 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 150 (173). 440 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 150 (174).
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
die Parteien bezüglich g in einem rechtlichen Verhältnis zueinander stehen. Gewinnt eine Partei den Rechtsstreit, so ist sie der anderen gegenüber hinsichtlich g besser berechtigt, nicht aber gegenüber Dritten. Die Beziehung zu g baut auf dem Personstatus und nicht mehr auf dem bloßen Menschsein auf, was an dem Rechtsweg liegt, auf dem g erstritten wurde (zwischen „Rechtsgenossen“). So wird der Erwerb offiziell, weshalb das Zueigenhaben des Erwerbers zwar nicht inter omnes unbestreitbar, aber inter omnes wirksam ist. Die Ersitzung verlagert nun den Rechtsstreit auf die Frage der Dauer der Herrschaft. Über die Entwicklung der Ersitzung wird die Abhängigkeit des g vom Veräußerer gelöst. Allerdings bewirkt die Ersitzung als körperliche Herrschaft von gewisser Dauer eine Rückentwicklung der kausalen zur primären ER. Sukzessor wie Auktor stehen in einer Dingrelation zu g und sind einander durch den Kauf rechtlich verbunden, damit existiert das Relationsobjekt g für die Parteien auch rechtlich („relative rechtliche Existenz“). Durchläuft g diesen Weitergabeprozess mehrfach, wandelt es sich im Laufe der durch die Kaufgeschäfte einander rechtlich verbundenen Dingrelationen zu einem rechtlichen Ding d. In der kausalen Eigenrelation zu d werden die vormaligen Relationsträger sichtbar. Hierin sieht Husserl den Beginn der „rechtlichen Entindividualisierung des Relationsobjekts“. Die Ablösung vom jeweiligen Inhaber (Relationsträger) setzt ein, d wird abstrahiert. Die letzte Stufe zum Rechtsgegenstand – die Iniurecessio – unterscheidet sich von der Mancipatio mangels Durchbruchs des Herrschaftswillens des Erwerbers und vom Rechtsstreit mangels einer Gegenprätention des Zedenten. Sie setzt nicht auf den Ein- oder Angriff des Anderen, sondern auf die freiwillige Aussonderung von d, auf eine „rechtsgenossenschaftliche Leistung“ – die Parteien wollen eine „Normzuordnung“.441 Der Veräußerer lässt nicht einen Eingriff zu, sondern weicht selbst zurück.442 Nach Husserl lässt die „rechtslogische Vorgeschichte“ der Iniurecessio als Relationsobjekt nicht g, sondern allein d zu.443 Dieses wird als Gegenstand der Iniurecessio von seiner personalen Vergangenheit entbunden und kann von jedermann, nicht nur vom geplanten Erwerber, gehabt werden. Sobald der Erwerber die Iniurecessio vollzieht, hat er einen Rechtsgegenstand r zu eigen. Was zu tun bleibt, ist diesen von der Beschränkung seines Daseins auf das Institut der Iniurecessio zu lösen, was Aufgabe der Rechtsordnung ist.444
V. Rechtsgegenstand und Rechtszuständigkeit Endergebnis des gezeigten Prozesses ist ein von der jeweiligen Eigenrelation unabhängiger Rechtsgegenstand. So hat sich auch die Eigenrelation von der finalen Eigenrelation zu einer universeller Geltung teilhaftigen Dingrelation entwickelt.445 Diese Form des Zueigenhabens des Rechtsgegenstandes bezeichnet Husserl als 441
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 133 (151). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 134 (153). 443 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 134 (154 f.). 444 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 150 (173 f.). 445 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 151 (174 f.). 442
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands69
„Rechtszuständigkeit“, sie ermögliche „den Aufbau einer neuen Rechtsregion“; sie trete als „Gegenstandsrecht im Sinn eines Privatrechts von vermögensrechtlicher Struktur“ neben das Personenrecht.446 Die Rechtszuständigkeit ist also – genau wie die verschiedenen Formen der Eigenrelation – ein „Modus“: „Die Rechtszuständigkeit will die einzige juristische Kategorie des Zueigenhabens sein; sie prätendiert Ausschließlichkeit.“447
Daraus folgt die Substitution des Gutes erster Ordnung (z. B. ein Tisch) durch den Rechtsgegenstand erster Ordnung als neues Relationsobjekt.448 Der Modus der Rechtszuständigkeit kann sich auf kein Gut der tatsächlichen Lebenswelt, sondern nur auf einen Rechtsgegenstand beziehen! Der Güterbestand bleibt unterdessen unangetastet, er wird durch das Existentwerden des Rechtsgegenstandes erster Ordnung lediglich „auf eine neue Wertstufe […] hinaufgehoben“.449 Eine Gütervermehrung oder -verminderung findet nicht statt. Rechtsgegenstand erster Ordnung ist das Eigentum.450 Allerdings fasst Husserl Sache und Eigentum als identisch auf!451 Er erklärt: „Dem Recht bedeutet das Ding Eigentum.“452
Da Husserl die Rechtszuständigkeit zur nunmehr einzigen Form der Zuordnung erklärt, müssen alle Differenzierungen innerhalb des Rechtsgegenstandes (und keine mehr in der Eigenrelation) gedacht werden. Soll die „rechtsregionale Zugehörigkeit des Rechtsgegenstandes“ unterstrichen werden, heißt er Eigentum; liegt der Akzent auf der „Wertseite“ nennt Husserl ihn eine Sache.453 Unterscheidet also die gängige Dogmatik das Recht vom Rechtsobjekt, sieht Husserl an dieser Stelle nur die Kategorie Rechtsgegenstand. Ihm scheint klar zu sein, dass sich die Unterscheidung nicht in letzter Konsequenz vermeiden lässt. Denn wiederholt stellt er fest, dass je nachdem die „rechtliche Wesenheit“ oder aber die „vorgegebene Wertwesenheit“ des Rechtsgegenstandes im Fokus der Betrachtung steht, Eigentum und Sache unterscheidbar seien.454 Er plädiert aber für die Erfassung dieser „komplexen Gegebenheit […] in ihrer Seinstotalität“.455
VI. Folgerungen für die Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte Nun wurde Husserls Lehre zur Genese des Rechtsgegenstands so weit dargelegt, dass mit der Darstellung der verbleibenden Teile seines Werks bereits die wich446
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 151 (175). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 156a (181). 448 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 152 (175). 449 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 152 (175 f.). 450 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 152 (175). 451 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 152 (176). 452 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 152 (176). 453 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 152 (176). 454 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 158 (185). 455 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 158 (185). 447
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
tigsten Folgerungen für die Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte gezogen werden können. Auf die folgenden grundlegenden Punkte wird an verschiedenen Stellen zurückzukommen sein. Dass Husserls rechtstheoretische Erklärung historisch nicht immer exakt ist und wohl auch nicht sein will, schadet nicht. Denn seine Rückgriffe auf reale Ereignisse dienen pars pro toto dazu, die rechtstheoretische Notwendigkeit und Herausforderung von Rechtsgegenständen zu zeigen und für deren Entstehung ein hochplausibles, erklärungsstarkes Bild zu zeichnen.
1. Gleichsetzung von Recht und Rechtsobjekt Strukturell gemahnt Husserls Sichtweise an den Umstand, dass unsere Rechtsordnung für die Zuordnung körperlicher Güter keine anderen Rechte als das Eigentum oder eben Derivate desselben kennt, wobei Letztere bereits zu den Rechtsgegenständen höherer Ordnung zählen. Das Recht am körperlichen Gegenstand kann nichts anderes sein.456 Warum kann also von dieser Warte aus kein Eigentum „an“ der Sache bestehen? Weil es kein Eigentum an Nicht-Sachen und keine Sachen ohne die Möglichkeit von Eigentum gibt (dazu sogleich). – Die Schaffung eines Sacheigentumsrechts durch die Rechtsordnung macht Güter zu potentiellen Rechtsobjekten dieses Rechts. Sie steigen damit – d. h. bereits durch diese neu geschaffene Möglichkeit einer Eigentumsrelation – aus der rechtlichen Nichtexistenz in den Kreis der Rechtsobjekte auf.457 Phänomene wie vom Gesetz ausdrücklich genannte „herrenlose Sachen“ (§ 958 Abs. 1 BGB), herrenlose wilde Tiere (§ 960 BGB) oder eigentumsunfähige Sachen458 zeigen, dass diese als Objekte bereits vor der Begründung eines konkreten Eigentumsrechts an ihnen in der Rechtsordnung existieren. Was sie aus der rechtlichen Nichtexistenz emporhebt ist ihre grundsätzliche Sacheigentumsfähigkeit. Ein körperlicher Gegenstand kann in keiner anderen Rechtsrelation als einer Eigentumsrelation stehen.459 Ohne Eigentum gibt es keine Miete, Leihe, Pacht, Grundschuld etc. Umgekehrt kann in der Rechtswelt keine Sache existieren, an der nicht potentiell Eigentum begründet werden kann. Einen körperlichen Gegenstand auf den dies nicht zutrifft, dürfte man nach geläufiger Dogmatik eigentlich nicht als Rechtsobjekt/Sache, sondern nur als „körperlichen Gegenstand“ bezeichnen.460 456 Für Rechtsordnungen ohne Privateigentum gilt dies nicht. Z. B. wäre ein auf einer Art Gemeineigentum basierendes System von zeitlich engen Nutzungsberechtigungen denkbar. Praktisch kam bisher wohl keine Gesellschaft ohne jedes Privateigentum oder zumindest Formen des Privatbesitzschutzes aus, vgl. Heinsohn/Steiger, Eigentum, 91, 95 ff. 457 Vgl. Wendehorst, ARSP Beiheft 104 (2005), 71 (79 f.). 458 Dazu nur Korves, Eigentumsunfähige Sachen, passim. 459 Vgl. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 120 (365 f.) („ein anderes die Sache im Ganzen ergreifendes Privatrecht“ als das Eigentum sei „undenkbar“. „Erscheint dagegen ein dingliches Recht nicht als Eigentum, so kann es auch nicht als ein das Sachganze ergreifendes Recht vorgestellt werden.“). 460 Deshalb gilt: „Das Eigentum ist für den verfügungsgeschäftlichen Verkehr die Sache“, Sohm, Der Gegenstand, 20.
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands71
Diese Nähe von Sache und Eigentum hat überragende Bedeutung für den meistvertretenen Erklärungsansatz der gaianischen Unterteilung von res corporales und res incorporales.461 Auch Husserl erkennt im Rechtsgegenstand erster Ordnung die res corporales wieder: „Indem wir das Eigentum dem zu rechtlicher Eigenwertigkeit gelangten Ding – der Sache – gleichstellen, kommen wir zu einer rechtslogischen Verselbigung von Rechtsgegenstand erster Ordnung und res corporalis.“462
Husserls Ansatz sei noch einmal am Sachbegriff des § 90 BGB verdeutlicht: Kann über einen körperlichen Gegenstand verfügt werden? Nein, denn er ist in der Rechtswelt nicht existent. Kann über eine Sache i. S. d. § 90 BGB verfügt werden? Sie ist zwar Teil der Rechtswelt, die Verfügung wirkt aber nicht auf sie, sondern auf das Eigentum an der Sache. Erst sobald Eigentum an ihr begründet wurde (etwa nach § 958 BGB) kann eine Verfügung stattfinden. Daher vertritt Husserl, dass § 90 BGB ein „Sachgrundbegriff“ zugrunde liegt und pflichtet Sohm 463 darin bei, „daß für den rechtsgeschäftlichen (verfügungsgeschäftlichen) Verkehr das Eigentum mit der Sache zusammenfällt, daß für das Recht die Gegenständlichkeit der Sache, die ihrem Wesen nach eine veräußerliche ist, Rechtsgegenständlichkeit bedeutet“.464
Daher ist zu resümieren, dass der Rechtsgegenstand erster Ordnung eine Kategorie der Rechtswelt ist, die (für körperliche Gegenstände) nicht zwischen Recht und Rechtsobjekt unterscheidet, sondern die beides in einem Rechtsgegenstand erster Ordnung zusammenfasst. Dabei bleibt der Rechtsgegenstand aber auf das Kategoriesein beschränkt! Er ist kein struktureller Begriff wie Rechts- oder Verfügungsobjekt (siehe sogleich bei Sohm), sondern ein Oberbegriff für das, was dem Rechtssubjekt als außerpersonale Wesenheit der Rechtswelt zugeordnet sein kann.
2. Sachbesitz Husserl setzt zum Eigentum kurz den Sachbegriff ins Verhältnis. Der „(nicht-normative) Herrschaftswille des Einzelnen, der vom Individuum auf das sichtbar ergriffene Ding ausstrahlt“ (als Gegenpart zur Rechtszuständigkeit) kann leicht mit dem Rechtsverkehr in Konflikt geraten, da dieser weniger zu juristischen Nachprüfungen als eher dazu neigt, sich „am Dasein publiker Machtverhältnisse zu orientieren“.465 D. h., dass im Besitzer allzu leicht der Eigentümer gesehen wird, weil nicht jeder Fall einer juristischen Prüfung unterzogen werden kann. Diesem 461
Vgl. unten § 4 A. Römisches Recht: res corporales und res incorporales. G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 152 (176). 463 Vgl. Sohm, Der Gegenstand, 16 ff. („Unzählig viele körperliche Dinge, ja weitaus die meisten, sind keine Sachen im Rechtssinne“ [S. 17], „Das rechtliche Wesen der Sache ist, daß sie einen selbständigen Verfügungsgegenstand bedeutet.“ [S. 18]; „Das Eigentum fällt für den verfügungsgeschäftlichen Verkehr mit der Sache zusammen.“ [S. 20]); siehe auch ders., ArchBürgR 28 (1906), 173 (188). 464 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 156 (179). 465 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 156 (181). 462
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Umstand trägt die Rechtsordnung mit einem weiteren Modus („vom Recht […] anerkannte Dingrelation“) Rechnung, dem Sachbesitz, welchem sie „eine gewisse (vorbehaltliche) Anerkennung zuteil werden lässt“. In ihm findet die aus dem Frühstadium bekannte primäre Eigenrelation ihre Fortsetzung. Der Modus des Sachbesitzes bezieht sich auf das Gut (nicht den Rechtsgegenstand!) erster Ordnung, wird von Husserl aber nicht weiter behandelt.466
3. Machtwille und Rechtsmacht Im Rechtsgegenstand erster Ordnung – r – ist der vom Rechtssubjekt ausstrahlende Machtwille dinghaft vergegenständlicht – nur so konnte er überhaupt „entindividualisiert“ werden. In ihm steckt mithin ein Machtwille, der dann durch die Zueignung vonseiten eines neuen Rechtsträgers „aktualisiert“ wird und auf diesen zurückspringt.467 Was das Verhältnis zum Gut g angeht, ist der Rechtsgegenstand erster Ordnung und damit das Eigentum die Rechtsseite des Nutzhabens des Guts erster Ordnung.468 Die Güter bzw. Rechtsgegenstände höherer Ordnung sind abgelöste Schichten der Erstgenannten. Mit der Schaffung des Rechtsgegenstands r findet „eine Verschiebung des zu rechtlichem Können sublimierten Machtwillens von der Person- auf die Gegenstandsseite statt“ – „r ist rechtslogisch auf jedermann bezogen.“469
4. Die Rechtszuständigkeit Objekt der Rechtszuständigkeit ist stets „ein Recht: ein Rechtsgegenstand erster oder höherer Ordnung“.470 Die Rechtszuständigkeit ist nicht mit einem Herrschaftsrecht wie insbesondere § 903 BGB gleichzusetzen – sie ist ein Modus und bleibt stets gleich. Auch für die Immaterialgüterrechte muss ein und dieselbe Rechtszuständigkeit mit unterschiedlichen Rechtsgegenständen erster Ordnung angenommen werden. Dies hängt zusammen mit der im Rechtsgegenstand verkörperten Rechtsmacht. Sie springt auf die rechtszuständige Person über und fügt ihrem rechtlichen Können etwas hinzu.471 Daher sind die typischen Befugnisse des Sacheigentümers Teil des Rechtsgegenstandes und nicht der Rechtszuständigkeit. Die Rechtszuständigkeit ist einer Aufspaltung fähig! Husserl demonstriert dies am Pfandrecht: Der Sacheigentümer hat mit dem Sacheigentum die komplet466 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 156a (181). Zum Vergleich: Ein Gut zweiter Ordnung wäre der „temporäre Sachnutzen“ (§ 165, S. 193), Güter höherer Ordnung sind z. B. die Sonne oder der Mond (§ 157) (182). 467 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 160 (186 f.); siehe zudem oben III. Zur Statuslehre. 468 „Eigentum ist das adäquate Rechtsabbild des Gutes erster Ordnung“, G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 152 (175). 469 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 159 (185). 470 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 164 (191). 471 Siehe oben 3. Machtwille und Rechtsmacht.
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands73
te Rechtszuständigkeit an einem Rechtsgegenstand erster Ordnung. Zugunsten des Pfandgläubigers kann er diese Rechtszuständigkeit so aufspalten, dass dieser rechtszuständig für ein „Rechtsderivat des Eigentums“, einen Rechtsgegenstand zweiter Ordnung ist. Seine Zuständigkeit erreicht also weder das Sacheigentum, noch besteht das Derivat schon vor der Abspaltung: „Erst nachdem ein Recht an der Sache, ein ‚ius in re aliena‘ vom Typus des Nutzungsrechts in der Person des B geschaffen worden ist, kann von zwei Rechten gesprochen werden, von denen das eine – das Eigentumsrecht – in der Sachsubstanz, das andere im temporären Sachnutzen seinen objektiven Ansatzpunkt findet.“472
Das was Husserl als Rechtszuständigkeit bezeichnet, ist später bei Löwisch als „Zuordnungsgedanke“ oder auch als „Güterzuordnung“ zu finden. Diese legt Löwisch als eine der gängigsten Auffassungen zum positiven Gehalt des subjektiven Rechts dar. Er sieht die gewährende Seite des Rechts in dem Umstand, dass der Person das betreffende subjektive Recht – gleich welchen Inhalts! – überhaupt zugeordnet ist. Er gibt aber zugleich die Allgemeinheit dieses Kriteriums zu bedenken und verwirft es daher als Anknüpfungspunkt von Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüchen.473
C. Der Rechtsgegenstand bei Sohm Eine weitere wirkmächtige und grundlegende Lehre zum Rechtsgegenstand stammt von Rudolph Sohm.474 Im Fokus seiner Betrachtungen steht der „Gegenstand“ als im damals noch jungen BGB häufig genutzter und undurchsichtiger Begriff.475 Sein Interesse gilt überspitzt formuliert einem terminologischen Problem, von dem allerdings diverse Rechtsfolgen abhängen. Nach Sohm hängt der Gegenstandsbegriff des BGB untrennbar mit dem Begriff des Verfügungsgeschäfts zusammen: „Verfügungsgeschäfte sind Rechtsgeschäfte über Gegenstände, und nur über Gegenstände kann verfügt werden. Das zeigt ein Blick ins BGB. Die Verfügung taucht nicht auf, ohne den ‚Gegenstand‘ mit sich zu führen.“ – und – „Soviel Gegenstände, soviel Verfügungsgeschäfte. […] Gegenstand im Rechtssinne ist […] was Gegenstand eines Verfügungsgeschäfts sein kann (der Verfügungsgegenstand)“.476
Zugleich verbindet Sohm mit dem Gegenstand ein System des Vermögensrechts im BGB, in dem Gegenstände Sachen und Vermögensrechte sind.477 Seine Über472
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 165 (193). Löwisch, Deliktsschutz, 26 ff., 29 (etwas anderes gelte, wenn die Zuordnung „als solche“ beeinträchtigt werde, eine solche Verletzung der Rechtszuständigkeit komme als Rechtsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB in Betracht); siehe auch unten § 12 A. IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit); § 15 E. Ergebnisse. 474 Sohm, Der Gegenstand, 1905; ders., JherJB 53 (1908), 373. 475 Sohm, JherJb 53 (1908), 373 (392). 476 Sohm, Der Gegenstand, 6 f. 477 Sohm, JherJb 53 (1908), 373 (392). Hierzu HKK/Rüfner, §§ 90–103 Rn. 10. 473
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
legungen zum Sachbegriff sind entsprechend ausgerichtet: Nicht alle „körperlichen Dinge“ seien auch „körperliche Gegenstände“ und damit fähig, „Sachen im Rechtssinn“ (also des § 90 BGB) zu sein.478 Die Anerkennung eines Dings als körperlicher Gegenstand hängt seines Erachtens davon ab, ob es „Gegenstand des verfügungsgeschäftlichen Verkehrs“ sein kann, bzw. „im Verkehr als einheitlicher Verfügungsgegenstand behandelt“ wird. Dies unterliege sittlichen und tatsächlichen Einschränkungen, z. B. seien daher der menschliche Körper oder der Mond kein körperlicher Gegenstand.479 Vermögens- und Verfügungsgegenstände sind in dieser Sichtweise daher dasselbe. Als entscheidende Abgrenzung zum Nichtvermögensrecht (insbesondere zum Personenrecht)480 versteht Sohm die Verkehrsfähigkeit von Rechten:481 „[…] alle veräußerlichen Rechte, wie auch ihr Inhalt sei, sind Vermögensrechte“ – und – „alle aus einem veräußerlichen Recht durch Verfügungsgeschäft hervorgebrachten Rechte sind gleichfalls Vermögensrechte, mögen sie die Eigenschaft der Veräußerlichkeit besitzen oder nicht.“482 „Die Verfügungsgegenstände fallen mit den Vermögensgegenständen, d. h. mit den Vermögensrechten, den aktiven Vermögensbestandteilen zusammen. […] Der Vermögenswert der Vermögensrechte ist nur die regelmäßige praktische Folge ihrer Verfügbarkeit, ihrer Verkehrsfähigkeit. Das Wesen des Vermögensrechts (Vermögensgegenstandes) ist, Verfügungsgegenstand zu sein.“483
Entsprechend bestimmt Sohm die Personenrechte als Statusrechte und damit als unverfügbares Rechtsgut.484 In ihnen verwirkliche sich ein rechtlicher Zustand (Status) der Person und damit unmittelbar die Persönlichkeit selber.485 Die Missbilligung der Teilnahme gewisser Lebensgüter am Rechtsverkehr spiegelt sich also wirtschaftlich darin, dass ihnen die Verkehrsfähigkeit genommen wird und so kein Vermögenswert entstehen kann. Der Wert höchstpersönlicher Lebensgüter kann dementsprechend nicht durch Verfügung, sondern nur durch Realakt verwirklicht werden. „Rechtsgeschäfte des Personenrechts und des Personengüterrechts sind […] personenrechtliche und darum gegenstandslose Rechtsgeschäfte.“486
Ein Unterschied zur heutigen Lehre liegt also darin, dass Sohm die Verengung der Beherrschbarkeit und ethischer Grenzen nicht bei der Zulassung als Sache instal478
Sohm, Der Gegenstand, 16 f. Sohm, Der Gegenstand, 17. 480 „Die personenrechtlichen Rechte sind keine Gegenstände. Sie können durch Verfügungsgeschäft weder begründet noch übertragen werden.“, Sohm, Der Gegenstand, 22. 481 Sohm, JherJb 53 (1908), 373 (377); siehe auch ders., ArchBürgR 28 (1906), 173 (191). 482 Sohm, JherJb 53 (1908), 373 (386). 483 Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (185). 484 Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (186 f.). 485 Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (185). 486 Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (196). 479
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands75
liert,487 sondern bereits bei der Anerkennung als (körperlicher) Gegenstand. Der eigentliche Punkt ist aber die beschriebene Gleichsetzung dieser Verengungen mit der rechtlichen Verfügungsfähigkeit, die er von der „Anschauung des Verkehrs“ abhängig macht: „Soviel Verfügungsgegenstände im Verkehr, soviel Sachen im Rechtssinne.“488
Das „rechtliche Wesen“ der Sache wiederum liege in deren rechtlicher Verselbständigung und Verfügbarkeit. So kommt Sohm, wie später Husserl,489 zu einem Verfügungsgegenstand, der Eigentum und Sache vereint: „Das Eigentum ist für den verfügungsgeschäftlichen Verkehr die Sache, und die Gegenständlichkeit der Sache bedeutet für das Recht die Gegenständlichkeit des Eigentums.“490
Freilich ist noch nicht die Abstraktionshöhe Husserls erreicht, zumal es Sohm wie gesagt um den Gegenstandsbegriff des BGB und die zu diesem Zweck erforderliche Abgrenzung von Vermögensrechten geht.491 So ergibt sich für Sohm ein geschlossenes System: Körperlicher Gegenstand und damit Sache kann nur sein, was aus Verkehrssicht Gegenstand des verfügungsrechtlichen Verkehrs ist. Die rechtliche Verkehrsfähigkeit ist sowohl Voraussetzung des Sachbegriffs als auch des Vermögenswerts. Dieser Geschlossenheit wurde mit Recht entgegengehalten, dass der Gegenstandsbegriff ambivalent genutzt werde und unterschiedliche Bedeutungen erfülle.492 In der Tat stimmt Sohms Beobachtung, dass die Verfügung nicht „auftauche“, ohne den Begriff (!) „Gegenstand“ mit sich zu führen, nur für einige, wenn auch wichtige, von ihm angeführte Fälle (§§ 135, 161, 185, 816, 2040 BGB). Von „Verfügungen“ ist im BGB aber auch i. V. m. anderen Bezugsobjekten die Rede. Beispiele: § 137 BGB: Verfügung über ein veräußerliches Recht; §§ 566b, 578a BGB; Verfügung über die Miete; §§ 582a, 583a BGB: Verfügung des Pächters über Inventarstücke; § 747 BGB: Verfügung über einen Gemeinschaftsanteil; §§ 793, 797 BGB: Verfügung über eine Schuldverschreibungsurkunde; § 883 BGB: Verfügung über ein Grundstück oder ein daran bestehendes Recht.
Die Motive wiederum stellten zum Gegenstand kurz fest, dass im Entwurf „unter Sache stets ein körperlicher Gegenstand verstanden wird und daß da, wo eine Norm sowohl auf Sachen als auch auf Rechte sich beziehen soll, der Ausdruck ‚Gegenstand‘ ge487
Vgl. nur MüKoBGB/Stresemann, § 90 Rn. 1 f. Sohm, Der Gegenstand, 17. 489 Siehe oben B. VI. 1. Gleichsetzung von Recht und Rechtsobjekt. 490 Sohm, Der Gegenstand, 17 ff., 20. 491 Insofern gesteht Strecker ihm einen Teilerfolg zu – die „praktisch wichtige Frage […], ob gewisse Gruppen von Rechtssätzen sich gemeinsam auf alle von Sohm als ‚Gegenstand‘ bezeichneten Rechte und nur auf sie beziehen“, habe dieser für § 185 BGB und Normen, die Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, mit überzeugenden Gründen bejaht. Sohms umfassendes, technisches Verständnis des Gegenstandsbegriffs als alles, was Gegenstand einer Verfügung sein könnte, verneint Strecker aber, Planck’s Kommentar/Strecker, 4. Aufl. 1913, vor §§ 90 ff. Anm. 1. 492 Binder, ZHR 59 (1907), 1 (78). Vgl. zum Meinungsstreit HKK/Rüfner, §§ 90–103 Rn. 10. 488
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
wählt ist.“493 Ähnlich äußert sich Planck: „Der Ausdruck ‚Gegenstand‘ bezeichnet nach dem BGB sowohl Sachen als Rechte.“494
Demzufolge sind Sachen und Rechte jeweils Teilmengen des Gegenstandsbegriffs, der wie gesagt im BGB aber auch darüber hinaus genutzt wird, weshalb es noch weitere Teilmengen gibt. Diese Teilmengen können sich im Sprachgebrauch des BGB überschneiden, je nachdem, welchen Anwendungsbereich eine Vorschrift hat. Der Gesetzgeber hat nicht angestrebt, „den Kreis sämtlicher Gegenstände im Einzelnen festzulegen“.495 Zusammengefasst dient Sohms Lehre der Klärung der Funktion des Begriffs „Gegenstand“ im BGB. Die Definition des Gegenstandes durch die rechtliche Verfügbarkeit geht aber nicht durchgängig mit den Vorschriften des BGB überein. Möglicherweise tut man Sohm mit einer solch engen Betrachtung aber Unrecht. Die Begriffe „Gegenstand“ und „Verfügung“ waren mit dem BGB neu eingeführte Abstraktionen der bis dahin bekannten Trennung von „Sache“ und „Recht“ auf der einen und der Benennung der möglichen Rechtsgeschäfte (Veräußerung, Belastung, Änderung, Aufhebung) auf der anderen Seite, die auf eine der damaligen wirtschaftlichen Realität entsprechende Förderung des Austauschs und der Austauschbarkeit von Gütern hindeutete.496 Sohms Ansatz kann daher auch als fortschrittlicher Versuch verstanden werden, den „Anwendungsbereich des BGB über den Kreis der Sachen und Rechte hinaus“ zu erweitern.497 So oder so wird auf die beharrliche Gleichsetzung von Vermögensrecht, Verfügungsgegenstand und Vermögen an späterer Stelle498 zurückzukommen sein. Anzumerken ist noch, dass in den Ausführungen Sohms zur Entstehungsgeschichte des Vermögensrechts bereits einige Gedanken Husserls angelegt sind. Beide beobachten eine allmähliche Ablösung des ursprünglich reinen Personenrechts von der Person, das schließlich als Rechtsgegenstand zu einer selbständigen Existenz gelangt. Mit Husserls Worten bewirkt die „Entindividualisierung“, dass ein Recht für alle Welt „da“ sein kann. Sohm stellt knapper fest, dass das ursprünglich personenrechtlich geartete Eigentum durch seinen Eintritt in den Verkehr zum Vermögensrecht werde, er sieht also – wie Husserl – die Entstehung eines selbständigen Rechtsgegenstandes durch die Veräußerbarkeit bedingt.499
493
Mot. III, 33 = Mugd. III, 18. Kommentar/Planck, 3. Aufl. 1903, vor §§ 90 ff. Anm. 1. 495 Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, 57. 496 Coing/Wilhelm/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 2, 213 (228 f.). 497 Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, 61. 498 Siehe unten § 9 E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff. 499 Sohm, JherJb 53 (1908), 373 (381): „Das die Wandlung bewirkende Rechtsgeschäft ist das Veräußerungsgeschäft.“ 494 Planck’s
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands77
D. Rechtsgegenstände bei Larenz Nicht nur G. Husserl differenziert zwischen Rechtsgegenständen zweier Ordnungen.500 Weitaus wirkmächtiger ist Larenz’ Trennung von Rechtsgegenständen erster und zweiter Ordnung, die er in seinem Lehrbuch zum allgemeinen Teil des BGB vornimmt. Er führt Husserl auch in der Literatur an.501 Umso wichtiger ist es, sich darüber im Klaren zu sein, dass Larenz die Begriffe in einer gravierend anderen Bedeutung verwendet! Die Trennung zwischen tatsächlichem (z. B. körperlichem) Gegenstand und dem gleichsam darüber schwebenden Anknüpfungspunkt der Rechtsordnung („Sache“/„Werk“ o. Ä.) findet nur am Rande statt, nämlich als Unterscheidung von „Gegenständen“ und „‚Gegenständen‘ auf der Seinsebene des Rechts“.502 Der Vereinheitlichung, die Husserl für Eigentum und Sache durchführt, folgt Larenz nicht.
I. Rechtsgegenstände erster und zweiter Ordnung Larenz unterscheidet vielmehr „zwischen den Gegenständen eines Herrschafts- oder Nutzungsrechts, den Rechtsobjekten im engeren Sinne – ich nenne sie ‚Rechtsgegenstände erster Ordnung‘ –, und den Gegenständen, über die ein Rechtssubjekt durch Rechtsgeschäft verfügen kann – ich nenne sie ‚Rechtsgegenstände zweiter Ordnung‘.“503
Larenz nutzt die Differenzierung also in einer strukturellen Bedeutung, während Husserl damit weit abstraktere Kategorien kennzeichnet. Beispiel: A ist Eigentümer eines Fahrrads. Nach Larenz’ Terminologie ist das Fahrrad ein Rechtsgegenstand erster und das Eigentum daran ein Rechtsgegenstand zweiter Ordnung (synonym Verfügungsgegenstand oder -objekt) 504. Husserl hingegen würde unter Gut g das Fahrrad und unter dem Rechtsgegenstand erster Ordnung – r – etwas verstehen, das ungefähr als Fahrradeigentum bezeichnet werden kann, für das der A rechtszuständig ist (genauer: im Modus der Rechtszuständigkeit steht). Würde A das Rad an B verleihen, stellte die rechtliche Erscheinung dieses Vorgangs einen Rechtsgegenstand zweiter Ordnung im Sinne Husserls dar (den Rechtsgegenstand Fahrradleihe) der sich parallel zur Wertschicht des Fahrrads (Gut zweiter Ordnung/Sachderivat = Fahrradnutzen während der Leihdauer) ablöst.505 Eine wirkliche Unterscheidung der juristischen Sache „Fahrrad“ und dem Eigentums- bzw. Leihrecht unterbleibt! Dies hängt mit der Fragestellung Husserls zusammen – ihm kommt es auf die Ablösung einer entindividualisierten, also personenunabhängigen, rechtlichen Kategorie an: ein „materiales Apriori im Recht“.506 Larenz hingegen sucht nur eine Terminologie zur Strukturierung des Rechtsstoffs. 500
Siehe oben B. VI. 4. Die Rechtszuständigkeit. Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (285). 502 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (302). 503 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (285). 504 Vgl. auch das Beispiel bei Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 5. 505 Vgl. G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 21 (24 f.). 506 Vgl. oben B. I. Einleitung. 501
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Larenz identifiziert Rechtsgegenstände erster Ordnung zudem als „außerrechtlich existierende Gegenstände“, während Rechtsgegenstände „zweiter oder höherer Ordnung“ Rechtsgegenstände seien, „die nur für das Recht ‚Gegenstände‘ sind“.507 In seiner Begrifflichkeit ist Larenz den Überlegungen Sohms näher als denen G. Husserls.
II. Rechtsgegenstände dritter Ordnung Nur kurz erwähnt Larenz Rechtsgegenstände dritter Ordnung. Solche lägen vor, falls (!) „ein Recht am Vermögen oder an einem Sondervermögen anzuerkennen wäre, über das einheitlich verfügt werden könnte“,508 und zwar „ein den einzelnen Rechten, die in ihrer Gesamtheit das Vermögen bilden, übergeordnetes, sie in sich aufnehmendes Recht am Vermögen als Ganzen“.509 Ein Rechtsgegenstand dritter Ordnung wäre also nicht bloß ein Recht am Recht („da Gegenstände einer Verfügung immer Rechte oder Rechtsverhältnisse sind“),510 sondern ein Recht, das all die Rechte (= Rechtsgegenstände zweiter Ordnung) zusammenfasst, die das Vermögen bilden. Ein verwandtes Problem stellt sich bei der Auffassung von Unternehmen als einheitlichen Rechtsgegenständen. Insofern verneint Larenz die Existenz von Unternehmen als Rechtsgegenstände erster Ordnung, es sei „bisher noch nicht gelungen […], den Begriff des Unternehmens als eines Rechtsgegenstandes sui generis befriedigend zu definieren“.511 Dies dürfte der Grund dafür sein, dass er Unternehmen bei den Rechtsgegenständen zweiter Ordnung nicht aufgreift. Man könnte hier aber daran denken, die Gesamtheit der Rechte, die an den einzelnen Bestandteilen des Unternehmens bestehen, als Rechtsgegenstand dritter Ordnung aufzufassen. Mangels Anerkennung eines diese zusammenfassenden einheitlichen Rechts am Unternehmen (so wie Larenz es beim Vermögen voraussetzt) bleibt dies aber gleichfalls praktisch irrelevant.
III. Gegenstände „unterhalb“ von Rechtsobjekten? Auffällig an der Einteilung ist, dass Larenz keine Kategorie für Gegenstände „unterhalb“ von Rechtsobjekten bildet, obwohl sich gerade seine Ordnung dafür anböte. Den vertraglichen „Leistungsgegenstand“ nimmt er ausdrücklich von der Betrachtung aus und stellt im Übrigen fest:
507 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (302); so auch in der letzten von Larenz bearbeiteten Auflage, ders., BGB AT (7. Aufl., 1989), § 16 (300); siehe auch Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, 56 (für eine „Unterscheidung zwischen vorrechtlich existierenden Gegenständen auf der einen und den rein normativ bestehenden Rechten auf der anderen Seite“). 508 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (286). 509 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 23 (308). 510 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 23 (308). 511 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (300).
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands79
„Rechtsgegenstände in dem hier interessierenden Sinne sind allein Objekte von Herrschaftsrechten und Verfügungsgegenstände.“512
In der aktuellen Auflage des Werkes zeigen sich zwar teils stärkere Differenzierungen der Kategorien,513 die Frage, ob es auch Rechtsgegenstände erster Ordnung unterhalb echter Rechtsobjekte gibt, wird aber auch dort nicht behandelt. Dies dürfte vor allem an der Fragestellung liegen, die sich vornehmlich auf die Verwendung des Begriffs „Gegenstand“ im BGB und die §§ 90 ff. BGB richtet, in denen es nun einmal um Sachen als Rechtsobjekte geht. Ausgehend von den Betrachtungen Husserls hingegen drängt sich die Frage auf, ob die Rechtsordnung Güter auch auf anderen Wegen als durch die Anerkennung als Rechtsobjekte in den Rechtsverkehr aufnimmt und ihnen zu einem rechtlichen Dasein verhilft. Beispielsweise gibt es Güter, denen die Rechtsordnung Schutz nach § 823 Abs. 1 BGB zuerkennt, die aber nicht Rechtsobjekte von Herrschaftsrechten sind. Dennoch haben sie in der Rechtswelt eine andere Stellung als rein vertraglich bezogene Güter. Dem ist an anderer Stelle eingehender nachzugehen.514
IV. Kritik am Modell Wendehorst hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Einteilung in Rechtsobjekte und Verfügungsobjekte eine gewisse Inkonsistenz aufweist, wenn manche Gegenstände mal als das eine mal als das andere Objekt eingeordnet werden.515 In der Tat sind Immaterialgüterrechte nach Larenz’ Modell Verfügungsobjekte an den betreffenden Immaterialgütern, bei denen es sich um Rechtsobjekte handele. Allerdings finden sich an späterer Stelle im Lehrbuch Rechte als Rechtsobjekte daran bestehender Verfügungsrechte, etwa eines Nießbrauchsrechts oder eines Pfandrechts an einer Forderung, wieder.516 M. E. liegt der Kritik ein zu enges Verständnis des Modells zugrunde. Es handelt sich um ein abstraktes Modell, das nicht fest mit konkreten Gegenständen verbunden ist, sondern dem verfügungsfähigen Recht den Titel „Verfügungsobjekt“ gibt und das, worauf sich das Verfügungsobjekt bezieht, als Rechtsobjekt erfasst. Das Rechtsobjekt kann selbst ein Recht sein, das hier einfach die Funktion (!) eines Rechtsobjekts einnimmt. Der Gegenstand kann aber auch – wie im Falle einer Forderung als Verfügungsobjekt – fehlen. Verfügungsobjekt ist also immer ein Recht über das verfügt werden kann und das sich auf ein Rechtsobjekt beziehen kann, aber nicht muss.517 Rechtsobjekt ist das Objekt von Verfügungsrechten. Je nachdem wie eng man den Begriff definiert, 512
Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (286); Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 3. Neuner, BGB AT, § 24 Rn. 4. 514 Siehe unten § 3 B. Gegenstände im Vertragsrecht. 515 Wendehorst, ARSP Beiheft 104 (2005), 71 (75 f.). 516 Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 88 ff. 517 Siehe auch Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (302) („Daß Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Verfügung das Recht und nicht dessen Objekt ist, ist vollends deutlich bei solchen Rechten, die, wie Forderungen und Optionsrechte, kein Objekt haben, auf das sie sich beziehen.“). 513
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
ist er auf die außerrechtliche Seinswelt beschränkt, man kann ihn aber auch weiter fassen, so dass er auch Rechte und andere nicht-physische Entitäten erfasst. Das Dasein als Rechtsobjekt ist i. S. e. Funktion zu verstehen – eine Sache, eine Erfindung oder ein Recht fungiert als Rechtsobjekt. Aus dieser Sicht ist es nicht unbedingt widersprüchlich, wenn etwa eine Forderung im Falle einer Abtretung ein Verfügungsobjekt ist und in einem anderen Fall als Rechtsobjekt eines Nießbrauchsrechts fungiert. Was man aber als Gesamtkritik anbringen darf, sind Zweifel an dem (alten) Projekt, den Gegenstandsbegriff des BGBs zu definieren. Zwar lassen sich Fallgruppen abgrenzen, in denen er einheitlich verwendet wird (z. B. zu Bezeichnung von Rechtsobjekten oder Verfügungsobjekten), insgesamt hat der Gesetzgeber ihn aber weder einheitlich verwendet noch definiert. Er wird – wie im allgemeinen Sprachgebrauch – in sehr verschiedenen Bedeutungen genutzt, z. B. als Gegenstand eines Rechts, einer Verfügung, eines Rechtsgeschäfts, der Beschlussfassung der Mitgliederversammlung eines Vereins etc. Interessanter ist die Systematik von Larenz und auch die von Sohm für die Dogmatik subjektiver Rechte.
E. Jüngere Untersuchungen zum Rechtsgegenstand Wieder aus einem anderen Blickwinkel erklärt Holch, das BGB verstehe den Gegenstandsbegriff in einigen Fällen „als mögliches Objekt einer Verfügung“ und in anderen Fällen als mögliches „Objekt schuldrechtlicher Verpflichtungen“.518 Holchs Interpretation des Gegenstandsbegriffs scheint eher funktional, gleichsam als archimedischer Punkt rechtlicher Beziehungen zu funktionieren, während Larenz in der Struktur subjektiver Rechte denkt und mit Rechtsgegenständen zweiter Ordnung rechtliche Entitäten in sein Modell aufnimmt. Was Holch als Objekt schuldrechtlicher Verpflichtungen versteht, ist in Larenz’ Verständnis der „Leistungsgegenstand“ als „Gegenstand einer geschuldeten Leistung“, der sich aber längst nicht mit den Rechtsgegenständen erster oder zweiter Ordnung deckt.519
F. Zusammenfassung und Folgerungen I. Genese des Rechtsgegenstands Unter den Arbeiten zum Rechtsgegenstand gibt G. Husserl die wichtigsten Anstöße für das weitere Vorgehen. Die Genese des Rechtsgegenstands bildet die Basis der rechtlichen Güterzuordnung. Die vorrechtliche Güterzuordnung ist eine körperliche (und rein fiktive – es gab wohl nie Gesellschaften ohne irgendwelche Güterregeln bzw. geübte Gewohnheiten im Güterverkehr). Eine rechtliche Güterzuordnung setzt die Existenz des Guts im Recht voraus – den Rechtsgegenstand. 518 MüKoBGB/Holch, 5. Aufl. 2006, § 90 Rn. 1; ebenso Soergel/Marly, § 90 Rn. 1; BeckOK BGB/Fritzsche, § 90 Rn. 3. 519 Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 3.
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands81
Husserl zeigt vor allem das konstruktive Erfordernis auf, einen außerhalb der Rechtswelt existenten Gegenstand (gleich ob körperlich oder nicht), als für die Rechtswelt vorerst inexistent zu betrachten. Er kommt nur als Relationsobjekt einer primären Eigenrelation, eines vorrechtlichen Machthabens in Betracht. Der Aufbau absoluter Herrschaftsrechte muss deshalb ein rechtliches Relationsobjekt, nämlich einen Rechtsgegenstand als Rechtsabbild des außerrechtlichen Guts beinhalten. Diese Abstraktion schafft eine gewisse Einheitlichkeit unter den absoluten Herrschaftsrechten, da mit ihr die (Un)körperlichkeit des Gutes nicht weiter von Belang ist. Ein Auto hat genauso ein Rechtsabbild (Sache) wie ein Roman (Werk). Im einführenden Beispiel520 wurde gezeigt, dass der Tausch521 in einer (konstruierten) nichtrechtlichen Gesellschaft eines Rechtsgegenstandes entbehrt. Die Übergabe eines Werkzeugs verschafft zwar dem Erwerber das Nutzhaben desselben, seine Situation ist rechtlich gesehen aber keine andere als die eines Diebes. Ohne Rechtsgegenstand und Anerkennung rechtlicher Relationen findet beim Tausch nicht viel mehr als ein Ortswechsel des Gutes statt, wenn es auch kaum je eine Gesellschaft gegeben haben dürfte, die keinen Modus kannte, der dem der von Husserls sog. primären Eigenrelation ähnelte.522 Der von Husserl und auch Sohm betonte Prozess der Entindividualisierung schafft schließlich einen Rechtsgegenstand, der für jedermann „da“ ist.523 Dies ermöglicht die Sukzession in Gegenstände unabhängig von konkreten Rechtssubjekten. Sie erfolgt in ein identisch gedachtes Recht und begründet kein neues, inhaltsgleiches Recht. Diese Idee eines gegenständlichen Abbilds der Lebenswelt im Recht und insbesondere der erforderliche Prozess der Entindividualisierung kennzeichnen das Grundproblem vermögensartiger Persönlichkeitsrechte.524
II. Der Modus der Rechtsinhaberschaft Genauso verrechtlicht wird die Beziehung, die die Person zum Gut hat: Aus dem physischen Haben der vorrechtlichen Herrschaft (primäre Eigenrelation) wird ein Haben des Rechtsgegenstandes, die Rechtsinhaberschaft. Was gehabt wird, ist nicht bloß das Recht am Gut, sondern ein Rechtsgegenstand, der das Recht am Gut (z. B. Sache) und das Rechtsabbild des Guts (z. B. Sacheigentum) als Einheit erfasst. Er steht der Person im Modus der Rechtszuständigkeit gegenüber. Dieser Modus kann seinerseits nicht gehabt werden, die Person „ist“ rechtszuständig. Zum körperlichen Gegenstand besteht nach wie vor das Verhältnis der primären Eigenrelation – sie lebt im Besitz fort. 520
Vgl. das Einführungsbeispiel, oben A. Einführung. dürfte eher die Schenkung als der (zweiseitige) Tausch die Vorstufe zu einem von der Person lösbaren Rechtsgegenstand gewesen sein, darum geht es in dem Beispiel aber nicht. 522 Vgl. etwa die Darstellung der altrömischen Fahrnisverfolgung bei Kaser, Eigentum und Besitz, 30 ff. 523 Siehe oben C. Der Rechtsgegenstand bei Sohm. 524 Siehe unten V. Speziell: Persönlichkeit als Rechtsgegenstand?; eingehend unten § 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte. 521 Historisch
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1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Beispiel: Ein Auto kann nicht anders Teil der (deutschen) Güterzuordnung sein, denn als (potentielles) Sacheigentum. Rechtsgegenstand ist daher nach Husserls Lehre das „Autoeigentum“. Dieser Rechtsgegenstand wird gehabt im Modus der Rechtszuständigkeit. Der Eigentümer ist rechtszuständig. Zugleich lebt im Besitz die primäre Eigenrelation des Eigentümers zum körperlichen Rechtsgegenstand „Auto“ fort.
M. E. wäre es an dieser Stelle aber ein Fehler, Husserl in die Zusammenfassung von Recht und rechtlichem Relationsobjekt zum Rechtsgegenstand zu folgen. Der Rechtsgegenstand im Sinne Husserls ist eine Kategorie, nicht aber Teil eines Strukturmodells. Insbesondere sind körperliche Gegenstände schon dann für die Rechtsordnung als Sache existent, wenn an ihnen potentiell Eigentum bestehen kann. Der Modus der Rechtszuständigkeit hat große Bedeutung. Er zeigt, dass nicht das außerrechtliche Gut, sondern der Rechtsgegenstand Verkehrsgegenstand im Rechtssinne und die Rechtszuständigkeit/Rechtsinhaberschaft ein Modus ist. Sie ist kein zusätzliches Recht oder gar etwas, das einem „Forderungseigentum“ oder dergleichen entspräche. Dies zeigt sich auch bei dem von Larenz eingeführten Verfügungsobjekt (bzw. „Rechtsgegenstand zweiter Ordnung“), das – wie unten ausführlich darzulegen ist525 – als eigentlicher Gegenstand z. B. einer Eigentumsübertragung verstanden wird.
III. Rechtsmacht Die im Rechtsgegenstand gebündelte Rechtsmacht steht mit etwas Entscheidendem in Verbindung – nämlich dem Resultat des Rechtserwerbs. Der Rechtserwerb mehrt das rechtliche Können! Normlogisch geschieht dies durch die oben526 angesprochenen Ermächtigungsnormen. Dieser Punkt ist bei der Frage nach dem positiven Gehalt absoluter Herrschaftsrechte wieder aufzugreifen.527 Husserl führt eindringlich vor Augen, wie sich die Willens- und schließlich die Rechtsmacht im Rechtsgegenstand verkörpert und auf den Erwerber zurückstrahlt, mithin dessen rechtlichem Können aggregiert wird. Rechtsmacht ist ein Teil des Rechtsgegenstandes: Wird der Gegenstand weitergegeben, wird auch Rechtsmacht weitergegeben.
IV. Abgleich Husserl, Sohm und Larenz Beim Abgleich der Untersuchungen von Husserl, Larenz und Sohm zeigten sich große Unterschiede der Bedeutung, in der der Begriff „Rechtsgegenstand“ genutzt wird. G. Husserl versteht darunter eine Kategorie der Rechtswelt, die nicht zwischen Recht und Rechtsobjekt unterscheidet, sondern beide in einem Rechts525
Siehe oben D. Rechtsgegenstände bei Larenz. Siehe oben § 1 A. III. 2. b) Vollständige und unvollständige Rechtssätze. 527 Siehe unten § 12 D. II. 3. Die Verfügungsmacht als positive Berechtigung. 526
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands83
gegenstand erster Ordnung zusammenfasst. Der Rechtsgegenstand bleibt auf das Kategoriesein beschränkt als Oberbegriff für das, was dem Rechtssubjekt als außerpersonale Wesenheit der Rechtswelt zugeordnet sein kann. Sohm hingegen untersucht den „Gegenstand“ als im damals noch jungen BGB häufig genutzten und undurchsichtigen Begriff. Er verbindet mit dem Gegenstand ein System von Vermögensrechten im BGB, die er anhand ihrer Verkehrsfähigkeit identifiziert. Sie müssen Gegenstand eines Verfügungsgeschäfts sein können. Gegenstände sind folglich Sachen und Vermögensrechte, die er zu einem „Verfügungsgegenstand“ zusammenfasst. Dieser kann definitionsgemäß am Verfügungsverkehr teilnehmen. Der Verfügungsgegenstand fungiert also bei Sohm, wie bei Husserl, als rechtliches Abbild von Sache und Eigentum, die er zu einem Gegenstand vereint und von ihrem körperlichen Ausgangspunkt unterscheidet. Er trennt das Gut und seine rechtliche Existenz. Larenz hingegen nutzt die Begriffe in einer gravierend anderen Bedeutung. Ihm dient eine Differenzierung zwischen Rechtsgegenständen erster Ordnung (Rechtsobjekte) und Rechtsgegenständen zweiter Ordnung (Verfügungsobjekte) zur Strukturierung des Rechtsmaterials. Der Vereinheitlichung, die Husserl für Eigentum und Sache durchführt, folgt Larenz nicht.
V. Speziell: Persönlichkeit als Rechtsgegenstand? Wie bei Husserl gelangt auch bei Sohm der Rechtsgegenstand durch die allmähliche Ablösung des ursprünglich reinen Personenrechts von der Person (Husserl: „Entindividualisierung“) zu einer selbständigen Existenz. Der genau beschriebene Prozess der Ablösung von der Person zu einem „Etwas möglicher Zuordnungen“, zu einem rechtlichen Habenkönnen, „das dem Rechtsgegenstand inhärent ist und auf einen juristischen ‚jedermann‘ zurückweist“,528 schärft den Blick für persönlichkeitsrechtliche Fragen, insbesondere hinsichtlich der Verkehrsfähigkeit. „Was immer in der Welt Gegenständlichkeit besitzt, hat einen Prozeß der Entindividualisierung durchgemacht, ist dem Individuum gegenüber zu transpersonalem Selbstsein gelangt.“529
Der hierfür nötigen „willentlichen Vorausbestimmung der eigenen Zukunft“ sind aber enge Grenzen gesetzt, „die im Personsein selbst begründet sind“. Dieses verfalle mit der Entindividualisierung und Unterwerfung unter eine fremde Machtsphäre: „Ein Mensch dessen Daseinsweg in die Zukunft von oben und außen bestimmt wird, indem er der Machtsphäre eines anderen – seines Herrn – eingeordnet ist oder auch, allen eigenen Gestaltungswillen unterdrückend, der Führerschaft eines anderen blindlings folgt, hat einen radikalen Personverfall erlitten.“530 528
G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 53 (59). G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 52 (57). 530 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 139 (160). 529
84
1. Kapitel: Rechtstheoretische Grundlegung
Das Persönlichkeitsrecht müsste einen Rechtsgegenstand ausbilden, der für jedermann „da“ wäre. Diese enge Verknüpfung sieht auch Sohm: „Weil die Rechte personenrechtlicher Natur lediglich Ausfluß, unselbständige Begleiterscheinung einer persönlichen Eigenschaft bedeuten, gilt für sie der Grundsatz der Unübertragbarkeit.“531
Mithin scheitert aus Husserls Sicht die Vergegenständlichung der Persönlichkeit daran, dass mit ihrer Entindividualisierung ein Verfall der Person einhergeht.
531
Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (186).
2. Kapitel
Rechtsgegenstände Nach der rechtstheoretischen Grundlegung, die gerade auch die Notwendigkeit und Funktion der Konzeption von Rechtsgegenständen als Rechtsabbild des außerrechtlichen Guts gezeigt hat, gilt es nun, die Rechtsgegenstände absoluter Herrschaftsrechte näher zu untersuchen. Dies umfasst kategorial zum einen die Rechtsobjekte als Objekte von Herrschaftsrechten und die Verfügungsobjekte als Rechte, die Gegenstände von Verfügungen sein können. Ein Schwerpunkt wird dabei auf der Verbindung von Immaterialgütern i. S. d. klassischen Immaterialgüterrechts und der neueren, von der Informationstheorie geleiteten Forschung zu Rechten an Informationen liegen.
§ 3 Rechtsobjekte Dieser Abschnitt gilt dem Rechtsobjekt und damit dem ersten konkreten Baustein im Konstrukt absoluter Herrschaftsrechte. Wie auch sonst in dieser Arbeit geht es dabei nicht um eine Kommentierung der §§ 90 ff. BGB oder dergleichen, sondern um den funktionalen Aspekt, also die Funktion des Rechtsobjekts in besagtem Konstrukt: Was macht ein Rechtsobjekt im Gegensatz zu anderen rechtlichen Phänomenen aus und welche dogmatischen Konsequenzen sind an die Qualifizierung als Rechtsobjekt geknüpft?1 Folgt man Larenz’ Unterscheidung von Rechtsgegenständen erster und zweiter Ordnung, stehen vorliegend Rechtsgegenstände erster Ordnung zur Diskussion. Außerdem sei noch einmal betont, wie essentiell nach Husserl die Unterscheidung eines Gegenstandes der natürlichen Lebenswelt und dessen rechtlicher Existenz ist.2 Nichts anderes als derlei rechtliche Existenzen sind Rechtsobjekte.
A. (Lebens)gut, tatsächliche Lebenswelt und Rechtsobjekt Was prinzipiell für die Aufnahme in den Kreis der Rechtsgegenstände in Frage kommt, sind allgemein gesprochen „Ausschnitte der tatsächlichen Lebenswelt“. Unter dem Begriff soll all das verstanden werden, was tatsächlich, d. h. unabhängig
1 2
So auch die Fragestellung bei Wendehorst, ARSP Beiheft 104 (2004), 71 (72). Siehe oben § 2 F. I. Genese des Rechtsgegenstands.
86
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
von der Rechtsordnung existiert,3 wofür häufig synonym der Begriff des Guts verwendet wird: Rüfner behilft sich in diesem Zusammenhang mit dem Begriff „Stücke der menschlichen Umwelt (körperliche Dinge)“;4 Wendehorst mit „Erscheinungen der Lebenswelt“ denen sie „Rechtsprodukte“ gegenüberstellt.5 Von Lebensgütern spricht vor allem A. Troller. Lebensgüter (oder synonym Genussobjekte) seien „die objektiv, d. h. jedem Menschen möglicherweise wahrnehmbaren Erscheinungen der empirisch fassbaren Welt, deren Genuss angestrebt wird“.6 Peukert wiederum fasst das „Gut“ als: „[…] alle wahrnehmbaren körperlichen oder immateriellen Erscheinungen der empirisch fassbaren Welt […], deren Genuss angestrebt wird und [die] geeignet ist, menschlichen Interessen zu dienen und Nutzen zu stiften“.7
Besonders eindeutig identifiziert v. Jhering das Gut mit etwas Gutem: Der Kern und Zweck des Rechts stellt sich dar „in folgender Vorstellungsreihe: Nutzen, Gut, Werth, Genuß, Interesse.8 […] alle [Rechte] sollen mich fördern, mir einen Dienst, Nutzen, Vortheil gewähren […] Ein Ding, das uns diesen Dienst zu leisten vermag, nennen wir ein Gut, die Römer beschränken den Ausdruck bekanntlich auf das Gut im ökonomischen Sinn: die Glücksgüter (bona). Demnach bildet das Gut den Inhalt des Rechts, eine Definition des Rechts, die nicht von dem Begriff des Guts im weitern Sinn ausgeht, ist verfehlt.“9
Minimalvoraussetzung ist sowohl beim ökonomischen wir beim rechtlichen Gutsbegriff die Wahrnehmbarkeit bzw. empirische Fassbarkeit des Gutes. Sie ist Voraussetzung um in einen Kausalzusammenhang zur Bedürfnisbefriedigung treten bzw. dafür herangezogen werden zu können. Wofür dient aber der Begriff „Gut“? Für die Güterzuordnung ist er m. E. verwirrend, da er (als Gegenteil eines „Schlecht“) bereits eine wertende Aussage mit Tendenz zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung trifft.10 Rechtliche Normen knüpfen aber nicht im qualitativen Sinn an ein „Gut“ an. Sämtliche Immaterialgüterrechte haben spezielle Kriterien zur Erhebung eines Gegenstandes in den Stand eines Rechtsobjekts (Kennzeichnungskraft, Schöpfungshöhe etc.). Auf das individuelle Empfinden des Gegenstandes als gut oder begehrenswert stellen sie 3 Siehe auch die Ausführungen zur Ontologie von Immaterialgütern, unten § 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter). 4 HKK/Rüfner, §§ 90–103 Rn. 4. 5 Wendehorst, ARSP Beiheft 104 (2004), 71 (78). 6 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 49; Troller/Troller, Kurzlehrbuch, 10 (sprechen von „wahrnehmbaren Erscheinungen der empirisch erfassbaren Welt“, hieraus ergibt sich kein Unterschied). 7 Peukert, Güterzuordnung, 38. 8 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III 1. Abt., 317. 9 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. III 1. Abt., 318. Einen der ausführlichsten Meinungsüberblicke zum Gutsbegriff bietet wohl Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 303 ff. 10 „[…] alle Güter sind schließlich ihrem psychologischen Wesen nach nur Güter in Bezug auf eine Person, für die sie Güter sind […]“, Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. 1, 129.
§ 3 Rechtsobjekte87
nicht ab. Noch „wahlloser“ ist § 90 BGB – es reicht, dass der Gegenstand körperlich und kein Mensch oder Tier ist. Giftmüll kommt als Sache eher in Betracht als Alpenluft. Das, was da in den Rechtsverkehr aufgenommen wird, muss also kein „gutes“ Gut sein. Es muss nur existieren und die Aufnahmekriterien des betreffenden Rechtes erfüllen. Der Begriff „Gut“ bzw. „Lebensgut“ (als Abgrenzung vom Rechtsgut, dazu sogleich) hat sich aber eingebürgert. Er steht synonym für einen wertungsfreien Ausschnitt der tatsächlichen, außerrechtlichen Lebenswelt. Der Begriff „Rechtsgut“ steht demgegenüber für ein Gut, das rechtlichen Schutz durch die Rechtsordnung genießt, wobei weiter zwischen privat- und öffentlichrechtlichem Schutz unterschieden werden muss.11 Rechtsobjekte absoluter Herrschaftsrechte sind also nur ein Ausschnitt einer weit größeren Menge von Rechtsgütern, d. h. eine spezielle Form von Rechtsgütern. Bspw. sind auch „die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere“ (Art. 20a GG) Rechtsgüter. Sie sind in dieser Pauschalität aber keine Rechtsobjekte, können es jedoch einzeln bzw. in Ausschnitten sein.
B. Gegenstände im Vertragsrecht Verträge sind das privatautonome Instrument zum Güteraustausch. Daher ist im Vertragsrecht vielfach von Gütern und Gegenständen die Rede. Welche Kategorien hält das Vertragsrecht für die Bezugnahme auf Güter bereit?
I. Das Leistungssubstrat Das Vertragsrecht kennt zur Abgrenzung der von Verträgen betroffenen Gegenstände zunächst die Kategorie des Leistungssubstrats. Der Begriff findet vor allem im Leistungsstörungsrecht (insbesondere im Unmöglichkeitsrecht) und im Werk- sowie Dienstvertragsrecht Verwendung. Er bezeichnet den Gegenstand, an dem eine vertraglich geschuldete Leistung vorgenommen werden soll. Das Leistungssubstrat ist der „‚Stoff‘ […], an dem die Leistung zu erbringen ist“.12 Im Unmöglichkeitsrecht dient das Leistungssubstrat daher auch zur Unterscheidung des Gegenstandes, an dem die Leistung vorgenommen werden soll von den Leistungsmodalitäten (insbesondere der Leistungszeit).13 Am bekanntesten dürfte insoweit die verbreitet am Schulfall eines auf Grund gelaufenen Schiffs demonstrierte Unterscheidung von Zweckerreichung, Zweckfortfall und Zweckstörung sein.14 Im Dienst- und Werkvertragsrecht wiederum stehen Fälle des Annahmeverzugs im Vordergrund, in denen der Gläubiger dem Verpflichtenden als Mitwirkungshand11 Staudinger/Stieper,
vor §§ 90–10 (2021) Rn. 5. Claussen, NJW 1991, 2813 (2814); Larenz, SchR I, 314 („Gegenstand an dem oder mit dem die Leistung auszuführen ist“); Huber, Leistungsstörungen, Bd. 1, § 10 IV 1, 4 (268, 270 f.). 13 Schwarze, AcP 207 (2007), 437 (440). 14 Eingehend Becker, Absurde Verträge, 227 f. 12
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
lung ein bestimmtes Leistungssubstrat zur Verfügung stellen muss, z. B. das zu reparierende Auto, die zu befördernde Person oder die Fabrik, in der die Arbeiter ihren Dienst verrichten sollen.15 Tut er dies nicht rechtzeitig, fehlt es am erforderlichen Leistungssubstrat und es stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Annahmeverzug und Unmöglichkeit.16 Das Leistungssubstrat hat danach gerade nicht die Funktion, ein Gut im Wege vertraglicher Abreden in den Rechtsverkehr aufzunehmen.17 Es ist vielmehr unterschiedlich von der versprochenen Leistung.
II. Der Vertragsgegenstand Eine weitere Kategorie für Güter, auf die das Vertragsversprechen gerichtet sein kann, ist der „Vertragsgegenstand“. Dieser findet sich im gesamten Vertragsrecht, hat dort allerdings verschiedene Bedeutungen. So kann er für den körperlichen oder unkörperlichen Gegenstand stehen, der, etwa im Recht der Gebrauchsüberlassungen,18 überlassen oder, im Kaufrecht,19 zum Eigentum übertragen bzw. dauerhaft verschafft 20 werden soll. Genauso kann er in sämtlichen Vertragsarten eine im Vertrag begründete Pflicht bezeichnen.21 Auch schwer zu erfassende Lebensphänomene wie Dienstleistungen oder Risiken i. S. d. „Gefahr einer planwidrigen Entwicklung“ können über den Umweg entsprechender Pflichten Vertragsgegenstand sein (z. B. Versicherungsverträge).22 Entsprechend weit – und daher wohl zutreffend – fällt eine der wenigen Definitionen in der Literatur aus, die unter Vertragsgegenstände „alle Sachen und Rechte“ fasst, „die im allgemeinen Wirtschaftsleben mit oder ohne Gegenleistung einem Vertragspartner versprochen werden“.23 Der Begriff Vertragsgegenstand steht mithin allgemein für die in einem Vertrag versprochene Leistung, er hat keine hinreichend enge technische Bedeutung, um als unmittelbares dogmatisches Gegenstück zum Rechtsobjekt dienen zu können. Dennoch ist er im Vertragsrecht die Kategorie, in die all diejenigen Güter fallen, die Gegenstand vertraglicher Pflichten sind. Im Folgenden wird der Begriff vor allem in der ersten der gerade gezeigten Bedeutungen genutzt, also zur Bezeichnung des Guts, auf das sich vertragliche Pflichten beziehen.
15
Huber, Leistungsstörungen, Bd. 1, § 10 V (271 ff.); Claussen, NJW 1991, 2813 (2814). Huber, Leistungsstörungen, Bd. 1, § 10 V (271 ff.); zu Unmöglichkeit und Annahmeverzug bei Zweckstörungen Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung, 230 ff. 17 Früher habe ich den Begriff weiter aufgefasst, siehe Becker, GRUR Int. 2010, 940 (942). 18 MüKoBGB/Häublein, § 535 Rn. 73 ff.; MüKoBGB/ders., § 598 Rn. 3 f. 19 Zu „Kaufgegenständen“ siehe nur Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, 67 ff. 20 BeckOGK/Wilhelmi (Stand 01/2021), § 453 Rn. 150 f. 21 MüKoBGB/Schürnbrand/Weber, § 510 Rn. 12. 22 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 3 und passim. 23 Richter, Vertragsrecht, 245. 16
§ 3 Rechtsobjekte89
III. Können Vertragsgegenstände Rechtsgegenstände sein? Mit Blick auf die Lehren vom Rechtsgegenstand 24 stellt sich die Frage, ob Güter, die Vertragsgegenstände werden, eine rechtliche Existenz haben, also ob sie Rechtsgegenstände sind oder sein können. Offensichtlich und hier daher nicht weiter zu behandeln ist dies, wenn der Vertragsgegenstand ein Rechtsobjekt ist (z. B. eine Sache). Wie ist es aber bei Gütern, die bislang keine Verrechtlichung erfahren haben? In der Rechtspraxis nehmen vertraglich definierte Güter durch die Begründung und Weitergabe von Vertragspositionen am Rechtsverkehr teil. Entscheidend ist also, welche Bedeutung der erstmaligen Einräumung einer solchen Vertragsposition zukommt. Die Rechtsordnung hat durch die Vertragsfreiheit (insbesondere § 311 Abs. 1 BGB) allen Geschäftsfähigen die Macht verliehen, sich innerhalb der Grenzen des Vertragsrechts frei und verbindlich Pflichten aufzuerlegen. Auch dies gehört zum status personae im Husserl’schen Sinne. Vertragliche Pflichten können sich, wie eben gezeigt, in verschiedener Weise auf vorrechtliche Güter beziehen. Die Rechtsordnung erkennt aber nur die Verpflichtung der eigenen Person zum Handeln oder Unterlassen an. Diese Pflichten müssen vom Gericht als existent akzeptiert werden – auch wenn sie extrem oder unsinnig erscheinen mögen.25 Nicht gewährt wird aber die Macht, Güter zu Rechtsgegenständen, also als für die gesamte Rechtsordnung rechtlich existent zu erklären. Dieser Mangel an Rechtsmacht betrifft nicht nur das Fehlen von Verfügungsmacht, sondern insbesondere das Problem, Gütern das nötige rechtliche Abbild zu verleihen, um als Rechtsgegenstände in der Rechtswelt existent zu werden.26 Privatautonom können nur Verhaltenspflichten vereinbart und keine Güter in den Stand von Rechtsobjekten erhoben werden. Anders formuliert sind Vertragsgegenstände keiner unmittelbaren, d. h. nicht durch einen Vertragspartner vermittelten, Herrschaftsbeziehung fähig.27 Virtuelle Gegenstände, Kryptowährungen, Rohdaten und andere Güter, die nur als Vertragsgegenstände in Bezug genommen werden können, besitzen also kein rechtliches Abbild im obigen Sinne. Ihre rechtliche Existenz begrenzt sich auf ihre Bedeutung für die Abgrenzung vertraglicher Pflichten. Im Gerichtsverfahren rücken daher die vertraglichen Rechte als eigentlicher Streitgegenstand in den Mittelpunkt. Sie sind das einzige Mittel, um privatautonom vorrechtliche Güter zuzuweisen.
24
Siehe oben § 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands. den Grenzen unsinniger, gerichtsfester Leistungsversprechen siehe Becker, Absurde Verträge passim. 26 Siehe oben § 2 F. I. Genese des Rechtsgegenstands. 27 Dazu unten § 12 A. V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand. 25 Zu
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
C. Die Spanne zwischen Vertragsgegenstand und Rechtsobjekt Damit sieht die Rechtsordnung zwei Hauptwege vor, auf denen Lebensgüter Gegenstand des wirtschaftlichen Rechtsverkehrs werden können: Zum einen können sie in den Stand von Rechtsobjekten erhoben und zum Gegenstand von Herrschaftsrechten gemacht werden, zum anderen können sie Gegenstände von Verträgen sein. Dazwischen gibt es aber einen Graubereich, in dem vertragliche Positionen durch zusätzlichen Rechtsschutz verfestigt sind bzw. nicht-vertragliche Rechtspositionen absolut wirkenden Schutz genießen, der aber nicht an eigentumsartigen Schutz heranreicht. Die Rede ist von der Verdinglichung obligatorischer Rechte. Diese Diskussion befasst sich aber weniger mit der Lehre der Rechtsgegenstände als vielmehr mit der richterrechtlichen Anerkennung einzelner dinglicher Merkmale im Schutz eines Guts.28 Nach Larenz’ Einteilung sind nur Rechtsobjekte Rechtsgegenstände erster Ordnung.29 Sie stehen in diesem Abschnitt im Mittelpunkt.
D. Verschiedene Auffassungen des Rechtsobjekts Nun geht es um die Rechtsobjekte absoluter Herrschaftsrechte. Es interessieren also nur Rechtsobjekte als Gegenstände absoluter Rechte. Dafür werden hier die gängigsten Sichtweisen gezeigt und dann die Funktionen von Rechtsobjekten aufgedeckt, die vorliegend aber nicht für eine eigene Definition interessieren, sondern für die Funktion des Rechtsobjekts in der Gesamtstruktur absoluter Herrschaftsrechte.
I. Das Definitionsproblem bei Rechtsobjekten Auf die Frage „Was ist ein Rechtsobjekt?“ kann nicht etwa i. S. d. Korrespondenztheorie der Wahrheit30 zutreffend Auskunft über Tatsachen gegeben werden. Das Problem bzw. die Fragestellung ist anders geartet; es geht um eine definitorische Problematik. Wahrheitsgemäß beantwortet werden könnte nur eine Frage wie „Was verstehen die meisten Literaturstimmen unter einem Rechtsobjekt?“. Die Herausforderung besteht vorliegend darin, dass die Antwort so eng mit der Frage verbunden ist, dass die Frage schon einen Großteil der gewünschten Auskunft gibt. Man kann also nicht sinnvoll fragen, was unter einem Rechtsobjekt zu verstehen ist. Entscheidend sind vielmehr die Funktionen, die Rechtsobjekte in der Rechtsordnung erfüllen sollen. Dies ist bei den zu zeigenden Auffassungen zur Kategorie „Rechtsobjekt“ zu bedenken. Die im Folgenden zugrunde gelegte Unterscheidung zwischen einer formalen und einer materialen Definition bezieht sich in der Originalquelle auf Gegenstände 28
Dazu § 13 C. II. 3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen. Siehe oben § 2 D. Rechtsgegenstände bei Larenz. 30 Verkürzt lautet diese: Eine Aussage ist wahr, wenn sie mit den Tatsachen übereinstimmt, vgl. Becker, Absurde Verträge, 231 ff. 29
§ 3 Rechtsobjekte91
als Obergruppe zu Sachen i. S. d. § 90 BGB, also nicht auf Sachen als Rechtsobjekte, sondern auf die Gruppe der Gegenstände vor der Anerkennung rechtlicher Abbilder.31 So können für den streitigen Gegenstandsbegriff eine eher logische und eine eher inhaltliche Abgrenzung unterschieden werden.32 Eine daran anlehnende33 Betrachtung wird hier für das Rechtsobjekt als Kategorie vorgestellt.
II. Formale Definition – Das Rechtsobjekt als Bezugspunkt von Rechten Die formale Betrachtungsweise stellt auf die „logische Stellung des Gegenstandes“ ab, sie fasst ihn als „inhaltlichen Beziehungspunkt aller der Handlungen“ auf, die das betreffende subjektive Recht regelt.34 Der formalen Definition nach dient das Rechtsobjekt also dazu, das zwischen dem Berechtigten und seinen Mitbürgern bestehende Rechtsverhältnis zu präzisieren. Thibaut führt aus: „[…] ein Recht ist nichts weiter als eine Möglichkeit zu handeln. Subjekt eines Rechts ist dasjenige, dem etwas möglich, Objekt dasjenige, was möglich ist. Das Objekt jedes Rechtes ist sonach immer eine Handlung, und es leidet gar keinen Sinn, wenn man Personen und Sachen zu Objekten eines Rechts (sens. subiect.) macht, da sie vielmehr nur Objekte des obiecti iurium, oder der Handlungen sind.“35
Von diesem Standpunkt ist die formale Definition nicht allzu weit entfernt, so z. B., wenn die „Herrschaft über die Sache“ nur als eine „bildhafte Kennzeichnung der Bestimmungsbefugnisse, die der Eigentümer allen anderen Personen gegenüber in Bezug auf die Sache hat“ verstanden wird.36 31
Vgl. Staudinger/Stieper (2021), vor §§ 90–103 Rn. 3 ff. (2021), vor §§ 90–103 Rn. 4 f., 7. 33 Tatsächlich wird in der Literatur häufig nicht kategorial zwischen Rechtsobjekt und Gegenstand unterschieden, daher ist nicht bei allen Quellen klar, in welcher Bedeutung sie den Gegenstandsbegriff verwenden – als Obergruppe zu Sachen oder funktional als Herrschaftsobjekt. 34 Staudinger/Stieper (2021), vor §§ 90–103 Rn. 7, 4; angelehnt an Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. 1, 50 f. (inhaltlicher Beziehungspunkt der möglichen Handlungen, die dem Berechtigten kraft des subjektiven Rechts „erlaubt, allen Anderen verboten“ sind). Ein bekannter Vertreter dieser Auffassung ist Kelsen, Reine Rechtslehre, 135 ff. 35 Thibaut, Referat über seine Disseratio de genuina iuris personarum et rerum indole, veroque huius divisionis pretio, zit. nach Kempski, Journal for General Philosophy of Science, Vol. 21 (1990), 259 (265), der hierin einen „Grundgedanken“ Thibauts sieht, der dessen gesamtes juristisches Werk durchziehe. 36 Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 192; ähnlich Habersack, SachenR, Rn. 67 (Befugnisse des Sacheigentümers „gegenüber allen anderen Rechtssubjekten in Bezug auf die Sache als den Gegenstand des Rechts“); Fabricius, AcP 162 (1963), 456 (471); C. Peters, AcP 153 (1954), 454 (456); Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 260 f.; Jänich, Geistiges Eigentum, 241, 351 („Bezugsobjekt“); Kühne, AcP 140 (1935), 1 (13 f.); Hohfeld Yale L. J., 26 (1917), 710 (720 ff.); Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 260 f.; Larenz/Wolf, § 13 Rn. 11; Kelsen, Reine Rechtslehre, 135 ff.; a. A. v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 123; Enneccerus/Nipperdey, AT, § 71 I 3 (427 f.); Böhmer, NJW 1988, 2561 (2566, 2568); Schramm, Grundlagenforschung, 22 (Eigentum an Sachen entsteht „nur durch eine persönliche Beziehung zwischen Mensch und Sache“ und wird durch deren Aufhebung wieder „gemeinfrei“); Hume, Traktat, 2. Buch 1. Teil 10. Abschnitt (332) (Eigentum „als eine Beziehung zwischen einer Person und einem Gegenstande, durch welche die freie Benutzung und der Besitz desselben dieser Person gestattet und allen anderen versagt ist, ohne dass dadurch 32 Staudinger/Stieper
92
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Die formale Definition hat Konsequenzen dafür, was als Rechtsobjekt in Frage kommt. Dies betrifft vor allem die viel gescholtene Vorstellung der Zuordnung eines Menschen durch sein Persönlichkeitsrecht zu sich selbst. Aus der formalen Sichtweise wird vertreten, dass das Persönlichkeitsrecht nur „Rechte gegenüber anderen Personen in Bezug auf die persönlichen Lebensinteressen“ bezeichne.37 Dies lässt ein Verständnis der Persönlichkeit als Rechtsobjekt harmlos erscheinen – dessen Funktion läge schließlich nur darin, als Bezugspunkt der Rechte der Person zu fungieren. Festzuhalten ist also das verbreitete Verständnis des Rechtsobjekts als Bezugspunkt 38 des Rechts. Damit gehen verschiedene Konsequenzen einher. Verglichen mit einem Verständnis des Rechtsobjekts als Herrschaftsgegenstand39 geht die formale Betrachtungsweise deutlich pragmatischer zu Werke. Der Herrschaftsgedanke ist weder in rechtlicher noch tatsächlicher Hinsicht besonders ausgeprägt. Dies erscheint in der praktischen Anwendung in vielen Fällen auch entbehrlich, da es für immaterielle Rechtsgegenstände auf die physische Beherrschbarkeit nicht ankommt. Wie insbesondere G. Husserl bei der Genese des Rechtsgegenstandes aus dem Verhältnis der Person zur Sache gezeigt hat, zeichnet sich der Rechtsgegenstand gerade durch die Überwindung des Bandes zwischen Person und vorrechtlichem Gegenstand zugunsten eines verselbständigten Rechtsgegenstands aus. Es gibt danach kein echtes Rechtsband zwischen Person und vorrechtlichem Gegenstand mehr.40 Die rechtserhebliche, die handlungsleitende Rechtswirkung ist zwar dem gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkenntnis eines Verhältnisses zwischen Person und Relationsobjekt geschuldet, der Gegenstand fungiert aber nicht als Normadressat.41 Eine echte Rechtsbeziehung besteht nur zwischen Personen in Bezug auf einen Gegenstand. Obwohl es der natürlichen Empfindung widerspricht, ist das formale Verständnis des Rechtsobjekts im Immaterialgüterrecht das praxisnähere. Das materiale Verständnis hingegen (hierzu sogleich) nimmt den Umweg über die ideelle wie tatsächliche Beherrschung des Gegenstandes, den G. Husserl, wie gezeigt, noch um einen Rechtsgegenstand ergänzt. die Gesetze des Rechtes und der sittlichen Billigkeit verletzt werden.“); vgl. auch Meier-Hayoz, FS Oftinger, 171 (172) (Überbetonung der Beziehung Eigentümer-Allgemeinheit). Siehe zudem den Meinungsstreit beginnend bei Hadding, der i. S. d. formalen Betrachtungsweise argumentiert JZ 1986, 926 ff.; dagegen Niehues: die „Struktur einer unmittelbaren Person-Sachbeziehung“ sei „rechtstechnisch zu verstehen als die Verkürzung einer Vielzahl personaler Rechtsbeziehungen“, Niehues, JZ 1987, 453 (454) [Hervorh. im Original]. Hadding wiederum verweigert dieser Verkürzung den „Charakter eines zusätzlichen ‚Strukturmerkmals‘“, JZ 1987, 454 [455]). 37 Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 192. 38 In ähnlicher Weise spricht Bucher von „Beziehungspunkten“, Bucher, Normsetzungsbefugnis, 153; Zech (speziell für den Sachbegriff im Sacheigentum) von „einer dogmatischen Konstruktionshilfe“, Zech, AcP 219 (2019), 488 (507). Die genaue Bezeichnung ist nicht wichtig. 39 Sogleich III. Materiale Definition. 40 Siehe nur Hadding, JZ 1986, 926. 41 Siehe nur Kelsen, Reine Rechtslehre, 135 ff.; ders., Allgemeine Theorie der Normen, 7.
§ 3 Rechtsobjekte93
Der hauptsächliche Einwand gegen die formale Definition dürfte im mangelnden Zwang zur Präzision liegen. Thibauts Verständnis des Rechts als „Möglichkeit zu handeln“ macht es schwer, „den Gegenstand eines Rechts [mit logischen Mitteln] angemessen zu fassen“.42 Noch wichtiger sind die Zweifel, ob durch das Verständnis des Rechtsobjekts als „Bezugspunkt“ nicht der gesamte Begriff „in seinen Konturen unscharf und letztlich inhaltsleer“ werde.43 M. a. W. zwingt das Verständnis des Rechtsobjekts als Bezugspunkt weder zur Präzisierung des Rechtsgegenstandes noch des Rechts daran. Es wird stattdessen nur ein ungefährer Fixpunkt umrissen, an dem Handlungen orientiert werden.
III. Materiale Definition – Das Rechtsobjekt als Herrschaftsgegenstand Der formalen Definition entgegengesetzt wird eine materiale Betrachtung, die am Nutzen des Objekts für die materielle und geistige Entwicklung des Menschen und dementsprechend der Beherrschung und Nutzung des Guts ansetzt.44 Anknüpfend an die Güterlehre versteht dieser Ansatz Gegenstände (hier synonym gesetzt mit Rechtsobjekten) nicht ihrer logischen Stellung nach, sondern erfasst sie inhaltlich, und zwar als „alle individualisierbaren vermögenswerten Objekte der natürlichen Welt“.45 In der Individualisierbarkeit liegt der „Schutz im Interesse der Einzelperson“.46 Im Zentrum dieser Definition steht also das Interesse des Berechtigten am Gut. Welche Bedeutung der in dieser Definition enthaltene (ökonomische) Vermögenswert hat, ist schleierhaft.47 Allenfalls könnte man versuchen, ihn mit Sohm in Verbindung zu einem System der Vermögensrechtsrechte o. Ä. zu setzen. Sinnvoller wäre es, ihn einfach wegzulassen.48 Etwas entschlackt lässt sich die materiale Betrachtungsweise daher mit einem dritten Verständnis des Rechtsobjekts zusammenfassen, das das Element der Beherrschung durch ein Rechtssubjekt in den Vordergrund stellt.49 Es entstammt der 42
Kempski, Journal for General Philosophy of Science, Vol. 21 (1990), 259 (266). Wendehorst, ARSP Beiheft 104 (2004), 71 (79). 44 Vgl. Staudinger/Stieper (2021), vor §§ 90–103 Rn. 4 f., 7. 45 Staudinger/Stieper (2021), vor §§ 90–103 Rn. 5.; angelehnt an Binder, ZHR 59 (1907), 1 (16) (Definition des Gegenstandes als Vermögensbestandteil); Wieacker, AcP 148 (1943), 57 (65) („Kreis der vermögensrechtlich beherrschbaren Objekte“). So auch Meier-Hayoz, Berner Kommentar, Systematischer Teil, N 220 (rechtlich geschützte Güter, die einen ökonomischen Wert aufweisen). 46 Staudinger/Stieper (2021), vor §§ 90–103 Rn. 5. 47 So auch Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 121 (760, dort Fn. 3). 48 Siehe oben A. (Lebens)gut, tatsächliche Lebenswelt und Rechtsobjekt. 49 Köhler, BGB AT, § 22 Rn. 1 („[…] Gut, das der rechtlichen Beherrschung durch eine Person unterliegen kann.“); Schack, BGB AT, Rn. 149 („[…] alles, was vom Menschen beherrschbar ist und ihm von der Rechtsordnung zugeordnet werden kann.“); Bork, BGB AT, Rn. 227 (alles, „was nicht Rechtssubjekt ist und Gegenstand rechtlicher Herrschaftsmacht sein kann“); Röhl/ Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 465 („Rechtsobjekte i. e. S. kennzeichnen den realen Herrschaftsbereich subjektiver Rechte.“). Kritisch Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 203 f. (dies sei eine „materialistische Betrachtungsweise“). 43
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
„klassischen“ Vorstellung des absoluten Herrschaftsrechts, dessen Gegenstand (und nicht nur Bezugspunkt) das Rechtsobjekt ist.50 V. Tuhr führt aus: „Die meisten und wichtigsten subjektiven Rechte gewähren eine Herrschaft über ein außerhalb des Subjekts stehendes Stück Außenwelt: ein Objekt. […] Diese Rechte kann man als ‚Herrschaftsrechte‘ bezeichnen.“51
Offenbar besteht zwischen den beiden Definitionen Einigkeit darüber, das Rechtsobjekt als einen individualisierten Rechtsgegenstand aufzufassen, der nicht nur Bezugspunkt von Handlungen, sondern dem Rechtssubjekt unterworfen ist.
IV. „Verhaltensollen“ als Rechtsobjekt Als weitere Kategorie lässt sich die Betrachtung des gesollten Verhaltens als Rechtsobjekt abgrenzen, Objekt ist die „durch die Rechtsnorm auferlegte Verpflichtung eines anderen […], deren Sanktion zur Verfügung des Berechtigten gestellt ist“.52 Es handelt sich um eine Extremform der obigen formalen Definition.53 Nawiasky kritisiert am Verständnis von Sachen, Werken etc. als Rechtsobjekten zweierlei. Zum einen sei das, worüber der Berechtigte kraft seines subjektiven Rechts bestimmen könne, allein das „Verhaltensollen“ anderer.54 Zum anderen würden durch das herkömmliche Verständnis (nur) „wirtschaftlich wertvolle Gegenstände“ in Bezug genommen, die „nicht die Objekte eines subjektiven Rechts, sondern einer Tätigkeit“ seien. Und eben auf Letztere seien wie gesagt subjektive Rechte gerichtet.55 Vorteil dieses Verständnisses ist seine Anwendbarkeit auf alle subjektiven Rechte (z. B. Forderungsrechte) und nicht nur auf die absoluten Herrschaftsrechte. Das betont Nawiasky auch.56 Nawiaskys Definition ist in sich schlüssig und breit anwendbar, sie sagt aber wenig aus: Sie bezeichnet zwar, was Rechtsobjekte sind, sie sagt jedoch nicht, wozu sie dienen. Fraglich ist also, ob man den anschaulichen Begriff so wenig sagend be50 Vgl. Meier-Hayoz, FS Oftinger, 171 (172) (diese „klassische Definition des Eigentums und des dinglichen Rechts“ beschränke sich „schlechthin darauf, eine Komponente, die Herrschaft des dinglich Berechtigten über die Sache, in den Vordergrund zu stellen“). 51 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 62; ähnlich Larenz/Wolf, § 20 Rn. 4; Habersack, SachenR, Rn. 6; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 77 (450 f.). 52 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 202, 205 („Tätigkeit […] als Objekt des subjektiven Rechts“). Ähnlich v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, § 29 (257) (beherrschter freier Wille eines anderen Rechtssubjekts als Objekt); Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 123 (Verpflichteter als Objekt); hiervon zu unterscheiden ist die Herrschaft über den Willen eines anderen im Rahmen schuldrechtlicher Verhältnisse, so z. B. bei Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 259, 273 f. (Kausalität der Willkür eines anderen [Leistung] als äußeres Mein). 53 Siehe oben II. Formale Definition – Das Rechtsobjekt als Bezugspunkt von Rechten. 54 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 202 f. 55 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 205. 56 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 201 ff.; ähnl. Hadding, JZ 1986, 926 (927) (allein das „Verständnis der Sachenrechte i. S. von verbindlichen Entscheidungskompetenzen gegenüber anderen Personen“ ermögliche „einen einheitlichen Begriff des subjektiven Rechts“ [Hervorh. im Original]).
§ 3 Rechtsobjekte95
legen sollte. Demgegenüber weisen die obigen Auffassungen dem Rechtsobjekt als Kategorie eine Funktion zu: Es dient als Bezugspunkt zur Abgrenzung der Rechte gegenüber anderen bzw. benennt den Herrschaftsgegenstand und grenzt diesen ab.
V. Rechtsobjekte und die Innen- und Außenseite des Rechts Eine weitere Unterscheidung in der Rechtsobjektslehre ist die zwischen einer inneren und einer äußeren Seite der Herrschaft über eine Sache, was eine gewisse Parallele zur Unterscheidung von formaler und materialer Definition des Rechtsobjekts aufweist: Innere Seite sei „das Verhältnis des Rechtssubjekts zur Sache“, mit ihr nach Belieben zu verfahren, die Ausübung der Herrschaft. Äußere Seite sei „das Verhältnis des Rechtssubjekts zu anderen Personen“.57 An dieser Sichtweise fällt zunächst einmal auf, dass auch sie auf einer anderen Ebene als die ersten beiden Definitionen liegt, zu diesen also nicht in Konkurrenz tritt. Sie lässt sich sogar weitgehend hiermit vereinigen: Die Annahme einer Außenseite stellt darauf ab, dass nur Personen Adressaten von Rechtssätzen sein können. Das Rechtsobjekt hat daher die Funktion, Bezugspunkt menschlicher Handlungen zu sein. Dies entspricht der formalen Definition. Trotzdem kann der Berechtigte zu Rechtsobjekten eine Art Herrschaftsbeziehung annehmen (Innenseite), was der materialen Definition entspricht.58 Die Innenseite der Rechtsbeziehung ist also an bzw. auf das Rechtsobjekt gerichtet. Sie kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Hierzu gehört auch die Herrschaft über die Gegenstände. Eine Person hat nicht zu jedem Gegenstand das gleiche Herrschaftsverhältnis. Sache, Werk, Erfindung oder auch Persönlichkeit sind zu unterschiedlich, um gleichermaßen von einem Berechtigten beherrscht zu werden.
Dennoch lassen sich all diese Gegenstände zugleich als Anknüpfungspunkte der Rechtsordnung verstehen, an denen Befugnisse des Berechtigten orientiert sind (Außenseite der Rechtsbeziehung/formales Verständnis des Rechtsobjekts).
VI. Funktionen des Rechtsobjekts und eigene funktionale Definition Aufbauend auf den dargelegten Sichtweisen soll nun eine eigene funktionale Definition des Rechtsobjekts dargelegt werden. Funktional bedeutet, dass die Definition vor allem den Zweck, die Funktion der Kategorie „Rechtsobjekt“ ins Auge fasst.
57 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 133. Ähnlich analytisch beschreibt Meier-Hayoz die beiden Facetten des Sacheigentums, Meier-Hayoz, FS Oftinger, 171 (172 ff.). 58 Diese Herrschaftsbeziehung kann auch Schutzgegenstand absoluter Rechte sein (Schutz der Innenrechtsbeziehung, siehe unten § 12 A. III. Löwisch: Innenbeziehung und Außenschutz). Die Schutznormen können sich aber wieder nur als Verhaltensregeln an Personen, nicht aber an das Rechtsobjekt richten.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
1. Aufnahme in die Rechtsordnung Das Rechtsobjekt dient, aufbauend auf den Überlegungen zum Rechtsgegenstand zunächst einmal dazu, Ausschnitte der Lebenswelt in die Rechtswelt aufzunehmen. Ein Stein auf dem Grund der Tiefsee mag zwar die Kriterien des § 90 BGB erfüllen, er wurde aber noch nicht in den Stand eines Rechtsobjekts erhoben. Im Zivilrecht existiert er in diesem Sinne nicht. Diese Existenz zu begründen ist die basalste Funktion der Kategorie Rechtsobjekt. Durch die Vereinbarung von Gütern als Gegenstand eines Vertragsversprechens, erkennt die Rechtswelt wie gesagt keine „an“ ihnen bestehenden Rechte an.59 Die unmittelbare, d. h. nicht durch Personen vermittelte Beziehung zum Gut wird noch einmal i. R. d. Wesens der Dinglichkeit relevant.60
2. Vergegenständlichung Besagte Aufnahme in die Rechtswelt ist spezieller Natur. Je nachdem wie eng man den Rechtsobjektsbegriff fasst, ordnet das Rechtsobjekt in der Rechtswelt dem aufgenommenen Lebensgut einen bestimmten Platz zu. Die Funktion der Vergegenständlichung liegt nun darin, dass das Rechtsobjekt dem Rechtsubjekt so gegenübergestellt wird, dass es Gegenstand von Rechten ist. Entsprechend sind Rechtsobjekte dann im Kant’schen Sinne gerade das, was ein Mensch nie sein darf. Diese Vergegenständlichungsfunktion verneint insbesondere Nawiasky, indem er allein das Verhaltensollen anderer als Rechtsobjekt anerkennt.61
3. Ordnungs- und Bezugsfunktion für subjektive Rechte In mehreren Quellen kam oben zur Sprache, dass Rechtsobjekte als Bezugspunkt für die durch das zugehörige subjektive Recht geregelten Handlungen dienen. Sie ordnen den Rechtsstoff also nicht nur hinsichtlich der Stellung eines Dings in der Rechtswelt, sondern dienen auch und insbesondere als archimedischer Punkt für subjektive Rechte.
4. Zuweisungsfunktion Freilich weisen nicht Rechtsobjekte, sondern subjektive Rechte Güter zu. Rechtskonstruktiv bestimmen in verschiedenen Gesetzen aber Definitionsnormen zur Abgrenzung des Rechtsobjekts maßgeblich mit darüber, was und wieviel zugewiesen wird. Dabei sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Zum einen gibt es Regeln, die bestimmen, welche außerrechtlichen Güter in welchem Umfang zum Rechtsobjekt erhoben werden, z. B. § 90 BGB, §§ 1–5 UrhG, §§ 1–2a PatG. Zum anderen gibt es jedenfalls im BGB Objektverbindungsregeln, die das Verhältnis solcher Rechts59
Siehe oben B. Gegenstände im Vertragsrecht. Siehe unten § 13 A. I. Zuordnung und unmittelbare Herrschaft über ein „Ding“. 61 Siehe oben IV. „Verhaltensollen“ als Rechtsobjekt. 60
§ 3 Rechtsobjekte97
objekte zueinander bestimmen (§§ 93 ff. BGB62).63 Funktional dienen beide Regelungstypen dazu, den Umfang der Güterzuweisung mitzubestimmen.
5. Ausschließungsfunktion Komplementär zur Zuweisung dient die Anerkennung eines Dings als Rechtsobjekt auch dem Ausschluss anderer. Die Zuordnung ist damit nicht zwingend im Ergebnis exklusiv. Schließlich kann es bei nicht-rivalen Gütern (genauer: für nicht-rivale Nutzungen) parallele Rechtsträger geben, wie es etwa bei den Zeichenrechten der Fall ist. Die Zuordnung ist aber vom Grundsatz her dazu angetan, andere auszuschließen. Etwas als Rechtsobjekt anzuerkennen, dient in der Regel nicht dazu, es dem Allgemeingebrauch anheim zu stellen. Darin liegt auch ein nachgelagerter Grund dafür, dass bei den Definitionsregeln für Rechtsobjekte so großer Wert auf die Abgrenzbarkeit und Bestimmbarkeit des Gutes gelegt wird. Sie sind freiheitsbeschränkend und müssen als Ausnahme von der allgemeinen Handlungsfreiheit gerechtfertigt werden.64
6. Herrschaftsfunktion Fraglich ist, ob die Kategorie „Rechtsobjekt“ auch zum Ausdruck bringen soll, dass etwas beherrscht wird oder zumindest beherrschbar ist. Dieser Punkt kennzeichnet die materiale Definition bzw. die Innenseite des Rechts.65 Sofern es hier Zweifel gibt, sind sie nicht ethischer, sondern technischer Natur. Denn über die Frage, inwieweit Persönlichkeitsgüter als Rechtsobjekte in Betracht kommen, wird nicht hier, sondern schon bei der Vergegenständlichungsfunktion entschieden. Hier geht es um eine bestimmte Qualität der Vergegenständlichung. M. E. handelt es sich um keine notwendige Bedingung, aber ein besonders starkes Indiz für das Vorliegen eines Rechtsobjekts: Soll ein Gegenstand durch ein Rechtssubjekt im Innenverhältnis beherrscht werden dürfen, spricht das für seine Stellung als Rechtsobjekt. Kurz gesagt geht es bei der Herrschaftsfunktion nur um die Frage, ob die Anerkennung als Rechtsobjekt einen Ausschnitt der Lebenswelt als etwas Beherrschtes oder zumindest Beherrschbares kennzeichnen soll.
7. Wirtschaftliche Nutzbarmachung Mit der Herrschaftsfunktion eng verwandt ist die Funktion der wirtschaftlichen Nutzbarmachung. Alle anerkannten Rechtsobjekte sind Teil des Wirtschaftsrechts. Dasselbe gilt zwangsläufig für die damit verbundenen, gesetzlich anerkann62 Solcher Regeln bedarf es nur für Güter, die mit der ersten Regel (Erhebung zum Rechtsobjekt) nicht hinreichend abgegrenzt werden können. 63 Schack, BGB AT, Rn. 156. 64 Siehe nur Peukert, Güterzuordnung, 895 ff. 65 Siehe oben III. Materiale Definition – Das Rechtsobjekt als Herrschaftsgegenstand; V. Rechtsobjekte und die Innen- und Außenseite des Rechts.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
ten absoluten Herrschaftsrechte (Sacheigentum, Urheberrecht, Patentrecht etc.). Soll etwas nicht im privaten Wirtschaftsverkehr nutzbar sein, wird es ausdrücklich nicht als Rechtsobjekt anerkannt bzw. davon ausgenommen. Auch diese Funktion ist nur ein spezieller Unterfall der Generalfrage, ob etwas vergegenständlicht werden soll – entsprechend sind die Beispiele wieder Persönlichkeitsgüter wie Organe, DNA oder die Persönlichkeit im Allgemeinen.
8. Bedeutung der Funktionen Welche Bewandtnis hat es nun mit diesen Funktionen? Müssen sie sämtlich vorliegen bzw. erfüllt sein, damit ein Lebensgut ein Rechtsobjekt werden kann? – Nein. Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil das am Objekt bestehende subjektive Recht die obigen Funktionen mitbestimmt. Die Funktionen des Rechtsobjekts sind vielmehr Kriterien, anhand derer die Stellung eines Lebensguts in der Rechtswelt bestimmt werden kann. Es gibt zwar nicht viele praktische Rechtsfragen, für die es darauf ankommt, ob ein Gut ein Rechtsobjekt ist. Meist geht es um die Rechte, die jemand hinsichtlich des Lebensguts hat. Dabei kann es aber eine Rolle spielen, welche Stellung das Gut in der Rechtsordnung haben soll. So beginnt die Diskussion um Sacheigentum an menschlichen Organen, Tieren oder genetischen Ressourcen/seltenen Arten beim Objekt des möglichen Eigentums und dem gewünschten Umgang mit ihm. Hier kann es für die Entscheidung nutzen, klar zu sehen, welche Funktionen mit einer Anerkennung als Rechtsobjekt potentiell einhergehen, auch wenn sie nicht alle und in unterschiedlichem Maße erfüllt sein können. Für den Aufbau absoluter Herrschaftsrechte ist die Frage ungleich wichtiger, denn die Funktion des Rechtsobjekts hängt eng mit den Funktionen zusammen, die das subjektive Recht erfüllen muss.
E. Zusammenfassung und Folgerungen Nach einer Abgrenzung des Rechtsobjekts als zum Rechtsgegenstand erhobener Ausschnitt der tatsächlichen Lebenswelt66 wurde gezeigt, dass es im Vertragsrecht zwar auch Gegenstandskategorien, namentlich Leistungssubstrat und Vertragsgegenstand gibt.67 Diese sind aber keine Rechtsgegenstände, weil sie kein rechtliches Abbild erfahren. Teil der Zivilrechtswelt sind nur die vertraglich begründeten Rechten und Pflichten der Rechtssubjekte.68 Dann wurden zwei gängige Definitionen von Rechtsobjekten absoluter Herrschaftsrechte dargestellt und analysiert. Die formale Definition versteht Rechts-
66
Siehe oben A. (Lebens)gut, tatsächliche Lebenswelt und Rechtsobjekt. Siehe oben B. Gegenstände im Vertragsrecht; C. Die Spanne zwischen Vertragsgegenstand und Rechtsobjekt. 68 Siehe oben B. III. Können Vertragsgegenstände Rechtsgegenstände sein? 67
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)99
objekte funktional als Bezugspunkt von Rechten gegenüber Personen, sie legt seine logische Stellung fest,69 während die materiale Definition die Beziehung des Rechtsinhabers zum Rechtsobjekt und damit den Beherrschungs- und Zuweisungsgedanken betont.70 Dieser ist stärker darauf gerichtet, was das jeweilige Rechtsobjekt ist, weshalb sich hier auch Meinungen finden, die eine enge Verbindung zwischen Rechtsgegenstand und Vermögensrecht knüpfen (insbesondere Sohm). Legt man den Fokus auf die materiale Seite, i. e. die Innenseite des Rechts71 spielen dabei meist wirtschaftliche Aspekte eine stärkere Rolle72 und die auf den vom Gut ausstrahlenden Nutzen gerichteten Interessen treten in den Vordergrund, was ein Aspekt der positiven Seite absoluter Herrschaftsrechte ist.73 Der Kategorie „Rechtsobjekt“ – und nicht erst den Rechten daran – kann eine Reihe an Funktionen zugeordnet werden, die bei der Verrechtlichung von Lebensgütern eine Rolle spielen. Diese Funktionen sind nicht sämtlich konstitutiv für das Vorliegen eines Rechtsobjekts. Sie müssen aber bei der Konstruktion der anderen Komponenten absoluter Herrschaftsrechte im Blick behalten werden. Suchte man z. B. ein möglichst allgemeingültiges Modell absoluter Herrschaftsrechte, würde ein Beharren auf sämtlichen dieser Funktionen den Kreis der mit dem Modell beschreibbaren Rechte verkleinern.
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen) Das bürgerliche Recht legt als einziges Gesetz körperliche Rechtsobjekte fest. Diese sind sämtlich Sachen oder Tiere i. S. d. §§ 90, 90a BGB.74 Die Erörterung des BGB-Sachbegriffs interessiert hier nur in bestimmter Hinsicht und fällt im Übrigen bewusst kurz aus. Das Eigentumsrecht an Sachen hat als Idealbild aller absoluten Herrschaftsrechte einerseits besonderes Gewicht, weist andererseits aber, wie gesagt, als einziges Herrschaftsrecht körperliche Gegenstände zu. Die Körperlichkeit und das mit ihr verbundene Herrschaftskonzept bereiten für die Übertragung von Lehren des Sachenrechts auf das Immaterialgüterrecht seit jeher Schwierigkeiten. Aus diesen Gründen ist der Sachbegriff daraufhin zu prüfen, welche Bedeutung die Körperlichkeit für ihn hat. Dazu gehört zunächst die nicht neue Frage nach den Grenzen der Körperlichkeit und der Herkunft dieses Merkmals. Wichtiger ist aber die Frage, ob die Körperlichkeit als Abgrenzungskriterium einen besonderen Gerechtigkeitsgehalt hat und ob dieser Gesichtspunkt vom BGB-Gesetzgeber be69
Siehe oben D. II. Formale Definition – Das Rechtsobjekt als Bezugspunkt von Rechten. Siehe oben D. III. Materiale Definition – Das Rechtsobjekt als Herrschaftsgegenstand. 71 Siehe oben D. V. Rechtsobjekte und die Innen- und Außenseite des Rechts. 72 Staudinger/Stieper (2021), vor §§ 90–103 Rn. 5. 73 Siehe unten zu dem durch monopolisierte Verbietungsrechte geschaffenen konkurrenzlosen Freiraum des Berechtigten, § 12 A. I. Benennung des Adressatenkreises – Monopolisiertes Verbietungsrecht und exklusives Dürfen. 74 MüKoBGB/Stresemann, § 90 Rn. 1. 70
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
rücksichtigt wurde, also dem heutigen Sachbegriff wertend innewohnt. Falls dem nicht so ist, stellt sich die Folgefrage, ob für die Abgrenzung in § 90 BGB andere Abgrenzungsmerkmale maßgeblich sind und welche Gerechtigkeitswertungen sie enthalten.
A. Römisches Recht: res corporales und res incorporales Der Sachbegriff des § 90 BGB wurzelt im römischen Recht. Dessen Unterscheidung von res corporales und res incorporales ist hier daher kurz darzustellen und einzuordnen.
I. Darstellung Der römischrechtliche Begriff res war nicht ohne Weiteres mit dem der „Sache“ gleichzusetzen, sondern konnte verschiedene Bedeutungen haben. Neben körperlichen Sachen konnten hiermit Rechtsobjekte als mögliche Gegenstände privater Rechte oder eines Zivilprozesses, wie auch „ein Vermögen als ganzes“ bzw. Vermögensgegenstände75 gemeint sein.76 Kreller sieht bei Gaius einen Wandel des Blickpunktes hin zum „Vermögen als die Summe der einer Person zum Schutz ihrer berechtigten Interessen verliehenen Rechtsmacht“ und damit sogar eine Annährung der res an „den technisch-juristischen Sinn ‚subjektives Recht‘“.77 Die wichtigste Einteilung der res war die nach menschlichem und göttlichem Recht. Dem menschlichen Recht und damit dem Privatvermögen entzogen78 waren die res divini iuris.79 Ebenfalls nicht zum Privatvermögen zählen konnten Sachen öffentlichen Rechts (res publici iuris) 80 und Gemeineigentum (res communes omnium).81 Eine vergleichbare Aufteilung gibt es noch heute.82 Unterhalb dessen finden 75
Kupisch, Irish Jurist Vol. 25/27 (1990/1992), 293 (294). Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, § 92 I. (376 f.); Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 28 Rn. 1. Die gemeinrechtliche Lehre übernahm den Begriff im hier zweitgenannten Sinne, vgl. Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, 274; siehe z. B. Wächter, Pandekten, Bd. 1, § 59 (257 f.) (die Einteilung in res corporales und res incorporales beziehe sich auf „den möglichen Vermögensinhalt, das, was eine Person im Vermögen hat oder haben kann“). 77 Kreller, SZ (Rom.) 66 (1948), 572 (584). 78 Inst. 2.1.1 pr. „Denn manche Sachen stehen nach Naturrecht allen gemeinsam zu, manche sind öffentlich, manche gehören einer Gesamtheit, manche niemandem“. 79 Inst. 2.1.7 ff. „Was göttlichen Rechts ist, steht in niemandes Vermögen.“; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 2, § 237 (243 ff.), siehe auch Bd. 1, § 92 (377 ff.). 80 Vgl. Gai Dig. 1.8.1 pr.; Inst. 2.1.6 („Der Gesamtheit gehört […] was sich in den Städten befindet“). 81 Inst. 2.1.1 („Die folgenden Sachen stehen nach Naturrecht allen gemeinsam zu: die Luft, die fließenden Wasser, das Meer und damit auch der Meeresstrand.“), D 1.8.2; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, § 92 (380 f.); Liebs, Römisches Recht, 152; Honsell, Römisches Recht, 50. 82 NK-BGB/Ring, § 90 Rn. 101 ff. (Allgemeingüter wie Luft, Gewässer, Strand und Meeresboden), Rn. 122 ff. (Öffentliche Sachen, i. e. dem Gemeingebrauch gewidmete Sachen und Verwaltungsvermögen wie z. B. Friedhöfe und Grabdenkmäler [Rn. 136 ff.]), Rn. 129 ff. (res sacrae als einer rechtlich anerkannten Glaubensgemeinschaft gewidmete Sachen). 76
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)101
sich Unterteilungen nach der Manzipationsfähigkeit und Körperlichkeit.83 Letztere ist die vorliegend interessantere Aufteilung, nämlich die zwischen res corporales und res incorporales. Basierend auf den gaianischen Institutionen84 hieß es in den justinianischen Institutionen zu res corporales: „Körperlich sind Sachen, die sich ihrer Natur nach anfassen lassen, zum Beispiel ein Grundstück, Sklave, ein Kleid, Gold, Silber und weiter zahllos andere Sachen.“85
Und zu den res incorporales: „Unkörperlich sind dagegen Sachen, die man nicht anfassen kann; dieser Art sind Gegenstände, die nur rechtlich vorhanden sind, zum Beispiel die Erbschaft, der Nießbrauch und Schuldverhältnisse jeder Art.“ Auch wenn es sich auf körperliche Sachen beziehe, sei „das Recht der Erbschaft, das Rechts des Nießbrauchs und das Recht des Schuldverhältnisses jeweils als solches unkörperlich.“86
II. Heutige Einordnung Offensichtlich erscheint es rückblickend logisch zweifelhaft, Rechte zu den res incorporales zu zählen, das Eigentumsrecht dabei aber zu übergehen.87 Getadelt wird schon die gaianische Grundeinteilung in körperliche Dinge einerseits und Rechtspositionen andererseits.88 Man erklärt die Auslassung herrschend damit, dass das Eigentumsrecht als mit der Sache verschmolzen und deshalb als Bestandteil der res corporales betrachtet wurde,89 was an den Gegenstandsbegriff bei Husserl90 und Sohm91 erinnert. Haedicke folgert weiter, dass Gaius das Eigentumsrecht nur auf 83 Leible/Lehmann/Zech/Baldus,
Unkörperliche Güter im Zivilrecht, 8 (18). Vgl. Gai. Inst. 2.12–14. 85 Inst. 2.2.1; Dig. 1.8.1.1. 86 Inst. 2.2.2; Dig. 1.8.1.1. 87 Kaser, SZ 70 (1953), 127 (142 f.) („logisch bedenkliche Scheidung“ von Sachen und Rechten); Kreller, SZ (Rom.) 66 (1948), 572 (585) (versteht res als subjektive Rechte und sieht in der gaianischen Einteilung eine „säkulare Verwirrung“); Haedicke, Rechtkauf und Rechtsmängelhaftung, 21. 88 Vgl. Kreller, SZ (Rom.) 66 (1948), 572 (585 f.) (‚greifbare‘ Dinge/Machtpositionen rechtlichen Inhalts).; Kaser, SZ 70 (1953), 127 (142 f.) (Sachen/subjektive Rechte); Pflüger, SZ 65 (1947), 339 (340) (Gegenstände von Rechten/subjektive Rechte); Bekker, Pandektenrecht, Bd. 1, § 70 (288) (nennt res incorporalis „ein unnützes Stück der Römischen Rechtssprache“); Peukert, Güterzuordnung, 741 f. (dort auch Fn. 61) (sieht bei Gaius ob der sprachlichen Identifizierung von Rechtsobjekt und subjektivem Recht gar eine „semantische Mogelpackung“). 89 Affolter, Das römische Institutionensystem, 374; Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 67 (155) („Man identifiziert […] das Eigentumsrecht mit der Sache, da es dieselbe total umspannt.“); Haedicke, Rechtkauf und Rechtsmängelhaftung, 21; Gretton, RabelsZ 71 (2007), 802 (805 ff.) (bietet zwei Interpretationen an: 1. ein mit der Sache verschmolzenes Eigentumsrecht, 2. eine Art Gleichsetzung von Sache und Recht, bei der [ähnlich des oben gezeigten „Zueigenhabens“] Sache bzw. Recht „gehabt“ werden, 807); Hölder, Institutionen, 61 f. (im Sprachgebrauch übliche Identifizierung). Siehe auch eingehend Wächter, Pandekten, Bd. 1, § 59 (256 ff.). 90 Siehe oben § 2 B. V. Rechtsgegenstand und Rechtszuständigkeit. 91 Siehe oben § 2 C. Der Rechtsgegenstand bei Sohm. 84
102
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Sachen bezogen und so den Grundstein für den heutigen, auf Sachen beschränkten Eigentumsbegriff gelegt habe.92 Eine andere Deutung verwirft die Vorstellung, dass Gaius 93 überhaupt eine Einteilung von bzw. in Bezug auf subjektive(n) Rechte(n) habe vornehmen wollen; auch sei der res-Begriff nicht dogmatisch zu verstehen, Gaius habe „die moderne Doktrin, für welche der Begriff des subjektiven Rechts der bewußte Zentralbegriff des Privatrechts wurde, nicht vorausahnen“ können.94 Es handele sich vielmehr (nur) um „eine Einteilung der Gegenstände“:95 „Von etwas, das keine Sache ist, so zu reden, ‚als ob‘ es eine Sache wäre, die man erwerben, haben, verlieren und um die man streiten kann, das ist doch das ganze Geheimnis der unkörperlichen Sachen.“96
Die Unterteilung muss ohnehin eher im Kontext des Anfängerlehrbuchs gesehen werden, das die gaianischen Institutionen waren – die Einteilung der „welterklärenden Ordnung“ in unkörperliche und körperliche Gegenstände war an der „Stofflichkeit“, nicht an Verkehrsgeschäften wie etwa Übertragungen orientiert.97 Zwar erleichterte die Einteilung die Zuordnung rechtlicher Regeln für körperliche Gegenstände, während res incorporales eher „Grenzfälle“ versammelten, im Vordergrund stand aber wohl der didaktische Bedarf nach einem „fassliche[n] Schema“.98 Die zweite Erklärung erscheint damit deutlich plausibler als die Annahme eines gravierenden logischen Fehlers. Die gaianische Ordnung zählte die damals relevanten Güter als Gegenstände des Rechts auf und sortierte sie (ohne Rücksicht auf subjektive Rechte) nach ihrer Stofflichkeit. Ein Nießbrauch war wirtschaftlich relevant und man konnte ihn nicht anfassen, daher gehörte er zu den res incorporales. Das Eigentumsrecht wurde losgelöst von der Sache nicht als Wirtschaftsgegenstand wahrgenommen – da es ein solches subjektives Recht im modernen Sinne noch gar nicht gab.99 Dass die res incorporales typischerweise (nicht ausschließlich) eine 92
Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, 20. Geschichte des Begriffs res incorporalis geht auf die Zeit vor Gaius zurück und beschreibt für einige der gaianischen res incorporales einen Übergang von einer körperlichen zu einer unkörperlichen Auffassung, Chiusi, FS Mayer-Marly, 101 (108 f.). 94 Flume, SZ (Rom.) 79 (1962), 1 (23 f., 27); ähnlich schon Pflüger, SZ 65 (1947), 339 (340 f.). 95 Flume, SZ (Rom.) 79 (1962), 1 (24 f.). 96 Pflüger, SZ 65 (1947), 339 (341); Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 138 ff. (bestätigt diese Ansicht – die rechtsanthropologische Deutung des römischen Rechts erkläre die „Gegenständlichkeit seiner Darstellungsweise“, es sei eine „Handelnsordnung objektiven Rechts“ [Hervorh. im Original]). 97 Wacke/Baldus/C. Becker, Juristische Vorlesungen, 49 (66 ff.); ders., Die „res“ bei Gaius, 67 f.; Leible/Lehmann/Zech/Baldus, Unkörperliche Güter im Zivilrecht, 8 (19 f.); Sokolowski, Philosophie im Privatrecht, 41 ff.; Holthöfer, Sachteil und Sachzubehör, 9, 20 f. („[…] von der stoischen Physik entlehntes bloßes Hilfsmittel für eine schuljuristische Erläuterung des […] vorgefundenen […] Rechtsbestandes.“). 98 Leible/Lehmann/Zech/Baldus, Unkörperliche Güter im Zivilrecht, 8 (18 ff., 27 f.). 99 Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 48 II. (195); Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, 32 ff. 93 Die
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)103
rein rechtliche Existenz fristeten (in iure consistunt), war unproblematisch, da dies wie gesagt nicht das entscheidende Kriterium der Einteilung darstellte. Das trifft auch Haedickes Kritik, dass „römische System des Vermögensrechts“ biete keinen Raum „für die späteren Immaterialgüter“100 – die Untergliederung setzt nicht im Vermögen, sondern schon davor an.101 Die nähere Definition der „res incorporales“ ist unklar. Neben Nießbrauch, Servituten (selbständige dingliche Rechte an fremden Sachen) oder Obligationen,102 wird erwogen,103 res incorporales als bloße rechtstechnische Vertreter von Dingen und Leistungen zu verstehen, die selbst aber den Gesetzen der körperhaften Welt unterständen. Sie verträten als Anspruch das zu Beschaffende, wie z. B. der Anspruch auf die Vornahme einer Handlung kein geistiges Gut, sondern eine körperhafte Handlung eines Menschen zum Gegenstand habe.104 Sie seien dann eher Platzhalter für „körperliche oder ihnen gleichwertige Sachen wie Geld und bestimmte Leistungen“, die „den Gesetzen der körperhaften Welt“ unterstünden; z. B. werde der Anspruch auf eine Handlung durch deren Ausführung „aufgezehrt“. Von den Immaterialgütern seien sie klar getrennt.105 Rüfner versteht die res incorporales als „Sachen, deren Existenz sich auf die Sphäre des Rechts beschränkt“.106
III. Ergebnis Die zuletzt genannten Auffassungen kommen der von Husserl beschriebenen theoretischen Funktion des Rechtsgegenstands nahe. Im Übrigen zeigte sich, dass es sich bei der Unterscheidung von res corporales und res incorporales um eine Sortierung körperlicher und unkörperlicher Gegenstände nach ihrer Stofflichkeit und ohne Rücksicht auf die Trennung von Rechten und Rechtsgegenständen (als Abbilder außerrechtlicher Güter) handelt.
B. Die Sache im Pandektenrecht: Enger und weiter Sachbegriff Nun ist, anknüpfend an die römischrechtliche Darlegung, kurz das Verständnis des Sachbegriffs im Pandektenrecht zu untersuchen. Dessen Gegenstand ist, ausgehend vom Programm des „Usus modernus pandectarum“, die zeitgemäße Anwendung bzw. Anpassung des römischen Rechts an die Bedürfnisse des 19. Jahrhunderts.
100
Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, 21 f. Juristische Vorlesungen, 49 (68); strenger Kohler, Autorrecht, 8 f. (lobt das „feine Rechtsgefühl“ der „Römer“, tadelt aber ihre Systematik als „bodenlos“). 102 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 28 Rn. 3. 103 Troller/Troller, Kurzlehrbuch, 11. 104 Vgl. Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 55. 105 Troller/Troller, Kurzlehrbuch, 11. 106 HKK/Rüfner, §§ 90–103 Rn. 3; ähnlich Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 67 (155) (beschränkt die res incorporalis auf Rechte [„z. B. Servituten, Obligationen, Erbansprüche“]). 101 Wacke/Baldus/C. Becker,
104
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
I. Überblick Die Entwicklung des Sachbegriffs im deutschen Sprachraum beeinflusste vor allem Kant,107 der die Sache in seiner Moralphilosophie als Gegenbegriff zur Person verwendet:108 „Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. […] Sache ist ein Ding, was keiner Zurechnung fähig ist. Ein jedes Object der freien Willkür, welches selbst der Freiheit ermangelt, heißt daher Sache (res corporalis).“109 Der Mensch (und damit die Person) ist „keine Sache, mithin nicht etwas, das bloß als Mittel gebraucht werden kann, sondern muß bei allen seinen Handlungen jederzeit als Zweck an sich selbst betrachtet werden.“110 Daher kann er auch nicht Gegenstand des Eigentums sein.111
Moralische Verbindlichkeiten können nach Kants Lehre nicht für Naturkräfte, sondern nur für zurechnungsfähige Subjekte angenommen werden.112 Daher ist die Sache nicht nur Objekt freier menschlicher Willkür, sondern auch unfrei. Als Gegensatz zur Person tritt sie dem Menschen „grundsätzlich ohne eigenen Willen gegenüber“, sie ist seinem Zugriff ausgesetzt, seinen Zwecken und ihm verfügbar.113 Kants Sachbegriff ist damit nicht an der Körperlichkeit, sondern an der Unterwerfung unter die Willkür einer Person ausgerichtet. Er wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Pandektenrecht übernommen,114 so führt Savigny, dem Konzept Kants folgend, aus: „Die unfreye Natur kann von uns beherrscht werden nicht als Ganzes, sondern nur in bestimmter räumlicher Begränzung; ein so begränztes Stück derselben nennen wir Sache, und auf diese bezieht sich […] das Recht an einer Sache, welches in seiner reinsten und vollständigsten Gestalt Eigenthum heißt.“115 Eine solche Beziehung „zu einer fremden Person […], worin dieselbe, auf ähnliche Weise wie eine Sache, in das Gebiet unfreyer Willkür herein gezogen, also unserer Herrschaft unterworfen wird“ schließt er aus Gründen aus, die an Kants Gegenüberstellung von Sache und Person erinnern: „Wäre nun diese Herrschaft eine absolute, so würde dadurch in dem Andern der Begriff der Freyheit und Persönlichkeit aufgegeben“.116
Auch für den Sachbegriff des späteren BGB-Entwurfs ist die Gegenüberstellung der Sache zum Menschen kennzeichnend, in der die Sache als Gegenpol, als NichtMensch fungiert (man denke auch an den von Husserl beschriebenen Prozess der Entindividualisierung des Gegenstandes).117 Die Sache ermangelt der menschli107 HKK-BGB/Rüfner,
§§ 90–103 Rn. 6. Vgl. Mittelstraß/Schnur/Schwemmer, Bd. 3, „Sache“. 109 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 223. 110 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 429. 111 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 270. 112 Höffe/Höffe, Metaphysische Anfangsgründe, 41 (49 f.). 113 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, 58. 114 Vgl. HKK/Rüfner, §§ 90–103 Rn. 6. 115 Savigny, System, Bd. 1, 338. 116 Savigny, System, Bd. 1, 338. 117 Siehe oben § 2 F. I. Genese des Rechtsgegenstands; V. Speziell: Persönlichkeit als Rechtsgegenstand? 108
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)105
chen Freiheit und ist der Beherrschung durch den Menschen nach Maßgabe seiner Willkür unterworfen. Was aber die Abgrenzung der Sache als Ding in der Welt angeht, fand sich in den zum Zeitpunkt des Erscheinens von Savignys „System des heutigen römischen Rechts“ schon älteren, im Gebiet des Deutschen Bundes geltenden Kodifikationen ein wesentlich weiter gefasster Sachbegriff. Die Rede ist vom ALR (1794),118 dem Code civil (1804)119 und dem ABGB (1811)120 .121 Savigny kritisierte an diesem weiten Sachbegriff, dass er so weit gefasst sei, „daß kaum etwas ist, was nicht Sache heißen könnte“. Hierauf würden mit Besitz und Eigentum aber „zwey der allerwichtigsten Rechtsbegriffe“ gegründet, die „gestaltlos und unbrauchbar“ würden, würde für sie nicht ein „engerer, nirgends bestimmter Begriff der Sache unterlegt“.122 Eine solche Tendenz zur Begrenzung auf körperliche Gegenstände wird für das gemeine Recht123 in Form des Pandektenrechts des 19. Jahrhunderts mitunter generalisierend konstatiert. Tatsächlich fand aber eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Sachbegriff statt.124 Es wäre problematisch, die Meinungen der 118 Erster Teil, Zweiter Titel, §§ 1–3 ALR („Was Sache sey.“): „§ 1. Sache überhaupt heißt im Sinne des Gesetzes alles, was der Gegenstand eines Rechts oder einer Verbindlichkeit seyn kann. § 2. Auch die Handlungen der Menschen, ingleichen ihre Rechte, in so fern dieselben den Gegenstand eines andern Rechts ausmachen, sind unter der allgemeinen Benennung von Sachen begriffen. § 3. Im engern Sinne wird Sache nur dasjenige genannt, was entweder von Natur, oder durch die Uebereinkunft der Menschen, eine Selbstständigkeit hat, vermöge deren es der Gegenstand eines dauernden Rechts seyn kann.“ 119 Seit 1805 unverändert sind (unter anderem) die §§ 516 ff. CC und § 529 CC. Basiskategorie des franz. Sachenrechts (droit des biens) sind nicht Sachen (choses), sondern Güter (biens). „§ 516 CC: Alle Güter sind beweglich oder unbeweglich. […] § 526 CC: Unbeweglich in Ansehung des Gegenstandes, auf welchen sie sich beziehen, sind: – der Nießbrauch an unbeweglichen Sachen; – die Servitute oder Grunddienstbarkeiten; – die Klagen, die auf die Zurückerstattung eines unbeweglichen Gutes zielen.“ § 529 CC wiederum definiert bestimmte Verbindlichkeiten und Klagen, untilgbare Renten und Leibrenten als bewegliche Güter (Übersetzung aus v. Bar/Beysen, Sachenrecht in Europa, Bd. 4, 267 ff.). Auch die Immaterialgüterrechte zählen zu den beweglichen Gütern, v. Bar/Beysen, Sachenrecht in Europa, Bd. 4, 194. 120 Die folgenden Paragraphen des ABGB sind seit 1811 unverändert: „§ 285: Alles, was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der Menschen dient, wird im rechtlichen Sinne eine Sache genannt. […] § 292: Körperliche Sachen sind diejenigen, welche in die Sinne fallen; sonst heißen sie unkörperliche; z. B. das Recht zu jagen, zu fischen und alle andere Rechte. […] § 298: Rechte werden den beweglichen Sachen beygezählt, wenn sie nicht mit dem Besitze einer unbeweglichen Sache verbunden, oder durch die Landesverfassung für eine unbewegliche Sache erkläret sind. […] § 307: Rechte, welche einer Person über eine Sache ohne Rücksicht auf gewisse Personen zustehen, werden dingliche Rechte genannt. Rechte, welche zu einer Sache nur gegen gewisse Personen unmittelbar aus einem Gesetze, oder aus einer verbindlichen Handlung entstehen, heißen persönliche Sachenrechte. […] § 311: Alle körperliche und unkörperliche Sachen, welche ein Gegenstand des rechtlichen Verkehres sind, können in Besitz genommen werden. […] § 353: Alles, was jemanden zugehöret, alle seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, heißen sein Eigenthum.“ 121 Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, 39 ff. 122 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 99. 123 Das Verhältnis des gemeinen Rechts zu den Partikularrechten war überaus streitig; soweit es auf römischem Recht beruhte, galt es aber subsidiär, HRG/Luig, Stichwort „Gemeines Recht“, Punkt XI. 124 Siehe auch Meder, UFITA 2012/I, 171 (179 ff.).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Autoren auf einen engen oder weiten Sachbegriff zu verkürzen – ohnehin ist die Anerkennung sowohl körperlicher als auch unkörperlicher Sachen nicht zwingend dasselbe wie ein weiter Sachbegriff. Zumindest die hier betrachteten Quellen befassen sich mit teils sehr unterschiedlichen Fragestellungen, die der Bandbreite der als Sache bezeichneten Gegenstände einen anderen Charakter geben. Die groben Pole der Betrachtung blieben die gaianische Zweiteilung res corporales/res incorporales – von der aber bekannt war, dass sie keine Sacheinteilung war125 – einerseits und die eben erwähnten großen Partikulargesetze mit ihren weiten Auffassungen zum Sachbegriff andererseits. Zu beachten ist bei der Bewertung der Pandektenliteratur auch ihr besonderer Blickwinkel. Es handelte sich größtenteils um Werke, die sich nicht auf die Wiedergabe gesicherten Wissens beschränkten, sondern eigenständige Interpretationen römischrechtlicher Quellen vornahmen und abstrakte Gedanken unter Anpassung an aktuelle Bedürfnisse herausbildeten.126 Dies geschah obendrein vor dem Hintergrund des technischen Fortschritts im 19. Jahrhunderts sowie umfänglicher politischer und gesetzlicher Veränderungen. Speziell im Verhältnis von res incorporales und unkörperlichen Sachen ist zu berücksichtigen, dass sich Gaius’ Ordnungsidee, körperliche und unkörperliche Güter unter einen Ordnungspunkt zu fassen, erst durch die Scheidung des Prozessrechts vom materiellen Recht entfalten konnte. Denn durch den Wegfall der actiones erhielten – die von Gaius als res eingeordneten – Obligationen bzw. Ansprüche ihren eigenen Platz und mussten nicht weiter in derselben Gruppe wie Lebensgüter geführt werden.127 Ließ sich über die res nach Gaius’ nur wenig Einheitliches aussagen, da die darunter gefassten Gegenstände sehr unterschiedlichen Regeln (insbesondere hinsichtlich ihrer Übertragung) unterlagen,128 ermöglichte die Auslagerung subjektiver Rechte einheitlichere juristische Konsequenzen der Zuordnung eines Gutes zur Gruppe der Sachen.129 Nunmehr konnte gestritten werden, ob hierunter auch unkörperliche Güter fallen sollten. 125 Wächter, Pandekten, Bd. 1, § 59 (256 ff.): Die römische Einteilung von res corporales und res incorporales werde oft falsch aufgefasst, da nicht hinreichend berücksichtigt werde, dass es sich um eine Vermögenseinteilung handelt. Dies aber führe dazu, dass Sachen und das Eigentumsrecht zu den res corporales gezählt werden, während res incorporales die Vermögensrechte mit Ausnahme des Eigentums umfassen. Entscheidend sei indes, dass das Eigentumsrecht notwendig mit einer körperlichen Sache verbunden sei und dass eine Sache, die nicht im eigenen Eigentum steht, auch nicht zum eigenen Vermögen gezählt werden könne. Zum Vermögen zählten dann die „rechtliche Herrschaft in einer gewissen Richtung und Beziehung, die also nicht schon durch die bloße Nennung des Herrschaftsgegenstandes, der Sache, bezeichnet werden kann, sondern nach ihrem besonderen Inhalte noch näher bestimmt werden muß“. Daher müsse man „hier das Unkörperliche, das Recht selbst nennen“, z. B. eine Dienstbarkeit. Ähnlich Puchta, Pandekten, § 35, 51 f. 126 Staudinger/Honsell (2018), Einl. zum BGB, Rn. 53; HRG/Luig, Stichwort „Gemeines Recht“, Punkt XI; Windscheid/Kipp, Pandektenrecht Bd. I, Vorwort zur 1. Aufl. („Pflicht des Verfassers eines Lehrbuchs ist, das Ueberlieferte zu prüfen, aber ebenso sehr, das nach seiner Ueberzeugung Gute festzuhalten“). 127 Leible/Lehmann/Zech/Baldus, Unkörperliche Güter im Zivilrecht, 8 (28). 128 C. Becker, Die „res“ bei Gaius, 47 f.; HKK/Rüfner, §§ 90–103 Rn. 4. 129 Leible/Lehmann/Zech/Baldus, Unkörperliche Güter im Zivilrecht, 8 (27 ff.); Kupisch, Irish Jurist Vol. 25/27 (1990/1992), 293 (299 f.).
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II. Verschiedene Sachabgrenzungen im Pandektenrecht Der folgende Überblick über einige ausgesuchte Stimmen des 19. Jahrhunderts gibt einen Eindruck von dieser Mischung aus Quelleninterpretationen, praktischen Erwägungen und Reaktionen auf gesetzliche Entwicklungen. Die Darstellung erfolgt der Übersichtlichkeit halber gebündelt, so dass im Folgenden darauf verwiesen werden kann: Thibaut (1834): „Unter Sache versteht man Alles, was kein Subject rechtlicher Verhältnisse ist oder seyn kann, wohl aber Gegenstand rechtlicher Handlungen, und insofern auch mittelbar Gegenstand der Rechte.“130 „Ihrem innern Wesen nach sind die Sachen entweder unkörperliche, wenn sie nur im Begriff existiren, oder körperliche, welche durch die Sinne erkannt werden. Zu jenen gehören nicht bloß alle Dinge, welche, wie z. B. Rechte, selbst als Individuen stets nur gedacht werden können, sondern auch alles im Individuo Körperliche, was aber in der Gattung, also im Begriff, den Gegenstand eines Rechts ausmacht.“131 „Unkörperliche Sachen, also auch Rechte, sind an sich weder beweglich, noch unbeweglich; doch kann eine allgemeine Rede es nöthig machen, sie unter die eine, oder die andere Classe zu bringen.“132 Savigny (1840): Siehe soeben unter I. Puchta (1877): „Sache ist ein von der Person äußerlich unabhängiger, aber gänzlich der Unterwerfung unter ihren Willen bestimmter körperlicher Gegenstand.“ Der Begriff sei über die körperlichen Gegenstände hinaus auf Sachgesamtheiten erweitert worden, zum einen auf zusammenhängende Sachen, zum anderen auf Sachen, die durch eine rechtliche Bestimmung „innerlich verbunden sind“, wie z. B. eine Herde oder ein Warenlager.133 Wächter (1880): „Sache im juristischen Sinn (corpora, res corporales) sind die unpersönlichen materiellen Dinge der Außenwelt (welche den Raum erfüllen). Die römischen Juristen definiren sie als Dinge, welche durch den Tastsinn percipirbar sind (res quae tangi possunt), was freilich etwas zu eng ist. Im Recht kommen natürlich nur die Sachen in Betracht, welche überhaupt der Gewalt des Menschen unterworfen sind. […] Im vulgären Sprachgebrauch wird Sache gewöhnlich für gleichbedeutend genommen mit Ding […]. Diese Dinge oder Sachen […] kann man weiterhin eintheilen, wie Viele thun, in körperliche und unkörperliche […] Im juristischen Sinn sind Sachen nur die körperlichen Dinge (res im engeren Sinne) und nur in diesem Sinn sollte der Jurist auf dem Rechtsgebiet das Wort gebrauchen.“ Bekker (1886) vertritt schon früh eine abgeklärte und moderne Auffassung des Sachbegriffs. Der „Name res incorporales“ sei von den Römern wie den Romanisten „so wenig praktisch ausgenutzt [worden], dass wir voll befugt sind denselben unter die Antiquitäten zu werfen“,134 er sei „ein unnützes Stück der Römischen Rechtssprache“.135 Somit sei „der Ausdruck ‚unkörperliche Sache‘ frei verwendbar“ und es komme darauf an, „den mit ihm zu verbindenden Begriff für Theorie und Praxis brauchbar auszudenken und abzugrenzen“.136 Bekker setzt „res incorporales“ und „unkörperliche Sache“ also mehr oder weniger gleich 130
Thibaut, System des Pandekten-Rechts, Bd. 1, § 167 (132 f.). Thibaut, System des Pandekten-Rechts, Bd. 1, § 171 (136). 132 Thibaut, System des Pandekten-Rechts, Bd. 1, § 173 (137). 133 Puchta, Pandekten, § 35, 51 f. 134 Bekker, ZVglRWiss 2 (1880), 11 (20). 135 Bekker, Pandektenrecht, Bd. 1, § 70 (288). 136 Bekker, ZVglRWiss 2 (1880), 11 (20); ders., Pandektenrecht, Bd. 1, § 70 (288). 131
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
und bezeichnet die wenige Jahre zuvor unter reichseinheitlichen gesetzlichen Schutz gestellten Immaterialgüter 137 als „vom modernen Recht zu Rechtsobjekten erhobene unkörperliche Sachen“.138 Wendt (1888): „Als Sache bezeichnet der juristische Sprachgebrauch jedes begrenzte und für sich bestehende Stück der unfreien Natur […].“ Als Beispiel nennt er unter anderem „die Erzeugnisse unserer menschlichen Thätigkeit und Arbeit in langer und ungeschlossener Reihe“. Dann setzt er die Sache offenbar als Kategorie dem Rechtsobjekt gleich: „Die Sache ist Rechtsobjekt, diesem Satze offenbart sich die Rechtsanschauung, daß dem Menschen als dem beherrschenden Rechtssubjekte der gesammte übrige Schöpfungskreis zu seinem Rechte überwiesen, und den Gegenstand seiner Herrschaft und Aneignung zu bilden bestimmt sei.“139 Regelsberger (1893): Der Sachbegriff entstamme zwar der „Naturlehre“, stimme aber nicht durchweg mit dem physikalischen Begriff überein. „Der rechtliche Sachbegriff ist […] kein absoluter und unveränderlicher, er ist von der Kulturentwicklung und vom positiven Recht abhängig. Dies erwogen, lässt sich die Sache bezeichnen als ein Stück unfreier Natur, welches vom Recht als selbständiger Gegenstand menschlicher Wirtschaft anerkannt ist.“ Der Sprachgebrauch, der unter Sache „jedes unpersönliche Rechtsobjekt“ versteht, verdiene „keine Nachahmung“.140 V. Gierke (1895): „Rechtsobjekt im technischen Sinne ist […] nur das unpersönliche Objekt eines Rechts. Ein unpersönliches Ding, dem die Rechtsordnung die Fähigkeit zuschreibt, Rechtsobjekt zu sein, heißt Sache (im weiteren Sinn).[141] Zur Sache eignet sich jeder Bestandteil der äußeren Güterwelt, der im Verhältnis der Menschen zu einander einer für andere Willen bindenden Willensherrschaft unterworfen werden kann. Der Begriff der Sache ist ein Rechtsbegriff […] Er deckt sich daher nicht mit dem Begriff eines Naturgegenstandes. […] Alle Naturgegenstände aber sind Sachen nur in ihren der rechtlichen Beherrschung zugänglichen Beziehungen, nicht in ihrer sinnlichen Totalität.“ Er fährt mit der Untergliederung der Sachen fort: „Körperliche Sache heißt ein räumlich begrenztes Stück der äußeren Güterwelt in der Totalität seiner zur rechtlichen Beherrschung geeigneten Beziehungen.“ Auch v. Gierke betont die Bedeutung der Unterscheidung der Sache im Rechtssinn und als Naturgegenstand. „Unkörperliche Sache“ sei hingegen „ein ideell begrenzter Ausschnitt aus 137 Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken (11.6.1870, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Band 1870, Nr. 19, 339 ff.); Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste. (v. 9.1.1876, Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1876, Nr. 2, 4 ff.); Gesetz, betreffend den Schutz der Photographieen gegen unbefugte Nachbildung (10.1.1876, Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1876, Nr. 2, 8 ff.); Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen (11.1.1876, Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1876, Nr. 2, 11 ff.) (Vorläufer des GeschmMG); Patentgesetz (25.5.1877, Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1877, Nr. 23, Seite 501); Gesetz über Markenschutz (30.11.1874, Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1874, Nr. 28, 143 ff.); daran anknüpfend entwickelte Kohler seine Lehre des Immaterialgüterrechts, Kohler, Deutsches Patentrecht, 8 ff.; ders., Autorrecht, passim; dazu Wadle, Geistiges Eigentum, Bd. 1, 309 ff.; 387 ff.; Vogel, GRUR 1987, 873; Beier, GRUR 1978, 123. 138 Bekker, Pandektenrecht, Bd. 1, § 20 (64); dazu eingehend Kreutz, Das Objekt, 164 ff. 139 Wendt, Lehrbuch der Pandekten, § 30 (65). 140 Regelsberger, Pandekten, Bd. 1, § 96 (365 f.). 141 Hier verweist v. Gierke auf das ALR I, 2 § 1; § 285 ABGB sowie auf den engeren Sachbegriff des BGB-E.
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)109
den zu rechtlicher Beherrschung geeigneten Beziehungen der äußeren Güterwelt. Die unkörperliche Sache empfängt ihre Begrenzung und damit ein gesondertes Dasein erst durch den Umfang und Inhalt des Rechtes, als dessen Gegenstand sie gedacht wird.“142 v. Jhering hat sich, soweit ersichtlich, nicht ausführlich zur Abgrenzung des Sachbegriffs geäußert.143 Windscheid/Kipp (1900): „Bei der Bestimmung des Begriffes der Sache ist davon auszugehen, daß unter Sache verstanden wird das einzelne Stück der vernunftlosen Natur. Hiermit ist gesagt, daß zum Begriff der Sache das Moment der realen Existenz, der Körperlichkeit gehöre. Es ist jedoch dem positiven Recht unbenommen, bloß gedachte Dinge als Gegenstände von Rechtsverhältnissen, durchweg oder in einzelnen Beziehungen, zu behandeln, wie körperliche.“ Angelehnt an die Konstruktion der juristischen Person stellt er fest, dass unkörperliche Gegenstände freilich in den Augen des Rechts keine Sachen seien, sondern nur wie solche behandelt, allerdings nicht „in allen Stücken unter die gleichen Grundsätze gestellt“ würden, dies sei vielmehr „für jede Kategorie von juristischen Sachen besonders zu bestimmen“.144 Als unkörperliche Sachen kämen – in ausdrücklicher Abgrenzung vom Begriff res incorporales – mit Blick auf das römische Recht Rechte und Sachgesamtheiten in Betracht. Gehe man „über den Kreis des römischen Rechts hinaus“, so müssten auch „Geistesproducte: wissenschaftliche und Kunstwerke, Erfindungen […] als unkörperliche Sachen in dem hierher gehörigen Sinne bezeichnet werden“.145 Dernburg (1902) vertritt eine am „Sinn“ der jeweiligen Vorschrift ausgerichtete Auslegung des Sachbegriffs: „Wir wissen nicht, was das Stoffliche an Sachen ausmacht. Was geht dies das Recht an! Wenn es sich um Güter handelt, welche dem Menschen dienen, für ihre Wirtschaft von Nutzen sind, die sich in der Außenwelt befinden, welche sich Menschen aneignen und sich rechtmäßig angeeignet haben, so liegen für das Recht Sachen vor.“ Daher versteht er Gas wie auch Strom als körperliche Sachen.146 In seinem Lehrbuch führt er allgemein aus: „Körperliche Dinge sind die im Raume befindlichen Vermögensobjekte, also Grundstücke und bewegliche Sachen. Nur körperliche Objekte sind im eigentlichen Sinne des Besitzes, der Tradition, der Ersitzung, des Eigentums fähig. […] Unkörperlich sind die Rechte […]. Indem man die körperlichen Dinge als Vermögensbestandteile bezeichnet, meint man im Grunde das Eigentumsrecht an denselben. Man identifiziert dabei das Eigentumsrecht mit der Sache, da es dieselbe total umspannt.“147
III. Folgerungen Hieraus folgen einige wichtige Erkenntnisse für die Herkunft und den Charakter des Sachbegriffs sowie für die unten zu untersuchende Bedeutung „unkörperlicher Sachen“ im heutigen Recht: 142
V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, § 31 (269 f.). V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. II/2., § 42 (dort insbesondere 438 f. zu res corporales und res incorporales). 144 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht Bd. I, 8. Aufl. 1900, § 137 (603, mit Fn. 2). 145 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht Bd. I, 8. Aufl. 1900, § 137 (603 ff., 607). 146 Dernburg, Deutsche Juristen-Zeitung 1896, 473 (474); ders., Pandekten, Bd. 1, 67 (155, dort Fn. 3). 147 Dernburg, Pandekten, Bd. 1, 67 (155). 143
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Die Unterscheidung der Sache als Rechtsobjekt einerseits und Naturgegenstand andererseits war den Pandektisten durchaus bewusst und eine Gleichsetzung verbot sich. Die Körperlichkeit war zwar ein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal, sie setzte sich aber nicht zwingend als Kriterium im rechtlichen Sachbegriff fort. Der rechtliche Sachbegriff war – wie insbesondere Regelsberger betont – veränderlich und stand wirtschaftlichen wie kulturellen Entwicklungen offen.148 Die Bildung der Kategorien körperlicher und unkörperlicher Sachen stand zwar in der Tradition der gaianischen Zweiteilung. Zumindest bei den Autoren, die den Charakter der Zweiteilung als Vermögenseinteilung kannten, kann man aber nicht von einer Gleichsetzung sprechen.149 Entsprechend war die Annahme unkörperlicher Sachen oder eines weiten Sachbegriffs kein Falschgebrauch des Wortes „Sache“ und auch keine unreflektierte Ausdehnung des körperlichen Sachbegriffs, sondern – wie bei v. Gierke zu sehen – das Ergebnis eines anderen Begriffsverständnisses. „Sache“ war ein Synonym für das, was in der vorliegenden Arbeit als Ausschnitt der Lebenswelt150 bezeichnet wird; mitunter wurden die Begriffe „unkörperliche Sachen“ und „immaterielle Güter“ auch gleichsetzt.151 Obwohl die Lehre zur Sache im Pandektenrecht vielfältig war, reichte sie nicht besonders tief, sondern beschränkte sich – dem Grundgedanken der Pandektistik gemäß – auf Deutungen und Weiterentwicklungen der römischen Zweiteilung. Bei der Übertragung der römischen Quellen auf die abstrahierende Sachenrechtslehre kam es verschiedentlich zu Missverständnissen, was etwa Wächter kritisiert. Das insoweit wichtigste Problem ist, dass das römische Recht nicht in der Trennung von Gut und subjektivem Recht dachte,152 sondern die Sache in einer Weise zu den körperlichen Gütern zählte, die im 19. Jahrhundert – wie auch heute – erforderte, auch das Sacheigentumsrecht dort zu verorten. Das Abgrenzungskriterium der Körperlichkeit stammt aber aus dem römischen Recht (und dort wiederum von Gaius) und wurde, soweit ersichtlich, als solches in der Pandektistik zumindest als Prinzip nicht weiter reflektiert. Im römischen Recht war ausweislich der Institutionen die Tastbarkeit maßgeblich, im Pandektenrecht sah man dies als tendenziell zu eng an, da es nunmehr auch Güter wie Gas und wenig später elektrischen Strom abzugrenzen galt. Warum die Grenze aber bei der Körperlichkeit verläuft, und nach welchem Prinzip diese in Detailfragen zu definieren ist, lässt sich auch den Quellen des 19. Jahrhunderts nicht entnehmen. 148 Siehe auch Bekker, ZVglRWiss 2 (1880), 11 (34) (das „Gebiet der Sachen“ sei nicht „für alle Zeiten fest abgeschlossen“, sondern müsse „im natürlichen Zusammenhange mit dem menschlichen Wissen und Können wachsen und jenachdem auch wieder abnehmen“). 149 Vgl. etwa oben Wächter, Bekker sowie Windscheid/Kipp, Pandektenrecht Bd. I, 8. Aufl. 1900, § 137 (604, mit Fn. 3) (verweisen bei unkörperlichen Sachen auf die res incorporales, betonen aber, dass Letztere im römischen Recht „Vermögensbestandteile“ bezeichneten). 150 Siehe oben § 3 A. (Lebens)gut, tatsächliche Lebenswelt und Rechtsobjekt. 151 Siehe etwa Bekker, Pandektenrecht, Bd. 1, § 20 (63). 152 So weist Bekker darauf hin, dass die Frage „‚Was ist Eigentum?‘ […] aus den Quellen des römischen Rechts nicht zu entnehmen sein kann. […] die Quellen lassen erkennen, dass die Römer über die Frage wenig, auch gar nicht, nachgedacht haben“, Bekker, ZVglRWiss 2 (1880), 11 (14 f.); siehe auch die Nachweise in Fn. 99.
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C. Abgrenzungskriterien für den Sachbegriff nach § 90 BGB Nach den obigen153 Darlegungen zum Rechtsgegenstand als rechtliches Abbild eines Gegenstands der Lebenswelt, hat § 90 BGB eine zentrale Regelungswirkung. Er regelt die Aufnahme von Gegenständen in das Zivilrecht. Welche Kriterien hierfür angelegt werden und welchen Gerechtigkeitsgehalt speziell die Körperlichkeit als Abgrenzungsmerkmal entfaltet, ist im Folgenden zu untersuchen.
I. Der Sachbegriff in den Vorarbeiten zum BGB Das einzige ausdrückliche Tatbestandsmerkmal das § 90 BGB seit 1900 unverändert für Sachen nennt, ist das der Körperlichkeit. Dieses Kriterium fand sich in Johows Entwurf eines Sachenrechts noch nicht. Dieser begann vielmehr mit der Feststellung in § 1 SachenR-E, dass die „über Sachen gegebenen Bestimmungen […] auf Rechte nur nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Vorschrift Anwendung“ finden.154
Das schließlich vom Gesetzgeber gewählte Tatbestandsmerkmal der Körperlichkeit entstammt nicht Johows Entwurf, sondern dem Bedürfnis der ersten Kommission, die Doppelsinnigkeit des Begriffs zu vermeiden, der nach ihrer Ansicht sowohl Körper wie Rechte bezeichnen konnte,155 was mit Blick auf das Pandektenrecht und die großen Partikularrechte ein berechtigter Einwand war. Johow hatte diese Abgrenzung von Rechten im eben zitierten § 1 SachenR-E auf andere Weise klargestellt. Johow sah im Begriff der Körperlichkeit offenbar kein so problematisches Abgrenzungsmerkmal, dass er es als Tatbestandsmerkmal festgelegt hätte. Er nennt sie in der Begründung nur am Rande: Zunächst stellte er mit Blick auf die einschlägigen Partikulargesetze156 fest, das sein Entwurf nur von der Sache i. e. S. handelt, nämlich als „räumlich begrenztes Stück der unfreien Natur“, während der überkommene und nicht gemeinte weitere Sinn mit Sache den „Gegenstand eines Vermögensrechts“ bezeichne.157 Später stellte er neben verschiedenen Andeutungen noch einmal klar, dass der Entwurf „das Wort Sache überall nur in einem Sinne, dem Sinne eines körperlichen Dings“ gebrauche.158 Weit mehr Aufmerksamkeit widmete Johow der Prüfung, bei welchen Sachen „von Natur eine ausschließende Beherrschung durch den Willen des Menschen“ möglich bzw. nicht möglich ist.159 Dies tat er i. R. d. Begründung der §§ 3–5 Sa153
S. o. § 2 F. Zusammenfassung und Folgerungen. § 1 Entwurf Sachenrecht (1880). 155 Jakobs/Schubert, Allgemeiner Teil (1. Teilband), 426. 156 Neben dem ALR, Code Civil und ABGB insbesondere den Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756) und das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen (die Endfassung von 1863 trat 1865 in Kraft), eingehend C. Becker, Die „res“ bei Gaius, 18 ff. 157 Johow, Begründung Entwurf Sachenrecht, Bd. 1, 17. 158 Johow, Begründung Entwurf Sachenrecht, Bd. 1, 20. 159 Johow, Begründung Entwurf Sachenrecht, Bd. 1, 33. 154
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
chenR-E, die bezeichnenderweise die Überschrift „Fähigkeit, Gegenstand von Privatrechten zu sein“ tragen. Dieses Kriterium scheint Johow problematischer und wertungsmäßig entscheidender für den Sachbegriff zu sein als das der Körperlichkeit. Letztere ist eher der Grund für die Beherrschbarkeit.160 Unter diesem Punkt untersucht er auch verschiedene Grenzprobleme des Sachbegriffs, etwa die Qualifikation von Flüssigkeiten und Gasen als Sachen. Beispiel: Stehendes Wasser sei grundsätzlich beherrschbar, könne allerdings auch in „so großen Massen zusammenstehen“, dass es zwar für Menschen nützlich sei, sich „aber schlechthin nicht beherrschen und nur bei physischer Ausscheidung einzelner Theile an eine Unterwerfung sich denken“ lasse.
Mit dem praktischen Blick des Gesetzgebers konzentrierte Johow sich auch in seinem Entwurf auf die Frage der Beherrschbarkeit. So lautete § 3 SachenR-E: „Soweit an Sachen ihrer Natur nach eine ausschließende Willensherrschaft nicht stattfindet, wie bei der freien Luft und dem freifließenden Wasser, können sie nicht Gegenstand von Rechten oder Rechtsverhältnissen sein. Der in einem Behälter eingeschlossene gasförmige Körper und das in ein Gefäß oder in eine den endlichen freien Abfluß hindernde Leitung gefaßte Wasser sind als selbstständige bewegliche Sachen zu betrachten. Im Uebrigen ist das des freien Abflusses ermangelnde Wasser Bestandtheil des Grundstücks, in oder auf welchem es sich befindet.“
Ein weiterer Blick gilt der Auffassung von Planck, dem Generalreferenten der 2. Kommission: Der Ausdruck „Sache“ bezeichne „nur einen körperlichen Gegenstand, d. h. ein Stück der unfreien Natur“.161 Maßgeblich für die Sacheigenschaft sei „die Verkehrsauffassung“. „Nicht erforderlich ist ein völlig einheitliches und unteilbares Stück. In diesem Sinne würden nur die Atome Einzelsachen sein“.162 Die Frage, ob elektrischer Strom eine Sache ist, sei wiederum „keine juristische, sondern eine naturwissenschaftliche und hier deshalb nicht weiter zu erörtern“.163 Folgendem Zitat, das die abgegrenzte Quantität eines Stoffes als maßgeblich versteht, wird zumindest vereinzelt164 große Bedeutung zugemessen: „Bei flüssigen und gasförmigen Körpern bildet die Einschließung einer Quantität solcher Körper in ein Behältnis die Voraussetzung für die Behandlung dieser Quantität als Einzelsache.“165 Davon abgesehen betont Planck die Quantität allerdings nicht als Merkmal. 160
Johow, Begründung Entwurf Sachenrecht, Bd. 1, 33. Kommentar/Planck, 3. Aufl. 1903, vor §§ 90 ff. Anm. 2. 162 Planck’s Kommentar/Planck, 3. Aufl. 1903, vor §§ 90 ff. Anm. 2. 163 Planck’s Kommentar/Planck, 3. Aufl. 1903, vor §§ 90 ff. Anm. 2. 164 Weitz, Software als „Sache“, 51 ff. (maßgeblich für die Körperlichkeit sei, ob eine „meßbare Quantität“ vorliege, „egal ob fest, flüssig, gasförmig oder andersartig“; die Messbarkeit ergebe sich aus der Naturwissenschaft; dieser von Planck/Achilles vertretene „weite Sachbegriff“ sei auch von Johow verfolgt worden und zu Unrecht einer engeren Auffassung gewichen [85 f.], die insbesondere durch ein zweifelhaftes strafrechtliches Urteil des RG 1904 [RGZ 56, 403] verfestigt worden sei, 108 ff.). 165 Planck’s Kommentar/Planck, 3. Aufl. 1903, vor §§ 90 ff. Anm. 2. 161 Planck’s
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)113
Auch Planck verfolgt eine eher pragmatische Position indem er für die Abgrenzung einzelner Sachen auf die Verkehrsauffassung abstellt. Mit dem Hinweis auf Atome und Naturwissenschaft zieht er zwar eine Untergrenze der Körperlichkeit, reflektiert sie jedoch nicht weiter. Im Ergebnis widmet sich Johows Sachenrechtsentwurf für das BGB der Abgrenzung des Sachbegriffs deutlich tiefergehend als es im Pandektenrecht bis dahin üblich war, insofern er eingehend die Grenzen der menschlichen Beherrschbarkeit körperlicher Gegenstände untersucht. – Beides deutet auf eine Verfeinerung der Abgrenzung mit zunehmender Technizität der Lebensprobleme hin. Das schließlich aufgenommene Tatbestandsmerkmal der Körperlichkeit hatte zumindest zwei Funktionen: 1. Die Abgrenzung vom damals noch verbreiteten, weiten Sachbegriff. 2. Die Klarstellung, dass nur das, was nach Maßgabe des menschlichen Willens beherrscht werden kann, Sache sein kann.
II. Der heutige Sachbegriff Maßgeblich für die Beurteilung ob ein körperlicher Gegenstand vorliegt, ist im geltenden BGB nach wohl einhelliger Meinung die natürliche Betrachtungsweise/Verkehrsanschauung,166 nicht die Naturwissenschaft, weil die an Sachen bestehenden Rechte von jedermann zu beachten sind.167 Was die nähere Bestimmung des gesetzlichen Tatbestands der Körperlichkeit angeht, kreisen die Kommentierungen um die Merkmale der (1) menschlichen Beherrschbarkeit, der (2) sinnlichen Wahrnehmbarkeit und der (3) räumlichen Abgrenzbarkeit. Das Verhältnis dieser Begriffe zueinander wird zwar unterschiedlich gesehen, ist aber nicht wirklich streitig, da es für das praktische Ergebnis meistens unergiebig ist. Letztlich gelten die Merkmale kumulativ bzw. werden vereinzelt in Teilen gleichgesetzt.168 Da sie bereits selbsterklärende Erläuterungen zum Tatbestand der Körperlichkeit sind, werden sie nur in wenigen Punkten näher diskutiert. Mitunter dienen die drei Merkmale auch der Definition untereinander, so wird z. B. die Körperlichkeit als Voraussetzung der Beherrschbarkeit verstanden,169 so dass Letztere eigentlich nicht mehr als eigenes Definiens der Körperlichkeit dienen kann.170 Menschliche Beherrschbarkeit: Die Beherrschbarkeit eines Ausschnitts der Lebenswelt ist das wichtigste Merkmal der Körperlichkeit, zu der es wie gesagt teils 166
RGZ 87, 43 (45) – Elektrizitätswerk.
167 BeckOGK/Mössner (Stand 04/2020), § 90 Rn. 58; Grüneberg/Ellenberger, § 90 Rn. 1; NK-
BGB/Ring, § 90 Rn. 8; a. A. wohl Müller/Gruber, Sachenrecht, Rn. 20 („Die Körperlichkeit bestimmt sich nach den Grundsätzen der Physik. Es muss Materie im physikalischen Sinn vorliegen.“). 168 BeckOGK/Mössner (Stand 04/2020), § 90 Rn. 58; siehe dazu auch Berberich, Virtuelles Eigentum, 90 f. 169 Staudinger/Stieper (2021), vor §§ 90–103 Rn. 9; BeckOK BGB/Fritzsche, § 90 Rn. 5; ähnlich NK-BGB/Ring, § 90 Rn. 5. 170 Anders wohl Staudinger/Stieper (2021), vor §§ 90–103 Rn. 9; § 90 Rn. 1 ff.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
fast synonym gebraucht wird. Vereinzelt wird es überdies als eigenständiges Tatbestandsmerkmal eingeordnet.171 Dass das Kriterium der Beherrschbarkeit einen so hohen Rang einnimmt, liegt an der engen Verbindung der Sachdefinition zum Sacheigentum. Insofern sind Gut und Recht durchaus aufeinander abgestimmt:172 Im Zentrum des Sacheigentums stehen „Herrschaftsbefugnisse“173 i. S. faktischer Exklusivität, „die nur bei Gütern gegeben ist, über die tatsächliche Sachherrschaft ausgeübt und jeder Dritte schon damit ausgegrenzt werden kann“.174 Soweit für die Beherrschbarkeit nicht auf die Merkmale der sinnlichen Wahrnehmbarkeit und räumlichen Abgrenzung verwiesen wird,175 genügt eine Beherrschung durch technische/künstliche Mittel.176 Der Einsatz von Technik zur Beherrschung der Umwelt wird aber meist bei der räumlichen Abgrenzung angeführt (s. sogleich). Sinnliche Wahrnehmbarkeit: Weiter verlangt die Körperlichkeit, dass Sachen im Raum „sinnlich wahrnehmbar“ sind.177 Als maßgeblicher menschlicher Sinn wird dabei von einigen Stimmen der Tastsinn angesehen,178 bei Gasen sei insofern die Tastbarkeit des Behältnisses ausreichend.179 Andere lassen indes jegliche sinnliche Wahrnehmbarkeit zu und können Gas daher als unmittelbar menschlich wahrnehmbar verstehen.180 Räumliche Abgrenzung: Für die räumliche Abgrenzung beruft man sich verbreitet auf die Definition des RG, demzufolge „ein nach natürlicher Anschauung für sich allein bestehender, im Verkehrsleben besonders bezeichneter und bewerteter körperlicher Gegenstand“181 vorliegen muss.182 Präziser kommt es wohl auf die tatsächliche „Abgegrenztheit […] in Relation zur ‚allgemeinen Sphäre‘“183 an. Bei 171 Staudinger/Stieper
(2021), § 90 Rn. 3. Siehe allgemeiner Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 2, 59 f. 173 Eichler, Die Rechtsidee des Eigentums, 16 [Hervorh. im Original]. 174 Peukert, Güterzuordnung, 215 (die Beschreibung der Eigentümerbefugnisse gehe „implizit davon aus, dass der Eigentümer überhaupt in der Lage ist, Einwirkungen auf die Sache auszuschließen“). 175 Siehe etwa BeckOGK/Mössner (Stand 04/2020), § 90 Rn. 58, Staudinger/Stieper (2021), § 90 Rn. 2; Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (304) (Abgrenzung und Beherrschung gingen „Hand in Hand“). 176 BeckOGK/Mössner (Stand 04/2020), § 90 Rn. 61, 62; MüKoBGB/Stresemann, § 90 Rn. 8; Grüneberg/Ellenberger, § 90 Rn. 1. 177 BeckOK BGB/Fritzsche, § 90 Rn. 6; MüKoBGB/Stresemann, § 90 Rn. 1, 8; Staudinger/ Stieper (2021), § 90 Rn. 2. 178 BeckOGK/Mössner (Stand 04/2020), § 90 Rn. 59; Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 22; Hauck, Nießbrauch an Rechten, 57 f. 179 BeckOGK/Mössner (Stand 04/2020) § 90 Rn. 59. 180 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 121 (764); Staudinger/Stieper (2021), § 90 Rn. 3; NK-BGB/Ring, § 90 Rn. 7; Oertmann, Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. 1, 110 (Sachen seien nicht auf „mit dem Tastsinn“ wahrnehmbare Gegenstände beschränkt, so dass auch „gasförmige Körper“, wie z. B. Wasserdampf oder Erdgas Sachen sein können). 181 RGZ 87, 43 (45) – Elektrizitätswerk. 182 BeckOGK/Mössner (Stand 04/2020), § 90 Rn. 60. 183 Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (304). 172
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)115
Grundstücken erfolgt die Abgrenzung erst durch die katastermäßige Vermessung und das Grundbuch.184 Ein nur selten genanntes, aber nützliches Kriterium ist außerdem die Voraussetzung „körperliche Ausdehnung im Raum“, die separat von der räumlichen Abgrenzbarkeit zu verstehen ist.185 Es bezieht sich nicht darauf, dass der Gegenstand im dreidimensionalen Raum fixiert werden kann (was auch für den Strom in einer Batterie oder Daten auf einem USB-Stick gilt), sondern dass er selbst als Stoff Raum beansprucht. Das Kriterium kommt auch der natürlichen menschlichen Betrachtung am nächsten.
III. Der Gerechtigkeitsgehalt der Körperlichkeit 1. Fragestellung Bei der Abgrenzung der durch das Sachenrecht zugewiesenen Lebensgüter drängt sich heute die Frage auf, ob ausgerechnet die Körperlichkeit ein überzeugendes Kriterium darstellt.186 Damit ist nicht die allgemeine Kritik am BGB gemeint, die eine konsistente, der „natürliche[n] Eigentumsvorstellung“187 entsprechende „Vermögensordnung“ vermisst, die die „vermögensrechtlich erfaßbare Welt bestimmt […] und ihre Güter einteilt“.188 Vielmehr geht es um die Einteilung und Zuweisung dessen, was unabhängig von menschlichen Regeln da ist, also der (vom Menschen beherrschbaren) Natur.189 Die vom „durch antike Spekulationen über Wesen und Einheit der Körper“190 beeinflussten römischen Recht übernommene Einteilung der Welt entspricht nicht mehr dem Stand der Naturwissenschaften. Auf diesen soll es aber dank der Auslegung aus Verkehrssicht nach früherer wie heutiger h. M. ohnehin nicht ankommen.191 Doch gleich, ob man die Grenze auf atomarer Ebene zieht, oder auf die oben erläuterten Kriterien zu § 90 BGB zurückgreift, stellt sich die Frage, welche gerechtigkeitsmäßigen Implikationen die Körperlichkeit oder ihre möglichen Grenzkriterien mit sich bringen. 184 BeckOGK/Mössner
(Stand 04/2020), § 90 Rn. 61.1. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 2 I 1 b (55); Soergel/Marly, § 90 Rn. 1 („das räumliche zu Tage treten von Materie“); Erman/Schmidt, § 90 Rn. 1 („das räumliche Zutagetreten von Materie“). 186 Zu erinnern ist hier auch an die oben gezeigten Funktionen der Erhebung eines außerrechtlichen Gegenstands zum Rechtsobjekt, siehe oben § 3 D. VI. Funktionen des Rechtsobjekts und eigene funktionale Definition. 187 Eichler, Die Rechtsidee des Eigentums, 17. 188 Wieacker, AcP 148 (1948), 57 (58, 73); Rüfner stellt fest, dass es einerseits körperliche Gegenstände gibt, bei denen man zweifeln kann, „ob die Ordnung des Sachen- und Vermögensrechts wirklich […] angemessen ist“, zum anderen sei „fraglich, wie solche Güter, die nicht unter § 90 BGB subsumiert werden können, sich in das Vermögensrecht des BGB einfügen lassen“, HKK/ Rüfner § 90 Rn. 2. 189 I. d. S. Dernburg, Deutsche Juristen-Zeitung 1 (1896), 473 (474); C. Becker, Die „res“ bei Gaius, 11 („Den Ausgangspunkt der Regeln beim sinnlich Wahrnehmbaren zu nehmen, erscheint als natürlich, jedoch nicht als naturnotwendig.“). 190 Wieacker, AcP 148 (1948), 57 (75). 191 Siehe oben II. Der heutige Sachbegriff. 185
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Zwar wurde spätestens ab dem BGB-Entwurf – wie auch zuvor im Pandektenrecht – das Kriterium der Körperlichkeit präzise diskutiert. Allerdings war das römischrechtliche Verständnis nicht nur prägend für das 19. Jahrhundert, sondern es wurde damals wie heute auch nicht gefragt, welche Alternativen es neben der Körperlichkeit gibt, um das Gemeinte zu beschreiben.192 In der Güterabgrenzung des Immaterialgüterrechts schwingen starke Gerechtigkeitsgesichtspunkte mit. Technische Erfindungen, urheberrechtliche Werke oder Marken wurden nicht zufällig, sondern mit Blick auf gewisse dahinterstehende Leistungen und gewünschte Anreize abgegrenzt; diese Abgrenzung ist beständiger Gegenstand der Diskussion um die Legitimität der Immaterialgüterrechte bzw. ihrer Reichweite.193 Daher liegt die Frage nahe, ob auch den Abgrenzungskriterien des Sachbegriffs – als einzigem Rechtsobjekt, das physische Gegenstände verrechtlicht – Gerechtigkeitserwägungen innewohnen. Zwar gibt es für die Verarbeitung bzw. Erzeugung von Sachen (§ 950 BGB) Hinweise auf die Anerkennung bestimmter Eigenleistungen als Voraussetzung von Sacheigentum. § 90 BGB setzt aber, soviel kann vorweggenommen werden, keine besondere Leistung voraus. Körperlich zu sein ist keine Leistung. Er könnte jedoch von einem anderen Gerechtigkeitsgedanken bestimmt sein. Vordergründig verfolgt § 90 BGB eine Art Ausschnittprinzip, er legt bestimmte Ausschnitte der Umwelt als Sache fest. Welche Gerechtigkeit könnte sich also in dieser Definition des Sachbegriffs bzw. des Sacheigentums, nämlich der Festlegung auf körperliche Gegenstände verbergen? Welche Gerechtigkeit steckt in der Körperlichkeit? Was zeichnet körperliche Güter aus? Ließe sich ein solcher Gerechtigkeitsgedanke in der Körperlichkeit zeigen, könnte(n) damit nicht nur Grenzfälle zuverlässiger entschieden, sondern vielleicht auch § 90 BGB konziser gefasst werden. Dem ist im Folgenden nachzugehen, wobei auch mehrere der zu nennenden Eigenschaften zutreffend sein können. Aus naheliegenden Gründen überlappen sich die Kriterien mit der Sachdefinition, die, wie oben gezeigt wurde, näheren Beschreibungen der Körperlichkeit folgt. In ähnlicher Weise wird ein möglicher Gerechtigkeitsgehalt der Körperlichkeit mit deren Eigenschaften zusammenhängen, wenn auch wahrscheinlich mit anderer Akzentuierung.
2. § 90 BGB als Norm zur Erfassung rivaler Güter Eine Eigenschaft von Körperlichkeit ist die natürlich vorgegebene Rivalität.194 Körperliche Gegenstände sind immer rival, sie können nicht von zwei Personen gleichzeitig identisch genutzt werden. Zwar können mehrere Menschen auf dersel192
Siehe oben B. I. Überblick. Siehe etwa Goldhammer, Geistiges Eigentum und Eigentumstheorie, 177 ff.; speziell zum Urheberrecht Jacob, Ausschließlichkeitsrechte, passim. 194 Vgl. Zech, Information als Schutzgegenstand, 276 ff. („Sachenrecht als Regime der rivalen Nutzungen“); ders., AcP 219 (2019), 488 (577 ff.). 193
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)117
ben Wiese Fußball spielen. Sie können es aber eben nicht auf derselben Stelle der Wiese zum selben Zeitpunkt tun. Dass öffentliche Güter in der ökonomischen Betrachtung als nicht-rival gekennzeichnet werden, liegt daran, dass dort nach ihrem „Nutzwert“ und nicht nach identischen Nutzungen gefragt wird.195 Viele – aber nicht alle – Immaterialgüter, wie z. B. ein urheberrechtliches Werk, lassen identische Nutzungen zum selben Zeitpunkt zu.196 Von der Rivalität zu unterscheiden ist die Exklusivität/Ausschließlichkeit der Nutzung.197 Sie bezeichnet die Möglichkeit, Nichtzahlende von der Nutzung auszuschließen,198 selbst wenn die rivale Nutzung möglich wäre. Auch hier wird ökonomisch „lediglich“ gefragt, ob es sich für ein gewinnmaximierendes Unternehmen lohnt, das Gut angesichts der Ausschlusskosten am Markt anzubieten.199 Diese Unterschiede in der Begriffsverwendung müssen bei der Charakterisierung von Gütern und ihren Nutzungen als „rival“ oder „exklusiv“ beachtet werden. Vorliegend ist mit der Rivalität von Sachen die faktische Unmöglichkeit ihrer zeitlich und räumlich identischen Nutzung durch zwei Personen bzw. zumindest die Beeinträchtigung der einen Nutzung durch die andere gemeint. Hieraus ergibt sich bereits eine gewisse Exklusivität.200 Daraus folgen Zwänge für die Güterzuteilung durch das Sacheigentumsrecht, denen wiederum die Güterabgrenzung in § 90 BGB Rechnung tragen könnte. M. a. W. könnte § 90 BGB dazu dienen, rivale Güter zu erfassen und die Rivalität damit das bestimmende Merkmal von Sachen sein. Die Ausdehnung im Raum könnte eine unvollkommene, frühe Formulierung dieses Merkmals sein, denn ein bestimmter Raumausschnitt kann nicht von zwei Sachen zugleich belegt werden. Dann aber müssten alle beherrschbaren, rivalen Güter als Sache verstanden werden. Güter wie Domains oder Energie sind aber rival und unstreitig keine Sachen. Auch die obigen Untersuchungen sprechen dagegen, Körperlichkeit vollständig auf Rivalität zurückzuführen. Doch obwohl die Rivalität weiter als die Körperlichkeit geht, ist es plausibel, dass körperliche Gegenstände unter anderem deshalb verrechtlicht wurden, weil ihre Rivalität zu Konflikten führt. Diese Betonung von Sachen als rivalen Gütern setzt sich in der Abgrenzung der Handlungsrechte des Eigentümers fort, wenn in der „Rivalität der Befugnisse“ das entscheidende Merkmal gesehen wird.201
195 Vgl. Demsetz, J. L. & Econ. 13 (1970), 293 (295) („that it is possible at no cost for additional persons to enjoy the same unit of a public good“); Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 79. 196 Diese Problematik wird unten unter § 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter), § 7 Realgüter und Idealgüter eingehend behandelt. 197 Siehe zum Ganzen auch Zech, AcP 219 (2019), 488 (513 ff.). 198 Demsetz, J. L. & Econ. 13 (1970), 293 (295). 199 Cooter/Ulen, Law & Economics, 40. 200 Zech, AcP 219 (2019), 488 (562 f.). 201 Zech, AcP 2019 (2019), 488 (491).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
3. Erfassung menschlich nutzbarer Güter – pragmatische/intuitive Deutung Nach einem eher pragmatischen Verständnis könnte die Körperlichkeit eine gerechte Grenze sein, weil sie der ursprünglichen menschlichen Einteilung der Umwelt und der für Menschen wichtigen Gegenstände entspricht. Genauso wie für Grenzfragen des § 90 BGB herrschend auf das Alltagsverständnis statt auf die Naturwissenschaften abgestellt wird, könnte die Körperlichkeit der intuitiven menschlichen Einteilung der Umwelt Rechnung tragen. Die meisten Erkenntnisse der moderneren Physik sind nicht- oder gar kontraintuitiv, wie etwa das Raum-Zeit-Kontinuum oder die Äquivalenz von Masse und Energie. Selbst wenn eine moderne physikalische Abgrenzung der Sache präziser wäre, widerspräche sie der Wahrnehmung der Rechtsunterworfenen.202 Dies würde nicht zuletzt Akzeptanzprobleme aufwerfen. Da § 90 BGB praktisch vor allem die den Menschen umgebende, sichtbare Umwelt betrifft, und sich wie jede Rechtsnorm an Menschen richtet, muss er verständlich sein. Hierfür liefert die Körperlichkeit eine taugliche Grundlage.203 Diese pragmatisch-intuitive Deutung hat allerdings den Nachteil, dass sie unpräzise ist und über die menschliche Intuition und Akzeptanz hinaus keine inhaltliche Begründung für die Abgrenzung liefert. Daher ist sie – so wie das Kriterium der Tastbarkeit – eigentlich keine Definition, sondern nur eine ungefähre Beschreibung des Gemeinten: Sache ist das, was der Verkehr als körperlich auffasst. Wenn jedem das Gemeinte von Natur aus einleuchtet, genügt unter Menschen eine grobe Beschreibung: Um über Pferde zu sprechen, braucht man keine exakte Pferdedefinition. An diese Erkenntnis könnte der Sachbegriff, auf Kosten der Präzision, anknüpfen. Tatsächlich ist es denkbar, dass die Auslegung des § 90 BGB aus Verkehrssicht vor allem an die menschliche Wahrnehmung und Einteilung der Welt appelliert, ohne, dass mit „körperlich“ eine tiefere Regelungs- oder Gerechtigkeitsabsicht einherginge. Diese Deutung würde angesichts ihrer geschichtlichen Dimension zu Vergleichen wie dem folgenden berechtigen: Sachen sind die Gegenstände, die aus praktischer Sicht den früher als Sachen bekannten Gegenständen ähneln (z. B. Werkzeug, Früchte, Möbel). Daten, Energie und andere unkörperliche Güter wären demnach keine Sachen, weil Menschen sie – i. R. e. solchen Vergleichs – üblicherweise nicht derselben Gattung von Gegenständen zuordnen.
202 Aus deren Sicht z. B. schon Gas einen Grenzfall darstellt (siehe die Ausführungen bei Dernburg, oben B. II. Verschiedene Sachabgrenzungen im Pandektenrecht), obwohl es aus Molekülen besteht und Raum beansprucht. 203 Eichler zufolge spiegelt sich außerdem der dem Eigentumsgedanken innewohnende „Zugehörigkeitsmoment“ im Sachbegriff wider: „Sachen haben wir nur dort vor uns, wo ein Mensch sagen kann oder sagen könnte: dies ist mein und nur mein, dies ist zu meinem persönlichen Gebrauch vorgehalten.“, Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 60.
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)119
4. Erfassung der beherrschbaren Natur § 90 BGB ließe sich auch als Norm zur Erfassung und Zuweisung all der Güter verstehen, die von Menschen physisch beherrscht werden können. Wie eingangs gesagt, wäre es möglich, das Sachenrecht als Recht zur Einteilung und Zuweisung der den Menschen umgebenden physischen Umwelt zu deuten. Insofern überzeugte es schon früher nicht jeden, diese Umwelt auf eine eng aufgefasste Körperlichkeit zu beschränken: Bereits im frühen 20. Jahrhundert wurde die Begrenzung des neu kodifizierten Sachenrechts auf „die sog. Materie“ unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten kritisiert. Die aristotelische Gegenüberstellung des empirisch Tastbaren und der Idee sei zu eng und werde den „heute anerkannten Realitäten“ (des Jahres 1902) nicht mehr gerecht, da sie insbesondere Energie nicht erfasse. Gegenstand des Sachenrechts müsse vielmehr die gesamte beherrschbare Umwelt sein: „Das sog. Sachenrecht hat die Aufgabe, die menschliche Herrschaft über die uns umgebende Natur entsprechend den objektiven Normen zu regeln. Jede natürliche Realität, welche sich der menschliche Wille unterordnet, erscheint als geeignetes Objekt für seine dauernde Herrschaft. Das einzige konkrete Erfordernis ist hier Bestimmtheit und Begrenztheit des Gegenstandes.“204
Naturwissenschaftlich sind theoretisch alle Lebensgüter physikalisch beschreibbar und weit über den Kreis der körperlichen Güter hinaus auch beherrschbar. Daher fällt es schwer, die Körperlichkeit als Voraussetzung der Beherrschbarkeit zu verstehen und umgekehrt die Beherrschbarkeit als entscheidendes Merkmal der Körperlichkeit. Energie, Daten, Domains und andere unkörperliche Gegenstände sind, soweit sie für Menschen nutzbar gemacht werden, für Menschen beherrschbar.205 Um Beherrschbarkeit und Körperlichkeit gleichzusetzen müsste man daher technische Hilfsmittel von der Idee der Beherrschbarkeit ausschließen. Nur fiele es dann schwer, auch weiterhin Gasflaschen und andere technische Hilfsmittel zur Beherrschung von als körperlich anerkannten Gegenständen zuzulassen. Die Beherrschbarkeit überzeugt als Kriterium praktisch insofern, als es unzweckmäßig wäre, Handlungen an Gütern zuzuweisen, die unerreichbar sind und es auch bleiben (z. B. an einem Stern).206 Sie deckt sich aber bei Weitem nicht in hinreichendem Maß mit der Körperlichkeit, um diese als Abgrenzungskriterium zwischen beherrschbarer und nicht-beherrschbarer Natur207 zu verstehen. 204
Sokolowski, Sachbegriff und Körper, 402. unten § 10 D. II. Bestimmungsgewalt über körperliche und unkörperliche Gegen-
205 Siehe
stände. 206 Daher der Ausschluss unbeherrschbarer Naturausschnitte vom Sachbegriff, vgl. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 2 I 1 b (55). 207 Auch der Naturbegriff könnte hier hinterfragt werden, was auf die überaus undeutliche Grenze zwischen natürlichen und von Menschen geschaffenen Gütern hinausliefe. Für den Sachbegriff taugt diese Grenze von vornherein nicht, da die meisten Sachen im Wirtschaftsverkehr von Menschen erzeugt oder bearbeitet wurden (Werkzeug, Lebensmittel, Haushaltsgegenstände etc.).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Dies zeigt auch ein kurzer Blick in das schweizerische ZGB, das sich für die Beherrschbarkeit als entscheidendes Merkmal der dem Mobiliareigentum unterworfenen Gegenstände entschieden hat. Art. 713 ZGB: Gegenstand des Fahrniseigentums sind die ihrer Natur nach beweglichen körperlichen Sachen sowie die Naturkräfte, die der rechtlichen Herrschaft unterworfen werden können und nicht zu den Grundstücken gehören.
Diese Naturkräfte erfassen unter anderem Energien.208 P. Bydlinski schlägt mit Blick auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung der „Elektronik“ eine entsprechende Ergänzung des § 90 BGB um einen zweiten Absatz vor, der Ausgang bei der Beherrschbarkeit nimmt: „Die Vorschriften über Sachen sind im rechtsgeschäftlichen Verkehr entsprechend auf sonstige beherrschbare Gegenstände anzuwenden, soweit nicht abweichende Regeln bestehen.“209
De lege lata erfasst § 90 BGB viele durch den Menschen beherrschbare Lebensgüter nicht. Umgekehrt gibt es körperliche, aber nicht-beherrschbare Lebensgüter wie z. B. die Sonne oder den Mond. Das Abgrenzungsmerkmal der Körperlichkeit kennzeichnet Sachen daher wohl nur nebenher als Ausschnitt der vom Menschen beherrschbaren Güter – nicht aber als die vom Menschen beherrschbaren Güter.
5. Erfassung der dem Sacheigentum unterfallenden Güter Der bestimmende Gerechtigkeitsgedanke der Körperlichkeit könnte auch darin liegen, dass § 90 BGB die Ausschnitte der Lebenswelt abgrenzt, auf die § 903 BGB in besonderem Maße zugeschnitten ist. Diese teleologische Deutung setzt also nicht beim Gut, sondern beim Sacheigentumsrecht an: Sachen wären demzufolge die Gegenstände, denen das Sacheigentum normativ angemessen ist. Bei näherer Betrachtung hat dieses Verständnis allerdings eher den Charakter einer generellen methodischen Haltung als den eines anwendbaren Kriteriums: Definitionsnormen wie § 90 BGB oder § 2 UrhG wären weitgehend überflüssig, wenn schon auf der Ebene der Güterabgrenzung entschieden werden müsste, ob das betreffende Recht angemessen ist. In Zweifelsfällen begänne man so mit der Diskussion des Endergebnisses und würde das Instrument der Tatbestandsmerkmale de facto aufgeben. Zwar ist es sinnvoll, in Grenzfällen die juristischen Konsequenzen einer solchen Subsumtion zu berücksichtigen. Für die fragliche Deutung wäre es aber schon von vornherein nicht nötig, überhaupt die Körperlichkeit anzusprechen, wenn die dem Sacheigentum unterfallenden Gegenstände auf Ebene des § 903 BGB bestimmt würden.
208 209
P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (290). P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (328).
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)121
Die Körperlichkeit könnte jedoch in einer weniger grundlegenden Weise mit § 903 BGB zusammenhängen: Ihre Bedeutung könnte darin liegen, dass nur (!) für körperliche Gegenstände keine präziseren, allgemeingültigen Regeln als der allgemein gefasste § 903 BGB sinnvoll erschienen.210 Dieser Ansatz zielt auf die funktionale Abstimmung von Gut und Recht. Ihr ist an geeigneterer Stelle nachzugehen.211 Tatsächlich unterscheiden sich körperliche Gegenstände von Immaterialgütern dadurch, dass sie einen erheblich größeren Kreis vorrechtlicher Verwendungsmöglichkeiten eröffnen. Unter anderem deshalb lassen sich für viele Immaterialgüter typische Verwendungen identifizieren und verrechtlichen. So unterscheiden sich die Rechtszuweisungen der Immaterialgüterrechte und korrespondieren mit dem Zuschnitt des jeweiligen Immaterialguts.212 Allerdings stellte die erste Kommission selbst fest, dass in aller Regel eine genauere Konturierung der Befugnisse des Sacheigentümers erforderlich (und möglich) ist, aber in anderen Gesetzen erfolgen soll,213 insbesondere für solche Sachen, für die nur präzise begrenzte Verwendungen gewünscht sind, wie Medikamente, Drogen oder Waffen. Das spricht gegen die Bedeutung der weiten Befugnisse in § 903 BGB für die Definition von Sachen in § 90 BGB. Es ändert aber nichts daran, dass der Vielfalt körperlicher Gegenstände mit der dadurch bedingten Unzahl möglicher Verwendungen am besten durch Spezialgesetze Rechnung getragen werden kann. Außerdem ist, historisch betrachtet, die Idee der umfassenden, herrschaftsartigen Zuweisung einer Sache an einen Rechtsträger als Ausfluss der neuzeitlichen Naturrechtslehre eher jung.214 Schon aus diesen Gründen findet die simple Logik, dass körperliche Gegenstände seit jeher nach einer umfänglichen Zuweisung verlangten, keinen Platz. Das Gewicht liegt, wenn, dann auf der besonderen Flexibilität, die nachträgliche Eingrenzungen durch zahlreiche Spezialgesetze bieten. Kurz: Solange ein breites Sacheigentum gewünscht ist, gibt es zwar eine Korrespondenz zu der weiten Definition des § 90 BGB. Sie erscheint allerdings nicht besonders stark zu sein, da diese Breite schon immer Probleme bereitete und begrenzungsbedürftig war.
6. Begrenzung des Eigentums auf leicht erkennbare Güter Berger weist darauf hin, dass der enge, körperliche Sachbegriff eine minimale, weil leicht erkennbare Beschränkung fremder Rechtssphären bezweckt: „Anders als immaterielle Güter sind körperliche Sachen für den Rechtsverkehr leicht erkennbar. Die Rechtsverletzung kann daher ohne großen Aufwand vermieden werden. Es 210 Vgl. nur Prot. I 3728 f. = Jakobs/Schubert, Sachenrecht I, 442 (Es sei nicht zu bestreiten, „daß es nicht wohl möglich sei, alle Befugnisse des Eigenthümers im Einzelnen vollständig aufzuzählen. […] In dieser expansiven Natur des Eigentums liege der Unterschied zwischen Eigenthum und anderen Rechten an Sachen.“). 211 Siehe unten § 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens. 212 Siehe unten § 8 B. Rechtsobjekt und Verbietungsrecht. 213 Prot. I 3728 f. = Jakobs/Schubert, Sachenrecht I, 442. 214 Olzen, Jus 1994, 328 (333 ff.); Zech, AcP 219 (2019), 488 (547 ff.).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
stärkt die Handlungsfreiheit, wenn sie nur durch körperliche Gegenstände anderer eingeschränkt wird, die aufgrund ihrer physischen Daseinsform eine rasche Orientierung erlauben. Ob immaterielle Güter im konkreten Fall Handlungsräume beschneiden, ist erheblich schwieriger zu bemessen und häufig ungewiss.“215
In der Tat lassen sich körperliche Güter mit Blick auf Freiheitsbeschränkungen und im Vergleich zu Immaterialgütern „minimalinvasiv“ zuweisen. Bezüglich der leichten Erkennbarkeit besteht eine gewisse Verwandtschaft zur o. g. intuitiven Deutung216 und insbesondere zum sachenrechtlichen Publizitätsprinzip.217 Dieser Ansatz hat gerechtigkeitsmäßig die größte Erklärungskraft, da er der Körperlichkeit eine unmittelbare, auf die Entscheidung menschlicher Interessenskonflikte gerichtete Funktion zumisst. Auf die Art sichert er Freiheitsbereiche, die erkennbar nicht zugewiesen sind. Dies ist m. E. die wertungsmäßig überzeugendste Deutung.
IV. Zwischenergebnis und Folgerungen Untersucht wurde, ob sich hinter der Körperlichkeit einer oder mehrere Gerechtigkeitsgedanken verbergen, die begründen können, warum § 90 BGB gerade auf die Körperlichkeit als Abgrenzungsmerkmal abstellt. In den erwogenen gerechtigkeitsorientierten Deutungen der Körperlichkeit fanden sich die von der heutigen Lehre genannten Tatbestandsmerkmale der Sache218 – sinnliche Wahrnehmbarkeit, Beherrschbarkeit, räumliche Abgrenzung – wieder. Sie zielen selbst aber nicht auf Gerechtigkeitserwägungen, weshalb sie sich auch nicht mit den hier erwogenen Kriterien deckten. Hinter der Körperlichkeit verbirgt sich nach den gefundenen Ergebnissen kein einheitlicher Gerechtigkeitsgedanke. Dies folgt daraus, dass die diskutierten Deutungen jeweils für sich plausibel sind und in der Literatur diskutiert werden, dabei aber der Gerechtigkeitsgehalt der Körperlichkeit bislang – soweit ersichtlich – kein eigener Diskussionspunkt ist. Vielmehr liefern alle angeführten Parameter einen Teil der Begründung für die Körperlichkeit als Abgrenzungsmerkmal: Alle körperlichen Gegenstände sind rival,219 die Körperlichkeit entspricht auch in den allermeisten Fällen der intuitiven menschlichen Einteilung der Welt und macht die Sachabgrenzung so für jedermann plausibel.220 Auch sind körperliche Gegenstände stets durch Menschen beherrschbar (nur sind eben nicht alle beherrschbaren Gegenstände Sachen).221 Zudem gibt es eine deutliche Kor215
Berger, ZGE/IPJ 9 (2017), 340 (348 f.) (Übersetzung von Christian Berger). oben III. 3. Erfassung menschlich nutzbarer Güter – pragmatische/intuitive Deu-
216 Siehe
tung.
217
Dazu unten § 13 F. II. Publizität als Sachenrechtsgrundsatz. Siehe oben II. Der heutige Sachbegriff. 219 Siehe oben III. 2. § 90 BGB als Norm zur Erfassung rivaler Güter. 220 Siehe oben III. 3. Erfassung menschlich nutzbarer Güter – pragmatische/intuitive Deutung. 221 Siehe oben III. 4. Erfassung der beherrschbaren Natur. 218
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen)123
respondenz zwischen der weiten Definition des Sacheigentums und dem weiten Sachbegriff.222 Das wertungsmäßig stärkste, weil beim zentralen Interessenkonflikt – der Freiheit – ansetzende Argument ist die leichte Erkennbarkeit körperlicher Gegenstände, die angesichts des weitreichenden Sacheigentums eine verhältnismäßig geringfügige Begrenzung der Freiheit anderer erlaubt.223
D. Unkörperliche Sachen im 21. Jahrhundert Nachdem der Sachbegriff untersucht wurde, ist noch die Frage offen, welche Rolle dem im Pandektenrecht und in anderen deutschsprachigen Rechtsordnungen gelegentlich genutzten Begriff der unkörperlichen Sache heutzutage zukommt. Die konkrete Fragestellung lautet: Gibt es das Konzept unkörperlicher Sachen heute noch und welche Verbindung hat es zu §§ 90, 903 BGB?
I. Vorentwicklung Wie oben 224 gezeigt wurde, unterschied der Pandektismus einen engen und einen weiten Sachbegriff. Ersterer entspricht im Wesentlichen der heutigen Sachdefinition in § 90 BGB,225 Letzterer umfasst besagte unkörperliche Sachen: „Unkörperliche Sache ist ein ideell begrenzter Ausschnitt aus den zu rechtlicher Beherrschung geeigneten Beziehungen der äußeren Güterwelt.“226
Zu den unkörperlichen Sachen wurden zuvorderst geistige Schöpfungen („Geistesprodukte“) gezählt, die wiederum (auch) für Immaterialgüter im heutigen Sinne stehen (Werke, Erfindungen, Muster etc.).227 An diesen heute als Immaterialgüter bezeichneten Lebensgütern ließ der Pandektismus aber weder sacheigentumsgleiche Rechte zu, noch waren sie in der rechtlichen Behandlung den körperlichen Sachen ebenbürtig. Sie waren immer nur Gegenstände eines bestimmten Rechts (z. B. Urheberrecht, Patentrecht).228 Hierfür spricht auch die ab den 1870er Jahren durch Spezialgesetze ausgebildete Eigenständigkeit der Immaterialgüterrechte ge-
222 Siehe oben III. 5. Erfassung der dem Sacheigentum unterfallenden Güter; dazu auch unten § 8 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums. 223 Siehe oben III. 6. Begrenzung des Eigentums auf leicht erkennbare Güter. 224 Siehe oben B. Die Sache im Pandektenrecht: Enger und weiter Sachbegriff. 225 Dazu oben C. Abgrenzungskriterien für den Sachbegriff nach § 90 BGB. 226 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, § 31 (270). 227 Windscheid, Pandektenrecht, Bd. 1, 4. Aufl., 1875, § 137 (412) („wissenschaftliche und Kunstwerke, Erfindungen“); Bekker, ZVglRWiss 2 (1880), 11 (19 ff.); ders., Pandektenrecht, Bd. 1, § 70 (288); § 20, (62 ff.) verwendet den Begriff unkörperliche Sachen als „völlig neuen Begriff“ anstelle der res incorporalis und stellt fest: „Das neueste gemeine Deutsche Recht kennt eine Reihe von Rechten die dem Römischen ebenso wie dem älteren Deutschen Rechte vollständig unbekannt geblieben waren.“ Hierzu zählt er Urheber-, Patent-, Firmen- und Markenrecht (63). 228 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht Bd. I, § 137 (693, dort Fn. 10); § 169 (860 f.).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
genüber dem BGB.229 Aber auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde keine Parallele zum Sacheigentum gezogen.230 Teilweise231 – so etwa bei v. Gierke – wurden auch beschränkte dingliche Rechte, Forderungen und Einiges mehr zu den unkörperlichen Sachen gezählt: „Unkörperliche Sache ist vor Allem stets der Gegenstand eines begrenzten Rechts an einer körperlichen Sache. Denn das begrenzte dingliche Recht ergreift im Gegensatz zum Eigenthum, das auf die körperliche Sache in ihrer Totalität gerichtet ist, diese nur in einzelnen Beziehungen.“ Beim Aneignungsrecht oder Gewerberecht sei unkörperliche Sache ein monopolisierter Tätigkeitsbereich (Jagd, Fischerei, Gewerbebetrieb bestimmter Art), beim Urheberrecht das Geisteswerk, beim Erfinderrecht die Erfindung, beim Markenrecht das „Persönlichkeitszeichen“ und beim Firmenrecht die Firma. Auch für Forderungen soll die „geschuldete Handlung als eine an sich selbst werthvolle Leistung vom verpflichteten Subjekt unterschieden und somit als ein äußeres Gut objektivirt“ werden.232
Die unkörperliche Sache soll dogmatisch die „ungenau als ‚Rechte an Rechten‘ bezeichneten Verhältnisse“ ersetzen.233 Dafür werden in der zitierten Darstellung zusätzliche Objekte kreiert, ohne für diese aber einheitliche Regeln oder andere Vereinfachungen anzubieten. Z. B. tritt für beschränkte dingliche Rechte offenbar neben die körperliche Sache die unkörperliche Sache als weiterer, geringerer Gegenstand, an dem besagtes begrenztes Recht entsteht. Ganz klar wird die Konstruktion nicht. Transparenter ist sie bei Forderungen, nur bleibt auch hier offen, inwiefern es nützt, die geschuldete Handlung als Objekt zu verstehen. Windscheid hingegen beantwortete die Frage nach dem Eigentum an Rechten i. S. der Rechtszuständigkeit und vermeidet dadurch das Problem, erklären zu müssen, ob sich die Begrenzung aus dem Recht oder dem Objekt ergibt: „wenn man jemand Eigenthum an Rechten zuschreibt, so kann das nur den Sinn haben, daß man diese Rechte als ihm zustehend bezeichnen will. Man soll also sagen: es steht ihm dieses Recht zu, nicht: er hat Eigenthum an diesem Rechte.“234
Der Reichsgesetzgeber entschied sich schließlich gegen die Aufnahme unkörperlicher Gegenstände („nur in der Vorstellung bestehende Dinge“)235 ins BGB und wählte stattdessen den engen Sachbegriff, feststellend, „daß unter Sache stets ein körperlicher Gegenstand verstanden wird und daß da, wo eine Norm sowohl auf Sachen als auch auf Rechte sich beziehen soll, der Ausdruck ‚Gegenstand‘ gewählt ist.“236 229 Siehe oben Fn. 137; Wadle, Geistiges Eigentum, Bd. 2 (Urheberschutz [21 ff.], Erfinderschutz [28 ff.], Musterschutz [34 ff.]). 230 Jänich, Geistiges Eigentum, 54. 231 Siehe auch den Überblick oben B. II. Verschiedene Sachabgrenzungen im Pandektenrecht. 232 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, § 31 (271 f.). 233 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, § 31 (273). 234 Windscheid, Pandektenrecht, Bd. 1, 4. Aufl., 1875, § 168 (516). 235 Mot. III, 32 = Mugd. III, 18. 236 Mot. III, 33 = Mugd. III, 18; siehe hierzu etwa Oertmann, Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. 1, 109 f. („[…] eine Ausdehnung des Sachbegriffs auf alles, was ‚Gegenstand‘ eines
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„Unkörperliche Sachen“ unterfallen im BGB also allenfalls dem Gegenstandsbegriff und genießen nicht den Schutz von Sachen i. e. S. Das BGB lässt „dingliche Rechte nur an Sachen in diesem [dem engeren] Sinne zu“.237
II. Überblick zur heutigen Rechtslage Für die heutige gesetzliche Anerkennung unkörperlicher Sachen kann exemplarisch auf das österreichische ABGB verwiesen werden. Es stellt seinem Sachenrecht nach wie vor einen weiten Sachbegriff voran: § 285 ABGB – Alles, was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der Menschen dient, wird im rechtlichen Sinne eine Sache genannt.238
Die damit erfassten unkörperlichen Sachen unterfallen aber nicht dem Sachenrecht.239 Der in Österreich trotzdem geschützte Rechtsbesitz erfasst nur Rechte, die „auf dauernde Ausübung gerichtet und mit der Innehabung einer körperlichen Sache verbunden sind“.240 Zwar suggerieren §§ 353 f. ABGB i. V. m. § 285 ABGB ein sacheigentumsgleiches Eigentumsrecht an unkörperlichen Sachen.241 Sie gelten heutzutage aber „nicht als eigentumsfähig“ vielmehr wird – wie eben bei Windscheid – „in Bezug auf Forderungsrechte von Rechtszuständigkeit gesprochen“.242 Eigentum i. e. S. ist körperlichen Sachen vorbehalten, Eigentum i. w. S. soll nur bezeichnen, „daß ein bestimmtes Recht einer bestimmten Person zusteht, ihr gehört“, eben besagte Rechtszuständigkeit.243 Im gegenwärtigen deutschen Recht werden – soweit der Begriff noch gebräuchlich ist – unter unkörperlichen Sachen Rechte244 und Immaterialgüter wie das urheberrechtliche Werk 245 oder Veranstaltungen 246 verstanden,247 ohne damit darauf Rechts oder einer Verbindlichkeit sein kann […], würde seinen Umfang nur auf Kosten des Inhalts erweitern und dadurch fast wertlos machen.“ Denn Gegenstand sei alles, „was Objekt einer irgendwie beschaffenen rechtlichen Regelung und Beziehung […] sein kann“). 237 Mugd. III, 18 = Mot. III, 33; siehe auch Prot. I, 3300 f. = Jakobs/Schubert, Allgemeiner Teil (1. Teilband), 426 („Die Anwendung des Eigenthumsbegriffs auf alle oder auf einzelne Rechte, wie solche im österreichischen und preußischen Rechte sich finde, sei aufzugeben, man rede höchstens noch von Eigenthum in einem weiteren Sinne bei bestimmten Gerechtigkeiten.“). 238 Siehe auch die weiteren Auszüge aus dem AGBGB, oben Fn. 120. 239 Zankl, Bürgerliches Recht, Rn. 299. 240 Zankl, Bürgerliches Recht, Rn. 307 nennt als Beispiele das Miet- oder Pfandrecht an beweglichen Sachen, nicht aber das Recht auf Kaufpreiszahlung oder das Grundpfand, die nicht mit dem Besitz einer körperlichen Sache einhergehen. Siehe auch unten § 10 C. Rechtsbesitz. 241 Vgl. Jänich, Geistiges Eigentum, 357. 242 Zankl, Bürgerliches Recht, Rn. 316 [Hervorh. im Original]; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht, Bd. I, 292. 243 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht, Bd. I, 292. 244 Staudinger Eckpfeiler/Seiler (2014), U. SachenR, Rn. 8; Enchelmaier, Übertragung und Belastung unkörperlicher Gegenstände, 9 ff. (erfasst als „unkörperliche Gegenstände“ Forderungen, Mitgliedschaftsrechte und Rechte des geistigen Eigentums). 245 Vgl. Wandtke/Bullinger/Bullinger, UrhG, § 1 Rn. 1 f. 246 Ascensao, GRUR Int. 1991, 20 (23). 247 MüKoHGB/Ferrari, Art. 1 FactÜ Rn. 64; Loewenheim/Schulze, Handbuch des Urheber-
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
bezogene sacheigentumsgleiche Befugnisse zu verbinden. Der BGH bezeichnet als unkörperliche Sache vereinzelt den Leistungsgegenstand eines Kaufvertrages (z. B. eines Geschäftsunternehmens),248 der EuGH 249 nutzt den Begriff in einem Fall als Gattungsbegriff für auf einem Bankkonto befindliche Guthaben. Vereinzelt wurde die Bedeutung unkörperlicher Sachen mit Blick auf digitale Güter erforscht, z. B. erwägt Berberich explizit ein „Virtuelles Eigentum“ an unkörperlichen Sachen, dessen Vorbild das BGB-Sacheigentum sein soll.250 Allerdings wird zu Recht auf Schwierigkeiten hingewiesen, die die Anwendung der Sacheigentumsregelungen unter bloßem Verzicht auf die Körperlichkeit beim geistigen Eigentum mit sich brächte.251
III. Verschiedene Zwecke der Subsumtion eines Gegenstandes unter den Sachbegriff Die Zuordnung unkörperlicher Gegenstände zum Sachbegriff zielt, soweit sie überhaupt noch vorkommt, dementsprechend auch nicht auf § 90 BGB und die Anwendung von § 903 BGB. Sie dient regelmäßig anderen Zwecken: Im alten Schuldrecht kam es für Gewährleistungsansprüche gem. § 459 BGB a. F. auf die Sachqualität des Kaufgegenstandes an.252 In diesem Kontext sind die Entscheidungen des BGH zu verstehen, in denen er Software als Sache einordnete, wenn sie auf einem Datenträger (als Eigentum eine der Parteien) verkörpert war.253 In einem anderen Urteil ging es um die Subsumierbarkeit des Geschäfts unter das AbzG254, das ebenfalls nur auf bewegliche Sachen anwendbar war.255 Der BGH rechts, § 76 Rn. 41; siehe auch BeckOGK/Wilhelmi (Stand 01/2021), § 453 Rn. 158 (setzt „Immaterialgüter“ und „unkörperliche Gegenstände“ gleich). 248 BGH NJW 1959, 1584 (1585); BGH NJW 1969, 184. 249 EuGH EuZW 2017, 102 Rn. 38 – Private Equity Insurance Group/Swedbank. 250 I. e. eine Analogie zu § 903 BGB, Berberich, Virtuelles Eigentum, 215. 251 Jänich, Geistiges Eigentum, 357 f.; Striezel, Handel mit virtuellen Gegenständen, 86 f. (keine analoge Anwendbarkeit des § 903 BGB auf virtuelle Gegenstände); Peukert, UFITA 2011/I, 204 ff., verweist angesichts der Abstriche gegenüber dem Sacheigentum auf das in seiner Habilitationsschrift erarbeitete „Rechtsfortbildungsverbot“ (S. 207) und zieht eine Lösung über Persönlichkeitsrecht, Wettbewerbsrecht, Gewerbebetrieb sowie schiedsgerichtliche Regelungen vor. Vgl. hierzu wiederum die von Peukert herausgestellte Bedeutung primärer relativer Rechte und (eng begrenzter) Fortbildungen des Deliktsrechts für die Güterzuordnung, Peukert, Güterzuordnung, 873 ff. 252 Vgl. Larenz, SchR II/1, 170 f. zum Kauf unkörperlicher Gegenstände nach altem Schuldrecht. Das Kaufrecht könne „nur entsprechend und weitgehend gar nicht angewandt werden“ [Hervorh. im Original]. 253 BGH NJW 1988, 406 (408); BGH NJW 1993, 2436 (2437 f.). I. d. S. auch Kort, DB 1994, 1505 (1506 f.) (spricht sich zu Recht statt für eine direkte für eine per teleologischer Auslegung des Kaufgewährleistungsrechts zu ermittelnde entsprechende Anwendung aus); Völzmann-Stickelbrock, FS Eisenhardt, 327 (336); Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 59 (für eine entsprechende Anwendung der „schuld- und handelsrechtlichen Vorschriften über den Sachkauf auf den Vertrag über die Überspielung von Software“). 254 § 1 Abs. 1 AbzG stellte auf den „Verkauf einer dem Käufer übergebenen beweglichen Sache“ ab. 255 BGH NJW 1990, 320 (321) (für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften).
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benennt diese zweckgebundene Subsumtion auch ausdrücklich.256 Diese Problematik ist mittlerweile entfallen, da unkörperliche Gegenstände mit § 453 Abs. 1 BGB ins Kaufgewährleistungsrecht aufgenommen wurden 257 und das AbzG erst vom VerbrKrG und dieses dann von den §§ 491 ff. BGB abgelöst wurde,258 auch hier spielt der Sachbegriff keine Rolle mehr. Die Subsumtion unter den Sachbegriff erübrigt sich also.259 Troller bezeichnet die „immateriellen Güter“ des Immaterialgüterrechts als unkörperliche Sachen, nämlich „Werke der Literatur und Kunst, Muster, Erfindungen und Warenzeichen“. Auch er folgert daraus aber keine sachenrechtlichen Befugnisse, sondern stellt fest, dass die Herrschaft über diese unkörperlichen Sachen anhand der anerkannten Ausschließlichkeitsrechte ausgeübt wird.260 Ein weiterer Aspekt der mit der Qualifikation als Sache verbunden ist, ist die Anwendbarkeit der Regeln des Sachbesitzes und insbesondere des Besitzschutzes. Es ist theoretisch denkbar, die Einordnung eines unkörperlichen Gegenstandes unter § 90 BGB zu verneinen, dabei aber seine Fähigkeit, Objekt des bürgerlichrechtlichen Besitzschutzes zu sein, zu bejahen. Troller tut dies und stellt hierfür auf die Verankerungen immaterieller Güter (in seinen Worten: unkörperlicher Sachen) in der physischen Welt ab. Z. B. werde der Besitz eines Geheimnisses durch Mitwisser gestört, weshalb die Abwehr der Besitzstörung die Herausgabe und Zerstörung der „Mitteilungsträger“ umfassen müsse.261 Die dabei vorausgesetzte Herrschaft über unkörperliche Sachen bestehe neben der physischen Gewalt im Sinne alleiniger Kenntnis des Immaterialguts (d. h. entsprechender Geheimhaltungsmaßnahmen) in „Maßnahmen […], die in der Regel nur vom Berechtigten vorgenommen werden, die also den Anschein eines Rechtsverhältnisses erwecken“.262
Bei Troller scheint die Annährung an den sachenrechtlichen Besitzschutz tatsächlich im Zusammenhang mit der Rede von unkörperlichen Sachen zu stehen. Wesentlicher Hintergrund ist aber eine eigene und streitbare Auffassung von der Beherrschbarkeit von Informationen. 256 „Während der BFH zu entscheiden hatte, inwieweit Standard-Software ein bewegliches abnutzbares Wirtschaftsgut des Anlagevermögens ist […] hatte es der erkennende Senat bisher mit anders gelagerten Fragestellungen, nämlich damit zu tun, ob Computerprogramme einer beweglichen Sache soweit angenähert sind, daß im Falle ihrer Mangelhaftigkeit die Vorschriften der §§ 459 ff. BGB, im Falle ihres Erwerbs gegen Ratenzahlung die Bestimmungen des Abzahlungsgesetzes zumindest entsprechend anwendbar sind.“, BGH NJW 1990, 320 (321). 257 Hierzu der Gesetzgeber: „Damit folgt die Vorschrift der Rechtsprechung, die schon heute die Vorschriften des Kaufvertragsrechts, soweit sie passen, z. B. auf die entgeltliche Übertragung von Unternehmen oder Unternehmensteilen, von freiberuflichen Praxen, von Elektrizität und Fernwärme, von (nicht geschützten) Erfindungen, technischem Know-how, Software, Werbeideen usw. anwendet.“, Entwurf SMG, BT-Drucks 14/6040, 242; Grüneberg/Weidenkaff, § 453 Rn. 8 f. 258 Eingehend BeckOK BGB/C. Möller, § 491 Rn. 9 ff. 259 Peukert, Güterzuordnung, 217 f. (es erübrige sich die Notwendigkeit „diese Güter [Daten, Software, Elektrizität] auch nur im Sinne des Kaufrechts als Sachen anzusehen“ [Hervorh. im Original]). 260 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 91. 261 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 76 ff. 262 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 78.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
IV. Zwischenergebnis Werden Gegenstände aus anderen Gründen als einer Anwendung der Sacheigentumsregeln unter den Sachbegriff subsumiert, hat § 903 BGB damit nichts zu tun, weshalb es eigentlich auch nicht mehr auf die exakte Subsumtion unter § 90 BGB ankommt. Es geht schlicht um die analoge oder rechtsfortbildende Anwendung bestimmter Regeln (z. B. § 459 BGB a. F.). Heute dient der Begriff unkörperlicher Sachen in erster Linie der Bezeichnung von Immaterialgütern, Rechten und Vermögensbestandteilen, ohne dass sachenrechtliche Implikationen damit verbunden wären. Auch Troller, der den sachenrechtlichen Besitz auf unkörperliche Sachen anwenden will, wahrt letztlich die Trennung von Sachen- und Immaterialgüterrecht und stellt auf eine eigenwillige Auffassung zur physischen Beherrschbarkeit von Informationen ab.263
E. Zusammenfassung und Folgerungen Die Unterscheidung von res corporales und res incorporales sortiert körperliche und unkörperliche Gegenstände nach ihrer Stofflichkeit und ohne Rücksicht auf die Trennung von Rechten und Rechtsgegenständen. Res incorporales dienten dabei besonders zur Bezeichnung von Vermögensrechten außerhalb des Sacheigentums.264 Im Pandektenrecht durchlief der Sachbegriff eine Phase der Wandlungen und schließlich Anpassungen an neue wirtschaftliche Fragen wie der Erfassung elektrischen Stroms. Das römisch-rechtliche Kriterium der Körperlichkeit hielt sich aber und fand Eingang in das neu geschaffene BGB.265 Die heutigen Abgrenzungskriterien für Sachen, genauer gesagt für die Körperlichkeit von Gegenständen i. S. d. § 90 BGB (menschliche Beherrschbarkeit, körperliche Ausdehnung, räumliche Abgrenzung, sinnliche Wahrnehmbarkeit) beruhen, soweit ersichtlich, nicht auf speziellen Gerechtigkeitserwägungen, sondern führen letztlich die römisch-rechtliche Abgrenzung fort.266 Die hier aufgeworfene Frage nach dem Gerechtigkeitsgehalt der Körperlichkeit267 ergab eine Vielzahl an Wertungen, die hinter diesem Merkmal stehen: Das Sachenrecht ist auf rivale Güter zugeschnitten und zeigt eine deutliche Korrespondenz zwischen der weiten Definition des Sacheigentums und dem weiten Sachbegriff. Die Körperlichkeit entspricht auch meist der intuitiven menschlichen Einteilung der Welt und macht die Sachabgrenzung so für jedermann plausibel. Daher sind körperliche Gegenstände zugleich leicht erkennbar, was angesichts des weitreichenden Sacheigentums eine verhältnismäßig geringfügige Begrenzung der Freiheit anderer erlaubt. Und schließlich sorgt die Abgrenzung des § 90 BGB dafür, 263
Siehe dazu auch eingehend unten § 10 D. Der Besitz unkörperlicher Gegenstände. Siehe oben A. Römisches Recht: res corporales und res incorporales. 265 Siehe oben B. Die Sache im Pandektenrecht: Enger und weiter Sachbegriff. 266 Siehe oben C. I. Der Sachbegriff in den Vorarbeiten zum BGB; II. Der heutige Sachbegriff. 267 Siehe oben C. III. Der Gerechtigkeitsgehalt der Körperlichkeit. 264
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)129
dass nur durch Menschen beherrschbare Gegenstände in den Rechtsverkehr aufgenommen werden. Die Frage zur Weiterentwicklung des aus dem Pandektenrecht bekannten Begriffs der unkörperlichen Sache ergab, dass dieser heutzutage fast keinen Zusammenhang zur Anerkennung von Sacheigentum i. S. d. § 903 BGB hat. Die Verwendung des Begriffs dient eher der analogen oder rechtsfortbildenden Anwendung einzelner, für Sachen geltender Regeln (z. B. § 459 BGB a. F.) bzw. der Bezeichnung von Immaterialgütern, Rechten und Vermögensbestandteilen ohne sachenrechtlichen Zusammenhang.268
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter) Als nächstes geht es um die insbesondere ontologische Erfassung und Abgrenzung von Immaterialgütern, die sich bereits in Form unkörperlicher Sachen, wie etwa als Geisteswerke, zeigten. Diese Abgrenzung soll zum einen an die Dogmatik des Sachbegriffs anknüpfen und zum anderen die immaterialgüterrechtlichen Lebensgüter sowie ihre rechtlichen Abbilder mit dem derzeit entstehenden Daten- und Informationsrecht terminologisch und dogmatisch verbinden. Die „Prototypen der Immaterialgüterrechte“ sind Marken-, Patent- und Urheberrecht,269 sie stehen hier daher exemplarisch im Vordergrund.
A. Definitionen für Immaterialgüter Zum Einstieg in die Untersuchung der Wesenheit von Immaterialgütern sind einige gängige Definitionen und bisherige Untersuchungen zu rekapitulieren. Voranzustellen ist eine bemerkenswerte Charakterisierung, mit der Schopenhauer Geisteswerke, gleich ob technisch oder kulturell, von Taten abgrenzt:270 „Der Hauptunterschied ist, daß die Thaten vorübergehn, die Werke bleiben. Die edelste That hat […] nur einen zeitweiligen Einfluß; das geniale Werk hingegen lebt und wirkt, wohlthätig und erhebend, durch alle Zeiten. […] Die Werke […] sind selbst unsterblich, und können, zumal die schriftlichen, alle Zeiten durchleben. Von Alexander dem Großen lebt Name und Gedächtnis; aber Plato und Aristoteles, Homer und Horaz sind noch selbst da, leben und wirken unmittelbar. Die Veden, mit ihren Upanischaden, sind da: aber von allen den Thaten, die zu ihrer Zeit geschehn, ist gar keine Kunde auf uns gekommen.“271 „[W]ährend […] von den Thaten bloß das Andenken auf die Nachwelt kommt, und zwar so, wie die Mit268
Siehe oben D. Unkörperliche Sachen im 21. Jahrhundert. McGuire, GRUR 2016, 1000 (1003). 270 I. R. d. Untersuchung der Bedeutung dessen „was einer vorstellt“ („unser Daseyn in der Meinung anderer“, Aphorismen zur Lebensweisheit, 62) für das menschliche Glück. Kurz: Durch Taten und Werke wird Ruhm erlangt (109) und doch ist nicht der Ruhm, sondern „Das, wodurch man ihn verdient, […] das Werthvolle“ (117). 271 Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, 109 f. 269
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
welt es überliefert, so kommen hingegen die Werke selbst dahin, und zwar, etwan fehlende Bruchstücke abgerechnet, so, wie sie sind: hier giebt es also keine Entstellung der Data“.272 Die Entstehung von Werken hänge, anders als Thaten, nicht von der Gelegenheit, „sondern allein von ihrem Urheber ab“.273 Und „nicht, daß die Nachwelt von ihm erfahre“ mache diesen beneidenswert, und damit den Beitrag zu seinem Glück aus, „sondern daß in ihm sich Gedanken erzeugen, welche verdienen, Jahrhunderte hindurch aufbewahrt und nachgedacht zu werden“.274
Damit hat Schopenhauer eine überraschend moderne Auffassung des Wesens geistiger Werke, die sich in jüngeren Definitionen nicht immer in dieser Klarheit zeigt: Er versteht Werke als eine Art Informationen, die, da sie zeitlich und örtlich ungebunden sind, heutigen Rezipienten unbeschadet gegenübertreten und es ihrem Urheber somit erlauben, sich unmittelbar an die Nachwelt zu wenden. Freilich bleibt unklar, inwieweit und wo die „Werke“ existieren und in welchem Verhältnis sie zu den einzelnen Werkexemplaren stehen. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts blieben die meisten Definitionen aber untechnisch, fast metaphysisch. Dies zeigen einige ausgesuchte Beispiele.
I. Definitionen aus dem 20. Jahrhundert Schönherr kommt in einer auf die Begriffsbildung im Immaterialgüterrecht gerichteten Untersuchung zu dem Ergebnis: „Immaterialgüterrechte sind Rechte an verselbständigten, verkehrsfähigen geistigen Gütern.“ – und – „Immaterialgüter sind geistige Güter, die ideellen oder materiellen Nutzen zu verschaffen geeignet sind.“275
Er sieht also die Nützlichkeit für den Menschen und bemerkenswerterweise auch die Verkehrsfähigkeit als entscheidende Eigenschaften von Immaterialgütern. Eine tiefere ontologische Untersuchung erfolgt aber nicht. Troller/Troller charakterisieren Immaterialgüter hingegen folgendermaßen: „Sie sind geistiger Art und vertreten nicht bloß begrifflich und rechtstechnisch körperliche Dinge und Leistungen. […] Alle Immaterialgüter können die Quelle eines zahlenmäßig, zeitlich und örtlich unbegrenzt wiederholbaren Gebrauchs sein. Sie sind also wertvolle geistige Güter, die ohne Einbuße an Substanz und Qualität Dritten an beliebigem Ort, zu beliebiger Zeit und beliebig oft durch sinnlich wahrnehmbare Zeichen mitgeteilt werden können.“276
Auch hierbei handelt es sich um eine qualitative Definition, die also auf die Eigenschaften der Güter abstellt (immateriell, ubiquitär, nicht-rivalisierend, nicht verbrauchbar), allerdings ebenfalls keine greifbare ontologische Aussage macht. 272
Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, 111. Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, 110 f. 274 Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, 119. 275 Schönherr, FS Troller 1976, 57 (62). 276 Troller/Troller, Kurzlehrbuch, 11 f. 273
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)131
Merkl vertritt eine ähnliche Auffassung, er stellt jedoch stärker auf die Gebundenheit an körperliche Fixierungen des Immaterialguts ab: Auch „Stegreifdichtungen und literarische Improvisationen […] in Form eines Vortrags“ seien an Materie, nämlich die Schallwellen des Vortrags und die Körper (i. e. die Gehirne) der Zuhörer gebunden.277 Beim Wegfall jeglicher Verkörperung höre das Immaterialgut zwar – mit Blick auf Platons Ideenlehre – „nicht auf Grund dieses Verlustes auf zu existieren“, es werde jedoch „für den Menschen, auf den es ohne sinnliche Brücke nicht mehr einzuwirken vermag, bedeutungslos“.278
Gemeinsam ist den Lehren des 20. Jahrhunderts, dass dort kein erkennbarer Wert auf die genaue Daseinsform – die Ontologie – immaterieller Güter gelegt wurde. Auch der Verweis auf Platons Ideenlehre weist in eine ontologisch ungewisse Richtung,279 die jedenfalls nicht Teil des naturwissenschaftlichen Weltbilds ist. Der Begriff „Immaterialgut“ scheint eher die Funktion eines Platzhalters zu haben. Die reichlicher behandelten Eigenschaften immaterieller Güter hingegen dienten der Gestaltung der Immaterialgüterrechte, waren aber zu allgemein, um verbindliche ontologische Aussagen zu treffen.
II. Rechtsrealistische Kritik an metaphysischen Immaterialgütern Diese auf eine nicht näher benennbare Existenz eines geistigen Gutes gerichtete Erklärung wird nur sehr gelegentlich ernsthaft infrage gestellt.280 Exemplarisch ist nur auf die prägnanteste dieser Kritiken, nämlich die der skandinavischen Rechtslehre einzugehen:281 Die skandinavische oder „nordische“ Rechtslehre vertrat einen strengen, metaphysikkritischen Rechtsrealismus.282 Grundtenor der skandinavischen Schule war eine „Begriffsanalyse der Grundbegriffe“ – als „vernünftige Fragestellung der Rechtswissenschaft“ wurde „nur eine psychologische oder sozialpsychologische“ anerkannt. Gegenstand der Untersuchungen waren „die menschlichen Handlungen und ihre von Rechtsnormen beeinflußten Wirkungen“.283 Dem entsprach z. B. eine Ablehnung der Absicht, mithilfe des Begriffs des subjektiven Rechts „praktische Einzelfragen“ zu lösen,284 wobei die ontologische Existenz subjektiver Rechte generell in Frage gestellt wurde.285 Ähnliches galt 277
Merkl, Begriff des Immaterialgüterrechts, 76. Merkl, Begriff des Immaterialgüterrechts, 79 f. 279 Mittelstraß/Gatzemeier, Bd. 2, Ideenlehre (der „ontologische Status“ von Ideen i. S. d. Ideenlehre sei „unklar“). 280 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 14 ff. Dazu unten III. Die Artefakttheorie. 281 Dazu auch Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 13 f. 282 Strömholm, European Review 2 (1994), 193 ff.; ders., Allgemeine Rechtslehre, 23 f.; Bjarup, Skandinavischer Realismus, 31. 283 Bjarup, Skandinavischer Rechtsrealismus, 17 f. 284 Vgl. Coing/Lawson/Grönfors/Grönfors, Das subjektive Recht, 39 (39); Fezer, Teilhabe, 312. 285 Siehe nur den wohl bekanntesten Beitrag („Tû-Tû“) hierzu, Ross, Scandinavian Studies in Law 1 (1957), 138. 278
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
für die Vorstellung immaterieller Güter, in denen man eine problematische Nähe zu Platons Ideenlehre sah.286 Besonderes Gewicht kommt in der Diskussion der Ontologie des Immaterialgüterrechts einem Aufsatz von Alf Ross, dem wichtigster dänischer Vertreter287 des skandinavischen Rechtsrealismus zu.288 Zusammenfassend heißt es dort: „Es ist nur die Gebundenheit an das hergebrachte Schema für die Struktur eines subjektiven Rechts, die zum Ergebnis führt, daß man auch hier einen Gegenstand sucht, den man im Geisteswerk als Immaterialgut zu finden glaubt. Der wirkliche Zusammenhang ist nur, daß dem Urheber eine Herrschaft über die reellen materiellen Bedingungen des Werkserlebnisses gegeben wird, und dies bedeutet wiederum, daß ihm ein ausschließliches Recht an der Benutzung gewisser Sachen, die im übrigen dem gewöhnlichen Eigentumsrecht unterworfen sind, gegeben werden, um einen besonderen Zweck zu erreichen, nämlich die Vermittlung des geistigen Erlebnisses eines von ihm geschaffenen Werkes.“289
Diese auch rechtspolitisch motivierte290 Kritik war Ausgangspunkt einer regen skandinavischen Diskussion,291 die dem Begriff „Unkörperlichkeit“ im Immaterialgüterrecht äußerstenfalls Sinn als Bezeichnung von Bewusstseinszuständen zugestehen wollte.292 Ähnlich wie im Streit um die Existenzform subjektiver Rechte trat auch hier die als solche schwer zu bestreitende metaphysikfreie293 Beschreibung des Beobachtbaren in Konkurrenz zu einer praktischen Idee, nämlich der Vorstellung immaterieller Güter. Denn rein ontologisch sind die Rückführungen der – auch oben angeführten – Rede von einer „geistigen“/„unkörperlichen“/ „immateriellen“ Existenz von Werken, Erfindungen etc. auf beobachtbare Tatsachen 294 wie gesagt kaum zu bestreiten. Juristisch haben sie aber nur bedingten Nutzen, sind also z. B. weder für die Gesetzgebung noch für eine „praktische Gesetzesauslegung“ brauchbar.295
III. Die Artefakttheorie Unter den jüngeren Untersuchungen zum Thema äußert sich Peukert besonders ausführlich. Peukerts Theorie unterscheidet sich fundamental von der in seinen Worten „idealistisch-metaphysische Sichtweise“ des 20. Jahrhunderts und ist in beachtlicher Tiefe ausgearbeitet. Sie ist hier einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. 286 Dazu
Godenhielm, GRUR Int. 1996, 327 (329). Strömholm, European Rev. 2 (1994), 193 (196). 288 Ross, Tidsskrift for Rettsvitenskap 58 (1945), 321 ff. 289 Übersetzung aus dem Dänischen von Strömholm, GRUR Int. 1963, 433 (440). 290 Ross, On Law and Justice, 279. 291 Siehe die jüngeren Nachweise bei Ross, On Law and Justice, 279 (dort Fn. 7); ebenso bei Strömholm, GRUR Int. 1963, 433; ders., GRUR Int. 1963, 481; Godenhielm, GRUR Int. 1996, 327. 292 Strömholm, GRUR Int. 1963, 433 (442). 293 Die Auffassung dessen, was als Metaphysik galt, waren streng, vgl. Bjarup, Skandinavischer Realismus, 31 f. 294 Siehe dazu auch Becker, Absurde Verträge, 236 ff. 295 Strömholm, GRUR Int. 1963, 481 (488 f.). 287
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)133
1. Überblick Peukert sieht eine kaum auflösbare Verknüpfung von Immaterialgütern und ihrem Trägermedium. Immaterialgüter seien „nur allgemeine Begriffe für eine Vielzahl körperlicher Fixierungen auf Trägermedien“.296 Es sei „durchaus keine klare Vorstellung davon vorhanden, was ein Immaterialgut wie eine Erfindung, ein Werk der Literatur, Wissenschaft und Kunst oder eine Marke denn recht eigentlich ist. Vorherrschend ist insoweit eine idealistisch-metaphysische Sichtweise, wonach Immaterialgüter unkörperlicher, geistiger Art und von ihren Verkörperungen in Büchern, Maschinen etc. zu unterscheiden seien.“297
Immaterialgüter sind nach dieser Auffassung also als solche so gut wie nicht ontologisch abgrenzbar. Zur Veranschaulichung seiner „ganz der ontologischen Ebene zugehörige(n) Zweifel“ führt Peukert folgendes Gedankenexperiment an:298 „Man stelle sich vor, dass ein Gedichtband in einer bestimmten Auflage erschienen ist. Die darin enthaltenen Gedichte sind Immaterialgüter, denen eine von den Verkörperungen im Buch usw. losgelöste Existenz zugebilligt wird. Werden nun sämtliche Exemplare des Buches einschließlich des Manuskripts und sonstiger Vervielfältigungen auf Datenträgern usw. vernichtet, und ist auch die letzte Person verstorben, die die Gedichte noch auswendig hersagen konnte – welche ‚Existenz‘ hat das Gedicht dann noch? Eine materialistisch-nominalistische Sicht auf diesen in der Menschheits- und Kulturgeschichte häufigen Vorfall kann darauf nur eine Antwort geben: Das Immaterialgut ‚Gedicht‘ ist nicht mehr. Existent sind nur Verkörperungen in verschiedenen statischen und dynamischen Trägermedien. Hierzu zählt neben Papier, elektronischen Dateien usw. insbesondere das menschliche Gehirn. Soweit diese Fixierungen für die menschliche Wahrnehmung den gleichen Inhalt repräsentieren, wird für diese einzelnen Verkörperungen der allgemeine Begriff des Immaterialguts bzw. des Gedichts mit Titel X gesetzt.“299
Dieses aufschlussreiche Bild legt eine wichtige Frage für die Natur von Immaterialgütern offen: Haben Immaterialgüter eine eigenständige Existenz und, falls ja, wie lässt sie sich beschreiben? Peukert zieht folgende Schlussfolgerung: „Folglich ist schon das Immaterialgut selbst, das doch der Seinswelt entnommen wird, nichts als ein Begriff, der die Gemeinsamkeiten einer unbestimmten Zahl von Materialisierungen beschreibt, die der menschlichen Wahrnehmung zugänglich sind.“300
In einer weiteren Untersuchung befasst Peukert sich dann eingehender mit der Ontologie der Immaterialgüterrechte. Ausgangspunkt für die dort vertretene Theorie ist die Sozialontologie von J. R. Searle, deren Schwerpunkt institutionelle 296
Peukert, Güterzuordnung, 215. Peukert, Güterzuordnung, 39. 298 Siehe ähnlich schon Bekker, ZVglRWiss 2 (1880), 11 (20) (unkörperliche Sachen [i. S. v. Immaterialgütern] hörten auf „dazusein“, „wann das letzte Gedächtnis [in uns] verklungen und die letzte Spur derselben ausser uns verwischt ist“). 299 Peukert, Güterzuordnung, 39. 300 Peukert, Güterzuordnung, 40. 297
134
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Tatsachen bilden. Dies wurde oben301 i. R. d. Lehre subjektiver Rechte und der institutional theory of law behandelt. Peukert entwickelt eine im Folgenden als Artefakttheorie zu bezeichnende Auffassung: „Bei Werken, Erfindungen usw. handelt es sich nicht um Objekte, die in der rohen, äußeren Wirklichkeit existieren, sondern um sprachbasierte Konstruktionen, die nur existieren […], weil und soweit Menschen so sprechen und denken, als ob es unkörperliche Werke, Erfindungen usw. gäbe. Ausgangspunkt dieser sozialen Konstruktion ist ein deklarativer Sprechakt, eine schlichte Erklärung/Behauptung: Demnach steht ein körperliches/verkörpertes Artefakt wie z. B. ein Buch oder eine Maschine nicht für sich, sondern es verkörpert ein hiervon unabhängiges abstraktes Werk, eine abstrakte Erfindung usw. Wird diese Deklaration von Dritten anerkannt, wird sie und mit ihr das abstrakte Immaterialgut zur sozialen Wirklichkeit.“302
Hierbei seien zwei „Abstraktionsebenen“, nämlich ein „Master-Artefakt“ und „Sekundäre Artefakte“ zu unterscheiden: „Am Anfang steht die Veränderung der äußeren Wirklichkeit durch den Menschen in Gestalt der Erzeugung eines neuen Artefakts, z. B. einer neuen Datei, einem Modell usw. Manche dieser Artefakte werden gespeichert oder sonst aufbewahrt und vom Erzeuger oder Dritten speziell benannt (‚Master-Artefakt‘). Schließlich werden identische und ausreichend ähnliche Artefakte (insbesondere Kopien, Nachahmungen) mit dem Namen des MasterArtefakts bezeichnet (‚Sekundäre Artefakte‘).“303 Schutzgegenstand der IP-Rechte sei demgemäß „eine rechtlich etablierte Ähnlichkeitsrelation zwischen einem Master-Artefakt und hiervon unabhängig existierenden Sekundären Artefakten“.304
Die Verbindung zur Theorie institutioneller Tatsachen liegt also in der „Wahrheitsbehauptung“ der Ähnlichkeit der „in Rede stehenden Artefakte“ nach „der searlschen Formel ‚X zählt als Y in K‘“: „Die Druckschrift X zählt nach Maßgabe eines Ähnlichkeitsvergleichs K als ‚Nachdruck’ oder sonstige Kopie der maßgeblichen Vorlage und damit als Exemplar ‚des‘ Buches Y.“305
Das „Master-Artefakt“ sei „die rechtsrealistische Alternative zum idealistischabstrakten Immaterialgut“ in der gängigen Theorie subjektiv-ausschließlicher IPRechte.306 Der Vorteil dieser Sichtweise liege zum einen in ihrer besseren Erklärungskraft: „Demnach sind IP-Rechte ausschließliche Rechte zur Herstellung und sonstigen Nutzung bestimmter, reproduzierbarer Artefakte.“307
301
Siehe oben § 1 A. III. 7. c) Verbindung zur Welt der Tatsachen. Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 188. 303 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 188. 304 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 193. 305 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 51 f. 306 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 191. 307 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 191. 302
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)135
Zum anderen erleichtere diese Sichtweise Beweisprobleme und erhöhe die Rechtssicherheit, da Master- und sekundäre Artefakte dem Beweis zugänglich seien als „Objektfiktionen“.308 Des Weiteren ließen sich Unsicherheiten über den Schutzgegenstand im Patentrecht als einen Streit über das Master-Artefakt, Fragen der Schutzfähigkeit als Vergleiche mit vorbekannten Artefakten und Verletzungsfragen als Vergleich mit dem gegnerischen Artefakt sowie dem für den Berechtigten geschützten Verhalten erklären.309 Gegen die IP-rechtliche Annahme der Existenz unkörperlicher Objekte spreche, dass es zu „normativ bedeutsamen Verzerrungen der Wahrnehmung der geregelten Wirklichkeit, der juristischen Strukturen und ihrer Rechtfertigung“ komme, namentlich durch „negative Auswirkungen der Rechte auf individuelle Freiheiten und das allgemeine Wohl“.310 Die Rede von „IP-Rechten“ sei mangels besserer Alternativen aber schwer vermeidbar.311
2. Würdigung a) Master-Artefakt als Ansatzpunkt Die Artefakttheorie erzeugt einen gewissen Anpassungsbedarf, wenn es um die Bestimmung des relevanten Masterartefakts geht. Ein solches scheint nämlich in vielen Fällen schwer auszumachen zu sein und bedarf dann einiger Abstraktionen oder Relativierungen. So bleibt es dem Urheber unbenommen, vor Gericht eine beliebige Vorversion seines Werkes als Masterartefakt anzuführen. Denn haben mehrere Urheber, z. B. die Mitglieder einer Band, zusammengewirkt und jeweils für sich vorbestehende, schutzfähige Kompositionen (Riffs, Basslines, Drum Patterns etc.) beigesteuert, so genießen freilich auch diese Komponenten urheberrechtlichen Schutz, ebenso wie sämtliche Vor- oder Liveversionen des Songs. Die Unterscheidung zwischen Masterartefakt und sekundären Artefakten scheint daher nicht immer leicht durchführbar und im Ergebnis auch nicht immer nötig bzw. sinnvoll zu sein. Unbestritten beruhen alle späteren Versionen „des Werks“ auf früheren Versionen. Sobald aber die Rechtsunterworfenen von Versionen „des Werks“ sprechen, existiert offensichtlich in ihrer Vorstellung auch ein Werk, das in verschiedenen Versionen Ausdruck findet. Löst man sich dann von der Idee des identifizierbaren Master-Artefakts und weitet dieses auf einen Kreis an Exemplaren oder auf wechselnd benennbare Exemplare aus, wird der Begriff beliebig. Peukert stellt indes richtig fest: „Die einzige, allerdings fundamentale juristische Funktion der […] Idee des abstrakt-immateriellen Werks ist es, ein Eigentumsobjekt zu fingieren, wo eigentlich nur einzelne Artefak308
Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 196. Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 192. 310 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 194. 311 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 23, 195. 309
136
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
te (‚Rauminstallation‘) und Handlungen (‚Vernichtung‘) wahrzunehmen und zu regulieren sind.“312
Es bleibt nur m. E. ein zu geringer Grad der Abstraktion, die Existenz urheberrechtlicher Werke über eine Rückverfolgung/Verwandtschaft unzähliger Vervielfältigungsstücke zu einem Master-Artefakt zu erklären. Der Aufwand, z. B. das Master-Artefakt des Songs „Let it be“ zu identifizieren und von sekundären Artefakten zu unterscheiden, kann entfallen, wenn man sich einig ist, dass es das Werk „gibt“ und dass der Urheber bzw. der Rechteinhaber vor Gericht eine beliebige Fassung/ein beliebiges Exemplar vorlegen kann. Ob – um beim Beispiel zu bleiben – Paul McCartney nun die Masterbänder, eine Schallplatte, eine CD oder eine MP3-Datei vorlegt und ob es sich dabei um die Studio- oder um eine Live-Aufnahme handelt, ist gleichgültig.
b) Zerstörung von Werken als Fall des § 14 UrhG Prinzipiell zutreffend verweist Peukert darauf, dass i. R. d. Beeinträchtigung nach § 14 UrhG die „Fallgruppe der Werkvernichtung“ unter der herrschenden Theorie eines immateriellen Werks „unverständlich“ bleibe. Denn einen abstrakten Typ bzw. ein abstraktes Immaterialgut der Welt 3313 könne man nicht zerstören.314 Nach der dargelegten Artefakt-Theorie sei eine Zerstörung eines Werkexemplars nur in Extremfällen als Beeinträchtigung nach § 14 UrhG aufzufassen, nämlich im Falle „der Vernichtung des einzigen oder letzten Exemplars“315 sowie tendenziell bei der Vernichtung der Originale von autografischen Werken, deren Prototyp die bildende Kunst ist: „Je autografischer oder sonst einmaliger Master-Artefakte (Originale) sind, desto eher beeinträchtigt ihre Zerstörung den qualitativen Wirkbereich des Werks (erneut verstanden als Oberbegriff für das Master-Artefakt und alle sekundären Artefakte). Ölgemälde oder andere, eigenhändig hergestellte Kunstwerke können zwar durch Nachbau oder simple Fotografie im urheberrechtlichen Sinne ‚vervielfältigt‘ werden, sodass weiterhin mitgeteilt werden kann, was sie zum Ausdruck bringen. Diese kommunikativen Akte aber sind von qualitativ anderer Art als bei einem vom Urheber hergestellten Original. Dessen Authentizität kann die Kopie nicht vermitteln.“316
In der Tat kann die Werkvernichtung je nach Werkbegriff durch die Zerstörung von Vervielfältigungsstücken nur schwer möglich sein. Hier hat die Artefakttheorie und dort besonders die Abschichtung zwischen verschieden bedeutsamen Artefakten eine große Erklärungskraft. In diesem Kontext drängt sich aber auch die Gegenfrage auf, ob die Zuspitzung auf zerstörbare Artefakte die Werkvernichtung an sich befriedigend erklären kann. 312
Peukert, ZUM 2019, 567 (569). Siehe zu den Drei-Welten-Lehren unten § 5 C. IV. 2. Die Information existiert in der Struktur. 314 Peukert, ZUM 2019, 567 (569). 315 Peukert, ZUM 2019, 567 (570). 316 Peukert, ZUM 2019, 567 (570). 313
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)137
Denn was ist, wenn alle Werkexemplare vernichtet sind, sich der Urheber oder ein anderer Mensch jedoch an das (unstreitig einmal in den inzwischen vernichteten Werkexemplaren wiedergegebene) Werk erinnern kann? Ist es dann noch existent? Beispiel: Angenommen, alle Werkexemplare (Niederschriften und Aufnahmen) von „Let it be“ wurden vernichtet. Unzählige Musiker wären aber nach wie vor in der Lage, den Song auswendig zu spielen, weil sie sich daran erinnern. Würde man dann mit den Werkexemplaren auch das Werk als vernichtet verstehen?
Nach der Artefakttheorie muss das Werk mit dem Untergang des letzten Werkexemplars wohl als vernichtet gelten: „‚Das‘ Werk bezeichnet nach dieser ontologischen Auffassung einen Oberbegriff für alle Artefakte, die aufgrund ihrer hinreichenden Ähnlichkeit eine bestimmte Wirkung entfalten, die der Urheber autorisiert hat.“317
Spielen Musiker dann eine neue Aufnahme des Songs ein, gibt es zwar wieder ein Artefakt. Abgesehen von der Frage, ob ein solches, von anderen Personen als dem Urheber aus dem Gedächtnis eingespielten Stückes als neues Masterartefakt gelten kann, stellt sich die Frage, wie – hinsichtlich der Werkexistenz – die Lücke geschlossen wird, in der es kein Artefakt gab. An anderer Stelle lässt Peukert das menschliche Gedächtnis indes als Werkspeicher gelten.318 Auch steht in der Praxis die Vernichtung von Originalen im Vordergrund, die ihrer autografischen Bedeutung wegen bedeutsam sind. Daher zielt auch diese Kritik eher auf den Punkt, dass es hinderlich sein kann, den Urheberrechtsschutz auf konkrete Artefakte zu stützen.
3. Immaterialgüter als institutionelle Tatsachen Zu unterstützen ist aber Peukerts Vorschlag, Werke und andere Immaterialgüter als institutionelle Tatsachen i. S. v. Searle aufzufassen. Schon der Schritt von einem Bilddokument oder einer Tonaufnahme als physischen Erscheinungen zu einem urheberrechtlichen Werk mit der entsprechenden rechtlichen Bedeutung hebt von der streng materialistischen Auffassung ab. Hier kann auf die Ausführungen zu subjektiven Rechten und Sacheigentum als institutionellen Tatsachen verwiesen werden.319 Werke als Rechtsgegenstände existieren nach dieser Ansicht in gleicher Weise wie Eigentumsrechte oder ein Elfmeter beim Fußball. Sie sind institutionelle Tatsachen, oder – mit Harari – intersubjektive Entitäten.320 Die rechtliche Existenz eines Werkes als Rechtsgegenstand kann auf diesem Wege gut erklärt werden und ist nicht auf metaphysische Zusatzannahmen angewiesen. Der Schwerpunkt des 317
Peukert, ZUM 2019, 567 (569). Peukert, Güterzuordnung, 39. 319 Siehe oben § 1 III. 7. c) Verbindung zur Welt der Tatsachen. 320 Harari, Homo Deus, 144. 318 Vgl.
138
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
hier verfolgten Modells liegt nur darauf, das Werk nicht auf konkrete Masterartefakte zu beschränken, sondern als zusammenfassendes Idealgut zu verstehen.321
IV. Informationstheoretisches Verständnis von Immaterialgütern Mit dem Aufkommen des Internets, der Digitalisierung und dem zunehmenden Schutzbedürfnis für technische Güter ist Bedarf für eine genauere Erfassung und Dogmatik der Immaterialgüter entstanden. Besonders eingehend mit diesem Wandel zu einer im Folgenden zu untersuchenden informationstheoretischen Dogmatik des Immaterialgüterrechts befasst sich Zech. Er zieht eine Parallele zwischen der durch technischen Fortschritt bedingten Ablösung von Informationen vom Informationsträger und der Entwicklung geistigen Eigentums.322 Sei der ursprüngliche „Startschuss“ die Verbreitung des Buchdrucks ab dem 15. Jahrhundert gewesen, hätten Fotografie und akustische Aufnahmen Anfang des 20. Jahrhundert und die EDV ab den 1970er Jahren für neuen Regelungsbedarf gesorgt.323 In diesem Zuge habe sich ein Bezug auf die „Persönlichkeit des Schöpfers und schließlich auch auf die Schöpfung selbst“ herausgebildet.324 Stets ging es technisch betrachtet um die vor allem wirtschaftliche Zuweisung von Information an Rechtssubjekte. Nach dieser Deutung ist Immaterialgüterrecht in erster Linie Informationsrecht. Die in den 2010er Jahren aufgekommene und bis dato immer breiter werdende Diskussion um Rechte an Daten hat einen Anschluss der Dogmatik der IP-Rechte an die Informationstheorie erforderlich gemacht. Denn nicht nur gehört zu den gängigen Betrachtungen im Rahmen dieser Diskussion die Frage, inwieweit die gesetzlichen IP-Rechte Rechte an Informationen bzw. Daten sind.325 Wie zu zeigen sein wird, ist Information auch die kleinste Einheit – nicht nur im Immaterialgüterrecht. Daher ist im Folgenden eine vom Informationsbegriff ausgehende Ontologie der Immaterialgüterrechte zu umreißen, die auch die oben326 zur Artefakttheorie aufgeworfenen Probleme lösen kann.
B. Immaterialgüterrecht als Informationsrecht Zwischen dem wissenschaftlichen Informationsbegriff bzw. der Informationstheorie und dem Gebrauch des Begriffs „Information“ im juristischen und ökonomischen Sprachgebrauch klafft eine Lücke: „Generell gilt Information in der Ökonomie entweder als Ware, als Ausdruck der Infrastruktur oder als Wettbewerbsvorteil. Information wird dabei im weitesten Sinne mit ‚Nachricht‘ oder ‚Wissen‘ gleichgesetzt. Es ist dieser landläufige und häufig unreflektierte 321
Ausführlich unten D. III. Idealgüter und Informationen im Immaterialgüterrecht. Zech, Information als Schutzgegenstand, 187 ff. 323 Zech, Information als Schutzgegenstand, 188 f., 192. 324 Zech, Information als Schutzgegenstand, 191. 325 Siehe zu diesen Punkten sogleich B. Immaterialgüterrecht als Informationsrecht. 326 Siehe oben III. 2. Würdigung. 322
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)139
Begriff von Information, wie er heutzutage auch weite Verwendung in den Kommunikations- und Medienwissenschaften findet. Für unser sehr viel tiefergehendes begriffliches Interesse spielt dieser ‚Alltagsgebrauch‘ keine Rolle.“327
Ungefähr seit dem Jahr 2010 wird in der Rechtswissenschaft aber verstärkt über ein „Datenwirtschaftsrecht“328 diskutiert.329 Diese Diskussion erhält nicht zuletzt Vortrieb durch den europäischen Gesetzgeber, da ein enger Zusammenhang zwischen diesem Rechtsgebiet und der Stellung Europas im globalen Digitalisierungswettbewerb gesehen wird.330 Bei der Suche nach gesetzlichen Schutzinstrumenten für Daten liegen die bekannten Immaterialgüterrechte neben dem Sacheigentum am nächsten.331 Die hiermit verbundenen juristischen Untersuchungen sind auf eine präzise Unterscheidung der Schutzgegenstände des hergebrachten Immaterialgüterrechts und dem neu entstehenden Datenwirtschaftsrecht angewiesen. Sie können sich nicht mit den oben genannten, ontologisch knapp gehaltenen Definitionen von Immaterialgütern aus dem 20. Jahrhundert bescheiden. Diese sind heute unzureichend. Vielmehr bedarf es einer genauen Unterscheidung, für welche Lebensgüter – in einem ontologischphysikalischen Sinne – Schutz gesucht wird, welche Schutzgegenstände den einzelnen Immaterialgüterrechten unterfallen und wie sich diese zu den Untersuchungsgegenständen der modernen Informationstheorie verhalten. Immaterialgüterrecht muss daher als Informationsrecht verstanden werden.332 Es gibt ein neues Bedürfnis für Präzision und zu einer anschlussfähigen Terminologie. Erfindungen, Werke und Marken können auf Informationsebene dargestellt werden. Wie im Folgenden zu zeigen ist, stellen sich Immaterialgüterrechte entsprechend als Informationsbestimmungsrechte dar. Dies gilt erst recht für das Datenschutz- und das Datenwirtschaftsrecht. Diese einheitliche Vorstellung hilft später beim Abgleich der Rechte und insbesondere bei der Suche nach weiteren Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel liegt es nahe, dass es relativ einheitliche regelungsbedürftige Handlungen gibt, wie etwa das Zugänglichmachen und Nutzen von Information in verschiedener Hinsicht. Persönlichkeitsrechtliche Elemente werden hierdurch nicht beschnitten; das Persönlichkeitsrecht liegt, wie das Datenschutzrecht als besondere Ausprägung zeigt,333 als eigenständige Ebene über dem Immaterialgüterrecht. Dem steht auch die monistische Theorie nicht entgegen. Hierzu ist noch eingehender Stellung zu beziehen.334 Wichtig ist zunächst, die Schutzgegenstände der bestehenden Imma327
Lyre, Informationstheorie, 43. Zum Begriff siehe nur C. Berger, ZGE/IPJ 2017, 340 (zu „Commercial Data Law“). 329 Erste Ansätze der Diskussion, insbesondere zum Integritätsschutz von Daten, sind freilich älter, siehe etwa Meier/Wehlau, NJW 1998, 1585 (1588 f.). 330 Becker, GRUR-Newsletter 1/2016, 7 (9 f.); ders., ZGE/IPJ 9 (2017), 253. 331 Hierzu nur Zech, Information als Schutzgegenstand, passim. 332 Siehe Dreier, FS Ullrich, 35 (41). 333 Siehe Zech, GRUR 2015, 1151 (1152 f.); Specht/Rohmer, PinG 2016, 127; Becker, FS Fezer, 815 (828 ff.). 334 Siehe unten § 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte. 328
140
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
terialgüterrechte mit den Lehren der Informationstheorie übereinzubringen, um ontologische Klarheit zu schaffen. Dabei kann auf die Arbeit von Zech aufgebaut werden, der Immaterialgüterrechte bereits unter dem Gesichtspunkt des Schutzes für Informationen untersucht hat.
C. Der Informationsbegriff Einen ersten Anhaltspunkt für das Problem, „Information“ zu definieren, gibt der folgende Dialog zwischen Lisa und Bart Simpson: „Lisa Simpson: If a tree falls in the woods and no one’s around, does it make a sound? Bart Simpson: Absolutely! [makes the sound of a tree falling] Lisa: But Bart, how can sound exist if there’s no one there to hear it. Bart: Wooooooo …“335
Naturwissenschaftlich würde man freilich die Existenz von Schallwellen auch ohne menschliche Zuhörer bejahen. Die allgemeinere und schwieriger zu beantwortende Frage lautet aber: Erzeugt der Vorfall Informationen und inwieweit hängt ihre Existenz von (menschlichen) Beobachtern ab?
I. Drei Ebenen von Informationen und Benklers layer model In der Literatur werden zumindest drei Ebenen von Informationen unterschieden, korrespondierend mit Benklers Modell von drei Schichten („layers“), die die „levels of the information environment“336 definieren, oder, wie Lessig es nennt, „different layers within a communications system that together make communications possible“.337 Diese Dreiteilung ist in Deutschland mittlerweile etabliert,338 daher darf sie verkürzt referiert werden:
1. Syntaktische Ebene Die syntaktische Ebene von Information bezieht sich auf die Zeichen und ihre Beziehungen untereinander,339 z. B. auf die genaue Reihenfolge von Zeichen in einem Wort und Wörter in einem Text. Es geht um die „Gestaltmenge einer Botschaft“.340 Zugrunde liegt der Begriff der Syntax. Sie „beschreibt die in einer Sprache nutzbaren Elementarzeichen sowie die Regeln wie Elementarzeichen zu Gruppen (z. B. Wörter) und Gruppen zu Sätzen zusammengesetzt werden – Grammatik“.341 335 The Simpsons, Staffel 2, Folge 6 („Dead Putting Society“); www.simpsonsarchive.com/ episodes/7F08.html. 336 Benkler, Federal Communications Law Journal 52 (2000), 561 (562–563). 337 Lessig, The future of ideas, 23. 338 Siehe insbesondere die Arbeit von Zech, Information als Schutzgegenstand, 35 ff., 44. 339 Zech, Information als Schutzgegenstand, 38 ff. 340 v. Weizsäcker, Aufbau der Physik, 200. 341 Vogel-Heuser/Bauernhansl/ten Hompel, Handbuch Industrie 4.0, Bd. 2, 420; Stegmüller,
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)141
Diese Ebene ist insofern vom Informationsträger unabhängig, als syntaktische Informationen gleich bleiben, wenn ein Text z. B. von einem Sprecher vorgelesen wird oder gesprochene Wörter aufgeschrieben werden. Bei Benkler ist hier die Rede vom „logical infrastructure layer“, z. B. Software.342 Eine wichtige Grenze verläuft zwischen syntaktischer Information und nichtsyntaktischen Strukturen. Beispielsweise gibt es in der Natur Kommunikationsformen, die sich als Zeichensprache deuten lassen, aber weder menschlichen Ursprungs noch an Menschen gerichtet sind (z. B. Walgesänge, Duftstoffe von Pflanzen, Bewegungsabläufe). Wo liegt also die Grenze zwischen syntaktischer Information und bloßer Struktur ohne Zeichencharakter? v. Weizsäcker stellt hierfür auf das Auffassungsvermögen des Empfängers ab: „Die syntaktische Information liegt für denjenigen Sender oder Empfänger vor, der Buchstaben unterscheiden kann und an ihnen interessiert ist, die semantische für denjenigen, den die sprachlich mitgeteilten Inhalte interessieren.“343
Zoglauer wiederum vertritt, dass alle Zeichenketten, unabhängig davon, ob sie irgendeinen sinnvollen Inhalt haben, syntaktische Informationen seien und die Frage, was ein Zeichen sei, allein davon abhänge, in welchen Strukturen Menschen Zeichen erblickten. Für einen Kaffeesatzleser enthalte auch Kaffeesatz syntaktische Information.344 Nach dieser Ansicht enthielten die genannten Kommunikationsformen in der Biologie, sobald sie entschlüsselt sind, trotz ihres nicht-menschlichen Ursprungs ebenfalls syntaktische Information. Ein der Entstehung der Struktur nachgelagertes Verständnis derselben als Zeichen ist demzufolge also denkbar: „Because it is always our consciousness that carves out distinctions in the world and conceives them as signs, syntactic information is in some sense mind-dependent.“345
Zech hingegen zieht die Grenze bei der Frage, ob besagte Regeln menschengemacht sind oder nicht. So zählten digitale Daten noch zur syntaktischen Ebene, da selbst Firmware oder dergleichen nach menschlichen Regeln programmiert werde, während dies für menschliche DNA – obschon sie mittlerweile für Menschen auslesbar ist – nicht der Fall sei.346 M. E. ist es eine Definitionsfrage, wo genau man diese Grenze zieht. Sehen Tiere oder Pflanzen in Signalen ihrer Artgenossen Zeichen, ist es denkbar, auch diese unter den Begriff der syntaktischen Information zu fassen. Von einem rechtlichen Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. 1, 414 f. („die Struktur der Ausdrücke und die Beziehungen zwischen Ausdrücken“). 342 Benkler, Federal Communications Law Journal 52 (2000), 561 (562). 343 v. Weizsäcker, Aufbau der Physik, 200. 344 Kornwachs/Jacoby/Zoglauer, Information – New Questions to a Multidisciplinary Concept, 187 (203 f.). 345 Kornwachs/Jacoby/Zoglauer, Information – New Questions to a Multidisciplinary Concept, 187 (204). 346 Zech, Information als Schutzgegenstand, 38 f., 57 f.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Standpunkt aus ist das menschliche Bewusstsein maßgeblich, weil die Rechtsordnung in erster Linie menschliche Interessen erfasst und untereinander ausgleicht. Eine mögliche Sicht wäre daher die Forderung, dass syntaktische Information zumindest das (menschliche) Wissen voraussetzt, dass es sich bei den fraglichen Strukturen um Zeichen handelt – auch wenn noch unbekannt ist, was sich dahinter verbirgt. Kurz gesagt hängt das Vorliegen syntaktischer Information also davon ab, welche Strukturen als Zeichen verstanden werden und wessen Blickwinkel man dabei für maßgeblich hält.
2. Semantische Ebene Die semantische Ebene von Informationen bezieht sich im allgemeinsten Sinne auf die Bedeutung beliebiger Zeichen,347 ihren kommunikativen Sinn.348 Als praktisches Beispiel für ein „semantisch wirkendes Zeichen“ wird das christliche Kreuz angeführt: „Kreuzen sich zwei gleich lange Linien mittig, sehen wir eine Kreuzung. Sobald die waagerechte Linie aber wesentlich kürzer als die senkrechte ist und diese in der oberen Hälfte kreuzt, sieht das kulturell christlich geprägte Auge darin das Zeichen für das christliche Kreuz.“349
Der unten näher ausgeführte Aspekt der Bedeutung von Informationen350 eröffnet verschiedene Definitionsmöglichkeiten für semantische Information. Man kann sie als auf menschliches Verständnis gerichtet und damit von menschlichem Bewusstsein abhängig verstehen. Möglich ist aber auch ein darüber hinausgehendes Verständnis, das etwa auch in der gesamten Biologie von der Möglichkeit bedeutsamer Information ausgeht.351 Zoglauer sieht in biologischer Information gerade keine Semantik, sondern nur „funktionale Information“ (die aber immer zugleich auch syntaktische Information sei).352
347 Mittelstraß/K. Lorenz, Bd. 3, „Semantik“. Zur näheren Differenzierung zwischen dem „Sinn“ und der „Bedeutung“ eines Zeichens sowie der mit ihm verknüpften „Vorstellung“ siehe grundlegend Frege, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 100 (1892), 25 (26 ff.) (unter der Bedeutung eines Zeichens sei das Bezeichnete, unter dem Sinn eines Zeichens „die Art des Gegebenseins“ zu verstehen, während die Vorstellung vom Bezeichneten „ein aus Erinnerungen von Sinneseindrücken, die ich gehabt habe, und von Tätigkeiten […] die ich ausgeübt habe, entstandenes inneres Bild“ sei; wird z. B. ein und derselbe Gegenstand mit verschiedenen Begriffen bezeichnet, können diese einen unterschiedlichen Sinn haben [Frege nennt als Beispiel die Begriffe Abendstern und Morgenstern], sie bedeuten aber dasselbe, wobei Menschen unterschiedliche Vorstellungen davon haben mögen). 348 v. Weizsäcker, Aufbau der Physik, 168. 349 Erholff/Marshall/K. Wellmann, Wörterbuch Design, „Semantik“. 350 Siehe unten V. Bedeutung als konstitutives Merkmal von Information. 351 Vgl. v. Weizsäcker, Aufbau der Physik, 200 f. 352 Kornwachs/Jacoby/Zoglauer, Information – New Questions to a Multidisciplinary Concept, 187 (203 f.).
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)143
Zoglauer führt als Beispiel an, dass ein Frosch, der eine Fliege jagt, keine Vorstellung davon habe, was er da mit seiner Zunge fängt. Er messe dem fliegenden schwarzen Objekt keine Bedeutung zu. Ähnlich verarbeiteten Honigbienen den Tanz ihrer Artgenossen nicht bewusst, sondern reagierten i. S. e. unreflektierten Reizreaktion (stimulus/response) darauf.353
Hiergegen ist allerdings einzuwenden, dass es keine starre Grenze bewussten Erlebens gibt, sondern auch Tiere Informationen in unterschiedlichem Grad Bedeutung im semantischen Sinne beimessen können. Eine vereinfachte, aber plausible These hierzu führt etwa Douglas Hofstadter in einer Untersuchung der Natur des Bewusstseins an. Demzufolge entwickelten Menschen ein (individuelles) „ranking of creatures“ nach deren Grad an Bewusstsein, was z. B. bei moralischen Alltagsentscheidungen wie dem Töten einer Maus helfe. Seinem (Hofstadters) eigenem „conciousness cone“ zufolge wachse der Grad des Bewusstseins von Atomen, Viren, Mikroben (die kein oder wenig Bewusstsein hätten), über Bienen, Goldfische, Hühner (die immerhin einen gewissen Grad an Bewusstsein hätten) über in bestimmter Hinsicht hirngeschädigte oder senile Menschen bis hin zu „normal adult humans“, die „lots of conciousness“ hätten. Er spricht absichtlich nicht von „vollem Bewusstsein“ oder dergleichen, da er die Möglichkeit belässt, dass es Wesen mit noch weit ausgeprägterem Bewusstsein geben könnte als erwachsene Menschen. Es gebe keinen fixen Maximalwert an Bewusstsein.354
Eine andere Unschärfe der semantischen Informationsebene ist die Kontextabhängigkeit von Information, die vom semantischen Informationsbegriff nicht sinnvoll abgebildet wird, da sie keine Funktion der betreffenden Nachricht, sondern des Kenntnisstandes und Umfelds des Empfängers ist.355 Auch die Grenzen semantischer Information sind also stark definitionsabhängig. Man könnte semantische Information sowohl als einen bestimmten Grad, ein Mindestmaß an Bedeutung, als auch als Bedeutung in jeglicher, noch so kleiner Form verstehen.356 Mit Blick auf das Immaterialgüterrecht bezieht sich die semantische Ebene auf die Bedeutung von Immaterialgütern, z. B. den Inhalt eines Buchs, einer Datei oder den Gegenstand einer Erfindung.357 Das layer model definiert diese Ebene als „content layer“.358 Man sieht dies auch daran, dass die semantische Ebene mehrere eng verbundene weitere Ebenen berührt, die man je nachdem als Erweiterung oder als ei353 Kornwachs/Jacoby/Zoglauer, Information – New Questions to a Multidisciplinary Concept, 187 (202 f.). 354 Hofstadter, I Am a Strange Loop, 19 ff. 355 Kornwachs/Jacoby/Zoglauer, Information – New Questions to a Multidisciplinary Concept, 187 (191); siehe auch unten V. 3. Kontextabhängigkeit des semantischen Gehalts einer Information. 356 Siehe etwa Reading, Information 3 (2012), 635 (635), der „meaningful information“ vorstellt als „patterns of matter and energy that have a tangible effect on the entities that detect them, either by changing their function, structure or behavior“, also keinen bewussten Verarbeitungsprozess oder dergleichen verlangt. Siehe dazu auch unten V. Bedeutung als konstitutives Merkmal von Information. 357 Zech, Information als Schutzgegenstand, 44, 242 ff. 358 Benkler, Federal Communications Law Journal 52 (2000), 561 (562).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
gene Informationsebenen verstehen kann. Besonders eng verbunden ist sie mit der pragmatischen Ebene, mit der sie teils zu einem semantisch-pragmatischen Aspekt von Informationen zusammengefasst wird.359 Während der semantische Aspekt die „Bedeutung der Information“ bezeichnet, steht der pragmatische Aspekt für ihren „Nutzen für den Informationsempfänger“.360 Es handelt sich um eine „höhere semantische Ebene als die Sprache: das Gefüge menschlicher Beziehungen und Handlungen“.361 Beispiel: Ruft ein Ertrinkender Umstehenden den Satz „Ich ertrinke!“ zu, möchte er ihnen nicht bloß mitteilen, dass er gerade ertrinkt. Der Satz enthält vielmehr die pragmatische Information, dass er Hilfe benötigt.362 Eine Ausprägung pragmatischer Information ist die oben angeführte Sprechakttheorie, nach der gesetzliche Regeln ebenfalls nicht nur als Information über den Willen des Gesetzgebers, sondern als Geltungsanordnung, also funktional zu verstehen sind.363
3. Strukturelle Ebene Die strukturelle Ebene ist wiederum als der physikalische Träger von Information definiert, Beispiele sind Bücher, DVDs oder Festplatten. Im layer model entspricht dem das „physical infrastructure layer – wires, cable, radio frequency spectrum“.364 Diese Ebene ist nicht auf Dinge begrenzt, die aus menschlicher Sicht als Datenträger dienen, sondern umfasst auch all die Informationen, die jeder physikalischen Einheit innewohnen. Beispiele sind die Form eines Felsens oder die Anordnung der Moleküle in einem Tier.365 Vereinfacht könnte man auch von einer äußeren, inneren und atomaren Ebene sprechen. Die strukturelle Ebene unterscheidet sich von den zuvor genannten aber dadurch, dass sie in der Informationstheorie gewöhnlich keine eigenständige Bedeutung gegenüber der syntaktischen Ebene hat.366 Dies hängt damit zusammen, dass Zeichen und Struktur kaum unterscheidbar sind. Alle (!) Zeichen haben eine strukturelle Repräsentation, nur kann nicht jede Struktur, die Information enthält, zugleich als Zeichen aufgefasst werden (s. sogleich).
359 Küppers/Hahn/Artmann/Küppers, Evolution of Semantic Systems, 2013, 67 (68); Lyre, Informationstheorie, 19 f. („Semantopragmatik“). 360 Schönfeld/Klimant/Piotraschke, Informations- und Kodierungstheorie, 9; Rechenberg, Informatik Spektrum 2003, 317 (321); siehe auch Lyre, Informationstheorie, 34. 361 Weizsäcker, Aufbau der Physik, 201. 362 Nach Kornwachs/Jacoby/Zoglauer, Information – New Questions to a Multidisciplinary Concept, 187 (192). 363 Siehe oben § 1 A. III. 7. Das Jörgensensche Dilemma als konstativer Fehlschluss. 364 Benkler, Federal Communications Law Journal 52 (2000), 561 (562). 365 Siehe Zech, Information als Schutzgegenstand, 17 f. 366 Lyre, Informationstheorie, 16 ff.
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4. Verhältnis der Ebenen zueinander Vorwegzunehmen ist, dass die drei Informationsebenen jenseits streng analytischer Fragestellungen fast nicht sinnvoll trennbar sind.367 So ist syntaktische Information „nicht möglich, ohne daß der Empfänger bereits über semantische Information verfügt. Die Identifizierung eines Zeichens als Symbol setzt […] ein Vorwissen voraus, also Vereinbarungen zwischen Sender und Empfänger.“368
M. a. W. fällt die Vorstellung menschengemachter, aber inhaltsfreier Zeichen schwer, weil einer von Menschen als Zeichen entworfenen Struktur zwangsläufig eine gewisse Bedeutung innewohnt.369 Wollte man davon auszugehen, dass es gänzlich bedeutungsfreie menschliche Zeichenfolgen gibt, bedürfte dies eines strengeren Verständnisses semantischer Information (dazu sogleich); wie gesagt ist es Definitionssache, ab welchem Grad von Bedeutung man diese annimmt. Des Weiteren stehen die Ebenen praktisch auch nicht gleichberechtigt nebeneinander. Dies gilt jedenfalls, wenn der rechtliche oder gesellschaftliche Umgang mit Informationen diskutiert wird. Zwar konkurrieren die Begriffe nicht direkt, wohl aber ist mit dem bloßen Begriff „Information“ in aller Regel semantische Information und nicht die nachrichtentechnische Dimension gemeint. Vor dem Hintergrund der Diskussion, ob der Begriff „Information“ Aspekte wie Bedeutung oder menschliche Wahrnehmung umfasst, sprechen sich Capurro/Hjorland für die Unterscheidung (nur) der ersten beiden Informationskonzepte (syntaktisch/ semantisch) aus: „In our view, the most important distinction is that between information as an object or a thing (e. g., number of bits) and information as a subjective concept, information as a sign; that is, as depending on the interpretation of a cognitive agent.“370
Das syntaktische Konzept misst, aus wie vielen Bits eine Information besteht, entsprechend etwa der Größe einer Textdatei oder eines Bildes. Das semantische Konzept korrespondiert mit dem Gesichtspunkt der „Bedeutung“. – Noch nachdrücklicher weist Rechenberg auf die Notwendigkeit der Unterscheidung des syntaktischen Informationsbegriffs, der Grundlage der Arbeit von Shannon/Weaver 371 ist, von dem alltagssprachlichen semantischen Informationsbegriff hin: „Die Bedeutung, die die Nachricht für den Empfänger hat, wird durch Shannons Informationsmaß nicht erfasst. Shannons Information ist auch vorhanden, wenn es keinen Empfänger 367 Küppers/Hahn/Artmann/Küppers, 67 (68) („Strictly speaking, the three dimensions make up an indissoluble unity, as one cannot allude to one of them on its own without automatically invoking the other two.“). 368 Küppers, Der Ursprung biologischer Information, 63. 369 Vgl. Zech, Information als Schutzgegenstand, 39 (Codierung nach menschengemachten Regeln). 370 Capurro/Hjorland, Ann. Rev. Inf. Sci. Technol. 7 (2003), 37, 343 (396). 371 Shannon/Weaver, The Mathematical Theory of Communication, 1949.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
gibt, der Empfänger die Nachricht nicht versteht oder sie ungelesen wegwirft. Dieser Informationsbegriff ist ein quantifizierbarer syntaktischer Begriff. […] Der Informationsbegriff, wie er überall sonst verwendet wird, ist dagegen ein nichtquantifizierbarer semantischer Informationsbegriff. […] Da semantische Information nicht quantifizierbar ist, ist sie auch nicht messbar. Ihre Messung in Bit oder Bit/Zeichen ist daher Unfug.“372
Information i. S. d. Shannon/Weaver’schen Informationstheorie setzt also auf der syntaktischen Ebene an und erfasst Daten als Menge, ungeachtet pragmatischer und semantischer Aspekte.373 Diese Trennung findet sich auch in den ISO-Definitionen zu Information. Es gibt dort zwei Informationsdefinitionen, eine richtet sich an der Informationsverarbeitung, die andere an der Informationstheorie aus. Erstere stellt auf die kontextabhängige Bedeutung von Information ab, letztere auf den Nachrichtenwert i. S. v. Shannon/Weaver, also die Beseitigung von Unsicherheit beim Empfänger: – „ISO/IEC 2382:2015 – 2121271 – Information: ⟨information processing⟩ knowledge concerning objects, such as facts, events, things, processes, or ideas, including concepts, that within a certain context has a particular meaning.“ – „ISO/IEC 2382:2015 – 2123204 – Information: ⟨information theory⟩ knowledge which reduces or removes uncertainty about the occurrence of a specific event from a given set of possible events. Note 1 to entry: In information theory, the concept ‚event‘ is to be understood as used in the theory of probability. For instance, an event may be: the presence of a specific element in a given set of elements; the occurrence of a specific character or word in a given message or in a given position of a message; any one of the distinct results an experiment may yield.“ Es ist bemerkenswert, mit welchem Nachdruck auf die Notwendigkeit der Differenzierung hingewiesen wird.
Wie können Zeichen in einem menschengemachten System gänzlich frei von Bedeutung sein? Und wenn sie es sind, worin besteht dann der Unterschied zu NichtZeichen? Man könnte semantische Information als einen bestimmten Grad, ein Mindestmaß an Bedeutung verstehen, nicht als Bedeutung in jeglicher, noch so kleiner Form. Rein syntaktische Information läge dann erst vor, wenn dieses Mindestmaß an Bedeutung unterschritten ist. Der Unterschied solcher bedeutungsfreien Zeichen zu Nicht-Zeichen dürfte folglich darin liegen, dass erstere nach menschlicher Auffassung immerhin noch als Zeichen gemeint sind, auch wenn sie nichts bedeuten. Praktisch relevant wird dies z. B. bei der Frage, ob es sinnvoll wäre, ein neu zu schaffendes Dateneigentum teleologisch (!) allein auf die syntaktische Ebene von Informationen zu beziehen, also Zeichen jedweder Art zu schützen. Zwar könnte die Abgrenzung des Schutzguts durchaus auf dieser Ebene stattfinden und hätte eine gewisse Rechtssicherheit auf ihrer Seite, dennoch liegt der Regelungszweck bei Rechten an Daten eher darin, bedeutsame Informationen zuzuweisen. 372
Rechenberg, Informatik Spektrum 2003, 317 (321). Schönfeld/Klimant/Piotraschke, Informations- und Kodierungstheorie, 10.
373 Vgl.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)147
II. Gedankenexperiment: Informationen auf elementarer Ebene Im Folgenden soll die Natur, die ontologische Existenz von Informationen untersucht werden. Existieren Informationen über ein Objekt unabhängig von dem Objekt? Diese Frage führt zu Einsichten in rechtlich entscheidende Eigenschaften von Informationen. Zu beginnen ist mit einem Gedankenexperiment: Man stelle sich ein Blatt eines Baumes vor, das vom Wind herumgeweht wird. Die Richtung und Geschwindigkeit des Blatts sagen einem Beobachter etwas über die Richtung und die Geschwindigkeit des Windes. Das Blatt kann also auch als Windmesser verstanden werden: es gibt dem Beobachter Informationen über den Wind. Zielgerichtetere Mittel zur Windmessung wie Wetterhähne, Windsäcke oder Windräder beruhen auf demselben Prinzip. Nichts anderes gilt für ein modernes digitales Windmessgerät: Informationen über Wind werden von Gegenständen abgeleitet, mit denen Wind interagiert. Die entscheidende Frage zur Natur und Existenzweise von Informationen lautet nun: Sind in dem Beispiel Informationen aus der Beobachtung des Blattes Teil des Windes bzw. des Blattes? Oder sind sie ein natürlicher Gegenstand, der irgendwo in dieser Szene unabhängig von Wind und Blatt existiert?
