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German Pages [1202] Year 2015
BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE NEUE FOLGE Begründet von HANS-BERND HARDER (†) und HANS ROTHE Herausgegeben von DANIEL BUNČIĆ, ROLAND MARTI, PETER THIERGEN, LUDGER UDOLPH und BODO ZELINSKY
Reihe B: EDITIONEN Band 28,1
Isaak der Syrer
Abhandlungen zur Askese Facsimile der slavischen Kölner Handschrift aus dem XV. Jahrhundert mit deutscher Übersetzung
Herausgegeben von
Angelina Minčeva und Irmgard Lorenz In zwei Bänden
Isaak der Syrer
Abhandlungen zur Askese Band 1 Facsimile der slavischen Kölner Handschrift aus dem XV. Jahrhundert
Mit einem Vorwort von
Angelina Minčeva
2015 BÖH LAU V E R L A G K Ö L N WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
Angelina Minčeva ist Professorin für Palaeoslavistik an der Universität Sofia, Bulgarien. Irmgard Lorenz war langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Slavischen Institut der Universität zu Köln.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat: Angelika Lauhus, Köln Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22373-1
INHALT
VORWORT von Angelina Minčeva ………………………...……
VII
VERZEICHNIS DER REDEN mit Angaben zur Position in der Handschrift……………….…………………………….…..
IX
ISAAK DER SYRER – REDEN ZUR ASKESE Facsimile der slavischen Kölner Handschrift aus dem XV. Jahrhundert Vorrede eines anonymen griechischen Autors mit den Überschriften der Reden ………………………………………….
1
Miniatur des hl. Isaak …………………………………………….
44
Die Reden zur Askese von Isaak dem Syrer ……………………..
45
Darstellung des hl. Isaak (Bl. 23v)
VORWORT Es war eine glückliche Fügung, als Prof. Dr. Ulrich Obst mich während meiner Gastprofessur an der Universität zu Köln im Wintersemester 1987/88 auf eine von seinem Assistenten Dr. Andreas Müller in einer privaten Sammlung von Ikonen und alten Drucken entdeckte slavische Handschrift aufmerksam machte. Ich konnte feststellen, daß ich eine vollständige Fassung der Übersetzung der „Logoi asketikoi“ (Slova postnьčьska) von Isaak dem Syrer in einer gut lesbaren Handschrift russischer Redaktion aus den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts in Händen hielt. Dem zu der Zeit geschäftsführenden Direktor des Slavischen Instituts, Prof. Dr. Wolfgang Kasack, gelang es, die Universitätsverwaltung von der Bedeutung des Erwerbs dieser Handschrift zu überzeugen, die daraufhin zusätzliche Mittel für den Ankauf bereitstellte. Ein wertvoller Codex aus der Gruppe der ältesten Zeugen der russischen handschriftlichen Tradition der Abhandlungen von Isaak dem Syrer (die ihren Anfang in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts genommen hat) wurde so der Forschung zugänglich gemacht. Daraus entstand ein umfangreiches Projekt zur Untersuchung der slavischen Übersetzung der Reden von Isaak dem Syrer und ihrer handschriftlichen Überlieferung bei den Slaven, an dem auch der damalige Direktor des Slavischen Seminars der Universität in Freiburg, Prof. Dr. Eckhard Weiher, beteiligt war. Der hl. Isaak der Syrer von Ninive (7. Jahrhundert) gehört zu den als Väter der „Kirche des Ostens“ bekannten syrischen Kirchenvätern. In Syrien entstand neben der byzantinischen und der lateinischen die dritte große patristische Tradition. Zwei syrische Autoren wurden ins Griechische übersetzt und erfuhren sehr früh eine große Verbreitung und Beachtung in der byzantinischen Literatur – Ephraim der Syrer (4. Jahrhundert) und Isaak der Syrer. Durch byzantinische Vermittlung erfolgte ihre Rezeption bei den orthodoxen Slaven. Isaak der Syrer nimmt einen wichtigen Platz in der Entwicklung der christlichen Spiritualität ein. Er wird als monastischer Lehrer und „Mystiker hohen Ranges“ (Deppe) geschätzt. In der asketischen Literatur des Mittelalters zum Hesychasmus – der bedeutendsten monastischen und kulturellen Bewegung in Byzanz und bei den Südslaven im 14. Jahrhundert – spielten seine Abhandlungen (Reden) zur Askese eine beachtliche Rolle. Sie gehören zu den meistgelesenen Werken dieser Literatur wie die „Paraenesis“ von Ephraim dem Syrer und die „Leiter“ des Johannes Klimakos. Isaaks Einfluß im Mönchsmilieu ist aufgrund der großen Verbreitung seiner Reden zur Askese beeindruckend. In der christlichen Philosophie ist Euagrius Ponticus (4. Jahrhundert) sein unbestrittener Lehrer. In seinen Werken hat Isaak der Syrer eine eigene Lehre entworfen, die sich durch eine für die monastische Literatur ungewöhnliche Tiefe der Gedanken und theologischen Ansätze auszeichnet (bei der Analyse der Mönchsideale, des Verhältnisses von Wissen und Glauben, Glauben und Demut, Versuchung und
VIII
Vorwort
Reue, Liebe zu Gott, Weisheit des Heiligen Geistes u.a.). Seine Lehre hat er mit Erläuterungen der dazugehörenden wichtigen theologischen Fragen für alle Christen entwickelt. Die Hilfe von vielen Personen und Institutionen mußte für die Beschaffung von Mikrofilmen, Kopien, Ausgaben, Übersetzungen und Literatur in Anspruch genommen werden. Ihnen allen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Er gilt an erster Stelle den Kollegen vom Hilandar Research Project an der Ohio State University mit der Hilandar Research Library und dem Resource Center for Medieval Slavic Studies, insbesondere Doz. Dr. Predrag Matejic, die mir 1988 einen vierwöchigen Aufenthalt zum Einblick in die reiche Handschriftensammlung des Chilandar-Klosters mit dem größten Bestand an Isaak-Abschriften ermöglichten. Dabei ist besonders darauf hinzuweisen, daß die Mönche im Chilandar-Kloster die Initiative für die Herstellung von Mikrofilmen aller Handschriften ihrer Bibliothek unterstützten und auf deren kostenloser Nutzung für Forschungszwecke bestehen. Wichtige Hilfe bei der Beschaffung von Mikrofilmen leistete in Sofia die Nationalbibliothek „Sv. Sv. Kirill i Metodij“ ‒ Abteilung Handschriften und alte Drucke ‒ und bei der Digitalisierung der Kölner Handschrift deren Bereich Digitalbibliothek. Hier möchte ich mich besonders bei Doz. Dr. Elena Uzunova und Prof. Dr. Borjana Christova bedanken. Die Arbeit am Original der Kölner Handschrift wurde durch die Finanzierung von Studienaufenthalten in Köln mit Hilfe des DAAD im Rahmen der Partnerschaft zwischen der Kölner Universität und der Universität in Sofia sowie durch ein Stipendium der Heinrich-Hertz-Stiftung unterstützt. Das Slavische Institut an der Universität zu Köln vermittelte darüber hinaus die Beschaffung von Mikrofilmen aus ausländischen Sammlungen und ermöglichte die Anfertigung notwendiger Kopien. Aus der Vielzahl der Kollegen, die hilfreich bei der Bereitstellung der Arbeitsmaterialien waren, möchte ich Prof. Dr. Christian Voß (Berlin), damals Student in Köln, Prof. Dr. Cicerone Poghirc (Bochum – Paris), Dr. Paul Strässle (Schweiz), Doz. Dr. Antoaneta Granberg (Schweden), Doz. Dr. Tatjana Mostrova (Kirillo-Methodianisches Zentrum BAN, Sofia) sowie Petko Petkov und Dimităr Peev (Oberassistenten am Lehrstuhl für Kirillo-Methodianistik an der Universität in Sofia) hervorheben. Durch Rat und Hilfe bei Redigierung und typographischer Gestaltung sowie durch vermittelnde Tätigkeit in vielen organisatorischen Fragen hat sich Frau Angelika Lauhus am Slavischen Institut der Universität zu Köln um diese Publikation verdient gemacht. Vor allem aber möchte ich meinen Dank Prof. Dr. Hans Rothe aussprechen, auf dessen Einsatz diese Edition zurückzuführen ist, und dieser Dank gilt ebenso der Aufnahme in die Bausteine zur Slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Der VG Wort danken die Herausgeberinnern für die großzügige Finanzierung der Druckkosten. Sofia, im Januar 2013
Angelina Minčeva
VERZEICHNIS DER REDEN (Die Angaben in Klammern beziehen sich auf die Blattzählung des Originals)
Überschriften der Reden (18r-22v) Rede 1 (24r-30v) Rede 2 (30v-37v) Rede 3 (37v-39v) Rede 4 (39v-44v) Rede 5 (44v-49v) Rede 6 (49v-52r) Rede 7 (52r-55v) Rede 8 (55v-62v) Rede 9 (62v-66r) Rede 10 (66r-67v) Rede 11 (67v-69r) Rede 12 (69r-70v) Rede 13 (70v-72r) Rede 14 (72r-75v) Rede 15 (75v-76v) Rede 16 (76v-83r) Rede 17 (83r-87r) Rede 18 (87r-91v) Rede 19 (91v-93v) Rede 20 (93v-95r) Rede 21 (95r-121r) Rede 22 (121r-122v) Rede 23 (122v-127r) Rede 24 (127r-128r) Rede 25 (128r-134v) Rede 26 (134v-137r) Rede 27 (137r-138r) Rede 28 (138r-141r) Rede 29 (141r-142r) Rede 30 (142r-147v) Rede 31 (147v-151r) Rede 32 (151r-153v) Rede 33 (153v-154v) Rede 34 (155r-157r)
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Rede 35 (157 -159 ) Rede 36 (159v-162v) Rede 37 (162v-164v) Rede 38 (164v-169r) Rede 39 (169r-172r) Rede 40 (172r-175r) Rede 41 (175r-179v) Rede 42 (180r-184v) Rede 43 (184v-188v) Rede 44 (189r-192r) Rede 45 (192r-196r) Rede 46 (196r-202r) Rede 47 (202r-206r) Rede 48 (206r-214r) Rede 49 (214r-223r) Rede 50 (223r-224r) Rede 51 (224r-228v) Rede 52 (228v-230v) Rede 53 (230v-236r) Rede 54 (236r-238v) Rede 55 (238v-270v) Rede 56 (270v-284r) Rede 57 (284r-298r) Rede 58 (298r-309v) Rede 59 (309v-311v) Rede 60 (311v-320r) Rede 61 (320r-324r) Rede 62 (324r-326v) Rede 63 (326v-328r) Rede 64 (328r-329r) Rede 65 (329r-330v) Rede 66 (330v-332v) Rede 67 (332v-336r) Rede 68 (336r-339r) Rede 69 (339r-341v) Rede 70 (341v-345v) r
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X Rede 71 (345v-351r) Rede 72 (351r-352v) Rede 73 (352v-353v) Rede 74 (353v-355v) Rede 75 (355v-363v) Rede 76 (363v-364r) Rede 77 (364r-366v) Rede 78 (366v-370r) Rede 79 (370r-372r) Rede 80 (372v-375r) Rede 81 (375r-375v)
Verzeichnis der Reden Seite 688 699 702 704 708 724 725 730 737 742 747
Rede 82 (375v-376r) Rede 83 (376r-378r) Rede 84 (378r-380v) Rede 85 (380v-389r) Rede 86 (389r-390v) Rede 87 (390v-391v) Rede 88 (391v-393r) Rede 89 (393r-400v) Rede 90 (400v-405r) Rede 91 (405r-407v)
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ISAAK DER SYRER ABHANDLUNGEN ZUR ASKESE Facsimile der slavischen Kölner Handschrift aus dem XV. Jahrhundert
Vorrede
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Vorrede
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Vorrede
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Vorrede
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Vorrede
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Vorrede
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Vorrede
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Überschriften der Reden
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Überschriften der Reden
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Überschriften der Reden
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Überschriften der Reden
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Überschriften der Reden
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Überschriften der Reden
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Der heilige Isaak der Syrer
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Rede 1
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Rede 1
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Rede 1
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Rede 1
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Rede 1
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Rede 1
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Rede 1
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Rede 1
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 2
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Rede 3
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Rede 3
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Rede 3
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Rede 4
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Rede 4
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Rede 4
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Rede 4
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Rede 4
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Rede 4
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Rede 4
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Rede 5
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Rede 5
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Rede 5
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Rede 6
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Rede 6
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Rede 7
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Rede 7
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Rede 7
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Rede 8
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Rede 8
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Rede 8
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Rede 8
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Rede 8
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Rede 9
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Rede 9
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Rede 9
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Rede 9
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Rede 10
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Rede 10
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Rede 11
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Rede 11
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Rede 11
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Rede 12
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Rede 12
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Rede 12
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Rede 13
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Rede 13
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Rede 13
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Rede 14
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Rede 14
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Rede 14
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Rede 14
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Rede 14
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Rede 14
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Rede 14
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Rede 15
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Rede 15
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Rede 16
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Rede 16
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Rede 16
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Rede 16
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Rede 16
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Rede 16
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Rede 16
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Rede 17
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Rede 17
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Rede 17
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Rede 17
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Rede 17
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Rede 17
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Rede 18
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Rede 18
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Rede 18
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Rede 18
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Rede 18
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Rede 18
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Rede 18
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Rede 18
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Rede 19
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Rede 19
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Rede 19
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Rede 20
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Rede 20
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Rede 20
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Rede 21
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Rede 21
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Rede 21
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Rede 21
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Rede 21
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Rede 21
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Rede 21
111v
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Rede 21
112v
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Rede 21
113v
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Rede 21
114v
Rede 21
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Rede 23
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Rede 25
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Rede 25
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Rede 25
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Rede 25
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Rede 25
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Rede 25
131r
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Rede 25
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BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE NEUE FOLGE Begründet von HANS-BERND HARDER (†) und HANS ROTHE Herausgegeben von DANIEL BUNČIĆ, ROLAND MARTI, PETER THIERGEN, LUDGER UDOLPH und BODO ZELINSKY
Reihe B: EDITIONEN Band 28,2
Isaak der Syrer
Abhandlungen zur Askese Facsimile der slavischen Kölner Handschrift aus dem XV. Jahrhundert mit deutscher Übersetzung
Herausgegeben von
Angelina Minčeva und Irmgard Lorenz In zwei Bänden
Isaak der Syrer
Abhandlungen zur Askese Band 2 Deutsche Übersetzung der slavischen Kölner Handschrift aus dem XV. Jahrhundert
von
Irmgard Lorenz mir einer Einleitung von
Angelina Minčeva
2015 BÖH LAU V E R L A G K Ö L N WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
Angelina Minčeva ist Professorin für Palaeoslavistik an der Universität Sofia, Bulgarien. Irmgard Lorenz war langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Slavischen Institut der Universität zu Köln.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat: Angelika Lauhus, Köln Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22373-1
INHALT
EINLEITUNG von Angelina Minčeva Die Anfangsperiode der handschriftlichen Überlieferung der „Logoi asketikoi“ (slova postьničьska) Isaaks des Syrers bei den Slaven ...………………………………………………………. VII Die Kölner Handschrift im Kontext der handschriftlichen Tradition der Version B ………………………………….…………… XII Konzeption, Prinzipien und Zielsetzung der deutschen Übersetzung ….…………………………….......................…………... XIV Vergleichende Übersicht zur Anordnung der Reden Isaaks des Syrers in den Versionen B und A sowie im griechischen und im syrischen Text ……………………………………………..….. XXIV
ISAAK DER SYRER – REDEN ZUR ASKESE Deutsche Übersetzung von Irmgard Lorenz Die Überschriften der Reden ...…………………………..…................
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Die Reden 1‒91 ...……….…………………………………………....
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ANHANG Bibliographie Literatur ………………………………………………...…...……….. Kataloge und Handschriftensammlungen ..………………………….. Editionen und Übersetzungen …………...…..………...…………….. Wörterbücher, Indices, Enzyklopädien .……………….……………..
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Abkürzungen ......………...……...…………………………………....
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Zitate aus der Heiligen Schrift ......………….......................................
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Register Themen ........................……………………………………………..... Namen ..……………………………………………………………………….
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Erste Seite der Reden des hl. Isaak (Bl. 24r)
EINLEITUNG von Angelina Minčeva Die Anfangsperiode der handschriftlichen Überlieferung der „Logoi asketikoi“ (Slova postьničьska) Isaaks des Syrers bei den Slaven Die frühesten Abschriften dieser Sammlung sind in das erste Viertel des XIV. Jahrhunderts einzuordnen: die Codices MDA 151.2 (TSL), serbisch, und NBKM 1023 (Sofia), bulgarisch. Die erste datierte Handschrift befindet sich in der Sammlung des Klosters Chilandar auf dem Athos – Chil 470 aus dem Jahr 1355, serbisch. Genau datiert sind noch zwei bulgarische Handschriften aus dem XIV. Jahrhundert – GBL, TSL No 172, 1381 (ПС XIV в. № 541) und GBL, Собрание Козельской Введенской Оптиной пустыни № 462, 1389 (ПС XIV в. № 552, № 553 – Fragment, GPB, Q. I. 903). Alle Abschriften aus dem XIV. Jahrhundert sind südslavisch (serbisch und bulgarisch) und präsentieren zwei Übersetzungen der Reden Isaaks des Syrers: Die ältere (Version A) ist in der Zeitperiode vor dem XIV. Jahrhundert entstanden, aber erstmals in Abschriften aus dem ersten Viertel des XIV. Jahrhunderts bezeugt, die jüngere (Version B) – seit dem dritten Viertel des XIV. Jahrhunderts. Den Angaben der Bestandsaufname der Handschriften in Rußland, Jugoslawien, Bulgarien und in den anderen slavischen Handschriftensammlungen im Ausland zufolge sind insgesamt 30 Abschriften (Codices und Fragmente) aus dem XIV. Jahrhundert erhalten. Die chronologische Verteilung der Abschriften aus dem XIV. Jahrhundert sieht aufgrund der vorhandenen Codices folgenderweise aus (Минчева 2004: 360-363): − Erstes Viertel des XIV. Jahrhunderts: Version A – 2 Hss (serbisch und bulgarisch) − Zweites Viertel des XIV. Jahrhunderts: keine Abschriften − Drittes Viertel des XIV. Jahrhunderts: Version A – 5 Hss (4 serbisch, 1 bulgarisch); Version B – 5 Hss (3 serbisch, 2 bulgarisch) − Letztes Viertel des XIV. Jahrhunderts: Version A – 1 Hs (bulgarisch); Version B – 9 Hss (4 serbisch, davon 1 Handschrift Anfang des XV. Jahrhunderts, 5 Hss bulgarisch, darunter 2 Fragmente). Die serbische Handschrift Krušedol 442, Version B, ist allgemein nur als „XIV. Jahrhundert“ datiert. Die Gründe für das große und dauernde Interesse der slavischen Welt an den Abhandlungen zur Askese von Isaak dem Syrer liegen in der Rolle dieses Zyklus für die Entwicklung der Ideologie des Hesychasmus in Byzanz. Es ist die Version B (die im XIV. Jahrhundert auf dem Athos entstandene Über-
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setzung), die zweifelsohne mit der Blütezeit der asketisch-mystischen Philosophie in den monastischen Kreisen in den Athos-Klöstern verbunden ist. Bestätigung dafür ist unter anderem die Tatsache, daß in der größten Sammlung von Abschriften der Reden Isaaks im Kloster Chilandar von 22 Handschriften aus dem XIV. bis XVIII. Jahrhundert 8 (bzw. 9 mit Chil 394 vom Anfang des XV. Jahrhunderts) in das XIV. Jahrhundert gehören (Богдановић 1978б; Минчева 1995). Nur Chil 470 ist eine Abschrift der Version A, die anderen 8 gehören zur Version B (5 serbisch, 3 bulgarisch). Die datierte bulgarische Abschrift von 1389 ist in der Großen Lavra des hl. Athanasios angefertigt worden, vom Athos stammen auch die Handschriften MDA 151.2 (TSL) und Wien Cod.slav.58, beide Vertreter der Version A. Die Versionen A und B unterscheiden sich durch bestimmte kodikologische Spezifika (Минчева 2004; Гранстрем, Тихомиров / Турилов 2007): 1. Die Handschriften der Version B enthalten die einleitende Rede „o mlъčani i bezmlъvii i žitii tichomъ“ eines anonymen griechischen Autors. Sie taucht in den griechischen Handschriften des XIV. Jahrhunderts auf (Deppe 1968) und ist eindeutig für Version B übersetzt worden. 2. Danach folgt ein Inhaltsverzeichnis mit den Titeln der einzelnen Reden (gewöhnlich 91) in der festgelegten Reihenfolge der Version B. Bei der Analyse der Überschriften zu den Reden Isaaks in diesen selbständigen Listen lassen sich gewisse Unterschiede feststellen. Sie betreffen die syntaktischen Ausdrucksmittel und die Wahl der lexikalischen Varianten, selten die Numerierung (die Rede bekommt eine andere Nummer in der Reihenfolge) der Reden. In der Formulierung der Themen beziehen sich die Titel immer auf denselben Inhalt, die Struktur der Überschriften (die Themen, der Sachverhalt) wird normalerweise in dem ursprünglichen Rahmen beibehalten. Nach der Überschrift der Listen und den Varianten in der Betitelung der Reden kann man von zwei „Inhaltsverzeichnissen“ ausgehen, die im XIV. Jahrhundert zusammengestellt worden sind: „skazanije“ und „skazъ“. Die Listen sind in den Chilandar-Handschriften der Version B sowie in den beiden bulgarischen Abschriften aus den Jahren 1381 und 1389 bezeugt. Es hat den Anschein, als habe die Variante in der Abschrift von 1381 breitere Anwendung gefunden, so ist zum Beispiel diese Variante auch in der Kölner Handschrift und in der Abschrift der Reden Isaaks in den Großen Lesemenäen des Metropoliten Makarij benutzt worden (Минчева 2006: 98f.). Die registrierten Unterschiede in der Formulierung der Überschriften bei den in Version B den Texten der Reden vorangestellten Verzeichnissen der Reden sind nicht wesentlich, aber sie betreffen fast die Hälfte der Redentitel (etwa 40 Reden und über 49 Differenzen). Diese Situation bezieht sich nicht auf den Text der Reden in den einzelnen Abschriften, die Handschriften
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1381 und 1389 eingeschlossen: In textologischer Hinsicht zeichnen sie sich durch eine bemerkenswerte Einheitlichkeit aus. Mit großer Wahrscheinlichkeit darf man annehmen, daß die Varianten in den Überschriften der Listen in den beiden datierten Handschriften früher entstanden waren und in dieser Form in sie aufgenommen wurden. Die palaeographischen Merkmale der beiden datierten Handschriften weisen darauf hin, daß sie nicht nur in verschiedenen Scriptorien geschrieben worden sind, sondern daß die entsprechenden Zentren (das eine ist die Große Lavra auf dem Athos) eine große Autorität besaßen, bestimmt auch eine eigene graphisch-orthographische Schule entwickelt haben und eigene „izvodi“ produzierten, wobei ein Teil davon gemeinsamer Provenienz gewesen sein dürfte (Минчева 2004: 363-365). 3. Jede der beiden Versionen hat ihre eigene Reihenfolge der Reden, die obligatorisch eingehalten wird. Dieses Merkmal betrifft nur die Anordnung der Reden im slavischen Text, die griechischen Handschriften sind in dieser Hinsicht sehr locker. Das Dokumentieren der eigenen festen Struktur der beiden slavischen Versionen seit dem Anfang ihrer Entstehung darf nicht bei dem Versuch außer acht gelassen werden, die Zeit der slavischen Übersetzungen von Isaaks Werken aus dem Griechischen zu bestimmen. Gleichzeitig erweist sich hier die Kompetenz und die Selbständigkeit der slavischen Übersetzer im Rezeptionsprozeß der Philosophie der Askese in der Literatur der orthodoxen Südslaven. 4. Die Anfangsperiode dieser Rezeption liefert eine weitere wertvolle Information, die im literarischen Schaffen des Mittelalters so nicht üblich ist. Im kurzen Prolog vor dem Anfang der ersten Rede nach der Mitteilung über die Übersetzer von Isaaks Reden aus dem Syrischen ins Griechische, avva Patrikios und avva Avramios, erscheint in der datierten Handschrift von Version A Chil 470 aus dem Jahr 1355 zum ersten Mal in der slavischen Überlieferung der Name des slavischen Übersetzers Zakchej: Er hat „in unsere Sprache“ (na našь jezikъ) die Reden aus dem Griechischen übertragen (Минчева 2004: 365). Eine weitere Handschrift aus dem XIV. Jahrhundert, wiederum Version A, nämlich Njamc 72, bulgarisch, präzisiert „unsere Sprache“ als Bulgarisch – „na blъgarskaa“ (Яцимирский 1905: 721723). Hier ist der Name des Übersetzers mit Zakchei Vagilъ angegeben. Der griechische Prolog enthält eine sehr knappe notwendige Mitteilung über den Autor der Reden (Isaak, Syrer, Bischof von Ninive, Asket und Anachoret) sowie auch in bezug auf die griechische Übersetzung. Abgesehen von der sparsamen Information erscheint die Redaktion des Prologs in den griechischen Handschriften leicht modifiziert, und zwar in Richtung einer kürzeren und einer etwas erweiterten Fassung (Deppe 1968: 39, Hs 408 aus Sinai und
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Angelina Minčeva
zum Beispiel der Prolog bei Theotokis). Aus dem Vergleich der beiden slavischen Versionen geht hervor, daß der Prolog in den Handschriften der Version A die knappere griechische Fassung wiedergibt, in Version B – die erweiterte Variante. Der slavische Text ist in lexikalischer Hinsicht sehr interessant, aber es ist schwierig, auf dieser Basis eventuelle chronologische Unterschiede sicher zu bestimmen, besonders weil die lexikalischen Varianten mit wenigen Ausnahmen in den altbulgarischen Denkmälern bezeugt sind (Минчева 2004: 365-369). Zum ersten Mal wird die Verbindung der slavischen Übersetzung der Reden Isaaks des Syrers mit dem Namen von Zakchej bei P. Stroev 1848 in seiner Beschreibung der Carskij–Sammlung erwähnt: „Исаака Сирина Словеса постьничьска“ переведены с Греческаго на Славянский каким-то Закхеем, древнейший список 1416 года“ (Строев 1848: 91; Hs № 147, XVI. Jahrhundert: 91-100). Auch A. Jacimirskij hat Angaben über Handschriften „с упоминанием имени переводчика на славянский язык Закхеем Вагилы“ (Яцимирский 1905: 721-723, in bezug auf Njamc 72) angeführt. In der Beschreibung der Handschrift 131 (Горский, Невоструев 1859: 176) wird aus der Carskij–Sammlung die Ergänzung über Zakchej zitiert: „послѣжде же мyжемъ етеромъ христолюбивомъ, Закхеомъ нарицаемѣмъ, истолкованна отъ Гречьскыхъ въ нашy Словенскyю слогнy“. Derselbe Text wird nach einer russischen Abschrift aus dem Jahr 1513 (GIM, Eparch. Sobr. 320 /444/) von M. Fedotova zitiert (Федотова 2001: 499). Andererseits ist die Information, die uns die Handschriften aus dem XIV. Jahrhundert geliefert haben, eindeutig – nur die Abschriften der Version A enthalten die Mitteilung über Zakchej als Übersetzer des slavischen Textes der Reden von Isaak dem Syrer, allerdings erst in der parallelen Überlieferung der Handschriften beider Versionen (A und B) in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts. Diese Ergänzung ist in Hs MDA 151.2 nicht vorhanden (Sofia 1023 beginnt mit dem Ende von Rede 19), aber auch nicht in Wien Cod.Slav.58 und Pogod. 72 aus den 60-er Jahren des XIV. Jahrhunderts. Auf diese Weise werden beide slavischen Versionen, die ältere und die jüngere, aus dem XIV. Jahrhundert ganz allgemein als „slavjanskij perevod“ mit einem Übersetzer Zakchej in Verbindung gebracht. Mehr Licht auf die Persönlichkeit von Zakchej hat in letzter Zeit G. Popov mit der Entdeckung neuer Angaben zur Übersetzungstätigkeit der bulgarischen Literaten auf dem Athos in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts geworfen (Попов 1978). Die Information ist schriftlich belegt in den bulgarischen Handschriften aus Sinai (geschrieben vor 1360) Triodion № 23 (in der slavischen Tradition Fastentriodion) und Triodion № 24 (= Pentekostarion, in der
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slavischen Tradition Blumentriodion). Der Name Zakchej wird dreimal erwähnt als Zakchej Filosof, auch Zagorjanin genannt, Übersetzer der Synaxarien zum Triodion (Попов 1978; Тасева 2010 – Untersuchung und Ausgabe). Aus dem XIV. Jahrhundert stammt noch eine Information über die Tätigkeit eines anderen bulgarischen Literaten, des Starec Ioann, der in der Großen Lavra des hl. Athanasios auf dem Athos gewirkt hat. Nach der bekannten ausführlichen Notiz von Ieromonach Methodie im Oktoich № 19 (übrigens auch aus Sinai) soll er die Werke Isaaks des Syrers neben einer Reihe von anderen Büchern übersetzt (prěloži i ispisa) haben (Hannick 1972, Попов 1978, Йовчева 2004, Спасова 2007). Vergleichende Gegenüberstellungen der Texte von beiden Versionen führen zu dem Schluß, daß ihre Verfasser bzw. Übersetzer verschiedene Literaturschaffende gewesen sein müssen. Unter diesen Umständen ergibt sich die Frage, welche von den beiden Textfassungen der Reden Isaaks des Syrers mit der Autorschaft von Zakchej verbunden ist. Für Zakchej als Autor der Übersetzung in der Version B sprechen die athonitische Herkunft und die Entstehungszeit der zweiten Version, an zweiter Stelle der Übersetzungsstil des Verfassers, die im Einklang mit der Tätigkeit Zakchejs auf dem Athos sind (Минчева 2004). Eine andere Meinung vertreten E. Granstrem und N. Tichomirov (Гранстрем, Тихомиров / Турилов 2007: 138): Zakchej sei der Verfasser der ersten Übersetzung, für Version B (die zweite Übersetzung) komme ein anderer bedeutender Literaturschaffender aus derselben Zeit ‒ nämlich der Starec Ioann ‒ in Frage. Das Verhältnis der Versionen A und B hat noch einen ungenügend erforschten Aspekt. Das Problem der Autorschaft schließt die Antwort auf die wichtige Frage nach den Textverhältnissen der beiden Versionen ein. Sie bedarf ausführlicher Untersuchung in bezug auf das Verhältnis der Übersetzung der einzelnen Reden zu einander, besonders im Hinblick auf den Grad der Unterschiede und nicht weniger auch auf die Identität der größeren Texteinheiten. Argumente und Überlegungen in dieser Hinsicht werden an dieser Stelle nicht analysiert. Der hier vorgelegte Abriß der wichtigsten Charakteristika der handschriftlichen Überlieferung der Reden Isaaks des Syrers in der Anfangsperiode ihrer Rezeption bei den Slaven zeigt eindeutig, daß die vorhandenen Abschriften der beiden Versionen als wertvolle Grundlage für die Untersuchung der slavischen Übersetzung und ihrer weiteren Geschichte dienen können. Nicht weniger wichtig aber ist die Tatsache, daß die Ansätze des ganzen Komplexes von Fragen und Problemen, die mit dem Werk Isaaks des Syrers auf slavischem Boden verbunden sind, ihren Anfang schon im XIV. Jahrhundert haben.
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Angelina Minčeva Die Kölner Handschrift im Kontext der handschriftlichen Tradition der Version B
Im XV. Jahrhundert verlagert sich die Aktivität der handschriftlichen Produktion (nicht zuletzt mit der Welle des Zweiten südslavischen Einflusses) nach Rußland. Die Verbreitung der Reden Isaaks des Syrers bleibt auch im folgenden XV. und im XVI. Jahrhundert aktuell, sogar im XVII. Jahrhundert hält diese Tendenz an. Die Angaben hierzu in der Liste der erhaltenen Handschriften in ПС XV в. sprechen für sich. Unter der Gesamtzahl von 3.404 Handschriften befinden sich 43 Abschriften (44 nach Гранстрем, Тихомиров / Турилов 2007) der Reden Isaaks des Syrers, von denen 7 genau datiert sind: 1416 (№ 33), 1419 (№ 42), 1428 (№ 71), 1431 (№ 80), 1472 (№ 205), 1485 (№ 268), 1498 (№ 335). Die spärlichen Angaben über die Herkunft der Abschriften der Reden von Isaak dem Syrer in den Bibliotheken Rußlands weisen darauf hin, daß ein Teil davon aus Klosterbibliotheken stammt: 4 – aus dem Kirillo-Belozerskij Kloster, 3 – aus der Troice-Sergieva Lavra; mit den Handschriften aus anderen Klöstern, der Eparchialen Sammlung und den Sammlungen der Moskauer und Kiever theologischen Akademien erhöht sich diese Zahl auf 17 Handschriften. Die Bibliotheken des Kirillo-Belozerskij-Klosters (gegründet 1397) und der Troice-Sergieva Lavra (gegründet 1335) sind die ältesten und bedeutendsten Bibliotheken im XV. Jahrhundert (Розов 1981). Der Hauptteil der Handschriften des XV. Jahrhunderts ist ostslavischer Herkunft, öfters mit gemischter (überwiegend russisch-bulgarischer) Rechtschreibung (ПС XV в.: 340). Die Verbreitungswege dieses Handschriftenbestands im XV. Jahrhundert in Rußland zeigen Verbindungen mit Bulgarien, Serbien, dem Athos, Konstantinopel; das Kirillo-Belozerskij-Kloster und Novgorod überhaupt – mit Bulgarien, durch ihre Vermittlung auch mit Soloveck und Moskau, vom Athos reichen Verbindungen nach Tver' und Novgorod, von Konstantinopel nach Smolensk und Moskau (Розов 1981: 41,42,99,43,140-143). Die Sorge der Kirche um maßgebende Abschriften, kopiert von alten Originalen in Konstantinopel oder auf dem Athos, gilt im XV. Jahrhundert überall, besonders in den wichtigsten und bekanntesten Zentren für die Herstellung von Handschriften (Розов 1981: 26); „... все константинопольские и афонские рукописи пользовались на Руси большим авторитетом …“ (Вздорнов 1968: 176). N. Rozov hat noch eine wichtige Feststellung in dieser Hinsicht getroffen: „Следует отметить, что книги, попадавшие в Россию в XV в. из Балканских стран, переписывались здесь не менее тщательно, чем книги из греческих монастырей“ (Розов 1981: 45; Вздорнов 1968: 175). Im Rahmen der Literatur
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zur Askese aus dem slavischen Süden kommt die gleiche Treue der Abschriften in bezug auf die Originale in der graphischen Gestaltung zum Ausdruck: „ ... от начала XV века начинается последовательная цепь рукописей русского происхождения, в которых мы видим точно такие же заставки и такие инициалы“ (Вздорнов 1968: 175 und Fn. 12). Es ist wichtig, noch eine Feststellung von G. I. Vzdornov zu erwähnen, die für den Prozeß der Kontakte charakteristisch ist. Er sieht im Athos und in Konstantinopel nicht nur eine Quelle der Herstellung von Handschriften, sondern Zentren der russisch-südslavischen Kontakte. Was die Reden Isaaks des Syrers betrifft, so steht in einer Liste von 17 Werken – Handschriften oder Abschriften von verlorenen Originalen „о которых известно, что они уже в конце XIV или начале XV в. были в России“ (Вздорнов 1968: 176 und Fn. 13) ‒ unter № 7 eine Abschrift der Reden Isaaks des Syrers aus dem Jahr 1428. Die Verbreitung der Abhandlungen zur Philosophie der Askese von Isaak dem Syrer bei den Ostslaven im XV. und XVI. Jahrhundert hat die monastische Literatur in Rußland inhaltlich bereichert, gleichsam zur Rezeption der Ideologie des Hesychasmus wirksam beigetragen. Damit nimmt Isaak der Syrer einen bedeutenden Platz im kulturhistorischen Kontext des XV. Jahrhunderts ein. Die Kölner Handschrift – eine russische Abschrift aus den 40-er Jahren des XV. Jahrhunderts (nach den Wasserzeichen und anderen palaeographischen Merkmalen) ‒ gehört zu den besten Beispielen für eine hinsichtlich der konsequent durchgeführten russischen Rechtschreibung korrekte Abschrift. Andererseits enthält sie die Reproduktion des Textes eines Apographen aus der Anfangsperiode der handschriftlichen Überlieferung der zweiten (jüngeren) Übersetzung der Reden (aus dem XIV. Jahrhundert), nämlich der Version B (ausführliche Beschreibung bei Минчева 1993: 232-236). Die Kölner Handschrift (408 Blätter) ist vollständig, enthält genau 91 Reden in der Reihenfolge der Version B. Der Schreiber wirkt sehr erfahren, die graphische Gestaltung ist konsequent, in schönem Poluustav, einfach und schlicht, gemäß den Anforderungen der monastischen Literatur. Die Initiale am Anfang jeder Rede und die Zastavka auf Blatt 24r sind im Balkanischen Stil ausgearbeitet worden (Шульгина 1974: 240-265). Eine seltene Besonderheit der Kölner Handschrift ist die Miniatur mit dem Bild des hl. Isaak vor dem Anfang der Reden (Blatt 23v). Das ikonographische Modell stellt eine schreibende Figur dar wie bei den Bildern der Evangelisten und Apostel. Es ist von Bedeutung zu erwähnen, daß zum ersten Mal in der slavischen handschriftlichen Tradition eine Miniatur mit dem Bild Isaaks des Syrers auf dem Athos reproduziert worden ist. Sie
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befindet sich in der bulgarischen in der Großen Lavra des hl. Athanasios geschriebenen Handschrift aus dem Jahr 1389. Hier ist aber das asketische (oder dogmatische) Modell abgebildet – eine aufrecht stehende Figur (Вздорнов 1968: 183-184 und Abb. 3). Die Miniatur in der Kölner Handschrift scheint mit der späteren russischen Tradition in Verbindung zu stehen. Sie entspricht zum Beispiel genau der Miniatur mit dem Bild des hl. Isaak in einer Handschrift des Kirillo-Belozerskij-Klosters, die in das Ende des XV. – Anfang des XVI. Jahrhunderts datiert wird, ПС XV в. № 3218, ГПБ, К.-Б. 64/189, f. 22r (Попов 1972: 276f., 281). Beide Miniaturen sind vorher ausgeschnitten und dann in die neue Handschrift eingeklebt worden. Das asketische Modell hat auch Platz in der Illuminierung der russischen Handschriften gefunden. Eine Miniatur mit dem Bild des hl. Isaak als aufrecht stehende Figur befindet sich in der Abschrift MDA № 109 (TSL) vom Anfang des XVI. Jahrhunderts. Die hier sehr knapp vorgestellten Charakteristika der Kölner Handschrift bieten Informationen für verschiedene Forschungsaspekte innerhalb eines kulturhistorischen Komplexes von Fragen. Wir hoffen, daß jeder neue Beitrag in dieser Richtung weitere Möglichkeiten eröffnen kann, nach objektiven und überzeugenden Antworten zu suchen. Konzeption, Prinzipien und Zielsetzung der deutschen Übersetzung Die slavische Übersetzung der Abhandlungen zur Askese von Isaak dem Syrer in ihren zwei Varianten – der älteren (Version A) und der jüngeren aus dem XIV. Jahrhundert (Version B) ‒ ist die früheste unter den europäischen Sprachen des Christentums, in der die griechische Übertragung aus dem Syrischen (VIII.-IX. Jahrhundert) in einer vollständigen Fassung wiedergegeben ist. Noch aus einem anderen Grund ist diese Tatsache bemerkenswert: Es ist die griechische Übersetzung der Werke Isaaks, die schon gegen Ende des X. Jahrhunderts schnelle Verbreitung im griechischsprachigen Osten gefunden hat, und auf diesem Weg wird ihr Autor von der byzantinischen Kirche als „monastischer Lehrer und Mystiker hohen Ranges“ (Deppe 1968: 35) verehrt, als „великий Отец Церкви VII века“ (Алфеев 2010). Unter diesem Aspekt faßt Alfeev zusammen: „Isaaks Schriften haben nicht nur die Grenzen der Zeit überschritten, sondern auch konfessionelle Hindernisse. Schon im IX. Jahrhundert wurden sie von den Byzantinern und von den Syrisch-Orthodoxen gelesen, wie natürlich auch in der ‚Kirche des Ostens‘. Im XV. Jahrhundert bricht Isaak in die römisch-katholische Welt ein, während er gleichzeitig einer der populärsten asketischen Schriftsteller der Orthodoxen Kirche ist“ (Alfeev 2004: 37).
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Die in der Kölner Handschrift erhaltene Version B aus dem XIV. Jahrhundert ist wie alle Werke der slavischen Übersetzungsliteratur dieser Zeit um eine genaue Wiedergabe der griechischen Vorlagen bemüht. Sie entspricht vollkommen den mittelalterlichen Übersetzungskonzepten: lexikalische Entsprechungen Wort für Wort („пословный перевод“ – nach der treffenden Definition von E. M. Vereščagin) und quantitative Identität der grammatischen Einheiten, gleiche Wortfolge, Anlehnung an das griechische Original in der Syntax, bei einigen Wortbildungsmodellen, Lehnbildungen und Lehnbedeutungen. Das Resultat der Tätigkeit des slavischen (bulgarischen) Übersetzers ist eine Textfassung auf hohem Niveau in der mittelbulgarischen kirchenslavischen Literatursprache. Die Übersetzung zeichnet sich insofern durch einen hohen Grad an Genauigkeit in bezug auf die griechische Vorlage und das Erreichen von Sinntreue aus – allerdings im Rahmen der unentbehrlichen Interpretation des Übersetzers. Diese Eigenschaften der slavischen Version sind den mittelalterlichen Prinzipien der Übertragung der Heiligen Schrift in eine andere Sprache zu verdanken. Der slavische Übersetzer hält sich an eine aus schriftsprachlicher Sicht konsequent angewandte Terminologie und hat versucht, seinem griechischen Original möglichst genau zu folgen. Die genannten Charakteristiken der slavischen Version haben uns erlaubt, auch in deutscher Sprache eine diesem Text (d.h. der Version B nach der Kölner Handschrift) entsprechende Übertragung zu beabsichtigen und die Entscheidungen des slavischen Übersetzers zu respektieren. Hier liegt ein wichtiger Unterschied im Vergleich zu anderen in neuer Zeit entstandenen Übersetzungen von Isaaks Werken. Es ist berechtigt, daß moderne Übersetzungen diesen Aspekt nicht berücksichtigen. Ihre Verfasser (hauptsächlich Theologen) legen an erster Stelle Wert auf eine adäquate Darlegung des komplizierten philosophischen Inhalts, dessen Interpretation schon in der Ausgabe von Theotokis an den schwierigen und unklaren Stellen des griechischen Textes von zusätzlichen theologischen Kommentaren unterstützt wird. Die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens ergibt sich aus der anfechtbaren Qualität der griechischen Übersetzung aus dem Syrischen. S. I. Sobolevskij, Professor an der Moskauer Theologischen Akademie und Autor der russischen Übersetzung von Isaaks Reden in der 3. Auflage (1911), kam nach seiner Erfahrung als Übersetzer und Redakteur zu der Feststellung, daß der nicht ganz klare Sinn der griechischen Übersetzung Grund für „ein unserer Meinung nach unzutreffendes Verständnis des Originals“ gibt und die Gefahr von fehlerhaften Interpretationen bei Lesern und Übersetzern beinhaltet: „зная, как неясен этот текст, смысл которого приходится скорее угадывать, чем переводить“ (Предисловие: I, II).
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Zudem kommt dem Zusatz von erklärenden Bemerkungen angesichts der ungewöhnlich reichen und tiefen geistigen Welt in den Werken Isaaks des Syrers eine bedeutende Rolle zu – „в виду трудности для понимания высоких мыслей Св. Исаака“ (Предисловие: I). Die Eigenschaften der griechischen Übersetzung stellen die Vertreter verschiedener Forschungsgebiete wie Theologie, Syrologie, Geschichte des Christentums, Patristik und slavo-byzantinische Kulturgeschichte des Mittelalters vor viele Fragen. Zur Basis der Diskussion und gleichzeitig Anregung für Übersetzungen in andere Sprachen ist die in Leipzig erfolgte Edition des griechischen Textes durch N. Theotokis im Jahre 1770 geworden, bis heute die einzige Quelle für zugängliche Information über die Gestalt dieser so wichtigen Sammlung von asketischen und mystischen Homilien. Die Publikation des syrischen Textes im Jahre 1909 (Bedjan 1909) hat verständlicherweise viel weniger zur Popularität des syrischen Originals beigetragen. Die Beurteilung der griechischen Übersetzung in bezug auf die syrischen Unterlagen ist im allgemeinen kritisch und weist auf Mängel in der Arbeit der Übersetzer Patrikios und Avramios hin (Chabot 1892: 61-65; Алфеев 2010: 47-58). Das Verhältnis der griechischen Übersetzung zum syrischen Originaltext betrifft nicht nur die Qualität der griechischen Version, dazu gehören auch Unterschiede im Corpus der Reden, in dem sich auch Werke anderer Autoren befinden. Alfeev befaßt sich mit der Frage der Redaktionen im Rahmen der syrischen Tradition und schließt sich der Meinung von D. Miller an: „...текстологический анализ обеих редакций, проведенный Д. Миллером, показал, что восточная редакция отражает подлинный текст Исаака, тогда как западная является переработкой этого текста. Именно с текста западной редакции на рубеже VIII и IX вв. Авраамием и Патрикием, монахами Лавры Святого Саввы Освященного в Палестине, был сделан греческий перевод сочинений Исаака“ (Алфеев 2010: 48). Aus den in der Monographie (Алфеев 2010: 49) zitierten Äußerungen russischer Theologen zur Qualität der griechischen Übersetzung geht hervor, daß sie im Hinblick auf Genauigkeit nicht ganz zuverlässig ist: „Вероятно, переводчик был не из ученых, т.е. не знал грамматических правил, и потому мешал слова и вместо должного выражения ставил неправильные и темные слова, да и от переписчиков, может быть, вкрались ошибки и невероятности“ (Филарет Московский); „Этот перевод часто неточен. В сирийском тексте меньше порядка, больше непосредственности“ (Георгий Флоровский). Aufgrund der textologischen Analyse formuliert Alfeev die Ergebnisse seiner eigenen Forschungsarbeit, die sehr wichtig für eine realistische Vorstellung von den Grenzen und Möglichkei-
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ten jeder Übersetzung sind, die auf dem griechischen Text der Ausgabe von Theotokis beruht: „в сирийском оригинале больше ясности, хотя и в нем немало мест, которые можно понимать, а следовательно и переводить, поразному. Сравнивая греческий перевод таких мест с оригиналом, невозможно не заметить, что во многих случаях переводчик, не до конца поняв мысль святого Исаака, передал слова, но не сумел передать смысл“; „Греческий перевод Исаака является буквальным и потому сохраняет многие неясности сирийского оригинала: в некоторых же случаях текст, очевидно, переводился без достаточного понимания его смысла. Кроме того, в текст при переводе вкрались многочисленные ошибки“ (Алфеев 2010: 49,58). Besondere Aufmerksamkeit verdient die Beurteilung des griechischen Textes bei Theotokis von K. Deppe, die durch eine vergleichende Tabelle der griechischen Sinaihandschriften der Reden Isaaks des Syrers mit dem syrischen Original unterstützt wird: „Die griechische Übersetzung der Werke Isaaks kann demnach nicht beanspruchen, dem syrischen Original als in allem gleichwertig an die Seite gestellt zu werden. Aber die hier vorgeführten Sinaihandschriften geben doch zu erkennen, daß die Griechen den verehrten Autor in einer Übersetzung gelesen hatten, die dem ursprünglichen Text näher stand, als bisher aufgrund der Ausgabe des Nikephoros angenommen wurde“ (Deppe 1968: 46-47, 48-57). Diese Charakteristik gilt nicht weniger für die griechischen Vorlagen der mittelbulgarischen Übersetzung aus dem XIV. Jahrhundert (Version B), besonders weil die griechischen Quellen des Übersetzers Zakchej aus derselben Zeit stammen sollen wie die griechischen Handschriften, die Theotokis in seiner Edition reproduziert hat – nämlich aus dem XIII.–XIV. Jahrhundert. Es ist klar, daß die griechische Tradition zu dieser Zeit schon reich an Abschriften von Isaaks Reden geworden war, wobei auch Unterschiede im Textumfang der Reden zum Ausdruck kamen sowie einige Varianten in der Sinndeutung, die sich im Wortlaut bemerkbar machten und den sprachlichen Ausdruck betreffen. Genauso trifft aber auch zu, daß in der Ausgabe von Theotokis eine textologisch konstante Version der griechischen handschriftlichen Überlieferung erfaßt worden ist, die als Nachweis für die Einheit und Stabilität der ursprünglichen griechischen Übersetzung von Bedeutung ist. Gleichzeitig ist auf diese Weise auch die Echtheit des philosophischen Gedankenguts dieser bedeutendsten Abhandlungen zur Askese bestätigt worden, und mit Hilfe der griechischen Übersetzung und ihrem geistigen Einfluß außerhalb der Byzantinischen Kirche – am tiefsten in der griechisch-orthodoxen und der slavo-byzantinischen Welt – wurde die Rezeption der Werke Isaaks gesichert und gefördert. Jede neue Übersetzung
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schließt sich hier an, gerade weil sie einen festen Grund in der griechischen Version finden kann. Der Vergleich der beiden slavischen Versionen (A und B) mit dem griechischen Text in der Ausgabe von Theotokis bestätigt die Begründung dieser Annahme. Obwohl die Version A früher als die Version B entstanden ist und Spuren von anderen griechischen Vorlagen bei einigen Übersetzungsunterschieden aufweist, ist ihr Text genauso mit der Ausgabe von Theotokis vergleichbar wie bei Version B (Минчева 1990: 25-38). Aus demselben Grund läßt sich die früh entstandene und nach anderen Übersetzungsprinzipien verfaßte mittelalterliche bulgarische Übersetzung mit allen modernen Übersetzungen der Reden Isaaks aus dem Griechischen vergleichen. Die hier vorgelegte deutsche Übersetzung der Version B nach der Kölner Handschrift vermittelt alle Folgen der Einwirkung der griechischen Vorlage. Für die Textgestaltung in jeder neuen Sprachform spielen verschiedene vom Konzept des Übersetzers bestimmte Faktoren eine Rolle. Für uns stand an erster Stelle die Dokumentation der Eigenschaft der slavischen Übersetzung, sich an eine möglichst genaue Wiedergabe der griechischen Vorlagen zu halten. In der textologischen Arbeit zum slavischen Text wurde das Gewicht auf die frühesten Zeugen der slavischen handschriftlichen Tradition gelegt. Die Textanalyse beruht daher auf dem Vergleich mit den wichtigsten zuverlässigen Abschriften der beiden Versionen vom Anfang ihrer handschriftlichen Überlieferung, nämlich den Handschriften, die im XIV. Jahrhundert entstanden sind. Sehr wichtig in dieser Hinsicht sind die Handschriften in der Sammlung des Klosters Chilandar. Darunter befindet sich die einzige datierte Handschrift der Version A – Chil 470, serbisch, aus dem Jahr 1355, und eine Gruppe von Handschriften der Version B (Богдановић 1978б; Минчева 1995, 2004): Chil 176, Chil 395 – serbisch, drittes Viertel des XIV. Jahrhunderts, Chil 177, Chil 178 – bulgarisch, drittes Viertel des XIV. Jahrhunderts, Chil 475, Chil 476 – serbisch, letztes Viertel des XIV. Jahrhunderts, Chil 179 – bulgarisch, Ende des XIV. Jahrhunderts, Chil 394 – serbisch, Anfang des XV. Jahrhunderts. Die Ergebnisse des Vergleichs der Handschriften von Chilandar in der Version B haben eindeutig bewiesen, daß diese Gruppe von bulgarischen und serbischen Abschriften der Reden Isaaks eine bemerkenswerte Einheitlichkeit der Textfassung in allen Merkmalen (mit Ausnahme der Orthographie) der Version B aufweist, und zwar eine vollständige lexikalische Wort-für-Wort-Übereinstimmung sowie Identität auf morphologischem und syntaktischem Niveau. Beim Vergleich mit dem Text der Version B haben wir als „repräsentativ“ hauptsächlich die datierte
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bulgarische Handschrift aus dem Jahr 1389 benutzt (GBL/RNB), Собр. Козельской Введенской Оптиной пустыни № 462, ПС XI – XIV вв., № 552, № 553), die in der Großen Lavra des hl. Athanasios auf dem Athos angefertigt worden ist (in mühevoller Arbeit und unter Betreuung durch den Mönch Gavriil, wie am Ende der Handschrift mitgeteilt wird) und auch die früheste Miniatur mit dem Bild des hl. Isaak – als asketisches Modell (aufrecht stehend) ‒ enthält. Die andere datierte bulgarische Handschrift aus dem Jahr 1381 (TSL № 172, ПС XI – XIV вв., № 541) zeigt volle Übereinstimmung im Text mit der Abschrift aus der Großen Lavra. Die Übersetzung der Reden Isaaks in der Kölner Handschrift gehört in die Anfangsperiode der handschriftlichen Überlieferung von Version B. In dieser Hinsicht bietet ihr Text eine sichere und korrekte Darstellung der zweiten mittelbulgarischen Übersetzung. Zum Vergleich wurden auch zwei russische Handschriften herangezogen: Vilnius F 19-64, erstes Drittel des XV. Jahrhunderts (Морозова 2008: 24) ‒ leider endet der Kodex mit Rede 46 ‒ sowie MDA 109, Anfang des XVI. Jahrhunderts. Auch diese Abschrift enthält eine Miniatur mit dem Bild des hl. Isaak – dasselbe asketische Modell wie in der datierten Handschrift von 1389. Die Information, die mir A. A. Turilov über MDA 109 liebenswürdigerweise mitgeteilt hat, ist hochinteressant, weshalb ich seine Auskunft vollständig zitieren möchte: „... рукопись начала 16 в. ... Единственное, что к этому можно добавить, что ее писец – практически несомненно – прославленный каллиграф Исаак Собака (Бирев), будущий сотрудник Максима Грека, работавший и в Троице-Сергиевом монастыре. Он, похоже, вообще питал известную слабость к сочинениям своего тезки. Например, в моем родном Ярославле, в коллекции областного архива (колл. рукописных книг, № 3), есть переписанный им (атрибуция моя – см. Православная энциклопедия. М., 2011. Т.27. С.10) прекрасный список Слов Исаака Сирина чуть более позднего времени (1510-е или 1520-е), но здесь на миниатюре Исаак изображен как автор“. Die Ergebnisse aufgrund dieses Vergleichs liefern Informationen über Fehler und Korrekturen, die auf die spätere russische Tradition zurückzuführen sind. Die Zahl der Handschriften von Version A ist gering – es sind insgesamt 7 Codices (Минчева 2004: 362-363; Гранстрем, Тихомиров / Турилов 2007: 139-140, mit den Fragmenten). Vollständig und gut erhalten sind nur Chil 470 (Богдановић 1978б) und Pogod. 72 (Иванова 1981: № 61); in der Handschrift MDA 151.2, die A. N. Murav̕ev vom Athos nach Moskau mitgebracht hat, erstes Viertel des XIV. Jahrhunderts (GBL/RGB), ПС XIXIV вв., № 603; Горский, Невоструев 1859 – in der Beschreibung der Reden Isaaks unter № 131 fehlt das Ende der letzten Rede 92; die Hand-
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schrift aus den zwanziger Jahren des XIV. Jahrhunderts, Sofia NBKM 1023, zu der auch das Kiever Fragment gehört (Стоянов, Кодов 1964, Минчева 1990), fängt mit dem Ende der Rede 19 an, auch hier fehlt das Ende der Rede 92. Es ist wichtig zu unterstreichen, daß alle Handschriften der Version A auch in das XIV. Jahrhundert gehören, nachdem die Datierung von Njamc (Нямц) № 72, bulgarisch, XIV.-XV. Jahrhundert (Яцимирский 1905; Panaitescu 1959 – BAR № 139) und Wien Cod.Slav.58 (Birkfellner 1975: II/42) überzeugend korrigiert worden ist: für Njamc 72 – „не позднее XIV в.“ (Гранстрем, Тихомиров / Турилов 2007: 162-163, Fn. 28 und 29), für Wien Slav.58, XV. Jahrhundert, serbisch – nach den Wasserzeichen „рукопись датируется 1360-ми годами“ (Гранстрем, Тихомиров / Турилов 2007: 163, Fn. 36). Nicht alle Handschriften der Version A sind in gutem Zustand, unter den erhaltenen Teilen sind nicht alle Blätter gut leserlich (z.B. Sofia 1023, Wien 58). Die Mikrofilme in unserer Disposition sind bedauerlicherweise auch von ungleicher Qualität. Von MDA 151.2 und Njamc 72 standen uns keine Aufnahmen zur Verfügung. Als Hauptquelle wurde Chil 470 aus dem Jahr 1355 benutzt, aber nach Möglichkeit auch Pogod. 72, Sofia 1023 und Wien 58. Die Handschriften der Version A liefern wertvolle Informationen über die Interpretation der Bedeutung bestimmter griechischer Lexeme und Konstruktionen durch den ersten Übersetzer. Dementsprechend wurden auch die Ergebnisse dieses Vergleichs bei „dunklen“ und „schwierigen“ Stellen in der Version B in die Suche nach den passenden deutschen Äquivalenten mit einbezogen, aber nicht jeweils in Fußnoten erfaßt. Unter den vorhandenen modernen Übersetzungen der Reden Isaaks nimmt die russische Ausgabe von 1911 („издание третье, исправленное“) einen besonderen Platz ein. Sie enthält als zusätzliche Ergänzungen zum Text einige sehr nützliche Beilagen: eine vergleichende Tabelle der Reihenfolge der Reden in der russischen Übersetzung und in der griechischen Fassung nach der Edition von Theotokis 1770; Angaben über das Leben und die Schriften des hl. Isaak; ein Stellenverzeichnis der Zitate aus der Heiligen Schrift. Es ist wichtig, noch eine Eigenschaft des russischen Textes zu erwähnen: Die Reihenfolge der Reden entspricht nicht der Version von Theotokis, sondern der Anordnung in Version B, d. h. – der zweiten mittelbulgarischen Übersetzung aus dem XIV. Jahrhundert. Die Verbindung der russischen Fassung mit der älteren slavischen Überlieferung der Reden Isaaks betrifft auch den Vergleich mit der letzten kirchenslavischen Übersetzung von Paisij Veličkovskij, gedruckt im Jahr 1854, aber der Anfang dieser Arbeit liegt in der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts (Гранстрем, Тихомиров / Турилов 2007: 150). Die charakteristischen Merkmale der neuen
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Version führen zu dem Schluß, daß die Redaktion von Paisij Veličkovskij sich nicht von der zweiten Redaktion der Reden zur Askese von Isaak dem Syrer unterscheidet: „редакция Паисия Величковского не отличается от 2-й редакции Слов постнических Исаака Сирина“, „... Паисием Величковским производилось только собственно редактирование перевода с целью исправления ошибок предшествующих редакций, устранения „темных мест“, придавая ему большей ясности (для этого, в частности, брались не только примечания из издания Никифора Феотокиса, но и давались новые, написанные самим Паисием)“ (ibidem: 150,167 – Fn. 65,66,67; 171 – Fn. 114). Die erklärenden Kommentare in den Fußnoten zum russischen Text enthalten hauptsächlich Bemerkungen, die aus dieser Ausgabe übernommen worden sind, teilweise aber auch Erklärungen aufgrund der Zusätze bei Theotokis. Dazu kommen ganz wenige eigene Bemerkungen des Übersetzers und wichtige Hinweise auf die vorhandenen Übersetzungen „прямо с сирийского“ – elf Reden auf Deutsch und vier auf Latein (Предисловие I,II). Diese Angaben haben zweifellos zur Erklärung der Bedeutung des griechischen Äquivalents beigetragen. Grundsätzlich orientiert sich die Qualität der russischen Übersetzung an einer adäquaten Sinnwiedergabe des griechischen Textes. Das Ergebnis ist ein russischer Text, der leicht zu lesen ist, vom Standpunkt der Übersetzer theologisch durchdacht und mit entsprechenden Kommentaren zu „dunklen Stellen“ versehen. Diese Eigenschaften der russischen Übersetzung bieten guten Grund, die Entscheidungen bzw. Interpretationen in bezug auf die Übertragung des griechischen Textes in der Ausgabe von Theotokis ins Russische zu respektieren und als Hilfe bei der deutschen Übersetzung zu benutzen – sei es als Bestätigung für unsere Auffassung, sei es, um auf Unterschiede in der Interpretation der griechischen Vorlage aufmerksam zu machen. Auf gleiche Weise wurde von uns die englische Übersetzung aus dem Syrischen von Wensinck zum Vergleich herangezogen (Wensinck 1923). Sie liefert nützliche Hinweise auf den vermutlichen ursprünglichen (genaueren) Sinn bestimmter Formulierungen und Ausdrücke. In der Einleitung zu seiner Übersetzung geht Wensinck auf einen Vergleich der griechischen Übersetzung mit dem syrischen Text ein und bietet eine Zuordnung der Reden in der griechischen Übersetzung zur Reihenfolge der Reden im syrischen Text (nach Bedjan 1909). Von den 82 syrischen Reden haben 16 keine Entsprechung im griechischen Text, vier Reden sind nur partiell übersetzt, vier Reden der griechischen Übersetzung fehlen im syrischen Corpus. Ein Vergleich der syrischen Redentexte mit den griechischen Entsprechungen vermittelt einen Einblick in die unterschiedliche Aufteilung und
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Zusammenfassung der Texte sowie in den Umfang der von den Übersetzern ins Griechische ausgelassenen Passagen des syrischen Textes, die vornehmlich schwierige bzw. dunkle Stellen betreffen. Die mittelalterliche slavische Übersetzung der Abhandlungen Isaaks zur Askese ist als Resultat einer günstigen Verflechtung von geistigen, philologischen, sprachlichen und kulturhistorischen Umständen entstanden. Dank dieser spezifischen Eigenschaften bietet sie die einmalige Möglichkeit, Isaaks Philosophie der Askese im realen mittelalterlichen Kontext ihrer literatursprachlichen Rezeption bei den orthodoxen Slaven zu verfolgen. Aus diesem Grund legten wir Wert auf eine genaue, wenn auch keine wörtliche Wiedergabe der mittelbulgarischen Version B der Reden Isaaks des Syrers, die im XIV. Jahrhundert verfaßt worden ist. Die Fußnoten zum Text der deutschen Übersetzung enthalten ausschließlich Hinweise auf unklare Stellen in bezug auf das Verhältnis „Slavisch – Griechisch“, teilweise vergleichende Äquivalente nach der russischen Übersetzung, wo ergänzende Deutungen hinzugefügt worden sind. Es sei nochmals betont, daß die umfangreichen Ergebnisse der textologischen Arbeit mit den anderen slavischen Abschriften der Reden Isaaks grundsätzlich nicht in die Fußnoten gehören. Sie verdienen eine besondere Analyse vom Standpunkt der Übersetzungsprinzipien und der Übersetzungstechnik der Verfasser der beiden slavischen Versionen. Obwohl der textologische Kontext als Material für die Fußnoten nicht verwendet wurde, sind seine Charakteristiken berücksichtigt worden. Die Einheitlichkeit der frühesten Textzeugen der beiden Versionen (eine jede für sich genommen) hat es erlaubt, Angaben aus verschiedenen Handschriften als „Vertreter“ der entsprechenden Version anzuführen, und zwar gerade darum, weil die Kölner Handschrift als ein zuverlässiger Zeuge der Version B anzusehen ist. Was den Umfang der Handschrift betrifft, so wurde die anonyme Einführung ‒ ein typisches, im XIV. Jahrhundert verfaßtes Merkmal der Version B (Deppe 1968) ‒ von der Übersetzung ausgeschlossen. Dieser Text hat, abgesehen von der Überschrift „Über das Schweigen, die Stille und das Leben in Ruhe“, mit dem Inhalt der Reden Isaaks nichts zu tun. Zum Text in Version B gehört jedoch unbedingt das zweite kodikologische Merkmal – eine Liste der Überschriften der einzelnen Reden am Ende der Einführung in der für die Version B typischen Reihenfolge. Sie wurde hier aber nicht als Verzeichnis der Redenüberschriften der Kölner Handschrift berücksichtigt. In den Handschriften von Version A ist weder die Einführung noch ein Verzeichnis der Überschriften vorhanden. Die Idee einer deutschen Übersetzung der Abhandlungen zur Askese Isaaks des Syrers durch die Vermittlung der mittelalterlichen slavischen
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Version wurde von dem Konzept der Editionen in den Reihen „Editiones monumentorum slavicorum veteris dialecti“ und „Monumenta linguae slavicae dialecti veteris“ angeregt. Eine deutsche Übersetzung begleitet auch die hymnographischen Texte in der Edition der Gottesdienstmenäen nach slavischen Handschriften der Rus´ des XII. und XIII. Jahrhunderts in der Reihe „Patristica slavica“. In der Ausgabe der altbulgarischen Übersetzungen von wichtigen Werken der byzantinischen Kirchenväter wie das Hexaemeron (7 Bände) und des hl. Johannes von Damaskus ́̕Έκϑεσις ̓ακριβὴς τῆς ὀρϑοδόξου πίστεως (4 Bände) – in der Übersetzung des Exarchen Johannes, die Paraenesis Ephraims des Syrers (5 Bände) haben die Herausgeber R. Aitzetmüller und L. Sadnik zu jedem Text auch eine deutsche Übersetzung publiziert. Auf diese Weise zeichnen sich diese Editionen nicht nur durch ihren philologischen Wert aus, sondern erweitern den kulturhistorischen Bereich der Palaeoslavistik durch das Vermitteln von Informationen über den Inhalt dieser Texte in einer modernen Kultursprache. Zweifellos gehören die Abhandlungen Isaaks des Syrers zu den interessantesten Werken der asketischen und mystischen Philosophie des Mittelalters. Die deutsche Übersetzung (bis jetzt ist keine vollständige Übersetzung vorhanden) wird für den deutschsprachigen Leser hilfreich sein. Wir haben diesen Versuch unter großen Bedenken unternommen. Die Unsicherheit bei der Interpretation der slavischen Version ist durch den komplizierten philosophischen Inhalt des Textes und die Mängel in der Qualität des griechischen Textes bedingt. Der Gefahr, Fehler bei der Bedeutungswiedergabe von bestimmten slavischen Lexemen, Ausdrücken und Wortverbindungen als Übersetzungsäquivalente für entsprechende Einheiten in der griechischen Vorlage zu begehen, sind wir uns bewußt. Diese objektive Schwierigkeit, besonders die Folgen der indirekten (in unserem Fall zweistufigen) Übertragung des syrischen Originals der Reden teilen wir mit dem Verfasser der russischen Übersetzung (Предисловиe: II) und mit allen, die die griechische Version als Ausgangssprache für die neue Übersetzung benutzt haben. Der Autor der englischen Übersetzung aus dem Syrischen hat auch Unklarheiten bei der Deutung des syrischen Textes festgestellt (Wensinck 1923: V). Dazu möchten wir nur im Stil der mittelalterlichen Übersetzer und Kopisten sagen: Verflucht uns nicht, sondern korrigiert uns (ne klьněte nъ ispravite)! Am wichtigsten aber ist für uns selbst, daß wir im Prozeß des Übersetzens wertvolle Erkenntnisse und seelische Kraft aus der geistigen Welt des hl. Isaaks des Syrers geschöpft haben.