Ein erster, noch unvollständiger Blick würde Informationen als eine Interpretation des Beobachters deuten. Derjenige, der die Szene beobachtet, leitet Informationen aus ihr und über sie ab. Da Wind selbst nichts anderes als bewegte Luft ist, gibt er dem Beobachter Informationen über den Umstand, dass es eine Ursache gibt, die die Luft in Bewegung gesetzt hat und in einigen Fällen können nähere Informationen über diese Ursache abgeleitet werden. Stammt der Wind z. B. von einer Explosion, könnte aus ihm die Stärke der Explosion abgeleitet werden. Der Wind wäre also seinerseits ein Messinstrument für seine Ursache. Dasselbe gilt für die bewegten Blätter als Messinstrumente für den Wind. Beruht Information (wie Windgeschwindigkeit und -richtung) immer auf der Interaktion von zwei oder mehr Entitäten, könnte man den entscheidenden Punkt auf der Seite des Beobachters verorten. Ohne Beobachter gäbe es keine Informationen im eigentlichen Sinne.
III. Aktuelle und potentielle Information Man könnte daher von „potentiellen Informationen“ sprechen, um zum Ausdruck zu bringen, dass ein Beobachter Informationen aus der im vorigen Punkt beschriebenen Szene ableiten würde, wenn er sie sähe. Damit wäre die Existenz von Information eng mit der Existenz (mindestens) eines Beobachters verknüpft. Tatsächlich gibt es einen physikalischen Zusammenhang zwischen einer Beobachtung, genauer gesagt einer Messung und der Existenz der Informationen des Gegenstandes der Messung (man beachte, dass Lyre im folgenden Zitat von Vorgängen auf atomarer Ebene, genauer gesagt dem thermodynamischen Wärmeäquivalent eines Bits spricht):
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
„Jeder Messakt ist dadurch charakterisiert, dass potentielle Information in aktuelle Information übergeht. Im Gegensatz zu potentieller Information ist es das Kennzeichen aktueller Information, irreversibel vorzuliegen.“374
Allgemein formuliert bezeichnet aktuelle Information „faktisch bereits vorliegende Information“, während potentielle Information „nur der Möglichkeit nach erlangt werden kann“, weshalb sich hiermit auch „der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft informationstheoretisch erfassen“ lässt.375 Beispiel: Mit Blick auf den vorigen Punkt gibt erst der Wetterhahn einem Beobachter Auskunft über die Windrichtung, vorher stellte die Windrichtung auf dem Dach der Kirche für den Beobachter nur eine potentielle Information dar (etwa, wenn der Beobachter noch nicht zum Wetterhahn hinübergeblickt hat).
Mithin handelt es sich bei potentieller Information im Falle der klassischen Physik „lediglich um einen Ausdruck der Beobachterunkenntnis (‚Ignoranz‘) aller Mikrozustände im Makrozustand“.376 Nach Weizsäcker kann nämlich die Entropie als „Maß der Anzahl der Mikrozustände im Makrozustand“ und damit als „die im Makrozustand enthaltene potentielle Information“ verstanden, d. h. mit dieser gleichgesetzt werden.377 Tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen aktueller und potentieller Information außerhalb der Quantenphysik (dazu sogleich) an die Erlangung/Rezeption von Information durch einen Beobachter gebunden: Die Unterscheidung ist eine Unterscheidung aus Sicht des Beobachters. Daher kann Information für den einen Beobachter aktuell, für den anderen potentiell sein. „Information besteht immer nur in der Möglichkeit ihrer Übertragung. Noch nicht übertragene Information ist als potentielle Information von der aktuell übertragenen bzw. im Empfänger eingegangenen Information zu unterscheiden. Potentielle Information ist zukünftig, aktuelle Information gegenwärtig oder, in – irreversibel – gespeicherter Form, vergangen.“378 Hierzu ein Beispiel: Die Windstärke und -richtung auf dem Dach einer Kirche ist für Beobachter so lange potentielle Information wie sie diese nicht gemessen haben bzw. nicht über das Messergebnis informiert wurden. Für jemanden der Thomas Manns „Buddenbrooks“ noch nicht gelesen hat, enthält das Buch potentielle Information, durch die Lektüre wird der Inhalt (zumindest vorübergehend) zu aktueller Information.
374
Lyre, Informationstheorie, 50. Lyre, Informationstheorie, 17; Küppers, Der Ursprung Biologischer Information, 70 (beschreibt potentielle Information als „Information, die man aufgrund von Beobachtung gewinnen kann“). 376 Lyre, Informationstheorie, 56 f.; ähnlich Zech, Information als Schutzgegenstand, 15 „Während potentielle Information sich auf die Gesamtheit aller Aussagen bezieht, die erforderlich wären, um den Zustand eines Systems zu beschreiben, liegt faktische Information nur vor, soweit diese Aussagen von einem Beobachter auch getroffen wurden.“). 377 v. Weizsäcker, Aufbau der Physik, 171. 378 Lyre, Informationstheorie, 207 f. 375
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Dieses Verständnis von potentieller Information als nicht „übertragener“ i. S. v. nicht beim Empfänger eingegangener und rezipierter Information ist für die folgenden Ausführungen am relevantesten. Wie noch an anderer Stelle zu zeigen sein wird, ist der Empfänger nämlich essentiell für die Existenz semantischer Information.379 Auch in der Quantenphysik stellt sich der Messakt als Übergang potentieller in aktuelle Information dar. Allerdings handelt es sich nicht um „potentielle klassische Information“, sondern um „genuin potentielle Quanteninformation“. Hier zeigt sich die Verwandtschaft von Wahrscheinlichkeit und potentieller Information:380 „Die Wellenfunktion ist ein Informationskatalog über mögliche Messergebnisse. Sie erlaubt keine Ignoranzinterpretation und bezeichnet demzufolge keine objektivierbaren Zustände.“381
IV. Die Existenzweise von Information Die Informationstheorie lässt sich – wie die Mathematik oder die der Funktion von Computern zugrunde liegende Informatik – weder den Natur- noch den Geisteswissenschaften sinnvoll zuordnen; sie zählt vielmehr zu den Strukturwissenschaften.382 Diese zeichnen sich durch eine hohe Abstraktionsstufe aus, da sie ihre Gegenstände eben nur ihrer Struktur und nicht ihres Inhalts nach betrachten und zu deren Grundbegriffen die Form gehört:383 „Wissenschaftstheoretisch gesehen, vollzieht sich im Rahmen der Strukturwissenschaften das, was wir eine Erklärung in Form von Analogiemodellen nennen. Und zwar werden die Gesetze dieser Strukturwissenschaften aus realen Gesetzen dadurch gewonnen, daß man alle deskriptiven und empirischen Konstanten eliminiert bzw. durch allgemeine Konstanten ersetzt, während man nur an den logischen und mathematischen Konstanten festhält. Die auf diese Weise gewonnenen Strukturgesetze sind Gesetze, die dieselbe syntaktische Struktur (bzw. logische Form) besitzen wie die realen Gesetze, aus denen sie abgeleitet wurden. Allerdings können sie nun auf mehr als bloß einen Gegenstandsbereich angewendet werden.“384
1. Der Formgehalt und die quantitative Definition von Information Die Form eines Quadrats hängt nicht von der physischen Existenz eines bestimmten Quadrats ab. Beispielsweise kann man sich ein Quadrat vorstellen und seine Form beschreiben. Dennoch hat jedes physische Quadrat zwingend eine Form.385 Küppers stellt allgemeiner fest: Es gibt „keine Materie ohne Form“, es ist aber „sehr 379
Siehe unten V. Bedeutung als konstitutives Merkmal von Information. Lyre, Informationstheorie, 18 f., 57. 381 Lyre, Informationstheorie, 57. 382 Siehe v. Weizsäcker, Die Einheit der Natur, 22 f.; Küppers/Küppers, Die Einheit der Wirklichkeit zum Wissenschaftsverständnis der Gegenwart, 89 (103 f.). 383 Küppers, Die Berechenbarkeit der Welt, 130. 384 Küppers/Küppers, Die Einheit der Wirklichkeit zum Wissenschaftsverständnis der Gegenwart, 89 (103). 385 Siehe Reading, Information 3 (2012), 635 (636). 380
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
wohl Form ohne Materie denkbar“.386 – Das Konzept der Form ist eng verwandt mit dem Konzept der Information, da der „Formgehalt“ bzw. die „Formmenge“ als die Zahl der Alternativen definiert ist, die auf Basis einer Form entschieden werden können: „Information ist das Maß einer Menge von Form. Wir werden auch sagen: Information ist ein Maß der Gestaltenfülle. Form ‚ist‘ weder Materie noch Bewußtsein, aber sie ist eine Eigenschaft von materiellen Körpern, und sie ist für das Bewußtsein wißbar. Wir können sagen: Materie hat Form, Bewußtsein kennt Form. […] Je mehr Entscheidungen an einem Objekt getroffen werden können, desto mehr ‚Form‘ in einem allgemeinen, nicht notwendigerweise räumlichen Sinne des Worts kann man an ihm erkennen. Diese Formmenge ist, wie soeben gesagt, Eigenschaft des Objekts und für uns wißbar.“387
Der Formgehalt ist identisch mit der bekannten quantitativen Informationsdefinition der Shannon’schen Informationstheorie.388 Diese sehr technische (weil der Nachrichtentechnik entstammende) Definition korreliert die Informationsmenge mit der „uncertainty when we have received a signal of what was actually sent“.389 Entsprechend ist der „Informationsgehalt einer Nachricht […] um so größer, je unwahrscheinlicher ihr Eintreffen war“, wobei diese Wahrscheinlichkeit eine subjektive, nämlich am „Vorwissen des Empfängers“ gemessen ist.390 Als quantitativen Maßstab für die so definierte Information setzt Shannon, analog zur Boltzmann’schen Entropieformel, die Entropie ein.391 Sie ist der „Erwartungswert des Neuigkeitsgehalts der Nachricht“, interpretiert als potentielle Information.392 Anknüpfend an die Ausführungen zum Verständnis von Information als Menge von Form kann die Entropie eines Makrozustandes also sowohl „als Maß der Gestaltenfülle“ oder aber „der Unordnung“ bezeichnet werden, je nachdem, welches Vorwissen der Beobachter/Empfänger hat.393 Einen wichtigen Punkt schließt die Shannon’sche Informationstheorie dabei ausdrücklich von der Betrachtung aus – die Bedeutung von Information.394 „These semantic aspects of communication are irrelevant to the engineering problem. The significant aspect is that the actual message is one selected from a set of possible messages.“395
Diesem Aspekt gilt der unten anschließende Abschnitt.396 386
Küppers, Die Berechenbarkeit der Welt, 130 f. v. Weizsäcker, Aufbau der Physik, 167. 388 Küppers, Die Berechenbarkeit der Welt, 130. 389 Shannon/Weaver, The Mathematical Theory of Communication, 67. 390 Küppers, Der Ursprung Biologischer Information, 68, 66. 391 Shannon/Weaver, The Mathematical Theory of Communication, 48 ff.; Lyre, Informationstheorie, 25 f.; Küppers, Der Ursprung Biologischer Information, 68. 392 Küppers, Der Ursprung Biologischer Information, 68 f.; v. Weizsäcker, Aufbau der Physik, 167. 393 v. Weizsäcker, Aufbau der Physik, 167 f. 394 Dazu nachdrücklich Rechenberg, Informatik Spektrum 2003, 317 passim. 395 Shannon/Weaver, The Mathematical Theory of Communication, 31. 396 Siehe unten V. Bedeutung als konstitutives Merkmal von Information. 387
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)151
2. Die Information existiert in der Struktur Was ist nun der Existenzzustand von Informationen? Sind sie ein eigenständiges „Ding in der Welt“ und, falls ja, in welcher Form liegen sie vor? Die Ausführungen zum Formgehalt haben diesen als immateriell charakterisiert, ohne hier aber eine Existenz unabhängig von einem körperlichen Träger (wie etwa einem Gehirn, dass sich eine Form vorstellt) zu behaupten. Die Frage der Existenz von Formen im eben genannten Sinne ist aber keineswegs trivial, sie soll nur vorliegend nicht vorausgesetzt werden. Bspw. entwickelt der Mathematiker und theoretische Physiker Roger Penrose, unter Bezugnahme auf Platons Ideenlehre, seine eigene Drei-Welten-Theorie.397 Er unterscheidet folgende drei Welten: die „Physical world“, die „Mental world“ und die „Platonic mathematical world“. Dieses Konzept beruhte ursprünglich zumindest in Grundzügen auf dem von Popper.398 Ausgehend von Platons Vorstellung sog. „ideal entities“ kommt Penrose zu besagter Platonic mathematical world, die er als die Welt der „mathematical forms“ bezeichnet,399 also der Welt mathematischer Formeln, Theoreme und Formen wie z. B. Quadrate, Zahlen oder dem großen Fermat’schen Satz.400 Dabei gesteht er zu, dass man diese Welt – wie Platon – auch auf Moral oder Ästhetik beziehen könnte, ihm mathematische Objektivität aber „a much clearer issue“ zu sein scheine.401 Zudem existierten diese Gebilde nicht in dem Sinne, in dem physische Objekte wie Tische oder Stühle existieren: „They do not have spatial locations; nor do they exist in time. Objective mathematical notions must be thought of as timeless entities and are not to be regarded as being conjured into existence at the moment that they are first humanly perceived.“402 Die besondere Existenzweise – mit Blick auf mathematische Formen – liegt also in der Erkenntnisunabhängigkeit, Ewigkeit und Objektivität der Gegenstände der Platonic mathematical world: Fermats großer Satz war schon vor seinem Beweis (wenn nicht schon vor seiner Formulierung) richtig und seine Richtigkeit hängt auch nicht von menschlicher Erkenntnis ab.403 Penrose ist also Vertreter eines ontologischen Realismus i. S. d. Annahme der unabhängigen Existenz idealer Gegenstände.
Nun stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Existenz von Information, was besonders mit Blick auf die Beherrschbarkeit von Informationsgütern wichtig ist. 397 Die Drei-Welten-Lehre ist eine erkenntnisphilosophische Theorie, genauer gesagt ein ontologischer Standpunkt und gehört in ihren moderneren Ausprägungen zum Bereich der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Das Konzept von Zwei- und Drei-Welten-Lehren findet sich bereits an mehreren früheren Stellen der Philosophiegeschichte; Mittelstraß/Gatzemeier, „Ideenlehre“; ebd., „Platon“, Rehfus/Kolmer, Handwörterbuch Philosophie (Stichwort: „Zwei-Welten-Lehre“). 398 Penrose zitierte Poppers Drei-Welten-Lehre in einer früheren Veröffentlichung seiner Theorie, distanziert sich aber teilweise davon, Penrose, Shadows of the Mind, 412 („The three worlds are somewhat related to those of Popper […], but my emphasis will be very different.“). In einer neueren Formulierung kommt Popper nicht mehr vor, Penrose, The Road to Reality, 17 ff.; siehe auch Nachwort des Hrsg. Niemann, in: Popper, Wissen und das Leib-Seele-Problem, 511 f. 399 Penrose, The Road to Reality, 17. 400 Penrose, Shadows of the Mind, 412; Penrose, The Road to Reality, 13 ff. 401 Penrose, The Road to Reality, 13. 402 Penrose, The Road to Reality, 17, siehe auch 13. 403 Penrose, The Road to Reality, 13 ff.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Nach dem eingangs gezeigten Verständnis der Informationstheorie als Strukturwissenschaft ist Information kein Teil eines Objekts und auch keine ontologische Entität die unabhängig vom Objekt existiert. V. Weizsäcker bezeichnet sie als eine „dritte, von Materie und Bewusstsein verschiedene Sache“.404 Am ehesten könnte man sie wohl als die Struktur von Objekten bezeichnen, wobei „Objekt“ im weitestmöglichen Sinne verstanden werden muss. Voraussetzung ist nur seine naturwissenschaftliche405 Existenz. Nach den obigen Ausführungen entscheidend ist nur, dass der Struktur aus menschlicher Sicht Bedeutung zukommt, selbst wenn diese noch nicht entschlüsselt ist. Zeichen wie etwa Buchstaben, Zahlen oder Symbole besitzen eine speziell auf die Informationsvermittlung zugeschnittene Struktur. Information ist aber in jeglichen Formen enthalten und ohnehin in unbekannten Zeichen.406 So weist auch Searle auf den Unterschied zwischen elektrischen Zustandswechseln und dem Konzept von Zeichen hin.407 Dieser Gedankengang kann anhand zweier verbreiteter Datenträger für die vorliegenden Zwecke vertieft werden, nämlich der Funktionsweise von Festplatten (hard disk drives = HDDs) und Solid State Drives (SSDs). Beispiel: Digitale Information wird nach verbreiteter Vorstellung in binärem Code gespeichert, der aus zwei Zeichen besteht: 0 und 1. Diese Art von Informationsspeicherung wird gewöhnlich als syntaktische Information bezeichnet. HDDs speichern Informationen, indem sie eine Fläche magnetisieren, während SSDs den Zustand von Transistoren verändern. Beide beeinflussen also Hardware – präziser gesagt beeinflussen sie ihre Magnetisierung bzw. die Ladung ihrer Transistoren – auf mikroskopischer Ebene. Hierbei gibt es aber keine Nullen und Einsen, nur eine bestimmte Anordnung von zwei verschiedenen Magnetisierungen oder unterschiedlich geladenen Transistoren. Die Idee von Nullen und Einsen ist eine begriffliche Vereinfachung des „echten“ Prozesses. Sie sind entbehrlich für die Funktion von Speichermedien.
Wie das Beispiel zeigt, ist die Basis von digitalen Informationen nur eine bestimmte Anordnung zweier lesbarer Entitäten. Woraus genau sie bestehen ist unerheblich: Physikalisch betrachtet ist die Information weder in den Zeichen noch im physischen Träger, sondern einzig in der Struktur zu finden. Daher muss Information als Naturgegenstand sowohl von ihrem Träger als auch von den Zeichen unterschieden werden. Beide enthalten Information, sie sind aber weder Informationen noch erfordert Information Zeichen. Zeichen sind nur ein fortgeschrittener Modus von Informationsspeicherung. Dies zeigt sich auch bei der Informations404
v. Weizsäcker, Die Einheit der Natur, 51. Zu Wissenschaft als Abgrenzungskriterium Becker, Absurde Verträge, 236 ff. 406 Schon mit diesem Ausschnitt der Informationstheorie ließe sich der bei Strömholm (GRUR Int. 1963, 433 [441]) mit Blick auf die skandinavische Rechtslehre angeführte Vergleich zwischen der Reproduktion eines Paars Holzschuhe und Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ wesentlich erleichtern. Dies gilt insbesondere für den Zusammenhang zwischen dem körperlichen Gegenstand und seiner „Vorstellung“. 407 Searle, Mind, 64; dazu oben 2. Menschliches Bewusstsein und Information. 405
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)153
übertragung. Information wird auf grundlegender Ebene nicht übertragen, indem sie sich erst beim Sender und dann beim Empfänger befindet, sondern indem sie nach der Übertragung bei beiden zu finden ist. Beispiel: Ein Fußabdruck im Sand enthält Informationen über den Fuß (etwa zur Größe, Form und Oberfläche). Dieselben Informationen finden sich aber auch weiterhin an dem betreffenden Fuß. Es wurde zwar Information übertragen, sie blieben aber an der Informationsquelle erhalten. Auf diesem Prinzip beruht die Informationsübertragung bei Druckplatten und vielen anderen Verfahren der Übermittlung. Auch das Versenden eines E‑MailAnhangs oder die Kopie einer Festplatte formt – wenn auch mit einer anderen Technik – die beim Sender liegenden Informationen für den Empfänger nach. Um beim Sender zu verschwinden, müssen Informationen gelöscht (also der Informationsträger physisch entsprechend verändert) oder samt Informationsträger übergeben werden.
In dieser Eigenschaft von Information liegen sowohl die Schwierigkeiten, einmal offenbarte Information wieder „zurückzuholen“ (man denke etwa an das „Recht auf Vergessenwerden“ in Art. 17 DS-GVO), als auch die vielzitierte Erkenntnis begründet, dass das Teilen von Wissen dem Teilenden nichts nimmt, den anderen aber bereichert.408 Was Information daher stets erfordert, ist ein körperlicher Träger: Es gibt keine Informationen ohne Physis.409 Information kann nicht unabhängig von einem Informationsträger als unabhängige Entität vorliegen. Die Informationsübertragung durch Übergabe des originären Informationsträgers (z. B. eines Briefs) sorgt daher dafür, dass die Information beim Sender nicht weiter vorliegt. Physische Gegenstände können immer nur an einem Ort sein.
V. Bedeutung als konstitutives Merkmal von Information Die entscheidende Eigenschaft von semantischer Information liegt darin, dass sie einen Empfänger braucht und erst bei diesem entsteht. Sie ist bestimmt durch ihre Bedeutung für den Empfänger.410 Dies gilt in besonderem Maße für ökonomische und juristische Zwecke, dort ist Information nur wertvoll, wenn sie zumindest potentiell Bedeutung hat. Zwar gibt es Informations-Dienstleistungen, für die die Bedeutung der behandelten Informationen keine Rolle spielt, z. B. Telefonanbieter oder Internet Service Provider. Derlei Unternehmen befassen sich jedoch mit dem Austausch von Information, ungeachtet ihres Inhalts oder ihrer Bedeutung. Sie beziehen sich auf das erste, das quantitative Konzept von Information.
408 Siehe nur Jefferson, No Patents on Ideas, 1291 („He who receives an idea from me […] receives light without darkening me“). 409 Vgl. Zech, Information als Schutzgegenstand, 18. 410 Siehe oben I. 2. Semantische Ebene; sowie Rechenberg, Informatik Spektrum 2003, 317 (321); Lyre, Informationstheorie, 205, 209 (jegliche sei „beobachter- oder subjektgebunden“, Information sei stets „Information für jemanden“).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Hieran knüpfen rechtliche Wertungen an. Für die Haftung von Unternehme(r)n spielt es eine Rolle, ob sie qualitativen/bedeutungsmäßigen oder nur quantitativen Umgang mit Informationen haben. So privilegiert das TMG Diensteanbieter, wenn sie mit diesen nur quantitativ umgehen (vgl. §§ 8–10 TMG). Anders ist es bei Diensteanbieter, die qualitativ mit Informationen umgehen, z. B. weil sie sich diese inhaltlich zu eigen machen (§ 7 Abs. 1 TMG)411 oder die gesetzliche Pflicht auferlegt bekommen, sich inhaltlich damit zu befassen (s. etwa Art. 17 DSM-RL bzw. das UrhDaG).
Bislang gibt es keine universelle und befriedigende Lösung für die Einbeziehung semantischer und pragmatischer Aspekte in die Informationstheorie.412 Damit stellt sich die Frage, was unter „Bedeutung“ zu verstehen ist.
1. Der Begriff „Bedeutung“ Bedeutsame Information kann die Ursache für erhebliche physische Effekte sein, auch wenn sie auf ihre Empfänger keinen unmittelbaren physischen Effekt ausübt. Die physisch wirksame Energie in informationellen Kausalketten wird vom Empfänger und nicht einmal zu kleinen Teilen von der Information geliefert.413 Beispiel: Menschen, die auf eine Hai-Warnung reagieren, laufen mit eigener Kraft aus dem Wasser, sie empfangen die Energie nicht von der Information, sondern reagieren auf sie. Entsprechendes gilt für alle andere Lebewesen.
Eine mögliche Erklärung für diese Ereignisreihenfolge wäre, dass Lebewesen über ihre Fähigkeit, bedeutsame Informationen zu empfangen und darauf zu reagieren, definiert sind.414 Dies gilt auch für niedrigere Lebensformen wie Algen oder Pflanzen die auf Informationen wie Licht oder Toxine reagieren. Auch Zellen und Bakterien tauschen Signale aus und verarbeiten diese Information.415 Dies ist nur möglich, weil die betreffenden Informationen eine bestimmte Bedeutung für diese nicht-menschlichen Empfänger haben, auch wenn diese Art von Bedeutung – anders als bei Menschen – kein bewusstes Erleben einschließt.416 Die Reaktion niedrigerer Lebensformen hat eher den Charakter einer vorprogrammierten Antwort auf bestimmte Signale. Allgemein kann bedeutsame Information damit definiert werden als
411
BGH GRUR 2010, 616 Rn. 22 ff. – marions-kochbuch.de. Schönfeld/Klimant/Piotraschke, Informations- und Kodierungstheorie, 9; Rechenberg, Informatik Spektrum 2003, 317 (323 f.) (weist zudem beispielhaft auf die „Informationsästhetik“ als gescheiterten Versuch hin, anhand des Shannon’schen Informationsgehalts von Texten oder Musikstücken deren Stil zu erfassen). 413 Reading, Information 3 (2012), 635 (638 f.). 414 Reading, Information 3 (2012), 635 (639); siehe auch Prinz, Laborjournal.de v. 29.11.2019 (These der Biosemiotik sei, dass nur Lebewesen codieren, was sich allerdings auf genetische Codierung bezieht). 415 Vgl. Reading, Information 3 (2012), 635 (638). 416 Vgl. Reading, Information 3 (2012), 635 (640). 412
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)155
„a pattern of organized matter or energy that is detected by an animate or manufactured receptor, which then triggers a change in the behavior, functioning, or structure of the detecting entity.“417
Entscheidend für Bedeutung ist also, dass durch die Information eine bestimmte Veränderung beim Empfänger ausgelöst wird (bzw. werden kann, was das Konzept potentieller Information zum Ausdruck bringt): „[…] die Bedeutung einer Information zeigt sich einzig und allein in ihrem Wirkaspekt. Information, die nichts bewirkt […] bedeutet nichts.“418
So gesehen hat also auch das Signal aus dem drahtlosen Garagentoröffner für den Empfänger an der Garagentür Bedeutung. – Hiervon soll nun zumindest Bedeutung im menschlichen Sinne unterschieden werden: Eine Besonderheit in Bezug auf menschliche Beobachtung und Eigenwahrnehmung liegt darin, dass nach gegenwärtigem Stand nur Menschen das Konzept von „Bedeutung“ kennen, das die Reaktion auf Informationen über reflexartige Handlungen hinaus hebt.419 Ähnlich stellt Lyre fest, dass es plausibel sei, dass „informationsbegabte Subjekte“ sich ihrer selbst bewusst sind, da sonst der durch die „Erste-Person-Perspektive“ bedingte phänomenale Gehalt fehle.420 M. E. spricht dies aber nicht zwingend für das Erfordernis menschlicher oder sich selbst bewusster Beobachter. Entscheidend scheint an dieser Stelle die nach derzeitigem Wissensstand nur Menschen eigene Würdigung („appreciation“) von Informationen zu sein: „Our species is unique in the way we search for meaning in the information we detect, and base our response on this, rather than on the sensed information itself. As far as we can tell, the rest of the animate world simply responds to meaningful information without any appreciation of what it actually means.“421
Obwohl der Begriff „Bedeutung“ also verschieden weit definiert werden kann – insbesondere auch so, dass die Informationsverarbeitung durch Maschinen erfasst wird –, handelt es sich beim Verständnis des Konzepts von Bedeutung bislang um eine menschliche Gabe. Weder der Frosch, der eine Fliege fängt, noch der Garagentürsensor, der auf die Fernbedienung reagiert, würdigen/reflektieren die rezipierte Information. Dieser Punkt ist aber ein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal bei der Verrechtlichung von Informationen. Wie zu zeigen sein wird, ist die Würdigung/Reflektion von Informationen von grundlegender Bedeutung für die Abgrenzung der gesetzlich geschützten Immaterialgüter.422 417
Reading, Information 3 (2012), 635 (638). Lyre, Informationstheorie, 207. 419 Reading, Information 3 (2012), 635 (640 f.). 420 Lyre, Informationstheorie, 210 f., 160 f., 169, siehe auch 123 (es sei offen „inwieweit nicht Information doch letzten Endes nur für menschliche Beobachter existiert“). 421 Reading, Information 3 (2012), 635 (640 f.). 422 Siehe unten § 6 Immaterialgüter und die conditio humana. 418
156
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
2. Menschliches Bewusstsein und Information Wenn Bedeutung wesentlich für das Vorliegen von Information ist und das Konzept von Bedeutung nur von Menschen verstanden und daher Information auch nur von Menschen gewürdigt/reflektiert werden kann, stellt sich die Frage, was Menschen hierzu befähigt. Die vordergründige Antwort würde auf „das menschliche Bewusstsein“ verweisen. Einen Hauptgegenstand der Bewusstseinsphilosophie bildet aber die Frage, was menschliches Bewusstsein ausmacht und ob eine rein funktionalistische423 Erklärung bewusster Handlungen möglich ist. Ohne den Streit um die Richtigkeit des Funktionalismus aufzugreifen, soll ein vorliegend relevanter Gedanke von J. R. Searle ausgeführt werden. Searle, als einer der Hauptkritiker des Funktionalismus, führt an, dass ein Mensch wie auch ein Taschenrechner „2 + 2“ zusammenzählen können. Aus Sicht des Menschen handele es sich dabei um eine Berechnung, aus Sicht des Taschenrechners hingegen handele es sich um gar nichts, da Taschenrechner keine Sicht hätten: „it knows nothing of computation, arithmetic, or symbols, because it knows nothing about anything.“424 Die Berechnung durch den Taschenrechner sei etwas, das Menschen Taschenrechnern zuordneten: „The electrical state transitions are intrinsic to the machine, but the computation is in the eye of the beholder“.425 Entscheidend ist also, dass die elektrischen Zustandswechsel intrinsisch für Taschenrechner sind, ähnlich dem oben angeführten Beispiel eines Wetterhahns, der sich nicht bewusst mit dem Wind bewegt, sondern in gleicher Weise wie ein Blatt von ihm bewegt wird – der Metallhahn weiß nichts über Wind, Himmelsrichtungen oder Wetter. In beiden Fällen ist es ein menschlicher Zug, dem Beobachteten den Status einer Berechnung bzw. einer Windmessung zuzuschreiben. So stellt Searle konkret für Informationen fest: „The sense in which computation is in the machine is the sense in which information is in a book. It is there alright, but it is observer relative and not intrinsic.“ Und so gelte für Berechnungen: „[…] computation is not discovered in nature, it is assigned to it.“426
Das Konzept von Information ist also auch aus dieser Sicht beobachterabhängig. Im Vordergrund steht hier nur nicht die Bedeutung von Information, sondern das Bewusstsein als Voraussetzung von Bedeutung.
423 Der Funktionalismus steht in der Bewusstseinsphilosophie für die Auffassung, dass ein „bestimmter geistiger Zustand […] allein durch seine kausale Rolle in Hinblick auf andere Bewusstseinszustände sowie durch seine kausale Verbindung zu verschiedenen Input/Output-Bedingungen gekennzeichnet“ sei, Rehfus/Blume, Handwörterbuch Philosophie (Stichwort: Empfindung). 424 Searle, Mind, 64. 425 Searle, Mind, 64. 426 Searle, Mind, 64.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)157
3. Kontextabhängigkeit des semantischen Gehalts einer Information In den meisten Fällen bedarf Information der Einbettung in einen Kontext aus anderweitigen Informationen, also in einen Informationsstand. Schon die Shannon’sche, rein nachrichtentechnische Informationstheorie bezieht diesen Punkt mit ein, indem sie auf die subjektive Wahrscheinlichkeit des Eintreffens einer Nachricht, also den Wissensstand des Empfängers abstellt.427 Beispiel: Eine IP-Adresse wie „89.214.134.82“ ist i. S. d. Datenschutzrechts nur dann personenbezogen, wenn sie einer bestimmten Person zuordenbar ist. Um also zu bestimmen, ob eine Adresse eine personenbezogene Information (Datum) ist, kommt es darauf an, welchen Informationsstand der Datenverarbeiter abgesehen von dieser Adresse hat. Im Extremfall wüsste er nicht einmal, dass die Nummer eine IP-Adresse ist, so dass sie von keinerlei Nutzen für ihn wäre.
Eine etwas andere Form der Kontextabhängigkeit ist Gegenstand einer These von Michael Mattioli. Er betont, dass Big Data an Nutzen verliert, wenn DownstreamNutzer der Daten nicht wissen, wie die Daten erzeugt bzw. gesammelt wurden und was vorangegangene Nutzer damit gemacht haben („The Big Data Disclosure Problem“).428 Von dieser Einbettung in einen Informationsstand zu unterscheiden ist eine andere Form der Kontextabhängigkeit, nämlich die Beobachterabhängigkeit von Informationen. Unterschiedliche Beobachter können derselben Information unterschiedliche Bedeutungen beimessen und schon die Bedeutung, die ein einzelner Beobachter in ihr sieht, variiert mit der Zeit und dem Kontext.429 Man muss stets den Fragesteller (der vorliegend mit dem Beobachter gleichzusetzen ist) und Faktoren wie den Kontext oder das wissenschaftliche Interesse aus dem heraus gefragt wird, in die Betrachtung miteinbeziehen. Beispiel: Ein Baum kann unter verschiedenen Gesichtspunkten beschrieben werden. Ein Biologe könnte wissen wollen, wie viele Blätter der Baum hat und welche Form sie haben. Ein Chemiker könnte sich für die im Baum enthaltenen Moleküle interessieren. Ein Ingenieur würde nach der Zugfestigkeit der Äste fragen und ein Poet könnte sich für das Schimmern des regennassen Baums in der Abendsonne interessieren.430 All dies bedeutet nicht unbedingt, dass es keine abgeschlossene Menge an Informationen über den betreffenden Baum gibt. Das, was man als „die Informationen“ über den Baum bezeichnen dürfte, wäre aber schwer zu definieren (und erst recht zu sammeln).
427
Siehe oben IV. 1. Der Formgehalt und die quantitative Definition von Information. Mattioli, 99 Minn. L. Rev. 535 (544 ff.) (2014–2015); siehe auch Boyd/Crawford, Critical Questions for Big Data, Information, Communication & Society 15 (2012), 662, 670 f. 429 Reading, Information 3 (2012), 635 (637). 430 Präzise müsste man hier außerdem zwischen Informationen über den Baum und den Beobachter unterscheiden. Die Beschreibung durch einen Poeten enthielte wahrscheinlich einen großen Anteil seiner höchstpersönlichen Wahrnehmung, weshalb er der Einzige sein könnte, der genau diese Beschreibung lieferte. 428
158
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Dies ist einer der Hauptgründe, aus denen verschiedene Arten von Informationen nur für wenige Personen zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umständen nützlich sind (z. B. ist die Wettervorhersage für den 17. März 2021 ab dem 18. März 2021 für die meisten Menschen nutzlos). Dieser Umstand ist von großer Bedeutung für wirtschaftliche Fragen, insbesondere für Datenmärkte.
VI. Zusammenfassung und Folgerungen Gängig unterschieden werden drei Informationsebenen (syntaktisch, semantisch, strukturell), diese überlappen einander, auf etwas anderer, nämlich speziell menschlicher Ebene kann hiervon noch die pragmatische Informationsebene unterschieden werden.431 Praktisch wichtig ist die Unterscheidung zwischen aktueller Information als bereits vorliegender Information, die schon empfangen/rezipiert wurde und potentieller Information als Information die „nur der Möglichkeit nach erlangt werden kann“, was das gesamte Universum als Informationsraum umfasst.432 Auf elementarer Ebene handelt es sich bei Information immer um Form. Der Formgehalt, an den auch die nachrichtentechnische Informationstheorie von Shannon/Weaver anknüpft, existiert im naturwissenschaftlichen Sinne aber immer nur als Materie, genauer gesagt als deren Struktur. Daher kann Information mit Struktur gleichgesetzt werden.433 Semantische Information ist durch ihre Bedeutung definiert. Bedeutung kann sehr breit definiert werden als das Auslösen einer bestimmten Veränderung beim Empfänger durch die Information, was den Informationsempfang durch Maschinen, Pflanzen und erst recht Tiere einbezieht. Sie kann aber auch spezifisch menschlich unter dem Gesichtspunkt der Würdigung/Reflektion von Information abgegrenzt werden. Damit wird Bewusstsein zur Voraussetzung von Bedeutung: Während die Eingabe einer einfachen Addition in einem Taschenrechner nur die Reaktion der Berechnung auslöst, weiß ein Mensch darüber hinaus, dass das was er gerade durchführt eine Addition ist. Es gibt beachtliche Gründe für die Annahme, dass sich Bewusstsein (zumindest vorläufig) nicht rein materialistisch oder funktional erklären lässt, sondern zumindest eine spezifisch menschliche Eigenschaft ist. Zudem ist Information kontextabhängig, d. h. ihre Bedeutung hängt ab von Faktoren wie dem jeweiligen Rezipienten/Beobachter, dessen bisherigem Informationsstand, seiner Situation oder der Fragestellung.434 – Diese Erkenntnisse erlauben einige Folgerungen: Die semantische und syntaktische Ebene sind Zugeständnisse an die menschliche Wahrnehmung; die beiden Ebenen sind aus menschlicher Sicht wichtig, nicht aber i. S. e. natürlichen Bedingung für Information. Beide Ebenen lassen sich aber 431
Siehe oben I. Drei Ebenen von Informationen und Benklers layer model. Siehe oben III. Aktuelle und potentielle Information. 433 Siehe oben IV. Die Existenzweise von Information. 434 Siehe oben V. Bedeutung als konstitutives Merkmal von Information. 432
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)159
so definieren, dass sie statt an Menschen auch an Tiere, Pflanzen oder Maschinen angeglichen werden, i. d. R. wird die semantische Ebene auf Menschen, die syntaktische auch auf Maschinen hin definiert.435 Technisch gesehen existiert die Information einzig in der Struktur. Diese grundlegende, rein physikalische Daseinsform von Information ist es, was als strukturelle Information bezeichnet wird.436 Die Rezipientenabhängigkeit von Informationen bedeutet, dass ihre Wirkung auch von Einflüssen abhängt, denen der Rezipient unterliegt. Informationen sind in einem weiten Sinne kontextabhängig. Beispiel: Tendenziell reagiert ein Aktionär auf die Information über eine starke Kursveränderungen an der Börse auf andere Art (z. B. emotional und/oder mit einem Ver- oder Zukauf), als jemand der keine Aktien hat und sich nicht für Aktien interessiert. Die Situation der Beiden beeinflusst ihre Reaktion auf die Information.
Die entscheidendere Schlussfolgerung liegt darin, dass Information weder Teil eines Objekts noch ein eigenständiges Objekt ist. Information ist keine ontologische Entität, sie steht zwischen dem Objekt und seinem Beobachter und hängt von beiden ab.437 Daher sind die meisten Informationen für die meisten Beobachter in der Praxis potentielle Informationen, d. h. Informationen, die sie erlangen und verstehen könnten. Das Verständnis bzw. der Grad des Verständnisses durch den jeweiligen Beobachter bestimmt den für ihn existierenden semantischen Gehalt. Beispiele: Wer nicht chinesisch spricht, wird einem chinesischen Buch auch bei genauester Lektüre fast keine Informationen entnehmen können. Ähnlich liegt es bei einem Laien, der ein für Fachleute verfasstes Buch über theoretische Physik liest.
Ferner wird es meistens eine bestimmte Informationsmenge geben, die für den jeweiligen Rezipienten nützlich ist. Diese Nützlichkeit hängt stark vom Rezipienten und vom jeweiligen Kontext ab. Rein funktionalistisch können hierunter auch Maschinen gefasst werden, die auf Daten reagieren. Bei ihnen liegt freilich kein semantisches Verständnis (i. S. e. Reflektion) vor. Daher sollte hier richtigerweise nicht von Informations-, sondern von Datenverarbeitung gesprochen werden.438 Beispiel: Das Vorhaben, einen unbekannten Berg wissenschaftlich zu vermessen, beruht auf dem Vorhandensein potentieller Informationen. Die gesuchten Informationen liegen in der Struktur des Berges und müssen durch Messungen erhoben werden. Hierbei gibt es eine
435
So bei Zech, Information als Schutzgegenstand, 51 ff. Siehe eingehend Zech, Information als Schutzgegenstand, 16 ff. 437 Vgl. v. Weizsäcker, Die Einheit der Natur, 51. 438 Es handelt sich um eine begriffliche Streitigkeit, die aber wichtig für die Klarheit der Diskussion ist. Wie oben gezeigt wurde, sind Daten ein Fall syntaktischer Information und stehen dem Shannon’schen Informationsbegriff nahe. Der landläufige Gebrauch des Wortes „Information“ stellt aber auf den semantischen Aspekt ab, weshalb die Rede von maschineller Informationsverarbeitung potentiell Verwirrung stiftet, vgl. Rechenberg, Informatik Spektrum 2003, 317 (325 f.). 436
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
gewisse Informationsqualität und -quantität, die als für die betreffenden wissenschaftlichen Zwecke erforderlich bzw. genügend angesehen wird. Menschen werden auf diese Informationen zudem in anderer Weise reagieren als Tiere oder Maschinen. Ein Bergsteiger würde die Informationen in Verbindung mit seiner Erfahrung verwerten und abhängig von zahlreichen Umständen darauf reagieren, z. B. mit einer Erstbesteigung (für die er ggf. weitere Informationen einholen müsste). Der Auto-Pilot eines Flugzeugs nähme Daten über die Höhe des Bergs hingegen automatisch und unbewusst (!) zum Anlass, die Flughöhe anzupassen.
Daraus ergibt sich eine dritte Folgerung: Es gibt keine bestimmte, objektiv erforderliche Informationsmenge, derer es zur Beschreibung eines bestimmten Gegenstands bedarf. Rechtlich können Informationen nur in einer bestimmten Art und Menge geschützt werden. Es wäre kaum möglich, „die Informationen“ über einen bestimmten Gegenstand oder einen Menschen zu definieren. Der augenfälligste Fall, in dem dies dennoch versucht wird, ist der Personendatenschutz. Die dort bestehenden zahlreichen Probleme bei der Abgrenzung, welche Informationen sich „auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person […] beziehen“ (Art. 4 Nr. 1 DS-GVO), sind ein Beleg für das beschriebene Abgrenzungsproblem. Auch befassen sich Diskussionen wie der Streit um eine relative und eine absolute Theorie des Personenbezugs unmittelbar mit der zuvor dargelegten Kontext- und Beobachterabhängigkeit von Informationen.
Was noch fehlt ist die Antwort auf die Eingangsfrage von Lisa Simpson:439 Fällt ein Baum um und ist niemand (weder Menschen noch Tiere oder sonstige Rezipienten) da, der zuhören könnte, erzeugt das Ereignis dennoch Schallwellen. Sie beinhalten aber keine Informationen, da sowohl syntaktische wie auch semantische Informationen nur in den Augen eines verständigen Beobachters vorliegen. Die Schallwellen lassen sich allenfalls als potentielle Information auffassen, für deren Aktualisierung durch einen Beobachter nur die kurze Zeit ihres Erklingens zur Verfügung steht.
D. Information als Rechtsgegenstand Die Untersuchung der rechtlich relevanten Eigenschaften von Informationen ergab, dass Information eine Art Eigenschaft von Materie und nach dem heutigen Weltbild nicht gänzlich unkörperlich vorstellbar ist. Das entspricht in etwa der oben zitierten Feststellung von Peukert, nach der Immaterialgüter stets einer Rückbindung an die körperliche Welt bedürfen, die er in seiner Artefakttheorie vertieft.440 Von dieser technischen Betrachtung von Information als Naturgegenstand muss nun die Brücke zu den im Immaterialgüterrecht erfassten Informationseinheiten geschlagen werden. Es wäre eine unzutreffende Beschreibung des Urheber- oder 439
440
Siehe oben vor I. Drei Ebenen von Informationen und Benklers layer model. Siehe oben A. Definitionen für Immaterialgüter.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)161
Patentrechts, wenn man dieses auf die Zuweisung bestimmter Informationspakete im Sinne physikalischer Eigenschaften verschiedener Informationsträger reduzierte – selbst, wenn ein Notentext oder das Patentregister (auch in elektronischer Form) technisch betrachtet genau dies sind. Im Folgenden wird daher die Abgrenzung von Information als Rechtsgegenstand bzw. ihr Aufstieg zum Rechtsgegenstand nachvollzogen.
I. Informationen und Daten Die gegenwärtige Diskussion zum Schutz von nicht-personenbezogenen Informationen bezieht sich auf „Daten“.441 Orientiert an der Unterscheidung semantischer, syntaktischer und struktureller Information sind Daten eine Untergruppe syntaktischer Informationen. Abhängig von der jeweiligen Definition des Datenbegriffs können sie auch identisch mit dem Begriff syntaktischer Informationen sein. Die derzeit bekannteste Definition von Daten ist der ISO-Standard ISO/IEC 2382:2015. Diesem zufolge sind Daten „reinterpretable representation of information in a formalized manner suitable for communication, interpretation, or processing […] Data can be processed by humans or by automatic means.“442
Unter „information in a formalized manner“ fallen in erster Linie Zeichen. Vereinfacht formuliert handelt es sich bei Daten also um eine Zeichenfolge die von Menschen und/oder Maschinen gelesen und verarbeitet werden kann. Gänzlich unbekannte, d. h. für Menschen und Maschinen bedeutungslose Zeichen und Zeichenfolgen dürften daher nicht unter diese Definition fallen, da unter „processed“ wohl eine bedeutsame Verarbeitung zu verstehen ist, etwa das Abspeichern durch einen Computer. Obwohl die Existenz von Daten von der Struktur eines physischen Datenträgers abhängt, können Daten durch die Übertragung der Reihenfolge von Zeichen über verschiedene Datenträger (Radiowellen in der Luft, Lichtwellen in Glasfasern, geschrieben Zeichen auf Papier etc.) unkörperlich ausgetauscht und vervielfältigt werden. Daten betreffen also die syntaktische Informationsebene, d. h. die Ebene zwischen Struktur und Semantik/Bedeutung.443 Das Verhältnis der semantischen Informationsebene (die i. d. R. gemeint ist, wenn im Alltag von „Informationen“ die Rede ist), zu Daten kann auch folgendermaßen formuliert werden: „Informationen sind gedeutete Daten.“444 Letztlich müssen bestimmte physikalische Entitäten (ge441 Siehe etwa die „Free Flow of Data Initiative“, bestehend aus der „Communication on Building a European Data Economy“ (COM[2017] 9 final) und dem „Working Document on the free flow of data and emerging issues of the European data economy“ (SWD[2017] 2 final). 442 ISO/IEC 2382:2015(en)Information technology – Vocabulary, www.iso.org, abrufbar unter http://tinyurl.com/yd3qgcl4. 443 Zech, Information als Schutzgegenstand, 32 f., 55 f. 444 Rechenberg, Informatik Spektrum 2003, 317 (326).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
schriebene Buchstaben, Lichtimpulse etc.) als Zeichen betrachtet und ihnen bzw. ihrer Reihenfolge muss Bedeutung zugeschrieben werden.445
II. Informationsgüter Die Verbindung zwischen Informationstheorie und Immaterialgüterrecht bilden die sog. Informationsgüter. Zech unterzieht Informationsgüter einer eingehenden Analyse auf Ebene der verschiedenen Informationsschichten (semantisch/syntaktisch/strukturell). Hierfür wendet er gängige Merkmale des wirtschaftsrechtlichen Güterbegriffs auf Informationen an. Informationen steigen demzufolge zu Informationsgütern auf, sobald sie für Menschen nützlich sind, eine vorrechtliche Existenz als abgrenzbare, eigenständige Objekte haben, außerhalb der Person bestehen, wobei er hier auf den bekannten Streit um Persönlichkeitsgüter eingeht, und einen wirtschaftlichen Wert aufweisen.446 Die damit geschaffene Verknüpfung zwischen Informationen und gesetzlich geschützten Immaterialgütern zeigt sich in den von Zech angeführten Beispielen. Unter ihnen finden sich sowohl Schutzgegenstände des Immaterialgüterrechts (z. B. Erfindungen, Bilder, Tonaufnahmen) wie auch anderweitig wertvolle, gesetzlich in den meisten Fällen nicht speziell geschützte Informationseinheiten (z. B. Nachrichten, Geoinformationen, Daten im Allgemeinen).447 Allgemeiner formuliert findet sich die Idee von Informationsgütern bei Pethig: „Unter einem Informationsgut verstehen wir eine nach Inhalt – in Qualität und konkreter Darstellung – wohldefinierte Menge an Informationen, wobei die Verwendung des Wortes Gut […] bedeuten soll, daß es Wirtschaftssubjekte gibt, die diese Information für ‚nützlich‘ halten, die also dafür eine positive Zahlungsbereitschaft haben.“448
Wohl eine höherwertige Teilmenge der Informationsgüter sind Informationsprodukte, die bloße Rohdaten in für Menschen verständliche Informationen verwandeln, also eine Servicekomponente („value-added activity“) enthalten.449 Es geht nicht um die Transformation struktureller in syntaktische Information (diese ist typisch für fast alle Fälle, in denen Daten erhoben werden, etwa durch Sensoren an Maschinen, Wearables oder händische Aufzeichnungen), sondern um den meist nachfolgenden Schritt, in dem erhobene Daten für Menschen erfassbar/verständlich gemacht werden. Wie die folgenden Beispiele zeigen, sind damit keine Immaterialgüter im urheberrechtlichen, patentrechtlichen oder einem ähnlichen Sinne gemeint, sondern der allgemeinere Fall von für Menschen aufbereiteten Informationen. Diese können durchaus rechtlichen Schutz (etwa über §§ 87a ff. UrhG) genießen, dies ist aber weder zwingend noch typisch. 445
Siehe oben C. IV. Die Existenzweise von Information. Zech, Information als Schutzgegenstand, 46 ff., 49 ff. 447 Zech, Information als Schutzgegenstand, 52 ff. 448 Fiedler/Ullrich/Pethig, Information als Wirtschaftsgut, 1 (2). 449 Nimmer/Krauthaus, Law and Contemporary Problems 55 (1992), No. 3, 103 (106 f.); Fiedler/Ullrich/Wiebe, Information als Wirtschaftsgut, 93 (110 ff.). 446
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)163
Beispielhaft nennen Nimmer/Krauthaus als Informationsprodukte: Newsletter, Zeitungen, Telefonbücher, Literatursuchen, Lexika, Horoskope, Meinungsumfragen, Sportstatistiken. Bekannte Anbieter von Informationsprodukten seien Wirtschaftsberater, Umweltberater, Zeitschriftenverleger, Sicherheitsanalysten, Abrechnungsstellen, Buchhaltungsdienste u. s. w.450
Während Daten also die Zeichenebene der Informationsvermittlung betreffen, sind Informationsprodukte unmittelbar an menschlichen Bedürfnissen, d. h. an der Nützlichkeit aus menschlicher Sicht orientiert. Im Vordergrund steht ihr semantischer Gehalt, wobei zur Informationsvermittlung wiederum Daten verwendet werden.
III. Idealgüter und Informationen im Immaterialgüterrecht Oben wurde kurz auf die Abgrenzungsprobleme hingewiesen, die im Personendatenschutzrecht daraus entstehen, dass die in Bezug genommenen Informationen anhand ihres Gegenstandes – der betroffenen Person – abgegrenzt werden.451 Im Folgenden ist zu untersuchen, wie die Immaterialgüterrechte diese Abgrenzungsfragen bewältigen. Hier wurden bereits einige Definitionen für Immaterialgüter referiert.452 Diese stellen keinen Bezug zur Informationstheorie her, weshalb sich eine grundlegende Frage stellt: Können die gesetzlich geschützten Immaterialgüter mit Informationen gleichgesetzt werden bzw. wie verhalten sie sich zu Informationen? Schützen Immaterialgüterrechte Informationen als solche oder schützen sie separat zu denkende, immaterielle Gegenstände?
1. Idealgut und Information im Urheberrecht Im Urheberrecht wird zwischen dem Werk und dem Werkträger unterschieden, auf dem das Werk verkörpert ist.453 Die Rede ist dann von Werkexemplaren,454 z. B. in Form von CDs oder Büchern. Die eigentlichen Daten digitalisierter Filme oder digitalisierter Musik ergeben dabei keinen Sinn für Menschen, die Rillen einer Schallplatte sind für Menschen unverständlich. Erst technische Hilfsmittel erlauben die Rezeption der Werke, was aber deren Schutzfähigkeit nicht schadet.455 Wo verbirgt sich also das eigentliche Werk? Erschaffen wird ein Werk durch einen Schöpfungsakt des Urhebers, durch den die Außenwelt Kenntnis vom Werk nehmen kann. Beispiele sind das erstmalige Aufschreiben eines Textes oder das 450
Fn. 4.
451
Nimmer/Krauthaus, Law and Contemporary Problems 55 (1992), No. 3, 103 (105 f.), dort
Siehe oben C. VI. Zusammenfassung und Folgerungen. Siehe oben A. Definitionen für Immaterialgüter. 453 Siehe etwa Katzenberger, GRUR Int. 1983, 895 (900); Wandtke/Bullinger/Bullinger, UrhG, § 2 Rn. 120. 454 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 104. 455 Siehe nur BGHZ 37, 1 = GRUR 1962, 470 (472) – AKI; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 2 Rn. 13. 452
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Spielen einer Melodie. Ist dann die erstmalige wahrnehmbare Äußerung des Werkes eine Art „Ur-Werk“? Boldrin/Levine beschreiben die Entstehung und Verbreitung von „Innovationen“ am Beispiel von Newtons Gravitationsgesetzen. Die erste Schriftfassung sei Ausgangspunkt zahlloser Kopien gewesen, die aber eben nur Kopien seien. Der Innovationsprozess habe sich allein auf die Schaffung der ersten Verkörperung bezogen und alle Kopien seien nur Reproduktionen dieses Exemplars.456
Der Urheberrechtsschutz knüpft aber nicht an die erstmalige Verkörperung des Werkes mit all ihren Fehlern oder Unebenheiten, sondern an das damit Gemeinte an. Die Tonqualität einer Musikaufnahme – etwa ob die Aufnahme kratzig oder blechern klingt – spielt für die urheberrechtliche Beurteilung des Werkes keine Rolle. Beispiel: Selbst, wenn es von einem Gitarrensolo nur eine Live-Aufnahme mit starkem Rauschen gibt, man das Solo aber erkennen kann, wird ein Hörer weder kleine Fehler des Gitarristen noch das Rauschen der Aufnahme als Teil des Solos deuten. Beides wird vom menschlichen Verstand in dem Sinne „herausgefiltert“, als er die eigentlich gemeinte Melodie versteht. Diese ist Schutzgegenstand des Urheberrechts, nicht ein „verkratztes Werk“.
In diesem Sinne wird sowohl das Werk von seiner erstmaligen Wahrnehmbarmachung als auch von Verkörperungen in Werkträgern abstrahiert. Entscheidend ist die „Abstraktion vom Informationsträger zum Werk etc. als eigentumsfähigem Gut“.457 Das Werk „ist ein Immaterialgut, das im Werkstück lediglich konkretisiert wird“.458 Fraglich ist, ob der Urheberrechtsschutz nur für eine konkrete Idealfassung des Werkes gilt, oder ob das Werk als Rechtsobjekt eine gewisse Bandbreite in sich trägt. Dies würde etwa bei der Abgrenzung zum Vervielfältigungs- und Bearbeitungsrecht relevant: Ein fehlerhaft abgeschriebener Text oder eine qualitativ schlechte Kopie eines Films erfüllen unproblematisch den Vervielfältigungsbegriff des § 16 UrhG. Die Vervielfältigung wird weit und als flexibler Tatbestand verstanden, der also auch minderwertige Vervielfältigungen abdeckt.459 Man könnte sie aber auch als exakten Tatbestand verstehen und stattdessen den Werkbegriff auf eine gewisse Bandbreite an Versionen des Werkes (z. B. unterschiedliche Ab456 Porrini/Ramello/Boldrin/Levine,
Property Rights Dynamics, 93 (110 f.). Peukert, Die Gemeinfreiheit, 43. 458 BGH GRUR 2002, 532 (534) – Unikatrahmen [Hervorh. v. Verf.]; BGH NJW 2003, 665 (668) – Staatsbibliothek („Ein Werk der Baukunst ist als Immaterialgut von dem errichteten Gebäude zu unterscheiden, in dem es – in unveränderter oder veränderter Form – konkretisiert ist.“); Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhG, Einl. Rn. 29 („Gegenstand des subjektiven Urheberrechts ist das Werk als immaterielle Wesenheit. Zu sinnfälliger Erscheinung gelangt es durch unkörperliche Wiedergabe […] oder durch Verkörperung im Werkstück.“); Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 2 Rn. 11; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer, § 2 Rn. 14 („Das Werk ist ein geistiges und unterscheidet sich dadurch vom Werkexemplar, in dem es verkörpert ist.“). 459 Siehe nur Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 16 Rn. 6 ff.; BeckOK UrhG/Kroitzsch/Götting, § 16 Rn. 3, 10 f. 457
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spielgeschwindigkeiten, Tonarten, farbliche Änderungen) erstrecken. Theoretisch könnte diese Grenze bis hin zu den Grenzen des Bearbeitungsrechts (§ 23 UrhG) gedehnt werden. Es spricht aber Einiges dafür, dass das Urheberrecht von dem einen, konkreten, auf eine Version beschränkten Originalwerk ausgeht. Zumindest finden sich für die gegenteilige Meinung keine Vertreter. Damit bleibt nur die Frage, ob die erstmalige Verkörperung bzw. Wahrnehmbarmachung eines Werkes das eigentliche Werk ist, oder ob sie – wie Vervielfältigungen – nur eine Verkörperung des idealen Werkes darstellt. Die erstgenannte Herangehensweise würde zu unstimmigen Konsequenzen führen. So würden offensichtliche Material- und Flüchtigkeitsfehler zum Bestandteil des Werkes erhoben, Komponisten, die eine Partitur zu Papier bringen, ohne sie zu spielen, würden in erster Linie Schutz für eine Art Schriftwerk genießen und der Schutz von Romanfiguren bedürfte einer denkbar komplizierten Begründung. Daher knüpft der Schutz nicht an das physische, sondern an das mit der Verkörperung/Wahrnehmbarmachung beschriebene (nach bisheriger Diktion „immaterielle“) Erzeugnis an. Dies entspricht der Unterscheidung von „Original“ und „Werk“ im UrhG. Mit „Original“ ist nicht die geistige Schöpfung, sondern ihre originale Festlegung gemeint (s. etwa §§ 6 Abs. 2 S. 2; 10 Abs. 1, 18, 25 f. oder 44 UrhG).460 Das eigentliche Werk ist unkörperlich. Obwohl sich im Bereich der bildenden Kunst eine Trennung zwischen der geistigen Schöpfung und dem originalen Werkexemplar nicht auf den ersten Blick aufdrängt, sind sie auch hier nicht identisch. Beispiel: Die im Louvre hängende Mona Lisa ist nur das originale Werkexemplar, die „durch den Urheber eigenhändig vorgenommene Erstverkörperung“,461 nicht aber das Werk.
Muss nach dem Gesagten von einem einzigen, variationsfreien Werk ausgegangen werden, stellt sich die Frage, ob und in welcher Form es existiert.462 Zum einen wäre es oftmals schwierig zu bestimmen, wie genau das Originalwerk aussieht bzw. lautet, sofern man hierunter nicht – mit dem oben verworfenen Gedanken – das Werk als eine Bandbreite an Werkversionen versteht. Beispiel: Notiert eine Komponistin eine Melodie und versieht sie mit Anweisungen zur Spielweise, ist fraglich, wie die eine originale Melodie genau lautet. Zudem würde ein Musiker sie in den wenigsten Fällen hundertprozentig auf den notierten Zeiten spielen, sondern kleine Änderungen einfügen, was in aller Regel auch von der Komponistin gewünscht ist.
Zum anderen könnte man erwägen, dass es prinzipiell nicht möglich sein könnte, das Idealwerk exakt wahrnehmbar zu machen, da jede Wahrnehmbarmachung aus Informationen besteht. Es könnte zur Natur des Werkes gehören, dass es von al460 BGH NJW 2003, 665 (668) – Staatsbibliothek; Hamann, Der urheberrechtliche Originalbegriff, 2 (der Begriff „Original“ werde als Synonym für ein „Unikat“ in Abgrenzung zu Vervielfältigungen, als auch zur Abgrenzung zu Fälschungen verwendet), siehe auch die Abgrenzung zur geistigen Schöpfung, S. 37 f. Hamann klammert den urheberrechtlichen Werkbegriff von der Untersuchung allerdings weitgehend aus, S. 90 Fn. 2. 461 Hamann, Der urheberrechtliche Originalbegriff, 89. 462 Dazu eingehend sogleich unten 2. Existieren Immaterialgüter?
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
len Informationen abstrahiert ist, die es für Menschen wahrnehmbar machen. Die Wahrnehmbarmachungen/Verkörperungen beschreiben das abstrahierte Werk in diesem Fall also nur.463 Da eine solche Abstraktion weder aktuelle noch potentielle Information darstellt, existiert sie nur als idealer, gedachter Gegenstand: Jede sinnlich wahrnehmbare Ausdrucksform von Werken ist Information, das Werk als solches ist eine naturwissenschaftlich nicht existente und nicht wahrnehmbare Idealisierung. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu Theorien, die Werken eine metaphysische Existenz zugestehen. Das Idealwerk ist lediglich ein gedanklicher Fixpunkt. Dem ist im folgenden Punkt464 nachzugehen. Es gibt aber auch Werke, deren Ideal exakt bekannt ist. Das nächstliegende Beispiel hierfür sind Schriftwerke, deren Schutz – anders als etwa bei literarischen Figuren – in ihrer genauen Wortfolge begründet liegt. Bei einem Gedicht oder einem Roman kann das geschützte Gut zumindest textlich exakt wiedergegeben werden. Dennoch verfehlte es die Idee des Urheberrechts, die Originalnotizen, die Originaldatei eines Dichters oder eine andere perfekte Wiedergabe des Werks als „das Werk“ anzusehen. Es ist nicht die fehlende Exaktheit der Werkwiedergaben, die den Unterschied zwischen ihnen und dem Werk ausmacht. Er rührt vielmehr aus der Abstraktheit des Werkbegriffs, die ebenso für die anderen Immaterialgüter wie Markenzeichen, Erfindungen oder Topographien gilt. Begriffe wie „Werk“, „Erfindung“ oder „Zeichen“ bezeichnen den betreffenden Gegenstand als nicht existentes Ideal, unabhängig von seiner jeweiligen Verkörperung und damit zugleich in jeder möglichen Verkörperung. Hierzu gibt es eine Parallele in der Sprachphilosophie, nämlich das „Wunder“, dass man mit einem Begriff wie z. B. „Tabak“ einen für andere Menschen verständlichen Bezug zu jeglichem Tabak auf der Welt, auf fernen Planeten und sogar zu nicht-existentem Tabak herstellen kann – selbst wenn alle Beteiligten erst wenige Tabakproben oder gar nur Bilder oder Beschreibungen von Tabak kennen.465 Ähnlich wie mit dem Begriff „Tabak“ auf Tabak an sich Bezug genommen werden kann, ist mit der Bezeichnung des Werkes eines Urhebers das Werk an sich gemeint. Die Parallele ist freilich nur vage, schon weil es vorliegend nicht um sprachphilosophische Aspekte wie z. B. die Funktion des Wortes „Werk“ geht. Die Grundprobleme ähneln sich aber.
Das Phänomen exakter Immaterialgüter gibt es auch bei anderen Schutzgegenständen wie z. B. Wortmarken oder bestimmten Designs. Wie gesagt ändern sie aber nichts an dem grundlegenden Verhältnis von Immaterialgut und Information. Damit steht die Informationstheorie in einem überraschenden Verhältnis zum Immaterialgüterrecht: Einerseits trifft die eingangs für überkommen gehaltene Auffassung von Immaterialgütern zu, nach der diese „unkörperlicher, geistiger Art und von ihren Verkörperungen in Büchern, Maschinen etc. zu unterscheiden“466 463
BGH GRUR 2002, 532 (534) – Unikatrahmen, siehe auch die Nachweise in Fn. 458. Siehe unten 2. Existieren Immaterialgüter? 465 Nagel, Was bedeutet das alles?, 41 ff. 466 So die treffende Zusammenfassung bei Peukert, Güterzuordnung, 39; siehe ferner oben A. Definitionen für Immaterialgüter passim. 464
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)167
sind. Andererseits verweist der Abgleich mit der Informationstheorie die eigentlich geschützten Immaterialgüter in die naturwissenschaftliche Nichtexistenz.
2. Existieren Immaterialgüter? Hieran schließt sich zwangsläufig die im vorigen Punkt schon angerissene Frage an, inwiefern diese Immaterialgüter dann – ontologisch betrachtet – existieren. Sie läuft letztlich auf den philosophischen Unversalienstreit über die Existenz von Allgemeinbegriffen (Universalien) hinaus.467 Die Universalienrealisten vertreten hier eine tatsächliche, d. h. nicht bloß gedankliche Existenz von Universalien, während die Nominalisten eben dies verneinen und Universalien als „eine Art Abstraktion des Denkens aus den erfahrenen Dingen (universalia post rem)“ auffassen.468 Der Streit wurde in gewissem Maße auch im Immaterialgüterrecht geführt: Mit Merkl könnte man Immaterialgüter im platonischen Ideenraum verorten.469 Dies spräche ihnen streng genommen eine ewige, göttliche Seinsweise zu, wobei man damit Merkls kurze Andeutung470 wohl überstrapazieren würde. Es gibt noch weitere platonistisch geprägte Denkrichtungen, die das Werk als real existierenden Gegenstand verstehen.471 Man könnte übrigens auch – unter Verzicht auf eine ewige göttliche Ideenwelt – an die aristotelische Formursache (causa formalis) denken.472 Dem gegenüber stehen die „Nominalisten“, die gerade diese Existenz verneinen. So wendet Sellnick ein, dass die platonische Ideenlehre und generell „Ideen als abstrakte Entitäten“ von der analytischen Philosophie und insbesondere dem logischen Positivismus des Wiener Kreises überholt seien. „Wissen bzw. Denken und Sprache“ hingen wesentlich enger zusammen als ein solches Modell es abbilde.473 Er schlägt ein sprachphilosophisches Verständnis des Werkes vor: Der Schutzgegenstand des Urheberrechts müsse „im geistigen Gehalt, der Bedeutung, gesucht werden“ und beziehe sich auf „den Bedeutungsgehalt der Relationen zwischen den Zeichen“.474 Auch v. Stallberg betreibt eine sprechakttheoretische Konstruktion des Urheberrechts, allerdings mit Fokus auf dessen Begründbarkeit sowie die Begründung von Namensnennungs- und Verwertungsrechten.475 Auch er lehnt die ontologische Existenz von Werken zugunsten der Erkenntnis ab, „dass das, was 467
Jacob, Ausschließlichkeitsrechte, 98. Handwörterbuch Philosophie, „Universalienstreit“ [Hervorh. v.
468 Rehfus/Wulff/Rehfus,
Verf.].
469 Merkl, Begriff des Immaterialgüterrechts, 79 f.; siehe auch oben A. Definitionen für Immaterialgüter. 470 Merkl, Begriff des Immaterialgüterrechts, 79, dort Fn. 18 (das Immaterialgut stelle „wohl eine Idee im Sinne Platos dar, nämlich einen geistigen Gegenstand, der vom menschlichen Bewußtsein unabhängig ist“). 471 Dazu Jacob, Ausschließlichkeitsrechte, 93 ff. 472 Siehe Aristoteles, Philosophische Schriften, Bd. 6, Physik II, 194b; Rehfus/Blume, Handwörterbuch Philosophie, 2007, „Causa formalis“. 473 Sellnick, Der Gegenstand des Urheberrechts, 30. 474 Sellnick, Der Gegenstand des Urheberrechts, 164 f. 475 v. Stallberg, Urheberrecht und moralische Rechtfertigung, 308 ff.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
wir ‚geistige Werke‘ nennen, nur in der und durch die menschliche Sprache existiert“.476 Ebenso verwehrt sich Peukert einer idealistischen Sichtweise, die Werken eine metaphysische Existenz zuspricht. Stattdessen stellt er für den Status dieser Artefakte als Master- bzw. zugehöriges Sekundärartefakt auf Searles Theorie institutioneller Tatsachen ab.477 Die Existenz von Werken lässt sich tatsächlich am besten mit der von Peukert herangezogenen und oben478 im Zusammenhang mit subjektiven Rechten angeführten Theorie der institutionellen Tatsachen erklären: Natürlich gibt es das Werk „Let it be“ – es existiert im selben Sinne wie Geld, Ehen oder ein Elfmeter beim Fußball. Es existiert nur nicht unabhängig von seinen informationellen Verkörperungen (zu denen auch das menschliche Gedächtnis zählt). Diese sind mit der Sprechakttheorie als Repräsentationen eines abstrakten Immaterialguts zu verstehen: „Der Sprechakt besagt, dass ein Buch, eine Maschine oder ein anderes körperliches/verkörpertes Artefakt ein hiervon unabhängiges abstraktes Werk, eine abstrakte Erfindung usw. repräsentiert. Das physisch oder mental existente Artefakt wird also nicht für sich betrachtet und bezeichnet, sondern als Instantiierung, als Manifestation eines anderen, unkörperlichen Objekts begriffen.“479
Anders als bei seiner Artefakttheorie wird nach der vorliegend vertretenen Auffassung das Werk aber nur als gedanklicher Fixpunkt, als sprachliche Zusammenfassung aller oder einiger existenten Repräsentationen angenommen, je nachdem, ob ab einer gewissen Ausprägung von Unterschieden zwei separate Werke, Erfindungen etc. vorliegen sollen.480 Daher bedarf es keines Masterartefakts oder dergleichen.481 Es wird also kein Ähnlichkeitsvergleich einer möglichen Kopie mit nur einer bestimmten (zum Masterartefakt erhobenen) Vorlage vorgenommen,482 vielmehr kommt eine Vielzahl an Vorlagen in Betracht, mit denen der Urheber das Werk umschreibt. Bei all diesen ontologischen Einordnungen des Immaterialguts ist zu beachten, dass sie sich in der bisherigen Darlegung durchweg auf das urheberrechtliche Werk beziehen. Vorliegend geht es aber um eine umfassendere Problematik, nämlich um 476 Dabei bezieht er auch Bilder ein: „Nur wenn ein Buch, ein Gemälde, eine Skulptur etc. als etwas gilt, was es selbst nicht ist, kann es ein geistiges Werk sein.“, v. Stallberg, Urheberrecht und moralische Rechtfertigung, 323. 477 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 118 ff. 478 Dazu oben § 1 III. 7. c) Verbindung zur Welt der Tatsachen. 479 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 118. 480 Man denke z. B. an einen gecoverten Song. Dort lässt sich je nach Grad der Verfremdung streiten, ob die Coverversion nur eine Vervielfältigung/Aufführung des Originals, eine Bearbeitung (die zunächst noch kein weiteres Werk begründet) oder, bei hinreichendem eigenschöpferischem Anteil, die Schöpfung eines eigenständigen (abhängigen) Werks (§ 3 UrhG) ist, vgl. Wandtke/Bullinger/Bullinger, UrhG, § 23 Rn. 12; § 3 Rn. 1. 481 Dies scheint gar nicht so weit von Peukerts Auffassung entfernt zu sein, Peukert, ZUM 2019, 567 (569) („Oberbegriff für alle Artefakte“). 482 Vgl. Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 51 f.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)169
die Konstruktion und Funktionsweise aller bzw. der typischen absoluten Herrschaftsrechte an Immaterialgütern. Auch hierfür trägt die angebotene Erklärung, sofern es sich um Idealgüterrechte handelt; was im Folgenden näher darzulegen ist.483 Zuvor ist jedoch noch ein grundlegenderer Aspekt anzuführen, nämlich, dass die hier sog. Idealgüter kein ontologischer, sondern ein rechtlicher Begriff sind. Sie entstammen ja gerade der Problematik, dass das „Werk“, die „Erfindung“ oder die „Marke“ nicht immer exakt bestimmbar, geschweige denn beherrschbar sind. In eben diesem Sinne sind sie zu verstehen: Als Universalien, deren genaue Existenzweise keine unmittelbare Bedeutung für das Recht hat. Es sind gedankliche Konstruktionen. Auf Ebene der Rechtsanwendung geht es ausnahmslos um Handlungen in der tatsächlichen Lebenswelt, für die die Ebene der Informationen weit wichtiger ist. Die Erklärung von Immaterialgütern als institutionelle Tatsachen ist zwar möglich und ontologisch vorzugswürdig, für die meisten Fälle aber nicht unentbehrlich. Beispiel: § 2 UrhG stellt nicht die Behauptung auf, dass über einer Oper ein geistiger Gegenstand „schwebt“, der einer anderen Existenzsphäre oder dergleichen angehört. Das „Werk“ ist ein gedanklicher Fixpunkt („Idealgut“). Seine naturwissenschaftliche oder philosophische Existenzweise ist nachrangig. Rechtsansprüche richten sich immer auf menschliche Handlungen, wie z. B. die Entstellung einer Oper (§ 14 UrhG) oder die Vervielfältigung einer konkreten Aufnahme der Oper (§ 16 UrhG).
So sind etwa bei Schrift- oder Musikwerken nur die auf Werkträgern gespeicherte Syntax und die in ihr liegenden Informationen existent. Mit der Vernichtung dieser Informationen verschwindet aber auch das Idealwerk. Anders formuliert: Es gibt nur Informationen über ein Werk, das Werk selbst gibt es im ontologischen Sinne nicht bzw. ist seine ontologische Existenz für seine juristische Funktion in den meisten Fällen irrelevant. Das Werk als Idealgut ist eine Hilfsannahme. Es dient als Fixpunkt bzw. „notwendiger Beziehungspunkt“484 bei der rechtlichen Bewertung. Folgt man also dem Gedankengang vom Werk als idealem Gegenstand, so bemisst sich von ihm aus der Schutzumfang. Der eigentliche Schutzgegenstand des Urheberrechts existiert naturwissenschaftlich nicht, sondern ist nur ein von den sinnlich wahrnehmbaren Ausdrücken des Werks abstrahiertes Idealbild. Ist aber jede Aufnahme eines Werkes vernichtet und erinnert sich niemand daran, existiert auch das Idealbild nicht mehr. Dies führt zur Frage der Werkvernichtung: Wenn es Werke nicht im naturwissenschaftlichen Sinne gibt, wie können sie dann zerstört werden? Der BGH hat die Werkvernichtung als Fall des § 14 UrhG anerkannt.485 Peukert weist zutreffend 483 Su. 3. Idealgut und Information im Patentrecht, 4. Idealgut und Information im Markenund sonstigen Zeichenrecht, 5. Sonderfälle. 484 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 13. 485 BGH ZUM 2019, 508 Rn. 30 ff. – HHole (for Mannheim); ZUM 2019, 521 Rn. 24 ff. – HParadise; ZUM 2019, 528 Rn. 10 ff. – Minigolfanlage.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
darauf hin, dass die Zerstörung einzelner Werkexemplare keine Zerstörung des eigentlichen Werkes ist, es aber – der Tatbestandsdefinition des BGH folgend – „ausnahmsweise doch Fälle geben kann, in denen die Zerstörung eines einzelnen Werkstücks die qualitative Wirkung (Integrität) des Werks im kulturellen oder gesellschaftlichen Kommunikationsprozess beeinträchtigt“.486 Zu diesen Sonderfällen zählt in jedem Fall die Zerstörung des einzigen/letzten Werkexemplars oder aber, insbesondere in der bildenden Kunst, die Zerstörung stark autographischer Werkexemplare.487 Daran ist anzuknüpfen: Zum einen entfällt wie gesagt das gedachte Idealgut mit der Vernichtung aller seiner informationellen Repräsentationen, zum anderen kommt es hierauf für den Tatbestand der Werkvernichtung gar nicht an, da dieser eine andere Problematik, nämlich die der Vernichtung stark autographischer Werkexemplare betrifft.
3. Idealgut und Information im Patentrecht Im Patentrecht verhält es sich mit dem Immaterialgut ähnlich wie im Urheberrecht, weshalb die Ausführungen kürzer ausfallen dürfen: Die geschützte Erfindung existiert nicht als solche, sondern „schwebt“ über ihrer informationellen Wiedergabe. Diese Wiedergabe wird im Patentregister niedergelegt. Der Registereintrag beschreibt die Erfindung und bestimmt durch die Patentansprüche (§ 14 S. 1 PatG) ihren Schutzbereich. Die Erfindung selbst ist, wie das urheberrechtliche Werk, ein ideales Immaterialgut und kann daher als solche nicht wahrnehmbar gemacht werden. Wahrnehmbar sind immer nur Verkörperungen der Erfindung, also Bilder und Texte zur Beschreibung der Erfindung oder der Konstruktionen (z. B. eine Maschine) in denen sie verwirklicht wird. Die in der syntaktischen Wiedergabe liegende semantische Information ist maßgeblich, um das gemeinte Immaterialgut zu bestimmen. Forkel führt aus: „… die Erfindungsidee oder der Formgedanke hat eine selbständige Existenz gegenüber der einzelnen Ausführungsform. Sinnlich wahrnehmbare Ausprägungen sind mehrfach und immer wieder möglich. Das geistige Gut wird darin nur jedesmal neu realisiert, bleibt jedoch dasselbe.“488
Auch hier ist auf die Funktion des Idealguts als gedankliche Stütze, als Fixpunkt hinzuweisen; eine über der Patentschrift schwebende Idealerfindung existiert nur im Sinne einer institutionellen Tatsache, nicht aber naturwissenschaftlich. Die meisten Immaterialgüterrechte funktionieren nach diesem Prinzip. Auf Abweichungen bzw. Besonderheiten einzelner Rechte ist im Folgenden einzugehen.
486
Peukert, ZUM 2019, 567 (570). Peukert, ZUM 2019, 567 (570 f.); siehe auch oben A. III. 2. b) Zerstörung von Werken als Fall des § 14 UrhG. 488 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 71. 487
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)171
4. Idealgut und Information im Marken- und sonstigen Zeichenrecht Schwieriger als beim Urheber- oder Patenrecht zu beurteilen ist die Lage bei den Zeichenrechten. Wurde für Patent- und Urheberrecht gezeigt, dass über den Wahrnehmbarmachungen/Verkörperungen gedanklich ein ideales Immaterialgut schwebt, das durch diese näher beschrieben wird, stehen bei Zeichenrechten neben dieser Frage weitere Probleme im Raum, wenn es um die Abgrenzung des Rechtsobjekts geht. Zudem bereitet die parallele Nutzung von Zeichen durch zahlreiche Berechtigte Schwierigkeiten. Dies ist exemplarisch am Beispiel der Marke zu untersuchen.
a) Das Zeichen als Rechtsobjekt Bei Marken könnte das geschützte Immaterialgut zunächst einmal in dem in einer bestimmten Hinsicht geschützten Zeichen gesehen werden.489 Der Markeninhaber darf ein bestimmtes Zeichen für bestimmte Waren und Dienstleistungen in bestimmter Weise verwenden. Diese Sichtweise ist aber möglicherweise verkürzt, da sie die Marke als Rechtsobjekt auf das Zeichen reduziert und alle Besonderheiten und wertbildenden Eigenschaften von Marken zu ignorieren scheint. In der Literatur sind Definitionen der Marke als Rechtsobjekt daher weiter gefasst, auch wenn ihre genaue Festlegung offenbar Schwierigkeiten bereitet. So führt Troller zum Wesen der Marke aus: „Völlig geschlossen und umfassend ist die Herrschaft über ein Kennzeichen; als solches gilt – mit gewissen Ausnahmen – nicht das Wort oder Bild, sondern dieses in Verbindung mit einer Warenkategorie.“490 – und – „Die Marke ist das im menschlichen Bewusstsein mit einer oder mehreren bestimmten Waren derart verbundene Zeichen, daß sein Erscheinen diese Waren oder Warenarten aus der Gattung von Waren, denen sie zugehören, absondern und sie derart von andern gleichartigen Waren anderer Unternehmen unterscheidet (Herkunfts- und Individualisierungsfunktion). Diese Wesensbestimmung der Marke trifft überall zu. Kein Gesetzgeber mag daran etwas zu ändern.“491
Auch Schluep tut sich schwer, die von ihm als Rechtsobjekt identifizierte „eigenwertige Marke“ gegenständlich zu beschreiben: „Wie die wertneutrale Marke ist sie ein Zeichengut. Das bedeutet, daß sie geeignet ist, als Zeichen für die zu zeichnenden Objekte zu dienen.“492
489 So Hubmann, GRUR Int. 1969, 116; Eisenmann/Jautz, Grundriss Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Rn. 336; wohl ebenso Ahrens, Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht, 61 („Kennzeichnung für Waren und Dienstleistungen“), siehe auch S. 86 (warnt vor frühzeitiger Offenbarung des Schutzgegenstandes, was sich sinnvollerweise nur auf das Zeichen an sich beziehen kann). 490 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 53. 491 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 207. 492 Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 345. Siehe auch Becker, GRUR Int. 2010, 940 (943).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
b) Relevanz der Markenfunktionenlehre für den Schutzgegenstand Ein Aspekt, der bei der Abgrenzung des Rechtsobjekts der Marke berücksichtigt werden muss, ist die Markenfunktionslehre.493 Welche dogmatische Rolle spielt sie in der Diskussion um den Gegenstand und Schutzumfang der Marke? Nach einer Definition beschreibt sie die „Aufgaben und Wirkungen […], die einer Marke im Verkehr zukommen“.494 Besonders eingehend setzt sich Schluep mit dem Sinn der Markenfunktionslehre auseinander.495 Allgemein seien Funktionen im Markenrecht „die Aufgaben oder die Zwecke, die Warenzeichen in der arbeitsteiligen Wirtschaft erfüllen oder allenfalls verwirklichen könnten“.496 An der gängigen Unterscheidung zahlreicher Funktionen497 kritisiert er aber mit Recht, dass die meisten Funktionen nur abgeleitet sind und die Marke im wesentlichen zwei Grundfunktionen habe: die Unterscheidungs- und die Werbefunktion. Aus der Unterscheidungsfunktion ließen sich unzählige weitere Funktionen ableiten, je nachdem was unterschieden werden soll (z. B. Herkunft oder Qualität), während die Werbefunktion die „immanente oder durch Werbung zugeordnete Werbekraft“ bezeichne.498 Zu beachten ist, dass Marken neben der Unterscheidung von Waren und Dienstleistungen auch der Assoziation der markierten Produkte mit verschiedenen Informationen dienen können. Die von Schluep sog. Werbekraft ist letztlich eine positive Assoziation der Marke, z. B. mit über Jahre bewährtem Vertrauen in den Hersteller und/oder das markierte Produkt. Die Marke wäre dann nur ein Platzhalter für umfangreiche, an anderer Stelle hinterlegte Informationen. Darauf ist zurückzukommen.499 Dogmatisch betrachtet grenzt die Markenfunktionenlehre ab, welche der tatsächlichen Wirkungen einer Marke Rechtsschutz genießen. Es ist daher nicht erforderlich, dass eine Marke die betreffende Funktion bereits erfolgreich erfüllt. Ihr Inhaber genießt generell Schutz, wenn ein anderer eine der geschützten Funktionen beeinträchtigt. So ist schon eine frisch eingetragene Marke gegen die Beeinträchtigung ihrer Herkunftsfunktion geschützt, auch wenn sie dem Verkehr noch gänzlich unbekannt ist, also in dieser Funktion praktisch noch nicht gewirkt hat.500 Keinen Schutz genießen Marken hingegen für Funktionen, die sie zwar tatsächlich erfüllen oder erfüllen könnten, die aber von der Funktionenlehre nicht anerkannt werden. Beispiel: In der Bananabay-Rechtsprechung ging es um die Frage, ob eine Markenrechtsverletzung vorliegt, wenn ein Unternehmen die Marke eines Konkurrenten als Keyword 493
Dazu nur Fezer, MarkenG, Einl. D; ders., FS Tilmann, 321 (324 ff.). Fezer, MarkenG, Einl. D Rn. 1. 495 Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 60 ff. 496 Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 67. 497 Siehe Fezer, MarkenG, Einl. D; ders., FS Tilmann, 321 (324 ff.). 498 Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 80 ff. 499 Siehe unten e) Immaterialgut und Information im Markenrecht. 500 Siehe nur Fezer, MarkenG, § 4 Rn. 13. 494
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bei Google angibt, um bei Suchanfragen nach der Konkurrenzmarke mit einem eigenen Werbelink sichtbar zu sein. Kern der Problematik war also die Frage, ob diese (damals neuartige) Verwendung von Marken den Schutzbereich der Marke berührt. Hätten Marken eine „Lotsenfunktion“ (bzw. „Identifizierungsfunktion“), die „darin besteht, in einem großen Angebot gezielt zu eigenen Waren/Dienstleistungen hinzulenken“,501 könnte der Inhaber die Internetsuche nach seiner Marke insoweit an sich ziehen, als Konkurrenten das Zeichen nicht als Keywords nutzen dürften, um ebenfalls in Suchmaschinenergebnissen gelistet zu werden. Die Rechtsprechung hat diese Markenfunktion aber verneint, so dass KeywordAdvertising markenrechtlich nicht verboten werden kann.502
Während es in diesem Beispiel um die Ausdehnung des Verletzungsbereichs einer Marke ging, können Änderungen der anerkannten Markenfunktionen auch Einfluss auf die Eintragungsfähigkeit nehmen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Diskussion um die von Fezer vorgeschlagene Einführung sog. Sponsoringmarken. Beispiel: Nach Fezers Konzeption sollen Sponsoringmarken Schutz für eine bislang nicht ausdrücklich anerkannte Funktion von Marken mit rechtlichem Schutz begründen. Vereinfacht gesagt könnte etwa der Veranstalter der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 eine Marke wie „Fußball WM 2022“ anmelden, Sponsoren der Veranstaltung könnten diese Marke dann auf ihren Produkten anbringen und so kommunizieren, dass sie Sponsoren der Veranstaltung sind. Sponsoringmarken individualisieren Fezer zufolge „die Dienstleistung der Organisation und Finanzierung einer Veranstaltung“, sie „identifizieren eine organisatorische Unternehmensleistung“503 und garantierten „die Ursprungsidentität der Ware oder Dienstleistung als Produkte des Sponsorings“.504 Sponsoren würden so den „Verbraucher über die Grundlagen der Organisation und Finanzierung der Veranstaltung“ informieren.505 Von der Funktionslehre her stellt Fezer damit auf eine erweiterte Herkunftsfunktion einer Marke ab.506
Der entscheidende Punkt bei dieser Markenform läge darin, dass sie ein prinzipielles Eintragungshindernis bei Veranstaltungsmarken überwinden könnte, das Veranstaltern und Sponsoren Probleme bereitet: Bekannte Veranstaltungen tragen häufig stark beschreibende Namen, weshalb diese nicht als Marke für die Organisation der Veranstaltung eingetragen werden können.507 Für die jeweilige Veranstaltung haben die beschreibenden Zeichen fast keine Unterscheidungskraft. Aus demselben Grund besteht nach Ansicht des BGH ein Freihaltebedürfnis.508 Der tiefere Grund für diesen Befund ist die als Hauptfunktion anerkannte Her501 So die Vorinstanz OLG Braunschweig MMR 2007, 789 (790) – Bananabay zu BGH MMR 2009, 326 – Bananabay mit Anm. Hoeren. 502 EuGH GRUR 2010, 641 – Bananabay; BGH GRUR 2011, 828 – Bananabay II; GRUR 2013, 290 – MOST-Pralinen. 503 Fezer, MittDPatAnw 2007, 193 (196). 504 Fezer, FS Tilmann, 321 (323). 505 Fezer, MittDPatAnw 2007, 193 (197); ders. WRP 2012, 1173 (1181) (die Sponsoringmarke kommuniziere „die Kooperation des Veranstalters mit dem Sponsor“). 506 Fezer, FS Tilmann, 321 (324 ff.). 507 Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16 Rn. 170 ff. 508 BGHZ 167, 278 = GRUR 2006, 850 – FUSSBALL WM 2006.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
kunftsfunktion von Marken: Der Verkehr versteht „WM 2006“ nach dieser Sichtweise nicht als Hinweis auf den Veranstalter der WM 2006, sondern als Hinweis auf ein gesellschaftliches Ereignis, so wie etwa auf Weihnachten oder Ostern. Hätten Marken hingegen die Funktion, die Leistung von Sponsoren und deren Verbindung zum Veranstalter zu kennzeichnen, änderte sich der Betrachtungswinkel, wenn die Marke gerade für diese Dienstleistung eingetragen werden sollte. Dann könnte der Veranstalter seine Veranstaltungsleistung zwar immer noch nicht unter diesem Zeichen bewerben, es bestünden aber nur geringe Einwände dagegen, dass ein Unternehmen seine Sponsoringleistung mit dem Veranstaltungsnamen kennzeichnete. Hierin liegt der hauptsächliche Zweck der Markenanmeldung bei Veranstaltungen:509 Für den Vorgang des Sponsorings ist „Fußball WM 2022“ in der Tat deutlich weniger beschreibend als für die Veranstaltungsorganisation durch den Veranstalter. Wie in den Beispielen dargestellt, liegt die dogmatische Aufgabe der Funktionenlehre also darin, festzulegen, welche kennzeichnenden Funktionen für Marken rechtlich anerkannt werden. Dies hat sowohl Auswirkungen auf den Verletzungsbereich als auch auf die Eintragungsfähigkeit von Marken.
c) Relevanz des „Markenwerts“ Denkbar wäre, dass die Marke als Rechtsobjekt nicht bloß das Zeichen, sondern das Zeichen in einer bestimmten Funktion ist, die sich nicht oder zumindest nur mühsam vom Zeichen separieren lässt. Zeigen lässt sich dies am Beispiel von Markenwechseln, d. h. dem Ersatz einer eingeführten Marke durch eine andere. Bekannte Beispiele hierfür sind die Umbenennung von Texaco in DEA oder Raider in Twix. Markenwechsel bedürfen bei wertvollen Marken erheblichen werblichen und daher finanziellen Aufwandes.510 Es gilt, die mit dem Zeichen verbundenen Assoziationen, die den Wert der Marke ausmachen, mitsamt seiner Verkehrsbekanntheit auf ein neues Zeichen zu übertragen. Dennoch führen Markenwechsel regelmäßig zu massiven Verlusten beim Markenwert.511 Das über dem im Markenregister eingetragenen Zeichen schwebende Lebensgut ist also mehr als eine fehlerfreie Idealform des Zeichens (dazu sogleich), es besteht vor allem im aufgebauten Markenwert. Der Begriff ist allerdings unbefriedigend – der aus Angebot und Nachfrage ermittelte monetäre Wert kann kein immaterialgüterrechtlicher Schutzgegenstand sein. Wert kann einem Gegenstand nur zukommen, er ist aber selbst kein Gegenstand. 509 Siehe die Ausführungen zur Rechtsprechung zu WM-Marken in Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16 Rn. 170 ff. 510 Siehe bis hier Baumgarth, Markenpolitik, 257 ff.; Ralph/Ralph, Leadership in turbulenten Zeiten, 287 (307). 511 Bauer/Mäder/Valtin, DBW 64 (2004), 58 (72 f.) („insbesondere die Überführung einer starken Marke“ sei „mit einem erheblichen Risiko verbunden, da der hohe Markenwert einer solchen Marke durch den Namenswechsel nur in geringem Maße auf die neue Marke transferiert wird und somit großteils untergeht“).
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)175
Tatsächlich ergibt sich der qualitative Markenwert512 – vereinfacht gesagt – aus der Bekanntheit eines Zeichens und den mit ihm verbundenen Assoziationen bzw. Images beim Verkehr.513 Es ist jedoch kaum möglich, die Bekanntheit eines Zeichens und die mit ihm verbundenen Images/Assoziationen zum Rechtsgegenstand zu erheben, sie sind als Immaterialgut nicht sinnvoll abgrenzbar. Es ist auch keine informationelle Umschreibung eines Idealguts möglich. Darüber hinaus sind die Bekanntheit und die Assoziationen zu einer Marke stark veränderlich, was daran liegt, dass es sich bei ihnen um keinen ideellen Gegenstand, sondern um ein reales Lebensgut handelt: Der Wert einer Marke liegt darin, dass viele Menschen sie tatsächlich kennen und mit ihr tatsächlich bestimmte Assoziationen verbinden. Dieser Umstand ist kein Idealgut, sondern ein Realgut.514 Bekanntheit und Assoziationen spielen sich – bei grundsätzlicher Betrachtung – in den Köpfen des Verkehrs ab.515 Nur Menschen können eine Marke kennen und ihr gegenüber Goodwill i. S. v. positiven Assoziationen (auch emotionaler Art) haben.516 Kenntnis und Goodwill erhöhen dabei die Wahrscheinlichkeit, eine Person als Kunden zu gewinnen bzw. zu behalten. Zuweisen lässt sich nur die (auf bestimmte Bereiche begrenzte) Nutzung eines Zeichens, die aufgrund von Kenntnis und Goodwill des Verkehrs wertvoll ist. Beispiel: Auch wenn das in einem Song verkörperte Werk durch die Musik lediglich wahrnehmbar gemacht wird, nicht aber mit der konkreten Aufnahme identisch ist, beschreibt diese Wahrnehmbarmachung es für eine rechtliche Zuordnung doch hinreichend exakt. Indes gibt es keine Möglichkeit, die mit der Marke „Nivea“ verbundenen Assoziationen und ihre Bekanntheit bei einer ungewissen Zahl an Menschen so exakt zu beschreiben, dass man sie als immateriellen Gegenstand zuweisen könnte. Bewusstseinsinhalte wären als Schutzgegenstand des Markenrechts (wie auch generell) problematisch.517
Letztlich ist der Markenwert im Bereich der Aufmerksamkeitsökonomie518 zu verorten. Welche Rolle menschliche Aufmerksamkeit hier genau spielt, zeigt ein Vergleich mit dem Urheberrecht: Das Urheberrecht gibt dem Urheber die Möglichkeit, (mittelbar) zu bestimmen, wer seine Werke rezipiert. Das ökonomische 512 Dieser ist Gegenstand nicht-monetärer Bewertungen, die auf Faktoren wie Markenimage, Markentreue oder Markenbekanntheit abstellen, vgl. Tafelmeier, BC 2007, 33 (44 f.). Hieran knüpfen die markenrechtlichen Vorschriften an. 513 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 206 f.; Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 345 ff. (die Marke sei „die Erscheinungsform eines Zeichengutes und eines Attraktionsgutes“, womit der Markeninhaber „Herr über die Attraktionskraft seiner Marke“ sei [Hervorh. im Original]); siehe zu einzelnen Bewertungsmethoden etwa Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 89 ff.; Albers/Herrmann/Farsky/Sattler, Handbuch Produkt-Management, 220 (229 ff.); Tafelmeier, BC 2007, 44 (44 f.). 514 Zu dieser Unterscheidung eingehend unten § 7 Realgüter und Idealgüter. 515 Siehe insbesondere Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 207 („Einheit von Zeichen und Ware als Bewusstseinsphänomen“). 516 Siehe aber unten § 6 C. I. Markenrecht und „Maschinenkennzeichen“. 517 Siehe nur Hubmann, GRUR Int. 1969, 116. 518 Siehe dazu Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998; Davenport/Beck, The attention economy, 2001; Lanham, The economics of attention, 2006.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Ziel des Urhebers liegt dabei in der entgeltlichen Zugänglichmachung von Werken für die menschliche Rezeption, was eine gewisse Menge und Tiefe an Nutzeraufmerksamkeit voraussetzt.519 Das Markenrecht hingegen dient der Zuteilung menschlicher Aufmerksamkeit über Zeichen.520 Marken lenken Nutzeraufmerksamkeit auf Waren und Dienstleistungen. Wie diese Aufmerksamkeit erzeugt wird und ob sie fortbesteht, liegt – wie beim Urheberrecht oder dem kommerziellen Persönlichkeitsrecht Prominenter – beim Berechtigten. Das Recht kann ihn nur gegen Trittbrettfahrer und unlautere Interventionen (z. B. Imageschädigungen) durch Konkurrenten schützen. In beiden Fällen ist also nicht die Aufmerksamkeit das geschützte Immaterialgut. Sie spielt vielmehr eine unterschiedliche Rolle für den ökonomischen Mehrwert. Im Urheberrecht folgt der finanzielle Verdienst der Rechteinhaber aus der aufmerksamen Rezeption des Immaterialguts durch Nutzer gegen Entgelt. Das Immaterialgut wird als solche konsumiert und dieser Vorgang setzt Nutzeraufmerksamkeit voraus. Im Markenrecht hingegen folgt der Mehrwert nicht aus der Verwertung des Immaterialguts selbst. Stattdessen lenken Marken die Nutzeraufmerksamkeit auf Waren und Dienstleistungen, durch deren Absatz – gegebenenfalls zu einem erhöhten Preis – dann ein Mehrwert entsteht.521 Der Markenwert ist also ein Realgut dessen genaue Dimensionen unbekannt und stark veränderlich sind. Immaterialgut i. S. e. Idealguts ist aus dieser Sicht nur das Zeichen. Das Markenrecht gesteht bekannten Zeichen aber einen Schutz zu, der gegenüber dem gewöhnlichen Schutz deutlich erweitert ist (vgl. §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3, 127 Abs. 3 MarkenG), die Rede ist von der Fallgruppe der „Aufmerksamkeitsausbeutung“, die über den Produktähnlichkeitsbereich und über echte Verwechslungsgefahr hinaus Schutz gewährt: Je mehr Aufmerksamkeit das Zeichen genießt, desto größer ist seine Schutzkorona.522 Die entscheidende Frage lautet nun, ob die erhöhte und positive Aufmerksamkeit des Verkehrs damit zum Rechtgegenstand erhoben oder nur in Form erweiterter Rechte am Zeichen (das dann der einzige Rechtsgegenstand wäre) relevant wird. M. E. sprechen die hier angestellten Überlegungen für die zweite Deutung. Aufmerksamkeit und Goodwill des Verkehrs wurden oben als reale Phänomene eingestuft, die sich letztlich in menschlichen Köpfen abspielen, weshalb es grundsätzliche Probleme bereiten würde, sie objektartig zuzuweisen. Ähnlich wie bei der Zuordnung von Persönlichkeitsgütern verbietet die Menschenwürde ein solches objektartiges Verständnis von Phänomenen des menschlichen Geistes. Für diesen Gesichtspunkt darf zudem auf die Untersuchung des Herrschaftsbegriffs523 insoweit vorgegriffen werden, als Markeninhabern keinerlei effektiver Zugriff auf die519 Eingehend
Becker, ZUM 2013, 829. Siehe zum Bekanntheitsschutz im Markenrecht als Aufmerksamkeitsschutz Becker, ZUM 2013, 829 (832 f.). 521 Siehe auch Bröcher/Hoffmann/Sabel, Schutzbereich des Markenrechts, 49 f. 522 Siehe Becker, ZUM 2013, 829 (832). 523 Siehe unten § 10 Besitz und Herrschaft. 520
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)177
ses reale Phänomen gewährt werden könnte.524 Wohl aber können dem Inhaber eines bekannten Zeichens erweiterte Rechte gegenüber anderen Personen eingeräumt werden, die formal aber nur an das Zeichen anknüpfen.
d) Marken als intersubjektive Realitäten Anlehnend an die oben525 dargelegte Theorie zu subjektiven Rechten als institutionelle Tatsachen ist eine weitere Deutung von Marken zu erwägen: Marken und andere Kennzeichen könnten institutionelle Tatsachen sein, deren Inhalt weit über das Zeichen hinausreicht. Damit würde sich die Frage anschließen, worum genau es sich bei dem über das Zeichen hinausgehenden Gehalt einer Marke handelt. Wie oben ausgeführt wurde, sind institutionelle Tatsachen „wirkliche Tatsachen“, die auf menschlichen Institutionen beruhen, z. B. „gibt“ es Institutionen wie Sacheigentum, Ehen, Präsidentschaften oder Fußballspiele. Diese Institutionen beruhen auf konstitutiven Regeln, die wiederum auf verschiedenen Wegen erschaffen werden können.526 . Die Kombination aus der gesetzlichen Einrichtung von Kennzeichenrechten i. V. m. werblichen und unternehmerischen Anstrengungen zur Etablierung einer Marke wären insofern sogar ein besonders starker Ansatz. Die eigentliche Frage lautet aber, wie sehr das, was Marken über das Zeichen hinaus ausmacht und sich so schwer fassen lässt, auf konstitutiven Regeln beruht. Harari beschreibt sog. „intersubjective entities“.527 Diese bildeten eine Realitätsebene, die zwischen der objektiven Realität, in der Dinge unabhängig von menschlichen Vorstellungen und Gefühlen existieren (z. B. Berge, Flüsse und Wälder) und der subjektiven Realität, deren Gegenstände allein von menschlichen Vorstellungen und Gefühlen abhängt (z. B. Schmerzen ohne beobachtbare Ursache528),529 liege: „If lots of people believe in God; if money makes the world go round; and if nationalism starts wars and builds empires – then these things aren’t just a subjective belief of mine. God, money and nations must therefore be objective realities. However, there is a third level of reality: the intersubjective level. Intersubjective entities depend on communication among many humans rather than on the beliefs and feelings of individual humans. Many of the most important agents in history are intersubjective.“ Als Beispiel führt er sodann Geld und dessen von Geldscheinen losgelösten Wert an.530 Dies wurde bereits oben531 bei den Ausführungen zu Searle als institutionelle Tatsache dargestellt.
524 Dies sind die oben zitierten Einwände Hubmanns gegen eine Zuweisung von Bewusstseinsinhalten als Schutzgegenstände, Hubmann, GRUR Int. 1969, 116. 525 Siehe oben § 1 A. III. 7. c) Verbindung zur Welt der Tatsachen. 526 Siehe oben § 1 A. III. 7. c) bb) Institutionelle Tatsachen und Recht; Searle, Sprechakte, 80. 527 Harari, Homo Deus, 144. 528 Hararis Beispiel ist schwach, da man einwenden könnte, dass es nur an den geeigneten Untersuchungsmethoden fehlt. Was gemeint zu sein scheint, ist eher die Art, in der Menschen Dinge wahrnehmen, siehe auch unten § 6 B. Das Konzept der qualia. 529 Harari, Homo Deus, 143. 530 Harari, Homo Deus, 143 f. 531 Siehe oben § 1 A. III. 7. c) bb) Institutionelle Tatsachen und Recht.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Diese Annahme einer dritten Realitätsebene – intersubjective entities – hat wie gesagt große Parallelen zu den von Searle gezeigten institutionellen Tatsachen. Harari bietet aber längst keine so differenzierte und durchdachte Begründung wie Searle an. Er weist dafür stärker auf die Macht hin, die solche intersubjektiven Entitäten im Laufe der Geschichte entfalteten. So hätten die Erfolge der Sumerer darauf beruht, dass mächtige Gottheiten die Funktion heutiger Unternehmen und Marken übernommen hätten. Diese hätte als Rechtsträger fungiert, die Eigentümer von Feldern und Sklaven, Arbeitgeber und Bauherren gewesen seien. Die bloße Annahme solcher Gottheiten habe für einen sonst kaum möglichen Organisationsgrad gesorgt.532 Ähnlich wie ein zum gottähnlichen Wesen erhobener Pharao sei Elvis Presley als Mensch für die Verwertung der Kunstfigur Elvis Presley – von seinen künstlerischen Leistungen abgesehen – entbehrlich gewesen, weshalb sein Tod seiner Marke nicht geschadet habe.533
Lassen sich daraus nun Folgerungen für heutige Marken ziehen? In der Tat ist der Wert einer bekannten Marke nicht zwingend an die Leistungen des Unternehmens oder die besondere Qualität der Produkte gekoppelt. Images werden designt und durch Werbestrategien – also durch Geschichten – erschaffen. Auch Unternehmen, die systematisch Arbeits- und Menschenrechte verletzen, verfügen mitunter über glanzvolle Marken. So gesehen könnte man auch Marken als intersubjektive Gebilde verstehen, deren Image bzw. wertbegründende Dimensionen nur in den Köpfen von Menschen existieren. Beispiel: Idealerweise assoziiert ein Verbraucher den Anblick einer Marke für ein Sportgetränk intuitiv mit Begriffen wie „Frische“, „Gesundheit“ und „Fitness“, obwohl weder das Zeichen noch das Getränk bzw. seine Wirkungen oder die Unternehmenskultur damit besonders treffend beschrieben sind. Verbreitete positive Markenassoziationen sind das Produkt einer geschickten Imagewerbung und sorgen dafür, dass der Absatz des Getränks steigt. Auch andere passende Getränke und Produkte könnten mit der Marke verkauft werden, dies ist bei Markenwechseln oder in etwas anderer Form bei Dachmarken der Fall.
Der Wert und das Wesen von Marken liegen also in der Verknüpfung der so gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen mit bestimmten Attributen (inklusive Image, Emotionen, Goodwill etc.). Eine Marke ist nicht nur ein Zeichen, sondern ein Gut, dessen Funktion darin liegt, Waren und Dienstleistungen mit bestimmten Vorstellungen des Verkehrs zu verknüpfen.534 Diese Vorstellungen werden unter anderem durch Produkt- und Unternehmensinformationen des Markeninhabers geprägt: „Die Marke ist gleichsam eine Datei für Produktinformationen auf dem Markt.“535 532
Harari, Homo Deus, 156 f. Harari, Homo Deus, 159. 534 Siehe Fezer, FS Tilmann, 321 (322) („Signalcode für ein Produkt zur Kommunikation zwischen Akteuren im Marktgeschehen“); ders., MarkenG, Einl. D Rn. 10 („angebotsdifferenzierender Signalcode“). 535 Fezer, MarkenR 2010, 453 (455). 533
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)179
Die markenrechtliche Funktionenlehre bildet diese ökonomischen Markenfunktionen ab.536 Sie erfasst sie aber eher kategorial/schablonenhaft, indem sie nach der Art der Vorstellungen unterscheidet, weniger nach ihrem Inhalt. So steht die dominante Herkunftsfunktion schlicht für die Eignung der Marke, die einzutragenden Waren als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und ohne Verwechslungsgefahr von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.537 Inhaltlich reichen die von Markeninhabern gezielt erzeugten Vorstellungen im Verkehr freilich wesentlich weiter. Rechtlichen Schutz genießen jedoch nur die anerkannten Funktionen der Marke, weshalb diese Gegenstand der ständigen Diskussion sind.538 Marken sind also keine institutionellen Tatsachen, da sie jenseits der kennzeichenrechtlichen Monopolisierung nicht auf konstitutiven Regeln beruhen, sondern für die tatsächliche Verknüpfung bestimmter Assoziationen mit dem Zeichen bzw. den damit versehenen Waren und Dienstleistungen stehen. Diese Assoziationen sind das Ergebnis werblicher und unternehmerischer Anstrengungen, nicht das von Regeln oder gesellschaftlichen Vereinbarungen. Sehr wohl handelt es sich bei Marken aber um intersubjektive Entitäten, die weit über das Zeichen hinausgehen, bei denen sich der nicht-zeichenmäßige Anteil nur mit großer Mühe und hohem Risiko von einem Zeichen auf ein anderes übertragen lässt. Im Folgenden ist nun zu untersuchen, welche Folgen diese Erkenntnis für die Identifizierung des Rechtsobjekts und die Rolle der Informationstheorie im Markenrecht hat.
e) Immaterialgut und Information im Markenrecht Marken sind Zeichen und Zeichen sind Strukturen. Wie oben zur Informationstheorie ausgeführt wurde, werden Strukturen erst dann zu Informationen, wenn sie für einen Beobachter Bedeutung haben.539 Der Wert von Marken liegt, wie im vorigen Punkt dargelegt wurde, darin, dass ein möglichst großer Anteil des Verkehrs mit ihnen möglichst positive Assoziationen verknüpft, die förderlich für den Absatz der markierten Güter sind. Informationstheoretisch bedeutet das, dass ein Zeichen für viele Beobachter mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen wurde.540 Dieses „Aufladen“ besteht in den werblichen und unternehmerischen 536
Fezer, MarkenR 2010, 453 (455). EuGH GRUR 1999, 723 Rn. 47 – Chiemsee; EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi; EuGH GRUR 2009, 952 Rn. 9 – DeutschlandCard; BGHZ 167, 278 Rn. 18 = GRUR 2006, 850 – FUSSBALL WM 2006. 538 Siehe nur die Beispiele unter b) Relevanz der Markenfunktionenlehre für den Schutzgegenstand. 539 Siehe oben C. VI. Zusammenfassung und Folgerungen. 540 Zech, Information als Schutzgegenstand, 223 f. („Bei den Kennzeichenrechten findet sich die besondere Konstellation, dass ein Zeichen [syntaktische Information] zur Kennzeichnung einer Person oder eines Gegenstandes im Rechtsverkehr eingesetzt wird [semantische Information].“), 250 („Die Kennzeichnung stellt […] semantische Information über die gekennzeichneten Personen oder Gegenstände dar.“). 537 StRspr
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Anstrengungen, durch die Marken aufgebaut werden – z. B. musste der Verkehr erst lernen, was das Zeichen „Apple“ bedeutet bzw. was es bedeuten und wofür es stehen soll. Somit gilt: Marken sind Zeichen die mit produkt-/unternehmensbezogener Bedeutung (= semantischen Informationen) aufgeladen wurden.541 Das Zeichen ist also durchaus das Rechtsobjekt. Die damit verbundenen Assoziationen, das Image der Marke bzw. des Unternehmens und andere wertbildende Faktoren sind nicht Bestandteil des Schutzgegenstandes. Auch die Markenfunktionen sind kein Teil des Zeichens als Rechtsobjekt, sondern definieren die daran bestehenden Rechte.542 Sie geben Auskunft darüber, welche Handlungen der Berechtigte verbieten kann. Diese Sichtweise entspricht zudem am ehesten der Praxis der unabhängig vom Geschäftsbetrieb frei übertragbaren Marken (§ 27 MarkenG): Meldet ein Unternehmen nur eine Marke an, nutzt und bewirbt es sie aber nicht, fehlt es fast völlig an der oben beschriebenen intersubjektiven Entität, als die eine bekannte Marke verstanden werden könnte.543 Immaterialgüterrechtlich wäre es aber ein Systembruch, wenn das Rechtsobjekt erst nach der Anmeldung, d. h. nach dem Entstehen der Rechte an ihm entstünde. Im Zeitpunkt der Anmeldung muss bekannt sein, welche Marke entstehen soll. Daher muss das Rechtsobjekt bei jeder Markeneintragung in gleicher Weise feststehen und zu diesem Zeitpunkt kann es eben nur in einem Zeichen liegen, das für bestimmte Verwendungen monopolisiert wird. Was bleibt, ist die Frage nach der Existenzform des Zeichens als Immaterialgut. Ist das im Markenregister eingetragene Zeichen das Rechtsobjekt? Oder verhält es sich wie im Urheberrecht und anderen Rechten des geistigen Eigentums, bei denen das Immaterialgut ein Idealgut ist und gar nicht im physischen Sinne existiert? Registerrechte weisen die Besonderheit auf, dass sich der Schutz nach der abgebildeten Eintragung richtet, was insbesondere das Design- und das Markenrecht betrifft, bei denen optische Aspekte im Vordergrund stehen. Diese sind zwar nicht gänzlich auf Registereintragungen beschränkt (s. etwa § 4 lit. 2 MarkenG; Art. 1 Abs. 2 lit. a GGVO). Es stellt sich aber die Frage, ob das Design bzw. Zeichen in seiner eingetragenen Form dem gleichzustellen ist, was im Urheberrecht stets eine Abstrahierung bleibt, sozusagen als das für den Schutzumfang alleinentscheidende „Original“. Aber auch hier wird der Schutzumfang nicht danach beurteilt, wie gelungen die konkrete Abbildung des Markenzeichens im Markenregister oder das jeweilige Foto eines Designs ist. Wieder findet eine gewisse Idealisierung statt. Es schadet dem Marken- und Designschutz nicht, wenn die Abbildung eines Markenzeichens im Markenregister unter einem Vergrößerungsglas Unregelmäßigkeiten aufweist. Für den Schutzumfang entscheidend ist, was mit der Abbildung vom objektivierten Beobachterhorizont gemeint ist. 541 Siehe
Zech, soeben Fn. 540; Fezer, MarkenR 2010, 453 (455). Siehe oben b) Relevanz der Markenfunktionenlehre für den Schutzgegenstand. 543 Siehe oben 4. d) Marken als intersubjektive Realitäten. 542
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)181
Ähnlich wie beim urheberrechtlichen Werk, kommt es auch bei der Marke nicht darauf an, dass ein perfektes Ur-Exemplar vorliegt, sondern es gilt das mit der Abbildung Gemeinte – geschützt wird das Zeichen als Idealgut.
f) Die Beschreibung des Idealzeichens bei speziellen Markenformen Bei Wortmarken wirft die Beschreibung des Idealguts (also des Zeichens wie es gemeint ist) keine Probleme auf. Sie sind exakte Güter, d. h. ihre Wiedergabe im Markenregister gibt sie in voller Perfektion wieder, da sie Zeichen eines bekannten Systems sind. Wesentlich größere Schwierigkeiten bereiten Zeichen, deren Wiedergabe nur mit gewissen Zugeständnissen möglich ist. Schon Bildmarken können, müssen aber nicht exakt wiedergegeben werden. So bildet eine Vektorgrafik das Zeichen exakt ab, bei einer jpg.-Datei hingegen werden schon Zugeständnisse an die Auflösung gemacht. Dennoch führen auch hier die Unterschiede zwischen der Abbildung und dem hiermit beschriebenen Zeichen kaum zu praktischen Problemen. Relevant werden die Schwierigkeiten, das gemeinte Immaterialgut bei der Eintragung wiederzugeben, erst bei den nicht-optischen Markenformen wie Hör-, Tast-, Farb- oder Geruchsmarken. Genau wie Bilder oder Schriftzeichen können auch diese Zeichen Informationen verkörpern. Schutzgegenstand ist dann z. B. der „nicht von sich aus visuell wahrnehmbar[e]“ Klang einer Hörmarke.544 Diese und weitere visuell nicht wahrnehmbare Markenformen werden in Art. 4 UMV ausdrücklich als „Zeichen“545 benannt. Auch der informationstheoretische Strukturbegriff ist nicht auf optische Zeichen begrenzt, sondern erfasst unproblematisch auch Moleküle oder Schallwellen. Exemplarisch können die Anwendung der Informationstheorie und die Schwierigkeiten der Wahrnehmbarmachung des geschützten Idealguts bei nicht-graphischen Marken anhand von Farb- und Hörmarken dargelegt werden.546 Beispiel: Abstrakte Farben als geschützte Zeichen der Farbmarke müssen über einen „international anerkannten Kennzeichnungscode“ wie z. B. RAL, Pantone oder HKS wiedergegeben werden,547 § 10 Abs. 1 MarkenV verlangt die „Nummer eines international anerkannten Farbklassifikationssystems“. Für die zusätzlich erforderliche optische Darstellung kann auch eine jpg.-Datei eingereicht werden, für die das DPMA 548 konkrete Vorgaben macht (z. B. darf die Bildgröße maximal 2835 × 2010 Pixel betragen). 544 EuGH GRUR 2004, 54 Rn. 35 – Shield Mark/Kist; Ströbele/Hacker/Thiering/Miosga, MarkenG, § 32 Rn. 35. 545 Siehe auch EuGH BeckRS 2004, 75882 Rn. 55 – Sieckmann. 546 Freilich gibt es noch weitere denkbare Markenformen wie etwa die Tastmarke oder die Bewegungsmarke, die Aufzählungen des § 3 Abs. 1 MarkenG bzw. Art. 4 UMV sind nicht abschließend, siehe etwa BeckOK MarkenG/Kur, § 3 Rn. 30. Diese versprechen vorliegend aber keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. 547 EuGH GRUR 2003, 604 Rn. 68 – Libertel; BeckOK MarkenG/Schmid, § 32 Rn. 39. 548 Vgl. die „Bekanntgabe der beim DPMA lesbaren Datenträgertypen und Formatierungen für Markendarstellungen (§ 6a MarkenV)“ v. 10.1.2020, abrufbar unter: https://tinyurl.com/ yvpf8waz (www.dpma.de).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Der Schutzgegenstand bei Hörmarken ist der „nicht von sich aus visuell wahrnehmbar[e]“ Klang.549 Sofern eine Notation in Notenschrift möglich ist, genügt es den vom EuGH aufgestellten Anforderungen an die Darstellung visuell nicht wahrnehmbarer Zeichen (!),550 „wenn das Zeichen durch ein in Takte gegliedertes Notensystem dargestellt wird, das insbesondere einen Notenschlüssel, Noten- und Pausenzeichen, deren Form ihren relativen Wert angeben, und gegebenenfalls Vorzeichen enthält“.551 Die Wiedergabe anderer Klänge und Geräusche bereitete unter diesen Voraussetzungen Schwierigkeiten bei der Eintragung. Mit dem MaMoG in Umsetzung der MarkenRL 2015 (s. Art. 3 lit. b, ErwG 13 MarkenRL 2015) wurden die Anforderungen an die Eintragung flexibilisiert. Nunmehr genügt auch „eine Darstellung auf einem Datenträger“ (§ 11 Abs. 1 MarkenV), etwa als Audiodatei.552 Mit der die Gemeinschaftsmarke ersetzenden Einführung der Unionsmarke entfiel auch dort das Erfordernis der graphischen Darstellbarkeit. Art. 4 UMV lässt „Klänge“ als Marken zu, für deren Darstellung gem. Art. 3 Abs. 3 lit. g UMDV ebenfalls anstelle der Wiedergabe in Notenschrift eine „Tondatei, die den Klang reproduziert“ genügt.
Darüber noch hinausgehende Probleme werfen Geruchsmarken auf. Graphische Zeichen werden optisch wahrgenommen, die Information verbirgt sich in der Struktur der für Menschen sichtbaren Zeichen. Dementsprechend stellt sich bei Geruchsmarken die Frage, wie genau Menschen Gerüche wahrnehmen und welche Rolle der Strukturbegriff hier spielt. Menschen rezipieren Gerüche, indem sich in der Luft enthaltene Duftstoffe (flüchtige Moleküle mit niedrigem Molekulargewicht und hoher Oberflächenaktivität) im Riechschleim der Riechschleimhaut lösen, die dann von Proteinen zu den Geruchsrezeptoren transportiert werden.553 Es geht hier also nicht um ein räumliches Abtasten der Moleküle, sondern um deren spezifische Wirkung auf den menschlichen Riechapparat, der übrigens physiologisch anders als der von Tieren aufgebaut ist.554 Bemerkenswert ist ferner, dass die am Riechepithel (ein Teil der Nasenschleimhaut) gelegenen olfaktorischen Neuronen als einzige menschliche Neurone „in unmittelbarem Kontakt zur Außenwelt stehen“.555 Geruch ist also eine besonders direkte Form der Sinneswahrnehmung.
Bei Gerüchen erzeugt die Art, Konzentration und vor allem die Mischung556 verschiedener Duftstoffmoleküle ein Sinneserlebnis, das informationstheoretisch letztlich nur eine andere Form der Beobachtung darstellt. Ein Mensch „liest“ Gerüche über seinen Riechapparat. Dabei kann ein Geruch, unabhängig davon, ob er 549 EuGH GRUR 2004, 54 Rn. 35 – Shield Mark/Kist; Ströbele/Hacker/Thiering/Miosga, MarkenG, § 32 Rn. 35. 550 Siehe EuGH BeckRS 2004, 75882 Rn. 55 – Sieckmann (stellt fest, „dass ein Zeichen, das als solches nicht visuell wahrnehmbar ist, eine Marke sein kann, sofern es insbesondere mit Hilfe von Figuren, Linien oder Schriftzeichen grafisch dargestellt werden kann und die Darstellung klar, eindeutig, in sich abgeschlossen, leicht zugänglich, verständlich, dauerhaft und objektiv ist“). 551 EuGH GRUR 2004, 54 LS 2, Rn. 35 – Shield Mark/Kist. 552 BT-Drucks. 19/2898, 51 f., 62. 553 Albrecht/Wiesmann, Der Nervenarzt 8 (2006), 931 (931 f.). 554 Albrecht/Wiesmann, Der Nervenarzt 8 (2006), 931 (931, 933 f.). 555 Albrecht/Wiesmann, Der Nervenarzt 8 (2006), 931 (934 f.). 556 Bushdid/Magnasco/Vosshall/Keller, Science 343 (2014), 1370 (1370).
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)183
als angenehm empfunden wird, gute und schlechte Assoziationen bei Rezipienten auslösen. Die Aufladung eines Geruches mit Bedeutung funktioniert so ähnlich wie bei graphischen Zeichen, wobei viele Gerüche von sich aus eine starke, oft emotionale Vorprägung haben (z. B. weihnachtliche Gerüche, der Geruch frischer Backwaren, der Duft von Frühlingsblumen). Dieser Effekt ist bei optischen und akustischen Zeichen geringer. Ziel ist es, den geschützten Geruch bei vielen Menschen mit bestimmten Assoziationen zu verbinden. Informationstheoretisch zeigen sich hier also keine wesentlich anderen Ergebnisse als bei herkömmlichen Markenzeichen. Der menschliche Geruchssinn übertrifft die anderen Sinne im Hinblick auf die Zahl physisch unterscheidbarer Stimuli bei weitem – während das Auge 2,3 Mio.–7,5 Mio. Farben in einer Bandbreite von etwa 390–700 Nanometern und das Ohr ca. 340.000 Töne in einer Bandbreite von 20–20.000 Hertz unterscheiden kann, kommen Berechnungen auf mindestens 1 Billionen für Menschen theoretisch (!) unterscheidbare Gerüche.557
Aus dieser Vielfalt und Bedeutung des Geruchssinns dürften Gerüche eine außerordentliche Kennzeichnungskraft haben. Dies stellte sinngemäß auch 2. Beschwerdekammer des HABM i. R. d. der bislang einzigen erfolgreichen Anmeldung einer Geruchsmarke fest – dem Geruch frisch gemähten Grases: „Der Geruch frisch gemähten Grases ist ein unterscheidungskräftiger Geruch, den jeder aus eigener Erfahrung unmittelbar wiedererkennen kann. Viele Menschen verbinden mit dem Geruch frisch gemähten Grases den Gedanken an Frühling oder Sommer, an sorgfältig geschnittene Rasenflächen oder Spielplätze oder sonstige angenehme Erfahrungen.“558
Praktisch scheiterte die Eintragung von Geruchsmarken ansonsten bislang an der mangelnden graphischen Darstellbarkeit.559 Obwohl der EuGH die Anmeldung prinzipiell nicht ausschließt, beharrt er auf der Voraussetzung graphischer Darstellbarkeit560 und lässt hierfür auch das Zusammenspiel aus Strukturformel, Geruchsprobe und genauer Geruchsbeschreibung nicht genügen.561 Der tieferliegende Grund ist ein Problem der Publizität: Der EuGH verweist darauf, dass der Zugang zum öffentlichen Register anders nicht gewahrt werden könnte.562 Gäbe es eine Technologie, die Gerüche digital vermitteln könnte, wäre die Eintragung von Geruchsmarken wohl möglich (ähnlich wie bei Hörmarken, die durch Einreichung einer Tondatei dargestellt werden dürfen, siehe oben).
557 Bushdid/Magnasco/Vosshall/Keller, Science 343 (2014), 1370; siehe auch McGann, Science 356(6338), eaam7263 (2017). 558 HABM, 2. Beschwerdekammer, 11. Februar 1999, R 156/98, ABl. HABM Nr. 10/1999, 1238; dazu Lange, Int. Hdb. Marken- und Kennzeichenrecht, Rn. 1292. 559 EuGH GRUR 2003, 145 Rn. 68 ff. – Sieckmann/DPMA; eingehend BeckOK MarkenG/ Kur, § 3 Rn. 42 ff.; Lange, Int. Hdb. Marken- und Kennzeichenrecht, 2009, Rn. 1292 f. 560 EuGH GRUR 2003, 145 Rn. 45 ff. – Sieckmann/DPMA. 561 EuGH GRUR 2003, 145 Rn. 10 – Sieckmann/DPMA. 562 EuGH GRUR 2003, 145 Rn. 68 – Sieckmann/DPMA.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Bei Geruchsmarken stößt das Immaterialgüterrecht somit an die Grenze der rechtspraktisch erforderlichen Repräsentation von Immaterialgütern in der physischen Welt. Zusammengefasst nehmen Menschen markenrechtlich schutzfähige Zeichen durch die auditive oder visuelle Wahrnehmung unterschiedlicher Wellenlängen sowie die olfaktorische Wahrnehmung von Duftstoffen wahr und sind damit Beobachter im o. g. Sinne.563 Schutzgegenstand und zum Rechtsobjekt erhoben ist aber allein das Zeichen. Der ganz überwiegende Teil des Wertes von Marken ergibt sich erst aus der gezielten werblichen Aufladung dieses Zeichens mit bestimmten Bedeutungen. Bei bekannten Marken werden diese Assoziationen von einem besonders großen Anteil des Verkehrs hergestellt.
g) Zeichen als Rechtsobjekte Was im Markenrecht gilt, gilt generell für Zeichenrechte: Der zum Rechtsobjekt erhobene Schutzgegenstand besteht allein im Zeichen. Der informationstheoretische Zusammenhang von Zeichen und Bedeutung ist nämlich grundlegend.
aa) Verhältnis zum Personennamensrecht So zeichnen sich auch Namen i. S. d. § 12 BGB dadurch aus, dass Zeichen eine besondere Bedeutung erhalten und mit der Identität einer Person verknüpft werden.564 Beim Namen einer natürlichen Person liegt die Annahme eines Rechtsobjekts allerdings aus prinzipiellen Gründen fern: Die Art der Bedeutung mit der das Zeichen aufgeladen wird – dem Hinweis auf einen bestimmten Menschen – passt nicht zu einer objektartigen Behandlung des Zeichens. Eine objektartige Behandlung des Zeichens, vergleichbar der des Markenrechts, hieße, das Zeichen in dieser Bedeutung als Vermögensgegenstand zu verstehen. Der Schutz des § 12 BGB für natürliche Personen würde damit zum potentiellen Handelsgegenstand erhoben. Im Extremfall befürwortete dieses Verständnis die Übertragbarkeit des Personennamens in seiner Funktion, den ursprünglichen Namensträger zu identifizieren. Die Identität des Namensträgers würde damit zum Handelsgegenstand. – Geht es hingegen nur um die Nutzung des Zeichens für irgendeine Person, ist dies von vornherein nicht Teil des Namensrechts – selbst wenn man § 12 BGB im Sinne einer Zuweisungsentscheidung verstünde, bliebe das Zugewiesene nur die Nutzung des Zeichens für die eigene Identifizierung. Beispiel: Der Namensträger „Klaus Müller“ kann nicht über die generelle Verwendung dieses Zeichens für Personennamen, sondern nur als Personennamen für sich selbst in gewissem Umfang bestimmen.565 563 Siehe oben C. II. Gedankenexperiment: Informationen auf elementarer Ebene; III. Aktuelle und potentielle Information. 564 Zech, Information als Schutzgegenstand, 223 f. 565 Fezer, MarkenG, § 15 Rn. 118.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)185
Anders liegt es bei der Kommerzialisierung bekannter Personennamen.566 Hier sind i. d. R. die Bekanntheit und ein gewisses Image einer in der Öffentlichkeit stehenden Person Gegenstand des Interesses. Beispiel: Gestattet eine berühmte Schauspielerin die Verwendung ihres Namens zur Werbung für Parfum oder Kosmetikprodukte, dominiert auf informationstheoretischer Ebene die Verbindung des Zeichens mit ihrer Prominenz, ihrer Schauspielkarriere oder ihrem Image, nicht mit ihr als Privatperson.
Auch im Namensrecht (§ 12 BGB) steht also ein mit Bedeutung versehenes Zeichen im Zentrum des rechtlichen Geschehens. Es hat allerdings aufgrund der Art dieser Bedeutung im Normalfall keinen rechtsobjektartigen Charakter. Dies kann sich ändern, wenn das Zeichen eine mit vermögensrechtlichen Befugnissen vereinbare Bedeutung erlangt. Hinsichtlich dieser Bedeutung kann das Zeichen Rechtsobjekt sein. So könnte nach dem hier vorgeschlagenen Modell z. B. ein Prominenter, der sich als Testimonial für Werbezwecke zur Verfügung stellt, dem werbenden Unternehmen weitgehende kommerzielle Rechte „an“ dem Zeichen zur werblichen Verwendung einräumen, nicht jedoch zur Kennzeichnung seiner selbst als Privatperson. Die dem Zeichen verliehene Bedeutung entscheidet also über seine Kommerzialisierbarkeit und die damit verbundenen Rechte. Diese Überlegungen lassen sich entsprechend auf andere, namensrechtlich geprägte Zeichen übertragen. So wird im Firmenrecht sogar ein Ansatz vertreten, der die umstrittene Rechtsnatur der Firma durch eine Unterscheidung des immaterialgüterrechtlichen und des persönlichkeitsrechtlichen Bestandteils erklärt: „Namensrecht und firmenrechtlicher Bestandteil“ seien „gewissermaßen separate Komponenten“, das Firmenrecht wird als eigener, isolierbarer Bestandteil des Namensrechts verstanden, der translativ verkehrsfähig ist.567 Dies basiert auf der vom BGH vertretenen Isolierung vermögenswerter Bestandteile im Persönlichkeitsrecht.568 Auf Zeichen- und Bedeutungsebene entspricht dem die Unterscheidung von namens- und firmenartiger Prägung des Zeichens: Ein und dasselbe Zeichen (z. B. Klaus Müller, siehe oben) kann als Name des Firmengründers und davon abgespalten als geschäftliches Zeichen der Firma dienen, seine Verkehrsfähigkeit und andere rechtliche Eigenschaften hängen allein von seiner jeweiligen Bedeutung ab.
bb) Formale oder materiale Definition des Rechtsobjekts? Will man Zeichen als Rechtsobjekte zuordnen, ist an die obige Unterscheidung zwischen formaler und materialer Definition von Rechtsobjekten zu erinnern.569 Nur ist mit der Vorstellung, Zeichen objektartig zuzuordnen, ein gewisses Unbe566 Zur Grundsatzfrage der Kommerzialisierbarkeit von Personennamen siehe BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 567 Bartels, AcP 209 (2009), 309 (329 ff., 338 f.). 568 Siehe BGH GRUR 1968, 552 – Mephisto; BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich. 569 Siehe oben § 3 D. Verschiedene Auffassungen des Rechtsobjekts.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
hagen verbunden. Auch wenn der Herrschaftsbegriff hier noch nicht erörtert wurde, wird ein Zeichen, das wie viele andere Immaterialgüter ein Idealgegenstand ist, häufig obendrein parallel von zahlreichen Rechtsträgern rechtmäßig genutzt – wenn auch meist in unterschiedlicher Hinsicht. Das erschwert ein materiales Verständnis eines Zeichens i. S. e. individualisierten Rechtsgegenstands, der nicht nur Bezugspunkt von Handlungen, sondern dem Rechtssubjekt unterworfen ist. Beispiel: Das Zeichen „Schmitz“ kann von zahlreichen Trägern parallel als Marke, Unternehmenskennzeichen, Werktitel, Firma und Name genutzt werden. Dieselbe Exklusivität wie bei einem urheberrechtlichen Werk oder eine Erfindung lässt sich hier kaum herstellen. Eine Unterwerfung unter ein Rechtssubjekt liegt fern.
Bei Zeichen liegt daher die formale Definition näher, die das Rechtsobjekt als Bezugspunkt der Rechtsverhältnisse versteht, die zwischen dem Berechtigten und seinen Rechtsgenossen bestehen.570 Die Vielzahl der an ein und demselben Zeichen möglichen Zeichenrechte entspricht in etwa einem Tortendiagramm, in dessen Mitte die Zeichenfolge steht (s. Abb. 3). Die folgende Abbildung zeigt die Gruppierung unterschiedlicher Zeichenrechte verschiedener Rechtssubjekte „an“ demselben Zeichen Z. So gewährt das Markenrecht für eine bestimmte Region und Warenklasse nur in dieser Hinsicht Bestimmungsrechte über die Nutzung eines Zeichens. Die Abbildung illustriert das hier vertretene Verständnis von Zeichen als Rechtsobjekten. Verschiedene Rechtssubjekte können in unterschiedlicher Hinsicht am selben Zeichen berechtigt sein. Die Unterschiede zwischen den Rechtspositionen der verschiedenen Rechtssubjekte ergeben sich nicht auf Objektebene, sondern auf Zeichenbedeutungs- sowie auf Rechtsebene. Anders ist es etwa im Sachenrecht: Zwar können auch an Sachen unterschiedliche Rechtspositionen bestehen, vergleicht man aber zwei vollständige Sacheigentumsrechte zweier Personen, können sie sich nicht auf dasselbe Rechtsobjekt beziehen. Indes können zwei Rechtssubjekte unproblematisch dasselbe Zeichen als Marke für unterschiedliche Warenklassen anmelden (Rechtssubjekt 4, Rechtssubjekt 5), auch können zwei Personen denselben Namen tragen (Rechtssubjekt 1, Rechtssubjekt 2). Zudem kann das Zeichen parallel als Firmenname, Werktitel und durch weitere Zeichenrechte in Bezug genommen werden. Die Idee eines dem Subjekt unterworfenen Objekts trägt hier also nicht, das Zeichen dient lediglich als Bezugspunkt der Zeichenrechte, die festlegen, wer das Zeichen in welcher Hinsicht nutzen darf.
Diese gleichzeitige Nutzung desselben Gegenstandes durch einige bis mitunter tausende Rechtssubjekte, die „daran“ unterschiedliche Rechte haben, ist etwas originär Zeichenrechtliches. Dies wird erst klar, wenn man versucht, sich dergleichen mit anderen Rechtsobjekten vorzustellen, z. B. mit einem Werk, einer Erfindung oder einer Sache. Diese Lebensgüter haben so enge Verwendungen, dass sie nur in wenigen Hinsichten genutzt werden können. Mehrfachberechtigungen liefen auf 570
Siehe oben § 3 D. II. Formale Definition – Das Rechtsobjekt als Bezugspunkt von Rechten.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)187
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Abb. 3: Zeichen als Gegenstand von Zeichenrechten
konkurrierende Nutzungen hinaus. Praktisch sind solche Mehrfachnutzungen bei nicht-rivalen Immaterialgütern freilich nicht ausgeschlossen, sie widersprechen nur der Idee der (zeitweisen) Monopolisierung. Das bekannteste (und dennoch seltene) Beispiel sind Doppelschöpfungen im Urheberrecht.571 Da Zeichen indes Platzhalter für Bedeutungen sind, gibt es bei ein und demselben Zeichen Raum für starke Differenzierungen auf der Bedeutungsebene. Hierzu passt, dass die schöpferische Leistung bei Zeichenrechten i. d. R. nur zu kleinen Teilen auf die Kreation bzw. Auswahl des Zeichens entfällt. Im Falle von Marken wurde etwa gezeigt, dass das Aufladen des Zeichens mit Bedeutung und seine Bekanntmachung beim Verkehr die entscheidenden Leistungen sind, nur schlagen sie sich nicht im Rechtsobjekt nieder. Das Immaterialgut bei den anderen Immaterialgüterrechten genießt eine wesentlich herausgehobenere Stellung, da es nicht selten das Ergebnis schöpferischer, forscherischer oder betriebswirtschaftlicher Anstrengungen ist. 571 BGH GRUR 1971, 266 (268) – Magdalenenarie; BGH GRUR 1988, 810 (811) – Fantasy; KG ZUM 2001, 503 (505) – Flaggen-Collage (Doppelschöpfung bejaht); Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 2 Rn. 17.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Resümierend sind den Berechtigten bei den meisten absoluten Herrschaftsrechten immer unterschiedliche Rechtsobjekte zugeordnet. Dies gilt im Sachenrecht genauso wie im Urheber-, Patent- oder Designrecht. Bei den Zeichenrechten hat das Zeichen als Rechtsobjekt eine verschobene Funktion. Da ein und dasselbe Zeichen in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben kann (= unterschiedliche semantische Informationen transportiert), kann es für mehrere Berechtigte parallel den gleichen Nutzen stiften, ohne dass es zu ökonomischer Konkurrenz kommt. Während die Differenzierung zwischen verschiedenen Urheberrechten, Patentrechten etc. auf der Objektebene stattfindet, kann sie sich bei den Zeichenrechten von der Objekt- auf die Bedeutungsebene verlagern.
5. Sonderfälle Zu erörtern bleiben zwei Sonderfälle, die in unterschiedlicher Hinsicht von der vorgestellten Systematik abweichen, ohne dass aber dadurch das vertretene Grundmodell des durch Informationen beschriebenen Immaterialguts tangiert würde: der Sortenschutz und der Know-How-Schutz. Die Besonderheiten liegen im ersten Fall wieder in der Beschreibung des geschützten Gutes, im anderen Fall in der rechtlichen Ausgestaltung des dort fraglichen Immaterialgüterschutzes.
a) Sortenschutz Der Sortenschutz prämiert das Züchten und Auffinden neuer Pflanzensorten,572 Schutzgegenstand ist die „konkrete Pflanzensorte“573 i. S. d. § 2 Nr. 1a SortSchG, genauer gesagt der Genotyp (das Erbgut) der Pflanzensorte (§ 2 Nr. 1a lit. a SortSchG). Hierunter sind die in einem Individuum vorliegenden Allele, also alle Erscheinungsformen der Gene des betreffenden Organismus zu verstehen; Gegenbegriff zum Genotyp ist der Phänotyp als das Resultat, das Erscheinungsbild des Genotyps.574 Die DNA als Träger der Erbinformation ist eine Struktur, die nicht nur Informationen enthält, sondern geradezu der perfekte Informationsträger ist.575 Für den Sortenschutz bedeutet das, dass der Schutzgegenstand zwar theoretisch ein Idealgut in Form des Ideal-Genotyps ist. Dessen informationelle Wiedergabe liegt aber immer ausschließlich in einer bestimmten physischen Form, nämlich als „Vermehrungsmaterial“ („Pflanzen und Pflanzenteile einschließlich Samen“, § 2 Nr. 2 SortSchG) vor, in dem die Informationen gespeichert sind.576 Dieses ist bei der Antragstellung vorzulegen, damit das Bundessortenamt die Sorte 572 Erdmann/Rojahn/Sosnitza/Würtenberger, Gewerblicher Rechtsschutz, Kap. 4 Rn. 1; Pierson/Ahrens/Fischer/Pierson, Recht des geistigen Eigentums, 191. 573 Nirk/Ullmann/Metzger, Patent- Gebrauchsmuster- und Sortenschutzrecht, Rn. 961. 574 O. Schmidt, Genetik und Molekularbiologie, 133. 575 Siehe nur Bergstrum/Rosvall, Biology & Philosophy 26 (2011), 159 (167 sowie passim); Johannsen, Information und ihre Bedeutung in der Natur, 239 ff.; eingehend mit Blick auf die Patentierbarkeit, Godt, Eigentum an Information, 462 ff. 576 Siehe auch Metzger/Zech/Metzger/Zech, Sortenschutzrecht, Einf. A Rn. 1 (der Sortenschutz schütze „nicht eine physische Menge realer Pflanzen, sondern die in der Pflanze enthal-
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)189
zur Prüfung der Voraussetzungen des Sortenschutzes anbauen kann (§ 26 Abs. 1, 3 SortSchG).577 Eine Sorte ist aber nicht auf ein bestimmtes Genom begrenzt, das in immer gleicher Form vermehrt, also geklont wird (vegetative Vermehrung). Erfasst ist vielmehr auch die generative Vermehrung, bei der die Genome zweier Individuen kombiniert werden.578 Daher lässt sich der Schutz einer Sorte nicht auf ein exakt bestimmtes Genom reduzieren, sondern deckt eine gewisse Bandbreite innerhalb des weiter gefassten (taxonomischen) Begriffs der Sorte ab. Im Sortenschutz wird das geschützte Gut unmittelbar wirksam. Während in den anderen Immaterialgüterrechten das Gut einer Umsetzung/Wahrnehmbarmachung durch menschlichen Verstand bedarf, existiert und wirkt der Genotyp von Beginn an in der physischen Welt. Er wird nicht vom Geist erzeugt und durch den Menschen wirksam, sondern von der Natur erzeugt und aus diesem Ausschnitt der tatsächlichen Lebenswelt wird das Immaterialgut abstrahiert. Beispiel: Eine neue Apfelsorte kann im Phänotyp kleine Variationen haben (genetische Varianz). Solche Schwankungen innerhalb der angemeldeten Sorte begrenzen den Schutz aber nicht auf exakt die Gene und Genaktivität des eingereichten Materials. Auch hier gibt es eine gewisse Bandbreite, da der Schutz die Sorte und nicht präzise die Genexpression des Vermehrungsmaterials erfasst.
Dies zeigt sich ansatzweise auch in der Regelungstechnik. Z. B. ist die erstmalige Wahrnehmbarmachung im Urheberrecht nur eine Schutzvoraussetzung, die Vorschriften knüpfen aber an das damit wiedergegebene immaterielle Idealwerk an (s. etwa §§ 15 ff. UrhG). Der Sortenschutz hingegen knüpft an das Vorliegen physischen Vermehrungsmaterials an, das das geschützte Gut – den Genotyp – konkret enthält. So stellen auch die gem. § 10 Abs. 1 SortSchG geschützten Handlungen auf den physischen Schutzgegenstand ab: Der Sortenschutzinhaber ist berechtigt, „Vermehrungsmaterial der geschützten Sorte a) zu erzeugen, für Vermehrungszwecke aufzubereiten, in den Verkehr zu bringen, ein- oder auszuführen oder b) zu einem der unter Buchstabe a genannten Zwecke aufzubewahren […].“ Verwandtschaft hierzu besteht noch in den §§ 9a ff. PatG, die zwar die Erfindung als Immaterialgut annehmen, den Schutz aber an Handlungen mit dem biologischen Material knüpfen.
Theoretisch stellt also auch der Sortenschutz auf ein Idealgut ab, geschützt wird die „Sorte“ (§ 1 SortSchG). Praktisch liegt der Schutz aber in der Nähe eines Realguts, das Erbgut liegt in genau der Form vor, in der es geschützt wird und wird unmittelbar wirksam. Auch der Prozess der Vervielfältigung ist biologischer Natur. Dennoch ist auch hier ein Idealgut, nämlich der Ideal-Genotyp Schutzgegenstand.
tenen genetischen Informationen. Der Sortenschutz ist deswegen als Immaterialgüterrecht und nicht als Recht an einer körperlichen Sache zu qualifizieren.“). 577 Siehe auch Osterrieth, Patentrecht, Rn. 452; Ensthaler/Zech, GRUR 2006, 529 (532). 578 Metzger/Zech/Saballek, Sortenschutzrecht, § 2 SortSchG/Art. 5 GSortV Rn. 26 ff.
190
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Hieraus ergibt sich ein kleiner Bruch gegenüber den anderen Immaterialgüterrechten, die von der Reihenfolge Immaterialgut – Mensch – Verkörperung ausgehen. Der Genotyp als Idealgut – lässt sich bislang nur mühsam durch DNA-Sequenzierung und in keiner für den Verkehr sinnvollen Weise als Information darstellen (genauer gesagt: in eine andere Form der Informationsspeicherung überführen). Umgekehrt kann aus der bloßen z. B. digital gespeicherten Information einer DNA noch keine physische DNA entwickelt werden. Mit zukünftiger Technologie dürfte dies aber möglich und außerdem DNA digital darstellbar sein.579 Daher steht es dem Schutzsuchenden generell nicht frei, die DNA-Informationen auf andere Weise als durch physisches Vermehrungsmaterial darzulegen. Im Ergebnis ist auch der Sortenschutz damit ein Immaterialgüterrecht, das von einem Idealgut ausgeht. Dieser Schutzgegenstand ist so eng an natürlich vorgegebene Informationsträger gebunden, dass das Gesetz den praktischen Schutz an diese knüpfte und den Schutzgegenstand im Gesetzeswortlaut nur gelegentlich abstrahiert hat (durch den Begriff „Sorte“).580
b) Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen Ebenfalls ein problematischer Schutzgegenstand sind Geschäftsgeheimnisse. Allerdings liegt die Schwierigkeit nicht nur im Schutzgegenstand als solchem, sondern auch in der Frage, ob der Geschäftsgeheimnisschutz überhaupt einen Schutzgegenstand vorsieht, eine bloße Marktverhaltensregel darstellt, oder – ähnlich dem Besitz – nur einen faktischen Zustand rechtlich schützt.581 Die Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung wurden durch die GeschGehRL und das GeschGehG stark dem geistigen Eigentum angenähert.582 Die GeschGehRL sieht Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten vor, die denen der EnforcementRL entsprechen, wie etwa die Unterlassung und Beseitigung der Rechtsverletzung, inklusive Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen (Art. 12 GeschGehRL) oder die dreifache Schadensberechnung (Art. 14 Abs. 2 GeschGehRL). Der deutsche Gesetzgeber hat das GeschGehG ferner um einen Auskunftsanspruch (§ 8 GeschGehG) ergänzt.583 Der verbleibende Unterschied zu „echten“ Rechten des geistigen Eigentums liegt m. E. am ehesten auf der Ebene des geschützten Gutes. Im vorliegenden Kontext geht es daher um die Frage, was für eine Art von Gut der Geschäftsgeheimnisschutz schützt und wie sich dieses gegenüber den oben behandelten Rechtsgegenständen ausnimmt. – Die GeschGehRL und das Gesch579 Hierzu nur (übergreifend) das Buch von Church/Regis mit dem bezeichnenden Titel „Regenesis – How Synthetic Biology Will Reinvent Nature and Ourselves“, 210 ff. („the sixth industrial revolution – the information-genomics revolution“), sowie passim. 580 Würtenberger spricht hier von einem „auf die Eigenheiten der lebenden Materie“ angepassten Schutzrecht, Erdmann/Rojahn/Sosnitza/Würtenberger, Gewerblicher Rechtsschutz, Kap. 4 Rn. 1. 581 Siehe zur Diskussion unter §§ 17 ff. UWG a. F. nur Ohly, GRUR 2014, 1. 582 Krell, ZStW 133 (2021), 714 (728 f.). 583 BT-Drucks. 19/4724, 22.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)191
GehG setzen (wie schon §§ 17 ff. UWG a. F.) auf der semantischen Informationsebene an584 und bezeichnen Geschäftsgeheimnisse ausdrücklich als „Information(en)“ (Art. 2 Nr. 1 GeschGehRL; § 2 Nr. 1 GeschGehG).585 Der Schutz gilt also für reine Informationen und erfasst daher auch sämtliche Verkörperungen derselben, was ihn tendenziell breit aufstellt.586 Ausdrücklich benannt wird dies in ErwG 7, Art. 4 Abs. 2 lit. a; 12 Abs. 1 lit. d GeschGehRL (§§ 4 Abs. 1 Nr. 1; 7 Nr. 1 GeschGehG) wo von „elektronischen Dateien, die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder verkörpern“ 587 die Rede ist. Auch Informationen, die einen Rückschluss auf das Geschäftsgeheimnis ermöglichen, werden vom Schutz umfasst, wie z. B. „Dateinamen, -typen und -größen einschließlich der zugehörigen Anmerkungen und Erläuterungen“.588 Zu den geringen qualitativen Anforderungen an ein Geschäftsgeheimnis äußert sich die Richtlinie nur begrenzt. Art. 2 Abs. 1 lit. b GeschGehRL (§ 2 Abs. 1 lit. a GeschGehG) fordert Informationen von „kommerziellem Wert, weil sie geheim sind“ und ErwG 14 GeschGehRL schließt „belanglose Informationen“ vom Schutz aus. Dies läuft auf einen Schutz für „alle irgendwie kommerziell verwertbaren Informationen“ hinaus.589 Der Geschäftsgeheimnisschutz enthält also keine echten qualitativen Schutzschwellen. Ein möglicher Einwand mit Blick auf Big Data-Anwendungen ist daher, dass Big Data so gut wie keine belanglosen Informationen kennt, sondern gerade auch aus scheinbar belanglosen Informationen interessante Zusammenhänge herausfiltert.590 Mithin könnten so die ohnehin schon weit gefassten Anforderungen an das Schutzgut noch weiter gefasst gedeutet werden. Die vorliegend entscheidende Frage lautet, ob sich der Geschäftsgeheimnisschutz in die Reihe der ideal geschützten Immaterialgüter einfügt, oder ob er – ähnlich wie ein mögliches Recht an Datenbeständen – konkrete Informationen schützt, die nicht nur Wiedergaben eines ideal gedachten Immaterialguts sind. Dass Geschäftsgeheimnisse auch umschrieben oder angedeutet werden können, rückt sie zunächst in die Nähe des oben vorgestellten Konzepts eines ideal gedachten, gedanklichen Fixpunkts. So verstanden gäbe es eine Tendenz zur Abstraktion des Geheimnisses von den tatsächlich streitigen Informationen, die in falsche Hände gelangt sind. Das ideal gedachte Geheimnis wäre dem Berechtigten in allen seinen Ausprägungen zugewiesen, was z. B. einen erweiterten Ähnlichkeitsschutz nach sich ziehen könnte.
584
Zech, Information als Schutzgegenstand, 230 f.; ders., GRUR 2015, 1151 (1155). Siehe auch Leupold/Wiebe/Glossner/Schur, IT-Recht, Teil 6.8 Rn. 10 f. 586 Zech, Information als Schutzgegenstand, 201 f., 245. 587 [Hervorh. v. Verf.]. 588 BVerwG NVwZ 2020, 715 Rn. 15 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, § 4 GeschGehG Rn. 13. 589 Heinzke, CCZ 2016, 179 (182). 590 Zech, GRUR 2015, 1151 (1156). 585
192
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Beispiel: Finden sich in den geheimen Strategieüberlegungen eines Unternehmens skizzierte Ideen oder grob beschriebene Projektvorhaben,591 könnte man den Schutz auf die damit gemeinten Güter erstrecken. Die Umsetzung der Idee wäre dem Verletzer dann verboten und würde mit den der EnforcementRL vergleichbaren Konsequenzen, die Art. 12 ff. GeschGehRL vorsehen, immaterialgüterrechtsartig zugunsten des Berechtigten geschützt (de facto sogar zugewiesen).
Im Falle des Schutzes nur der konkreten Informationen wären diese nicht als Beschreibungen/Repräsentationen eines dahinterstehenden „idealen Geschäftsgeheimnisses“ oder dergleichen zu verstehen, sondern wären der eigentliche Schutzgegenstand. Daher bestünde – anders als z. B. bei der Auslegung einer Patentschrift592 – im Rechtsstreit ein wesentlich geringerer Spielraum bei der Deutung, was alles mit den geschützten Informationen gemeint ist bzw. welches Idealgut sie beschreiben. Geschützt wären die konkreten Informationen, die z. B. ein Betrieb geeignet geheim gehalten und sich dann ein Konkurrent unbefugt verschafft hat. Im Gegensatz zum Patentrecht, das ein Lösungsprinzip schützt, das in der Patentschrift und verschiedenen Anwendungen der Erfindung repräsentiert ist, beschränkte sich der Schutz des Geschäftsgeheimnisses auf genau die Informationen, für die die Schutzvoraussetzungen erfüllt sind. Dass auch Informationen geschützt sind, die auf das Geschäftsgeheimnis hindeuten, macht aus diesem noch kein Idealgüterrecht. Das Geschäftsgeheimnis wird wie gesagt auf der Ebene semantischer/reiner Informationen angesiedelt. So sind z. B. bei einer Landkarte mit Marktsegmenten, einem Foto oder einem textlich festgehaltenen Geschäftsmodell nicht bloß das Bild oder der Text geschützt, sondern (sogar vornehmlich) die darin enthaltenen Informationen i. S. d. Bedeutung des Abgebildeten. Dies zeigt sich auch in den verbotenen Verschaffungshandlungen, die sämtlich auf die Beschaffung des Geschäftsgeheimnisses an sich, ungeachtet eines Medienwechsels zielen.593 Auf diese Weise kann es hier zu vergleichbaren Streitigkeiten kommen, wie bei der Auslegung von Patentschriften oder der Ermittlung der Beschaffenheit von Romanfiguren: es muss erforscht werden, welche Informationen hinter/in den verschafften Materialien als Geschäftsgeheimnis geschützt sind. Im daran anschließenden Schritt ist es eine in beide Richtungen denkbare Entscheidung, ob man den Schutz eher eng halten und zugunsten einer konkreten/ quantitativen Informationsmenge oder weiter gefasst, d. h. in Richtung eines Idealguts verstehen will. Die nach der obigen Unterscheidung geringere Reichweite eines konkret gehaltenen Geschäftsgeheimnisschutzes genießt m. E. den deutlich stärkeren teleologischen Rückhalt. Durch den Verzicht auf eine echte Schutz591 Siehe insoweit zu § 18 UWG Zentek, WRP 2007, 507 (512 f.) (schutzfähig seien Konzeptionen und Layouts und auch dem Urheberrechtsschutz nicht zugängige „Konzepte und Showformate“, wenn ein „Minimum an Ausarbeitung“ vorliege). 592 Vgl. nur Haedicke/Timmann/Timmann, Handbuch des Patentrechts, § 3 Rn. 1 ff. 593 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, § 4 GeschGehG Rn. 15 ff.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)193
schwelle und die weite, beinahe konturlose Abgrenzung der Verbietungsrechte594 würde nicht nur ein außerordentlich weitreichendes Immaterialgüterrecht begründet. Während die Rechtfertigung des Patentrechts gerade im „Erkenntnisgewinn der Allgemeinheit“ liegt, was dafür sorgt, dass die „informationelle Nutzung technischen Wissens“ nicht vom Ausschlussrecht betroffen ist,595 zielt der Geschäftsgeheimnisschutz unmittelbar auf die Geheimhaltung semantischer Informationen. Er ist ein Schutz der „tatsächlichen Vorzugsposition, die sich daraus ergibt, dass eine wirtschaftlich relevante Information nicht offenkundig, also nicht allgemein bekannt oder einfach zugänglich ist“.596 Informationen als Geschäftsgeheimnisse haben einen sachenrechtlichen/besitzartigen Charakter,597 sie sind im Gegensatz zu Immaterialgüterrechten keine „öffentlichen“, auf die Bestimmung über das Handeln Dritter gerichteten Güter.598 Hierauf sind auch die Abhilfemaßnahmen gerichtet. Sie versuchen zum einen, rechtswidriges Handeln abzustellen und vom Geheimnis zu bewahren, was noch zu bewahren ist und sorgen zum anderen dafür, dass der entstandene Schaden ersetzt wird. Sie gewähren aber keine Naturalrestitution i. S. d. Wiederherstellung eines einmal verlorenen Geheimnisses. Wie gesagt zieht der Fokus auf die semantische Informationsebene schon für sich genommen eine große Freiheitsbeschränkung nach sich, da semantische Informationen eben in allen darüber liegenden Informationsebenen repräsentiert sein können (wohingegen z. B. die Beschreibung einer urheberrechtlich geschützten Skulptur – also struktureller Information – gemeinfrei ist). Zwar entfällt mit der Geheimhaltung auch der Schutz. Je großzügiger aber der Schutzgegenstand angelegt wird, desto größer ist auch der Investitionsanreiz, möglichst viele Informationen möglichst sicher geheim zu halten.599 Dies ist ein weiterer Aspekt zugunsten einer engen Abgrenzung des Schutzgegenstands. Auch Zech weist dem Geschäftsgeheimnisschutz eine Sonderstellung zu, die für die engere der vorgestellten Auffassungen spricht. Er stellt fest, die „faktische Ausschließung durch das Geheimnis […] nimmt eine Sonderstellung ein, da sie nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche ausschließliche Zuweisung dient, sondern nur als faktische Ausschließlichkeit unter Umständen zusätzlichen rechtlichen Schutz erfährt.“600 594 Art. 4 GeschGehRL nennt den Erwerb, die Nutzung und Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses bzw. das Herstellen, Anbieten, Inverkehrbringen sowie die Einfuhr, Ausfuhr oder Lagerung rechtsverletzender Produkte. 595 Leible/Ohly/Zech/Moufang, Wissen – Märkte – Geistiges Eigentum, 127 (129); Zech, Information als Schutzgegenstand, 245. 596 Ann, Patentrecht, § 2 Rn. 52. 597 Druey, Information als Gegenstand des Rechts, 105. 598 Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 147. 599 Hierin liegt auch das Kernargument für den Vorschlag, den Geheimnisschutz zu einem vollwertigen Immaterialgüterrecht aufzuwerten und den Berechtigten das betreffende Wissen unter Verzicht auf die Geheimhaltung zuzuweisen, siehe Lemley, Stanford Law Review 61 (2008), 311. 600 Zech, Information als Schutzgegenstand, 200.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Es bleibt dabei: Die über den Geschäftsgeheimnisschutz geschützten semantischen Informationen beschreiben nicht den Schutzgegenstand, sondern sind der Schutzgegenstand. Versteht man sie nicht als Beschreibung, ergibt sich die Möglichkeit einer wesentlich zurückhaltenderen Interpretation im zivilrechtlichen Verletzungsverfahren.
IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte Nach hier vertretener Meinung weisen die Immaterialgüterrechte gerade keine Informationen, sondern ein Idealgut zu. Diese Idealgüter (ein Werk, eine Erfindung, eine Marke etc.) werden immer und ausschließlich durch Informationen repräsentiert. Obwohl Immaterialgüter als solche keine Informationen sind, handelt es sich daher um Informationsgüter. Denn alle wahrnehmbaren Ausprägungen von Immaterialgütern sind informationelle Beschreibungen oder (mitunter exakte) Wiedergaben des eigentlichen Idealguts. Beispiel: Das Urheberrecht setzt die (idealisierte) Originalerscheinungsform als maßgeblich für die Bestimmung des Schutzgegenstandes und des Schutzumfangs. Hiervon ausgehend können Vervielfältigungen aber auch in gänzlich anderen Formen der Wiedergabe liegen. Gemälde und Gedicht könnte man z. B. auch als Skulptur (so wäre eine Büste der Mona Lisa strukturelle Information) oder durch eine mündliche Beschreibung (semantische Information) 601 wiedergeben. Es handelt sich jeweils um informationelle Repräsentationen des Werks.
Dabei kann theoretisch jedes Idealgut auf jeder Informationsebene repräsentiert werden, auch wenn einige Ebenen wesentlich einschlägiger sind als andere (s. Abb. 4). Beispiel: Eine Bildmarke wird gewöhnlich bildlich (syntaktisch) wiedergegeben und nicht semantisch beschrieben. Letzteres fiele auch nicht in den Schutzbereich des Markenrechts. Ein Musikwerk wird normalerweise durch Schallwellen wiedergegeben. Es kann aber auch durch Notentext repräsentiert werden. Beides sind strukturelle Informationen.
Wie hängen nun Idealgüter und Informationen mit den Befugnissen des Berechtigten zusammen? Welche Handlungen unterliegen seiner Bestimmung? Einige (nicht alle!) der Wege, auf denen das Immaterialgut durch Informationen wiedergegeben und genutzt wird, sind exklusiv dem Berechtigten zugewiesen. Er kann insoweit über die Informationen bestimmen. Sein Recht ist ein Informationsbestimmungsrecht: Ausgangspunkt zur Festlegung dieses Ausschnitts sind die ideellen Immaterialgüter. Ihre üblichen wirtschaftlichen Nutzungen sind maßgeblich für die Festlegung der gesetzlichen Verwertungsrechte. 601 Genauer: Die mündliche Beschreibung ist syntaktische Information. Gibt sie aber ein Werk einer anderen Werkgattung wieder, ist dieser Inhalt (!) der Beschreibung semantische Information.
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)195
Ideelles Immaterialgut (Rechtsobjekt)
Immaterialgüterrecht Zuweisung des Immaterialguts durch Verbotsrechte …
Wiedergaben durch semantische Information (z. B. inhaltliche Beschreibung) (1)
Wiedergaben durch syntaktische Information (z. B. Abbildungen, Text, Datei)
Rechtssubjekt
… bezogen auf Informationen (2)
Wiedergaben durch strukturelle Information (z. B. Datenträger, identischer Nachbau)
Abb. 4: Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte Zu (1) Alle ideellen Immaterialgüter können auf allen drei Informationsebenen wiedergegeben werden. Dies ergibt nur für die verschiedenen Güter unterschiedlich viel Sinn. Z. B. werden Erfindungen gewöhnlich nicht durch Gedichte und Gedichte nicht durch den Bau darin beschriebener Gegenstände wiedergegeben. Beides wäre aber möglich, wenn auch nicht sehr zweckmäßig. Zu (2) Das Immaterialgüterrecht knüpft an das ideelle Immaterialgut an und räumt dem Berechtigten Verbietungsrechte hinsichtlich verschiedener Arten von Wiedergaben/Verkörperungen ein. Sie bzw. die betroffenen Informationsebenen ergeben sich allein aus den Verwertungsrechten des Berechtigten. Z. B. kann der Urheber raubkopierte CDs vernichten lassen oder inhaltliche Bearbeitungen seines Werkes verbieten.
Beispiel: Man könnte ein Gedicht über eine Erfindung schreiben, oder sie filmisch wiedergeben. Dies sind aber keine wirtschaftlich sinnvollen Verwertungen von Erfindungen. Daher erhält der Patentinhaber primär Verbietungsrechte für die technische Verwertung seiner Erfindung, d. h. für ihre Repräsentation durch den Bau der beschriebenen Maschine oder die körperliche Anwendung des beschriebenen Verfahrens. Die Wiedergabe und Verbreitung der geschützten Lehre wären auch wirtschaftlich attraktive, informationelle Verwertungen. Für sie erhält der Patentinhaber aber explizit keine Verbietungsrechte.
Ferner ist ihre Idealform der archimedische Punkt zur Bestimmung des genauen Schutzumfangs. Beispiel: Ob eine unfreie Übernahme (Bearbeitung/Vervielfältigung) eines live vorgetragenen Gitarrensolos vorliegt, beurteilt sich nicht allein nach der mit kleinen Fehlern und Ungenauigkeiten ausgestatteten Originalaufnahme, sondern nach dem damit zum Ausdruck gebrachten Werk.
Aus den gesetzlichen Verwertungsrechten wiederum ergibt sich, auf welchen Informationsebenen der Berechtigte welche Bestimmungsrechte hat. Zech führt hierzu aus, dass das Patentrecht zu den seltenen Fällen der Zuweisung semantischer Information zählt, was die Gemeinfreiheit besonders stark einschränke, da dann
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
auch alle syntaktischen und strukturellen Informationen dieses Inhalts seinem Verbietungsrecht unterfielen.602 Dies könnte als zu pauschalisierend aufgefasst werden, zumal Zech feststellt, dass es keine zwingende Verbindung zwischen zugewiesener und geschützter Informationsebene gibt.603 Dass das Patentrecht die Erfindung als semantische Information erfasst und zuweist, bedeutet nämlich nicht, dass der Berechtigte alle Wahrnehmbarmachungen der Erfindung verbieten kann. Das ihm zugewiesene Idealgut ist nur vielfach repräsentiert. Die Befugnisse des Patentinhabers beschränken sich indes auf einen kleinen Bereich gewerblicher Nutzungen. Hierzu zählt etwa, patentierte Erzeugnisse „herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen“ (§ 9 Nr. 1 PatG). Ebenso erfasst sind mittelbare Verletzungen und Gefährdungen (§ 10 PatG), sowie generell die Störerhaftung im Immaterialgüterrecht (siehe auch Art. 9 Abs. 1 lit. a EnforcementRL).604 Doch auch die Abwehr derart vorgelagerter und mittelbarer Handlungen ist allein an Repräsentationen bzw. der Gefahr von Repräsentationen des geschützten Idealguts orientiert. Viele andere Nutzungen der Erfindung als Idealgut bleiben hingegen frei. Der Berechtigte kann nur wenige, zur wirtschaftlichen Verwertung der Erfindung zweckmäßige Handlungen verbieten. Diese finden überwiegend auf struktureller Ebene statt, nämlich in Form des Baus und Verkaufs von Erzeugnissen oder der Nutzung von Verfahren. In diesen Fällen ist die semantische Information den darauf beruhenden körperlichen Gegenständen und Handlungen inhärent. Dass dem Erfinder das bloße Wissen (= semantische Information) um seine Erfindung zugewiesen wird, führt also nicht automatisch zu einem großen Schutzbereich. Umgekehrt wäre es auch denkbar, strukturelle Information – etwa in Form des Sacheigentums – zuzuweisen, dem Berechtigten aber Verbietungsrechte einzuräumen, die auf semantischer oder syntaktischer Ebene greifen. Beispiel: Die umstrittene Frage eines Rechts am Bild der eigenen Sache ist richtigerweise dahingehend zu beantworten, dass das Sacheigentum keine Rechte am Bild der Sache umfasst.605 Die Diskussion hängt aber an der Auslegung des Kriteriums der Beeinträchtigung i. S. d. § 903 BGB. 606 Dieses Kriterium könnte man – notfalls per Gesetzesänderung – dahingehend aufweiten, dass das Fotografieren und Filmen eine Beeinträchtigung der Sache dar602 Zech, Information als Schutzgegenstand, 410 f. („Die Zuweisung semantischer Information erfasst auch syntaktische Information sowie deren Träger, sofern diese einen entsprechenden semantischen Gehalt aufweisen. Daher bedeutet die Zuweisung semantischer Information auch einen besonders schweren Eingriff in die Gemeinfreiheit.“ Der Schutz einer patentierten Erfindung erfasse „sämtliche Formulierungen der Erfindung und sämtliche Bücher, in denen sich diese Formulierungen befinden“, auch wenn kein Verbreitungsschutz gewährt werde.), siehe auch S. 412. 603 Zech, Information als Schutzgegenstand, 411. 604 Siehe nur Pierson/Ahrens/Fischer, Recht des geistigen Eigentums, 624 ff. 605 Dazu nur Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16 Rn. 78 ff.; Zech behandelt diese Frage de lege lata und kommt zu dem Schluss, dass das Sacheigentum strukturelle, nicht aber syntaktische Information zuweist, Zech, Information als Schutzgegenstand, 279 ff., 411. 606 Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16 Rn. 90 f.; Zech, AcP 219 (2019), 488 (582 ff.).
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)197
stellt. Dann wäre die Sache informationstheoretisch nach wie vor strukturell zugewiesen, verboten werden könnten aber auch das Anfertigen und Vertreiben von Bildern als syntaktischen Informationen.
Die Ebene auf der Information zugewiesen wird, legt also nicht zugleich fest, auf welchen darüber oder darunter liegenden Ebenen Verbotsrechte bestehen.607 Es gibt keine naturgesetzartige Verbindung zwischen der Zuweisung auf einer bestimmten Informationsebene und den daraus folgenden Befugnissen hinsichtlich anderer Informationsebenen. Sehr wohl ist es aber z. B. im Falle des Sacheigentums so, dass dem Berechtigten keine Befugnisse hinsichtlich semantischer oder syntaktischer Informationen über seine Sache zugewiesen werden608 – dies ist jedoch eine rechtliche Entscheidung und kein logisches Gebot. Beispiel: Im Falle des Urheberrechts spaltet sich die Verkörperung des Werkes auf in den Werkträger (z. B. eine CD), die auf dem Werkträger gespeicherte Syntax (die Anordnung/ Struktur der kleinen Vertiefungen in der CD-Oberfläche, sog. Pits) und die darin aus menschlicher Sicht enthaltene semantische Information (z. B. das, was Menschen als eine Melodie oder einen Song wahrnehmen) 609. Es liegt in der Hand des Urhebers, bestimmte Handlungen an diesen und ähnlichen Informationen zu verbieten. Er kann sogar die Vernichtung physischer Raubkopien, also struktureller Information verlangen (§ 98 Abs. 1 UrhG).
V. Das Rechtsobjekt gesetzlicher Immaterialgüterrechte: Information oder Idealgut? Die hier vertretene Auffassung der zufolge die Rechtsobjekte der gesetzlichen Immaterialgüterrechte idealisierte Immaterialgüter sind, die in keinem naturwissenschaftlichen Sinne existieren, sondern erst durch Informationen repräsentiert werden ist freilich nicht alternativlos. Zech, der sich mit Schutzrechten an Informationen und damit ebenfalls mit der Vereinheitlichung von Informationstheorie und Immaterialgüterrecht befasst, vertritt, dass es sich bei den Rechtsobjekten der gesetzlichen Immaterialgüterrechte um Informationen handelt. Immaterialgüterrechte wären folglich Rechte „an“ Informationen. Allerdings ist diese Auffassung kein direkter Gegenstand seiner Untersuchung, sondern eher eine Prämisse, die schon zu Beginn der Arbeit gesetzt wird – das Thema legt diese Sichtweise nahe.610 Zech betrachtet die unterschiedlichen Immaterialgüterrechte primär in ihrer Funktion der Zuweisung bestimmter Informationen auf den unterschiedlichen 607 Vgl. Zech, Information als Schutzgegenstand, 411 (keine Verbindung zwischen zugewiesener und geschützter Informationsebene). 608 Zech, Information als Schutzgegenstand, 284 ff., 411. 609 Die genaue Grenze zwischen syntaktischer und semantischer Information ist zwar problematisch, es liegt aber auf der Hand, dass ein Musikstück für Menschen mehr als eine bedeutungsfreie Aneinanderreihung von Zeichen ist, da es immer irgendeine Form von Bedeutung transportiert (z. B. indem es Gefühle weckt, Erinnerungen hervorruft oder Botschaften enthält). 610 Zech, Information als Schutzgegenstand, 2 („Der Untersuchungsgegenstand bedingt es, Information als Gut und als Gegenstand der jeweiligen Rechte aufzufassen.“).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Informationsebenen. So werden Informationen als Rechtsobjekt zugewiesen und Verbietungsrechte hinsichtlich anderer Informationen eingeräumt. Es gibt aber einige Gegenargumente: Nach hier vertretener Meinung wird dem Berechtigten ein Idealgut zugewiesen und er kann über ausgewählte Arten von Informationen bestimmen, die es repräsentieren. Ein Patentinhaber kann nicht jegliche informationelle Wiedergabe/ Nutzung seines Patents verbieten, sondern nur einige wenige. Zudem gibt es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen den Informationen, durch die das Idealgut bei der Schutzentstehung präsentiert wird und den Informationen, über die der Berechtigte kraft des Immaterialgüterrechts bestimmen kann.611 Kritisch mag man auch die Tendenz sehen, die verschiedenen Immaterialgüter konkreten Informationsebenen zuzuordnen. Insbesondere der Gedanke einer rechtlich anwendbaren Trennung von Form und Inhalt im Urheberrecht steht in der Kritik.612 Es besteht die Gefahr, den Immaterialgütern einen veränderten Charakter aufzuprägen, wenn nicht sogar sie in gewisser Weise zu reduzieren: Erfindungen sind dann nur noch semantische Informationen; eine Oper ist eine Zeichenfolge mit mehr oder weniger tiefer Bedeutung. In den praktischen Ergebnissen werden die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Auffassungen dennoch nicht groß sein. Das gilt auch für Peukerts Artefakttheorie, die die auch hier kritisierte metaphysische Vorstellung von geistigen/immateriellen Güter ersetzen will. Der dabei gesetzte Fokus auf ein Masterartefakt ist womöglich nicht so eng wie er auf den ersten Blick klingt: „Mit der Rede vom Master-Artefakt im Singular ist nicht gesagt, dass es stets nur ein einziges rohes Artefakt X – ein Papier, eine digitale Datei, ein Gemälde, ein Modell usw. – gibt, das als Master-Artefakt Y fungieren kann. Die etwa vom Urheber, Erfinder und/oder Patentanwalt autorisierte, finale Fassung kann kopiert und verändert werden. Überdies ist häufig umstritten und im Ergebnis von juristischen Formalitäten abhängig, welche Kopie bzw. welche Version als Master-Artefakt zählt, man denke zum Beispiel an verschiedene Sprachfassungen eines europäischen Patents. Die Einheit des Master-Artefakts ist mit anderen Worten keine physische, sondern eine genealogische. Sie beruht darauf, dass jedes Dokument, Exemplar usw., das von Patentämtern, Gerichten und anderen juristischen Entscheidungsträgern als Master-Artefakt akzeptiert wird, entstehungsgeschichtlich auf eine einzige Vorlage zurückgeht, die als reproduzierbares Artefakt in der äußeren Wirklichkeit existiert oder – was ggf. zu beweisen ist – existierte. Dieser eine maßgebliche Prototyp bildet den einen objektiven Ausgangspunkt des ausschließlichen IP-Rechts. Die hier verfochtene, handlungs- und artefaktbasierte IP-Theorie denkt die Einheit des Ausschließlichkeitsrechts in einer Genealogie, die auf einen empirisch belegbaren Ursprung – das erste Artefakt – zurückführt, der in der ggf. veränderten Gestalt des Master-Artefakts beansprucht wird. Das herrschende Paradigma stellt die Einheit des IP-Rechts hingegen über die Fiktion des 611
Siehe oben IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte. Siehe etwa, Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 193 (gegen eine „Dichotomie von Form und Inhalt“, vielmehr komme es „auf die Individualität des Werkes“ an); Rehbinder/ Peukert, Urheberrecht, Rn. 196; eingehend Sellnick, Der Gegenstand des Urheberrechts, 26 ff. 612
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)199
zeitlos-abstrakten Immaterialguts her.“613 – An anderer Stelle heißte es zudem wie gesagt, der „Objektbezug“ der IP-Rechte bestehe „in einer Ähnlichkeitsrelation zwischen einem Master-Artefakt und einem Sekundären Artefakt.“614
Rechtsobjekt scheint damit das Master-Artefakt zu sein, das aber wohl nicht dauerhaft auf ein konkretes Exemplar begrenzt, also auswechselbar ist. Der Unterschied zur hier vertretenen These des Idealguts ist praktisch nicht groß: M. E. ergibt sich das Rechtsobjekt aus der Gesamtheit der geschaffenen Werkexemplare, was ebenfalls eine genealogische Herangehensweise ist. Nimmt man die oben angesprochene Problematik hinzu, dass Immaterialgüter auch im Gedächtnis von Menschen weiterexistieren können müssen, ist die Vorstellung eines Werkes, das nicht genau lokalisiert werden muss, ganz einfach praktisch. Eine enge Bindung an die Informationstheorie kann dabei den zu Recht geforderten Bezug zum konkreten Werkexemplar (worunter auch digitale Daten fallen) gewährleisten.615 Bezüglich der (Fort)existenz des Werkes und anderer Rechtsobjekte von Immaterialgüterrechten interessiert sich die informationelle Betrachtung nur dafür, ob die Informationen noch irgendwo vorhanden sind. Auch die Problematik der Vernichtung von Werkstücken im Verhältnis zur Zerstörung des Werks ist mit dem hier vorgeschlagenen Ansatz von Immaterialgüterrechten als Informationsbestimmungsrechten daher gut lösbar. Da auf dem Informationsbegriff aufgebaut und das Werk nur als gedanklicher Fixpunkt verstanden wird, bedeutet die Vernichtung der letzten informationellen Repräsentation auch die Vernichtung des Werks. Sind die Informationen in einem menschlichen Gehirn gespeichert, existiert das Werk noch. Fertigt der Urheber oder jemand anderes aus seiner Erinnerung ein neues erstes Werkexemplar an, ist das neue erste Exemplar schlicht eine Vervielfältigung des Werkes. Bei unbekannten Werken werden sich solche Fälle in der Praxis freilich in Beweisproblemen ergehen. Für das dogmatische Verständnis indes scheint die Bindung der Existenz des Werkes an die Existenz entsprechender Informationen (statt Werkexemplare) die zutreffendere Erklärung zu sein.
VI. Zwischenergebnis und Folgerungen In ihrer Konstruktion gleichen sich die gesetzlichen Immaterialgüterrechte darin, dass das eigentliche, zum Rechtsobjekt erhobene Immaterialgut ein idealisierter Gegenstand ist (Idealgut), der in keinem naturwissenschaftlich fassbaren Zustand existiert. Existent sind nur Wahrnehmbarmachungen und Verkörperungen dieses Gegenstandes, etwa in Form einer notierten oder gespielten Melodie, eines Gemäldes oder einer eine Erfindung realisierenden Maschine. Auch bei Registerrechten dienen die im Register zu findenden Zeichen, Texte oder Abbildungen nur der Umschreibung des gemeinten Immaterialguts. Dieses bleibt ein gedanklicher Fix613
Peukert, Kritik der Ontologie des Immaterialgüterrechts, 130 f. Peukert, Jahrbuch Eigentum und Urheberrecht in der Demokratie 1 (2021), 75 (90). 615 Siehe eingehend oben III. Idealgüter und Informationen im Immaterialgüterrecht. 614
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
punkt und existiert – wie subjektive Rechte – als institutionelle Tatsache.616 Besagte Wahrnehmbarmachungen sind Informationen, die Immaterialgüter als solche unterfallen nicht dem Informationsbegriff, da sie keine Struktur/Form haben (sondern institutionelle Tatsachen sind). Letztlich entspricht dies der tradierten Auffassung von Immaterialgütern als „geistigen“ Gütern, nur dass eben keine metaphysische Existenz des Idealguts angenommen wird. Entscheidend ist die Verbindung mit der Informationstheorie: Der Berechtigte kann über die Informationen, die „sein“ Immaterialgut repräsentieren, im Umfang der vom jeweiligen Immaterialgüterrecht eingeräumten Verbietungsrechte bestimmen. Damit stellen sich die gesetzlichen Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte dar.617 Die informationelle Wiedergabe eines Immaterialguts ist ein fundamentales Abgrenzungskriterium von Immaterialgüterrechten gegenüber Rechten an anderen unkörperlichen Gegenständen und insbesondere gegenüber Rechten an Informationen/Daten. Gäbe es ein absolutes Herrschaftsrecht an einem bestimmten (!) Datenbestand, bezöge sich dieses gerade nicht auf einen idealisierten, sondern auf einen tatsächlichen Gegenstand. Dieser würde konkret und nicht abstrakt geschützt, daher haben derartige Rechte eine größere Nähe zur Logik des Sacheigentums als zu der des Immaterialgüterrechts.618 Das Immaterialgüterrecht hingegen ist kein direktes Informationsrecht, sondern ein Idealgüterrecht. Es mündet aber in Rechte zur Bestimmung über Informationen, da alle Wiedergaben/Verkörperungen von Immaterialgütern, die zugleich die tatsächlichen Handelsgegenstände darstellen (z. B. DVDs, Dateien, Bücher), Informationen sind. Die informationellen Umschreibungen des Idealguts sind unterschiedlich genau. Sie können von der ungefähren literarischen Skizzierung einer Figur bis hin zur präzisen Abbildung einer Marke oder einem genetisch nahezu perfekten Saatkorn reichen. Es gibt sogar theoretisch schutzfähige Immaterialgüter, bei deren formeller Schutzerteilung keine ausreichenden Beschreibungsmittel zugelassen werden, weshalb der Schutz praktisch nicht erteilt wird (z. B. Geruchsmarken).619 Auch sog. exakte Immaterialgüter,620 also Immaterialgüter, die keine Abweichungen zulassen (z. B. im Wortlaut feststehende Gedichte) liegen nicht als solche, sondern stets nur als Repräsentation vor. Die Informationen stellen immer nur Umschreibungen dar, sie sind nicht die Immaterialgüter (Werke, Erfindungen, Zeichen etc.) selbst. Ein Immaterialgut, das einmal zum Rechtsobjekt erhoben wurde, ist unveränderlich. Es liegt bereits bei der Schutzbegründung in Vollendung vor. Dies gebieten nicht zuletzt die Schutzschwellen der Immaterialgüterrechte. Hierin liegt auch einer der Gründe dafür, das Zeichen als Rechtsobjekt des Markenrechts auf616
Siehe oben A. III. 3. Immaterialgüter als institutionelle Tatsachen. Siehe oben IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte. 618 Siehe Amstutz, AcP 218 (2018), 438 (527 ff.). 619 Siehe oben III. 4. f) Die Beschreibung des Idealzeichens bei speziellen Markenformen. 620 Siehe oben III. 1. Idealgut und Information im Urheberrecht. 617
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter)201
zufassen.621 Mit Veränderungen des Immaterialguts wird auch der Schutz aktualisiert. Beispiel: Verändert ein Autor einen seiner Texte, entsteht ein neues Urheberrecht zusätzlich zum Urheberrecht an der Ursprungsfassung. Wird eine Erfindung verbessert, erhält der Erfinder hierfür nur Patentschutz, wenn er die Verbesserung zum Patent anmeldet. Überarbeitet ein Unternehmen seine Bildmarke, muss der Markenschutz durch Eintragung oder Benutzung hierfür neu entstehen bzw. angepasst werden.
Gewisse Eigenheiten weisen die Zeichenrechte auf. Ihr zum Rechtsobjekt erhobenes Lebensgut ist das Zeichen. Informationstheoretisch handelt es sich auch bei diesen Zeichen um Idealgüter (Idealzeichen).622 Abgesehen von der Schwierigkeit, bestimmte Zeichen in eintragungsfähiger Weise zu beschreiben, liegt eine Besonderheit darin, dass sich der gesellschaftliche und ökonomische Stellenwert von Zeichen nicht aus dem Zeichen als Immaterialgut ergibt, sondern Zeichen als strukturelle Informationen auf verschiedene Weisen mit Bedeutung, also mit semantischen Informationen aufgeladen werden.623 Es ist das grundlegende, oben624 gezeigte Prinzip der Informationstheorie: Struktur erlangt in den Augen von Beobachtern Bedeutung. Die Vielfalt parallel möglicher Nutzungen und damit von Mehrfachberechtigungen an Zeichen sind das Resultat ihrer Natur als Platzhalter für Bedeutungen. Differenzierungen verlagern sich von der Objekt- auf die Bedeutungsebene. Beispiel: Das Zeichen „Karl Lagerfeld“ kann durch Eintrag in das Geburtenregister (§ 21 PStG) in den Augen der Rechtsordnung zum Namen einer konkreten Person gemacht werden (§ 12 BGB), und zwar in zahlreichen parallelen Fällen. Zugleich kann das Zeichen als Marke für Modeerzeugnisse eingetragen, als Titel für Filme und Bücher sowie als Firmenzeichen genutzt werden. Der ökonomische Wert, den Namen „Karl Lagerfeld“ zu tragen, ist überschaubar. Der Wert der Marke „Karl Lagerfeld“ für Modeerzeugnisse ist dank des Images, der Produkte und der Bekanntheit, die der Modeschöpfer Karl Lagerfeld mit ihm verknüpft hat, hingegen außerordentlich hoch.
Echte Sonderfälle wiederum sind der Sorten- und Know-How-Schutz. Im Sortenschutz wird das Idealgut aus einem Realgut gefolgert und geschützt. Daher knüpft die Erlangung von Registerschutz praktisch an Vermehrungsmaterial, also die Vorlegung physischer Saaten oder Pflanzenteile an. Grund hierfür ist die technische und wohl vergängliche Problematik, dass die geschützten Informationen – die Allele des Saatguts – nur in Form von DNA vorliegen und der Stand der Technik nicht ausreicht, um dies zu digitalisieren. Zumindest die Züchtung von Pflanzen aus rein digital vorliegender DNA ist zurzeit noch nicht möglich. Letztlich lässt sich dieses Rechtsgebiet aber auf dieselbe Formel wie die übrigen Imma621
622
ben.
623 624
Siehe oben III. 4. e) Immaterialgut und Information im Markenrecht. Z. B. ist das Zeichen im Markenregister nicht die Marke, sondern eine Abbildung derselSiehe oben III. 4. e) Immaterialgut und Information im Markenrecht. Siehe oben C. VI. Zusammenfassung und Folgerungen.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
terialgüterrechte bringen, nämlich den Schutz eines Idealguts – der Ideal-DNA der geschützten „Sorte“ (§ 1 SortSchG), die zur Schutzerlangung umschrieben werden muss.625 Der Geschäftsgeheimnisschutz wiederum bezieht sich auf eine konkrete, semantische Informationsmenge und nicht auf ein Idealgut. Es gibt also keinen Spielraum zwischen Beschreibung und Schutzgegenstand.626 Allenfalls auf Ebene des Rechtsschutzes können weiter gefasste Verletzungshandlungen erfasst werden. Die Einordnung der immaterialgüterrechtlichen Rechtsobjekte als Informationen ist die tragfähigste Alternative zu der hier vertretenen Auffassung und liefert für bestimmte Fragen des Informationsrechts auch die tauglicheren Antworten. Für eine umfassende Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte bedarf es aber eines abstrakteren Modells.627
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana Die Verbindung des Immaterialgüterrechts mit der Informationstheorie führt zu der Frage, welche Rolle der Mensch im geltenden (deutschen) Immaterialgüterrecht einnimmt. Inwieweit passt das geltende Immaterialgüterrecht auf nichtmenschliche Schöpfer und Rezipienten bzw. in welcher Hinsicht müsste man es verändern und welchen Zweck hätte dies? Diese Fragen erlangen praktische Relevanz vor dem Hintergrund des immer weiter reichenden Einsatzes von Sensortechnik, M2M-Kommunikation und künstlicher Intelligenz bzw. autonomer und/ oder selbstlernender Systeme.
A. Fragestellung Aus der Erkenntnis, dass das Vorliegen von Information im üblichen Sprachgebrauch (i. e. semantische Information) stets von einem Empfänger abhängig ist, könnte man zu der Vermutung gelangen, dass das Immaterialgüterrecht Schutz für Informationen (über die oben postulierte Fiktion eines darüber schwebenden Immaterialguts) durchweg von deren Semantik abhängig macht. Schon der Datenbankschutz sui generis (§§ 87a ff. UrhG) sät aber Zweifel an einer so weitreichenden These. Diese soll daher zu der Frage umformuliert werden, in welchem Maße die unterschiedlichen Immaterialgüter auf menschliche Schöpfer bzw. Rezipienten gerichtet sind. Der Punkt enthält also zwei Fragen, die in absehbarer Zeit praktische Bedeutung erlangen werden:
625
Siehe oben III. 5. a) Sortenschutz. Siehe oben III. 5. b) Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen. 627 Siehe oben V. Das Rechtsobjekt gesetzlicher Immaterialgüterrechte: Information oder Idealgut? 626
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana203
(1) Setzen die Immaterialgüterrechte menschliche Schöpfer voraus? Die Frage stellt sich nicht nur de lege lata. Auch de lege ferenda wird fraglich sein, ob es dem Immaterialgüterrecht inhärent ist, dass es nur menschengemachte Leistungen schützt. Oder unterfallen auch rein maschinell entwickelte Immaterialgüter dem geltenden Schutz und – falls nicht – sollten sie dies zukünftig tun?628 (2) Setzen die Immaterialgüterrechte menschliche Empfänger voraus? Bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit stellt sich die Frage, ob Immaterialgüter immer der menschlichen Beurteilung zugänglich sein müssen. Könnte es heute oder eines Tages vielleicht genügen, dass eine Software zu dem Ergebnis kommt, dass das Gut die betreffenden Schutzvoraussetzungen erfüllt? Eine Steigerung hierzu wäre, dass Menschen das betreffende Immaterialgut gar nicht beurteilen können, da es nach menschlichem Ermessen unverständlich/sinnfrei ist. Die übergeordnete Frage lautet also, in welchem Maße die gesetzlich geschützten Immaterialgüter an menschliches Bewusstsein gebunden sind.
B. Das Konzept der qualia Ausgangspunkt ist die These, dass der bei Informationsgütern im Mittelpunkt stehende Fokus auf menschliche Rezipienten in den gesetzlichen Immaterialgüterrechten eine besondere Ausprägung hat. Vielen Definitionen von Immaterialgütern oder „geistigen“ Gütern scheint es – insbesondere beim Urheberrecht – auf einen Punkt anzukommen, der mit der bloßen Vermittlung von Informationen nicht hinreichend beschrieben ist. Die Rede ist vom subjektiven Erleben eines Werkes. Hierin könnte zudem die entscheidende Brücke zu persönlichkeitsrechtlichen Aspekten von Immaterialgütern wie etwa der „Geistigkeit“ urheberrechtlicher Werke liegen.629 Eng verwandt, wenn nicht identisch damit, ist die besondere Bedeutung, die Menschen Informationen beimessen können.630 So sind die emotionale Wirkung eines Songs oder die bewussten und unbewussten Assoziationen bei der Wahrnehmung einer bekannten Marke nichts anderes als deren informationelle Wirkung auf den Rezipienten. Die entscheidende Komponente des Bewusstseins, der Erlebnisgehalt, wird in der Philosophie als qualia bezeichnet. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein Schlüsselproblem der Bewusstseinsphilosophie: Was macht das menschliche Bewusstsein aus und kann es durch künstliche Intelligenz nachgebildet werden? Könnte z. B. eine künstliche Intelligenz ein Musikstück in derselben Weise empfinden (!) wie ein Mensch? 628 Mit dieser Frage befasst sich z. B. der Vorschlag für ein Grünbuch zum Roboterrecht, siehe Leroux/Labruto, euRobotivs CA, A Green Paper on Legal Issues in Robotics, Grant Agreement Number: 248552, public report, Dec 2012, 37 ff. 629 Siehe etwa Merkl: „Als geistige Gegenstände vermögen die Immaterialgüter nur auf den Geist des Menschen einzuwirken.“, ders., Begriff des Immaterialgüterrechts, 77. 630 Siehe oben § 5 C. V. 2. Menschliches Bewusstsein und Information.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Im heute gebräuchlichen Sinne wurde der Begriff quale (Plural: qualia) von Clarence I. Lewis, in seinem 1929 erschienenen Buch „Mind and the World Order“ in die Philosophiedebatte eingeführt.631 Lewis versteht hierunter: „recognizable qualitative characters of the given, which may be repeated in different experiences, and are thus a sort of universals. […] The quale is directly intuited, given, and is not the subject of any possible error because it is purely subjective.“632
Weder das Phänomen noch der Begriff der qualia sind allerdings auf das menschliche Empfinden beschränkt, sondern erfassen jeglichen Organismus mit bewusstem Erleben. Der bekannteste Beitrag zum Problem der qualia ist der Aufsatz „What Is It Like to Be a Bat?“ von Thomas Nagel, in dem dieser die Unmöglichkeit darlegt, als Mensch nachzuvollziehen, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Nagel ging es dabei vor allem darum, Unzulänglichkeiten des damals herrschenden wissenschaftlichen Reduktionismus aufzuzeigen,633 gegen den auch das oben zitierte Gedankenexperiment von Searle gerichtet ist.634 Vorliegend interessiert indes nur das Phänomen als solches, das Nagel folgendermaßen beschreibt: „I want to know what it is like for a bat to be a bat. Yet if I try to imagine this, I am restricted to the resources of my own mind, and those resources are inadequate to the task.“635
Im Vordergrund der qualia-Problematik steht also das subjektive Empfinden, das „Sich-Anfühlen“, das nach Ansicht von Nagel und anderen nicht weiter reduzierbar und mit den Möglichkeiten derzeitiger physikalischer Weltbilder nicht befriedigend erklärbar ist.636 Aus dieser Sicht besteht also eine „epistemische Asymmetrie zwischen der ‚Erste-Person-Perspektive‘ und ‚Dritte-Person-Perspektive‘“.637
C. Koppelung der gesetzlichen Immaterialgüterrechte an menschliches Bewusstsein? Für das Immaterialgüterrecht könnte das Phänomen der qualia unter dem Gesichtspunkt der geforderten Wirkung bestimmter Informationsgüter auf menschliche Rezipienten interessant sein. Wie zu zeigen sein wird, liegt ein Ziel der meisten gesetzlich geschützten Immaterialgüter nämlich darin, die subjektive menschliche Wahrnehmung auf spezielle Weise anzuregen. 631 Lewis, Mind and the World Order, 60 ff.; früher wurde der Begriff „quale“ bereits von C. S. Peirce erwähnt, siehe den Überblick bei Tye, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2016 Ed.), Stichwort „Qualia“. 632 Lewis, Mind and the World Order, 121. 633 Nagel, The Philosophical Review, Vol. 83 (1974), 435 (437) („every subjective phenomenon is essentially connected with a single point of view, and it seems inevitable that an objective, physical theory will abandon that point of view“). 634 Siehe oben § 5 C. V. 2. Menschliches Bewusstsein und Information. 635 Nagel, The Philosophical Review, Vol. 83 (1974), 435 (439). 636 Siebert, Qualia, 191 ff. (über alle wissenschaftlichen Erklärungen hinaus bleibe „nur ein factum brutum: Dass es sich jetzt so anfühlt, ich zu sein.“). 637 Lyre, Informationstheorie, 160.
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana205
Untersucht werden hier wieder in erster Linie die drei „großen“ Immaterialgüterrechte Marken-, Patent- und Urheberrecht. Die Ergebnisse der beiden Letztgenannten lassen sich weitgehend auf Gebrauchsmuster- und Designrecht übertragen. Separat sind Datenbank-, Software- und Sortenschutz zu betrachten, die im vorliegenden Kontext Besonderheiten aufweisen. Die untergeordneten Gliederungspunkte sind nicht einheitlich, da bei den verschiedenen Immaterialgüterrechten unterschiedliche Probleme im Fokus stehen; z. B. ist die Frage der Markenschöpfung durch Maschinen nicht so kritisch wie die der Schöpfung urheberrechtlicher Werke, deren Rezeption zugleich größere dogmatische Probleme aufwirft als die Umsetzung von Erfindungen.
I. Markenrecht und „Maschinenkennzeichen“ Das Markenrecht zielt auf eine Assoziation bestimmter Zeichen mit bestimmten Vorstellungen hinsichtlich der Herkunft von Waren und Dienstleistungen.638 Nach Rechtsprechung des EuGH besteht die Hauptfunktion der Marke darin „dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der mit ihr versehenen Ware zu garantieren, indem ihm ermöglicht wird, diese Ware ohne Verwechslungsgefahr von Waren anderer Herkunft zu unterscheiden“.639 Das Kennzeichenrecht schützt Zeichen, die auf menschliche Wahrnehmung abstellen und sich dort idealerweise in bestimmter Hinsicht verankern.640 Unproblematisch kann auch eine Maschine verschiedene Marken und Produkte einem bestimmten Hersteller anhand von Zeichen zuordnen; das einfachste Beispiel sind Barcode-Scanner im Supermarkt. Eines Tages könnte aber der Schutz von Zeichen zur Diskussion stehen, mit denen Maschinen andere Maschinen ansprechen. So könnte ein selbstfahrendes Auto über Plakate oder andere optische Signale Werbung für Produkte erhalten, auf die es selbständig reagiert und sie z. B. selektiv an den Fahrer meldet. Dies würde aber die Wertungskriterien des Markenrechts in Frage stellen, da die Maschinenkommunikation über Zeichen funktionieren würde, deren Gestaltung allein technisch bedingt ist (z. B. Strichcodes). Einer Maschine genügen schon kleinste Unterschiede zwischen Zeichen, um eine eindeutige Zuordnung zu treffen. Die meisten Kriterien des Markenrechts (Markenfähigkeit, Verwechslungsgefahr, Freihaltebedürfnis etc.) stellen hingegen auf Menschen, ihr optisches Erkennungs- und Erinnerungsvermögen und vor allem auf die menschliche Anfälligkeit für Verwechslungen ab. Auch hierbei handelt es sich um Ausprägungen der qualia. 638 EuGH GRUR 1999, 723 – Chiemsee; EuGH GRUR 2010, 228 – Audi; EuGH GRUR 2009, 952 Rn. 9 – DeutschlandCard; BGHZ 167, 278 Rn. 18 = GRUR 2006, 850 – FUSSBALL WM 2006. 639 Zit. nach EuGH GRUR Int. 1996, 1144 Rn. 47 – Bristol-Myers Squibb/Paranova; EuGH EuZW 2000, 181 – Pharmacia & Upjohn/Paranova Rn. 16; EuGH EuZW 2002, 407 Rn. 12 – Boehringer Ingelheim Pharma KG/Swingward Ltd; siehe grundlegend das im Wortlaut geringfügig abweichende Urteil EuGH GRUR 1978, 599, Rn. 7 – Hoffmann-La Roche/Centrafarm. 640 Siehe auch oben § 5 D. III. 4. d) Marken als intersubjektive Realitäten.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Marken in der Maschinenkommunikation müssten also vollständig anderen Kriterien folgen. Da hier kleinste Abweichungen genügen, wären die meisten kennzeichenrechtlichen Grundgedanken obsolet. Im Ergebnis lägen Rechte an „Maschinenkennzeichen“ fernab des heutigen Kennzeichenrechts und seiner Grundgedanken. Das heutige Kennzeichenrecht ergibt für maschinelle Zuordnungen schlicht keinen Sinn. Es richtet sich auf menschliche Rezipienten. Die dem Markeninhaber zufallende Aufgabe, ein Zeichen mit kennzeichenartiger Bedeutung aufzuladen ist wiederum eine unternehmerische Leistung, für die er unproblematisch maschinelle Hilfe nutzen, aber auch zahlreiche Hilfspersonen einsetzen kann. Z. B. kann für eine Marketingkampagne umfänglich auf hochautomatisierte Formen der Social Media- und Internetwerbung641 zurückgegriffen werden, die auch neue markenrechtliche Fragen aufwirft wie z. B. die oben642 angeführte Bananabay-Rechtsprechung. Der angestrebte „Lernerfolg“ richtet sich jedoch einzig auf Menschen, die mit dem Zeichen teils bewusst, teils unbewusst Informationen (z. B. über die Qualität und das Image der gekennzeichneten Waren) assoziieren sollen.
II. Patentrecht Im Patentrecht ist zunächst zu untersuchen, welche Bedeutung menschliche Erfinder und Nutzer für die Schutzbegründung haben, um dann abzugleichen, inwieweit Maschinenerfindungen in das geltende System passen könnten.
1. Die Rolle menschlicher Erfinder und Nutzer im Patentrecht Das Patentrecht verlangt die Anregung einer bestimmten Vorstellung technischer Art – ein „Fachmann“ soll in die Lage versetzt werden, die mit dem Patent offenbarte, technische Information zu erfassen und die Erfindung auszuführen,643 sich also die in der Erfindung liegenden Problemlösungen konkret vorstellen können. Momentan unterscheidet sich eine Erfindung von anderen Daten/Informationen (z. B. von Firmware) also dadurch, dass sie Menschen zu neuen technischen Handlungen befähigt. Dabei können Erfinder nach h. M. nur natürliche Personen sein, was mit deren „schöpferischer Leistung“ begründet wird, die insbesondere juristischen Personen nicht zukomme.644 Dieser Umstand findet besonderen Ausdruck im „Erfinderprinzip“, das auch im Gebrauchsmusterrecht gilt (§ 13 Abs. 3 GebrMG i. V. m. §§ 6, 7 Abs. 1 PatG). Es legt das persönlichkeitsrechtliche Interesse des Erfinders, als solcher anerkannt zu werden, „rechtssatzmäßig“ fest:645
641
Siehe dazu Becker, CR 2021, 87. § 5 D. III. 4. b) Relevanz der Markenfunktionenlehre für den Schutzgegenstand. 643 Siehe etwa BGH GRUR 2009, 382 Rn. 26 f. – Olanzapin; BeckOK PatG/Einsele, § 1 Rn. 27 f., 45, 54 f.; Mes, PatG, § 6 Rn. 4. 644 Ann, Patentrecht, § 1 Rn. 25; BeckOK PatG/Fitzner, § 6 Rn. 17; Mes, PatG, § 6 Rn. 10. 645 Ann, Patentrecht, § 1 Rn. 27. 642
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana207
„Es ist der Schöpfungsakt der Erfindung (die Schaffung der Erfindung), der (die) die Erfindereigenschaft und insbesondere das besondere Erfinderpersönlichkeitsrecht begründet.“646
Der Umstand, dass nur natürliche Personen Erfinder sein können, bedarf allerdings der klaren Trennung von ihrem Interesse, als solcher anerkannt zu werden. Der persönlichkeitsrechtliche Aspekt spielt im Patentrecht eine andere und viel geringere Rolle als im Urheberrecht. Er ist insbesondere nicht der Grund für den Schutz von Patenten. Aus heutiger Sicht ist das Patentrecht vielmehr der Prototyp eines gewerblichen Schutzrechts das auf die Förderung von gewerblich verwertbaren, technischen Innovationen zielt. Von Beginn an war das Patentrecht stark gewerberechtlich geprägt und folgte lokalen bzw. nationalen ökonomischen Interessen.647 Der Schutz des Erfinders spielte eher eine Nebenrolle. Jänich begründet dies folgendermaßen: Der Erfindung könne „eine naturgesetzliche Immanenz beigelegt werden. Sie kann verstanden werden als eine lediglich momentane Beschleunigung des evolutionären Prozesses der Fortentwicklung von Technik. Ihr Kennzeichen scheint zu sein, daß es sich um eine Erkenntnis handelt, die auf jeden Fall zu irgendeinem Zeitpunkt gemacht wird.“ Beispielsweise habe zwar Dunlop seinerzeit den Pneu erfunden, es sei aber kaum vorstellbar, dass an seiner Stelle nicht später auch ein anderer Erfinder auf die Idee luftgefüllter Reifen gekommen wäre. 648
Dieser „Immanenzgedanke“, demzufolge Erfindungen naturgesetzlich vorgegeben und eher eine Frage des „Auffindens“ sind, steht dem Verständnis der Erfindung als Schöpfung649 entgegen.650 Das Argument, dass aufgrund der Berücksichtigung der Doppelerfindung in § 6 S. 3 PatG „die Erfindung denknotwendigerweise nicht durch eine besondere Individualität geprägt sein“ kann, widerlegt das schöpferische Element im Patentrecht hingegen nicht.651 Schließlich ist auch im stark schöpferisch geprägten Urheberrecht die Doppelschöpfung bekannt652 und praktisch auch relevant; selbst wenn sie häufig schutzunfähige „Allerweltsformen“ betrifft.653 Dennoch deutet das Phänomen der Doppelerfindung654 darauf hin, dass die Erfindung nur das Ergebnis der geistigen Erfindertätigkeit ist, das 646
Mes, PatG, § 6 Rn. 8. Jänich, Geistiges Eigentum, 69 ff. 648 Jänich, Geistiges Eigentum, 75. 649 Ann, Patentrecht, § 2 Rn. 73. 650 Jänich, Geistiges Eigentum, 76. 651 Anders Jänich, Geistiges Eigentum, 76 f. 652 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 2 Rn. 17; KG ZUM 2001, 503 (505) – Flaggen-Collage (Doppelschöpfung bejaht). 653 Siehe BGH GRUR 1971, 266 (268) – Magdalenenarie (wohl gemeinfrei, da in mehreren älteren Werken enthaltene „Allerweltsform“); BGH GRUR 1988, 810 (811) – Fantasy (Übereinstimmung außerhalb des schöpferischen Bereichs). 654 Siehe etwa die Liste mit 148 historischen Erfindungen und Entdeckungen „made independently by two or more persons“, Ogburn/Thomas, Political Science Quarterly, 37 (1922), 83 (93 ff.) (mehrheitlich handelt es sich allerdings um patentrechtlich nicht schutzfähige naturwissenschaftliche oder mathematische Entdeckungen). 647 Siehe
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
keine höchstpersönlichen Züge trägt und daher wahrscheinlicher von mehreren Personen unabhängig voneinander gefunden werden kann als dass zwei identische Werke geschaffen werden: Das Patentrecht schützt keine „entäußerte Individualität“,655 weshalb unter Doppelerfindern, anders als unter Doppelschöpfern im Urheberrecht, nur der erste Anmelder die Schutzposition erhält.656 Dementsprechend haben sich Versuche, den Schutz von Erfindungen persönlichkeitsrechtlich zu begründen, weder durchgesetzt noch überzeugen sie.657 Der Schutz des Erfinderpersönlichkeitsrechts hat keinen Bezug zum eigentlichen Schutzgrund. Unter den bekannten Rechtfertigungstheorien zum Patentschutz – Naturrechts-/Eigentumstheorie; Belohnungstheorie; Anreiztheorie; Offenbarungstheorie658 – hat die Eigentumstheorie daher zu Recht das geringste Gewicht; neben der Benachteiligung des Doppelschöpfers belegen dies etwa die kurze Schutzfrist und das Arbeitnehmererfindungsrecht.659 Im Rahmen einer eingehenden historischen Untersuchung des Patenrechts vertritt Kurz sogar, dass keine der genannten Theorien jemals „die Triebfeder des Patentschutzes als solchem waren. Vielmehr standen hinter den Gesetzen und Normen des gewerblichen Rechtsschutzes (auch schon in der unkodifizierten Zeit) immer äußerst handfeste wirtschaftliche Interessen; die Theorien, die die jeweiligen Regelungen juristisch abstützten, wurden immer erst im nachhinein entwickelt.“660 Zum Beleg dieser These verweist er insbesondere auf die zeitweise große Bedeutung von Einführungspatenten, die zudem nicht immer klar von Erfindungspatenten unterschieden worden seien. Nicht der Schutz neuer Erfindungen, sondern die Förderung der Wirtschaft habe im Vordergrund gestanden, wozu importierte Techniken und Geschäftsmodelle ebenso willkommen gewesen seien wie neue Erfindungen. 661
Doch auch wenn man Anreiz- und Offenbarungstheorie zugrunde legt, kommt es nicht darauf an, unter welchen genauen Umständen die Erfindung gemacht wird, sondern ob der Berechtigte hierdurch zu neuen Erfindungen angespornt wird und diese im Austausch für Rechtsschutz offenlegt. Alles in allem spricht nach der Logik des Patentrechts nichts dagegen, dass wirtschaftlich handelnde Rechtssubjekte Erfindungen von Maschinen machen lassen und dafür Patentschutz erhalten. 655
Peifer, Individualität, 117. Peifer, Individualität, 118; Möllering, MDR 1947, 186 (188) (seien die zu lösenden technischen Aufgaben erst einmal allgemein bekannt, lägen „die Erfindungen in der Luft“). 657 Siehe insbesondere LG Mainz GRUR 1950, 44 f. – Abzweigdose; A. Hübner, GRUR 1948, 229; Benkard, GRUR 1950, 481; zur rechtsökonomischen Begründung siehe Ott/Schäfer/Kaufer, Ökonomische Analyse der rechtlichen Organisation von Innovationen, 1 (10 ff.). 658 Siehe Ann, Patentrecht, § 3 Rn. 7 ff.; Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 5 Rn. 20; Machlup, An Economic Review of the Patent System, 21 („natural-law“ thesis, „reward-by-monopoly“ thesis, „monopoly-profit-incentive“ thesis, „exchange-for-secrets“ thesis). 659 Machlup, An Economic Review of the Patent System, 22 f.; Ann, Patentrecht, § 3 Rn. 13; Kunczik, GRUR 2003, 845 (848). 660 Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes, 577. 661 Kurz, Weltgeschichte des Erfindungsschutzes, 577 ff. 656
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana209
2. Maschinenerfindungen In Zukunft könnte es durchaus Erfindungen geben, die allein von künstlicher Intelligenz gemacht werden. Für diese Annahme spricht unter anderem die Funktionsweise neuronaler Netzwerke. Beispiel: Ein heute schon üblicher Anwendungsbereich neuronaler Netzwerke liegt in der Gesichtserkennung. Um zu ermitteln, mit welchem mathematischen Algorithmus sich Gesichter am besten vergleichen lassen, wird eine lernfähige Software genutzt, die selbständig einen Weg findet, um Gesichter zu unterscheiden. 662 Diese Technik kann auch für autonome Fahrzeuge genutzt werden, um Robotern das Laufen beizubringen.
Die Auswirkungen künstlicher Intelligenz wirken also über die Softwareebene hinaus auch auf physische Prozesse. Es liegt nahe, dass künstliche Intelligenz technische Neuentwicklungen hervorbringen wird, die sich vom vorherigen Stand der Technik deutlich abheben. Der erfinderische Schritt liegt dort nicht in einer kreativen Eingebung oder einem „Geistesblitz“ – was auch bei menschlichen Erfindungen nicht der Regelfall ist663 –, sondern in einer hochentwickelten Form der systematischen bzw. iterativen Problemlösung. Beispiel: Um eine unverändert stabile, aber wesentlich leichtere und materialsparendere Trennwand für das Flugzeuginnere zu entwickeln, hat Airbus auf generatives Design gesetzt. Es handelt sich um ein Verfahren, bei dem Ingenieure der Software ihre Konstruktionsziele vorgeben, „zusammen mit Parametern wie Produkteigenschaften, verfügbarem Bauraum, Materialien, Fertigungsverfahren oder Kostenzielen. Die Software berechnet nun unter Berücksichtigung der Eingabeparameter sämtliche mögliche Lösungen und generiert so in kürzester Zeit eine Reihe von Entwürfen. Dabei werden die Iterationen daraufhin untersucht, was funktioniert und was nicht.“664 Hintergrund ist also die Berechnung vieler tausend funktionierender (!) Lösungsvarianten, was schon für sich jedes (noch wirtschaftliche) menschliche Leistungsvermögen übersteigt. Die resultierenden optimierten Designs, etwa für besagte Trennwände, Drohnen und andere technische Aufgaben, liegen oft deutlich jenseits von dem, was menschliche Designer entwickeln würden, um technische Aufgaben zu lösen. Sie sehen überraschend natürlich aus, mit asymmetrischen Verzweigungen und scheinbar willkürlichen Materialstärken, ähnlich dem Wurzelwerk eines Baumes. Deshalb bedarf es zur späteren Produktion häufig des Einsatzes von 3D-Druck. Generatives Design kann auch für anders gelagerte Aufgaben wie etwa die optimierte Ausnutzung von Grundstücken bei Bauprojekten genutzt werden. 665
Zwar stammt das gerade angeführte Beispiel aus dem Designbereich, es ist aber wahrscheinlich, dass diese und verwandte Arten der technischen Problemlösung in der Zukunft bis hin zu komplexen Erfindungen reichen werden, die denen von Menschen mindestens ebenbürtig sind.
662
Siehe nur Fuad/Fime/Sikder et. al, arXiv/2103.10492v2; Balaban, arXiv/1902.03524v1. Jänich, Geistiges Eigentum, 76. 664 www.autodesk.de/solutions/generative-design. 665 Siehe die Beispiele bei www.autodesk.de. 663 Siehe
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Beispiel: Große Wellen schlug der Versuch, beim UKIPO und schließlich dem EPA eine Erfindung des KI-Systems „DABUS“ anzumelden, wofür explizit kein menschlicher Erfinder genannt wurde. Das EPA wies die Anmeldung mit dem Argument zurück, dass nur natürliche Personen als Erfinder in Betracht kämen: „an inventor designated in the application has to be a human being, and not a machine.“666 Die juristische Beschwerdekammer des EPA hat die Entscheidung, die Anmeldung abzulehnen bestätigt. Maßgeblich sei, dass Art. 81 EPÜ einen menschlichen Erfinder verlange.667 Nicht ganz klar ist insofern, ob der geringe menschliche Beitrag zur Erfindung oder der fehlende Personstatus von KI-Systemen als benannte Erfinder Stein des Anstoßes ist.668
Darüber hinaus muss aber auch damit gerechnet werden, dass es Erfindungen geben wird, die nur Maschinen machen, verstehen und nutzen können. Diese Erfindungen wären menschlichem Bewusstsein nicht zugänglich, also nicht mehr auf und durch menschliches Bewusstsein beschränkt. Wollte man „Maschinenerfindungen“ materiell ernsthaft schützen, statt für sie lediglich einen menschlichen Anmelder zu fordern, müsste der „erfinderische Schritt“ gänzlich durch eine Maschine erfolgen können. Dafür müsste seine Definition kaum geändert werden, da er nicht unmittelbar an menschliches Bewusstsein, sondern über den absolut-formellen Neuheitsbegriff an den Stand der Technik geknüpft ist (§ 1 Abs. 1 PatG). Erst die Feststellung der Schutzfähigkeit ist eng mit menschlichem Bewusstsein, genauer gesagt der Beurteilung durch einen „Fachmann“ verbunden (§ 4 PatG). Dessen Verstand ist auch maßgeblich für die Feststellung, ob die Erfindung hinreichend offenbart wurde (§§ 34 Abs. 4; 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG). Die Frage, ob das Patentrecht auch die Erzeugnisse künstlicher Intelligenz schützt bzw. ob es menschliches Verständnis der geschützten Informationen voraussetzt, stellt sich nicht nur bei den Begründungen von Patentschutz, sondern auch auf der Empfängerseite. Erstere sind stark wirtschaftlich motiviert und lassen unproblematisch eine (noch) stärkere Orientierung in Richtung eines Investitionsschutzes für die Betreiber erfinderischer Maschinen zu. Diskussionsbedürftig ist jedoch auch, ob ein Interesse an der Anspornung von Erfindungen besteht, die sich jenseits von menschlichem Verständnis bewegen. Dagegen könnten insbesondere Sicherheitsbedenken technischer Art, aber auch der damit einhergehende Kontrollverlust sprechen.
III. Urheberrecht Das Urheberrecht ist der wohl sensibelste Bereich des Immaterialgüterrechts, wenn es um die rechtliche Stellung von Maschinen und ihren Leistungen geht. Die Bedeutung menschlicher Schöpfer und Rezipienten braucht – anders als im Patentrecht – nicht dargelegt zu werden. Hier stellt sich vielmehr direkt die Frage, ob 666
EPO decision of 27 January 2020 on EP 18 275 163. Press Communiqué on decisions J 8/20 and J 9/20 of the Legal Board of Appeal v. 21.12.2021. 668 Artificial Intelligence – Challenges to the IPR framework (2020), 100 f. 667
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana211
Maschinen als Schöpfer und Rezipienten mit dem geltenden System des Urheberrechts vereinbar sind.
1. Maschinen als Schöpfer Zentrale Bedeutung für den Schutz von Schöpfungen im Urheberrecht hat deren persönlich-individueller Charakter. Die Schöpfung durch einen Menschen ist konstitutiv für das Vorliegen eines urheberrechtlich schutzfähigen Werks. Anders als im Patentrecht wird dem Berechtigten nicht ein äußerer, nicht-menschlicher Gegenstand aufgrund einer Leistung zugeordnet, sondern ein Teil der Persönlichkeit des Schöpfers entäußert und geschützt: „Die im Werk entäußerte Individualität des Urhebers ist die zentrale Legitimation für den urheberrechtlichen Schutz.“669 „Einerseits ist nicht schutzfähig, was nur auf allgemeinmenschlichen Fähigkeiten beruht; das Werk muss vielmehr die individuelle Kreativität des Urhebers mit seinen einmaligen Anlagen und Fähigkeiten zum Ausdruck bringen. Andererseits muss das Werk nicht den Stempel der Persönlichkeit an sich tragen.“670
Daher kommen nach der in § 2 Abs. 2 UrhG kodifizierten Definition „nur persönliche geistige Schöpfungen“ als Werke in Betracht. Durch diese definitorische Festlegung erübrigt sich die Abwägung, inwieweit rein maschinell erstellte Werke den Werken menschlicher Urheber gleichgestellt sein können – sie sind nicht schutzfähig:671 „Mit dem Werkbegriff als persönlicher Schöpfung unvereinbar sind […] rein maschinelle Produkte, wie etwa die eines Übersetzungscomputers, die deshalb – unbeschadet der Urheberrechtsfähigkeit des ihnen zugrunde liegenden Computerprogramms – keinen Schutz als Sprachwerke beanspruchen können.“672
Dies gilt auch für Werke, die schon ihrer Natur nach oftmals nur eine vage Verbindung zu einem kreativ-individuellen Schöpfungsprozess haben. So ist auch durch Maschinen erschaffene Software nicht urheberrechtsschutzfähig.673 Man darf das Kriterium der persönlichen Schöpfung dabei nicht i. S. e. Schutzschwelle verstehen. Vielmehr handelt es sich um eine Ausprägung des tieferen Schutzgrundes – es geht nicht darum, ob das Werk einer Maschine „besser“, „kreativer“ oder gar „menschlicher“ als das eines Menschen ist, sondern darum, wer für sein Werk gerechterweise Schutz erhalten sollte. Daher schadet es nicht, wenn z. B. eine maschinelle Übersetzung im Urteil von Muttersprachlern besser gelungen ist 669
Peifer, Individualität, 128. Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 187. 671 Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 189; Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 188; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 2 Rn. 8. 672 Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 189. 673 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 2 Rn. 8 („Computerprogramme […], die ausschließlich und ohne Einwirkung des Menschen von Datenverarbeitungsanlagen geschaffen werden“). 670
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
als die eines menschlichen Übersetzers. Letzterer erhält das Urheberrecht nicht nur, weil er ein Werk einer bestimmten Schöpfungshöhe geschaffen hat, sondern weil er ein Mensch ist.
2. Maschinen als Rezipienten Angesichts dieses definitorischen Ausschlusses von Maschinen auf der Schöpferseite lautet die interessantere Frage, ob Maschinen als Rezipienten urheberrechtlicher Werke in Betracht kommen. Die Rezipientenseite hat im Urheberrecht besondere Bedeutung, da die Funktion urheberrechtlicher Werke eine andere als die von technischen Schutzgütern oder von Marken ist. Das Urheberrecht schützt in erster Linie und seinem ursprünglichen Zweck nach kulturelle Schöpfungen – insbesondere hinsichtlich ihrer Verwertung674.675 Der eigentliche Nutzen urheberrechtlicher Werke liegt weniger in der Vermittlung von Fakten, also semantischen Informationen, als auf einem Schutz der Form, der Ausdrucksweise. Um ihrer Bestimmung gerecht zu werden, sind urheberrechtliche Werke daher auf ihre aufmerksame Rezeption angewiesen.676 Dabei geht es nicht nur um irgendeine Form der Rezeption, sondern um die Wertschätzung des geistigen Schaffens des Urhebers durch die Rezipienten. Dies zeigt sich auch in den Schutzschwellen des Urheberrechts. Sie haben besondere Bedeutung in der Rezipientenfrage, da ihre Anwendung eine bestimmte Art des Verständnisses urheberrechtlicher Werke voraussetzt.677 Dies wäre eine entscheidende Frage für Anwendungen wie etwa den Einsatz künstlicher Intelligenz zur Bewertung der Schutzfähigkeit urheberrechtlicher Werke. Neben der Voraussetzung einer persönlichen Schöpfung soll das Werk nach herrschender Lehre zur geistigen Auseinandersetzung anregen, es muss einen „geistigen Gehalt“ haben. Abgestellt wird dabei auf die Anregung menschlichen Empfindens beim Rezipienten des Werks: „Dieser geistige Gehalt hat nichts mit Ästhetik zu tun. Bildende Kunst und Musik wollen die Sinne anregen, den Betrachter und Hörer herausfordern, auf sein Bewusstsein wirken.“678 „Das Werk muss ‚etwas‘ aufweisen, das über das bloße sinnlich wahrnehmbare Substrat hinausgeht, eine ‚Aussage‘ oder ‚Botschaft‘ enthält.“679 Die nach § 2 UrhG geschützten Werke bringen „einen geistigen Inhalt gedanklicher oder emotionaler Art zum Ausdruck“ dieser „Inhalt des Geisteslebens“ kann begrifflichen, anschaulichen, akustischen oder sonstigen Inhalts sein.680 674 Siehe zum Urheberrecht als Wirtschaftsrecht Becker, ZGE/IPJ 8 (2016), 239 (272 f.); mit anderem Fokus Depenheuer/Peifer/Ohly, Geistiges Eigentum: Schutzrecht oder Ausbeutungstitel, 141 ff. 675 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 34 (Urheberrecht als „wesentliche Grundlage der sog. Kultur- und Kreativwirtschaft“). 676 Becker, ZUM 2013, 829. 677 Siehe auch oben § 5 C. V. 2. Menschliches Bewusstsein und Information. 678 Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 191. 679 Schricker, GRUR Int. 2008, 200 (203). 680 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 189.
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Insbesondere die Forderung, dass dem Werk eine „Aussage“ oder dergleichen innewohnen muss, erinnert an die obige Auffassung von semantischer Information in ihrer engeren Bedeutung als von Menschen verstandener Information. Es sind die qualia wegen derer Rezipienten ein Musikstück als „erhebend“, „traurig“, „ergreifend“ oder dergleichen bezeichnen: Das subjektive Erleben des Werkes löst Emotionen aus. Wichtig ist insofern auch die an der Vermittlung von Informationen ausgerichtete Abgrenzung gegenüber anderem menschlichem Schaffen: „Menschliche Tätigkeiten und Erzeugnisse, die weder Wahrheit (Wissenschaft) noch sonstige Informationen (Literatur und Kunst) kommunizieren und auf diesem Wege das intellektuelle oder ästhetische Empfinden ansprechen sollen, sondern nur für sich stehen, sind keine persönlichen geistigen Schöpfungen.“681
Die Schutzschwelle bemisst sich also nicht an den Empfindungen oder Fähigkeiten des Urhebers, sondern an der Wahrnehmung der Rezipienten. Ein anderes hier relevantes und strittiges Kriterium sind die an ein Werk zu stellenden qualitativen Anforderungen, i. e. der Grad der geistigen Schöpfungshöhe.682 Hinter dem Kriterium verbirgt sich die Forderung nach einem hinreichenden „Maß an Individualität“, einem „Mindestmaß an geistig-schöpferischer Leistung“,683 einem „hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad“,684 einer bestimmten Gestaltungshöhe.685 – Das harmonisierte Urheberrecht stellt etwas niedrigere Anforderungen686 an die Schöpfungshöhe und verlangt, dass das Werk eine „eigene geistige Schöpfung“ bzw. das „Ergebnis“ einer solchen ist.687 Die Diskussion, inwieweit dabei von einem einheitlichen europäischen Werkbegriff auszugehen ist,688 kann hier dahinstehen. Vorliegend wichtiger ist, welche Schutzschwelle der europäische Werkbegriff vorsieht. Entscheidend soll dem EuGH zufolge die „Originalität“ des Werkes sein, bei dem es sich um eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers handelt,689 die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Urheber „bei der Herstellung des Werkes seine schöpferischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen konnte, indem er frei kreative Entscheidungen trifft“ und „dem geschaffenen Werk somit seine ‚persönliche Note‘ verleih[t]“.690 681
Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 190. Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 199. 683 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 2 Rn. 20. 684 BGH GRUR 1988, 533 (535) – Vorentwurf II. 685 BGH GRUR 1983, 377 (378) – Brombeer-Muster. 686 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 202. 687 Art. 3 Abs. 1, ErwG 15 RL 96/9/EG (DatenbankenRL) („aufgrund der Auswahl oder Anordnung des Stoffes eine eigene geistige Schöpfung“); Art. 1 Abs. 3 RL 2009/24/EG (SoftwareRL) („individuelle Werke in dem Sinne […], dass sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind“); Art. 6 RL 2006/116/EG (SchutzdauerRL) („individuelle Werke in dem Sinne […], daß sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind“). 688 Dazu Schricker/Loewenheim/Leistner, UrhG, § 2 Rn. 7 ff. 689 EuGH GRUR 2009, 1041 Rn. 38, 50 – Infopaq; EuGH GRUR 2012, 386 Rn. 38 – Football Dataco; EuGH ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton. 690 EuGH GRUR 2012, 166 Rn. 89, 92 – Painer; EuGH GRUR 2012, 386 Rn. 38 – Football Dataco. 682
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Gemeint ist also weniger Originalität i. S. e. eigenständigen Leistung, sondern Individualität i. S. e. Gestaltungsspielraums in dem sich der Urheber persönlich und – wie gerade zitiert – „kreativ“ entfalten kann.691 Diese beiden Kriterien müssen unterschieden werden. Als Forschungsgegenstand der Psychologie ist Kreativität folgendermaßen definiert: „Creativity is the ability to produce work that is both novel (i. e., original, unexpected) and appropriate (i. e., useful, adaptive concerning task constraints)“.692 Ein möglicher und verbreiteter Maßstab hierfür ist divergentes Denken. Dieses bezeichnet „die Fähigkeit […], eine Vielzahl ungewöhnlicher Lösungen für ein Problem zu finden“, die in Tests nach ihrer Gesamtzahl sowie ihrer Einzigartigkeit und Ungewöhnlichkeit im Vergleich zu den Antworten anderer Probanden bewertet werden. 693
Kreativität lässt sich also von der persönlichen Prägung eines Werkes unterscheiden, kann aber insofern mit ihr zusammenfallen, als sich die Einzigartigkeit eines Werkes aus dessen höchstpersönlicher Prägung ergeben kann. Dennoch liegt nicht in jeder kreativen Besonderheit von Werken automatisch eine höchstpersönliche Prägung. Dieser Punkt lässt sich gut anhand der hier leitenden Problematik veranschaulichen. Künstliche Intelligenz kann im Wege des Deep Learning Musik, Bilder oder Texte herstellen, die so neuartig und ungewöhnlich sind, dass man schwerlich einen Mangel an Kreativität kritisieren kann.694 Der Prozess läufig auch nicht so schematisch ab, dass das Argument verfinge, die Software arbeite nur nach vom Menschen vorgegebenen Regeln, die Ausdruck im fertigen Werk finden.695 Die obige wie auch andere Definitionen von Kreativität erfüllt sie vielmehr durchaus – zumindest fiele keinem Kritiker auf, dass die Werke nicht von einem Menschen stammen. Beispiel: Der Musikprofessor David Cope hat bereits in den 1980er Jahren das Programm EMI (Experiments in Musical Intelligence) geschrieben, das eigenständig Musik komponiert. In einem Wettbewerb wurde 1997 von einer Pianistin ein Stück im Stile Bachs von EMI, ein Original von Bach und ein Stück des Herausforderers Steve Larson aufgeführt. Das Publikum hielt das Stück von EMI für das von Bach, das von Bach für das des Herausforderers und Larsons Stück für das Produkt eines Computers.696 Ähnliches gelang Cope auf dem Gebiet der Haiku-Poesie. Die Haiku veröffentlichte er 2011 in dem Buch „Comes the Fiery Night“, in dem neben den von seinem Programm geschriebenen Haikus auch solche von japanischen Haiku-Meistern abgedruckt sind und es den Lesern überlassen ist, herauszufinden, welche Haikus maschinellen Ursprungs sind.697 691
Zur Differenzierung Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 196. Handbook of Creativity, 3. 693 Gerrig/Zimbardo, Psychologie, 353. 694 Ertel, Grundkurs Künstliche Intelligenz, 333 ff. 695 Ertel, Grundkurs Künstliche Intelligenz, 335. 696 Johnson, The New York Times v. 11.11.1997, Section F, 1; siehe auch Harari, Homo Deus, 324 f. 697 www.bigbangpoetry.com/2017/11/the-machine-that-writes-haiku.html (der Autor berichtet, dass eine Anfrage bei Cope ergeben habe, dass von den 221 von ihm als menschlichen 692 Sternberg/Sternberg/Lubart,
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Aktuellere Beispiele häufen sich mittlerweile. Zu ihnen zählen die Vollendung von Beethovens 10. Sinfonie durch eine KI in Zusammenarbeit mit einem menschlichen Team, 698 der allerdings ein „eigentümlich geheimnislose[r], unorganische[r] Charakter, der schon bei ähnlichen Stil-Kopien anderer Komponisten zu erleben war“ bescheinigt wurde.699 Hier fiele eventuell auf, dass das Werk nicht von Beethoven selbst stammt, es bleibt aber zu bezweifeln, ob es ohne Weiteres als maschinelle Komposition entlarvt würde. Einige mediale Aufmerksamkeit erfuhren auch das von einer KI geschaffene Kunstwerk „Edmond de Belamy“, das auf einer Versteigerung bei Christie’s 432.500 US-Doller einbrachte700 und das Projekt „The Next Rembrandt“, das mit Mitteln der KI ein Gemälde im Stile Rembrandts hervorbrachte.701
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass KI – zumindest theoretisch – auch in der Lage sein könnte, die Kreativität in Werken zu messen. In die Richtung der KIAnalyse von Musik geht ein Patent von Spotify, das seinem Namen („Plagiarism Risk Detector and Interface“) und der Patentschrift nach vornehmlich der automatischen Plagiatserkennung dienen soll.702 Ein kurz zuvor angemeldetes Patent stützt indes den in der Musikwelt schon länger kursierenden Verdacht, dass Spotify Musik für seine eigenen Playlists mit KI kreieren will um Lizenzgebühren zu sparen.703 Dieses Patent („System and Method for Non-Plagiaristic Model-Invariant Training Set Cloning for Content Generation“)704 richtet sich eigentlich nur auf die Erzeugung von Trainingsdaten für KI in Form urheberrechtsfreier Musik, die unterstellte Stoßrichtung erscheint aber nicht abwegig. Bei bestimmten Werken könnte es hingegen eine größere Hürde für künstliche Intelligenz geben. Das Verständnis für Werke, wie z. B. die Frage, wie ein Satz oder ein Bild gemeint ist, setzt mehr voraus, als Software derzeit und wohl auch auf absehbare Zeit leisten kann. Dies zeigt sich etwa, wenn das Erkennen und das Beurteilen einer Situation Lebenserfahrung und einen menschlichen Blickwinkel erfordern, z. B. beim Verständnis von Humor. Beispiel: Der Informatiker und KI-Forscher Andrej Karpathy diskutiert in seinem Blog ein Foto, auf dem Barak Obama in einem großen Sport-Umkleideraum hinter einem Mitarbeiter steht, der mit ernstem Gesicht auf einer älteren Waage sein Gewicht prüft. Obama drückt heimlich von hinten mit dem Fuß auf die Waage, was drei der weiteren im Raum befindlichen Personen erheitert. Die Szene wird dabei teilweise von Spiegeln an den Wänden reflektiert. Karpathy konstatiert, dass es für eine Software unvorstellbar schwierig sei, zu Urspungs identifizierten Haikus [aus 500 gelesenen Haikus] tatsächlich nur 21 von Menschen stammten); Harari, Homo Deus, 325. 698 Grolle, DER SPIEGEL Nr. 41/9.10.2021, 106; dpa-Meldung auf Faz.net v. 9.10.2021, abrufbar unter: www.faz.net/-gs3-agr5q. 699 Stallknecht, NZZ.ch v. 8.10.2021. 700 Dazu Flynn, The Washington Post v. 26.10.2018; dazu Ory/Sorge, NJW 2019, 710. 701 Siehe www.nextrembrandt.com. 702 Siehe EP 2 742 433 A1 (Spotify AB) 23.5.2019; dazu Fergus, www.inputmag.com/tech/spo tify-could-soon-replace-real-artists-with-ai-music. 703 Titlow, www.fastcompany.com/40439000/why-did-spotify-hire-this-expert-in-musicmaking-ai. 704 EP 3 620 991 A1 (Spotify AB) 11.3.2020.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
erkennen und verstehen, was alles in dem Foto enthalten ist, sowie, dass bzw. weshalb es Menschen erheitert. Das Verständnis der Situation setzt neben dem Erkennen des komplexen Bildinhalts nämlich ein breites Wissen über verschiedene Lebensbereiche voraus, z. B. über die Funktionsweise von Waagen, den Blickwinkel des menschlichen Auges, das Empfinden und die Bedeutung des eigenen Körpergewichts oder die soziale Stellung des als solchen erkannten Präsidenten.705 Wenn die Software Teile hiervon nicht versteht, entgehen ihr zentrale Informationen des Fotos. Selbst das menschliche Gehirn, das extrem lern- und abstraktionsfähig ist, braucht zum spontanen Verständnis eines solchen Fotos einige Jahre menschliche Lebenserfahrung, d. h. Erfahrung als Mensch. Z. B. würde ein Kleinkind die Szene noch nicht verstehen.
Selbst wenn Software also viele richtige Fakten zu einem Foto, einem Gemälde oder einem Roman ermitteln könnte, bliebe die fundamentale Frage, ob es ihr (jemals) gelingt, sich in Menschen als Adressaten von Werken so hineinzuversetzen, dass sie menschliche Werke „versteht“. – Hier schließt sich der Kreis zu der Frage, wie es sich für eine Fledermaus anfühlt, eine Fledermaus zu sein.706 Hierzu passt die Ansicht, dass Menschen, anders als Maschinen, in der Lage sind, „mit ihrem Schaffen ein intrinsisches oder übergeordnetes Ziel zu verfolgen“.707 Für die Frage, ob Maschinen Rezipienten urheberrechtlicher Werke sein können, bedeutet das Gesagte, dass die conditio humana jedenfalls für das Verständnis von Werken, die eine gewisse geistige Schöpfungshöhe aufweisen, zwingende Voraussetzung ist. Technischere Analysen, z. B. des Stils eines Autors oder bildenden Künstlers, sind Softwarelösungen leichter zugänglich.
3. Folgerungen Das Urheberrecht ist in seiner jetzigen Form weit davon entfernt, Maschinen als Schöpfer oder Rezipienten integrieren zu können. Das Erfordernis eines menschlichen Schöpfers ist nicht nur eine formale Voraussetzung, sondern durchwirkt das nationale wie europäische Urheberrecht. Sowohl der persönlichkeitsrechtliche Schutzgrund als auch die Art der geschützten Leistung verschließen sich Maschinen. Für ein Maschinenurheberrecht wäre es nicht möglich, die geltenden Kriterien mit kleinen Abwandlungen zu übernehmen, erforderlich wäre ein völlig verändertes Konzept. Sowohl die Herstellung wie die Rezeption von Werken setzen menschliche Lebenserfahrung voraus. Dies erfordert eine bestimmte Art des Verständnisses von Werken, die künstlicher Intelligenz noch in absehbarer Zeit verschlossen bleiben wird. Zwar würde von Software komponierte Musik oder geschriebener Text schon heute den meisten Nutzern nicht weiter auffallen, da sich viele Aspekte von Musik algorithmisch erfassen lassen. Software würde aber z. B. schon den im obigen Beispiel vom Fotografen abgepassten skurrilen Moment nicht verstehen. Dies wurde 705 http://karpathy.github.io/2012/10/22/state-of-computer-vision. 706 707
Siehe oben B. Das Konzept der qualia. Lauber-Rönsberg, GRUR 2019, 244 (252).
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana217
eingangs mit dem Begriff der qualia angesprochen: Schon zwischen der erfolgreichen Addition zweier Zahlen und dem Verständnis des Konzepts „Addition“ liegt ein Graben, der bislang nicht überwunden werden konnte. Die Fortschritte der KI-Forschung werden vornehmlich daran gemessen, ob KI Aufgaben besser bewältigen kann als ein Mensch. Dies wird aber in einem behavioristischen Sinne gemessen, im Fokus stehen Arbeitsergebnisse des Systems. Beispiel: Eine große Umfrage unter KI/ML-Spezialisten zur Frage, wann Maschinen Menschen in bestimmten Aufgaben und Lebensbereichen wie Übersetzen, Autofahren, Computer-/Brettspielen oder verschiedenen Forschungszweigen übertreffen werden, geht von folgenden Definitionen aus: „‚High-level machine intelligence‘ (HLMI) is achieved when unaided machines can accomplish every task better and more cheaply than human workers.“ – und – „full automation of labor“ liege vor, „when all occupations are fully automatable. That is, when for any occupation, machines could be built to carry out the task better and more cheaply than human workers.“708 In beiden Fällen genügt eine behavioristische Auffassung von KI/ML. Sie muss jeweils nicht mehr können als Aufgaben erfolgreich auszuführen; auf ein inhaltliches Verständnis kommt es nicht an.
Der entscheidende Graben bleibt der zwischen Zeichen und Bedeutung: Computer und Software sind zeichenverarbeitende Systeme. Sie haben aber keinen Weg, um von Zeichen zu Bedeutung oder eben von Syntax zu Semantik zu gelangen.709 Möglicherweise böte es sich – wenn man diesen Weg beschreiten wollte – eher an, ein einheitliches Immaterialgüterrecht an maschinell erzeugten Immaterialgütern zu entwerfen. Sofern der gesamte Schöpfungsvorgang maschinell bewältigt wird, gibt es womöglich keinen Anlass, zwischen verschiedenen Arten geistigen Eigentums zu differenzieren. Alle tragenden, das Urheberrecht charakterisierenden Gedanken sind persönlichkeitsrechtlicher Natur, also bei Maschinen hinfällig. Unter den angeführten Gesichtspunkten unproblematisch wäre aber ein Investitionsschutzrecht für Maschinenschöpfungen oder dergleichen, was auf eine Art Investitionsschutz für die Eigentümer/Betreiber hinausliefe.
D. Qualia als Differenzierungskriterium für Immaterialgüter Es ist keine Überraschung, dass sich das Immaterialgüterrecht an der menschlichen Wahrnehmung orientiert. Und freilich werden Immaterialgüter auf rechtspolitischer Ebene nicht mit dem Ziel geschützt, Einwirkungen auf den menschlichen Geist zu mehren, sondern aus darüber liegenden ökonomischen und persönlichkeitsrechtlichen Gründen. Die Anwendung des Konzepts der qualia auf die Theorie des geistigen Eigentums dient aber der Differenzierung verschiedener Schutzgüter auf Informationsebene und damit einer konsistenten Betrachtung von 708
Grace/Salvatier/Dafoe u. a., arXiv/1705.08807v3. Searle, Wall Street Journal, 22.2.2011 („it has no way to get from symbols to meanings [or from syntax to semantics]“). 709
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Daten- und Immaterialgüterrecht. Entscheidend an diesem Kriterium ist, dass das (Nicht)vorhandensein von qualia die momentan grundlegendste und wichtigste Unterscheidung zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz ist, weshalb es für die Verbindung von Fragen des Immaterialgüterrechts und künstlicher Intelligenz (z. B. als Schöpfer oder Rezipient) eine Rolle spielen könnte. Genauer: Immaterialgüter zielen in unterschiedlichem Maße auf unterschiedliche Arten der Anregung menschlicher qualia. Daher könnten qualia aus Sicht der Informationstheorie als Unterscheidungsmerkmal von Immaterialgütern dienen: Das Urheber- und Designrecht zielen in besonderem Maße auf die Anregung von qualia und persönlichkeitsrechtliche Aspekte sind häufig mit der Vermittlung von qualia-Erlebnissen verbunden. Z. B. versuchen Urheber unterschiedlicher Werkformen, Empfindungen auszudrücken, die sich schwer in Worte fassen lassen und so ein Bild des Innenlebens ihrer selbst oder ihrer Figuren zu zeichnen; diese über eine benennbare Informationsvermittlung hinausgehende Anregung des Bewusstseins, des Geistes der Rezipienten ist der „geistige Gehalt“ von Werken. Im Markenrecht ist die Bedeutung schwächer, dort steht eine sachlichere Informationsvermittlung im Vordergrund. Dennoch zielen viele Werbungen darauf, Marken und Unternehmen so mit einem Image und bestimmten Emotionen zu versehen, dass die Begegnung des Kunden mit dem Zeichen am Point of Sale bewusste oder unterbewusste Empfindungen auslöst. Im technischen Bereich hingegen, namentlich im Patentrecht, Gebrauchsmusterrecht und Halbleiterschutz, spielt die menschliche Wahrnehmung eher eine Rolle für die Vermittlung technischer Information. Die qualia sind nicht das Ziel, sondern Weg und Hindernis zugleich: Erfindungen und technische Lösungen müssen de lege lata Menschen verständlich gemacht werden. Ihr Empfänger und Nutzer könnte grundsätzlich aber auch eine Maschine ohne bewusstes Innenleben mit der nötigen Informationsverarbeitung sein. De lege ferenda wäre eine Offenbarung in maschinenlesbarer Form oder bereits als ausführbare Software dogmatisch und rechtspolitisch denkbar. Beispiele: Den Coen-Brüdern ging es im Film „The Big Lebowski“ nicht nur um die Vermittlung bestimmter sachlicher Informationen über die Figuren oder die Handlung, sondern um die Anregung der Sinne und des Geistes (der qualia) der Zuschauer. Die Veröffentlichung der Patentschrift für einen neuartigen Dosenverschluss hingegen zielt ausschließlich auf eine für Menschen verständliche Informationsvermittlung. Immaterialgüterrecht lässt sich also nicht als homogenes Informationsbestimmungs- oder -vermittlungsrecht erfassen. Erst die Dimension der qualia macht die Unterschiede zwischen den Immaterialgütern verständlich. Nicht einmal eine Kosmetikmarke ist als Zeichen zur Vermittlung von Information über die Herkunft der Kosmetik hinreichend beschrieben. Die (streitigen) Markenfunktionen umfassen auch den Schutz von Aspekten wie „Anziehungskraft“, „Ruf“, „Ansehen“ und „Image“ einer Marke.710 Diese Aspekte ließen sich einer Maschine nicht oder nur sehr 710 Siehe nur EuGH GRUR 2009, 756 Rn. 49 f. – L’Oreal; Fezer, MarkenG, Einl. D Rn. 1 ff.; siehe auch oben § 5 D. III. 4. c) Relevanz des „Markenwerts“, d) Marken als intersubjektive Realitäten.
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana219
bedingt vermitteln, da sie Emotionen/Gefühle vermitteln – sie beziehen sich auf innere menschliche Reaktionsmuster.
Im Ergebnis erweisen sich die qualia als nützliches Differenzierungsmerkmal zwischen den verschiedenen immaterialgüterrechtlich geschützten Informationsgütern. Urheber-, Design- und Kennzeichenrecht schützen Güter, deren Nutzen im Eindruck auf die menschliche Wahrnehmung liegt. Die über Patentrecht, Gebrauchsmusterrecht und Halbleiterschutz geschützten Informationen setzen zwar auch einen Beobachter voraus, um Bedeutung zu erlangen. Sie können den ihnen zugedachten Nutzen aber theoretisch auch in Maschinen erfüllen. Beispiel: Ein 3D-Drucker kann theoretisch anhand entsprechender Daten einen neuartigen Dosenverschluss ausdrucken, also eine Erfindung oder ein Gebrauchsmuster herstellen. Es gibt jedoch keine Maschine, die „The Big Lebowski“ in dem Sinne verstehen kann, wie der Film „gemeint“ ist, eine Maschine kann auch nicht das mit einer bekannten Marke verbundene Image „verstehen“ und entsprechende Gefühle entwickeln. Der Softwareschutz bietet demgegenüber ein Beispiel für Immaterialgüter, die schon heute ohne jegliche Zwischenschaltung menschlichen geistigen Erlebens ihre volle Wirkung entfalten können. Firmware, also Software, die Maschinen steuert, entfaltet ihre Wirkung vollständig unabhängig von menschlichen Rezipienten. So kann etwa ein Rasenmähroboter ohne menschliche Beteiligung vom Server des Herstellers ein Update erhalten und danach anders als zuvor funktionieren.
Kurz: Das bisherige „Geistige Eigentum“ schützt Immaterialgüter, die vom menschlichen Geist für den menschlichen Geist geschaffen wurden. Eine Ausweitung auf Maschinen als Schöpfer und Rezipienten bedeutete in Feldern wie dem Urheber-, Marken- oder Designrecht daher eine fundamentale Systemänderung, die auf veränderte Grundgedanken und Gerechtigkeitserwägungen gestützt werden müsste.
E. Grenzfälle: Menschenfremde Immaterialgüter Gezeigt wurde, dass die gesetzlichen Immaterialgüterrechte einen unterschiedlich starken Bezug zu Menschen bzw. menschlichem Bewusstsein aufweisen. Inhaltlich ergeben sie für Maschinen aus prinzipiellen Gründen keinen „Sinn“, da Maschinen auf die syntaktische Ebene beschränkt sind (und dies wohl auf absehbare Zeit bleiben). Obwohl das Patentrecht und in ähnlicher Weise auch andere technische Schutzrechte wie der Gebrauchsmuster- oder Halbleiterschutz tendenziell offen für maschinelle Schöpfungen sind, ist auch ihr Schutz de lege lata auf menschliches Bewusstsein gerichtet: Während menschliche Immaterialgüter für Maschinen prinzipiell unverständlich sind, müssten demzufolge maschinell geschaffene Immaterialgüter dem menschlichen Bewusstsein zugänglich bleiben. Gibt es aber im Immaterialgüterrecht vielleicht schon heute Stellen, die Schutz für menschenfremde Immaterialgüter bieten? Im Folgenden soll ausgelotet werden, welches geschützte Immaterialgut am wenigsten Semantik711 erfordert und 711 Wieder
stellen sich Abgrenzungsfragen. Wie oben ausgeführt, kann die Schwelle dessen,
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
ob es vielleicht sogar Schutz für rein syntaktische Informationen gibt. Dabei ist die hier angenommene Dichotomie von Idealgütern und Informationen zu beachten. Ein pauschaler Einwand könnte lauten, dass der Schutz immaterieller Güter in der Vergangenheit wie heute von Gerichten überprüft wird, auch bei technischer orientierten Schutzrechten wie dem Datenbankschutz (§§ 87a ff. UrhG) oder Softwareschutz (§§ 69a ff. UrhG) wird die Schutzfähigkeit von Menschen überprüft. Daraus könnte man folgern, dass die gesetzlichen Immaterialgüter keine aus menschlicher Sicht bedeutungsfreien syntaktischen Informationen schützen. Es kommt aber darauf an, worauf diese Prüfung gerichtet ist. Ein Mensch könnte durchaus bestimmte Kriterien von Datensätzen überprüfen, ohne diese dafür verstehen zu müssen. Die entscheidende Frage lautet also, auf welcher Stufe wieviel Verständnis erforderlich ist.
I. Für Menschen unverständliche Immaterialgüter – Beispiele Welcher Art könnten Informationen sein, die aus menschlicher Sicht keinerlei Semantik haben und dennoch ökonomisch wertvoll sind? In der Diskussion um Schutzrechte an Daten wird mitunter die Existenz rein syntaktischer Informationen in Form von Maschinendaten ohne semantischen Gehalt nahegelegt.712 Wie gesagt kann Semantik auf unterschiedlichen Ebenen vorliegen und ist abhängig vom Rezipienten sowie dessen Wissensstand.713 Ein erstes Beispiel für aus menschlicher Sicht unverständliche Information könnte die Kommunikation von Maschinen untereinander (M2M-Kommunikation) sein. Eine insofern in jüngerer Zeit intensiv erforschte Technik ist die Kommunikation künstlicher Agenten, die einander Nachrichten schicken oder miteinander verhandeln: Beispiel: Schlagzeilen machte ein von Facebook durchgeführtes Experiment mit Chatbots, die miteinander über Gegenstände verhandeln sollten, die für Menschen als Bälle, Hüte und Bücher dargestellt waren.714 Der Fokus lag dabei auf dem Einsatz von end-to-end dialog agents715 die mit reinforcement learning trainiert wurden.716 Da jedoch die englische Sprache nicht als Parameter vorgegeben war, glitten die Maschinen schnell in eine eigene Sprache ab. was man als semantische Information versteht, verschoben werden – man könnte die Bedeutung eines einzelnen Buchstabens, eines Wortes oder auch erst eines Satzes ausreichen lassen. 712 Vgl. Zech, CR 2015, 137 (138). 713 Siehe oben § 5 C. I. 2. Semantische Ebene; V. Bedeutung als konstitutives Merkmal von Information. 714 Siehe den Beitrag der Facebook AI-Forscher Lewis/Yarats/Dauphin u. a., arXiv: 1706.05125v1 sowie den Bericht unter http://tinyurl.com/ycrsm3pa (https://code.facebook.com). 715 Während bisherige Systeme nach dem Prinzip der Lückenfüllung in einem gegebenen Kontext funktionieren (z. B. Restaurantbuchungen bei denen Ort, Preis und Art der Küche ermittelt werden sollten) sind end-to-end-Systeme anwendungsoffen für gänzlich neue Aufgaben und Umgebungen, vgl. Bordes/Boureau/Weston, arXiv:1605.07683v4. 716 Der Gegensatz wäre supervised learning, bei dem die Nachahmung menschlicher Handlungen trainiert, nicht aber auf die Erreichung eigener Ziele des Bots gezielt wird. Supervised learning ermöglicht es Bots z. B., Verbindungen zwischen Sprache und Bedeutung herzustellen, http://tinyurl.com/ycrsm3pa (https://code.facebook.com).
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana221
Diese bestand zwar aus bekannten Schriftzeichen, war für Menschen aber unverständlich. Hier ein Auszug: „Bob: i can i i everything else . . . . . . . . . . . . . . Alice: balls have zero to me to me to me to me to me to me to me to me to Bob: you i everything else . . . . . . . . . . . . . . Alice: balls have a ball to me to me to me to me to me to me to me Bob: i can i i everything else . . . . . . . . . . . . . . Alice: balls have a ball to me to me to me to me to me to me to me Bob: i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alice: balls have zero to me to me to me to me to me to me to me to me to“717 Solche für Menschen unverständlichen Verhandlungen führen nach Aussagen der Facebook-Forscher tatsächlich oft (aber nicht immer) zu sinnvollen Verhandlungsergebnissen, sind also keine Fehlfunktion.718 Die Entwicklung eigener Sprachen ist ein längst bekanntes Phänomen in „multi-agent systems“. Auch andere KI-Forscher berichten von „languages with a coherent structure, and defined vocabulary and syntax – though not always actual meaningful, by human standards“.719 Die eigentliche Aufgabe liegt darin, künstliche Agenten dazu zu bringen, eine für Menschen halbwegs verständliche Sprache zu nutzen.720 In einem weiteren Beispiel entwickelten die Agenten eine durch strikte Wortreihenfolgen und Hierarchien geprägte Sprache in der „5747“ an erster Stelle der Nachricht für Tiere und z. B. „5747 5747 7125 * *“ für eine bestimmte Bärenart stand.721
Wie die Beispiele zeigen, führt die nicht auf menschliche Sprachen festgelegte Kommunikation unmittelbar zur Entstehung von für Menschen unverständlichen künstlichen Sprachen, die zur Lösung der gestellten Aufgabe aber durchaus zielführend sein können. Es ist also eine relevante Frage, ob Ausschnitte solcher unverständlichen Sprachen rechtlichen Schutz genießen könnten. Ein momentan noch praxisnäheres Beispiel ist die Kommunikation physischer Maschinen untereinander über festgelegte Protokolle. Beispiel: Ein praktischer Anwendungsfall ist die M2M-Kommunikation von Wasserwerken mit Pumpwerken und Hochbehältern, bei der etwa eine Verschlechterung der Wasserqualität vom Wasserwerk an eine Pumpe gemeldet werden kann, die „den Job ‚Hochbehälter füllen‘ an ein anderes Pumpwerk delegieren“ kann.722
Solche einfacheren Maschinenbefehle können freilich noch von menschlichen Spezialisten verstanden werden. Auch für diese Form der M2M-Kommunikation ist aber denkbar, dass sie eines Tages ein Niveau erreicht, das sich unmittelbarem 717
LaFrance, The Atlantic v. 20.6.2017. LaFrance, The Atlantic v. 20.6.2017. 719 LaFrance, The Atlantic v. 20.6.2017. 720 Siehe etwa Lazaridou/Peysakhovich/Baroni, arXiv/1612.07182v2; Das/Kottur/Moura u. a., arXiv/1703.06585v2. 721 Havrylov/Titov, arXiv/1705.11192v1, 5 f. 722 Bauernhansl/Hompel/Vogel-Heuser, Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik, 335 ff. 718
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
menschlichem Verständnis gänzlich entzieht. Stellt man sich etwa vor, dass Protokolle aus „Roboterkonversationen“ als schutzfähig anerkannt würden, die Menschen weder nach ihrer Qualität noch nach anderen Kriterien einordnen können, müsste man entweder auf inhaltliche Schutzschwellen verzichten, oder Maschinen die Beurteilung überlassen. Ein komplizierterer Fall liegt in bestimmten Anwendungsfeldern künstlicher Intelligenz. Dort geht es nicht um die Kommunikation künstlicher Agenten untereinander, sondern um Problemlösungen durch KI, die in der Input/Output-Betrachtung zwar außerordentlich erfolgreich, für Menschen inhaltlich aber ebenfalls nicht nachvollziehbar sind. Die momentan erfolgreichste Herangehensweise arbeitet mit durch Software erstellten neuronalen Netzen,723 die sich an der Funktionsweise des menschlichen Gehirns orientieren. Diese Technik liefert schon seit einigen Jahren beeindruckende Ergebnisse.724 Geht es aber darum, einzelne Entscheidungsmechanismen im Detail nachzuvollziehen, stehen Menschen vor einer „Black Box“. „Especially with the newer neural methods, in one aspect the networks are as opaque as the human brain: Instead of having the knowledge neatly stored in a format that has an obvious connection to the task at hand, the information is diffused into ostensibly random locations, every little neuron and every synapse having a state, doing the job they were trained to do – but the big picture is elusive and difficult to decipher. In a telephone book, it’s easy to reason about how and where the last digit of your phone number is stored, but where is it stored in your brain, or, for that matter, in an artificial neural network trained to memorize phone numbers? In critical applications like, say, diagnosing cancer from X-ray images, how do we know if a particular prediction is accurate? In a way, we’re teaching the machine, but it’s not teaching us back.“725
Das Bedürfnis, Details des Prozesses zu verstehen und beeinflussen zu können ist keineswegs theoretischer Natur. Wird künstliche Intelligenz zur Entwicklung von Krebsmedikamenten oder -therapien, zur Steuerung autonomer Waffensysteme, der Entscheidung über wichtige Lebensbereiche (z. B. Risikoeinstufung für Versicherungen, Kredite, Mietverträge) oder der Personenerkennung in sensiblen Bereichen (z. B. bei der Erstellung von Fahndungslisten) eingesetzt, besteht ein dringendes Bedürfnis, Entscheidungen nachvollziehen und Einfluss nehmen zu können. Darauf reagieren erste Gesetzgebungsakte wie etwa der KI-VO-E,726 der an sog. Hochrisiko-KI-Systeme (Art. 6 KI-VO-E) eine Reihe von Anforderungen stellt. Zu ihnen gehört unter anderem eine wirksame menschliche Aufsicht, zu der gehört, dass menschliche Aufseher in der Lage sind, „die Fähigkeiten und Grenzen des Hochrisiko-KI-Systems vollstän-
723 Diese liegen auch den oben zitierten end-to-end dialog systems zugrunde, Bordes/Boureau/Weston arXiv:1605.07683v4. 724 Siehe Fink, ZGE/IPJ 9 (2017), 288. 725 Fink, ZGE/IPJ 9 (2017), 288 (296). 726 COM(2021) 206 – Vorschlag für eine VO zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz.
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana223
dig zu verstehen und seinen Betrieb ordnungsgemäß zu überwachen“ und „die Ergebnisse des Hochrisiko-KI-Systems richtig zu interpretieren“ (Art. 14 Abs. 3 lit. a), c) KI-VO-E).
Die Problematik eines tieferen Verständnisses neuronaler Netzwerke ähnelt aber der Schwierigkeit, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln.727 Daher stellt sich auch für das Immaterialgüterrecht die Frage, inwieweit die zugrunde liegenden Maschineninformationen monopolisiert werden sollten. Hier stehen Probleme der rechtstechnischen Seite eines möglichen Schutzes im Mittelpunkt, die von Fällen ausgehen, in denen die Funktionsweise oder „Sprache“ eines informationsverarbeitenden Systems für Menschen nicht nachvollziehbar ist. Sollen etwa nur einzelne Aspekte – z. B. nur bestimmte Mechanismen eines intelligenten Systems – geschützt werden, bereitet schon die Überprüfung einer (dann festzulegenden) Schutzschwelle Schwierigkeiten. Zumindest wären die beurteilenden Gerichte auf inhaltliche Hilfe von Maschinen angewiesen. Diese Systeme würden dann ihrerseits eine Art künstlicher Intelligenz beinhalten. Für Maschinen gilt allerdings die oben728 erwähnte Besonderheit, dass sich ihnen semantischer Gehalt prinzipiell verschließt – Computer sind Verarbeitungsanlagen für syntaktische Informationen. Es gibt den Ansatz, Bewusstsein informationstheoretisch i. d. S. zu erklären, dass Bewusstsein auf Informationen reduzierbar und also auch nicht an biologische Systeme gebunden ist.729 Dabei scheint bislang aber nicht einmal die entscheidende Frage beantwortet zu werden, warum es überhaupt einen speziellen Zusammenhang zwischen Informationstheorie und Bewusstsein i. S. d. oben beschriebenen Subjektivität geben soll; zudem ignoriert das damit einhergehende panpsychistische Verständnis von Bewusstsein den Umstand, dass dieses immer in abgegrenzten Einheiten (etwa dem Bewusstsein eines bestimmten Menschen) auftritt.730
Im Folgenden sind zwei Schutzrechte zu untersuchen, die unverständlichen Immaterialgütern wie den gezeigten de lege lata am ehesten Schutz bieten könnten. Ausgerechnet im Urheberrecht untergebracht wurden zwei Bereiche, die stark technisch geprägt und auch nicht unmittelbar auf die menschliche Rezeption gerichtet sind: der Softwareschutz (§§ 69a ff. UrhG) und der Datenbankenschutz sui generis (§§ 87a ff. UrhG).
II. Urheberrechtsschutz für Computerprogramme Computerprogramme sind wohl das Immaterialgut, für dessen Entwicklung und Nutzung am umfänglichsten auf Maschinen, i. e. Computer zurückgegriffen wird. Denkbare menschenfremde Immaterialgüter sind also Programme, die von Computern für Computer oder für Menschen entwickelt werden. Die Erkenntnisse 727 Chen/Zhou/Gong u. a., Front. Comput. Neurosci. 14/580632 (2020); Fink, ZGE/IPJ 9 (2017), 288 (296). 728 Siehe oben § 5 C. V. 2. Menschliches Bewusstsein und Information. 729 Koch, Consciousness: Confessions of a Romantic Reductionist, 2012. 730 Searle, The New York Review of Books, Vol. 59, No. 21 (10.1.2013).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
zum Schutz dieser nicht-menschlich geschaffenen Immaterialgüter lassen sich auf andere Konstellationen übertragen. Fotos, Filme und Musik können gleichfalls unter einem so weitgehenden Einsatz von Maschinen geschaffen werden, dass die Annahme einer menschlichen Schöpfung nicht überzeugt.731 Beispiele: Drohnen und andere Maschinen können Fotos nach Regeln aufnehmen, die den Aufnahmeprozess gänzlich vom Einfluss ihres menschlichen Nutzers entkoppeln. Schon beim Einsatz von Fotofallen, die häufig in der professionellen Wildtierfotografie genutzt werden, ist nicht ohne Weiteres klar, ob die Einrichtung der Falle, in der dann ein Tier die Kamera auslöst, ein urheberrechtlich geschütztes Foto entstehen lässt. Musiksoftware kann Musik beliebiger Stilrichtungen anhand allgemeiner Vorgaben produzieren, wobei das Ergebnis für Rezipienten nicht von menschengemachter Musik unterscheidbar ist.
Lässt man das geltende Schöpferprinzip beiseite, stellt sich die Frage, inwieweit die Daten und Informationen, aus denen Computerprogramme bestehen, für Menschen Bedeutung haben. Handelt es sich überhaupt um etwas, das verstanden werden kann? M. E. darf hier eine vorsichtige Analogie zu der oben angesprochenen Zuhilfenahme technischer Geräte bei der Werkrezeption gezogen werden. Ebenso wenig wie die Daten digitalisierter Filme oder Musik für Menschen verständlich sind, setzt auch die teleologische Schutzentscheidung bei Computerprogrammen nicht auf Ebene der genauen Codierung, sondern bei der für Menschen rezipierbaren schöpferischen Leistung des (per Definition menschlichen) Urhebers an. Die scheinbare Besonderheit des Schutzes von Computerprogrammen liegt darin, dass sich der Schutz auf „alle Ausdrucksformen“ des Programms erstreckt (Art. 1 Abs. 2 S. 1 SoftwareRL;732 § 69a Abs. 2 S. 1 UrhG). Diesen Schutz, der bis auf die Ebene des Quellcodes hinabreicht, könnte man als Zuweisung eines von menschlichem Verständnis zumindest weit entfernten Immaterialguts verstehen. Doch sind auch diese Ausdrucksformen nur geschützt, sofern gerade in ihnen die menschliche geistige Leistung zum Ausdruck kommt. Es schadet daher nicht, wenn Maschinencode oder dergleichen für Menschen nicht verstehbar ist; es genügt, wenn er sich in für Menschen verständlichen Softwareanwendungen niederschlägt. Damit schützt der momentane gesetzliche Schutz von Computerprogrammen keine reinen syntaktischen Informationen, sondern setzt semantisches Verständnis voraus. Es bleibt bei dem Problem, dass das Urheberrecht auf geistige und damit für Menschen beurteilbare Schöpfungen abstellt. Der nächste Blick soll daher einem Immaterialgüterrecht gelten, das gerade diese formale Schwelle nicht mehr kennt.
III. Datenbankschutz sui generis, §§ 87a ff. UrhG Der Datenbankschutz sui generis ist nicht urheberrechtlicher Natur, sondern ein noch junges, eigenständiges, vom Urheberrecht zu unterscheidendes europäisches Immaterialgüterrecht das dem Investitionsschutz dient.733 Entsprechend ver731
Siehe dazu z. B. oben bei Fn. 696. RL 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen. 733 Schricker/Loewenheim/Vogel, UrhG, § 87a Rn. 34, 5; Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, vor 732
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana225
drängt es den allgemeineren lauterkeitsrechtlichen Investitionsschutz über §§ 3, 4 Nr. 3 UWG weitestgehend.734 Der hierzu parallel mögliche Urheberrechtsschutz schöpferischer Datenbanken (§ 4 Abs. 2 UrhG) setzt eine persönliche geistige Schöpfung voraus, im europäischen Urheberrecht ist das Kriterium der Originalität735 maßgeblich. Dieses ist erfüllt, wenn der Urheber der Datenbank „über die Auswahl oder Anordnung der in ihr enthaltenen Daten seine schöpferischen Fähigkeiten in eigenständiger Weise zum Ausdruck bringt, indem er freie und kreative Entscheidungen trifft […], und ihr damit seine ‚persönliche Note‘ verleiht […].“736 Für den Datenbankschutz sui generis hingegen liegt die entscheidende Schwelle in der Frage, ob die „Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordert“ (§ 87a Abs. 1 S. 1 UrhG). Auch wenn noch andere Vorschriften im UrhG Schutz für unternehmerische Leistungen gewähren (etwa der Tonträgerhersteller- oder Veranstalterschutz), ist § 87a UrhG die einzige Regelung des UrhG, die ausdrücklich Investitionen als Schutzvoraussetzung nennt. Dies zeigt noch einmal ihre Sonderstellung. Entsprechend steht die Zuweisung des Schutzrechts an einen Berechtigten in keinem Zusammenhang mit irgendeiner Form schöpferischer Tätigkeit, vielmehr genügt eine hinreichende Investition.737 ErwG 41 DatenbankenRL738 stellt fest: „Hersteller einer Datenbank ist die Person, die die Initiative ergreift und das Investitionsrisiko trägt.“739 Abgesehen von den unterschiedlichen Schutzschwellen decken sich die damit in Bezug genommenen Definitionen von Datenbanken in § 87a Abs. 1 UrhG und § 4 Abs. 2, 1 UrhG, da beide auf Art. 1 Abs. 2 DatenbankenRL beruhen. Erforderlich ist eine „Sammlung von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind.“
Vorliegend sind zwei Aspekte des Datenbankschutzes besonders interessant: Was ist das eigentliche Schutzobjekt und nach welchen Kriterien wird es beurteilt? – und – Gibt es Mindestkriterien für die Elemente, aus denen die Datenbank besteht? §§ 87a ff. Rn. 8 f.; Wandtke/Bullinger/Hermes, UrhG, vor §§ 87a ff. Rn. 1, 28 („investitions- und unternehmensbezogenes Immaterialgüterrecht“; „unternehmensbezogenes Leistungsschutzrecht zur Gewährleistung eines Investitionsschutzes“). 734 Spindler/Schuster/Wiebe, Recht der elektronischen Medien, § 87a UrhG Rn. 1 f., 4. Siehe zum lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz für Daten Becker, GRUR 2017, 346. 735 Siehe oben C. III. 2. Maschinen als Rezipienten. 736 EuGH GRUR 2012, 386 Rn. 38 – Football Dataco; siehe auch Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, § 4 Rn. 19, 11. 737 Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, § 4 Rn. 20. 738 RL 96/9/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken. 739 Siehe auch BGH GRUR 2011, 1018 Rn. 32 f. – Automobil-Onlinebörse; BGH GRUR 2011, 724 Rn. 26 – Zweite Zahnarztmeinung II (stellt ab auf organisatorische Verantwortung und wirtschaftliches Risiko); BGH GRUR 2010, 1004 Rn. 22 – Autobahnmaut; BGH GRUR 2011, 1018 Rn. 19 – Automobil-Onlinebörse.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
1. Schutzobjekt des Datenbankschutzes sui generis Als eigentliches Schutzobjekt des Datenbankschutzes bezeichnet ErwG 15 DatenbankenRL die „Struktur der Datenbank“. Viele Literaturstimmen ringen mit der korrekten Abgrenzung, da der Schutz einerseits keine Rechte an den „Werken, Daten oder Elementen“ der Datenbank gewähren (ErwG 46 DatenbankenRL), andererseits aber den „Inhalt“ der Datenbank (ErwG 58 DatenbankenRL) erfassen soll.740 Wie nun schon mehrfach ausgeführt wurde, ist die Informationstheorie eine Strukturwissenschaft und die Existenzform von Information ist Struktur.741 Jede Form von Information basiert auf einer Struktur die z. B. als Zeichen verstanden und der/dem ggf. eine bestimmte Bedeutung beigemessen wird. Zudem bestehen urheberrechtliche Werkexemplare aus weit mehr Informationen als urheberrechtlich geschützt werden. – Schutz genießen daher nur die Teile des Werkes, die die Schutzvoraussetzungen erfüllen, was z. B. die Vervielfältigung großer Ausschnitte eines Werks erlauben kann, die aus nicht-originell kombinierten Standardelementen bestehen. In verwandter Weise genießen auch bei Datenbanken nicht sämtliche Informationen Schutz, aus denen die Datenbank besteht,742 sondern nur die Struktur ihrer Zusammensetzung. Diese Struktur ist ebenfalls Information, man könnte hier auch von „Meta-Information“ sprechen. Da die Datenbank zwar aus einer Sammlung von Elementen (die aus Zeichen bestehen) besteht, selbst aber kein Zeichen ist, ist der Schutzgrund der immateriellen Struktur der Datenbank zuzuordnen. Sofern man den Strukturbegriff – wie hier 743 – körperlich verortet, kann nur auf den allgemeineren Formbegriff abgestellt werden: Was Datenbanken ausmacht ist ihr besonderer Formgehalt i. S. e. bestimmten informationellen Anordnung syntaktischer Informationen.744 Im Datenbankschutz nach §§ 87a ff. UrhG spielt dies zwar keine ausdrückliche Rolle, es zeigt aber, dass es außerhalb der Elemente der Datenbank einen schutzfähigen Gegenstand gibt,745 den man als immaterielle Struktur (oder mit dem allgemeineren Ausdruck „Formgehalt“) bezeichnen könnte. In diesem Sinne hat man sich den Schutzgegenstand des Datenbankenschutzes vorzustellen – als Informationsanordnung, die ihrer Strukturiertheit wegen geschützt ist: Der Hersteller wird dafür belohnt, Daten in diese Form/Struktur gebracht zu haben, nur ist Ansatzpunkt der Zuweisung nicht die eigentliche Leistung, sondern die darauf gerichtete Investition und Organisation (siehe auch ErwG 7 DatenbankenRL). An die Qualität der geschaffenen Form/Struktur werden nur geringe Anforderungen gestellt. ErwG 17 verlangt eine systematische oder methodische Anord740
Siehe Wandtke/Bullinger/Thum/Hermes, UrhG, § 87a Rn. 3 ff. Siehe oben § 5 C. IV. Die Existenzweise von Information. 742 Insbesondere ihre Elemente sind vom Schutz ausgenommen (ErwG 46). 743 Siehe oben § 5 C. IV. 2. Die Information existiert in der Struktur, I. 3. Strukturelle Ebene. 744 Vgl. oben § 5 C. IV. 1. Der Formgehalt und die quantitative Definition von Information. 745 Es ist so ähnlich wie bei einem Gemälde, dessen Farbpigmente bei hinreichender Vergrößerung sichtbar werden – die Pigmente genießen keinen Urheberrechtsschutz, nur das Gemälde. 741
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana227
nung der Elemente. Insofern genügt es, „das ‚banale‘ Ziel der Auffindbarkeit der Elemente im Blick zu halten“.746 Eine entscheidende Frage lautet aber, ob sich die Anordnung an menschliche Nutzer richten muss. Der historische Gesetzgeber hat offensichtlich in erster Linie an die Zugänglichmachung von Informationen für Menschen gedacht.747 Laut ErwG 21 S. 2 DatenbankenRL ist es nicht erforderlich, daß die „physische Speicherung“ der Daten „in geordneter Weise erfolgt“. Entsprechend führte das OLG Köln in einem Grenzfall, in dem „ungeordnet“ gespeicherte Daten über ein Abfragesystem gezielt im Browser wiedergegeben werden konnten,748 aus, dass es auf „die Verbindung des Datenbestands mit einem Abfragesystem, das zielgerichtete Recherchen nach Einzelelementen in diesem Datenbestand ermöglicht“ ankomme.749 In dieser „Möglichkeit der Wiederauffindbarkeit der Elemente durch ein Abfragemittel“ sieht Wiebe den Unterschied zur „Sammlung von Rohdaten“.750 Doch geht es bis hier immer noch um den Abruf der Elemente durch menschliche Nutzer. Wie liegt es bei Datenbanken, die ausschließlich von Maschinen genutzt751 werden? Wiebe weist zu Recht darauf hin, dass moderne Big Data-Analysen Daten von vornherein in einer gewissen Systematik speichern, die zwar nicht dem Bild von Datenbanken der 1990er Jahre entsprächen, wohl aber dem eines klassischen Datenbankmanagementsystems.752 Die für Industrie 4.0- und IoT-Anwendungen typische Speicherung von Sensordaten dürfte also hinsichtlich der Anordnung der Elemente dem Datenbankschutz unterfallen. Eine Antwort auf die eigentliche Frage ist das aber nicht. Teleologisch zielt der Datenbankschutz sui generis auf „die Entwicklung des Informationsmarktes in der Gemeinschaft“ (ErwG 9 DatenbankenRL), „Investitionen in fortgeschrittene Informationsmanagementsysteme“ (ErwG 10 DatenbankenRL) und in „moderne Datenspeicher- und Datenverarbeitungs-Systeme“ (ErwG 12 DatenbankenRL).753 Im Fokus stand ursprünglich ein verbesserter Zugang von Menschen zu Daten und Informationen, etwa mit Blick auf das kul746 Fromm/Nordemann/Czychowski,
UrhG, § 87a Rn. 12. diese Problematik hat Zech bereits aufmerksam gemacht, ders., GRUR 2015, 1151 (1157) (hinter der Regelung stehe ein klassisches Verständnis von Datennutzung, das von einer „Sammlung von durch Nutzer ohne Weiteres wahrnehmbaren und so nutzbaren Daten“ ausgehe; diesem Verständnis genau entgegengesetzt sei das „Big Data-Paradigma“ nach dem Datenanalysen auch „unbedeutendste Rohdaten“ zu Gütern machten). 748 Die Bekl. versuchte vergeblich, „Abfragesystem (PHP-Script), Art der Datenspeicherung (die XML-Datei auf dem Server des DWD) und gespeicherte Informationen (die METAR-Datensätze und deren einzelne Bestandteile) getrennt zu betrachten und aus der fehlenden Datenbankqualität einzelner Teile auf die fehlende Datenbankqualität des gesamten Systems zu schließen“, OLG Köln MMR 2007, 443 (444) – Wetterdienst. 749 OLG Köln MMR 2007, 443 (444) – Wetterdienst; siehe auch BeckOK UrhG/Vohwinkel, § 87a Rn. 31 ff. 750 Wiebe, GRUR 2017, 338 (340). 751 Siehe oben I. Für Menschen unverständliche Immaterialgüter – Beispiele. 752 Wiebe, GRUR 2017, 338 (340). 753 Siehe auch EuGH GRUR 2005, 252 Rn. 24 – Fixture/Svenska Spel AB (Fixtures I); EuGH GRUR 2015, 1187 Rn. 16 – Freistaat Bayern/Verlag Esterbauer GmbH. 747 Auf
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
turelle Gemeinschaftserbe.754 Maschinenkommunikation, Industrie 4.0, IoT oder KI spielten bei der Entstehung des Gesetzes in der ersten Hälfte der 1990er Jahre noch keine Rolle. Prinzipiell bieten die genannten Zwecke aber Platz für Datenbanken, deren Inhalte für Menschen keine Bedeutung haben bzw. nur von Maschinen genutzt werden. Wenngleich Wiebe zu der Frage des Abrufenden nicht explizit Stellung nimmt, spricht auch er sich für eine Anwendung des Datenbankschutzes auf Big Data-Analysen und Sensordaten aus,755 was die Nutzung der Datenbanken durch Maschinen einschließen dürfte. In der jüngeren Entwicklung zählte die Frage der expliziten Erweiterung der DatenbankenRL auf maschinenerzeugte Daten zu den Gegenständen ihrer Evaluation.756 Dabei stand im Vordergrund, dass die Sammlung und Erzeugung von Maschinendaten schwer trennbar ist und Rohdaten von wesentlicher Bedeutung für die Digitalwirtschaft sind.757 Diese Problematik wurde im Data Act-E758 immerhin insofern aufgegriffen, als nach Art. 35 Data Act-E Datenbanken, die Daten enthalten, die durch die Verwendung eines Produkts oder einer damit verbundenen Dienstleistung gewonnen oder erzeugt wurden, vom Datenbankschutz ausgenommen sein sollen.