Vergleichende Übersicht zur Anordnung der Reden von Isaak dem Syrer in Version B (nach der Kölner Hs – K) und in Version A (nach A. Gorskij, K. Nevostruev Hs No 131, Hs MDA 151.2 – G,N) sowie im griechischen Text (nach der Ausgabe von N. Theotokis – Th) und in der englischen Übersetzung des syrischen Textes (von A. J. Wensinck – W) Version
Quelle
Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede
B K 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
A G,N 1 2 3 3 3 3 8 15 17 21 21 21 21 21 22 22
30 34.35 36
gr Th 1 30 82 83 44 45 41 43 7 75 76 77 78 79 31 32 67 84 74 80 85 47
42 55
Epistel 1 Epistel 2
82 83 84 85 86 87 60
62 63 64 65 66 33 3
syr W 1 2 3 3 3 3 9
18 18 18 18 18 22 22 25 27 28 35 35 41 42 51 51 51 51 52 53 53
B K 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
A G,N 88 89 90 61 62 63 64.65 66
gr Th 61 59 37 4 36 48 38 35
67
34 34
68 40.41 91 77 78 769 70 71 72.73 74 79 80 81 73 92 4 5 6 18 24-27 7 9
Epistel 3
69 12 8 49 50 81 19 6 71 28 20 86
syr W 55 64 58 59 60 61 62 63 65 65 66 67.68 69 70 72 73 74 77 78 79 80 82
Epistel 4
23 5 56 9 51-54 21 70
4 5 6 15 36 8 10
Übersicht zur Anordnung der Reden Version
Quelle Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede Rede
B K 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77
A G,N 10 11 12 13.14 16 19 20 23 31 32 33 37 38 39
gr Th 10 14 15 11 22 2 13 29 42.55 68 24 16 26 26 27
syr W 11 13 14 121 7 16 17 30 32 33 34 37 37 38
B K 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91
A G,N 28.29 29 50 51 52 53 54 44 45 46 47 48 49 43
XXV gr Th 46 46 17 17 72 72 18 73 39 40 57 58 60 25
syr W 39 39 40 40 43 43 44 45 47 47 48 50 50 57
ISAAK DER SYRER ‒ REDEN ZUR ASKESE
Die Überschriften der Reden Seite Rede 1 (24r-30v): Über die Entsagung und das mönchische Leben ..……… 9 Rede 2 (30v-37v): Über die Dankbarkeit gegenüber Gott. Worinnen auch die Lehre kurz dargelegt ..………………..…………………………...... 14 Rede 3 (37v-39v): Wie die Seele mühelos zur Erkenntnis der Weisheit Gottes und Seiner Werke gelangt, wenn sie sich von der Welt und den irdischen Sorgen in der Stille abwendet, weil sie dann ihre Natur begreifen kann und welche geheimen Schätze sie in sich birgt ...…….. 20 Rede 4 (39v-44v): Fragen und Antworten ……….…………………………. 21 Rede 5 (44v-49v): Über die Sinne ….………………………………………. 26 Rede 6 (49v-52r): Über die Barmherzigkeit des Herrn, derentwegen Er sich von der Höhe Seiner erhabenen Herrlichkeit zur menschlichen Schwäche herabgelassen hat .....…………………………….……………….. 30 Rede 7 (52r-55v): Über die freiwilligen und unfreiwilligen Sünden sowie die, welche aus irgendeinem Zufall begangen werden ....…………...... 32 Rede 8 (55v-62v): Über den Schutz und die Wachsamkeit vor den Schwachen und Trägen und wie vom näheren Umgang mit ihnen Trägheit und Schwäche die Herrschaft über den Menschen gewinnen und dieser von jeglicher unreinen Leidenschaft erfüllt wird, und wie man sich vor dem näheren Umgang mit Jüngeren hüten soll, damit der Geist nicht durch unzüchtige Gedanken besudelt werde ........................... 35 Rede 9 (62v-66r): Über die Ordnung und die Regel für die Neueingetretenen und was ihnen nicht zum Vorbild dienen soll ....…….……….. 41 Rede 10 (66r-67v): Erzählung von den heiligen Männern und die ehrwürdigen Reden, die er von ihnen gehört hat, und über ihren wunderbaren Lebenswandel ....…..………………………………………….. 44 Rede 11 (67v-69r): Erzählung von einem alten Mönch …………………… 45 Rede 12 (69r-70v): Erzählung von einem anderen alten Mönch …….......... 46 Rede 13 (70v-72r): Über die Anfrage eines Bruders ……...………………. 47 Rede 14 (72r-75v): Über den Tadel an einem Bruder .…………………….. 49 Rede 15 (75v-76v): Über den Unterschied (in den Formen) des Beurteilens beim Leben im Schweigen und über die Macht des Geistes und bis wann er die Macht hat, seine eigenen Regungen bei den verschiedenen Formen des Gebets in Gang zu setzen, und welche Grenze der Natur im Gebet gesetzt ist, sogar bis wann sie zuläßt, darin zu beten, denn wenn diese Grenze überschritten wird, kommt kein Gebet zustande, auch wenn das so Vollzogene dem Namen nach ein Gebet genannt wird .....…………………………….…. 52 Rede 16 (76v-83r): Vom reinen Gebet .…………….………………….…... 53 Rede 17 (83r-87r): Das Verhalten der Seele, die die tiefe (geistige) Schau sucht, um sich in diese zu versenken, weg von den fleischlichen Gedanken, die aus der Erinnerung an die stofflichen Dinge kommen .....…...…………... 59
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Isaak der Syrer – Reden zur Askese
Seite Rede 18 (87r-91v): Über dasselbe als Frage (und Antwort) .…...…..……… 62 Rede 19 (91v-93v): Darstellung und Gleichnis zum Verständnis aller Sonntage und Sonnabende ...........................………………..………….. 65 Rede 20 (93v-95r): Tägliche höchst notwendige und sehr nützliche Erinnerung für denjenigen, der in seiner Zelle sitzt und nur auf sich selbst hören will ....…………………………………...………………............ 67 Rede 21 (95r-121r): Frage(n) und Antwort(en) ………………………….... 68 Rede 22 (121r-122v): Gespräch darüber, wie der Kleinmütige Kummer des Leibes vermeiden will ...………………………………………. 89 Rede 23 (122v-127r): Sendschreiben, gerichtet an einen Bruder, der das Leben im Schweigen liebt ...……………………………….…………..... 90 Rede 24 (127r-128r): Antwort an einen natürlichen und geistigen Bruder, der ihn (Isaak) in Briefen bedrängte und anflehte, zu ihm, der in der Welt lebte, zu kommen, und ihn zu sehen hoffte .....……………… 94 Rede 25 (128r-134v): Über die drei Formen des Wissens und den Unterschied in ihrem Wirken und ihren Einsichten und vom Glauben der Seele und dem in ihr verborgenen Reichtum und wie sehr sich das Wissen dieser Welt in seinen Formen von der Einfachheit des Glaubens unterscheidet ....………...……………………………….......... 95 Rede 26 (134v-137v): Die erste Stufe des Wissens ..………...…….……..... 100 Rede 27 (137r-138r): Die zweite Stufe des Wissens .…………….……….. 102 Rede 28 (138r-141r): Die dritte Stufe des Wissens, die die Stufe der Vollkommenheit ist ....………………………………………………............. 102 Rede 29 (141r-142r): Abermals kurzes Kapitel über andere gedankliche Formen zu den Unterschieden des Wissens ....………………… 105 Rede 30 (142r-147v): Über die Form des Gebets und von anderen Dingen, nach denen man der ständigen Erinnerung wegen trachten sollte und die in vielem nützlich sind, sofern jemand, der dies mit Urteilsvermögen liest, es bewahrt .....……………………………………….. 106 Rede 31 (147v-151r): Über das Einsiedlerdasein und wie man nicht Angst und Schrecken empfinden soll, sondern wie man sein Herz in der Hoffnung auf Gott bestärken und mutig sein muß durch einen unerschütterlichen Glauben als Menschen, die Gott zu ihrem Behüter und Bewahrer haben ....………………….…………………………. 111 Rede 32 (151r-153v): Wodurch wird die geistige Nüchternheit im Innern der Seele bewahrt, und woher kommen Schlaf und Kälte in den Sinn und löschen dort die heilige Glut in der Seele und töten das Verlangen nach Gott ab, das vom Eifer für das Geistige und Himmlische kommt ....………………………………………………….………….. 113 Rede 33 (153v-154v): Über viele Veränderungen, die dem Geist folgen und durch das Gebet geprüft werden ....…….……………………...... 116
Überschriften der Reden
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Seite Rede 34 (155r-157r): Über diejenigen, welche in der Nähe Gottes leben und in einem Leben des Wissens ihre Tage verbringen .......………….. 117 Rede 35 (157r-159v): Ein überaus nützliches Wort über die Liebe zur Welt ......………………………………………………………………...... 119 Rede 36 (159v-162v): Darüber, daß man nicht ohne Not wünschen oder verlangen soll, einige sichtbare Zeichen in Händen zu haben .......…….. 121 Rede 37 (162v-164v): Aus welchen Gründen Gott Prüfungen derjenigen zuläßt, die Ihn lieben .......……………………………………….…...... 123 Rede 38 (164v-169r): Wie man durch die Gedanken, die einen Menschen bewegen, erkennen kann, auf welcher Stufe er steht ......……........ 125 Rede 39 (169r-172r): Warum die mit einer Seele ausgestatteten Menschen in ihrem Erkenntnisvermögen geistige Dinge in Abhängigkeit von ihrer leiblichen groben Beschaffenheit sehen und wie sich ihr Geist darüber erheben kann und wann und wie der Geist ohne Träumerei während des (Gebets-)Dienstes sein kann .....….….……….. 128 Rede 40 (172r-175r): Worte über das Gebet und die Verneigung(en), Tränen, Lesung, Schweigen, Psalmodieren und abermals die Reue ....……… 131 Rede 41 (175r-179v): Über das Schweigen ..………………………………. 133 Rede 42 (180r-184v): Schreiben an einen von ihm (Isaak) geliebten (Menschen), in dem er ihn über die Geheimnisse des zurückgezogenen Lebens im Schweigen belehrt, und wie viele, da sie diese nicht kennen, dieses wunderbare Tun vernachlässigen, und wie viele aufgrund der Übernahme des unter den Mönchen Gewohnten am Leben in ihrer Zelle festhalten, sowie mit einer kurzen Zusammenfassung, die zu dem Bericht über das zurückgezogene Leben im Schweigen gehört ……........................... 137 Rede 43 (184v-188v): Übungen und Erläuterung in den Zeugnissen zu verschiedenen Erkenntnissen und welcher Nutzen in einer jeden derselben enthalten ist ....………..…………………………………………… 141 Rede 44 (189r-192r): Darüber, wie der Vernünftige in der Zurückgezogenheit im Schweigen leben soll ......…………………………………… 144 Rede 45 (192r-196r): Von der Ordnung der feinen Unterscheidung ...……. 147 Rede 46 (196r-202r): Über die wahre Erkenntnis und über die Versuchungen und darüber, daß man sicher wissen muß, daß nicht nur bei einigen geringen und schwachen und ungebildeten (Menschen), sondern auch bei solchen, die lange der Leidenschaftslosigkeit gewürdigt wurden und Vollkommenheit in ihrem Denken erlangt haben und zum Teil der mit dem Absterben verbundenen Reinheit nahe gewesen sind, Versusuchungen aus Erbarmen wegen des Verfallens in den Hochmut zugelassen sind ......…………...……………………............................................... 150 Rede 47 (202r-206r): Der Sinn dieses Kapitels mit den darin ausgesprochenen Gedanken ......…………………………………………..……….. 155
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Isaak der Syrer – Reden zur Askese
Seite Rede 48 (206r-214r): Über die Verschiedenheit der Tugenden und die Vollkommenheit des ganzen Weges, über die Größe der Barmherzigkeit und die Liebe zu den Menschen nach dem geistigen Bild, das alle Heiligen vervollkommnet hat, durch das ihnen eine Gottähnlichkeit zuteil wurde, die in Seiner reichen Liebe über alle Menschensöhne ausgegossen wurde .......……………………………................................................. 158 Rede 49 (214r-223r): Ein Kapitel voll des Lebens. Über den Glauben und die Demut ......…………………………………………………..….......... 164 Rede 50 (223r-224r): Über den Nutzen der Flucht vor der Welt ...................172 Rede 51 (224r-228v): Darüber, wodurch man eine Änderung seiner verborgenen Gedanken nach einer Änderung des äußeren Lebenswandels erreichen kann ....................………………………………………….………. 172 Rede 52 (228v-230v): Über das nächtliche Wachen und seine verschiedenen Formen .............………………………………………………………. 176 Rede 53 (230v-236r): Darüber, welche Würde die Demut besitzt und in welch hohem Range sie steht .....…………………………………..……… 178 Rede 54 (236r-238v): Fragen und Antworten ......………………………….. 182 Rede 55 (238v-270v): Schreiben an unseren ehrwürdigen Vater Simeon, den Wundertäter aus Kaisareia ...................…………………….………........ 184 Rede 56 (270v-284v): Von der Entsagung und vom Einsiedlerdasein .......... 210 Rede 57 (284r-298r): Gespräch über die Entfernung aus der Welt und alles, was den Geist verwirrt ....……………………………………........ 220 Rede 58 (298r-309v): Gespräch darüber, auf wie nützliche Weise Gott zuließ, daß die Seele empfänglich für die Leidenschaften ist ................. 231 Rede 59 (309v-311v): Über die Ordnung der mönchischen Lebensweise in knapper Fassung und die Unterschiede, wie und auf welche Weise die Tugenden eine aus der anderen hervorgehen ...............……….………… 241 Rede 60 (311v-320r): Über die unterschiedlichen Arten des Kampfes, den der Teufel gegen diejenigen führt, die auf dem engen Pfad schreiten, der über der Welt steht .....................……………….……………...………… 242 Rede 61 (320r-324r): Kapitel, welches darüber belehrt, was dem Menschen nützlich ist, um sich Gott in seinem Herzen zu nähern, und was die Ursache ist, die ihm verborgen Hilfe bringt, und was wiederum der Grund ist, der Menschen wieder zur Demut führt ....………… 249 Rede 62 (324r-326v): Von den Worten der gotterfüllten Schrift, die zur Reue auffordern und über die menschliche Schwäche gesagt worden sind, damit sie (die Menschen) nicht (durch Abfall) vergehen vor dem lebendigen Gott, und daß es nicht rechtens wäre, diese als Anlaß zu sündigen aufzufassen ....................................……….……………………….. 252 Rede 63 (326v-328r): Wodurch die Schönheit des mönchischen Lebenswandels bewahrt wird und über die (rechte) Form der Lobpreisung Gottes ... 255
Überschriften der Reden
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Seite Rede 64 (328r-329r): Von der Veränderung und der Wandelbarkeit, die bei jenen vorkommt, die auf dem Wege des von Gott bestimmten (Lebens im) Schweigen wandeln. Denn es ereignen sich Trauer und seelische Bedrückung und plötzliche Freude und eine ungewöhnliche Glut. Gepriesen sei Der, Der unsere Wege lenkt. Amen .....………………… 256 Rede 65 (329r-330v): Von den in der Zurückgezogenheit Lebenden, wann sie zu begreifen beginnen, wo sie durch ihre Werke angelangt sind in dem unüberschreitbaren Meer, das heißt in dem Leben im Schweigen, und wann sie ein wenig hoffen können, daß ihre Mühen angefangen haben, ihnen Früchte zu tragen ....……………………………… 257 Rede 66 (330v-332v): Darüber, daß ein Diener Gottes, der arm geworden ist an weltlichen Dingen und ausgezogen ist, um Ihn zu suchen, nicht aufhören darf mit seinem Suchen aus Angst vor dem Nichterreichen der Wahrheit und nicht erkalten darf in seinem Eifer, der aus Liebe zu den göttlichen Dingen und der Erforschung ihrer Geheimnisse entfacht wird, denn auf solche Weise wurde dem Geist die Vermischung mit der Erinnerung an die Leidenschaften zugefügt .................…………….. 258 Rede 67 (332v-336r): Über die Formen der Hoffnung auf Gott und wer auf Gott hoffen soll und wer unvernünftig und unüberlegt hofft ..............260 Rede 68 (336r-339r): Von der Absage an die Welt und von der Zurückhaltung im freimütigen Zugehen auf die Menschen .....…………....... 263 Rede 69 (339r-341v): Wie bekömmlich es für die Einsiedler ist, frei von Sorgen zu sein, und wie das Kommen und Gehen schädlich sind ........................…...…..…...…..…...…..…...…..…...…..…...…..…...…. 265 Rede 70 (341v-345v): Von den Wegen, die die Annäherung an Gott bewirken und dem Menschen durch die süßen Werke des nächtlichen Wachens offenbart werden, und wie diejenigen, welche ein solches Leben führen, alle Tage ihres Lebens sich an Honig erlaben ..................…… 267 Rede 71 (345v-351r): Von der Kraft der Wirkung der Übel der Sünde, woraus sie bestehen und wodurch sie ihr Ende finden ...…............... 270 Rede 72 (351r-352v): Von der Bewahrung des Herzens und der sehr feinen Form der Betrachtung .....……………………………….…................. 274 Rede 73 (352v-353v): Ein Zeichen für die Wirkung der Liebe zu Gott ........ 275 Rede 74 (353v-355v): Von den Arten der Tugenden und dergleichen .......... 276 Rede 75 (355v-363v): Vom reichlichen Fasten und der (inneren) Sammlung an einem Ort und was dies bewirkt und wie er (Isaak) durch Kenntnis der Unterscheidung im Tun von diesem und ähnlichem sicher belehrt wurde .....…………………….………….……….......... 278 Rede 76 (363v-364r): Vom Schweigen und dem zurückgezogenen Leben im Schweigen .....……………………………………………..…........ 284 Rede 77 (364r-366v): Von der Regung des Leibes ..……………….…........ 284
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Isaak der Syrer – Reden zur Askese
Seite Rede 78 (366v-370r): Von den Arten der verschiedenen Versuchungen und welche Köstlichkeit jene beinhalten, die um der Wahrheit willen geschehen und ertragen werden, und die Stufen und die Ordnung, in welcher der Mensch klüglich voranschreitet ....…………………………….. 286 Rede 79 (370r-372r): Von der Überheblichkeit .……………………..….... 289 Rede 80 (373v-375r): Erläuterung der Arten von Tugenden, worin die Stärke einer jeden besteht und worin sie sich unterscheiden .....……....... 291 Rede 81 (375r-375v): Von der Reinigung des Leibes, der Seele und des Geistes. Über den Glauben .....…...……………………………….…….. 293 Rede 82 (375v-376r): Hilfreiche Worte und nützliche Dinge voller Weisheit des Heiligen Geistes .....…………………………………….…….. 294 Rede 83 (376r-378r): Über die Reue ..……………...…………………....... 294 Rede 84 (378r-380v): Wie groß das Maß des Wissens und das Maß des Glaubens ist .....……………………………………..…………………... 296 Rede 85 (380v-389r): Gewissenhafte und nützliche Worte, in Liebe jenen gesagt, die ihm (Isaak) in Demut zuhören .....…...………….………… 298 Rede 86 (389r-390v): Von der engelgleichen Regung, die durch die göttliche Vorsehung zum geistigen Wachstum der Seele in uns (auf)geweckt wird .....…………………………………………….…...…...... 305 Rede 87 (390v-391v): Über das zweite Handeln im Menschen .….……...... 306 Rede 88 (391v-393r): Über die allzeit in der Seele ablaufende Veränderung von Licht und Dunkel und den Zwang (der Entscheidung) zur Rechten und zur Linken ...………………………………...……… 307 Rede 89 (393r-400v): Kurze Kapitel, die verschiedene Gedanken enthalten, in denen er (Isaak) über den Schaden törichten Eifers belehrt, der gleichsam aus Gottesfurcht geschieht, und die Hilfe, die von der Milde kommt; und anderes. Gott gebe Seinen Segen ..………… 308 Rede 90 (400v-405r): Über die unwillkürlichen bösen Gedanken aus der diesen vorausgegangenen Auflösung (in) der Sorglosigkeit hervorgehen ...... 315 Rede 91 (405r-407v): Über die Geduld aus Liebe zu Gott und wie man seinen Schutz daraus bezieht .…………………………………….……. 318
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Rede 1
24r Reden zur Askese unseres unter die Heiligen aufgenommenen Vaters Isaak des Syrers, Asketen und Einsiedlers, gewesenen Bischofs in der christusliebenden Stadt Ninive, niedergeschrieben zwar von ihm in seiner eigenen Sprache, jedoch übersetzt von den weisheitsliebenden Männern und Anachoreten unseren ehrwürdigen Vätern Abba Patrikij und Abba Avramij, die sich in das Anachoretenkloster unseres unter die Heiligen aufgenommenen Vaters Sava zurückgezogen haben. Und so ist die Form dieser hier vorliegenden Reden (entstanden), und sie sind überaus nützlich, heilsam und förderlich. Segne mich, Vater! Rede 1 (24r – 30v) Über die Entsagung und das mönchische Leben Die Furcht Gottes ist der Anfang der Tugend. Man sagt, dies sei die Geburt des Glaubens und werde ins Herz gesät, wenn sich das Denken vom Lärm der Welt löst, um seine vom Umherschweifen irrenden Gedanken auf die Betrachtung der künftigen Ordnung zu legen. Um einen Grund für die Tugend zu legen, ist nichts besser geeignet, als sich | 24v von den wandelbaren Dingen (des Lebens) fernzuhalten und im Gesetz und Wort des Lichtes der rechten und geheiligten Pfade zu verharren, die der Psalmist, vom Geist erleuchtet, gewiesen und benannt hat [Ps 23,3 und 119,35]. Man wird kaum einen Menschen finden, der imstande wäre, Ehre zu ertragen, und vielleicht findet er sich überhaupt nicht, und dies wegen der schnellen Empfänglichkeit für Veränderungen, wie ein anderer sagen wird, und selbst dann nicht, wenn einer engelgleichen Wandels wäre. Der Anfang des Weges zum Leben besteht darin, beständig den Verstand durch die göttlichen Worte zu unterweisen und ein Leben in Armut zu führen. Denn von dem einen sich zu laben, befördert die Vervollkommnung in dem anderen. Was bedeutet, wenn man sich an der Betrachtung der göttlichen Worte labt, hilft es dir, in der Förderung eines Lebens in Armut voranzukommen. Die Förderung in der Genügsamkeit aber wird dir darin eine Übung sein, in der Betrachtung der göttlichen Worte fortzuschreiten. Die Hilfe von diesen beiden aber wird zur baldigen Errichtung eines jeglichen Gebäudes von Tugenden beitragen. Denn niemand kann Gott näherkommen, es sei denn er halte sich von der Welt fern. Mit dieser Entfernung aber meine ich nicht ein Verlassen des Leibes, sondern das der Welt der Dinge. Denn darin besteht die Tugend, daß man aus seinem Denken || 25r die Welt verbannt. Das Herz kann keine Ruhe finden und ohne Träumen sein, solange Empfindungen darin weiterwirken. Weder verlieren die Leidenschaften des Leibes an Kraft, noch verschwinden die bösen Gedanken ohne (ein Leben in) Zurückgezogenheit. Denn solange die Seele nicht volles Genügen im Glauben an Gott erlangt, indem sie die
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Isaak der Syrer – Reden zur Askese
Kraft seiner (des Glaubens) Empfindungen übernimmt, wird sie weder die Kraftlosigkeit der Sinne heilen, noch wird sie mit Gewalt die sichtbare Materie niedertreten können, die ein Zaun vor ihrem Inneren ist, und sie begreift nicht die von der Vernunft bewirkte Geburt des freien Willens. Und die Frucht von beidem ist das Abweichen. Ohne das Erste kann es das Zweite nicht geben. Wo aber das Zweite zur Besonnenheit gebracht wird, da ist das Dritte wie mit einem Zaum gebunden. Wird aber in einem Menschen die Gnade vermehrt, dann wird ihm aus Liebe zur Gerechtigkeit die Furcht vor dem Tode mit Leichtigkeit verächtlich sein, und er findet viele Gründe in seiner Seele dafür, daß es ihm ziemt, in der Furcht Gottes Bedrängnisse zu erdulden. Und was auch immer dem Körper vermeintlich schadet und plötzlich die Natur überkommt und folglich | 25v zum Leiden führen muß, wird gleich nichts in seinen Augen gelten im Vergleich mit dem von nun an Erhofften. Ohne die Versuchungen zuzulassen, ist es uns nicht möglich, die Wahrheit zu erkennen. Ein sicheres Zeugnis dafür erlangt man in dem Gedanken daran, wie groß die Vorsehung Gottes für die Menschen ist und daß es keinen Menschen gibt, der nicht unter Seiner Vorsehung stünde. Und besonders bei denen, die ausgezogen sind, Ihn zu suchen, und die Leiden ertragen um Seinetwillen ist dies wie mit einem Fingerzeig deutlich zu erkennen. Mehrt sich aber der Verlust an Gnade im Menschen, dann wird sich alles Gesagte beinahe ins Gegenteil gekehrt finden, und sein Wissen wird, weil es auf Untersuchung beruht, größer als sein Glaube sein, und er wird nicht in jeder Sache Vertrauen auf Gott erfahren. Und dergestalt gilt auch nicht die göttliche Vorsehung für d(ies)en Menschen, vielmehr ist ein solcher darin (wie) ein von den im Dunkeln ihre Pfeile abschießenden Häschern oft Gejagter [Ps 11,2]. Der Anfang des wahren Lebens für den Menschen ist die Furcht Gottes. Und diese duldet nicht das gleichzeitige Umherschweifen von etwas anderem in der Seele, denn das Herz wird, wenn es den Sinnen dient, von der Süßigkeit, die von Gott kommt, abgewendet, || 26r weil das, was im Inneren der Gedanken ist, wie man sagt, durch die Sinne in dem Wahrnehmungsvermögen gefesselt wird, das jenen dient. Der Zweifel des Herzens versetzt die Seele in Angst. Hingegen kann der Glaube, auch wenn die Glieder abgehauen wären, den Willen stark machen. In dem Maße, in dem die Fleischesliebe Gewalt über dich hat, kannst du auch nicht mutig und unverzagt sein wegen der vielen Widerstände, die das, was du liebst, umgeben. Wer nach Ehre verlangt, kann sich nicht von den Ursachen für Kümmernisse freimachen. Denn es gibt keinen Menschen, der nicht in seinem Denken bei einer Veränderung der Dinge eine Änderung gegenüber der anstehenden Sache erlangte. Wenn aus dem Begehren, wie es heißt, die Empfindungen entspringen, dann mögen diejenigen schweigen, die verkün-
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den, sie würden auch inmitten von Sorgen den Frieden ihres Gemütes bewahren. Keusch ist nicht, wer behauptet, daß unter Mühsal und während Kampf und Heldentat schlechte Gedanken von ihm abließen, sondern wer durch die Wahrhaftigkeit seines Herzens das Gepräge seines Geistes läutert, so daß er nicht schamlos mit schmutzigen Gedanken aufblicken kann. | 26v Und während die Reinheit seines Gewissens durch den Blick seiner treuen Augen bezeugt wird, gleicht die Scham einem Vorhang vor dem verborgenen Reigen seiner Gedanken. Und wie eine keusche Jungfrau wird seine Reinheit durch den Glauben an Christus bewahrt. Nichts ist so geeignet, eine von der Seele angenommene (Neigung zur) Unzucht abzuweisen und im Fleische aufstehende Regungen der Erinnerungen zu vertreiben, die eine verwirrende Flamme entfachen, wie das Versenken in die Liebe zur Lehre und das Eindringen in die Tiefe der Gedanken der gotterfüllten Schriften. Wenn sich die Gedanken in Wonne versenken, indem sie der in den Worten liegenden verborgenen Weisheit nachgehen, klärt sich dank der ihr innewohnenden Kraft die Erleuchtung, und der Mensch läßt die Welt hinter sich zurück, und er vergißt alles, was in ihr ist. Und alle erinnerten Bilder, die wirksam sind in der stofflichen Vorstellung der Welt, tilgt er aus seiner Seele und oft aus dem Bedürfnis der Gedanken, die wie gewohnt die Natur besuchen. Und die Seele selbst verharrt in Entzücken ob der neuen Dinge, || 27r die aus dem Meer der Geheimnisse der Schrift auf sie zukommen. Und wiederum ‒ wenn der Verstand auf der Oberfläche der Wasser schwimmt, das heißt des Meeres der gotterfüllten Schriften, und nicht seine Gedanken in die ganze Tiefe versenken kann, um alle Schätze zu schauen, die tief darin enthalten sind, so vermag schon dieses Nachsinnen kraft seiner Liebe seine Gedanken einzig durch den Gedanken an dies Wunderbare so kräftig zu fesseln, daß sie gehindert werden, zur körperlichen Natur zu streben, wie einer der Gott im Herzen Tragenden gesagt hat, denn das Herz ist schwach und kann nicht die Erbitterung ertragen, die aus inneren und äußeren Kämpfen kommt. Und ihr wißt, wie belastend ein böser Gedanke ist. Und wenn das Herz nicht durch die Erkenntnis Befreiung erlangt, kann es die Verwirrung durch das Streben des Leibes nicht ertragen. Und so wie sich die Schwere des Gewichtes auf den Ausschlag der Spitze des Waagebalkens im Schwanken des Windes auswirkt, gilt dies für die Schamhaftigkeit und die Furcht im Schwanken des Geistes. Und dementsprechend ist die Abnahme von Furcht und Schamhaftigkeit Ursache dafür, daß der Geist ewig umherschweifen muß, und von daher | 27v kommt es, daß so wie der freie Wille nach dem Maße der Entfernung der Furcht aus der Seele der Waagebalken des Geistes hierhin und dahin schwankt. Und weiterhin ‒ so wie der Waagebalken, wenn die Waagschalen von schwerem Gewicht belastet sind, nicht
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Isaak der Syrer – Reden zur Askese
leicht vom Wehen des Windes ins Schwanken gerät, so verhält sich auch der (menschliche) Geist, der, mit Gottesfurcht und Scham befrachtet, nicht leicht verführt wird von dem, was ihn zum Schwanken bringen will. Und je mehr im Geiste die Furcht abnimmt, um so anfälliger wird er für Verführung und Veränderung. Die Klugheit aber gebietet demnach, als Grundlage deines Lebenswandels die Gottesfurcht zu wählen, und du wirst dich binnen weniger Tage ohne Umweg an den Toren des Himmelreiches befinden. Bei allem, was dir in den Schriften begegnet, erforsche die Absicht des Wortes, um dich versenken und mit großem Verständnis die Tiefe der Gedanken der Heiligen betrachten zu können. Diejenigen, die in ihrem Leben durch göttliche Gnade zur Erleuchtung angeleitet werden, spüren beständig, wie sich gleichsam ein geistiger Lichtstrahl durch die Verse der Schriften zieht und dem Verstand die einfachen Worte von jenen Dingen deutet, || 28r die in erhabenem Denken aus der Erkenntnis der Seele gesprochen sind. Wenn ein Mensch in den gewaltigen Versen achtlos liest, dann wird auch sein Herz achtlos, und durch die heilige Kraft erlischt in ihm, was dem Herzen in der wunderbaren Erkenntnis der Seele süßen Genuß bereitet. Ein jedes Ding zieht es für gewöhnlich zu dem, was ihm verwandt ist. Und die Seele, die Anteil am (Heiligen) Geist hat, wird, wenn sie ein Wort vernimmt, das eine verborgene geistige Kraft enthält, mit Feuereifer ihre eigene Sache an sich ziehen. Nicht bei jedem Menschen bewirkt Staunen, was geistig gesagt worden ist und eine geheime gewaltige Kraft in sich birgt. Die Rede von der Tugend erheischt ein Herz, das sich frei gemacht hat von der Erde und der Teilnahme an ihr. Der Sinn eines Menschen, dessen Herz sich in der Sorge um Vergängliches abmüht, wird durch Berichte über die Tugend nicht dahin gelenkt, daß er sie zu lieben und zu erlangen trachtet. Die Befreiung von der stofflichen Welt geht seinsmäßig dem Bündnis mit Gott voraus, wenn auch oftmals bei manch einem nach der Heilsordnung der Gnade dieses dem ersteren vorausgeht, | 28v gleichwie (eine) Liebe eine (andere) Liebe überlagert. Die gewöhnliche Heilsordnung ist anders als die allgemeine menschliche Ordnung. Du aber beachte die allgemeine Ordnung. Wenn dir die Gnade zuvorkommt, dann ist dies deren Sache. Wenn aber nicht, dann gehe auf dem Weg aller Menschen, den diese gegangen sind, ihnen in der Übernahme (der Gnade) nachfolgend erhebe dich auf die geistige Säule. Alles was durch die (innere) Schau zu vollbringen und das darauf bezügliche Gebot zu erfüllen ist, ist mit den leiblichen Augen überhaupt nicht zu sehen. Und alles was tätig zu vollbringen ist, ist ein Zusammengesetztes, da das Gebot, das nur eines ist, nämlich das Tun, im Hinblick auf das Körperliche und das Unkörperliche beides verlangt ‒ das Schauen und das Tun, die Verbindung von beidem aber das Eine ist. Die um die Reinigung bemühten Werke hemmen
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nicht das Gefühl der Erinnerung an die vergangenen Verfehlungen, doch sie erhalten das Schmerzliche dieser Erinnerung durch den Verstand, damit von nun an, was aus der Erinnerung vorüberzieht, dem Verstand von Nutzen sei. Und die Begierde der Seele nach dem Erlangen der Tugend übersteigt den Anteil des sichtbaren Verlangens || 29r des an sie gebundenen Leibes. Eine jede Sache ziert das rechte Maß. Ohne das rechte Maß wird selbst das, was ein Gutes dünkt, sich in einen Schaden verkehren. Willst du dich Gott in deinem Geiste verbinden, das Gefühl jener Wonne erlangen, das keinen (anderen) Gefühlen unterworfen ist, dann folge der Barmherzigkeit. Kommt diese in dir zum Vorschein, dann bekommt in dir auch jenes heilige Schöne Gestalt, dem du dich angepaßt hast. Das gesamte Werk der Barmherzigkeit bewirkt alsbald die Vereinigung der Seele mit dem Ruhm der strahlenden Herrlichkeit der Gottheit. Die geistige Vereinigung ist ein unversiegeltes (freies) Eingedenken, das mit heißer Liebe untrennbar im Herzen lodert, in dem es vom Festhalten an den Geboten weder aus Gründen der Nützlichkeit noch der Natürlichkeit die Kraft zu dem Bund empfängt. Denn dort findet sie den Stoff in der seelischen Schau, durch den sie nachhaltig gefestigt wird. Deshalb gerät das Herz in Staunen, so daß es die Augen vor deren beider Wahrnehmungen verschließt: den leiblichen | 29v und den seelischen. Es gibt keinen anderen Pfad zur geistigen Liebe, die das unsichtbare Bild (Gottes) erstehen läßt, wenn der Mensch nicht zunächst beginnt barmherzig zu sein, wie unser Herr gesagt hat. Denn dieser hat denen, die auf Ihn hören, aufgetragen, dies als Grund zur Vollkommenheit des Vaters zu legen [Lk 6,36; Mt 5,48]. Ein mit Taten gepaartes Wort ist das eine, und ein anderes das (bloße) schöne Wort. Ohne Erfahrung in den Dingen versteht die Klugheit, ihre Worte zu schmücken und die Wahrheit zu verkünden, ohne diese zu kennen, und sich über die Tugend zu äußern, obwohl der Mensch selbst (noch) nie einen Versuch in deren Ausübung gemacht hat. Das Wort (indessen), das von der Tat stammt, ist eine Schatzkammer der Hoffnung, wogegen die untätige Klugheit eine Schatzkammer der Beschämung ist. Denn so wie ein Künstler, der Wasser auf den Wänden darstellt und mit diesem Wasser seinen Durst nicht stillen kann, und wie ein Mensch, der schöne Träume sieht, ist das müßige Wort. Wer von der im eigenen Tun erprobten Tugend spricht, kann sie dem Zuhörer so vermitteln wie jemand, der vom Reichtum seines Besitzes austeilt, und wie aus dem von ihm selbst Erworbenen sät er Belehrung in die Ohren seiner Zuhörer, || 30r und voll Zuversicht öffnet er seinen Mund vor seinen geistigen Kindern, so wie der greise Jakob zum keuschen Joseph sprach: Ich habe dir ein Stück Land vor deinen Brüdern gegeben, denn ich habe es mit meinem Schwert und meinem Bogen von den Amoritern genommen [Gen 48,22]. Jeder Mensch, der einen unreinen Le-
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benswandel führt, liebt dieses vergängliche Leben. An zweiter Stelle nach diesem steht, wer der Einsicht ermangelt. Jemand hat treffend gesagt, daß die Furcht vor dem Tod den von seinem Gewissen getadelten Mann bekümmert. Wer aber ein gutes Zeugnis in sich trägt, wünscht sich den Tod als das Leben. Daher halte den nicht für weise und wahrhaftig, der um dieses Lebens willen sein Denken der Angst und Furcht unterworfen hat. Alles Gute und jedes Übel, das dem Fleische widerfährt, sieh als ein Traumgebilde an. Denn nicht nur im Tod wirst du davon befreit werden, sondern oft genug lassen sie (schon) vor dem Tode von dir ab und entfernen sich. Wenn aber etwas davon ein Gemeinsames in deiner Seele findet, dann sieh darin deinen eigenen Gewinn in diesem Leben, | 30v und es wird (auch) in dein zukünftiges Leben mit dir hinübergehen. Und so dies etwas Gutes ist, freue dich und danke Gott in deinem Gemüte. Ist es aber etwas Schlechtes, dann trauere und seufze und trachte danach, dich davon zu befreien, solange du noch im Leibe weilst. Halte daran fest, daß bei allem Guten, das in dir in Gedanken und verborgen geschieht, die Taufe und der Glaube Mittler dazu sind, denn in ihnen wurdest du von unserem Herrn Jesus Christus zu Seinen guten Werken berufen. Mit dem Vater und dem Heiligen Geist sei Ihm Ruhm, Ehre und Dank und Anbetung in Ewigkeit. Amen. Rede 2 (30v – 37v) Über die Dankbarkeit gegenüber Gott. Worinnen auch die Lehre kurz dargelegt Der Dank des Empfangenden bewegt den Gebenden zu noch größeren Gaben als die zuerst gegebenen. Wer aber nicht dankbar im Kleinen ist, der ist auch im Großen falsch und nicht rechtschaffen. Der Kranke, der seine Krankheit kennt, muß Behandlung suchen. Bekennt er sich aber zu seinem Schmerz, dann nähert er sich seiner Gesundheit und wird diese leicht erlangen. Einem harten Herzen mehren sich die Schmerzen, und für jene Kranken, die sich dem Arzt widersetzen, || 31r nimmt das Leiden überhand. Es gibt keine Sünde, die nicht vergeben wird, es sei denn, sie bliebe unbereut. Und es gibt keine Gabe ohne Zugabe, es sei denn, sie bliebe ohne Dank. Der Rang des Toren ist gering in seinen Augen. Sei stets derjenigen eingedenk, die dich an Tugend übertreffen, um dich selbst immer als einen hinter ihrem Maß Zurückgebliebenen zu sehen, und halte dir stets die so schweren Bedrängnisse jener vor Augen, die gekränkt und gequält worden sind, damit du einen angemessenen Dank abstattest für die kleinen und kümmerlichen Sorgen, die du bei dir selber findest und die du freudig ertragen kannst. Zu Zeiten deiner Erschöpfung nach dem Kampf und Schwäche und Trägheit, wenn du vom Widersacher gefesselt und in höchst schmerzlicher Pein und schwe-
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rem Sündendienst gehalten bist, blicke in deinem Herzen auf deinen Eifer der ersten Zeit und wie du selbst um die kleinsten Dinge besorgt warst und welch Bemühen du gezeigt hast und welcher Eifer dich jenen gegenüber erfaßt hatte, die sich dir in den Weg stellen wollten. | 31v Gedenke zudem der Seufzer, die du ob deiner Verfehlungen ausgestoßen hast, die dich wegen deiner Trägheit überkamen, und wie du in allen diesen Fällen den Siegeskranz empfangen hast. Denn durch solcherlei und ähnliche Erinnerungen wird deine Seele gleichsam wie aus der Tiefe auferweckt und mit der Flamme des Eifers bekleidet, und wie von den Toten wird sie aus ihrem Untergang auferstehen, und sie wird sich erheben und in heißem Kampf gegen den Teufel und die Sünde in ihren vormaligen Stand zurückkehren. Gedenke des Sturzes der Starken, und du wirst in deinem tugendhaften Leben demütig bleiben. Erinnere dich an die schweren Sündenfälle jener, die früher einmal gefallen waren und Reue übten, und an die Erhöhung und Ehre, deren sie hernach gewürdigt wurden, und du wirst den Mut zur eigenen Reue haben. Verfolge dich selbst, und dein Feind wird von deiner Annäherung vertrieben werden. Finde Frieden in dir selbst, so werden Himmel und Erde ihren Frieden mit dir schließen. Bemühe dich, in das (verborgene) Zelt einzutreten, das in dir selber ist, und du wirst das himmlische Zelt erblicken, denn dieses und jenes sind ein und dasselbe, und mit einem Eintreten || 32r erblickst du beide. Die Leiter zu jenem Reich ist in dir, verborgen in deiner Seele. Wasche dich selbst in dir von der Sünde rein, und du wirst dort einen Zugang nach oben finden, der dir aufzusteigen ermöglicht. Die (Heilige) Schrift hat uns nicht gesagt, was die Dinge der künftigen Welt sind. Wie wir aber eine Empfindung von jener Köstlichkeit von hier aus ohne Veränderung (unserer) Natur und Auszug aus dieser Welt erlangen, hat sie uns leicht faßlich gelehrt, wenn sie uns dies auch unter den Namen von ersehnten und erhabenen Dingen, die uns kostbar und ehrwürdig sind, dargestellt hat, um uns zur Liebe jener (zukünftigen) Dinge anzuhalten. Wenn es jedoch heißt: Was kein Auge gesehen und was kein Ohr gehört hat [1 Kor 2,9] und so weiter, so hat sie uns doch hierüber unterrichtet, daß die künftigen Wonnen unbegreiflich sind und keine Ähnlichkeit mit jenen dieser Welt besitzen. Die geistige Köstlichkeit gleicht nicht dem (künftig) zu erlangenden Genuß von Dingen, die außerhalb der Seele der Empfangenden für sich als Ganzes bestehen. Wenn dem nicht so wäre, dann müßte es (nach den Aussagen) „das Himmelreich ist in euch“ [Lk 17,21] (und) „dein Reich komme“ [Mt 6,10] bedeuten, daß wir in uns einen Vorrat an sinnlich wahrnehmbaren Dingen als Unterpfand | 32v der in diesem enthaltenen Köstlichkeit erworben haben. Denn das Erworbene muß dem Unterpfand ähnlich sein und das Ganze dem Teil, damit es (dies) wie in einem Spiegel [1 Kor 13,12] wenn auch als
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Stückweises zeigt. Jedenfalls offenbart es die Erlangung einer Ähnlichkeit. Wenn aber das Zeugnis der Ausleger der Schrift wahr ist, daß dieses sinnlich Wahrgenommene ein geistiges Wirken des Heiligen Geistes ist, dann ist auch das andere ein Teil jenes Ganzen. Nicht der liebt die Tugend, der eifrig Gutes tut, sondern wer die darauf folgenden Übel freudig auf sich nimmt. Es ist nichts Großartiges, wenn jemand Kummer um der Tugend willen erträgt, sowie bei der Wahl seiner guten Absichten nicht unter der Hilflosigkeit seines Verstandes (durch) Verlockung und Kitzeln (der Sinne) leidet. Jede Reue nach Aufhebung des freien Bestimmens über sich selbst enthält weder Freude, noch wird sie denen, die sie erlangt haben, als Verdienst angerechnet. Schütze den Sünder, wenn du selbst keinen Schaden durch ihn hast, denn du wirst ihm dadurch Mut machen, dich aber trägt die Gnade deines Herrn. Stütze die Schwachen und im Herzen Betrübten mit deinem Wort und soweit || 33r deine Hand Gutes vermag, und die Rechte, die alles hält, wird dich stützen. Suche die Gemeinschaft mit denen, die betrübten Herzens sind, in schmerzerfülltem Gebet und mit dem Mut deines Herzens. Und vor deiner Bitte wird sich die Quelle der Gnaden auftun. Sei stetig in Gebeten vor Gott um deine Festigung besorgt, reine Gesinnung voller Ergriffenheit in deinem Herzen tragend, und Gott wird dein Denken vor unreinen und beschmutzten Gedanken bewahren, damit Gottes Weg nicht um deinetwillen verachtet werde. Mach dich stets frei zum Nachsinnen durch das Lesen in sorgfältiger Betrachtung in den heiligen Schriften, damit nicht als Folge geistigen Müßiggangs dein Blick durch fremde unzüchtige Gedanken getrübt werde. Gelüste nicht danach, dein Denken in unzüchtigen Gedanken oder Schlechtigkeit oder bei Menschen, die dich in Versuchung führen, auf die Probe zu stellen, indem du vermeinst, daß du ihnen nicht unterliegen wirst, weil auf diese Weise auch sehr weise Menschen verwirrt und töricht geworden sind. Du sollst keine Flamme in deinem Schoß ohne heftigste Leiden deines Fleisches verbergen [Spr 6,27]. | 33v Der Jugend fällt es nicht leicht, sich ohne Belehrung unter das Joch der Heiligkeit schirren zu lassen. Der Beginn der geistigen Verfinsterung ‒ wenn man das erste Anzeichen dafür in der Seele erblickt ‒ besteht in der Trägheit im Gottesdienst und im Gebet. Denn es gibt keinen anderen Weg zur Verführung der Seele, als daß diese nicht zuerst von dort her (in diesem Punkte) versagt. Denn wenn sie der Hilfe Gottes beraubt ist, fällt sie leicht in die Hände ihrer Widersacher. Und zum anderen: Wenn wiederum die Seele sorglos wird im Hinblick auf tugendhafte Werke, wird sie von allem, was diesen entgegensteht, angezogen. Denn ein Überschreiten von welcher Seite auch immer ist doch bereits der Anfang der entgegengesetzten Seite. Wenn du tugendhaftes Handeln willst, dann mißachte die eitel nichtigen Dinge. Zeige stets deine Schwäche
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vor Gott, und du wirst nicht, wenn du allein bist ohne deinen Beschützer, von Fremden versucht werden. Die Wirkung des Kreuzes ist eine zweifache. Und wegen dieser zwiefachen Natur wird sie unterteilt in zwei Teile, und das eine ist das Ertragen der leiblichen Bedrängnisse, die bewirkt werden durch das Agieren des zornigen Teiles der Seele, das man Handeln nennt, und das andere besteht im feinen || 34r Wirken des Geistes und besteht im Nachdenken über Gott sowie im Verharren im Gebet und Ähnlichem; es vollzieht sich im begehrenden Teil der Seele und wird Schauen genannt. Und das eine, das heißt das Handeln, läutert kraft des Eifers den leidenschaftlichen Teil der Seele, und das andere, das Wirken der seelischen Liebe, das ein natürliches Verlangen ist, erhellt den geistig erkennenden Teil der Seele. Ein jeder aber, der vor der vollkommenen Übung im ersten Teil zu jenem zweiten, nach dessen Süße verlangend, um nicht zu sagen aus Trägheit, übergeht, wird Zorn auf sich ziehen, weil er nicht zuvor seine Glieder, die auf Erden sind [Kol 3,5], abgetötet hat, das heißt, die Kraftlosigkeit seiner Gedanken geheilt hat im geduldigen Ertragen der Wirkung der Schmach des Kreuzes, sondern in seinem Geiste von der Herrlichkeit des Kreuzes zu träumen wagte. Das bedeutet es auch, was die Heiligen in alter Zeit gesagt haben, daß (nämlich), wenn der Geist danach verlangt, zum Kreuz aufzusteigen, bevor die Kraftlosigkeit der Sinne zum Verstummen gebracht ist, so wird der Zorn Gottes über ihn kommen. Das den Zorn (Gottes) auf sich lenkende Aufsteigen zum Kreuze | 34v bezieht sich nicht auf den ersten Teil, das Erdulden von Bedrängnissen, das eine Kreuzigung des Fleisches ist, sondern auf das Aufsteigen zur Schau, welches der zweite Teil ist, der nach der Heilung der Seele folgt. Denn wessen Geist von schändlichen Leidenschaften befleckt ist und eilt, um sich in seinem Sinn träumerischen Gedankenbildern hinzugeben, wird als Bestrafter schweigen, weil er nicht zuerst seinen Geist in Bedrängnissen geläutert und seine fleischlichen Gelüste bezwungen hat, sondern auf das von den Ohren Gehörte und das mit Tinte Geschriebene hin dem entgegeneilte, um, selbst blinden Auges, einen Weg voll der Finsternis zu gehen. Während doch selbst jene, die über ein gesundes Sehvermögen verfügen, voll des Lichtes sind und Führer in der Gnade haben, sich Tag und Nacht in Bedrängnis befinden, indem ihre Augen voller Tränen sind, während sie unter Gebet und Weinen sich Tag und Nacht plagen ob der Schrecken, die ihnen auf dem Weg begegnen, und der schroffen Abgründe und den Bildern der Wahrheit, die untermischt sind mit trügerischen Bildern. || 35r Man sagt: Was von Gott ist, das kommt von selbst, ohne daß du es erkennst. O ja, wenn die Stätte rein und nicht besudelt ist. Wenn aber der Augapfel deiner Seele nicht rein ist, dann wage nicht, zur Sonnenscheibe aufzublicken, damit du nicht auch dieses kleinen Lichtes
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verlustig gehst, welches der schlichte Glaube ist und die Demut und das von Herzen kommende Bekenntnis und die kleinen Werke, die deinen Kräften angemessen sind, damit du nicht ausgestoßen werdest an einen gedachten Ort, welcher die äußerste Finsternis ist, fern von Gott, ein Bild der Hölle, so wie jener (Mann), der sich nicht schämte, in schmutzigen Gewändern zum Hochzeitsmahl zu gehen. Aus Mühen und Wachsamkeit entspringt die Reinheit des Geistes und aus der Reinheit der Gedanken die Erleuchtung des Verstandes. Von da wird der Geist durch die Gnade zu dem geleitet, worüber die Sinne keine Macht mehr haben, was sie weder lehren noch lernen können. Überlege selbst, daß die Tugend der Leib, das Schauen aber die Seele ist, und beide (zusammen) sind der vollständige Mensch im Geiste, durch Vereinigung zweier Teile (entstanden), den sinnlichen (wahrnehmbaren) und den geistigen (Bestandteilen). Und so wie es unmöglich ist, daß die Seele ins Dasein tritt und geboren | 35v wird ohne vollständige Ausbildung des Leibes mit seinen Gliedern, so kann es auch kein Schauen der zweiten Seele geben, welches der Geist der Offenbarung ist ‒ die Gestalt im Mutterschoße bekommt, der den Stoff des geistigen Samens empfangen hat ˗ ohne das (zuvor) geübte Werk der Tugend, welche die Heimstatt der Erkenntnis ist, die die Offenbarungen empfängt. Das Schauen ist das Erspüren der göttlichen Geheimnisse, die in den Dingen und Ursachen verborgen sind. Wenn du das Entfernen aus der Welt nennen hörst oder deren Verlassen oder die Reinheit der Welt, dann mußt du zuallererst nicht mit einfältigen sondern verständigen Überlegungen lernen und ergründen, was dieses mit dem gleichen Namen belegte „Welt“ bedeutet und aus wievielen unterschiedlichen (Elementen) dieser Name sich zusammensetzt, und dann wirst du imstande sein, in deiner Seele zu erkennen, wie groß deine Entfernung von der Welt ist und wie weit du in die Welt einbezogen bist. „Welt“ ist ein Name, der vieles beinhaltet, auch die sogenannten Leidenschaften umfaßt. Wenn der Mensch nicht zuerst begreift, was die Welt ist, wird er nicht dahin gelangen zu sehen, mit wie vielen Gliedern er sich aus der Welt entfernt hat und mit wievielen || 36r er an sie gebunden ist. Es gibt viele, die sich mit zwei oder drei Gliedern von der Welt gelöst und sich ihr verweigert haben und denen dünkte, sie stünden in ihrem Wandel abseits von der Welt, weil sie nicht verstanden und weise erkannten, daß sie (zwar) in zwei Gliedern der Welt gestorben waren, ihre anderen Glieder aber (weiterhin) im Körper der Welt leben. Doch sie konnten weder ihre Leidenschaften bemerken, noch kümmerten sie sich um deren Heilung, da sie diese ja nicht bemerkten. Die Welt wird durch das forschende Betrachten benannt ‒ ein Zusammengesetztes mit einer gemeinsamen Bezeichnung, die die einzelnen Leidenschaften einschließt. Und wenn wir die Leidenschaften insgesamt nennen wollen, dann
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bezeichnen wir dies als die Welt, wollen wir sie aber nach ihren unterschiedlichen Benennungen unterscheiden, dann bezeichnen wir sie als Leidenschaften. Und die Leidenschaften sind Teile im Ablauf der Übernahme der Welt, und wo die Leidenschaften aufhören, dort hört auch die Übernahme der Welt auf. Die Leidenschaften sind folgende: Hang zum Reichtum, um irgendwelche Güter anzusammeln; | 36v Genuß des Leibes, aus dem das Verlangen nach (körperlicher) Vereinigung kommt; Ehrsucht, aus der der Neid entspringt; die Schaffung von Obrigkeit(licher Gewalt); Stolz auf die Schönheit des Besitzes von Macht; das Sich-Schmücken und Herausputzen; (Trachten nach) Ruhm bei den Menschen, der Ursache von Groll untereinander ist; Angst um den Leib. Wo dem Ablauf dieser Dinge ein Ende bereitet ist, da erstirbt die Welt. Und in dem Maße, in dem sich dort einige Teile davon lösen, in dem gleichen Maße bleibt die Welt draußen, untätig in ihrer Gesamtheit. So wie jemand von den Heiligen gesagt hat, daß sie, als sie lebten, gestorben waren, denn obwohl sie im Fleische lebten, führten sie ein Leben außerhalb des Fleisches. Und du achte darauf, in welchen von diesen (Teilen) du (noch) lebst. Dann wirst du erkennen, mit welchen Gliedern du der Welt lebst und wie weit du (für sie) gestorben bist. Wenn du gelernt haben wirst, was die Welt ist, dann lernst du auch aus dem Unterschied von alledem, worin du an diese Welt gebunden bist und worin du dich von ihr gelöst hast, um es kurz zu sagen: Die Welt, das ist der Wandel im Fleische und das Denken im Fleische. Daran, inwieweit es jemandem gelingt, sich dem zu entziehen, kann man erkennen, wie weit er sich von der Welt getrennt hat. Und wie weit er sich der Welt entfremdet hat, kann man an diesen beiden (Merkmalen) erkennen: || 37r an seinem tugendhaften Lebenswandel und an dem Unterschied der Gedanken in seinem Geiste. Und schließlich entspringen daraus in deinem Geist Vorstellungen von den Dingen, um die der Geist in seinen Überlegungen kreist, und auf diese Weise erlangst du einen Maßstab für dein Verhalten. Und zwar wonach deine Natur ohne Anstrengung verlangt und welche Früchte reichlich hervorgebracht werden und was vom Zufall bewegt wird, und ob dein Geist die Empfindung rein unkörperlicher Gedanken aufgenommen hat und ob er ganz vom Stofflichen bewegt wird. Und dieses Stoffliche ist leidender Natur. Denn die Zeichen der Verkörperlichung der Dinge, unter denen der Geist unwillkürlich in allem, was er tut, vorgestellt wird, sind die Tugenden. Von ihnen empfängt er ungeschwächt die Ursachen zu inbrünstigem Eifer und zur Sammlung seiner Vorhaben, in guter Absicht, sich im Körperlichen zu bemühen, um sich in diesem (Eifer) zu üben, sofern dies nicht in leidenschaftlicher Weise geschieht. Und achte darauf, daß dein Geist nicht schwach werde bei der Begegnung mit den Zeichen der heimlichen Vorhaben wegen
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dieses höchsten Entflammtseins für Gott, welches die nichtigen Erinnerungen abzuschneiden pflegt. Diese wenigen in diesem Kapitel (gezeigten) Merkmale | 37v reichen aus für den Menschen anstelle vieler Bücher, um ihn zu erleuchten, sofern er im Schweigen und in der Zurückgezogenheit lebt. So stark ist in den Menschen die Furcht des Leibes, daß sie oftmals ihretwegen in ruhmreichen und ehrenvollen Dingen untätig bleiben. Wenn aber auf die Furcht des Leibes die Furcht der Seele herabblickt, dann vergeht die Furcht des Leibes angesichts der Furcht der Seele so wie Wachs durch die Kraft der Flamme in sich. Ehre sei unserem Gott in Ewigkeit. Amen. Rede 3 (37v – 39v) desselben, wie die Seele mühelos zur Erkenntnis der Weisheit Gottes und Seiner Werke gelangt, wenn sie sich von der Welt und den irdischen Sorgen in der Stille abwendet, weil sie dann ihre Natur begreifen kann und welche geheimen Schätze sie in sich birgt Wenn von draußen keine irdischen Sorgen in die Seele gelangen, sondern sie in ihrer Natur verharrt, braucht sie sich nicht lange zu mühen, um dahin zu gelangen, die Weisheit Gottes zu schauen, weil ihre Trennung von der Welt und ihre Stille sie naturgemäß || 38r zum Erkennen der Werke Gottes anregen und sie sich dadurch zu Gott erhebt und vor Staunen erstarrt und hindrängt zu Gott. Denn sobald das Wasser von außen in die Quelle der Seele gelangt, das in ihr sprudelnde natürliche Wasser, werden in ihr unentwegt die Gedanken über die Wunder Gottes aufsprießen. Wenn sich die Seele aber außerhalb dieses (Zustandes) befindet, dann hat sie entweder irgendeine Ursache durch eine fremde Erinnerung erhalten, oder die Sinne haben sie durch die Begegnung mit (anderen) Dingen in Verwirrung gestürzt. Wenn aber die Sinne durch die Stille eingeschlossen werden und ihnen hin- und herzuhüpfen verwehrt wird, dann verblassen auch die Erinnerungen mit deren (der Stille) Hilfe, dann erblickt man die natürlichen Vorhaben der Seele, was sie sind und was die Natur der Seele ist und über welche heimlichen Schätze sie in sich verfügt. Diese Schätze aber sind: die Betrachtungen der körperlosen Dinge, die in ihr ganz von selbst erfolgen, ohne Absicht und Anstrengung von ihrer Seite. Denn der Mensch ist sich nicht bewußt, daß sich derartige Gedanken in seiner menschlichen Natur regen, wer eigentlich sein Lehrer war oder wie er | 38v dies erlangt hat, das, wiewohl es vorstellbar ist, anderen doch nicht erklärt werden kann, oder wer ihn angeleitet hat in dem, was er von einem anderen niemals gelernt hat? So etwa ist die Natur der Seele beschaffen. Sind die Leidenschaften also eine Zugabe aus seelischer Ursache? Schließlich ist die Seele ihrer Natur nach frei von Leidenschaften. Wenn du aber in der Schrift von seelischen und
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körperlichen Leidenschaften hörst, dann wisse, daß dies hinsichtlich ihrer Ursachen gesagt worden ist, denn die Seele ist ihrer Natur nach frei von Leidenschaften. Wer sich an die äußere Weisheit hält, nimmt dies nicht an, und ebenso diejenigen, die diesen anhangen. Wir aber glauben es so, daß Gott den nach Seinem Bilde Geschaffenen ohne Leidenschaften erschaffen hat, und ich spreche dabei nicht von einem Abbild des Leibes, sondern im Hinblick auf seine Seele, die unsichtbar ist, denn jedes (Ab)Bild wird nach einem vorliegenden Bild vorgestellt. Denn niemand kann ein Bild von etwas geben, ohne zuvor ein entsprechendes Ebenbild gesehen zu haben. Deshalb muß man glauben, daß die Leidenschaften, wie schon zuvor gesagt, nicht seelischer Natur sind. Wenn jemand aber dem Gesagten widerspricht, dann wollen wir ihm eine Frage vorlegen, die er beantworten möge. Frage: Was ist das Wesen der Seele? Ist es etwas Leidenschaftsloses || 39r und Lichterfülltes oder etwas von Leidenschaft Erfülltes und Dunkles? Antwort: Wenn die Seele einmal ihrer Natur nach durchsichtig und rein dank des empfangenen seligen Lichtes war und sich auch in diesem Zustand befindet, wenn sie zu ihrer ursprünglichen Ordnung wieder aufsteigt und wenn sie ferner, von Leidenschaften aufgewühlt, sich erklärtermaßen außerhalb ihrer Natur befindet, wie die Kirchenlehrer berichten, dann sind demnach die Leidenschaften erst später in die Seele gelangt, und es ist nicht rechtens zu sagen, die Leidenschaften gehörten zur Seele, auch wenn sie durch diese in Wallung versetzt wird. Denn es ist offensichtlich, daß sie durch äußere Anlässe in Wallung versetzt wird, und nicht durch solche, die aus ihr selbst kommen. Und wenn Leidenschaften als seelische bezeichnet werden, weil die Seele durch sie ohne Beteiligung des Leibes in Wallung gerät, dann wären auch Hunger und Durst und Schlaf seelischer Natur, weil sie auch bei diesen leidet und mit dem Leibe gemeinsam seufzt, wenn Glieder abgehauen werden, wie auch bei Fieber und Krankheiten und Ähnlichem, weil die Seele durch die Verbindung mit dem Leibe Anteil nimmt an dessen Leid, so wie es der Leib mit der Seele tut, und sie nimmt teil an der Fröhlichkeit des Leibes, wie sie auch dessen Schmerzen auf sich nimmt. | 39v Unserem Gott sei Ruhm in Ewigkeit. Amen. Rede 4 (39v – 44v) desselben zu Fragen und Antworten Frage: Welches ist die natürliche Beschaffenheit der Seele, und was ist wider ihre Natur, und was übersteigt ihre Natur? Antwort: Die natürliche Beschaffenheit der Seele ist das Erkennen der göttlichen Werke, der sinnlich wahrnehmbaren und der geistigen Dinge. Über ihre Natur hinaus geht die Bewegung hin zur (Versenkung in die) Schau der ewigen Gottheit. Wider
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ihre Natur ist die Bewegung durch Leidenschaften. Denn wenn die Seele sich in ihrem naturgemäßen Zustand befindet, ist sie, nach den Worten des erhabenen großen Basileos oben, befindet sie sich aber außerhalb ihrer Natur, dann befindet sie sich unten auf der Erde. Weilt sie oben, dann ist sie frei von Leidenschaften, sobald indes die Natur von ihrer (eigentlichen) Ordnung herniedersteigt, stellen sich Leidenschaften in ihr ein. So wird also deutlich, daß die Leidenschaften der Seele ihrer Natur nach nicht zur Seele gehören. Wenn die Seele dergestalt auch durch leibliche und tadelnswerte Leidenschaften in Wallung gerät wie bei Hunger und Durst, so ist sie doch, weil ihr in diesen Dingen kein Gesetz auferlegt ist, nicht so sehr zu tadeln, wie dies für andere tadelnswerte Dinge zutrifft, || 40r wenn es geschieht, daß jemandem von Gott etwas vermeintlich Unstatthaftes zu tun befohlen wird, und dieser alsdann anstelle von Tadel und Strafe gute Belohnung dafür empfängt wie der Prophet Hosea, der eine Dirne zum Eheweib nahm, oder wie der Prophet Elias, der aus Eifer für Gott tötete, oder diejenigen, die auf Befehl von Moses mit Messern ihre Erzeuger töteten. Dennoch heißt es, der Seele seien von Natur aus Begierde und Zorn zu eigen, auch ohne das, was zur leiblichen Natur gehört, und diese seien ihre Leidenschaften. Frage: Was entspricht der Natur der Seele ‒ wenn die Seele in Begierde nach göttlichen Dingen entbrennt oder wenn sie sich irdischen und leiblichen Dingen zuwendet? Und warum ereifert sich die Natur der Seele im Zorn? Und wann wird dieser Zorn als ihrer Natur gemäß bezeichnet? Wenn sie sich für eine leibliche Begierde ereifert oder Neid oder Ehrsucht oder dergleichen mehr oder wenn sie für etwas dem Entgegengesetztes eintritt? Darauf möge antworten, wer etwas zu sagen hat, und wir werden ihm folgen. Antwort: Die Heilige Schrift sagt vieles und gebraucht oftmals nur in bedingtem Sinne Bezeichnungen, die sich auf Körperliches beziehen, wenn etwas von der Seele | 40v gesagt wird, und wiederum wird das, was sich auf die Seele bezieht, für den Leib gebraucht, und dies wird nicht unterschieden. Die Verständigen aber begreifen es. So wurden von dem, was zur Gottheit des Herrn gehört, Dinge über Seinen allerheiligsten Leib gesagt, die auf die menschliche Natur nicht anzuwenden sind, und andererseits wurden Demütigungen Seiner Gottheit zugeschrieben, die zur menschlichen Natur gehören. Und viele, die den Sinn der göttlichen Worte nicht begriffen, sind hier ausgeglitten, so daß sie sich nicht mehr von ihrem Fall erhoben. Ebenso verhält es sich mit dem, was über die Seele und was über den Leib (gesagt wird). Wenn aber die Tugend der natürliche gesunde Zustand der Seele ist, dann sind die Leidenschaften demzufolge eine seelische Krankheit, etwas, was der Natur widerfahren ist und sie überfallen und ihr die Gesundheit genommen hat. Dann ist es klar, daß die Gesundheit früher da war in der Natur (der
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Seele) als die zufällige Krankheit, und wenn es sich so verhält, wie es auch tatsächlich ist, dann ist die Tugend von Natur aus in der Seele, die Zufälle aber liegen außerhalb ihrer Natur. Frage: Werden die Leidenschaften des Leibes ihrer Natur gemäß dem Leibe zugeschrieben oder (nur) als zufallsbedingte; und werden die Leidenschaften der Seele, die wegen der Bindung an den Leib || 41r zu ihr gehören, ihrer Natur gemäß ihr zugeschrieben oder nur im bedingten Sinne. Antwort: Was die (Leidenschaften) des Leibes betrifft, so wagt keiner, diese (nur) im uneigentlichen Sinne zu bezeichnen; was die der Seele betrifft, so müssen wir, seit dies erkannt wurde und wie es von allen erklärt wird, mutig bekennen und sagen, daß der Seele ihrer Natur nach Reinheit verliehen wurde und dass Leidenschaften ihr keineswegs naturgemäß sind, weil Krankheit erst auf die Gesundheit folgt. Daß aber die eine Natur gut und böse zugleich sein kann, ist nicht möglich. Deshalb geht das eine notwendigerweise dem anderen voraus, und das Naturgemäße ist das, was dem anderen vorausgegangen ist. Denn von einer jeden Sache, die das Merkmal des Zufälligen trägt, kann man nicht sagen, daß dies ihrer Natur entspräche, vielmehr ist es von außen hinzugetreten, und auf alles, was zufällig ist und (von außen) hinzugetreten, folgt Veränderung, die Natur aber verändert sich weder noch kommt etwas hinzu. Jede Leidenschaft ist von Nutzen und von Gott gegeben, auch die Leidenschaften des Leibes wurden zum Nutzen und für sein Wachstum in dem Betreffenden angelegt und ebenso die der Seele. Wird aber der Leib genötigt, fern vom Wohlleben unter Entbehrungen sich der Seele anzuschließen, | 41v dann wird er schwach und nimmt Schaden. Und wenn die Seele das, was ihr zu eigen ist, aufgibt und sich dem Leibe anschließt, dann nimmt auch sie Schaden, wie der heilige Apostel sagte: Denn der Geist gelüstet wider das Fleisch und das Fleisch wider den Geist, dieselben sind wider einander [Gal 5,17]. Also schmähe niemand deshalb Gott, weil Er die Leidenschaften und Sünde in unsere Natur gelegt habe, denn Er hat in die Naturen dasjenige hineingelegt, was eine jede wachsen lassen soll. Wenn aber das eine sich mit einem anderen verbindet, dann befindet es sich nicht in dem, was ihm gemäß ist, sondern im Gegenteil davon. Wären aber die Leidenschaften der Natur der Seele gemäß gewesen, wie hätte sie dann Schaden nehmen können, wenn doch das, was der Natur zu eigen ist, die Natur nicht verderben kann. Frage: Weshalb schaden die Leidenschaften des Leibes, die den Leib wachsen lassen und kräftigen, der Seele, wenn sie dieser nicht zu eigen sind, und weshalb quält die Tugend den Leib, während sie doch die Seele wachsen läßt? Antwort: Siehst du nicht, wie das, was außerhalb der Natur (einer Sache) liegt, dieser schadet, während jede Natur von Freude erfüllt wird, wenn sie dem nahe gekommen ist, was ihr zu eigen ist? || 42r Willst du also begreifen, was einer
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jeden von diesen Naturen zu eigen ist, dann merke auf, was einer jeden hilft, denn das gehört zu ihr, alles was aber schädlich ist, das ist ihr auch fremd und von außen hinzugetreten. Da man aber erkannt hat, daß die Leidenschaften dieser (beiden, der Seele und des Leibes) einander entgegengesetzt sind, gehört also alles, was dem Fleische hilft und Erholung verschafft, diesem an, wenn aber die Seele sich dem zuwendet, kann man nicht sagen, daß dies ihrer Natur angemessen sei. Denn was zur Natur der Seele gehört, bedeutet den Tod für den Leib. Jedoch wird ihr dies nur bedingt auferlegt, und wegen der Schwäche des Leibes kann sie, solange sie mit diesem noch bekleidet ist, sich nicht davon befreien, weil sie ihrer Natur nach an dessen Leiden Anteil hat wegen der Verbindung ihrer Bewegung, die in unbegreiflicher Weisheit mit der Bewegung des Leibes vermischt ist. Doch wenn sie auch dergestalt in wechselseitiger Teilhabe miteinander verbunden worden sind, so bleibt doch (die eine) Bewegung von (der anderen) Bewegung und (das eine) Wollen von (dem anderen) Wollen unterschieden und ebenso der Leib | 42v von der Seele. Die Natur aber kann nicht verändert werden, vielmehr (verhält es sich so), daß welche von beiden auch immer eine starke Neigung erfährt, sei es zur Sünde oder zur Tugend hin, so wird doch, welche auch immer, von ihrem eigenen Wollen bewegt. Und wenn sich die Seele über die Sorge um den Leib erhebt, dann bringt sie gänzlich ihre ureigensten Regungen im Geiste hervor und eilt inmitten des Himmels in unfaßlichen Begriffen dahin. Doch auch wenn sie sich in diesem Zustand befindet, verwehrt sie dem Leibe nicht, sich an das Seinige zu erinnern, und wenn der Leib sich wiederum im Zustand der Sünde befindet, so hören die im Geiste brodelnden Gedanken der Seele nicht auf. Frage: Was ist die Reinheit des Verstandes? Antwort: Rein ist nicht ein Verstand, der das Böse nicht kennt, denn dann gliche er dem eines Tieres, noch ist es der, welcher seiner Natur nach auf der Stufe der Kindheit verblieben ist, noch ist es der, welcher sich diesen Anschein gibt. Vielmehr ist das die Reinheit des Verstandes, wenn sie auf die Erleuchtung durch das Göttliche zurückgeht, (das sich) nach tugendhaftem Handeln (einstellt). Wir wagen nicht (einmal), dir zu sagen, daß sie jemand ohne Gedanken und Versuchung erlangt hat, denn dann wäre er nicht von einem Leib umhüllt. Denn wir wagen nicht zu sagen, daß wir nicht sogar bis zum Tode mit unserer Natur zu kämpfen haben oder daß wir nicht Schaden nehmen können. || 43r Von der Versuchung der Gedanken reden wir nicht (in dem Sinne), daß wir uns diesen unterwerfen, sondern um einen Anfang dafür zu machen, daß wir durch sie in Bewegung geraten. Die Bewegung der Gedanken erfolgt im Menschen aus vier Gründen. Erstens aus der natürlichen fleischlichen Begierde, zweitens aus dem Schwärmen der Sinne von den Dingen dieser Welt, die der Mensch hört und sieht, drittens aus zuvor
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empfangenen Eindrücken und Erinnerungen, die er im Geiste aufbewahrt hat, viertens infolge der Anfechtungen durch die Dämonen, die uns aus den schon genannten Gründen in alle Leidenschaften hinein bekämpfen. Deshalb kann der Mensch bis zum Tode, solange er an das Leben dieses Fleisches gebunden ist, nicht ohne Gedanken und Kämpfe sein. Urteile selbst, ob es vor der Veränderung dieser Welt und vor dem Tode möglich ist, sich von einer einzigen dieser vier Ursachen zu befreien, oder ob es dem Leibe möglich ist, nicht nach dem zu trachten, dessen er bedarf, und nicht genötigt zu sein, nach irdischen Dingen zu verlangen. Wenn es aber nicht angeht, etwas derartiges anzunehmen, weil die Natur dessen bedarf, dann regen sich folglich auch | 43v die Leidenschaften in einem jeden, der einen Leib hat, ob er dies will oder nicht. Deshalb muß jeder Mensch, weil er einen Leib hat, auf der Hut sein, nicht nur vor einer Leidenschaft, wie ich meine, die sich offen und häufig in ihm regt, auch nicht vor zweien, sondern vor vielen. Diejenigen, die ihre Leidenschaften durch Tugenden besiegt haben, werden, auch wenn sie von Gedanken und Anfechtungen aus den (genannten) vier Gründen bedrängt werden, nicht unterliegen, denn sie verfügen über Kraft, und ihr Geist wird zu Erinnerungen an das Gute und an Gott hingezogen. Frage: Worin unterscheidet sich die Reinheit des Verstandes von der Reinheit des Herzens? Antwort: Die Reinheit des Verstandes ist etwas anderes als die Reinheit des Herzens. Denn der Verstand ist (nur) eine von den seelischen Wahrnehmungsmöglichkeiten, während das Herz alle inneren Wahrnehmungsmöglichkeiten der Sinne umfaßt und in sich schließt. Und dieses ist die Wurzel. Ist aber die Wurzel heilig, dann ist auch das Geäst heilig [Röm 11,16]. Das heißt, wenn das Herz rein wird, ist es offensichtlich, daß auch alle (anderen) Sinne rein werden. Denn wenn der Verstand Eifer zeigt im Lesen der gotterfüllten Schriften oder sich ein wenig in Fasten und Wachen || 44r und in der Zurückgezogenheit müht, dann vergißt er seine frühere Denkweise und wird geläutert, sofern er sich von einem schlechten Lebenswandel entfernt, aber er erlangt doch keine dauernde Reinheit, denn so schnell er sich läutert, ebenso schnell ist er wieder besudelt. Das Herz aber wird geläutert durch viele Bedrängnisse und Entbehrungen und die Entfernung aus dem Umgang mit allem, was zu den weltlichen Dingen gehört und deren Abtötung. Hat es sich aber geläutert, dann wird seine Reinheit weder von geringfügigen Dingen getrübt werden, noch wird es die gewaltigen offenen Kämpfe fürchten, und ich spreche von fürchterlichen (Kämpfen). Denn es hat einen kräftigen Magen erworben, der rasch jegliche Speise verdauen kann, die für schwache Menschen unverdaulich ist. Denn dies ist von den Ärzten behauptet worden, daß jede Fleischspeise nicht leicht zu verdauen ist, gesunden Körpern aber viel Kraft verleiht, wenn diese von einem
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kräftigen Magen aufgenommen wird. So wird auch jene Reinheit, die schnell und in kurzer Zeit und mit geringer Mühe gewonnen worden ist, auch bald vergehen und beschmutzt werden, eine Reinheit dagegen, die durch viele Bedrängnisse | 44v und in langer Zeit erworben ist, fürchtet sich nicht vor irgendeiner maßvollen Anfechtung in irgendeinem Teil ihrer Seele, weil diese von Gott gestärkt wird. Ihm sei Ruhm in Ewigkeit. Amen. Rede 5 (44v – 49v) desselben über die Sinne Züchtige und geordnete Sinne erzeugen Frieden in der Seele und lassen nicht zu, daß sie Versuchung durch (äußere) Dinge erfährt. Erfährt sie aber nicht das Empfinden dieser Dinge, dann wird dies ein Sieg ohne Anstrengung sein. Denn wenn der Mensch nachlässig ist und das Eindringen von Anfechtungen in seinem Inneren zuläßt, ist er gezwungen zu kämpfen. Dann aber wird die ursprüngliche Reinheit getrübt, die sehr schlicht und ebenmäßig ist. Infolge dieser Nachlässigkeit aber verlassen die meisten Menschen oder sogar die ganze Welt den natürlichen und reinen Zustand. Weshalb diejenigen, die in der Welt leben und sich unter die weltlichen Menschen mischen, ihren Geist nicht läutern können, weil sie viel Böses kennengelernt haben. Es sind aber nur wenige, die fähig sind, zur ursprünglichen Reinheit des Geistes zurückzukehren. Deshalb muß jeder Mensch fest und beharrlich für seine || 45r Sinne und seinen Geist vor Anfechtungen auf der Hut sein. Denn viel Mäßigung, Wachsamkeit und Umsicht ist erforderlich. Große Einfalt ist anfällig für Veränderung. Die menschliche Natur bedarf sogar der Furcht, um die Grenzen des Gehorsams Gott gegenüber zu wahren. Die Liebe zu Gott aber bewirkt das Verlangen, sich in den Tugenden zu üben, durch sie begeistert sich der Mensch für das Verrichten edlen Tuns. Die geistige Erkenntnis folgt ihrem Wesen gemäß auf die Ausübung der Tugenden. Beiden aber gehen Furcht und Liebe voraus, und wiederum setzt die Furcht die Liebe voraus. Jeder, der dreist erklärt, es sei möglich, das Letztere zu erlangen, ohne das Erste getan zu haben, hat dreist das erste Fundament zum Verderben seiner Seele gelegt. Denn dies ist der Weg des Herrn, daß diese von jenen hervorgebracht werden. Vertausche nicht die Liebe zu deinem Bruder mit der Liebe zu irgendwelchen Dingen, weil er Den, Der über alle erhaben ist, verborgen in sich trägt. Gib das Geringe auf, um das Große zu erlangen. Verachte das Überflüssige und was ohne Wert ist, damit du das Kostbare erlangest. | 45v Sei in deinem Leben abgestorben, damit du nicht lebendig bist für den Tod. Sieh zu, daß du aus edlem Tatendrang stirbst, doch nicht aus Trägheit lebst. Denn nicht nur diejenigen sind Märtyrer, die um des Glaubens an Christus willen den Tod auf sich genommen haben,
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sondern auch diejenigen, welche wegen der Beachtung Seiner Gebote sterben. Sei nicht unüberlegt in deinen Bitten, damit du nicht durch die Schwächung deines Verstandes Gott mißachtest. Sei weise in deinen Gebeten, damit du herrlicher Dinge gewürdigt werdest. Erbitte Kostbares von Dem, Der keinen Neid kennt, und dir wird Ehre widerfahren wegen deines weisen Verlangens. Salomon erbat sich Weisheit und erhielt mit ihr zugleich ein irdisches Königreich, weil er weise gebeten hatte. Ich meine den erhabenen König. Elisäus erbat sich das doppelte (Maß) der Gnade des Geistes, die sein Lehrer besaß, und versündigte sich keinesfalls mit dieser Bitte. Wer Geringes von einem König erbittet, setzt dessen Ehre herab. Israel erbat Geringfügiges und empfing Gottes Zorn. Denn es hatte aufgehört, über die Taten Gottes und seine furchtgebietenden Wunder zu staunen, und erbat, was der Lust seines Bauches dienen sollte, || 46r und da noch die Speise in ihrem Munde war, kam der Zorn Gottes über sie [Ps 78,30-31]. Bringe deine Bitten vor Gott, wie es Dessen Herrlichkeit entspricht, damit dein Rang vor Ihm erhöht werde und er sich über dich freuen wird. Denn wenn jemand von einem König ein Maß Abfall erbittet, so entehrt er sich nicht nur selbst ob seiner geringfügigen Bitte, weil er großen Unverstand zeigte, sondern weil er auch dem König wegen seiner Bitte eine Beleidigung zugefügt hat. So ergeht es auch demjenigen, der irdische Dinge in seinen Gebeten von Gott erfleht. Denn die Engel und Erzengel, die die Mächtigen des (himmlischen) Königs sind, blicken während deines Gebetes auf dich, welche Bitte du vor ihren Herrscher trägst, und sie staunen und freuen sich, wenn sie ein Erdenkind sehen, das sein Fleisch verlassen hat und Himmlisches erbittet, so wie sie wiederum demjenigen zürnen, der das Himmlische läßt und sich seinen Abfall erbittet. Bitte Gott nicht um eine Sache, die Er selbst (auch) ohne unser Bitten uns zu gewähren vorgesehen hat, und nicht nur den Seinen und denen, die Er liebt, sondern auch jenen, denen das Wissen um Ihn fremd ist. | 46v Seid nicht wie die Heiden, die nur plappern im Gebet [Mt 6,7]. Denn dieses Körperliche suchen die Heiden, hat der Herr gesagt. Ihr aber sorget euch nicht, was ihr eßt und was ihr trinkt oder wie ihr euch kleidet, denn euer Vater weiß, daß ihr dessen bedürft [Mt 6,25,32]. Der Sohn bittet deshalb seinen Vater nicht um Brot, sondern er bittet um die großen und erhabenen Dinge im Hause seines Vaters. Denn (nur) um der Schwäche des menschlichen Geistes willen hat der Herr (uns) aufgetragen: Bittet um das tägliche Brot. Sieh jedoch, was den in der Erkenntnis Vollkommenen und seelisch Gesunden aufgetragen worden ist. Sorget euch nicht um eure Speise, hat Er ihnen gesagt, und um eure Kleidung, denn wenn Er sich um die Tiere, die keine Worte haben, und um die Vögel und die Geschöpfe, die keine Seele haben, sorgt, wieviel mehr dann um euch. Sondern suchet viel-
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mehr das Reich Gottes und Seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugegeben werden [Mt 6,33]. Wenn du eine Sache von Gott erbittest, und Er zögert, dich alsbald zu erhören, dann sei darüber nicht bekümmert, denn du bist nicht weiser als Gott. Dies aber geschieht dir, weil du entweder nicht würdig bist, das Erbetene zu erhalten, oder weil die Wege deines Herzens || 47r nicht deiner Bitte entsprechen, sondern ihr (vielmehr) entgegengesetzt sind, oder weil du noch nicht das (rechte) Maß erlangt hast, um die Gabe, die du erbittest, zu empfangen. Denn es geziemt uns nicht, uns vor der Zeit auf Dinge erhabenen Ausmaßes einzulassen, damit die Gabe Gottes nicht durch die Schnelligkeit, mit der sie uns zufiel, nutzlos werde. Denn ein jegliches Ding, das leicht erhalten wird, geht auch schnell verloren. Ein jedes Ding aber, das schmerzlichen Herzens erworben wird, wird achtsam gehütet. Dürste um Christi willen, damit Er dich mit Seiner Liebe erfülle. Verschließe deine Augen vor den schönen Dingen des Lebens, damit du von Gott gewürdigt werdest, dass Sein Friede in deinem Herzen herrsche. Halte dich zurück von den Dingen, die deine Augen erblicken, damit du der geistigen Freuden gewürdigt werdest. Wenn deine Werke Gott nicht wohlgefällig sind, dann erbitte nichts Großes von Ihm, damit du nicht wie ein Mensch dastehst, der Gott versucht. Deinem Wandel angemessen soll auch dein Gebet sein. Denn wer den irdischen Dingen verhaftet ist, kann nicht das Himmlische suchen. | 47v Und wer mit weltlichen Dingen beschäftigt ist, kann nicht Göttliches erbitten. Weil eines jeden Menschen Trachten sich an seinen Werken zeigt, so wird er auch von den Dingen, in welchen er Eifer an den Tag legt, im Gebet bewegt werden. Wer das Große will, gibt sich nicht mit Geringfügigem ab. Sei frei, auch wenn du an den Leib gebunden bist, und zeige um Christi willen die Freiheit deines Gehorsams. Sei auch klug in deiner Sanftmut, damit du nicht beraubt werdest. Finde Gefallen an der Demut in allen deinen Unternehmungen, damit du dich vor den unsichtbaren Netzen rettest, die sich stetig außerhalb des Weges der demütigen Weisen befinden. Weiche nicht den Leiden aus, denn durch sie wirst du zur wahren Erkenntnis gelangen. Und fürchte dich nicht vor den Prüfungen, denn durch sie wirst du Kostbares erlangen. Bete, daß du nicht in seelische Versuchungen geratest, auf die leiblichen aber bereite dich mit ganzer Kraft vor, denn ohne diese kannst du dich Gott nicht nahen, weil in ihnen || 48r der Friede Gottes liegt. Wer vor der Versuchung flieht, der flieht vor der Tugend. Ich meine nicht die Versuchung durch Begierden, sondern die durch Leiden. Frage: Wie aber stimmt dies überein, (wenn es heißt:) Betet, daß ihr nicht in Versuchung geratet [Mt 26,41] und: Ringet darum, daß ihr durch die enge Pforte eingehet [Lk 13,24] und wiederum: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten [Mt 10,28] und: Wer seine Seele verloren hat um Meinetwil-
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len, der wird sie (wieder)finden [Mt 10,39]. Wie kommt es, daß der Herr uns überall nötigt, Versuchungen auf uns zu nehmen, hier aber hat er befohlen, darum zu beten, daß wir nicht in Versuchung geführt werden? Denn welche Tugend kann es geben ohne Leid und Versuchung, oder welche Versuchung ist größer als wenn jemand sich selbst tötet, auf die um Seinetwillen uns einzulassen Er uns aufgetragen hat? Denn Er hat gesagt: Wer sein Kreuz nicht (auf sich) nimmt und mir nicht nachfolgt, ist meiner nicht wert [Mt 10,38]. Warum aber hat Er in seiner ganzen Lehre befohlen, sich der Versuchung zu unterziehen, hier aber uns aufgetragen zu beten, daß wir nicht in Versuchung geraten? Denn es heißt: Durch viele Trübsale müßt ihr in das Himmelreich eingehen [Apg 14,22], und: In der Welt werdet ihr betrübt sein [Joh 16,33] | 48v und hierin fasset eure Seelen in Geduld [Lk 21,19]. O, diese Feinheiten des Weges Deiner Lehren, o Herr! Wer nicht einsichtig und mit Erkenntnis liest, der bleibt stets außerhalb desselben. Als die Söhne des Zebeddäus und ihre Mutter Sitze bei Dir im Himmelreich begehrten, hast Du ihnen das Folgende gesagt: Könnt ihr den Kelch der Versuchung trinken, den ich trinken werde, und euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? [Mt 20,22] Und weshalb befiehlst Du uns hier, o Herr, daß wir darum beten, nicht in Versuchung zu geraten? Bei welchen Versuchungen befiehlst Du uns zu beten, daß wir nicht in sie geraten? Antwort: Es heißt, bete, daß du nicht im Hinblick auf den Glauben in Versuchung geratest, bete, daß du nicht durch den Dämon der Lästerung und des Hochmutes im Eigendünkel deines Geistes in Versuchungen geratest; bete, dass du nicht mit Billigung Gottes in die offensichtliche Versuchung durch den Satan geratest wegen der bösen Gedanken, denen du dich in deiner Vorstellung hingegeben hast und derentwegen Gott dir gegenüber dies zugelassen hat. Bete, daß der Engel || 49r deiner Keuschheit nicht von dir weiche, damit du nicht in einem flammenden Kampf durch die Sünde bekämpft und von ihm getrennt werdest. Bete, daß du nicht in Versuchung geratest, den einen gegen den anderen aufzuhetzen, oder in die Versuchung der Wankelmütigkeit und des Zweifels gerätst, durch die die Seele in große Anstrengung(en) gestürzt wird. Gegen die Versuchung des Leibes aber bereite dich vor, mit ganzem Herzen anzugehen, und schwimme mit allen deinen Gliedern durch sie hindurch, und fülle deine Augen mit Tränen, damit Der, Welcher dich behütet, nicht von dir weiche. Denn ohne Versuchungen wird die göttliche Vorsehung für uns nicht erkennbar, kann man keine Zuversicht auf Gott erlangen, die Weisheit des Geistes nicht erlernen, kann sich die göttliche Liebe in deiner Seele nicht festigen. Denn vor den Versuchungen betet der Mensch zu Gott wie ein Fremder. Wenn er aber die Versuchungen aus Liebe zu Ihm auf sich genommen hat, ohne sich (durch sie) zu verändern, dann
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verhält es sich so, als habe er Gott zum Schuldner, und er wird wie ein wahrer Freund von Gott angesehen, weil er, um Seinen Willen | 49v zu erfüllen, wider den Feind gekämpft und diesen besiegt hat. Das bedeutet es, wenn man betet, daß man nicht in Versuchung geführt werde. Und dann bete auch, daß du nicht in die schreckliche Versuchung des Teufels wegen deines Dünkels gerätst, (sondern) vielmehr wegen deiner Gottesliebe, damit dir Seine Kraft zu Hilfe komme und Er durch dich Seine Feinde besiege. Bete, daß du nicht in diese Versuchungen gerätst wegen der Sündhaftigkeit deiner Gedanken und Taten, sondern daß du geprüft werdest in deiner Liebe zu Gott und daß Seine Kraft in deiner Standhaftigkeit verherrlicht werde. Ihm sei Ruhm und Macht in Ewigkeit. Amen. Rede 6 (49v ‒ 52r) desselben über die Barmherzigkeit des Herrn, derentwegen Er sich von der Höhe Seiner erhabenen Herrlichkeit zur menschlichen Schwäche herabgelassen hat Und wiederum hat unser Herr in Seiner Güte und Seiner Gnade gemäß Sorge tragend, wenn du es verständig bedenkst, auch um leibliche Versuchungen zu beten geboten. Denn da er gesehen hatte, wie schwach unsere Natur wegen der irdischen Gebundenheit und Vergänglichkeit des Leibes ist und wie unfähig, gegen die Versuchungen zu bestehen, || 50r wenn sie sich diesen ausgesetzt sieht, und deshalb von der Wahrheit abfällt, die Schulter zeigt und von den Leiden bezwungen wird, hat er geboten, darum zu beten, daß wir nicht plötzlich in Versuchungen geraten, wenn es möglich ist, auch ohne sie Gott wohlgefällig zu sein. Gerät aber der Mensch um einer großen Tugend willen plötzlich in schreckliche Prüfungen und vermag weder standzuhalten, noch kann er die Tugend zur Vollendung bringen, dann dürfen wir nicht Rücksicht nehmen, weder auf uns noch auf andere noch aus Furcht, eine edle und kostbare Sache aufzugeben, auf der doch das Leben der Seele beruht, und Ursachen und Lehren (als Vorwand) vorbringen für (unsere) Schwäche, das heißt zu beten, daß man nicht in Versuchung gerate. Denn von solchen (Menschen, die dieses tun) heißt es, daß sie wegen des Gebotes heimlich sündigen. Wenn aber einem Menschen dies widerfährt, daß ihn die Versuchung überkommt und er gezwungen ist, eines von diesen meinen Geboten zu brechen, das heißt, die Keuschheit aufzugeben oder das zurückgezogene Leben oder dem Glauben abzuschwören oder nicht für Christus Zeugnis abzulegen oder einfach eines | 50v der Gebote zu leugnen, so wird dieser (Mensch), wenn er sich fürchtet und den Versuchungen nicht widersteht, von der Wahrheit abfallen. Laßt uns also von nun an mit ganzer Kraft den Leib für nichts achten und Gott unsere Seelen überantworten und im