2. Elemente der Datenbank Welche Anforderungen stellt nun der sui generis-Schutz nicht-schöpferischer Datenbanken an die Elemente einer Datenbank? Der Begriff der Elemente ist offen, die DatenbankenRL spricht von „literarischen, künstlerischen, musikalischen oder anderen Werken sowie von anderem Material wie Texten, Tönen, Bildern, Zahlen, Fakten und Daten“ (ErwG 17, siehe auch Art. 1 Abs. 2; ErwG 13 DatenbankenRL). Ebenfalls geschützt sind für den Betrieb oder die Abfrage erforderliche Elemente wie etwa Thesauri oder Indexierungssysteme (ErwG 20). Die bisher ergangenen Entscheidungen ergaben eine große Bandbreite anerkannter Elemente, wobei deren Unabhängigkeit voneinander weit größere Aufmerksamkeit galt als ihrem semantischen Gehalt.759 Beispiele sind Daten von Marktstudien und aus einem EDV-gesteuerten Ticket-Verkaufssystem: In der ersten Entscheidung bejahte der BGH Datenbankschutz für Marktdaten, die sich auf „Marktanteile der Anbieter von ‚Handheld-Geräten‘, von Monitoren und von Lautsprechern sowie auf die Absatzzahlen von Multimediageräten auf dem deutschen Markt“ bezogen.760 Zu dem gleichen Ergebnis kam das KG für ein EDV-gesteuertes Ticket-Ver754
ErwG 9 ff. KOM(92) 24 endg. Wiebe, GRUR 2017, 338 (340, 345); siehe auch Zech, GRUR 2015, 1151 (1157). 756 Siehe SWD(2018) 146; Fisher/Bodea/Radauer u. a., Study in Support of the Evaluation of Directive 96/9/EC on the Legal Protection of Databases. 757 SWD(2018) 146, 35 ff. 758 COM(2022) 68 – Vorschlag für eine Verordnung über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung. 759 Siehe nur die Übersichten bei Fromm/Nordemann/Czychowski, UrhG, § 87a Rn. 10; Spindler/Schuster/Wiebe, Recht der elektronischen Medien, § 4 UrhG Rn. 7 ff. 760 BGH GRUR 2005, 940 – Marktstudien; zuvor OLG München GRUR-RR 2002, 89 – GfK-Daten. 755
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kaufssystem, das „Daten der Veranstalter (Saalpläne, Reservierungen und Kundendaten etc.) sowie auch Daten der Vorverkaufsstellen wie z. B. deren Kundendaten“761 umfasste. In beiden Fällen ging es also um für Menschen verständliche Informationen.
Die hier verfolgte Frage, wie niedrig der semantische Gehalt der Elemente einer Datenbank sein darf, war Gegenstand der Rechtsprechung zur Schutzfähigkeit der Einzeldaten einer Landkarte. Im Ausgangsbeschluss stützte sich der BGH762 auf das vom EuGH in der Fixtures-Rechtsprechung763 entwickelte Kriterium, ob die einzelnen Daten einen „selbstständigen Informationswert“ besitzen, oder ob sie einen solchen nur im Zusammenspiel mit weiteren Daten der Datenbank entfalten. Die Frage betraf zwar jeweils die Unabhängigkeit der Elemente.764 Kommt es für diese aber darauf an, dass die Daten jeweils selbständigen Informationswert besitzen, gilt dies zwangsläufig auch für die Frage, welche kleinsten Bestandteile als Elemente für Datenbanken in Betracht kommen. Gemeint ist mit „Informationswert“ der semantische Gehalt syntaktischer Information (i. e. der einzelnen Daten) – es ging genau um die hier behandelte Frage: Wieviel semantischen Gehalt müssen die Elemente für sich genommen haben? In der Fixtures-Rechtsprechung verlangte der EuGH für die Unabhängigkeit der Elemente, dass sich diese „voneinander trennen lassen, ohne dass der Wert ihres informativen, literarischen, künstlerischen, musikalischen oder sonstigen Inhalts dadurch beeinträchtigt wird“.765 Im Vorabentscheidungsverfahren zum Schutz topographischer Landkarten als Datenbanken stellte der EuGH dann fest, dass ein Element einen solchen „selbständigen Informationswert“ grundsätzlich auch nach seiner Herauslösung aus der Sammlung behalten könne, auch wenn er dadurch gemindert werde.766 Dies gelte auch für geographische Daten einer Landkarte.767 In dieser Frage des „Informationswerts“ einzelner Datenbankelemente zeigt sich die praktische Bedeutung der Kontextabhängigkeit von Information – wie oben ausgeführt wurde, ist für die Frage semantischen Gehalts von Information der sonstige Informationsstand des jeweiligen Betrachters maßgeblich.768 Insofern stellt der EuGH fest, dass es auf die Sicht eines Dritten ankomme, „der sich für das herausgelöste Element interessiert“.769 Dies ist schon die großzügigere Auslegung; als Alternative stand nämlich der „typische Nutzer der betreffenden Sammlung“, der also auf die übrigen Elemente zugreifen kann, zur Debatte.770 761
KG NJW-RR 2000, 1495 (1495). GRUR 2014, 1197 Rn. 19 – TK 50; Vorinstanz OLG München GRUR 2014, 75 – Topografische Karte. 763 EuGH GRUR 2005, 254 Rn. 33 f. – Fixtures/OPAP (Fixtures II). 764 EuGH GRUR 2005, 254 Rn. 33 ff. – Fixtures/OPAP (Fixtures II); BGH GRUR 2014, 1197 Rn. 14 ff. – TK 50. 765 EuGH GRUR 2005, 254 – Fixtures/OPAP (Fixtures II). 766 EuGH GRUR 2015, 1187 Rn. 24 – Freistaat Bayern/Verlag Esterbauer GmbH. 767 EuGH GRUR 2015, 1187 LS und Rn. 29 – Freistaat Bayern/Verlag Esterbauer GmbH. 768 Siehe oben § 5 C. V. 3. Kontextabhängigkeit des semantischen Gehalts einer Information. 769 EuGH GRUR 2015, 1187 Rn. 27 – Freistaat Bayern/Verlag Esterbauer GmbH. 770 EuGH GRUR 2015, 1187 Rn. 27 – Freistaat Bayern/Verlag Esterbauer GmbH. 762 BGH
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Was folgt nun daraus? Auch wenn der EuGH und entsprechend der BGH im Revisionsurteil771 niedrige Maßstäbe für den erforderlichen semantischen Gehalt von Datenbankelementen anlegten, bleibt es doch dabei, dass die einzelnen Elemente aus Sicht eines am herausgelösten Element interessierten Dritten „selbständigen Informationswert“ bzw. „sachdienliche Informationen“ aufweisen müssen. Anschließend an die obigen Ausführungen zur Informationstheorie könnte man nun argumentieren, dass Zeichen aus einem menschengemachten System prinzipiell semantischen Gehalt besitzen, der Schutzbereich also sehr weit reichen müsste. Als einzigen Vergleichsmaßstab nannte der EuGH indes die für Kunden von Sportwettenanbietern interessanten Einzeldaten wie Datum, Uhrzeit und Mannschaften eines Fußballspiels,772 was ein relativ hohes semantisches Niveau bedeuten würde. Wiebe wiederum interpretiert die EuGH-Entscheidung dahingehend, dass sich der Informationswert für den Dritten „aus dem neuen Kontext ergibt, in den die Daten gestellt werden“. Außerdem stößt er die Überlegung an, ob der Dritte identisch mit dem Entnehmer der Daten sein muss und weist auf die Parallelproblematik im Datenschutzrecht hin.773 Würde man hier jeglichen Dritten zulassen, der irgendeine Verwendung für das Einzeldatum hat, wäre das Kriterium des „Informationswerts“ m. E. in der Tat überflüssig. Man wird die Person des Dritten zudem dahin verstehen dürfen, dass er sich – wie auch sonst im Urheberrecht – Maschinen bedienen darf, um Daten zu nutzen. Die Bedeutung der Daten muss sich ihm also nicht aus der menschlichen Betrachtung erschließen. Wiebe entscheidet sich dennoch für besagte Sichtweise, und zwar mit dem Argument, dass andernfalls ein uneinheitliches Schutzniveau, abhängig von der Interessenlage des jeweiligen Verletzers entstünde.774 Die möglichen Abgrenzungen der schutzfähigen Elemente liegen also relativ weit auseinander: Vertretbar wären für viele Menschen mit entsprechendem Vorwissen verständliche Einzeldaten wie Koordinaten, Uhrzeiten oder Gebäude als auch kryptische Zeichenblöcke, die bei Maschinen eines bestimmten Typs eine Reaktion auslösen und über diesen Umweg Nutzen für deren Betreiber entfalten können. Da die Gerichte letztlich keine greifbaren Angaben zum semantischen Mindestgehalt der Elemente machen775 und es im Kontext des Schutzes von überwiegend elektronischen Datenbanken überraschen würde, eine (kaum definierbare) menschliche Verständnisgrenze für die Datenbankelemente einzuziehen, überzeugt Wiebes Ansicht. Der „selbständige Informationswert“ ist kein naturwissenschaftlicher Begriff, sondern ein Rechtsbegriff, der vor einem wirtschaftlichen Hintergrund auszulegen ist. Informationswert haben alle Daten, für die 771
BGH GRUR 2016, 930 Rn. 21 – TK 50 II. GRUR 2015, 1187 Rn. 27 – Freistaat Bayern/Verlag Esterbauer GmbH, verweist auf EuGH GRUR 2005, 254 Rn. 34 – Fixtures/OPAP (Fixtures II). 773 Wiebe, GRUR 2017, 338 (339). 774 Wiebe, GRUR 2017, 338 (339). 775 Ähnlich Wiebe, GRUR 2017, 338 (339) (der EuGH nenne keine „quantitative Untergrenze“ für die Informationsminderung durch Herauslösung). 772 EuGH
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana231
sich zumindest eine mittelbare wirtschaftliche Verwendung findet. Sie müssen für Menschen keinen „Sinn“ ergeben, es genügt, wenn sie per maschineller Datenverarbeitung genutzt werden können. Damit muss es sich nicht einmal um menschengemachte Zeichen handeln. Schutzfähig wären auch Daten einer von Maschinen entwickelten Zeichensprache, jede Form der M2M-Kommunikation ist erfasst.776 Dass die Zwischenevaluation der DatenbankenRL „raw machine-generated databases“ dennoch als nicht vom sui generis-Schutz erfasst ansieht, liegt nicht am geringen semantischen Gehalt der einzelnen Rohdaten, sondern, wie gesagt,777 an dem ebenfalls in der Fixtures-Rechtsprechung778 begründeten Ausschluss von Daten, bei denen die Investitionen in die Erzeugung (creation) floss statt in die Beschaffung (obtaining). Das Ziel ist die Vermeidung von „information monopolies“.779
F. Folgerungen und Ausblick Ausgangspunkt dieses Abschnitts waren zwei Fragen: (1) Setzen die Immaterialgüterrechte menschliche Schöpfer voraus? – und – (2) Setzen die Immaterialgüterrechte menschliche Empfänger voraus?780 Wie bereits zuvor ausgeführt wurde, werden im Immaterialgüterrecht Idealgüter durch Informationen repräsentiert bzw. beschrieben.781 Diese Beschreibungen haben aus menschlicher Sicht besagte Bedeutung. Das Immaterialgut (als das Gemeinte) wird für das menschliche Bewusstsein hierdurch vorstellbar. Die gängigen Definitionen von Immaterialgütern oder „geistigen“ Gütern stellen das subjektive Erleben in den Vordergrund. Diese geistige Vorstellung ist das, worauf Begriffe wie „geistiges Eigentum“ oder „geistige Schöpfung“ abstellen. Sie korrespondiert mit der Bedeutung, die Menschen – als Beobachter – Informationen beimessen können. Dieser Erlebnisgehalt, wird in der Philosophie als qualia bezeichnet. Sie steht für das subjektive Empfinden, das „Sich-Anfühlen“. Ein einfaches Beispiel sind die Emotionen, die etwa durch Musik oder ein Foto bei Menschen ausgelöst werden können.782 Urheberrecht, Designrecht und auch das Kennzeichenrecht stellen in jeweils nicht vernachlässigbarer Weise auf die Manipulation menschlicher qualia ab. Sie richten sich unmittelbar an Menschen, erst menschliche qualia verleiht ihnen ihre Bedeutung und damit ihren Nutzen. Daher muss die menschliche Rezeption stärker in das Verständnis des Immaterialgüterrechts einbezogen werden. Im Einzelnen: 776 Siehe die Beispiele oben unter I. Für Menschen unverständliche Immaterialgüter – Beispiele. 777 Siehe oben 1. Schutzobjekt des Datenbankschutzes sui generis. 778 Siehe EuGH GRUR 2005, 252 Rn. 29 ff. – Fixtures/Svenska Spel AB (Fixtures I); EuGH GRUR 2005, 254 Rn. 45 f. – Fixtures/OPAP (Fixtures II). 779 SWD(2018) 146, 35, 24; siehe auch BGH GRUR 2010, 1004 Rn. 16 ff. – Autobahnmaut. 780 Siehe oben A. Fragestellung. 781 Siehe oben § 5 D. VI. Zwischenergebnis und Folgerungen. 782 Siehe oben B. Das Konzept der qualia.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Das Markenrecht hat zwar keine starke schöpferische Seite, hier liegt die Leistung des Markeninhabers im Aufbau der Marke, also in der Aufladung des Zeichens mit Bedeutung durch unternehmerische Leistungen (zu denen auch das Marketing zählt). Was die rechtlichen Regelungen des Markenrechts angeht, ergeben sie dennoch für ausschließlich an Maschinen gerichtete Zeichen nur wenig Sinn, da der Regelungsfokus auf menschlicher Aufmerksamkeit liegt: Maschinen werden durch Zeichen weder emotional oder affektiv beeinflusst noch verwechseln sie Zeichen.783 Im Patentrecht beschränken sich die Probleme mit maschinellen Schöpfungen (neben dem praktischen Aspekt der Leistungsfähigkeit von KI) auf den Einwand, dass das Patentrecht bislang von menschlichen Erfindern ausgeht, was aber ohne die Verletzung wichtiger Grundpfeiler überwunden werden könnte. Dennoch ist zu betonen, dass eine aus menschlicher Sicht kongeniale maschinelle Erfindung für die Maschine ausschließlich syntaktische Information ist, der sie keinerlei Bedeutung abgewinnen kann.784 Im Urheberrecht drückt die in § 2 Abs. 2 UrhG kodifizierte Definition „nur persönliche geistige Schöpfungen“ keine Schutzschwelle oder dergleichen aus, sondern lediglich, wer für sein Werk gerechterweise Schutz erhalten sollte.785 Es ist der definitorische Ausschluss von Maschinen auf der Schöpferseite. Die Schutzschwellen des Urheberrechts entfalten ihre besondere Bedeutung aber auf der Rezipientenseite, da ihre Anwendung eine bestimmte Art des Verständnisses urheberrechtlicher Werke voraussetzt: Sie stellen nicht auf die Empfindungen oder Fähigkeiten des Urhebers ab, sondern auf die Wahrnehmung der Rezipienten, genauer gesagt auf die Anregung menschlichen Empfindens bei der Werkrezeption. Dies lässt sich noch genauer darstellen, wenn man zwischen Kreativität und Individualität unterscheidet. Maschinen können bereits heute Werke auf einem kreativen Niveau erschaffen, das es Menschen schwierig, teilweise sogar unmöglich macht, sie von menschlichen Werken zu unterscheiden. Maschinen können auch den Grad der Kreativität von Werken messen. Was mit einem Werk gemeint ist, bleibt ihnen aber auf absehbare Zeit verschlossen. Um einen sarkastischen von einem zynischen Kommentar zu unterscheiden oder die Skurrilität eines Bildes zu verstehen braucht es bis auf Weiteres menschliche Rezipienten.786 Genau an dieser Grenze zwischen Syntax und Semantik liegt die entscheidende und bislang unüberwindbare Hürde künstlicher Intelligenz. KI kann durchaus Immaterialgüter wie Erfindungen oder Werke erschaffen. Sie hat aber keinerlei Verständnis für das was sie tut, auch wenn zahlreiche praktische Anwendungen den Anschein erwecken, als hätten (physische oder virtuelle) Maschinen ein solches Verständnis für den Inhalt oder Gegenstand ihres Handelns.787 In der Bezeichnung „Geistiges Eigentum“ ist das „geistig“ daher i. S. e. Wirkung auf den menschlichen 783
Siehe oben C. I. Markenrecht und „Maschinenkennzeichen“. Siehe oben C. II. Patentrecht. 785 Siehe oben C. III. 1. Maschinen als Schöpfer. 786 Siehe oben C. III. 2. Maschinen als Rezipienten. 787 Siehe oben C. III. 3. Folgerungen. 784
§ 7 Realgüter und Idealgüter233
Geist bzw. i. S. v. Erzeugnissen des menschlichen Geistes zu verstehen: Das „Geistige Eigentum“ schützt de lege lata Immaterialgüter die vom menschlichen Geist für den menschlichen Geist geschaffen wurden, also von Menschen für Menschen geschaffene Güter. Qualia als Unterscheidungskriterium des Immaterialgüterrechts könnte daher für Rechtsfragen zu künstlicher Intelligenz und geistigem Eigentum von großer Bedeutung sein.788 Auch wenn Maschinen bislang am Verständnis scheitern, zeigen aktuelle Beispiele, dass umgekehrt der Weg zu für Menschen unverständlichen maschinellen Immaterialgütern nicht weit ist. In manchen Formen der M2M-Kommunikation oder auch in der Entscheidungsfindung von KI finden sich bereits heute genügend Fälle von für Menschen gänzlich unverständlichen Informationen, deren maschinelle Verarbeitung dennoch zu sinnvollen Resultaten führt.789 Dies wirft die Frage auf, ob die Rechtsordnung den Schutz von für Menschen unverständliche Immaterialgüter vorsieht. Während sich der Urheberrechtsschutz für Computerprogramme noch auf einer höheren, Menschen zugänglichen semantischen Ebene bewegt,790 schützt der Datenbankenschutz eine Informationsanordnung ihrer Strukturiertheit wegen: Er belohnt den Berechtigten dafür, Daten in eine bestimmte Form/Struktur gebracht zu haben, was dem verbesserten Zugang von Menschen zu Daten und Informationen dienen soll. An die Elemente der Datenbank werden dabei auf semantischer Ebene nur minimale Anforderungen gestellt. Erforderlich ist, dass die Daten Informationswert haben, was ein Rechtsbegriff ist, der ausdrückt, dass sich für sie zumindest eine mittelbare wirtschaftliche Verwendung finden lassen können muss (was praktisch immer der Fall ist, wenn für sie Rechtsschutz begehrt wird).791 Aus gesetzgeberischer Sicht zeigt dies zum einen, inwieweit das gegenwärtige „geistige“ Eigentum auf menschliche Schöpfer und Rezipienten ausgerichtet ist und zum anderen, in welche Richtung eine Anpassung an körperliche oder virtuelle Maschinen in der Rechtsordnung geschehen könnte. Die Frage, ob es einer solchen Anpassung bedarf, stellt sich auf höherer teleologischer Ebene, etwa der ökonomischen Analyse des Immaterialgüterrechts oder, noch allgemeiner, rechts- und wirtschaftspolitischer Erwägungen.
§ 7 Realgüter und Idealgüter Anknüpfend an die Ausführungen zu Idealgütern als den eigentlichen Gegenständen der Immaterialgüterrechte ist hierzu nun die Gegenkategorie der Realgüter zu unterscheiden und zu entwickeln. Wie zu zeigen sein wird, ist die Frage, ob ein Gut als Ideal- oder Realgut erfasst ist, nur zu einem gewissen Grad eine Frage der 788
Siehe oben D. Qualia als Differenzierungskriterium für Immaterialgüter. Siehe oben E. I. Für Menschen unverständliche Immaterialgüter – Beispiele. 790 Siehe oben E. II. Urheberrechtsschutz für Computerprogramme. 791 Siehe oben E. III. Datenbankschutz sui generis, §§ 87a ff. UrhG. 789
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
rechtlichen Zuweisung, teilweise ist sie zwingend durch natürliche und technische Vorgaben bedingt.
A. Unterscheidung von Real- und Idealgüterrechten Idealgüterrechte verstehen naturwissenschaftlich existente Gegenstände wie z. B. urheberrechtliche Werkexemplare oder auf einer Erfindung beruhende Maschinen nur als Abbilder des immateriellen, eigentlichen Gutes. Ein Idealgut ist dementsprechend ein Gut, das als Ideal fixpunktartig über den wahrnehmbaren Gegenständen steht und durch Informationen repräsentiert wird.792 Es spielt als solches keine unmittelbare Rolle im menschlichen Erleben, sondern lediglich als gedanklicher Fixpunkt, d. h. als gedachtes, im menschlichen Bewusstsein existentes Gut, das außerhalb dieser subjektiven Vorstellung nur als institutionelle Tatsache existiert. Hierin vereinigen sich zwei Eigenschaften: die Idealisierung und die rein informationelle Teilnahme am Verkehr. Auch wenn man eine Art reale, platonische Ideenwelt annähme und davon ausginge, dass Idealgüter wie Werke, Erfindungen oder Marken eine immaterielle Existenz fristeten, gehörte zu dieser Ansicht, dass Menschen diese Güter auf keinem Wege direkt wahrnehmen, geschweige denn nutzen könnten.793 Realgüterrechte hingegen nehmen das zuzuweisende Gut bei der Zuweisung unmittelbar in Bezug. Mithin ist ein Realgut ein konkretes und im naturwissenschaftlichen Sinne, d. h. in Raum und Zeit existentes, rivales Gut. Es nimmt als solches am Rechtsverkehr teil. Nicht die informationelle Wiedergabe, sondern das Gut an sich steht praktisch im Vordergrund.
B. Sinn und Zweck der Einteilung Es obliegt nur teilweise der Entscheidung der Rechtsordnung, Güter unmittelbar oder ideal, d. h. über ihre informationellen Abbilder zuzuordnen. Mit der Natur der Lebensgüter794 einher gehen einige praktische Vorgaben. Ähnlich wie im Unmöglichkeitsrecht795 lässt sich hier das Recht bzw. die Verrechtlichung nicht gänzlich vom vorrechtlichen Sein trennen. Beispiel: Nach den obigen Ausführungen existieren als naturwissenschaftliche Vorgaben urheberrechtlicher Werke nur Werkexemplare. Man könnte Werke daher als die Schnittmenge unzähliger Informationseinheiten verstehen, oder sie auf ein vom Urheber geschaffenes „Ur-Werk“ oder eben ein vom Urheber zu bestimmendes Master-Artefakt (Peukert)796 zurückführen. Einfacher ist m. E. die Vorstellung eines als solchen nicht wahrnehmbaren („geistigen“) und naturwissenschaftlich nicht existenten Idealwerks, dessen körperliche und unkörperliche Wiedergaben der Bestimmung des Urhebers unterliegen. 792
Siehe oben § 5 D. IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte. Siehe zur Ontologie von Idealgütern oben § 5 D. III. 2. Existieren Immaterialgüter? 794 Siehe zum Begriff oben § 3 A. (Lebens)gut, tatsächliche Lebenswelt und Rechtsobjekt. 795 Vgl. Becker, Absurde Verträge, 236 f. 796 Siehe oben § 5 A. III. Die Artefakttheorie. 793
§ 7 Realgüter und Idealgüter235
Für die Gesetze zum geistigen Eigentum wäre die Erfassung der durch sie zugewiesenen Güter als Realgüter untypisch, da man hiermit dem Gut seine „Geistigkeit“ bzw. die moderneren damit assoziierten Eigenschaften wie seine Ubiquität und Nicht-Rivalität abspräche.797 Bei Idealgütern hingegen wird das Gut abstrahiert und in Form eines Ideals über seine einzelnen Verkörperungen erhoben. Eine endgültige, exakte Festlegung ist weder notwendig noch gewünscht. Denn gerade im Urheber- und Patentrecht erfüllt der Spielraum, der zwischen dem Werk/der Erfindung und ihren informationellen Repräsentationen liegt, nicht zuletzt den Zweck, diese nicht auf eine einzige Ausdrucksform zu verengen. Beispiel: Eine neuartige Fahrradlampe kann in gegenüber dem Registereintrag veränderten Größenverhältnissen produziert werden und trotzdem die Erfindung „enthalten“.
Die Erfindung als Immaterialgut erhält so den Charakter eines konkretisierten Lösungsprinzips. Ähnlich verhält es sich bei vielen urheberrechtlichen Werken. Realgüter hingegen sind ein Ausschnitt der tatsächlichen Lebenswelt und als solche genau bestimmbar. Sie lassen daher weniger Spielraum für die Diskussion, welchen Umfang das Gut hat bzw. welche informationellen Repräsentationen noch als Ausdruck des Gutes zu werten sind. Von der Wertung her geht diese Unterscheidung auch auf den geistigen Schöpfungsakt auf der einen und die Verrechtlichung eines exakten Ausschnitts der tatsächlichen Lebenswelt auf der anderen Seite zurück. Im Folgenden wird die Einteilung anhand der bekannten aber auch anhand neuer, teils „problematischer“ Lebensgüter genauer gezeigt. Dabei wird außerdem zu zeigen sein, dass es dem Gesetzgeber bei manchen Gütern anheimgestellt ist, sie als Ideal- oder Realgüter aufzufassen. Die Entscheidung in die eine oder andere Richtung bringt also auch eine Wertung zum Ausdruck.
C. Beispielhafte Realgüter(rechte) I. Rechte an Sachen Prototyp der Realgüterrechte ist das Sacheigentum. Die Sache als Rechtsobjekt ist zwar ein Rechtsbegriff, d. h. Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, das Gut in den Stand eines Rechtsobjekts zu heben. Das Gut wird dabei aber als konkreter, abgegrenzter Gegenstand unmittelbar in Bezug genommen. Dies kommt besonders in den sachenrechtlichen Prinzipien, insbesondere dem Bestimmtheitsgrundsatz, zum Ausdruck.798 Selbst, wenn man ein Recht am Bild der eigenen Sache annähme, änderte dies noch nichts an der Natur des Sacheigentums als Realgüterrecht. Der Unterschied zwischen Ideal- und Realgütern liegt zumindest teilweise in der Natur des zugewiesenen Gutes begründet. Die zugewiesenen Nut797 Vgl. nur Lemley, Texas Law Review 83 (2005), 1031 (1050 ff.); Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 2010, 87 f. 798 Siehe unten § 13 E. Bestimmtheitsgrundsatz.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
zungen/Rechte könnten im Falle der Sache aber denen der Immaterialgüterrechte angenähert werden, was so weit gehen könnte, dass damit letztlich auf ein anderes Gut verwiesen, die konkrete Sache also nicht mehr als das entscheidende Gut verstanden würde. Die Sache könnte dann, statt als konkreter körperlicher Gegenstand, idealisiert (als „Idealsache“) zugewiesen werden. Beispiel: Ein Originalgemälde ist eine Sache, die aber urheberrechtlich als Repräsentation eines geistigen Werkes, des Idealguts, verstanden wird. Sachen- und Urheberrecht beziehen sich auf unterschiedliche Güter (Sache/Werk). Dasselbe könnte theoretisch auch mit anderen Sachen geschehen, wofür es freilich eines anderen Rechts bedürfte. Dann wäre z. B. ein bestimmter Tisch nur die Repräsentation des dahinterstehenden Idealguts (des mit dieser Repräsentation gemeinten „Idealtischs“), das aus anderen als urheberrechtlichen Gründen dem Berechtigten zugewiesen und als Fixpunkt für Verbotsrechte hinsichtlich seiner Repräsentationen verstanden werden könnte.
II. Rechte an Datenbeständen In Richtung eines Realgüterrechts gehen auch die Überlegungen zu einem möglichen Schutzrecht an Daten. Ein solches Recht würde sich nach den gängigen Vorschlägen auf genau bestimmbare Daten in genau der Form beziehen in der sie vorliegen, sie also als Realgüter erfassen, d. h. kein dahinter liegendes geistiges Gut annehmen.799 Damit zusammen hängt, dass die zugewiesenen Nutzungen/Rechte nicht in Richtung ähnlicher Vervielfältigungen, Bearbeitungen oder dergleichen gingen, sondern die Daten eher als Rohstoff verstünden, etwa in Big Data-Analysen.800 Beispielhafte Datenzuweisungen sind die konkret aufgezeichneten Daten aus einem bestimmten Experiment oder der konkrete Datenbestand einer bestimmten Festplatte.
III. Rechte an Internetdomains Ebenfalls in Richtung eines Realgüterrechts würde ein absolutes Herrschaftsrecht an Internetdomains gehen (das es de lege lata nicht gibt). Das außerrechtliche Gut einer Domain ist die „monopole Position, unter der Zeichenfolge des Domainnamens IPs zu konnektieren“.801 Diese Position ist ein Faktum, eine Tatsache. Sie ist nicht Ausdruck eines darüber liegenden Idealguts und ergäbe als Idealgut auch 799 Vgl. den Vorschlag eines „data producer’s rights“ der Europäischen Kommission SWD(2017) 2 final, 33 („exclusive right to utilise certain data“ [Hervorh. v. Verf.]); Zech, Information als Schutzgegenstand, 426, 431 f. (Vorbild seien der Lichtbildschutz und der Schutz des Tonträgerherstellers, die nur Vervielfältigungen verböten, „die zumindest auf den konkreten Träger zurückzuführen sind“); ders., CR 2015, 137 (144 ff.); Specht, CR 2016, 288 (294) (richtet sich auf den „konkreten Datenbestand“); Fezer, MMR 2017, 3; siehe auch Becker, FS Fezer, 815 (824 ff.). 800 Siehe aber Zech, Information als Schutzgegenstand, 432 (erwägt Erstreckung des Schutzes in den Ähnlichkeitsbereich, etwa auf andere Dateiformate; ein erneutes „Codieren derselben strukturellen Information“ sei aber statthaft). 801 Becker, GRUR Int. 2010, 940 (944).
§ 7 Realgüter und Idealgüter237
keinen Sinn, da ihre informationelle Wiedergabe wirtschaftlich und unter allen für Menschen relevanten Gesichtspunkten uninteressant ist.
IV. Rechte an Frequenzen Auch absolute Herrschaftsrechte an Wellenlängen/Frequenzen (z. B. für Telefon-, Radio- und Fernsehsignale) wären Realgüterrechte. Denn hier existiert die Frequenz als Informationsträger in Zeit und Raum und wird als solche genutzt. Zwar gibt es nicht „die Frequenz“ als abgrenzbaren einzelnen Naturgegenstand. Sie wird aber nicht informationell beschrieben oder wiedergegeben, sondern ist ein physikalisch beschreibbares Gut, das unmittelbar genutzt wird. Diese Überlegungen gelten ebenso für Licht und andere Arten der Strahlung (sofern man diese als Güter zuweisen wollte).
V. Rechte an Geschäftsgeheimnissen Der Geschäftsgeheimnisschutz wurde bereits oben im Hinblick auf Ideal- und Realgüterschutz untersucht. Ergebnis war, dass ein Schutz als Idealgüterrecht den durch Big Data-Technologie ohnehin sehr aufgeweiteten Schutzgegenstand noch erheblich erweitern würde.802 Dieses Beispiel zeigt den Entscheidungsspielraum, der dem Gesetzgeber in einigen Fällen bleibt. Man könnte das geschützte Geschäftsgeheimnis und alle dem Original ähnlichen Informationen auch als Repräsentation eines Idealguts (des idealen Geschäftsgeheimnisses) verstehen, über die der Berechtigte bestimmen dürfte. Der Charakter des Geschäftsgeheimnisschutzes liegt aber gerade in der Anknüpfung an genau die Informationen, die in einem bestimmten Betrieb in der notwendigen Weise geschützt wurden. Es geht also um konkret bestimmbare, in Zeit und Raum vorliegende Informationen. Der Berechtigte erhält auch keine Rechte „an“ diesen Informationen, sondern lediglich Schutz gegen unbefugte Aneignung/Kenntnisnahme des Geheimnisses. Es geht nicht um das ideelle Geschäftsgeheimnis, dessen Repräsentationen einen Verkehrswert bilden und zu deren Verwertung Kontrollrechte eingeräumt werden, sondern um das darin verborgene Wissen (semantische Information), das als solches genutzt werden kann. Dies spricht für ein Verständnis des Geschäftsgeheimnisses als Realgut bzw. des Geschäftsgeheimnisschutzes als Realgüterrecht. Angesichts besagten Spielraums könnte dies de lege ferenda aber auch anders geregelt werden. Dies liefe aber in die Richtung eines patentartigen Schutzes (siehe oben).
802
Siehe oben § 5 D. III. 5. b) Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
238
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
VI. Rechte an Veranstaltungen Wie an anderer Stelle zur Frage eines möglichen Schutzrechts an Veranstaltungen ausgeführt wurde,803 wäre die als Rechtsobjekt geschützte Veranstaltung in etwa folgendermaßen abzugrenzen: Als Immaterialgut wäre sie nicht an die Grundstücksgrenze bzw. die räumlichen Grenzen des Veranstaltungsorts gebunden, mithin unabhängig von Hausrecht oder Sacheigentum. Sie bestünde allein in dem „vom Veranstalter organisierten Geschehen“. Welche Geschehnisse im Umfeld der Veranstaltung als Teil derselben verstanden werden sollen, wurde der richterlichen Entscheidung im Einzelfall überlassen und hinge im Falle einer gesetzlichen Regelung auch von den zugewiesenen Befugnissen „an“ der Veranstaltung ab. Die Veranstaltung ist Gegenstand des öffentlichen Interesses und wird informationell wiedergegeben – insbesondere durch audiovisuelle Wiedergaben, aber auch durch wörtliche Beschreibungen (etwa Radioübertragungen oder Ticker). Damit handelt es sich bei dem eigentlichen Schutzgegenstand um das beschreibbare Geschehen in Raum und Zeit, z. B. die Ereignisse in einem bestimmten Fußballstadion in einem bestimmten Zeitrahmen, sowie außerhalb des Stadions im Vorfeld oder Nachgang der Veranstaltung. Die Nutzung dieses Gutes liegt aber zu wichtigen Teilen im informationellen Bereich (hierzu zählt auch die Nutzung der Veranstaltung in der Werbung, z. B. im Wege des Sponsorings). Denkbar wäre es nun, die Veranstaltung als Idealgut zu verstehen, das auf verschiedene Weisen, zu denen auch die physisch wahrnehmbare Veranstaltung gehört, wahrnehmbar gemacht wird. Ein solches Verständnis böte sich insbesondere an, wenn Schutz gegen die Nachahmung der Veranstaltung gewährt werden sollte, das einzelne Event also als Repräsentation der Veranstaltung als geschütztes Gut zu verstehen wäre. Näher liegt aber m. E. das Verständnis der Veranstaltung als Realgut, also die Zuweisung von Rechten an einem in Zeit und Raum existenten und abgrenzbaren Gegenstand. Die Zuweisung von Übertragungsrechten oder dergleichen wäre – ähnlich wie die Vorstellung von Rechten am Bild der eigenen Sache und Rechten an Datenbeständen – hiermit unproblematisch vereinbar. Realgüterrechte sind offen für die Zuweisung informationeller Nutzungen/Rechte.
VII. Rechte an Non-Fungible-Tokens (NFT) NFTs unterscheiden sich von Fungible Tokens, zu denen etwa Kryptowährungen zählen, dadurch, dass sie zur Darstellung nicht austauschbarer/nicht fungibler Vermögenswerte dienen, die oftmals besondere, individuelle Merkmale haben.804 Bei Kryptowährungen hingegen ist ein token so gut wie der andere, es kommt (wie bei Fiatwährungen) nicht darauf an, welchen Bitcoin (welchen Euroschein) man hat.
803 Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, 804
UWG, S16 Rn. 443. Sunyaev/Kannengießer/Beck u. a., Bus Inf Syst Eng 63(2021), 457 (466).
§ 7 Realgüter und Idealgüter239
Bei Sachen wird die Aufgabe der individuellen Bestimmbarkeit regelmäßig schon dadurch erfüllt, dass Menschen die meisten wertvollen Sachen gut voneinander unterscheiden können. Zum Einsatz kommen ansonsten Eindeutigkeitsmerkmale wie z. B. Fahrgestellnummern bei Autos, Seriennummern bei Waffen, Echtheitszertifikate bei Mode oder Kunst. Hierum geht es beim Bestimmtheitsgrundsatz des Sachenrechts.805 NFTs perfektionieren dies dahingehend, dass sie über die distributed ledger technology (DLT) eine für die Öffentlichkeit jederzeit überprüfbare Einzigartigkeit erzeugen. Jedem NFT ist eine einmalige ID (unique ID, kurz: UID) zugeordnet, die es unverwechselbar macht.806 Die Zuordnung zum Inhaber eines NFT erfolgt über public key cryptography oder (synonym) assymetric cryptography. Hierzu wird ein privater Schlüssel erzeugt, der nur seinem Besitzer bekannt ist, und ein entsprechender öffentlicher Schlüssel, der öffentlich geteilt wird.807 So kann jedermann die Zugehörigkeit eines NFTs zum Inhaber des privaten Schlüssels sicher nachvollziehen.808 Es gibt verschiedene Vorgehensweisen, um einem NFT physische oder digitale Gegenstände zuzuordnen. Physische Gegenstände können mit Aufklebern/ Marken markiert werden, die dem NFT über einen QR-Code zugeordnet sind.809 Z. B. wird die Lieferkette von teuren Weinen abgesichert,810 indem jede Flasche einen einmaligen QR-Code erhält, der mit dem Ethereum-Netzwerk verknüpft ist und Kunden so die Möglichkeit gibt, die Echtheit einer Flasche sicherzustellen.811 Wasserzeichen auf/innerhalb der Güter können dieses ähnlich den Wasserzeichen in Geldscheinen kennzeichnen, was z. B. die Zuordnung gedruckter Bauteile zu 3D-Druckdateien ermöglicht.812 Der NFT kann aber auch selbst in einer Identifikationsnummer bestehen, die durch das Scannen der physischen Eigenschaften des Gegenstands erzeugt wird, wobei es sich aufgrund der großen Zahl genutzter Merkmale um eine überraschend robuste Technik handelt, die also nicht durch Abnutzung oder Beschädigung des Gegenstandes verfälscht wird.813 Dies alles dient zugleich der sachenrechtlichen Bestimmbarkeit. Im Falle rein digitaler Güter wiederum, wie z. B. Bildern oder GIFs, kann die Verknüpfung des in der Blockchain gespeicherten NFT mit der manchmal sehr großen Datei über einen Link (tokenURL) erfolgen, der Teil des Codes des NFTs ist. Dieser Link kann auf einen bestimmten Speicherort verweisen und diesen somit verifizieren, was aber einen Austausch der Datei nicht ausschließt.814 So ermöglichen NFTs „digital collectibles“/„crypto collectibles“, also digitale Sammler805
Siehe unten § 13 E. Bestimmtheitsgrundsatz. Palladino, Ethereum for Web Developers, 81 ff. 807 Palladino, Ethereum for Web Developers, 2. 808 https://ethereum.org/en/nft. 809 Sunyaev/Kannengießer/Beck u. a., Bus Inf Syst Eng 63(2021), 457 (466 f.). 810 Siehe www.tattoowine.com. 811 Sunyaev/Kannengießer/Beck u. a., Bus Inf Syst Eng 63(2021), 457 (467). 812 Sunyaev/Kannengießer/Beck u. a., Bus Inf Syst Eng 63(2021), 457 (466 f.). 813 Sunyaev/Kannengießer/Beck u. a., Bus Inf Syst Eng 63 (2021), 457 (466 f.). 814 Heine/Stang, MMR 2021, 755 (756). 806
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
stücke. Es handelt sich um einzigartige und nicht fälschbare (d. h. nicht leicht gegen ähnliche Gegenstände austauschbare) digitale Gegenstände, also Dateien.815 Die Plattform CryptoKitties brachte 2017 als erste Anwendung des ERC-721, einem NFT-Standard für Smart Contracts im Ethereum Netzwerk,816 für ein Spiel crypto collectibles auf den Markt.817 Bei besonders wertvollen Gütern,818 wie dem Beeple-Kunstwerk „EVERYDAYS: THE FIRST 5000 DAYS“, dessen Versteigerung für über 69 Mio. $ beim Auktionshaus Christie’s große mediale Beachtung erfuhr,819 kann der Hashwert der Originaldatei zum Teil einer Metadaten-Datei gemacht werden, die zudem einen Link zum gehosteten Kunstwerk und weitere Metadaten wie z. B. den Namen von Künstler und Werk enthält. Der Hashwert dieser Metadaten-Datei wird dann zum Teil des NFTs gemacht, der damit die Integrität der Originaldatei sicherstellt.820 Die Datei mit dem Kunstwerk kann dann zwar weiterhin kopiert und beliebig oft geteilt werden, sie ist aber durch den NFT dessen Erwerber eindeutig zugeordnet. Hierin liegt der Reiz: die technische/faktische Monopolstellung bezüglich einer öffentlich verfügbaren Datei zu „haben“. Alternativ kann die Datei freilich auch auf einem physischen Datenträger (CD/DVD, USB-Stick, Festplatte etc.) übergeben werden. Es bleibt aber dabei, dass ein NFT nicht selbst das Gut darstellt, sondern „nur“ die Echtheit einer Datei und über seine Inhaberschaft die Zuordnung zum Berechtigten gewährleistet.821 Zu den praktischen Vorteilen von NFTs gehört, dass die Datei im Gegensatz zu körperlichen Kunstwerken immer wieder kopiert und auf die Art theoretisch ewig und unbeschädigt erhalten werden kann. Auch sind NFT-Kunstwerke durch ihr digitales Dasein, das ein ständiges Umkopieren erlaubt, gegen Beschädigungen/Zerstörung (z. B. durch ein Feuer) geschützt, was sie zu einem relativ sicheren Wertgegenstand macht. Es sind auch Variationen in den Bedingungen möglich, zu denen NFTs weitergegeben werden können. Diese sind Teil des zugrunde liegenden Smart Contracts.822
815 O’Dair, Distributed Creativity – How Blockchain Technology will Transform the Creative Economy, 48 f. 816 https://ethereum.org/en/developers/docs/standards/tokens/erc-721 („a Non-Fungible Token Standard that implements an API for tokens within Smart Contracts“); Palladino, Ethereum for Web Developers, 77 ff. 817 Axiom Zen, CryptoKitties: Collectible and Breedable Cats Empowered by Blockchain Technology, 8; www.cryptokitties.co/Technical-details; dies., www.newswire.ca v. 28.11.2017, https://tinyurl.com/2p8exdyw. 818 Siehe nur die „List of most expensive non-fungible tokens“ bei en.wikipedia.org. 819 Siehe die Anzeige bei Christie’s unter https://tinyurl.com/yc8hzf6w (onlineonly.christies. com); dazu Reyburn, The New York Times v. 12.3.2021, Section C, 1 (www.nytimes.com, https:// tinyurl.com/39df9h6f); siehe auch Thaddeus-Johns, The New York Times, Feb. 27, 2021, Section C, 2 (www.nytimes.com, https://tinyurl.com/yck2k5rz). 820 Lantwin, www.dusip.de v. 16.6.2021. 821 Heine/Stang, MMR 2021, 755 (756 f.). 822 Heine/Stang, MMR 2021, 755 (756).
§ 7 Realgüter und Idealgüter241
NFTs sind Realgüter. Sie (genauer gesagt die durch sie bestimmten Dateien) werden nicht rechtlich, sondern technisch zu rivalen Gütern gemacht. Daraus ergibt sich für die Rechtsordnung eine Vorgabe – ebenso wie bei Sachen als körperlichen Gegenständen. Die durch NFTs erzeugte technische/faktische Monopolstellung darf freilich nicht mit einer rechtlichen Zuweisung verwechselt werden. Kommen NFTs z. B. abhanden, stehen nicht automatisch eigentumsrechtliche Rechtsbehelfe zur Verfügung. Anders als die Bestimmung des Rechtsguts ist die Einräumung subjektiver Rechte von den natürlichen Vorgaben ganz weitgehend gelöst (wie gesagt kann auch an Realgütern eine informationelle Verwertung zugewiesen werden). Die These, dass der Inhaber eines digitalen NFTs „gleichsam Eigentümer“ ist,823 übersieht daher, dass es sich bei digitalen Gütern schlicht um Dateien handelt, deren Eigentumsfrage de lege lata mit der nach einem „Dateneigentum“ zusammenfällt. Einmaliges erzeugt nicht automatisch Eigentum.
D. Beispielhafte Idealgüter(rechte) I. Die geltenden IP-Rechte Die gesetzlichen Immaterialgüterrechte – insbesondere Urheberrecht, Patentrecht, Markenrecht, Designrecht, Gebrauchsmusterrecht, Sortenschutz, Halbleiterschutz – sind als Idealgüterrechte konstruiert. Die unkörperlichen Rechtsobjekte sind Idealgüter, die durch Informationen repräsentiert werden, auf welche sich wiederum die Verbietungsrechte des Berechtigten beziehen. Das „Geistige“ im geistigen Eigentum bezieht sich auf die an den menschlichen Geist adressierte Annahme eines Idealguts. Dies wurde oben eingehend dargelegt.824
II. Rechte an Algorithmen Ein Beispiel für ein denkbares, aber bislang nicht geregeltes Idealgüterrecht wäre ein absolutes Herrschaftsrecht an Algorithmen. Hier wäre der Algorithmus als solcher zwar sehr genau fassbar. Damit hätte es aber eine ähnliche Bewandtnis wie mit der Exaktheit mancher urheberrechtlich geschützten Werke.825 Gegenstand der Verbotsrechte wäre nicht der jeweils geschützte Algorithmus, sondern Repräsentationen von ihm. Der Algorithmus würde unabhängig von seinen Festlegungen Schutz genießen.
823
Völkle, MMR 2021, 539 (542). oben § 5 D. III. Idealgüter und Informationen im Immaterialgüterrecht.; § 6 F. Folgerungen und Ausblick. 825 Siehe oben zu exakten Immaterialgütern § 5 D. III. 1. Idealgut und Information im Urheberrecht. 824 Siehe
242
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
III. Persönlichkeitsrechte Kommerzielle Bestandteile des Persönlichkeitsrechts haben teilweise (!) Ausprägungen eines Idealgüterrechts. Dass Personen keine Güter im ökonomischen Sinne sind, ist für diese Betrachtung nicht entscheidend, da es nur um die rechtstechnische Erfassung des von einem absoluten Herrschaftsrecht erfassten Rechtsguts geht.826 Das „Gut“ ist in dem Fall eine bestimmte Ausprägung der natürlichen Person, z. B. ihr Bildnis. Es handelt sich aber im Ergebnis um kein Idealgüterrecht, da die betreffende Person keine Repräsentation, sondern ein realer Bezugspunkt ist. Idealgüterartig ist nur der Schutz von informationellen Repräsentationen des Persönlichkeitsmerkmals, das auch weniger konkret sein kann als das Bildnis, etwa beim Schutz der Stimme, Handschrift oder der Person als solcher (etwa bei biografischen Auswertungen wie Verfilmungen oder Romanen).
E. Mischformen Wie mehrfach angedeutet wurde, sind auch Mischformen denkbar. Ein Gut kann realgüterartig erfasst und dennoch in Bezug auf Repräsentationen geschützt sein. Dies wurde z. B. bei der Frage angeführt,827 ob das Sacheigentum (§ 903 BGB) dem Eigentümer auch Bilder der Sache zuweist:828 versteht man das Sacheigentum als reines Realgüterrecht, schützt es die Sache nur unmittelbar als solche.829 Verstünde man es hingegen als teilweises Idealgüterrecht, schützte es auch informationelle Repräsentationen der Sache (Fotos, Filmaufnahmen, Zeichnungen etc.). Die insoweit unterschiedlichen830 Auffassungen des I. und V. BGH-Zivilsenats könnte man als Konflikt einer realgüterrechtlichen Sichtweise des Sachenrechts und einer idealgüterrechtlichen Sichtweise des Immaterialgüterrechts deuten. Die Entscheidung, ein Gut als Real- oder Idealgut zuzuweisen, stellt in erster Linie die Weichen entweder in Richtung der unmittelbaren Verwertungen des Gutes mit Nähe zum Sachenrecht (s. z. B. die Verwandtschaft von NFTs und Bestimmtheitsgrundsatz) oder aber von Repräsentationen des Gutes (so z. B. im Falle des Urheber- oder Designrechts). Wollte man etwa durch de lege ferenda zu schaffende Rechte Veranstaltungen stärker in Richtung einer virtuellen, abbildlichen Verwertung ausrichten, böte sich deren Verständnis als Idealgut bzw. Idealgüterrecht an. 826
Siehe zu der Problematik unten § 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte. Siehe oben C. Beispielhafte Realgüter(rechte). 828 BGH GRUR 1975, 500 (501 f.) – Schloß Tegel; zust. OLG Köln NJW 2004, 619 (620) – Wayangfiguren; BGH NJW 1989, 2251 – Friesenhaus; BGH GRUR 2011, 321 – Preußische Gärten und Parkanlagen (Internetportal); BGH GRUR 2011, 323 – Preußische Gärten und Parkanlagen (Fotos); BGH ZUM 2011, 333 – Preußische Gärten und Parkanlagen (DVD); BGH GRUR 2013, 623 – Preußische Gärten und Parkanlagen II; BGH GRUR 2019, 284 mit Anm. Zech – Museumsfotos; zur Entwicklung und dogmatischen Einordnung des Streits nur Fezer/Büscher/Obergfell/ Becker, UWG, S16 Rn. 78 ff. 829 In diese Richtung mit Betonung der Rivalität, Zech, AcP 219 (2019), 488. 830 Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16 Rn. 80 f. 827
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens243
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens Nach der Abgrenzung von Sachen und Immaterialgütern soll es nun um die Zuweisung der durch sie eröffneten Handlungsmöglichkeiten gehen. Zu beginnen ist mit der Unterscheidung zweier Handlungskreise, die § 903 BGB bei genauerer Prüfung vornimmt und der Zuweisungslücke des Sacheigentums. Dies mündet in eine kategoriale Unterscheidung von Sachen- und Immaterialgüterrecht. Anschließend wird eine Konsequenz dieser Unterscheidung im Immaterialgüterrecht näher dargelegt, die sich spiegelbildlich zu besagter Zuweisungslücke verhält.
A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums Beim Sacheigentum existiert eine Zuweisungslücke: Das von der Rechtsordnung gewährleistete faktische Können übersteigt das rechtliche Sollen. Der Eigentümer eines Autos kann damit schneller fahren als er soll. Allgemeiner formuliert eröffnet der Ausschnitt der Lebenswelt, der zum Rechtsobjekt erhoben wird, mehr faktische Handlungsmöglichkeiten, als dem Berechtigten als rechtlich geschütztes Dürfen zugestanden werden.831 Wie verhält sich dies zu den sog. rechtlichen Befugnissen des Eigentümers und gibt es im Immaterialgüterrecht ein ähnliches Phänomen?
I. Zwei Regelungskreise: rechtlich und faktisch Wie eingangs festgestellt wurde, ist der von Verbietungsrechten belassene rechtliche Hohlraum tatsächlicher Freiraum.832 Dieser Freiraum des Sacheigentümers hat zwei Schichten: eine faktische und eine rechtliche. Diese unterliegen unterschiedlichen Regelungskreisen.
1. Rechtlicher Freiraum Rechtlich gewährt das Sacheigentum dem Berechtigten Verbietungsrechte (zu denen hier auch § 985 BGB zu zählen ist).833 Hierin liegt der erste Regelungskreis den das Sacheigentum bewältigen muss: Welche Rechte soll der Eigentümer hinsichtlich der Sache haben? Dies beantwortet § 903 S. 1 BGB im Wege einer unten834 näher zu beschreibenden Allzuweisung. Der Eigentümer kann sich die körperliche Nähe zur Sache und deren Nutzung sichern, indem er andere rechtlich abwehrt. Die faktischen Handlungen, die er anderen verbieten kann, sind ihm aus seinem Eigentumsrecht heraus nicht verboten. § 903 BGB enthält selbst kein unmittelbares 831 Siehe zum Unterschied und zur Problematik von Sollen und Dürfen im Rahmen subjektiver Rechte oben § 1 A. III. 5. Zur Eigenständigkeit des Dürfens. 832 Siehe oben § 1 A. III. 4. Schwächen der Imperativentheorie. 833 Siehe oben die Darstellung von § 985 BGB als Befehlsnorm, § 1 A. III. 2. e) Der Reiz der Imperativentheorie. 834 Siehe unten B. I. Verbietungsrechte des Sacheneigentümers.
244
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Verbot an den Eigentümer, sondern räumt den Rechten Dritter und dem Gesetz Vorrang ein (dazu sogleich).835 Einklagbare oder übertragbare „Dürfensrechte“ in denen ein echter rechtlicher Freiraum liegen könnte836 erhält der Eigentümer nicht. Daher kann er auch keine „Dürfensrechte“ übertragen, er kann nur zugunsten anderer auf sein Verbietungsrecht verzichten. Nach a. A. hat der Eigentümer auf der positiven Seite „Einwirkungsrechte“,837 was wohl i. S. solcher eigenständiger Dürfensnormen verstanden werden kann. Dem ist zugute zu halten, dass es in der Normlogik838 die Kategorie der starken oder ausdrücklichen Erlaubnis gibt. Sie stellt auf den Normsatz „p ist erlaubt“ ab.839 Für § 903 S. 1 BGB stellt sich also die Frage, ob ihm eine solche ausdrückliche Erlaubnis zu entnehmen ist.840 Wenn man dies vertritt, enthält der rechtliche Freiraum tatsächlich Rechte. Ansonsten ist er rechtlich leer, ein rechtlicher Hohlraum.841 Neben seinen Verbietungsrechten erhält der Eigentümer rechtliche Befugnisse. Dabei handelt es sich um Verfügungsmacht, also die Macht, über die Verbietungsrechte zu verfügen.842 Sie spielt für das vorliegende Problem über den Verzicht843 oder die Übertragung von Verbietungsrechten hinaus aber keine Rolle.
2. Faktischer Freiraum Die rechtliche Sicherung der körperlichen Nähe zur Sache im Wege besagter Verbotsrechte vergrößert die faktischen Handlungsoptionen des Eigentümers. Beispiel: Der Eigentümer einer Heckenschere kann diese vom Besitzer herausverlangen (§ 985 BGB) und andere von jeder Einwirkung auf die Schere abhalten (§§ 1004, 903 BGB). Daraus ergibt sich für ihn die faktische Möglichkeit, die Schere zum Schneiden von Hecken zu nutzen, aber auch als Stütze für einen Tisch, zum Haareschneiden oder für Gewalttaten.
II. Die Zuweisungslücke im Sacheigentum Aus dieser im ersten Zug unkoordinierten körperlichen Zuordnung der Sache ergibt sich im Sachenrecht eine Zuweisungslücke: Die rechtlichen Verbotsrechte sind größer als der zugewiesene faktische Handlungsraum. Die faktischen Handlungen, die der Eigentümer innerhalb seines faktischen Freiraums durchführen „darf“, ergeben sich neben fremden subjektiven Rechten 835
Dazu nur Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (399 ff.). § 1 A. III. 5. Zur Eigenständigkeit des Dürfens. 837 Staudinger/Althammer (2020), § 903 Rn. 2. 838 Dazu oben § 1 C. Normstruktur und deontische Logik. 839 Weinberger, Norm und Institution, 68. Siehe auch oben 1. Kapitel Fn. 170. 840 Siehe dazu unten § 12 D. Die positive und die negative Seite absoluter Rechte. 841 Siehe oben § 1 A. III. 4. Schwächen der Imperativentheorie. 842 Dazu eingehend § 9 Verfügungsobjekte. 843 Zur verfügungsrechtlichen Natur des Verzichts siehe unten § 9 G. III. 5. c) Aufhebungsmacht. 836
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens245
im Wesentlichen aus dem objektiven Recht (insbesondere Verbotsgesetzen). Der faktische Handlungsraum wird von objektivem Recht gesteuert (z. B. für Waffen, Land- und Luftfahrzeuge, Schiffe, Medikamente und Betäubungsmittel etc.). Dies kann so weit reichen, dass der faktische Freiraum so weit begrenzt wird, dass dem Eigentümer nur sehr knapp begrenzte Verwendungen bleiben. Beispiel: Das WaffG verbietet grundsätzlich den „Umgang“ mit Waffen, § 2 Abs. 2 WaffG. Unter gewissen Voraussetzungen wird aber eine Erlaubnis zu einzelnen Formen des Umgangs erteilt. So werden Erwerb und Besitz einer Waffe getrennt vom Erwerb und Besitz von Munition erlaubt, § 10 Abs. 1 und 3 WaffG. Dem Besitzer der Waffe stehen dadurch aber weit mehr Verwendungen offen als der Gesetzgeber ihm zugestehen will. Schon das Schießen auf einem befriedeten Privatgrundstück844 und die Bearbeitung der Waffe, z. B. durch Verkürzung des Laufs (vgl. Anl. 1, Abschn. 2, Punkt 8.2 zum WaffG), bedürfen jeweils einer zusätzlichen Erlaubnis, vgl. §§ 10 Abs. 5; 26 WaffG. Derartige Beispiele finden sich auch in diversen anderen Regelungsbereichen (s. etwa § 2 Abs. 1 StVG zur Erlaubnis ein Kraftfahrzeug zu führen). – Wichtig ist, dass der Gesetzgeber den dauerhaften Waffenbesitz in vielen Fällen wohl verböte, wenn er nicht zu den wenigen gestatteten Verwendungen der Waffe erforderlich oder die einzig sinnvolle Lösung wäre. Der mit dem Eigentum einhergehende Besitz unterwirft die Waffe dauerhaft der körperlichen Herrschaft des Waffeneigentümers. Ein besitzloses, auf wenige Verwendungen beschränktes Eigentum entspräche eher dem gesetzgeberischen Schutzgedanken,845 ist aber wohl unpraktikabel.
Derlei Verbote faktischer Handlungsmöglichkeiten des Sacheigentümers arbeiten mehrheitlich mit Straf- und Bußgeldvorschriften, die faktische Handlungen sanktionieren,846 über § 134 BGB werden entsprechende Rechtsgeschäfte unterbunden. Die Verfügungsmacht des Eigentümers unterliegt dabei aber i. d. R. keinen unmittelbaren Beschränkungen, sie wird durch § 134 BGB nicht eingeschränkt, vielmehr ist das Verfügungsgeschäft nichtig.847 Das objektive Recht verhindert also die Ausübung einiger faktischer Handlungen mit der Sache, ohne aber unmittelbar auf zivilrechtlicher Ebene zu greifen, i. e. das Sacheigentum über eine Beschränkung der Verfügungsmacht zu verkürzen. Der faktische Handlungsrahmen wird mittelbar verkürzt. Dies könnte als Zeichen dafür gewertet werden, dass das „Dürfen“ des Sacheigentümers keinen subjektivrechtlichen Charakter hat, sondern, wie alle anderen Lebensbereiche der Regelung, dem objektiven Recht unterliegt und dort nur gewisse eigentumsbedingte Vergünstigungen genießt (insbesondere über Art. 14 GG).
844
König/Papsthart, WaffG, § 10 Rn. 14. Siehe Begründung des RegE WaffG, BT-Drucks. VI/2678, unter A. I. („Schutz vor den in vielen Fällen nicht wiedergutzumachenden Folgen eines vorsätzlichen oder auch nur fahrlässigen Waffengebrauchs“). 846 Z. B. ein Luftfahrzeug ohne entsprechende Erlaubnis zu führen, §§ 60 Abs. 1 Nr. 2; 4 Abs. 1 LuftVG. 847 Vgl. MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 9 ff. 845
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
III. Abgleich Immaterialgüterrechte Sofern der Sacheigentümer im Besitz des körperlichen Gegenstandes ist – den ihm das Sacheigentum zuweist – kann er mit ihm mehr machen als er darf und kann andere von mehr Verfahrensweisen mit der Sache ausschließen, als ihm selbst erlaubt sind. Der Raum innerhalb der Verbietungsrechte des Inhabers von Immaterialgüterrechten ist hingegen nur rechtlicher Natur. Er ist kein faktischer Freiraum, sondern ein reiner Nicht-Verbotsraum, oder – nach Hohfeld – gefüllt mit privileges.848
1. Rechtlicher Freiraum Wie für den Sacheigentümer korrespondieren die Verbietungsrechte des Immaterialgüterrechtsinhabers mit einem privilege i. S. Hohfelds. Die Handlungen, die er anderen verbieten kann, sind ihm aus seinem IP-Recht heraus nicht verboten. Er erhält außerdem Verfügungsbefugnisse hinsichtlich seiner Rechte.849 Ein rechtlich greifbar verankertes „Dürfen“ gibt es auch hier nicht, es gelten die Ausführungen zum Sacheigentum.850 Die Immaterialgüterrechte sind allerdings in den Verbotsrechten anders aufgebaut als § 903 BGB. Die enumerativen Kataloge (z. B. §§ 14, 15 MarkenG, §§ 15 ff. UrhG, § 9 PatG etc.) sind nicht das Pendant zu „nach Belieben verfahren“ und „Gesetz und Rechte Dritter“. Sie sind vielmehr das Pendant zu „von jeder Einwirkung ausschließen“. Ein „nach Belieben verfahren“ ergäbe keinen Sinn, da der Schutz des Immaterialgutes den faktischen Handlungsrahmen nicht vergrößert. Es gibt bei Idealgütern nichts Nichtrechtliches zu verfahren. Dies ist im folgenden Punkt auszuführen.
2. Keine Vergrößerung des faktischen Könnens Der faktische Handlungsraum, also das physische Können des Rechtsinhabers ändert sich weder durch den originären noch den abgeleiteten Erwerb von Immaterialgüterrechten. Zwar verändert der Erwerb von Informationen die Handlungsmöglichkeiten von Rechtssubjekten ganz erheblich. Jedoch ist der Informationserwerb nicht mit dem Erwerb von Immaterialgüterrechten gleichzusetzen und geht damit auch nicht einher. Denn Immaterialgüterrechte ermächtigen nur dazu, über die Verwendung von Informationen durch andere zu bestimmen („Informationsbestimmungsrechte“),851 sie vergrößern nicht den Informationsschatz des Berechtigten.
848
Siehe oben § 1 A. III. 5. a) Hohfeld – das privilege als Dürfen. Siehe dazu unten § 9 G. Die Verfügungsfähigkeit von Rechten. 850 Siehe oben A. I. 1. Rechtlicher Freiraum. 851 Siehe oben § 5 D. IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte. 849
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens247
Anders liegt es beim gewöhnlichen Wissenserwerb, wo Informationen erworben werden, die die faktischen/physischen Handlungsmöglichkeiten des Erwerbers vergrößern. Beispiel: Pläne zum Bau von Atomwaffen oder die Formel für ein neues Medikament lassen sich unproblematisch als Vergrößerung des faktischen Handlungsraums darstellen. Gleiches gilt für das Erlernen des Autofahrens, von Fremdsprachen oder von Kampfsportarten.
Die Aneignung von Wissen oder der vertraglich vereinbarte Erwerb von Informationen wird aber nicht durch das Immaterialgüterrecht gesteuert. Sehr wohl jedoch wird der Erwerb von Sachen durch das Sacheigentum gesteuert: § 985 BGB realisiert „das Prinzip, dass Eigentum und Besitz regelmäßig zusammengehören und dass sich im Zweifel die rechtliche Sachherrschaft gegen die faktische durchsetzt“.852 Der Abschnitt in § 903 S. 1 BGB („kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren“) dient der Beschränkung des zu großen faktischen Handlungsrahmens der sich dem Eigentümer durch den Besitz eröffnet. Die Gewährleistung der körperlichen Nähe zum Gut erweitert den faktischen Handlungsrahmen. Gäbe es kein Sacheigentum, gäbe es das Problem der Regelung des Handlungsrahmens des Sacheigentümers nicht. Zwar könnten Menschen schädliche Handlungen mit Sachen durchführen, sie unterfielen aber genauso allgemeinen Gesetzen wie jemand, der Baupläne für eine Atombombe erwirbt. Eine Ausnahme von der Theorie, dass Immaterialgüterrechte dem Berechtigten im Regelfall keine außerrechtlichen Handlungsmöglichkeiten eröffnen, ist auch für den Geschäftsgeheimnisschutz nicht geboten. Wertvolle oder gefährliche Informationen werden zum einen regelmäßig unabhängig von Geschäftsgeheimnisschutz erworben.853 Zum anderen dient auch der Geschäftsgeheimnisschutz nicht dazu, eine bestimmte Nähe des Berechtigten zum Gut herzustellen, er versieht – umgekehrt – die selbst hergestellte Geheimsphäre nur mit Rechtsschutz.854 Einen anderen Zweck verfolgt das Geheimpatent, nämlich die Ermöglichung der Patentierung trotz Geheimhaltungsbedürfnisses,855 doch auch dieses dient gerade nicht der Versorgung des Berechtigten oder des Lizenznehmers mit Informationen, sondern deren Steuerung für den Fall, dass Unberechtigte sie nutzen. Der Zugangsanspruch zu Werkstücken (§ 25 UrhG) wiederum ist auf den Urheber begrenzt und richtet sich auf von diesem selbst erzeugte Informationen. Er vergrößert den Informationsschatz des Urhebers also nicht im eigentlichen Sinne, sondern stellt ihn nur wieder her. Die Immaterialgüterrechte sind in diesem Punkt entscheidend anders aufgebaut als das Sacheigentum. 852 MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 31; siehe zu § 985 BGB auch unten § 14 C. II. Vindikation (§ 985 BGB). 853 Ohnehin stellen weder GeschGehRL noch GeschGehG Lizenzierungsregeln bereit. 854 Dazu oben § 5 D. III. 5. b) Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen. 855 BeckOK PatG/Wickenhöfer, § 50 Rn. 1.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
3. Keine Zuweisungslücke Mangels Vergrößerung der faktischen Handlungsmöglichkeiten durch den Rechtserwerb gibt es bei den Immaterialgütern keine Zuweisungslücke i. S. v. Handlungen, die der Berechtigte anderen verbieten kann, aber selbst nicht durchführen darf. Denn die Immaterialgüterrechte dienen nicht der Informationserlangung. Entsprechend gibt es – anders als im Sacheigentum – kein Regelungsregime, das den Umgang mit den durch absolute Herrschaftsrechte zugewiesenen Gütern eingrenzt. Was der Berechtigte anderen verbieten kann, darf er selbst mit dem Immaterialgut tun.
B. Rechtsobjekt und Verbietungsrecht Wie bereits angedeutet, sind die Verbietungsrechte des § 903 BGB und die der Immaterialgüterrechte auffällig unterschiedlich strukturiert. Das Sacheigentum verfährt nach dem Prinzip der Allzuweisung und Begrenzung,856 während die Befugnisse der Immaterialgüterrechte enumerativ geregelt oder zumindest stärker definiert sind als im Sacheigentum. Wie zu zeigen ist, lässt sich diese Konstruktion weiter aufschlüsseln und auf ein besonderes Verhältnis zwischen der Abgrenzung des Rechtsobjekts und der Abgrenzung des Verbietungsrechts zurückführen.
I. Verbietungsrechte des Sacheneigentümers Die Verbietungsrechte des Sacheigentümers sind von der jeweiligen Sache abhängig. Jede Sache ist von einer „Verbotswolke“857 zugunsten des Sacheigentümers umgeben. Diese Verbietungsrechte sind untereinander insofern homogen, als sie alle an der physischen Integrität der Sache (des Rechtsobjekts) ansetzen und dem Sacheigentümer ihre körperliche Nähe, Nutzung und Erhaltung schützen sollen. Es gibt freilich einen unscharfen Randbereich mit Problemen wie dem Ein- und Aussperren,858 Bilder von Sachen859 etc.860 Konstruktiver Ausgangspunkt ist 856 Siehe besonders prägnant Schmidt-Rimpler, Eigentum und Dienstbarkeit, 50 („dem Eigentum ist wesentlich, daß nur die Beschränkungen seinen Inhalt bestimmen“). 857 Wie man sich diese Wolke vorzustellen hat, also die Frage, welche Wirkung absolute Rechte gegen jedermann entfalten, wird unten behandelt, siehe unten § 12 Absolute Rechte. 858 BGHZ 55, 153 = NJW 1971, 886 – Fleet-Fall; BGHZ 63, 203 = NJW 1975 347; BGH NJWRR 2017, 219. 859 Siehe die Rechtsprechung des I. ZS, der im Ergebnis eine Eigentumsbeeinträchtigung durch das bloße ungenehmigte Fotografieren verneint, BGH GRUR 1975, 500 (501 f.) – Schloß Tegel; BGH NJW 1989, 2251 – Friesenhaus. Der V. ZS begründete in der „Preußische Gärten und Parkanlagen“-Rechtsprechung ein ziemlich deutliches Recht des Eigentümers am Bild seiner Sachen, BGH GRUR 2011, 321 (Internetportal); BGH GRUR 2011, 323 (Fotos I) (LS 1: „Das ausschließliche Recht zur Anfertigung und Verwertung von Fotografien von Bauwerken und Gartenanlagen steht dem Grundstückseigentümer zu soweit diese Abbildungen von seinem Grundstück aus angefertigt worden sind.“); BGH ZUM 2011, 333 (DVD); BGH GRUR 2013, 623 (Fotos II). Eingehend zum Recht des Eigentümers an Sachaufnahmen, Fezer/Büscher/Obergfell/ Becker, UWG, S16 Rn. 78 ff. 860 Hierzu eingehend Zech, AcP 219 (2019), 488 (536 ff.).
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens249
jedoch der Schutz der Sache in ihrer Körperlichkeit zugunsten des Sacheigentümers. Je nachdem um welche Sache es sich handelt, ist die Verbotswolke aber unterschiedlich geformt. Beispiel: Ein Flugzeug, eine Ameise und ein Tennisschläger sind von unterschiedlichen Verbotswolken des Sacheigentümers umgeben. Ihm das Recht zuzuweisen, anderen verbieten zu können, mit der Ameise zu fliegen, mit dem Flugzeug Tennis zu spielen etc. ergäbe keinen Sinn.
Dennoch besteht die Verbotswolke auf den ersten Blick aus Verbietungsrechten, die anderen „von jeder Einwirkung“ auf die Sache auszuschließen. Besagte Unschärfen der Reichweite beziehen sich auf die Frage, welche Handlungen als vom Eigentümer abwehrbare Einwirkungen gelten.861
II. Immaterialgüterrechte Wie verhält es sich demgegenüber mit dem Aufbau von Immaterialgüterrechten? Anders als im Sacheigentum sind dort – wenn auch nicht abschließend – die Verbotsrechte enumerativ gestaltet bzw. näher aufgeschlüsselt. Wie lässt sich diese Enumeration der Befugnisse des Immaterialgüterrechtsinhabers mit dem obigen Bild von in sich homogenen, aber an die jeweilige Sache (Flugzeug, Ameise etc.) angepassten „Verbotswolken“ vereinbaren?
1. Typen von Immaterialgütern mit typischen Verbietungsrechten Verbietungsrechte sichern dem Sacheigentümer die körperliche Nähe, Nutzung und Erhaltung der Sache. Auch die Nutzung wird nicht rechtlich für bestimmte Sachen vorgeformt. § 903 BGB kennt gerade keine von der Sache (dem Rechtsobjekt) abhängigen Arten der Nutzung. Den Inhabern von Immaterialgüterrechten ist hingegen nur ein genauer bestimmter Kreis an Handlungen mit ihrem Gut vorbehalten. Innerhalb eines Immaterialgüterrechts sind die Verbietungsrechte jedoch insofern homogen, als jeder Berechtigte erst einmal abstrakt dieselben Verbietungsrechte erhält. Beispiel: Der Erfinder einer Flugmaschine hat dieselben Rechte wie der Erfinder eines Dosenöffners (herstellen, anbieten, in Verkehr bringen, gebrauchen etc.) Alle Markeninhaber können im Wesentlichen die in § 14 Abs. 2–4 MarkenG bezeichneten Handlungen mit dem Zeichen verbieten.
Auf einem höheren Abstraktionsniveau sind die Verbietungsrechte also vorgeformt, und zwar für unterschiedliche Typen von Immaterialgütern. Diese Typen sind Werk, Erfindung, Zeichen, Design etc. 861 Vgl. dazu nur Zech, AcP 219 (2019), 488 (sieht als Hauptkriterien zur Abgrenzung der Eigentumsbefugnisse die Körperlichkeit [nur Einwirkungen durch Naturkräfte] und Rivalität [nur Einwirkungen, die die Ausübung durch den Eigentümer beeinträchtigen, können verboten werden] der Sache).
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Beispiel: Verwendungen von Patentschriften in einem Film sind weitestgehend unproblematisch, der Patentinhaber kann sie nicht verbieten. Auch kann sich der Skulpturkünstler nicht gegen eine detaillierte sprachliche Beschreibung seiner Skulptur in einem Buch wehren, auch wenn man sie damit nachbauen könnte.
Die Rechte, die IP-Rechtsinhaber haben, sind an die typischen Nutzungen des betreffenden Rechtsobjekts angepasst. Man könnte es bis zu einem gewissen Grad auch andersherum formulieren: Die immateriellen Rechtsobjekte sind auf bestimmte Handlungen zugeschnitten. Die Immaterialgüterrechte stellen also auf unterschiedliche Typen von Immaterialgütern ab, für die sie dem Berechtigten jeweils (verkehrs)typische Handlungen zuweisen.
2. Abgleich mit dem Sacheigentum Dem entspräche es im Sacheigentum, wenn es unterschiedliche Verbietungsrechte für unterschiedliche Typen von körperlichen Gegenständen gäbe. Beispiel: Für bewegliche Sachen könnte ein anderes Sacheigentum bestehen als für Grundstücke;862 oder für weiche Sachen andere als für harte Sachen. Der PKW-Eigentümer könnte bestimmte PKW-Verbietungsrechte haben.
Wenngleich der Gesetzgeber eine Gestaltung des Eigentums für logisch denkbar hielt, „nach welcher der Eigenthümer zwar Jeden von Einwirkungen auf die Sache ausschließen, aber selbst nicht beliebig mit der Sache verfahren könne“,863 hat er sich explizit für die Körperlichkeit als einziges Abgrenzungsmerkmal entschieden und im Ausgangspunkt einheitliche Verbietungsrechte und Befugnisse eingeführt. Dass der Sachbegriff durch einige Zusatzkriterien enger gefasst wird,864 ändert nichts an diesem Einheitsmodell.
III. Grundtypen verbietbarer Handlungen Um die Verbindung zwischen den verschiedenen Rechtsobjekten und den darauf bezogenen Verbietungsrechten ziehen zu können, ist zunächst zu zeigen, dass aus den obigen Darlegungen865 Grundtypen verbietbarer Handlungen ableitbar sind.
1. Körperliche Einwirkung und informationelle Repräsentation Aus der Körperlichkeit der Sache und der auf die Sache abstellenden Allzuweisung des § 903 BGB folgt, dass die körperliche Einwirkung der Grundtyp der verbietbaren Handlung im Sacheigentum ist. Das Sacheigentum wird durch die körper862 Dass der Gedanke nicht fernliegt, wird unten ausgeführt, siehe unten § 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). 863 Mot. III, 3524 = Mugd. III, 577 f. 864 Siehe oben § 4 C. II. Der heutige Sachbegriff. 865 Siehe oben § 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen); § 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter).
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens251
liche Einwirkung berührt. Dass die genaue Abgrenzung des Einwirkungsbegriffs Gegenstand ständiger Diskussion ist, wurde bereits gesagt.866 Der körperlichen Einwirkung entspricht im Immaterialgüterrecht nach den obigen Darlegungen die informationelle Repräsentation.867 Sie ist der Grundtyp verbietbarer Handlungen im „geistigen“ Eigentum. Dass die informationelle Repräsentation hier der Grundtyp ist, folgt eben aus der Geistigkeit des Guts. Denn anders als über Informationen tritt das geistige Gut nicht in Kontakt zur Außenwelt.
2. Abgrenzungsmerkmale des Rechtsobjekts als Maßstab für Verbietungsrechte Nun stellt sich die Frage warum ausgerechnet die körperliche Einwirkung der Grundtyp im Sacheigentum ist. Warum sollen informationelle Repräsentation, z. B. Bilder einer Sache, nicht auch dem Verbotsrecht des Eigentümers unterfallen? Denkbar wären sogar noch entlegenere Handlungen wie z. B. Gespräche über eine Sache. – Der Grund hierfür ist, dass der Gesetzgeber sich nur für einen Typ von Sache,868 nämlich den körperlichen Gegenstand und damit für die Körperlichkeit als das eine entscheidende Abgrenzungsmerkmal des Rechtsobjekts entschieden hat. Die körperliche Einwirkung als Grundtyp verbietbarer Handlungen folgt der Logik, Rechtsobjekte und Verbietungsrechte aufeinander abzustimmen, die auch der obigen869 Unterscheidung der Zuweisung eines Guts als Real- oder Idealgut zugrunde liegt (welche zugleich vorrechtlichen Vorgaben Rechnung trägt). Auch die Definition der Körperlichkeit anhand menschlich-sinnlicher Kriterien wie insbesondere der physischen Beherrschbarkeit870 findet ihre Verlängerung in dem in gleicher Weise verstandenen Grundtyp der Verletzungshandlung. Dass es für Grenzfälle wie z. B. die Fotografie von Gebäuden ergänzender Kriterien bedarf, ändert nichts an der körperlichen Einwirkung als besagtem Grundtyp. Es hat aber eine besondere Stimmigkeit, wenn daran angeknüpft wird, wie insbesondere im Falle der Rivalität als Abgrenzungsmerkmal für verbietbare unkörperliche Beeinträchtigungen des Sacheigentums.871 Was ist demgegenüber das Abgrenzungsmerkmal von Immaterialgütern? Der direkte Gegenbegriff wäre die Unkörperlichkeit, die Geistigkeit.872 Geistigkeit an sich bedeutet nach den obigen Untersuchungen aber die naturwissenschaftliche Nichtexistenz – Immaterialgüter wurden als Idealgüter, als gedankliche Fixpunkte vorgestellt. Dies wäre als alleiniges Abgrenzungsmerkmal inhalts- bzw. uferlos. 866
Siehe oben I. Verbietungsrechte des Sacheneigentümers. oben § 5 D. IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte; V. Das Rechtsobjekt gesetzlicher Immaterialgüterrechte: Information oder Idealgut? 868 Siehe oben II. 2. Abgleich mit dem Sacheigentum. 869 § 7 Realgüter und Idealgüter. 870 Siehe oben § 4 C. II. Der heutige Sachbegriff. 871 Siehe Zech, AcP 219 (2019), 488 (577 ff.). 872 Siehe zu dem ontologischen Begriff/Problem oben § 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter). 867 Siehe
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Daher sind nur geistige Schöpfungen mit bestimmten Merkmalen, die die jeweiligen Schutzvoraussetzungen bilden, geschützt. Dass sich der Schutz auf informationelle Repräsentationen richtet, ist denknotwendig. Reine Geistigkeit ist nicht erfahrbar, daher ist die Wahrnehmbarmachung für die menschlichen Sinne auch Schutzvoraussetzung. Am plastischsten wird dies im Urheberrecht als Nicht-Registerrecht in der Voraussetzung einer wahrnehmbaren Formgestaltung des Werkes (§ 2 UrhG). Von den Verbotsrechten erfasst sind aber nur Repräsentationen, die in Zusammenhang mit den Schutzvoraussetzungen stehen: Die Verbotsrechte des Urhebers stehen in engem Zusammenhang mit den Schutzvoraussetzungen des Werks. Wie gezeigt wurde, sind urheberrechtliche Werke in erster Linie auf die Anregung der menschlichen qualia gerichtet. Entsprechend handelt es sich bei den Verwertungsrechten (§§ 15 ff. UrhG) um Handlungen, die Werke den menschlichen Sinnen wahrnehmbar machen (vervielfältigen, verbreiten, öffentlich zugänglich machen, aufführen, vortragen etc.). Im Patentrecht besteht der gleiche Zusammenhang zwischen dem Schutz neuer technischer Erfindungen und deren informationeller Repräsentation durch das Herstellen, Anbieten, Gebrauchen etc. (§§ 1, 9 PatG). Im Markenrecht ist es am offensichtlichsten, da der Schutz dort für die Zielerreichung – die Verbindung der Marke mit den gewünschten Assoziationen – verliehen wird (§ 4 Nr. 2, 3 MarkenG). Aber auch die Voraussetzungen für die Markeneintragung stellen zentral auf die Unterscheidungskraft ab, an der dann auch die Verbotsrechte ansetzen (s. §§ 3, 4 Nr. 1, 14 MarkenG). Das Recht ist also auf die typischen Verwendungen des Rechtsobjekts abgestimmt und wird umgekehrt auch an diese angeglichen. Auch aus diesem Blickwinkel hat der angesprochene Gedanke der Einheit von Rechtsobjekt und Recht873 eine gewisse Plausibilität. Dass er im Ergebnis nicht überzeugt, liegt hauptsächlich an seiner geringeren dogmatischen Leistungsfähigkeit.
C. Zusammenfassung und Folgerungen Die Zuweisung des Sacheigentums durch Verbotsrechte und die dadurch entstehenden Freiräume des Sacheigentümers hat zwei Schichten: eine faktische und eine rechtliche. Die rechtliche Schicht wirft die Frage nach der Regelung des Umfangs der Verbietungsrechte des Sacheigentümers sowie danach auf, ob der hierdurch geschaffene Freiraum rechtlich leer bleiben oder starke Erlaubnisse enthalten soll.874 Beim Sacheigentum wird der Handlungsrahmen darüber hinaus auch faktisch konturiert, dies ist eine zweite Regelungsebene. Erforderlich ist sie aufgrund der Funktion des Sacheigentums, dem Sacheigentümer die körperliche Nähe und Integrität der Sache zu sichern. Alle Sacheigentümer erhalten erst einmal alle Freiheiten, die sich aus ihren Verbietungsrechten ergeben, die wie gesagt vor allem die 873 874
Siehe oben § 2 F. II. Der Modus der Rechtsinhaberschaft. Siehe oben A. I. 1. Rechtlicher Freiraum.
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens253
körperliche Nähe zur Sache und deren körperliche Integrität sichern. Die hieraus folgende Vergrößerung der faktischen Handlungsmöglichkeiten des Sacheigentümers wird über das objektive Recht spezifisch für verschiedene Sachen wieder eingegrenzt. Dies betrifft insbesondere Sachen, die die faktischen Handlungsmöglichkeiten erheblich erweitern, wie z. B. Waffen, Fahrzeuge oder Betäubungsmittel/ Medikamente. Daher gibt es ein Phänomen, das hier als Zuweisungslücke bezeichnet wurde: Das von der Rechtsordnung gewährleistete faktische Können übersteigt das rechtliche Sollen. Der Berechtigte kann anderen Handlungen verbieten, die er selbst nicht durchführen darf.875 Diese Einschränkung findet aber nicht auf der untersten Ebene der unmittelbaren Eigentümerbefugnisse statt. Denn die zivilrechtliche Umsetzung über § 134 BGB beschränkt nicht die Verfügungsmacht (z. B. beim Drogenkauf), sondern erklärt das mit der nötigen Verfügungsmacht vorgenommene Verfügungsgeschäft für nichtig. Dies kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass das „Dürfen“ des Sacheigentümers keinen subjektivrechtlichen Charakter hat.876 Eine solche Zuweisungslücke gibt es im Immaterialgüterrecht nicht. Zwar können Informationen die faktischen Handlungsmöglichkeiten erheblich vergrößern (z. B. Kampfkünste, Bombenbaupläne), Immaterialgüterrechte steuern aber nicht den Erwerb von Informationen,877 ihr Erwerb oder, allgemeiner, die „informationelle Nutzung“ des Wissens ist freigestellt.878 Sie gewähren nur Informationsbestimmungsrechte, also Rechte zur Bestimmung über prinzipiell offen liegende Informationen (als öffentliche Güter). Der Erwerb wertvoller oder gefährlicher Informationen geschieht i. d. R. unabhängig von immaterialgüterrechtlichen Fragestellungen, auch der Geschäftsgeheimnisschutz hat nicht vornehmlich den Informationserwerb zum Ziel. Daher erweitern Immaterialgüterrechte die faktischen Handlungsmöglichkeiten nicht. Entsprechend gibt es die obige Zuweisungslücke im Immaterialgüterrecht nicht.879 Die das Rechtsobjekt zuweisenden Verbietungsrechte wurden hier als „Verbotswolke“ bezeichnet. Dies gibt ein gutes Bild davon, dass unterschiedliche Sachen von unterschiedlichen Verbietungsrechten umgeben sind, z. B. gewährt das Eigentum an einem Tennisschläger andere Verbietungsrechten als das Eigentum an einem Flugzeug. Dennoch sind sie sämtlich auf die körperliche Nähe, Nutzung und Integrität der Sache gerichtet, insoweit also bei allen Sachen homogen. Anders als das Sacheigentum regelt das Immaterialgüterrecht die Verbietungsrechte (wenn auch nicht abschließend) enumerativ bzw. definiert sie stärker. Dies geschieht abhängig davon, welchen Typ von Immaterialgut das Recht zuweist 875
Siehe oben A. II. Die Zuweisungslücke im Sacheigentum. Siehe oben A. II. Die Zuweisungslücke im Sacheigentum. 877 Z. B. sorgt eine politisch heikle Lizenz an einen Waffenhersteller nicht für den Erwerb, sondern für die legale Nutzung von Informationen. 878 Leible/Ohly/Zech/Moufang, Wissen – Märkte – Geistiges Eigentum, 127 (129); dazu oben § 5 D. III. 5. b) Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen. 879 Siehe oben A. III. Abgleich Immaterialgüterrechte. 876
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
(Werk, Erfindung, Zeichen, Design etc.). Die Verbietungsrechte des Urhebers unterscheiden sich von denen des Patentinhabers. Beim Sacheigentum entspräche das in etwa unterschiedlichen Verbietungswolken für unterschiedliche Typen/Arten von Sachen (z. B. bewegliche und unbewegliche Sachen oder die Untergliederung beweglicher Sachen in Fahrzeuge und ruhende Sachen).880 Stattdessen hat sich der Gesetzgeber allein für die Körperlichkeit als Abgrenzungsmerkmal entschieden (§ 90 BGB), die ihrerseits durch Kriterien wie die Beherrschbarkeit definiert881 wird. Die Körperlichkeit korrespondiert mit den Verbietungsrechten nach § 903 S. 1 BGB, der an den Sachbegriff anknüpft. Grundtyp der verbietbaren Handlung ist im Sacheigentum die körperliche Einwirkung auf die Sache. Denn das Abgrenzungsmerkmal des Rechtsobjekts ist die Körperlichkeit; der Gesetzgeber lässt nur einen Sachbegriff zu und hat diesen allein durch die Körperlichkeit definiert. Im Immaterialgüterrecht ist der Grundtyp der verbietbaren Handlung die informationelle Repräsentation des Guts. Das Immaterialgüterrecht kennt mehrere Typen für die es unterschiedliche Abgrenzungsmerkmale gibt. Für sie werden korrespondierende Verbietungsrechte zugewiesen. Immaterialgüterrechte sind in Abstimmung mit dem Rechtsobjekt „designt“.882 Hieraus folgt neben den Erkenntnissen für das Gesamtmodell der praktische Ratschlag an den Gesetzgeber, bei der Zuweisung von Gütern die Abstimmung der Abgrenzungsmerkmale des Rechtsobjekts mit den Verbietungsrechten zu beachten.
§ 9 Verfügungsobjekte Nachdem nun die Rechtsobjekte als Gegenstände erster Ordnung behandelt wurden, geht es im Folgenden um die Gegenstände zweiter Ordnung, um Verfügungsobjekte. – Gegenstand des Rechtsverkehrs bei der Übertragung des Eigentums an einer Sache ist bekanntlich nicht die Sache, sondern das Eigentumsrecht an ihr.883 Dies gilt generell für die subjektiven Rechte: sie selbst, und nicht ihre Objekte sind Gegenstände der Verfügung.884 Entsprechend ist diese als auf ein bestehendes Recht einwirkendes Rechtsgeschäft definiert.885 Für den Aufbau absoluter Herrschaftsrechte bedarf es einer genaueren Untersuchung von Rechten als Verfügungsobjek880
Siehe oben B. I. Verbietungsrechte des Sacheneigentümers, II. Immaterialgüterrechte. Siehe oben § 4 C. II. Der heutige Sachbegriff. 882 Siehe oben B. III. 2. Abgrenzungsmerkmale des Rechtsobjekts als Maßstab für Verbietungsrechte. 883 Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 16 IV. (299); Larenz, SchR, 1. Aufl. 1953, 256; Larenz/ Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 5; E. Wolf, BGB AT, 512; Haedicke, JuS 2001, 966 (967); Peukert, Güterzuordnung, 544. 884 Peukert, Güterzuordnung, 545; eingehend 740 ff. 885 Vgl. nur Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 4, 315; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 101; Haedicke, JuS 2001, 966 (967); Peukert, Güterzuordnung, 541 (stellt fest, dass bei der Verfügung „das subjektive Recht Gegenstand des Rechtsgeschäfts, bei der Verpflichtung Ergebnis“ ist). 881
§ 9 Verfügungsobjekte255
ten. Denn an sie knüpfen unter anderem praktische Probleme wie die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte oder die Vergabe von Lizenzen an.
A. Begriff und Geschichte Zur Benennung dieses Rechtsgegenstandes bietet sich der vor allem dank Larenz886 und fortgeführt von M. Wolf 887 reüssierende Begriff des Verfügungsobjekts (engl. „object of dealings“) 888 an (Rechtsgegenstand zweiter Ordnung [Larenz]).889 Den Begriff „Verfügungsgegenstand“ prägte Sohm zu Beginn des 20. Jahrhundert. Er machte die Möglichkeit, Gegenstand eines Verfügungsgeschäfts sein zu können, als entscheidenden Unterschied von Vermögens- und Personenrechten aus.890 Die Verfügbarkeit bzw. Verfügungsfähigkeit ist dementsprechend „die Eigenschaft eines vermögensrechtlichen Verhältnisses, Gegenstand eines wirksamen Verfügungsgeschäfts sein zu können“.891
Verfügungsobjekte bzw. -gegenstände sind daher nach recht einhelliger Meinung „alle Rechte und Rechtsverhältnisse, über die man verfügen kann“.892 Beispiele sind dingliche Rechte, abtretbare Forderungen oder übertragbare Vertragsverhältnisse.893 Der Begriff beschränkt sich also nicht auf einzelne subjektive Rechte, sondern umfasst auch die Übertragung eines Schuldverhältnisses als Ganzes.894 886
Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 (285 ff.). Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 1 ff.; Röhl/Röhl sprechen vom Verfügungsobjekt als den „Beziehungen zwischen verschiedenen Rechtssubjekten, teilweise mit, teilweise ohne Bezug auf bestimmte Rechtsobjekte“, Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 466. Auch bei Bork findet sich die Trennung, wenn auch nur am Rande erwähnt: „Das Verfügungsobjekt muss genau bestimmbar sein, damit für den Rechtsverkehr klar erkennbar ist, an welchem Rechtsobjekt sich die Zuständigkeit geändert hat.“, Bork, BGB AT, Rn. 457. 888 Gretton, RabelsZ 71 (2007), 802 (844 f.). 889 Siehe oben § 2 D. Rechtsgegenstände bei Larenz. 890 Siehe oben § 2 C. Der Rechtsgegenstand bei Sohm. 891 D. h. hinsichtlich der typischen verfügungsweisen Einwirkungen (inhaltliche Änderbarkeit, Belastbarkeit, Übertragbarkeit, Beendbarkeit), E. Wolf, BGB AT, 517. 892 Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 1, 3 (Gegenstände, „über die ein Rechtssubjekt durch Rechtsgeschäft verfügen kann“); E. Wolf, BGB AT, 512 („Gegenstand eines Verfügungsgeschäfts [Verfügungsgegenstand] ist das vermögensrechtliche Verhältnis, auf das nach dem Inhalt der Verfügungserklärungen unmittelbar nachteilig eingewirkt wird.“); Boemke/Ulrici, BGB AT, § 23 Rn. 2 („Verfügungsobjekte sind alle Rechte und Rechtsverhältnisse, über die man verfügen kann, so z. B. dingliche Rechte, abtretbare Forderungen oder Verträge [Rechtsverhältnisse und subjektive Rechte]“). Siehe auch Haedicke, JuS 2001, 966 (967) („Auf Grund ihrer zuordnungsändernden Funktion muss sich jede Verfügung auf ein konkretes Verfügungsobjekt beziehen. Einem Rechtsträger zugeordnet sind zunächst subjektive Rechte, so dass diese – wie z. B. das Eigentumsrecht oder eine einzelne Forderung – jedenfalls taugliche Verfügungsgegenstände darstellen.“); Köhler, BGB AT, § 22 Rn. 4 f.; a. A. wohl Hübner, BGB AT, Rn. 285 (Gegenstände i. S. d. BGB seien „Objekte der Rechtsverhältnisse“, worunter insbesondere Sachen und Personen fielen). 893 Larenz/Wolf, § 20 Rn. 1; Boemke/Ulrici, BGB AT, § 23, Rn. 2. 894 Larenz/Wolf, § 23 Rn. 36 f.; Neuner, BGB AT, § 29 Rn. 33; eingehend unten C. Verfügungsobjekte als Überbegriff der Güterordnung? 887
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
B. Das Verhältnis von Verfügungs- und Rechtsobjekt Die eingehendsten Überlegungen zum strukturellen Verhältnis von Verfügungsund Rechtsobjekt finden sich bei Wendehorst.895 Diese sind aber, wie hier kurz darzulegen ist, zu eng auf absolute Herrschaftsrechte ausgerichtet. Gleich zu Beginn schränkt sie – anders als die zuvor genannten Autoren – ihre Betrachtungen zum Verfügungsobjekt auf absolute Herrschaftsrechte ein. Dort sei es so, dass sich Verfügungs- und Rechtsobjekt rechtskonstruktiv weniger dichotom zueinander verhalten, als es zunächst scheinen möge.896 Die Existenz eines Verfügungsobjekts setze nämlich nicht die eines Rechtsobjekts voraus. Vielmehr werde ein Phänomen erst durch die Einräumung eines absoluten Herrschaftsrechts „an“ diesem in den Kreis der Rechtsobjekte erhoben.897 Konsequent weitergedacht führe dies zum Anerkenntnis absoluter Herrschaftsrechte auch an Rechten, wie z. B. an Forderungen, die damit zum Rechtsobjekt würden.898 Damit würde die Trennung zwischen Erscheinungen der Lebenswelt und Rechtsprodukten aufgegeben,899 was angesichts der Existenz natürlicher und juristischer Personen900 durchaus nicht abwegig erscheint. Übersehen wird aber der Unterschied zwischen Recht und Rechtsinhaberschaft, also z. B. zwischen einer Forderung mit einem bestimmten Inhalt (was kann vom Schuldner verlangt werden?) und der Inhaberschaft an dieser Forderung (wer ist Gläubiger/Forderungsinhaber?). Das Anerkenntnis eines neuen dinglichen Rechts ginge entweder durch eine rechtsobjektlose Verdinglichung oder – wie gerade erwogen – durch die Verdinglichung mit der zwingenden Folge eines neuen Rechtsobjekts vonstatten. Der zweite Fall hätte zur Folge, dass es keine rechtsobjektlosen dinglichen Rechte geben könnte, da es, wo ein absolutes Herrschaftsrecht existiert, auch einen Gegenstand geben müsste, auf den sich die Herrschaft bezieht: „Es ist also das Herrschaftsrecht, das […] aus der unendlichen Menge von Phänomenen eine bestimmte Gruppe als potentiellen Gegenstand heraushebt und damit zum Rechtsobjekt macht, nicht aber umgekehrt.“901
Wendehorst ist zuzustimmen soweit absolute Herrschaftsrechte betroffen sind, sie bedingen dem Begriff nach ein Rechtsobjekt. Ihr enges Verständnis von Verfügungsobjekten erzeugt aber wie gesagt Probleme bei der Aufnahme rechtsobjektloser Beziehungen zwischen Rechtssubjekten, wie etwa schuldrechtliche Verbindungen. Die Gleichsetzung der Inhaberschaft einer Forderung mit einem
895
Siehe auch ihre Kritik an Larenz’ Modell, oben § 2 D. IV. Kritik am Modell. Wendehorst, ARSP Beiheft 104, 71 (79). 897 Wendehorst, ARSP Beiheft 104, 71 (79 f.). 898 Wendehorst, ARSP Beiheft 104, 71 (80 f.). 899 Vgl. Habersack, SachenR, Rn. 6, 13. 900 Wendehorst, ARSP Beiheft 104, 71 (78). 901 Wendehorst, ARSP Beiheft 104, 71 (79 f.). 896
§ 9 Verfügungsobjekte257
absoluten Herrschaftsrecht scheitert, denn auch an Letzterem gibt es eine Inhaberschaft. Beispiel: Man kann Inhaber einer Forderung (also Gläubiger) gegen eine andere Person und Inhaber des Eigentumsrechts (also Eigentümer) an einem Fahrrad sein.
Ein Verfügungsobjekt, das stets ein zugehöriges Rechtsobjekt gebiert, gibt es nur auf Kosten der Anwendbarkeit der Kategorie „Verfügungsobjekt“, denn dann wäre die Menge der Verfügungsobjekte identisch mit der Menge „absoluter Herrschaftsrechte“.
C. Verfügungsobjekte als Überbegriff der Güterordnung? Husserl verfolgt einen Ansatz, der Verfügungsobjekte in eine Richtung definiert, die sie als eine Art Grund- bzw. Überbegriff der Güterordnung erscheinen lässt. Daran kann hier möglicherweise angeknüpft werden. Husserl unterscheidet den körperlichen Gegenstand auf den bezogen jemand eine Eigenrelation und damit ein Gut erster Ordnung hat, vom Nutzhaben dieser Sache. Das Nutzhaben löse sich als eine „Wertschicht“ von ihr ab und gilt Husserl als Gut zweiter Ordnung, als „Sachderivat“, das er angesichts der Begrenzung des Nutzhabens auf eine bestimmte Zeitspanne auch als „Zeitderivat“ bezeichnet („Zerlegung des Sachgutes in Wertschichten differenter Zeitstruktur“).902 Beispiel: Ist das Auto ein Gut erster Ordnung, dann ist seine Nutzung – sein Nutzhaben – für einen Nachmittag ein Gut zweiter Ordnung. Ein Mietwagen wäre also, mit Husserl gesprochen, ein Gut erster Ordnung, das in Wertschichten differenter Zeitstruktur zerlegt wird. Güter zweiter Ordnung wurden lange Zeit unterschätzt, inzwischen verbreiten sich entsprechende Geschäftsmodelle wie Car-Sharing, Mietfahrräder, Mitfahrzentralen oder die kurzzeitige Überlassung privater Wohnräume (AirBNB) immer stärker. Besonders eindringlich auf die Bedeutung dieser Wertschicht machten Vertreter einer „Resource-based Economy“ aufmerksam: „many forget, that it isn’t the good that they want, it is the purpose of that good. When we realize, that the good itself is only as important, as its utility, we see that external restriction – or what we might call today ‚ownership‘ – is extremely wasteful and environmentally illogical in a fundamental economic sense.“903
Ihr rechtliches Abbild finden derartige Wertschichten in Gebrauchsüberlassungsverträgen. Als Rechtsgegenstand höherer Stufe sind sie allerdings nur als Derivate 902 G. Husserl, Rechtsgegenstand, §§ 20 f. (24 f.). Diese Wertaktualisierung fehlt aus Sicht des Individuums bei Grundstücken, von deren „Zueigenhaben“ es ausgeschlossen ist. Der einzelne Rechtsgenosse kann daran aber beteiligt werden, so dass das Grundstück von ihm insofern als „werthaft“ verstanden werden kann. 903 Siehe die Dokumentation „Zeitgeist Moving Forward“ bei Std. 1:41:50 (Youtube) von Peter Joseph, der einige Ideen von Jacque Fresco, darunter auch eine „Resource-Based Economy“ propagiert. Dass die Abschaffung des Privateigentums zugunsten einer quasi-sozialistischen Aufteilung in Wertschichten keine praxisnahe Lösung ist, bedarf wohl keiner Betonung.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
des Sacheigentums einordenbar, Voraussetzung ist also, dass eine Abspaltung vom Mutterrecht stattfindet. Husserl stellt auf eine Spaltung der Rechtszuständigkeit ab. Können aber Schuldverträge, wie z. B. Miet- oder Pachtverträge, überhaupt als derartige verfügungsmäßige Abspaltungen verstanden werden? Sind sie Verfügungsobjekte? Mit einem zweiwöchigen KFZ-Mietvertrag träte dem Verfügungsobjekt „Fahrzeugeigentum“ das Husserl’sche Gut zweiter Ordnung „zweiwöchige Fahrzeugmiete“ als Tochter zur Seite. Ökonomisch liegt diese Betrachtung nahe.904 Für Vertragsübernahmen wird vertreten, dass das Verfügungsobjekt die „Vertragsstellung auf der Gläubigerseite“ sei, über die der austretende Vertragsteil zugunsten des Erwerbers verfügt.905 Sie sei nicht als die Übertragung einer Vielzahl von Rechten und Pflichten (durch ebenso viele Forderungsabtretungen und Schuldübernahmen) zu verstehen, sondern als „Verfügung über das Schuldverhältnis als Ganzes“ seitens des ausscheidenden wie des verbleibenden Vertragsteils.906 Es handele sich um eine Rechtsänderung „in bezug auf die mit der Vertragsposition verbundenen Rechte und Verbindlichkeiten“,907 denen ein kausales Verpflichtungsgeschäft zugrunde liege.908 Entsprechend trete der Übernehmer auch in die mit der Vertragsstellung verbundenen Verpflichtungen des ausscheidenden Vertragsteils ein.909 Verfügungsobjekte können mithin als eine Art Überbegriff der Güterordnung verstanden werden. Denn alles was mit Verfügungswirkung übertragen werden kann, ist ein Verfügungsobjekt. Erfasst werden Sacheigentum wie Immaterialgüterrechte als auch schuldrechtliche Rechtspositionen. Verfügungsobjekte sind also der wirtschaftliche Dreh- und Angelpunkt aller Transaktionen mit Verfügungswirkung, sei es auf Ebene des Wechsels in der Rechtsinhaberschaft (z. B. die Übertragung von Forderungen oder Sacheigentum) oder auf Ebene der Verfügung über einen Teil des Stammrechts (z. B. die Einräumung einer Grundschuld). Eingeschränkt (i. e. nicht translativ, sondern konstitutiv) verfügungsfähige Rechte, wie das Urheberrecht oder einige persönlichkeitsrechtliche Positionen, erzeugen aus dem Inhalt des Mutterrechts mit Verfügungswirkung ein „Recht geringeren Inhaltes“, das wiederum „zugleich auf ein anderes Subjekt übergeht“.910 Auch 904
Siehe dazu näher unten E. I. Bedeutung in den Wirtschaftswissenschaften. Nörr/Scheyhing/Pöggeler/Nörr, Sukzessionen, § 17 III (187); Ulmer/Masuch, JZ 1997, 654 (655). 906 Larenz, SchR I, 616 ff.; Neuner, BGB AT, § 29 Rn. 33. 907 Ulmer/Masuch, JZ 1997, 654 (655); a. A. etwa Staudinger/Rieble (2017), § 414 Rn. 124 („Dass […] das Schuldverhältnis als Ganzes ein konkreter Gegenstand ist, lässt sich bestreiten. Der Parteiaustausch ist personenbezogen.“). 908 Ulmer/Masuch, JZ 1997, 654 (655); Nörr/Scheyhing/Pöggeler/Nörr, Sukzessionen, § 17 III (186 f.). 909 Larenz, SchR I, 619; Ulmer/Masuch, JZ 1997, 654 (655); Nörr/Scheyhing/Pöggeler/Nörr, Sukzessionen, § 17 III (187) („Nachfolge in die Schuldnerstellung“). 910 V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/2, 59 f., 62 f.; siehe auch v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, § 32 (278 f.) (Die konstitutive Übertragung sondere einen Teilinhalt des Rechts aus und konstituiere ihn als selbständiges Recht – aus dem Mutterrecht erzeuge sie ein Tochterrecht. Deren Wiedervereinigung [bei der das Tochterrecht untergeht] sei die restitutive Übertragung.). 905 Vgl.
§ 9 Verfügungsobjekte259
solche, durch konstitutive Rechtsübertragung eingeräumte Rechtspositionen sind daher zu den Verfügungsobjekten zu zählen. Möglicherweise tragen Verfügungsobjekte außerdem in den meisten Fällen einen Großteil des wirtschaftlichen Werts eines Handelsgegenstandes. Schon im BGB strahlen sie einen neben das Rechtsobjekt tretenden Eigennutzen aus, was im nächsten Punkt zu zeigen ist.
D. Eigener Nutzen von Verfügungsobjekten Die von der Rechtsordnung ausgebildeten Verfügungsobjekte können einen zum Nutzen des jeweiligen Stammrechts und Rechtsobjekts hinzutretenden Eigennutzen entfalten. Gerade für das Immobiliarrecht hat die Einräumung von Verfügungsrechten große Bedeutung. Der Gesetzgeber erkannte, dass Immobiliareigentum andere Verhaltensregeln bedingt als das Fahrniseigentum.911 Immobiliareigentum als Rechtsgegenstand eröffnet dem Grundstückseigentümer Nutzungsmöglichkeiten wie eine „Mobilisierung des Bodens“, also etwa die Möglichkeit, sein Grundstück im Wege der Grundschuld „in kapitalisierter Gestalt in der Brieftasche herumtragen zu können“.912 Eine derartige Möglichkeit stellt ein vom Nutzen des körperlichen Gegenstandes nur noch mittelbar abhängiges, eigenes Lebensgut dar. Bei den dinglichen Nutzungsrechten913 (Nießbrauch, § 1030 BGB; Dienstbarkeiten, §§ 1018, 1090 BGB) ist dieses Lebensgut relativ nah an dem des Eigentumsrechts gelegen, da dem Berechtigten hinsichtlich der Nutzung des Grundstücks bloß ein Teil der Befugnisse des Eigentümers eingeräumt wird. Bei den dinglichen Verwertungsrechten914 (insbesondere Hypothek, § 1113 BGB, Grundschuld, § 1191 BGB, Pfandrecht, § 1204 BGB) hingegen entsteht ein zusätzlicher Wert dort, wo der Berechtigte die Sache in einer Weise nutzen kann, die dem bloßen Eigentümer ohne das eingeräumte Verwertungsrecht verschlossen bleibt. Mit zunehmender Handelbarkeit der Sache entstehen zusätzliche Lebensgüter. Sogar das Fahrniseigentum wird durch das Pfandrecht nach § 1204 BGB ergänzt. Da das Pfandrecht aber die Übergabe der Sache erfordert (§ 1205 Abs. 1 BGB) und streng akzessorisch ist, bleibt der Zuwachs gering und die Bedeutung des Nutzens, der vom praktischen Nutzen der Sache zu unterscheiden wäre, weit hinter diesem zurück. Obwohl die Hypothek ebenfalls streng akzessorisch ist, ist der Zuwachs bei ihr größer. Die Immobilie verbleibt nämlich beim Eigentümer, für den durch die der Immobilie zusätzlich anwachsende Sicherungsfunktion ein Lebensgut hinzutritt, 911 Zugrunde liegt eine strikte Trennung zwischen Mobilien und Immobilien, da letztere keine „gesonderte Existenz“, sondern „körperlich betrachtet, Theil eines zusammenhängenden Ganzen“ seien, die es daher abzugrenzen gelte, Mot. III, 258 = Mugd. III, 142; siehe auch Hattenhauer, Grundbegriffe, 140. 912 Hattenhauer, Grundbegriffe, 141. 913 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 3 Rn. 36 ff. 914 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 3 Rn. 39 ff.
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
das als abgespaltenes Recht bereits selbständig am Wirtschaftsverkehr teilnehmen kann. Die Selbständigkeit erhöht sich weiter bei der (nicht-akzessorischen)915 Grundschuld, vor allem in ihrer eingangs angesprochenen Form als verbriefte Eigentümergrundschuld (§§ 1192, 1117 BGB). Das Grundstück wird zur verkehrsfähigen Sicherheit gemacht, die vom Grundstückseigentümer losgelöst zwischen Dritten gehandelt werden kann. § 1192 Abs. 1a BGB hat diese Verkehrsfähigkeit für die Sicherungsgrundschuld, als häufigsten Fall916 der Grundschuld, allerdings stark beeinträchtigt.917 Beim Fahrniseigentum erfüllen Sicherungsübereignungen unter Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses einen ähnlichen Zweck, da hier ebenfalls die Sache – und damit ihr Nutzen – beim Sicherungsgeber verbleibt. Jedoch überträgt er in dem Fall seine komplette Eigentümerstellung gegen eine schuldrechtliche Sicherungsabrede. Sind die an Immobilien bestehenden beschränkten dinglichen Rechte gegenüber dem Nutzen des eigentlichen Grundstücks schon gewichtiger als noch bei den Mobilien, verstärkt sich dieser Eindruck bei immateriellen Gütern. Ist das Rechtsobjekt eine geistige Schöpfung, so ist ihr faktischer Nutzen für denjenigen, dem sie zugeordnet ist, eher gering.918 Zwar könnte ein Immaterialgüterrecht dem Berechtigten die exklusive Eigennutzung und Eigenverwertung des Gutes über die bekannten Verwertungsrechte zuweisen. Das, was Immaterialgüter dem Wert eines Grundstücks gleichzustellen vermag, sind aber die von der Zuordnung abspaltbaren Rechte, die derivaten Verfügungsobjekte, namentlich Lizenzen. Inwiefern diese konstruktive Ähnlichkeit mit beschränkten dinglichen Rechten haben, ist unten919 zu untersuchen.
E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff Die Vorstellung von Rechtspositionen als Gegenständen ist mit einem bestimmten Vermögensbegriff verknüpft. Die Trennung von Verfügungsobjekt und Rechtsobjekt verlangt es, dazu Stellung zu nehmen, welche Rolle die beiden Kategorien insoweit spielen.
I. Bedeutung in den Wirtschaftswissenschaften Besondere Beachtung finden Verfügungsobjekte in der Volkswirtschaftslehre, die zu der Erkenntnis gelangt ist, dass die Vergrößerung der Handlungsoptionen von Eigentümern entscheidende Bedeutung für produktives Wirtschaften hat:920 915 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 36 Rn. 77; zur Sicherungsgrundschuld BeckOK BGB/Rohe, § 1192 Rn. 6; MüKoBGB/Lieder, § 1192 Rn. 7. 916 BeckOK BGB/Rohe, § 1192 Rn. 47. 917 Siehe die Kritik bei Staudinger/Wolfsteiner (2019), § 1192 Rn. 31 ff. 918 Siehe oben § 8 A. III. 2. Keine Vergrößerung des faktischen Könnens. 919 Siehe unten 6. Kapitel – Abgeleitete Rechte. 920 Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland, Institutionenökonomik, 298 f.
§ 9 Verfügungsobjekte261
„Das Wirtschaften entsteht […] aus der absoluten Dispositionsfreiheit des Eigentümers, die […] ihn […] nicht auf Besitz und die damit verbundenen materiellen Nutzungsrechte beschränkt. Diese Freiheit hat ihre wichtigsten ökonomischen Bestandteile in den Rechten auf Belasten, Verpfänden und Verkaufen von Eigentum. All diese Operationen sind dadurch definiert, daß aufgrund der Immaterialität der Eigentumsrechte bei der Operation mit ihnen keinerlei gütermäßige bzw. physische Aktivitäten erfolgen. Für diese eigentlich ökonomische Sphäre gilt nicht das Sachenrecht, das für die güternutzende Sphäre des Besitzes zuständig ist, sondern das Schuldrecht.“921
Dies gilt noch weit mehr im Immaterialgüterrecht. Da Immaterialgüter keine unmittelbaren Nutzungen eröffnen, die Nutzen erst in ihrer informellen Repräsentation (insbesondere der körperlichen Repräsentation, d. h. als strukturelle Information) freisetzen,922 muss der unmittelbare wirtschaftliche Nutzen für den Schöpfer (Erfinder, Komponist, Schriftsteller etc.) durch künstliche Verknappung und innerhalb dieser durch das objektivrechtliche Zugeständnis923 von Verfügungsobjekten geschaffen werden. Der von der Rechtsordnung zugestandene Ausschnitt der tatsächlichen und rechtlichen Handlungsmöglichkeiten – der subjektivrechtliche Handlungsrahmen – die das Gut seinem Inhaber eröffnet, machen für diesen den Vermögenswert desselben aus. Das wusste schon v. Jhering: „Die Sache ohne das Recht ist werthlos, der Werth einer Sache wird nicht lediglich durch ihre ökonomische Brauchbarkeit, Verwendbarkeit bestimmt, sondern wesentlich dadurch, daß und wie ihre Verwendung rechtlich gesichert ist.“924
So stellen die Volkswirtschaftslehre und insbesondere die property rights theory sowie die Neue Institutionenökonomik nicht auf den das Rechtsobjekt bildenden Gegenstand, sondern die Rechte an demselben ab, weshalb „der Wert eines beliebigen Tauschgegenstandes ceteris paribus von dem Bündel der Verfügungsrechte abhängt, die in der Transaktion übertragen werden können. Wenn infolge staatlichen Eingriffs oder sonstwie der Inhalt der Verfügungsrechte an einem Gut verändert wird, so muß sich auch der Wert des Gutes ändern – für den Eigentümer des Gutes wie für jeden potentiellen Käufer […]“.925 „Tauschvorgänge erwecken den Anschein, als ob Warenbeziehungen im Vordergrund stehen. Tatsächlich werden aber Bündel von Eigentumsrechten getauscht. Wir sind der 921
Heinsohn/Steiger, Eigentum, 138, siehe auch 91 f., 122 ff. [Hervorh. im Original]. Siehe oben § 5 D. VI. Zwischenergebnis und Folgerungen. 923 Hier ist noch einmal auf die Bedeutung präskriptiver Regeln hinzuweisen, siehe oben § 1 A. III. 2. c) Präskriptive (regulative) und konstitutive Regeln. 924 V. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. II/2, § 43 (435). 925 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 90; grundlegend Furubotn/Pejovich, Journal of Economic Literature 10 (1972), 1137 (1139) („The value of any good exchanged depends, ceteris paribus, on the bundle of property rights that is conveyed in the transaction.“); Weise/ Brandes u. a., Neue Mikroökonomik, 517; Leible/Lehmann/Zech/Peukert, Unkörperliche Güter im Zivilrecht, 95 (118) („… der faktische Wert eines Guts für eine Person richtet sich stets nach den Handlungsmöglichkeiten, die ihr im Hinblick auf jenes zustehen.“). 922
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Meinung, dass die zweite Aussage immer richtig ist und bei allen Tauschvorgängen zutrifft.“926
Diese Sichtweise führt ihre Vertreter zu einem Vermögensverständnis, das als Vermögen nicht Gegenstände wie Sachen oder Immaterialgüter, sondern nur die darauf gerichteten Verfügungsobjekte berücksichtigt. Diese, auf den ersten Blick enge, Auffassung wird verständlicher, wenn man bedenkt, dass zum einen dieser Wert auch den Nutzwert von und das Affektionsinteresse an Gütern beinhaltet, da erst die Rechtsstellung als Eigentümer, Mieter, Lizenznehmer oder dergleichen die legale Nutzung von Gütern jenseits der Gemeinfreiheit eröffnet. Werden Güter ohne rechtliche Grundlage – z. B. aus familiärer Verbindung oder in einem Gefälligkeitsverhältnis – zur Verfügung gestellt, fallen sie zivilrechtlich nicht dem Vermögen des Begünstigten zu (sondern einem anderen Vermögen). Zum anderen ist der Kreis der Verfügungsobjekte außerordentlich weit gespannt. Da auch die bloße Rechtsinhaberschaft an relativen Rechten hierunter fällt, gibt es keine Güter, die man als Vermögen klassifizieren würde und die nicht als Verfügungsobjekte erfasst sind. In einem zivilrechtlichen Vermögensverständnis gilt dies auch für Kryptowerte und andere rein faktische Wertpositionen, da es sich um ein geschlossenes System handelt: Sind Güter wie z. B. NFTs als vertraglich oder gar eigentumsartige/verdinglichte Rechtspositionen anerkannt, gilt das Gesagte. Erkennt die Rechtsordnung die faktische Verbindung (z. B. die Inhaberschaft der WalletDatei) hingegen nicht als subjektives Recht an, hat sie zivilrechtlich auch keine vermögensartige Relevanz. Die Rechtsordnung stellt dem vermeintlichen Inhaber dann z. B. keine Mittel zu ihrer Verteidigung bereit. Eine Person ist all ihren Verfügungsobjekten im Modus der Rechtszuständigkeit verbunden, sie ist Rechtsinhaber.927 In dieser Hinsicht stehen Sachen und Immaterialgüter mit Forderungen und anderen schuldrechtlichen Vermögensbestandteilen auf einer Stufe. Sie alle sind gleichermaßen Verfügungsobjekte des Berechtigten.928 Dieses Verständnis entspricht einer Kritik, die Wieacker am System des deutschen Vermögensrechts übte. Darin kritisiert er das bürgerlich-rechtliche System der Vermögensrechte ob seiner Fixierung auf die unterschiedliche Struktur von relativen und absoluten subjektiven Rechten: Das Herrschaftsrecht werde als Gegensatz zum relativen Recht verstanden, obwohl beide Rechte für ihren Inhaber Vermögenswerte darstellten. Ausgehend von diesem Gedanken analysiert und kritisiert Wieacker die Wandelung des im justinianischen Vermögenssystem einheitlichen Vermögensbegriffs – der Begriff res habe das Gesamtvermögen bezeichnet – zur strikten Trennung von Schuld- und Sachenrecht im BGB.929 Seines Erachtens entspricht die damit einhergehende Trennung von Verpflichtung und Verfügung nicht den Lebens926
Weise/Brandes u. a., Neue Mikroökonomik, 517. Siehe oben § 2 F. II. Der Modus der Rechtsinhaberschaft. 928 Siehe etwa auch MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2007, Einl. vor § 241 Rn. 18 f. (bei Forderungsrechten wie dinglichen Sachenrechten gehe es um eine „Vermögenszuordnung“). 929 Wieacker, System des deutschen Vermögensrechts, 26 ff. 927
§ 9 Verfügungsobjekte263
zusammenhängen, insbesondere aber erfasse man mit dem Sachenrecht nur einen Ausschnitt des Vermögensrechts („Verkümmerung des Vermögensrechts zum Sachenrecht“).930 Bei der Orientierung des Vermögens an den Verfügungsobjekten wird die Trennung relativ/absolut hingegen erst relevant, wenn es um den Schutz des Vermögens geht. Gleich, ob nur relative oder auch absolute Rechte gewährt werden, ordnet die Rechtszuständigkeit einer Person subjektive Rechte zu, die zwangsläufig eine Innenbeziehung zu einem Gegenstand oder einer anderen Person mit sich bringen. Sollen nun Innenbeziehung, Rechtszuständigkeit oder auch Verkehrsfähigkeit gegen Angriffe Dritter gesichert werden, stellt sich die Frage der Absolutheit i. S. d. Abwehrbarkeit von Angriffen auf diese Bestandteile.931 Eine entscheidende Rolle spielt in der Volkswirtschaftslehre die Übertragbarkeit von Verfügungspositionen, sie hat erheblichen Einfluss auf deren Wert.932 Nicht jedes „Verfügungsrecht“ im volkswirtschaftlichen Sinne ist übertragbar, vielmehr wird der Begriff in einem weiteren Sinne als in der Rechtswissenschaft verwendet. Verfügungsrechte sind in der Volkswirtschaftslehre eher i. S. effizienzsteigernder subjektiv- oder objektivrechtlich geschützter Positionen zu verstehen. Die zivilrechtliche Verfügbarkeit – geschweige denn die translative Übertragbarkeit – scheint wirtschaftlich jedenfalls keine entscheidende Grenze zu sein, zumal auch Menschenrechte oder Kundenbeziehungen unter den Begriff (i. w. S.) gefasst werden.933
II. Verkehrsfähigkeit als Merkmal von Verfügungsobjekten? Verfügungsobjekte sind im Gegensatz zu Verfügungsrechten (im volkswirtschaftlichen Sinne) durch ihre Eigenschaft charakterisiert, Gegenstand eines Verfügungsgeschäfts sein zu können.934 Die Übertragung ist dabei nur eine von mehreren möglichen Verfügungen. In den Motiven werden die Begründung, Übertragung und Aufhebung „eines Rechtes an einer Sache oder an einem Rechte“ sowie die „Abtretung von Forderungen“, die Aufhebung bestehender Verbindlichkeiten und die Übertragung bzw. Übernahme von Schuldverhältnissen genannt.935 Die Begründung eines Rechts zählt nach heutiger Lehre nicht zum Verfügungsbegriff, dieser beschränkt sich auf die Einwirkung auf ein bereits bestehendes Recht.936 Die Dereliktion hingegen ist eine Verfügung.937 930
Wieacker, System des deutschen Vermögensrechts, 30 ff. Siehe dazu eingehend unten § 12 A. Der Begriff „Absolutheit“. 932 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 676 ff.; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 93; siehe auch die Nachweise in Fn. 925. 933 Vgl. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 95 ff. (dort etwa S. 99: Recht der Selbstbestimmung als „effizienzförderliche Vorkehrung“). 934 Siehe oben A. Begriff und Geschichte. 935 Mot. I, 127 f. = Mugd. I, 422. 936 Raape, Das gesetzliche Veräußerungsverbot des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 182; siehe auch unten G. II. 1. Verbrauch von Verfügungsmacht. 937 Staudinger/Heinze (2020), § 959 Rn. 1. 931
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Sowohl die Aufhebung als auch die Belastung von Rechten ist mit der Übertragung verwandt, da Rechte immer zugunsten eines anderen belastet und i. d. R. auch zugunsten eines anderen aufgehoben werden (wie z. B. im Falle des Erlasses, § 397 BGB938).939 Dieser Umstand, dass es typisch für Verfügungen ist, auf Vermögensrechte Anwendung zu finden,940 die wiederum „Rechte des verfügungsgeschäftlichen Verkehrs“ sind, begründet die enge Verbindung von Verfügung, Vermögen und Verkehrsfähigkeit.941 Eben dies liegt der schon behandelten942 Lehre von Sohm zugrunde, der „Verfügungsgegenstände“ mit deren Verfügbarkeit und aufgrund dieser als Vermögensrechte identifiziert.943 Auch die vorhin aufgezeigte Funktion des Verfügungsobjekts als Überbegriff der Güterordnung setzt an der Verfügbarkeit als Zentralkriterium an. Zum Vermögen einer Person zählen daher jedenfalls alle verfügungsverkehrsfähigen Rechtspositionen. Je nachdem wie weit man den Begriff „Verfügungsverkehr“ definiert, kann er jegliche Verfügungsgeschäfte meinen, er kann aber auch – enger – nur die Übertragbarkeit bezeichnen. V. Tuhr versteht die Übertragbarkeit als Voraussetzung für die Realisierung des Geldwertes eines Rechts. Der auf dem grundlegenderen Nutzwert beruhende Tauschwert beruhe auf der Möglichkeit, das Recht entgeltlich zu veräußern, weshalb „die Übertragbarkeit eine regelmäßige Eigenschaft des Vermögensrechts“ ist.944 Als weitere Merkmale eines Vermögensrechts macht v. Tuhr dessen Vererblichkeit und die Eigenschaft aus, Gegenstand der Vollstreckung oder Bestandteil der Konkursmasse sein zu können, lässt diese aber auch einzeln für die Annahme eines Vermögensrechts genügen.945 Entsprechend werden verkehrsunfähige Persönlichkeits- und Familienrechte gemeinhin nicht zum haftenden (und damit für Dritte verwertbaren!) Vermögen gezählt.946 Wie noch auszuführen sein wird, werden Persönlichkeitsrechte i. d. R. 938 Mot.
Rn. 2.
II, 120 = Mugd. II, 66; Jauernig/Stürner, § 397 Rn. 2, 4; MüKoBGB/Schlüter, § 397
939 Coing/Wilhelm/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 2, 213 (214 ff.). 940 V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/2, 240 (dort Fn. 19). 941 Coing/Wilhelm/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 2, 213 (221 ff.). 942 Siehe oben § 2 C. Der Rechtsgegenstand bei Sohm. 943 Das Wesen der Vermögensrechte beruhe darin, „daß sie Gegenstände im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs, d. h. mögliche Gegenstände von Verfügungsgeschäften sind“, Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (184). Ähnlich Fischer, AcP 117 (1919), 143 (168) (ein Vermögensrecht muss seinen Herrn wechseln können, „zum Übergang auf ein neues Rechtssubjekt geeignet sein.“); Fischer, FS Rosenthal, 1 (10) (dort Fn. 11) (es reiche die generelle Eignung zur Veräußerung). 944 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 314 (dort auch Fn. 2); Fischer, AcP 117 (1919), 143 (168) („Das einzelne Vermögensrecht dient zwar seinem Herrn, muß aber seinen Herrn wechseln können, zum Übergang auf ein neues Rechtssubjekt geeignet sein.“). 945 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 316. 946 Larenz/Wolf, BGB AT, § 21 Rn. 11; Köhler, BGB AT, § 22 Rn. 9; E. Wolf, BGB AT, 512, 249 ff.; siehe eingehend unten § 13 K. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit.
§ 9 Verfügungsobjekte265
als Gegenbegriffe zum Vermögensrecht aufgefasst. Dies geht auf die Ablösbarkeit ihres Gegenstandes vom Menschen zurück.947 Daraus folgt die Verneinung subjektiver Persönlichkeitsrechte für einen engen Kreis von Aspekten, die die Person erst ausmachen (Gesundheit, Körper, Leben etc.).948 Verfügungsobjekte können erst dort zum Zuge kommen, wo ein von der Person abgelöstes, entindividualisiertes Gut949 anzuerkennen ist. Der engere Kreis der Persönlichkeitsrechte kann deshalb kein Verfügungsobjekt haben.950 Zusammenfassend zählen Verfügungsobjekte als mögliche Gegenstände von Verfügungsgeschäften zum zivilrechtlichen Vermögensbegriff. Persönlichkeitsund Familienrechte fallen genauso wie andere nicht verfügungsfähige Rechte aus diesem Vermögensbegriff heraus. Da aber auch nicht-verkehrsfähige Rechtpositionen für den Berechtigten einen Wert haben können, müssen auch sie zumindest Teil eines weiteren Vermögensbegriffs sein. V. Tuhr nennt als Beispiele Nießbrauch oder nicht übertragbare Forderungen – sie hätten einen Nutzwert, insofern ihre Ausübung dem Berechtigten einen Vorteil in Geld bringe.951 Juristisch umfasse das Vermögen daher alle für das Subjekt vorteilhaften Tatsachen und Verhältnisse des wirtschaftlichen Lebens, denen ein subjektives Recht zugrunde liegt oder entspricht.952 Verkehrsfähig i. S. v. übertragbar muss ein Vermögensrecht nach diesem Begriff nicht sein.953 Man kann es an diesem Punkt mit der Feststellung bewenden lassen, dass der juristische Vermögensbegriff mit seinem Anwendungsgebiet variiert – Vermögen als möglicher Gegenstand von Verfügungsgeschäften ist nicht gleichsetzbar mit einem Vermögensbegriff, der Positionen wie ersparte Aufwendungen (auch in Form der Verteidigung gegen Dritte) oder gar ideellen Genuss mitumfasst. Es gibt eine Verbindung zwischen diesen beiden Vermögensbegriffen und der unten954 zu entwickelnden Unterscheidung von Kontroll- und Dispositionsherrschaft: schon die bloße Einräumung von Kontrollrechten (die typisch für persönlichkeitsrechtliche Positionen sind) nutzt dem Vermögen im weiteren Sinne. Paradigmatisch ist die kommerzielle, aber nicht-verfügende Verwertung persönlichkeitsrechtlich geschützter Rechtsgüter. 947
Siehe oben § 2 F. V. Speziell: Persönlichkeit als Rechtsgegenstand? Siehe unten § 11 B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. 949 Siehe oben § 2 F. V. Speziell: Persönlichkeit als Rechtsgegenstand? 950 Siehe dazu eingehend unten § 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte. 951 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 314 (dort Fn. 3). 952 So wohl v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 319; Köhler, BGB AT, § 22 Rn. 9 (Voraussetzung für Vermögensrechte sei, dass sie „entweder gegen Geld veräußerlich sind oder einen in Geld ausdrückbaren Nutzen gewähren“). 953 So auch Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 78 II 2 (456); ungenau Hübner, BGB AT, Rn. 295 (Vermögen im Allgemeinen als „eine gedankliche Zusammenfassung geldwerter Rechte [und Pflichten] […] in der Person des Trägers“); E. Wolf, BGB AT, 169 („Vermögen ist die Gesamtheit der ihrem Wesen nach beherrschbaren [dinglichen] Verhältnisse eines Menschen, seien sie vermögensrechtlicher Art [Vermögen im Rechtssinn] oder wirtschaftlicher Art [Vermögen im wirtschaftlichen Sinn]“). 954 Siehe unten § 11 C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft. 948
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
F. Verfügungsinstrumente Nun ist ein Blick auf die Kategorie von Regeln zu werfen, aus denen hervorgeht, über welche Rechte in welcher Weise verfügt werden kann und die bestimmen, wie eine solche Verfügung vonstattengeht. Diese Verfügungsinstrumente sind teils allgemeine, für verschiedene Arten von Verfügungsobjekten geltende, teils spezialisierte, auf speziell bestimmte Verfügungsobjekte beschränkte Regeln. Die Bedeutung der Spezialisierung von Verfügungsinstrumenten zeigt sich besonders bei Versuchen, diese Regeln analog anzuwenden.
I. Standardinstrumente und Ergänzungen Das rechtliche ‚Standardinstrument‘ für verfügende Rechtseinräumungen sind §§ 398 ff. BGB,955 die gem. § 413 BGB auf „die Übertragung anderer Rechte [nur] entsprechende Anwendung“ finden. Da § 398 BGB auf Forderungen begrenzt ist, hat § 413 BGB den breiteren Anwendungsbereich.956 Eine einheitliche Regelung kann angesichts der Vielfalt der teils auch noch in unterschiedlichem Grade übertragbaren subjektiven Rechte nicht erwartet werden.957 Auch für Verfügungen über Immaterialgüterrechte bzw. immaterialgüterrechtliche Lizenzen sind §§ 398, 413 BGB das entscheidende Instrument.958 In der „Herstellung der Verkehrsfähigkeit für gewerbliche Schutzrechte, urheberrechtliche Nutzungsrechte und andere Gestaltungsrechte“ wird sogar die „Hauptbedeutung von § 413 BGB“ gesehen.959 Zu diesem Standardinstrument der Abtretung gibt es eine Reihe spezieller Regelungen,960 wie § 15 PatG,961 §§ 27, 30 MarkenG,962 § 22 GebrMG,963 §§ 29, 31 DesignG,964 §§ 6, 7 Abs. 1 ArbnErfG965 oder aber §§ 29 f., 31, 33 ff. UrhG.966 Diese Regeln ersetzen die §§ 398, 413 BGB nicht, sondern ergänzen sie nur.967 Das gilt auch für § 1154 BGB, er ergänzt die Forderungsabtretung lediglich um Vorschriften zur Übertragung bei hypothekarischer Sicherung (entsprechend für die Grundschuld, 955 Nörr/Scheyhing/Pöggeler/Scheyhing/Nörr, Sukzessionen, § 15 I (176) („Modell […] für jeglichen Übertragungsvorgang, der ein privates subjektives Recht zum Gegenstand hat“). 956 Vgl. nur Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 319. 957 Nörr/Scheyhing/Pöggeler/Scheyhing/Nörr, Sukzessionen, § 15 I (176). 958 Staudinger/Busche (2017), § 413 Rn. 2; MüKoBGB/Roth/Kieninger, § 413 Rn. 5 f. 959 Staudinger/Busche (2017), § 413 Rn. 2. 960 MüKoBGB/Roth/Kieninger, § 413 Rn. 5 f. 961 Keukenschrijver/Busse/McGuire, PatG, § 15 PatG Rn. 44, 72, 289 ff.; vertreten wird, dass § 15 Abs. 2 PatG eine eigene, §§ 398, 413 BGB offenbar ersetzende verfügungsrechtliche Spezialvorschrift darstellt, BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 3. 962 Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 20. 963 Hier gelten dieselben Regeln wie für § 15 PatG, Mes, PatG, § 22 GebrMG Rn. 2; dazu Fn. 961. 964 Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, DesignG, § 29 Rn. 6. 965 Vgl. Schwab/Schwab, ArbnErfG, § 6 Rn. 3. 966 Staudinger/Busche (2017), § 413 Rn. 19. 967 Vgl. Bartenbach/Bartenbach, MDR 2003, 1270 (1271); MüKoBGB/Roth/Kieninger, § 413 Rn. 5 f.; Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (231). Siehe auch die umfängliche Darstellung bei C. Becker, Die „res“ bei Gaius, 7.
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§ 1192 Abs. 1 BGB).968 Die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte an derart übertragbaren Rechten969 wiederum nimmt Bezug auf die für Übertragungen geltenden, mithin die vorstehend genannten Vorschriften (§§ 1069, 1274 BGB). § 929 S. 1 BGB indes entspricht seiner Funktion nach den §§ 398, 413 BGB, ist also als spezialisierte Verfügungsnorm zu verstehen. Er ist dabei auf die Besonderheiten des Mobiliarsachenrechts zugeschnitten,970 weshalb die Eigentumsübertragung der Abtretung von Forderungen und sonstigen Rechten funktional ähnelt, dabei aber andere praktische Probleme bewältigen muss (insbesondere die Herrschaftsablösung an der Sache als körperlichem Gegenstand). Daher ist bei der Anwendung der speziellen Übertragungsinstrumente auf ihnen fremde Gegenstände mit Vorsicht zu verfahren.
II. Beispiel: Verpflichtungs- und Verfügungsebene eines Kaufs gem. § 453 Abs. 1 BGB Ein Beispiel soll zeigen, welche rechtlichen Konsequenzen die Aufweitung der sachenrechtlichen Regeln durch einen um unkörperliche Gegenstände angereicherten Sachbegriff971 im heutigen Recht hätte. § 453 Abs. 1 BGB betrifft unter anderem all die Güter, die Gefahr laufen, trotz Unkörperlichkeit unter den Sachbegriff subsumiert zu werden. Gemeint sind insbesondere Software,972 virtuelle Gegenstände973 (sofern man hier keinen Werkvertrag annimmt),974 Daten,975 weniger hingegen Internetdomains976 . Dies zwingt zur Stellungnahme sowohl dazu, was rechtlicher, als auch was tatsächlicher Gegenstand des Kaufvertrages ist (mit Larenz also, was Rechtsgegenstand erster und was Rechtsgegenstand zweiter Ordnung ist). Die Rechtsstellung, in deren Übertragung die eigentliche Erfüllung liegt, hängt von der Zuordnung des bezogenen Gegenstandes zu § 903 BGB (wofür er eben 968 Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, § 38 Rn. 1, 3; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 136 II (560 ff.); MüKoBGB/Lieder, § 1154 Rn. 1. 969 Also vorbehaltlich der für die Belastung von Sacheigentum bestehenden spezielleren Regelungen, vgl. insbesondere §§ 873 ff. BGB. 970 MüKoBGB/Roth/Kieninger, § 413 Rn. 4 (die Übertragung von Sachenrechten sei „besonders geregelt“); BeckOK BGB/Rohe, § 413 Rn. 6. Ebenso eigene Verfügungsregeln stellen die §§ 873, 925 BGB dar. 971 Zum Begriff der unkörperlichen Sache siehe oben § 4 D. Unkörperliche Sachen im 21. Jahrhundert. 972 Marly, BB 1991, 432 (435 f.); König, NJW 1993, 3121; differenzierend NK-BGB/MellerHannich, § 929 Rn. 9. 973 Berberich, Virtuelles Eigentum, 404 f. 974 So Völzmann-Stickelbrock, FS Eisenhardt, 327 (343 f.), die die Notwendigkeit eines Verfügungsgeschäfts daher verneint. 975 Hoeren, MMR 2013, 486 (489). 976 Becker, GRUR Int. 2010, 940 (944) – die dort gezeigte Nähe zu Grundstücken trifft zu, soll aber keineswegs eine Anwendung der Regeln des Immobliarsachenrechts oder des Sacheigentums nahelegen. Die Befürwortung der Domain als sonstiges Recht (Krebs/Becker, JZ 2009, 931 ff.) wiederum nimmt nur im Rahmen einer Rechtsfortbildung Anleihen im Sachenrecht.
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eine Sache sein müsste), zu einem anderen absoluten Herrschaftsrecht oder der sonstigen rechtlichen Zuweisung des Gegenstandes ab. Mit Recht sieht Peukert hier die „Kernproblematik“ angelegt.977 Ein unkörperlicher Gegenstand mag zwar nach § 453 Abs. 1 BGB veräußerbar sein, die Verpflichtung bleibt neben der Verschaffung des eigentlichen Gegenstandes (Übereignungspflicht) aber auf die Übertragung der Rechtsposition (Rechtsverschaffung)978 beschränkt, die die Rechtsordnung an dem Gegenstand übertragbar zugesteht. Andernfalls liegt rechtliche Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB vor (z. B. im Falle der Verpflichtung, das Sacheigentum an einer virtuellen Spielfigur oder dauerhaft eine dingliche Position an Ausschnitten der eigenen Persönlichkeit zu übertragen). An diese Stelle gehört die eigentliche Diskussion. Die Frage um den Sachbegriff und dessen Aufweitung verstellt den Blick für das eigentliche Problem, nämlich welche Rechte die Rechtsordnung (gegebenenfalls rechtsfortbildend) an neuen Gütern zulässt. Die Erfüllung kann per translativer Verfügung über die Vertragsposition, per translativer Verfügung über ein vollständiges Stammrecht (z. B. Marken- oder Patentrecht), eine ausschließliche oder einfache Lizenzeinräumung bis hin zu einer nur relativen Rechtseinräumung geschehen, die regelmäßig mit dem Abschluss des Kaufvertrags zusammenfällt. Auch auf der Verfügungsebene zeigen sich die Konsequenzen der Subsumtion unter den Sachbegriff.
1. Verfügung: §§ 398, 413 BGB vs. § 929 S. 1 BGB (analog) Aktuelle Paradigmen für unkörperliche Gegenstände sind wie gesagt Software, Daten, virtuelle Gegenstände in Onlinespielen oder Token (z. B. zur Abbildung von Kryptowährungen/NFTs). Für ihre Übertragung wird mitunter eine analoge Anwendbarkeit der §§ 929 ff. BGB vertreten.979 Offen bleiben aber der Sinn und Zweck dieser Analogie – die allgemeinste Anforderung wäre, dass eine „im Gesetz gegebene Regel auf einen vom Gesetz nicht geregelten, […] ‚ähnlichen‘ Tatbestand“ angewendet wird980 und natürlich die Voraussetzungen für eine Analogie vorliegen. Argumentiert wird indes mit einer (sehr fraglichen) Regelungslücke für die Übertragung von immateriellen Gegenständen981 und dem Willen der Parteien, die sachenrechtliche Übergabe eines Computerprogramms „durch die unmittel977 Leible/Lehmann/Zech/Peukert,
Unkörperliche Güter im Zivilrecht, 95 (99). P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (309). 979 Marly, BB 1991, 432 (435 f.); Lober/Weber, MMR 2005, 653 (656); Hoeren, MMR 2013, 486 (489) (§ 929 S. 1 BGB sei analog anzuwenden). Siehe zu Token P. Koch, ZBB 2018, 359 (362 f.) (analoge Anwendbarkeit der §§ 929 ff. BGB); Walter, NJW 2019, 3609 (3614) (ordnet Krypto-Token als Sache ein, daher seien §§ 929 ff. BGB anwendbar); Kaulartz/Matzke, NJW 2018, 3278 (3280). 980 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 381. 981 Hingegen regelten die Spezialgesetze die Übertragung von Immaterialgütern „selbständig“ und setzten neben die Einigung ein „Surrogat der Übergabe“ wie etwa eine Registereintragung, Lober/Weber, MMR 2005, 653 (655). Abgesehen davon, dass die Übertragungsregeln der Immaterialgütergesetze i. d. R. nur neben die §§ 398, 413 BGB treten, ist die Frage nicht „wie 978 Vgl.
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bare Herstellung einer Kopie in der Festplatte des Käufers zu ersetzen“, um dem Käufer hierdurch „Besitz und Eigentum an dem Programm“ zu verschaffen,982 was als Analogie zum Sachbesitz und Sacheigentum einer eingehenden Begründung bedürfte. Mit Schilken983 auf die sinngemäße Anwendbarkeit auf körperlich nicht manifestierte Software zu verweisen,984 trägt ebenfalls nur bedingt. Zum einen verwies die Kommentierung ihrerseits noch länger auf die zuvor Zitierten (Lober/ Weber),985 zum anderen wurde die Ansicht inzwischen aufgegeben.986 – Berberich beruft sich darauf, dass „ein technischer Wechsel der elektronischen Zuweisung eines virtuellen Gegenstandes in einer Datenbank an einen anderen Benutzer“ erfolge und „eine publizitätswahrende Übergabe im virtuellen Raum auch sinnlich erfahrbar“ sei, was „der Prämisse eines realen Herrschaftsgegenstandes und eines originär daran anknüpfenden Rechtes“ bedürfe.987 Bei beiden Argumenten fehlt die Verbindung zum Bedarf der Anwendung des Traditionsprinzips, also besagte nähere Begründung.988 Der Tatbestand, idealerweise auch der Zweck der traditio müsste hier so einschlägig sein, dass eine Analogie gerechtfertigt wäre. Ohne die Prämisse des Herrschaftsrechts fehlt es freilich bereits an einer Regelungslücke. Denn relevant erscheint einzig die Übergabe als Realakt, da beim Verkauf von Software und anderen digitalen Gütern i. d. R. die Verschaffung von Daten geschuldet ist. Diese Verschaffung ist Teil der Erfüllung des Vertragsversprechens. Beschränkt sich das Leistungsversprechen auf einen solchen Realakt, bedarf es keiner Analogie zu §§ 929 ff. BGB. Z. B. nimmt der Schuldner bei der Erfüllung einfacher Dienst- oder Werkverträge auch kein Verfügungsgeschäft, sondern schlicht die geschuldete Handlung vor. Die §§ 398, 413 BGB wiederum sind zwar für die Abtretung absoluter Rechtspositionen geeignet. Ausgerechnet für ungeregelte digitale Güter (z. B. virtuelle Gegenstände) ist dies aber nicht wichtig, da sie gerade keinen absoluten Schutz genießen (was eine Rechtsfortbildung aber nicht pauschal ausschließt). Sie sind relative Rechtspositionen und werden als solche nach §§ 398, 413 BGB abgetreten, sofern kein Abtretungsverbot (§ 399 2. HS 2. Alt. BGB) vorliegt.989 Umgekehrt sind die §§ 929 ff. BGB für die Übertragung unkörperlicher, nur relativ zugewiesener Gegenstände eher ungeeignet, da sie auf die Rivalität und Publizität körperlicher über virtuelle Gegenstände dinglich verfügt werden kann“, sondern ob überhaupt eine dingliche Rechtsposition anerkannt ist, die Gegenstand einer solchen Verfügung sein könnte. 982 König, NJW 1990, 1584 (1585). 983 AnwK/Schilken, § 929 Rn. 9. 984 So Lober/Weber, MMR 2005, 653 (656) (dort Fn. 25). 985 Vgl. NK-BGB/Meller-Hannich, 4. Aufl. 2016, § 929 Rn. 9 (eine entsprechende Anwendung der §§ 929 ff. BGB scheine geboten, es müsse dann aber neben dem Werkträger auch das „geistige Eigentum“ an der Software übergehen). 986 NK-BGB/Meller-Hannich, § 929 Rn. 9 (die §§ 929 ff. BGB passten wegen des immateriellen Gehalts bloßer Software nicht; die Übertragung erfolge allein nach § 413 BGB). 987 Berberich, Virtuelles Eigentum, 410. 988 Zum Traditionsprinzip siehe unten § 10 B. VI. Funktionen des Traditionsprinzips. 989 Vgl. Peukert, Güterzuordnung, 855.
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Gegenstände zugeschnitten sind. Sie gehen auf Besitzvorstellungen zurück, die ihre Wurzeln in der räumlichen Nähe zu einer mit physischer Gewalt beherrschbaren Sache haben.990 Der Anwendung sachenrechtlicher Regelungen auf unkörperliche Gegenstände scheint nicht viel mehr, als die Vorstellung von deren Ähnlichkeit zu Sachen zugrunde zu liegen. Sinn, jedenfalls aber Folge einer Analogie ist normalerweise die Anwendbarkeit der Rechtsfolgen der analog angewendeten Norm, was bei den §§ 929 ff. BGB insbesondere den gutgläubigen Erwerb beträfe, den Lober/Weber wie Berberich für virtuelle Gegenstände aber verneinen.991 Die Notwendigkeit, die Informationen zu verschaffen, aus denen Software und virtuelle Gegenstände bestehen, liegt nicht im Verfügungsgeschäft, sondern als Hauptpflicht im Schuldvertrag begründet.992 Zieht man daher mit dem Argument, „daß der Softwareüberlasser seinem Vertragspartner das immaterielle Gut ‚Software‘ faktisch überlassen muss“,993 die §§ 929 ff. BGB heran, stellt sich die Frage: wofür? § 929 S. 1 BGB knüpft die Eigentumsübertragung an einen äußeren Akt, bestimmt also, dass der Veräußerer die Sache übergeben muss, um das Eigentum zu übertragen. Die Pflicht die Informationen zu verschaffen, ist Ausfluss des Kaufvertrages und zielt auf einen reinen Realakt.994 Das Beispiel zeigt, wie problematisch die Übernahme spezieller Übertragungsinstrumente ist und welche Konsequenzen bedacht werden müssen.995 Dies ist besonders bei einer Aufweitung des Sachbegriffs der Fall. Denn was, wenn nicht die Regeln der Übertragung und des Erwerbs von Sachen, könnte mit der Subsumtion unkörperlicher Güter unter den Sachbegriff sinnvoll verbunden werden?
2. Verschaffung Die Verschaffung des „sonstigen Gegenstandes“ ist das, worum es bei derlei Verträgen eigentlich geht. Die genaue Rechtsposition ist den Parteien ohnehin selten bekannt. Wie diese Verschaffung funktioniert und inwieweit sie überhaupt möglich ist, hängt vom Einzelfall ab. In aller Regel ist die Verschaffung aus dem Verpflichtungsgeschäft geschuldet. Wenn nicht, fällt sie ohnehin weg. In § 929 S. 1 BGB ist die Übergabe Teil des Erwerbs des Eigentumsrechts.996 Um der Übergabe unkörperlicher Gegenstände eine ähnliche Bedeutung zuzusprechen, müsste zunächst eine Rechtsposition bestehen, deren Übertragung von der Verschaffung 990 991
Siehe unten § 10 B. VI. Funktionen des Traditionsprinzips. Lober/Weber, MMR 2005, 653 (656); Berberich, Virtuelles Eigentum, 410 f. (dort auch
Fn. 51). 992 I. d. S. auch Völzmann-Stickelbrock, FS Eisenhardt, 327 (343 f.) (der Anbieter müsse dem Kontrahenten nur „eine gewisse Datenmenge übermitteln“). 993 Kort, DB 1994, 1505 (1507). 994 Siehe sogleich 2. Verschaffung. 995 Deutlich Peukert, Güterzuordnung, 855 („Generell ausgeschlossen ist die analoge Anwendung der Spezialvorschriften zur Übereignung des Sacheigentums auf nicht zugeordnete immaterielle Güter.“) 996 Eingehend unten § 10 B. VI. 2. b) Eigentumsübertragung.
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bzw. Übergabe abhängen könnte.997 Sofern die Übergabe/Verschaffung also nicht notwendiger Teil der rechtlichen Verfügung ist, bleibt sie ein geschuldeter Realakt der keine über die schuldrechtliche Erfüllung, also das Bewirken der Leistung i. S. d. § 362 BGB hinausgehende Bedeutung hat. Wie verhält es sich mit der Verschaffung bei den angeführten neuen Gütern? Bei virtuellen Gegenständen in Computerspielen haben die AGB des Spieleanbieters und die sich tatsächlich bietenden Übertragungsmöglichkeiten innerhalb des Spieles große Bedeutung für den tatsächlichen Bestand der übertragenen Gegenstände.998 Mindestens genauso wichtig sind die Möglichkeiten, die der Spieler innerhalb der virtuellen Realität hat. Kann er einen Spielgegenstand in der virtuellen Welt gezielt „liegen lassen“ oder einem anderen Spieler übergeben, mag eine Art Übergabe vorliegen. Sie ist jedoch lediglich ein geschuldeter, d. h. zur Erfüllung notwendiger Realakt. Es handelt sich nur eben nicht um ein Verfügungs-/ Erfüllungsgeschäft. Software ist ebenfalls mit einem einfachen Realakt übertragbar (Download, Übergabe eines Datenträgers etc.). Auch hier hat die Übergabe nur erfüllende und nicht wie im Sachenrecht auch verfügende Wirkung. Bei Krypto-Token wird eine sacheigentumsartige Rechtsposition vereinzelt kurzerhand daraus hergeleitet, dass sie „wie Sachen individualisierbar und damit dem Bestimmtheitsgrundsatz zugänglich sind“.999 Wie gesagt folgt aus der Einzigartigkeit oder Knappheit eines Gutes aber kein Recht daran,1000 insbesondere kein so umfassendes wie das Sacheigentum. Krypto-Token (wie z. B. Bitcoins) stellen auch keine vertragliche Position gegenüber einer zentralen Stelle dar (wie bei Internetdomains), noch gibt es einen allgemein gültigen Emittenten.1001 Mangels Recht existiert schlicht keine Rechtsinhaberschaft an Krypto-Token. Vielmehr wäre hier ein privatrechtlicher Regelungsrahmen erst noch zu schaffen.1002 Krypto-Token sind eine faktische Position, die, wie Daten außerhalb der IP-Rechte, nur den Schutz genießen, den man dem persönlichen Datenbestand zugesteht. Dies läuft hauptsächlich auf deliktische1003 Ansprüche und strafrechtliche Abwehr (§§ 274 Abs. 1 Nr. 2; 303a StGB) hinaus. 997 Dies wird bei Token teils kurzerhand daraus hergeleitet, dass sie „wie Sachen individualisierbar und damit dem Bestimmtheitsgrundsatz zugänglich sind“, Koch, ZBB 2018, 359 (362) („eigentumsähnliches Recht an Tokens“). 998 Eingehend Striezel, Handel mit virtuellen Gegenständen, 239 ff. (in Frage komme die Übertragung einzelner Items wie etwa kompletter Spielfiguren, die Endnutzerlizenzvereinbarungen seien regelmäßig als AGB einzustufen und könnten einen Handel nicht in allen Fällen unterbinden; die Übertragung des gesamten Accounts inklusive Spielcharakter könne angesichts § 242 BGB nicht untersagt werden). 999 P. Koch, ZBB 2018, 359 (362); zutreffend a. A. Omlor, RDi 2021, 236 Rn. 9 m. w. N. 1000 Siehe oben § 7 C. VII. Rechte an Non-Fungible-Tokens (NFT). 1001 Vgl. KG NStZ-RR 2019, 19 (20). 1002 Omlor, RDi 2021, 236 Rn. 19. 1003 Siehe nur BeckOGK/Spindler, 5/2021, § 823 Rn. 184 ff., 140 (§ 823 Abs. 2 i. V. m. § 303a StGB); MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 332 ff. (als sonstiges Recht); Rn. 596 (§ 303a StGB als
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
3. Zusammenfassung Die Erfüllung eines Kaufvertrages über unkörperliche Gegenstände diente als Beispiel für einen Fall, in dem sachenrechtliche Regeln auf Nicht-Sachen angewendet werden, die Aufweitung des Sachbegriffs also rechtliche Wirkung zeitigen müsste. Es zeigte sich aber, dass eine analoge Anwendung des § 929 S. 1 BGB gegenüber der von §§ 398, 413 BGB weder Vorzüge hat noch irgendwelche Konsequenzen mit sich bringt. Eine sacheigentumsähnliche Rechtsposition gibt es nicht und wenn es sie gäbe, wäre zu begründen, weshalb es einer analogen Anwendung des Traditionsprinzips bedarf. Sofern man die Übergabe nicht als Teil des Rechtserwerbs (i. e. der Verfügung) versteht, bleibt sie ein geschuldeter Realakt.
G. Die Verfügungsfähigkeit von Rechten Eine zentrale Eigenschaft die fast allen absoluten Herrschaftsrechten und/oder Derivaten von ihnen zukommt, ist ihre Verfügungsfähigkeit:1004 Über die meisten absoluten Herrschaftsrechte kann ganz oder teilweise verfügt werden. Dies interessiert vorliegend weniger in Bezug auf die Frage, über welche Herrschaftsrechte in welchem Maße verfügt werden kann, denn als Teil des gesuchten Modells absoluter Herrschaftsrechte. Die Verfügungsfähigkeit muss in Bezug zu ihrer Struktur gesetzt werden. Daher ist der Verfügbarkeit von Rechten mit Fokus auf den wirtschaftlichen Rechtsverkehr ein näherer Blick zu widmen.
I. Begriff der Verfügung Im Zivilrecht wird unter einer Verfügung gemeinhin die unmittelbare Einwirkung auf ein bestehendes Recht durch Aufhebung, Übertragung, Belastung oder Inhaltsänderung verstanden.1005 Wie gezeigt wurde, sind Verfügungsgeschäfte begrifflich auf vermögensrechtliche Verhältnisse begrenzt,1006 nicht-vermögensrechtliche Aspekte des Persönlichkeitsrechts sind per definitionem unverfügbar.1007 Berger unterscheidet des Weiteren Verfügungen i. e. S. und i. w. S. Der Verfügungsbegriff i. e. S. kennzeichne die „Zuwendung eines bestehenden Rechts“, mitSchutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB); siehe auch OLG Dresden NJW-RR 2013, 27 (28) (§ 823 II BGB i. V. m. §§ 274 I Nr. 2 und 303 a StGB). 1004 Siehe oben E. II. Verkehrsfähigkeit als Merkmal von Verfügungsobjekten? 1005 Mot. III, 7 = Mugd. III, 4; Staudinger/Picker (2019), § 893 Rn. 24; Staudinger Eckpfeiler/ Herrmann (2008), 994; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 208; Larenz/Wolf, BGB AT, § 23 Rn. 35 (411); Haedicke, JuS 2001, 966 (967), siehe auch Berger, Verfügungsbeschränkungen, 10 f. Zu den verfügenden Verträgen gehören neben den sachenrechtlichen (dinglichen) auch schuldrechtliche Verträge wie Erlass (§ 397 BGB), Forderungsabtretung (§§ 398 ff. BGB), befreiende Schuldübernahme (§ 414 BGB), Abänderungs- und Aufhebungsverträge und der Auflassungsvertrag, NKBGB/Becker, § 311 Rn. 18. 1006 Siehe nur E. Wolf, BGB AT, 513; siehe auch oben E. II. Verkehrsfähigkeit als Merkmal von Verfügungsobjekten? 1007 Siehe oben C. Verfügungsobjekte als Überbegriff der Güterordnung?; siehe auch unten § 13 L. Verkehrsfähigkeit der Stammrechte.
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hin eine Veräußerung. Der Verfügungsbegriff i. w. S. hingegen erfasse einen weiten Kreis möglicher Verfügungsobjekte, darunter den Besitz, Einreden, bloße Machtbefugnisse oder Rechtsverhältnisse.1008 Im vorliegenden Zusammenhang steht der engere Verfügungsbegriff im Mittelpunkt. Verfügungen sind eigenständige Rechtsgeschäfte, die auf einen „Minimalkonsens“ beschränkt sind, da sie frei von jeder Zweckvereinbarung nur der Einverständniserklärung mit der betreffenden Verfügungswirkung (z. B. Übergang des Eigentums, § 929 BGB) bedürfen,1009 es handelt sich bei den Verfügungsverträgen1010 um abstrakte Verträge.1011 Hierzu gehört insbesondere keine Bezugnahme auf das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft.1012 Geltungsgrund der Verfügung ist wie bei allen Rechtsgeschäften der Wille der Beteiligten.1013 Veräußerer ist derjenige der verfügt und dadurch ein Recht verliert, während der Erwerber nicht verfügt, sondern nur ein Recht erwirbt.1014
II. Merkmale übertragender Verfügungen Nun sind die speziellen Merkmale übertragender Verfügungen näher darzulegen.
1. Verbrauch von Verfügungsmacht Nach Heck sind Verfügungen Rechtsgeschäfte, „welche den Rechtsinhalt des Verfügenden mindern“.1015 Keine Verfügung hingegen ist die Begründung eines Rechts, die das Verfügungsobjekt erstmalig erschafft. Dieses wird vom Verfügungsbegriff vielmehr vorausgesetzt. Rechtsbegründende Akte entfallen dem Verfügungsbegriff also,1016 das gilt auch für den rechtsgeschäftlichen Erwerb, dieser ist für den Erwerber keine Verfügung.1017 Es wird also immer über etwas (also ein Recht) verfügt, das es bereits gibt. Die Erzeugung von Rechten kraft Verfügungsmacht würde nämlich Verfügungsmacht erzeugen,1018 was ein Zirkelschluss wäre. Daher zählt die Aneignung (§ 958 BGB) zu den Realakten; sie setzt lediglich Eigenbesitzwillen, also keine Geschäftsfähigkeit oder gar rechtsgeschäftlichen Willen voraus.1019 Gleiches gilt für die Schöpfung 1008
Berger, Verfügungsbeschränkungen, 8; v. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 239–242. Brehm, BGB AT, Rn. 113; Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 21. 1010 Die Verfügung ist gewöhnlich (d. h. sofern keine rein einseitige Verfügung vorliegt) Teil eines zweiseitigen Rechtsgeschäfts, bei dem aber nur der „rechtsverlierende Teil“ verfügt, während der Erwerber Recht erwirbt, Haedicke, JuS 2001, 966 (967). 1011 NK-BGB/Becker, § 311 Rn. 19; Jauernig/Stadler, § 311 Rn. 9 f. 1012 Grigoleit, AcP 199 (1999), 379 (380); Jauernig, JuS 1994, 721 (722). 1013 Becker, Absurde Verträge, 78 ff. 1014 Haedicke, JuS 2001, 966 (967). 1015 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 108. 1016 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 101. 1017 Flume, BGB AT, Bd. 2, 140 f. 1018 Siehe unten III. 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht. 1019 Es genügt die Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, Wolff/Raiser, Sachen1009
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eines urheberrechtlichen Werks.1020 Ebenso wenig ist die Begründung von Registerrechten (etwa die Patenterteilung) als „rechtsvollendender Formalakt“1021 eine Verfügung. Vielmehr wird hier mit dem entstehenden Recht „neue“ Verfügungsmacht begründet.1022 Auch in Kraßers1023 Darstellung gehört der Verbrauch von Verfügungsmacht zu den Kriterien, die einen Rechtsakt als Verfügung kennzeichnen. Von den Befugnissen auf Seiten des Veräußerers erhält der Erwerber zumindest einige.1024 Der Erwerber, der ein Recht erworben hat, kann es somit durch eine weitere Rechtshandlung des Veräußerers nicht wieder verlieren. Er ist „gegen eine rechtsgeschäftliche Beeinträchtigung seiner Position geschützt“ – begründet der Veräußerer später kollidierende Rechte, fehlt ihm hierfür die erforderliche Verfügungsmacht.1025 Auch bei der Belastung oder Aufhebung von Rechten verbraucht der Verfügende Verfügungsmacht, auch wenn er sie, insbesondere bei Belastungen, häufig wieder zurückerhält (z. B. bei der Löschung einer Grundschuld).
2. Wechsel in der Rechtsinhaberschaft Die eingangs genannte Definition von Verfügungen lässt sich noch konkretisieren. Als Verfügung sollen nur solche Rechtsgeschäfte gelten, „die unmittelbar auf die Änderung der rechtlichen Zuordnungsverhältnisse an bestimmten Rechtsgütern gerichtet sind“.1026 Um eine Rechtsposition von einer Person auf eine andere zu übertragen, bedarf es also eines Wechsels in der ganzen oder teilweisen Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit.1027 Diesen Umstand drücken schon Begriffe wie Eigentums- oder Rechtserwerb aus. Da auch über Forderungen verfügt werden kann (§§ 398 ff. BGB), ist die Verfügung nicht auf absolute Rechte beschränkt; genauer gesagt ist sie nicht auf die Art von Absolutheit gerichtet, die absolute Rechte von relativen Rechten unterscheidet. Vielmehr betrifft die Verfügung über Rechte die Rechtsinhaberschaft (synonym: recht, § 78 III (291); Jauernig/Berger, § 958 Rn. 1; MüKoBGB/Oechsler, § 958 Rn. 1; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 101. 1020 Schack, Kunst und Recht, Rn. 229, 237; ders., Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 261. Wandtke/Bullinger/Bullinger, UrhG, § 2 Rn. 18. 1021 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 456. 1022 Siehe unten III. 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht. 1023 Man beachte, dass Kraßers Ausführungen auf die Übertragung immaterialgüterrechtlicher Positionen begrenzt sind, Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (232). 1024 Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (232). 1025 Schricker/Schricker, UrhG, 3. Aufl. 2006, vor §§ 28 ff. Rn. 48. Bei einer Mehrfachübertragung erhält daher nur derjenige das Recht, der es zuerst vom Veräußerer erlangt, Schramm, Grundlagenforschung, 84; Peukert, Güterzuordnung, 571 (gemeinsames Kennzeichen von übertragenden Verfügungen sei, dass der Erwerber „eine dem Verfügungsgegenstand strukturell entsprechende Rechtsposition“ erlange, die in genau diesem Ausmaß dem Veräußerer fehle). 1026 Haedicke, JuS 2001, 966 (967). 1027 Haedicke, JuS 2001, 966 (967); Sohm, Der Gegenstand, 7 („ein die Rechtslage [die Zuständigkeit, die Art des Daseins] eines bestimmten Gegenstandes unmittelbar änderndes Rechtsgeschäft“).
§ 9 Verfügungsobjekte275
Rechtszuständigkeit) und sagt nichts über den Inhalt oder die Wirkung des Rechts als solchem aus. Der Wechsel der Rechtsinhaberschaft drückt sich für den Verfügenden als vollständiger oder teilweiser Verlust derselben aus. Dieser Umstand ist streng vom Verlust an Verfügungsmacht zu unterscheiden.1028 Die Notwendigkeit eines Wechsels der Rechtsinhaberschaft gilt denknotwenig auch für abgeleitete Rechte, denn auch dort wird der Erwerber zum Inhaber eines (für ihn) neuen Rechts.1029
3. Erlangung von Verbotsrechten durch den Erwerber Als weiteres Kriterium für eine übertragende Verfügung über eigentumsartige Rechte (!) wird die Befugnis zur selbständigen Geltendmachung der eigentumsrechtlichen und immaterialgüterrechtlichen Ausschlusswirkung vorgeschlagen.1030 Dieses Merkmal ist auf absolute Verbotsrechte begrenzt, solche können durch Verfügung nicht neu begründet, sondern nur übertragen werden.1031 Der Vorrat an Verfügungsmacht wird bei Entstehung des verfügbaren Rechts gesetzlich gewährt.1032 Die verfügende Übertragung eines solchen Rechts ist dadurch gekennzeichnet, dass der Erwerber Verbotsrechte erlangt, die zuvor beim Veräußerer lagen. Die Verfügung über Forderungen und andere relativ wirkende Rechtspositionen überträgt dem Erwerber keine Verbotsrechte, da auch der Veräußerer keine hatte. Die Übertragung von Befugnissen an den Erwerber, die ihn zur unmittelbaren Einwirkung auf den Rechtsgegenstand berechtigen, soll wiederum kein Hinweis auf eine Verfügung, sondern ein Umstand sein, dessen Fehlen eine Verfügung ausschließt.1033 Grund hierfür ist, dass die Befugnis zur Einwirkung auch rein schuldrechtlich begründet werden kann, z. B. durch eine vertragliche Erlaubnis des Sacheigentümers.1034 Auch kann sie mit der Verfügung über Rechtspositionen einhergehen, die nicht durch absolut wirkende Verbotsrechte geschützt sind, wie beispielsweise über vertragliche Positionen an den oben genannten virtuellen Güter oder an bestimmten Datenbeständen. Zweifelhaft ist hingegen, ob das Fehlen von Einwirkungsbefugnissen tatsächlich eine Verfügung ausschließt. Schließlich könnte eine Verfügung theoretisch auch bloße Verbotsrechte übertragen, zu denen parallel aber ein gegen den Erwerber gerichtetes Verbotsrecht besteht. 1028
Dazu unten IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. Siehe eingehend zur Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte und von Lizenzen unten 6. Kapitel – Abgeleitete Rechte. 1030 Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (233); siehe auch Canaris, FS Flume, 371 (372) (umfassender Klageschutz als Merkmal absoluter Rechte). 1031 Dies drückt das numerus clausus-Prinzip aus, siehe unten § 13 C. Das numerus claususPrinzip. 1032 Dazu sogleich III. 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht. 1033 Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (232 f.). 1034 Vgl. Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (232 f.). 1029
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Beispiel: Der Lizenznehmer erwirbt vom Patentinhaber das Recht, dessen Erfindung in Deutschland durch einen Dritten herstellen und vertreiben zu lassen. Dem Lizenznehmer sollen die eigene Herstellung und der Vertrieb aber weiterhin verboten sein.
Dies ließe sich wohl nicht durch eine entsprechende Aufspaltung der Verbotsrechte aus dem Patent bewerkstelligen, sondern bedürfte der schuldrechtlichen Absprache, trotz der erworbenen (drittwirkenden) Rechtsposition eine eigene Herstellung und einen eigenen Vertrieb zu unterlassen. Schuldrechtliche Begrenzungen sind aber nicht Teil der Verfügungswirkung. Daher gilt für Verfügungen angesichts der verkehrsschützen Begrenzung von Verfügungsgeschäften wohl in der Tat, dass der Erwerb einer unmittelbaren Einwirkungsberechtigung notwendiges, aber nicht hinreichendes Merkmal einer Verfügung ist.
III. Verfügungsmacht und Verfügung In den obigen Punkten wurde mehrfach die Verfügungsmacht als entscheidendes Element angesprochen. Es besteht der Verdacht, dass ihr im Aufbau absoluter Herrschaftsrechte eine besondere Bedeutung zukommt. Daher ist sie im Folgenden eingehender zu untersuchen.
1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht Wie gezeigt wurde, geht eine Verfügung stets mit einem Verlust an Verfügungsmacht einher,1035 die daher im Zeitpunkt der Verfügung1036 vorhanden sein muss, sofern sie nicht durch Gutglaubensschutz ersetzt wird.1037 Synonym wird der Begriff „Verfügungsbefugnis“ gebraucht. Dies mag daran liegen, dass sich dieser Begriff untergliedern lässt in Sachlegitimation und das Nichtvorhandensein von Verfügungsbeschränkungen im privaten Interesse.1038 Es gab auch Versuche, mit dem Begriff der Verfügungsbefugnis das rechtliche Dürfen und mit Verfügungsmacht das rechtliche Können zu kennzeichnen,1039 die sich aber nicht durchgesetzt haben; heute werden die Begriffe synonym gebraucht.1040 Teils wird auch der Begriff des Verfügungsrechts (i. S. d. Rechts, zu verfügen) genutzt.1041 Die Bedeutung ist aber einheitlich.1042 1035 Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (232). Handelt es sich um eine Übertragung von Rechten (wie beim Kauf), taucht wenigstens ein Teil dieser Rechte beim Erwerber wieder auf, vgl. ebd. Eine Verfügung, die lediglich einen Verlust an Verfügungsmacht bewirkt, ist z. B. die Dereliktion, Staudinger/Heinze (2020), § 959 Rn. 1. 1036 Vgl. v. Tuhr, AcP 117, 193 (199). 1037 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 111. 1038 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 111. 1039 V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 365 ff.; Schlosser, NJW 1970, 681. 1040 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 10 (dort Fn. 23); vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch, „Verfügungsmacht“ (verweist auf „Verfügungsbefugnis“); Fritsche, DZWIR 2002, 1 (3) (dort Fn. 21). 1041 Baumbach/Leyens, HGB, § 366 Rn. 6. 1042 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 10 (dort Fn. 23).
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Verfügungsmacht ist die „rechtliche Macht, über ein Recht zu verfügen“ und damit „Erfordernis des Verfügungsgeschäfts“, sie ist eine „Beziehung zu dem der Verfügung unterliegenden Recht, eine Befugnis“.1043 Demgegenüber hängt die „Verfügungsfähigkeit“ von der Geschäftsfähigkeit ab, die eine „Eigenschaft der Person selbst“ ist,1044 während Verfügungsfähigkeit die „persönliche Eigenschaft des Rechtssubjekts […], selbst Verfügungen vornehmen zu können“ bezeichnet.1045 Parallel zur Verfügungsmacht existieren die Verpflichtungs- und die Erwerbsmacht.1046 Der Oberbegriff dieser Machtpositionen ist das „rechtliche Können“ (dazu sogleich). Erinnert sei an Husserl: „Dem negativen Sollen aller auf der Passivseite entspricht ein rechtliches Können des auf der Aktivseite stehenden Rechtssubjekts, das die [staatliche]1047 Garantienorm begünstigt, indem sie ihm eine […] Rechtsmacht verleiht.“1048
Verfügungsmacht knüpft in der Statuslehre nämlich an den status civitatis (Jellinek) und konkreter an die Einräumung privatrechtlicher Kompetenzen (Alexy) an.1049 Rechtssubjekte können die Staatsmacht für sich in Anspruch nehmen, ihre Institutionen nutzen und haben die Kompetenz, also das zivilrechtliche Können, Verfügungsmacht zu erwerben und auszuüben. Damit ist Verfügungsmacht eine von der Rechtsordnung eingeräumte Rechtsmacht, die Rechtssubjekte kraft ihres Status erwerben, ausüben und übertragen können. Genauer gesagt ist Verfügungsmacht ein rechtliches Können i. S. Jellineks. Dieser erklärt den Begriff des rechtlichen Könnens folgendermaßen: Den tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten des Individuums kann die Rechtsordnung etwas hinzufügen, „was es von Natur aus nicht besitzt“, nämlich „dass gewisse seiner Handlungen von ihr als zu Recht bestehend anerkannt und demgemäß staatlichen Schutzes teilhaftig werden“.1050 Alexy nennt dasselbe Phänomen die „Einräumung von Kompetenzen“.1051 Um das Eigentum faktisch (physisch) nutzen zu können und nutzen zu dürfen sind solche Kompetenzen/ist rechtliches Können freilich nicht erforderlich.1052 1043
Enneccerus/Nipperdey BGB AT I/2, § 144 I (885). Enneccerus/Nipperdey BGB AT I/2, § 144 I (885). 1045 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 10 (dort Fn. 24). 1046 Staudinger/Kohler (2021), § 137 Rn. 28; MüKoBGB/Armbrüster, § 137 Rn. 8; Berger, Verfügungsbeschränkungen, 94; Bierling, Juristische Prinzipien, Bd. 1, 168 (Verpflichtungsmacht als „das rechtlich-sich-verpflichten-können“); ausführlich R. Liebs, AcP 175 (1975), 1 (6, 42 f.); Enneccerus/Nipperdey BGB AT I/2, § 144 III. (892) (Erwerbsmacht als „Macht, sein Vermögen durch Erwerb von Rechten zu vergrößern“). 1047 Vgl. G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, §§ 8 ff. (12 ff.) (der Staat „verdoppelt“ das dem Recht vorgegebene Zueigenhaben des Einzelnen, indem er den Rechtsgenossen garantiert [„Rechtsgarantie des Zueigenhabens“]). 1048 G. Husserl, Rechtsgegenstand, § 62 (70). 1049 Siehe oben § 2 B. III. Zur Statuslehre. 1050 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 47. 1051 Alexy, Theorie der Grundrechte, 221 f. 1052 Denn das „Nichtdürfen schließt keineswegs das physische Können aus“, Jellinek, System 1044
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Geht man der Problematik normstrukturell weiter auf den Grund, muss mit Bierling die „bedingte Rechtspflicht“ als das rechtlich Wesentliche des rechtlichen Könnens verstanden werden,1053 denn umgesetzt wird dieses Können durch ein Recht-Pflicht-Gefüge, wie es von den Verbietungsrechten rund um das Rechtsobjekt bekannt ist.1054
Verfügungsmacht ist eine Rechtsmacht, die nur von der Rechtsordnung – durch Ermächtigungsnormen – eingeräumt oder beschränkt1055 werden kann.1056 Sie kann nicht privatautonom erzeugt/beschränkt werden (vgl. insbesondere § 137 BGB). Daher sind die möglichen Quellen für „neue“ Verfügungsmacht begrenzt auf die gesetzlichen Tatbestände, im vorliegenden Kontext auf die gesetzlichen Aneignungstatbestände, z. B. § 958 BGB, § 2 UrhG, § 6 PatG/§ 13 Abs. 3 GebrMG (das Erfinderrecht entsteht kraft Realakt und begründet das Recht auf das Patent bzw. Gebrauchsmuster)1057. Durch die Aneignung entsteht kraft Gesetz Verfügungsmacht im gesetzlich festgelegten Umfang. Beispiel: Der Urheber erhält z. B. nach deutschem Recht keine Verfügungsmacht zur Übertragung seines Vollrechts, kann aber verfügend Lizenzen einräumen (§ 31 UrhG). Daher ist es ihm rechtlich unmöglich (§ 275 Abs. 2 BGB) sein Urheberrecht als Ganzes zu übertragen; er hat nicht die dafür erforderliche Verfügungsmacht und kann sie auch nicht selbst erzeugen.
Der derart begrenzte, absoluten Herrschaftsrechten innewohnende Vorrat an Verfügungsmacht ist es, der im dann folgenden Rechtsverkehr Verfügungen ermöglicht und mit ihnen weitergegeben wird. Das Gleiche gilt für die Verfügung über relative Rechte. Ob vertraglich begründete Ansprüche abgetreten werden können, folgt in grundlegendster Bedeutung nicht aus dem Willen der Parteien und dem Nicht-Ausschluss der Abtretbarkeit, sondern daraus, dass die Rechtsordnung entsprechende Verfügungsmacht gewährt,1058 und nicht zum Austritts-Eintritts-Modell zwingt. Wieder ist an die Grundlagen zu erinnern: Ohne die Anerkennung der Rechtsordnung hat der Gläubiger nichts, was er dem Zessionar geben könnte.1059 Daher beziehen sich Verfügungen immer auf bereits bestehende Rechte.1060 Diese Weitergabe stellt sich für den Veräußerer als Verbrauch, für den Erwerber als Erwerb von Verfügungsmacht dar.
der subjektiven öffentlichen Rechte, 46; siehe dazu eingehend oben § 8 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums. 1053 Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 166. 1054 Siehe auch oben § 1 A. III. 2. b) Vollständige und unvollständige Rechtssätze. 1055 Vgl. v. Tuhr/Peter, Schweizerisches Obligationenrecht, Bd. 1, § 28 I. (214). 1056 Dazu oben § 2 F. III. Rechtsmacht. 1057 Ann, Patentrecht, § 19 Rn. 1, 10. 1058 Schulev-Steindl, Subjekte Rechte, 27. 1059 Es handelt sich nur um eine Variante des gezeigten Beispiels der Verschaffung eines Werkzeugs, siehe oben § 2 A. Einführung. 1060 Siehe oben Fn. 885.
§ 9 Verfügungsobjekte279
Aus Sicht der Privatautonomie kommt der Verfügungsmacht eine Funktion zu, die von dem auf die Vertragsparteien begrenzten Vertragsprinzip nicht erfüllt werden kann – die Verfügungsmacht bestimmt „die notwendig Beteiligten bei gegenstandsbezogenen Rechtsgeschäften“ – sie sorgt dafür, dass diejenigen, auf deren bereits bestehende Rechtsverhältnisse eingewirkt wird, beteiligt werden.1061 In einem weiteren Rahmen dient Verfügungsmacht damit der Umgestaltung einer vorgefundenen Güterzuordnung.1062
2. Verfügungsmacht als Mittel der Steuerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten Die Einräumung von Verfügungsmacht ist ein zentrales Mittel der Güterzuweisung. Sie ist nicht unbedingt nötig, um ein Gut überhaupt zuzuweisen, dazu dient das absolute Herrschaftsrecht. Damit das Recht aber zum Verfügungsobjekt und somit als solches verkehrsfähig werden kann, muss es1063 mit Verfügungsmacht ausgestattet werden. Diese ermöglicht und steuert die Verkehrsfähigkeit von Rechten. Der Gesetzgeber kann sie unterschiedlich ausgestalten und auf diese Weise die über ein Recht möglichen Verfügungen festlegen (s. etwa die Begrenzung in § 29 UrhG oder die Zulässigkeit der Teilübertragung einer Marke in § 27 Abs. 1 MarkenG).1064 Die Vergabe von Verfügungsmacht kann nicht nur gesetzlich, sondern auch rechtsfortbildend durch die Rechtsprechung erfolgen.1065 Ein Beispiel ist die Anerkennung der Verkehrsfähigkeit vermögensrechtlicher Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; etwa in Form der Frage, „ob die Übertragung des Rechts am eigenen Bild wegen seines Rechtscharakters als allgemeines Persönlichkeitsrecht ausgeschlossen ist“.1066 Das, was dort rechtsfortbildend anerkannt wurde, ist eine gewisse Verfügungsmacht über Teile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine wichtige Ausprägung der Steuerung möglicher Verfügungen zeigt sich im Lizenzrecht in Form gebundener Übertragungen als Folge beschränkter Verfügungsmacht.1067
3. Beschränkung von Verfügungsmacht Verfügungsmacht kann in verschiedener Weise beschränkt werden. Solche Beschränkungen sind allerdings weitestgehend dem Gesetzgeber vorbehalten, da
1061
Berger, Verfügungsbeschränkungen, 12. Berger, Verfügungsbeschränkungen, 12 f. 1063 Das Recht wird mit Verfügungsmacht ausgestattet, nicht sein Inhaber, dazu unten IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. 1064 Siehe auch unten 3. Beschränkung von Verfügungsmacht. 1065 Siehe allgemein zur rechtsfortbildenden Rechtszuweisung unten § 13 C. I. 2. Methodische und dogmatische Stellung, II. 3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen. 1066 BGH GRUR 1987, 128 – NENA. 1067 Siehe unten § 17 E. Eigener Vorschlag. 1062
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Verfügungsmacht vom Gesetzgeber eingeräumt wird und es sich bei der Handlungsfähigkeit „um eine Grundlage unserer Rechtsordnung“ handelt.1068 Rechtsgeschäftlich kann Verfügungsmacht gegenüber Dritten grundsätzlich nicht beschränkt werden (§ 137 S. 1 BGB), wohl aber im Innenverhältnis, also auf schuldrechtlicher Ebene (§ 137 S. 2 BGB). Ein viel diskutierter Sonderfall ist § 399 BGB, der einen vertraglichen Abtretungsausschluss ermöglicht. Technisch geht es bei der Forderungsabtretung (§ 398 BGB) um das „Umdirigieren“ von an der Person des Gläubigers orientierten Verhaltenspflichten des Schuldners auf Dritte.1069 Diese Möglichkeit wird nach modernerer Lehre als lex specialis/Durchbrechung des § 137 BGB1070 und Verlagerung der Verfügungsmacht auf beide Parteien ausgelegt. So ergibt sich eine schlüssige Erklärung, wie die Forderung entgegen der Beschränkung einverständlich übertragen werden kann.1071 Es handelt sich nach dieser Lehre bei § 399 Alt. 2 BGB um kein Verfügungsverbot, sondern um die Beschränkung von Rechtsmacht1072 durch Aufteilung bzw. Vergemeinschaftung.1073 Für die Vergemeinschaft spricht, dass Gläubiger und Schuldner ihre Bruchteile an der Verfügungsbefugnis gerade nicht separat weitergeben können (vgl. § 747 S. 1 BGB). Nach Krückmann handelt es sich bei der Regelung der Verfügungsbefugnis vielmehr um dieselbe Technik wie beim Gesamt(hands)eigentum: „Die Verfügungsbefugnis ist geteilt derartig, daß jeder Miteigentümer gegen jeden Miteigentümer die Befugnis hat, die nach § 399 BGB dem Schuldner gegenüber dem Gläubiger zusteht. […] Jeder Genosse ist an die Einwilligung des anderen gebunden […].“1074
Im Stellvertretungsrecht sind die Möglichkeiten, drittwirksam Vertretungs- und damit Verfügungsmacht über fremdes Recht zu beschränken für die BGB-Vollmachten großzügig, d. h. weitestgehend frei gestaltbar geregelt (§§ 164 ff. BGB); bei der Prokura (§§ 48 ff. HGB) und (in deutlich schwächerem Maße) auch bei den Handelsvollmachten (§§ 54 ff. HGB) hingegen sind die Beschränkungsmöglichkeiten zwecks Verkehrsschutz begrenzt. Der Umfang der mit einem absoluten Herrschaftsrecht verbundenen Verfügungsmacht gehört zu den Gestaltungsinstrumenten des Gesetzgebers. Er kann Verfügungen über das Stammrecht oder Abspaltungen davon vollständig ausschließen, sie begrenzt oder partiell zulassen, aber auch vollkommen frei formbar gestalten. 1068
V. Tuhr/Peter, Schweizerisches Obligationenrecht, Bd. 1, § 28 II. (215). Dörner, Dynamische Relativität, 142. 1070 Siehe insbesondere Dörner, Dynamische Relativität, 142; NK-BGB/Kreße, § 399 Rn. 7; BeckOGK/Lieder (01/2021), § 399 Rn. 77.1 (m. w. N.) a. A. Staudinger/Busche (2017), § 399 Rn. 52 (versteht die Übertragbarkeit als Teil des Rechtsinhalts und verortet die Verfügungsmacht beim Rechtsinhaber; § 399 Alt. 2 BGB verändere die Übertragbarkeit als „Inhaltsbestimmung des Rechts selbst“). 1071 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 241. 1072 Vgl. Dörner, Dynamische Relativität, 142. 1073 Krückmann, AcP 103 (1908), 139 (292 f.) (qualitative Aufteilung der ursprünglich allein beim Gläubiger liegenden Übertragungsbefugnis). 1074 Krückmann, AcP 103 (1908), 139 (293 f.). 1069
§ 9 Verfügungsobjekte281
Beispiel: § 29 UrhG schließt rechtsgeschäftliche Verfügungen über das Urheberrecht aus, § 31 Abs. 1, 3 UrhG lässt beschränkte Verfügungen über Nutzungsrechte zu, die an keinen strengen Typenzwang gebunden sind.1075 §§ 903, 929 BGB ermächtigen den Eigentümer zur Übertragung des Stammrechts, echte Verfügungsbeschränkungen ergeben sich insofern hauptsächlich aus dem sachenrechtlichen Typenzwang, während Spezialgesetze (z. B. das WaffG, BtMG) nicht die Verfügungsmacht des Sacheigentümers beschränken.1076
4. Positive und negative Seite Die Verfügungsmacht hat eine positive und eine negative Seite. Positiv verschafft sie besagtes rechtliches Können „zur Einwirkung auf Verfügungsobjekte“ und dient damit der Ausübung von Privatautonomie, hierin liegt zugleich eine „Zuweisungsfunktion“, sowohl im güterzuweisenden Sinne,1077 als auch „im Sinne der die Vornahme rechtsgeschäftlicher Akte betreffenden Ermächtigung des Rechtsinhabers“.1078 Die Ausstattung einer Rechtsposition mit Verfügungsmacht ist Teil ihrer Zuweisung zum Rechtssubjekt.1079 Von der Verfügungsmacht leitet sich als sekundäre, konkurrierende Rechtsmacht die Verfügungsermächtigung ab: der Ermächtigende kann andere zur Verfügung über sein Recht ermächtigen (§ 185 Abs. 1 BGB), wodurch sie eigene Verfügungsmacht erhalten.1080 Für die Konkurrenz dieser Verfügungsmächte gilt dann das Prioritätsprinzip.1081 Auch die Verfügungsermächtigung trägt positive Züge, da sie zum einen eine zusätzliche Handlungsmöglichkeiten für den Berechtigten darstellt (was z. B. den verlängerten Eigentumsvorbehalt ermöglicht)1082 und zum anderen einen Nichtberechtigten mit einem rechtlichen Können versieht. Während der Ermächtigte im Falle des § 185 BGB im eigenen Namen verfügt, kann Verfügungsmacht auch in Gestalt von gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht verliehen werden. Der Vertreter kann dann „im Namen des Ver1075
Eingehend unten § 13 C. I. 4. a) Urheberrecht. § 134 Rn. 9; siehe auch oben § 8 A. II. Die Zuweisungslücke im Sacheigentum. 1077 Die Zuweisung übertragbarer Rechtspositionen schafft „eine wesentliche Voraussetzung für die Erreichung von Allokationseffizienz“. Das Gut und damit sein Nutzwert, aber eben auch die „Handlungsrechte“ (um die es hier geht) können ihren Weg zu demjenigen finden, der sie am höchsten bewertet, Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 676 f.; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 90 ff. 1078 Staudinger/Kohler (2021), § 137 Rn. 25 (die Verfügungsbefugnis habe zu Gunsten ihres Inhabers die Funktionen der objektbezogenen Zuweisung i. S. seiner die Vornahme rechtsgeschäftlicher Akte betreffenden Ermächtigung); Berger, Verfügungsbeschränkungen, 10. Siehe zur ökonomischen Bedeutung der Zuweisung von Verfügungsrechten auch oben E. I. Bedeutung in den Wirtschaftswissenschaften. 1079 Siehe soeben 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht; 2. Verfügungsmacht als Mittel der Steuerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten; siehe auch Haedicke, JuS 2001, 966 (970). 1080 MüKoBGB/Bayreuther, § 185 Rn. 21 ff. 1081 MüKoBGB/Bayreuther, § 185 Rn. 23; Berger, Verfügungsbeschränkungen, 11. 1082 MüKoBGB/Bayreuther, § 185 Rn. 26. 1076 MüKoBGB/Armbrüster,
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
tretenen verfügen“,1083 wobei es die Stellvertretung freilich auch ganz ohne Verfügungsmacht gibt (z. B. in Form der Verhandlungsvollmacht). Im Fehlen der nötigen Verfügungsmacht wiederum zeigt sich die negative Seite der Verfügungsmacht: ohne die nötige Verfügungsmacht können verfügende Veränderungen nicht bewirkt werden. Hierin kann ihre „Abwehrfunktion“ gesehen werden.1084 „Unbefugte Verfügungen“ sind unwirksam, wenn kein Gutglaubensschutz greift,1085 weshalb § 366 HGB explizit den guten Glauben in die Verfügungsmacht genügen lässt. Eine wichtige Konsequenz fehlender Verfügungsmacht ist der Sukzessionsschutz, den verfügend eingeräumte Rechtspositionen genießen.1086
5. Ausprägungen von Verfügungsmacht Da Verfügungen mit Aufhebung, Übertragung, Belastung oder Inhaltsänderung unterschiedliche Wirkungen haben, die jeweils eine entsprechende Macht voraussetzen, muss es verschiedene Ausprägungen von Verfügungsmacht geben. Die Unterscheidung wird praktisch erst relevant, wenn einzelne Ausprägungen abgespalten oder anderen eingeräumt werden, ansonsten bleiben sie vereint. Berechtigte können unterschiedliche Variationen der Verfügungsmacht hinsichtlich des ihnen zugewiesenen Rechts haben.1087 Entscheidend dabei ist, dass auch diese gestuften Verfügungen das Recht stets von außen und in seiner Gesamtheit betreffen. Auch Verfügungen die das Recht vorübergehend inhaltlich spalten betreffen es zunächst (nämlich vor der Aufspaltung) in seiner Gesamtheit.1088 Gegensatzbegriff zur Verfügungsmacht sind die inhaltlichen Befugnisse bzw. Verbotsrechte, die das Recht gewährt.1089
a) Übertragungsmacht Der mit Abstand häufigste Fall der Einräumung von teilweiser Verfügungsmacht an andere1090 ist die Übertragungsmacht. Für sie wird aufgrund ihrer praktischen Bedeutung häufig auch der Begriff der Verfügungsbefugnis/-macht synonym verwendet.
1083 V. Tuhr/Peter, Schweizerisches Obligationenrecht, Bd. 1, § 28 III. (216); Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/2, § 144 I (885); MüKoBGB/Bayreuther, § 185 Rn. 2. 1084 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 10 f.; Staudinger/Kohler (2021), § 137 Rn. 25 (Funktion „Dritte von Verfügungen auszuschließen“). 1085 V. Tuhr/Peter, Schweizerisches Obligationenrecht, Bd. 1, § 28 IV. (217). 1086 Siehe eingehend unten § 13 J. II. Sukzessionsschutz durch Verbrauch an Verfügungsmacht. 1087 Siehe oben 2. Verfügungsmacht als Mittel der Steuerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten. 1088 Zu dieser Frage siehe unten § 16 E. Differenzierte Spaltung. 1089 Eingehend oben § 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens. 1090 Siehe nur die Aufzählung der „wichtigsten Fälle der Verfügungsmacht über fremdes Vermögen“ bei v. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 377 f.
§ 9 Verfügungsobjekte283
Beispiel: Stellvertreter erhalten häufig eine Einräumung von Vollmacht zur Eigentumsübertragung mit Wirkung für den Vertretenen. Sie erhalten aber keine Ermächtigung zur Dereliktion oder zur Inhaltsänderung dinglicher Rechte an der Sache. Der vertretene Eigentümer räumt dem Vertreter also nur einen Ausschnitt seiner Verfügungsmacht ein.
Sicherungsrechte enthalten eine Verwertungsbefugnis, also die Befugnis, das Recht zur Befriedigung zu veräußern.1091 Diese besteht im Wesentlichen aus Verfügungsmacht, genauer gesagt aus einer bestimmten Form von Übertragungsmacht: Seine Berechtigung zur „Sachverwertung“ berechtigt den Sicherungsnehmer, das Vollstreckungsverfahren zu betreiben, somit einen dinglichen Titel1092 zu erlangen und den zuvor bestimmten Teil des Erlöses zu behalten.1093
b) Belastungsmacht Werden beschränkte dingliche Rechte eingeräumt, das Stammrecht also belastet, macht der Verfügende von seiner Belastungsmacht Gebrauch. Die genaue Konstruktion wird unten näher untersucht, wozu auch die Frage gehört, ob die Belastung von Rechten eher in der Übertragung von Teilen des Stammrechts (oder einer anderen Variante der Einräumung inhaltlicher Befugnisse durch den Stammrechtsinhaber) und/oder womöglich im Transfer von Verfügungsmacht liegt.1094 Soweit ersichtlich, tritt die Belastungsmacht als separate Form von Verfügungsmacht nicht in Erscheinung, da es dafür einer Konstellation bedürfte, in der jemand die Befugnis (genauer: die Macht) erhält, ein fremdes Recht zu belasten. Je nach dogmatischer Auffassung zur Natur beschränkter dinglicher Rechte überlappt sie mit der Übertragungsmacht. Auch wenn man beschränkte dingliche Rechte rein als Übertragung von Eigentumssplittern konstruieren wollte, müsste so etwas wie die Macht vorgesehen werden, solche Splitter nach der im Typenkatalog vorgesehenen, detailliert ausgestalteten Art und Weise abzuspalten und zu übertragen.
c) Aufhebungsmacht Gleiches gilt für die Aufhebungsmacht, also die Macht, ein Recht in seinem Bestand aufzuheben. Die wichtigste Ausprägung der Aufhebungsmacht ist der Verzicht. Dieser ist eine Verfügung, „durch welche der Inhaber eines Rechts das Recht aufgibt, ohne es auf eine andere Person zu übertragen“.1095 Die wichtigsten Formen des Verzichts im BGB sind die Dereliktion (§§ 959, 928 BGB) und der Verzicht auf einen schuldrechtlichen Anspruch per Verfügungsvertrag (§ 397 BGB).1096 1091 Eingehend
Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 383 f. Die dingliche Klage geht auf „Duldung oder Befriedigung aus dem Pfandgegenstand und will die reine Sachhaftung verwirklichen“ und mündet in einen „dinglichen Titel“, nämlich das Urteil auf Duldung der Zwangsvollstreckung, Mager, AcP 193 (1993), 68 (72). 1093 Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 384. 1094 Siehe unten § 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte. 1095 V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 264 f.; Ohly, volenti non fit iniuria, 146 f. 1096 Vgl. NK-BGB/Ring, § 397 Rn. 7, siehe auch Rn. 13 (Verfügungsbefugnis des Forderungsinhabers). 1092
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2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Auf einzelne Komponenten der Verfügungsbefugnis (z. B. die Übertragungsmacht) kann bei Stammrechten nicht verzichtet werden, da dies den numerus clausus der Stammrechte sprengen würde. Zum einen wäre der Verzicht als solcher eine ungeregelte Verfügung, zum anderen wäre das dann um die durch den Verzicht weggefallene Verfügungsmacht verkürzte Recht ebenfalls ungeregelt. Mehr Spielraum bieten insofern die dinglichen Rechtseinräumungen im Immaterialgüterrecht.1097 Diese Begrenztheit der Verzichtsmöglichkeiten hat noch aus einer anderen Perspektive große Bedeutung. Die Einräumung von Verfügungsmacht ist wie gesagt ein dem Gesetzgeber vorbehaltenes Instrument und von großer rechtsgestaltender Kraft. Die Versagung von Verfügungsmacht sichert Rechte zugunsten der Betroffenen, auch bzw. gerade in Zwangslagen. Daher ist es Berechtigten nicht anheimgestellt, mit verfügender Wirkung auf bestimmte Rechte oder Teile davon zu verzichten. Z. B. können Betroffene nicht auf das Löschungsrecht aus Art. 17 DSGVO oder ihr Widerrufsrecht aus Art. 7 Abs. 3 DSGVO1098 verzichten, was gezielt die Verkehrsfähigkeit von Personendaten begrenzt. Hierin zeigt sich auch die enge Verwandtschaft des Verzichts zur verfügenden Übertragung. Sie haben beide zur Folge, dass der Berechtigte nicht mehr in bestimmter Weise rechtlich handeln kann; er verliert die nötige Verfügungsmacht. Die Übertragung geht noch weiter, da sie die Verfügungsmacht auf andere übergehen lässt. Der Verzicht ist hierzu ein wesensverwandtes Minus. Ein Fall in dem die Aufhebungsmacht, wenn auch in variierter Form, vorkommen könnte, ist die Einziehungsbefugnis, die anderen per Einziehungsermächtigung erteilt oder gesetzlich, etwa beim Nießbrauch an Forderungen (§ 1074 BGB) eingeräumt werden kann. Ob die Einziehungsbefugnis eine Ausprägung von Verfügungsmacht ist, hängt davon ab, ob man die Einziehung als Verfügung über die Forderung versteht.1099 Es handelt sich bei ihr um die Befugnis, eine fremde Forderung, d. h. eine weiterhin in Inhaberschaft des Altgläubigers stehende Forderung im eigenen Namen geltend zu machen.1100 Da sie die Forderung zum Erlöschen bringt, hat sie immerhin Verwandtschaft zu Forderungsaufhebung/-verzicht, also zur Aufhebungsmacht.
1097
Siehe unten § 13 C. I. 4. Geltung im Immaterialgüterrecht. gen. Döhmann/Klement, Datenschutzrecht, Art. 7 Rn. 92; Specht/Mantz/Specht, Handbuch Europäisches und deutsches Datenschutzrecht, § 9 Rn. 43; Becker, FS Schack, 99 (107 f.). 1099 Abl. MüKoBGB/Bayreuther, § 185 Rn. 34 (gegen Anwendung des § 185 BGB); a. A. jurisPK-BGB/Trautwein (11/2021), § 185 (für Anwendung des § 185 BGB); andere Kommentierungen behandeln diese Frage nicht explizit und plädieren für eine analoge/entsprechende Anwendung des § 185 BGB, Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, § 185 Rn. 16; Staudinger/Klumpp (2019) § 185 Rn. 158 f. 1100 Vgl. MüKoBGB/Bayreuther, § 185 Rn. 34. 1098 Simitis/Hornung/Spiecker
§ 9 Verfügungsobjekte285
d) Änderungsmacht Die Macht zur Inhaltsänderung (Änderungsmacht) wiederum wird insbesondere bei Verfügungen i. S. d. § 877 BGB relevant. Beispiele sind die Umwandlung einer Sicherungshypothek in eine gewöhnliche Hypothek (§ 1186 BGB) oder die Umwandlung einer Hypothek in eine Grundschuld und umgekehrt (§ 1198 BGB). Als Spezialfall zu § 877 BGB geregelt ist wiederum die Ersetzung der einen Hypothekenforderung durch eine andere (§ 1180 BGB).1101
Diese Ausprägung von Verfügungsmacht ermöglicht eine Abkürzung des Vorgehens gegenüber dem sonst erforderlichen Weg der Aufhebung und Neubegründung mit anderem Inhalt, was insbesondere einen Rangverlust zur Folge hätte.1102 Auch Schuldabänderungsverträge können verfügenden Charakter haben, sofern sie die „Abänderung des Schuldverhältnisses unmittelbar zur Folge“ haben.1103 Soweit ersichtlich, kommt die separate Weitergabe von Änderungsmacht praktisch kaum vor, auch wenn in den angeführten Fällen z. B. eine Stellvertretung zulässig wäre.
6. Verhältnis zum subjektiven Recht Auf der Suche nach einem Modell absoluter Herrschaftsrechte besonders interessant ist schließlich die Frage, wie die Verfügungsmacht strukturell zu verorten ist: Ist sie Bestandteil bzw. Inhalt eines Rechts oder eine davon zu unterscheidende, unabhängige Größe? Denkbar wäre auch, dass sie eher beim Rechtssubjekt zu verorten ist. Außerdem ist sie gegenüber der Rechtsinhaberschaft abzugrenzen. Wie fügt sich die Verfügungsmacht also in die Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte ein?
a) Verfügungsmacht als Inhalt eines Rechts Es gibt eine alte Diskussion um die Frage, inwieweit die Verfügungsmacht Inhalt des subjektiven Rechts oder etwas davon Unterschiedliches ist. Hier ist besonders genau darauf zu achten, inwieweit sich die entgegenstehenden Meinungen wirklich widersprechen. I. d. R. wird zu diesem Problem nicht eingehend argumentiert, daher darf knappen Äußerungen nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden. Für die Formulierung des Sacheigentumsrechts lehnte die 2. Kommission es ab, die Verfügungsbefugnis in den Wortlaut1104 des § 848 BGB-Entwurfs (§ 903 BGB) mit aufzunehmen:
1101 MüKoBGB/Lieder,
§ 1180 Rn. 1. Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 329. 1103 Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, § 42 II 1. (186); Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 319. 1104 Der Vorschlag lautete: „Der Eigenthümer ist befugt, die Sache zu besitzen und zu benutzen sowie über dieselbe zu verfügen, soweit er hierin nicht durch Gesetz oder durch die Rechte Dritter beschränkt ist.“, Prot. III, 3522 = Mugd. III, 577. 1102
286
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
„Nicht zum Begriffe des Eigenthumes gehöre das […] Recht ‚über die Sache zu verfügen‘, d. h. rechtlich zu verfügen. Das Verfügungsrecht stehe auch dem Forderungsberechtigten, dem Nießbraucher zu; letzterer verfüge, indem er über sein Recht verfüge, auch in beschränktem Umfange über die dem Rechte unterworfene Sache. Das Verfügungsrecht sei mithin nichts dem Eigenthümer Eigenthümliches.“1105
Die Verfügungsbefugnis bzw. Verfügungsmacht erschien dem Gesetzgeber also als wesentlicher Aspekt des Eigentums, nur eben nicht als charakteristisch. Einige Äußerungen aus der Literatur deuten aber darauf hin, dass die Verfügungsmacht als Teil des subjektiven Rechts verstanden wird, also zum Inhalt eines Rechts zählt:1106 „Es gehört zum Inhalt des Eigentums selbst als Berechtigung eines bestimmten Subjekts, dass dieses auch über die Berechtigung verfügen kann. Diese Verfügungsbefugnis folgt aus dem Eigentum und ist nicht ein Recht am Eigentum.“1107
Umgekehrt lautet der am weitesten verbreitete Einwand gegen die Verfügungsmacht als Teil des subjektiven Rechts, dass „die Macht, die das Eigenthum überträgt, nicht ein Bestandtheil desselben sein“ könne:1108 „Die Verfügungsberechtigung ist kein Bestandteil des vermögensrechtlichen Verhältnisses, zu dem sie gehört. Denn die Berechtigung, auf einen Gegenstand einzuwirken, einschließlich der damit verbundenen Macht zu einer solchen Einwirkung, kann kein Bestandteil des Gegenstands sein, auf den danach eingewirkt werden kann.“1109
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Geschäftsfähigkeit als Fähigkeit, überhaupt Verfügungen durchführen zu können, etwas anderes ist, als die Macht, über ein bestimmtes Recht zu verfügen.1110 Diese hat eben nur der Rechtsinhaber oder – seltener – ein anderer kraft Gutglaubensschutzes oder Verfügungsermächtigung durch den Rechtsinhaber.1111 Die wohl h. M. versteht Verfügungsmacht vermittelnd als eine „besondere Beziehung“ des Subjekts zum Recht: – v. Tuhr: Die Verfügungsmacht sei „eine besondere Beziehung“ zu dem von der Verfügung betroffenen Rechtskreis, nämlich „die rechtliche Beziehung zwischen dem Verfügenden und dem von der Verfügung betroffenen Vermögen […]. Normalerweise steht 1105
Prot. III, 3525 = Mugd. III, 578. Larenz/Wolf, BGB AT, § 23 Rn. 38 (die Verfügung sei daher „ein Akt der Rechtsausübung“; die verfügungsweise komplette oder teilweise Übertragung eines Rechtes habe „den Charakter einer Zuweisung“, Rn. 54); Berger, Verfügungsbeschränkungen, 14 („Keine Bedenken, die Verfügungsbefugnis als Inhalt des subjektiven Rechts zu verstehen“); 80 (Verfügungsbeschränkungen als Substanzverringerung des Mutterrechts); Liebs, Römisches Recht, 163 („Bestandteil des Eigentums […] ist das Recht, [die Sache] nach Belieben zu veräußern“). 1107 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 127 (dort Fn. 225). 1108 Thon, Rechtsnorm und Subjectives Recht, 327; Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, § 50 (156). 1109 E. Wolf, BGB AT, 521. 1110 I. d. S. Berger, Verfügungsbeschränkungen, 14 (dort Fn. 38). 1111 Siehe etwa Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 321. 1106
§ 9 Verfügungsobjekte287
die Verfügungsmacht über ein Recht dem Subjekt desselben zu und stellt sich als eine zum Inhalt des Rechts gehörende Befugnis dar.“1112 – v. Tuhr/Peter: „Für […] Verfügungen muss das Subjekt außer der Handlungsfähigkeit noch eine besondere Beziehung zu dem Recht haben, welches von der Verfügung betroffen werden soll. Diese Beziehung nennt man Verfügungsmacht. Sie ist normalerweise Bestandteil des Rechts: So kann z. B. der Eigentümer und nur er über das Eigentum verfügen; der Gläubiger und nur er über die Forderung verfügen.“1113 – Enneccerus/Nipperdey: Die Verfügungsmacht sei „eine Beziehung zu dem der Verfügung unterliegenden Recht, eine Befugnis“.1114 – E . Wolf: „Die Verfügungsberechtigung ist somit ein anderes Verhältnis als das vermögensrechtliche Verhältnis, das Verfügungsgegenstand ist.“1115 – Kohler: Die Verfügung beruhe „auf einer mit dem Rechte verbundenen Rechtslage, einer Rechtslage, die rechtsähnlich ist und die Eigentümlichkeit hat, daß sie mit dem Rechte in fester Verbindung steht.“1116 – Armbrüster: Die Verfügungsmacht sei „eine rechtliche Beziehung zu einem bestimmten Recht“.1117 – Thiele: Die Verfügungsbefugnis sei „ein gegenstandsbezogenes rechtliches Können, eine Zuständigkeit zur unmittelbaren rechtlichen Einwirkung auf das Recht“.1118 – Sontis: Die „Verfügungsmacht (im technischen Sinne)“ begleite „grundsätzlich jedes Vermögensrecht“ und sei nicht „spezifischer Inhalt“ des betreffenden Rechts.1119 – Schulev-Steindl: Relativ wirkende Anspruchsrechte (!) würden von der Rechtsordnung mit Verfügungsmacht „in von Fall zu Fall durchaus unterschiedlichem Ausmaß verknüpft. So gibt es auch im Privatrecht Anspruchsrechte, die dem Berechtigten nicht alle oder nur einzelne Formen der Disponierbarkeit über sein Recht gewähren.“1120
Die Verfügungsmacht als Beziehung des Berechtigten zu „seinem“ Recht zu verstehen, hängt aber auch von der Frage ab, was man alles als Teil des subjektiven Rechts verstehen will. Die zitierten Stimmen würden kaum leugnen, dass es „zum Eigentum gehört“, darüber verfügen zu können. Diese Frage, ob die Verfügungsbefugnis separat vom subjektiven Recht geregelt ist, kann sogar allgemein zugunsten eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses beantwortet werden: „Dem Inhaber eines Rechts steht grundsätzlich die Befugnis zu, über dieses Recht zu verfügen, es zu veräußern oder zu verpfänden; etwas anderes gilt nur dann, wenn dies ausdrücklich von der Rechtsordnung bestimmt wird. […] Durch ein Rechtsgeschäft kann die Verfügungsbefugnis nicht eingeschränkt werden.“1121
1112
V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 365. V. Tuhr/Peter, Schweizerisches Obligationenrecht, Bd. 1, § 28 I. (214). 1114 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/2, § 144 I. (885). 1115 E. Wolf, BGB AT, 521. 1116 Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 50 (156). 1117 MüKoBGB/Armbrüster, § 137 Rn. 8. 1118 Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, 196. 1119 Sontis, FS Larenz I, 981 (994). 1120 Schulev-Steindl, Subjekte Rechte, 27. 1121 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 1 II 5 a (45). 1113
288
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Ist also die Verfügungsmacht als eine Beziehung des Rechtsinhabers zu seinem Recht zu verstehen und grundsätzlich für jedes subjektive Recht gegeben, stellt sich die Frage, wie dies in den strukturellen Aufbau subjektiver Rechte passt.
b) Stellungnahme M. E. ist zwischen dem im Wesentlichen aus Verbotsrechten bestehenden inhaltlichen Recht1122 und der damit verbundenen Verfügungsmacht zu unterscheiden. Erst der Gesamtkomplex bildet das subjektive Recht. Die Verfügungsmacht lässt sich dann unproblematisch als Beziehung des Berechtigten zum Recht beschreiben. Sie muss dabei aber zusätzlich und streng von der Rechtsinhaberschaft/-zuständigkeit unterschieden werden. Für ein Modell absoluter Herrschaftsrechte zu trennen sind also Rechtsinhaberschaft, Verfügungsmacht und Rechtsinhalte. Dass die Verfügungsmacht eng mit dem Recht verbunden ist, also zumindest nicht zu den Kompetenzen des Rechtsträgers zählen kann, zeigt sich wie gesagt schon darin, dass man nur in Sonderfällen über fremde Rechte verfügen kann. Die Verfügungsmacht ist keine jedem Rechtssubjekt innewohnende Macht, sondern muss in irgendeiner Weise mit dem betreffenden Recht zusammenhängen und das Rechtssubjekt wechseln. Dass der Erwerber durch den Eigentumsübergang nicht nur die in § 903 BGB genannten Rechte erhält, sondern auch die Verfügungsmacht, das Eigentum weiter zu übertragen, macht sogar einen großen Teil des ökonomischen Wertes aus.1123 Beispiel: Student S kann das Eigentum an dem gestohlenen Fahrrad nicht übertragen, da er zwar das Fahrrad, nicht aber die nötige Verfügungsmacht hat. Er erhält sie erst, wenn der Eigentümer ihm das Eigentum an dem Fahrrad überträgt oder ihn zumindest zum Verkauf (und damit zur Eigentumsübertragung) ermächtigt. – Ob nun die Verfügungsmacht ein integraler Bestandteil des Eigentumsrechts ist oder nicht – sie folgt ihm jedenfalls.
Ist die Verfügungsmacht damit dem subjektiven Recht eng verbunden, bleibt doch die Frage, wo genau sie sich verbirgt. Den obigen Einwänden ist m. E. in einer Hinsicht Recht zu geben: Es wäre problematisch, die Verfügungsmacht auf derselben Ebene anzusiedeln wie die inhaltlichen Rechte des Eigentümers. Sie ist die Rechtsmacht, über diese Verbietungsrechte zu verfügen. Die Verfügungsmacht kann zwar als eng an den Rechtsinhalt gebunden verstanden werden und im Rechtsverkehr mit ihm übergehen. Sie sollte aber von ihm unterschieden werden. Das zeigte sich letztlich schon oben1124 beim Begriff des Verfügungsobjekts. Denn Verfügungen beziehen sich auf ein Recht, sie wirken von außen darauf ein, sie machen etwas damit. Wie gesagt betreffen auch Spaltungen des Rechts (die, was noch zu zeigen
1122 Siehe zum Verhältnis von Verbietungsrechten und Freiheiten des Inhabers absoluter Herrschaftsrechte oben § 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens. 1123 Siehe oben E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff. 1124 Siehe oben A. Begriff und Geschichte.
§ 9 Verfügungsobjekte289
sein wird, stets vorübergehender Natur sind) dieses zunächst vor der Aufspaltung in seiner Gesamtheit.1125 Der Zirkelschluss ist damit aber noch nicht aufgebrochen, da Verfügungsmacht und subjektives Recht eng gekoppelt wurden. Damit enthält die Verfügungsmacht auch die Macht, sich von ihr selbst zu lösen und sie auf andere zu übertragen. Wie jedoch gezeigt wurde, hat Verfügungsmacht unterscheidbare Ausprägungen, über die teilweise separat disponiert, d. h. verfügt werden kann. Beispiel: Der Grundstückseigentümer räumt seinem Gläubiger mit einer Grundschuld in erster Linie das Recht ein, in das Grundstück im Sicherungsfall die Zwangsvollstreckung zu betreiben und sich aus dem Erlös zu befriedigen. Er erhält ein Verwertungsrecht,1126 (nach a. A.1127 einen besonderen Fall von Zahlungsanspruch). Verbotsrechte gegen Dritte erhält der Gläubiger aus dem Stammrecht am Grundstück nur so weit, wie die Sicherheit der Grundschuld gefährdet ist (§§ 1192 Abs. 1, 1134 BGB). Sein „Recht“ besteht im Wesentlichen aus der oben angesprochenen bestimmten Form von Übertragungsmacht,1128 die man auch als Verwertungsmacht bezeichnen könnte. Als materiell Berechtigter, also als derjenige, der beteiligt werden muss, weil das ihm zugeordnete Recht von der Verfügung betroffen ist (Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit),1129 muss er die für den eigentumsrechtlichen Vorgang – die Eigentumsübertragung auf den Ersteigerer und je nach Ansicht auch das Behalten des Erlöses1130 – nötige Verfügungsmacht haben. Ihre Einräumung an den Gläubiger macht den Charakter der Grundpfandrechte aus.
Man kommt also ohne die Verfügung über Verfügungsmacht nicht nur nicht aus – der Sicherungsgeber räumt dem Grundschuldgläubiger für den Sicherungsfall die Verfügungsmacht über sein gesamtes Recht ein. Die Verfügungsmacht bildet außerdem auch den Kern, zumindest aber einen zentralen Teil mancher beschränkter dinglicher Rechte – wie im Beispiel gezeigt, bestehen Sicherungsrechte im Wesentlichen aus Verfügungsmacht über fremde Vollrechte. Für das Modell absoluter Herrschaftsrechte bedeutet das bis hierhin Gesagte, dass Verfügungsmacht a) einen eigenen Bestandteil absoluter Herrschaftsrechte ausmacht, der mit den inhaltlichen Verbotsrechten/Befugnissen nicht identisch ist b) verschiedene Ausprägungen hat c) Gegenstand von Verfügungsgeschäften sein kann, für die der Berechtigte wiederum Verfügungsmacht benötigt.
1125
Siehe unten 6. Kapitel – Abgeleitete Rechte. § 1113 Rn. 2; MüKoBGB/ders., § 1191 Rn. 1; Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 383 (Verwertungsrecht mit Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung). 1127 E. Wolf, Sachenrecht, 432 f.; Staudinger/Wolfsteiner (2019), Einl. zu §§ 1113 ff. Rn. 38. 1128 Siehe oben 5. a) Übertragungsmacht. 1129 Vgl. Berger, Verfügungsbeschränkungen, 12 f.; siehe auch oben 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht. 1130 So Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 384. 1126 MüKoBGB/Lieder,
290
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Grafisch ergibt dies in etwa folgendes Bild: Verfügungsobjekt (= Subjektives Recht) Verfügungsmacht
Rechtsinhalt
Übertragungsmacht Rechtsobjekt
Belastungsmacht Aufhebungsmacht
Inhaltliche Verbietungsrechte und Befugnisse
Rechtssubjekt
Änderungsmacht
Abb. 5: Aufbau von Verfügungsobjekten Erläuterung: – Die Verfügungsmacht ist enger an das Recht als an dessen Träger gekoppelt, da sie in ihrer Grundausrichtung dem Recht folgt. – Sie wirkt aber in zwei Richtungen, sie strahlt auf den jeweiligen Träger aus, indem sie an dessen Geschäftsfähigkeit und Verfügungsfähigkeit ankoppelt. Das Rechtssubjekt ist also über die Verfügungsmacht an das Recht gebunden. Dies ist in der Abgrenzung zur Rechtsinhaberschaft näher zu zeigen.1131 – Die Rechtsordnung kann sowohl den Inhalt und Umfang des Rechts als auch den Inhalt und Umfang der Verfügungsmacht zuschneiden.
In diesem Modell stellt sich die Einräumung einer Hypothek1132 folgendermaßen dar: Hypothekar
Verfügungsmacht
Rechtsinhalt
Verwertungsrecht Verfügung Übertragungsmacht
Eigentümer
Belastungsmacht
Inhaltliche Verbietungsrechte und Befugnisse
Rechtsobjekt
Aufhebungsmacht Änderungsmacht
Abb. 6: Einräumung einer Hypothek
1131
Siehe unten IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. zur Einräumung beschränkter dinglicher Rechte unten § 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte. 1132 Eingehend
§ 9 Verfügungsobjekte291
IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit Betrachtet man die Verfügungsmacht mit Blick auf das Ergebnis der Verfügung, ist sie – am Beispiel der Eigentumsübertragung – die Entscheidungsmacht darüber, ob die Eigentumsübertragung als der „gewünschte Sachverhalt“ stattfindet.1133 Eine Verfügung wirkt auf das von ihr zu unterscheidende Recht ein. Sie ändert die Rechtszuständigkeit.1134 Eine der wenigen Aussagen zur Verbindung von Verfügungsmacht und Rechtszuständigkeit findet sich bei Berger: Die Verfügungsbefugnis regele „die Befugnis und Zuständigkeit für Zuordnungsänderungen.“1135 „Sie kann nicht beliebig zugewiesen werden, sondern ist Teil[1136] des subjektiven Vermögensrechts. Damit ist gewährleistet, dass nur der Rechtsinhaber Zuordnungsänderungen vornehmen kann.“1137
Verfügungsmacht dient demzufolge nicht der Zuweisung des Rechts, sondern der Zuweisung von Zuordnungsänderungszuständigkeit – daher heißt sie Verfügungsmacht. Gegenbegriff ist die Rechtszuständigkeit als Inhaberschaft des Rechts (ein Modus1138). Die Überlegung, dass aus der Rechtsposition Verfügungsmacht folgt bzw. damit eng verbunden ist, ist daher nicht selbstverständlich. In der Tat sind die beiden Zuständigkeiten separat vorstellbar: Beispiel: Die Bürger in einer fiktiven Planwirtschaft können zwar Eigentümer (Rechtsinhaber) von Sachen sein, über Zuordnungsänderungen bestimmt aber der Staat. So bedurfte die Übertragung von Immobiliareigentum in der DDR der staatlichen Genehmigung.
Diese Zuständigkeit für Zuordnungsänderungen wird dem Rechtsinhaber also von der Rechtsordnung zugewiesen. Ihm soll die Entscheidung hierüber obliegen: „Optimal zum Ausgleich gebracht werden Privatautonomie und Verkehrsinteresse, wenn die Verfügungsbefugnis dem Rechtsinhaber (und den am Rechtsverhältnis Beteiligten) zusteht.“1139
Das Verkehrsinteresse wird durch die Einräumung von Verfügungsmacht nur geringfügig tangiert. Die Vergabe oder Ausdehnung von Verfügungsmacht verhält sich neutral zum Pflichtenkreis der anderen Rechtssubjekte.1140 Denn sie ist 1133 Jahr, AcP 183 (1983), 725 (769); Berger, Verfügungsbeschränkungen, 13 f.; ders., ZGE/IPJ 8 (2016), 170 (184). 1134 Siehe oben II. 2. Wechsel in der Rechtsinhaberschaft. 1135 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 13. 1136 Zur Frage, inwieweit die Verfügungsmacht Teil des subjektiven Rechts ist, wurde bereits Stellung genommen, siehe oben III. 6. Verhältnis zum subjektiven Recht. 1137 Berger, ZGE/IPJ 8 (2016), 170 (184). 1138 Siehe oben § 2 F. II. Der Modus der Rechtsinhaberschaft. 1139 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 15. 1140 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 15 (durch die Verfügung des Eigentümers trete keine „Änderung der Pflichtenlage“ ein).
292
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
eine Rechtsmacht, eine Kompetenz. Sie lässt sich nicht als Reflex von Abwehrrechten erklären.1141 Wird ein Recht zu sehr zersplittert, kann es vielleicht bei Fragen der Aktiv- oder Passivlegitimation zu Schwierigkeiten kommen. Der Pflichtenkreis der Allgemeinheit, also ihre Handlungsfreiheit, bleibt aber weitgehend unangetastet. Demgegenüber ist die effiziente Güterallokation durch Angebot und Nachfrage auf die Möglichkeit privatautonomen Güteraustauschs angewiesen. Die Zuständigkeit zum Güteraustausch muss – im Ausgangszustand – in den Händen derjenigen Anbieter und Nachfrager liegen, die zugleich rechtszuständig, d. h. Rechtsinhaber sind. Auf technischer Ebene würden Vermögensrechte im Falle einer Rechtsinhaberschaft ohne Verfügungsbefugnis um einen entscheidenden Punkt gebracht, der sie zu Vermögensrechten macht: ihre Verkehrsfähigkeit, also die Möglichkeit, sie rechtsverbindlich gegen andere Güter zu tauschen. Wie verlaufen nun der Anschluss und die Übertragung der Rechtsinhaberschaft im Verhältnis zur Übertragung der Verfügungsmacht? Oben1142 wurde gezeigt, dass nach Husserls Lehre vom Rechtsgegenstand Rechtssubjekte kraft ihres Personstatus in der Rechtsordnung (status personae) die Fähigkeit haben, sich Rechte „zueignen, sie haben, sie abstoßen zu können“1143 und mit dem Erwerb (der Zueignung) das im Rechtsgegenstand (hier: dem Verfügungsobjekt) „abstrakt gewordene, rechtslogisch auf jedermann bezogene rechtliche Können“ aktualisieren. Diese Aktualisierung geschieht, indem die Rechtsmacht/das Können aus dem Rechtsgegenstand auf die Person überspringt und so dem Personstatus des Erwerbers „aggregiert“ wird.1144 Mit dem Eintritt in die Rechtsinhaberschaft springt daher die Verfügungsmacht auf den Erwerber über und addiert sich zu der Macht, die er kraft seines Personstatus hat. Wird ein absolutes Herrschaftsrecht ganz oder teilweise übertragen, folgt die Rechtsinhaberschaft der Aufspaltung der Verfügungsmacht. Die Aufspaltung richtet sich nach den Regeln über verfügende bzw. dingliche Rechtsübertragungen, die vor allem unter dem Schlagwort des numerus clausus der Verfügungsrechte bekannt sind und mit Rücksicht auf die Drittwirkung der Rechtsinhalte1145 nur eingeschränkt aufgespalten werden können.1146 Dem steht nicht entgegen, dass Verfügungsermächtigungen (§ 185 BGB) und die Einräumung der Vollmacht zu Verfügungsgeschäften (§§ 164 ff. BGB) weitgehend 1141 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 15; siehe auch oben III. 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht; zur Problematik von Ermächtigungsnormen in der Imperativentheorie oben § 1 A. III. 2. b) Vollständige und unvollständige Rechtssätze. 1142 Siehe oben § 2 B. VI. 3. Machtwille und Rechtsmacht, 4. Die Rechtszuständigkeit. 1143 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 68 (79); siehe auch § 75 (87). 1144 G. Husserl, Der Rechtsgegenstand, § 160 (186 f.); siehe auch oben § 2 F. III. Rechtsmacht. 1145 Auch die Verfügungen haben eine Drittwirkung. Diese haben sie aber nur hinsichtlich der Rechtszuständigkeit. Sie zeigt sich, wenn relative Rechte mit beschränkten dinglichen Rechten belastet werden; hierin liegt die Erklärung, warum an Forderungen dingliche Rechte bestehen können, dazu unten § 16 D. II. Weitere Anforderungen an eine Abspaltungslehre. 1146 Dazu eingehend unten § 13 C. I. Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang).
§ 9 Verfügungsobjekte293
frei gestaltbar sind. Denn diese Einräumungen von Verfügungsmacht an andere liegen außerhalb der vom Typenzwang bestimmten Übertragung der zugehörigen Rechte. Sie sind keine Verfügungen über Verfügungsmacht, sondern Fälle der Einwilligung. Zwar erlangen die Ermächtigten Verfügungsmacht, diese steht aber in Konkurrenz zur weiterhin bestehenden Verfügungsmacht des Rechtsinhabers.1147 Die Annahme einer Verfügung scheitert daher schon am Kriterium des Verbrauchs von Verfügungsmacht.1148 Mit der Verfügung zugunsten eines Erwerbers wird dieser zum Inhaber des betreffenden Rechts (z. B. einer Hypothek). Die mit der Rechtsinhaberschaft des Veräußerers verbundene Verfügungsmacht verringert sich hierdurch, es handelt sich um den, Verfügungen kennzeichnenden, Verbrauch von Verfügungsmacht.1149 Wechselt die Rechtsinhaberschaft, wird sie zwischen mehreren Personen geteilt (Bruchteilsgemeinschaft, §§ 741 ff. BGB)1150 oder auf mehrere Personen verteilt (Gesamthand, §§ 705 ff. BGB). Dann kann von der Verfügungsmacht nur nach Maßgabe der Regeln für die jeweilige Personenmehrheit Gebrauch gemacht werden. Sie wird durch eine Personenmehrheit nicht aufgespalten. Die Aufspaltung der Rechtsinhaberschaft richtet sich bei absoluten Herrschaftsrechten allein nach besagten Regeln über verfügende Rechtsübertragungen.
H. Zusammenfassung und Folgerungen Verfügungsobjekte bzw. -gegenstände sind „alle Rechte und Rechtsverhältnisse, über die man verfügen kann“ wie etwa dingliche Rechte, abtretbare Forderungen oder die Übertragung ganzer Vertragsstellungen.1151 Die Husserl’sche Überlegung der Ablösung des „Nutzhabens“ von Sachgütern führt zu neben diese tretenden Wertschichten. Auch diese können – in die Sprache des BGB übersetzt – Verfügungsobjekte sein, nämlich in Form von Vertragsstellungen. Dem Gut „zweiwöchige Fahrzeugnutzung“ entspricht die Vertragsstellung desjenigen, der das Fahrzeug für zwei Wochen gemietet hat.1152 Verfügungsobjekte haben als juristische Kategorie einen eigenen Nutzen. Ein Eigentumsrecht, das keine verfügende Abspaltung von Wertschichten zulässt, ist für den Berechtigten ökonomisch weniger wert, als eines das es ihm – wie im deutschen Recht – erlaubt, z. B. sein Grundstück gleichzeitig selbst zu nutzen und parallel als Sicherheit (z. B. in Form einer Grundschuld) zu verwenden. Am stärksten ist dieser Effekt bei Immaterialgüterrechten, die ohne die Möglichkeit der Lizenzvergabe ökonomisch erheblich weniger wert wären.1153 1147 MüKoBGB/Schubert,
§ 164 Rn. 66 f. Siehe oben G. II. 1. Verbrauch von Verfügungsmacht. 1149 Siehe oben G. III. 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht. 1150 Dazu § 16 E. IV. 3. Verhältnis von Stammrechtsinhaber und dinglich Berechtigtem. 1151 Siehe oben A. Begriff und Geschichte. 1152 Siehe oben C. Verfügungsobjekte als Überbegriff der Güterordnung? 1153 Siehe oben D. Eigener Nutzen von Verfügungsobjekten. 1148
294
2. Kapitel: Rechtsgegenstände
Die Ablösung von Wertschichten, die als Verfügungsobjekte am Wirtschaftsverkehr teilnehmen, findet sich in den Wirtschaftswissenschaften als Theorie der Verfügungsrechte (property rights theory) wieder. Der Grundgedanke existierte schon bei v. Jhering. Zu beachten ist, dass die wirtschaftswissenschaftliche Definition von Verfügungsrechten deutlich weiter reicht als der Begriff rechtlicher Verfügungsobjekte. Letztere sind zentraler Bestandteil des zivilrechtlichen Vermögensbegriffs. Dies geht zurück auf ihre verfügende Übertragbarkeit, die Sohm sogar mit dem Gegenstandsbegriff gleichzusetzen versuchte. Für einen vollständigen Vermögensbegriff muss aber auch der Nutzen nicht-übertragbarer Güter einbezogen werden. Aus diesem Gedanken rührt der weiter gefasste ökonomische Begriff der Verfügungsrechte.1154 Rechtliches „Standardinstrument“ für Verfügungen sind die §§ 398 ff., 413 BGB. Sie werden ergänzt und teilweise ersetzt durch Spezialregeln wie etwa §§ 29 f., 31, 33 ff. UrhG oder § 929 BGB. Die Besonderheit des § 929 BGB zeigt sich dabei in dem nach hier vertretener Auffassung missglückten Versuch, diesen analog auf Erfüllungsgeschäfte über unkörperliche Güter anzuwenden. Soweit es Verfügungsobjekte an einem Lebensgut gibt, sind diese im Wege der §§ 398 ff., 413 BGB oder nach einschlägigen Spezialregeln zu übertragen. Die analoge Anwendung von § 929 BGB wirft mehr Fragen auf als sie löst, zumal ihre relevanteste Konsequenz als Rechtsfolgenanalogie der gutgläubige Erwerb unkörperlicher Güter wäre (der aber, soweit ersichtlich, nie erwünscht ist).1155 Verfügungen sind abstrakte Rechtsgeschäfte, die sich auf ein bereits bestehendes Recht beziehen. Hierfür benötigt der Verfügende Verfügungsmacht. Die Kriterien einer Verfügung (Verbrauch von Verfügungsmacht, Wechsel in der Rechtsinhaberschaft, Erlangung von Verbotsrechten) wurden kurz gekennzeichnet. Dabei und in den vorherigen Ausführungen wurde die Verfügungsmacht als entscheidende Größenordnung für den Aufbau absoluter Herrschaftsrechte identifiziert.1156 Diese knüpft insofern an die oben gezeigte Statuslehre an, als die Rechtsordnung die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten des Individuums erweitert, ihm Kompetenzen einräumt. Daher ist der Vorrat an Verfügungsmacht durch die gesetzliche Güterzuweisung begrenzt und kann nicht privatautonom erweitert werden.1157 Verfügungsmacht ist ein Instrument der Verkehrsfähigkeit von Rechten und kann entsprechend dem gewünschten Grad der Verkehrsfähigkeit portioniert bzw. beschränkt werden, sie also steuern. Bekannteste Ausprägung dessen sind der sachenrechtliche Typenzwang und die gesetzlichen Vorgaben zur Lizenzierbarkeit von Rechten.1158
1154
Siehe oben E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff. Siehe oben F. Verfügungsinstrumente. 1156 Siehe oben G. Die Verfügungsfähigkeit von Rechten. 1157 Siehe oben G. III. 1. Begriff und Natur der Verfügungsmacht. 1158 Siehe oben G. III. 2. Verfügungsmacht als Mittel der Steuerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten; 3. Beschränkung von Verfügungsmacht. 1155
§ 9 Verfügungsobjekte295
Verfügungsmacht verschafft dem Berechtigten auf der positiven Seite rechtliches Können „zur Einwirkung auf Verfügungsobjekte“ und ist ein Teil der Güterzuweisung. Negativ verhindert das Fehlen von Verfügungsmacht solche Einwirkungen und kann auf die Art Güterpositionen in ihrem Bestand schützen, was sich unter anderem in Form von Sukzessionsschutz auswirkt.1159 Verfügungsmacht kann entsprechend den möglichen Verfügungsarten in verschiedene Ausprägungen untergliedert werden: Übertragungsmacht, Belastungsmacht, Aufhebungsmacht und Änderungsmacht.1160 Die so untergliederte Verfügungsmacht ist zwar Bestandteil des subjektiven Rechts, zählt aber nicht zum eigentlichen Rechtsinhalt i. S. v. dem Berechtigten zugewiesenen Verbietungsrechten und Befugnissen. Vielmehr steht Verfügungsmacht außerhalb des Rechtsinhalts und wirkt von außen auf diesen durch die bekannten Verfügungswirkungen ein. Sie macht etwas mit dem Recht. Auch eine als „Spaltung“ aufgefasst Verfügung betrifft das Recht zunächst in seiner Gesamtheit und geschieht nicht selbstreferentiell aus dem Recht heraus.1161 Zur Rechtsinhaberschaft verhält sich die Verfügungsmacht als davon streng zu unterscheidende Entscheidungsmacht darüber, ob ein Wechsel in der Rechtsinhaberschaft stattfindet. Anders als die Rechtsinhaberschaft (synonym: Rechtszuständigkeit) weist Verfügungsmacht nicht das Recht zu, sondern, anknüpfend an Berger, die Zuordnungsänderungszuständigkeit, also die Zuständigkeit für Zuordnungsänderungen. Erst die Kombination aus Rechtszuständigkeit und Zuordnungsänderungszuständigkeit bildet das juristische Fundament der ökonomischen Theorie der Verfügungsrechte. Bei übertragenden Verfügungen folgt die Rechtsinhaberschaft der Verfügungsmacht. Letztere bildet eine Art Ankerpunkt an den der Erwerber mit seiner Verfügungsfähigkeit (als Ausprägung der Geschäftsfähigkeit) anknüpft. Anknüpfend an Husserls Lehre vom Rechtsgegenstand und die Darlegungen zur Statuslehre aktualisiert der Erwerb eines Rechtsgegenstandes das darin „abstrakt gewordene, rechtslogisch auf jedermann bezogene rechtliche Können“. Die Verfügungsmacht springt kraft des Personstatus auf den Erwerber über und addiert sich zu der Macht, die er kraft seines Personstatus hat. Teil des Personstatus ist es, sich von Rechten lösen zu können, soweit diese es zulassen. So erklärt sich die Weitergabe von Verfügungsobjekten. Die Lösungsrichtung bestimmt der Veräußerer privatautonom kraft Geschäftsfähigkeit und Geschäftswillens. Maßgeblich für verfügende Übertragungen sind Regeln wie der sachenrechtliche Typenzwang. Ermächtigungen nach §§ 164 ff., 185 BGB wirken hingegen nicht verfügend.1162
1159
Siehe oben G. III. 4. Positive und negative Seite. Siehe oben G. III. 5. Ausprägungen von Verfügungsmacht. 1161 Siehe oben G. III. 6. Verhältnis zum subjektiven Recht. 1162 Siehe oben G. IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. 1160
3. Kapitel
Der Herrschaftsbegriff Der rechtspolitisch sensible Teil des Begriffs absoluter Herrschaftsrechte ist der Gedanke der Herrschaft. Er kommt im materialen Verständnis von Rechtsobjekten zum Ausdruck, dem Innenverhältnis des Berechtigten zum Rechtsgegenstand. In diesem Kapitel ist zu untersuchen, wie sich diese Herrschaft faktisch und rechtlich darstellt, wobei die genauen Rechtsinhalte erst im folgenden Kapitel behandelt werden.
§ 10 Besitz und Herrschaft Kernproblem des vorliegenden Abschnitts ist die Frage, ob es im Rahmen absoluter Herrschaftsrechte ein einheitliches Herrschaftsverständnis gibt. Für diese Frage soll zunächst die Bedeutung von Herrschaft im Sachbesitz untersucht werden. Daran schließt sich die Frage an, ob dieser Herrschaftsbegriff auf Immaterialgüter übertragen werden kann und ob sie im besitzrechtlichen Sinne einer Beherrschung zugänglich sind. Hierfür ist auch zu prüfen, inwieweit und in welcher Form der Herrschaftsgedanke bereits im geltenden Immaterialgüterrecht vorkommt, etwa mit Blick auf den Erfindungsbesitz im Patentrecht oder die Werkherrschaft im Urheberrecht.
A. Begriff und Problem V. Tuhr prägte den Begriff „Herrschaftsrechte“.1 Nach den darauf zurückgehenden Definitionen 2 sind absolute Herrschaftsrechte eine Untergruppe der absoluten Rechte mit Subjekt-Objekt-Relation, die klar am Sacheigentum orientiert ist. Besonderes Gewicht legen sie auf die Zuweisung eines Objekts durch eine herrschaftsartige Beziehung zum ausschließlichen Haben und Nutzen, so führt Raiser aus: „Das gemeinsame Merkmal [bei Herrschaftsrechten]3 besteht darin, daß sie eine herrschaftliche Beziehung einer Person zu einem außerhalb ihrer gegebenen, werthaften Objekt, einem sogenannten Rechtsgut, zum Ausdruck bringen, das dieser Person von der Rechtsord1
V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 62; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 367. Siehe die Nachweise in Fn. 4. 3 Raiser bezieht sich auf „dingliche Rechte“ und „Immaterialgüterrechte“, die er unter den Sammelbegriff „Herrschaftsrechte“ vereinigt, vgl. Raiser, JZ 1961, 465 (467). 2
298
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
nung zugewiesen und in einem, vieler rechtlichen Abstufungen fähigen Sinne zum Haben und Nutzen in ihre Verfügungsgewalt gegeben ist.“4
Diese allgemeine Definition bewegt sich, wie eben angedeutet, nahe an der sacheigentumsspezifischen Vorstellung der vollkommenen „Unterwerfung der Natur unter den Menschen“, i. e. von der Sache als „zu unterwerfende[r] Materie“.5 Diese liegt auch der gesetzgeberischen Vorstellung vom dinglichen Recht zugrunde, welches „die Sache dem Willen des Berechtigten“ unterwerfe, denn: „Das Wesen der Dinglichkeit liegt in der unmittelbaren Macht der Person über die Sache.“6
Dinglichkeit und Herrschaft sind aber voneinander zu unterscheiden7 – allenfalls ließe sich die Herrschaft über einen Gegenstand als typisches Merkmal eines dinglichen Rechts auffassen. Doch um die Merkmale der Dinglichkeit geht es erst später.8 Das in der Entstehungszeit des BGB herrschende Verständnis des Eigentums als absolutes und totales Recht beschränkte sich jedenfalls auf körperliche Gegenstände.9 Jegliche Schematisierungsversuche, die Anleihen im Sachenrecht nehmen, müssen dies bedenken. Zweifelhaft sind daher Ansätze, die die Beherrschung auf die Nutzungsbefugnis bei Ausschließung aller anderen Rechtssubjekte reduzieren und davon ausgehend das Sacheigentum als für die übrigen Ausschließlichkeitsrechte paradigmatisch verstehen.10 Versteht man konsequenterweise die rechtliche „Gewährung einer Sach4 Raiser, JZ 1961, 465 (467) [Hervorh. im Original]. Ähnlich Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 73 I (440) („Rechtsmacht, auf ein bestimmtes Objekt [Sache, Person, Geistesprodukt, Recht, Vermögen“] unmittelbar einzuwirken oder fremde Einwirkung auszuschließen); Köhler, BGB AT, § 17 Rn. 9 („[…] Rechte, die eine Herrschaftsmacht über einen Gegenstand gewähren.“); Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, § 46 (148 f.) (Herrschaftsrechte als vom Recht gewährleistete Herrschaft über einen Rechtsgegenstand, eine „Herrschaft […] innerhalb des Rechtes und innerhalb der Rechtsordnung“); Schack, BGB AT, Rn. 46; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 66 f. sieht gar den Schwerpunkt in der Beherrschung, während die Ausschließung nur „sekundäre Bedeutung“ habe. Auch die volkswirtschaftliche Sicht geht in diese Richtung: „Verknappung der zugriffsoffenen Güter durch exklusive Zuweisung verbunden mit der Gewährung eines Verfügungsrechtes“, Büchler, AcP 206 (2006), 300 (326). 5 Eingehend Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 229 ff., 235. 6 Mot. III, 2 = Mugd. III, 1. 7 Canaris stellt für die „Kategorie des Herrschaftsrechts“ auf die „Unmittelbarkeit der Zuordnung“ ab und zieht eine klare Trennlinie zum „Dinglichkeitsbegriff“, denn es gebe „auch nicht-dingliche Herrschaftsrechte“, Canaris, FS Flume, 371 (373). Hierfür beruft er sich auf Diederichsen, der auch das obligatorische Besitzrecht als Herrschaftsrecht begreift, weil es den Berechtigten (z. B. einen Mieter) „berechtigt, auf die Sache selbst einzuwirken“, Diederichsen, Recht zum Besitz, 92. 8 Siehe unten § 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit. 9 Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 210 f. Dazu auch unten § 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). 10 So z. B. Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 66 (Gleichsetzung der Beherrschung von Sache und Erfindung); Lehmann/Hübner, BGB AT, § 12 I. (86 f.); Jänich, Geistiges Eigentum, 198 (die Herrschaft als „prinzipielle Dispositionsbefugnis des Rechtsinhabers“ könne auch für das geistige Eigentum Geltung beanspruchen).
§ 10 Besitz und Herrschaft299
herrschaft“ als „das primäre, den Rechtsinhalt bestimmende Moment“,11 weist dies schon in Richtung der Schwierigkeiten, die eine Übertragung des Eigentumsschemas auf die Immaterialgüterrechte bereiten wird. Wie zuvor gezeigt,12 müssen beim Sacheigentum – anders als bei den Immaterialgüterrechten – nämlich zwei Regelungsschichten unterschieden werden: die der tatsächlichen und die der rechtlichen Handlungen. Sachen unterliegen als Materie der physischen Beherrschbarkeit.13 Daher dient der in § 903 BGB angelegte zivilrechtliche Handlungsrahmen der Einschränkung einer auf den ersten Blick wesentlich anderen Sachlage als der der Immaterialgüterrechte. Dies zeigte sich im Vorhandensein einer Zuweisungslücke im Sacheigentum, die es im Immaterialgüterrecht nicht gibt.14 Man kann das Problem, dass Herrschaftsrechte in sehr unterschiedlichem Maße beherrschbare Güter zuweisen, mit einer sehr weit gefassten Definition von Herrschaftsrechten (scheinbar) vermeiden. Die Herrschaft bezieht sich dann nicht auf das Rechtsobjekt, sondern auf einen dem Berechtigten zugewiesenen Freiheitsbereich: „Ihr Kennzeichen besteht darin, daß sie dem Berechtigten einen Freiheitsbereich zuweisen, in dem er unter Ausschluß aller anderen Personen und ohne auf deren Mitwirkung angewiesen zu sein, allein bestimmt. Die Herrschaftsbefugnis zeigt sich gerade darin, daß der Berechtigte seine Rechtsmacht allein ausüben kann, und nicht der aktiven Mithilfe anderer Personen zur Verwirklichung seines Rechts bedarf.“15
Dies soll es offenbar zugleich ermöglichen, neben den Immaterialgüterrechten auch die Persönlichkeitsrechte zu den Herrschaftsrechten zu zählen.16 Tatsächlich handelt es sich aber um einen terminologischen Kunstgriff – das heikle „werthafte Objekt“17 fehlt ganz einfach. Ein Herrschaftsverständnis, dass die Herrschaft über ein Gut durch einen exklusiv zugewiesenen Handlungsbereich ersetzt, ist zwar nicht falsch, aber relativ aussagearm – es nimmt nicht Stellung zum Verhältnis 11 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 2 I (8) (dort. Fn. 1); anders Eichler, der die Herrschaft mit dem Besitz identifiziert, der die „äußere Erscheinung“ der durch das Eigentum gewährleisteten Zugehörigkeit der Sache zum Eigentümer sei, Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 2/1, 5 f.; ebd., Bd. 1, 140 (das Sachenrecht enthalte „diejenige Rechtsmacht […], die die rechtliche Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person gewährleistet.“). 12 Siehe oben § 8 A. I. Zwei Regelungskreise: rechtlich und faktisch. 13 Die für Sachen charakteristische, enge Verbindung der tatsächlichen Lebenswelt mit der Beherrschung, Unterwerfung und Bearbeitung durch den Menschen hat auch Hecker – freilich aus einer anderen Perspektive – eingehend dargelegt, Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 220 ff. (§ 25. Eigentum als Herrschaft über die Natur, passim). 14 Siehe oben § 8 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums. 15 Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 2 [Hervorh. im Original]. Trotzdem ist auch diese Richtung der Subjekt-Objekt-Relation verhaftet: „… Herrschaftsrechte […] erlauben dem Berechtigten eine regelmäßig begrenzte Herrschaft über einen bestimmten Gegenstand.“, Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 13 I (211) [Hervorh. im Original]. 16 Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 3 f.; § 14 Rn. 20; zustimmend Götting/Schertz/Seitz/Götting, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, § 10 Rn. 17. 17 Raiser, JZ 1961, 465 (467).
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
zwischen dem Berechtigten, dem genauen Rechtsobjekt und den Ausprägungen seiner Herrschaft in der naturwissenschaftlich beobachtbaren Lebenswelt. Bei der weiteren Untersuchung ist daher im Blick zu behalten, in welchem Maße der Herrschaftsbegriff auf die tatsächliche/faktische Beherrschung eines Gutes neben dessen rechtliche Zuweisung tritt und wo er letztlich nur synonym für sie steht.
B. Der Sachbesitz Für die Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte ist der Sachbesitz als Ausgangspunkt von besonderer Bedeutung; das Sacheigentum verknüpft den Herrschaftsgedanken eng mit der „Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache“ (§ 854 BGB). Der Besitz repräsentiert das rechtliche Anerkenntnis sowie den rechtlichen Schutz der ursprünglichsten Form menschlicher Herrschaft über ein Stück seiner Umwelt. Fraglich ist, wie der Sachbesitz sich in die abstrakte Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte einfügt, insbesondere welche Aspekte zum Herrschaftsverständnis beitragen und welche Relevanz er für unkörperliche Gegenstände sowie für Rechte hat. Dafür wird zunächst der Besitzerwerb an Sachen unter besonderer Berücksichtigung der tatsächlichen Herrschaft untersucht. Danach ist den verschiedenen Funktionen und Begründungen des Besitzschutzes, sowie der Entwicklung des eng mit dem Besitz verknüpften Traditionsprinzips nachzugehen.
I. Überblick und Rechtsnatur Was den Besitz für die vorliegende Untersuchung so sperrig macht, ist, dass er ein rechtlich anerkanntes und geschütztes, tatsächliches Verhältnis der Person zu der Sache, nicht aber ein subjektives Recht an der Sache ist.18 Eine pragmatische Zusammenfassung des Besitzschutzes lautet nämlich wie folgt: „Nach der jeder ausgebildeten Rechtsordnung vorgegebenen natürlichen Anschauung braucht niemand Eingriffe in seine unmittelbare Herrschaftssphäre ohne weiteres hinzunehmen: Ein Eingriff wird auf eine aktuelle Verteidigungsbereitschaft stoßen.“19
Das Problem liegt darin, dass ein tatsächlicher Zustand mit seinem Eintritt Abwehrrechte begründet, während „vom Gesichtspunkt des Gehörens, der rechtlichen Zuordnung abgesehen wird, aus der beim absoluten Recht (Eigentum) erst der Klageschutz gegen jedermann folgt“.20 Anders als ein subjektives Recht gehört 18 So die ganz h. M. Mot. III, 80 = Mugd. III, 44 („fortgesetztes thatsächliches […] Verhältnis“); Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 2 Rn. 2; Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 44 („Tatsache, kein Recht“); differenzierend Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 3 II (18 f.) (die tatsächliche Sachherrschaft sowie alle Tatbestände, an die das Gesetz Besitzfolgen knüpft, seien Tatbestände bzw. Teile derselben, während Besitz als „Inbegriff“ der an diese Tatbestände geknüpften Rechte ein subjektives Recht sei). 19 MüKoBGB/Joost, 7. Aufl. 2017, vor §§ 854 ff. Rn. 1. 20 Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 44.
§ 10 Besitz und Herrschaft301
der Besitz nicht der Person, sie hat ihn nur, d. h. sie steht ihm nicht im Modus der Rechtszuständigkeit gegenüber. Er ist vielmehr die „Erscheinungsform des ihn rechtfertigenden Rechts“ gepaart mit „reine[r] Sachherrschaft“.21 Der reine Besitz, dem kein Besitzrecht zugrunde liegt – also der unrechtmäßige oder fehlerhafte Besitz – ist kein primäres Recht. § 859 BGB nimmt mit der Besitzwehr (Abs. 1) als Spezialfall der Notwehr (§ 227 BGB) bzw. der Besitzkehr (Abs. 2 und 3) als Spezialfall der Selbsthilfe (§ 229 BGB) lediglich einer angemessenen Gewaltanwendung die Widerrechtlichkeit.22 Wohl aber hat der Besitzer in Form der den Gerichtsschutz23 ausmachenden possessorischen Besitzschutzansprüche (§§ 861 f. BGB) sekundäre Rechte, die erst im Eingriffsfall entstehen (also sobald die Sache angegriffen oder entzogen wird) und kraft derer die Sache gegebenenfalls zurückerlangt werden kann. Ihnen liegt kein mit dem reinen Besitz begründetes primäres Recht zugrunde, das sie aktualisierten, sondern allein die praktischen Gründe des Besitzschutzes (Friedenssicherung, Kontinuitätsschutz etc.).24 Des Weiteren ist der Besitz deliktisch (auch) als sonstiges Recht unter § 823 Abs. 1 BGB geschützt.25 Erst für diese aus dem Besitz entstehenden Rechte ist der im Besitz Beeinträchtigte rechtszuständig. Wenngleich der Besitz also kein subjektives Recht ist, entbehrt er eines abstrakten rechtlichen Daseins nicht gänzlich. Zudem kann anstelle der Sache auch der Besitz „übergeben“ werden, wenn der Erwerber die Sache schon innehat (vgl. § 854 Abs. 2 BGB).26
II. Funktionen des Besitzschutzes In einem Überblick über die Funktionen des Besitzschutzes ist nun zu zeigen, wozu Besitz dient und weshalb er geschützt wird. Diese zwei unterschiedlichen Fragen werden in den einschlägigen Theorien nicht immer klar getrennt, worauf ebenfalls kurz einzugehen ist. Joost stellt treffend fest, dass „ohne weiteres“ vorgenommene Eingriffe in die persönliche Herrschaftssphäre seit jeher in Rechtsgemeinschaften missbilligt wurden.27 Dies hat neben dem rechtsgeschichtlichen Erklärungswert einige Evidenz – in seiner einfachsten Form (A reißt B einen Gegenstand aus den Händen) beeinträchtigt der Eingriff in die persönliche Herrschaftssphäre die körperliche Integrität. Ihr Schutz ist einer der ursprünglichsten Rechtsgedanken. Dieser Schutz der körperlichen Integrität bzw. persönlichen Sphäre ist Ausgangspunkt der älteren, persönlichkeitsrechtlichen, auf Kant zurückgehenden Begründung des Besitzschutzes. 21
Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 2/1, 6. Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 2/1, 248 ff. 23 Soergel/Stadler, § 861 Rn. 1. 24 Vgl. unten II. Funktionen des Besitzschutzes. 25 Siehe nur MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 323 ff.; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 70 ff. 26 Vgl. Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 50. 27 MüKoBGB/Joost, 7. Aufl. 2017, vor §§ 854 ff. Rn. 1. 22 Vgl.
302
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Im Anschluss ist dann zu zeigen, dass dem Besitzschutz nach heutiger Lehre (je nach Zählweise) gemeinhin vier Funktionen bzw. Rechtsgründe zugeschrieben werden.
1. Persönlichkeitsschutz Kant versteht den Besitz nicht bloß als einen Schutz physischen Könnens, sondern auch als Schutz der damit verbundenen persönlichen Freiheit: „Denn der, welcher mir […] den Apfel aus der Hand winden, oder mich von meiner Lagerstätte wegschleppen wollte, würde mich zwar freilich in Ansehung des inneren Meinen (der Freiheit), aber nicht des äußeren Meinen lädieren, wenn ich nicht, auch ohne Inhabung, mich im Besitz des Gegenstandes zu sein behaupten könnte; ich könnte also diese Gegenstände (den Apfel und das Lager) auch nicht mein nennen.“28
Nur ist Vorsicht dabei geboten, Kants Besitzlehre für die heutige fruchtbar zu machen. Denn das, was Kant als Besitz des Gegenstandes ohne dessen Inhabung, i. e. als „intelligiblen Besitz“ vorstellt, dient der Herleitung des Eigentums an Sachen. Der darauf aufbauenden Begründung des Besitzschutzes als Persönlichkeitsschutz29 wurde zu Recht entgegengehalten, dass dieses Verständnis angesichts der „Unbestimmtheit und Dehnbarkeit des Begriffs Persönlichkeitsschutz“ zwar sprachlich möglich sei, dies aber nicht charakteristisch, vielmehr Teilzweck jedes Schutzgebots (etwa auch des Eigentumsschutzes) sei.30 Die Vorstellung des Besitzes als Persönlichkeitsschutz31 wird zwar überwiegend abgelehnt,32 besticht aber durch ihren breit angelegten Erklärungsanspruch33 und m. E. verkennt die angeführte Kritik die Rolle, die der unmittelbaren Gewalt bei Anhängern dieser Auffassung zukommt: „Die Person nämlich soll schlechthin sicher sein gegen jede Gewalt; geschieht ihr Gewalt, so ist dieses immer ein Unrecht, dieses Unrecht aber kann verschiedene Folgen haben. […] soll das Unrecht, welches in der Gewalt gegen die Person liegt, in seinen Folgen gänzlich 28
Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA, Bd. VI, 247 f. Savigny, Besitz, 55 ff.; dazu Sosnitza, Besitz, 34 f.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 440 ff.; siehe auch Planck’s Kommentar/Brodmann, 4. Aufl. 1913, vor §§ 854 ff. Anm. 6 (Es gebe keinen „Grund, die Persönlichkeit des natürlichen Individuums in die Grenzen seiner nackten Körperlichkeit zu weisen.“ Die Persönlichkeit wachse „über den Menschen in seinem natürlichen Zustand hinaus. Die Kleidung, die er trägt, die Waffen, die er führt, werden Akzidentien seiner selbst, vorerst zweifellos so lange, als er jene auf dem Leibe hat, diese in der Hand.“). 30 Heck, Grundriß des Sachenrechts, Exkurs 1 (488); ähnlich Sosnitza, Besitz, 39. 31 Sie lässt sich trotz der zuvor gemachten Zugeständnisse durchaus auf Kants Rechtslehre zurückführen. Man darf dabei nur eben nicht den dort teils schwer erkennbaren Übergang zwischen Besitz und Eigentum aus den Augen verlieren. 32 Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 7 Rn. 5; MüKoBGB/Joost, 7. Aufl. 2017, vor §§ 854 ff. Rn. 15 (dort Fn. 47); a. A. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 IV (138) („Nur die hinter dem Besitz stehende Persönlichkeit kann erklären, wieso eine Besitzverletzung rechtswidrig sein kann [vgl. § 858 I BGB], obwohl der Besitzer möglicherweise keinerlei Recht an der Sache hat, wie z. B. der Dieb.“). 33 Sosnitza, Besitz, 38. 29 Grundlegend
§ 10 Besitz und Herrschaft303
ausgetilgt werden, so kann dies nur geschehen durch die Herstellung oder Beschützung jenes factischen Zustandes, worauf sich die Gewalt erstreckt hat. Dieses ist der wahre Grund der possessorischen Klagen …“.34
Entscheidend ist die körperliche Beeinträchtigung, die der Besitzer in Anbetracht der Sache erfährt. Neben der Integritätsverletzung führt sie ihm seine faktische Ohnmacht vor Augen. Soweit diese Beziehung betroffen ist, kann der Besitzschutz durchaus mit persönlichkeitsrechtlichen Erwägungen begründet werden. Allerdings greift die persönlichkeitsrechtliche Begründung bei den meisten wirtschaftlichen Sachverhalten und insbesondere dem Besitz juristischer Personen nicht. Zwar werden der juristischen Person die Besitzhandlungen ihrer Organe zugerechnet,35 nicht aber deren Persönlichkeitsrechte. Ein Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht wiederum erscheint abwegig, zumal dieses gerade nicht aus der Menschenwürde abgeleitet wird,36 die aber bei den Vertretern eines aus dem Persönlichkeitsschutz begründeten Besitzschutzes im Mittelpunkt zu stehen scheint.
2. Modernere Ansätze Bei den nun darzulegenden moderneren Ansätzen37 ist zu beachten, dass einige an die Funktionen, anderen an den Rechtsgrund des Besitzschutzes anknüpfen. Die Funktionen des Besitzschutzes beschreiben, was dieser bewirkt bzw. bewirken soll, genauer, „weshalb bestimmte Rechtsfolgen davon abhängen, dass jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat“.38 Hierauf beziehen sich Friedens- bzw. Kontinuitäts- und Schutzfunktion. Hingegen sind die Begründungen des Besitzschutzes eine rechtspolitische Frage, sie geben an, weshalb Besitzschutz gewährt wird.39 Auf ihnen beruhen die Publizitäts- und Traditionsfunktion des Besitzschutzes. Im Einzelnen: Nach der auch heute noch vertretenen Friedenstheorie dient der Besitzschutz primär dem Schutz der öffentlichen Ordnung,40 insbesondere dem „öffentlichen Interesse an der Verhinderung des Faustrechts“.41 Dagegen eingewandt wird vor 34 Savigny, Besitz, 55 f.; siehe auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III b (137 f.); eher verhalten ist indes die von Wieling verkürzt wiedergegebene Stellungnahme des Gesetzgebers, Mot. III, 110 = Mugd. III, 61 (man könne „auch vielleicht das absolute Persönlichkeitsrecht der Freiheit als verletzt ansehen“, wenn man die Freiheit über den eigenen Körper hinaus „auch auf die Herrschaft über die der thatsächlichen Gewalt der Person unterworfenen Sachen“ beziehe). 35 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 5 (24). 36 Vgl. nur BVerfG NJW 1994, 1784 (1784); Koreng, GRUR 2010, 1065 (1068 f.). Insbesondere der bei Gewalt zentrale Integritätsschutz des menschlichen Körpers (i. e. Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit) lässt sich nicht auf Verbände übertragen, Klippel, JZ 1988, 625 (629 f.). 37 Siehe instruktiv etwa Kuschel, AcP 220 (2020), 98 (110 ff.). 38 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 2 Rn. 4. 39 Vgl. MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 14 ff. 40 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 9 Rn. 9; Staudinger/Gutzeit (2019), vor §§ 854–872 Rn. 19; Sosnitza, Besitz, 37; Prütting, Sachenrecht, Rn. 48. 41 MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 17.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
allem, dass nicht jeder Besitzentzug die öffentliche Ordnung stört42 und man dem Besitzer doch durchaus unfriedliche Maßnahmen (§ 859 BGB) zugesteht.43 Im Großen und Ganzen lässt sich die friedenswahrende Wirkung aber nicht abstreiten, jedenfalls wären die Realfolgen eines Selbsthilfeverbots gewiss nicht friedlicher, da dies nicht nur den Angreifer begünstigen und vielfach ermutigen, sondern auch die rechtliche Angriffslast umkehren würde.44 Fraglich ist nur, ob diese Wirkung der eigentliche und einzige Grund des Besitzschutzes ist. Heck entwickelte die Friedenstheorie weiter, indem er den Akzent auf „die Kontinuität der Lebensverhältnisse“ bzw. den „Organisationswert des Besitzes“ verlagerte, der als eigenes Gut anzuerkennen sei, da die im Besitz befindliche Sache „Teil der Wirtschaft, der Lebenseinrichtung geworden“ sei.45 Angeführt wird außerdem das Interesse des Besitzers an einem möglichst lang andauernden Besitz, i. e. der Erhaltung des Besitzes.46 Als ein Faktor dieses Kontinuitätsinteresses erlangt daher auch der natürliche Besitzwille einige Bedeutung.47 Die Kontinuitätsfunktion kann auch heute noch als Ergänzung der weiterhin geltenden Friedenstheorie verstanden werden.48 Zumindest eng verwandt mit der Friedens- und Kontinuitätsfunktion ist die von Schapp/Schur sog. Schutzfunktion. Sie „bedeutet, dass jedermann bestehenden Besitz allein schon deshalb achten muss, weil er besteht.“49 Sie leitet sich aus der Vermeidung von Selbstjustiz gegen den status quo ab, weshalb die den Besitz insofern sichernden Ansprüche possessorisch ausgestaltet sind, also auf die bloße Tatsache des Besitzes abstellen.50 Für die Dogmatik absoluter Rechte ist sie von besonderem Interesse, da ein den status quo schützendes, absolutes Besitzrecht wahrscheinlich die erste Form des Sacheigentums war.51 Dies deckt sich auch mit Husserls Annah42 Vgl.
nur das Hutbeispiel bei Heck, Grundriß des Sachenrechts, 13, Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 3 III b (136 f., dort auch Fn. 15), a. A. Sosnitza, Besitz, 40 f. 43 Staudinger/Gutzeit (2018), vor §§ 854–872 Rn. 17. 44 De lege lata kann sich der Besitzer legal gegen die Wegnahme der Sache wehren und der Angreifer muss, sofern er sich im Recht wähnt, gerichtlich vorgehen. Fielen die körperlichen Abwehrmöglichkeiten weg, müsste der Besitzer die Wegnahme dulden und hätte selbst die Initiativlast, gerichtlich dagegen vorzugehen. Neben der Ermutigung potentieller Angreifer würde also die praktisch wichtige rechtliche Angriffslast gedreht. 45 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 13; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 9 Rn. 9 („in dem Besitz selbst steckt ein Wert“). 46 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 6 Rn. 3 ff. 47 Zumindest liegt eine starke Korrespondenz des Besitzwillens zum Kontinuitätsinteresse nahe, vgl. Hartung, Besitz und Sachherrschaft, 184 ff. 48 Staudinger/Gutzeit (2018), vor §§ 854–872 Rn. 18. 49 Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 41. 50 Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 41 f.; Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 2 Rn. 4 (die Schutzfunktion sichere den Rechtsfrieden); Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht, Rn. 323; Heck, Grundriß des Sachenrechts, 12. 51 Ausführlich Kaser, Eigentum und Besitz, 16 ff. (Das Recht zum Besitz habe dem mit der Vindkationsformel behaupteten meum esse als relatives, d. h. zwischen den streitenden Parteien wirkendes [10], Eigentum entsprochen. Die Vorstellung eines absoluten Eigentums ist Kaser zufolge deutlich jünger [wohl spätes 2. Jahrhundert]: „Der Richter hat nicht mehr zu entscheiden, welche Partei mit ihrem ‚meum esse‘ ein besseres Recht zum Besitz behauptet hat, sondern nur
§ 10 Besitz und Herrschaft305
me einer Art Rechtsgarantie der Gemeinschaft für die primäre Eigenrelation im Frühstadium des Rechts.52 Ältere Ansätze sehen den Besitzschutz entsprechend als eine Art Verlängerung bzw. Vorwegnahme des Eigentumsrechts an der besessenen Sache.53 Die anderen, nachfolgend darzustellenden Begründungen des Besitzschutzes sprechen zwar ebenso für eine schützende Funktion des Besitzes. Sie sind der Verhinderung von Gewalt aber denklogisch nachgelagert. Sie stehen sozusagen auf einer höheren teleologischen Stufe.54 In seiner Publizitätsfunktion dient der Besitz der Dokumentation der Rechtslage nach außen, sie hat Rechtsscheinwirkung.55 Diese Funktion geht zurück auf die mittelalterliche Gewere, die als Rechtsverhältnis auf die „äußerlich wahrnehmbare Herrschaftsbeziehung zu einer Sache“ abstellte und „für Jedermann eine vom materiellen Recht unabhängige formelle Rechtslage“ herstellte, „der man im Verkehr trauen“ konnte.56 Anlehnend an die Publizitätsfunktion dient die Tradi tionsfunktion der Dokumentation des Vollzugsakts und damit der Änderung der Rechtslage nach außen.57
III. Beherrschungswille (animus) Der bürgerlich-rechtliche Besitz entsteht durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache (§ 854 Abs. 1 BGB). Diese Gewalt setzt sich zusammen aus der räumlichen Beziehung zur Sache und dem Beherrschungswillen als Folge der klassisch-römischen wie gemeinrechtlichen Vorstellung von corpus und animus.58 Das heutige Willenserfordernis entspringt und entspricht der klassisch- römischen Lehre die im animus possidendi den erforderlichen Beherrschungswillen
zu prüfen, ob der Kläger einen der bestimmten Tatbestände, die jetzt für den Erwerb des Eigentums anerkannt werden, nachweisen kann.“ [292]); Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 42; siehe auch Heinsohn/Steiger, Eigentum, 102, 129. 52 G. Husserl, Rechtsgegenstand, §§ 12 f. (16 f.). 53 V. Jhering, Grund des Besitzesschutzes, 45 ff. („nothwendige Vervollständigung und Ergänzung des Eigenthumsschutzes, eine dem Eigenthümer zugedachte Beweiserleichterung, die aber nothwendigerweise auch dem Nichteigenthümer zu Gute kommt“); siehe dazu eingehend die Ausführungen und die Kritik bei Sosnitza, Besitz, 33 f., 38. 54 Siehe auch oben § 1 D. Eine schrittweise Teleologie. 55 Habersack, SachenR, Rn. 18; Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 2 Rn. 5; Heck, Grundriß des Sachenrechts, 11 („Zeichenfunktion“). 56 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 113 (187 ff.). 57 Vgl. Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 2 Rn. 7; Heck, Grundriß des Sachenrechts, 11 („Besitzänderung […] als Zeichen für den rechtsgeschäftlichen Willen“); dazu auch eingehend unten VI. Funktionen des Traditionsprinzips. 58 Paulus D 41.2.3.1 („Den Besitz erlangt man durch körperliche Einwirkung und die Absicht, und nicht durch die erstere allein, oder die letztere allein.“, Übers. von Otto/Schilling/Sintenis, Corpus Juris Civilis, Bd. 4, Dig. 39.–50.). Hierzu MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 23 ff.; Staudinger/ Gutzeit (2018), § 854 Rn. 3; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a (141 ff., 145 ff.); Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 54. Siehe auch Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, Bd. 1, § 149 (748) („Aneignungswille“); zum usus modernus, Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, 281.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
sah.59 Der Gesetzgeber wollte bestimmte Fälle, in denen der Besitzwille zweifelhaft sein könnte, nicht vom Besitzschutz ausschließen und überließ die Entscheidung über das Willenserfordernis daher der Praxis.60 § 797 E I forderte noch den „Willen des Inhabers, die Sache als die Seinige zu haben (Besitzwille)“. Heute wird für den Besitzerwerb weitgehend kein rechtsgeschäftlicher, sondern tatsächlicher (natürlicher) „genereller“ Besitzbegründungswille gefordert.61 D. h. es bedarf keines für den konkreten Fall individuell gebildeten Willens, sondern dieser kann auch durch Umstände wie Empfangseinrichtungen oder übergeordnete Ziele zum Ausdruck kommen. Dieser Wille muss auf die allgemeine Erlangung bzw. Ausübung der Sachgewalt gerichtet sein.62 Hiervon zu unterscheiden ist der weitergehende Eigenbesitzwille gem. § 872 BGB, der Voraussetzung z. B. für den Eigentumserwerb (§ 929 BGB) ist.63 Der Eigenbesitzer will die Sachgewalt „so ausüben, wie es einem Eigentümer zukommt“, gleich ob er wirklich der Eigentümer ist.64 Insoweit deckt er sich mit dem nachklassischen animus domini.65 Hierunter ist der Wille des „redlichen Eigenbesitzers, mag er wirklich Eigentümer sein oder sich nur für den Eigentümer halten“, zu verstehen,66 was sich mit dem heutigen Eigenbesitzwillen deckt.
IV. Tatsächliche Herrschaft (corpus) Weitaus problematischer als der Wille, die Sache zu besitzen ist die tatsächliche Herrschaft (tatsächliche Gewalt) über diese (corpus);67 sie muss zum animus hinzukommen. Die einfachste und reinste Variante der tatsächlichen Herrschaft ist die bloße Innehabung der Sache ohne Besitzer zu sein. Klassisch-römisch war dies der Besitz im natürlichen Sinn (naturalis possessio), der im gemeinen Recht mit dem technischen Begriff der Detention belegt wurde und sich vom Besitz gesondert heute nur noch in der Figur des Besitzdieners gem. § 855 BGB findet.68 Ob sich 59 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 2 a (145, dort Fn. 29); Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, § 95 (392); zur geschichtlichen Entwicklung siehe Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 273 ff. 60 Schubert, Entstehung der Vorschriften, 89. 61 BGHZ 101, 186 = NJW 1987, 2812 (2813); BGH NJW 2015, 1678 Rn. 24; Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 49; zweifelnd Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 10 (38); Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Rn. 15; das Willenserfordernis ablehnend, Hartung, Besitz und Sachherrschaft, 175 ff. 62 Soergel/Stadler, § 854 Rn. 10 („auf die Herrschaft an einer individuellen Sache gerichtet“); MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 28. 63 Prütting, Sachenrecht, Rn. 63 f. 64 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 5 (154); Prütting, Sachenrecht, Rn. 63 („der Wille […], die Sache für sich zu besitzen, also niemanden anzuerkennen, von dem man sein Recht zum Besitz ableitet und dem man sich rechtlich verantwortlich fühlt“); Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 7 I (30) (es reiche aus, dass der Besitz „Eigentumsausdruck, Eigentumsdarstellung“ sei). 65 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 7 (30); Prütting, Sachenrecht, Rn. 63. 66 Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 2, § 239 II (252 f.); siehe auch Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 29 Rn. 23. 67 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 5 (24). 68 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 29 Rn. 17, 19; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 IV (166); siehe auch Honsell, Römisches Recht, 52; Schubert, Entstehung der Vorschriften, 89 f.
§ 10 Besitz und Herrschaft307
der objektive Tatbestand des § 854 Abs. 1 BGB bezüglich der „tatsächlichen Gewalt“ einer Person über die Sache von dem des § 855 BGB unterscheidet, ist unten zu untersuchen.69 Jedenfalls die Willensrichtung unterscheidet sich, insofern der Besitzdiener (sozusagen stellvertretend) für den Besitzherrn die „Sachherrschaft“ über die betreffende Sache ausübt.70 Wann genau jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat, ist seit jeher Gegenstand der Diskussion. Streitbar kennzeichnete Savigny die Detention als den „Zustand […] welcher allem Besitz zum Grunde liegt“, sie sei kein juristischer Begriff, sondern „der factische Zustand, welcher dem Eigenthum, als einem rechtlichen Zustand, correspondirt“71 und „in welchem nicht nur die eigne Einwirkung auf die Sache physisch möglich ist, sondern auch jede fremde Einwirkung verhindert werden kann“, letzteres ungeachtet der Erfolgsaussichten.72 Wann dies aber der Fall ist, lässt sich nicht in einer einfachen Formel sagen.73 Die Formulierung verschiebt das Problem letztlich nur. Zu beachten ist, dass Savigny hier nur die Detention, nicht den Besitz behandelt; zudem sei der Besitzerwerb durch Repräsentanten möglich74 und werde durch bloße Abwesenheit nicht verloren.75
Ungeachtet der verbleibenden Unklarheiten würde Savignys Formel hohe Forderungen an die Sachherrschaft stellen, die in vielen Fällen nicht erreicht werden wird, in denen dennoch Besitzschutz gewünscht ist. Schon wer während des Einkaufs sein Auto parkt und abschließt hätte hiernach nicht mehr die tatsächliche Gewalt über dasselbe. Heute wird für die tatsächliche Herrschaft auf die Verkehrsanschauung abgestellt,76 auf „das sich aus den Sozialbeziehungen konstituierende und nach der Lebensanschauung beurteilende Herrschaftsverhältnis“,77 also nicht allein auf die räumliche Nähe zur Sache, sondern auf das „menschliche Lebensverhältnis“.78 Zwar erfordert die Ausübung der tatsächlichen Gewalt auch nach heutiger Lehre eine „physische Einwirkungsmöglichkeit“, ein „räumliches Näheverhältnis“ zwischen Person und Besitzobjekt (Sache).79 Es bedarf (neben der Ausschlussmöglichkeit) der tatsächlichen Möglichkeit zur Einwirkung auf die Sache.80 Allerdings hat 69
Siehe unten V. „Vergeistigter Besitz“ als Sachherrschaft? Dies tut er nicht anders, als der Besitzer es täte, nur dass er eben dessen Weisungen unterliegt, vgl. Soergel/Stadler, § 855 Rn. 1; MüKoBGB/Schäfer, § 855 Rn. 1; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Rn. 72, § 8 Rn. 7 f. (§ 855 BGB ermögliche „im praktischen Ergebnis eine Stellvertretung beim Besitzerwerb“). 71 Savigny, Besitz, 26 f. Ein besitzloses Eigentum wäre mit Heck „gleichsam ein Torso, ein Rechtskrüppel“, Heck, Grundriß des Sachenrechts, 126. 72 Savigny, Besitz, 26 (dort auch Fn. 1). 73 So die Kritik bei Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 4 I 1 a (141). 74 Savigny, Besitz, § 26 (304 ff.). 75 Savigny, Besitz, § 31 (347 ff.). 76 BGHZ 101, 188 = NJW 1987, 2812; siehe auch BGH BeckRS 1970, 31122848 = WM 1970, 1518. 77 Martinek, AcP 188 (1988), 573 (584). 78 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 114 (212 f.); Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 5 (25) („Sachherrschaft ist, was nach dem gemeinen Bewußtsein als solche erscheint.“). 79 Soergel/Stadler, § 854 Rn. 4 f.; Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 278. 80 Staudinger/Gutzeit (2018), § 854 Rn. 4 f.; Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 2 Rn. 1. 70
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
sich besagtes Verhältnis zwischen Person und Sache unter dem Eindruck des modernen Wirtschaftslebens „zunehmend vergeistigt und damit auch verrechtlicht“.81 Berger vertritt sogar, dass „tatsächliche Gewalt“ i. S. d. § 854 Abs. 1 BGB lediglich ausdrücken soll, „dass es für ihre Anerkennung nicht auf ein Recht zur Herrschaft (zum Besitz) ankommt. Daher bedeutet tatsächliche Herrschaft nicht: handgreiflich ausgeübte Herrschaft; auch bloß geistige Sachherrschaft ist Besitz, wenn auch nur vermittelter.“82
Bei § 854 Abs. 1 BGB und der folgenden Beschreibung muss jedenfalls die Möglichkeit, die ausgeübte Gewalt zu delegieren, stets mitgedacht werden (dazu sogleich). Wie gesagt entspricht der früheren Detention (auch im Savigny’schen Sinne) heute die durch den Besitzdiener für den Besitzer ausgeübte Gewalt, weil der Besitzdiener sie nicht seinerseits delegieren kann. Mangels einer präzisen Abgrenzungsformel ist es außerdem hilfreich, den Besitz nicht über eine Momentaufnahme zu erfassen. Der Verkehr gewinnt seinen Eindruck über die Eigentumsverhältnisse nicht aufgrund einer „Augenblicksbetrachtung“ – flüchtige Berührungen einer Sache begründen keinen Besitz an derselben.83 Vielmehr muss Besitz als Rechtsverhältnis einer gewissen Dauer verstanden werden, dessen Beendigung in § 856 BGB geregelt ist. Es kommt für die Beendigung nicht darauf an, ob andere auf die Sache zugreifen können, sondern ob jemand tatsächlich zugreift.84 Solange der Besitzer den Besitz nicht aufgegeben hat, bleibt die Sache nach dieser Ansicht auch dann in seiner Gewalt, wenn er sie ungesichert in einiger räumlicher Entfernung aufbewahrt, in den Augen der Beteiligten aber weiterhin für sie zuständig ist.85 Auch § 309 S. 1 (österreichisches) ABGB86 verlangt mit dem Begriff „Inhaber“ nicht zwingend räumlich-körperliche Nähe.87 81 Soergel/Stadler, vor § 854 Rn. 4; MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 24 (das Zusammenleben einer Vielzahl von Personen ermögliche zahlreiche Einwirkungsmöglichkeiten, die rechtlich unbeachtlich bleiben sollen); Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Rn. 4. Siehe dazu auch unten V. „Vergeistigter Besitz“ als Sachherrschaft? 82 Jauernig/Berger, § 854 Rn. 1 [Hervorh. im Original]; a. A. etwa Bömer, Besitzmittlungswille und mittelbarer Besitz, 57 (aus dem Wortlaut der §§ 855, 856 Abs. 2 BGB folge, dass es für die Ausübung der tatsächlichen Sachgewalt allein darauf ankomme, wer die „jederzeitige, unmittelbare, körperliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache“ hat; die Entscheidungshoheit über den Verbleib und das Schicksal der Sache sei hierfür „ohne Belang“, der Begriff sei „sehr eng und rein physisch […] zu verstehen“). 83 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 5 (25); siehe auch RGZ 74, 146 (149) (kein Besitz „ohne längere oder kürzere Dauer der tatsächlichen Gewalt“). 84 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 3 Rn. 4 f. 85 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 3 Rn. 4. 86 § 309 ABGB: „Wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat, heißt ihr Inhaber. Hat der Inhaber einer Sache den Willen, sie als die seinige zu behalten, so ist er ihr Besitzer.“ Den Begriff der „Inhabung“ verwarf der deutsche Gesetzgeber; § 797 E I (= § 854 BGB) stellte für den Besitzerwerb noch ab auf „die Erlangung der thatsächlichen Gewalt (Inhabung)“, dazu Schubert, Entstehung der Vorschriften, 91. 87 Randa, Besitz nach österreichischem Rechte, 2 f., 15; Rummel/Spielbüchler, ABGB, § 309 Rn. 2. Der österr. „Besitz“ entspricht offenbar dem deutschen Eigenbesitz („als die seinige zu
§ 10 Besitz und Herrschaft309
Die Beurteilung des räumlichen Zusammenhangs zwischen Person und Sache berücksichtigt ferner die Rechtslage88 und gegebenenfalls den Willen desjenigen, der für den Besitzer die unmittelbare faktische Herrschaft ausübt. So kann ein und dasselbe Raumverhältnis ausreichen oder nicht ausreichen, um eine tatsächliche Sachherrschaft zu konstatieren,89 was sich etwa bei der Frage der Besitzdienerschaft zeigt. Beispiel: Je nachdem, ob der Fahrer eines Wagens dessen Halter ist oder er ihm als Firmenwagen überlassen wurde, ist er Besitzer oder Besitzdiener. In beiden Fällen fährt er den Wagen und dennoch greift etwa § 1006 BGB nur im ersten Fall.90 Befinden sich ein Notebook, dessen Besitzer A und der B im selben Raum, kann eine rechtliche Absprache zwischen A und B dafür sorgen, dass B zum Besitzmittler wird und den nunmehr mittelbar besitzenden A gewaltsam von dem Notebook fernhalten darf.91
Die Berücksichtigung der Rechtslage bedarf einer näheren Aufklärung: Sachherrschaft lässt sich dahingehend konkretisieren, dass der Besitzer im Streitfall (nicht aber sofort und jederzeit) selbst auf die Sache einwirken und andere von der Einwirkung ausschließen können muss. Realisieren kann er dies nicht nur durch unmittelbare physische Gewalt über die Sache. Der Besitzer kann sich auch die soziale Achtung der Sachbeziehung zunutze machen. Die Idee des Besitzschutzes würde konterkariert, wenn das Recht nur den schützen würde, der seinen Schutz bereits selbst mit physischer Gewalt sichert. Dass § 859 BGB dem Besitzer Gewaltanwendung als Mittel der Selbsthilfe zugesteht, ergäbe keinen Sinn, wenn dies dieselbe Gewalt wäre, die Besitz erst begründet – hier würde das Notwehrrecht (§ 227 BGB) genügen. Vielmehr ziehen die Sachherrschaft und die sie konstituierende Gewalt einen weiteren Kreis an Sachbeziehungen – je nach Ansicht bis hin zu „vergeistigten“ Sachbeziehungen92 – die der Besitzer im Falle verbotener Eigenmacht unter anderem mit der in § 859 BGB beschriebenen physischen Gewalt („abnehmen“, „bemächtigen“) verteidigen und wiederherstellen darf. Der erste, weitere Kreis ergibt sich daher gerade weniger aus physischer Gewalt, als vielmehr aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, situativen und eben auch rechtlichen Umständen. Sie bestimmen, wer gegen wen mit den Mitteln des Besitzschutzes vorgehen darf. Die wirkliche und die scheinbare Rechtslage stehen zu den anderen genannten Faktoren in einer Gegenseitigkeitsbeziehung. Der Besitz ist als Tatbestand stark normativ geprägt: behalten“, siehe auch ebd., Rn. 3 f.) und die „Innehabung“ der „tatsächlichen Gewalt“ i. S. d. § 854 Abs. 1 BGB. 88 Staudinger/Gutzeit (2018), § 854 Rn. 11 ff. 89 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 5 III. 4. (26); wohl anders Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Rn. 7 (der Besitztatbestand sei „im Verhältnis zur Rechtslage neutral“). 90 Siehe nur BeckOK BGB/Fritzsche, § 1006 Rn. 6. 91 Vgl. MüKoBGB/Schäfer, § 868 Rn. 4 f.; Staudinger/Gutzeit (2018), § 868 Rn. 5. 92 Sofern man dem mittelbaren Besitzer possessorischen Gewaltschutz zubilligt (dafür BeckOGK/Götz [01/2021], § 859 Rn. 6), genügt „vergeistigte“ Sachherrschaft, vgl. Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 8 I. 1. (31); Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 16 Rn. 9; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 488; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Rn. 4.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
„Der Besitz des BGB ist […] entgegen der im Bürgerlichen Recht vorherrschenden Auffassung kein tatsächliches Verhältnis, sondern das Grundmuster normgeprägter tatsächlicher Sachherrschaft. Das Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Gewalt läßt sich nur normativ bestimmen. Es ist ein Trugschluß zu meinen, daß die Anknüpfung an tatsächliche Umstände den Besitz zu einem faktischen Verhältnis mache, weil nicht aufgrund rein faktischer Kriterien ermittelt und entschieden werden kann, welches die relevanten tatsächlichen Umstände sind und wann sie erfüllt sind. Beide Fragen bedürfen zu ihrer Beantwortung normativer Kriterien.“93
Die Korrespondenz zwischen Recht und sozialer Realität ist Gegenstand zahlreicher rechtstheoretischer Untersuchungen wie etwa der oben angesprochen institutional theory of law.94 Den Zirkel aus Recht, das soziale Realität erzeugt und Recht, das auf die soziale Realität abstellt, kann man dabei mit Fezer als Ausprägung der „juristischen Hermeneutik“ verstehen: „Gesetzestexte […] verändern, soweit die Menschen sich nach ihren Aussagen einrichten, die Realität, deren Teil sie damit werden. […] Die Gesellschaft ist rechtlich kein unbeschriebenes Blatt. Rechtssätze sind integrierter Bestandteil des Gegenstandes der Rechtserkenntnis.“95
Die Rechtslage ist dabei nur einer von mehreren Faktoren und setzt sich auch nicht zwangsläufig durch. Nicht umsonst ist auch der unberechtigte Besitz eine anerkannte Form des Besitzes.96 Es kann also nicht nur der Berechtigte Besitzer sein. Sofern aber die sonstigen Faktoren nicht überwiegen, ist die tatsächliche Rechtslage ausschlaggebend für die Beurteilung einer Situation. Ansonsten kommt es eher auf die erkennbare, genauer gesagt die scheinbare Rechtslage an, um zu beurteilen, ob jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat.
V. „Vergeistigter Besitz“ als Sachherrschaft? Für § 854 BGB kann nach den dargelegten Grundsätzen ein Begriff davon gewonnen werden, was unter der tatsächlichen Gewalt über eine Sache zu verstehen ist. Fraglich ist aber, ob diese seitens des Besitzers auch vorliegt, wenn er Besitzdiener oder -mittler einsetzt. Wie schon mit dem Zitat von Berger angedeutet wurde,97 geht „tatsächliche Sachherrschaft“ nicht zwangsläufig mit einer eigenen physischen Einwirkungsmöglichkeit einher. In den Fällen der §§ 855, 868 BGB kann der räumliche Tatbestand in unterschiedlicher Weise delegiert werden. Man spricht daher auch von vergeistigtem Besitz.98 Besitzdiener bzw. Besitzmittler treten im 93
Lepsius, Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, 217. Siehe oben § 1 A. III. 7. c) aa) Überblick über die institutional theory of law. 95 Fezer, JZ 1985, 762 (766). 96 Siehe Magnus/Wais, NJW 2014, 1270 (1271 f.); MüKoBGB/Schäfer, § 872 Rn. 2. 97 Jauernig/Berger, § 854 Rn. 1; siehe oben IV. Tatsächliche Herrschaft (corpus). 98 Vgl. die Nachweise in Fn. 92. Anders MüKoBGB/Schäfer, § 868 Rn. 5 („Die Welt des Geistes ist eine andere als die der Tatsachen. Geistige Sachherrschaft ist eine gedankliche [rechtsfolgenorientierte] Abstraktion, was die tatsächliche Sachherrschaft gerade nicht ist.“); der Wortbedeutung 94
§ 10 Besitz und Herrschaft311
räumlichen Näheverhältnis zur Sache an die Stelle des (mittelbaren) Besitzers. Fraglich ist, ob sich hierin eine großzügigere Auffassung tatsächlicher Herrschaft bzw. Gewalt über eine Sache zeigt, die einen Anschluss des Immaterialgüterrechts an den sachenrechtlichen Herrschaftsbegriff erlaubt.
1. Besitzdienerschaft Unstreitig erlangt der Besitzdiener die tatsächliche Sachherrschaft und übt sie aus.99 Zwischen (Sach)gewalt und (Sach)herrschaft wird dabei nicht differenziert.100 Hat der Besitzer dann ebenfalls die tatsächliche Gewalt über die Sache oder verliert er sie gänzlich an den Besitzdiener? Dem Problem kann nicht dadurch beigekommen werden, dass man die tatsächliche Gewalt zwar beim Besitzdiener verortet, den Besitzer aber hinsichtlich der Einwirkungsmöglichkeiten als rechtlich gleichgestellt auffasst101 oder darauf abstellt, dass die verschiedenen Varianten des Besitzes mit Blick auf die unterschiedlichen Besitzfunktionen und die damit verfolgten Zwecke ausgestaltet sind (so dass es auf die genaue Abgrenzung, wer inwieweit die Sachherrschaft hat, nicht ankommt).102 Diese Lösungen eignen sich zwar für besitzrechtliche Fragen, das hier verfolgte Problem behandeln sie aber nicht: Die vorliegende Frage lautet, was tatsächliche Herrschaft im Rechtssinne bedeutet, unabhängig von speziellen besitzrechtlichen Problemen (insbesondere der Anwendung der §§ 858 ff. BGB). Hat der Besitzer die tatsächliche Sachgewalt nur, wenn er sich selbst in einer gewissen räumlichen Nähe zur Sache befindet, oder hat er sie auch dann noch/schon, wenn ein anderer (als Besitzdiener) nach seinem Willen mit der Sache handelt? Beispiel: Die Vorstandsmitglieder einer Airline sind meist keine Piloten, dennoch übt die Airline durch den Vorstand ihren unmittelbaren Besitz aus (Organbesitz).103 Die Airline hat auch Besitz an der Sache, wenn ein Flugkapitän als Besitzdiener104 mit der Maschine in einem anderen Land105 landet. Hat sie aber auch die tatsächliche Gewalt über die Maschine oder hat diese nur der Kapitän (bzw. die Crew) und die Airline wird rechtlich so gestellt als hätte sie die tatsächliche Gewalt? Besitzrechtlich führen die Wege zum selben Ergebnis. Auf die Frage, was unter Sachherrschaft zu verstehen ist, geben sie aber unterschiedliche Antworten.
Im Folgenden werden die beiden Optionen erörtert.
nach ist die Kritik berechtigt, man muss den Begriff weiter als im streng geistigen Sinne verstehen, wenn man die Überlegung weiterverfolgen will. 99 MüKoBGB/Schäfer, § 855 Rn. 1, 16; Erman/Lorenz, 15. Aufl. 2017, vor §§ 854 ff. Rn. 4, § 855 Rn. 1. 100 Erman/Lorenz, 15. Aufl. 2017, § 854 Rn. 2. 101 So Erman/Lorenz, 15. Aufl. 2017, § 855 Rn. 1. 102 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 7 Rn. 2. 103 MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 36; Staudinger/Gutzeit (2018), § 854 Rn. 58. 104 So zu Recht BeckOK BGB/Fritzsche, § 855 Rn. 15.1. 105 Vorbehaltlich der sich IPR-rechtlich stellenden Probleme.
312
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
a) Erste Auslegungsoption: Keine Sachherrschaft des Besitzherrn Für die erste Auslegung spricht der Gesetzeswortlaut des § 855 S. 1 BGB: „Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen […] aus“. Nicht der Besitzer, sondern der Besitzdiener übt demnach die Gewalt aus.106 Die Wertung, nach der die willentliche Weggabe der Sache durch den Besitzdiener ein Abhandenkommen i. S. d. § 935 BGB darstellt,107 beruht auf dem „Loyalitätsrisiko“ des Prinzipals, das ihm im Falle der Besitzdienerschaft nicht zugerechnet wird, im Falle des mittelbaren Besitzes aber sehr wohl (Umkehrschluss aus § 935 Abs. 1 S. 2 BGB).108 Diese Ungleichbehandlung beurteilen Einige – insbesondere mit Blick auf den Horizont des Erwerbers – als ungerechtfertigt.109 Mit Blick auf die Position des Besitzherrn bzw. mittelbaren Besitzers könnte sie aber gut begründbar sein (dazu sogleich). Für die Besitzdienerschaft könnte man in der Nichtzurechnung des Loyalitätsrisikos i. R. d. § 935 BGB jedenfalls einen Beleg für die Schwäche der tatsächlichen Gewalt des Besitzerherrn über die Sache sehen: Er hat so wenig Einfluss auf den Besitzdiener, dass er gegen dessen Illoyalität geschützt werden muss, während dem mittelbaren Besitzer eigenwillige Handlungen des Besitzmittlers zugerechnet werden, was ihn in gewisser Weise näher an den Besitzer heranrückt. Andererseits ist der Besitzdiener, sobald er seinen Willen geändert hat und wie ein Eigentümer mit der Sache verfährt,110 für diese Sache kein Besitzdiener mehr.111 Mit der Abwendung des Besitzdieners endet die Herrschaft des Besitzherrn über die Sache. Daher kann die Verhinderung des Sinneswandels nicht vom Gewaltverhältnis umschlossen sein (dies wäre ähnlich, als würde ein Arbeitgeber seinem Angestellten die Kündigung verbieten). Rechtlich entsprechen sich zudem die Bedrohungslagen, die vom möglichen Diebstahl durch einen Besitzdiener oder einem Fremden ausgehen. Ein Diebstahlsrisiko trägt jeder Besitzer, auch wenn er selbst unmittelbar physisch über die Sache herrscht. Hieraus lässt sich daher zumindest keine Wertung gegen die Sachherrschaft des Besitzherrn ziehen. 106 Nachdrücklich Bömer, Besitzmittlungswille und mittelbarer Besitz, 57 (siehe oben Fn. 82); verweist auf Prot. III, 32 f. (gegen die Bedenken, § 855 BGB [damals § 797a BGB-Entwurf] erwecke den unrichtigen Eindruck, dass Besitz „ein rein physikalisches Gewaltverhältnis sei“, sei mit Zustimmung erwidert worden: „Die tatsächliche Gewalt sei immer physischer Natur.“); für diese Sicht wohl auch Erman/Lorenz, 15. Aufl. 2017, vor §§ 854 ff. Rn. 4; § 855 Rn. 1. 107 So die h. M. BGHZ 199, 227 Rn. 9 = NJW 2014, 1524 Rn. 9; Witt, AcP 201 (2001), 165 (180 ff.); Baur/Stürner, Sachenrecht, § 52 Rn. 39; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 965; a. A. MüKoBGB/ Schäfer, § 855 Rn. 23 f.; MüKoBGB/Oechsler, § 935 Rn. 10. 108 Witt, AcP 201 (2001), 165 (182 f.); siehe auch MüKoBGB/Oechsler, § 935 Rn. 10. 109 Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, 32 ff.; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 10 V 3 c (404 f.); MüKoBGB/Oechsler, § 935 Rn. 10; Staudinger/Wiegand (2017), § 935 Rn. 14; mit Einschränkungen Staudinger/Heinze (2020), § 935 Rn. 14. 110 Siehe Jauernig/Berger, § 935 Rn. 8. 111 Gleich ob es eines expliziten „Besitzdienerwillens“ bedarf, endet die Besitzdienerschaft, sobald der Besitzdiener die Weisungsmacht erkennbar ablehnt und eigenmächtig mit der Sache verfährt, Soergel/Stadler, § 855 Rn. 6; MüKoBGB/Schäfer, § 855 Rn. 13.
§ 10 Besitz und Herrschaft313
Anders liegt es wie gesagt bei mittelbarem Besitz – wendet sich der Besitzmittler gegen den mittelbaren Besitzer, kann ein Dritter gutgläubig erwerben.112 Formal liegt dies daran, dass nur der Besitzmittler unmittelbarer Besitzer ist, es also allein auf seinen Willen ankommt und wenn er die Sache gegen den Willen des mittelbaren Besitzers willentlich weggibt, diese per definitionem nicht abhanden kommt.113 Die wertungsmäßige Rechtfertigung dafür, hier anders als bei der Besitzdienerschaft zu verfahren, könnte hingegen darin liegen, dass der Besitzer mit der größeren Freiheit des Mittlers (Mieter, Pächter, Entleiher etc.) bewusst ein größeres Risiko in Kauf nimmt, das sich auch in einem geringeren Grad an Kontrollen ausdrückt, denen der Besitzmittler unterliegt. M. a. W. muss der Besitzer beim Besitzmittler eher damit rechnen, dass dieser sich gegen ihn wendet, als beim weisungsabhängigen Besitzdiener und daher die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs in Kauf nehmen. Beispiel: Mit Rücksicht auf die Macht des Besitzherrn verkauft ein Arbeitnehmer eher das beim Händler finanzierte und unter Eigentumsvorbehalt überlassene Privatnotebook als das Firmennotebook.
b) Zweite Auslegungsoption: Sachherrschaft des Besitzherrn Die zweite, weitere Auslegung hingegen würde zum stellvertreterähnlichen Verständnis des Besitzdieners114 passen und den Bedürfnissen einer stark arbeitsteiligen Wirtschaft entsprechen. Ohnehin gibt es – wie das Beispiel mit der Airline zeigt – Sachen, bei denen der Besitzer gar nicht in der Lage ist, die zweckmäßigste Art von Gewalt selbst auszuüben (also etwa ein Flugzeug zu fliegen). Man könnte den Besitzdiener mithin als eine Art Werkzeug verstehen, vermittels dessen der Besitzer die tatsächliche Gewalt realisiert – ähnlich einem Kapitän, dem die Gewalt über sein Schiff insofern zugesprochen werden kann, als er den Steuermann und die Matrosen anweist. Diese Auslegung entspricht der h. M.115 Wie im vorigen Punkt dargelegt wurde, widerspricht dem auch nicht der Umstand, dass vom Besitzdiener nicht gutgläubig erworben werden kann.
2. Mittelbarer Besitz Teilweise116 wird vertreten, dem mittelbaren Besitzer fehle die tatsächliche Gewalt – ihm werde nur „eine Art Gewalt über die Sache“ zuerkannt, und auch dies 112 Siehe nur Jauernig/Berger, § 935 Rn. 6; Staudinger/Heinze (2020), § 935 Rn. 5; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 10 V 3 a (400). 113 HK-Schulze/Schulte-Nölke, § 935 Rn. 3. 114 Siehe die Nachweise in Fn. 70. 115 MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 23 (für die nach § 854 Abs. 1 BGB erforderliche Machtbeziehung zwischen Person und Sache genüge die Einwirkungsmöglichkeit durch einen Besitzgehilfen); BeckOGK/Götz (01/2021), § 854 Rn. 63, 68 (s. aber Rn. 29: die tatsächliche Sachherrschaft werde dem Besitzer „zugerechnet“); Jauernig/Berger, § 855 Rn. 1 („Herrschaft über die Sache ist Herrschaft über den Besitzdiener.“ [Hervorh. im Original]); Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 481 („alleinige Sachherrschaft [!] des Besitzherrn ohne eigenen Besitz dessen, der die tatsächliche Gewalt ausübt“). 116 Siehe die Überblicke bei BeckOK BGB/Fritzsche, § 868 Rn. 2; Staudinger/Gutzeit (2018), § 868 Rn. 5.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
geschehe nicht aufgrund seiner tatsächlichen Herrschaft, sondern aufgrund seiner rechtlichen Stellung gegenüber dem unmittelbaren Besitzer.117 Wieling zufolge führt die Annahme tatsächlicher Sachgewalt zu Widersprüchen mit anderen, darauf beruhenden Normen; der Besitzmittler vermittle nicht einmal den Besitz, mittelbarer Besitz sei lediglich „fingierter Besitz“.118 Die wohl h. M. sieht im mittelbaren Besitz aber zumindest eine Variante echter Sachherrschaft des mittelbaren Besitzers.119 Die plausibelste Begründung hierfür sind die dem mittelbaren Besitzer verbleibenden Einwirkungsmöglichkeiten auf den Besitzmittler und damit auf die Sache.120 Sie sind gegenüber denen des Besitzherrn allerdings deutlich abgeschwächt; in dieser unterschiedlichen (Weisungs)abhängigkeit liegt zugleich die wesentliche Abgrenzung zwischen Besitzmittler und Besitzdiener.121 Entsprechend wird im Einklang mit der eingangs genannten Kritik eingewandt, dass der mittelbare Besitzer eben keine „tatsächliche und unmittelbare Sachbeziehung“ habe,122 weshalb es sich beim mittelbaren Besitz um eine „andere Form der gestuften Sachherrschaft handeln“ müsse.123 Für das BGB wird die Kontroverse als „überwiegend bedeutungslos“ eingestuft.124 Zudem komme es angesichts der „Bedeutungsmehrheit“ des Ausdrucks „Besitz“ letztlich immer darauf an, ob es gerade um die Rechtsfolgen des Besitzschutzes (der dem mittelbaren Besitzer nur in eingeschränkter Anwendung der §§ 861, 862 BGB zusteht)125 oder die des Eigenbesitzes (als Voraussetzung für Eigentumserwerb) geht – tatsächliche Gewalt und Eigenbesitz seien die einzig relevanten Kategorien und stünden einander inkommensurabel gegenüber.126 Für die vorliegende Frage ist es aber eben doch entscheidend, was tatsächliche Herrschaft bedeutet und Ernst spricht diese dem mittelbaren Besitzer ab. Es lässt sich nicht leugnen, dass mittelbarer Besitzer und Besitzmittler auf tatsächlicher Ebene in einem sehr unterschiedlichen physischen Verhältnis zur Sache stehen. Die kritischen Stimmen verweigern daher zu Recht die Anerkennung einer unmittelbaren Sachbeziehung des mittelbaren Besitzers. Ob man gleichwohl 117 Prütting, Sachenrecht, Rn. 82; MüKoBGB/Schäfer, § 868 Rn. 5 f. (keine tatsächliche Sachherrschaft, sondern Rechtsverhältnis); ebd., § 869 Rn. 7. 118 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 6 I 2 a, b (228 f.). 119 Soergel/Stadler, § 868 Rn. 2 (Vermittlung der Herrschaftsbeziehung einer Person zu einer Sache durch eine andere Person, „gelockerte“ Sachherrschaft); Staudinger/Gutzeit (2018), § 868 Rn. 5 („wirkliche, wenn auch gelockerte […] Sachherrschaft“); Jauernig/Berger, § 854 Rn. 3 („vermittelte [geistige, Rn. 1] Sachherrschaft, bei der auch [!] der tatsächliche Gewalthaber selbst besitzt [unmittelbarer Besitz]“); RGRK/Kregel, § 854 Rn. 3; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 7. Aufl. 1998, § 17 5 d (109) (mittelbare Sachherrschaft). 120 Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 7. Aufl. 1998, § 17 5 d (109) (maßgeblich sei „die Einwirkungsmöglichkeit auf dem Weg über den Willen des unmittelbaren Besitzers“); Soergel/Stadler, § 868 Rn. 2. 121 Soergel/Stadler, § 855 Rn. 8; Jauernig/Berger, § 854 Rn. 3. 122 NK-BGB/Hoeren, § 868 Rn. 2. 123 BeckOK BGB/Fritzsche, § 868 Rn. 2. 124 BeckOK BGB/Fritzsche, § 868 Rn. 2. 125 Siehe nur Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 82. 126 Ernst, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, 101 ff.
§ 10 Besitz und Herrschaft315
von tatsächlicher Sachherrschaft ausgehen will, ist eine Definitionsfrage – auf die es für die vorliegende Untersuchung aber ankommt. Sie ist nachfolgend anhand der obigen Ausführungen zur Berücksichtigung der tatsächlichen sozialen, wirtschaftlichen, technischen Verhältnisse im Herrschaftsbegriff zu beantworten.127
3. Folgerungen Schon die tatsächliche Gewalt i. S. d. § 854 Abs. 1 BGB ist nicht als unmittelbare, jederzeit ausübbare und Dritte verlässlich ausschließende physische Kontrolle zu verstehen, sondern wird auch über gesellschaftliche, wirtschaftliche und rechtliche Regeln bestimmt. In dieses Bild passt das hier gezeichnete und wohl der h. M. entsprechende Bild des Besitzherrn, der seine tatsächliche Gewalt durch den Einsatz von Besitzdienern realisiert.128 Herrschaft bzw. Gewalt über eine Sache hat auch der, der die Sache mit Hilfe von Hilfspersonen nutzt. Andernfalls wäre schon die tatsächliche Gewalt von Einzelpersonen über komplexe Geräte und Anlagen schwer begründbar. Man müsste dort die Möglichkeit des Besitzes durch eine Einzelperson verneinen. Beispiel: Angenommen, der Kapitän129 eines Öltankers soll Eigenbesitzer des Schiffs sein, so könnte er ohne die hier angenommene Vergeistigung nur schwerlich die Sachherrschaft haben. Es wäre ihm nicht möglich, das Schiff ohne jede Hilfe zu kontrollieren oder gar wirtschaftlich zweckmäßig zu nutzen. Noch schwieriger würde es beim Besitz industrieller Anlagen. – Siedelte man die Sachgewalt indes allein bei den Besitzdienern an, hätten diese zwar gemeinsam die Gewalt über Öltanker bzw. Industrieanlage, jedoch hätte kein Besitzdiener sie allein. Dann aber könnten viele Sachen gar nicht besessen werden oder man müsste eine Zurechnung der Gewaltbruchteile aller Besitzdiener zum Besitzer annehmen, aus der sich dann erst dessen Sachgewalt ergäbe. Einfacher und realitätsnäher ist es, den Besitzherrn als denjenigen zu verstehen, der die tatsächliche Gewalt bzw. Herrschaft über die in Händen seiner Besitzdiener befindlichen Sachen hat.
Auch dem mittelbaren Besitzer kann tatsächliche Gewalt über die vom Mittler besessene Sache zugesprochen werden. Sie ist zu seinen Gunsten aber nicht geschützt, soweit es um den physischen Umgang mit der Sache geht (§ 869 BGB).130 Was nun die Definition von tatsächlicher Gewalt bzw. Sachherrschaft betrifft, scheint diese einer weiten Auslegung zugänglich zu sein. Dem Herrschaftsaspekt des Sacheigentums als absolutem Herrschaftsrecht – und nur darum geht es in dieser Untersuchung – genügt der mittelbare Besitz. Der Eigentümer beherrscht die Sache im Rechtssinne auch dann, wenn er sie vermietet, verpachtet oder in einem anderen Verhältnis i. S. d. § 868 BGB aus den Händen gibt. Davon zeugt insbesondere § 854 Abs. 2 BGB, der der notwendigen Einbeziehung der tatsächlichen 127
Siehe oben IV. Tatsächliche Herrschaft (corpus). Siehe oben 1. Besitzdienerschaft. 129 Näher läge es freilich, dass eine Reederei den Eigenbesitz hat, das wäre in dem Beispiel aber noch schwieriger zu begründen. 130 Siehe oben 2. Mittelbarer Besitz. 128
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
(nicht rechtlichen) Verhältnisse in den Herrschaftsbegriff Rechnung trägt. Dem Besitzerwerb nach § 854 Abs. 2 BGB („in der Lage […] die Gewalt […] auszuüben“) liegt ein abgeschwächtes Herrschaftsverständnis zugrunde,131 da der Besitz so weit „offen“ sein muss, dass der Erwerber in der Lage ist, die aktuelle Sachherrschaft zu begründen. Neben wirklich offenen Besitzstellungen (Holzstapel im Wald, frei zugänglicher Acker, offener Parkplatz etc.) genügt die Schlüsselübergabe oder sonstige Zugangsverschaffung.132 Ist die physische Gewalt in dem hier beschriebenen Sinne, insbesondere durch Einbezug sozialer und normativer Faktoren aufgeweitet, kommt es für die tatsächliche Herrschaft über eine Sache (§ 854 Abs. 1 BGB) letztlich auf die Bestimmungsgewalt an. Die physischen Beherrschungsvorgänge sind in großem Ausmaß delegierbar. Dabei hängt die Gewalt über die Sache mit dem Einfluss des Besitzers auf sie durchaus zusammen – dies macht sich vor allem in der Unterscheidung des Besitzherrn vom mittelbaren Besitzer bemerkbar. Zusammenfassend ist der objektive Tatbestand des § 854 Abs. 1 BGB als Bestimmungsgewalt über die Sache zu verstehen. Mit der unmittelbaren physischen Beherrschung (anfassen, transportieren, wegschließen etc.) hat dieser Besitzbegriff wenig zu tun.
VI. Funktionen des Traditionsprinzips Der sachenrechtliche Besitz spielt nicht nur für das zivilrechtliche Herrschaftsverständnis und damit für die zivilrechtliche Gewaltordnung im Hinblick auf die Zuordnung von Gütern eine Rolle. Er ist auch für den Erwerb von Eigentum im Tatbestand der traditio von Bedeutung. Diese Traditionsfunktion wurde oben bereits als an den Rechtsgrund des Besitzschutzes anknüpfende Funktion herausgestellt.133 Die im Folgenden zu untersuchende Frage lautet: Welche Funktionen erfüllt die traditio im heutigen Sachenrecht und lassen sich daraus Folgerungen für die Übertragung von Rechten an unkörperlichen Gütern ziehen? Eine rein vertragsrechtliche Übertragung von nicht durch Herrschaftsrechte zugewiesenen Gütern wirft diese Fragen nicht auf. Denn welchen Einfluss und welche Zugriffsmöglichkeiten dem Erwerber hieran vertraglich eingeräumt werden, liegt allein im Ermessen der Parteien. Beispiel: Welche genauen Schritte der Domaininhaber machen muss, um eine Domain vertragsgemäß zu übertragen ergibt sich aus der Auslegung des Vertrages i. V. m. technischen Anforderungen. Sie sind nicht gesetzlich vorgeschrieben. Die Parteien könnten sich auch darauf einigen, dass der Veräußerer dem Erwerber nur die Bestimmung über die jeweilige Konnektierung der Domain überlässt, diese aber dann jeweils selbst für ihn vornimmt.
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A. A. MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 52 f. (01/2021), § 854 Rn. 96 ff.; BeckOK BGB/Fritzsche, § 854 Rn. 45 f. 133 Siehe oben II. 2. Modernere Ansätze. 132 BeckOGK/Götz
§ 10 Besitz und Herrschaft317
Die Regeln der §§ 929 ff. BGB sind Teil der Gesamtkonstruktion des Sacheigentums, während die vertragliche Übertragung von Sacheigentum bzw. die davon gelöste Einräumung von Besitz (z. B. bei den Gebrauchsüberlassungsverträgen) in der Vertragstypenlehre wurzelt. Daher stellt sich die im Folgenden zu behandelnde Frage, ob die Gedanken hinter dem Traditionsprinzip auch für andere Herrschaftsrechte passen. Beispiel: Zum einen kann im Kaufrecht die Eigentumsübertragung nicht zugunsten anderweitiger Bestimmungsrechte über die Sache abbedungen werden. Zum anderen enthält § 433 BGB unabhängig von § 929 BGB darüber hinaus die schuldrechtliche „Besitzverschaffungspflicht“,134 also die Pflicht zur Übergabe der Sache.135
1. Entwicklung Die traditio hängt geschichtlich eng mit der Ausbildung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips zusammen. Denn je nachdem ob man die Eigentumsübertragung bereits im Kausalgeschäft verortet, liegt in der traditio nur die faktische Übergabe oder eben ein echtes Übereignungsgeschäft, das gegebenenfalls per Kondiktion und nicht per Vindikation rückgängig zu machen ist.136 Ob die traditio abstrakt wirksam war, also zum Eigentumsübergang führte, oder von der Wirksamkeit der causa abhing, war eine althergebrachte Streitfrage des römischen Rechts.137 Im klassischen und vorklassischen römischen Recht führte die traditio den Eigentumserwerb unmittelbar herbei, sofern sie ex iusta causa, also „aufgrund eines Verkaufs oder einer Schenkung oder aus irgendeinem anderen Grund“ erfolgte.138 Der Eigentumsübergang lag zwar bereits im Kauf (oder einem anderen Kausalgeschäft), die traditio verwirklichte/vollzog diese „Zweckvereinbarung“ aber.139 So erklärt sich das besondere Gewicht, das im älteren Recht auf der Erfüllung der Gegenleistungspflicht, i. e. der Kaufpreiszahlung bzw. deren Absicherung lag – erst sie führte den Eigentumsübergang an der Kaufsache herbei.140 Die Konstruktion erinnert teilweise an einen Eigentumsvorbehalt. Nachklassisch entwickelte sich das Kausalgeschäft ganz zum sachenrechtlichen Übertragungsakt.141 Die Absicherung (Kreditierung) des Kaufpreises genügte nicht mehr, das Eigentum ging erst mit vollständiger Kaufpreiszahlung über und 134 Jauernig/Berger,
§ 433 Rn. 20. Martinek, AcP 188 (1988), 573 (577); Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 809; besonders weitgehend Süss, FS Wolff, 141 (144) (dort Fn. 4). 136 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 12; siehe auch Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 2, § 242 (282, dort Fn. 67). MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 9 f.; siehe auch eingehend unten Abstraktionsprinzip § 13 G. Die Eigenständigkeit von Verfügungen. 137 Siehe Meincke, Römisches Privatrecht, 62 ff. 138 Gai. Inst. 2.19 f.; D. 41.1.31pr. („Die blosse Übergabe überträgt das Eigenthum niemals, sondern nur, wenn Verkauf oder eine andere rechtmässige Ursache vorangegangen ist, derentwegen die Uebergabe erfolgt.“); Honsell, Römisches Recht, 58 f. 139 Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, § 100 (417); Brehm/Berger, Sachenrecht, § 26 Rn. 12. 140 Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, § 100 (418). 141 Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 2, § 242 (275). 135
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
die traditio war – abgesehen vom Erwerb geringwertiger Sachen – für den Eigentumserwerb entbehrlich.142 Unter Justinian erlangte die Übergabe wieder Eigenständigkeit gegenüber dem Kausalgeschäft.143 Beim Kauf kam der Zahlung des Kaufpreises nach wie vor und trotz Übergabe eine überragende Bedeutung zu, nur dass die Kreditierung jetzt wieder unschädlich war.144 Erforderlich für den Eigentumsübergang war zudem das diesbezügliche beiderseitige Einverständnis.145 Einen dinglichen Vertrag konnte man indes noch für lange Zeit nicht annehmen. Erst im usus modernus wurde das Willenselement in dem Maße betont, dass hierin rückblickend der Beginn der Entwicklung des dinglichen Vertrages gesehen werden kann.146 Die spätere, römischgemeine und preußischrechtliche Regelung von modus und titulus führte die römische traditio fort. Der modus bezeichnete einen Traditionsakt oder Traditionssurrogat. Der Begriff titulus stand für ein Rechtsverhältnis als Übereignungscausa der dinglichen Übereignung (z. B. einen Kaufvertrag).147 Hierin sah man eine „allgemeine Art des Eigentumserwerbs, die auch beim originären Erwerb Anwendung finden sollte“.148 Sie gibt es heute in vergleichbarer Form noch in Österreich, den Niederlanden und Spanien.149 Unter Berufung150 auf das gemeine Recht (das aus damaliger Sicht wohl auch den heute als usus modernus bezeichneten Abschnitt umfasste) geht im BGB das Willensmoment der Eigentumsübertragung in einem dinglichen, vom Kausalgeschäft abstrakten Vertrag auf,151 der im ersten Entwurf des BGB auch noch ausdrücklich benannt war.152 Diese Herausstellung des vertraglichen Charakters der Eigentumsübertragung konnte nur zu Lasten der traditio erfolgen. Hatte Wind142
Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 2, § 242 (278 ff.). 2.1.40 („Daher braucht eine körperliche Sache gleich welcher Art nur übergeben zu werden, und sie wird durch die Übergabe seitens des Eigentümers veräußert.“); zum Folgenden Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 2, § 242 (282 ff.). 144 Inst. 2.1.41 („Sachen jedoch, die verkauft und übergeben sind, erwirbt der Käufer nur dann, wenn er dem Verkäufer den Kaufpreis gezahlt, oder ihm in anderer Form Genüge getan hat, zum Beispiel durch Stellung eines Schuldübernehmers oder durch Pfandbestellung.“). 145 D. 44.7.55 („wo Übertragung des Eigenthums stattfindet, muss die Absicht beider Contrahirenden vorhanden sein“); besondere Betonung findet das Willensmoment zudem in D. 41.1.9.3 (= Inst. 2.1.40); 41.1.9.4–7. 146 Vgl. Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, 303 ff.; vgl. wiederum D. 41.1.9.3–7; D. 44.7.55. 147 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 238. 148 Wieling, ZEuP 2001, 301 (302); Larenz, SchR II/1, 16 ff. 149 Wacke, ZEuP 2000, 254 (255). 150 Schubert, Entstehung der Vorschriften, 154. 151 AK-BGB/Reich, vor §§ 929 ff. Rn. 7. Grundlegend Savigny, System, Bd. 3, 312 ff.; offenbar trennte schon Kant Verpflichtungs- und Verfügungsvertrag: „Eine Sache wird in einem Vertrage nicht durch Annehmung (acceptatio) des Versprechens, sondern nur durch Übergabe (traditio) des Versprochenen erworben.“ Enthalte der Vertrag nicht zugleich die Übergabe, sei ein „Besitzakt“ erforderlich, der einen „besonderen Vertrag“ darstelle, Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 274 f. 152 Gem. § 874 E I (heute § 929 BGB) war ein „unter Übergabe der Sache zu schließender Vertrag erforderlich, welcher die Willenserklärung der Vertragschließenden enthält, daß das Eigenthum auf den Erwerber übergehen soll“. 143 Inst.
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scheid sie noch als „Ausdruck“ des dinglichen Vertrages, als dessen Form aufgefasst („Sie ist der Eigenthumsübertragungsvertrag“),153 verwarf die Kommission dies und trennte Vertrag und traditio.154 Die Motive billigen der traditio bloß noch die folgenden Funktionen zu: 1) Verhinderung des Auseinanderfallens von Besitz und Eigentum, und, 2) Publizität („Kundbarmachung des zeitigen Rechtszustandes“).155 Zum zweiten Punkt ist auch die gesetzgeberische Absicht zu zählen, das widersprüchliche Verhalten und die Unklarheit zu vermeiden, die von einer Eigentumsübertragung ausgehen, bei der der Veräußerer Besitzer bleibt.156 Die Zahlung des Kaufpreises, die im römischen Recht so große Bedeutung hatte, wurde schon von der 1. Kommission nicht in den Entwurf mit aufgenommen, da angesichts der allgemein zulässigen Bedingung dinglicher Übereignungen kein Bedürfnis hierfür bestand.157 Darin liegt eine „extreme Begünstigung des Erwerbers“,158 der das Eigentum nun auch ohne Kaufpreiszahlung erwerben kann, was allerdings durch besagte Möglichkeit bedingter Übereignungen (insbesondere in Form des Eigentumsvorbehalts) aufgefangen wird. Zwar nahm die 2. Kommission die einseitige Begünstigung von Verkehr und Erwerber in mehreren Punkten zurück, dies betraf aber nicht das Eigentumsübertragungsrecht, vielmehr ließ dieses nun auch die Veräußerung per Abtretung des Herausgabeanspruchs zu (§ 931 BGB).159 Dort trat an die Stelle der Übergabe die Abtretung.160 Sie ist ebenfalls von der Einigung zu unterscheiden,161 im Gegensatz zur Übergabe aber ein Rechtsgeschäft.
2. Heutige Sicht Einigung und Übergabe bilden nach heutiger Lehre einen zweigliedrigen „Gesamttatbestand“.162 Die Übergabe ist konstitutiv für den Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB.163 Allerdings hat das Traditionsprinzip verschiedene, größtenteils gegenüber früher abgeschwächte Bedeutungen. Dabei ist eine klarstellende Erinnerung voranzustellen: Dass der Erwerber durch die traditio die tatsächliche Ge153
Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, Bd. 1, § 171 (883 ff.) (dort Fn. 3). Uebergabe stelle nicht die Form dar, in welcher die Vereinbarung zu Tage trete, sondern sei ein selbständiges Erfordernis für den Eigenthumsübergang“, Prot. III, 3678 = Mugd. III, 624. 155 Mot. III, 333 f. = Mugd. III, 184 f. 156 Mot. III, 334 = Mugd. III, 185. Speziell diese Funktion wird durch die Sicherungsübereignung unterlaufen. 157 Schubert, Entstehung der Vorschriften, 147, 156 sowie 148 f. zur Zulässigkeit bedingter Übereignungen. Diese Zulässigkeit ergibt sich heute unmittelbar aus § 449 BGB, Bauer/Stürner, Sachenrecht, § 51 Rn. 9. 158 Schubert, Entstehung der Vorschriften, 160. 159 Schubert, Entstehung der Vorschriften, 161 ff. 160 Staudinger/Heinze (2020), § 931 Rn. 1. 161 Soergel/Henssler, § 931 Rn. 1; einschränkend Staudinger/Heinze (2020), § 931 Rn. 18. 162 Staudinger/Heinze (2020), vor §§ 929–931 Rn. 9. 163 MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 2. 154 „[D]ie
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
walt über die Sache erhält, ist trivial und nicht ihr Zweck als Tatbestandsmerkmal der Eigentumsübertragung.164 Bei der Untersuchung der traditio geht es vielmehr um die Frage, warum die Eigentumsübertragung einen Übergabeakt verlangt bzw. diesen als Ausgangspunkt nimmt. Der Eigentümer kann schließlich nach § 985 BGB ohnehin vom Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen. Wieso misst der rechtsgeschäftliche Erwerb von Mobiliareigentum also dem – gerade im modernen Wirtschaftsleben – etwas einfach anmutenden Übergabeakt Bedeutung zu? Zu beginnen ist mit der rechtstechnischen Rolle der traditio für die Eigentumsübertragung, dann werden ihre möglichen Funktionen erörtert.
a) Ablauf der traditio Ausreichend ist eine Änderung der Herrschafts- und damit der Zuordnungsverhältnisse – „die räumliche Beziehung der Personen zu der Sache wird in eine andere Herrschaftssphäre umgebettet“, wofür es eines Wechsels des unmittelbaren Besitzes bedarf.165 Dieser Besitzwechsel muss einen „inneren Bezug zur konkreten Einigung“ aufweisen.166 Zuletzt muss der Veräußerer als Ergebnis der Übergabe besitzlos sein.167
b) Eigentumsübertragung Die traditio ist neben dem dinglichen Vertrag zur Eigentumsübertragung erforderlich, als „Änderung der besitzrechtlichen Verhältnisse“.168 Der dingliche Vertrag liegt aber allein in der Einigung.169 Der traditio kommt für den dinglichen Vertrag die Bedeutung zu, dass dieser bis zur Übergabe nicht bindend ist, was sich im Umkehrschluss aus § 873 Abs. 2 BGB zu dem Wortlaut des § 929 S. 1 BGB ergibt.170 Sie ist damit zwar nicht Teil der sachenrechtlichen Einigung, aber der maßgebliche Zeitpunkt, in dem die Einigung (noch) vorliegen muss.171
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Siehe dennoch dazu unten c) Besitzerlangung. Martinek, AcP 188 (1988), 573 (584 f.); Wadle, JZ 1974, 689 (691). 166 Wadle, JZ 1974, 689 (691). Andernfalls liefe man z. B. Gefahr, schon einen zufälligen Besitzwechsel als Übergabe gelten zu lassen, Martinek, AcP 188 (1988), 573 (582). 167 Martinek, AcP 188 (1988), 573 (598). 168 AK-BGB/Reich, vor §§ 929 ff. Rn. 7. 169 BGHZ 28, 16 = NJW 1958, 1133 (1134); siehe auch BGH NJW 2007, 2844 (zu § 929 S. 2 BGB); Soergel/Henssler, § 929 Rn. 16; Erman/Bayer, § 929 Rn. 2; Staudinger/Heinze (2020), § 929 Rn. 8; MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 22 f. Für diese Sicht spricht insbesondere der oben (Fn. 152) zitierte § 874 E I, der ausdrücklich einen dinglichen Vertrag fordert, was in den späteren Fassungen nur sprachlich, nicht aber inhaltlich redigiert wurde, zumal man auch im finalen Entwurf meinte, „das Vertragsprinzip im Gesetze zum deutlichen Ausdruck gebracht“ zu haben, Mot. III, 333 = Mugd. III, 185. 170 MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 42. 171 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 116 f. 165
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Ob vor diesem Hintergrund ein zusätzlicher Wille erforderlich ist, die Sache „zu Übereignungszwecken“ zu übergeben,172 ist unerheblich, da kaum ein Fall denkbar ist, in dem diesem Kriterium eine eigenständige Funktion zukäme.173
Eine weitere Bedeutung die ihr im vorliegenden Zusammenhang beigemessen wird, ist die einer Formvorschrift; Formzweck sei es, die „Ernstlichkeit des Verfügungswillens“ zum Ausdruck zu bringen.174 Ähnlich versteht Eichler die Übergabe als ein „Rechtszeichen“, das zur Einigung hinzutreten müsse, „damit die Rechtsänderung eintritt“.175 In der oben dargelegten, nicht als rechtshistorisch aufzufassenden Lehre G. Husserls spielte der in § 929 S. 1 BGB i. V. m. § 854 Abs. 1 BGB vorgesehene einverständliche Zugriff des Erwerbers auf die im Besitz des Veräußerers befindliche Sache176 eine wichtige Rolle. Der „Nahmeakt“ als „geduldete Gewalt“ bekleidete nach der dort vertretenen Ansicht eine Schlüsselfunktion im Übergang vom Tausch zum Kauf.177
c) Besitzerlangung Seltener diskutiert wird der nächstliegende Zweck der Übergabe – die Besitzerlangung.178 Erst der unmittelbare Besitz erschließt dem Erwerber den durch § 903 BGB zugewiesenen Nutzen der Sache, während er ihn bei anderen Erwerbsformen delegiert (z. B. § 931 BGB). Die Übergabe dient ganz schlicht der Verschaffung der tatsächlichen Sachherrschaft (Verschaffungsfunktion).179 Zwar zeigen gerade § 931 BGB und auch § 930 BGB, dass der Übergang des unmittelbaren Besitzes nicht entscheidend für den Eigentumserwerb ist. Dennoch sind auch diese Normen letztlich auf die Erlangung des unmittelbaren Besitzes gerichtet (z. B. über § 985 BGB) und ändern vor allem nichts daran, dass er im Großteil der Fälle aus Sicht des Verkehrs nach wie vor zentrale Bedeutung hat. Dieser Aspekt der Übergabe kommt besonders deutlich bei Kant zur Sprache. Er sieht in der Übergabe den Akt, der das Recht aus dem Verpflichtungsvertrag, das ein persönliches sei, erst zum dinglichen Recht macht. Denn der Besitz sei „subjektive Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs“ der Sache, und in den Besitz gesetzt zu werden die Erfüllung des persönlichen Versprechens.180 172 So Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 66 4. (239 f.); v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 133 (547); Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 9 I 2 a (298). 173 Staudinger/Wiegand (2017), § 929 Rn. 88; Staudinger/Heinze (2020), § 929 Rn. 67d. 174 MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 3, 42, 52; siehe auch oben b) Eigentumsübertragung. 175 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 104 f. 176 Die Mot. bezeichnen mit „Tradition […] die Fälle, in welchen […] nicht der Besitz, sondern die Inhabung dem Erwerber eingeräumt und von demselben ergriffen wird“, Mot. III, 9 = Mugd. III, 5; siehe auch Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 118. 177 Siehe oben § 2 B. IV. 2. Vom Tausch zum Kauf. 178 Martinek, AcP 188 (1988), 573 (577 f.); Pietrek, Konsens über Tradition?, 14; a. A. Süß, FS Wolff, 141. 179 Martinek, AcP 188 (1988), 573 (577 f.). 180 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 274 f.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
d) Publizität Möglich sind zumindest zwei Deutungen des Publizitätsaspekts der traditio:181 Zum einen kann der Zweck der Publizität in der Sichtbarmachung dinglicher Rechtsveränderungen nach außen gesehen werden, und zwar i. S. e. Anzeige des (geänderten) Rechtszustandes.182 Beim Erwerb von einem Unberechtigten liege sie in dem vom Besitz bzw. der Besitzlage ausstrahlenden Rechtsschein.183 Zum anderen wird die Publizitätsfunktion der traditio im Falle des Erwerbs vom Berechtigten im Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Vollzugsaktes184 und beim Erwerb vom Unberechtigten in der Reduktion des Risikos des Rechtsverlusts gesehen.185 Rechtspraktisch hat die Publizitätsfunktion der Übergabe im BGB kein großes Gewicht.186 Schon die Übereignungstatbestände, deren Publizität das Innenverhältnis nicht überschreitet (§ 929 S. 2, insbesondere §§ 930, 931 BGB) zeigen, dass es für die Eigentumsübertragung nicht auf einen nach außen hin sichtbaren Übergabeakt ankommt.187 Zudem kann die Übergabe zu ganz verschiedenen und auch vorübergehenden Zwecken erfolgen (Gebrauchsüberlassung), die für Außenstehende nicht erkennbar sind.188 Auch besagte Deutung des Zwecks der Publizität als Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Verfügungswillens betrifft die traditio nur im Innenverhältnis. Da das Eigentum auch ohne unmittelbar-körperliche Übergabe inter partes übertragen werden kann, erfüllt bereits „die Begründung einer […] ‚Besitzverschaffungsmacht‘“ 181
Sosnitza, Besitz, 30, 280. Mot. III, 333 = Mugd. III, 184 f.; Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 118 („Funktion der Offenkundigmachung und Verlautbarung der Rechtsänderung“); Martinek, AcP 188 (1988), 573 (576) (Sichtbarmachung der Zuordnungsverhältnisse, insbesondere in Fällen ihrer Änderung); Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 9 I 2. (297) („Kundbarkeitsmerkmal“); § 1 III 4 b (41) (die Rechtsänderung solle nach außen in Erscheinung treten, das „besitzrechtliche Ergebnis“ zeige das Recht an). 183 MüKoBGB/Oechsler, § 932 Rn. 6. 184 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 26 Rn. 9, 11 ff. (die Übergabe und ihre Surrogate müssten zum abstrakten dinglichen Vertrag hinzutreten, „weil man dem Übereignungsgeschäft, das ohne Folgen bleibt, misstraut“); Staudinger/Wiegand (2017), § 929 Rn. 60 (der Zweck liege darin, „dass die Ernsthaftigkeit des Eigentumsübertragungswillens durch die Herstellung neuer Besitzverhältnisse manifestiert werden muss“); Staudinger/Heinze (2020), § 929 Rn. 59a („Manifestation des Eigentumsübertragungswillens“); MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 3, 6; Westermann/Gursky/ Eickmann, Sachenrecht, 7. Aufl. 1998, § 37 1. (274 f.). 185 Sosnitza, Besitz, 30; Brehm/Berger, Sachenrecht, § 26 Rn. 9, 16. 186 Eine erschöpfende Untersuchung des Publizitätsprinzips beim Fahrniserwerb hat in der jüngeren Vergangenheit Füller unternommen, ders., Eigenständiges Sachenrecht?, 297–342, 366 f. Auch er kommt zu einem abschlägigen Ergebnis: „Wenn die Erklärungen der Parteien den Rückschluss auf einen ernsthaften Übereignungswillen zulassen, ist es sinnlos, sie an eine Übergabe zu ketten. Die Übergabe ist nicht mehr als eine entbehrliches Beweisanzeichen.“ (506). 187 AK-BGB/Reich, vor §§ 929 ff. Rn. 9 (die Besitzübertragung sei weder notwendige [§ 931 BGB] noch hinreichende [Eigentumsvorbehalt] Bedingung für den Eigentumserwerb); Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 7. Aufl. 1998, § 37 2. (276); siehe aber die Kritik bei MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 3. 188 MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 3. 182
§ 10 Besitz und Herrschaft323
(genauer gesagt der Eigenbesitzverschaffungsmacht) den Übergabetatbestand.189 So können sich anstelle der vollständigen Aufgabe der Sachherrschaft durch den Veräußerer und deren Begründung durch den Erwerber auch der Untergang der Besitzverschaffungsmacht des Veräußerers und der Erwerb der Besitzzuweisungsmacht durch den Erwerber gegenüberstehen.190 Auf den Rechtsschein dieser Macht stellt auch der gutgläubige Erwerb ab – der Erwerber vertraut in die Macht des Veräußerers, den Besitz an der Sache an eine beliebige Person transferieren zu können.191 Was hingegen die eigentliche, die äußere Publizität (i. S. d. ersten der beiden Deutungen) angeht, kommt im Traditionsprinzip kaum mehr ein Publizitätsprinzip zum Ausdruck.192 Näher liegt ein unmittelbarer Verkehrsschutz.193
e) Visualisierung des Eigentumsübergangs Ein sehr grundsätzliches Verständnis der traditio findet sich bei Hume, demzufolge der sichtbare Akt der Übergabe – unabhängig vom eigentlichen Zweck der Verschaffung der Gewalt über die Sache – der Visualisierung des Eigentumsübergangs dient. Dies ähnelt der Publizität, ist aber nicht mit ihr identisch: Das Eigentum sei „etwas vollkommen Unwahrnehmbares, ja Unvorstellbares“, von dessen Fortdauer oder Übertragung wir uns „keine bestimmte anschauliche Vorstellung“ machen könnten. Angesichts dessen diene die Übergabe bei der Eigentumsübertragung der „Unterstützung für unser Vorstellungsvermögen“. Durch die sichtbare Übergabe „wird der Geist getäuscht und glaubt, er habe nun auch von der geheimnisvollen Übertragung des Eigentums eine deutliche Vorstellung“, wofür auch die Erfindung der symbolischen Übertragung für Fälle spreche, in denen die wirkliche Übertragung unausführbar sei. Hume rückt dieses „etwas abergläubische Gebaren“ in die Nähe kirchlicher Rituale, die ebenfalls „unbegreifliche Mysterien“ sichtbar machen sollten.194/195
Hume geht es nicht um die Publizität der Eigentums- und Besitzverhältnisse, sondern um die Visualisierung von etwas schwer Vorstellbarem – dem Eigentumsübergang. Im Kontext der Darstellung bei Hume wäre eine mögliche Deutung, dass in vielen Fällen nicht alle Rechtsgenossen ohne Weiteres davon zu überzeugen sind, dass wirklich Eigentum übertragen wurde und es für die Vermeidung un189
Wadle, JZ 1974, 689 (694); siehe auch Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 9 I 2 (296 f.). § 929 Rn. 54 ff. 191 MüKoBGB/Oechsler, § 932 Rn. 6. 192 AK-BGB/Reich, vor §§ 929 ff. Rn. 8; eingehend unten § 13 F. II. 2. b) Mobiliarsachenrecht. 193 Dazu sogleich f) Gutglaubensschutz. 194 „In order to aid the imagination in conceiving the transference of property, we take the sensible object, and actually transfer its possession to the person, on whom we wou’d bestow the property. The suppos’d resemblance of the actions, and the presence of this sensible delivery, deceive the mind, and make it fancy, that it conceives the mysterious transition of the property. And that this explication of the matter is just, appears hence, that men have invented a symbolical delivery, to satisfy the fancy, where the real one is impracticable.“, Hume, Treatise, 3. Buch 2. Teil 4. Abschnitt (515). 195 Übersetzung ins Deutsche aus Hume, Traktat, 506 f. 190 MüKoBGB/Oechsler,
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
nötiger Gewalt eines überzeugenden Akts bedarf, der die Übertragung sichtbar macht.196 Damit bestünde auf den ersten Blick doch wieder Nähe zur Publizitätsfunktion. Wie gezeigt, geht es dieser aber nicht um die Beseitigung von Zweifeln an der Echtheit/Realität/Tatsächlichkeit der scheinbar metaphysischen Rechtsübertragung, sondern um die Anzeige, die Aktualisierung des Wissens um die Eigentumsverhältnisse i. S. d. Verkehrsschutzes.
f) Gutglaubensschutz Dem Traditionsprinzip kommt des Weiteren eine erhebliche dogmatische Bedeutung zu, nämlich „den Zusammenhang zwischen Besitzverschaffungsmacht des Veräußerers und gutgläubigem Erwerb teleologisch widerspruchsfrei“ zu erklären.197 Zusammen mit dem Abstraktionsprinzip bildet es „die zentrale teleologische Grundlage für einen am Besitzübergang anknüpfenden Gutglaubenserwerb“.198 Im Einzelnen: § 932 BGB stellt auf die Eigentümerschaft des Veräußerers ab, auf die der Erwerber angesichts des Eigenbesitzes (genauer: vermutet wird, dass mit dem Eigenbesitz zugleich Eigentum erworben wurde, § 1006 BGB)199 vertrauen darf bzw. auf die ebenfalls ausreichende Besitzverschaffungsmacht,200 was mit dem auf den Besitzwechsel abstellenden Traditionsprinzip harmoniert. Hingegen stellt das Konsensprinzip für den Eigentumsübergang auf den Schuldvertrag ab – das Eigentum des Veräußerers beruht auf der Gültigkeit der Schuldverträge, durch die es ihm übertragen wurde.201 Dies müsste es eigentlich auch für den guten Glauben tun. Der Erwerber müsste aus der Vertragskette auf das Eigentum des Veräußerers schließen dürfen, i. e. es müsste sein darauf gerichtetes Vertrauen geschützt werden. Bei der – ohnehin kaum möglichen – Verschaffung entsprechender Kenntnisse hätte er alle Erwerbsausschlussgründe wie Einwendungen des Voreigentümers, Willensmängel, Gewährleistungsrechte etc. zu berücksichtigen. Ohnehin wäre fraglich, in welchem Umfang er sich Kenntnisse verschaffen soll. Wohl in treffender Abschätzung dieser Probleme stellt der vom Konsensprinzip 196 Siehe auch MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 3 („Historisch haftet der Traditio eine archaische Formfunktion an, die in symbolischer [ritueller] Weise die Übereignung sinnfällig machen sollte.“); siehe auch Süss, FS Wolff, 141 (143, 145) (legt die symbolische Funktion von Realakten dar, die traditio habe keine solche symbolische oder formale Funktion). 197 MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 4. 198 MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 11. 199 NK-BGB/Schanbacher, § 1006 Rn. 1. 200 Staudinger/Wiegand (2017), § 932 Rn. 20 (Veräußerer muss die der neuen Zuordnung kongruenten Besitzverhältnisse herstellen); MüKoBGB/Oechsler, § 932 Rn. 6; zweifelhaft Schäfer/ Ott, Ökonomische Analyse, 687 (stellen nur auf Besitz samt Eigentumsvermutung ab; die Anknüpfung an die Besitzverschaffungsmacht dürfte weniger gut zum Informationskostenansatz passen). 201 Vgl. etwa Art. 1138 CC (die bloße Einwilligung der Parteien macht den Gläubiger zum Eigentümer); die Übereignung erfolgt „mit dem Verpflichtungsvertrag uno actu und ohne gedankliche Trennung in zwei Rechtsgeschäfte“, Ferrari/Kieninger/Mankowski/Mankowski, Internationales Vertragsrecht, Art. 1 FactÜ, Rn. 9.
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geprägte Code Civil beim gutgläubigen Erwerb (Art. 2279 CC) auf den Besitz als Rechtsgrund ab.202 Da das Traditionsprinzip den Eigentumsübergang aber von vorneherein an die Besitzverschaffung knüpft, ergibt sich für den rechtsgeschäftlichen und den gutgläubigen Erwerb ein teleologisch geschlossenes Bild.203 Da die zwischen Gutglaubensschutz und Traditionsprinzip bestehende Harmonie durch eine dauerhafte Rückbindung zum Schuldvertrag gestört würde, liegt der Schritt zur Abstraktion von schuldrechtlichem und dinglichem Vertrag nahe.204 Dass das Abstraktionsprinzip keine logisch notwendige Folge des beschriebenen Verfahrens ist, zeigt sich schon darin, dass es international betrachtet ein deutscher Sonderweg ist. Dennoch stellt es eine naheliegende Lösung der praktischen Verwerfungen dar, zu denen das reine Kausalitätsprinzip führt.205 Darüber hinaus lässt sich das international gebräuchliche Trennungsprinzip bei Verfügungen über Forderungen ohne das in Deutschland auch hier einschlägige Abstraktionsprinzip206 nur bis zu einem gewissen Grade verwirklichen.207 Zum einen fallen sie unter dem Kausalitätsprinzip mangels Gutglaubensschutzes mit Wegfall des Schuldverhältnisses an den Veräußerer zurück. Dieser Umstand liegt der Diskussion um die Anerkennung von Sukzessionsschutz in Lizenzketten zugrunde, die in anderer Formulierung die Geltung des Abstraktionsprinzips im Immaterialgüterrecht zum Gegenstand hat.208 Zum anderen findet mangels traditio (so etwas wie einen dem § 854 BGB ähnlichen Rechtsbesitz gibt es nicht)209 schon kein im Innenverhältnis publiker, vom Abschluss des Schuldvertrages unterscheidbarer Rechtsübergang statt. Ohne eine abstrakte Wirksamkeit kann von einer Trennung der Geschäfte also nur hinsichtlich der Akte, nicht aber hinsichtlich der Wirksamkeit die Rede sein. Z. B. können Schuldvertrag und Abtretung zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden.
3. Folgerungen Das Wesen der Sachherrschaft liegt in der Bestimmungsgewalt über die Sache.210 Das Traditionsprinzips dient der a) Umbettung der Sache in eine andere Herrschaftssphäre, b) der Verbindlichkeit der Eigentumsübertragung und zur Markierung des maßgeblichen Zeitpunkts, in dem die Einigung über den Eigentumsübergang vorliegen muss, der c) tatsächlichen Verschaffung der Sache und d) nur in sehr 202 MüKoBGB/Oechsler,
§ 929 Rn. 11. Vgl. MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 4, 10. 204 Vgl. MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 9. 205 Siehe eingehend zum Abstraktionsprinzip unten § 13 G. Die Eigenständigkeit von Verfügungen. 206 Staudinger/Busche (2017), § 398 Rn. 20; Larenz, SchR I, 579 f. 207 MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 11. 208 Vgl. BGH GRUR 2009, 946 – Reifen Progressiv; GRUR 2012, 914 – Take Five; ZUM 2012, 782 – M2Trade mit Anm. Becker; MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 9. 209 Siehe sogleich C. Rechtsbesitz. 210 Siehe oben V. 3. Folgerungen. 203
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
geringem Maße der Publizitätsfunktion von Übereignungsvorgängen,211 sondern insofern eher dem unmittelbaren Verkehrsschutz. Dieser besteht in der Anknüpfung des gutgläubigen Erwerbs an die Besitzverschaffungsmacht – die Ausdruck besagter Bestimmungsgewalt ist. Die oben gestellte Frage, ob die Gedanken hinter dem Traditionsprinzip auch für andere Herrschaftsrechte passen, ist daher wie folgt zu beantworten: Wie oben ausgeführt wurde, ergeben Analogien zu § 929 S. 1 BGB aufgrund der engen und speziellen Bindung der Norm an des Sacheigentum i. d. R. keinen Sinn.212 Knüpft man aber an die Idee der Bestimmungsgewalt als maßgeblichen Gedanken der Herrschaft des Besitzers an und versteht die traditio als Akt des Gewaltwechsels mit den obigen Funktionen (Umbettung, Verbindlichkeitsanzeige, tatsächliche Verschaffung des Gegenstands und vernachlässigbare Publizitätswirkung), so lassen sich durchaus Parallelen ziehen. Dabei kann auch die rechtsgeschäftliche Funktion der traditio nützlich sein, insofern der Gewaltwechsel als Voraussetzung für den Rechtsübergang installiert werden könnte. Dies erlaubte es etwa, einen Gutglaubensschutz zu begründen, der das Recht dem Gegenstand folgen ließe. Voraussetzung wären Güter, die wie Sachen rival und exklusiv sind. All dies darf aber nicht mit einem Schluss von Rivalität und Exklusivität irgendwelcher Güter auf das Bestehen eines Rechts daran verwechselt werden. Hier geht es nur um die Abstrahierbarkeit der Rolle und Funktionen der traditio.
C. Rechtsbesitz Vom Sachbesitz üblicherweise unterschieden wird der Rechtsbesitz. Bekannt sind zwei Arten des Rechtsbesitzes:213
I. Rechtsbesitz als Besitzschutz für Inhaber bestimmter Dienstbarkeiten In seiner ersten Bedeutung bezeichnet Rechtsbesitz eine Erweiterung des Eigenbesitzes um spezielle Interdiktionen,214 i. e. „Rechte, bei denen ein quasi-possessorischer Schutz zugelassen wird“.215 Windscheid beschreibt Rechtsbesitz in diesem Sinne als „die thatsächliche Gewalt über die Sache in einer einzelnen Beziehung, verbunden mit dem Willen, sich die Sache in dieser Beziehung anzueignen“. Rechts- und Sachbesitz seien „nur
211 Siehe zur Bedeutung der Publizität im Mobiliarsachenrecht auch eingehend unten § 13 F. II. 2. b) Mobiliarsachenrecht. 212 Siehe oben § 9 F. II. 1. Verfügung: §§ 398, 413 BGB vs. § 929 S. 1 BGB (analog). 213 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 60; Jänich, Geistiges Eigentum, 220. 214 Ein Interdikt (interdicere = untersagen) ist ein vom Prätor erlassener Befehl, auf die zielstrebige Erhaltung bzw. Wiederherstellung des vom Kl. rechtmäßig beanspruchten Zustandes, vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 31 Rn. 1 ff.; § 86 Rn. 1 ff.; siehe auch Wolff/ Raiser, Sachenrecht, § 4 II 2 (22). 215 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 60; Mot. III, 119 f. = Mugd. III, 66 f.
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Erscheinungen eines und desselben höheren Begriffs: thatsächliche Herrschaft des Willens über die Sache“.216
So betrachtet beschränkt der Rechtsbesitz den Sachbesitz auf eine bestimmte Beziehung, unterscheidet sich aber nicht grundlegend von ihm. Dies geht zurück auf den römischrechtlichen Besitzschutz für Inhaber bestimmter Dienstbarkeiten und später für alle Inhaber beschränkter dinglicher Rechte in Form spezieller Interdiktionen, die z. B. die Ausübung von Wasserleitungs- oder Wegerechten gegen Störungen schützten.217 Diese speziellen Ergänzungen des Eigenbesitzes sind es, die Windscheid mit „einer einzelnen Beziehung“ meint. Rechtsbesitz in diesem Sinne verhält sich zu den beschränkten dinglichen Rechten also so, wie sich der Sachbesitz zum Eigentum verhält218 und ist damit als „Rechtsbesitz“ missverständlich benannt; gemeint ist vielmehr ein Recht, dessen Ausübung possessorischen Besitzschutz genießt.219 Auch Savigny distanziert sich vom „sogenannten Besitz unkörperlicher Sachen“,220 denn weder werde eine unkörperliche Sache wie etwa ein Immaterialgut noch eine unkörperliche Sache i. S. e. res incorporales, i. e. ein Recht besessen: „wie der wahre Besitz in der Ausübung des Eigenthums besteht, so besteht dieser nachgebildete Besitz in der Ausübung des jus in re: und wie man bei dem wahren Besitz zwar die Sache besitzt (possessio corporis), aber nicht das Eigenthum, so sollte auch hier eigentlich nicht von dem Besitz der Servitut (possessio juris) die Rede sein.“221
Rechtsbesitz bezeichnet in dieser Bedeutung also schlicht das Recht, aus dem heraus die üblichen Vorschriften über den Besitzschutz in Anspruch genommen werden: „[…] dann steht dem dinglichen Vollrechte die volle Sachherrschaft, den beschränkten Rechten dinglicher Natur die teilweise Sachgewalt als tatsächlicher Zustand gegenüber. So ergibt sich ein Eigentums-, Pacht-, Miet-, Leih- und Pfandbesitz, ein Servitutenbesitz verschiedener Art, ein Lehn-, Fischerei- und Patronatsbesitz; je beschränkter das Recht ist, desto mehr bedarf der Ausübungszustand besonderer Bezeichnung.“222
Der BGB-Gesetzgeber entschied sich gegen allgemeine Vorschriften eines quasipossessorischen Schutzes, die „dem Ausübenden vor der Geltendmachung und dem Beweise seines Rechtes einen einstweiligen Schutz in der Fortübung desselben“ gewähren würden, sondern sah ein derartiges Bedürfnis für Rechte, die ohnehin mit der „Inhabung einer Sache oder des Theiles einer Sache verbunden sind“ als erledigt an.223 So spielt diese Form des Rechtsbesitzes abgesehen von §§ 900 216
Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, Bd. 1, § 151 (754 f.). (2018), vor §§ 854–872 Rn. 45. 218 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 80 I. 5. (468). 219 Zu Recht kritisch MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 9. 220 Savigny, Besitz, 191, 193. 221 Savigny, Besitz, 192 [Hervorh. im Original]. 222 Lenz, ArchBürgR 33 (1909), 345 (393); Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 24 (75) („mit Besitzfolgen ausgestattete[r] Herrschaftstatbestand“). 223 Mot. III, 120 = Mugd. III, 67. 217 Staudinger/Gutzeit
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Abs. 2, 1029, 1090 Abs. 2 BGB im BGB so gut wie keine Rolle.224 Er kommt ferner in Fällen des Landesrechts aber auch in der Jagdpacht vor.225 Der Rechtsbesitz gestattet dabei auch die tatsächliche Selbsthilfe (§ 859 BGB), wenn etwa der Rechtsbesitzer einer Grunddienstbarkeit in deren Ausübung gestört wird (vgl. § 1029 BGB).226 Inhaltlich kann er die Handlungen verbieten, die ihn an der Ausübung des jeweiligen Rechts (z. B. der Dienstbarkeit) hindern.
II. Rechtsbesitz als Innehabung eines Rechts Nach einer anderen Verwendung des Begriffs bezeichnet Rechtsbesitz die „Einfügung noch anderer Güter als der Sachen in eine Interessensphäre“, also den Besitz an Rechten.227 Heck zählt hierzu den Besitz an „Obligationen, Reallasten, Rechten an nichtkörperlichen Gütern, Zustandsrechten (Adel), Gewerberechten, Rechten an Namen, Zeichen, Urheber- und Erfinderrechten“.228 Diese Form des Rechtsbesitzes liefe auf eine der „Sachinhabung“ zu vergleichende „Rechtsinhabung“ hinaus.229 Dieses Verständnis von Rechtsbesitz dürfte der hier schon mehrfach angeführten Rechtsinhaberschaft entsprechen. Anders fällt es schwer zu sagen, wie man sich den tatsächlichen Besitz eines Rechtes denken soll. Offensichtlich ist die Vorstellung der Innehabung in Form einer Detention,230 also eines faktischen Zustandes bei Rechten unpassend.231 Die Problematik siedelt in der Dogmatik des österreichischen ABGB,232 denn der historische BGB-Gesetzgeber verweist233 auf § 311 ABGB.234 Nach österreichischem Verständnis stellt beim Rechtsbesitz tatsächlich das Recht den corpus235 des Besitzes dar. Dies hängt zusammen mit dem weiten Sachbegriff, der auch Rechte und Forderungen umfasst.236 An die Stelle der Innehabung tritt im ABGB der Gebrauch (synonym: die Ausübung) des Rechts:237 224 Vgl. MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 9; Grüneberg/Herrler, Überbl. vor § 854 Rn. 4; siehe auch Heck, Grundriß des Sachenrechts, 60. 225 Vgl. Grüneberg/Herrler, Überbl. vor § 854 Rn. 4; Soergel/Stadler, vor § 854 Rn. 8; siehe auch die Aufzählung bei Lenz, ArchBürgR 33 (1909), 345 (376). 226 NK-BGB/Otto, § 1029 Rn. 5 ff.; MüKoBGB/Mohr, § 1029 Rn. 8. 227 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 60. 228 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 60. 229 Mot. III, 119 = Mugd. III, 66. 230 Siehe zum Begriff oben B. IV. Tatsächliche Herrschaft (corpus). 231 Deshalb setzt auch G. Husserl der primären Eigenrelation als körperlicher Innehabung der Sache für den Rechtsgegenstand die Rechtszuständigkeit entgegen, siehe oben § 2 B. V. Rechtsgegenstand und Rechtszuständigkeit; VI. 4. Die Rechtszuständigkeit. 232 Siehe auch zu unkörperlichen Sachen im ABGB oben § 4 D. II. Überblick zur heutigen Rechtslage. 233 Mot. III, 120 = Mugd. III, 67 (dort Fn.-Verweis). 234 § 311 ABGB: „Alle körperliche und unkörperliche Sachen, welche ein Gegenstand des rechtlichen Verkehres sind, können in Besitz genommen werden.“ 235 Siehe oben B. IV. Tatsächliche Herrschaft (corpus). 236 Barta, Zivilrecht – Grundriss und Einführung in das Rechtsdenken, 152. 237 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht, Bd. I, 259.
§ 10 Besitz und Herrschaft329
§ 312 S. 2 ABGB: „In den Besitz unkörperlicher Sachen oder Rechte kommt man durch den Gebrauch derselben im eigenen Namen.“
§ 313 ABGB präzisiert, was hierunter zu verstehen ist.238 Demnach entsteht Rechtsbesitz grundsätzlich nur, „wenn die Ausübung des Rechtsinhalts als Recht in Anspruch genommen wird“; maßgeblich sein soll „die Leistung des als verpflichtet in Anspruch Genommenen, die Duldung des Untersagungsberechtigten […] und die Unterlassung des mit dem Verbot belegten Handlungsbefugten“.239 Alle drei Optionen erinnern an den in Deutschland gängigen Begriff der „Rechtsausübung“, 240 also an die „tatsächliche Verwirklichung des Inhalts“ des betreffenden Rechts.241 An ihn knüpfen auch die Motive bei der Diskussion der Verankerung eines Rechtsbesitzes im BGB an: Gegenstand der Rechtsinhabung sei „das ausgeübte Recht“.242 Teile hiervon finden sich noch in §§ 1029, 1090 BGB, die den Inhaber einer Dienstbarkeit besitzrechtlich in deren Ausübung („Teilbeherrschung des Grundstücks im Dienstbarkeitsrahmen“) schützen.243 Da der Rechtsbesitz hauptsächlich der Abwehr eigenmächtiger Störungen dient (§ 339 ABGB), beschränkt sich der Begriff im österreichischen Recht zudem auf Güter, die überhaupt gestört werden können, was vornehmlich Rechte belässt, die mit der Innehabung oder dem Gebrauch einer körperlichen Sache in Verbindung stehen.244 Zudem müssen sie eine dauerhafte Ausübung gestatten, dürfen also nicht durch einmalige Ausübung erlöschen (Kontinuierlichkeit des Rechtes).245 Den Rechtsfolgen nach zielt § 339 ABGB246 auf die gerichtliche Wiederherstellung des früheren Besitzstandes,247 bemisst also die Verbotsrechte des Berechtigten am Schutzumfang des besessenen Rechts. Damit können auch schuldrechtliche Positionen gegen Dritte verteidigt werden, denn vom Rechtsbesitz erfasst werden wie
238 § 313 ABGB: „Der Gebrauch eines Rechtes wird gemacht, wenn jemand von einem Andern etwas als eine Schuldigkeit fordert, und dieser es ihm leistet; ferner, wenn jemand die einem Andern gehörige Sache mit dessen Gestattung zu seinem Nutzen anwendet; endlich, wenn auf fremdes Verboth ein Anderer das, was er sonst zu thun befugt wäre, unterläßt.“. 239 Rummel/Spielbüchler, § 313 Rn. 1 [Hervorh. im Original]; KBB/Eccher, 2005, § 313 Rn. 2 (bei „bejahenden Rechten“ muss die Leistung gefordert und erbracht werden, bei „verneinenden Rechten“ das vom Schutzbereich erfasste Verhalten geduldet oder erlaubtes Handeln unterlassen werden). 240 Siehe zum Begriff etwa § 226 BGB und die Fallgruppe der missbräuchlichen Rechtsausübung (§ 242 BGB). 241 Staudinger/Repgen (2019), § 226 Rn. 13. 242 Mot. III, 119 f. = Mugd. III, 66. 243 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 132 f. 244 Koziol/Welser, Bürgerliches Recht, Bd. I, 259; KBB/Eccher/Riss, § 312 Rn. 1; zweifelnd und weitergehend Rummel/Spielbüchler, § 311 Rn. 3 (auch Urheberrecht). 245 Vgl. Randa, Besitz nach österreichischem Rechte, 627 f.; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht, Bd. I, 259. 246 § 339 ABGB: „Der Besitz mag von was immer für einer Beschaffenheit seyn, so ist niemand befugt, denselben eigenmächtig zu stören. Der Gestörte hat das Recht, die Untersagung des Eingriffes, und den Ersatz des erweislichen Schadens gerichtlich zu fordern.“ 247 Rummel/Spielbüchler, § 339 Rn. 8.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
gesagt auch obligatorische Rechte und nach § 339 ABGB ist „niemand befugt“, den Besitz zu stören. Beispiel: Der im Rahmen eines Beförderungsvertrags gemietete Sitzplatz, also ein vertragliches Nutzungsrecht, kann kraft Rechtsbesitzes unmittelbar gegenüber Dritten beansprucht werden.248
Wie gesagt steht dem Besitzer in erster Linie gerichtliche Hilfe zu Gebote. Auch der Besitz aus Mietverträgen ist Rechts- und nicht Sachbesitz, da Letzterer den Willen erfordern würde, die Sache „als das seinige zu behalten“ (§ 309 S. 2 ABGB).249 Entsprechend hat auch der Mieter einer Wohnung oder eines Autos nur Rechtsbesitz, der gegenüber dem Sachbesitz des Vermieters abzugrenzen ist.250 Wie dort besteht aber auch beim Rechtsbesitz die Möglichkeit der Besitzwehr und Besitzkehr nach § 344 ABGB. Einen dogmatisch grundsätzlich anderen Rechtsbesitz als das BGB kennt das ABGB damit nicht,251 insbesondere keinen besitzartigen Schutz von Rechten als solchen. Auch Bruns zufolge kannten weder das deutsche noch das römische und kanonische Recht „einen eigentlichen reinen Besitz der Rechte“ – Sach- und Rechtsbesitz waren stets „objectiv dinglich verbunden“; rein possessorischen Schutz für Rechtsbesitz gab es nicht.252 Dieser Rechtsbesitz weist im Ergebnis Parallelen zum deutschen Rechtsbesitz in §§ 1029, 1090 BGB auf, greift aber eben für eine größere Breite an Rechten.
III. Rechtsbesitz in der Darstellung Pawlowskis Ein Ansatz, den Rechtsbesitz für das Immaterialgüterrecht253 fruchtbar zu machen, stammt von Pawlowski, der anstelle der tatsächlichen Gewalt den Tatbestand des Eigenbesitzwillens in den Mittelpunkt des Besitzschutzes stellen will. Die an den Eigenbesitz geknüpften Rechtsfolgen brauchten „nicht notwendig mit dem Besitz (als tatsächlicher Gewalt) verbunden zu sein“. Dem daher seines Erachtens zu engen Ausgangspunkt des BGB zieht er einen Besitzbegriff eines Teils der Lehre aus dem 19. Jahrhundert vor, demnach Besitz „als tatsächliches Ausüben eines Rechtes“ zu verstehen sei.254 Dabei handelt es sich um genau das im vorigen Punkt 248
152.
Vgl. das Beispiel bei Barta, Zivilrecht – Grundriss und Einführung in das Rechtsdenken,
249 KBB/Eccher/Riss,
§ 309 Rn. 2. Barta, Zivilrecht – Grundriss und Einführung in das Rechtsdenken, 152 f. 251 Auch Randa stellt fest, dass „der Ausdruck ‚Rechtsbesitz‘ kein passender“ und das Recht eben nicht „in gleicher Weise ‚Gegenstand‘ des Rechtsbesitzes wäre, wie die Sache Objekt des Sachbesitzes“, Randa, Besitz nach österreichischem Rechte, 637 f. (dort Fn. 25a). 252 Bruns, Recht des Besitzes, 338. 253 Der Begriff „Immaterialgüterrecht“ wird von Pawlowski in sehr engem Sinne gebraucht, er untersucht nur das Markenrecht und das Recht am Gewerbetrieb, Pawlowski, Rechtsbesitz, 73 ff. 254 Pawlowski, Rechtsbesitz, 8; kritisch hierzu Jänich, Geistiges Eigentum, 221 (gravierende begriffliche Zweifel/stark modifizierter Besitzbegriff). 250
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gezeigte Verständnis von Rechtsbesitz, das § 311 ABGB zugrunde liegt,255 mithin gelangt Pawlowski zum „Gegensatz von Rechtsbesitz als Rechtsausübung und Rechtsbesitz mit dem Objekt eines Rechtes“.256 Dieser Gegensatz wird bei Lenz weiter vertieft. Der Besitz in Form tatsächlicher, körperlicher Sachherrschaft ist dem Recht vorgegeben. Er selbst ist nicht juristisch formbar, wohl aber seine rechtliche Anerkennung.257 Daher kann die Ausübung des Rechts an der Sache mehr oder weniger eng an deren körperlichen Besitz gebunden werden. Mithin können als Besitz im Rechtssinne sowohl bestimmte Formen der Rechtsausübung wie alternativ die Sachherrschaft angesehen werden. Lenz spricht sich für ein Verständnis des Besitzes als „Ausübung von Rechten“ aus.258
IV. Ergebnis Vertreten werden letztlich zwei Arten von Rechtsbesitz, die aber einige Gemeinsamkeit aufweisen. Es handelt sich um eine fortschreitende Entwicklung vom Sachbesitz hin zum Schutz dinglicher Rechte (oben I.). Dieser wurde im ABGB – zulasten des Sachbesitzbegriffs (s. § 309 ABGB) – auch auf obligatorische Rechte ausgedehnt. Hierzu finden sich im deutschen Recht Parallelen in den auf Dienstbarkeiten beschränkten §§ 1029, 1090 BGB (oben II.).259 Keine der Lehren zum Rechtsbesitz vertritt einen dem Sachbesitz konstruktiv vergleichbaren Schutz. Ein solches Verständnis des Rechtsbesitzes müsste nämlich an der Inhaberschaft/Rechtszuständigkeit des Rechts260 ansetzen und diese schützen, besessen würde das Recht als solches. Die auf den ersten Blick in diese Richtung gehenden Ansätze (oben II.) scheinen in die soeben dargelegten Ansätze im ABGB zu münden.
D. Der Besitz unkörperlicher Gegenstände Für unkörperliche Gegenstände stellen sich nun zwei Fragen. Bei Beiden ist zu beachten, dass ein dem Sachbesitz entsprechender Besitz an unkörperlichen Gegenständen wie Geisteswerken oder virtuellen Gegenständen gegenwärtig nicht anerkannt ist,261 es auf diese Anerkennung hier aber nicht ankommt. Die Fragen gelten nämlich nicht der Geltung, sondern der Konstruktion wie der Begründbarkeit des Besitzschutzes bei unkörperlichen Gegenständen: 255 Pawlowski verweist unter anderem auf die oben zitierten Äußerungen des Gesetzgebers, siehe oben Fn. 233. 256 Pawlowski, Der Rechtsbesitz, 8 f., dort auch Fn. 34. 257 Lenz, ArchBürgR 33 (1909), 345 (389 ff.). 258 Lenz, ArchBürgR 33 (1909), 345 (394 f.). 259 Vgl. auch Barta, Zivilrecht – Grundriss und Einführung in das Rechtsdenken, 153. 260 Siehe dazu unten § 12 A. IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit). 261 Siehe etwa MüKoBGB/Schäfer, § 854 Rn. 20; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 5 (24) (kein Besitz an Geisteswerken).
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
1) Wie könnte eine tatsächliche Herrschaft über unkörperliche Gegenstände aussehen? 2) Sprechen die gezeigten Besitzfunktionen und Begründungsansätze für einen Besitzschutz unkörperlicher Gegenstände?
I. Lehren zur Herrschaft im Immaterialgüterrecht Zunächst ist ein Blick auf die bisherigen Lehren zur Herrschaft über Immaterialgüter zu werfen. Dazu zählen zum einen mögliche spezialgesetzliche Regelungen eines Besitzschutzes für Immaterialgüter und zum anderen Lehren rund um die Werkherrschaft im Urheberrecht.
1. Spezialgesetzlicher „Besitzschutz“ Vereinzelt vorgeschlagen wird eine dem Sachenrecht entsprechende Zweiteilung des Besitzes des Immaterialguts und des Rechts am Immaterialgut.262 Mit dem Besitz des Immaterialguts ist kein Rechtsbesitz gemeint, sondern die Frage angesprochen, ob für die gesetzlich geschützten Immaterialgüter ein dem Besitzschutz ähnliches Konstrukt greifen sollte.263 Ein gesetzlich verankertes Beispiel ist der „Erfindungsbesitz“ in § 8 PatG als die rechtmäßige Innehabung der eine Erfindung ausmachenden Informationen, d. h. „eine für das Nacharbeiten ausreichende Kenntnis der später patentierten technischen Lehre“.264 Tatsächlich handelt es sich um einen Anspruch des Erfinders auf Patentvindikation. Der Berechtigte kann vom Nichtberechtigten „Erfindungsbesitzer“, also demjenigen, der widerrechtlich seine Kenntnis der Lehre zu einer Anmeldung auf sich selbst nutzt, die Abtretung des Anspruchs auf das Patent bzw. des Patents verlangen. Dies hat nichts mit Besitz, geschweige denn Besitzschutz zu tun. Es sagt auch nichts über die Frage tatsächlicher Herrschaft über unkörperliche Gegenstände aus. Auch im Geschäftsgeheimnisrecht könnte man auf die Idee einer besitzartigen Herrschaft kommen. Dort steht immerhin die Geheimhaltung einer Information im Mittelpunkt (§ 2 Nr. 1 GeschGehG) und die Schutzrechte sind auf den Schutz bzw. das Abstellen und die Kompensation von Verletzungen dieser Geheimsphäre gerichtet. Allerdings gewährt auch das Geschäftsgeheimnisrecht keine besitzartigen Rechte. Allenfalls § 7 Nr. 1 GeschGehG, der auf „Herausgabe der im Besitz oder Eigentum des Rechtsverletzers stehenden“ verletzenden Materialien gerichtet ist, erinnert vage an Besitzschutz, reiht sich aber tatsächlich eher in die negatorischen Ansprüche265 ein.
262
Schramm, Grundlagenforschung, 53 f. Schramm, Grundlagenforschung, 56 ff. 264 Ann, Patentrecht, § 34 Rn. 43; BGH GRUR 1960, 546 – Bierhahn („wenn der Erfindungsgedanke […] subjektiv erkannt und die Erfindung damit objektiv fertig ist“); BeckOK PatG/ Schnekenbühl, § 8 Rn. 14. 265 Vgl. unten § 14 E. Abgleich mit den Immaterialgüterrechten. 263
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2. Werkherrschaft im Urheberrecht Im Urheberrecht ist gelegentlich von der Werkherrschaft des Urhebers die Rede. Teils wird ausdrücklich vertreten, dass die „umfassende rechtliche Herrschaft des Urhebers über sein Werk derjenigen des Sacheigentümers über die ihm gehörende Sache entspricht“.266 In der wohl herrschenden Vorstellung ist die Werkherrschaft aber etwas anderes als die physische Herrschaft des Sacheigentümers. Hirsch, der den Begriff prägte, gebrauchte ihn sehr restriktiv und eher als Platzhalter für die von ihm vorgeschlagene Rechtsstellung des Urhebers.267 Das Urheberrecht ist Hirsch zufolge nämlich kein subjektives Recht, sondern eine objektivrechtliche Rechtsposition, aus der eine nicht abgeschlossene Zahl subjektiver Rechte – vor allem abhängig von den aktuellen wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten – fließt.268 Die als Urheberbzw. Patentrecht bezeichnete Rechtsstellung sei „nicht selbst ein subjektives Recht oder eine Summe von solchen, sondern die Quelle subjektiver Rechte und Befugnisse“.269
Anstelle der Bezeichnung als Urheberschaft oder Eigentum schlägt Hirsch dann den Begriff der „Werkherrschaft“ vor: „Diese Bezeichnung versucht deutlich zu machen, daß die rechtliche Position, in der sich der Urheber durch die Schaffung und (oder) Veröffentlichung seines Werkes kraft Gesetzes befindet, ein Herrschaftsverhältnis ist, das einerseits dem Schöpfer gewisse verkehrsfähige Rechte und Befugnisse hinsichtlich der Verwertung und Nutzung des Werkes verleiht, andererseits aber auch die unlösbare Verbindung zwischen Werk und Urheber und die hierdurch bedingte untrennbare Mischung von vermögensrechtlichen und persönlichkeitsrechtlichen Elementen zur Folge hat.“270
E. Ulmer hat hiergegen eingewandt, dass der Begriff der Werkherrschaft letztlich nicht mehr sage, als dass das Urheberrecht im Einklang mit der Kohler’schen Lehre eine Herrschaft über das Werk als Immaterialgut ist.271 Begrifflich stimmt das, allerdings geht es Hirsch bei der Einführung des neuen Begriffs darum, sein Verständnis des Urheberrechts gegen andere Lehren abzugrenzen; der Begriff soll vor allem eine Verwechslung verhindern. Vorliegend ist wichtiger, dass Hirschs Ausführungen keinen besonderen Akzent auf die Beherrschbarkeit von Immaterialgütern legen. Letztlich ebenfalls begrifflich motiviert ist der Ausdruck „Werkherrschaft“ bei Rehbinder, dem er (letztlich wie Hirsch) dazu dient, den Begriff des geistigen Ei266 Loewenheim/Nordemann-Schiffel,
Handbuch des Urheberrechts, § 4 Rn. 16. Hirsch, UFITA 36 (1962), 19 (50). 268 Hirsch, UFITA 36 (1962), 19 (47 ff., 52); dazu kritisch Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 115. 269 Hirsch, UFITA 36 (1962), 19 (47). 270 Hirsch, UFITA 36 (1962), 19 (54). 271 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 115. 267
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
gentums zu vermeiden.272 Er versteht unter der „Werkherrschaft“ die Zuordnung des Werkes zum Urheber als das „Seine“: „Wie das Sacheigentum (§ 903 BGB) verleiht das Urheberrecht ein umfassendes Herrschaftsrecht“.273 Hierbei geht es ihm zum einen um die Abgrenzung zum früheren Privilegienwesen, demgegenüber das Werk dem Urheber heutzutage als das Seine zugeordnet wird. Zum anderen geht es ihm darum, dass der Urheber – anders als der Sacheigentümer – kraft persönlichkeitsrechtlicher Prägung eine besonders starke Herrschaft erhält, die insbesondere den endgültigen Rechtsverlust verhindert.274 Wie wohl auch bei Rehbinder ist bei anderen Autoren der Kern der Werkherrschaft die Bestimmungshoheit des Urhebers über den Umgang mit seinem Werk.275 Und auch nach Ausführen des Reichsgerichts beruht das Urheberrecht „auf dem Grundgedanken, daß jeder die Herrschaft besitzt, über die Gestaltung seiner wissenschaftlichen oder künstlerischen Gedankenthätigkeit und allein darüber zu bestimmen hat, ob, wie und wann sie zur öffentlichen Kundgebung gelangen sollen.“276
Von der Beherrschung eines Stückes Materie werden also erhebliche Abstriche gemacht.277 Auch der Blick auf etwas anderes gelagerte Literaturmeinungen führt in keine andere Richtung: Forkel arbeitet eine Auffassung heraus, nach der „unmittelbare Herrschaft eine nicht durch eine Sonderverbindung zu einer individuellen Person vermittelte, vom Bestand einer solchen und von fremdem Willen unabhängige Herrschaft“ ist.278 Seine Anwendung dieser Auffassung von unabhängiger Herrschaft auf die Lizenz als abgespaltenes Recht läuft aber letztlich auf die Rechtszuständigkeit/Rechtsinhaberschaft als Herrschaft hinaus (sein eigentliches Augenmerk gilt der Unabhängigkeit und weniger der Frage, was Herrschaft ist): der Lizenznehmer erlange einen Anteil an der Herrschaft, die zuvor der Verfügende hatte.279 Bosse wiederum widmet der „Autorschaft als Werkherrschaft“ eine eigene Monographie. Hierbei handelt es sich allerdings um eine Arbeit zur Geschichte der Entstehung des Urheberrechts, um den Herrschaftsbegriff geht es nur insofern, als der Autor das vermögenswirksame Recht erhalten habe, über die teils industrielle „Ko-Produktion von Autor und Verleger“ Aufsicht zu führen.280 272
Rehbinder, Urheberrecht, Rn. 97 f.; Jänich, Geistiges Eigentum, 132 f. Rehbinder, Urheberrecht, Rn. 97 f. 274 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 18 ff.; siehe auch McGuire, Die Lizenz, 547. 275 Wandtke/Bullinger/Bullinger, UrhG, § 24 Rn. 1; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 5 (vermittelt werde die Werkherrschaft durch die Ausschließlichkeitsrechte der §§ 15 ff. UrhG). 276 RGSt 2, 246 (249). 277 Siehe auch Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 25 („Zuordnung eines Geisteswerkes zu seinem Schöpfer“, der Begriff Werkherrschaft drohe, das Herrschaftsobjekt gegenüber seinem Schöpfer zu stark zu verselbständigen). 278 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 77 f. 279 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 78. 280 Bosse, Autorschaft ist Werkherrschaft, 141. 273
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Dass die Herrschaftsvorstellung in den anderen anerkannten Immaterialgüterrechten nicht relevant ausgeprägter als im Urheberrecht sein kann, liegt auf der Hand, da der Urheber wie gesagt aufgrund der persönlichkeitsrechtlichen Prägung eine besonders umfangreiche Bestimmungsgewalt über das Werk genießt.281 Damit zeigt die Herrschaft über einen immateriellen Gegenstand in der gängigen Dogmatik eher Ähnlichkeit mit dem Begriff der Rechtszuständigkeit und/ oder steht für bestimmte Qualitäten des Herrschaftsrechts, die eine besonders starke Beziehung zum Gegenstand vermitteln. Es handelt sich also um Herrschaft i. S. e. verliehenen Rechtsmacht, nicht kraft zugestandener, physischer Gewalt. Diese Rechtsherrschaft zeigte sich in etwas anderer Ausprägung beim Rechtsbesitz, der zur Durchsetzung von Rechtsinhalten mit besitzrechtlichen Mitteln ermächtigt.282
II. Bestimmungsgewalt über körperliche und unkörperliche Gegenstände Nach den dargestellten Meinungen müsste eine unmittelbare natürliche, mithin physische Gewalt – nach Kant also der Besitz in seiner sinnlichen Bedeutung als physischer Besitz283 – über unkörperliche Gegenstände eigentlich ausscheiden. Kohlers Ausführungen zum „Patentgut“ lassen sich insoweit verallgemeinern: „Das Patentgut berührt also Zeit und Raum, es berührt sie aber nicht als etwas körperliches, sondern nur als etwas in der Welt der Erscheinung wirkendes. Daraus geht hervor: einen Besitz im Sinne einer Beziehung des Rechtssubjects zur Körperwelt und zu einem der Körperwelt angehörigen Gut gibt es hier nicht. Man möchte allerdings gewisse Erscheinungen, die aus der Verknüpfung zwischen einer Person und der Idee oder ihrer Ausübung hervorgehen, als Besitz zusammenfassen. Dies wäre aber gegen jede juristische Methode und würde zu verfehlten Konstruktionen führen.“284
Im Folgenden soll aber ein anderes, eigenes Verständnis von Herrschaft über Immaterialgüter vorgeschlagen werden.
1. Bestimmungsgewalt als Herrschaft Oben wurde festgestellt, dass die sachenrechtliche, tatsächliche Herrschaft in erster Linie von der Bestimmungsgewalt abhängt, die ihrerseits von der Rechtslage und dem Willen der Beteiligten beeinflusst wird.285 Der Begriff der Bestimmungsgewalt ist im Sachenrecht insbesondere für den mittelbaren Besitz und die Besitz281 Dieser persönlichkeitsrechtliche Aspekt zeigt sich neben den §§ 12–14 UrhG in Punkten wie z. B. der Anpassung des Rechtsschutzes an neue Nutzungsarten (§ 15 Abs. 1, 2 [„insbesondere“-Aufzählung], § 31a UrhG), die Sicherung einer angemessenen Vergütung (§§ 11 S. 2; 32 ff., 36 ff. UrhG), dem Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung (§ 42 UrhG) oder der Unveräußerlichkeit (§ 29 Abs. 1 UrhG). 282 Siehe oben C. II. Rechtsbesitz als Innehabung eines Rechts. 283 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, VI AA, 245. 284 J. Kohler, Handbuch des dt. Patentrechts, § 25 (70). 285 Siehe oben B. VI. 3. Folgerungen.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
dienerschaft relevant. Dabei gibt es allerdings in letzter Instanz immer eine Rückbindung an die Körperlichkeit der Sache.286
a) Infrastruktur und unkörperliche Gegenstände Identifiziert man Besitz mit Bestimmungsgewalt, könnte auch ein Besitz unkörperlicher Gegenstände Sinn ergeben, dort fehlt nur die Rückbindung an die Körperlichkeit in letzter Instanz. An die Stelle der Ausübung physischer Gewalt als letzter Besitzinstanz treten für einige Güter aber technische (d. h. nicht zwingend materiell-rechtlich legitimierte) Zugangs- oder Zugriffsmöglichkeiten, also z. B. die Innehabung von Nutzeraccounts oder eines Krypto-Wallets. Dadurch wird die Bestimmungsgewalt hier zur faktischen Macht, die über die des Sachenrechts noch hinausgehen kann: Im Sachenrecht entscheidet die Bestimmungsgewalt über die Anwendung körperlicher Gewalt auf Sachen. Bei unkörperlichen Gütern ist die Verbindung zwischen Bestimmungsgewalt und Gegenstand durch besagte technische Zugriffsmöglichkeiten oft unmittelbarer, d. h. sicherer und schneller. Sie erlauben den direkten Zugriff auf informationelle Güter wie etwa verschlüsselte Datenspeicher, Cloud-Accounts (bzw. die darin enthaltenen Daten), Domaineinträge oder das Intranet einer Organisation. Einige der genannten Techniken dienen dabei einem breiten und alten Ansatz der Bestimmungsgewalt: der Geheimhaltung, also der Beschränkung des Zugangs zu Informationen. Die Geheimhaltung setzte schon früh auf technische (und organisatorische) Mittel wie Tresore, Schlüssel oder Überwachungsmaßnahmen. Auch die dem Sachbesitz eigene, auf körperliche Innehabung zielende Bestimmungsgewalt (z. B. mit Hilfe eines Besitzmittlers oder Besitzdieners) gibt es in letzter Konsequenz immer auch für unkörperliche Gegenstände, allerdings mit deutlich weniger differenzierten und damit weniger nützlichen Handlungsmöglichkeiten. Gemeint ist die Bestimmungsgewalt über IT-Infrastruktur (Computer, Server/Serverfarmen, Festplatten etc.). Beispiel: Der Besitzer eines PCs beherrscht zunächst einmal die darauf gespeicherten Daten durch seine Herrschaft über dessen Festplatte (als Informationsträger) durch körperliche Innehabung. Ungleich relevanter sind aber seine anderen Zugriffsmöglichkeiten, etwa wenn er Cloudspeicher nutzt oder er seine Dateien auf einem verschlüsselten Abschnitt im Intranet seines Arbeitgebers abgelegt hat.
Die beiden Varianten von Herrschaft – die Bestimmungsgewalt über Infrastruktur einerseits und über die damit vermittelten unkörperlichen Gegenstände andererseits – überlagern sich daher. Sie liegen häufig in unterschiedlichen Händen, z. B. hat der Cloud-Anbieter die physische Bestimmungsgewalt über die IT-Infrastruktur und der Nutzer eine gewisse Bestimmungsgewalt über seinen darauf befindlichen Cloud-Account (insbesondere bei Zero-Knowledge-Verschlüsselungen 287). 286 So wohl auch Lenz, der von einer „dinglichen Radizierung des Rechtes“ spricht, Lenz, ArchBürgR 33 (1909), 345 (391). 287 Diese belassen den Schlüssel auf dem Endgerät des Nutzers, so dass der Anbieter keine
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Die entscheidende Frage lautet, ob tatsächlich neben der unstrittigen Herrschaft des Anbieters über die Infrastruktur eine separate Herrschaft des Nutzers über die darauf gespeicherten unkörperlichen Güter anzunehmen ist. Dagegensprechen könnte vor allem, dass die körperliche Kontrolle (die die Möglichkeit des Löschens oder Abschaltens der Infrastruktur umfasst) allein beim Anbieter liegt. Damit beschränkt sich die Problematik auf die aus dem Sachbesitz bekannte Frage, inwieweit das sozial, rechtlich und wirtschaftlich gebotene und wahrscheinliche Verhalten anderer in die Bewertung von Herrschaft einfließen soll. Insofern ist die Situation des Nutzers mit der des Sachbesitzherrn oder auch des mittelbaren Besitzers m. E. vergleichbar. Rechnete man ernsthaft und nicht bloß theoretisch damit, dass sich Vertragspartner und andere Beteiligte regelmäßig kriminell verhalten, unterminierte dies nicht nur die hier vertretene Herrschaft des Nutzers über seine Accounts, sondern zugleich zahlreiche Fälle des Sachbesitzes. Beispiel: Es macht keinen Unterschied, ob der Fabrikbesitzer das Verladen von Waren auf den LKW anordnet, der Domaininhaber die Umkonnektierung seiner Domain veranlasst, der Nutzer eines Cloud-Accounts seine Daten zu einem anderen Anbieter transferiert oder der Inhaber von Bitcoins diese als Zahlung an einen anderen überträgt. In all diesen Fällen ist die Bestimmungsgewalt über Gegenstände (Sachen, Domains, Daten) maßgeblich für physische Veränderungen in der Welt, die über personelle oder technische Hilfen vermittelt wird.
Es kommt in den Beispielen nicht auf die physischen Einflussnahmemöglichkeiten des Handelnden an, sondern darauf, dass er die organisatorisch-technische Gewalt hat. Allein sein Wille bestimmt über das Geschehen, selbst wenn darin Rechtsverstöße liegen. Notwendige, aber auch hinreichende Bedingung für die Herrschaft über unkörperliche Güter ist, dass deren unmittelbar-faktisches Schicksal der Bestimmung des Betroffenen unterworfen ist. Dies schließt insbesondere ein, dass das Können das Sollen übersteigt. Hierin liegt die Parallele zu der für das Sacheigentum aufgezeigten Zuweisungslücke,288 was wiederum einen Vergleich zum Sachbesitz rechtfertigt. Beispiel: Der Fabrikbesitzer kann auch als unberechtigter Besitzer und unter Verstoß gegen Ausfuhrbestimmungen Waren verladen lassen, der Domaininhaber kann die namenrechtsverletzende Domain in verbotener Weise konnektieren, der Nutzer eines fremden CloudAccounts mit erschlichenem Passwort kann fremde Daten ausspähen, kopieren und löschen, der Inhaber von Bitcoins kann diese für Drogen- und Waffenkäufe nutzen.
Entscheidend ist, dass sich die faktischen Handlungsmöglichkeiten des betreffenden Handelnden durch seine Position als Herrscher vergrößern, indem er autark über das Schicksal der Güter entscheiden kann. Möglichkeit hat, an die Daten des Nutzers zu gelangen, ohne diesen auszuspionieren (etwa durch Key-Logger, Trojaner oder dergleichen). Hintergrund sind Zero-Knowledge-Protokolle, die es dem Anbieter ermöglichen, Nutzer anhand ihres Passworts zu identifizieren, ohne dabei das Passwort zu erfahren, siehe etwa Wätjen, Kryptographie, 215 ff.; https://tresorit.com/blog/de/ zero-knowledge-verschlusselung. 288 Siehe oben § 8 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Genau wie mit Sachen kann mit unkörperlichen Gütern rein faktisch und ungeachtet der Rechtslage verfahren werden. Dieses „verfahren können“ ist dieselbe Art von Können wie es aus dem sachenrechtlichen Besitz bekannt ist, sofern man diesen auf Vorgänge ausdehnt, die jenseits eigener körperlicher Einflussnahme des Besitzers liegen. Beispiele hierfür sind neben dem eben genannten Fabrikbesitzer, der das Verladen von Waren anordnet, alle Sachen, die mit Hilfe von anderen Personen besessen werden (Grundstücke, Häuser, Schiffe, Flugzeuge, Industrieanlagen etc.). Fraglich ist, ob es hier einer Einschränkung bedarf. Zech stellt bei der Abgrenzung der Befugnisse aus dem Sacheigentum auf die Rivalität von Nutzungen ab. Möglicherweise beschränkt sich der Gleichlauf der Herrschaft des Sachbesitzers und desjenigen, der die organisatorisch-technische Gewalt über unkörperliche Güter hat, auf rivale Nutzungen. Die Antwort ergibt sich m. E. schon daraus, dass rein faktische Bestimmungsgewalt notwendig rivale Handlungen bezeichnet, nämlich Handlungen, die das Gut als Solches beeinflussen und damit die Nutzung durch andere beeinträchtigen. Diese können aber mittelbar über nicht-rivale Nutzungen bestimmen. Beispiel: Eine Hauseigentümerin kann von einem Unternehmen einen Sichtschutz an den Grenzen ihres Grundstücks errichten lassen. Dadurch werden Fotografien von der Straße aus verhindert. Die Bestimmungsgewalt richtet sich unmittelbar auf eine rivale Nutzung des Grundstücks (Errichtung des Zauns) und unterbindet so mittelbar eine nicht-rivale Nutzung (Fotografien).
Die hier bezeichnete Herrschaft über unkörperliche Gegenstände stellt auf die Bestimmung über rivale Handlungen ab, wie z. B. rivale Handlungen, die in einem Cloud-Storage-Account durchgeführt werden können, also das Löschen, Verschieben oder Verändern von Dateien. Hierdurch werden nicht-rivale Nutzungen, wie z. B. das Öffnen oder der Download der unveränderten Dateien, beeinflusst. Diese Bestimmungsgewalt über unkörperliche Güter kann – wie bei Sachen – von der materiellen Berechtigung entkoppelt sein. Beispiel: Der Piratenkapitän eines gekaperten Schiffes hat dank seiner (Piraten)mannschaft über das Schiff dieselbe Sachgewalt, die auch die legitime Besatzung hatte. Genauso kann jemand, der sich Passwörter zu fremden Facebook-Accounts, Cloud-Accounts oder Festplatten erschlichen hat, dort handeln.
b) Technikabhängige Güter Angesichts der vorigen Ausführungen und der Unterscheidung von Ideal- und Realgütern ist nun näher zu differenzieren, welche unkörperlichen Güter in welcher Weise beherrschbar sind. Idealgüter sind naturwissenschaftlich nicht fassbar.289 Dies hat zu der Vorstellung geführt, sie seien sachenrechtlichen Anlehnungen gänzlich entzogen, da 289 Siehe oben § 5 A. Definitionen für Immaterialgüter; D. III. Idealgüter und Informationen im Immaterialgüterrecht.
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sie nicht beherrschbar sind. Richtig ist, dass sich die Herrschaft bei Idealgütern nicht auf die Güter selbst, sondern auf ihre fassbaren Repräsentationen, auf Informationen erstreckt. Es geht um die oben beschriebene Abhängigkeit von Informationen von einem Informationsträger: Information existiert immer und nur als Struktur!290 Je nach Beherrschbarkeit der Struktur sind Informationen technisch und körperlich beherrschbar. Kaum kontrollierbar erschien z. B. eine Zeit lang die Verbreitung illegaler Vervielfältigungen über das Internet, besser hingegen die Konnektierung von Top-Level-Domains. Entscheidend ist, dass die Immaterialgüterrechte für sich beanspruchen, dem Berechtigten die Herrschaft einzuräumen. Um die Beherrschbarkeit bestimmter Güter auszudrücken, wird hier der Begriff technikabhängiger Güter vorgeschlagen. Technikabhängige Güter sind Güter, die durch, zumindest aber in Abhängigkeit von Technik existieren. Körperliche Gegenstände sind zwar sämtlich technikabhängig, da sie den Naturgesetzen unterliegen. Dies allein erlaubt aber mit Blick auf die Beherrschung von darauf/darin gespeicherten Informationen keine besonders differenzierten Handlungsmöglichkeiten. Praktische Bedeutung kommt dem Begriff erst in einem engeren Sinne zu. Technikabhängigkeit steht vorliegend dafür, dass Gegenstände von der Existenz und/oder Funktion einer außerhalb von ihnen liegenden Technik abhängig sind und derselben Kontrolle unterliegen, der auch die Technik unterliegt. Kontrolle über die Technik heißt Kontrolle über das Gut. Beispiel: Die Daten auf einer Festplatte bedürfen einer funktionierenden Festplatte. Sie können nicht unabhängig von der Festplatte kontrolliert oder gar genutzt werden. Vergleichbares gilt für Bücher, nur ist die Erkenntnis, dass die Sätze in einem Tagebuch nicht unabhängig vom Buch physikalisch beherrscht werden können, banal. Dennoch werden Daten als separater Gegenstand wahrgenommen, die gedruckten Sätze nicht. Denn es ist nicht nur leichter und schneller möglich, eine Kopie der Daten der Festplatte als der des Buches anzufertigen. Die Daten einer Festplatte sind technisch weitaus differenzierter beherrschbar als die eines Buches. Sie können z. B. verändert, vervielfältigt, partiell gelöscht, analysiert werden.
Die Gebundenheit von Informationen an Struktur, die bei Büchern selbstverständlich und offensichtlich ist, ist also auch bei allen unkörperlichen Gegenständen selbstverständlich – nur nicht offensichtlich. Kryptowährungen, Domains, virtuelle Spielfiguren, Daten etc. sind nichts anderes als Informationen auf Informationsträgern. Technikabhängigkeit steht für ihre Gebundenheit an Informationsträger und dafür, dass der, der den Informationsträger beherrscht auch den unkörperlichen Gegenstand beherrscht. Anders als „Informationsträger“ drückt der Begriff „Technik“ nämlich aus, dass die Informationen nur vermittels weiterer Einrichtungen wie Computer, Software, Datennetze etc. genutzt werden können. 290
Siehe oben § 5 C. IV. Die Existenzweise von Information.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Hieran knüpft der europäische Gesetzgeber in Form der ePrivacy-Regulierung an.291 Sie dient übergreifend der „Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation“ (ErwG 1 ePrivacyVO-E, COM[2017] 10). Praktisch betrifft dies unter anderem die Erosion der Sachherrschaft durch drahtlose Schnittstellen. Konnten Unterlagen, wie z. B. besagtes Tagebuch, früher durch physische Herrschaft geschützt werden, steht heute der Zugriff auf Endgerätespeicher (von Handys, Notebooks etc.) im Fokus, die Tagebücher und andere „Papier-Datenträger“ zunehmend ersetzen. Dieser Zugriff ist – neben anderen Sachverhalten, die unter anderem die Vertraulichkeit des Übertragungswegs betreffen – Gegenstand der ePrivacy-Regulierung. Sie bestimmt unter anderem, dass Endnutzer die technische Herrschaft haben sollen und daher Software entsprechende Einstellungsmöglichkeiten bieten muss, um „zu verhindern, dass Dritte Informationen in der Endeinrichtung eines Endnutzers speichern oder bereits in der Endeinrichtung gespeicherte Informationen verarbeiten“ (Art. 10 Abs. 1 ePrivacyVO-E [Kommission]).292 Positiv betrachtet erlaubt die Technikabhängigkeit eine starke Form der Herrschaft. Mit der Kontrolle über die Technik nimmt die Intensität, die Tiefe der Herrschaft zu. Auch dies ist der Herrschaft über Sachen verwandt. Beispiel: Ein Ring, den man am Finger trägt, lässt sich sicherer und umfänglicher beherrschen als der Wohnwagen, den man auf einem nahegelegenen Grundstück geparkt hat.
Unkörperliche technikabhängige Güter lassen sich in letzter Konsequenz immer als Informationen beschreiben.293 Als solche repräsentieren sie vielfach Idealgüter (z. B. Musik- und Filmdateien, Abbildungen von Markenzeichen, technische Umsetzungen von Erfindungen). Im Übrigen fallen sie den Realgütern zu. Das liegt daran, dass die „neuen Güter“ der vergangenen Jahrzehnte häufig Erzeugnisse der Digitalisierung und des Internets waren. Solche neu erschaffenen, wertvollen Realpositionen erlangen ihren Wert oft erst aufgrund ihrer Technikabhängigkeit (z. B. virtuelle Gegenstände in Online-Spielen, Krypto-Token, Internetdomains). In immer stärkerem Maße werden auch Sachen, also körperliche Gegenstände, zu technikabhängigen Gütern. Der digitale Fernzugriff erlaubt ein Ausmaß der Beherrschung, das ihn wertungsmäßig auf eine Stufe mit unmittelbaren körperlichen Beeinträchtigungen stellt.294 Dazu passt das hier vertretene Verständnis von Herrschaft als Bestimmungsgewalt. Kon291 RL 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation); RL 2009/136/EG zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG (sog. CookieRL); künftig soll die Regulierung durch eine ePrivacyVO erfolgen, siehe dazu den Kommissionsentwurf ePrivacyVO COM(2017) 10; den Vorschlag des Europäischen Parlaments, A8–0324/2017 v. 26.10.2021, abrufbar unter: https://tinyurl.com/3hsuybj2 (www.europarl.europa.eu), sowie die Presseerklärung und den Ratsentwurf unter https://tinyurl.com/k3clsg2b (www.consilium. europa.eu). 292 Siehe dort auch ErwG 23, 37 sowie Art. 10 passim. 293 Diese Beschreibung ist nur nicht immer hilfreich, z. B. sind Bitcoins so stark durch ihre technischen und wirtschaftlichen Funktionen bestimmt, dass ihre tiefere Natur eher Verwirrung stiftet. 294 Kuschel, AcP 220 (2020), 98 (116 f., 120).
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fligiert die körperliche Inhabung des Besitzers mit Fernzugriffsmöglichkeiten eines anderen (z. B. des Vermieters), könnte so die Frage aufkommen, in wessen Besitz die Sache überhaupt steht. Jedenfalls erscheint die Gewährung possessorischen Besitzschutzes gegen digitale Eingriffe angemessen.295 Nur könnte die technische Fremdherrschaft teilweise so dominant ausfallen, dass wirksame Selbsthilfemaßnahmen (§ 859 BGB) 296 rar sind.
Die Beherrschung von Gütern durch Technik setzt die Beherrschung der Technik voraus. An dieser Stelle setzt die Bestimmungsgewalt an: Wer Zugang zu einem Nutzeraccount hat, hat die Bestimmungsgewalt über diesen und kann darin/darunter befindliche Güter beherrschen, z. B. die Dateien in einem Cloud-Speicher oder das Geschehen in einer virtuellen Welt.297 Für viele Problemstellungen gibt es so etwas wie einen beherrschenden Account aber nicht. Wie bereits angedeutet wurde, hat dies zu Missverständnissen bei der Ubiquität und Beherrschbarkeit von Immaterialgütern geführt. Z. B. hat niemand die Bestimmungsgewalt über sämtliche im Internet befindliche illegale Vervielfältigungen des Films „Titanic“. Dennoch handelt es sich bei allen einzelnen Dateien, die den Film verkörpern um technikabhängige Güter. Es beherrscht nur keine Einzelperson sämtliche Dateien. Daher bedeutet Technikabhängigkeit nicht automatisch tatsächliche, sehr wohl aber theoretische Beherrschbarkeit. Wie sich diese zu Immaterialgüterrechten verhält, ist im nächsten Punkt darzulegen.
2. Recht und Bestimmungsgewalt Wie verhält sich die Bestimmungsgewalt im eben beschriebenen Sinne zum Begriff des Herrschaftsrechts? Wie gezeigt wurde, ist die Bestimmungsgewalt unabhängig von der materiellen Berechtigung, sie kann, wie bei Sachen, in unterschiedlichen, zufälligen Händen liegen. Es hängt wie im Besitzrecht von normativen und sozialen Faktoren ab, wer sie in einem bestimmten Zeitpunkt hat. Beispielsweise könnte ein Dritter den Zugang zu einem Dropbox-Account erlangt haben, den Berechtigten durch eine Passwortänderung aussperren und Dateien gegen dessen Willen verschieben oder löschen. Hier wird man den Dritten und nicht mehr den materiell Berechtigten als Inhaber der Bestimmungsgewalt verstehen. Diese Überlegungen erinnern stark an die Beurteilung von Besitzverhältnissen aus Verkehrssicht.
Der übliche Weg zur Bestimmungsgewalt ist der der materiellen Berechtigung: Bei vielen unkörperlichen Gegenständen folgt die materielle Berechtigung, über sie zu bestimmen, aus einem Vertrag, etwa bei Domains, Cloud-Storage, Home295 Kuschel, AcP 220 (2020), 98 (124) (dafür müsse allerdings „die Sache in ihrer bestimmungsgemäßen Funktion beeinträchtigt sein, zum anderen darf die Beeinträchtigung nicht allein darauf beruhen, dass eine Leistungshandlung unterbleibt“). 296 Kuschel, AcP 220 (2020), 98 (128) (dort These 7). 297 Siehe BeckOGK/Spindler (11/2020), § 823 Rn. 137 (für Besitzschutz über § 823 Abs. 1 BGB an Daten in einem Cloud-Account; die „funktionale Sachherrschaft und Befugnis zur Veränderung der Daten“ reiche aus).
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
pages oder Gegenständen in Online-Welten. Diese Berechtigung wirkt freilich nur relativ. Es ist daher allein am Leistungsschuldner, die vertragliche Berechtigung zu realisieren, also z. B. dem Nutzer den Zugang zu einem verschlüsselten Speicherkontingent exklusiv zur Verfügung zu stellen. Der Schuldner räumt die versprochene Bestimmungsgewalt ein – ähnlich wie der Vermieter dem Mieter die Gewalt über die Mietsache durch eine Übergabe oder dergleichen einräumt. Wie funktionieren nun Immaterialgüterrechte in dieser Hinsicht? Können sie unter dem Gesichtspunkt dieser weiten Herrschaftsauffassung als Herrschaftsrechte verstanden werden? – Das Sacheigentum wird Herrschaftsrecht genannt, weil es dem Eigentümer das Recht zur Herrschaft über die Sache einräumt.298 Es erzeugt die tatsächliche Herrschaft aber nicht direkt, sondern berechtigt nur dazu (s. insbesondere §§ 985, 1004; 858 ff. BGB). Bei immaterialgüterrechtlich geschützten Gütern berechtigen die Immaterialgüterrechte zur Bestimmungsgewalt. Wie oben gezeigt wurde, beziehen sich die gesetzlichen Immaterialgüterrechte auf Idealgüter,299 deren Repräsentationen eigentlicher Gegenstand der naturwissenschaftlich fassbaren Herrschaft sind. Im Vergleich zum Sacheigentum stehen hier die Chancen allerdings noch schlechter, die Herrschaft gesetzlich, d. h. durch ein realisierungsbedürftiges Recht zur Herrschaft zu erzeugen. Während Idealgüter definitionsgemäß nicht technikabhängig sind, sind ihre Repräsentationen nur teilweise technikabhängige Güter, wie z. B. der Content auf Netflix und anderen Portalen, die ihre Nutzungsbedingungen technisch durchsetzen.300 Auch Daten, die illegal per Torrents oder auf anderen Wegen verbreitet werden, sind technikabhängig. In solchen Fällen ist es nur schwierig, die Kontrolle über die betreffende Technik zu erlangen, also z. B. Zugriff auf den Server, auf dem rechtsverletzende Dateien liegen. Andere Repräsentationen wie z. B. physische Bilder, Bücher, Markenaufdrucke auf physischen Waren, sind nicht im engeren Sinne technikabhängig. Sie hängen in Existenz und Nutzung zwar von technikgeprägten Gegenständen wie z. B. einem Buch oder einer DVD ab, allerdings ist der technische Einfluss des Berechtigten geringer. Am stärksten ist er noch bei physisch-digitalen Informationsträgern wie CDs/DVDs oder USB-Sticks, wo DRM-Maßnahmen greifen können. Bei Büchern, physischen Kunstwerken oder bloßen menschlichen Handlungen (z. B. Choreografie, Schauspiel, Vorträgen) fehlt er ganz. Wie im vorigen Punkt gezeigt wurde, gibt es technikabhängige unkörperliche Güter, bei denen ein Regelgeber die Möglichkeit hätte, nicht nur das Recht zur Herrschaft zuzuweisen, sondern auch den nächsten Schritt zu gehen und die Bestimmungsgewalt auf tatsächlicher Ebene einzuräumen. Beispiele wären ein Domaingesetz oder ein Gesetz für eine Kryptowährung. Würden .deDomains oder eine Kryptowährung staatlich verwaltet, so könnte ein entsprechendes Im298
Siehe oben § 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens. Siehe oben § 5 D. IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte. 300 Dazu Becker, ZUM 2019, 636 (646). 299
§ 10 Besitz und Herrschaft343
materialgüterrecht nicht nur das mögliche Herrschaftsrecht über diese Güter zuweisen, sondern auch die Realisierung dieser Zuweisung erzwingen.
Die im Beispiel genannte staatliche Kryptowährung oder Internetdomains könnten durch die Rechtsordnung rechtlich und technisch (also tatsächlich) kontrolliert werden. Berechtigte erhielten dann neben dem Recht auch die staatlich vermittelte Bestimmungsgewalt über die Güter. Sachen sind also nicht am besten und erst recht nicht als einzige Güter zur Beherrschung geeignet.
III. Erweiterung faktischer Handlungsmöglichkeiten durch unkörperliche Gegenstände Neben der Beherrschung unkörperlicher Gegenstände, kann eine Parallele zur Beherrschung von Sachen auch auf der Ebene der Erweiterung faktischer Handlungsmöglichkeiten gezogen werden, die durch eine Sache erheblich vergrößert werden, etwa durch ein Fahrrad oder einen Revolver. Genauso kann er auch durch den Zugang zu einem Cloud-Account oder zur Verwaltung einer Domain, von Bitcoins oder virtuellen Gegenständen erweitert werden. Mit all diesen Gegenständen kann die Person „etwas machen“ sobald sie die Bestimmungsgewalt erhält. Sie hat mehr tatsächliche, d. h. nicht-rechtlich vermittelte Handlungsmöglichkeiten als sie ohne diesen Gegenstand hätte. Wer die Bestimmungsgewalt über unkörperliche Gegenstände erhält, kann mehr tun, als er ohne sie tun könnte. Die hinzugewonnenen Handlungsmöglichkeiten beziehen sich i. d. R. auf den unkörperlichen Bereich, was aber zum einen wirtschaftlich keinen Unterschied gegenüber körperlichen Handlungen bedeutet und zum anderen körperliche Auswirkungen haben kann. Beispiel: Der Zugang zur Verwaltung von Domains bietet großes Potential für praktisch hochwirksame Handlungen. So wurden bereits die Domains ebay.de301 und google.de302 „gekapert“, was den damit konnektierten Seiten erheblichen Besucherzuwachs und den materiell Berechtigten erhebliche Verluste bescherte. Leicht kann durch solche Maßnahmen der (körperliche) Warenumsatz eines Unternehmens massiv gesteigert oder geschädigt werden. Dass illegale Domainnutzungen gewöhnlich nur von kurzer Dauer sind, ist dabei eine rechtliche und keine tatsächliche Frage.
Mit der Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten durch unkörperliche Gegenstände korrespondieren die Möglichkeiten Dritter zum gewaltsamen Eingriff in die jeweils bestehende Herrschaft. Je mehr Macht in den unkörperlichen Bereich übertragen wird (z. B. Steuerung von kritischer Infrastruktur wie Bahnverkehr, Kraftwerke/Stromnetze) desto mehr kann missbraucht werden oder in falsche Hände geraten. Hier lassen sich z. B. Parallelen zum illoyalen Besitzdiener ziehen. Beispiel: Genauso wie der Besitzdiener die ihm anvertraute Sache plötzlich als die seine behandeln und veruntreuen kann, kann ein Mitarbeiter einen Admin-Zugang zu einem Cloud301
302
www.heise.de v. 30.8.2004, abrufbar unter: https://tinyurl.com/ya38nnv5. www.heise.de v. 23.01.2007, abrufbar unter: https://tinyurl.com/y7ev5ywd.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Account erhalten, im Zuge eines Sinneswandels den Auftraggeber hiervon aussperren und den Account samt der enthaltenen Daten für eigene Zwecke nutzen. Das eben genannte Beispiel der „Kaperung“ fremder Domains stellt sich aus Sicht des Berechtigten ebenfalls als gewaltsamer Eingriff in seine Herrschaft dar und ist vergleichbar mit dem Besitzentzug im Sachenrecht.
IV. Abgleich mit Funktionen des Besitzschutzes Auch Verletzungen der Bestimmungsgewalt erreichen bei unkörperlichen Gütern eine ähnliche Qualität wie im Sachenrecht. Für die wirtschaftliche Seite reicht schon der Hinweis auf ökonomisch motivierte Hackerangriffe, bei denen Bitcoins, virtuelle Gegenstände, Datensammlungen (z. B. Kundendaten und Passwörter) oder Domains entwendet („gekapert“) werden. Dogmatisch wichtiger ist, dass auch einige Funktionen des Sachbesitzschutzes303 passen könnten (der hier wie gesagt nicht besteht, es geht nur um die Vergleichbarkeit des Sachverhalts): Die Gefahr einer gewaltsamen Selbsthilfe per Faustrecht entspräche hier dem Selbstschutz gegen einen Hacker durch die Überwindung von dessen Sicherheitssperren oder gar durch körperliche Gewalt. Insofern kann ein Interesse der Rechtsordnung an der Verhinderung von Selbstjustiz (Friedensfunktion), insbesondere aber an der Kontinuität der Herrschaftslage (Kontinuitätsfunktion) konstatiert werden. Domains, Daten, Accounts etc. sollen nicht durch technische Tricks, sondern auf gerichtlichem Weg zurückgewonnen werden. Gelangen derlei Güter illegal in die falschen Hände, ist der von der Rechtsordnung vorgesehene Weg zur Abhilfe nicht die Beauftragung eines Hackers, der in das Netzwerk des Angreifers einbricht. Zu erinnern ist an den zitierten Hinweis auf den „Organisationswert des Besitzes“– auch unter besagter Bestimmungsgewalt stehende unkörperliche Güter können „Teil der Wirtschaft, der Lebenseinrichtung geworden“304 sein. Dies gilt umso mehr, wenn sie noch nicht verrechtlicht sind, also nur eine technisch-faktische Bestimmungsgewalt besteht, hinter der kein subjektives Recht steht. Bemerkenswert ist auch der dem bisherigen Inhaber der Bestimmungsgewalt aufgezwungene Herrschaftsverlust, der eine gewisse Nähe zur persönlichkeitsrechtlichen Funktion305 nahelegt. Beispiel: Dem bisherigen Inhaber/Nutzer der Domain, des Cloud-Accounts oder der Bitcoins sowie dem Urheber oder Lizenznehmer des Romans wird im selben Sinne seine Ohnmacht vor Augen geführt, wie dem Besitzer eines Fahrrads, das ihm von einem Dieb in seiner Abwesenheit entwendet wird.
In all den genannten Fällen erleidet der bisherige Inhaber einen aufgezwungenen Verlust an Bestimmungsgewalt. Als dogmatisch schiefes, praktisch aber wichtiges 303
Siehe oben B. II. Funktionen des Besitzschutzes. Heck, Grundriß des Sachenrechts, 13. 305 Siehe oben B. II. 1. Persönlichkeitsschutz. 304
§ 10 Besitz und Herrschaft345
Argument tritt hinzu, dass der Einbruch in fremde Accounts häufig mit erheblichen Persönlichkeitsverletzungen einhergeht. Die Technikabhängigkeit von Gütern ermöglicht auch einen der traditio ähnelnden Akt des Herrschaftswechsels. Z. B. übererfüllt die Übertragung eines Bitcoins die Anforderungen, die aus den Funktionen der traditio folgen:306 der Wechsel der Herrschaftssphäre ist eindeutiger, endgültiger, publiker und mit ebenso klaren Einwirkungsmöglichkeiten wie die Übergabe einer Sache verbunden. Diese Untersuchung ließe sich für zahlreiche technikabhängige Realgüter anstellen, die teilweise überhaupt nicht verrechtlicht sind. Vorsicht ist aber wie gesagt bei einer Übertragung der sachenrechtlichen Regeln geboten – diese sind sehr speziell auf die Probleme bei Sachen zugeschnitten, eingedenk der Zuweisungslücke, die dem Sacheigentümer teils unüberschaubare Handlungsoptionen eröffnet.307 Diese Problemlage eröffnen unkörperliche Güter nicht oder nicht in dem Maße. Wie aber gezeigt wurde, wäre eine Regulierung möglich, die die traditio für rivale, exklusive Güter auch in ihrer rechtsgeschäftlichen Funktion übernimmt.308
E. Zusammenfassung und Folgerungen In diesem Abschnitt waren einige Zwischenergebnisse nötig, auf die nachfolgend, d. h. in den Folgerungen zum gesamten § 10 Bezug genommen wird. Im Sachbesitz wird der Herrschaftsbegriff, letztlich aus wirtschaftlich-praktischen Gründen, als Bestimmungsgewalt verstanden. Dies zeigte sich vor allem in den Figuren des mittelbaren Besitzes und der Besitzdienerschaft.309 Daran anknüpfend dient das Traditionsprinzip der verbindlichen und effektiven Umbettung der Sache in eine andere Herrschaftssphäre zu einem eindeutigen Zeitpunkt. Die Publizität dieser Umbettung ist indes von nachrangiger Bedeutung.310 Der Rechtsbesitz wird in keiner Variante vertreten, in der tatsächlich Rechte in einer Weise „besessen“, d. h. beherrschend inngehabt würden, als in Form der schon bekannten Rechtsinhaberschaft. Die konkreteste Bedeutung hat der Begriff noch im ABGB, wo – in ähnlichem Sinne wie in §§ 1029, 1090 BGB, aber mit breiterem Anwendungsbereich – besitzrechtlicher Schutz für die Ausübung gewisser Rechte gewährt wird.311 Eine diesem „vergeistigten“ Sachbesitz vergleichbare Bestimmungsgewalt lässt sich auch für unkörperliche Gegenstände zeigen. Bestimmungsgewalt erfordert hier, dass der Wille des Betroffenen technisch unmittelbar umgesetzt wird. Beispiele außerhalb der geltenden Immaterialgüterrechte wären Cloud-Accounts, 306
Vgl. oben B. VI. 3. Folgerungen. Siehe oben § 9 F. II. Beispiel: Verpflichtungs- und Verfügungsebene eines Kaufs gem. § 453 Abs. 1 BGB. 308 Siehe oben B. VI. 3. Folgerungen. 309 Siehe oben B. V. 3. Folgerungen. 310 Siehe oben B. VI. 3. Folgerungen. 311 Siehe oben C. IV. Ergebnis. 307
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Domains oder Kryptowährungen. Bei ihnen geht die Herrschaft von faktischen Zugriffsmöglichkeiten, meist in Form von Nutzer-Accounts oder (teils ganz ohne vertragliche Grundlage) persönlichen Schlüsseln aus. Abgelöst von der materiellen Berechtigung hat derjenige die Bestimmungsgewalt, der Zugang zu dem Account hat – auch ein Unberechtigter kann die Daten eines Dropbox-Accounts löschen, wenn er Zugriff hat.312 Wie zuvor gezeigt wurde,313 schützen sämtliche Immaterialgüterrechte Idealgüter (z. B. Werk, Erfindung, Marke). Diese sind mangels naturwissenschaftlich fassbarer Existenz als solche nicht beherrschbar.314 Wie in der Diskussion der Werkherrschaft315 zu sehen war, beanspruchen Immaterialgüterrechte aber prinzipiell, dem Berechtigten die Herrschaft über das Schicksal des geschützten (Ideal)guts einzuräumen. Hierfür bedient sich das Gesetz einer rechtlichen Zuweisung: Der Berechtigte hat das Recht, über Werk, Erfindung oder Marke zu herrschen. Diese Herrschaft ist realisierungsbedürftig, sie bedarf der Umsetzung in der Lebenswelt. Praktisch betreffen alle Handlungen mit und an immaterialgüterrechtlich geschützten Idealgütern (lediglich) deren Repräsentationen in Form von Büchern, Maschinen, Dateien, auf Produkten aufgebrachten Zeichen etc. Über solche Repräsentationen ist eine tatsächliche Herrschaft möglich und diese Herrschaft wird dem Berechtigten gesetzlich eingeräumt. Beispiel: Der Urheber herrscht über „Werkstücke“, „Vervielfältigungsstücke“ und „Exemplare“. Der Erfinder herrscht über „Erzeugnisse“ und „Verfahren“. Der Markeninhaber herrscht über „Waren“ und „Dienstleistungen“, genauer gesagt über deren physische oder virtuelle Kennzeichnung. Die betreffenden gesetzlichen Rechte beziehen sich hierauf (s. etwa §§ 16 ff. UrhG, § 9 PatG, §§ 14 f. MarkenG).
Damit ergibt sich ein Gleichlauf zwischen vertraglich vermittelten unkörperlichen Gegenständen und den Repräsentationen eines zugewiesenen Immaterialguts: Jeweils kann die materielle Berechtigung von der Bestimmungsgewalt über faktischtatsächliche Vorgänge unterschieden werden. Entsprechend können unkörperliche Gegenstände die Handlungsmöglichkeiten von Menschen erweitern bzw. können solche Handlungsmöglichkeiten gewaltsam entzogen werden. Wer durch einen Hackerangriff von seinen eigenen Daten oder seiner Homepage ausgesperrt wird, fühlt sich und ist genauso machtlos wie der bestohlene Fahrzeugeigentümer.316 In der Debatte um die Legitimität des Begriffs „Geistiges Eigentum“ werden die sachenrechtlichen Regeln bisher als „nicht analogiefähig“ verstanden, „weil die Verwendung eines geistigen Guts Dritte von der faktischen Nutzung desselben Guts nicht ausschließt. Immaterialgüter sind ubiquitär.“317 Nach den vorigen Aus312
Siehe oben D. II. 1. a) Infrastruktur und unkörperliche Gegenstände. Siehe oben § 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter). 314 Siehe oben D. II. b) Technikabhängige Güter. 315 Siehe oben D. I. Lehren zur Herrschaft im Immaterialgüterrecht. 316 Siehe oben D. II. 2. Recht und Bestimmungsgewalt; D. III. Erweiterung faktischer Handlungsmöglichkeiten durch unkörperliche Gegenstände. 317 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 29; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 108 f. 313
§ 10 Besitz und Herrschaft347
führungen bedarf diese Ansicht einer Ergänzung. Die durch Immaterialgüterrechte zugewiesene Herrschaft ist genau wie der Sachbesitz realisierungsbedürftig: So, wie der Eigentümer den materiellrechtlich gesollten Zustand über seine dinglichen Rechte (insbesondere §§ 985, 1004 BGB) herstellen und besitzrechtlich (§§ 858 ff. BGB) schützen kann, können auch Immaterialgüterrechtsinhaber den gesollten Zustand herstellen. Tatsächlich liegt der gesollte Zustand immer im naturwissenschaftlich fassbaren und (prinzipiell) beherrschbaren Bereich. Es geht nie um eine rein abstrakte Handlung ohne Kontakt zur Lebenswelt (zumal dann ja niemand handelte). Ubiquitär sind nämlich nur Idealgüter, nicht aber ihre Repräsentationen. Beispiel: Nicht „das Werk“ wird durch Urheberrechtsverletzer geschädigt, sondern es werden unerlaubt Vervielfältigungsstücke in Umlauf gebracht. Nicht „das Patent“ wird verletzt, sondern es werden unerlaubt Sachen produziert, die die Erfindung repräsentieren.
Besagte Repräsentationen sind in unterschiedlichem Maße technikabhängig, d. h. sie existieren und/oder funktionieren nur durch, zumindest aber in Abhängigkeit von Technik.318 Als Informationsgüter existieren sie nur als Struktur eines Informationsträgers. Der Begriff Technik drückt darüber hinaus aus, dass es weiterer Infrastruktur wie z. B. Computer oder eines Datennetzes bedarf, um die Gegenstände beherrschen oder gar nutzen zu können. Die Beherrschung ist allerdings zusätzlich zu der körperlichen Herrschaft über den Träger softwarevermittelt. Daher stellen sich Nutzeraccounts, Passwörter und andere Mechanismen als entscheidende Anknüpfungspunkte für die Herrschaft über Immaterialgüter dar. Technikabhängigkeit ermöglicht potentiell ein hohes Maß an Kontrolle über die abhängigen Gegenstände, das höher sein kann als die Beherrschbarkeit von Sachen. Beispiel: Dass es schwierig bis unmöglich ist, alle Vervielfältigungen eine Films, Buchs oder Musikalbums aus dem Internet zu entfernen, ist ein technisches, kein prinzipielles Problem. Darauf ist noch einmal beim Datenschutzrecht zurückzukommen, wo es um die Entfernung semantischer Information geht.
Ein Abgleich mit den zuvor319 dargelegten Besitzfunktionen zeigt, dass Friedensund Kontinuitätsfunktion sowie die persönlichkeitsrechtliche Funktion des Besitzschutzes auch auf unkörperliche Güter passen. Auch den Funktionen der traditio scheint bei der Übertragung technischer Güter in einigen Fällen besser entsprochen zu werden als bei der Übergabe beweglicher Sachen.320
318
Siehe oben D. II. 1. b) Technikabhängige Güter. Siehe oben B. II. Funktionen des Besitzschutzes. 320 Siehe oben B. VI. 3. Folgerungen; D. IV. Abgleich mit Funktionen des Besitzschutzes. 319
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
F. Exkurs und Abgrenzung: Besitzschutz für unkörperliche Gegenstände? Die angeführten Parallelen zwischen der Herrschaft über körperliche und unkörperliche Gegenstände werfen Folgefragen auf: Könnte aus den Gemeinsamkeiten die Anerkennung eines Besitzschutzes für Inhaber unkörperlicher Güter abgeleitet werden, ggf. mit Gewaltrechten? Und könnten daraus eigentumsartige Positionen folgen? Am augenfälligsten ist dies vielleicht bei den oben behandelten NFTs – die Einzigartigkeit und vollkommene, von jedermann technisch nachprüfbare und nicht überwindbare Kontrolle legt den Gedanken nahe, dem Telos des Besitzschutzes folgend insoweit und auch darüber hinaus rechtliche Positionen anzuerkennen. Dabei muss aber auf die Grenzen des behandelten Themas hingewiesen werden: Hier interessiert nur die Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte. Die Anerkennung neuer Rechtspositionen ist ein anderes, wenn auch thematisch benachbartes Gebiet. Aus dem hier Erarbeiteten können natürlich Argumente für die gesetzliche Anerkennung neuer Rechtspositionen gezogen werden. Diese müssten aber in eine gänzlich andersgeartete Diskussion einfließen, nämlich die gesetzliche oder rechtsfortbildende Anerkennung neuer Rechtspositionen mit mehr oder weniger der für absolute Herrschaftsrechte typischen Eigenschaften. Hier könnte auch eine virtuelle traditio321 Platz finden. Diese Diskussion darf zudem nicht rein dogmatisch geführt werden – nur weil Krypto-Token gute Eigenschaften für eine Erfassung über ein neues absolutes Herrschaftsrecht mit sich bringen, kann es gewichtige Gründe dagegen geben, ein solches einzuführen (z. B. könnte die technische Herrschaft ein Eigentumsrecht weitgehend entbehrlich machen). Die Diskussion muss auf höherer teleologischer Ebene geführt werden und rechtsökonomische, rechtspolitische, rechtssoziologische Argumente sowie rechtsvergleichende Aspekte einbeziehen. Für die rechtsfortbildende Anerkennung einzelner Aspekte absoluter Herrschaftsrechte wiederum werden unten einige Hinweise gegeben.322
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte Ein alter Streit betrifft die Frage, in welchem Maße Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte verstanden werden dürfen.323 Eine damit zwar verwandte, aber dennoch unterschiedliche Frage ist, ob bzw. in welcher Hinsicht Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte verstanden werden können. Die zweite Frage ist rechtspolitisch weniger aufgeladen und vor allem von strukturellem Interesse. Sie betrifft alle rein persönlichkeitsrechtlichen Fragestellungen sowie einige Immaterialgü321
Siehe oben B. VI. 3. Folgerungen; D. IV. Abgleich mit Funktionen des Besitzschutzes. dazu unten § 13 C. II. 3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen. 323 Dazu nur Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 4 ff. 322 Siehe
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte349
terrechte, die persönlichkeitsrechtlich tangiert sind, zuvorderst also das Urheberrecht. Überall dort stellt sich die Frage, was Herrschaft mit Blick auf die Persönlichkeit bedeuten könnte. Wie schon im Falle der Immaterialgüterrechte entfällt die meiste Vorarbeit auf den Schutzgegenstand: die Persönlichkeit. Da dieser in Persönlichkeitsrechten teils als (in nicht immer klarer Weise) identisch mit dem Recht aufgefasst wird324 (s. insbesondere die in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Persönlichkeitsgüter), erfolgt die Darstellung von Persönlichkeit und Persönlichkeitsrecht hier in einem Zuge.
A. Die Persönlichkeit als vorrechtliches Gut Oben wurden umfänglich die Eigenschaften körperlicher und unkörperlicher Gegenstände untersucht.325 Im vorigen Abschnitt326 ging es dann um ihre Beherrschbarkeit. Um auch Persönlichkeitsrechte mit der hier entwickelten Dogmatik erfassen zu können, bedarf es zunächst einer Abgrenzung des Persönlichkeitsbegriffs. Es stellt sich die pragmatische Frage: Was ist die Persönlichkeit bzw. was zählt alles zur Persönlichkeit? – Der Charakter? Der Körper? Informationen über den Charakter oder den Körper? Die entnommene Blutprobe? Die Frisur? Der FacebookAccount unter falschem Namen? Wie im vorigen Teil dargelegt wurde, erhält der Berechtigte mit einem Immaterialgüterrecht die Kontrolle über Informationen, die das geschützte Idealgut repräsentieren. Fraglich ist, ob Persönlichkeitsrechte in ähnlicher Weise der Kontrolle von Gegenständen dienen, die die Persönlichkeit repräsentieren oder zumindest berühren. Ist die Persönlichkeit in ähnlicher Weise wie Immaterialgüter ideal, d. h. als solche nicht naturwissenschaftlich fassbar, aber durch Gegenstände (zumindest in Teilen) repräsentierbar? Oder ist sie eher ein Realgut, dessen Repräsentationen geschützt sind? Denn auch im Persönlichkeitsrecht stellt sich die schon im Immaterialgüterrecht beobachtete Problematik, dass in einer digitalisierten Umgebung möglichst genau benannt werden muss, hinsichtlich welcher Daten oder Verhaltensweisen was verlangt wird. Konkret stellt sich dieses Problem etwa bei Hate Speech-Filtern, die massenhafte Rechtsverletzungen unter Kontrolle bringen sollen.327
I. Abgrenzung der Persönlichkeit Um den Charakter von Persönlichkeitsrechten und ihr Verhältnis zu Herrschaftsrechten zu ermitteln, stellt sich die Vorfrage, was nach heutigen Maßstäben inhaltlich unter der Persönlichkeit eines Menschen verstanden wird. Dafür ist zunächst 324
Siehe unten B. I. Die Persönlichkeit als „Gegenstand“ von Rechten. Siehe oben § 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen); § 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter). 326 Siehe oben § 10 Besitz und Herrschaft. 327 Vgl. dazu Becker, Jahrbuch Eigentum und Urheberrecht in der Demokratie, Band 1/2021, 149 (156 ff., 167 f.) m. w. N. 325
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
zu ermitteln, wie Persönlichkeit als vorrechtliches und als rechtliches Gut abgegrenzt ist. Zahlreiche Wissenschaften befassen sich mit der Persönlichkeit des Menschen. Besonderen empirischen Anspruch erhebt darunter die Psychologie.328 Persönlichkeit als Gegenstand aktueller psychologischer Theorien wird verstanden als „eine komplexe Menge von einzigartigen psychischen Eigenschaften, welche die für ein Individuum charakteristischen Verhaltensmuster in vielen Situationen und über einen längeren Zeitraum hinweg beeinflussen.“329
Das Ziel liegt in einem „Verständnis des Aufbaus, der Ursprünge und der Korrelate der Persönlichkeit“ und der „Vorhersage von Verhaltensweisen und Lebensereignissen“.330 Im Vordergrund der Persönlichkeitspsychologie steht also die Ermittlung statistisch voneinander möglichst unabhängiger Eigenschaften wie z. B. emotionale Stabilität, Lebhaftigkeit, soziale Kompetenz, Empfindsamkeit, Privatheit oder Offenheit für Veränderung.331 Solche real- bzw. naturwissenschaftlich geprägten Abgrenzungen der Persönlichkeit scheinen aber mehreren grundlegenden Einwänden zu begegnen: Entwicklungsgeschichtlich ist die Persönlichkeit eine sittliche Eigenschaft der Person, die als „politische[s] Glaubensbekenntnis“ in die Personenlehre des bürgerlichen Rechts übernommen wurde, und gerade „kein definierbarer Begriff“.332 Diese Unklarheit trug dazu bei, dass der Schutz der Persönlichkeit als solcher im 19. Jahrhundert wie auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keinen Platz zwischen bzw. neben dem gesetzlichen Schutz ihrer konkreteren Ausprägungen wie Freiheit, Ehre, Körper, Gesundheit etc. fand.333 Nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte in der rechtlichen Betrachtung der Persönlichkeit in Deutschland eine „Naturrechtsrenaissance“334 mit einer starken Wendung hin zur Betonung des Menschlichen, insbesondere in Artt. 1 und 2 des neu erlassenen Grundgesetzes.335 Seither steht diese Wendung einem wissenschaftlich-reduktionistischen Persönlichkeitsbild zusätzlich entgegen. Betrachtungen der Persönlichkeit als Rechtsgut können nicht unabhängig von der (grund)rechtlichen Dimension erfolgen.336 328 Siehe hierzu auch die psychologisch orientierte Abhandlung des Kriminologen und Psychologen Gustav Nass, Person, Persönlichkeit und juristische Person, 1964 (bemerkt vorab, dass die Jurisprudenz mit ihrem „geisteswissenschaftlich orientierten Menschenbild“ nicht weiterkomme und „gegenüber den exakten Wissenschaften ins Hintertreffen“ zu geraten drohe). 329 Gerrig, Psychologie, 508. 330 Gerrig/Zimbardo, Psychologie, 504 [Hervorh. im Original]. 331 Asendorpf, Psychologie der Persönlichkeit, 149 f. (die Eigenschaften entstammen dem „16Persönlichkeitsfaktoren-Test“ von Schneewind/Graf, Der 16-Persönlichkeits-Faktoren-Test, 1998). 332 Hattenhauer, JuS 1982, 405 (408 f.). 333 Hattenhauer, JuS 1982, 405 (409). 334 Kaufmann, FS Gagnér, 105; Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, Rn. 377 ff.; Hassemer/Neumann/Saliger/Kaufmann/von der Pfordten, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 2.2.4.1. 335 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 1 f.; Hattenhauer, Grundbegriffe, 19 (Menschenwürde und allgemeines Persönlichkeitsrecht als Wiedergutmachung nach 1945). 336 Bork, BGB AT, Rn. 172.
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte351
Selbst wenn sich also in anderen Wissenschaften Definitionen der Persönlichkeit herausgebildet haben, spielen sie persönlichkeitsrechtlich nur eine untergeordnete Rolle. So geben etwa Persönlichkeitstypen und Charaktereigenschaften lediglich inhaltliche Auskunft über einen von potentiell sehr zahlreichen Aspekten dessen, was das Persönlichkeitsrecht unter „Persönlichkeit“ versteht. Dies gilt auch für die in aller Regel auf psychologischen Erkenntnissen basierenden Persönlichkeitstests. Ob jemand melancholisch, phlegmatisch, cholerisch oder sanguinisch ist,337 spielt für das rechtliche Persönlichkeitsverständnis keine Rolle. Solche individuellen Charaktermerkmale sind unproblematisch Teil des dem Recht zugrunde liegenden Persönlichkeitsbildes. Daher gilt: Selbst, wenn es gelänge, die menschliche Persönlichkeit medizinisch und naturwissenschaftlich vollständig zu entschlüsseln und sogar, etwa in Form eines Menschen täuschend ähnelnden – oder gar physisch und geistig überlegenen338 – Roboters, nachzuschaffen, würde dies die rechtliche Auffassung menschlicher Persönlichkeit nicht verändern. Die Rechtswissenschaft beansprucht nicht, Persönlichkeit als Phänomen in der Welt treffend abzubilden, sondern versteht sie von vornherein als eine Art ausfüllungsbedürftiges Rechtsgut. Doch auch in dieser rechtlichen Dimension gibt es im Zivilrecht nur selten Ausführungen zur Persönlichkeit als solcher, Abhandlungen befassen sich i. d. R. allein mit den auf dieses Rechtsgut bezogenen Persönlichkeitsrechten. Das hängt neben den genannten Gründen mit seiner Rechtsnatur als Rahmenrecht zusammen, also dem Umstand, dass die Verhaltensweisen des Verletzers und des Geschützten abwägend koordiniert werden müssen und eben nicht der Eingriff in einen vorbestimmten Schutzbereich Unrecht indiziert.339 Die Schutzbereiche sind daher „nicht nur nach dem Gegenstand des zu schützenden Interesses, sondern auch und vor allem nach der Art und den Umständen seiner Beeinträchtigung zu ermitteln“.340 Mithin wäre es nicht zweckmäßig, hier weitere wissenschaftliche Erfassungen des Menschen oder seiner Persönlichkeit anzugliedern, wie etwa eine zoologische Beschreibung, und sich an einer Anthropologie zu versuchen.341 Larenz zufolge versteht das Recht den Begriff „Mensch“ nicht als „bloße Addition isoliert gedachter Merkmale“, stattdessen legt er die – von Hegel begründete und umstrittene – Figur des „konkret-allgemeinen Begriffs“ zugrunde.342 Der Begriff sei nicht als Abstraktion von Merkmalen zu verstehen, die der Mensch mit nahestehenden Tiergattungen gemeinsam hat oder die ihn von ihnen unterscheiden: 337 Siehe
Gerrig, Psychologie, 510. Siehe etwa Harari, Homo Deus, 381. 339 Siehe etwa die Darstellung bei MüKoBGB/Rixecker, Anh. § 12 Rn. 27 f. 340 MüKoBGB/Rixecker, Anh. § 12 Rn. 33. 341 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, 56; ähnlich Hassemer/Neumann/Saliger/Kaufmann/von der Pfordten, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 2.5. 342 Kritisch zu dieser Denkform von Larenz und ihrer Funktion Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 931 ff.; Grundmann/Riesenhuber/Canaris, Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, Bd. 2, 2010, 263 (295 f.). 338
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
„Versteht man den Typus ‚Mensch‘ in der Fülle aller seiner Möglichkeiten, dann sieht man ihn zugleich als ein leibliches, seelisches und geistiges Wesen, das sich in diesen drei Dimensionen auf mannigfache Weise verwirklicht und sich neue Möglichkeiten erschließt.“ Das Recht verstehe den Menschen als „ein Ganzes sinnvoll aufeinander bezogener ‚Momente‘ […], die nur in dieser ihrer wechselseitigen Verbundenheit den Begriff ausmachen“.343
Gleich, ob man Larenz in allen Punkten folgen will, erhellt seine Darstellung einen weiteren Grund, weshalb Ausführungen zur Persönlichkeit als vorrechtliches oder rechtliches Gut in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts selten konkret und abgeschlossen sind. Die Persönlichkeit soll offenbar nicht konkret abgrenzbar sein. Noch ein drittes Argument tritt hinzu. Bestimmte Aspekte des Personbegriffs sind so stark von unterschiedlichen Ansichten, Werten, religiösen Überzeugungen etc. geprägt, dass eine verbindliche vorrechtliche und dann juristisch genutzte Definition kaum möglich ist. Daher hat insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) „als Gegenstand einer Garantie des positiven Rechts notwendig einen Inhalt, der sich ganz aus juristischer Auslegung erschließt. Nicht die Menschenwürde, aber ihre Gewährleistung im und durch den Staat des Grundgesetzes ist eine Schöpfung des positiven Rechts. Für die staatsrechtliche Betrachtung sind demnach allein die (unantastbare) Verankerung im Verfassungstext und die Deutung der Menschenwürde als Begriff des positiven Rechts maßgeblich.“344
Nur vereinzelt finden sich Feststellungen, die die Persönlichkeit negativ abzugrenzen versuchen und Aspekte benennen, die zwar die Person betreffen, aber explizit nicht Teil ihrer Persönlichkeit sind. Die insofern relevanteste Grenze betrifft kommerziell begehrte Persönlichkeitsgüter. Der „räumliche Abstand zwischen der lebenden Person und ihrem Abbild“ zeige „noch deutlicher als beim Namen, daß dieses nicht Teil der Person selbst und damit nicht Teil der Persönlichkeit, sondern ein von dieser getrennter, rechtlich besonders geschützter Gegenstand“ sei.345 Die Gegenansicht vertritt indes, dass „Bildnis, Name und Stimme […] Merkmale einer Person“ seien, „in denen sich die Persönlichkeit widerspiegelt, die sich aber nicht auf ein außerhalb der Person liegendes immaterielles Gut beziehen“.346
Ansätze, die die Persönlichkeit positiv umschreiben, sind in der Regel vage gehalten und insbesondere nicht an naturwissenschaftlichen Kriterien orientiert.347 So werden Körper und Gesundheit, Würde und soziales Ansehen sowie eine gewisse Entfaltungsfreiheit zur Persönlichkeit gezählt,348 oder – wohl weiter – das gesamte „individuell mit Seele und Geist ausgestattete biologische Steuerungssystem des Menschen“.349 343
Larenz, Methodenlehre, 458.
344 Dürig/Herzog/Scholz/Herdegen,
GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 20. Beuthien/Schmölz, Persönlichkeitsschutz durch Persönlichkeitsgüterrechte, 13. 346 Peukert, ZUM 2000, 710 (714). 347 Vgl. Peifer, Individualität, 8. 348 Rehbinder, UFITA 66 (1973), 125 (145). 349 Beuthien/Schmölz, Persönlichkeitsschutz durch Persönlichkeitsgüterrechte, 19. 345
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte353
Hubmann fasst die Persönlichkeit als Vereinigung von Menschenwürde, Individualität und Personalität auf.350 Seine (wirkmächtigen) Darstellungen orientiert er stark an der Philosophie Nicolai Hartmanns. Als „letzte metaphysische Fundierung“ des „Wertcharakters der Persönlichkeit“ verweist Hubmann auf den für die Entwicklung des abendländischen Menschenbildes maßgeblichen christlichen Glauben.351 Die einzelnen Ausprägungen sind kurz auszuführen, da sie große Überschneidungen mit Aspekten des heutigen Verständnisses des allgemeinen Persönlichkeitsrechts haben: Personalität versteht Hubmann als das Verhältnis und die Wechselwirkung des individuellen Geistes mit/zu dem objektiven, kollektiven Geist und mit der Welt.352 Dabei hängt er einem Leib-Seele-Dualismus an, den er in Beziehung zum Ich und zum Geist setzt.353 – Larenz fasst das mit Personalität m. E. Gemeinte allerdings klarer zusammen: „der Mensch muß in ein Verhältnis zu anderen Personen treten, um Person zu sein“.354 Dies entspräche auch dem für die Rechtswissenschaft wichtigen soziologischen Verständnis, demnach „unter idealen Verhältnissen eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen Individuum und Gesellschaft“ besteht, was unter anderem zu unterschiedlichen Gesellschaftsformen führt.355 Menschenwürde hingegen soll stehen für die durch sein geistiges Bewusstsein begründete „überragende Stellung […] die der Mensch in der Welt“ und insbesondere in Abgrenzung zu Tieren einnimmt, denen er körperlich als „Mängelwesen“ tendenziell unterlegen ist.356 Er könne sich von der Welt distanzieren, sie reflektieren und sei – wieder im Gegensatz zu Tieren – seinen Trieben nicht ausgeliefert, sondern „seiner selbst mächtig, er besitze sich selbst“. Er bestimme sich durch seinen Geist selbst und gestalte sein Leben.357 Hinzu trete die Fähigkeit und zugleich Aufgabe des Menschen, sittliche Werte zu erkennen und zu verwirklichen.358 – Ähnlich finden sich bei Larenz die „Selbstbestimmung des Willens“ und die Fähigkeit des Menschen, sein Verhalten nach Normen auszurichten.359 Individualität wiederum sei das unteilbare Eigene, das nur der betreffenden Person Zukommende, das sie ungleich zu anderen Personen mache.360 Soziologisch versteht man unter dem Individuum den Menschen „als Einzelwesen, das in seiner Existenz einmalig ist, eine Ganzheit darstellt und sich insoweit prinzipiell von allen anderen unterscheiden läßt“, dabei aber auch „sozial determiniert“ ist. Diese 350
Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 59. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 62. 352 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 51 ff. 353 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 56 f. 354 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, 58. 355 Reinhold/Lamnek/Recker/Lamnek, Soziologie-Lexikon, (Stichwort „Persönlichkeit/ Person“). 356 Siehe auch BeckOK GG/Hillgruber, Art. 1 Rn. 12.1. 357 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 42 ff. 358 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 46 ff. 359 Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, 57. 360 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 48; ähnlich Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, 56 f. 351
354
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Einzigartigkeit, Eigenartigkeit und persönliche Eigenart des Menschen sei seine Individualität.361 Für den vorliegenden Kontext als wichtig absehbar ist hieran besonders die Unterscheidung eines Schutzes der unmittelbar bei der menschlichen Persönlichkeit ansetzt und dem des Abbilds der Persönlichkeit in außerpersönlichen Gütern wie Bildnissen oder Ton-/Bildaufzeichnungen, der an die obige Theorie zur Herrschaft über informationelle Repräsentationen erinnert. Orientiert an Hubmann unterscheidet auch Büchler – modernisiert und erweitert – drei Kreise personaler Äußerung: Der Körper bilde den innersten Kreis, der aber mittlerweile durch „die Möglichkeiten der technischen Aneignung und bio-industriellen Erschliessung desselben“ kommerziell interessant werde.362 Den zweiten Kreis bildeten „die Kennzeichen der Person wie das Bildnis, der Name, die Stimme, das Wort, der Schriftzug und die Lebensgeschichte“. Hierbei kommt sie auch auf die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ zu sprechen, „die verantwortlich dafür zeichnet, dass für die heutige Kulturproduktion Ausstrahlungen prominenter Personen als Projektionsflächen für Sehnsüchte wesentliche ökonomische Ressourcen sind“.363 Als dritten Kreis definiert sie die „gänzlich unkörperlichen, in der modernen Wissensgesellschaft aber nicht minder bedeutsamen Spuren des Menschen, wie genetische und andere personenbezogene Daten“.364
II. Der Siegeszug der Individualität Inhaltlich ist damit zum modernen Persönlichkeitsbild noch wenig gesagt. Für das heutige Persönlichkeitsrecht hat die Individualität die größte Bedeutung. Sie ist dem Zeitlauf am stärksten unterworfen, da sie auch Auswirkungen auf die Frage hat, ob eine Handlung die Menschenwürde des potentiellen Opfers verletzt. Peifer stellt zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein stark gestiegenes „Interesse an der Individualität“ fest. Westliche Literatur habe mit Autobiografien und biografieartigen Werken eine, anderen Kulturen unbekannte, auf das berichtende Individuum gerichtete Erzählform entwickelt. Außerhalb der Literatur schlage sich dies in einer stark gestiegenen Inanspruchnahme professioneller Angebote zur „Biografisierung des eigenen Lebens“ und der Forderung an die Rechtsordnung nieder, dass sie „dem Menschen alle Verfügungsrechte gibt und sichert, die er für seine individuelle Biografie benötigt“.365 Diese Bedeutung der Individualität gehe einher mit einem liberalen Menschenbild, das den Einzelnen nicht an staatlich vorgegebene Wertvorstellungen binde, sondern seinen individuellen Entscheidungen 361 Reinhold/Lamnek/Recker/Lamnek, Soziologie-Lexikon, (Stichwörter: „Individualität“, „Individuum“). 362 Büchler, AcP 206 (2006), 300 (306). 363 Büchler, AcP 206 (2006), 300 (307). 364 Büchler, AcP 206 (2006), 300 (308). 365 Peifer, Individualität, 32 f.
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte355
prinzipiell Vorrang gebe, Egoismen aber durch das Bestreben einschränke, allen Menschen gleiche Rechte, Freiheiten und Chancen zu gewähren.366 Mit einer solchen Installation von Individualismus als Wertbegriff gewinne eine Gesellschaft Vielfalt und bereite den Boden für Neuerungen, was ihre Fähigkeiten im Umgang mit Veränderungen und Herausforderungen stärke.367 Der Aufstieg der Individualität hat sich seither noch intensiviert. Stärkster Ausdruck des gesteigerten Interesses für die Individualität, genauer die „Singularität“ (Reckwitz) des eigenen Lebens und des Wunsches nach darauf gerichteter, fremder Aufmerksamkeit, sind die sozialen Medien. Auf ihnen beruht der „digitale Sichtbarkeits- und Bewertungsmarkt“, auf dem Privatleute mit Medienunternehme(r)n um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit konkurrieren.368 Beispiele sind Youtube-Kanäle samt der neuen Prominenz erfolgreicher Youtuber, professionelle Blogs, die die Grenze zum Privatleben der dadurch prominent gewordenen Personen zusehends verwischen oder reichweitenstarke Instagram-Accounts.
Als Grund für den neuen „Willen nach Identitätssicherung“ sieht Peifer letztlich Veränderungen in der Wirtschaft und im Arbeitsleben und dem dadurch bedingten Wegfall identitätsstiftender Faktoren wie Klassen, klassengeprägten Wohngegenden und auch die verminderte Bedeutung der Religion samt einer verstärkten Orientierung auf das Diesseits.369 Diese Diesseitsorientierung hat sich philosophisch in einer gesteigerten Fokussierung auf ein intensives, ereignisreiches Leben niedergeschlagen, das von der Maximierung der Intensität des Erlebten und des Nutzens pro Lebenszeiteinheit bestimmt ist.370 Besagte Nutzung sozialer Medien dient dazu, diese optimierte Nutzung des Diesseits dem Zeitlauf zu entreißen und zugleich die eigene Identität in einem stark erweiterten sozialen (wenn nicht globalen) Umfeld zu definieren. So können Menschen ihren Lebenslauf „als eine pausenlose Folge von Höhepunkten inszenieren, ein unterhaltsames, unternehmungslustiges, erfahrungssattes Selbstbild entwerfen, das in Bildern, Videos, Links und Texten kommuniziert und im besten Fall mit Aufmerksamkeit – mit ‚Likes‘, mit Kommentaren – belohnt wird“.371
Die Persönlichkeit wird so in ihrer zeitlichen Breite erweitert, man hat den Anspruch, nicht nur eine bestimmte Person zu sein, sondern auch seinen Lebenslauf 366
Peifer, Individualität, 36 ff. Peifer, Individualität, 50 ff. 368 Reckwitz, Gesellschaft der Singularitäten, 266, 244 ff.; ders., Das Ende der Illusionen, 20 ff., 37. S. a. Becker, ZUM 2013, 829 (830) sowie passim zur Aufmerksamkeitsknappheit. 369 Peifer, Individualität, 32 f. 370 Siehe etwa Garcia, Das intensive Leben, passim; Hetzel/Wiechens/Hetzel, Georges Bataille. Vorreden zur Überschreitung, 57 (77) (der souveräne Mensch Batailles verzichte zugunsten intensiven Erlebens auf Nützlichkeit); dazu Pörksen, Verschwende Deine Zeit, 64 ff.; Reckwitz, Das Ende der Illusionen, 221, 229 f. („Ideal des ‚Ausschöpfens aller Möglichkeiten‘“). 371 Pörksen, Verschwende Deine Zeit, 49; Reckwitz, Das Ende der Illusionen, 217 („performative Selbstverwirklichung“ mit dem Ziel der „Reputation des Singulären“). 367
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
als berichtenswertes Unikat zu formen.372 Der auf Leistungssteigerung gerichtete Druck der Arbeitswelt hat sich daher in das heutige Privatleben übertragen. Während Arbeitgeber zunehmend Attribute wie Kreativität und Flexibilität würdigen, haben medial dokumentierte Urlaube mit sportlichen Höchstleistungen (siehe etwa den „Massentourismus“ am Mount Everest), Sprach- und Bildungsreisen Konjunktur. All dies dient der Selbst- der Identitätskonstruktion.373 Ähnlich wie die Gewährung weitreichender Privatautonomie mit gesteigerter Selbstverantwortung einhergeht, hat auch die weitreichende Entfaltung der eigenen Individualität für die Person eine Schattenseite: die erweiterte Entscheidungsfreiheit und das Gefühl unbegrenzter Möglichkeiten weisen dem Einzelnen die Hauptverantwortung für fast sein gesamtes Leben/Schicksal zu. Wer nicht sein Wunschleben führt, ist selbst schuld – die Verantwortung hat sich von höheren Mächten, dem Schicksal, gesellschaftlichen Zwängen und anderen früher geltend gemachten Faktoren auf die Schultern des Individuums verlagert. Die aus dem Druck der Selbstverwirklichung bei gleichzeitigem Streben nach bürgerlichem Status („Romantik-Status-Paradox“ [Reckwitz]) geborene Enttäuschung führt zu vermehrten Depressionen,374 Angststörungen und dem so weit verbreiteten Gefühl, ständig etwas zu verpassen, dass es hierfür bereits ein Akronym gibt: FOMO (fear of missing out).
III. Sexualität als Teil der gelebten Persönlichkeit Ferner hat die moderne Persönlichkeit im Hinblick auf ihre Individualität materiell einen entscheidenden Bestandteil hinzugewonnen, der selbst im Persönlichkeitsbild der Nachkriegszeit zu großen Teilen tabu war – die Sexualität. Zwar gab es auch (bzw. insbesondere) in prüdesten Zeiten einen blühenden Markt sexueller Dienstleistungen, die über einfache Prostitution weit hinausgingen.375 Selbst wenn in anderen Wissenschaften schon wesentlich früher eine Hinwendung zur menschlichen Sexualität stattgefunden hatte, reichte das Persönlichkeitsrecht lange Zeit nicht über den Schutz der Intimsphäre hinaus.376 Tatsächlich hat die sexuelle Befreiung in Form eines umfassenden, nicht-diskriminierenden und auf keine gerichtliche Sittlichkeitsvorstellung verpflichteten Schutz der sexuellen Selbst-
372 Reckwitz spricht vom „kuratierte[n] Leben“ der Subjekte der neuen Mittelklasse, ders., Gesellschaft der Singularitäten, 295 ff.; vgl. auch Peifer, Individualität, 34 ff. 373 Pörksen, Verschwende Deine Zeit, 49 ff.; Reckwitz, Das Ende der Illusionen, 214 ff. („Selbstentfaltungskultur“); s. zum Tourismus am Mount Everest https://tinyurl.com/y842f3ov (sueddeutsche.de). 374 Reckwitz, Das Ende der Illusionen, 23, 216, 219 ff. („Die Selbstverwirklichungskultur als Generator negativer Emotionen“). 375 Zweig, Die Welt von gestern, 51 ff. 376 So findet sich weder in der Gliederung noch im Index einer der breitesten und tiefsten Untersuchung zum Personenrecht (genauer: dem Recht natürlicher Personen) der 1980er Jahre ein Hinweis auf Sexualität oder sexuelle Selbstbestimmung, Eichler, Personenrecht, 1983; siehe aber ebd., 144 f. zur Verletzung der „ehelichen Pflichten“.
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte357
bestimmung erst (sehr) spät Eingang in das Strafrecht und noch später in das Zivilrecht gefunden.377 Beispiele sind das dem „Ersatz verminderter Heiratsaussichten“378 einer (zuvor) „unbescholtenen“ Verlobten, die „ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet“ hat,379 dienende Kranzgeld aus § 1300 BGB a. F. der bis 1998 galt;380 „eheliche Pflichten“, die noch 1967 der Ehefrau im ehelichen Verkehr verboten, „Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen“,381 zumal „die Grundsätze der ehelichen Lebensgemeinschaft […] die Achtung der Persönlichkeit des Ehepartners zur unbedingten Voraussetzung“ hätten, wogegen besagte „Verletzung der ehelichen Pflichten“ verstoße;382 die erst 1997 erfolgte Ausdehnung des Vergewaltigungstatbestands auf die Ehe;383 die 2002 erfolgte Ausdehnung des zivilrechtlichen Schadensersatzes für Sexualdelikte auf beide Geschlechter und auf Verletzungen in der Ehe sowie die Abschaffung des Sittlichkeitskriteriums (vgl. § 847 Abs. 2 a. F.)384 oder das bis 1969 geltende Totalverbot homosexueller Handlungen des § 175 StGB a. F. (die abgeschwächte Fassung galt bis 1994);385 das erst 2001 in Kraft getretene ProstG löste schließlich die Sittenwidrigkeit von Prostitution zu Beginn des 21. Jahrhunderts ab.386
Die zeitgemäße Persönlichkeit hingegen trägt ihre Sexualität in die Sozial- und Öffentlichkeitssphäre hinaus und genießt Schutz gegen darauf gerichtete Angriffe. Maßnahmen wie das AGG sorgen dafür, dass der „soziale Geltungsanspruch“ dabei verteidigt werden kann.387 In weiten Teilen des 20. Jahrhunderts hätte das Recht die Neigungen eines homosexuellen Manns oder einer polyamorösen Frau nicht als schutzwürdigen Teil ihrer Persönlichkeit anerkannt, sondern sie zumindest als schwere sittliche Verfehlung, wenn nicht als Verbrechen betrachtet. Heute sind Beide nicht nur als intimer, sondern auch als öffentlicher Bestandteil der Persönlichkeit anerkannt und darauf gerichtete Herabsetzungen oder Diskriminierungen gerichtlich abwehrbar. Trotz der berechtigten Kritik am breiten, frei zugänglichen Angebot sexueller Inhalte im Internet, steht dahinter doch eine Vielzahl wirtschaftsrechtlicher Fragen. So dürfen Mitwirkende vor und hinter der Kamera, im Vertrieb oder anderen Stellen wegen ihres Berufes genauso wenig persönlich diffamiert werden wie ande377
Siehe aber Rother, AcP 172 (1972), 498. BR-Drucks. 79/96, 37. 379 Hintergrund die Schädigung von Geschlechtsehre und sozialem Anspruch der Frau, siehe HRG/Schumann, Kranzgeld. 380 BGBl I 1998, 833; BT-Drucks. 13/4898, 14 f. (rechtspolitisch überholt, das allgemeine Persönlichkeitsrecht biete einen hinreichenden Rechtsschutz). 381 BGH NJW 1967, 1078 (1079). 382 Eichler, Personenrecht, 144. 383 BGBl I 1997, 1607; BT-Drucks 13/7324. 384 BGBl 2002 I, 2674; BT-Drucks. 14/7752; Henne, ZRP 2001, 493. 385 BGBl. I 1994, 1168; BT-Drucks. 12/4584. 386 BGBl I 2001, 3983; BT-Drucks. 14/5958, 4; BVerwGE 22, 286 = BeckRS 1965, 30425633 (stellt die „Ausübung von Gewerbsunzucht“ Berufsverbrechertum gleich). 387 Vgl. MüKoBGB/Rixecker, Anh. § 12 Rn. 125, 132; auch hier kann man einen Faktor im neuen gesellschaftlichen Ideal der Selbstverwirklichung, gepaart mit der Kulturalisierung fast aller Handlungen sehen. 378
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
re Berufstreibende. Wohl aber werden sie eher und öfter mit Meinungsäußerungen rechnen müssen. Jedenfalls liegen den Tätigkeiten der Darsteller(inne)n Verträge und Einwilligungen zugrunde, die nicht per se sittenwidrig sind,388 zumal es mit der „Gesellschaft zur Übernahme und Wahrnehmung von Filmaufführungsrechten“ (GÜFA) eine eigene, staatlich anerkannte Verwertungsgesellschaft für Produktionen „insbesondere mit erotischem und pornografischem Sujet“389 gibt.390 Da Beteiligte in den betreffenden Einwilligungen bzw. Verträgen jedoch in einer Weise über über Persönlichkeitsgüter disponieren, die in den Augen mancher die Menschenwürde drastisch verletzt, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die Menschenwürde zur Individualität steht.
IV. Der Konflikt zwischen Menschenwürde und Individualität Menschenwürde und Individualität stehen in einem Spannungsverhältnis. Die Menschenwürde entzieht sich zwar einer inhaltlichen Festlegung,391 wohl aber hat jeder Mensch die gleiche Menschenwürde bzw. genießt den gleichen Schutz derselben.392 Individualität hingegen ist definitionsgemäß personenabhängig. Daher können Ausprägungen der Individualität mit den geltenden Auffassungen des Menschenwürdeschutzes kollidieren. Hierbei verlagerte sich in den letzten Jahrzehnten das Gewicht zugunsten der Individualität.393 Die freie Entscheidung des Individuums für sich selbst gilt der Rechtsordnung mehr als die konsequente Durchsetzung bestimmter Vorstellungen von Menschenwürde. Instrument und Teil der geschützten Individualität ist die Individualvereinbarung. Formularverträge sind einem strengen gesetzlichen Schutz der Vertragsfreiheit (insbesondere §§ 305 ff. BGB) unterworfen, haben keine Verbindung zur Individualität des Verwendungsgegners und oft auch nicht zu der des Verwenders. Individualvereinbarungen hingegen respektiert die Rechtsordnung als Ausdruck individueller, dem privatautonomen Willen beider Parteien unmittelbar Ausdruck gebender rechtsgeschäftlicher Entscheidungen in weiten Bahnen.394 Die erste Kollision zwischen Individualität und Menschenwürde ereignet sich bei der Frage nach der Wirksamkeit von Rechtsgeschäften unter § 138 BGB. Relevant sind insofern Fälle, in denen nicht besondere Umstände, wie z. B. die in § 138 Abs. 2 BGB genannten Schwächesituationen, vorliegen, sondern der betreffende Vertragsgegenstand generell für sittenwidrig befunden wird. 388 OLG Stuttgart NJW-RR 1987, 1434; s. eingehend unten IV. Der Konflikt zwischen Menschenwürde und Individualität. 389 § 2 Abs. 1 Gesellschaftsvertrag GÜFA, abrufbar unter www.guefa.de/pdf/vertraege/ gesellschaftsvertrag.pdf. 390 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 120 f. 391 Dürig/Herzog/Scholz/Herdegen, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 32, sowie Rn. 33 ff. 392 Vgl. Sachs, Verfassungsrecht II – Grundrechte, Kap. 13 Rn. 35; Peifer, Individualität, 201. 393 Vgl. Staudinger/Fischinger (2021), § 138 Rn. 130, 722; sowie oben II. Der Siegeszug der Individualität. 394 Dazu Becker, Absurde Verträge, 83 ff., 88 ff. sowie passim.
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte359
Die im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes errichtete objektive Wertordnung, und damit auch die Menschenwürde, gilt als „verfassungsrechtliche Grundentscheidung […] für alle Bereiche des Rechts“.395 Daher wird hiervon auch der Inhalt der guten Sitten i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB mitbeeinflusst.396 Die Beurteilung, wann ein Vertragsgegenstand menschenunwürdig oder sittenwidrig ist, ist teilweise überraschend bis widersprüchlich.397 Anknüpfend an die dargelegte erweiterte Anerkennung der Sexualität als Teil der Persönlichkeit kann beispielhaft das Verhältnis von Menschenwürde und Individualität im Bereich kommerzialisierter Sexualität herangezogen werden. Sämtliche Medienprodukte der gegenwärtigen Sexindustrie sind (theoretisch) von der Einwilligung der Darstellenden getragen. Diese Einwilligungen und mit Abstufungen auch die zugrundeliegenden Verträge werden also überwiegend als mit den guten Sitten vereinbar verstanden,398 wofür auch die Existenz einer einschlägigen Verwertungsgesellschaft spricht (s. o.). Gleiches gilt aufgrund des ProstG inzwischen für die Prostitution. Das BVerwG hielt indes noch in den 1980er und frühen 1990er Jahren PeepShows für menschenunwürdig bzw. sittenwidrig. Die Frauen würden dort „wie eine der sexuellen Stimulierung dienende Sache zur entgeltlichen Betrachtung dargeboten“.399 Das Gericht begründete seine Entscheidung von 1981 noch mit der Menschenwürde (Art. 1 GG) angesichts derer die Frage nach dem davon unabhängigen Sittsamkeitsempfinden der Rechtsgemeinschaft dahinstehen könne.400 Im Jahr 1990 war es andersherum. Hier scheute der Senat die Begründung mit der Menschenwürde und berief sich auf die guten Sitten als die „sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt“ seien.401 In beiden Entscheidungen sollte es auf die Freiwilligkeit der Tätigkeit und die eigene Beurteilung durch die Betroffenen nicht ankommen: Die Menschwürde sei objektiv, unverfügbar und unverzichtbar,402 bzw. stünden die guten Sitten als sozialethische Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft über der Entscheidung Einzelner.403 An der Rechtsprechung des BVerwG zu Peep-Shows entzündete sich der hier angesprochene Konflikt zwischen Selbstbestimmung und einem „Wertabsolutis395
BVerfG NJW 1958, 257 – Lüth. weitgehend BVerwG NJW 1982, 664; siehe auch MüKoBGB/Armbrüster, § 138 Rn. 32 ff.; Staudinger/Fischinger (2021), § 138 Rn. 155. 397 Dazu eingehend Rother, AcP 172 (1972), 498 (insbesondere 507 f.). 398 OLG Stuttgart NJW-RR 1987, 1434; siehe auch OLG Hamm NJW-RR 1997, 1044; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 120 f.; zu dieser Problematik schon früh und gegen eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB plädierend, Rother, AcP 172 (1972), 498 (514 ff.). 399 BVerwG NVwZ 1990, 668. 400 BVerwG NJW 1982, 664 (665). 401 BVerwG NVwZ 1990, 668. Er führte weiter aus, dass die Prostitution zwar auch gegen die guten Sitten verstoße, sie werde „von einem Großteil der Bevölkerung aber als tragbar angesehen werden, wenn sie auf bestimmte, dafür bekannte Viertel beschränkt“ bleibe (669). 402 BVerwG NJW 1982, 664 (665). 403 BVerwG NVwZ 1990, 668 (668 f.). 396 Sehr
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
mus“ in Form einer hoheitlich vorgegebenen Auffassung von Menschenwürde.404 Dabei ging es auch um die Frage, ob eine privatautonome Entscheidung eine den Menschen verobjektivierende Herabwürdigung nicht sogar prinzipiell ausschließt.405 Dieser Konflikt ist heute weitgehend zugunsten der individuellen Entscheidung der Betroffenen entschieden. Die moderne Persönlichkeit stellt ihre Individualität über ein den Einzelnen bindendes Bild der Menschwürde. Dem ist das Recht gefolgt. Freilich wurde der Konflikt nicht restlos zugunsten der Individualität entschieden. Er hat sich nur zugunsten privatautonomer Entscheidungshoheit verlagert und bricht wieder auf, sobald eine einmal getroffene Entscheidung rückgängig gemacht werden soll. Persönlichkeitsteile sind durch weitreichend mögliche, weil nicht (mehr) sittenwidrige Einwilligungen in gewisser Weise verkehrsfähig geworden. Es geht dabei zunächst nur um die einfachste Form, einen Verbotsverzicht (pactum de non petendo). Entscheidet sich nun eine Person, ihre einmal gegebene Einwilligung zu widerrufen, greift dieser Widerruf mit Rücksicht auf Artt. 1; 2 Abs. 1 GG tendenziell durch.406 Der Konflikt zwischen Menschenwürde und Individualität muss dann auf der Ebene der Widerrufsfolgen entschieden werden. Beispiel: Wen trifft der wirtschaftliche Schaden, wenn die Darstellerin eines Pornofilms ihre Einwilligung in die Verbreitung der Aufnahmen nachträglich zurückzieht? Legte man den Schwerpunkt auf den Schutz der Menschenwürde, dürfte ihr der Widerruf nicht dadurch erschwert werden, dass sie den Filmhersteller entschädigen muss. Der Hersteller von Medienerzeugnissen, die die Persönlichkeit in drastischer Form anrühren, trüge dann das Risiko eines Sinneswandels der Betroffenen. – Betonte man hingegen die Individualität, müsste der individuelle Wille so weit dominieren, dass der Betroffenen die Entscheidung über die Widerrufbarkeit obläge, sie also auch die Möglichkeit des Widerrufs wirksam ausschließen könnte. Ähnlich könnte ein Ersatz des gesamten positiven Interesses bejaht werden. Dies würde die Möglichkeit zur individuellen Disposition über die eigene Person zulasten der Menschenwürde stärken.
Auch bei der Frage der Stärkung von Individualität muss aber zwischen Kontrollund Dispositionsherrschaft407 unterschieden werden: Individualität kann die Unterstützung der weitreichenden Disposition über die Persönlichkeit bedeuten (Dispositionsherrschaft), aber ebenso die jederzeitige, unverfügbare Kontrolle über die eigene Persönlichkeit (Kontrollherrschaft). Der Variante der Kontrollherrschaft entspricht die stets widerrufliche Einwilligung.408 Die Unsicherheit von Einwilligungen und von Versuchen, sie auszuschließen, bedeutet eine unabdingbare Kon404 V. Olshausen, NJW 1982, 2221; siehe auch aus jüngerer Zeit am Beispiel von „Big Brother“, Heidemann, ZRP 2002, 44, Replik auf Hintz/Winterberg, ZRP 2001, 293. 405 V. Olshausen, NJW 1982, 2221 (2222). 406 Vgl. nur Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 119 ff.; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 149 ff.; Klass, AfP 2005, 507 (515). 407 Dazu eingehend unten C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft. 408 Siehe dazu im Datenschutzrecht, Becker, FS Schack, 99.
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte361
trolle. Rechtsunsicherheit i. S. e. rechtlich nie ganz sicherbaren Verwertung schützt die Persönlichkeit. Einer maximierten Individualität im oben umrissenen Sinne entspräche wohl eher eine weite Dispositionsherrschaft, also verkehrssichere Verwertungsmöglichkeiten. In diese Richtung weist die Anerkennung kommerzieller Bestandteile des Persönlichkeitsrechts. Hier stellt die Frage, mit welcher Verbindlichkeit rechtsgeschäftlich über Teile der eigenen Persönlichkeit disponiert werden kann, eine wichtige Stellschraube dar. Der Status quo sieht für Fälle wie den Genannten einen Mittelweg in Form eines Ersatzes des Vertrauensschadens nach § 122 BGB (analog) vor.409 Gemessen an den dann zu ersetzenden Kosten, die insbesondere Filmproduktionen verursachen können, darf dies als tendenzielle Stärkung der Individualität verstanden werden. Die zitierte Peep Show-Rechtsprechung käme hier über § 138 BGB zu einem anderen Ergebnis.
V. Zusammenfassung und Folgerungen Die „Persönlichkeit“ ist ein vorrechtliches Phänomen mit einer langen Entwicklungsgeschichte. Nach dem zweiten Weltkrieg fand eine Rückbesinnung auf das Menschliche, eine Naturrechtsrenaissance statt. Dies hat dazu geführt, dass es schwerfällt, Definitionen des Persönlichkeitsbegriffs zu geben.410 Insbesondere scheint es schwer zu sein, Aspekte des Menschen zu nennen, die nicht Teil seiner Persönlichkeit und daher von vornherein nicht persönlichkeitsrechtlich schutzfähig sind. Ein allzu vager Begriff droht aber beliebig zu werden. Im Laufe des 20. Jahrhunderts und noch stärker im Zuge des 21. Jahrhunderts hat ein Siegeszug der Individualität stattgefunden, der in einem Spannungsverhältnis zur Vorstellung einer für jeden Menschen gleichen Menschenwürde steht. Ein plastisches Beispiel hierfür bietet die Entdeckung der Sexualität als Teil der gelebten Persönlichkeit. Hieraus folgt ein gestiegenes Interesse des Einzelnen an einer informationellen Steuerung seines Bildes in der Öffentlichkeit, das früher nur Prominente hatten. Da auch persönlichkeitsrechtliche Fragen inzwischen überwiegend über die (nicht mehr ganz) neuen Medien verhandelt werden,411 stellt sich zudem die Frage, wie Persönlichkeitsrecht im Hinblick auf Informationen strukturell funktioniert. Worüber und wie herrscht der Berechtigte? Und – ist der Herrschaftsbegriff überhaupt angebracht?
409 Erman/Klass,
Anh. § 12 Rn. 233 f. Siehe oben A. I. Abgrenzung der Persönlichkeit. 411 Siehe auch Jauernig/Teichmann, § 823 Rn. 64 (Verschärfung des persönlichkeitsrechtlichen Schutzbedarfs „durch elektronische Aufnahmetechniken und die Potentiale des Internet […] – vielfältige Verletzungsmöglichkeiten auf der psychischen Ebene, zB durch Auskundschaften der privaten Sphäre, durch Verbreitung von Informationen und Bewertungen in den Medien“). 410
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
B. Natur des Persönlichkeitsrechts In diesem Punkt ist zunächst ein Überblick über die geläufigen Strukturvorstellungen von Persönlichkeitsrechten zu gewinnen, bevor ein Anschluss an die hier vertretene Dogmatik geprüft wird.
I. Die Persönlichkeit als „Gegenstand“ von Rechten Das genaue, strukturelle Verhältnis von Persönlichkeit und Persönlichkeitsrecht ist nur selten Gegenstand von Veröffentlichungen. Typisch für die juristische Darstellung der vom Persönlichkeitsrecht geschützten Aspekte der Person ist es, den Rechtsschutz und das Schutzgut vereint darzustellen. So unterscheidet Rehbinder unter den Persönlichkeitsrechten: „(1) Rechte, die sich unmittelbar auf die menschliche Persönlichkeit beziehen. Sie bezwecken physisch den Schutz des Körpers und der Gesundheit, moralisch den Schutz der Würde und des sozialen Ansehens und physisch wie moralisch eine gewisse Entfaltungsfreiheit. […] (2) Rechte, die ein außerpersönliches Gut zum unmittelbaren Gegenstand haben, in dem sich die Persönlichkeit widerspiegelt (materialisierte Persönlichkeit), z. B. Bildnisse, Briefe, Aufnahmen auf Bild- oder Tonträger […] (3) Rechte, die ein immaterielles Gut zum unmittelbaren Gegenstand haben, das ein Ergebnis der schöpferischen Geistestätigkeit einer Persönlichkeit ist. Das sind die Urheber- und Erfinderpersönlichkeitsrechte“.412
Dies weist bereits die Richtung zur Sphärentheorie. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde als zivilrechtliche Schöpfung auf Artt. 1; 2 Abs. 1 GG gestützt413 und vom BVerfG414 mit kleinen dogmatischen Anpassungen rezipiert.415 Unterschieden werden, enger werdend und in der Schutzstärke wachsend, die Sozialsphäre, die Privatsphäre und die Intimsphäre.416 Hubmann siedelte ähnliche Sphären bereits innerhalb des Rechts auf Individualität an.417 412
Rehbinder, UFITA 66 (1973), 125 (145). 13, 334 = NJW 1954, 1404 (1405) – Leserbrief-Entscheidung; BGHZ 24, 72 (76) = NJW 1957, 1146. 414 BVerfGE 54, 148 (153) = NJW 1973, 1226 – Lebach-Fall; zur Billigung der Rechtsfortbildung extra legem als Grundlage für Schadensersatzzahlungen BVerfGE 34, 269 = GRUR 1974, 44 – Soraya. 415 Dazu BeckOK GG/Lang, Art. 2 Rn. 33. 416 Eingehend BeckOK GG/Lang, Art. 2 Rn. 39 ff.; Raue/Hegemann/Hollenders/Müller, Urheber- und Medienrecht, § 12 Rn. 74 ff.; ebd./Hegemann, § 13 Rn. 51 ff.; ähnlich Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1584 (das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „Rahmenrecht“ schütze Intimsphäre/Privatsphäre/Sozialsphäre); kritisch MüKoBGB/Rixecker, Anh. § 12 Rn. 29 f. („innerste, unantastbare Intimsphäre“/sie umgebende Privatsphäre mit geschütztem persönlichen Rückzugsbereich/Sozialsphäre als „Raum der beruflichen und gesellschaftlichen Entfaltung“); ebenfalls kritisch Staudinger/Kannowski (2018), vor § 1 Rn. 25; abweichend BeckOK BGB/Bamberger, § 12 Rn. 171 ff. (unterteilt in „Schutz der Persönlichkeit“, wozu u. a. der Privat-, Intim- und Geheimbereich zähle, den Schutz der „Identität und Selbstbestimmung der Person“ sowie das „Verbot der Diskriminierung“). 417 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 268 ff. 413 BGHZ
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte363
Zur Person selbst, als eigentlichem vorrechtlichen Zentrum des Schutzes, äußern sich Literatur und Rechtsprechung nur gelegentlich separat. Wenn, dann wird sie i. R. d. – begrifflich meist vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgekoppelten – Persönlichkeitsgüter aufgegriffen, d. h. dem Leben und der körperlichen Integrität.418 So versteht der BGH „das Recht am eigenen Körper als gesetzlich ausgeformten Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts […]. Schutzgut des § 823 I BGB ist nicht die Materie, sondern das Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert ist […]. Die Vorschrift des § 823 I BGB schützt den Körper als Basis der Persönlichkeit.“419
Im Herrenreiter-Urteil beschrieb der BGH allgemeiner die „menschliche Personhaftigkeit“, die einen „übergesetzlichen Grundwert der Rechtsordnung“ darstelle, als: „jeden inneren Persönlichkeitsbereich, der grundsätzlich nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des einzelnen untersteht und dessen Verletzung rechtlich dadurch gekennzeichnet ist, daß sie in erster Linie sog. immaterielle Schäden, Schäden, die sich in einer Persönlichkeitsminderung ausdrücken, erzeugt“ und mit Blick auf das Recht am eigenen Bild als „höchstpersönlichen Lebensbereich, zu dem vor allem auch das äußere Erscheinungsbild des Menschen zu rechnen ist“.420
Auch hier sind Recht und Persönlichkeit wieder eng verbunden. Es bleibt also im Wesentlichen bei der obigen These,421 dass das juristische Persönlichkeitsverständnis aus prinzipiellen Gründen keine scharfen Abgrenzungen des Person- und Persönlichkeitsbegriffs zu erlauben scheint, sondern beiden ein stark rechtlich geprägtes und von rechtlichen Erwägungen nicht lösbares Verständnis zugrunde liegt. (Wobei die rechtlichen Anschauungen den gesellschaftlichen Veränderungen folgen.)422 Die schärfste vorrechtliche Grenze zur Kategorisierung persönlichkeitsbezogener Handlungen scheint die zwischen Handlungen, die auf den physischen Körper inklusive seiner räumlichen Freiheit gerichtet sind (z. B. Stalking, Voyeurismus) einerseits und der kommunikativen Inbezugnahme einer Person (z. B. durch Äußerungen, Aufzeichnungen aller Art) andererseits zu sein. Diese Eckpfeiler der körperlichen Person und ihrer informationellen Repräsentation decken nur vorrechtliche Phänomene ab. Der Übergangsbereich zwischen den beiden Seiten ist 418 Vgl. MüKoBGB/Rixecker, 8. Aufl. 2018, Anh. § 12 Rn. 6; Rehbinder, UFITA 66 (1973), 125 (145). 419 BGH NJW 1994, 127 – Vernichtung von Sperma. 420 BGH GRUR 1958, 408 (409 f.) – Herrenreiter; Gottwald, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, 59. 421 Siehe oben A. I. Abgrenzung der Persönlichkeit. 422 Siehe etwa die veränderte Haltung zur Sexualität, oben A. III. Sexualität als Teil der gelebten Persönlichkeit, oder die allmähliche Kommerzialisierung von Persönlichkeitsaspekten, vgl. nur BVerfG NJW 2006, 3409 – Marlene Dietrich; BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; BGH GRUR 2000, 715 – Der blaue Engel mit Anm. Wagner.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
durch Handlungen wie z. B. zudringliche Fotografien oder die Beschaffung von Informationen durch unerbetene Hausbesuche geprägt. Die Verbindung zu den geschützten Sphären ergibt sich über die rechtliche Bewertung des jeweiligen Geschehens, also der jeweiligen Handlung bzw. Information. Entsprechend können Handlungen am Körper in die geringer oder gar nicht geschützte Sozialsphäre fallen (z. B. Antippen an der Schulter, um jemanden bei einer Veranstaltung anzusprechen), während bloße Informationen oftmals die Intimsphäre verletzen (z. B. der Bericht über die geheim gehaltene Alkoholkrankheit einer Person). Der vorrechtliche Bereich und seine rechtliche Bewertung nach der Sphärentheorie verlaufen also nicht parallel.
II. Unterteilung in Persönlichkeitsgüter(rechte) und Immaterialgüter(rechte) Es gibt eine dogmatische Trennung persönlichkeitsrechtlicher und immaterialgüterrechtlicher Schutzgüter bzw. der damit verbundenen Schutzgründe. Diese verortet Peifer überzeugend als Abgrenzung personenbezogener und objektbezogener Individualität.423 Hierbei handelt es sich eigentlich um eine Unterteilung der Rechte, die jedoch unmittelbar auf die unterschiedlichen Güter zurückgeht und daher mit diesen gemeinsam untersucht werden soll. Die Immaterialgüterrechte i. w. S. lassen sich in Persönlichkeitsrechte einerseits und echte Immaterialgüterrechte bzw. Vermögensrechte andererseits aufteilen, wobei die Bezeichnung der zweiten Gruppe streitig ist.424 Wichtiger als der genaue Gegensatzbegriff ist die Frage, woran die Unterscheidung festgemacht wird und weshalb es der Gegensatzbegriffe überhaupt bedarf. Beides geht zurück auf die Verkehrsfähigkeit der durch die Rechte erfassten Güter. In ihr drückt sich die gesamte Problematik von Person und Entäußerung aus, denn Voraussetzung der Übertragung ist die Ablösbarkeit des Gutes von der Person.425 Ihr voraus geht die Annahme, dass Gegenstände nur im Verhältnis zur Person Gegenstand sein können, mithin die Persönlichkeit als solche dem Gegenstandsbegriff entzogen ist.426 423 Vgl. nur Peifer, Individualität, 328 ff., 270 ff.; siehe auch 141 („Die gewerblichen Schutzrechte enthalten keinerlei weitere Verbindung mehr zur persönlichen Individualität des geistigen Arbeiters als die, von ihm herzurühren.“) 424 Vgl. Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 9 f. 425 BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 (2198 f.) – Marlene Dietrich; Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 355 f. (unterscheidet „innere Personengüter“, für deren Verwertung man sich „an die Person halten“ muss, von „äußeren Gütern“, die sich von der Person lösen lassen und daher „[potentiell] selbständig verkehrs- und marktfähig“ sind [Hervorh. im Original]); Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 18 II (218); Peifer, Individualität, 272 f. (Ablösbarkeit eines äußeren Guts vom Rechtsträger); Klippel, Der zivilrechtliche Schutz des Namens, 497 (Grad der Ablösung von der Person gibt vor, inwieweit unkörperliche Gegenstände verselbständigt sind und das wirtschaftliche das persönliche Interesse überwiegt); ebenso Dölemeyer/Klippel, FS GRUR, Bd. 1, 185 Rn. 74; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 9 f. (Persönlichkeitsrechte seien „nur in eng begrenztem Maße kraft obligatorischer Vereinbarungen disponibel“, Immaterialgüterrechte hingegen „Rechte an verselbständigten, verkehrsfähigen geistigen Gütern“); Büchler, AcP 206 (2006), 300 (322 f.). 426 Brecher, Das Unternehmen als Rechtsgegenstand, 23, 27 (der allerdings von einem „der
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Dies spiegelt die an Kants Sittenlehre angelehnte und vom BVerfG427 regelmäßig zur Abgrenzung der Menschenwürde herangezogene, Objektformel wider: „Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.“428
Dieser Gedanke des Gegensatzes von Mensch und Objekt ist es, der sich auch in Peifers Vorschlag zeigt, Persönlichkeitsgüter von Persönlichkeitsinteressen zu scheiden. Letztere beschrieben „lediglich einen von der Person als werthaft empfundenen Zustand“, während es bei ersteren möglich sei, „daß Dritte auf das Gut einen Zugriff nehmen, der ihnen wie beim Immaterialgut die Möglichkeit des Habens und Nutzens, also eine Herrschaftsbeziehung verschaffen kann“.429 Diese Unterscheidung erinnert stark an die Problematik, die G. Husserl bei der Genese des Rechtsgegenstandes untersuchte. Gemeint ist die von der Persönlichkeit ausgehende Relation zu einem Gut, das im Prozess der Verrechtlichung so von der Person gelöst wird, dass sie es auf einen anderen übertragen kann. Eine Vergegenständlichung der Persönlichkeit scheitere deshalb daran, dass mit ihrer Entindividualisierung ein Verfall der Person einhergeht.430 Peifer dient die Unterscheidung zur Feststellung beeinträchtigender Handlungen.431 Generell gelte, dass Persönlichkeitsgüter (und -interessen) zu eng mit der Person verbunden seien, als dass sie als von ihr gänzlich unterschiedliches Gut verstanden und weitergegeben werden könnten:432 „Persönlichkeitsgüter sind […] im Unterschied zu Immaterialgütern keine außerhalb der Persönlichkeit in gleicher Qualität existierenden Objekte. Sie gehören […] nicht der Kategorie des Habens, sondern der des Seins an.“433 Naturkausalität“ nicht unterliegenden Persönlichkeitszentrum des Ichs ausgeht); Larenz, BGB AT, 1. Aufl. 1967, § 22 I (286). Siehe auch Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 429; ders., Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 223. 427 Siehe etwa BVerfG 87, 209 = NJW 1993, 1457 (1459) – Tanz der Teufel. 428 Maunz/Dürig/Dürig (2003), GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 28. 429 Peifer, Individualität, 146 f. (Persönlichkeitsgüter seien z. B. Bild, Name, Organe oder Genmaterial, hier sei objektbezogener Schutz i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB angemessen. Persönlichkeitsinteressen wie Ehre oder Ansehen komme hingegen verhaltensbezogener Schutz [§§ 823 Abs. 2, 826 BGB] zu [145]. Diese Unterscheidung ziehe sich auch durch das aPR, das sowohl Persönlichkeitsgüter wie -interessen schützen könne [147]). 430 Siehe oben § 2 D. IV. Kritik am Modell; dort auch F. V. Speziell: Persönlichkeit als Rechtsgegenstand? 431 Peifer, Individualität, 144. 432 Peifer nimmt einige beispielhafte Differenzierungen anhand des äußeren Erscheinungsbildes und des Namens vor, die beide immerhin „auf äußere Träger fixierbar“ seien und somit eine „faktische Ablösbarkeit“ besäßen, Peifer, Individualität, 272. Nach einer eher rechtspolitisch/ ökonomisch geprägten Diskussion und einem Vergleich mit dem Markenrecht spricht er sich gegen eine Ausbildung immaterialgüterrechtsartiger Rechtspositionen an Persönlichkeitsmerkmalen aus (306). 433 Peifer, Individualität, 143 f.; der sich beruft auf Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 83 f. („Ein Recht hat man, Persönlichkeit ist man. Das Recht hat ein Haben, die Person ein Sein zum Inhalt.“); siehe auch oben schon G. Husserl, Rechtsgegenstand, § 52 (57).
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht Mit den gezeigten Ausführungen knüpft Peifer an Jellineks Statuslehre an, in die oben434 bereits eingeführt wurde und die im Folgenden kurz zu rekapitulieren und zu vertiefen ist.
1. Statuslehre und subjektives Recht Jellinek zufolge ist die Persönlichkeit „theoretisch eine das Individuum qualifizierende Beziehung zum Staate“, die „juristisch daher ein Zustand, ein Status“ sei, „an den das einzelne Recht anknüpfen kann, der aber selbst nicht Recht ist.“435 Das hat Konsequenzen für die Struktur von Persönlichkeitsrechten. Zu ihnen schreibt Jellinek nämlich weiter: „Die fortwährende Behauptung derartiger Rechte hat ihren Grund namentlich darin, dass die Existenz und gewisse Qualitäten des Menschen Objekt deliktischer Angriffe sein können. Allein Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre u. s.w. sind nicht Objekte, die der Mensch hat, sondern Eigenschaften, die sein konkretes Wesen ausmachen; sie fallen nicht unter die Kategorie des Habens, sondern unter die des Seins. Das Subjekt kann sich selbst niemals Objekt werden. Gegenstand des rechtswidrigen Angriffs ist daher gegebenen Falles nicht ein Recht, sondern das Rechtssubjekt selbst.“436
Die Statuslehre scheint damit einen Aufbau zumindest einiger Teile des Persönlichkeitsschutzes fernab echter subjektiver Rechte nahezulegen.437 – Die genaue Beziehung zwischen Status und Recht ist allerdings „dunkel“.438 Schulev-Steindl schlägt daher als Kompromiss die Qualifizierung des Status als „Statusrecht“ vor. Der Status einer Person lasse sich zwar nicht als deontische Position439 beschreiben, sei aber immerhin eine „relationale Rechtsposition“, da die Rechtsstellung „gegenüber einem oder mehreren anderen Rechtssubjekten“ bestehe.440 Er unterscheide sich von echten subjektiven Rechten „lediglich dadurch, dass die den Rechtsinhaber begünstigende Rechtsstellung ein rechtlicher ‚Zustand‘, also eine nicht-deontische Rechtsposition“ sei.441 434
Siehe oben § 2 B. III. Zur Statuslehre. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 83 f.; Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (185 f.) (In Rechten von personenrechtlicher Natur verwirkliche sich „ein rechtlicher Zustand [Status] der Person und damit unmittelbar die Persönlichkeit selber“, woraus Sohm auf deren Unübertragbarkeit schließt). 436 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 83 (dort Fn. 1). Eingehend oben § 2 B. III. Zur Statuslehre. 437 Die meisten Literaturstimmen beziehen nicht eindeutig Position zur Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der besonderen Persönlichkeitsrechte als subjektive Rechte. Zudem variiert das Verständnis des Begriffs „subjektives Recht“, siehe oben § 1 A. II. Subjektive Rechte. 438 Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, 126 f. 439 Zur deontischen Logik allgemein oben § 1 C. Normstruktur und deontische Logik. 440 Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, 129 ff. 441 Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, 131. 435
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Der Status ist ein Fall, für den Larenz’ Verständnis des Rechtssatzes als eine „Geltungsanordnung“ große Erklärungskraft besitzt.442 Die Schwächen der Aussagenlogik liegen in ihrer geringen Erklärungskraft außerhalb „vollständiger“ Rechtssätze. Wie gezeigt wurde, bedarf es einigen intellektuellen Aufwands, um aus Normen wie § 985 BGB einen an den Richter gerichteten Imperativ herauszulesen.443 Mit bloßer deontischer Logik ist dem Status zumindest aus Sicht des Geschützten nicht sinnvoll beizukommen (die Güter des § 823 Abs. 1 BGB schrumpften – ganz ähnlich der grundlegenden Rechtsfähigkeit [§ 1 BGB] – zur Voraussetzung für einzelne Ansprüche). Der Verletzer hingegen hätte den Status zu achten, müsste ihn also als Verbot auffassen. Versteht man Rechtssätze aber als Geltungsanordnung, als rechtens Seiendes, bildet sich der Status auch für die geschützte Person ab, ohne dass sie deswegen gleich ein subjektives Recht hat.
2. Das Personsein als Status So verstanden ist das Personsein des Menschen ein Status. Erst dieser (Rechts)person werden von der Rechtsordnung subjektive Rechte zugewiesen. Wurden z. B. im römischen Recht mit dem Begriff persona nur Menschen als solche bezeichnet, deren Fähigkeit bestimmte Rechte zu tragen für jede „Menschengruppe“ separat beantwortet wurde,444 kommt in der heutigen deutschen Rechtsordnung dieses Rechtspersonsein in Form der Rechtsfähigkeit jedermann unterschiedslos von Geburt an vollumfänglich zu (§ 1 BGB).445/446 Besonders deutlich ist in dieser Frage auch die Begründung des schweizerischen ZGB: „Die Rechtsfähigkeit ist in dem Sinne eine allgemeine Eigenschaft der Persönlichkeit, dass sie notwendig mit ihr verknüpft wird.“447 442 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 255 f.; siehe auch oben § 1 A. III. 6. Die Geltungsanordnung bei Larenz. 443 Siehe oben § 1 A. III. 2. e) Der Reiz der Imperativentheorie, sowie wiederum Keuth, Zur Logik der Normen, passim. 444 Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, § 64 (271). Der Begriff persona war „juristisch farblos“, Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, 168. 445 Vgl. Staudinger/Kannowski (2018), vor § 1 Rn. 2; diese positivrechtlichen Begriffe setzten die (insbesondere von Pufendorf und C. Wolff entwickelte) naturrechtliche Forderung um, Person, Mensch und Rechtsfähigkeit gleichzusetzen, ebd. Rn. 15; Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, 170 f.; HKK/Duve, § 1 Rn. 7. So schließt Thibaut (System, Bd. 1, 1. Aufl. 1803) um die Wende zum 19. Jahrhundert eine absolute Aufhebung der bürgerlichen Rechtsfähigkeit nach römischem Vorbild aus (§ 193) und benennt für die Rechtsfähigkeit Voraussetzungen, die den in der heutigen Literatur zu § 1 BGB vertretenen Auffassungen bereits stark ähneln, §§ 188 ff. Auch Kant entzieht das dem Menschen angeborene „innere Mein und Dein“ (i. e. die „Freiheit [Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür]“) seiner Rechtslehre und verweist es in die Vorrede, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 237 f. Diese angeborene Freiheit beinhaltet Gleichheit, Selbstbesitz des Menschen sowie die Handlungsfreiheit im Rahmen der kantischen Rechtsdefinition (ebd., 230) und kann nicht erworben werden, vgl. Held, Eigentum und Herrschaft bei Locke und Kant, 122. 446 Mot. I, 25 f. = Mugd. I, 370. 447 Berner Kommentar/Huber, Bd. 2, Rn. 104 sowie Rn. 98 ff.
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Einige Bekanntheit erlangten die Ausnahmen, die hiervon im nationalsozialistischen „völkischen Rechtsdenken“ erwogen wurden448 und die als Mitauslöser besagter naturrechtlicher Renaissance verstanden werden dürfen. Doch auch dort blieben „die rechtsfähige Person und der individuelle Wille […] stets relevante, ja in ihrer Relevanz nicht eigens begründungsbedürftige Instanzen“.449
Subjektive Rechte können daher nicht konstitutiv für das Personsein sein, das sie bereits voraussetzen und das vom Menschsein untrennbar ist.450 Wohl aber kann die Rechtsperson Bezugspunkt von Rechten sein, die ihr Personsein schützen, ohne ihr dieses zuzuweisen.451 Die Rede ist von den gem. § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich geschützten persönlichen Rechtsgütern Leben, Körper, Freiheit und Gesundheit.452 Anders als das Eigentum stellen diese Güter (schon begrifflich) keine Herrschaftsrechte dar, deren Inhalt gesetzlich festgelegt wäre, vielmehr fehlt es ihnen am äußerlichen, d. h. von der Person unterschiedlichen Gegenstand.453/454 Auch der Gesetzgeber stellte fest, dass „mit Grund bezweifelt werden kann, ob 448 Larenz, Über Gegenstand und Methode völkischen Rechtsdenkens, 52 f. („Für das völkische Rechtsdenken ist die Rechtsfähigkeit dagegen gegliedert. Es macht für ihren Inhalt und damit für die Rechtsstellung der Persönlichkeit einen wesentlichen Unterschied aus, ob jemand Rassegenosse oder Rassefremder […] ist. […] Der § 1 BGB bleibt insofern unberührt; aber durch die Geburt erlangt der Mensch nicht eine abstrakte ‚Rechtsfähigkeit überhaupt‘, sondern eine konkrete Rechtsfähigkeit [als Rassegenosse oder als Rassefremder].“). Hierzu und zur „konkret gestuften und beschränkten Rechtsfähigkeit“, Rüthers, JZ 2011, 593 (597 f.). 449 Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 21. 450 Vgl. auch Savigny, System, Bd. 1, 336 (Die „rechtmäßige Macht […] über sich selbst und seine Kräfte“ habe der Mensch ohnehin, sie sei „Grundlage und Voraussetzung aller wahren Rechte“, die, wie Eigentum oder Obligationen nur Bedeutung hätten „als künstliche Erweiterung unserer eigenen persönlichen Kräfte, als neue Organe, die unserem Naturwesen künstlich hinzugefügt werden“); Randa, Besitz nach österreichischem Rechte, 622 („das sog. Recht der Persönlichkeit ist die Rechtsfähigkeit, also die Voraussetzung jedwedes Rechtserwerbes, daher kein Privatrecht.“). A. A. Locke, Über die Regierung, § 27 („… so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person“). 451 Treffend macht Schlechtriem die Subsumtion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter die subjektiven Rechte von deren Definition abhängig (Schlechtriem DRiZ 1975, 65 [68]) und verweist auf die bei v. Caemmerer gezeigte Eigenständigkeit deliktischen Güter- und Interessenschutzes, der nicht stets ein entsprechendes subjektives Recht voraussetzt, v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (55) („Es ist durchaus sinnvoll anzunehmen, daß Güter und Interessen durch Schadensersatzansprüche und Abwehrklage gegen rechtswidriges Verhalten geschützt sind, ohne daß man deshalb von subjektiven Rechten sprechen müßte.“); siehe auch Bork, BGB AT, Rn. 230 (das Persönlichkeitsrecht sei „kein Recht an der Persönlichkeit, sondern ein dem Persönlichkeitsschutz dienendes Bündel von Leistungs- und Abwehrrechten gegenüber Dritten“). Ähnlich SchulevSteindl, Subjektive Rechte, 126: „Für sich genommen verleihen diese Rechtspositionen keine subjektiven Rechte der bisher behandelten Art: Dass etwa jemand […] von Rechts wegen als Träger eines bestimmten Namens gilt, bedeutet nicht notwendigerweise auch, dass er Ansprüche gegenüber anderen auf Unterlassung des (unbefugten) Gebrauchs dieses Namens hat.“ 452 Siehe nur NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 10 ff.; vgl. auch Larenz, NJW 1955, 521 (523 f.). 453 Sohm, ArchBürgR 28 (1906), 173 (185 f.) (diese Rechte bedeuteten „lediglich Ausfluß, unselbständige Begleiterscheinung einer persönlichen Eigenschaft“); Oertmann, Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. 1, 17 zu § 823 Abs. 1 BGB („[…] man kann zwar vielleicht von einem Rechte der Person auf das Leben, die Gesundheit reden; daß aber Leben, Gesundheit usw. in demselben Sinne, wie das Eigentum, selbst Rechte seien, wird niemand ernstlich behaupten.“);
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diese höheren Güter als Rechte bezeichnet werden können“.455 Ein Indiz ist, dass ihr Schutzbereich nicht durch Rechte vorgegeben ist,456 sondern stets anderweitig, nämlich durch Lehre und Rechtsprechung präzisiert werden muss.457 So gibt es in der Aufzählung des § 823 Abs. 1 BGB nur beim Eigentum eine Verletzung durch „Eingriffe in die Rechtsstellung“, oder „Bestreiten der Eigentümerstellung“ die selbständig neben Beeinträchtigungen (Verletzung, Nutzung, Entzug etc.) der Sache tritt.458
3. Persönlichkeitsrechte als subjektive Rechte Problematisch ist daher vor allem die Dogmatik bzw. Struktur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Einerseits ist es eng verwandt mit den genannten persönlichen Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB, andererseits tritt es als „sonstiges Recht“ neben Rechtspositionen, die Rechte „an“ oder „in Bezug auf“ etwas sind, also ein Rechtsobjekt haben.459 Einfache Beispiele sind neben dem Sacheigentum die als sonstige Rechte geschützten Immaterialgüterrechte oder beschränkte dingliche Rechte. Dies ist aber nicht das einzige dogmatische Problem. Denn den sog. besonderen Persönlichkeitsrechten oder auch selbständigen Persönlichkeitsrechten wird eine noch weitergehende Konkretisierung und Verselbständigung in Form subjektiver Rechte nachgesagt, also etwa dem Namensrecht (§ 12 BGB) oder dem Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG).460 Zugleich sind sie als sonstige Rechte des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt.461 allgemein Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 270. Siehe auch Larenz/Canaris, SchR II/2, 373 f. (stellen hier nichtsdestotrotz Zuweisungsgehalt und Ausschlussfunktion fest). 454 Scharfe Kritik gegen den Begriff hingegen bei E. Wolf, BGB AT, 134 f. (das Wort „Rechtsgut“ sei „ein inhalt- und gegenstandsloses Leerwort“, es setze die „absoluten Rechte und die Gegenstände auf die sie sich beziehen […] fehlerhaft in eins“). 455 Mot. II, 728 = Mugd. II, 406; siehe auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 58 f. 456 „Anders als beim Eigentum oder sonstigen absoluten Rechten kann man hier nicht von einem Bereich von Handlungen der Nutzung und Rechtsausübung sprechen, die allein dem Rechtsinhaber und seiner Disposition zugewiesen wären […]“, v. Caemmerer, Karlsruher Forum 1961, 19 (21 f.). 457 Dies implizieren die in der Lehre erläuterten Abgrenzungen, vgl. nur Larenz/Canaris, SchR II/2, 377 ff. 458 Vgl. Larenz/Canaris, SchR II/2, 386 ff., 391. 459 Darauf macht insbesondere Medicus aufmerksam, Medicus/Petersen, 26. Aufl. 2017, Bürgerliches Recht, Rn. 615 (die einzelnen Ausflüsse der Persönlichkeit seien Teile des Rechtssubjekts und von diesem untrennbar, weshalb das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht als sonstiges Recht, sondern über eine Analogie zu den vier Lebensgütern des § 823 Abs. 1 BGB zu begründen sei); so auch Brox/Walker, Schuldrecht BT, § 45 Rn. 22; ähnlich Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 99 (Zuordnung der einzelnen Schutzpositionen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu den Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB). Einen anderen Ansatz nimmt die Kritik bei E. Wolf, BGB AT, 141 ff. (vor allem 144 f.) (insbesondere sei ein „allgemeines“ Persönlichkeitsrecht „dogmatisch unhaltbar“, da es ein absolutes Recht in Bezug auf mehrere Rechtsgegenstände wie Name, Bild, Tonaufnahme des gesprochenen Wortes nicht geben könne). 460 V. Caemmerer, Karlsruher Forum 1961, 19 (23); Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, 20 ff.; Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, 96. 461 Larenz/Canaris, SchR II/2, 393 f.
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Weitere Beispiele für spezialgesetzlich geschützte Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts sind der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung über § 825 BGB oder der Schutz der Urheberpersönlichkeitsrechte in §§ 12–14 UrhG über § 97 UrhG.462
Mit solchen Spezialisierungen schützt der Gesetzgeber die Persönlichkeit in einer gewissen Hinsicht. Recht unterschiedlich ist aber ihr Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht.463 Einzelne haben durchaus die Anmutung eines subjektiven Rechts, so stellt z. B. Fezer für das Namensrecht fest: „An dem Namen als einem Rechtsobjekt steht dem Namensträger ein subjektives Recht zu, dessen Rechtsnatur im Einzelnen nicht endgültig geklärt ist.“464
Noch weiter in Richtung echter subjektiver Rechte gehen Ansätze zur Kommerzialisierung des Persönlichkeitsrechts.465 – Das allgemeine Persönlichkeitsrecht steht also in einem unklaren Verhältnis zu verschiedenen speziellen Persönlichkeitsrechten, was aber auch mit den sehr unterschiedlichen Auffassungen der Definition subjektiver Rechte zusammenhängt. Inwieweit ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht nun ein subjektives Recht? Gegen seine praktizierte Einordnung in § 823 Abs. 1 BGB und insbesondere die subjektivrechtliche Auffassung wird der Einwand fehlender sozialtypischer Offenkundigkeit466 erhoben. Anders als Name, Körper oder Bild fehle den verschiedenen Aspekten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Erkennbarkeit – gemeinsam mit der mangelnden Konturierung der geschützten Interessen in Abwägung mit den Interessen anderer beeinträchtige dies die Rechtssicherheit. Versucht wird deshalb, die Schutzstärke und damit die Rechtswidrigkeit anhand der oben gezeigten Schutzsphären, also der Unterscheidung eines inneren, intimen Persönlichkeitsbereichs von weiter gefassten Bereichen zu konkretisieren.467 Neben die mangelnde Offenkundigkeit tritt die schon angesprochene Problematik der Vergegenständlichung der Person als Rechtsobjekt. Ihr begegnet Bas462 Für eine Aufzählung siehe MüKoBGB/Rixecker, 8. Aufl. 2018, Anh. § 12 Rn. 5; Erman/ Klass, Anh. § 12 Rn. 12 ff. 463 Vgl. allgemein Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 172 ff. Siehe z. B. zum Urheberpersönlichkeitsrecht, Wandtke/Bullinger/Bullinger, UrhG, vor §§ 12 ff. Rn. 16 ff. (selbständiger, nach seinen Eigengesetzlichkeiten geregelter Teilbereich des PKR); a. A. Schlechtriem DRiZ 1975, 65 (68) (lediglich Ausschnitt des aPR); zu § 825 BGB: Staudinger/Hager (2009), § 825 Rn. 2 f. (bedeutungslos, „obsolet“); MüKoBGB/Wagner, § 825 Rn. 15 („keine abschließende Regelung“, „punktuelle Konkretisierung“); HK-BGB/A. Staudinger, § 825 Rn. 1 („geringe Praxisrelevanz“); zum KUG Larenz/Canaris, SchR II/2, 393 f. (ergänzende Anwendung des aPR); Dreier/Schulze/SpechtRiemenschneider, UrhG, vor §§ 22 ff. KUG Rn. 3 und § 22 Rn. 5 (sondergesetzliche Normierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das insoweit als Auffangrecht fungiere). 464 Fezer, MarkenG, § 15 Rn. 55. 465 Ausdrücklich z. B. Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 43 („Das Subjekt vergegenständlicht sich zum Objekt.“); siehe auch die „Rechtsfolgen der Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten“ bei Helle, RabelsZ 60 (1996), 449 (463 ff.). 466 Esser/Weyers, Schuldrecht, Bd. II/2, 145, 163; Larenz/Canaris, SchR II/2, 491; Ehmann, JuS 1997, 193 (195); MüKoBGB/Rixecker, Anh. § 12 Rn. 27; eingehend Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 141 ff. (die Offenkundigkeit richte sich nach der jeweiligen Kulturanschauung). 467 Siehe oben I. Die Persönlichkeit als „Gegenstand“ von Rechten.
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte371
ton-Vogt mit dem Hinweis, dass subjektive Rechte nicht auf die „Zuordnung eines Herrschaftsobjekts“ beschränkt sind, sondern allgemeiner der „Zuweisung eines rechtlich abgesicherten Freiheitsbereichs“ an den Rechtsträger dienen, weshalb die naturgegebene Identität von Rechtsträger und geschütztem Objekt unschädlich sei.468 Damit nähert sie sich dem Verständnis des Rechtsobjekts als Bezugspunkt.469 Es gäbe also Mittel und Wege, um das allgemeine Persönlichkeitsrecht strukturell als subjektives Recht zu begreifen. Eine Einordnung als subjektives Recht ist jedoch so lange einigermaßen belanglos, wie man mit demselben keine konkreten Vorstellungen verknüpft.470 Stellt man aber tatsächlich auf die Zuweisung eines Etwas „an“ den Rechtsträger ab471 – und sei es nur ein rechtlich abgesicherter Freiheitsbereich – bleibt eine gewisse Distanz zwischen Zugewiesenem und Rechtsträger. Diese wird problematisch, sobald es um Rechtsgüter wie Körper, Leben, Gesundheit oder Freiheit geht (die regelmäßig zur innersten der Sphären gezählt werden). Denn immerhin müssten sie ihm dann auch nicht zugewiesen sein können. Soll also ein lebender Mensch dieser Zuweisung bedürfen? Bei verschiedenen Tiergattungen käme, z. B. je nach Bewusstseinsentwicklung und Schmerzempfinden, eine aktive Entscheidung hierüber schon eher in Betracht. Bei Menschen indes scheint die Statuslehre ein ethisches Minimum zu markieren, dessen Unterschreitung sie zugleich vorbeugt. Aus diesem Blickwinkel bietet die Statuslehre eine gute Erklärung an, wenn sie bestimmte Persönlichkeitsaspekte des Menschen in der Rechtsordnung als Sein statt Haben kennzeichnet. Die in § 823 Abs. 1 BGB explizit genannten Rechtsgüter sind der Person nicht zugewiesen, sondern Teil ihres Seins. Zu ihrem Schutz stellen §§ 823, 1004 BGB (analog) Abwehrrechte bereit, die aber keine subjektiven Rechte sind, sondern sowohl dem Schutz bestimmter subjektiver Rechte (z. B. Eigentum, Immaterialgüterrechte, beschränkte dingliche Rechte) als auch reiner Rechtsgüter (z. B. Körper, Leben, Würde) dienen. Subjektivrechtliche Persönlichkeitsgüter muss man wiederum von echten Immaterialgütern unterscheiden. Persönlichkeitsgüter sind von der Person unterscheidbare Aspekte, die keine Immaterialgüter sind. Sie stehen zwischen ihnen und dem Personstatus. Die Grenze zwischen Immaterial- und Persönlichkeitsgut wird anhand der Verkehrsfähigkeit bestimmt. Wie auch einige der Immaterialgüter sind Persönlichkeitsgüter sämtlich Güter von personenbezogener Individualität.472 Es kommen vor allem die durch besondere Persönlichkeitsrechte erfassten Persön468
Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, 89 ff. Siehe oben § 3 D. II. Formale Definition – Das Rechtsobjekt als Bezugspunkt von Rechten. 470 Schlechtriem, DRiZ 1975, 65 (68). 471 So das Verständnis bei v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (55) (der Kern subjektiver Rechte liege in der Zuweisung von Gütern bzw. eines dem einzelnen zugehörigen Interessenbereiches); Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, 86, weist mit Recht darauf hin, dass sich die Einordnung entweder als in seiner Integrität passiv geschütztes Lebensgut oder als deliktisch geschütztes subjektives Recht „zwar nicht auf die Rechtsfolgen, wohl aber auf den Inhalt des deliktischen Persönlichkeitsschutzes“ auswirkt. 472 Siehe oben Fn. 423. 469
372
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
lichkeitsaspekte in Betracht, wie etwa Name, Stimme, Bild oder Urheberschaft.473 Aber auch die sexuelle Selbstbestimmung erhielt mit dem oben474 näher beschriebenen „Wandel der Wertvorstellungen“475 subjektivrechtliche Züge. Dies zeigt sich in dem dargestellten Konflikt zwischen Menschenwürde und Individualität, der zunehmend zugunsten der Individualität entschieden zu werden scheint.476 Die Frage nach einem subjektiven Recht „an“ diesen Gütern und ihrer Verkehrsfähigkeit hängt von rechtspolitischen Erwägungen ab. Genauer gesagt geht es um die Frage, für welche Persönlichkeitsaspekte eine Ablösung von der Person, eine Vergegenständlichung anerkannt werden soll. Eine solche Ablösung kann auch die Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB betreffen, so z. B. bei medizinischen Eingriffen oder abgetrennten Körperteilen und Leichen. Die Ablösung geht bis hin zu einer Anwendung der Sacheigentumsregeln.477 Im unkörperlichen Bereich gibt es eine vergleichbare Spannbreite. Immaterialgüter zerfallen mit Peifers Konzept in Gegenstände von personen- und objektbezogener Individualität, abhängig vom Grad der persönlichen Prägung.478 Sachen vergleichbar sind insofern die rein vermögensrechtlich aufgefassten Immaterialgüter wie z. B. Marken, Sorten oder in weiten Teilen auch Erfindungen, Gebrauchsmuster und Designs. Vom Persönlichkeitsrecht stärker durchwirkt sind urheberrechtliche Werke und erst recht die von den besonderen Persönlichkeitsrechten in Bezug genommenen Ausprägungen der Persönlichkeit wie etwa das Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG), das Namensrecht (§ 12 BGB) oder personenbezogene Daten i. S. v. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO. Die rechtspolitische Diskussion, wo hier welche Grenze gezogen werden sollte, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, sondern gehört einer höheren teleologischen Ebene479 an. Hierfür ist auf andere Arbeiten zu verweisen.480 Vorliegend geht es um die Struktur und Funktionsweise des Persönlichkeitsrechts, weniger um die genauen Grenzziehungen. Die vorzuschlagende Dogmatik muss aber in der Lage sein, beide Aspekte, also den statusrechtlichen und den subjektivrechtlichen Teil des Persönlichkeitsrechts zu erklären. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist von den Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB wie den besonderen Persönlichkeitsrechten nicht klar unterscheidbar. Je 473 Vgl.
Larenz/Wolf, BGB AT, § 20 Rn. 87. Siehe oben A. III. Sexualität als Teil der gelebten Persönlichkeit. 475 Vgl. BeckOK BGB/Wendtland, § 1 ProstG Rn. 1. 476 Siehe oben A. IV. Der Konflikt zwischen Menschenwürde und Individualität. 477 Vgl. etwa Schünemann, Rechte am menschlichen Körper, 92 f. (legt eine rechtliche Einordnung des menschlichen Körpers durch eine stufenweise Betrachtung dar); ähnlich Deutsch, NJW 1986, 1971 (1974). A. A. etwa Forkel, der stattdessen auf die Natur der zu schützenden Interessen des Betroffenen abstellt. Sie entsprächen nicht denen des Eigentums, sondern denen des Persönlichkeitsrechts, weswegen ausschließlich dieses und nicht das Eigentumsrecht anzuwenden sei, Forkel, JZ 1974, 593 (595 f.). 478 Siehe oben I. Die Persönlichkeit als „Gegenstand“ von Rechten. 479 Siehe oben § 1 D. Eine schrittweise Teleologie. 480 Insbesondere zu nennen sind Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 1995; Büchler, AcP 206 (2006), 300; Klüber, Persönlichkeitsschutz und Kommerzialisierung, 2007. 474
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte373
nachdem welche der diversen Fallgruppen betroffen ist, bietet sich m. E. eine Behandlung als Status oder eben als subjektives Recht bis hin zu einer Kommerzialisierung in Form einer erweiterten Verkehrsfähigkeit an. Dies ist im nächsten Abschnitt auszuführen.
IV. Zusammenfassung und Folgerungen Als schärfste vorrechtliche Grenze zur Kategorisierung persönlichkeitsbezogener Handlungen erwiesen sich die körperliche Person einerseits und ihre informationelle Repräsentation andererseits. Abwehrbar sein können Handlungen, die sich entweder körperlich auf die Person oder (körperlich wie unkörperlich) auf ihre informationelle Repräsentation beziehen. Die Verbindung zur Sphärentheorie (Intimsphäre, Privatsphäre, Sozialsphäre) ergibt sich über die rechtliche Bewertung des jeweiligen Geschehens, also der jeweiligen Handlung bzw. Information.481 Im Aufbau des Persönlichkeitsrechts gibt es einen persönlichen Kernbereich, der mit dem Personsein zusammenfällt, so dass er nicht zugleich ein von der Person unterschiedlicher Gegenstand und ihr auch nicht subjektivrechtlich als Haben zugewiesen sein kann. Dies kann begrifflich mit der Bezeichnung Personstatus oder Sein zum Ausdruck gebracht werden.482 Genauer gefasst ist das Personsein des Menschen sein Status in der Rechtsordnung. Dieser Status kommt jedem Menschen von Geburt an zu (§ 1 BGB). Erst dieser Rechtsperson werden subjektive Rechte zugewiesen. Sie ist außerdem Bezugspunkt des Schutzes personenbezogener Rechtsgüter wie Leben, Köper, Gesundheit, Freiheit oder eben Persönlichkeit. Sie haben keinen von der Person unterschiedlichen Gegenstand.483 Gegen eine subjektivrechtliche Auffassung des Persönlichkeitsrechts spricht, dass jede Art der damit verbundenen Zuweisung auch die Möglichkeit der Nichtzuweisung in sich trägt. Erst mit zunehmender Ablösung von der Person entwickelt sich ein Gegenstand des Rechtsverkehrs in Form materieller wie immaterieller Ausschnitte der Persönlichkeit.484
C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft Fraglich ist, inwieweit Persönlichkeitsrechte angesichts der obigen Ausführungen als Herrschaftsrechte verstanden werden können. Genauer geht es um die Frage, inwieweit sie sich mit einem Modell absoluter Herrschaftsrechte beschreiben lassen. Das Problem stellt sich schließlich schon bei stark wirtschaftlich geprägten Rechten mit persönlichkeitsrechtlicher Prägung, also insbesondere dem Urheberrecht, aber auch bei Rechten an Personenbildern, Namen etc. 481
Siehe oben I. Die Persönlichkeit als „Gegenstand“ von Rechten. Siehe oben III. 1. Statuslehre und subjektives Recht. 483 Siehe oben III. 2. Das Personsein als Status. 484 Siehe oben III. 3. Persönlichkeitsrechte als subjektive Rechte. 482
374
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Es wäre kaum möglich, die vermögensrechtliche Seite als unabhängiges Herrschaftsrecht darzustellen, das von der persönlichkeitsrechtlichen Seite nur „überlagert“ wird. Schließlich beziehen sich Persönlichkeitsrechte häufig genau wie Immaterialgüterrechte auf Informationen, die physisch außerhalb der Person in der Welt sind und deren Interessen beeinträchtigen. Diesem Umstand muss Rechnung getragen werden. Ferner muss das oben gezeigte ungewisse Verhältnis zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht, speziellen Persönlichkeitsrechten und Immaterialgüterrechten bedacht werden. Zunächst ist daher ein konkreterer Blick auf die Möglichkeit zu werfen, Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte zu verstehen. Auf diese Weise soll ein Ansatzpunkt für eine eigene Dogmatik gefunden werden.
I. Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte in der Literatur Mehrere Stimmen zählen Persönlichkeitsrechte zu den Herrschaftsrechten, wenn auch oftmals ohne nähere Untersuchung.485 Hier soll nur ein kurzer Überblick über das Meinungsspektrum rund um die Herrschaft über die eigene Persönlichkeit gegeben werden. Bei Larenz/Wolf werden Persönlichkeitsrechte als absolute Herrschaftsrechte und insofern als beherrschter Freiheitsbereich verstanden: „Diese Rechte sind absolute Herrschaftsrechte, weil jedermann das Persönlichkeitsrecht achten und Eingriffe unterlassen muß und die Rechtsordnung dem Berechtigten dadurch einen Freiheitsbereich sichert, in dem er seine Persönlichkeit allein verwirklichen darf, ohne auf die aktive Mitwirkung anderer angewiesen zu sein.“486
Die gegenteilige Sicht findet sich etwa bei Beuthien, der der Gefahr einer objektartigen Beherrschung begegnen zu wollen scheint, mit der wiederum die – auf Kant zurückverweisende487 – Gefahr einer dingartigen Gegenüberstellung der Persönlichkeit zur Person einherginge: „Die Persönlichkeit ist kein Gegenstand, sondern Teil der menschlichen Person. Der Mensch vermag aber kein Herrschaftsrecht an sich selbst zu haben. Erst recht kann er nicht seine Persönlichkeit wie ein Vermögensstück verwerten. Denn das verbietet, weil es menschenunwürdig ist, § 253 I BGB.“488 485 Siehe etwa Herrmann, BGB AT, Rn. 46; Bork, BGB AT, Rn. 297, siehe auch Rn. 179; zurückhaltender Neuner, JuS 2015, 961 (962) (kein dem Sachen- oder Immaterialgüterrecht entsprechendes Herrschaftsrecht, aber subjektives Recht „von anderen als Person respektiert und nicht verletzt zu werden“); MüKoBGB/Rixecker, Anh. § 12 Rn. 27 (nutzt den Begriff Herrschaft, bezeichnet das allgemeine Persönlichkeitsrecht aber nicht als Herrschaftsrecht); ablehnend Armbrüster, Examinatorium BGB AT, Rn. 48 (unterscheidet Herrschaftsrechte und Persönlichkeitsrechte); Leenen/Häublein, BGB AT, Rn. 21 ff. (unterscheiden unter den absoluten Rechten Eigentum und Persönlichkeitsrechte); Leipold, BGB I Einführung und AT, § 7 Rn. 37 (unterscheidet Herrschaftsrechte an Sachen, Persönlichkeitsrechte und Immaterialgüterrechte); Köhler, BGB AT, § 22 Rn. 6 („kein Herrschaftsrecht des Menschen an seiner Person“). 486 Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 4. 487 Dazu unten III. Drohende Disposition über die eigene Persönlichkeit. 488 Beuthien, NJW 2003, 1220 (1221).
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte375
Diese Ansicht vertreten Larenz/Canaris für die Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit – sie stellten keine Herrschaftsrechte dar, „weil ihrem Träger nicht ein gegenüber ihm selbst ‚äußerlicher‘ Gegenstand zugeordnet ist“.489 Auch für das Persönlichkeitsrecht vertrat Larenz vor der Weiterführung seines Lehrbuchs durch Manfred Wolf, dass dieses kein Herrschaftsrecht sei, sondern „ein Recht auf Achtung, auf Nichtverletzung der Person in dem, was ihr als solcher zukommt“.490 Nach diesen Darstellungen scheint die dogmatische Einordnung wenig mit der Schutzabsicht zu tun zu haben. Letztlich geht es den Autoren sämtlich um die besondere Schutzwürdigkeit der Person und ihren Gegensatz zur Sache. Es besteht nur keine Einigkeit darüber, ob sich dieser Umstand mit der Bezeichnung „Herrschaftsrecht“ ausdrücken lässt. Götting verwirft für das Persönlichkeitsrecht Herrschaftsrechte nach „den herkömmlichen Merkmalen der Subjekt-Objekt-Relation“, spricht sich aber für eine Anpassung der Dogmatik an neue rechtliche Erscheinungsformen aus – dem „archaischen, durch Herrschaftsvorstellungen über den Gegenstand des Sacheigentums geprägten Begriff des subjektiven Rechts“ dürfe man sich nicht „unreflektiert“ unterordnen.491 In der Rechtsökonomie werden Menschen- bzw. Persönlichkeitsrechte teils verkürzt erfasst. Es wird eine Ähnlichkeit zum Eigentum und ein „absolutes Verfügungsrecht“ festgestellt, dann aber doch die Unveräußerlichkeit (Inalienability) betont und eben auch hier der Maßstab der Effizienz anlegt.492 Die eingehendsten Ausführungen zu Persönlichkeitsrechten als Herrschaftsrechten finden sich bei Peifer vor dem Hintergrund seiner Unterscheidung von Persönlichkeits- und Immaterialgütern. Für die Frage, ob das Persönlichkeitsrecht als subjektives Privatrecht ein Herrschaftsrecht über immaterielle Güter sein kann, sei entscheidend, „ob das subjektive Privatrecht nur Objektbeziehungen erfasst“.493 Er unterscheidet sodann eigentumsartige Herrschaftsrechte und eine, das Persönlichkeitsrecht kennzeichnende „faktische Herrschaftsbefugnis, die auch ohne staatliche Verleihung vorhanden“ sei. Die Person habe „das Persönlichkeitsgut ja ohnehin“.494 „Da das Gut untrennbar mit der Person verbunden ist und diese Bindung auch nicht dadurch verliert, daß das Gut sich in bestimmten Formen materialisiert, besteht zunächst überhaupt keine Veranlassung, der Person Rechte zum Haben und Nutzen zuzuteilen.“495
489
Larenz/Canaris, SchR II/2, 374. Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 16 I (282). 491 Götting, GRUR 2004, 801 (805), dort insbesondere Fn. 43; Götting/Schertz/Seitz/Götting, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, § 10 Rn. 17 f. („Prokrustesbett der tradierten Herrschaftsstruktur des subjektiven Rechts“). 492 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 98 f.; Cooter/Ulen, Law and Economics, 161 f. 493 Peifer, Individualität, 136. 494 Peifer, Individualität, 148. 495 Peifer, Individualität, 148. 490
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Ausgangspunkt ist also eine vorrechtliche Bindung zwischen Person und Persönlichkeitsgut sowie eine damit verbundene faktische Herrschaftsbefugnis, die keiner rechtlichen Verleihung bedarf. „Rechtlich zu verleihen ist hier also nur die Befugnis, den Eingriff abzuwehren. Dadurch wird die Ausschließlichkeit der faktischen eigenen gegen die fremde Herrschaftsmacht auch rechtlich abgesichert.“496
Demgegenüber stellten Immaterialgüterrechte als Herrschaftsrechte „individuelle Beziehungen zwischen Personen und Rechtsgegenständen“ erstmalig her. Erst diese rechtlich vermittelte Beziehung und Herrschaft sei die Basis für Abwehrrechte. „Ist der Schutz gegen Eingriffe bei den Immaterialgüterrechten wie beim Eigentum mithin nur Reflex der rechtlich verliehenen Herrschaft über Nutzungshandlungen, so liegt das Wesen des Persönlichkeitsrechts in der Abwehr von Eingriffen oder Störungen.“497
Der Schwerpunkt dieser Sicht liegt in der Feststellung, dass eine rechtliche Zuweisung von Persönlichkeitsgütern sinnlos wäre, da diese nichts Äußeres sind, sondern bereits ein enges Band und faktische Herrschaft existieren. Herrschaftsrechte hingegen weisen nach dieser Lehre einer Person Güter zu, zu denen kein vorrechtliches Band und über die keine Herrschaft besteht. Zudem unterscheidet diese Sicht zumindest zwei Arten von Rechten, nämlich Abwehrrechte und rechtlich zugewiesene Nutzungshandlungen. Erstere prägten die Persönlichkeitsrechte, letztere die Immaterialgüterrechte.498 Damit geht Peifer von einer anderen als der hier vertretenen Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte aus, was bei seiner Untersuchung allerdings nicht im Vordergrund steht. Wichtiger ist sein Verständnis von Persönlichkeitsrechten als rechtliche Absicherung vorrechtlicher, faktischer Herrschaftsmacht gegen Eingriffe.
II. Die Begriffe „Kontrollherrschaft“ und „Dispositionsherrschaft“ Vorzuschlagen ist nun die Unterscheidung zweier verschiedener Ausprägungen von Herrschaft, die nach den bisherigen Ausführungen beide unter dem Begriff „Herrschaftsrecht“ zum Ausdruck kamen (was in der Vergangenheit ein Grund für Missverständnisse gewesen sein könnte): Unterschieden werden muss zwischen Kontrollherrschaft als Herrschaft i. S. d. Kontrolle über einen bestimmten Lebensbereich und Dispositionsherrschaft als Herrschaft i. S. v. rechtlichen Handlungsmöglichkeiten mit einem Rechtsgegenstand. Gemeinsam ist den Bedeutungen, dass sie jeweils eine starke, absolut wir496
Peifer, Individualität, 149. Peifer, Individualität, 148 f. 498 Die vorliegende Darstellung ist freilich überspitzt. Persönlichkeitsrechte und Immaterialgüterrechte gehen vielfach ineinander über bzw. haben sich Immaterialgüterrechte teilweise aus Persönlichkeitsrechten entwickelt. Siehe dazu auch unten IV. Vom Personstatus zum verkehrsfähigen Persönlichkeitsgegenstand. 497
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte377
kende Rechtsposition des Berechtigten bezeichnen, die ihm eine Form von Bestimmungsgewalt über körperliche oder unkörperliche Gegenstände zuweist.499 Der Unterschied liegt also im Inhalt der Bestimmungsgewalt – die Rechtsordnung sichert dem Berechtigten nicht beliebige Bestimmung zu, sondern Kontrollbefugnisse einerseits und rechtliche Handlungsmöglichkeiten andererseits. Dispositionsherrschaft, d. h. Herrschaft i. S. v. rechtlichen Verfügungsmöglichkeiten geht über die bloße Zuweisung der Bestimmungsgewalt über Gegenstände zum Zwecke der Kontrolle und damit über Kontrollherrschaft hinaus. Im Falle des Sacheigentums liegt die Dispositionsherrschaft in der rechtlichen Möglichkeit des Eigentümers, über seine Rechtsposition und damit auch über die Kontrollherrschaft zu verfügen. Dies kam in den Ausführungen zur Zuweisung von Verfügungsmacht als Zuständigkeit für Zuordnungsänderungen zum Ausdruck.500 Eine schwächere Dispositionsform, jenseits der Gestaltung absoluter Herrschaftsrechte, ist die Anerkennung der vertraglichen Disposition durch die Rechtsordnung. Sie kann entscheiden, ob sie Verträge über bestimmte Leistungen/Güter anerkennt, für nichtig erklärt (§§ 134, 138 BGB) oder in einem dazwischen liegenden Bereich reguliert (z. B. durch das AGB-Recht, Verbraucherschutzrecht oder spezielle Vertragstypen). Der Berechtigte erhält also Handlungs-/Dispositionsmöglichkeiten mit seinen Rechten und den dadurch geschützten Gegenständen, die über bloße Kontrolle hinausgehen und die er ohne die besondere Rechtsstellung nicht hätte. Dabei geht es im Wesentlichen um veränderte Eigenschaften seiner Rechtsposition, insbesondere um eine erhöhte Verkehrsfähigkeit, d. h. die Eigenschaft, verfügend übertragbar zu sein (was, wie oben501 gezeigt wurde, abgestuft geschehen kann). Damit einher geht stets eine nähere Definition des Schutzgegenstandes.
III. Drohende Disposition über die eigene Persönlichkeit Die skeptischen Stimmen zu Persönlichkeitsrechten als Herrschaftsrechten scheinen von einer Herrschaft im Sinne rechtlich anerkannter Dispositionsmöglichkeiten über die eigene Persönlichkeit auszugehen. Zu erinnern ist zunächst an die grundlegende Ablehnung, die Kant aus dem Umfang und der Verfügbarkeit der Eigentumsrechte folgert, derentwegen „ein Mensch sein eigener Herr (sui iuris), aber nicht Eigentümer von sich selbst (sui dominus, über sich nach Belieben disponieren zu können), geschweige denn von anderen Menschen sein kann, weil er der Menschheit in seiner eigenen Person verantwortlich ist“.502 Es geht also einerseits um die persönliche Verantwortung der Menschheit gegenüber, was Gegen-
499 Dies wird unten ausgeführt, siehe unten IV. Vom Personstatus zum verkehrsfähigen Persönlichkeitsgegenstand. 500 Siehe oben § 9 H. Zusammenfassung und Folgerungen. 501 Siehe oben § 9 G. III. 3. Beschränkung von Verfügungsmacht. 502 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA VI, 270.
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
stand der Tugendlehre,503 nicht des Sachenrechts ist. Andererseits um den kategorischen Ausschluss des Menschen als Bestimmungsobjekt.504
Zu den bekanntesten Stellungnahmen zu einem Herrschaftsrecht des Menschen über sich selbst dürfte die von Savigny befürchtete Konsequenz eines Rechts auf Selbstmord gehören,505 wenngleich sie weder zwingend ist,506 noch von Savigny generell auf Persönlichkeitsrechte, sondern auf ein „Eigenthumsrecht“ an der „sichtbaren Erscheinung der Person“ bezogen wurde. Rechte, die auf die eigenen „Geisteskräfte“ gerichtet sind, verwarf er hingegen, weil er keine Gefahr sah, dass ein Mensch den anderen am Denken hindere.507 Entscheidend dabei ist der Bezug auf das Eigentum und insofern eine entscheidende Eigenschaft des Eigentums: Die Möglichkeit seiner endgültigen Ablösung vom Rechtsinhaber, sein maximaler Grad an Verfügbarkeit. Savigny fürchtete die Einräumung einer zu weit reichenden, von der Rechtsordnung gestützten Dispositionsmöglichkeit des Menschen über sich selbst. Diese Verhinderung der Disposition, der „Ausschluss des Menschen als Bestimmungsobjekt“ (Kant, ebd.) ist es, um den es auch in der moderneren Diskussion des Persönlichkeitsrechts geht: Sie assoziiert mit einem Herrschaftsrecht, dass die Rechtsordnung dem Berechtigten neue, verbindliche Handlungsmöglichkeiten eröffnet, deren Ausübung dem Verständnis des Persönlichkeitsschutzes zuwiderliefe. Die heutigen Einwände gehen in Richtung der menschenunwürdigen Verrechtlichung508 und Veräußerbarkeit509 von Persönlichkeitsgütern. Dasselbe Bild 503 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, AA VI, 420 (Pflicht des Menschen gegen sich selbst sei die „Übereinstimmung der Maximen seines Willens mit der Würde der Menschheit in seiner Person“, dies konkretisiert er – an das Sachenrecht anschließend – als das Verbot, sich der „inneren Freiheit“ zu berauben „und dadurch zum Spiel bloßer Neigungen, also zur Sache“ zu machen. Wiederum als Pflicht gegen sich selbst verneint Kant auch den Selbstmord, ebd., 422 f. 504 Vgl. Höffe/Kühl, Metaphysische Anfangsgründe, 117 (121). 505 Savigny, System, Bd. 1, 335 f. 506 Vielmehr hängt sie mit dem Savigny’schen Willensdogma zusammen, Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, 297. 507 Savigny, System, Bd. 1, 335 f. 508 „Es gereicht der Rechtswissenschaft der Neuzeit keineswegs zu Ehre, dass sie den Begriff des subjektiven Rechts aus der Beziehung des Menschen zu den körperlichen Dingen der Außenwelt abgeleitet hat, so dass sie seine Beziehungen zu unkörperlichen Dingen, um sie überhaupt rechtlicher Erfassung zugänglich zu machen und am Rechtsschutz teilnehmen zu lassen, als Immaterialgüterrechte nach Analogie des Eigentums behandeln musste. Der Mensch als Geistwesen steht in Beziehung nicht nur zur Außenwelt, sondern auch zur Überwelt, zu Ideen und Werten sowie zu seinem eigenen Inneren, das sich wieder als ein Komplex von Beziehungen und Schichten enthüllt hat.“, Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 116. 509 Vgl. Peifer, Individualität, 292 („Gefahr, dass Dritte nicht rückrufbare Kontrollbefugnisse über Persönlichkeitsgüter erhalten“); Büchler, AcP 206 (2006), 300 (325 ff.); Beuthien, NJW 2003, 1220 (1221): „An Gegenständen bestehen Herrschaftsrechte (insbesondere als wichtigstes Vermögensrecht das Eigentum). Die Persönlichkeit ist kein Gegenstand, sondern Teil der menschlichen Person. Der Mensch vermag aber kein Herrschaftsrecht an sich selbst zu haben. Erst recht kann er nicht seine Persönlichkeit wie ein Vermögensstück verwerten. Denn das verbietet, weil es menschenunwürdig ist, § 253 I BGB.“
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte379
zeigte sich in der obigen Unterscheidung von Persönlichkeits- und Immaterialgütern.510 Mit Peifer wurden einige, besonders eng mit der Person verbundene Persönlichkeitsaspekte, bei denen es „nicht um Beherrschung, sondern eine Verwaltung“ geht, als nicht subjektivrechtlich zugewiesen, sondern als über Statusrechte geschützt verstanden.511 Auch dieser Sichtweise liegt ein Herrschaftsverständnis zugrunde, das Herrschaft als Erweiterung des rechtlichen Könnens, als disponierende Beherrschung versteht. Dies ist es auch was Peifer als „Haben und Nutzen“512 bezeichnet. Drohende Konsequenz dessen sei die Unterwerfung der Person unter die „Fremdbestimmung eines Verwerters“.513 Werde dieser Weg einmal eröffnet, bestehe ein Anreiz für andere Investitionen, als wenn besagte Fremdbestimmung lediglich abgewehrt werden könnte.514
IV. Vom Personstatus zum verkehrsfähigen Persönlichkeitsgegenstand Aufbauend auf den beiden Herrschaftsausprägungen Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft ist nun der Vorschlag einer Dogmatik zum Persönlichkeitsrecht zu unterbreiten, die den Übergang vom Personstatus zum verkehrsfähigen Persönlichkeitsgegenstand mit abdeckt.
1. Kontrollherrschaft über nicht-rechtliche Gegenstände Der Mensch als Rechtssubjekt hat einen Status, dessen Schutz durch Verbotsrechte realisiert wird. Er kann durch Verbotsrechte gegenüber anderen Rechtssubjekten körperliche Beeinträchtigungen von sich fernhalten. Hier ist insbesondere § 823 Abs. 1 BGB betroffen (Schutz von Körper, Leben, Gesundheit und Freiheit). Es bestehen dabei lediglich rechtliche Beziehungen zwischen Rechtssubjekten ohne jeden Gegenstand: Rechtssubjekt ––– Recht ––– Rechtssubjekt Sobald Gegenstände (bei denen es sich überwiegend um Informationen handeln wird) außerhalb des menschlichen Körpers diesen Personstatus beeinträchtigen, richten sich die Verbotsrechte auf diese Gegenstände (z. B. auf erniedrigende Äußerungen in einem sozialen Netzwerk). Diese Gegenstände dienen hier aber nur dazu, die gegen Dritte bestehenden Rechte abzugrenzen. Es sind keine Rechtsgegenstände (dazu sogleich). 510 Siehe oben B. I. Die Persönlichkeit als „Gegenstand“ von Rechten; II. Unterteilung in Persönlichkeitsgüter(rechte) und Immaterialgüter(rechte). Siehe zur Entwicklung des Gegensatzes von Eigentumsrecht und Persönlichkeitsschutz ferner Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 106 ff. 511 Peifer, Individualität, 148 f. 512 Peifer, Individualität, 148; dazu oben I. Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte in der Literatur. 513 Peifer, GRUR 2002, 495 (500). 514 Peifer, GRUR 2002, 495 (498).
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Daher bereitet die Unterscheidung zwischen verletzenden menschlichen Handlungen und verletzenden Gegenständen keine Schwierigkeiten. Sofern sich das Verbotsrecht auf eine bestimmte zu verbietende Handlung beschränkt (z. B. ein Unterlassungsanspruch gegen das Ausspähen des privaten Lebensbereichs), passt die Beschreibung als Rechtssubjekt – Recht – Rechtssubjekt. Richtet sich der Anspruch auf die Beseitigung oder Veränderung von Informationen (z. B. im Falle eines streitigen Zeitungsartikels oder Social Media-Posts), ist die Rede von einem Gegenstand anschaulicher. Denn dieser Gegenstand soll der Bestimmungsgewalt der Person unterworfen werden – dies aber nur im Sinne einer Kontrollherrschaft. Es bleibt beim Schema Rechtssubjekt – Recht – Rechtssubjekt. Denn der bis zu dieser Stelle genannte persönlichkeitsverletzende Gegenstand ist kein Rechtsgegenstand i. S. e. Rechtsobjekts. Es hat kein Prozess der Ablösung einzelner Aspekte von der Person stattgefunden, die nun in den Augen der Rechtsordnung in Gegenständen verkörpert wäre. Der oben von Husserl beschriebene Prozess,515 der in ähnlicher Weise der Objektformel des BVerfG zugrunde liegt516 und durch die Vergegenständlichungsfunktion von Rechtsobjekten517 sowie die Einteilung in Statusrechte und subjektive Rechte518 in Bezug genommen wird, wird für diese Gegenstände klar verneint. Es löst sich kein Rechtsgegenstand vom Menschen ab. Beispiel: Der beleidigende Facebook-Post, die entwürdigenden Fotos, die verletzenden Buchpassagen sind allesamt keine von der Person abgelösten Gegenstände mit eigener rechtlicher Existenz. Sie sind vielmehr Angriffsmittel, auf deren Beseitigung, Veränderung, Richtigstellung etc. der Abwehranspruch als Instrument der Kontrollherrschaft des Berechtigten gerichtet ist. Das schließt freilich nicht aus, dass anderweitige Schutzrechte an ihnen bestehen (z. B. ein Urheber- oder Leistungsschutzrecht des Angreifers).
Besagte Gegenstände sind in ihrer auf den Verletzten bezogenen persönlichkeitsrechtlichen Dimension keine rechtlich existenten Gegenstände, weil die Rechtsordnung kein Persönlichkeitsrecht „an“ ihnen anerkennt.519 Sie sind gegebenenfalls Sachen (bei physischen Fotos), urheberrechtliche Werke oder Designs (§ 1 Nr. 1 DesignG) und gehören in dieser Hinsicht jemandem (meist dem Angreifer). Sie sind aber keine rechtlich existenten Persönlichkeitsgegenstände des Verletzten. Sie erheben keine Ausschnitte der Persönlichkeit zum Rechtsgegenstand und erst recht entsteht kein Verfügungsobjekt. Dem Berechtigten fehlt die Rechtsmacht, um über diese Rechte zu verfügen, ihnen ist von seiner Seite keine Verfügungsmacht angegliedert.
515
Siehe oben § 2 B. Der Rechtsgegenstand bei G. Husserl. Siehe oben B. I. Die Persönlichkeit als „Gegenstand“ von Rechten; II. Unterteilung in Persönlichkeitsgüter(rechte) und Immaterialgüter(rechte). 517 Siehe oben § 3 D. VI. 2. Vergegenständlichung. 518 Siehe oben B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. 519 Vgl. die Ausführungen zur Eigentumsfähigkeit als Existenzbedingung für Sachen, siehe oben § 2 B. VI. 1. Gleichsetzung von Recht und Rechtsobjekt. 516
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte381
Wieder liegt eine mehrschrittige Teleologie520 vor: Dem Berechtigten werden Abwehransprüche (Beseitigung, Richtigstellung etc.) eingeräumt, um ihm eine gewisse Bestimmungsgewalt über rechtsverletzende Gegenstände zu geben. Die Bestimmungsgewalt über diese Gegenstände ist wiederum ein Instrument der Kontrollherrschaft, die ihrerseits dem Schutz der Persönlichkeit dient.
Der Berechtigte hat aber die Freiheit, von den aus der Verletzung seines Personstatus ausgehenden Abwehransprüchen Gebrauch zu machen oder nicht. Diese Ansprüche richten sich auf die verletzenden Posts, Fotos, Videos, Texte (also Informationen), Handlungen (z. B. mündliche Äußerungen) und Gegenstände, also pauschal formuliert auf die Angriffsmittel. Der Verletzte kann sie rechtlich abwehren. Das hinter seinen Abwehransprüchen stehende primäre Recht, das Statusrecht, dient dabei der Abgrenzung der Rechtswidrigkeit521 und steht nicht zu seiner Disposition. In der Entscheidungsfreiheit darüber, von Abwehransprüchen Gebrauch zu machen, zeigt sich ein nicht zu vermeidender Rest der Subjektivität privater Rechtspositionen.522 Sofern das Individuum hier selbst entscheiden können soll, hat seine Rechtsstellung etwas Subjektives. Man kann diesen Zustand daher bereits als eine Form von Herrschaft verstehen, als Kontrollherrschaft. Diese Kontrollherrschaft findet eine strikte Grenze im strafrechtlichen Offizialdelikt. Die Rechtsordnung gewährt Personen z. B. nicht die Freiheit, eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) rechtlich zuzulassen, also zu legalisieren.523 Demgegenüber steht Betroffenen im Falle von Beleidigungsdelikten (§§ 185 ff. StGB) der strafrechtliche Weg zwar offen, die Verfolgung ist ihnen – anders als bei vielen anderen Persönlichkeitsrechtsverletzungen – aber anheimgestellt (§ 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Kontrollherrschaft kann also, mit unterschiedlichen Freiheitsgraden, strafrechtlich unterlegt sein. Inwieweit die Nichtgeltendmachung von Abwehransprüchen für die Zukunft verbindlich versprochen werden kann, ist eine Frage des – hier nicht näher zu behandelnden – Vertragsrechts. Wie schon erwähnt, zählt dies nicht zu den Gestaltungsoptionen absoluter Herrschaftsrechte.524 Es geht vielmehr um die Zulässigkeit des Versprechens eigenen Verhaltens oder Unterlassens. Dieses Dispositionsinstrument ist milder als die verfügende Disposition, da hier keine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben werden, sondern tatsächliches Handeln versprochen wird, also die Möglichkeit abweichenden Verhaltens erhalten bleibt. Die Grenzen des Vertragsrechts dienen (unter anderem) dem Schutz vor Versprechen, die bestimmte Rechtsgüter gefährden, da den Versprechenden immerhin die Haftung für einen Vertragsbruch träfe.525 520
Siehe oben § 1 D. Eine schrittweise Teleologie. Siehe unten § 15 A. II. 1. Die Personalsphäre des Menschen. 522 Siehe oben § 1 A. II. 3. Kombinationstheorie. 523 Siehe nur Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Paeffgen/Böse, § 226 Rn. 49; Becker, FS Schack, 99 (102 f.). 524 Siehe oben II. Die Begriffe „Kontrollherrschaft“ und „Dispositionsherrschaft“. 525 Siehe oben A. IV. Der Konflikt zwischen Menschenwürde und Individualität. 521
382
3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
Streitiger ist die Übertragbarkeit einzelner Ansprüche, insbesondere solcher auf Geldentschädigung. Diese Ansprüche sind dem BGH zufolge nicht Teil des Stammrechts, also des Persönlichkeitsrechts, da sie aus diesem Recht entstünden und ihre Abtretung nichts daran ändere, „dass das Persönlichkeitsrecht seinen Träger weiter in vollem Umfang schützt“.526 Zur Übertragbarkeit unter Lebenden hat sich der BGH noch nicht abschließend geäußert.527 Die Vererblichkeit handhabt er trotz besagter Distanzierung vom Stammrecht restriktiv – vererblich sein soll der Anspruch erst ab seiner rechtskräftigen Zuerkennung.528 In der dahinterstehenden Diskussion herrscht Uneinigkeit darüber, wie die Persönlichkeit Betroffener am besten geschützt werden kann, also, ob eine großzügigere Vererblichkeit und/oder Übertragbarkeit einen besseren Schutz gewährleiste als die restriktive Linie. Angeführt werden die Ungleichbehandlung mit anderen immateriellen Schadensersatzansprüchen und die Willkür angesichts des ungewissen Todeszeitpunkts Betroffener, die ein Verletzer durch Verfahrensverzögerungen für sich nutzen könnte.529 Eine verbesserte wirtschaftliche Verwertung der Persönlichkeit wird in diesem Zusammenhang, soweit ersichtlich, nicht gefordert.
2. Dispositionsherrschaft über Rechtsgegenstände Bis zu dieser Stelle haben persönlichkeitsbezogene Gegenstände keine Funktion, die über die Abgrenzung von Rechten und Pflichten hinausginge, weshalb man sie rechtsstrukturell eigentlich unbeachtet lassen könnte. Sie werden strukturell aber relevant, sobald die Rechtsordnung ihnen doch eine Existenz als Rechtsgegenstand gewährt. Beispiel: Der urheberrechtlich geschützte Text des Tagebuchs hat auch als persönlichkeitsrechtliche Entäußerung rechtliche Existenz. Denn das UrhG erkennt ihn zugunsten des Autors in seiner vermögensrechtlichen und persönlichkeitsrechtlichen Dimension als Werk an.
Wie oben ausgeführt wurde, geht die rechtliche Anerkennung nicht zwingend mit der Einräumung von Verfügungsrechten einher. Die subjektiv-rechtliche Rechtsinhaberschaft – hier in Bezug auf Rechte an persönlichkeitsbezogenen Gegenständen – ist von der Einräumung von Verfügungsmacht strikt zu unterscheiden.530 Praktisch sind die Anerkennung eines Rechtsgegenstands und die Einräumung verfügbarer Rechte aber i. d. R. verbunden.