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Namen des Herrn den Kampf mit den Versuchungen aufnehmen. Derjenige, Der Joseph in Ägypten gerettet und in ihm ein Urbild und ein Beispiel der Keuschheit vorgeführt hat, Der Daniel in der Löwengrube unversehrt erhielt und die drei Jünglinge im Feuerofen und Jeremias aus der Schlammgrube errettete und ihm das Erbarmen inmitten der Heerscharen der Chaldäer schenkte, Der Petrus aus dem Kerker bei verschlossener Tür herausführte und Paulus aus der Versammlung der Juden errettete und, kurz gesagt, Der, Welcher stets an jedem Ort und in jedem Land mit Seinen Dienern ist und an ihnen Seine Stärke und Seinen Sieg erweist und sie in vielen wunderbaren Situationen behütet und ihnen Erlösung durch Ihn in allen ihren Bedrängnissen zeigt, Er möge uns stärken und erretten inmitten der Wogen, die uns umgeben. Amen. Möge in unseren Seelen ebensoviel Eifer gegen den Teufel || 51r und seine Helfer herrschen, wie ihn die Makkabäer besaßen und die heiligen Propheten und die Apostel und die Märtyrer und die Gottesfürchtigen und die Gerechten, die an den göttlichen Gesetzen und den Geboten des (Heiligen) Geistes in schrecklichen Gegenden und unter grausamsten Prüfungen festhielten und die die Welt und den Leib hinter sich ließen und in ihrer Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit standhaft ausharrten und sich nicht überwinden ließen von den sie an Seele und Leib umringenden Drangsalen, die sie vielmehr mannhaft bezwangen. Ihre Namen sind im Buch des Lebens sogar bis zur Ankunft des Herrn verzeichnet, und ihre Lehre wurde durch Gottes Gebot bewahrt uns zur Unterweisung und zu unserem Heil, wie es der selige Apostel bezeugt [Röm 15,4], damit wir wahrhaft weise werden und lernen, Gottes Wege zu erkennen, und daß wir die Erzählungen (über sie) und ihre Lebensberichte vor Augen haben als ermutigende und lebendige Beispiele und damit wir uns an ihnen ein Beispiel nehmen und ihre Wege gehen und ihnen ähnlich werden. Wie erquik-kend sind Gottes Worte für eine verständige Seele, wie eine Speise, die den Leib erwärmt. Denn ersehnt sind die Erzählungen | 51v der Gerechten in den Ohren der Sanftmütigen, so wie die ständige Wassergabe für den neugepflanzten Baum. Bedenke also, o Geliebter (im Herrn), im Geiste die göttliche Vorsehung, die Er gleich einem heilsamen Pflaster für die kranken Augen vom Anfang bis auf den heutigen Tag walten läßt, und bewahre in dir das Gedenken daran zu jeder Stunde, denke darüber nach und kümmere dich darum und laß dich darüber belehren, damit du dich darin übst, in deiner Seele die Erinnerung an die Herrlichkeit der Ehre Gottes aufzunehmen und damit deine Seele das ewige Leben erlange in Christus Jesus unserem Herrn, der Mittler gewesen ist zwischen Gott und den Menschen, als Der, Der aus beiden zu Einem gefügt ist. Der Glorie, die den Thron Seiner Herrlichkeit umgibt, können sich selbst die Heerscharen der Engel nicht nähern. Doch
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um unseretwillen ist Er in schwacher und demütiger Gestalt in der Welt erschienen, wie Jesajas sagt: Wir sahen Ihn, und Er hatte weder Ansehen noch Schönheit [Jes 52,2]. Der, Welcher Seiner Natur nach für alle Geschöpfe unsichtbar ist, nahm Leibesgestalt an und vollendete den Heilsplan zur Rettung und um das Leben (zu gewinnen) für alle Stämme, || 52r die durch Ihn geläutert worden sind. Ihm sei Ruhm und die Macht in Ewigkeit. Amen. Rede 7 (52r – 55v) desselben über die freiwilligen und unfreiwilligen Sünden sowie die, welche aus irgendeinem Zufall begangen werden Es gibt die Sünde, die aus Schwäche begangen wird, in sie verfällt der Mensch nicht willentlich, und es gibt die Sünde, die aus (freiem) Willen begangen wird, und wiederum kann sie aus Unwissenheit geschehen, und mancher begeht eine Sünde aus irgendeinem Zufall heraus, und auch wegen seines Lebenswandels, und (es gibt) solche aus üblen Gewohnheiten. Dies alles sind Arten und Formen von Sünden. Und wenn sie auch alle verabscheuungswürdig sind, so zeigt sich doch, daß im Vergleich hinsichtlich der Bestrafung die eine Sünde größer als eine andere ist, und der Abscheu vor mancher ist groß, und nur unter Mühen wird deren Bereuung angenommen. Bei einem anderen wiederum ist die Verzeihung der Sünde näher. So wie bei Adam und Eva und der Schlange, da doch alle von Gott wegen des Sündenfalls bestraft wurden, jedoch in großer Unterschiedlichkeit das Erbe des Fluches antraten, und so (erging es) auch ihren Söhnen. Für einen jeden wird die Schwere der (auferlegten) Pein dem Vorsatz und dem Verlangen nach der Sünde entsprechen. Will aber jemand | 52v der Sünde nicht folgen und wird aus mangelndem Eifer in der (Ausübung) der Tugend zu jener hingezogen, weil er keine Zeit für diese (die Tugend) fand, so wird, wenngleich ihn auch das Leben im Zustand der Sünde schwer ankommt, doch auch die Pein dafür schwer sein. Geschieht es jedoch, daß jemand, der sich um die Tugend eifrig bemüht, von irgendeiner Verfehlung angefochten wird, dann ist ihm dennoch ohne Zweifel die Gnade um seiner Seligkeit willen nahe. Anders ist es um die Sünde bestellt, die begangen wird, wenn der Mensch als ein um Tugend und solches Handeln Bemühter befunden wird, und nun nachts nicht schläft aus Sorge, keinen Schaden zu erleiden an dem, woran ihm gelegen ist, tagsüber aber seine Bürde mit sich herumträgt und sein ganzes Trachten auf Tugendhaftigkeit ausgerichtet ist. Und während er (auch) in diesem oder ähnlichem (Bemühen) aufgeht, so neigt sich dann entweder aus irgendeiner Unwissenheit oder irgendwelcher Dinge wegen, die sich ihm auf seinem Wege, das heißt dem seiner Tugendhaftigkeit, ent-
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gegenstellen, und der Wellen wegen, die zu jeder Zeit seine Glieder durchwallen, oder infolge einer Ablenkung, die ihm widerfahren kann, um ihn in seinem freien Willen zu prüfen, seine Waagschale || 53r ein wenig nach links, und er wird aus Ohnmacht des Leibes von einer Form der Sünde angezogen, derentwegen er trauert, sich bekümmert und schmerzlich über seine Seele seufzt ob des Elends, in das er durch widersätzliche Anlässe geraten ist. Und wiederum anders (verhält es sich mit der Sünde), wenn ein Mensch schwach befunden wird und träge in der Pflege der Tugenden und gänzlich diesen Weg verlassen hat und sklavisch jeglicher sündhaften Lust gehorcht und Eifer an den Tag legt im Herausfinden (des Weges) der Vervollkommnung darin und wie ein Sklave bereit ist, geflissentlich das Verlangen seines Feindes zu erfüllen und seine Glieder zur Waffe für den Teufel in völligem Gehorsam diesem gegenüber zu bereiten und keinesfalls weder auf Reue bedacht sein, noch der Tugend näherkommen, noch seinen verderblichen Weg abschneiden und ihm ein Ende bereiten will. Denn ein anderes ist, was beim Ausgleiten und dem Fall auf dem Wege der Tugend geschehen kann und auf den Pfaden der Gerechtigkeit, so wie es bei den Vätern heißt, daß auf dem Weg der Tugend | 53v und dem Pfade der Gerechtigkeit Stürze und Hindernisse und Nötigung und dergleichen (mehr) begegnen. Etwas anderes aber ist der Fall der Seele und das vollkommene Verderben und die endgültige Verlassenheit. Wer aber offenkundig zu diesen gehört, der möge, wenn er fällt, nicht die Liebe seines Vaters vergessen. Vielmehr soll er, wenn ihm auf verschiedene Weise der Fall in die Sünde widerfährt, nicht lässig werden im Eifer für das Gute und seinem Lauf nicht Einhalt gebieten. Damit er, wenngleich besiegt, sich wiederum zum Kampf gegen seine Widersacher erhebt und täglich den Anfang für das Fundament des zerstörten Gebäudes legt bis zu seinem Weggang aus dieser Welt mit dem Wort des Propheten auf den Lippen: Freue dich nicht über mich, o Feind, daß ich gefallen bin, denn ich werde mich wieder erheben. Auch wenn ich in der Finsternis sitze, so ist doch der Herr mein Licht [Mich 7,8], und der Kampf darf keinesfalls aufhören bis zum Tode, und er darf, solange er atmet, seine Seele nicht der Überwindung ausliefern, und er wird dabei siegen. Aber auch wenn jeden Tag sein Schiff zerschellt und die Ladung untergeht, darf er nicht aufhören, || 54r sich (mit Vorrat) zu versehen und zu sorgen und zugleich Anleihen aufzunehmen, auf andere Schiffe überzugehen und hoffnungsvoll (eine neue) Fahrt zu unternehmen, bis der Herr, der sein mutiges Tun gesehen und seiner Zerknirschung sich erbarmt hat, ihm Seine Gnade zuwendet und kräftige Ermunterung schenkt, um den flammenden Pfeilen des Feindes zu begegnen und sie zu überstehen. So ist die von Gott gegebene Weisheit. So ist ein weiser Kranker, der die Hoffnung nicht aufgibt. Es ist besser für uns,
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wegen einiger Sachen verurteilt zu werden, aber nicht für das Aufgeben von allem. Und deshalb empfiehlt Vater Martinian, sich nicht zu erschöpfen durch eine Menge von Taten und verschiedene und häufige Kämpfe auf dem Wege der Gerechtigkeit, nicht zurückzukehren und dem Feind keinen Sieg über uns in einer der schändlichen Formen zuzugestehen. Denn wie ein Vater, der seine Kinder liebt, hat er in gebührender Weise und umsichtig folgendes dargelegt: Belehrung unseres ehrwürdigen Vaters Martinian Wenn ihr, meine Kinder, wahrhaft Streiter (für den Glauben) seid, die auf Tugend bedacht sind, und geistiger Eifer | 54v in euch ist, dann laßt euch angelegen sein, euren Geist Christus rein darzubieten und Ihm wohlgefällige Werke zu tun. Denn ihr müßt dafür unbedingt jeden Kampf aufnehmen, den die natürlichen Leidenschaften entfachen und die Anziehungskraft dieser Welt und die fortwährenden Bosheiten der Dämonen, mit denen sie gewohnt sind, uns zu verführen, und allerlei Fallen dieser Art. Fürchtet euch auch nicht wegen der Häufigkeit und andauernden Heftigkeit des Kampfes, und überlaßt euch nicht dem Zweifel, weil der Kampf andauert. Werdet nicht schwach, und entsetzt euch nicht wegen der Belagerung durch die Feinde; fallt nicht in das Loch der Hoffnungslosigkeit, wenn ihr vielleicht vorübergehend straucheln und sündigen solltet. Aber auch wenn ihr etwas erleiden solltet in diesem großen Kampf, wenn ihr im Angesicht getroffen werden solltet und verletzt, darf euch auch das keinesfalls an eurer guten Absicht hindern. Verbleibt vielmehr bei dem von euch gewählten Handeln, und trachtet nach dem Ersehnten und Lobenswerten, ich meine, sich im Kampf fest zu erweisen und unerschütterlich, gerötet vom Blut || 55r eurer Wunden. Und laßt keinesfalls ab vom Kampf mit euren Gegnern. So lauten die Lehren des großen alten Mönchs. Darum braucht ihr euch nicht lähmen zu lassen oder kraftlos zu werden der Beispiele wegen, die ich nannte. Wehe aber dem Mönch, der bei seinem Gelübde lügt und, indem er sein Gewissen unterdrückt, dem Teufel die Hand ausstreckt, damit dieser sich gegen ihn erhebe in Gestalt einer kleinen oder großen Sünde, und der nicht wieder antreten kann vor dem Angesicht seiner Feinde mit dem zerschlagenen Teil seiner Seele. Mit was für einem Gesicht aber will er vor seinen Richter treten, wenn seine Freunde, die Reinheit erlangt haben, einander begegnen, diejenigen (nämlich), von denen er seinen Weg trennte und den Pfad des Verderbens ging und die Zuversicht der Gerechten zu Gott verlor, und das Gebet, das aus einem reinen Herzen kommt, das sich erhebt und die Kräfte der Engel übersteigt, und nicht verwehrt werden kann, bis es das Erbetene erlangt und voller Freude zurückkehrt zu dem Mund, | 55v der es aussandte. Am schlimmsten von allem aber ist es, daß, weil dieser hier seinen Weg von
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ihnen getrennt hat, so auch Christus an jenem Tage ihn von jenen trennen wird, wenn eine lichte Wolke die in Reinheit erstrahlenden Leiber auf ihrer Schulter tragen und zur Himmelstür bringen wird. Denn dann werden die Gottlosen nicht auferstehen für das Gericht, weil schon hier ihr Handeln verurteilt ist, noch die Sünder in den Rat der Gerechten, sondern zur Auferstehung vor dem Gericht [Ps 1,5]. Rede 8 (55v ‒ 62v) desselben über den Schutz und die Wachsamkeit vor den Schwachen und Trägen und wie vom näheren Umgang mit ihnen Trägheit und Schwäche die Herrschaft über den Menschen gewinnen und dieser von jeglicher unreinen Leidenschaft erfüllt wird, und wie man sich vor dem näheren Umgang mit Jüngeren hüten soll, damit der Geist nicht durch unzüchtige Gedanken besudelt werde Wer seinen Mund an Verleumdungen hindert, der bewahrt sein Herz vor den Leidenschaften. Und wer sein Herz von Leidenschaften rein erhält, der erblickt den Herrn zu jeder Zeit. Ihm wird stetige Belehrung über Gott zuteil, die die Dämonen aus seiner Nähe vertreibt und deren Samen der Bosheit ausrottet. Wer allezeit seine Seele beobachtet, dessen Herz wird sich an den Offenbarungen erfreuen. || 56r Und wer den Blick seines Geistes auf sein Inneres lenkt, der erblickt in sich das Licht des (Heiligen) Geistes. Wer Abscheu vor jeglichem Umherschweifen (der Gedanken) gefaßt hat, der erblickt seinen Herrn inmitten seines Herzens. Wenn du die Reinheit liebst, in der der Herr aller (Menschen) sichtbar wird, dann verleumde Ihn nicht, und höre nicht auf den, der deinen Bruder verleumdet. Wenn sich irgendwelche (Leute) in deiner Anwesenheit streiten, dann verschließe deine Ohren, und fliehe von dort, damit du nicht Worte des Zornes (mit) anhören mußt und deine Seele dem Leben abstirbt. Das Herz des Zornigen ist leer von den göttlichen Geheimnissen; der Sanftmütige aber und demütige Weise ist die Quelle der Geheimnisse des neuen Zeitalters. Sieh da, der Himmel aber ist drinnen in dir. Wenn du rein wirst, (dann) wirst du auch in dir selbst die Engel in ihrem Licht erblicken und mit ihnen und inmitten von ihnen ihren Herrn. Wer gerechtermaßen gelobt wird, der erleidet keinen Schaden. Ist ihm dieses Lob aber süß (in seinen Ohren), dann ist er ein Arbeiter, der ohne Lohn ausgeht. Die Schatzkammer des demütigen Weisen ist in ihm (selbst), und das ist der Herr. Wer auf seine Zunge achtet, wird durch sie in Ewigkeit nicht ausgleiten. Der schweigsame Mund | 56v tut die göttlichen Geheimnisse kund. Wer aber schnell mit Worten bei der Hand ist, der entfernt sich von Dem, Der ihn erschaffen hat. Die Seele des guten Menschen scheint noch heller als die Sonne, und sie frohlockt allezeit durch die Schau der göttli-
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chen Offenbarungen. Und wer dem nachfolgt, der Gott liebt, der wird bereichert durch die göttlichen Geheimnisse. Wer aber dem nicht Rechtschaffenen und Stolzen folgt, der entfernt sich von Gott, und er wird von seinen Freunden gehaßt werden. Wer seine Zunge schweigen lassen kann, der erlangt in allen seinen Verhaltensweisen die Stufe eines demütigen Weisen, und dieser beherrscht ohne Mühe seine Leidenschaften, und die Leidenschaften werden ausgerottet und entschwinden als Folge des beständigen Nachsinnens über Gott. Und dies ist das Schwert, das sie tötet. Denn so wie in der Lautlosigkeit und Stille des sinnlich wahrnehmbaren Meeres der Delphin sich tummelt und schwimmt, so bewegen sich auch in der Lautlosigkeit und Stille ohne Wut und Zorn im Meere des Herzens jederzeit in ihm zu seiner Freude die Geheimnisse und göttlichen Offenbarungen. Wer den Herrn in sich selber schauen will, der wird etwas ersinnen, um sein Herz in unaufhörlichem || 57r Gedenken an Gott zu läutern, und so wird er im Lichte der Augen seines Denkens jederzeit den Herrn erblicken. Was aber dem Fisch geschieht, der das Wasser verlassen hat, das geschieht auch mit dem Verstand, der das Gedenken an Gott aufgegeben hat und dessen Denken um das Erinnern an die Welt kreist. In dem Maße, wie der Mensch sich von Gesprächen mit anderen Menschen zurückzieht, wird er der mutigen Hinwendung zu Gott in seinem Geiste gewürdigt, und in dem gleichen Maße, in dem er die Aufmunterung dieser Welt von sich abschneidet, wird er der Freude über Gott im Heiligen Geist gewürdigt. Wie die Fische an Wassermangel zugrunde gehen, so verschwinden auch die geistigen Regungen, die von Gott kommen, aus dem Herzen des Mönches, der häufigen Umgang mit den Menschen der Welt pflegt und unter ihnen lebt. Ein weltlicher Mensch, der sich mit weltlichen und irdischen Dingen plagt und Böses erleidet, ist besser als ein Mönch, der Böses erleidet und im Weltlichen verbleibt. Den Dämonen furchtbar und Gott und Seinen Engeln willkommen ist der Mensch, welcher mit glühendem Eifer Tag und Nacht Gott in seinem Herzen sucht und darin alle Anfechtungen, die von dem Feinde kommen, ausrottet. Für den, der über eine reine Seele verfügt, | 57v ist das Land seiner Gedanken in ihm selbst, und die Sonne, die in ihm scheint, ist das Licht der Heiligen Dreifaltigkeit, und die Luft, die seine (des Landes) Bewohner atmen, ist der Tröster und der Hochheilige Geist. Die mit ihm sind, sind heilige und nichtfleischliche Wesen, ihr Leben und ihre Freude und ihre Wonne ist Christus, der Licht vom Licht des Vaters ist. Wer so beschaffen ist, der frohlockt zu jeder Stunde durch die Schau seiner Seele und ist erstaunt ob seiner Schönheit, die hundertfach strahlender als das Licht der Sonne ist. Das ist Jerusalem und das Reich Gottes, das in uns nach dem Wort des Herrn verborgen ist [Lk 17,21]. Dieses Land ist eine Wolke der Herrlichkeit
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Gottes, in welche einzig die, so reinen Herzens sind, eingehen werden, um das Antlitz ihres Gebieters zu erblicken und ihren Geist durch die Strahlen des Lichtes ihres Gebieters erleuchten zu lassen. Wer aber reizbar ist und zornig, ruhmsüchtig und habgierig, wer der Völlerei huldigt und mit den weltzugewandten Menschen Umgang sucht und möchte, daß alles nach seinem Willen geschieht, wer aufbrausend ist und voller Leidenschaften, all diesen ergeht es wie einem, der in der Nacht kämpft und die Dunkelheit spürt und außerhalb des Landes || 58r des Lebens und des Lichtes weilt. Denn dieses Land wurde das Los derer, die gütig sind und demütig und die ihre Herzen geläutert haben. Der Mensch kann nicht die Schönheit sehen, die in ihm ist, ehe er nicht jegliche Schönheit außerhalb seiner selbst verachtet und verunglimpft. Und er kann nicht aufrichtig zu Gott aufschauen, solange er nicht vollständig der Welt entsagt hat. Wer sich selbst erniedrigt und kleiner macht, wird vom Herrn mit Weisheit ausgestattet werden. Wer sich aber selbst für weise hält, der geht der göttlichen Weisheit verlustig. In dem Maße, in dem seine Zunge der Geschwätzigkeit widersteht, in demselben Maße wird er erleuchtet, um die Gedanken zu unterscheiden. Vom vielen Reden aber wird auch der vernünftigste Verstand verwirrt. Wer in weltlichen Dingen verarmt, gewinnt Reichtum in Gott, und der Freund der Reichen wird arm durch Gott. Wer da Selbstzucht übt und Demut und Dreistigkeit verabscheut und den Zorn aus seinem Herzen abgelegt hat, (von dem) glaube ich, daß er, sobald er ein Gebet zu verrichten beginnt, in seiner Seele das Licht des Heiligen Geistes erblickt, und der Glanz des Lichtes spielt in Seinem (des Heiligen Geistes) Strahlen, | 58v und er erfreut sich an der Schau Seiner Herrlichkeit und der Verwandlung der Seele hin zur Ähnlichkeit mit Ihm. Es gibt kein anderes Tun, das so fähig wäre, die Scharen der unreinen Geister auf diese Weise zu vernichten, wie es die Schau Gottes ist. Denn einer der Väter hat mir Folgendes berichtet: Eines Tages saß ich da, und meine Gedanken waren in der Schau (Gottes) befangen. Als ich wieder zu mir kam, seufzte ich heftig auf. Ein mir gegenüberstehender Dämon aber erschrak, sobald er dies hörte, und als wäre er von einem Blitz verzehrt, schrie er in seiner Not auf, und wie von jemandem gejagt, stürzte er sich in die Flucht. Selig ist, wer seinen Auszug aus diesem Leben bedenkt und sich der Neigung zu weltlichen Genüssen enthält, denn er wird ein Vielfaches an Seligkeit bei seinem Auszug erlangen, und diese Seligkeit wird für ihn nicht abnehmen. Dieser (Mann) ist aus Gott geboren, und der Heilige Geist ist sein Ernährer. Aus seinem Busen saugt er die Leben bringende Nahrung, und zu seiner Freude verspürt er seinen Wohlgeruch. Wer aber an weltliche Dinge gebunden ist und durch die Welt und deren Ruhe, wer die Unterhaltung mit dieser (der Welt) liebt, || 59r der beraubt sich des Lebens, und ich
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habe nichts über ihn zu sagen, außer unter untröstlichem Weinen zu schluchzen, das anzuhören die Herzen der Hörenden zerknirscht. Die ihr euch im Dunkeln müht, erhebt eure Häupter, auf daß euere Gesichter vom Licht erleuchtet werden. Zieht aus und hinweg von den Leidenschaften der Welt, damit zur Begegnung mit euch das Licht, das vom Vater ausgeht, ausziehe und den Dienern Seiner Geheimnisse gebiete, eure Bande zu lösen, damit ihr in seinen Fußstapfen zum Vater wandeln mögt. Wehe, in wie vielem sind wir gefangen, was hält uns darnieder, daß wir nicht Seine Herrlichkeit schauen. Möchten doch unsere Bande zerreißen, damit wir, nachdem wir gesucht haben, unseren Gott finden. Wenn du die Geheimnisse der Menschen ergründen willst und nicht so weit gelangt bist, dies vom Heiligen Geist zu lernen, wirst du es von den Worten und dem Dasein und dem Lebenswandel eines jeden erfahren, wenn du klug bist. Wer reinen Herzens ist und von makellosem Lebenswandel, der wird stets maßvoll mit den Worten des (Heiligen) Geistes sprechen und nach seinem Maße (der Erkenntnis) über die göttlichen Dinge reden sowie über das, was in ihm selber ist. | 59v Diejenigen aber, deren Herz von Leidenschaften zerrissen ist, deren Zunge wird auch von ihnen bewegt. Und wenn dieser (Mensch) über geistige Dinge spricht, dann rechtet er unter dem Einfluß der Leidenschaften, um zu Unrecht den Sieg davonzutragen. Der Weise wird einen solchen (Menschen) bei einer einzigen Begegnung erkennen, und der Reine spürt seinen üblen Geruch. Wer es bei eitlem Geschwätz und Spitzfindigkeiten beläßt, der ist ein Sünder an Seele und Leib, und wer dies billigt und daran teil hat, der ist ein Ehebrecher. Und wer mit ihm Umgang pflegt, der ist ein Götzendiener. Die Liebe zu den Jungen ist Unzucht, die Gott verabscheut. Für die Verletzung eines solchen (Menschen) gibt es kein Pflaster. Wer aber alle gleichermaßen liebt, mitleidig und unterschiedslos, der hat Vollkommenheit erlangt. Der Junge, der dem Jüngeren folgt, bringt die Besonnenen dazu, ihretwegen zu schluchzen und über sie zu weinen. Ein Alter jedoch, der einem Jungen folgt, ist von einer Leidenschaft befallen, die noch übler riecht als die der Jungen. Selbst wenn er mit den Jungen über die Tugend spräche, so ist doch sein Herz verwundet. Ein junger Mensch, der weise und demütig und schweigsam ist, mit einem reinen Herzen frei von Unruhe und Zorn, der sich von allen Menschen fernhält und auf sich selber achtet, der wird gar bald die Leidenschaften || 60r des sorglosen Alten begreifen. Wenn aber ein alter Mann sich nicht in gleicher Weise einem Alten und einem Jüngling gegenüber verhält, dann sei mit aller Kraft bemüht, mit einem solchen Mann keinen Umgang zu pflegen, sondern entferne dich so weit wie nur möglich von ihm. Wehe den Sorglosen, diesen Heuchlern, die unter einem reinen Äußeren ihre Leidenschaften nähren. Wer jedoch sein graues Haar unter
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Reinhaltung seines Denkens erreicht hat und bei einem reinen Lebenswandel und indem er seine Zunge im Zaume hielt, der wird sich (schon) hier an der Süße der Frucht seiner Erkenntnis laben, und wenn er aus diesem Körper auszieht, wird er die Herrlichkeit Gottes empfangen. Nichts läßt so sehr das Feuer erkalten, das vom Heiligen Geist in das Herz des Mönches zur Heiligung seiner Seele eingehaucht wurde, wie der Umgang (mit anderen Menschen), das viele Reden und die Unterhaltung, es sei denn die mit den Kindern der göttlichen Geheimnisse, die dem Wachsen der eigenen Erkenntnis und der Annäherung (an Gott) dienen. Denn eine solche Unterhaltung ermuntert die Seele zum Leben und merzt die Leidenschaften aus und schläfert die schlechten Gedanken weit mehr ein als jegliche Tugend. Erwirb dir weder Freunde noch Menschen, mit denen du (diese) Geheimnisse teilst, nur solche (wie die Genannten), damit du deiner Seele kein Ärgernis bereitest und dich vom Weg des Herrn abwendest. | 60v Möge die Liebe gepriesen werden in deinem Herzen, die dich mit Gott vereint und verbindet, damit dich keine weltliche Liebe gefangen hält, deren Ursache und Ende die Verweslichkeit ist. Das Leben und der Umgang mit den Asketen bewirkt eine Bereicherung durch die göttlichen Geheimnisse der einen wie der anderen. Die Liebe zu den Sorglosen und Trägen aber führt dazu, daß, gemeinsam im Vergnügen befangen, der Bauch sinnlos und maßlos übersättigt wird. Einem solchen (Menschen) sind seine Speisen ohne seinen Freund nicht angenehm, und er sagt: Wehe dem, der sein Brot allein essen muß, denn es wird ihm nicht angenehm sein. Sie laden einander zu Gastmählern ein und vergelten es einander wie Mietlinge. Fliehe diese weltliche Liebe und dieses unschöne und unsaubere Dasein. Fliehe, o Bruder, jene, die sich an derlei gewöhnt haben, und laß es dich auf keinen Fall gelüsten, mit ihnen gemeinsam zu speisen, selbst dann nicht, wenn du in Not geraten solltest. Denn ihr Tisch ist schändlich, und Dämonen sind die Diener. Und die Freunde von Christus, dem Bräutigam, genießen dies nicht. Wer Gastmähler || 61r oft veranstaltet, ist ein Arbeiter im Dienst des ausschweifenden Dämons, und die Seele des demütigen Weisen wird von dem schlechten Brot entweiht. Das geringe Brot vom Tische des Reinen reinigt die Seele dessen, der es ißt, von jeglicher Leidenschaft. Der Geruch vom Tische des Prassers, die Fülle der Speisen und Pfannen (bewirkt), daß der Törichte und Unverständige von ihm angezogen wird wie der Hund von der Schlachtbank. Für den, der im Gebet verharrt, ist sein Tisch stets süßer als jeglicher Moschusduft und Wohlgeruch der Myrrhen. Die Gott lieben, verlangen danach wie nach einem unschätzbaren Schatz. Vom Tisch derjenigen, die Enthaltsamkeit üben, wachen und um den Herrn ringen, übernimm dir diesen Leben spendenden Trank, und hebe die Abtötung deiner Seele auf. Denn der Geliebte liegt in ihrer Mitte zu
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Tische und heiligt sie und verwandelt die Bitterkeit ihres Elends in Seine unaussprechliche Süße. Seine geistigen und himmlischen Diener aber überschatten sie und ihre heiligen Speisen. Ich kenne einen aus der Bruderschaft, der dies mit eigenen Augen gesehen hat. Selig, wer seinen Mund vor jeder Fleischeslust verschlossen hat, | 61v die ihn von Dem, Der ihn erschaffen hat, trennt. Selig, wer zur Nahrung das Brot hat, das vom Himmel hinabgestiegen ist und der Welt das Leben geschenkt hat. Selig, wer auf seinem Felde den Lebensquell erblickt hat, der aus dem Ölbaum aus dem Schoße des Vaters kommt und auf Ihn sein Auge gerichtet hat. Denn wenn er davon trinkt, wird er fröhlich werden, und sein Herz wird aufblühen und sich in Wonne und Freude ergehen. Wer in seiner Speise seinen Herrn erblickt hat, der stiehlt sich hinweg und kommuniziert nur mit Ihm und sucht nicht den Umgang mit Unwürdigen, damit er nicht zu ihrem Mitbeteiligten und Seines Lichtes entblößt wird. In wessen Nahrung jedoch das Gift des Todes gemischt ist, der kann diese nicht ohne Beisein seiner Freunde mit Genuß zu sich nehmen. Er ist ein Wolf, der Aas frißt und Freundschaft pflegt um seines Leibes willen. Wie groß ist deine Unersättlichkeit, du Unbedachter, daß du deinen Bauch füllen willst vom Tisch der Sorglosen, denn bei ihnen wird deine Seele von allen möglichen Leidenschaften erfüllt. Diese Warnungen sind ausreichend zum Schutz für diejenigen, die ihren Leib mäßigen können. || 62r Der Geruch des Fastenden ist köstlich, und die Begegnung mit ihm erfreut die Herzen der Verständigen. Wer aber seinem Bauche dient, den überfällt Angst, wenn er mit ihm zusammen ist, und er ist auf jegliche Weise darauf bedacht, nicht gemeinsam mit ihm zu speisen. Die Lebensweise des Enthaltsamen ist wohlgefällig bei Gott, doch seine Nachbarschaft ist für den Habgierigen eine schwere Last. Der Schweigsame wird von Christus für höchst lobenswert befunden, denen aber, die von den Dämonen in Spielen und Belustigungen gefangen sind, wird sein Nahen nicht angenehm sein. Wer liebt nicht den demütigen Weisen und Sanftmütigen außer jenen, die hochmütig üble Nachrede führen, denen sein Handeln fremd ist? Jemand hat mir erzählt, was er darüber erfahren hat: In jenen Tagen, an denen ich mich mit anderen unterhalte, esse ich drei oder vier Fladen am Tag, wenn ich mich aber zum Gebet anhalte, dann hat mein Geist weder Mut, mich an Gott zu wenden, noch kann ich zu Ihm aufblicken. Wenn ich mich aber von diesen (anderen) trenne und in das Schweigen zurückziehe, dann zwinge ich mich am ersten Tag anderthalb (Fladen) zu essen, am zweiten Tag (noch) einen, und sobald sich mein Geist | 62v im Schweigen gefestigt hat, bemühe ich mich, einen ganzen Fladen zu essen, und kann es doch nicht, mein Geist aber spricht unentwegt kühn zu Gott, obwohl ich ihn nicht dazu anhalten muß, und Sein Abglanz überstrahlt mich unvermindert und lockt mich, die
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Schönheit des Lichtes Gottes zu schauen und mich daran zu erbauen. Geschieht es aber, daß in dieser Zeit des Schweigens jemand kommt und mit mir auch nur eine Stunde spricht, dann ist es mir unmöglich, nicht auch Speise hinzuzufügen, auch etwas von der Regel auszulassen und in der geistigen Schau jenes Lichtes zu erschlaffen. Ihr seht also, meine Brüder, wie gut und nützlich Geduld und Zurückgezogenheit sind, und welche Kraft und (was für) ein gutes Gefühl sie den Asketen bereiten. Selig, wer um Gottes willen im Schweigen ausharrt und in der Einsamkeit sein Brot ißt, weil er stetig mit Gott im Gespräch ist, Dem Ruhm sei in Ewigkeit. Amen. Rede 9 (62v – 66r) desselben über die Ordnung und die Regel für die Neueingetretenen und was ihnen nicht zum Vorbild dienen soll Dies ist eine züchtige und Gott wohlgefällige Ordnung, daß man die Augen nicht hierhin und dahin wandern läßt, || 63r sondern sich stets nach vorn gewendet hält, daß man nicht geschwätzig ist, sondern nur das Nötige spricht, sich mit dürftiger Kleidung begnügt, soweit dessen der Leib bedarf, und ebenso Nahrung zu sich nimmt, die den Leib erhält, aber nicht Völlerei betreibt, und von allem nur wenig ißt, nicht das eine entwertet, ein anderes aber erwählt und (nur) von diesem seinen Leib zu füllen gelüstet, das andere aber von sich weist. Größer als alle Tugend ist die (Kunst der) Unterscheidung. Enthalte dich des Weines, es sei denn, du wärest unter Freunden oder krank oder ohne Kraft. Unterbrich nicht die Rede des anderen, während er spricht, und antworte nicht wie ein Ungebildeter, sondern sei klug und fest. Und wo immer du auch seist, halte dich für geringer und für einen Diener deiner Brüder. Entblöße vor keinem etwas von deinen Gliedern, noch sollst du dich jemandes Körper nähern, es sei denn aus einem triftigen Grund, so wie du auch unterlassen sollst, daß sich ein anderer deinem Körper nähere, es sei denn, wie ich sagte, aus einem vernünftigen Grund. Meide | 63v den Freimut wie den Tod. Suche züchtige Ordnung für deinen Schlaf zu erlangen, damit sich nicht die Kraft, die über dich wacht, von dir entferne. Wenn möglich sollte dich da, wo du schläfst, niemand sehen. Wirf vor niemandem deinen Speichel aus. Überkommt dich aber ein Husten, während du an der Tafel sitzest, dann wende dein Gesicht nach hinten und huste so. Iß und trink besonnen, wie es Gotteskindern geziemt. Strecke deine Hand nicht aus, um schamlos etwas zu nehmen, was vor deinen Gefährten liegt. Sitzest du aber mit einem Fremdling zusammen, dann fordere ihn zuvor einmal und zweimal zu essen auf, und stelle (die Speisen) ordentlich und nicht durcheinander auf den Tisch. Sitze gesittet da und bedeckt, ohne etwas von deinen Gliedern zu entblößen. Wenn du gähnst, schließe den Mund, damit man es
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nicht weiß, nachdem du aber den Atem angehalten hast, wird es (das Gähnen) vergehen. Wenn du die Zelle deines Lehrers betrittst oder die eines Freundes oder die eines Schülers, dann schütze deine Augen, damit sie nichts von dem sehen, was dort ist. Wirst du aber von einem Gedanken dazu getrieben, || 64r dann gib acht, daß du nicht gehorchst und dieses tust. Denn wer sich darin schamlos verhält, ist dem Bilde eines Mönches oder Christi fremd, Der uns dieses Bild geschenkt hat. Richte deinen Blick nicht auf jene Stellen, an denen der Hausrat in der Zelle deines Freundes aufbewahrt ist. Leise sollst du die Tür bei dir öffnen und schließen und (ebenso) bei deinem Freund. Tritt nicht plötzlich bei jemandem ein, sondern nachdem du von außen angeklopft hast und hineinbefohlen worden bist. Dann aber tritt ehrerbietig ein. Sei nicht eilig in deinem Gang, außer eine Notwendigkeit verlangt dies von dir. Sei allen gehorsam in jeglichem guten Werk, nur den Habgierigen oder den Geldgierigen oder den irdisch Gesonnenen sollst du nicht folgen, damit (dein Gehorsam) nicht einem Werk des Teufels diene. Sprich sanftmütig mit einem jeden, blicke einen jeden sittsam an, und sättige nicht deine Augen an jemandes Angesicht. Bist du unterwegs, dann versuche nicht, dem, der älter ist als du, zuvorzukommen. Ist dein Freund zurückgeblieben, dann warte auf ihn, wenn du ein wenig vorangegangen warst. | 64v Wer nicht so handelt, ist unvernünftig und einem Schwein näher, das kein Gesetz hat. Wenn dein Freund mit einem Menschen, der ihm begegnet ist, ein Gespräch beginnt, dann warte auf ihn und dränge ihn nicht. Der Gesunde möge dem Kranken nicht vorzeitig sagen, laß uns das Nötige tun. Entlarve niemanden wegen eines Vergehens, sondern halte dich selber in allem für verantwortlich und der Verfehlung schuldig. Lehne in Demut nicht ab, ein jegliches niedrige Werk zu tun, und schiebe es nicht weg. Wenn du aber lachen mußt, laß deine Zähne nicht sehen. Mußt du aber zu Frauen sprechen, wende dein Gesicht von ihrem Anblick ab, und sprich so mit ihnen. Von den Schamlosen aber halte dich fern wie vom Feuer, und wie von den Fallstricken des Teufels (halte dich fern) von Begegnungen mit ihnen und Unterhaltungen und ihrem Anblick, damit dein Herz nicht in der Gottesliebe erkalte und dir vom Schlamm der Leidenschaften besudelt werde. Auch wenn sie dir leibliche Schwestern sind, hüte dich vor ihnen wie vor Fremden. Hüte dich vor der Vermischung mit deinen eigenen (Leuten), damit dein Herz nicht in der Liebe zu Gott erkalte. Freimütigen Umgang und Gespräche mit Jünglingen || 65r fliehe so wie die Freundschaft mit dem Teufel. Einzig der sei dein Gesprächspartner und Mitwisser deiner Geheimnisse, der Gott fürchtet und stets auf sich selber achtet, arm in seinem Hause aber reich an göttlichen Geheimnissen ist. Vor einem jeden verbirg deine Geheimnisse, dein Handeln sowohl wie deine Kämpfe. Vor niemandem sitze
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unbedeckten Hauptes, es sei denn die Not gebiete es. Besonnen gehe hin, das Notwendige zu verrichten, gleichsam in Ehrfurcht vor dem dich behütenden Engel, und vollbringe es in der Furcht (Gottes), und zwinge dich selbst bis zum Tode, auch wenn dies deinem Herzen nicht behagt. Es ist besser für dich, tödliches Gift zu essen, als mit einer Frau zu essen, auch wenn dies Mutter oder Schwester wäre. Es ist besser für dich, mit einer Schlange zusammen zu hausen, als mit einem Jüngling zu schlafen oder unter einer Decke zu liegen, selbst wenn es dein leiblicher Bruder wäre. Wenn dir unterwegs jemand, der älter ist als du, sagt: Komm, laß uns singen(d lobpreisen), dann überhöre ihn nicht. Sagt er es aber nicht, dann schweige mit der Zunge, in deinem Herzen aber preise Gott. Widersetze dich niemandem in irgend etwas, noch lehne dich auf, | 65v auch sollst du weder lügen, noch schwören im Namen Gottes, deines Herrn. Solltest du verachtet sein, verachte nicht. Hat man dich beleidigt, dann beleidige nicht. Es ist besser, daß das Fleischliche mit dem Leib verwese, als daß das Seelische Schaden leide. Gehe mit niemandem vor Gericht, sondern ertrage es, wenn du verurteilt wurdest, auch wenn du nicht zu verurteilen bist. Finde nicht Gefallen in deiner Seele an dem, was weltlicher Natur ist, ordne dich vielmehr den Vorstehern und Vorgesetzten unter. Von (enger) Verbindung mit diesen aber halte dich fern, denn das ist das Netz, das die Trägsten zu ihrem Verderben einfängt. O du Prasser, der du deinem Leibe zu Gefallen sein willst, dir wäre besser, du packtest in deinen Leib feurige Kohlen als die Pfannengerichte deiner Vorsteher und Vorgesetzten. Gieße über alle deine Güte aus, und bleibe vor allen verborgen. Hüte dich vor Geschwätzigkeit, denn diese läßt im Herzen die geistigen Regungen erlöschen, die von Gott kommen. Fliehe wie vor einem ungestümen Löwen, (wenn es darum geht,) die überlieferten Lehren weiterzugeben. Weder mit kirchlichen Lehrern noch || 66r mit Fremden sollst du dich darauf einlassen. Meide die Plätze der Hitzköpfe und Händelsuchenden, damit dein Herz nicht von Gereiztheit erfüllt und deine Seele von der Finsternis der Verlockungen überwältigt werde. Bei den Überheblichen sollst du nicht wohnen, damit nicht die Wirkung des Heiligen Geistes von deiner Seele genommen und sie zur Wohnstatt einer jeglichen tückischen Leidenschaft werde. Hältst du, o Mensch, diese Schutzmaßnahmen ein und befassest dich immerdar mit der göttlichen Lehre, dann wird wahrhaftig deine Seele in sich das Licht Christi erblicken und in Ewigkeit sich nicht verdunkeln. Ihm sei Ruhm und Macht in Ewigkeit. Amen.
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Desselben Erzählung von den heiligen Männern und die ehrwürdigen Reden, die er von ihnen gehört hat, und über ihren wunderbaren Lebenswandel Eines Tages ging ich in die Zelle eines heiligen Bruders und stützte mich an einer Stelle wegen meiner Schwäche ab, damit er sich Gott zuliebe um mich kümmere, denn ich hatte dort niemanden, den ich kannte. Und ich sah, wie dieser Bruder nachts vor der Zeit aufstand und die Gewohnheit hatte, noch vor den Brüdern die Regel einzuhalten. Er betete ziemlich lange seine (Psalmen)Verse, und plötzlich | 66v mitten darin verließ er die Regel, fiel auf sein Angesicht und schlug dabei hundertmal oder noch öfter mit dem Kopf auf den Boden mit einer Inbrunst, die in seinem Herzen durch die Gnade entfacht war. Danach stand er auf, küßte das Kreuz des Herrn, verneigte sich wieder tief und küßte (abermals) dieses Kreuz, dann warf er sich wieder auf sein Angesicht. Und in dieser Gewohnheit verbrachte er sein Leben, so daß es mir nicht möglich ist, die Zahl der Fülle seiner Kniebeugungen zu erfassen. Wer hätte auch die tiefen Verneigungen dieses Bruders zusammenzählen können, die er doch jede Nacht vornahm. Zwanzigmal küßte er das Kreuz in Ehrfurcht und Inbrunst, mit einer in Frömmigkeit aufgelösten Liebe, und dann setzte er das Beten der Verse fort. Und einmal, als er von der gewaltigen Entfachung der ihn in ihrer Inbrunst entflammenden Gedanken das Lodern dieser Flamme nicht (mehr) ertragen konnte, schrie er, von Wonne überwältigt, weil er nicht mehr an sich zu halten vermochte, so daß ich mich sehr wunderte über die Gnade jenes Bruders, seinen Kampf und die Selbstzucht, || 67r die er im Werk Gottes an den Tag legte. Des Morgens aber, nach der ersten Stunde, wenn er sich zur Lesung hinsetzte, glich er einem gefangenen Menschen, und während eines jeden Kapitels, das er las, fiel er viele Male auf sein Angesicht, und bei vielen Versen hob er seine Hände zum Himmel und pries Gott. Sein Alter aber betrug 40 Jahre. Dabei war seine Nahrung von sehr geringer Menge und sehr trocken. Und weil er seinen Körper oftmals über die Maßen und seine Kräfte hinaus genötigt hatte, sah er aus wie ein Schatten, so daß mich Mitleid mit ihm erfaßte ob der Entkräftung seines Gesichtes, das vom vielen Nichtessen so verfiel, daß es an Umfang weniger als zwei Finger maß. Und ich sagte häufig zu ihm: Hab Erbarmen mit dir selbst, mein Bruder, was deine Lebensweise anbetrifft und das vorbildliche Leben, das du erreicht hast, und zerstöre dein Leben nicht, das einer geistigen Kette gleicht, und schneide es nicht ab. Und um des Wunsches willen, eine kleine Mühe hinzuzufügen, mögest du nicht verlassen werden und deinen ganzen Lebenslauf beenden. Iß in Maßen, aber iß immer. Setze deinen Fuß nicht weiter, als deine Kraft (erlaubt), | 67v damit
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du nicht völlig davon ablassen mögest. Denn er war gütig und sehr bescheiden. Sanftmütig übte er Barmherzigkeit. Er war rein in seinem Wesen, dem Trösten hingegeben, weise, wo es um Gott ging. Wegen seiner Reinheit und Sanftmut wurde er von allen geliebt. Mit den Brüdern arbeitete er auch, wenn sie ihn brauchten, oftmals drei oder vier Tage lang. Abend für Abend aber kam er in seine Zelle, denn er war auch erfahren in jeglichem Dienst. Wenn er aber etwas besaß, das er selbst brauchte, konnte wegen der großen Scham, die er gegenüber Klein und Groß empfunden hätte, nicht sagen, daß er dieses nicht besitze. Denn wie bei dem meisten, was er mit den Brüdern verrichtete, tat er dies gleichsam schüchtern und zwang sich dazu, war es doch für ihn nicht angenehm, aus seiner Zelle herauszugehen. Dergestalt war das Leben und das Verhalten jenes wahrhaft bewundernswerten Bruders. Rede 11 (67v – 69r) Desselben Erzählung von einem alten Mönch Ein andermal wieder ging ich zu einem betagten, guten und tugendhaften alten Mönch. Dieser liebte mich sehr und war, obwohl ungebildet im Wort, so doch erleuchtet in seinem Wissen und von tiefgründigem Herzen. Und er sprach das aus, was || 68r ihm die Gnade eingab. Er ging nicht oft aus seiner Zelle, es sei denn zu den heiligen Versammlungen. Er achtete nämlich auf sich und hielt sich an das Schweigen. Zu ihm sagte ich einmal: Vater, mir ist der Gedanke gekommen, am Sonntag in den Kirchenvorraum zu gehen, mich dort hinzusetzen und am frühen Morgen zu essen, damit jeder, der hineingeht oder herauskommt, sobald er mich erblickt hat, mich verachtet. Darauf antwortete mir der alte Mönch und sagte: Es steht geschrieben, daß ein jeder, der den Kindern dieser Welt ein Ärgernis bereitet, das Licht nicht erblicken wird. Dich aber kennt niemand in diesem Lande, noch kennt man deinen Lebenswandel, aber sie werden sagen, daß die Mönche vom frühen Morgen an essen. Ja mehr noch, weil es hier neu eingetretene Brüder gibt, die unvermögend in ihrem Denken sind, und viele von ihnen an dich glauben und Nutzen haben sollen von dir, werden sie, sobald sie dich bei diesem Tun sehen, Schaden erleiden. Die alten Väter haben solchermaßen gehandelt wegen der vielen Wunder, die sie bewirkten, und wegen der Verehrung, die man ihnen entgegenbrachte. Und wegen ihres gerühmten Namens machten sie solches, um sich selbst zu entehren und die Herrlichkeit ihres Lebens(wandels) zu verbergen und die Ursachen für den Stolz weit von sich zu weisen. | 68v Was aber ist der Anlaß für dich, dergleichen zu tun? Weißt du nicht, daß es für jedes Leben seine Ordnung und seine Zeit gibt? Du hast kein solchermaßen abgehobenes Leben noch einen solchen Namen, da du
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wie einer von den Brüdern lebst. Und du bringst dir selber keinen Nutzen und schadest anderen. Und ferner ist diese Ordnung nicht für alle nützlich, sondern allein für die Vollkommenen und die Großen, denn darin liegt eine Freigabe der Sinne. Für die auf der mittleren Stufe und die neu (in den Mönchsstand) Eingetretenen aber ist es schädlich, weil sie großer Wachsamkeit und Unterordnung der Sinne bedürfen. Die (oben genannten) alten Mönche hingegen haben schon die Zeit der Wachsamkeit hinter sich gelassen, und aus allem, was sie wollen, ziehen sie einen Nutzen. Denn die unerfahrenen Kaufleute erwirken sich in großen Dingen großen Schaden, bei geringeren Dingen aber kommen sie schnell und erfolgreich voran. Und wiederum hat, wie ich sagte, ein jegliches Werk seine Ordnung, und für jede Form des Daseins ist eine Zeit bestimmt. Wer vor der Zeit beginnt, was sein Maß übersteigt, verdoppelt den Schaden für sich, || 69r aber er gewinnt nichts. Wenn du dieses für dich wünschest, dann ertrage voller Freude die von der Vorsehung und nicht von deinem Willen bestimmte Schmach, die über dich kommt, und sei nicht betrübt und fasse keinen Haß gegen den, der dir deine Ehre nimmt. Ich war einmal im Gespräch mit jenem besonnenen Manne, der vom Baum des Lebens gekostet hatte im Schweiße seiner Seele, vom Morgen seiner Jugend bis zum Abend seines Alters. Und nachdem er mich in vielen Reden über die Tugend belehrt hatte, sagte er mir Folgendes: Jedes Gebet, das dem Leib keine Anstrengung abverlangt und bei dem das Herz sich nicht betrübt, ist soviel wie eine vorzeitig ausgestoßene Leibesfrucht, denn dieses Gebet ist ohne Seele. Und dann sagte er noch zu mir: Einem streitsüchtigen Menschen, der auf seiner Rede beharren möchte, arglistig ist in seinem Denken und schamlos in seinen Sinnen, gib in keinem Fall weder etwas noch nimm irgend etwas von ihm an, damit du nicht der Reinheit verlustig gehst, die du unter so viel Anstrengung erreicht hast, und damit du nicht dein Herz mit Finsternis und Verwirrung erfüllst. Rede 12 (69r – 70v) Desselben Erzählung von einem anderen alten Mönch Eines Tages ging ich in die Zelle eines der Väter. Dieser heilige Mann aber öffnete nicht oft einem anderen seine Tür. | 69v Als er mich aber von seinem Fenster aus erblickte und sah, daß ich es war, sagte er zu mir, ob ich eintreten wolle, und ich antwortete: Ja, ehrwürdiger Vater. Und nachdem ich eingetreten war, wir gebetet, uns gesetzt und ein Gespräch über mancherlei aufgenommen hatten, fragte ich ihn schließlich: Was soll ich tun, Vater, wenn manche Menschen zu mir kommen, und ich weder etwas gewinne noch einen Nutzen von der Unterhaltung mit ihnen habe. Ich schäme mich, ihnen zu sagen, daß sie nicht kommen sollten, wiewohl sie mich oftmals an
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der Befolgung der gewöhnlichen Regel hindern, und dies bereitet mir Kummer. Darauf entgegnete mir jener gesegnete alte Mönch: Wenn solche (Menschen) zu dir kommen, die den Müßiggang lieben, dann tue so, wenn sie erst ein wenig gesessen haben, als schicktest du dich zum Gebet an, und sage mit einer Verneigung zu dem, der sich da eingefunden hat: Komm, Bruder, laß uns beten, denn die Zeit für meine Regel ist schon gekommen, und ich darf sie nicht versäumen, denn es wird für mich zur Last, wenn ich dies zu einer anderen Stunde verrichten wollte, und das ist für mich Grund zur Betrübnis, und ohne irgendeine Not kann ich die (Befolgung der) Regel nicht unterlassen || 70r Jetzt aber ist es nicht nötig, mein Gebet zu unterlassen. Und du wirst ihn nicht gehen lassen, ohne daß er mit dir gebetet hat. Wenn er aber sagt, bete du nur, und ich werde gehen, dann mache ihm eine tiefe Verbeugung und sprich: Verrichte wenigstens um der Liebe willen dieses eine Gebet mit mir, damit ich einen Nutzen von deinem Gebet habe. Und wenn ihr aufsteht, fahre in deinem Gebet fort und sogar noch länger, als du es zu verrichten gewöhnt bist. Wenn du aber so mit denen verfährst, dann werden sie, sobald sie zu dir kommen und gelernt haben, daß du weder einer Meinung mit ihnen bist, noch daß du den Müßiggang liebst, sich einem Ort nicht nähern, von dem sie hören, daß du dort seiest. Sieh zu, daß du nicht aus Menschengefälligkeit das Werk Gottes zerstörst. Wenn sich jedoch einer von den Vätern einfindet oder ein mit Mühsalen beladener Fremder, dann wird dir das Beisammensein mit einem solchen wie ein großes Gebet angerechnet werden. Sollte aber der Fremde einer von jenen sein, die leeres Geschwätz lieben, dann beruhige ihn nach Kräften und entlasse ihn in Frieden. Einer von den Vätern hat gesagt: Ich wundere mich gehört zu haben, daß einige in ihren Zellen handwerkliche Arbeiten verrichten | 70v und ohne Einschränkung dabei ihre Regel einhalten können und dabei nicht in Verwirrung geraten. Und er tat einen staunenswerten Ausspruch: Ich spreche wahr: Wenn ich nach Wasser gehe, gerate ich in meiner Gewohnheit und der Ordnung an sich in Verwirrung und bin im Vollzug meiner Überlegungen behindert. Rede 13 (70v – 72r) desselben über die Anfrage eines Bruders Eines Tages wurde derselbe alte Mönch von einem Bruder gefragt: Was soll ich tun? Oft habe ich etwas, das ich brauche, sei es wegen einer Krankheit oder irgendeiner Arbeit oder aus irgendeinem anderen Grund, und ohne dies kann ich nicht in Zurückgezogenheit leben. Und wenn ich (dann) jemanden sehe, der dies braucht, dann gebe ich es ihm, von Mitleid überwältigt. Und oftmals tue ich das, weil ich von jemandem gebeten worden bin. Denn die
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Liebe und das Gebot zwingen mich dazu. Und ich gebe dem Bittenden, was ich selbst brauche. Und danach geschieht es, daß der (eigene) Bedarf an dieser Sache mich in Sorge und Beunruhigung der Gedanken versetzt. Und das lenkt derart meinen Geist von der Sorge um die Zurückgezogenheit ab, und ich werde vielleicht sogar gezwungen, || 71r das (Leben im) Schweigen aufzugeben, um mich auf die Suche nach dieser Sache zu machen. Wenn ich es aber ertrage und das Schweigen nicht aufgebe, dann bleibe ich doch in großem Kummer und Gedankenverwirrung (zurück). Ich weiß nicht, was von beidem ich mir auswählen soll: um der Ruhe des Bruders willen aufhören mit dem, was mein Schweigen bewirkt, oder die Bitte übersehen und in der Zurückgezogenheit verharren? In dieser Sache antwortete der alte Mönch und sagte: Jedes Almosen oder Liebe oder Barmherzigkeit oder wenn etwas vermeintlich um Gottes willen getan worden ist und dich an deiner Zurückgezogenheit hindert und dein Auge auf die Welt richtet und dich in Sorge stürzt und dein Denken an Gott trübt und deine Gebete abbricht und dich in Verwirrung und Aufruhr und Unordnung deiner Gedanken versetzt und dich dazu bringt, das Lesen der gotterfüllten Schriften einzustellen, das eine Waffe ist, die dich vor dem Umherschweifen der Gedanken bewahrt und (alle) diese (Anlässe, die) deine Wachsamkeit zerstören und bei dir bewirken, daß du, nachdem du gebunden warst, (frei) gehen kannst, und nachdem du die Einsamkeit gesucht hattest, wieder Umgang mit anderen pflegst, und | 71v die begrabenen Leidenschaften gegen dich aufwecken und die Beherrschung deiner Sinne auflösen und dich, der du für die Welt gestorben warst, wieder aufrichten (in dieser Welt) und dich von einem engelgleichen Handeln herunterziehen, dessen Sache doch deine einzige Sorge ist, und die dich in die Bereiche der weltlichen (Menschen) stellen – solche Gerechtigkeit möge zuschanden werden. Denn die gebotene Ausübung der Liebe zur Stillung leiblicher Bedürfnisse ist Sache der weltlichen Menschen oder auch von Mönchen, die allerdings unvollkommen sind, nicht aber von denen, die in Zurückgezogenheit leben, oder von solchen, die eine gemischte Zurückgezogenheit pflegen zusammen mit anderen und die häufig ein- und ausgehen. Und für diese ist das gut und lobenswert. Denjenigen aber, die in Wahrheit die Abkehr von der Welt im Leibe und im Geist gewählt haben, die ihr Denken ganz auf das einsame Gebet ausrichten, abgestorben für die vergänglichen Dinge, deren Anblick und die Erinnerung an sie, denen steht körperliches Tun und die Gerechtigkeit offensichtlicher Dinge, womit sie ihr Dienen für Christus rechtfertigen, nicht an. Vielmehr geziemt es ihnen, nach den Worten des Apostels, durch Abtötung ihrer Glieder, die auf Erden sind [Kol 3,5], Jenem das reine und makellose Opfer der Gedanken zu bringen als Erstling || 72r des eigenen Mühens und der Be-
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drängnis durch die körperlichen Dinge im Ertragen von Nöten um der zukünftigen Hoffnung willen. Denn das mönchische Leben kommt dem der Engel gleich. Wir dürfen aber nicht das Besorgen des Himmlischen aufgeben und uns an die (irdischen) Dinge halten. Rede 14 (72r – 75v) desselben über den Tadel an einem Bruder Eines Tages wurde ein Bruder getadelt, weil er keine Almosen gab. Und kühn und furchtlos antwortete er dem, der ihn getadelt hatte: Mönche brauchen keine Almosen zu geben. Der ihn getadelt hatte, antwortete ihm: Sichtbar und wohl bekannt ist der Mönch, (der) keine Almosen zu geben braucht. Er nämlich ist es, der mit offenem Antlitz zu Christus sagen kann, wie es geschrieben steht: Siehe, wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt [Mt 19,27]. Das heißt, der ist es, welcher nichts besitzt auf Erden, und nichts mit körperlichen Dingen zu schaffen hat und nichts von den sichtbaren Dingen im Sinn hat noch sich darum sorgt, wie er etwas erwerben kann, vielmehr dann, wenn ihm jemand etwas gibt, nur das nimmt, was er braucht, was aber darüber hinaus geht, ist ihm keine Rede wert, und er ist wie ein Vogel in seiner Lebensführung. Dieser | 72v braucht keine Almosen zu geben. Denn wie kann er einem anderen von dem geben, wovon er selbst befreit ist? Wer sich aber um weltliche Dinge kümmert und mit seinen Händen arbeitet und vom anderen etwas annimmt, muß diesem auch Almosen geben. Und dies nicht gern zu tun ist Widersätzlichkeit und Unbarmherzigkeit gegen das Gebot des Herrn. Denn wenn jemand sich weder in den verborgenen Dingen Gott nähert, noch Ihm im Geiste zu dienen versteht und auch die offensichtlichen Dinge mißachtet, die ihm möglich sind, welche andere Hoffnung wird es dann für einen solchen Menschen geben, mit der er sich das Leben erwürbe? Ein solcher Mensch ist töricht. Ein anderer alter Mönch sagte: Ich wundere mich über diejenigen, die sich in Unruhe versetzen bei ihrem Leben im Schweigen, um andere in Dingen des Leibes zu beruhigen. Und er sagte noch: Es ziemt sich nicht für uns, die Sache des zurückgezogenen Lebens im Schweigen mit der Sorge um etwas anderes zu vermischen. Denn eine jede Sache soll auf dem ihr zukommenden Platz geachtet werden, damit unser Dasein nicht verdorben werde. Denn wer sich um viele kümmert, ist auch ein Sklave der Vielen. Derjenige aber, der alles verläßt und sich um die Ordnung seiner Seele sorgt, der ist ein Freund Gottes. Siehe, Menschen, die Almosen geben || 73r und die Nächstenliebe üben in Dingen, die den Leib betreffen, gibt es viele in der Welt. Solche aber, die ein umfassendes und wohlgefälliges Leben im Schweigen führen und sich um Gott bemühen, findet man kaum, und sie sind selten. Wer aber von denen, die in
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der Welt Almosen geben und Barmherzigkeit üben in leiblichen Dingen, könnte nur eine der Gaben erlangen, die von Gott denjenigen gewährt werden, die in Zurückgezogenheit leben. Und wiederum sagte er: Wenn du ein weltlicher Mensch bist, dann lebe so, wie es dem Lebenswandel guter weltlicher Menschen entspricht. Bist du aber ein Mönch, dann glänze durch Werke, mit denen sich die Mönche auszeichnen. Willst du aber in beidem leben, dann wirst du von beidem abfallen. Die Werke eines Mönches bestehen in diesem: Freiheit von der Sorge um leibliche (Belange), körperliche Anstrengung im Gebet und unentwegtes Gedenken im Herzen an Gott. Ob du aber ohne diese Dinge Genüge finden kannst an weltlichen Tugenden, das mögest du selbst beurteilen. Frage: Kann nicht ein Mönch, der unter dem (Leben im) Schweigen leidet, auf beiderlei Weise leben und beides erreichen, ich meine die Sorge um Gott und die Sorge um etwas anderes in seinem Herzen tragen? Antwort: Ich aber meine, daß, wer im Schweigen leben will, nicht einmal wenn er alles verläßt, um sich nur um seine Seele zu sorgen, | 73v ohne Einbuße mit dem Leben in Zurückgezogenheit zurechtkommen kann, auch wenn er sich außerhalb der Sorge um weltliche Belange befindet, wieviel mehr erst (dann), wenn er sich auch noch um anderes sorgt. Der Herr hat in der Welt solche zurückgelassen, die für Ihn arbeiten und auf Seine Kinder achten, und Er hat sich andere auserwählt, die Ihm vor Seinem Angesicht dienen. Denn nicht nur bei den Angelegenheiten der irdischen Könige kann man Rangunterschiede beobachten, daß (nämlich) diejenigen mehr Ansehen genießen, die beständig vor dem Angesicht des Königs stehen und seine Geheimnisse teilen, als diejenigen, die sich mit den äußeren Dingen befassen, sondern auch in den Dingen des himmlischen Königs ist dies zu sehen. Welch eine Zuversicht besitzen jene, die durch das Gebet sich ständig im geheimnisvollen Gespräch mit Ihm befinden, und wieviel himmlischen und irdischen Reichtums werden sie gewürdigt, und wie sehr zeigen sie ihre Macht über alle Kreaturen, weit mehr als jene, die mit ihrem Besitz und irdischen Dingen Gott dienen und, indem sie Gutes tun, Ihm zu gefallen suchen, wiewohl auch dies großartig und sehr schön ist. Wir sollen aber nicht diese, die in den Werken Gottes unbedeutend sind, als Vorbild annehmen, sondern die Märtyrer und die heiligen Asketen, die ein gutes (vorbildliches) || 74r Leben geführt haben und jene, die das Irdische verlassen und auf Erden das Himmelreich errichtet haben, die, nachdem sie ein(für alle)mal das Irdische zurückgestoßen haben, ihre Hände zur Himmelspforte streckten. Worin suchten die Heiligen in alter Zeit Gott zu gefallen, die uns einen Weg für diesen Lebenswandel bereitet haben? Hat der unter die Heiligen aufgenommene Johannes von Thebais, dieser Hort der Tugenden, diese Quelle der Prophezeiung, etwa dadurch, daß er seine Brüder in seiner Ein-
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siedelei in leiblichen Nöten beruhigte, Wohlgefallen bei Gott gefunden, oder im Gebet und in der Zurückgezogenheit? Ich widerspreche nicht, daß zwar auch in jenem (dem Ersteren) viele Ihm wohlgefällig waren, doch sind es weniger, als die, welche dem Gebet obliegen und alles (Weltliche) verlassen haben, denn es ist bekannt, daß von denen, die im Schweigen leben und Ansehen genießen, eine Hilfe für ihre Brüder kommt. Ich meine aber, daß uns Hilfe durch das Wort in Zeiten der Not oder das Gebet für uns zuteil wird. Ohne dieses aber – sofern (nämlich) das Gedenken oder die Sorge um irgendwelche weltlichen Dinge im Herzen der im Schweigen Lebenden schläft – gibt es keine geistige Weisheit. Denn (das Wort): Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist [Mt 22,21], | 74v und was dem Nächsten und was Gott gehört, das ist für die Betreffenden jeweils bestimmt, das wurde nicht für die im Schweigen Lebenden gesagt, sondern für diejenigen, welche draußen leben. Denjenigen aber, die ein engelgleiches Leben führen, das heißt denen, die sich um ihre Seele sorgen, wurde nicht aufgetragen, Ihm durch weltliche Dinge zu gefallen, das heißt, sich um ihrer Hände Arbeit zu kümmern, oder von dem einen zu nehmen und einem anderen zu geben. Deshalb soll sich der Mönch um nichts sorgen, das seinen Geist wanken läßt und herunterzieht von seinem Verweilen vor dem Antlitz Gottes. Wenn aber jemand dem widerspricht und an den gotterfüllten Apostel Paulus erinnert, weil er mit seinen Händen arbeitete und Almosen gab, dann sagen wir ihm, daß nur Paulus alles machen konnte. Wir aber wissen von keinem anderen Paulus, der da gewesen und zu allem fähig gewesen wäre gleich ihm. Denn zeige mir doch einen anderen derartigen Paulus, und ich werde mich dir fügen. Und weiter, was unter Gottes Obhut steht, das bringe nicht unter die allgemeinen Dinge. Denn die Sache der Frohbotschaft ist eines, und wiederum ein anderes das Bewerkstelligen des Lebens im Schweigen. Hast du aber die Absicht, dich an das Leben im Schweigen zu halten, dann sei wie die Cherubim, die sich um nichts Irdisches sorgen. || 75r Und vermeine nicht, daß noch ein anderer auf Erden sei außer dir und Gott, um den du dich zu sorgen hättest, wie du belehrt worden bist von deinen Vätern, die vor dir dagewesen sind. Denn wenn jemand sein Herz nicht verhärtet und gewaltsam sein Erbarmen zurückhält, um weit weg von allen niederen Sorgen zu sein, das heißt sowohl solcher um Gottes wie auch irgendwelcher irdischer Dinge willen, und nur im Gebet in der für ihn festgesetzten Zeit verweilt, kann er sich nicht von Verwirrung und Sorge befreien und im Schweigen ausharren. Wenn dir aber der Gedanke kommt, dich um etwas unter dem Vorwand der Tugend zu kümmern, so daß dir die Stille genommen wird, die in deinem Herzen vorhanden ist, dann sage zu ihm: Gut ist der Weg der Liebe und die Barmherzigkeit um Gottes willen, aber ich
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will dies um Gottes willen nicht. Bleib stehen, Vater, sagte ein Mönch, da ich um Gottes willen hinter dir hereile, und er antwortete, auch ich laufe um Gottes willen weg von dir. Vater Arsenios unterhielt sich um Gottes willen weder zum Nutzen (der Seele) noch über irgend etwas anderes mit einem anderen. Ein anderer sprach um Gottes willen den ganzen Tag und empfing alle angekommenen Fremden, jener aber | 75v wählte statt dessen das Schweigen und die Stille, und aus diesem Grund sprach er mit dem Geist Gottes inmitten des Meeres dieses Lebens, und in erhabener Stille fuhr er darüber hin auf dem Schiff des Schweigens, wie es deutlich gesehen wurde von den Asketen, die diese Erfahrung mit Gottes Hilfe machten. Denn die höchste Stufe des Lebens im Schweigen ist diese: Schweigen in allem. Findest du aber, daß du auch beim Leben im Schweigen erfüllt bist von Verwirrung und durch die Werke der Hände den Leib in Unruhe und die Seele in Sorge um irgendwelche (Dinge) versetzest, was für ein Leben im Schweigen wirst du daraus erfahren, wenn du dich um vieles sorgst, um Gott zu gefallen. Urteile selbst. Schändlich wäre es für uns zu sagen, daß ohne das Verlassen von allem und die Trennung von jeglicher Sorge ein Leben im Schweigen geführt werden könne. Rede 15 (75v – 76v) desselben über den Unterschied (in den Formen) des Beurteilens beim Leben im Schweigen und über die Macht des Geistes, und bis wann er die Macht hat, seine eigenen Regungen bei den verschiedenen Formen des Gebets in Gang zu setzen, und welche Grenze der Natur im Gebet gesetzt ist, sogar bis wann sie zuläßt, darin (innerhalb dieser Grenze) zu beten, denn wenn diese Grenze überschritten wird, kommt kein Gebet zustande, auch wenn das so Vollzogene dem Namen nach ein Gebet genannt wird ||76r Ruhm Dem, der so reichlich Seine Gaben über die Menschen ausgegossen hat. Denn Er hat die fleischlich sind zu Seinen Dienern gemacht (gleich jenen) im Range fleischloser Wesen, und Er hat die Natur der aus dem Staub Geschaffenen gewürdigt, von solchen Geheimnissen zu sprechen, ja mehr noch, Sündige wie uns, die unwürdig sind, auch nur solche Worte zu hören, sondern in Seiner Gnade hat Er die Verdunkelung unseres Herzens aufgehoben, um aus der Betrachtung der Schrift und den Lehren der großen Väter zur Erkenntnis zu gelangen. Denn ich bin nicht gewürdigt worden, aus eigenem Bemühen ein Tausendstel dessen erfahren zu haben, was ich mit meinen Händen verkündet habe, vor allem in dieser Schrift, die ich zur Erbauung und Erleuchtung eurer Seelen und derer, die sie lesen werden, darlegen will, denn vielleicht werden sie aus diesem Wunsch heraus angeregt werden, sich ans Werk zu begeben. Die Wonne des Gebetes ist eines, und wiederum
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ein anderes ist die innere Schau im Gebet. Kostbarer als das Erste ist das Letztere, so wie ein herangereifter Mensch sich vom unreifen Knaben (unterscheidet). Bisweilen werden Verse als erquickend im Munde empfunden, und das Absingen eines Verses im Gebet vollzieht sich in unzählbarer Folge, | 76v ohne den Übergang zu einem anderen Vers zuzulassen, und eine Sättigung tritt nicht ein. Bisweilen aber wird durch das Gebet eine innere Schau geboren, die das Gebet vom Munde abtrennt, und er (der Betende) erschauert in innerer Schau ‒ ein Leib, der nicht atmet. So etwas nennen wir Schau durch das Gebet und nicht, wie einige Törichte sagen, den Anblick von irgend etwas, eine Gestalt oder ein geträumtes Bild. Und wieder gibt es in dieser inneren Schau im Gebet ein Maß und einen Unterschied in den Begabungen, und auch bis hierher ist es ein Gebet, weil das Denken dort noch nicht vorübergegangen ist, so daß es kein Gebet (mehr) gibt. Denn es ist etwas, das über diesem steht, denn die Bewegungen der Zunge und des Herzens fügen sich im Gebet zusammen, was aber danach kommt, ist der Zugang zu den geheimen Orten. Hier mögen alle Münder schweigen und jede Zunge und das Herz, dieser Hüter der Gedanken, und der Verstand, dieser Steuermann der Sinne, und das Denken, dieser schnell dahinfliegende und schamlose Vogel, und jede Hinterlist derselben möge enden. Hier mögen die Suchenden verweilen, denn der Herr des Hauses ist gekommen. Rede 16 (76v – 83r) Vom reinen Gebet Denn so wie alle Kraft der Gesetze und Gebote, die den Menschen von Gott gegeben sind, nach dem Wort der Väter auf die Reinheit des Herzens || 77r hin angelegt sind, so sind auch alle Formen und Haltungen des Gebets, in denen die Menschen zu Gott beten, auch auf die Reinheit des Gebets hin angelegt. Denn Seufzen und Kniefälle und von Herzen kommende Bitten und die süßeste Klage und alle Formen des Gebets haben, wie ich sagte, ihre Grenze im reinen Gebet und die Möglichkeit, sich bis dahin zu bewegen. Sobald aber der Geist die Grenze vom reinen Gebet zum Inneren überschreitet, wird es weder ein Gebet noch eine Regung noch eine Klage noch freien Willen noch Macht noch eine Bitte noch ein Verlangen oder irgendeine Wonne, wie sie in dieser Welt oder in der künftigen Welt erhofft werden, geben. Und aus diesem Grund gibt es jenseits des reinen Gebets kein anderes Gebet. Und alle Bewegung (durch das Gebet) und alle Formen (des Gebets) führen den Geist durch die Macht des freien Willens bis hier. Aus diesem Grund liegt eine große Tat in ihm (dem Gebet). Jenseits dieser Grenze aber ist dann das Erschauern, doch kein Gebet mehr. Denn die Gebete haben aufgehört, und es herrscht eine innere Schau, aber der Geist äußert sich nicht
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mehr im Gebet. Jede | 77v Form des Gebets, die es gibt, erfolgt in Bewegungen. Aber sobald das Denken in Bewegung des Geistes übergeht, gibt es dort kein Gebet mehr. Das Gebet ist eine Sache, eine andere Sache aber ist die innere Schau im Gebet, auch wenn sie einander bedingen. Denn es (das Gebet) ist der Samen, sie (die innere Schau) aber ist (wie) das Aufnehmen der Garben, wo der Schnitter vor dem unsagbaren Anblick staunt, wie aus den kleinen und nackten Körnern, die er säte, vor ihm plötzlich so kräftige Ähren heranwachsen konnten, und er verharrt regungslos in seiner Betrachtung. Denn jedes Gebet, das es gibt, ist eine Bitte oder ein Erflehen oder Danksagung oder Lobpreis. Prüfe, ob es eines von diesen ist oder die Bitte um irgend etwas, wenn der Geist diese Grenze überschreitet und in jenes Gebiet eingedrungen ist. Ich frage denjenigen, der die Wahrheit kennt, weil nicht allen diese Unterscheidung (gegeben ist), sondern (nur) jenen, die Beobachter und Diener dieser Sache gewesen sind oder von solchen Vätern unterwiesen wurden und aus deren Mund die Wahrheit gelehrt bekommen haben und in solchem und dergleichen Suchen nach der Frage und der Antwort über die Wahrheit ihr Leben || 78r verbracht haben. Denn so wie unter zehntausend Menschen kaum ein einziger gefunden werden kann, der die Gebote und Gesetze in nahezu vollkommenem Maße erfüllt und die Reinheit der Seele erlangt hat, so wird sich unter Tausend auch nur einer finden, der gewürdigt worden ist, durch große Wachsamkeit zum reinen Gebet zu gelangen und die Grenze dahin aufzureißen und dieses Geheimnis zu erlangen. Denn viele konnten keinesfalls des reinen Gebets gewürdigt werden, sondern nur wenige. Solchen (Menschen) aber, der durch die Gnade Christi zu diesem Geheimnis und über jenes (das reine Gebet) hinaus gelangt ist, findet man kaum von Geschlecht zu Geschlecht. Das Gebet ist ein Bitten und Sorgen um etwas und Verlangen nach etwas, entweder die Befreiung von hiesigen und künftigen Prüfungen oder das Verlangen nach dem Los der Väter, ein Flehen, durch das der Mensch Hilfe von Gott erfährt. Innerhalb dieser Regungen sind die Grenzen der Bewegungen des Gebets gezogen. Reinheit desselben (des Gebets) oder fehlende Reinheit liegen dann vor, wenn sich dem Denken, sobald es sich vorbereitet hat, eine seiner Bewegungen, von denen ich gesprochen habe, hervorzubringen, irgendein fremder Gedanke | 78v oder (irgend)ein Verlangen nach etwas hinzugesellt, dann wird dieses Gebet unrein genannt, denn nicht von reinen Tieren hat er (der Geist) es (das Gebet) auf den Opferaltar des Herrn, der das Herz ist, der geistige Opferaltar des Herrn, gebracht. Wenn aber jemand die Erinnerung an das anführt, was von den Vätern geistige Gebete genannt wird, und unvernünftig die Worte der Väter (gebraucht) und sagt, dieses (Gebet) liegt innerhalb der Grenzen des geistigen (Gebets), dann meine ich, daß es, wenn man zur genauen Prü-
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fung dieser Ansicht kommt, eine Blasphemie wäre, wenn eines unter den Geschöpfen sagte, daß das geistige Gebet sich ganz verneige. Denn das sich verneigende (Gebet) ist niedriger als das geistige. Jedes geistige (Gebet) aber ist frei von Bewegung. Und wenn in (vollkommener) Reinheit kaum jemand betet, was sagen wir dann vom geistigen (Gebet), da doch die heiligen Väter die Gewohnheit haben, alle guten Bewegungen und geistigen Handlungen Gebete zu nennen. Und nicht nur sie, sondern alle (Menschen), die von Erkenntnis erleuchtet waren, hielten gewöhnlich gute Handlungen für etwas, was dem Gebet nahesteht. Und (doch) ist es offensichtlich, daß eines das Gebet ist, und ein anderes die Dinge, die zu tun sind. Einmal wird dieses || 79r als geistiges Gebet Bezeichnete an einigen (Stellen) ein Weg genannt, an anderen Erkenntnis, wieder an anderen (Stellen) geistige Schau. Siehst du, wie die Väter die Bezeichnungen der geistigen Gegenstände ändern? Denn ein sicherer Name wird für die hier existierenden Gegenstände gebildet, ein echter oder wahrer Namen für Gegenstände der künftigen Welt aber keinesfalls. Doch es gibt eine einfache Erkenntnis, die höher steht als jede Bezeichnung und jede Wesensart und jedes Aussehen und Gestalt und Form und zusammengesetzte Namen. Deshalb schaffen die Väter, wenn sich das Wissen der Seele über die sichtbare Welt erhebt, nach Gutdünken eine Offenbarung derselben (Seele), weil ihre genauen Namen niemand kennt, aber um die Gedanken der Seele darüber zu festigen, schaffen sie Bezeichnungen und Gleichnisse, nach den Worten des heiligen Dionysi0s [Aeropagites], der gesagt hat, daß wir um der Sinne willen Gleichnisse, Aussprüche, treffende Namen und Reden gebrauchen. Sobald aber durch das Wirken des (Heiligen) Geistes die Seele sich hin zu jenem Göttlichen bewegt, dann sind uns | 79v die Sinne und deren Handlungen entbehrlich, so wie der Seele die geistigen Kräfte entbehrlich sind, sobald sie durch die unfaßliche Vereinigung als der Gottheit ähnlich aufzufassen ist und in ihren Regungen vom Strahl des höchsten Lichtes erleuchtet wird. Also glaube, o Bruder, daß der Geist bis dahin, wo das reine Gebet einsetzt, die Macht hat, über seine Bewegungen zu befinden. Wenn er dahin gelangt und nicht umkehrt oder das Gebet verläßt, dann wird das Gebet so etwas wie ein Mittler sein zwischen dem Seelischen und dem Geistigen. Wenn er (der Geist) sich aber bewegt, dann befindet er sich im Bereich der Seele. Sobald er jedoch in jenes Land eintritt, läßt er ab vom Gebet, weil die Heiligen in der künftigen Welt, wenn ihr Geist vom (Heiligen) Geist aufgezehrt wird, keine Gebete sprechen, sondern voll des Erstaunens sich in frohlockender Herrlichkeit niederlassen. So wird es auch bei uns sein. Sobald unser Geist gewürdigt wird, die künftige Seligkeit wahrzunehmen, vergißt er sowohl sich selbst wie auch alles Hiesige, und ihr werdet schon keine Bewegung um irgendeiner Sache willen un-
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ternehmen. || 80r Deshalb kann einer beherzt wagen zu sagen, daß jegliche geübte Tugend und jede Stufe des Gebets, seien sie körperlich oder gedanklich, durch das selbstbestimmte Wollen geleitet und sogar der Verstand durch dieses in Bewegung gesetzt wird, der doch Herrscher über die Leidenschaften durch die Sinne ist. Sobald aber die Führung und Beaufsichtigung durch den (Heiligen) Geist über den Verstand gebietet, der doch der Lenker der Sinne und Gedanken ist, wird der Natur die Selbstbestimmung genommen, und dann wird sie (die Natur) durch Führung gelenkt, aber sie (selbst) leitet nicht. Und wo wird es dann ein Gebet geben, wenn die Natur keine Macht über sich selbst haben kann, sondern von einer anderen Kraft geleitet wird, ohne zu wissen wohin, noch die Bewegungen des Denkens zu lenken vermag, wenn sie dies wollte, vielmehr wird sie während dieser Zeit gefangengehalten und (dahin) geleitet, wo sie weder etwas erkennt, noch ein Verlangen haben wird, nicht einmal wissen wird, ob sie in oder außerhalb ihres Körpers sein wird, wie die Schrift bezeugt [2 Kor 12,2]. Wird es also bei jemandem, der so gefangen ist und von sich selbst nichts weiß, ein Gebet geben? Aus diesem Grunde | 80v möge niemand lästern und zu sagen wagen, daß es möglich sei, ein geistiges Gebet zu sprechen. Solche Dreistigkeit begehen jene, die (voller) Hoffart beten, die einfältigen Verstandes sind, und die sich selbst darüber belügen, daß sie, wenn (immer) sie wollten, geistige Gebete sprechen könnten. Die Demütigen aber und die Verständigen begeben sich hinab, um bei den Vätern zu lernen und die Grenzen der Natur zu erkennen, und sie lassen nicht zu, solcher Dreistigkeit der Gedanken stattzugeben. Frage: Weshalb wird diese unaussprechliche Freude, wenn sie doch kein Gebet ist, mit dem gleichen Namen wie das Gebet belegt? Antwort: Wir sagen, dies müsse so sein, weil sie denjenigen, die ihrer würdig sind, während des Gebetes gegeben wird und weil sie ihre Ursache im Gebet hat, denn es gibt nach dem Zeugnis der heiligen Väter keinen (anderen) Ort für das Eintreten dieser herrlichen (Freude) als zu dieser Zeit. Deshalb wird sie in Namengleichheit als Gebet bezeichnet, weil der Verstand durch das Gebet zu jener Seligkeit geleitet wird und weil das Gebet deren Ursache ist; und zu anderen Zeiten gibt es keinen Ort dafür, wie die Schriften der Väter kundtun. Denn wir haben viele || 81r Heilige gesehen, die, wie auch in ihrer Vita steht, während des Betens im Geiste entrückt wurden. Wenn aber jemand fragt, weshalb gerade zu dieser Zeit diese großen und unaussprechlichen Gaben sich einstellen, dann sagen wir, weil der Mensch zu dieser Zeit mehr als zu jeder anderen Zeit so vorbereitet und gesammelt ist, um Gott zu vernehmen, während er Dessen Erbarmen ersehnt und erhofft. Kurz gesagt, es ist die Zeit des Harrens vor der Tür des Herrn, um (Ihn) dort anzuflehen, und die Bitte des Betenden sollte zu dieser Zeit erfüllt werden. Gibt es denn eine
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andere Zeit, in welcher der Mensch so vorbereitet und wachsam wäre, wie zu der Zeit, wenn er sich zu beten anschickt? Oder wäre es vielleicht angemessen, wenn er in der Zeit, zu der er schläft oder irgend etwas verrichtet oder sein Verstand mit vielerlei beschäftigt ist, etwas davon gewährt erhielte? Denn wenn auch die Heiligen keine Zeit der Untätigkeit kennen, weil sie zu jeder Zeit sich in geistigen Dingen üben, so kommt es doch vor, daß sie sich nicht gerade auf das Beten vorbereiten, weil sie oft über irgendwelche Dinge im Leben oder den Anblick der Geschöpfe nachsinnen und mit anderen wirklich nützlichen Dingen (beschäftigt sind). Doch während des Gebetes | 81v ist ihre geistige Schau nur auf die Wahrnehmung Gottes gerichtet, und auf Ihn erstrecken sich alle ihre Regungen, um ihre von Herzen kommenden Gebete voller Eifer und Inbrunst unentwegt zu Ihm zu tragen. Und deshalb ist es angemessen, daß zu dieser Zeit, in der der Seele eine einzige Sorge zusteht, durch diese (Sorge) zur Fülle der göttlichen Gnade zu gelangen. So sehen wir, wie dann, wenn der Priester sich vorbereitet und zum Gebet anschickt, indem er Gottes Gnade herabruft und betet und sich im Geiste sammelt, der Heilige Geist auf das Brot und den Wein, die auf dem Altar dargebracht sind, herabkommt. Und dem Zacharias erschien während des Gebetes ein Engel und verkündete die gute Botschaft von der Geburt des Johannes. Und ebenso erschien dem Petrus, als er in der sechsten Stunde im Obergemach betete, eine Vision, die ihn zur Einladung an die Heiden anleitete, in Gestalt eines vom Himmel herab gekommenen Leintuchs und der darin eingeschlossenen Tiere. Und dem betenden Cornelius erschien ein Engel und sagte zu ihm, was von ihm geschrieben stand. Und wiederum sprach Gott zu Jesus (Josua), dem Sohne Nuns, als er im Gebet auf dem Boden lag. Und auch von dem Deckel über der Bundeslade, || 82r von wo der Priester durch Gott in Visionen über alles belehrt wurde, was zu wissen war, zu der Zeit, wenn der Hohe Priester einmal im Jahr dort eintrat in der furchtgebietenden Zeit des Gebetes, wenn alle versammelten Stämme der Söhne Israels in der äußeren Hütte beteten und wenn der Hohe Priester in das Allerheiligste eintrat und sich zu Boden warf, hörte er die Worte Gottes in einer furchterregenden und unaussprechlichen Vision. O, wie furchterregend ist jenes Geheimnis, dem er (der Priester) zu jener Zeit diente. So haben sich auch alle Visionen, die den Heiligen erschienen, während des Gebets ereignet. Denn welche andere Zeit wäre so heilig und der Segnung und Gewährung von Gaben würdig wie die Zeit des Gebets, in der jemand mit Gott spricht? Denn in der Zeit, wenn er seine Bitten und Gebete an Gott richtet und mit Ihm sich im Gespräch befindet, ist der Mensch gezwungen, von überall her seine Regungen und Gedanken zusammenzuholen, und er macht sich allein über Gott Gedanken, und sein Herz ist von Ihm erfüllt, und
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von daher erfaßt er das Unbegreifliche. Denn der Heilige Geist | 82v wirkt nach dem einem jeden eigenen Maß in ihm, und Er wirkt in ihm, indem Er die Natur dessen erfaßt hat, um das er (der Betreffende) betet. Auf diese Weise werden durch die Aufmerksamkeit im Gebet die Regungen abgeschnitten, und der (menschliche) Geist erstarrt und geht auf in Erschaudern und vergißt das Begehren seines eigenen Bittens, und seine Regungen tauchen ein in tiefe Trunkenheit, und er weilt nicht in dieser Welt. Und dann wird es dort weder einen Unterschied zwischen der Seele und dem Leib geben noch ein Erinnern an irgend etwas (anderes), wie der von Gott erfüllte große Gregorios gesagt hat: Das Gebet ist Reinheit des Geistes, das einzig vom Licht der Heiligen Dreifaltigkeit durch das Erschaudern beendet wird. Siehst du, wie das Gebet durch das Erschaudern bei der Betrachtung jener Dinge, die von ihm im Geiste hervorgebracht werden, beendet wird, wie ich schon früher am Anfang dieser Schrift und an vielen anderen Stellen sagte. Und wiederum hat derselbe (Gregorios) gesagt: Die geistige Reinheit ist das erhabene Einherschreiten des Geistigen, das mit der Farbe des Himmels wetteifert, denn durch sie scheint während des Gebets das Licht der Heiligen Dreifaltigkeit hindurch. Frage: Wann aber wird jemand dieser ganzen Gnade gewürdigt? Antwort: Es heißt, während des Gebetes. Wenn der Geist || 83r den alten Menschen ablegt und den neuen (Menschen) der Gnade anzieht, dann wird er seine Reinheit erblicken, die der Farbe des Himmels ähnelt, die von den Ältesten der Söhne Israels ein Ort Gottes genannt worden ist [Ex 24,9-11], als Er ihnen auf dem Berge erschien. Deshalb soll man, wie ich (schon) gesagt habe, diese Gabe und diese Gnade nicht ein geistiges Gebet nennen, sondern Geburt des reinen Gebets, das vom (Heiligen) Geist herabgesandt worden ist. Dann weilt der Geist (des Menschen) dort, oberhalb des Gebets, und im Auffinden des Besseren wird das Gebet verlassen, und dann spricht er kein Gebet (mehr), vielmehr verharrt er in Ekstase (angesichts) der unbegreiflichen Dinge, die oberhalb der Welt der Sterblichen liegen, und er verstummt, weil er all das nicht mehr wahrnimmt, was hier ist. Das ist jenes Nichtwissen, das die Erkenntnis übersteigt, wie gesagt worden ist. Dies ist jenes (Nichtwissen), von dem gesagt worden ist: Selig, wer das Nichtwissen erlangt hat, das mit dem Gebet unauflöslich verbunden ist, dessen auch wir gewürdigt werden mögen durch die Gnade des eingeborenen Sohnes Gottes, denn Ihm gebührt aller Ruhm und Ehre und Verehrung heute und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen.