526 BGHZ 189, 65 = NJW 2011, 2296 Rn. 40; BGHZ 201, 45 = JZ 2014, 1053 Rn. 9 – Peter Alexander. 527 Vgl. Erman/Klass, Anh. § 12 Rn. 203; siehe auch Schack, JZ 2018, 44 (45) (einer Übertragung unter Lebenden stehe aber – mit Fokus auf eine erleichterte Einziehung der Geldschuld – nichts entgegen). 528 BGHZ 215, 117 = JZ 2018, 42 Rn. 18; siehe auch MüKo/Roth/Kieninger, § 399 Rn. 10. 529 Beuthien, GRUR 2014, 957 (959); Schack, JZ 2018, 44 (45 f.). 530 Siehe oben § 9 G. IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit.
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte383
So erhebt das Urheberrecht zum einen die persönliche geistige Schöpfung zum Werk und damit in den Stand eines rechtlich existenten Gegenstandes (in Form eines Idealguts), „an“ dem das Urheberrecht besteht, indem es diesen dem Urheber zuordnet (Rechtsinhaberschaft). Zum anderen verleiht es dem Rechtsinhaber Verfügungsmacht über das eingeräumte Urheberrecht. Der Urheber kann somit über einen persönlichkeitsrechtlich geprägten, rechtlich existenten Gegenstand verfügen (§ 31 UrhG), wenn auch seine Verfügungsmacht nicht zur endgültigen Ablösung von dem Recht ausreicht (§ 29 UrhG).
Es gibt noch weitere persönlichkeitsrechtlich geprägte Rechtsgegenstände. Nur schwach persönlichkeitsrechtlich geprägt sind neben dem Urheberrecht andere schöpferische Immaterialgüter, z. B. Designs, Erfindungen oder Markenzeichen. In gewissem Maße sind aber auch in solchen anerkannten Rechtsgegenständen Merkmale der Persönlichkeit enthalten und von der Person abgelöst. Diese Form von Herrschaft, die nicht nur der Kontrolle i. S. d. Schutzes der eigenen Persönlichkeit, sondern ihrer Vermarktung dient, wurde hier als Dispositionsherrschaft benannt. Erst wenn die Rechtsordnung Dispositionsherrschaft eingeräumt hat, gibt es auch ein Verfügungsobjekt. Heikel ist daher nach wie vor die Diskussion um die „vermarktungsfähigen Persönlichkeitsmerkmale“,531 also z. B. Bilder (§ 22 KUG), Stimmaufnahmen oder den Namen einer Person (§ 12 BGB). Der Streit dreht sich um die schon angesprochene Frage, welcher Grad an verfügenden Rechtseinräumungen anzuerkennen ist. Die Meinungen reichen von einem „vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Namensträgers abspaltbaren, übertragbaren und dinglich verwertbaren materiellen Bestandteil […] mit Zuweisungsgehalt“532 bzw. einem „Persönlichkeitsgüterrecht als Verwertungsrecht an eigenpersönlichen Gegenständen“533 (wobei allerdings nicht die Verfügungsproblematik angesprochen wird) bis zur gegenteiligen Ansicht, die schon die Verwertbarkeit als Zielsetzung kritisiert, mitsamt der dafür erforderlichen Ablösung von Persönlichkeitsmerkmalen.534
3. Persönlichkeitsrecht als Informationsbestimmungsrecht Herrschaft drückt sich mit den obigen Ausführungen535 in Bestimmungsgewalt über Gegenstände536 aus. Diese Gegenstände sind im Sachenrecht Sachen, im Immaterialgüterrecht Idealgüter repräsentierende Informationen und im reinen Persönlichkeitsrecht vorrechtliche Gegenstände (in aller Regel ebenfalls Informationen), d. h. Gegenstände/Informationen ohne rechtliche Existenz. Der Gegenstandsbegriff bezeichnet bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Gegenständen also nur den Ausschnitt der realen Lebenswelt, auf den sich Handlungen beziehen 531 Erman/Klass,
Anh. § 12 Rn. 74. Ullmann, WRP 2000, 1049 (1052); ders., AfP 1999, 209. 533 Beuthien/Schmölz, Persönlichkeitsschutz durch Persönlichkeitsgüterrechte, 32 ff. 534 Peifer, GRUR 2002, 495 (497 ff.); Schack, AcP 195 (1995), 594 (594 f.); siehe auch den Überblick bei Götting/Schertz/Seitz/Götting, Handbuch Persönlichkeitsrecht, § 10 Rn. 3 ff. 535 Siehe oben § 10 Besitz und Herrschaft. 536 Siehe oben § 10 B. V. 3. Folgerungen. 532
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
(ähnlich dem Leistungssubstrat537 im Vertragsrecht). Er steht nicht für etwas rechtlich Existentes. Je nachdem in welchem Maße eine Ablösung/Vergegenständlichung von Persönlichkeitsaspekten von der Person befürwortet wird, kann es sich bei Informationen aber auch um persönlichkeitsrechtlich geprägte Rechtsgegenstände handeln. Die Persönlichkeitsaspekte, deren Kommerzialisierung weitgehend anerkannt ist, betreffen sogar fast ausschließlich Informationsgüter. Beispiele sind die Vervielfältigung, Wiedergabe, Verbreitung etc. der Bilder von Schauspielern in Filmen, der Stimme in Audioaufnahmen oder das Abbild einer Person in einem Roman oder anderen Werken. Persönlichkeitsrechte sind in ihrer wichtigsten Ausprägung – wie Immaterialgüterrechte – Informationsbestimmungsrechte. Gleich, ob es sich bei den Informationen um vorrechtliche Gegenstände oder um Rechtsgegenstände handelt, sind Persönlichkeitsrechte von ihrer Rechtsnatur her Realgüterrechte.538 Die Persönlichkeit ist ein Realgut, genießt aber einen weit ausgedehnten Verwertungsschutz für ihre Repräsentationen, also für informationelle Ausschnitte der betreffenden Persönlichkeit. Obwohl diese Form der repräsentierenden Verwertung für Idealgüter typisch ist, ist das Abbild vorliegend nicht die Repräsentation einer „Idealpersönlichkeit“, sondern der echten Persönlichkeit des konkreten „Urbilds“.539
4. Überlagerung abgelöster Rechtsgegenstände durch Persönlichkeitsrechte Wie erklären sich vor diesem Hintergrund Überlagerungen abgelöster persönlicher Rechtsgegenstände durch Persönlichkeitsrechte? Ein Beispiel für das Problem sind die Urheberpersönlichkeitsrechte. Wie kann ein Werk einerseits verkehrsfähige Persönlichkeitsaspekte enthalten und andererseits persönlichkeitsrechtlich gebunden sein? Die Antwort liegt bereits im Begriff „Überlagerung“. So wie Sacheigentum von Persönlichkeitsrecht oder Datenschutzrecht überlagert sein kann, kann auch ein urheberrechtliches Werk von speziellen Persönlichkeitsrechten überlagert sein. Der Autor kann Verwertungsrechte an einen Verlag abtreten und sich nach wie vor gegen die Nichtnennung seines Namens (§ 13 UrhG) oder dergleichen zur Wehr setzen. Obwohl er also über seine Verwertungsrechte disponiert hat, bleibt ihm eine gewisse persönlichkeitsrechtliche Kontrollherrschaft.
V. Kontrollherrschaft über die Persönlichkeit berührende Gegenstände Persönlichkeitsrechte gewähren dem Berechtigten Bestimmungsgewalt über Gegenstände, die seine Persönlichkeit verletzen, d. h. er kann Unterlassung der rechtswidrigen Handlungen verlangen. Dies kann bis zu Herausgabe- und Ver537
Siehe oben § 3 B. I. Das Leistungssubstrat. Siehe oben § 7 Realgüter und Idealgüter. 539 Siehe etwa BVerfGE 119, 1 = GRUR 2007, 1085 – Esra. 538
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte385
nichtungsansprüchen reichen, die entweder spezialgesetzlich (insbesondere § 37 KUG) oder über §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB (analog), ggf. auch § 862 BGB (analog) bestehen.540 § 38 KUG gewährt sogar einen Anspruch, Exemplare und Vorrichtungen die das Recht am eigenen Bild verletzen, zu übernehmen. Werden die darauf beruhenden Urteile vollstreckt, realisiert sich die dem Berechtigten zugewiesene Bestimmungsgewalt. Beispiel: Bei intimen Fotografien liegt dem BGH zufolge die Persönlichkeitsverletzung in der „Funktionsherrschaft“ eines anderen über die intimen Fotografien bzw. Daten (!).541 Der Löschungs-/Vernichtungsanspruch erhebt den Willen des Berechtigten über die bestehende Herrschaft des Verletzers, indem er dem Berechtigten eine auf Löschung/Vernichtung gerichtete Bestimmungsgewalt einräumt. Hierin liegt eine direkte Parallele zur Vernichtung, Herausgabe sowie zum Rückruf schutzrechtsverletzender Gegenstände im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht: Das Recht weist dem Berechtigten eine beschränkte Bestimmungsgewalt über die verletzenden Gegenstände zu. Umgekehrt erweitert das Persönlichkeitsrecht den Schutz der körperlichen Integrität auf die Bestimmung über die Wiedereingliederung bestimmter Körperbestandteile/-substanzen.542 Auch hier wird angestrebt, dass der Wille des Berechtigten über die betreffenden Gegenstände herrscht. Und wie beim Löschungs-/Vernichtungsanspruch ist die Bestimmungsgewalt auf bestimmte Handlungen begrenzt. So kann der Samenspender aufgrund seines „Recht[s] am eigenen Körper als gesetzlich ausgeformte[m] Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ in Verdrängung seines Sacheigentums schadensersatzbewehrt bestimmen, dass das von ihm stammende Sperma erhalten werden muss und nicht vernichtet werden darf.543
Mit dem zweiten Beispiel – der Vernichtung einer Samenspende – wurde gezeigt, dass sich die Herrschaft nicht auf verletzende Gegenstände beschränkt, sondern auch Körperbestandteile/-substanzen erfasst. Anknüpfend an die Debatte über die Sacheigentumsfähigkeit solcher Gegenstände544 und die im vorigen Punkt gezeigten Einwände, drängte sich hier eigentlich die erste Zäsur auf, da eine Herrschaft über den eigenen Körper oder dessen Bestandteile als problematisch gilt. Versteht man Herrschaft aber als Kontrollherrschaft, ergibt sich ein anderes Bild. Nicht die Bestimmung i. S. d. Abwehr von Beeinträchtigungen ist das Problem an einer Herrschaft über sich selbst, sondern i. S. d. rechtlich verbindlichen Disposition über den eigenen Körper, die Persönlichkeit und damit zusammenhängende Güter. Ausschließlich ihr gelten die obigen Einwände. Sowohl die Kontrollherrschaft über den Körper und die Persönlichkeit als Schutzgegenstände, als auch die Kontrollherrschaft über verletzende Gegenstände sind mit den Einwänden vereinbar.
540 MüKoBGB/Rixecker,
Anh. § 12 Rn. 325 ff. BGH NJW 2016, 1094 Rn. 20, 35, mit Anm. Lampmann. 542 BGH NJW 1994, 127 (128) – Vernichtung von Sperma; Erman/Klass, Anh. § 12 Rn. 226. 543 BGH NJW 1994, 127 – Vernichtung von Sperma. 544 Dazu oben Fn. 477. 541
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
VI. Beispiel: Datenschutzrecht als Herrschaftsrecht über die eigenen Daten Das Personendatenschutzrecht gewährt dem Berechtigten eine Herrschaft über die ihn im gesetzlich bezeichneten Sinne betreffenden Daten – die personenbezogenen Daten. Der Datenbegriff des Datenschutzrechts bezeichnet weder einen festen Datenbestand, noch Daten im technischen Sinne, sondern gem. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO „alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden ‚betroffene Person‘) beziehen“. Er stellt auf die semantische Informationsebene ab.545 Im Bild der Idealgüter gesprochen bezieht sich das Datenschutzrecht auf Repräsentationen der geschützten Person. Immaterialgüterrechte stellen tendenziell auf vollständige Repräsentationen oder Ähnlichkeiten des Ideals im konkreten Exemplar ab. Das Datenschutzrecht hingegen beruht nicht auf einer vollständigen Repräsentation der Persönlichkeit in den Informationen, sondern auf Einzelinformationen über eine Person, die diese nur in kleinen Ausschnitten repräsentieren. Datenschutzrecht kann nach dem Modell der Kontrollherrschaft durchaus als Herrschaft über die eigenen Daten verstanden werden, nur meint das Datenschutzrecht weder Daten, sondern Informationen, noch schützt es diese, sondern die jeweilige Person.546 Letzteres drückt der Begriff „Kontrollherrschaft“ aus: Die Verbotsrechte sind weder zu verkehrstypischen, d. h. an wirtschaftlichen Interessen orientierten Verbotsrechten gebündelt,547 noch sind sie für den Verfügungsverkehr ausgestaltet. Dem Berechtigten fehlt die nötige Verfügungsmacht bzw., anders formuliert, das Datenschutzrecht bildet keine Verfügungsobjekte aus.548 Daher ist das Personendatenschutzrecht zwar ein starkes Herrschaftsrecht, nur gewährt es eben ausschließlich Kontrollherrschaft.549 Die Verkehrsfähigkeit ist auf die schuldrechtliche Ebene beschränkt. Das Personendatenschutzrecht verbleibt zwangsweise beim Erstinhaber.
D. Zusammenfassung und Folgerungen In einer Untersuchung der Persönlichkeit als vorrechtliches Gut konnte gezeigt werden, dass es schwerfällt, Definitionen des Persönlichkeitsbegriffs zu geben. Das juristische Persönlichkeitsverständnis scheint aus prinzipiellen Gründen keine scharfen Abgrenzungen des Person- und Persönlichkeitsbegriffs zu erlauben. Der angeführte „Siegeszug der Individualität“ und die Problematik von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im medialen Bereich belegen den Bedarf für eine Dogmatik, die das Persönlichkeitsrecht in Bezug zum Informationsrecht setzt.550 545
Dazu oben § 5 C. I. 2. Semantische Ebene; siehe auch Kilian, CR 2017, 202 (208). Kilian, CR 2017, 202 (208). 547 Dazu oben § 8 B. II. Immaterialgüterrechte. 548 Siehe dazu eingehend oben § 9 Verfügungsobjekte. 549 Eingehend Becker, FS Schack, 99 (109 sowie passim). 550 Siehe oben A. V. Zusammenfassung und Folgerungen. 546
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte387
Vorrechtliche Eckpfeiler sind die körperliche Person und ihre informationelle Repräsentation. Im Persönlichkeitsrecht wiederum korrespondieren das Statusrecht der Person als ihr rechtliches Sein auf der einen und subjektivrechtliche, dem rechtlichen Haben näherstehende Bestandteile auf der anderen Seite. Extremform der Ablösung von persönlich geschaffenen unkörperlichen Gütern ist deren Ablösung als Immaterialgut wie z. B. bei Designs oder Erfindungen.551 In der Literatur zu Persönlichkeitsrechten als Herrschaftsrechten fanden sich zwei Verständnisrichtungen oder Ausprägungen von Herrschaft: Kontrollherrschaft i. S. d. Kontrolle über einen bestimmten Lebensbereich und Dispositionsherrschaft i. S. v. rechtlichen Handlungsmöglichkeiten mit einem Rechtsgegenstand.552 Die Befürchtungen die in der Literatur mit dem Herrschaftsbegriff i. R. d. Persönlichkeitsrechts einhergehen, beziehen sich im Wesentlichen auf Dispositionsherrschaft, die den Weg zur Fremdbestimmung über die eigene Person jenseits des Vertragsrechts eröffnet.553 Indes wurde gezeigt, dass Kontrollherrschaft in ihrer einfachsten Form auf Abwehrrechte gegen Handlungen anderer Rechtssubjekte gerichtet ist. Vorrechtliche Gegenstände können dabei Anknüpfungspunkt solcher Rechte und Pflichten sein, sie sind aber keine zu Rechtsgegenständen erhobenen Ausprägungen der Persönlichkeit.554 Zu solchen Rechtsgegenständen können Persönlichkeitsausprägungen erst werden, wenn ihnen die Rechtsordnung ein eigenes rechtliches Sein zugesteht, was durch die Einführung von Rechten geschieht, die einen solchen Rechtsgegenstand anerkennen, sich auf ihn beziehen.555 Ohne eine solche Anerkennung hat der Geschützte, der z. B. einen seinen Personstatus verletzenden Informationsträger (z. B. ein Foto) verkauft, nichts zu geben. Er kann zwar das Papier/die Datei übereignen, er erleidet aber keinen Verlust in seinen Persönlichkeitsrechten. Er kann sich nur entschließen, hiervon keinen Gebrauch zu machen und dies i. R. des vertraglich Möglichen zusichern. Eine echte, zumindest temporäre Minderung seiner Rechtsposition kann nur erleiden, wer über diese verfügen kann.556 Unter besagten vorrechtlichen Eckpfeilern sind Informationen die relevantesten Gegenstände der Bestimmungsgewalt des Inhabers von Kontroll- bzw. Dispositionsherrschaft. Gewährt wird also die Bestimmung über etwas Vorrechtliches, so wie im Besitz und bei den Immaterialgüterrechten als Informationsbestimmungsrechten.557 Wird Dispositionsherrschaft über Rechtsgegenstände eingeräumt, genauer gesagt über die darauf gerichteten Rechte, schließt dies nicht die Überlagerung durch 551
Siehe oben B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. Siehe oben C. II. Die Begriffe „Kontrollherrschaft“ und „Dispositionsherrschaft“. 553 Siehe oben C. III. Drohende Disposition über die eigene Persönlichkeit; IV. 1. Kontrollherrschaft über nicht-rechtliche Gegenstände. 554 Siehe oben C. IV. 1. Kontrollherrschaft über nicht-rechtliche Gegenstände. 555 Siehe oben C. IV. 2. Dispositionsherrschaft über Rechtsgegenstände. 556 Siehe oben § 9 G. II. 1. Verbrauch von Verfügungsmacht. 557 Siehe oben § 10 E. Zusammenfassung und Folgerungen. 552
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3. Kapitel: Der Herrschaftsbegriff
der Kontrollherrschaft dienenden Persönlichkeitsrechte aus.558 Kontrollherrschaft wird über die bekannten Abwehransprüche realisiert und kann sich auch auf vom Körper abgetrennte Teile und Substanzen beziehen, die gleichfalls kein rechtliches Dasein als Rechtsgegenstand haben.559
558 Siehe oben C. IV. 4. Überlagerung abgelöster Rechtsgegenstände durch Persönlichkeitsrechte. 559 Siehe oben C. V. Kontrollherrschaft über die Persönlichkeit berührende Gegenstände.
4. Kapitel
Vom absoluten zum dinglichen Recht Nach der Untersuchung der Rechtsgegenstände und der Frage der Herrschaft über dieselben, wird im folgenden Teil das eigentliche absolute Herrschaftsrecht charakterisiert. Dies betrifft insbesondere die Ausprägungen der Absolutheit und der Dinglichkeit bzw. des dinglichen Rechts als mögliche Merkmale absoluter Herrschaftsrechte. Hiervon ausgehend sind die aus absoluten Herrschaftsrechten folgenden Sekundärrechte, sowie die Einräumung von beschränkten dinglichen Rechten und Lizenzen als Teil des Modells zu untersuchen.
§ 12 Absolute Rechte Bis hierher wurden Gegenstände absoluter Herrschaftsrechte in Form von Rechtsund Verfügungsobjekten behandelt. Nun schließt sich eine genauere Untersuchung der Rechte an. Einen Überschneidungsbereich der beiden Teile bilden die Verfügungsobjekte, bei denen es sich um Rechte handelt. Sie werden in diesem Abschnitt unter anderen Aspekten und aus einem anderen Blickwinkel behandelt.
A. Der Begriff „Absolutheit“ Verbreitet unterschieden werden die Kategorien absolute und relative Rechte. Dieser Unterscheidung ist nachzugehen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, was absolute Rechte ausmacht und wofür der Begriff „absolut“ bei ihnen steht.
I. Benennung des Adressatenkreises – Monopolisiertes Verbietungsrecht und exklusives Dürfen Werden absolute Rechte relativen Rechten gegenübergestellt, sollen die Begriffe in aller Regel den unterschiedlichen Adressatenkreis markieren, dem gegenüber die Rechte wirken:1 absolute Rechte wirken gegenüber jedermann, relative Rechte nur
1 M. a. W. die Gruppierung der subjektiven Rechte „nach der Wirkung auf Dritte“, Raiser, JZ 1961, 465 (466); Staudinger Eckpfeiler/Herrmann (2008), 988 (Bezeichnung des Umfangs der Rechtsmacht).
390
4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
gegenüber einer bestimmten Person.2 Eine typische3 Definition der Absolutheit4 eines Rechts geben Baur/Stürner: „es [das absolute Recht] ist von der Rechtsordnung mit einer Wirkung gegenüber jedermann ausgestattet und von ihr gegen jeden rechtswidrigen Eingriff geschützt, jedermann hat es zu respektieren.“5
Da es wirkliche Rechtsbeziehungen nur zwischen Personen gibt, kann diese Unterscheidung relativer und absoluter Rechte keinen Unterschied in der konkreten Rechtsbeziehung beanspruchen, d. h. eine Rechtsbeziehung, die auf einem absoluten Recht gründet, ist nicht stärker oder schwächer als eine auf einem relativen Recht gegründete. So gesehen ist die Benennung als absolut und relativ „nicht sehr glücklich“.6 Allerdings antwortet die vorliegende Abgrenzung absoluter Rechte auf eine ganz spezifische Frage: Gegenüber wem erzeugt das Recht Wirkungen? Die Antwort hierauf ist die unbestrittene Wirkung gegen jedermann. Sie bringt zum Ausdruck, dass der Berechtigte der Einzige ist, der diese Verbotsrechte hat. Er hat ein monopolisiertes Verbietungsrecht.7 Nur daraus folgt normlogisch sein exklusives Dürfen!8
II. Löwisch: Trennung von formaler Kategorie und materiellem Gehalt Eine wesentlich exaktere Differenzierung nimmt Löwisch in seiner Habilitationsschrift „Der Deliktsschutz relativer Rechte“ vor. Er weist darauf hin, dass die Absolutheit in eine andere Kategorie gehöre als die Kennzeichnung subjektiver Rechte als Vermögensrechte, dingliche Rechte, Familienrechte oder auch primäre oder sekundäre Rechte. Diese Kennzeichnungen bezeichneten nämlich sämtlich eine 2 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 203 f.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 62 f.; Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 1 Rn. 15; Kühne, AcP 140 (1935), 1 (10 f., 13); Schack, BGB AT, Rn. 155; Köhler, BGB AT, § 17 Rn. 7, 11; Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 38; Schanda, GRUR Int. 1994, 275 (278); siehe auch Baur/Stürner, Sachenrecht, § 2 Rn. 2 ff. 3 Untypisch, weil speziell sachenrechtlich und von der Zweckseite (Zuordnungsfunktion) des Rechts kommend, Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 78: „Wenn wir […] die absoluten und die relativen Rechte unterscheiden, meinen wir die ihr Objekt absolut oder relativ zuordnenden Rechte.“, ähnlich Peukert, Güterzuordnung, 52. 4 Klarstellend sei angemerkt, dass die Absolutheit eines Rechtes begrifflich nichts anderes meinen kann als absolutes Recht. Rechte, denen die Absolutheit abgesprochen wird, sind dementsprechend keine absoluten Rechte und umgekehrt. 5 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 2 Rn. 2; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 65 („Rechte, die hinsichtlich ihres Objekts gegen jedermann wirksam sind […] nennen wir absolute Rechte“); Schapp/ Schur, Sachenrecht, Rn. 2 („Absolutheit meint […], dass der Eigentümer eben jeden Dritten abwehren darf, der ihn im Genuss der Sache beeinträchtigt“); Kühne, AcP 140 (1935), 1 (12 f.) (absolut ist ein Recht, „wenn es in jeder denkbaren Beziehung, in die irgendein einzelner Dritter zu seinem Objekt tritt, diesen überwindet, soweit die tatsächliche Stellung des Dritten seinem Inhalt […] widerspricht“). 6 Kelsen, Reine Rechtslehre, 137; siehe auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 121. 7 Vgl. auch Becker, WRP 2010, 467 (472); ders., GRUR Int. 2010, 940 (944 f.). 8 § 1 A. III. 5. a) Hohfeld – das privilege als Dürfen.
§ 12 Absolute Rechte391
Funktion des Rechts (‚Welchen Zwecken dient das Recht?‘), während die Absolutheit die „Wirkungsweise“ des betreffenden subjektiven Rechts meine – die Kategorie absolut-relativ sei „eine rein normative“.9 Was damit gemeint ist wird klarer in der dann folgenden Nachzeichnung der Geschichte des Begriffspaars relativ-absolut. Hier zeigt Löwisch den Übergang der römischrechtlichen Unterscheidung personaler und gegenstandsbezogener Klagen über die von Windscheid10 vollzogene Abtrennung der Klage von ihrem materiellen Moment hin zur Differenzierung nach den Adressaten des Anspruchs bzw. Rechtsbefehls.11 Die vermeintliche Identität von personen- und gegenstandsbezogenen mit relativ und absolut wirkenden Rechten identifiziert er schließlich als Grund für die Ablehnung deliktischen Schutzes für relative Rechte und warnt vor einem Rückschluss aus der formalen Kategorie relativ-absolut auf den materiellrechtlichen Gehalt eines Rechts.12 Kurz gesagt ist nach dieser Auffassung ein Recht nicht deshalb des Schutzes gegen jedermann würdig, weil es eine Sache anstelle einer Person zum Gegenstand hat. Löwisch verneint die Gleichsetzung des Adressatenkreises (an einzelne/an jedermann gerichtete Pflicht) mit dem Gegenstand des Rechts (persönlich/auf einen Gegenstand bezogen). In diesem Kontext empfiehlt es sich, einen Blick auf die römischrechtlichen Klagen zu werfen.13 Die actio in rem unterschied sich von der actio in personam dadurch, dass die actio in rem Bezug auf eine Sache nahm (i. e. Verfolgung/Abwehr), während die actio in personam auf eine Person gerichtet war. Die actio in personam diente der Durchsetzung von Forderungsrechten (obligationes), also einer inter partes bestehenden Pflicht. Der Schuldner war dem Zugriff des Gläubigers nicht nur mit seinem Vermögen, sondern mit Leib und mitunter gar Leben ausgesetzt.14 Der actio in rem lag hingegen – jedenfalls im älteren römischen Recht – keine der obligatio vergleichbare Rechtsposition zugrunde. Bis auf ursprüngliche Erwerbsformen wie die Aneignung herrenloser Sachen, Verbindung, Vermischung etc., die ein besseres meum esse als das jedes denkbaren Vindikationsgegners begründeten,15 bedingte das Erfordernis der beidseitigen Eigentumsbehauptung vor Gericht ein nur zwischen den Parteien feststellbares Eigentum im 9
Löwisch, Deliktsschutz, 18 [Hervorh. im Original]. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 3 ff., 221 ff. führt zum römischen Recht aus: „Die Rechtsordnung ist nicht die Ordnung der Rechte, sondern die Ordnung der gerichtlich verfolgbaren Ansprüche. Sie gibt dadurch Rechte, daß sie gerichtliche Verfolgung bewilligt. Die Actio ist nichts Abgeleitetes, sie ist etwas Ursprüngliches und Selbständiges.“ (S. 3); Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, Bd. 1, § 44 passim (189 ff.) („Was wir Rechtsanspruch nennen, ist für die Römer Gerichtsanspruch“). Zum zugehörigen Meinungsstreit, insbesondere zwischen Windscheid und Muther, vgl. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 103 ff. Siehe auch Enneccerus/ Nipperdey, BGB AT I/2, § 222 I (1361 ff.); Raiser, JZ 1961, 465 (466) m. w. N. 11 Löwisch, Deliktsschutz, 19. 12 Löwisch, Deliktsschutz, 19 ff., 23. 13 Dazu auch (kurz) Löwisch, Deliktsschutz, 18 f. 14 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 4 Rn. 10. 15 Kaser, Eigentum und Besitz, 365; siehe zum meum esse auch 3. Kapitel Fn. 51. 10 Vgl.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Verhältnis zum Gegner16 – ein relatives Recht.17 Erst der Umbau des Vindikationsverfahrens ließ eine einseitige Rechtsbehauptung zu, die zu einer gegenüber jedermann begründeten rei vindicatio führte.18 Anders als das relative ließ dieses absolute Recht die Ausbildung einer technischen Bezeichnung zu. Zwei Namen drückten verschiedene Seiten des „Herrschaftsverhältnisses an der Sache“ aus – dominium stand für die Machtstellung des Herrn und proprietas für die Zugehörigkeit der Sache zu ihrem Träger.19 Löwischs Feststellung, dass Grundlage der actio also nicht der unterschiedliche Adressatenkreis, sondern der Gegenstand der Klage (Person/Sache) war,20 ist hinzuzufügen, dass nicht einmal die Klage in rem automatisch absolute, sondern, wie gezeigt, zunächst nur relative Wirkung hatte. Der Eigentümer war besser berechtigt als sein Gegner, potentiell konnte aber jeder sein Gegner werden. Löwisch ist daher zuzustimmen, wenn er – i. R. seines normativen Verständnisses der Absolutheit – nur auf den materiellrechtlichen Gehalt abstellen will: sollte „meine“ Forderung Deliktsschutz genießen? Die Absolutheit als Adressatenkreis „des Rechts“ ist nach diesen Angriffen nicht aus zwingenden, sondern rein normativen Gründen an gegenstandsbezogene Rechte gekoppelt. Dies bereitet den Boden für die Frage, was genau Gegenstand des Schutzes gegenüber einzelnen Personen bzw. gegenüber jedermann wäre. Dem gilt der folgende Punkt.
III. Löwisch: Innenbeziehung und Außenschutz Löwisch nimmt eine weitere nützliche Unterscheidung vor. Er trennt die Innenbeziehung vom deliktischen Außenschutz. Diese Unterscheidung von Innen- und Außenwirkung findet sich zwar schon bei Oertmann, ihm ist es aber eher um die damit verbundene Befugnis – das Dürfen des Berechtigten – zu tun.21 Löwisch stellt das Problem der Forderung und das Verhältnis relativer und absoluter Rechte in den Vordergrund: „Rechtsschutz, wie ihn § 823 Abs. 1 BGB gewährt, bedeutet von seinem Zweck her den nach außen, gegen die Unbeteiligten gerichteten Schutz einer Innenbeziehung und gerade nicht Regelung dieser Innenbeziehung selbst.“ § 823 Abs. 1 BGB gewährleiste etwa „dem Eigentümer die Sachherrschaft, dem Inhaber des Immaterialgüterrechts dieses als innere Beziehung gegen Eingriff von außen“. 16 Bei der legis actio sacramento in rem berührte der Kläger die Sache und behauptete vermittels einer Spruchformel das Eigentum, was der Beklagte ihm in ähnlicher Weise nachtat (contravindicatio), Gai. Inst. 4.16; siehe auch Kaser, Eigentum und Besitz, 6 ff. 17 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 31 (124). 18 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 97 (401). 19 Kaser Eigentum und Besitz, 307 f. 20 Löwisch, Deliktsschutz, 18 f. 21 Vgl. Oertmann, AcP 123 (1925), 129 (132 ff.); ähnlich v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 133; siehe auch in der gleichen Bedeutung Schramm, Grundlagenforschung, 60, 262 (innere und äußere Sphäre bei dinglichen Rechten und Immaterialgüterrechten). Hierzu oben § 1 A. III. 5. Zur Eigenständigkeit des Dürfens.
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„Vom Rechtsschutz her gesehen gehören Befugnisse in Bezug auf Rechtsobjekte und persönliche Rechtsbeziehungen dem gleichen Kreis der Innenbeziehung an, an welche sich der Außenschutz erst anlagert.“22
Innenbeziehung soll demzufolge also genauso die Beziehung zwischen Vertragsparteien wie die Beziehung zwischen Eigentümer und Sache oder Urheber und Werk sein. Dass die Beziehung zwischen Rechtssubjekten nicht der zwischen Rechtssubjekt und -objekt entspricht, schadet dabei nicht. Denn die Innenbeziehung dient Löwisch nur der Anlagerung von „Außenschutz“, dieser steht im Mittelpunkt: Die Innenbeziehung kann nach außen hin gegen Beeinträchtigungen deliktisch geschützt werden (deliktischer Außenschutz). So richtet sich die eben angeführte actio in personam auf eine Leistung in der Innen(rechts)beziehung, während die actio in rem die Herrschaftsbeziehung (also die Innenbeziehung) zur Sache nach außen hin verteidigt. Es geht um die Unterscheidung zweier Rechtskreise:23 „Rechtsschutz, wie ihn § 823 I BGB gewährt, bedeutet von seinem Zweck her den nach außen, gegen die Unbeteiligten geregelten Schutz einer Innenbeziehung und gerade nicht Regelung einer Innenbeziehung selbst.“24
Dass die Innenbeziehung gegen Eingriffe durch Dritte, also nach außen hin geschützt sein kann, heißt nicht, dass die Verletzung innerhalb einer personalen Innenbeziehung bestehender Pflichten stets eine deliktische Haftung begründete. Die Haftung aus dem Vertrag bliebe auf das Gegenüber beschränkt. Die deliktische Haftung beträfe Verletzungen der Innenbeziehung durch Dritte, also z. B. die Störung der Übergabe der Kaufsache. Der Vertragsbeteiligte hingegen haftete für vertragliche Pflichtverletzungen weiterhin nur vertraglich und nicht zusätzlich auch als „Mitglied der Allgemeinheit“ deliktisch.25 Als alleinige Begründung für das Bestehen bzw. die Art eines deliktischen Forderungsschutzes tragen die Ausführungen m. E. nicht. Sie bieten aber einen Anhaltspunkt, der es erlaubt, Forderungen auf dieselbe Ebene zu stellen wie andere deliktisch geschützte Güter. Für Sacheigentum und Immaterialgüterrechte stellt sich das Problem nicht, da die Innenbeziehung gegenstands- und nicht personenbezogen ist. Eine Haftung des Gegenstands wäre abwegig. Geschützt ist hier nur die Innenbeziehung gegen Beeinträchtigungen von außen, also durch Dritte.26
IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit) Bekannter als die zuvor gezeigten Aspekte der Absolutheit ist ihre Deutung als Zuweisung. Hier kommen zwei Varianten in Frage, 22
Löwisch, Deliktsschutz, 24. Löwisch, Deliktsschutz, 24, dort Fn. 30. 24 Löwisch, Deliktsschutz, 24. 25 Löwisch, Deliktsschutz, 24 f. 26 Dazu unten C. Der Abwehranspruch. 23 So
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
„nämlich die Zuordnung im Hinblick auf den Rechtsgegenstand (Sache oder sonstige Gegenstände; die Objektseite der Zuordnung) 27 und die Zuordnung im Hinblick auf die Frage, wem von allen möglichen Rechtssubjekten das Recht gehört (die Subjektseite der Zuordnung)“.28
Das erstgenannte Verständnis, mit Wilhelm die „Rechtsobjektseite der Zuordnung“,29 ist ein teleologisches. Es beschreibt nicht das Mittel der Absolutheit, sondern ihre Wirkung, ihren Zweck. Der Begriff „Güterzuordnung“ ist die Antwort auf die Frage, was mit dem subjektiven Recht erreicht werden soll. Das gewünschte und offensichtliche Resultat absoluter Zuweisung ist das Haben und Nutzen des Gegenstandes, weshalb in der Objektseite absoluter Zuordnung häufig die „positive Seite“ absoluter Rechte gesehen wird.30 Der „Subjektseite der rechtlichen Zuordnung“ wiederum wird folgende Bedeutung beigemessen: Ordne das Recht dem Berechtigten z. B. eine Sache absolut oder relativ zu (Objektseite), sei ihm das relativ (oder absolut) wirkende Recht absolut zugeordnet (Subjektseite) – das Forderungsrecht „gehört“ nach dieser Ansicht dem Gläubiger.31 Dieser Umstand wurde oben bereits als Rechtsinhaberschaft bezeichnet, bei der es sich nicht um ein „Gehören“, sondern um einen Modus handelt (dazu sogleich). Was Abwehrrechte betrifft, geht es hier um den möglichen Schutz der Zuordnung des subjektiven Rechts zu seinem Träger. Problematisch ist dabei, dass eine solche absolute Zuordnung auf der Subjektseite für so ziemlich jedes subjektive Recht besteht. Dieser Einwand erweist dieses Verständnis von Absolutheit für Löwischs Anliegen, absolute Rechte i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB abzugrenzen, in der Tat als unbrauchbar: „Wird […] die Güterzuordnung zum gemeinsamen Nenner für den Gehalt aller subjektiven Rechte, so deckt diese Gemeinsamkeit doch zugleich auch die Schwäche des Zuordnungsgedankens auf: Sie ist nur auf Kosten einer größeren Abstraktion möglich.“32
Diese Abstraktion ist im vorliegend gesuchten Modell absoluter Herrschaftsrechte hingegen überaus wichtig und nützlich! Genau in diesem Sinne versteht Lieder die 27 Sie intendiert „den gegenüber jedermann exklusiven Schutz eines sachlich-gegenständlichen Güterbereichs vor Eingriffen Dritter“, MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2007, Einl. vor § 241, Rn. 16; AK-BGB/Ott, § 903 Rn. 1; P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (303) („absolute Zuordnung eines Gegenstandes zu einer Person“ [Hervorh. im Original]); Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (230, 232 [„Gegenstandszuordnung“]). 28 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 2a. 29 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 3. 30 MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2007 Einl. vor § 241 Rn. 16; P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (303); Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 709. Eingehend unten D. Die positive und die negative Seite absoluter Rechte. 31 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 78; MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2007, Einl. vor § 241 Rn. 19; grundlegend Löbl, AcP 129 (1928), 257 (293 f.). 32 Löwisch, Deliktsschutz, 27; ähnlich schon Staub, ArchBürgR 5 (1891), 12 (so gesehen sei „jedes Recht absolut […], weil jedes Recht gegen Alle wirkt in dem Sinne, daß Niemand den Berechtigten in der Ausübung stören darf“).
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Rechtszuständigkeit auch als „Prinzip der absoluten Rechtszuordnung“. Sie verbinde als kleinste Gemeinsamkeit sämtliche rechtsgeschäftliche Sukzessionen über subjektive Rechtspositionen.33 Lieders These geht dahin, dass subjektive Rechtspositionen (Verfügungsgegenstände) kraft des Spezialitätsprinzips – sozusagen als Verlängerung des Prinzips der absoluten Rechtszuordnung – nur absolut 34 und eindeutig zugeordnet werden können.35 Ebenso bedinge die Rechtszuständigkeit, dass Klarheit darüber herrscht, auf welche Verfügungsgegenstände sich die verfügende Einigung bezieht.36 Vorliegend ist die Abgrenzung der Rechtszuständigkeit (trotz ihrer geringen Aussagekraft) als eine der möglichen Verständnisweisen von Absolutheit ein weiterer Baustein absoluter Herrschaftsrechte. Sie teilen ihn allerdings mit allen anderen subjektiven Rechten. Es handelt sich um die Beziehung der Person zu ihrem subjektiven Recht. Wie oben schon ausgeführt wurde, nutzt Husserl denselben Begriff („Rechtszuständigkeit“) für dasselbe Phänomen,37 was hier kurz zu rekapitulieren ist. Die Rechtszuständigkeit stellt einen zentralen Pfeiler des Seins von Rechtsgegenständen dar, dessen Bedeutung in seiner oben ausgeführten Charakterisierung als „Modus des Zueigenhabens“ liegt. Es gehört nach Husserls Lehre nämlich „zum Wesen des subjektiven Rechtes […], daß es einer bestimmten Person zusteht“.38 „Die Zugehörigkeit eines Rechts zu einem Subjekt pflegt man die Zuständigkeit des Rechts zu nennen.“39
Dasselbe wird auch als „das Haben des Rechts“,40 oder das oben zitierte „Gehören“ bezeichnet. Schon im täglichen Sprachgebrauch heißt es, dass jemand „das Recht habe“ etwas zu tun oder zu verlangen.41 In diesem „haben“ liegt die Subjektivität des Rechts. Es ist ein Minimalkriterium subjektiver Rechte, dass sie von jemandem gehabt werden,42 dass sie einer oder auch mehreren Personen zu eigen sind.43 Synonym gebräuchlich ist der Begriff der Inhaberschaft eines Rechts.44 33
Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 29. i. S. d. hier beschriebenen Zuordnung eines Rechts zu einem bestimmten Rechtssubjekt. 35 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 299 f. 36 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 302 f. 37 Siehe oben § 2 B. V. Rechtsgegenstand und Rechtszuständigkeit. 38 Löbl, AcP 129 (1928), 257 (293). 39 V. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 66; siehe auch Diederichsen, Recht zum Besitz, 48. 40 Esser, Einführung, 153. 41 Vgl. Pflüger, SZ (Rom.) 70 (1947), 339 (341). 42 Formulierungen laut denen dem Gläubiger die Forderung „gehört“ (MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2007, Einl. Bd. 2 (v. §§ 241 ff.) Rn. 19) schaffen hingegen eine gefährliche Nähe zum Eigentum. Sie drohen das Zueigenhaben der Forderung mit § 903 BGB und den daraus fließenden Sekundärrechten zu vermischen. 43 Einer ähnlichen Frage geht Kasper nach, wenn er nach einem „einheitlichen Oberbegriff“ subjektiver Rechte sucht. Die von ihm reflektierten Definitionen sind aber allesamt enger als der hier aufgezeigte Punkt, Kasper, Das subjektive Recht, 138 ff. 44 Nachdrücklich Picker, FS Canaris, 1001 (1004). 34 Absolut
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Als eine zentrale Funktion dieser Rechtszuständigkeit versteht Eichler die Güterzuordnung.45 Im Haben des Eigentumsrechts liege zugleich die Zuordnung der Sache – das „besondere Wesen des Eigentums“ sieht er in der „rechtlichen Sachzugehörigkeit“.46 Die Bedeutung des Verfügungsobjekts für den zivilrechtlichen Vermögensbegriff wurde bereits erörtert,47 hier kommt die Rechtszuständigkeit als Inhaberschaft an selbigem hinzu. Die Rechtszuständigkeit an Forderung und Eigentum sowie die jeweilige Innenbeziehung können folgendermaßen unterschieden werden: A hat eine Forderung gegen S. Innenbeziehung: „A – (Forderung gegen) – S“. (1) Die Innenbeziehung ist das Schuldverhältnis zwischen A und S. (2) Der Schutz von deren Außenseite beträfe die Abwehr aller Eingriffe, die die Erfüllung der Forderung beeinträchtigten. Angesichts der denkbaren Vielfalt an Forderungen und möglicher Störungen derselben ist er kaum realisierbar. (3) Im „hat“ liegt die Rechtszuständigkeit des A für die Forderung. Zieht jemand die Forderung anstelle des A ein, verliert er die Forderung als sein Eigen.48 A hat das Eigentum an einem Fahrrad. Innenbeziehung: „A – Fahrrad“. (1) Die Innenbeziehung „A – Fahrrad“ drückt im Gegensatz zu „A – S“, kein Rechts-, sondern ein Herrschaftsverhältnis aus. Es ist die Innenbeziehung zum Bezugsgegenstand. Die römischen actiones waren danach unterteilt. (2) Der Schutz der Außenseite ist einfacher nachvollziehbar. Er betrifft Eingriffe in As Herrschaft über das Fahrrad, wie z. B. die Wegnahme oder Benutzung desselben. (3) „A hat“ bezeichnet wieder die Zuständigkeit des A für das betreffende subjektive Recht, also das Sacheigentum.49 Verfügt ein anderer rechtswirksam über As Eigentum, greift er in dessen Rechtszuständigkeit ein. Die diversen anderen subjektiven Rechte, die A haben könnte, machen einen generellen deliktischen Schutz der Rechtszuständigkeit so problematisch (wenn auch nicht so problematisch wie den eben angesprochenen Schutz von Schuldverhältnissen gegen Störungen von außen). Sacheigentum wie Forderung sind mit Blick auf die Rechtszuständigkeit gleichermaßen Vermögensgegenstände des Rechtsträgers – sie sind sein Eigen.50 Während die Forderung darüber hinaus die Funktion hat, ihrem Inhaber ein Verhalten einer anderen Person (genauer: das Versprechen eines Verhaltens oder Unterlassens) zuzuordnen, ordnet das Sacheigentum ihm eine Sache zu.
45 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 145 („Da der Rechtsordnung die Zuordnung aller Güter an den Rechtsträger obliegt, ist die Zuordnung keine typisch sachenrechtliche Funktion, sondern eine allgemeingültige.“). 46 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 146. 47 Siehe oben § 9 E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff. 48 Hierzu eingehend Larenz, SchR I, 1. Aufl. 1953, 257. 49 Problematisch erscheint der Vorschlag von Wendehorst (ARSP Beiheft 104 (2004), 71 [81]), die „Inhaberschaft“ an der Forderung als das „dem Sacheigentum vergleichbare absolute Herrschaftsrecht an der Forderung“ zu betrachten. Die „Inhaberschaft am Eigentum“ ist keine „sinnlose Verdoppelung absolut wirkender Rechtspositionen“. Vielmehr ist der Eigentümer genauso Inhaber des Eigentumsrechts, wie der Gläubiger Inhaber des Forderungsrechts. Beide sind Träger eines subjektiven Rechts (vgl. Staudinger/Busche [2017], vor § 398 Rn. 9). Wendehorst stellt dies implizit selbst fest, wenn sie ausführt, dass „absolute Herrschaftsrechte […] einem Inhaber zugewiesen sind“ (79). 50 Vgl. Larenz, SchR I, 570 ff.
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In der Willens-, Interessens- und Kombinationstheorie zum subjektiven Recht51 ist dieses „Haben“ ebenfalls enthalten. Es macht den wesentlichen Unterschied zwischen der Reflexwirkung allgemeiner Normen und einem subjektiven Recht aus – letzteres wird von jemandem gehabt. Die bekannteste Gestalt, in der die Rechtszuständigkeit zutage tritt, ist die der – als Gegenstand des Deliktsschutzes diskutierten – Forderungszuständigkeit,52 zu der Larenz feststellt: „Wenn ich im Sprachgebrauch des Lebens sage: ‚diese Forderung gehört mir‘, so meine ich […] daß sie mir und keinem anderen zusteht, in diesem Sinne die ‚meinige‘ ist. In dem ‚mir und keinem anderen‘ liegt zugleich die Ausschließlichkeit der rechtlichen Zuordnung. Alle rechtliche Zuordnung (eines Rechts an eine Person) ist in diesem Sinne ‚absolut‘.“53
Auch soweit Rechte zum Kreis der Rechtsobjekte gezählt werden, ist eigentlich die Rechtsinhaberschaft im hier gezeigten Sinne zusammen mit der Verfügungsmacht des Gläubigers gemeint54 – der Gläubiger hat „eine Herrschaftsmacht an seiner Forderung“.55 Unten56 tritt die Rechtsinhaberschaft außerdem in der Lehre vom Zuweisungsgehalt subjektiver Rechte auf. Sie entfernt sich aber schon vom eigentlichen Haben hin zu einem normativen Gesichtspunkt.
V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand Als weiteren hier relevanten Punkt untersucht Löwisch die „Absolutheit als unmittelbare Beziehung des Rechts zum Gegenstand“, die in der gedanklichen Unterwerfung des Gegenstandes unter die Herrschaft des Berechtigten gesehen werde.57 Auf diese Ansicht komme zunächst, wer die absolute Wirkung eines Rechts aus dessen Sukzessionsschutz ableite. Denn dieser setze die Abstammung von einem unmittelbar gegenstandsbezogenen Mutterrecht voraus, von dem die Rechtsposition per Verfügung abgespalten wurde. Der Sukzessionsschutz schütze nämlich den Inhaber des abgespaltenen Rechts gegenüber Nachfolgern in das Mutterrecht, da das abgespaltene Recht, wie dieses, unmittelbar Bezug auf den Gegenstand nehme. 51
Siehe dazu oben § 1 A. II. Subjektive Rechte. Vgl. nur Larenz, SchR I, 18; Larenz/Canaris, SchR II/2, 397 (die Forderung sei dem Gläubiger als Vermögensgegenstand zugeordnet); Canaris, FS Steffen, 85 (90 f.); C. Becker, AcP 196 (1996), 439 ff. MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2007, Einl. Bd. 2 Rn. 19. 53 Larenz SchR I, 573 f. 54 Zum Verhältnis von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsmacht siehe oben § 9 G. IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. 55 Vgl. Bork, BGB AT, Rn. 229. Vgl. hierzu die Einwände gegen Wendehorst, deren Position allerdings insofern entscheidend abweicht, als sie die Rechtszuständigkeit als ein dem Sacheigentum vergleichbares Herrschaftsrecht klassifiziert. Siehe oben Fn. 49. 56 Siehe unten § 15 B. Eingriffskondiktion und Zuweisungsgehalt. 57 Löwisch, Deliktsschutz, 30. Siehe auch MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2007, Einl. vor § 241 Rn. 16. 52
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Obligatorische Rechte genössen keinen Sukzessionsschutz, weil ihre Begründung nicht in einer Verfügung über ein unmittelbar gegenstandsbezogenes Recht liege, sondern, da Objekt nur ein Leistungsanspruch gegen den Verpflichteten sei, ohne Verfügung vonstatten gehe. So genieße z. B. der kaufvertragliche Lieferanspruch keinen Sukzessionsschutz.58 – Verfügungen spalten nach der referierten Ansicht also von einem absoluten Mutterrecht ein unmittelbar gegenstandesbezogenes Tochterrecht ab, dessen eigenständiger Gegenstandsbezug es denknotwendig gegenüber dem Wechsel in der Person des Mutterrechtsinhabers behauptet. Sukzessionsschutz tauge daher nicht als Zeichen für den Deliktsschutz des Tochterrechts, da er ein deliktisch geschütztes Mutterrecht voraussetze. Derartiger Deliktsschutz sei aber nur beim Eigentumsrecht „völlig zweifelsfrei“ und müsse schon bei den Immaterialgüterrechten „selbständig gefunden werden“.59 Da es außerdem sowohl deliktisch geschützte Rechte ohne Sukzessionsschutz sowie Einzelfälle gebe, in denen zwar Sukzessions- nicht aber Deliktsschutz besteht (z. B. Miete, Pacht), könne weder positiv noch negativ von Sukzessions- auf Deliktsschutz geschlossen werden.60 Für den Absolutheitsbegriff stelle dies allenfalls eine Hypothese hinsichtlich abgespaltener Rechte auf. Wann ein bestimmtes Mutterrecht ein absolutes Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB ist (der Deliktsschutz führte als Begründung in einen Zirkelschluss), könne hiermit nicht begründet werden. Interessanter ist Löwischs zweiter Ansatz, in dem er auf Meinungen verweist, die das Zustandekommen der unmittelbaren Herrschaft des Rechtsträgers originär und nicht über das Indiz des Sukzessionsschutzes betrachten.61 Wie also entsteht und was ist die unmittelbare Herrschaft (in der nach wie vor die Absolutheit gesehen wird)? – Dulckeit fragt, ob und in welchem Sinn von einem „Besitz“ an einer Forderung die Rede sein könnte. Seine damit verbundene Auffassung der Absolutheit ist verwandt mit den bereits zum Rechtsbesitz dargestellten Ansichten.62 Dulckeit führt aus: „Der Besitz an Rechten besteht in nichts anderem als in ihrer (möglichen) Ausübung; ausgeübt wird die Forderung durch Einziehung; und die Übertragung des Forderungsbesitzes erfolgt demgemäß durch Erteilung einer Einziehungsermächtigung […].“63
Mit der Wirkung gegen jedermann (Dulckeit nennt sie „Allwirksamkeit“) hat diese Absolutheit also (vorerst) nichts zu tun, sondern mit der unmittelbaren Beziehung zum Recht: „Das wesentliche Kennzeichen des absoluten Rechts liegt […] in seiner Absolutheit, d. h. in seiner Loslösung von jeder persönlichen Relation oder, positiv ausgedrückt, im realen Haben und wirklichen Besitz einer Rechtsposition. Das dingliche Recht ist demgemäß ein 58
Löwisch, Deliktsschutz, 30 f.; ähnlich Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 54. Löwisch, Deliktsschutz, 30 f. 60 Löwisch, Deliktsschutz, 31 f. 61 Löwisch, Deliktsschutz, 32 ff. 62 Siehe oben § 10 C. Rechtsbesitz. 63 Dulckeit, Verdinglichung, 47 f. 59
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unmittelbares Herrschaftsrecht über jeden beliebigen Vermögensgegenstand, oder, was dasselbe heißt, über Sachen.“64
Die Rechtsposition darf mithin keines Mittlers bedürfen, sie muss für den Rechtsbesitzer ausübbar sein, was im „realen Haben“ der Rechtsposition Ausdruck finden soll. Das Eigentum ist so konstruiert, dass es Entscheidung des Eigentümers ist, ob er Mittler (z. B. Besitzmittler, Besitzdiener) einschaltet oder selbst auf die Sache zugreift. In dieser unmittelbaren Ausübbarkeit liegt demnach die Unmittelbarkeit der Rechtsherrschaft über den körperlichen oder unkörperlichen Gegenstand. So ähnlich verhält es sich bei Diederichsen, wenn er die, wie Löwisch65 sie nennt, „gedankliche Unterwerfung des Gegenstands unter das Recht“ um „relative Herrschaftsrechte“ erweitert. Die Unmittelbarkeit zeigt sich, wenn er im relativen Besitzrecht eine Herrschaftsberechtigung sieht, die der des absolut Berechtigten in gewisser Hinsicht gleichkomme.66 Zwar bedeutet ihm Absolutheit die Abwehrbarkeit jedes Dritten,67 doch sieht er die von einem Herrschaftsrecht gewährte Wirkung darin, dass „die Sache […] nur dem Berechtigten gewaltunterworfen“ ist.68 Er meint also keine Rechtsherrschaft, sondern eine Sachherrschaft. Eine Rechtsherrschaft scheint Diederichsen eher beim Dinglichkeitsbegriff zu sehen: „Kennzeichnend für das dingliche Recht […] ist die unmittelbare Bindung der Sache an die Person. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit besagt hier aber nicht nur, daß die Sachherrschaft nicht durch eine andere Person vermittelt wird, sondern auch, daß sich kein anderer zwischen den dinglich Berechtigten und die Sache schieben darf; dem Rechtsinhaber steht die Herrschaft über die Sache ohne Rücksicht auf Dritte zu.“69
Darauf ist bei der Untersuchung der Dinglichkeit noch zurückzukommen,70 der Gedanke nützt aber auch für den vorliegenden Punkt: Wie ist es zu verstehen, dass sich kein anderer zwischen Berechtigten und Sache „schieben“ darf? Ist das dasselbe wie die zuvor bei Dulckeit festgestellte Ausübbarkeit für den Rechtsbesitzer? Einen Vereinigungsvorschlag zu Rechts- und Sachherrschaft bietet Meier-Hayoz, und zwar wiederum i. R. der Dinglichkeit: 64
Dulckeit, Verdinglichung, 48. Löwisch, Deliktsschutz, 34. 66 Sein Beispiel ist das des Klavier spielenden Mieters: Möchte sein Nachbar mittags Ruhe haben, hat er den größeren Erfolg, wenn er das Klavier mietet und sich aushändigen lässt, als wenn er den Mieter vertraglich zur Stille verpflichtet. Er verschafft sich damit eine Zugriffsmöglichkeit, Diederichsen, Recht zum Besitz, 91. Ähnlich Lenz, ArchBürgR 33 (1909), 345 (394). 67 Dies als „Kern der (dinglichen) Absolutheit“, Diederichsen, Recht zum Besitz, 49. 68 Diederichsen, Recht zum Besitz, 44 ff. 69 Diederichsen, Recht zum Besitz, 50. Ganz ähnlich sieht z. B. schon G. Neuner die mit einem „Sachenrecht“ gewährte „unmittelbare Herrschaft“ über ein Gut darin, dass „der Berechtigte die Ausübung des Inhalts seines Rechts unmittelbar der Sache gegenüber und lediglich durch sich selber realisiert“, G. Neuner, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, 53. Folge (!) dieses Innenrechtsverhältnisses sei, dass der Berechtigte von jedem Dritten dessen Anerkennung verlangen könne, S. 54. 70 Siehe unten § 13 A. I. Zuordnung und unmittelbare Herrschaft über ein „Ding“. 65
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
„Die Möglichkeit der Sachbeherrschung ergibt sich daraus, dass einerseits der dinglich Berechtigte im Umfang seines Rechts alle Dritten von der Sache ausschliessen kann und andererseits keine Rechtsnormen bestehen, welche im Rahmen des Rechts die eigene Einwirkung auf die Sache untersagen würden.“71 Hingegen könne der obligatorisch Berechtigte auf die Sache „nur mittelbar, über die Person des Verpflichteten […] einwirken“, auf dessen pflichtgemäßes Verhalten er angewiesen sei. „Das Fehlen einer direkten Sachbeherrschung äussert sich darin, dass der obligatorisch Berechtigte Dritte nicht von der Sache ausschliessen kann, ja in der Regel beim Ausbleiben freiwilliger Erfüllung weder selber auf die Sache greifen darf noch die normative Befugnis hat, dem Leistungspflichtigen die Einwirkung auf die Sache zu untersagen.“72
Damit zeigt sich ein Unterschied zwischen tatsächlicher und rechtlicher Sachherrschaft. Die tatsächliche Herrschaft ist nach dieser Ansicht auch dem relativ Herrschaftsberechtigten, z. B. einem Mieter, gegeben, sie liegt in der exklusiven Gewaltunterworfenheit der Sache. Oben wurde ein weiteres Herrschaftsverständnis vertreten, das die Herrschaft in der Bestimmungsgewalt verortet. Der Mieter wäre als Besitzmittler demnach nur Teil der Herrschaftskette des Eigentümers.73 Trotzdem hat er und nicht der Vermieter als mittelbarer Besitzer den direkteren Zugriff auf die Sache, was aber eben nicht alleinentscheidend für die Bestimmungsgewalt ist (wobei die verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition des Wohnungsmieters die dem Eigentümer verbleibende Bestimmungsgewalt stark verringert). Die rechtliche Herrschaft hingegen ist die unmittelbare Rechtszuständigkeit für den beherrschten Gegenstand. Sie ist unmittelbar, weil der Berechtigte zur Ausübung der Befugnisse keiner weiteren Person bedarf und sie ihm auch niemand verbieten kann. Will man also die Absolutheit in der Unmittelbarkeit sehen, liegt eine absolute Beziehung zum Gegenstand in dessen Unterwerfung unter die alleinige Gewalt des Berechtigten. Eine absolute Beziehung zum Recht liegt – von terminologischen Differenzen abgesehen – in dessen Innehabung bei unmittelbarer, i. e. personenunabhängiger Ausübbarkeit durch den Berechtigten.
VI. Fazit und Folgerungen für die Dinglichkeit Wie so oft existiert eine Vielzahl von Begriffen für eine kleine Zahl rechtlicher Phänomene. Kurz gefasst zeigten sich drei Bedeutungen der Absolutheit. 1. Bedeutung: Die bekannteste und heute in aller Regel gemeinte Bedeutung des Begriffs ist die der Wirkung eines Rechts gegen jedermann. Erforderlich ist dabei aber zumindest die Unterscheidung der Außen- und Innenseite von Rechten. Nach außen hin verteidigen kann der Berechtigte nur seine rechtliche Beziehung zum Schuldner bzw. seine tatsächliche Beziehung zur Sache. Beim deliktischen Forde71
Meier-Hayoz, Berner Kommentar, Systematischer Teil, N 239. Meier-Hayoz, Berner Kommentar, Systematischer Teil, N 240. 73 Siehe oben § 10 B. V. 3. Folgerungen. 72
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rungsschutz beträfe dies Fälle, in denen ein Dritter die Erfüllung der Forderung gefährdete. Auf diese Außenseite bezieht sich das heutige Verständnis der Absolutheit als Wirkung gegenüber jedermann. Eine absolut wirkende Innenseite hingegen ergäbe bei Sachen mangels Rechtsverhältnisses keinen Sinn; bei schuldrechtlichen Beziehungen führte sie hingegen zu absurden Ergebnissen, wie z. B., dass A die Erfüllung seiner Forderung gegen B von jedermann verlangen könnte. 2. Bedeutung: Die Diskussion um den deliktischen Forderungsschutz dreht sich daher um eine andere Art von Außenschutz als insbesondere im Sacheigentum. Sie knüpft an ein Verständnis der Absolutheit als Rechtsinhaberschaft an. Dank ihrer „Subjektseite“ sind so gesehen alle subjektiven Rechte absolut. Sollten Forderungen in dieser Hinsicht absolut i. S. e. Wirkung gegen jedermann (also der 1. Bedeutung) geschützt werden, richtete sich der Schutz gegen Beeinträchtigungen der Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit des Gläubigers. Beispiel: Da der Schutz der Rechtszuständigkeit des Sacheigentümers relativ eng gefasst ist, liegt der Schwerpunkt des Schutzes in der Innenbeziehung zwischen Eigentümer und Sache: 1) Innenbeziehung: Sowohl Beschädigung wie Entzug einer Sache greifen in die rechtlich geschützte Beziehung des Eigentümers zu derselben ein und unterstehen dem Verbot des Eigentümers. 2) Rechtsinhaberschaft: Ein Entzug des Sacheigentums, der die Rechtsinhaberschaft tangiert, kommt hingegen zwar häufig vor, ist allerdings dort, wo er möglich ist, auch gesetzlich gebilligt. Hauptanwendungsfall ist der gutgläubige Erwerb, während ein Entzug der Rechtsinhaberschaft bei gestohlenen, verloren oder sonst abhanden gekommenen Sachen nicht möglich ist (§ 935 BGB). Weitere gesetzlich gebilligte Verlusttatbestände sind Ersitzung, Verbindung, Vermischung, Verarbeitung und Fund – sie greifen sämtlich in die Rechtsinhaberschaft des Eigentümers ein. Bei ihnen steht nicht der Entzug der Sache zur Debatte – diesen allein könnte der Eigentümer über § 985 BGB rückgängig machen – sondern der des Rechts.
3. Bedeutung: Die Absolutheit kann auch eine unmittelbare Beziehung entweder zum Gegenstand oder zum Recht benennen. Eine Unmittelbarkeit der Gegenstandsbeziehung weist schon die relative Herrschaft i. S. Diederichsens auf, die also absolut genannt werden könnte. Eine unmittelbare Beziehung zum Recht bezeichnet dessen Ausübbarkeit ohne Rückbindung an Personen. Natürlich kann sich das Recht auch hier nur an Personen richten, diesen Rechtsbeziehungen käme aber gegenüber „der primären Beziehung eines Rechtssubjektes zu einem Rechtsobjekt“ „nur sekundäre Bedeutung zu“.74 Diese Differenzierung danach, ob die primäre Rechtsbeziehung zu einer Person oder einem Gegenstand besteht, erinnert stark an die römischrechtliche Kategorisierung in rem/in personam.
74
Meier-Hayoz, Berner Kommentar, Systematischer Teil, N 241.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
B. Primäre und sekundäre Rechte Die gängigste Bedeutung des Absolutheitsbegriffs ist also die Kennzeichnung des Adressatenkreises, gegenüber dem ein Recht wirkt. Offensichtlich wirkt das Sacheigentum aber nicht in dem von Dernburg karikierten Sinne, dass „jeder Eigentümer einen Anspruch gegen jeden Weltbürger“ auf Nichtverletzung seines Rechts hat.75 Zu unterscheiden sind vielmehr primäre (selbständige) und sekundäre (unselbständige) Rechte. Die allgemeinste Benennung ist die als primäre Verhaltensnormen, welche ein bestimmtes Handlungsmuster angeben, dessen Befolgung sekundäre Verhaltensnormen (Sanktionsnormen) befördern soll, die regeln, was im Falle des Abweichens geschieht.76 Aus primären Rechtsnormen „erwachsen“ Rechtsverhältnisse, sie strukturieren die Rechtsordnung; primäre relative Rechte können, anders als objektivrechtlich gesetzte Verhaltensnormen,77 von den Privatrechtssubjekten selbst begründet, verändert und aufgehoben werden.78 Sekundäre Rechte sind Ansprüche und Gestaltungsrechte – „Werkzeuge der Rechtstechnik, die dem Schutz und der Verwirklichung“ der primären Rechte dienen. Unselbständig sind sie, da sie vom „Bestand und Inhalt der besonderen Rechtsverhältnisse“ abhängen.79 Geht es in diesem Sinne um das Verständnis primärer Rechte als unverletzt gedachte Verhaltensregeln, gibt Esser einen guten Begriff ihrer Wirkung: „Das zugewiesene Recht ist ein Recht, unabhängig vom Durchsetzungswillen des Berechtigten; […] es ist ‚sein‘ Recht, aber es ist Recht nicht kraft seines Willens, sondern kraft objektiven Rechtssatzes, kraft rechtlicher Zuweisung.“80 Beispiel: E hat als Eigentümer eines Notebooks „das Recht“, dass niemand das Gerät beschädigt.
Neben diesem weitgefassten Sinn finden die Kategorien primär/sekundär in der juristischen Fallbearbeitung umfängliche Anwendung in Form primärer und sekundärer Ansprüche.81 Ansprüche sind eine Untergruppe der relativen Rechte („Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“, § 194 Abs. 1 BGB). Im Gegensatz zu den primären Rechten weisen sie eine „Beziehung zu einem bestimmten Gegner“ auf, sind grundsätzlich klagbar und erschöpfen sich 75
Dernburg, Pandekten, Bd. 1, § 39 (dort Fn. 10). Strömholm, Allgemeine Rechtslehre, 51; Bucher, Normsetzungsbefugnis, 51 ff.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 99 („Die ersteren schreiben ein Verhalten vor, die letzteren weisen die Rechtsschutzorgane an, gegen den Übertreter der Rechtsnormen Zwang oder Strafe zu verhängen.“). 77 Vgl. Strömholm, Allgemeine Rechtslehre, 51. 78 Peukert, Güterzuordnung, 875. 79 Bis hierhin Raiser, JZ 1961, 465 (466); siehe auch Neuner, BGB AT, § 20 Rn. 25 ff.; Peukert, Güterzuordnung, 875 (dort Fn. 96). 80 Esser, Einführung, 158. 81 Larenz, SchR I, 8; Plate/Geier, Zivilrecht, 617 ff. (Primär- und Sekundäransprüche aus Schuldverhältnissen), siehe auch S. 1033 ff. (primäre und sekundäre sachenrechtliche Ansprüche); Becker, Absurde Verträge, 27 ff. 76
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„in einer einzelnen Machtbefugnis“,82 sie schlagen „die Brücke zur gerichtlichen Verfolgung und Durchsetzung von Rechten“.83 Spricht man also von primären und sekundären Rechten, muss man sich klarmachen, dass ihr Adressatenkreis – anders als der des konkreten Anspruchs – ein potentieller ist. Der Anspruch bezeichnet „die persönliche Richtung des Rechts als solche“.84 Schließlich treten (mit Blick auf das eben angeführte Zitat Dernburgs) nicht alle theoretisch abwehrbaren Störungen zugleich ein.85 Primäre Ansprüche können auch als selbständige Ansprüche bezeichnet werden.86 Es handelt sich um Ansprüche, die ihren Rechtsgrund in sich selbst tragen, wie z. B. vertragliche Leistungsansprüche, die durch Sekundäransprüche und Gestaltungsrechte, etwa solchen des Leistungsstörungsrechts, (nur) abgesichert sind.87 Allgemein betrachtet legt das primäre Recht fest, welche sekundären Rechte grundsätzlich und zwar in Form von Ansprüchen oder Gestaltungsrechten entstehen können. Daher gilt: „Verhaltensregeln statuieren […], wie sich gewisse Personen – unter bestimmten Umständen [!] – verhalten sollen oder dürfen. Sie setzen also bedingte Pflichten (gegebenenfalls bedingte Erlaubnisse) fest.“88
Primäre Rechte haben also denselben Adressatenkreis wie sekundäre Rechte (da sie Letzteren selbst festlegen), nur dass die Entstehung sekundärer Rechte vom Eintreten der als Bedingung gesetzten Tatsache abhängt.89 Das „Sollen“ entsteht dann ohne weiteren Rechtsakt ipso facto.90 Auch das von Hohfeld sog. privilege des Eigentümers ist ein Vorteil auf Ebene des primären Rechts, der erst auf sekundärrechtlicher Ebene über Rechte und Pflichten abgesichert ist. Eine zentrale Rolle spielen primäre subjektive Rechte für Peukerts „Dogmatik des Güterzuordnungsrechts“:91 Die Zuordnung von Gütern zum Individuum im 82
Enneccerus/Nipperdey BGB AT I/2, § 222 II (1363 ff.). Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 57. 84 Gleich ob das Recht dinglich oder persönlich ist, Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, Bd. 1, § 43 (182). 85 Das gleiche Problem stellte sich der Willenstheorie, die eine Willensherrschaft auch nur für den „potentiellen Willen“ annehmen kann, ein „aktueller Wille“ ist nur vorhanden, „wenn der Eigentümer gerade der Sache bedarf, was oft lange Zeit hindurch nicht vorkommt“, v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 57. 86 Vgl. Neuner, BGB AT, § 20 Rn. 27 ff. 87 Vgl. etwa Plate/Geier, Zivilrecht, 617 ff. 88 Weinberger, Norm und Institution, 88 f. [Hervorh. im Original]; i. d. S. auch Bucher, Normsetzungsbefugnis, 62 („Dem subjektiven Recht entspricht […] lediglich ein Bereich potentieller Pflichten, dessen Grenzen mit den Grenzen der Normsetzungsbefugnis des Berechtigten zusammenfallen.“); ebenso Hohner, der zu Recht anmerkt, dass Buchers Position auch bei Ablehnung seiner übrigen Lehre ihren Sinn behält, Hohner, Subjektlose Rechte, 54. 89 Das Rechtssubjekt wird verpflichtet, „sobald es in den für den Berechtigten abgegrenzten Machtbereich geräth“, v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, § 29 (258). 90 Weinberger, Norm und Institution, 87 f. 91 Peukert, Güterzuordnung, 857: „Bei Eingriffen in den Schutzbereich des primären subjektiven Rechts stehen dem Inhaber sekundäre Ansprüche zu. Während relative subjektive Rechte bestimmte Schuldner verpflichten, zeichnen sich Ausschließlichkeitsrechte durch gegen jeder83
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Verhältnis zur Allgemeinheit („originäre, exklusive Zuordnung eines Gutes zu einer Person“)92 erfolge durch ein unverletzt gedachtes, verkehrsfähiges, primäres subjektives Recht. Dieses werde durch sekundäre Ansprüche geschützt und verwirklicht. Dem stellt Peukert den bloßen Interessen- und Güterschutz gegenüber. Dort gingen die sekundären Ansprüche auf eine Grundlage im objektiven Recht zurück, verwirklichten also kein subjektives Recht (definiert als „von der Rechtsordnung gewährte, positive Rechtsmacht […], die der Einzelne autonom ausüben darf“).93 So hat jedermann dem Eigentümer gegenüber die potentielle (also die bedingte) Pflicht, Einwirkungen auf die Sache zu unterlassen. Dem entspricht das bedingte Recht des Eigentümers zur Abwehr der betreffenden Person. Wer nicht eingreift, kann nicht abgewehrt werden. Der Eintritt der Bedingung „aktualisiert“ die bedingten Rechte und Pflichten, die dadurch ipso facto zu unbedingten Rechten (Ansprüchen) und Pflichten werden. Das Gleiche gilt im Vertragsrecht (insbesondere für Nebenpflichten). Der Unterschied zwischen absoluten und relativen Rechtspositionen – im ersten der oben genannten Sinne94 – liegt also im Entstehungstatbestand der aus den Rechten folgenden Ansprüche – die Anspruchsmöglichkeiten im Vertragsrecht bestehen nur inter partes, absolute hingegen inter omnes.95 Absolute Herrschaftsrechte sind also primäre Rechte, die Anspruchsmöglichkeiten inter omnes beinhalten.
C. Der Abwehranspruch Bleibt man beim Adressatenkreis der Wirkung des Rechts als gängige Abgrenzung, ergibt sich daraus die Folgefrage, welche Wirkung (bzw. Anspruchsmöglichkeiten) absolute Rechte gegen jedermann entfalten. Was ist das Mindeste, das der Berechtigte kraft seines absoluten Rechts gegen jeden Verletzer geltend machen kann? Gibt es eine Wirkung, i. e. einen Sekundäranspruch, der allen absoluten Rechten gemein ist? Z. B. kann der Sacheigentümer im Falle eines rechtswidrigen und gegebenenfalls schuldhaften Eingriffs gegenüber jedermann, der entsprechend in sein mann wirkende Befugnisse an einem Gut aus. Von diesen unverletzt gedachten und daher rechtsgeschäftlich und zwangsweise übertragbaren subjektiven Rechten wurde der Schutz von Interessen und Gütern auf der Grundlage gesetzlicher Schuldverhältnisse kategorial unterschieden. Zwar genießt der nach Maßgabe der jeweiligen Tatbestände Aktivlegitimierte ebenfalls im Verhältnis zu allen Dritten Schutz. Indes – und das ist der qualitative Struktur- und Wirkungsunterschied zu den Ausschließlichkeitsrechten – verwirklichen bzw. sanktionieren diese Ansprüche kein primäres subjektives Recht, sondern gehen direkt auf die jeweilige Grundlage im objektiven Recht zurück. Da es an einem selbständigen Verfügungsgegenstand unabhängig von der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands fehlt, kann der Interessen- und Güterschutz auch nicht als solcher rechtsgeschäftlich oder zwangsweise übertragen werden.“. 92 Peukert, Güterzuordnung, 56. 93 Peukert, Güterzuordnung, 857. 94 Nämlich als Benennung des Adressatenkreises, siehe oben A. VI. Fazit und Folgerungen für die Dinglichkeit. 95 Vgl. C. Peters, AcP 153 (1954), 454 (459 f.).
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primäres Recht eingreift, vindizieren, kondizieren, Schadensersatz sowie Beseitigung und Unterlassung verlangen.96 Schon das Persönlichkeitsrecht unterscheidet sich hinsichtlich dieser Möglichkeiten aber erheblich vom Sacheigentum. Von den naturgegebenen Unterschieden im geschützten Gut abgesehen, die z. B. eine Vindikation unsinnig erscheinen ließen, betrifft dies vor allem Kondiktions- und Schadensersatzansprüche.97 In den anhängenden sekundären Rechten unterscheiden sich die primären absoluten Rechte also. Einen Sekundäranspruch scheint es aber zu geben, der fast immer besteht. Ein absolutes Recht, das zwar gegen jeden Verletzer Ansprüche wie Schadensersatz oder Bereicherung, zuvor aber keine Abwehr des betreffenden Eingriffs begründete, wäre (schon der Wertung nach) in sich widersprüchlich.98 Wenn vom Verletzer nicht einmal die Unterlassung seiner fraglichen Handlung hätte verlangt werden können, ergäbe ein nachträglicher Ausgleich, der auf der Verletzung der Rechtsposition beruht (!), keinen Sinn. Es gilt eben kein „dulde und liquidiere“ als Basisregel. Ein einfaches Beispiel ist § 985 BGB – jeder Besitzer ist dem Eigentümer unter den gesetzlichen Voraussetzungen zur Herausgabe verpflichtet. Was der Eigentümer aber zuvorderst hat, ist ein Verbietungsrecht. § 1004 BGB gibt ihm einen gegen die Störung seines Besitzrechts gerichteten Unterlassungsanspruch,99 der durch § 985 BGB abgelöst wird, sobald der Eingreifer den Besitz erlangt (während die §§ 858 ff. BGB als possessorischer Besitzschutz gerade nicht aus dem Eigentum fließen).
Die minimale gemeinsame Wirkung der als absolut anerkannten Rechte ist mithin die Abwehr von Beeinträchtigungen der geschützten Position.100 Dies hat Verwandtschaft (ist allerdings nicht identisch) mit dem zentralen Gedanken der Imperativentheorie – der Reduzierbarkeit aller Rechtsnormen auf Imperative in 96
Vgl. nur Prütting, Sachenrecht, Rn. 18, siehe auch Rn. 12. knüpft die bekannte Diskussion zu Persönlichkeitsrechten als Vermögensrechten an, siehe nur BGH GRUR 1987, 128 – NENA; BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; Erman/Klass, Anh. § 12 Rn. 203 ff. Siehe als Gegenbeispiel zur Lizenzierung etwa Larenz/ Canaris, SchR II/2, 171 (eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung könne nicht zur Kondiktion in Höhe des üblichen „Dirnenlohns“ führen). 98 Allgemeiner Raiser, JZ 1961, 465 (467): „Ein primäres subjektives Recht ohne irgendeinen in die Hand des Berechtigten gegebenen Schutzanspruch scheint es nicht zu geben […]. Aber es ist wichtig festzustellen, daß dieser Satz sich nicht umkehren lässt. Sekundäre Rechte dienen in weitem Umfang auch dem Schutz von Positionen, die unzweideutig nicht zu den primären subjektiven Rechten ausgestaltet sind.“ [Hervorh. v. Verf.]. 99 „Die Vindikation […] verschafft dem Eigenthümer den Besitz und die Inhabung wieder“, während § 1004 BGB „bei einer zur Vindikation nicht genügenden Verletzung des Eigenthumes“ greift, Mot. III, 423 = Mugd. III, 236; vgl. auch Stoll, AcP 162 (1963), 203 (219). 100 Vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 2, 50 f.; Meier-Hayoz, Berner Kommentar, Systematischer Teil, N. 242 (trennt säuberlich das an die Rechtsgenossen gerichtete Verbot [primär] und die sich bei einer Verletzung aktualisierende Rechtsbeziehung zum Verletzer [sekundär]); Raiser erkennt unterhalb der ‚echten‘ Herrschaftsrechte den Typus bloßer Ausschlussrechte an, hierzu zählt er insbesondere Rechtspositionen im allgemeinen Wettbewerbs- und dem (damaligen) Kennzeichenrecht, Raiser, JZ 1961, 454 (468); siehe auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 368 („Absolute Rechte […] sind ihrem Inhalt nach Bündel von Unterlassungsansprüchen.“). 97 Hieran
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Form von Verbotssätzen:101 da man das Verbot zur Konstruktion anderer Rechte braucht, hat es eine besondere Dominanz als vorgelagertes Recht. Abwehransprüche gegen jedermann bestehen bei so ziemlich jedem absoluten Recht und hängen von dessen Inhalt nur dem Umfang nach ab. Es gibt jedoch vereinzelte Ausnahmen. Am gewichtigsten ist dabei das Problem der Verletzung von Verkehrspflichten, deren Funktion nicht in jedem Fall „in der Festlegung echter Verhaltenspflichten besteht“. Z. B. lässt sich die nachlässige Überwachung einer Waschmaschine kaum als verbotenes/verbietbares Verhalten, sondern plausibler als Voraussetzung zur Verhinderung der Haftung für Wasserschäden erfassen.102 In seltenen Fällen kann somit die Rechtswidrigkeit als Schadenszurechnung statt als Feststellung verbotenen Verhaltens verstanden werden.103 Schönherr macht außerdem zu Recht auf absolut wirkende Ausgleichsansprüche im Immaterialgüterrecht aufmerksam, denen kein primäres Verbotsrecht vorangeht.104 Derlei (seltene) Konstellationen bleiben also vorbehalten. Zu ihnen zählen auch Kompensationsansprüche im Rahmen von Schrankenregelungen.105
Besagte Abwehrrechte sind rein formaler Natur und werden durch den materiellen Gehalt des mit ihnen beschriebenen Primärrechts dem Grunde nach bestimmt. Daher ist der häufig rechtspolitisch heikle Umfang nicht entscheidend für die Absolutheit, sondern dafür, was absolut geschützt ist. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht liefern mannigfaltige Beispiele – die Absolutheit steht fest, der Umfang nicht. Soweit das Recht aber besteht, ist es durch Abwehrrechte umrissen. Andererseits weisen Sekundäransprüche längst nicht auf ein primäres absolutes Recht hin.106 Raiser nennt das Beispiel des § 826 BGB, der Verletzungen des gerade nicht absolut geschützten Vermögens sanktioniert.107 Im Handlungsunrecht ist das Rechtsschutzbedürfnis allenfalls durch die Art der Beeinträchtigung und nicht 101
S. o. § 1 A. III. 2. Verschiedene Auffassungen der Imperativentheorie. Bis hier Jansen, AcP 202 (2002), 517 (538 f.). 103 Jansen, AcP 202 (2002), 517 (533 ff., 546); ders., Die Struktur des Haftungsrechts, 579 ff. (Haftungsbegründung als Feststellung der „Erfolgsverantwortlichkeit“ ohne „rechtliches Unwerturteil“); siehe aber MüKoBGB/Wagner, vor § 823 Rn. 28; § 823 Rn. 11 f. Siehe auch unten § 15 A. I. 2. Erfolgs- und Handlungsunrecht. 104 Schönherr, FS Troller, 57 (64) bezieht sich auf: 1) die damals geltenden Zweitverwertungsrechte der ausübenden Künstler, die nur für die vorangehende öffentliche Wahrnehmbarmachung Verbietungsrechte hatten, für eine Zweitverwertung aber nur eine angemessene Vergütung verlangen konnten (vgl. §§ 76 Abs. 2, 77 UrhG 1962; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 526). 2) Tonträgerhersteller, die im Falle öffentlicher Wiedergabe damals wie heute nur einen Vergütungsanspruch haben, § 86 UrhG, Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 86 Rn. 1. Diesen Anspruch haben sie jedoch nur gegen den ausübenden Künstler, er richtet sich also gerade nicht gegen jedermann. 3) Den (einschlägigeren) Schutz offen gelegter Patentanmeldungen, für die auch der heutige § 33 Abs. 1 PatG dem Anmelder kein Verbietungs- wohl aber einen Entschädigungsanspruch einräumt, vgl. Benkard/Schäfers, PatG, § 33 Rn. 1a. 105 Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 147; siehe dazu auch unten § 14 F. I. Hofmann: Rechtsfolgenrechte als Feinabstimmung der Stammrechte. 106 Peukert, Güterzuordnung, 863 ff.; v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (55); siehe auch oben B. Primäre und sekundäre Rechte. 107 Raiser, JZ 1961, 465 (467). 102
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durch die Art des Rechtsguts begründet.108 Der Kern des Persönlichkeitsschutzes wurde oben für einige Bereiche sogar strikt von der Vorstellung subjektiver Rechte getrennt.109 Absoluter Rechtsschutz kann sowohl für subjektive Rechte wie auch für Güter und Interessen bestehen, die dem Berechtigten nicht zugewiesen und erst recht nicht seiner Herrschaft unterworfen sind. – Diese Trennung „subjektiver Ausschließlichkeitsrechte“ von einem gegenüber jedermann, also absolut wirkenden Interessen- und Güterschutz ist eine zentrale und treffende These Peukerts. Weiter unten ist der Frage nachzugehen, wodurch sich „echte“ subjektive Herrschaftsrechte absoluter Wirkung positiv auszeichnen, also was sie über die bloße Abwehr von Eingriffen in einen bestimmten Interessensbereich110 erhebt. Zusammengefasst zeichnet sich ein absolutes Recht also nicht durch irgendeine Wirkung gegen jedermann, sondern zuvorderst durch Abwehrrechte gegen jedermann aus.111 Dabei darf die zentrale Stellung des Abwehrrechts – wie auch Schönherr zeigt – nicht vergessen machen, dass die Absolutheit in der gerade behandelten populärsten Bedeutung nicht mehr als den Adressatenkreis bezeichnen soll. Sie könnte theoretisch ganz verschiedene Ansprüche gegen jedermann nach sich ziehen.112 – Für die nähere Untersuchung negatorischer Ansprüche sowie weiterer Sekundäransprüche im Verhältnis zum primären subjektiven Recht ist auf die unten stehenden Ausführungen zur Rechtsdurchsetzung zu verweisen.113
D. Die positive und die negative Seite absoluter Rechte Gängig wird bei absoluten Herrschaftsrechten eine positive und eine negative Seite unterschieden. So versteht man beim Sacheigentum die Zuweisung der umfassenden Sachherrschaft an den Eigentümer als positive Seite („mit der Sache nach Belieben zu verfahren“), mit der das Recht „andere von jeder Einwirkung auszuschließen“ als negative Seite korrespondiere.114 Das Wesen des Eigentums las108 Larenz/Canaris, SchR II/2, 357. Siehe auch eingehend unten § 15 A. I. 2. Erfolgs- und Handlungsunrecht. 109 Siehe oben § 11 B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. 110 Der Begriff scheint der weitmöglichste zu sein. Er erfasst sowohl Rechtspositionen mit Innenbeziehung als auch Statusrechte. 111 I. d. S. MüKoBGB/Wagner, 6. Aufl. 2013, § 823 Rn. 205 („Als entscheidend für die Qualifizierung einer Position als absolutes subjektives Recht erweist sich damit die Ausschlussfunktion, also das gegenüber jedermann bestehende Eingriffsverbot […]“); Portmann, System und Wesen, Rn. 244; Krebs/Becker, JZ 2009, 932 (935); Jänich, Geistiges Eigentum, 201 (Betonung auf dem Abwehrgedanken). Siehe auch Peukert, Güterzuordnung, 52 ff. (belegt präzise die uneinheitliche Verwendung des Begriffs „absolutes Recht“, verzichtet als Konsequenz aber auf den „inzwischen verwässerten Terminus“ und entwickelt eine eigene Terminologie). 112 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 368 (ein Beispiel für ein absolutes Recht, das ein positives Tun zum Inhalt habe, sei die [wohl privatrechtliche] Pflicht, vor dem Bundespräsidenten den Hut zu ziehen); siehe auch Schönherr, FS Troller, 57 (64). 113 Siehe unten 5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte. 114 Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 8 Rn. 8; Jauernig/Berger, § 903 Rn. 2 f.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 13 Rn. 11; BeckOK BGB/Fritzsche, § 903 Rn. 16 ff.; Staudinger Eckpfeiler/Herrmann (2008), 983; Jänich, Geistiges Eigentum, 194 f.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
se sich „nur in der Verbindung von positiver und negativer Komponente“ erfassen.115 Das Urheberrecht unterliegt als Kombination persönlichkeits- und vermögensrechtlicher Befugnisse nur einigen der im Sachenrecht geltenden „Rechtssätze“.116 Trotzdem gilt auch dort: „Die rechtliche Herrschaft über das Werk äußert sich in der Befugnis, mit dem Werk nach Gutdünken zu verfahren, insbesondere es zu verwerten (positives Nutzungsrecht) und Dritte von der Einwirkung auszuschließen (negatives Verbotsrecht)“ – dies gilt vergleichbar für die ausschließliche Lizenz („exklusives positives Benutzungsrecht und negatives Verbotsrecht“).117
Zu kommerziellen Persönlichkeitsrechten führt der BGH in der Marlene-Entscheidung aus: „Mit der Befugnis des Erben, die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts in der Weise wahrzunehmen, daß er gegen eine unbefugte Verwendung des Bildnisses oder des Namens des Verstorbenen einschreitet, ist daher nicht ein uneingeschränktes positives Benutzungsrecht verbunden, das auch gegen die ausdrücklichen oder mutmaßlichen Interessen des verstorbenen Trägers des Persönlichkeitsrechts eingesetzt werden könnte.“118
Die Vorstellung einer vom bloßen Ausschlussrecht zu unterscheidenden positiven Nutzungsbefugnis ist also verbreitet. Was ist aber genau unter der positiven und negativen Seite eines absoluten Rechts zu verstehen?
I. Stimmen aus der Literatur Im Folgenden sind einige separate Lehren zur Abgrenzung der positiven und negativen Seite absoluter Herrschaftsrechte darzulegen.
1. Peukert Den differenziertesten Blick auf negative und positive Berechtigungen bietet wohl Peukert. Zunächst grenzt er das – über die hier behandelte Frage positiver und negativer Seiten subjektiver Rechte hinausreichende – Konzept negativer Freiheit ab. Dieses identifiziert er mit dem „klassisch liberalen Freiheitsbegriff […], der unter Freiheit die Abwesenheit von Zwang versteht“, mit Verweisen auf unter anderem Hobbes, Hume, Locke, Kant und v. Hayek: „Rechtskreise zum Schutz negativer Freiheit zeichnen sich also dadurch aus, dass sie einen ‚leeren Raum‘ markieren, der von Dritten nicht beeinträchtigt werden darf, dessen Ausfüllung durch den Geschützten aber offen bleibt, weil hier Autonomie herrschen soll.“ Beispielsweise etabliere das „Abwehrrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit […] kein 115
Portmann, Wesen und System, Rn. 225. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 112 f., 117 f.; Troller/Troller, Kurzlehrbuch, 17 f., 21 f. (materielle und ideelle Interessen). 117 Schricker/Schricker/Loewenheim, UrhG, Einl. Rn. 26; ebd., 4. Aufl. 2010, vor § 28 Rn. 81. 118 BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 (2199) – Marlene Dietrich. 116
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Dürfen, sondern einen von staatlicher und privater Einflussnahme abgeschirmten Bereich, in dem der Einzelne nach seinen Vorstellungen agieren kann.“119
Den darin liegenden Zweck sieht Peukert insbesondere in den „dynamischen Bereichen des Deliktsrechts“ und den „gesetzlichen Generalklauseln“ verfolgt. Es werde kein bestimmtes Verhalten des Geschädigten beschrieben, sondern das Handeln des Verletzers zum Maßstab genommen, also keine Aussage darüber getroffen, „was der Geschädigte […] tun darf oder gar soll“.120 Die „Offenheit des Schutzobjekts negative Freiheit“ erkläre ferner, „warum […] die geschützten Rechtskreise […] nicht ex ante fest definiert sind, ihre Verletzung vielmehr eine umfassende Abwägung mit der schließlich ebenfalls tangierten, gleichrangigen negativen Freiheit [i. S. Kants allgemeinen Rechtsprinzips] des Handelnden voraussetzt“.121
Der Schutz obliege den Gerichten, weil die „Vielgestaltigkeit des Lebens“ es ausschließe, „diese dauernde Aufgabe durch gesetzliche Vorgaben im Detail zu erfüllen“.122 Die Gerichte konkretisieren also die negativ geschützte Freiheit, sie sorgen für den Ausgleich, für die Vereinigung der Willkür der Personen. Bei subjektiven Rechten (in der Bedeutung von Ausschließlichkeitsrechten nach Peukerts Terminologie) würden diese „[d]eliktsrechtlich konturierte[n] Rechtskreise […] noch um eine positive Zuweisung ergänzt“.123 Anders als bei den negativen Freiheiten sei der Freiheitsraum „nicht ‚leer‘, sondern vom Gesetz mit einem bestimmten Inhalt gefüllt. Es besagt […] ex ante, was allein der Berechtigte tun darf.“124
Bei den enumerativ aufgezählten Befugnissen in den gesetzlichen Immaterialgüterrechten (z. B. in §§ 15 ff. UrhG) liegt diese Sicht in der Tat nahe. Am schwierigsten wird die dargelegte Abgrenzung der positiven Seite beim Sacheigentum. Denn auf einen ersten Blick müsste § 903 BGB dem Wortlaut und den Motiven nach Peukerts Abgrenzung125 negativer Natur sein. So fehlt es § 903 BGB offensichtlich an einer „Aussage darüber, was der Geschädigte […] tun darf oder soll“ und er bedarf einer „Ausfüllung durch den Geschützten“. Auch schließt die „Vielgestaltigkeit des Lebens“ es gerade beim Sacheigentum aus, „diese dauernde Aufgabe durch gesetzliche Vorgaben im Detail zu erfüllen“. Dem hält Peukert entgegen, dass sich aus der „Gesamtheit der auf das Sacheigentum bezogenen Vorschriften“ ergebe, „wie weit die Befugnis des Eigentümers reicht, nach Belieben mit der Sache zu verfahren“.126 Entscheidende Bedeutung 119
Peukert, Güterzuordnung, 882 [Hervorh. im Original]. Peukert, Güterzuordnung, 882 f. 121 Peukert, Güterzuordnung, 883. 122 Peukert, Güterzuordnung, 883. 123 Peukert, Güterzuordnung, 883. 124 Peukert, Güterzuordnung, 884 [Hervorh. im Original]. 125 Vgl. insbesondere Peukert, Güterzuordnung, 882 f. 126 Peukert, Güterzuordnung, 884. 120
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
komme Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zu, demzufolge „bereits der Inhalt des verfassungsrechtlichen Eigentums dem Gesetz zu entnehmen“ sei.127 Der Gesetzgeber stellte zum (zivilrechtlichen) Schutzumfang fest: „Der Entwurf will weniger eine Definition geben, als den wesentlichen Inhalt der dem Eigenthümer zustehenden Rechte feststellen […]. Die positive Seite dieser Feststellung ist von geringerer Wichtigkeit als deren negative Seite, nämlich daß die ausschließliche Verfügungsbefugnis des Eigenthümers über die Sache so weit reicht, als nicht eine Beschränkung nachgewiesen wird. Die einzelnen Befugnisse des Eigenthümers würden, auch wenn eine allgemeine Bestimmung fehlte, aus den Vorschriften über den Eigenthumsschutz und über die von dem Eigenthümer vorzunehmenden Veräußerungsgeschäfte entnommen werden können […].“128
Es findet sich also durchaus ein Hinweis darauf, dass sich die positive Seite durch einen vordefinierten Freiheitsraum auszeichnet. Zugleich wird aber ausdrücklich auf dessen Unförmigkeit und Nichtabgeschlossenheit hingewiesen: „In der expansiven Natur des Eigenthums liege der Unterschied zwischen Eigentum und anderen Rechten an Sachen.“129 Die Abgrenzung „durch Gesetz oder durch Rechte Dritter“ „bringe die Elastizität des Eigenthumes, vermöge deren beim Wegfalle einer Beschränkung die Konsolidation zu Gunsten des Eigenthümers eintrete, zum Ausdruck“.130
Die negative Seite subjektiver Rechte hat Peukert zufolge eine vergleichbare Ausschlusswirkung wie der (deliktsrechtliche) gesetzliche Interessen- und Güterschutz und liege im Ausschluss/in der Abwehr Dritter.131 Peukerts rechtspolitisches Ergebnis ist, dass negative Freiheitsbereiche neu zu schaffen richterlich nur in engen Grenzen zulässig und die Abgrenzung statischer Freiheitsbereiche (i. e. positiver Berechtigungen, siehe sogleich) vollständig dem Gesetzgeber vorbehalten sei:132 „Gefunden wurde […] kein Rechtsprinzip der Güterzuordnung, sondern ein Rechtsprinzip des Schutzes gleicher Freiheit.“133
M. E. kommt in dieser Sichtweise die Zivilrechtsmethodik etwas zu kurz. Es erscheint fraglich, ob die richterliche Kompetenz zur Güterzuweisung in bestimmter Hinsicht (etwa zur Anerkennung gesetzlich nicht präformierter sonstiger Rechte i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB) tatsächlich eine Frage des materiellen Rechts ist. 127
Peukert, Güterzuordnung, 670. Mot. III, 262 = Mugd. III, 145. 129 Prot. I, 3729 = Jakobs/Schubert, Sachenrecht I, 442. 130 Prot. III, 3525 = Mugd. III, 578. Siehe auch AK-BGB/Ott, § 903 Rn. 1 („Eigentum ist dabei nicht die Summe bestimmter einzelner Befugnisse, sondern Zuordnung der Sache in jeder Hinsicht [Totalität des Eigentums]“); siehe auch Rn. 12: was „Inhalt, Schranken und Sozialbindung des Eigentums“ angeht sei § 903 BGB „gegenüber den Entwicklungen der Eigentumsordnung neutral“). 131 Peukert, Güterzuordnung, 871 f. 132 Peukert, Güterzuordnung, 907. 133 Peukert, Güterzuordnung, 910. 128
§ 12 Absolute Rechte411
Oben wurde schon darauf hingewiesen, dass Verfügungsmacht auch richterlich anerkannt werden kann – ähnliche Fragen stellen sich i. R. d. numerus claususPrinzips.134
2. Portmann Portmann sieht (im schweizerischen Zivilrecht)135 die positive Komponente „zweifellos […] im Zentrum des Eigentums“, zwar habe auch die negative Komponente konstitutive Bedeutung, „doch dient sie im Grunde nur der optimalen Verwirklichung der positiven Komponente“.136
Sowohl die positive als auch die negative Komponente seien „unverzichtbare und eigenständige Elemente des Eigentums“.137 Die negative Komponente ordnet Portmann den „Rechten auf ein fremdes Verhalten“ zu und definiert sie für das Sacheigentum als „ein absolutes Recht mit dem Inhalt, nicht durch fremde Einwirkungen auf die Sache gestört zu werden“; jedermann außer dem Eigentümer habe „eine entsprechende Nichtstörungspflicht“.138
Ein Eingriff in den negativen Bereich liegt also seines Erachtens nicht erst vor, wenn der Eigentümer den Störer aktiv ausschließt, sondern ist „von Anfang an […] Bestandteil“ des Verbotsrechts (i. S. absoluter Herrschaftsrechte).139 Entsprechend sei die Bezeichnung „Verbietungsrecht“ und eigentlich auch die Formulierung des § 903 BGB („kann […] ausschließen“) abzulehnen.140 Der Eingriff muss also nicht extra verboten werden, um verboten zu sein. Soweit Portmann für eine Gleichsetzung von Verbotsrecht (absolutem Herrschaftsrecht) und Anspruch plädiert,141 ist anzumerken, dass der Anspruch erst entsteht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, wie etwa eine drohende Störung (§ 1004 BGB). Portmann stellt dies auch unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzbarkeit folgendermaßen klar: „… eine Klageart zur Erzwingung absoluter Rechte als solcher existiert überhaupt nicht.“ – und – „Nach diesen Ausführungen erweist sich der auf eine konkrete Störungshandlung 134 Siehe dazu insbesondere unten § 13 C. II. 3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen. 135 Art. 641 ZGB lautet: „Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren.“ Positive und negative Seite werden aber vergleichbar dem deutschen Recht abgegrenzt, vgl. nur Portmann, Wesen und System, Rn. 220 ff. 136 Portmann, Wesen und System, Rn. 387. 137 Portmann, Wesen und System, Rn. 226 ff. 138 Portmann, Wesen und System, Rn. 231, 228, 229 ff. 139 Portmann, Wesen und System, Rn. 229 f. 140 Portmann, Wesen und System, Rn. 233, 230. 141 Portmann, Wesen und System, Rn. 235.
412
4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
bezogene Unterlassungsanspruch als individualisierter, konkretisierter und durchsetzbarer Teil des bedrohten Verbotsrechts; mit anderen Worten bildet er einen personellen und inhaltlichen Ausschnitt aus dem Verbotsrecht, der aufgrund des Rechtsschutzinteresses, das mit der Störung entsteht, klagbar und vollstreckbar wird.“142
Darauf aufbauend liefert er eine bemerkenswerte Ansicht zum Zusammenhang von absolutem Herrschaftsrecht und Ansprüchen, die seiner Durchsetzung dienen. Die Verletzungsgefahr sei nicht Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs, sondern nur des Rechtsschutzinteresses an seiner Geltendmachung, habe also „nur eine prozessuale Wirkung […] ohne Einfluss auf die materiellrechtliche Lage“.143 Entsprechend habe die Unterlassungsklage „im Unterlassungsanspruch, der seinerseits im Verbotsrecht wurzelt, eine materielle Grundlage“.144 Der Unterlassungsanspruch sei kein Sekundärrecht, sondern „von Anfang an im Verbotsrecht enthalten“.145 Anders als in der oben gezeigten Unterscheidung primärer und sekundärer Rechte ist der Abwehranspruch nach dieser Lehre nicht nur ein anderen Ansprüchen logisch vorgelagerter Minimalanspruch, sondern materiellrechtlicher Natur (was praktisch wenig ändert, wenn die Verletzungsgefahr und alle anderen Voraussetzungen gerichtlicher Durchsetzung gleichbleiben).
3. Schluep Die oben gezeigte Dogmatik Peukerts weist eine gewisse Ähnlichkeit zu Schlueps Unterscheidung zweier rechtlicher Formen auf, die der rechtliche Schutz als Folge der Anerkennung eines Rechtsguts annehmen könne: „Entweder wird das Rechtsgut oder seine äußere Erscheinung (das Rechtsobjekt) unmittelbar von Gefährdung und Verletzung bewahrt; oder es wird das Rechtsgut mittelbar in der Weise gesichert, daß es dem interessierten Subjekt zum Haben und Nutzen zugesprochen und durch diese Zuordnung in Obhut genommen wird. Dieser zweite Sachverhalt ist der Kern des subjektiven Rechts im materialen Sinn. Subjektive Rechte sind somit Subjektivierungen von Gütern. Die beiden Prägungen des Rechtsgüterschutzes unterscheiden sich grundsätzlich im Hinblick auf die Subjektbezogenheit. Im objektiven Rechtsgüterschutz wird das Interesse der Person durch den Schutz des Gutes selbst rechtlich anerkannt. In der Gestalt des subjektiven Rechts wird das Gut durch die rechtlich anerkannte Beziehung zur Person bewahrt.“146
Auch Schluep unterscheidet hier und im Folgenden zwischen dem der Person zugewiesenen Rechtsgut als subjektivem Recht im materialen Sinn und einer Art Interessenschutz durch „wertanerkennende und -bewahrende Allgemeinpflichten […] ohne zugleich die Freiheit des eigenen Habens und daher die Macht über die 142
Portmann, Wesen und System, Rn. 246 f. Portmann, Wesen und System, Rn. 247. 144 Portmann, Wesen und System, Rn. 250 [Hervorh. im Original]. 145 Portmann, Wesen und System, Rn. 251. 146 Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 321 [Hervorh. im Original]. 143
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Drittpflichten zu gewähren“, dort liege „bloß ein geschütztes Gut (Rechtsgut), nicht aber ein subjektives Recht vor“.147 Zuweisung dient hiernach als Mittel der Gütersicherung – sie ist der Telos des Herrschaftsrechts. Das Gut wird nicht unmittelbar, sondern über die Zuordnung zur Person bewahrt.
4. Folgerungen zur negativen Seite absoluter Rechte In den dargelegten Ansichten scheint die negative Seite absolut wirkender Rechte einig als Abwehrbefugnis verstanden zu werden, wofür auf die Ausführungen zum Abwehranspruch148 zu verweisen ist. Speziellere Ansichten befassen sich eher mit der Frage, in welchem Kontext welche Zwecke mit diesen Abwehrbefugnissen verfolgt werden (Schluep), ob Abwehrbefugnisse materiellrechtlicher oder prozessualer Natur sind (Portmann) sowie, ob die Schaffung negativ geschützter Bereiche dem Gesetzgeber vorbehalten ist (Peukert). Als weiteren Aspekt der negativen Seite absoluter Rechte ist auf das von Hohfeld angeführte „no right“ hinzuweisen. Dieses ist das Gegenteil des Abwehrrechts. Dem Abwehrrecht korrespondiert zum einen die Pflicht Dritter, bestimmte Handlungen zu unterlassen, zum anderen haben diese explizit kein Recht zur Vornahme der Handlungen, die das Recht für den Berechtigten schützt. Wie im Beispiel gezeigt wurde, müssen Dritte nicht nur Störungen des Grundstückseigentums des Berechtigten unterlassen, sie haben auch keine Berechtigung zu den Handlungen, die diesem aufgrund seines Rechts freistehen.149
Wie außerdem gezeigt wurde, ist der Eigentümer dabei selbst nicht automatisch zu allen Handlungen berechtigt, die er anderen verbieten kann – die faktische Handlungsfreiheit des Sacheigentümers wird auch in Bereichen eingeschränkt, von denen er selbst andere ausschließen kann. Z. B. kann der Eigentümer Dritten verbieten bei Waldbrandgefahr auf seinem Grundstück zu grillen, ihm selbst ist es aber auch verboten. Dies ist die oben sog. Zuweisungslücke des Sacheigentums.150 Das no-right Dritter ist also nicht deckungsgleich mit dem privilege des Berechtigten – das no-right ist größer.
II. Merkmale positiver Berechtigungen Wie die vorangegangene Betrachtung gezeigt hat, bereitet die Abgrenzung positiver Berechtigungen deutlich mehr Schwierigkeiten als die der negativen Seite absoluter Herrschaftsrechte, die hier als Ausschlusswirkung mit einem daraus folgenden no-right der Ausgeschlossenen verstanden wurde. Daher gilt es nun, einen
147
Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 322. Siehe oben C. Der Abwehranspruch. 149 Siehe oben § 1 A. III. 5. Zur Eigenständigkeit des Dürfens. 150 Siehe oben § 8 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums. 148
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Überblick darüber zu gewinnen, welche Merkmale mit positiven Berechtigungen gängig verknüpft werden.
1. Überblick Was versteht man unter einer positiven Berechtigung? Wieder dient das Sacheigentum als Ausgangspunkt. E. Herrmann schlägt folgende Kategorisierung der positiven Befugnisse des Sacheigentümers vor: „[…] das Recht […], die Sache zu besitzen (vgl. § 854 Abs. 1) und faktisch (Gebrauch, Nutzung, Verbrauch, Umgestaltungen, Vernichtung) und rechtsgeschäftlich (Verfügungen: Veräußerung, Belastung, Dereliktion, §§ 928 Abs. 1, 959) mit ihr zu verfahren (Handlungen, Unterlassungen).“151
Auffällig ist die klare Trennung faktischer und rechtsgeschäftlicher Befugnisse,152 die oben bereits ausgeführt wurde.153 Schapp kennzeichnet die positive Seite des § 903 BGB – abstrakter – als die „im Eigentum enthaltenen Wahlmöglichkeiten des Eigentümers“.154 P. Bydlinski beschreibt sie als „die absolute Zuordnung eines Gegenstands zu einer Person“, der er mit dem „an jedermann gerichtete[n] Gebot, diese Zuordnung zu respektieren“ die Ausschlussfunktion als negative Seite gegenüberstellt.155 Diese Auffassung erinnert an die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand.156 Sie versteht die positive Seite als das Zugeordnetsein des betreffenden Gegenstandes erster Ordnung. Dies wird sich insbesondere bei einer näheren Untersuchung der Sekundäransprüche zeigen, die sämtlich, insbesondere aber bei der Zuweisungsgehaltslehre, auf die übergeordnete Zuweisung des Gegenstandes an die Person abstellen.157 Diese Beschreibungen scheinen die Zuordnung als Wirkung und nicht als Mittel des Rechts zu verstehen. Jedenfalls wurde noch keine Komponente gezeigt, die sich nicht nur mit Verbotsrechten und Verfügungsmacht konstruieren ließe. Portmann zählt die positive Komponente zwar zu den „Rechten des Dürfens“ (!), die wie-
151
Staudinger Eckpfeiler/Herrmann (2008), 983 f. Enneccerus/Nipperdey BGB AT I/2, § 79 (456) („Herrschaft […] bezüglich des Genusses als der Verfügung“); Jänich, Geistiges Eigentum, 195 (zur positiven Seite des Eigentums zählten die tatsächlichen Verfügungen über die Sache, wie „Inbesitznahme, Besitzüberlassung, Nutzung, Veränderung oder Zerstörung der Sache“ sowie die rechtlichen Verfügungen („Übertragung [§§ 873, 925 bzw. 929 ff. BGB], Belastung mit beschränkten dinglichen Rechten und Aufgabe des Eigentums [§§ 928, 959 BGB]“). 153 Siehe oben § 8 A. I. Zwei Regelungskreise: rechtlich und faktisch. 154 Während die absolute Ausschlussbefugnis die negative Seite darstelle, Schapp, AcP 192 (1992), 355 (377). Allgemein sei „Freiheit im positiven Sinne […] die Freiheit zu Handlungen, während Freiheit im negativen Sinne die Freiheit von der Einwirkung anderer ist […]“, 359. 155 P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (303); ähnlich Larenz/Wolf, BGB AT, § 13 Rn. 11; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 1 II 2 (14). 156 Siehe oben A. V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand. 157 Siehe unten § 15 E. Ergebnisse. 152
§ 12 Absolute Rechte415
derum zu den „Einwirkungsrechten“ gehörten, welche er aber letztlich i. S. d. von Hohfeld gezeigten privilege158 versteht:159 „Aufgrund der negativen Komponente des Eigentums ist es jedoch allen anderen verboten, auf die Sache des Eigentümers einzuwirken. Das hat zur Folge, dass sein Dürfen als Privileg erscheint.“160
Eichler, auf den sich Portmann hinsichtlich der Einwirkungsrechte beruft, beschreibt diese (unter dem Begriff „Einwirkungsbefugnis des Berechtigten“) als „die innere Seite des dinglichen Rechts, die Einwirkungsmacht“. Dabei weist auch er auf die Unmittelbarkeit des Rechts am Gegenstand161 hin („das ‚Haften‘ des Rechts an der Sache“).162 Auch dies zielt jedoch letztlich nicht auf einen gesonderten Baustein des Rechts ab, sondern auf das Telos der Zuweisung von Verbotsrechten: die exklusive Freiheit des Berechtigten. In der Gesetzesbegründung zum PatG wird schließlich eine Funktion der ausdrücklichen Kodifizierung eines Benutzungsrechts in der Möglichkeit der Lizenzvergabe gesehen.163 Auch in der Patentrechtsliteratur versteht man die positive Seite als die dem Patentinhaber ein Benutzungsrecht zuweisende Seite. Im gleichen Zuge wird sie aber auch dort unter Verweis auf die allgemeine Gewerbe- und Wettbewerbsfreiheit als grundsätzlich überflüssig kritisiert;164 erst durch den Zusatz, dass der Patentinhaber das alleinige Benutzungsrecht hat (§ 9 S. 1 PatG), erlange die Vorschrift Sinn.165 Ähnlich heißt es bei Troller: „Die als Ergänzung zum Verbotsrecht angenommene positive Benutzungsbefugnis ist ohnehin als privatrechtlicher Anspruch gedacht, als ein Vorrecht gegenüber den andern; gerade dieses scheinbare Recht ist jedoch nur eine Folge des Ausschließlichkeitsrechts; man kann auch nicht behaupten, der Eigentümer habe ein Benutzungsrecht an einer körperlichen Sache; nicht seine Benutzungsbefugnis ist von ihm durchzusetzen, sondern die Abwehr Dritter.“166
158
Siehe oben § 1 A. III. 5. a) Hohfeld – das privilege als Dürfen. Portmann, Wesen und System, Rn. 228, 229 ff., 342 f. 160 Portmann, Wesen und System, Rn. 342. 161 Siehe oben A. V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand. 162 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 6. 163 BT-Drucks 8/2087, 24. 164 Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver, PatG, § 9 Rn. 6; BeckOK PatG/Ensthaler/Gollrad, § 9 Rn. 7. 165 Ann, Patentrecht, § 33 Rn. 27 f. 166 Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. 1, 71; ähnlich Schloßmann, JherJB 45 (1903), 289 (338, 390) (resümiert, dass das Eigentumsrecht dem Berechtigten „keinerlei bestimmte materielle Befugnisse positiv garantirt, sondern ihm nur eine befriedete Sphäre schafft, um ihm in ihr die Bethätigung seiner persönlichen Freiheit, aber einer durch unzählige Pflichten gegen Staat, Gemeinde, Familie und die anderen ihn umfangenden Gemeinschaftskreise, sowie auch gegen Einzelne eingegrenzten Freiheit zu gestatten“). 159
416
4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
2. Die positive Seite als starke Erlaubnis? Trotz aller Formulierungen in der Literatur erweist sich die positive Seite bislang also nicht als Baustein absoluter Herrschaftsrechte, der dieselbe Art von Funktion hätte, wie die Verbotsrechte. Sogenannte starke Erlaubnisse, also Normsätze, die eine ausdrückliche Erlaubnis/ein ausdrückliches Gebot formulieren, wiederum ergäben zwar normlogisch Sinn,167 allerdings scheint die positive Seite absoluter Herrschaftsrechte nicht in diesem Sinne verstanden zu werden. Dahinter könnte folgende Begründung stehen: Im Verhältnis des Berechtigten zu Dritten hätte eine starke Erlaubnis zu seinen Gunsten keine andere Wirkung als den Ausschluss Dritter. Die Stärke der Erlaubnis machte sich als eindeutiges Dürfen (im Gegensatz zu rechtlicher Indifferenz) nur als rechtssichere Freistellung seitens des Gesetzgebers, also im Vertikalverhältnis bemerkbar. Ein Versprechen, dieses Recht nicht durch andere Gesetze zu beschränken, liegt in den Immaterialgüterrechten und erst recht im Sacheigentum (dass diese Beschränkbarkeit ja explizit nennt) aber nicht. Dies ist auch nicht die Aufgabe absoluter Herrschaftsrechte. Sie regeln Verhältnisse zwischen Privaten. Selbst wenn Formulierungen wie „dem Berechtigten ist explizit erlaubt“ in einem Immaterialgüterrechtsgesetz verwendet würden, wäre dies als starke Erlaubnis nur im Verfahren gegen staatliche Eingriffe relevant. Gegenüber Privaten hingegen läge darin nicht mehr als eine zusätzliche Klarstellung der Abwehrrechte des Berechtigten und gegebenenfalls eine Vorgabe für die Abmessung weiterer Sekundäransprüche.
3. Die Verfügungsmacht als positive Berechtigung Die rechtsgeschäftlichen positiven Befugnisse des Eigentümers sind greifbarer, sie werden in seiner Verfügungsmacht gesehen.168 Entsprechend des schon oben169 verwendeten zivilrechtlichen Verfügungsbegriffs ist diese definiert als „die für ein Recht bestehende Macht, durch Rechtsgeschäfte dieses Recht zu übertragen, zu belasten, zu ändern oder aufzuheben“,170 sie verleiht also die „Zuständigkeit zu Verfügungen“.171 Die Verfügungsmacht hat, wie außerdem ausgeführt wurde, 167 Weinberger, Norm und Institution, 68; siehe auch oben § 1 C. Normstruktur und deontische Logik. 168 Siehe die Nachweise in Fn. 151, 152; so auch v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 134; Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 249 ff., 256; Schapp, Methodenlehre und System, 3 (17) (Verfügbarkeit i. S. d. Übertragung von Eigentum und Bestellung beschränkter dinglicher Rechte); Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 55, 51 („In der rechtlichen Möglichkeit, Ansprüche an einen anderen zu erheben in Verbindung mit der Verfügungsmacht über Recht und Anspruch äußert sich das Dürfen. Es ist das spezifische Kennzeichen des Privatrechts.“). 169 Siehe oben § 9 G. I. Begriff der Verfügung. 170 Flume, BGB AT, Bd. 2, 142; siehe auch Berger: „das rechtliche Können, auf ein Verfügungsobjekt übertragend, aufhebend, belastend oder inhaltsändernd einzuwirken“, Berger, Verfügungsbeschränkungen, 10. 171 Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 1001.
§ 12 Absolute Rechte417
selbst eine positive und eine negative Seite, die sich letztlich mit den Konsequenzen ihres Bestehens oder Nichtbestehens gleichsetzen lässt.172 Beispiel: Was hindert A (zivilrechtlich) daran, dem bösgläubigen C Eigentum am Fahrrad des unwissenden B zu verschaffen? Zunächst hindert ihn wohl wieder das Verbot aus § 903 BGB. Anders als bei den faktischen Befugnissen fehlt A hier aber die Möglichkeit, überhaupt gegen das Verbot zu verstoßen. B kann sein Fahrrad nach § 985 BGB von C wieder herausverlangen, da er Eigentümer geblieben ist. Ähnlich würden Belastung und Dereliktion scheitern – A kann nicht das Eigentum des B belasten oder aufgeben. Ihm fehlt die nötige Rechtsmacht, genauer gesagt die Verfügungsmacht.
Gegenstück zu der mit dem subjektiven Recht verliehenen Rechtsmacht (von der die Verfügungsmacht nur ein Teil ist), ist die tatsächliche Macht, die bei Sachen im Besitz liegt und ebenfalls Rechtsschutz genießen kann (bei Sachen in Form des Besitzschutzes).173 Sie bedarf umfangreicherer und komplexerer Beschränkungen als die Verfügungsmacht.174 Die Verfügungsmacht ist als dem Berechtigten von der Rechtsordnung eingeräumte Rechtsmacht ein rechtliches Können, das ihm zusammen mit der Inhaberschaft absoluter Herrschaftsrechte zugewiesen ist.
4. Zugehörigkeit des Gutes Eichler macht – im Sacheigentumsrecht – auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: das „Zugehörigkeitselement“. Dieses liege darin, „daß das Eigentumsrecht nach Sachenrecht diejenige Rechtsmacht enthält, die die rechtliche Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person gewährleistet“.175
Diese „Sachzugehörigkeit“ erwähne § 903 BGB nicht ausdrücklich.176 Sie scheint auch in den bisher gezeigten Aspekten nicht unmittelbar vorzukommen, am ehesten erinnert sie an die Rechtsinhaberschaft, die Eichler aber im oben gezeigten Sinne, nämlich „vergeistigt“ und „allgemeingültig“ für subjektive Rechte versteht.177 Dass die rechtliche Anerkennung der Zugehörigkeit des Gutes zum Berechtigten mit der Zuweisung absoluter Herrschaftsrechte einhergeht, dürfte unstreitig sein. Richtigerweise ist sie aber als über den verschiedenen Komponenten absoluter Herrschaftsrechte schwebendes Telos zu verstehen; als höhere Stufe in der mehrschrittigen Teleologie.
172
Siehe oben § 9 G. III. 4. Positive und negative Seite. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1, § 80 I. (467). 174 Siehe oben § 8 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums. 175 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 140. 176 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 140. 177 Siehe oben A. IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit); Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 145. 173 Vgl.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
5. Inkongruenz von Verbot und Erlaubnis Die Nutzungszuweisung entspricht nicht den Konturen des Ausschließungsrechts des Eigentümers – die positiven und negativen Befugnisse decken sich nicht.178 Diese Inkongruenz wurde eben mit der Feststellung ausgedrückt, dass das noright des Berechtigten über sein privilege hinausreicht.179 Zudem wurde oben gezeigt, dass sie im Sacheigentum eine spezielle Ausprägung hat, nämlich als Zuweisungslücke.180 Der Umfang der Abwehrrechte des Inhabers eines absoluten Herrschaftsrechts scheint immer größer zu sein als die ihm positiv zugewiesenen Befugnisse.181 Dies ergibt sich daraus, dass Abwehrrechte hier als Minimalbefugnisse identifiziert wurden, also positiv zugewiesene Befugnisse immer bereits mit einer Ausschlusswirkung verbunden sind. Mithin kann diese zumindest nicht kleiner als die positiven Befugnisse sein.
6. Sekundäransprüche Zu den Merkmalen positiver Berechtigungen gehören ferner bestimmte Sekundäransprüche. Diese werden unten182 untersucht. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie genau sich die Natur dieser Ansprüche zum primären Herrschaftsrecht verhält. Handelt es sich um separate Rechtsinstitute oder letztlich um Verlängerungen des Herrschaftsrechts?
E. Folgerungen In sog. „absoluten Rechten“ kommen für das Element der Absolutheit grundsätzlich drei Bedeutungen in Betracht. Deren erste ist die Wirkung eines Rechts gegen jedermann i. S. d. Schutzes des Innenverhältnisses. Die Innenseite eines Rechts beschreibt das Verhältnis des Berechtigten zum Gut bzw. bei vertraglichen Rechten zum Vertragspartner. Diese Innenseite kann nach außen hin gegen jedermann geschützt werden. Da somit der Berechtigte der einzige derart Berechtigte ist, hat er ein monopolisiertes Verbietungsrecht, woraus – über die Zusatzbedingung einer freiheitlichen Rechtsordnung – sein exklusives Dürfen folgt.
178 Weshalb das Ausschließungsrecht auch nicht als Begründung des Herrschaftsrechts über die Sache herhalten kann, Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 256; siehe auch Peukert, Güterzuordnung, 889. Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 8 II 1 c (274), führt aus: „Der Eigentümer darf einen fremden Eingriff auch dann abwehren, wenn er dadurch in seinen positiven Befugnissen nicht beeinträchtigt wird.“. 179 Siehe oben I. 4. Folgerungen zur negativen Seite absoluter Rechte. 180 Siehe oben § 8 A. Die Zuweisungslücke als Besonderheit des Sacheigentums. 181 Vorbehalten bleibt die theoretische Möglichkeit, die Abwehrrechte durch Schranken oder Einschränkungen der Durchsetzbarkeit ganz weitgehend zu beschneiden. 182 Siehe unten § 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten.
§ 12 Absolute Rechte419
In der zweiten Bedeutung bezieht sich die Absolutheit auf die Rechtsinhaberschaft. Dank ihrer „Subjektseite“ sind insofern alle subjektiven Rechte absolut, was die generelle Anknüpfung deliktischen Schutzes an diesen Punkt problematisch erscheinen ließe. Er wird daher lediglich für die Forderungszuständigkeit häufiger thematisiert. In ihrer dritten Bedeutung benennt die Absolutheit eine unmittelbare Beziehung des Berechtigten entweder zum Gegenstand oder zum Recht, d. h. eine Beziehung, die nicht über den „Umweg“ anderer Personen vermittelt ist (wie insbesondere in Vertragsverhältnissen, z. B. dem schuldrechtlichen Anspruch auf Übergabe der Kaufsache). Hier scheint der Aspekt der Güterzuweisung durch absolute Rechte hervor.183 Absolute Herrschaftsrechte sind primäre Rechte, die durch abgeleitete (synonyme: unselbständige) sekundäre Rechte – d. h. Ansprüche und Gestaltungsrechte – geschützt und verwirklicht werden. Da diese sekundären Rechte unter dem Vorbehalt zusätzlicher Tatbestandsvoraussetzungen stehen, können primäre Rechte auch als gegenüber jedermann bestehende Anspruchsmöglichkeiten bezeichnet werden.184 Der Minimalanspruch, also das, was jedes absolute Herrschaftsrecht (mit Ausnahmen in Spezialfällen) in sich trägt, sind insofern Abwehransprüche.185 Zur gängigen Unterscheidung einer positiven und einer negativen Seite absoluter Herrschaftsrechte wurden zunächst Untersuchungen aus der Literatur vorgestellt, aus denen ein Bild der negativen Seite gewonnen werden konnte. Diese besteht nach einhelliger Meinung in den Abwehrbefugnissen des Berechtigten. Ergänzt wurde dies hier um die faktische no-right-Position der Nichtberechtigten. Sie sind nicht nur (nach eben dargelegter Maßgabe) verpflichtet, Störungen zu unterlassen, sondern haben explizit kein Recht, die Handlungen vorzunehmen, die das absolute Herrschaftsrecht für den Berechtigten schützt.186 Die im Anschluss gezeigte positive Seite steht in einem spezifischen Verhältnis zur negativen Seite und insbesondere dem no-right (dazu sogleich). Für die positive Seite ließ sich kein eigenständiger Baustein absoluter Herrschaftsrechte identifizieren, der ein explizites „Dürfen“ oder gar eine „starke Erlaubnis“ bestimmter Handlungen enthielte. Vielmehr scheint die positive Seite eine Zuweisung zu bezeichnen, die auf einer höheren teleologischen Stufe als die Abwehrrechte (die sich somit als Mittel zum Zweck darstellten) steht.187 Der am klarsten abgrenzbare Baustein ist neben der Rechtsinhaberschaft die dem Berechtigten eingeräumte Verfügungsmacht.188 Über die Kombination aus Rechtsinhaberschaft, Verfügungsmacht und
183
Siehe oben A. VI. Fazit und Folgerungen für die Dinglichkeit. Siehe oben B. Primäre und sekundäre Rechte. 185 Siehe oben C. Der Abwehranspruch. 186 Siehe oben D. I. 4. Folgerungen zur negativen Seite absoluter Rechte. 187 Siehe oben D. II. 1. Überblick; 2. Die positive Seite als starke Erlaubnis? 188 Siehe oben D. II. 3. Die Verfügungsmacht als positive Berechtigung. Siehe zur Differen184
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
der durch die gesetzliche Beschreibung des Rechts mehr oder weniger deutlich abgegrenzten Zahl potentieller Abwehrrechte wird für den Berechtigten die Zugehörigkeit des Gutes gewährleistet.189 Die Abwehrrechte des Berechtigten erzeugen zulasten Dritter einen no-right-Bereich der in aller Regel größer als der Bereich seines privileges ist. Dies liegt an der Grundsätzlichkeit seiner Abwehrrechte.190 Unten191 ist zu ermitteln, ob der positive Bereich mit besonderen Sekundärrechten versehen ist, die die über dem absoluten Herrschaftsrecht schwebende Zuweisung konkretisieren und realisieren.
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit Um es mit den Worten des historischen Gesetzgebers zu sagen: „Die Begriffe der Dinglichkeit und der Absolutheit decken einander nicht.“192 Vielmehr sind dingliche Rechte eine Unterart der absoluten Rechte.193 Sofern man sie auf körperliche Gegenstände beschränkt (i. e. das Eigentum und die beschränkten dinglichen Rechte) haben sie eine Abwehr- und eine Zuordnungsfunktion.194 Canaris zufolge decken sich dingliche Rechte mehr oder weniger mit dem Begriff der Herrschaftsrechte, sofern diese absolut wirken.195 Dies hängt vor allem davon ab, wie man „Dinglichkeit“ abgrenzt. Ungeachtet dieser Ungewissheiten untersucht der vorliegende Abschnitt Merkmale absoluter Herrschaftsrechte jenseits der „Absolutheit“ und „Herrschaft“. Er dient weniger der Darstellung der verschiedenen Merkmale dinglicher Rechte, als vielmehr der Suche nach Verbindungen und gemeinsamen Prinzipien, die es ermöglichen, die Komplexität der zahlreichen Aspekte der Dinglichkeit zu reduzieren. Auch sind einige dieser Merkmale nicht explizit mit der Dinglichkeit von Rechten assoziiert, sondern eigentlich Prinzipien des Verfügungsrechtsverkehrs.196
zierung der beiden Elemente auch oben § 9 G. IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. 189 Siehe oben D. II. 4. Zugehörigkeit des Gutes. 190 Siehe oben D. II. 5. Inkongruenz von Verbot und Erlaubnis. 191 Siehe unten § 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten. 192 Mot. III, 2 = Mugd. III, 1. 193 Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 1 Rn. 6; Staudinger/Seiler (2012), Einl. Sachenrecht, Rn. 18 („eine Hauptgruppe der absoluten Rechte […]. Sie vermitteln in bestimmtem Umfang Sachherrschaft“); Staudinger Eckpfeiler/Seiler (2014), U. Rn. 36; MüKoBGB/Gaier, Einl. Sachenrecht, Rn. 4. 194 Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 1 Rn. 6. 195 Canaris, FS Flume, 371 (375). 196 Siehe dazu auch B. I. Dogmatische Stellung der Sachenrechtsprinzipien.
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit421
A. Was heißt „Dinglichkeit“ und wozu dient diese Frage? Im Idealfall wäre die Dinglichkeit eine Eigenschaft, die einigen absoluten Rechten zukommt und die sich in Form einer spezifischen Wirkung benennen ließe. Tatsächlich ist die Frage nach der Dinglichkeit von Rechten aber eher ein Henne-EiProblem: Kann aus bestimmten Merkmalen eines Rechts auf dessen Dinglichkeit oder aus der Dinglichkeit auf bestimmte Merkmale eines Rechts geschlossen werden? Selbst wenn ein Kanon an Merkmalen dinglicher Rechte feststünde, bliebe die Frage, ob dieser stets vollständig vorliegen muss oder z. B. vom Vorliegen von vier konstitutiven Merkmalen auf das fünfte geschlossen werden darf. Eine solch formale Herangehensweise wäre wohl echte Begriffsjurisprudenz in ihrer modernen, negativen Bedeutung.197 Einige Stimmen, darunter auch die des BGB-Gesetzgebers, vertreten, dass ein dingliches Recht ein Recht an einer Sache ist.198 Der Begriff hat aber längst auch im Immaterialgüterrecht Einzug gehalten. Literatur und Rechtsprechung nehmen etwa „dingliche“ Nutzungsrechte an urheberrechtlichen Werken199 und patentrechtlich geschützten Erfindungen 200 an. Auch werden Immaterialgüterrechte als dingliche Rechte eingeordnet.201 Daher ist im Folgenden zwei Ansätzen zur Abgrenzung des Begriffs „Dinglichkeit“ nachzugehen: Der Assoziation mit einem engen Ding-/Gegenstandsbezug und der etwas weiter gefassten Deutung als Ähnlichkeit zum Sacheigentum.
I. Zuordnung und unmittelbare Herrschaft über ein „Ding“ Ein häufig genanntes Merkmal der Dinglichkeit ist die Vorstellung der unmittelbaren Herrschaft202 über ein Gut. In den Motiven heißt es: „Das Wesen der Dinglichkeit liegt in der unmittelbaren Macht der Person über die Sache.“203
197
Vgl. auch Berger, GRUR 2013, 321 (324). III, 2 = Mugd. III, 1; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 1 Rn. 1; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 3; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 1 II 2 (14). 199 BGH ZUM 2009, 852 Rn. 20 – Reifen Progressiv; BGH GRUR 2010, 628 Rn. 29, 34 – Vorschaubilder I; siehe auch BGH GRUR 2011, 714 Rn. 17 – Der Frosch mit der Maske; Schricker/ Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 1 (dort auch Fn. 1). 200 Siehe etwa BGH GRUR 2006, 435 Rn. 22 – Softwarenutzungsrecht. 201 Sosnitza, FS Schricker 2005, 183 (184) („absolute Herrschaftsmacht des Berechtigten, die gegenüber jedermann wirkt“). 202 Die Motive sind in dem Punkt deutlich, sie sprechen von „rechtlichen Beziehungen zwischen Person und Sache“, das dingliche Recht „unterwirft“ die „Sache dem Willen des Berechtigten“, es „ergreift die Sache selbst“, Mot. III, 1 f. = Mugd. III, 1; RGZ 93, 234 (236) (bei jedem dinglichen Recht bestehe „die Dinglichkeit in der unmittelbaren Unterwerfung einer Sache unter die Herrschaft einer Person“); Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 77; Kraßer, GRUR Int. 1983, 537 (538) („unmittelbare Beziehung einer Person zu einem außerhalb ihrer selbst existierenden Gegenstand“); Dimopoulos-Vosikis, AcP 167 (1967), 515 (521) („Abhängigkeit vom Gegenstand“); MüKoBGB/Gaier, Einl. Sachenrecht Rn. 4. 203 Mot. III, 2 = Mugd. III, 1. 198 Mot.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Die Vorstellung eines unmittelbaren Bezugs des Berechtigten zu dem ihm dinglich zugewiesenen Gut hat ihre historischen Wurzeln in der römischrechtlichen actio in rem. Diese ermöglichte den direkten Zugriff auf die Sache:204 Der Eigentümer hatte keinen Anspruch gegen den Besitzer als Person, sondern „ein Zugriffsrecht auf die Sache selbst, bei wem immer er sie antrifft“.205 Dem Besitzer blieb nur die Möglichkeit, die Mitwirkung zu verweigern und sich gerichtlich gegen den Zugriff zu verteidigen.206 „Bei der actio in rem […] fehlt noch den Klassikern überhaupt die Vorstellung, daß der dinglich Berechtigte ein Recht gegen die Person des Besitzers habe.“207
Das klassische römische Recht ging nämlich davon aus, „daß beim Eigentum der Eigentümer die Sache selbst (nicht eigentlich ein Recht) habe“;208 ohnehin war das Konzept des subjektiven Rechts im heutigen Sinne noch unbekannt.209 Die heutigen dinglichen Ansprüche hätten im römischen Recht daher „in personam“ geheißen.210 Mit der unmittelbaren Herrschaft eine, dinglichen Rechten eigene, positive Benutzungsbefugnis des Berechtigten zu bezeichnen, würde schon deshalb nicht weiterhelfen, weil auch der obligatorisch Berechtigte eine solche hat.211 Ein dingliches Recht gewährt keine „größere Sachnähe“ als ein obligatorisches Recht, wohl aber einen Zugriff auf die Sache ohne den Umweg über das Schuldnervermögen.212 Auch Raiser vertritt, dass entscheidend die durch das Recht gewährte Sachherrschaft sei, die unmittelbar sein müsse, also nicht von fremdem Willen abhängen 204 Vgl. nur Inst. 4.6.1 (für Klagen gegen den, der dem Kl. „aus keinem Rechtsverhältnis verpflichtet ist, […] sind die dinglichen Klagen eingeführt worden, wie zum Beispiel, wenn jemand einen körperlichen Gegenstand besitzt, von dem Titius behauptet, er sei seiner“). „Die actio in rem geht nicht zunächst auf eine Leistung des Beklagten, sondern zunächst auf Anerkennung der vom Kläger behaupteten Herrschaft, z. B. daß die Sache sein sei“ und kann „gegen jeden gerichtet werden, welcher sich der beanspruchten Herrschaft entgegenstellt“, während die actio in personam „regelmäßig an eine bestimmte Person gebunden“ ist. Sofern der Gegner unbestimmt ist, ist sie in rem, Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 13 f., dort auch Fn. 8; Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 4 Rn. 8; Hadding, JZ 1986, 926 (927). 205 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 4 Rn. 8; Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 103 (433) („Verfahren zum Zugriff auf die Sache selbst“). 206 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 55 (224 f.); § 103 (433 f.). 207 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 55 (224) [Hervorh. im Original]. 208 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 31 (121); Coing/Lawson/Grönfors/Coing, Das subjektive Recht, 7 (12). 209 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 55 (225). 210 Siehe zum Ganzen auch oben § 12 A. II. Löwisch: Trennung von formaler Kategorie und materiellem Gehalt. 211 Vgl. Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (234 f.); siehe auch C. Peters, AcP 153 (1954), 454 (457 f.) (jeder kann mit der Sache nach Belieben verfahren, solange keine Rechte Dritter entgegenstehen [so z. B. der Besitzer, sofern der Eigentümer es ihm nicht verbieten kann]). 212 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 2. So fasst – treffend – Wieling die Unmittelbarkeit auf: „Der Eigentümer kann unmittelbar auf die Sache zugreifen, ohne den Umweg über das Vermögen eines Schuldners nehmen zu müssen. Dagegen kann der Inhaber eines persönlichen Anspruchs sich nur an das Vermögen einer ganz bestimmten Person, seines Schuldners halten.“, Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 1 II 2 a (15 f.).
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit423
dürfe; aus der zudem erforderlichen Absolutheit folge ferner, dass im Falle beschränkter dinglicher Rechte auch Durchsetzbarkeit gegenüber dem jeweiligen Eigentümer in Form von „Sukzessionsschutz“ gewährleistet sein müsse.213 Diese Aspekte der Dinglichkeit – die unmittelbare Beziehung bzw. Herrschaft über ein Gut (durch eine Ausübbarkeit des Rechts ohne Rückbindung an Personen) und auch die Folgerungen über den Sukzessionsschutz – kamen oben schon als Ausprägungen der Absolutheit zur Sprache.214 Insoweit decken sich die Begriffe Dinglichkeit und Absolutheit offenbar.
II. Dinglichkeit als Sammelbegriff für bestimmte Merkmale Wäre das Sacheigentum das einzige dingliche Recht, wenn die Dinglichkeit nicht nur an bestimmte Eigenschaften des Rechts, sondern auch an die Körperlichkeit der Sache gekoppelt wäre, dann wäre die Dinglichkeit keine Eigenschaft eines subjektiven Rechts, sondern würde nur dessen Gegenstand kennzeichnen. Mithin könnte der Begriff „dinglich“ durch den „Sachbezug“ absoluter Rechte ersetzt werden und die Frage nach weiteren dinglichen Rechten würde sich auf die Suche nach weiteren absoluten Rechten an Sachen beschränken. Allenfalls könnte festgestellt werden, wie „sacheigentumsähnlich“ bestimmte Rechte sind. Andere lassen für die Annahme von Dinglichkeit hingegen wenige abstrakte Merkmale genügen, etwa umfassenden Klageschutz, Sukzessionsschutz sowie Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit.215 Nach dieser Definition gäbe es zahlreiche dingliche Rechte. Solange es nur darum geht, welche Eigenschaften ein dingliches Recht ausmachen, handelt es sich jedoch bloß um eine begriffliche Frage, die hier im Wege einer Prämisse beantwortet werden darf und dann weitergeführt werden soll. Im Folgenden soll Dinglichkeit bis auf Weiteres als Sammelbegriff für Merkmale verstanden werden, die in Gänze nur dem Sacheigentum zukommen. Das heißt aber nicht, dass das Sacheigentum das einzige dingliche Recht wäre. Vielmehr ist der Ausdruck „dingliches Recht“ nur eine sprachliche Vereinfachung dafür, dass dieses Recht mit dem Sacheigentum einige Merkmale teilt. Es ergäbe entsprechend wenig Sinn, generalisierend zwischen dinglichen und nicht-dinglichen Rechten zu unterscheiden. Vielmehr muss für das jeweils relevante dingliche Merkmal gefragt werden, ob und warum es bei dem betreffenden Recht (möglicherweise nur im betreffenden Fall) vorliegt. Beispiel: Ein alter immaterialgüterrechtlicher Streit betrifft die Frage, ob einfache Lizenzen Sukzessionsschutz genießen. Es ist genauso unnütz, hierfür die Vorfrage der Dinglichkeit einfacher Lizenzen zu stellen und daraus den Sukzessionsschutz abzuleiten, wie
213
Raiser, Dingliche Anwartschaften, 58 f. oben § 12 A. V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand; VI. Fazit und Folgerungen für die Dinglichkeit. 215 Canaris, FS Flume 1978, 371, 373 f.; Krebs/Becker, JZ 2009, 932 (936 ff.). 214 Siehe
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
umgekehrt.216 Erkennen Gesetzgeber oder Rechtsprechung für einfache Lizenzen Sukzessionsschutz an, weisen diese – möglicherweise begrenzt auf bestimmte Fallgruppen – dieses Merkmal der Dinglichkeit auf.
Je mehr dingliche Merkmale einem Recht zu eigen sind, desto dinglicher ist es. Wiese etwa die im Beispiel angeführte einfache Lizenz allein den Sukzessionsschutz als dingliches Merkmal auf, wäre es wenig hilfreich, sie als dingliches Recht zu bezeichnen. Dies ist, wie schon angedeutet, (nur) eine Frage des praktischen Wortgebrauchs. Es kann aber von der Feststellung dinglicher Merkmale eines Rechtes, mit Rücksicht auf den Einzelfall, eine gewisse Begründungslast 217 zugunsten der Anerkennung weiterer dinglicher Merkmale angenommen werden. Erst dadurch erhält die Feststellung des Grades der Dinglichkeit einen über eine sprachliche Verkürzung hinausgehenden Gehalt. Beispiel: Deliktischer Schutz ist ein häufig genanntes Merkmal dinglicher Rechte. Tatsächlich sind alle Immaterialgüterrechte unstreitig als sonstige Rechte i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Dass sie selbst deliktische Spezialnormen enthalten, ist für diese Anerkennung irrelevant, sie wird vielmehr mit einer hinreichenden Ähnlichkeit der Immaterialgüterrechte zum Sacheigentum begründet (Ausschlusswirkung und Zuweisungsgehalt).218
Was folgt aus all dem nun für die vorliegende Untersuchung der Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte? Im Folgenden abzuhandeln sind Merkmale, die zuvorderst dem Sacheigentum zukommen. Diese Merkmale sind im selben Zuge darauf zu prüfen, ob sie auch bei ausgesuchten Immaterialgüterrechten vorliegen (insoweit ergeben sich Parallelen zur Arbeit von Jänich219). Wieder bilden Urheberrecht, Patentrecht und Markenrecht die Schwerpunkte. Je mehr Charakteristika sich finden, die gleichermaßen im Sacheigentum und den Immaterialgüterrechten vorkommen, desto klarer wird die Vorstellung eines Grundmodells absoluter Herrschaftsrechte. Hauptsächliches Ziel dieses Abschnittes ist aber, die einzelnen Merkmale funktional zu charakterisieren und in Beziehung zu anderen Merkmalen zu setzen.
III. Zusammenfassung und Folgerungen Es gibt keinen spezifischen Begriff der Dinglichkeit, der über die für die Absolutheit von Rechten festgestellten Merkmale hinausginge. Die verschiedenen Definitionsversuche laufen im Ergebnis auf das Erfordernis der Herrschaft über ein „Ding“, d. h. einen Gegenstand außerhalb der Person hinaus, die absolute Wirkung haben und unmittelbar sein soll. „Absolute Wirkung“ ist hier wieder im üblichen 216 Ahrens/McGuire, Modellgesetz für Geistiges Eigentum, vor § 110 (260); siehe auch Becker, ZUM 2012, 786 (787) (der richterlich zuerkannte Fortbestand des Tochterrechts ist keine Folge der Dinglichkeit, sondern stattet „dieses (nur) in der fraglichen Hinsicht rechtsfortbildend mit dinglicher Wirkung, nämlich mit Sukzessionsschutz“ aus). 217 Siehe zu dem Begriff Krebs, AcP 195 (1995), 171. 218 Siehe dazu unten § 15 A. II. 2. Ausschlusswirkung und Zuweisungsgehalt sonstiger Rechte. 219 Jänich, Geistiges Eigentum, 2002.
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit425
Sinne, nämlich als Quelle potentieller Sekundärrechte gegen jedermann zu verstehen.220 Die Unmittelbarkeit bezeichnet letztlich nur, dass die Rechte nicht durch eine andere Partei vermittelt, sondern unmittelbar „auf“ den Gegenstand gerichtet sind.221 Tatsächlich wird damit die Innenbeziehung zwischen Person und Gegenstand betont. Rechtliche Wirkungen gibt es aber nur in der Außenbeziehung zu anderen Personen.222 Die Herrschaft über den Gegenstand wurde ebenfalls bereits oben untersucht. Soweit Dinglichkeit nur mit Rechten an Sachen assoziiert wird, ist auf die Ausführungen zum Besitz als Herrschaft zu verweisen.223 Richtigerweise ist der Dinglichkeitsbegriff darauf aber nicht begrenzt. Herrschaft kann auch an Immaterialgütern bestehen – vereinheitlichend wurde daher der Begriff der Bestimmungsgewalt in den Mittelpunkt gestellt.224 Auch soweit Dinglichkeit gelegentlich mit der Zuweisung eines Gegenstandes verbunden wird, kann damit neben der teleologischen Aussage („Dingliche Rechte dienen der Zuweisung von Gegenständen“) nicht mehr verbunden werden als die Zuweisung dinglicher Rechte, die Herrschaft über den Gegenstand einräumen. Neben den Ausführungen zur Herrschaft ist daher auch auf die Bedeutung der Absolutheit als absolute, nämlich alleinige/exklusive Rechtsinhaberschaft zu verweisen.225 Dinglichkeit wird im Folgenden als Sammelbegriff für Merkmale verstanden, die in Gänze nur dem Sacheigentum zukommen. Der Begriff ist also nicht auf das Sacheigentum begrenzt, sondern kann sich auch auf andere Herrschaftsrechte oder Abspaltungen davon beziehen. Je nachdem wie viele dieser Merkmale einem Recht zukommen, desto dinglicher ist es. Ohnehin stellt sich die Frage nach der Dinglichkeit häufig nur in einer bestimmten Hinsicht, z. B. der Insolvenzfestigkeit oder dem Sukzessionsschutz von Lizenzen. Ziel dieses Abschnittes ist es, diese Merkmale darzustellen, funktional zu charakterisieren und in Beziehung zu anderen Merkmalen zu setzen, um zu prüfen, welche von ihnen so grundlegend sind, dass sie als Charakteristika absoluter Herrschaftsrechte einzuordnen sind. Übergeordnetes Ziel bleibt ein Modell der Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte.
B. Sachenrechts- bzw. Verfügungsprinzipien Relevant für die Untersuchung der Merkmale der Dinglichkeit sind zunächst die Sachenrechtsprinzipien. Sie haben im Sachenrecht und darüber hinaus ein dogmatisches Gewicht, das näher darzulegen ist. Dabei soll es aber nur am Rande darum gehen, ob sich die Sachenrechtsprinzipien in Immaterialgüterrechten wiederfinden und möglicherweise allgemeine Prinzipien absoluter Herrschaftsrechte sind. 220
Siehe oben § 12 E. Folgerungen. Siehe oben § 12 A. V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand. 222 Siehe dazu oben § 12 A. III. Löwisch: Innenbeziehung und Außenschutz. 223 Siehe oben § 10 Besitz und Herrschaft. 224 Siehe oben § 10 E. Zusammenfassung und Folgerungen. 225 Siehe oben § 12 A. IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit). 221
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Leitend ist vielmehr die grundlegendere Frage, welche Funktionen/Zwecke diese Prinzipien haben und wozu sie im Kontext dinglicher Rechte und damit im Aufbau absoluter Herrschaftsrechte dienen.
I. Dogmatische Stellung der Sachenrechtsprinzipien Es herrscht unausgesprochene Uneinigkeit darüber, welche Prinzipien und Grundsätze zum Kreis der Sachenrechtsprinzipien zählen. Für den Aufbau der folgenden Bearbeitung ist diese Frage aber wichtig. Wie zu zeigen sein wird, liegen den einzelnen Sachenrechtsprinzipien Institute zugrunde, die von Beginn an im BGB enthalten waren bzw. in den Motiven dargelegt wurden, auch wenn der Fokus des Gesetzgebers dabei nicht immer exklusiv auf dem Sachenrecht lag. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist die Herausbildung bzw. Annahme von allgemeinen, für das gesamte Sachenrecht gültigen Prinzipien indes eine jüngere Entwicklung.
1. Der ungewisse Kreis der Sachenrechtsprinzipien Wie ein sporadischer Überblick zeigt, gingen die Sachenrechtsprinzipien als Begriff und Konzept erst im Laufe des 20. Jahrhunderts in die Literatur ein: Otto v. Gierke erwähnt in seinem Sachenrechtsbuch von 1905 noch keine allgemeinen Sachenrechtsprinzipien. Wohl aber erarbeitet er sieben „Prinzipien der Grundpfandrechte“, unter anderem Publizität, 226 Spezialität, Verschuldensfreiheit (als Freiheit, sein „Grundeigentum beliebig mit Schulden zu belasten“); uneinheitlicher seien die Selbständigkeit der Grundpfandrechte i. S. d. Unabhängigkeit der Geltendmachung des dinglichen Rechts vom persönlichen Schuldverhältnis und ihre Verkehrsfähigkeit.227 Josef Kohler lässt auch derlei 1919 noch unerwähnt.228 Auch bei Heck finden sich im Jahr 1930 noch keine als solche benannten allgemeinen Prinzipien des Sachenrechts, die Rede ist nur von „Prinzipien des modernen Pfandrechts“ aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die für Pfandrechte Publizität, Spezialität und Bestimmtheit sowie Priorität i. S. e. Rangverhältnisses gefordert hätten.229 Im Abschnitt „Allgemeine Lehren“230 behandelt er aber (auf über 130 Seiten) unter anderem das Typensystem und den numerus clausus beschränkter dinglicher Rechte, die Rangordnung dinglicher Rechte, das dingliche Rechtsgeschäft inkl. des Abstraktionsprinzips und die Publizität des Grundbuchs, von der die Publizität des Besitzes als andersartig und erheblich schwächer abgesetzt wird (weshalb von einem allgemeinen Publizitätsprinzip keine Rede ist).231 226 Siehe hierzu auch den Abschnitt „Die sachenrechtliche Bedeutung der Grundbücher“, deren erster Zweck die Publizität sei, die „hierauf bezüglichen Rechtssätze“ zählen aber nur vereinzelt zu den heute gängigen Sachenrechtsprinzipien, v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 119 (305 ff.). 227 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 157 (839 ff.). 228 J. Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. II/2. 229 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 321 f., 339. 230 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 72 ff. 231 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 129 (zum Besitz: „nur ein Anhaltspunkt, ein Indiz“), 135 ff. (Publizitätsprinzip des Grundbuchrechts).
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit427
Eichler erörtert 1954 im Abschnitt zur allgemeinen Dogmatik der Grundpfandrechte das Spezialitäts- und Prioritätsprinzip im selben Sinne wie Heck.232 Die Publizität findet sich hier nur als Prinzip des Grundbuchs unter dem Gesichtspunkt des Vertrauens Dritter in dessen Richtigkeit.233 Bei Wolff/Raiser finden sich 1957 schon deutlichere Anzeichen für allgemeine Sachenrechtsprinzipien, insbesondere in den Erörterungen der „Wesen und Arten der Sachenrechte“.234 Julius v. Gierke legt in der Einleitung seines Sachenrechtsbuchs von 1959 allgemeine „Leitgedanken des Sachenrechts“ dar. Nach dem Leitgedanken der Ungleichbehandlung von Liegenschaften und Fahrnis bekleidet dort der „Grundsatz der Offenkundigkeit (Publizitätsprinzip)“ die heute bekannte Stellung mit Anspruch auf Geltung sowohl im Fahrnis- wie im Liegenschaftsrecht. Des Weiteren behandelt v. Gierke den Typenzwang („Grundsatz der Ausschließlichkeit“) in Abgleich zu den Vertragstypen des Schuldrechts; soziale Gesichtspunkte des Eigentums, die sich am ehesten in den Landesrechten fänden; den Grundsatz der Einheit des Rechts (in etwa in dem heute bekannteren Sinne Essers), der ihm aber kein innersachenrechtliches Prinzip zu sein scheint, sowie schließlich die Ausbildung von „Sonderrechtsgebieten“, namentlich verschiedene Arten von Grundbesitz (Sonderrecht der eingetragenen Schiffe, Bergrecht, Wasserrecht, Jagdrecht).235 Es handelt sich also noch um keine Zusammenfassung von Sachenrechtsprinzipien im heutigen Sinne.
In der aktuelleren Sachenrechtsliteratur ist hingegen gängig von Sachenrechtsprinzipien die Rede. Dabei fällt auf, dass es keine Einigkeit darüber gibt, welche Grundsätze zum Katalog der Sachenrechtsprinzipien zählen. Darüber hinaus wird mitunter explizit darauf hingewiesen, dass einige der Sachenrechtsprinzipien keineswegs auf das Sachenrecht beschränkt sind, sondern auch für andere Rechtsgebiete gelten.236 Wiegand zufolge ergeben sich die Sachenrechtsprinzipien „mit einer gewissen Automatik aus dem Grundentscheid für die beschriebene Autonomie des Sachenrechts“ und sind „im Kern bereits alle im Savigny’schen Modell angelegt“.237 Er geht dann näher ein auf das Spezialitätsprinzip, den numerus clausus beschränkter dinglicher Rechte, das Abstraktionsprinzip und den gutgläubigen Erwerb.238 Prütting nennt als „Grundsätze und Prinzipien des Sachenrechts“ den Bestimmtheitsgrundsatz und das Spezialitätsprinzip, den Trennungsgrundsatz und das Abstraktionsprinzip sowie das „Publizitätsprinzip (Offenkundigkeitsprinzip)“.239 Vieweg/Lorz nennen den numerus clausus der Sachenrechte, das Absolutheitsprinzip, das „Spezialitätsprinzip (= Bestimmtheitsgrundsatz)“; das Übertragbarkeitsprinzip; das „Publizitätsprinzip (= Offenkundigkeitsgrundsatz)“; das Trennungs- sowie das Abstraktionsprinzip.240 232
Eichler, Institutionen des Sachenrechts, 334 ff. Eichler, Institutionen des Sachenrechts, 369 ff. 234 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 2 (8 ff.). 235 J. v. Gierke, Das Sachenrecht des bürgerlichen Rechts, 6. 236 Habersack, SachenR, Rn. 14. 237 Wiegand, AcP 190 (1990), 112 (116). 238 Wiegand, AcP 190 (1990), 112 (116 ff.). 239 Prütting, Sachenrecht, Rn. 23 ff. 240 Vieweg/Lorz, Sachenrecht, § 1 Rn. 4 ff. 233
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Brehm/Berger beschränken sich auf den Grundsatz der Spezialität, den Bestimmtheitsgrundsatz und den „sogenannten Publizitätsgrundsatz“.241 Wilhelm bildet Kategorien der Sachenrechtsprinzipien: (1) „Prinzipien hinsichtlich der Arten der Sachenrechte“, diese umfassen den numerus clausus der Sachenrechte/Typenzwang und die Absage an einen rechtsgeschäftlichen Ausschluss der Verfügung über veräußerliche Rechte; (2) „Prinzipien betreffend Verfügungen über Sachenrechte“, diese umfassen „[d]ie Klarheit der Aktstypen des Sachenrechts“, den Spezialitätsgrundsatz, den Bestimmtheitsgrundsatz, das Trennungs- und Abstraktionsprinzip sowie Ausführungen zum dinglichen Vertrag und der Verfügung im Allgemeinen; (3) den „Publizitätsgrundsatz und gutgläubige[n] Erwerb vom Nichtberechtigten“, sowie (4) die „Freiheit der Gestaltung der nach numerus clausus und Typenzwang anerkannten Rechte“, wobei es um Anpassungen der vorgegebenen sachenrechtlichen Typen an Bedürfnisse des „Lebens und Wirtschaftens“ geht.242 Baur/Stürner nennen als „Sachenrechtsgrundsätze“ die Absolutheit (untergliedert in den umfassenden Rechtsschutz gegenüber jedermann und die von wenigen Ausnahmen durchsetzte personelle Unteilbarkeit der sachenrechtlichen Rechtsstellung bezüglich bestimmter Befugnisse aus dem Eigentum oder eines Eigentums nur bestimmten Personen gegenüber), 243 die Publizität/Offenkundigkeit (untergliedert in Übertragungs-, Vermutungs- und Gutglaubenswirkung); Spezialität (Bestimmtheitsgrundsatz) und Übertragbarkeit (inklusive der Absage an die Abdingbarkeit in § 137 BGB).244 Habersack nennt „Typenzwang und Typenfixierung“, Spezialität und Publizität, sowie, mit Blick auf dingliche Rechtsgeschäfte, den Grundsatz der Übertragbarkeit von Sachenrechten und den Trennungs- und Abstraktionsgrundsatz.245 Gaier nennt Absolutheit, Typenzwang, Abstraktionsprinzip, Bestimmtheitsgrundsatz, Publizitätsprinzip/Offenkundigkeit und – beschränkt auf Sicherungsrechte – die Akzessorietät.246 Im Lehrbuch von Westermann/Gursky/Eickmann ist hingegen auch in der aktuellen Auflage keine Rede von Sachenrechtsprinzipien. Stattdessen werden die einschlägigen Punkte im Abschnitt „Zuordnung und Verfügung als Grundelemente des Sachenrechts“ behandelt. Unterteilt ist dies in zwei Kategorien: Die erste Kategorie erfasst die „Wirkung der Zuordnung“, hierunter fallen die Absolutheit und das Publizitätsprinzip/die Offenkundigkeit der Zuordnung. Die zweite Kategorie ist überschrieben als „Die rechtliche Behandlung der Verfügungsgeschäfte“, worunter der Bestimmtheitsgrundsatz, die „Zusammensetzung der Verfügungsgeschäfte aus einem Doppeltatbestand“ sowie der „Numerus clausus und Typenzwang“ fallen.247
241
Brehm/Berger, Sachenrecht, § 23 f. Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 39 ff. 243 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 Rn. 7 f. 244 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 Rn. 1 ff. 245 Habersack, SachenR, Rn. 14 ff. 246 MüKoBGB/Gaier, Einl. Sachenrecht, Rn. 9 ff. 247 Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 2. 242
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In allen Aufzählungen enthalten sind der Bestimmtheitsgrundsatz und/oder das Spezialitätsprinzip sowie das Publizitätsprinzip. Ebenfalls häufiger genannt werden das Trennungs- und Abstraktionsprinzip, das numerus clausus-Prinzip bzw. der sachenrechtliche Typenzwang sowie die bereits untersuchte248 Absolutheit (Absolutheitsprinzip).249 Nur vereinzelt abgehandelt werden hingegen die Übertragbarkeit, der gutgläubige Erwerb und die Akzessorietät. Trotz der Kürze und Nichtabgeschlossenheit der Betrachtung darf daraus gefolgert werden, dass es weder einen festen Kanon der Sachenrechtsprinzipien noch eine verbindliche Unterteilung derselben wie etwa in Prinzipien des Rechtsverkehrs und Prinzipien des Aufbaus von Sachenrechten gibt. Daher ist die Gliederung der hier folgenden Teile nur eine von mehreren Möglichen. Man könnte auch Prinzipien wie das des Sukzessionsschutzes oder der Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit anfügen, die im Sachenrecht unproblematisch gelten. Es bleibt bei der eingangs genannten These, dass das Sachenrecht nicht aus zuvor entwickelten Sachenrechtsprinzipien abgeleitet wurde, sondern Letztere (induktiv) nachträglich aus dem Stoff des Sachenrechts gewonnen wurden. Freilich spielen bewusst getroffene Grundentscheidungen des Gesetzgebers – wie die für das Abstraktionsprinzip, den gutgläubigen Erwerb oder den Typenzwang – eine entscheidende Rolle. Nur handelt es sich dabei nicht um Entscheidungen für allgemeine Sachenrechtsprinzipien, sondern für konkrete Regeln. Überlegungen zum Charakter der Sachenrechtsprinzipien stehen aber mit den vorliegenden Untersuchungen unter dem generellen Vorbehalt, dass es keinen verbindlichen Katalog gibt und dass die je nach Quelle für maßgeblich gehaltenen Prinzipien ganz unterschiedlichen Ursprungs sein können. Beispiel: Schon ohne nähere Untersuchung ist offensichtlich, dass Trennungs- und Abstraktionsprinzip konsequenter und zuverlässiger gelten als etwa das Publizitätsprinzip, das nach den wenigen bisher angestellten Betrachtungen zuvorderst für das Liegenschaftsrecht gelten sollte.
2. Folgerungen für die dogmatische Stellung Nach der obigen Analyse sind die Sachenrechtsprinzipien keine Prinzipien nach denen das Sachenrecht geschaffen (und erst recht nicht deduziert) wurde, sondern eher Prinzipien, die aus den Sachenrechtsregeln nachträglich und induktiv abgeleitet wurden. Es gibt nur gelegentliche Äußerungen zur genaueren dogmatischen Stellung der Sachenrechtsprinzipien. Hieraus sind einige Ansichten zu rekapitulieren, auf deren Basis eine eigene Auffassung dargelegt wird.
248
Siehe oben § 12 A. Der Begriff „Absolutheit“. auch Eckpfeiler Staudinger/Seiler (2008), 966 f.; MüKoBGB/Gaier, Einl. Sachenrecht, Rn. 10; dazu oben § 12 A. Der Begriff „Absolutheit“. 249 Siehe
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
a) Meinungsüberblick Eine Funktion der Sachenrechtsprinzipien wird in ihrer Bedeutung für die Eigenständigkeit/Selbständigkeit des Sachenrechts gesehen. So versteht Wiegand die Sachenrechtsprinzipien als „eine Reihe von dogmatischen und prinzipiellen Festlegungen, die einander wechselseitig bedingen und ohne deren konsequente Einhaltung die postulierte Selbständigkeit [des Sachenrechts] nicht erreicht werden kann“.250 Füller führt aus, dass Rechtsnormen und Rechtsprinzipien zwar methodisch unterschiedlich zu behandeln sind, für die Sachenrechtsprinzipien schließt er sich aber dem von Larenz geprägten Begriff der rechtssatzförmigen Prinzipien251 sowie einem Verständnis von Rechtsprinzipien an, demzufolge Prinzipien Optimierungsgebote enthalten, die ihrerseits ein ideales Sollen enthalten.252 Nach Füllers Verständnis bilden die Sachenrechtsprinzipien im Ergebnis einen Auslegungsrahmen für sachenrechtliche Vorschriften, mit denen sie zugleich in Wechselwirkung stehen.253 Sie seien ein Ideal, dessen Durchbrechungen als Gradmesser der Eigenständigkeit des Sachenrechts dienen könnten.254 Nach einer weiteren Auffassung handelt es sich bei den Sachenrechtsprinzipien um „Prinzipien, die auch als Grundelemente einzelner Regelungsinstitute fungieren können“, die „bei der Interpretation der gesetzlichen Bestimmungen, aber vor allem bei der Lösung nicht ausdrücklich entschiedener Fragen, herangezogen werden müssen, ohne selber Norm zu sein“.255
Canaris zufolge sind die Sachenrechtsprinzipien „Ausprägungen allgemeiner Rechtsgedanken, die für alle dinglichen Rechte Geltung beanspruchen“ und daher unter anderem von Bedeutung für die Verdinglichung obligatorischer Rechte.256 Allerdings stellten sie weder hinreichende noch notwendige Bedingungen für das Vorliegen eines dinglichen Rechts dar.257 Nach Baur/Stürner wiederum sind die Sachenrechtsprinzipien für die Gestaltung des Sachenrechts zwar maßgebende Grundgedanken,258 dennoch dürfen sie in ihrer dogmatischen Bedeutung nicht überschätzt werden: „Keineswegs alle sachenrechtlichen Regelungen lassen sich damit erklären; vielfach sind die Prinzipien auch innerhalb des Sachenrechts durchbrochen, und es gibt andererseits kein Prinzip, das das Sachenrecht als allein für sich gültig reklamieren könnte. Die Prinzipien 250
Wiegand, AcP 190 (1990), 112 (116). Larenz, Methodenlehre, 479 f. 252 Alexy, Rechtstheorie Beiheft 1 (1979), 59 (80 f.). 253 Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 22 f. 254 Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 23. 255 Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 2 Rn. 1. 256 Canaris, FS Flume, 371 (376). 257 Canaris, FS Flume, 371 (374). 258 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 Rn. 1. 251
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit431
gehören zum Teil zu den Grundsätzen, die für alle absoluten Rechte gelten, zum Teil werden sie auch in anderen Rechtsbereichen angewandt.“259
b) Stellungnahme: Sachenrechtsprinzipien als Rechtsanalogie Auffällig ist, dass Prinzipien wie der Typenzwang, das Abstraktionsprinzip, das Publizitätsprinzip oder das Bestimmtheitsgebot rechtlich verbindlich sein sollen, im BGB aber nicht ausdrücklich kodifiziert sind. Die (teils nur vagen) Äußerungen des Gesetzgebers in den Motiven sind methodisch daher eigentlich nur als Teil der historischen und teleologischen Auslegung relevant. Woraus könnte sich für die Sachenrechtsprinzipien – über vereinzelte Hinweise260 hinaus – also ihre Verbindlichkeit ergeben? Die plausibelste Erklärung erscheint, die Prinzipien als Rechtsanalogie (synonym: Gesamtanalogie) zu verstehen. Anders als bei der Gesetzesanalogie wird dabei die Regel für ungeregelte Fälle nicht aus einem Ähnlichkeitsvergleich mit gesetzlichen Normen gewonnen, sondern aus einer oder mehreren gesetzlichen Regelungen induktiv261 ein gemeinsamer, abstrakter Grundgedanke (Prinzip) hergeleitet. Der Ähnlichkeitsvergleich erfolgt nicht über die Prüfung auf Unterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung gebieten, sondern über die Ableitung eines Rechtsprinzips durch schrittweise Abstraktion, das (deduktiv) Geltung auch für ungeregelte Fälle beansprucht, sofern ihm nicht ein vorrangiges, gegenläufiges Prinzip entgegensteht oder es für bestimmte Fälle einschränkt.262 Das wohl bekannteste Beispiel einer auf mehrere Normen gestützten Rechtsanalogie war bis 2002 die Kündigung aus wichtigem Grund (nunmehr § 314 BGB).263 Die induktive Vorgehensweise der Rechtsanalogie würde zu der obigen Hypothese passen, dass die Sachenrechtsprinzipien nachträglich und induktiv aus den Sachenrechtsregeln als übergreifende Prinzipien abgeleitet wurden. Das daraus folgende Verständnis als abstrakte Grundgedanken gibt ihnen weniger den Charakter von Rechtsquellen als eher den eines Orientierungsrahmens, der zwar Grundregeln und Hilfe für Zweifelsfälle bereitstellt, aber leichter überwindlich ist als Rechtsquellen. Die im Folgenden zugrunde gelegte Gliederung orientiert sich allein der leichteren Erfassbarkeit zuliebe an gängigen Auffassungen zum Katalog der Sachenrechtsprinzipien. Dogmatische Notwendigkeit, gerade diesen Kreis an Prinzipien zu behandeln oder gar eine bestimmte Reihenfolge zu beachten, besteht nach den eben erfolgten Ausführungen nicht. 259 Staudinger/Seiler
(2012), Einl. Sachenrecht, Rn. 36 [Hervorh. v. Verf.]. Wie z. B. das Schweigen des § 929 BGB zum Kausalgeschäft als mittelbare Festlegung des Abstraktionsprinzips, siehe unten G. II. 2. Abstraktionsprinzip. 261 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 97 f. (die Bezeichnung als Analogie passe daher nicht, da es ein „Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine“ sei). 262 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 478; Larenz, Methodenlehre, 383 f. 263 Diese wurde auf §§ 626, 723 BGB gestützt, vgl. RGZ 105, 167 (169); BGHZ 50, 312 = NJW 1969, 37; MüKoBGB/Gaier, § 314 Rn. 1; Larenz, Methodenlehre, 384. 260
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
II. Zusammenfassung und Bedeutung für den weiteren Gang der Arbeit Eng mit dem aus dem Sachenrecht stammenden Konzept dinglicher Rechte verbunden sind die Sachenrechtsprinzipien. Diese haben sich erst ab etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts induktiv herausgebildet, als Prinzipien teils des Sachenrechts, teils des Verfügungsverkehrs. Der Gesetzgeber hat nicht auf ihnen aufgebaut.264 Dogmatisch lassen sie sich nach hier vertretener Ansicht als Rechtsanalogie zu im Sachenrecht geltenden Regeln verstehen. Am ehesten kommt ihnen Bedeutung als Orientierungsrahmen für teilweise verdinglichte Rechtspositionen zu (dazu sogleich).265 Die oben gesetzte Prämisse von Dinglichkeit als Sammelbegriff für bestimmte Merkmale eines Rechts wird daher beibehalten. Orientiert an von der Sachenrechtslehre herausgearbeiteten Prinzipien untersuchen die folgenden Ausführungen dementsprechend Merkmale, die dinglichen Rechten typischerweise zukommen. Fast alle der zu behandelnden Stammrechte und abgeleiteten Rechte haben bestimmte dingliche Merkmale. Wird im Folgenden daher ein Recht „dinglich“ genannt, dient dies vor allem dem Anschluss an die übliche Terminologie.
C. Das numerus clausus-Prinzip Das wohl bekannteste und daher auch zum engeren Kreis der Sachenrechtsprinzipien zählende Prinzip ist das numerus clausus-Prinzip. Tatsächlich unterschieden werden müssen (1) der numerus clausus absoluter Herrschaftsrechte und (2) der numerus clausus für die von diesen abgeleiteten Rechtspositionen.266 Teils wird außerhalb des Sachenrechts mit dem Begriff nur die zweite Variante bezeichnet.267
I. Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang) Der Begriff numerus clausus ist im Zivilrecht ursprünglich mit dem sachenrechtlichen Typenzwang verbunden, weshalb seine abgewandelte Verwendung für die Enumeration dinglicher Stammrechte268 als verwirrend kritisiert wird.269 Davon 264
Siehe oben B. I. 1. Der ungewisse Kreis der Sachenrechtsprinzipien. Siehe oben B. I. 2. Folgerungen für die dogmatische Stellung. 266 Vgl. Peukert, Güterzuordnung, 13 f.; 21 ff. (unterscheidet einen „numerus clausus der originären Ausschließlichkeitsrechte“ vom „numerus clausus der dinglichen Rechtsgeschäfte“); ebenso Jänich, Geistiges Eigentum, 237 (unterscheidet „zwischen einem numerus clausus der Rechte des geistigen Eigentums und einem numerus clausus der Rechte aus dem geistigen Eigentum“ [Hervorh. im Original]); Schroeder, Numerus clausus der Immaterialgüterrechte?, 191 f. (unterscheidet zwischen einem numerus clausus an originären und an beschränkten Rechten); Krebs/Becker, JZ 2009, 932 (934 f., 938); siehe auch Forkel, NJW 1993, 3181 (3183) (kein „Numerus clausus der dinglichen Rechte […] für abgeleitete gegenständliche Rechte an geistigen Gütern einschließlich Persönlichkeitsgütern“). 267 So etwa Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (231 f.); Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 67 ff. 268 Siehe unten II. Enumeration dinglicher Stammrechte. 269 Kritisch etwa Ann, Patentrecht, § 2 Rn. 6 (dort Fn. 6) (der Ausdruck lasse „an den numerus 265
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abstrahiert kann er als Enumeration der möglichen dinglichen Rechtseinräumungen verstanden werden.
1. Der sachenrechtliche numerus clausus Das numerus clausus-Prinzip (Typenzwang, Typenfixierung, Typisierung), bezeichnet nach herkömmlichem Verständnis die Abgeschlossenheit der möglichen dinglichen Rechte/Berechtigungen und Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf Sachen.270 Es beschränkt die inhaltliche Ausgestaltung dinglicher Rechtspositionen, während das „Ob“ ihrer Begründung frei bleibt.271 Der numerus clausus der Sachenrechte ist ausdrücklich in den Motiven verankert: „Der Grundsatz der Vertragsfreiheit, welcher das Obligationenrecht beherrscht, hat für das Sachenrecht keine Geltung. […] die Betheiligten können nur solche Rechte begründen, deren Begründung das Gesetz zuläßt. Die Zahl der dinglichen Rechte ist daher notwendig eine geschlossene.“272
Dies gewährleistet, dass jedermann weiß, welche Rechte an Sachen dinglich eingeräumt werden können; hierdurch wird der ständige (dingliche) Wechsel dieser Zuordnungen der Sache und damit ihre Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht.273 Hintergrund ist das Verkehrsinteresse an einer überschaubaren Zahl und Ausgestaltungsvielfalt dinglicher Rechte. Dem zugrunde liegen die Erwägung, „dinglichen Rechtsschutz nur bei geschichtlich anerkannten Bedürfnissen zu gewähren“ und so überflüssige dingliche Rechte vom Rechtsleben fernzuhalten, der „Wunsch, das System der Rechte zu vereinfachen“ sowie der Wunsch nach einem überschaubaren Grundbuch (Vereinfachungsprinzip).274 Ökonomisch dient er der Senkung von Transaktionskosten.275 Der Schwerpunkt beschränkter dinglicher Rechte liegt im Immobiliarsachenrecht, während an beweglichen Sachen nur Pfandrecht und Nießbrauch eingeräumt werden können. Hintergrund ist nach der Darstellung von Heck die „Mannigfaltigkeit der Teilungsbedürfnisse“, die bei Grundstücken wesentlich größer als bei beweglichen Sachen seien. Die Nutzung Letzterer sei „nur beschränkt teilbar“, weshalb sich die dinglichen Rechte hier auf eine „zeitliche Teilung (Nießbrauch)“ und die Möglichkeit der „Sicherungsherrschaft (Pfandrecht)“ be-
clausus der beschränkten dinglichen Rechte an Sachen denken“ und verknüpfe deshalb „Fragen, die nichts miteinander zu tun haben“). 270 Eckpfeiler/Seiler (2014), U. Rn. 37 f. („dingliche Berechtigungen“); MüKoBGB/Gaier, Einl. Sachenrecht, Rn. 11 („rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten“); Baur/Stürner, Sachenrecht, § 1 Rn. 7; a. A. Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 1 Rn. 18, die einen numerus clausus für bewegliche Sachen verneinen. 271 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 1 Rn. 7; Staudinger/Heinze (2018), Einl. Sachenrecht Rn. 110. 272 Mot. III, 3 = Mugd. III, 2. 273 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 13. 274 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 87 f. 275 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 663.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
schränkten.276 Hinzu tritt der im Vergleich zu Mobiliareigentum hohe Wert von Liegenschaften. In Deutschland habe es seit dem Mittelalter eine Vielzahl nicht-systematisierter absoluter Nutzungsrechte an Grundstücken gegeben, die „ein schweres Hindernis für die wirtschaftliche Tätigkeit des Eigentümers und jedes Bodenbenutzers“ dargestellt hätten.277 Das römische Recht habe indes einen auf wenige Formen beschränkten Typenzwang gekannt, der sich aber auch im gemeinen Recht nicht gegen die „deutschen Rechtsgebilde“ habe durchsetzen können.278 Erst die Agrarreform des frühen 19. Jahrhunderts habe neben politischen und sozialen Einflüssen im Lichte der neuen volkswirtschaftlichen Theorien im freien Eigentum „die beste Förderung der Wirtschaft“ gesehen. Im BGB habe dann der numerus clausus, wenn auch „unter teilweiser Vermehrung der Rechtstypen“, Eingang gefunden.279 – Nach dieser Darlegung dient der Typenzwang also der Verwirklichung und dem Schutz des freien Eigentums sowie dem Verkehrsinteresse an einer überschaubaren Rechtslage und ist an den praktischen Nutzungsweisen von Sachen orientiert.280 Noch ein anderer Faktor spielt hinein. Ein dem Fahrnisrecht entsprechendes Sacheigentum an Liegenschaften bringt angesichts der faktischen Knappheit und Nicht-Vermehrbarkeit von Grund und Boden spezifische Risiken mit sich, die es historisch eher zur Ausnahme als zur Regel gemacht haben. Hierin liegt Mitteis zufolge „die Erkenntnis, daß der Boden Gemeineigentum ist, daß das Bodenrecht zur Volksverfassung gehört und die Kapitalisierung und Mobilisierung der Bodenwerte, wie sie das spätrömische Recht und dann wieder das 19. Jahrhundert durchgeführt hat, schwere volkswirtschaftliche Schäden nach sich ziehen kann. Daher unterliegt noch in der Gegenwart das Grundeigentum viel schärferen Beschränkungen als das Fahrniseigentum.“281
Dies hat Konsequenzen für den Vergleich der sachenrechtlichen Typen mit Rechten an Immaterialgütern,282 die sich vor allen Dingen dadurch auszeichnen, von Natur aus gerade keine Rivalitätsprobleme aufzuwerfen – sondern sogar künstlich verknappt werden müssen.283 276
Heck, Grundriß des Sachenrechts, 84. Heck, Grundriß des Sachenrechts, 84 f. 278 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 85 f. 279 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 86 f. 280 Ähnlich Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 86 (Gefahr der Aushöhlung des Sacheigentums). 281 Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 85. 282 Dazu unten 4. Geltung im Immaterialgüterrecht. 283 Plant, Economica 1 (1934), 30 (31) („property rights in patents and copyright make possible the creation of a scarcity of the products appropriated which could not otherwise be maintained“); a. A. Landes/Posner, The Economic Structure of Intellectual Property Law, 374 („Information is a scarce good, just like land. Both are commodified – that is, made excludable property – in order to create incentives to alleviate their scarcity.“). Der hier nicht weiter auszuführende Streit geht auf Bedeutungsunterschiede des Begriffs „Monopol“ zurück, der in diesem Kontext schlicht als Alleinstellung/exklusives Verbietungsrecht zu verstehen ist (siehe oben § 12 A. I. Benennung des Adressatenkreises – Monopolisiertes Verbietungsrecht und exklusives Dürfen), vgl. Lemley, 277
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Auf welche Merkmale der erfassten Rechte bezieht sich die Enumeration „des“ numerus clausus-Prinzips? Beispielsweise sind die vom sachenrechtlichen numerus clausus umfassten beschränkten dinglichen Rechte deliktisch geschützt,284 aber bei weitem nicht die einzigen deliktischen Rechtsgüter. Die Aufnahme in den sachenrechtlichen numerus clausus ist also nicht allein durch Deliktsschutz gekennzeichnet. Gleiches gilt für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche. Vielmehr liegt die Besonderheit verfügend eingeräumter Rechtspositionen in der Drittwirksamkeit der Abspaltung vom Stammrecht. Der Typenzwang des Sachenrechts legt mithin die Verfügungsmacht des Berechtigten fest. Zuvorderst geht es dabei um das Sacheigentum (wenngleich teils auch abgespaltene Rechte belastet werden können): Welche Verfügungen der Eigentümer treffen kann, hängt von seiner Verfügungsmacht ab, die im Typenzwang definiert wird. Das numerus clausus-Prinzip i. S. e. Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen findet seine gesetzliche Ausprägung dementsprechend unter anderem darin, dass gegen Dritte wirkenden Verfügungsbeschränkungen die Wirksamkeit versagt wird (§ 137 BGB).285 § 137 BGB sichert allerdings nicht den inhaltlichen Typenzwang, der „gleichförmige Rechte bereitstellt“, sondern die „untrennbare Verknüpfung von Recht und Verfügungsbefugnis“.286 Die Vorschrift verhindert die „dauernde Spaltung von Verfügungs- und Nutzungsbefugnis“ und damit die Entstehung von Verfügungs- und Nutzungseigentum:287 „Der Typenzwangs gewährleistet den Inhalt des erworbenen Rechts, § 137 Satz 1 BGB den Rechtserwerb schlechthin.“288
2. Methodische und dogmatische Stellung Das numerus clausus-Prinzip ist in seiner zivilrechtlichen Wirkung begrenzt, was nicht immer hinreichend beachtet wird. Es setzt einigen Literaturstimmen zufolge nämlich allein den Parteien Schranken, nicht aber dem objektiven Recht oder dem Rechtsanwender289 – daher sprach auch der Gesetzgeber im obigen Zitat nur von Texas Law Review 83 (2005), 1031 (1055 mit Fn. 99). Siehe auch M. Lehmann, GRUR Int. 1983, 356, 361 f.; Große Ruse-Khan/Klass/v. Lewinski/Berberich, Nutzergenerierte Inhalte als Gegenstand des Privatrechts, 165 (178 ff.); Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, Einl. Rn. 14; Polinsky/Shavell/ Menell/Scotchmer, Handbook of Law and Economics Vol. 2, 2007, 1473 (1477 ff.). 284 Siehe nur NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 63 ff.; Jauernig/Teichmann, § 823 Rn. 15 ff.; Larenz/Canaris, SchR II/2, 392. 285 BGHZ 134, 182 = JZ 1997, 516 (Anm. Berger); R. Liebs, AcP 175 (1975), 1 (16, 26, 35); Staudinger/Kohler (2021), § 137 Rn. 7; Canaris, FS Flume, 371 (419 f.); Brehm, AcP 207 (2007), 268 (274). 286 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 39. 287 Staudinger/Kohler (2021), § 137 Rn. 7; siehe auch Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 384 ff. 288 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 79 [Hervorh. im Original] (s. dort auch Fn. 15: eine Verfügungsbeschränkung könne aber dort den Inhalt tangieren, wo obligatorische Verfügungsverbote auch Erwerber der nächsten Stufe binden sollen). 289 v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (83); Canaris, FS Flume, 371 (376); einschränkend Ohly,
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
„den Betheiligten“.290 Weder der gesetzlichen noch der rechtsfortbildenden Anerkennung zusätzlicher absolut wirkender Rechte wären durch das numerus claususPrinzip nach diesem Verständnis Grenzen gesetzt. Tatsächlich sind Rechtsfortbildungen im Sachenrecht keine Seltenheit. Sie spiegeln „dringende Bedürfnisse des Wirtschaftslebens“291 bzw. der anderweitigen Rechtspraxis.292 Beispiele sind die gesetzlich nicht geregelte Figur des Anwartschaftsrechts, 293 die Treuhand mit der Vorstellung eines „wirtschaftlichen Eigentums“ des Treugebers, 294 Sicherungseigentum und Sicherungszession 295 oder die durch eine vormerkungsgesicherte Vertragsabrede entgegen 296 § 1090 Abs. 2 i. V. m. §§ 1061, 1092 Abs. 1 BGB erzeugte Vererblichkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten 297.298
Unabhängig davon steht die richterliche Kompetenz zur Rechtsfortbildung mit dem numerus clausus-Prinzip in keinem unmittelbaren Zusammenhang – es handelt sich vielmehr um zwei kategorial unterschiedliche Problembereiche. Das numerus clausus-Prinzip gehört zur Dogmatik des Sachenrechts; Fragen der Rechtsfortbildungskompetenz von Gerichten oder die Grenzziehung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung299 sind Teil der Zivilrechtsmethodik. Das numerus clausus-Prinzip kann i. R. d. Entscheidung über die Anerkennung dinglicher Wirkungen relativer Rechte eine Rolle spielen. Hier kommen seine Zwecke des Verkehrsschutzes, der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit zum Tragen. Diese Zwecke sind aber nicht unüberwindlich, sondern erzeugen eine Argumentations- oder Begründungslast 300 für das Gericht, das begründen muss, weshalb in Fällen wie dem zu Entscheidenden ein Interesse an einer auch künftig geltenden Durchbrechung besteht, dass das Interesse an der Verlässlichkeit der geltenden FS Schricker, 105 (106) (der „gewohnheitsrechtlichen Herausbildung neuer Typen“ solle nichts im Wege stehen). 290 Siehe oben bei Fn. 272. 291 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 69. 292 Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 4 Rn. 9. 293 Staudinger/Heinze (2018), Einl. Sachenrecht Rn. 120; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 4 Rn. 10 ff. 294 Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 4 Rn. 14 ff. 295 Staudinger/Heinze (2018), § 877 Rn. 2; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 4 Rn. 17 ff. 296 Die nur schuldrechtliche wirkende Abänderung dinglicher Rechte ist gestattet. Auch der Übergang der Vertragspflichten auf die Erben des Leistungsgläubigers und des -schuldners ist zulässig (siehe auch BGHZ 28, 99 = NJW 1958, 1677), dieser Gedanke findet sich etwa in § 137 BGB. Erst die Vormerkung „verdinglicht“ die relativen Rechte (s. nur Brehm/Berger, Sachenrecht, § 13 Rn. 2) und erzeugt so de facto eine neue Form der Dienstbarkeit, vgl. Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 1995 (dort Fn. 3061). 297 BGHZ 28, 99 = NJW 1958, 1677; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 1994 f.; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 34 Rn. 14; Jänich, Geistiges Eigentum, 236. 298 Ohly, FS Schricker, 105 (106). 299 Zu Recht kritisch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 825 (Gerichte unterschieden häufig nicht transparent zwischen Rechtsfindung und Rechtsschöpfung). 300 Siehe dazu Krebs, AcP 195 (1995), 171; Canaris, FS Ulmer, 1073; Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, 2006; Prölss, FS Georgiades, 1063.
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Rechtslage überwiegt. Das numerus clausus-Prinzip setzt Gerichten also keine harten Schranken. Durchbrechungen bzw. Erweiterungen des Katalogs absolut wirkender Rechte sind möglich. Beispiel: Der Sukzessionsschutz für einfache Lizenzen in der Insolvenz durchbricht die Trennung einfacher und ausschließlicher Lizenzen.301 Dennoch wurde er vom BGH für auf Interessenabwägungen 302 beruhende Einzelkonstellationen (Rückruf gemäß § 41 UrhG,303 einvernehmliche Aufhebung304 und Kündigung305) anerkannt.
3. Geltung für Rechtseinräumungen außerhalb des Sachenrechts Außerhalb des Sachenrechts stellt sich daher nur die Frage, ob es im Immaterialgüterrecht ein dem sachenrechtlichen Typenzwang vergleichbares Prinzip gibt und ob es ein fester, wenn nicht gar konstitutiver Teil absoluter Herrschaftsrechte ist. Die Darlegungen von Heck zur Geschichte und Begründung des Typenzwangs306 können auch außerhalb des Sachenrechts fruchtbar gemacht werden. Die Hypertrophie dinglicher Rechtseinräumungen hatte die effiziente Nutzung von Sacheigentum in der Vergangenheit erschwert und wurde daher vom BGBGesetzgeber eingeschränkt. Damit stellt sich die Frage, ob es vergleichbare Beschränkungen im Immaterialgüterrecht gibt und ob aus der Natur des Lebensguts ein praktisches Bedürfnis für solche Vorgaben folgt. Wie oben gezeigt wurde, sieht Heck in der Natur, genauer gesagt in den hierdurch bedingten Teilungsbedürfnissen der Nutzung beweglicher und unbeweglicher Sachen den Grund für die vielfältige Ausgestaltung dinglicher Nutzungsrechte an Grundstücken. Vergleichbar begründet Forkel seine Ablehnung eines numerus clausus „für abgeleitete gegenständliche Rechte an geistigen Gütern einschließlich Persönlichkeitsgütern“.307 Er verweist auf die unterschiedlichen Interessen an der Ausbildung solcher Rechte bei körperlichen Gegenständen im Vergleich zu geistigen Gütern.308 Geistige Güter entfalteten ihren „Lebenswert“ – anders als Sachen – nicht durch eine Beschränkung der Nutzung auf wenige, sondern durch möglichst viele Menschen. Immaterialgüterrechte legten die Überwachung dieser Nutzung zunächst in die Hände des Leistungsträgers.309 Dafür und für die nötige Verwertung in Kooperation mit Geschäftspartnern sei die Lizenz „ein wesentliches Mittel“. Für dieses Bedürfnis nach Lizenzierung müsse die Rechtsordnung „die geeigneten Formen bereitstellen.“ Am Beispiel der Patentlizenz legt er dar, dass die Natur geistiger 301
Dazu auch unten J. Sukzessions- und Verfügungsschutz. Becker, ZUM 2012, 786 (787 f.). 303 BGH ZUM 2009, 852 – Reifen Progressiv. 304 BGH GRUR 2012, 914 – Take Five. 305 BGH ZUM 2012, 782 – M2Trade. 306 Siehe oben 1. Der sachenrechtliche numerus clausus. 307 Forkel, NJW 1993, 3181 (3183); ebenso Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 203. 308 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 67 ff., insbesondere 71. 309 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 67 ff., insbesondere 72. 302
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Güter sowie die auf sie gerichteten schwer abschätzbaren und leicht wandelbaren Verkehrsbedürfnisse ungemein vielfältige „Verwertungswege und -modalitäten“ bedingten. Ein inhaltlich festgelegtes Lizenzrecht bzw. starre Rechtstypen seien für eine effiziente Verwertung kontraproduktiv. Die Verwertung durch Lizenznehmer erfordere zudem eine hinreichend sichere Rechtsstellung gegenüber dem Schutzrechtsinhaber, weshalb rein schuldrechtliche Lizenzen nicht genügten.310 Diese Überlegungen bedürfen eines genaueren Blicks: Wie hängt der Bedarf für einen numerus clausus mit der Natur der bezogenen Güter und den darauf gerichteten Verwertungsinteressen zusammen? Bewegliche Sachen umfassen einen extrem weit gespannten Ausschnitt der Lebenswelt – von Insekten (§ 90a BGB), abgefüllten Gasen und Flüssigkeiten, über Lebensmittel, Kriegswaffen und PKW bis hin zu Flugzeugen und Windkraftanlagen. Ihre Nutzung lässt sich aber nur schwer teilen, daher besteht nur geringer Bedarf für dingliche Delegationsmöglichkeiten. Es geht also nicht um die inhaltliche Nutzung („Wofür nutzt man die Sache üblicherweise?“), sondern um die Konkurrenz paralleler Nutzung („Ist eine parallele Nutzung derselben Sache sinnvoll und möglich?“). Anders als bei beweglichen Sachen wird die parallele Nutzung bei Grundstücken aufgrund ihrer Natur relevant. Beispiel: Dasselbe Grundstück kann von der einen Partei bebaut, von der anderen mit Obstbäumen bewirtschaftet, von der Dritten mit einem ständigen Weg überquert und von der vierten Partei mit einer Wasserleitung unterquert werden.
Räumlich konkurrieren die im Beispiel genannten Nutzungen zwar. Da Grundstücke aber meist eine gewisse Größe aufweisen, liegen lebenspraktisch nicht-konkurrierende Nutzungen desselben Stücks Land nahe. Auf Ebene der formalen Nutzung besteht daher bei Grundstücken – trotz der größeren Verwendungsvielfalt beweglicher Sachen – ein größeres Bedürfnis nach Nutzungsteilung als bei beweglichen Sachen. Bei Letzteren werden Nutzungen eher exklusiv (also durch Überlassung der ganzen Sache) und nach Zeiträumen gestaffelt eingeräumt, wozu man sich Gebrauchsüberlassungsverträgen (insbesondere Miete, Leihe, Pacht, Leasing) bedient. Die typischen Nutzungen und die Ewigkeit von Grundstücken erfordern indes vielfach hohe Investitionen in Infrastruktur. Dies ist ein wichtiger Grund für das Bedürfnis nach dauerhaften, rechtssicheren Nutzungsrechten. Immaterialgüterrechte hingegen sind ihrer Natur nach Informationsbestimmungsrechte (mit Besonderheiten im Persönlichkeitsrecht). Da sie die faktischen Handlungsmöglichkeiten des Berechtigten nicht vergrößern, dienen Lizenzen nicht der Weitergabe des Gutes und seiner Nutzungsmöglichkeit.311 Sie dienen im Ergebnis der Vergabe und Weitergabe von Nutzungserlaubnissen.312 Möglich ist die Nutzung in aller Regel schon vorher. An der geordneten Vergabe der Erlaubnis 310
Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 67 ff., insbesondere 73. Siehe oben § 8 C. Zusammenfassung und Folgerungen. 312 Dass diese letztlich durch Konstellationen von Verbotsrechten, genauer gesagt deren Abspaltung vom Stammrecht realisiert werden, tut teleologisch nichts zur Sache, siehe dazu unten § 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht. 311
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faktisch längst möglicher Handlungen hat der Verkehr ein geringeres Interesse, als bei rivalisierenden Handlungen, bei denen es also darum geht, Einzelnen Handlungen exklusiv faktisch zu ermöglichen. Das (auch physische) Konfliktpotential ist erheblich höher.
4. Geltung im Immaterialgüterrecht Der Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen im Sachenrecht entspricht im Immaterialgüterrecht am ehesten die Frage nach einer Enumeration von Lizenzen mit dinglicher Wirkung. Es geht also um die Frage, inwieweit die Vertragsparteien Lizenzen beschränken können, so dass die Beschränkung auch Dritten gegenüber gilt. „Dinglich“ drückt dabei aus, dass der Lizenznehmer im Wesentlichen dieselben Rechte wie der Stammrechtsinhaber hat, also in einen Teil des Stammrechts eintritt.313 Der im Lizenzrecht hochstreitige Begriff der Dinglichkeit wird unten näher untersucht.314 Vorliegend interessiert nur, ob es eine Art numerus clausus gibt, der bestimmt, welche Rechtseinräumungen mit „dinglicher“ Wirkung möglich sind und welche nicht.
a) Urheberrecht Die für die Frage eines Typenzwangs einschlägigsten und reichhaltigsten Überlegungen finden sich in der urheberrechtlichen Diskussion. Dies dürfte zuvorderst an der Vielfalt der Verwertungswege und der außerordentlichen Bedeutung von Lizenzen für die wirtschaftliche Auswertung urheberrechtlicher Werke liegen. Bei keinem anderen Schutzrecht sind der originär Berechtigte und der wirtschaftliche Verwerter so regelmäßig unterschiedliche Parteien wie im Urheberrecht.315 Die hier angeführten Argumente werden vom Urheberrecht aus im Anschluss aber in Grundzügen auch auf die Lizenzierung anderer Immaterialgüterrechte übertragen: Stammrechtsinhaber bzw. Lizenzgeber und tendenziell auch Lizenznehmer sind an einer möglichst freien und an ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse angepassten Aufspaltbarkeit interessiert. Die Rechtsordnung bzw. die „Allgemeinheit“ hingegen hat das schon im Sachenrecht angesprochene Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.316 Sie will also erkenn- und erwartbare „Portionierungen“. Im Urheberrecht gibt es nach h. M. keinen dem Sachenrecht vergleichbaren Typenzwang oder ein vergleichbares Prinzip.317 Lizenzen können in begrenzter, 313 Die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte und die Lizenzvergabe werden unter Kapitel 6 eingehend untersucht. 314 Siehe unten § 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht. 315 Vgl. Kurtz, GRUR 2007, 292 (293). 316 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 29. 317 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 362; Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, vor §§ 31 ff. Rn. 27; Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (231 f.); Reimer, GRUR 1962, 619 (624); Jauernig/Berger, § 453 Rn. 18; a. A. Kurtz, GRUR 2007, 292 (294), der ausführt, für einen numerus clausus im Immaterialgüterrecht sprächen Verkehrsschutz und Rechtssicherheit, zudem herrsche im Sachenrecht
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
aber flexibler Weise dinglich beschränkt werden.318 Dies ergibt sich aus § 31 I S. 2 UrhG, der bestimmt, dass sowohl einfache wie ausschließliche Nutzungsrechte räumlich, zeitlich oder inhaltlich beschränkt eingeräumt werden können. Zulässige dingliche Beschränkungen sind also eher durch Eckpunkte319 als durch vordefinierte beschränkte dingliche Rechte abgegrenzt. Es wird im Einzelfall zwischen den Interessen des Lizenzgebers und denen der Allgemeinheit abgewogen, ob die gewünschte Aufspaltung mit „dinglicher“ Wirkung zuzulassen ist:320 „Die dingliche Aufspaltbarkeit des Urheberrechts findet ihre Grenze insbesondere am Verkehrsschutzinteresse der Allgemeinheit.“321
Im Urheberrecht können daher auch die Verwertungsrechte (§§ 15 ff. UrhG) in vielfältige weitere Nutzungsarten aufgespalten werden. Der BGH definiert die Nutzungsart als „Begriff zur Kennzeichnung der konkreten wirtschaftlich und technischen Verwendungsform, die dem Verwertungsrecht unterliegen soll.“322
Für inhaltliche Aufteilungen nach einzelnen Nutzungsarten ist maßgeblich, „ob es sich um eine nach der Verkehrsauffassung als solche hinreichend klar abgrenzbare, wirtschaftlich-technisch als einheitlich und selbständig erscheinende Nutzungsart handelt“.323 Eigenständige Nutzungsart ist „jede konkrete technisch und wirtschaftlich eigenständige Verwertungsform“.324
Die Entscheidung über eigenständige Nutzungsarten wird also dem jeweiligen Verkehr überlassen, aber „darauf geachtet, ob sich die Beschränkung im Rahmen verkehrsüblicher Typen hält, deren Kreis freilich kein geschlossener ist, sondern neuen Entwicklungen offensteht“.325
Auf diese Weise fließen der Stand der Technik und geänderte Vertriebswege (z. B. Video-on-Demand, Streaming-Portale) automatisch in die Abgrenzung ein. Für eine solche Dynamik und Aktualität besteht im Sachenrecht kein Bedürfnis. Dies gilt insbesondere für die Immobiliarsachenrechte – die Nutzung von Grund und Boden verändert sich kaum. Bei beweglichen Sachen wiederum stehen keine inhaltlichen, auf bestimmte Nutzungen abstellenden Aufspaltungen in Rede. ebenfalls – insbesondere hinsichtlich beschränkter dinglicher Rechte an beweglichen Sachen – keine absolute Sicherheit für den Rechtsverkehr. Soweit ersichtlich kann er für seine eigentlich untersuchte Frage im Rahmen von Markenlizenzen daraus aber nichts ableiten und kommt zu einer Interessenabwägung. Zu dieser kommt man auch ohne numerus clausus. 318 Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 32 ff. 319 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 17 Rn. 20 ff. 320 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 29; § 17 Rn. 19. 321 Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 29 Rn. 24. 322 BGH GRUR 1992, 310 (311) – Taschenbuch-Lizenz. 323 BGH GRUR 1992, 310 (311) – Taschenbuch-Lizenz. 324 BGHZ 95, 274 = GRUR 1986, 62 (65) – GEMA-Vermutung I; BGH GRUR 1990, 669 (671) – Bibelreproduktion. 325 Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (235).
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit441
Umgekehrt geht die Immaterialgüterrechte kennzeichnende informationelle Repräsentation der geschützten Güter immer neue Wege, weshalb sich ein flexibles und dynamisches System anbietet. Ein wesentlicher Grund hierfür ist der rasante Fortschritt der Technik und Digitalisierung. Es bilden sich ständig neue Vertriebswege, die lizenzrechtlich abgebildet werden müssen. Da der Nutzen urheberrechtlicher Werke für Menschen in ihrer informationellen Repräsentation liegt, hängt er zudem auf das Engste mit der jeweils aktuellen Technik der Werkrezeption zusammen. Diese Problematik stellt sich im Sachenrecht nicht. Im Ergebnis bleibt somit die Abgrenzung möglicher Nutzungsrechte mit ausschließlicher Wirkung dem Rechtsverkehr überlassen und ist in keiner dem Sachenrecht vergleichbaren Weise vorstrukturiert. Dogmatisch bedeutet dies, dass Verkehr und Gerichte einen größeren Beurteilungsspielraum bei der Anerkennung von Lizenzen mit Drittwirkung haben. Während im Sachenrecht Abweichungen nur i. R. d. richterlichen Rechtsfortbildung möglich sind, billigt das Urheberrecht ihnen von Beginn an einen gewissen Spielraum zu.
b) Markenrecht Im Markenrecht ist eine Begrenzung der Lizenz in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht möglich. Sachlich kann zwischen Waren und/oder Dienstleistungen differenziert werden, für die der Lizenznehmer die Marke benutzen darf.326 Fezer nennt ferner markenbezogene Lizenzvereinbarungen, die die „Art und Weise der Benutzung der Marke auf dem Produkt, deren Aufmachung oder Verpackung, auf Geschäftspapieren und in der Werbung sowie auf Kennzeichnungsmitteln“ betreffen und produktbezogene Lizenzvereinbarungen, die Vorgaben zu den Eigenschaften der unter der Marke vertriebenen Waren und Dienstleistungen machen.327
Es ist aber nicht klar, welche dieser Vereinbarungen mehr als nur schuldrechtliche Natur haben können; Fezer stellt insoweit offenbar auf die in § 30 Abs. 2 MarkenG geregelten Konstellationen ab.328 Ob diese als Ausdruck der Dinglichkeit entsprechender Lizenzen zu verstehen sind, ist gleich näher zu untersuchen. Räumlich kann der ganze oder teilweise geographische Geltungsbereich des Markenrechts (für das MarkenG also das Bundesgebiet) für die sachlich abgegrenzte Markennutzung lizenziert werden.329 Auch eine zeitliche Begrenzung ist möglich.330 Eine dem Urheberrecht vergleichbare Diskussion um die genaue Aufspaltbarkeit dinglich wirkender Lizenzen scheint es im Markenrecht nicht zu geben. Dennoch wird man auch hier mit den zum Urheberrecht genannten Argumenten die Sicht des Verkehrs auf die Erwartbarkeit und Üblichkeit als maßgeblich ansehen müssen. 326
BeckOK MarkenG/Taxhet, § 30 Rn. 34. Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 15. 328 Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 15. 329 Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 14; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 30 Rn. 39. 330 Vgl. Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 12 f.; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 30 Rn. 157. 327
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Im Marken- und Designrecht stellen die §§ 30 Abs. 2 MarkenG; 31 Abs. 2 DesignG eine Besonderheit dar, die als Enumeration gültiger dinglicher Aufspaltungen verstanden werden könnten. Sie belassen dem Stammrechtsinhaber nach Lizenzerteilung gewisse Verbotsrechte gegen den Lizenznehmer und gegen Unterlizenznehmer.331 Insoweit vertritt Fezer, dass „bestimmte Verletzungen des Lizenzvertrages im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 nicht nur schuldrechtliche Ansprüche aus einer Vertragsverletzung, sondern markenrechtliche Ansprüche aus einer Verletzung des Markenrechts des Markeninhabers“ begründeten und dies eine Rechtswirkung der „Dinglichkeit einer Lizenzerteilung“ sei,332 bzw., dass sich die in § 30 Abs. 2 MarkenG genannten Beschränkungen „auf den Umfang der dinglichen Lizenz als solcher“ auswirkten.333 Nach a. A. haben sie keine Bedeutung für die Wirkung der Lizenz gegen Dritte. Auch wenn auf diese Weise – negativ formuliert – die Möglichkeiten des Lizenzgebers, klageweise gegen den Lizenznehmer vorzugehen, begrenzt werden, liegt hierin nicht unbedingt ein „Ausdruck der Dinglichkeit“.334 M. E. sagt § 30 Abs. 2 MarkenG nichts über die Rechtsnatur der Lizenz aus, vielmehr handelt es sich dabei um eine Absicherung des Markeninhabers gegen unerlaubte Eingriffe jedwedes Lizenz- und Unterlizenznehmers in das Markenrecht, also letztlich um eine Stärkung des Stammrechts gegenüber dem Lizenznehmer. Gegen ein Verständnis der in § 30 Abs. 2 MarkenG genannten Merkmale als generell gültige dingliche Aufspaltungen spricht ferner, dass sie nur Kategorien (zeitlich, Nutzungsform, Gebiet etc.) nennen, nicht aber deren Mindestabgrenzungen – hierzu treffen sie gar keine Aussage. Dafür spricht auch die Parallelregelung (sic!) in § 15 Abs. 2 S. 2 PatG, die dem Patentinhaber Ansprüche für den Fall des Verstoßes des Lizenznehmers „gegen eine Beschränkung seiner Lizenz“ gewährt, ohne irgendwelche Angaben zu den zulässigen Beschränkungen zu machen. Dass der Markeninhaber seine Rechte aus der Marke geltend machen kann, gilt sowohl, wenn er einen Teil der Marke verfügend lizenziert hat, als auch, wenn er sich rein schuldrechtlich zur Nichtgeltendmachung seiner Rechte hinsichtlich bestimmter Handlungen des Lizenznehmers verpflichtet hat. Im ersten Fall hat er die Rechte, aus denen er gegen den seine Lizenz überschreitenden Lizenznehmer vorgeht, nicht übertragen und kann deshalb aus ihnen vorgehen, im zweiten Fall hat er gar nichts übertragen und der Lizenznehmer kann sich nur und genau im Umfang der schuldrechtlichen Lizenz gegen die Durchsetzung des Markenrechts (per Einwendung) wehren. Die Lizenz würde durch eine solche Regelung erst dann verdinglicht, wenn der Lizenznehmer drittwirksame Abwehrrechte aus der Marke erhielte. Besondere Relevanz hat daher die Unterscheidung von Lizenzvertragsvereinbarungen, die den 331 Ekey/Bender/Fuchs-Wissemann/Pahlow, MarkenG, § 30 Rn. 60 ff.; BeckOK MarkenG/ Taxhet, § 30 Rn. 64 ff. 332 Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 8. 333 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 30 Rn. 32. 334 Lange, Hdb. Int. Marken- und Kennzeichenrecht, Rn. 2092.
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lizenzierten Ausschnitt des gesetzlichen Stammrechts festlegen, von sonstigen Bestimmungen des Lizenzvertrags. Erstere ziehen die Grenze, ab der der Lizenzgeber gegenüber dem Lizenznehmer Ansprüche aus dem Stammrecht geltend machen kann.335 Diese Grenze ist zugleich die Grenze, die im Urheberrecht als Grenze der dinglichen Aufspaltbarkeit angesprochen wurde.336
c) Patentrecht Im Patentlizenzrecht stellt sich ebenfalls die Frage nach den Grenzen der dinglichen Aufspaltbarkeit.337 Für die inhaltliche Aufspaltbarkeit wird eine Anlehnung an die im Urheberrecht übliche Begrenzung auf selbständige Nutzungsarten vertreten.338 Wie im Markenrecht hat die Diskussion um die dingliche Aufspaltbarkeit im Patentrecht nicht die praktische Bedeutung, die sie im Urheberrecht hat. Dies liegt wohl vor allem daran, dass die patentrechtlich relevanten Nutzungshandlungen nicht so mannigfaltig wie die im Urheberrecht sind. Eine Erfindung kann gewerblich zur Herstellung von Erzeugnissen bzw. als Verfahren genutzt und die Erzeugnisse in Verkehr gebracht werden. Es bleibt dabei stets bei der Lösung eines technischen Problems. Der erzielte Erfolg wird dann in Form von Produkten oder Dienstleistungen direkt (z. B. Verkauf einer Maschine, die das Patent nutzt) oder indirekt (z. B. Verfahrenserzeugnisse) am Markt abgesetzt. Diese geringe Bandbreite zugewiesener Nutzungen der Erfindung führt allerdings dazu, bei der Lizenzvergabe nicht nach diversen Unternutzungsarten, sondern feingliedrig nach Absatzkanälen/-märkten zu diversifizieren. Als Konsequenz muss bei der Aufspaltung des Rechts zum Inverkehrbringen auf eine Mindestübersichtlichkeit geachtet werden, um den Erschöpfungsgrundsatz nicht zu beeinträchtigen oder bei der Vergabe von Lizenzen nach Abnehmergruppen darauf, ob diese Differenzierung noch einen hinreichenden „Bezug zur Art und Weise des Handelns nach der erfinderischen Lehre“ hat.339 Im Urheberrecht indes gibt es verschiedenste Weisen, auf die Nutzer Zugang zu Repräsentationen des geschützten Werks erhalten können, die alle engen Bezug zum Schutz des Werkes haben. Daher ist die weitreichende inhaltliche Aufspaltung von Nutzungsarten, wie oben angeführt wurde,340 nicht ungewöhnlich und wirft angesichts ihrer praktischen Anwendungsfälle Fragen nach der Grenze dinglicher Lizenzierbarkeit auf. Die Diversifikation ist dort nicht auf diffizile Unterscheidungen von Nachfragergruppen angewiesen.
Im Ergebnis kennt auch das Patentrecht keinen dem Sachenrecht ähnlichen numerus clausus.341 335
Vgl. Keukenschrijver/Busse/McGuire, PatG, § 15 Rn. 281 f. Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 44, 42. 337 Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 45. 338 Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 69, unter Verweis auf das urheberrechtliche Urteil BGHZ 145, 7 = GRUR 2001, 153 – OEM-Version. 339 Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 45. 340 Siehe oben a) Urheberrecht. 341 BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 4.1. 336
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
d) Weder immaterialgüterrechtlicher noch vertragsrechtlicher Typenzwang Es gibt im Immaterialgüterrecht weder einen Typenzwang für dingliche Rechtseinräumungen noch für schuldrechtliche Verträge. Zu diesem Ergebnis kommt auch Jänich.342 Zu den aus dem BGB bekannten Vertragstypen, die teils stark in die Vertragsfreiheit eingreifen,343 gibt es keine Parallele. Das Vertragsrecht der Immaterialgüterrechte nennt keinen Vertragstyp, der bestimmte essentialia negotii mit zwingenden und/oder dispositiven Pflichten344 verknüpfen würde.345 Die Kombination dieser beiden Umstände führt zu einer sehr großen Gestaltungsfreiheit. Die intensiven Forschungen rund um den Lizenzvertrag und die Rechtsnatur der Lizenz sind direkte Folgen hiervon in Kombination mit der erheblichen praktischen Bedeutung lizenzrechtlicher Fragen.346 Letztlich gilt diese Suche nämlich (auch) einer Erhöhung der Rechtssicherheit und der Senkung von Transaktionskosten. Fraglich ist nur, ob bzw. inwieweit die Natur von Immaterialgüterrechten eine Vertypung zulässt. Beispiel: Auf vertraglicher Ebene könnte eine Regelung, die die Hauptleistungspflichten konkretisiert, insbesondere festlegen, wann eine verfügende Rechtseinräumung – also eine Belastung oder ein teilweiser Wechsel in der Rechtsinhaberschaft – geschuldet ist oder nur eine schuldrechtliche Einwilligung.347 Schricker vermutet als schuldvertragliche Begründung verfügender Rechtseinräumungen Vertragstypen wie Rechtskauf (§ 453 i. V. m. § 433 BGB), Tausch, Schenkung, Gesellschaftsvertrag oder eben einen Vertrag sui generis.348
Im Ergebnis scheint der Typenzwang zwar ein sachenrechtliches, nicht aber ein dingliches/für alle Herrschaftsrechte geltendes Prinzip zu sein.
342 Jänich, Geistiges Eigentum, 240 (unter Verweis auf urheberrechtliche Literatur sowie auf § 15 PatG und § 30 Abs. 1 MarkenG, die „keine näheren Vorgaben für die inhaltliche Ausgestaltung der Lizenz“ machten). 343 Damit ist der Umstand gemeint, dass das BGB mit bestimmten essentialia negotii Vertragstypen assoziiert, für die es zwingende Zusatzregelungen (insbesondere Nebenpflichten und Sekundärrechte) festlegt, die ohne entsprechende Vereinbarung gelten. Ein einfaches Beispiel sind die Kaufgewährleistungsrechte, die ein Unternehmer beim Fernabsatz an Verbraucher nicht durch Konstruktionen wie z. B. die Bezeichnung des Kaufvertrags als wechselseitige Schenkung (Ware gegen Geld) umgehen kann. Siehe zu der Problematik Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 199 ff.; Staudinger Eckpfeiler/ders. (2014), M. Rn. 9; siehe auch Flume, BGB AT II, § 6, 2. 344 Siehe zur Dogmatik NK-BGB/Becker, § 311 Rn. 29a. 345 Siehe zum Urhebervertragsrecht (dem gesetzlich am weitesten ausgeformten Vertragsrecht im Immaterialgüterrecht) Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, vor §§ 31 ff. Rn. 27; 58 ff.; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, vor §§ 31 ff. Rn. 6. 346 Siehe nur die Habilitationsschriften von Hilty, Lizenzvertragsrecht, 2001; Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 2006; McGuire, Die Lizenz, 2012. 347 Vgl. auch Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 8. 348 Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl. 2010, vor § 28 Rn. 52.
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II. Enumeration dinglicher Stammrechte Die Diskussion eines numerus clausus absoluter Herrschaftsrechte ist von der Frage eines numerus clausus abgespaltener Rechte klar zu trennen.349 An ihr entzündet sich der Streit um die richterrechtliche Schaffung neuer Ausschließlichkeitsrechte, also, ob „die Rechtsprechung gesetzlich nicht vorgesehene Rechtspositionen als neue originäre Immaterialgüterrechte anerkennen kann“.350 Beispiel: Als in den 2000er Jahren die Rechtsnatur der Internetdomain diskutiert wurde, verwiesen viele Stimmen auf den numerus clausus der Immaterialgüterrechte, der einer außergesetzlichen Anerkennung eines absoluten Rechts an Domains entgegenstehe. Die Ausführungen, wie sich dieser numerus clausus im Einzelnen zu welchen Handlungen von Gerichten und Privaten verhalten sollte, waren aber überwiegend knapp gehalten.351
1. Abgrenzung der eigentlichen Streitfrage Vorliegend stellt sich aber zunächst die Frage, welchen dogmatischen Stellenwert der vermutete numerus clausus dinglicher Stammrechte hat. Es handelt sich schließlich um kein dem BGB oder anderen Gesetzen unmittelbar zu entnehmendes Prinzip, das für verschiedene dingliche Stammrechte unterschiedlich geregelt werden könnte. Denn zum einen stellt sich diese Frage naturgemäß nur im Überblick über die Gesamtheit absoluter Herrschaftsrechte, zum anderen rührt der Gedanke, dass Gerichte neue dingliche Stammrechte erschaffen könnten, an grundsätzliche rechtsstaatliche Prinzipien; insbesondere an die Gewaltenteilung (Artt. 20 Abs. 3; 97 Abs. 1 GG). Damit ist der numerus clausus dinglicher Stammrechte kategorial anders geartet als der zuvor diskutierte numerus clausus dinglicher Rechtseinräumungen. Es kommt hier auf die genaue Formulierung der zu stellenden Frage an. Dass es einen numerus clausus gesetzlich geregelter Immaterialgüterrechte gibt, liegt auf der Hand – gesetzlich geregelt sind nur die Immaterialgüterrechte, die gesetzlich geregelt sind: „Weil […] die Rechtsobjekte von den nicht geschützten Gütern klar getrennt sind, und weil diese Grenze bis jetzt in keinem Land überschritten wurde, weil die geschützten immateriellen Güter ihrerseits wiederum nach Arten eindeutig festgehalten sind, kann man diese Rechtslage als ‚immaterialgüterrechtlichen numerus clausus‘ charakterisieren.“352
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Siehe oben vor I. Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang). Ohly, FS Schricker, 105 (106). 351 Kleespies, GRUR 2002, 764 (766); Hartig, GRUR 2006, 299 (300) (weil die Domain nicht zum numerus clausus der Immaterialgüterrechte gehöre, könne „sie kein absolutes Recht sein“); Utz, MMR 2006, 470 (471); exakter Sosnitza, GmbHR 2002, 821 (824) (verweist zutreffend auf das Verhältnis von gesetzlichen Immaterialgüterrechten und lauterkeitsrechtlichem Leistungsschutz in Ausnahmefällen). 352 Troller, FS Gutzwiller, 769 (771). 350
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Sofern es um Rechtsobjekte bzw. dingliche Stammrechte mit gesetzlicher Wirkung geht, die nach den obigen Darlegungen 353 für die Schaffung neuer Rechtsobjekte (also die Erhebung von Lebensgütern zu Rechtsobjekten) erforderlich sind, kann ihr Kreis nur vom Gesetzgeber erweitert werden.354 Es geht in der Diskussion aber nicht darum, dies in Abrede zu stellen, sondern um die deutlich dahinter zurückbleibende(n) Rolle und Befugnisse der Gerichte bei der rechtsfortbildenden Güterzuweisung. Die richterrechtlichen Kompetenzen zur Rechtsfortbildung werden teilweise mit der Frage vermischt, ob durch Parteivereinbarung – also Verträge – absolute bzw. dingliche Rechte geschaffen werden können.355 Als zentralen Geltungsgrund des Vertrages hat die Rechtsordnung aber den Willen der Parteien eingesetzt.356 Dieser ist auf die gegenseitige Bindung beschränkt und entfaltet für Dritte keine Wirkung gegen ihren Willen (auch nicht zu ihren Gunsten, § 333 BGB). Die Rechtskraft dinglicher Wirkungen für vertraglich begründete Rechte speist sich, wenn, dann aus Richterrecht. Die (in ihrem Ausmaß streitige) Kompetenz von Gerichten zur Rechtsfortbildung hat aber nichts mit dem Willen der Parteien zu tun, sondern beruht auf den verfassungsrechtlichen Aufgaben der Gerichtsbarkeit als dritter Gewalt (insbesondere Art. 92, 20 Abs. 2 S. 2 GG).357
Der Streit zum numerus clausus der Immaterialgüterrechte ist eine Auseinandersetzung in der Rechtsquellenlehre. Tatsächlicher Streitgegenstand ist daher die Frage, ob bzw. inwieweit Gerichte rechtsfortbildend Schutz für gesetzlich nicht zugewiesene Immaterialgüter gewähren dürfen. Sie lässt sich nicht auf die Frage nach der Existenz eines numerus clausus dinglicher Stammrechte oder nach dem Kreis anerkannter Rechtsobjekte oder gar die Strohpuppe verkürzen, dass keine dinglichen Rechte per Parteivereinbarung erschaffen werden können. Es kommt vielmehr auf Zwischenstufen und die sich aus Verfassungsrecht und Zivilrechtmethodik ergebenden Kompetenzen des Richterrechts an.358
2. Beispiele: Unmittelbarer Leistungsschutz und sonstige Rechte Auf den numerus clausus dinglicher Stammrechte wird insbesondere bei der richterlichen Anerkennung sonstiger Rechte i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB und bei der (nicht immer als solche offen gelegten) Gewährung unmittelbaren Leistungsschutzes nach § 3 Abs. 1 UWG verwiesen. So dient er in der Literatur zuweilen als Argument gegen unmittelbaren Leistungsschutz: 353
Siehe oben Kapitel 1 und Kapitel 2. Siehe etwa Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 11 f. (merken allerdings an, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht „durch die Rspr. auf Grundlage von Art. 1, 2 GG konkretisiert“ werde); Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 81; für Österreich Appl, Technische Standardisierung und Geistiges Eigentum, 316 f. 355 Siehe etwa Kleespies, GRUR 2002, 764 (766); D. Ulmer, ITRB 2005, 112; zutreffend getrennt aber bei Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 11. 356 Becker, Absurde Verträge, 78 ff. m. w. N. 357 Insoweit sehr kritisch Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, GG, Art. 92 Rn. 62; ders., JZ 1996, 118. 358 NK-BGB/Krebs, § 242 Rn. 8; Staudinger/Honsell (2018), Einl. zum BGB Rn. 123 ff. 354
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„Gemeinfreie Güter dürfen nicht monopolisiert, vermeintliche Gesetzeslücken im numerus clausus der Immaterialgüterrechte nicht mit § 4 Nr. 3 UWG überspielt werden.“359 „Es sollte […] beim Grundsatz der Nachahmungsfreiheit und beim Numerus clausus der Ausschließlichkeit vermittelnden unmittelbaren Leistungsschutzrechte verbleiben.“360
Es herrscht aber längst keine Einigkeit, ob es überhaupt einen Konflikt zwischen lauterkeitsrechtlichem Leistungsschutz und dem numerus clausus gesetzlicher dinglicher Stammrechte gibt. Vertreten wird, dass ein über § 4 Nrn. 3 und 4 UWG hinausreichender unmittelbarer Leistungsschutz nach § 3 UWG, „weder rechtlich noch faktisch weitere Immaterialgüterrechte“ schaffe, sondern „nur einen immaterialgüterrechtsähnlichen Schutz“ begründe.361 Die befürchtete Erlangung vom immaterialgüterrechtsgleichem Schutz über den „Umweg“ des Lauterkeitsrechts übersehe, „dass lauterkeitsrechtlicher Schutz […] nie zu gleicher Rechtsstellung wie gewerbliche Schutzrechte führen kann“, er führe „nie […] zu den gleichen Rechten“.362
Ohly bringt das Problem folgendermaßen auf den Punkt, der dahinterstehende abstrakte Gedanke trägt generell: „Allerdings weist der unmittelbare Leistungsschutz den Charakter eines Ausschließlichkeitsrechts auf und darf daher auch den Wertungen des Immaterialgüterrechts nicht widersprechen. Ein numerus clausus des geistigen Eigentums ist zwar nicht anzuerkennen, doch müssen die formalen, sachlichen und zeitlichen Grenzen der Schutzrechte respektiert werden. Daher kann es nicht Aufgabe des UWG sein, im Sinne eines optimalen Leistungsschutzes sämtliche Lücken des Immaterialgüterrechts zu schließen.“363
Der Streit betrifft also zunächst einmal die Frage, welche Ausprägungen richterrechtlichen Rechtsschutzes überhaupt den numerus clausus gesetzlicher dinglicher Stammrechte verletzen, also in welchem Verhältnis die gesetzlich geregelten dinglichen Stammrechte zur gerichtlichen Anerkennung von Schutz stehen, der ähnliche Wirkungen oder (mit Ohly) einen ähnlichen Charakter aufweist, wie sie. Wie gezeigt, bleibt der Schutz des Lauterkeitsrechts je nach Ansicht so weit hinter dem Schutz gesetzlicher Immaterialgüterrechte zurück, dass gar kein Konflikt besteht. Erst daran anschließend stellt sich die Frage, inwieweit die Schutzzwecke der beiden Komplexe konkurrieren,364 so dass die Immaterialgüterrechte Sperrwirkung für UWG-Leistungsschutz entfalten könnten, und die Frage, wie weit die richterliche Kompetenz für Rechtsfortbildungen reicht. Dasselbe Schema zeigt sich für sonstige Rechte i. S. d. § 823 I BGB. Auch hier muss mit der Frage begonnen werden, ob die Anerkennung einer gesetzlich ungeregelten Position als sonstiges Recht den numerus clausus dinglicher Stammrechte 359
Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 81. Peifer, GRUR-Prax 2011, 181. 361 Sack, GRUR 2016, 782 (783). 362 Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht/Müller, Bd. V/1 Lauterkeitsrecht, 40 f. 363 Ohly, GRUR 2010, 487 (494). 364 So insbesondere Fezer/Büscher/Obergfell/Fezer, UWG, Einl. Rn. 453 ff. 360
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
verletzt.365 Erst daran anschließend ist zu überlegen, ob der gesetzliche Katalog dinglicher Stammrechte eine richterrechtliche Anerkennung „neuer“ sonstiger Rechte sperrt bzw. unter welchen Umständen eine solche zulässig ist. So stellt Wagner treffend fest, dass sich die sonstigen Rechte nicht auf dingliche Rechte beschränken und schon deshalb weder durch den sachenrechtlichen Typenzwang, noch durch einen „numerus clausus der Vermögensrechte“ begrenzt sind.366 Das Prinzip des angeblichen numerus clausus der sonstigen Rechte (!) richte sich „nur an die Privatrechtssubjekte, denen es verwehrt ist, nicht anerkannte dingliche Rechte zu schaffen, nicht aber an den Gesetzgeber und auch nicht an die das Recht fortbildenden Gerichte“. Als sonstige Rechte kämen zwar nur absolute subjektive Rechte in Betracht, diese müssten aber nicht die dinglichen Rechten außerdem typischerweise zukommenden Kennzeichen wie Sukzessionsschutz oder Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit aufweisen.367
Sowohl beim lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz wie bei sonstigen Rechten i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB geht es also zunächst nur um die Frage, ob überhaupt ein Widerspruch zwischen dem numerus clausus dinglicher Stammrechte und der richterrechtlichen Anerkennung bestimmter einzelner Aspekte dinglichen Schutzes besteht. Dies wird, wie eben dargelegt, nur selten separat diskutiert. Erst daran schließt sich aber die methodische (!) Frage an, wie weit eine Generalklausel (§ 823 Abs. 1 BGB bzw. § 3 Abs. 1 UWG) ausgelegt werden darf, wo die Grenze zur richterlichen Rechtsfortbildung verläuft und inwieweit eine solche zulässig ist.368 Die These der Existenz oder Nicht-Existenz eines numerus clausus dinglicher Stammrechte könnte hier i. S. e. gewichtigeren oder eben geringeren Sperrwirkung der bestehenden Rechte zulasten der Anerkennung von Schutz in von diesen nicht erfassten Fällen tragen. Hierher gehört auch die angeführte Diskussion, ob das Lauterkeitsrecht einen eigenständigen Schutzzweck verfolgt, der sich mit dem der Immaterialgüterrechte teleologisch nicht überschneidet. Schon diese kurzen Gedanken zeigen, dass es schwierig ist, überhaupt ein kohärentes numerus clausus-Prinzip dinglicher Stammrechte zu formulieren; denn in den bisherigen Diskussionen geht es eigentlich um konfligierende Meinungen zur Rechtsfortbildungskompetenz der Zivilgerichte und zur davon zu unterscheidenden (nämlich innermethodischen) Frage der Sperrwirkung bestehender dinglicher Stammrechte bei Rechtsfortbildungen.369
365 Krebs/Becker, JZ 2009, 932 (939) (ein teilverdinglichtes obligatorisches Recht verletzte den dem Gesetzgeber vorbehaltenen numerus clausus immaterieller Rechtsobjekte nicht); a. A. etwa Utz, MMR 2006, 470 (471). 366 MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 266, 297. 367 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 302 f.; siehe hierzu auch Heck, Grundriß des Schuldrechts, 450 („Der Kreis der subjektiven Rechte ist nun weder unumstritten noch in der Entwicklung abgeschlossen.“). 368 Hierzu Staudinger/Honsell (2018), Einl. zum BGB Rn. 123 ff. 369 Siehe dazu Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16, Rn. 200, 245, 250 f., 463.
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3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen Die Frage nach der Abgeschlossenheit des Katalogs absoluter Herrschaftsrechte zählt zu den zentralen Themen der Habilitationsschrift von Peukert.370 Seine Kernfrage lautet, „ob jenseits des Sachen- und Immaterialgüterrechts eine Rechtsgrundlage für gerichtliche Zuordnungsentscheidungen besteht“ bzw. „ob die Gerichte auch ohne spezialgesetzliche Rechtsgrundlage Zuordnungen vornehmen können“,371 also – mit den Worten einer Rezension der Arbeit – „ob die Gerichte ermächtigt sind, […] ausschließliche Rechte an neuen Gütern eigenständig anzuerkennen“.372 Peukert untersucht konsequent alle von ihm benannten Wirkungen von Ausschließlichkeitsrechten separat auf gesetzlich eingeräumte Befugnisse zur richterlichen Anerkennung neuer Güter und verneint durchgängig eine richterliche Befugnis zur Güterzuordnung. Wie gezeigt373 müssen die gesetzliche Güterzuordnungsdogmatik und die Zivilrechtsmethodik aber streng unterschieden werden, ohne dass damit Wechselwirkungen verneint würden. Die richterliche Kompetenz zur lückenfüllenden Rechtsfortbildung ist Gegenstand des Methoden- und Verfassungsrechts374 und wird für die (gesetzesimmanente) Einzel- und Gesamtanalogie oder die teleologische Reduktion/Extension nicht bestritten,375 sondern folgt (heute) vielmehr aus der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG). Diese Bindung zwingt aber zugleich zu einer Rechtsfortbildungsmethodik, die den Vorrang des Gesetzgebers beachtet.376 Umstritten und eigentlicher Gegenstand der rund um einen möglichen numerus clausus dinglicher Stammrechte diskutierten Fragen ist die Kompetenz zur gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. Unter Ablehnung eines strengen Gesetzespositivismus billigt Art. 20 Abs. 3 GG prinzipiell die Rechtsfortbildung extra legem (siehe auch § 132 Abs. 4 GVG).377 Für sie kann untersucht werden, ob es gesetzlich eingeräumte Rechtsfortbildungsaufträge i. S. v. Ermächtigungsnormen zur richterlichen Entwicklung einschlägiger Rechtssätze gibt, was etwa für § 3 Abs. 1 UWG378 oder § 242 BGB379 vertreten wird. Auch wenn dem so wäre, bliebe aber 370
Peukert, Güterzuordnung, 21. Peukert, Güterzuordnung, 5 (mit Fn. 20). 372 Peifer, AcP 210 (2010), 763 (764). 373 Siehe oben 2. Beispiele: Unmittelbarer Leistungsschutz und sonstige Rechte. 374 NK-BGB/Krebs, § 242 Rn. 8. 375 Siehe etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 878 ff.; Larenz, Methodenlehre, 366 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 472 ff.; Staudinger/Honsell (2018), Einl. zum BGB Rn. 123 ff. 376 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 910 ff. 377 BVerfGE 34, 269 = GRUR 1974, 44 (49 f.) – Soraya; Larenz, Methodenlehre, 368 f.; MüKoZPO/Zimmermann, § 132 GVG Rn. 25. 378 Fezer/Büscher/Obergfell/Fezer, UWG, § 3 Rn. 302 ff.; allgemein ebd./Becker, S16 Rn. 247 ff. 379 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 28 ff., 24; Staudinger/Looschelders/Olzen (2019), § 242 Rn. 51, 111, 205 ff.; mit Einschränkungen Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 8 ff.; kritisch Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, 445; NK-BGB/ders., § 242 Rn. 8. 371
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eine Rechtsfortbildung extra legem Rahmen und Voraussetzung für die Anwendung derartiger Normen. Des Weiteren kann ein bestehender Katalog gesetzlich geregelter dinglicher Stammrechte eine Sperrwirkung für Rechtsfortbildungen entfalten.380 Insofern kommt es auch darauf an, welche Bedeutung der Gesetzgeber den Spezialgesetzen beigemessen hat und ob Lücken im Gesetz planmäßig bestehen oder nicht. Aus der unbestrittenen Enumeration gesetzlich geregelter dinglicher Stammrechte kann sich ergeben, dass die Anerkennung von Schutz über § 823 Abs. 1 BGB oder § 3 Abs. 1 UWG im Einzelfall (!) mit dem gesetzlichen Plan kollidieren würde – dann wäre die Rechtfortbildung contra legem. Die Kodifikation der Immaterialgüterrechte folgt allerdings keinem konsistenten Gesamtplan, der es erlauben würde, zuverlässig vom Nicht-Schutz auf einen bewussten Ausschluss zu schließen381 oder trennscharf planwidrige Regelungslücken festzustellen.382 Daher folgt aus der Enumeration auch kein allgemeines Rechtsfortbildungsverbot im Immaterialgüterrecht und auch nicht für einzelne Institute wie die deliktische Haftung, die Eingriffskondiktion oder den ergänzenden Leistungsschutz. Die Feststellung einer Lücke inklusive des Abgleichs mit gesetzgeberischen Wertungen bewegt sich ebenso wie die eigentliche Rechtsfortbildung auf Ebene der Begründungs-/Rechtfertigungslasten.383 Dazu gehört insbesondere die Feststellung der Regelungszwecke der in Betracht kommenden Spezialgesetze und des für eine Rechtsfortbildung als Ausgangspunkt in Betracht gezogenen Instituts. Dies zeigt sich besonders im lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz, dessen Anwendungsbereich, Zweck und wandelbare rechtspolitische Ausrichtung Gegenstand andauernder Diskussionen ist. Noch ein weiterer Punkt ist zu beachten: Wie gesagt lässt sich die richterrechtliche Anerkennung neuer absoluter Rechte bzw. neuer Verwertungsformen für zivilgesetzlich nicht geschützte Rechte und Güter nicht einfach als „Einführung neuer dinglicher Rechte“ beschreiben. Zum einen beansprucht eine Rechtsfortbildung der Geltung nach nicht mehr, als eine richterliche Gesetzesauslegung, sofern man für diese annimmt, „dass die neue Auslegung fortan von der Rechtsprechung beibehalten, daher auch im Rechtsverkehr beachtet werden wird“.384 In nachfolgenden Urteilen kann mit entsprechender Begründung hiervon abgewichen werden.385 Nur in wenigen Einzelfällen erstarkt eine Rechtsfortbildung zu Gewohnheitsrecht. Hierfür bedarf es des wiederhol380 Siehe nur Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16 Rn. 200, 249 ff.; siehe auch oben 2. Beispiele: Unmittelbarer Leistungsschutz und sonstige Rechte. 381 Ohly, GRUR Int. 2015, 693 (697); siehe auch Jänich, Geistiges Eigentum, 238 (der immaterialgüterrechtliche numerus clausus sei als Reflex des Drängens verschiedener Interessengruppen und nicht im Wege „planmäßiger gesetzgeberischer Gestaltung“ entstanden). 382 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, § 3 Rn. 2.28. 383 Ohly, GRUR Int. 2015, 693 (697). 384 Larenz, Methodenlehre, 367; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 184 ff.; Krebs, AcP 195 (1995), 177 (187 ff.). 385 BVerfGE 38, 386 = NJW 1975, 968 (969).
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ten Vorliegens eines Lebenssachverhalts, der bei den Rechtsanwenderkreisen eine gleichmäßige rechtliche Behandlung erfährt und für den bei denen, die es angeht, über die Zeit ein Vertrauen auf die Beibehaltung dieser Behandlung, also der Rechtsprechung ensteht, was spätestens (!) nach 30 Jahren (der längsten Fristenregelung des deutschen Zivilrechts) der Fall ist (longa consuetudo). Subjektiv bedarf es in den betroffenen Verkehrs- wie Rechtsanwenderkreisen der Überzeugung, dass die Regel positives Recht ist (opinio iuris sive necessitatis). Und auch hiervon kann nicht nur gesetzgeberisch abgewichen werden, es kann auch – spiegelbildlich zur Entstehung – zum Wegfall/zur Erosion der Voraussetzungen und damit zum Wegfall des Gewohnheitsrechts kommen.386 In Einzelfällen (z. B. der verfestigten Fehlauslegung eines Gesetzes) kann schon durch eine gerichtliche Einzelentscheidung abgewichen werden.387 Zum anderen ist die Rechtsprechung schon aufgrund prozessualer Grenzen darauf beschränkt, fallgebundene Einzelfragen zu entscheiden und allenfalls obiter dictum eine breitere Entwicklung anzuregen, die sich immer über mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zieht. Praktisch handelt es sich daher eher um die gegebenenfalls wiederholte Anerkennung einzelner, für dingliche Rechte typischer Wirkungen und meist ist es die Literatur, die hier frühzeitig die Einführung neuer absoluter Herrschaftsrechte erspürt. Praktisch geht es in der Diskussion immer um die – mitunter nur vorübergehende388 – Anerkennung bestimmter rechtlicher Wirkungen bzw. dinglicher Merkmale der streitigen Rechte. Das bislang umfänglichste gesetzlich ungeregelte absolute Herrschaftsrecht ist das in einem von Gesetzgeber und BVerfG begleiteten, inzwischen über 65jährigen Prozess ausgestaltete allgemeine Persönlichkeitsrecht, das, jedenfalls in seinen Grundzügen, zu Gewohnheitsrecht erstarkt ist.389 Selbst in den hierfür als wegweisend wahrgenommenen Urteilen sind die Äußerungen der Gerichte eher defensiv, schon weil stets in der Zukunft ein Fall zu kommen droht, der mit der gefundenen Lösung kollidiert. Beispiel: Zu den insoweit meistbeachteten und wirkmächtigsten Entscheidungen gehört die Marlene-Rechtsprechung.390 Diese betraf zwei Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Die Anerkennung kommerzieller Aspekte des Persönlichkeitsschutzes und deren Vererblichkeit. Die in den Jahrzehnten zuvor von Gesetz (insbesondere § 22 S. 3 KUG) und Rechtsprechung entwickelten Linien wurden laut der Begründung des BGH im Einklang 386 Krebs/Becker, JuS 2013, 97 m. w. N.; Höhn, Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht, 43 ff.; Schmalz, Methodenlehre, Rn. 44. 387 BGH 37, 219 = GRUR 1962, 642 (644) – Drahtseilverbindung. 388 Siehe etwa den Schutz für Modeneuheiten, der sich mit Einführung des Schutzes nicht eingetragener Geschmacksmuster in Art. 11 Abs. 1 GGVO erübrigt hat, BGHZ 210, 144 = GRUR 2017, 79 Rn. 96 – Segmentstruktur; dazu Ohly, GRUR 2017, 90 (91 f.); Ohly/Sosnitza/Ohly, § 4 Nr. 3 Rn. 3/9; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Sambuc, UWG, § 4 Nr. 3 Rn. 63. 389 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 426; Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, 13; Funkel, Schutz der Persönlichkeit, 152 f.; zustimmend Ludyga, ZEV 2014, 333 (335). 390 BVerfG NJW 2006, 3409 – Marlene Dietrich; BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; BGH GRUR 2000, 715 – Der blaue Engel mit Anm. Wagner.
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mit gesellschaftlichen Veränderungen im Persönlichkeitsverständnis sowie „Grundgedanken des bürgerlichen Rechts“ weiterentwickelt.391 Im Kern ging es um die Zulässigkeit einer richterrechtlichen Rechtsfortbildung, die sich formal zunächst nur auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch bezog. Hierzu stellte das BVerfG fest: „Es liegt grundsätzlich fern, unter Verweis auf die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung den gegenwärtigen Zustand eines richterrechtlichen Rechtsinstituts gegen richterrechtliche Weiterentwicklungen abzuschirmen.“392 Freilich stand schon damals fest, dass es sich um richtungsweisende Grundlagenentscheidungen für das gesamte allgemeine Persönlichkeitsrecht, also über den Bildnisschutz hinaus, handelte. Nur bleibt es dabei, dass der BGH lediglich einen Einzelaspekt einer damals schon seit rund 45 Jahren 393 praktizierten Rechtsfortbildung mit Billigung des BVerfG weiterentwickelt hat. Selbst diese Meilenstein-Entscheidungen waren Ergebnisse eingehender Abwägungen und bildeten eine lange vorangegangene wirtschaftliche Entwicklung ab, wobei der Bildnisschutz und der zehnjährige Einwilligungsvorbehalt gesetzlich vorgegeben waren.
Ohly weist zu Recht darauf hin, dass zumindest die Ablehnung einer kommerziellen Ausgestaltung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur selten mit dem numerus clausus begründet wurde, sondern eher auf rechtspolitische denn auf methodische Bedenken stieß.394 Wie schwer die Grenzziehung einer Verletzung des in Rede stehenden numerus clausus ist, zeigt die auch im Lauterkeitsrecht diskutierte mögliche „Verdinglichung schuldrechtlicher Pflichten“. Für Fälle, in denen Mitbewerber durch systematische Verstöße gegen ihre AGB behindert werden, wird in Betracht gezogen, dass AGB-rechtliche Verhaltensregeln über § 4 Nr. 4 UWG sonderdeliktische Ansprüche begründen könnten.395 Hierin die Einführung neuer absoluter Herrschaftsrechte zu sehen, liegt jedoch fern, wenngleich die Regeln dem Schutz neuer unkörperlicher Güter (insbesondere Daten) dienen können.396 Zwar lässt der BGH für Fälle der behindernden Nachahmung die dreifache Schadensberechnung zu,397 die „Verdinglichung“ trifft die Güter aber zum einen nur insoweit sie durch das in den AGB bezeichnete Verhalten nachgeahmt wurden und zum anderen bezieht der BGH so viele weitere Wertungen ein, dass die Güter im Ergebnis nur gegen bestimmte Verhaltensweisen bestimmter Konkurrenten Schutz genießen. 391
BVerfG NJW 2006, 3409 (3410) – Marlene Dietrich. BVerfG NJW 2006, 3409 (3410) – Marlene Dietrich. 393 Als sonstiges Recht findet sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht erstmals in der Leserbrief-Entscheidung von 1954, BGHZ 13, 334 = GRUR 1955, 197 – Leserbrief; Larenz/Wolf, BGB AT, § 8 Rn. 3 f.; ausführlich zur geschichtlichen Entwicklung Götting/Schertz/Seitz/Götting, Handbuch Persönlichkeitsrecht, § 2; Erman/Klass, Anh. § 12 Rn. 1 ff.; BeckOGK/Specht-Riemenschneider (11/2020), § 823 Rn. 1136 ff. 394 Ohly, FS Schricker, 105 (108). 395 BGH GRUR 2014, 785 Rn. 35 – Flugvermittlung im Internet; BGH GRUR 2017, 397 Rn. 68 – World of Warcraft II; siehe auch BGHZ 178, 63 = GRUR 2009, 173 Rn. 35 – Bundesligakarten.de mit Anm. Heermann; Gloy/Loschelder/Danckwerts/Becker, Hdb. Wettbewerbsrecht, Spezialteil Daten, Rn. 88 f. 396 Vgl. Gloy/Loschelder/Danckwerts/Becker, Hdb. Wettbewerbsrecht, Spezialteil Daten, Rn. 88 f. 397 BGHZ 210, 144 = GRUR 2017, 79 Rn. 79 – Segmentstruktur mit Anm. Ohly. 392
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Zusammenfassend ist die Vorstellung einer spontanen richterrechtlichen „Einführung“ neuer absoluter Herrschaftsrechte mit vielfältigen dinglichen Merkmalen eine Strohpuppe, gegen die sich allzu leicht Position beziehen lässt und die das Problem um die Umstände des entschiedenen Einzelfalls zu verkürzen droht. Die Diskussion um einen numerus clausus absoluter Herrschaftsrechte betrifft überdies immer Grenzbereiche des Rechtsschutzes wie das eben angesprochene allgemeine Persönlichkeitsrecht, Sonderschutz für Sportübertragungen, Rechte an Daten oder verschiedene Konstellationen lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes.398 Auch für Internetdomains stellt sich praktisch nur die Frage einer „Teilverdinglichung“.399
4. Zusammenfassung Der numerus clausus dinglicher Stammrechte wird häufig als Einwand, wenn nicht gar als starre Grenze herangezogen, die Rechtsfortbildungen oder Auslegungen einschlägiger Normen wie § 823 Abs. 1 BGB oder § 3 Abs. 1 UWG zugunsten absoluten Schutzes für neue Güter verbieten soll. Tatsächlich ist die gesetzliche Enumeration dinglicher Stammrechte aber im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildungen nicht unüberwindbar. Besagte Rechte können eine Sperrwirkung für richterliche Lückenfüllungen entfalten. Diese geschähen dann nicht extra legem, sondern contra legem. Anders als vielfach vertreten wird, folgt aus dem bloßen Umstand einer Enumeration kein generelles Rechtsfortbildungsverbot. Vielmehr muss geprüft werden, ob vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Wertungen überhaupt eine Lücke besteht und ob der Gesetzgeber eine richterliche Ausfüllung der Lücke untersagen wollte. Hier kommen auch die Wertungen des jeweiligen Rechtsinstituts zum Tragen, wie z. B. die Funktionen des Lauterkeitsrechts. Aus ihnen kann – wie etwa im Falle des UWG-Leistungsschutzes für Modeneuheiten400 – auch folgen, dass eine ehemals bestehende Lücke inzwischen geschlossen wurde und der Bedarf für die Rechtsfortbildung entfallen ist. Richterliche Rechtsfortbildungen werden auch deshalb nicht generell durch Enumerationen ausgeschlossen, weil sie eine gänzlich andere Wirkung und Reichweite als der Erlass eines Gesetzes haben. Unmittelbare Rechtskraft entfalten sie nur für den konkreten Fall, beschränkt auf die dort zu beantwortende Frage. Im Übrigen erzeugen sie allenfalls eine Begründungslast für spätere, abweichende Urteile. Die Verfestigung zu Gewohnheitsrecht muss hohe Hürden nehmen, ist also sehr selten und kann überdies jederzeit vom Gesetzgeber (und in seltenen Einzelfällen auch von Gerichten) beseitigt werden.401
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Ohly, FS Schricker, 105 (108 ff.). Krebs/Becker, JZ 2009, 932. 400 Siehe oben Fn. 388. 401 Krebs/Becker, JuS 2013, 97. 399
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
III. Zusammenfassung und Folgerungen Das numerus clausus-Prinzip ist kein Merkmal der Dinglichkeit, d. h. in keiner seiner Ausprägungen. Der sachenrechtliche Typenzwang ist ein Merkmal des Sachenrechts, ein Sachenrechtsprinzip. Weiter nichts. Dem widerspricht nicht, dass auch beschränkte dingliche Rechte an Rechten eingeräumt werden können – denn es sind allein die typisierten Sachenrechte, die an Rechten eingeräumt werden können. Der sachenrechtliche Typenzwang dient der Verwirklichung und dem Schutz des freien Eigentums sowie dem Verkehrsinteresse an einer überschaubaren Rechtslage. Er ist ein Kompromiss zwischen der im Mittelalter entwickelten Vielfalt nichtsystematisierter absoluter Nutzungsrechte an Grundstücken und den Verkehrsinteressen. Besonders bei Liegenschaften gibt es Teilungsbedürfnisse des Verkehrs. Rechtsstrukturell definieren die sachenrechtlichen Typen die Verfügungsmacht des Berechtigten, insbesondere die des Sacheigentümers. Entsprechend kann man § 137 S. 1 BGB als Absicherung des Typenzwangs, genauer gesagt als Absicherung jeglichen verfügenden Rechtserwerbs verstehen.402 Das numerus clausus-Prinzip richtet sich nur an die Parteien, nicht an den Rechtsanwender und erst recht nicht an den Gesetzgeber. Daher beschränkt es nicht die Rechtsfortbildungskompetenz von Gerichten, entsprechend gab es in der Vergangenheit mehrere Rechtsfortbildungen im Sachenrecht. Es trifft keine rechtsmethodische Aussage, muss aber in der Methodik als Entscheidung des Gesetzgebers beachtet werden (so wie alle anderen Entscheidungen auch).403 Für das Immaterialgüterrecht liegt ein numerus clausus dinglicher Rechtseinräumungen schon theoretisch nicht nahe. Dies liegt zum einen daran, dass die Berechtigten auf die jeweils aktuell verkehrsgerechte Lizenzvergabe wirtschaftlich angewiesen sind. Die Verwertungswege sind erheblich dynamischer und vielfältiger als im Sachenrecht, was unter anderem der engen Bindung des Immaterialgüterrechts an die Technologieentwicklung geschuldet ist. Man denke z. B. an die durch die Digitalisierung hinzugetretenen Verwertungsarten im Urheberrecht. Hinzu tritt die unterschiedliche Natur der Güter. Sachen vergrößern die faktischen Handlungsmöglichkeiten des Berechtigten, während Immaterialgüter dies nicht tun. Immaterialgüterrechtliche Lizenzen erteilen im Ergebnis nur Erlaubnisse zu faktisch bereits möglichen Handlungen. Da also nur Sachenrechte (und fiktive weitere Herrschaftsrechte an rivalisierenden Gütern) faktische Handlungsmöglichkeiten zuweisen, tragen sie ein größeres Konfliktpotential in sich, was größere Klarheit im Verkehr erfordert. Dies gilt ganz besonders im Immobiliarsachenrecht.404 Eine genauere Untersuchung der Immaterialgüterrechte bestätigt, dass es dort keinen numerus clausus „dinglicher“ Rechtseinräumungen gibt. Es wird dem Verkehr überlassen, Üblichkeiten auszubilden, nach denen sich die Möglichkeiten der 402
Siehe oben I. 1. Der sachenrechtliche numerus clausus. Siehe oben I. 2. Methodische und dogmatische Stellung. 404 Siehe oben I. 3. Geltung für Rechtseinräumungen außerhalb des Sachenrechts. 403
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Vergabe dinglicher Lizenzen richten. Dadurch, dass es außerdem keine zwingenden Vertragstypen gibt, also insbesondere keinen vertragstypologisch abgegrenzten Lizenzvertrag, besteht erhebliche Gestaltungsfreiheit.405 Dass im Immaterialgüterrecht weder vertragliche noch verfügungsrechtliche Typen Halt geben, verlagert die Verantwortung für viele Anschlussfragen fast vollständig auf das Lizenzvertragsrecht, das auch die geschuldeten Verfügungsgeschäfte präformiert bzw. im selben Akt enthält. Dieses Gewicht des Schuldvertrags erweist sich als bedeutsam für die Frage der Geltung des Abstraktions- oder des Kausalitätsprinzips im Immaterialgüterrecht.406 Dem ist unten nachzugehen.407 Der numerus clausus dinglicher Stammrechte wiederum ist schon deshalb kein Merkmal der Dinglichkeit, weil er allenfalls als Merkmal der Rechtsordnung und nicht als solches dinglicher Rechte gelten könnte, die er, wenn, dann nur in ihrer Gesamtheit behandelt. Für die Rechtsordnung erzeugt er aber keine direkte Bindungswirkung. Weder beschränkt er den Gesetzgeber darin, neue dingliche Stammrechte zu erlassen, noch verbietet er Rechtsfortbildungen, die sich schon aus praktischen und prozessualen Gründen fast durchgängig auf Einzelfragen richten und lediglich eine Begründungslast für abweichende Folgerechtsprechung erzeugen. Für solche Rechtsfortbildungen kann der numerus clausus dinglicher Stammrechte eine gewisse Sperrwirkung haben, die einzelfallweise festzustellen ist. Anzumerken bleibt, dass Parteiabreden in aller Regel allenfalls Rechtseinräumungen mit bestimmten dinglichen Wirkungen zu vereinbaren versuchen. Dass Vertragsparteien sich mit den vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung anerkannten absoluten Herrschaftsrechten begnügen müssen, ist eine Binsenweisheit. Der Versuch, vertraglich neue absolute Herrschaftsrechte mit Wirkung für und gegen Dritte einzuführen, wäre allzu kurios. Nur insoweit kann tatsächlich von einem numerus clausus absoluter Herrschaftsrechte gesprochen werden.
D. Spezialitätsprinzip Sowohl das Spezialitätsprinzip als auch der Bestimmtheitsgrundsatz zählen zu den über das Sachenrecht hinausreichenden Prinzipien der Verfügungen.408 Teils werden sie als Abgrenzung dinglicher von schuldrechtlichen Rechtsverhältnissen angeführt.409 Nur ist auch hier vorsichtig zu verfahren, da zwar dingliche Rechtsverhältnisse diesen Prinzipien unterworfen sind. Nicht aber sind alle Rechtsverhältnisse, die diesen Prinzipien unterfallen (nämlich alle Verfügungsgeschäfte),410 405
Siehe oben I. 4. Geltung im Immaterialgüterrecht. Siehe BGH ZUM 2012, 782 Rn. 19 – M2Trade. 407 Siehe unten § 13 G. Die Eigenständigkeit von Verfügungen. 408 Vgl. Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 20 ff.; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 296, siehe auch 299 (kennzeichnend für „sämtliche Spielarten der rechtsgeschäftlichen Einzelnachfolge“); Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 Rn. 18 f. (Geltung für sämtliche, also nicht nur sachenrechtliche Rechtsträgerschaften und Verfügungsgeschäfte). 409 So E. Wolf, Sachenrecht, 8 f. 410 I. d. S. sind E. Wolfs Ausführungen wohl auch zu verstehen. 406
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notwendig dinglich, sofern man den Begriff der Dinglichkeit nicht sehr weit fassen und z. B. die Forderungsabtretung als dingliches Rechtsgeschäft verstehen will. Die Untersuchung der beiden Prinzipien ist ihrer Bedeutung für Verfügungen auch über dingliche Rechte/Rechtseinräumungen (daher die Einordnung als Sachenrechtsprinzipien) und vor allem ihrer Verflechtung mit anderen Grundsätzen geschuldet, die stärker auf dingliche Rechte beschränkt sein könnten.
I. Abgrenzung zum Bestimmtheitsgrundsatz Einige Stimmen fassen Spezialitätsprinzip und Bestimmtheitsgrundsatz – ohne inhaltliche Abstriche zu machen – angesichts ihrer thematischen Nähe in einem Punkt zusammen.411 Es erscheint aber sinnvoller, sie getrennt zu betrachten. Spezialitätsprinzip und Bestimmtheitsgrundsatz gelten wie gesagt für jegliche Verfügungen, da die damit aufgegriffenen Probleme genereller Natur sind. Es handelt sich um keine gesetzlichen Begriffe, weshalb ihre dogmatische Bedeutung teilweise streitig ist. Die wohl h. M. versteht das Spezialitätsprinzip als die Bezogenheit dinglicher Rechte auf einzelne Sachen bzw. von Verfügungen auf einzelne Verfügungsgegenstände, während das Bestimmtheitsgebot bei Verfügungen verlange, „dass der Gegenstand der Verfügung bestimmt oder doch bestimmbar bezeichnet ist“,412 sich also „auf einen bestimmten, d. h. genügend spezifizierten Verfügungsgegenstand bezieht“.413
II. Eigenständige Bedeutung Eine prägnante Definition des Spezialitätsprinzips lautet: „Nach dem Spezialitätsprinzip müssen sich Verfügungen auf einen speziellen Gegenstand beziehen und die für Verfügungen über diesen Gegenstand bestimmten Verfügungserfordernisse erfüllen. Verfügungen über Vermögens- oder Gattungsgesamtheiten sind unwirksam.“414
Das Spezialitätsprinzip verlangt also die Ausrichtung der Verfügung (allgemeiner: der Singularsukzession) auf einen einzelnen Verfügungsgegenstand.415 Zudem verweist es den Verfügenden auf die für den jeweiligen Verfügungsgegenstand spezielle Verfügungsform.416 411 Siehe etwa Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 2 Rn. 7; E. Wolf, Sachenrecht, 8 (mit Fn. 25) (die Ausdrücke seien „irreführend“, tatsächlich gehe es um die „notwendige Individualität des Gegenstandes eines dinglichen Rechtsverhältnisses“); Staudinger/Wiegand (2017), Anh. §§ 929–931 Rn. 95 (die Nützlichkeit der Unterscheidung sei zweifelhaft); ebenso Vieweg/ Lorz, Sachenrecht, § 1 Rn. 7 (setzen die Begriffe gleich). 412 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 42 f. 413 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 296 [Hervorh. im Original]; Prütting, Sachenrecht, Rn. 23 ff. 414 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 20. 415 Diesen Aspekt stellt Lieder in den Vordergrund, ders., Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 296 ff. 416 Siehe auch Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 299 f.
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Als Ursprung des Spezialitätsprinzips wird zum einen auf Savignys Gedanken von der unfreien Natur verwiesen, die nicht als Ganzes, sondern „nur in bestimmter Begränzung“ beherrscht werden könne.417 Zum anderen wird das Traditionsprinzip genannt,418 das die im Übergabeakt kenntlich werdende willentliche Verfügung über die einzelne Sache in den Mittelpunkt stellt und daher den für das Spezialitätsprinzip tragenden Gedanken enthalte.419 Beide Erklärungen enthalten das Spezialitätsprinzip als solches nur mittelbar bzw. sind gut mit ihm vereinbar, sie könnten aber jeweils auch mit einem mehrseitigen, an vielen Stellen abweichenden Prinzip übereingebracht werden, das die Spezialität nicht auf breiter Linie konsequent einfordert. Zudem sind beide Ansätze auf das Sachenrecht begrenzt, während das Spezialitätsprinzip für jegliche Verfügung gilt. Mit Blick auf das Traditionsprinzip ist noch zu sagen, dass das Konzept der physischen Übergabe dem Spezialitätsprinzip in besonderem Maße gerecht wird, sich die eigentliche Bedeutung von Spezialitätsprinzip und Bestimmtheitsgrundsatz aber außerhalb der körperlichen Übergabe, nämlich besonders bei Sicherungsübereignungen oder der Vorausabtretung von Forderungen zeigt, wo eine besondere praktische Gefahr von Ungenauigkeiten besteht.420 Seinen rechtsökonomischen Hintergrund wiederum soll das Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs bilden, das verletzt würde, wenn mehrere Sachen/Rechte bei Verfügungen zusammengefasst werden könnten.421 Die Herausarbeitung des Spezialitätsprinzips als allgemeines Prinzip der Einzelsukzession ist kein (nur) historisch bedingter, und daher in gewissem Maße austauschbarer Baustein, sondern, genauso wie das Bestimmtheitsgebot, eine dogmatische Notwendigkeit des Verfügungsrechtsverkehrs. Dies ist im Folgenden zu zeigen. Lieder sieht sowohl das Spezialitätsprinzip als auch den Bestimmtheitsgrundsatz422 im „Prinzip der absoluten Rechtszuordnung“ begründet.423 Mit „absoluter Rechtszuordnung“ ist die Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit) gemeint, die Rechtsträger an den ihnen zugewiesenen subjektiven Rechten haben.424 Sie ist insofern absolut und dadurch in gewissem Maße geschützt, als Dritten die darin liegende Verfügungsmacht fehlt, um auf die „Vermögensposition“, genauer gesagt auf den Verfügungsgegenstand gegen den Willen des Berechtigten einzuwirken.425 Die Rechtszuständigkeit ist aufgrund ihres grundlegenden Ansatzes nicht nur allen subjektiven Rechten gemein, sondern auch ein verbindendes Element für sämtliche 417
Savigny, System, Bd. 1, 338; Wiegand, AcP 190 (1990), 112 (116 f.). Süss, FS Wolff, 141 (157). 419 MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 7 sowie Anh. §§ 929–936 Rn. 5. 420 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 Rn. 19. 421 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 300 f. 422 Siehe unten E. Bestimmtheitsgrundsatz. 423 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 299 ff., 303. 424 Siehe oben § 12 A. IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit). 425 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 29 („Das Prinzip der absoluten Rechtszuordnung gewährleistet insofern Präventivschutz in dem Sinne, dass außerobligatorische Dritte apriorisch daran gehindert sind, durch unbefugte Verfügungen auf die Vermögensposition des Rechtsinhabers nachteilig einzuwirken.“); dazu Dörner, Relativität, 91 f. Siehe auch oben § 9 G. III. 4. Positive und negative Seite. 418
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Sukzessionen, also auch für Zessionen, Schuld- oder Vertragsübernahmen.426 Aus dem Fundamentalgedanken, dass jedes subjektive Recht einem Träger im Modus der Rechtsinhaberschaft zugeordnet ist und die durch Rechte erfassten Güter auf eine gegebene Weise eingeteilt sind (dazu sogleich), folgt die Rechtszuständigkeit/-inhaberschaft eines Rechtsträgers für jedes einzelne rechtlich erfasste Gut. Bei verkehrsfähigen Rechten geht mit der Rechtszuständigkeit die Verfügungsmacht einher, die von den Parteien nur inter partes beschränkt werden kann (§ 137 BGB). Genauer setzt die Verfügungsmacht „eine besondere Berechtigung zur Einwirkung auf das betroffene Recht“ voraus, die „nur gesondert und speziell für jedes betroffene Recht bestehen“ kann427 – die Rechtsinhaberschaft.428 Welche Verfügungen über einen bestimmten Verfügungsgegenstand möglich sind und welche Verfügungsgegenstände es überhaupt gibt, kann der Verfügende bzw. können die Vertragsparteien nicht selbst bestimmen. Hier zeigt sich ein enger Zusammenhang mit dem numerus clausus dinglicher Rechtseinräumungen, also dem Typenzwang, als auch mit dem numerus clausus dinglicher Stammrechte. Die Möglichkeiten und Arten der Verfügung über Güter hängen davon ab, welche Verfügungsgegenstände die Rechtsordnung hierfür anerkennt.429 Noch offensichtlicher ist der Zusammenhang des Spezialitätsprinzips mit dem eben angesprochenen Typenzwang. Beispiel: Grundstückseigentümer und Sicherungsnehmer sind an die Akzessorietät der Hypothek gebunden, sie können über diese nicht unabhängig von der Forderung verfügen. Für urheberrechtliche dingliche Lizenzen macht § 31 Abs. 2 UrhG Vorgaben, innerhalb derer Lizenzen mit Wirkung im Außenverhältnis aufgespalten werden können.430 Dies beschränkt – unterhalb eines echten Typenzwangs – Verfügungen über urheberrechtliche Nutzungsrechte.
Auch die Regeln über Zubehör, Bestandteile, Verbindung, Vermischung etc., also Regeln, die das Schicksal einzelner Sachen zueinander bestimmen, stehen in Zusammenhang mit dem Spezialitätsprinzip. Hiervon hängt ab, wer gegenwärtig der Eigentümer des betreffenden Gegenstandes ist und ob beschränkte dingliche Rechte daran bestellt werden können.431 Beispiel: So schließt § 93 BGB aus, dass wesentliche Bestandteile Gegenstände separater Rechte sind. § 926 BGB durchbricht sogar das Spezialitätsprinzip, indem er das Eigentum am Grundstückszubehör im Zweifel und ohne §§ 929 ff. BGB einzuhalten, mit dem Grundstückseigentum übergehen lässt.432 426
Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 29. § 929 Rn. 7. 428 Siehe oben § 9 G. IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. 429 Siehe oben § 9 G. III. 2. Verfügungsmacht als Mittel der Steuerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten. 430 Siehe oben C. I. 4. a) Urheberrecht. 431 Vgl. Prütting, Sachenrecht, Rn. 25 f.; Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 2 Rn. 50. 432 Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 2 Rn. 50. 427 MüKoBGB/Oechsler,
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Entsprechend gebietet das Spezialitätsprinzip bei Grundstücken die exakte Bestimmbarkeit der Flächengrenzen.433 Es ist eine zentrale Ausprägung der Exaktheit und Strenge und damit der Rechtssicherheit des Verfügungsverkehrs.
III. Zusammenfassung und Folgerungen Zusammenfassend besagt das Spezialitätsprinzip, dass sich eine Verfügung nur auf Einzelgegenstände beziehen kann, deren Einteilung und spezielle Verfügungsanforderungen (inkl. Verfügungsbeschränkungen) von der Rechtsordnung vorgegeben werden. Dies beinhaltet die Möglichkeit richterrechtlicher Erweiterungen sowohl auf Ebene dinglicher Stammrechte als auch dinglicher Rechtseinräumungen.434 Das Spezialitätsprinzip ist eine direkte Folge der dem Verfügungsrechtsverkehr vorangehenden Ausbildung von Verfügungsobjekten, die oben gezeigt wurde. Die ebenfalls gezeigte Absolutheit, die in der Zuordnung subjektiver Rechte zu einem bestimmten Rechtssubjekt liegt, ist die Ursache für die Notwendigkeit, klarzustellen, auf welches Verfügungsobjekt sich eine Verfügung bezieht. Die Rechtssubjekten zur Verfügung stehende Verfügungsmacht kann nur vom Gesetzgeber oder rechtsfortbildend geschaffen werden. Daher kommt dem Typenzwang (und käme vergleichbaren Einteilungen im Immaterialgüterrecht) Bedeutung für die Abgrenzung der möglichen Verfügungen zu, an die wiederum das Spezialitätsprinzip anknüpft. Es steht also in enger Verbindung zur Absolutheit der Rechtsinhaberschaft, der gesetzlich bzw. richterlich vorgegebenen Verfügungsmacht und deren Einteilung durch den (auf das Sachenrecht begrenzten) numerus clausus dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang) bzw. den geringen Einschränkungen dinglicher Rechtseinräumungen im Immaterialgüterrecht.
E. Bestimmtheitsgrundsatz Der Bestimmtheitsgrundsatz besagt, dass bei jeder Verfügung genau bestimmt sein muss, was Gegenstand der Verfügung ist („welcher ‚bestimmte‘ Gegenstand von dieser Verfügung betroffen ist“) und fordert zudem eine exakte inhaltliche Bestimmung aller dinglich wirkenden Vereinbarungen (z. B. genauer Inhalt einer Dienstbarkeit oder Reallast).435 Verlangt also das Spezialitätsprinzip, dass ein dingliches Recht nur an einem bestimmten Gegenstand bestehen kann, ist der Bestimmtheitsgrundsatz auf die Identität436 dieses Gegenstandes gerichtet.
I. Dogmatik des Bestimmtheitsgrundsatzes Diese Identität ist wiederum bezogen auf den Gegenstand, die Parteien, den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtswirkungen und den Inhalt eines gegebenenfalls zu 433
Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 19 Rn. 3. Siehe oben C. II. 4. Zusammenfassung. 435 Prütting, Sachenrecht, Rn. 27. 436 Siehe auch Staudinger/Busche (2017), § 398 Rn. 7. 434
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schaffenden beschränkten dinglichen Rechts.437 Auf einer darüber liegenden Ebene muss ferner die genaue Abgrenzung dinglicher Rechte untereinander, d. h. gegenüber anderen am selben Gegenstand bestehenden dinglichen Rechten (gleicher oder anderer Art) feststehen.438 Die Problematik der inhaltlichen Abgrenzung und Unterscheidung von anderen dinglichen Rechten am selben Gegenstand stellt sich im Sachenrecht praktisch in besonderem Maße bei der Bestellung mehrerer beschränkter dinglicher Rechte an derselben Sache oder der Inhaltsänderung beschränkter dinglicher Rechte (§ 877 BGB).439 Ähnlich betrifft sie im Immaterialgüterrecht vornehmlich die Vergabe mehrerer, potentiell konkurrierender Lizenzen am selben Immaterialgut und deren Abänderung. Auch überschneidet sich der Bestimmtheitsgrundsatz mit dem Spezialitätsprinzip am ehesten bei der Frage des Inhalts, also der zulässigen Verfügungsgegenstände. Man könnte sie sowohl als Frage der Spezialität als auch der inhaltlichen Bestimmtheit einordnen. In beiden Fällen mündet sie in die oben440 dargelegte numerus clausus-Diskussion. Während die Spezialität aber den Umstand der Einzelhaftigkeit/der Granularität (i. S. d. nicht-beliebigen Aufspaltbarkeit) der Verfügungsobjekte betont, scheint die inhaltliche Bestimmtheit der geeignetere Ort für die genaue Abgrenzung von Verfügungsobjekten zu sein (siehe sogleich). Der Bestimmtheitsgrundsatz ist zumindest teilweise Ausdruck des Grundsatzes nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet441 – niemand kann mehr Recht auf einen anderen übertragen als er selbst hatte.442 Dies bezieht sich auf das rechtliche Vermögen443 des Veräußerers, der zum einen keine Verfügungsobjekte übertragen kann, die er selbst nicht innehat (und für die ihm auch niemand Verfügungsmacht eingeräumt hat) und zum anderen ein und dasselbe Verfügungsobjekt nur einmal übertragen kann. Dem wird durch den Bestimmtheitsgrundsatz dadurch begegnet, dass er den Veräußerer dazu anhält, sich über seinen Bestand an Verfügungsobjekten und seine Verfügungsmacht zu vergewissern. Wie oben gezeigt wurde, gehen Verfügungen stets mit einem Verlust an Verfügungsmacht einher.444 Der Rechtsverlust ist die wichtigste Verfügungsbeschränkung, die zugleich gegen weitere Beschränkungen schützt – was fort ist, kann nicht mehr übertragen, anderweitig verfügt oder beschränkt werden.445 Diese grundle437 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 302; siehe auch E. Wolf, Sachenrecht, 8 (ein „dingliches rechtliches Verhältnis“ müsse „inhaltlich vollständig bestimmt sein“). 438 Staudinger/Heinze (2018), § 877 Rn. 2. 439 Staudinger/Heinze (2018), § 877 Rn. 2. 440 Siehe oben C. Das numerus clausus-Prinzip. 441 Ulp. D. 50, 17, 54. 442 Becker, GRUR Int. 2010, 940 (944) (mit Fn. 54). 443 Der Begriff wird hier in einer doppelten Funktion gebraucht. Er bezeichnet sowohl die Verfügungsmacht des Veräußerers (Vermögen i. S. rechtlichen Könnens, also was jemand vermag) als auch dessen Bestand an Verfügungsgegenständen (das Vermögen im alltagssprachlichen Sinne). Siehe zur zweiten Bedeutung auch oben § 9 E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff. 444 Siehe oben § 9; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 105 („Die Verfügung gibt Rechte ganz oder teilweise weg.“). 445 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 106 f.
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gende Beschränkung steht in engem Zusammenhang mit dem Bestimmtheitsgrundsatz: Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt vom Verfügenden die Konkretisierung des Verfügungsgegenstandes und seines Schicksals („Wann soll worüber zu wessen Gunsten verfügt werden?“). Das Vorhandensein des Verfügungsgegenstandes im Vermögen des Verfügenden und die erforderliche Verfügungsmacht sind hingegen logische Voraussetzungen der Verfügung. Sie setzen dem Verfügenden daher einen äußeren Rahmen innerhalb dessen er nach dem Bestimmtheitsgrundsatz verfügen kann. Die Prinzipien (nemo plus iuris und Bestimmtheit) greifen also ineinander. Auch der Bestimmtheitsgrundsatz hat einen rechtsökonomischen Hintergrund. Er verringert Kosten, „die mit einer etwaigen Unsicherheit des vom Verfügungsrecht verbürgten Schutzumfangs respektive einer unsicheren Rechtszuständigkeit verbunden sind“.446 Dieser Bezug auf die Verfügung schafft eine gewisse Nähe zum numerus clausus, und zwar fast ausschließlich dem numerus clausus abgeleiteter Rechte,447 also dem Typenzwang.448 Im Sachenrecht liegt es auf der Hand – das einzige Vollrecht an Sachen ist das Sacheigentum, weshalb eine Verwechslung verschiedener Vollrechte ausgeschlossen ist. Inhaltlich kann nicht das Vollrecht, sondern nur die abgeleitete Rechtsposition unklar sein. Ein praktisch bedeutendes Problem des Bestimmtheitsgrundsatzes, vorliegend aber nur am Rande zu erwähnen, ist die Frage, in welchem Maße die Bestimmtheit praktisch gewährleistet werden muss; ob also z. B. bei einer Sicherungsübereignung die Bestimmbarkeit anhand von Lagerbüchern, Schriftwechseln, Rechnungen oder dergleichen genügt oder ob die Gefahr versehentlicher gutgläubiger Verfügungen über die falschen (nicht im Eigentum des Verfügenden stehenden) Gegenstände zu hoch ist.449 Lieder vertritt insoweit und mit Blick auf die wenigen originären Funktionen des Bestimmtheitsgrundsatzes, zu denen weder Publizität450 noch Schuldnerschutz451 zählten, einen „einheitlichen, minimalistischen Bestimmtheitsansatz“. Stets ausreichen soll die Bestimmbarkeit aus Sicht der Vertragsparteien, wodurch Inkonsistenzen der Rechtsprechung in Mobiliarsachenrecht, Liegenschaftsrecht und Zessionsrecht ausgeräumt würden, was durch den Wegfall von Dokumentationserfordernissen zugleich Transaktionskosten senke.452 Für die hier im Fokus 446 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 305; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 96. 447 Siehe oben C. I. Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang). 448 Staudinger/Seiler (2012), Einl. Sachenrecht, Rn. 54. 449 Daher ablehnend BGH NJW 1956, 1315 (1316). 450 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 304 f. 451 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 319 ff. 452 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 313 ff., 321 f., 323 f.; so wohl auch Staudinger/ Heinze (2020), Anh. §§ 929 ff. Rn. 30, 32 (Generell sei im Zeitpunkt der Einigung „darauf abzustellen, ob durch Auslegung der Parteivereinbarungen festgestellt werden kann, welche Gegenstände übereignet werden sollten. Dafür könnten – wie für jede Vertragsauslegung – alle Umstände herangezogen werden, die geeignet sind, den Parteiwillen zu ermitteln.“); MüKoBGB/ Oechsler, Anh. §§ 929–936 Rn. 6 f.
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stehende Untersuchung der Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte spielt dies keine unmittelbare Rolle, zeigt aber den praktischen Fokus der Probleme rund um den Bestimmtheitsgrundsatz. Anzumerken ist allerdings, dass der Bestimmtheitsgrundsatz in Deutschland im internationalen Vergleich relativ niedrige Anforderungen an die Bestimmtheit stellt. Der Bestimmtheitsgrundsatz weist eine Verbindung zum Rangverhältnis dinglicher Rechte auf: Er zwingt dazu, konkurrierende Rechte zueinander ins Verhältnis zu setzen, was für beschränkte dingliche Rechte in Form des Rangverhältnisses durch das Prioritätsprinzip realisiert wurde.453 Darüber hinaus – und noch wichtiger – bestimmt der Rang eines dinglichen Rechts gegenüber gleichartigen Rechten über seine Identität. Es gibt z. B. an einer Sache, genauer gesagt an einem bestimmten Sacheigentumsrecht, nur ein einziges Pfandrecht zweiten Ranges. Solche Probleme der Identität von Rechten können in Blockchain-Anwendungen besonders gut bewältigt werden; die oben gezeigten Anwendungen von NFTs geben ein Bild davon.454
II. Beispiel zur Abgrenzung Wie gezeigt, bezeichnet das Spezialitätsprinzip die Granularität, also die begrenzte Aufteilbarkeit von Verfügungsobjekten. Hierfür spielen die Regelungen zur Abgrenzung von Rechtsobjekten eine wichtige Rolle, weil sie zugleich festlegen, wie kleinteilig mögliche Verfügungsobjekte sind, bzw. inwieweit sie zusammengefasst werden können. Beispiel: Es ist eine Frage des Sachbegriffs (§ 90 BGB) und gegebenenfalls der Bestandteilsregeln, ob man eine Palette mit 20 Erdbeerjoghurts als ein Rechtsobjekt mit einem Verfügungsobjekt auffasst, oder als 21 Rechtsobjekte (eine Palette, 20 Joghurts) mit 21 Verfügungsobjekten (den Sacheigentumsrechten an den 21 Rechtsobjekten). Letzteres ist im deutschen Recht der Fall. Ein Sand- oder Kohlehaufen hingegen kann nach der maßgeblichen, wirtschaftlich geprägten Verkehrsanschauung als Sachgesamtheit Gegenstand einer einzigen Verfügung sein.455
Im Gegensatz dazu befasst sich der Bestimmtheitsgrundsatz mit der Abgrenzung, i. e. der genauen Bestimmung der von der Verfügung betroffenen Rechte an den Rechtsobjekten, also der Identifizierung der Verfügungsobjekte. Beispiel: Im Beispiel der Palette Erdbeerjoghurts ist der Bestimmtheitsgrundsatz für die Frage zuständig, welche Rechte der Eigentümer an welchem Joghurt vergeben kann. Hat er an einem der Joghurts bereits das Eigentum nach § 930 BGB übertragen und einen anderen verpfändet, hat er statt der ehemals 21 Verfügungsobjekte nur noch 20, von denen eines mit einem Pfandrecht belastet ist. Will er nun einen der Joghurts verkaufen, muss er darauf achten, bei der Verfügung nicht den Joghurt zu bestimmen, der nicht mehr in seinem Eigentum 453 Siehe etwa Canaris, NJW 1981, 249; siehe eingehend unten II. Das Rangverhältnis dinglicher Rechte im Sachenrecht. 454 Siehe oben § 7 C. VII. Rechte an Non-Fungible-Tokens (NFT). 455 BeckOGK/Mössner (Stand 04/2020), § 90 Rn. 116 f.
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steht und auch nicht den, der sich im Besitz des Pfandgläubigers befindet (da er dann einen Rechtsmangel i. S. d. § 435 BGB hat).
In gewisser Weise bedingen Spezialitätsprinzip und Bestimmtheitsgrundsatz also einander, was ein weiterer Grund für die häufige Vereinheitlichung ihrer Darstellung sein dürfte. Leitmotiv ist die exakte Abbildung körperlicher Gegenstände (oder allgemeiner: der Lebenswelt) in der Rechtswelt und die Sicherheit/Verlässlichkeit des darauf bezogenen Verfügungsverkehrs.
III. Relevanz im Immaterialgüterrecht Da der Bestimmtheitsgrundsatz zu den allgemeinen Verfügungsprinzipien zählt, gilt er auch für Verfügungen im Immaterialgüterrecht, zumal der Verfügungsrechtsverkehr dort auf §§ 398, 413 BGB beruht.456 Wie im Sachenrecht betreffen im Immaterialgüterrecht die meisten durch Verfügungen bedingten Unklarheiten den Umfang abgeleiteter Rechte und nicht etwa die Frage, welches dingliche Stammrecht gemeint ist bzw. ob es das Stammrecht überhaupt gibt. Beispiel: Zu den wenigen Fällen, in denen die Verbindung des Bestimmtheitsgrundsatzes mit dem numerus clausus dinglicher Stammrechte relevant werden kann, zählt die Vergabe von Übertragungsrechten für Sportveranstaltungen. Dort ist streitig, inwieweit an der Veranstaltung überhaupt lizenzierbare Rechte existieren, insbesondere, ob es ein originäres Veranstaltungsschutzrecht gibt bzw. geben sollte.457 Werden in einem Lizenzvertrag nur die „Übertragungsrechte“ eingeräumt, ohne das Stammrecht zu benennen, ist der Bestimmtheitsgrundsatz verletzt. Selbst wenn der Erwerber im Nachhinein z. B. verträte, es sei ein urheberrechtliches Nutzungsrecht (insbesondere §§ 19a, 20 UrhG) an der Innenansicht der Stadionarchitektur458 vergeben worden, müsste dies am Bestimmtheitsgrundsatz scheitern. Denn auch im Wege der Vertragsauslegung lässt sich eine derart spezielle und unübliche459 Nutzungsrechteeinräumung nicht aus Formulierungen wie „alle Übertragungsrechte“ ableiten. Auch der urheberrechtliche Übertragungszweckgrundsatz würde hiermit überdehnt, zumal häufig auch nicht-urheberrechtliche Positionen wie etwa das Hausrecht eingeräumt werden sollen.
Daher spielt der Bestimmtheitsgrundsatz vornehmlich für die Vergabe ausschließlicher Lizenzen eine spürbare Rolle. Im Immaterialgüterrecht sind §§ 398, 413 BGB das Standardinstrument der Verfügung. Die gesetzlichen Immaterialgüterrechte enthalten hierzu spezifische Ergänzungen.460 Um Näheres über die nötige Bestimmtheit von Verfügungen (Abtretungen) im Immaterialgüterrecht zu erfahren, ist m. E. nicht auf die §§ 398, 413 456 Siehe oben § 9 F. I. Standardinstrumente und Ergänzungen; sowie Staudinger/Busche (2017), § 413 Rn. 2.; Jänich, Geistiges Eigentum, 209 ff. 457 Siehe zur Frage eines originären Veranstaltungsschutzrechts nur Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16 Rn. 419 ff., siehe auch den Überblick zu Schutzinstrumenten in Rn. 36 ff. 458 Dazu Becker, ZGE/IPJ 6 (2014), 228. 459 Das Architektenurheberrecht zählt bislang nicht zu den gängigen Übertragungsrechten an Sportveranstaltungen. 460 Siehe oben § 9 F. I. Standardinstrumente und Ergänzungen.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
BGB abzustellen,461 die notgedrungen allgemein gehalten sind, sondern auf die besonderen Vorschriften, die Details zu Verfügungen in den einzelnen Immaterialgüterrechten regeln. Dort finden sich aber kaum relevante Abweichungen von §§ 398, 413 BGB, also nähere Bestimmungen zum „Wie“, sondern vorwiegend Vorschriften zum „Ob“ der Verfügung. Verbreitet ist insbesondere die Feststellung, dass eine beschränkte, wie eine unbeschränkte Übertragung möglich ist (§ 15 Abs. 1 S. 2 PatG, § 27 MarkenG, § 22 Abs. 1 S. 2 GebrMG, § 29 Abs. 1 DesignG, § 7 Abs. 1 ArbnErfG). Sogar im Sachenrecht ist den Regelungen der beschränkten dinglichen Rechte nur wenig zur Bestimmtheit der Verfügung zu entnehmen.462 Details über die zulässige Abgrenzung von Verfügungsgegenständen sind, wenn, dann auf einer anderen Ebene, nämlich der Ebene dinglicher Rechtseinräumungen zu suchen, für die das Sachenrecht mit dem Typenzwang wie gesagt ungleich mehr Vorgaben als das Immaterialgüterrecht macht. Was das Immaterialgüterrecht anbelangt, gibt die Rechtsprechung gelegentliche Hinweise. Wie im Sachenrecht betreffen auch hier die Probleme der Bestimmtheit von Verfügungen häufig Vorausverfügungen, wie sie § 40 UrhG für künftige Werke gestattet.463 Bezüglich der geforderten Bestimmtheit finden sich nur Einzelfallhinweise. So genügt der Wahrnehmungsvertrag mit der GEMA nicht für eine hinreichend bestimmte Verfügung über die Verwertung aller darunter entstehenden Werke; erforderlich ist vielmehr die Bezeichnung des konkreten Werkes, mithin die Werkanmeldung.464 Bei Software können aus technischen Gründen nur begrenzte „Angaben zur Nämlichkeit der Programmkopien“ gemacht werden, daher genügen dort Angaben „zur Programmbezeichnung, dem zeitlichen Ablauf und der jeweils korrelierenden Menge“ für die Bestimmtheit.465 Es muss aber bei jeder einzelnen Verfügung erklärt werden, „dass Gegenstand der Verfügung eben das Recht ist, das seinerzeit zwischen dem ursprünglichen Gläubiger und dem ursprünglichen Schuldner entstanden ist“, eine „bloß gattungsmäßige Bezeichnung […] (z. B. Recht zur Nutzung des Computerprogramms X auf zehn Computern)“ genügt nicht.466 Das LG Düsseldorf schließt im Patentrecht unter Verweis auf den Bestimmtheitsgrundsatz eine „dingliche Rechtsfigur“ aus, „wodurch die Geltendmachung von aus einer Patentverletzung resultierenden Ansprüchen, insbesondere derjenigen auf Unterlassung, dinglich ausgeschlossen werden könnten“.467 461 So aber teilweise Jänich, Geistiges Eigentum, 209 ff.; Schöneich, Der Begriff der Dinglichkeit im Immaterialgüterrecht, 208 f. 462 Siehe auch oben § 9 F. Verfügungsinstrumente. 463 RGZ 75, 225 (227 f.) (PatentR); RGZ 140, 231 (251 f.) (UrhR); BGH NJW-RR 1998, 1057 (1058) (GeschmacksmusterR); OLG Hamburg GRUR 1979, 235 (239) – ARRIVAL (TonträgerherstellerR); siehe auch Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 696 f. 464 OLG Frankfurt a. M. GRUR 2006, 578 (579) – Verwertung gemeinschaftlich geschaffener Werke. 465 OLG Frankfurt a. M. GRUR 2013, 279 (282) – Adobe/UsedSoft. 466 LG Frankfurt a. M. MMR 2010, 465 (468) – Softwarelizenzen. 467 LG Düsseldorf BeckRS 2012, 09682; siehe auch OLG München GRUR 2013, 1125 (1129) –
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Eine bemerkenswerte Verbindung mit dem Bestimmtheitsgrundsatz gibt es des Weiteren in der Lizenzierung von Geschäftsgeheimnissen. Das Informationsparadox beschreibt nicht nur die Gefahr, bei Vertragsverhandlungen über Informationen dieselben bereits preiszugeben und dadurch zu entwerten.468 Die geheimen, zu veräußernden Informationen laufen angesichts des Bestimmtheitsgebots auch Gefahr, im eigentlichen Vertragswortlaut preisgegeben zu werden. Sofern also eine verfügende Lizenzeinräumung angenommen wird, bedarf es einer vertraglichen Beschreibung der Informationen (typischerweise im Vertragsanhang), die zwar dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt, aber nicht so viel preisgibt, dass der Geschäftsgeheimnisschutz gefährdet wird.469
IV. Zusammenfassung und Folgerungen Der Bestimmtheitsgrundsatz ist auf die Identität des Verfügungsobjekts gerichtet. Über ein dingliches Recht kann nur hinsichtlich eines bestimmten Gegenstands verfügt werden, der genau identifiziert sein muss, wofür in Deutschland allerdings die Bestimmbarkeit/Identifizierbarkeit genügt. Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt vom Verfügenden damit die Konkretisierung des Verfügungsgegenstandes und seines Schicksals, so dass er sich rechtzeitig, d. h. idealerweise vor Vertragsschluss, zumindest aber vor der Verfügung über seinen Bestand an Verfügungsobjekten und seine Verfügungsmacht vergewissern muss. Auf diese Weise besteht eine direkte Verbindung zum nemo plus iurisGrundsatz.470 Konkrete Regelungen zur Ausgestaltung der geforderten Bestimmtheit enthält das Sachenrecht nicht, einschlägiger sind Präzisierungen seitens der Rechtsprechung, die für viele Fälle Rechtssicherheit geschaffen haben. Solche generellen Hinweise oder gar Prinzipien für die Bestimmtheitsanforderungen lassen sich für immaterialgüterrechtliche Verfügungen bislang nicht ableiten. Letztlich muss das Verfügungsobjekt so genau wie möglich beschrieben werden. Am ehesten generalisierbar ist noch die Vorgabe des LG Düsseldorf, dass die mit einer immaterialgüterrechtlichen Lizenz aus dem Stammrecht heraus verbundenen Abwehrrechte nicht mit Außenwirkung gekürzt werden dürfen, was als Bestimmung möglicher Verfügungsobjekte nach hier vertretener Dogmatik aber eher dem Spezialitätsprinzip unterfiele.471
Technische Schutzrechte (keine wirksame Schutzrechtsübertragung bei Einschränkung der Verfügung durch selbstgestaltete Kautelen). 468 Vgl. hierzu Linde, Ökonomie der Information, 35 f., 41 f., 77; siehe auch Jung/Krebs, Die Vertragsverhandlung, 202. 469 Obergfell/Hauck/Heim, Lizenzvertragsrecht, 366. 470 Siehe oben E. I. Dogmatik des Bestimmtheitsgrundsatzes. 471 Siehe oben E. III. Relevanz im Immaterialgüterrecht.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
F. Publizität (Offenkundigkeit) Wie der Bestimmtheitsgrundsatz und/oder das Spezialitätsprinzip fand sich auch das Publizitätsprinzip in allen oben gezeigten Aufzählungen der Sachenrechtsprinzipien.472 Und ebenso ist es auf seine dogmatische und strukturelle Relevanz für absolute Herrschaftsrechte zu untersuchen.
I. Publizität als Prinzip Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff „Publizitätsprinzip“, was ist sein Zweck? In den meisten Rechtsgebieten besteht Bedarf für gewisse, wenn auch nicht einheitliche Formen der Publizität rechtlicher Tatsachen und deren Änderungen, etwa im Gesellschaftsrecht, Stellvertretungsrecht, Insolvenzrecht, Kapitalanlagerecht, verschiedenen Teilen des öffentlichen Rechts oder eben im hier zu untersuchenden Sachen- und Immaterialgüterrecht.473 Publizität steht dabei in einem spezifischen Verhältnis zum Informationsbegriff: „Publizität dient der Übermittlung von Information, bzw., in ökonomischer Diktion, dem Ausgleich von Informationsasymmetrien.“ Anders als vertragliche oder gesetzliche Informationspflichten zielt sie dabei auf einen „unbestimmten, offenen Adressatenkreis“.474
Gerade im öffentlichen Recht spielt Publizität eine zentrale Rolle i. S. d. „Publizität staatlichen Handelns“ als Basis demokratischer Kontrolle durch das Volk, im Strafrecht sowie darüberhinausgehend im gesamten Verfahrens- und Vollstreckungsrecht i. S. e. Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit.475 Die Publizität in verschiedenen Bereichen des Privatrechts ist also nur ein Unterfall eines viel weiter reichenden, dogmatisch uneinheitlichen Prinzips. Sofern Publizität durch Register realisiert wird (Registerpublizität) kommt den Registerfunktionen unmittelbare Bedeutung zu. Die Funktionen der Registerpublizität sind für absolute Herrschaftsrechte von besonderem Interesse, da Register sowohl im Sachen- wie im Immaterialgüterrecht eine zentrale Rolle spielen. – Register dienen dem Verkehrsschutz. Dieser ist zweigeteilt. Die erzeugte Publizität dient zum einen dem Vertrauensschutz und zum anderen der Rechtssicherheit. Das Register setzt als Rechtsscheinträger einen Vertrauenstatbestand,476 der durch Registeränderung unmittelbar gesteuert werden kann. Daran anknüpfende Vertrauensschutzregeln verhelfen den Eintragungen zu praktischer Bedeutung. Auf diese Weise kann ein hoher Grad an Rechtssicherheit erzeugt werden, indem ungeachtet eines etwaigen, parallel entstandenen natürlichen Vertrauenstatbestandes, Registeränderungen auch Gutgläubigen gegenüber verbindlich sind (vgl. etwa § 15
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Siehe oben B. I. 1. Der ungewisse Kreis der Sachenrechtsprinzipien. Siehe nur Merkt, Unternehmenspublizität, 1 ff. 474 Merkt, Unternehmenspublizität, 8. 475 Merkt, Unternehmenspublizität, 11 ff. 476 Canaris, Vertrauenshaftung, 151 ff. 473
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Abs. 2 HGB).477 Darüber hinaus genannt wird der hiermit verwandte Aspekt der Verkehrssicherheit, die darauf beruht, dass die Registerpublizität „den am Rechtsverkehr Beteiligten durch das Register die Möglichkeit verschafft, Klarheit über die Rechtslage zu erlangen.“478
Vor dem Hintergrund dieser Hauptfunktionen des Registers kann die Wirkung der hierdurch erzeugten Publizität deklaratorisch oder konstitutiv gestaltet werden. In seiner gewöhnlich gemeinten Bedeutung hat das Publizitätsprinzip konstitutive Wirkung, d. h. es macht den Eintritt von Rechtswirkungen davon abhängig, dass die rechtsbegründenden Schritte öffentlich vollzogen werden. Einfache Beispiele sind die Eintragung einer Marke i. S. d. § 4 Nr. 1 MarkenG oder der Eigentumserwerb an einem Grundstück (§§ 873 Abs. 1, 925 BGB). Es gibt aber auch zahlreiche Publizitätsanordnungen mit deklaratorischer (also rechtsbekundender479/rechtsbestätigender480) Wirkung, wie etwa die der Eintragung einer Prokuraerteilung (§ 48 HGB) ins Handelsregister. Ihre Verletzung zieht keine unmittelbaren Rechtsfolgen hinsichtlich der bekannt zu machenden Tatsache nach sich, sondern schwächt die Position desjenigen, der die Eintragung unterlassen hat, indem ihm der durch das Register erzeugte Verkehrsschutz nicht zugutekommt (allerdings wird er dann hierdurch auch nicht belastet, weshalb ein Verstoß gegen § 3a UWG in Betracht kommen kann).481 Ob Publizität deklaratorisch oder konstitutiv gestaltet wird, hängt davon ab, welche Bedeutung ihr beigemessen wird (also, ob sie eher der Information oder als Vertrauenstatbestand mit rechtlichen Konsequenzen dienen soll), welche dogmatische Konstruktion den einzutragenden Tatsachen zugrunde liegt und ob eine Registerlösung praktisch überhaupt umsetzbar ist. Z. B. wäre es eine im deutschen Recht aus Gründen des Persönlichkeitsrechts und praktischer Gesichtspunkte kaum denkbare Grundlagenentscheidung, den Urheberrechtsschutz gänzlich von einer Registereintragung abhängig zu machen.482 Es wäre sogar absurd, das Eigentum an jeglichen beweglichen Sachen als Registerrecht zu betreiben, man hat dies auf bestimmte bewegliche Sachen wie Schiffe483 oder Flugzeuge484 begrenzt.
477 Canaris, Vertrauenshaftung, 500; Merkt, Unternehmenspublizität, 17 f. (die Rechtssicherheit beruhe darauf, dass Registerpublizität „die Entstehung bestimmter Rechtsverhältnisse von der Eintragung und der vorgeschalteten zumindest formellen Prüfung durch die registerführende Stelle abhängig“ mache). 478 Merkt, Unternehmenspublizität, 18. 479 Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver, PatG, § 30 Rn. 36. 480 Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 17. 481 Vgl. MüKoHGB/Krebs, § 53 Rn. 20. 482 Siehe aber unten III. 1. c) Urheberrecht. 483 Das Schuld- und Sachenrecht an Schiffen ist, soweit diese im Seeschiffs- oder Binnenschiffsregister eingetragen sind, dem Liegenschaftsrecht nachempfunden, sie sind dann keine beweglichen Sachen; BGH NJW 1990, 3209; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 85 (Schiffe seien schon im Mittelalter als „schwimmende Gebäude“ angesehen worden); J. v. Gierke, Das Sachenrecht des bürgerlichen Rechts, 224; §§ 2 Abs. 1; 3 Abs. 1 SchRG sowie §§ 452, 468
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Der Gegensatz zu einer durch Eintragung oder traditio realisierten Publizität wäre das Konsensprinzip, demzufolge die bloße Einigung für die Rechtsänderung genügte,485 der Publizitätsakt also allenfalls deklaratorische Funktion hätte.
II. Publizität als Sachenrechtsgrundsatz Die zu beantwortende Frage lautet dementsprechend, inwieweit im Sachen- und Immaterialgüterrecht tatsächlich Publizität gefordert wird und ob sie in einer funktionalen/strukturellen Verbindung zu deren Natur als absoluten Herrschaftsrechten bzw. dinglichen Rechten steht, oder anderen Gründen geschuldet ist.
1. Welchen Zwecken diente ein Publizitätsprinzip? Nach h. M. gilt im Sachenrecht ein Publizitätsprinzip, das besagt, dass die Rechtsverhältnisse, namentlich „dingliche Berechtigungen an Sachen und ihre Veränderungen“ nach außen erkennbar sein „sollen“.486 Dieses „sollen“ muss aber von der konstitutiven Wirkung unterschieden werden, die die traditio487 bzw. die Grundbucheintragung der in § 873 BGB genannten Verfügungen488 für die Eigentumsübertragung haben. Letztere Wirkung existiert konkret und ist im BGB kodifiziert. Ob im Sachenrecht aber ein generelles Prinzip herrscht, das vom Ausgangspunkt her die äußerliche Erkennbarkeit jeglicher Verfügung und Rechtslage verlangt, ist fraglich. Soweit die Publizität sachenrechtlicher Verfügungen gesetzlich vorgeschrieben ist, knüpft das BGB an sie zumindest drei unterscheidbare Rechtswirkungen: Die Übertragungswirkung macht die Übertragung von Rechten (konstitutiv) davon abhängig, dass ein bestimmter Publizitätsakt vollzogen wird (etwa §§ 873, 929, 1032, 1205 BGB);489 die Vermutungswirkung knüpft an den Publizitätsakt die Vermutung, dass der dort Begünstigte auch der materiellrechtlich Berechtigte ist (§§ 1006, 891 BGB);490 die Gutglaubenswirkung erhebt die im Publizitätsakt zum Ausdruck kommende Verschaffungsmacht (anders formuliert: die Macht, den Publizitätsakt
Abs. 2, 578a, 647a, 776; 929a, 1287 S. 2 BGB; gleiches gilt im Familien- und Erbrecht. Nicht registrierte Schiffe unterliegen hingegen den Vorschriften über bewegliche Sachen, BGH NJW 1990, 3209. 484 Die Eigentumsübertragung bei Luftfahrzeugen richtet sich nach §§ 929 ff. BGB (s. § 98 Abs. 1 S. 1 LuftFzgG), die Luftfahrzeugrolle gibt keine verbindliche Auskunft über die eigentumsrechtlichen Verhältnisse, sondern dient vor allem der Regelung des Registerpfandrechts an Luftfahrzeugen, vgl. BGH NJW 1984, 2687; Wendt, MDR 1963, 448 (449); Schladebach/Kraft, BKR 2012, 270 (271). 485 AK-BGB/Reich, vor §§ 929 Rn. 23. 486 MüKoBGB/Gaier, Einl. Sachenrecht, Rn. 22; Staudinger/Heinze (2018), Einl. Sachenrecht Rn. 137; Prütting, Sachenrecht, Rn. 38. 487 Siehe oben eingehend § 10 B. VI. Funktionen des Traditionsprinzips. 488 MüKoBGB/Kohler, § 873 Rn. 3, vor § 873 Rn. 14. 489 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 Rn. 10 f. 490 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 Rn. 12 ff.
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überhaupt durchzuführen) zum Rechtsscheinträger als Basis für gutgläubigen Erwerb (§§ 932, 892 f. BGB).491 Beim Grundbuch sind diese Wirkungen weitgehend Ausprägungen der oben492 genannten Funktionen von Registern – der Gewährleistung von Vertrauensschutz und Rechtssicherheit. Die Motive legen diese für das Immobiliarsachenrecht unter dem Stichwort des dort geltenden Publizitätsprinzips offen zugrunde: „Das Publizitätsprinzip ist indessen ebenso positiver Natur wie die Grundbucheinrichtung, auf welcher es beruht. Sein Hauptzweck ist, die Erwerbung von Rechten an Grundstücken von demjenigen, welchen das Buch als Berechtigten ausweist, zu ermöglichen, ohne daß der Erwerber der Gefahr einer Anfechtung aus Gründen ausgesetzt wird, welche in nicht ersichtlichen Mängeln des eingetragenen Rechtes des Veräußerers liegen. Dies wird aber erreicht, wenn der Inhalt des Grundbuches zu Gunsten des mit der wirklichen Sachlage unbekannten Erwerbers als richtig fingirt wird.“493
In ähnlichem Zusammenhang findet sich in den Motiven auch eine Art Definition des Publizitätsprinzips (nur) für das Immobiliarsachenrecht: Der Zweck, für den Immobilienbücher bestimmt seien, sei „nur erreichbar, wenn demjenigen, welcher ein auf die Erwerbung eines Rechtes an einem Grundstücke gerichtetes Rechtsgeschäft im Vertrauen auf den Inhalt des Buches eingeht, dieser Inhalt als richtig bzw. als vollständig gewährleistet, dem Buche öff. Glaube (publica fides) beigelegt wird (Publizitätsprinzip).“494
Unterstellt, es gäbe im Mobiliarsachenrecht ein generelles Publizitätsprinzip, kann es sich nur um die Publizitätsfunktion des Traditionsprinzips handeln. Die Motive halten dem Traditionsprinzip in erster Linie zugute, dass es ein Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz verhindert, die „Kundbarmachung des zeitigen Rechtszustandes“ erscheint eher als nachgelagerter Effekt.495 Zugunsten der Annahme eines allgemeinen, für jegliche absolute Herrschaftsrechte geltenden Publizitätsprinzips wird verbreitet ein dogmatischer Gedanke angeführt: Voraussetzung für die Wirkung absoluter Rechte gegen jedermann soll sein, dass bei ihnen die „Zuordnungsverhältnisse“ erkennbar sind;496 die absolute Wirkung von Rechten erfordere es, dass der Rechtsverkehr diese Rechte identifizieren kann.497 Diesen Gedanken legte schon Johow im Entwurf des Sachenrechts den allgemeinen Bestimmungen des Grundbuchrechts (!) zugrunde: „Das Bedürfnis der Erkennbarkeit […] ist durch die absolute Natur dieser Rechte gegeben.“ Hingegen seien die Beteiligten bei obliga491 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 4 Rn. 15 f.; s. a. oben § 10 B. VI. 2. d) Publizität, f) Gutglaubensschutz. 492 I. Publizität als Prinzip. 493 Mot. III, 139 = Mugd. III, 77. 494 Mot. III, 17 = Mugd. III, 10. 495 Mot. III, 333 = Mugd. III, 185; Brehm/Berger, Sachenrecht, § 26 Rn. 12. 496 Martinek, AcP 188 (1988), 573 (576); P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 (303). 497 Merkt, Unternehmenspublizität, 18 („Da die Sachenrechte absolut wirken, muß das Rechtsverhältnis an der Sache erkennbar sein.“).
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
torischen Rechtsverhältnissen „durch das Rechtsverhältnis selbst bestimmt“. Zum Schutze Gutgläubiger bedürfe es daher „einer Einrichtung, welche es Jedem ermöglicht, Kenntnis von den rechtlichen Beziehungen der Sache zu erlangen“.498 So gelangt er zu einem das gesamte Immobilienrecht beherrschenden „Publizitätsprinzip“.499
Was die Frage der Existenz eines solchen Publizitätsprinzips jeglicher absoluter Herrschaftsrechte angeht, hält Füller 500 dem als Gegenbeispiel das Urheberrecht entgegen, das unabhängig von einem Publizitätsakt entsteht und dennoch ein absolutes Recht ist, sowie – umgekehrt – die nach § 15 Abs. 1 HGB ins Handelsregister einzutragenden Tatsachen, die publik gemacht werden müssen, aber keine absoluten Rechte sind.501 Letztgenannten Einwand könnte man sogar noch allgemeiner fassen: wie oben gezeigt wurde, reicht das Publizitätsprinzip weit über das Sachen- und Immaterialgüterrecht hinaus und greift in zahllosen Sachverhalten, in denen absolute Rechte keine Rolle spielen (z. B. bei der Veröffentlichung von Jahresabschlüssen). Hinter der Forderung, dass absolute Herrschaftsrechte stets sichtbar gemacht werden sollen, steht m. E. ein anderes Motiv: die Verhinderung unbeabsichtigter Verletzungen. Berger sieht in einem der Publizität verwandten Aspekt einen entscheidenden Grund für die Beschränkung des Sachbegriffs auf körperliche Gegenstände. Bei diesem geht es nicht um die Kundbarmachung von Verfügungen, sondern um die Erkennbarkeit von Rechtsgegenständen zur Verhinderung unbeabsichtigter Verletzungen.502 Von dieser Warte aus ergibt die Forderung der Publizität absoluter Rechte unmittelbar Sinn. Es wäre problematisch, gegen jedermann wirkende Rechte anzuerkennen, von deren Existenz und Wirkrichtung andere erst erfahren, wenn sie ein solches Recht verletzen oder der Berechtigte aus eigenen Stücken darauf hinweist. Auf diese Nichterkennbarkeit setzen zweifelhafte Geschäftsmodelle wie z. B. Patenttrolle oder Abmahnfallen. Wohlgemerkt heißt das nicht, dass es ein allgemeines Publizitätsprinzip absoluter Rechte gibt, sondern begründet nur, weshalb es sinnvoll sein könnte, absolute Rechte an eine gewisse Publizität zu binden. Ein speziellerer Zweck der Publizität im Sachenrecht soll schließlich in der Offenlegung von auf den Sachen eines Schuldners ruhenden Sicherungsrechten zur Information des Kreditverkehrs liegen. Dies betrifft sowohl die Erkennbarkeit der wahren Vermögensverhältnisse des Schuldners als auch den Schutz vor „abredewidrigen, aber wirksamen Verfügungen […] über das Sicherungsrecht“.503 Hieraus resultiert die Hoffnung, dass Eigentümer mit Rücksicht auf ihre sichtbare Bonität 498
Johow, Begründung Entwurf Sachenrecht, Bd. 1, 94 f. Johow, Begründung Entwurf Sachenrecht, Bd. 1, 180 ff. 500 Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 250 f. 501 Damit stellt Füller freilich allein auf die Rechtsentstehung ab (und nicht etwa Lizenzierungen, Belastungen oder dergleichen), was an der Richtigkeit des Beispiels hier aber nichts ändert. 502 Berger, ZGE/IPJ 9 (2017), 340 (348 f.); dazu oben § 4 C. III. 5. Erfassung der dem Sacheigentum unterfallenden Güter. 503 Merkt, Unternehmenspublizität, 18. 499
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zurückhaltend bei der Bestellung weiterer Sicherungsrechte an ihren Sachen verfahren.504
2. Gibt es ein Publizitätsprinzip im Sachenrecht? Die Frage, ob es ein einheitliches Publizitätsprinzip im Sachenrecht gibt, wurde in jüngerer Zeit bereits ausführlich untersucht,505 sie kann hier daher verkürzt behandelt werden.
a) Immobiliarsachenrecht Im Immobiliarsachenrecht wird Publizität weitgehend konsequent umgesetzt, zumal ein staatliches Interesse an der Transparenz des Immobiliareigentums besteht. Die Umsetzung erfolgt insbesondere über den Grundbucheintrag nach § 873 BGB und dessen rechtliche Wirkung im Gutglaubensschutz inklusive des gutgläubigen Erwerbs (§§ 891 ff. BGB).506 Neben zahlreichen weiteren Tatsachen einzutragen sind im Grundbuch die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück, die Belastung eines Grundstücks mit einem Recht sowie die Übertragung oder Belastung eines solchen Rechts (§ 873 Abs. 1 BGB), inhaltliche Änderungen und die Aufhebung beschränkter dinglicher Rechte (§§ 877, 875 BGB), die Aufgabe des Eigentums (§ 928 BGB), Bestimmungen zum Rangverhältnis mehrerer beschränkter dinglicher Rechte am Grundstück (§§ 879 ff. BGB), die Vereinigung von Grundstücken (§ 890 BGB) und die Belastung des Grundstückseigentums mit beschränkten dinglichen Rechten.507 Lieder weist treffend auf die Notwendigkeit der Abwägung zwischen den Transaktionskosten eines Registers und dem Prinzip der Sukzessionsfreiheit hin.508 Hierfür erarbeitet er einen Katalog an Anforderungen, der hier kurz wiedergegeben wird, da er auch für die im Anschluss zu untersuchenden immaterialgüterrechtlichen Register relevant ist: Ein Eintragungsprinzip in ein öffentliches Register solle „nur dann zum Einsatz kommen, wenn es um die Übertragung (1.) verhältnismäßig wertvoller und (2.) leicht zu identifizierender Gegenstände geht, die sich (3.) durch relative Langlebigkeit auszeichnen und (4.) nur selten übertragen werden.“ Außerdem sollten „an den fraglichen Gegenständen (5.) verschiedene (beschränkte dingliche) Rechte zulässigerweise begründet werden können und in 504 Flume, NJW 1959, 913 (915); zu den Grenzen der sachenrechtlichen Publizität als Informationsquelle für Gläubiger Merkt, Unternehmenspublizität, 18. 505 Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 244–369; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 365–441. 506 Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 253 ff., 363 f.; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 370 ff. 507 Namentlich § 1115 (Hypothek); § 1115 i. V. m. § 1192 (Grundschuld); § 1018 (Grunddienstbarkeit), § 1090 (beschränkte persönliche Dienstbarkeit), § 1030 (Nießbrauch); § 1105 (Reallast); § 1199 BGB (Rentenschuld); § 11 Abs. 1 ErbbauRG; vgl. nur MüKoBGB/Kohler, § 873 Rn. 7. 508 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 369 f., siehe insbesondere die Kriterien dort auf S. 284.
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der Praxis auch begründet werden“ und schließlich dürfe „(6.) die Auffindung der Sache in dem öffentlichen Register keine besonderen Schwierigkeiten“ bereiten.509
Dem Grundbuch bescheinigt Lieder eine „mustergültige Verwirklichung“ dieser Voraussetzungen.510 Den Wirkungen nach ist der Registereintrag neben dem dinglichen Vertrag Voraussetzung für den Eintritt der Rechtswirkungen dinglicher Liegenschaftsgeschäfte, also konstitutiver Natur. Der vom Grundbuch ausgehende Gutglaubensschutz erfasst lediglich den guten Glauben an die eingetragenen rechtlichen, nicht aber an die tatsächlichen Verhältnisse wie z. B. die Größe, Lage oder Abgrenzung des Grundstücks.511 Zudem beschränkt er sich auf den Schutz des rechtsgeschäftlichen Erwerbs.512 Freilich könnte der Gutglaubensschutz hinsichtlich beider Aspekte noch ausgeweitet werden, sofern der Staat ein entsprechendes Interesse daran hätte und bereit wäre, für den Schutz einzustehen.
b) Mobiliarsachenrecht Im Mobiliarsachenrecht wird die Publizität auf zwei Instrumente gestützt: die traditio und den Besitz. Die traditio soll Rechtsänderungen, der (Eigen)besitz die Eigentumslage (§ 1006 BGB) sichtbar machen. Wie oben513 dargelegt wurde, liegt der ursprüngliche Publizitätsgedanke der traditio in der Sichtbarmachung dinglicher Rechtsveränderungen nach außen und dem Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Vollzugsaktes.514 Das Mobiliarsachenrecht durchbricht die Publizität allerdings vielfach, insbesondere durch §§ 930 f. BGB und durch die Sicherungsübereignung im Wege der Einführung einer zweiten Einigung als „Traditionsersatz“.515 Eher noch als bei der Eigentumsübertragung wird Publizität daher im Pfandrecht durchgehalten. Ferner erzeugt die Publizität auch hier eine rechtliche Wirkung des gutgläubigen Erwerbs (§§ 932 ff. BGB) – der allerdings nur an die Besitzverschaffungsmacht anknüpft516 – und der Vermutungswirkung des §§ 1006 BGB.517 Insbesondere angesichts dieser Durchbrechungen im Mobiliarsachenrecht wird inzwischen gezweifelt, ob die Publizität im Sachenrecht den Rang eines generellen Prinzips bekleidet.518
509
Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 384. Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 369, 385. 511 Die Eigenschaftsangaben im Liegenschafskataster sind vom Gutglaubensschutz nicht umfasst, vgl. BeckOK GBO/Holzer, § 2 Rn. 33 ff. 512 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 119 (326, 329). 513 Siehe oben 1. Welchen Zwecken diente ein Publizitätsprinzip?; § 10 B. VI. 2. d) Publizität. 514 Siehe zu beiden Sosnitza, Besitz, 280 f. 515 MüKoBGB/Säcker, 6. Aufl. 2013, §§ 903 Rn. 10. 516 § 10 B. VI. 2. d) Publizität. 517 MüKoBGB/Gaier, Einl. Sachenrecht, Rn. 22. 518 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 44; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 36 Rn. 1, § 2 Rn. 5; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 367 (zweifelt vor diesem Hinter510
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In den Motiven wird das Publizitätsprinzip im Übrigen nicht als Grundprinzip dinglicher Verträge verankert.519 Zwar ist an mehreren Stellen vom „Publizitäts- und Eintragungsprinzip“ die Rede, allerdings ausschließlich im Immobiliarsachenrecht.520 Die Publizität der traditio darf schon hier (im sachenrechtlichen Besitz) nicht in einem visuell gearteten Sinne verstanden werden. Die traditio hat nichts mit der oben angesprochenen Sichtbarkeit zu tun,521 der es bedürfen soll, weil Dritte von der absoluten Wirkung des Rechtsgeschäfts erfasst sind.522 Sie erfüllt auch keine registerartigen Funktionen.523 Institute wie die Besitzdienerschaft oder der mittelbare Besitz sowie die Möglichkeit, ohne Auflösung dieser Zustände das Eigentum zu übertragen (§§ 930 f., 933 f. BGB) sprechen dafür, dass der Gesetzgeber nicht einmal bei beweglichen Sachen davon ausgeht, dass eine Verfügung über diese stets von einem (sichtbaren) Übergabeakt abhängt. Tatsächlich wird die Gleichstellung von mittelbarem und unmittelbarem Besitz als „Absage an das Publizitätsprinzip“ verstanden.524 Die Übergabe ist ein schwaches und sehr begrenztes Mittel, um „publik“ zu machen, dass eine die Sache betreffende Verfügung stattgefunden hat.525 Dauerhafter ist insoweit der Besitz der Sache, der sich aber wie gesagt von der sichtbaren Gewalt über die Sache längst entfernt hat und oben als Bestimmungsgewalt identifiziert wurde, die bei Sachen in letzter Instanz an deren Körperlichkeit rückgebunden ist.526 Ähnlich, wenn auch wesentlich schwächer als bei Registereinträgen, könnten Interessenten Informationen über die Besitzverhältnisse einholen und z. B. erfragen, ob der Nutzer eines Notebooks dieses als Eigen- oder Fremdbesitzer oder als Besitzdiener innehat. Die Publizität hat daher im Sachenrecht nicht den Stellenwert eines allgemeinen konstitutiven Prinzips. Am ehesten kann noch im Immobiliarsachenrecht von der gesetzlichen Verwirklichung eines Publizitätsprinzips gesprochen werden. Im Mobiliarsachenrecht ist es hingegen allenfalls als schwache Nebenfunktion der traditio zu finden, die selbst nur eine von mehreren Übereignungsformen darstellt. Relevanter erscheint das Publizitätsprinzip beim Faustpfand, wo der angesprochene527 Zweck der Sichtbarkeit von Sicherungsrechten zum Tragen kommt. Auch dieses wird allerdings vom Sicherungseigentum durchbrochen und entwertet.
grund an der „rechtspolitischen Sinnhaftigkeit“ der „Offenkundigkeit absolut wirkender dinglicher Rechte“). 519 Mot. III, 8 f. = Mugd. III, 5. 520 Siehe insbesondere Mot. III, 23 = Mugd. III, 13; siehe auch oben bei Fn. 493, 494. 521 Siehe oben vor 1. Welchen Zwecken diente ein Publizitätsprinzip? 522 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 26 Rn. 13; Brehm, AcP 207 (2007), 268 (273). 523 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 26 Rn. 13. 524 AK-BGB/Reich, vor §§ 929 ff. Rn. 8. 525 Dazu Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 387 f. 526 Siehe oben § 10 B. V. 3. Folgerungen. 527 Siehe oben 1. Welchen Zwecken diente ein Publizitätsprinzip?
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Ist damit schon das Sacheigentum als Idealtyp des dinglichen Rechts nicht eng an einen Publizitätsgedanken geknüpft, ist sehr zweifelhaft, ob die Publizität als bestimmendes Merkmal der Dinglichkeit in Betracht kommt.
c) Mögliche Begründung der unterschiedlichen Publizität Oben wurden Ausführungen zu den Funktionen und Zwecken von Publizität im Sachenrecht gemacht. Weshalb aber ist sie bei Fahrnis und Liegenschaften so stark unterschiedlich ausgeprägt? Die Antwort findet sich im Grundbuchrecht: Der Bedarf einer Publizität von Liegenschaftsrechten resultiert neben staatlichen Interessen aus der für gewöhnlich langen Dauer des Rechtserwerbs an Grundstücken und dem verhältnismäßig hohen Wert von Liegenschaften.528 Diese Dauerhaftigkeit betrifft gerade auch beschränkte dingliche Rechte an Grundstücken (z. B. die Grunddienstbarkeit [§ 1018 BGB] oder das Erbbaurecht [§ 1 ErbbauRG]). Sofern Sicherungsrechte eingeräumt werden, besteht zusätzlich ein besonderes Verkehrsinteresse an der Belastbarkeit dieser Rechtspositionen, die nicht durch „unerkennbare Rechte dritter Personen“ verwässert werden dürfen und durch ein Rangverhältnis geordnet sind.529
3. Exkurs: Prinzip der Einheitlichkeit des Sacheigentums? Unter Rückgriff auf die obigen Überlegungen zum Typenzwang530 und der in den Motiven531 angenommenen Funktion des Traditionsprinzips, ein Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz zu verhindern,532 könnte man an ein übergreifendes „Prinzip der Einheitlichkeit des Sacheigentums“ denken, demzufolge Eigentum und Besitz an Sachen vereint und ungeteilt bleiben sollen: Immobiliareigentum soll nicht durch zu viele oder gar beliebige dingliche Aufteilungen ausgehöhlt und impraktikabel werden,533 gleiches gilt für bewegliche Sachen, die zusätzlich möglichst im Besitz des Eigentümers bleiben sollen. So kann man diesen zum einen leichter ausfindig machen und zum anderen hat er dann auch verlässlich umfangreiche Rechte an der Sache. Dies stellt den Eigentümer (allgemeiner: den Stammrechtsinhaber) in den Fokus des Verfügungsverkehrs, der durch die Koppelung von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsmacht gewährleistet wird. Auf einer höheren teleologischen Stufe dient dies der Verwirklichung der Rechtssicherheit und Übersichtlichkeit sowie der Idee des freien Eigentums.534
528
Heck, Grundriß des Sachenrechts, 135.
529 Vgl. Heck, Grundriß des Sachenrechts, 135; J. v. Gierke, Das Sachenrecht des bürgerlichen
Rechts, 32 f. 530 Siehe oben C. I. Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang). 531 Mot. III, 333 f. = Mugd. III, 184 f. 532 Siehe oben § 10 VI. 1. Entwicklung. 533 Siehe oben C. I. 1. Der sachenrechtliche numerus clausus. 534 Dazu auch unten H. I. Ungeteiltes Sacheigentum und Funktionseigentum.
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III. Publizität im Immaterialgüterrecht Im Sachenrecht fanden sich nur schwache Hinweise auf ein Publizitätsprinzip, das mit jeglicher Zuweisung von Sacheigentum verknüpft wäre. Im Liegenschaftsrecht hängt die konsequente Forderung von Publizität mit den Eigenarten von Liegenschaften und daran eingeräumten Rechten zusammen. Bei beweglichen Sachen hingegen findet sich kein durchgehender Publizitätsgedanke. Im Folgenden sind Vorgänge bzw. Tatsachen zu untersuchen, die im Immaterialgüterrecht publik gemacht werden müssen. Die zu beantwortende Frage lautet, ob diese Erscheinungsformen von Publizität in einer funktionalen/strukturellen Verbindung zu absoluten Herrschaftsrechten stehen, oder ob die Publizität anderen Gründen geschuldet ist, die nicht auf diese Form der Güterzuweisung zurückgehen. Alles, was dabei gefunden werden könnte, ist freilich nur ein Unterfall des viel allgemeineren Publizitätsgedankens, nämlich einer spezifischen Bedeutung von Publizität für absolute Herrschaftsrechte. Bereits genannte Einwände wie das nicht-publike Urheberrecht535 (oder die nur teilweise Publizität im Mobiliarsachenrecht) weisen schon darauf hin, dass auch ein solcher Unterfall wohl keine übergreifende Bedeutung hätte. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass das Urheberrecht sich als Ausnahme von der Regel erweist – z. B. aufgrund seiner persönlichkeitsrechtlichen Prägung. Parallelität besteht im Immaterialgüterrecht augenscheinlich schon durch die Register, die ähnliche Funktionen wie das Grundbuch zu erfüllen scheinen.536
1. Rechtsentstehung Die Registerrechte im Immaterialgüterrecht sind in ihrer Entstehung bzw. Wirkung vom Eintrag in das betreffende Register abhängig:
a) Patentrecht Eine Sonderrolle unter den Registerrechten nimmt das Patentrecht ein, da die Entstehung von Patentschutz mit der höchsten im Immaterialgüterrecht bekannten Anzahl an zwingenden Publikationsvorgängen einhergeht. Die Erfindung ist ein Realakt, sie begründet das Recht auf das Patent (§ 6 PatG).537 Dieses erlischt – sofern die Erfindung nicht zwischendurch öffentlich wird und das Recht bereits dadurch wegfällt – mit der Patenterteilung. Das Patent entsteht zwar bereits im Zeitpunkt des Wirksamwerdens, also der Zustellung des Erteilungsbeschlusses (§§ 49 Abs. 1; 47 Abs. 1 PatG).538 Die gesetz535
Siehe oben II. 1. Welchen Zwecken diente ein Publizitätsprinzip? Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht/Dessemontet, Band I/1 Grundlagen, 16; siehe dazu auch Lück, Recht im Register, 243 ff. 537 Engels, Patent-, Marken- und Urheberrecht, Teil 3, Kap. 2, Rn. 222 f. 538 BGHZ 6, 172 = GRUR 1952, 564 (566) – Wäschepresse; Benkard/Schäfers, PatG, § 49 Rn. 6; Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver, PatG, § 49 Rn. 18; § 30 Rn. 38; Engels, Patent-, Marken- und Urheberrecht, Teil 3, Kap. 2, Rn. 398 f. 536 Vgl.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
lichen Wirkungen des Patents, also insbesondere die Rechte aus §§ 9, 139 PatG,539 treten aber erst mit der Veröffentlichung der Erteilung im Patentblatt ein (§ 58 Abs. 1 PatG).540 Der Erteilungsbeschluss hat lediglich eine „Zäsurwirkung“, er legt den eigentlichen Schutzgegenstand des Patents fest.541 Das Patentregister (bis 2001: Patentrolle) hingegen hat für die Entstehung des Patents keine Bedeutung.542 Das Patentblatt ist ein reines „Veröffentlichungsorgan“, kein Register,543 entfaltet aber für einige Vorgänge eine ähnliche Bedeutung wie Register in anderen Immaterialgüterrechten. Neben besagtem Eintritt der gesetzlichen Wirkungen des Patents (§ 58 Abs. 1 PatG) ist es bedeutsam etwa auch für den Beginn des Laufs der Einspruchsfrist (§ 59 Abs. 1 PatG) oder die freie Akteneinsicht, die eines entsprechenden Hinweises im Patentblatt bedarf (§§ 31 Abs. 2, 32 Abs. 5 PatG).544 Das Patentregister hingegen beinhaltet im Wesentlichen „Meta-Informationen“ über das Patent. Es enthält Informationen wie die Anmelderdaten, den Anmeldeund Offenlegungstag, das Aktenzeichen, die Bezeichnung des Patents, ein Verzeichnis der veröffentlichten Dokumente oder den Status der Anmeldung. Es hat (nur) eine „Bekanntmachungs- und Legitimationsfunktion“,545 keine positive oder negative Publizitätswirkung. Daher bietet es zwar ein starkes Indiz, aber keine Gewähr für die materiellrechtliche Richtigkeit der Einträge;546 wohl aber hat es verfahrensrechtliche Legitimationswirkung.547 Hierdurch erhält das Register erhebliche rechtspraktische Bedeutung, insbesondere im Wege der alleinigen Klagelegitimation des formell Eingetragenen (§ 30 Abs. 3 PatG) für Nichtigkeits- und Zwangslizenzverfahren (§ 81 Abs. 1 S. 2 PatG) sowie für Verletzungsverfahren.548 Zudem erfolgen Zustellungen bzgl. des Patents an den im Patentregister Eingetragenen. Auch zur Lizenzbereitschaftserklärung ist nicht der materiell Berechtigte, sondern nach dem Anmelder nur der im Register eingetragene Patentinhaber legitimiert (§ 23 Abs. 1 PatG).549
539 Benkard/Schäfers,
540 Benkard/Schäfers,
PatG, § 58 Rn. 6. PatG, § 30 Rn. 8; Engels, Patent-, Marken- und Urheberrecht, Teil 3,
Kap. 2, Rn. 223, 238. 541 Engels, Patent-, Marken- und Urheberrecht, Teil 3, Kap. 2, Rn. 399. 542 Rauch, GRUR 2001, 588 (590); Benkard/Schäfers, PatG, § 30 Rn. 8. 543 Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 8 Rn. 5. 544 Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver, PatG, § 32 Rn. 55. 545 BGHZ 6, 172 = GRUR 1952, 564 (566) – Wäschepresse. 546 BGHZ 197, 196 = GRUR 2013, 713 Rn. 57 ff. – Fräsverfahren; dazu Kühnen, GRUR 2014, 137 (141); BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 12. 547 BGHZ 6, 172 = GRUR 1952, 564 (566) – Wäschepresse; vgl. BGHZ 197, 196 = GRUR 2013, 713 Rn. 53 – Fräsverfahren; Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver, PatG, § 30 Rn. 38 f.; Engels, Patent-, Marken- und Urheberrecht, Teil 3, Kap. 1 Rn. 86. 548 BGHZ 197, 196 = GRUR 2013, 713 LS 3, Rn. 52 – Fräsverfahren („Solange die Rechtsänderung nicht im Patentregister eingetragen wurde, ist allein der zuvor eingetragene Patentinhaber berechtigt, Ansprüche wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich geltend zu machen […].“); OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 20938 (der Registereintrag legitimiere „den eingetragenen Patentinhaber als den Berechtigten, und zwar auch für den Verletzungsprozess“). 549 Keukenschrijver/Busse/McGuire, PatG, § 23 Rn. 25.
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Des Weiteren veröffentlicht das DPMA im Zuge der Offenlegung der Anmeldung die Offenlegungsschrift mit der ursprünglichen Anmeldung (§ 32 Abs. 2 PatG). An ihre Stelle tritt parallel zur Veröffentlichung der Eintragung des Patents im Patentblatt die Patentschrift, die neben den Beschreibungen und Zeichnungen auch die Patentansprüche enthält (§ 32 Abs. 3 PatG, § 58 Abs. 1 PatG). Schließlich gibt das Institut der Akteneinsicht Dritten bereits vor Offenlegung die Möglichkeit, sich über die angemeldete Erfindung zu informieren, wofür es zum Ausgleich mit dem Geheimhaltungsinteresse des Anmelders der Darlegung eines besonderen Interesses bedarf (§ 31 Abs. 1 S. 1 PatG). Nach Offenlegung erhält jedermann auf Antrag Einsicht (§ 31 Abs. 1 S. 2 PatG).550 Auch im Gebrauchsmusterrecht beginnt die Rechtsentstehung mit einer Erfindung, die beim DPMA angemeldet wird. Hierfür bedarf es eines Antrags, der die Erfindung beschreibt, den Erfindungsgedanken offenbart und in dem die Schutzansprüche formuliert werden.551 Das Gebrauchsmusterrecht entsteht nicht durch einen Erteilungsbeschluss, sondern mit Eintragung des Gebrauchsmusters in das Register (§ 11 GebrMG), die Eintragung wirkt konstitutiv.552 Daher hat der Gebrauchsmusterregistereintrag deutlich größere Bedeutung als der Eintrag einer Patenterteilung in das Patentregister.553 Materielle Prüfungen der Schutzvoraussetzungen finden erst im Verletzungsprozess, im Löschungsverfahren (§§ 15 ff. GebrMG) oder auf Antrag (§ 7 GebrMG) bereits vor Eintragung des Musters statt. Außerhalb der Akteneinsicht findet vor Eintragung des Gebrauchsmusters keine Offenlegung statt, diese erfolgt erst mit der Gebrauchsmusterschrift. Die Regelung der Akteneinsicht (§ 8 Abs. 5 GebrMG) entspricht der im Patentrecht (siehe oben), allerdings wird im Gebrauchsmusterschutz das Geheimhaltungsinteresse des Anmelders bei nicht oder noch nicht eingetragenen Anmeldungen tendenziell höher gewichtet.554
b) Markenrecht Im Markenrecht gilt das Prinzip der Unterscheidung zwischen formalem und materiellem Markenrecht.555 Markenschutz nach § 4 Nr. 1 MarkenG, der praktisch dominanten Form der Schutzerlangung,556 entsteht mit der Eintragung (§ 41 MarkenG) der Marke. Die Konstitutivität der Eintragung wird explizit mit „der Publizitätsfunktion des Registers über die markenrechtlich erheblichen Tatsachen“
550
Rauch, GRUR 2001, 588 (590). Siehe nur Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 21 Rn. 2 ff. 552 Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver, PatG, § 11 GebrMG Rn. 2; Engels, Patent-, Marken- und Urheberrecht, Teil 3 Kap. 3 Rn. 19 f. 553 Benkard/Goebel/Hall/Nobbe, PatG, § 8 GebrMG Rn. 17. 554 Vgl. BPatG Bl. 2015, 22 (23); Benkard/Goebel/Hall/Nobbe, PatG, § 8 GebrMG Rn. 25; Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver, PatG, § 8 GebrMG Rn. 26. 555 Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 14. 556 Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 55 Rn. 1. 551
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begründet.557 Die Publizität geht dabei vom Register und nicht dem Markenblatt aus, in dem die Eintragung veröffentlicht wird (s. § 41 S. 2 MarkenG).558 Zugleich müssen die materiellrechtlichen Schutzvoraussetzungen vorliegen,559 für deren Bestand mit Eintragung der Marke explizit keine Sicherheit gewährleistet wird. Dies geht unmittelbar aus §§ 50, 54 MarkenG hervor, die – zum Schutze der „Allgemeinheit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen“ – keinen Vertrauensschutz für den einzelnen Markeninhaber im Löschungsverfahren gewähren.560 Der Registereintrag schafft (konstitutiv) nur eine formelle Rechtsposition („formelle Markenregisterrechtslage“), die von Beginn an unabhängig von der „materiellen Markeninhaberschaft“ ist.561 Daher können schon im Zeitpunkt der Rechtsentstehung formelle und materielle Schutzposition privatautonom getrennt werden.562 Der Eintrag liefert also keinen Rechtsscheinstatbestand für einen gutgläubigen Erwerb des Markenrechts.563 Soweit es um die Übertragung des Markenrechts geht (§ 27 MarkenG), liegt dies zum einen daran, dass die formelle und materielle Ebene nicht nur prinzipiell, sondern auch in der Praxis regelmäßig zeitlich auseinanderfallen, zum anderen daran, dass das DPMA keine Garantie für die Wirksamkeit des Übertragungsvorgangs übernimmt.564 Dies entspricht der eben dargelegten Argumentation, dass das DPMA auch nicht für das Vorliegen der materiellrechtlichen Schutzvoraussetzungen garantiert. § 28 Abs. 1 MarkenG vermutet – anders als § 30 Abs. 3 PatG565 – widerleglich die materielle Rechtsinhaberschaft des Eingetragenen.566 Vom Ergebnis her gleicht dies aber der Rechtslage im Patentrecht, wo der Registereintrag zur formellen Legitimation führt. Denn auch der im Markenregister Eingetragene ist für Verletzungsund Registerverfahren zunächst ungeachtet der tatsächlichen Rechtslage aktiv- wie passivlegitimiert (siehe auch § 55 Abs. 1 MarkenG), wobei § 28 Abs. 2 MarkenG Ergänzungen für Registerverfahren enthält.567 Da § 28 Abs. 1 MarkenG widerleglich ist, führt eine Erschütterung der Vermutung durch die Gegenseite dazu, dass der Eingetragene seine Stellung nachweisen muss.568 557 BGH GRUR 2005, 1044 (1046) – Dentale Abformmasse; Fezer, MarkenG, § 4 Rn. 15 f.; § 41 Rn. 14; siehe auch BeckOK MarkenR/Kopacek, § 50 Rn. 2. 558 Vgl. Fezer, MarkenG, § 41 Rn. 8. 559 Fezer, MarkenG, § 4 Rn. 16. 560 BPatG GRUR 2010, 1017 (1019) – Bonbonform (Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes dürften „überhaupt keine Rolle spielen“); BeckOK MarkenG/Kopacek, § 50 Rn. 6.4. 561 Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 16 f. 562 Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 17. 563 Fezer, MarkenG, § 41 Rn. 4; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 28 Rn. 3; Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker, MarkenG, § 27 Rn. 19. 564 Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker, MarkenG, § 27 Rn. 19. 565 BGHZ 197, 196 = GRUR 2013, 713 Rn. 57 – Fräsverfahren; siehe auch oben a) Patentrecht. 566 BGH GRUR 1998, 699 (701) – SAM („Vermutungsregelung dahingehend, daß im Regelfall im gerichtlichen Verfahren zum Nachweis der materiellen Berechtigung die Vorlage der Registereintragung ausreicht“); GRUR 2002, 190 (191) – DIE PROFIS; Fezer, MarkenG, § 28 Rn. 8. 567 Fezer, MarkenG, § 28 Rn. 17. 568 BGH GRUR 2002, 190 (191) – DIE PROFIS; GRUR 1998, 699 (701) – SAM; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 28 Rn. 11.
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit479
Eine markenrechtliche Besonderheit bilden Benutzungs- und Notorietätsmarken. Bei ihnen ist die Publizität sogar der tiefere Grund des Schutzes, sie genießen Markenschutz nicht nur wenn, sondern weil sie Verkehrsgeltung haben bzw. notorisch bekannt sind. Die Publizität verbindet die oben angesprochene Natur von Marken als mit produkt-/unternehmensbezogener Bedeutung aufgeladener Zeichen569 mit dem Grund ihres Schutzes. Nicht eingetragene Marken erlangen Schutz, weil der Verkehr den betreffenden Zeichen bereits eine spezifische, markenartige Bedeutung beimisst. Bei eingetragenen Marken hingegen dient die Eintragung unter anderem als Hilfsmittel, damit der Verkehr das Zeichen den gewünschten Produkten und dem Berechtigten eines Tages markenartig zuordnet. Der Schutz durch das MarkenG beruht in beiden Fällen darauf, dass sie gesetzlich jeweils als Wege der Schutzrechtserlangung anerkannt sind. Auch für die Löschung einer eingetragenen Marke (§ 4 Nr. 1 MarkenG) ist die Registeränderung konstitutiv. Im Falle des Verzichts geht die materiellrechtliche Wirkung zwar von der Verzichtserklärung aus, wie im Falle der Nichtigkeit wegen absoluter Schutzhindernisse entfällt die Wirkung der Eintragung aber erst mit Änderung des Registers.570 Das Markenregister hat ferner erhebliche Bedeutung für die Feststellung des Schutzumfangs von Marken. Das sog. „positive Benutzungsrecht“ erfasst bei eingetragenen Marken nämlich nur die eingetragenen Waren und Dienstleistungen, während das „negative Verbietungsrecht“ hierüber hinaus reicht; gleichwohl bildet der Registereintrag auch für das negative Verbietungsrecht den Ausgangspunkt zur Schutzbereichsabgrenzung.571
c) Urheberrecht Im Urheberrecht spielt die Publizität bei der Schutzerlangung nur in Form der erstmaligen Wahrnehmbarmachung eine Rolle. Es bedarf keiner Registrierung des Werkes. Der Urheber muss das Werk vielmehr (in einem Realakt) „in seiner konkreten Gestalt der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich“ machen.572 Mit dieser Voraussetzung bewältigt das Urheberrecht teilweise dieselbe Aufgabe wie die Registerrechte: Es soll erkennbar sein, an welchem Immaterialgut Schutzrechte bestehen. Die Erkennbarkeit funktioniert im Urheberrecht aber nicht über öffentlich einsehbare Publizitätsinstrumente wie Register oder amtliche Veröffentlichungen, 569
Siehe oben § 5 D. III. 4. Idealgut und Information im Marken- und sonstigen Zeichenrecht. BeckOK MarkenR/Kopacek, § 48 Rn. 3.2 (die Verzichtserklärung habe einen „Doppelcharakter“, „Verfahrenshandlung mit Antragscharakter“ einerseits, „materielle Bewirkungshandlung“ andererseits); ebd., § 50 Rn. 2 (Nichtigkeit bedeute nur Löschungsreife, die Wirkung der Eintragung entfalle erst mit der eigentlichen Löschung); Fezer, MarkenG, § 50 Rn. 1; § 48 Rn. 2 („Der Löschung der Marke kommt konstitutive Wirkung für den Untergang des Ausschließlichkeitsrechts an der Marke zu“), § 4 Rn. 16. 571 BeckOK MarkenG/Taxhet, § 28 Rn. 3; Fezer, MarkenG, § 4 Rn. 17; § 14 Rn. 650, 675. 572 BGHZ 94, 276 = GRUR 1985, 1041 (1046) – Inkasso Programm; siehe auch BGH GRUR 1952, 497 (498) – Gaunerroman; BGHZ 37, 1 = GRUR 1962, 470 (472) – AKI; Schricker/Loewenheim/Loewenheim/Leistner, UrhG, § 2 Rn. 47 ff. 570
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
sondern über die sinnliche Wahrnehmbarmachung des konkreten Werkstücks, was i. d. R. zunächst nur einem kleinen Personenkreis zugänglich ist. Entsprechend beschränkt ist aber auch der Verletzerkreis (dazu sogleich). Dadurch, dass der Schutz ex lege mit Vollendung des schöpferischen Realakts entsteht, werden alle urheberrechtsschutzfähigen Werke ab ihrer erstmaligen Wahrnehmbarmachung geschützt.573 Auf die Art kann der Verkehr sicher sein, dass zumindest alle aktuelleren, wahrnehmbaren Werke (z. B. Bilder, Texte oder Videos im Internet) geschützt sind. Dadurch, dass jedes Werk geschützt ist und jeder, der mit einem Werkstück in Kontakt kommt, dies weiß, bedarf es keiner zusätzlichen Publizität. Die Ermittlung des konkreten Urhebers mag schwierig sein, gewiss ist aber, dass es einen Urheber gibt. Es wäre nicht prinzipiell undenkbar, das Urheberrecht teilweise bzw. abgestuft als Registerrecht auszugestalten, z. B. können schon de lege lata bestimmte Kompensationsansprüche aus Schranken nur über Wahrnehmungsgesellschaften geltend gemacht werden (s. etwa §§ 20b, 27 Abs. 3, 49 Abs. 1 UrhG), bei denen es einer Registrierung der Werke bedarf. Der Grund dafür, die Entstehung von Urheberrechtsschutz nicht der Umsicht des jeweiligen Urhebers zu überlassen, liegt im Zweck des UrhG begründet, das die Person des Urhebers und nicht sein Werk in den Vordergrund stellt.574 Es wäre aus diesem Blickwinkel eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, Urhebern ein Urheberrecht zu verweigern oder nur unter erschwerten Bedingungen zuzugestehen. Eine Hilfestellung bei der Ermittlung des Urhebers bietet § 10 UrhG. Dieser vermutet widerleglich die Urheberschaft i. S. d. tatsächlichen Werkschöpfung (also nicht bloß formell)575 aufgrund der Urhebernennung (Abs. 1) und gegebenenfalls der Herausgebernennung576 (Abs. 2) auf körperlichen577 Vervielfältigungsstücken. Im einstweiligen Rechtsschutz gilt dies entsprechend für Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte (Abs. 3). Die Vorschrift hat im Sachenrecht am ehesten Verwandtschaft zu § 1006 BGB578 und im Markenrecht zu § 28 Abs. 1 MarkenG. Ferner ermöglicht das Register anonymer und pseudonymer Werke (§ 138 UrhG) die Meldung von Urheberschaften an solchen Werken, mithin die Aufdeckung der Identität von Urhebern. Daran ist eine gewisse Rechtswirkung von Publizität geknüpft, insofern für dort gemeldete Urheberschaften anstelle der verkürzten Schutzfrist nach § 66 Abs. 1 UrhG die gewöhnliche Schutzfrist der §§ 64 f. UrhG gilt (§ 66 Abs. 2 UrhG).579 573
Siehe die Nachweise in Fn. 572. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 8; Schricker/Loewenheim/Loewenheim/Leistner, UrhG, § 2 Rn. 2. 575 Wandtke/Bullinger/Thum, UrhG, § 10 Rn. 1, 87. 576 Diese vermutet die „Ermächtigung, die Rechte des Urhebers geltend zu machen“, der Berechtigte handelt in Prozessstandschaft, Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 10 Rn. 28; BeckOK UrhG/Ahlberg, § 10 Rn. 47. 577 BT-Drucks IV/270, 42 (bei unkörperlichen Wiedergaben sei die Möglichkeit nicht auszuschließen, „daß ein unrichtiger Urheber genannt wird“); BeckOK UrhG/Ahlberg, § 10 Rn. 3. 578 Siehe dazu oben § 10 B. VI. 2. f) Gutglaubensschutz. 579 Dazu auch Jänich, Geistiges Eigentum, 203 f. 574
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit481
2. Rechtsübertragung, Rechtsbelastung und Lizenzvergabe Neben der Rechtsentstehung sind die Übertragung des Vollrechts, sowie seine Belastung mit beschränkten dinglichen Rechten des BGB und die Vergabe von Lizenzen in den Blick zu nehmen.
a) Patentrecht Die Vollübertragung eines Patents bedarf keiner Registeränderung, der materiellrechtliche Wechsel in der Rechtsinhaberschaft ist davon unabhängig und kann in einem Akt mit dem Verpflichtungsgeschäft erfolgen.580 Bedeutung hat der Registereintrag aber als starkes Indiz bei der Feststellung des materiell Berechtigten581 und für die Geltendmachung registerrechtlicher und einiger gerichtlicher Ansprüche.582 Für das Verletzungsverfahren und die Weiterübertragung kommt es allein auf die materielle Berechtigung an; das Register gewährt keinen Gutglaubensschutz.583 Im Patentrecht besteht zwar ein erhöhtes Interesse, das Register aktuell zu halten,584 Änderungen sind aber nur deklaratorisch (§ 30 Abs. 3 PatG).585 Parallelregelungen finden sich in § 8 Abs. 4 GebrMG, woran § 4 Abs. 2 HalblSchG anknüpft. Patente können mit beschränkten dinglichen Rechten belastet werden, namentlich mit Nießbrauch (§ 1068 ff. BGB) und Pfandrecht (§§ 1273 ff. BGB).586 Die Eintragung dinglicher Belastungen wie auch die von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung oder Insolvenzverfahren ist im PatG nicht vorgesehen, die Möglichkeit besteht aber wohl über § 30 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 29 f. DPMAV.587 Teilbar ist nur die Anmeldung eines Patents, nicht das eingetragene Patent.588 Wohl aber können ausgesuchte Rechte aus einem Patent übertragen werden („Teilübertragung“/ „Teilung durch beschränkte Übertragung“), indem der Inhaber in der Verfügung bestimmt, „welche Rechte aus dem Patent er behält und welche er überträgt“.589 Auf Antrag wird die Erteilung einer ausschließlichen Lizenz590 in das Patentregister eingetragen, wobei der Name des Lizenznehmers nicht aufgenommen wird (§ 30 Abs. 4 PatG).591 Dies dient in erster Linie der Absicherung gegen Lizenz580
BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 11. BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 12. 582 Siehe zur genauen Legitimationswirkung BeckOK PatG/Otten-Dünnweber, § 30 Rn. 13 f. 583 BeckOK PatG/Otten-Dünnweber, § 30 Rn. 14; Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 4. 584 BeckOK PatG/Otten-Dünnweber, § 30 Rn. 34. 585 BeckOK PatG/Otten-Dünnweber, § 30 Rn. 12. 586 Keukenschrijver/Busse/McGuire, PatG, § 15 Rn. 100 f.; zum Nießbrauch siehe insbesondere Hauck, Nießbrauch an Rechten, 296 ff. 587 BeckOK PatG/Otten-Dünnweber, § 30 Rn. 7 (es fehle dann aber an den „gesetzlichen Wirkungen des Registereintrags“), 24; Lück, Recht im Register, 47 f. (dort Fn. 166). 588 Dazu Enchelmaier, Übertragung und Belastung unkörperlicher Gegenstände, 50 f. 589 Enchelmaier, Übertragung und Belastung unkörperlicher Gegenstände, 51. 590 Im europäischen Patentregister können auch einfache Lizenzen eingetragen werden, Regel 23 AO EPÜ. 591 Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver, PatG, § 30 Rn. 93, 96. 581
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
bereitschaftserklärungen gem. § 23 Abs. 1 PatG, die durch die Erteilung einer ausschließlichen Lizenz ausgeschlossen sind (§ 23 Abs. 2 PatG).592
b) Markenrecht Auch im Markenrecht ist die Übertragung einer eingetragenen Marke ohne Registeränderung wirksam, der Registereintrag kann von der materiellen Rechtslage verschieden sein, er wird nur auf Antrag angepasst (§ 27 Abs. 3 MarkenG);593 ähnlich verhält es sich im Designrecht (§ 29 Abs. 3 DesignG).594 Die Geltendmachung markenrechtlicher Ansprüche ist im Verletzungsverfahren nicht an die formelle Rechtslage gebunden,595 im Registerverfahren sehr wohl.596 § 29 MarkenG gestattet es, sämtliche Marken i. S. d. § 4 MarkenG zum Gegenstand dinglicher Rechte (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 MarkenG), von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG) und zum Gegenstand eines Insolvenzverfahrens (§ 29 Abs. 3 MarkenG) zu machen. Bei eingetragenen Marken können diese Umstände im Markenregister eingetragen werden (§ 29 Abs. 2, 3 MarkenG; § 25 Nr. 34, 35 MarkenVO). Die Möglichkeit der Eintragung dinglicher Belastungen besteht in ähnlicher Form auch im Designrecht (§ 30 Abs. 2 DesignG). Bis vor wenigen Jahren konnte die Einräumung von Lizenzen – anders als im Patentrecht (§ 30 Abs. 4 PatG) – nicht im deutschen Register eingetragen werden,597 was eine europaweite Besonderheit darstellte.598 Dies wurde teilweise mit dem Argument kritisiert, dass die Löschung einer eingetragenen Marke von der Zustimmung eingetragener berechtigter Dritter abhing (§ 48 Abs. 2 MarkenG), während Inhaber ausschließlicher und häufig kostspieliger Lizenzen keine formale Sperrstellung bei der Löschung der Marke hatten.599 Es ging hier also weniger um Publizität zur Bekanntmachung fremder Rechtspositionen als um ein Vetorecht, das auch auf anderem Wege denkbar wäre. In Umsetzung von Art. 25 Abs. 5 MarkenRL 2015 enthält § 30 Abs. 6 MarkenG eine Eintragungsmöglichkeit für Lizenzen;600 ferner wird – zur Umsetzung von Art. 25 Abs. 3 MarkenRL 2015 – die Klagebefugnis des ausschließlichen Lizenznehmers gestärkt (§ 30 Abs. 3 S. 2 MarkenG).601
592 Keukenschrijver/Busse/Keukenschrijver,
PatG, § 30 Rn. 92. Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 41. 594 Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, DesignG, § 29 Rn. 18. 595 Zum Verletzungsverfahren siehe BT-Drucks 12/6581, 85; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 28 Rn. 10. 596 Vgl. BGH GRUR 2017, 186 Rn. 10 – Stadtwerke Bremen; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 28 Rn. 17 ff. 597 Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 20. 598 Stumpf, MarkenR 2005, 425. 599 Fezer, MarkenG, § 48 Rn. 14. 600 BGBl. 2018 I 2357 v. 11.12.2018; BT-Drucks. 19/2898, 12. 601 BT-Drucks. 19/2898, 72; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 30 Rn. 1, 172 ff. 593
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit483
c) Urheberrecht Das Urheberrecht kennt lediglich das schon angesprochene Register anonymer und pseudonymer Werke, das für das Entstehen und den Bestand von Urheberrechten bekannter Urheber keine Bedeutung hat. Entsprechend hat es auch keine Bedeutung für die Publizität der Rechtsübertragung, die im Urheberrecht (unter Lebenden) auf Lizenzierungen beschränkt ist (§§ 29, 31 ff. UrhG). Diese wird auch nicht auf anderem Wege publik gemacht.
3. Anerkennung der Leistung Eine etwas andere Form des Publizitätsprinzips findet sich im Immaterialgüterrecht im Hinblick auf die öffentliche Anerkennung geistiger Leistungen. Sie beantwortet die Frage: Von wem stammt diese Leistung? Der Schöpfer findet auf diesem Weg öffentliche Anerkennung. Dies ist ein eigenständiger und wichtiger Zweck von Publizität im Immaterialgüterrecht. Das Patentrecht verpflichtet zur Nennung des Erfinders in der Anmeldung (§ 37 Abs. 1 PatG), der Offenlegungsschrift, der Patentschrift und in der Veröffentlichung der Erteilung des Patents im Patentblatt (§ 63 Abs. 1 PatG), worauf der Erfinder einen eigenständigen Anspruch hat (§ 63 Abs. 2 PatG). Im Urheberrecht ist das Persönlichkeitsrecht des Schaffenden besonders dominant, vorliegend ist besonders auf das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft (§ 13 UrhG) zu verweisen. Eine gewisse Besonderheit in Fragen der Publizität weisen insofern §§ 9, 10 DesignG auf. Das Designrecht beruht einerseits auf einem dem Urheberrecht verwandten Schöpferprinzip602 .603 Andererseits gilt der den technischen Schutzrechten entlehnte Neuheitsgrundsatz, der auch bei unabhängigen Parallelschöpfungen nach dem Prioritätsprinzip nur eine der Anmeldungen realisiert.604 § 9 DesignG gesteht dem Entwerfer einen Anspruch auf Korrektur (in Form einer Übertragung oder Löschung) des Registereintrags zu, wenn dort ein anderer als der nach § 7 DesignG materiell Berechtigte eingetragen ist. Zudem hat der Entwerfer ein Recht auf Benennung im Register (§ 10 DesignG). Dies sind Zugeständnisse an das Persönlichkeitsrecht des Entwerfers, der sich allerdings – anders als im Urheberrecht – materiell wie formell seiner Rechtsposition vollständig begeben kann (§ 29 Abs. 1, 3 DesignG).605 Im Markenrecht ist die im Zentrum des Schutzes stehende Leistung i. d. R. eine unternehmerische Leistung, für deren öffentliche Würdigung ein Kennzeichenrecht auch nur bedingt geeignet wäre. Kennzeichen erfüllen obendrein gänzlich andere Funktionen als Erfindungen oder urheberrechtliche Werke; nicht das Zeichen 602 Schweizerisches
150.
603
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht/Wang, Bd. VI Designrecht,
Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Kühne/Meiser, DesignG, § 10 Rn. 1 f. Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, DesignG, § 7 Rn. 12. 605 Vgl. Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Kühne/Meiser, DesignG, § 29 Rn. 20. 604
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
ist das Produkt einer Leistung, sondern seine Verbindung mit einer bestimmten produkt-/unternehmensbezogenen Bedeutung im geschäftlichen Verkehr. Insgesamt hat der persönlichkeitsrechtliche Gedanke der öffentlichen Anerkennung menschlicher Leistungen große Bedeutung für das Patent-, Urheber- und Designrecht. Im Markenrecht passt er aufgrund der Natur des Schutzguts nicht.
4. Offenbarung der Informationen Der dominante Zweck von Publizität liegt im Immaterialgüterrecht in der geschützten Preisgabe der Immaterialgüter in Form von Informationen. Diese Form der Publizität beantwortet die Frage: Worin besteht die besondere Leistung? Die Öffentlichkeit erhält so Zugang zu neuen Informationsgütern. Einen besonderen Stellenwert hat diese Form von Publizität in den befristeten, auf Neuheit gerichteten technischen Schutzrechten (namentlich PatR, GebrMR, HalblSchR, SortenSchR), bei denen – ganz gemäß der Anreiztheorie bzw. der Offenbarungs-/Vertragstheorie – im Gegenzug für den Schutz eine Offenbarung der vorübergehend monopolisierten Informationen stattfindet. Götting verweist hier treffend auf Art. 7 TRIPS 606 .607 Publizität im Patentrecht erfüllt insofern in zweierlei Hinsicht eine „Informationsfunktion“: „a) Unterrichtung eines (berechtigten) Dritten (aktueller oder potentieller Lizenznehmer), der an der gewerblichen Benutzung der Erfindung, z. B. der Herstellung des patentierten Produkts, interessiert ist, und b) Information der Allgemeinheit (d. h. in der Regel der interessierten Branche) über den auf dem jeweiligen Fachgebiet erreichten Stand der Technik.“608
Hierbei fallen Theorie und Praxis freilich auseinander. Die schiere Masse und Komplexität laufender und bereits gemeinfreier Patente bereiten auch professionellen Rechercheuren erhebliche Schwierigkeiten bei der Information über den „papierenen“ Stand der Technik.609 Auf diesem Problem der Überkomplexität (als Ursache der oben610 angesprochenen Nichterkennbarkeit von Rechtsverletzungen) basiert zum Teil auch das Geschäft von „Patenttrollen“. Zurückgeführt auf die Registerfunktionen leidet mit wachsender Informationsmenge die Rechtssicherheit – sie besteht nur theoretisch, nicht praktisch. Im Urheberrecht ist die Offenbarungsfunktion nicht ganz so ausgeprägt, aber ebenfalls vorhanden. Urheberrechtsschutz eröffnet dem Urheber die Möglichkeit, mit seinem Werk an die Öffentlichkeit zu treten – die er aus verschiedenen Gründen 606 Gem. Art. 7 TRIPS sollen Rechte an geistigem Eigentum „zur Förderung der technischen Innovation sowie zur Weitergabe und Verbreitung von Technologie beitragen“ sowie „dem beiderseitigen Vorteil der Erzeuger und Nutzer technischen Wissens dienen“. 607 Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 5 Rn. 20. 608 Scheffler, GRUR 1989, 798. 609 Scheffler, GRUR 1989, 798 (800 f.). 610 Siehe oben II. 1. Welchen Zwecken diente ein Publizitätsprinzip?
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit485
sucht – ohne die Kontrolle darüber zu verlieren. Im Kennzeichenrecht hingegen spielt die Offenbarungsfunktion keine Rolle. Die Offenbarungsfunktion weist indes nur vage Verwandtschaft mit sachenrechtlichen Publizitätsgrundsätzen auf. Letztere bezwecken zuvorderst die Kundbarmachung rechtlicher Tatsachen. Die Offenbarung vormals unbekannter Informationen hingegen hat wirtschaftliche, künstlerische oder gesellschaftliche Relevanz. Die inhaltliche Kundbarmachung von Informationsgütern hat nur insofern unmittelbar rechtliche Bewandtnis, als potentielle Verletzer auf diese Weise erfahren, welche Güter für wen geschützt sind. Insofern besteht noch eine gewisse Vergleichbarkeit mit dem Grundbuch, das kundtut, an welchem Grundstück welche Rechte bestehen. Diesen Aspekt der Publizität meint Berger auch mit seinem Hinweis auf die Körperlichkeit von Sachen als rechtssichere Schutzbereichsmarkierung.611 Mit Offenbarung ist aber im Kern etwas anderes gemeint, nämlich der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationsgütern, die ohne die rechtliche Infrastruktur nicht (zumindest nicht in diesem Organisations- und Transparenzgrad) publik geworden wären. Hierzu gibt es im Sachenrecht keine Parallele. Als generelles Merkmal bzw. Prinzip der Dinglichkeit kommt dieser Aspekt der Publizität nicht in Betracht. Es handelt sich bei der Offenbarung vielmehr um ein im Immaterialgüterrecht verbreitetes Prinzip, das gewöhnlich i. R. d. Anreiztheorie bzw. der Rechtfertigung von Immaterialgüterrechten612 erörtert wird, aber eben auch eine Form von Publizität darstellt. Für die Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte ist das Offenbarungsprinzip wichtig, da es eine unmittelbare Verbindung zu einem der wichtigsten Gründe darstellt, aus denen die Rechtsordnung für die Verwertung bestimmter geistiger Leistungen Monopole gewährt. Dieser Aspekt wird gewöhnlich von der ökonomischen Analyse beschrieben,613 schlägt aber auf die Rechtstruktur durch. Dass das Informationsgut offenbart werden muss, ist kein grundsätzlich anderes Prinzip als die Offenbarung rechtlicher Tatsachen und Vorgänge.
5. Folgerungen Wie oben ausgeführt wurde, steht das Immaterialgüterrecht bei Idealgütern vor der Herausforderung, dass der eigentliche Schutzgegenstand „geistiger“ Natur ist und nur durch informationelle Repräsentationen wiedergegeben werden kann.614 Diese Aufgabe der informationellen Abbildung des eigentlichen Schutzguts über611 Berger, ZGE/IPJ 9 (2017), 340 (348 f.), siehe oben II. 1. Welchen Zwecken diente ein Publizitätsprinzip? 612 Machlup/Penrose, The Journal of Economic History 10 (1959), 1 (10 f.); Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 5 Rn. 20; Haedicke, Patentrecht, § 1 Rn. 14; siehe auch oben § 6 C. II. 1. Die Rolle menschlicher Erfinder und Nutzer im Patentrecht. 613 Besen/Raskind, The Journal of Economic Perspectives Vol. 5 (1991), 3 (5 ff.); Machlup, An Economic Review of the Patent System, 21 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, 403 ff. 614 Zur Ontologie immaterieller Güter, siehe oben § 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter).
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
nehmen die Publizitätseinrichtungen, vornehmlich also Register und andere amtliche Veröffentlichungen. Das Urheberrecht steht vor demselben Problem, wählt aber aus Gründen des Urheberpersönlichkeitsrechts eine andere Lösung. Im Sacheigentum entfällt diese Aufgabe naturgemäß. Die Schutzentstehung im Patentrecht wird von zahlreichen Publizitätspflichten begleitet. Deren Zweck unterscheidet sich grundlegend von dem der Publizität im Sachenrecht. Anders als beim Sacheigentum, wo die Zuordnung von Eigentum im Vordergrund steht, informiert die Publizität hier darüber, dass überhaupt ein geschütztes immaterielles Lebensgut vorliegt. Dass eine (körperliche) Sache ein Rechtsgegenstand ist, ist hingegen offensichtlich. Beim Sacheigentum kennt die Rechtsentstehung zudem (vom Anwartschaftsrecht abgesehen) keine Abstufungen, entweder es entsteht Sacheigentum oder nicht. Der Umfang der geschützten Sache bereitet nur selten Probleme, die vornehmlich über die Bestandteilsregelungen bewältigt werden. Im Patenrecht hingegen sind die möglichen Patentansprüche breit gefächert; ein und dieselbe Erfindung kann in stark verschiedener Weise geschützt werden. Dieses Erfordernis der individuellen Bestimmung der Schutzansprüche dient der Gemeinfreiheit, die nicht über Gebühr beschränkt werden soll. Entsprechend bedarf es eines komplexen Systems der Publizität, das nicht nur die genauen Schutzgegenstände und -ansprüche, sondern auch den Verfahrensstand und konkurrierende Anmeldungen abbildet. Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit i. V. m. der Möglichkeit einer nachträglichen Nichtigkeitserklärung trifft auch das DPMA, was der Grund dafür sein dürfte, dass weder Patent- noch Markenregister Richtigkeitsgewähr bieten. Sie fungieren als Publikationsinstrumente, die nur teilweise die klassischen Registerfunktionen bedienen.
IV. Zusammenfassung und Folgerungen Das Grundbuch erfüllt klassische Registerfunktionen, also Verkehrsschutz durch Rechtssicherheit und Schutz des öffentlichen Vertrauens in das Register. Darüber hinaus eröffnet es Kontrollmöglichkeiten für den Staat. Es fungiert als Rechtsscheinträger, an den Vertrauen anknüpft, das rechtlich geschützt wird und durch Registeränderung unmittelbar gesteuert werden kann. Zudem gibt es dem Verkehr die Möglichkeit, sich schnell und mit einer gewissen Garantie (in Form des Gutglaubensschutzes) Klarheit über die Rechtslage zu verschaffen. Publizität steht dabei in Wechselwirkung mit den Funktionen des Registers; insbesondere, wenn das Register Gutglaubensschutz in seine Richtigkeit gewährt, bietet sich konstitutive Publizität an.615 Im Immobiliarsachenrecht wird das Publizitätsprinzip weitgehend durchgehalten, im Mobiliarsachenrecht hingegen gibt es kein generelles Publizitätsprinzip. Entsprechend zweifelhaft ist die Annahme eines Publizitätsprinzips für das gesamte Sachenrecht. Der Grund für den Unterschied dürfte zum einen im besonderen 615
Siehe oben I. Publizität als Prinzip.
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit487
Verkehrsinteresse angesichts des hohen Wertes sowie der Dauerhaftigkeit von Liegenschaften und zum anderen im staatlichen Interesse an der Transparenz der Immobiliareigentumsverhältnisse liegen.616 Ferner wurde auf Basis des Typenzwangs und des Traditionsprinzips die Vermutung eines übergreifenden „Prinzips der Einheitlichkeit des Sacheigentums“ aufgestellt, demzufolge Eigentum und Besitz an Sachen soweit wie möglich vereint und ungeteilt bleiben sollen.617 Anders als das Grundbuch wirken immaterialgüterrechtliche Register nur bzgl. der Rechtsentstehung bedingt konstitutiv, d. h. die betreffenden Stammrechte entstehen zwar durch die Registerpublizität (Veröffentlichung im Patentblatt, Eintragung ins Markenregister), allerdings mit nur schwacher Bindung zur materiellen Berechtigung. Die Publizitätsinstrumente zeigen lediglich an, dass das Recht existiert, ohne eine Gewähr für die materielle Berechtigung des eingetragenen Inhabers zu geben und ohne Schutz des Vertrauens Dritter in das Register.618 Damit brechen sie mit der teilweise für denknotwendig gehaltenen Verbindung zwischen Konstitutivität des Eintrags für die Rechtsentstehung und seiner Funktion als Vertrauensgrundlage für Dritte: Z. B. führt Eichler für das Sachenrecht aus, die Verlässlichkeit der Eintragung verlange „den Schutz des Dritterwerbers. Denn wenn die Eintragung einerseits rechtsbegründend wirkt, kann ihr andererseits nicht die absolute Zuverlässigkeit abgesprochen werden, muß sie also im Verhältnis zu Dritten den Charakter einer Vertrauensgrundlage rechtfertigen.“619
Was den Rechtsinhaber angeht, informieren die Immaterialgüterrechtsregister bzw. Publizitätsinstrumente also nur vorläufig und (überspitzt gesagt) unverbindlich. Sie binden aber prozessuale Wirkungen an die Eintragung, zudem ist im Markenrecht an die Eintragung eine widerlegliche Vermutung der materiellen Berechtigung und im Patentrecht immerhin eine starke Indizwirkung gebunden.620 Sie wirken daher bedingt konstitutiv und stark deklaratorisch. Der eigentliche Zweck der Immaterialgüterrechtsregister liegt in der Information darüber, dass es das betreffende Recht gibt, welchen Umfang es hat und an wen sich Betroffene hinsichtlich des Rechts vorläufig wenden können. Übergeordnet sind diese Zwecke mit dem Bestimmtheitsgebot verbunden: Die Publizität dient der genauen Abgrenzung von Rechten über die verfügt werden kann. Auch das Grundbuch erfüllt den Zweck, „die Objekte des Liegenschaftsrechts ersichtlich zu machen“, wobei sich die Verbindung zum Bestimmtheitsprinzip besonders deutlich zeigt.621 616
Siehe oben II. 2. Gibt es ein Publizitätsprinzip im Sachenrecht? Siehe oben II. 3. Exkurs: Prinzip der Einheitlichkeit des Sacheigentums? 618 Siehe oben III. 1. Rechtsentstehung. 619 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 2/2, 370. 620 Siehe oben III. 1. Rechtsentstehung. 621 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 119 (306 ff.) („Die sachenrechtliche Bedeutung der buchmäßigen Individualisierung der Grundstücke liegt darin, daß die gebuchten Grundstückseinheiten und nur sie den bestimmungsmäßigen Gegenstand der im Grundbuch erscheinenden Rechte bilden.“). 617
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Die Kennzeichnung der Rechtsinhaberschaft im Register erfasst neben der Anmeldung eines Rechts auch seine Übertragung auf einen neuen Inhaber. Dessen Eintragung ist allerdings nicht konstitutiv für die materielle Berechtigung, die Eintragung des Inhaberwechsels erfolgt nur auf Antrag. Die Einräumung von Lizenzen kann in Patent- und Markenrecht im Register kundbar gemacht werden, anders verhält es sich im Design- und Gebrauchsmusterrecht.622 Für das Marken- und Designrecht kann die Belastung mit dinglichen Rechten auf Antrag der Beteiligten im Register eingetragen werden,623 für Patent- und Gebrauchsmusterrecht ist dies lediglich über § 29 DPMAV möglich.624 – Insgesamt muss längst nicht jedes dingliche Recht publik gemacht werden. Einen Sonderfall innerhalb des Immaterialgüterrechts bildet das Urheberrecht, das ex lege bei Schöpfung eines urheberrechtlichen Werkes entsteht.625 Es stellt für die Schutzentstehung lediglich auf die Wahrnehmbarkeit der Erstschöpfung durch die menschlichen Sinne ab und knüpft an Urheberbezeichnungen auf körperlichen Werkstücken eine Vermutung, die eine gewisse Verwandtschaft zu § 1006 BGB und zu § 28 MarkenG hat.626 Das Ausmaß seiner Publizität gleicht damit in manchen Fällen der des Mobiliareigentums, geht häufig aber weit darüber hinaus, da Werke durch Vervielfältigungsstücke (besagte informationelle Repräsentationen) eine weit größere Publizität als die meisten anderen Immaterialgüter erlangen können (man denke etwa an bekannte Pop-Songs oder Filme). Schutzvoraussetzung ist bei Urheberrecht und Mobiliareigentum eine ähnlich minimale Publizität – der Urheber, der ein Gedicht auf einen Zettel schreibt und diesen auf seinen Schreibtisch legt, handelt nicht publiker als derjenige, der dasselbe mit einer am Strand aufgelesenen Muschel tut (§ 958 BGB). Jeweils genügt die theoretische Wahrnehmbarkeit des Vorgangs. In Abgrenzung zum Sachenrecht zeigten sich im Immaterialgüterrecht noch weitere Publizitätsfunktionen. Publizität dient in großen Teilen des Immaterialgüterrechts einem persönlichkeitsrechtlichen Gedanken zugunsten der öffentlichen Anerkennung menschlicher Leistungen.627 Und schließlich gibt es auch Publizität in Form des Offenbarungsprinzips, das die geschaffenen Informationsgüter der Öffentlichkeit zugänglich macht. Dieses Prinzip ist für die Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte wichtig, da es eine unmittelbare Verbindung zu einem der entscheidenden Schutzgründe geistiger Leistungen darstellt.628 Es gibt also kein allgemeines, allen absoluten Herrschaftsrechten zugrunde liegendes Publizitätsprinzip: Im Immobiliarsachenrecht existiert ein starkes Publizitätsprinzip mit einer gewissen Wirkmacht in Form des Gutglaubensschutzes in 622
Siehe oben III. 2. a) Patentrecht; b) Markenrecht. Siehe oben III. 2. b) Markenrecht. 624 Siehe oben III. 2. a) Patentrecht. 625 Jänich, Geistiges Eigentum, 203 f. 626 Siehe oben III. 1. c) Urheberrecht. 627 Siehe oben III. 3. Anerkennung der Leistung. 628 Siehe oben III. 4. Offenbarung der Informationen. 623
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit489
die Richtigkeit des Grundbuchs. Letztere fungiert zugleich als verbindliche Auskunftsquelle über die Rechtslage. Im Mobiliarsachenrecht gibt es ein solches Prinzip nicht ernsthaft, sondern nur vereinzelte Publizitätswirkungen, insbesondere §§ 932, 1006 BGB und schwache Publizitätsaspekte der traditio. Im Immaterialgüterrecht spielt die Publizität eine noch weniger einheitliche Rolle als im Sachenrecht. Sie erfüllt deutlich andere Funktionen. Von einem allgemeinen Publizitätsprinzip könnte man also allenfalls sprechen, wenn man unterschiedliche Aspekte eines breiten Spektrums von Publizitätsarten und -funktionen genügen ließe. Lieder zweifelt daher zu Recht an der „rechtspolitischen Sinnhaftigkeit“ der „Offenkundigkeit absolut wirkender dinglicher Rechte“.629
G. Die Eigenständigkeit von Verfügungen Ein weiterer Grundsatz, der im Bereich der Sachenrechtsprinzipien regelmäßig benannt wird, betrifft das Trennungs- und Abstraktionsprinzip,630 genauer gesagt die „abstrakte oder kausale Gestaltung der Verfügungsgeschäfte“.631 Übergreifend geht es, wie zu zeigen sein wird, beim Trennungs- und Abstraktionsprinzip sowie dem Sukzessionsschutz632 um die Eigenständigkeit und Endgültigkeit von Verfügungen. Dies sind nicht nur Strukturmerkmale des Sachenrechts, sie werden teils auch zur Kennzeichnung ausschließlicher Lizenzen herangezogen.633 Dabei muss unterschieden werden zwischen der verfügenden Rechtseinräumung als Problematik der Struktur des subjektiven Rechts mitsamt der angelagerten Verfügungsmacht und der vorliegend zu behandelnden Frage, welchen Grad an Unabhängigkeit man dem dies bewirkenden Verfügungsgeschäft und dem daraus folgenden Rechtszustand (z. B. einer Lizenz) einräumt. Möglicherweise ist ein solcher Unabhängigkeitsgrad/eine solche Eigenständigkeit von Verfügungen ein Merkmal dinglicher Rechtsgeschäfte bzw. von Verfügungen über absolute Herrschaftsrechte. Zu Recht eingewandt wird, dass Trennungs- und Abstraktionsprinzip weder von dem Begriff des dinglichen Rechts abgeleitet noch „zwingend mit ihm verbunden“ sind, vielmehr hätten sie „ihre systematische Stellung in der Rechtsgeschäftslehre“.634 So gelten beide Prinzipien z. B. auch bei der Forderungsabtretung.635 Rein 629
Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 367. Siehe oben B. I. 1. Der ungewisse Kreis der Sachenrechtsprinzipien. 631 Jahr, ZSSt (Rom. Abt.) 80 (1963), 141 (158 f.); um die Abstraktheit des Verpflichtungsgeschäfts geht es i. d. R. nicht, dazu nur Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 130. 632 Dazu unten J. Sukzessions- und Verfügungsschutz. 633 Siehe etwa Haedicke, ZGE/IPJ 3 (2011), 377 (381) (es sei ein „deutliches Indiz für eine selbständige dingliche Rechtsposition, wenn eine Lizenz durch Verfügung eingeräumt wird“). 634 Brehm, AcP 207 (2007), 268 (275); siehe auch AK-BGB/Reich, vor §§ 929 ff. Rn. 4 (die „Übertragung von Vermögenswerten“ werde im BGB nach dem Abstraktionsprinzip „bewirkt“, das zu den „Strukturprinzipien“ des BGB zähle). 635 BGH NJW 1991, 1414; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 279 ff.; MüKoBGB/ Roth/Kieninger, § 398 Rn. 2. 630
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
auf dingliche oder gar auf sachenrechtliche Verfügungen sind die Prinzipien nicht beschränkt. Ein exklusiv sachenrechtliches Prinzip sind sie also nicht. Es stellt sich aber die Frage, ob sie angesichts ihres weiten Anwendungsbereichs ein Prinzip absoluter Herrschaftsrechte, also auch der Immaterialgüterrechte sind. Hierfür ist insbesondere auf die Diskussion zur Geltung des Abstraktionsprinzips im Urheberrecht einzugehen. Im Vordergrund steht wieder die Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte, also die Frage, inwieweit es für sie einheitliche Verfügungsgrundsätze gibt.
I. Rechtsverkehrsregeln Die Verfügung ist der Vorgang, mit dem der Rechtsinhaber von der ihm kraft seiner Rechtsinhaberschaft zugeordneten Verfügungsmacht Gebrauch macht. Er disponiert privatautonom darüber. Es begegnen sich Wille und staatlich (d. h. gesetzlich oder gerichtlich) verliehene Rechtsmacht. Inwieweit über ein Verfügungsobjekt verfügt werden kann, hängt von diesem, genauer von der ihm hoheitlich angelagerten Verfügungsmacht ab.636 Eine Verfügung ist aufgrund ihres Vertragscharakters und der erforderlichen Verfügungsmacht (die durch Gutglaubensschutz ersetzt werden kann) ein zumindest zweigliedriger Tatbestand; bedarf es außerdem noch eines Rechtszeichens wie etwa der traditio oder Eintragung, so wird der Tatbestand dreigliedrig.637 Das Ergebnis von Verfügungen ist die dadurch erzeugte Rechtslage. Die zu untersuchenden Prinzipien der Verfügung – Trennungs- und Abstraktionsprinzip – sind Prinzipien des Verfügungsrechtsverkehrs, d. h. sie betreffen weder die Verfügungsobjekte noch die Rechtsobjekte, sie sind reine Rechtsverkehrsregeln. Fraglich ist, inwieweit sie für den Rechtsverkehr mit absoluten Herrschaftsrechten bzw. dinglichen Rechtseinräumungen daraus gelten.
II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen Recht Im älteren römischen Recht wurden Sachen, für die nicht die aufwändige mancipatio galt – die res nec mancipi –, durch einen formlosen Kaufvertrag erworben, der zugleich den erforderlichen Grund für den durch die traditio lediglich vollzogenen Eigentumsübergang lieferte.638 Die traditio führte einen Eigentumsübergang nur herbei, wenn sie ex iusta causa geschah.639 Über die gemeinrechtliche Regelung von titulus und modus stellte schließlich insbesondere Savigny „die Übereignung auf eine rechtsgeschäftliche Grundlage“:640 636
Siehe oben § 9 G. III. Verfügungsmacht und Verfügung. Heck, Grundriß des Sachenrechts, 111. 638 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, § 100 (416) (die traditio verschaffe Eigentum nur, „wenn sie Vollzug einer gültigen Zweckvereinbarung ist, die eine Eigentumsverschaffung zum Ziel hat“); Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 1 III 1 a (28); Honsell, Römisches Recht, 58 ff., 123. 639 Siehe auch oben § 10 VI. 1. Entwicklung. 640 Brehm, AcP 207 (2007), 268 (271); Honsell, Römisches Recht, 59 (Begründung „des abstrakten dinglichen Vertrags“); eingehend Felgentraeger, Friedrich Carl v. Savignys Einfluß auf die 637
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit491
„So ist die Tradition ein wahrer Vertrag, da alle Merkmale des Vertragsbegriffs darin wahrgenommen werden: denn sie enthält von beiden Seiten die auf gegenwärtige Übertragung des Besitzes und des Eigenthums gerichtete Willenserklärung, und es werden die Rechtsverhältnisse der Handelnden dadurch neu bestimmt […].“641
Dies hat schließlich auch der BGB-Gesetzgeber mit der Festlegung des Sachenrechts auf die Vertragsnatur der Tradition642 vollzogen.643 Hieran knüpft das Trennungsprinzip an, auf dem wiederum das Abstraktionsprinzip aufbaut.644
1. Trennungsprinzip Das Trennungsprinzip unterscheidet allgemein und in zahlreichen Rechtsordnungen verschiedene Rechtsfolgen von ihren ebenfalls unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen.645 Insofern werden im deutschen bürgerlichen Recht Kausal- und Erfüllungsgeschäft unterschieden. Liegt die Erfüllung in der Vornahme einer Verfügung, so spricht man vom Verfügungsgeschäft. Sie kann aber auch in anderen Rechtshandlungen wie z. B. der Eingehung eines weiteren Vertrages liegen. Bloße Realakte, wie etwa die Übertragung eines Tokens, sind keine Erfüllungsgeschäfte, sondern Leistungshandlungen/-erfolge i. S. d. § 362 BGB (die wiederum nicht auf Realakte begrenzt sind).646 Verfügungen über dingliche Rechte setzen nach deutschem Recht einen Vertrag voraus, den man als dinglichen Vertrag bezeichnet, z. B. die Verfügung über Sacheigentum nach §§ 873 Abs. 1, 929 S. 1 BGB. Er ist aber nur ein Unterfall des Verfügungsgeschäfts, das begrifflich weit darüber hinaus reicht.647 Füller kritisiert das deutsche Trennungsprinzip als in seiner praktischen Bedeutung gering. Am ehesten zeige sich diese noch beim Eigentumsvorbehalt. Rechtsordnungen, die vom reinen Vertragsprinzip ausgingen, hätten Schwierigkeiten, den Eigentumsvorbehalt, genauer gesagt, die aufschiebend bedingte Eigentumsübertragung „dogmatisch zu erklären“.648 Zweck des Trennungsprinzips wäre hiernach also, ein dogmatisches Gerüst für praktisch benötigte Rechtsfiguren, insbesondere den bedingten Eigentumserwerb zu bieten. Füller nennt das Trennungsprinzip daher „ein rechtstechnisches Prinzip“.649 Übereignungslehre, 40 f. sowie passim; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 1 III 1 c (3 f.); Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 120 ff. 641 Savigny, System, Bd. 3, 312; hierin lag Honsell zufolge die „Geburtsstunde des abstrakten dinglichen Vertrags“, Honsell, Römisches Recht, 59. 642 Mot. III, 7 f. = Mugd. III, 4 f. (unter „Abweisung der Lehre von Titulus und Modus acquirendi“). 643 Siehe oben § 10 B. VI. Funktionen des Traditionsprinzips. 644 Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 7 f. 645 Habermeier, AcP 195 (1995), 283 (290). 646 MüKoBGB/Fetzer, § 362 Rn. 2. 647 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 25; Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 18; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 1 III (27). 648 Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 242; siehe dazu auch Larenz, SchR II/1, 17. 649 Füller, Eigenständiges Sachenrecht?, 242 f.; verweist insofern auch auf Joost, FS Zöllner, 1161 (1167) (der die Vorteile des Trennungsprinzips für den Eigentumsvorbehalt darlegt).
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Während das Trennungsprinzip weit verbreitet ist, ist das Abstraktionsprinzip eine deutsche und europäisch nicht mehrheitsfähige Besonderheit.650 Aber auch die Trennung betrifft i. d. R. nicht zwei gleichwertige Rechtsgeschäfte. Vielmehr findet in Österreich, den Niederlanden und Spanien eine der titulus und modus-Lehre vergleichbare Übergabe statt, während in Frankreich,651 Italien, weiteren romanischen sowie in skandinavischen Ländern und für bewegliche Sachen im englischen Recht das Konsensprinzip (Vertragsprinzip), also der Eigentumsübergang allein aufgrund des Vertrages gilt.652
2. Abstraktionsprinzip Auf das Abstraktionsprinzip wurde in den Motiven besonderer Wert gelegt; der dingliche Vertrag sei „seinem Begriffe nach ein abstraktes Geschäft“ und bestehe auch, „wenn das Motiv fehlt oder wegfällt“. Der dadurch Geschädigte wird ausdrücklich auf die Kondiktion verwiesen.653 Etwas moderner gefasst bestimmt das Abstraktionsprinzip die Unabhängigkeit des Verfügungsgeschäfts vom zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft hinsichtlich seiner „Wirksamkeit und Rechtsgültigkeit“.654 Dahinter werden neben rechtswissenschaftlichen Gründen praktische Erwägungen, genauer gesagt „Beweisprobleme“ vermutet, da die zunehmende Industrialisierung zu Absatzketten geführt habe, in denen die Eigentumslage immer unübersichtlicher geworden und durch den Sachbesitz kaum mehr zu verifizieren gewesen sei.655 Dieser Begünstigung des Güterverkehrs stand der Vorwurf von Anton Menger gegenüber, dass durch die Abstraktion jeder „Zusammenhang zwischen der Eigentumsordnung und dem wirtschaftlichen Leben mit Absicht und Bewusstsein gelöst“656 worden sei. Zusammen mit dem starken Gutglaubensschutz erblickte Menger „einen Sieg des Handelsgeistes über die Eigentumsordnung, des Verkehrsrechts über das Sachenrecht“.657 Das Abstraktionsprinzip schützt den Verkehr ungeachtet des wirtschaftlichen Vorgeschehens und damit zulasten des „Ersteigentümers“, mithin desjenigen, der häufig die Sache wirtschaftlich erschaffen hat. Dies wurde erst nachträglich durch die Fehleridentität und das Durchschlagen besonders grober, allein das Verpflichtungsgeschäft betreffender Fehler teilweise korrigiert.658 650
Wacke, ZEuP 2000, 254 (255); Grüneberg/Ellenberger, Überbl. vor § 104 Rn. 22. Siehe auch die Einschränkungen bei Habermeier, AcP 195 (1995), 283 (287 ff.). 652 Wacke, ZEuP 2000, 254 (254 f.); Larenz, SchR II/1, 16; Ferrari/Kieninger/Mankowski/ Mankowski, Internationales Vertragsrecht, Art. 1 FactÜ, Rn. 9. 653 Mot. III, 8 = Mugd. III, 5. 654 Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 7 f. 655 Hattenhauer, Grundbegriffe, 56 f. 656 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 118 f. 657 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 127; Hattenhauer, Grundbegriffe, 142. 658 Vgl. MüKoBGB/Oechsler, § 929 Rn. 33; siehe auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 523 („Überspannung des Schutzes des unredlichen Erwerbers“). 651
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit493
Ausdrücklich kodifiziert wurde das Abstraktionsprinzip allerdings nicht, sondern soll sich unter anderem aus dem Schweigen des § 929 BGB zu etwaigen Rechtsgründen des dinglichen Geschäfts ergeben659 und wird in den Motiven ausdrücklich als Merkmal des dinglichen Vertrags benannt.660 Leitet man es allein aus sachenrechtlichen Vorgaben ab, ist es zunächst einmal ein rein sachenrechtliches Prinzip. Wie gesagt gilt es aber auch außerhalb des Sachenrechts, etwa für die Forderungsabtretung. Tatsächlich enthielt § 290 Abs. 2 des ersten Entwurfs des BGB für den Erlassvertrag noch die ausdrückliche Feststellung seiner Abstraktion von etwaigen Rechtsgründen, worauf der die Abtretung regelnde § 294 Abs. 2 des ersten Entwurfs verwies (heute § 398 BGB).661 Methodisch ergibt sich das Abstraktionsprinzip daher nicht allein aus einer Rechtsanalogie zum (sachenrechtlichen) Eigentumserwerb nach § 929 BGB, sondern muss auch aus der historischen Auslegung der Zessionsvorschriften (heutige §§ 398 ff. BGB) hergeleitet werden. Nach dem vorstehend Gesagten dürfte der tiefere Grund für die Abstraktion in der Eigenständigkeit der Verfügung als Rechtsgeschäft liegen. Dieses Verständnis könnte auch dem beredten Schweigen des § 929 BGB zugrunde liegen: Wenn die Verfügung ein eigenständiges Rechtsgeschäft ist, spricht wenig dafür, sie von einem vorangegangenen, wenn auch kausalen, Rechtsgeschäft abhängig zu machen. In diesem Sinne stellt Dulckeit fest, „daß die dingliche Einigung mit ihrer abstrakten Wirkung überhaupt jeglichen Sinn verlieren müßte: ein kausaler dinglicher Vertrag würde eine logisch ebenso überflüssige wie praktisch entbehrliche Verdoppelung der im Schuldvertrag bereits vollzogenen Willenseinigung darstellen.“ – und – „Erst die abstrakte Wirkung gibt dem dinglichen Vertrag […] seine eigentliche Existenzberechtigung.“662
Das Abstraktionsprinzip wäre nach dieser Ansicht vom Trennungsprinzip in der in Deutschland praktizierten Form eines separaten dinglichen Vertrages wohl nicht sinnvoll ablösbar. Die Erkenntnis, dass die dingliche Verfügung Resultat einer separaten Willenserklärung sein sollte, würde unterlaufen, wenn dieser Wille durch den des Verpflichtungsgeschäfts „überstimmt“ würde. Die zwischenzeitlich vorgeschlagene Einführung einer Rechtsgrundabhängigkeit des dinglichen Vertrages würde folgerichtig die Zerlegung der Geschäfte ihrer wichtigsten Funktion berauben – ihrer Unabhängigkeit.663 In der Tat gingen gewisse konstruktive Vorteile des Trennungsprinzips – etwa für die Figur des nachgeschobenen Eigentumsvorbehalts664 – ohne die Abstraktion verloren, da es dann wieder einer 659 Wacke, ZEuP 2000, 254 (255); Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 3 Rn. 3; siehe auch Jauernig/Berger, vor § 854 Rn. 13. 660 Mot. III, 8 = Mugd. III, 5 („Der dingliche Vertrag ist seinem Begriffe nach ein abstraktes Geschäft.“). 661 Dazu Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 69 f. 662 Dulckeit, Verdinglichung, 32, 31; so auch Larenz, SchR II/1, 20. 663 Vgl. Larenz, SchR II/1, 20. 664 Vgl. Larenz, SchR II/1, 12.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
komplizierteren Lösung, wie z. B. Ausnahmeregeln zur Rechtsgrundabhängigkeit bedürfte. Verpflichtung und Verfügung auf separate Standbeine, anstatt auf einen einheitlichen Willen zu stellen scheint so gesehen die leistungsfähigere Lösung zu sein. Der häufig als Argument für die Abstraktion angeführte Verkehrsschutz und die klare Gestaltung der Zuordnungsverhältnisse665 sind daher nicht die eigentlichen Gründe des Abstraktionsprinzips. Sie wurden als Rechtfertigungen nachgeschoben und spielten auch in Savignys Bestrebungen keine tragende Rolle.666 Das Abstraktionsprinzip kann angesichts der durch die konsequente Trennung erreichten flexiblen und variationsreichen rechtlichen Konstruktionsmöglichkeiten vielmehr als systeminhärent verstanden werden. Es macht das Rechtssystem leistungsfähiger. Praktisch dient dies zwar auch dem Verkehrsschutz, größtenteils ergibt er sich aber bereits aus dem gutgläubigen Erwerb. Einen eigenständigen Anwendungsbereich hat das Abstraktionsprinzip insofern nur selten, etwa bei der Abtretung von Forderungen sowie anderen Rechten und dabei besonders in Insolvenzfällen (in denen seine Anwendung teils hochstreitig ist).667 Seine dogmatische Funktion ist breiter – es ist die notwendige Bedingung freier Verfügungen. Ein reines Trennungsprinzip unterscheidet nur formal zwischen den Geschäften, es trennt aber nicht deren Wirkungen. Eine solche Wirkungstrennung kann z. B. eine dem Verkehrsschutz dienende systematische Sicherung von Veräußerungsketten erzeugen – sofern diese denn gewünscht ist.668 Das Abstraktionsprinzip ermöglicht gerade durch seine Komplexität variantenreiche, flexible und innovative Rechtsgestaltungen.669 Es ist und bleibt aber eine deutsche Besonderheit und hätte als solche keine Chance Teil einer europäischen Zivilrechtsvereinheitlichung zu werden.
III. Inhaltliche und äußere Abstraktion Jahr weist auf die Notwendigkeit der Unterscheidung von inhaltlicher und äußerer Abstraktion hin.670 Das Abstraktionsprinzip im gängigen Verständnis meint die äußere Abstraktheit.671 Sie kennzeichnet „die Unabhängigkeit des Eintritts oder Bestands der Rechtsfolgen eines Geschäfts von der Erreichung des Geschäftszwecks“.672 Bedurfte es im klassischen römischen Recht zwar eines Konsenses über die causa, i. e. den Zweck der Übereignung, hatte die Erreichung oder Ver665
Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 3 Rn. 8 f. Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 22 ff. 667 Dazu unten VII. Eigenständige Verfügungen im Immaterialgüterrecht? 668 Siehe dazu außer der Kritik im Immaterialgüterrecht (unten 3. Immaterialgüterrechtliche Einwände gegen die Geltung des Abstraktionsprinzips) auch die Einwände von Menger, oben bei Fn. 656. 669 Siehe auch Soergel/Stadler, Einl. Sachenrecht Rn. 32 f. 670 Jahr, AcP 168 (1968), 9 (14 ff.). 671 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 21. 672 Jahr, AcP 168 (1968), 9 (16); ders., ZSSt (Rom. Abt.) 80 (1963), 141 (158) („Abhängigkeit der Geschäftswirkungen von der Erreichung des einverständlich gesetzten Zwecks“). 666
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit495
fehlung dieses Zwecks keinen Einfluss auf den „Eintritt oder […] Fortbestand des Verfügungserfolgs“.673 Blieb also z. B. das im Gegenzug für die Übereignung versprochene Verhalten des Leistungsschuldners aus, fiel der übereignete Gegenstand nicht zurück. Inhaltliche Abstraktion bezeichnet hingegen, dass weder Verpflichtungs- noch Verfügungsgeschäft tatbestandlich einer Zweckbestimmung bedürfen,674 die Parteien müssen nicht über den Zweck des Geschäfts einig sein.675 Abstrakte Verpflichtungsgeschäfte sind selten, aber möglich (§ 780 BGB). Die Abstraktion bezieht sich hier auf die Entbehrlichkeit einer dem Vertrag vorgelagerten causa.676 Damit sind schon Gegenseitigkeitsverhältnisse definitionsgemäß nicht als abstrakte Verpflichtungsgeschäfte denkbar, da sie „notwendig den Austausch von Leistungen als ihren Zweck deklarieren“.677 Beispiel: Die Forderung des Kaufpreises aus einem Kaufvertrag hängt von der Wirksamkeit des Kaufvertrages ab. Der Verkäufer muss vor Gericht beweisen, dass der Kaufvertrag geschlossen wurde und die Gegenleistung anbieten (§ 320 BGB).678 Seine Kaufpreisforderung besteht nicht abstrakt, sondern unterliegt allen Unsicherheiten, die der Schluss eines Kaufvertrags mit sich bringt. Wurde der Vertrag etwa aufgrund eines Dissenses nicht geschlossen (§ 154 BGB) oder vom Käufer erfolgreich angefochten (§ 142 Abs. 1 BGB), erlischt auch die Forderung.
Ungeachtet ihres Risikos für den Verpflichteten – ein Beispiel sind Wechselforderungen679 – verbietet das BGB abstrakte Rechtsgeschäfte nicht, sondern beschränkt den Schutz auf die Anordnung der Schriftform (§§ 780 f., 766 BGB).680 Und selbst diese wird im Falle der Bankgarantie nicht durchgehalten.681 Für das Verfügungsgeschäft wiederum bedeutet die inhaltliche Abstraktion, dass es inhaltlich auf einen „Minimalkonsens“ gerichtet ist,682 zu dem insbesondere keine Bezugnahme auf das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft gehört.683
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Jahr, AcP 168 (1968), 9 (18). Jahr, AcP 168 (1968), 9 (16). 675 Jahr, ZSSt (Rom. Abt.) 80 (1963), 141 (158). 676 Flume, BGB AT, Bd. 2, 157 f. 677 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 18 I 2 (432 f.). 678 Beispiel aus Larenz/Canaris, SchR II/2, 25. 679 Siehe die auf Wechsel als abstrakte Verbindlichkeit gerichtete Kritik von Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 120 f. („Gegensatz zwischen wirtschaftlicher und juristischer Gerechtigkeit“, man müsse zahlen, gleichgültig, ob man „nach den dem Wechsel zugrunde liegenden Verhältnissen dazu verpflichtet“ ist, das Privatrecht schütze „nur den Mächtigen und Vorsichtigen“). 680 Dazu Larenz/Canaris, SchR II/2, 26. 681 Vgl. BGH WM 1960, 18 (19); Schimansky/Bunte/Lwowski/Nobbe, Bankrechts-Handbuch, § 92 Rn. 3, 46 ff. 682 Brehm, BGB AT, Rn. 113; Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 21. 683 Grigoleit, AcP 199 (1999), 379 (380); Jauernig, JuS 1994, 721 (722); dazu schon oben § 9 G I. Begriff der Verfügung. 674
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Jahr leitet seine Überlegungen vom klassischen römischen Recht ab. 684 Dort genügte eine solche abstrakte Einigung nicht. Wie oben685 ausgeführt wurde, musste – etwa bei einer Übereignung – der Zweck bestimmt sein (traditio ex iusta causa), es gab eine „verkaufsweise Übereignung, erfüllungsweise Übereignung, schenkungsweise Übereignung“. Jahr fährt fort: „Die inhaltliche Abstraktion reduziert die Tatbestände dieser Übereignungstypen auf den Konsens über die allgemeine Rechtsfolge“.686
IV. Abstraktion als allgemeine Regelungstechnik Die Abstraktion ist keine auf Zuwendungsgeschäfte beschränkte, sondern eine „allgemeine Regelungstechnik“.687 Die abstrakte Verleihung von Rechtsmacht kann sich statt auf Verfügungsmacht auch auf Vertretungsmacht beziehen. So gibt es auch im Stellvertretungsrecht ein Abstraktionsprinzip (das ebenfalls Durchbrechungen unterliegt, bspw. im Falle des Missbrauchs der Vertretungsmacht, § 242 BGB688). Differenziert wird dort zwischen der dem Stellvertreter vom Vertretenen eingeräumten Vertretungsmacht und der kausalen Beziehung im Innenverhältnis, was nur vereinzelt, insbesondere in § 168 S. 1 BGB durchbrochen wird.689 Wie die Verfügungsmacht bezeichnet auch die Vollmacht als Rechtsmacht das rechtliche Können des Vertreters, genauer gesagt das rechtliche Handelnkönnen für den Vertretenen, während die Vertretungsbefugnis für sein rechtliches Dürfen steht.690 Wie im zuvor erläuterten, auf die Eigenständigkeit der Verfügung gerichteten Abstraktionsprinzip geht auch hier die Abstraktion technisch betrachtet auf die Eigenständigkeit der beiden Rechtsakte zurück. Die Begründung des Innenverhältnisses etwa in Form eines Arbeitsvertrags oder Auftrags ist in den meisten Fällen ohnehin nicht hauptsächlich auf die Einräumung von Vertretungsmacht gerichtet, sondern auf die Erbringung von Arbeitsleistung oder dergleichen. Immerhin handelt es sich dabei i. d. R. um ein Rechtsgeschäft. Die Erteilung einer Vollmacht wiederum ist (nur) eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung und setzt kein spezielles Innenverhältnis voraus.
V. Verhältnis zum Sukzessionsschutz Mit der Abstraktion einher geht der Schutz des Erwerbers gegenüber weiteren Rechtshandlungen des Veräußerers.691 Der Begriff „Sukzessionsschutz“ kennzeichnet die Eigenschaft eines Tochterrechts, „durch eine Verfügung über das 684
Dazu auch Jahr, ZSSt (Rom. Abt.) 80 (1963), 141 (162 ff.). oben II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen
685 Siehe
Recht. 686 Jahr, AcP 168 (1968), 9 (18). 687 Brehm, BGB AT, Rn. 121; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 18 I 1 (432). 688 Siehe nur BGH NJW-RR 2004, 247 (248); Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 101. 689 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 1 ff., 14 f.; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 98. 690 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 14; siehe auch oben § 9 G. III. 4. Positive und negative Seite. 691 Kritisch Brehm, AcP 207 (2007), 268 (271) (auf den Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes werde in Begründungen oft voreilig zurückgegriffen).
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Mutterrecht nicht beeinträchtigt zu werden“.692 Der Sukzessionsschutz wird unten693 eigenständig ausführlicher behandelt. Er geht auf den Verbrauch von Verfügungsmacht zurück, ohne die es dem Veräußerer am rechtlichen Können fehlt, um das Ergebnis der Verfügung einseitig nachträglich zu ändern. Mit dem Abstraktionsprinzips hat dies nur insofern zu tun, als eine Abhängigkeit des Verfügungsgeschäfts vom Verpflichtungsgeschäft zahlreiche Fälle erschaffen würde, in denen die Verfügungsmacht automatisch zurückfiele. Würde z. B. die Willenserklärung beim Online-Kauf widerrufen, fiele das Eigentum ipso iure an den Verkäufer zurück. Sukzessionsschutz folgt insbesondere aus dem Verbrauch von Verfügungsmacht.694 Das Kausalitätsprinzip würde die Gültigkeit der Verfügung und damit den Verbrauch von Verfügungsmacht von etwaigen schuldrechtlichen Einwendungen abhängig machen. Für die Übereignung von Sacheigentum in Absatzketten wäre dies unproblematisch, solange der gutgläubige Erwerb greift. Im Immaterialgüterrecht hingegen besteht auf die Art eine unmittelbare Verbindung zwischen Abstraktionsprinzip und Sukzessionsschutz.
VI. Charakterisierung abstrakter Verfügungen mit Blick auf die Dinglichkeit Die inhaltliche und äußere Abstraktheit von Verfügungen ist ein Strukturmerkmal des deutschen Zivilrechts. Der besondere Charakter von Verfügungsgeschäften liegt in ihrem Verständnis als eigenständige Rechtsgeschäfte. Nimmt man dieses Verständnis ernst, müssen diese Rechtsgeschäfte kraft des eigens auf sie gerichteten Willens gelten und dürfen weder inhaltlich noch äußerlich an das Versprechen einer solchen Verfügung gebunden sein. Während das Verpflichtungsgeschäft nur inter partes gilt, wirkt die durch die Verfügung eintretende Rechtsänderung auch gegenüber Dritten. Würde man die dauerhafte Wirksamkeit von Verfügungen an die Unsicherheit der zugrunde liegenden Schuldverhältnisse knüpfen, litten die Rechtssicherheit und -klarheit des allgemeinen Rechtsverkehrs. Dies zu vermeiden war zwar nicht der ausschlaggebende Gesichtspunkt bei der Einführung des Abstraktionsprinzips.695 Wohl aber ist es einer seiner Effekte und zugleich liegt in der Verbindlichkeit von Verfügungen gegenüber Dritten eine der Begründungen des sachenrechtlichen Typenzwangs, was im Folgenden darzulegen ist. Die Beschränkung der Anforderungen für Verfügungsgeschäfte auf einen Minimalkonsens wirkt zunächst wie ein weiteres Standbein zum Schutz dieses Verkehrsinteresses an einer überschaubaren Rechtslage, das auch im sachenrechtlichen Typenzwang verwirklicht sein könnte: Der Verkehr kann die Rechtslage leichter nachvollziehen, wenn deren Änderungen nur begrenzt individuell gestaltbar sind. 692 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 80 (dort Fn. 16), der aber den Begriff „Verfügungsschutz“ als „umfassender und exakter“ erachtet; Canaris, FS Flume, 371 (373 f.). 693 Siehe unten J. Sukzessions- und Verfügungsschutz. 694 Dazu unten J. II. Sukzessionsschutz durch Verbrauch an Verfügungsmacht. 695 Siehe oben II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen Recht.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Wie im Falle des Abstraktionsprinzips liegt der wahre Grund für diese Beschränkung aber in der Vertragsnatur der Verfügung, die nur insofern minimal gestaltet wird, als sie keinen Bezug auf das Verpflichtungsgeschäft nimmt und damit von diesem inhaltlich unabhängig ist (inhaltliche Abstraktion).696 Mit der weiteren Ausgestaltung der Verfügung hat der Gedanke des Minimalkonsenses nichts zu tun. Aus der Beschränkung des Verfügungsgeschäfts auf einen Minimalkonsens folgt kein Verbot einer komplexen Ausgestaltung des Verfügungsgeschäfts. Das Abstraktionsprinzip kann nichts gegen komplexe Verfügungen bzw. zersplitterte Rechtslagen ausrichten. Der Zweck des Abstraktionsprinzips liegt also zunächst in der konsequenten Verwirklichung des vertraglichen Verständnisses von Verfügungen, die nicht an etwaige Verpflichtungen gebunden sein sollen. Als wirklich ungebunden werden Verfügungen aber nicht praktiziert: Die daher scheinbare Inkonsequenz, Handschenkungen und anderen Verfügungen konkludente Verpflichtungen beizulegen, geht auf ein verändertes Verständnis des dinglichen Vertrages als Übertragung einer formalen Rechtsposition und das bereicherungsrechtliche Verständnis zurück, dass Verfügungen in der Regel mit und nur ausnahmsweise ohne Rechtsgrund geschehen.697 Ferner wird das Abstraktionsprinzip nicht nur von der Fehleridentität durchbrochen, sondern kann auch über § 139 BGB,698 die Vereinbarung eines Bedingungszusammenhangs699 oder die Bindung von Verfügungsermächtigungen an bestimmte Zwecke (§ 185 BGB)700 beschränkt werden. Im Ergebnis ist das Abstraktionsprinzip daher praktisch dispositiv. Die Entscheidung über seine Geltung liegt weitgehend in der Hand der Parteien. Die Abhängigkeit der Verfügung von der Verpflichtung ist im Immaterialgüterrecht sogar noch größer, und zwar so groß, dass sie als Argument für die Geltung des Kausalitätsprinzips angeführt wird. Im Sachenrecht soll der Typenzwang eine Aushöhlung des Sacheigentums verhindern und eine überschaubare Rechtslage gewährleisten. Beides dient der Ressourceneffizienz. Sachen sollen effizient genutzt und nicht durch ungeordnete Rechtslagen blockiert werden. Im Immaterialgüterrecht gibt es keinen vergleichbaren Typenzwang. Dort kann der Umfang der Verfügung relativ flexibel festgelegt werden.701 Trennung und Abstraktion sind daher nicht nur mit dem Sukzessionsschutz, sondern auch mit dem Typenzwang eng verbunden. Denn mangels Typenzwangs ist die Abhängigkeit des Verfügungsgeschäfts vom Verpflichtungsgeschäft im Immaterialgüterrecht groß. Diese Verbundenheit von Verpflichtung und Verfügung wird am stärksten bei der Frage nach dem Heimfall von Enkelrechten bei Abriss der Lizenzkette diskutiert und meist mit der Entscheidung zwischen Kausalitäts- und Abstraktions696
Siehe oben III. Inhaltliche und äußere Abstraktion. Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 24; Brehm, FS Jelinek, 15 (18 ff.); Hager, FS 50 Jahre BGH, Bd. 1, 780; Stadler, Gestaltungsfreiheit, 453 ff. 698 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 25 f. 699 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 27 f. 700 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 29 f. 701 Siehe oben C. III. Zusammenfassung und Folgerungen. 697
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit499
prinzip gleichgesetzt. Man kann diese drei Komplexe – Sukzessionsschutz, Abstraktionsprinzip und Abgrenzung des Verfügungsumfangs – aber auch trennen, zumal die meisten Argumente aus dem letztgenannten Punkt, also der Bedeutung der Verpflichtung für die immaterialgüterrechtliche Verfügung gewonnen werden.702 Wird der Umfang der Verfügung tatsächlich schuldrechtlich definiert? Sowohl zeitlich wie vom Rechtsakt her fallen Verpflichtung und Verfügung im Immaterialgüterrecht meist im Moment des Vertragsabschlusses zusammen.703 Das ist allerdings beim Kauf beweglicher Sachen häufig auch der Fall und wird dennoch dogmatisch klar getrennt (auch wenn hier die Kritik704 der Lebensfremdheit des Abstraktionsprinzips ansetzt). Kritisch ist vielmehr die Frage des Umfangs der Rechtseinräumung, der beim Kauf von Sachen feststeht und ansonsten durch den Typenzwang begrenzt wird. Im Immaterialgüterrecht erfüllt der Wortlaut des Vertrags hingegen eine Doppelfunktion. Er beschreibt zugleich die Verpflichtung und die Verfügung. (Man könnte es daher auch so sehen, dass die Verpflichtung sich auf den Wortlaut der Verfügung bezieht, es sich also um eine Verpflichtung handelt, die im Vertrag beschriebene Verfügung zu tätigen.) Hierauf beruht zum Teil die Annahme einer besonders engen Verbindung der beiden Geschäfte.705 Ein überzeugender Grund, um das Abstraktionsprinzip aufzugeben, liegt hierin aber nicht.706 Dies ist im folgenden Punkt näher zu untersuchen.
VII. Eigenständige Verfügungen im Immaterialgüterrecht? Wenn Trennungs- und Abstraktionsprinzip generelle Prinzipien des Verfügungsrechtsverkehrs sind, müssen sie auch im Immaterialgüterrecht gelten. Die dort stattfindenden Verfügungen sind technisch identisch mit jedem anderen Wechsel in der Rechtsinhaberschaft. Wie eben gezeigt wurde, gilt das Abstraktionsprinzip aber nicht mit der Selbstverständlichkeit und Absolutheit mit der es in der Literatur als sachenrechtliches oder allgemeines bürgerlich-rechtliches Prinzip dargestellt wird.
1. Das Abstraktionsprinzips und immaterialgüterrechtliche Verfügungen Das Abstraktionsprinzip kann für Sachenrecht und Zessionsrecht separat methodisch hergeleitet werden.707 Folgt man der Herleitung für §§ 398 ff. BGB, so gilt das Abstraktionsprinzip zunächst einmal für alle Rechtsgeschäfte, die diesen 702
Siehe unten VII. 3. a) Besondere Funktion des Kausalverhältnisses mangels Typenzwangs. UrhG, § 31 Rn. 20. 704 Siehe dazu Peters, Jura 1986, 449 (450 f.); Larenz, SchR II/1, 16 ff.; siehe auch Jauernig/ Berger, vor § 854 Rn. 13. 705 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 18; Hildebrandt, Marken und andere Kennzeichen, § 24 Rn. 26 (die Reichweite der Verfügung sei i. d. R. „durch Auslegung des Verpflichtungsgeschäfts, also des Lizenzvertrags, zu ermitteln“). 706 Siehe unten VII. 3. a) Besondere Funktion des Kausalverhältnisses mangels Typenzwangs. 707 Siehe oben II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen Recht. 703 Dreier/Schulze/Schulze,
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Vorschriften unterfallen.708 In der immaterialgüterrechtlichen Literatur wird für verfügende Rechtseinräumungen gewöhnlich auf §§ 398, 413 BGB verwiesen, die oben709 als Standardinstrumente für Verfügungen gekennzeichnet wurden.710 Hieraus folgt prima facie die Geltung des Abstraktionsprinzips für immaterialgüterrechtliche Verfügungen.711 Nun ist die oben angeführte historische Auslegung des Zessionsrechts aber weder alternativlos noch schließt sie Durchbrechungen grundsätzlich aus. Auch Kraßer führt generalisierend an, dass § 413 BGB hinsichtlich der Rechte, auf die er sich bezieht, „zu allgemein gefaßt“ sei, als dass er es verböte, auf Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit des Abstraktionsprinzips Rücksicht zu nehmen, die die besonderen Verhältnisse des Immaterialgüterrechts berücksichtigen.712 Ein konkreterer argumentativer Raum öffnet sich, soweit die §§ 398, 413 BGB im Immaterialgüterrecht nur analog anwendbar sind. Denn in der Analogie besteht die Möglichkeit der Rechtsfolgenmodifikation. Geboten ist die analoge Anwendung zunächst für das Urheberrecht, das als solches unübertragbar ist (§ 29 Abs. 1 UrhG) und das für die Einräumung von Nutzungsrechten Sonderregeln (§§ 31 ff. UrhG) enthält.713 Nur die dem Urheberrecht benachbarten Schutzrechte sind i. d. R. vollständig übertragbar,714 daher gelten die §§ 398, 413 BGB für sie unmittelbar.715 Die Gründe, die gegen eine unmittelbare Anwendung beim persönlichkeitsrechtlich geprägten Urheberrecht sprechen, könnten genauso das Abstraktionsprinzip durchbrechen.716 Einen weiteren Fall der lediglich analogen Anwendbarkeit der §§ 398, 413 BGB bilden Verfügungen über Teile des Persönlichkeitsrechts, die – auch soweit rein 708
So, wenn auch im Ergebnis ablehnend, Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (236). Siehe oben § 9 F. Verfügungsinstrumente. 710 Ann, Patentrecht, § 2 Rn. 95; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 11; Staudinger/Busche (2017), § 413 Rn. 2, 18 f. (die Hauptbedeutung von § 413 BGB liege in der Herstellung der Verkehrsfähigkeit für gewerbliche Schutzrechte und urheberrechtliche Nutzungsrechte); Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 20, siehe auch Rn. 23 (Geltung des Abstraktionsprinzips im Markenrecht); Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker, MarkenG, § 27 Rn. 18. 711 Berger/Wündisch/Berger, Urhebervertragsrecht, § 1 Rn. 33 (die „Darlegungslast“ liege „bei den Gegnern des Abstraktionsprinzips“). 712 Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (236). 713 Staudinger/Busche (2017), § 413 Rn. 2, 19; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 662. 714 § 71 Abs. 2 (Herausgeber nachgelassener Werke); § 79 Abs. 1 (ausübende Künstler), § 85 Abs. 2 S. 1 (Tonträgerhersteller); § 87 Abs. 2 S. 1 (Sendeunternehmen); § 87g Abs. 3 S. 1 (Presseverleger); § 94 Abs. 2 S. 1 (Filmhersteller) UrhG. Auch das Veranstalterrecht (§ 81 UrhG) ist vollständig übertragbar, was angesichts seiner rein vermögensrechtlichen Natur keiner besonderen Vorschrift bedurft haben soll, v. Gamm, Urheberrechtsgesetz, § 81 Rn. 4; § 85 Rn. 3. Ebenso übertragbar ist bei richtlinienkonformer Auslegung das Datenbankherstellerrecht sui generis, (Art. 7 Abs. 3 RL 96/9/EG; §§ 87a ff. UrhG), BeckOK UrhG/Vohwinkel, § 87a Rn. 9; Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 676 ff. 715 Siehe etwa BeckOK UrhG/Vohwinkel, § 87a Rn. 4 (für das Datenbankherstellerrecht); Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 94 Rn. 46 (für das Filmherstellerrecht); v. Gamm, Urheberrechtsgesetz, § 81 Rn. 4; § 85 Rn. 3 (Tonträger- und Veranstalterrecht sowie allgemein). 716 Dazu unten VIII. Folgerungen. 709
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kommerzielle Persönlichkeitsaspekte betroffen sind – allenfalls gebunden übertragen werden können.717 Das zum Abstraktionsprinzip Gesagte gilt entsprechend.
2. Überblick zu den einzelnen Immaterialgüterrechten Für alle gesetzlichen Immaterialgüterrechte gilt unstreitig das Trennungsprinzip.718 Im Patentrecht wird mit einigen Abschwächungen auch die Geltung des Abstraktionsprinzips angenommen.719 Gelten soll es für die Vollübertragung sowie die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte und umfassender ausschließlicher Lizenzen, wohingegen für beschränkte ausschließliche sowie für einfache Lizenzen das Kausalitätsprinzip angewandt werden soll.720 Auch im Markenrecht gilt für Verfügungen721 über das Stammrecht722 das Abstraktionsprinzip. Zu weiteren Nutzungsrechten gibt es keine dem Urheberrecht vergleichbare Diskussion,723 vielmehr wird auf die dort gewonnenen Erkenntnisse verwiesen.724 Tendenziell wird dabei für Sublizenzen (synonym: Tochter- und Enkellizenzen) das Kausalitätsprinzip befürwortet.725 Nach h. M. soll bei Rechtseinräumungen im Urheberrecht grundsätzlich, d. h. auch für exklusive/ausschließliche Lizenzen das Kausalitätsprinzip greifen,726 wovon nur in Einzelfällen abgewichen wird. Hintergrund sind die mangels Typenzwangs besondere Bedeutung der schuldrechtlichen Abrede für das Verfügungsgeschäft, die damit verwandte Tendenz, Nutzungsrechte beim Urheber zu belassen und ihre Einräumung eng an den Schuldvertragszweck zu knüpfen (§ 31 Abs. 5 UrhG) sowie ein Hinweis in § 40 Abs. 3 UrhG auf die Bedeutung des Fortbestands des Schuldvertrags für die Verfügung.727 Besagte Einzelfälle, in denen doch das Abstraktionsprinzip greift, betreffen den Verbleib einfacher Unterlizenzen beim Lizenznehmer im Falle des Wegfalls der 717
Vgl. Götting/Schertz/Seitz/Bezzenberger, Handbuch Persönlichkeitsrecht, § 41 Rn. 26 ff. Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 29 Rn. 26; BeckOK UrhG/Soppe, § 31 Rn. 77 f.; PatentR: BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 11; MarkenR: Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 20. 719 Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 27 Rn. 3; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 11. 720 Ann, Patentrecht, § 41 Rn. 1; ähnlich Keukenschrijver/Busse/Hacker, PatG, 8. Aufl. 2016, § 15 Rn. 151. 721 Zur Lizenzeinräumung als dingliche Verfügung Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 43. 722 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 27 Rn. 6; Fezer, MarkenG, § 27 Rn. 23. 723 Vgl. L. Berger, Insolvenzschutz für Markenlizenzen, 113 ff. 724 Ekey/Bender/Fuchs-Wissemann/Pahlow, MarkenG, § 30 Rn. 17 ff.; 52 f. (zur Bestandskraft der Unterlizenz); Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker, MarkenG, § 30 Rn. 92 ff. 725 Emmert, Die Stellung der Markenlizenz im deutschen Privatrecht, 138 ff.; L. Berger, Insolvenzschutz für Markenlizenzen, 120; Ekey/Bender/Fuchs-Wissemann/Pahlow, MarkenG, § 30 Rn. 17 ff. 726 BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 16 ff. – M2Trade; ZUM 2009, 852 Rn. 18 – Reifen Progressiv; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 18; BeckOK UrhG/Soppe, § 31 Rn. 78; Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 17 ff. 727 Vgl. Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 15, 17 ff. 718 UrhR:
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Hauptlizenz aufgrund eines Rückrufs gemäß § 41 UrhG,728 einer Kündigung729 oder einvernehmlichen Aufhebung730 der Hauptlizenz. Da der I. Zivilsenat im Zuge dieser Rechtsprechung731 die Zustimmung des X. Zivilsenats eingeholt hat, beansprucht sie Geltung sowohl über das Urheberrecht wie auch die genannten Fälle hinaus.732 Zudem enthält § 31 Abs. 1–3 UrhG als Kernvorschrift des Urhebervertragsrechts „allgemeine Gedanken, die in vergleichbarer Form im gesamten Recht des geistigen Eigentums gelten“, gemeint sind § 15 Abs. 2 PatG und § 30 Abs. 1 MarkenG.733 Die ausnahmsweise Geltung des Abstraktionsprinzips für einfache Lizenzen verläuft daher im Urheber- wie im Patentrecht wohl weitgehend parallel. Anzumerken ist aber, dass die Argumente für den Fortbestand von Sublizenzen weniger aus dem Abstraktionsprinzip denn aus originär lizenzrechtlichen Überlegungen mit Blick auf die Interessenlage in Kettenlizenzierungen gewonnen werden. Diese Suche nach übergreifenden Regeln ist Ausdruck einer schon länger im Gange befindlichen Entkoppelung des Lizenzrechts als eigenes, von den unterschiedlichen Stammrechten nur in Einzelfällen mit Ausnahmen durchsetztes, Rechtsgebiet.734 Das Lizenzrecht des Immaterialgüterrechts ist zwar nicht einheitlich geregelt, die Regelungen der Einzelgesetze beanspruchen aber dennoch eine gewisse Einheitlichkeit. Wie schon angedeutet wurde, bestehen trotz des unterschiedlichen Wortlauts und der verschiedenen Regelungsorte rein lizenzrechtlich keine Unterschiede zwischen der Abgrenzung einfacher und ausschließlicher Nutzungsrechte (§ 31 Abs. 1 UrhG) und der Abgrenzung von „ausschließlichen oder nicht ausschließlichen“ Lizenzen (§§ 15 Abs. 2 PatG; 30 Abs. 1 MarkenG), Unterschiede werden vielmehr aus der „Wesensverschiedenheit“ der Güter735 bzw. der Schutzrechte736 gefolgert.
3. Immaterialgüterrechtliche Einwände gegen die Geltung des Abstraktionsprinzips Die umfänglichste Diskussion zur Abstraktheit der Verfügung gibt es im Urheberrecht. Anlass hierfür dürften sein monistischer Charakter, die energisch verfolgte Sicherung einer angemessenen Vergütung des Urhebers (§ 11 S. 2 UrhG) sowie die vielzitierte urheberrechtliche Spezialregel in § 9 Abs. 1 VerlG sein, die für Verlagsverträge das Kausalitätsprinzip statuiert. Auch § 40 Abs. 3 UrhG bindet Vorausver728
BGH ZUM 2009, 852 – Reifen Progressiv. BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 – M2Trade mit Anm. Becker. 730 BGH GRUR 2012, 914 – Take Five. 731 BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 23 – M2Trade. 732 Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker, MarkenG, § 30 Rn. 92. 733 Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 1, 6. 734 Vgl. auch Haedicke, ZGE/IPJ 3 (2011), 377 (390). 735 Vgl. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 20 (der dies allgemein feststellt, nicht mit Blick auf das Abstraktionsprinzip); Sosnitza, FS Schricker, 183 (die Ansichten zur rechtlichen Einordnung und Wirkung einfacher und ausschließlicher Lizenzen gingen abhängig vom jeweiligen Immaterialgut stark auseinander). 736 Wündisch/Bauer, GRUR Int. 2010, 641 (647); BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 49. 729
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fügungen (in Form der Einräumung von Nutzungsrechten an künftigen Werken) an den Bestand des Schuldvertrags.737 Die Argumente werden für die unterschiedlichen Immaterialgüterrechte in unterschiedlichem Ausmaß übernommen.
a) Besondere Funktion des Kausalverhältnisses mangels Typenzwangs Der erste der zentralen Einwände beruht auf der besonderen Funktion, die das Kausalverhältnis für die verfügende Rechtseinräumung hat: „Die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten und das Fehlen vorgeformter gesetzlicher Typen bedingen, daß oft der Inhalt des Rechts, auf das sich die Verfügung bezieht, erst durch den schuldrechtlichen Vertrag seine nähere Bestimmung und Ausformung erfährt. Dem Kausalverhältnis wächst damit eine besondere Funktion zu, die es im bürgerlichen Recht nicht zu erfüllen braucht.“738
Dieses Argument ist eher technischer Natur. Es stellt nicht auf materiellrechtliche Wertungen, wie etwa besondere Schutzbedürfnisse, ab, sondern auf die Notwendigkeit, das Verfügungsobjekt näher abzugrenzen. Der Zwang zu einer solchen Abgrenzung stammt aus dem Bestimmtheitsgrundsatz und wird im Sachenrecht vor allem durch den Typenzwang realisiert. Dies soll, wie gezeigt, unter anderem verhindern, dass der Veräußerer Rechte einräumt, die er nicht oder nicht mehr hat.739 Entsprechend soll für die Weiterübertragung von Nutzungsrechten – die von der Lizenzketten prägenden Unterlizenzierung zu unterscheiden ist! – zumindest im Urheberrecht das Abstraktionsprinzip gelten, da hier das Problem der Bestimmtheit durch den ursprünglichen Schuldvertrag (für den das Kausalitätsprinzip gelte) gelöst ist und diese Lösung in den folgenden Stufen in Bezug genommen werden kann.740 Aufgrund ihrer technisch-dogmatischen Natur beansprucht die dargelegte Argumentation grundsätzlich im gesamten Immaterialgüterrecht Geltung.741 Ganz überzeugend sind die Argumente allerdings nicht. Zwar kommt dem Schuldvertrag, mangels gesetzlicher Typen, auf die er sich beziehen könnte, eine besondere Bedeutung für die Bestimmung des versprochenen Verfügungsobjekts zu. Diese Doppelfunktion spricht aber weder logisch noch praktisch dagegen, bei Wegfall des Schuldvertrags die Verfügung aufrecht zu erhalten, zumal es im Ur737 Schricker/Loewenheim/Ohly,
UrhG, § 31 Rn. 15. Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (237); mit kleinen Variationen BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 19 – M2Trade; OLG Hamburg ZUM 2001, 1005 (1007) („Im Urheberrecht ist die Verfügung enger mit dem Verpflichtungsvertrag verknüpft, da sie erst durch diesen ihre Konturen gewinnt und nicht – wie im Sachenrecht – durch einen festgelegten Kreis dinglicher Rechte auf vorbestimmte Rechtsfiguren festgelegt ist […].“); Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, vor §§ 31 ff. Rn. 24, § 31 Rn. 17; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 18; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 391; BeckOK UrhG/Soppe, § 31 Rn. 78. 739 Siehe oben E. I. Dogmatik des Bestimmtheitsgrundsatzes. 740 Loewenheim/Ohly, Handbuch des Urheberrechts, § 28 Rn. 4; Schricker/Loewenheim/ Ohly, UrhG, § 31 Rn. 19; Berger/Wündisch/Berger, Urhebervertragsrecht, § 1 Rn. 31. 741 Für das Patentrecht Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (237 f.); Ann, Patentrecht, § 41 Rn. 1. 738
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
hebervertragsrecht keinen „inhaltliche[n] Gleichlauf zwischen Verpflichtung und Verfügung gibt“.742 Der Verfügungsumfang kann dem Lizenzvertrag auch weiterhin genauso entnommen werden wie vor Wegfall seiner verpflichtenden Wirkung. Was hingegen fehlt, ist die Besonderheit verkürzender Formeln, wie sie z. B. für das Versprechen (Verpflichtungsgeschäft) existieren, einen „Nießbrauch“ zu bestellen oder eine Sache zu „verpfänden“. Weiter ließe sich anführen, dass es angesichts der großen Bedeutung des schuldrechtlichen Vertrags für das geschuldete Verfügungsgeschäft in Lizenzverträgen (über die auch sonst schon gegebenen Einschränkungsmöglichkeiten hinaus) besonders einfach ist, das Abstraktionsprinzip vertraglich zu beseitigen. Am ehesten könnte es Probleme mit der inhaltlichen Abstraktion743 geben: Ist die einzige Quelle zur Beschreibung des Verfügungsobjekts der Schuldvertrag, ist es de facto unmöglich, ohne Bezug auf diesen zu verfügen. Abgesehen davon, dass sich dieses Problem auch in Kaufverträgen über Sachen stellen kann,744 gilt der Einwand nur für bereits abgespaltene Nutzungsrechte, eine inhaltlich abstrakte Neueinräumung ist möglich. Rechtspraktisch scheint aber tatsächlich – für jegliche immaterialgüterrechtliche Lizenz! – das Problem zu bestehen, dass die Ubiquität der Güter eine zu freihändige Weitergabe von Nutzungsrechten ermöglicht, so dass dem originären Rechtsinhaber bei einer Abstraktion vom Schuldvertrag fremde Personen entgegentreten könnten, denen der Inhalt ihrer Lizenz unbekannt ist.745 Allein, dieses Problem scheint in Patent- und Markenrecht nicht so groß zu sein, dass es hier eine der Urheberrechtsdiskussion vergleichbare Kritik am Abstraktionsprinzip entfacht hätte. Der Kern der Argumentation liegt m. E. eher in dem Gefühl, dass das Abstraktionsprinzip nicht zu der hochindividuellen Abgrenzung des Verfügungsobjekts passt. Die besondere Maßgeblichkeit des Verpflichtungsgeschäfts für die Abgrenzung des Verfügungsobjekts stellt den Charakter des Verfügungsgeschäfts als separaten Vertrag in Frage. Es geht also nicht um einen Bedingungscharakter (i. d. S., dass keine Verfügung ohne Verpflichtung möglich wäre), sondern um die Verschmelzung der eigentlich getrennten Vorgänge. Daher richtet sich das Argument mindestens im selben Maße gegen das Trennungsprinzip. Tatsächlich scheint für das Urheber- und gegebenenfalls auch das gesamte Immaterialgüterrecht kein eigenständiger Verfügungswille angenommen zu werden. Die Durchführung der Verfügung wird aus dieser Sicht einzig durch den Schuldvertrag begründet und entbehrt eines eigenen Willens. Übergreifend könnte der Bedarf nach hochindividuellen Abgrenzungen, die durch eine weitreichende Typenfreiheit unterstützt 742 Berger/Wündisch/Berger,
Urhebervertragsrecht, § 1 Rn. 33. Siehe oben III. Inhaltliche und äußere Abstraktion. 744 Z. B. Besitzkonstitut über eine Kaufsache, von der der Verkäufer noch viele gleichartige Exemplare besitzt, für die nur der Kaufvertrag die nähere Beschreibung/Bezeichnung enthält. 745 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 209 f. (erhöhte „Wahrscheinlichkeit von Lizenzüberschreitungen und Schutzrechtsverletzungen“). 743
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werden, ein eigenständiges Argument gegen die Geltung des Abstraktionsprinzips im Immaterialgüterrecht ergeben. Es bleibt also dabei, dass die Vereinheitlichung von Lizenzverpflichtung und -verfügung in keiner Weise zwingend ist. Eine durch Verfügung eingeräumte Lizenz kann bei Wegfall des Verpflichtungsgeschäfts rechtstechnisch unproblematisch bestehen bleiben. Das Unbehagen scheint eher aus der hier besonders künstlich wirkenden Trennung praktisch eng verwandter Vorgänge zu stammen.
b) Analogie zu § 9 Abs. 1 VerlG Eine andere, auf das Urheberrecht beschränkte Argumentation sieht in § 9 Abs. 1 VerlG einen Hinweis auf die generelle Geltung des Kausalitätsprinzips im Urheberrecht. § 9 Abs. 1 VerlG ordnet für die Einräumung des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts in Verlagsverträgen ausdrücklich das Kausalitätsprinzip an,746 was der BGH in einer vielbeachteten Entscheidung als exemplarische Regelung des insgesamt greifenden Kausalitätsprinzips747 versteht. M. E. kann man hierin aber genauso gut eine Spezialregel als Abweichung vom ansonsten geltenden Abstraktionsprinzip sehen. Eine analoge Anwendung,748 also die Anwendung des § 9 Abs. 1 VerlG im Wege einer Einzelanalogie, dürfte schon länger an der nach verschiedenen Überarbeitungen des UrhG kaum mehr planwidrigen Regelungslücke scheitern.749 Für die Sonderkonstellation der Insolvenz des Urhebers lässt sich dies sogar ganz konkret anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegen.750 Zudem müsste für die analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 VerlG eine derartige rechtliche Ähnlichkeit mit dem ungeregelten Sachverhalt festgestellt werden, dass eine unterschiedliche Behandlung nicht zu rechtfertigen ist. Eine solche Prüfung unterbleibt aber für gewöhnlich bzw. fällt negativ751 aus. Denn methodisch liegt es 746 § 9 Abs. 1 VerlG: „Das Verlagsrecht entsteht mit der Ablieferung des Werkes an den Verleger und erlischt mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses.“ 747 So BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 19 – M2Trade („als exemplarisch anzusehenden Regelung des § 9 Abs. 1 VerlG“). 748 Siehe OLG Hamburg ZUM 2001, 1005 (spricht die Analogie auch nur an einer Stelle zurückhaltend an). 749 Grützmacher, CR 2004, 814 (815). 750 Insbesondere könne dem Verleger „das Verlagsrecht nicht dadurch entzogen werden, dass das Urheberrecht durch Sondernachfolge oder im Wege der Zwangsvollstreckung einem Dritten übertragen wird oder dass über das Vermögen des Verfassers der Konkurs eröffnet wird.“, Begr. zum Entwurf eines VerlG, Verhandlungen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, II. Session, 1900/1902, Erster Anlageband, Aktenstück Nr. 97, 419; LG Hamburg ZUM-RD 2008, 77 (82) (der Gesetzgeber habe diesen Fall seinerzeit gesehen und bewusst keiner § 9 Abs. 1 VerlG entsprechenden Regelung zugeführt); Wallner, NZI 2002, 70 (74). 751 LG Hamburg ZUM-RD 2008, 77 (82) (die Insolvenz des Urhebers führe nicht zum Wegfall des schuldrechtlichen Vertragsverhältnisses, sondern nur zur [gegebenenfalls vorübergehenden] Undurchsetzbarkeit der Ansprüche des Vertragspartners, schon deshalb fehle es an der erforderlichen Ähnlichkeit der Interessenlagen); siehe aber Emmert, Die Stellung der Markenlizenz im deutschen Privatrecht, 138 ff. (für eine analoge Anwendung auf Markenlizenzen).
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fern, aus einer Einzelvorschrift eines für die enge Konstellation des Verlagsvertrages getroffenen Spezialgesetzes im Wege der Analogie ein grundlegendes Prinzip für das gesamte Urheberrecht mit seinen unzähligen Konstellationen abzuleiten (dessen Regelung der Gesetzgeber wie gesagt übersehen haben müsste).752 Nach dieser Denkart könnte man auch § 168 BGB als Einwand gegen das Abstraktionsprinzip der Stellvertretung verstehen, dabei ist er eine explizite, im Gesetz aber nicht als solche gekennzeichnete Ausnahme von der Regel. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ein weitreichendes Rechtsprinzip nur in einer Einzelvorschrift Ausdruck gefunden hat. Allerdings muss dies anhand der gängigen Rechtsfortbildungsmethoden positiv festgestellt werden und nicht lediglich denkbar sein.753 Schließlich beansprucht die in Rede stehende Analogie das Regel-Ausnahme-Verhältnis754 umzudrehen. Entsprechend überzeugend müsste sie daher sein. Ein weiterer Hinweis auf die fehlende Gültigkeit des Abstraktionsprinzips im Urheberrecht wird in § 40 Abs. 3 UrhG gesehen.755 Dieser bindet die Wirksamkeit von Verfügungen über künftige, noch nicht abgelieferte Werke an die fortdauernde Wirksamkeit des zugrunde liegenden Schuldvertrags. Hierbei handelt es sich um eine rein urheberrechtliche Regelung, die den rechtspolitisch heiklen756 Gegenstand von Verträgen über noch nicht existente Werke betrifft. Hier rangiert schon der Schuldvertrag am Rande der Nichtigkeit aufgrund möglicher Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) bzw. der Übertragung von Teilen des künftigen Vermögens (§ 311b Abs. 2 BGB).757 Dass Urheber in einem solchen Spezialfall besonderen Schutz genießen, ist kaum als Ausprägung einer generellen Regel, sondern eher als Ausnahme zu verstehen. Die Annahme einer kombinierten Rechtsanalogie758 aus § 9 Abs. 1 VerlG, § 40 Abs. 3 UrhG (gegebenenfalls mit dem Übertragungszweckgedanken als zusätzlichem Argument für die Bedeutung des Verpflichtungsgeschäfts für die Verfügung, § 31 Abs. 5 UrhG) liegt m. E. erst recht fern, da jede der Vorschriften für sich einen Spezialfall behandelt und diese Spezialfälle nicht verbunden oder ähnlich sind. Eine gemeinsame Linie oder ein Prinzip kann, wenn, dann eher im Verbund mit § 11 S. 2 UrhG sowie den Rückrufrechten wegen Nichtausübung und gewandelter Überzeugung (§§ 41 Abs. 5, 42 Abs. 5 UrhG) herausgelesen werden.759 Sowohl diese Vorschriften wie auch § 9 Abs. 1 VerlG, § 40 Abs. 3 UrhG sind auf den persönlichen und 752 Siehe auch BGHZ 27, 91 = GRUR 1958, 504 (506) – Privatsekretärin (gegen eine allgemeine Analogie aus § 9 VerlG). 753 Siehe zur Gesamtanalogie oben B. I. 2. b) Stellungnahme: Sachenrechtsprinzipien als Rechtsanalogie. 754 Siehe zur Herleitung des Abstraktionsprinzips oben G. II. 2. Abstraktionsprinzip. 755 Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, §§ 31 Rn. 15, 17. 756 Siehe auch zur Problematik der hinreichenden Bestimmtheit urheberrechtlicher Vorausverfügungen oben Fn. 463. 757 Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 40 Rn. 1; BeckOK UrhG/Götting, § 40 Rn. 1. 758 Dafür Loewenheim/Loewenheim/J. B. Nordemann, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 26 Rn. 3; Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann, Urheberrecht, § 31 Rn. 32. 759 Siehe BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 19 – M2Trade mit Anm. Becker.
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wirtschaftlichen Schutz des Urhebers gerichtet, den Letztere durch Anordnung des Kausalitätsprinzips realisieren. Es erscheint dennoch problematisch, hieraus abzuleiten, dass das Urheberrecht generell vom Kausalitätsprinzip bestimmt wäre.
c) Schutzbedürftigkeit des Verfügenden Das stärkste, weil offen wertende Argument gegen die (generelle) Geltung des Abstraktionsprinzips im Immaterialgüterrecht ist der Verweis auf die Übertragungszweckregel (§ 31 Abs. 5 UrhG) und das dahinterstehende Schutzbedürfnis des Lizenzgebers (das seinen stärksten Ausdruck in § 9 Abs. 1 VerlG findet). Dieses vornehmlich aus dem Urheberrecht stammende Argument beruht auf der Annahme einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Schöpfers immaterieller Güter. Einem exemplarisch anzuführenden Urteil des OLG Hamburg zufolge soll nach der Übertragungszweckregel des § 31 Abs. 5 UrhG im Zweifel davon auszugehen sein, „dass der Urheber nur in dem Umfange Rechte überträgt, wie es für die Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist. Hieraus folgt der allgemein anerkannte Rechtsgedanke im Urheberrecht, dass die urheber- und leistungsschutzrechtlichen Befugnisse die Tendenz haben, so weit wie möglich bei ihrem ursprünglichen Inhaber zu verbleiben, damit dieser in angemessener Weise an den Erträgnissen seines Werkes oder seiner sonstigen Leistung beteiligt wird (BGH GRUR 1979, 637 – White Christmas).“760
Hieraus folgert das Gericht die Angemessenheit des Kausalitätsprinzips: „Diesem Zweckbindungsgedanken wird nur durch eine kausale Bindung der rechtsübertragenden Verfügung an das Verpflichtungsgeschäft angemessen Rechnung getragen.“761
Tatsächlich ist die von Wenzel Goldbaum begründete762 Übertragungszweckregel eine urheberrechtliche Auslegungsregel, die teilweise in § 31 Abs. 5 UrhG Niederschlag gefunden hat.763 Sie ist keine Zweifelsregel zugunsten des Urhebers, sondern nimmt in Ermangelung vertraglicher Regelungen den von beiden Parteien zugrunde gelegten Vertragszweck als äußerste Grenze der Rechtseinräumung an.764 Für sie spricht i. S. d. zitierten Argumentation dennoch, dass sie den Vertragszweck als maßgeblich für die Verfügung erklärt,765 was wertungsmäßig das Gegenteil des Abstraktionsprinzips ausdrückt, das die Verfügung vom Zweck des Verpflichtungsgeschäfts abkoppelt. Die Anfang des 20. Jahrhunderts gegen diese 760
OLG Hamburg ZUM 2001, 1005 (1007). OLG Hamburg ZUM 2001, 1005 (1007). 762 Goldbaum, GRUR 1923, 182 (183); ders., Urheberrecht und Urhebervertragsrecht, 75 f. 763 Vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 680 ff.; siehe auch BGH GRUR 1960, 197 (199) – Keine Ferien für den lieben Gott. 764 Becker, ZGE/IPJ 6 (2014), 228 (237); BeckOK UrhG/Soppe, § 31 Rn. 94.1; Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl. 2010, § 31 Rn. 24 (keine Auslegungsregel „in dubio pro auctore“); a. A. Schulze, GRUR 2012, 993 (994). 765 Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 52 ff. 761
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Abkoppelung gerichtete Kritik am Abstraktionsprinzip des jungen BGB766 monierte exakt den Punkt, der auch das Unbehagen an abstrakten Verfügungen im Urheberrecht auszumachen scheint: Die mangelnde Verbindung der Eigentumsordnung zum „Leben und Treiben des Volkes“, das Losreißen des Eigentums „von seinen wirtschaftlichen Grundlagen“.767 Wie außerdem festgestellt wurde, benachteiligt das Abstraktionsprinzip tendenziell den Ersteigentümer.768 Was im Sachenrecht unter sozialistischen Gesichtspunkten kritisiert wurde, trifft im Urheberrecht den Urheber als Schöpfer des Werkes: Das Abstraktionsprinzip trennt Verfügungen über das Werk vom Erwerbsgrund und dessen Fehlern. Genau dies soll die Bindung an den Übertragungszweck verhindern: einen Verlust von Rechten an persönlichen Schöpfungen des Urhebers zugunsten des Verkehrsschutzes, sozusagen ein Verkehrsschutz auf Kosten des Schöpferprinzips. Diese Herleitung ist allerdings idealisiert und verkürzt den Gedanken der Übertragungszweckregel auf einen bloßen Urheberschutz. Welche Prämissen und Zwecke stehen tatsächlich hinter der Übertragungszweckregel? Die alleinige Begründung mit dem Schutz des Urhebers und seiner Beteiligung an den Verwertungserträgen seines Werkes769 greift zu kurz. Zum einen wirkt § 31 Abs. 5 UrhG nicht zwangsläufig zugunsten des Urhebers, vielmehr kann der Vertragszweck auch dem Erwerber dienen und umfänglichere Rechtseinräumungen erforderlich machen.770 Dabei ist er – entgegen der herkömmlichen Lesart – nicht zwangsläufig allein aus Sicht des Urhebers zu beurteilen,771 sondern muss auch den Hintergrund des Vertrages mit möglichen weiteren Stakeholdern berücksichtigen, etwa bei größeren Film-, Software- und Musikproduktionen. Der Übertragungszweckgedanke kann hier die „Rolle eines Instruments des allgemeinen Interessenausgleichs“ einnehmen.772 Zum anderen schützt § 31 Abs. 5 UrhG auf Seite des Veräußerers nicht nur Urheber, sondern unter anderem773 auch Inhaber rein kommerzieller Leistungsschutzrechte,774 abgeleiteter Urheberrechte775 sowie Inhaber ausschließ766 Siehe oben II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen Recht. 767 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 120. 768 Siehe oben II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen Recht. 769 BGH GRUR 1979, 637 (638 f.) – White Christmas; BGHZ 131, 8 = GRUR 1996, 121 (122) – Pauschale Rechtseinräumung; BGHZ 137, 387 = GRUR 1998, 680 (682) – Comic-Übersetzungen I; BGH GRUR 2002, 248 (251) – Spiegel-CD-ROM. 770 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann, Urheberrecht, § 31 Rn. 110. 771 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann, Urheberrecht, § 31 Rn. 128. 772 Vgl. Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann, Urheberrecht, § 31 Rn. 110 f. 773 Siehe die ausführliche Aufzählung bei Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 118. 774 BGH GRUR 1984, 119 (121) – Synchronisationssprecher; BGH GRUR 2013, 618 – Internet-Videorecorder II (für das Kabelweitersendungsrecht von Sendeunternehmen, §§ 87, 20b UrhG); Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 118; kritisch Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 919 (§ 31 UrhG sei nur entsprechend anwendbar und passe hinsichtlich der weitestmöglichen Verwertungsbeteiligung von Urhebern nicht für „rein unternehmerisch agierende Werkmittler“, die einander als gleichstarke juristische Personen gegenüberstehen). 775 BGH GRUR 1960, 197 (199) – Keine Ferien für den lieben Gott („Werknutzungsrechte, die vom Inhaber eines nur abgeleiteten Urheberrechts vergeben werden“).
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licher Nutzungsrechte im Zuge der Vergabe von Unterlizenzen.776 Dies zeigt auch der Wortlaut der Norm, der sich auf die „Einräumung eines Nutzungsrechts“ zwischen „Partnern“ bezieht. Sein Schutz gilt also beispielsweise auch Plattenlabels oder Filmstudios. Vereinzelt wird vertreten, dass es sich beim Übertragungszweckgrundsatz um ein für das gesamte Immaterialgüterrecht geltendes Prinzip handelt,777 was nach der beschriebenen Denkart eine ebenso weit reichende Geltung des Kausalitätsprinzips nahelegen könnte. Die Hinweise hierauf sind aber vage. Befürwortet wird die Übertragungszweckregel zumindest für das Patentrecht,778 was, soweit ersichtlich, nur damit begründet wird, dass auch der Patentinhaber möglichst wenig von seinem Recht abgeben möchte.779 Die angesprochene Möglichkeit, aus dem Übertragungszweck eine weiterreichende Lizenz abzuleiten, hat im Patentrecht besondere Relevanz. Die Lizenzierung der einen Erfindung kann die Lizenzierung einer weiteren, ursprünglich nicht-lizenzierten Erfindung erfordern, wenn Letztere zur Nutzung der Ersten erforderlich ist. Verankert wird diese Rechtsprechung in § 242 BGB: „Erfordert bei einem Lizenzvertrag die Benutzung der lizenzierten Erfindung die Mitbenutzung einer weiteren Erfindung des Lizenzgebers, gilt allgemein, dass diese im Zweifel mitlizenziert ist. Wer einem anderen eine Benutzungsberechtigung an einem Schutzrecht einräumt, ist schon nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) in der Regel gehalten, das ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um dem anderen Vertragsteil die Ausübung der vertraglichen Berechtigung zu ermöglichen; das gilt umso mehr, als es bei der vertraglichen Einräumung einer Benutzungsberechtigung in der Regel das Ziel der Rechtseinräumung sein wird, die Berechtigung auch auszuüben.“780
Nach einer vagen Andeutung in der Rechtsprechung781 und der Ansicht einiger Literaturstimmen gilt der Übertragungszweckgrundsatz außerdem im Markenrecht.782 Hiergegen wird aber eingewandt, dass die im Urheberrecht angenommene Tendenz des Rechts, so weit wie möglich beim Urheber zu verbleiben, nicht auf das Markenrecht übertragbar sei. Im Gegensatz zum Urheberrecht habe das Marken776
BeckOK UrhG/Soppe, § 31 Rn. 92. GRUR 2003, 234 (236) – EROC III („Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens“); Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 26. 778 BGH GRUR 2000, 788 (789) – Gleichstromsteuerschaltung; LG Mannheim InstGE 12, 136 Rn. 295 – Zusätzliche Anwendungssoftware (auch im Patentrecht greife „der im Immaterialgüterrecht allgemein geltende Zweckübertragungsgrundsatz“); Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 26; Keukenschrijver/Busse/Hacker, PatG, 8. Aufl. 2016, § 15 Rn. 125; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 43a. 779 BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 15, 43a. 780 BGH GRUR 2005, 406 (407) – Leichtflüssigkeitsabscheider; siehe auch GRUR 1980, 38 – Fullplastverfahren (zur Erlaubnis der Anwendung eines geschützten Verfahrens bei Veräußerung einer auf dessen Ausübung gerichteten Vorrichtung). 781 BGH GRUR 2011, 946 Rn. 18 – KD („Gebot der nach beiden Seiten hin interessengerecht en Auslegung“). 782 Ekey/Bender/Fuchs-Wissemann/Pahlow, MarkenG, § 30 Rn. 65; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, § 30 Rn. 26. 777 BGH
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recht keinen persönlichkeitsrechtlichen Einschlag und sei insbesondere der Inhaberschaft nach „nicht an den originären Entstehungstatbestand des Schutzrechts geknüpft“. Anders als im Urheberrecht sei ein besonderer Schutz des Rechtsinhabers daher nicht geboten.783 Insgesamt ist mit der Annahme, es handele sich beim Übertragungszweckprinzip um einen für das gesamte Immaterialgüterrecht gültigen Grundsatz, zurückhaltend zu verfahren. Abgesehen von den dargelegten, eher spärlichen Hinweisen wird nicht immer zwischen allgemeinen Regeln der Vertragsauslegung und dem speziellen Gehalt des Übertragungszweckgrundsatzes unterschieden. Bei der bekannten Vertragsauslegung anhand der objektiven Empfängerhorizonte und der ergänzenden Vertragsauslegung werden die Grundentscheidungen und Wertungen beider Parteien fortgeschrieben und gegebenenfalls ergänzende Lösungen entwickelt, die beiden Parteiinteressen gerecht werden. Der spezielle Gehalt des Übertragungszweckgrundsatzes besteht demgegenüber in der Einführung einer bei der Auslegung zu beachtenden, zusätzlichen Prämisse, nach der der Verfügende von seinem Immaterialgüterrecht möglichst viel zurückbehalten möchte und darf. Diese Prämisse soll maßgeblich für Zweifelsfälle sein, in denen unklar ist, wie weit die Verfügung nach dem Willen der Parteien reichen sollte. Die genauso plausible Prämisse, dass der Erwerber möglichst viel für sein Geld erhalten will, ist hingegen nicht leitend. In dieser Setzung und Verwirklichung einer einseitigen Prämisse liegt die Parteilichkeit der Übertragungszweckregel. Es scheint für diese Parteilichkeit aber keine Gründe zu geben, die über die persönlichkeitsrechtlichen Aspekte des Urheberrechts hinausgehen und die auch im Zentrum der Kritik784 an der Anwendung des Übertragungszweckgrundsatzes im gewerblichen Rechtsschutz stehen. Soweit für die übrigen Immaterialgüterrechte von einem Übertragungszweckgrundsatz ausgegangen wird, dürfte es sich dabei eher um die bekannten Grundsätze der Vertragsauslegung handeln, die in jedem Rechtsgebiet auch den Vertragszweck berücksichtigen.
d) Die Gebundenheit urheberrechtlicher Rechtsübertragungen Breiteren Boden gewinnen könnte das Kausalitätsprinzip m. E. allein im Urheberrecht und zwar mit dem Argument, dass verfügend eingeräumte Lizenzen aufgrund der Unübertragbarkeit der Verwertungsrechte nur gebunden eingeräumt werden können.785 Aus der Gebundenheit und dem Heimfall „ipso iure“,786 als grundlegenden Eigenschaften urheberrechtlicher Nutzungsrechte, könnte wohl am ehesten gefolgert werden, dass urheberrechtliche Verfügungen einen geringeren Grad an Eigenständigkeit haben als andere Verfügungsgeschäfte. 783
BeckOK MarkenG/Taxhet, § 30 Rn. 33. Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 919; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 30 Rn. 33. 785 Dazu nur Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 654 ff.; eingehend unten § 17 D. II. 3. b) Gebundene Übertragung (Forkel). 786 BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 19 – M2Trade. 784
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VIII. Folgerungen Die Betrachtungen hatten nicht den Zweck, Stellung zur Frage der Anwendbarkeit des Abstraktionsprinzips im Immaterialgüterrecht zu beziehen, vielmehr ging es um eine rechtsstrukturelle Betrachtung: Weisen Immaterialgüterrechte aufgrund ihrer Struktur und Funktionsweise Besonderheiten auf, die gegen eine Anwendbarkeit des Abstraktionsprinzips bzw. für das Kausalitätsprinzip sprechen? Schon dieser knappe Überblick hat gezeigt, dass die Folgerung einer generellen Geltung des Kausalitätsprinzips im Urheber- und erst recht im gesamten Immaterialgüterrecht problematisch ist. Die Annahme einer besonderen Funktion des Verpflichtungsgeschäfts für die Verfügung ist zwar richtig, im Ergebnis aber ein technisches Argument. Leitend erscheint eher eine gewisse Skepsis sogar gegenüber dem Trennungsprinzip bei einheitlichen Lebensvorgängen. Beides spricht weder logisch noch praktisch dagegen, bei Wegfall des Schuldvertrags die Verfügung aufrecht zu erhalten.787 Eine Analogie zu § 9 Abs. 1 VerlG ist methodisch nicht haltbar – weder gibt es eine planwidrige Regelungslücke, noch passt hier der Ähnlichkeitsschluss. Für die Ableitung eines allgemeinen Prinzips aus einer Spezialregel, die aus guten Gründen auch als Ausnahme verstanden werden kann, müssten sehr starke Argumente sprechen, die hier aber nicht in Sicht sind. Auch die Erweiterung über § 40 Abs. 3 UrhG und § 11 S. 2 UrhG vermag nicht die Voraussetzungen einer Rechtsanalogie zu erfüllen. Soll eine solche für Normalfälle gelten, muss sie aus Regeln für Normalfälle hergeleitet bzw. der avisierte Geltungsbereich der Analogie bei der Ableitung aus Sonderregeln berücksichtigt werden. Ein tragfähiges Beispiel für eine direkte Folgerung aus Normfällen bildet die Herleitung des Abstraktionsprinzips für Verfügungen über das Sacheigentum aus dem Schweigen des insoweit breit anwendbaren § 929 S. 1 BGB.788 Im Urheberrecht kämen am ehesten §§ 41 Abs. 5; 42 Abs. 5 UrhG789 oder die Gebundenheit von Rechtsübertragungen samt des damit verbundenen ipso iure-Heimfalls von Lizenzen790 in Betracht. Der Übertragungszweckgedanke wiederum lässt sich schon im Urheberrecht nicht auf eine generell zugunsten des Veräußerers begrenzte Rechteeinräumung verkürzen, aus der dann die Angemessenheit des Kausalitätsprinzips folgte. Des Weiteren wirkt das Kausalitätsprinzip nicht allein zugunsten von schutzbedürftigen Rechteinhabern, sondern zugunsten jedwedes Veräußerers, also etwa auch zugunsten marktstarker, nicht-originärer Rechteinhaber wie etwa großen Musiklabels. Außerhalb des Urheberrechts scheint der ursprünglich parteiische Kern des Übertragungszwecks häufig mit der bei Vertragsauslegungen ohnehin gebotenen Berücksichtigung des Vertragszwecks verwechselt zu werden. Zumindest fehlt eine 787
Siehe oben VII. 3. a) Besondere Funktion des Kausalverhältnisses mangels Typenzwangs. oben II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen
788 Siehe
Recht. 789 Siehe oben VII. 3. b) Analogie zu § 9 Abs. 1 VerlG. 790 Siehe oben VII. 3. d) Die Gebundenheit urheberrechtlicher Rechtsübertragungen.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
außerhalb des Urheberpersönlichkeitsrechts gelegene Begründung für die bevorzugte Behandlung von Veräußerern.791 Davon abgesehen liegt der ursprüngliche und nach wie vor gültige Grund des Abstraktionsprinzips in der Vertragsnatur des Verfügungsgeschäfts,792 der Verkehrsschutz ist nur ein sekundärer (aber dennoch bedeutender) Grund. Zusammenfassend gibt es im Immaterialgüterrecht keine strukturellen oder funktionalen Argumente, die für eine Abweichung von der Eigenständigkeit von Verfügungen und damit das Abstraktionsprinzip sprechen. Das Abstraktionsprinzip kann in Ausnahmefällen durchbrochen werden, was auch für breite Fallgruppen denkbar ist, die aber begründet werden müssen. Am ehesten kommen hierfür breit anwendbare Regeln/Prinzipien in Frage, wie etwa der Umstand der Gebundenheit und des ipso iure-Heimfalls urheberrechtlicher Rechtseinräumungen.
H. Unteilbarkeit (Totalität) Als Eigenschaft des Sacheigentumsrechts als solchem wird vereinzelt in den Sachenrechtsprinzipien,793 aber auch in anderem Zusammenhang, auf die Unteilbarkeit, die Totalität des Eigentums verwiesen. Sie könnte sowohl eine Eigenschaft des Sacheigentums als Stammrecht, vielleicht aber auch weiterer Herrschaftsrechte i. S. e. grundsätzlichen Unteilbarkeit von absoluten Herrschaftsrechten sein.
I. Ungeteiltes Sacheigentum und Funktionseigentum Das Sacheigentum des BGB kann nur ungeteilt existieren, was mit dem Begriff der Ungeteiltheit bzw. Totalität bezeichnet wird.794 An der Sache kann kein subjektives Recht bestehen, das über dem Eigentum oder auf gleicher Ebene wie das Eigentum rangiert, sondern nur Rechte anderer Art oder Abspaltungen des Eigentumsrechts.795 Der Begriff Totalität steht hier sowohl für die Verneinung eines geteilten Eigentums,796 als auch dafür, dass Eigentum „nicht die Summe bestimmter Befugnisse, sondern die Zuordnung der Sache in jeder Hinsicht“ ist.797 In den Motiven liest sich dieser Umstand sogar i. S. e. Grundes der Ungeteiltheit: „[…] da [!] das Eigenthum nicht eine Summe einzelner Befugnisse ist […] lässt sich das Eigenthum auch nicht so theilen, daß dem Einen und dem Anderen eine Reihe bestimmter im Eigenthume liegender Befugnisse zugewiesen werden“798 . 791
Siehe oben VII. 3. c) Schutzbedürftigkeit des Verfügenden. oben II. Herleitung von Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen
792 Siehe
Recht. 793 Siehe oben B. I. 1. Der ungewisse Kreis der Sachenrechtsprinzipien. 794 MüKoBGB/Brückner, § 903 Rn. 2, 8. 795 Puchta, Pandekten, § 146, 219 f. 796 Siehe Jänich, Geistiges Eigentum, 212 f. 797 AK-BGB/Ott, § 903 Rn. 1. 798 Mot. III, 262 = Mugd. III, 145.
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Die Vorstellung geteilten Eigentums hingegen war von den Glossatoren aus dem römischen Recht entlehnt worden. Dort waren so weitreichende Rechte Dritter (superficies 799 und emphyteusis800) an – insbesondere in öffentlicher Hand befindlichen – Liegenschaften möglich, dass dem Eigentümer praktisch nur ein entkerntes Eigentum (ein nudum ius) blieb.801 Die römische superficies war eine Maßnahme der Förderung privater Bauinitiativen,802 die emphyteusis hingegen stammte von Rechtsverhältnissen ab, die der Fruchtbarmachung des betreffenden (kaiserlichen) Landes durch die dann dinglich Berechtigten dienten.803 Im gemeinen Recht wurden diese durch dingliche Klagen geschützten, verkehrsfähigen Rechte an fremder Sache – auf einem Missverständnis beruhend804 – als „qualitative Teilung“ des Eigentums übernommen.805 Dominium utile, das nutzbare Eigentum war als minderes Untereigentum eine besondere Art des Eigentums und nicht nur die Abspaltung beschränkter Rechte; dominium directum bildete demgegenüber das Obereigentum, das bis vor kurzer Zeit auch im österreichischen Recht als vom „Recht auf die Nutzungen“ unterschiedlichen „Recht an der Substanz“ verstanden wurde.806 Häufig kam ein solches geteiltes Eigentum etwa im Verhältnis zwischen Lehnsherr und Vasallen oder in bäuerlichen Gutsverhältnissen vor.807 Praktische Bedeutung hatte diese Unterteilung auch noch in Partikularrechten des 20. Jahrhunderts für Lehen und Familienfideikomisse.808 Ein weiterer Grund für die Vorstellung mehrfachen Eigentums an einer Sache war die Ineinanderziehung verschiedener Rechtskreise, die zuvor im germanischen Recht unabhängig voneinander jeweils eigene Rechte wie z. B. Landrecht oder Hofrecht begründet hatten.809
799 D. 43. 18. 1pr.: es handelte sich um ein Erbbaurecht an Gebäuden auf fremdem Privatland mit Zinspflicht des Erbauers, das durch dingliche Klage geschützt war; zeitweise wurde der Erbauer sogar Volleigentümer des Gebäudes, Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2, § 248 (306 ff.); Kaser, Eigentum und Besitz, 21; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 40 Rn. 6. 800 Eine langfristige Erbpacht, C. 4, 66, 1; Inst. 3, 24, 3 (eigene Rechtsnatur, die sich weder an Kauf noch Pacht anlehnt; vererbbar, verkäuflich, verschenkbar); Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 40 Rn. 4. 801 Vgl. Johow, Begründung Entwurf Sachenrecht, Bd. 1, 522; siehe auch Raiser, FS Sontis, 167 (178). 802 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2, § 248 (307 f.). 803 Mitteis, Zur Geschichte der Erbpacht im Alterthum, 28 ff. 804 Problematisch war der Schluss von verschiedenen Klagearten (actio directa und actio utile), genauer gesagt, von der vindicatio utile für Erbbaurecht und Erbpachtrecht auf den Gegensatz eines jus directum und jus utile. Hieraus erfolgte die Ableitung getrennten Eigentums (dominium directum und dominium utile), dazu v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 121 (370 f.); Gerber, System des deutschen Privatrechts, § 77 (124); Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 8 II 1 b (272); HRG/ Hagemann, Stichwort „Eigentum“. 805 Vgl. Johow, Begründung Entwurf Sachenrecht, Bd. 1, 522 f.; Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, 292 f. 806 § 357 ABGB 1811 (am 24.07.2006 weggefallen); dazu v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 121 (371). 807 Puchta, Pandekten, § 146, 219 f. 808 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 88 III (354); Borchers, VIZ 1994, 650 (652). 809 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 121 (369).
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Die über lange Zeit praktizierte Teilung des Eigentums war ein Faktor der oben erwähnten Eigentumszersplitterung, die letztlich zur Einführung des Typenzwangs810 führte.811 Den vielfach kritischen Rückblicken auf die Teilbarkeit hält Otto v. Gierke eine wichtige Funktion geteilten Eigentums entgegen. Es habe die „große geschichtliche Aufgabe“ im Wesentlichen erfüllt, „das in wenigen Händen zusammengeschlossene echte Eigentum an Grund und Boden wiederum aufzuteilen und allmählich in freies und volles Eigentum weiter Volkskreise überzuleiten. […] so ist in der Neuzeit auch auf dem Lande das meiste ritterliche und bäuerliche Untereigentum durch Aufhebung oder Ablösung des Obereigentums in Volleigentum verwandelt worden“. Darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass in Zukunft (aus Sicht des Jahres 1905) das geteilte Eigentum „bei der Aufteilung des Bodens“ und der „Sesshaftmachung breiter Volksschichten“ eine Rolle spielen werde (was sich in Ansätzen bewahrheitete, siehe sogleich). Schließlich habe „die Gesetzgebung über Ansiedlungs- und Rentengüter neue Formen eines unvollständigen Eigentumes geschaffen, bei denen zwar der Name des geteilten Eigentums vermieden, sachlich aber ein ihm sehr ähnliches Verhältnis begründet ist“.812
Bereits oben813 angesprochen wurde die etwa bei Heck814 und Mitteis815 zu findende Sicht, dass gerade Liegenschaften eine zu große wirtschaftliche und soziale Bedeutung haben, um sie dem rein kapitalistisch gesteuerten Totaleigentum zu überlassen, weshalb das diesbezügliche Sachenrecht schärfere Beschränkungen und besondere, auf parallele Nutzung gerichtete Typen vorsieht. Das prägnanteste Beispiel hierfür sind die 1975 von der SPD im Vorfeld der Novelle des Bundesbaugesetzes vorgestellten „Vorschläge eigentumsrechtlicher Lösungen zur Reform der Bodenordnung“: „Wir wollen, dass knapper Boden so genutzt wird, wie es die Bürger wirklich brauchen, und nicht im Sinne der höchsten kaufmännischen Rendite.“816 Gemeinden sollte ein Verfügungseigentum und Privaten nur ein darunter zeitlich befristet eingeräumtes Nutzungseigentums zugewiesen werden.817 Dogmatisch hätte sich solch eine Aufteilung auch über eine Erweiterung des Erbbaurechts bewerkstelligen lassen,818 das ohnehin eine wichtige Funktion in der Wohnraumpolitik hat.819
Das geteilte Eigentum ist also keine bloße Verirrung der Rechtsgeschichte, sondern reflektiert, jedenfalls im Liegenschaftsrecht, die schon immer übliche parallele Nutzung von Grund und Boden durch verschiedene Parteien. Die Möglichkeit der Einräumung beschränkter dinglicher Rechte, die solche Parallelnutzungen rechtssicher eröffnen, hat im Ergebnis Ähnlichkeit mit dem früheren geteilten Ei810
Siehe oben C. I. 1. Der sachenrechtliche numerus clausus. v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 121 (368). 812 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 121 (372 f.). 813 Siehe oben C. I. 1. Der sachenrechtliche numerus clausus. 814 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 84 ff. 815 Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 85. 816 SPD, Vorschläge eigentumsrechtlicher Lösungen zur Reform der Bodenordnung, 1975, 6. 817 SPD, Vorschläge eigentumsrechtlicher Lösungen zur Reform der Bodenordnung, 1975, 6 ff., 11 ff. 818 Raiser, FS Sontis, 167 (178). 819 Vgl. nur Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 104 (421); Brehm/Berger, Sachenrecht, § 24 Rn. 4. 811 Vgl.
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gentum. Daher lässt sich die Vorstellung eines totalen, unteilbaren Eigentums auch nur schwer mit der Existenz dieser die Kompetenzen des Eigentümers beschränkenden dinglichen Rechte vereinbaren.820 So oder so kommt es zu einer „Funktionsteilung“.821 Eine solche tritt rechtspraktisch auch jenseits des Kreises der beschränkten dinglichen Rechte ein, etwa wenn unter Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses der unmittelbare Besitz eingeräumt wird, wie es in Treuhandverhältnissen oder bei Anwartschaftsrechten der Fall ist.822 Die eigentliche Frage dabei lautet daher nicht, ob der Sacheigentümer rechtspraktisch stets das totale, ungeteilte Eigentum hat, sondern wie die Rechtsdogmatik mit der üblichen Funktionsteilung umgeht. Die Lehrbuchantwort sieht den jeweiligen Eigentümer in allen Fällen durchgängig als Inhaber des unteilbaren Vollrechts.823 Die bereits deutlich vor der Ausarbeitung des BGB im 19. Jahrhundert erfolgte Aufgabe des geteilten Eigentums geht nach Darstellung v. Gierkes darauf zurück, dass man es als unrömisch erkannte824 und es daher „für logisch unmöglich, für das bloße Erzeugnis von Missverständnissen, für ein Trugbild“ erklärte.825 Das (neue) Ideal war das ungeteilte römische Eigentum. Dort war die Teilbarkeit des Eigentums nur eine scheinbare, denn superficies und emphyteusis waren Rechte an fremder Sache (ius in re aliena). Auf das einschlägige Digestenzitat zur Unteilbarkeit wird noch heute häufig verwiesen, dort heißt es „… daß von zwei Personen nicht jede eine Sache als Ganze im Eigentum haben oder besitzen könne und daß auch keiner [von ihnen] Eigentümer eines Teiles einer körperlichen Sache sein könne; vielmehr habe jeder ungeteiltes Miteigentum an der ganzen körperlichen Sache.“826
Zudem wird angeführt, dass das geteilte Eigentum vornehmlich für Rechtsverhältnisse zwischen Bauern und Grundherrn von Bedeutung gewesen und daher mit dem Rückgang dieser Verhältnisse funktionslos geworden sei.827 Im größeren Bild hatte das geteilte Eigentum seine wirtschaftliche Funktion eingebüßt, das Untereigentum „zehrte“ das Obereigentum immer weiter auf.828 Dies gipfelte schließlich in der Bodenreform, die den wirtschaftlichen Hemmschuh zersplitterter Bodenrechte829 durch die Möglichkeit der Ablösung unter Entschädigung des anderen Teils zu beseitigen suchte (sog. Ablösungsgesetzgebung), so dass etwa Bauern ge820
Raiser, FS Sontis, 167 (169 f.); AK-BGB/Ott, § 903 Rn. 20. Raiser, FS Sontis, 167 (170). 822 Raiser, FS Sontis, 167 (171 ff.). 823 Dazu unten 6. Kapitel – Abgeleitete Rechte. 824 Siehe auch die Nachweise in Fn. 804. 825 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 121 (371 f.); siehe etwa Thibaut, Versuche über einzelne Theile der Theorie des Rechts, Bd. 2, 77 f. („Erfindung der Glossatoren“), 67 ff.; Gerber, System des deutschen Privatrechts, § 77 (123 ff.). 826 Ulpian, Dig. 13.6.15. (Übersetzung nach Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler, Bd. 3, Digesten 11–20). 827 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 8 II 1 b (272). 828 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 85. 829 Siehe Heck, Grundriß des Sachenrechts, 85 (eine Vielzahl verschiedenartiger Bodenrechte habe „ein schweres Hindernis für die wirtschaftliche Tätigkeit des Eigentümers und jedes Bodenbenutzers“ dargestellt). 821
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
gen Entschädigung des Gutsherrn Eigentum an dem von ihnen bewirtschafteten Land erwarben.830 Der dafür und auch vorliegend besonders wichtige geistesgeschichtliche Anstoß war zunächst von der französischen Revolution ausgegangen, die die Feudalrechte aufgehoben hatte.831 In Deutschland war es die idealistische Philosophie, die „das Eigentum als die äußere Freiheitssphäre der Person betrachtete“ und schließlich „zu einem einheitlichen, freiheitlichen und abstrakten Eigentumsbegriff, der das Eigentum von den einzelnen aus ihm fließenden Befugnissen (Verfügungsmacht, Nutzungsrecht) abhob und als totale, ausschließliche und prinzipiell unbeschränkte Herrschaft einer Person über eine Sache definierte“.832
Den an den wirtschaftlichen Liberalismus und die Französische Revolution anknüpfenden Forderungen des liberalen Bürgertums ging es allerdings weniger um das Eigentum in dem hier behandelten rechtstechnischen Sinne „als um den Eigentümer, den Bürger, dessen Freiheitsraum es zu sichern“ galt.833 Dahinter stand eine zunehmende Begeisterung für die Subjektivität und Persönlichkeit des modernen Menschen,834 der beansprucht, „als gestaltendes und produzierendes Wesen alle Natur aus dem eigenen Recht des schöpferischen Wesens gestalten und im Eigentum beherrschen zu dürfen“.835 Zugrunde lag dem Verständnis von Eigentum als Freiheit wohl insbesondere Locke, dessen property-Begriff weit über den des Eigentums an Gegenständen hinausreichte, sondern i. S. e. die Eigentümlichkeit der Person umfassenden Persönlichkeitsrechts zu verstehen ist.836 Insgesamt scheint es damit keine funktionalen oder anderen zwingenden Gründe für die ungeteilte Ausgestaltung des Sacheigentums zu geben. Es waren eher praktische Gründe, die dazu führten, Rechtspositionen an Liegenschaften überschaubar zu halten. Hierzu diente neben dem ungeteilten Eigentum auch die Begrenzung der möglichen Arten von Rechtspositionen (Typenzwang).837 Die Idee des Eigentums als Ausprägung menschlicher Freiheit hingegen ist größer und fundamentaler. Sie wurde oben bei der Frage der Herrschaft über einen Ausschnitt der Lebenswelt näher behandelt.838 In ihr liegt eine Parallele zur Entwicklung einer Theorie des geistigen Eigentums durch Naturrecht (insbesondere Lockes labor theory) und Aufklärung, etwa bei Pütter, Kant und Fichte,839 wonach Urheber ein 830 HRG/Erler/Eckert,
Stichwort „Ablösungsgesetzgebung“. Stichwort „Eigentum“; Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, 383. 832 HRG/Hagemann, Stichwort „Eigentum“; Brunner/Conze/Koselleck/Schwab, Geschichtliche Grundbegriffe, 65 (78 ff.); Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 51 (173); siehe auch Zech, AcP 219 (2019), 488 (548). 833 Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 216 ff. 834 Siehe dazu Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 12 ff. 835 Hecker, Eigentum als Sachherrschaft, 222 ff., 229. 836 Locke, Second Treatise, § 123 („lives, liberties and estates, which I call by the general name, property“); Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 26. 837 Siehe oben C. I. Enumeration dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang). 838 Siehe oben § 10 A. Begriff und Problem; B. II. 1. Persönlichkeitsschutz. 839 Pahlow/Eisfeld/Schwab, Grundlagen und Grundfragen des geistigen Eigentums, 35 ff.; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 115 ff. 831 HRG/Hagemann,
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„natürliches, angebornes, unzuveräußerndes Eigenthumsrecht“840 haben.841 Auch dieses Prinzip des geistigen Eigentums des Autors machte sich die Französische Revolution zu eigen842 und löste hiermit das Privilegiensystem ab.843 Die Idee war freilich nicht auf das Urheberrecht beschränkt, sondern erfasste auch Erfindungen und andere Immaterialgüter.844 Nun wurde der „Schöpfer eines Geisteswerkes, mag er ‚Erfinder‘ oder ‚Urheber‘ sein, dagegen geschützt, daß andere ohne seinen Willen sein Geisteserzeugnis zu eigennützigen Zwecken wirtschaftlich ausbeuten“.845
Gerade bei Kant wird die Parallele zum Sacheigentum in der Figur des intelligiblen Besitzes offenbar. Die Ungeteiltheit des Eigentums hat damit eine Wurzel, die auf den ersten Blick logisch notwendiger/systemimmanenter Teil des modernen Eigentumsverständnisses ist, das auch geistiges Eigentum umfasst. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch in der heutigen Eigentumsordnung auf die Verwandtschaft des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes zu den Freiheitsgrundrechten hingewiesen.846 Bei näherer Betrachtung fallen aber die im Laufe dieser Arbeit bereits in verschiedenen Zusammenhängen erwähnten Einschränkungen auf. Zum einen kann zivilrechtliches Eigentum durch die Vergabe dinglicher Rechte ausgehöhlt werden, die Möglichkeit der Entäußerung von Eigentümerbefugnissen wurde mit der Abschaffung des geteilten Eigentums und der Rechtszersplitterung nur graduell eingeschränkt. Zum anderen unterliegt Eigentum mannigfaltigen Beschränkungen, die sich aus Gesetzen und Rechten Dritter ergeben (s. insbesondere § 903 BGB) bzw. im Immaterialgüterrecht meist in Form von Schranken im betreffenden Gesetz verankert sind.847 Die idealistische Vorstellung ungeteilten Eigentums beansprucht weder für das Sacheigentum noch das Immaterialgüterrecht ein weit reichendes oder gar uneingeschränktes Eigentum. Es geht nur darum, die Eigentümerposition nicht schon dem Prinzip nach zu spalten: Die Totalität stellt lediglich klar, dass nur der Eigentümer Eigentümer ist und andere Berechtigte bloß ein Recht an fremder Sache bzw. einem fremden Immaterialgut haben. Dies ist aber nur sehr bedingt Ausdruck freiheitlich-idealistischer Notwendigkeiten. Mehr Gewicht hat der Ordnungsgedanke, der sich schon in Typenzwang und Spezialitätsprinzip zeigte. 840
Fichte, Berlinische Monatsschrift 1793, 443 (461). Dölemeyer/Klippel, FS GRUR, Bd. 1, 185 Rn. 18 ff. 842 Die Wurzeln des Begriffs reichen weiter zurück, siehe Hirsch, UFITA 36 (1962), 19 (25) (zugrunde liege eine 1723 erfolgte Änderung der Privilegien der Buchhändlerzunft, die es Autoren gestattet habe, ihre Bücher selbst zu verkaufen); siehe auch Dölemeyer/Klippel, FS GRUR, Bd. 1, 185 Rn. 10 ff. 843 Hirsch, UFITA 36 (1962), 19 (29); Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 2, 152 f.; Ann, Patentrecht, § 4 Rn. 23. 844 Osterrieth, Patentrecht, Rn. 5. 845 Hirsch, UFITA 36 (1962), 19 (28). 846 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 51 (171). 847 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 51 (173 ff.). 841 Vgl.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Überdies ist die Ungeteiltheit (nur) ein Prinzip der Stammrechte, für beschränkte dingliche Rechte trifft sie keine über den numerus clausus dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang) hinausgehende Aussage. Dass eine Hypothek von den Parteien nicht in eine Ober- und eine Unterhypothek mit unterschiedlichen Befugnissen geteilt werden kann, ergibt sich aus dem Typenzwang als speziellerem Prinzip. Abschließend abzugrenzen bleibt noch das Institut des Miteigentums: Zwar ist das Sacheigentum als absolutes Herrschaftsrecht nicht i. d. S. aufteilbar, dass ein Teil der darin enthaltenen Befugnisse dem einen und ein anderer Teil dem anderen Teileigentümer zustehen könnte. Wohl aber kann die Rechtsstellung als Ganze (d. h. mit allen darin enthaltenen Befugnissen) auf mehrere Parteien verteilt werden (nämlich nach Bruchteilen, §§ 1008 ff. BGB), nur kann damit eben keine inhaltliche Aufteilung einhergehen.848
II. Die Teilbarkeit von Immaterialgüterrechten Die Unteilbarkeit gehört zum Wesen der modernen Vorstellung von Immaterialgüterrechten, soweit man auf ihre Wurzeln in Aufklärung und Naturrecht rekurriert. Das Merkmal der Unteilbarkeit hat hier, wie im Sacheigentum auch, die Bedeutung, dass Immaterialgüterrechte nicht die Summe bestimmter Befugnisse sind, sondern das jeweilige Gut umfassend zuordnen, was unter anderem die Möglichkeit der späteren, bruchlosen Anpassung des Rechts an technische und wirtschaftliche Entwicklungen durch neue Verwertungsrechte ermöglicht.849
1. Zum geltenden Immaterialgüterrecht Im deutschen Urheberrecht kodifizierte der Gesetzgeber mit dem UrhG die schon zuvor geltende Rechtslage, nach der dem Urheber „grundsätzlich alle Verwertungsmöglichkeiten einzuräumen“ sind.850 Der Gesetzeswortlaut stellt dies durch einen umfassenden Schutzanspruch in § 11 S. 1 UrhG sowie durch „insbesondere“-Aufzählungen in § 15 Abs. 2, 3 UrhG klar. Die dort genannten Verwertungsrechte haben also nicht nur Beispielcharakter, sondern sind Fälle, die als besonders charakteristisch gelten und Vorbildfunktion für ungeregelte Verwertungen haben sollen. Sie sind nämlich keine Rechte, die sich zusammengenommen zum Urheberrecht aufsummieren lassen, sondern Ausflüsse des einheitlich gedachten Urheberrechts: „Das Urheberrecht ist nicht nur die Summe der Befugnisse, die dem Urheber zustehen. Es ist vielmehr das einheitliche Recht, aus dem die Befugnisse fließen.“851 848 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 51 III (176); siehe auch unten § 16 E. IV. 3. Verhältnis von Stammrechtsinhaber und dinglich Berechtigtem. 849 Siehe etwa Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 355. 850 BT-Drucks IV/270, 45; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 15 Rn. 10. 851 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 115; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 355.
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Hiermit eng zusammen hängt die monistische Theorie, die persönlichkeits- und vermögensrechtliche Aspekte zu einem einheitlichen Urheberrecht zusammenfasst. Sie vermag zu erklären, wie einzelne, vermögensrechtlich geprägte Verwertungsrechte auf andere übertragen werden können, ohne dass der Urheber hierdurch sämtliche Einwirkungsmöglichkeiten verliert oder sich sein Urheberrecht schmälert.852 Das Urheberrecht ist also sowohl einheitlich (d. h. kein Rechtebündel) als auch monistisch. Ähnlich verhält es sich im Markenrecht, auch § 14 Abs. 3 MarkenG enthält eine „insbesondere“-Aufzählung.853 Dass es eine solche Aufzählung in § 15 MarkenG (also für geschäftliche Bezeichnungen i. S. d. § 5 MarkenG) nicht gibt, rührt daher, dass der an sich zu § 14 MarkenG parallel ausgestaltete Schutz geschäftlicher Bezeichnungen in den Tatbeständen des § 15 Abs. 2 und 3 MarkenG von vornherein „allgemein die unbefugte Benutzung des anderen Zeichens im geschäftlichen Verkehr“ verbietet und nicht – wie § 14 MarkenG – auf den (engeren) Grundtatbestand der Benutzung des Zeichens zur Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen abstellt.854 Es dominiert der zentrale Verletzungstatbestand der Verwechslungsgefahr.855 Sowohl an Marken wie an geschäftlichen Bezeichnungen hat der Berechtigte daher ein umfassendes Recht, das vor allem durch die Zeichenfunktionen i. V. m. der Verwechslungsgefahr bestimmt ist und in §§ 14, 15 MarkenG (nur) konkretisiert wird. Bei der von Pawlowski angeführten Teilbarkeit von Warenzeichenrechten856 handelt es sich tatsächlich nur um zwei eigenständige Rechte am selben Zeichen, die letztlich einen Unterfall der bei Zeichenrechten häufigen Mehrfachberechtigung (dazu sogleich) darstellt. Eine inhaltliche Aufteilung eines Zeichenrechts, wonach der eine Berechtigte einen Teil und der andere Berechtigte den anderen Teil desselben Rechts hält, liegt nicht vor.857 Anders scheint es auf den ersten Blick im Patentrecht zu sein. Die in §§ 9–11 PatG definierten Verbietungsrechte des Patentinhabers sollen enumerativ zu verstehen sein, sie haben keinen bloßen Beispielcharakter.858 Das Patentrecht bräche also mit der Unteilbarkeit, insoweit es ein Rechtebündel anzunehmen scheint. Tatsächlich aber widersprechen sich die Vorstellung einheitlichen geistigen Eigentums 852
Hirsch, UFITA 36 (1962), 19 (46 f.). GRUR 2010, 445 Rn. 65 – Google France und Google (zur alten MarkenRL [RL 89/104/EWG] und GemeinschaftsmarkenVO [[EG] Nr. 40/94]); Fezer, MarkenG, § 14 Rn. 150 („beispielhaft und nicht abschließend“); BeckOK MarkenG/Mielke, § 14 Rn. 225. 854 BT-Drucks 12/6581, 76. 855 Goldmann, Der Schutz des Unternehmenskennzeichens, § 13 Rn. 1 ff. 856 Pawlowski, Rechtsbesitz, 95 ff.; ders., AcP 165 (1965), 395 (408). 857 Siehe etwa den von Pawlowski angeführten Fall RGZ 134, 38 (40) – Hunyadi Janos, in dem der Bekl. das vom Kl. als Warenzeichen geschützte Zeichen zur Herkunftsbeschreibung genutzt hat, das RG einen Herkunftshinweis auf den Betrieb der Kl. aber ausdrücklich ausschließt. 858 Vgl. Denkschrift zum Gemeinschaftspatentübereinkommen, BT-Drucks 8/2087, 24, 123 (zu Art. 29 GPÜ: „Der Katalog der verbotenen Handlungen ist abschließend.“, dies hat auch Geltung für § 6 PatG a. F. [heute § 9 PatG]); BeckOK PatG/Ensthaler, § 9 Rn. 31; Keukenschrijver/ Busse/Keukenschrijver, PatG, § 9 Rn. 6; Büscher/Dittmer/Schiwy/Trimborn, § 9 PatG Rn. 6. 853 EuGH
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
und die Enumeration der davon umfassten Rechte nicht zwingend.859 Entscheidend ist die – hier auf das Patentrecht bezogene – Frage, ob das Patentrecht und die enumerierten Rechte identisch, diese also das Patentrecht sind, oder ob die Rechtsordnung dem Erfinder als ideellen Überbau ein Patentrecht zuweist, aus dem die Rechte „an“ seiner Erfindung entspringen. Letzteres ist der Fall – das Patentrecht ist geistiges Eigentum und nicht nur ein Rechtebündel ohne eigentlichen Kern.860 Freilich ist es von der überpositiven Vorstellung eines jedem Erfinder gebührenden Rechts schon durch die strenge Priorität entfremdet, die – anders als im Urheberrecht – keine Doppelschöpfungen anerkennt.861 In mehreren Immaterialgüterrechten besteht ferner die Möglichkeit der „Teilung“ von Registerrechten (s. §§ 40, 46 MarkenG; § 39 PatG, § 4 Abs. 6 GebrMG; siehe auch § 12 Abs. 2 DesignG), was auf einen Bruch der Totalität hinzudeuten scheint. Diese Art der Teilung bezieht sich aber nur auf eine Verringerung des Umfangs des Schutzgegenstands durch Aufteilung auf mehrere Rechte. Sie ändert nichts am Inhalt des Rechts, also der Rechte hinsichtlich des Schutzgegenstandes. Abstrakt betrachtet wird hier nur das Rechtsobjekt verändert, das Verfügungsobjekt bleibt im Wesentlichen gleich. Ähnlich ist es bei einer Mehrzahl von Rechteinhabern, so führt z. B. eine Miturheberschaft zu einer Erhöhung der Anzahl an Rechtssubjekten bzw. zu ihrer Vergemeinschaftung.862 Die gesetzlich vorgesehenen Inhalte des Verfügungsobjekts bleiben unangetastet (auch wenn sie sich nach der Teilung auf ein Rechtsobjekt geringeren Umfangs beziehen). Diese Teilung ist auch bei Sachen möglich – wird eine einheitliche Sache in mehrere Sachen zerteilt (z. B. bei der Spaltung eines Diamanten oder Verarbeitung eines Baumstamms zu Brettern), vermehrt sich die Anzahl der Verfügungs- und Rechtsobjekte des Eigentümers. Diese Art der Aufteilung rüttelt nicht an der hier gemeinten Unteilbarkeit absoluter Herrschaftsrechte. Damit erweist sich die Unteilbarkeit oder Totalität im hier beschriebenen Sinne als Merkmal absoluter Herrschaftsrechte.
2. Zweifel an der Unaufteilbarkeit Interpretiert man Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte,863 so zeigen sich erste Zweifel an der Unteilbarkeit. Die gezeigte, idealistisch inspirierte Unteilbarkeit absoluter Herrschaftsrechte (als Ausprägung persönlicher Freiheit) suggeriert, dass dem Berechtigten das volle, ungeteilte Recht an dem ihm zugewiesenen Gegenstand zusteht.864 Z. B. müsste der Urheber das volle, umfäng859
Siehe auch Oberndörfer, Die philosophische Grundlage des Urheberrechts, 129 f. Ann, Patentrecht, § 1 Rn. 23. 861 Ann, Patentrecht, § 3 Rn. 13. 862 Je nachdem, ob man eine Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. BGB oder eine Gesamthandsgemeinschaft annimmt, wobei die besseren Argumente wohl für letztere sprechen, siehe nur Schricker/Loewenheim/Loewenheim/Peifer, UrhG, § 8 Rn. 1. 863 Siehe oben § 5 D. IV. Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte. 864 Vgl. Oberndörfer, Die philosophische Grundlage des Urheberrechts, 131. 860
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liche Recht an seinem Werk erhalten. Nur welchen Inhalt sollte ein solches Urheberrecht haben? Oder, allgemeiner: eignet sich die Unaufteilbarkeit als Abgrenzungskriterium für den Inhalt/die Reichweite absoluter Herrschaftsrechte? Bei Sachen ergibt eine Allzuweisung (nach Belieben verfahren/von jeder Einwirkung ausschließen) noch Sinn, da sie zu unterschiedlich sind, um spezielle Eigentumsrechte für spezielle Sachen (z. B. ein Pistoleneigentum oder ein Fahrzeugeigentum) festzulegen und die von Sachen ausgehende Vergrößerung der faktischen Handlungsmöglichkeiten des Eigentümers begrenzt sich durch die Sache meistens von selbst. Beispiel: Es greift nur geringfügig in die Gemeinfreiheit ein, wenn ein bestimmtes Auto einem bestimmten Menschen exklusiv zur Verfügung steht.
Bei Immaterialgütern ist die Lage eine andere. Der Berechtigte kann die Allgemeinheit von Handlungen ausschließen, die einer Unzahl an Personen faktisch möglich und nützlich wären. Dies drücken die Nicht-Rivalität und Ubiquität von Immaterialgütern und der Gedanke der künstlichen Verknappung865 aus. Beispiel: Ein Großteil der Weltbevölkerung könnte gleichzeitig denselben Song vervielfältigen und hören. Nur das Urheberrecht beschränkt diese faktische Möglichkeit der Nichtberechtigten. Der Unterschied zur Nichtnutzung eines bestimmten Autos durch die Weltbevölkerung ist gravierend.
Eine Allzuweisung eines Immaterialguts i. S. d. Zuweisung sämtlicher denkbarer Repräsentationen desselben und jeglicher darauf gerichteter Beeinträchtigungen wäre daher ein ungeheurer Eingriff in die Gemeinfreiheit. Deshalb gewähren die verschiedenen Immaterialgüterrechte unterschiedliche Bestimmungsrechte, die jeweils zu der betreffenden Art von Immaterialgut passen. Rechtsobjekt und Verfügungsobjekt sind aufeinander zugeschnitten. Keines der Immaterialgüterrechte gewährt alle denkbaren Bestimmungsrechte für ein bestimmtes Immaterialgut (genauer: für dessen informationelle Repräsentationen), sondern stets nur teilweise Bestimmungsrechte, auch wenn diese Aufteilung aus menschlichem Blickwinkel sehr klar abgegrenzt wirkt. Beispiel: Dass der Autor nicht den Nachbau einer von ihm in einem Roman beschriebenen Maschine verbieten kann, wird nicht als Teilung seines Rechts in einen urheberrechtlichen und einen patentrechtlichen Teil empfunden.
Im Zeichenrecht ist diese Aufteilung hingegen schon offensichtlicher und vor allem sind mehrere Rechte an ein und demselben Immaterialgut, also am selben Zeichen üblich. Wie gezeigt866 wurde, kann ein Zeichen unproblematisch parallel als Marke, geschäftliche Bezeichnung, Name, Firma etc. geschützt sein. Eine Zusammenführung dieser Rechte unter ein gemeinsames Zeichenrecht könnte 865 Siehe Plant, Economica 1 (1934), 30 (31); Lemley, Texas Law Review 83 (2005), 1031 (1055 mit Fn. 99); Lehmann, GRUR Int. 1983, 356 (361 f.). Dazu oben Fn. 283. 866 Siehe oben § 5 D. III. 4. g) Zeichen als Rechtsobjekte.
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der oben knapp wiedergegebenen Situation des Zusammenziehens verschiedener Rechtskreise mit dem Ergebnis eines geteilten Eigentums ähneln. Gäbe es an jedem Zeichen nur ein Recht und wollte man niemanden in seiner Rechtsstellung beschränken, müsste dieses Recht wohl aufgeteilt werden. Die Unteilbarkeit suggeriert 1) in beinahe naturrechtlicher Weise einen selbstverständlichen Umfang bestimmter Rechte, der vom Gesetzgeber rundum gewährt und nur geringfügig zum Zwecke des Interessenausgleichs eingeschränkt wird. Auf positivrechtlicher Ebene konstatiert sie zudem 2), dass das so erlassene Stammrecht nicht in zwei inhaltlich unterschiedliche Teilrechte gespalten werden kann. Die Unteilbarkeit dürfte darüber hinaus so zu verstehen sein, dass die zweite Aussage notwendige Konsequenz der ersten ist. Tatsächlich hat die Unteilbarkeit aber etwas Chimärenartiges. Denn der Umfang absoluter Herrschaftsrechte kann allenfalls insoweit selbstverständlich sein, wie es einen verkehrsüblichen Gebrauch der geschützten Güter gibt. Zum Zuschnitt des Zuweisungsbereichs wurde oben bereits Stellung genommen – urheberrechtliche Werke sind auf menschliche Rezeption gerichtet, Erfindungen auf die Herstellung der betreffenden Maschinen, Erzeugnisse etc. Solche bekannten Verwendungen scheinen eine entsprechende Ausgestaltung der Rechtsposition nahezulegen. Tatsächlich hat schon das Urheberrecht seit seiner Entstehung und der idealistischen Forderung nach einem ungeteilten Recht des Autors erhebliche Wandelungen durchgemacht.867 Schwieriger sind die zahllosen Details, die weniger selbstverständlich sind, wie z. B. die Frage nach dem urheberrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz bei der digitalen Werkverwertung, oder die Frage nach Softwareund Genpatenten, standardessentiellen Patenten u. s. w. Der diskutierte Zuweisungsbereich ist überdies immer technikabhängig. So wie z. B. im Urheberrecht zur Zeit des Privilegiensystems das Nachdruckverbot dominierte, erlangte um die Jahrtausendwende die öffentliche Zugänglichmachung überragende Bedeutung. Ähnlich verhält es sich bei den meisten anderen Immaterialgütern und auch bei Sachen. Z. B. müssen sich auch althergebrachte Rechte wie das Grundstückseigentum technischen Fragen stellen, wie etwa den Duldungspflichten und Abwehrrechten gegenüber Drohnenflügen.
Damit entfaltet die Unteilbarkeit absoluter Herrschaftsrechte nur sehr begrenzten Nutzen als Abgrenzungskriterium bei der Festlegung des Schutzumfangs. Dass gesetzlich verankerte Rechte überdies nicht von den Parteien aufgespalten werden können, ergibt sich bereits aus den numerus clausus-Prinzipien. Im Ergebnis muss die Unteilbarkeit daher als zweiter Schritt hinter der Erstzuweisung verstanden werden, in deren Rahmen abgegrenzt wird, welche Rechte der Berechtigte an einem Gut erhalten soll.
867
Siehe BT-Drucks IV/270, 45.
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III. Verhältnis zur bundle of rights theory So verstanden liegt der eigentliche Akzent der Ungeteiltheit auf dem Verständnis von Sacheigentum und Immaterialgüterrechten als einheitliche Rechtspositionen, die dem Berechtigten den betreffenden Gegenstand nach einem zuvor entschiedenen Umfang zuordnen. Das weit weniger idealistische Gegenteil ist das Verständnis von Eigentumsrechten als Rechtebündel ohne konkreten Kern oder konstitutive Elemente. Dieses Verständnis ist Gegenstand der US-amerikanischen bundle of rights theory.868 Sie verdrängte im Laufe des 20. Jahrhunderts die zuvor herrschende Person/DingAuffassung.869 Zugrunde liegt das Verständnis von Eigentum als einer Reihe „sozialer Beziehungen“ hinsichtlich eines Gegenstands, also eine Art Nutzungsmonopol, das an alte europäische Privilegiensysteme erinnert.870 Dem steht die auf das römische Recht zurückgehende, kontinentaleuropäische Vorstellung eines ganzheitlichen/integrierten Eigentums gegenüber.871 „The preeminent natural rights theorists – Hugo Grotius, Samuel Pufendorf, and John Locke – worked with a concept of property whose roots went far back into the Western canon, to the ancient Greek philosophers and the Roman lawyers. The principal focus of this tradition was the exact opposite of our contemporary view of property: They were concerned not only with how property functioned in complex social and economic relationships, but how property arose in the first place, and what this told us about the nature of property as such.“872
Die gezeigte, der Unteilbarkeit zugrunde liegende Einheitlichkeit absoluter Herrschaftsrechte steht damit in diametralem Gegensatz zum herrschenden US-amerikanischen Eigentumsverständnis. Das Merkmal der Unteilbarkeit ist also Ausdruck einer fundmentalen Entscheidung im Verständnis und in der Ausgestaltung von Eigentumsrechten. Der Vorzug der Bündeltheorie liegt in ihrer wissenschaftlichen Klarheit und Präzision. Da Rechte an Gütern immer und nur Rechte zwischen Menschen sind, ist sie bestrebt, möglichst exakt wiederzugeben, welche sozialen Beziehungen Eigentumsrechte zwischen Menschen erzeugen. Die grundlegendsten und nach wie vor wirkmächtigsten Untersuchungen hierzu stammen von Wesley N. Hohfeld. Hohfeld bezieht sich allerdings nicht speziell auf Eigentumsrechte, sondern behandelt „the nature and analysis of all types of jural interests“.873 Seine Untersuchungen wurden daher oben zur Theorie subjektiver Rechte vorgestellt.874 Hat 868
Merrill, Nebraska Law Review 77 (1998), 730 (738); Grey, Nomos 22 (1980), 69. Was ist Eigentum?, 232 (239 f.). 870 Mossoff, San Diego Law Review 42 (2005), 29 (37 f.) („copyrights and patents comprise only monopoly privileges handed out to authors and inventors by Congress“; a „definition of intellectual property solely in terms of a utility-based monopoly“). 871 Mossoff, San Diego Law Review 42 (2005), 29 (40). 872 Mossoff, San Diego Law Review 42 (2005), 29 (40). 873 Hohfeld, Yale Law Journal 23 (1913), 16 (19); ders., Yale Law Journal 26 (1917), 710. 874 Siehe oben § 1 A. III. 5. a) Hohfeld – das privilege als Dürfen. 869 Eckl/Ludwig/Stepanians,
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die Bündeltheorie den Vorzug wissenschaftlicher Klarheit, wird sie doch auch als verkürzte wenn nicht sogar verarmte Eigentumsauffassung gesehen.875 Eine Konsequenz der unterschiedlichen Auffassungen liegt nämlich darin, dass es mit dem Einheitsmodell wesentlich leichter fällt, Immaterialgüterrechte als Eigentumsrechte zu charakterisieren und zu legitimieren, wohingegen die bundle of rights theory ein Verbot von Handlungen, die den betreffenden Gegenstand (das Werk, die Erfindung etc.) als solchen nicht beeinträchtigen, nur wenig überzeugend begründen kann.876 Vor allem fehlt ihr die streng analytisch gesehen falsche, aber eindrückliche Vorstellung der für dingliche Rechte als prägend verstandenen unmittelbaren Beziehung des Berechtigten zur Sache.877 Die Möglichkeit von über 4000 Rechtebündeln878 beschreibt viel und erklärt wenig.879 Gerade weil das Bild einer Mensch-Ding-Beziehung so anschaulich ist, dass es die technisch korrektere bundle of rights-Vorstellung verdrängt,880 hat es nach wie vor große rechtspolitische Bedeutung.881 Bei der Propagierung der Idee geistigen Eigentums in der französischen Revolution882 ging es nicht um eine analytisch korrekte Beschreibung, sondern um eine politische Aussage:883 Menschen verstehen Sachen, Werke und Erfindungen als ihre Sachen, Werke und Erfindungen und nicht als Orientierungspunkt für Rechte gegenüber anderen Menschen. Damit ist nicht das Verständnis als eigene Schöpfung oder eigenes Erzeugnis gemeint, sondern lediglich die beanspruchte Zuordnung/Inhaberschaft. Daher gilt dies auch für Immaterialgüter, die nicht auf unmittelbarer menschlicher Schöpfung beruhen, wie etwa Internetdomains, Marken oder Datensammlungen. Das Bild ungeteilten geistigen Eigentums erfüllt schlicht eine andere Funktion als die Vorstellung eines Rechtebündels. Alle mit der Vorstellung einer Mensch-Ding-Beziehung einhergehenden Bilder und Erkenntnisse würden durch eine Beschränkung der Betrachtung auf die Bündeltheorie obsolet.884 So gehen bei einer Eigentumsübertragung nicht nur die potentiellen rechtlichen Beziehungen zu unbekannten Dritten, sondern insbesondere auch die an der Sache bestehenden Rechte Dritter in Form von Pflichten des Eigentümers auf den neuen Eigentümer über. 875 Mossoff, San Diego Law Review 42 (2005), 29 (38); Penner, The Idea of Property in Law, 23 ff.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 120 ff.; siehe auch Goldhammer, Geistiges Eigentum und Eigentumstheorie, 84–127. 876 Mossoff, San Diego Law Review 42 (2005), 29 (41 f.). 877 Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 122; siehe dazu oben § 12 A. V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand. 878 Siehe dazu (zu Recht kritisch) Goldhammer, Geistiges Eigentum und Eigentumstheorie, 90. 879 Siehe auch Grey, Nomos 22 (1980), 69 (72 f.) („the specialists who design and manipulate the legal structures of the advanced capitalist economies could easily do without using the term ‚property‘ at all“). 880 So die Kritik von Eckl/Ludwig/Stepanians, Was ist Eigentum?, 232 (233 f.). 881 Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 122; Penner, The Idea of Property in Law, 23; Ann, Patentrecht, § 2 Rn. 4 f., 7. 882 Siehe oben I. Ungeteiltes Sacheigentum und Funktionseigentum. 883 Grey, Nomos 22 (1980), 69 (73 f.). 884 Vgl. Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 123.
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit525
Beispiel: Der neue Eigentümer muss die Vollstreckung in sein Grundstück aus einer vom Voreigentümer begründeten Grundschuld dulden, weil das Grundstück entsprechend belastet war. Dies lässt sich zwar auch durch die Brille der Bündeltheorie erklären, nur fällt die Erklärung recht lebensfern aus.
Aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Funktionen der beiden Betrachtungsweisen nähern sich diese dann auch wieder an. Die rechtspolitische Diskussion orientiert sich ganz überwiegend an den Rechten „an“ Gegenständen: Wem sollten Daten „gehören“? Wer sollte die Rechte „an“ einer Veranstaltung haben? Wer sollte „Eigentümer“ einer bestimmten Internetdomain sein? Es handelt sich nicht um rechtstechnisch korrekte Beschreibungen, sondern um politische Begriffe. Und als solche sind sie korrekt. Die Analyse einer bestimmten Rechtslage hingegen profitiert vom Bild des Rechtebündels. Das Bild der Zuweisung eines Gegenstandes zu einem Menschen (häufig dem Schöpfer des Gegenstandes) ist nicht nur unmittelbar verständlich, sondern stellt auch klar, dass eine wirtschaftliche Zuweisung gewünscht ist, selbst wenn sie noch nicht exakt umschrieben werden kann oder dem Wandel der Zeit und Technik unterliegt. Problematisch wird es erst, wenn die beiden Auffassungen als unvereinbar dargestellt werden, schließlich antworten sie nur teilweise auf dieselben Fragen. In Abgrenzung zur bundle of rights theory hat damit auch die vielgescholtene positive Seite absoluter Herrschaftsrechte zwar keine streng logische Funktion; eine ganzheitliche, die Einheitlichkeit dieser Rechte betonende Sicht beschränkt sich aber nicht auf die Frage, wer wem was verbieten kann, sondern fragt auch nach der Legitimität der Zuweisung bzw. nach den Handlungen, die eine Zuweisung rechtfertigen.885 Aus dieser Sicht ist ein auf Verbietungsrechte beschränktes Eigentumsverständnis ein „impoverished concept of property“.886
IV. Zusammenfassung und Folgerungen Die Idee der ungeteilten Zuweisung eines Gutes geht zurück auf wirtschaftliche, philosophische und politische Entwicklungen im ausgehenden 18. Jahrhundert, vor allem im Liegenschaftsrecht, und auf die Besinnung der Pandektenwissenschaft auf die Einheitlichkeit des römischen dominium. Nicht zuletzt verfolgt die Ungeteiltheit absoluter Herrschaftsrechte damit auch einen Ordnungszweck und hat enge Verwandtschaft zu den numerus clausus-Prinzipien wie auch zum Spezialitätsprinzip.887 Ein charakteristischer Aspekt der Ungeteiltheit ist die Ablehnung des Verständnisses von Eigentumsrechten als Rechtebündel, also als Summe abgrenzbarer Einzelbefugnisse. Dieser Aspekt ist ein Baustein der Legitimation des Begriffs absoluter Herrschaftsrechte – das betreffende Gut wird nicht nur mit absoluter Wirkung, sondern auch absolut i. S. v. total/umfassend beherrscht. Bewusst betont wird die Mensch-Ding-Herrschaftsbeziehung, auch wenn diese nur als po885
Mossoff, San Diego Law Review 42 (2005), 29 (40). Mossoff, San Diego Law Review 42 (2005), 29 (38); siehe auch Merrill/Smith, Property, 7 ff. 887 Siehe oben I. Ungeteiltes Sacheigentum und Funktionseigentum. 886
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
litisches Bild zu verstehen und die bundle of rights theory wissenschaftlich weitaus präziser ist. Nur ist dieses rechtspolitische Verständnis eben wichtig, weil es den Zuweisungsgedanken in den Mittelpunkt stellt, der unter anderem durch subjektivrechtliche Rechtebündel realisiert werden kann.888 Einer kritischen Prüfung hält die Ungeteiltheit de lege lata indes nur schwer stand. Zu Grenzfragen wie der nach der Reichweite des Sacheigentums (z. B. Rechte an Bildern der Sache), der Gebotenheit bestimmter immaterialgüterrechtlicher Schranken, der weitreichenden Vergabe beschränkter dinglicher Rechte an Sachen oder der Zuweisung neuer unkörperlicher Güter, wie z. B. Maschinendaten, hat das Prinzip der Ungeteiltheit nichts zu sagen. Seine nächstliegenden praktischen Anwendungen sind durch den numerus clausus dinglicher Rechtseinräumungen (Typenzwang) bereits spezieller erfasst. Für die Zuweisung neuer Güter entfaltet das Prinzip wohl keine Wirkung und wäre zur Beantwortung der Frage, welchen Umfang das ungeteilte Recht an bestimmten neuen Gütern hat, ohnehin auf die Orientierung an anderen Kriterien wie etwa der Verkehrsüblichkeit angewiesen. Die Unteilbarkeit ist als zweiter Schritt hinter der nach anderen, meist wirtschaftlichen und auch persönlichkeitsrechtlichen Kriterien vorgenommenen Erstzuweisung zu verstehen.889
I. Rangverhältnis Anders als relative Rechte890 stehen dingliche Rechte zueinander in einem Rangverhältnis, das teils ebenfalls zu den Sachenrechtsprinzipien gezählt wird. Auch hier stellt sich die Frage, ob „dinglich“ und „sachenrechtlich“ mehr oder weniger gleichzusetzen sind, oder ob die Ordnung von Rechten nach ihrem Rang darüber hinausreicht.
I. Das Rangverhältnis dinglicher Rechte im Sachenrecht Nach dem sachenrechtlichen Rangverhältnis gehen dem Eigentum die beschränkten dinglichen Rechte vor und unter ihnen haben die älteren Rechte Vorrang vor den jüngeren beschränkten Rechten; die Rangfolge richtet sich nach dem Zeitpunkt der Entstehung des Rechts, so z. B. in §§ 879, 1209 BGB.891 Schuldrechtliche Ansprüche hingegen „verdrängen“892 einander nicht, sondern entstehen und bestehen gleichberechtigt. Praktische Bedeutung hat das Rangverhältnis vor allem
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Siehe oben III. Verhältnis zur bundle of rights theory. Siehe oben II. 2. Zweifel an der Unaufteilbarkeit. 890 Hinzuweisen ist aber auf Rangfragen anderer Natur wie z. B. die Tilgungsreihenfolge bei Forderungen, § 366 BGB. 891 Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 1 Rn. 15; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 17 Rn. 1 ff.; Dimopoulos-Vosikis, AcP 167 (1967), 515 (521); Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 87. 892 Vgl. zum Rang als „Verdrängungswert“ dinglicher Rechte, Staudinger/Heinze (2018), § 879 Rn. 2. 889
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im Zwangsvollstreckungsrecht, wo der Rang der dinglichen Rechte untereinander maßgeblich für deren Sicherheit und Wert ist.893 Die Rangfrage stellt sich freilich nur, wenn beschränkte dingliche Rechte eingeräumt wurden, nicht im unbelasteten Eigentum.894 Dies liegt schlicht am Verlust von Verfügungsmacht, der durch die verfügungsweise Einwirkung auf das Recht eintritt,895 gleich ob man beschränkte dingliche Rechte als aus dem Eigentum vorübergehend ausgeschiedene Abspaltungen oder mit diesem kollidierende Parallelbefugnisse896 versteht.897 Dieses Rangprinzip ermöglicht (wie der Sukzessionsschutz) den Verzicht auf dinglich wirkende Verfügungsbeschränkungen – der Stammrechtsinhaber wird durch die Begründung von Tochterrechten nicht in seiner Verfügungsbefugnis beschränkt, sondern kann weitere beschränkte Rechte vergeben, die im Rang nachfolgen.898 Zur Rangfolge dinglicher Rechte wird vielfach auf eine Textstelle im Corpus Iuris zur Bevorzugung bei Überschneidungen von Pfandrechen verwiesen („prior es tempore, ita potior iure“).899 Dieses Codexzitat wurde zu einem weit verbreiteten römisch-rechtlichen Sinnspruch900 und wird heute zur Rechtfertigung des Prioritätsprinzips als Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) herangezogen.901 Hierfür ist es als grundlegendes und vielfach als von Natur aus überzeugendes Prinzip anerkannt.902 So deutete Generalanwältin Trstenjak das in Art. 2 Abs. 2, ErwG 11 f. VO 2004/874/EG zur Regelung der .eu-Top-Level-Domain vorgesehene Windhundverfahren bzw. Windhundprinzip als „moderne Version des römischen Sinnspruchs ‚prior tempore potior iure‘“.903
893 Namentlich zur Feststellung des geringsten Gebots (§ 44 Abs. 2 ZVG), für die Reihenfolge der Befriedigung (§ 11 ZVG), die Verteilung von Erlös und Nutzungen (§§ 109 Abs. 2, 155 ff. ZVG) und die Aufstellung des Verteilungsplans (§§ 113 ff. ZVG), Jungwirth, Der vereinbarte Rang von Grundstücksrechten, 9; MüKoBGB/Kohler, § 879 Rn. 1 f. 894 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 51 III (177). 895 Siehe oben § 9 G. II. Merkmale übertragender Verfügungen; sowie Haedicke, JuS 2001, 966 (969). 896 Siehe hierzu unten 6. Kapitel – Abgeleitete Rechte. 897 Vgl. zum Rangprinzip v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 135, 144 (kein Rangverhältnis bei Forderungen). 898 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 80 f., verweist zudem auf § 1136 BGB, der für den Inhaber einer Hypothek nicht einmal schuldrechtliche Verfügungsbeschränkungen des Eigentümers zulasse. Zu Interessenlage und Umgehung des § 1136 BGB, S. 108 ff. 899 C. 8.17.3 („Wenn Du ein Landgut zum Unterpfande erhalten hast, bevor es dem Gemeinwesen verpfändet worden, so bist du, wie der Zeit nach älter, so auch dem Rechte nach bevorzugter (Gläubiger).“), Otto/Schilling/Sintenis, Corpus Juris Civilis, Bd. 6 (dort allerdings unter C. 8.18.4). 900 Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, Q 72, P 98. 901 Vgl. Wacke, JA 1981, 94. 902 Dazu nur Neuner, AcP 203 (2003), 46. 903 Generalanwältin Trstenjak, BeckRS 2010, 90150 – C-569/08 – Internetportal und Marketing/Schlicht; Benke, Zbornik PFZ, 66 (2016), 469 (490 f.); siehe zum Prioritätsprinzip bei der Domainzuweisung eingehend Becker, GRUR Int. 2010, 202; Taeger/ders., DSRI Herbstakademie 2010, 735 (740 ff.).
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Das Rangverhältnis ist eine Eigenschaft und Teil des Inhalts der beschränkten dinglichen Rechte an Grundstücken.904 Für beschränkte dingliche Rechte an beweglichen Sachen stellt sich die Rangfrage nur selten, da hier nur Pfandrecht und Nießbrauch in Betracht kommen. An einer beweglichen Sache besteht angesichts des Übergabeerfordernisses (§§ 1205, 1032 BGB) i. d. R. nur ein einziges Pfandrecht oder ein einziger Nießbrauch (es gibt allerdings Ausnahmen)905.906 Vergleichbares gilt für den Nießbrauch und das Pfandrecht an Rechten (siehe §§ 1068 f.; 1273 f. BGB). Die Frage des Rangverhältnisses konzentriert sich praktisch also auf einen Teil der beschränkten dinglichen Rechte. Das Rangverhältnis dinglicher Rechte hat dogmatisch enge Verwandtschaft zum Bestimmtheitsgrundsatz. Beide sind Ausdruck des logischen Ausgangspunkts, dass man nicht mehr Recht übertragen kann, als man hat (nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet).907 Der Bestimmtheitsgrundsatz zwingt zur präzisen Benennung der Rechte, über die der Berechtigte verfügt. Das Rangverhältnis knüpft daran als Kollisionsregel für Rechte an derselben Sache an. Hierfür wählt es das Prioritätsprinzip. Es ist wichtig, klarzustellen, dass stattdessen auch andere Verteilungsprinzipien hätten greifen können. Die nemo plus iuris-Regel schließt lediglich aus, dass ein und dasselbe Recht an derselben Sache zweimal vom Eigentum abgespalten werden kann. Sie zwingt daher zur Aufstellung einer Regel für diesen Fall, also für den Versuch der zweimaligen Einräumung desselben Rechts (z. B. zweier Pfandrechte), deren Durchsetzung sich ausschließt. Das Prioritätsprinzip bietet sich hier an, weil mit der ersten dinglichen Rechtseinräumung das betreffende Recht nicht mehr von der Verfügungsmacht des Eigentümers umfasst ist. Theoretisch wären aber auch andere (kompliziertere) Lösungen denkbar. Beispielsweise könnte die wirtschaftliche Lage der Berechtigten oder der monetäre Wert der konkurrierenden Rechte eine Rolle spielen. Sollte auf diesem Wege die zeitlich gesehen zweite oder eine spätere Rechtseinräumung Vorrang haben, müsste ein Weg konstruiert werden, auf dem die bereits dem Ersten übertragene Verfügungsmacht auf den später Berechtigten übergeht, um ihm den ersten Rang zu sichern.
904 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 2/2, 357 f.; Staudinger/Heinze (2018), § 879 Rn. 3; Brehm/Berger, Sachenrecht, § 12 Rn. 1. 905 Bspw. im Falle der Bestellung eines nachrangigen Pfandrechts (s. MüKoBGB/Damrau, § 1205 Rn. 18) oder wenn der Pfandgläubiger die Sache bei einem Werkunternehmer reparieren lässt und dieser ein Pfandrecht nach § 647 BGB erwirbt. Auch mehrere Nießbrauchsrechte an beweglichen Sachen können theoretisch aufeinandertreffen, vgl. § 1060 BGB, dazu MüKoBGB/ Pohlmann, § 1060 Rn. 7. Zu mehreren beschränkten dinglichen Rechten an beweglichen Sachen kann es auch über § 1120 BGB kommen. 906 Gschnitzer, Österreichisches Sachenrecht, 217; siehe auch Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 64 (immerhin existierten im BGB Regelungen für den Fall mehrerer Belastungen an beweglichen Sachen). 907 Canaris, NJW 1981, 249 (bei kollidierenden Verfügungen über bereits bestehende Rechte sei „die Heranziehung des Prioritätsprinzips im Hinblick auf den Grundsatz ‚nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet‘ geradezu ein Gebot der Rechtslogik“); siehe auch oben E. Bestimmtheitsgrundsatz.
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Für das Prioritätsprinzip spricht, wie so oft, weniger ein überpositiver Gerechtigkeitsgehalt,908 als eher seine Einfachheit, Klarheit und unmittelbare Überzeugungskraft auf die Rechtsunterworfenen.
II. Rangverhältnis von Rechten an Immaterialgütern/Informationen Das Rangverhältnis von dinglichen Rechten an Grundstücken ist insofern ein überschaubares Problem, als es nur um einen Konflikt zwischen verschiedenen, gesetzlich enumerierten Abspaltungen des Sacheigentums geht. Diese Materie ist überschaubar genug, um sie dem Prioritätsprinzip zu unterwerfen. Nimmt man zusätzlich das Immaterialgüterrecht in den Blick, wird die Lage komplizierter. Hier können sowohl abgespaltene Rechte als auch gleiche und verschiedene Stammrechte kollidieren.
1. Kollision abgespaltener Rechte Eine Kollision abgespaltener Rechte im Immaterialgüterrecht entspricht strukturell dem Problem, das dem Rangverhältnis von Grundstücksrechten zugrunde liegt: Der Stammrechtsinhaber hat sich zweier Rechte am selben Gegenstand begeben, die einander ausschließen, also rivalisieren. Ein Beispiel hierfür wäre die Vergabe zweier ausschließlicher Lizenzen zum Vertrieb eines Romans in Deutschland. Praktisch wie rechtlich schließen diese Berechtigungen einander aus: Zwei Verlage können aus logischen Gründen nicht jeweils der einzige zum Vertrieb berechtigte Verlag sein. Die Berechtigungen rivalisieren praktisch/logisch und auch rechtlich (dazu sogleich).
Dieser Konflikt wird auf der Rechtsebene, ebenso wie das Rangverhältnis beschränkter Sachenrechte, über die Priorität gelöst. Genauer gesagt ist diese – wie im Sachenrecht – nur die Konsequenz des nemo plus iuris-Grundsatzes: Durch die erste Verfügung wurde die zweite unmöglich, der Veräußerer hat sich seines Rechts begeben und Gutglaubensschutz gibt es nicht beim Rechtserwerb. Ausschließliche Lizenzen haben also definitionsgemäß keinen Rang, da sie ausschließlich sind. Anders als beschränkte dingliche Rechte im Sachenrecht sind sie dadurch definiert, dass der Lizenzgeber im Bereich der ausschließlichen Lizenz keine weiteren Rechte verfügend einräumt und mangels Verfügungsmacht auch nicht einräumen kann. So etwas wie eine „nachrangige Lizenz“ gibt es nicht. Von nachfolgenden vermeintlich Berechtigten kann der ausschließliche Lizenznehmer aus eigenem Recht Unterlassung verlangen. Da der Rang elementarer Teil beschränkter dinglicher Rechte ist, gibt es – anders als im Falle ausschließlicher Lizenzen – ein Pfandrecht zweiten Ranges oder einen Nießbrauch ersten Ranges. Es kann sie an einer Sache aber immer nur einmal ge908 Zu den geradezu klassischen Einwänden zählt die Benachteiligung der Spätgeborenen, die z. B. für die Erstzuweisung zahlreicher Internetdomains oder Grundstücke im Westen der USA zu spät kommen.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
ben.909 Durch die Möglichkeit verschiedenrangiger beschränkter dinglicher Rechte gewährt das Sacheigentumsrecht dem Eigentümer Gestaltungsmöglichkeiten, die der Berechtigte aus Immaterialgüterrechten im Wege der Lizenz nicht vergeben kann. Er ist insofern auf beschränkte dingliche Rechte verwiesen, die auch an Rechten eingeräumt werden können, also auf Pfand und Nießbrauch. Eben wurde bereits das Stichwort des Sukzessionsschutzes genannt. Auch dieser kann als eine Form der Wahrung des Altersrangs verstanden werden. Er schützt den Erwerber eines Nutzungsrechts gegen spätere, konkurrierende Rechtseinräumungen und gegen die Veräußerung des Stammrechts. Bei verfügenden Lizenzierungen handelt es sich wie bei der Rangordnung im Sachenrecht um einen Anwendungsfall des nemo plus iuris-Grundsatzes, weshalb es der gesonderten Anordnung von Sukzessionsschutz hier nicht bedarf. Sie ergibt nur Sinn, um den Bestand einfacher Nutzungsrechte, also schuldrechtlicher Berechtigungen zu schützen. Auf diese Weise kommt es zu einem dem Prioritätsprinzip entsprechenden Ergebnis.
2. Kollision gleicher Stammrechte Eine Kollision gleicher Stammrechte ist im strengeren Sinne unmöglich, da absolute Herrschaftsrechte durch die Exklusivität der Berechtigung definiert sind. Der Eigentümer hat monopolisierte Verbietungsrechte.910 Der Stammrechtsinhaber ist der einzige derart Berechtigte. So ist logisch ausgeschlossen, dass sich zwei Eigentumsrechte an derselben Sache begegnen, es geht in diesen Fällen allein um die Entscheidung, wer (als Einziger) Eigentum erworben hat.911 Daher wird die Entstehung gleicher, anmeldebedürftiger Stammrechte bereits auf Anmeldungsebene verhindert, meist, indem die erste Anmeldung zum Erhalt des Stammrechts weitere Anmeldungen ausschließt: Für die Entscheidung, wer von zwei konkurrierenden Anmeldern eines Gebrauchsmusters, Patents oder Designs obsiegt, gilt das Prioritätsprinzip (§ 6 S. 3 PatG, §§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 2 GebrMG, § 2 Abs. 1, 2 DesignG). Im Urheberrecht hingegen sind Doppelschöpfungen möglich, ebenso im Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht im Falle nicht eingetragener Muster (s. Art. 19 Abs. 2 S. 2 GGV). Die Zulässigkeit von Doppelschöpfungen bedeutet, dass zwei Stammrechte mit vollkommen oder weitgehend gleichem Inhalt entstehen und koexistieren können. Die Kollision wird also geduldet und führt nicht zur Verdrängung des anderen. Die Zulassung von Doppelschöpfungen ist freilich keine Konsequenz der nicht anmeldebedürftigen Rechtsentstehung. Z. B. besteht sowohl 909
Heck, Grundriß des Sachenrechts, 91 f.; Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 63. oben § 12 I. Benennung des Adressatenkreises – Monopolisiertes Verbietungsrecht und exklusives Dürfen; § 12 VI. Fazit und Folgerungen für die Dinglichkeit; Becker, WRP 2010, 467 (472); ders., GRUR Int. 2010, 940 (944 f.). 911 Vgl. Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 16; Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 (403). 910 Siehe
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für Benutzungsmarken wie für Registermarken die Möglichkeit der Gleichrangigkeit (§ 6 Abs. 4 MarkenG).912 Besonderheiten bestehen bei den Zeichenrechten, die sich, wie oben gezeigt,913 dadurch auszeichnen, dass diverse Rechte an demselben Zeichen vergeben werden können. Innerhalb des Namensrechts gilt außerhalb des geschäftlichen Verkehrs, dass jeder seinen bürgerlichen Namen gebrauchen darf, gleichgültig wie häufig oder selten dieser ist. Kleinere Abweichungen können für Träger berühmter Namen in Betracht kommen.914 Im Wesentlichen gilt hier aber eine den Doppelschöpfungen entfernt verwandte Koexistenz. Im gewerblichen Bereich hingegen kann die Namensinhaberschaft einen Löschungsanspruch gegenüber gleichlautenden Markeneintragungen begründen (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG). Grundsätzlich gilt im Kennzeichenrecht im Übrigen das Prioritätsprinzip (§ 6 Abs. 1 MarkenG), nur im Falle gleichen Zeitrangs greift wie gesagt die Koexistenz (§ 6 Abs. 4 MarkenG).915 Die unterschiedlichen Funktionen von Zeichenverwendungen bedingen aber, dass im Kennzeichenrecht zahlreiche Möglichkeiten für die parallele Nutzung desselben Zeichens oder ähnlicher Zeichen bestehen. Wie werden diese Parallelnutzungen desselben Zeichens ermöglicht? Ausgangspunkt ist die Verwechslungsgefahr seitens der Rezipienten. Sie kann für identische/ähnliche Zeichen dadurch ausgeschlossen werden, dass die Zeichen nicht demselben Personenkreis bekannt sind, z. B. im Falle geographisch beschränkter Zeichen wie die besondere Bezeichnung eines Geschäftsbetriebs (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) oder ähnlicher, jeweils unbekannter Marken. Sie kann aber auch durch die Kenntnis der unterschiedlichen Bedeutung der Zeichen ausgeschlossen werden, etwa wenn eine Marke und ein Unternehmenskennzeichen so unterschiedlichen Branchen und Produkten zugeordnet sind, dass eine Verwechslung ausgeschlossen ist, selbst wenn der angesprochene Verkehr beide Zeichennutzungen kennt. Auf diese Art können Kennzeichenrechte am selben Zeichen koexistieren. Die Möglichkeiten sind begrenzter und strenger geregelt als in dem insofern großzügigen Personennamensrecht. Im Wesentlichen geht es aber um Koexistenz verschiedener Nutzungen identischer Zeichen. Diese Mechanismen, die im Zeichenrecht zahlreiche praktisch wichtige Koexistenzen ermöglichen, versagen freilich bei der Vergabe von Gütern, die von Natur aus rivalisieren, wie etwa Domainnamen: Eine Domain kann nur einmalig mit weltweiter Wirkung vergeben und auch nicht nach Verwendungen oder optischer Aufmachung unterschieden werden. Die oben genannten Differenzierungskriterien versagen hier also. Daher ist es wenig verwunderlich, dass das Zeichen- und Kennzeichenrecht als „das“ Rechtsgebiet der Koexistenzen nur sehr bedingt geeignet ist, um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit bei Internetdomains zu lösen.916 912
Fezer, MarkenG, § 4 Rn. 140. Siehe oben § 5 D. III. 4. g) Zeichen als Rechtsobjekte. 914 MüKoBGB/Säcker, § 12 Rn. 130 f. 915 Fezer, MarkenG, § 6 Rn. 1. 916 Becker, WRP 2010, 467 passim. 913
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Hier bedarf es weit komplexerer Mechanismen, wie sie etwa in der Verordnung zur .eu-Domain Anwendung fanden.917
3. Kollision unterschiedlicher Stammrechte Wie das Domainrecht zeigt, kann es zu einer Kollision von Rechten an ein und demselben Gegenstand auch zwischen unterschiedlichen Stammrechten kommen. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Konflikt zwischen Sacheigentum und Urheberrecht. Ist das urheberrechtliche Werk in einer Sache verkörpert, ist deren Eigentümer in gewissem Maße durch die Rechte des Urhebers beschränkt (s. insbesondere § 14 UrhG). Es handelt sich um einen Fall der in § 903 S. 1 BGB genannten „Rechte Dritter“.918 Allerdings wird diese Kollision nicht im Wege eines klaren Rangverhältnisses gelöst, wobei das Prioritätsprinzip hier ohnehin nicht passt, da es die spezielleren Wertungen des Urheberrechts verdrängen würde.919 Stattdessen kommt es auf eine Abwägung der legitimen, d. h. insbesondere im Lichte von Sacheigentum und Urheberrecht gewerteten Interessen der Parteien an (bzw. auf die dahinter stehenden Art. 5 Abs. 3 GG und Art. 14 GG).920 Hierbei genießt im Ausgangspunkt das Urheberrecht Vorrang.921 Durchbrochen wird es unter anderem im Falle rechtswidrig aufgedrängter Kunst922 und teils für die Zerstörung der Sache und damit des Werkstücks, insbesondere im Verhältnis von Architekt und Eigentümer, wenn Letzterer finanzielle Interessen an der Nutzung des bebauten Grundstücks oder – im Falle einer raumgreifenden Kunstinstallation – einer Nutzungsänderung des Gebäudes hat.923 Von einem echten Rangverhältnis kann hier also keine Rede sein. Ähnlich liegt es bei der Kollision zweier Immaterialgüterrechte. Auch sie wird über Interessenabwägungen, nicht nach Rangverhältnissen entschieden. Dabei ist zu beachten, dass viele Konflikte nicht akut werden, weil sich nicht-rivalisierende Nutzungen gegenüberstehen. Die Möglichkeit der Repräsentation der „geistigen Schöpfung“ auf beliebig vielen Informationsträgern mildert das Problem echter Rivalität ganz weitgehend ab. Es gibt nur wenige Fälle, in denen nur einer von mehreren Interessenten zum Zuge kommen kann, wie etwa bei Domainstreitig917 VO 2004/874/EG, geändert durch VO (EU) 2015/516; Becker, DSRI Tagungsband 2010, 735 (740 ff.). 918 BeckOGK/Lakkis (Stand 09/2020), § 903 Rn. 134 ff. 919 In der überwiegenden Zahl der Fälle wird der Urheber das Werk zunächst geschaffen und der Eigentümer erst danach Eigentum erworben haben. Dem Urheber stets Vorrang zu gewähren, weil er die Sache zuerst bearbeitet hat, ginge am Zweck des Urheberschutzes vorbei. Wenn, dann muss der Vorrang auf den Erwägungen des Urheberschutzes beruhen. 920 Vgl. BGH GRUR 1995, 673 (675) – Mauer-Bilder; BGH ZUM 2019, 508 Rn. 34 ff. – HHole (for Mannheim). 921 BGH GRUR 1995, 673 (675) – Mauer-Bilder; RGZ 79, 379 (400 f.) – Fresko-Malerei; BGHZ 33, 1 = GRUR 1960, 619 (624) – Schallplatten-Künstlerlizenz; BGHZ 62, 331 = GRUR 1974, 675 (676) – Schulerweiterung. 922 BGH GRUR 1995, 673 (675) – Mauer-Bilder. 923 BGH ZUM 2019, 508 Rn. 38 ff. – HHole (for Mannheim); LG Mannheim GRUR-RR 2015, 515 – HHole; BeckOGK/Lakkis (Stand 09/2020), § 903 Rn. 141.
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keiten. Typischer sind Fälle, in denen sich die Nutzungen nicht ausschließen, sondern die technisch unproblematische Parallelnutzung unerwünscht ist, z. B. bei der Nutzung einer urheberrechtlich geschützten Grafik als Marke.924 Ein i. w. S. hierunter fallendes, besonders verbreitetes Problem ist die Kollision des Personendatenschutzes mit Immaterialgüterrechten an Daten. Sammlungen von Personendaten können parallel Schutz als Datenbanken, als Geschäftsgeheimnisse und als Sacheigentum (Schutz des Datenspeichers) genießen. Umgekehrt genießen die Betroffenen Personendatenschutz und können z. B. die Löschung der sie betreffenden Daten verlangen (Art. 17 DS-GVO). Auch hier kommt es nicht auf die Priorität oder ein festes Rangverhältnis an, entscheidend ist die Interessenwertung. Diese wird zwar ganz überwiegend zugunsten des Betroffenen ausfallen, dessen Daten genutzt werden. So rigoros der Personendatenschutz ausgestaltet ist, sind dennoch Fälle denkbar, in denen die Interessen der Gegenseite überwiegen. Praktisch relevant wird dies besonders bei der dem Datenschutz benachbarten Materie des Rechts am eigenen Bild. Dort kollidieren die Kunstfreiheit und damit das Urheberrecht (insbesondere das Fotografenurheberrecht) mit dem Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten (§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 4 KUG). So können im Falle der Straßenbildfotografie die Betroffenen zwar bestimmte Arten der Verbreitung verhindern, nicht aber die Vernichtung des Werkes (und damit die Löschung der die Person betreffenden Daten) durchsetzen.925
III. Zusammenfassung Beschränkte dingliche Rechte werden durch ein vom Prioritätsprinzip bestimmtes Rangverhältnis bestimmt. Im Fahrnisrecht gibt es ein solches Rangverhältnis nur in Spezialkonstellationen, weil die hier möglichen beschränkten dinglichen Rechte allesamt die Übergabe der Sache voraussetzen. Dort wie im Immaterialgüterrecht werden Kollisionen verfügend abgespaltener Rechte bereits durch den nemo plus iuris-Grundsatz verhindert. Dieser bezieht sich hier auf die begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten, genauer gesagt die beschränkte Verfügungsmacht, die die Immaterialgüterrechte dem Berechtigten einräumen.926 Für Inhaber verfügend eingeräumter immaterialgüterrechtlicher Lizenzen ergibt sich aus dieser beschränkten Verfügungsmacht des Stammrechtsinhabers Sukzessionsschutz: hat der Lizenzgeber seine Verfügungsmacht aufgebraucht, kann er keine konkurrierenden Lizenzen vergeben. Die Anordnung von Sukzessionsschutz ergibt daher nur für einfache Nutzungsrechte Sinn – sie werden aus der 924 Auch in diesem Beispiel geht der urheberrechtliche Schöpfungsakt der unerwünschten Nutzung voraus, so dass sich schon die erstmalige Nutzung als Marke als Urheberrechtsverletzung darstellt. Das schadet dem Beispiel aber nicht. Sobald das Markenrecht entstanden ist, stehen sich zwei Stammrechte gegenüber (z. B. könnte der Urheber über Jahre nichts von der kennzeichenmäßigen Nutzung erfahren haben). 925 BVerfG GRUR 2018, 633 – Neue Sicht auf Charlottenburg; KG BeckRS 2016, 06902; LG Berlin ZUM 2014, 729 – Street Photography. 926 Siehe oben I. Das Rangverhältnis dinglicher Rechte im Sachenrecht.
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Gleichwertigkeit gegenüber späteren schuldrechtlichen Verpflichtungen herausgelöst und damit in ihrem Altersrang geschützt.927 Es wäre denkbar, das Lizenzrecht gesetzlich so auszugestalten, dass nachrangige Lizenzen möglich würden. De lege lata gibt es sie nicht.928 Eine Kollision gleicher Stammrechte wird im Immaterialgüterrecht meist bereits durch die Priorität der Anmeldung verhindert oder durch die Zulässigkeit von Doppelschöpfungen entschärft. Die Zeichenrechte kennen besonders viele Formen der Koexistenz verschiedener Rechte an identischen Zeichen, weshalb sie sich für die Zuteilung rivalisierender Güter (insbesondere Internetdomains) kaum eignen.929 Kollisionen zwischen unterschiedlichen Stammrechten hingegen werden typischerweise durch Interessenabwägungen gelöst. Es gibt keine feste Rang- oder Kollisionsregel. Dies gilt auch bei der Kollision von IP-Rechten mit Datenschutzrecht.930 Insgesamt ist das Rangverhältnis dinglicher Rechte eine Besonderheit des Sachenrechts, zu der sich in den gesetzlichen absoluten Herrschaftsrechten – außerhalb der Einräumung beschränkter dinglicher Rechte an Rechten (Rechtspfand und Nießbrauch an Rechten) – keine Parallelen finden. Es handelt sich daher um keine prägende Eigenschaft absoluter Herrschaftsrechte und auch nicht der Dinglichkeit, sondern allein des Sachenrechts.
J. Sukzessions- und Verfügungsschutz Einen prominenten Platz in der Diskussion um die Dinglichkeit bzw. die Verdinglichung von Rechten nimmt der Sukzessions- oder auch Verfügungsschutz ein. Anders als in den meisten hier behandelten Aspekten der Dinglichkeit, steht nicht das Sachenrecht, sondern das Immaterialgüterrecht und dort speziell der Streit um die Verfügungsfestigkeit von Lizenzen im Vordergrund. Wieder ist zu untersuchen, ob es sich um ein übergreifendes und möglicherweise exklusives Merkmal der Dinglichkeit von Rechten handelt.
I. Begriff und Unterarten Der Begriff „Sukzessionsschutz“ ist ein Unterfall des weiter gefassten Begriffs „Verfügungsschutz“, der die Eigenschaft eines Tochterrechts kennzeichnet, „durch eine Verfügung über das Mutterrecht nicht beeinträchtigt zu werden“.931 Eigentlicher Sukzessionsschutz wird teilweise enger, nämlich als auf die „Veräußerung des lizenzierten Rechts“ beschränkt verstanden,932 folgerichtig rechnet man den Schutz eines Nutzungsrechts gegen die „Zweitgewährung“, i. e. die Vergabe spä927
Dazu auch unten J. IV. 4. Angeordneter Sukzessionsschutz. Siehe oben II. 1. Kollision abgespaltener Rechte. 929 Siehe oben II. 2. Kollision gleicher Stammrechte. 930 Siehe oben II. 3. Kollision unterschiedlicher Stammrechte. 931 Berger, Verfügungsbeschränkungen, 80 (dort Fn. 16); Canaris, FS Flume, 371 (373 f.). 932 Siehe etwa BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 46 (Wechsel des Rechtsinhabers). 928
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit535
terer, kollidierender Nutzungsrechte nicht hierzu.933 Vorliegend soll von einem weiteren Verständnis ausgegangen werden, zumal die bekanntesten gesetzlichen Anordnungen von Sukzessionsschutz sowohl die Verfügung über das Stammrecht als auch die Erteilung konkurrierender Lizenzen erfassen.934 Auffällig ist, dass der Begriff „Sukzessionsschutz“ im allgemeinen bürgerlichen Recht nur selten genutzt wird.935 Vermutlich gibt es dort schlicht das Phänomen konkurrierender Rechtseinräumungen nicht annähernd so häufig wie im Lizenzrecht. Wie gezeigt, werden Kollisionen abgespaltener Rechte über das Rangverhältnis geregelt und vertragliche Verpflichtungen hinsichtlich einer Sache genießen nur in seltenen Einzelfällen Schutz (s. §§ 566, 581 Abs. 2 BGB). Rangverhältnis und Prioritätsprinzip sorgen dafür, dass als dingliche Rechte bestellte Pflichten (z. B. Duldungspflichten des Grundstückseigentümers) im Sachenrecht nur vereinzelt so bezeichneten Sukzessionsschutz genießen.936 Zieht man den Begriff weiter, finden sich im bürgerlichen Recht aber doch einige Fälle des Sukzessionsschutzes (siehe sogleich). Der Verfügungsschutz (= der Schutz des Erwerbers gegen konkurrierende Verfügungen des Eigentümers) funktioniert im Sachenrecht im Prinzip genauso wie im Immaterialgüterrecht. Hat der Eigentümer das Eigentum an den Erwerber übertragen, kann er es niemand anderem mehr übertragen. Der neue Eigentümer genießt Sukzessionsschutz. Dieser „Verfügungsschutz“ wird in bestimmter Hinsicht durch den gutgläubigen Erwerb eingeschränkt. Unter den Voraussetzungen der §§ 932 ff. BGB kann ein unberechtigter Dritter über die Sache verfügen, wogegen der Eigentümer nur i. R. d. § 935 BGB geschützt ist.937 Dabei geht es aber nur um Konstellationen, in denen entweder der Veräußerer oder der Erwerber das Eigentum an einen Gutgläubigen verliert, nicht um eine echte Durchbrechung des Sukzessionsschutzes. Beispiel: K kauft von V ein Fahrrad. Dieses hat V dem Dritten D geliehen und vereinbart mit K, dass dieser Eigentümer werden und das Fahrrad von D herausverlangen soll (§ 931 BGB). D verkauft das Fahrrad an den Gutgläubigen G (§ 932 BGB). Je nachdem, ob D das Fahrrad vor oder nach der Verfügung des V an K veräußert, verliert entweder V oder K das Eigentum an G.
Den Kerngedanken des Sukzessionsschutzes erfasst Lieder mit dem „Gesamtkonzept eines übergeordneten Sukzessionsschutzes, das jeweils berechtigte Interessen 933
Sosnitza, FS Schricker, 183 (185, 187). Vgl. § 15 Abs. 3 PatG; § 30 Abs. 5 MarkenG; § 22 Abs. 3 GebrMG; § 31 Abs. 5 DesignG. § 33 UrhG hingegen bezieht sich mangels Übertragbarkeit des Stammrechts nur auf Lizenzen; siehe auch MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 303 („Schutz des Erwerbers des Rechts vor nachfolgenden Verfügungen des nicht mehr berechtigten Veräußerers“). 935 Im MüKoBGB findet sich der Begriff nur zehnmal, wobei es teils – nämlich im Persönlichkeits-, Namens- und Domainrecht – um Grenzbereiche zum Immaterialgüterrecht geht; in einigen kleineren Kommentaren fehlt er ganz. Selbst bei Wilhelm (Sachenrecht, passim) wird der Sukzessionsschutz – so weit ersichtlich – nicht behandelt. 936 Siehe etwa BeckOGK/Spohnheimer (11/2020), § 1004 Rn. 228. 937 Canaris, FS Flume, 371 (374). 934
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
einer vom Sukzessionsgeschäft berührten Gegenpartei betrifft“.938 Im weitesten Sinne ist Sukzessionsschutz damit der Schutz ausgewählter Interessen vor den Folgen einer Sukzession und kann sowohl den Sukzessionsparteien als auch Dritten zugutekommen. Lieder identifiziert fünf Unterarten eines derart weit verstandenen Sukzessionsschutzes.939 Vorliegend sind aber nicht sämtliche Arten von Sukzessionen von Interesse, sondern speziell die Frage der Verbindung von Dinglichkeit und Sukzessionsschutz. Hierfür sind nur zwei Gruppen des Sukzessionsschutzes entscheidend, auf die näher einzugehen ist. Die Rede ist zum einen vom Sukzessionsschutz für abgespaltene Rechte, in dem auch der Sukzessionsschutz für beschränkte Rechte aufgeht, zum anderen der Sukzessionsschutz für obligatorische Rechte.940 Der „Sukzessionsschutz für beschränkte Rechte“, also im sachenrechtlichen Kontext, wird am klarsten von Eichler erfasst. Dieser versteht Sukzessionsschutz als den Umstand, dass sich ein beschränktes dingliches Recht gegenüber dem Neueigentümer einer Sache durchsetzt, „ohne daß ein ihn dem Berechtigten gegenüber verpflichtender Rechtsgrund wie in schuldrechtlichen Verhältnissen vorhanden ist“. Diese „Sicherung“ gehöre zum Wesen der dinglichen Rechte.941 Schon hier ist aber anzumerken, dass sich dieses Ergebnis eigentlich nicht aus einer besonderen Kraft des betreffenden Rechts ergibt, sondern Ergebnis des nemo plus iuris-Grundsatzes ist.942 Der Sukzessionsschutz für obligatorische Rechte ist wiederum Paradigma der Verdinglichungsdebatte.943 Dort steht er für den Umstand, dass ein obligatorisches Recht gegen Verfügungen eines anderen, insbesondere des bisherigen Inhabers bzw. des Inhabers des Stammrechts, geschützt ist.944
II. Sukzessionsschutz durch Verbrauch an Verfügungsmacht Sukzessionsschutz bezieht sich unmittelbar nur auf Verfügungsgeschäfte, also den Verkehr mit Rechten. Ein Stammrecht kann keinen Sukzessionsschutz genießen, sofern es nicht auf einer Sukzession beruht, also vom einen an den anderen Inhaber veräußert wird (etwa eine Eigentumsübertragung).945 Der Sukzessionsschutz er938
Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 665. Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 618 ff. 940 Daneben würden vereinzelt die §§ 404, 406 ff. BGB als abtretungsrechtlicher Sukzessionsschutz verstanden, da sie die Position des Schuldners der abgetretenen Forderung sichern, Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 632 ff.; Entsprechendes gelte für die §§ 414, 415 BGB, die den Gläubiger bei Schuldübernahmen absichern, (ebd. S. 664 ff.). Beide vorgenannten Arten fänden sich wieder im Sukzessionsschutz für Vertragsübernahmen (vertragsübernahmerechtlicher Sukzessionsschutz). 941 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 7. 942 Ähnlich Canaris, FS Flume, 371 (373) („da der fragliche Gegenstand dem Vermögen der betreffenden Person mit Wirkung gegen jedermann zugeordnet ist“). 943 So zu Recht Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 619, 677 ff. 944 Canaris, FS Flume, 371 (373 f.); Hauck, AcP 211 (2011), 626 (633 ff.). 945 Siehe das Beispiel unter I. Begriff und Unterarten. 939
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schöpft sich dann darin, dass der Veräußerer nachträglich nichts mehr an der Verfügung ändern kann. Sukzessionsschutz kommt nur Verfügungen über aus dem Stammrecht abgespaltene Rechtspositionen zu. Sachenrechtlichen Verfügungsgeschäften ist der Sukzessionsschutz selbstverständlich, gewissermaßen fängt der Verfügungsbegriff mit ihm an: Zu den zentralen Unterschieden zwischen verpflichtender und verfügender Rechtseinräumung an Sachen zählt, dass der vertraglich Verpflichtete seine Pflichten verletzen kann, z. B. kann sich der Verkäufer weigern, das Eigentum an der Kaufsache zu übertragen. Hat er das Eigentum aber übertragen, kann er die Übertragung nicht durch spätere Rechtsgeschäfte rückgängig machen oder abändern. Es findet ein endgültiger Verlust an Verfügungsmacht statt. Gleiches gilt für beschränkte dingliche Rechte. Beispiel: Wurde eine Grunddienstbarkeit eingeräumt, genießt der Berechtigte Sukzessionsschutz gegenüber späteren Verfügungen des Eigentümers des dienenden Grundstücks, das Erlöschen liegt sowohl nach § 875 BGB als auch im Falle des Wegfalls des Vorteils (§ 1019 BGB) allein in den Händen des Berechtigten.
III. Rückschlüsse auf das Stammrecht Sukzessionsschutz lässt insofern auf das zugrunde liegende Recht schließen, als er logisch die Möglichkeit der Sukzession, d. h. die Übertragbarkeit eines Verfügungsgegenstandes in Konkurrenz zur früheren Rechtseinräumung voraussetzt. Einem Verfügungsgegenstand ist Berger zufolge aber inhärent, „dass das Recht beim Veräußerer und nach seiner Übertragung beim Erwerber ein und dasselbe ist. Das übertragbare Recht überdauert den mit dem Sukzessionsvorgang verbundenen Subjektswechsel als identisches Recht. Darin unterscheidet sich die Rechtsnachfolge von der Rechtsaufhebung und anschließenden Neubegründung: Dereliktion und nachfolgende Aneignung sind ebenso wenig Übertragungen wie die Novation […].“946
Gegenteil bzw. Vorläufer dieser Konstruktion sei die Rechtsaufgabe und Rechtsneubegründung, wie sie etwa in den dargelegten Ausführungen Husserls als logische Vorform des Zuordnungswechsels beschrieben wird947 oder in Form der Novation als Ersatz der Forderungszession oder der Löschung und Neueintragung einer Marke als Ersatz für die damals unzulässige Leerübertragung Anwendung fand.948 Als jüngeres Beispiel mag hierfür auch das Domainrecht angeführt werden: Die dem Domaininhaber laut § 6 DENIC-Domainbedingungen zustehende Übertragung einer Domain erfolgt durch Kündigung und Neuabschluss des Domainvertrages.949 946 Berger, ZGE/IPJ 8 (2016), 170 (173 f.) (bezieht dies aber wohl nicht auf den Heimfall von Lizenzen). 947 Siehe oben § 2 B. IV. 2. Vom Tausch zum Kauf. 948 Berger, ZGE/IPJ 8 (2016), 170 (174 f.). 949 Dazu Krebs/Becker, JZ 2009, 932 (936 f.).
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Erst wenn ein übertragbares Verfügungsobjekt, ein „sukzessionsfähige[s] Recht“950 anerkannt ist, kann von Sukzessionsschutz die Rede sein. Sukzessionsschutz baut also auf dem Vorliegen einer bestimmten Art des Rechtserwerbs auf. Daher ist die Frage des Sukzessionsschutzes ein zentraler Baustein bei der Anerkennung vermögenswerter Bestandteile des Persönlichkeitsrechts.951
IV. Verfügungsverkehrsregeln Der Verlust von Verfügungsmacht durch Verfügungen unterliegt Regeln. Zunächst einmal kann nicht über jedes Recht in gleichem Maße verfügt werden, daher genießen Erwerber solcher Rechte nicht in gleichem Maße Schutz was ihre neu erlangte Rechtsposition anbelangt. Z. B. ist der Erwerber einer urheberrechtlichen Lizenz nicht gegen den Rückruf wegen gewandelter Überzeugung geschützt (§ 42 Abs. 2 UrhG). Das UrhG lässt eine endgültige Verfügung nicht zu, sie ist gebunden. § 42 UrhG ist eine Regelung des Rechtsverkehrs.
Sukzessionsschutz ist also auch bei gebundenen Lizenzen das Spiegelbild des Verlusts an Verfügungsmacht, dessen Ausmaß wiederum gesetzlich oder richterrechtlich (z. B. bei kommerziellen Persönlichkeitsrechten) gesteuert werden kann.
1. Abstraktions- und Kausalitätsprinzip Wie verhält sich das Abstraktionsprinzip zum Sukzessionsschutz? Beide dienen dem Vertrauens- und Verkehrsschutz. Genauer ist das Abstraktionsprinzip nur eine weitere Form des Sukzessionsschutzes: In seiner oben dargestellten, gewöhnlichsten Form wird Sukzessionsschutz durch den Verbrauch an Verfügungsmacht erzeugt. Er ist die negative Seite der Verfügungsmacht.952 Nach dem Abstraktionsprinzip wiederum wird der Verfügungsempfänger gegen nachträgliche Änderungen auf Ebene des Verpflichtungsgeschäfts geschützt. Beispiel: K kauft von V ein Fahrrad. Nach der Eigentumsübertragung ficht V seine auf den Kaufvertrag gerichtete Willenserklärung erfolgreich an. Dennoch bleibt K zunächst Eigentümer des Fahrrads. Er wird vom Abstraktionsprinzip gegen den Rückfall des Eigentums und damit vor einem Anspruch des V nach § 985 BGB geschützt. Seine Sukzession in das Fahrradeigentum genießt Schutz.
Das Kausalitätsprinzip würde demgegenüber zu einem automatischen Rückfall des Eigentums führen. Damit handelt es sich bei Abstraktions- und Kausalitätsprinzip um zwei unterschiedliche Regeln für den Verfügungsrechtsverkehr.