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Rede 17 (83r – 87r) Das Verhalten der Seele, welche die tiefe (geistige) Schau sucht, um sich in diese zu versenken, weg von den fleischlichen Gedanken, | 83v die aus der Erinnerung an die stofflichen Dinge kommen Jede Sache, die höher steht als eine andere, bleibt vor derjenigen verborgen, die sie überragt; und sie hat ihrer Natur nach keinen anderen Körper (gleichsam) als Vorhang, das heißt, um dadurch das eigene Verborgene aufdecken zu können. Jedes geistige Wesen bezieht die Unterschiede seiner Teile nicht von außerhalb, sondern sie werden durch die in ihm selbst ablaufenden Regungen bestimmt, das heißt, es kann sich klarer zur Aufnahme des ursprünglichen Lichtes erheben oder einen anderen Rang erlangen, der offensichtlich keinen Unterschied des Ortes aufweist, wohl aber einen (Unterschied) im Hinblick auf eine überragende Reinheit oder gemäß der geistigen Kräfte zur Aufnahme der von oben kommenden Zeichen und Kräfte. Im Geistigen hält sich jedes Wesen vor jenen verborgen, die unter ihm stehen, doch nicht von Natur aus, sondern durch tugendhafte Regungen. Und dies sage ich sowohl von jenen, die dem Range nach zu den Heiligen Kräften gehören, wie auch von den Rängen der Seelen und von denen der Dämonen, wobei jedoch die ersteren vor den mittleren und diese vor den dritten sowohl durch ihre Natur wie auch den Ort und ihre Regungen, und zwar ein jeder Rang sowohl für sich wie auch in Bezug auf den anderen hinsichtlich der Erkenntnis voreinander || 84r verborgen bleiben, ob sie sich sehen oder nicht sehen, hinsichtlich der niedriger stehenden aber auch durch ihre Natur. Denn das Sehen der körperlosen Wesen liegt nicht außerhalb ihres inneren) Selbst, wie es bei den mit einem Leib ausgestatteten Wesen geschieht, sondern einander zu sehen geschieht, so sagt man, innerhalb ihrer Regungen, weshalb sie, so sie in gleichem Maße verehrungswürdig sind, einander, auch wenn sie voneinander entfernt wären, erblicken, (und zwar) nicht im Traum, sondern in untrügerischer Schau und in ihrer wahren Natur, mit Ausnahme der Ursache von allem, Die über diesen Unterschieden liegt, vor Der allein sich zu verneigen geziemt. Die Dämonen jedoch sind, obwohl höchst unrein, in ihren eigenen Rängen nicht voreinander verborgen. Sie sehen aber die beiden Ränge über ihnen nicht, weil das geistige Sehen das Licht der Bewegung ist, und dieses ist für sie ein Spiegel und Auge. Und wenn die Regungen sich verdunkeln, sehen sie nicht die darüber liegenden Ränge. Wohl aber erkennen sie einander nach ihrem eigenen Rang, weil sie massiger sind als die geistigen Ränge. | 84v Und so verhält es sich bei den Dämonen. Die Seelen jedoch, wenn sie denn unrein und verdunkelt sind, können weder einander noch sich selbst sehen. Doch wenn sie sich läutern und zur früheren Gestalt aufsteigen, erblicken sie klar diese drei Ränge. Ich meine den, der unter
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ihnen steht, und den, der höher steht, und einander selbst. Nicht weil sie sich in der leiblichen Gestalt verändern, erblicken sie dann entweder Engel oder Dämonen oder einander, sondern sie sehen jene Natur, die auch die geistigen Ränge sehen. Wenn du sagst, daß dies nicht möglich sei, einen Engel oder einen Dämonen zu sehen, sofern sie sich nicht verändern und eine andere Gestalt annehmen, dann würde nicht die Seele sehen, sondern der Leib. Und wenn es sich so verhielte, wozu bedürfte es dann der Reinheit, denn auch den Unreinen (Menschen) erscheinen bisweilen Dämonen und genauso auch Engel, gleichwohl sehen sie mit körperlichen Augen, wenn sie sehen, so daß kein Bedarf an Reinigung besteht. Doch so verhält es sich nicht, denn die Seele, die Reinheit erlangt hat, sieht geistig, mit dem Auge, das zu ihrer Natur gehört, das ein voraussehendes, sozusagen || 85r denkendes Auge ist. Und wundere dich nicht, daß die Seelen einander erkennen, während sie doch an den Leib gebunden sind, denn ich werde dir einen höchst deutlichen Hinweis auf einen zeigen, der die Wahrheit bezeugt, ich meine nämlich den seligen Athanasios den Großen, der in der Schrift über den großen Antonios gesagt hat, wie einmal, so sagte der, der große Antonios im Gebet jemandes Seele erblickte, die zu großer Ehre erhoben worden war. Und er pries denjenigen selig, der solchen Ruhm zu erlangen gewürdigt worden war. Dieser Selige aber war Ammun von Nitria, und jener Berg, auf dem sich der Heilige Antonius befand, war von Nitria 13 Tage entfernt. Ferner wurde durch diesen Hinweis auf die drei obengenannten Rangordnungen gezeigt, wie die geistigen Naturen einander, auch wenn sie voneinander entfernt sind, sehen und wie die Entfernungen und die körperlichen Bedingungen nicht daran hindern, einander zu sehen. Ebenso sehen die Seelen, wenn sie sich geläutert haben, nicht körperlich, sondern geistig, weil das körperliche Sehen offen (vor aller Augen) geschieht und das sieht, was vor ihnen (den Augen) ist, was aber | 85v entfernt ist, erfordert ein anderes Sehen. Die oberen Ränge sind ihrem Sein nach unzählig viele und werden nach ihrem Unterschied und Rang benannt. Warum wurden sie Obrigkeiten, Kräfte und Gewalten genannt? Herrschaften vielleicht um der (besonderen) Ehrung willen und weil sie weniger sind als die ihnen Untergeordneten, wie der heilige Dionysios Areopagites, Bischof von Athen, sagte: Sie sind groß an Macht und Erkenntnis und höchster Ehren würdig entsprechend der Erhabenheit ihrer Ränge, denn sie breiten sich aus von Rang zu Rang, bis sie zur Einheit mit Dem gelangen, Der erhabener und stärker ist als alle, das Haupt alles Seienden und das Fundament aller Kreatur. Das Haupt, sage ich, nicht der Schöpfer, aber Der, Der vor den Wundern der göttlichen Werke kommt. Denn viele sind bedürftig der göttlichen Vorsehung und Weisheit ihres und unseres Schöpfers, und in dem Maße bedürftiger, in dem die ihnen Unterstellten
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dessen bedürftiger sind. Bedürftiger als sie aber nenne ich sie im Hinblick auf Erhabenheit und Demut, nicht auf den Ort, sondern an Stärke und Erkenntnis, entsprechend dem Maß, || 86r in welchem die Nachfolgenden größere oder geringere Erkenntnis haben. Alle diese geistigen Wesen aber wurden von der gotterfüllten Schrift mit 9 geistigen Namen benannt und davon drei (Triaden) unterschieden. Die erste (Triade) wird in die großen und hohen und höchst heiligen Throne und die vieläugigen Cherubime und die sechsflügeligen Seraphime (unterteilt), der zweite Rang umfaßt die Herrschaften und Gewalten und Kräfte und der dritte Rang die Obrigkeiten und die Erzengel und die Engel. Diese Ränge aber werden nach der hebräischen Sprache erklärt, denn die Seraphime sind die Erhitzenden und Versengenden, die Cherubime sind reich an Verstand und großer Weisheit, die Throne sind die Stütze Gottes und Gottes Ruhe. Benannt aber wurden diese Ränge mit diesen Namen nach ihren Handlungen: Die Throne werden voll der Ehren genannt, die Herrschaften heißen so, weil sie die Macht haben über jedes Reich, die Obrigkeiten verwalten die Lüfte, die Gewalten sind diejenigen, welche über die Völker und jeden einzelnen Menschen herrschen, die Kräfte sind stark durch ihre Kraft und furchterregend durch ihren Anblick, die Seraphime sind diejenigen, die weihen, die | 86v Cherubime sind die (Gott) Tragenden, die Erzengel sind die schnellen Beschützer, die Engel sind die Boten. Am ersten Tag wurden 10 geistige Wesen geschaffen, in Stille, und eines mit Stimme, und das Licht. Am zweiten Tag aber (schuf Er) das Firmament. Am dritten Tag bewirkte Gott die Sammlung des Wassers und das Sprießen der Pflanzen, und am vierten (Tag) die Trennung des Lichtes (in Tag und Nacht). Und am fünften (Tag schuf Er) die Vögel und die Kriechtiere und die Fische, am sechsten (Tag) die Tiere und den Menschen. Die Einrichtung der ganzen Welt, die Länge und die Breite, der Anfang ist der Osten, das Ende der Westen, die rechte Seite der Norden, die linke Seite der Süden, und wie eine Lagerstatt hat Er die Erde eingerichtet, und den obersten Himmel wie eine Haut und ein Dach und ein Gewölbe, der zweite Himmel aber ist wie ein Rad dem ersten angeheftet, und was an den Himmel und an die Erde angeheftet ist, das ist der Ozean, der einem Gürtel gleicht, der Himmel und Erde umfängt, und in seiner Mitte sind hohe Berge, die bis zu den Himmeln reichen, und das Gebiet dahinter muß die Sonne die ganze Nacht durchwandern, und inmitten dieser Grenzen ist ein großes Meer, das die Hälfte und ein Viertel des trockenen Landes der Erde bedeckt. Unserem Gott || 87r sei Ruhm und Macht in alle Ewigkeit. Amen
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Rede 18 (87r – 91v) Über dasselbe als Frage (und Antwort) Frage: In wievielen Gestalten und Unterschieden nimmt die menschliche Natur die Erscheinung der Natur der körperlosen (Wesen) auf? Antwort: Das Begreifen jeglicher einfachen und feinen Natur der geistigen Körper unterliegt dem Empfinden der menschlichen Natur in drei verschiedenen Formen: entweder in der groben Gestalt des uneigentlichen Wesens oder in der Feinheit des uneigentlichen Wesens oder in der wahren Schau, die das Schauen des eigentlichen Wesens ist. Was die erste anbelangt, so haben die Sinne Macht darüber. Was die zweite anbelangt, so erblickt sie die Umrisse, was die dritte anbelangt, so ist es die Kraft der geistigen Natur. Und außerdem haben über jede von ihnen das Wollen und das Denken Macht. Und in Bezug auf das Wollen und den Lobpreis der Seele und auf das, wozu diese sich vereinigt haben, ist das Wollen die erste Ursache. Und das sind die Kinder der Freiheit, wenn auch die Freiheit und das Wollen zur Zeit, wenn dies erforderlich ist, Schweigen bewahren, sofern das Wollen wirksam ist und dort steht. Und es zeigt nur auf das eine | 87v und ist ohne Wollen des Empfangenden, des wahren Wissens, weil die Sinne für alle Vorfälle ohne (Zutun) des Wollens empfänglich sind. In diesen drei Formen dienen die heiligen Kräfte, wenn sie sich uns zuwenden, zu unserer Unterweisung und zur Ordnung unseres Lebens. Die unreinen Dämonen können in uns nicht wirken, außer in zwei Formen, wenn sie sich uns zu unserem Verderben und nicht zu unserem Nutzen nähern. In der dritten Form jedoch können sie uns nicht erreichen, um uns zu verführen, weil die Dämonen keinesfalls die Kraft haben, das natürliche Denken unseres Verstandes in uns zu bewegen. Denn den Söhnen der Finsternis ist es nicht möglich, sich dem Licht zu nähern. Die heiligen Engel aber besitzen dies, sie vermögen zu bewegen und zu erleuchten. Jene aber sind die Machthaber und Schöpfer der trügerischen Gedanken, die Kinder der Finsternis darstellen. Von denen, die Erleuchtung bringen, wird das Licht aufgenommen, von den Dunklen die Finsternis. Frage: Und was ist der Grund, daß es (das Licht) jenen gegeben wird, diesen jedoch keinesfalls. Antwort: Jeder dieser || 88r Lehrer erblickt das Wissen, das er lehrt, zuerst in sich selbst und erlernt und kostet es, und dann kann er dieses den zu Belehrenden vorlegen. Die ersten Lehrer übermitteln die sorgfältige (Beachtung) der Dinge aus der eigenen gesunden Erkenntnis. Sie sind es, die von Anfang an im scharfen Begreifen den schärfsten und reinsten Geist zu erfassen vermögen. Die Dämonen jedoch besitzen (zwar) Schnelligkeit, aber nicht auch das Licht. Denn die Schnelligkeit ist das eine, und ein anderes ist das Licht. Das Erste führt ohne das Zweite ins Verderben dessen, der es besitzt, dieses zeigt die Wahrheit, jenes ist nur ein der Wahr-
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heit Ähnliches, weil das Licht die Wahrheit der Dinge zeigt, und entsprechend der Lebensform mehrt und verringert es sich. Die heiligen Engel geben uns aus ihrem Wissen über die Bewegungen der Dinge, (das heißt) von dem, was sie zuerst genießen und begreifen, das geben sie uns hernach. Und auch die zweiten Lehrer bewegen entsprechend ihrer Erkenntnis in uns (Vorstellungen) von der Bewegung der Dinge. Denn obwohl sie selbst dort nicht gewesen sind, müssen sie in uns die rechten Gedanken (dazu) anregen. Dennoch glaube mir, wie ich schon | 88v sagte, daß jene, wenn wir auch fähig wären, (dies) aufzunehmen, uns doch nicht das wahre Schauen lehren könnten, obwohl sie anfangs darin gewesen waren. Und wiederum regt ein jeder von ihnen je nach der Ordnung, von der er bestimmt wird, die zu Belehrenden entweder zu diesem oder zum Gegenteiligen an. Ich halte auch für wahr, daß sich unser Geist ohne Vermittlung durch die heiligen Engel von sich aus unbelehrterweise zum Guten erheben kann. Das Wissen der bösen Dinge aber nehmen unsere Sinne ohne Vermittlung durch die dämonischen Kräfte weder auf, noch können sie sich darinnen bewegen, und von sich aus kann das Böse nicht wirken. Denn das Gute ist in der Natur eingepflanzt, das Böse aber in keinem Falle. Alles, was fremd ist und von außen an den eigenen Verstand herantritt, um dort Eingang zu finden, bedarf eines Vermittlers. Was jedoch innen sprießt, bewegt sich – und sei es auch nur ein wenig – ohne Belehrung in unserer Natur. Und wenn es von solcher Natur ist, daß es von sich aus zum Guten drängt, dann ist auch das Heranziehen dessen und sein Licht (das es spendet) ohne Anblick der Engel möglich. || 89r Sie sind Lehrer für uns, wie sie auch einander selbst Lehrer sind. Die niedriger stehen, (lernen) von denen, die sich über sie breiten und mehr Licht haben, und so (belehren sie) einer den anderen, bis sie zu jener Einheit gelangen, die die Heilige Dreifaltigkeit zum Lehrer hat. Und dieser erste Rang sagt wiederum kühn, daß dies nicht von ihm selbst komme, sondern daß er als Lehrer Jesus habe. Jener sei es, von dem er es empfange und an die tiefer Stehenden weitergebe. Ich aber denke so, daß unser Geist die natürliche Kraft besitzt, sich zur göttlichen Schau zu erheben, und nur in diesem Verlangen sind wir allen himmlischen Wesen gleich, denn Seinetwegen wirkt in uns und in diesen die Gnade. Fremd ist sie (die Schau Gottes) der Natur des menschlichen Geistes und dem der Engel, denn die Schau Gottes zählt nicht zu den übrigen Betrachtungsweisen. Denn in allen vernünftigen Wesen, den ersten und den mittleren, wirkt diese Schau nicht aufgrund von deren Natur, sondern durch die Gnade, bei allen die da sind, den Himmlischen und den Irdischen, und nicht ihre Natur hat dies erlangt, wie bei den übrigen Dingen. Dieses im Geiste erfolgende Schauen, in dem der Rang der Himmlischen verweilt, | 89v und dieser Anblick stand vor der Ankunft Chri-
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sti im Fleische nicht (so weit) in deren Macht, um zu diesem Mysterium vorzudringen. Als das Wort jedoch Fleisch geworden war, ward ihnen die Tür durch Jesus geöffnet, wie der Apostel gesagt hat. Doch auch wenn wir uns rein machen und rein sein werden, so meine ich, was auch wahr ist, daß wir Menschen unsere Überlegungen den Offenbarungen und Einsichten, die zu jener immerwährenden Schau führen, die die wahrhafte Offenbarung des Mysteriums darstellt, ohne die Vermittlung jener nicht nähern können. Denn unserem Geist ist eine solche Kraft wie den höheren Wesen nicht zu eigen, die unmittelbar von dem Ewigen die Offenbarungen und das Schauen empfangen. Aber auch jene (empfangen) es als Gestalt und nicht unverhüllt, und unser Geist von ihnen auf ähnliche Weise, denn durch Weitergabe empfängt es jeder Rang von einem anderen in genauer Ordnung (nach dem Grad) des Verständnisses. Von dem ersten (gelangt es) zum zweiten und so weiter, bis das Geheimnis alle Ränge erfaßt hat. Aber viele Geheimnisse bleiben bei dem ersten || 90r Rang und gehen nicht an die anderen über, weil sie mit Ausnahme jener (die zum ersten Rang gehören) die Erhabenheit des Mysteriums nicht aufnehmen können, und manche Geheimnisse, die vom ersten Rang ausgehen, werden nur dem zweiten (Rang) offenbart und dort schweigend bewahrt, die anderen Ränge aber verstanden diese nicht. Und manche gelangen sogar bis zum dritten und vierten Rang, und außerdem vollzieht sich ein Wachsen und Zurückgehen in den Offenbarungen und dem, was den heiligen Engeln offenbart wird. Wenn aber dies sich so bei jenen verhält, wieviel mehr sind wir ohne sie und ihre Vermittlung unfähig, solcherart Geheimnisse zu empfangen, vielmehr kommt es von ihnen, wenn im Geist der Heiligen das Empfinden der Offenbarung eines derartigen Geheimnisses entsteht. Und wenn von Gott zugelassen wird, daß von Rang zu Rang eine Offenbarung von den höchsten (Rängen bis zu den untersten) erfolgt und gleicherweise, wenn etwas auf einen Wink Gottes zugelassen wird, dann erreicht es sogar die menschliche Natur, die würdigsten (Menschen), denn durch diese (die obersten Ränge) empfangen die Heiligen das Licht der Anschauung bis hin zu dem unbegreiflichen Ewigen, diesem unbegreiflichen Mysterium, und auch diese empfangen es voneinander, weil sie dienstbare Geister | 90v sind, ausgesandt für jene, die bereit sind, Erben des Lebens zu sein [Hebr 1,14]. Doch in der kommenden Ewigkeit wird diese Ordnung aufgehoben werden, denn dann wird nicht (mehr) einer vom anderen die Offenbarung von Gottes Herrlichkeit zur Freude seiner Seele empfangen, sondern es wird einem jeden seinem Stand entsprechend nach dem Maße seiner Standhaftigkeit vom Herrscher selbst gegeben werden, und er empfängt die Gabe nicht so wie hier von einem anderen. Denn dort gibt es weder Lehrende noch zu Belehrende noch solche, die der Auffüllung ihres Man-
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gels durch einen anderen bedürfen. Denn dort ist Einer Der gibt, Der unmittelbar denen schenkt, die zu empfangen imstande sind, und von Diesem werden die Empfangenden die himmlische Freude entgegennehmen. Dort werden die Ränge der Lehrenden und der zu Belehrenden aufgehoben, und zu dem Einen drängt einen jeden der Reiz des Verlangens. Ich aber sage, daß die in der Gehenna Gepeinigten durch die Wunden der Liebe verletzt werden und daß die Stätte der Peinigung durch die Liebe bitter und furchtbar ist, das heißt, daß jene, welche spürten, daß sie gegen die Liebe gesündigt haben, schwerere Pein ertragen als jede (andere) befürchtete Qual, denn die Trübsal, die das Herz || 91r ob der Sünde wider die Liebe überkommen hat, ist ärger als jede mögliche Pein. Es ist unangebracht, wenn jemand meint, den Sündern in der Gehenna sei die göttliche Liebe entzogen. Die Liebe ist, wie bezeugt ist, ein Kind der Erkenntnis der Wahrheit, und wird allen insgesamt gewährt. Die Liebe aber wirkt aus eigener Kraft auf doppelte Weise, indem sie den Sünder peinigt, wie es auch hier dem Freund durch den Freund geschieht, und sie erfüllt diejenigen mit Freude, die die Vorgaben beachten. Und so ist, wie ich dafürhalte, die Qual der Gehenna die Reue, den höheren Söhnen aber labt sie üppig die Seele. Frage: Jemand wurde gefragt, wann einer verstehe, daß er Vergebung seiner Sünden erlangt habe, und er antwortete ihm. Antwort: Wenn er in seiner Seele erkennt, daß er diese vollständig von (ganzem) Herzen haßt, und wenn er offen dem entgegengesetzt, wo er war, sein Leben regelt. Ein solcher (Mensch) hoffte, daß er die Vergebung der Verfehlungen aus Sünde von Gott erhalten habe, weil er bereits Haß auf die Sünde nach dem Zeugnis | 91v seines Gewissens gefaßt habe, daß er innerlich nach dem Wort des Apostels erworben habe, der da sagt, das nicht verurteilte Gewissen ist sich selbst der Zeuge [Röm 2,15]. So mögen auch wir den Nachlaß unserer Sünden durch die Gnade und die Liebe zu den Menschen vom Vater erhalten, Der keinen Anfang hat, mit Dem eingeborenen Sohn und Dem Heiligen Geist. Ihm sei Lob in Ewigkeit. Amen. Rede 19 (91v – 93v) Darstellung und Gleichnis zum Verständnis aller Sonntage und Sonnabende Der Sonntag ist ein Mysterium des wahrhaften Wissens von der Wahrheit, das (solange wir) im Fleische und Blute (sind,) nicht erfaßt werden kann, wenn es auch über (unserem) Denken liegt. In dieser (Erden-)Zeit gibt es weder einen achten (Tag) noch einen echten Sabbat. Denn der da sagte, Gott habe am siebenten Tag aufgehört [Gen 2,2], hat das Aufhören vom Laufe dieses Lebens gezeigt, weil das Grab der Leib und von (dieser) Welt ist. Sechs Tage werden in der Verrichtung der Werke des Lebens, in der Beach-
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tung der Gebote vollbracht, und der siebente wird ganz im Grabe vollbracht, der achte (Tag) im Auszug aus diesem. Denn so wie diejenigen, die dessen gewürdigt worden sind, die Geheimnisse des Sonntags hier im Gleichnis zu erfassen und nicht eben diesen Tag in ihrer leiblichen Natur, || 92r so werden auch die Geheimnisse des Sabbats von den Asketen im Gleichnis erfaßt, nicht aber jener wahre Sabbat (an sich), der das Ende von aller Trübsal ist und das vollkommene Ausruhen von allem Verwirrenden [Hebr 4,9-10]. Denn ein Geheimnis hat uns Gott gegeben und nicht das wahre Wirken, um hier zu wandeln. Der wahre und unvergleichbare Sabbat ist das Grab, das das vollkommene Enden der Bedrängnisse durch die Leidenschaften und des diesen entgegenwirkenden Tuns anzeigt und bezeichnet. Alles Menschliche hat dort seine ewige Ruhe, die Seele und auch der Leib. In sechs Tagen hat Gott die Ordnung dieser Welt verfügt, und Er hat ihre Bestandteile geschaffen und gab deren ewiger Bewegung zum Dienen eine wohlgefügte Ordnung, und sie werden in ihrem Flug nicht innehalten bis zur Zerstörung. Und durch deren Kraft, ich meine die der ursprünglichen Teile, hat er unsere Körper geschaffen. Doch weder jenen (den ursprünglichen Teilen) gewährte Er ein Aufhören ihrer Bewegung, noch unseren Leibern, die aus jenen hervorgegangen sind, | 92v ein Abstehen vom Handeln. Die Grenze für das Aufhören des Handelns hat Er in uns gelegt, bis sie (unsere Leiber) ihrer angeborenen Eigenschaft folgen, welche die Lösung von diesem Leben ist. So hat Er auch zu Adam gesagt: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, und so lange, bis du in die Erde zurückkehrst, aus der du genommen wurdest, die dir Dornen und Disteln hervorbringen wird [Gen 3,1819]. Das sind die Geheimnisse des Handelns in diesem Leben, solange er (der Mensch) lebt. Doch seit jener Nacht, in der der Herr seinen Schweiß vergoß, verwandelte Er den Schweiß, der die Dornen und Disteln ausrottete, in einen Schweiß, der im Gebet vergossen werden sollte und zugleich im Wirken für Wahrheit und Gerechtigkeit. Fünftausend und fünfhundert Jahre und mehr ließ Er dem Adam, um sich dort abzumühen, weil sogar bis dahin der Weg der Heiligen nicht kundgetan war [Eph 3,5; Hebr 9,8], wie der selige Apostel gesagt hat. In den letzten Tagen aber ist Er gekommen und gebot unserem freien Willen, den einen Schweiß durch den anderen zu ersetzen, und Er gebot nicht das Aufhören von allem, sondern dessen Verwandlung. Denn wegen unserer auf Erden anhaltenden || 93r verderblichen Leidenschaft(en), hat Er uns Seine Menschenliebe erwiesen. Wenn wir aber aufhören, auf ihr unseren Schweiß zu vergießen, werden wir notwendigerweise Dornen ernten. Denn das Ablassen von diesem Gebet bewirkt das Verleiblichen der Erde, die naturgemäß Dornen hervorbringt. Denn die Leidenschaften sind in Wahrheit die Dornen, deren Samen in unserem Leib
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aufgehen [Gal 6,8]. Solange wir die Gestalt Adams tragen, (gilt dies) notwendigerweise auch für seine Leidenschaften. Denn es kann auf Erden keinen Müßiggang im Hervorbringen jener Triebe geben, die ihrer Natur entsprechen. Ein Erzeugnis von deren Natur aber ist die Erde, (aus der) unsere Körper (gemacht sind), wie das göttliche Zeugnis (besagt): Die Erde, davon du genommen bist [Gen 3,19]. Sie wird Dornen hervorbringen, diese aber sind geistig die Leidenschaften. Wenn Gott uns in allem ein Urbild war in den Geheimnissen, in allen unterschiedlichen Seiten Seines Heilsplans und sogar bis zur neunten Stunde des Freitags nicht abließ von Seinem Werk und Seiner Arbeit – das aber ist das Geheimnis des Wirkens das ganze Leben lang –, am Sabbat aber im Grabe ruhte, wo sind dann diejenigen, die da sagen, daß es im Leben den Sabbat gäbe, das heißt das Ablassen | 93v von den Leidenschaften? Vom Sonntag jedoch wird erhaben gesprochen. Unser Sabbat ist der Tag der Beerdigung. Da feiert in Wahrheit unsere Natur ihren Sabbat. Ansonsten aber müssen wir notwendigerweise jeden Tag, solange diese Erde steht, aus ihr die Dornen ausrotten, und infolge unseres ausdauernden Schaffens nehmen die Dornen ab, doch sie wird keineswegs von ihnen gereinigt. Wenn es sich aber so verhält, dann werden sich durch eine vorübergehende Trägheit, das heißt durch eine geringe Nachlässigkeit, die Dornen vermehren und ihr Angesicht bedecken und das, was du gesät hast, unterdrücken und deine Arbeit zu etwas Nichtvorhandenem machen. Also muß man sie (die Erde) jeden Tag säubern, denn wenn man davon abläßt, wächst eine Menge Dornen, von denen wir gereinigt werden mögen durch die Gnade des eingeborenen Sohnes Gottes, Der mit Ihm eines Wesens ist. Ihm sei Ruhm mit Seinem Vater, Der ohne Anfang ist, und Dem lebenspendenden Geist heute und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen. Rede 20 (93v – 95r) Desselben tägliche höchst notwendige und sehr nützliche Erinnerung für denjenigen, der in seiner Zelle sitzt und nur auf sich selbst hören will || 94r Einer aus der Bruderschaft schrieb dieses auf und legte es stets vor sich hin, erinnerte sich daran und sagte: Unsinnig hast du dein Leben gelebt, du beschämter Mensch, der du jeden Übels würdig bist. Aber hüte dich wenigstens an diesem Tag, der dir von deinen Tagen geblieben ist, die leer vergangen sind und ohne gute Taten und angereichert mit bösen Taten. Frage weder nach der Welt, noch nach dem Leben darin, (frage nicht) nach den Mönchen oder deren Angelegenheiten und wie es ihnen ergeht, (frage nicht) nach der Menge ihrer Taten, und kümmere dich um nichts dergleichen. Du bist geheimnisvoll aus der Welt gegangen und hast dich (gleichsam) für tot in Christus gehalten, du wirst weder der Welt leben noch als einer, der in der
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Welt lebt, damit dich die Ruhe verwandelt, und du wirst in Christus leben. Sei bereit und wohl vorbereitet auf jegliche Schmähung und jegliche Beleidigung und Spott und Tadel von allen. Und nimm dieses mit Freuden an, als seiest du dessen in Wahrheit würdig. Und ertrage jeglichen Schmerz und jegliche Bedrängnis und Not, (die) von den Dämonen (kommt), deren Willen du befolgt hast. Dankbar | 94v und tapfer ertrage jegliche Not und die naturgemäß vorkommenden Bitternisse. Und ertrage in der Hoffnung auf Gott auch den Mangel an dem, was der Leib nötig hat, das doch bald zu Dreck wird. Und dies alles wünsche dir in der Hoffnung auf Gott anzunehmen, ohne irgendwo Rettung oder eine andere Tröstung zu erwarten. Wirf vielmehr deinen Kummer auf Gott [Ps 55,23], und bei allen deinen Anfechtungen richte dich selbst als den, der an all diesem Schuld trägt. Laß dich in nichts beirren, und tadle niemanden von denen, die dich kränken, denn auch du hast von der verbotenen Frucht gegessen und verschiedene Leidenschaften erworben. Nimm voller Freuden die Bitternisse auf dich, auf daß sie dich geringfügig erschüttern, und du wirst später erquickt werden. Wehe dir und deinem übelriechenden Ruhm, weil du deine Seele ungerichtet und jeglicher Sünde voll belassen und andere in Rede und Gedanken verurteilt hast. Denn es reicht für dich, es reicht mit diesem Schweinefraß, in dem du bis jetzt gelebt hast. Was ist los mit dir und den Menschen, o du Unreiner, schämst || 95r du dich nicht, dich ihnen zuzuwenden, da du dein Leben so unvernünftig verbracht hast. Wenn du dieses begreifst und dies alles beherzigest, wirst du vielleicht mit Gottes Hilfe gerettet werden, wenn aber nicht, dann wirst du in das dunkle Land gehen und zu den Stätten der Dämonen, deren Willen du schamlosen Angesichts befolgt hast. Das habe ich dir bezeugt von allen diesen Dingen. Wenn Gott zu Recht Menschen gegen dich in Bewegung setzt, um Vergeltung zu üben für die Schmähungen und Tadel, die du die ganze Zeit über ihnen zugedacht hattest und gegen sie ausgesprochen hast, wird sich die ganze Welt mit dir beschäftigen müssen. Also halte von nun an inne, und ertrage die Vergeltung, die dich ereilt. An alles dies erinnerte sich der Bruder jeden Tag, damit er, sobald ihn eine Prüfung oder Bedrängnisse überkommen sollten, imstande wäre, dies dankbar zu erdulden und seinen Nutzen daraus zu ziehen. Möchte auch uns beschieden sein, mit Dankbarkeit das zu erdulden, was über uns kommt, und es zu nutzen durch die Gnade und Menschenliebe Gottes. Rede 21 (95r – 121r) Von demselben in Frage und Antwort Frage: Von was für einem Band wird das Herz | 95v gehalten, um nicht nach dem Bösen zu streben? Antwort: Indem man stets der Weisheit folgt und mit
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dem Studieren des Lebens wuchert, denn ein anderes kräftigeres Band gegen die Unordnung des Geistes gibt es nicht. Frage: Wo liegt die Grenze des Strebens für den, der der Weisheit folgt, und worin endet deren (der Weisheit) Lehre? Antwort: In Wirklichkeit ist es unmöglich, auf seinem (Lebens-) Weg diese Grenze zu erreichen, wie auch die Heiligen in Bezug auf diese Vollendung unvollkommen geblieben sind. Denn auf dem Weg der Weisheit gibt es kein Ende. So lange steigt sie höher und höher, bis sie denjenigen, der ihr folgt, mit Gott vereinigt. Und dies ist (auch) ihr Zeichen, daß sie zu schauen unerreichbar ist, weil die Weisheit Gott selber ist. Frage: Welches ist der erste Pfad, der uns befähigt, uns der Weisheit zu nähern, und worin besteht sein Anfang? Antwort: Mit ganzer Kraft der Weisheit nachzujagen im strebsamen Verfolgen (dieses Zieles) sein ganzes Leben lang bis hin zum Tod und, wenn es nötig sein sollte, sich dessen zu entäußern und es von sich zu werfen und nicht nachzulassen in der Liebe Gottes. Frage: Wer ist es, der zu Recht vernünftig genannt werden kann? Antwort: Wer wahrhaftig begriffen hat, || 96r daß dieses Leben eine Grenze hat. Dieser kann auch eine Grenze seinen Verrichtungen ziehen. Denn welches Wissen oder welche Einsicht ist größer als diese, wenn jemand weise bedenkt, aus diesem Leben in die Unvergänglichkeit zu gehen, ohne ein Glied durch den Gestank des Begehrens befleckt zu haben und ohne seelischen Makel durch solche Wonne. Wenn aber ein Mensch seine Gedanken verfeinert, um in die Geheimnisse aller Geschöpfe einzudringen und durch Erforschen und Betrachten jegliches Wissen in sich anreichert und seine Seele (dabei) durch den Makel der Sünde geschändet wird, und wenn er kein Zeugnis für die Hoffnung seiner Seele erworben hat, aber vermeint, wohlbehalten in den Hafen der erfüllten Hoffnung zu gelangen, dann hat die Welt keinen Unvernünftigeren als diesen, denn bis zur Hoffnung dieser Welt haben ihn seine Werke gebracht in seinem ununterbrochenen Streben hin zu dieser (Welt). Frage: Wer ist wahrhaftig stark? Antwort: Wer gütigen Sinnes bleibt in den zeitlichen Bedrängnissen, in denen der Ruhm seines Sieges verborgen ist, und wer nicht nach der Weite verlangt, in der ein schimpfliches Leben verborgen ist, | 96v das den, der es findet, allzeit aus dem Kelch der Seufzer zu trinken gibt. Frage: Schadet es auf dem Weg zu Gott, wenn jemand sich wegen der Versuchungen von guten Taten abwendet? Antwort: Es ist keinem möglich, sich ohne Trübsale Christus zu nähern, und ohne diese wird seine Rechtschaffenheit nicht unveränderlich bewahrt. Und wenn er die Werke abbricht, die diese vermehren, dann bricht er auch diejenigen (Werke) ab, die diese hüten, und er gleicht einem Schatz, der nicht bewacht wird, und einem Kämpfer, der sich seiner Waffen entblößte, während ihn die Scharen seiner Feinde umzingelten, und einem Schiff ohne seine Takelage, und einem Garten, dem
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man die Wasserquelle abgeschnitten hat. Frage: Wer ist erleuchtet in seiner Erkenntnis? Antwort: Wer dahin gelangt ist, die verborgene Bitterkeit in der Süßigkeit der Welt zu entdecken, und seinem Mund verboten hat, aus diesem Kelch zu trinken, und beständig zu erkennen versucht, wie er seine Seele retten kann, und nicht aufgehört hat in diesem Bestreben, bis er sich von dieser Welt gelöst hat und die Tür seiner Sinne verschlossen hält, damit nicht irgendwann || 97r die Liebe zu dieser Welt in ihn Einlaß finde und seine heimlichen Schätze stehle. Frage: Was ist die Welt, und wie erkennen wir sie, und wodurch schadet sie denen, die sie lieben? Antwort: Die Welt ist eine Dirne, die diejenigen, die sie ansehen, durch das Verlangen nach ihrer Schönheit dazu verlockt, sie zu lieben, und wer (auch nur) teilweise von der Liebe zu ihr festgehalten und umfangen ist, kann sich nicht aus ihren Armen lösen, bis sie ihn seines Lebens beraubt. Und wenn sie ihn von allem entblößt und aus seinem Haus hinausträgt am Tage seines Todes, dann erkennt der Mensch, daß sie ein Verführer und Betrüger war. So sich aber jemand bemüht, aus dem Dunkel dieser Welt herauszugehen, während er noch darinnen verborgen ist, kann er nicht ihre Schlingen sehen. Und so hält die Welt nicht nur ihre Jünger und Kinder und die in ihr gefangen sind fest, sondern auch die Selbstlosen und die Asketen und diejenigen, die ihre (der Welt) Fesseln zerrissen und einmal über ihr gestanden hatten, siehe, auch diese hat sie begonnen in ihre Werke einzufangen | 97v und auf verschiedene Weise zu zertreten. Frage: Was tun wir mit dem Leib, wenn ihn Krankheit und Last umfängt, weil (dabei) das Wollen in seiner vormaligen Kraft beim Trachten nach dem Guten erschlafft? Antwort: Bei manchen ist es oftmals so, daß eine Hälfte von ihnen Gott folgte, und die andere Hälfte blieb in der Welt, und ihr Herz trennt sich nicht von den hiesigen Dingen, vielmehr haben sie sich in sich selbst aufgeteilt, denn manchmal blicken sie nach vorn und manchmal zurück. Ich meine, wie der Weise über die in sich uneins Seienden und sich Gott Nähernden sagt: Du sollst nicht vor Ihn hintreten mit gespaltenem Herzen [Sir 1,28], sondern wie einer, der sät, und wie einer, der erntet [Sir 6,19], tritt vor Ihn hin. Und Gott hat jenen, die sich nur unvollkommen (von der Welt) losgesagt haben, sondern in sich uneins sind und in Gedanken sich zurückwenden aus Furcht vor Kümmernissen und Not und weil sie das fleischliche Verlangen noch nicht von sich abgeworfen haben, als Er auch dieses aus ihrem Denken entfernen wollte, dieses bestimmte Wort gesagt: Wer Mir nachfolgen will, der verleugne || 98r zuerst sich selbst und nehme das Kreuz (auf sich) auf [Mt 16,24]. Frage: Was aber bedeutet das, der solle sich verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen? Antwort: So wie derjenige, der sich darauf vorbereitet hat, auf das Kreuz zu steigen, den Gedanken an den Tod in sein Denken aufnimmt und so dahin aufbricht als
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ein Mensch, der nicht daran denkt, wieder einen Anteil am Leben in diesem Leben zu haben, so geht es auch dem, der das Gesagte erfüllen will. Denn das Kreuz ist der Wille, für jeden Kummer bereit zu sein. Und als Er (uns) wiederum lehren wollte, warum dieses so sei, sagte Er: Wer in dieser Welt leben will, der bringt sich um das wahre Leben, wer sich aber hier um Meinetwillen verliert, wird sich dort wiederfinden [Mt 10,39], das heißt als einer, der auf dem Wege des Kreuzes wandert und seine Schritte diesem folgen läßt. Derjenige wiederum, der Sorge um dieses Leben hat, hat sich der Hoffnung beraubt, derentwegen er ausgezogen war, Kummer zu erleiden, weil diese Sorge ihn sich nicht den Trübsalen um Gottes willen nähern läßt, sondern indem er sich ihr (der Sorge um das Leben) überläßt, lockt sie ihn allmählich an sich und entfernt ihn aus der Mitte des Kampfes eines wahrhaft gotterfüllten und seligen Lebens | 98v und läßt diesen Gedanken in ihm wachsen, bis er ihn besiegt. Wer aber seine Seele verliert in seinem Geist aus Liebe zu Mir, der wird ohne Verfehlung und ohne Schaden bewahrt werden zum ewigen Leben, das heißt, wer seine Seele um Meinetwillen verliert, wird sie wiedergewinnen. Also bereite hier selbst deine Seele zur vollständigen Abtötung gegenüber diesem Leben vor. Und Ich werde dir, so sagt Er, das ewige Leben geben, wie Ich es dir versprochen habe [Joh 10,28], und für dieses ganze Leben werde Ich dir durch die Tat Mein Versprechen zeigen und die Zusicherung künftigen Heils. Denn dann findest du das ewige Leben, wenn du dieses Leben (hier) verachtest. Und wenn du solchermaßen vorbereitet den Kampf aufnimmst, dann wird in deinen Augen alles verächtlich, was du für schmerzlich und betrüblich hieltest. Denn wenn dein Geist sich so vorbereitet, dann gibt es für ihn weder Kampf noch Betrübnis zur Zeit von Not und Tod. Deshalb ist gewiß: Wenn der Mensch nicht dieses Leben in der Welt um seines Verlangens willen || 99r nach dem zukünftigen Leben zu hassen lernt, kann er auch keine Kümmernisse ertragen. Frage: Auf welche Weise trennt sich der Mensch von seinen früheren Gewohnheiten und gewöhnt sich an ein karges Leben und Askese? Antwort: Der Leib ist nicht bereit, ohne (Befriedigung) seiner Bedürfnisse zu leben. So stark hält der Geist ihn von Genüssen und Erschlaffung zurück, als er weit weg von dem allen sein wird, was Erschlaffung verursacht. Denn wenn er die Verursacher der Genüsse an den Dingen vor sich sieht, wird in ihm das brennende Verlangen danach entfacht. Deshalb hat auch der Erlöser dem, der Ihm nachfolgen will, aufgetragen, alles abzulegen und aus der Welt zu scheiden. Denn der Mensch muß zuerst die Ursachen der Schwäche von sich werfen und (dann) sich so ans Werk begeben. Und der Herr selbst hat, als Er den Kampf mit dem Teufel aufnahm, die Versuchung in der Wüste durchgestanden und ihn besiegt. Paulus aber trägt denen, die das Kreuz
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Christi auf sich nehmen, auf, aus der Stadt zu gehen. Laßt uns zu Ihm hinausgehen, sagte er, und Seine Schmach auf uns nehmen [Hebr 13,12-13], wie Er vor der Stadt gelitten hat. Denn wenn der Mensch sich von der Welt und dem, was zu ihr gehört, absondert, trennt er sich bald von seinen ursprünglichen Gewohnheiten | 99v und plagt sich lange Zeit nicht mit diesen ab. Die Annäherung jedoch an die Welt und ihre Dinge läßt bald die Festigkeit seines Geistes erschlaffen. Denn es ziemt sich und hilft in diesem Kampf, daß die Ordnung des Mönchs den Mangel an Notwendigem vorsieht, daß seine Zelle leer sei und frei von allen Dingen, die in ihm das Verlangen nach Bequemlichkeit anregen. Denn wenn die Ursachen der Erschlaffung fern vom Menschen sind, dann erleidet er auch nicht den doppelten Kampf – (mit) den äußeren und den inneren (Versuchungen). Und so wird der Mensch, der das, was dem Genusse dient, weit von sich hält, unschwer im Vergleich zu dem siegen, der sich (nahe) der Verlockung, die das Verlangen weckt, weiß. Denn hier gibt es einen doppelten Kampf. Wenn aber der Mensch dürftig lebt in der Einrichtung seiner Behausung, dann fällt es ihm auch leicht, seine Bedürfnisse nicht zu beachten, und auch in der notwendigen Zeit sieht er diese nicht voller Verlangen, und mit Wenigem (an Nahrung) stellt er den Leib zufrieden, und er sieht dies als ein leicht zu Vernachlässigendes an. Und nicht um der Köstlichkeit der Nahrung willen || 100r nähert er sich ihr, sondern damit er die Natur unterstütze und sie kräftige. Diese Ursachen führen ihn bald zur Askese ohne Betrübnis und ohne Trauer in seinem Denken. Denn es geziemt dem Mönch, sich (nicht nur) auf jene Dinge nicht einzulassen, die ihn bekämpfen, sondern auch sich von ihrem Anblick fernzuhalten und sich ihrer Annäherung zu entziehen. Und dabei spreche ich nicht nur vom Bauch, sondern von allem, worin die Freiheit des Mönches auf die Probe gestellt wird. Denn wenn der Mensch zu Gott kommt, schließt er einen Bund mit Gott, sich von allem fernzuhalten, als da ist: kein Frauengesicht anzublicken, keine Gesichter von schönen Personen anzusehen, nichts zu begehren oder zu genießen, nicht zu achten auf die Prächtigkeit der Gewänder, auf keinerlei Ordnung unter den weltlichen Menschen zu achten, weder deren Worten zu lauschen noch auf das, was über sie gesagt wird. Denn die Leidenschaften gewinnen viel Kraft durch deren Annäherung, die den Asketen schwächen und seinen Verstand und sein Vorhaben verändern. Und wenn der Anblick des Guten das Wollen des Eifernden antreibt und ihn willig zu dessen Vollbringen macht, dann ist es klar, daß | 100v auch das diesem Entgegengesetzte die Kraft besitzt, den Geist dafür (für sich) zu fesseln. Und wenn auch dem schweigenden Geist nicht viel mehr geschieht, so trägt es doch den Kampf mit dem Aufruhr in diesen hinein. Und wenn es einen unter den altehrwürdigen Mönchen, einen
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Asketen, gab, der, als er einen Bartlosen (Mönch), der den Frauen gleicht, erblickte, meinte, daß dies schädlich für den Geist sei und untauglich für seinen Kampf, wie kann da jemand bei anderem nachlässig sein, wenn (doch) dieser heilige Mann nicht bereit war einzutreten und den Bruder zu küssen. Denn der weise alte Mönch urteilte so: Wenn ich nur in dieser Nacht daran denke, daß es hier dergleichen gibt, dann ist das für mich ein großer Schaden. Und deshalb sagte er ihnen, ich also, meine Kinder, fürchte mich nicht, doch weshalb sollte ich mir umsonst einen Kampf bereiten, wenn doch die Erinnerung an derlei Dinge dem Geist nutzlose Verwirrung bereitet. Denn in jedem Glied seines Körpers erfährt der Mensch einen Kampf, und er muß sich schützen und seinen Kampf in diesen gering halten, wie denn auch, wenn (dergleichen) sich nähert, der Mensch, obwohl er sich um das Gute bemüht, so doch andererseits durch dieses in Gefahr ist, da er dies stets sieht und danach verlangt. || 101r Viele Heilkräuter sehen wir in der Erde verborgen, und zur Erntezeit weiß wegen der Hitze niemand von ihnen. Sobald sie jedoch durch das Wasser Feuchtigkeit aufnehmen und durch die Stärke der kühlen Luft gerochen werden, erscheint jedwede Art da, wo sie in der Erde begraben war. Ebenso verhält es sich mit dem Menschen: Wenn er in der Gnade des Schweigens und in der Wärme der Enthaltsamkeit lebt, wird er von vielen Leidenschaften in Ruhe gelassen. Wenn er sich jedoch auf weltliche Dinge einläßt, dann sieht er, wie jegliche Leidenschaft sich erhebt und seinen Kopf leichter werden läßt, besonders wenn sie (die Leidenschaften) den Geruch der Bequemlichkeit wahrnehmen. Dieses habe ich gesagt, auf daß keiner wage mutig zu sein, solange er in seinem Leibe lebt, bis er stirbt, und damit ich zeige(n möge), wie sehr das Fliehen und SichZurückziehen im Kampf helfen. Die Dinge, die uns Scham verursachen, wenn wir uns ihrer erinnern, muß man fürchten, und wir dürfen auch nicht auf dem Gewissen herumtrampeln und dieses vernachlässigen. Bemühen wir uns also, den Leib in die Einöde zu versetzen, und sorgen wir dafür, daß er Geduld erlange. Am wichtigsten aber ist, daß er sich von den Ursachen des Aufruhrs fernhält, auch | 101v wenn er (darüber) betrübt wäre, doch daß die Furcht da sei, daß er nicht, wenn es notwendig werden sollte, bei deren Annäherung falle. Frage: Wenn einer jeglichen Aufruhr von sich abwirft und den Kampf aufnimmt, wo ist der Anfang seines Kampfes mit der Sünde, und wo beginnt dieses Streiten? Antwort: Das ist allbekannt, daß für jedweden Kampf gegen die Sünde und die Begierde die Mühe des Fastens der Anfang ist, denn vor allem darin erkennen die (für den Glauben) Streitenden, was in diesem unsichtbaren Kampf dagegen gerichtet ist, und das nächtliche Wachen ist dabei förderlich. Wer in seinem ganzen Leben das Gespräch in dieser Verbindung liebt, der ist ein Freund der Keuschheit. So wie die Zufrie-
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denheit des Bauches der Anfang von allen Übeln ist und die Schlaffheit während des Schlafes, die die Begierde der Unzucht entfacht, so sind auch der heilige Weg Gottes und die Grundlegung jeglicher Tugend(kraft) – Fasten und Wachen und mutiger Eifer im Dienst für Gott, in der Kreuzigung des Leibes die ganze Nacht hindurch gegen die Süßigkeit des Schlafes. Das Fasten ist der Beschützer jeglicher Tugend und der Anfang des Kampfes und die Krone der Asketen || 102r und die Schönheit der Jungfräulichkeit und der Heiligung und der Glanz der Keuschheit und der Anfang des Weges zum Christsein und die Mutter des Gebetes und die Quelle der Weisheit und der Lehrer des Schweigens und das, was allem Guten vorangeht. So wie den gesunden Augen das Verlangen nach Licht zu eigen ist, so folgt dem besonnenen Fasten das Verlangen nach dem Gebet. Wenn jemand zu fasten beginnt, möchte er von da an, daß das Verlangen nach dem Gespräch mit Gott in seinem Geist Einzug halte. Der fastende Leib läßt nicht zu, daß er die ganze Nacht auf seinem Lager schlafe. Solange das Siegel des Fastens dem menschlichen Leib aufgedrückt ist, wird sein Denken von Ergriffenheit erfaßt, und seinem Herzen entquillt das Gebet, und Traurigkeit liegt auf seinem Gesicht, und schändliche Gedanken sind weit weg von ihm, man erblickt keine Salbung in seinen Augen, er ist ein Feind der Begierden und leerer Unterhaltungen. Noch nie hat jemand einen besonnen Fastenden gesehen, der Sklave üblen Begehrens war. Das besonnene Fasten ist ein gewaltiges Gebäude für jegliches Gute. | 102v Wer es jedoch vernachlässigt, der bringt Verwirrung in alles Gute, weil dieses Gebot unserer Natur von allem Anfang zu (unserem) Schutz auferlegt worden ist, und von dort kam der Anfang unserer Erschaffung zu Fall. Doch von da, wo die ursprüngliche Zerstörung stattfand, von da gelangen auch die Asketen zur Furcht Gottes, wenn sie (nämlich) beginnen, Seine Gesetze zu halten. Von da begann auch der Erlöser, als Er am Jordan gesehen wurde. Denn nach der Taufe führte Ihn der (Heilige) Geist hinaus in die Wüste, und er fastete 40 Tage und 40 Nächte. Ebenso bauen alle, die ausziehen, um Ihm zu folgen, auf dieses Fundament den Anfang ihres Kampfes, denn es (das Fasten) ist eine von Gott geschaffene Waffe. Wer sollte, wenn er dies vernachlässigt, nicht getadelt werden, wenn doch Der, Der dieses Gesetz schuf, fastet, und wie sollte der, welcher zu denen gehört, die das Gesetz befolgen, nicht fasten sollen. Deshalb hatte das Menschengeschlecht bis dahin weder einen Sieg gekannt, noch hatte der Teufel jemals eine Prüfung seines Sieges durch unsere Natur erfahren. Doch durch diese Waffe wurde er schwach von Anfang an. || 103r Und unser Herr war der Urheber und Erste bei diesem Sieg, um den ersten Siegeskranz auf das Haupt unserer Natur zu legen. Sobald der Teufel diese Waffe bei einem Menschen bemerkt, fürchtet sich sogleich dieser Widersa-
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cher und Peiniger. Und sogleich kommt ihm die Erinnerung an seine Besiegung in der Wüste durch den Erlöser, und seine Stärke wird durch die uns von unserem Heerführer gegebene Waffe verbrannt. Welche Waffe wäre stärker und könnte Mut verleihen im Kampf gegen die unreinen Geister als das Fasten Christi wegen? Denn in dem gleichen Maß, in welchem sich der Leib zu der Zeit abmüht und sehr leidet, während den Menschen die Schar der Dämonen umzingelt, wird sein Herz durch die Hoffnung unterstützt. Wer mit der Waffe des Fastens bekleidet ist, entbrennt allzeit vor Eifer. Auch der Zelot Elia war, als er sich für das göttliche Gesetz ereiferte, im Zustand des Fastens. Dem, der es zu erreichen versucht, ruft es (das Fasten) das, was der (Heilige) Geist aufgetragen hat, ins Gedächtnis. Das Fasten ist der Mittler zwischen dem alten Gesetz und der Gnade, die uns von Christus gegeben worden ist. | 103v Wer darin nachlässig ist, ist auch in seinen übrigen Kämpfen schwach und kraftlos und zeigt ein Zeichen der Schwäche seiner Seele und wird dem, der ihn bekämpft, Platz für den Sieg einräumen. Denn er (selbst) zieht nackt in den Kampf, und (damit) ist offenbar, daß er ohne Sieg aus ihm hervorgeht, weil seine Glieder nicht mit der Glut des Fastenhungers bekleidet waren. Und so (nämlich durch das Fasten) bleibt der Mensch unerschütterlichen Sinnes, wenn er auf die schrecklichen Leidenschaften trifft. Von vielen Märtyrern wird berichtet, daß sie an jenem Tag, an dem sie hofften, die Märtyrerkrone zu erlangen ‒ wenn sie dies zuvor entweder durch eine Erleuchtung oder von ihren Freunden erfahren hatten ‒, in jener Nacht nichts aßen, sondern vom Abend bis zum Morgen wachend beteten, Gott in Psalmen und Gesängen und geistlichen Liedern priesen und in Heiterkeit und Freude jene Stunde erwarteten, wie manche, die sich auf die Hochzeit vorbereitet haben, hoffend, dem Schwert während ihres Fastens zu begegnen. Auch wir, die wir zum unsichtbaren Märtyrertum berufen worden sind, um den Kranz der Heiligung zu empfangen, sollten demnach nüchtern sein, || 104r und nicht in einem einzigen Teil (unseres Leibes) sollten unseren Feinden Zeichen der Verleugnung gegeben werden. Frage: Manche vermeinen, diese Werke zu haben, doch sie verspüren weder Stille und Ruhe der Sinne noch Stille der Gedanken. Antwort: Die Leidenschaften, die in der Seele verborgen sind, werden, o Bruder, nicht nur durch körperliche Anstrengungen korrigiert, auch bewahren sie nicht die Gedanken vor dem, was ständig durch die Sinne aufgewühlt wird. Denn diese Anstrengungen bewahren den Menschen vor den Begierden, damit er nicht von diesen besiegt werde, und vor Schaden durch die Dämonen. Aber Frieden und Stille geben sie der Seele nicht. Die Werke und die Anstrengungen geben ihr dann Leidenschaftslosigkeit und töten die Glieder ab, die auf der Erde sind [Kol 3,5], und sie geben Ruhe den Gedanken, wenn wir uns auf
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das Schweigen einlassen, wenn die äußeren Sinne die Verwirrung ablegen und einige Zeit im Schweigen zubringen. Denn solange sich der Mensch nicht der Begegnung mit den (anderen) Menschen entzieht und seine Glieder vor vielerlei Verwirrung (bewahrt) und sich in sich selbst vertieft, | 104v hat er auch nicht die Fähigkeit, seine Leidenschaft zu erkennen. Denn das Schweigen ist, wie der Heilige Basileos sagte, der Anfang der Reinigung der Seele. Wenn die äußeren Glieder sich von der Ordnung der äußeren Dinge und den Anfechtungen in der Außenwelt lösen, wird das Herz angeregt, die in der Seele liegenden Gedanken zu erforschen. Und wenn es darin gut voranschreitet, gelangt es auf den Weg zur Reinheit der Seele. Frage: Kann denn nicht in einem Leben außerhalb der Tür (der Zelle) die Seele zur Reinheit gelangen? Antwort: Wenn ein Baum jeden Tag gegossen wird, wann wird da seine Wurzel austrocknen? Und ein Gefäß, das jeden Tag nachgefüllt wird, wann wird es weniger werden? Und wenn die Reinheit nichts anderes ist als nur das Sich-Verbergen vor einem unfreien Leben und das Abrücken von dem Gewohnten, wann kann dann derjenige, welcher tätig oder durch andere mit Hilfe seiner Sinne seine Erinnerung daran ‒ das bedeutet das Wissen um das Böse ‒ erneuert, seine Seele davon reinigen, oder wann wird er sich von dem Kampf mit den äußeren Widrigkeiten befreien und den Frieden erblicken? Denn wenn das Herz jeden Tag beschmutzt wird, || 105r wann wird es sich dann von dem Schmutz reinigen? Aber weder der Einwirkung von außen kann er sich widersetzen, und wieviel weniger noch kann er sein Herz reinigen, wenn er inmitten der Heerscharen steht und täglich unablässige Kunde über die Schlacht zu hören sich erhofft, und wie kann er wagen, Frieden zu erfahren in seiner Seele? Wenn er sich jedoch von diesen Dingen entfernt, dann können die inneren Kräfte allmählich die ersteren (die äußeren) besänftigen. Denn solange ein Fluß nicht von oben gegen den Unterlauf versperrt wird, werden seine Wasser nicht austrocknen. Wenn aber jemand zum Schweigen gelangt, dann kann die Seele die Leidenschaften beurteilen und ihre Klugheit erproben, dann erwacht auch der inwendige Mensch zum geistigen Tun und erspürt Tag für Tag die verborgene Weisheit, die in seiner Seele blüht. Frage: Welche sind die bestimmten Anzeichen und Merkmale, die sich demjenigen nähern, der beginnt die verborgene Frucht in seiner Seele zu sehen? Antwort: Wenn jemand der Gnade vieler Tränen gewürdigt wird, die ohne Zwang vergossen werden, | 105v weil die Tränen als eine bestimmte Grenze der Gedanken zwischen dem Körperlichen und dem Seelischen und zwischen (dem Zustand) der Leidenschaft und der Reinheit festgelegt sind. Denn solange ein Mensch diese Gabe nicht empfängt, vollzieht sich sein Tun noch im äußeren Menschen, und er hat noch nicht die Wirkung der verborgenen (Kräfte) des geistigen Menschen
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gespürt. Wenn aber jemand beginnt das Körperliche der Gegenwart zu verlassen und erkennt, daß er die Grenze innerhalb seiner Natur überschreitet, gelangt er sogleich zu dieser Gnade der Tränen. Und diese Tränen beginnen bei der ersten Wohnstatt seines verborgenen Lebens und führen ihn zur Vollkommenheit der Liebe Gottes. Und je mehr er in dieser Richtung voranschreitet, um so mehr wird er durch diese (Gnade der Tränen) bereichert, bis er durch deren reichliches Fließen sie in seiner Nahrung und in seinem Getränk trinkt. Und dies ist ein sicheres Zeichen dafür, daß sein Geist aus dieser Welt herausgetreten ist und jenen geistigen Frieden gefunden hat. In dem Maße aber, in welchem sich der Mensch in seinem Sinn dieser Welt nähert, im selben Maß verringern sich diese Tränen, und sobald sein Sinn || 106r vollständig in dieser Welt (angelangt) sein wird, wird er auch vollständig dieser Tränen beraubt, und dies ist ein Zeichen dafür, daß der Mensch in seinen Leidenschaften begraben ist. Aus demselben Gespräch über die Verschiedenartigkeit der Tränen Es gibt Tränen, die brennen, und es gibt Tränen, die befruchtend wirken. Alle Tränen nun, die vom Herzen um der Sünden willen ausgehen, trocknen den Leib aus und brennen ihn, und oft verspürt das Beherrschende (in der Seele) selbst einen Schaden, der von diesen, während sie vergossen werden, ausgeht. Denn zunächst gelangt der Mensch notwendigerweise auf diese Stufe der Tränen, und durch sie wird ihm die Tür geöffnet, um auf die zweite Stufe zu gelangen, die besser ist als diese (erste). Denn diese bedeutet Freude, auf ihr erfährt der Mensch Erbarmen. Denn dies sind Tränen, die aus Einsicht vergossen werden, die den Leib zieren und ihn gedeihen lassen. Und sie kommen ungezwungen von selbst, und das Aussehen des Menschen verändert sich. Denn wenn das Herz fröhlich ist, blüht das Gesicht auf, hat es aber Kummer, verfällt es [Spr 15,13]. Frage: Was ist die Auferstehung der Seele, von der der Apostel sagt: Wenn ihr mit Christus auferstanden seid [Kol 3,1]? | 106v Antwort: Als der Apostel von dem Gott sprach, Der das Licht geheißen habe, aus dem Dunkel aufzuleuchten, Der auch in euren Herzen ein Licht habe aufgehen lassen [2 Kor. 4,6], zeigte er gut, daß die Auferstehung das Verlassen des alten Zustandes ist, das heißt, daß ein neuer Mensch werden möge, der nichts von dem alten (Menschen) an sich habe, so wie es heißt, Ich werde ihnen ein neues Herz geben und einen neuen Geist [Ez 36,26]. Denn dann stellt sich uns Christus dar durch den Geist der Weisheit und die Offenbarung unserer Erkenntnis über Ihn. Frage: Worin besteht in Kürze die Stärke der Einhaltung des Schweigens? Antwort: Das Schweigen tötet die äußeren Sinne ab und setzt die inneren in Gang. Der Lebenswandel draußen wirkt dem entgegen, daß heißt, er setzt die äußeren Sinne in Gang und tötet die inneren Regungen ab. Frage: Welches ist die
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Ursache für das Schauen (der geistigen Dinge) und die Offenbarungen, da doch einige (dies) sehen, andere aber mühen sich mehr als diese, und doch kommt es bei ihnen nicht zum Schauen. Antwort: Es gibt viele Ursachen dafür. Die einen geschehen aus Umsicht und Sorge um des allgemeinen (Wohls) willen, die anderen zum Trost, für Zuversicht und Belehrung. Und an erster Stelle || 107r geht dies alles von der Gnade Gottes für den Menschen aus und vor allem im Hinblick auf die drei Arten (der Menschen), entweder die ganz einfachen und arglosesten oder die wenigen vollkommen heiligen oder diejenigen, die von flammendem Eifer für Gott erfüllt sind, sich von der Welt zurückgezogen und vollständig von ihr losgesagt haben und aus der Wohngemeinschaft mit den Menschen weggegangen und nackt der Spur Gottes gefolgt sind, ohne sich irgendeine Hilfe von den sichtbaren Dingen zu erhoffen. Diese überfällt Angst wegen der Einsamkeit, oder sie umgibt Todesnot infolge des Hungers oder wegen einer Krankheit oder wegen eines Umstandes oder einer Bedrängnis, so daß sie an den Rand der Verzweiflung geraten. Wenn nun solche (Menschen) Tröstungen erfahren, diejenigen aber, die diese an Bemühungen übertreffen, nicht, so ist der erste Grund dafür die Reinheit oder Unreinheit des Gewissens, sage ich. Der zweite Grund ist sicher dieser: Wenn jemand menschlichen Trost erhält oder Trost durch etwas Sichtbares, so erhält er keinen solchen Trost, sondern eine gewisse Lenkung | 107v um des allgemeinen (Nutzens) willen. Wir aber reden (hier) über die Einsiedler. Und einer der Väter ist Zeuge. Er hatte darum gebeten und zu hören bekommen: Für dich genügt der menschliche Trost und das Gespräch mit ihnen. Und ein anderer gleichergestalt, der sich zurückgezogen hatte und ein Einsiedlerleben führte und stündlich die Tröstung, die aus der Gnade kommt, genoß, erlangte diese (Tröstung) nicht, als er sich der Welt näherte und wie gewohnt nach dieser verlangte, und er betete zu Gott, ihm den Grund zu offenbaren, indem er sagte: Hat sich, o Herr, etwa um meiner Heimsuchung willen Deine Gnade von mir entfernt? Und ihm wurde gesagt: Nein, sondern weil Gott seine Fürsorge walten läßt über denen, welche in der Wüste sind, und Er diese solcher Tröstungen würdigt. Denn es ist nicht möglich, von den Menschen eine sichtbare Tröstung zu erhalten und auch diese (unsichtbare, göttliche) zu empfangen, außer für eine gewisse Lenkung, wie sie (oben) genannt wurden. Frage: Sind Schauen und Offenbarung dasselbe, oder sind sie es nicht? Antwort: Nein, sondern es gibt einen Unterschied. Offenbarung wird oftmals zu beidem gesagt. Weil aber etwas Verborgenes offenbar wird, wird jedes Schauen Offenbarung genannt, Offenbarung || 108r wird aber nicht Schauen genannt. Denn Offenbarung wird meistens von dem Erkennbaren und vom Verstand Erfahrbaren gebraucht, das Schauen aber kann von vielerlei Art und Weise sein, zum
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Beispiel in Bildern und Darstellungen, wie es einst den Alten (Menschen im Alten Testament) geschah, wie (zum Beispiel) im tiefen Schlaf oder in wachem Zustand, und manchmal deutlich, manchmal aber auch gleichsam als Traumbild und irgendwie undeutlich, weshalb auch der Schauende oft nicht weiß, ob er etwas im Wachen oder im Träumen schaut. Man kann auch durch eine Stimme einen Beistand hören, bisweilen irgendein Bild schauen, und manchmal klarer, von Angesicht zu Angesicht. Und sowohl das Schauen wie auch die Rede sind heilige Kräfte, die von denen, die dessen würdig sind, gesehen werden und eine Offenbarung erzeugen. Solche Dinge geschehen an den ödesten, weitab von den Menschen gelegenen Orten, wo der Mensch ihrer dringend bedarf, weil er keinen anderen Beistand oder Trost von dem Ort haben kann. Die Offenbarungen aber, die vom Verstand wahrgenommen werden, werden der Reinheit wegen empfangen | 108v und werden nur den Vollkommenen und Verständigen zuteil. Frage: Wenn jemand die Reinheit des Herzens erlangt hat, worin besteht deren Kennzeichen, und wann weiß der Mensch, daß sein Herz die Reinheit erlangt hat? Antwort: Wenn er alle Menschen als gut ansieht und ihm keiner unrein und schlecht erscheint, dann ist er wahrhaft reinen Herzens. Denn wie soll sich das Wort des Apostels erfüllen, das da sagt, daß man reinen Herzens alle gleichermaßen für höherstehend als sich selbst halten solle [Phil 2,3], wenn er nicht erreicht, was da gesagt worden ist, daß das reine Auge nichts Böses sieht [Hab 1,13]. Frage: Was ist Reinheit und wo liegt ihre Grenze? Antwort: Reinheit ist das Vergessen der Formen des Wissens oberhalb der Natur, die in der Welt von der Natur gewonnen worden sind. Die Grenze aber, um sich außerhalb derselben zu befinden, besteht darin, daß der Mensch zur ursprünglichen Einfachheit und Unschuld seiner Natur gelangt und wie ein Kleinkind wird, nur ohne die Unvollkommenheiten des kleinen Kindes. Frage: Und wie kann jemand diese Stufe erlangen? Antwort: Ja, sieh nur, Vater Sisoi hat dieses in solchem Maße erlangt, daß er sogar seinen || 109r Schüler wiederholt fragte, ob er gegessen habe oder nicht. Und ein anderer von den Vätern gelangte zu solch einer Einfachheit, die fast schon die eines Kleinkindes war, daß er die hiesigen Dinge vergaß, so daß er schon vor der heiligen Kommunion gegessen hätte, wenn er nicht von seinen Schülern daran gehindert worden wäre. Und wie ein Kleinkind führten ihn seine Schüler zum Abendmahl. So war er für die Welt ein kleines Kind, in seiner Seele aber vollkommen Gott zugewandt. Frage: Welche Betrachtung und welche Überlegung sollte der Asket an der Stätte seiner schweigenden Zurückgezogenheit beachten, damit sein Geist nicht Muße für eitle Gedanken findet? Antwort: Du fragst nach der Betrachtung und Überlegung, wie ein Mensch tot sein kann in seiner Zelle? Wird sich etwa ein Mensch, der sich
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eifrig bemüht und Enthaltsamkeit übt in seiner Seele, selbst fragen müssen, wie er sich verhalten solle? Was denn anderes bleibt dem Mönch in seiner Zelle außer dem Weinen? Kann er vor Klagen (überhaupt) auf einen anderen Gedanken kommen? Und welche Überlegungen wären besser als diese? | 109v Denn schon das Verweilen (im Schweigen) des den menschlichen Freuden abgekehrten Mönches und die Zurückgezogenheit, die einem Aufenthalt im Grabe gleicht, lehrt ihn, daß das Weinen sein (eigentliches) Handeln ist. Schon die gleiche Bedeutung des Namens spricht dafür und überzeugt und macht niedrig, denn er heißt der Trauernde, das bedeutet voller Betrübnis im Herzen. Alle Heiligen schieden weinend aus diesem Leben, und wenn die Heiligen weinten und ihre Augen sich ständig mit Tränen füllten, bis sie aus dem Leben schieden, wer würde da nicht in Weinen ausbrechen? Der Trost wird dem Mönch aus dem Weinen geboren. Und wenn (schon) die Vollkommenen und Siegreichen hier weinten, wie wird dann einer, der voller Wunden ist, sich dem unterwerfen, daß er sich des Weinens schweigend enthalte, und wer einen Toten vor sich liegen hat, braucht der eine Belehrung, durch welchen Gedanken er seine Tränen hervorbringt? Und deine Seele, die dir wichtiger ist als die ganze Welt, liegt vor dir, von Sünden abgetötet, und sollte nicht deines Weinens bedürfen? Wenn wir uns auch in das Schweigen begeben, || 110r können wir doch im Weinen verharren. Deshalb werden wir im Geiste oft zum Herrn beten, daß Er es uns gewähre. Wenn wir aber diese Gnade empfangen, die besser ist als die übrigen Gaben und diese übertrifft, dann werden wir durch sie zur Reinheit gelangen. Und sobald wir sie erreicht haben, wird die Reinheit uns bis zu unserem Abtreten aus diesem Leben nicht mehr genommen werden. Selig sind die, welche reinen Herzens sind, denn es gibt keine Zeit, zu der sie sich nicht an der Wonne dieser Tränen erlaben und in ihr Gott ständig schauen. Und obendrein werden sie, während noch die Tränen in ihren Augen stehen, auf der Höhe ihres Gebets des Schauens Seiner Offenbarung gewürdigt, und sie haben kein anderes Gebet außer den Tränen. Und das ist, was der Herr gesagt hat: Selig sind die Weinenden, denn diese werden getröstet werden [Mt 5,4]. Durch dieses Weinen aber kommt der Mensch zur Reinheit der Seele. Deshalb sagte der Herr, daß diese getröstet werden. Er sagte nicht, durch welche (Art der) Tröstung. Denn wenn ein Mönch gewürdigt wird, durch seine Tränen das Land der Leidenschaften zu überqueren und er die Ebene der Reinheit der Seele betritt, dann begegnet ihm eine solche Tröstung, | 110v die denen nicht verloren geht, die sie hier gefunden haben. Und deshalb begegnet er einem Trost, wie er hier nicht erreicht werden kann, und dann begreift dieser, zu welchem Trost das Ende des Weinens ihn erhebt, den Gott den Weinenden für ihre Reinheit gibt. Denn es kann niemand, der
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reichlich weint, von Leidenschaften bedrängt werden. Dies ist (eine Gabe) der Leidenschaftslosen. Und wenn schon die Tränen eines zeitweilig Weinenden seinen Geist von der Erinnerung der Leidenschaften abwenden können, was sollen wir dann von denen sagen, die bei Nacht und bei Tag dieses Tun im Sinne haben? Welche Hilfe vom Weinen kommt, weiß niemand außer denen, die ihre Seele in dieses Werk hineingelegt haben. Alle Heiligen wünschen sich, daß dies(es Weinen) bei ihnen Einzug halte und daß sich durch ihre Tränen die Tür vor ihnen auftue, um in das Land der Tröstung einzugehen, denn in diesem Land stellen sich in Offenbarung(en) die Spuren Gottes dar. Frage: Da es einige gibt, denen es wegen körperlicher Schwäche nicht möglich ist, unablässig zu weinen, was haben sie zur Bewahrung ihres Geistes nötig, damit nicht die Leidenschaften, || 111r wenn er müßig geht, gegen ihn antreten? Antwort: Die Leidenschaften können nicht gegen die Seele antreten und den Asketen verwirren, der in seiner Zurückgezogenheit fern von allem Lärm sein Herz von allem Irdischen frei gemacht hat, wenn er nicht träge wird und nachlässig in dem, was sich (bei seinem Stand) gehört, besonders aber wenn er vom Studium der gotterfüllten Schriften abläßt. Denn durch das Erforschen ihres Sinnes wird er ohne Verwirrung durch die Leidenschaften bleiben. Wegen seines wachsenden und andauernden Betrachtens der gotterfüllten Schriften fliehen ihn eitle Gedanken, und sein Geist kann durch die Erinnerungen an sie nicht abtrünnig werden, noch kann er überhaupt dieses Leben (hier) beachten als Folge der großen Wonne ob seines Nachsinnens, da er durch dieses in seinem Leben im großen Schweigen in der Einöde entrückt ist. Daher hat er sich selbst und seine Natur als ein gleichsam entrückter Mensch vergessen und kann sich schließlich nicht mehr an diese Zeit (in der er lebt) erinnern, da er vor allem mit Betrachtungen | 111v und Gedanken über die Größe Gottes beschäftigt ist und spricht: Preis sei Seiner Gottheit, und abermals Preis Seinen Wundern, voll des Ruhmes und wunderbar sind alle Seine Werke. In welche Höhe hat Er meine Armseligkeit erhoben, welcher Betrachtungen hat Er mich gewürdigt, zu welchen Gedanken wage ich mich zu erheben und meine Seele daran zu erlaben. Und während er sich diesen Wundern zuwendet und in ständigem Staunen verharrt und sich unentwegt daran berauscht, ist er in einem Zustand, als befände er sich (bereits) nach seiner Auferstehung. Denn das Schweigen ist solchem Gnadenerweis sehr förderlich, weil sein Geist die Möglichkeit findet, ganz in sich selbst gekehrt zu sein, in einem Frieden, den er durch das (Leben im) Schweigen gefunden hat. Durch diese und von daher wird er zur Erinnerung an die Bestimmung seines Daseins angeregt. Denn während er im Geiste eine Vorstellung von dem Ruhm der künftigen Welt erhält und von der Hoffnung, die den Gerechten in jenem geistigen und
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in Gott geführten Leben bevorsteht, und von jener neuen Ordnung, kann er weder an die Dinge dieser Welt denken, noch sich ihrer erinnern. Und wenn er sich (an diesen Gedanken) berauscht hat, kehrt er wieder in seiner Betrachtung von dort || 112r zu dieser Zeit zurück, in der er noch lebt, und er spricht voller Erstaunen: O, welche Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis und der Klugheit und Vorsehung des unergründlichen Gottes, wie unerforschlich sind Seine Fügungen und unergründlich Seine Wege [Röm 11,33]. Denn wenn Er eine andere so wunderbare Zeit vorbereitet hat, um dort alle vernunftbegabten (Geschöpfe) zusammenzuführen und sie in einem unvergänglichen Leben zu bewahren, welchen Grund hatte Er, zuerst diese Welt zu erschaffen, sie auszuweiten und sie so reich im Schatten durch eine Vielzahl von Arten und Naturen auszustatten und darin die Ursachen und Dinge anzulegen und die gegen die vielen Leidenschaften gerichteten Regungen? Und warum hat Er uns zunächst in diese Welt gestellt und uns die starke Liebe zum Leben darin eingegeben, und plötzlich entführt Er uns aus dieser (Welt) durch den Tod und läßt uns lange Zeit gefühllos und bewegungslos und vernichtet unsere Gestalten und gießt unsere Säfte aus und vermengt es mit der Erde und | 112v läßt zu, daß unser Gefüge zerstört wird und zerfließt und verwest, bis nichts mehr vorhanden ist von dem menschlichen Gefüge, und dann, zu einer Zeit, die Er in Seiner ehrfurchtgebietenden Weisheit bestimmt hat, richtet Er uns, sobald Er dies will, in einer anderen Gestalt auf, von der (nur) Er weiß, und führt uns in eine andere Ordnung? Das aber erhoffen nicht nur wir Menschen, sondern auch die heiligen Engel ‒ die dieser Welt nicht bedürfen, weil sie wegen ihrer wunderbaren Natur beinahe vollkommen sind ‒ erwarten unsere Auferstehung von der Verwesung, wenn unser Geschlecht aus dem Staub aufersteht und das Verderbliche an ihm erneuert wird. Denn um unseretwillen ist ihnen der Einzug verwehrt, wie sie denn einmal die Öffnung der Tür des neuen Zeitalters erwarten, denn auch diese geschaffenen Engel ruhen mit uns wegen der Schwere des Leibes, die wir tragen, so wie der Apostel sagt, daß auch diese Geschöpfe die Offenbarung der Kinder Gottes erwarten, damit sie frei werden von der Knechtschaft der Verderblichkeit in der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder || 113r Gottes [Röm 8,19-21] und nach der endgültigen Zerstörung dieser Zeit mit ihrer Ordnung und der Neuordnung unserer Natur in ihrer ursprünglichen Ordnung. Und also erhebt er sich von da aus in seinem Geiste zu dem, was vor der Errichtung dieser Welt war, als es noch keinerlei Schöpfung gab, und wie Er plötzlich ein Jegliches aus dem Nichtsein ins Dasein führte, nur weil es Ihm so gefiel, und eine jegliche Sache vollkommen vor Ihm lag, und dann wieder steigt sein Geist hinunter zu allem, was Gott gewirkt hat, und er achtet auf die Wunderwerke Seiner
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Kreaturen und die Weisheit des von Ihm Geschaffenen und spricht voller Staunen bei sich: O, was für ein Wunder, wie doch Seine Umsicht und Seine Vorsehung jedes Begreifen übersteigen und seine wundersame Kraft stärker als alles von Ihm Geschaffene ist. Wie hat Er diese Schöpfung aus dem Nichtsein ins Dasein geführt, das heißt, diese unzählige Menge verschiedener Dinge, und wie beabsichtigt Er, sie wiederum dem Verfall entgegenzuführen aus ihrer wunderbaren wohlgefügten Ordnung und der Schönheit der (verschiedenartigen) Wesen und dem wohlgefügten Lauf der Geschöpfe, die Stunden | 113v und Zeiten, die Verbindung von Nacht und Tag, die Veränderungen durch die Jahreszeiten, die verschiedenen Blüten, die die Erde hervorbringt, die herrlichen Bauten der Städte, die prächtigen Paläste darin, der schnelle Ablauf des Lebens der Menschen, deren vom Eintritt (in diese Welt) bis zum Fortgang mit Mühsalen (belastete) Natur, und wie plötzlich diese beseelte Ordnung aufgehoben wird, und ein anderes Zeitalter wird anbrechen, und keinerlei Erinnerung an diese erste Schöpfung wird in jemandes Herz aufsteigen, und es wird eine andere Veränderung geben und andere Überlegungen und eine andere (Art der) Fürsorge. Und wiederum wird sich die menschliche Natur weder an diese Welt erinnern noch überhaupt an ihr ursprüngliches Leben, denn ihr (der Menschen) Geist wird an die Betrachtung jener Ordnung gebunden sein, und ihr Geist wird sich nicht frei machen, um wieder zu diesem Kampf des Blutes und Fleisches zu eilen. Denn mit der Zerstörung dieses Zeitalters nimmt sogleich das künftige seinen Anfang. Und jeder Mensch wird sodann folgendermaßen sprechen: O Mutter, die du von deinen Kindern vergessen worden bist, die du geboren und erzogen und belehrt hast und die in einem Augenblick an einem fremden Busen || 114r versammelt waren und wahre Kinder einer Unfruchtbaren wurden, die niemals geboren hat. Freue dich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst [Jes 54,1], über die Kinder, die dir die Erde geboren hat. Und dann denkt er gleichsam entrückt darüber nach und spricht: Wieviel Zeit wird dieses Zeitalter (noch) bestehen, und wann nimmt das zukünftige seinen Anfang, und wie lange werden diese Herbergen abermals schlafen in dieser Gestalt und die Leiber mit dem Staub zusammen vermischt sein, und wie wird jenes Sein beschaffen sein, und in welcher Gestalt wird dieses Wesen auferstehen, und woraus wird es bestehen, und in welcher Form wird es in die zweite Schöpfung eintreten – und während er darüber und dergleichen nachsinnt, überfällt ihn Staunen und Verwunderung und wortloses Schweigen, (und) so also erhebt er sich in jener Stunde, und er beugt die Knie, und er richtet unter vielen Tränen seine Danksagungen und seine Lobpreisungen nach oben zu unserem einzigen allweisen Gott, der allzeit gepriesen sei in Seinen alle Weisheit überragenden Werken. Also ist selig, | 114v wer dessen
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gewürdigt worden ist, selig ist, wer Tag und Nacht darüber seine Betrachtungen anstellt, selig ist, wer über dieses und dergleichen alle Tage seines Lebens nachsinnt. Wenn aber ein Mensch zu Beginn seines (Lebens im) Schweigen nicht die Kraft derartiger Betrachtungen infolge des Umherschweifens seines Geistes verspürt und sich noch nicht zu den vorher erwähnten Kräften der Wunder Gottes erheben kann, dann möge er nicht verzagen und sein stilles Leben im Schweigen aufgeben, denn auch der Sämann sieht nicht sogleich, wenn er den Samen in den Boden gesät hat, die Ähre. Denn auf das Säen folgt Ermattung und Mühsal und Schmerzen in den Gliedern und Trennung von den Gefährten und Trennung von dem Gewohnten. Doch nachdem dies überstanden ist, kommt eine andere Zeit, in der er sich ergötzt, und der Sämann hüpft und ist froh und heiter. Und welche (Zeit) ist dies? Wenn er vom Brote seines Schweißes ißt und seine Betrachtungen in der Zurückgezogenheit bewahrt bleiben. Denn eine große und endlose Süßigkeit gießt dies in das Herz. Das Schweigen und das erwähnte geduldige Nachsinnen darin || 115r versetzt den Geist alsbald in unsägliches Staunen. Selig, wer darin verharrt, denn vor diesem hat sich diese gottgegebene Quelle aufgetan, und er hat aus ihr getrunken und sich gelabt, und er wird ewiglich nicht aufhören, daraus zu trinken, immer und zu jeder Stunde, tags und nachts, sogar bis zum Ende und der Ankunft (am Ende) dieses seines ganzen vergänglichen Lebens. Frage: Was ist das Entscheidende des gesamten Inhalts dieses Tuns, nämlich des Schweigens, damit derjenige, welcher dahin gelangt ist, erfährt, daß er die Vollkommenheit des Lebenswandels erreicht hat. Antwort: Wenn jemand des Lebens im Gebet (allein) gewürdigt worden ist. Wenn jemand dieses erlangt hat, hat er die obere Grenze aller Tugenden erreicht und ist also eine Heimstatt für den Heiligen Geist geworden. Wenn aber jemand gewißlich diese Gnade des Trösters nicht empfangen hat, kann er nicht frohgemut das Verharren in diesem Gebet vollbringen. Denn es heißt, daß der Geist, sobald er sich in einem der Menschen niedergelassen hat, nicht aufhört mit dem Gebet, denn der Geist selbst | 115v betet unentwegt [Röm 8,26]. Dann wird das Gebet weder im Schlafen noch im Wachen von seinem Mund abgeschnitten, sondern wenn er ißt und wenn er trinkt und wenn er schläft und wenn er irgendetwas tut und selbst bis in den tiefen Schlaf hinein steigen mühelos aus seinem Herzen der Wohlgeruch und die Düfte der Gebete auf. Dann trennt sich das Gebet nicht von ihm, sondern zu jeder Zeit, auch wenn dieses äußerlich verstummt, versieht es doch von selbst in ihm verborgen seinen Dienst. Denn das Schweigen der Reinen ist Gebet, sagt einer der Christus im Herzen Tragenden, weil ihre Gedanken göttliche Regungen sind, die Regungen aber eines reinen Herzens und Sinnes sind sanftmütige Stimmen. Mit ihnen singen sie heimlich dem Geheim-
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nisvollen. Frage: Was ist das geistige Gebet, und wie kann der Kämpfende dessen würdig werden? Antwort: Die Regungen der Seele haben durch die feste Reinigung und Reinheit Anteil am Wirken des Heiligen Geistes. Einer unter vielen Tausenden von Menschen wird dessen gewürdigt, weil es ein Geheimnis der künftigen Ordnung des Lebens ist. Denn er wird entrückt, und seine Natur || 116r verharrt untätig, fern von jeglicher Teilnahme und Erinnerung an die hiesigen Dinge. Und die Seele betet nicht, sondern erfaßt mit dem Gefühl die geistigen Dinge jenes Zeitalters, die das menschliche Begreifen übersteigen, die zu schauen durch die Kraft des Heiligen Geistes geschieht. Das aber ist reines geistiges Schauen und keine Regung und kein Erflehen des Gebets, doch es hat seinen Grund im Gebet. Deshalb haben auch einige von diesen (Menschen) die vollkommene Reinheit erlangt. Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem deren innerste Bewegung nicht im Gebet bestünde, wie wir bereits sagten. Und wenn der Heilige Geist sich ihnen zuneigt, findet er diese stets im Gebet vor. Und aus diesem Gebet heraus führt Er sie zum Schauen, das das geistige Sehen genannt wird, denn es bedarf weder der Form des langen Gebets noch des (langen) Stehens noch der Regel langer Gottesdienste. Denn diesen (Menschen) genügt es, an Gott zu denken, und sogleich sind sie in Seine Liebe eingebunden. Dennoch vernachlässigen sie das Stehen beim Gebet am Ende nicht, wenn sie dem Gebet die Ehre erweisen, und sie stehen zu den bestimmten Stunden auf den Beinen, | 116v außer bei den endlosen (Gebeten). Denn wir haben gesehen, wie der Heilige Antonios in der 9. Stunde betete, als er spürte, daß sein Geist emporgehoben wurde. Und ein anderer unter den Vätern hatte seine Arme, während er stehend betete, erhoben und geriet in Verzückung für vier Tage, und viele andere waren, als sie so beteten, von dem vielen Denken an Gott und der Liebe zu Ihm gefangen und gerieten in Ekstase. Denn der Mensch wird dessen gewürdigt, wenn er sich innerlich und äußerlich durch die Beachtung der gegen die Sünde gerichteten Gebote des Herrn von der Sünde lossagt. Wer diese Gebote liebt und sie gebührend einhält, der muß vieler menschlicher Dinge entsagen, das heißt seinen Leib ablegen und sozusagen außerhalb dieses Leibes sein, nicht der Natur nach, sondern ohne (dessen) Bedürfnisse. Wer nach der Weise des Gesetzgebers lebt und Seine Gebote einhält, in dem hört auch die Sünde auf. Es gibt niemanden, der nach der Weise des Gesetzgebers lebt und Seine Gebote einhält, in dem die Sünde verblieb. Deshalb hat der Herr demjenigen, der die Gebote beachtet, im Evangelium versprochen, in ihm Wohnung zu nehmen [Joh 14,23]. Frage: Worin besteht die Vollkommenheit vieler geistiger Früchte? || 117r Antwort: Wenn jemand der vollkommenen göttlichen Liebe gewürdigt wird. Frage: Und woher erkennt jemand, daß er diese erlangt hat? Antwort: Wenn sich
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das Gedenken Gottes in seinem Sinn regt, bewegt sich sein Herz sogleich hin zu Dessen Liebe, und seine Augen vergießen üppige Tränen, denn die Liebe hat die Gewohnheit, durch die Erinnerung an die geliebten (Personen) die Tränen zu entfachen, und wer sich in diesem Zustand befindet, wird niemals ohne Tränen sein, weil es ihm nicht an dem Stoff ermangelt, der ihn zum Denken an Gott geleitet, wie er auch in seinem Schlaf mit Gott sich unterhält. Denn die Liebe hat die Gewohnheit, solcherlei zu bewirken, und diese (Liebe) bedeutet die Vollkommenheit für die Menschen in diesem ihrem Leben. Frage: Wenn nach vieler Mühsal und Elend und Kampf, die ein Mensch bewältigt hat, der Gedanke des Stolzes sich ihm schamlos zugesellen will, weil er den Stoff (hierfür) von der Schönheit seiner Tugenden bekommen hat und er die vielen Mühen bedenkt, die er ertragen hat, womit bändigt er seinen Gedanken und wodurch erhält er die Festigkeit für seine Seele, | 117v damit sie nicht diesem (Gedanken) erliegt? Antwort: Wenn jemand erkennt, daß er auf diese Weise von Gott abfällt, wie das trockene Blatt vom Baume fällt, dann erkennt er die Kraft seiner Seele, ob er (nämlich) durch seine (eigene) Kraft diese Tugenden erlangt und alle Kämpfe ihretwegen ertragen hat, während der Herr ihm Seine Hilfe vorenthält und zuläßt, daß er allein sich auf den Kampf mit dem Teufel einläßt und daß der Herr nicht mit ihm geht, da Er (doch) gewöhnlich mit den Kämpfenden zusammengeht und sie in den Kämpfen unterstützt. Dann zeigt sich seine Stärke, besser noch – seine Besiegung und seine Ratlosigkeit. Denn die göttliche Vorsehung ist zu jeder Zeit mit den Heiligen, beschützt und stärkt sie. Durch sie wird jeder menschliche Stand besiegt, wenn ein Mensch im Kampf und im Leiden Zeugnis ablegt und in sonstigen Übeln, die ihm um Gottes willen widerfahren und die er um Seinetwillen erträgt. Und dieses ist klar und offenbar und läßt keinen Zweifel zu. Denn wie kann die Natur die Kraft || 118r der Verlockungen besiegen, die unaufhörlich in den Gliedern der Menschen geweckt werden und Kummer bereiten, und (wie kommt es, daß es Menschen gibt), die imstande sind, diese machtvoll zu besiegen, und wieso trachten andere nach dem Sieg und lieben diesen und können es doch selbst nicht, (auch) wenn sie gewaltig dagegen angehen, vielmehr werden sie jeden Tag von ihnen (den Verlockungen) besiegt, und sie verbleiben in Mühsal und Wehklagen und Anstrengung um ihrer Seelen willen, du aber vermagst leicht körperliche Schwierigkeiten zu ertragen, die so beschwerlich sind, und bist nicht sehr bedrückt? Und wie ist es möglich, daß ein ansonsten leidensfähiger Leib gegen den Schnitt des Eisens ankämpfen und die Zerstörung seiner Glieder und jegliche Art von Qualen ertragen und nicht von den Leiden besiegt werden kann, ein Mensch, der nicht die Wunde von dem Dorn erträgt, der sich in seinen Nagel bohrt, und (nun) diesen Unterschied
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der Qualen nicht spürt, wie es der Natur gewöhnlich entspricht, wenn nicht außerhalb der natürlichen Kraft eine Kraft von anderswo herbeikäme und ihm die Wucht der Qualen nähme? Und da wir uns über die göttliche Vorsehung unterhalten haben, sollten wir nicht versäumen, uns eine | 118v der Seele förderliche Erzählung ins Gedächtnis zu rufen, die den Menschen in seinen Kämpfen emporhebt. Erzählung von der göttlichen Vorsehung Ein Jüngling namens Theodor, der am ganzen Leib gefoltert worden war und von jemandem gefragt wurde: Wie empfindest du deine Qualen? antwortete: Anfangs habe ich sie gespürt, später aber sah ich einen Jüngling, der mir den Schweiß von meinem Kampf abwischte, mich stärkte und Erfrischung brachte in meinem Leiden. O, (diese Fülle) des göttlichen Erbarmens! Wie sehr kommt Seine Gnade denen näher, die um Seines Namens willen leiden, damit sie voller Freude die Leiden um Seinetwillen ertragen. Sei daher nicht unverschämt, o Mensch, hinsichtlich der göttlichen Vorsehung für dich. Wenn also offensichtlich ist, daß du nicht der Sieger, sondern gleichsam das Gerät bist und der Herr derjenige ist, der durch dich siegt, und du umsonst (als Geschenk) den Namen des Sieges erhältst, wer sollte dich daran hindern, jederzeit eben diese Kraft zu erbitten und zu siegen und gelobt zu werden und dich zu Gott zu bekennen? || 119r Hast du etwa nicht gehört, o Mensch, wieviele Dulder seit der Erschaffung der Welt vom Gipfel ihrer Tage und dem Höhepunkt ihrer Abwehrkämpfe abgestürzt sind, weil sie diese Gnade verkannten? So zahlreich und unterschiedlich die Gaben Gottes für das Menschengeschlecht sind, ebenso groß sind die Unterschiede derjenigen, die empfangen werden können je nach der Art der Empfänger dieser Gaben. Und es gibt die kleinen und die großen Gaben Gottes. Wenn auch alle erhaben und staunenswert sind, so kann doch eine die andere an Ruhm und Ehre übertreffen, und eine Stufe liegt über der anderen Stufe. Und wenn jemand sich Gott weiht und einen tugendhaften Wandel führt, dann ist dies eine der großen Gaben Gottes. Viele aber haben diese große Gnade vergessen, daß sie nämlich gewürdigt wurden, sich von den Menschen zu trennen und Gott zu weihen und auserwählt zu sein zur Teilhabe an seinen Gaben und Empfangende zu sein und gewürdigt zu sein zum Dienen und Gottesdienst. (Aber) statt Gott mit ihrem Munde dafür zu danken, wandten sie sich | 119v dem Stolz und Hochmut zu, und sie sind nicht so wie (Menschen), die die Gnade des Dienens empfangen haben, um Ihm durch einen reinen Lebenswandel und geistiges Handeln zu dienen, sondern sie vermeinen, Gott eine Gnade zu erweisen, statt darüber nachzudenken, wie Er sie aus den Menschen herausgelöst und zu den Seinigen gemacht hat, damit sie Seine Geheimnisse erkennen. Und sie zittern nicht von ganzer
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Seele, da sie solcherlei bedenken, da sie doch gesehen haben, wie jenen, die vor ihnen solches gedacht haben, plötzlich ihre Würde genommen wurde, und wie der Herr sie in einem Augenblick von dem hohen Ansehen und der Ehre, die sie besaßen, stürzte und wie sie sich abwandten und in Unreinheit und Schlechtigkeit und Ausschweifung auf viehische Weise verfielen. Da sie aber weder ihre Stärke verstanden noch unermüdlich der ihnen gegebenen Gnade gedachten, Ihm zu dienen und durch ein engelgleiches Leben sich Ihm zu nähern, riß Er sie || 120r aus ihrem Tun und zeigte ihnen in der Veränderung ihres Wandels weg vom Schweigen, daß es nicht ihre Stärke gewesen war, die sie ein geordnetes Leben durchhalten ließ, unbeeinträchtigt von den Bedürfnissen der Natur und den Dämonen und den sonstigen anderen Widrigkeiten, sondern es war die Stärke aus Seiner Gnade, die in ihnen das bewirkte, was die Welt wegen seiner Schwierigkeit nicht begreifen und hören kann. Sie aber haben lange Zeit darunter verbracht, und sie waren unbesiegbar, denn in ihnen war ganz und gar eine Kraft, die ihnen folgte und genügte, ihnen in allem beizustehen und sie in allem zu bewahren. Da sie aber diese Kraft vergessen haben, hat sich an ihnen das Wort des Apostels erfüllt, da sie nicht versucht haben, Gott in ihrer Erkenntnis zu haben, ihren Gebieter, der den Staub zusammengefügt hat zum geistigen Dienen, hat Er sie dahingegeben an den unerfahrenen Sinn [Röm 1,27-28], und folglich haben sie die Schande, die sie verführen sollte, in sich aufgenommen. Frage: | 120v Kommt es aber vor, daß, wenn jemand wagt, auf einmal gänzlich der Gemeinschaft der Menschen zu entsagen und plötzlich voll edlen Eifers hinauszieht in die unbewohnte und schreckliche Wüste, daß er etwa aus diesem Grunde vor Hunger, wegen des Mangels an Schutz und der übrigen Bedürfnisse wegen stirbt? Antwort: Derjenige, Der den vernunftlosen Tieren, sogar noch ehe Er sie erschaffen, eine Wohnstatt bereitet und Sorge für ihre Bedürfnisse getroffen hat, wird nicht Sein Geschöpf vernachlässigen, insbesondere nicht diejenigen, die Ihn fürchten, die Ihm einfach und ohne nachzufragen folgen. Wer sein Verlangen in allem Gott anvertraut hat, sorgt sich niemals um die Bedürfnisse seines Leibes und dessen Leiden und Heimsuchungen, sondern er trachtet nach einem verborgenen Lebensweg und einem Leben in Demut, nicht als einer, der den Kummer fürchtet, sondern als einer, der die völlige Entfernung aus der Welt für wohltuend und erquickend hält, indem er sich inmitten von Hügeln || 121r und Bergen um einen reinen Lebenswandel bemüht und wie ein Umherirrender im Lande der vernunftlosen Tiere verweilt und keine Ruhe des Leibes sich zugesteht und kein Leben führen will, das voller Unreinheit ist. Und wenn er sich dem Tod überliefert, weint er allzeit und betet, daß ihm nicht der reine Lebenswandel für Gott genommen werde, dann nimmt er die
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Hilfe von Ihm an. Ihm sei Ruhm und Ehre, und Er möge uns in Seiner Reinheit bewahren und uns heiligen durch die Heiligkeit der Gnade des Heiligen Geistes zur Ehre Seines Namens, damit Sein heiliger Name in Reinheit gepriesen werde in alle Ewigkeit. Amen. Rede 22 (121r – 122v) Desselben Gespräch darüber, wie der Kleinmütige Kummer des Leibes vermeiden will Einer von den Heiligen hat gesagt, daß die Sünde einen Leib liebe, der sich vor den Prüfungen fürchtet, damit er nicht in Bedrängnis gerate und sein Leben verliere. Deshalb veranlaßt ihn auch der Heilige Geist zu sterben. Denn Er weiß, daß, wenn er nicht stirbt, er auch die Sünde nicht besiegt. Wer aber will, daß der Herr bei ihm Einzug halte, der zwingt auch seinen Leib | 121v und dient dem Herrn und versieht seinen Dienst im Rahmen der Gebote des (Heiligen) Geistes, wie sie bei dem Apostel aufgezeichnet sind, und er bewahrt seine Seele vor den Werken des Fleisches, die der Apostel aufgeschrieben hat [Gal 5,19]. Denn der von Sünde durchsetzte Leib nimmt in den Werken des Fleisches wahr, und der Geist Gottes erkennt ihn nicht an seinen Früchten. Wenn aber der Leib schwach ist von Fasten und Demut, erstarkt die Seele im Gebet. Der Leib hat die Gewohnheit, wenn er in Bedrängnis gerät durch die Vielzahl der Kümmernisse (des Lebens) im Schweigen und Entbehrung und Mangel ertragen muß, daß er, wenn er sich dem (Zustand) nähert, aus seinem Leben zu scheiden, dich dann anfleht und spricht: Laß ein wenig von mir ab, damit ich eine Weile in Maßen leben kann. Jetzt schreite ich (auf dem) recht(en Wege), weil ich geprüft worden bin durch solcherlei Übel. Und sobald du ihm Ruhe von den Bedrängnissen verschafft und ein wenig Linderung gewährt haben wirst, weil du Mitleid mit ihm hast, und wenn er ein wenig geruht hat, flüstert er schmeichelnd nach und nach auf dich ein, bis er dich dazu bringt, die Einöde zu verlassen, denn seine Schmeicheleien || 122r sind sehr kräftig, und er sagt zu dir: Wir können (auch) in der Nähe der Welt gut leben, denn wir sind sehr geprüft worden. Wir können auch, wenn wir unter ihnen sind, dort (recht) wandeln. Prüfe mich nur, und wenn ich nicht so sein werde, wie du es willst, können wir zurückkehren. Sieh, die Wüste läuft uns nicht davon. Aber glaube ihm nicht, auch wenn er sehr fleht und viele Versprechungen macht, weil er das nicht tut, was er sagt. Nachdem du seinem Verlangen entsprochen hast, läßt er dich einen tiefen Fall tun, von dem du dich nicht erheben kannst und ihm entgehen wirst. Wenn du wegen der Prüfungen zu verzagen drohst und ihrer übersättigt bist, dann sprich zu dir selbst: Verlangt es dich wieder nach Unreinheit und einem schändlichen Leben? Und wenn er (der Leib) zu dir
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spricht, daß es eine große Sünde sei, sich selbst umzubringen, dann sage du zu ihm: Fürwahr, ich töte mich selbst (ab), weil ich nicht in Unreinheit leben kann, und ich werde hier sterben. Und damit ich nicht den wahren Tod meiner Seele sterbe, die von Gott kommt, ist es besser für mich, daß ich hier sterbe um der Reinheit willen und kein schlimmes Leben in der Welt führe. | 122v Diesen Tod habe ich willentlich ausgewählt, um meiner Sünden willen, und ich töte mich, weil ich wider den Herrn gesündigt habe. Ich werde Ihn nicht dadurch erzürnen, daß ich ein Leben fern von Gott will. Diese Mißhandlungen ertrage ich, damit ich mich nicht von der Hoffnung auf den Himmel entferne. Welchen Nutzen hat Gott von meinem Leben in diesem Leben, wenn ich darin einen schlechten Lebenswandel führe und Ihn erzürne. Rede 23 (122v – 127r) Desselben Sendschreiben, gerichtet an einen Bruder, der das Leben im Schweigen liebt Weil ich dich als jemanden kenne, der das Schweigen liebt, umgarnt dich der Teufel in vielen Dingen unter dem Vorwand des Guten, weil er das Trachten deines Sinnes kennt, bis er dich aus der Bahn wirft und an der Tugend hindert, die so viele Formen des Guten umfaßt. Deshalb habe ich, o edelgesinnter Bruder, wie ein Glied zu dem ihm eng verbundenen (anderen Glied), um deiner edlen Liebe durch ein nützliches Wort beizustehen, mich darum gekümmert, etwas zu tun, was ich von tugendhaften Männern und aus den (heiligen) Schriften und von den Vätern und aus eigener Prüfung || 123r mir erworben habe. Wenn nämlich ein Mensch nicht Ehren und Ruchlosigkeit mißachtet und um der Stille willen Schmähung und Hohn und Schaden sogar bis hin zu Schlägen erträgt und von denen, die ihn sehen, verlacht und für einen Schwachsinnigen und einen Narren gehalten wird, kann er nicht in dem guten Vorhaben des Schweigens ausharren. Denn wenn der Mensch ein einziges Mal irgendwelchen Anlässen die Tür öffnet, schweigt der Teufel nicht, indem er ihm einige (solcher Anlässe) unter vielen Vorwänden mit häufigen und zahlreichen Begegnungen (mit anderen Menschen) verschafft. Deshalb, o Bruder, wenn du wahrhaftig die Tugend des Schweigens liebst, das in sich keine Zerstreuung und kein Verlangen und kein Unterbrechen kennt, in welchem die Altvorderen siegreich waren, dann kannst du auf solche Weise dein lobenswertes Vorhaben durchführen, sobald du deinen Vätern gleich geworden bist und dir in deinem Denken vornimmst, deren Lebenswandel zu zeigen. Diejenigen von ihnen, die Gefallen am völligen Schweigen (in der Zurückgezogenheit) gefunden hatten, sorgten sich nicht darum, Liebe zu den Ihrigen aufzubringen, | 123v noch verlangten sie da-
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nach, sich für deren Ruhe abzumühen, noch schämten sie sich, Begegnungen mit denjenigen zu fliehen, die als ehrenwerte (Personen) galten. Und obwohl sie so ihren Lebenswandel gestalteten, wurden sie nicht von den Weisen und Verständigen als Menschen verurteilt, die ihre Brüder nicht beachten, auch nicht als solche, die diese mißachten oder vernachlässigen oder als Menschen, die ihre Urteilskraft verloren hätten, wie denn auch von einem von ihnen, der das Schweigen und die Abgeschiedenheit höher schätzte als viele Begegnungen mit den Menschen, zur Rechtfertigung gesagt worden ist. Ein Mensch, sagte er, der durch Erprobung die Wonne des Schweigens in seiner Zelle kennenlernt, flieht nicht die Begegnung mit seinem Nächsten, weil er ihn mißachtet, sondern um der Frucht willen, die er vom Schweigen erntet. Wie kommt es, sagte er, daß Vater Arsenios floh und niemandem begegnen wollte, Vater Theodor hingegen begegnete (anderen), doch die Begegnung war wie ein Schwert, und er begrüßte niemanden mit seinem Kuß, wenn er sich außerhalb seiner Zelle befand. Der heilige Arsenios aber empfing nicht (einmal) denjenigen mit einem Kuß, der zu ihm kam, um ihn mit einem Kuß zu begrüßen. || 124r Einmal kam einer der Väter, um den heiligen Arsenios zu sehen, und der alte Mönch öffnete ihm in dem Glauben, daß dies sein Knecht sei. Und als er sah, wer es war, warf er sich auf sein Antlitz, und als er von diesem inständig gebeten worden war aufzustehen, damit er von ihm den Segen empfange und wieder gehe, antwortete ihm der Heilige und sagte: Ich werde nicht aufstehen, ehe du nicht gehst. Und er stand nicht auf, bis der andere gegangen war. Und der Selige handelte so, damit er ihnen nicht Worte gebe und sie wieder zu ihm zurückkämen. Achte auf die angeführten Worte, damit du nicht sagst, er habe ihn wegen seiner geringen Bedeutung oder wegen etwas anderem mißachtet, einem anderen gegenüber (aber) habe er sich wegen dessen Rang verstellt und sich mit ihm unterhalten. Doch er blieb bei der gleichen Flucht vor allen, den Hochstehenden und den Niedrigen, und er hatte nur das eine vor Augen, um des Schweigens willen die Begegnung mit jenen (Menschen) abzulehnen, den Hochstehenden ebenso wie den Niedrigstehenden, und (dafür) den Tadel aller auf sich zu nehmen, um der Würde des Lebens in der Zurückgezogenheit und des Schweigens willen. Wissen wir doch, daß zu ihm der selige Erzbischof Theophilos kam und den Richter jener Region bei sich hatte | 124v mit dem Wunsch, dem Heiligen die Ehre zu erweisen und ihn zu sehen. Als er jedoch bei ihnen saß, erquickte er sie nicht einmal mit einer kleinen Rede um ihrer (hohen) Würde willen, obwohl es sie sehr verlangte, seine Worte zu hören. Und als der Erzbischof ihn darum bat, schwieg der ehrwürdige Greis eine Weile und sprach hernach: Wenn ich euch etwas sage, werdet ihr es halten? Und sie sagten es zu und sagten ja. Und der alte Mönch sagte zu ihnen. Wo immer ihr hört,
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daß Arsenios da sei, geht nicht dorthin in seine Nähe. Hast du das Erstaunliche an diesem alten Mönch gesehen? Hast du die Mißachtung der Unterhaltung mit den Menschen gesehen? Dieser ist einer, der die Frucht des Schweigens geerntet hat. Und der Selige dachte nicht daran, daß dies ein Konzilslehrer und Haupt der Kirche war, sondern er überlegte so: Da ich (nun) einmal der Welt gestorben bin, was nutzt der Tote den Lebenden? Und Vater Makarios tadelte ihn mit einem liebevollen Tadel, indem er sprach: Warum fliehst du vor uns? Und der alte Mönch gab eine wunderbare und lobenswerte Antwort, indem er sprach: Gott weiß, daß ich euch liebe. Aber ich kann nicht (zugleich) bei Gott und bei den Menschen sein. Und diese wunderbare Erkenntnis hatte er von nirgendwo anders her, als von || 125r Gottes Stimme gelernt. Denn sie hatte gesagt: Arsenios, fliehe die Menschen, und du wirst gerettet werden. Denn kein Mensch unter den Müßiggängern und denen, die die Unterhaltung suchen, möge so schamlos sein und dieses durch Entstellung seiner Worte verdrehen und dawider behaupten, daß dies eine menschliche Erfindung sei, um das (zurückgezogene Leben im) Schweigen zu begründen, denn es ist eine Belehrung, die vom Himmel kommt. Und damit wir es nicht so auffassen, daß ihm (Arsenios) dies gesagt sei, daß er die Welt fliehe und sich von ihr zurückziehe, sondern daß er sich auch gleichermaßen von den Brüdern zurückziehen solle (möge Folgendes beweisen): Nachdem er die Welt verlassen hatte und in das Kloster gekommen war, um sich dort niederzulassen, betete er abermals zu Gott, wie er ein gerechtes Leben führen könne: Herr, sagte er, belehre mich, wie ich gerettet werde, und er meinte, daß er etwas anderes hören würde, und er hörte abermals die Stimme des Herrschers zum zweiten Mal, und er achtete auf sie, bis sie sich ihm offenbarte und sagte: Fliehe, schweige und führe ein Leben im zurückgezogenen Schweigen, und wenn auch, so sagte sie, das Sehen und das Gespräch mit den Brüdern sehr nützlich sind, so ist es doch für dich nicht so nützlich, dich mit ihnen zu unterhalten, | 125v wie sie zu fliehen. Da der selige Arsenios dies durch göttliche Offenbarung empfangen hatte, als er noch in der Welt war, hatte er (diese) fliehen müssen, und als er abermals bei den Brüdern war, wurde ihm dasselbe gesagt. Da überzeugte er sich und erkannte, daß es, um ein gutes Leben zu erlangen, für ihn nicht genügte, nur die weltlichen Menschen zu meiden, sondern gleichermaßen alle (Menschen), denn wie könnte sich jemand gegen die Stimme Gottes stellen und ihr widersprechen? Auch dem gotterfüllten Antonios war in einer Offenbarung gesagt worden: Wenn du im zurückgezogenen Schweigen leben willst, sagte (die Stimme), dann geh nicht nur nach Thebais, sondern in die tiefste Wüste. Wenn Gott uns also befohlen hat, alle zu meiden, und so sehr das Leben im Schweigen liebt, wenn diejenigen, die Ihn lieben, darin verharren,
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wer könnte da noch annehmen, daß es Gründe gäbe, eifrig der Unterhaltung zu pflegen und die Nähe der Menschen zu suchen? Wenn aber (schon) für Antonios und Arsenios Flucht und Wachsamkeit nützlich waren, wieviel mehr dann für die Schwachen. Wenn aber Gott diese (Männer), deren Rede und Anblick und Hilfe || 126r die ganze Welt brauchte, darum mehr ehrte, weil sie im Schweigen lebten, als wenn sie für die ganze Menschheit eingetreten wären, wieviel mehr (gilt dies) für denjenigen, der nicht fähig ist, sich selbst gut (vor Sündhaftem) zu bewahren. Wir wissen auch von einem anderen Heiligen, dessen natürlicher Bruder krank und in einer anderen Zelle eingeschlossen war, wie er sein Mitleid während dessen ganzer Krankheit bezwang und nicht (aus seiner Zelle) hinausging, um ihn zu sehen. Als für diesen aber die Zeit seines Fortganges aus diesem Leben gekommen war, schickte er (der Kranke) nach ihm und ließ ihm sagen: Wenn du auch bisher nicht zu mir gekommen bist, so komme doch nun, damit ich dich sehe, ehe ich aus dieser Welt gehen muß, oder doch wenigstens in der Nacht, damit ich dich küsse und entschlafe. Und der Selige unterwarf sich dem nicht, nicht einmal in jener Stunde, in der unsere Natur füreinander Mitgefühl zu empfinden und die Grenzen unseres Wollens zu überschreiten pflegt, sondern er sagte: Wenn ich hinausgehe, wird mein Herz nicht vor Gott gereinigt sein, weil ich es unterlassen habe, meine geistlichen Brüder zu besuchen, die Natur aber mehr geachtet habe als Christus. Und sein Bruder starb, und er hat ihn nicht gesehen. Also möge niemand aus Gedankenträgheit vorgeben, daß dies unmöglich sei | 126v und er sein (Leben im) Schweigen auflöst und aufgibt, indem er Gottes Vorsehung für sich verwirft. Wenn die Heiligen die Natur, die so stark ist, besiegt haben und Christus es liebt, wenn das Schweigen geachtet wird, (auch) wenn Seine Kinder vernachlässigt werden, welche andere Notwendigkeit kann es für dich geben, die du nicht vernachlässigen könntest, wenn du hineingerätst? Jenes Gebot, das da sagt, du wirst den Herrn deinen Gott mit deiner ganzen Seele und in allem deinem Gemüt lieben [Mt 22,37] mehr als die ganze Welt und die Natur und alles was dazu gehört, wird so erfüllt, wenn du im Schweigen ausharrst, und jenes Gebot, das von der Nächstenliebe spricht, ist darin eingeschlossen. Willst du nach dem Gebot des Evangeliums die Liebe zu deinem Nächsten auch im Inneren deiner Seele erlangen, dann entferne dich von ihm, und sodann wird in dir die Flamme der Liebe zu ihm entbrennen, und du wirst dich über seinen Anblick freuen wie über den Engel des Lichts. Willst du wiederum, daß diejenigen, die dich lieben, sich nach dir sehnen? An festgesetzten Tagen erblicke ihr Antlitz, denn die Prüfung ist wahrhaftig || 127r der Lehrer aller. Leb wohl.
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Rede 24 (127r – 128r) Desselben Antwort an einen natürlichen und geistigen Bruder, der ihn (Isaak) in Briefen bedrängte und anflehte, zu ihm, der in der Welt lebte, zu kommen, und ihn zu sehen hoffte Wir sind nicht stark, wie du selbst vermeinst, o du Glückseliger, und vielleicht kennst du meine Schwäche nicht, denn (was) mein Verderben (ist,) erscheint dir leicht, und deshalb bittest du mich, von der Natur – nach deren Art – entflammt, unentwegt um etwas, um das wir uns nicht sorgen sollen und das du nicht wünschen solltest. Erbitte, Bruder, nicht das von mir, was nur das Fleisch beruhigt und dessen Überlegungen, sondern sei (vielmehr) um die Rettung meiner Seele besorgt. In kurzer Zeit werden wir auch aus dieser Lebenszeit hinübergehen. Wieviele Menschen werde ich treffen, wenn ich dorthin (zu dir) komme, und wievielerlei Menschen und Plätze, bis ich an meinen Ort zurückkehre. Und wieviele Ursachen für Überlegungen wird meine Seele bei den Begegnungen mit diesen empfangen, und wieviel Verwirrung wird sie durch die in ihr geweckten Leidenschaften erleiden, vor denen ich ein wenig Ruhe gefunden habe. | 127v Und es ist nicht so, daß du dies nicht wüßtest. Denn für den Mönch ist der Anblick der weltlichen Dinge schädlich, und dieses weißt du. Und siehe, welche Veränderung derjenige, der lange Zeit im Schweigen zugebracht hat, in seinem Denken an sich selbst erfährt, wenn er plötzlich wieder in diese (Dinge der Welt) stürzt und sieht und hört, was über sein gewohntes Leben hinausgeht. Wenn aber schon die Begegnung mit Mönchen für denjenigen, der im Kampfe steht und noch mit seinem Widersacher ringt, schädlich ist, sofern sie mit seiner Lebensweise nicht übereinstimmen, dann begreife, in was für einen Brunnen (bei der Rückkehr in die Welt) wir fallen. Mögen wir vor der Peinigung durch unseren Feind bewahrt werden, besonders diejenigen, die durch lange Prüfung zur Erkenntnis gelangt sind. Deshalb verlange nicht von mir, daß ich dies ohne Not tue. Diejenigen sollen uns nicht verführen, die da sagen, daß uns nichts schade, was wir hören und was wir sehen, denn wir seien die gleichen in unserem Denken sowohl in der Wüste wie auch in der Welt und in unserer Zelle und außerhalb derselben und wir würden nicht in unserer Sanftmut irritiert und erführen keine böse Veränderung, noch würden wir bei der Begegnung mit (anderen) Personen und Sachen || 128r einen Aufruhr der Sinne spüren. Die solches sagen, begreifen es nicht einmal, wenn sie Wunden davontragen. Wir aber, die wir noch nicht zur Gesundung unserer Seele gelangt sind, haben stinkende Wunden, und wenn sie auch nur einen Tag nicht versorgt und nicht verbunden und nicht mit einem Pflaster umwickelt und einem Verband zugeschnürt werden, wimmeln sie von Würmern.
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Rede 25 (128r – 134v) desselben über die drei Formen des Wissens und den Unterschied in ihrem Wirken und ihren Einsichten und vom Glauben der Seele und dem in ihr verborgenen Reichtum und wie sehr sich das Wissen dieser Welt in seinen Formen von der Einfachheit des Glaubens unterscheidet Die Seele, die auf den Pfaden des Lebens und dem Wege des Glaubens daherkommt und dieses oftmals recht bewältigt, wird, wenn sie sich zu den Formen des Wissens zurückwendet, plötzlich im Glauben schwanken und dessen geistiger Kraft verlustig gehen, die sich in der reinen Seele durch den Wechsel dessen, was zu schützen ist, darstellt und in Schlichtheit ohne zu forschen sich ihr zuwendet. Denn die Seele, die sich einmal | 128v Gott durch den Glauben anvertraut und in vielfacher Prüfung den Geschmack seines Wirkens erfahren hat, sorgt sich nicht mehr um sich selbst, sondern verstummt in Staunen und Schweigen und hat nicht die Macht, wieder zu den Formen ihres Wissens zurückzukehren und danach zu leben, damit sie nicht bei deren Entgegenwirken der göttlichen Vorsehung verlustig gehe, die ihr im Verborgenen unentwegt hilft und sich um sie sorgt und ihr unermüdlich auf jegliche Weise nachgeht, weil sie sich (etwa) für hinreichend fähig hielte, für sich selbst durch die Kraft des eigenen Wissens Vorsorge zu treffen. Diejenigen aber, in denen das Licht des Glaubens erstrahlt, gelangen nicht wieder zu solcher Dreistigkeit, für sich zu beten und von Gott zu erbitten: Gib uns dies, oder nimm von uns jenes, noch sorgen sie sich um sich selbst in irgendeiner Weise, weil sie mit den geistigen Augen des Glaubens jederzeit die väterliche Fürsorge erblicken, die sie überschattet, (nämlich) jenes wahren Vaters, welcher in Seiner reichen und unermeßlichen Liebe jede (irdische) Vaterliebe übersteigt. || 129r Er ist stark und fähig, uns mehr als alle anderen im Übermaß beizustehen, mit mehr als wir erbitten und erdenken und vorhaben. Das Wissen aber ist dem Glauben entgegengesetzt. Denn der Glaube ist in allem, was zu ihm gehört, die Zerstörung der Gesetze des Wissens, nicht des geistigen Wissens, wie gesagt. Denn so ist die Ordnung des Wissens, daß es ohne Forschen und Prüfen keine Sache zustande zu bringen vermag, es fragt vielmehr, ob das sein kann, worüber es nachdenkt und was es wünscht. Der Glaube aber fügt sich demjenigen nicht, der sich ihm nicht in der rechten Weise nähert. Das Wissen kann ohne Forschen und dessen Wirkungsweisen nicht erfaßt werden. Und dies ist ein Merkmal des Zweifels an der Wahrheit. Der Glaube aber verlangt einzig ein reines und schlichtes Denken, das fern ist von jeglicher Klügelei und der Suche nach Formen des Denkens. Sieh, wie sie einander entgegengesetzt sind. Das Haus des Glaubens ist für kindliches Denken und ein einfaches Herz. Denn
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in der Einfalt ihres Herzens haben sie Gott gepriesen, | 129v heißt es, und wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich gelangen [Mt 18,3]. Das Wissen ist für diese beiden (Denken und Herz) ein Verfolger und Widersacher. Das Wissen bewegt sich innerhalb der Grenzen der Natur und beachtet sie auf allen seinen Pfaden. Der Glaube aber nimmt seinen Weg über die Natur hinaus. Das Wissen versucht nichts, was die Natur auflöst, in sich zu behalten, sondern es entfernt sich davon. Der Glaube aber überzeugt und spricht: Auf Viper, so heißt es, und Basilisk wirst du treten und den Löwen und Drachen zertreten [Ps 91,13]. Dem Wissen folgt die Furcht, dem Glauben aber die Hoffnung. In dem Maße, in welchem sich ein Mensch in den Möglichkeiten des Wissens bewegt, wird er durch die Angst gefesselt, und sich von dieser zu befreien, kann ihm nicht gewährt werden. Wer aber dem Glauben folgt, der ist sogleich frei und unabhängig, und wie ein Sohn Gottes handelt er in allen Dingen machtvoll durch die(se) Freiheit. Ein Mensch, der nach diesem Glauben trachtet, verfügt wie Gott über alle Wesenheiten der Schöpfung. Dem Glauben ist die Macht gegeben, eine neue Schöpfung || 130r nach dem Ebenbild Gottes zu schaffen. Denn es heißt, du hast danach verlangt, und alles lag vor dir [Hiob 23,13]. Und oft vermag er aus dem Nichtvorhandenen alles Mögliche zu schaffen. Das Wissen aber kann ohne das Stoffliche nichts schaffen. Das Wissen ist nicht so dreist, etwas zu tun, was der Natur nicht gegeben ist. Und wie (sollte es auch). Denn die fließende Beschaffenheit des Wassers trägt nicht auf ihrem Rücken die Fußspuren der Körper, und wer sich dem Feuer nähert, der verbrennt sich. Und wenn der Mensch sich zu derlei erdreistet, folgt ihm Übles. Das Wissen bleibt auf der Hut vor derlei Dingen und ist keinesfalls bereit, diese Grenzen zu überschreiten. Der Glaube jedoch überschreitet diese machtvoll und sagt, es heißt, wenn du durch Feuer schreitest, wird es dich nicht verbrennen [Jes 43,2]. Und solches hat der Glaube oftmals vor der ganzen Schöpfung bewirkt. Und wäre dem Wissen dort eine Gelegenheit gegeben worden, sich in diesen Dingen zu versuchen, hätte er sich dem keinesfalls gefügt. Mit Hilfe des Glaubens aber sind viele in das Feuer geschritten, und sie haben die sengende Kraft des Feuers gebändigt und gingen unverletzt durch dieses hindurch, und über den Rücken des Meeres | 130v gingen sie wie über das trockene Land. Und dies alles übersteigt die Natur und widerspricht den Möglichkeiten des Wissens und hat gezeigt, wie dieses nichtig ist in allen seinen Möglichkeiten und bei dem Gesetz (dem es gehorcht). Hast du gesehen, wie das Wissen die Grenze(n) der Natur wahrt? Hast du erkannt, wie der Glaube über die Natur hinausgeht und die Pfade für seinen eigenen Weg schafft? Fünftausend Jahre oder etwas weniger oder mehr haben die Möglichkeiten des Wissens die Welt ge-
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lenkt, und doch hat es der Mensch keineswegs vermocht, sein Haupt von der Erde zu erheben und die Macht seines Schöpfers zu erkennen, bis unser Glaube aufstrahlte und uns von dem Dunkel irdischen Tuns und der Beherrschung durch eitle Dinge befreite, die eine Folge des nutzlosen Umherschweifens (der Gedanken) sind. Und nun, da wir das ruhige Meer und die unerschöpfliche Schatzkammer gefunden haben, wollen wir uns abermals den mageren Quellen zuwenden? Es gibt kein Wissen, das nicht unzulänglich wäre, selbst wenn es sehr angereichert würde. Aber Himmel und Erde || 131r fassen die Schätze des Glaubens nicht. Niemals werden diejenigen etwas entbehren, deren Herzen durch die Hoffnung des Glaubens gefestigt sind. Und (selbst) wenn jemand nichts besitzt, verfügt er doch über alles durch den Glauben, wie da geschrieben steht: Soviel ihr erbittet im Gebet und im Glauben, werdet ihr empfangen [Mt 21,22], und wiederum: Der Herr ist nahe, sorgt euch um nichts [Phil 4,5-6]. Das Wissen sucht beständig nach Möglichkeiten zum Schutz derjenigen, die es erwerben. Was aber sagt der Glaube? Wenn Gott nicht das Haus errichtet und die Stadt bewacht, handelt umsonst der da wacht und behütet, und vergeblich hat sich der da baut bemüht [Ps 127,1]. Wer da gläubig betet, wird niemals nach (bestimmten) Möglichkeiten schaffen und leben. Denn das Wissen preist überall die Angst, wie der Weise sagte: Selig, so sagte er, der sich in seinem Herzen fürchtet. Und was (sagt der) Glaube? Er erschrak, heißt es, und begann zu versinken [Mt 14,30], und ihr habt nicht, heißt es, den Geist der Knechtschaft empfangen, damit ihr euch wieder fürchtet, sondern den Geist der Kindschaft zur Freiheit des Glaubens und der Hoffnung auf Gott [Röm 8,15], und wiederum: Fürchte dich nicht vor ihnen, und fliehe nicht ihr Angesicht. Stets folgt der Zweifel auf die Furcht und der Zweifel auf das Forschen, und das Forschen ist begleitet von (verschiedenen) Möglichkeiten, und die Möglichkeiten sind begleitet von Wissen. | 131v Und in diesem Forschen und Suchen sind stets Angst und Zweifel zu erkennen, weil nicht zu jeder Zeit das Wissen alles regeln kann, wie wir im Vorangegangenen gezeigt haben. Denn oft begegnen der Seele auch Ereignisse und wütende Angriffe und viele Gelegenheiten voller Nöte, denen jedoch das Wissen und die Möglichkeiten der Weisheit in keiner Weise helfen können. Von diesen wüsten und mit aller Kraft innerhalb der Grenze(n) menschlichen Wissens nicht zu begreifenden Ereignissen wird der Glaube niemals auch nur durch eines dieser Ereignisse besiegt. Genügt etwa das Menschenwissen, um in diesen offensichtlichen Kämpfen oder gegen die Natur der unsichtbaren und körperlichen Kräfte und noch vieles anderes zu helfen? Hast du die Ohnmacht der Kraft des Wissens und die Stärke der Kraft des Glaubens gesehen? Das Wissen verbietet seinen Schülern, sich allem, was der Natur fremd
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ist, zu nähern. Aber sieh hier auf die Kraft des Glaubens und was er denen gebietet, die von ihm lernen! In Meinem Namen, || 132r heißt es, werdet ihr Dämonen austreiben, Schlangen aufheben, und wenn ihr Gift trinkt, werdet ihr nicht Schaden nehmen [Mk 16,17-18]. Das Wissen gebietet, seinen Gesetzen entsprechend, allen, die auf seinem Weg gehen, vor dem Beginn bei allen Dingen das Ende zu prüfen, und dann zu beginnen. Damit nicht, wenn sich gezeigt hat, daß das ergründete Ende der Sache sich als der Grenze der menschlichen Kraft unangemessen erweist, man sich vergeblich abmüht und sich herausstellt, daß diese Sache unmöglich und schwerlich zu bewältigen ist. Was aber sagt der Glaube? Alles ist möglich dem, der da glaubt [Mk 9,23], denn Gott ist nichts unmöglich. O, welch unsäglicher Reichtum, und welch ein Meer an Reichtum in seinen Wogen und in seinen wunderbaren Schätzen, die von der Kraft des Glaubens überquellen. Wie sehr ist doch der Weg mit ihm voll des Mutes und der Wonne und der Hoffnung. Und seine Bürden – wie leicht sind sie, und das Handeln danach – wieviel Wonne birgt es in sich. Wenn ein Mensch gewürdigt worden ist, die Wonnen des Glaubens zu kosten, und er wieder zurückgekehrt ist zum Wissen der Seele, worin unterscheidet sich dann seine Lage? (Er gleicht) demjenigen, der eine sehr kostbare | 132v Perle gefunden und sie gegen eine Kupfermünze eingetauscht hat, einem (Menschen), der die unabhängige Freiheit aufgegeben hat und zurückgekehrt ist in die Formen der Armut voller Furcht und Knechtschaft. Das Wissen ist nicht zu tadeln, aber der Glaube steht höher als dieses. Und wenn wir dawider sprechen, sprechen wir nicht wider das Wissen – das möge nicht geschehen –, sondern um die wechselnden Weisen zu verurteilen, in denen es sich wider die Natur bewegt und Verwandtschaft mit den Rängen der Dämonen bekundet. Denn das wollen wir danach deutlich unterscheiden: wieviele Stufen es gibt, auf denen sich das Wissen bewegt, und worin sich jede von ihnen unterscheidet, und welche Gedanken in jeder dieser (verschiedenen) Möglichkeiten geweckt werden, wenn es sich an diese hält, und in welcher von diesen Möglichkeiten es dem Glauben widerspricht und sich außerhalb der Natur stellt, und worin der ihr innewohnende Unterschied besteht, und in welchem Modus es (das Wissen) zu seiner eigenen Natur gelangt, wenn es zu seinem ursprünglichen Ziel zurückkehrt und eine Stufe zum Glauben || 133r durch einen guten Lebenswandel errichtet, und bis wohin es den Unterschied dieses Modus reichen läßt, und wie es von diesem zu höheren (Stufen) gelangt, und welches die Möglichkeiten dieses anderen, das heißt des ersten Zustandes sind. Und wann verbindet sich das Wissen mit dem Glauben und bildet eine Einheit mit ihm und wird durch diesen in feuriges Denken gekleidet und vom Geiste entflammt und gewinnt die Flügel der Furchtlosigkeit und erhebt sich vom Dienen bei den irdischen
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Dingen in das Land seines Schöpfers mit anderen Möglichkeiten? Doch wir sollen wissen, daß der Glaube und seine Stufen und deren Handlungsweise höher stehen als das Wissen. Und dieses Wissen findet seine Vervollkommnung im Glauben und erlangt die Kraft emporzusteigen und das zu empfinden, was jedes Empfinden übersteigt, und jenen Glanz zu erblicken, den der Geist und das Wissen der Geschöpfe nicht zu erfassen vermag. Das Wissen aber ist jene Stufe, über die der Mensch zur Höhe des Glaubens aufsteigt, und wenn er in seine Nähe gelangt ist, braucht er es nicht mehr dazu. Denn jetzt, so heißt es, erkennen wir stückweise | 133v und verstehen stückweise. Wenn aber das Vollkommene kommen wird, dann wird das, was Stückwerk ist, aufhören [1 Kor 13,9-10]. Der Glaube hält uns also jetzt gleichsam die Wirklichkeit des Vollkommenen vor Augen, und in unserem Glauben lernen wir jene unbegreiflichen Dinge kennen, aber nicht durch Erforschen und kraft des Wissens. Dies(e) alle(s) sind die Werke der Rechtschaffenheit: Fasten, Wachen, das Gebet, Almosen, Heiligkeit und alles andere, was der Leib zu verrichten hat – Nächstenliebe, Demut des Herzens, Verzeihung denen, die gefehlt haben, und das Denken an das Gute und das Ergründen der Geheimnisse, die in den heiligen Schriften verborgen sind, Überlegungen des Geistes, welche die besten Werke sind, wie die Grenzen für die Leidenschaften der Seele zu wahren sind, und die sonstigen Tugenden, die in der Seele zu tätigen sind. Dies alles verlangt nach Wissen, denn dieses hütet es und lehrt die (rechte) Ordnung darin. Und dies alles sind noch Stufen, auf denen die Seele zum Gipfel des Glaubens aufsteigt, und sie werden Tugenden genannt. Was aber das Leben des Glaubens betrifft, so ist es mehr als Tugend, || 134r und dieses Leben zu führen besteht nicht in Werken, sondern ist vollkommene Ruhe und Trost und Worte im Herzen, und es vollzieht sich in den Gedanken der Seele. Deren Wirken sind all die staunenswerten Arten des geistigen Lebens – das Empfinden des geistigen Lebens, und das Entzücken, und die Wonne der Seele, und das Verlangen nach Gott, und die Freude über Ihn, und alles andere, was in jenem (geistigen) Leben der Seele gegeben wird, die auch der Gnade der dortigen Seligkeit würdig ist, und was gleichsam wie auf einen Hinweis durch den Glauben in den gotterfüllten Schriften hier von Gott vollbracht wird, der so reich in seinen Gaben ist. Wenn aber jemand sagt, wenn alle diese Güter und die zuvor genannten Werke der Tugend und das Vermeiden der bösen (Werke) und das Unterscheiden der feinen Gedanken, die in der Seele aufbrechen, und der Kampf mit den Überlegungen und die Auseinandersetzung mit den erregenden Leidenschaften und alles Übrige, ohne das der Glaube selbst dir nicht die Kraft in seinem Wirken in der Seele zeigen kann, wenn (also) dies alles das Wissen | 134v vollbringt, wie kann man da meinen, das Wissen sei
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dem Glauben entgegengesetzt? Und wir antworten: Es gibt drei gedankliche Stellen, an denen sich das Wissen aufwärts und abwärts bewegt. Und so wie es eine Veränderung der Stellen gibt, an denen es sich bewegt, so geht auch mit ihm selbst eine Veränderung vor, und dadurch kann es sowohl schaden wie auch hilfreich sein. Die drei Stellen aber sind: der Leib, die Seele und der Geist. Zwar ist das Wissen seiner Natur nach ein einziges, doch in Bezug auf diese (anderen) Gebiete, die geistigen und die der Sinne, verfeinert es sich sowohl, wie es auch seine Methoden und die Bewegung seiner Gedanken ändert. Und achte schließlich auf die Stufe seines Wirkens und die Ursachen, derentwegen es sich als schädlich oder hilfreich erweist. Das Wissen ist eine Gabe Gottes an das Wesen der Vernunftbegabten, die ihnen von Anbeginn ihrer Erschaffung gegeben worden ist. Und es ist einfach und seiner Natur nach unteilbar so wie auch das Licht der Sonne, doch seinem Handeln entsprechend erfährt es Veränderungen und Unterscheidungen. Rede 26 (134v – 137r) Die erste Stufe des Wissens Wenn das Wissen dem Antrieb des Fleisches folgt, || 135r umfaßt es diese Bereiche: Reichtum, Ruhmbegierde, Zierde, Bequemlichkeit des Leibes, Eifer in der Weisheit der Rede, die geeignet ist für den Zugewinn in dieser Welt und Neues in den Entdeckungen und Künsten und Wissenschaften hervorquellen läßt und alles Sonstige, was den Leib in dieser sichtbaren Welt krönt. Durch diese Sichtweisen ist es dem Glauben entgegengesetzt, wie wir gesagt und es eingeordnet haben. Dieses Wissen wird das einfache Wissen genannt, weil es bar jeder Sorge um die göttlichen Dinge ist, und da es vom Leib bestimmt wird, bringt es unvernünftige Kraftlosigkeit in den Verstand ein, und seine ganze Sorge ist in diesem Maß beschlossen. Dies ist das Maß für das Wissen, daß es gänzlich eine geistige Kraft ist und insgeheim der Lenker des Menschen, und die göttliche Fürsorge, die ihm zu Hilfe kommt und vollkommen für ihn sorgt, und die Ordnung durch die göttliche Vorsehung nimmt er dafür nicht wahr, sondern jegliches Gute, das im Menschen ist und ihn vor dem rettet, was ihm schadet, | 135v und den Schutz vor Üblem und die Bewahrung vor vielen Widrigkeiten, die heimlich und offen zu unserer Natur gehören, betrachtet er als etwas in seinem Streben und seinen (Vor-)Bildern Liegendes. Siehe, dies ist das Maß des philosophierenden Wissens, das meint, alles geschehe durch seine Umsicht, und es entspricht denen, die da sagen, daß es keine Lenkung für diese sichtbaren Dinge gebe. Dennoch kann es ohne ständige Sorge und ohne Befürchtung für den Leib nicht sein, weshalb es Kleinmut umfängt und Trübsal und Verzweiflung und Dämonenfurcht und Menschenangst und Gerüchte über Räu-
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ber und Gerede über Todesarten und Sorge vor Krankheiten und Kummer wegen Mangel und Bedürftigkeit und Angst vor dem Tode und Angst vor den Leiden und tückischen wilden Tieren und vor dem, was es sonst noch dergleichen gibt, das wie ein von Wogen aufgewühltes Meer jederzeit nachts und tags über dieses herfällt, denn es hat nicht erfahren, daß es seinen Kummer auf Gott werfe in der Hoffnung || 136r des Glaubens an diesen, weshalb es in allen seinen Dingen ein Leben in Spitzfindigkeiten und Kunstgriffen führt. Wenn aber die Formen seiner Klügeleien aus irgendeinem Grunde aufgehoben werden, erblickt es keine geheimnisvolle Vorsehung, (sondern) streitet sich mit den Menschen, die ihm Ärgernis geben und sich ihm widersetzen. In diesem Wissen ist der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen gepflanzt, der die Liebe ausrottet. Und es forscht nach den kleinen Vergehen der anderen Menschen und den Ursachen ihrer Schwäche, und es bringt den Menschen dazu, Lehrmeinungen zu vertreten und um Worte zu streiten, sich an Listen und Spitzfindigkeiten und andere Formen zu halten, die beschämend für den Menschen sind. Hinzu kommen auch Dünkel und Stolz, weil es sich jede gute Sache selber zuschreibt und nicht auf Gott zurückführt. Der Glaube aber hält seine Werke der Gnade zugute, weshalb er auch nicht hochmütig sein kann, wie geschrieben steht: Alles vermag ich durch Christus, Der mich stark macht [Phil 4,13], und ebenso: nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist [1 Kor 15,10]. Und wenn | 136v der selige Apostel gesagt hat: Das Wissen ist stolz (bläst sich auf) [1 Kor 8,1], so hat er das von diesem Wissen gesagt, das nicht im Glauben und in der Hoffnung auf Gott aufgegangen ist, und er hat es nicht von dem wahren Wissen gesagt. Das sei ferne. Das wahre Wissen vervollkommnet in Demut die Seele derjenigen, die dieses zu erlangen trachten, wie bei Moses und Isaja und Petrus und Paulus und den anderen Heiligen, die dessen um der Vervollkommnung willen im Rahmen der menschlichen Natur gewürdigt worden sind. Und in dem verwandelten Sehen und den göttlichen Offenbarungen und der erhabenen Schau der geistigen Dinge und in den unaussprechlichen Geheimnissen und derlei (mehr) wird ihr Wissen aufgesogen, und ihre Seele gilt ihnen in ihren Augen wie Erde und Staub. Das andere Wissen aber bläht sich gebührend auf, weil es im Dunkel geht, und an der Ähnlichkeit mit dem, was auf Erden ist, prüft es das Seinige und weiß nicht, daß es etwas Besseres als es (selbst) gibt. Aber alle, die sich erhaben dünken, weil sie auf Erden leben und ihr Leben im Fleisch sein Maß finden lassen und in ihren Werken bestätigt werden, aber nicht an das nicht zu Begreifende || 137r in ihrem Sinn denken, siehe, sie leiden, solange sie auf diesen Wogen schwimmen. Die Heiligen aber dienen der herrlichen Kraft der Gottheit, und ihr Tun ist nach oben gerichtet, und ihr Denken wird
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nicht durch die Sorge um das Entdecken eitler Dinge abgelenkt, denn die im Lichte gehen, können sich nicht verirren. Deshalb wandeln alle, die vom Licht der Erkenntnis des Sohnes Gottes abgeirrt sind und sich von der Wahrheit abgewandt haben, auf solchen Pfaden. Dies ist die erste Stufe des Wissens. Auf ihr befindet sich, wer dem Trachten des Fleisches folgt. Dies tadeln wir und erklären, daß es nicht nur dem Glauben, sondern auch dem Bewirken jeglicher Tugend entgegengesetzt ist. Rede 27 (137r – 137v) Die zweite Stufe des Wissens Wenn aber jemand diese erste Stufe verläßt, um sich in seinem Denken und seinem Trachten der Seele zuzuwenden, dann verrichtet er die zuvor beschriebenen guten Werke durch Überlegungen der Seele (zusammen) mit den Sinnen des Leibes im Lichte von dessen Natur. Diese aber sind: Fasten, Gebet, Barmherzigkeit, Lesen der heiligen Schriften, Formen der Tugend, | 137v Kampf gegen die Leidenschaften und anderes mehr. Denn alle guten Dinge und die guten Unterscheidungen, die in der Seele sichtbar werden, und die staunenswerten Formen des Dienens am Hofe Christi vollbringt auf dieser zweiten Stufe des Wissens der Heilige Geist durch das Wirken seiner (des Wissens) Kraft. Und dieses ebnet dem Herzen die Pfade, die uns zum Glauben leiten, und darin sammeln wir das zum wahren Leben Erforderliche. Aber sogar bis hierher noch ist das Wissen körperlich und ein zusammengesetztes. Auch wenn dies der Weg ist, der uns anleitet und zum Glauben hinführt, so gibt es doch eine höhere Stufe als diese, und wenn jemand vorankommt, dann erreicht er es, sich mit Christi Hilfe auf diese zu erheben, sofern er zur Grundlage seines Tuns das Leben im Schweigen fernab von den Menschen macht sowie das Lesen der Schriften und das Gebet und die übrigen guten Taten übt, in denen sich das verwirklicht, was zur zweiten Stufe des Wissens gehört. Und in ihm geschieht alles Gute. Und dieses wird das dingliche Wissen genannt, weil es in sinnlich wahrnehmbaren Dingen durch körpergebundene Sinne auf einer höheren Stufe sein Werk vollbringt. Rede 28 (138r – 141r) || 138r Die dritte Stufe des Wissens, die die Stufe der Vollkommenheit ist Höre, wie jemand sich verfeinert1 und das Geistige erreicht und sich dem Leben der unsichtbaren Kräfte angleicht, die nicht durch das sinnenbestimmte Ausführen ihrer Werke ihren Dienst versehen, sondern durch die 1
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tätige Sorge des Geistes. Wenn das Wissen sich von den irdischen Dingen und der Sorge um das Wirken in diesen hinweg nach oben erhebt und in seinen Überlegungen zu prüfen beginnt, was innen vor den Augen verborgen ist, und in gewisser Weise die Dinge mißachtet, von denen die Entartung der Leidenschaften herrührt, und sich nach oben reckt und dem Glauben folgt in der Sorge um das künftige Leben und in dem Verlangen nach jenen (Dingen), die uns versprochen sind, und im Suchen nach den verborgenen Geheimnissen, dann wird dieser Glaube dieses Wissen in sich aufgehen lassen, und es wird sich umkehren, und er wird dieses von Anfang an (neu) gebären, damit dieses ganz und gar Geist werde. Dann kann es sich auf Flügeln in das Reich der Körperlosen (Kräfte) emporschwingen und die Tiefen des unberührbaren Meeres berühren | 138v eingedenk der göttlichen und wunderbaren (Weisen der) Lenkung in der Natur der geistigen und sinnlichen (Dinge), und es forscht nach den geistigen Geheimnissen, die dem einfachen und verfeinerten Gemüt zugänglich sind. Dann werden die inneren Empfindungen zum Handeln im Geiste aufgeweckt, wie es der Ordnung jenes Lebens in der Unsterblichkeit und des Nichtverwesens entspricht, denn es hat die geistige Auferstehung gleichsam verborgen vor den hiesigen Dingen zum Zeugnis der wahrhaftigen Erneuerung von allem empfangen. Dies sind die drei Formen des Wissens. In ihnen vollzieht sich der ganze Lebenslauf des Menschen im Leibe und in der Seele und im Geiste. Seit (dem Zeitpunkt, da) ein Mensch zwischen Gut und Böse zu unterscheiden beginnt und sogar bis zum Fortgang aus dieser Welt bewegt sich das Wissen seiner Seele in diesen drei Bereichen. Und das Verüben jeglichen Unrechts und jeder Ruchlosigkeit und (das Ausüben) jeglicher (Form von) Rechtschaffenheit und das Anrühren aller Geheimnisse des Geistes und das eine Wissen vollzieht sich in den genannten drei Bereichen. || 139r Und darin ist jegliche Bewegung des Geistes beschlossen, wenn er aufsteigt oder niedersteigt im Guten oder im Bösen oder in der Mitte (zwischen diesen beiden). Diese Bereiche heißen bei den Vätern das natürliche, das nichtnatürliche und das übernatürliche (Wissen). Und diese drei sind (einander) nahe. In ihnen steigt das Gedächtnis der vernünftigen Seele auf und nieder, wenn, wie da gesagt worden ist, jemand seiner Natur nach rechtschaffen ist oder über die Natur hinaus entrückt wird in deren (der Seele) Gedächtnis bei der Versenkung in Gott außerhalb der Natur, oder er zieht aus, Schweine zu hüten, weil er den Reichtum seines Unterscheidungsvermögens zunichte gemacht hat als ein Mensch, der sich auf viele Dämonen eingelassen hat. Wiederholung der drei Stufen des Wissens. 1. Die erste Stufe des Wissens kühlt die Seele gegenüber Werken eines Wandels auf Gottes Wegen ab. 2. Die zweite erwärmt die Seele zu raschem Eilen auf der Stufe des Glaubens.