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Berger, ZGE/IPJ 8 (2016), 170 (180). Anh. § 12 Rn. 58; siehe auch MüKoBGB/Säcker, § 12 Rn. 81 (für Sukzessionsschutz für Lizenzen am bürgerlichen Namen). 952 Siehe oben § 9 G. III. 4. Positive und negative Seite. 951 MüKoBGB/Rixecker,
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit539
2. Sonderansicht C. Berger zum Abstraktionsprinzip Christian Berger vertritt eine Sonderauffassung zum Abstraktionsprinzip. Dieses betreffe nur „die Frage, an welche Voraussetzungen die Wirksamkeit eines Vertrages geknüpft sind. Über die Voraussetzungen des Fortbestands und des Erlöschens einer einmal wirksamen Verfügung sagt das Abstraktionsprinzip nichts.“953 Bei der Leistungskondiktion seien „Regel und Ausnahme verkehrt“ worden, während die Doktrin des 19. Jahrhunderts den dinglichen Vertrag noch als „Grundlage für die endgültige vermögensrechtliche Neuordnung“ begriffen habe, und die Verfügung ohne Irrtum der dann in § 814 BGB normierte Regelfall gewesen sei.954
Damit richtet sich Berger gegen eine fortdauernde Bedeutung der Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts für das Verfügungsgeschäft. In der Tat dürfte dies aus Sicht der oben dargelegten Bedeutung des Abstraktionsprinzips als konsequente Umsetzung des Trennungsprinzips historisch zutreffen. Wie Berger selbst feststellt, wird das Abstraktionsprinzip heute aber so nicht mehr praktiziert.955 Übersetzt in die hier vertretene Dogmatik bedeutete seine Sichtweise Folgendes: Das Abstraktionsprinzip hätte als Verfügungsverkehrsregel einen deutlich reduzierten Anwendungsbereich mit maximaler Auswirkung. Sobald das Verfügungsgeschäft abgeschlossen wäre, hinge der Fortbestand der Verfügung nicht mehr von Fragen des Abstraktions- oder Kausalitätsprinzips ab. Selbst unter dem Kausalitätsprinzip hätte nach diesem Verständnis ein nach der abgeschlossenen Verfügung eintretender Mangel im Verpflichtungsgeschäft keine Folgen mehr. Übertragen auf das Beispiel im vorigen Punkt bräuchte der Käufer nach diesem Verständnis das Abstraktionsprinzip im Falle der Anfechtung durch den Verkäufer nicht, weil er schon echten Sukzessionsschutz kraft Verlusts an Verfügungsmacht genießen würde.
Nach Bergers Lehre ist der Verlust an Verfügungsmacht also stärker/nachhaltiger als es das gängig vertretene Abstraktionsprinzip annimmt, demzufolge der Sukzessor eben auch später noch gegen den Rückfall des Eigentums geschützt werden muss, z. B. im Falle einer Anfechtung.
3. Konsequenzen der unterschiedlichen Lehren In Lizenzfällen dienen das heute gängige Verständnis von Kausalitäts- und Abstraktionsprinzip als dauerhafte Regeln zur Frage des Rückfalls der Verfügung dazu, ein Band zwischen dem Nutzungsrechtsvertrag (Verpflichtungsebene) und dem Nutzungsrecht (Verfügungs- bzw. Erfüllungsebene) zu knüpfen. Es kommt dann nicht darauf an, ob die Verfügung bereits abgeschlossen ist oder eine dauerhafte Erhaltung der Rechte für die Dauer der Lizenz956 geschuldet ist. Fällt die 953
Berger, FS Kirchhof, 1 (7). Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 24. 955 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 1 Rn. 24. 956 BGH NZI 2016, 97 Rn. 43 – ECOSoil (ein Lizenzvertrag werde „entsprechend der Rechts954
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
schuldvertragliche Ebene (z. B. wegen Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter, § 103 InsO) weg, führt das Kausalitätsprinzip zum Rückfall der Lizenz (Verfügungsebene), das Abstraktionsprinzip hingegen zu ihrem Verbleib beim Lizenznehmer, so dass es der gesonderten Rückübereignung bedürfte. Nach Bergers Ansatz kommt es hingegen darauf an, ob die Verfügung abgeschlossen ist oder nicht. Ist sie abgeschlossen, spielen Abstraktions- oder Kausalitätsprinzip keine Rolle mehr. Die Lizenz verbleibt im Vermögen des Lizenznehmers (was einer Geltung des Abstraktionsprinzips entspricht). In Dauerschuldverhältnissen957 hingegen schlägt Berger stattdessen vor, den Zusammenhang „zwischen schuldrechtlichem Nutzungsrechtsvertrag und ‚dinglichem‘ Nutzungsrecht mit dem Akzessorietätsprinzip“ zu beschreiben: „Bestand, Inhalt und Ende des Nutzungsrechts bestimmen sich nach dem Nutzungsrechtsvertrag, wenn die Parteien nichts anderes vereinbaren. Das Akzessorietätsprinzip erlaubt es auch, inhaltliche Änderungen des Nutzungsrechtsvertrags ohne weiteres auf das Nutzungsrecht zu erstrecken.“958
4. Angeordneter Sukzessionsschutz Nach dem Gesagten ist Sukzessionsschutz weniger ein Merkmal von Rechten, als vielmehr das Ergebnis von Regeln zum Verfügungsverkehr. Eine beachtliche Diskussion im Immaterialgüterrecht behandelt aber die Frage, welche Bedeutung die ausdrückliche Anordnung von Sukzessionsschutz für Lizenzen hat. Der BGH stellt für den gesamten gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht ausdrücklich die Geltung des Grundsatzes des Sukzessionsschutzes fest und verweist hierfür auf § 33 UrhG, § 30 Abs. 5 MarkenG, § 31 Abs. 5 DesignG (damals GeschmMG), § 15 Abs. 3 PatG, § 22 Abs. 3 GebrMG: Der Grundsatz besage unter anderem, „dass ausschließliche und einfache Nutzungsrechte wirksam bleiben, wenn der Inhaber des Rechts, der das Nutzungsrecht eingeräumt hat, wechselt (§ 33 S. 2 Fall 1 UrhG, § 30 Abs. 5 Fall 1 MarkenG, § 31 Abs. 5 Fall 1 GeschmMG, § 15 Abs. 3 Fall 1 PatG, § 22 Abs. 3 Fall 1 GebrMG …)“. Im Urheberrecht bleibe außerdem das abgeleitete Nutzungsrecht bestehen, „wenn der Inhaber des Rechts, der das Nutzungsrecht eingeräumt hat, auf sein Recht verzichtet (§ 33 S. 2 Fall 2 UrhG)“.959 Der Sukzessionsschutz schütze das Vertrauen des Lizenznehmers in den Fortbestand seines Rechts und dementsprechend seine Investitionen.960 Dem in § 33 UrhG angeordneten Sukzessionsschutz einfacher urheberrechtlicher Lizenzen, liege „der Gedanke zugrunde, daß der Urheber nur noch die Rechte übertragen kann, die er selbst noch innehat“.961
pacht als Dauernutzungsvertrag iSd §§ 108, 112 InsO eingeordnet“); MüKoInsO/Huber, § 103 Rn. 76. 957 Siehe zu Lizenzverträgen als Dauerschuldverhältnisse die Nachweise in Fn. 956. 958 Berger, FS Kirchhof, 1 (7 f.). 959 BGH GRUR 2012, 914 Rn. 16 – Take Five; BGH ZUM 2012, 782 Rn. 24 – M2Trade. 960 BGH GRUR 2012, 914 Rn. 16 – Take Five; BGH ZUM 2012, 782 Rn. 24 – M2Trade. 961 BGH GRUR 1986, 91 (93) – Preisabstandsklausel.
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Der in der Diskussion zentrale § 33 UrhG enthält einen enumerativen Sukzessionsschutz. Er schützt Nutzungsrechte nicht gegen jegliche Änderungen im Mutterrecht, sondern nur gegen spätere Rechtseinräumungen (S. 1), Inhaberwechsel und Verzicht (S. 2). Das Erlöschen des Mutterrechts (z. B. einer ausschließlichen Lizenz) ist nicht geregelt.962 Folgt daraus nun, dass dem Lizenzgeber keine Verfügungsmacht dauerhaft verloren ging oder womöglich gar keine Verfügung vorlag? M. E. liegt auch bei einfachen Lizenzen eine Verfügung vor, aber zu bestimmten Verfügungsverkehrsregeln. § 33 UrhG hat eine ähnliche Funktion wie das Abstraktions- und Kausalitätsprinzip. Er regelt den Verfügungsverkehr, d. h. er bestimmt, inwiefern Verfügungen angesichts anderer Ereignisse Bestand haben. Er verhält sich gegenüber Abstraktions- und Kausalitätsprinzip als Spezialregel. In Fällen, in denen § 33 UrhG nichts bestimmt hat, gelten Abstraktions- oder Kausalitätsprinzip. Welches der beiden Prinzipien im Urheberrecht gilt, kann aus § 33 UrhG nicht gefolgert werden.963 Allerdings betreffen § 33 UrhG und die anderen genannten Vorschriften auch ausschließliche Nutzungsrechte. Für sie folgt der Sukzessionsschutz eigentlich schon aus der unstreitigen Verfügung,964 daher ist § 33 UrhG insoweit funktionslos.965 Soweit § 33 UrhG nicht ausdrücklich Sukzessionsschutz anordnet, greift das für ausschließliche Nutzungsrechte geltende Abstraktionsprinzip.
V. Sonderproblem: Enkellizenzen Die Regeln der §§ 33 UrhG; 31 Abs. 5 DesignG; 30 Abs. 5 MarkenG, § 15 Abs. 3 PatG und § 22 Abs. 2 GebrMG erfassen nicht die Frage, „ob Nutzungsrechte späterer Stufe bestehen bleiben, wenn das Nutzungsrecht früherer Stufe erlischt“.966 Für diese sog. Enkellizenzen kommt es nach dem oben Gesagten besonders darauf an, inwieweit das Kausalitäts- oder Abstraktionsprinzip gilt, also ob sie bei Abriss der Lizenzkette an den Lizenzgeber zurückfallen. Wie an anderer Stelle ausgeführt wurde, steht es der Rechtsprechung aber auch frei, Rechtspositionen rechtsfortbildend mit Sukzessionsschutz zu versehen. Entsprechend der oben dargelegten Ansicht geht damit keine Grundsatzentscheidung für oder gegen das Abstraktionsprinzip im Immaterialgüterrecht einher. Vielmehr handelt es sich (wie bei § 33 UrhG) um eine Spezialregelung für bestimmte Fälle. Wird also im Lizenzrecht vertreten,967 dass für die Weiterübertragung bereits abgespaltener Lizenzen angesichts ihrer klareren Abgegrenztheit das Abstraktions962
BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 24 – M2Trade. Dazu auch schon oben G. VII. 3. Immaterialgüterrechtliche Einwände gegen die Geltung des Abstraktionsprinzips. 964 Siehe oben II. Sukzessionsschutz durch Verbrauch an Verfügungsmacht. 965 BeckOK UrhG/Soppe, § 33 Rn. 2; Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann, Urheberrecht, § 33 Rn. 9. 966 BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 22 – M2Trade. 967 Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 19; Loewenheim/Loewenheim/J. B. Nordemann/Ohly, Handbuch des Urheberrechts, § 28 Rn. 5. 963
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
prinzip gelten soll, was insbesondere auch Enkellizenzen in Lizenzketten beträfe, ist das nichts anderes als ein Plädoyer für eine bestimmte Verfügungsverkehrsregel, nach hier vertretener Ansicht also der Grundregel der Abstraktion.
VI. Zusammenfassung und Folgerungen Sukzessionsschutz ist als Unterfall des Verfügungsschutzes der Schutz der Sukzession gegen nachfolgende Verfügungen des Veräußerers, nach hier vertretener Ansicht aber auch gegen Änderungen auf Verpflichtungsebene (damit können mehr Probleme im Bereich von Lizenzketten erfasst werden). Im einfachsten und typischsten Fall ist Sukzessionsschutz die negative Seite von Verfügungsmacht – wer keine Verfügungsmacht (mehr) hat, kann nicht verfügen. Daher sind Inhaber verfügend eingeräumter Rechte i. d. R. gegen spätere Verfügungen des Veräußerers geschützt – er hat über den weggegebenen Teil keine Verfügungsmacht mehr. Sukzessionsschutz ist das Spiegelbild des Verlusts an Verfügungsmacht.968 Es gibt Regeln, die darüber bestimmen, in welchem Ausmaß der Veräußerer Rechte verfügend einräumen kann, d. h. in welchem Ausmaß und zu welchen Bedingungen er Verfügungsmacht verliert. Darauf ist später auch im Rahmen von gebundenen Rechtsübertragungen zurückzukommen. Besagte Regeln wurden hier als Verfügungsverkehrsregeln bezeichnet. Zu diesen Regeln zählen auch das Abstraktions- und Kausalitätsprinzip. Sie bestimmen, ob Verfügungen von Veränderungen auf schuldrechtlicher Ebene abhängig sind. Nach Bergers Ansicht, die Savignys ursprünglichem Gedanken einer konsequenten Verwirklichung des dinglichen Vertrags969 Rechnung trägt, sind das Abstraktions- und entsprechend wohl auch das Kausalitätsprinzip nur für die Frage relevant, ob der Vorgang der Verfügung eines schuldrechtlichen Rechtsgrundes bedarf.970 Die gängigere Meinung gesteht den Prinzipien auch für spätere Stadien Bedeutung zu, wie etwa an den Rechtsfolgen einer Anfechtung zu sehen ist, die nur zu einem Kondiktionsanspruch (und nicht zur Vindikation) führt. In gewisser Hinsicht verstärkt diese Sicht das Abstraktionsprinzip noch, da sie die einmal vollendete Verfügung als endgültig vom Schuldvertrag abgekoppelt versteht. Der Unterschied macht sich vor allem bei Dauerschuldverhältnissen mit verfügender Wirkung bemerkbar, bei denen die h. M. stärker auf die Entscheidung zwischen Kausalitäts- und Abstraktionsprinzip abstellt, während Berger vorschlägt, den Zusammenhang „zwischen schuldrechtlichem Nutzungsrechtsvertrag und ‚dinglichem‘ Nutzungsrecht mit dem Akzessorietätsprinzip“ zu beschreiben.971 Ebenfalls zu den Verfügungsverkehrsregeln zählen Vorschriften, die Sukzessionsschutz anordnen. Versteht man einfache Nutzungsrechtseinräumungen als 968
Siehe oben II. Sukzessionsschutz durch Verbrauch an Verfügungsmacht. Siehe oben G. Die Eigenständigkeit von Verfügungen. 970 Siehe oben IV. 2. Sonderansicht C. Berger zum Abstraktionsprinzip. 971 Siehe oben IV. 3. Konsequenzen der unterschiedlichen Lehren; 4. Angeordneter Sukzessionsschutz. 969
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Verfügungen, lassen sich Regeln wie § 33 UrhG als Spezialvorschriften gegenüber Abstraktions- und Kausalitätsprinzip verstehen. Abstraktions- und Kausalitätsprinzip gelten subsidiär für Fälle, die von diesen Regeln nicht erfasst werden, etwa im Falle des Erlöschens des Mutterrechts (z. B. einer ausschließlichen Lizenz) oder des Heimfalls von Enkelrechten.972
K. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit Im Folgenden geht es zum einen um die Zugehörigkeit von Rechten zum haftenden Vermögen in der Einzel- und Gesamtvollstreckung. Zum anderen geht es um die Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit als mögliche Merkmale dinglicher Rechte. Die Erkenntnisse werden schließlich mit bereits festgestellten relevanten dinglichen Merkmalen verknüpft.
I. Pfändbarkeit und Anerkennung eines Rechts als „anderes Vermögensrecht“ § 857 ZPO bestimmt i. R. d. Zwangsvollstreckung in Forderungen und sonstige Rechte nur, welche Rechte überhaupt für die Zwangsvollstreckung zur Verfügung stehen. Die Pfändbarkeit und insolvenzrechtliche Verwertbarkeit von Rechten ist eine Ausprägung ihrer Verkehrsfähigkeit, genauer gesagt ist ihre Verkehrsfähigkeit hierfür die entscheidende Voraussetzung. Der Pfändungsschutz nimmt hiervon einige eigentlich verkehrsfähige Gegenstände und Forderungen zum Schutz eines soziokulturellen Existenzminimums973 des Schuldners aus (s. §§ 811, 850 ff. ZPO). Nicht übertragbare Forderungen hingegen sind aus logischen Gründen nicht pfändbar, da ihre Übertragung notwendiges Mittel zum Zweck ist;974 § 851 Abs. 2 ZPO verdrängt aber vertragliche Übertragungsverbote. § 400 BGB schließt den Kreis zwischen materiellem Recht und Prozessrecht, indem er Letzteres als äußere Grenze der Übertragbarkeit setzt und so – aus sozialen Gründen – verhindert, dass unpfändbare Forderungen freiwillig (rechtsgeschäftlich) abgetreten werden.975 Derartige Einschränkungen der Verkehrsfähigkeit sagen aber über die Natur der Rechte nichts aus. Außerhalb von beweglichem und unbeweglichem Vermögen ist eine Zwangsvollstreckung in Rechtspositionen beschränkt auf „Forderungen und andere Vermögensrechte“ (Überschrift Untertitel 3, §§ 828 ff. ZPO). Zur Abgrenzung des Begriffs der Vermögensrechte stellte der BGH fest: „Als Vermögensrecht nach § 857 I ZPO pfändbar sind Rechte aller Art, die einen Vermögenswert derart verkörpern, dass die Pfandverwertung zur Befriedigung des Geldanspruchs des Gläubigers führen kann.“976 972
Siehe oben IV. 4. Angeordneter Sukzessionsschutz; V. Sonderproblem: Enkellizenzen. ZPO, § 811 Rn. 1. 974 Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, § 851 Rn. 1. 975 MüKoBGB/Roth/Kieninger, § 400 Rn. 2; Larenz, SchR I, 583 f. 976 BGH GRUR 2005, 969 (970) – Domain-Pfändung; bestätigt in BGH NJW-RR 2007, 1219 973 Musielak/Voit/Flockenhaus,
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Dogmatisch hängt die Verkehrsfähigkeit subjektiver Rechte von der Bindung des Rechts an seinen Träger ab, die sich im Zwangsvollstreckungsrecht und auch sonst in aller Regel aus einem möglichen Persönlichkeitsbezug des Rechts ergibt.977 An dieser Stelle begegnet die Verkehrsfähigkeit von Rechten wieder978 der Trennung von Vermögens- und Persönlichkeitsrechten. Die Unterscheidung von verkehrsfähigen und nicht-verkehrsfähigen Rechten kann auf Ebene der Stammrechte mit der von Vermögens- und Persönlichkeitsrechten weitgehend gleichgesetzt werden:979 „Soweit die Persönlichkeitsrechte dem Schutz ideeller Interessen dienen, sind sie unauflöslich an die Person ihres Trägers gebunden und als höchstpersönliches Recht unverzichtbar und unveräußerlich, also nicht übertragbar und nicht vererbbar. Dementsprechend sind sie auch nicht pfändbar. Dagegen sind die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts nicht in derselben Weise unauflöslich an die Person des Trägers gebunden.“980
Die Unübertragbarkeit geht also auf den Persönlichkeitsbezug des Rechts zurück und der Ausschluss von der Pfändung auf die Unübertragbarkeit. Aus dem gleichen Grund sind Persönlichkeitsrechte von Verpfändung und Nießbrauch ausgeschlossen, beide setzen übertragbare Rechte voraus (§§ 1274 Abs. 2, 1069 Abs. 2 BGB). Hierin kann man einen Beleg dafür sehen, dass sich Übertragung und Zwangsvollstreckung „auf dieselbe Kategorie von Rechtspositionen beziehen“, die überdies den anderen Rechten in § 413 BGB entspricht.981 Zum Beispiel waren nach der ursprünglichen Fassung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F.982 Schmerzensgeldansprüche aufgrund ihrer Höchstpersönlichkeit nicht übertragbar, nicht vererbbar und daher (!) nicht verpfändbar (§ 1274 Abs. 2 BGB: nur übertragbare Rechte), nicht pfändbar (§ 851 ZPO: nur übertragbare Forderungen), daher nicht aufrechenbar (§ 394 BGB: nur der Pfändung unterworfene Forderungen), kein Teil der Konkursmasse (§ 1 KO) 983 Rn. 21 – Pfändbarkeit der Anlieferungs-Referenzmenge eines Milcherzeugers; BGH NJW-RR 2009, 411 Rn. 6 – Pfändung landwirtschaftlicher Betriebsprämienzahlungen. 977 Dazu unten näher L. Verkehrsfähigkeit der Stammrechte; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, § 857 Rn. 2a. Auf die Unpfändbarkeit anderer vermögenswerter Positionen, wie etwa Gestaltungsrechte, Befugnisse (z. B. Einziehungsbefugnis), oder die Stellung als Alleinerbe (siehe ebd.) wird hier nicht näher eingegangen, da es sich um gänzlich anders geartete Positionen als die zu untersuchenden handelt. Die Unpfändbarkeit geht in den meisten dieser Fälle auf die rechtliche Unvollständigkeit/Unselbständigkeit der Position zurück (s. etwa BAG AP ZPO § 829 Nr. 6: die dem Zendenten eingeräumte Einziehungsbefugnis ändere nichts daran, dass der Zessionar weiterhin Zahlung an sich verlangen kann). 978 Siehe oben § 11 B. III. 3. Persönlichkeitsrechte als subjektive Rechte. 979 Siehe dazu unten L. Verkehrsfähigkeit der Stammrechte. 980 BGHZ 189, 65 = NJW 2011, 2296 Rn. 38. 981 Peukert, Güterzuordnung, 586. 982 „Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist.“ 983 § 1 Abs. 1 KO lautete: „Das Konkursverfahren umfaßt das gesamte, einer Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Gemeinschuldners, welches ihm zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört (Konkursmasse).“; Abs. 3: „Gegenstände, die nicht gepfändet werden sollen, gehören nicht zur Konkursmasse.“
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit545
und konnten nicht mit einem Nießbrauch belastet werden (§ 1069 Abs. 2 BGB: nur übertragbare Rechte).984
Die Pfändbarkeit von Rechten ist wiederum maßgeblich für ihre Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse. § 36 Abs. 1 InsO schließt Gegenstände aus der Insolvenzmasse aus, die nicht der Zwangsvollstreckung (Pfändung) unterliegen.985 Auf diese Weise bestimmt die persönlichkeitsrechtliche Bindung von Rechten deren Übertragbarkeit, diese ihre Pfändbarkeit986 und diese ihre Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse. Hingegen kommt es für § 857 ZPO nicht darauf an, ob Rechte an einem wertvollen Gut wie etwa einer begehrten Internetdomain zu absoluten Rechten sui generis verfestigt oder (nur) schuldrechtliche Ansprüche gegenüber einer zentralen Stelle (in diesem Fall: der DENIC) sind.987 Unterschiede zwischen der Pfändung von beweglichem und unbeweglichem Vermögen zur Pfändung von anderen Vermögensrechten i. S. d. § 857 ZPO gründen dementsprechend nicht auf der relativen, absoluten oder „dinglichen“ Ausgestaltung dieser Vermögensrechte, sondern auf ihrer Übertragbarkeit. Insofern hat im Immaterialgüterrecht nur das Urheberrecht spezielle gesetzliche Ausgestaltungen erfahren. Die §§ 113 ff. UrhG machen die Vollstreckung in das Urheberrecht und Originale von Werken von der Einwilligung des Urhebers abhängig. § 114 Abs. 2 UrhG enthält Ausnahmetatbestände, in denen es keiner Einwilligung des Urhebers bedarf. Trotz der Einordnung eines Rechts als Persönlichkeitsrecht ist seine Pfändbarkeit aber wie gesagt nicht per se ausgeschlossen: „Die Einordnung eines Interesses unter die Persönlichkeitsrechte enthebt nicht der Mühe zu prüfen, ob es nicht bei den gegebenen Umständen hinter die Gläubigerinteressen zurücktreten muss.“988
Im PatG finden sich keine speziellen Regeln zur Zwangsvollstreckung in Patente. Im Markenrecht stellt § 29 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG lediglich die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung in Marken klar, ohne hierfür aber Sonderregeln aufzustellen.989 Im Ergebnis ist die Pfändbarkeit und Anerkennung eines Rechts als „anderes Vermögensrecht“ i. S. d. § 857 Abs. 1 ZPO nur ein schwaches Merkmal der Dinglichkeit.990 Zum einen ist die Eintrittsschwelle niedrig: „Als Vermögensrecht nach § 857 Abs. 1 ZPO pfändbar sind Rechte aller Art, die einen Vermögenswert derart verkörpern, dass die Pfandverwertung zur Befriedigung des Geldanspruchs des Gläubigers führen kann.“991 984 AK-BGB/Kohl,
§ 847 Rn. 26. Siehe auch Gottwald/Wimmer, Insolvenzrechts-Handbuch, § 24 Rn. 1. 986 Peukert, Güterzuordnung, 537 (der dahinterstehende Gedanke besage, „dass den Gläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung stehen soll, was der Schuldner selbst versilbern kann“). 987 BGH GRUR 2005, 969 (970) – Domain-Pfändung. 988 Hubmann, FS Lehmann, 812 (815). 989 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 29 Rn. 1; siehe auch Jänich, Geistiges Eigentum, 331 ff. 990 Krebs/Becker, JZ 2009, 932 (937). 991 BGH NJW 2005, 3353 (3353); BGH NJW-RR 2007, 1219, Rz. 21; BGH NJW-RR 2009, 411, Rz. 6; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, § 857 Rn. 2 ff.; a. A. Peukert, Güterzuordnung, 598 985
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Schon die Ablehnung der Pfändung einer Domain als absolutes Recht i. S. d. § 857 Abs. 1 ZPO und gleichzeitige Anerkennung der Pfändbarkeit der „Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche“992 gegen die DENIC macht die Untauglichkeit des Rückschlusses von der Pfändbarkeit auf die Dinglichkeit deutlich.993 Zum anderen ist das, immerhin zu den gesetzlichen Immaterialgüterrechten zählende, Urheberrecht nur eingeschränkt der Zwangsvollstreckung unterworfen. Wieder ist der Grund sein persönlichkeitsrechtlich geprägter Charakter.994 Dann aber könnte man anstelle der Pfändbarkeit auch diesen zum Abgrenzungskriterium der Dinglichkeit erheben.
II. Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) und Aussonderung (§ 47 InsO) Während bei der Pfändbarkeit von Forderungen und Rechten deren Rechtsnatur im Vordergrund steht, stellen § 771 ZPO und § 47 InsO darauf ab, welche Rechte vom materiellen Recht welchem Vermögen zugeordnet sind.995 Es geht darum, haftendes von nicht-haftendem Vermögen zu trennen. Die Abgrenzung der insbesondere an die Verkehrsfähigkeit gekoppelten Pfändbarkeit wird wie gesagt für die Bestimmung der in Betracht kommenden Haftungsmasse übernommen (§ 36 Abs. 1 InsO). In den zu behandelnden Regelungen geht es also vornehmlich um die Frage, zu welchem Vermögen eine Sache oder ein anderer Gegenstand zu rechnen ist – zur haftenden Masse, zu den (insbesondere aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen) nicht-haftenden Rechtspositionen des Schuldners oder zum Vermögen eines bestimmten Gläubigers.996 Funktional weist § 47 InsO dabei keinen Aussonderungsanspruch, sondern lediglich die „Befugnis zu, den betroffenen materiellrechtlichen Anspruch außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen“,997 was vor den ordentlichen Gerichten mit dem für das jeweilige auszusondernde Recht einschlägigen Klageantrag geschieht.998 „Urbild“ der eigentlichen Aussonderungsansprüche ist § 985 BGB, der den Eigentümer berechtigt, die Sache aus dem Besitz des Insolvenzverwalters herauszuverlangen.999 (das Zwangsvollstreckungsrecht beziehe sich durchgängig „auf grundsätzlich übertragbare subjektive Rechte, die als Vollstreckungsgegenstand vorausgesetzt und nicht – auch nicht im Hinblick auf ihre Pfändbarkeit – konstituiert werden.“). 992 BGH NJW 2005, 3353 (3354). 993 I. d. S. wohl auch Peukert, der die Pfändbarkeit „neuer“ Güter (untersucht wurden Domain, nicht patentiertes Geheimwissen und Persönlichkeitsrechte) nach der von ihm entwickelten Dogmatik gerade mangels verkehrsfähigen subjektiven Rechts ablehnt, Peukert, Güterzuordnung, 606 ff. 994 Vgl. Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, § 857 Rn. 11. 995 Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 1 ff.; K. Schmidt/Thole, InsO, § 47 Rn. 5. 996 K. Schmidt/Thole, InsO, § 47 Rn. 2 („haftungsrechtliche Zuordnung von Vermögensgegenständen zu unterschiedlichen Vermögenssphären“). 997 Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 3. 998 Gottwald/Adolphsen, Insolvenzrechts-Handbuch, § 40 Rn. 106. 999 Jaeger, Lehrbuch des Deutschen Konkursrechts, 101.
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1. Dingliche Rechte in der Insolvenz Wenn Insolvenzfestigkeit ein Ausdruck von Vermögenszugehörigkeit ist, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien sich bemisst, ob ein Recht „insolvenz-“ bzw. „zwangsvollstreckungsfest“ ist. Teilweise werden Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit unmittelbar mit der Dinglichkeit von Rechten in Verbindung gebracht. Sie seien ein Merkmal der Dinglichkeit.1000 Aussonderung (§ 47 InsO), Absonderung (§ 49 InsO), Drittwiderspruchsrecht (§ 771 ZPO) und vorzugsweise Befriedigung (§ 805 ZPO) sollen nämlich auf einem gemeinsamen Gedanken, der „zuordnenden Wirkung der dinglichen Rechte“ beruhen.1001 Die Anerkennung von Eigentumsrechten verleihe der Zuordnung einer Sache zum Vermögen des Berechtigten rechtsförmigen Ausdruck und bestimme daher auch über die Zugehörigkeit der Sache zur haftenden Masse oder zum Vermögen einer anderen Person.1002 Die aussondernden Wirkungen seien keine Rechtsfolgen, die der Gesetzgeber dem dinglichen Recht optional angehängt habe, sondern eine „konkursrechtliche Konsequenz aus der dinglichen Natur der in Betracht kommenden Rechte“:1003 „So haben die dinglichen Rechte als solche Aussonderungskraft. Es gibt kein dingliches Recht, das dieser Wirksamkeit ermangelt. Wie echtes Gold im Feuer, so wird die Dinglichkeit klar im Konkurse. Der Konkurs ist ‚ein Prüfstein‘ der Dinglichkeit.“1004
Andere weisen hingegen darauf hin, dass es keinen Gleichlauf mehr zwischen der Unterscheidung von Insolvenzforderungen, aussonderungsfähigen und absonderungsfähigen Rechten und der Unterscheidung „zwischen persönlichen Ansprüchen, dinglichen Vollrechten und beschränkten dinglichen Rechten“ gebe.1005 So können auch schuldrechtliche Ansprüche ein Widerspruchsrecht in der Zwangsvollstreckung geben, und zwar allgemein dann, wenn sie „Ausdruck der Nicht-Zugehörigkeit des Vollstreckungsgegenstands zum Schuldnervermögen sind“,1006 was etwa bei schuldrechtlichen Herausgabeansprüchen im Rahmen von Gebrauchsüberlassungsverträgen der Fall ist (Herausgabeanspruch aus Miete, Leihe, Pacht).1007 Umgekehrt führt Sicherungseigentum, als (theoretisch, nicht wirtschaftlich) dingliches Vollrecht, nur zur abgesonderten Befriedigung (§§ 51 Nr. 1, 50 InsO).1008 Ansprüche aus dinglichen oder absoluten Rechten weisen gegenüber schuldrechtlichen Ansprüchen im Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht keine allgemeinen Unterschiede auf.1009 1000
Canaris, FS Flume, 371 (374 f.). Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 11. 1002 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 9, 12. 1003 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 13. 1004 Jaeger, Lehrbuch des Deutschen Konkursrechts, 101. 1005 Häsemeyer, InsR, Rn. 11.04; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 2. 1006 MüKoZPO/Schmidt/Brinkmann, § 771 Rn. 41. 1007 Vgl. BeckOK ZPO/Preuß, § 771 Rn. 30. 1008 K. Schmidt/Thole, InsO, § 51 6 f. 1009 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 126. 1001
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Die zuvor referierten Ausführungen zur Dinglichkeit sind also nicht falsch. Allerdings dominiert die Problematik der Vermögenszuordnung. Daher greifen auch dingliche Rechte nur so weit durch, wie sie eine Vermögenszuordnung bewirken, wobei eine solche genauso in bestimmten schuldrechtlichen Ansprüchen oder der Forderungsinhaberschaft liegen kann. Das erklärt auch, weshalb Sicherungseigentum nur eine Absonderung zulässt – wirtschaftlich begründet die Sicherungsübereignung lediglich ein „besitzloses Pfandrecht“,1010 das vermögenmäßig gerade nicht „echtem“ Sacheigentum, also der Zuordnung der Sache mit den wirtschaftlichen Konsequenzen des § 903 BGB entspricht.
2. Bedeutung der Verfügungsverkehrsregeln Wie verhalten sich Sukzessionsschutz und Insolvenz- bzw. Zwangsvollstreckungsfestigkeit zueinander? Die oben als zu den Verfügungsverkehrsregeln zugehörig gekennzeichneten Regeln (Abstraktions- und Kausalitätsprinzip sowie Sukzessionsschutz) sind Regeln für den Verfügungsverkehr. Dieser wiederum ist zentral für die Vermögensordnung, die das Ergebnis des Verfügungsverkehrs ist. Wie gezeigt wurde, kann z. B. angeordneter Sukzessionsschutz dafür sorgen, dass eine Lizenz trotz Änderungen auf Seiten des Verfügenden in der Inhaberschaft und damit im Vermögen des Verfügungsempfängers verbleibt. Daher könnte der Schluss naheliegen, dass Sukzessionsschutz stets auch Insolvenzfestigkeit bedeutet. Das ist falsch. Zwar ist die Rechtsinhaberschaft ein maßgebliches Anzeichen der Vermögenszugehörigkeit des Rechts.1011 Nicht jedes Recht ist aber inhaltlich insolvenzfest i. d. S., dass das Recht ein Gut zuordnet (so wie etwa das Sacheigentum oder das Patentrecht).1012 Beispiel: Eine Geldforderung verpflichtet den Gläubiger zur Zahlung i. S. e. Handlung. Sie ist kein Recht am Geld. Wohl aber genießt die Forderungsinhaberschaft Schutz im Insolvenzverfahren, sie kann ausgesondert werden.1013
Einen Eingriff in seine Rechtsinhaberschaft könnte der einfache Lizenznehmer zwar möglicherweise abwehren. Ob aber seine Ansprüche aus der Lizenz inhaltlich über eine schuldrechtliche Forderung hinausgehen,1014 ist durch den Sukzessionsschutz nicht beantwortet.1015 Der Sukzessionsschutz im eben geschilderten Sinne ist also ein der Frage der Insolvenzfestigkeit in gewisser Weise vorgelagertes Problem, da er die Vermögens1010 Braun/Bäuerle,
Insolvenzordnung, § 51 Rn. 2. Siehe oben § 9 E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff. 1012 Siehe oben 1. Dingliche Rechte in der Insolvenz. 1013 Siehe oben 1. Dingliche Rechte in der Insolvenz; MüKoInsO/Ganter, § 47 Rn. 204 ff. 1014 Siehe zur Konstruktion von Lizenzen unten § 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht. 1015 Berger, GRUR 2013, 321 (324) („Unter Hinweis auf den Fortbestand der einfachen Lizenz trotz Veräußerung des lizenzierten Rechts schreibt man der Lizenz eine dingliche Wirkung zu, die ihrerseits dann wiederum zu einer Insolvenzfestigkeit der Lizenz extrapoliert wird. Diese Ableitung ist längst überwunden geglaubte Begriffsjurisprudenz in Reinform!“). 1011
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lage erzeugt, auf die das Insolvenzverfahren aufbaut. Er ist vom Insolvenzschutz zu unterscheiden und insbesondere kann nicht vom einen auf das andere geschlossen werden: „Das Argument, eine Lizenz sei insolvenzfest, weil sie am Sukzessionsschutz teilnimmt, ist daher zwar geeignet darzulegen, dass die Lizenz nicht mehr eine lediglich obligatorische Beziehung darstellt. Der Sukzessionsschutz allein bildet aber keine tragfähige Basis zur Begründung einer allgemeinen Insolvenzfestigkeit der Lizenz.“1016
Die Insolvenzfestigkeit gibt nur Auskunft darüber bzw. beruht darauf, wessen Vermögen ein Recht zugeordnet ist (eben als Ergebnis des Verfügungsverkehrs). Es geht dort nicht um die mit dinglichen Rechten ansonsten in Verbindung gebrachten Merkmale, wie etwa die absolute Zuordnung von Gegenständen i. S. d. Herrschaft oder verschiedene Ausprägungen von Absolutheit, etwa als unmittelbare Beziehung zum Gegenstand, sondern nur um die Vermögensordnung. Diese wird in hohem Maße, aber nicht ausschließlich, durch die Rechtsinhaberschaft geprägt. Dass die vorgelagerten Mechanismen des Verfügungsverkehrs, insbesondere das Abstraktionsprinzip, teilweise als nicht zur insolvenzrechtlichen Interessenlage passend beurteilt werden,1017 überrascht also nicht. Da dingliche Rechte eine unbestritten hohe Bedeutung für die „haftungsmäßige Vermögenszuordnung“1018 von Gütern haben, sind sie überwiegend insolvenz- und zwangsvollstreckungsfest. Die Bedeutung der Rechtsinhaberschaft zeigt sich in ihrem Schutz im Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsrecht. Zwar sind Forderungen (mit den gezeigten Ausnahmen) nicht inhaltlich geschützt, wohl aber berechtigt die „Pfändung einer schuldnerfremden Forderung […] den wahren Inhaber zum Widerspruch“ nach § 771 ZPO,1019 genauso kommt es für eine Aussonderung der Forderung (§ 47 InsO) auf die Rechtsinhaberschaft an.1020 Umgekehrt ist Sicherungseigentum trotz formaler Rechtsinhaberschaft kein echtes Vermögen. Aus diesen Gründen hängt das Insolvenzrecht nur indirekt mit der Dinglichkeit von Rechten zusammen, nämlich nur so weit, wie diese eine wirtschaftliche Vermögenszuordnung bewirkt.
3. Speziell: Lizenzen Im Immaterialgüterrecht stellt sich speziell bei Lizenzen die Frage, wann eine Lizenz dem haftenden Vermögen, also dem Zugriff des Insolvenzverwalters entzogen ist. Aufgrund der oben1021 dargelegten Gestaltungsfreiheit auf vertraglicher 1016
Berger, GRUR 2013, 321 (324). zur insolvenzrechtlichen Kritik des Abstraktionsprinzips die Nachweise oben in
1017 Siehe
Fn. 697. 1018 Hirte/Knof, JZ 2011, 889. 1019 Kindl/Meller-Hannich/Handke, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, § 771 Rn. 22. 1020 Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 3. 1021 Siehe oben C. I. 4. d) Weder immaterialgüterrechtlicher noch vertragsrechtlicher Typenzwang.
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
und verfügender Ebene gibt es insofern einen erheblichen Meinungsstreit.1022 Dieser soll hier nicht nachvollzogen werden, er ist für die Struktur absoluter Herrschaftsrechte von nachgelagerter Bedeutung. Zu zeigen sind nur Grundlinien: Ist eine „dingliche“ (ausschließliche) Lizenz eingeräumt, ist sie massefremd,1023 der Erwerb verstößt nicht gegen § 91 InsO. Dingliche Lizenzen berechtigen also zur Aussonderung.1024 Je nach Konstellation kann die Lizenz nicht ausgesondert (§ 47 InsO) werden, vielmehr kann der Gläubiger als Inhaber des Nutzungsrechts diese dem Insolvenzverwalter im Wege der Einrede entgegenhalten.1025 Sie unterfällt entsprechend nicht dessen Erfüllungswahlrecht (§ 103 InsO).1026 Die Insolvenzfestigkeit von Lizenzen hängt also von der Frage ab, ob der Lizenz(schuld)vertrag dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters unterliegt.1027 Ist ein Lizenzvertrag bereits vor Eröffnung des Verfahrens erfüllt worden, hat der Insolvenzverwalter kein Erfüllungswahlrecht nach § 103 InsO.1028 Für die Frage, ob erfüllt worden ist, soll es auf die beidseitige Erfüllung, also Zahlung und Lizenzeinräumung ankommen.1029 In diesem Bereich gibt es Friktionen. Denn wann bzw. ob ein Lizenzvertrag beidseitig erfüllt ist, hängt von seiner Natur, insbesondere von seiner Einordnung als Dauerschuldverhältnis mit dem Erfordernis der Aufrechterhaltung des lizenzierten Rechts oder einer eher kaufvertraglichen Ausgestaltung ab.1030 Dies, also die Frage, in welchem Maße welche Lizenzen wann erfüllt sind (etwa in Anbetracht von Nebenpflichten des Lizenzgebers und fortlaufenden Zahlungspflichten des Lizenznehmers), ist Gegenstand besagter Diskussionen um die Insolvenzfestigkeit von Lizenzen.
III. Zusammenfassung und Folgerungen Der Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit ist die Frage vorgelagert, welche Rechtspositionen zum haftenden Vermögen zählen. Insofern war vorliegend insbesondere § 857 ZPO von Interesse. Dabei zeigte sich, dass die Unterscheidung von verkehrsfähigen und nicht-verkehrsfähigen Rechten mit der von Vermögensund Persönlichkeitsrechten weitgehend gleichgesetzt werden kann. Auf diese Abgrenzung baut das Insolvenzrecht auf. Daher bestimmt die persönlichkeitsrecht1022 Dazu nur Berger, GRUR 2013, 321; Haedicke, ZGE/IPJ 3(2011), 377; Ganter, NZI 2011, 833; Hirte/Knof, JZ 2011, 889; Koós, MMR 2017, 13. 1023 BGH GRUR 2006, 435 Rn. 13 – Softwarenutzungsrecht. 1024 Hirte/Knof, JZ 2011, 889 (891 f.); Ganter, NZI 2011, 833 (834); Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (82); BeckOK InsO/Berberich, § 108 Rn. 81. 1025 BeckOK InsO/Berberich, § 108 Rn. 81. 1026 Ganter, NZI 2011, 833 (834); Haedicke, ZGE/IPJ 3 (2011), 377. 1027 KG NZI 2012, 759 (761); OLG München NZI 2013, 899 (900 f.); Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 73. 1028 BeckOK InsO/Berberich, § 108 Rn. 70, 72 ff. 1029 BGH GRUR 2006, 435 Rn. 21 – Softwarenutzungsrecht (der Lizenzvertrag sei entsprechend der Rechtspacht als Dauernutzungsvertrag i. S. der §§ 108, 112 InsO einzuordnen, es bestehe ein Wahlrecht nach § 103 InsO, falls er im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung beiderseits noch nicht vollständig erfüllt war); BGH NZI 2016, 97 Rn. 43 – ECOSoil. 1030 Vgl. BGH NZI 2016, 97 Rn. 45 – ECOSoil.
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liche Bindung von Rechten deren Übertragbarkeit, diese ihre Pfändbarkeit und diese ihre Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse. Die insofern bestehenden Besonderheiten im Immaterialgüterrecht richten sich vor allem auf persönlichkeitsrechtliche Aspekte, mithin auf die Zwangsvollstreckung in urheberrechtliche Positionen.1031 Während bei der Pfändbarkeit von Forderungen und Rechten deren Rechtsnatur im Vordergrund steht, stellen § 771 ZPO und § 47 InsO darauf aufbauend (§ 36 Abs. 1 InsO) auf die Frage ab, welche Rechte vom materiellen Recht welchem Vermögen zugeordnet sind. Es geht also darum zu bestimmen, zu welchem Vermögen eine Sache oder ein anderer prinzipiell der Haftung zugänglicher Gegenstand zu rechnen ist. Die verbreitet angenommene zuordnende Wirkung dinglicher Rechte muss relativiert werden. Dingliche Rechte genießen insolvenzrechtlich nicht aufgrund ihrer insbesondere mit der Absolutheit identifizierten Eigenschaften eine Sonderstellung, sondern (nur) insoweit, wie sie eine Vermögenszuordnung bewirken. Dies kann aber eben auch bei bestimmten schuldrechtlichen Ansprüchen oder der Forderungsinhaberschaft der Fall sein.1032 Abstraktions- und Kausalitätsprinzip sowie Sukzessionsschutz sind als Regeln für den Verfügungsverkehr der Insolvenz- bzw. Zwangsvollstreckungsfestigkeit in gewisser Weise vorgelagert. Denn sie erzeugen die Vermögenslage auf die das Insolvenzrecht aufbaut. Dabei ist die Rechtsinhaberschaft ein maßgebliches Anzeichen der Vermögenszugehörigkeit der mit dem Recht verbundenen Werte, nur ist nicht jedes Recht auch inhaltlich insolvenzfest i. d. S., dass das Recht ein Gut zuordnet. Zudem entsprechen diese Prinzipien und die dadurch erzeugte Vermögenslage häufig nicht der Interessenlage im Insolvenzrecht. Dingliche Rechte haben als Instrumente der Güterzuweisung eine hohe Bedeutung für die Vermögensordnung, daher sind sie überwiegend, aber eben nicht immer, insolvenz- und zwangsvollstreckungsfest.1033 Im Immaterialgüterrecht stellt sich speziell bei Lizenzen die Frage, wann diese der Masse zugehören bzw. der Bestimmung des Insolvenzverwalters unterliegen und wann sie massefremd sind. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn sie vor der Insolvenz verfügend und ohne dauerhafte gegenseitige Pflichten eingeräumt wurden. Die daraus entstehende Insolvenzfestigkeit wird als Merkmal der Dinglichkeit aufgefasst.1034
L. Verkehrsfähigkeit der Stammrechte Eine weitere Frage gilt der Verkehrsfähigkeit als Merkmal der Dinglichkeit. Oben wurde bereits bei der Darstellung von Verfügungsobjekten gezeigt, dass diese notwendig verkehrsfähig sind.1035 I. R. d. Untersuchung von Rechten i. S. d. § 857 ZPO 1031
Siehe oben I. Pfändbarkeit und Anerkennung eines Rechts als „anderes Vermögensrecht“. Siehe oben II. 1. Dingliche Rechte in der Insolvenz. 1033 Siehe oben II. 2. Bedeutung der Verfügungsverkehrsregeln. 1034 Siehe oben II. 3. Speziell: Lizenzen. 1035 Siehe oben § 9 E. II. Verkehrsfähigkeit als Merkmal von Verfügungsobjekten? 1032
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
wurde außerdem festgestellt, dass der Persönlichkeitsbezug eine zentrale Rolle für die Übertragbarkeit von Rechten spielt.1036 Dies war auch Ergebnis der Ausführungen zu Kontroll- und Dispositionsherrschaft.1037 Ferner findet sich die Übertragbarkeit in einigen Quellen als Sachenrechtsprinzip.1038 Diese Punkte sind hier zusammenzuführen, um der Frage nachzugehen, welche Bedeutung die Verkehrsfähigkeit für den Gesichtspunkt der Dinglichkeit hat.
I. Fragestellung Der Gedanke, dass Dinglichkeit und Verkehrsfähigkeit verwandt sein könnten, geht auf eine Überlegung von Peukert zurück. Er unternimmt zwar keine explizite Untersuchung des Wesens der Dinglichkeit; die von ihm als Ausschließlichkeitsrechte qualifizierten Rechtspositionen abstrahieren aber von dinglichen Rechten (Sacheigentum und Immaterialgüterrechten), weshalb das von ihm dort identifizierte Merkmal der Verkehrsfähigkeit übernommen werden kann. Ihm billigt Peukert einen hohen Stellenwert für Ausschließlichkeitsrechte in Form primärer subjektiver Rechte zu.1039 Diese könnten: – „rechtsgeschäftlich unter Lebenden übertragen werden, wenngleich ggf. nur beschränkt oder unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen; – ihrerseits Gegenstand von absolut-rechtlich („dinglich“) wirkenden Sicherungsrechten sein, namentlich rechtsgeschäftlich verpfändet werden und Gegenstand eines Nießbrauchs sein; – in der Einzel- und Gesamtvollstreckung zur Befriedigung der Gläubiger zwangsweise verwertet werden, indem sie insbesondere gegen Entgelt an Dritte übertragen werden; – im Wege der Rechtsnachfolge von Todes wegen auf die Erben übergehen“.1040
Sämtliche dieser Merkmale treffen allerdings z. B. auch auf Geldforderungen zu – sie können übertragen werden (§§ 398 ff. BGB), Gegenstand eines Pfandrechts (§§ 1273 ff., insbesondere § 1279 BGB) und eines Nießbrauchs (§§ 1074 ff. BGB) sein, sind der Zwangsvollstreckung unterworfen (§§ 828 ff. ZPO) sowie Teil der Insolvenzmasse (§§ 35 f. InsO) und werden als Teil des Vermögens des Erblassers vererbt (§ 1922 BGB). Tatsächlich sind Peukerts Überlegungen auf die Abgrenzung ideell existenter primärer subjektiver Rechte gegenüber dem „Schutz von Interessen und Gütern auf der Basis gesetzlicher Schuldverhältnisse“ gerichtet: „Was jedoch ein subjektives Recht an einem Gut auszeichnet, ist die Übertragbarkeit einer in unverletztem Zustand gedachten Befugnis.“1041 1036 Siehe
recht“.
1037
oben K. I. Pfändbarkeit und Anerkennung eines Rechts als „anderes Vermögens-
Siehe oben § 11 C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft. Siehe oben B. I. 1. Der ungewisse Kreis der Sachenrechtsprinzipien. 1039 Peukert, Güterzuordnung, 533. 1040 Peukert, Güterzuordnung, 534. 1041 Peukert, Güterzuordnung, 534 f. 1038
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit553
Es geht dort nicht um die Feststellung exklusiver Eigenschaften von Ausschließlichkeitsrechten. Die Frage lautet nicht, welche subjektiven Rechte übertragbar sind, sondern welche Rechtspositionen übertragbar und daher subjektivrechtlich sind. Insofern stellt die Verkehrsfähigkeit von Rechtspositionen ein wichtiges Merkmal subjektiver Rechte i. S. Peukerts dar. Sein eigentliches Argument besteht darin, dass die Anerkennung von Verkehrsfähigkeit eine über die bloße Verteidigung gegen akute Verstöße hinausgehende „ideelle Existenz eines primären Rechts“ signalisiere.1042 Gerade bei „neuen Gütern“ steht in der Tat zunächst deren deliktische Schutzfähigkeit im Fokus und es stellt sich die Frage, ob insbesondere der Schutz über § 823 Abs. 1 BGB zumindest eines gedachten subjektiven Rechts zur Abgrenzung des Schutzbereichs bedarf.1043 Das Verhältnis deliktischen Schutzes zu subjektiven Rechten wird vorliegend daher separat eingehender untersucht.1044 Die Verkehrsfähigkeit ist also keine Eigenschaft, die auf absolute Herrschaftsrechte beschränkt wäre. Es würde jedoch vorliegend genügen, wenn die Verkehrsfähigkeit als notwendiges, aber nicht hinreichendes Merkmal dinglicher Rechte verstanden werden könnte. Fraglich ist zum einen, ob alle dinglichen Rechte verkehrsfähig sind und zum anderen, welche Gründe hinter der Verkehrsfähigkeit bzw. Nicht-Verkehrsfähigkeit dinglicher und ähnlicher Rechte stehen, sowie, ob diese Gründe einen funktionalen Zusammenhang mit der Struktur und Funktionsweise absoluter Herrschaftsrechte haben.
II. Strukturelle Erklärung Verkehrsfähigkeit ist die privatautonome Möglichkeit eines Wechsels in der Rechtsinhaberschaft. Privatautonom geschieht dies durch eine Verfügung. Der nur relativrechtlich gestattete Zugriff ist wie gesagt kein Gestaltungselement absoluter Herrschaftsrechte.1045 Die Ausstattung von Stammrechten mit der nötigen Verfügungsmacht ist keine vertragliche, sondern eine hoheitliche, d. h. gesetzgeberische oder richterrechtliche Entscheidung.1046 Das Zwangsvollstreckungsrecht (insbesondere § 857 ZPO) schließt sich der rechtsgeschäftlichen Übertragbarkeit an. Was nicht rechtsgeschäftlich verfügbar ist, kann auch nicht gepfändet werden.1047 Auch für die Vererblichkeit kann die rechtsgeschäftliche Übertragbarkeit ein „Indiz“ sein. Das Erbrecht geht aber tendenziell weiter als die Übertragung unter 1042
Peukert, Güterzuordnung, 534 f. Peukert, Güterzuordnung, 535 (es falle „bereits schwer, überhaupt eine Rechtsposition zu formulieren, die unabhängig von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) oder unlauteren Wettbewerbshandlung (§ 3 UWG) besteht“). 1044 Siehe unten § 15 A. II. Subjektive Rechte und deliktische Haftung. 1045 Siehe oben § 11 C. II. Die Begriffe „Kontrollherrschaft“ und „Dispositionsherrschaft“. 1046 Dazu oben § 9 G. III. Verfügungsmacht und Verfügung. 1047 Siehe oben § 13 K. I. Pfändbarkeit und Anerkennung eines Rechts als „anderes Vermögensrecht“. 1043
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
Lebenden, wie der Fall des Urheberrechts zeigt, dessen Vererblichkeit über den rechtsgeschäftlichen Verkehr hinausreicht (§ 29 UrhG).1048 Die Bestellung beschränkter dinglicher Rechte und die Einräumung von Lizenzen wiederum können – wie das Urheberrecht oder kommerzielle Persönlichkeitsrechte zeigen – mit der Verkehrsfähigkeit der Stammrechte nicht gleichgesetzt werden. Z. B. sind – entgegen dem vermeintlichen Sachenrechtsprinzip der Verkehrsfähigkeit – einige der beschränkten dinglichen Rechte (Nießbrauch [§ 1059 BGB], beschränkte persönliche Dienstbarkeit [§ 1092 Abs. 1 BGB]) unübertragbar, was zudem nur teilweise mit ihrer persönlichen Prägung zu tun hat.1049 Die beiden Aspekte werden unten1050 eingehender untersucht.
III. Persönlichkeitsrecht als Ausschlussgrund Das Sacheigentum und alle gesetzlichen Immaterialgüterrechte mit Ausnahme des Urheberrechts sind als Stammrechte übertragbar. Nur eingeschränkt, nämlich über beschränkte dingliche Rechte und Lizenzen verkehrsfähig sind das Urheberrecht (§ 29 UrhG)1051 und Persönlichkeitsrechte. Daher wird die Verkehrsfähigkeit von Rechten teilweise mit ihrem vermögensrechtlichen Charakter gleichgesetzt bzw. werden Persönlichkeitsrecht und Verkehrsfähigkeit als logische Gegensätze verstanden: Forkel stellt mit Blick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse fest, dass die Anerkennung von Verkehrsfähigkeit in erster Linie auf den Wandel des Charakters eines Rechts vom Persönlichkeits- zu einem Vermögens- bzw. Immaterialgüterrecht hindeutet.1052 Die Vererblichkeit von Rechtsverhältnissen (also über die Vererbung des Stammrechts hinaus) richtet sich – vorbehaltlich speziellerer Regelungen – im Ausgangspunkt danach, ob es sich um vermögensrechtliche oder um nicht-vermögensrechtliche Rechtsbeziehungen handelt, wobei mit Nicht-Vermögensrechten im Wesentlichen Persönlichkeitsrechte gemeint sind.1053 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ganzes hingegen ist weder zu Lebzeiten übertragbar noch vererblich.1054 Wohl aber hat der I. Zivilsenat des BGH die vermögenswerten Bestandteile rechtsfortbildend für vererblich erklärt,1055 was 1048
BeckOK BGB/Müller-Christmann, § 1922 Rn. 24. Siehe etwa MüKoBGB/Pohlmann, § 1059 Rn. 1; MüKoBGB/Mohr, § 1092 Rn. 1. 1050 Siehe unten 6. Kapitel – Abgeleitete Rechte. 1051 Dazu BT-Drucks IV/270, 55 (die enge Verbundenheit von Urheberpersönlichkeitsrecht und Verwertungsrechten habe zu Abgrenzungsschwierigkeiten geführt, weswegen die bis dahin weitgehende Übertragbarkeit (s. § 8 LUG) des Urheberrechts zugunsten der Kombination aus Unübertragbarkeit und gebundenen Nutzungsrechten ersetzt werde). 1052 Forkel, FS Schnorr v. Carolsfeld, 105 (115); ders., NJW 1993, 3181 (3181 f.). 1053 BeckOK BGB/Müller-Christmann, § 1922 Rn. 24, 30 ff., 99; Erman/Lieder, § 1922 Rn. 7 ff.; Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 11, 300 ff. 1054 MüKoBGB/Rixecker, Anh. § 12 Rn. 53 f.; BeckOK BGB/Müller-Christmann, § 1922 Rn. 30. 1055 BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; BVerfG NJW 2006, 3409 (3410) – Marlene Dietrich; BGH NJW 2012, 1728 Rn. 23 ff. 1049
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit555
als ein entscheidender Schritt beim umstrittenen Wandel des Persönlichkeitsrechts in Richtung eines Immaterialgüterrechts gewertet wird.1056 Auch sind einzelne Ansprüche vererblich, die, wie oben1057 ausgeführt, vom Stammrecht streng zu unterscheiden sind. Jedoch erkennt der VI. Zivilsenat die Vererblichkeit von Ansprüchen auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erst ab ihrer rechtskräftigen Zuerkennung an.1058 Anders verhält es sich bei Ansprüchen aus der Verletzung vermögensrechtlicher Persönlichkeitsrechtsbestandteile.1059 Da der BGH zur Übertragbarkeit von Ansprüchen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen unter Lebenden noch keine Entscheidung getroffen hat,1060 scheint sie derzeit jedenfalls nicht über die Vererblichkeit hinauszugehen. Einzig bei Schmerzensgeldansprüchen gibt es Tendenzen, die Vererblichkeit weiter als die rechtsgeschäftliche Übertragbarkeit zu ziehen.1061 Die Vererblichkeit als Variante der Verkehrsfähigkeit trifft also keine eigenständige Aussage, ob ein Recht ein Vermögensrecht und damit verkehrsfähig ist, sondern gewinnt dies ebenfalls aus der Abgrenzung zu den Persönlichkeitsrechten. Ein vergleichbares Ergebnis zeigt sich bei der Pfändbarkeit von Rechten: sie hängt nicht von der Dinglichkeit oder Absolutheit ab, sondern orientiert sich, soweit es auf die dogmatische Verortung der Rechte ankommt – d. h. insbesondere vorbehaltlich der Pfändungsschutzregeln –, an der vermögens- oder persönlichkeitsrechtlichen Natur der Rechte.1062 Der Grund dafür, dass bestimmte Bereiche des Persönlichkeitsrechts als unübertragbar, unpfändbar, unvererblich und unverzichtbar eingestuft werden,1063 ist die drohende Disposition über die eigene Persönlichkeit und die damit einhergehende Vergegenständlichung der Person.1064
1056
Wagner, GRUR 2000, 717 (718); Schack, JZ 2000, 1060 (1062). Siehe oben § 11 C. IV. 1. Kontrollherrschaft über nicht-rechtliche Gegenstände. 1058 BGHZ 215, 117 = JZ 2018, 42 Rn. 18; BGHZ 201, 45 = JZ 2014, 1053 Rn. 8 ff. – Peter Alexander; MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 156. 1059 Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 306. 1060 Vgl. Erman/Klass, Anh. § 12 Rn. 203; siehe auch Schack, JZ 2018, 44 (45) sowie oben § 11 C. IV. 1. Kontrollherrschaft über nicht-rechtliche Gegenstände. 1061 Siehe NK-BGB/Dauner-Lieb, § 253 Rn. 138; für einen Gleichlauf BeckOK BGB/Spindler, § 253 Rn. 70; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 65 f. 1062 Siehe oben § 13 K. I. Pfändbarkeit und Anerkennung eines Rechts als „anderes Vermögensrecht“. 1063 Siehe etwa BGH GRUR 1968, 552 (554) – Mephisto („abgesehen von seinen vermögenswerten Bestandteilen als höchstpersönliches Recht unübertragbar und unvererblich“); BGH GRUR 1987, 128 – NENA (offengelassen); BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 (2198) – Marlene Dietrich („die dem Schutz ideeller Interessen dienenden höchstpersönlichen Bestandteile“ seien unvererblich; näher diskutiert wird nur die Übertragbarkeit bzw. Vererblichkeit kommerzieller Bestandteile des Persönlichkeitsrechts); BGH GRUR 2000, 715 mit Anm. Wagner – Der blaue Engel; Erman/Klass, Anh. § 12 Rn. 202; BeckOGK/Specht-Riemenschneider (11/2020), § 823 Rn. 1151; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 132. 1064 Siehe oben § 11 C. III. Drohende Disposition über die eigene Persönlichkeit. 1057
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
IV. Folgerungen Schon im Sachenrecht scheint die Dinglichkeit von Rechten nicht eng mit ihrer Übertragbarkeit zu korrelieren, geschweige denn funktional verbunden zu sein. Die Übertragbarkeit entscheidet sich nach anderen, vielfältigen Gesichtspunkten. Als einziger übergreifend geltender Ausschlussgrund der Übertragbarkeit von Stammrechten zeigte sich ihre persönlichkeitsrechtliche Natur. Was absolute Herrschaftsrechte betrifft, scheinen ihre Qualifizierung als Vermögensrecht und die Übertragbarkeit parallel zu laufen, während die Unübertragbarkeit von Stammrechten offenbar ausschließlich auf ihre persönlichkeitsrechtliche Prägung zurückgeht. Wie gesagt stimmt diese allgemeine Aussage nicht für abgeleitete Rechte, also Lizenzen und beschränkte dingliche Rechte. Diese Gleichsetzung vereinbart sich mit den obigen Ausführungen zur Entwicklung des Rechtsgegenstands und seiner Aufnahme in den Verfügungsverkehr durch die Ausbildung eines Verfügungsobjekts, dessen Ausstattung mit Verfügungsmacht dem Berechtigten Wechsel in der Rechtsinhaberschaft ermöglicht.1065 Persönlichkeitsrechte sind ursprünglich dadurch gekennzeichnet, dass es an einem von der Person gelösten Rechtsgegenstand fehlt und nur die Person in ihrem Rechtsstatus anerkannt wird (§ 1 BGB).1066 Am Verfügungsverkehr teilnehmen können nur von der Person entäußerte Aspekte, die zu Rechtsgegenständen erhoben und deren Rechten (Verfügungsobjekte) Verfügungsmacht angelagert wurde.
M. Zusammenfassung und Folgerungen Der Begriff „dinglich“ ist zunächst einmal eine Zusammenfassung von Eigenschaften, die bereits oben untersucht wurden. Dies sind die Herrschaft über ein „Ding“/einen „Gegenstand“, die hier verallgemeinernd als Bestimmungsgewalt aufgefasst wurde,1067 und Ausprägungen der Absolutheit, nämlich potentielle Rechte gegen jedermann, die der Realisierung der Bestimmungsgewalt des Rechtsinhabers dienen, und ihm eine unmittelbare, d. h. nicht durch andere Personen vermittelte Gegenstandsbeziehung (Innenbeziehung) gewährleisten.1068 Statt von der Dinglichkeit wird daher auch von der Gegenständlichkeit von Rechten gesprochen.1069 Idealtyp dinglicher Rechte ist das Sacheigentum, weshalb seine Merkmale als Maßstab für die Dinglichkeit anderer Rechte dienen.1070 Die Sachenrechtsprinzipien haben sich erst nach Inkrafttreten des heutigen Sachenrechts, nämlich im Laufe des späteren 20. Jahrhunderts herausgebildet und sind im Vergleich verschiedener Quellen auch nicht deckungsgleich. Ihre hier vertretene Herleitung aus einer Rechtsanalogie zu im Sachenrecht geltenden Regeln 1065
Siehe insb. § 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands; § 9 Verfügungsobjekte. Siehe oben § 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte. 1067 Dazu oben § 10 Besitz und Herrschaft. 1068 Dazu oben § 12 Absolute Rechte. 1069 Forkel, NJW 1983, 1764 (1764 f.). 1070 A. Was heißt „Dinglichkeit“ und wozu dient diese Frage? 1066
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit557
billigt ihnen den Charakter eines abstrakten Prinzips und Orientierungsrahmens zu. Vorliegend dienen sie als Sammlung von Merkmalen, die dinglichen Rechten typischerweise zu eigen sein könnten.1071 Das numerus clausus-Prinzip, für abgespaltene Rechte oder Stammrechte, ist kein Merkmal dinglicher Rechte. Einen numerus clausus abgespaltener Rechte (Typenzwang) gibt es nur im Sachenrecht. Hintergrund ist dort ein hohes Bedürfnis an Verkehrssicherheit und Rechtsklarheit, was auf den Schutz des freien, d. h. nicht-zersplitterten Sacheigentums zurückgeht. Der Typenzwang wird erleichtert durch die spezifische, relativ statische Interessenlage im Sacheigentumsrecht. Er portioniert die Verfügungsmacht des Eigentümers und wird durch § 137 S. 1 BGB abgesichert.1072 Die Immaterialgüterrechte kennen keinen solchen Typenzwang. Dies liegt vor allem an der im Vergleich zum Sachenrecht wesentlich dynamischeren und vielfältigeren Verwertung der dort geschützten Immaterialgüter. Da es auch keine Vertypung schuldrechtlicher Lizenzverträge gibt, herrscht große Gestaltungsfreiheit auf schuldrechtlicher wie verfügungsrechtlicher Ebene. Dies hat Konsequenzen für die Geltung des Abstraktionsprinzips (dazu sogleich). Ein numerus clausus der Stammrechte wiederum ist definitionsgemäß keine Eigenschaft dieser Rechte und beschränkt sich auf die Aussage, dass gesetzliche Stammrechte nur vom Gesetzgeber festgelegt werden können. Relevant ist er am ehesten für die Frage der Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildungen, die er aber keineswegs pauschal verbietet. Vielmehr macht er wertende Vorgaben und kann so in Einzelfällen eine Sperrwirkung für Rechtsfortbildungen entfalten. Stets zu bedenken ist dabei die geringe Verbindlichkeit, die solche Rechtsfortbildungen – auch eingedenk des Gewohnheitsrechts – im Vergleich zu gesetzlichen Rechten haben.1073 Spezialitäts- und Bestimmtheitsprinzip sind Prinzipien des Verfügungsverkehrs, da sie z. B. auch für die Verfügung über Forderungen gelten. Ihre Anwendbarkeit ist daher kein spezifisch dingliches Merkmal. Das Spezialitätsprinzip zwingt zur genauen Bezeichnung des Verfügungsobjekts. Es knüpft damit an den Typenzwang bzw. die Verkehrsüblichkeit verfügender Lizenzen an.1074 Der Bestimmtheitsgrundsatz richtet sich demgegenüber auf die Identität/Identifizierbarkeit von Verfügungsobjekten. Er ist eng verwandt mit dem nemo plus iuris-Grundsatz, soll also dafür sorgen, dass Parteien nur Verfügungen über Rechte treffen, die sie auch wirklich haben.1075 Das Publizitätsprinzip wird einzig im Immobiliarsachenrecht streng durchgehalten, nicht im Mobiliarsachenrecht. Bei Letzterem deuten Traditionsprinzip und Typenzwang aber auf eine Einheitlichkeit des Sacheigentums hin, nach der Eigen1071
B. Sachenrechts- bzw. Verfügungsprinzipien. C. Das numerus clausus-Prinzip. 1073 C. Das numerus clausus-Prinzip. 1074 D. Spezialitätsprinzip. 1075 E. Bestimmtheitsgrundsatz. 1072
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
tum und Besitz an Sachen vereint und ungeteilt bleiben sollen. Im Immaterialgüterrecht gibt es kein konsequentes Publizitätsprinzip. Die immaterialgüterrechtlichen Register bekleiden keine dem Grundbuch vergleichbare Funktion, sie informieren vorläufig und unverbindlich insbesondere darüber, dass es das betreffende Recht gibt. Dies zeigt eine Verwandtschaft zum Bestimmtheitsgebot. Verkürzt gesagt muss nicht jedes dingliche Recht publik gemacht werden. Im Urheberrecht fordert die Schutzentstehung eine ähnliche Publizität wie das Sacheigentum – es genügt die theoretische Wahrnehmbarkeit durch andere. Eine gänzlich andere Rolle als im Sachenrecht spielt Publizität im Immaterialgüterrecht insofern sie der öffentlichen Anerkennung menschlicher Leistungen und deren Offenbarung zur Schutzrechtserlangung dient. Ein übergreifendes und einheitliches Prinzip dinglicher Rechte ist die Publizität damit nicht.1076 Ein weiterer Aspekt, der dingliche Rechte auszeichnen könnte, ist die Anwendbarkeit des Abstraktionsprinzips. Auch dieses Prinzip ist eine Regel des Verfügungsverkehrs und längst nicht auf absolute Herrschaftsrechte begrenzt. Zumindest konnte gezeigt werden, dass sich zwischen Sacheigentum und Immaterialgüterrechten kein Riss auftut, der gegen das Abstraktionsprinzip als Basisannahme spricht. Es wird im Immaterialgüterrecht aber häufiger zu (grundsätzlich auch im Sachenrecht üblichen) Durchbrechungen des Abstraktionsprinzips kommen. Die breiteste Grundlage hierfür findet sich im Urheberrecht in Form der Gebundenheit und des ipso iure-Heimfalls urheberrechtlicher Rechtseinräumungen.1077 Ein seltener benanntes, aber überraschend einheitliches Merkmal dinglicher Stammrechte ist ihre Unteilbarkeit (Totalität). Dingliche Stammrechte haben die Tendenz, eins zu bleiben. Hier fließen mehrere Aspekte zusammen: der Typenzwang sorgt für eine begrenzte Zersplitterung des Sacheigentums, die die Immaterialgüterrechte allerdings nicht nachvollziehen. Dennoch halten Spezialitätsund Bestimmtheitsgrundsatz auch dort am Leitmotiv einer klaren Rechtslage fest. Rechtspolitischer Hintergrund ist die durch absolute Herrschaftsrechte vermittelte absolute i. S. v. totale/umfassende rechtliche Herrschaft über einen Gegenstand (was einer Abstimmung der Nutzungsrechte auf den Gegenstand nicht widerspricht). Eine inhaltliche Teilung eigentumsartiger Rechte wird verneint. Hierin kommt auch die unmittelbare Gegenstandsbeziehung zum Ausdruck. Diese Einheitlichkeit kann als Gegenbegriff zum bundle of rights-Verständnis eigentumsartiger Rechte verstanden werden. Denn die Totalität absoluter Herrschaftsrechte hat den politischen Hintergrund eines freiheitswahrenden, nicht auf enge Enumerationen begrenzten Eigentumsverständnisses.1078 Das Rangverhältnis, in dem beschränkte dingliche Sachenrechte stehen, findet sich schon im Mobiliarsachenrecht nur in Spezialkonstellationen. Im Immaterialgüterrecht gibt es dergleichen weder auf Ebene der abgespaltenen Rechte noch der 1076
F. Publizität (Offenkundigkeit). G. Die Eigenständigkeit von Verfügungen. 1078 H. Unteilbarkeit (Totalität); I. Rangverhältnis. 1077
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit559
Stammrechte. Da es sich um eine gesetzliche Gestaltung von Verfügungsmacht handelt, müssten die Immaterialgüterrechtsgesetze ein Rangverhältnis von Lizenzen als Gestaltungsmöglichkeit vorsehen, was nicht der Fall ist (aber de lege ferenda denkbar wäre). Die Kollision von Stammrechten (z. B. Urheberrecht und Sacheigentum) wird über Interessenabwägungen entschieden. Die Ordnung nach Rangverhältnissen ist daher kein übergreifendes Merkmal dinglicher Rechte. Auch der Sukzessionsschutz zählt zu den Prinzipien des Verfügungsverkehrs. Nach hier vertretenem Verständnis handelt es sich um den Schutz des Sukzessors gegen weitere Verfügungen des Veräußerers, aber auch gegen Änderungen auf Verpflichtungsebene. Sukzessionsschutz ist die negative Seite/das Spiegelbild des Verlusts von Verfügungsmacht. Feiner austariert wird er durch Verfügungsverkehrsregeln, die bestimmen, welche Rechtsposition unter welchen Bedingungen Sukzessionsschutz genießt. Zu diesen Regeln zählen das Kausalitäts- und Abstraktionsprinzip, aber auch spezielle Regeln, die Lizenzen (z. B. § 33 UrhG) oder Vertragspositionen (§§ 566, 581 Abs. 2 BGB) Sukzessionsschutz gewähren. Solche Regeln können auch rechtsfortbildend anerkannt werden. Hierum geht es bei der Diskussion des Schicksals von Enkellizenzen. Sukzessionsschutz ist zwar nicht auf dingliche Rechte begrenzt, setzt aber ein sukzessionsfähiges Recht voraus. Wird schuldrechtlichen Positionen Sukzessionsschutz verliehen, wirkt dies nicht nur zugunsten des Schutzes des Erwerbers, sondern erzeugt eben auch einen korrespondierenden Verlust beim Veräußerer. Daher ist Sukzessionsschutz zwar kein sicheres Zeichen für ein dingliches Recht, Verfügungen über dingliche Rechte genießen aber Sukzessionsschutz.1079 Ob Rechte zum haftenden Vermögen zählen (§ 857 ZPO), bemisst sich an der Verkehrsfähigkeit, die wiederum hauptsächlich vom persönlichkeitsrechtlichen Bezug bestimmt wird. Die Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit von Rechten bzw. den durch sie bezogenen Gütern hängt hingegen davon ab, welchem Vermögen sie zugeordnet sind. Hierfür ist im ersten Schritt die Rechtsinhaberschaft und im zweiten Schritt die güterzuordnende Wirkung, also der Inhalt des Rechts maßgeblich. Hier kommt die Dingbeziehung (Innenbeziehung) dinglicher Rechte zum Tragen, also die Absolutheitsausprägung i. S. e. unmittelbaren/unvermittelten Güterzuordnung.1080 Auch ausschließliche Lizenzen genügen diesem Kriterium. Daher gibt es zumindest einen engen Zusammenhang zwischen Insolvenz-/Zwangsvollstreckungsfestigkeit und Dinglichkeit.1081 Die Dinglichkeit von Rechten und ihre Verkehrsfähigkeit haben keine direkte Verbindung. Die Verkehrsfähigkeit ist vielmehr eng mit dem Persönlichkeitsbezug von Rechten verbunden. Der Bezug zur Dinglichkeit ergibt sich nur auf Umwegen. Angefangen bei der Ablösung eines Guts aus der Personalsphäre und seiner Anerkennung als Rechtssubjekten gegenüberstehendes Ding,1082 zu dem ein un1079
J. Sukzessions- und Verfügungsschutz. Siehe oben A. I. Zuordnung und unmittelbare Herrschaft über ein „Ding“. 1081 K. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit. 1082 Siehe oben § 1 F. Zusammenfassung und Folgerungen. 1080
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4. Kapitel: Vom absoluten zum dinglichen Recht
mittelbarer Gegenstandsbezug gewährleistet wird, was sich insbesondere in der Kontrollherrschaft über selbigen ausdrückt, eröffnet die Einräumung von Verfügungsmacht Dispositionsherrschaft.1083 Weisen dingliche Rechte also ihrer Idee nach äußere, entindividualisierte Güter zu, ist besagte Dispositionsherrschaft und insbesondere die Verkehrsfähigkeit der Stammrechte in aller Regel unbedenklich (wenn auch nicht logisch geboten). Eine persönlichkeitsrechtliche Komponente – wie beim Urheberrecht – verändert diesen Gegenstandsbezug im Hinblick auf Dispositionen. Sie macht ihn aber nicht zunichte. Ähnliches gilt für vermögensrechtlich geprägte Persönlichkeitsgüter. Zusammenfassend gibt es keine konkreten Merkmale, die dingliche Rechte von den zuvor abgegrenzten absoluten1084 Herrschaftsrechten1085 abheben. Relevanter erscheint die Schwelle der Einräumung von Verfügungsmacht. Verfügungsregeln wie Sukzessionsschutz, Abstraktionsprinzip, Spezialitätsprinzip und Bestimmtheitsgrundsatz sowie mehr oder weniger starke Einschränkungen bei der „Portionierung“ von Rechtspositionen – die aber nur im sachenrechtlichen Typenzwang streng verwirklicht wurde – zielen auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Wer eine solche Position erwirbt, erwirbt einen eigenen, gegen Dritte geschützten Dingbezug. Möchte man mit dem Adjektiv „dinglich“ eine speziellere Bedeutung verbinden, steht es für den Gegenstandsbezug eines Rechts, der mit einer ungeteilten, eher weiten als engen Herrschaft über den Gegenstand einhergeht. Der Gegenstandsbezug drückt sich darin aus, dass die Herrschaft unmittelbar ist, also nicht durch andere Personen vermittelt wird. Da all dies keine konkreten Eigenschaften eines Rechts sind, bewegt sich der Begriff „dinglich“ auf einer höheren teleologischen Ebene. „Dinglich“ drückt das Ziel, den Zweck, die Funktion eines Rechts aus. Der Gegenstandsbezug lässt sich aber mit konkreten Eigenschaften von Rechten in Verbindung bringen. So ist der Gegenstandsbezug eines Tochterrechts der Grund für seinen Sukzessionsschutz1086 und für die Vermögenszuordnung von Gegenständen i. R. d. Insolvenz und Zwangsvollstreckung maßgeblich.1087 Schon die Ausbildung eines abgelösten Rechtsgegenstandes und Verfügungsobjekts ist das Ergebnis einer Vergegenständlichung.1088 Die auf Präzision gerichtete Strenge der Verfügungsverkehrsregeln stützt die Abbildung des Gegenstands und des Bezugs des Berechtigten zu ihm in der Rechtswelt. Hieraus resultiert auch die regelmäßig gegebene Verkehrsfähigkeit der Stammrechte: Die beispielhaft gezeigte Problematik des Tauschs zweier Werkzeuge1089 löst das Recht durch Regeln, die den Gegenstandsbezug des Berechtigten aus der Lebenswelt in die Rechtswelt übersetzen. Das Gut kann hier ähnlich weitergegeben werden, wie eine Sache in der Lebenswelt. 1083
Siehe oben § 11 C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft. Siehe oben § 12 Absolute Rechte. 1085 Siehe oben § 10 Besitz und Herrschaft. 1086 Siehe oben § 12 A. V. Die Absolutheit als unmittelbares Recht am Gegenstand. 1087 Siehe oben K. III. Zusammenfassung und Folgerungen. 1088 § 2 F. Zusammenfassung und Folgerungen. 1089 Siehe oben § 2 A. Einführung. 1084
5. Kapitel
Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte Im folgenden Abschnitt geht es um die Frage, ob die Begründung bestimmter Sekundärrechte im Verletzungsfall ein typisches Merkmal absoluter Herrschaftsrechte ist. Insbesondere steht hierbei die offen gebliebene Problematik im Vordergrund, ob und welche Verbindung zwischen der unsicheren positiven Seite absoluter Herrschaftsrechte und bestimmten Sekundärrechten besteht. Oben1 wurde kurz festgestellt, dass sekundäre Rechte dem Schutz und der Verwirklichung primärer Rechte dienen. Wie gesagt treten sekundäre Rechte in Form von Ansprüchen und Gestaltungsrechten auf, wobei vorliegend Ansprüche dominieren.2 Daran anknüpfend sind hier folgende Punkte näher zu untersuchen: In welcher Verbindung stehen absolute Herrschaftsrechte zu sekundären Ansprüchen? Wie verhalten sie sich strukturell zueinander? Aus welchen Gedanken heraus greifen die sekundären Ansprüche auf absolute Herrschaftsrechte zurück? Ein besonderer Akzent liegt dabei auf dem Deliktsrecht. Zum einen hat dieses eine prominente Stellung in den gesetzlichen Immaterialgüterrechten (s. etwa § 97 Abs. 2 UrhG; §§ 14 Abs. 6, 15 Abs. 5 MarkenG; § 139 Abs. 2 PatG). Zum anderen hat es angesichts der dreifachen Schadensberechnung und der Angleichung der Verjährungsfristen der Immaterialgüterrechte an die des BGB (vgl. § 102 S. 1 UrhG; § 20 S. 1 MarkenG; § 33 Abs. 3 S. 1 PatG) Gewinnherausgabeansprüche wegen angemaßter Eigengeschäftsführung (§ 687 Abs. 2 BGB) weitgehend verdrängt.3 Zudem wird das Deliktsrecht teilweise als Orientierungspunkt für den bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt herangezogen.4
1
Siehe oben § 12 Absolute Rechte. Dazu sogleich § 14 A. Rechte und Ansprüche. 3 Siehe nur Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 904. 4 Nach den Rechtswidrigkeitslehren der Eingriffskondiktion, siehe nur MüKoBGB/Schwab, § 812 Rn. 281 ff., sowie unten § 15 B. II. Kritik an der Rechtswidrigkeitstheorie. 2
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
§ 14 Dingliche Ansprüche Ein offensichtliches Merkmal der Dinglichkeit des Sacheigentums sind dingliche Ansprüche, die übergeordnet zu den sekundären Rechten5 zählen. Zu untersuchen ist ihre Funktion, Rechtnatur und insbesondere ihr Verhältnis zu absoluten Herrschaftsrechten.
A. Rechte und Ansprüche Wie eingangs festgestellt wurde, trennen sich sekundäre Rechte in Ansprüche und Gestaltungsrechte. Gestaltungsrechte wie Anfechtung, Rücktritt, Kündigung, Widerruf, Aufrechnung oder Minderung dominieren allerdings in relativen Rechtsverhältnissen.6 Für die Güterzuordnung sind sie von nachrangiger Bedeutung.7 Zu den für absolute Herrschaftsrechte wichtigeren Gestaltungsrechten zählen noch die Aneignungsrechte wie § 958 Abs. 2 BGB. Die Durchsetzung absoluter Herrschaftsrechte erfolgt hingegen über Ansprüche. Der Grund hierfür liegt darin, dass Gestaltungsrechte („Rechte auf Rechtsänderung“) die Rechtsmacht zur Bewirkung der „Entstehung, Aufhebung oder Veränderung subjektiver Rechte“ verleihen.8 Daher sind sie überwiegend im Einzugsbereich relativer Rechtsverhältnisse beheimatet, dienen also der Verwirklichung vertraglicher/vertragsnaher Rechte, wie z. B. der Kaufpreisreduktion durch Minderung, der Anfechtung irrtümlicher Willenserklärungen oder der Aufrechnung. Absolute Herrschaftsrechte hingegen tragen die zivilrechtliche Ordnung der Güterzuweisung. Ihre Realisierung auf sekundärer Ebene erfolgt durch staatliche Unterstützung bei der Herstellung des primärrechtlich gesollten Zustandes.9 Rechte zur Umgestaltung von Rechtsbeziehungen nützen dabei nicht, vielmehr wird von anderen (zu denen i. d. R. zuvor kein Schuldverhältnis bestand) ein Tun (z. B. Naturalrestitution, Kompensationszahlung) oder Unterlassen (z. B. von gegenwärtigen und künftigen Störungen) gefordert (§ 194 Abs. 1 BGB). Ansprüche sind Rechte, genauer gesagt subjektive Rechte eines bestimmten Inhalts, die relativ wirken – das BGB versteht „unter ‚einem anderen‘ […] stets eine bestimmte einzelne Person, nicht jedermann“.10 Hinter jedem Anspruch steht ein Recht oder Rechtsverhältnis, z. B. Sacheigentum oder ein Vertrag. Hofmann unterscheidet dies begrifflich in Stammrechte und Rechtsfolgenrechte:11 „Unter einem Anspruch wird hier das Recht verstanden, ein dem Anspruch vorausliegendes Stammrecht auf eine bestimmte Art und Weise zu verwirklichen. Durch den Anspruch wird 5
Siehe oben § 12 B. Primäre und sekundäre Rechte. Vgl. den Überblick bei Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1 § 73 I. 3. (441 ff.). 7 Peukert, Güterzuordnung, 50. 8 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1 § 73 I. 3. (441 ff.). 9 Siehe oben § 10 E. Zusammenfassung und Folgerungen. 10 Enneccerus/Nipperdey BGB AT I/2, § 222 II. 1. (1363); Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 56. 11 Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 122; dazu eingehend unten F. Stammrechte und Rechtsfolgenrechte. 6
§ 14 Dingliche Ansprüche563
materiell-rechtlich unter anderem festgelegt, wer, wann beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen, wie und wie lange ein Stammrecht verwirklichen kann.“12
Nach der Art des Stammrechts werden Ansprüche unterteilt, etwa in schuldrechtliche, dingliche, familienrechtliche und erbrechtliche Ansprüche.13 Der Anspruch steht in enger Verbindung zum gerichtlichen Verfahren. Hier stellt sich die Frage, ob Ansprüche materiellrechtlicher oder prozessualer Natur sind.14 Vorliegend interessieren allein Ansprüche, die aus absoluten Herrschaftsrechten erwachsen. Ihre Klagbarkeit, ebenso wie Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes, werden hier nicht näher thematisiert.
B. Definition/Charakterisierung dinglicher Ansprüche Wie ein schuldrechtlicher Anspruch verpflichtet ein dinglicher Anspruch nur eine bestimmte Person – sein „dinglicher Charakter“ ändert nichts an seiner „relativen Natur“.15 Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass eine Definition des dinglichen Anspruchs so schwerfällt. Sie gelingt den Untersuchungen Pickers zufolge weder anhand abstrakt singulärer und spezifischer Kriterien (diese führten regelmäßig zur „unfreiwilligen Aufdeckung von Gemeinsamkeiten“ mit nicht-dinglichen Rechtspositionen), noch lässt sich der Kreis dinglicher Ansprüche abschließend festlegen: „Obwohl in seiner Existenz unbestritten, spottet er allen Erklärungsversuchen schon beim Versuch einer bloßen Beschreibung.“16
Teilweise werden als dingliche Ansprüche schlicht die Ansprüche bezeichnet, die aus dinglichen Rechten entstehen,17 womit die Anzahl und Art dinglicher Ansprüche von der Definition dinglicher Rechte abhängen würde. Das Problem zeichnet sich im Prinzip schon bei Gaius ab – bei der schuldrechtlichen Klage im Klageantrag müsse erklärt werden, dass der Bekl. „geben, tun oder leisten müsse“, während bei der dinglichen Klage zu erklären sei, „dass entweder einem eine körperliche Sache gehöre oder einem irgendein Recht zustehe“.18
Auch bei der letztgenannten, dinglichen Klage soll geleistet werden, nur ist sie unmittelbar auf etwas anderes, nämlich das Anerkenntnis des Rechtszustandes gerichtet. Den Unterschied macht also nicht die Relationalität des Anspruchs, son12
Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 122 f. [Hervorh. im Original]. Enneccerus/Nipperdey BGB AT I/2, § 222 II. 1. (1363). 14 Dazu unten C. III. 1. Prozessuale oder materiellrechtliche Natur. 15 Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 2; Peukert, Güterzuordnung, 50; AK-BGB/Joerges, vor §§ 985 ff. Rn. 5; Habersack, SachenR, Rn. 67. 16 Picker, FS Bydlinski, 269 (277, 281); ähnlich Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 97; siehe auch Füller, Eigenständiges Sachenrecht, 107 ff. 17 Wilhelm, Sachenrecht, 5. Aufl. 2016, Rn. 69. 18 Gai. Inst. IV 2–3; vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, 135 (stellt fest, dass „das jus in rem zumindest auch ein jus in personam ist“). 13
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
dern sein Zweck, seine Funktion aus. Praktisch macht sich dies in der Person des Beklagten bemerkbar, da die dingliche Klage (bzw. der dingliche Anspruch) sachgebunden und die schuldrechtliche Klage (bzw. der schuldrechtliche Anspruch) personengebunden ist.19
I. Bindung an das Stammrecht Funktional ist der dingliche Anspruch das Mittel um den gemäß des subjektiven dinglichen Rechts gesollten Zustand herbeizuführen; er erwächst „ohne subjektive Bedingungen auf Seiten des Gegners“20 aus dem dinglichen Recht und bleibt mit ihm verbunden.21 Von deliktischen, bereicherungsrechtlichen und anderen aus Verletzungen dinglicher Rechte entstehenden Ansprüchen 22 unterscheidet sich der dingliche Anspruch daher dadurch, dass er „unmittelbar der Durchführung des absoluten [dinglichen] Rechts dienen und seinen Bestand als solches sichern“ soll.23 Z. B. ist der Herausgabeanspruch des Eigentümers (§ 985 BGB) bzw. des früheren Besitzers (§ 1007 BGB) nicht gesondert vom Eigentum abtretbar, auch ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) ist nicht möglich; der Anspruch kann allenfalls gem. § 140 BGB in eine Übergabe kurzer Hand (§ 929 S. 2 BGB) umgedeutet werden.24 Fritzsche wendet ein, dass sich kein besonderes Wesen dinglicher Ansprüche ausmachen lasse, das über den Umstand hinausgehe, dass es sich bei ihnen um Ansprüche aus dem Eigentum handelt.25 Er stimmt aber Kress zu, dass eine Besonderheit darin liege, dass dingliche Ansprüche nicht an die berechtigte Person, sondern „an das Recht selbst geknüpft“ seien und mit ihm zusammen die Inhaberschaft wechselten.26 Kress führt aus, dass „sie nur für den jeweiligen Inhaber des absoluten Rechtes von Bedeutung sind, daher nur diesem zustehen; sie erlöschen mit dem Untergang oder der Übertragung des absoluten Rechtes und werden in der Person des Erwerbers des Rechtes neu begründet.“27 19
Vgl. schon Inst. 4.1.19; 4.6.16–17. Schapp, Methodenlehre und System, 3 (12 f.). Picker, FS Bydlinski, 269 (285). 21 Prot. III, 393 = Mugd. III, 218; Prot. III, 423 = Mugd. III, 236 („Als Ziel des rein dinglichen Anspruches ist die Herstellung desjenigen Zustandes bezeichnet, welcher dem Inhalte des absoluten Rechtes, hier des Eigenthumes, entspricht.“); Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 97; Baur/ Stürner, Sachenrecht, § 2 Rn. 4; Picker, FS Bydlinski, 269 (287, 317); Kress, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, 31; siehe auch Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AA, 261 („Unter dem Wort: Sachenrecht [ius reale] wird übrigens nicht bloß das Recht an der Sache [ius in re], sondern auch der Inbegriff aller Gesetze, die das dingliche Mein und Dein betreffen, verstanden.“). 22 Hierzu unten § 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten; Schadensersatz-, Bereicherungs- oder Gewinnherausgabeansprüche dienen gerade nicht der Verwirklichung eines dinglichen Rechts. Dies berücksichtigt auch Peukert, wenn er derartige Ansprüche auch ohne ein zugrunde liegendes „normiertes Ausschließlichkeitsrecht“ zulässt („positiver Güterschutz jenseits der subjektiv-ausschließlichen Rechte“), Peukert, Güterzuordnung, 872. 23 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/2, § 223 I (1370 f.). 24 Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 12 I 2 c (536); Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 98; siehe auch MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 29. 25 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 125. 26 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 126. 27 Kress, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, 31 f. 20 Also
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Die Besonderheit dinglicher Ansprüche besteht also in ihrer engen Bindung an das Stammrecht, genauer gesagt folgt die Aktivlegitimation aus der Inhaberschaft des Stammrechts.28 Für Ansprüche aus § 1004 BGB kann aus Eigentum nur Klage erhoben werden, solange bzw. sobald der Kläger Eigentümer der Sache ist. Veräußert er die Sache nach Rechtshängigkeit, bleibt zwar seine Prozessführungsbefugnis erhalten und §§ 265 f. ZPO gelten analog,29 klagebefugt und hieraus anspruchsberechtigt ist dann aber allein der Erwerber.30 Dieser Wesenszug ist nicht auf dingliche Ansprüche beschränkt, sondern findet sich auch bei den beschränkten dinglichen Sachenrechten, etwa bei der Grunddienstbarkeit, deren Berechtigter mit dem Eigentum am herrschenden Grundstück wechselt31 (weshalb Eichler hier von subjektiver Dinglichkeit spricht)32 oder dem „subjektiv-dinglichen Vorkaufsrecht“ (§ 1103 BGB), das nicht vom Eigentum am Grundstück gelöst werden kann, also wie dieses an die Sache gebunden ist.
II. Bindung von Pflichten an das Rechtsobjekt Nicht nur Berechtigungen folgen der Sache, auch Verpflichtungen. Ist eine Sache mit beschränkten dinglichen Rechten belastet, folgen die Ansprüche des dinglich Berechtigten der Sache, so dass ihr neuer Eigentümer in Anspruch genommen werden kann. Beispiele sind der Verkauf eines mit einer Hypothek oder Grundschuld belasteten Grundstücks (vgl. § 1147 BGB). Bei Reallasten folgt sogar die obligatorische (!) Verpflichtung dem Eigentum am belasteten Grundstück (§ 1107 BGB). Hierin liegt eine weitere Facette der Verdinglichung von Obligationen.33 Dieser Mechanismus gilt grundsätzlich auch im Immaterialgüterrecht. In Betracht kommen allerdings nur Rechte, bei denen ein Wechsel im Stammrecht bzw. die Weiterübertragung der Lizenz möglich ist. Beispiel: Patente können verpfändet (§ 1273 ff. BGB) und mit einem Nießbrauch (§ 1068 ff. BGB) belastet werden (vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 PatG).34 Wechselt der Patentinhaber, folgen die Belastungen dem Stammrecht.
Die Funktion dinglicher Ansprüche liegt im Zugriff des Berechtigten „auf die Sache selbst“, während schuldrechtliche Ansprüche den Zugriff „auf die Person des Schuldners“ und dessen Vermögen beschränken.35 Dies ist die anspruchseitige Ausprägung der oben dargelegten Unmittelbarkeit, die dingliche Rechte dem Berechtigten zum Gut vermitteln. 28
Vgl. zum Sacheigentum etwa Erman/Ebbing, § 1004 Rn. 178 f. § 1004 Rn. 328; Erman/Ebbing, § 1004 Rn. 179. 30 Hoche, NJW 1964, 2420 (2420 f.); MüKoBGB/Raff, § 1004 Rn. 328. 31 MüKoBGB/Mohr, vor § 1018 Rn. 6. 32 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 18; dazu oben A. Was heißt „Dinglichkeit“ und wozu dient diese Frage? 33 Brehm/Berger, Sachenrecht, § 19 Rn. 5. 34 Siehe nur Keukenschrijver/Busse/McGuire, PatG, § 15 Rn. 100 f. 35 Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 1 Rn. 7. 29 MüKoBGB/Raff,
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
Zusammenfassend sind dingliche Ansprüche an das zugrunde liegende dingliche Recht geknüpft und das Recht sowie Ansprüche folgen der Sache und nicht der Person. Hierin setzt sich der Gegenstandsbezug36 fort – genauer: wird verwirklicht – der dinglichen Rechten zu eigen ist.
III. Konsequenzen Die praktischen Konsequenzen der Einordnung eines Anspruchs als dinglich sind überschaubar. Das BGB erwähnt dingliche Ansprüche nur in einer Sondervorschrift des Verjährungsrechts für die Rechtsnachfolge des Sachbesitzers (§ 198 BGB). Im Übrigen richtet sich die Verjährung dinglicher Ansprüche aber nach den allgemeinen Regeln.37 Ferner ist das Bestehen einer Vindikationslage Voraussetzung für Ansprüche aus §§ 987 ff. BGB, was aber weniger mit der abstrakten Dinglichkeit des Anspruchs als mit der in der Vindikationslage liegenden Interessenskonstellation zusammenhängt. Erkenntnisse dürften jedoch aus der Idee bzw. dem Konzept dinglicher Ansprüche zu gewinnen sein. Als Typus misst man Ansprüchen nämlich seit jeher eine dogmatische Sonderstellung bei.38 Fraglich ist daher, welche Funktionen dieser Art von Ansprüchen im Sachenrecht zugeschrieben werden und ob es sie so, oder ähnlich auch im Immaterialgüterrecht und weiteren absoluten Herrschaftsrechten gibt. Besonderes Interesse gilt dabei der Frage, ob dingliche Ansprüche der Körperlichkeit der Sache geschuldet sind und wie sich dingliche Ansprüche gegenüber anderen Sekundärrechten (insbesondere deliktischen Ansprüchen) abgrenzen lassen.
C. Dingliche Ansprüche aus dem Sacheigentum Der Prototyp dinglicher Ansprüche sind die aus dem Sacheigentum folgenden Ansprüche. Sie sind im Folgenden genauer zu untersuchen und dann mit funktional möglicherweise verwandten immaterialgüterrechtlichen Ansprüchen abzugleichen.
I. Allgemeines Die beiden zentralen dinglichen Ansprüche des Sacheigentums sind an zwei Institute des römischen Rechts angelehnt – die rei vindicatio39 (§ 985 BGB)40 und 36
Siehe oben § 13 M. Zusammenfassung und Folgerungen. Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 98. 38 Picker, FS Bydlinski, 269 (272) (Literatur und Rechtsprechung gingen davon aus, „daß dieser Typus im Kreis der sonstigen Anspruchsfiguren nach Grund und Funktion eine Besonderheit sei“). 39 Im klassischen römischen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit der actio in rem, Kaser, Eigentum und Besitz, 17. 40 Wenngleich der den Zugriff auf die Sache ermöglichende Teil aktionenrechtlich und nicht wie § 985 BGB rein materiellrechtlich zu verstehen war, AK-BGB/Joerges, vor §§ 985 ff. Rn. 5. 37
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die actio negatoria (§ 1004 BGB).41 Nachdem ursprünglich die Sachvindikation das „Paradigma des dinglichen Anspruchs“ war,42 hat § 1004 BGB heute die wohl größere praktische Bedeutung. Grund ist die ausufernde Anwendung der Vorschrift (dazu sogleich). Der an die römische actio negatoria angelehnte Sprachgebrauch der „negatorischen Haftung“ ist unabhängig davon kritisch zu beurteilen. Zum einen stand bei der römischen actio der gerichtliche Rechtsschutz im Vordergrund und verschwamm mit dem durchzusetzenden Recht, während heute das materielle Recht dominiert, dessen gerichtliche Verfolgbarkeit nun auf den Stellenwert einer selbstverständlichen Folge reduziert ist.43 Zum anderen war die römische actio negatoria ein Sammelbegriff für Klagen, die auf das Nichtbestehen, die „Verneinung“ eines behaupteten dinglichen Rechts abhoben,44 die der Eigentümer bestritt, also negierte.45 Der Begriff der negatorischen Haftung ist ein „Neolatinismus“,46 der dem gemeinrechtlichen Rechtsdenken entstammt,47 weshalb er in den Beratungen des BGB48 und vom RG49 verwendet wurde. Die Bezeichnung ergibt in ihrer ursprünglichen Bedeutung heute (fast)50 keinen Sinn mehr, sofern man nicht den Bedeutungswandel hin zur Abwehr bzw. Verneinung von Störungen gelten lässt. Auch die Rede von „negatorischen“ und „quasinegatorischen“ Ansprüchen führt nicht weiter, da die Begriffe in keiner einheitlichen Bedeutung verwendet werden.51 Deshalb wäre es eigentlich vorzugswürdig, schlicht von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen oder Abwehransprüchen aus § 1004 BGB zu sprechen.
41 Siehe zur Entwicklung des § 1004 BGB aus der actio negatoria Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 61 ff. 42 MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 5; siehe auch Picker, FS Bydlinski, 269 (298) (versteht den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch (§ 1004 BGB) als „Derivat“ der Vindikation; die im BGB separierten Normen bildeten „innerlich eine Einheit“ und seien „funktional wie dogmatisch komplementäre Vorschriften […] die gerade erst durch ihr Zusammenwirken einen lückenlosen Elementarschutz des Eigentums sichern“). 43 Vgl. Enneccerus/Nipperdey BGB AT I/2, § 222 I (1361 ff.); siehe auch zu Anspruch und materiellem Recht unten C. III. 1. Prozessuale oder materiellrechtliche Natur. 44 „… Klagen […] für den Fall, daß jemand behauptet, dem Gegner stehe kein Nießbrauch zu, kein Durchgangs- oder kein Viehtriftrecht“, Inst. 4.6.2; siehe auch D. 7.6.5.6, 8.5.2; Gai. Inst. IV 3 („Abwehrklage“); Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 37 Rn. 20 f. 45 Siehe etwa zum Bestreiten, „daß ein anderer eine Dienstbarkeit innehat“ Dig. 8, 5, 2 pr. (die negatorische Klage stehe dem zu, „der das Bestehen von Dienstbarkeiten verneint“); MüKoBGB/ Raff, § 1004 Rn. 10; Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 123 f. 46 MüKoBGB/Raff, § 1004 Rn. 14. 47 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 123. 48 Prot. I, 99 = Mugd. I, 593 („quasinegatorischer“ Anspruch im Namensrecht). 49 Siehe nur RGZ 48, 114 (120 f.) (spricht sowohl von der negatorischen als auch der quasinegatorischen Klage). 50 Ausnahmen sind Fälle, in denen tatsächlich ein behauptetes dingliches Recht eines anderen bestritten wird, wenngleich auch dort von einer actio keine Rede sein kann. 51 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 123 f.; tendenziell wird als quasinegatorisch wohl die Anwendung des § 1004 BGB zum Schutz anderer Rechtsgüter i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB bezeichnet, siehe etwa HK-BGB/Schulte-Nölke, § 1004 Rn. 1; Schack, BGB AT, Rn. 67 f.
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Strukturell gibt das in § 903 BGB beschriebene primäre subjektive Recht vor, welcher tatsächliche Zustand hinsichtlich der Sache bestehen soll. Wie gesagt dienen dingliche Ansprüche der Realisierung dieses Zustands:52 „Das Eigenthum verlangt einen seinem Inhalte entsprechenden thatsächlichen Zustand. […] Der Anspruch ist auf nichts als auf Herstellung des rechtsgemäßen thatsächlichen Zustandes für die Zukunft gerichtet.“53
Aus § 903 BGB ergibt sich also, gegen welche Beeinträchtigungen der Eigentümer mittels dinglicher Ansprüche vorgehen bzw. welchen Zustand er herbeiführen kann.54 Die Unsicherheit der Reichweite des primären Rechts pflanzt sich dabei notgedrungen im sekundären Recht fort. Fragen der Reichweite des Sacheigentums werden regelmäßig im Zuge von Ansprüchen aus § 1004 BGB verhandelt. Beispiel: Die Rechtsprechung des I.55 und V. ZS56 zu Rechten des Sacheigentümers in Bezug auf Bilder seines Grundstücks und darauf befindlicher Bauwerke betraf mögliche Abwehransprüche aus § 1004 BGB sowie mögliche Ansprüche aus Delikts- und Bereicherungsrecht. In der Sache ging es aber um die Reichweite des Sacheigentums, genauer gesagt um die Frage, welche wirtschaftlichen Vorteile dieses dem Eigentümer zuweist.57
Zugunsten des Sacheigentümers sind nach einer Auffassung (nur) drei dingliche Ansprüche im BGB geregelt: §§ 985, 1004, 1005 BGB.58 Nach a. A.59 zählen aber auch die Ansprüche aus beschränkten dinglichen Rechten oder der Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs (§ 894 BGB) 60 zu den dinglichen Ansprüchen. Vereinzelt werden auch „dingliche Abwehransprüche“ aus Immaterialgüter- und Persönlichkeitsrechten konstatiert – sie alle hätten in Bezug auf das dahinterstehende ausschließliche Recht „gleiche Rechtsnatur, die man gewöhnlich als Dinglichkeit bezeichnet“.61 52
Siehe oben B. Definition/Charakterisierung dinglicher Ansprüche. Prot. III, 393 = Mugd. III, 218. 54 Vgl. Habersack, SachenR, Rn. 65 f. Fn. 51 (dingliche Ansprüche ließen sich eher den Sekundäransprüchen zuordnen, sie gründeten auf einem „latente[n] Rechtsverhältnis zwischen dem Inhaber des Rechts und ‚allen anderen‘“, erst wenn das Eigentumsrecht verletzt werde, verdichte sich das latente Rechtsverhältnis dem Störer gegenüber „zu einem gewöhnlichen, konkrete Rechte und Pflichten erzeugenden Rechtsverhältnis“). A. A. Schapp, der in §§ 985, 1004 BGB völlig unterschiedliche gesetzliche Entscheidungen über nicht vergleichbare Konfliktsituationen sieht, bei denen Eigentum „als wirtschaftliches Gut“ bereits vorausgesetzt werde, Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, 114 ff. 55 BGH GRUR 1975, 500 (501 f.) – Schloß Tegel; BGH NJW 1989, 2251 (2252) – Friesenhaus. 56 BGH GRUR 2011, 321 Rn. 8 – Preußische Gärten und Parkanlagen (Internetportal); BGH GRUR 2011, 323 Rn. 13 – Preußische Gärten und Parkanlagen (Fotos); BGH ZUM 2011, 333 – Preußische Gärten und Parkanlagen (DVD); BGH GRUR 2013, 623 Rn. 12 – Preußische Gärten und Parkanlagen II; bestätigt in BGH GRUR 2015, 578 Rn. 8 – Preußische Kunstwerke. 57 Dazu nur Zech, AcP 219 (2019), 488 (572 ff.); Fezer/Büscher/Obergfell/Becker, UWG, S16 Rn. 78 ff. 58 MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 1; Brehm/Berger, Sachenrecht, § 7 Rn. 3 f. 59 Kress, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, 31; Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 97. 60 Picker, FS Bydlinski, 269 (272). 61 Mager, AcP 193 (1993), 68 (79 f.). 53
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Im Folgenden sind die beiden unstreitig wichtigsten dinglichen Ansprüche – Vindikation (§ 985 BGB) und Abwehransprüche aus § 1004 BGB – kurz zu charakterisieren.
II. Vindikation (§ 985 BGB) Die Vindikation hat historisch, praktisch wie theoretisch eine Sonderstellung unter den dinglichen Ansprüchen (auch wenn man diesen Begriff weit auffasst). Sie zielt auf die Erlangung der faktischen Sachherrschaft, und stellt damit nicht nur die Einheit von Eigentum und Besitz (wieder) her, sondern beseitigt so auch die Gefahr gutgläubigen Erwerbs Dritter.62 Der Gesetzgeber weist §§ 985 und 1004 BGB als in ihrem Wesen „gleichartig“ aus, hatte aber bei § 1004 BGB die größeren Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs.63 § 985 BGB dient (nur) der Verwirklichung des Besitzes,64 er lässt sich dementsprechend positiv formulieren (Herausgabe der Sache an den Eigentümer). Vereinzelt wird die Vindikation daher nach wie vor als Schwerpunkt der dinglichen Ansprüche gesehen.65 Picker führt zur Vindikation als „Mutterfigur der sonstigen dinglichen Ansprüche“66 aus: „Sie verwirklicht also die zugewiesene Rechtsposition und damit die Rechts- und Zuweisungsordnung.“67 […] „Im Zusammenwirken mit dem schadensersatz- und dem bereicherungsrechtlichen Haftungssystem sichert sie so den Rundumschutz der Positionen, die das Privatrecht dem Einzelnen als subjektive Herrschaftsmacht zuweist.“68
Die Vindikation steht in engem Zusammenhang mit der Körperlichkeit von Sachen. Sie ist entscheidend für die oben aufgezeigte Vergrößerung des faktischen Handlungsrahmens des Sacheigentümers.69 Denn sie ist der Anspruch, um dem Eigentümer den unmittelbaren Zugriff auf die Sache zu gewährleisten, der auch die Unmittelbarkeit70 als Kennzeichen dinglicher Rechte ausmacht. Er zieht „faktische und rechtliche Sachherrschaft“ zusammen.71 Sein Zweck ist „die Beseitigung der Eigentumsstörung durch den Fremdbesitz“,72 es handelt sich wie oben schon dargelegt letztlich um ein Verbotsrecht.73 Auffällig ist, dass das Recht auf körperliche Nähe zur Sache aus dem Wortlaut des § 903 BGB nicht direkt hervorgeht, 62 MüKoBGB/Baldus,
vor § 985 Rn. 9, 12. Mot. III, 422 f. = Mugd. III, 236. 64 „Die Vindikation richtet sich gegen den fremden Besitz und die fremde Innehabung und verschafft dem Eigentümer den Besitz und die Innehabung wieder.“, Mot. III, 423 = Mugd. III, 236; MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 2; MüKoBGB/Raff, § 1004 Rn. 28. 65 MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 12. 66 Picker, FS Bydlinski, 269 (300). 67 Picker, FS Bydlinski, 269 (287). 68 Picker, FS Bydlinski, 269 (317). 69 Siehe oben § 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens. 70 Siehe oben § 13 A. I. Zuordnung und unmittelbare Herrschaft über ein „Ding“. 71 MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 27, 31. 72 Sliwka, Herausgabeansprüche als Teil des zivilrechtlichen Eigentumsrechts?, 408. 73 Siehe oben § 1 III. 2. e) Der Reiz der Imperativentheorie. 63
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sondern sich so gesehen erst aus § 985 BGB ergibt. Historisch stimmt diese Reihenfolge freilich.74 Das Verhältnis des § 985 BGB zum Sacheigentum als subjektivem Recht wird im Übrigen meist nur knapp behandelt.
III. Beseitigung und Unterlassung (§ 1004 BGB) Für § 1004 BGB ist zunächst zu klären, ob er prozessualer oder materiellrechtlicher Natur ist, bevor sein eigentlicher Regelungsgehalt und seine weit über den ursprünglichen Regelungszweck hinausgehende Anwendung behandelt werden.
1. Prozessuale oder materiellrechtliche Natur Die Frage, ob § 1004 BGB einen materiellrechtlichen Anspruch gewährt oder einen prozessualen Rechtsbehelf, wird als „praktisch bedeutungslos“ eingestuft.75 Vorliegend ist sie aber wichtig, weil sie etwas über das Verhältnis des absoluten Herrschaftsrechts zu den daraus folgenden Verbotsrechten aussagt, genauer darüber, ob es sich um aktiv wirkende Verbote gegen jedermann handelt, oder um potentielle Verbote, die erst im Augenblick der (drohenden) Übertretung Geltung erlangen.76 Nach einem prozessualen Verständnis würde das Begehren des Klägers durch ein Prozessurteil entschieden.77 Nach einem materiellen Verständnis hingegen kann der Anspruchsteller „vom Anspruchsgegner unabhängig von einer Prozesssituation etwas verlangen“, wovon Selbsthilferechte oder die auf materiellen Ansprüchen beruhende außergerichtliche Streitbeilegung zeugen.78 Nach h. M. sind Unterlassungsansprüche aus absoluten Rechten materiellrechtlicher Natur, auch wenn sie prozessual formuliert sind. Die Unterlassung wird nicht per „Abwehrklage“,79 sondern durch Leistungsklage geltend gemacht.80 Auch die Formulierung in der jüngeren Gesetzgebung deutet auf eine materielle Auffassung von Ansprüchen hin:81 Nach den älteren §§ 1004 Abs. 1 S. 2; 12 S. 2 BGB kann der Berechtigte „auf Unterlassung klagen“. Nach § 97 Abs. 1 UrhG, §§ 14 Abs. 5, 15 Abs. 4 MarkenG oder § 139 Abs. 1 PatG hingegen kann der Verletzer „auf Unterlassung in Anspruch genommen werden“. Ferner passt zu den oben dargelegten Auffassungen zur Imperativentheorie82 m. E. eher die materielle Auffassung – die Ermächtigung, bestimmte Verhaltensweisen zu verbieten, macht das subjektive Recht aus. 74
Siehe oben zum Aktionensystem I. Allgemeines. § 1004 Rn. 306 (dort Fn. 620). 76 Vgl. dazu nur Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 51 ff. 77 Zeuner, FS Dölle, 295 (298 f.). 78 Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 56. 79 v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (53). 80 BGHZ 28, 203 = GRUR 1959, 152 (153 f.) – Berliner Eisbein; BGH GRUR 1980, 241 (242) – Rechtsschutzbedürfnis; Zeuner, FS Dölle, 295 (304 f., 308 f.); Dreier, Kompensation und Prävention, 420 f.; Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 60 f. (m. w. N.). 81 Dreier, Kompensation und Prävention, 420; Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 60 f. 82 S. o. § 1 A. III. 2. Verschiedene Auffassungen der Imperativentheorie. 75 MüKoBGB/Raff,
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Der Kern des Streits wird allerdings nicht in der prozessualen Formulierung gesehen, sondern in der von Befürwortern des prozessualen Anspruchsverständnisses empfundenen Wertlosigkeit eines Anspruchs auf etwas, das der Verletzer ohnehin zu tun verpflichtet ist – Störungen zu unterlassen. Beim Schadensersatz werde hingegen eine von der Pflicht der Nichtschädigung verschiedene und damit spürbare Rechtsfolge (Ersatz zu leisten) angeordnet.83 Anders als im anglo-amerikanischen Rechtskreis entsteht im deutschen Recht also keine zusätzliche, das Klagerecht replizierende gerichtliche Anordnung,84 sondern der materiell-rechtliche Anspruch wird gerichtlich geprüft und davon abhängig die Klage für begründet oder unbegründet erklärt und so der Weg zur Zwangsvollstreckung des Anspruchs geöffnet.85
2. Regelungsgehalt und Regelungscharakter Vom Regelungsaufbau her gewährt § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB einen Beseitigungsanspruch zur Beseitigung gegenwärtiger Beeinträchtigungen. § 1004 BGB wird auch als die „Eigentumsfreiheitsklage“86 bezeichnet. Der Schuldner muss die Störung auf eigene Kosten „rückgängig oder für die Zukunft wirkungslos“ machen,87 nicht aber ihre Folgen beseitigen – er schuldet lediglich den „actus contrarius seiner störenden Tätigkeit“.88 Hieraus ergeben sich naturgemäß Abgrenzungsprobleme zum Schadensersatz.89 § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB gewährt einen Unterlassungsanspruch zur Abwehr drohender erstmaliger oder wiederholter Beeinträchtigungen. Eigentumsverletzungen, „welche nicht in der Entziehung des Besitzes oder der Innehabung bestehen“, stellten den Gesetzgeber hingegen vor „unüberwindliche Schwierigkeiten“, weshalb er die Anspruchsvoraussetzungen des § 1004 BGB negativ – d. h. als Beeinträchtigung „in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes“ (§ 1004 S. 1 BGB) – bestimmte. Zudem sah er die praktische Bedeutung vor allem im Immobiliarsachenrecht und verwies zur Feststellung, „ob eine partielle Eigenthumsverletzung vorliege“, auf die – ganz vorwiegend Immobilien betreffenden – §§ 903 ff. BGB.90 § 1005 BGB wiederum schließt die Lücke, die entsteht, wenn sich die bewegliche Sache des Eigentümers auf einem fremden Grundstück oder (analog) auf fremdem Eigentum91 (z. B. in einem LKW) befindet und von niemandem in Besitz genommen wurde.92 83
Dreier, Kompensation und Prävention, 420. Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 67. 85 Larenz/Wolf, BGB AT, § 18 Rn. 67. 86 Eichler, Institutionen des Sachenrechts, Bd. 1, 18. 87 Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 160. 88 MüKoBGB/Raff, § 1004 Rn. 237. 89 MüKoBGB/Raff, § 1004 Rn. 229 ff. 90 Prinzipiell sei § 1004 BGB aber „auch auf den Schutz des Eigenthumes an beweglichen Sachen anwendbar.“, Mot. III, 423 = Mugd. III, 236. 91 Vgl. Staudinger/Gursky (2012), § 1005 Rn. 3. 92 Staudinger/Thole (2019), § 1005 Rn. 1; MüKoBGB/Raff, § 1005 Rn. 1. 84
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
IV. Entwicklung der Abwehrrechte aus § 1004 BGB über das Sacheigentum hinaus Unterlassungsansprüche zum Schutz absoluter Rechte finden sich zuvorderst in § 1004 BGB, der unmittelbar nur das Sacheigentum erfasst. Negatorischen Schutz für absolut wirkende Rechte gibt es aber weit darüber hinaus:93 Kraft Verweisungen in §§ 1027 (Grunddienstbarkeit), 1065 (Nießbrauch), 1090 Abs. 2 i. V. m. § 1027 (beschränkte persönliche Dienstbarkeit), § 1134 (Hypothek), § 1192 Abs. 1 (Grundschuld) und § 1227 (Pfandrecht) BGB greift § 1004 BGB für die dort genannten beschränkten dinglichen Rechte an Sachen. §§ 862, 1029, 1090 Abs. 2 BGB enthalten einen eigenen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch für den Sach- und Rechtsbesitz. Das Namensrecht (§ 12 BGB) und das Firmenrecht (§ 37 Abs. 2 HGB) 94 enthalten ebenfalls eigenständige Unterlassungsansprüche. Außerhalb des BGB wird in § 11 Abs. 1 ErbbauRG, § 8 PachtkreditG und § 34 Abs. 2 WEG auf die eigentumsrechtlichen Abwehransprüche verwiesen. Im Immaterialgüterrecht finden sich Unterlassungsansprüche in §§ 97 Abs. 1 S. 1 UrhG; §§ 14 Abs. 5; 15 Abs. 4; 128 MarkenG; § 135 MarkenG i. V. m. VO (EU) Nr. 1151/2012; § 139 Abs. 1 PatG; § 24 Abs. 1 GebrMG; § 42 Abs. 1 DesignG; § 9 Abs. 1 HalblSchG; § 37 Abs. 1 SortSchG.
In den soeben angeführten negatorisch geschützten Rechtspositionen ergibt sich die Abwehrmöglichkeit jeweils aus einem speziell geregelten absolut wirkenden Recht, das ausdrücklich durch einen Unterlassungsanspruch geschützt wird (sei es direkt oder durch Verweisung). § 1004 BGB wird aber schon lange und unstreitig, wenn nicht sogar gewohnheitsrechtlich,95 auf „sämtliche absolute Rechte“ angewandt.96 Über den Kreis gesetzlich ausdrücklich anerkannter absoluter Rechte hinaus gewährte die Rechtsprechung einen Unterlassungsanspruch zunächst nur im Falle eines verwirklichten Delikts, also unter der Voraussetzung auch des subjektiven Tatbestands (deliktischer Unterlassungsanspruch).97 Bereits wenige Jahre später löste das RG den gesetzlich nicht normierten negatorischen Schutz absoluter Rechte vom Deliktsrecht und entwickelte ihn zum eigenständigen, nicht an das „Schuldmoment“, wohl aber an die Wiederholungsgefahr gebundenen Anspruch.98 Inzwischen sind alle deliktisch geschützten Positionen durch Unterlassungsansprüche zumindest über § 1004 BGB (analog) oder spezialgesetzlich geschützt (s. nur die eben angeführten Immaterialgüterrechte).99 93 Siehe auch den Überblick bei MüKoBGB/Raff, § 1004 Rn. 18 ff.; Picker, FS Bydlinski, 269 (272, dort Fn. 12). 94 Der sich aber mittlerweile in ein deutlich allgemeineres Unterlassungsklagerecht entwickelt hat, siehe nur MüKoHGB/Krebs, § 37 Rn. 45 ff. 95 Siehe zu den Voraussetzungen oben § 13 C. II. 3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen. 96 Staudinger/Thole (2019) § 1004 Rn. 13; Schack, BGB AT, Rn. 67 f. 97 RGZ 48, 114 (118 f.) (Klage auf Unterlassung gegen illoyale Schädigung i. S. d. § 826 BGB); Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, § 252 I 2 (1009 f.). 98 RGZ 60, 6 (7). 99 Staudinger/Hager (2017), vor §§ 823 ff. Rn. 63; NK-BGB/Katzenmeier, vor §§ 823 ff. Rn. 79; ebd. § 823 Rn. 76, 172.
§ 14 Dingliche Ansprüche573
Hinter dieser Ausweitung auf alle absoluten Rechte steht zum einen eine schon oben angesprochene100 logische Überlegung: Es wäre widersprüchlich, dem deliktisch Verletzten einen Schadensersatzanspruch zuzugestehen, ihm zugleich aber die Möglichkeit zu versagen, die Verletzung durch Abwehr im Vorfeld zu verhindern – Schadensverhütung geht der Schadensregulierung vor.101 Zum anderen wird mit einem „allgemeinen Rechtsgedanken“ argumentiert.102 Dieser hängt eng mit der Natur absoluter Rechte zusammen. Das RG bediente sich bei der besagten Ausweitung einer Analogie zu §§ 12, 862, 1004 BGB.103 Deutet man dies als Rechts- bzw. Gesamtanalogie,104 war die „ratio legis aller herangezogenen Einzelbestimmungen“ ausschlaggebend.105 Gursky begründet das „Bedürfnis für diese Verallgemeinerung“ folgendermaßen: „Die ‚absolute‘ Zuweisung von Herrschaftsbefugnissen bliebe ohne eine solche Möglichkeit zur Verteidigung gegen Übergriffe Dritter eine leere Deklamation.“106
Andere lehnen eine Analogie ab, vielmehr sei „ein solcher Schutz […] Ausdruck der absoluten Natur des geschützten Rechts“.107 Das RG führte zu dieser Begründung aus, dass das absolute Recht im Falle seiner Verletzung „einen Anspruch gegen den Urheber der Verletzung auf Unterlassung […] erzeugt“.108 Er ergebe sich „aus dem […] zugrunde liegenden Verbot an alle anderen“,109 genauer gesagt habe der Gesetzgeber dem Unterlassungsanspruch „durch die Gestaltung ausschließlicher Rechte […] gesetzliche Anerkennung verliehen“.110
Die Ausschlussfunktion absoluter Rechte kann demnach durchaus als echte Funktion absoluter Herrschaftsrechte verstanden werden. Dass absolute Rechte auf einen von ihnen unterschiedlichen, gesetzlich statuierten negatorischen Anspruch (aus § 1004 BGB [analog]) „angewiesen“ sind, ändert nichts daran, dass diese Funktion in der Natur des absoluten Rechts liegt. Hierin liegt die Wurzel des praktisch geringen Unterschieds zwischen den subjektiven Rechten und Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB.111 Entsprechend deutet ein Unterlassungsanspruch nicht zwingend auf ein subjektives Recht hin, er kann auch – insbesondere im Delikts- und Sonderdeliktsrecht – 100
Siehe oben § 12 C. Der Abwehranspruch. Larenz/Canaris, SchR II/2, 673 f.; Staudinger/Hager (2017), vor §§ 823 ff. Rn. 63; NKBGB/Katzenmeier, vor § 823 Rn. 79. 102 Staudinger/Hager (2017), vor §§ 823 ff. Rn. 63; NK-BGB/Katzenmeier, vor § 823 Rn. 79; siehe auch Dreier, Kompensation und Prävention, 419 f. 103 RGZ 60, 6 (7). 104 Larenz, Methodenlehre, 383 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 209 f. 105 Larenz, Methodenlehre, 384. 106 Staudinger/Gursky (2012), § 1004 Rn. 15. 107 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 87 III (350) (eine Analogie zu § 1004 BGB anzunehmen sei „schief, aber unschädlich“). 108 RGZ 49, 33 (36). 109 Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, § 252 I 1 (1009). 110 RGZ 48, 114 (119). 111 Siehe dazu unten § 15 A. II. 2. Ausschlusswirkung und Zuweisungsgehalt sonstiger Rechte. 101
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
der Umsetzung bloßer Verhaltensnormen dienen,112 was wiederum für die Abgrenzung dinglicher Ansprüche anhand des verfolgten Zwecks spricht. Allgemein formuliert deutet der Unterlassungsanspruch nur dort auf ein subjektives Recht hin, „wo ein bestimmtes Interesse dem einzelnen als das Seinige zugeordnet ist“.113
D. Eigene Charakterisierung Die Ansprüche aus §§ 985, 1004 BGB sind rein dinglicher Natur, weil sie nicht etwa durch Bereicherungs- oder Deliktsrecht, sondern unmittelbar durch das „herzustellende“ dingliche Recht bestimmt werden.114 Deshalb musste der Gesetzgeber auf allgemeinere Regeln, „welche für die Geltendmachung eines jeden absoluten Rechtes passen“, verzichten – der unterschiedliche Inhalt der absoluten Rechte ließ es nicht zu, einheitlich zu bestimmen, wann eine Verletzung des Rechts vorliegt.115 Die Motive gingen aber von einer weiten Auffassung des subjektiven Rechts und der analogen Anwendung der Vorschriften zum Eigentumsschutz aus.116 Somit lassen sich dingliche Ansprüche am besten über ihre Funktion von anderen Ansprüchen abgrenzen. Sie dienen abstrakt der Wiederherstellung der durch Dritte gestörten Rechtsmacht117 und damit der „Verwirklichung“ des absoluten Rechts; sie werden vom Eigentum auf die beschränkten dinglichen Rechte übertragen.118 Aufgrund der eben dargelegten engen Verbindung, d. h. der Funktion der Herstellung/Realisierung des im absoluten Recht vorgesehenen Zustands stehen dingliche Rechte dinglichen Ansprüchen nicht unabhängig gegenüber. So gesehen erscheint es sogar fraglich, inwieweit dingliche Ansprüche als Sekundärrechte bezeichnet werden können. Denn dingliche Rechte ergäben ohne unmittelbar daraus folgende, sie verwirklichende Ansprüche keinen Sinn. Rechtspositionen wie z. B. das Sacheigentum könnten freilich auch auf andere Weise bewehrt bzw. realisiert werden. Z. B. könnte der Sacheigentümer in einer anderen als der geltenden Rechtsordnung zu umfänglicher und gewalttätiger Selbsthilfe berechtigt sein, ohne aber klagbare Ansprüche zu erhalten. Im deutschen Recht ist das dingliche Recht indes dadurch charakterisiert, dass der Berechtigte im Verletzungsfall Rechte erhält, die die Verletzung abstellen, für die Zukunft verhindern und den ungestörten Zustand des Gutes wiederherstellen. Ohne derartige 112 Vgl.
Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 126. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 126; siehe auch Peukert, Güterzuordnung, 863 ff. sowie oben § 12 C. Der Abwehranspruch. 114 Mot. III, 392 ff. = Mugd. III, 218 f.; MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 57. 115 Mot. III, 392 = Mugd. III, 218. 116 Mot. III, 392 = Mugd. III, 218. 117 Staudinger Eckpfeiler/Herrmann (2008), 1000. 118 Heck, Grundriß des Sachenrechts, 125; Habersack, SachenR, Rn. 65 f.; HK-BGB/SchulteNölke, § 1004 Rn. 1; MüKoBGB/Gaier, Einl. Sachenrecht, Rn. 6; Stoll, AcP 162 (1963), 203 (219) („Eigentumsverwirklichungsansprüche“); MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 57 („Herstellung des dem Inhalt des Rechts entsprechenden Zustands“). 113
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Ansprüche wäre das dingliche Recht hohl, ein unverbindliches Statement des Gesetzgebers. Nach Maßgabe der Eingriffsmöglichkeiten der Rechtsordnung sind Abwehr und Rückholung für das Sacheigentum die zweckmäßigsten Mittel, um den im dinglichen Recht beschriebenen Zustand zu bewahren oder wiederherzustellen. Für andere dingliche Rechte werfen die Regeln zum Eigentumsschutz wie gesagt Probleme auf, da § 985 BGB eine konkrete, auf Sachen zugeschnittene Funktion hat und § 1004 BGB keine positive Aussage darüber trifft, was unter einer Beeinträchtigung zu verstehen ist. Die skizzierte Ausdehnung der negatorischen Haftung über das Sacheigentum hinaus zeigt aber, wie grundlegend sie ist. Die Unverletzlichkeit liegt in der Natur der negatorisch geschützten Rechtspositionen – ohne Schutz gegen Dritte ist der Freiheitsraum kein Freiheitsraum. Von diesem engen Zusammenhang zwischen Recht und realisierendem Anspruch ging der Gesetzgeber auch ausdrücklich aus und vertrat eine materielle Auffassung dinglicher Ansprüche.119 Ein „dulde und liquidiere“ wäre keine tragbare Alternative, da der zu duldende Eingriff ja gerade vermieden werden soll, das dingliche Recht ist so gedacht, dass es von Beginn an unverletzt ist. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass negatorische Ansprüche für deliktische Positionen mit dem Vorrang der Schadensverhinderung begründet werden.120 Die Zusicherung eines exklusiven Freiheitsraums könnte sogar vornehmlich in den starken rechtlichen Ansprüchen und weniger im eigentlichen dinglichen Recht gesehen werden: „… durch die Gewährung der Unterlassungsklage wird ein bis dahin unabhängig vom Willen des Gutsträgers geschütztes Rechtsgut praktisch einem subjektiven Recht gleichgestellt.“121
Hier schließt sich der Kreis zur Imperativentheorie und der Frage des eigenständigen Dürfens.122 Darauf ist bei der Untersuchung der positiven Seite dinglicher Rechte zurückzukommen.123
E. Abgleich mit den Immaterialgüterrechten Der 4. Titel des Eigentums (§§ 985–1007 BGB) im BGB weist eine funktionale Parallele zu den immaterialgüterrechtlichen Ansprüchen auf,124 soweit sie der Verwirklichung des zugrunde liegenden Rechts dienen. Wie oben ausgeführt, sind die 119 Prot. III, 393 = Mugd. III, 218 (anders als im römischen Recht bedürfe das Recht keines Hinzutretens des Aktionenschutzes: „Mit der Anerkennung eines Rechts durch das Gesetz ist nach neuerer Rechtsanschauung der gerichtliche Schutz von selbst bestimmt …“); siehe auch oben C. III. 1. Prozessuale oder materiellrechtliche Natur. 120 Siehe die Nachweise in Fn. 101. 121 Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, § 252 I 3 d (1011). 122 Siehe oben § 1 A. III. 5. Zur Eigenständigkeit des Dürfens. 123 Siehe unten § 15 E. II. Noch einmal zum positiven Gehalt. 124 Jauernig/Berger, § 1004 Rn. 2.
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
gesetzlichen Immaterialgüterrechte durch § 1004 BGB „nachgebildete“125 Unterlassungsansprüche geschützt. Berger führt dies auf das schon angesprochene allgemeine Prinzip (auch er geht von einer Rechtsanalogie aus) zurück, „dass auch Rechte und Rechtsgüter, denen das Gesetz nicht ausdrücklich einen Unterlassungsanspruch zur Seite stellt, mit einer Klage auf Unterlassung bewehrt sind, wenn und soweit sie gegen Dritte geschützt sind“.126
Auch hier liegt die „Ausschlussfunktion“ der absolut wirkenden Rechte in den materiellrechtlich entstehenden Abwehransprüchen, die zusätzlich prozessual geltend gemacht werden können. Für § 985 BGB ist es schwieriger als im Falle des § 1004 BGB, eine entsprechende Vorschrift im Immaterialgüterrecht zu finden, da er der Verwirklichung des Besitzes dient. So kennt das Urheberrecht keine Vindikation des Werkes.127 Am nächsten kommt § 985 BGB die „Patentvindikation“ gem. § 8 PatG.128 Jedoch gleicht diese nur die formelle an die materielle Rechtslage an und erfüllt damit keine vergleichbar praktische Funktion wie § 985 BGB, sondern ähnelt eher § 894 BGB129 (den Baldus130 allerdings als „Parallelnorm [oder Sonderfall] zu § 985“ auffasst).131 Da diese Abweichung dem Fehlen eines herausgabefähigen Gegenstandes geschuldet ist, bleibt es bei der Konstatierung einer funktionalen Ähnlichkeit. § 17 Abs. 1 MarkenG regelt außerdem den einzigen Fall der „Kennzeichenvindikation“.132 Dort geht es um die Übertragung einer i. S. v. § 11 MarkenG durch einen Agenten oder Vertreter unrechtmäßig eingetragenen Marke auf den Geschäftsherrn.133 Ratio legis ist zum einen eine ältere Inanspruchnahme des Zeichens durch den Geschäftsherrn, insbesondere im Ausland, und zum anderen das illoyale Verhalten des Agenten/Vertreters,134 für den die Marke erst durch die Tätigkeit für den Geschäftsherrn von Interesse geworden ist.135 § 17 Abs. 1 MarkenG eröffnet einen Anspruch auf „Übertragung des durch die Anmeldung oder Eintragung der Marke begründeten Rechts“, also das Marken- oder Markenanwartschaftsrecht,136 technisch also auf die Abgabe der erforderlichen Erklärungen i. S. d. § 27 Abs. 3 Mar125
Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 892. Brehm/Berger, Sachenrecht, § 7 Rn. 10. 127 Vgl. Jänich, Geistiges Eigentum, 297 ff. 128 Vgl. BGH GRUR 1982, 95 Leitsatz 1, (96) – Pneumatische Einrichtung. 129 Jänich, Geistiges Eigentum, 303. 130 MüKoBGB/Baldus, vor § 985 Rn. 10; a. A. wohl Staudinger/Picker (2019), § 894 Rn. 18; MüKoBGB/Kohler, § 894 Rn. 2. 131 Siehe dazu auch oben § 10 D. I. 1. Spezialgesetzlicher „Besitzschutz“. 132 Ingerl/Rohnke, MarkenG, vor §§ 14–19 Rn. 316 ff.; § 17 Rn. 6. 133 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 11 Rn. 3. 134 Vgl. die entsprechende Definition des Agenten/Vertreters, BGH GRUR 2008, 917 Rn. 45 – EROS („jeder Absatzmittler, der dem Inhaber der Marke in einer Weise vertraglich zur Wahrnehmung von dessen Interessen verpflichtet ist, die es ihm verbietet, die Marke ohne dessen Zustimmung eintragen zu lassen“). 135 BGH GRUR 2008, 611 Rn. 20 – audison. 136 Fezer, MarkenG, § 17 Rn. 13. 126
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kenG, §§ 33 ff. MarkenV.137 Auch hier ist die Vindikationsähnlichkeit nur schwach ausgeprägt, da nicht der Gegenstand zum Recht gezogen, sondern das Recht als solches herausverlangt wird. Daher sehen Literaturstimmen in § 17 MarkenG teils auch einen „kennzeichenrechtlichen Anspruch sui generis, der […] Rechtsgründe des Kondiktionsrechts, des Vindikationsrechts und des Rechts der Geschäftsanmaßung vereint“,138 teils – angesichts zugrundeliegenden Vertragspflichtverletzungen des Agenten – einfach einen Anspruch schuldrechtlicher Natur.139 Bei Patent- und Kennzeichenvindikation steht also eine Berichtigung der Zuordnung des Stammrechts im Mittelpunkt. Bezogen auf das Immaterialgut als Idealgut gibt es keine vindikationsartigen Ansprüche, da das Gut naturwissenschaftlich nicht einmal existiert.140 Ein § 985 BGB ähnlicher Anspruch bietet sich allenfalls im Domainrecht an, wo ein dem Besitz ähnlicher Zustand Sinn ergibt – als technikabhängiges Gut.141 Anders als bei den übrigen Immaterialgüterrechten liegt hier ein herausgabefähiger Gegenstand sehr nahe. Die Eintragung im DENIC-Register ist nämlich – anders als beim Patent – für die tatsächliche Nutzbarkeit unabdingbar. Das Immaterialgüterrecht kennt zudem Ansprüche auf die Herausgabe rechtsverletzender Gegenstände zur Vernichtung durch den Berechtigten, genauer gesagt spezialisierte Ansprüche „negatorischer“ Natur. Wie an anderer Stelle ausgeführt wurde,142 sind die Ansprüche auf Rückruf, Entfernung und Vernichtung letztlich Sondervorschriften zu § 1004 BGB.143 Sie erfüllen funktional alle Voraussetzungen eines dinglichen Anspruchs. Sie dienen der Herbeiführung des nach dem jeweiligen absoluten Herrschaftsrecht (Markenrecht, Urheberrecht, Designrecht, Patentrecht etc.) gesollten Zustands.144 Im Gegensatz zu § 985 BGB wird allerdings nicht das geschützte Gut in die faktische Gewalt des materiell Berechtigten zurückgeführt, sondern es handelt sich um eine Ausprägung der Bestimmungsgewalt des Berechtigten über rechtsverletzende Güter. Daraus könnte entweder gefolgert werden, dass es sich hier gleichfalls um dingliche Ansprüche handelt,145 was davon abhängt, ob man Immaterialgüterrechte als dingliche Rechte auffasst. Da nach hier vertretener Auffassung der Begriff „dinglich“ für Rechte steht, die einen unmittelbaren Gegenstandsbezug vermitteln,146 muss er – sofern man ihn nicht als schlichtes Synonym für Sachenrechte verstehen will – die Immaterialgüterrechte erfassen. Zudem dienen „dingliche“ Ansprüche 137
Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 17 Rn. 10. Fezer, MarkenG, § 17 Rn. 7. 139 Ströbele/Hacker/Thiering/Thiering, MarkenG, § 17 Rn. 9. 140 Siehe oben § 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter). 141 Siehe oben § 10 D. II. b) Technikabhängige Güter. 142 Becker, ZGE/IPJ 4 (2012), 452 (463). 143 Skauradszun/Meier, ZUM 2009, 199 (201); NK-BGB/Schmidt-Räntsch/Keukenschrijver, § 1004 Rn. 111 ff.; Bodewig, GRUR 2005, 632 (635); Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 898; siehe auch Diekmann, Der Vernichtungsanspruch, 77 ff. 144 Becker, ZGE/IPJ 4 (2012), 452 (463). 145 I. d. S. Mager, AcP 193 (1993), 68 (79 f.); siehe auch Fritzsche, Unterlassungsansprüche, 127 f. 146 Siehe oben § 13 M. Zusammenfassung und Folgerungen. 138
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
nach der obigen Untersuchung vor allem der Realisierung des vom subjektiven Recht vorgesehenen tatsächlichen Zustands. Dementsprechend kann der Begriff des dinglichen Unterlassungsanspruchs mit Unterlassungsansprüchen „aus absoluten, nicht notwendigerweise dinglichen Rechten“ zusammengefasst werden.147
F. Stammrechte und Rechtsfolgenrechte Dingliche Ansprüche scheinen nach der bisherigen Darstellung in erster Linie das dahinterstehende Recht zu verwirklichen und den gesollten Zustand herbeizuführen. Es kam aber schon an einigen Stellen zur Sprache, dass es dabei eine Wechselwirkung zwischen dem zu verwirklichenden Recht und den daraus folgenden Ansprüchen gibt. Dieses Phänomen kann mit einer Untersuchung von Franz Hofmann näher erfasst werden.
I. Hofmann: Rechtsfolgenrechte als Feinabstimmung der Stammrechte Hofmann spricht sich für eine Unterscheidung und separate Begründung der Stammrechte (also z. B. absoluter Herrschaftsrechte) und der ihrer Durchsetzung dienenden „Rechtsfolgenrechte“ aus:148 „Anstelle einer ‚Pauschalrechtfertigung‘ kann unterschieden werden zwischen der Frage nach der Rechtfertigung des Stammrechts und der Rechtfertigung des Zuspruchs einer bestimmten Rechtsfolge zu dessen Verwirklichung. Der Unterschied zwischen zwei Rechten, Stammrecht und Rechtsfolgenrecht, liefert damit eine noch höhere Transparenz bei der Rechtfertigungsfrage.“149
Hofmann weist hiermit zu Recht auf die verkürzte Sichtweise hin, die sich aus einem Fokus auf die „im Ergebnis“ bestehenden interpersonellen Verbotsrechte ergibt.150 Es ist nicht nur nach dem Telos des Stammrechts, sondern auch nach dem Telos der Durchsetzungsrechte zu fragen. Unmittelbare Vorteile ergeben sich Hofmann zufolge etwa bei der Erklärung von Schrankenbestimmungen. Hofmann nennt das Beispiel der §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 UrhG. Hieraus könne der Urheber nur eine Vergütung ableiten, nicht aber die private Vervielfältigung verbieten. Verständlich werde dies erst durch sein vorgelagertes Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG). Dieses erkläre, „warum“ der Dritte die Vergütung schulde.151
Auch solche erlaubten Eingriffe mit Kompensationsanspruch lassen sich theoretisch als Verbotsrechte darstellen (nämlich als das Verbot, kompensationslos einzugreifen). Die Rechtfertigung und Funktion des Durchsetzungsrechts (hier § 54 Abs. 1 UrhG) ergibt sich aber erst aus der Beachtung aller Ebenen, also dem vorge147
Letztere Ansicht vertritt Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 262. Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 146 ff. 149 Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 148 [Hervorh. im Original]. 150 Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 146 ff. 151 Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 147. 148
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lagerten Vervielfältigungsrecht, das durch das Privatkopienprivileg eingeschränkt wird, sowie der Rechtfertigung dieser Schranke: M. E. ist der Kompensationsanspruch Teil der Rechtfertigung der Schranke (nämlich kraft des Dreistufentests, vgl. nur Art. 5 Abs. 5 InfoSocRL). Hofmann attestiert dem „Denken in Rechtsbehelfen“ zu Recht, dass damit „eine Feinabstimmung ermöglicht“ wird:152 „Statt die Existenz eines Rechts pauschal zu bekämpfen, weil dieses im Einzelfall oder in bestimmten Situationen als zu stark empfunden wird, kann die diagnostizierte Unwucht über eine differenzierte Rechtsdurchsetzung maßvoll therapiert werden.“153
Es muss also zwischen den von Stammrechten statuierten Rechten und Pflichten einerseits und ihrer Durchsetzung – sowohl dem Grunde als dem Inhalt nach – unterschieden werden. „Statt das Kinde mit dem Bade auszuschütten, eröffnet das Rechtsbehelfssystem einen dritten Weg: Rechtsbehelfe zur Durchsetzung von Stammrechten begründen eine weitere Stellschraube im materiellen Recht zu einem angemessenen Interessenausgleich. Ein starkes Recht kann durch eine schwache Rechtsdurchsetzung angepasst werden.“154
Dieses funktionale Verständnis der Rechtsdurchsetzung als Instrument zur Feinabstimmung der in absoluten Herrschaftsrechten statuierten Ausschluss- und Zuweisungsordnung ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Rechtsdurchsetzung und auch im Aufbau absoluter Herrschaftsrechte insgesamt.
II. Folgerungen Die von Hofmann adressierte Problematik der teleologischen Einzeluntersuchung von Stammrecht und Anspruch passt zu dem oben vorgeschlagenen Denken in einer schrittweisen Teleologie.155 Die Rückführung von Rechten auf Verbotsrechte als kleinste Teile schließt nicht aus, zugleich in starken teleologischen und bildlichen Kategorien zu denken, wie es etwa die Vorstellung einer Subjekt-Objekt-Beziehung oder die Vorstellung eines absoluten, ungeteilten Eigentumsbegriffs tun. Die klare Trennung der Rechtfertigung von Stammrechten und Rechtsfolgenrechten lässt sich mit dieser Mehrschrittigkeit gut vereinbaren, sie unterstützt sie sogar. Institute der Durchsetzung (Delikt, GoA, Bereicherung) haben eigene Funktionen, es handelt sich um eigenständige Rechtsgebiete, deren Funktion bzw. Telos sich nicht darin erschöpft, absoluten Herrschaftsrechten zur Verwirklichung zu helfen. Vielmehr ist die Nähe der hier behandelten „negatorischen“ Ansprüche zum vorgelagerten absoluten Recht eine Besonderheit, die die anderen Rechtsgebiete nicht teilen und die – trotz der auch dort gebotenen teleologischen Trennung – als Spezifikum dinglicher Ansprüche verstanden werden kann. Daher setzen die 152
Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 150. Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 151. 154 Hofmann, Der Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf, 152. 155 Siehe oben § 1 D. Eine schrittweise Teleologie. 153
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
anderen genannten Sekundärrechte nicht automatisiert allein das Stammrecht bzw. den Zweck des Stammrechts um, sondern verfolgen zugleich eigene Zwecke. Mit Hofmann erkennen die Rechtsdurchsetzungsrechte einerseits das Telos des Stammrechts an, das sie verwirklichen, indem der Berechtigte das erhält, was ihm das Stammrecht als subjektives Recht zuweist. Andererseits ergibt sich sein durchsetzbarer Anspruch erst im Zusammenspiel mit den Funktionen, die die Rechtsfolgenrechte haben. Aus verschiedenen Stammrechten kann zudem in unterschiedlichem Maße hervorgehen, was sie dem Berechtigten jeweils zuweisen. Gerade § 903 BGB ist in diesem Punkt bekanntlich vage. Das Urheberrecht indes hat eine wesentlich genauere Ausgestaltung (§§ 15 ff. UrhG). Dennoch folgt auch aus dem Urheberrecht als solchem nicht, welche Rechtsfolgen Eingriffe haben sollen. Dies ergibt sich erst in Kombination mit den Rechtsfolgerechten, die eigene Zwecke verfolgen. Beispiel: Fiktiv könnte man ein absolutes Herrschaftsrecht formulieren, das nicht nur seinen genauen Schutzumfang benennt, sondern auch angibt, in welchen Fällen der Berechtigte wieviel Kompensation erhalten soll. Ein solches Recht könnte durch eigene Ansprüche sui generis absolute Rechtssicherheit schaffen und allgemeinere Institute des Deliktsrechts, Bereicherungsrechts etc. durch diese Spezialregeln abschneiden.
Dies verdeutlicht die Funktion, die Deliktsrecht, Bereicherungsrecht und GoA im Verhältnis zum Stammrecht einnehmen. Es handelt sich um gesetzliche Schuldverhältnisse, die der Gesetzgeber unter anderem (!) für den Fall anordnet, dass ein absolutes Herrschaftsrecht verletzt wird.
G. Zusammenfassung und Folgerungen Recht und Ansprüche sind zu trennen. Grob formuliert lassen sich Ansprüche nach den Rechten unterteilen, aus denen sie erwachsen.156 Vorliegend interessierten dingliche Ansprüche, also Ansprüche aus dinglichen Rechten, die mit absoluten Herrschaftsrechten überwiegend identisch sind. Charakteristika dieser Ansprüche sind eine enge Bindung an das Stammrecht statt an die Person, was umgekehrt auch für Pflichten gilt, die aus der Rechtsinhaberschaft erwachsen. Daraus sowie aus den danach untersuchten Punkten ergeben sich Folgerungen zur Idee bzw. der Funktion dinglicher Ansprüche. Im Sachenrecht dominieren die §§ 985, 1004 BGB. Gerade um § 1004 BGB wird diskutiert, ob dieser materiellrechtlicher oder prozessualer Natur ist. Die h. M. vertritt inzwischen eine materielle Auffassung, die sich auch in der moderneren Gesetzgebung bei der Kodifizierung der mit absoluten Herrschaftsrechten verbundenen Ansprüche (z. B. in § 97 UrhG, § 139 PatG, § 14 MarkenG) zeigt.157 §§ 985, 1004 BGB hängen ursprünglich eng mit dem Sacheigentum zusammen, zumal die rei vindicatio und die actio negatoria als geschichtliche Vorgänger gelten dürfen. Sie dienen nach dem Konzept des BGB der 156 157
Siehe oben A. Rechte und Ansprüche. Siehe oben C. III. 1. Prozessuale oder materiellrechtliche Natur.
§ 14 Dingliche Ansprüche581
Verwirklichung des Sacheigentums, also des nach § 903 BGB vorgesehenen Zustands. Allerdings setzt sich die Unsicherheit der Reichweite des § 903 BGB als primärem Recht im Anspruch fort, weshalb Fragen der Reichweite des Sacheigentums regelmäßig im Zuge des § 1004 BGB verhandelt werden.158 Noch stärker zeigt sich die Enge der Verbindung in § 985 BGB, der exklusiv auf die Körperlichkeit von Sachen zugeschnitten ist, und – anders als der Wortlaut des § 903 BGB – zum Ausdruck bringt, dass rechtliche und faktische Herrschaft vereint werden sollen.159 Aufgrund der problematischen Reichweite des Sacheigentums sah sich der Gesetzgeber zu einer negativen Formulierung des § 1004 BGB gezwungen, der Eigentumsverletzungen erfasst, „welche nicht in der Entziehung des Besitzes oder der Innehabung bestehen“.160 Die schon bei Gesetzgebung vorgesehene Anwendbarkeit des § 1004 BGB über das Sacheigentum hinaus wurde durch eine Ausdehnung der Ansprüche auf alle absoluten Rechte vollzogen, die letztlich mit einer Gleichsetzung der im absoluten Recht liegenden Ausschließungsbefugnis und einem entsprechenden (materiellen) Anspruch begründet wird.161 Für das Sacheigentum wurden Abwehr der Verletzung und Rückholung der Sache als die zweckmäßigsten Mittel zu seiner Realisierung benannt. Aus dieser Sicht wäre ein „dulde und liquidiere“ keine tragbare Alternative, da der zu duldende Eingriff ja gerade vermieden werden soll.162 Im Immaterialgüterrecht finden sich für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche unproblematisch Parallelen zum Sachenrecht. Darüber hinaus kennt es aber mit Rückruf, Entfernung und Vernichtung auch eine Reihe spezialisierter dinglicher Ansprüche, die auf die Kontrolle rechtsverletzender Gegenstände zielen. Zur Vindikation hingegen gibt es keine unmittelbaren Parallelen bei den Immaterialgüterrechten, da sie auf Idealgüter gerichtet sind. Anders liegt es bei technikabhängigen Gütern wie etwa der Internetdomain. Wie oben gezeigt wurde, vergrößern solche Güter die faktischen Handlungsmöglichkeiten des Berechtigten; entsprechend ergibt dort eine Herausgabe, d. h. die Einräumung faktischer Macht, Sinn.163 Da sich an mehreren Stellen zeigte, dass nicht einmal die sog. dinglichen Ansprüche automatisiert aus dem dahinterstehenden Recht abgeleitet werden können, wurde auf die Untersuchung von Franz Hofmann zurückgegriffen, der zwischen Stammrechten und Rechtsfolgenrechten unterscheidet, die jeweils ihrer eigenständigen Rechtfertigung bedürfen. Dies erlaubt eine Feinabstimmung der im Ergebnis durchsetzbaren Ansprüche gegenüber den dahinterstehenden Rechten.164 158
Siehe oben C. I. Allgemeines. Siehe oben C. II. Vindikation (§ 985 BGB). 160 Siehe oben C. III. 2. Regelungsgehalt und Regelungscharakter. 161 Siehe oben C. IV. Entwicklung der Abwehrrechte aus § 1004 BGB über das Sacheigentum hinaus. 162 Siehe oben D. Eigene Charakterisierung. 163 Siehe oben § 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens. 164 Siehe oben F. I. Hofmann: Rechtsfolgenrechte als Feinabstimmung der Stammrechte. 159
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
Im folgenden Abschnitt ist anknüpfend daran zu untersuchen, in welchem Verhältnis die wichtigsten Durchsetzungsrechte, namentlich Deliktsrecht, Bereicherungsrecht und GoA (Geschäftsanmaßung) zu absoluten Herrschaftsrechten als Stammrechten stehen.
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten In diesem Abschnitt ist der Frage nachzugehen, wie sich die wichtigsten Sekundärrechtsinstitute, nämlich Deliktsrecht, Bereicherungsrecht und die Gewinnherausgabeansprüche wegen angemaßter Eigengeschäftsführung zu absoluten Herrschaftsrechten als dahinterstehenden Stammrechten verhalten. Insbesondere interessiert der Vergleich zu den dinglichen Ansprüchen i. e. S. Gibt es hier einen kategorialen Funktionsunterschied?
A. Deliktische Ansprüche Das Deliktsrecht genießt in der Rechtsdurchsetzung besondere Aufmerksamkeit. Die deliktische Bewehrung absoluter Herrschaftsrechte, wie etwa des Sacheneigentums, Urheber-, Marken- oder Patentrechts, lässt es unbefangen wie ein schlichtes Instrument wirken, auf das diese Rechtsgebiete zurückgreifen. Es weckt sogar den Gedanken an einen verlängerten Arm des Stammrechts, ähnlich etwa § 1004 BGB (analog). Ob dem wirklich so ist, ist im Folgenden zu prüfen.
I. Zur Dogmatik des Deliktsrechts Die genannten Fragen erfordern einen kurzen Blick auf die Entwicklung und das System des Deliktsrechts des BGB und speziell auf die Lehre von Erfolgs- und Handlungsunrecht.
1. Funktion und Funktionsweise des Deliktsrechts Die Hauptaufgabe des Deliktsrechts ist der Ausgleich von Schäden (bzw. von Kosten und Risiken) zwischen Personen außerhalb einer vorbestehenden Sonderverbindung.165 Genauer geht es um die „Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen Kompensation zu leisten oder auch nicht zu leisten ist“.166 Rechtstechnisch ordnet erst das Deliktsrecht zwischen den Beteiligten ein Schuldverhältnis an, dessen „ursprünglicher Inhalt“ die Schadensersatzpflicht ist.167 Zentrales Kriterium hierfür ist die Widerrechtlichkeit von Handlungen, Grotius spricht – wohl in Anlehnung an den neminem laedere-Grundsatz – von „jede[r] 165
Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 1; Jauernig/Teichmann, vor § 823 Rn. 1. Wagner, Deliktsrecht, Kap. 4 Rn. 2. 167 Jauernig/Teichmann, vor § 823 Rn. 1. 166
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten583
Schuld […] die dem widerspricht, was die Menschen überhaupt oder nach ihrer besonderen Eigenschaft zu thun haben“.168 Aus der Widerrechtlichkeit ergibt sich die Unerlaubtheit der Handlung, die Motive nutzen die Begriffe „unerlaubt“ und „widerrechtlich“ synonym,169 auch das BGB spricht vom Recht der unerlaubten Handlungen, stellt in der zentralen Deliktsrechtsnorm aber auf die Widerrechtlichkeit (§ 823 Abs. 1 BGB) ab. Hierin liegt „das Unwerturteil der Rechtsordnung über eine bestimmte Handlung“.170 Der Bestimmung der Unerlaubtheit bzw. Widerrechtlichkeit sollten die deliktischen Tatbestände dienen. Die Tatbestandsmäßigkeit ist Voraussetzung der Widerrechtlichkeit (synonym Rechtswidrigkeit) und erfasst die „menschlichen Handlungen, […] die sinnvollerweise überhaupt als Grundlage einer deliktischen Haftung und als Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils in Betracht kommen“.171 Für die Struktur absoluter Herrschaftsrechte hat dieser Punkt besondere Bedeutung. Nachdem ursprünglich ein einheitlicher Deliktsbegriff vorgesehen war, der ein krasser Gegensatz zu der römischrechtlichen und im Common Law praktizierten Tradition enumerativer Tatbestände172 gewesen wäre, wurde dieser durch den Mittelweg173 eines in deliktische Einzeltatbestände gegliederten Systems ersetzt.174 Die damit belassenen Lücken, insbesondere im Bereich der begrenzten Haftung des Geschäftsherrn für Verrichtungsgehilfen und im Schutz von Persönlichkeit und Vermögen, wurden durch die Rechtsprechung nach Inkrafttreten des BGB so weit gefüllt, dass § 823 Abs. 1 BGB Einigen als allgemeine Haftung für „Verkehrswidrigkeit“ mit ähnlicher „generalklauselartige[r] Bedeutung wie § 1 UWG [a. F.] im Wettbewerbsrecht“ gilt.175 In diesem Zuge ergab sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts auch wieder die Forderung nach einer deliktischen Generalklausel.176 Dennoch ähnelt die Grundentscheidung, nur bestimmte Güter deliktisch gegen jede Form schuldhafter Schädigung zu schützen, dem freiheitswahrenden Inselprinzip177 des Immaterialgüterrechts. Das BGB kennt drei Arten der Rechtswidrigkeit aus denen drei „Gattungstatbestände der Deliktshaftung erwachsen“ sind:178 Widerrechtlich ist zum einen 168 Grotius, De iure belli ac pacis (Recht des Krieges und Friedens), 1625, 2. Bd., in d. Übersetzung von J. H. v. Kirchmann, 1869, Buch II Kap. 17 unter I. 169 Mot. II, 725 f. = Mugd. II, 405. 170 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/2, § 209 (1277). 171 Larenz/Canaris, SchR II/2, 362 f. 172 Siehe Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 80; Wagner, Deliktsrecht, Kap. 2 Rn. 3. 173 Deutsch, JZ 1963, 385. 174 Siehe die Synopse bei Mugd. II, CXXII; Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 80 f. 175 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 86; Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 501; siehe auch v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (64). 176 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 86; siehe auch v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (80 f.). 177 Gemeint ist das Prinzip, Immaterialgüterrechte als Ausnahmen von der Gemeinfreiheit zu begreifen (statt umgekehrt). Denn grundsätzlich sind Leistungen ungeschützt – es herrscht ausdrücklich Nachahmungsfreiheit. Nur wenige „Inseln“ in diesem Meer menschlicher Leistungen sind geschützt, Ohly, GRUR 2017, 90 (91). 178 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 235.
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
der Verstoß gegen ein absolutes Verbotsgesetz, das Jeden schützen soll – nicht alle Gesetzesverstöße sind also deliktsrechtlich relevant.179 Zum anderen „zweifellos widerrechtlich ist die Verletzung des einem Anderen zustehenden absoluten Rechtes“.180 Ferner ist widerrechtlich eine als solche nicht verbotene,181 aber sittenwidrige Handlung; die Motive sprechen von „illoyale[n] Handlungen“.182 Die (sexual) moralischen Anklänge des Sittenbegriffs wurden allerdings im UWG – aus Gründen der Antiquiertheit und zur besseren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht183 – inzwischen zugunsten des Begriffs der Unlauterkeit aufgegeben.184
2. Erfolgs- und Handlungsunrecht Noch gröber gegliedert zerfällt die Rechtswidrigkeit in Verstöße gegen Verhaltensnormen und gefährliche Annährungen an oder Verletzungen von fremde(n) Rechtsgüter(n), also in verbotsbezogene und gefährdungsbezogene Rechtswidrigkeit.185 Positiv formuliert wird zum einen verhaltensbezogenes Vertrauen und zum anderen gegenstandsbezogenes Vertrauen geschützt.186 Aus dieser Einteilung ergab sich die Frage, ob nicht auch die gefährdungsbezogene Rechtswidrigkeit letztlich nur Verhaltensnormen abbildet. Der Umstand, dass Recht letztlich immer auf Beziehungen zwischen Individuen heruntergebrochen werden kann, wurde hier schon an verschiedenen Stellen relevant.187 Für die Rechtswidrigkeit i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB konkurrierten daher im 20. Jahrhundert zwei unterschiedliche Beurteilungsansätze: Erfolgs- und Handlungsunrecht.188 Genauer formuliert lautet die nach wie vor verfolgte Frage, wofür das Verdikt „rechtswidrig“ stehen soll: für die Missbilligung des Verletzungserfolgs oder auch189 für die Missbilligung der verursachenden Handlung?190 179
Siehe auch Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 82. Mot. II, 726 = Mugd. II, 405. 181 § 705 des ersten Entwurfs lautete noch: „Als widerrechtlich gilt auch die kraft der allgemeinen Freiheit an sich erlaubte Handlung, wenn sie einem Anderen zum Schaden gereicht und ihre Vornahme gegen die guten Sitten verstößt.“ 182 Mot. II, 726 f. = Mugd. II, 405 f. Der Begriff der Illoyalität lehnt an die französische Dogmatik (concurrence déloyale) an. Z. B. ist die Entsprechung zum deutschen Lauterkeitsrecht die „concurrence déloyale“, die wiederum vom rechtswidrigen Wettbewerb, der „concurrence illégale“ zu unterscheiden ist, Schmidt-Kessel/Schubmehl/Lucas-Schloetter, Lauterkeitsrecht in Europa, 2011, 237 (238). 183 BT-Drucks 15/1487, 16. 184 MüKoBGB/Wagner, § 826 Rn. 3. 185 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 235. 186 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 571. 187 Etwa als Eckpunkt, den Willens- wie Interessentheorie berücksichtigen müssen, siehe unten § 1 A. II. Subjektive Rechte. 188 NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 94 ff.; BeckOK BGB/Förster, § 823 Rn. 17 ff.; Medicus/ Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 606. 189 Die Konstellation, dass zwar eine Handlung missbilligt wird, nicht aber ihr schädigender Erfolg, kommt indes nicht in Betracht, allenfalls kann es am Erfolg fehlen, womit aber auch das Tatbestandsmerkmal des Schadens entfiele. 190 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 5. 180
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten585
Nach der klassischen Lehre vom Erfolgsunrecht ist die Verletzung eines Rechtsguts stets rechtswidrig, sofern kein besonderer Rechtfertigungsgrund eingreift.191 Die Verletzung des Rechtsguts indiziert die Rechtswidrigkeit.192 Dies eröffnet die Möglichkeit, rechtswidrige Angriffe per Notwehr abzuwenden. Gleiches gilt für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche.193 Bei konsequenter Anwendung beurteilt diese Lehre aber Handlungen rückwirkend nach einem für den Handelnden ex ante gegebenenfalls unmöglich absehbaren Erfolg.194 Die einschneidendere Kritik am Erfolgsunrecht, die dann auch den Ausgangspunkt der Lehre vom Handlungsunrecht bildet, führt an, dass nur menschliches Verhalten, nicht aber eine Rechtsgutsverletzung als solche rechtswidrig sein, d. h. gegen menschliche Regeln verstoßen könne. Die Vorstellung rechtswidriger Zustände gehe letztlich von verursachenden Handlungen aus.195 Beispiel: Eine allein durch starke Schneefälle bedingte Lawine lässt sich kaum als rechtswidrig auffassen. Denn was genau sollte rechtswidrig sein: die Schneefälle oder vielleicht das Rutschen des Schnees? Abgesehen davon, dass dann jegliche negativen Umwelteinflüsse als rechtswidrig gelten müssten, böte ein solcher Rechtswidrigkeitsbegriff keinen Ansatzpunkt für irgendwelche Rechtsfolgen, wäre also überflüssig. Rechtswidrig kann daher nur die Unterlassung der rechtzeitigen Lawinensprengung, das Auslösen der Lawine durch unvorsichtige Skifahrer oder dergleichen sein.
Entsprechend können sich Gesetze dem Handlungsunrecht zufolge nur auf menschliches Handeln richten und insofern nicht mehr als die Achtung der verkehrserforderlichen Sorgfalt verlangen. Sofern diese eingehalten wurden, liegt keine Rechtswidrigkeit vor.196 Schon allgemeinere, als nur an die Handlung anknüpfende Ansätze, wie etwa solche, die auf das Setzen von Bedingungen für eine Schädigung abstellen, führen nach dieser Sichtweise zu einer ausufernden Haftung.197 Daher erhebt sie den Pflichtverstoß von der Frage des Verschuldens zum Merkmal der Rechtswidrigkeit und nimmt für sich in Anspruch, so zugleich den Umweg eines Rechtfertigungsgrundes einzusparen.198 Konsequenz ist, dass die Verursachung eines Körper- oder Sachschadens rechtmäßig sein kann, wenn sich der Handelnde verkehrsrichtig verhalten, also die einschlägigen Verkehrspflichten beachtet hat.199 Dies umfasst etwa Rechtsguts191 NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 95; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Delikts- und Schadensersatzrecht, 89 f. 192 Grüneberg/Sprau, § 823 Rn. 24; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 95. 193 NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 95. 194 Larenz, FS Dölle, Bd. I, 169 (181). 195 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/2, § 209 IV. A. (1280); siehe auch Nipperdey, NJW 1957, 1777. 196 Vgl. BGHZ 24, 21 = NJW 1957, 785; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/2, § 209 (1289 ff.); Esser/Schmidt, SchR I/2, 65 ff.; siehe auch den Überblick bei Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 597. 197 Zippelius, NJW 1957, 1707. 198 Esser/Weyers, Schuldrecht, 170. 199 Siehe insbesondere den einschneidenden Beschluss des GZS BGHZ 24, 21 = NJW 1957, 785 (786); dazu Nipperdey, NJW 1957, 1777; Zippelius, NJW 1957, 1707.
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
verletzungen, die durch den erlaubten Betrieb gefährlicher Anlagen (Bergwerke, Atomkraftwerke, Eisenbahnen etc.) entstehen – derlei Schäden stehen nach der Lehre vom Handlungsunrecht nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung, sie sind nicht Unrecht, sondern Unglück.200 Notwehr sowie Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche finden hier im Falle der Rechtmäßigkeit des schädigenden Verhaltens (objektives Unrecht) auf den ersten Blick keinen Anhaltspunkt.201 Dem wird entgegengehalten, dass es möglich sei, den Begriff der Rechtswidrigkeit in diesen Zusammenhängen – anders als im Schadensersatzrecht – so zu verstehen, 202 dass hier „die Rechtsordnung die Beseitigung des Zustandes bzw. den Ausgleich für die Rechtsverletzung anordnet, ohne danach zu fragen, ob ein menschliches Verhalten dabei eine Rolle gespielt hat“.203 So könne eine drohende Verletzung legal abwehrbar sein, ohne dass das Verhalten des Schädigers im deliktischen Sinne rechtswidrig sein muss.
Die Lehren von Erfolgs- und Handlungsunrecht lassen sich laut Brüggemeier insoweit vereinigen, als die Zuweisung einer Rechtssphäre zu einer Person, in die einzugreifen die Rechtswidrigkeit indiziert, letztlich auch nur eine Form der Verhaltensregulierung sei.204 Die „Sprache des Erfolgsunrechts“ verkürze durch die Anknüpfung an Rechtssphären nur die Formulierung von Verhaltensregeln. Diese Verkürzung werde vom Handlungsunrecht zugunsten einer, in modernen Industriegesellschaften erforderlichen, stärkeren Differenzierung aufgehoben.205 Praktisch bedient sich die h. M. heute eines Kompromisses, der zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen in die Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB differenziert.206 Zugrunde liegt der Gedanke, dass zahlreiche verletzungsträchtige Handlungen, wie etwa der Betrieb gefährlicher Anlagen (siehe oben) oder die Herstellung und der Vertrieb gefährlicher Gegenstände (Messer, Chemikalien, Kraftfahrzeuge etc.), erlaubt und erwünscht sind. Entsprechend dürfe aus dem Verletzungserfolg nur dann – und (abgesehen von Selbstmordfällen) auch bei verkehrsrichtigem Verhalten – auf die Rechtswidrigkeit der ursächlichen Handlung geschlossen werden,
200 Nipperdey, NJW 1957, 1777 (1778) (sie seien „erlaubtes Risiko einer erlaubten Betätigung“) zu BGHZ 24, 21 = NJW 1957, 785 (es sei der „Satz aufzustellen, daß bei verkehrsrichtigem [ordnungsgemäßem] Verhalten eines Teilnehmers am Straßen- oder Eisenbahnverkehr eine rechtswidrige Schädigung nicht vorliegt“). 201 BeckOGK/Spindler (11/2020), § 823 Rn. 77; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 597. 202 Dafür Esser/Weyers, Schuldrecht, Bd. II/2, 171 (der Ausdruck „rechtswidrig“ werde hier in verschiedenen Bedeutungen verwendet). 203 Esser/Schmidt, SchR I/2, 64. 204 I. d. S. wohl Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 95 (die Rede von absoluten Rechten und körperlichen Rechtsgütern beinhalte „nichts anderes als normative Formeln für den Interessenausgleich zwischen Rechtsgutsinhabern und potentiellen Schädigern“). 205 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 96. 206 Staudinger/Hager (2021), § 823 Rn. H 16; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 7; BeckOGK/ Spindler (11/2020), § 823 Rn. 78.
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten587
„wenn der Erfolg so nahe bei der Handlung liegt, daß er für die Anschauung des Lebens von ihr nicht zu trennen ist […] (Beispiel: Abfeuern eines Gewehrs in Richtung auf einen Menschen, Injektion einer tödlichen Flüssigkeit)“.207
Für Vorsatztaten und unmittelbare Eingriffe in das fremde Rechtsgut dürfe daher aus dem Erfolg auf die Rechtswidrigkeit geschlossen werden. Bei mittelbaren Eingriffen hingegen hänge die Rechtswidrigkeit von einer zusätzlichen Verletzung der jeweiligen Verkehrspflichten ab.208 Eine etwas andere Lösung sieht die Rechtswidrigkeit als objektiven, vom Verschuldensvorwurf freien, „auf einer Handlungs-Erfolg-Bewertung beruhende[n] Normverstoß“.209 Zur Lehre des Handlungsunrechts ist noch anzumerken, dass, obwohl letztlich nur menschliche Handlungen der rechtlichen Bewertung unterliegen, absolute Rechte nicht in erster Linie Mittel, sondern Zweck der deliktischen Unrechtsbewertung sind. Diesen teleologischen Akzent betont die Lehre vom Erfolgsunrecht weitaus zutreffender.
3. Zusammenfassung und Folgerungen Das Deliktsrecht hat die Aufgabe, Schäden zwischen Parteien auszugleichen, die zueinander in keiner schuldrechtlichen Sonderverbindung i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB stehen. Zur Abgrenzung deliktisch relevanter Schäden stellt es auf die Widerrechtlichkeit der Verletzung ab. Diese kann sich unter anderem aus der Verletzung vorbestehender absoluter subjektiver Rechte ergeben. Die Lehren von Erfolgs- und Handlungsunrecht streiten über die vorgelagerte und für die Relevanz subjektiver Rechte wichtige Frage, ob die Rechtswidrigkeit allein durch den Eingriff in solche vorbestehenden Rechte gegeben sein soll (Erfolgsunrecht), oder bereits der Eingriffstatbestand um Handlungen bereinigt werden muss, bei denen die verkehrserforderliche Sorgfalt beachtet wurde (Handlungsunrecht). Aus Sicht der Lehre vom Handlungsunrecht kommt absoluten subjektiven Rechten als geschützten Rechtssphären daher schwächere Bedeutung für die Abgrenzung der Rechtswidrigkeit zu; anders liegt es bei Kompromissformeln zwischen den beiden Lehren. Die Dominanz, die die Beurteilung menschlicher Handlungen hinsichtlich ihrer Rechtswidrigkeit zum Zwecke des Schadensausgleichs im Deliktsrecht hat und der Umstand, dass die Orientierung an vorbestehenden Rechten nur eine von mehreren Rechtswidrigkeitsquellen und auch als solche nicht unumstritten ist, zeigen bereits die Eigenständigkeit des Deliktsrechts gegenüber vorbestehenden absoluten Rechten. Anders als § 97 Abs. 2 UrhG, § 14 Abs. 6, § 15 Abs. 5 MarkenG; § 139 207
Larenz, FS Dölle, Bd. 1, 169 (193); v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (77 f.). v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (80). 209 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 598. Noch weiter geht der Ansatz, das Haftungsrecht gänzlich vom Konzept der Rechtswidrigkeit und dem Vorwurf eines Fehlverhaltens zu entkoppeln, Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 579 ff.; ders., AcP 202 (2002), 517; dazu auch oben § 12 C. Der Abwehranspruch. 208
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
Abs. 2 PatG suggerieren, ist das Deliktsrecht ein gegenüber der Vermögensordnung absoluter Herrschaftsrechte eigenständiges Rechtsgebiet und keine instrumentelle Verlängerung derselben. Aus deliktischer Sicht stellen vielmehr subjektive Rechte lapidar gesagt nur ein mögliches Hilfsmittel zur Identifikation rechtswidriger Handlungen dar. Dem Schutz subjektiver Rechte durch deliktische Haftung ist im Folgenden näher nachzugehen.
II. Subjektive Rechte und deliktische Haftung Die rechtliche Anerkennung und Zuweisung eines Lebensguts über absolute Herrschaftsrechte wäre theoretisch auch ohne eine deliktische Haftung möglich.210 Welche genaue Funktion haben subjektive absolute Rechte also für die deliktische Haftung bzw. welche Funktion hat letztere für vorbestehende absolute Rechte? Wie gesagt, liegt in der Aufnahme eines Lebensguts oder eines subjektiven Rechts in den Kreis deliktisch geschützter Rechtsgüter die gesetzgeberische Entscheidung, dass Verletzungen derselben prinzipiell rechtswidrig sind und ausgeglichen werden sollen. § 823 Abs. 1 BGB schützt dabei grob untergliedert nur zwei 211 bzw. drei Arten von Schutzgegenständen: den Menschen in seiner gesamten Personalsphäre, seine absoluten subjektiven Rechte sowie Rahmenrechte, deren dogmatische Begründung und Stellung streitig ist.
1. Die Personalsphäre des Menschen Der Gesetzgeber hat Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit nicht i. S. v. einzeln geschützten Rechtsgütern ausgewählt. Sie dienen vielmehr der Umschreibung des Rechtskreises der natürlichen Person: „Die genannten Rechtsgüter sind wichtige Bestandteile des Rechtskreises einer Person. In ihrer Gesamtheit machen sie keineswegs den ganzen Rechtskreis aus, denn zu den ‚sonstigen Rechten‘ des § 823 I BGB zählen z. B. nicht die Forderungen und auch nicht das Vermögen als solches.“212
W. Becker charakterisiert die Aufzählung in § 823 Abs. 1 BGB daher auch als Indizien des Schutzes der Personalsphäre: „Die in der deliktischen Grundnorm aufgezählten Rechtsgüter (Interessen) stellen zwar gelegentlich ‚subjektive Rechte‘ dar (‚das Eigentum oder ein sonstiges Recht‘!), sind aber durchaus und insgesamt nur als Indizien für einen deliktischen Schutz des Menschen zu nehmen, wonach jedermann dafür haften muß, der in die Personalsphäre seines Mitmenschen einbricht. […] 210
I. d. S. auch Reinhardt, JZ 1961, 713 (716). Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1558 (Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit seien keine subjektiven Rechte, sondern diesen nur gleichgestellt, was abgesehen von der Einwilligung als möglichem Rechtfertigungsgrund im Ergebnis aber keinen Unterschied mache); siehe auch zur Trennung von Eigentum als subjektivem Recht und den Lebensgütern Peukert, Güterzuordnung, 249 (mit zahlreichen Nachweisen). 212 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1557. 211
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten589
[D]eliktisch geschützt wird die Funktion des Menschen in der Welt. In diesem deliktischen Schutz des Menschen hält das Humanitätspostulat einen seiner vornehmsten Einzüge in das Recht. Ungeachtet dieser allgemeinen humanen Tendenz der deliktischen Grundnorm hat sich natürlich jede Beschäftigung mit der deliktischen Grundnorm an deren Tatbestandsmerkmalen zu orientieren – sie sind eben Indizien oder Symptome jener humanistischen Tendenz. Wir müssen also ‚das Leben‘, ‚den Körper‘, ‚die Gesundheit‘, ‚die Freiheit‘, ‚das Eigentum‘, ‚das sonstige Recht‘, als Indizien ‚der geschützten Rechtsgüter‘ durchprüfen […].“213
Entsprechend der obigen Darlegungen zum Persönlichkeitsrecht schützt § 823 Abs. 1 BGB kein subjektives Recht des Menschen an seiner Person, sondern Statusrechte der natürlichen Person.214 Diese genießen absolut wirkenden Schutz i. S. v. gegenüber jedermann bestehenden Anspruchsmöglichkeiten. Sie sind keine absoluten subjektiven Rechte, denen der Berechtigte im Modus der Inhaberschaft verbunden ist, sondern ein absolut geschützter Freiheitsbereich, der Teil des mit der Rechtsfähigkeit (§ 1 BGB) erlangten Personstatus jedes Menschen ist. § 823 Abs. 1 BGB kann unproblematisch daran anknüpfen, da dieser Freiheitsbereich aus Sicht des Deliktsrechts dieselbe Aufgabe wie ein subjektives Recht erfüllt: er indiziert die Rechtswidrigkeit.
2. Ausschlusswirkung und Zuweisungsgehalt sonstiger Rechte Das einzige konkrete subjektive Recht, das § 823 Abs. 1 BGB anführt, ist das Sacheigentum. Daneben treten aber „sonstige Rechte“ unter die zwei Arten von Rechten fallen, nämlich „weitere einzelne Persönlichkeitsrechte“ und „eigentumsähnliche Rechte“.215 Dieser Rahmen reicht über den Kreis absoluter Herrschaftsrechte hinaus (dazu sogleich). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wiederum wird zu den unten 216 zu behandelnden Rahmenrechten gezählt. Der Kreis der gängig aufgeführten sonstigen Rechte reicht weit und scheint teilweise nur bedingt mit dem Sacheigentum vergleichbar zu sein. Genannt werden: Die gesetzlichen Immaterialgüterrechte, 217 alle beschränkten dinglichen Sachenrechte (Pfandrecht, Nießbrauch etc.), nicht jedoch Pfandrechte an Forderungen; das Anwartschaftsrecht am Sacheigentum; die Vormerkung; der rechtmäßige Besitz; Aneignungsrechte wie etwa Jagdrecht oder Fischereirecht, Mitgliedschaftsrechte, Aktien, GmbH-Anteile und die besonders geregelten Persönlichkeitsrechte Namensrecht (§ 12 BGB), Firmenrecht (§ 17 HGB) sowie das Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG).218
Eine der klarsten Abgrenzungen zu den von § 823 Abs. 1 BGB geschützten sonstigen Rechten nennt Deutsch: 213
W. Becker, Das Recht der unerlaubten Handlungen, 329. Siehe oben § 11 B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. 215 Jauernig/Teichmann, § 823 Rn. 12. 216 Siehe unten II. 4. Rahmenrechte. 217 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 61; NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 76. 218 Siehe nur die Überblicke bei NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 63 ff.; Jauernig/Teichmann, § 823 Rn. 15 ff.; Larenz/Canaris, SchR II/2, 392. 214
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
Der Tatbestand sonstiger Rechte nehme „auf abgegrenzte, absolute Herrschaftsrechte Bezug. Die Begründung und Abgrenzung dieser Rechte hat durch Rechtsnormen an anderer Stelle zu erfolgen.“219 Er müsse „scharfe Kanten haben“, insoweit seien Sonderrechte wie der Sortenschutz oder Anwartschaftsrechte ausreichend, für ein „Recht am Unternehmen“ gebe es aber keine ausreichende Abgrenzung.220
Die Abgrenzung nimmt also auch schon besagte Rahmenrechte in den Blick. Vorliegend interessiert aber, weshalb § 823 Abs. 1 BGB die genannten Rechte dem deliktischen Schutz zuführt. Wie gesagt, sind sie auch ohne Deliktsschutz konstruierbar, nur eben entsprechend schwächer bewehrt. Bei den aufgezählten Rechten handelt es sich um vorbestehende, gesetzlich umrissene subjektivrechtliche Positionen. Die als „sonstige Rechte“ geschützten Positionen werden heute nach einhelliger Meinung restriktiv interpretiert, um einen generellen deliktischen Vermögensschutz zu vermeiden.221 Gängig fasst man hierunter nur „Positionen“, die „durch Zuweisungsgehalt und Ausschlussfunktion gekennzeichnet sind“.222 Nach dieser Lehre erhalten die erfassten Rechte keinen Zuweisungsgehalt durch deliktischen Schutz, sondern allenfalls drückt dieser aus, dass sie schon vorbestehend Zuweisungsgehalt hatten. Allerdings korrespondiert der Zuweisungsgehalt mit dem deliktischen Schutzumfang, der deliktische Schutz „prägt […] den Zuweisungsgehalt weiter aus“.223 Dem Deliktsrecht soll die Aufgabe zukommen, die kollidierenden Rechtskreise voneinander abzugrenzen.224 Bevor Ausschlusswirkung und Zuweisungsgehalt näher zu erforschen sind, stellt sich die Frage, was für den deliktischen Schutz dieser Positionen spricht. Deutsch bemerkt hierzu, es werde „durch diese in anderen Rechtsgebieten abgesteckten absoluten Rechte ein wesentlicher Teil des Interessengebiets einer Person gewährleistet“.225 Das beispielhaft angeführte Sacheigentum bezeichne insofern die „Gattung“, von der die sonstigen Rechte sein müssten.226
Der Gesetzgeber stellte in den Protokollen zum Deliktsrecht fest: „Der Rechtskreis des Einzelnen umfasse, so wurde hervorgehoben, zunächst seine eigentlichen Vermögensrechte, dingliche wie obligatorische, sodann aber auch seine sogen. Per219
Deutsch, JZ 1963, 385 (388 f.). Deutsch, JZ 1963, 385 (389). 221 NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 62; siehe auch oben A. I. 1. Funktion und Funktionsweise des Deliktsrechts. 222 Staudinger/Hager (2021), § 823 Rn. B 124; Larenz/Canaris, SchR II/2, 373 f.; Erman/ Wilhelmi, § 823 Rn. 35 („Eigentumsähnlichkeit des Rechts […] oder in Anknüpfung an die Zuweisungsgehaltslehre bei der Eingriffskondiktion […] eine Ausschließungsfunktion und sozialtypische Offenkundigkeit“); NK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 62. 223 RGRK/Steffen, § 823 Rn. 6. 224 Prot. II, 567 (das Deliktsrecht sei dazu bestimmt, „die Rechtskreise der Einzelnen innerhalb deren diese ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, von einander abzugrenzen“); RGRK/Steffen, § 823 Rn. 6; Peukert, Güterzuordnung, 248. 225 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 61. 226 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 61; ähnlich RGRK/Steffen, § 823 Rn. 26. 220
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten591
sönlichkeitsrechte […], welche durch das an Jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffes ebenso geschützt seien, wie die Rechte an Sachen.“227
Hierin liegt die allgemein geforderte Ausschlusswirkung, die charakteristisch für absolute Rechte ist. Die Protokolle verlangen aber zusätzlich, „… daß das Gesetz dem Einen im Interesse des Anderen gewisse Pflichten auferlege, ihm ein bestimmtes Verhalten gebiete oder verbiete. Dabei können jedoch nur solche Verbote und Gebote in Betracht kommen, welche darauf abzielen, die Interessen des Einen vor der Beeinträchtigung des Anderen zu bewahren, nicht dagegen die im Interesse der Gesammt heit auferlegten gesetzlichen Pflichten, welche, weil sie den Interessen Aller förderlich seien auch jedem irgendwie Betheiligten zu gute kommen.“228
Hieran dürfte der eben angesprochene Zuweisungsgehalt anknüpfen – an den exklusiven Schutz der Interessen des Einen durch entsprechende Pflichten des Anderen. Dafür sprechen auch andere vielzitierte Deutungen der Begriffe „Ausschlusswirkung“ und „Zuweisungsgehalt“: Larenz kennzeichnet die „Ausschlussfunktion Dritten gegenüber“, ausgehend von seiner Darstellung absoluter Herrschaftsrechte, als dem Berechtigten gewährte Herrschaftsmacht über einen Gegenstand: „soweit die dem Berechtigten zugewiesene Herrschaft reicht, sind eben dadurch alle anderen von der Einwirkung ausgeschlossen“.229 Zuweisung und Ausschluss liegen nah beieinander. In der späteren Fassung des Lehrbuchs lehnen Larenz/Canaris die Begriffe dann unmittelbar an die gängige Unterscheidung des § 903 BGB in eine positive, zuweisende und eine negative, ausschließende Seite an.230 – Daraus folgt aber nicht mehr, als dass Rechte erfasst sein sollen, die dem Sacheigentum in bestimmter Weise vergleichbar sind. Zuweisungsgehalt und Ausschlussfunktion werden nämlich nur insoweit abstrahiert, als der Berechtigte auch mit Leben, Körper und Gesundheit nach Belieben verfahren und andere ausschließen kann, insoweit entspreche die Zuweisung der des Sacheigentums.231 Der Vergleich schließt die Möglichkeit der rechtlichen Disposition über die Rechtsgüter also gerade nicht mit ein. Die deliktische Haftungsbegründung kann somit nur als schwaches Zeichen für einen positiven Kern absoluter Herrschaftsrechte gewertet werden – sie lässt monopolisierte Verbietungsrechte232 genügen. Insoweit unterscheidet sich der Schutz der Personalsphäre des Menschen nicht vom Schutz des Sacheigentums. Damit erklärt sich auch die große Vielfalt der sonstigen Rechte: Verkehrsfähigkeit (i. S. v. Verfügbarkeit) wird bei diesen Rechten nicht gefordert.
227
Prot. II, 568. Prot. II, 568. 229 Larenz, SchR II (1967), 408. 230 Larenz/Canaris, SchR II/2, 373 f. 231 Larenz/Canaris, SchR II/2, 373 f. 232 Siehe oben § 12 A. I. Benennung des Adressatenkreises – Monopolisiertes Verbietungsrecht und exklusives Dürfen. 228
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
3. Die Funktion subjektiver Rechte für die deliktische Haftung Dass die vorbestehenden, als sonstige Rechte geschützten subjektiven Rechte Zuweisungsgehalt und Ausschlussfunktion haben, beantwortet noch nicht die Frage, welche Funktion diese Rechte für das Deliktsrecht bei der Lösung seiner Kernaufgabe, i. e. dem Schadensausgleich außerhalb von Sonderverbindungen haben. Wie schon die konkurrierenden Lehren von Erfolgs- und Verhaltensunrecht gezeigt haben, ist die Funktion subjektiver Rechte für die deliktische Haftung streitig. Je nach Verständnis der Rechtswidrigkeit hängt diese mehr oder weniger vom Eingriff in subjektivrechtlich geschützte Güter ab.233 Es liegt nahe, dass die Lehre vom Handlungsunrecht den in § 823 Abs. 1 BGB genannten subjektiven Rechten eine dienende Funktion beimisst, sie sollen menschliche Verhaltenspflichten abgrenzen. Fezer stellt daher zutreffend fest, die Handlungsunrechtslehre sei „notwendig eine Theorie für ein Privatrecht ohne subjektive Rechte.“234 Er gibt dem Handlungsunrecht zwar zu, dass nur menschliches Verhalten rechtswidrig sein kann, wohl aber müsse das „Unwerturteil über ein menschliches Verhalten entweder aus der Qualität des Verhaltens oder der Qualität des Erfolges“ abgeleitet werden.235 Letztere Variante erfordere dann „eine personale Verrechtlichung sozialer Lebensbereiche“.236 Die Lehre vom Handlungsunrecht hingegen billige, selbst wenn sie eine Erfolgsbewertung einbeziehe, dem subjektiven Recht eine sehr untergeordnete Bedeutung, etwa als Zuordnung bestimmter Teile des objektiven Rechts zu Personen zu.237
Nur eine ältere Mindermeinung238 vertritt aber eine reine Lehre vom Handlungsunrecht, die aus dem Blickwinkel der heutigen Handhabung absoluter Herrschaftsrechte zudem überholt erscheint. Wie schon die EnforcementRL und ihre Umsetzung im deutschen Recht zeigen, wird das Deliktsrecht als zentrales Mittel der Durchsetzung von Immaterialgüterrechten verstanden. Ausgangspunkt deliktischer Haftung im Immaterialgüterrecht ist das verletzte Recht und nicht eine Verkehrs- oder Sorgfaltspflicht, deren Verletzung zu einem Schaden an einem geschützten Rechtsgut geführt hat. Fraglich ist nun, welche Funktion subjektive Rechte insofern einnehmen. Jansen legt dar, dass subjektive Rechte im Deliktsrecht – also der Sanktionierung verbotenen Verhaltens – allein für „Beeinträchtigungsverbote“ stünden, „die jedermann gegenüber dem Rechtsinhaber obliegen; einen darüber hinausgehenden normativen Gehalt haben sie nicht.“239 Historisch sei eher vom deliktischen Anspruch auf die subjektive Rechtsposition geschlossen worden, die Vorstellung eines subjektiven Rechts, das deliktisch bewehrt ist, sei also keineswegs selbstverständ233
Siehe oben A. I. 2. Erfolgs- und Handlungsunrecht. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 505. 235 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 504. 236 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 504. 237 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 505. 238 Siehe oben I. 2. Erfolgs- und Handlungsunrecht. 239 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 458. 234
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten593
lich, sondern eine eher moderne Entwicklung des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des BGB.240 Aus dem gemeinrechtlichen Konzept des subjektiven Rechts seien für die Entwicklung des Haftungsrechts vor allem zwei Elemente von Interesse: 1) die „Rechte als Gründe für etwas“, was insbesondere den Einbezug des Zwecks des Rechts in v. Jherings Verständnis subjektiver Rechte betrifft;241 seine Theorie habe „die konzeptuelle Grundlage für die rechtsgutsorientierte Formulierung und Fortbildung des Deliktsrechts geboten“, da sie den Gedanken ausdrücke, „ein Rechtsgut seinem Inhaber gerade auch wirtschaftlich vollständig zuzuweisen“.242 Darauf beruhe der „Gedanke eines subjektiven Rechts […] als ein Grund für einen effektiven (Rechts)güterschutz durch einzelne Ansprüche“, also der vom Gesetzgeber gewählte Schutz subjektiver Rechte in § 823 Abs. 1 BGB:243 „Es liegt im Begriffe eines solchen subjektiven Rechts, daß jeder Dritte es achten muß und nicht verletzen darf.“244
Damit korrespondiere 2) ein der Imperativentheorie entwachsenes Verständnis absoluter subjektiver Rechte, die nicht mehr (wie bei Thon) nur als Reflex privatrechtlicher Ansprüche, sondern als „Bündel von Verletzungsverboten, die jedermann gegenüber dem Inhaber des geschützten Rechtsguts obliegen“, verstanden worden seien. Dies sei ein für das Deliktsrecht geeignetes und nunmehr dem Erfolgsunrecht zugrunde liegendes Verständnis subjektiver Rechte.245 In diesem Lichte muss mit Jansen daher die Entwicklung des Verständnisses sonstiger Rechte verstanden werden, die entsprechend dort Schwierigkeiten aufgeworfen habe, wo ein „klar abgrenzbarer Schutzbereich“ fehlte, etwa beim Recht am Gewerbebetrieb.246 Subjektive Rechte wurden also in ihrer Funktion der Zuordnung von Gütern und damit verbundener Freiheitsbereiche maßgeblich für die deliktische Haftung. Fezer sieht die Funktion subjektiver Rechte im Deliktsrecht in der vorweggenommenen Unrechtsbewertung: „Die Begründung einer Rechts- oder Rechtsgutsverletzung bedarf der Anerkennung eines einheitlichen Rechtsprinzips. Notwendig ist eine Unrechtsbewertung in Übereinstimmung mit der Rechtsnatur der zu schützenden Lebensbereiche: dem subjektiven Privatrecht.“247
Die Anerkennung der deliktisch geschützten Rechtsgüter finde nicht in den deliktischen Schutznormen, sondern „außerhalb des Schadensersatzrechts“ statt.248 In § 823 Abs. 1 BGB komme dem subjektiven Recht dann „die Aufgabe zu, die 240
Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 458 ff. Dazu oben § 1 A. II. 2. Interessentheorie. 242 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 462 f. 243 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 463 f. 244 Mot. II, 726 = Mugd. II, 405. 245 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 465 f.; Siehe dazu auch § 1 A. III. 2. Verschiedene Auffassungen der Imperativentheorie. 246 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 467 f. 247 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 503. 248 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 498; Reinhardt, JZ 1961, 713 (715 f.). 241
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
ordnungskonstitutiven Teilhabebereiche der Person zur Bestimmung eines Ausschnitts denkbaren Unrechts zu instrumentalisieren.“249 „Ohne die Besinnung auf den Ordnungsgehalt der subjektiven Privatrechte“ bleibe „die Bestimmung des Unrechts im Deliktsrecht notwendig unvollkommen.“250 Fezer vertritt eine funktionale Theorie des subjektiven Rechts – subjektive Rechte sind hiernach nicht nur Ankerpunkte für deliktisches Unrecht, sondern begründen rechtlich herausgehobene Kreise innerhalb der allgemeinen Handlungsfreiheit, die für den Berechtigten über das Gut hinaus auch seine Handlungen mit dem Gut schützen. Es handele sich um eine „Subjektivierung eines sozialen Lebensbereichs“251 und das Deliktsrecht knüpfe an den „Inhalt der subjektiven Rechte“ an.252 Erfolgsunrecht dürfe daher nicht i. S. e. Erfolgsverursachungsverbots verstanden werden, sondern die Rechtswidrigkeit ergebe sich bereits aus dem Verstoß gegen fremde subjektive Rechte.253 Erfolgsunrecht müsse normativ verstanden werden, dann stelle sich der Eingriff in ein subjektives Recht (subjektivrechtliches Unrecht) als „Einbruch in den vom Gegenstand des Rechts vermittelten Freiheitsbereich der Person“ bzw. als „kulturwidrige und ordnungsstörende Freiheitsbeschränkung in einem bestimmten Lebensbereich einer Person“ dar.254 Nicht der Schnitt in den Arm oder die Zerstörung eines Glases als solche seien die Körper-/Eigentumsverletzungen, sondern „der Einbruch in die durch den Körper oder die Sache vermittelten Freiheitsbereiche“.255 Dies biete die Möglichkeit, Fernwirkungsschäden wie insbesondere Schockschäden anstelle einer Prüfung, ob diese „auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden“,256 danach zu beurteilen, ob „der von den Rechtsgütern Körper und Gesundheit vermittelte und nur insoweit bevorzugt geschützte Freiheitsbereich der Person […] die Abwehr solcher Verhaltensweisen Dritter umfaßt“.257 Beispiel: Die von der Lehre des Handlungsunrechts angeführte rechtmäßige Herstellung und Verbreitung gefährlicher Gegenstände wären folgerichtig dahin zu lösen, dass der subjektivrechtliche Freiheitsbereich des Verletzten nicht die Abwehr dieser Handlungen erfasst. Es gehört nicht zum subjektivrechtlichen Schutz von Körper, Leben und Gesundheit, dass Werkzeughersteller keine für Menschen gefährlichen Äxte produzieren dürfen oder Baumärkte den Verkauf von Hämmern unterlassen müssen, die als Waffe genutzt werden könnten.
Fezer bewegt sich damit in der Nähe der ebenfalls stark auf die eigenständige Bedeutung subjektiver Rechte gerichtete Lehre Reinhardts, auf die er auch verweist: 249
Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 495. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 498. 251 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 498. 252 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 520. 253 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 520 f. 254 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 556 f. 255 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 533. 256 BGHZ 56, 163 = NJW 1971, 1883 (1884). 257 Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 534. 250
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten595
Reinhardt vertritt, dass § 823 Abs. 1 BGB mit der genannten Entwicklung und ihren „völlig aufgelösten Vorstellungen vom subjektiven Recht […] aus den Angeln gehoben zu sein“ scheint.258 Seines Erachtens dienen die subjektivrechtlichen Positionen in § 823 Abs. 1 BGB „der Kennzeichnung bestimmter Bereiche, die dem einzelnen ausschließlich zugeordnet und daher fremder Disposition entzogen sind. […] Daher bedeutet jeder Einbruch in solche Schutzbereiche eine Störung der Ordnung des Rechts.“259
Das sog. „Erfolgsunwerturteil“ sei eine bloße „Konsequenz der Rechtsgüterzuordnung als solcher“ und enthalte noch keinen Vorwurf gegenüber dem Täter. Gegen solche Einbrüche stünden dem Berechtigten Ansprüche zu, mit denen er die zu seinen Gunsten getroffene Güterzuordnung aufrechterhalten könne. Das seien zum einen die allein vom objektiven Tatbestand ausgehenden negatorischen Ansprüche, die vom Störer lediglich eine Korrektur, nicht aber ein Vermögensopfer verlangten. Indes bedeuteten deliktische Ansprüche, „daß hier der unzulässige Einbruch in einen einer bestimmten Person zugeordneten Schutzbereich weiter zum Anlaß genommen wird, auch die Frage des Schadensausgleichs damit zu verknüpfen“.260
Die Ersatzpflicht beruhe auf einem näher bestimmten Verschulden, nämlich dem Eingriff in den subjektivrechtlich geschützten Bereich unter Verletzung der verkehrserforderlichen Sorgfalt. Um aber dem Täter falsches Handeln oder Unterlassen vorwerfen zu können, bedürfe es entsprechender Verhaltenspflichten, auf die sich die mangelnde Sorgfalt beziehen kann. Diese bestünden darin, sich so zu verhalten, daß die zugewiesenen „Rechtsschutzpositionen nicht tangiert werden“. Insgesamt trete die Schadensersatzverpflichtung also ein, „wenn die schadensstiftende Handlung, die als Schutzbereichverletzung ohne weiteres rechtswidrig war, nun darüber hinaus auch unter dem anderen auf das konkrete Täterverhalten bezogenen Wertungsgesichtspunkt als mangelhafte Befolgung der Pflicht, den Schutzbereich des anderen zu respektieren, mit einem Unwerturteil versehen wird“.261
Auf diese Weise zeigten sich zwischen §§ 823 Abs. 2, 826 BGB und § 823 Abs. 1 BGB deutliche Unterschiede in der Festlegung verhaltensbezogener Pflichten.262 Im Ergebnis ist das subjektive Recht funktional mit dem Deliktsrecht verbunden.263 Technisch wird diese Verbindung über die (gleich näher darzulegenden) 258 Dazu
Reinhardt, JZ 1961, 713 (714 f.). Reinhardt, JZ 1961, 713 (716). 260 Reinhardt, JZ 1961, 713 (716). 261 Reinhardt, JZ 1961, 713 (716). 262 Reinhardt, JZ 1961, 713 (716 f.). 263 Siehe etwa AK-BGB/Kohl, vor §§ 823 ff. Rn. 4 (die Freiheit eines Bürgers habe deliktisch nur dort eingeschränkt werden können, wo er die Freiheit anderer missbräuchlich einengte, was nur dann der Fall gewesen sei, wenn er zumindest hätte erkennen können, dass er „den einem fremden Willen durch absolute Rechte usw. zugewiesenen Herrschaftsraum verletzte“); Picker, 259
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
Funktionen des Haftungsrechts264 bewerkstelligt: Es findet seine deliktische Fortsetzung in der Kompensationsfunktion,265 diese ist eng verwandt mit der Präventionsfunktion, also dem Anreiz, Schadensersatzansprüche zu vermeiden, was bis hin zu pönalen Elementen reicht (Straffunktion).266
4. Rahmenrechte Auf die dogmatischen Besonderheiten der Rahmenrechte, als weitere Fälle sonstiger Rechte, wird in der Literatur nur selten näher eingegangen. Die beiden prominentesten Rechte sind das allgemeine Persönlichkeitsrecht267 und das Recht am Unternehmen bzw. am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.268 Vorliegend interessiert insofern, in welchem Verhältnis der deliktische Schutz zu einem davon unterschiedlichen subjektiven Recht steht bzw. ob es ein solches überhaupt gibt. Beide Rechte sind Rechtsfortbildungen extra legem. Besonders auffällig ist bei den Rahmenrechten daher, dass dort – im Gegensatz zu den vorbestehenden subjektiven Rechten – die „Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit regelmäßig zusammen[fallen], soweit nicht aus dem Rahmenrecht ein besonders abgegrenztes Recht ausgegliedert ist“.269
Das Recht am Gewerbebetrieb ist ein „Sondervermögensschutz für Unternehmen“, der durch die Formel vom direkten Eingriff bzw. der Betriebsbezogenheit und die Subsidiaritätsformel in Grenzen gehalten wird.270 Es bedarf einer „Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer“, d. h. die Rechtswidrigkeit ist nicht abstrakt vorgegeben.271 Ein dahinterstehendes subjektives „Recht am Unternehmen“ wurde früher zwar vertreten,272 wird inzwischen aber überwiegend und zutreffend abgeFS Medicus, 311 (316 ff.) (enges „Zusammenspiel“ von Rechtszuweisung durch subjektive Rechte und deliktischem Rechtsschutz). 264 Hager benennt diese Funktionen allerdings als solche des Deliktsrechts, Staudinger/Hager (2017), vor §§ 823 ff. Rn. 9. 265 Staudinger/Hager (2017), vor §§ 823 ff. Rn. 9 („Gedanke der Rechtsfortsetzung“). 266 Staudinger/Hager (2017), vor §§ 823 ff. Rn. 10 f. 267 Siehe nur BGHZ 13, 334 = NJW 1954, 1404 – Leserbrief; BGHZ 26, 349 = NJW 1958, 827 – Herrenreiter; BGHZ 128, 1 = NJW 1995, 861 – Caroline von Monaco; BGHZ 131, 332 = GRUR 1996, 923 – Caroline von Monaco II; BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich; BGHZ 181, 328 = NJW 2009, 2888 – spickmich.de. 268 Siehe nur BGHZ 29, 65 = NJW 1959, 479; BGHZ 59, 30 = NJW 1972, 1366; BGHZ 69, 128 = NJW 1977, 1875; BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141. 269 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 68. 270 Brüggemeier, Haftungsrecht – Struktur Prinzipien Schutzbereich, 362. 271 BGH NJW 2012, 2579 Rn. 27; Erman/Wilhelmi, § 823 Rn. 49. 272 Siehe nur RGZ 58, 24 (30) – Jutefaser („Annahme eines subjektiven Rechts [am] Betriebe“); BGHZ 24, 200 = GRUR 1957, 494 (496) – Spätheimkehrer (ein Geschäftsboykott gefährde „die in dem Geschäftsunternehmen verkörperten Werte“, weshalb ein entsprechender Aufruf „unmittelbar in die Interessen des Geschäftsinhabers“ eingreife); unklar Isay, Recht am Unternehmen, 23,
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lehnt.273 Die Erklärung als beschränkte Generalklausel 274 oder als eigentlich dem Sittenwidrigkeitsrecht oder § 823 Abs. 2 BGB bzw. dem Wettbewerbsrecht unterfallende Ausdifferenzierung verbotener Verhaltensweisen 275 überzeugt eher. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde oben eingehend untersucht. Im Ausgangspunkt ist es kein subjektives Recht, sondern ein Statusrecht. Es schützt den Personstatus und hat daher Verwandtschaft zu den die Personalsphäre des Menschen ausmachenden Rechtsgütern in § 823 Abs. 1 BGB.276 Für einige Bereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts haben sich inzwischen so feste Konturen ausgebildet, dass eine eingriffsbezogene Unrechtsbewertung naheliegt. Daher kann an die obige Aussage angeknüpft werden, dass in solchen Ausprägungen auch das Persönlichkeitsrecht dieselbe Aufgabe wie ein subjektives Recht erfüllt: es indiziert die Rechtswidrigkeit. Die Rahmenrechte bewegen sich daher grundsätzlich außerhalb der Logik subjektiver Rechte als Kriterien der Unrechtsbewertung. Ihr „Schutzbereich [ist] zu wenig konturiert, um die Indikation der Rechtswidrigkeit des Verhaltens tragen zu können“.277 Im Falle gefestigter Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die es den in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechtsgütern der Personalsphäre annähern, liegt dies aber anders.
5. Zwischenergebnis Für das Deliktsrecht liegt die Funktion subjektiver Rechte – als der Person zugeordneter Schutz- und Freiheitsbereiche – in der Vorwegnahme der Unrechtsbewertung durch die Annahme der Rechtswidrigkeit jeglichen Eingriffs, allerdings abgemildert durch eine vorangehende Bewertung der Reichweite des Schutzbereichs.278 Die Aufnahme in den Kreis sonstiger Rechte hingegen setzt zwar vorbestehende Rechte mit Ausschlusswirkung und Zuweisungsfunktion voraus, allerdings werden an diese Begriffe so niedrige Anforderungen gestellt, dass jegliches subjektive Recht mit absoluter Wirkung erfasst wird.279 41, 57 ff., siehe auch 77 ff. (Inhalt des Rechts am Unternehmen sei „die ungestörte Ausnutzung des Unternehmens“ als Immaterialgut; von der Rechtsnatur her handele es sich aber um ein „besitzartiges Recht“). 273 BVerfGE 24, 236 = NJW 1969, 31 (33); BGH NJW 1976, 753 (754) (kein Geschäftsmann habe „ein subjektives Recht auf die Erhaltung seines Geschäftsumfangs und die Sicherung weiterer Erwerbsmöglichkeiten“); v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (89 ff.) (verneint, unter anderem, „alle Merkmale sonstiger Herrschaftsrechte“); Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 611; Staudinger/Hager (2017) § 823 Rn. D 2; Erman/Wilhelmi, § 823 Rn. 49 (keine Eigentumsähnlichkeit); Sack, Das Recht am Gewerbebetrieb, 160 (kein Zuweisungsgehalt). 274 v. Caemmerer, FS DJT, Bd. 2, 49 (90 ff.). 275 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 614; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 366. 276 Siehe oben 1. Die Personalsphäre des Menschen; § 11 B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. 277 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 7. 278 Siehe oben 3. Die Funktion subjektiver Rechte für die deliktische Haftung. 279 Siehe oben 2. Ausschlusswirkung und Zuweisungsgehalt sonstiger Rechte.
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
Rahmenrechte wie das Recht am Gewerbebetrieb oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht weisen mangels vorbestehender Abgrenzung die Besonderheit auf, dass die Feststellung der Reichweite des Rechts mit der der Widerrechtlichkeit gewöhnlich zusammenfällt. Funktional nehmen sie daher eine andere Stellung ein, die der Ermittlung objektivrechtlicher Verhaltensnormen nähersteht. In verfestigten Ausprägungen kann insbesondere das Persönlichkeitsrecht funktional aber den in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgütern der Personalsphäre nahekommen und, wie diese, Unrecht indizieren.280
III. Zur Haftungsausfüllung bei der Verletzung absoluter Herrschaftsrechte Für die Unterscheidung von Stammrechten und Rechtsfolgenrechten muss i. R. d. Haftungsrechts nicht nur die Haftungsbegründung, sondern gerade auch die Haftungsausfüllung untersucht werden. Sie ist ähnlich maßgeblich für die Frage, was der Stammrechtsinhaber letztlich vom Schädiger verlangen kann. Das Deliktsrecht knüpft im hier interessierenden Punkt an den von subjektiven Rechten gesetzten Schutz- und Freiheitsbereich an, woraus ein Ersatzanspruch folgen kann (Haftungsbegründung). In welcher Art und Höhe Ersatz geschuldet ist, entscheidet hingegen die Haftungsausfüllung i. R. d. §§ 249 ff. BGB. Innerhalb der absoluten Herrschaftsrechte ist die dreifache Schadensberechnung ein zentrales Instrument der Haftungsausfüllung, das, wie zu zeigen sein wird, stark an die Güterzuweisung durch subjektive Rechte und dabei auch an deren „Zuweisungsgehalt“ anknüpft. Zunächst bedarf es aber eines kurzen Überblicks über die Funktionsweise der Haftungsausfüllung im allgemeinen Zivilrecht.
1. Ordnung der Haftungsausfüllung Im Mittelpunkt steht im Schadensrecht stets die Frage, welche Beeinträchtigung welcher Interessen von der Rechtsordnung als „ausgleichswürdig“ erachtet wird und welcher Ausgleich angemessen ist.281 Mangels außerrechtlicher Vorgaben 282 sind hierbei die verschiedenen Funktionen zu beachten, die den §§ 249 ff. BGB zugedacht sind. Dominierend ist der Ausgleichsgedanke. Er bezweckt, dem Geschädigten einen Ausgleich für erlittene Nachteile, also für Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter zu schaffen, ohne ihn zu bereichern (Bereicherungsverbot) oder einen Gewinn zuzuweisen.283
280
Siehe oben 1. Die Personalsphäre des Menschen; 4. Rahmenrechte. § 249 Rn. 17. 282 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 17. 283 Lange/Schiemann, Schadensersatz, 9 f.; Esser/Schmidt, SchR I/2, 178. A. A. wohl Bodewig/Wandtke, GRUR 2008, 220 (223) (eine „Überkompensation“ des Geschädigten sei nach geltendem Recht nicht ausgeschlossen). 281 MüKoBGB/Oetker,
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In welchem Maße eine Präventivfunktion besteht, ist umstritten.284 Sie ist zunächst von einer Pönalisierung i. S. v. Sühne/Vergeltung abzugrenzen.285 Eine solche pönale Funktion kommt der zivilrechtlichen Haftung in Deutschland nicht zu.286 Präventive Zielsetzungen dienen vielmehr der Verhaltenssteuerung, wofür es außerhalb des Deliktsrechts schon im deutschen Recht reichlich Vorbilder gibt.287 Haftungssubjekte werden durch gezielte Haftungsrisiken – nämlich durch die Koppelung des Schadensersatzumfangs an das erstrebte Maß an Prävention 288 – angehalten, durch Schadensvermeidung fremde Rechtsgüter zu schützen, also ihr Verhalten anzupassen.289 Nach diesem Verständnis ist das Gericht zum Zwecke von „spezifischen Steuerungs- und Sanktionszwecken […] zu gewissen anspruchsgrundlagenbezogenen Normativierungen des Schadensbegriffs“ und damit zu einer Durchbrechung des Ausgleichsprinzips befugt.290 Hierzu zählt die unten zu behandelnde dreifache Schadensberechnung.291 Noch weiter geht die Forderung, mit der Präventionsfunktion Schadensersatzansprüche auch dort zu begründen, „wo es an einem ohnehin ersatzfähigen Schaden fehlt“.292 Die Schadensberechnung erfolgt gem. §§ 249 ff. BGB grundsätzlich konkret,293 es muss die tatsächlich eingetretene Vermögensminderung bzw. der konkret entgangene Gewinn ermittelt werden.294 Die geschädigten und ersatzfähigen Rechtsgüter des Gläubigers sind im Wege der Naturalrestitution in den nach der hypothetischen Weiterentwicklung ohne das schädigende Ereignis bestehenden Zustand zu versetzen (Differenzhypothese).295 Dabei muss zwischen Restitution und Kompensation unterschieden werden. Ist eine Naturalrestitution unmöglich oder unzumutbar, tritt eine Kompensation nach § 251 BGB an ihre Stelle.296 284 Kritisch insbesondere Staudinger Eckpfeiler/Vieweg (2011), J. Rn. 13. Für eine Präventivfunktion Bitter, AcP 205 (2005), 743 (768); Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 164 ff.; Bodewig/Wandtke, GRUR 2008, 220 (221 f.) (Präventionszwecke des Schadensrechts seien anerkannt, aus ihrer Berücksichtigung solle „nicht gleich ein Strafcharakter der Sanktion abgeleitet werden“); für das Deliktsrecht MüKoBGB/Wagner, vor § 823 Rn. 45 ff. 285 Wagner, AcP 206 (2006), 352 (360 ff.). 286 Esser/Schmidt, SchR I/2, 169 ff. (für eine „Entideologisierung“ des Schadensrechts, 172); Soergel/Ekkenga/Kuntz, vor § 249 Rn. 31; Staudinger Eckpfeiler/Vieweg (2011), J. Rn. 13; MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 8; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 12 f. 287 Wagner, AcP 206 (2006), 352 (364 ff.). 288 Wagner, AcP 206 (2006), 352 (469 f.). 289 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 164 ff. 290 Soergel/Mertens (12. Aufl. 1990), vor § 249 Rn. 29; siehe auch Wagner, AcP 206 (2006), 352 (454 ff.). 291 Soergel/Mertens (12. Aufl. 1990), vor § 249 Rn. 29; § 249 Rn. 139; Kochendörfer, ZUM 2009, 389 (392 f.). 292 MüKoBGB/Wagner, vor § 823 Rn. 45. 293 Grüneberg/Grüneberg, vor § 249 Rn. 21. 294 BeckOK BGB/J. W. Flume, § 249 Rn. 37 ff. 295 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 18. 296 Die Restitution, mit dem Ziel einer Totalreparation des Integritätsinteresses auf Seiten des Geschädigten, ist in § 249 BGB geregelt und zerfällt in die Herstellung in natura (Abs. 1) und den Ersatz des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrages (Abs. 2), vgl. BeckOK BGB/J. W. Flume, § 249 Rn. 1 ff. § 251 Abs. 1 und 2 BGB schließen sich gegenseitig aus und können unter den jewei-
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In wenigen, gesetzlich vorgeschriebenen Fällen ist eine pauschale Berechnung zulässig, die durch verbindliche Vorgaben wie in §§ 288, 291 oder 849 BGB fixiert sein kann (abstrakt-normative Berechnung).297 Auch eine abstrakte Haftungsausfüllung enthält (jedenfalls theoretisch) kein wertendes Element. Der auf den ersten Blick für den Ersatz zugewiesener Erträge geeignete § 252 S. 2 BGB gewährt hingegen keine abstrakte Schadensberechnung. Er enthält keine materiellrechtliche Bestimmung, sondern gibt dem Geschädigten nach h. M.298 lediglich eine Beweiserleichterung an die Hand. Sie soll den Schwierigkeiten eines exakten Nachweises künftiger Entwicklungen beikommen.299 Demnach bedarf es nicht der „vollen Gewissheit“, dass der Vermögenszuwachs eingetreten wäre; ausreichend ist „der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit, die nicht schon beim Eintritt des zum Ersatz verpflichtenden Umstandes bestanden zu haben braucht“.300 Basis dieser Wahrscheinlichkeit ist die „durchschnittliche Gewinnträchtigkeit im jeweiligen Bereich“,301 für die es auf die „Marktgängigkeit“302 der betroffenen Ware ankommt.
2. Die Schutzzwecklehre Zur Bestimmung des Ersatzes ist i. R. d. Differenzhypothese die Vermögenslage entscheidend, die als Soll-Zustand ohne das schädigende Ereignis bestünde. An dieser Stelle böte sich eigentlich der Rückgriff auf das subjektive Recht als Maßstab an. Dieses könnte neben der Bestimmung rechtswidriger Handlungen auch Auskunft darüber geben, welcher Vermögenszustand der rechtmäßige wäre. In diese Bestimmung spielen aber originär haftungsrechtliche Instrumente hinein, die als Ausprägungen eigener Zwecke von Rechtsfolgenrechten gelten dürfen. Haftungsnormen verfolgen eigene Schutzzwecke, mit denen über die bekannten Mechanismen der Zurechnung (Äquivalenz und Adäquanz) hinaus haftungsrechtlich bestimmt wird, welche Schäden an subjektivrechtlich geschützten Rechtsgütern in welchem Umfang ersetzt werden (dazu sogleich). Ausgangspunkt dieser Schutzzwecke sind wiederum die geschützten Interessen, die eine Haftungsnorm schützen soll.
ligen Voraussetzungen an die Stelle der Naturalrestitution (gleich ob nach § 249 Abs. 1 oder 2 BGB) treten, BeckOK BGB/Schubert (39. Aufl. 2011), § 251 Rn. 2 f. 297 Grüneberg/Grüneberg, vor § 249 Rn. 22 f.; Esser/Schmidt, SchR I/2, 217; teils a. A. BeckOK BGB/Schubert (39. Ed. 2011), § 249 Rn. 14, der § 252 S. 2 BGB nur als Beweiserleichterung des konkreten Schadens auffasst. 298 BGHZ 29, 393 (397 f.); BGHZ 74, 221 (224 f.); BGHZ 126, 305 (308); BGH NJW 2005, 3348 (3348); MüKoBGB/Oetker, § 252 Rn. 31; Staudinger/Schiemann (2017), § 252 Rn. 5; Grüneberg/ Grüneberg, § 252 Rn. 4; Esser/Schmidt, SchR I/2, 212 f.; a. A. Steindorff, AcP 158, 431 (434, 462); Staudinger/Höpfner (2021), § 252 Rn. 4 f. 299 Staudinger/Schiemann (2017), § 252 Rn. 5. 300 BGHZ 29, 393 = NJW 1959, 1079. 301 Esser/Schmidt, SchR I/2, 213. 302 BGHZ 126, 305 = NJW 1994, 2478 (2478 f.).
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a) Integritätsinteresse als deliktisch geschütztes Interesse Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen schadensrechtlich geschützten Interessen (Erfüllungs-, Vertrauens- und Integritätsinteresse) gibt an, „welches Verhalten als zum Schadensersatz verpflichtend angesehen werden soll“,303 also worin der Gesetzgeber „das schädigende Ereignis“,304 d. h. „den zum Ersatz verpflichtenden Umstand“305 erblickt. Sie geht „nicht auf normative […] Festlegungen des zu ersetzenden Schadens“ zurück.306 Berechnungsgrundlage für den Soll-Zustand ist im Vertragsrecht das Erfüllungsinteresse (positives Interesse/Nichterfüllungsinteresse), bei bloßem Vertrauensschutz das Vertrauensinteresse (z. B. §§ 122 oder 179 Abs. 2 BGB) und im Falle einer unerlaubten Handlung das Integritätsinteresse (Erhaltungsinteresse).307 Der zum Ersatz verpflichtende Umstand liegt beim Vertrag nämlich im Ausbleiben der Erfüllung und beim Vertrauensschutz in der Setzung eines unzutreffenden Vertrauenstatbestandes.308 Etwas ambivalenter ist der Begriff des negativen Interesses. Nach richtiger Ansicht liegt dessen Gemeinsamkeit mit dem Integritätsinteresse in dem Interesse, das jemand an der Wahrung des bisherigen Bestands seiner Rechte und Rechtsgüter (einschließlich immaterieller Güter) hat.309 Im Gegensatz zum negativen Interesse umfasst das Integritätsinteresse aber keine Vermögensdispositionen, die der Betroffene in Erwartung eines Vertrages getroffen oder unterlassen hat. Ähnlich zieht Keuk die Grenze zwischen deliktischem und negativem vertraglichen Schutzinteresse. Für Delikt und vertragliche Schutzpflichten benennt sie „das Interesse an der Vermeidung der Beeinträchtigung eines vorhandenen Rechtsgutes“.310 Dennoch kann das deliktisch geschützte Integritäts-/Erhaltungsinteresse im Einzelfall als Konsequenz der Differenzhypothese mit dem Erfüllungsinteresse gleichziehen, etwa wenn der Geschädigte „ohne die für den Abschluss des Vertrags ursächliche Täuschungshandlung einen anderen günstigeren oder gleich günstigen Vertrag – mit seinem Vertragspartner oder einem Dritten – abgeschlossen hätte“.311 Für deliktische Ansprüche ist die Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts zugrunde zu legen,312 weshalb die hypothetische Vermögenslage die ist, die bei 303
Möller, Summen- und Einzelschaden, 66. Mertens, Begriff des Vermögensschadens, 121 f. (dort Fn. 5). 305 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 IV 2. (64). 306 Mertens, Begriff des Vermögensschadens, 121 f. (dort Fn. 5). 307 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 V 5. (70). 308 Entsprechend ist Vergleichsbasis die Vermögenslage bei korrekter Erfüllung bzw. dass der Geschädigte nicht mit dem Vertrauenstatbestand konfrontiert wurde, Mertens, Begriff des Vermögensschadens, 122 f., dort Fn. 5; siehe auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 IV 2. (64). 309 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 V 5. (70). 310 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 110, 157 f. 311 BGH NJW 2012, 601 Rn. 9 f. (der Anspruch richte sich auf das „Erhaltungsinteresse“); Grüneberg/Sprau, vor § 823 Rn. 24; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 2 IV 4. (67). 312 Entsprechend suchen die das Unrecht abgrenzenden Normen „die Normadressaten durch Androhung von Sanktionen für den Fall des Normverstoßes zu einem normgerechten Verhalten 304
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seiner Unversehrtheit bestünde.313 Zu ersetzen ist am Ende stets der gesamte darauf „zurückführbare Schaden“ (Totalreparation), gleichgültig, welches Interesse verletzt wurde.314
b) Schutzzweck der Haftungsnormen In der Haftungsausfüllung wird schließlich auf Basis dieser Erkenntnisse und anhand der haftungsausfüllenden Normen315 entschieden, welcher Ersatz zu leisten ist. Die Haftungsausfüllung wird durch den Schutzzweck der Haftungsbegründung determiniert, da die mit der verletzten, haftungsbegründenden Norm geschützten Interessen über die bei der Differenzmethode zugrunde zu legenden Vermögenslagen bestimmen.316 Die Schutzzwecklehre ist ein originär haftungsrechtlich wertender Faktor. Sie gilt allgemein im Haftungsrecht, also auch für vertragliche Haftungen oder die c. i.c.317 und greift sowohl in den Schritten der Haftungsbegründung als auch in der Haftungsausfüllung.318 Neben dem „abstrakten Normzweck“ der Haftungstatbestände konkretisiert sie „die Zusammenhänge zwischen der im Einzelfall verletzten Verhaltenspflicht, der dadurch herbeigeführten Gefahrenlage und dem eingetretenen schädlichen Erfolg.“319
Im Deliktsrecht präzisiert sie den Tatbestand in Ansehung der streitigen Handlung – dem Schädiger sind Schäden nur insoweit zuzurechnen, wie sie „sich als Verwirklichung der Gefahr darstellen, wegen der der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten untersagt hat“.320 Unter dem Gesichtspunkt der Schutzzwecklehre steht im Zentrum der Haftungsbegründung also weniger die Frage, ob dieses oder jenes Gut Gegenstand deliktischen Schutzes ist,321 sondern eher, ob das betreffende deliktisch geschützte zu bewegen“. Sie sind „eine verbindliche Richtschnur für die staatlichen Organe, ob das Verhalten zugelassen werden darf oder zu unterbinden ist“, Stoll, AcP 162 (1963), 203 (209 f.). 313 Vgl. Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 110. 314 Mertens, Begriff des Vermögensschadens, 122 f. (dort Fn. 5). So wohl auch Jahr, AcP 183, 725 (757), der dafür eintritt, dass in allen Fällen haftungsbegründender Zerstörung oder zeitweiliger Entziehung der Nutzung der entzogene Wert zu ersetzen ist. 315 Im allgemeinen Zivilrecht sind das die §§ 249 ff. BGB sowie einige Spezialvorschriften, insbesondere solche der abstrakten Schadensberechnung (z. B. §§ 288, 849 BGB), siehe oben 1. Ordnung der Haftungsausfüllung. 316 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 5; Staudinger/Schiemann (2017), § 249 Rn. 27 ff. Anschaulich spricht Keuk in diesem Zusammenhang vom „Ziel des Schadensersatzanspruchs“, Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 189 f. 317 NK-BGB/Magnus, vor §§ 249–255 Rn. 69. 318 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 IX. 1., 3. (101 f., 103 f.); NK-BGB/Magnus, vor §§ 249 ff. Rn. 69. 319 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 IX 7. (113). 320 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 120 f. 321 In bestimmten Fällen kann die Schutzzwecklehre aber auch dazu dienen, die von einer Verhaltenspflicht geschützten Rechtsgüter zu ermitteln, dabei geht es i. R. d. § 823 Abs. 1 BGB aber nicht um eine Erweiterung der erfassten Rechtsgüter, sondern nur um eine Konkretisierung der Verhaltenspflicht, vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 IX 7. (113, 115).
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Gut Schutz gegen dieses oder jenes Verhalten genießt.322 Insoweit ist die Schutzzwecklehre nur schwach rechtguts- und stark verhaltensbezogen. Zum typischen Anwendungsbereich gehören im Deliktrecht daher vor allem Verkehrssicherungspflichten,323 Gefährdungshaftung und Schutzgesetze324. In der Haftungsausfüllung wiederum kann bei feststehender Haftungsbegründung zweifelhaft sein, welche Folgen der Rechtsgutsverletzung vom Schutzzweck der haftungsbegründenden Norm gedeckt sind. Daher wird hier für den Umfang der Ersatzpflicht aus dem Schutzzweck gefolgert, „welche Schäden die verletzte Pflicht oder Norm gerade zu vermeiden intendiert“.325 Ein Beispiel für abgelehnte Schadensfolgen sind Rentenneurosen des Opfers;326 zu den diskutierten Grenzfällen zählen Schockreaktionen und andere durch eine Unfallnachricht erlittene psychische Störungen von Angehörigen.327
c) Folgerungen Schon die Schutzzwecklehre zeigt, dass die Haftungsausfüllung nur mittelbare Aussagen über das verletzte subjektive Recht zulässt; sie trägt starke eigene Wertungen in sich, die keinen direkten Zusammenhang zum jeweils verletzten subjektiven Recht haben. Genauso wenig ist ein bestimmter Schadensersatzanspruch Bestandteil eines subjektiven Rechts. Der Anspruch, d. h. die jeweilige Restitution oder Kompensation, ergibt sich auf den gezeigten verschlungenen Pfaden, die mitunter schon jeweils für sich einen Haftungsausschluss beinhalten können. Dass z. B. für die Zerstörung eines in monatelanger Arbeit gefertigten Buddelschiffs nur minimaler Schadensersatz verlangt werden kann, ist keine Wirkung des verletzten Eigentumsrechts, sondern Konsequenz der Grundentscheidung gegen den Ersatz immaterieller Schäden.
Für den deliktischen Schutz subjektiver Rechte kann die Schutzzwecklehre also eine starke Eigendynamik des Haftungsrechts gegenüber der Abmessung der vom subjektiven Recht getroffenen Zuweisung erzeugen. Sie räumt nämlich dem Schutzzweck der Haftungsnormen ihren Platz ein, wohingegen der Schutzzweck der subjektiven Rechte eher der Abgrenzung des gegen Eingriffe geschützten Bereichs des Stammrechtsinhabers dient. 322 Larenz/Canaris, SchR II/2, 362 (verweisen beispielhaft auf die Fotografie von Sachen als mögliche Verletzung des Sacheigentumsrechts). 323 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 507 (die Schutzzwecklehre habe in der Haftungsbegründung für die Verletzung von Sorgfaltspflichten die „Funktion […], das Erfordernis des Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen Sorgfaltspflichtverstoß und Rechtsgutsverletzung zu erfassen“); siehe zur Haftungsausfüllung MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 120 ff. 324 Wagner, Deliktsrecht, Kap. 5, Rn. 91 f.; NK-BGB/Magnus, vor §§ 249 ff. Rn. 69. 325 NK-BGB/Magnus, vor §§ 249 ff. Rn. 68. 326 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 190. 327 Dazu MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 151, 189 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 IX 7. (115).
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Die Schutzzwecklehre ist damit ein wichtiger Grund dafür, dass das Anerkenntnis deliktischer Haftung für die Verletzung bestimmter subjektiver Rechte zu keiner automatischen Fortsetzung des subjektiven Rechts auf deliktischer Ebene führt. Dieser Umstand muss bei weiteren Erkenntnissen zur Haftungsausfüllung berücksichtigt werden – Folgerungen zur Natur oder dem Aufbau subjektiver Rechte können daraus nur mit großer Vorsicht abgeleitet werden.
3. Speziell: Die dreifache Schadensberechnung Ein für absolute Herrschaftsrechte besonders relevantes Spezialgebiet der Haftungsausfüllung, das der Natur immaterieller Güter durch präventiv wirkende Maßnahmen Rechnung trägt und so Steuerungsfunktionen übernimmt, ist die dreifache Schadensberechnung.328 Hieran soll untersucht werden, inwieweit sich ein positiver Gehalt absoluter Herrschaftsrechte haftungsrechtlich niederschlägt.
a) Dreifache Schadensberechnung in der deutschen Lehre und Rechtsprechung Die dreifache Schadensberechnung ist eine (vermeintliche) Unterform der abstrakten Haftungsausfüllung, es handelt sich dem BGH zufolge um „verschiedene Liquidationsformen eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs und nicht um verschiedene Ansprüche mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen“,329 sie dienten dem Ausgleich dafür, „daß der Verletzer durch die unerlaubte Benutzung des Schutzrechts einen geldwerten Vermögensvorteil erlangt hat“.330 Der Gläubiger kann zwischen dem konkreten Schaden, einschließlich des Gewinnentgangs (i. S. d. §§ 249 ff. BGB); einer angemessenen (fiktiven) Lizenzgebühr und der Herausgabe des Verletzergewinns wählen.331 Die dreifache Schadensberechnung wurde zunächst auf „gewohnheitsrechtlicher“332 Rechtsgrundlage zugestanden, ist nunmehr aber in Umsetzung der EnforcementRL für die gesetzlichen Immaterialgüterrechte harmonisiert.333 Im Lauterkeitsrecht und im allgemeinen Zivilrecht findet sie nur ausschnittsweise Anwendung – in ersterem für nach §§ 3 328 Vgl. Wagner, AcP 206 (2006), 352 (373 ff.) (kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass die dreifache Schadensberechnung allenfalls in Form der vom BGH praktizierten Gewinnabschöpfung abschreckend wirke, während die Abschreckung in der EnforcementRL „verniedlicht“ worden sei). 329 BGH GRUR 1993, 55 (57) – Tchibo/Rolex II. 330 BGHZ 77, 16 (25) – Tolbutamid; bestätigt in BGHZ 82, 310 (321 f.) – Fersenabstützvorrichtung. 331 Siehe nur Köhler, NJW 1992, 1477 (1479); Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 30 Rn. 21 ff. Die wohl ausführlichsten Darstellungen bieten Dreier, Kompensation und Prävention, 256 ff. und Raue, Die dreifache Schadensberechnung, passim. 332 BGH NJW 1980, 2522 (2524) – Tolbutamid; BGH NJW 1982, 1151 (1153) – Fersenabstützvorrichtung. 333 Vgl. § 97 Abs. 2 UrhG; § 139 Abs. 2 PatG; §§ 14 Abs. 6, 3, 15 Abs. 5 MarkenG; § 24 Abs. 2 GebrMG; § 42 Abs. 2, 3 DesignG; § 37 Abs. 2 SortenSchG; § 9 Abs. 1 HalbleiterschutzG i. V. m. § 24 Abs. 2 GebrMG; vgl. BT-Drucks. 16/8783 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums [BT-Drucks. 16/5048]).
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Abs. 1, 4 Nr. 3 UWG geschützte Leistungen334 sowie für Geschäftsgeheimnisse und Vorlagen (§ 10 GeschGehG enthält eine den gesetzlichen Immaterialgüterrechten entsprechende dreifache Schadensberechnung). Im Zivilrecht greift sie bei Verletzung vermögensrechtlicher Bestandteile des Persönlichkeitsrechts sowie von Namensrechten.335 Bis zum Ende der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheprozess ist dem Gläubiger der Wechsel zwischen den Berechnungsformen gestattet.336 Dass die drei Berechnungsmethoden der dreifachen Schadensberechnung zum gleichen Ergebnis kommen, ist nämlich die Ausnahme. Andernfalls bestünde ein Bedürfnis nach besagtem Wechsel nur bei tatsächlichen Berechnungsproblemen, nicht aber bei günstigeren337 Ergebnissen der anderen Methoden.
b) Kritik unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten Die dreifache Schadensberechnung steht seit jeher in der Kritik, mit den oben genannten Funktionen des Haftungsrechts338 zu brechen, was hier nur kurz zu rekapitulieren ist. Die (schadensrechtliche) Herausgabe des Verletzergewinns soll den Gewinnrückgang des Verletzten und nicht die entgangene Lizenzeinnahme kompensieren.339 Schon wenn der Verletzergewinn die Lizenzgebühr übersteigt, wird man ihn als Summe der fiktiven Lizenz und des aus dieser gezogenen Reingewinns betrachten müssen.340 Eine fiktive Lizenz impliziert aber, dass der Lizenznehmer den damit erzielten Gewinn behalten darf, er also nicht herausverlangt werden kann; entsprechendes gilt für das Verlustrisiko.341 Eine betragsmäßige Gleichsetzung des Gewinnrückgangs (i. e. des entgangenen Gewinns i. S. d. § 252 BGB) mit dem Verletzergewinn ist wiederum allenfalls in Einzelfällen sachgerecht.342 So stellen sich bei einem erfolgreichen Verletzer die fiktive Lizenz334 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, § 9 Rn. 1.36b; Ohly befürwortet darüber hinaus die Anwendung auf die kennzeichenrechtsnahen Tatbestände zum Schutz des guten Geschäftsrufs, Ohly, GRUR 2007, 926 (932 ff.) (Lizenzanalogie unter Aufdeckung von Beweisnot und präventiven Überlegungen, Gewinnabschöpfung nur bei Rufausbeutung); Ohly/Sosnitza/ Ohly, UWG, § 9 Rn. 14 ff.; a. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, § 9 Rn. 1.36b. Kritisch (insbesondere hinsichtlich § 4 Nr. 9 UWG 2004) angesichts des von ihm vertretenen Gleichrangprinzips im Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht, Köhler, GRUR 2007, 548, Rz. 52 ff. 335 BGH GRUR 2000, 715 mit Anm. Wagner – Der blaue Engel; BGHZ 60, 349 = GRUR 1973, 375 (376 f.) – Miss Petite; BeckOK UWG/Eichelberger, § 9 Rn. 89; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, § 9 Rn. 1.36a; Erman/Klass, Anh. § 12 Rn. 309 f. 336 BGH NJW 1966, 823 (826) – Meßmer Tee II; BGH GRUR 1993, 55 (57) – Tchibo/Rolex II; Köhler, NJW 1992, 1477 (1479). 337 BGH GRUR 1962, 509 (512) – Dia-Rähmchen. 338 Siehe oben 1. Ordnung der Haftungsausfüllung. 339 Dreier, Kompensation und Prävention, 275 (dort Fn. 150). 340 Vgl. Dreier, Kompensation und Prävention, 289 (dort auch Fn. 212). 341 So wohl Dreier, Kompensation und Prävention, 289. 342 Eingehend Dreier, Kompensation und Prävention, 276, 291 f. A. A. BGH GRUR 1995, 349 (351) – Objektive Schadensberechnung (m. w. N.): Nach der Lebenserfahrung könne normalerweise davon ausgegangen werden, dass dem Verletzten dem Verletzergewinn entsprechende eigene Geschäfte (und daraus resultierende Gewinnmöglichkeiten) entgangen seien.
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gebühr, der aggregierte Verletzergewinn und der entgangene Gewinn des Verletzten in aller Regel als unterschiedliche Beträge dar, die mal niedriger, häufiger aber wohl höher als der tatsächliche Schaden sein und damit das Bereicherungsverbot verletzen können.343 Verglichen mit § 252 BGB stellt die dreifache Schadensberechnung den Gläubiger also erheblich besser, da sie eine echte abstrakte Berechnung zulässt. Die dreifache Schadensberechnung hat in der deutschen Rechtsprechung einen pönalisierenden (sanktionierenden) Charakter,344 den der BGH auch klar benennt, wenn er in diesem Kontext feststellt: „Das Schadensersatzrecht sanktioniert und gleicht aus“345. Dies gilt erst recht, wenn über die dreifache Schadensberechnung hinaus in Einzelfällen (GEMA)346 eine nicht auf der konkreten Verletzung beruhende Erhöhung der Lizenzgebühr zugesprochen wird.347 Wie gesagt liegt in der dreifachen Schadensberechnung eine Durchbrechung des schadensrechtlichen Ausgleichsprinzips, die aber zugunsten normativer Wertungen nicht völlig ausgeschlossen ist.348 Sie bedarf jedoch „in jedem Fall näherer Begründung und einer möglichst exakten Festlegung ihres Anwendungsbereichs“.349 Vom BGH angeführt werden insofern die leichte Verletzbarkeit immaterialgüterrechtlicher Positionen, die schwere Nachweisbarkeit von Vermögensschäden und insbesondere gebiete die Billigkeit, dass der schuldhaft Handelnde nicht besser gestellt wird als der ehrliche Lizenznehmer.350 Daher hängt die Lizenzberechnung – so wie 343 Vgl. Dreier, Kompensation und Prävention, 288; Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III 2. (10). 344 BGH NJW 1977, 1194 (1194) – Kunststoffhohlprofil I; BGH NJW 2001, 2173 (2174) – Gemeinkostenanteil; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XII 3. (359); Köhler/Bornkamm/ Feddersen/Köhler, UWG, § 9 Rn. 1.41; Loewenheim ZHR 135 (1971), 97 (122); v. Caemmerer, FS Rabel, Bd. 1, 333 (360) bezeichnet die Gewinnherausgabe als „eine besondere Sanktion für deliktischen Eingriff in fremdes Recht“ [Hervorh. im Original]. A. A. Bodewig/Wandtke, GRUR 2008, 220 (225), die ihre Argumentation gerade auf die „dogmatische Gretchenfrage“ stützen, „ob die Erhöhung der Lizenzgebühr durch die Brille der Pönal- oder Ausgleichsfunktion“ zu sehen ist. 345 BGH NJW 1977, 1194 (1194) – Kunststoffhohlprofil I; BGH NJW 2001, 2173 (2174) – Gemeinkostenanteil („Sanktionierung des schädigenden Verhaltens“). 346 Grundlegend BGH GRUR 1955, 549 (552) – Betriebsveranstaltungen; eingehend BGH GRUR 1973, 379 ff. – Doppelte Tarifgebühr; dazu Wagner, AcP 206 (2006), 352 (376 ff.). 347 Esser/Schmidt, SchR I/2, 217 f.; Loewenheim, JZ 1972, 12 (15); ders., JZ 1973, 792 (793) („Privatstrafrecht“); Ohly, GRUR 2007, 926 (929) (der Präventionszweck werde „verschämt hinter dem Gesichtspunkt der Kosten des Kontrollapparats verborgen“). Der Gesetzgeber spricht von einem „pauschalen Kontrollzuschlag“, BT-Drucks. 16/5048, 48 (Begr. Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums v. 7. 7. 2008). Anders Bodewig/ Wandtke, GRUR 2008, 220 (222), die BGH-Begründung sei „dogmatisch zweifelhaft“, der eigentliche Grund für die doppelte Lizenzgebühr liege „im Ausgleich für den Eingriff in eine vermögenswerte Rechtsposition, die sich der Verletzer anmaßt“ (228). 348 Siehe oben 1. Ordnung der Haftungsausfüllung. Siehe auch Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 557 (auf Billigkeitskriterien beruhende Rechtsfortbildung unter „Überschreitung der Grenzen, die dem Schadensersatzanspruch der Regel nach gezogen sind“). 349 Soergel/Mertens (12. Aufl. 1990), vor § 249 Rn. 29. 350 Vgl. BGHZ 20, 345 = GRUR 1956, 427 (429) – Paul Dahlke; BGH NJW 1966, 823 (825) – Meßmer Tee II; BGH NJW 1972, 102 (103) – Wandsteckdose II; BGH NJW 1973, 800 (802) – Modeneuheiten; BGH NJW 1980, 2522 (2524) – Tolbutamid; Köhler, NJW 1992, 1477 (1479);
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bei einer „ordnungsgemäß erteilten Erlaubnis“ – auch nicht vom wirtschaftlichen Erfolg der Verletzung ab.351 Die deutsche Rechtfertigung des überkompensatorischen Ersatzes beruht also wesentlich auf Billigkeitsgesichtspunkten.
c) Umsetzung der EnforcementRL Die EnforcementRL zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums bleibt hinter dem gerade gezeigten deutschen Verständnis dreifacher Schadensberechnung zurück. Sie verlangt lediglich den Ausgleich des „tatsächlichen Schadens“ durch „angemessenen Schadensersatz“ und bietet dafür nur zwei Schadensberechnungsmethoden an, eine konkrete Schadensberechnung unter Berücksichtigung (also nicht Herausgabe)352 unter anderem „der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei“ (Art. 13 Abs. 1 lit. a EnforcementRL) und eine pauschalierte Berechnung anhand der Lizenzanalogie (Art. 13 Abs. 1 lit. b EnforcementRL).353 Eine Gewinnherausgabe i. S. d. deutschen Rechtsprechung sieht sie nicht vor. Sie gestattet den Mitgliedsstaaten aber einen Gewinnabschöpfungsanspruch für schuldlose Verletzungen (Art. 13 Abs. 2 EnforcementRL).354 Der deutsche Gesetzgeber knüpfte bei der Umsetzung der EnforcementRL an die deutsche Rechtsprechung und damit an ihre Argumentation an und ging dabei weiterhin vom schadensrechtlichen Ausgleichsprinzip aus, das er angesichts der immaterialgüterrechtstypischen Nachweisschwierigkeiten durch die dreifache Schadensberechnung offenbar nur stützen wollte. Das eigentlich tragende Billigkeitsargument fehlt: Begründet werde die dreifache Schadensberechnung „vor allem damit, dass der Geschädigte in der Regel den entgangenen Gewinn nicht nachweisen kann, da sich der hypothetische Geschehensablauf nicht ohne Weiteres rekonstruieren lässt. Ein halbwegs sicherer Anhaltspunkt ergibt sich jedoch daraus, dass die geschützten Rechte auch im Wege der Lizenzvergabe gegen Vergütung genutzt werden können und sich aus dieser Sicht die vom Verletzer ersparte Lizenz als entgangener Gewinn des Rechtsinhabers darstellt. Ferner kann auf Grund des Ausschließlichkeitscharakters des Immaterialgüterrechts davon ausgegangen werden, dass der Rechtsinhaber bei einer eigenen Verwertung seiner Rechte den Gewinn erzielt hätte, den der Verletzer durch die Nutzung des fremden Rechts erzielt hat.“355
Der europäische Gesetzgeber verlangt ausdrücklich keinen Strafschadensersatz (ErwG. 26),356 wobei die Richtlinienumsetzung aber zugleich „abschreckend“ erOhly/Sosnitza/Ohly, UWG, § 9 Rn. 14. Kritisch z. B. Bötticher, AcP 158 (1959), 385 (409) („Überdehnung der Gleichbehandlung“); Haines, NJW 1972, 482 (482 f.). 351 BGH GRUR 1990, 353 (355) – Raubkopien; BGH GRUR 1990, 1008 (1009) – Lizenzanalogie. 352 Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 96. 353 Zum Ganzen Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 93 ff. 354 Siehe dazu Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 129 f. 355 BT-Drucks. 16/5048, 33 (Begr. Entw. eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, 20.4.2007). 356 „Bezweckt wird […] nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angeleg-
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folgen soll (Art. 3 Abs. 2 EnforcementRL). Einem lediglich ausgleichenden Schadensersatz widerspricht dies, vielmehr scheint durchaus ein Präventionselement gefordert zu sein, das nach deutschem Verständnis über den bloßen Ausgleich hinausgehen müsste.357 Nach Verständnis des EuGH hingegen liegt eine abschreckende Wirkung aber schon in der vollständigen Kompensation des Schadens.358 Daraus wird gefolgert, die EnforcementRL verpflichte „lediglich zu einem (vollständig) kompensierenden Schadensersatz“.359 Entspricht Art. 13 der EnforcementRL – wie der deutsche Gesetzgeber meint360 – der BGH-Rechtsprechung zur dreifachen Schadensberechnung? Die Kodifizierung von Lizenzanalogie, Gewinnabschöpfung und sogar die doppelte Lizenzgebühr in Einzelfällen lässt sich bei genauer Studie der Richtlinie zwar begründen,361 dies aber nicht aufgrund einer auf Billigkeit beruhenden Durchbrechung des Ausgleichsprinzips innerhalb der Richtlinie, sondern als überschießende Umsetzung. ErwG 26 EnforcementRL formuliert lediglich, dass die Mitgliedstaaten nicht zu einem sanktionierenden Schadensersatz verpflichtet sind, verbietet ihn aber nicht.362 Die Richtlinie legt also Mindeststandards fest, die hinter der deutschen dreifachen Schadensberechnung zurückbleiben. Diese kann also nicht als von der Richtlinie gefordert verstanden, aus ihr heraus mithin auch nicht mit Billigkeitserwägungen und ausdrücklich nicht mit Strafe begründet werden. Die Richtlinie stützt sich auf Ausgleich, während die Forderung von Abschreckung eher zurückhaltend interpretiert werden muss. Ein selbständiger Gewinnabschöpfungsanspruch bleibt zwar im nationalen Recht möglich, vertreten wird aber, ihn nicht mit der Richtlinie auf Schadensersatzgedanken zu stützen, sondern ihn als eigenständigen Anspruch aus § 687 Abs. 2 BGB zu verstehen und dementsprechend dem Vorsatzerfordernis zu unten Schadensersatz, sondern eine Ausgleichsentschädigung für den Rechtsinhaber auf objektiver Grundlage unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten“, ErwG 26, RL 2004/48/EG; siehe auch Bodewig/Wandtke, GRUR 2008, 220 (221). 357 Bodewig/Wandtke, GRUR 2008, 220 (222); eingehend Dreier, GRUR Int. 2004, 706 (707 ff.), vgl. auch BGH GRUR 1990, 353 (355) – Raubkopien; GRUR 1990, 1008 (1009) – Lizenzanalogie. 358 Abschreckende Wirkung i. R. d. Diskriminierungsschutzes entfalte Schadensersatz nur, wenn er „in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden“ stehe, EuGH Slg. 1984, 1891, Rn. 23, 28 – Colson u. Kamann; Slg. 1984, 1921 Rn. 23, 28 – Harz/Tradax; siehe insbesondere EuGH Slg. 1993, I-4367 Rz. 24 ff. – Marshall (voller Ausgleich der „tatsächlich entstandenen Schäden“); Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 100 f. 359 Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 101. 360 „… sind die in Artikel 13 genannten Komponenten des Schadensersatzes bereits jetzt vom geltenden deutschen Recht erfasst.“, BT-Drucks. 16/5048, 33 (Begr. Entw. eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, 20.4.2007). 361 Dreier, GRUR Int. 2004, 706 (709 ff.); Bodewig/Wandtke, GRUR 2008, 220 (224 f.); überzeugend gegen einen pauschalen Verletzerzuschlag (GEMA), Kochendörfer, ZUM 2009, 389 (392 f.); zweifelnd hinsichtlich des Gewinnherausgabeanspruchs Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (293 f.). 362 Dreier, GRUR Int. 2004, 706 (708); siehe auch Wagner, AcP 206 (2006), 352 (379).
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terwerfen.363 Nach dieser Ansicht steht der Gewinn einer Unternehmung nicht dem Inhaber der dabei verwendeten Rechtsgüter, sondern dem zu, der die korrespondierenden Risiken trägt, während der Rechtsinhaber „nur für die abstrakte Gewinnchance entschädigt“ werden sollte.364 Einschränkend ist demgegenüber auf die Abschwächungen des Anspruchs bei seiner Berechnung hinzuweisen, was ihn wieder schadensersatzähnlicher macht.365
d) Folgerungen zum positiven Gehalt absoluter Herrschaftsrechte Versteht man die dreifache Schadensberechnung als rein haftungsrechtliches Institut, liegt ihr ein verzerrtes Bild der Dogmatik des Schadensrechts zugrunde. Bei der dreifachen Schadensberechnung handelt es sich aber um kein originäres Schadensrecht. Vielmehr sind die beiden nicht konkreten „Berechnungsweisen“ dem Bereicherungsrecht und der Gewinnherausgabe entlehnt:366 Die Lizenzanalogie ist letztlich ein Bereicherungsanspruch367 und die Gewinnherausgabe ein Fall des § 687 Abs. 2 BGB368 .369 Diesen beiden Instituten liegen aber denkbar andere Wertungen als dem Schadensrecht zugrunde, die unten näher zu untersuchen sind. Die Brücke zwischen dem reinen Haftungsrecht und der Anwendung anderer gesetzlicher Schuldverhältnisse schlägt in der dreifachen Schadensberechnung der Eingriff in fremde subjektive Rechte. Dies legt Loewenheim folgendermaßen dar: Dass der Verletzer in Fällen der dreifachen Schadensberechnung fremde Rechtspositionen für sich in Anspruch nimmt, rechtfertige es, „die Vermögenswerte, die der Verletzer unter 363 Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 399 f. (erst vorsätzliche Verletzungen rechtfertigten die vollständige Abschöpfung, da die Schadensersatzzahlung nicht als Bilanzposten einkalkuliert werden sollte). 364 Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 399; 618, 620 (spricht sich für das Verständnis der Lizenzanalogie als Ausgleich des „Rechtsgutsschadens“ aus, denn durch sie drücke „der Markt den Anteil am Gewinn aus, der nach seiner Einschätzung auf die Nutzung des Immaterialguts entfällt“, daher sei nicht jeglicher Gewinn als Schaden abschöpfbar). 365 Vgl. etwa BGHZ 119, 20 = GRUR 1993, 55 (59 f.) – Tchibo/Rolex II (Reduktion des Anspruchs auf die Quote zu der der Gewinn auf die Rechtsverletzung zurückgeht); eingehend Wagner, AcP 206 (2006), 352 (374 ff.). 366 Grob gesagt seien die Voraussetzungen nach Deliktsrecht, die Rechtsfolgen nach §§ 812 ff.; 687 Abs. 2, 681 BGB zu beurteilen, Däubler, JuS 1969, 49 (53); MüKoBGB/Schäfer, § 687 Rn. 27. 367 BGH NJW 1980, 2522 (2524) – Tolbutamid; BGH GRUR 2006, 143 (145) – Catwalk (der Sache nach handele es sich bei dieser Berechnungsart um einen Bereicherungsanspruch); Ohly/ Sosnitza/Ohly, UWG, § 9 Rn. 14. A. A. Mertens, Begriff des Vermögensschadens, 215 f. 368 BGH NJW 2001, 2173 (2174) – Gemeinkostenanteil („so gestellt wie der Geschäftsherr […] nach § 687 II BGB“), beruhend auf der Fiktion, dass der Rechtsinhaber einen dem Verletzergewinn entsprechenden Eigengewinn erzielt hätte, siehe nur BGH NJW 1972, 102 (103) – Wandsteckdose II; Ohly, GRUR 2007, 926 (933) („Dogmatisch ist bei der Gewinnabschöpfung endgültig der Bereich des Schadensersatzes verlassen.“); Dreier, GRUR Int. 2004, 706 (710); Bodewig/ Wandtke, GRUR 2008, 220 (224); Ohly/Sosnitza/Ohly, UWG, § 9 Rn. 14; siehe auch Esser/Weyers, SchR, Bd. II/2, 25 f. A. A. Mertens, Begriff des Vermögensschadens, 221 f., 226 (Normativierung als Rechtsfortbildung praeter legem, diese bedürfe einer besonderen Rechtsgrundlage). 369 Loewenheim, ZHR 135 (1971), 97 (99 ff.); Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XII (361 f.); MüKoBGB/Oetker, § 252 Rn. 55 ff.; a. A. Steindorff, AcP 158 (1959), 431 (453) (allgemeines Schadensrecht).
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Sanktions- und Präventionsgesichtspunkten herauszugeben hat, dem Inhaber dieser Rechtspositionen zuzuweisen. Es handelt sich dabei nicht darum, irgendeine durch die Verletzungshandlung entstandene Differenz im Vermögen des Verletzten auszugleichen. Vielmehr geht es um die Erwägung, daß der Eingriff in fremde Rechtspositionen einen geeigneten Anknüpfungspunkt bildet, die Werte, die der Verletzer herausgeben soll, dem Inhaber der Rechtsposition zukommen zu lassen. Das Prinzip einer solchen Wertverteilung bei Tätigwerden in fremden Rechtsbereichen ist der Rechtsordnung auch sonst geläufig.“ Es finde sich in der Gewinnherausgabe nach §§ 681, 667 BGB, der ungerechtfertigten Bereicherung und im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (Herausgabe von Nutzungen).370
Hiermit schält sich langsam heraus, worin der positive Gehalt liegen könnte, den Haftungsrecht, Bereicherungsrecht, die Gewinnherausgabeansprüche wegen angemaßter Eigengeschäftsführung und auch das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis in Bezug nehmen: Das subjektive Recht weist seinem Inhaber Werte derart zu, dass er die Früchte der Nutzung seines subjektivrechtlich geschützten Bereichs durch andere für sich beanspruchen kann. Diese Herausgabe von Nutzungen und deren Früchten ist also kein schadensrechtlicher Gedanke bzw. müsste das Billigkeitsargument stark strapaziert werden.371 Die dreifache Schadensberechnung beruht vielmehr auf Wertungen, die ihrer eigentlichen dogmatischen Grundlage, nämlich Bereicherungsrecht und Gewinnabschöpfung wegen Geschäftsanmaßung, entspringen. Ein wie auch immer „positiver Gehalt“ des subjektiven Rechts ist nach dem Gesagten also eher in anderen Instituten als dem Schadensrecht zu suchen.
B. Eingriffskondiktion und Zuweisungsgehalt Wie gesagt muss der positive Gehalt subjektiver Rechte, angesichts der dogmatischen Nähe der dreifachen Schadensberechnung zu anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen, in eben diesen gesucht werden. Zunächst ist das Bereicherungsrecht und hier speziell die Eingriffskondiktion auf ihr Verhältnis zu subjektiven Rechten zu untersuchen.
I. Normzweck der Eingriffskondiktion Das Bereicherungsrecht verfolgt als eigenen Normzweck den Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensmehrungen, also eine Angleichung der tatsächlichen an die materiellrechtlich gebotene Vermögenslage.372 Dabei hängen die genaueren 370 Loewenheim, ZHR 135 (1971), 97 (122). Anzumerken bleibt, dass Loewenheim der Kritik an der Anknüpfung an subjektive Rechte stattgibt, da eine solche selektive Beschränkung mit den breiteren haftungsrechtlichen Prinzipien der Sanktion und Prävention unvereinbar sei. Er stellt stattdessen auf den allgemeineren Eingriff in eine Leistungsposition ab, was insbesondere die dreifache Schadensberechnung im lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz miterfasst, ebd. 122 ff., 131 ff. 371 Siehe oben b) Kritik unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten. 372 Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1 f.; Esser/Weyers, SchR II/2, 34.
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten611
wecke von den sehr verschiedenen Kondiktionsarten ab.373 Die EingriffskondikZ tion steht vor der Aufgabe, legitime von illegitimen Vermögenszuwächsen zu trennen, wozu eine Meinungsrichtung auf die Rechtswidrigkeit 374 des Eingriffs und die andere, heute herrschende Richtung auf den Zuweisungsgehalt 375 und damit auf einen „Rechtsfortwirkungsanspruch“ des Rechts abstellt, in das eingegriffen wurde.376 Eine besonders populäre Deutung der positiven Seite absoluter Rechte ist ihr Verständnis als eben diese Zuweisung oder Zuordnung eines Gutes.377 Sie knüpft an die herrschende Meinung378 zum inneren Grund der Eingriffskondiktion an, die diese vom Zuweisungsgehalt der vom Bereicherungsschuldner genutzten Rechtsposition des Kondizienten abhängig macht.379 Im vorliegenden Kontext interessiert daran nur, ob und gegebenenfalls wie sich ein solcher Zuweisungsgehalt im Aufbau eines absoluten Herrschaftsrechts bemerkbar macht.
II. Kritik an der Rechtswidrigkeitstheorie Vor näheren Ausführungen zur Lehre vom Zuweisungsgehalt ist kurz auf die Schwächen der Rechtswidrigkeitstheorie einzugehen. Dem Nachteil, den der vermeintliche Kondizient aus der rechtswidrigen Handlung hat, fehlt mitunter jede sinnvolle Verbindung zum Vorteil des Bereicherten – dieser erlangt nicht „auf Kosten“ des Ersteren.380 Umgekehrt kann z. B. nach § 816 Abs. 2 BGB oder aufgrund 373
Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1420; Esser/Weyers, SchR II/2, 27 ff. F. Schulz, AcP 105 (1909), 1 (427 ff., 431) („ist der Eingriff rechtmäßig, so soll in der Regel der Eingreifer die Eingriffsgegenstände behalten dürfen“); Jakobs, Eingriffserwerb und Vermögensverschiebung, 50 ff. 375 Siehe insbesondere v. Caemmerer, FS Rabel, Bd. 1, 333 (396 ff.) („Dem Inhaber eines absoluten Rechts ist dessen Nutzung und Verwertung zugewiesen. Nutzt oder verwertet ein anderer das dem Rechtsinhaber zustehende Gut oder Verfahren, ist er auf seine Kosten ungerechtfertigt bereichert.“). 376 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 7 I (234); Esser/Weyers, SchR II/2, 73; siehe auch Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 64. 377 Vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 709; Raiser, JZ 1961, 465 (468) (nur die echten Herrschaftsrechte, wie insbesondere die Immaterialgüterrechte wiesen den erforderlichen Zuweisungsgehalt auf); grundlegend Wilburg, Ungerechtfertigte Bereicherung, 27 f.; v. Caemmerer, FS Rabel, Bd. 1, 333 (353) („güterzuordnende Funktion des Eigentums und sonstiger absoluter Rechte“, siehe auch S. 396); Wilburg, AcP 163 (1963), 346 (348 f.); Larenz/Canaris, SchR II/2, 373 f. (identifizieren den Zuweisungsgehalt ausdrücklich mit der positiven Seite des Eigentums, nämlich als das, was „die erste Alternative von § 903 BGB umschreibt“). 378 BGHZ 99, 385 = NJW 1987, 1631 (1632) („Herausgabe eines Vermögensvorteils zum Ziel, der nach dem maßgeblichen Zuweisungsgehalt der einschlägigen Rechtsordnung dem Bereicherungsgläubiger gebührt“); Esser/Weyers, SchR II/2, 73 f.; Wieling/Finkenauer, Bereicherungsrecht, § 4 Rn. 11 ff.; Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 64; MüKoBGB/Schwab, § 812 Rn. 287 (siehe auch Fn. 375). 379 Instruktiv Looschelders, Schuldrecht BT, § 55 Rn. 3 ff.; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 703 ff. 380 So in Kleinheyers Beispiel des Verkehrsverstoßes eines Geschäftsmanns, JZ 1970, 471 (471), oder im Falle des vertraglich zur Ruhe verpflichteten Schmiedes, der dem so berechtigten Komponisten eben nicht alle durch Vertragsbruch gewonnen Vorteile herausgeben muss, Kop374
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eines notstandshalber erfolgten Eigentumseingriffs (§ 904 BGB) ohne Rechtswidrigkeit kondiziert werden.381 Die Rechtswidrigkeitstheorie vernachlässigt kurz gesagt die „Legitimität des Behaltens“.382 Es bedarf für die Eingriffskondiktion zwar keiner unmittelbaren Vermögensverlagerung vom Gläubiger zum Schuldner, wohl aber muss ersterem das Erlangte gebühren, was allein aus der Rechtswidrigkeit nicht folgt.383 Bloßes Verhaltensunrecht384 (insbesondere § 823 Abs. 2 BGB) dient häufig nur „der Durchsetzung von Verhaltensregeln“ im Interesse einer größeren Personenzahl, deren Kondiktionsanspruch schon an praktischen Verteilungsproblemen scheiterte.385 Freilich kommt die Rechtswidrigkeitstheorie in vielen Fällen zu angemessenen Ergebnissen, zu denen auch die konkurrierenden Theorien kommen. Dies sind aber die Fälle, in denen unbestrittene subjektive Rechte Deliktsschutz genießen, die Korrektur der Vermögensverschiebung also die Anpassung des Ist- an den subjektivrechtlichen Sollzustand vollzieht. Aus der Rechtswidrigkeit folgt die Umverteilung auch hier nicht. Peukert weist einige Ergänzungen nach, die zur Rechtswidrigkeitstheorie vorgenommen wurden und die es erlaubten, von einem „negativen Zuweisungsgehalt“ zu sprechen. Er zeigt auf: den „individualschützenden Zweck der Deliktsrechtsnormen“; die „tatbestandliche Verfestigung offener Deliktstatbestände“ sowie „Parallelen zum Anwendungsbereich der dreifachen Schadensberechnung“.386 Für eine Eingriffskondiktion reiche aber auch dies nicht, da die streitigen Grenzfälle (aus § 3 UWG oder den Rahmenrechten des § 823 Abs. 1 BGB) auf offene bzw. rechtsfortbildende Deliktstatbestände verwiesen, in denen das Deliktsrecht „nicht der Zuweisung von Gütern, sondern der Abgrenzung gleichrangiger, negativ-abwehrend definierter Rechtskreise“ diene – der deliktsrechtliche Ausgangspunkt werde nicht verlassen.387 Außerdem beruhe auch diese Ansicht auf einem seines Erachtens kritischen Schluss der Rechtswidrigkeitstheorie von Abwehrrecht auf Zuweisung.388
III. „Positiver“ Zuweisungsgehalt Dass jemand hinsichtlich eines Gegenstandes Verbietungsrechte gegen jedermann hat, sagt daher noch nichts darüber aus, ob er auch herausverlangen kann, was ein pensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 72 f.; es fehlt die „innere Begrenzung“, Wilburg, Ungerechtfertigte Bereicherung, 105. 381 Vgl. Loewenheim, Bereicherungsrecht, 81; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 73. 382 Esser/Weyers, SchR II/2, 74. 383 Vgl. Ellger, Bereicherung durch Eingriff, 170 ff. (insbesondere 173); Hüffer, JuS 1981, 263 (264). 384 Siehe dazu oben A. I. 2. Erfolgs- und Handlungsunrecht. 385 Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 73 ff. 386 Peukert, Güterzuordnung, 447. 387 Peukert, Güterzuordnung, 457. 388 Peukert, Güterzuordnung, 458.
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anderer unter Einsatz desselben erlangt hat.389 Die Zuweisungsgehaltslehre stellt daher einen anderen Aspekt in den Vordergrund: Der Gläubiger muss den Wert, um den sich der andere bereichert hat, auch dann realisieren dürfen, wenn ihm dadurch kein Schaden entstanden ist. Genauer gesagt ist sowohl zu begründen, warum der Bereicherte die Bereicherung herausgeben muss, als auch, warum der Kondizient sie für sich beanspruchen darf.390 Über den Ausschluss Dritter hinaus wird „zusätzlich eine positive Nutzungs- und Verwertungsbefugnis“ verlangt.391 Die Eingriffskondiktion verlängert „die im subjektiven Recht liegende Zuweisung von Substanz und Nutzungsmöglichkeiten für den Fall objektiv zweckwidriger Erwerbsvorgänge“.392 Zunächst zugewiesen sein müssen also Substanz und Nutzungsmöglichkeiten zu einem bestimmten Zweck.393 Keine dieser Entscheidungen ist aber Gegenstand des § 812 BGB. Welches subjektive Recht einen derartigen Zuweisungsgehalt hat, ist eine Wertungsentscheidung – richtigerweise ist „die Zuweisungslehre von vornherein als Appell zur offenen Wertung der rechtlichen Zuweisungsfunktion von Gütern“ zu verstehen.394 Als Bedeutung des Begriffs „Zuweisungsgehalt“ vertreten werden unter anderem die ausschließliche Zuweisung einer bestimmten wirtschaftlichen Nutzung,395 von Substanz und Ertrag,396 von Rechtsmacht (i. S. e. Rechtsschutzmonopols mit dem der Kl. den Erwerb durch Einwilligung hätte legitimieren können),397 von Gegenständen zu einer bestimmten Person bzw. ihrem Vermögen mitsamt der zugehörigen Vorteile398 oder einer schützenswerten und vermögensrechtlich nutzbaren Befugnis zur Ausschließung Dritter.399 Die heute h. M. verlangt eine „von der Rechtsordnung anerkannte Marktfähigkeit der betreffenden Rechtsposition“.400 Strukturelle Anhaltspunkte für einen solchen Zuweisungsgehalt soll der im Deliktsrecht anerkannte Stand des Güterschutzes geben, sofern damit nicht gleich für alle deliktisch geschützten Positionen „Zuweisungsgehalt iSd Rechtsfortwir389
Siehe nur MüKoBGB/Schwab, § 812 Rn. 290. Ellger, Bereicherung durch Eingriff, 175. 391 Peukert, Güterzuordnung, 448 [Hervorh. im Original]. 392 Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 65. 393 Bis hierher Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 65 f. 394 Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 66; zustimmend Jauernig/Stadler, § 812 Rn. 54; Haines, Bereicherungsansprüche, 77 (Abgrenzung anhand „materialer Kriterien“); Staudinger/Lorenz (2007), § 812 Rn. 23. 395 Mestmäcker, JZ 1958, 521 (525). 396 Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 66. 397 Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 76. 398 Haines, Bereicherungsansprüche, 69 f. 399 Grüneberg/Sprau, § 812 Rn. 40. 400 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 7 III (256); i. d. S. auch Siemes, AcP 201 (2001), 202 (215); MüKoBGB/Schwab, § 812 Rn. 292 (es komme darauf an, „ob der Anspruchsteller durch den Eingriff nicht nur in seiner allgemeinen Dispositionsfreiheit, sondern zugleich in der Möglichkeit beeinträchtigt wurde, entgeltlich über die Rechtsstellung bzw. die aus ihr fließenden Vorteile zu verfügen“); Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 65 f.; Staudinger/Lorenz (2007), § 812 Rn. 23 („Orientierung am Gedanken der Inanspruchnahme eines fremden, vermögenswerten Rechtsguts“). 390
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
kungsanspruchs“ verbunden werde. Weitere Hinweise seien die Möglichkeit der entgeltlichen Verfügung und der Schutz der fraglichen Zuweisung durch Abwehransprüche.401 Unter den absoluten (!) Rechten wird ein Zuweisungsgehalt klar bejaht für das Sacheigentum (hinsichtlich Verbindung, Vermischung, Verarbeitung, Verbrauch, Nutzung von Sachen des Kondizienten, sowie deren gewinnbringende Überlassung an Dritte [Verpachtung, Vermietung]), die beschränkten dinglichen Rechte402 sowie die gesetzlich geregelten Immaterialgüterrechte Urheberrecht,403 Patentrecht,404 Gebrauchsmusterrecht,405 Designrecht,406 Markenrecht,407 Sortenschutzrecht408 und das Schutzrecht an Halbleitertopographien409. In Abgrenzung zum Deliktsrecht hat sich hier die Ansicht gefestigt, dass der Verletzergewinn nicht Teil des Erlangten ist. Erlangt wird nur der „Gebrauch des immateriellen Schutzgegenstandes“ und keine Marktchance oder dergleichen.410 Anderen absoluten Rechten wird jeder Zuweisungsgehalt abgesprochen, so etwa dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb411 oder den meisten Wettbewerbsverstößen. Die Grenzziehung verläuft im letztgenannten Fall zwischen subjektiven Rechten und „bloßen wettbewerblichen Verhaltensnormen“.412 Identifiziert man mit absoluten Rechten subjektive Rechte und versteht man unter diesen nur Rechtspositionen, die dem Subjekt etwas zuweisen, ergibt sich der Zuweisungsgehalt direkt aus der Charakterisierung der Rechtsposition.413 401 Erman/Buck-Heeb,
§ 812 Rn. 66. Verwendung der Sache zu eigenem Nutzen und dem Schutz des Rechts zum Besitz, Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 67; Soergel/Schmidt-Kessel/Hadding, § 812 Rn. 40 ff. (außerdem Aneignungs- und Anwartschaftsrechte); MüKoBGB/Schwab, § 812 Rn. 297 f., 313. 403 BGH GRUR 1995, 673 (676) – Mauerbilder; GRUR 2010, 623, Rz. 33 – Restwertbörse; Soergel/Schmidt-Kessel/Hadding, § 812 Rn. 48; Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 69; MüKoBGB/ Schwab, § 812 Rn. 314; eingehend Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, § 102a Rn. 3 ff. 404 BGH NJW 1977, 1194 (1196) – Kunststoffhohlprofil I; Soergel/Schmidt-Kessel/Hadding, § 812 Rn. 49; Erman/Buck-Heeb, § 812 Rn. 69; MüKoBGB/Schwab, § 812 Rn. 314; eingehend Ann, Patentrecht, § 35 Rn. 81 ff. 405 Soergel/Schmidt-Kessel/Hadding, § 812 Rn. 49; MüKoBGB/Schwab, § 812 Rn. 314. 406 BGH GRUR 1963, 640 (642) – Plastikkorb; § 50 DesignG lässt Ansprüche aus §§ 812 ff. BGB zu, Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser/Eichmann/Jestaedt, DesignG, § 50 Rn. 8. 407 BGH GRUR 1987, 520 (523) – Chanel No. 5, GRUR 2009, 515 Rz. 39 ff. – Motorradreiniger; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 84 (dank des mit dem MarkenG vollzogenen „Konzeptionswandels“ genieße nun auch der in der Marke verkörperte Goodwill Schutz); MüKoBGB/ Schwab, § 812 Rn. 315; Hildebrandt, Marken und andere Kennzeichen, § 27 Rn. 75 ff.; eingehend Fezer, MarkenG, § 14 Rn. 1053 f. 408 Metzger/Zech/K. v. Gierke/Trauernicht, Sortenschutzrecht, § 37g SortSchG Rn. 4; § 37 Rn. 81. 409 Ellger, Bereicherung durch Eingriff, 725. 410 Siehe nur BGHZ 82, 299 = GRUR 1982, 301 (303) – Kunststoffhohlprofil II; BGHZ 99, 244 = GRUR 1987, 520 (523 f.) – Chanel No. 5; BGH GRUR 2010, 237 Rn. 22 – Zoladex; Zurth, GRUR 2019, 143 (144 f.); Staudinger/Lorenz (2007), § 818 Rn. 29; MüKoBGB/Schwab, § 818 Rn. 108. 411 Staudinger/Lorenz (2007), vor § 812 Rn. 72; Grüneberg/Sprau, § 812 Rn. 40. 412 Loewenheim, Bereicherungsrecht, 83 f. 413 I. d. S. Raiser, JZ 1961, 465 (468). 402 Bei
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten615
Zuweisungsgehalt folgt in seiner klarsten Form aus der ausdrücklichen Anerkennung von Nutzungs-/Verwertungsrechten. Beispiele sind § 903 BGB („mit der Sache nach Belieben verfahren“) oder die Enumeration von Nutzungsrechten (z. B. §§ 14 f. MarkenG, §§ 15 ff. UrhG, § 9 PatG). Dort werden Verfügungsobjekte anerkannt, für die zudem die Lizenzierbarkeit vorgesehen ist (§ 30 MarkenG, §§ 31 ff. UrhG, § 15 PatG). In der Anerkennung von solchen mit Verfügungsmacht versehenen Verfügungsobjekten liegt die positive Seite absoluter Herrschaftsrechte in besonders klarer Form. Bereicherungsrechtlich interessiert daran allerdings nur die teleologische Aussage, dass es sich um von der Rechtsordnung anerkannte Vermögensbestandteile handelt. Besonders in den Persönlichkeitsrechten wird hingegen diskutiert, ob die Verbotsrechte des Berechtigten auch eine Zuweisung einer vermögensmäßigen Nutzung des damit umschlossenen Handlungsraums umfassen.414 Die Frage ist nicht identisch, aber wohl verbunden415 mit der oben416 behandelten Problematik der Ablösung von Persönlichkeitsaspekten als Rechtsgegenstände und dem Übergang von Kontroll- zu Dispositionsherrschaft. Zwar kann die Person frei in den zu ihren Gunsten persönlichkeitsrechtlich abgegrenzten Bereichen agieren und Eingriffe durch Einwilligungen sehr weitreichend gestatten. Fraglich ist aber, ob, wenn ein anderer eingreift, dadurch eine korrekturbedürftige Vermögensverschiebung stattfindet. Hier wird der Befürchtung der Anerkennung einer vermögensartigen Zuweisung die „rechtspolitische Grundwertung“ entgegengehalten, „dass die aus Eingriff in die durch das Erfordernis der Einwilligung umgrenzte fremde Rechtssphäre erzielten Vorteile dem Rechtsträger gebühren“.417 Die Zuerkennung von Zuweisungsgehalt ist aus dieser Sicht nicht auf die Anerkennung einer Dispositionsherrschaft, von Verfügungsobjekten und der Ablösung von Rechtsgegenständen beschränkt. Zuweisungsgehalt scheint auch im Gewand bloßer Kontrollherrschaft vorzukommen, insbesondere zur Verhinderung „preiswerter“ Eingriffe in fremde Persönlichkeitsrechte. Insgesamt scheint bereicherungsrechtlicher Zuweisungsgehalt damit eine teleologische Aussage zu sein, die zwar ausdrücklich in gesetzlichen subjektiven Rechten enthalten sein kann. Sie kann aber auch aus anderen als pekuniären Gründen über Rechtspositionen schweben, mit dem Ziel, ungerechtfertigte Bereicherungen des Eingreifenden allein unter dem Gesichtspunkt der Ungerechtfertigtheit seines Vermögenszuwachses rückgängig zu machen. Dadurch, dass es nicht auf einen korrespondierenden Schaden (i. S. e. Vermögensabflusses) ankommt, wird zum Ausdruck gebracht, dass es keiner Kollision von Verwertungsmöglichkeiten oder 414 Siehe etwa Siemes, AcP 201 (2001), 202; Büchler, AcP 206 (2006), 300 (332 ff.); Helle, RabelsZ 60 (1996), 449 (464 ff.). 415 Vgl. Helle, RabelsZ 60 (1996), 449 (466); siehe aber Peukert, ZUM 2000, 710 (716 ff.) (Persönlichkeitsrecht ohne immaterialgüterrechtliche Ausgestaltung und materielle Ersatzansprüche seien vereinbare Gesichtspunkte). 416 Siehe oben § 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte. 417 Büchler, AcP 206 (2006), 300 (334); Peukert, ZUM 2000, 710 (716 ff.).