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3. Die dritte aber ist die Beruhigung vom Tun, das ein Bild des Künftigen ist, wenn sich der Geist allein im Denken ergeht und von den zukünftigen Geheimnissen nährt. Da sich aber die | 139v Natur noch nicht vollkommen von der Stufe der Sterblichkeit und der Last des Fleisches aufschwingen kann, um sich in jenem geistigen (Wissen) zu vervollkommnen, das höher ist als das andere abweichende, kann sie auch nicht der Vervollkommnung desjenigen dienen, das keinen Mangel kennt. Sowohl in der Welt der Sterblichkeit zu sein als auch die fleischliche Natur vollkommen hinter sich zu lassen vermag sie nicht. Solange sie aber noch im Übergang begriffen ist, ist sie auf dieser und auf jener (Stufe des Wissens). Und auf einmal übt sich seine (des Menschen) Seele gleich einem Armen und Bedürftigen auf der zweiten, der mittleren Stufe der Tugend, die in der Natur angelegt ist und durch die leibliche Natur ausgeübt wird; und so wie diejenigen, die den Geist der Kindschaft empfangen haben, wird er zu anderer Zeit im Geheimnis der Freiheit die Gnade des Geistes als Gabe Desjenigen empfangen, Der diese gewährt. Und dann kehrt er wieder zur Niedrigkeit seiner Werke zurück. Diese aber sind solche, die er durch den Leib verrichtet. Und sie (die Gnade) behütet sie, damit der Feind ihn nicht durch seine Verlockungen einfange, die man in diesem arglistigen Zeitalter findet, || 140r und durch verworrene und abwegige Gedanken, weil der Mensch, solange er hinter dem Vorhang der Türen des Fleisches eingeschlossen ist, keine Hoffnung hat, weil es in dieser unvollkommenen Zeit keine vollkommene Freiheit gibt. Jegliches Wirken des Wissens besteht im Tun und in Beständigkeit (darin). Das Wirken des Glaubens aber geschieht nicht in Werken, sondern in geistigem Denken, im reinen (bloßen) Tun der Seele wird es vollzogen und liegt über den Sinnen. Denn der Glaube ist feiner als das Wissen, so wie das Wissen feiner ist als die sinnlich wahrnehmbaren Dinge. Alle Heiligen, die gewürdigt worden sind, diesen Lebenswandel zu erlangen, der in verzücktem Staunen über Gott besteht, verbleiben durch die Kraft des Glaubens im Genuß jenes Lebens, das über die Natur hinausgeht. Wir sprechen aber nicht von dem Glauben, in dem ein Mensch an die Verschiedenheit der anbetungswürdigen und göttlichen Wesenheiten glaubt und an die überragende und eigene Natur der Gottheit selbst und an den wunderbaren Heilsplan für die Menschheit durch die Annahme unserer Natur – auch wenn dieser (Glaube) ein sehr hehrer ist, | 140v sondern von einem Glauben, der durch das Licht der Gnade in der Seele aufleuchtet, bezeugt durch den Sinn, der das Herz darin bestärkt, ohne zu zweifeln in der Bestätigung der Hoffnung auszuharren, fern von jeglichem Vermuten. Und er offenbart sich nicht in dem, was den Ohren zu Gehör kommt, sondern mit den geistigen Augen
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(sieht er) die in der Seele verborgenen Geheimnisse und den verborgenen göttlichen Reichtum, der den Augen der Söhne des Fleisches verborgen bleibt und durch den Geist derjenigen gefunden wird, die sich am Tische Christi durch die Vertiefung in Dessen Gesetze nähren, wie Er gesagt hat: Wenn ihr meine Gebote haltet, werde ich euch den Tröster senden, den Geist der Wahrheit, den die Welt jedoch nicht annehmen kann, und Er wird euch die ganze Wahrheit lehren [Joh 14, 15,17,26]. Dieser wird dem Menschen die heilige Kraft zeigen, die in ihm zu jeder Zeit lebt, den Schutzmantel, die geistige Kraft, die den Menschen immerdar schützt und jeglichen Schaden von ihm fernhält, damit er sich nicht seiner Seele oder seinem Leibe nahe, diese aber spürt sein lichter und geistiger Verstand unsichtbar mit || 141r den Augen des Glaubens. Sie (die Kraft) wird von einem Heiligen noch mehr durch seine Erfahrung erkannt. Diese Kraft aber ist der Tröster, der durch die Kraft des Glaubens die Teile der Seele wie durch ein Feuer entflammt, und es drängt sie, und sie mißachtet jegliche Not in der Hoffnung auf Gott, und auf den Flügeln des Glaubens erhebt sie sich über die sichtbare Schöpfung hinaus, und wie berauscht verharrt sie immerdar im Staunen über Gottes Fürsorge, und im einfachen Schauen und in der blicklosen Betrachtung der göttlichen Natur belehrt sie den Sinn, im Nachdenken auf das ihm Verborgene zu achten. Denn bis jenes kommt, das die Vollendung der Geheimnisse ist, und wir der Offenbarung derselben (Geheimnisse) gewürdigt werden, bedient der Glaube die unaussprechlichen Geheimnisse zwischen Gott und den Heiligen. Mögen wir ihrer durch die Gnade Christi gewürdigt werden – hier als ein Unterpfand, dort aber in der Substanz der Wahrheit, im Himmelreich mit denen, die Ihn lieben. Amen. Rede 29 (141r – 142r) Abermals kurzes Kapitel über andere gedankliche Formen zu den Unterschieden des Wissens | 141v Das Wissen, das durch die sichtbaren Dinge lebt oder diese durch die Sinne wahrnimmt, wird das natürliche (Wissen) genannt. Und was durch die Kraft des Denkens und aus sich selbst heraus durch die unkörperliche Natur (erlangt wird), wird das geistige (Wissen) genannt, weil es die Empfindungen durch den Geist wahrnimmt und nicht durch die Sinne, und durch diese beiden Formen der Herkunft gelangen sie bei deren Betrachtung von außen in die Seele. Was aber durch das göttliche (Wissen) kommt, wird das übernatürliche Wissen genannt und ist mehr als unerkennbar und steht über dem Wissen. Dessen Sicht empfängt die Seele nicht durch die Dinge, die außerhalb von diesem liegen wie in den ersten (beiden Formen), sondern in unstofflicher Form in sich selbst, als ein Geschenk. Plötzlich und unverhofft
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erscheint es und offenbart sich aus dem Innersten, denn das Himmelreich ist in uns [Lk 17,21], und es ist weder in der erhofften Gestalt, noch kommt es bei der Betrachtung nach dem Worte Christi, sondern innerhalb der verborgenen Gestalt des Verstandes offenbart es sich von selbst, ohne Nachsinnen darüber, weil der Verstand keine stoffliche Substanz darin findet. || 142r Das erste Wissen kommt vom ständigen Nachsinnen und dem Eifer in der Lehre, das zweite von einem guten Lebenswandel und dem Glauben des Verstandes. Das dritte aber wurde nur durch den Glauben geerbt, weil in diesem das Wissen aufgehoben wurde und die Werke ihr Ende finden und der Gebrauch der Sinne überflüssig wird. In dem Maße aber, in welchem das Wissen von dieser Grenze niedersteigt und je weiter es niedersteigt, um so mehr ist es zu loben, und wenn es zur Erde und den irdischen Dingen gelangt, beherrscht das Wissen alles, und ohne dieses (Wissen) ist jede Sache lahm und schwach. Wenn aber die Seele ihren Blick nach oben erhebt und ihre Gedanken auf das Himmlische ausrichtet und sich nach dem sehnt, was die Augen des Leibes nicht sehen können und was dem Fleisch nicht untertan ist, dann wird alles vom Glauben durchwaltet, den uns Christus der Herr schenken möge, Der gepriesen sei in alle Ewigkeit. Amen. Rede 30 (142r – 147v) (Über) die Form des Gebets und von anderen Dingen, nach denen man der ständigen Erinnerung wegen trachten sollte und die in vielem | 142v nützlich sind, sofern jemand, der dies mit Urteilsvermögen liest, es bewahrt Wenn jemand während des Bittens in seinem Gebet in der Hoffnung auf Gott gefestigt wird, so ist das ein hervorragender Teil der Gnade des Glaubens. Diese Festigung des Glaubens an Gott aber ist nicht das Gesunde an dem Bekenntnis, wenn dieses auch die Mutter des Glaubens ist, sondern die Seele, die die Wahrheit Gottes durch die Kraft des Lebenswandels erblickt. Wenn du in den heiligen Schriften den Glauben mit (verschiedenen) Formen des Lebens vermischt findest, dann halte dieses Aussehen des Glaubens nicht für das wahre Bekenntnis, denn niemals wird der Glaube, der Bestärkung in der Hoffnung gibt, von den Nichtgetauften erlangt [vgl. Joh 3,5; Gal 3,27] oder von denen, deren Sinn für die Wahrheit verdorben ist. Die Festigkeit im Glauben wird denen zuteil, die von edler Seele sind, (und zwar) entsprechend der Beachtung der Gebote des Herrn in ihrem Lebenswandel. Das beständige Studium der Schrift ist das Licht für die Seele, denn es zeigt der Seele nützliche Erinnerungen daran, sich vor den Leidenschaften zu hüten und durch die Reinheit des Gebets in der Liebe zu Gott zu verharren, und es ebnet vor uns den Weg || 143r des Friedens auf den Spuren der Heiligen. Dennoch solltest du nicht an den Gebeten unserer (Psalmen-) Verse
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zweifeln, wenn diesen keine große Aufwühlung und immerwährende Ergriffenheit entweder während des Betens oder des ständigen Lesens folgt. Die aus Erfahrung gesprochenen Worte mußt du annehmen, auch wenn derjenige, der sie ausgesprochen hat, ein ungebildeter Mensch ist. Denn die großen Schatzkammern der Kaiser auf dieser Erde übersehen es nicht, die Kupfermünze des Bettlers anzunehmen, und aus kleinen Bächen werden die Flüsse mit Wasser gefüllt, und sie werden groß in ihrem Lauf. Von der Bewahrung der Erinnerung Wenn der Gedanke an das Gute, sobald wir daran denken, in uns die Tugendhaftigkeit erneuert, dann ist es offensichtlich, daß auch der Gedanke an die Unzucht in unserem Denken weltliches Verlangen erneuert, sobald wir uns daran erinnern. Denn das Denken an das eine wie an das andere bezeichnet und beschreibt in unseren Gedanken den Unterschied dieser beiden Sachen und zeigt uns wie mit dem Finger entweder die Schändlichkeit unserer Gedanken oder die hohe Stufe unserer Lebensführung und bekräftigt in uns sowohl die rechten wie auch die linken Gedanken und Regungen. | 143v Und es ergibt sich, daß wir insgeheim in unserem Verstand nachsinnen, und es bildet sich im Nachsinnen unseres Geistes eine Unterscheidung unseres Lebenswandels heraus, so daß wir uns notwendigerweise stets selber betrachten. Also schadet nicht nur dieses Nachsinnen demjenigen, der es ausübt, sondern damit zugleich auch diese Betrachtung und das Erinnern, welches diese (eben Genannten mit Gehalt) ausfüllt. Und nicht nur das tugendhafte Verhalten hilft demjenigen sehr, der sich darin übt, sondern auch die gedankliche Vorstellung, die durch das Gedenken an jene Personen, die diese (Tugendhaftigkeit) geübt haben, hervorgerufen wird. Und von daher ist es verständlich, warum so viele, die die Stufe der Reinheit erlangt haben, stets des Anblicks einiger Heiliger in nächtlichem Schauen gewürdigt werden, und am Tage ist diesen zu jeder Stunde in der gedanklichen Betrachtung ihres Geistes der in ihre Herzen eingegrabene Anblick jener (Heiligen) ein Gegenstand der Freude. Und aus diesem Grunde schreiten sie mit Feuereifer zu tugendhaftem Handeln, und in überreichem Maß erfaßt sie die Flamme des Verlangens nach ihnen, und man sagt, daß die heiligen Engel die Gestalt einiger ehrwürdiger und herausragender Heiliger || 144r annehmen, und sie zeigen diese der Seele im Traumbild, während deren Gedanken umherschweifen, zu ihrer (der Seele) Freude und Bereicherung und Entzücken. Und am Tage bewegen sie diese immerfort in der Schau ihrer Gedanken, und ihr Tun wird ihnen vor Freude über die Heiligen leichter, und dadurch schreiten sie auf ihrem Weg voran. So verhält es sich auch bei den Kämpfen. Wer die Gewohnheit hat, sich in Gedanken mit Üblem zu befassen, der denkt auch durch die (Wirkung der) Dämonen in dieser Gestalt,
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denn sie nehmen Gestalt an und zeigen der Seele Traumgesichte, die diese in Schrecken versetzen, indem sie diese (Traumgesichte), mehr noch durch das Gedenken des Tages, vermitteln. Bisweilen aber bewirken sie durch diese schreckliche Vision, die die Seele in Schrecken versetzt, daß diese sich alsbald krank fühlt. Bisweilen zeigen sie ihr wiederum die ganze Härte des Lebens im Schweigen und in der Zurückgezogenheit und noch anderes mehr. Deshalb wollen auch wir, meine Brüder, bei der Beobachtung unserer Erinnerungen und der Bestimmung des Zustandes unserer Seele durch diese es nun so halten, daß wir bei den Erinnerungen an das von uns Gedachte stets beurteilen, bei welchen wir verweilen und welche wir alsbald | 144v vertreiben, sobald sie sich unserem Denken nähern – (nämlich) ob es diejenigen sind, welche durch Vorbedacht der Dämonen eine Sache den Leidenschaften vorwerfen, oder diejenigen, die aus dem Verlangen und Zorn stammen, oder diejenigen, die von den heiligen Engeln kommen, die uns einen Hinweis zur Freude und zum Wissen geben, die Erinnerungen, die unsere Gedanken anregen, wenn sich jene (Engel) uns nähern, oder diejenigen, welche zuvor von den Sinnen aufgenommen wurden, wodurch in der Seele Gedanken bewegt werden, die zu einem (bestimmten) Teil derselben hinführen. Die Prüfung dieser beiden Dinge aber erreichen wir durch Erkenntnis in der Unterscheidung: in der Betrachtung derselben (des im Gedächtnis Bewahrten) und dem Ausführen der Werke (dieses im Gedächtnis Bewahrten) derselben, und jedem von diesen beiden lassen wir getrennt ein Gebet folgen. Vom Unterschied in der Liebe Die Liebe, die von irgendwelchen Dingen ausgeht, ist wie ein kleiner Leuchter, der von Öl gespeist werden muß, und daraus besteht sein Licht, oder wie ein infolge des Regens fließender Bach, dessen Fließen zum Stillstand kommt, wenn er ein Versiegen || 145r des Stoffes erlitten hat, der das Fließen bewirkt. Die Liebe jedoch, die Gott zur Ursache hat, gleicht einer sprudelnden Quelle, und niemals wird ihr Lauf unterbrochen, denn Er ist die einzige Quelle der Liebe und ihr unvergänglicher Stoff. Wie du ohne Geschwätzigkeit beten sollst Willst du dich während deines Dienstes am Psalmodieren laben und ein Gefühl für die Worte des Geistes empfangen, die von dir gesprochen werden, dann laß vollständig die Anzahl außer acht, und das Wissen um das in ihnen enthaltene Maß berücksichtige nicht, und sprich die Verse1 wie in den 1
In K fehlerhaft ne, entspricht nicht dem griechischen Text; ohne ne in Hs 1389, Chil 470 (A). Die Einfügung von ne (K,M,V) scheint mit der russischen Überlieferung verbunden zu sein.
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Formen eines Gebets, und laß das übliche Aufsagen, und begreife, was ich dir sage und was wie eine Erzählung (allegorisch) gesagt worden ist, nachzulesen bei einem Manne, der zu den von Gott Gelenkten gehörte: Möge dein Sinn sehend werden beim Nachsinnen über dieselben (Verse), bis deine Seele durch das Staunen über die Ordnung für das erhabene Heilsplanen, das in ihnen enthalten ist, aufgeweckt wird, um sich dadurch entweder zur Verherrlichung Gottes zu erheben oder in heilsamen Kummer zu verfallen. Und wenn darin ein Gebet ist, dann nimm dir dieses zu eigen. Und wenn dein Geist dadurch gestärkt sein wird, dann räumt die Verwirrung | 145v von da ihren Platz und weicht. Denn weder gibt es in sklavischer Verrichtung den Frieden des Geistes, noch gibt es in der Freiheit der Kinder die Verwirrung des Aufruhrs. Die Verwirrung hat die Gewohnheit, den Geschmack am Wissen und an der Betrachtung zu rauben und deren Einsichten wie ein Egel gefangenzunehmen, der das Leben aus den Körpern durch das Blut von deren Gliedern trinkt. Denn man sollte die Verwirrung einen Wagen des Teufels nennen, weil der Satan wie ein Wagenlenker die Gewohnheit hat, ständig dem Verstand aufzusitzen und eine Sammlung von Leidenschaften mit sich zu führen und die leidende Seele zu besteigen und diese mit Verwirrung zu überschwemmen. Dies aber mögest du bei der Beurteilung begreifen: Verhalte dich bei deinem Absingen der Verse nicht so, als übernähmest du die Worte von einem anderen, bis du meinst, daß das Tun die Lehren unentwegt vermehre und du an der in ihnen enthaltenen Ergriffenheit und Freude vollkommen vorübergehst. Vielmehr sollst du die Worte in deinem Geiste so sprechen, als ob sie aus dir selber kämen, in Ergriffenheit || 146r und erwägender Betrachtung, wie einer, der sein Tun in Wahrheit begriffen hat. Merke auf, woher die Verzagtheit kommt und woher das Umherschweifen (der Gedanken) Die Verzagtheit kommt vom Umherschweifen des Geistes, und dieses (kommt) von der Leere unseres Tuns und dem Lesen und nichtiger Unterhaltung oder von der Übersättigung des Bauches. Wie man nicht bösen Gedanken widersprechen, sondern sich vor Gott niederwerfen soll Wer sich nicht den vom Feind in uns gesäten Gedanken widersetzt, sondern durch das Gebet zu Gott das Gespräch mit ihnen abbricht, für den ist das ein Zeichen, daß sein Geist Weisheit durch die Gnade gefunden und sein wahres Wissen ihn von vielen Werken befreit hat und daß er durch das Auffinden des schnellen Pfades, den er erreicht hat, vieles Umherschweifen auf einem langen Weg abgebrochen hat, weil wir nicht zu jeder Zeit die Kraft haben, uns allen widrigen Gedanken zu widersetzen, um diese zur Ruhe zu bringen,
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vielmehr empfangen wir oftmals eine Wunde von ihnen, die lange Zeit nicht geheilt werden kann. Denn du kommst | 146v zu jenen, die schon 6 Tausend Jahre alt sind, um sie die Überlieferungen zu lehren, und dies ist für sie eine Situation, in der sie dich trotz deiner Weisheit und deiner Klugheit verletzen können, aber selbst wenn du sie besiegst, so beschmutzt auch dann die Unreinheit der Gedanken deinen Geist, und der Geruch ihres Gestanks bleibt lange Zeit in deinem Geruchsempfinden. Auf die erste (erstgenannte) Weise aber wirst du von diesem allem und der damit verbundenen Angst befreit, denn es gibt keine andere Hilfe außer Gott. Von den Tränen Die Tränen während des Gebets sind ein Zeichen des göttlichen Erbarmens, dessen die Seele durch die Reue gewürdigt wurde, und daß sie angenommen worden ist und begonnen hat, unter Tränen das Feld der Reinheit zu betreten. Denn wenn die Gedanken nicht von den vergänglichen Dingen abgezogen werden, und wenn sie nicht das Hoffen der Welt ablegen, und wenn nicht durch sie die Mißachtung derselben (Welt) in Bewegung gerät, und wenn man nicht damit beginnt, die guten Voraussetzungen zum Auszug aus derselben vorzubereiten und in der Seele nicht die Gedanken an einiges von dem, was dort ist, geweckt werden, dann können auch den Augen keine Tränen entströmen, denn die Tränen mehren sich vom reinen nicht aber vom || 147r umherschweifenden Bedenken und von vielen und häufigen und unentwegten Gedanken und vom Erinnern an etwas Zartes, das es im Geiste gibt und das das Herz bei dem Gedanken daran in Betrübnis versetzt, und davon werden die Tränen um so heftiger strömen. Wenn du dich während deines zurückgezogenen Lebens im Schweigen einer Tätigkeit der Hände und der Geldgier zuwendest, dann mache nicht den (Buß-)Auftrag der Väter zur Hülle für deine Geldgier. Eine kleine Beschäftigung, die dir nicht den Kopf verwirrt, magst du haben um der (Vermeidung der) Verzagtheit willen. Wenn du aber um einer barmherzigen Tat willen mehr von diesem Werk verrichten möchtest, dann wisse, daß das Gebet dem Rang nach höher als diese barmherzige Tat steht. Tust du es aber wegen eines Bedürfnisses deines Leibes, dann wird dir, wenn du nicht unersättlich bist, zur Stillung deines Bedarfes jenes genügen, was dir Gott bereitet, denn niemals hat Gott diejenigen, die Seine Werke tun, verlassen, damit sie der vergänglichen Dinge beraubt seien. Denn so hat der Herr gesagt: Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugegeben werden [Mt 6,33], | 147v sogar bevor ihr darum bitten müßt. Denn einer der Heiligen hat gesagt, daß nicht dies die Ordnung deiner Lebensweise ist, daß du die Hungrigen sättigest und daß deine Zelle zum Empfangsraum für Fremde werde, weil dies die Lebensweise der Weltlichen ist.
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Ihnen steht es mehr zu als eine gute Tat, aber nicht den Anachoreten und denjenigen, die frei sind von den Sorgen um die sichtbaren Dinge und die ihren Geist durch das Gebet behüten. Rede 31 (147v – 151r) Über das Einsiedlerdasein und wie man nicht Angst und Schrecken empfinden soll, sondern wie man sein Herz in der Hoffnung auf Gott bestärken und mutig sein muß durch einen unerschütterlichen Glauben als Menschen, die Gott zu ihrem Behüter und Bewahrer haben Wenn du dich irgendwann würdig erweisest, dich dem Leben eines Einsiedlers zuzuwenden, das leichte Lasten im Reich der Freiheit hat, möge dich nicht der Gedanke der Furcht wie gewohnt in den vielen Formen der Veränderungen der Gedanken und der Beschäftigung mit diesen bedrängen, sondern glaube vielmehr daran, daß dein Hüter mit dir ist, und mache dir in deiner Weisheit fest bewußt, daß du mit aller Kreatur unter dem einen Herrscher lebst, || 148r Der durch einen einzigen Wink alles in Bewegung setzt und erschüttert und besänftigt und ordnet, und kein einziger Mitknecht kann einem seiner Mitknechte ohne Befehl Dessen schaden, Der alles in Seiner Vorsehung umfaßt und lenkt. Und (deshalb) erhebe dich sogleich und fasse Mut. Und wenn auch einigen Freiheit gegeben worden ist, so doch nicht bei jeglichem Ding. Denn weder die Dämonen, noch das reißende wilde Getier noch die Menschen in ihrer Bosheit können ihren Willen zur Zerstörung und Vernichtung durchsetzen, wenn es nicht der Wille Dessen, Der alles lenkt, gebietet und Er einer bestimmten Menge (dieses Tuns) Raum gewährt. Denn er heißt die Freiheit nicht, auf jegliche Weise zu walten. Wenn dem so wäre, bliebe kein Fleisch am Leben. Denn Gott verläßt nicht seine Schöpfung, damit sich ihr die Macht der Dämonen und Menschen nähert und an ihr deren Willkür sich auslasse. Aus diesem Grund sprich zu deiner Seele: Ich habe einen Hüter, der mich beschützt, und keines der Geschöpfe kann vor mir erscheinen, | 148v es sei denn, dies geschähe auf einen Befehl von oben. Sei also überzeugt, daß diese nicht wagen, ihre Drohungen weder vor deinen Augen noch vor deinen Ohren hören zu lassen. Hätten sie aber den Befehl von oben, bedürfte es weder eines Wortes noch der Reden, sondern ihrem Wollen würde die Tat folgen. Sage dir also wiederum: Wenn es der Wille meines Herrschers ist, daß die Arglistigen über sein Geschöpf Macht haben sollen, werde auch ich dies nicht voller Ingrimm annehmen, so wie jemand, der nicht will, daß der Wille seines Herrn unerfüllt bleibe. Und so wirst du in deinen Versuchungen von Freude erfüllt sein wie jemand, der begriffen und empfunden hat, daß ein Wink deines Herrschers dich lenkt und dir deine Richtung weist. Bestärke schließlich dein Herz in der Hoffnung auf Gott,
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und fürchte dich nicht, weder vor der Angst in der Nacht noch vor dem Pfeil, der am Tage geflogen kommt [Ps 91,5]. Denn es heißt, der Glaube des Gerechten an Gott macht die wilden Tiere zahm wie die Schafe [vgl. Hebr 11,33]. Frage: Ich bin nicht, heißt es, so gerecht, daß ich ein auf Gott Hoffender sein werde. Antwort: || 149r Aber du bist wahrhaftig um Wahrheit und Gerechtigkeit zu üben in die Wüste ausgezogen, die voller Bedrängnisse ist, und deshalb bist du dem Willen Gottes gehorsam gewesen. Im übrigen mühst du dich vergebens, wenn du diese Mühsale nicht so erträgst, wie Gott die Mühsal der Menschen will, (nämlich) nur wenn du Ihm deinen Kummer als Opfer deiner Liebe darbringst. Diese Entscheidung zeigen alle, die Gott lieben und sich selbst aus ihrer Liebe zu Ihm Kummer bereiten. Denn die um Jesu Christi willen an einem Leben in der Furcht Gottes Wohlgefallen finden, wählen Bedrängnis aus und ertragen Verfolgung, und Er bewirkt, daß sie Macht über Seine verborgenen Schätze haben. Vom Wachstum, das aus den Prüfungen jenen zukommt, die diese mit Dankbarkeit und Mannhaftigkeit ertragen Es sagte aber einer von den Heiligen, es habe einen Einsiedler gegeben, einen ehrwürdigen alten Mönch, und ich ging einmal zu ihm hin und war bekümmert wegen der Versuchungen. Dieser aber war krank und lag, und nachdem ich ihn mit einem Kuß begrüßt hatte, setzte ich mich zu ihm und sagte ihm: Bete für mich, Vater, denn ich bin sehr bekümmert wegen der Versuchungen durch die Dämonen. Er aber schlug die Augen auf, | 149v sah mich aufmerksam an und sprach: Mein Sohn, du bist jung, und Gott hebt die Versuchungen für dich nicht auf. Und ich sagte zu ihm: Wahrlich, ich bin jung, aber Versuchungen habe ich wie für starke Männer. Und er sagte wiederum: Also will Gott dich weiser machen. Und ich sagte: Wie wird Er mich weiser machen, da ich doch jeden Tag den Tod schmecke. Und er erwiderte: Gott liebt dich. Schweig. Gott will dir Seine Gnade geben. Er sagte aber weiter: Dies war ein Kampf des Schlafes. Wisse mein Sohn, daß ich 30 Jahre lang den Kampf mit den Dämonen geführt habe. Und das zwanzigste war vergangen, und mir war keinerlei Hilfe geworden. Als ich jedoch das fünfte von diesen (letzten) durchschritten hatte, begann ich Ruhe zu finden, und mit dem Lauf der Zeit mehrte sie sich, und als das siebente vergangen war und das achte nach diesem folgte, breitete sie sich in großem Maße aus; in dem dem dreißigsten vorausgehenden und als das Ende desselben (dreißigsten) erreicht war, hatte sich diese Ruhe bereits so gefestigt, daß ich schon nicht mehr das Ausmaß ihres Anwachsens erfassen kann, und er sagte, wenn ich zu meinem Dienst aufstehen will, || 150r kann ich nur noch einen Lob-
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preis1 beten. Im Übrigen aber verbleibe ich, wenn ich drei Tage stehe, staunend vor Gott und verspüre nicht die geringste Mühsal. Sieh, welch unendliche Ruhe doch dieses Werk vieler Mühsal und Zeit hervorgebracht hat! Wie das Hüten der Zunge nicht nur den Geist zu Gott hinlenkt, sondern auch zur Enthaltsamkeit verhilft Es gab einen unter den Vätern, der aß (nur) zweimal in der Woche, und er sagte zu uns: An einem Tag, an dem ich mit jemandem spreche, ist es mir nicht möglich, die Regel des Fastens nach meiner Gewohnheit einzuhalten, sondern ich bin gezwungen, es (das Fasten) aufzugeben. Und wir begriffen, daß das Hüten der Zunge nicht nur den Geist zu Gott hinlenkt, sondern es verleiht auch den sichtbaren Werken, welche durch ein Tun zu verrichten sind, insgeheim eine gewaltige Stärke zu deren Verrichtung. Denn es erleuchtet im verborgenen Tun, wie die Väter gesagt haben, weil das Hüten des Mundes das Gewissen zu Gott hinlenkt, wenn jemand wissentlich das Schweigen übt. Dieser Heilige hatte große Gewöhnung darin, die Nacht im Wachen zuzubringen. | 150v Denn er sagte, daß er in jener Nacht, in der ich bis zum Morgen stehe, nach dem Singen (der Psalmen) ruhe. Nachdem ich aber vom Schlaf erwacht bin, fühle ich mich an jenem Tag wie ein Mensch, der sich nicht auf dieser Welt befindet, und irgendwelche irdische Gedanken steigen in meinem Herzen nicht auf, und ich brauche keine festgesetzten Regeln, sondern diesen ganzen Tag bin ich von Staunen erfüllt. An einem Tag aber wollte ich essen, nachdem ich an den vorangegangenen vier Tagen überhaupt nichts gegessen hatte. Und als ich zum Abenddienst aufstand, um dann zu essen, und im Hof meiner Zelle stand und noch viel Sonne da war, begann ich und bemerkte nur den ersten Lobpreis (slava) meines Dienstes, und von da an verblieb ich im Nichtbegreifen dessen, wo ich bin, und verblieb so, bis die Sonne zu Tagesbeginn wieder zu scheinen begann und mir das Gesicht wärmte. Und als die Sonne mich ganz stark bedrängte und mein Gesicht verbrannte, kehrte mein Geist zu mir zurück, und siehe, ich sah, daß es der andere Tag war, und ich dankte Gott dafür, in welchem Maße doch Seine Gnade über einen Menschen ausgegossen wird || 151r und wie sehr Er diejenigen der Herrlichkeit würdigt, die Ihn lieben. Also gebührt diesem Einen Ruhm und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Rede 32 (151r – 153v) Wodurch wird die geistige Nüchternheit im Innern der Seele bewahrt, und woher kommen Schlaf und Kälte in den Sinn und löschen dort die heilige 1
Slava: ein Drittel einer der 20 Kathismen des Psalmenbuches.
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Glut in der Seele und töten das Verlangen nach Gott ab, das vom Eifer für das Geistige und Himmlische kommt Wer Verlangen nach dem Guten hat, der wird auch nicht durch einen Widerstand davon abgehalten, dieses zu tun, es sei denn, der Arglistige fände einen bösen Grund (dagegen) denen einzugeben, die das Gute wollen. Denn die Sache verhält sich so: Jedem Gedanken an ein Trachten nach dem Guten folgt im Anfang dieser Regung ein Eifer, der in seiner Hitzigkeit brennender Kohle gleicht, und dieser pflegt gewöhnlich diesen Gedanken zu umhegen und jeglichen Widerstand und (jegliche) Behinderung und (jegliche) Abwehr desselben von einer Annäherung an diesen abzuhalten. Denn dieser Eifer besitzt große Kraft und unsägliche Stärke, um jederzeit eine Mauer um die Seele zu errichten | 151v wider die Schwäche oder die Furcht vor dem Ansturm aller möglichen Bedrängnisse. Und dieser Gedanke ist die erste Kraft jenes heiligen Verlangens, das in die Natur der Seele auf natürliche Weise eingepflanzt ist. Dieser Eifer aber ist der Gedanke, der von der zornigen Kraft (die) in ihr (steckt) bewegt wird, die von Gott zu unserem Nutzen in uns hineingelegt worden ist, um die Grenzen der Natur zu beachten, um den Gedanken unserer Freiheit durch die Erfüllung des in der Seele vorhandenen natürlichen Verlangens auszudrücken, welches die Tugend ist. Ohne ihn geschieht kein Gutes, und er wird Eifer genannt, denn er ist es, der den Menschen immer wieder bewegt, anspornt und entflammt und bestärkt, das Fleisch in der Bedrängnis und in schweren Versuchungen zu mißachten und seine Seele beständig für den Tod bereit zu halten und der rebellierenden Kraft zu begegnen, um das zu vollbringen, wofür die die Seele solch heftiges Verlangen empfangen hat. Ein bestimmter Mann in Christo nannte diesen Eifer mit seinen eigenen Worten einen Hund || 152r und einen Hüter des göttlichen Gesetzes, das heißt der Tugend, denn die Tugend wird das göttliche Gesetz genannt. Diese Kraft des Eifers aber wird auf zweifache Weise gestärkt und angeregt und zur Bewachung des Hauses entfacht, und wiederum auf zweierlei Weise zeigt sie ihre Schwäche und schlummert und ist kraftlos. Das heißt, zu Anregung und Entfachung (der Begeisterung) kommt es dann, wenn den Menschen in seinen Gedanken eine Angst befällt, die ihn um das Heil, das er erlangt hat oder zu erlangen trachtet, bangen läßt, daß es ihm nicht gestohlen werde, will sagen, daß es durch ein Geschehnis und dessen Folgen zunichte wird. Und dies wird durch die göttliche Vorsehung in Gang gesetzt, ich meine die Angst in allen, die sich wahrhaftig in der Tugend üben, damit Anregung und Eifer in der Seele gegenwärtig bleiben und sie nicht in Schlummer versinke. Wenn aber diese Angst sich in unserer Natur regt, dann wird der Eifer, den wir einen Hund nannten, Tag und Nacht wie ein brennender Herd entflammt und weckt die Natur, und gleich den
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Cherubim | 152v wacht er auf und achtet zu jeder Stunde auf das, was um ihn herum geschieht, und wie der (oben erwähnte) Mensch (in Christo) sagt, wenn ein Vogel an ihm vorüberkommt, gerät er in Bewegung und bellt vor äußerster und unsäglicher Erregung. Wenn (aber) diese Angst sich auf den Leib bezieht, dann ist sie des Satans, weil er (der Mensch) Zweifel in seinem Glauben an die göttliche Vorsehung bekam und vergessen hat, wie Gott sich sorgt und für diejenigen Vorsorge trifft, die um ihre Tugend bemüht sind, um ihnen jederzeit zu helfen, wie auch der Heilige Geist durch den Mund des Propheten gesagt hat: Die Augen des Herrn beachten die Gerechten und so fort [Ps 34,16], und wiederum – die Macht des Herrn (hilft) denen, die Ihn fürchten [Ps 25,14], und dieser (Prophet) hat gleichsam wie in Dessen Namen zu denen, die Ihn fürchten gesagt: Keine Übel werden zu dir kommen, und keine Wunde wird sich deinem Leib nähern [Ps 91,10]. Wenn sich die Furcht aber auf die Seele bezieht wegen irgendwelcher Ereignisse in Verbindung mit der Tugend und deren Folgen, daß sie nicht bestohlen werde und keinen Schaden nehme aus irgendwelchen Gründen, dann ist dies ein von Gott kommender Gedanke und eine gute Sorge, und dieser Kummer und die Trübsal gehen auf Gottes Vorsehung zurück. || 153r Und wiederum zeigt sich die zweite Form, das heißt die Stärke und der Eifer des Hundes, wenn das Verlangen nach der Tugend in der Seele gewaltig wächst. Und je stärker dieses Verlangen in der Seele wächst, um so mehr ereifert sich auch dieser Hund, das heißt das natürliche Verlangen nach Tugend. Der erste Grund für sein (des Hundes) Erkalten entsteht, wenn dieses Verlangen in der Seele abnimmt und endet. Der zweite Grund, wenn die Vorstellung von Vertrauen auf den (eigenen) Mut in der Seele Einzug hält und sich in ihr festsetzt und der Mensch hofft und denkt und meint, daß er nichts, was ihm schaden könne, zu fürchten brauche, und er deshalb die Waffe des Eifers ablegt. Dann wird er zu einem unbewachten Haus, und der Hund schläft und verläßt für lange Zeit seinen Wachposten. Durch solche Gedanken werden die meisten der gedanklichen Häuser bestohlen, und das geschieht, wenn sich das Reine der Leuchtkraft jenes heiligen Wissens in der Seele verdunkelt. Und woher kommt dieses Verdunkeln? Wenn sich ein ganz feiner Gedanke | 153v des Stolzes in die Seele schleicht und dort einnistet, oder wenn ein Mensch sich zu sehr um die Sorge für die vergänglichen Dinge oder die häufige Begegnung mit der auf ihn zukommenden Welt gekümmert hat, oder es kommt vom Bauche, dem Herrn allen Übels. Denn stets, wenn ein Asket der Welt begegnet, wird seine Seele sogleich von Schwäche befallen. Ebenso verhält es sich bei der Begegnung mit vielen (Menschen), die notgedrungen durch den Ruhm (seines Anblicks) seine Seele zerstören. Und um es, wenn nötig, kurz zu sagen: Der Verstand gleicht einem (Menschen), der beraubt werden
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soll, wenn er der Welt begegnet. Er ist wie ein Steuermann, der ruhig über das Meer fährt und plötzlich zwischen die Klippen gerät und untergeht. Rede 33 (153v – 154v) Über viele Veränderungen, die dem Geist folgen und durch das Gebet geprüft werden Dem guten Wollen den Vorzug zu geben liegt bei demjenigen, der dies will, aber das gute Wollen zum Abschluß zu bringen, hängt vom Willen Gottes ab, und der Mensch braucht Seine Unterstützung. Deshalb werden wir dem guten Verlangen in uns auch häufige Gebete || 154r folgen lassen und erbitten nicht nur Unterstützung, sondern auch, daß Er darin einen Unterschied mache, ob dies zum Befolgen Seines Willens dient oder nicht. Denn nicht jedes gute Verlangen kommt von Gott in das Herz, sondern jenes, das nützlich ist. Denn es geschieht, daß, wenn ein Mensch das Gute wünscht, Gott ihm nicht hilft, weil ein solcher Wunsch auch vom Teufel kommen kann, und man meint, er sei hilfreich. Und oftmals ist es ihm (dem Wünschenden) nicht angemessen. Dieser Teufel ist tückisch bemüht, ihm zu schaden, und nötigt den Menschen, nach diesem zu trachten, auch wenn er noch nicht die entsprechende Lebensform erreicht hat oder (dieses Trachten) seiner Lebensweise fremd ist oder die Zeit (noch) nicht gekommen ist, in der er dies erfüllen oder darin vorankommen kann, oder er ist zu dieser Sache nicht fähig, sei es in seinem Wissen oder körperlich oder weil die Zeit uns nicht zu Hilfe kommt. Und auf jegliche Weise verwirrt er (der Teufel) ihn gleichsam unter der Gestalt jenes Guten, oder er schadet seinem Leib oder er verbirgt einen Fallstrick in seinem Sinn. Doch wie ich gesagt habe: Laßt uns häufig mit Eifer in dem guten Wollen beten, | 154v das es in uns gibt, und laßt einen jeden von uns sagen: Dein Wille geschehe, bis ich das gute Werk beende, das ich vollbringen wollte, sofern es Deinem Willen gefällt. Denn dies zu wollen tut mir gut. Dies zu tun ohne die Gnade, die von Dir kommt, vermag ich nicht, auch wenn beide von Dir kommen – das Wollen und das Tun [Phil 2,13], doch ohne Deine Gnade dieses Verlangen, das sich in mir regte, anzunehmen, hätte ich nicht gewagt oder mich davor gefürchtet. Denn dies ist derjenige, der das Gute will mit der Unterscheidung des Geistes gewöhnt: zu handeln im Gebet zur Hilfe beim Tun desselben und die Weisheit zu gebrauchen, die die Wahrheit vom Schimpflichen unterscheidet. Denn in vielen Gebeten und im Tun (des Guten) und in der Wachsamkeit und dem unaufhörlichen Wollen (des Guten) wird unter vielen Tränen das Gute erkannt, in Demut und mit himmlischer Unterstützung, vor allem aber, wenn er (der Mensch) die entgegenwirkenden Gedanken des Stolzes hat,
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weil diese uns die Hilfe Gottes verwehren. Entkräften wir sie durch das Gebet. || 155r Rede 34 (155r – 157r) Über diejenigen, welche in der Nähe Gottes leben und in einem Leben des Wissens ihre Tage verbringen Ein altehrwürdiger Mönch hatte an die Wände seiner Zelle verschiedene Sprüche und Gedanken geschrieben, und als er gefragt wurde, was dies bedeute, sagte er: Dies sind Gedanken der Gerechtigkeit, die zu mir von dem Engel kamen, der mich behütet, und es sind Überlegungen, die in mir durch die wahre Natur angeregt werden, und ich schrieb sie zu der Zeit auf, wenn sie mir kommen, damit ich sie zu Zeiten meiner Verblendung bedenke und sie mich vor Verwirrungen retten. Ein anderer altehrwürdiger Mönch wurde wegen seiner eigenen Überlegungen als selig gepriesen, da er anstelle der vergänglichen Welt der unvergänglichen Hoffnung gewürdigt worden sei. Der alte Mönch antwortete: Solange ich auf dem Wege bin, preist ihr mich vergebens, denn ich habe den Weg noch nicht vollendet. Wenn du dich in einer guten Tat übst und nicht den Genuß ihrer Hilfe verspürst, dann wundere dich nicht. Denn solange der Mensch nicht demütig wird, wird er nicht den Lohn für sein Handeln empfangen. Der Lohn aber wird nicht für das Handeln gegeben, sondern für die Demut, und derjenige, welcher die Letzteren betrügt, | 155v verliert den (Lohn) für das Erstere. Wer zuvorkam und den Lohn für gute Taten empfangen hat, hat den Vorrang vor dem, der die Tugend (erst) ausübt. Die Tugend ist die Mutter des Kummers, und der Kummer gebiert die Demut, und der Demut wird Segen zuteil. Also ist der Lohn weder für die Tugend noch die Mühe um ihretwillen bestimmt, sondern für die Demut, die durch diese erzeugt wird. Wenn aber diese (Demut) verlorengeht, waren auch die Ersteren (die Tugend und die Mühen) vergebens. Tugendhaftes Verhalten ist das Beachten der Gebote des Herrn. Reichliches Üben (der Tugend) ist eine gute Geisteshaltung, die auf der Demut und der Beachtung (der Gebote) beruht. Wenn die Kraft der Ersteren (Gebote) erlahmt, wird diese (Demut) an ihrer Statt genommen. Denn Christus verlangt nicht das Einhalten der Gebote, sondern die Bekehrung der Seele. Deshalb hat er Gebote aufgestellt. Denn der Leib handelt gleichmäßig zur Rechten und zur Linken, der Sinn aber wie er will, entweder wird er gerechtfertigt oder er sündigt. Der eine führt sein Leben in linken Sachen durch die Weisheit Gottes, || 156r und der andere betreibt Handel in Sünde unter dem Anschein von etwas Gottgefälligem. Mängel sind bei einigen, die sich zu bewahren versuchen, Hüter der Rechtschaffenheit. Eine Gabe ohne Prüfungen bedeutet das Verderben für den Empfangenden. Wenn du Gutes
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vor Gott tust und Er verleiht dir eine Gabe, dann bitte Ihn, daß Er dir das Wissen gebe, wie es dir (wohl) ansteht, demütig zu sein oder dir einen Hüter hierüber zu geben, oder sie (die Gabe) dir wegzunehmen, damit sie dir nicht zum Mittler für deinen Untergang werde. Denn nicht allen ist es gegeben, einen Reichtum zu bewahren, ohne Schaden zu nehmen. Die Seele, welche die Sorge um die Tugend auf sich genommen hat und wachsam in der Furcht Gottes lebt, kann keinen Tag ohne Kümmernis sein, weil die Tugenden und die Kümmernisse ineinander verflochten sind. Wer den Bedrängnissen zu entgehen versucht, trennt sich zweifellos gänzlich von der Tugend. Verlangst du nach Tugend, dann überlasse dich jeglichem Kummer. Denn die Kümmernisse erzeugen Demut. Gott will nicht, daß die Seele ohne Obhut sei. | 156v Und wer ohne Obhut sein will, der befindet sich mit seinem Denken außerhalb des göttlichen Willens. Wir reden aber nicht von der Obhut der Belange des Leibes, sondern von der Unterdrückung der folgenden guten Taten. Denn solange wir nicht das wahre Wissen erlangt haben, das die Offenbarung der Geheimnisse ist, nähern wir uns durch Prüfungen der Demut. Wer sich ohne Drangsal im Zustand der Tugend befindet, dem ist die Tür zum Hochmut aufgetan. Wer kann also in seinem Denken wünschen, ohne Kummer zu sein? Der Geist kann nicht ohne Anlaß für Kränkungen in Demut verharren und auch nicht ohne weise Demut sich in das reine Gebet vertiefen. Denn zuerst entfernt sich der Mensch in seinem Denken von der gebührenden Sorge, und dann nähert sich ihm der Geist des Hochmuts. Und bleibt er beim Menschen, dann entfernt sich der Engel der Vorsehung von ihm, der nahe bei ihm ist und in ihm || 157r die Sorge um die Rechtschaffenheit weckt. Und wenn er (der Mensch) diesen (Engel) kränkt, und er entfernt sich von ihm, dann nähert sich ihm (dem Menschen) der Fremde (Dämon), und von da an gibt es in ihm keinen einzigen Gedanken der Sorge um die Gerechtigkeit. Hochmut kommt vor dem Fall [Spr 16,18], sagt der Weise, und vor der Gnade kommt die Demut. Nach dem Maße des Hochmuts, der in der Seele sichtbar wird, ist auch das Maß des Falles durch die Strafe, die ihr von Gott geschickt wird. (Mit) Hochmut ist nicht (gemeint), wenn der Gedanke an diesen durch den Sinn geht, auch nicht, wenn jemand für eine Weile von diesem überwältigt wird, sondern jener (Hochmut), der im Menschen (dauerhaft) bleibt. Denn jenem Ersteren folgt die Reue. Dieser aber, wenn er (der Mensch) Gefallen an ihm findet, kennt keine Reue. Gott sei Ruhm und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
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Rede 35 (157r – 159v) Ein überaus nützliches Wort über die Liebe zur Welt Wahr ist das Wort des Herrn, welches besagt, daß jemand, der die Welt liebt, weder die Liebe zu Gott erlangen kann, noch daß er, indem er sich auf die Welt einläßt, sich auf Gott einlassen kann, noch daß er bei dem Bemühen um sie, sich um Gott bemühen kann. Sobald wir das, was Gott betrifft, | 157v aus Eitelkeit verlassen oder oftmals wegen eines Mangels in den Bedürfnissen des Leibes, wenden sich viele, die sich dazu bekannt hatten, für das himmlische Reich zu arbeiten, unter uns ab in eine andere Richtung, und sie gedenken nicht der Zusage des Herrn, die da lautet: Wenn alle eure Sorge dem himmlischen Reich gilt, werde Ich euch nicht das, dessen die sichtbare Natur bedarf, vorenthalten, sondern euch wird alles mit dem Übrigen zukommen, denn Ich werde euch nicht der Sorge für sie überlassen [vgl. Mt 6,25-34]. Um die Vögel, die keine Seele haben und um unseretwillen geschaffen sind, kümmert Er sich, und uns sollte Er vernachlässigen? Keineswegs. Wer sich um das Geistige sorgt oder um etwas, was dazu gehört, dem wird das, dessen der Leib bedarf, gegeben, ohne sich darum zu sorgen, je nach der Notwendigkeit und der Zeit. Wer sich aber über das Notwendige hinaus um das Leibliche sorgt, der wird unwillkürlich auch von Gott abfallen. Sind wir aber bestrebt, uns um dieses (Geistige) um des Namens des Herrn willen zu bemühen, dann wird Er sich um beides (das Geistige und das Leibliche) nach dem Maße unseres Handelns sorgen. Wir sollten jedoch nicht die Prüfung des Herrn in leiblichen Dingen verlangen anstelle der Werke unserer Seele, sondern alle unsere Werke auf die zukünftige Hoffnung || 158r ausrichten. Wer sich einmal aus der Sehnsucht seiner Seele der Tugend überantwortet hat in dem Wunsch, ihr Handeln zu vervollkommnen, der sorgt sich nicht mehr um das Leibliche, ob es da sei oder nicht. Darum läßt Er oftmals bei den Tugendhaften zu, daß sie in derlei Dingen geprüft werden, und von überall her läßt Er zu, daß ihnen Versuchung widerfahre. Er verletzt sie an ihrem Leibe wie bei Hiob und versetzt sie in Armut und (bringt sie) dahin, von den Menschen verlassen zu werden, und schlägt sie in dem, was sie besitzen, außer daß sich (k)ein Schaden ihren Seelen nähere. Denn es kann nicht sein, daß wir, auf dem Weg der Wahrheit schreitend, nicht Leid begegnen und der Leib an Gebrechen und Krankheiten nicht leiden und unverändert bleiben sollte, wenn wir nur in Tugendhaftigkeit zu leben begehren. Der Mensch aber, der in seinem Begehren verharrt, sei es in Mißgunst oder im Verderben seiner Seele oder in etwas anderem, das ihm schadet, erfährt die Verdammnis. Begibt er sich aber auf den Weg der Wahrheit | 158v und lenkt seinen Gang zu Gott und hat viele (Gefährten)
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gleich ihm und ihm widerfährt etwas von diesen Dingen (dem aufgeführten Unheil), braucht er sich nicht davon (von seinem Weg) abzuwenden, sondern soll es voll Freude ohne zu fragen annehmen und Gott dafür danken, daß Er ihm diese Gnade erwiesen hat und er gewürdigt worden ist, um Seinetwillen in Versuchung zu geraten und Leidensgefährte der Propheten und Apostel und anderen Heiligen zu werden, die um dieses Weges willen Bedrängnisse ertrugen. Ob sie von den Menschen kommen oder von den Dämonen oder vom Leibe – daß sie ihm ohne Billigung Gottes widerfahren oder zugelassen werden ist nicht möglich –, möge es ihm zur Ursache für Rechtschaffenheit werden. Denn es ist Gott nicht anders möglich als denjenigen, der mit Ihm zu sein verlangt, tugendhaft handeln zu lassen, wenn Er ihm nicht Prüfungen um der Wahrheit willen schickt. Denn es ist ihm (dem Menschen) nicht möglich, sich solcher Größe würdig machen zu können, für diese göttlichen Dinge Versuchungen auf sich zu nehmen und Freude zu empfinden ohne (entsprechende) Gnaden durch Christus, denn so bezeugt es der heilige Paulus. So groß ist diese Sache, || 159r daß sie offen als eine Gabe bezeichnet wird, wenn jemand sich bereit macht, um der Hoffnung auf Gott willen zu leiden. Denn er sagt: Dies ist uns von Gott gegeben, daß wir nicht nur an Christus glauben, sondern auch Seinetwegen leiden [Phil 1,29]. Und wie denn auch der heilige Petrus in seinem Brief schreibt: Wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leidet, seid ihr selig [1 Petr 3,14], weil ihr Gefährten der Leiden Christi wurdet [Phil 3,10]. Im übrigen geziemt es sich dir nicht, dich zu freuen, wenn du frei (von Bedrängnissen) bist, bei Bedrängnissen aber ein betrübtes Antlitz zu zeigen und diese für etwas dem Wege Gottes Fremdes zu halten. Seit jeher und seit Geschlechtern führt Sein Pfad durch Kreuz und Tod. Woher kommt das für dich? Damit du lernst, daß du dich abseits vom Wege Gottes befindest und dich Ihm entziehst. Willst du nicht auf der Spur der Heiligen gehen, oder willst du dir einen eigenen besonderen Weg einrichten und ihn ohne Leiden wandeln? Der Weg zu Gott ist das alltägliche Kreuz. Niemand ist auf erholsame Weise in den Himmel gelangt, denn dies ist der Weg, von dem man weiß, | 159v wo er endet. Wer sich von ganzem Herzen Gott überantwortet hat, von dem will Gott keinesfalls, daß er frei von Sorge sei, sondern daß er sich nämlich um die Wahrheit sorgen muß. Doch versteht sich von daher, daß er unter Gottes Vorsehung steht, wenn Er ihm ständige Drangsale schickt. Diejenigen, welche der Prüfung unterworfen sind, werden niemals von der Vorsehung den Händen der Dämonen überlassen, und mehr noch, wenn sie die Füße der Brüder küssen und deren Vergehen decken und verbergen als wären es ihre eigenen. Wer in dieser Welt ohne Kummer sein will und mit diesem Wunsch tugendhaft zu wandeln gedenkt, der ist fern von diesem Weg. Die Gerechten aber gehen
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nicht nur aus eigenem Willen in guten Werken voran, sondern sie stehen auch durch die Versuchungen unwillkürlich in einem erhabenen Kampf zur Prüfung ihrer Beharrlichkeit. Die Seele, die die Furcht Gottes hat, fürchtet nichts, was ihr körperlich schadet, denn sie hofft auf Ihn von nun an und in alle Ewigkeit. Amen. Rede 36 (159v – 162v) Darüber, daß man nicht ohne Not wünschen oder verlangen soll, einige sichtbare Zeichen in Händen zu haben || 160r Immer, wenn der Herr zum Schutz Seinen Heiligen nahe ist, zeigt Er nicht ohne Not in irgendeiner Sache offen Seine Kraft und in einem sinnlich wahrnehmbaren Zeichen, damit unser Schutz nicht dahinschwindet und uns ein Schaden geschieht. So läßt Er den Heiligen Seine Fürsorge angedeihen und will diesen, indem Er so handelt, zeigen, daß Er keine Stunde Seine heimliche Fürsorge für sie abnehmen läßt, doch läßt Er sie in jeder Sache gemäß ihrer Kraft ihre eigene Anstrengung zeigen und sich im Gebet bemühen. Wenn sie aber von einer Sache wegen ihrer Schwierigkeit besiegt werden, wenn ihre Kraft nicht reicht, und sie von ihr aufgegeben werden, weil sie aufgrund ihrer Natur ihr nicht gewachsen sind, dann vollbringt Er sie durch die Größe Seiner Stärke. Und da Er weiß, wie ihnen geholfen werden muß, stärkt Er sie insgeheim, so sehr dies möglich ist, bis sie Kraft gegen ihre Bedrängnisse erlangt haben. In der Erkenntnis aber, die sie durch Ihn erhalten haben, bewirkt Er, daß das dichte Geflecht | 160v ihrer Bedrängnisse sich löst, und in der Betrachtung dessen erweckt Er in ihnen den Lobpreis (Gottes), der nach beiden Seiten wirksam ist. Wenn aber eine Sache erfordert, daß das Wirken (Gottes) offenbar wird, dann tut Er dies der Notwendigkeit entsprechend. Überaus weise sind Seine Wege, hinreichend sowohl bei Mangel wie auch bei Not(wendigkeit), aber nicht, wie es sich (gerade) ergibt. Wer ohne Not darnach verlangt oder Gott bittet und wünscht, daß seine Hände über Wunder und Kräfte verfügten, der findet sich in seinem Sinnen vom Verhöhner, vom Satan versucht und rühmt sich und ist ohnmächtig in seinem Gewissen. Denn in der Bedrängnis Gottes Hilfe zu erbitten ist angemessen, doch ohne Not Gott zu versuchen ist von Übel. Und wer dieses will, ist nicht wahrhaft rechtschaffen. Das aber, was der Herr tut, ohne daß er (der Mensch) es will, wird von vielen Heiligen klar erkannt. Wer dies aber will und in seinem Wollen dieses ohne Not wünscht, der fällt aus Seiner Hut und wendet sich ab von der Erkenntnis der Wahrheit. Wird aber der Bittende in dieser Sache gehört, wie er sich kühn an Gott wendet, dann findet || 161r der Arglistige einen Platz in ihm, und er führt ihn in mehr noch als dieses (Erbetene). Die wahrhaft Rechtschaffenen wollen dies nicht
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nur nicht, sondern sie wenden sich davon ab, wenn es ihnen gegeben wird. Und nicht nur vor den Augen der Menschen wollen sie dies nicht, sondern auch heimlich bei sich selbst. Siehe, so hatte einer von den heiligen Vätern wegen seiner Reinheit die Gabe der Voraussicht empfangen, (nämlich) die zu ihm kommen würden vorher zu sehen. Und er erbat von Gott, wobei auch die anderen Heiligen mitbeteten, die dazu von dem alten Mönch gebeten worden waren, daß diese Gabe von ihm genommen werde. Wenn aber einige von ihnen (solche) Gaben annahmen, so empfingen sie diese notgedrungen oder wegen ihrer Einfalt. Bei anderen war es der Wink Gottes, der sich in ihnen regte, aber keinesfalls (war es so), als ob es sich so (aus Zufall) ergeben habe. Als jener Selige, der heilige Ammon, ging, um den heiligen Antonios zu begrüßen, und sich auf dem Wege verirrte, siehe, was er zu Gott sprach und wiederum was Gott mit ihm tat. Und denke an Vater Makarios und die übrigen (heiligen Männer). Die wahrhaften Gerechten denken stets bei sich, daß sie unwürdig sind vor Gott | 161v. Und darin, daß sie wahrhaft (so) sind, werden sie dadurch überprüft, daß sie sich selbst für Elende halten und Seiner Fürsorge nicht würdig seien. Dies bekennen sie heimlich und öffentlich. Und so werden sie durch den Heiligen Geist dazu gebracht, damit sie der ihnen gebührenden Fürsorge nicht verlustig gehen und wie sie zu handeln haben, solange sie in diesem Leben stehen. Die Zeit der Ruhe wird Er (für sie) in der zukünftigen Welt vorsehen. Die den lebendigen Herrn in sich tragen, wollen deshalb nicht in Ruhe leben und den Bedrängnissen entgehen, und Trost wird ihnen zu gegebener Zeit heimlich im Geistigen gewährt. Das ist keine Tugend, wenn der Mensch, sobald er dies erreicht hat, die Bemühung um sie und die Anstrengung dafür aufgibt. Dies bedeutet vielmehr, daß der Geist (in ihm) Wohnung genommen hat, so daß er sich ständig unterordnen muß. Auch wenn es eine Weise gäbe, etwas in Ruhe zu tun, so ist es der Wille des (Heiligen) Geistes, daß diejenigen, in denen Er lebendig ist, nicht durch Trägheit vorankämen, und Er überzeugt sie nicht, Ruhe zu suchen, vielmehr sollen sie sich noch mehr mühen und sich noch größeren Bedrängnissen ausliefern. In der Prüfung aber stärkt Er sie und bewirkt, daß sie der Weisheit näherkommen. || 162r Dies ist der Wille des (Heiligen) Geistes, daß diejenigen, die Er liebt, in Mühsalen ausharren. Nicht der Geist Gottes lebt in denen, die in Ruhe dahinleben, sondern der des Teufels. So wie einer von denen, die Gott lieben, sagte: Ich habe geschworen, daß ich jeden Tag sterbe. Darin unterscheiden sich die Söhne Gottes von den übrigen (Menschen), daß sie unter Bedrängnissen leben, die Welt aber erstrahlt in Wohlbehagen und Ruhe. Denn Gott will nicht, daß diejenigen, die Er liebt, der Ruhe pflegen, solange sie in ihrem Leibe sind, vielmehr hat Er gewollt, daß sie, solange sie in der Welt sind, voller Kum-
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mer und beladen seien, in Bedrängnissen, Entbehrungen, in Einsamkeit und Mangel am Nötigen, in Krankheit und Erniedrigung, unter Beleidigungen und zerknirschten Herzens, in einem gebrochenen Leib, abgelehnt von den Verwandten, in trüben Gedanken, mit verändertem Aussehen im Vergleich zu allen Geschöpfen, an einem Aufenthaltsort, der nicht dem der Menschen gleicht, in mönchischer Wohnstatt mit Schweigen, dem Anblick der Menschen entzogen und abgewandt von jeglichem, was (die Menschen) hier erfreut. Sie weinen, aber die Welt lacht. Diese trauern, aber die Welt ist heiter. Diese fasten, | 162v aber die Welt lebt dem Genuß. Am Tage mühen sie sich ab, und in der Nacht spornen sie sich an zum Kampf in Enge und Beschwernissen. Einige aber (tun dies) in freiwilligen Bedrängnissen und andere unter den Beschwernissen ihrer Leidenschaften, (wieder) andere werden von den Menschen verfolgt, und andere (leiden) unter den Nöten ihrer Leidenschaften durch Dämonen und sonstige (Kräfte), und die einen unter ihnen wurden vertrieben, andere getötet, und (wieder) andere gingen in Schaffellen umher [Hebr 11,37] und anderem (Gewand). Und das Wort Gottes erfüllte sich an ihnen, das da sagt: In der Welt erfahrt ihr Bedrängnisse, doch in mir möget ihr getrost sein [Joh 16,33]. Der Herr weiß, daß nicht in Seiner Liebe sein kann, wer in leiblicher Ruhe lebt. Und deshalb hat Christus, unser Retter, Dessen Liebe den Tod des Leibes überwindet, ihnen Ruhe verwehrt und deren Wonne. Er möge uns die Kraft Seiner Liebe offenbaren. Amen. Rede 37 (162v – 164v) Aus welchem Grunde Gott Prüfungen derjenigen zuläßt, die Ihn lieben Durch die Liebe, die die Heiligen Gott entgegenbrachten, und durch das, worin sie um Seines Namens willen leiden, wenn Er sie einengt und sich nicht von den von Ihm Geliebten zurückzieht, || 163r erlangt ihr Herz Kühnheit, offen zu Ihm aufzublicken und voller Hoffnung zu Ihm zu beten. Groß ist die Kraft des unbefangenen Gebets. Deshalb läßt Gott auch Seine Heiligen in jeglicher Drangsal prüfen und wiederum die Prüfung und Erfahrung Seines Eintretens (für sie) erlangen und wie groß Seine Vorsehung für sie ist, wie sie durch die Prüfungen Weisheit erreichen, damit sie nicht als unwissend Gebliebene die Übung in beiden Teilen verlören und damit sie durch Erfahrung Erkenntnis von allem erhielten und nicht von den Dämonen verspottet würden. Denn wenn Er sie (nur) im Guten übte, würden sie im anderen nicht hinreichend geübt sein und wären Blinde im Kampf. Und wenn wir sagen, Er möge sie ohne Verständnis dieser (Prüfungen) belehren, dann sagen wir (damit), Er wolle sie wie Ochsen und Esel sein lassen, die keine Freiheit (der Entscheidung) in etwas haben. So wie der Mensch keinen
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Genuß im Guten kennt, wenn er nicht zuvor in der Erfahrung des Bösen geprüft worden ist, sodaß, wenn ihm Gutes begegnet, er dieses mit Bedacht und in Freiheit als sein Eigenes annehmen kann. | 163v Wie kostbar das Wissen ist und das, was wir durch Prüfung unserer Werke und Übungen empfangen, und wieviel Kraft demjenigen zuteil wird, der dies durch seine reiche Erfahrung in sich selbst gefunden hat, wird von denjenigen begriffen, die sich (davon) überzeugt haben und seine Wirkung kennen. Wie sie denn die Schwäche ihrer Natur und die Hilfe der Kraft Gottes dann begreifen, wenn Er zunächst Seine Kraft ihnen verwehrt und sie die Schwächen der Natur hat fühlen lassen und die wütende Kraft der Versuchungen und die Tücke der Feinde und gegen welchen Gegner sie antreten und in welche Natur sie gekleidet sind und wie behütet sie durch die Kraft Gottes sind, und wie weit sie gegangen sind, und wie sehr sie sich unter ihr erhoben, und wie sie, wenn die Kraft Gottes von ihnen weicht, schwach werden gegenüber jeglicher Leidenschaft. Und durch dies alles erlangen sie Demut und kommen Gott näher und erwarten Seine Hilfe und verharren im Gebet. Und woher sie dies alles empfingen – sie nahmen es nur als Erfahrung aus vielen Übeln || 164r an, in die sie mit Billigung Gottes geraten waren, wie der Apostel sagt: Damit ich mich nicht wegen der überreichen Fülle an Offenbarungen überhebe, wurde mir ein Peiniger des Fleisches gegeben, ein Engel des Satans [2 Kor 12,7]. Einen festen Glauben erlangt aber auch, wer durch Prüfungen oftmals in der Versuchung die Hilfe Gottes erhalten hat. Von daher ist er furchtlos und erlangt Mut in den Prüfungen durch die Übung, die er (darin) gewonnen hat. Für jeden Menschen ist die Prüfung nützlich. Wenn aber die Prüfung für Paulus nützlich war, dann wird jeder Mund versperrt, und die ganze Welt wird schuldig vor Gott [Röm 3,19]. Die Eiferer für den Glauben werden geprüft, damit sie ihren Reichtum vermehren, die Schwachen, damit sie sich vor Schaden bewahren, und die Schlafenden, damit sie sich zum Erwachen bereiten, und die Fernstehenden, damit sie Gott näherkommen, die (Ihm) angehören, damit sie unbefangen frohlocken. Kein unerfahrener Sohn erhält Reichtum aus dem Hause des Vaters, um davon Hilfe zu erlangen. | 164v Deshalb prüft Gott zuerst und peinigt, dann zeigt Er (Seine) Gabe. Ruhm sei dem Herrscher, der uns mit kräftigen Arzneien die Wonne unserer Gesundheit bringt. Es gibt niemanden, der sich während der Übung nicht abmühen müßte, und es gibt niemanden, dem die Zeit nicht bitter wäre, in der er das Gift der Prüfungen trinken muß, wobei sich zeigt, daß ohne diese eine feste Ausgewogenheit nicht zu erlangen ist, und sie zu ertragen steht nicht in unserer Macht. Woher sollte ein Tontopf aus Lehm die Bewegung des Wassers aushalten, wenn nicht das Feuer von Gott ihn festigen würde. Wenn wir uns in Demut und unentwegtem Verlan-
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gen bittend in geduldigem Ertragen unterwerfen, werden wir alles erhalten durch Christus Jesus unseren Herrn. Amen. Rede 38 (164v – 169r) Darüber, wie man durch die Gedanken, die einen Menschen bewegen, erkennen kann, auf welcher Stufe (der Annäherung an Gott) er steht Solange der Mensch unbekümmert dahinlebt, fürchtet er sich vor der Todesstunde. Wenn er sich aber Gott nähert, fürchtet er sich vor der Begegnung mit dem Gericht. Wenn er aber schließlich ganz nach vorn (zur Begegnung mit Gott) gelangt sein wird, || 165r werden diese beiden durch die Liebe aufgezehrt. Wie geschieht dieses? Weil man sich, wenn man in seiner Erkenntnis und in seinem Leben im Körperlichen verbleibt, vor dem Tod fürchtet. Und wenn man sich in seiner geistigen Erkenntnis und in einer guten Lebensführung übt, bewegt sich das Denken allzeit eingedenk des kommenden Gerichts, weil man sich wahrhaft seiner Natur entsprechend verhält und auf geistiger Ebene bewegt und in seiner Erkenntnis und Lebensführung gut auf das Näherkommen zu Gott ausrichtet. Wenn man aber jene Erkenntnis der Wahrheit durch das Erwachen des Gespürs für die göttlichen Geheimnisse und durch die Bekräftigung der Hoffnung auf die künftigen Dinge erlangt, wird auch jener körperliche Mensch, der sich gleich dem Tier, das sich vor der Schlachtbank fürchtet, als Vernunftbegabter vor dem göttlichen Gericht fürchtet, in der Liebe aufgesogen. Wer aber ein Sohn geworden ist, der wird von der Liebe geziert und nicht durch den drohenden Stock gestraft. Ich aber und das Haus meines Vaters – wir wollen dem Herrn dienen [Jos 24,15]. Wer zur Liebe Gottes gelangt ist, der möchte nicht wieder hier sein (zum vorherigen Zustand zurückkehren). | 165v Denn die Liebe hebt die Furcht auf [1 Joh 4,18]. Geliebte (Brüder), weil ich ein Tor war, vermag ich es nicht, ein Geheimnis schweigend zu bewahren, sondern ich bin um des Nutzens meiner Brüder willen unvernünftig. Denn das ist die wahre Liebe, die nichts vor denen, die sie liebt, geheimhalten kann. Oftmals, während ich dies schrieb, hielten meine Finger auf dem Pergament inne, und ich kam nicht gegen die Wonne an, die mein Herz überfiel und meine Sinne zum Schweigen brachte. Doch selig ist, wessen Trachten stetig auf Gott ausgerichtet ist und wer sich von allem Weltlichen ferngehalten hat und im Gespräch (auf der Grundlage) seiner Erkenntnis nur auf Ihn ausgerichtet war. Und wenn er sich in Geduld übt, wird er nicht lange ausharren, um die Frucht zu genießen. Die Freude über Gott ist stärker als das hiesige Leben, und wer sie entdeckt hat, achtet nicht nur nicht länger auf die Leidenschaften, sondern er kümmert sich auch weder um sein Leben noch gibt es dort noch ein anderes Gefühl, sofern es wahrhaftig dieses gegeben hat. Die Liebe
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ist köstlicher als das Leben, und köstlicher als Honig und Honigwaben ist das Erkennen Gottes, || 166r aus dem die(se) Liebe entspringt. Für die Liebe bedeutet es keinen Kummer, den gewaltigen Tod für die, die da lieben, anzunehmen. Die Liebe ist die Frucht der Erkenntnis, und die Erkenntnis ist die Frucht der Gesundheit der Seele. Die Gesundheit der Seele ist die Kraft, die aus langer Geduld gekommen ist. Frage: Was ist Erkenntnis? Antwort: Das Erspüren des unsterblichen Lebens. Frage: Und was ist das unsterbliche Leben? Antwort: Das Gespür für Gott, denn von der Erkenntnis kommt die Liebe; die Erkenntnis Gottes aber ist der König aller Wünsche, und für das Herz, das dies empfangen hat, ist jede irdische Köstlichkeit überflüssig. Denn nichts ist der Wonne der Erkenntnis Gottes vergleichbar. Erfülle, o Herr, mein Herz mit ewigem Leben. Das ewige Leben ist Trost und Freude in Gott. Und wer den Trost und die Freude in Gott gefunden hat, der hält die weltliche (Freude) für unnötig. Frage: Woher spürt ein Mensch, daß er die Weisheit des (Heiligen) Geistes empfangen hat? Antwort: Von jener (Weisheit selbst), die ihn insgeheim und in seinem Inneren die Formen der Demut lehrt, und es wird ihm in seinem Denken offenbar werden, wie man Demut erlangt. Frage: | 166v Woher spürt jemand, daß er diese erlangt hat? Antwort: Sie (die Formen der Demut) bewirken, daß ihm verwerflich dünkt, der Welt in seinem Umgang oder seiner Rede gefallen zu wollen, und daß ihm in seinen Augen der Ruhm dieser Welt verhaßt ist. Frage: Und was sind die Leidenschaften? Antwort: Sie sind die Verlockungen, die in den Dingen dieser Welt angelegt sind und den Leib zum unbedingten Verlangen nach ihnen drängen und nicht aufhören werden, ihm zuzusetzen, solange diese Welt besteht. Der Mensch aber, der der göttlichen Gnade gewürdigt worden ist und etwas, das diese übersteigt, gekostet und gespürt hat, läßt nicht zu, daß diese in sein Herz eindringen, weil anstelle der Verlockungen ein anderes Verlangen, das besser als jene ist, sich (in ihm) festgesetzt hat. Und weder diese selbst, noch das, was von ihnen entfacht worden ist, nähert sich seinem Herzen, sondern sie bleiben müßig draußen, nicht weil die Verlockungen der Leidenschaften nicht mehr existierten, sondern weil das Herz, das sie empfängt, tot für diese ist und in etwas anderem lebt; nicht weil er abgelassen hätte von der Wachsamkeit seines Urteilsvermögens und seines Tuns, sondern weil es in seinem Sinn keine Verwirrung (mehr) durch irgendetwas gibt. Denn sein Gewissen ist von einer anderen Wonne gesättigt. Ein Herz, das ein wachsames Gespür für die geistigen Dinge || 167r und die Vision der künftigen Zeit empfangen hat, verhält sich in seinem Bewußtsein im Hinblick auf die Erinnerung an die Leidenschaften ebenso wie ein Mensch, der, gesättigt mit köstlicher Speise, sich gegenüber anderer nicht ebensolcher ihm vorgesetzter Kost verhalten wird und die er überhaupt we-
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der wahrnimmt noch nach ihr verlangt, vielmehr ekelt er sich vor ihr und weist sie von sich, nicht nur, weil sie ekelhaft wäre und ihm verhaßt, sondern auch wegen der Sättigung durch die erstere, die gute Nahrung, mit der er sich genährt hatte, (nicht1) wie einer, der sein Teil verschwendet hat und nach den Schoten2 verlangt, weil er zuvor den väterlichen Reichtum verschleuderte. Und wiederum geschieht es nicht, daß jemand, dem ein Schatz anvertraut wurde, schläft. Wenn wir aber das Gebot der Nüchternheit beachten und das Werk der Unterscheidung mit Verstand im Sinne haben, deren Frucht das (ewige) Leben ist, so wird der Kampf gegen die Verlockungen der Leidenschaften dem Sinn überhaupt nicht zu nahe kommen. Denn nicht durch Kampf wird ihnen verwehrt, in das Herz einzudringen, sondern durch die Sättigung des Bewußtseins und die Erkenntnis der Seele, davon sie erfüllt ist, und von dem Verlangen nach dem Schauen der Wunder, die in ihr zu entdecken sind. Diese | 167v haben es den Verlockungen verwehrt, sich ihr zu nähern. Nicht, weil sie sich von der Wachsamkeit abgekehrt hätte, wie ich sagte, und von den Werken der Unterscheidung, die die Erkenntnis der Wahrheit und das Licht der Seele hüten, sondern weil es für den Sinn gar keinen Kampf aus den von mir angeführten Gründen gibt. Denn die Speise der Armen ist den Reichen verächtlich und ebenso die Speise der Kranken den Gesunden. Aber Reichtum und Gesundheit kommen von Enthaltsamkeit und Fleiß. Solange jemand lebt, braucht er Mäßigung und Fleiß und Wachsamkeit, um seinen Schatz zu behüten. Wenn er aber seine Grenzen verläßt, wird er erkranken und beraubt werden. Sogar nicht nur bis man die Frucht genießen kann, soll man arbeiten, sondern selbst bis zum Ausgang soll man nach oben streben. Denn oft wird die Frucht, die Ähren gebildet hat, plötzlich vom Hagel niedergeschlagen. Wer sich in die Dinge (der Welt) einmischt und sich auf Unterhaltungen einläßt, von dem kann man noch nicht glauben, daß seine Gesundheit in ihm andauern wird. Wenn du betest, sprich dieses Gebet: Du hast mich, o Herr, gewürdigt, || 168r für die Unterhaltungen dieser Welt wahrhaftig abgestorben zu sein. Und es wird für dich so sein, als habest du deine ganze Bitte darin zusammengefaßt. Sei bemüht, daß dieses Tun sich so in dir vollziehe. Denn wenn dem Gebet das Tun folgt, hast du dich wahrhaft in die Freiheit Christi begeben. Die Abtötung der Welt (in dir) ist nicht nur das Abrücken von der Teilnahme am Sammeln von deren Dingen, sondern das fehlende Verlangen nach deren Gütern in den eigenen Gedanken. Wenn wir uns im Bedenken des Guten üben, werden wir uns der Leidenschaften schämen, sobald wir diesen begegnen. Und das 1 2
jakože fehlerhaft statt ne jakože, Version A ne jakože, zu Th: oὐχ ὥσπερ. Nämlich dem Schweinefutter, vgl. Lk 15,13-16.
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wissen diejenigen, die bei sich selbst diese Erfahrung erlangt haben. Wenn du ein Werk um der Liebe Gottes willen verfolgen willst, dann setze den Tod als Grenze für dieses Vorhaben. Und so wirst du in der Tat gewürdigt werden, zur Stufe des Märtyrertums für jegliches Leiden aufzusteigen, und du wirst keinen Schaden von dem davontragen, was dir innerhalb dieser Grenze begegnet, wenn du bis zum Ende durchhältst und nicht erschlaffst. Das Nachsinnen kraftlosen Denkens macht das Gebet um Ausdauer kraftlos. | 168v Einen festen Sinn aber und eine Kraft, die die Natur nicht besitzt, verleiht das Nachsinnen darüber demjenigen, der sich daran hält Gewähre mir, o Herr, mein Leben zu hassen um des Lebens willen in Dir. Das Leben dieser Welt gleicht denjenigen, die Schriftstücke aufsetzen, die noch in der Aufzeichnung begriffen sind. Und wenn jemand es will und wünscht, fügt er hinzu und nimmt hinweg und bringt Veränderung in den Schriftstücken an. Das Leben in der zukünftigen Welt aber gleicht Handschriften, die in Reinschrift aufgeschrieben sind und gesiegelt mit dem Siegel des Herrschers, in denen es weder einen Zusatz noch eine Auslassung gibt. Solange wir uns also inmitten der Veränderung(smöglichkeit) befinden, mögen wir uns aufmerksam betrachten, und wenn wir Macht über die Handschrift unseres Lebens haben, die wir mit unseren Händen geschrieben haben, seien wir bemüht, darin etwas in einem guten Leben hinzuzufügen, und tilgen wir daraus die Verluste aus dem früheren Leben. Denn solange wir in dieser Welt sind, || 169r setzt Gott sein Siegel weder unter das Gute noch unter das Böse bis zur Stunde des Abtretens (aus dieser Welt), in der das Werk in unserem Vaterland endet und wir zu unserem Abgang schreiten. Und wie der heilige Ephraim sagte: Es ist gut für uns, daran zu denken, wie unsere Seele einem Schiff gleicht, das sich (abfahr)bereit hält, ohne zu wissen, wann ihm der (rechte) Wind kommt, und einem Heer, das nicht weiß, wann die Posaune zum Kampf ertönen wird. Und wenn es hier, wie er sagt, so für einen kleinen Gewinn derer geschieht, die vielleicht wieder umkehren, wie sehr ist es dann für uns angebracht, gut vorbereitet und geordnet zu sein vor jenem plötzlichen Tag und der Brücke und der Tür zur neuen Zeit. Möge uns Christus, der Fürsprecher unseres Lebens, die Bereitschaft geben, daß wir uns stärken gegen die Absage an unsere Hoffnung. Er, Der Ruhm und Verehrung und Dankbarkeit besitzt in alle Ewigkeit. Amen. Rede 39 (169r – 172r) Warum die mit einer Seele ausgestatteten Menschen in ihrem Erkenntnisvermögen geistige Dinge in Abhängigkeit von ihrer leiblichen groben Beschaffenheit sehen und wie sich ihr Geist darüber erheben kann und wann
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und wie der Geist ohne Träumerei während des (Gebets-) Dienstes sein kann | 169v Gepriesen sei die Erhabenheit des Herrn, der die Tür vor uns geöffnet hält, auf daß wir keine (andere) Bitte haben außer dem Verlangen nach Ihm. Denn so verlassen wir alles, und unsere Seele zieht nur aus, um Ihm zu folgen, so daß sie keine Sorge kennt, die sie von jener Betrachtung des Herrn abhalten kann. Denn in dem Maße, in welchem, oh ihr Geliebten, unser Geist die Sorge um diese sichtbaren Dinge aufgibt und sich in der Hoffnung auf das Künftige sorgt, (und zwar) entsprechend dem Grad seiner Erhebung über die Sorge des Leibes und seines Nachsinnens darüber, in demselben Maß wird er verfeinert und klar im Gebet. In dem Maße, in welchem sich der Leib von der Bindung an die Dinge befreit, tut es ebenso der Geist. Und in dem Maß, in welchem sich der Geist von den Banden der Sorgen befreit, wird er klarer und verfeinert sich. Und im gleichen Maße, in dem er sich verfeinert, erhebt er sich über das Denken dieser Welt, das die Gestalt des Groben trägt. Und dann wird der Geist verstehen, Gott zu sehen wie Er ist und nicht so wie wir. Denn wenn der Mensch nicht zuerst der Offenbarung würdig wird, || 170r kann er dies nicht begreifen. Und wenn er nicht Reinheit erlangt, kann es (für ihn) keine klaren Gedanken geben, um das Verborgene zu erblicken. Und solange er sich nicht frei macht von allem Sichtbarem, das an den Geschöpfen zu erblicken ist, wird er auch weder frei von den Gedanken an sie, noch ist er frei von dunklen Überlegungen. Und wo Dunkelheit ist und eine Verflechtung von Gedanken, da sind auch die Leidenschaften. Wenn sich der Mensch nicht von dem befreit, was wir gesagt haben, und den Ursachen dafür, wird er nicht den Sinn in dem Verborgenen erkennen. Deshalb hat der Herr geboten, vor allen Dingen Enthaltsamkeit zu üben und sich von der Beunruhigung der Welt zurückzuziehen und von den Sorgen aller Menschen zu lösen. Wer sich nicht, wie Er sagte, loslöst von seinem ganzen Menschsein und all dem, was ihm gehört, und sich selbst aufgibt, der kann Mein Schüler nicht sein [Lk 14,26,33]. Damit der Geist aber nicht Schaden nehme durch alle diese Dinge beim Hören und Sehen, durch Sorge um die Dinge (dieser Welt), durch Nachsinnen darüber, durch fehlendes Wissen über sie, durch den Menschen und um ihn durch die alleinige Hoffnung auf Ihn zu binden, hat Er jegliche Sorge | 170v des Überlegens durch die Absage an alles abgewehrt, damit er (der Geist) dadurch nach der Kommunikation mit Ihm verlangt, indem unser Trachten auf Ihn gerichtet bleibt. Aber das Gebet bedarf auch wiederum der Übung, damit durch die lange Zeit des Verweilens darin der Geist weiser werde. Nachdem die Enthaltsamkeit unsere Gedanken von den Bindungen gelöst hat, verlangt das Gebet Ausdauer, weil durch das Verweilen (darin) der Geist Übung erlangt und
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seine Überlegungen zu vertreiben weiß und durch viel Erfahrung lernt, was er durch etwas anderes nicht erlangen kann. Denn jegliche Lebensweise gewinnt einen Zuwachs durch die vorangegangene Lebensweise, und was zuvor gewesen ist, wird gebraucht, um das zu erlangen, was nach ihm kommt. Dem Gebet geht die Zurückgezogenheit voraus, und die Zurückgezogenheit erfolgt um des Gebetes willen, und das Gebet ist da, damit wir Gott lieben. Und das müssen wir begreifen, meine Lieben, daß jegliches im Verborgenen geführte Gespräch und jegliches Bemühen guten Sinnes um Gott und jegliches Nachsinnen über geistige Dinge || 171r als Gebet geschieht und unter dem Namen eines Gebets zu verstehen ist und unter diesem Namen zusammengefaßt ist, sei es, was du verschiedene Lesungen nennst, oder die Laute des Mundes zum Lobpreis Gottes oder betrübtes Bemühen um Gott oder die tiefe Verneigung des Leibes oder die Verse der Gesänge oder das übrige andere, aus dem die Lehre vom reinen Gebet bezogen wird. Denn aus diesem wird die Liebe zu Gott geboren, weil die Liebe durch das Gebet kommt und das Gebet durch das Leben in der Zurückgezogenheit. Diese Zurückgezogenheit brauchen wir, damit wir einen Ort zum Nachzusinnen allein mit Gott haben. Der Zurückgezogenheit aber geht die Abkehr von der Welt voraus. Wenn der Mensch jedoch nicht zuerst der Welt entsagt und sich befreit von allem was zu ihr gehört, kann er nicht Einsamkeit erreichen. Und so geht wiederum der Absage an die Welt die Geduld voraus, und der Geduld der Haß auf die Welt und dem Haß auf die Welt Furcht und Liebe. Denn wenn das Herz nicht die Furcht vor der Hölle schreckt, um zum Verlangen nach Glückseligkeit und Liebe zu gelangen, dann regt sich in ihm auch nicht | 171v der Haß auf die Welt, und wenn es die Welt nicht hassen wird, kann es auch nicht ertragen, ohne den Umgang mit ihrer Bequemlichkeit zu sein. Und wenn nicht im Geiste die Geduld vorausgeht, kann er (der Mensch) auch keinen Ort voller Wildnis und Menschenleere erwählen. Und wenn er sich nicht ein Leben in Zurückgezogenheit erwählt, kann er nicht im Gebet ausharren. Und wenn er nicht im Zwiegespräch mit Gott verweilt und bei jenen Gedanken, die sich unter das Gebet mischen, und bei jenen Formen ihres Empfangens, von denen wir gesprochen haben, wird er keine Liebe spüren. Also kommt die Liebe zu Gott aus dem Gespräch mit Ihm, das Gespräch aber und die Übung im Gebet durch das Schweigen und das Schweigen durch die Entsagung und die Entsagung durch die Geduld, und die Geduld durch den Haß auf Wünsche, und der Haß auf Wünsche durch die Furcht vor der Hölle und die Hoffnung auf (zukünftige) Glückseligkeit. Der Haß auf die Wünsche kommt ihm, da er um ihre Frucht weiß, was sie ihm bereitet, und um welche Seligkeit er ihretwegen gebracht wird. So ist jede Lebensweise mit der vorherigen verbunden und
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gewinnt durch diese eine Bereicherung hinzu || 172r und geht in eine höherstehende über. Und wenn eine von ihnen ausbleibt, kann nicht entstehen und gesehen werden, was diese hervorgebracht hat, weil sich alles auflöst und verloren geht. Mehr davon wäre ein Zuviel an Worten. Unserem Gott Ruhm und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Rede 40 (172r – 175r) Worte über das Gebet und die Verneigung(en), Tränen, die Lesung, das Schweigen, Psalmodieren und abermals über die Reue Halte nicht für Müßiggang die Dauer eines Gebetes, das nicht umherschweift und konzentriert und lang ist, um dafür das Psalmodieren zurückzustellen. Mehr noch als die Übung des Psalmodierens mögest du die Verneigungen im Gebet lieben. Wenn das Gebet dir die Hand reicht, dann füllt es den Platz des Gottesdienstes aus. Und wenn dir im Gottesdienst die Gabe der Tränen gegeben wird, halte nicht die Wonne, die darin liegt, für Müßiggang in diesem (Gottesdienst). Denn die Gnade der Tränen ist die Erfüllung des Gebets. Zur Zeit, wenn dein Sinn zerstreut ist, halte dich mehr an die Lesung als an das Gebet. Aber nicht jede Schrift ist nützlich, wie es heißt. Liebe viel mehr das Schweigen als die Werke. Halte das Lesen, wenn es möglich ist, für besser als das Stehen (im Gebet, beim Wachen). | 172v Denn das ist eine Quelle des reinen Gebets. Aber vernachlässige es (das Stehen) keinesfalls. Enthalte dich des Umherschweifens (der Gedanken). Das Psalmodieren ist die Wurzel der (rechten) Lebensweise. Wisse aber, daß dieses (Stehen) nützlicher ist als das Psalmodieren bei umherschweifenden Gedanken des Verrichtenden. Sich im Geiste zu bekümmern übertrifft die Mühsal des Leibes. In Zeiten der Ermattung sei enthaltsam und treibe dich ein wenig an. Denn der Eifer bringt das Herz sehr in Wallung und entfacht die Gedanken der Seele. Gegen das Verlangen hilft der Natur in Zeiten der Ermattung die Glut, denn sie hilft, die Kälte des Gebets zu tilgen. Aus folgenden Gründen überkommt uns gewöhnlich die Ermattung: entweder durch die Schwere des Magens oder durch vieles Tun. Die (rechte) Ordnung des Tuns ist das Licht des Denkens. Sie ist nichts anderes als Einsicht. Jedes Gebet, das du nachts verrichtest, möge in deinen Augen wertvoller sein als alles Tun bei Tage. Belaste nicht deinen Magen, damit nicht dein Geist getrübt werde und du verwirrt wirst durch das Umherschweifen (der Gedanken), während du nachts stehst (und deine Gebete verrichtest), und deine Glieder ermatten und du feststellst, daß du || 173r nicht nur von weibischer Schwäche erfüllt bist, sondern daß auch deine Seele verdunkelt ist und deine Gedanken getrübt sind und du diese infolge der Dunkelheit überhaupt nicht zum Psalmodieren sammeln kannst und daß dir der Geschmack an allem fade wird und das
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Singen der Psalmen dir keine Wonne bereitet, wo doch dein Geist wegen deren Leichtigkeit und des klaren Sinnes gewöhnt ist, die darin liegende Süße der Vielfalt zu genießen. Wenn aber die nächtliche Ordnung getrübt wird, dann ist auch während des Dienstes bei Tage dein Geist gestört und verbringt ihn im Dunkeln, und er genießt nicht das Lesen wie gewohnt. Denn gleichsam ein Sturm überfällt seine Gedanken, sowohl wenn er sich zum Gebet rüstet als auch zur Betrachtung. Die Wonne, welche den Asketen am Tag gegeben wird, kommt dem reinen Geist aus dem Licht des Dienstes in der Nacht. Jeder Mensch, der nicht die Erfahrung des langen Schweigens gemacht hat, braucht nicht zu hoffen, daß er von sich aus mehr von den Gaben des asketischen Lebens erfährt, sei er auch ein großer Weiser und ein Lehrer, der viele Errungenschaften vorzuweisen hat. Sei auf der Hut, | 173v daß dein Leib nicht zu sehr geschwächt wird, so daß dich Ermattung überkommt und deine Seele für den Geschmack an seiner (des Lebens in Zurückgezogenheit) Ausübung erkalten läßt. Wie in einer Waagschale sollte jedermann seine Lebensweise abwägen. Zur Zeit, in der du dich sättigest, sei ein wenig auf der Hut vor (zu viel) Zuversicht in Bezug auf dich selbst. Mögest du auch zur Zeit (der Erledigung) deiner (körperlichen) Bedürfnisse in Keuschheit sitzen. Vor allem sei keusch und rein während deines Schlafes und wachsam nicht nur in deinem Denken, sondern auch in deinen Gliedern. Hüte dich vor Eigendünkel in der Zeit guter Veränderungen. Deine Schwäche und deine Unbeholfenheit gegenüber der Feinheit dieses Dünkels stelle dem Herrn im Gebet eifrig vor, damit du nicht der Versuchung in schmutzigen Dingen überlassen werdest. Denn Unzucht folgt auf den Stolz und Verlockung dem Dünkel. In der Arbeit der Hände handle nach deinem Bedarf vor allem aber zur Bewahrung deines Lebens in der Abgeschiedenheit. Erschlaffe nicht in deiner Hoffnung auf Den, Der für dich sorgt, denn wunderbar sind Seine Ordnungen || 174r für diejenigen, die Ihm zugehören. Denn in der unbewohnten Wüste sorgt Er mit nicht menschlichen Händen für diejenigen, welche (dort) in der Hoffnung auf Ihn hausen. Wenn der Herr dir in den Dingen des Leibes hilft ohne dein Tun, während dich die Sorge um deine Seele bewegt, dann regt sich in dir durch die Ränke des Mörders, des Teufels, der Gedanke, daß der Grund für diese ganze Fürsorge von dir komme, und dann hört zusammen mit diesem Gedanken auch die Fürsorge Gottes für dich auf, und sogleich strömen viele Versuchungen auf dich ein, entweder weil Der, Der für dich sorgte, sich von dir zurückzieht, oder durch die Erneuerung der Krankheiten und Übel, die in deinem Körper sich regen. Nicht wegen des Aufkommens des Gedankens allein läßt Gott (von dem Menschen) ab, sondern wegen des Verweilens seines Sinnes bei diesem Gedanken. Wegen der unwillkürlichen Regung straft und verurteilt Gott den
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Menschen nicht, auch nicht, wenn wir ihm (dem Gedanken) eine Zeitlang Raum geben. Und wenn wir in dieser Zeit die Leidenschaft bekämpfen, verlangt Er nicht Rechenschaft, und uns ergreift Rührung. Gott züchtigt uns nicht für solche Nachlässigkeit, sondern für jene, wenn der Sinn dies (solchen Gedanken) für wahrhaft | 174v annimmt und es unbeteiligt betrachtet und für gut und nützlich und nicht für eine schreckliche Sorge hält. Laßt uns also immer so zum Herrn beten: O Christus, du Erfüllung der Wahrheit, möge Deine Wahrheit in unseren Herzen aufleuchten, und (laß) uns durch Erkennen Deines Willens Deinen Weg gehen. Wenn ein tückischer eitler Gedanke in dir gesät wird, sei er von denen, welche aus der Ferne kommen oder den von früher übernommenen, und sich häufig in deinem Sinn einstellt, dann erkenne wirklich, daß er dir eine Falle verbirgt. Aber wache auf und ernüchtere dich beizeiten. Ist dieser Gedanke aber von denen, die zu den rechten und guten gehören, dann wisse, daß Gott dir ein Bild für eine Lebensweise geben will, und deshalb regt er sich ständig gegen alle Gewohnheit in dir. Ist der Gedanke aber dunkel und bist du im Zweifel in Bezug auf ihn, weil du nicht klar erkennen kannst, ob es ein eigener ist oder ein Übeltäter oder ein Beschützer oder ein Verleumder, der sich unter der Gestalt von Gutem verborgen hat, dann mögen wir uns auf ihn vorbereiten in langem und inständigem Gebet bei Nacht || 175r und am Tage mit vielem Wachen. Verwirf ihn weder, noch stimme ihm zu, sondern sprich ein Gebet voller Eifer und Wärme im Hinblick auf ihn. Und schweige nicht, sondern rufe Gott an, und Er wird dir dann zeigen, woher er kommt. Rede 41 (175r – 179v) Über das Schweigen Mehr als alles andere liebe das Schweigen, denn es bringt dich einer Frucht nahe, die auszusprechen die Zunge nicht vermag. Zuerst aber zwingen wir uns zu schweigen. Und dann wird in uns durch das Leben in der Zurückgezogenheit etwas geboren, das uns zu diesem Schweigen hinführt. Möge dich Gott etwas von dem erspüren lassen, was aus dem Schweigen kommt. Wenn du aber mit dieser Lebensweise beginnst, dann weiß ich nicht, wieviel Licht dir von daher aufleuchten wird. Glaube nicht, o Bruder, daß – wie von jenem bewunderten Arsenios erzählt wird, als ihn die Väter und Brüder aufsuchten und kamen, um ihn zu sehen, und er schweigend dasaß und sie unter Schweigen entließ – daß er dies aus seinem Wollen heraus allein tat, sondern weil er sich von Anfang an dazu gezwungen hatte. Etwas Köstliches | 175v wird im Herzen durch die Übung in diesem Tun mit der Zeit geboren, und gewaltsam leitet es den Leib zum Verweilen im Schweigen. Viele Tränen werden uns in dieser Lebensform geboren, und in wunderbarer Schau
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spürt das Herz etwas darin auf unterschiedliche Weise – bisweilen mit Mühen und bisweilen durch Wunderbares, weil das Herz gerührt wird und wie ein Kleinkind ist, und wenn es das Gebet beginnt, fließen die Tränen. Groß ist der Mensch, der im Ausharren seiner Glieder drinnen in seiner Seele diese wundervolle Gewohnheit erlangt hat. Wenn du alle Werke dieser Lebensform auf die eine Seite legst und das Schweigen auf die andere, dann wirst du feststellen, daß dieses dem Ausmaße nach überwiegt. Es gibt viele menschliche Lehren, (aber) wenn jemand sich dem Schweigen nähert, ist es für ihn überflüssig, diese zu beachten, und sie zu befolgen wird als überflüssig befunden, und er wird feststellen, daß er sich über sie erhoben hat, weil er der Vollendung nahe gekommen ist. Und es ist eine Hilfe für das Leben in Zurückgezogenheit. Wie aber geschieht dies? Es ist unmöglich, || 176r an einem Ort, an dem viele leben, nicht einem anderen zu begegnen. Nicht einmal der engelgleiche Arsenios, der mehr als alle anderen das Schweigen liebte, konnte diesem völlig entgehen, daß uns Väter und Brüder, die mit uns leben, begegnen, und die Begegnung mit ihnen erfolgt unverhofft, und er muß in die Kirche und anderswohin gehen. Als jener hochwürdige Mann dies alles sah, daß es unmöglich ist, diesen zu entgehen, solange er in der Nähe der Wohnstätte der Menschen ist, als er oftmals nicht imstande war, sich am Ort seiner Bruderschaft von der Annäherung der Menschen und den Mönchen, die an jenen Orten lebten, fernzuhalten, lernte er durch die Gnade diese Lebensweise: stetes Schweigen. Und wenn er einmal notgedrungen seine Tür einigen von ihnen öffnete, freute er sich nur an dem Anblick. Die Unterhaltung mit Worten und deren Gebrauch waren überflüssig. Unter ihnen waren viele Väter bei diesem Anblick zu der Regel gekommen, selbst auf sich zu achten, daß sie eine Mehrung des geistigen Reichtums | 176v durch die Lehre empfingen, die sie durch den Anblick des seligen (Mannes) empfangen hatten. Und einige von ihnen banden sich an einen Steinblock oder (fesselten sich) mit einem Strick oder quälten sich durch Hunger in der Zeit, wenn sie zu den Menschen gehen wollten, denn der Hunger ist sehr hilfreich beim Unterdrücken der Sinne. Viele große und wunderbare Väter habe ich, o Bruder, gefunden, die sich mehr als um Werke um die Ordnung der Sinne und die Sittsamkeit des Leibes sorgten, weil von diesen die Ordnung der Gedanken erzeugt wird. Viele Ursachen begegnen dem Menschen außerhalb seines Wollens und lassen ihn die Grenzen seiner Freiheit überschreiten. Und hätte er sich nicht durch reichliche vorherige Übung bewahrt gewußt in seinen Sinnen, würden sie ihn für lange Zeit nicht zu sich haben kommen lassen und seine frühere ruhige Ordnung finden lassen. Das Vorankommen des Herzens besteht im Nachsinnen über seine Hoffnung. Das Vorankommen in der Lebensweise besteht in der Absage an alle Dinge. Das
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Gedenken des Todes ist || 177r eine gute Fessel für die äußeren Glieder. Eine Verlockung für die Seele ist die Freude, die aus der Hoffnung kommt, die im Herzen erblüht. Eine Mehrung der Erkenntnis wird durch ständige Versuchungen geprüft, die der Geist täglich innerlich durch die beiden Veränderungen (zum Guten und zum Bösen) erfährt. Wenn uns aber von Zeit zu Zeit Mutlosigkeit wegen der Einsamkeit überkommt und dies vielleicht zu unserem Heil zugelassen wird, so haben wir doch den Trost der Hoffnung des Glaubens in unserem Herzen, der Worte übersteigt. Gut hat es einer der von Gott Erleuchteten gesagt, daß die Liebe zu Gott genügt, um dem Gläubigen ein Trost zu sein, auch wenn seine Seele Schaden nimmt. Denn was können, so sagte er, Bedrängnisse demjenigen schaden, der Genuß und Bequemlichkeit um der künftigen Güter willen für entbehrlich hält. Und dies will ich dir, o Bruder, auftragen, daß in dir stets die Barmherzigkeit überwiegen möge, bis du in dir jene(s Maß an) Barmherzigkeit spürst, das du für die Welt hast. Diese möge uns zum Spiegel werden, um in uns selbst die Ähnlichkeit und das Bild der Wahrheit zu erkennen, die zur Natur und dem Wesen Gottes gehören. Darin und in dergleichen mögen wir erleuchtet werden, um uns mit klarem Willen zu Gott | 177v hin zu bewegen. Ein schroffes und unbarmherziges Herz wird niemals rein werden. Ein barmherziger Mensch ist der Arzt seiner Seele. Denn die dunklen Leidenschaften vertreibt er wie mit einem heftigen Windstoß aus seinem Inneren. Dies ist Guthaben vor Gott nach dem Wort des Lebens, das aus dem Evangelium kommt [vgl. Mt 25,40; Spr 19,17]. Wenn du dich deiner Lagerstatt näherst, sprich zu ihr: O meine Lagerstatt, vielleicht wirst du mir in dieser Nacht zu meinem Grab, und ich weiß nicht, ob anstelle des zeitlichen Schlafes jener künftige ewige Schlaf bei mir Einzug halten wird in dieser Nacht. Solange du aber Füße hast, eile deinem Dienst nach, ehe du von jener Fessel gebunden wirst, die sich nicht wieder lösen läßt. Solange du Finger hast, strecke sie aus im Gebet, ehe der Tod kommt. Solange du Augen hast, fülle sie mit Tränen, ehe sie mit Staub bedeckt werden. Denn so wie die Blüte vom Atem des Windes getroffen wird und welkt, so (geschieht es) auch in dir, wenn ein Teil des ganzen Gefüges in dir getroffen wird und du stirbst. Halte in deinem Herzen fest, || 178r daß du abtreten mußt, o Mensch, um dir unaufhörlich zu sagen: Siehe, der Bote, der hinter mir geht, ist an der Pforte angekommen. Warum sitze ich (noch) da? Der Fortgang ist ein ewiger ohne Wiederkehr. Wer das Gespräch mit Christus liebt, liebt es einsam zu sein. Wer es aber liebt, mit vielen anderen beisammen zu bleiben, der ist ein Freund dieser Welt. Wenn du die Reue liebst, dann liebe (auch) das Schweigen (in der Zurückgezogenheit). Denn ohne das Schweigen gibt es keine vollkommene Reue. Und wenn jemand dem widerspricht, streite nicht mit ihm. Wenn du das Schwei-
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gen liebst – die Mutter der Reue –, dann finde freudig Gefallen an dem geringen Mangel des Leibes und den Vorwürfen und der Ungerechtigkeit, die um seinetwillen aufwallen. Ohne diese Vorbereitung wirst du frei und ungetrübt im Schweigen nicht leben können. Wenn du dies alles jedoch gering schätzest, wirst du teilhaben an der Stille an dem Leben im Schweigen nach dem Willen Gottes, und du wirst darin verweilen, wie es Gott gefällt. Das Gefallen an dem Leben im Schweigen ist das ständige Hoffen auf den Tod. Wer ohne dies zu bedenken in das Leben im Schweigen eintritt, kann nicht ertragen, | 178v was wir auf jegliche Art erdulden und ertragen müssen. Und begreife (auch) dies, du Besonnener, daß wir dies nicht für Werke über die Regel hinaus tun, daß wir (nämlich) mit unseren Seelen das Wohnen in Einsamkeit und das Schweigen und die Abgeschiedenheit wählen. Denn es ist bekannt, daß mehr noch der Umgang mit vielen dabei hilfreich wäre, wegen der Bereitwilligkeit des Körpers. Wenn dies nötig wäre, hätten nicht einige der Väter die Unterhaltung und den Umgang mit den Menschen aufgegeben, hätten einige nicht in Gräbern gehaust, (wieder) einige die Abgeschiedenheit in einer einsamen Wohnstätte gewählt, wo der Leib mehr geschwächt und zu kraftlos wurde, um bei aller Art Krankheit und Mühsal des Leibes den Dienst nach der Regel zu verrichten, aber auch schwere Gebrechen sie ereilten und sie diese in ihrem ganzen Leben froh ertrugen, durch die sie sich kaum auf den Beinen halten oder das übliche Gebet sprechen oder Gott mit ihrem Mund preisen konnten, vielmehr weder den Psalm singen noch etwas anderes || 179r mit dem Körper zu Verrichtendes tun konnten. Und ihnen genügte einzig und allein die körperliche Schwäche und das Schweigen anstelle aller Regeln, und diese Lebensweise an allen Tagen ihres Lebens. Und in aller vermeintlichen Untätigkeit wollte keiner von ihnen seine Zelle verlassen und wegen seiner Untätigkeit in der Befolgung der Regel irgendwohin hinausgehen oder in den Kirchen sich an den Stimmen und dem Dienst anderer erfreuen. Wer seine Sünde erkennt, ist besser als einer, der die Toten durch sein Gebet aufrichtet, wenn seine Wohnstatt unter vielen (Menschen) ist. Wer eine Stunde über seine Seele seufzt ist besser als einer, der der ganzen Welt durch seinen Anblick Nutzen bringt. Wer gewürdigt wurde, sich selbst zu sehen, ist besser als einer, der für würdig befunden wurde, die Engel zu sehen. Denn dieser nimmt Kontakt mit den leiblichen Augen auf, jener aber mit den Augen der Seele. Wer in Einsamkeit klagend Christus folgt ist besser als einer, der sich in den Versammlungen lobt. Niemand möge vor anderen anführen, was der Apostel sagt, daß ich verflucht sei, so sagte er, habe ich | 179v von Christus erbeten [Röm 9,3]. Wer die Kraft des Paulus empfangen hat, dem wird geboten, auch dies zu tun. Paulus aber tat durch den Geist, was er durch diesen empfangen hatte, zum Nutzen der
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Welt, wie er selbst bezeugte, nicht durch eigenes Wollen. Denn ich bin gezwungen, sagte er, und wehe mir, wenn ich nicht die frohe Botschaft verkünde [1 Kor 9,16]. Und die Auswahl des Paulus geschah nicht, damit er ein Bild seiner Reue erblicke, sondern um der Menschheit die frohe Botschaft zu verkünden, und er empfing eine überreiche Kraft. Doch wir, mein Bruder, mögen am Leben im Schweigen Gefallen finden, bis die Welt in unserem Herzen abgestorben ist. Laßt uns ständig des Todes eingedenk sein und durch solche Übung in unserem Herzen Gott näher kommen und die Eitelkeit der Welt mißachten, und ihre Süße wird in unseren Augen verächtlich werden. Und laßt uns froh in unserem kranken Leib die ständige Untätigkeit im Schweigen ertragen, damit wir der Wonne gewürdigt werden mit jenen, die in den irdischen Höhlen und Abgründen [Hebr 11,38] auf die glorreiche Offenbarung unseres Herrn vom Himmel hoffen. Denn Ihm und Seinem Vater und dem Heiligen || 180r Geist sei Ruhm, Ehre und die Macht in alle Ewigkeit. Amen. Rede 42 (180r – 184v) Schreiben an einen von ihm (Isaak) geliebten (Menschen), in dem er ihn über die Geheimnisse des zurückgezogenen Lebens im Schweigen belehrt und wie viele, weil sie diese nicht kennen, dieses wunderbare Tun vernachlässigen, und wie viele aufgrund der Übernahme des unter den Mönchen Gewohnten am Leben in ihrer Zelle festhalten sowie mit einer kurzen Zusammenfassung, die zu dem Bericht über das zurückgezogene Leben im Schweigen gehört Bruder, da mich die Pflicht zwingt, dir über das unbedingt Notwendige zu schreiben, lasse ich deine Liebe in meinem Brief gemäß unserem Versprechen, das ich dir gab, wissen, daß ich dich als einen (Mann) befunden habe, der sich in der Sorgfalt seiner Lebensführung darauf eingestellt hat, sich in der Stille niederzulassen. Ich will deshalb deinem Gedächtnis in kurzen Worten schildern, was ich von besonnenen (Männern) über dieses Tun gehört habe, wenn ich in Gedanken die Zusammenfassung ihrer Worte mit der Prüfung, die ich von da um seinetwillen (des Lebens in der Stille) in diesen Dingen erfahren habe, verbinde, falls auch du für dich selbst in deinem gewohnten Eifer mithilfst, durch die Belehrung | 180v in meinem Schreiben. Denn mit weiser Erkenntnis wirst du an das Lesen der gesammelten Worte in diesem unserem Schreiben herangehen, abseits vom üblichen Lesen, und dies wegen der großen darin verborgenen Kraft gleichsam wie ein Licht im übrigen Lesen aufnehmen, damit du lernst, was das Leben in schweigender Zurückgezogenheit bedeutet, und was solches Tun ist, und welche Geheimnisse in diesem Tun verborgen sind, und weshalb einige die unter den Men-
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schen geübte Wahrheit und Gerechtigkeit für geringer erachten und dieser die Bedrängnisse und Kämpfe des in der Stille und Abgeschiedenheit geführten Lebens vorziehen. Willst du, Bruder, das unvergängliche Leben in deinen kurzen Tagen erlangen, dann möge dein Eintritt in das zurückgezogene Leben wohlbedacht erfolgen. Erforsche dieses Handeln, und eile nicht (dahin) wegen des Namens, sondern begib dich dahin, und vertiefe dich darein, und komme voran und beeile dich, mit allen Heiligen zu begreifen, was die Tiefe und die Höhe dieser Lebensweise ist. Denn bei jeder || 181r von Menschen getätigten Sache wird im Anfang dieses Tuns und selbst bis zum Ende eine bestimmte Art und Weise und eine Hoffnung erwartet. Vom Tun dieser Sache selbst wird der Sinn zu ihrer Begründung bewegt. Und das Festhalten daran festigt den Sinn, die darin enthaltene Härte zu ertragen und bei dem Blick darauf einen bestimmten Trost daraus zu empfangen. Und so wie jemand durch sein Festhalten seinen Geist bis zum Ende einer Sache anspannt, so wird auch die ehrwürdige Sache des Lebens im Schweigen zum Hafen der Geheimnisse für das vernünftige Ziel, das der Sinn vom Anfang des Errichtens bis zur Fertigstellung des Baues in allen seinen langen und harten Unternehmungen beachtet. So wie die Augen des die Sterne beobachtenden Steuermannes achtet der Mönch auf seine innere Schau auf dem ganzen Weg des Wandelns seines Geistes im Hinblick auf das Ziel, das er sich in seinem Sinn am ersten Tag vorgenommen hat, an dem er sich dem Wandeln im rauhen Meer des Schweigens überließ, bis er die Perle findet, um derentwillen er sich auf den Boden | 181v des unfaßbaren Meeres des Schweigens hinabließ. Und der Blick der Hoffnung erleichtert ihm von oben die Lasten des Handelns und die Härten voller Nöte, die ihm auf seinem Weg begegnen. Wer aber am Anfang seines Lebens im Schweigen nicht dieses Ziel für das ihm bevorstehende Wirken in sich festlegt, der handelt unvernünftig wie einer, der mit der Luft kämpft, und ein solcher wird sich niemals vor dem Geist der Verzagtheit in seinem ganzen Leben retten. Und eines von beidem wird mit ihm geschehen, daß er (nämlich) entweder nicht die unerträgliche Last erträgt und unterliegt und vollständig das Leben im Schweigen aufgibt, oder er verharrt darin, und seine Zelle wird ihm zum Gefängnis, und er wird darin festgehalten, weil er nicht auf den Trost zu hoffen versteht, der aus dem Leben im Schweigen geboren wird. Deshalb kann er, dieses begehrend, weder unter Schmerzen des Herzens bitten, noch im Gebet weinen. Darüber haben unsere Väter, die ihre Söhne liebten, erfüllt von Erbarmen Zeichen in den Schriften || 182r für das, dessen unser Leben bedarf hinterlassen. 1. Und einer von ihnen sagte mir, daß eine Errungenschaft des Lebens im Schweigen sei, wenn ich mich von dem Haus entferne, in dem ich lebe, wird mein Geist frei von der Bereitschaft zum
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Kampf und wendet sich besserem Tun zu. 2. Ähnlich (äußerte sich) auch ein anderer: Ich, so sagte er, strebe deshalb zum Leben im Schweigen, damit mir die Verse beim Lesen und im Gebet süß werden, und wenn vor Süße bei deren Betrachtung meine Zunge verstummt, dann falle ich wie in einem Schlaf in eine Benommenheit meiner Gefühle und meiner Gedanken. Und wenn dann bei längerem Verweilen in diesem Schweigen mein Herz Frieden erlangt (weg) von der Verwirrung der Erinnerungen, werden mir stetig Wellen der Freude gesandt, die von innerlichen Gedanken her unerwartet und plötzlich mein aufjubelndes Herz überkommen, und wenn diese sich dem Schiff meines Herzens nähern, lassen sie es untertauchen vor den Reden der Welt und dem Leben des Fleisches | 182v in den wahren Wundern eines Lebens im Schweigen bei Gott. 3. Und ein anderer (sagt) wiederum: Das Leben in der Stille entlarvt die Vorwände und schneidet die Ursachen erneuten Überdenkens ab und bekämpft in seinen Mauern die Erinnerungen an unsere Vorhaben und läßt sie verwelken, und wenn die alten Dinge in unserem Sinn veralten, kehrt der Geist zu seiner Ordnung zurück und korrigiert sie. 4. Und ein anderer sagte wiederum: Das Maß der geheimnisvollen Vorgänge in dir erkennst du an der Unterschiedlichkeit deiner Gedanken, und zwar spreche ich von den ständigen (Gedanken) und nicht von denen, die der Zufall bewegt und die in einer Stunde vorübergehen. Es gibt niemanden, der einen Leib hat, der nicht wegen zweierlei Veränderungen von seinem Hause abwesend ist – der guten und der bösen. Wenn er eifrig ist, wegen der geringeren aufgrund der Natur – denn Väter sind die Väter der Geborenen. Ist er aber träge, wegen der erhabenen aufgrund des Sauerteigs jener Gnade, die in unserer Natur angelegt ist1. 5. Ein anderer sagte: Wähle dir selbst das köstliche Tun, das ständige Wachen in der Nacht. Durch dieses haben alle Väter den alten Menschen abgelegt || 183r und wurden der Erneuerung des Hauses gewürdigt. In diesen Stunden erspürt die Seele jenes unsterbliche Leben, und in diesem Gefühl wird das Gewand der Finsternis abgelegt, und sie nimmt den Heiligen Geist auf. 6. Und ein anderer wiederum sagte, daß, wenn jemand verschiedene Gesichter sieht und vielfältige Stimmen hört, die sein geistiges Trachten verkennen, und er sich auf eine Unterhaltung mit solchen (Menschen) einläßt, so ist es unmöglich, daß es ihm freigestellt wäre im Geiste, sich heimlich zu sehen und an seine Sünden zu erinnern und seine Gedanken zu reinigen und auf die auf ihn zukommenden zu achten und sich verborgen ins Gebet zu versenken. 7. Und wiederum: Diese Gefühle der 1
Die Stelle ist unklar und sowohl bei Theotokis wie auch in Anlehnung an ihn in der russischen Übersetzung mit einem umfangreichen Versuch der Erläuterung versehen.
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Macht der Seele zu unterstellen, ist ohne das Leben im Schweigen und die Entfremdung von den Menschen nicht möglich, weil die kluge Seele von ihrem Wesen her mit diesen vereint und verbunden ist und sie durch ihre Gedanken ungewollt angezogen werden, wenn der Mensch nicht eifrig ist im verborgenen Gebet. 8. Und wiederum: O, wie bereitet der Eifer, sobald er erwacht ist, | 183v durch Gebet und Lesung Genuß und stimmt heiter und macht froh und reinigt die Seele. 9. Dieses wissen am besten diejenigen, die sich während ihres ganzen Lebens diesen (Gebet und Lesung) gewidmet haben und in strengster Askese lebten. 10. Du aber, o Mensch, der du das Leben im Schweigen liebst, stelle die vom Wesen der Worte der Väter bestimmten Hinweise vor dich hin als ein Ziel, und richte den Ablauf deines Handelns auf die Annäherung an diese aus, und vor allem anderen mache dich kundig, was in deinem Handeln am meisten diesem Ziel anzupassen ist. Denn ohne dies kannst du die wahre Weisheit nicht erlangen. Und darin sei bestrebt, am meisten deine Ausdauer zu zeigen. 11. Schweigen ist das Geheimnis der künftigen Ewigkeit. Die Worte aber sind das Werkzeug dieser Welt. Der Mensch als Asket ist bestrebt, durch Schweigen und unermüdliche Enthaltsamkeit seine Seele der geistigen Natur anzupassen. Wenn ein Mensch sich || 184r zu seinem gottgeweihten Tun absondert, um in seinem Mysterium zu verbleiben, dann vollzieht sich in diesen Geheimnissen auch sein Dienst, der von den göttlichen Geheimnissen erfüllt ist, und durch jene unsichtbaren Kräfte auch die Heiligung jener Macht, die die Welt regiert. Und wenn einige sich für eine bestimmte Zeit absonderten, um in die göttlichen Geheimnisse einzudringen, so wurden sie durch dieses Siegel gezeichnet. Und einigen von ihnen wurden offenbar zur Erneuerung der in der Mitte Befindlichen Geheimnisse anvertraut, die im geheimnisvollen Schweigen des Herrn verborgen sind. Denn es geziemte sich nicht, mit vollem Bauch und einem von mangelnder Beherrschung verwirrten Verstand solchen Geheimnissen zu dienen. 12. Und auch die Heiligen wagten weder Gespräche mit Gott, noch erhoben sie sich zu den verborgenen Geheimnissen, es sei denn bei Ohnmacht der Glieder und bleicher Farbe des Gesichtes wegen der Liebe zum Hunger und bei stillschweigendem Verstand und der Absage an alle irdischen Gedanken. Wenn aber nach langer Zeit in deiner Zelle nach Werken der Mühsal und der Wahrung des Verborgenen | 184v und im Zurückhalten der Gefühle vor jeglicher Begegnung dich die Kraft der Stille überkommt, dann begegnet dir als erstes die Freude, die ohne Ursache für einige Zeit von deiner Seele Besitz ergreift, und dann werden deine Augen geöffnet, um nach dem Maße deiner Reinheit die Stärke der Geschöpfe Gottes zu erkennen und die Schönheit des von Ihm Geschaffenen. 13. Und wenn der Geist zum Wunder des Sehens dieser Dinge hingeleitet wird, dann fallen
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für ihn Tag und Nacht zusammen in den großartigen Wundern der göttlichen Schöpfung. Und von daher wird der Seele selbst das Empfinden der Leidenschaften durch die Köstlichkeit dieses Schauens genommen, und darin steigt er (der Geist) um zwei Stufen der geistigen Offenbarungen, die in der Rangfolge auf diese von der Reinheit an aufsteigend folgen. Möge Gott uns deren würdigen. Amen. Rede 43 (184v – 188v) Übungen und Erläuterung in den Zeugnissen zu verschiedenen Erkenntnissen und welcher Nutzen in einer jeden derselben enthalten ist Das geistige Gespür ist so beschaffen, daß es eine Sehkraft empfängt wie die Pupille der leiblichen Augen, die das Lichtempfinden in sich haben. Die gedankliche Schau || 185r ist das natürliche Wissen, das sich mit der natürlichen Ordnung verbunden hat, die das natürliche Licht genannt wird. Eine heilige Kraft ist die Gabe der Sonne der Unterscheidungsfähigkeit für das, was zwischen dem Licht und dem Anblick angelegt ist. Die Dinge der Natur sind etwas, das als ein zwischen dem Licht und dem Anblick Befindliches unterschieden wird. Die Leidenschaften sind gewissermaßen ein fester Stoff, der zwischen dem Licht und der (inneren) Schau steht und diese an der Beurteilung bei der Unterscheidung der Dinge hindert. Reinheit ist die Helligkeit der geistigen Luft, aus deren Schoß die Natur in uns beflügelt wird. Ist der Geist nicht von gesunder Natur, kann das Wissen in ihm nicht wirken, so wie das körperliche Empfinden, wenn es aus irgendwelchen Gründen Schaden genommen hat, seine Sehkraft verliert. Ist der Geist aber gesund, doch kein Wissen vorhanden, kann der Geist ohne dieses die Unterscheidung der geistigen Dinge nicht vollziehen, so wie das Auge, das gesund ist in allem was zu ihm gehört, oftmals beim Sehen der sinnlich wahrnehmbaren Dinge getrübt ist. Und wenn all diese (geistigen) Dinge in dem, was ihnen zu eigen ist, | 185v wohlgeordnet sind, doch die Gnade ihnen nicht nahe ist, bleiben sie alle unwirksam im Dienst der Unterscheidung, so wie sie in den Stunden der Nacht, weil es keine Sonne gibt, untätig bleiben. Und wenn sie alle ganz gesund sind und vollkommen in dem Ihrigen, ich meine Auge und Sehen, und deren Dinge nicht unterschieden wurden oder unterschieden werden, dann ist es das, von dem gesagt worden ist: In Deinem Licht erblicken wir das Licht [Ps 36,10]. Wenn aber die Gnade der gedanklichen Sonne nahe ist und zum Verlangen anregt und reizt und uns guten Mutes werden läßt, aber keine Reinheit darin ist – gleichsam wie die leere Luft, die verdunkelt1 ist 1
Zur Randkorrrektur von prozračenъ zu (p)omračenъ: Die griechische Überlieferung ist nicht einheitlich, sowohl mit wie auch ohne Verneinung (Th): διαυγής
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durch die Dicke der Wolken und dunkler Stoffe, die sich leicht zum Sonnenlicht ausbreiten, dessen köstlicher Anblick uns (doch) erfreut –, dann ist der Blick behindert in seinem Unterscheidungsvermögen, die Natur verliert ihre Handlungsfähigkeit, der Seele wird das Erspüren der zweiten, alles überstrahlenden Sonne wegen der übergelagerten körperlichen Dinge verwehrt, in denen das Leuchten der Wahrheit verdeckt wird, das uns erreichen soll. || 186r Also mußte notwendigerweise all dies Gesagte herausgefunden werden, und weil es nicht leicht ist, das alles in einem Menschen ohne Mangel und Ursache zu finden, und weil viele keine Vollkommenheit des geistigen Wissens erlangen können. Der Mangel aber ist solcher Art durch das Ungenügen des Verstandes und Unklarheit des Wollens und unangemessene Bestimmung des Zieles und durch Minderung der Reinheit, und weil kein Lehrer und Führer gefunden werden kann, und weil die Gnade vorenthalten wird – denn es heißt, einem knauserigen Mann tut Reichtum nicht gut [Sir 14,3], auch nicht das Beherrschen von Großem – wegen Behinderungen durch Zeit und Ort und Sitten. Gott gewähre uns, Seinen Willen zu erkennen, damit wir, diesem stetig folgend, zur ewigen Ruhe gelangen durch die Gnade und die Menschenliebe unseres Herrn Jesus Christus. Ihm sei aller Ruhm in Ewigkeit. Die Wahrheit ist das Wahrnehmen der Wahrheit gemäß Gott, die der Mensch in sich durch die Empfindungen des geistigen Verstandes wahrnimmt. Die Liebe ist eine Frucht des Gebets, | 186v das durch seine Betrachtung den Geist zur unersättlichen Liebe zu ihm (dem Gebet) drängt, sofern er darin unermüdlich verharrt, und wenn er nur mit Inbrunst und Wärme im Geiste in schweigendem Bedenken des Verstandes betet. Das Gebet ist die Abtötung der Gedanken im Hinblick auf das Verlangen des fleischlichen Lebens. Denn wer bedächtig betet, gleicht jemandem, der für die Welt gestorben ist. Und das bedeutet, sich selbst zu verleugnen und ausdauernd im Gebet zu verharren. Also wird die Liebe zu Gott in der Selbstverleugnung der Seele gefunden. Wie aus den Samen des Schweißes der Fastenzeit die Ähre der Keuschheit sprießt, so kommt von der Sattheit die fehlende Enthaltsamkeit bei Unzucht und von der Überfüllung die Unreinheit. Bei einem hungrigen Bauch und Mäßigung dringen niemals schmutzige Gedanken ein. Jede genossene Speise ist eine Ergänzung der Säfte in uns und bildet eine und oυ διαυγής. Version A hat konsequent ne ozarenъ zu r. oυ διαυγής. Vgl. jedoch W: „…even when grace, the intelligible sun, is near and inciting […] but there is no purity through which (as through the air purified from the density of the clouds and from the matter of darkness) the sunrays attain to us easily […] then sight is impeded in its discriminating power …“
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natürliche Stärke in uns. Und wenn sich durch die Anstrengung des ganzen Körpers die Glieder mit dem in ihren Gefäßen Enthaltenen füllen, und wenn es geschieht, || 187r daß etwas körperlich (mit den leiblichen Augen) gesehen wird oder wenn sich im Herzen unwillkürlich etwas zugleich mit einem Gedanken regt, dann gerät plötzlich aus diesem (Gedanken) eine Sache (voller) Lust in Bewegung und breitet sich im ganzen Körper aus. Und wenn der Sinn für das Keusche und Reine nicht stark ist in seinen (des Menschen) Gedanken, dann wird er durch jenes Gefühl, das in seinen Gliedern steckt, plötzlich in seinem Unterscheidungsvermögen beirrt, und wie von einem hohen Platz kommt er herunter von dem Platz, auf dem er steht. Die Heiligkeit seiner Gedanken fällt (von ihm) ab, und die strahlende Keuschheit wird entweiht durch die Verwirrung aus den Leidenschaften, die bei der Entflammung der Glieder im Herzen Eingang gefunden haben. Dann wird die Hälfte der Stärke sozusagen kraftlos, und das erste Ziel der Hoffnung ist vergessen, und sogar noch ehe der Mensch zum Kampf angetreten ist, ist er kampflos unterlegen, und ohne Anstrengung seitens seiner Feinde ist er wegen der Lüsternheit seines schwachen Leibes unterlegen. Zu all dem zwingt den Willen eines guten Menschen das heftige Verlangen, das aus reichlicher Sättigung kommt. Auch wenn der Mensch | 187v fest im Hafen der Keuschheit verbleibt, neigt er dazu, dem ausgeliefert zu sein, von dem er keinesfalls wollte, daß es in sein Herz einziehe. Und sobald er allein einschläft, umgibt ihn eine Sammlung von Gedanken, die eitle und schmutzige Phantasien enthalten und sein reines Lager zu einer Herberge der Unzucht und zu einem Schauplatz von Bildern machen, wenn er sich in der Trunkenheit seiner Gedanken im Gespräch mit ihnen befaßt und seine heiligen Glieder ohne Annäherung einer Frau entweiht. Welches Meer ist so aufgewühlt und kocht vom Seegang wie die Ordnung des Geistes, die verwirrt wird durch die Kraft der Wogen, die in ihm im Meer seines Fleisches durch die Übersättigung des Magens aufgewühlt werden. Über die Keuschheit O Keuschheit, wie wird deine Schönheit zum Strahlen gebracht durch das Schlafen auf dem Boden und das Erleiden des Hungerns, das dir den Schlaf raubt wegen des kläglichen Zustandes des Fleisches und des gleichsam tiefen Grabens zwischen den Rippen und dem Magen, weil (ihm) Nahrung vorenthalten worden ist. || 188r Jegliche Speise und jegliche Bequemlichkeit, die wir uns gönnen, schaffen in uns schmutzige Bilder und schändliche Götzen, die von ihnen hervorgebracht werden und von ihnen ausgehen und an einer verborgenen Stelle unseres Sinnes erblickt werden, und sie reizen uns, uns heimlich mit schändlichen Dingen zu befassen. Die Leerung des Magens macht unser Denken zu einem öden Ort, der unsere Absichten beruhigt und
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alle verwirrenden Gedanken zum Schweigen bringt. Jener übersättigte (Magen) aber ist ein Ort für Gespenster und öffnet die vier Tore für schlechte Phantasien, auch wenn wir allein in der Wüste wären, denn Sattheit, so heißt es, verlangt nach vielen Dingen. Wenn du der göttlichen Gnade und der Leidenschaftslosigkeit der Seele gewürdigt bist, dann wisse, daß nicht deshalb dein Geist nicht mit jenen Gedanken zu kämpfen braucht und sie besiegen muß, weil dich keine süßen Gedanken durchziehen oder Gedankenregungen ausbleiben, die aus dem Leib entstehen – ohne die niemand sein kann –, auch nicht wegen (des Fehlens) jener (Gedanken), die du leicht besiegst, weil durch sie das Denken überhaupt weder besudelt noch verwirrt wird – wie hoch es auch sei –, | 188v sondern wegen jener (Gedanken), die dank des besseren Einsatzes des Verstandes den Geist nicht gegen sie anzukämpfen und sie zu vernichten veranlassen. Vielmehr wird, sobald ein Gedanke auftaucht, dieser durch eine unwillkürliche Macht weggerissen, die nach Art der Gnade ihren Sauerteig im Herzen hat, das die Wohnstätte des Verstandes ist. Das eine ist der Geist des Asketen, und ein anderes der Stand des Priestertums. Der Geist, der durch himmlisches Erbarmen für die Welt gestorben ist, hat nur einfache Gedanken über einige Dinge ohne Kampf und Heldentat. Vollkommenheit, die mit dem Fleisch und dem Blut verbunden ist, herrscht über das, was aus dem Fleisch und dem Blut entspringt, aber sie entkräftet nicht (sowohl) dies (als auch) das was aus der Natur hervorgeht. Denn solange das Leben des Menschen durch die Bewegung der vier Säfte (Elemente) bestimmt wird, nimmt er auf dem Grund seines Geistes Veränderungen in jeder Bewegung und Neigung an. Gott sei Ruhm und Macht in Ewigkeit. Amen. || 189r Rede 44 (189r – 192r) darüber, wie der Vernünftige in der Zurückgezogenheit im Schweigen leben soll Höre, du Lieber (Bruder), wenn du nicht willst, daß deine Werke eitel seien und deine Tage leer und beraubt des Gewinns, den der Vernünftige vom Leben im Schweigen erhofft, dann geschehe dein Eintritt in dasselbe mit Überlegung und nicht durch (die Hoffnung auf) den Empfang von irgendetwas, damit du nicht so seiest wie viele, sondern so, daß du dein Vorhaben im Sinn habest und du auf dieses die Taten deines Lebens ausrichten mögest. Und befrage diejenigen, die ihr Wissen vor allem durch Erfahrung und nicht nur durch Einsicht haben, und höre nicht auf, bis du nicht auf allen Pfaden im Tun desselben (des Lebens in der Zurückgezogenheit) eingewöhnt bist. Und bei jedem Schritt, den du tust, prüfe, ob du auf dem (rechten) Weg gehst oder von diesem abgewichen bist, indem du auf einem Pfad
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abseits des Weges schreitest. Und glaube nicht, daß nur durch sichtbare Werke das richtige Leben im Schweigen geführt wird. Wenn du etwas finden und dieses |189v durch eigene Erfahrung erlangen willst, möge es in dir heimlich in deiner Seele Zeichen und Merkmale bei jedem Schritt, den du zurücklegst, geben, und durch diese wirst du die Wahrheit der Väter oder die Verlockung des Feindes (Satans) erkennen. Dafür möge dir dieses Wenige dienen, bis du weise geworden bist auf deinem Weg. Wenn du in der schweigenden Zurückgezogenheit im Geiste siehst, daß dein Sinn (hinreichend) stark ist, frei in rechten Gedanken zu handeln, und er keiner Macht über einen derselben bedarf, dann wisse, daß dein Schweigen richtig ist. Und wiederum wenn du deinen Dienst versiehst und in der Verschiedenheit deines Dienstes nach Möglichkeit ohne Umherschweifen (der Gedanken) bist und plötzlich der Vers dir vom Munde abgeschnitten wird und dies auf deine Seele, unabhängig von deren Freiheit, die Fesseln des Schweigens legt (wörtlich: ausgießt) und dieses dem Verweilen (in der Zurückgezogenheit) folgt, dann wisse, daß du in deinem Schweigen voranschreitest und daß die Demut in dir sich zu mehren begonnen hat. Denn das einfache Schweigen gilt vor der Gerechtigkeit als tadelnswert. || 190r Das einfache Leben ist für die Weisen und Besonnenen wie ein einzelnes Glied, das von der Unterstützung durch die anderen abgetrennt ist. Und wiederum, wenn du siehst, daß bei jedem Gedanken, der sich in deiner Seele regt, und jeder Erinnerung und Vision, die sich bei deinem Leben im Schweigen ereignen, deine Augen sich mit Tränen füllen, die deine Wangen ohne Not benetzen, dann wisse, daß vor dir die Öffnung der Mauer zur Zerstörung der Gegner begonnen hat. Und wenn du bei dir feststellst, daß von Zeit zu Zeit dein Geist ohne besondere Absicht außerhalb der üblichen Ordnung sich in dein Inneres versenkt und da wohl eine Stunde oder wieviel auch immer verweilt, und wenn du danach deine Glieder wie in großer Kraftlosigkeit vorfindest und Frieden in deinem Denken herrscht und dies dir immer wieder geschieht, dann wisse, daß die Wolke begonnen hat, dein Zelt zu überschatten. Wenn du aber, nachdem du (einige) Zeit im Schweigen zugebracht hast, in deiner Seele | 190v Gedanken feststellst, die auseinanderstreben und dich beherrschen und daß sie gleichsam wie unter Zwang jederzeit von diesen gefangengenommen wird und ihr Denkvermögen jederzeit zu dem hingeführt wird, was (zuvor) von ihr getan worden war oder daß sie sich in nichtigen Dingen versuchen will, dann begreife, daß du dich vergeblich in der Zurückgezogenheit abmühst und daß deine Seele im Umherschweifen verbleibt. Und die Ursachen kommen für sie von außen oder von der inneren Unlust an dem, was nötig ist, vor allem aber am Wachen (im Gottesdienst) und Lesen. Dann bringe sogleich deine Sache in Ordnung. Solltest du aber, wenn du in diese Tage
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(der Zurückgezogenheit) eintrittst, keinen Frieden vor der Verwirrung durch die Leidenschaften finden, dann wundere dich nicht. Denn wenn der Schoß des Meeres1, nachdem die Sonnenstrahlen vergangen sind, noch lange Zeit warm bleibt und auch der Duft der Zaubermittel2 und der Rauch der Myrrhe, der in der Luft verbreitet wurde, lange Zeit (da) verbleibt, ehe er sich zerstreut und verschwindet und man nichts mehr von ihnen weiß, wieviel mehr gilt das von den Leidenschaften, die sich gleichsam nach Art der Hunde verhalten, die gewöhnt waren, an der Schlachtbank Blut zu lecken, wenn ihnen die gewohnten Dinge || 191r verwehrt werden, (dann) vor dem Tor stehen und heulen, bis die ursprüngliche Gewohnheit ihre Macht verliert. Wenn aber Nachlässigkeit wie ein Dieb in deine Seele einzudringen beginnt und sie sich im Dunkelwerden rückwärts wendet, dann kommen diese Zeichen auf dich zu: Du spürst heimlich in dir, wie du kraftlos in deinem Glauben wirst und begierig auf sichtbare Dinge, und deine Hoffnung nimmt ab, und in deiner Annäherung (an andere) wirst du Schaden nehmen, und deine Seele wird ganz erfüllt sein von Vorwürfen sowohl auf deinen Lippen wie auch im Herzen gegen jedermann und jegliche Sache und alle Dinge, die dir in deinen Gedanken und Empfindungen begegnen, und (sogar) gegen jenen Allerhöchsten. Und du fürchtest dich, daß der Leib Schaden nehmen könne, dessentwegen dich unentwegt Verzagtheit beherrscht. Und von Zeit zu Zeit wird deine Seele von Angst bewegt, als würdest du dich selbst vor deinem Schatten fürchten und seinem Zwang unterliegen – ich spreche aber nicht von dem Glauben, der die Grundlage des Bekenntnisses aller ist, sondern von jener klugen Kraft, die durch das Licht des Verstandes | 191v das Herz unterstützt und durch das Zeugnis des Gewissens in der Seele große Hoffnung auf Gott weckt, damit sie sich nicht selbst um sich sorgt, sondern ihren Kummer auf Gott wirft, ohne sich um etwas zu bekümmern. Vom Unglau1
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K: nědro morьskoje, so auch M: nědro morsko, eigentlich „Schoß der Welt“ zu Th: ὁ κόλπoς τoῦ κόσμoυ, richtig in Hs 1389, V: nědro mirьsko, in Version A (Chil 470): pazoucha mirьskaja. Die Fassung in K, M scheint eine spätere Interpretation aufgrund der anderen Bedeutungen der griechischen Entsprechung „Meeresbusen, -tiefe, Bucht“ zu sein. vonja jadovьnaja (in A und B) zu Th: ἡ oσμὴ τῶν ϕαρμάκων – jadovьnъ zu jadъ „Gift“ entspricht nicht direkt der Bedeutung von ϕάρμακον n. in diesem Kontext, ist aber in beiden Versionen so akzeptiert. Das griechische Wort hat mehrere Bedeutungen: im NT „Gift“, Plural „Giftmischerei; Zaubermittel“, daneben auch „Heilmittel, Arznei“. In den Synaxarien zum Triodion in der Übersetzung von Zakchej ist die Entsprechung lěkovanije. Die Übersetzung scheint durch die semantischen Möglichkeiten des griechischen Wortes motiviert zu sein, das diese Verbindung „Giftmischerei – Zaubermittel – Heilmittel“ enthält.
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ben warst du überdeckt, wenn du aber vorankommst und wenn du erkennst, daß diese offensichtlichen Zeichen deiner Seele nahe sind, wirst du alsbald in allem durch die Hoffnung gestärkt und im Gebet bereichert werden, und nie wird es deinem Sinn in allem, was dir begegnet, an etwas Nützlichem mangeln. Und du wirst die (Fälle von) Ohnmacht der menschlichen Natur spüren, und jede einzelne bewahrt dich vor Hochmut, und andererseits sind die Unvollkommenheiten des Nächsten deiner Beachtung nicht wert. Und du hast den Wunsch, den Leib zu verlassen im Verlangen nach dem, worin wir künftig sein wollen. Und bei allem, was uns an Bedrängnissen widerfährt, was dir offen und heimlich begegnet, wirst du in aller Behutsamkeit, die fern von Dünkel ist, erkennen, daß es dir zu Recht zugestoßen ist, und du wirst || 192r dich zu allem bekennen und Dank ablegen. Dies sind die Zeichen für die Asketen, die Wachsamen, die im Schweigen leben und Glaubwürdigkeit in ihrem Lebenswandel erlangen wollen. Die Schwachen aber verlangen nicht nach solchen feinen Zeichen der Fallstricke. Denn sie sind fern von den verborgenen Tugenden. Wenn eines derselben in deine Seele einzudringen beginnt, dann erkenne sogleich, in welche Richtung es sich neigen will. Denn du wirst sogleich erkennen, wohin es gehört. Gott gebe uns die rechte Erkenntnis. Amen. Rede 45 (192r – 196r) Von der Ordnung der feinen Unterscheidung Prüfe dich stets selbst, o lieber (Bruder), und betrachte bei der Menge deiner Werke auch die dir begegnenden Mühsale und die öde Gegend, in der du lebst, und die Feinheit deines Geistes zusammen mit der Schärfe deines Verstandes und die lange Dauer deines Lebens im Schweigen mit den vielen Tränklein, das heißt den Versuchungen, die von dem wahren Arzt zur Genesung jenes inneren Menschen verabreicht werden, | 192v bisweilen aber (auch) von den Dämonen, und bisweilen in Gebrechen und Krankheiten des Leibes und bisweilen in der Angst der Gedanken deiner Seele im Eingedenken des Schrecklichen, das am Ende sein wird. Bisweilen aber auch im Hinzutreten und Eingebundensein in warme Gnade und süße Tränen und geistige Freude und allem anderen, worüber ich nicht (zu) viele Worte verlieren will. Siehst du in all diesem, wie deine Schwäre zu heilen und sich zu schließen begonnen hat? Das heißt, haben deine Leidenschaften begonnen, ihre Kraft zu verlieren? Setze ein Zeichen, und gehe in dich, und achte darauf, welche Leidenschaften du siehst, die für dich an Kraft verloren haben, welche verschwunden sind und völlig (von dir) abgelassen haben und wel-
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che begonnen haben, infolge der Gesundung deiner Seele zu verstummen und nicht, weil du dich ihnen entzogen hast1, und welche durch deine Denkfähigkeit begonnen haben zu erstarken und nicht wegen des Wegfalls der Ursachen. Und achte wiederum darauf, ob du vollständig in der Fäulnis deiner Schwäre siehst, wie lebendiges Fleisch || 193r zu wachsen begonnen hat, das nämlich der Friede der Seele ist, und welche der Leidenschaften (dir) nacheinander und zwanghaft aufgedrängt werden und in welchen zeitlichen Abständen. Und ob diese den Leib oder die Seele betreffen oder frei und gemischt sind und ob sie sich gleichsam nur kraftlos in der Erinnerung regen oder die Seele heftig angreifen und ob sie gleichsam gebieterisch oder nach Art eines Diebes auftreten, und wie nimmt sie der Verstand wahr, der als König über die Sinne gebietet. Kämpft er gegen sie an, wenn sie den Kampf aufnehmen, und läßt sie schwach werden durch seine Kraft, oder richtet er nicht einmal seinen Blick auf sie, noch denkt er über sie nach, und welche sind von den alten übriggeblieben, und welche sind neu entstanden? Die Leidenschaften aber werden durch Vorgestelltes angeregt oder durch Gefühle ohne Vorstellungen, es gibt Erinnerung ohne Leidenschaft und Gedanken ohne Verlockung. An all diesem kann man wiederum den Zustand der Seele erkennen, wie es um sie bestellt ist. Jene ersteren aber haben noch keine Ordnung erreicht, weil der Seele noch ein Kampf | 193v bevorsteht, wenn sie auch Festigkeit gegen sie zeigt. Diese aber (die anderen) bedürfen gleichsam dessen, wie es in der (Heiligen) Schrift heißt. In der Not, so sagt sie, saß David in seinem Hause, und Gott gab ihm Ruhe vor allen, die ihn umringten [2 Sam 7,1]. Dieses sollst du nicht von einer Leidenschaft allein begreifen, sondern zusammen mit den natürlichen Leidenschaften des Begehrens und des Zorns und der Sucht nach Ruhm, die sich Gesichter vorstellt und erträumt und zu Begehren und Liebe anregt. Und die Leidenschaft der Geldgier wiederum – wenn sich die Seele ihr auch verborgen zuwendet, selbst wenn sie sich nicht zur Tat unterordnet, so stellt sie sich doch im Geist die Idole der Gegenstände der Geldgier beim Zusammentragen des Reichtums vor und veranlaßt die Seele, darüber nachzusinnen, und verursacht das Bedürfnis, diese reichlich zu erwerben. Nicht alle Leidenschaften kämpfen durch Verlockung. Denn es gibt Leidenschaften, die der Seele nur Bedrängnisse zeigen: Trägheit und Verzagtheit und Trübsal bringen weder Verlockung noch Erleichterung, sondern bürden der Seele nur Schwere auf. Stärke verspürt die Seele im Kampf gegen jene, die durch Verlockung kämpfen. || 194r Und der Mensch bedarf für alles dieses eines feinen Ver1
K: …ot otstuplenia ježe kъ nimь, anders bei Th: … τῶν πτoούντων „der (dich) in Schrecken versetzenden“.