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
-absichten bedarf. Es genügt, dass der erlangte Vermögensnachteil nicht dem Eingreifenden gebührt. Durch diese originär bereicherungsrechtliche Wertung entfernt sich der Zuweisungsgehalt noch weiter von den Bestandteilen eines absoluten Herrschaftsrechts. Er ist eine teleologische Aussage, die auch durch ein absolutes Herrschaftsrecht getroffen werden kann und insoweit den positiven Inhalt des Rechts ausdrückt.
IV. Folgerungen Wie oben418 gezeigt wurde, wird über Rechtsinhaberschaft, Verfügungsmacht und die gesetzliche Beschreibung des Umfangs der Abwehrrechte die Zugehörigkeit des Gutes zum Rechtsinhaber gewährleistet. Der zur Kondiktion ermächtigende Zuweisungsgehalt liegt auf einer höheren teleologischen Stufe als bloße Abwehrrechte. Die Zuweisung eines Guts über absolute Herrschaftsrechte als primäre Rechte wird auf Sekundärrechtsebene durch die Annahme eines Zuweisungsgehalts aufgegriffen. Dies ist allerdings nicht der einzige Weg, auf dem Rechtspositionen Zuweisungsgehalt erhalten können, er kann auch anderen gesetzlichen subjektiven Rechten oder bloßen Rechtspositionen zukommen, die nicht einmal unmittelbar subjektivrechtlicher Natur sind, was insbesondere Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts betrifft. Für den Aufbau absoluter Herrschaftsrechte folgt daraus zunächst, dass die oben419 angesprochene positive Seite als die Zuweisung zum Nutzen und Haben das ist, was als Zuweisungsgehalt die Eingriffskondiktion begründet. Ob eine Rechtsposition Zuweisungsgehalt hat, ist ihrer gesetzlichen Regelung aber nicht immer zu entnehmen. Für gesetzliche Herrschaftsrechte, wie etwa das Sacheigentum, Urheberrecht oder Patentrecht, ergibt sich der Zuweisungsgehalt aus der Formulierung des Stammrechts und zugehöriger Nutzungs- und Verwertungsrechte. Tatsächlich scheint die Zuweisungslehre aber eher die Frage als die Antwort zu liefern.420 Für Grenzpositionen wie Persönlichkeitsrechte oder den mittelbaren lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz verlagert die Frage nach dem Zuweisungsgehalt die Frage nach einem Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 2 BGB nur. Zwar konkretisiert z. B. die Prüfung („genaue Analyse des Zwecks“), ob Vorschriften „den betreffenden Vermögenswert gerade dem Bereicherungsgläubiger positiv zuerkennen“421 und ob die mit der Rechtsposition verbundenen Vorteile „einer bestimmten Person“ zugewiesen sind,422 die Aufgabe. Dennoch ist der Zuweisungsgehalt eine teleologische Kategorie. Daher haben absolute Herrschaftsrechte „für § 812 BGB eine andere Funktion als für § 823 I“: 418
Siehe oben § 9 Verfügungsobjekte. Siehe oben § 12 D. II. Merkmale positiver Berechtigungen. 420 Vgl. Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 79. 421 Peukert, Güterzuordnung, 465. 422 Peukert, Güterzuordnung, 467. 419
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten617
„Für § 812 bedeutet ‚Eigentum‘ Zuordnung im Sinne rechtmäßigen Habens zum Zwecke der Restitution, in § 823 I widerlegbare Unrechtsvermutung.“423
Während subjektive Rechte im Deliktsrecht der Vorwegnahme der Unrechtsbewertung dienen, dienen sie im Bereicherungsrecht als Kennzeichen der Vermögenszuordnung und somit der Unterscheidung legitimer von illegitimen Vermögenszuwächsen. Der Zuweisungsgehalt greift ihre Zuordnungsfunktion auf. Separate Bedeutung scheint daher außerdem der Umstand der Rechtsinhaberschaft zu haben. Zum einen ist die Rechtsinhaberschaft der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Güterzuweisung durch subjektive Rechte – nämlich an deren Inhaber. Zum anderen löst auch der Eingriff in die Forderungsinhaberschaft einen Anspruch auf Eingriffskondiktion aus (§ 816 Abs. 2 BGB).424 Die Inhaberschaft am subjektiven Recht als solchem ist zugeordnetes Vermögen,425 das auf Kosten des anderen erlangt werden kann. Dass es überhaupt rechtlich anerkannt erlangt werden kann, ist Folge der angelagerten Verfügungsmacht.
C. Gewinnherausgabe, § 687 Abs. 2 BGB Führt jemand ein objektiv fremdes Geschäft wider besseres Wissen als sein eigenes, kann der Geschäftsherr gem. § 687 Abs. 2 BGB anstelle der Ansprüche aus den allgemeinen Vorschriften die Herausgabe des Verletzergewinns verlangen (§§ 681 S. 2 i. V. m. 667 BGB). Es handelt sich hierbei um eine Rechtsfolgenverweisung auf das Recht der echten Geschäftsführung ohne Auftrag, die bei der wissentlichen Behandlung eines fremden Geschäfts als das eigene mangels Fremdgeschäftsführungswillens nicht einschlägig ist.426 Dieser Gewinnherausgabeanspruch unterscheidet sich vom Deliktsrecht durch die Erfassung auch reiner Vermögensschäden und der Orientierung am Schuldnervermögen, was eine Abschöpfung von Gewinnen ermöglicht, die den Schaden des Gläubigers übersteigen.427 Eine solche Gewinnabschöpfung ist ansonsten nur im Spezialfall des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB vorgesehen, was eine gewisse „institutionelle Autonomie“ der Regelung begründet.428 Damit entfernt sie sich zugleich vom treuhänderisch geprägten Grundgedanken der (erwünschten) Geschäftsführung ohne Auftrag, wo der Herausgabeanspruch auf der „Absicht des Geschäftsführers“ beruht, „das Geschäft für einen anderen zu besorgen“.429 Die Herausgabepflicht ist dort Konsequenz der willentlichen Übernahme fremder Geschäfte, während § 687 Abs. 2 BGB dafür auf die rechts-
423
Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1401 [Hervorh. im Original], 1558. § 816 Rn. 74; § 812 Rn. 295; siehe auch BGHZ 192, 204 = NJW 2012, 2034 Rn. 36, 40 – gewinn.de. 425 Siehe oben § 9 E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff. 426 Vgl. Mot. II, 871 = Mugd. II, 486 f.; Staudinger/Bergmann (2020), § 687 Rn. 10. 427 Esser/Weyers, SchR II/2, 25 f.; Larenz, SchR II/1, 453. 428 MüKoBGB/Schäfer, § 687 Rn. 5. 429 Ebert, Die Geschäftsanmaßung, 55 [Hervorh. im Original]. 424 MüKoBGB/Schwab,
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
verletzende Tätigkeit abstellt,430 aber gleichfalls auf § 667 BGB verweist.431 – Es stellt sich also die Frage, in welchem Zusammenhang diese weitreichende Rechtsfolge mit dem verletzten primären subjektiven Recht steht. Allein mit dem Zuweisungsgehalt der verletzten absoluten Rechte kann die Gewinnabschöpfung nicht begründet werden, da die Eingriffskondiktion nur die Herausgabe der eine Gewinnchance verkörpernden Lizenz gewährt. Der tatsächliche Gewinn beruht aber neben dem Eingriff in die fremde Rechtsposition auch auf Anstrengungen, Investitionen und Geschäftsrisiken des Verletzers, weshalb seine Zuweisung nicht allein mit der Rechtsverletzung begründbar ist.432 Die Korrespondenz zwischen dem Vorsatzerfordernis und der Weite der Rechtsfolge kann in einer haftungsrechtlichen Deutung nur dazu dienen, den Anwendungsbereich zu verengen. Über Prinzipien des Haftungsrechts führt kein Weg zu Gewinnen, die ein anderer zwar adäquat kausal auf Basis der Rechtsverletzung erwirtschaftet, die aber den Schaden des Verletzten weit übersteigen. Stattdessen wird als Begründung die relativ bessere Berechtigung des Rechtsinhabers angeführt.433 In diese Richtung geht letztlich auch das Verständnis der Geschäftsanmaßung als „fiktive Treuhand“: „Es geht dem Recht der Geschäftsanmaßung weniger um einen Eingriff in (absolut) geschützte Rechtspositionen, als um den besonderen Treuebruch: Anstatt für mich tätig zu werden, führt der Geschäftsanmaßer meine Geschäfte nicht zu meinem, sondern zu seinem Vorteil.“434 „Wer bewusst im fremden Rechtskreis wirtschaftet, kann und darf nicht davon ausgehen, dies auf eigene Rechnung tun zu dürfen. Er ist deshalb von Rechts wegen wie ein Treuhänder zu behandeln. Gleiches gilt unter Umständen, wenn der Eingreifer wissen musste, dass er im fremden Rechtskreis wirtschaftete. Daher die Parallele von Eingriffsgewinnhaftung und der Haftung für die Verletzung von Treuepflichten […].“435
Ausschlaggebend ist nach dieser Erklärung also die subjektivrechtlich-inhaltliche Zuweisung von Vorteilen zum Berechtigten, die auf der Suche nach der besseren Berechtigung den Ausschlag gibt. Zu betonen ist, dass der Treuebruch hierbei nicht i. S. e. Sonderverbindung mit Treuepflichten zu verstehen ist, sondern als Anlehnung an den Gedanken der Treuhand. Eine im weiteren Sinne verwandte und ähnlich exotische Figur kennt § 179 Abs. 1 BGB, der den Vertreter ohne Vertretungsmacht bei Kenntnis (vgl. § 179 Abs. 2 BGB) zur Erfüllung zwingt und ohne entsprechende Willenserklärung (im eigenen Namen) in einen einer Vertragspartei entsprechenden Stand setzt. Die Erklärung als normative, von Treu und Glauben 430
Ebert, Die Geschäftsanmaßung, 55 f. Siehe auch Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 401 f.; Wenckstern, AcP 200 (2000), 240 (270) (für eine Regelung der Geschäftsanmaßung im Deliktsrecht). 432 Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 402 f.; siehe auch oben bei Fn. 410. 433 Koziol, FS Medicus, 237 (247 ff.); Raue, Die dreifache Schadensberechnung, 619 f. 434 Staudinger/Bergmann (2020), § 687 Rn. 11 [Hervorh. im Original]. 435 Jansen, AcP 216 (2016), 112 (201). 431
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten619
bzw. Billigkeitserwägungen getragene436 Zuteilung entstandener Gewinne überzeugt. Nach a. A. soll aus der gesetzlichen Zuweisung der Nutzung des Immaterialguts – und insbesondere, wenn die Verwertung keine besonderen Anstrengungen erfordert, wie so oft im Digitalbereich437 – eine Zuordnung der Ergebnisse zum Verletzten folgen.438 Der Vorschlag hat eine gewisse Nähe zum schadensrechtlichen Denken: Wenn sich der Gewinn des Geschäftsanmaßers als unmittelbare Folge des Eingriffs, d. h. ohne größere Eigenleistung einstellt, liegt es nahe, dass auch der Verletzte ihn erwirtschaftet hätte.439 Er hätte dann Verwandtschaft zu § 252 BGB. Zu bedenken ist aber, dass der Verletzte dann auch Gewinne beanspruchen können müsste, die der Geschäftsanmaßer nicht gezogen hat.440 Die Eingriffskondiktion wiederum stellt wie gesagt nur auf die Zuordnung des Eingriffsgegenstandes ab (dessen objektiver Wert herauszugeben ist), nicht auf die Zuordnung des damit durch den Schuldner erwirtschafteten Gewinns.441 Damit scheint der Gewinnabschöpfungsanspruch nicht auf einer Gewinnzuordnung als Inhalt oder Telos des verletzten Rechts zu beruhen. Er beruht, wenn man auf die relativ bessere Berechtigung abstellt, auf der Rechtsinhaberschaft. Nicht der Inhalt des absoluten Herrschaftsrechts hat unter § 687 Abs. 2 BGB eine Zuordnungsfunktion, sondern die Rechtsinhaberschaft. Am überzeugendsten erscheint es, diese Zuordnung noch um den Billigkeitsgesichtspunkt des Treuebruchs des Geschäftsanmaßers zu ergänzen.
D. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis Die Regelungen zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis enthalten im Prinzip nur zwei für diese Untersuchung relevante Vorschriften, nämlich die §§ 987, 989 BGB und begrenzen sich naturgemäß auf das Sacheigentum. Dem Umfang nach herauszugeben sind im Falle des § 987 Abs. 1 BGB die tatsächlich gezogenen Nutzungen und nach Abs. 2 die Nutzungen, die der Besitzer nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft ziehen könnte. Nach Rechtshängigkeit ist dem Besitzer bei einem Eigengebrauch bekannt, dass er eine fremde Sache nutzt, weswegen er Wertersatz in Höhe des objektiven Gebrauchswerts entrichten muss. Abs. 1 verpflichtet damit zur Zahlung des objekti-
436
Vgl. Staudinger/Bergmann (2020), § 687 Rn. 3, 11. Vgl. Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider, UrhG, § 97 Rn. 80. 438 Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider, UrhG, § 97 Rn. 88. 439 Diesen Gedanken überdehnt die umstrittene Rechtsprechung zum Gemeinkostenanteil, BGHZ 145, 366 = NJW 2001, 2173 (2174) (bei der Bemessung eines an § 687 Abs. 2 BGB angelehnten Schadensersatzes werde, „um dem Ausgleichsgedanken Rechnung zu tragen, fingiert, dass der Rechtsinhaber ohne die Rechtsverletzung durch die Verwertung seines Schutzrechts den gleichen Gewinn wie der Verletzer erzielt hätte“). 440 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 825. 441 Siehe oben bei Fn. 410. 437
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
ven Mietwerts.442 Für die bloße Nutzungsmöglichkeit muss der Prozessbesitzer nichts herausgeben, da er sich während des Prozesses als Eigenbesitzer wähnen darf. Das damit verbundene „Herrschaftspotential“ realisiert er erst, sobald er von der Sache Gebrauch macht, indem er Nutzungen zieht (die herauszugeben sind).443 Um trotzdem die Interessen des Eigentümers zu wahren, muss der Prozessbesitzer die Nutzungen ersetzen, die er nicht zieht, indem er seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung schuldhaft vernachlässigt.444 In dieser Regel des § 987 Abs. 2 BGB zeigt sich nach Zeuner die „gesetzgeberische Tendenz“, „die abstrakte Gebrauchsmöglichkeit, unabhängig von einer konkreten Benutzungsabsicht des Berechtigten“ noch nicht als Schaden anzuerkennen. Wäre dem nämlich so, sei ein „eindeutiger Hinweis“ zu erwarten gewesen, da besagter § 987 Abs. 2 BGB hiervon in erheblichem Umfang überdeckt würde.445 Streitig ist im ersten Fall – wie schon bei den §§ 812 ff. BGB – vor allem, wie mit den aus der Nutzung eines Gewerbebetriebs entspringenden Gewinnen zu verfahren ist.446 Die genaue Abgrenzung zwischen der Eigenleistung des Besitzers und der Nutzung der Sache entspricht der beim Bereicherungsrecht und darf hier dahinstehen. In einem viel beachteten Urteil begrenzte der BGH den herauszugebenden Gebrauchsvorteil maximal auf den objektiven Wert der besessenen Sache, „also den Wert, den der Gebrauchsvorteil allgemein für derartige Betriebe hat.“447 Des Weiteren gestand er eine Nutzungsentschädigung nur in Höhe des objektiven Mietzinses bzw. im Falle einer ganzen Fabrikanlage in Höhe des entsprechenden Pachtwerts zu.448 Dem Eigentümer weist § 903 BGB i. V. m. § 987 Abs. 2 BGB demnach Nutzungen positiv und einklagbar zu, die nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft gezogen werden können. Ermöglicht das Besitzrecht objektiv eine Nutzung, so ist Bemessungsgrundlage der – vom Zustand der Sache abhängige – übliche Miet- oder Pachtzins.449
E. Ergebnisse I. Zusammenfassung und Folgerungen Oben450 wurde anhand einiger Literaturstimmen vermutet, dass die positive Seite absoluter Rechte in einem zum Haben und Nutzen vorbestimmten Gehalt des zugewiesenen Gutes liegt. Dabei stellte sich die Frage, ob der positive Bereich in 442
BGH NJW 1995, 2627 (2628); BGH NJW-RR 1998, 803 (805). Würthwein, Schadensersatz, 187. 444 MüKoBGB/Raff, § 987 Rn. 32 ff. 445 Zeuner, AcP 163, 380 (391 f.). 446 Vgl. MüKoBGB/Raff, § 987 Rn. 20. 447 BGH JR 1954, 460 (460). 448 BGH JR 1954, 460 (460). 449 BGHZ 149, 326 = NJW 2002, 1050 (1052); MüKoBGB/Raff, § 987 Rn. 32. 450 Siehe oben § 12 D. II. Merkmale positiver Berechtigungen. 443
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten621
bestimmter Weise mit Sekundärrechten versehen ist, die die über dem absoluten Herrschaftsrecht schwebende Zuweisung konkretisieren und realisieren. Die Antwort fällt komplexer aus als erwartet. Die starke Eigendynamik und die selbständigen Funktionen der untersuchten Sekundäransprüche deuten selbst für gesetzliche absolute Herrschaftsrechte nicht auf eine positive Seite hin, die in direkter Verbindung zu Sekundäransprüchen steht. Dennoch stimmt es, dass absolute Herrschaftsrechte diese Ansprüche in aller Regel auslösen und Fremdnutzungen des Gutes an den Berechtigten zurückfließen. Es gibt aber beachtliche Randbedingungen, in denen subjektiven Rechten sehr unterschiedliche Bedeutungen zukommen.
Deliktsrecht Im Deliktsrecht werden Zuweisungen und Wertungen subjektiver Rechte massiv von Wertungen und Funktionen des Haftungsrechts überlagert. Subjektive Rechte dienen zunächst nur der Vorwegnahme der Unrechtsbewertung durch Annahme der Rechtswidrigkeit jeglichen Eingriffs.451 Inhaltlich wird die positive Seite subjektiver Rechte aber schon durch die Ordnung der Haftungsausfüllung und vor allem durch die Schutzzwecklehre stark angepasst.452 In der Draufsicht wirkt es, als weise das Sacheigentum lediglich den Vermögenswert der Sache positiv zu, der z. B. über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis453 zusätzlichen Schutz genießt. Hingegen ist es keine Entscheidung des Sacheigentums, dass etwa immaterielle Beeinträchtigungen nur in Ausnahmefällen ersetzt werden, sondern eine allgemein getroffene Entscheidung des Haftungsrechts. Die einer Bestätigung der positiven Seite besonders verdächtige dreifache Schadensberechnung ist dort am stärksten, wo sie nach deutscher Vorstellung auf andere Institute, nämlich das Bereicherungsrecht und die Gewinnabschöpfung bei Geschäftsanmaßung zurückgreift. Gemutmaßt wurde, dass das subjektive Recht seinem Inhaber Werte derart zuweist, dass er die Früchte der Nutzung seines subjektivrechtlich geschützten Bereichs durch andere für sich beanspruchen kann. Tatsächlich ist der Gehalt der mit dreifacher Schadensberechnung bewehrten Immaterialgüterrechte durchaus der Grund für die teils kritischen Billigkeitsentscheidungen zugunsten einer nicht nur pauschalen Schadensberechnung, sondern auch einer präventiven, steuernden Überkompensation, die bis hin zu einer Gewinnabschöpfung bei fahrlässigen Schädigungen reicht. Wie gesagt sind die entscheidenden Wertungen aber dem Bereicherungsrecht und der Geschäftsanmaßerhaftung entlehnt. Soweit man die dreifache Schadensberechnung als originäres Haftungsrecht versteht, ist auch hier der Umweg über die Funktionen des Haftungsrechts nötig, um der positiven Seite absoluter Herrschaftsrechte im deutschen Recht echte
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Siehe oben A. II. Subjektive Rechte und deliktische Haftung. Siehe oben A. III. 1. Ordnung der Haftungsausfüllung, 2. Die Schutzzwecklehre. 453 Siehe oben D. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. 452
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5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
Geltung zu verschaffen. Im Falle der (zur Stärkung des geistigen Eigentums erlassenen) EnforcementRL bedurfte es deshalb einer überschießenden Umsetzung.454
Eingriffskondiktion In der Eingriffskondiktion stellt die Zuweisungsgehaltslehre auf den ersten Blick unmittelbar auf die positive Seite absoluter Herrschaftsrechte ab. Bei genauerer Betrachtung ist dieses Verständnis aber verkürzt. Gesetzliche Formulierungen wie die des § 903 BGB oder von Nutzungsrechten im Immaterialgüterrecht bringen zwar einen Zuweisungsgehalt zum Ausdruck, er schwebt aber auf einer anderen Ebene als die normierten Verbotsrechte. Der Zuweisungsgehalt ist eine rein teleologische Kategorie. Er kann nämlich auch Rechtspositionen ohne eine solche positive Seite zukommen, da er nicht mit der Anerkennung von Verfügungsobjekten, Dispositionsherrschaft oder dergleichen identisch ist. Er beruht gerade nicht auf einer Kollision von Verwertungsmöglichkeiten oder -absichten, sondern darauf, dass der erlangte Vermögensnachteil nicht dem Eingreifenden gebührt und aus verschiedenen Gründen dem Vermögen des Berechtigten zustehen kann. Ein solcher teleologischer Grund können subjektive Rechte sein, die ein Haben und Nutzen zuweisen. Es kann aber auch der Eingriff in die Rechtsinhaberschaft, d. h. die Erlangung fremder Verfügungsobjekte genügen. Denn die Rechtsinhaberschaft drückt Vermögenszugehörigkeit aus.455 Im Persönlichkeitsrecht können hingegen rechtspolitische Gründe dafür sprechen, einen Vermögensvorteil, den der Geschädigte nie hätte ziehen können und wollen, dennoch ihm, statt dem Schädiger zuzuweisen.456
Geschäftsanmaßung Die Gewinnabschöpfung bei Geschäftsanmaßung wiederum beruht nur vage auf der Zuweisung von Geschäften oder einem Haben und Nutzen zum Berechtigten durch subjektive Rechte. Die weitgreifende Abschöpfung von Gewinnen, die der Geschäftsanmaßer aus eigener Kraft erwirtschaftet hat, beruht wesentlich auf der Zuordnungsfunktion der Rechtsinhaberschaft, die auch das streitige Geschäft dem Inhaber des eingegriffenen Rechts zuordnet. Die drastische Rechtsfolge kann ergänzend mit dem Treuebruch (im treuhänderischen Sinne) des Geschäftsanmaßers begründet werden. Die Entscheidung ist stark normativ geprägt. Subjektive Rechte haben hier insbesondere nicht die Funktion, dem Berechtigten die Gewinne des Geschäftsanmaßers zuzuweisen.457 Damit zeigt sich ein beachtliches Eigenleben der Sekundäransprüche. Während die sog. negatorischen/dinglichen Ansprüche enge Verbindung zum primären sub454
Siehe oben A. III. 3. Speziell: Die dreifache Schadensberechnung. auch oben § 9 C. Verfügungsobjekte als Überbegriff der Güterordnung?; E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff. 456 Siehe oben B. Eingriffskondiktion und Zuweisungsgehalt. 457 Siehe oben C. Gewinnherausgabe, § 687 Abs. 2 BGB. 455 Dazu
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten623
jektiven Recht haben, kommt es für die Durchsetzung absoluter Herrschaftsrechte entscheidend auf die eigenständigen Zwecke und Funktionen der Sekundärrechtsinstitute, namentlich Deliktsrecht, Bereicherungsrecht und Geschäftsanmaßung an. Ansprüche aus besagten gesetzlichen Schuldverhältnissen ergeben sich nicht automatisiert als unmittelbare Folge in einem bestimmten Umfang unmittelbar aus dem Stammrecht. Dies ist vielmehr Merkmal der „echten“ dinglichen Ansprüche, die nur die Aufgabe der Verwirklichung des Stammrechts haben.
II. Noch einmal zum positiven Gehalt Es gibt viele körperliche Gegenstände, die in niemandes Eigentum stehen. Das liegt meist daran, dass sie mangels Abgrenzbarkeit und/oder Beherrschbarkeit dem Sachbegriff nicht unterfallen, beispielsweise Staub oder Regenwasser. Trotzdem darf jeder Regenwasser trinken. Anders als bei einem Allmende-Grundstück beruht diese Benutzungsbefugnis nicht auf einer besonderen Form der Erlaubnis, sondern darauf, dass es kein Herrschaftsrecht gibt, kraft dessen die Benutzung untersagt werden könnte. Diese Art des Benutzendürfens ist dieselbe, die fälschlich für die positive Seite absoluter Herrschaftsrechte gehalten wird: Der Sacheigentümer kann nicht nur jedermann von Einwirkungen auf sein Fahrrad ausschließen, er „darf“ auch damit fahren. Dieses Dürfen ist dasselbe wie im Falle des Trinkens von Regenwasser und kein Ausfluss des Sacheigentums. Die Abwehrrechte sichern dem Eigentümer nur Schutz vor Konkurrenten zu. Er ist der Einzige, der mit dem Fahrrad fahren darf. Dennoch geht dieses Verständnis der positiven Seite nicht über ein monopoles Verbietungsrecht hinaus. Die positive Seite des Sacheigentums ist anders geartet und muss es auch sein. Sie ist die rechtliche Zuweisung der Vorteile des Gegenstandes im Verhältnis zu Konkurrenten: Der Berechtigte kann sie auch dann noch für sich beanspruchen, wenn ein Unberechtigter sie bereits gezogen hat. Hat ein anderer das Fahrrad zu Unrecht für eine Weile genutzt, kann der Eigentümer die Vorteile dieser Nutzung herausverlangen. Erst hier beginnt die positive Seite. Damit hat die positive Seite absoluter Herrschaftsrechte drei zentrale Komponenten: 1) Monopoles Verbotsrecht: Der Berechtigte ist der Einzige, der allen anderen bestimmte Handlungen hinsichtlich eines Gutes verbieten kann. Dies gewährt ihm Freiheit von Konkurrenz. Die Abgrenzung des positiven Aspekts dieser Komponente gegenüber den als negativ bezeichneten Abwehrrechten zeigt sich z. B. im Kennzeichenrecht. Markeninhaber haben monopole Verbotsrechte hinsichtlich bestimmter Verwendungen bestimmter Zeichen. Im Ähnlichkeitsbereich von Marken kann es aber mehrere Berechtigte geben, z. B. könnten die Inhaber dreier einander ähnlicher Zeichen die Nutzung eines ähnlichen vierten Zeichens verbieten.458 Sie können sie aber nicht exklusiv für sich beanspruchen, also nicht jeweils als einzige verbieten. 458 Vgl.
Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 227; Becker, WRP 2010, 467 (469).
624
5. Kapitel: Rechtsdurchsetzung – Absolute Rechte und Sekundärrechte
Dieses Verbotsrecht besteht auf materiellrechtlicher Ebene und wird durch Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche durchgesetzt. 2) Verfügungsmacht: Die oben dargelegte positive Seite von Verfügungsmacht, als das rechtliche Können des Einwirkens auf Verfügungsobjekte, gibt dem Berechtigten die Möglichkeit, über seine Rechtsposition ganz oder teilweise mit verfügender Wirkung zu bestimmen. Diese Bestimmungsgewalt drückt sich unter Herrschaftsgesichtspunkten als Dispositionsherrschaft aus.459 3) Zuweisung der Nutzungsvorteile: In uneinheitlicher und mittelbarer Weise kann der Inhaber eines absoluten Herrschaftsrechts die in der Literatur mit einem „Haben und Nutzen“ oder ähnlichen Begriffen gekennzeichneten Vorteile des zugewiesenen Rechts bzw. Gutes von Eingreifenden bzw. Schädigern herausverlangen. Keiner der Ansprüche aus den entscheidenden Schuldverhältnissen (außer dem engen Eigentümer-Besitzer-Verhältnis) folgt aber unmittelbar aus dem Stammrecht. Vielmehr finden erhebliche „Feinabstimmungen“ auf der Durchsetzungsebene statt, die immer von sehr eigenen Wertungen des jeweiligen Schuldverhältnisses geprägt sind. Die Zuweisung folgt aus der – bei Prüfung des Sekundärrechts vorgenommenen – teleologischen Bewertung der betreffenden Rechtsposition.
459
Siehe oben § 11 C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft.
6. Kapitel
Abgeleitete Rechte Dieser Teil behandelt die Konstruktion und Verkehrsfähigkeit der aus absoluten Herrschaftsrechten abgeleiteten Rechte. Besonderes Augenmerk gilt den Unterschieden zwischen beschränkten dinglichen Rechten und Lizenzen.
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte Nach der Terminologie des BGB belasten beschränkte dingliche Rechte das Sacheigentum. Den Begriff „beschränkte dingliche Rechte“ verwendet das BGB nicht. Diese Vorstellung einer „Belastung“ ist Gegenstand widerstreitender konstruktiver Vorstellungen absoluter Herrschaftsrechte. Die im Folgenden zu untersuchenden konkurrierenden Lehren – Abspaltungs- und Belastungslehren – sind daher eng mit anderen Fragen dieser Arbeit verbunden. Sie müssen konsistent mit der Lehre der Rechtsgegenstände (Rechtsobjekte und Verfügungsobjekte), mit der Konstruktion von Lizenzen an Immaterialgüterrechten (vor allem der Frage, ob Lizenzen strukturidentisch mit beschränkten dinglichen Rechten sind) sowie bestimmten „Sachenrechtsprinzipien“1 (insbesondere der Unteilbarkeit und dem Rangverhältnis dinglicher Rechte) sein.
A. Belastungslehre Als Belastungslehre bezeichnet werden im Folgenden Meinungen, die unter beschränkten dinglichen Rechten selbständige, vom Stammrecht unterschiedliche Rechte eigener Art am betreffenden Gut verstehen: „Sie sind selbständige Rechte an der Sache, die parallel zum Eigentum bestehen, und die Beschränkung der Ausübung des letzteren durch diese Rechte ist eine bloße Reflexwirkung.“2
Aus Sicht der Rechtsgegenstandslehre steht die Belastungslehre für konkurrierende Verfügungsobjekte, also z. B. für ein Pfandrecht als ein neben das Sacheigentum tretendes und dieses belastendes Recht eigener Art. Schloßmann versteht beschränkte dingliche Rechte als vollkommen eigenständige Rechte, die unabhängig vom Sacheigentum an der Sache bestehen. Er stellt sie 1 2
Hierzu oben § 13 B. Sachenrechts- bzw. Verfügungsprinzipien. Sontis, FS Larenz I, 981 (991, siehe auch 993) („selbständig bestehendes Recht an der Sache“).
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
also auf dieselbe Stufe wie das Sacheigentum – ein beschränktes dingliches Recht sei „nichts anderes, als die rechtliche Position, die der durch den Zutheilungsbefehl Begünstigte rücksichtlich der Sache allen Dritten gegenüber erlangt“.3
Entsprechend könnten solche Rechte auch an herrenlosen Sachen entstehen bzw. fortbestehen – sie stünden in keinem „Abhängigkeitsverhältnis“ zum Sacheigentum.4 Damit wären beschränkte dingliche Rechte eigenständige Rechte, die mit dem Sacheigentum in Konkurrenz stehen und, wenn die „gleichzeitige Erfüllung der Zwecke, denen sie dienen sollen, nicht möglich“ sein sollte, „eine Rechtskollision“ begründeten.5 Als Belastungslehre sollen damit Lehren verstanden werden, die beschränkte dingliche Rechte als etwas Drittes, als eigenständige, nicht vom Eigentum abgespaltene, sondern mit diesem konkurrierende Rechte verstehen. Eine konstruktive Frage ist, ob man dingliche Rechte dabei als Rechte versteht, die das Sacheigentum als „Rechtsobjekt“ in Bezug nehmen, oder – wie bei Schloßmann – als gänzlich separate, zusätzliche Rechte an derselben Sache.
B. Hauck: Vergemeinschaftung des Stammrechts Eine der Belastungslehre verwandte Auffassung vertritt Hauck. Auch er kritisiert die Abspaltungslehre. Zunächst bemängelt er Verwirrungen zwischen den Kategorien der Rechtsobjekte und Verfügungsobjekte bei einigen Vertretern der Abspaltungslehre.6 Sie sei mit dem „Konzept der Unteilbarkeit des Eigentums“ unvereinbar, wobei er im Falle der Bruchteilsgemeinschaft eine Aufteilung der Rechtszuständigkeit weniger problematisch zu sehen scheint. Ferner erscheint ihm die Abspaltungslehre nicht in gleichem Maße mit dem Gesetz vereinbar zu sein wie die von ihm vorgeschlagene Alternative.7 Hauck plädiert für das Verständnis der Belastung des Stammrechts als „Beschränkung“ desselben. Dem Konzept der Abspaltung und Teilübertragung stellt er allerdings den Gedanken der „Vergemeinschaftung“ des Stammrechts gegenüber.8 Die Anwendbarkeit der Übertragungsvorschriften bedeute nicht unbedingt, dass es auch zu einer Teilübertragung des jeweiligen Rechts komme.9 Zwischen dem Inhaber des Stammrechts und dem eines beschränkten dinglichen Rechts entstehe durch die Verfügung, mit der das Recht eingeräumt wird und die nicht als 3
Schloßmann, JherJB 45 (1903), 289 (352). Schloßmann, JherJB 45 (1903), 289 (253); Habersack, SachenR, Rn. 11, 253. 5 Schloßmann, JherJB 45 (1903), 289 (355). 6 Hauck, Nießbrauch an Rechten, 80 ff. 7 Hauck, Nießbrauch an Rechten, 116 f. („Vielmehr bleibt das Recht gänzlich ungeteilt, denn aufgeteilt wird zwischen den Beteiligten allenfalls [!] die Rechtszuständigkeit bzw. die Rechtsmacht. Das Teilrecht jedes Teilhabers ist ein Recht an der ganzen ungeteilten Sache.“). 8 Hauck, Nießbrauch an Rechten, 118 f., 123. 9 Hauck, Nießbrauch an Rechten, 119. 4
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte627
Übertragung sondern Inhaltsänderung zu verstehen sei, ein Rechtsverhältnis, das im Falle des Sacheigentums dem Miteigentum vergleichbar sei.10 So komme es im Falle des Nießbrauchs „zur Vergemeinschaftung des Rechts mit einer Zugangseröffnung“ hinsichtlich bestimmter Befugnisse, die der Stammrechtsinhaber für die Dauer des Nießbrauchs nicht mehr ausübe. Das Stammrecht werde durch die Belastung modifiziert.11 Der Stammrechtsinhaber behalte also seine vollständige Rechtsmacht, dürfe sie aber nach Maßgabe der Belastung nicht ausüben.12 Im Vordergrund stehe nicht die Abspaltung und Übertragung von Befugnissen, sondern die Zugangseröffnung zugunsten des beschränkt Berechtigten und der entsprechende Verzicht des Stammrechtsinhabers.13 Die Frage beschränkter Rechte an herrenlos gewordenen Sachen und anderen Gütern stelle sich i. d. R. nicht, da eine einseitige Aufgabe des Stammrechts in der durch die Belastung entstandenen Gemeinschaft nicht möglich sei.14 Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Wilhelm, der auf das Rechtsverhältnis zwischen Stammrechtsinhaber und dinglich Berechtigtem hinweist.15
C. Die Abspaltungslehre(n) Herrschend vertreten wird die Abspaltungslehre. Hiervon gibt es allerdings mehrere Ausprägungen, so dass es auf die Frage, welche Teile des Stammrechts auf welche Weise abgespalten werden, verschiedene Antworten gibt.
I. Grundgedanke Nach der Abspaltungslehre bezeichnen beschränkte dingliche Rechte einen übertragbaren Ausschnitt einzelner Befugnisse des Eigentümers, die „als ‚Eigentumssektor‘ oder ‚Eigentumssplitter‘ an der Natur des Eigentums“ teilnehmen.16 Es handelt sich also um Teile der Rechtsposition aus § 903 BGB, um „Abspaltungen“17 aus dem „Quellrecht“,18 die erlöschen, „wenn sie mit dem Eigentum in einer Hand zusammenfallen (Konsolidation)“.19 Beschränkte dingliche Rechte treten demnach 10
Hauck, Nießbrauch an Rechten, 120. Hauck, Nießbrauch an Rechten, 120 [Hervorh. im Original]. 12 Hauck, Nießbrauch an Rechten, 120 f. 13 Hauck, Nießbrauch an Rechten, 121. 14 Hauck, Nießbrauch an Rechten, 125 ff. 15 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 148. 16 Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 4. 17 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2, § 120 (359, 365) („verselbständigte Eigentumssplitter“; beschränkte dingliche Rechte würden „abgezweigt“, das Sacheigentum hierdurch „entleert“); v. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 63 ff. (Ableitung dinglicher Rechte aus dem Eigentum). 18 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 118a f. („Abspaltungen aus dem Eigentum“). 19 Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 1 Rn. 12; Prütting, Sachenrecht, Rn. 21. Ausnahmen bilden die gesetzlichen Regeln, die dem Eigentümer im Falle eines rechtlichen Interesses (i. d. R. Rangwahrung) die Entscheidung über die Konsolidation belassen (Nießbrauch, § 1063 Abs. 2 BGB; Pfandrecht, § 1256 Abs. 2 BGB); i. E. auch Hypothek, § 1163 BGB), bei beschränkten dinglichen Rechten an Grundstücken (§ 889 BGB) sowie beim Zusammenfall zweier Grundstü11
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
als Abspaltungen des Sacheigentums neben dieses. Zugunsten der Abspaltungslehre wird das Argument angeführt, dass die Regeln zur Bestellung beschränkter dinglicher Rechte auf die Regeln zur Übertragung des Stammrechts abstellen (s. §§ 1032, 1069, 1205, 1274 BGB) bzw. einheitliche Regeln für Übertragung und Belastung gelten (§ 873 BGB).20 Auch beschränkte dingliche Rechte an anderen Rechten als dem Sacheigentum werden nach dieser Lehre folgerichtig als Abspaltungen dieser Rechte verstanden.21 Zutreffend präzisiert wird die Abspaltungslehre mit dem Hinweis, dass die gesetzliche Trennung zwischen beschränkten dinglichen Rechten an Sachen und an Rechten ein falsches Bild zeichnet. Tatsächlich sind auch erstere in gewisser Hinsicht „Rechte an einem Recht“, nämlich am Sacheigentumsrecht, bzw. haben auch Letztere nicht eigentlich Rechte zum Gegenstand, sondern das zugewiesene Gut. Es besteht also „Gleichheit von beschränkten Rechten an Sachen und Rechten an Rechten im Hinblick darauf, […] dass sie […] Teil aus einem anderen Recht, nicht aber Rechte mit dem anderen Recht als Gegenstand sind“.22 Auf die Art sind beschränkte dingliche Rechte am Sacheigentum eigentlich Rechte an der Sache, auf die sich das Sacheigentum und also auch der davon abgespaltene Teil bezieht.23
II. Dogmatische Unklarheiten Die Vorstellung von Rechten an Rechten bzw. der Belastung von Rechten mit beschränkten dinglichen Rechten hat zu einigen dogmatischen Unklarheiten geführt, die eng mit der oben 24 behandelten Abgrenzung der Rechtsgegenstände verwandt sind. Beispiele sind die Überlegung, dass sich Forderungen und andere Rechte als Rechtsobjekte beschränkter dinglicher Rechte darstellen könnten,25 sowie die problematische Konstruktion eines Eigentums an der Forderung als gedanklicher Parallele zum Sacheigentum.26 Ein weiteres Problem liegt darin, die Elastizität des Eigentums und anderer absoluter Herrschaftsrechte mit der Abspaltungslehre zu vereinigen.27 Gemeint ist der Umstand, dass sich das Eigentum nach dem Wegfall belastender dinglicher cke (§ 890 BGB). Schloßmann verweist hier zu Recht auf die „sekundären Zwecke“, die neben den eigentlichen Zweck der Einräumung des beschränkten dinglichen Rechts treten können, Schloßmann, JherJB 45 (1903), 289 (354, dort Fn. 1). Auch für die Vormerkung wird trotz der im Erbfall eintretenden Konfusion mitunter ein Fortbestand vertreten, soweit der Gläubiger an ihrem Fortbestand ein rechtliches Interesse hat, Wacke, NJW 1981, 1577 (1577); ders., DNotZ 2001, 302 (312); Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 22 Rn. 32. 20 Habersack, SachenR, Rn. 10; Baur/Stürner, SachenR, § 60 Rn. 8 f. 21 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 120. 22 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 124; siehe auch Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 1 Rn. 12. 23 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 134. 24 Siehe oben 2. Kapitel – Rechtsgegenstände. 25 Neuner, BGB AT, § 24 Rn. 4. 26 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 60 Rn. 1 ff.; siehe auch Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 120 I (482) („Eigentum am Recht“); ausführlich zu diesem und weiteren Vorschlägen Hauck, Nießbrauch an Rechten, 80 ff. 27 Sontis, FS Larenz I, 981 (994).
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte629
Rechte „automatisch“ wieder zum alten Umfang ausdehnt.28 Dasselbe Phänomen gibt es bei Lizenzen, dort wird es meist als automatischer „Heimfall“ der lizenzierten Befugnisse bezeichnet.29 Zudem liegt der Gedanke nahe, dass die Abspaltung auf Ebene des Inhalts der betreffenden Herrschaftsrechte geschieht, also in Form einer Teilung des Sacheigentums, durch die der Eigentümer einiger seiner auf die Sache bezogenen Befugnisse verlustig geht. Dies weckt Bedenken hinsichtlich der Unteilbarkeit/Totalität des Sacheigentums.30 Sontis identifiziert die Abspaltungslehre mit der auf die Glossatoren zurückgehenden Lehre vom (inhaltlich!) geteilten Eigentum,31 als Abspaltung konkreter Befugnisse aus dem Eigentumsinhalt und lehnt sie insoweit ab.32 Die Einwände sind berechtigt, die beschränkten dinglichen Rechte säen tatsächlich Zweifel an der Unteilbarkeit des Sacheigentums.33 Für beschränkte dingliche Rechte am Sacheigentum, hier am Beispiel des Nießbrauchs, ergäbe sich intuitiv folgendes Bild: Nießbraucher
Eigentümer
Nießbrauch (Verfügungsobjekt)
Sacheigentum (abzüglich des Nießbrauchs) (Verfügungsobjekt)
Sache (Rechtsobjekt)
Abb. 7: Nießbrauch als Abspaltung Erläuterung: Aus Sicht des Nießbrauchers und des Eigentümers wäre die Sache das Rechtsobjekt. Es entstünden zwei inhaltlich verschiedene Verfügungsobjekte. Ein Teil der Eigentumsbefugnisse würde so abgespalten, dass sie dem Eigentümer fehlten. Das Eigentum würde also inhaltlich gespalten.
III. Verständnis als gebundene Übertragung (Forkel) Forkel stellt in seinen Betrachtungen zu beschränkten dinglichen Rechten fest, dass eine restlose und endgültige Trennung vom Stammrecht nicht interessengerecht sei. Er verweist auf die Elastizität des belasteten Rechts und der Belastung, die z. B. im Dienstbarkeitenrecht flexibel gegenüber geänderten Umständen und Interessen reagiere (s. §§ 1020, 1023, 1025, 1026 BGB). Die Dienstbarkeit sei „ein Recht, dessen Umfang an eine bestimmte Lebensaufgabe gebunden ist und das den 28
Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 1 II 3 a (18); Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 120. Vgl. nur BGHZ 194, 136 = ZUM 2012, 782 Rn. 19 – M2Trade (Rückfall „ipso iure“); Dreier/ Schulze/Schulze, UrhG, § 29 Rn. 16. 30 Siehe oben § 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). 31 Dazu oben § 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). 32 Sontis, FS Larenz I, 981 (994, 991 ff.). 33 Siehe oben § 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). 29
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Gehalt des Vollrechts darüber hinaus unversehrt lässt“.34 Seines Erachtens werden Dienstbarkeiten und wohl auch weitere beschränkte dingliche Rechte stark durch die Interessen der Beteiligten geformt: „Das für die Belastung charakteristische Teilungsprinzip setzt somit beim Sinngehalt des jeweiligen Rechts, dem Interessenschutz, ein, nicht bei den Befugnissen, die das Vollrecht enthält.“35 […] „Die Parteien verschaffen, wenn dies möglich ist, dem Erwerber nur und gerade soviel an Berechtigung, wie zur Wahrnehmung dieses engen Interessenkreises nötig ist. Der Schnitt durch das Vollrecht trennt damit typischerweise nicht eine ganze Befugnis des Vollrechts oder mehrere von den restlichen ab, sondern verläuft quer durch eine oder mehrere einzelnen Befugnisse hindurch […].“36
Mit der Anpassung des beschränkten dinglichen Rechts an die Interessenlagen geht nach Forkels Ansicht also einher, dass der dinglich beschränkt Berechtigte nur die Befugnisse aus dem Stammrecht erhält, die er zur Verfolgung eines bestimmten Interesses benötigt. Die Einschränkungen durch den Typenzwang versteht er als die Bindung der Parteien an „typisierte Interessen“.37 Unter Teilung sei entsprechend zu verstehen, „daß jeweils aus der Gesamtheit der im Vollrecht anerkannten, zur eigenen Wahrnehmung überlassenen Interessen ein auf ein konkretes Anliegen zugeschnittener Teil ausgeschieden wird“.38
Sei „die Verfolgung des Interesses des Inhabers der Belastung erledigt oder ausgeschlossen“, erlösche die Belastung.39 Forkel vertritt damit eine stark materiale Lehre,40 die Rechtseinräumungen inhaltlich an der Verfolgung von Interessen orientiert („wozu“ wird das Recht eingeräumt?) und sich weniger auf formale Abgrenzungen richtet. Entsprechend hegt er Zweifel an einer mechanistischen Vorstellung, einer „Strukturbetrachtung“ der Abspaltung beschränkter dinglicher Rechte.41 Eine konstitutive Teilung verwirft er, da man es bei beschränkten dinglichen Rechten nicht mit einem neu gebildeten „originären Recht von einem völlig anderen Sinngehalt“ als dem des Stammrechts zu tun habe, sondern das Stammrecht elastisch sei. Diese Elastizität liege darin, dass die dingliche Berechtigung, wenn sich das Interesse des Berechtigten „erledigt“ habe, „ohne Weiteres wieder in der Berechtigung des Vollrechtsinhabers“ erscheine, „was man wohl als ‚Bindung‘ des Rechtsinhalts des Tochterrechts an das Mutterrecht bezeichnen“ könne.42 34
Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 34 f. Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 35. 36 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 36. 37 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 37. 38 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 42. 39 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 43. 40 Siehe zur Unterscheidung materialer und formaler Ansätze oben § 3 D. Verschiedene Auffassungen des Rechtsobjekts. 41 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 32 f. 42 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 45. 35
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte631
All dies bringe der Begriff der gebundenen Übertragung43 treffender zum Ausdruck. Ferner spiegele er den Umstand wider, dass der Erwerber bei Ausübung seiner Befugnisse die Interessen des Stammrechtsinhabers achten, also z. B. die Interessen des Eigentümers schonen (§ 1020 S. 1 BGB) oder die bisherige wirtschaftliche Nutzung der Sache aufrechterhalten (§ 1036 Abs. 2 BGB) müsse.44
D. Folgerungen Vorbereitend für einen Vorschlag zum Verständnis der Einräumung beschränkter dinglicher Rechte sind aus dem Gesagten einige Folgerungen zu ziehen.
I. Charakterisierung beschränkter dinglicher Rechte Nach dem Gesagten sind beschränkte dingliche Rechte grundlegend verschieden von Lizenzen: Dingliche Rechte unterscheiden sich nicht durch enumerative Nutzungsarten voneinander, sondern nehmen fundamentalere Abspaltungen vor. Beschränkte dingliche Rechte knüpfen nicht an eine gesetzliche oder sonstige Aufzählung der ungefähren Befugnisse des Eigentümers an, die sie dann jeweils dem beschränkt dinglich Berechtigten einräumen. Sie setzen bei generellen Zwecken und Funktionen des Stammrechts an: der Verwertung des Stammrechts im Sicherungsfall, dem Erwerb des Stammrechts und der Ausübung der das Stammrecht ausmachenden Nutzungs-/Verbotsbefugnisse. Letztere werden beim Nießbrauch ebenfalls in der Tendenz grundlegend und umfassend eingeräumt, worin auch der Grund liegt, aus dem der Nießbrauch an Rechten als Erklärung der Lizenzvergabe herrschend abgelehnt wird.45 Einzig das auch von Forkel problematisierte Recht der Dienstbarkeiten weckt den Gedanken einer Abspaltung abgegrenzter inhaltlicher Eigentümerbefugnisse, aufgrund derer dem Eigentümer nur ein um die jeweilige Dienstbarkeit gemindertes Teileigentum verbleibt. Diese sind freilich von vornherein auf Grundstücke begrenzt, also spezialisiert: § 1018 BGB gestattet aber lediglich Dienstbarkeiten die auf bestimmte körperliche Handlungen mit dem Grundstück bezogen sind (hierauf nehmen die persönlichen Dienstbarkeiten Bezug46). Für Rechte stellt er fest, „dass die Ausübung eines Rechts ausgeschlossen“ werden kann, „das sich aus dem Eigentum an dem belasteten Grundstück dem anderen Grundstück gegenüber ergibt“. Daraus folgert die Rechtsprechung, „daß es sich bei den Handlungen, die der Eigentümer nicht vornehmen darf, im Gegensatz zu Rechtsgeschäften um Maßnahmen tatsächlicher Art handeln muß, die sich als Ausfluß des Eigentumsrechts am Grundstück darstellen“.47 43
Dazu unten § 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht. Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 45 f. 45 Siehe unten § 17 D. I. Struktureller Gleichlauf mit beschränkten dinglichen Rechten? 46 Vgl. MüKoBGB/Mohr, § 1090 Rn. 1. 47 BGHZ 29, 244 = NJW 1959, 670 (672). 44
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Mit Blick auf die Unteilbarkeit des Eigentums verneint die h. M. eine qualitative Spaltung durch Übertragung der Verfügungsbefugnis auf den Dienstbarkeitsberechtigten. Möglich ist nur eine Beschränkung tatsächlicher Befugnisse, zu denen auch (schuld)rechtsgeschäftliche Handlungen gehören.48 Eine verfügende Aufteilung der Nutzungsrechte des Eigentümers soll also verhindert werden. Der Eigentümer soll den Inhalt seines Eigentumsrechts, d. h. die im subjektiven Recht beschriebenen Verbotsrechte (sowie die dadurch geschützten Befugnisse) nicht mit Wirkung gegen Dritte aufteilen können. Hierin liegt die eigentliche Aussage der angeführten Rechtsprechung. Forkel schlägt insofern, wie eben gezeigt,49 das Verständnis als interessengeleitete, gebundene Rechtsübertragung vor. Nach hier vertretener Ansicht gehört zur Verfügungsmacht des Sacheigentums die Macht, das Eigentum mit beschränkten dinglichen Rechten zu belasten (Belastungsmacht).50 Vorliegend wird untersucht, wie weit diese Macht reicht, konkret, ob eine inhaltliche Spaltung des Sacheigentums möglich ist. Mit einer inhaltlichen Spaltung kann nur eine verfügende Spaltung gemeint sein, ansonsten würde schon die Vermietung eines Sitzplatzes im Theater Probleme mit dem Unteilbarkeitsgrundsatz aufwerfen. Eine verfügende Spaltung des Sacheigentums derart, dass bestimmte Verbotsrechte dem Dienstbarkeitsberechtigten inhaberschaftlich zustehen, während andere Teile beim Eigentümer verbleiben, ist nach dem Gesagten nicht möglich. Der Eigentümer hat nicht die nötige Verfügungsmacht, um solche Spaltungen vorzunehmen.
II. Weitere Anforderungen an eine Abspaltungslehre Die eben genannten Überlegungen zeigen, dass die Annahme einer inhaltlichen Aufspaltung des Stammrechts i. S. d. Ausgliederung einzelner Rechte aus dem Katalog der Befugnisse des Stammrechtsinhabers ein falsches und verkürztes Bild wäre. Die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte scheint auf einer fundamentaleren Ebene stattzufinden, woraus sich möglicherweise grundsätzliche Unterschiede zum Lizenzrecht ergeben. Im Folgenden sind einige weitere Auffälligkeiten der Belastung absoluter Herrschaftsrechte zu nennen, die diesen Befund bestätigen und noch ergänzen bzw. präzisieren. Diese Auffälligkeiten muss eine wie auch immer konstruierte Abspaltung berücksichtigen, d. h. erklären können: 48 Vgl. BGHZ 29, 244 = NJW 1959, 670 (671 f.) („bei den Handlungen, die der Eigentümer nicht vornehmen darf“, müsse es sich „im Gegensatz zu Rechtsgeschäften um Maßnahmen tatsächlicher Art handeln […], die sich als Ausfluß des Eigentumsrechts am Grundstück darstellen“); BGH NJW 1962, 486 (486 f.) (die Dienstbarkeit dürfe „nicht lediglich eine Beschränkung der rechtlichen Verfügungsfreiheit enthalten“, zum einschränkbaren „tatsächlichen Gebrauch“ zähle aber sehr wohl der Betrieb eines „Gewerbebetriebs überhaupt oder eines bestimmten Gewerbes“, auch der Vertrieb einer bestimmten Art von Waren könne erfasst sein); BGH NJW-RR 2003, 733 (nicht möglich sei eine Beschränkung der Verfügungsbefugnis, wohl aber die Beschränkung, ein Appartement nur als Ferienwohnung zu bewirtschaften); BGH NJW 2013, 1963 Rn. 18; MüKoBGB/Mohr, § 1018 Rn. 44. 49 Siehe oben C. III. Verständnis als gebundene Übertragung (Forkel). 50 Siehe oben § 9 G. III. 5. b) Belastungsmacht.
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte633
Bezugnahme auf Übertragungsregeln Die an beweglichen Sachen und Rechten möglichen Belastungen durch Pfand und Nießbrauch beziehen sich auf die Regeln zur Übertragung des betreffenden Stammrechts (s. §§ 1032, 1069, 1205, 1274 BGB), die Regeln zur Belastung von Grundstücken entsprechen denen der Vollübertragung (§ 873 BGB).51 Gem. §§ 1069 Abs. 2, 1274 Abs. 2 BGB ist kein Nießbrauch an unübertragbaren Rechten möglich, weshalb z. B. das Urheberrecht nicht mit einem Nießbrauch belastet oder verpfändet werden kann.52 Sehr wohl können am Urheberrecht aber einfache und ausschließliche Lizenzen eingeräumt werden, an denen ihrerseits Pfand- und Nießbrauchsrechte bestellt werden können, da Lizenzen übertragbar gestaltet werden können53. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Bestellung beschränkter dinglicher Rechte kategorial anders funktioniert als die Lizenzierung,54 deren Verfügungsvorgänge nicht typisiert55 – und nicht streng abhängig von der Übertragbarkeit des Stammrechts – geregelt sind.56 Vielmehr wird auf die „Standard“-Verfügungsinstrumente der §§ 398, 413 BGB zurückgegriffen.57 Dieser Umstand wird als Hinweis auf eine Teilübertragung gedeutet.58 M. E. deutet die Anknüpfung an die Übertragungsregeln des Stammrechts aber vor allem darauf hin, dass die Bestellung beschränkter dinglicher Rechte auf einer fundamentaleren Ebene als die Einräumung von Lizenzen ansetzt, nämlich bei der Inhaberschaft des gesamten Rechts bzw. eine Stufe darüber bei der Verfügungsmacht.59
Unteilbarkeit/Totalität des Sacheigentums Ein starker Einwand gegen die inhaltliche/qualitative Aufteilung des Sacheigentums durch beschränkte dingliche Rechte folgt aus dem sachenrechtlichen Prinzip der Totalität des Sacheigentums. Es wäre problematisch, das Eigentum um bestimmte Befugnisse geschmälert zu verstehen, solange eine genauere Enumeration und insbesondere eine Aufteilung der Befugnisse des Eigentümers nicht anerkannt ist.60 Dabei ist aber zu bedenken, dass beschränkte dingliche Rechte dem Prinzip 51
Siehe oben C. I. Grundgedanke. (2021), Anh. §§ 1068, 1069 Rn. 9; siehe auch entsprechend zum Pfandrecht MüKoBGB/Damrau, 7. Aufl. 2017, § 1274 Rn. 87; a. A. Hauck, Nießbrauch an Rechten, 314 (nach dem von ihm vertretenen Konzept der Vergemeinschaftung räume der Nießbrauch dem Berechtigten nur eine Ausübung des fremden Urheberrechts ein). 53 Wandtke/Bullinger/Hoche, UrhG, § 29 Rn. 9; Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 34 Rn. 16; Staudinger/Heinze (2021), Anh. §§ 1068, 1069 Rn. 10. 54 Staudinger/Heinze (2021), Anh. §§ 1068, 1069 Rn. 6. 55 Siehe oben § 13 C. I. 4. Geltung im Immaterialgüterrecht. 56 Siehe auch zum UrhR Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 9. 57 Siehe zu Verfügungsinstrumenten oben § 9 F. Verfügungsinstrumente; siehe zu §§ 398, 413 BGB im Lizenzrecht etwa Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 11, sowie oben § 13 G. VII. 1. Das Abstraktionsprinzips und immaterialgüterrechtliche Verfügungen. 58 Habersack, SachenR, Rn. 10. 59 Siehe dazu auch die Grafik oben bei § 9 G. III. 6. b) Stellungnahme. 60 Staudinger/Heinze (2021), vor §§ 1030 ff. Rn. 5; Sontis, FS Larenz I, 981 (994, 991 ff.); dazu auch eingehend oben § 13 H. I. Ungeteiltes Sacheigentum und Funktionseigentum. 52 Staudinger/Heinze
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
der Unteilbarkeit seit jeher die größten Probleme bereiten.61 Dennoch sollte die Konstruktion berücksichtigen, dass das Sacheigentum eine komplexe Einheit ist, die sich nicht katalogartig inhaltlich aufteilen lässt.
Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte an relativen Rechten Generelle Fragen wirft die Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte an relativen Rechten auf, und zwar bezüglich des Verhältnisses von Verfügungsobjekt und Rechtsobjekt: ist beispielsweise die Forderung Rechtsobjekt des Nießbrauchs? Außerdem muss erklärt werden, wie sich die relativrechtliche Rechtsnatur der belasteten relativen Rechte mit der dinglichen Rechtsnatur des beschränkten dinglichen Rechts vereinbart. Auch dies spricht gegen eine einfache Aufteilung der Forderung auf inhaltlicher Ebene. Zwar sind Forderungen keine absoluten Herrschaftsrechte, es wäre aber dogmatisch nicht überzeugend, z. B. das an Forderungen bestellbare Nießbrauchsrecht als anderes Nießbrauchsrecht zu verstehen als das, welches etwa an einem Patentrecht bestellt werden kann. Beide Rechtseinräumungen richten sich nach § 1068 BGB und dieser differenziert nicht verschiedene Arten des Nießbrauchs, sondern gestattet diesen einheitlich für verschiedene Arten übertragbarer Rechte. Eine Theorie beschränkter dinglicher Rechte muss also zeigen können, wie es möglich ist, dass z. B. das Nießbrauchsrecht an einer Forderung „dinglichen Charakter“ hat, andererseits aber deren Rechtsnatur als relatives Recht teilt.62
Einziehungs- und Kündigungsbefugnis des Nießbrauchers an Forderungen Nach § 1074 BGB ist der Nießbraucher einer Forderung zur Einziehung der Forderung und, wenn die Fälligkeit von einer Kündigung des Gläubigers abhängt, zur Kündigung berechtigt. Man könnte versuchen, dies i. S. v. aus der Forderung abgespaltenen inhaltlichen Befugnissen zu lesen, so dass ein qualitativer Teil der Forderung beim Gläubiger und einer beim Nießbraucher läge. In den Motiven ist die Rede von einem teilweisen Übergang der „Gläubigerschaft“ in Form des Einziehungsrechts,63 was eher die gesamte Forderung als subjektives Recht in den Mittelpunkt stellt. Denkbar wäre ein Fokus auf der Verfügungsmacht über die Forderung als Gesamtheit. Erhellend ist auch die dann folgende Aussage der Motive: „Man kann es indessen nicht als Aufgabe des Gesetzes erachten, die juristische Konstruktion des Rechtes des Nießbrauchers, sei es durch Annahme einer Vertretungsmacht desselben oder durch Fiktion des Gläubigers als Mitempfängers zu bestimmen.“64
Dies zeigt noch einmal, dass es keine bestehende Konstruktion freizulegen, sondern eine möglichst konsistente Konstruktion zu entwickeln gilt. Die von den 61
Siehe oben § 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). Vgl. MüKoBGB/Pohlmann, § 1068 Rn. 12 ff. 63 Mot. III, 544 = Mugd. III, 304. 64 Mot. III, 545. = Mugd. III, 304. 62
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte635
Motiven angesprochenen Überlegungen zum Nießbrauch an Forderungen als Fall gesetzlicher Vertretungsmacht sollen hier unterbleiben. Mit einer Fiktion des Gläubigers als Mitempfänger spricht der Gesetzgeber aber zumindest eine gewisse Verfügungsmacht desselben über die Gesamtforderung oder eine Art Aufteilung der Rechtsinhaberschaft an. Nach heutiger Sicht gewährt § 1074 S. 1 BGB dem Nießbraucher „eine beschränkte Verfügungsbefugnis“,65 also teilweise Verfügungsmacht über die gesamte Forderung. Nach alldem hat es nicht den Anschein, als böte eine inhaltliche Aufspaltung der Forderung eine befriedigende Erklärung für den Nießbrauch an derselben.
Surrogation belasteter Forderungen Tritt an die Stelle einer mit Nießbrauch belasteten Forderung ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung, besteht außerdem der Nießbrauch „kraft dinglicher Surrogation an dem Schadensersatzanspruch fort“.66 Zwar berechtigt der Nießbrauch zum umfassenden Bezug der Nutzungen. Versteht man ihn aber als Abspaltung vom Stammrecht, ist es schwer zu erklären, wie sich der dem Nießbraucher zugewiesene Teil der Forderung beim Erlöschen (§ 281 Abs. 4 BGB) 67 der (gespaltenen) Gesamtforderung nun zugunsten des Nießbrauchers in einen Schadensersatzanspruch verwandelt. Der Gesetzgeber verweist darauf, „daß die Schadensforderung materiell identisch ist mit der unerfüllbar gewordenen Forderung und dem Gläubiger den Leistungsgegenstand nur in einer anderen Gestalt, aber vermöge desselben Schuldgrundes verschafft.“ Dies sei eine „aus den allgemeinen Grundsätzen abzuleitende Konsequenz“.68
Dieser Gedanke funktioniert aber nur dann, wenn die Forderung als Ganze durch einen Schadensersatzanspruch ersetzt wird und nicht zuvor in zwei Teile zerfällt, die nun jeweils in Schadensersatzansprüche umgewandelt werden. Auch hier erscheint es daher plausibler, dass sich der Nießbrauch auf das gesamte Rechtsverhältnis bezieht und über die inhaltlich unangetastete Forderung durch Wechsel der Forderungsinhaberschaft oder Abspaltung bestimmter Verfügungsbefugnisse verfügt wird.
III. Mögliche Bezugspunkte der Abspaltung Aus dem Gesagten folgen mehrere Punkte in der Konstruktion absoluter Herrschaftsrechte, auf die sich eine Abspaltung beziehen könnte. 65 MüKoBGB/Pohlmann, § 1074 Rn. 3; NK-BGB/Lemke, § 1074 Rn. 2; siehe auch Staudinger/ Heinze (2021), § 1074 Rn. 2, 15. 66 MüKoBGB/Pohlmann, § 1074 Rn. 2; Staudinger/Heinze (2021), § 1074 Rn. 19; Mot. III, 548 = Mugd. III, 306. 67 MüKoBGB/Ernst, § 281 Rn. 111, 104 (Erlöschen des Primäranspruchs bei Verlangen von Schadensersatz). 68 Mot. III, 548 = Mugd. III, 306.
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Aufgespalten und geteilt werden könnten (zumindest): 1) die Rechtsinhaberschaft: das Verfügungsobjekt bleibt unverändert, der beschränkt dinglich Berechtigte erhält aber als zusätzlicher Rechtsinhaber einen Teil der Inhaberschaft, so dass der Stammrechtsinhaber nicht mehr alleiniger Inhaber der Rechtsposition ist; 2) der qualitative Rechtsinhalt: bestimmte Befugnisse i. S. v. artverschiedenen Rechtsinhalten werden übertragen, z. B. der Ausschluss der Geltendmachung bestimmter Nachbarrechte oder das Recht, auf dem belasteten Grundstück zu bauen (nicht: das Recht, ein bestimmtes Gebäude oder für eine bestimmte Dauer zu bauen), sowie 3) die Verfügungsmacht bzw. Ausprägungen davon.
IV. Spaltung des Rechtsinhalts (qualitative Spaltung) Es stellt sich also die Frage, wie der Vorgang der Abspaltung zu verstehen ist. Gängige Meinungen hierzu sind häufig eher allgemein gehalten, so dass sie in Richtung einer Spaltung des Rechtsinhalts verstanden werden könnten: „Als zutreffend erscheint […] die Annahme, die Belastung eines Rechts führe zu einer Abspaltung und Verselbständigung bestimmter Befugnisse des Vollrechtsinhabers und damit letztlich zu einer Aufteilung der in dem (unbelasteten) Recht verkörperten Befugnisse.“69
Eine ähnliche Sicht findet sich bei E. Herrmann, die ausdrücklich von einer Zerlegung der in § 903 S. 1 BGB genannten Befugnisse spricht: Das Eigentum sei zerlegbar, diese „Zerlegbarkeit“ zeige sich „darin, daß es die Eigenschaft der Teilbarkeit besitzt: Die mit dem Eigentum verbundenen Befugnisse, wie sie sich aus § 903 S. 1 BGB ergeben, lassen sich vom Vollrecht abtrennen und – versehen mit eigener Rechtsqualität – rechtlich selbständig behandeln, etwa durch die Möglichkeit der Übertragung auf andere (Beispiele: Grunddienstbarkeit, Hypothek).“70
Die Theorie der Spaltung des Rechtsinhalts soll offenbar auf Forderungen konsequent in derselben Weise wie auf das Sacheigentum angewandt werden: Die Bestellung eines Pfandrechts an einer Forderung habe man sich „als Abspaltung der Verwertungsbefugnis von der Forderung und Verselbständigung in der Person des Pfandgläubigers vorzustellen. Der Pfandgläubiger erlangt dadurch ein eigenes Forderungsrecht, welches zwar den Bestimmungen der §§ 1281 ff. BGB unterliegt, aber seinerseits nach Maßgabe dieser Vorschriften das fortbestehende Forderungsrecht des Gläubigers beschränkt. Das Pfandrecht an einer Forderung existiert also nicht als Recht an der Forderung, sondern tritt als selbständiges Recht neben dieselbe.“71
Hieraus folgert Habersack, dass die Forderung nicht Rechtsobjekt beschränkter dinglicher Rechte ist und die Rechtsnatur der Forderung dank ihrer Aufspaltung auch das von ihr abgespaltene beschränkte dingliche Recht charakterisiert:
69
Habersack, SachenR, Rn. 10. E. Herrmann, Kernstrukturen des Sachenrechts, 94 ff. 71 Habersack, SachenR, Rn. 11. 70
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte637
„Für den Nießbrauch und das Pfandrecht an der Forderung gilt […], dass sie ebensowenig wie die Forderung selbst einen Gegenstand zuordnen und deshalb nur als relatives Recht qualifiziert werden können. Wenn in §§ 1068 ff., 1273 Abs. 1 [BGB] davon die Rede ist, dass Gegenstand eines Nießbrauchs oder Pfandrechts ‚auch ein Recht‘ sein kann, so darf dies mithin nicht in dem Sinne verstanden werden, dass das Vollrecht selbst Objekt des beschränkten Rechts sei.“72
Die Einstufung beschränkter dinglicher Rechte an Forderungen als relative Rechte wird von dieser Lehre also offenbar ebenfalls damit erklärt, dass ein Teil der Befugnisse des Vollrechtsinhabers (= des Forderungsgläubigers) auf den dinglich Berechtigten übergegangen, die Forderung mithin qualitativ gespalten ist. Dieser Splitter der Forderung teilt daher deren Eigenschaft als relatives Recht. Die Spaltung des Rechtsinhalts hat fraglos konstruktive Stärken: Sie ist für viele Fälle ausreichend und plausibel und könnte beschränkte dingliche Rechte mit Lizenzen möglicherweise auf einer Stufe abhandeln,73 was das System vereinfachen würde. Darin liegt aber zugleich ihr Problem. Da beschränkte dingliche Rechte explizit auch an relativen Rechten eingeräumt werden können (wofür das BGB zudem mehrere Spezialregeln bereithält [s. insbesondere §§ 1074 ff. BGB], es handelt sich also um keinen vernachlässigbaren Sachverhalt) ohne ihre dingliche Rechtsnatur ganz aufzugeben, scheint besagte Vereinfachung das Bild zu stark zu verkürzen. Insbesondere können beschränkte dingliche Rechte von Forderungen keine kategorial anderen Befugnisse abspalten als von absoluten Herrschaftsrechten. Eine Vereinfachung der Dogmatik bedeutet zudem zugleich eine Verkürzung der möglichen Gestaltungsvarianten. Letztere sind jedoch im Schnittbereich von Sachen- und Immaterialgüterrecht, beschränkten dinglichen Rechten, Lizenzen und Forderungen zahlreich. Beispielsweise gerät diese Dogmatik ins Wanken, wenn der Unterschied zwischen einem Nießbrauch an einer Marke, einer Markenlizenz und einer Teilübertragung der Marke erklärt werden soll.74
Daher bedarf es eines komplexeren Bildes, das die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte auf anderen Ebenen als (nur) der inhaltlichen Spaltung erklärt.
E. Differenzierte Spaltung Eine inhaltliche Spaltung des Stammrechts, also eine verfügende Aufteilung der Befugnisse (genauer gesagt der Verbotsrechte und der dadurch geschützten Freiräume) scheidet, wie dargelegt wurde, aus. Beschränkte dingliche Rechte lassen sich nicht als Abspaltung eines benennbaren inhaltlichen Teils des Stammrechts erklären, der diesem danach fehlt. Vielmehr setzen sie tendenziell beim Gesamtrecht an, sie „belasten“ das unveränderte und ungeteilte Stammrecht. 72
Habersack, SachenR, Rn. 12. E. Herrmann, Kernstrukturen des Sachenrechts, 94. 74 Siehe unten § 17 D. II. 1. Rechtsabspaltung – Translative Rechtsübertragung. 73
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Auch die zuvor gezeigten Anforderungen an die Abspaltungslehre müssen Teil der Konstruktion sein: Hierzu zählen die Übertragung des Stammrechts, seine Unteilbarkeit/Totalität und die absolute Rechtsnatur75 beschränkter dinglicher Rechte an Forderungen.
I. Vorüberlegungen anknüpfend an Wilhelm Jan Wilhelm schließt sich im Wesentlichen der Abspaltungslehre an, das beschränkte dingliche Recht – wie auch oben gezeigt – stellt demnach einen Ausschnitt des belasteten Rechts und also im Falle des Sacheigentums ein Recht an der Sache dar. Er bietet aber für die Frage beschränkter dinglicher Rechte an Forderungen eine Erklärung, die zugleich auf die Mehrzahl der beschränkten dinglichen Rechte passt, welche eben nicht als Abspaltung inhaltlicher Befugnisse verstanden werden können. Anstelle einer Spaltung auf inhaltlicher (synonym: qualitativer) Ebene stellt er maßgeblich auf die Ebene der Rechtsinhaberschaft ab. Wilhelm verweist auf die „Subjektseite der Zuordnung“ und darauf, dass eine Forderung dem Gläubiger genauso „gehört“ wie das Eigentum dem Eigentümer.76 Und da jedes subjektive Recht nur einmal zugeordnet werden kann, ist auch die Zuordnung einer Forderung absolut,77 oder mit Wilhelms Worten: „Auch relative Rechte sind […] insoweit absolut, als sie nur dem Berechtigten gehören.“78
Von dieser absoluten Zuordnung werde ein Teil als beschränktes dingliches Recht abgespalten. Wilhelm führt weiter aus: „Verpfändung einer Forderung ist Teil-Übertragung der Forderung auf ein anderes Rechtssubjekt (Befugnisabspaltung aus ihr an den Pfandgläubiger), so wie die Verpfändung einer Sache, rechtlich genau betrachtet, Teilübertragung des Eigentums an den Pfandgläubiger ist.“79
Entsprechendes gelte für das Eigentum und andere absolute Herrschaftsrechte: „Dem Eigentümer gehört das Recht an einer Sache im Ausgangspunkt, also bevor ein beschränktes Recht ‚an der Sache‘ bestellt wird, ausschließlich. […] Wird jetzt ein beschränktes Sachenrecht oder ein Recht am Recht bestellt, so teilt sich die Zuordnung des Gegenstands des Quellrechts zwischen dem ursprünglich ausschließlich Berechtigten des Quellrechts (dem Eigentümer bzw. dem Inhaber des anderen Rechts) und dem Inhaber des beschränkten Rechts auf.“80
Diese Ansiedlung der Abspaltung auf Ebene der Rechtsinhaberschaft findet sich etwas verkürzt auch bei anderen Autoren.81 75 Siehe dazu auch oben § 12 A. IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit). 76 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 126 (für die Forderung). 77 Siehe oben § 12 A. IV. Die Absolutheit als Rechtsinhaberschaft (Rechtszuständigkeit). 78 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 3. 79 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 126 [Hervorh. im Original]. 80 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 128. 81 Herbst, Die rechtliche Ausgestaltung der Lizenz, 124 ff., 129 (die Verfügung grenze einen
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte639
II. Unteilbarkeit des Sacheigentums Jedes Modell der beschränkten dinglichen Rechte muss die Totalität, die inhaltliche Unteilbarkeit des Sacheigentums berücksichtigen. Sontis plädiert dafür, beschränkte dingliche Rechte nicht auf Ebene des Rechtsinhalts, sondern der Verfügungsmacht zu verorten: „Die ‚konstitutive‘ Nachfolge beruht nicht auf der Macht, die den spezifischen Inhalt des ‚Mutterrechts‘ bildet, sondern auf der jedes Vermögensrecht grundsätzlich begleitenden Verfügungsmacht (im technischen Sinne), deren Ausübung wohl die Beschränkung der Ausübung des spezifischen Gehalts des ‚Mutterrechts‘, keineswegs aber die Teilung dieses Inhalts zur notwendigen logischen Voraussetzung hat.“82
Solange das Sacheigentumsrecht nicht inhaltlich geteilt wird, gibt es auch keine Probleme mit dem Grundsatz der Unteilbarkeit. Der Einwand der Unteilbarkeit ist nämlich auf Ebene der Rechtsinhaberschaft falsch platziert. Die Unteilbarkeit/ Totalität des Sacheigentums bezieht sich auf die Unteilbarkeit des Rechtsinhalts, nicht der Rechtsinhaberschaft.83
III. Rechtsnatur der Sicherungs- und Erwerbsrechte Oben wurde gezeigt, dass die Verfügungsmacht eine den Inhalten des subjektiven Rechts angelagerte Macht ist, die im Ausgangszustand mit der Rechtsinhaberschaft verbunden ist. So wurde dargelegt, dass sich Sicherungsrechte (Pfand, Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld, Reallast) am ehesten auf Verfügungsebene beschreiben lassen: sie bestehen im Wesentlichen aus Verfügungsmacht über fremde Vollrechte. Es geht um Handlungen mit dem Stammrecht als Ganzem, nicht um die Abspaltung inhaltlicher Verbotsrechte (wie z. B. bei der Einräumung eines urheberrechtlichen Verbreitungsrechts für ein Musikstück). Hierfür wurde das Beispiel der Grundschuld angeführt, durch die dem Sicherungsnehmer ein Verwertungsrecht des ungeteilten Stammrechts eingeräumt wird.84 Dessen Kern bildet die Verwertungsbefugnis im Sicherungsfall, wobei es sich um eine Ausprägung der zur Verfügungsmacht zählenden Übertragungsmacht handelt. Dasselbe ist noch einmal am Beispiel der Hypothek zu zeigen. Räumt ein Eigentümer ein beschränktes dingliches Recht ein, passiert Folgendes (am Beispiel der Hypothek): Gegenstand der Hypothek ist im Wesentlichen die Verwertungsbefugnis als Ausprägung der Übertragungsmacht. Diese wird durch die Verfügung in geeignetem Umfang abgespalSplitter/Teilbereich der Rechtszuständigkeit im Umfang des jeweiligen beschränkten dinglichen Rechts ab und weise ihn dem Erwerber zu); Ohly, volenti non fit iniuria, 148 (Verlust an Verfügungsbefugnis durch Einräumung beschränkter dinglicher Rechte). 82 Sontis, FS Larenz I, 981 (994). 83 Dazu oben § 13 H. I. Ungeteiltes Sacheigentum und Funktionseigentum. 84 Siehe oben § 9 G. III. 5. a) Übertragungsmacht, 6. b) Stellungnahme.
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
ten und auf den Hypothekengläubiger übertragen. Dieser wird dadurch zum Rechtsinhaber der Hypothek. Mit dieser Inhaberschaft verbunden ist neben besagter Verfügungsmacht ein kleiner Ausschnitt aus dem Recht, der zur Sicherung der Liegenschaft dient (§ 1134 BGB). Insoweit kommt es aber zu keiner echten Abspaltung von Rechtsinhalten, die beim Sacheigentum aufgrund seiner Unteilbarkeit problematisch wäre. Der Hypothekengläubiger greift auf dieselben Rechte zu wie der Eigentümer, der gleichfalls „eine die Sicherheit der Hypothek gefährdende Verschlechterung des Grundstücks“ (§ 1134 Abs. 1 BGB) abwehren könnte.
Nichts wesentlich anderes gilt für Erwerbsrechte (Vorkaufsrecht, Vormerkung) – diese bestehen aus der erforderlichen Verfügungsmacht, um das unveränderte Stammrecht zu erwerben. Sie ermächtigen zu einer Handlung am Stammrecht.
IV. Rechtsnatur der Nutzungsrechte Probleme bereiten auf den ersten Blick die Nutzungsrechte, die Verwandtschaft mit der Lizenzeinräumung (synonym der Einräumung von Nutzungsrechten, vgl. § 31 UrhG) haben. Während der Nießbrauch im Ausgangspunkt immerhin eine globale Nutzungsberechtigung ist (§ 1030 Abs. 1 BGB: „die Nutzungen der Sache“), bereiten Dienstbarkeiten größere Schwierigkeiten. Sie könnten als Abspaltung konkreter inhaltlicher Befugnisse verstanden werden und Nähe zu Lizenzen haben. Abgesehen davon, dass spezielle Ausnahmen nicht automatisch die Tauglichkeit des Gesamtmodells in Frage stellen, dürften aber auch Nutzungsrechte als Abspaltung auf einer dem Rechtsinhalt vorgelagerten Ebene zu verstehen sein.
1. Nießbrauch Fraglich ist nach dieser Darstellung zunächst, was das Nießbrauchsrecht ist. Die Sicherungs- und Erwerbsrechte wurden als Abspaltung von Verfügungsmacht charakterisiert, die – ohne den Rechtsinhalt anzurühren – auf den beschränkt dinglich Berechtigten übergeht. Die beschränkten dinglichen Nutzungsrechte hingegen beziehen sich auf den Inhalt des Stammrechts, der Berechtigte soll im Falle des Sachnießbrauchs die Nutzungen der Sache ziehen dürfen (§ 1030 Abs. 1 BGB). Um eine Spaltung des Rechtsinhalts zu vermeiden und den automatischen Heimfall zum Stammrecht zu bewältigen, charakterisiert Heinze beschränkte dingliche Rechte in Ablehnung der Abspaltungstheorie als Duldung.85 Hauck tritt aus ähnlichen Erwägungen wie gesagt für eine Vergemeinschaftung i. S. e. gemeinsamen Inhaberschaft ein.86 M. E. liegen diese Ansichten nicht weit voneinander entfernt: Die Duldung ist der Zweck, die Vergemeinschaftung das Mittel. Und auch dieses Mittel lässt sich genauer fassen, nämlich durch eine Aufteilung der Rechtsinhaberschaft. Die Verfügungsmacht des Eigentümers lässt es zu, einen anderen auf Ebene der Rechtsin85 Staudinger/Heinze 86
(2021), vor §§ 1030 ff. Rn. 5. Siehe oben B. Hauck: Vergemeinschaftung des Stammrechts.
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte641
haberschaft am Eigentum teilhaben zu lassen. Dies erklärt, weshalb auf die Übertragungsregeln abgestellt wird: Wie bei der Eigentumsübertragung wird auch hier ein Teil der Inhaberschaft übertragen. Anders als bei den Sicherungs- und Erwerbsrechten ist Inhalt des Rechts kein relevanter Ausschnitt der Verfügungsmacht des Eigentümers (nur so viel, um das Recht wieder aufzugeben), sondern es geht um eine Abspaltung und Übertragung auf Ebene der Inhaberschaft. Das Ausmaß des eingeräumten Nießbrauchs (s. § 1030 Abs. 2 BGB) bestimmt sich nach dem „Inhalt der Belastung“.87 Der Nießbrauch tritt nicht als neu geschaffenes Recht neben das Sacheigentum, sondern wird aus diesem abgespalten, aber nicht herausgelöst. Der dinglich beschränkt Berechtigte erhält einen Teil der Rechtsinhaberschaft des Sacheigentümers dergestalt, dass er gemeinsam mit diesem Inhaber des Sacheigentums ist und dabei den Teil erhält, der das jeweilige Nießbrauchsrecht ausmacht. Dieser wirkt sich auf das Sacheigentum (durch seinen so weit vorgelagerten Ansatzpunkt) eher als Belastung denn i. S. e. fehlenden Teils aus. Die Inhaberschaft ist, wie oben gezeigt, ein Modus, in dem die Person zum Recht steht.88 Ihre Übertragung ist daher zwar Bestandteil aller übertragenden Verfügungen über Rechte, sie ist aber nur die Beziehung/Relation zum Verfügungsobjekt und selbst kein Rechtsgegenstand. Beim Nießbrauch an Rechten bezieht sich der Nießbrauch zwar ebenfalls auf die Beschränkung der Verfügungsmacht des Stammrechtsinhabers.89 Da sich dies aber wieder nicht in einer Übertragung von Verfügungsmacht niederschlägt, gilt auch für den Nießbrauch an Rechten das Modell der geteilten Inhaberschaft.
2. Dienstbarkeiten Die Rechtsprechung90 verneint in Inhaltsbeschreibungen/Charakterisierungen von Dienstbarkeiten explizit die Möglichkeit der verfügenden Abspaltung von Nutzungsbefugnissen und von Verfügungsmacht zugunsten des Berechtigten. Die „rechtliche Verfügungsfreiheit“ des Eigentümers darf nicht beschränkt werden,91 z. B. durch das Verbot einer Belastung oder Veräußerung des Grundstücks.92 Während Sicherungs- und Erwerbsrechte vor allem Verfügungsmacht über das Eigentum zum Inhalt haben, sollen sich Dienstbarkeiten auf bestimmte Handlungen rund um das Grundstück (also Handlungen in Bezug auf ein Nachbargrundstück oder einen persönlich Berechtigten) beziehen, sei es, dass Handlungen vorgenommen werden dürfen oder unterlassen werden müssen. Ihr Gegenstand ist nicht die Übertragung oder Einschränkung von Verfügungsmacht, also rechtlicher Handlungsmacht. 87 Vgl.
Hauck, Nießbrauch an Rechten, 119. Siehe oben § 2 F. II. Der Modus der Rechtsinhaberschaft. 89 MüKoBGB/Pohlmann, § 1068 Rn. 16. 90 Siehe die Nachweise in Fn. 48. 91 Staudinger/Weber (2017), § 1018 Rn. 78. 92 Staudinger/Weber (2017), § 1018 Rn. 77. 88
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Dennoch ist die Bestellung einer Dienstbarkeit eine Verfügung. Daher geht mit der Einräumung einer Dienstbarkeit immer ein Verlust an Verfügungsmacht einher. Durch diese Verfügung räumt der Eigentümer dem Berechtigten aber keine eigene, positive Verfügungsmacht ein, sondern belastet sein Eigentum inhaltlich. Das bedeutet keine inhaltliche Spaltung des Eigentums – es sind nicht bestimmte Eigentümerbefugnisse verfügend und zulasten des Stammeigentums auf den Dienstbarkeitsberechtigten übergegangen. Dafür spricht auch die Unübertragbarkeit der Dienstbarkeiten (s. §§ 1059, 1092 BGB; auch die Grunddienstbarkeit ist als Bestandteil des herrschenden Grundstücks nicht von diesem separat übertragbar93).
3. Verhältnis von Stammrechtsinhaber und dinglich Berechtigtem Gerade bei den Nutzungsrechten stellt sich die Frage, wie der Stammrechtsinhaber und der beschränkt dinglich Berechtigte zueinander stehen. Angenommen wurde oben eine Abspaltung auf Ebene der Rechtsinhaberschaft. Wie Hauck aber schon zu Recht ausführt, passen die Regeln des Bruchteilseigentums (§§ 1008 ff., 741 ff. BGB) nicht, da die Befugnisse des beschränkt dinglich Berechtigten relativ genau definiert und unterschiedlich von denen des Eigentümers sind.94 Auch das in § 8 Abs. 2 S. 1 UrhG95 angeordnete Konzept einer speziellen Form der Gesamthandsgemeinschaft passt nicht, weil beschränkt dinglich Berechtigte gerade nicht abhängig vom Votum des Stammrechtsinhabers sind. Das Bruchteilseigentum bzw. die Bruchteilsgemeinschaft zeigen aber, dass eine Spaltung auf Ebene der Rechtsinhaberschaft dem Zivilrecht nicht fremd ist. Anders als bei der Gesamthand ist nicht ein einziges Rechtsubjekt, in dem sich mehrere Personen vereinigen, Rechtsinhaber, sondern die Rechtsinhaberschaft ist auf mehrere Personen aufgeteilt.96 Hier ist an den Vorschlag von Hauck anzuknüpfen und die (nach hier vertretener Ansicht) gespaltene Rechtsinhaberschaft entsprechend dem Inhalt der eingeräumten Nutzungsrechte zu gestalten.
4. Klarstellung des Unterschieds zu Sicherungs- und Erwerbsrechten Bei Sicherungs- und Erwerbsrechten besteht der hauptsächliche Inhalt des eingeräumten Rechts aus Verfügungsmacht, die dem Eigentümer bzw. Stammrechtsinhaber nicht nur fehlt, sondern dem Berechtigten anwächst. Er ist wie der Nießbraucher oder Dienstbarkeitsberechtigte teilweiser Inhaber des Stammrechts. 93
Vgl. Staudinger/Weber (2017), § 1018 Rn. 167. Hauck, Nießbrauch an Rechten, 123 ff. 95 BGH GRUR 2012, 1022 Rn. 18 – Kommunikationsdesigner; OLG Frankfurt a. M. ZUM 2006, 332, 334 – Erstverwertungsrechte; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 8 Rn. 12 ff.; ausführlich Szalai, UFITA 2012/I, 5 (25 ff., 43 ff.) (Gesamthandsgemeinschaft als „besondere Art der Vermögensbindung, die der Bruchteilgemeinschaft ähnelt“). 96 BGHZ 36, 365 = NJW 1962, 1109 („in seinem Wesen dem Sacheigentum gleichartig, also Eigentum und ein selbständiges Recht in gleicher Art wie das Recht als Ganzes“); BGH NJW 2020, 2104 Rn. 49; Erman/Aderhold, § 741 Rn. 1; MüKoBGB/Schmidt, § 741 Rn. 2; Staudinger/von Proff (2021), vor §§ 741 ff. Rn. 12. 94
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Seine Inhaberschaft verbindet ihn aber mit einem Ausschnitt der zum Eigentum zählenden Verfügungsmacht. Eine inhaltliche Aufspaltung geht damit wie gesagt nicht einher. Nießbraucher und Dienstbarkeitsberechtigte hingegen erhalten nur insofern Verfügungsmacht, als sie sich von ihrem Recht wieder lösen können. Den eigentlichen Inhalt ihres beschränkten dinglichen Rechts bilden Nutzungsbefugnisse aus dem Stammrecht, die jedoch unabgespalten im Stammrecht verbleiben.
V. Die Dinglichkeit beschränkter dinglicher Rechte an relativen Rechten Bei der Einräumung beschränkter dinglicher Rechte an relativen Rechten stellt sich die Frage, wieso die Rechtsinhaberschaft auf einmal dingliche Merkmale erhält, die sie ansonsten nicht hat. Beispielsweise wird das Pfandrecht an einer Forderung „… durch eine Übertragung der Forderung genausowenig berührt wie durch einen Konkurs des Forderungsgläubigers oder durch einen Vollstreckungszugriff Dritter auf die Forderung“.97
Wie vereinbart sich das miteinander? Wolff/Raiser vertreten insoweit, ein Pfandrecht an einer Forderung sei zwar „inhaltlich von derselben Beschaffenheit“ wie die Forderung, habe aber dennoch dinglichen Charakter.98 Ähnlich stellen Baur/ Stürner fest, das beschränkte Recht habe (nur) im „Verhältnis zum belasteten Recht […] dinglichen Charakter“.99 Etwas deutlicher wird Damrau: „Das Pfandrecht am Recht hat […] denselben Inhalt wie das beschwerte Recht. Das Pfandrecht ist z. B. ein absolutes Recht, wenn das beschwerte Recht ein Patentrecht ist. Im Verhältnis zum belasteten Recht hat das Pfandrecht stets dingliche Natur.“100
Dies scheint auf dieselbe Überlegung hinauszulaufen, die Wilhelm eingehender darlegt.101 Demzufolge genießt die Rechtsinhaberschaft des Gläubigers bereits unabhängig von daran bestehenden beschränkten dinglichen Rechten einen gewissen Schutz, der sonst vor allem dinglichen Rechten zu eigen ist: Wird vom Vollstreckungsgläubiger eine Forderung eingezogen, die nicht (mehr) zum Vermögen seines Schuldners gehört, kann auch der wahre (forderungszuständige) Gläubiger Drittwiderspruchsklage erheben.102 Entsprechend kann er fälschlich für die Masse beanspruchte Forderungen aussondern103 und auch vom Scheingläubiger kondizieren (§ 816 Abs. 2 BGB).104 97
Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 135 Rn. 3. Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 175 I (717 f.). 99 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 60 Rn. 3. 100 MüKoBGB/Damrau, § 1273 Rn. 1. 101 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 139. 102 Siehe nur BGH NJW 1977, 384 (385); BGH NJW 1986, 2362; MüKoZPO/Schmidt/Brinkmann, § 771 Rn. 4; BeckOK ZPO/Preuß, § 771 Rn. 3. 103 MüKoInsO/Ganter, § 47 Rn. 204; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 49. 104 MüKoBGB/Schwab, § 816 Rn. 73 f. 98
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Auf den Einwand, dass ein Pfandrecht an einer Forderung gewisse dingliche Eigenschaften hat, die der Forderung als relativem Recht fremd sind ist daher zu antworten, dass die Forderungszuständigkeit diesen Schutz sehr wohl auch ohne Bestellung eines beschränkten dinglichen Rechts genießt, nur eben nicht der Forderungsinhalt. Das Verständnis des Pfandrechts (und des Nießbrauchs) an Forderungen als aus der Rechtsinhaberschaft/Forderungszuständigkeit abgespaltenes Recht ist daher insoweit konsistent. Auch der Fortbestand beschränkter dinglicher Rechte im Falle der Übertragung der Forderung105 erklärt sich aus der Abspaltung der Inhaberschaft und Verfügungsbefugnis – die Übertragung der teilweisen Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis belässt dem Stammrechtsinhaber nur die Möglichkeit, den ihm verbleibenden Teil zu übertragen. Das Pfandrecht haftet nicht an der Forderung als Gegenstand und folgt ihr, sondern beschränkt die Rechtsinhaberschaft im Falle ihrer Übertragung.106 Kritischer für die Abspaltungslehre wäre es, wenn das Pfandrecht an Forderungen Schutz nach § 823 Abs. 1 BGB und § 1004 BGB (analog) genösse, die Forderungsinhaberschaft aber nicht. Die Einordnung des Pfandrechts an Forderungen als absolutes und über § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Recht in der Literatur geht aber für gewöhnlich mit der Anerkennung deliktischen Schutzes der Forderungsinhaberschaft einher.107 Daher sind nach h. M. Pfandrechte an Forderungen über § 823 Abs. 1 BGB genauso wenig geschützt wie die Forderungszuständigkeit.108 Trotz des Gesagten beziehen die beschränkten dinglichen Rechte nicht sämtliche ihrer Eigenschaften aus dem Stammrecht. Schon der Umstand, dass sie streng enumerativ kodifiziert sind, zeigt, dass sie über die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten hinausgehen, die die Parteien ohne sie hätten. Stünde das Pfandrecht nicht im Gesetz, könnten Parteien es – vorbehaltlich richterlicher Rechtsfortbildungen – auch nicht einräumen. Schon die Abspaltbarkeit ist also eine dem Stammrecht nicht-inhärente, sondern gesetzlich hinzugefügte Eigenschaft.109 Dies erklärt auch das Phänomen der Rangordnung mehrerer Pfandrechte an einer Forderung (§ 1290 BGB). Auch die Regelung beschränkter dinglicher Rechte an herrenlosen Sachen fällt hierunter. Es ist nach Ansicht von Wilhelm gerade nicht der Regelfall, dass der Stammrechtsinhaber das belastete Recht nach Belieben aufgeben kann und die daran bestehenden beschränkten dinglichen Rechte kraft ihrer selbständigen ding105
Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 175 (718). Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 146. 107 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 330, 307; siehe auch RGRK/Steffen, § 823 Rn. 29. 108 Erman/Wilhelmi, § 823 Rn. 36; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 29; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 93; Wilhelm spricht sich indes für einen Schutz der Forderungsinhaberschaft über § 1004 BGB (analog) aus und ergänzend für ihre Anerkennung als sonstiges Recht unter § 823 Abs. 1 BGB, Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 139 ff. 109 Rechtsinhaberschaft ist wie gesagt auch ohne Verfügungsmacht denkbar, siehe oben § 9 G. IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. 106
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte645
lichen Natur weiterexistieren. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus dem Rechtsverhältnis zwischen Stammrechtsinhaber und dinglich Berechtigtem. Vielmehr führe die Abspaltung von Teilen der Rechtsinhaberschaft zur Nichtberechtigung nach § 185 BGB, weshalb die Aufgabe des Stammrechts der ausnahmsweisen Zulässigkeit bedürfe.110 Für die aus diesem Blickwinkel ausnahmsweise Zulassung der Aufgabe belasteter Stammrechte gelten Sondervorschriften, die den dinglich Berechtigten schützen: – bei Rechten an Grundstücken gibt es für den Fall der Dereliktion das Aneignungsrecht des Fiskus (§ 928 Abs. 2 BGB) sowie prozessuale Sonderregeln für die Prozessfähigkeit und Zwangsvollstreckung im Falle herrenloser Grundstücke (§§ 58, 787 ZPO). Damit kann der beschränkt dinglich Berechtigte sein Recht auch weiterhin realisieren.111 – § 1276 BGB bindet die Aufhebung eines Rechts trotz Bestehens eines Pfandrechts an demselben ebenso wie eine das Pfandrecht benachteiligende Änderung des Rechts an die Zustimmung des Pfandgläubigers. Entsprechende Regeln gibt es für den Nießbrauch an Rechten (§§ 1071 f. BGB), belastete Grundstücksrechte112 (§§ 876 f. BGB) und mit dem Recht eines Dritten belastete Pfandrechte (§ 1255 Abs. 2 BGB).113 – Rechte an beweglichen Sachen (Nießbrauch und Pfand) setzen im Regelfall die Übergabe voraus, was die Zerstörung und die Eigentumsaufgabe durch den Eigentümer erschwert. Einen expliziten Schutz gegen die Dereliktion gibt es aber nicht. Vielmehr nimmt Wilhelm an, diese sei durch § 185 BGB unterbunden, während die h. M. für die Möglichkeit der Dereliktion nach § 959 BGB unter Fortbestand von Nießbrauch und Pfandrecht plädiert.114 Die Frage nach dem Fortbestand dinglicher Rechte angesichts der Aufgabe des Stammrechts ist nach der von Wilhelm vertretenen Sicht also eine in der Zeitabfolge falsche Herangehensweise. Tatsächlich stellte sich zuerst die Frage nach der Möglichkeit der Aufgabe des Stammrechts angesichts beschränkter dinglicher Rechte, die die Rechtsmacht des Stammrechtsinhabers beschränken und ihn hinsichtlich der Aufgabe des gesamten, d. h. unbeschränkten Stammrechts zum Nichtberechtigten machen. 110 Vgl. Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 149 („Das BGB sieht die Aufhebung des Stammrechts zugleich als Aufhebung des Pfandrechts am Recht an und insoweit als Verfügung eines Nichtberechtigten [§ 185]. Deshalb [sic!] wird die […] Aufhebung nach § 1276 I oder II unter den Vorbehalt der Zustimmung des Pfandgläubigers gestellt.“); a. A. Reichard, FS Otte, 265 (277 f.) (das beschränkte dingliche Recht sei „auch ohne das Vollrecht lebensfähig“); Staudinger/Heinze (2020), § 959 Rn. 9 (beschränkte dingliche Rechte seien „selbständige Verfügungsobjekte und deshalb von der Eigentumsaufgabe überhaupt nicht betroffen“); Erman/Ebbing, § 959 Rn. 6. 111 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 150. 112 Zu denen nicht das Eigentum selbst zählt, BGHZ 91, 343 = NJW 1984, 2409 (2410); BGH NJW 2012, 1226 Rn. 7. 113 Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 149; MüKoBGB/Kohler, § 876 Rn. 1. 114 Siehe die Nachweise in Fn. 110.
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Aber selbst, wenn man in diesem Punkt mit der h. M. den Fortbestand abgespaltener dinglicher Rechte bejaht und hierin auch keine Hinderung der Derelik tion sieht, geht dies mit der oben beschriebenen Abspaltungslehre überein.115 Kann der Eigentümer sein belastetes, also in der Inhaberschaft aufgespaltenes Eigentum aufgeben, lässt dies die teilweise Inhaberschaft des dinglich Berechtigten unberührt. Eine Auslegung nach der der Eigentümer belastetes Eigentum einseitig und zulasten des beschränkt dinglich Berechtigten aufgeben kann, kollidiert hingegen unmittelbar mit den gesetzlichen Vorschriften (s. etwa §§ 1064, 1255 BGB sowie die o. g. speziellen Vorschriften zum Schutz des dinglich Berechtigten). Konstruktiv bereitet ein Fortbestand der hier gezeigten Abspaltungslehre keine Probleme. Zurückblickend auf die Frage nach dem Stammrecht als Quelle der Eigenschaften beschränkter dinglicher Rechte sperrt also nach einer Meinung die Aufspaltung der Rechtsinhaberschaft die Verfügungsmacht des Stammrechtsinhabers hinsichtlich der Stammrechtsaufgabe. Hinzugefügte gesetzliche Sonderregeln, die sich nicht aus dem Stammrecht ergeben, sorgen hiernach unter Achtung der Interessen der dinglich Berechtigten dafür, dass dennoch eine Aufgabe des Stammrechts möglich ist. Nach a. A. ist die Dereliktion belasteter Rechte – vorbehaltlich der genannten Sonderregeln – grundsätzlich möglich und lässt beschränkte dingliche Rechte unberührt. Beide Varianten sind mit der Abspaltungslehre vereinbar. Auch bei herrenlosen Sachen kann die abgespaltene Rechtsinhaberschaft des dinglich Berechtigten fortdauern.
VI. Elastizität des Eigentums Durch die Verlagerung der Abspaltung auf die Ebene der Rechtsinhaberschaft und Verfügungsmacht, löst sich auch die Problematik der Elastizität des Eigentums. Sie ergibt sich durch die gesetzliche Gestaltung der Verfügungsmacht: Da die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte immer eine Verfügung kraft Verfügungsmacht ist, kann der Gesetzgeber (gegebenenfalls auch ein Gericht) durch deren Gestaltung die Eigenschaften solcher Rechtseinräumungen bestimmen. Der Eigentümer kann gar keine anderen als „elastische“ beschränkte dingliche Rechte abspalten. Es ist eine gesetzte Eigenschaft beschränkter dinglicher Rechte, nicht zurückübertragen werden zu müssen. Exakt derselbe Gedanke liegt der gebundenen Rechtsübertragung116 zugrunde: der Urheber kann nicht anders als gebunden lizenzieren, seine Verfügungsmacht reicht nicht weiter als bis zu einem Recht, das nach seinem Erlöschen heimfällt, d. h. dem Stammrecht ipso iure wieder anwächst.117 Nur ist das, was den Rechtsinhaber wechselt, im Falle der beschränkten dinglichen Rechte auf Ebene der Rechtsinhaberschaft zu suchen, während bei 115 Vgl. Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 150 (die Abspaltungslehre führe „nicht notwendig [sic!] zu der Annahme, dass das Stammrecht unter Bestehenbleiben des beschränkten Rechts verzichtbar sein muss“). 116 Siehe unten § 17 D. Struktur von Lizenzen. 117 Vgl. zum Begriff Reichard, FS Otte, 265 (277) (der allerdings die Anwachsung auf den Willen des Verfügenden zurückzuführen scheint, S. 278).
§ 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte647
Lizenzen eine vorübergehende Spaltung des Rechtsinhalts möglich ist – das macht die Lizenzierbarkeit aus.
F. Zusammenfassung und Folgerungen Während Belastungslehren beschränkte dingliche Rechte als zusätzliche, von außen neben das Eigentum tretende und dieses belastende, d. h. beschränkende Rechte verstehen,118 versteht Hauck sie als Vergemeinschaftung des Sacheigentums im Umfang des jeweils eingeräumten dinglichen Rechts.119 Die herrschende Ansicht stellt hingegen auf eine Abspaltung von Befugnissen aus dem Sacheigentum ab. Ein Kernargument lautet dabei, dass die Einräumung den Regeln der Übertragung von Rechten unterliegt, was sich gut mit dem Umstand vereinbaren lasse, dass sich beschränkte dingliche Rechte (zumindest zunächst) auf im Eigentum stehende Sachen und damit auf das Sacheigentum beziehen.120 Daraus folgen aber dogmatische Unklarheiten wie insbesondere die Frage, wie damit dingliche Rechte an Forderungen zu erklären sind und wie diese Lehre mit der Unteilbarkeit des Sacheigentums vereinbart werden kann.121 Zweifel daran, dass ein klar definierter Teil des Eigentumsinhalts abgespalten wird, zeigt Forkel auf, der darlegt, dass vielmehr die Interessen der Beteiligten im Vordergrund stünden, denen gemäß die Rechtseinräumung geschehe. Sie schneide entsprechend selektiv quer durch die diversen Befugnisse des Eigentümers („Schnitt durch das Vollrecht“), belasse ihm also relativ viele Befugnisse.122 Besagte Interessen sind nach dem hier aufgezeigten Verständnis „globaler“ angelegt als die Interessen eines Lizenznehmers. Beschränkte dingliche Rechte berechtigen zur Verwertung des Stammrechts im Sicherungsfall, zum Erwerb des Stammrechts oder der im Nießbrauch umfassend eingeräumten Ausübung der das Stammrecht ausmachenden Nutzungs-/Verbotsbefugnisse. Nur bei Dienstbarkeiten scheint eine inhaltliche Abspaltung nahe zu liegen. Doch auch dort gibt es keine verfügende Aufteilung der Befugnisse des Eigentümers.123 Eine konsistente Theorie zur Einräumung beschränkter dinglicher Rechte muss zumindest die Unteilbarkeit/Totalität des Sacheigentums berücksichtigen, die Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte an relativen Rechten, die Bezugnahme auf Übertragungsregeln und die Einziehungs- und Kündigungsbefugnis des Nießbrauchers an Forderungen erklären können sowie mit der Surrogation belasteter Forderungen vereinbar sein.124 Als mögliche Ansatzpunkte für eine Abspaltung wurden die Rechtsinhaberschaft, der qualitative Rechtsinhalt und die Verfügungsmacht bzw. 118
Siehe oben A. Belastungslehre. Siehe oben B. Hauck: Vergemeinschaftung des Stammrechts. 120 Siehe oben C. I. Grundgedanke. 121 Siehe oben C. II. Dogmatische Unklarheiten. 122 Siehe oben C. III. Verständnis als gebundene Übertragung (Forkel). 123 Siehe oben D. I. Charakterisierung beschränkter dinglicher Rechte. 124 Siehe oben D. II. Weitere Anforderungen an eine Abspaltungslehre. 119
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Ausprägungen davon identifiziert.125 Die meisten Stimmen scheinen eine Spaltung des Rechtsinhalts anzunehmen. Dies hat zwar eine hohe Anschaulichkeit, kann die genannten Probleme aber eben nicht bewältigen.126 Hier wurde – ausgehend von Stimmen, die die Spaltung eher bei der Rechtsinhaberschaft ansetzen127 – eine differenzierte Spaltung auf Ebene der Rechtsinhaberschaft und Verfügungsmacht vorgeschlagen.128 Damit lässt sich für beschränkte dingliche Rechte eine inhaltliche Spaltung des Stammrechts vermeiden. Die Sicherungs- und Erwerbsrechte verkörpern Verfügungsmacht über das Gesamtrecht, lassen dieses inhaltlich aber unangetastet. Betroffen von ihrer Abspaltung ist nur die Verfügungsmacht des Stammrechtsinhabers. So wird z. B. der Hypothekar eigenständiger Rechtsinhaber der Hypothek, die aber vom Sacheigentum nur die Verwertungsbefugnis als Ausprägung der Übertragungsmacht abspaltet.129 Auch der Nießbrauch ist seiner Grundidee nach global auf „die“, d. h. auf sämtliche Nutzungen der Sache gerichtet. Anknüpfend an die von Hauck vorgeschlagene Vergemeinschaftung wird er hier als Aufteilung der Rechtsinhaberschaft verstanden, was zugleich erklärt, weshalb auf die Übertragungsregeln abgestellt wird: Es wird ein Teil der Rechtsinhaberschaft übertragen aber nicht herausgelöst, sondern die Inhaberschaft gemeinsam mit dem Eigentümer ausgeübt. Mithin spaltet auch der Nießbrauch nicht das Sacheigentumsrecht.130 Dienstbarkeiten übertragen wiederum keine Verbotsrechte auf den Berechtigten und die Verfügungsmacht des Eigentümers bleibt unangetastet. Strukturell wird man sie daher ähnlich dem Nießbrauch als teilweise Inhaberschaft des Gesamtrechts verstehen müssen, die das Sacheigentum hinsichtlich bestimmter Handlungen beschränkt.131 Das Verhältnis zum Eigentümer gestaltet sich in der entstehenden Bruchteilsgemeinschaft entsprechend dem Inhalt der eingeräumten Nutzungsrechte.132 Die Elastizität, d. h. das Wiedererstarken des Sacheigentums ipso iure bei Wegfall beschränkter dinglicher Rechte erklärt sich durch die gesetzliche Gestaltung der Verfügungsmacht: Der Eigentümer kann nicht anders als elastisch verfügen, seine Verfügungsmacht reicht für keine andere Art der Verfügung aus.133 Die Rechtsnatur dinglicher Rechte an relativen Rechten wiederum erklärt sich damit, dass die Forderungszuständigkeit (Forderungsinhaberschaft) – anders als der Forderungsinhalt – bereits einen Schutz genießt, der dem Schutz dinglicher Rechte gleicht. Es gibt auch einen Gleichlauf beschränkter dinglicher Rechte an Forderungen und der Forderungsinhaberschaft hinsichtlich ihrer Übertragung 125
Siehe oben D. III. Mögliche Bezugspunkte der Abspaltung. Siehe oben D. IV. Spaltung des Rechtsinhalts (qualitative Spaltung). 127 Siehe oben E. I. Vorüberlegungen anknüpfend an Wilhelm. 128 Siehe auch oben § 9 IV. Abgrenzung zu Rechtsinhaberschaft/Rechtszuständigkeit. 129 Siehe oben E. III. Rechtsnatur der Sicherungs- und Erwerbsrechte. 130 Siehe oben E. IV. 1. Nießbrauch. 131 Siehe oben E. IV. 2. Dienstbarkeiten. 132 Siehe oben E. IV. 3. Verhältnis von Stammrechtsinhaber und dinglich Berechtigtem. 133 Siehe oben E. VI. Elastizität des Eigentums. 126
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht649
und dem Schutz gegen Dritte. Die hier vertretene Ansicht ist zudem sowohl mit dem Fortbestand beschränkter dinglicher Rechte an herrenlos gewordenen Sachen als auch einer Verneinung der Dereliktion aufgrund bestehender beschränkter dinglicher Rechte vereinbar.134 Im Ergebnis bilden deshalb beschränkte dingliche Rechte keine separat vom belasteten Stammrecht darstellbaren Verfügungsobjekte, sondern müssen als teilweise Inhaberschaft des ungeteilten Stammrechts bzw. als Inhaberschaft abgespaltener Verfügungsmacht am ungeteilten Stammrecht verstanden werden.
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht Dieses Bild beschränkter dinglicher Rechte ist nun der Struktur von Lizenzen gegenüberzustellen. Dafür werden zunächst die Begriffe „positive“ und „negative“ Lizenz und dann – schutzrechtsübergreifend – die wesentlichen Eigenschaften ausschließlicher und einfacher Lizenzen untersucht. Auf dieser Basis sowie auf Basis der obigen Erkenntnisse zur Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte des bürgerlichen Rechts ist dann zu zeigen, wie sich immaterialgüterrechtliche Lizenzen nach dieser Lehre rechtsstrukturell darstellen und welche alternativen Modelle es geben könnte. Da Immaterialgüterrechte auch mit beschränkten dinglichen Rechten belastet werden können, ergibt sich so ein Gesamtbild der Vergabe abgeleiteter Rechte aus absoluten Herrschaftsrechten.
A. Der Lizenzvertrag Schuldrechtliche Grundlage der Einräumung von Lizenzen ist der Lizenzvertrag. Die grundsätzliche Möglichkeit von Lizenzverträgen bedarf keiner gesetzlichen schuldrechtlichen Regelung, sie ergibt sich aus der allgemeinen Vertragsfreiheit (§ 311 Abs. 1 BGB).135 Die versprochene Rechtsposition auf Basis des betreffenden Stammrechts hingegen setzt ein entsprechend verkehrsfähiges Stammrecht voraus. Die Lizenzregelungen in den Spezialgesetzen (z. B. § 31 UrhG, § 15 PatG, § 30 MarkenG) zur Lizenzierbarkeit enthalten insofern zunächst einmal die Befugnis, überhaupt Lizenzen mit den im Folgenden zu besprechenden Wirkungen zu vergeben. Nicht auf eine solche Befugnis angewiesen sind rein schuldrechtliche Lizenzen, da sie lediglich ein bestimmtes Verhalten des Lizenzgebers als Gegenstand der Lizenz versprechen. Unterhalb dieser schuldvertraglichen Ebene finden sich die Einwilligung und noch schwächere Gestattungen,136 die hier nicht näher zu behandeln sind. 134
Siehe oben E. V. Die Dinglichkeit beschränkter dinglicher Rechte an relativen Rechten. Vgl. nur BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 37; NK-BGB/Becker, § 311 Rn. 9 ff. 136 Siehe Ohly, volenti non fit iniuria, 146 f. 135
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Beispielsweise ist die Frage nach den an Persönlichkeitsrechten möglichen verkehrsfähigen Positionen137 nach der vorliegenden Darstellung, die von Persönlichkeitsrechten als Statusrechten ausgeht,138 eine der gesetzlichen oder rechtsfortbildenden Anerkennung subjektiver Rechte139 und entsprechender Verfügungsmacht über diese Rechte.140 Unterhalb dieser verfügenden Ebene liegt die besagte Ebene bloßer schuldrechtlicher Gestattungen bis hin zur frei widerruflichen Einwilligung. Hier spielen absolute Herrschaftsrechte nur noch eine Rolle als Vorbedingungen, die dafür sorgen, dass dem Erwerber das gewünschte Verhalten nicht ohnehin freisteht, also eine Rechtseinräumung erforderlich machen.
Auch Ausführungen zum Vertragstyp dürfen vorliegend knapp ausfallen, da der Fokus auf den Vorgängen der Lizenzeinräumung auf Ebene des lizenzierten Herrschaftsrechts liegt. Nach h. M. handelt es sich beim Lizenzvertrag um einen Vertrag sui generis141 mit Anlehnung an die Rechtspacht142 in Form eines Dauerschuldverhältnisses.143
B. Positive und negative Lizenzen Unter einer negativen Lizenz wird nach einer Lesart der bloße Verzicht des Lizenzgebers „auf die Geltendmachung von Verbietungs- und Ersatzansprüchen“144 verstanden. Der Rechtsinhaber verpflichtet sich, von seinen „Abwehrrechten keinen Gebrauch zu machen“.145 Historisch entstammt die negative Lizenz dem überholten Verständnis Geistigen Eigentums als Sammlung bloßer Abwehrrechte.146 Geschuldet ist nach diesem Verständnis allgemein Passivität angesichts bestimmter Rechtsverletzungen.
137
Vgl. nur Ohly, volenti non fit iniuria, 151 ff.; MüKoBGB/Rixecker, Anh. zu § 12 Rn. 51 ff.; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, 101 ff.; Klass, AfP 2005, 507. 138 Siehe oben § 11 B. III. Persönlichkeitsrecht zwischen Statusrecht und subjektivem Recht. 139 Siehe oben § 13 C. I. 2. Methodische und dogmatische Stellung, II. 3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen; siehe auch § 9 G. III. 2. Verfügungsmacht als Mittel der Steuerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten. 140 Auch Verfügungsmacht kann Rechtsinhabern nicht nur gesetzlich, sondern auch rechtsfortbildend zugewiesen werden, siehe oben § 9 G. III. 2. Verfügungsmacht als Mittel der Steuerung der Verkehrsfähigkeit von Rechten, siehe auch § 13 C. II. 3. Zur richterrechtlichen Anerkennung dinglicher Rechtswirkungen. 141 BGH 105, 374 = GRUR 1989, 68 (70) – Präsentbücher; BGH NJW-RR 2004, 644 (645); Haedicke, GRUR 2004, 123 (124); Obergfell/Hauck/Obergfell/Hauck, Lizenzvertragsrecht, 3. Kap. Rn. 6; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 40. 142 BGH GRUR 2006, 435 Rn. 21 – Softwarenutzungsrecht; BGH GRUR 2016, 201 Rn. 43 – Ecosoil; siehe auch oben § 13 K. II. 3. Speziell: Lizenzen. 143 BGH GRUR 1992, 112 (114) – pulp wash; GRUR 1977, 551 (553) – Textdichteranmeldung; BGH NZI 2016, 97 Rn. 43 – ECOSoil; Haedicke, GRUR 2004, 123 (125); Benkard/Ullmann/ Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 83; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 40. 144 BGHZ 83, 251 = GRUR 1982, 411 (412) – Verankerungsteil; ähnlich Benkard/Ullmann/ Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 100. 145 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 250. 146 Vgl. Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 253; siehe auch Bartenbach, Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, Rn. 130.
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht651
Die Nichtausübung des Verbietungsrechts kann als antizipierter Erlass (§§ 311 Abs. 1, 397 Abs. 1 BGB), also verfügend, oder – häufiger – als Verzicht auf die prozessuale Geltendmachung bestehender Abwehransprüche, als pactum de non petendo konstruiert werden.147 Letzteres ist nach allgemein-zivilrechtlicher Konstruktion das Versprechen, die betreffende Forderung nicht geltend zu machen, was zu einem Einrederecht des Schuldners führt, also die Durchsetzbarkeit hemmt.148 Es nimmt der Handlung also nicht die Rechtswidrigkeit.149 Das pactum de non petendo hat Verwandtschaft mit reinen prozessrechtlichen Stillhalteabkommen (covenant not to sue), die die Klagbarkeit der betreffenden Ansprüche ausschließen.150 Aus Sicht des deutschen Rechts ist dies (heutzutage) keine „Lizenz im Rechtssinn“, da es an einem positiven Benutzungsrecht fehlt (dazu sogleich).151 Negative Lizenzen in diesem Sinne lassen sich nur bedingt rechtssicher gestalten (unter anderem mit Rücksicht auf § 276 Abs. 3 BGB); der Lizenznehmer erhält eine sehr geringe Schutzposition und ist – vorbehaltlich aufwändiger vertraglicher Zusatzregeln, die dann aber schon wieder in Richtung einer positiven Lizenz gehen – auf einen bestimmten, rechtlich nicht durchsetzbaren Grad an Wohlwollen des Lizenzgebers angewiesen.152 Abgesehen von wenigen Ausnahmen153 sind sie daher durch die positive Lizenz abgelöst worden.154 Da negative Lizenzen keine (positiven) Befugnisse zur Nutzung einräumen, fallen sie nicht im strengen Sinne unter den Lizenzbegriff der Immaterialgüterrechtsgesetze155 und genießen daher auch keinen Sukzessionsschutz.156 Daran anknüpfend kann sich nach einer anderen Lesart hinter dem Begriff „negative Lizenz“ eine einfache Lizenz verbergen, also ein „positives Benutzungsrecht für die Zukunft“, das die Rechtswidrigkeit entfallen lässt.157 Synonym wird der Begriff „freedom-to-operate-Lizenz“ verwendet.158 Für den Lizenzgeber begründet diese Form der Lizenz „keinerlei Verpflichtungen hinsichtlich der Verschaffung der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit und der Aufrechterhaltung des lizenzier-
147
Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 251. BGH NJW-RR 1989, 1048 (1049); Larenz, SchR I, 270. 149 Keukenschrijver/Busse/McGuire, PatG, § 15 Rn. 122. 150 Vgl. LG Mannheim GRUR-RR 2011, 49 (51); siehe zur Differenzierung Hauck, ZGE/IPJ 5 (2013), 203 (205). 151 Keukenschrijver/Busse/Hacker, PatG, 8. Aufl. 2016, § 15 Rn. 51; BeckOK PatG/Loth/ Hauck, § 15 Rn. 51. 152 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 252. 153 Vgl. Bartenbach, Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, Rn. 133 ff. 154 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 253 ff. 155 Troller/Troller, Kurzlehrbuch, 154; McGuire, Die Lizenz, 105 (allenfalls Unterfall der einfachen Lizenz); BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 103; Bartenbach, Patentlizenz- und Knowhow-Vertrag, Rn. 130 (veraltet, heute Unterfall der einfachen Lizenz). 156 LG Mannheim GRUR-RR 2011, 49 (LS 2, 51) – covenant not to sue; Bartenbach, Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, Rn. 136; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 103. 157 LG München I BeckRS 2015, 04007; Keukenschrijver/Busse/McGuire, PatG, § 15 Rn. 121. 158 LG München I CR 2014, 774; LG München I BeckRS 2015, 04007. 148
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
ten Patents“.159 Praktisch steht der Schutz der Handlungsfreiheit des Lizenznehmers im Vordergrund. Ihm geht es nicht darum, vom Lizenzgeber Leistungen oder Rechte zu erhalten, sondern in seinem Handeln nicht durch die Schutzrechte des Lizenzgebers beeinträchtigt zu werden.160 Positive Lizenzen zeichnen sich demgegenüber mindestens auf schuldrechtlicher Ebene durch Rechte des Lizenznehmers aus, denen beim Lizenzgeber entsprechende Pflichten korrespondieren, die über die bloße Duldung von Eingriffen bzw. die Nichtgeltendmachung von Abwehrrechten hinausgehen. Nach dieser Definition ist die negative Lizenz in der zuletzt angeführten Bedeutung eigentlich eine positive Lizenz, da sie ein Nutzungsrecht einräumt (s. sogleich). Die Bezeichnung als „negativ“ bringt wie gesagt nur die minimalistische Ausstattung rund um dieses Nutzungsrecht zum Ausdruck. Das Adjektiv „positiv“ kann jedenfalls verschiedene praktische Ausprägungen haben: Unterstützende Verhaltenspflichten: In dieser praktischen Facette des Begriffs „positiv“ soll der Lizenzgeber nicht nur ein Verhalten des Lizenznehmers hinnehmen oder gestatten, sondern durch eigenes Verhalten ermöglichen bzw. befördern, etwa durch die Übergabe notwendiger Unterlagen, Erläuterungen/Hilfestellungen oder die Aufrechterhaltung des Stammrechts (insbesondere Zahlung der Gebühren).161 Vertragliches (relatives) Recht zur Nutzung: Eine weitere Facette ist das vertragliche Recht zur Nutzung des Lizenzgegenstandes, also ein Verhaltendürfen des Lizenznehmers im Verhältnis zum Lizenzgeber (anstelle eines bloßen Verzichts oder eines pactum de non petendo). Es handelt sich um eine vertraglich vereinbarte „starke Erlaubnis“.162 Beschränkt sich die Lizenz auf die Einräumung eines solchen einfachen Nutzungsrechts, kann wie gesagt auch von einer negativen Lizenz gesprochen werden (siehe oben). Durch Verfügung eingeräumtes Nutzungsrecht: Die höchste Stufe positiver Lizenzen ist die verfügende Einräumung eines vom Stammrecht ausgehenden und dieses beschränkenden Nutzungsrechts, das ab dem Zeitpunkt der Einräumung nicht weiter auf ein Zutun des Lizenzgebers angewiesen ist. Auch die Einräumung positiver Befugnisse in Form einfacher Nutzungsrechte soll verfügende Wirkung haben.163 Inwieweit und wie sich diese von ausschließlichen Nutzungsrechten unterscheiden, ist unten näher auseinanderzusetzen.
159
LG München I BeckRS 2015, 04007. Vgl. LG München I CR 2014, 774 (777); LG München I BeckRS 2015, 04007. 161 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 255; Metzger/Zech/Klein/von Busse/von Jeinsen, Sortenschutzrecht, § 11 SortSchG/Art. 22–27 GSortV Rn. 87. 162 Siehe zum Begriff oben § 12 D. III. 2. Die positive Seite als starke Erlaubnis? 163 Siehe nur Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 666 f. 160
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht653
Positive Lizenzen können sowohl einfacher als auch ausschließlicher Natur sein. Negative Lizenzen hingegen gibt es nur in einfacher Form. Abzugrenzen ist die positive Lizenz von der positiven Seite eines Rechts. Letztere liegt, wie an anderer Stelle dargestellt,164 in der Zuweisung eines Gutes, aus der teleologisch die Zuweisung der Nutzungsvorteile folgt (auch wenn deren Herausgabe von verschiedenen sekundärrechtlichen Wertungen überlagert wird) und der Gewährung eines monopolen Verbotsrechts, das mit einer gewissen, von der Natur des Rechts abhängigen Verfügungsmacht ausgestattet ist. Die positive Lizenz hingegen lässt schon die Zuweisung eines Gutes, genauer der Nutzung eines Gutes, im Zweipersonenverhältnis (als einfache Lizenz) genügen. Dies würde man schon deshalb nicht als positive Seite eines Rechts bezeichnen, weil keine Güterzuweisung von hoheitlicher Seite erfolgt. Daher ist eine rein schuldrechtliche positive Lizenz auch an Gütern möglich, die gesetzlich nicht zugewiesen sind, etwa an bestimmten Informationen oder Verfahren, die keinem Schutzrecht unterfallen. Beispiel: Prominentestes Beispiel für positive Lizenzen ohne absolute Herrschaftsrechte sind Verwertungsrechte an Sportveranstaltungen. Wirtschaftlich und vertraglich als „Sponsoringrechte“ oder „Übertragungsrechte“ bezeichnete Rechte an Sportveranstaltungen existieren in der vereinbarten Form gesetzlich i. d. R. nicht. Zwar wird für Sponsoring- wie Übertragungsrechte auf existierende Immaterialgüterrechte und das Sachen- und Deliktsrecht zurückgegriffen. Das wirtschaftliche Interesse richtet sich aber auf davon abstrahierte Rechte „an“ der Veranstaltung, die es so nur in vertraglicher Form gibt. Dennoch werden hierfür horrende Summen bezahlt.
Die positive Lizenz ist der heutige Normalfall. So wird die typische ausschließliche Patentlizenz auch als „das alleinige positive Recht zur Ausübung aller oder einzelner Befugnisse […], die das Patent gewährt“ definiert.165
C. Ausschließliche und einfache Lizenzen Kurz zu zeigen ist nun der Unterschied zwischen ausschließlichen und einfachen Lizenzen.
I. Ausschließliche Lizenzen Ausschließliche Lizenzen, insbesondere im Kartellrecht auch als Exklusivlizenzen bezeichnet,166 verfügen unstreitig über wesentliche dingliche Merkmale. Interessanter ist vorliegend ihre Abgrenzung gegenüber einfachen Lizenzen und ihre Struktur im Verhältnis zum Stammrecht. 164 Siehe dazu oben § 12 D. II. Merkmale positiver Berechtigungen; § 15 E. II. Noch einmal zum positiven Gehalt. 165 Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 89; Götting, AG 1999, 1 (5); Haedicke, ZGE/ IPJ 3 (2011), 377 (379). 166 Dabei steht der Aspekt des Ausschlusses potentieller Konkurrenten, inklusive des Li-
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
1. Ausschließlichkeit Wichtigstes Merkmal ausschließlicher Lizenzen ist – schutzrechtsübergreifend – die Ausschließlichkeit. Die schärfste Form hiervon ist die volle/absolute Ausschließlichkeit. Sie liegt vor, wenn – es nur einen Lizenznehmer gibt, der zu der fraglichen Nutzung berechtigt ist und – auch der Lizenzgeber sich die Nutzung nicht vorbehält.167 Da damit der Lizenznehmer der einzige Nutzungsberechtigte ist, spricht man auch von einem Alleinbenutzungsrecht (single use).168 Die Frage, ob mit einer als ausschließlich bezeichneten Lizenz stets beide Punkte erfasst sind, beantwortet der BGH jedenfalls für das Patentrecht positiv: „Wesen einer ausschließlichen Lizenz ist es, dass der Lizenzgeber dem Lizenznehmer das alleinige Recht zur Ausübung aller oder einzelner Benutzungsbefugnisse erteilt, die das Schutzrecht gewährt. Der Lizenznehmer erlangt damit zu Lasten des Rechtsinhabers ein selbstständiges Benutzungs- und Verbietungsrecht mit der Folge, dass selbst der Rechtsinhaber nicht mehr zur Benutzung befugt ist […].“169
Als Konsequenz hat der Stammrechtsinhaber, jedenfalls bei den rein gewerblichen Schutzrechten, hinsichtlich der lizenzierten Bereiche seines Rechts nur noch die „formale Rechtsinhaberschaft“ ohne ein materielles Benutzungsrecht.170 Im Extremfall wird hiermit dem „Lizenznehmer die Gesamtheit der aus dem Immaterialgüterrecht fließenden Nutzungsrechte so umfassend und unbeschränkt zur alleinigen Nutzung zugewiesen […], daß dem Lizenzgeber nur noch das seines Inhaltes entleerte formale Immaterialgüterrecht verbleibt.“171
Dies gilt aber m. E. auch im persönlichkeitsrechtlich geprägten Urheberrecht – auch dort kann sich der Urheber bestimmter oder gar sämtlicher Nutzungsrechte so weitgehend entäußern,172 dass er in dieser Hinsicht (also nicht urheberpersönlichkeitsrechtlich) nur formaler Rechtsinhaber ist. zenzgebers im Vordergrund, vgl. etwa Art. 1 Abs. 1 lit. p TT-GVO (EU) Nr. 316/2014; Streinz/ Eilmansberger/Kruis, EUV/AEUV, Art. 101 Rn. 241 f. 167 Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 16; BeckOK UrhG/Soppe, § 31 Rn. 66; BeckOK PatG/Loth/ Hauck, § 15 Rn. 44. 168 Eichmann/von Falckenstein/Kühne/Eichmann, DesignG, § 31 Rn. 7. 169 BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Rn. 35 – Tintenpatrone; siehe auch BGHZ 83, 251 = GRUR 1982, 411 (412) – Verankerungsteil; BGHZ 128, 220 = GRUR 1995, 338 (340) – Kleiderbügel; GRUR 1992, 310 (311) – Taschenbuchlizenz; Götting, AG 1999, 1 (5) („das alleinige positive Recht zur Ausübung aller oder einzelner Befugnisse […], die das Immaterialgüterrecht gewährt“); Haedicke, ZGE/IPJ 3 (2011), 377 (379). 170 Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 16; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 44. 171 Götting, AG 1999, 1 (5 f.). 172 Insbesondere durch Buy-Out-Verträge und die besonders bei Lizenzvergaben in der Softwareherstellung anerkannt sind, siehe Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, Urheberrecht, § 31 Rn. 41 f.; Loewenheim/Lehmann/Spindler, Handbuch des Urheberrechts, § 82 Rn. 23.
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht655
Ausschließlichkeit bezeichnet, dass der Lizenznehmer der einzige Nutzungsberechtigte ist. Daher können bereits bestehende, sukzessionsfeste einfache Lizenzen die Vergabe echter ausschließlicher Lizenzen verhindern,173 das OLG Düsseldorf fast dies treffend zusammen: „Bestehen vor der Vergabe einer ausschließlichen Lizenz Dritten eingeräumte einfache Lizenzen unverändert fort, darf der spätere Lizenznehmer das lizenzierte Patent nicht ausschließlich, d. h. unter Ausschluss jeglicher Dritter benutzen. Etwas anderes gilt nur, wenn die später eingeräumte ausschließliche Lizenz […] gegenständlich (z. B. Benutzungsarten, räumlicher Geltungsbereich) über die zuvor beschränkt eingeräumten einfachen Lizenzen hinausreicht.“174
Daher gibt es den Begriff der „alleinigen Lizenz“ oder „sole licence“ zur Bezeichnung des Zustands, dass sich der Stammrechtsinhaber bei Erteilung einer ausschließlichen Lizenz selbst die Nutzung als neben dem Lizenznehmer einzigem Berechtigten vorbehält (s. für das Urheberrecht § 31 Abs. 3 S. 2 UrhG).175
2. Aktivlegitimation Teilweise sogar mit der „Dinglichkeit“ von Lizenzen gleichgesetzt wird der Erwerb von Abwehrrechten gegen Dritte (i. e. gegen jedermann)176 durch den Lizenznehmer.177 Tatsächlich geht es hier um die Aktivlegitimation des Lizenznehmers, das lizenzierte Recht gegen Dritte durchzusetzen und so eine der Stammrechtsinhaberschaft ähnliche Rechtsposition zu erwerben. Daran lehnt sich wohl die Bezeichnung als dinglich an. Zumindest stehen zugleich die Aktivlegitimation – die begrifflich nicht auf bloße Verbote beschränkt ist – und das Merkmal der Absolutheit als Durchsetzbarkeit des Rechts gegen jedermann zur Debatte. Ein solches eigenständiges Verbotsrecht des Lizenznehmers gegenüber jedermann ist nur in ausschließlichen, nicht aber in einfachen Nutzungsrechten enthalten.178 Ein ausschließlicher Lizenznehmer ist wie der Stammrechtsinhaber aus eigenem Recht aktivlegitimiert.179 Er hat (im Falle des Patentrechts) „ein eigenes Klagerecht; er hat selbstständig gegen einen Verletzer des Patents und damit auch seines ausschließlichen Benutzungsrechts die Ansprüche aus §§ 139 ff. PatG […].“180 173 Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 99; siehe auch sogleich 5. Sukzessionsschutz. 174
OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 18754 Rn. 9. PatG, § 15 Rn. 90; Obergfell/Hauck/Obergfell/Hauck, Lizenzvertragsrecht, 1. Kap. Rn. 12. 176 Siehe oben § 12 C. Der Abwehranspruch. 177 BGH GRUR 1959, 200 (202) – Der Heiligenhof; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 56; siehe auch Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 50. 178 Schack, Urheber- und Urheberverlagsrecht, Rn. 666; Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider, UrhG, § 97 Rn. 20; Loewenheim/Ohly, Handbuch des Urheberrechts, § 25 Rn. 8; für Patentlizenzen Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 33 ff.; Bartenbach, Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, Rn. 2279 (s. aber Rn. 2279a); für Markenlizenzen Bühling, GRUR 1998, 196 (197). 179 BGH GRUR 1995, 338 (349) – Kleiderbügel; OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 18754 Rn. 4. 180 OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 18754 Rn. 4; BGH GRUR 1965, 591 – Wellplatten; BGH 175 Benkard/Ullmann/Deichfuß,
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Entsprechend hat der ausschließliche Lizenznehmer einen eigenen Schadensersatzanspruch181 und kann sämtliche aus dem lizenzierten Recht fließenden Ansprüche – allerdings begrenzt auf den Umfang seines Nutzungsrechts – geltend machen; dies umfasst auch Unterlassung, Beseitigung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung etc.182 Nach Rechtsprechung des BVerfG rückt der Lizenznehmer, zudem „soweit die Lizenz reicht, Dritten gegenüber […] in das ausschließliche Benutzungsrecht“ ein und hat daher „eine eigentumsfähige Position i. S. von Art. 14 I 1 GG“ inne.183 Eine Besonderheit besteht beim Markenrecht und parallel im Designrecht (§ 31 Abs. 3 DesignG, siehe dazu unten) darin, dass § 14 MarkenG nicht wie andere Schutzrechte den „Verletzten“,184 sondern nur den „Inhaber der Marke“ aktivlegitimiert und § 30 Abs. 3 MarkenG Klagen des Lizenznehmers wegen Markenverletzungen von der Zustimmung des Markeninhabers abhängig macht.185 Nach Rechtsprechung des BGH sind daher auch ausschließlich berechtigte Lizenznehmer auf die Drittschadensliquidation durch den Lizenzgeber angewiesen.186 Die Gesetzesbegründung stellt zu § 30 Abs. 4 MarkenG zwar fest, dass „dem Inhaber einer ausschließlichen Lizenz ein […] eigener Schadensersatzanspruch zukommt“,187 der BGH versteht die Regelung jedoch als rein verfahrensrechtliche Vorschrift, die keine (materiellrechtliche) Aktivlegitimation enthält.188 Während die nationalen Markengesetze der Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Stellungen des Lizenznehmers vorsahen, zählt Art. 22 GMVO (und daran anknüpfend der heutige Art. 25 UMV) zum ausdrücklich so genannten materiellen Markenrecht und sieht – wie § 30 Abs. 4 MarkenG – einen Beitritt des Lizenznehmers zur Verletzungsklage des Markeninhabers vor.189 Zudem kennzeichnete auch der deutsche Gesetzgeber den zweiten Teil des MarkenG (§§ 3–31 MarkenG) ausdrücklich als materielles Recht.190 Auch die MarkenRL 2015 sieht inzwischen in GRUR 1992, 310 – Taschenbuch-Lizenz; BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Rn. 35 – Tintenpatrone. 181 BGHZ 159, 76 = GRUR 2004, 758 (763) – Flügelradzähler; BGHZ 176, 311 = GRUR 2008, 896 Rn. 35 – Tintenpatrone. 182 Vgl. Bartenbach, Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, Rn. 94 f.; 2275 ff.; BeckOK PatG/ Pitz, § 139 Rn. 22; ebd./Loth/Hauck, § 15 Rn. 44; Dreier/Schulze/Specht-Riemenschneider, UrhG, § 97 Rn. 19. 183 BVerfG GRUR 2001, 43 – Klinische Versuche. 184 Siehe etwa § 97 UrhG oder § 139 PatG. 185 Fezer weist aber zu Recht darauf hin, dass der Lizenznehmer dennoch immerhin die Markenverletzungsklage erheben könne, was für sich schon ein dingliches Merkmal sei, Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 8. 186 BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877 Rn. 32 – Windsor Estate; siehe auch BGH GRUR 2012, 630 Rn. 51– Converse II; kritisch Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 35; BeckOK MarkenG/Taxhet, § 30 Rn. 12. 187 BT-Drucks 12/6581, 86. 188 BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877 Rn. 32 – Windsor Estate; zustimmend Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 35. 189 Plaß, GRUR 2002, 1029 (1031). 190 BT-Drucks 12/6581, 54 („Teil 2 (§§ 3 bis 31) enthält in fünf Abschnitten Vorschriften über das materielle Recht“).
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht657
Art. 25 dieselbe Regelung wie die UMV vor und zählt sie zum materiellen Recht. Daher ist spätestens (!) mit Umsetzung der MarkenRL 2015 die Regelung des § 30 Abs. 4 MarkenG richtlinienkonform als materiellrechtliche Regel zu verstehen.191 Ohnehin wird zu Recht kritisiert, dass das Markenrecht zu anderen Schutzrechten keine grundlegenden Strukturunterschiede aufweist, „die eine solche Differenzierung rechtfertigen würden“,192 zumal die Begründung des BGH193 nicht über eine knappe Auslegung des § 30 MarkenG hinausgeht. Insgesamt gibt es also keine gewichtigen Gründe, das Markenrecht an dieser Stelle strukturell anders als die übrigen Schutzrechte zu verstehen. Dieselbe Argumentation gilt im Übrigen für das an das Markenrecht angelehnte Designrecht (s. Art. 32 GGV, § 31 DesignG). Richtigerweise haben Inhaber einer ausschließlichen Markenlizenz oder einer ausschließlichen Designlizenz194 einen eigenen Schadensersatzanspruch. Im Ergebnis zeichnen sich ausschließliche Lizenzen also durch eine Aktivlegitimation des Lizenznehmers zur Geltendmachung von Ansprüchen aus eigenem Recht im Umfang der ihm eingeräumten Nutzungsrechte aus.
3. Vergabe von Unterlizenzen Ausschließliche Lizenzen berechtigen den Lizenzgeber zur Gestattung der Benutzung durch Dritte durch Vergabe von Unterlizenzen, dies wiederum maximal in dem Umfang ihrer ausschließlichen Lizenz.195 Im Urheberrecht ist der Exklusivlizenznehmer bei der Vergabe von Unterlizenzen gem. § 35 Abs. 1 S. 1 UrhG allerdings an die Zustimmung des Urhebers gebunden.196
4. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit Ausschließliche Lizenzen sind insolvenz- und zwangsvollstreckungsfest.197
5. Sukzessionsschutz Ausschließliche Lizenzen genießen Sukzessionsschutz.198 Sie bleiben im Falle der Übertragung des Stammrechts wie auch im Falle der Vergabe weiterer einfacher 191
Anders Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker, MarkenG, § 30 Rn. 110. Steinbeck, GRUR 2008, 110 (113). 193 BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877 Rn. 32 – Windsor Estate. 194 Eichmann/von Falckenstein/Kühne/Eichmann, DesignG, § 31 Rn. 28. 195 RGZ 89, 81 (84); BGHZ 8, 16 = GRUR 1953, 114 (118); BGH GRUR 2002, 801 (803) – Abgestuftes Getriebe; Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 33; Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 104, 106. 196 Vgl. etwa Schack, Urheber- und Urheberverlagsrecht, Rn. 695. Terminologisch macht sich diese Hierarchie aufgrund der Unübertragbarkeit des Urheberrechts bemerkbar, insoweit von einem beim Urheber verbleibenden Mutterrecht, einem davon abgespaltenen Tochterrecht des Lizenznehmers und einem wiederum hiervon abgespaltenen Enkelrecht gesprochen wird, vgl. Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 11. 197 Siehe oben § 13 K. II. 3. Speziell: Lizenzen. 198 Siehe oben § 13 J. II. Sukzessionsschutz durch Verbrauch an Verfügungsmacht. 192
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
oder ausschließlicher Lizenzen sowohl ihrem Bestand als auch ihrem Inhalt nach unberührt (§§ 15 Abs. 3 PatG, 30 Abs. 5 MarkenG, 33 UrhG).199 Der Stammrechtsinhaber kann die bereits lizenzierten Befugnisse nicht zulasten des Lizenznehmers konkurrierend vergeben.200 Genauer gesagt wird der Lizenznehmer gegen drei bzw. vier Konstellationen geschützt: die Vergabe ausschließlicher und einfacher Lizenzen, den Inhaberwechsel und – zumindest im Urheberrecht – auch gegen den Verzicht des Lizenzgebers auf das Mutterrecht.201 Ferner ist der Sukzessionsschutz der einfachen Lizenz in allen Schutzrechten dispositiv.202 Für ausschließliche Lizenzen widerspräche die Dispositivität hingegen deren Natur als Verfügung über das Stammrecht.203
6. Verkehrsfähigkeit Ausschließliche Lizenzen können verkehrsfähig und nicht-verkehrsfähig ausgestaltet werden. Dies entfaltet in beiden Fällen aber nur Wirkungen zwischen den Vertragsparteien. Einer Beschränkung der Weiterübertragung absoluter Rechte oder deren Abspaltung aus der erteilten ausschließlichen Lizenz steht § 137 S. 1 BGB entgegen.204 Für möglich gehalten wird jedoch die Vereinbarung eines Rückfalls des absoluten Rechts an den Erstveräußerer im Falle einer Weiterübertragung durch den Lizenznehmer, was mit der rechtsfortbildenden 205 Bejahung der Vormerkungsfähigkeit bedingter Rückauflassungsansprüche durch den BGH 206 begründet wird.207 Nur im Urheberrecht bedarf die Weiterübertragung der Zustimmung des Urhebers (§ 34 Abs. 1 UrhG) zum Verfügungsgeschäft. Grund hierfür ist die urheberpersönlichkeitsrechtliche Bindung der Nutzungsrechte an den Urheber bzw. an dessen Stammrecht.208
7. Numerus clausus abgeleiteter Rechte Wie oben 209 gezeigt wurde, gibt es keinen numerus clausus abgeleiteter Rechte im Immaterialgüterrecht, der mit dem sachenrechtlichen Typenzwang vergleichbar wäre. Die Abgrenzung möglicher Nutzungsrechte mit ausschließlicher Wirkung ist dem Rechtsverkehr überlassen. Da es zudem im Lizenzrecht auch keine speziel199
Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 34. BeckOK UrhG/Soppe, § 31 Rn. 66. 201 BeckOK UrhG/Soppe, § 33 vor Rn. 1. 202 BeckOK MarkenG/Taxhet, § 30 Rn. 169; BeckOK UrhG/Soppe, § 33 vor Rn. 1; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 104. 203 BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 104. 204 BGH GRUR 1992, 310 (311) – Taschenbuch-Lizenz. 205 Hierzu und zur Gesamtproblematik der Entscheidung Berger, JZ 1997, 519. 206 BGHZ 134, 182 = NJW 1997, 861. 207 Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 12. 208 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann, Urheberrecht, § 34 Rn. 8. 209 Siehe oben § 13 C. III. Zusammenfassung und Folgerungen. 200
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len Vertragstypen gibt210 herrscht auf Verpflichtungs- wie Verfügungsebene hohe Gestaltungsfreiheit, die nur vereinzelt durch Grundsätze wie den Übertragungszweckgrundsatz211 durchbrochen wird.
II. Einfache Lizenzen Das einfache Nutzungsrecht gewährt dem Lizenznehmer ein „positives“ Benutzungsrecht212 und geht daher über die negative Lizenz i. S. e. bloßen Verbotsverzichts hinaus.213 Genießen einfache Nutzungsrechte Sukzessionsschutz, mindert dies (geringfügig) die Verfügungsmacht des Stammrechtsinhabers214 und es unterscheidet sie von einer schlichten schuldvertraglichen Berechtigung.215
1. Keine Aktivlegitimation Mit einer einfachen Lizenz erwirbt der Lizenznehmer keine Klagebefugnis, er kann nicht aus eigenem Recht gegen Dritte vorgehen.216 Er hat gegen Dritte weder Ansprüche auf Unterlassung noch auf Schadensersatz.217 Vielmehr muss er sich hierfür an den Stamm- oder Mutterrechtsinhaber wenden, der „gehalten“ ist, in diesem Fall für ihn zu klagen.218 Dabei erkennt die Rechtsprechung die Drittschadensliquidation durch den Lizenzgeber zugunsten einfacher Lizenznehmer an.219
2. Keine Vergabe von Unterlizenzen Der einfache Lizenznehmer ist nicht zur Vergabe von Unterlizenzen befugt, sofern ihm dies nicht vertraglich besonders eingeräumt wurde.220
210 Siehe oben A. Der Lizenzvertrag; sowie § 13 C. I. 4. d) Weder immaterialgüterrechtlicher noch vertragsrechtlicher Typenzwang. 211 Siehe dazu § 13 G. VII. 3. c) Schutzbedürftigkeit des Verfügenden. 212 Siehe oben B. Positive und negative Lizenzen. 213 Siehe oben Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 666; Benkard/Ullmann/ Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 100. 214 Von nun an vergebene Lizenzen sind stets mit dem (kleinen) Nachteil belastet, dass sie die zuvor vergebene einfache Lizenz respektieren müssen. Im Übrigen kann der Stammrechtsinhaber weiterhin Lizenzen aller Art einräumen. Wohl wegen der auf den neuen Lizenznehmer beschränkten Drittwirkung der einfachen Lizenz, verneint Pahlow hingegen einen Verbrauch an Verfügungsmacht, Pahlow, ZUM 2005, 865 (871). 215 Vgl. Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 107, 110. 216 Siehe oben I. 2. Aktivlegitimation. 217 Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 101; siehe auch die Nachweise in Fn. 178. 218 BGH GRUR 1965, 591 – Wellplatten; Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 101. 219 BGH BGHZ 173, 269 = GRUR 2007, 877 Rn. 32 – Windsor Estate (Markenrecht); Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 37 (für die schuldrechtliche Gebrauchsüberlassung); Benkard/Ullmann/ Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 102. 220 BGHZ 62, 272 = NJW 1974, 1197 (1198) – Anlagengeschäft; Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 105.
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
3. Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsfestigkeit Wie oben dargelegt wurde,221 ist zur Feststellung des haftenden Vermögens bei schuldrechtlichen Positionen danach zu differenzieren, ob sie das Leistungssubstrat222 bereits dem Vermögen des Dritten zuordnen (insbesondere durch Herausgabeansprüche), oder nur einen Leistungsanspruch darauf darstellen. Im ersten Fall kann er aussondern und Drittwiderspruchsklage erheben, im zweiten Fall ist er zu den anderen Gläubigern zu zählen. In der Zwangsvollstreckung berechtigt die einfache Lizenz nach h. M. nicht zur Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO.223 Wie oben ausgeführt wurde, kommt es in der Insolvenz des Lizenzgebers für die Massezugehörigkeit einfacher Lizenzen auf die Frage an, ob diese dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO unterfallen, was wiederum durch die jeweilige vertragliche Gestaltung (z. B. Rechtskauf von Standardsoftware vs. AboModelle) bedingt ist.224 Die von den Inhalten der einfachen Lizenz zu unterscheidende Rechtsinhaberschaft (Forderungszuständigkeit) an derselben ist hingegen – so wie die Rechtsinhaberschaft generell – auch im Falle der einfachen Lizenz geschützt. Machen also der Vollstreckungsgläubiger oder der Insolvenzverwalter dem Lizenznehmer die einfache Lizenz auf Ebene der Inhaberschaft streitig, kann er Drittwiderspruchsklage erheben bzw. aussondern.225
4. Sukzessionsschutz Einfache Lizenzen bleiben bei der Vergabe anderer ausschließlicher wie einfacher Lizenzen ihrem Bestand als auch ihrem Inhalt nach unberührt (§ 15 Abs. 3 PatG, § 30 Abs. 5 MarkenG, § 33 UrhG; § 22 Abs. 3 GebrMG, § 11 HalblSchG; § 31 Abs. 5 DesignG). Einzig § 11 SortSchG enthält keinen Sukzessionsschutz für einfache Lizenzen, angesichts der Nähe zum Patentrecht und des Schutzes vorbestehender Rechte Dritter wird der Sukzessionsschutz aber auch hier bejaht.226 Die Funktion eines solchen angeordneten Sukzessionsschutzes im Lizenzrecht absoluter Herrschaftsrechte wurde oben dargelegt.227 Der Sukzessionsschutz einfacher Lizenzen kann die konkurrierende Vergabe späterer ausschließlicher Lizenzen unmöglich machen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Vergabe der einfachen Lizenzen im Umfang nicht so weit hinter 221
Siehe oben § 13 K. II. 1. Dingliche Rechte in der Insolvenz. Siehe zum Begriff oben § 3 B. I. Das Leistungssubstrat. 223 Kirchhof, FS Merz, 283 (294); Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 101; BeckOK ZPO/Preuß, § 771 Rn. 25; MüKoZPO/Schmidt/Brinkmann, § 771 Rn. 37. 224 BeckOK InsO/Berberich, § 108 Rn. 69 ff.; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 74 ff.; siehe oben § 13 K. II. 3. Speziell: Lizenzen. 225 Siehe aber oben § 13 K II. 2. Bedeutung der Verfügungsverkehrsregeln. 226 Metzger/Zech/Klein/von Busse/von Jeinsen, Sortenschutzrecht, § 11 SortSchG/Art. 22– 27 GSortV Rn. 99; Leßmann-Würtenberger, Deutsches und europäisches Sortenschutzrecht, § 4 Rn. 31. 227 Siehe oben § 13 J. IV. 4. Angeordneter Sukzessionsschutz. 222
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der ausschließlichen Lizenz zurückbleibt, dass dieser ein eigener, für den Lizenznehmer exklusiver Nutzungsbereich verbleibt.228 Hat der Lizenzgeber bereits einfache Lizenzen eingeräumt, die zeitlich, räumlich und inhaltlich den Befugnissen der designierten ausschließlichen Lizenz entsprechen, liegt ein Fall von rechtlicher Unmöglichkeit vor (§ 275 Abs. 1 BGB). Der Lizenzgeber kann seine Verpflichtung zur Einräumung exklusiver Befugnisse aufgrund des gesetzlichen Schutzes der älteren einfachen Lizenzen nicht aus eigenem Recht erfüllen. Ob lediglich subjektive rechtliche Unmöglichkeit vorliegt und diese vielleicht vorübergehender Natur ist, hängt von der Verbindung des Lizenzgebers zu den einfach berechtigten Lizenznehmern ab. Kann er die Nutzungsrechte von diesen zurückerwerben oder sind sie befristet, kann eine Anwendung des Unmöglichkeitsrechts auch zugunsten des Verzugsrechts ausgeschlossen sein oder allenfalls § 275 Abs. 2 BGB greifen, wenn der Rückerwerb völlig unverhältnismäßig gegenüber dem Leistungsinteresse des ausschließlichen Lizenznehmers wäre.
5. Verkehrsfähigkeit Solange sich die „Dinglichkeit“ einfacher Lizenzen auf angeordneten Sukzes sionsschutz beschränkt – die wie gesagt nicht mit Insolvenzfestigkeit gleichgesetzt werden darf – können sie nur im Wege einer Vertragsübernahme weiterübertragen werden, also unter dreiseitiger Einigung.229 Inwiefern man von der verfügenden Wirkung von Geschäften über einen absolut wirksamen Ausschnitt des Stammbzw. Mutterrechts ausgeht, hängt von der Gestaltung des Schuldvertrags ab. Die dargelegte Flexibilität auf schuld- und verfügungsrechtlicher Ebene im Immaterialgüterrecht lässt theoretisch Mischformen zu, wie z. B. eine einfache (d. h. nicht-exklusive), frei übertragbare, insolvenzfeste Lizenz, die ihrem Inhaber eine Aktivlegitimation verleiht. Für ihre absolute Geltung, d. h. die von jedermann zu respektierende Wirksamkeit der Einräumung eines solchen Ausschnitts des absoluten Herrschaftsrechts, bedarf es nur der Verkehrsüblichkeit.230 Bleibt man hingegen bei einem reinen Vertragsmodell mit Sukzessionsschutz, lässt sich die einfache Lizenz auch als bloße Verhaltenspflicht ohne verfügende Rechtsübertragung verstehen.231 Als gesetzliche Anordnung einer Vertragsübernahme – anstelle einer Verdinglichung 232 – wird teilweise der Schutz des Mieters beim Verkauf einer Mietwohnung (§ 566 BGB)233 228 Vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 18754 Rn. 9 f.; Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 99. 229 Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 103. 230 Siehe oben § 13 C. III. Zusammenfassung und Folgerungen. 231 Vgl. McGuire/Kunzmann, GRUR 2014, 28 (33) („mangels dinglicher Ebene“ werde das Vertragsverhältnis mit Bestandskraft ausgestattet). 232 Dafür aber Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, § 22 Rn. 25; Jauernig/Teichmann, § 566 Rn. 1 („quasi-dingliche Stellung“). 233 MüKoBGB/Häublein, § 566 Rn. 3, 2 (keine Verdinglichung schuldrechtlicher Beziehungen, sondern „pragmatische Auflösung des Interessenkonflikts“ zwischen Eigentümer, Erwerber
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verstanden. Der BGH geht für § 566 BGB hingegen von einer Neubegründung eines identischen Mietverhältnisses durch den Erwerber mit dem Mieter aus.234 – Die Konstruktion des Sukzessionsschutzes einfacher Lizenzen als Vertragsübernahme hätte den Charme, dass sie bei Wegfall des Zwischenglieds einen vertragslosen Zustand 235 zwischen Mutterrechtsinhaber und Unterlizenznehmer verhindern würde, der derzeit über den unbefriedigenden Weg des Bereicherungsrechts236 gelöst wird. Ihr werden aber die Anforderungen an eine wirksame Vertragsübernahme entgegengehalten.237 In der Tat kann die Auswechslung eines Vertragspartners nur im Wege eines „dreiseitigen Vertrages zwischen der ausscheidenden, der übernehmenden und der verbleibenden Partei“ oder „durch Vertrag zwischen ursprünglicher und neuer Partei, wenn der verbleibende Teil zustimm[t]“ vereinbart werden.238 Allerdings gilt das Argument nur für die Prüfung, ob ein vertraglich vereinbarter Vertragsübergang vorliegt. Der gesetzlichen Anordnung eines Vertragsübergangs (wie in §§ 566, 593a, 613a BGB; § 95 VVG) steht sie nicht entgegen. De lege lata lässt sich eine solch weitreichende und spezielle Lösung methodisch kaum aus den gesetzlichen Vorschriften zum Sukzes sionsschutz von Lizenzen gewinnen. Sie kann sich aber im Einzelfall im Wege der Vertragsauslegung239 ergeben, in der das dreiseitige Einverständnis mit der Vertragsübernahme ermittelt werden muss.
Ginge man den rein schuldrechtlichen Weg, wäre der Lizenznehmer nicht Inhaber eines derart eigenständigen Rechts, dass er es im Wege der Abtretung aus eigener Rechtskraft auf den Erwerber übertragen könnte. In seinem Vermögen befände sich nur die Inhaberschaft an dem einfachen Recht, nicht aber ein abgespaltener Teil des Stammrechts. Die Lizenz wäre also gegenüber dem Lizenzgeber nicht weit genug verselbständigt, als dass der Lizenznehmer sie autonom weiterübertragen könnte.
6. Unterschied zur rein vertraglichen Nutzungsberechtigung Wie im vorigen Punkt kurz gezeigt wurde, ist streitig, ob einfache Lizenzen mit rein schuldvertraglichen Nutzungsberechtigungen gleichzusetzen sind.240 Doch selbst wenn man einfache Lizenzen als rein schuldrechtlich mit Sukzessionsschutz versteht, bleibt die Möglichkeit, einander den Gebrauch des Immaterialguts ohne und Mieter, die daher über den bloßen Schutz des Besitzrechts [§ 986 Abs. 2 BGB] hinausgeht); BeckOGK/Harke (01/2021), § 566 Rn. 1 (nicht dinglich, sondern Vertragseintritt). 234 BGH NJW 2000, 2346; BGH WuM 2000, 609; BGH NJW 2005, 1187; BGH NJW 2012, 3032; BGH NJW 2014, 3775 Rn. 22; Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 566 Rn. 2. 235 Vgl. Benkard/Ullmann/Deichfuß, PatG, § 15 Rn. 107. 236 Dazu nur McGuire/Kunzmann, GRUR 2014, 28 (das Bereicherungsrecht könne keine fehlende Vertragsbeziehung ersetzen); Dietrich/Szalai, MMR 2012, 687 (689); Dammler/Melullis, GRUR 2013, 781 (787 ff.); Becker, ZUM 2012, 786 (788); a. A. Haedicke, MittDPatAnw 2012, 429 (432). 237 OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 18754 Rn. 16; BeckOK PatG/Loth/Hauck, § 15 Rn. 106. 238 Zum Mietvertrag BGHZ 95, 88 = NJW 1985, 2528 (2539); zum Lizenzvertrag BGH NJWRR 1990, 1251 (1253) (dreiseitiger Vertrag eigener Art); zum Leasingvertrag BGHZ 96, 302 = NJW 1986, 918; MüKoBGB/Roth/Kieninger, § 398 Rn. 4; MüKoBGB/Heinemeyer, vor § 414 Rn. 8. 239 Dafür McGuire/Kunzmann, GRUR 2014, 28 (35). 240 Siehe auch Ströbele/Hacker/Thiering/Hacker, MarkenG, § 30 Rn. 23.
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht663
Sukzessionsschutz zu gewähren,241 da die entsprechenden Regeln (§ 33 UrhG, § 30 Abs. 5 MarkenG, § 15 Abs. 3 PatG) dispositiv sind.242 Es gibt also unterhalb der vor allem durch den gesetzlichen Sukzessionsschutz charakterisierten einfachen Lizenz noch die schuldrechtliche Vereinbarung, für die reines Vertragsrecht gilt. Sie kann positive und negative Elemente haben, beruht jedoch auf keinerlei Verfügung und schränkt den Lizenzgeber daher ausschließlich inter partes ein.
III. Dinglichkeit Während negative Lizenzen nur einen Verbotsverzicht enthalten, der dem Lizenznehmer einen Verhaltensfreiraum eröffnet, sind positive Lizenzen gekennzeichnet durch ein vertragliches (relatives) Recht zur Nutzung (als Minimalanforderung), unterstützende Verhaltenspflichten, oder sogar durch ein verfügend eingeräumtes Nutzungsrecht.243 Ausschließliche Lizenzen weisen einige Merkmale auf, die oben als potentielle Merkmale der Dinglichkeit untersucht wurden: Die Lizenz wirkt gegenüber jedermann, wodurch der Lizenznehmer eine monopole Verbotsposition erlangt. Zu diesem Zweck erhält er eine Aktivlegitimation zur Durchsetzung seiner Lizenz, die auch die Geltendmachung weiterer Ansprüche wie Schadensersatz, Vernichtung oder dergleichen umfasst. Er ist zur Vergabe von Unterlizenzen befugt, erhält also auch die nötige Verfügungsmacht, um sein Recht zu spalten und zu übertragen. Ausschließliche Lizenzen genießen Sukzessionsschutz, sind insolvenzund zwangsvollstreckungsfest und können inter partes in der Verkehrsfähigkeit begrenzt werden. Eine Ausnahme bilden urheberrechtliche Lizenzen, die an die Einwilligung des Urhebers zum Verfügungsgeschäft gebunden sind.244 In Ermangelung eines numerus clausus abgeleiteter Rechte im Immaterialgüterrecht bestimmt die Verkehrsüblichkeit, in welchem Umfang ausschließliche Lizenzen vergeben werden können.245 Zwar erwiesen sich die aufgezählten Eigenschaften nicht sämtlich als spezielle Merkmale der Dinglichkeit. Sie bewegen sich aber um das, wofür Dinglichkeit am ehesten steht: einen unmittelbaren Gegenstandsbezug des Berechtigten.246 Einfache Lizenzen hingegen verleihen dem Inhaber keine Aktivlegitimation, er kann keine Unterlizenzen vergeben, keine Drittwiderspruchsklage erheben (§ 771 ZPO) und ist hinsichtlich der Massezugehörigkeit in der Insolvenz vom (wiederum nach dem Lizenzvertrag zu beurteilenden) Bestehen eines Wahlrechts des 241
BGHZ 83, 251 = GRUR 1982, 411 (412) – Verankerungsteil; Fezer, MarkenG, § 30 Rn. 39. nur BeckOK UrhG/Soppe, § 33 vor Rn. 1; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 30 Rn. 113; Keukenschrijver/Busse/Hacker, PatG, 8. Aufl. 2016, § 15 Rn. 76; a. A. Keukenschrijver/Busse/ McGuire, PatG, § 15 Rn. 291. 243 Siehe oben B. Positive und negative Lizenzen. 244 Siehe oben C. I. 6. Verkehrsfähigkeit. 245 Siehe zum Ganzen oben C. I. Ausschließliche Lizenzen. 246 Siehe oben § 13 M. Zusammenfassung und Folgerungen. 242 Siehe
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Insolvenzverwalters abhängig. Auch die Verkehrsfähigkeit ist tendenziell nur im Wege einer (dreiseitig zu vereinbarenden) Vertragsübernahme möglich, sofern kein Nutzungsrecht verfügend eingeräumt wurde. Insofern wurde hier angesichts der weitreichenden Gestaltungsoptionen auf vertraglicher und verfügender Ebene die Möglichkeit von Mischformen befürwortet.247 Sofern man die genannten Merkmale für solche der Dinglichkeit hält, spricht also wenig dafür, einfache Lizenzen als überwiegend (oder gar insgesamt) dinglich zu qualifizieren. Es hat sich zudem auch hier kein Grund gezeigt, weshalb es nahe liegen sollte, aus einem Dinglichkeitsmerkmal (hier: dem Sukzessionsschutz) auf weitere dingliche Eigenschaften zu schließen. Relevanter erscheinen die angesprochenen Mischformen. Zum einen hat der Gesetzgeber mit einfachen und ausschließlichen Lizenzen nur sehr ungefähre Bedeutungen verknüpft und sowohl die vertragliche wie die verfügungsrechtliche Ebene absichtlich frei gestaltbar belassen. Zum anderen knüpfen die meisten der obigen Punkte unmittelbar an vertragliche Vereinbarungen an. Es spricht nach den hier erarbeiteten Erkenntnissen nichts dagegen, dass Parteien Mischformen wie z. B. eine insolvenzfeste Lizenz ohne die Möglichkeit der Vergabe von Unterlizenzen und mit vertraglichem Ausschluss der Verkehrsfähigkeit schaffen können.
D. Struktur von Lizenzen Nach der Darstellung der wichtigsten Arten und Merkmale von Lizenzen stellt sich die Frage nach ihrer Struktur. Hierfür ist zunächst ein Abgleich der Bestellung beschränkter dinglicher Rechte mit der Vergabe von Lizenzen durchzuführen. Soweit sich hieraus keine hinreichende Erklärung für die Struktur von Lizenzen ergibt, gilt es ein eigenes Modell zu entwickeln.
I. Struktureller Gleichlauf mit beschränkten dinglichen Rechten? Wie oben 248 gezeigt wurde, gibt es verschiedene Lehren zur Struktur der Einräumung beschränkter dinglicher Rechte. Fraglich ist, ob diese Lehren und insbesondere die hier vorgeschlagene Variante der Abspaltungslehre auch die Einräumung von Lizenzen erklären können. Im einfachsten Fall könnten Lizenzen mit einem der beschränkten dinglichen Rechte des bürgerlich-rechtlichen Typenzwangs identifiziert werden. In Betracht kommt insofern nur eines der Nutzungsrechte und unter diesen allein der Nießbrauch an Rechten. Forkel sieht gar in der ausdrücklichen Anerkennung beschränkter Übertragungen (s. heute nur § 15 Abs. 1 S. 2 PatG) ein Indiz dafür, dass zumindest dingliche Lizenzen das Ergebnis beschränkter Übertragungen sein müssten. Diesen Begriff versteht er synonym für „konstitutive“ oder, in seiner Terminologie, „gebundene“ Übertragungen, was Phänomene wie den Heimfall von Lizenzen besser zum Aus247
248
Siehe zum Ganzen oben C. II. Einfache Lizenzen. Siehe oben § 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte.
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht665
druck bringe. Zu dieser Art von Rechten zählten die Belastungen im Sachenrecht wie eben auch ausschließliche Lizenzen:249 „Die ausschließliche Lizenz gleicht in ihrer Struktur als eine durch Teilung des Vollrechts nach Interessen entstandene Berechtigung den Belastungen an Rechten. Allerdings ist die Gestalt, anders als bei einer Belastung des BGB, nicht vom Gesetz weitgehend durch zwingende Vorschriften entsprechend einer typischen Interessenlage festgelegt, vielmehr ist den Beteiligten Raum gelassen, das beschränkte Recht den konkret verfolgten Interessen gemäß zu formen.“250
Auch andere verstehen die dingliche Lizenz als eine den beschränkten dinglichen Rechten ähnliche Belastung.251 Gegen eine unmittelbare Übernahme in Form eines Verständnisses von Lizenzen als beschränkte dingliche Rechte spricht allerdings zunächst der gesetzliche Wortlaut: In den Immaterialgüterrechten, die explizit eine Belastung vorsehen, ist diese (d. h. der Nießbrauch an Rechten sowie Pfandrechte an Rechten) separat von der Lizenz geregelt (§ 15 Abs. 1 S. 2/Abs. 2 PatG; § 22 Abs. 1 S. 2/Abs. 2 GebrMG; § 29/§ 30 MarkenG). Daraus kann gefolgert werden, dass der Gesetzgeber die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte dogmatisch von der Lizenzvergabe unterscheidet. Logisch zwingend ist dieser Hinweis aber nicht – die Formulierung wäre nur sehr unzweckmäßig bzw. missverständlich, wenn Lizenzen tatsächlich als Beschränkungen eines Rechts zu verstehen sein sollten. Schwerer wiegt die oben 252 ausgeführte Konstruktion beschränkter dinglicher Rechte. Wie dort gezeigt wurde, sind diese als Spaltung der Rechtsinhaberschaft zu verstehen. Das Verfügungsobjekt bleibt also unverändert, es werden keine inhaltlichen Befugnisse vom Sacheigentum abgespalten, sondern der beschränkt Berechtigte wird nach Maßgabe des betreffenden dinglichen Rechts Mitinhaber des belasteten Sacheigentums (bzw. anderer Rechte), wobei im Falle der Sicherungsund Erwerbsrechte ein spezieller Teil der mit dem Sacheigentum verbundenen Verfügungsmacht auf ihn übergeht. Lizenzen hingegen zielen auf die Übertragung konkreter inhaltlicher Befugnisse. Der Lizenznehmer erhält einen Teil des Verfügungsobjekts. Wie dargelegt wurde, zielt die Lizenzvergabe darauf, dem Lizenznehmer zulasten des Lizenzgebers einen inhaltlich definierten Teil des Stammrechts zu übertragen. Dies zeigt sich am deutlichsten bei ausschließlichen Lizenzen. Für die meisten beschränkten dinglichen Rechte passt diese Beschreibung von vornherein nicht. Die Sicherungs- und Erwerbsrechte zielen nicht auf die Über249
Forkel, NJW 1983, 1764 (1764 f.). Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 74 f. 251 Lange, Marken- und Kennzeichenrecht, Rn. 2085 („Eine dingliche Lizenz ist eine beschränkte Belastung der Marke durch Verfügung des Lizenzgebers.“); Kurtz, GRUR 2007, 292 (294); Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 359 (Vergleichbarkeit zum Sachenrecht, da in beiden Fällen [beschränkte dingliche Rechte und Lizenzen] eine konstitutive Rechtsübertragung vorliege); BeckOK InsO/Berberich, § 108 Rn. 81.1 („Eine dingliche Lizenz, die einem Dritten eingeräumt ist, ist nießbrauchsähnlich vom Stammrecht abgespalten.“). 252 Siehe oben § 16 E. Differenzierte Spaltung. 250
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
tragung eines inhaltlichen, d. h. Befugnisse hinsichtlich des Rechtsobjekts gewährenden Teils des Stammrechts. Sie sind – wie auch im vorgestellten Modell umgesetzt – auf die Rechtsinhaberschaft an einem Ausschnitt der Verfügungsmacht gerichtet. Der Sicherungsnehmer will das Sacheigentum als Ganzes verwerten, der Vorkaufsberechtigte das Sacheigentum als Ganzes erwerben. Auch der Nießbrauch gestattet keine der Lizenz ähnliche Einräumung konkreter Befugnisse, sondern ist pauschal auf „die Nutzungen der Sache“ (§ 1030 Abs. 1 BGB) gerichtet. § 1030 Abs. 2 BGB ist so zu verstehen, dass der Nießbrauch inhaltlich nur durch den Ausschluss konkreter Nutzungen beschränkt werden kann, so dass Nutzungen, die die Parteien übersehen bzw. nicht geregelt haben, erfasst bleiben.253 Dies gilt entsprechend für den Nießbrauch an Rechten (§ 1068 BGB).254 Die im Lizenzrecht übliche und ökonomisch erforderliche flexible Gestaltung durch sachliche, räumliche und/oder zeitliche Beschränkungen des eingeräumten Rechts ist mit der dem Stammrechtsinhaber ähnlichen Stellung des Nießbrauchers und dem Charakter des Nießbrauchs als „umfassendes Nutzungsrecht“ unvereinbar.255 Gerade diese Schwerfälligkeit sachenrechtlicher Typen wurde oben als Grund dafür identifiziert, dass es im Immaterialgüterrecht keinen Typenzwang gibt.256 Zudem ist der Nießbrauch ein höchstpersönliches und nicht-verkehrsfähiges Nutzungsrecht, was sich mit den üblichen Verwertungen ausschließlicher Lizenzen, insbesondere der Vergabe von Unterlizenzen nicht vereinbart.257 Im Urheberrecht scheitert der Nießbrauch außerdem schon bei der Einräumung an der Unübertragbarkeit des Stammrechts (§ 29 Abs. 1 UrhG).258 Daher scheidet ein struktureller Gleichlauf von Lizenzen mit beschränkten dinglichen Rechten aus.
II. Abspaltung und Belastung Kommt eine strukturelle Erfassung der Lizenz entsprechend beschränkten dinglichen Rechten nicht in Betracht, stellt sich die Frage, wie diese alternativ verstanden werden kann. Diskutiert werden insoweit eine Abspaltungstheorie nach der sich der Rechtsinhaber „entäußert“, sowie eine Belastungstheorie, nach der die beim Stammrechtsinhaber vollständig verbleibenden Rechte lediglich mit einer ausschließlichen Benutzungsbefugnis belastet werden, wobei zwischen einer dem „Recht der Belastungen im BGB“ entsprechenden Gestaltung und einer konstitutiven bzw. gebundenen Rechtsübertragung unterschieden wird.259
253 MüKoBGB/Pohlmann,
§ 1030 Rn. 123; Staudinger/Heinze (2017), § 1030 Rn. 54 ff. Hauck, Nießbrauch an Rechten, 334; Staudinger/Heinze (2021) Anh. §§ 1068, 1069 Rn. 6. 255 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 362 f.; Hauck, Nießbrauch an Rechten, 333 ff.; Staudinger/Heinze (2021), Anh. §§ 1068, 1069 Rn. 6. 256 Siehe oben § 13 C. III. Zusammenfassung und Folgerungen. 257 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 362; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 360 f. 258 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 361. 259 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 360. 254
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht667
Einschränkend ist anzumerken, dass die wenigsten Quellen eingehend Stellung zu strukturell-dogmatischen Fragen nehmen, sondern es sich häufig um knapp formulierte Prämissen handelt. Insbesondere die Kommentar- und Lehrbuchliteratur billigt der Unterscheidung nur wenig Aufmerksamkeit und damit wohl auch wenig Bedeutung zu. Für rechtspraktische Fragen dürfte das stimmen. Für das Gesamtbild absoluter Herrschaftsrechte ist die Struktur von Lizenzen hingegen ein wichtiger Baustein. Die Unterscheidung translativer und konstitutiver Rechtsnachfolge geht auf v. Tuhr 260 zurück.261 Wie zu zeigen sein wird, deckt sie sich für das Lizenzrecht mit der Unterscheidung zwischen Abspaltungs- und Belastungstheorie.
1. Rechtsabspaltung – Translative Rechtsübertragung Nach der Abspaltungstheorie liegt in der Erteilung einer ausschließlichen Lizenz eine Verfügung über das Stammrecht, bei der der Stammrechtsinhaber einen Teil seines Schutzrechts mit denselben Eigenschaften wie das Stammrecht abspaltet und „nur mehr den Rest behält“.262 Die Abspaltung erfolgt durch translative Rechtsnachfolge. Im Falle einer Übertragung des gesamten Stammrechts bedeutet eine solche, dass „das Recht in seinem vollen Bestande auf ein neues Subjekt übergeht, so daß das bisherige Rechtssubjekt einen definitiven Rechtsverlust erleidet. Beruht die translative Rechtsnachfolge auf einer Verfügung des Vorberechtigten, so ist diese Verfügung eine Veräußerung“.263
Im Lizenzrecht wird hingegen nur ein Teil des Stammrechts übertragen. Hierfür dürfte264 Folgendes gelten: „Die translative Rechtsnachfolge kann das Recht in seinem vollen Umfang oder eine Quote des Rechts betreffen; in letzterem Fall erfolgt Teilung des Rechts.“265
Die Abspaltungstheorie wird teilweise damit begründet, dass dingliche Belastungen an den Typenzwang des BGB gebunden seien und daher eine Lizenz als ungeregeltes dingliches Recht nur als Abspaltung aus dem dinglichen Stammrecht erklärt werden könne.266 Die Einwände hiergegen wurden oben dargelegt.267 Zur Begründung der Abspaltungslehre eignet sich das Argument also nicht. 260
V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 59 ff. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 359; Ohly, volenti non fit iniuria, 147. 262 Hubmann/Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, 6. Aufl. 1998, 192 f.; Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 57 f.; Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 359 f., 363. 263 V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 59. 264 V. Tuhr verweist auf seine Ausführungen zur „Teilbarkeit der Rechte“, die zu „Rechte[n] an unkörperlichen Sachen“ nur feststellen, dass diese „in der Regel teilbar“ seien, „insbesondere durch Teilabtretung“, v. Tuhr, BGB AT, Bd. I, 239. 265 V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 60. 266 Hubmann, Gewerblicher Rechtsschutz, 1974, 141 f.; dazu Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 363. 267 Siehe oben § 13 C. III. Zusammenfassung und Folgerungen, siehe auch I. Struktureller Gleichlauf mit beschränkten dinglichen Rechten? 261
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Angeführt werden aber einige beachtliche Einwände gegen die Abspaltungstheorie. Zunächst kann der Rückfall von Lizenzen bei ihrem Erlöschen im Falle einer echten Abspaltung nicht automatisch erfolgen.268 Man müsste hier in der Tat von einer auflösend bedingten Verfügung oder dergleichen ausgehen, was aber eine erhebliche Zusatzannahme wäre, der viele Lizenznehmer widersprechen würden. Vor allem aber stünde eine solche Konstruktion der konstitutiven Sukzession näher als der translativen.269 Es bliebe dann nur eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Rückübertragung, worin aber gerade kein automatischer Heimfall läge. Weiter gestaltet sich unter der Abspaltungstheorie die Abgrenzung der Lizenz zur Teilübertragung problematisch.270 Die Möglichkeit der Teilübertragung ist zumindest im Markenrecht gesetzlich vorgesehen,271 sie führt dort zur Entstehung zweier voneinander unabhängiger Stammrechte.272 Pahlow vertritt vor diesem Hintergrund, dass eine Befürwortung der Abspaltungslehre die Regeln zur Lizenzierung entbehrlich machen könnte. Insbesondere aber gehe eine translative Rechtsübertragung über den mit einer Lizenzerteilung gewöhnlich verfolgten Zweck hinaus. Selbst wenn eine maximal umfängliche Lizenz vereinbart worden sei, bleibe dies immer noch hinter einer translativen Übertragung zurück, da der Lizenzgeber die Ausübung der Lizenz weiterhin kontrolliere, was auch im Verständnis der Lizenz als Dauerschuldverhältnis273 zum Ausdruck komme.274 Beide Einwände wären m. E. theoretisch strukturell überwindbar. Letztlich stärken sie aber die aus der Konstruktion des Heimfalls rührenden Bedenken: Die Abspaltung bedürfte einer Dogmatik, die vor allem darauf zielte, die Konsequenzen einer echten Abspaltung, nämlich der endgültigen Übertragung eines Teils des Rechts, zu vermeiden.
2. Belastungstheorie – „Konstitutive“ Rechtsübertragung Nach der Belastungstheorie wird dem Lizenznehmer eine Benutzungsbefugnis eingeräumt, die das unverändert beim Stammrechtsinhaber liegende Recht belastet.275 Da nicht ein Teil des Stammrechts übertragen werde, soll die Bestellung der Benutzungsbefugnis nicht translativ, sondern als konstitutive Rechtseinräumung 268
Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 25; Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 364. Siehe auch v. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 83 (dort Fn. 131). 270 Hilty, Lizenzvertragsrecht, 83 f.; Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 364 f. 271 Siehe § 27 Abs. 1 MarkenG: Übertragung für alle oder für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen. 272 Hilty, Lizenzvertragsrecht, 86 (dort Fn. 341); § 15 Abs. 1 S. 2 PatG hingegen regelt keine Teilübertragung, sondern ist i. S. e. Vollübertragung des gegebenenfalls dinglich belasteten Patents (Bartenbach, Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, Rn. 86) oder quotalen Aufteilung nach den Regeln der Bruchteilsgemeinschaft (s. MüKoBGB/Schmidt, § 741 Rn. 61) zu verstehen, vgl. Keukenschrijver/Busse/McGuire, Patentgesetz, § 15 Rn. 96 ff.; Henn/Pahlow/Hauck, Patentvertragsrecht, Kap. 5 Rn. 63 ff.; wohl anders Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 20 ff. (sachliche Aufspaltbarkeit, die i. E. aber einer ausschließlichen Lizenz gleichstehe). 273 BGHZ 83, 283 = GRUR 1982, 481 (483) – Hartmetallkopfbohrer. 274 Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 364 f. 275 Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 897. 269
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht669
zu verstehen sein.276 Der Stammrechtsinhaber verliere dann nicht einen Teil seines Stammrechts, sondern werde „partiell verdrängt“.277
a) Konstitutive Rechtsnachfolge (v. Tuhr) Zur konstitutiven Rechtsnachfolge führt v. Tuhr (offenbar mit Bezug auf urheberrechtliche Verfügungen) aus: „Die Rechtsnachfolge ist konstitutiv, wenn nicht das ganze Recht des Autors [sic!] übergeht, sondern aus dessen Inhalt ein Recht geringeren Inhaltes entsteht und zugleich auf ein anderes Subjekt übergeht. Das Ursprungsrecht kann man Mutterrecht nennen, das abgeleitete Recht geringeren Umfangs: Tochterrecht. Die konstitutive Rechtsübertragung ist, da der Übertragende das Mutterrecht behält, keine Veräußerung, sondern eine Belastung des Mutterrechtes, dessen Ausübung, solange das Tochterrecht besteht, soweit zu unterbleiben hat, als der Inhalt des Tochterrechts es erfordert.“278
Ganz ähnlich vertritt E. Ulmer, dass die Lizenzeinräumung im Urheberrecht konstitutiv sei: die aus den Verwertungsrechten abgeleiteten Lizenzen seien „zweckgebundene Tochterrechte“, die weiterhin im Bann des Mutterrechts stünden, „das mit ihrem Erlöschen wieder zum Vollrecht erstarkt“.279 (Für diese Frage spielt es keine Rolle, dass er für Lizenzen eine den beschränkten dinglichen Sachenrechten entsprechende Struktur annimmt.) Soweit v. Tuhr Bezug auf das Immaterialgüterrecht und die dort möglichen beschränkten Übertragungen nimmt, die er konstruktiv mit den beschränkten dinglichen Sachenrechten gleichsetzt,280 ist zu berücksichtigen, dass er sich naturgemäß auf Gesetzesfassungen bezieht, in denen noch kein echtes Lizenzrecht281 ausgebildet war. So hieß es im zitierten § 6 PatG 1877: „Der Anspruch auf Ertheilung des Patentes und das Recht aus dem Patente gehen auf die Erben über. Der Anspruch und das Recht können beschränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder durch Verfügung von Todeswegen auf Andere übertragen werden.“; oder in § 3 GebrMG 1891: „Das durch die Eintragung begründete Recht geht auf die Erben über und kann beschränkt oder unbeschränkt durch Vertrag oder Verfügung von Todeswegen auf andere übertragen werden.“.282
Es handelt sich um Vorschriften nach Art des heutigen § 15 Abs. 1 S. 2 PatG, der deshalb auch als „Relikt des 19. Jahrhunderts“283 bezeichnet wird. Die dort ange276
Rehbinder/Peukert, Urheberrecht, Rn. 898; Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 360. Ahrens, GRUR 2006, 617 (623). 278 V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 62. 279 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 359. 280 V. Tuhr, BGB AT, Bd. II/1, 63 ff. 281 Dies geschah z. B. im Patentrecht – in Umsetzung der bereits geltenden Grundsätze von Literatur und Rechtsprechung – erst mit dem PatG von 1981, siehe BT-Drucks 8/2087, 25. 282 Siehe ferner etwa § 8 LUG 1901; § 10 KUG 1907. 283 Henn/Pahlow/Hauck, Patentvertragsrecht, Kap. 5 Rn. 63. 277
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
führte Beschränkung von Rechten ist heute separat von der nun in § 15 Abs. 2 PatG geregelten Lizenzierung zu lesen.284
b) Heutiges Verständnis der konstitutiven Lizenzeinräumung Heutige Stimmen verwenden meist nur ungefähre Beschreibungen des (konstitutiven) Geschehens. Klar wird aber, dass eine Verfügung zugunsten des Lizenznehmers stattfindet, die zulasten der Rechtsposition des Lizenzgebers geht:285 – „Die Vergabe einer ausschließlichen Lizenz bewirkt eine konstitutive Rechtsübertragung, durch die der Vollrechtsinhaber partiell verdrängt wird.“286 – „Für die ausschließliche Lizenz ist heute weit überwiegend anerkannt, dass sie dadurch entsteht, dass dem Lizenznehmer ein positives Benutzungsrecht im Wege der Verfügung zugewendet wird. Zwar geht nicht das gesamte Recht infolge eines umfassenden Zuordnungswechsels über. Allerdings entsteht ein Recht geringeren Inhaltes, das zugleich auf ein anderes Subjekt übergeleitet wird, ohne dabei die Bindung zum Mutterrecht ganz zu verlieren. Diese Form der Veräußerung eines Rechts kann als konstitutive Rechtsübertragung bezeichnet werden oder als ‚gebundene Rechtsübertragung‘, womit die fortbestehende Abhängigkeit des Tochterrechts vom Mutterrecht besonders plastisch zum Ausdruck gebracht wird. Diese Rechtsübertragung gestattet es dem Lizenznehmer, die lizenzierten Befugnisse im Umfang der gewährten Rechtseinräumung zu verwenden. Ebenso wie das Vollrecht gewährt auch die aus dem Vollrecht abgeleitete Lizenz dem Lizenznehmer eine exklusive Nutzungsbefugnis. Der Lizenznehmer kann gegen Dritte vorgehen. Seine Befugnis ist außerdem, sofern nichts Gegenteiliges vereinbart ist, frei veräußerbar.“287 – „Anders als bei der translativen Rechtsübertragung bleibt bei der konstitutiven Übertragung eine Verbindung zwischen dem Stammrecht und dem Tochterrecht bestehen, Forkel hat zur Verdeutlichung dieses Umstands den Begriff der ‚gebundenen Rechtsübertragung‘ geprägt. Die Bindung äußert sich zunächst in der – freilich je nach Recht unterschiedlich ausgestalteten – Konsolidation, oder allgemeiner im ‚Heimfall‘ des Tochterrechts bei Wegfall des geschützten Interesses. Daneben bestehen bei Rechten mit persönlichkeitsrechtlichem Einschlag diejenigen Befugnisse des Rechtsinhabers, die dessen ideelle Interessen schützen, ungeachtet der Übertragung der Verwertungsbefugnisse weitgehend fort.“288
3. Kritik Man sieht in den zitierten Stimmen ein gewisses Unbehagen und Skepsis gegenüber zu konkreten Beschreibungen des Vorgangs der konstitutiven Rechtsabspaltung.
284
Siehe auch oben Fn. 272. auch Bartenbach, Patentlizenz- und Know-how-Vertrag, Rn. 86, 91; Ann, Patentrecht, § 40 Rn. 33 f.; Keukenschrijver/Busse/Hacker, PatG, 8. Aufl. 2016, § 15 PatG Rn. 64. 286 Ahrens, GRUR 2006, 617 (623). 287 Haedicke, ZGE/IPJ 3 (2011), 377 (386). 288 Ohly, volenti non fit iniuria, 149; siehe auch Schricker/Loewenheim/Ohly, UrhG, § 31 Rn. 9. 285 Siehe
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht671
Dies dürfte an der Gegensätzlichkeit liegen, zugleich eine verfügende Übertragung von Befugnissen zu wollen, eine echte Übertragung aber auszuschließen.289
a) Konstitutive Rechtsübertragung im Wortsinn Zu bedenken ist, dass eine konstitutive Übertragung im Wortsinn nicht nur eine Übertragung dergestalt bedeutet, dass der Lizenzgeber etwas verliert, das der Lizenznehmer zumindest teilweise gewinnt.290 Sie bedeutet auch, dass der Lizenzgeber die erforderliche Rechtsmacht hat, ein Recht zu erschaffen, das zuvor in dieser Form nicht da war. Während bei der translativen Übertragung nur ein Teil eines bestehenden Rechts abgespalten und auf ein anderes Rechtssubjekt übertragen wird, bedeutet konstitutive Übertragung eigentlich, dass ein Recht neu konstituiert wird. Im Vertragsrecht ist das unproblematisch. Da es hier aber um Verfügungen, also Rechtshandlungen geht, die gegenüber Dritten wirken, ist die konstitutive Übertragung eine aufwändigere und freiheitsbeschränkendere Konstruktion als die translative Übertragung. Da es im Immaterialgüterrecht keinen strengen numerus clausus der Rechtsabspaltungen gibt, ist dieser Weg nicht ausgeschlossen. Die Annahme relativ frei formbarer translativer Abspaltungen bereitet aber auch vor diesem Hintergrund weniger Probleme als rechtliche Neuschöpfungen, die in der Literatur – wie oben gezeigt – kaum konkretisiert werden.
b) Gebundene Übertragung (Forkel) Die konkreteste Variante der konstitutiven Rechtseinräumung ist wohl das von Forkel entwickelte Konzept der gebundenen Rechtsübertragung. Sie betont besonders die der konstitutiven Übertragung eigene Bindung des übertragenen Tochterrechts zum Mutterrecht.291 Forkel übernimmt den oben für beschränkte dingliche Rechte gefundenen Ausdruck der gebundenen Übertragung für das Immaterialgüterrecht,292 in dem damals der gesetzliche Begriff der belasteten Übertragung mangels spezieller Vorschriften zum Lizenzrecht eine erheblich größere Rolle spielte als heute:293
289 Herbst, Die rechtliche Ausgestaltung der Lizenz, 122 f. (das „Gegensatzpaar translativ und konstitutiv“ sei „nicht strukturangemessen gebildet“); Krückmann, AcP 103 (1908), 139 (246) (es bestehe „bei qualitativer Teilung kein Unterschied zwischen translativer und konstitutiver Übertragung“); Weinmann, Die Rechtsnatur der Lizenz, 544 f. 290 So die generelle Mindestanforderung an übertragende Verfügungen, Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (232) (wenn von Übertragung gesprochen werden soll, müsse der Erwerber „mindestens einen Teil der Befugnisse erhalten, die den Rechtsinhalt ausmachen“). 291 Vgl. Forkel, GRUR 1988, 491 (493 f.); Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, 80 f.; siehe auch Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 360 (unterschieden werde zwischen einer dem „Recht der Belastungen im BGB“ entsprechenden Gestaltung und einer konstitutiven bzw. gebundenen Rechtsübertragung). 292 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 48. 293 Siehe oben 2. a) Konstitutive Rechtsnachfolge (v. Tuhr).
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Eine Erklärung von Lizenzen als Nießbrauch von Rechten verwirft Forkel.294 Gegen die lizenzrechtliche Abspaltungslehre wiederum lasse sich einwenden, dass sich die Lizenz nur auf einen Teil des Stammrechts erstrecke und automatisch heimfalle, während der Inhaber nicht nur Inhaber bleibe, sondern auch das Stammrecht veräußern könne und aktivlegitimiert bleibe.295 Es biete sich daher auch für Lizenzen anstelle der Annahme einer konstitutiven Übertragung die Deutung als gebundene Übertragung an.296 Wie bei beschränkten dinglichen Rechten liege eine „Teilübertragung nach Interessen“ vor.297 Forkel kommt zu dem Ergebnis, dass dingliche Belastungen und Lizenzen in der Struktur gleichartig seien: „beide Male wird ein nach Interessen bestimmter Teil des Mutterrechts übertragen, so daß der Erwerber ein beschränktes Recht am Gegenstand erlangt“.298 Kennzeichnend ist also die Bindung des übertragenen Tochterrechts zum Mutterrecht.299
E. Eigener Vorschlag Sofern Lizenzen Verwandtschaft mit beschränkten dinglichen Rechten haben, dann mit den Nutzungsrechten.300 Aus den dargelegten Gründen kann die statische und streng vertypte Struktur beschränkter dinglicher Rechte die Struktur und Funktionsweise von Lizenzen aber nicht erklären.301 Weinmann wendet gegen die konstitutive Rechtsübertragung als strukturelle Erklärung von Lizenzen ein, dass diese bei genauer Betrachtung eine qualitative, d. h. auf bestimmte Inhalte des Stammrechts bezogene Teilübertragung sei302 und der Zusatz „konstitutiv“ nur dazu diene, den automatischen Heimfall zu erklären.303 Dieser lasse sich aber überzeugender als Eigenschaft des Stammrechts erklären, das ganz einfach kein „völlig losgelöstes Teilrecht“ zulasse: „Die möglichen Verfügungen, die der Inhaber des unabgeleiteten Rechts vornehmen kann, erweisen sich jedoch als bloße Funktionen des unabgeleiteten Rechts, so dass ein solcher Verfügungsbegriff grundsätzlich keine selbständige Bedeutung mehr hat.“304 294 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 49; siehe auch oben I. Struktureller Gleichlauf mit beschränkten dinglichen Rechten? 295 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 58. 296 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 59. 297 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 62. 298 Forkel, Gebundene Rechtsübertragungen, 68. 299 Vgl. Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, 80 f. 300 Siehe oben I. Struktureller Gleichlauf mit beschränkten dinglichen Rechten?; siehe auch Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag, 366 ff., der sich für ein Verständnis der Lizenz als Dienstbarkeit ausspricht. 301 Noch einmal ist auf die Ausführungen zum Typenzwang zu verweisen, siehe oben § 13 C. Das numerus clausus-Prinzip. 302 Siehe auch Kraßer, GRUR Int. 1973, 230 (232) („Die Belastung ist eine Form der Teilübertragung; die Besonderheit, daß die ausgegliederten Befugnisse unter einem besonderen Namen zusammengefaßt sind, kann man dadurch andeuten, daß man die Übertragung als ‚konstitutive‘ bezeichnet.“). 303 Weinmann, Die Rechtsnatur der Lizenz, 545. 304 Weinmann, Die Rechtsnatur der Lizenz, 545 f.
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht673
Diese Erklärung läuft darauf hinaus, dass der automatische Heimfall nicht durch Zusatzannahmen wie eine auflösende Bedingung konstruiert werden muss, sondern der Stammrechtsinhaber von vornherein nur eine begrenzte Verfügungsmacht hat, die lediglich Verfügungen mit automatischem Heimfall zulässt. Die dogmatisch-strukturelle Erklärung von Lizenzen dürfte daher darin liegen, dass die einschlägigen Regelungen (z. B. §§ 31, 35 UrhG, § 15 PatG, § 30 MarkenG) dem Berechtigten eine inhaltliche Aufspaltung des Stammrechts ermöglichen. Im Gegensatz zum beschränkten dinglichen Recht305 ist die Lizenz ein separates Verfügungsobjekt. Wie weit die Aufspaltbarkeit reicht (also die Abgrenzung möglicher Nutzungsrechte mit ausschließlicher Wirkung), wurde wie gesagt dem Rechtsverkehr überlassen. Der Grund für diesen zusätzlichen Schritt gegenüber den beschränkten dinglichen Rechten geht zurück bis auf die unterschiedliche Natur der Güter, von der auch die Regelungstechnik abhängt,306 und die entsprechend unterschiedlichen Verwertungswege.307 Es ist also von der Wertung her plausibel, dass Immaterialgüterrechte einer inhaltlichen Aufspaltung zugänglich sind, während das Sacheigentum dies nicht ist. Die vom Gesetzgeber eingeräumte Verfügungsmacht ermöglicht dabei aber keine translativen Abspaltungen im oben308 dargelegten endgültigen Sinne. Es bleibt immer eine Verbindung der Lizenz zum Stammrecht, selbst wenn sie für die Dauer der gesamten Schutzfrist erteilt wird. Das Verbot dauerhafter inhaltlicher Spaltungen absoluter Herrschaftsrechte (die Unteilbarkeit/Totalität) gilt prinzipiell auch im Immaterialgüterrecht.309 Allerdings ist es hier aufgeweicht. Die für das Lizenzrecht angenommenen Einschränkungen, insbesondere die Gebundenheit von urheberrechtlichen Verfügungen, müssen als Beschränkungen von Verfügungsmacht verstanden werden. Der Urheber kann zwar Nutzungsrechte abspalten, seine Übertragungsmacht 310 reicht aber nur für eine gebundene Verfügung. Er kann nicht translativ verfügen, weil er nicht die nötige Rechtsmacht hat. Das Gleiche gilt für alle weiteren Einschränkungen auf Verfügungsebene. Während die Portionierbarkeit der Aufspaltung bei den Immaterialgüterrechten dem Verkehr überlassen wurde und weitgehend ungeregelt blieb, ist die übertragende Verfügung von klareren Linien geprägt. Zu ihnen gehört unter anderem der oben problematisierte automatische Heimfall, die Elastizität von Rechten. Er erklärt sich dadurch, dass die Verfügungsmacht des Stammrechtsinhabers schlicht nicht ausreicht, um nicht-heimfallende Rechte verfügend zu übertragen. Es ist derselbe Grund, aus dem beschränkte dingliche Rechte heimfallen und der die endgültige Abspaltung von Persönlichkeitsaspekten verhindert. Selbst wenn die 305
Siehe oben § 16 F. Zusammenfassung und Folgerungen (a. E.). Siehe oben § 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens. 307 Siehe oben § 13 C. I. 4. Geltung im Immaterialgüterrecht; III. Zusammenfassung und Folgerungen. 308 Siehe oben D. II. 1. Rechtsabspaltung – Translative Rechtsübertragung. 309 Siehe dazu oben § 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). 310 Siehe oben § 9 G. III. 5. a) Übertragungsmacht. 306
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6. Kapitel: Abgeleitete Rechte
Rechtsprechung rechtlich so weit verselbständigte Persönlichkeitsgüter (Werbefotos von Prominenten etc.) annimmt, dass diese Gegenstände (!) ausschließlicher Lizenzen werden können, ist eine endgültige Trennung von der Person, ein NieWieder-Zurückholen-Können, nicht anerkannt.311 Lizenznehmer
Rechtsinhaberschaft
Verfügungsobjekt 2 (Lizenz) Abspaltung Lizenz
Lizenzgeber
Rechtsinhaberschaft
Verfügungsobjekt 1 (z. B. Patent abzüglich der Lizenz)
Rechtsobjekt (Erfindung)
Abb. 8: Abspaltung einer Lizenz als separates Verfügungsobjekt
F. Zusammenfassung und Folgerungen Ein struktureller Gleichlauf von beschränkten dinglichen Rechten mit Lizenzen scheidet aus. Soweit die gesetzlichen Immaterialgüterrechte dingliche Belastungen vorsehen, sind diese (d. h. der Nießbrauch an Rechten sowie Pfandrechte an Rechten) separat von der Lizenz geregelt. Zudem zielen Lizenzen auf die Übertragung genau abgegrenzter inhaltlicher Befugnisse mit hoher Verkehrsfähigkeit, die sich mit dem für die Sachenrechte angenommenen ungespaltenen/totalen Rechtsinhalt des Stammrechts nur schwer vereinbaren ließe.312 Mit einer echten, translativen Abspaltung lassen sich Lizenzen aber auch nicht erklären, da eine solche von den Parteien i. d. R. nicht gewünscht ist und zugunsten des automatischen Heimfalls von Lizenzen direkt wieder begrenzt werden müsste.313 Konstitutive Lizenzeinräumungen wiederum müssten dem Wortlaut nach eigentlich Neubegründungen von Rechten neben dem Stammrecht sein, ohne Abspaltung. Näher an die mit dem Begriff gemeinten Lizenzvergaben heran reicht Forkels Modell der gebundenen Übertragung, die aber eng an die Vergabe beschränkter dinglicher Rechte geknüpft ist.314 Abgesehen von den insoweit bereits angesprochenen Bedenken wird hier der Kritik von Weinmann gefolgt, der die gebundene Rechtsübertragung als qualitative Teilübertragung mit automatischem Heimfall der Lizenzen erklärt. Darauf aufbauend liegt die Besonderheit von Lizenzen gegenüber beschränkten dinglichen Rechten nach hier vertretener Ansicht in der Möglichkeit einer inhaltlichen Spaltung des Verfügungsobjekts. Dies betrifft 311
Siehe dazu oben § 11 C. Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft. Siehe oben D. I. Struktureller Gleichlauf mit beschränkten dinglichen Rechten? 313 Siehe oben D. II. 1. Rechtsabspaltung – Translative Rechtsübertragung. 314 Siehe oben D. II. 3. b) Gebundene Übertragung (Forkel). 312
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht675
i. d. R. das Stammrecht, im Falle ausschließlicher/exklusiver Tochterlizenzen erweist sich aber auch die Mutterlizenz als in dieser Weise inhaltlich spaltbar.315 Diese Spaltung bricht nicht endgültig mit dem Prinzip der inhaltlichen Unteilbarkeit316 absoluter Herrschaftsrechte. Dieses Prinzip wurde nur aufgrund der besonderen Natur und Verwertungsweise von Immaterialgüter(rechte)n gegenüber dem Sacheigentum aufgeweicht. Das vorgeschlagene Modell erklärt auch Zwischenstufen der Dinglichkeit und Lizenzierung: Es ist eine Frage der Anerkennung im Verkehr, welche dinglichen Aspekte eine Lizenz haben „kann“. Es spricht dogmatisch nichts gegen Mischformen.317 Eine allzu bunte Lizenzlandschaft könnte allerdings der Rechtssicherheit schaden (einem Hauptgrund des sachenrechtlichen Typenzwangs). Daher könnte auch das Bedürfnis stammen, rigoros zwischen dinglich und nicht-dinglich zu unterscheiden, obwohl sich oben318 nur wenige übergreifend dingliche Eigenschaften ausmachen ließen.
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Siehe oben E. Eigener Vorschlag. Siehe oben § 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). 317 Siehe oben C. II. 5. Verkehrsfähigkeit. 318 Siehe oben § 13 M. Zusammenfassung und Folgerungen. 316
7. Kapitel
Dogmatisches Modell absoluter Herrschaftsrechte Eingangs wurde die Frage gestellt, ob absolute Herrschaftsrechte eine hinreichende Konsistenz aufweisen, um sie mit einem einzigen, einheitlichen Modell beschreiben zu können, oder ob eher ein „Baukasten“ für diese Rechte gesucht werden muss. Tatsächlich hat sich in der Untersuchung gezeigt, dass die Beschreibung in einem dogmatischen Modell möglich ist, das im Folgenden vorgestellt wird. Ein solches Modell gibt eine strukturierte und vereinfachte Abbildung der Rechtsmaterie. Es nimmt dabei bewusst gewisse Vereinfachungen in Kauf, um ein verständliches Bild zu erzeugen. Trotzdem muss es in der Lage sein, die Komplexität der Wirklichkeit abzubilden, womit diese die Komplexität des Modells beeinflusst. Überzeugende dogmatische Modelle erleichtern die Verständlichkeit des Rechtsstoffs, reduzieren die Komplexität und helfen bei der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung. Dies erleichtert auf der praktischen Seite die Suche nach angemessenen Lösungen für die Zuweisung neuer Güter und sachgerechte Anpassungen bestehender Güterzuweisungen. Mit dem Einzug von Rechten an Daten und Informationen stellt sich für das Immaterialgüterrecht die Aufgabe, auch diese Güter dogmatisch zu integrieren und ins Verhältnis zu den bekannten Immaterialgüterrechten zu setzen. Gleichzeitig besteht die Grundannahme, dass das Sacheigentum und Immaterialgüterrechte nicht auf gänzlich verschiedenen Modellen absoluter Herrschaftsrechte beruhen. Wie könnte vor diesem Hintergrund ein dogmatisches Modell aussehen, das sowohl das Sacheigentum, die Immaterialgüterrechte und eventuelle neue absolute Rechte an Daten und Informationen sowie Persönlichkeitsrechte abbildet?
A. Rechtsgegenstände § 1 Zur Theorie des subjektiven Rechts Subjektive Rechte sind Rechtspositionen, die dem Berechtigten etwas zuordnen, weshalb der Berechtigte zu ihnen in einer besonderen Verbindung steht, nämlich im Modus der Rechtsinhaberschaft (dazu § 2). Dieser Modus macht das subjektive Recht zu etwas außerhalb der Person Stehenden, das zugeordnet wird. Gegenbegriff hierzu sind Statusrechte, die, vereinfacht formuliert, nicht das Haben, sondern das Sein des Menschen sichern (siehe unten §§ 2, 11).
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7. Kapitel: Dogmatisches Modell absoluter Herrschaftsrechte
Die verschiedenen Theorien zu subjektiven Rechten unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Zwecks besagter Zuordnung. Sie alle bewegen sich insofern zwischen den Polen formaler und materialer Betrachtung: Formal, konstruktiv orientierte Theorien beschreiben bis hinunter auf die Ebene der reinen Normlogik, wie subjektive Rechte aufgebaut sind und wie sie funktionieren. Am bekanntesten ist insofern die Imperativentheorie und ihre Verlängerung in der Hohfeld’schen Theorie. Den Blick über die Normlogik und ihre impliziten Begrenzungen hinaus richtet die institutional theory of law (ITL). Ähnlich zu Larenz’ Verständnis des subjektiven Rechts als Geltungsanordnung erfüllen Rechtsnormen nach der ITL die Funktion, das in der Rechtsnorm formulierte Recht zu geltendem Recht zu machen. Subjektive Rechte sind institutionelle Tatsachen – eine Rechtsnorm ist keine Aussage darüber, was ist, sondern was rechtlich gilt. Dies zeigt sich besonders bei Ermächtigungsnormen, wie z. B. der Einräumung von Verfügungsmacht (siehe unten § 9), die als konstitutive Regeln neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Theorien höherer teleologischer Ebenen – materialen Theorien – geht es um die Frage, zu welchem Zweck subjektive Rechte eingeräumt werden. Zu diesen Theorien zählt etwa die property rights theory, die auf volkswirtschaftlicher Ebene die Effekte der Güterzuordnung durch Verfügungsrechte (in einem nicht-juristischen, sehr weiten Sinne) untersucht. Eines ihrer Werkzeuge ist die bundle of rights theory, die Eigentumsrechte und verwandte Rechtspositionen analytisch als Rechtebündel versteht. Um das sich durch die Gesamtthematik ziehende Spannungsverhältnis zwischen Mittel und Zweck abzubilden, wurde hier eine „schrittweise Teleologie“ vorgeschlagen. Unter ihr erweisen sich manche scheinbar gegensätzlichen Meinungen als Antworten auf Fragen auf teleologisch unterschiedlichen Ebenen.
§ 2 Zur Theorie des Rechtsgegenstands Grundkategorien absoluter Herrschaftsrechte sind Rechtssubjekt und Rechtsobjekt, beide erheben vorrechtliche Entitäten in die zivilrechtliche Existenz. Für Menschen erfolgt dies über § 1 BGB. Jeder Mensch wird hierdurch in den Personstatus erhoben und erhält auf diesem Wege Statusrechte (dazu sogleich § 11). Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt bei absoluten Herrschaftsrechten aber auf der Güterseite. Vorrechtliche Güter erlangen zivilrechtliche Existenz durch die Entwicklung eines rechtlichen Abbilds. Ausgehend von einer rein physischen Beziehung des Individuums zum Gut findet eine allmähliche Ablösung von der Person statt. Die ursprünglich rein personenrechtlich anerkannte Beziehung zum Gut löst sich und das Gut gelangt als Rechtsgegenstand zu einer selbständigen Existenz: Der Rechtsgegenstand entsteht durch einen Prozess der Ablösung des Gutes aus der Personalsphäre.
A. Rechtsgegenstände679
Die Bedeutung dieses Ablösungsprozesses wird klar, wenn man ihn auf Persönlichkeitsaspekte anwendet (dazu auch § 11). Die eigenständige zivilrechtliche Existenz eines Guts setzt die Einführung eines absoluten Herrschaftsrechts an diesem Gut, genauer gesagt, dieser Art von Gütern voraus. Ein Gut erhält zivilrechtliche Existenz durch seine Anerkennung als möglicher Gegenstand eines absoluten Herrschaftsrechts. Was z. B. die meisten körperlichen Gegenstände aus der rechtlichen Nichtexistenz emporhebt ist ihre Sacheigentumsfähigkeit. Beispiel: Ein Stein ist nur deshalb im Zivilrecht existent, weil er durch das von der Rechtsordnung eingeführte absolute Herrschaftsrecht des Sacheigentums sacheigentumsfähig und damit ein Rechtsobjekt geworden ist. Es muss hierfür noch kein Eigentum an ihm begründet worden sein.
Die menschliche Persönlichkeit hingegen ist nicht als Rechtsgegenstand existent, sondern über besagten Personstatus. Daher kann im Ausgangspunkt nicht über Teile des Körpers oder der Persönlichkeit verfügt werden – sie haben in unserer Rechtsvorstellung keine rechtliche Existenz als Rechtsgegenstand außerhalb der Person. In einer ursprünglichen, vereinfachten Darstellung bildeten das rechtliche Abbild des Gutes und das daran bestehende Recht einen einheitlichen Rechtsgegenstand. Beispiel: Der Eigentümer eines Fahrrads ist Inhaber des Fahrradeigentums, d. h. einer Kombination des rechtlichen Abbilds des Fahrrads mit dem daran bestehenden Eigentumsrecht.
Heute wird aber zwischen Rechtssubjekten, rechtlichen Abbildern von Gütern (Rechtsobjekten) und den an den Rechtsobjekten bestehenden Rechten (Verfügungsobjekten, dazu § 9) differenziert, was einen größeren Gestaltungsspielraum eröffnet: Rechtssubjekt – Verfügungsobjekt – Rechtsobjekt Das rechtliche Abbild eines Gutes ist das Rechtsobjekt. Die daran bestehenden Rechte sind Verfügungsobjekte. Je nach Terminologie wird stattdessen auch von Rechtsgegenständen erster und zweiter Ordnung gesprochen. Ferner wurde gezeigt, dass der Berechtigte zu seinem subjektiven Recht (also dem Verfügungsobjekt) im Modus der Rechtsinhaberschaft steht. Dass jemand ein subjektives Recht „hat“ bedeutet, dass er dessen Inhaber ist. Wieder zeigt sich der Unterschied zur Person im Recht – der Personstatus bezeichnet das rechtliche Sein des Menschen, keine Inhaberschaft. Ein Teil des Rechtsgegenstandes – hier: des Verfügungsobjekts – ist nach der Ausgangsdarstellung die in ihm gebundene Rechtsmacht, die mit seiner Übertragung auf den Erwerber übergeht. Dies wird in der Lehre zu den Verfügungsobjekten wieder aufgegriffen (siehe unten § 9).
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7. Kapitel: Dogmatisches Modell absoluter Herrschaftsrechte
§ 3 Rechtsobjekte Die als Rechtsobjekte benannten rechtlichen Abbilder vorrechtlicher Güter wurden in §§ 3–5 näher untersucht. Das Rechtsobjekt erfüllt im absoluten Herrschaftsrecht neben der Aufnahme eines Gutes in die Rechtsordnung diverse weitere Funktionen, wie etwa die Abgrenzung, Zuweisung und Vergegenständlichung des Gutes. Im Zuge der Aufnahme außerrechtlichen Güter in das Zivilrecht kommt Rechtsobjekten auch eine Zuweisungsfunktion zu. Sie bestimmen durch Definitionsregeln (wie z. B. §§ 90, 93 ff. BGB), was und wieviel dem Rechtsinhaber durch Herrschaftsrechte zugewiesen wird. Ein verbreitetes Verständnis bedient sich außerdem des Bildes einer direkten Beziehung zwischen Person und Rechtsobjekt, die mit einem Herrschaftsverhältnis identifiziert wird. Sie findet sich i. R. d. der Dinglichkeit (siehe unten § 13) als Vorstellung eines unmittelbaren Sachbezugs wieder. Nach einer reduzierteren formalen Sichtweise dient das Rechtsobjekt hingegen als archimedischer Punkt rechtlicher Beziehungen zwischen Rechtssubjekten. Hieran knüpft die (wenig anschauliche, aber analytisch starke) bundle of rights theory1 an.
§ 4 Körperliche Rechtsobjekte (Sachen) „Sachen“ sind ein Sonderfall unter den Rechtsobjekten. Grund hierfür ist nicht nur ihre Körperlichkeit. Ihr Begriff und ihre Abgrenzung weisen zahlreiche geschichtliche und dogmatische Besonderheiten auf. Unter anderem wurden res incorporales teilweise als die oben (§ 2) benannten Rechtsgegenstände i. S. e. Einheit von Recht und Rechtsobjekt verstanden. Eine heute relevantere Besonderheit liegt darin, dass Sachen nach einem „Ausschnittprinzip“, nämlich als körperlicher, menschlich beherrschbarer Ausschnitt der Lebenswelt, abgegrenzt sind. Ihre Abgrenzung beruht nicht auf einer Abstimmung mit dem Sacheigentum. Entsprechend ambivalent ist der Gerechtigkeitsgehalt der Körperlichkeit, für den hier mehrere mögliche Ausprägungen identifiziert wurden. Die Körperlichkeit ist ein altes und spezifisch menschliches Abgrenzungsmerkmal, das Gerechtigkeitserwägungen, wie etwa die leichte Erkennbarkeit und Beherrschbarkeit von Sachen, verwirklicht.2
§ 5 Unkörperliche Rechtsobjekte (Immaterialgüter) Eine zentrale Herausforderung der hier angestellten Rechtsobjektslehre war eine geschlossene Darstellung der Rechtsobjekte des Immaterialgüterrechts in Abgrenzung zu ihren vorrechtlichen Gütern, sowie die Frage, worauf genau sich die Befugnisse aus den Immaterialgüterrechten beziehen. Besondere Bedeutung hat hierbei das Verhältnis dieser Rechtsobjekte und Rechte zu Informationen bzw. Daten als Untergruppe syntaktischer Informationen. 1 2
§ 13 H. III. Verhältnis zur bundle of rights theory. § 4 C. III. Der Gerechtigkeitsgehalt der Körperlichkeit.
A. Rechtsgegenstände681
Die Immaterialgüterrechte (untersucht wurden insbesondere Urheberrecht, Patentrecht und Markenrecht) beziehen sich auf Idealgüter. Diese haben keine naturwissenschaftliche Existenz, sondern sind – ebenso wie subjektive Rechte – institutionelle Tatsachen. Informationen hingegen sind naturwissenschaftlich existent als gedeutete oder deutbare physische Struktur. Idealgüter werden naturwissenschaftlich fassbar durch Informationen, genauer gesagt durch informationelle Repräsentationen. Beispiel: Der Song „Bohemian Rhapsody“ existiert allein in seiner Festlegung auf Informationsträgern (Schallplatten, CDs, Festplatten etc.). Er hat als Werk keine davon unabhängige Existenz. Allerdings ist auch keine Aufnahme „das Werk“ – auch nicht die Original-Masterbänder. Das Werk ist nur ein gedanklicher Fixpunkt, der Song existiert naturwissenschaftlich nur in informationellen Repräsentationen.
Immaterialgüterrechte ermächtigen ihren Inhaber in ihrem jeweiligen Umfang zur Bestimmung über solche informationellen Repräsentationen, also Informationen. Sie sind Rechte zur Bestimmung über informationelle Repräsentationen der durch sie zugewiesenen Idealgüter, oder kürzer: Informationsbestimmungsrechte.
§ 6 Immaterialgüter und die conditio humana Nach dem hier vertretenen Rezeptionskonzept ist die menschliche Rezeption entscheidend für das Immaterialgüterrecht: Das „geistige“ Eigentum bezieht sich auf den menschlichen Geist. Immaterialgüter sind ihrer Idee nach vom menschlichen Geist für den menschlichen Geist geschaffene Güter. Sie zielen auf die Manipulation menschlicher qualia, i. e. auf das subjektive Erleben. Es gibt aber vermehrt menschenfremde Immaterialgüter, d. h. für Menschen unverständliche Immaterialgüter, insbesondere in Form von Erzeugnissen bzw. Interna künstlicher Intelligenz. Diese lassen sich teilweise schon mit bestehenden Immaterialgüterrechten erfassen, teilweise ist eine Anpassung möglich, teils bedürfte es – wenn man sie schützen wollte – aber gänzlich neuer Immaterialgüterrechte. Im Interesse des Gedankens der Herrschaft des Menschen über die Gegenstände von Herrschaftsrechten sollte gewährleistet werden, dass Immaterialgüterrechte tendenziell nur für Immaterialgüter vergeben werden, die für Menschen prinzipiell verständlich sind.
§ 7 Realgüter und Idealgüter Die gesetzlichen Immaterialgüterrechte sind Idealgüterrechte (s. § 5). Sie gewähren die Bestimmung über informationelle Repräsentationen eines nicht-existenten Idealguts. Das Gegenstück hierzu sind Realgüterrechte. Sie nehmen das zuzuweisende Gut unmittelbar in Bezug. Die daran bestehenden Rechte richten sich nicht auf Repräsentationen des Guts, sondern auf das Gut selbst. Prototyp der Realgüterrechte ist das Sacheigentum. Ebenso hierunter fallen könnten Immaterialgüter, die unmittelbar Gegenstand menschlicher Herrschaft sein können, z. B. Rechte an
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7. Kapitel: Dogmatisches Modell absoluter Herrschaftsrechte
einem konkreten Datenbestand oder NFTs (an denen de lege lata aber keine gesonderten Rechte bestehen – Einmaliges erzeugt noch kein Eigentum). Die Abgrenzung hängt außerdem von der Art der Verrechtlichung ab, hier besteht ein Entscheidungsspielraum. Realgüter können auch als Idealgüter, nämlich als Repräsentation eines ideal gedachten Gutes, verstanden und über Idealgüterrechte verrechtlicht werden. Z. B. wird für das Sacheigentum vereinzelt vertreten, dass es auch Bilder (also informationelle Repräsentationen) der Sache erfasst.
§ 8 Rechtsobjekte und die Konturierung des Handlungsrahmens Die Körperlichkeit von Sachen macht diese im Kreis der Rechtsobjekte zum Sonderfall (§ 4). Dies schlägt sich in der Regelungstechnik des Sacheigentums nieder, das, insbesondere über die dinglichen Ansprüche der §§ 985, 1004 BGB (dazu unten § 14), dem Eigentümer rechtliche und körperliche Sachherrschaft zuweist. Dadurch vergrößert es seine faktischen Handlungsmöglichkeiten. Das von der Rechtsordnung gewährleistete faktische Können übersteigt das rechtliche Sollen. Der Berechtigte kann anderen Handlungen verbieten, die er selbst nicht durchführen darf. Deshalb muss mit zusätzlichen Regeln, die sich als Schranken des Sacheigentums darstellen, der faktische Handlungsrahmen des Eigentümers begrenzt werden (z. B. Nachbarschaftsrecht, BauGB, StVO, WaffG). Für Immaterialgüter besteht diese Notwendigkeit nicht. Immaterialgüterrechte steuern nicht den Erwerb von Informationen. Daher führt die Rechtsinhaberschaft zu keiner Vergrößerung der faktischen (d. h. der nicht-rechtlichen) Handlungsmöglichkeiten des Berechtigten. Entsprechend ist der Grundtyp der verbietbaren Handlung im Sacheigentum die körperliche Einwirkung auf die Sache – der Umgang mit dem Gut als solchem wird geschützt (Realgüterrecht). Ein Immaterialgüterrechtsinhaber hingegen kann die informationelle Repräsentation des Gutes verbieten bzw. steuern (Idealgüterrecht). Ferner erlaubt das Immaterialgüterrecht die Abstimmung von Rechten und Rechtsobjekten aufeinander. Die Abgrenzungen der Immaterialgüter sind wesentlich differenzierter als im Sachenrecht, das pauschal körperliche Gegenstände erfasst.
§ 9 Verfügungsobjekte Die Verbindung zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt bilden Verfügungsobjekte. Verfügungsobjekte sind die eigentlichen absoluten Herrschaftsrechte. Ihnen wird vom Gesetzgeber Verfügungsmacht angefügt. Diese ist ein zentrales Mittel der Gestaltung der Vermögensordnung. Rechtsinhaberschaft ist theoretisch auch ohne Verfügungsmacht möglich, z. B. könnte in einer Planwirtschaft jede Verfügung über Sacheigentum von einer staatlichen Erlaubnis abhängig gemacht werden. Im deutschen Recht dient die „Portionierung“ und Ausgestaltung von Verfügungsmacht zur Gestaltung der Verkehrsfähigkeit von Rechten auf Ver-
B. Herrschaft683
fügungsebene. Dies zeigt sich z. B. in der Unverfügbarkeit des Urheberrechts als Stammrecht (§ 29 UrhG), im Typenzwang des Sachenrechts (dazu unten § 16) oder in sog. gebundenen Lizenzen (dazu unten § 17). Verfügungsmacht hat nach hier vertretener Ansicht verschiedene Ausprägungen, die den gängig unterschiedenen Arten von Verfügungen entsprechen. Vorgeschlagen wurden Übertragungsmacht, Belastungsmacht, Aufhebungsmacht und Änderungsmacht.3 Hieran knüpft unter anderem die Einräumung von beschränkten dinglichen Rechten und von Lizenzen an (dazu sogleich §§ 16, 17). Der Berechtigte steht zu „seinen“ Rechten (Verfügungsobjekten) im Modus der Rechtsinhaberschaft (siehe oben § 2). Die Verfügungsmacht ist also Teil des Rechts; sie ist die Zuordnungsänderungszuständigkeit, d. h. die Zuständigkeit zur Bestimmung über Zuordnungsänderungen. Wird ein absolutes Herrschaftsrecht übertragen, folgt die Rechtsinhaberschaft der Verfügungsmacht. Dies gilt auch bei Rechtsaufspaltungen, bei denen (vorübergehend) eine weitere Rechtsinhaberschaft entsteht. Beispiel: Vergibt ein Autor eine ausschließliche Lizenz für fünf Jahre, wird der Lizenznehmer für diese Zeitspanne Rechtsinhaber im Umfang der Lizenz.
B. Herrschaft § 10 Besitz und Herrschaft Absolute Herrschaftsrechte zeichnen sich durch eine Herrschaftsbeziehung aus, die auf die durch das Herrschaftsrecht erfassten Gegenstände und Handlungen gerichtet ist. Mit unmittelbarer körperlicher Einwirkung hat diese Beziehung schon im Sachenrecht nur wenig zu tun. Praktisch besteht sie vielmehr in einer Bestimmungsgewalt des Berechtigten über die Sache. Andernfalls könnte eine Person keine komplexen Anlagen oder technischen Geräte (z. B. ein Kreuzfahrtschiff) besitzen, die nur mit Hilfe anderer Personen beherrscht werden können. Diese Bestimmungsgewalt belässt dem Berechtigten auch die Bestimmung darüber, ob er direkten Zugriff auf die betreffenden Gegenstände wünscht, oder sich Mittelspersonen (Besitzdiener, Besitzmittler) bedient. Als Bestimmungsgewalt kann aber auch die Macht bezeichnet werden, die Immaterialgüterrechte als Informationsbestimmungsrechte gewähren, sie ist dort auf informationelle Repräsentationen (siehe oben § 5) des Idealguts gerichtet. Anknüpfend hieran wäre für Immaterialgüter wie z. B. Bitcoins auch eine Art traditio, d. h. ein Gewaltwechsel mit vergleichbarer Rolle/Funktion denkbar. Dieser könnte unter anderem Grundlage für einen gutgläubiger Erwerb sein. Bei Realgütern und technikabhängigen Gütern4 ist die Bestimmungsgewalt leichter zu realisieren, da 3 4
Siehe oben § 9 G. III. 5. Ausprägungen von Verfügungsmacht. § 10 D. II. 1. b) Technikabhängige Güter.
684
7. Kapitel: Dogmatisches Modell absoluter Herrschaftsrechte
sie sich auf das eigentliche Gut und nicht auf informationelle Repräsentationen von Idealgütern richtet. Heute sind die meisten dieser Repräsentationen aber auf technikabhängigen Informationsträgern (z. B. Internetserver) gespeichert. Dies erleichtert die Kontrolle – jedoch auch Verletzungshandlungen. Ein wichtiger Unterschied zwischen Sachen- und Immaterialgüterrecht besteht darin, dass der Sacheigentümer über die ihm zugewiesene Sache herrscht, während bei Immaterialgüterrechten der Fokus auf der Bestimmung über rechtsverletzende Güter liegt (z. B. in Form eines Anspruchs auf die Vernichtung rechtsverletzender Vervielfältigungen).
§ 11 Persönlichkeitsrechte als Herrschaftsrechte Auch Persönlichkeitsrechte lassen sich so als Herrschaftsrechte verstehen. Viele Missverständnisse gehen hier auf die Mehrdeutigkeit des Herrschaftsbegriffs zurück. Das rechtspolitisch heikle Problem betrifft nur die Befürchtung einer Vergegenständlichung von Persönlichkeitsaspekten nach dem oben (§ 2) beschriebenen Prozess. Mit der Ablösung von Persönlichkeitsmerkmalen vom Menschen als Rechtsgegenstände würden sie in das oben benannte Gegensatzverhältnis von Person und Gegenstand gestellt. Unterschieden werden müssen aber Kontrollherrschaft und Dispositionsherrschaft. Persönlichkeitsrechte sind in ihrer engsten und originärsten Form Statusrechte und keine subjektiven Rechte. Sie stehen dem Berechtigten also nicht im Modus der Rechtsinhaberschaft gegenüber, sondern schützen seinen Status in der Rechtsordnung (Personstatus, siehe oben § 2). Zum Schutz seiner Persönlichkeit erhält der Berechtigte sekundäre Rechte zur Abwehr von Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeit. Dies räumt ihm die Herrschaft über rechtsverletzende Handlungen und Gegenstände ein (Kontrollherrschaft) – nichts weiter. Die im Laufe der Entwicklung des Persönlichkeitsrechts entwickelte Verkehrsfähigkeit bestimmter Persönlichkeitsaspekte (z. B. von Bildern Prominenter) beruht auf einem zumindest teilweise vollzogenen Ablösungsprozess entsprechender informationeller Repräsentationen von der Person.5 Diese Rechte haben sich zu subjektiven Rechten entwickelt, über die der Berechtigte teilweise auch verfügend disponieren kann (Dispositionsherrschaft). Dispositionsherrschaft wird gleichfalls durch die Herrschaft über rechtsverletzende Gegenstände und Handlungen realisiert. Nur kann der Berechtigte über diese rechtliche Herrschaft disponieren. Hier dient die begrenzte Einräumung von Verfügungsmacht (auch durch die Rechtsprechung) der Regulierung der Verfügbarkeit von Persönlichkeitsrechten (siehe oben § 9).
5
Siehe auch § 2 F. V. Speziell: Persönlichkeit als Rechtsgegenstand?
C. Absolute und dingliche Rechte685
C. Absolute und dingliche Rechte § 12 Absolute Rechte Dieser Abschnitt diente der näheren Untersuchung des Verfügungsobjekts, also der absoluten Herrschaftsrechte als solchen. Der Begriff der Absolutheit ist mehrdeutig, was wiederum in Literatur und Rechtsprechung Grund für manche Unklarheiten ist. Unterschieden werden müssen zumindest drei Varianten von Absolutheit: 1) als gegenüber jedermann bestehende Abwehrrechte (gängiges Verständnis), 2) als Exklusivität der Rechtsinhaberschaft (z. B. gibt es an einer Forderung nur eine einzige Rechtsinhaberschaft), 3) als unmittelbare Beziehung zum Gegenstand (Absolutheit des Innenverhältnisses). Die Grundwirkung absoluter Rechte im gängigen Verständnis besteht darin, dass sie Abwehrrechte gegen jedermann sind (soeben 1); diese Rechte bestehen bereits materiellrechtlich, nicht erst im Prozess (siehe unten § 14). Absolute Herrschaftsrechte werden zudem gängig mit einer positiven und einer negativen Seite in Verbindung gebracht. Die Seiten ergeben sich aus den Rechtsinhalten, der Verfügungsmacht und aus Sekundäransprüchen: Die negative Seite besteht in besagten Abwehrrechten und der Unmöglichkeit, ohne Verfügungsmacht zu verfügen. Die positive Seite besteht aus drei Punkten: 1) Der Berechtigte erhält ein monopolisiertes Verbietungsrecht; daraus ergibt sich für ihn die in freiheitlichen Rechtsordnungen gewährleistete faktische Freiheit, mit dem Gegenstand nach Belieben zu verfahren ohne Rivalen dulden zu müssen. 2) Der Berechtigte kann in gewissem Maße über das Recht verfügen. Die Rechtsordnung kann neben der Verfügungsmacht über das Stammrecht weitere wirtschaftlich attraktive Verfügungsmöglichkeiten schaffen (siehe oben § 9), z. B. die Einräumbarkeit beschränkter dinglicher Rechte oder die Lizenzierbarkeit. 3) Der Berechtigte kann im Falle eines fremden Eingriffs in sein Recht oder der Beeinträchtigung seines Rechts die gezogenen Vorteile – unter einigen Restriktionen – herausverlangen. Dies wird unten (sogleich § 15) näher dargestellt.
§ 13 Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit Die Untersuchung einer Anzahl mit dem Begriff der „Dinglichkeit“ häufig in Zusammenhang gebrachter Merkmale ergab, dass hiervon die wenigsten speziell Merkmale dinglicher Rechte sind. Das liegt an der Natur der Dinglichkeit, die keine bloße Eigenschaft eines Rechts ist, sondern ein Konzept zum rechtlichen Abbild der Lebenswelt:6 Die der Dinglichkeit augenscheinlich nahestehenden Sachenrechtsprinzipien zerfallen in reine Sachenrechtsprinzipien, die also in dieser Art nicht für andere Rechte gelten (Typenzwang, Publizität) und Prinzipien des Verfügungsverkehrs, 6
Dazu unten E. Schluss: Was bedeutet Dinglichkeit?
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die nicht auf absolute Herrschaftsrechte beschränkt sind (Trennungs- und Abstraktionsprinzip, Sukzessionsschutz, Spezialität, Bestimmtheit). Originär dingliche Prinzipien, d. h. Prinzipien, die einheitlich für eine bestimmte Gruppe absoluter Rechte gelten, gibt es so gut wie nicht. Die wichtigsten, mit dem Begriff der „Dinglichkeit“ verbundenen Merkmale sind die Gewährleistung einer unmittelbaren Beziehung des Berechtigten zum Gegenstand i. S. e. gewissen Herrschaftsbeziehung und die Bindung von Ansprüchen an den Gegenstand (dazu § 14). Übergreifende Bedeutung hat außerdem die inhaltliche Unteilbarkeit/Totalität absoluter Herrschaftsrechte.7 Es gibt eine Tendenz, Rechtseinräumungen durch beschränkte dingliche Rechte und Lizenzen nur in einer nicht-endgültigen Weise zuzulassen, die besonders in Form der Elastizität absoluter Herrschaftsrechte zutage tritt, d. h. dem automatischen Heimfall bzw. dem Wiederanwachsen von Rechtsabspaltungen an das Stammrecht (dazu auch sogleich § 17). Politischer Hintergrund dessen ist ein freiheitswahrendes, nicht auf enge Enumerationen begrenztes Eigentumsverständnis, das sich z. B. in der Unabgeschlossenheit der Befugnisse des Sacheigentümers oder der Verwertungsrechte des Urhebers (siehe die „insbesondere“-Aufzählung in § 15 Abs. 1 und 2 UrhG) zeigt. Ferner ist die Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzfestigkeit absoluter Herrschaftsrechte und gegebenenfalls auch von Rechtsabspaltungen das Ergebnis der engen Verbindung von Rechtsinhaberschaft und Vermögenszugehörigkeit, die i. R. d. Verfügungsobjekte näher dargestellt wurde.8 Sie ist aufgrund der Bindung der Verfügungsmacht an die Rechtsinhaberschaft das Spiegelbild des Verlusts von Verfügungsmacht. Die Dinglichkeit von Rechten und ihre Verkehrsfähigkeit haben keine direkte Verbindung. Die Verkehrsfähigkeit des Stammrechts ergibt sich aber aus Umständen, die mit der Dinglichkeit verwandt sind. Die Ablösung eines Gutes aus der Personalsphäre und seine der Person gegenüberstehende Verselbständigung in der Rechtswelt unter Garantie eines unmittelbaren Gegenstandsbezugs bildet die Grundlage für die Anlagerung von Verfügungsmacht, mit der u. a. die Rechtsinhaberschaft gewechselt werden kann.
§ 14 Dingliche Ansprüche Ein weiteres Merkmal dinglicher Rechte, das wiederum nicht exklusiv für dingliche Rechte gilt, sind negatorische Ansprüche, also Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche. Sie folgen unmittelbar und materiellrechtlich aus der Verletzung oder drohenden Verletzung absoluter Rechte. Funktional dienen sie der Sicherung des vom absoluten Recht angeordneten gesollten Zustands. Dazu gehört im Sachenrecht auch die in § 985 BGB angeordnete Vereinigung von rechtlicher und 7 8
§ 13 H. Unteilbarkeit (Totalität). § 9 E. Konsequenzen für den Vermögensbegriff.
C. Absolute und dingliche Rechte687
faktischer Sachherrschaft (siehe oben § 8). Im Immaterialgüterrecht gibt es mit Rückruf, Entfernung und Vernichtung spezielle negatorische Ansprüche, die der Problematik der Repräsentation von Idealgütern in körperlichen und unkörperlichen Gegenständen geschuldet ist. Wie gesagt herrscht der Immaterialgüterrechtsinhaber über rechtsverletzende Gegenstände, während das eigentliche Gut ideeller Natur ist.
§ 15 Weitere Ansprüche „aus“ absoluten Herrschaftsrechten Gängig wird angenommen, die positive Seite absoluter Herrschaftsrechte liege in der Zuweisung des Nutzens und Habens, das der Berechtigte über Sekundäransprüche herausverlangen kann. Dies stimmt im Prinzip, es bedarf aber einiger Relativierungen. Die einschlägigen Sekundärrechte sind eigenständige Rechtsinstitute mit eigenständigen Zwecken und Prinzipien. Die Trennung von Stammrechten und der Feinabstimmung dienender Rechtsfolgenrechte verdeutlicht dies (§ 14). Dass z. B. Vieles, was Sacheigentümer als positive Zuweisung wahrnehmen, etwa die Herrschaft über einen liebgewonnenen Gegenstand (Tagebuch, Erbstück etc.), im Verletzungsfall nur nach dem Vermögenswert taxiert wird und mitunter keine nennenswerten Ersatzansprüche auslöst, ist eine Entscheidung der Sekundärrechtsebene.
Das Deliktsrecht hat zwar eine enge Anbindung an vorbestehende subjektive Rechte, es überlagert deren Wertungen und Zuweisungen aber durch starke eigene Haftungsprinzipien. Der Versuch, dies im Falle der besonders verletzungsanfälligen Immaterialgüterrechte durch die dreifache Schadensberechnung auszugleichen, entspricht (aus deutscher Sicht) im Ergebnis der Anwendung nicht-haftungsrechtlicher Institute, nämlich der Eingriffskondiktion und der Gewinnabschöpfung beim Geschäftsanmaßer. Auch diese beiden Institute stellen aber nur nachgelagert auf den Rechtsinhalt des verletzten absoluten Herrschaftsrechts ab und in erster Linie auf die Rechtsinhaberschaft sowie eine über dem subjektiven Recht schwebende teleologische Ebene, die besagt, dass dem Inhaber das Gut und bestimmte Nutzungen zugewiesen sind (Zuweisungsebene). Besonders § 687 Abs. 2 BGB beruht neben der Zuordnungsfunktion der Rechtsinhaberschaft auch auf normativen Gesichtspunkten, nämlich auf dem Treuebruch (im treuhänderischen Sinne) des Geschäftsanmaßers. Gesetzliche absolute Herrschaftsrechte bringen diese Zuweisung in ihrer Formulierung unterschiedlich deutlich zum Ausdruck. Für den positiven Gehalt absoluter Herrschaftsrechte bedeutet das, dass sie (genauer: die Rechtsinhaberschaft) zwar richtungsweisend für die Frage der Vermögenszugehörigkeit sind und auch anzeigen, wem ein Geschäft zustehen soll. Ihre genauen Inhalte werden aber auf Sekundärrechtsebene nur unpräzise über Lizenzanalogien abgebildet, die keine direkte Folge des Stammrechts sind, sondern auch für andere Rechte gewährt werden.
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D. Abgeleitete Rechte § 16 Rechtsnatur beschränkter dinglicher Rechte Das Prinzip der inhaltlichen Unteilbarkeit absoluter Herrschaftsrechte ist eine äußere Grenze der hoheitlichen Zulassung abgeleiteter Rechte. Dieses Prinzip gilt besonders ausgeprägt im Sacheigentum. Praktisch legt die Körperlichkeit, genauer gesagt die Rivalität von Sachen, es zudem nahe, dauerhaft geteilte Rechte zu vermeiden. Auch die Natur beschränkter dinglicher Rechte ist weniger auf die Aufspaltung des Rechtsinhalts gerichtet, denn auf die Belastung des Rechtsinhalts als Ganzem. Daher ist die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte auf Ebene der Rechtsinhaberschaft und der Abspaltung von Verfügungsmacht (über den gesamten Rechtsinhalt) zu verorten. Einzig im Falle von Dienstbarkeiten – also einer auf das Immobiliareigentum begrenzten Problematik – bietet es sich an, die Rechtseinräumung als Vergemeinschaftung der Rechtsinhaberschaft zu begreifen.
§ 17 Dinglichkeit im Lizenzrecht Hingegen ist im Lizenzrecht der Immaterialgüterrechte der Grundsatz der inhaltlichen Unteilbarkeit aus Gründen der Verwertungspraxis von Immaterialgütern gelockert. Inhaltliche Aufspaltungen sind möglich. Anders als beschränkte dingliche Rechte sind Lizenzen inhaltliche Abspaltungen, gewähren also keine Verfügungsmacht über den gesamten Rechtsinhalt. Allerdings räumt die Rechtsordnung auch hier nicht die Möglichkeit endgültiger Aufspaltungen des Stammrechts ein, sondern arbeitet mit von Forkel sog. gebundenen Verfügungen. Die Rückbindung von Lizenzen an das Mutterrecht wird durch eine begrenzte Einräumung von Verfügungsmacht an den Stammrechtsinhaber realisiert (siehe auch § 9). Zwar kann er das Stammrecht inhaltlich aufspalten (lizenzieren), er kann aber nicht den Heimfall und – abhängig vom jeweiligen Stammrecht – andere Bindungen an ihn verhindern.
E. Schluss: Was bedeutet Dinglichkeit? Oben9 wurde auf die Frage, wofür der Begriff Dinglichkeit steht, nur eine provisorische, formale Antwort gegeben. Ergänzend ist nun eine eigene materiale, d. h. auf die Funktion/den Zweck des Konzepts der Dinglichkeit gerichtete Erklärung vorzuschlagen. Ausgangsproblem des dinglichen Rechts ist das eingangs10 gezeigte Beispiel der vorrechtlichen Weitergabe körperlicher Güter: der Veräußerer kann den Gegen9
Siehe oben § 13 A. Was heißt „Dinglichkeit“ und wozu dient diese Frage? Siehe oben § 2 A. Einführung.
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E. Schluss: Was bedeutet Dinglichkeit?689
stand nicht rechtssicher weitergeben. Spätestens der Erwerber kann einem Dritten keine gegenüber dem Erstveräußerer sichere Form des Erwerbs anbieten, der Dritte hat dem Ersten gegenüber rechtlich keine andere Position als ein Dieb (siehe oben § 2).11 Ein Gegenstand der Lebenswelt erhält daher zunächst ein rechtliches Abbild (§§ 3–5);12 dieser Rechtsgegenstand wird durch Ermächtigungsregeln mit Verfügungsmacht bestückt (§ 9).13 Um von der Verfügungsmacht Gebrauch zu machen, gibt es wiederum grundlegende Verfügungsverkehrsregeln. Dazu zählen z. B. das Bestimmtheits- und Spezialitätsgebot, die die Rivalität körperlicher Gegenstände in die Rechtswelt übertragen. Die in §§ 12–1414 (mit Akzent auf § 13) untersuchten Merkmale und Prinzipien der Dinglichkeit erweisen sich separat zwar überwiegend nicht als spezifisch für dingliche Rechte. Zusammen machen sie aber den dinglichen Rechtsrahmen aus, der es ermöglicht, körperliche Gegenstände im Recht so zu behandeln wie in der realen Lebenswelt. Es gibt dabei einige typischere Regeln der Dinglichkeit, wie z. B. die Gewährleistung eines unmittelbaren Gegenstandsbezugs. Die anderen Regeln gruppieren sich darum herum und entwerfen gemeinsam den Rahmen, der dingliche Rechte ausmacht. Diese Regeln sorgen nicht nur für die gegenständliche Abbildung lebensweltlicher Güter im Recht, sondern fügen, ausgehend von der Verfügungsmacht, durch konstitutive Regeln auch Funktionen hinzu, die es in der realen Lebenswelt nicht gibt. Sie erzeugen neue Handlungsmöglichkeiten wie z. B. die sichere Veräußerung von Gütern über lange Erwerbsketten hinweg oder ihren Einsatz als Kreditsicherheit. Aus den neuen Handlungsmöglichkeiten folgt Bedarf für weitere Regeln. So beruhen die meisten Diskussionen um das Abstraktionsprinzip auf hochentwickelten Handlungsmöglichkeiten mit Rechtsgegenständen. Ein anderes Beispiel für diese Weiterentwicklungen ist die Lizenzierbarkeit: Während beschränkte dingliche Rechte (nur) eine Teilnahme am Stammrecht ermöglichen (§ 16),15 stellt die Lizenzierbarkeit eine neue und separate Funktion dar, indem sie das Stammrecht inhaltlich aufspaltet und so seine Vermarktung ermöglicht bzw. optimiert (§ 17).16 Mit dinglich zugeordneten Gütern kann auf diese Weise auf rechtlicher Ebene gegenständlich (so wie man es von körperlichen Gegenständen kennt) verfahren werden. D. h. Berechtigte können sie dank des dinglichen Rechtsrahmens nicht nur beherrschen und verteidigen (§§ 10, 14),17 sondern auch Verkehr/Handel mit ihnen treiben. Hierzu tragen die verschiedenen Regeln in unterschiedlichem Maße bei. Z. B. wirft der Versuch, die Lebenswelt rechtlich abzubilden, ein eigenes Licht 11 S. 52 ff.
12 S. 85 ff.;
99 ff.; 129 ff.
13 S. 254 ff.
14 S. 389 ff.; 15 S. 625 ff. 16 S. 649 ff.
17 S. 297 ff.,
420 ff.; 562 ff. 562 ff.
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auf das Publizitätsprinzip, den numerus clausus oder eben die Eigenständigkeit von Verfügungen (also Trennungs- und Abstraktionsprinzip sowie Sukzessionsschutz). Das Regelset, das dingliche Rechte konstituiert, hat eine erhebliche Strenge. Diese Strenge steht im Zentrum vieler der unter §§ 12–14 abgehandelten Regeln/ Prinzipien. Sie sollen sicherstellen, dass der Verkehr im Umgang mit den Rechtsgegenständen genauso eng begrenzt ist, wie im Umgang mit realen Gegenständen. Die Beschränkungen dienen also der akkuraten Abbildung der Lebenswelt. Auch dort kann z. B. eine Sache nicht an zwei getrennte Erwerber gleichzeitig ausgehändigt werden. Das Vertragsrecht bedarf dieser dinglichen Strenge nicht, da sich die Parteien gegenseitig nur Versprechen geben. Die Idee der Abbildung des Realen in der Rechtswelt bringt es hingegen mit sich, dass sehr exakt gearbeitet werden muss. Der Anspruch der Abbildung der Lebenswelt macht das Immaterialgüterrecht komplizierter als das Sachenrecht. Aufgrund der ideellen Natur (§ 7)18 seiner Gegenstände muss das Immaterialgüterrecht einen Weg/eine Erklärung anbieten, der/ die von der Welt der Rechtsgegenstände zurück zur Lebenswelt führt. Hierfür wurde der Gedanke von Erfindungs-/Werkexemplaren etc. als informationelle Repräsentationen vorgestellt, mit denen das „geistige Gut“ auf konkrete Informationsträger/Gegenstände heruntergebrochen wird. Denn in der Lebenswelt geht es nun einmal um Festplatten, USB-Sticks und andere Informationsträger. Auf die dort gespeicherten Informationen richten sich Immaterialgüterrechte. Sie sind Informationsbestimmungsrechte (§ 5). Das hier vertretene Rezeptionskonzept, nach dem sich das geistige Eigentum de lege lata allein auf die Rezeption durch den menschlichen Geist, d. h. auf die Manipulation menschlicher qualia richtet (§ 6),19 harmoniert mit dem Verständnis dinglicher Rechte als Mittel menschlicher Herrschaft. Vor diesem Hintergrund zeigt sich noch einmal die Problematik der Persönlichkeitsrechte. Für sie war besagte Vergegenständlichung – d. h. die gegenständliche Abbildung des Guts als Rechtsgegenstand mit ihm angelagerten zusätzlichen Funktionen – ursprünglich nicht gewünscht. Persönlichkeitsmerkmale sollten weder als Gegenstände im Recht abgebildet werden, noch sollten diese der Dispositionsherrschaft des Berechtigten unterliegen. Für ihn war nur Kontrollherrschaft vorgesehen. Diese wird jedoch seit einigen Jahrzehnten rechtsfortbildend um Dispositionsmöglichkeiten erweitert (§ 11).20
18 S. 233 ff.
19 S. 202 ff.
20 S. 348 ff.
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Namens- und Sachregister ABGB 105, 125, 308, 328 ff., 345, 513 Absolutheit 274 f., 389 ff., 418 ff., 428 f.,459, 685 Ab-/Aufspaltung (der Verfügungsmacht) 72 f., 288 f., 292 f., 435, 443 Abspaltungslehre 626, 627 ff., 647 ff., 664 ff., 672 ff., 686, 688 – differenzierte Spaltung 637 ff. Abstraktionsprinzip 324 f., 426 ff., 489 ff., 499 ff., 511 f., 538 ff., 548 f., 558, 689 f. Abtretung 80, 255, 264, 266 ff., 294, 319, 463 f., 489 f., 493, 499 f., 633 actio(nes) 106, 391 ff., 422, 513, 566 f., 580 Affektionsinteresse 117, 262, 264, 363, 603 Alexy, Robert 17 f., 48 f., 58 f., 277 Algorithmen 209, 216, 241 Aneignung 247, 273, 278, 562, 589 Anreiztheorie 18, 116, 208, 484 f. Ansprüche 304, 402 ff., 412, 546 ff., 561 – Abwehransprüche 380 f., 404 ff., 413, 567 ff., 576, 651 – deliktische Ansprüche 582 ff., – dingliche Ansprüche 422, 562 ff., 574 f., – schuldrechtliche Ansprüche 545 f. – Sekundäransprüche 418 Artefakttheorie 132 ff., 160, 168, 198 f., 234 Aufmerksamkeitsökonomie 175 ff., 232, 354 f. Ausschließlichkeitsrecht 4 f., 407, 552 Ausschlussfunktion 414, 573, 576, 590 ff. Aussonderung 546 ff., 643, 660
Belastungslehre/Belastungstheorie 625 f., 647, 668 ff. Belastungsmacht 283, 290, 683 Berger, Christian 121 f., 272 f., 291, 308, 537, 539 f. Beseitigungsansprüche 190, 380 f., 567, 571 f., 586, 686 Besitz 81 f., 297 ff., 300 ff., 569, 683 f. – Eigenbesitz 306, 324, 472, 620 – mittelbarer Besitz 313 ff., 399 f., 473 – Rechtsbesitz 125, 127, 325, 326 ff., 345, 398 f., – Sachbesitz 53, 71 f., 244 ff., 269, 300 ff., 345 – unmittelbarer Besitz 57, 311, 313 f., 320 f., 473, 515, – vergeistigter Besitz 310 ff., 345 Besitzdiener 306 ff., 311 ff., 343, 399, 683 Besitzschutz 127, 300 ff., 326 f., 331 ff., 344 f., 348, 405 Besitzverschaffungsmacht 322 f., 324 ff., 472 Bestimmtheitsgrundsatz 271, 427 ff., 455 f., 459 ff., 487, 503, 528, 558 Bestimmungsgewalt 315, 325 f., 335 ff., 345 f., 377, 384 f., 400, 556, 683 f. Bewusstsein 132, 142 f., 156, 158, 203 ff., 219, 223, 353 Big Data 157, 191, 227 f., 236 f. Black Box 222 f. Bündeltheorie/bundle of rights theory 43, 261, 519 f., 523 ff., 558, 593, 678
Bedeutung 142 ff., 146 ff.,153 ff., 167, 179, 183 ff., 192, 201 f., 213, 217 f., 231 ff. Begriffsjurisprudenz 421, 548 Begründungslast 51, 424, 436, 453, 455 Beherrschbarkeit 92, 97, 112, 113 f.,119 f., 128 f., 254, 299, 338 ff.
Cloud-Computing 336 ff., 343 ff. crypto collectibles 239 f. Daten 4, 118 f., 138, 141, 146, 157, 159 f., 161 ff., 224 ff., 236 f., 267, 337, 339 f., 346, 677
728
Namens- und Sachregister
Datenbankenschutz 202, 224 ff., 233 Dateneigentum 4, 146, 191, 200, 220, 236, 241 Datenschutzrecht 139, 160, 230, 284, 386, 372, 384, 386, 533 f. Datenwirtschaftsrecht 4, 139 Dauerschuldverhältnis 540, 542, 550, 668 Dereliktion 64 f., 263 f., 283, 417, 537, 645 f. Design/Designrecht 166, 180, 209 f., 218 f., 231, 241, 442, 482 ff., 656 f. Dienstbarkeiten 259, 326 ff., 436, 474, 554, 565, 629 ff., 641 ff., 647 f. Digitalisierung 1, 4, 138 f., 152, 190, 239 ff., 341 f., 349, 355, 441 Dinglichkeit 389 ff., 420 ff., 556 ff., 663 f. – dinglicher Vertrag 318 ff., 325 – Wesen der Dinglichkeit 96, 298, 688 ff. DNA 141, 188 ff., 201 f. Domains siehe Internetdomains Doppelschöpfung 187, 207 f., 530 f., 534 Drei-Welten-Lehre 136, 151 Dreifache Schadensberechnung 452, 598 f., 604 ff., 621 f., 687 Drittwiderspruchsklage 546 ff., 643, 660, 663 Dürfen, eigenständiges 28 f., 32, 50, 244 ff., 253, 418 f. Eigenrelation 55 ff., 62 ff., 68 f., 81 f., 257 Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 610, 619 f., 621 Eigentumsübertragung 270, 289, 317 ff., 524 Eingriffskondiktion 610 ff., 618 f., 622 Elastizität von Rechten 410, 629 f., 646 ff., 673, 686 EnforcementRL 190, 592, 607 ff. Enkellizenzen 498 f., 501, 541 ff., 559 Entindividualisierung 54 f., 68, 76 f., 81, 83 f., 104, 265, 364 f., 380, 560 Erfindungen 123 f., 168 ff., 194 ff., 199 ff., 206 ff., 234 f., 443, 475 ff., 509, 690 Erfolgsunrecht 584 ff., 593 f. Erlaubnis 28, 47 f., 244 f., 403, 416 ff., 438 f., 652 Ermächtigungsnormen 21, 82, 278, 281, 397, 449, 678, 689
Fezer, Karl-Heinz 173, 310, 370, 441 f., 592 ff. Forderungszuständigkeit 397, 419, 643 f., 648, 660 Forkel, Hans 170, 334, 629 ff., 647, 664, 670 ff., 688 Frequenzen 144, 237 Gaius 56, 101 f., 106, 563 Gebrauchsmusterrecht 206, 218 f., 477, 488, 530 Gebundene Rechtseinräumung 279, 510 ff., 538, 544, 558, 629 ff., 664 f., 679 ff., 688 Gegenstand 73 ff., 79 ff., 199 ff., 362 ff., 373, 379 ff., 397 ff., 424, 459 ff., 678 f., 685 f., 689 – Rechtsgegenstand 52 ff., 73 ff., 255 ff., 282 ff., 677 ff., – unkörperliche/immaterielle Gegenstände 160 ff., 267 ff., 331 ff., 343 ff., 348, 387 f. Geltungsanordnung 20, 32 ff., 50, 144, 367, 678 Gemeinfreiheit 4, 30, 193, 195 f., 446 f., 486, 550 Geschäftsfähigkeit 273, 277, 286, 290, 295 Geschäftsgeheimnisschutz 190 ff., 237, 247, 332, 465 Geschmacksmusterrecht siehe Designrecht Geteiltes Eigentum 474, 487, 512 ff., 520 ff., 639 ff., 688 Gewalt (physische) 12, 53, 62 f., 270, 300 ff., 335 ff. Gewinnherausgabe 607, 609 f., 617 ff., Gewohnheitsrecht 8, 450 f., 572, 604 Güter 18 f., 60 ff., 86 ff., 234 ff., 242, 349 ff., 421 ff., 678 f., 681 f. – Idealgüter 163 ff., 194 ff., 234 f., 241 ff., 338 ff., 383 f., 681 f. – Informationsgüter 151, 162 f., 194, 203 f., 485 – öffentliche Güter 117, 193, 253 – Realgüter 175 f., 234 ff., 340, 384, 681 ff. Gutglaubensschutz 276, 282, 313, 324 ff., 429, 468 f., 471 f., 535 Haftungsausfüllung 598 ff., 621
Namens- und Sachregister729
Haftungsbegründung 591, 598, 602 f. Halbleiterschutz 218 f., 481 Handlungsunrecht 406 f., 584 ff., 592 Hate Speech 349, 380 f. Hauck, Ronny 626 f., 640, 642, 647 f. Heimfall von Rechten 498, 510 ff., 543, 558, 629, 672 ff., 686 Herausgabeanspruch 40, 66, 317, 384 f., 391 f., 569 f., 576 f., 580 f. Herrschaft 5, 57, 65, 95, 256, 297 ff., 332 ff., 340, 342, 400, 421 ff., 683 f. – Dispositionsherrschaft 265, 373 ff., 382 ff., 560, 615, 684, 690 – Kontrollherrschaft 265, 360, 373 ff., 384 ff., 684, 690 – vergeistigte Sachherrschaft 307 ff., 310 ff., 345, 417 Hofmann, Franz 562 f., 578 ff. Hohfeld, Wesley Newcomb 28 ff., 43 ff., 246, 403, 523, 678 Husserl, Edmund 61 Husserl, Gerhart 52 ff., 92, 257 f., 295, 304 f., 365, 395, 537 Hypothek 259, 285, 290, 639 f.
informationelle Repräsentation 144, 168 ff., 254, 192 ff., 197 ff., 231, 234 ff., 241 f., 250 ff., 339 ff., 383 ff., 485 ff., 681 ff. Informationsbestimmungsrecht 139, 194 ff., 383 f., 387, 438, 681 Informationstheorie 138 ff., 144 ff., 166 f., 181 ff., 199 ff., 218 Informationsträger 141, 153, 190, 237, 226, 339, 532, 690 Informationswert 229 f., 233 Insolvenzfestigkeit 437, 543 ff., 559 f., 657, 660 f., 663 f., 686 institutional theorie of law (ITL) 35 ff., 50, 310, 678 Institutionelle Tatsachen 36 ff., 134, 137, 168 f., 178 ff. Integritätsinteresse 248, 253, 601 f. Interessentheorie 11 ff., 43 f. Internetdomains 236 f., 316, 337, 339, 343 f., 445, 527, 537, 577
Ideenlehre (Platon) 131 f., 151, 167, 234 Immaterieller Schaden siehe Affektionsinteresse Immobiliarsachenrecht 259 f., 433, 469 ff., 571, 688 Imperativentheorie 20 ff., 39 ff., 48, 50 f., 405 f., 570, 575, 678 Individualität 67 f., 207 f., 213 f., 353 ff., 364 ff., Information 4, 127 f., 138 ff., 163 ff., 179 ff., 188 ff., 202 ff., 219 ff., 234, 246 f.,250 ff., 335 ff., 383 ff., 466, 484 f., 680 ff. – aktuelle 147 ff., 158, 166 – Begriff 140 ff. – funktionale 142 f. – layer model 140 ff. – potentielle 147 ff., 149 ff., 159 f. – semantische 142 ff., 153 f., 157 ff., 190 f., 193 ff., 219 ff., 228 ff. – strukturelle 138 ff., 144, 149 ff., 158 f., 195 ff. – syntaktische 140 ff., 145 ff., 152, 219 ff.
Kant, Immanuel 10, 52 f., 104, 301 f., 321, 377 f., 517 Kausalitätsprinzip 325, 498, 501, 505 ff., 510 f., 538 ff., 551 Kelsen, Hans 8 f., 20, 26 ff. 35 Kennzeichnungskraft 15, 86, 183 KI-Verordnung 222 f. Kombinationstheorie 10, 14 ff., 44 f., 50 Konstitutive Regeln 21 f., 36 ff., 50, 177 ff., 678, 689 Körperlichkeit 99, 110 ff., 128, 249 ff., 254, 423, 473, 569 f, 680, 682, 688 Kreativität 214 f., 232, 356 Kryptowährungen/-Token 238 ff., 268 ff., 348, 491 Künstliche Intelligenz 202 f., 218, 219 ff., 232, 681 – Erfindungen 209 ff. – Werke 211 ff.
Jellinek, Georg 58 f., 366 v. Jhering, Rudolph 12 ff., 86, 109, 261, 593 Jörgensen, Jörgen 34, 41
Larenz, Karl 5, 15 ff., 32 ff., 51, 77 ff., 351 ff., 374 f., 397, 591, 678
730
Namens- und Sachregister
Lauterkeitsrechtlicher Leistungsschutz 446 ff., 453, 604 f., 616 Leistungssubstrat 87 f., 98 Lizenzen 279, 293, 437 ff., 481 ff., 509, 649 ff., 683, 688 f. – ausschließliche Lizenzen 529 f., 550, 653 ff., 664 ff., 674 f. – einfache Lizenzen 423 f., 437, 659 ff., – negative Lizenzen 650 ff., 663 – positive Lizenzen 650 ff., 663 – Unterlizenzen 498 f., 501 ff., 540 ff., 559, 657 Lizenzketten 498 f., 503, 541 f. Lizenzvertrag 442 ff., 455, 463, 504. 550, 649 f. Logik, deontische 34, 46 ff., 244, 366 f. M2M-Kommunikation 220 ff., 231, 233 mancipatio 63 f., 66, 68, 490 f. Marken(recht) 46, 116, 171 ff., 181 ff., 205 ff., 218 f., 232, 252, 441 ff., 477 ff., 519 ff., 531, 576 f., 656 f., 681 – Geruchsmarken 181 f., 212 f. – Hörmarken 181 ff., 212 f., – Markenfunktionen 172 ff. Menschenwürde 303, 352 ff., 358 ff., 365, 372, 378 meum esse 391 f. Name siehe Personenname negative Seite von Rechten 281 f., 407 ff., 418, 419 f., 479, 538, 559, 591, 685 nemo plus iuris-Grundsatz 460, 461, 528 ff., 536, 557 Nießbrauch 102 f., 265, 433 f., 528 ff., 626 f., 629, 633 ff., 640 f., 647 f., 664 ff. Non-Fungible-Tokens (NFTs) 238 ff., 262, 268, 348 Normstruktur 19, 20 f., 46 ff., 49, 278 numerus clausus 292, 411, 432 ff., 454 f., 557, 690 – der abgeleiteten Rechte 426 ff., 433 ff., 461, 658 f. – der Stammrechte 284, 445 ff. Nutzungsrechte (Immaterialgüterrecht) 281, 421, 501, 615, 622, siehe auch Lizenzen
Nutzungsrechte (Sachenrecht) 167, 194 f., 259, 384, 440, 454, 529 f., 534 f., 540, 632, 640 ff., 664 ff. Objektives Recht 7 ff., 245, 253 Offenbarungsfunktion 484 f., 488, 558 Offenbarungstheorie 208, 210, 488 Ontologie 36, 130 ff., 147, 151 f., 159, 167 ff. pactum de non petendo 360, 651 f. Pandektenrecht 103 ff., 123 ff., 525 Patentansprüche 170, 477, 486 Patentrecht 170, 192 f., 196 ff., 206 ff., 218 f., 333 f., 443, 475 ff., 481 ff., 509, 519 ff. Patentregister 170, 476 f. Peifer, Karl-Nikolaus 354 ff., 364 ff., 372, 375 f., 379 Person/Persönlichkeit 9 ff., 58 ff., 83 f., 104, 184 f., 242, 277, 302 f., 349 ff., 362 ff., 386 f., 516, 556, 558 f., 677 ff. Personenname 184 ff., 369 ff., 531 Persönlichkeitsrecht 206 f., 242, 264 f., 279, 348 ff., 362 ff., 451 f., 483 f., 544 ff., 597 f., 615 f., 713 Peukert, Alexander 42 f., 132 ff., 168, 198 f., 234, 268, 403 f., 407 ff., 449, 552 f., 612 Pfändbarkeit 543 ff., 555 Pfandrecht 259, 472, 527 f., 643 ff. Portmann, Wolfgang 411 f., 413 ff. positive Seite von Rechten 24 f., 31, 73, 99, 244, 281 f., 407 ff., 413 ff., 462, 525, 591, 609 ff., 623 f., 685 ff. Prioritätsprinzip 281, 462, 483, 528 ff. Privatautonomie 89, 278 f., 281, 356, 360, 490, 553 privilege 28 ff., 45, 50 f., 246, 403, 413, 415, 418, 420 property rights theory 50, 261, 294, 523 ff., 678 Publizität 269, 305, 321 ff., 426 ff., 466 ff., 479 f., 483 ff., 557 ff., 690 Puchta, Georg Friedrich 11, 107 Qualia 203 ff., 213, 217 ff., 231 ff., 681 Rahmenrechte 351, 588 ff., 596 ff. Rangverhältnis (dinglicher Rechte) 462, 471, 474, 526 ff., 532 ff., 558 f.
Namens- und Sachregister731
Rechte – beschränkt dingliche Rechte 2, 124, 283, 289 ff., 327, 432 ff., 454 ff., 471 f., 514 ff., 526 ff., 625 ff., 664 ff., 672 ff., 685 ff. – dingliche Rechte siehe Dinglichkeit – primäre Rechte 402 ff., 568, – sekundäre Rechte 301, 402 ff., 561 ff., 616 f., 623 f., 687 – subjektive Rechte 4 f., 7 ff., 60, 73, 100 ff., 131 ff., 137, 254 f., 285 ff., 366 ff., 389 ff., 423, 458 f., 552 f., 562 ff., 578 ff., 588 ff., 620 ff., 677 ff. Rechtliche Existenz 22, 52 ff., 68 ff., 80 ff., 85 ff., 134 ff., 365 f., 379 ff., 678 f. Rechtsbesitz siehe Besitz Rechtsdurchsetzung 15, 27, 190, 335, 391, 402 ff., 561 ff. Rechtseinräumung 266 ff., 284, 383, 432 ff., 459, 489 f., 503, 536 ff., 668 ff. Rechtsfolgenrechte 562 f., 578 ff., 686 f. Rechtsfortbildung 4, 128 f., 279, 348, 436, 446 ff., 448, 449 ff., 557, 596, 690 Rechtsinhaberschaft 81 f., 256, 262, 271, 274 f., 285 ff., 328 f., 393 ff., 400 f., 417 ff., 457 ff., 487 ff., 548 ff., 607 ff., 616 f., 635 ff., 665 f., 677 ff. Rechtsobjekt 1, 70 f., 78 ff., 85 ff., 99 ff., 129 ff., 243 ff., 256 f., 380, 445 f., 462, 520 f., 565 f., 626 ff., 634, 679 f., 682 – formale Definition 91 ff. – funktionale Definition 95 ff. – materiale Definition 93 f., 97, 99, 185 f., 297 Rechtsphänomenologie 53 ff. Rechtsrealismus 131 ff. Rechtssubjekt 6, 60, 71 f., 93 ff., 186 f., 277, 288, 291 f., 379 f., 393 f., 678 ff. Rechtswidrigkeit 370, 381, 582 ff., 594 ff., 611 f., 651 Rechtszuständigkeit siehe Rechtsinhaberschaft Register 170, 180 ff., 466 ff., 520, 558 res 71, 100 ff., 128 f., 262, 680 Rivalität (Nutzungen/Güter) 97, 116 f., 234, 241, 251, 326, 338, 529, 689 Sache 70 ff., 81 f., 87, 100, 103 ff., 298, 300 ff., 399 ff., 421 ff., 528, 565 f., 682 ff.
– Rechte am Bild der eigenen Sache 196 f., 235 f., 238, 242 ff., 251, 526 – unkörperliche Sache 101 ff., 123 ff., 269 ff., 327 ff., Sacheigentum 3, 70, 72 f., 120 ff., 407 ff, 423 ff., 474, 512 ff., 532 f., 556 ff., 566 ff., 580 ff., 623, 639, 647 ff., 679, 682 Sachenrechtsprinzipien 122, 235, 425 ff., 556 ff., 633, 675, 685, 689 f. v. Savigny, Friedrich Carl 10 f., 104 f., 307 f., 327, 378, 457, 490, 542 Schmidt, Jürgen 26, 31 f. Schöpfungshöhe 86, 210 ff. Schutzzwecklehre 447 f., 600 ff., 621 Searle, John 36 ff., 41, 133 ff., 152, 156, 177 f., 217 Sexualität 356 ff., 361, 370 Sicherungsrechte 260, 283, 289, 470 ff., 547 f., 639 ff., 665 f. Singularität 355 f. Sittenwidrigkeit 358 ff., 506, 584, 597 Softwareschutz 209, 211, 219 f., 223 f., 522 Sohm, Rudolph 53, 62, 71, 73 ff., 80 ff., 93, 101, 255, 264, 294 Sortenschutzrecht 188 ff., 201 f., 241, 660 Spezialitätsprinzip 395, 429, 455 ff., 557 ff., 689 Sphärentheorie 362 ff. Sprechakt 21 f., 36 ff., 144, 167 f., 177 Status(lehre) 58 ff., 68, 74, 294 f., 366 ff., 379 ff., 589, 677 ff. – status civitatis 59, 277 – status personae 59 f., 89, 292, 556 Strukturwissenschaft 149, 226 Sukzessionsschutz 397 f., 423 f., 496 f., 534 ff., 548 f., 559 f., 657 f., 660 f. Technikabhängigkeit (von Gütern/Diensten) 338 ff., 347, 581, 683 f. Teilverdinglichung siehe Verdinglichung Teleologie, schrittweise 46, 49, 51, 305, 372, 381, 579, 678 Totalität 512 ff., 520, 558, 629, 633 f., 639, 686 Traditionsprinzip/traditio 268 ff., 316 ff., 322 ff., 345, 468 f., 473 ff., 489 ff., 683
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Namens- und Sachregister
Trennungsprinzip 317, 325, 491 ff., 501, 511, 539 Typenzwang siehe numerus clausus der abgeleiteten Rechte Übertragungszweckregel 463, 506 ff. Ubiquität (von Immaterialgütern) 130, 235, 341, 346 f., 504, 521 Universalienstreit 167, 169 Unmöglichkeit 87 f., 117, 268, 585, 660 f., 685 Unteilbarkeit siehe Totalität Unterlassungsanspruch 384, 405 f., 412, 435, 529, 570 ff., 585, 623 f., 659 Veranstaltungen 125 f., 173 f., 238, 242, 463, 525, 653 Verbietungsrechte/Verbotsrechte 45, 49, 195 ff., 249 ff., 275 f., 389 ff., 525, 612 f., 685 Verdinglichung 90, 256, 398 f., 430, 432, 449 ff., 536, 565 Vererblichkeit 382, 436, 451, 553 ff. Verfügungsbefugnis siehe Verfügungsmacht Verfügungsbeschränkungen 276, 279 ff., 435, 460, 527 Verfügungsermächtigung 281, 286, 292, 498 Verfügungsgegenstand/-objekt 73 ff., 79 f., 254 ff., 380 ff., 395, 460 ff., 538, 629, 636, 674, 679, 682 ff. Verfügungsmacht 244, 276 ff., 291 ff., 282 ff., 379 ff., 411, 416 f., 435, 457 ff., 536 ff., 624, 639 ff., 646 ff., 682 ff. – Änderungsmacht 285, 290 – Aufhebungsmacht 283 f., 290 – Belastungsmacht 283, 290, 632 – Übertragungsmacht 282 f., 289 f., 639, 648, 673 Verfügungsverkehrsregeln 538 ff., 548 f., 560, 689 Vergegenständlichung 65, 84, 96 f., 370 ff., 384, 680, 690
Verkehrsfähigkeit 74 f., 83, 263 ff., 279, 284, 294, 379 ff., 543 ff., 551 ff., 658, 661 ff., 682, 686 Vermögen 78, 260 ff., 543 ff., 613, 617 Vermögensordnung 548 f., 588, 682 Vertretungsmacht 281 f., 496, 634 f. Vervielfältigung (Urheberrecht) 136, 164 f., 194 f., 346 f., 684 Verwertungsrechte siehe Nutzungsrechte Verzicht 244, 283 f., 360, 479, 541, 650 f. Vindikation siehe Herausgabeanspruch Weinberger, Ota 30, 35 f., 47 Wendehorst, Christiane 79, 256 f. Werk (urheberrechtliches) 116, 129 ff., 135 ff., 163 ff., 194 ff., 203 ff., 211 ff., 333 ff., 480 f., 483 f., 681 – autografisches Werk 136 f., 170 Werkexemplare 136 f., 163 ff., 199, 243, 247, 690 Werkvernichtung 136 f., 170, 199 Wert 38, 153, 174 ff., 201, 220, 259 ff., 288, 340, 620 – Nutzwert 262, 264 f. – Tauschwert 264 – Wertschichten 77, 257, 293 f. Widerrechtlichkeit 301, 582 ff., 598 Widerrufsrecht 284, 360 f., 650 Wilhelm, Jan 394, 428, 627, 638 f., 643 ff. Willenserklärung 44, 493, 562, 618 Willenstheorie 10 ff., 27, 44, 49 f. Windscheid, Bernhard 109 f., 124, 326 f., 391 Zech, Herbert 138 ff., 162, 193, 195 ff., 236, 338 Zeichen 140 ff., 152, 161, 171 ff., 199 ff., 230 f., 521 f., 531 f. Zuweisungsgehalt 383, 414, 561, 589 ff., 598, 610 ff., 622 Zuweisungslücke 243 ff., 253, 413 Zwangsvollstreckungsfestigkeit 429, 543 ff., 550 ff., 657, 660, 686