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standes und der Kenntnis der Zeichen, damit er bei jedem Schritt, den er tut, erkennt, wohin er gelangt ist und in welches Land seine Seele einzutreten begonnen hat: in das Land Kanaan oder jenseits des Jordan. Achte aber auch auf dies: Ob durch das Licht der Seele der Verstand zur Unterscheidung dieser Dinge bereitet ist, oder ob er im Dunkeln urteilt oder dessen überhaupt entbehrt. Hast du festgestellt, ob dein Denken überhaupt begonnen hat, sich zu klären? Hat das Umherschweifen (der Gedanken) zur Zeit des Gebets Raum in deinem Sinn? Und welche Leidenschaft verwirrt den Sinn, wenn er sich zum Gebet anschickt? Fühlst du in dir, wie die Kraft aus dem Schweigen deine Seele durch Milde und Stille überkommt und durch eine Demut, die auf ungewöhnliche Weise im Geist geboren wird? Und gerät dein Geist ständig ohne Zutun deines Willens in Entzücken bei dem Gedanken an die nicht an das Fleisch gebundenen Dinge, über die zu reden den Sinnen nicht erlaubt ist? Flammt in dir plötzlich Freude auf, | 194v die die Zunge durch die unvergleichliche Wonne, die sie erfährt, zum Schweigen bringt? Quillt aus dem Herzen stetig eine süße Wonne, und enthebt sie den Menschen gänzlich und unmerklich aus allem? Überfällt von Zeit zu Zeit den ganzen Körper eine Wonne und Freude, wie sie die Zunge aus Fleisch nicht ausdrücken kann, bis sie, dessen eingedenk, alles Irdische für Staub und Unrat erachtet? Denn jenes Erstere, aus dem Herzen Kommende geschieht bisweilen während des Gebets und bisweilen während des Lesens; und manchmal erwärmt sich der Geist auch vom ständigen Üben und der Dauer des Nachsinnens. Dieses Letztere aber geschieht oftmals ohne diese, und wieviele Male ereignet es sich bei unwichtigem Tun und oftmals nachts in derselben Weise wie zwischen Schlaf und Wachen, als ob man schliefe und doch nicht schliefe, wache und (doch) nicht wache. Wenn aber jene Wonne den Menschen überkommt und in seinem ganzen Körper wogt, dann vermeint er zu jenem Zeitpunkt, solches sei nichts anderes als allein das Himmelreich. Beachte weiterhin, ob die Seele die Kraft erlangt hat, die Erinnerung an die sinnlich wahrnehmbaren Dinge zu mindern || 195r durch die Kraft der Hoffnung, die das Herz umfängt und die inneren Empfindungen durch eine unerklärliche Unterordnung unter das Zeugnis stärkt. Und ob das Herz ohne die Sorge, daß es von irdischen Dingen gefangen werden könnte, zu unaufhörlichem Gespräch und dessen unermüdlicher Weiterführung mit unserem Erlöser angeregt wird. Mögen wir den Verstand zur Unterscheidung der (verschiedenen) Aufforderungen zu diesem Gespräch erlangen. Und wenn du die hinhörst, wird das ununterbrochene Leben im Schweigen durch seine unermüdliche Beibehaltung die Seele alsbald diese Gespräche genießen lassen. Doch sie verschwinden wieder, nachdem sie erlangt wurden, durch die Nachlässigkeit derer, die sie empfangen hatten, und sie wer-
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den lange Zeit nicht wieder erreicht. Denn darüber wagt man zu reden, was man nach dem Zeugnis seines Gewissens sagt, wie nämlich der selige Paulus sagte, als er sprach: Ich glaube aber, daß weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch sonst irgendetwas mich von der Liebe Christi trennen kann [Röm 8,38], also weder körperliche Leiden zusammen mit seelischen (Leiden), weder Hunger noch | 195v Verfolgung, weder Nacktheit noch Einsamkeit, noch Gefängnis, weder Not noch das Schwert, sondern nicht einmal die Engel des Satans, noch seine Mächte mit den bösen Formen ihrer Listen, noch der unbedeutende Ruhm, der sich ihm (dem Menschen) anhängt, noch die Verleumdungen und die Vorwürfe von Gemeinheiten, die es grundlos und umsonst gibt. Wenn dies alles, o Bruder, sich nicht in irgendeiner Weise überreich oder weniger in deiner Seele zu zeigen begonnen hat, dann muß all dein Mühen und Leiden und das Leben im zurückgezogenen Schweigen und alles Plagen erfolglos sein. Und nicht einmal wenn Wunder durch deine Hände geschähen und Tote auferstünden kann es diesem vergleichbar angesehen werden. Und nun erhebe deine Seele und unterwirf dich unter Tränen dem Erlöser von allem, daß Er den Vorhang vor der Tür deines Herzens aufhebe und die Finsternis des Sturmes der Leidenschaften aus der inneren Festung vertreibe, damit du würdig werdest, das Tageslicht zu schauen, damit du nicht wie ein Toter für alle Zeiten in der Finsternis sitzest. Stetiges Wachen und Lesen und häufige Verbeugungen, || 196r die von jemandem übernommen werden, werden nicht säumen, diese Gaben denen, die sich eifrig bemühen, zukommen zu lassen. Und wer sie erlangt hat, hat sie durch diese erlangt. Und die diese wieder erlangen wollen, müssen im Schweigen leben und gleichzeitig dieses tun und dazu ihre Gedanken an nichts anderes als ihre Seele binden, auch an keinen Menschen, jedoch das innerliche Üben der Tugend pflegen. Aber auch bei diesen Werken finden wir in einigen von ihnen zum Teil ein sicheres Gefühl uns nahe, durch das uns auch im Hinblick auf das Übrige Bekräftigung gegeben wird. Wer da im Schweigen lebt und die Gnade Gottes durch Erfahrung kennengelernt hat, bedarf nicht vieler Überzeugung, noch krankt seine Seele an irgendeiner Form des Unglaubens wie die, welche an der Wahrheit zweifeln. Das Zeugnis seines Geistes genügt, um ihn mehr zu überzeugen als zahllose Worte, die ohne Erfahrung sind. Unserem Gott sei Ruhm und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Rede 46 (196r ‒ 202r) Über die wahre Erkenntnis und über die Versuchungen und darüber, daß man sicher wissen muß, daß nicht nur | 196v bei einigen geringen und schwachen und ungebildeten (Menschen), sondern auch bei solchen, die
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lange der Leidenschaftslosigkeit gewürdigt worden sind und Vollkommenheit in ihrem Denken erlangt haben und zum Teil der mit dem Absterben verbundenen Reinheit nahe gewesen sind, Versuchungen aus Erbarmen wegen des Verfallens in den Hochmut zugelassen sind Wie oft freveln manche ein um das andere Mal und heilen ihre Seele durch Reue, und die Gnade richtet sie auf. Denn in jedem vernünftigen Wesen geht auf irgendeine Weise ein Wandel vor sich. Die Veränderungen kommen auf jeden Menschen jederzeit zu. Durch viele von ihnen gelangt der Verständige dahin, dies zu begreifen. Aber die damit verbundenen Prüfungen können ihn jeden Tag noch mehr darin erleuchten, wenn er enthaltsam lebt und mit seinem Verstand auf sich achtet und erfährt, wieviel an Veränderung der Milde und Einfachheit sein Sinn jeden Tag erfährt und wie er aus Demut heraus plötzlich Verwirrung erlebt, wenn es keinen Anlaß von irgendwoher gibt, und wie er sich in großer und unsäglicher Not befindet. Und das ist es, was der selige Makarios || 197r klar in großer Voraussicht und mit großem Ernst seinen Brüdern zur Erinnerung und Belehrung aufschrieb, daß sie sich in Zeiten der Veränderung zum Gegensätzlichen nicht der Verzweiflung überlassen sollen, weil denjenigen, welche im Stande der Reinheit sind, ständig Stürze widerfahren, so wie Kälte die Luft überfällt, und nicht nur ohne daß sie nachlässig oder sorglos wären, sondern auch wenn sie sich ihrem Stande entsprechend verhalten, widerfahren ihnen Stürze trotz der Wachsamkeit ihres eigenen Wollens. Aber auch der selige Markus bezeugt dies als ein durch Erfahrung Belehrter und hält dies in seinen Schriften ausführlich fest, damit niemandem dünke, der selige Makarios habe dies gleichsam zufällig und nicht aus wirklicher Erfahrung in seinem Schreiben festgehalten, so daß von jedem dieser zwei Zeugen (bestätigt) der Geist ohne Zweifel seinen Trost zu der Zeit empfange, da er dessen bedürfe. Was aber bedeutet das nun? | 197v Veränderungen, so sagt er, gibt es bei jedem wie bei der Luft. Begreife: das was in einem jeden ist, wie es auch eine (und dieselbe) Natur (bei allen) ist. Denn du sollst nicht einmal denken, daß er nur über die Unbedarften und die Geringsten spricht und die Vollkommenen befreit sind von Veränderung und unbeugsam auf einer Stufe ohne leidenschaftliche Gedanken dastehen, wie die Euchiten sagen. Weshalb er festhält: bei jedem. Wie aber ist das, o Seliger, (zu verstehen)? Du sagst doch, (es gibt) Frost und kurz darauf Hitze und etwa Hagel und kurz darauf ist es hell, und dies geschieht auch in unserem Handeln: (erst) Kampf und (dann) die Hilfe durch die Gnade. Und manchmal befindet sich die Seele in einem Sturm, und heftige Wogen rollen gegen sie an, und dann (kommt) wieder eine Veränderung und die Heimsuchung durch die Gnade, und das Herz des Menschen wird erfüllt von Freude und einem Frieden, der von Gott kommt, und
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von keuschen und friedvollen Gedanken. Diese Gedanken der Keuschheit zeigt er hier, indem er deutlich macht, daß die vorherigen von Art der Tiere und unrein waren, und er belehrt (uns) und sagt: Wenn aber nach || 198r diesen keuschen und frommen Gedanken ein Überfall (des Gegenteiligen) kommt, so mögen wir uns nicht betrüben und verzweifeln, und wiederum mögen wir uns in der Zeit der Ruhe durch die Gnade nicht rühmen, sondern zur Zeit der Freude sollten wir den Kummer erwarten. Er lehrt uns, nicht betrübt zu sein, wenn Unglücke folgen, (auch) dies nicht als gegen uns gerichtet anzunehmen, sondern es freudig als etwas Natürliches und zu uns Gehöriges zu erklären und unseren Geist so annehmen zu lassen. Laßt uns nicht der Verzweiflung anheimfallen wie jemand, der etwas von dem Kampf erwartet hatte und vollkommene, unveränderliche Ruhe und weiter weder Kämpfe und Drangsale akzeptiert, noch darin eine Regung von etwas diesem Entgegengesetzten zulassen will, was (indessen) Gott unserem Herrn nicht angemessen schien, unserer Natur in dieser Welt zu gewähren. Und dies tut Er, damit wir nicht völlig untätig bezüglich Werke werden und bei eben diesem Denken in Verzweiflung ermatten und unbeweglich in unserer Lebensführung bleiben. Und er (Makarios) hat gesagt: Wisse, daß alle Heiligen dieser Sache (der Veränderungen) unterworfen waren. Solange wir in dieser Welt sind, | 198v erfahren wir darin insgeheim reichen Trost, weil an jedem Tag und zu jeder Stunde von uns die Prüfung unserer Liebe zu Gott im Kampf und mutigem Handeln gegenüber den Versuchungen verlangt wird. Und das bedeutet, daß wir im Kampf nicht betrübt zu sein und zu verzagen brauchen. Und so wird unser Weg geebnet. Wer sich aber davon abwenden oder dem ausweichen will, der fällt den Wölfen anheim. Wie wunderbar ist das von diesem Heiligen Geschaffene, wie er in kurzer Rede diese Notwendigkeit bestätigt und gezeigt hat, daß sie voller Vernunft ist, und wie er aus dem Kopf des Lesers jeden Zweifel entfernt hat. Denn er hat gesagt, daß derjenige, der sich davon entfernt und eine Beute der Wölfe ist, nicht auf dem (rechten) Pfad wandeln will und in seinem Sinn dies zu erreichen und auf einem eigenen Weg zu schreiten festgelegt hat, der nicht von den Vätern schon begangen worden ist. Er aber lehrt, daß man in der Stunde der Freude Kummer erwarten soll. Wenn durch das Wirken der Gnade plötzlich in uns erhabene Gedanken aufkommen und Staunen bei der geistigen Schau || 199r des höchsten Wesens, wie der heilige Markus sagt, wenn die heiligen Engel sich uns nähern und uns mit der Schau der geistigen Dinge erfüllen und alles dem Entgegengesetzte weicht und Frieden und eine unaussprechliche Stille herrscht in der Zeit, wenn man dieses erlebt, wenn die Gnade dich überschattet und die heiligen Engel sich dir segnend nähern und durch diese Annäherung alle Versuchungen abfallen, dann werde nicht überheblich und
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vermeine nicht in deiner Seele, du habest einen sturmsicheren Hafen erreicht und unveränderliche Luft und daß du dich völlig über diese Meeresbucht mit ihren widrigen Winden darin erhoben habest, und es gebe weder einen Feind noch üble Begegnungen. Denn viele haben so gedacht und sind in Not geraten, wie der selige Nil1 gesagt hat: Entweder (du denkst), du stündest höher als viele Große, daß dir zukomme, in diesem Zustand zu sein, den anderen aber keinesfalls wegen ihres mangelhaften Lebenswandels oder weil deren Erkenntnis nicht genüge, weshalb ihnen dieses nicht gewährt | 199v werde. Ich aber bin im gebührenden Stande, so daß ich vollkommene Heiligung und die Stufe des Geistigen und unwandelbare Freude erlangt habe. Noch mehr aber nimm die unreinen Gedanken in dir wahr und die unschönen Idole, die in der Zeit des Winters sich in deinem Geist eingerichtet haben und in der Stunde der Verwirrung und Unordnung der Gedanken, die noch vor kurzem in der Blindheit des Dunkels gegen dich angetreten waren, wie schnell du dich den Leidenschaften zugewandt hattest und mit ihnen Umgang pflegtest in der Umdunkelung deines Sinnes und wie du dich nicht schämtest noch erschrakst vor dem Anblick Gottes, der geschenkten Wohltaten, die du empfangen hattest. Und begreife, wie dies alles, damit wir demütig werden, durch die Vorsehung Gottes uns widerfahren ist, Der für jeden von uns Seine Vorsehung walten läßt und uns ordnet, wie es dem Einzelnen gebührt. Wenn du aber überheblich wirst wegen Seiner Gaben, dann verläßt Er dich, und du kommst vollkommen in den Dingen zu Fall, in denen du in deinen Gedanken versucht worden bist. Wisse auch, daß (die Tatsache daß) du stehst, nicht dein (Verdienst) noch (das) deiner Tugend || 200r ist. Sondern es ist jene Gnade, die dich auf den Flächen ihrer Hände trägt, damit du dich nicht fürchtest. Dieses, so sagte er, nimm in dir auf zur Zeit der Freude, wenn dein Sinn überheblich wird, sagte unser heiliger Vater, sondern weine (vielmehr) und vergieße Tränen und falle nieder eingedenk deiner Verfehlungen aus der Zeit, da dies (dir gegenüber von Gott) zugelassen ward, damit du darin gerettet werdest und dadurch Demut erlangest, damit du nicht verzweifelst, sondern demütigen Sinnes durch das Erbarmen (Gottes) Verzeihung deiner Sünden erlangest. Von der Demut Die Demut bewirkt auch ohne Werke Verzeihung vieler Sünden. Diese (Werke) aber sind im Gegensatz dazu ohne sie (die Demut) nicht nützlich, sondern bereiten uns viel Böses. Mach deine Verfehlungen, wie ich sagte, durch Demut verzeihbar. Was das Salz für jede Speise, ist die Demut für jegliche Tugend. Sie kann die Macht vieler Sünden zerstören. Also muß man 1
Th: Neilos.
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sich unentwegt in seinen Gedanken in Demut und leidgeprüftem Urteil darum (die Erlangung der Demut) bekümmern. Und wenn wir dies erlangen, macht es uns zu Söhnen Gottes, und (auch) ohne gute Werke | 200v läßt es uns vor Gott stehen, weil ohne diese (Demut) alle unsere Werke und alle Tugenden und all unser Tun eitel sind. Also will Gott die Änderung unseres Sinnes, weil wir in unserem Sinn sowohl gut sind als auch in unserem Sinn verwerflich sind. Und es genügt diese (Demut) allein, daß wir ohne Hilfe vor Gott stehen und über uns sprechen. Also danke Gott und bekenne, ohne zu verstummen, welch schwache und zum Abweichen neigende Natur du besitzest und wie du mit Unterstützung der Gnade von Zeit zu Zeit aufgerichtet wirst und welcher Gaben du gewürdigt wirst und worin du dich über die Natur erhebst, wenn du aber (den Anfechtungen) ausgesetzt wirst, (bedenke) wohin du da absteigst und was für einen tierischen Sinn du erlangst. Und sei eingedenk der Jämmerlichkeit deiner Natur und der Geschwindigkeit der Veränderung, die in dir vor sich geht, wie einer der heiligen Mönche sagte. Wenn, so sagte er, der Gedanke des Hochmuts dich überfällt und zu dir spricht: denke an deine Tugenden, dann sage: Du alter Mönch, betrachte deine Unzucht. Er meinte diese Unzucht, mit der du zur Zeit, da es zugelassen war, in deinen Gedanken || 201r versucht wurdest, was jedoch die Gnade in einem jeden bewirkt, sei es im Kampf oder durch ihren Beistand, je nachdem, was uns gebührt. Siehst du, wie dieser wundersame alte Mönch trefflich diese Sache ausdrückt, wenn er sagt: Wenn dir der Gedanke des Stolzes über den hohen Stand deines Lebenswandels kommt, dann sprich: Du alter Mönch, betrachte deine Unzucht. Dies aber ist offenbar, daß der alte Mönch dies zu einem hochgestellten Menschen sagt, weil es nicht möglich ist, daß Menschen von solchem Gedanken bedrängt werden könnten, es sei denn, daß sie höheren Standes und von einem lobenswerten Lebenswandel wären, weil diese Leidenschaft nach einer bewiesenen Tugend die Seele angreift, um sie solchen Handelns zu entblößen. Und wenn du willst, kannst du auch aus einem Schreiben desselben heiligen Makarios lernen, auf welcher Stufe die Heiligen stehen und was zugelassen wurde, um sie darin zu versuchen. Jenes Schreiben aber ist dieses, das Vater Makarios allen seinen geliebten Kindern schreibt, worin er sie offen belehrt, wie sie durch Gott und in Kämpfen und durch den Beistand der Gnade bereitet werden. Wie es dadurch | 201v der göttlichen Weisheit gefiel, die Heiligen im kühnen Kampf gegen die Sünde um der Tugend willen anzuleiten, solange sie dieses Leben haben, damit allzeit ihr Blick zu Ihm aufgerichtet sei und daß in ihrer Ihm alltäglich zugewandten Schau ihre heilige Liebe zu Ihm wachse, wenn sie unermüdlich zu Ihm hinstreben gegen die andrängenden Leidenschaften und die Furcht vor einem Abweichen und in ihrem Glauben und in der Hoffnung
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auf Seine Liebe bestärkt werden. Und dies nun wurde wahrhaftig weder für diejenigen gesagt, die unter den Menschen weilen und allerorten umhergehen und ständig von schmutzigen und unreinen Dingen und Gedanken umgeben sind, noch für jene, die außerhalb des zurückgezogenen Lebens im Schweigen Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit üben und (doch) in ihren Werken und Sinnen allzeit gefangen sind und die jederzeit in die Gefahr zu fallen versetzt werden durch eine Notlage, in die sie geraten, fern ihres Willens in unfreiwilligen Zufällen, die nicht nur weder ihre Gedanken noch ihre Sinne vollständig hüten können, sondern für diejenigen, die ihre Leiber || 202r und ihre Gedanken hüten können und sich vollkommen von Verwirrung und dem Umgang mit den Menschen fernhalten, um in der Absage an alles und (sogar) durch die Aufgabe ihrer Seelen ihren Geist zu bewahren im Gebet und die Veränderungen der Schau, die durch die Gnade kommen, in ihrem Leben im Schweigen zu empfangen. Und sie leben unter dem Arm der Erkenntnis des Herrn und werden durch den Geist in der Abgeschiedenheit des Lebens im Schweigen heimlich weise, indem sie sich von den Dingen (der Welt) fernhalten und dem Anblick von einigen (Sachen) und die Abtötung ihres Sinnes gegenüber der Welt erlangt haben. Obwohl die Leidenschaften davon nicht absterben, so stirbt doch ihr Sinn im Fernhalten von den Dingen und mit Hilfe der Gnade. Und diese Gnade möge uns bewahren auf dem ganzen Gebiet. Amen. Rede 47 (202r – 206r) Der Sinn dieses Kapitels mit den darin ausgesprochenen Gedanken. Es ist nützlich Der zusammengefaßte Sinn dieses Kapitels ist, daß wir jederzeit begreifen sollen, daß wir in diesen 24 Stunden von Tag und Nacht der Reue bedürfen. Der Name Reue bedeutet, wie wir von der wahren Eigenschaft der Dinge erfahren haben, inständiges Flehen jederzeit in | 202v einem voller Andacht an Gott gerichtetem Gebet um die Vergebung der vergangenen und Bekümmernis wegen der Bewahrung vor künftigen (Sünden). Deshalb hat unser Herr im Gebet unserer Schwäche Festigung verliehen, indem Er sagt: Wachet auf, sagte Er, und wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet [Mt 26,41]. Und betet und lasset (darin) nicht nach [Lk 18,1] und seid Wachende und allzeit Betende [Lk 21,36; Kol 4,2]. Und bittet, sagte Er, und ihr werdet empfangen, suchet und ihr werdet finden, und klopfet an, und euch wird aufgetan. Denn jeder Bittende wird erhalten, und der Suchende wird finden und dem Anklopfenden wird aufgetan [Mt 7,7-8]. Und Er hat Sein Wort darüber hinaus noch bekräftigt, und daß wir uns noch mehr anstrengen bewirkte Er im Gleichnis von dem Freund, der um Mitternacht zu
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seinem Freund ging und um Brot bat, indem Er sagte: Amen, Ich sage euch, daß er, wenn er ihm nicht um der Freundschaft willen gibt, so wird er doch wegen seiner Dreistigkeit aufstehen und ihm alles geben, soviel er erbeten hat [Lk 11,8]. Und so betet auch ihr, und seid nicht lässig darin. O, du unaussprechliches Vertrauen. Der Gebende richtet uns auf, daß wir von Ihm erbitten || 203r Er möge uns Seine göttlichen Gaben geben. Und wenn Dieser alles, was zu unserem Wohl dient, für uns vorsieht, wie Er selbst weiß, so sind doch diese Seine Worte ganz erfüllt von Ermutigung und Hoffnung. Und weil der Herr weiß, daß Er die (Möglichkeit der) Abweichungen vor unserem Tode nicht aufhebt und wie sehr solche Veränderung uns nahe ist, das heißt die von der Tugend zum Bösen, und wie der Mensch und seine Natur empfänglich ist für das (dem Guten) Entgegengesetzte, so hat Er geboten, daß wir Eifer zeigen im täglichen Flehen und voranzuschreiten bemüht sind. Denn wenn es in dieser Welt ein Land der Hoffnung gäbe, und sich die Natur des Menschen, sobald er dieses erreicht hätte, über die Bedürfnisse erhoben und sein Handeln sich über die Furcht erhoben hätte, dann hätte Er in Seiner Vorsehung nicht geboten, uns betend zu bemühen, indem Er dies tut. Denn in der künftigen Welt werden keine Gebete mit irgendwelchen Bitten an Gott gerichtet werden. Denn in jenem Vaterland der Freiheit erfährt unsere Natur weder Veränderung, noch Abweichung, | 203v noch die Angst vor Gegnerschaft, weil sie in allem vollkommen ist. Deshalb hat uns Seine Vorsehung nicht nur zu Gebet und Wachsamkeit angehalten, sondern Er hat uns wegen der Feinheit und Unbegreiflichkeit dessen, was uns ständig begegnet und für die Erkenntnisfähigkeit unseres Geistes unfaßbar ist, in das wir oft gegen unseren Willen jederzeit geraten, wenn auch unser Denken sehr gefestigt und auf das Gute ausgerichtet ist, oftmals an der Grenze der Versuchungen zurückgelassen, wie der selige Paulus sagt: Damit ich nicht überheblich werde durch die Fülle der Offenbarungen, wurde mir ein Peiniger des Fleisches gegeben, ein Engel des Satans, damit er mir Übles antue. Und dazu habe ich den Herrn dreimal gebeten, daß Er von mir ablasse, und Er sagte zu mir: Es genügt dir Meine Gnade, denn Meine Kraft wird vollkommen in der Schwachheit [2 Kor 12,7-9]. Wenn also, Herr, dies Dein Wille ist und dies alles unsere kindliche Natur verlangt, bestraft und aufgerüttelt zu werden durch Dich und nicht (erst), wenn ein Mann trunken ist von Deiner Liebe so wie ich und dem Guten || 204r nacheifert, daß er die Welt überhaupt nicht sieht infolge einer Trunkenheit, wie ich sie habe in Dir, und dahin zu gelangen Du in mir bewirkt hast und Offenbarungen und Visionen, die die fleischliche Zunge nicht auszusprechen vermag, zu schauen und die Klänge des Dienstes der geistigen (Ränge) zu hören und Deines Anblickes, der voller Helligkeit ist, gewürdigt worden zu sein, und ich den-
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noch bei all diesem nicht fähig bin, mich selbst zu schützen, ich, der ich ein Mensch vollkommen in Christus bin, weil es etwas gibt, das wegen seiner Feinheit nicht durch meine Kraft erlangt werden kann, der ich den Geist Christi erworben habe, so will ich, o Herr, um dessentwillen mich freuen in (meinen) Krankheiten, in Bedrängnissen, in Gefängnissen, in Fesseln, in Nöten, sei es durch die Natur des Fleisches oder die Söhne der Natur oder deren Feinde. Nun freue ich mich, ertrage meine Krankheiten, (nämlich) das, was in meinen Versuchungen geschieht, damit sich die Kraft Christi in mir niederlasse. Wenn ich aber nach all diesem die Rute der Versuchung brauche, damit dadurch Dein Niederlassen in mir sich mehre und ich Schutz finde in Deinem Näherkommen, dann weiß ich, daß es keinen gibt, den Du mehr | 204v liebst als mich, und deshalb hast Du mich mehr als andere erhöht, und weil Du mich Deine wunderbare und glorreiche Stärke hast begreifen lassen, wie Du es keinem der Apostel, meinen Freunden, gewährt hast, und mich ein auserwähltes Gefäß [Apg 9,15] genannt hast und würdig, den Grad Deiner Liebe zu bewahren, um alles dieses willen und noch mehr, weil die Sache der Verkündigung erfolgreich ist und vorankommt, so weiß ich, daß, wenn ich von der Fessel der Versuchungen befreit sein werde, Du mir die Freiheit geben würdest, wenn dies mir nützte. Aber Du hast nicht zu wollen geruht, daß ich ohne Bedrängnis und Kummer in dieser Welt sei, indem Dir das weitere Verbreiten Deines Evangeliums in dieser Welt viel weniger wichtig ist, als daß ich Nutzen ziehe aus meinen Prüfungen und daß meine Seele durch Dich geschützt werde. Wenn also, der du so besonnen urteilst, die Gabe der Prüfungen so groß ist, wie sehr wird ein Mensch – sei er auch um vieles emporgestiegen und in den geistigen Bereich nach dem Vorbild des Paulus gelangt –, noch der Angst und der Wachsamkeit bedürfen und Nutzen erfahren aus der Begegnung || 205r mit Versuchungen, (und) wer ist derjenige, der in das Land der Hoffnung gelangt ist voller Gefangener und (die Gabe) empfangen hat, nicht abzuweichen, was nicht (einmal) den heiligen Engeln gegeben wird, damit sie nicht ohne uns Vollkommenheit erreichen, und so erlangt hätte, was allem Geistigen und Körperlichen widerspricht und der gänzlich unveränderlich bleiben will, so daß ihn keine Versuchung anwandle in seinen Gedanken? Die Ordnung dieser Welt hat diesen Sinn, der in allen Schriften ausgesprochen ist: Wenn wir jeden Tag tausend Striemen auf unseren Wegen empfangen, so sollen wir doch nicht verzagen und innehalten in unserem Lauf auf der Kampfbahn, denn es ist möglich, in einem einzigen kleinen Vorfall den Sieg zu erreichen und unsere Krone zu empfangen. Diese Welt ist ein Kampf auf dem Wege und eine Kampfstätte der Wege. Und diese Zeit ist eine Zeit des Kampfes. Und der Ort des Kampfes und die Zeit der kühnen Tat unterliegt keinem Gesetz. Das
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bedeutet: Wie der Herrscher seinen Kriegern keine Grenzen setzt, bis der Kampf beendet ist und jedermann vor den Toren des Herrschers aller Herrschenden versammelt ist, und dort wird geprüft, wer sich im Kampf ausdauernd | 205v erwiesen hat und nicht besiegt worden ist, noch daß er seinen Rücken wandte. Denn wie oft geschieht es, daß ein Mensch, der zu nichts tauglich und erbärmlich ist wegen des Mangels an Übung, der gestoßen und niedergeschlagen wird und in ständiger Schwäche lebt, das Banner aus der Hand der Heerschar der Riesensöhne ergreift, und sein Name wird gerühmt und mehr gepriesen als der der Streiter und durch ihre Siege Bekannten, und er empfängt die Krone und Ehrengaben mehr als alle seine Gefährten. Deshalb sollte kein Mensch sich der Verzweiflung überlassen. Nur zum Gebet sollen wir uns nicht geringschätzig verhalten und nicht müde werden, vom Herrn Schutz zu erbitten. Und dies mögen wir in unserem Denken festhalten: Solange wir in dieser Welt sind und im Fleische belassen, daß wir, selbst wenn wir bis zum Himmelsgewölbe erhoben würden, nicht ohne Tun und Mühe und frei von Sorge sein können. Das ist die Vollkommenheit. Verzeih mir, was darüber hinausgeht, das sind Lehren ohne Sinn. || 206r Unserem Gott sei Ruhm in Ewigkeit. Amen. Rede 48 (206r – 214r) Über die Verschiedenheit der Tugenden und die Vollkommenheit des ganzen Weges, über die Größe der Barmherzigkeit und die Liebe zu den Menschen nach dem geistigen (Vor-)Bild, das alle Heiligen vervollkommnet hat, durch das ihnen eine Gottähnlichkeit zuteil wurde, die in Seiner reichen Liebe über alle Menschensöhne ausgegossen wurde Der vollkommene ganze Weg besteht aus diesen Dreien: Reue und Reinheit und Vervollkommnung. Was ist Reue? Das Frühere zu verlassen und Betrübnis darüber zu empfinden. Und was ist Reinheit, kurz gesagt? Ein barmherziges Herz für jedes geschaffene Geschöpf. Und was ist Vollkommenheit? Die Tiefe der Demut, die im Aufgeben aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge besteht; der sichtbaren, das heißt aller mit den Sinnen wahrgenommenen, (und) der unsichtbaren, das heißt der gedachten, und (Leben) ohne die Sorge um sie. Abermals und zu anderer Zeit wurde er befragt, was Reue sei, und er sagte: ein zerknirschtes Herz, und was Demut sei, und er sagte, eine ganz starke freiwillige Abtötung gegenüber allem. Und was ist ein barmherziges Herz? Und er sagte: ein Brennen des Herzens für die ganze Schöpfung – die Menschen, | 206v die Vögel und die Tiere und die Dämonen und jegliches Geschöpf. Und beim Gedenken an sie und bei ihrem Anblick vergießen seine Augen Tränen aus einem großen und heftigen Mitleid, das sein Herz umfängt. Und von dem vielen Ertragen wird sein Herz erweicht,
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und es kann irgendwelche Wunden oder einen kleinen Kummer, den ein Geschöpf erfährt, weder ertragen, noch hören, noch sehen. Und deshalb betet er unentwegt unter Tränen für die Unverständigen und die Feinde der Wahrheit und diejenigen, die ihm Schaden zufügen, daß sie behütet seien und gereinigt werden, und sogar für die Natur der Schlangen (betet er) aus dem großen Mitleid ohne Maß, das sein Herz nach dem göttlichen Vorbild bewegt. Und dann wurde er noch gefragt, was das Gebet sei. Und er sagte: Die rechte Zeit und Entleerung des Sinnes von allem Hiesigen und ein Herz, das seinen Blick auf das Verlangen nach jener Hoffnung auf die zukünftigen Dinge gerichtet hat. Wer aber fern ist davon, der sät vermischtes Korn in seinem Saatgut, wie einer, der Ochse und Esel zusammen unter das Joch spannt [Dtn 22,10]. Und wiederum || 207r wurde er gefragt, wie man Demut erlangen kann. In stetigem Eingedenken der begangenen Sünden und in der Hoffnung als ein Mensch, der sich seinem Tod nähert, und in ärmlicher Kleidung, jederzeit bereit, den letzten Platz zu wählen und bei jeder Sache sich zu den geringsten und mißlichsten Werken zu zwingen, nicht ungehorsam zu sein und beharrlich zu schweigen, nicht Versammlungen aufzusuchen, unbekannt und wie einer, mit dem man nicht rechnet, bleiben zu wollen, keine Sache in völligem eigenem Ermessen betreiben, die Unterhaltungen mit vielen Personen hassen, keine Vorteile (für sich) begehren. Und darüber hinaus muß sein eigenes Denken über jeglichem Tadel und (dem Vorwurf) der Verfehlung eines jeden Menschen und (jeglichem) Ereifern stehen, und seine Hand soll nicht gegen alle und die Hand aller gegen ihn gerichtet sein [vgl. Gen 16,12], sondern er soll allein und abgeschieden nur mit seinen Dingen befaßt sein und soll keine Sorge für irgendetwas in der Welt übernehmen außer der um sich selbst. Kurzum: Pilgerleben und Armut und das Leben in Einsamkeit | 207v erzeugen Demut und reinigen das Herz. Für diejenigen aber, die Vollkommenheit erlangt haben, ist dies ein Zeichen: Wenn sie zehnmal jeden Tag der Verbrennung überliefert werden wegen ihrer Menschenliebe, genügt ihnen das nicht, wie Moses zu Gott sagte: Wenn Du ihnen aber die Sünde vergibst, so vergib sie, wenn aber nicht, dann streiche auch mich aus dem Buche, in das Du mich aufgezeichnet hast [Ex 32,32]. Und wie der selige Paulus betete und sagte: Verflucht möge ich sein von Christus für meine Brüder und so weiter [Röm 9,3], und wiederum: Nun freue ich mich in meinen Leiden für euch, ihr Heidenvolk [Kol 1,24]. Und die anderen Apostel empfingen anstelle der Liebe des Lebens der Menschen den Tod in allen möglichen Formen. Die Summe von all diesem insgesamt ist Gott, der Herr, der aus Liebe zu Seinen Geschöpfen den Sohn dem Tod am Kreuz überlieferte. Denn so hat Gott die Welt geliebt, daß Er den eingeborenen Sohn zum Tod für sie übergab [Joh 3,16]. Nicht weil Er
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anders uns nicht hätte retten können, sondern Er lehrte uns, wie Seine alles übersteigende Liebe sich in all dem zeige, und durch den Tod Seines eingeborenen Sohnes ließ Er uns Ihm nahe kommen. || 208r Hätte Er noch etwas Ehrenvolleres als Ihn gehabt, hätte Er es uns gegeben, damit sich Ihm so unser (Menschen-) Geschlecht zuwende. Und wegen Seiner großen Liebe (zu uns) billigte Er nicht, unserer Freiheit Zwang anzutun, obwohl Er doch die Macht besaß, dies zu tun, sondern die Liebe aus unserem Nachdenken sollte uns Ihm nahebringen. Und der Herr selbst gehorchte Seinem Vater aus Liebe zu uns, um selbst Schmähung und Drangsal anzunehmen, und in der Freude, die er hatte (die vor Ihm lag), erduldete Er das Kreuz, die Schmach achtete Er nicht [Hebr 12,2]. Deshalb sagte der Herr in der Nacht, in der Er verraten wurde: Dies ist Mein Leib, der für die Welt gegeben wird zum Leben [Lk 22,19], und dies ist mein Blut, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden [Mt 26,28] und für euch, sagte Er wiederum, heilige Ich Mich selbst [Joh 17,19]. Und auf diese Weise erlangen alle Heiligen Vollkommenheit, wenn sie vollkommen und Gott ähnlich sein werden, indem sie ihre Liebe und Menschenfreundlichkeit über alle ausgießen. Und so trachten die Heiligen nach diesem Zeichen, wie sie Gott durch die Vervollkommnung in der Nächstenliebe ähnlich werden. So handelten auch unsere Väter, die Mönche, wenn sie zu jener Vervollkommnung | 208v und Angleichung, die voll des Lebens ist, stets den Herrn Jesus Christus in sich aufnahmen. Man sagt, der selige Antonios habe sich niemals so verhalten, daß er etwas tat, das ihm mehr nutzen würde als seinem Nächsten, weil er die Hoffnung hegte, daß der Vorteil seines Nächsten für ihn (selbst) ein vortreffliches Handeln sei. Und wiederum heißt es von Vater Agathon, er habe gesagt: Ich wünschte einen Aussätzigen zu finden und seinen Körper zu nehmen und ihm meinen zu geben. Hast du die vollkommene Liebe gesehen? Und wiederum, wenn er etwas außerhalb (seiner Person) besaß, ertrug er nicht, daß sein Nächster nicht zufriedengestellt werden sollte. Und er besaß ein Messer, und ein Bruder kam zu ihm und hätte es gern gehabt, und er ließ ihn nicht ohne dieses (Messer) aus seiner Zelle gehen. Und so (lauten auch) die anderen Schriften über solche (Männer). Und was sage ich damit? Viele von ihnen überließen ihre Leiber den wilden Tieren und dem Schwert und dem Feuer um des Nächsten willen. Niemand kann auf die Stufe dieser Liebe gelangen, der nicht insgeheim seine Hoffnung spürt, und diejenigen, die diese Welt lieben, können nicht die Menschenliebe erlangen. Wenn jemand die Liebe zu Gott selbst erlangt, wird er von ihr umhüllt. || 209r Wer aber Gott (für sich) erworben hat, der darf sich nicht darauf einlassen, mit Ihm etwas (anderes) zu erlangen, sondern er muß auch seinen Leib ablegen. Wenn er sich aber mit dieser Welt umhüllt und das Leben mit dieser liebt,
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lassen diese nicht zu, daß er sich mit Gott umhülle. Denn Er selbst hat dieses bezeugt, indem Er sprach: Wenn jemand nicht alles aufgibt und seine Seele nicht haßt, kann er Mein Jünger nicht sein [Lk 14,26]. Und nicht nur aufgeben, sondern sogar hassen soll er dieses. Und wenn jemand Sein Jünger nicht sein kann, wie wird Er sich in ihm niederlassen? Frage: Warum ist die Hoffnung für die Heiligen so süß und ihr Leben und ihre Werke so leicht und werden so bald zu Werken ihrer Seele? Antwort: Weil ein natürliches Verlangen in der Seele erwacht und sie diesen Kelch trinken läßt und sie von dieser Stunde an trunken macht, und daher spüren sie dabei keine Mühe, sondern sie sind unempfindlich gegenüber Ängsten. Und in allem, was den Ablauf ihres Lebensweges betrifft, vermeinen sie, auf der Luft zu wandeln und schritten nicht nach Art der Menschen, so daß sie nicht | 209v die Härte des Weges sehen, und als lägen vor ihnen keine Hügel und Bäche, und das Krumme auf ihrem Wege wird glatt und so weiter [Jes 40,4], und weil sie jederzeit den Schoß ihres Vaters wahrnehmen. Und diese Hoffnung weist ihnen wie mit dem Finger jeden Augenblick das, was in der Ferne und unsichtbar ist, so daß sie dieses gleichsam mit dem verborgenen Auge des Glaubens behutsam schauen. Und weil sie im Bereich ihrer Seele wie von Feuer entbrannt sind im Verlangen nach dem, was in der Ferne liegt und nicht hier ist, erscheint es ihnen wie ein Gegenwärtiges. Dorthin aber erstrecken sich ganz und gar ihre Gedanken, und dies zu erreichen zwingen sie sich unentwegt. Und wenn sie sich der Ausübung einer Tugend nähern, dann verrichten sie dies nicht in Teilen, sondern üben sie alle umfassend wie eine einzige, weil sie ihren Weg nicht auf dem Königsweg wie alle gehen, sondern diese Riesen wählen für sich die kurzen Pfade, auf denen einige Kundige rasch zu ihren Herbergen schreiten. Denn diese Hoffnung || 210r entflammt sie wie ein Feuer, und sie können vor Freude nicht innehalten in ihrem steten eifrigen Lauf, und ihnen ergeht es, wie von dem seligen Jeremias gesagt wurde: Ich habe gesagt, (so) sagte er, ich will nicht denken an Ihn, noch werde ich in Seinem Namen sprechen, und es war in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer und drang in meine Knochen ein [Jer 20,9]. So ist die Erinnerung an Gott im Herzen derer, welche trunken sind in der Hoffnung auf Seine Verheißungen. Die verkürzten Wege der Tugenden sind die umfassenden Tugenden, weil diese keinen weiten Abstand auf den vielen Pfaden des Lebens voneinander haben. Sie warten weder Ort noch Zeit noch Ablenkung ab, sondern sind sogleich bereit und führen es aus. Frage: Was ist menschliche Leidenschaftslosigkeit? Antwort: Leidenschaftslosigkeit bedeutet nicht, daß man keine Leidenschaften verspürt, sondern daß man sie wegen der vielen und verschiedenen erworbenen Tugenden, der offenen und der verborgenen, nicht zuläßt. Und die Leidenschaften wurden
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in ihnen (den Heiligen) kraftlos, und sie können nicht leicht gegen die Seele angehen. Und der Geist verlangt nicht ihre stete Beachtung, weil er in seinen Überlegungen | 210v allzeit erfüllt ist vom Nachdenken und den Gesprächen über die vortrefflichen Bilder, die sich dank seiner Erkenntnis in seinem Sinn bewegen. Und wenn die Leidenschaften in Bewegung geraten wollen, entzieht sich der Geist plötzlich ihrer Annäherung durch eine Einsicht, die in seinen Sinn eindringt, und die Leidenschaften lassen wie erschlafft von ihm ab, wie der selige Marko gesagt hat: Der Geist, der durch die Gnade Gottes tugendhafte Werke übt und sich der Erkenntnis genähert hat, verspürt wenig vom schlechten und unvernünftigen1 Teil der Seele. Denn seine Erkenntnis hebt ihn empor und entfremdet ihn allem in der Welt. Und wegen ihrer (der Heiligen) Reinheit und Feinheit und Leichtigkeit und der Schärfe ihres Verstandes und ihres asketischen Lebenswandels wird ihr Geist geläutert und erweist sich als klar, weil ihr Fleisch ausgetrocknet ist. Und infolge der Übung im Schweigen und des langen Verweilens darin fügt er sich einem jeden leicht und schnell und leitet ihre innere Schau zu dem darin liegenden Entzücken. Und darin erfahren sie eine reich vermehrte innere Schau, || 211r und keinesfalls wird ihr Geist des Nutzens der Erkenntnis beraubt, und niemals bleiben sie ohne diese, wenn die Frucht des Geistes in ihnen ihre Wohnung nimmt. Und durch langjährige Gewöhnung werden die Erinnerungen, welche die Leidenschaften in der Seele in Wallung bringen, und die Stärke der Macht des Teufels aus ihrem Herzen getilgt. Denn wenn die Seele keine Freundschaft mit den Leidenschaften durch das Nachsinnen über sie pflegt, weil sie reichlich mit Nachdenken über anderes beschäftigt ist, kann die Kraft der Krallen der Leidenschaften ihre geistigen Empfindungen nicht festhalten. Über die Demut Frage: Welches sind die besonderen Eigenschaften der Demut. Antwort: So wie der Eigendünkel eine Zerstreuung der Seele ist in ihrer Träumerei, die sie umherschweifen läßt und nicht darin zügelt, in der Wolke ihrer Gedanken umherzufliegen als umkreise sie das Dasein der ganzen Schöpfung, so versammelt die Demut sie (die Seele) im zurückgezogenen Schweigen, und die Seele konzentriert sich auf sich selbst. Und so wie die Seele unerkannt und für die leiblichen Augen unsichtbar ist, so ist auch der Demütige unter den Menschen unerkannt. Und so wie die Seele | 211v innerhalb des Leibes dem Anblick verborgen ist und dem Umgang mit allen Menschen, so will auch der wahrhaft Demütige wegen seiner Absonderung und Ratlosigkeit in 1
Th: ἀνοήτου (Gen.sing.).
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allem von den Menschen nicht nur nicht gesehen und erkannt werden, sondern dies ist sein Wunsch, wenn möglich selbst (losgelöst) von sich, sich in sich selbst zu versenken und in das Schweigen einzugehen und sich dort niederzulassen und seine früheren Gedanken mit seinen Gefühlen gänzlich zurückzulassen und zu sein wie etwas, das es in der Schöpfung nicht gibt und nicht ins Dasein gelangt, nicht einmal seiner Seele als vorhanden bewußt ist. Und solange ein solcher (Mensch) verborgen und (in sich) gesammelt und von der Welt abgeschieden ist, lebt er ganz hingerichtet auf seinen Herrscher. Der Demütige achtet nicht darauf, wann Versammlungen und Zusammenlaufen des Volkes zu sehen sind, Erschütterungen und Lärm und Ausgelassenheit und Sorge und Genuß, der zur Maßlosigkeit führt, noch auf Reden und Unterhaltungen und Stimmen und die Zerstreuung der Sinne. Sondern allem zieht er vor, sich in sich selbst zurückzuziehen in das einsame Schweigen, || 212r abgeschieden von allen Geschöpfen in einer stillen Gegend nur auf sich selbst konzentriert. Und in allem ist ihm Verringerung und Mangel und Entzug von (allem) Notwendigen und Armut willkommen, daß er nicht mit viel Besitz und derlei Geschäften befaßt sei, vielmehr jederzeit und zu jeder Stunde frei von Sorgen, ohne Beeinträchtigung durch hiesige Dinge, damit seine Gedanken nicht aus ihm herausdringen, weil er weiß, daß er, so er sich auf vieles einläßt, nicht ohne Verwirrung seiner Gedanken bleiben kann, weil viel Besitz auch viele Kümmernisse bedeutet und dies ein Sammelbecken bunter und vielfältiger Gedanken ist. Und er gibt auf, in der Ruhe seiner Gedanken über den irdischen Sorgen zu stehen – mit Ausnahme der kleinen Bedürfnisse am Notwendigsten – und (löst sich) von einer Haltung des Geistes, die einzig die Sorge um seine edlen Überlegungen kennt. Wenn ihm aber seine edlen Gedanken verwehrt werden, (weil) die Bedürfnisse nicht (von ihm) ablassen, gelangt er dahin, Schaden zu nehmen und Schaden anzurichten. Und von da öffnet | 212v sich die Tür zu den Leidenschaften, und die Ruhe der Entscheidung verläßt ihn und die Demut flieht, und die Tür des Friedens wird zugetan. Und wegen all diesem ist er unentwegt auf der Hut vor vielem und befindet sich allzeit im Zustand der Stille und Ruhe und in Demut und Sanftmut und Andacht. Der Demütige kennt niemals Zwang und Eile und Verwirrung, auch nicht hitzige oder seichte Gedanken, sondern er verbringt die ganze Zeit in Ruhe. Wenn sich der Himmel an die Erde heftete, der Demütige fürchtete sich nicht. Nicht jeder Schweigsame ist demütig, aber jeder Demütige ist ein Schweigender. Einen nicht unterwürfigen Demütigen gibt es nicht. Unterwürfige, die nicht demütig sind, wirst du viele finden. Das ist es, was der Herr gesagt hat: Der Sanftmütige und Friedfertige wird von Mir lernen, weil Ich sanftmütig und demütigen Herzens bin, und ihr werdet Frieden für eure Seelen finden [Mt
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11,29]. Der Demütige verbringt alle Zeit in Ruhe, weil es nichts gibt, was sein Denken bewegt oder in Schrecken versetzt. So wie niemand || 213r einen Berg in Schrecken versetzen kann, so fürchtet sich auch sein Geist nicht. Und wenn es möglich ist, dies zu sagen, und vielleicht ist es nicht unangebracht, dies zu sagen, so ist der Demütige nicht von dieser Welt, weil er sich weder in Bedrängnissen fürchtet und (ihnen) zu entgehen versucht, noch sich über freudige Anlässe wundert und verbreitet. Sondern alle seine Fröhlichkeit und wahre Freude ist in den Dingen seines Herrn beschlossen. Denn die Demut hat Sanftmut und Konzentration auf sich selbst zur Folge, was Mäßigung der Gefühle bedeutet, eine gemäßigte Stimme, Wortkargheit, Selbstverachtung, ärmliche Kleidung, bescheidenes Auftreten gesenkten Blickes, vorzugsweise vor allem das Üben von Barmherzigkeit, rasche Bereitschaft Tränen zu vergießen, eine einsame Seele, ein zerknirschtes Herz, Unempfänglichkeit für Zorn, Sinne, die sich nicht ablenken lassen, Minderung des Besitzes, Minderung bei jeglichem Bedarf, Ertragen (von allem), Geduld, Furchtlosigkeit, Festigkeit des Herzens, die von der Verachtung des zeitlichen Lebens kommt, Ertragen der Versuchungen, gewichtige und nicht oberflächliche Gedanken, Auslöschen | 213v der (eigenen) Vorhaben, Bewahrung der Geheimnisse der Keuschheit, Schamhaftigkeit, Ehrfurcht und mehr noch als all dieses stetiges Schweigen und ständiges Eingeständnis der (eigenen) Unwissenheit. Dem Demütigen begegnet keine Not, die ihn in Verwirrung stürzen oder andere in Verwirrung versetzen könnte. Der Demütige schämt sich seiner selbst (sogar) wenn er allein ist. Ich wundere mich, ob, wenn jemand wahrhaft demütig ist, er (wohl) wagt, zu Gott zu beten, wenn er sich zum Gebet anschickt, oder sich dessen würdig dünkt oder etwas anderes erbittet oder weiß, was er erbittet. Vielmehr schweigt er nur in allen seinen Gedanken und hofft allein auf die Barmherzigkeit und darauf, welches Wollen in Bezug auf ihn von der Person der angebeteten Majestät ausgeht, wenn er sein Antlitz zur Erde neigt und der Blick, der in seinem Innern ist, auf die hocherhabene Tür des Allerheiligsten gerichtet wird, wo Der ist, Dem die Finsternis Wohnstätte ist, die die Augen der Seraphime blendet, und Seine Herrlichkeit überwältigt die Legionen in ihrer Jubelhaltung und gießt über alle ihre Ränge Schweigen aus. || 214r Und sogar nur bis dahin wagt er zu sprechen und zu beten: Nach Deinem Willen, o Herr, geschehe mit mir, und wir sagen, dasselbe möge mit uns geschehen. Amen. Rede 49 (214r – 223r) Ein Kapitel voll des Lebens. Über den Glauben und die Demut O du armseliger Mensch, willst du das Leben erlangen, dann bewahre Glauben und Demut in dir, denn durch sie erlangst du Gnade und Hilfe durch die
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Worte, die Gott in deinem Herzen spricht, Der mitleidig ist und heimlich und offen dir beisteht. Willst du diese erlangen, die das Teilhaben am Leben bedeuten? Dann tritt in Schlichtheit vor Gott hin und nicht als Vernunftbegabter. Auf die Schlichtheit folgt der Glaube, auf die Spitzfindigkeit und die Gewandtheit der Worte der Hochmut. Darauf aber folgt die Abkehr von Gott. Wenn du dich Gott im Gebet näherst, dann sei in deinem Denken wie eine Ameise und das Schlangengezücht auf dem Boden und wie ein Blutegel und wie ein lallendes Kind, und sprich vor Ihm nicht etwa als (seiest du ein) Wissender, sondern mit dem Denken eines Kindes nähere dich Gott, | 214v und tritt so vor Ihn hin, daß du dich Seiner väterlichen Fürsorge würdig erweisest, wie sie Väter ihren Kindern, den Kleinen gegenüber erweisen. Es heißt, der Herr schützt das Kind. Geht das Kind zur Schlange, umfängt es ihren Hals, und sie tut ihm keinen Schaden. Nackt bleibt ein Kind den ganzen Winter, und während die anderen angekleidet und bedeckt sind und die Kälte ihnen in alle ihre Glieder kriecht, sitzt dieses nackt am Tage des Frostes und der Kälte und des Rauhreifs, und es leidet nicht, weil sein unfertiger Körper bedeckt ist von jener unsichtbaren Kleidung durch jene verborgene Vorsehung, die die jungen Glieder hütet, damit sich ihnen durch nichts ein Schaden nähere. Mögest du nun glauben, daß es eine geheime Vorsehung gibt, durch die der junge Körper, der wegen seiner Zartheit und seiner schwachen Lebenskraft rasch empfänglich ist für jeden Schaden, behütet wird inmitten von Widrigkeiten und von ihnen nicht überwältigt werden kann. Es heißt, der Herr behütet das Kind und nicht nur diese, die einen kleinen Körper haben, sondern auch diejenigen, die Weise in der Welt sind und ihr Wissen aufgegeben haben und sich auf jene allumfassende Weisheit stützen || 215r und wie ein Kleinkind werden in ihrem Wollen und dann jene Weisheit erlernen, die nicht durch mühevolles Lernen erfaßt werden kann.1 Und Paulus, der weise war, in dem, was Gott betrifft, hat es gut gesagt: Wer da glaubt weise zu sein in dieser Welt, der möge zum Toren werden, damit er weise werde [1 Kor 3,18]. Im übrigen bitte Gott, daß Er dir gewähre, das (rechte) Maß des Glaubens zu erlangen. Und wenn du in deiner Seele seine Wonne verspürst, dann ist es für mich nicht schwer zu sagen, daß es nichts gibt, was dich von Christus abhalten kann. Und es ist für dich nicht schwer, jederzeit (von diesem Glauben) gefangen zu sein (fern) von den irdischen Dingen und dich vor dieser schwachen Welt und den Erinnerungen an ihre Dinge zu verbergen. Bete darum emsig, und bete inbrünstig und mit großem Eifer, bete, bis du es empfängst, und (bete) wiederum, daß dich die Kraft nicht verlasse. Es wird dir gewährt werden, wenn du dich zuerst zwingst, 1
Unleserlicher Text in K übersetzt nach Hs 1381.
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deinen Kummer gläubig auf Gott zu werfen, und tausche deine Sorge (um dich) gegen Seine Vorsehung. Und dann, wenn Er dein Wollen sieht, | 215v wie du in voller Reinheit deiner Gedanken Ihm mehr vertraut hast als dir und dich gezwungen hast, Gott mehr zu vertrauen als deiner (eigenen) Seele, dann wird jene Kraft, die du nicht kennst, sich in dir niederlassen, und gefühlsmäßig wirst du die Kraft als eine unlösbar mit dir verbundene empfinden – jene Kraft, durch die viele, wenn sie sie spüren, sogar furchtlos ins Feuer gehen, und wenn sie über das Wasser gehen in ihren Gedanken nicht zweifeln, daß sie untergehen könnten, weil der Glaube die Sinne ihrer Seele stärkt und gleichsam etwas Unsichtbares spürt, das sie überwältigt und zwingt, daß der Blick die schrecklichen Dinge nicht wahrnimmt und einen Anblick nicht sieht, der die Sinne übersteigt. Mögest du keineswegs annehmen, daß jenes geistige Wissen jemand mit all seinem seelischen Wissen erlangen kann. Und es ist nicht nur unmöglich, jenes geistige Wissen mit seinem ganzen seelischen Wissen aufzunehmen, auch gefühlsmäßig kann es jemand nicht erspüren oder seiner gewürdigt werden, der || 216r sich darin zu üben bemüht ist. Und wenn einige sich jenem Wissen des Geistes nähern wollen solange sie dieses (seelische Wissen) nicht abgelegt haben und alle seine feinen Erscheinungsformen und die vielfach verschlungenen Spitzfindigkeiten und sich nicht auf die Stufe kindlichen Denkens begeben haben, können sie sich jenem (geistigen Wissen) nicht einmal um ein Geringes nähern, sondern es wird durch seine (des seelischen Wissens) Gewohnheiten und seine Denkungsart eine große Behinderung darstellen, bis dies nicht nach und nach bereinigt ist. Jenes geistige Wissen ist einfach und leuchtet nicht auf in seelischen Überlegungen. Solange aber der Sinn sich nicht von den vielfältigen Überlegungen befreit und zu der einen schlichten Reinheit gelangt, wird er das geistige Wissen nicht erspüren. Diese Stufe des Wissens – die Wonne jenes Lebens jener (künftigen) Welt von hier aus zu erspüren – verwirft vieles Überlegen. Das seelische Wissen aber kann ohne eine Vielzahl von Überlegungen etwas anderes, das in der Schlichtheit des Geistes empfangen wird, nicht begreifen nach den Worten: Wenn | 216v ihr nicht so befunden werdet und werdet wie Kinder, könnt ihr in das Gottesreich nicht eingehen [Mt 18,3]. Doch viele können solche Einfachheit nicht erreichen, und durch ihre guten Werke ist als Hoffnung für sie ein Teil im Himmelreich vorgesehen, wie wir aus dem Sinn der von Ihm in den Evangelien genannten verschiedenen Seligkeiten begreifen sollen, daß Er uns in diesen Seligkeiten viele Varianten in den verschiedenen Arten des Lebenswandels gezeigt hat, weil jeder Mensch – in welchem Maß und auf welchem eingeschlagenen Weg auch immer – zu Ihm geht und selbst vor sich die Tür in das Himmelreich auftut. Aber jenes geistige Wissen kann niemand empfan-
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gen, wenn er nicht umkehrt und wie ein Kind wird. Denn von da an spürt er jene Wonne des Himmelreichs. Das Himmelreich ist, wie es heißt, geistige Schau. Und dies heißt, daß es nicht durch (mühsame) Gedankenarbeit gefunden wird, sondern durch die Gnade erkostet werden kann. Bevor ein Mensch rein geworden ist, vermag er es nicht einmal zu spüren, weil niemand dies durch || 217r Lernen erlangen kann. Wenn du aber, mein Sohn, die Reinheit des Herzens erlangt haben wirst, die man durch den Glauben in Zurückgezogenheit von den Menschen erwirbt, und dich dem Wissen dieser Welt entziehst, als würdest du es nicht wahrnehmen, tut sie (die geistige Schau) sich plötzlich vor dir auf, ohne ihr nachzuforschen. Errichte eine Säule, heißt es [vgl. Gen 28,18], und gieße Öl darüber, und du wirst einen Schatz in deinem Schoße finden. Bist du aber im Netz des seelischen Wissens festgehalten, ist es für mich nicht unangebracht zu sagen, daß es für dich leichter ist, dich von eisernen Fesseln als daraus zu befreien. Und du wirst dich ständig von den Netzen der Verführung nicht fernhalten und wirst niemals verstehen, Mut zur kühnen Hinwendung und Hoffnung auf Gott zu fassen. Und du wirst allzeit auf der Schneide des Schwertes gehen und kannst keinesfalls ohne Kummer sein. In Schwachheit und Einfachheit bete, daß du gut vor Gott leben mögest und ohne Sorgen seiest. Denn so wie der Schatten dem Körper folgt, so (folgt) der Demut die Gnade. Willst du folglich so leben, dann reiche | 217v keinesfalls kraftlosen Gedanken deine Hand. Und wenn jegliche Schäden und Bosheiten und Nöte dich umgeben und schrecken (wollen), sorge dich weder ihretwegen, noch denke an sie, wenn du einmal an Gott geglaubt hast, Der dich zu bewahren und (zu innerer Ordnung) anzuleiten vermag. Und wenn du Ihm folgst, dann sorge dich also nicht um irgendetwas von diesen Dingen, sondern sage deiner Seele: In allem genügt mir Der, Dem ich meine Seele einmal anvertraut habe. Ich bin nicht hier. Er weiß das. Und dann wirst du in der Tat die Wunder Gottes erblicken, wie Er jederzeit nahe ist, um die zu retten, die Ihn fürchten, und wie Seine Fürsorge sie umgibt und (obwohl Er) nicht zu erblicken ist. Weil aber dein Hüter, Der mit dir ist, mit den leiblichen Augen nicht zu sehen ist, sollst du nicht an Ihm zweifeln, daß Er nicht da sei. Denn oftmals wird auch den leiblichen Augen offenbar, wie Er dich kühn macht. Wenn aber ein Mensch alle sichtbare Hilfe und menschliche Hoffnung von sich wirft und Gott || 218r im Glauben und in der Reinheit seines Herzens folgt, dann folgt ihm plötzlich Freude1 und zeigt ihm ihre Stärke in vielfältigen Formen der 1
In Version B (K, Hss 1381, 1389) radostь entspricht nicht Th: χάρις f., das in Chil 470 mit blagodatь „Gnade“ (so auch W: „grace“) wiedergegeben wird. Radostь zu gr. χαρά f. könnte auf einer Verwechslung der beiden Lexeme im grie-
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Hilfe, zuerst in den offensichtlichen und den Leib betreffenden, und sie zeigt ihm Seine Hilfe durch Seine Vorsehung für ihn, so daß er darin am besten die Stärke der göttlichen Fürsorge für sich spüren kann und im Verstehen des Offensichtlichen das Verborgene bestätigt erhält, wie es dem kindlichen Stadium seines Denkens zukommt und seiner Lebensweise (etwa) so, wie das, was er braucht, ohne sein Zutun vorbereitet wird, während er sich nicht (darum) sorgt. Und sie (die göttliche Fürsorge) bewirkt, daß viele (böse) Geschehnisse, die, oftmals voller Nöte, auf ihn zukommen, von ihm unbeachtet an ihm vorübergehen. Aber die Gnade hält sie unmerklich wie ein großes Wunder von ihm fern und behütet ihn wie eine Henne, die ihre Flügel über ihre Kinderschar ausbreitet, damit sich ihr kein Schaden nähere. Und sie (die Gnade) zeigt ihm durch seine Augen, wie | 218v sich ihm sein Verderben nähert und er unverletzt blieb. So belehrt sie ihn auch über die verborgenen Dinge und offenbart ihm die Fallstricke der Gedanken und bösen Absichten, die schwer zu begreifen sind. Und leicht eröffnet sich ihm ihre Sicht und ihre gegenseitige Beziehung und ihre Verführungskunst und wem das Ihrige jeweils anhaftet und wie sich das eine aus dem anderen erklärt und wie sie die Seele verderben. Und sie (die Gnade) breitet vor seinen Augen deutlich alle Fallstricke der Dämonen und den übrigen Teil ihrer Absichten aus, und sie gibt ihm Einsicht, das Künftige zu begreifen, und in seiner (des Menschen) Einfalt geht ein heimliches Licht auf, um alles zu erspüren, auch die Kraft der Gedanken aus spitzfindigen Überlegungen, und sie weist ihn gleichsam wie mit dem Finger darauf hin, was er – wenn er dies nicht erfahren hätte – erlitten haben würde. Und dann erwächst ihm von daher (die Überzeugung), wie er jede Sache, sei sie klein oder groß, im Gebet von seinem Schöpfer erbitten müsse. Und wenn die göttliche Gnade sein Denken || 219r durch alles dieses gefestigt hat, daß er (nämlich) seine Hoffnung auf Gott setzen müsse, dann beginnt er allmählich in den Zustand der Prüfungen zu gelangen, und sie (die Gnade) läßt es zu, daß ihm Versuchungen geschickt werden, die dem Grad (seiner Kraft) entsprechen, um deren Stärke zu ertragen. Und in diesen Versuchungen nähert sich ihm spürbar die Hilfe, damit er Mut fasse, bis er allmählich Übung erlangt und Weisheit gewinnt und seine Feinde verachtet, indem er seine Hoffnung auf Gott setzt. Denn der Mensch kann nicht ohne dies in den geistigen Kämpfen weise werden und nur durch die Kraft der Prüfung, die er erfahren hat, Den, der Seine Vorsehung walten läßt, erkennen und seinen Gott erspüren und insgeheim im Glauben an Ihn gefestigt werden. Und wenn die Gnade sieht, daß chischen Original oder einer fehlerhaften Lesung des slavischen Übersetzers beruhen.
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sich im Denken (eines Menschen) ein leichter Hochmut zu regen begonnen hat und er angefangen hat, sich selbst groß zu dünken, läßt sie alsbald zu, daß die Versuchungen stärker werden und ihn heimsuchen, bis er seine Schwäche (einzusehen) lernt und flieht und in Demut bei Gott seine Zuflucht sucht. Und durch diese Dinge findet | 219v der Mensch zum Maß eines vollkommenen Mannes durch den Glauben und die Hoffnung auf den Sohn Gottes und wird zur Liebe (des Gottessohnes) erhöht. Auf wunderbare Weise wird die Liebe Gottes zum Menschen erkannt, wenn er sich inmitten von Dingen befindet, die seine Hoffnung zerstören und Er dort Seine Stärke in der Rettung des Menschen zeigt. Denn niemals hat der Mensch in Ruhe und Bequemlichkeit die Stärke Gottes erkannt. Niemals hat Gott Sein Wirken in spürbarer Weise gezeigt außer an einem Ort des Schweigens und in der Wüste und an Stätten, die frei sind von den Unterhaltungen und den Wirren am Wohnort der Menschen. Wundere dich nicht, daß, wenn du dich der Tugend zuwendest, von allerorten schwere und heftige Bedrängnisse auf dich einstürmen, denn nicht für Tugend würde sie gehalten, wenn ihre Einhaltung nicht von der bösen Bedrängnis der Werke begleitet wäre. Denn die Tugend hat eben darum ihren Namen erhalten, wie der heilige Johannes sagte. Es ist üblich, so sagte er, daß die Tugend von Bösartigkeit angegriffen wird. Sie ist, so sagte er, zu tadeln, || 220r wenn sie sich mit Schwäche verbindet. Der selige Mönch Markus hat gesagt: Jede geübte Tugend wird das Kreuz genannt, wenn sie das Gebot des Geistes befolgt. Deshalb werden alle, die in der Furcht des Herrn in Christus Jesus leben wollen, verfolgt werden [2 Tim 3,12]. Denn Er hat gesagt, wer hinter Mir kommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir [Mk 8,34]. Wer nicht in Ruhe leben will und seine Seele verloren hat um Meinetwillen, der wird sie finden [Mt 16,25]. Deshalb kam Er dir zuvor und stellte ein Kreuz vor dir auf, damit du dir den Tod bestimmst und hernach deine Seele sendest, Ihm nachzufolgen. Nichts ist stärker als Verzweiflung. Sie weiß nicht, wie sie jemand besiegen könnte, seien es die zur Rechten oder die zur Linken. Wenn ein Mensch in seinem Denken die Hoffnung im Hinblick auf sein Leben aufgegeben hat, dann ist nichts kühner als er, und keiner der Feinde kann ihn treffen, und es gibt keine Mühsal, deren Ruf seine Überlegungen schwächen könnte, weil jede begegnende Mühsal geringer ist als der Tod, und dieser Mensch sich gebeugt hat, um den Tod zu empfangen. | 220v Wenn du an jedem Ort und in jeglicher Sache und zu jeder Zeit in allem, was du auch tun willst, in deinem Denken bei deinen Werken und im Leid auf Wachsamkeit bedacht bist, wirst du allzeit nicht nur mutig und nicht träge befunden werden, um jeder denkbaren Schwierigkeit zu widerstehen, sondern durch die Kraft deiner Gedanken werden dich die Vorstellungen
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fliehen, die dich schrecken und entsetzen, wie sie gewöhnlich im Menschen aufkommen, und jene Gedanken, die in der (bequemen) Ruhe wahrgenommen werden. Und alles, was dir an Mißlichem und Schwerem begegnet, wird dir als Willkommenes und leicht erscheinen. Und oft wird dir das Gegenteil von dem von dir Erhofften begegnen, und vielleicht wird dir niemals etwas davon begegnen. Du weißt, daß die Hoffnung auf (bequeme) Ruhe die Menschen jederzeit vom Denken an das Erhabene und Gute und die Tugenden abhält. Aber nicht einmal diejenigen, die in der Welt || 221r ein Leben des Fleisches führen, können die Erfüllung ihres Trachtens erlangen, wenn sie nicht in ihrem Sinn beschließen, das Böse zu ertragen. Und weil die Erfahrung dies bezeugt, bedarf es nicht der Überzeugung durch Worte. Wie in jedem Geschlecht, das vor uns war, und sogar bis heute gibt es nichts anderes außer diesem, wodurch die Menschen zu schwach werden um zu siegen und sich um herrliche Dinge bringen, und kurz gesagt, daß jemand das Himmelreich nur durch die Hoffnung auf eine geringe Erleichterung hier mißachtet. Und nicht nur dies erleidet er, sondern oftmals werden jedem Menschen auch schwere (Schicksals-)Schläge und heftige Prüfungen bereitet, der auf seine eigenen Wünsche achtet und darauf seine Gedanken richtet, weil das, was ihn lenkt, sein Verlangen ist. Wer wüßte nicht, daß auch die Vögel sich dem Netz nähern, weil sie das Ausruhen (vor sich) sehen, wenn doch im Vergleich zum Wissen der Vögel unsere Erkenntnis viel geringer ist in den geheimen Dingen oder in den Geschehnissen, die in irgendwelchen Dingen oder | 221v Orten oder sonst etwas verborgen sind, wodurch auch der Teufel von Anfang an uns durch sein Versprechen und seine Überlegungen fängt. Weil aber mein Denken darauf gerichtet war, daß meine Rede dem Verlangen galt, bin ich von der Beachtung dessen abgewichen, was ich anfangs in meiner Rede festgelegt hatte, daß wir nämlich in unserem Denken jederzeit die Beachtung der Mühsale bei jeder Sache festhalten müssen, durch die wir zu Gott aufbrechen wollen. Und das Ende dieses Aufbruchs müssen wir sorgsam auf dieses Prinzip hin festlegen. Wie oft fragt nicht der Mensch, wenn er eine Sache um des Herrn willen beginnen will, indem er sagt: Gibt es wohl Ruhe bei dieser Sache oder wie ist es möglich, bequem ohne Anstrengung darin fortzuschreiten, oder gibt es dabei ein Leid, das dem Leib Schmerz bereitet? Suchen wir nicht so oben und unten (bequeme) Ruhe? Was sagst du, o Mensch, der du zum Himmel aufsteigen und das dortige Reich empfangen und Gemeinschaft mit Gott haben willst und die Ruhe der dortigen Seligkeit und mit den Engeln zusammensein willst und das Leben ohne Tod (erhoffst)? Und du fragst, || 222r ob dieser Weg Mühe beinhaltet? O Wunder, diejenigen, die nach den Gütern dieser der Zerstörung unterliegenden Welt verlangen, bezwingen die schrecklichen
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Meereswogen und wagen über beschwerliche Wege zu schreiten und sagen keineswegs, daß es Arbeit oder Leid bei der Sache gibt, die sie vollbringen wollen. Doch wir erkundigen uns an jedem Ort nach der (bequemen) Ruhe. Wenn wir aber jederzeit den Weg der Kreuzigung im Geiste annehmen, dann verstehen wir, welche Drangsal leichter ist als dieser. Oder gibt es vielleicht überhaupt jemanden, der nicht davon überzeugt wäre, daß niemals jemand einen Sieg im Kampf errungen oder den unvergänglichen Kranz erlangt hat oder daß das erstrebte Gewünschte in seine Hände geraten wäre, (auch) wenn es nicht zu den lobenswerten Dingen gehörte, oder daß jemand in den Sachen Gottes tätig gewesen wäre oder eine von den rühmlichen Tugenden geübt hätte, wenn er nicht zuvor umgekehrt wäre, die Mühsal der Leiden mißachtet und die Annäherung jener Überlegung(en) verwehrt hätte, die zur (bequemen) Ruhe verleiten, die Unlust und Trägheit und Verzagtheit und Furcht hervorbringt und aus all diesem Erschlaffung in allem. Wenn der Geist | 222v der Tugend nacheifert, dann lassen sich auch die äußeren Sinne, als da sind Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen, nicht durch schlimme fremde Geschehnisse abseits der Gewohnheit und der Grenzen der Macht der Natur besiegen. Zu Zeiten aber wenn der natürliche Zorn wirkt, ist das Leben des Leibes noch verachtungswürdiger als Spreu. Doch wenn das Herz eifersüchtig wird im Geiste, dann bekümmert den Leib weder Gram, noch fürchtet er sich vor Ängsten und verbirgt sich vor ihnen, sondern sein Geist macht sich zu jeglicher Prüfung bereit und ist in seiner Festigkeit wie ein Diamant. Laßt auch uns durch geistigen Eifer dem Willen Christi nacheifern, und jegliche Unlust, die in unserem Denken Trägheit erzeugt, wird von uns verjagt werden. Denn der Eifer erzeugt Kühnheit und Stärke der Seele und Streben des Leibes. Welche Kraft besäßen die Dämonen, wenn die Seele ihren mächtigen natürlichen Eifer gegen sie richtet. Und es heißt auch, die Inbrunst sei es, die den Eifer erzeugt. || 223r Und wenn er seine Kraft zum Einsatz bringt, bestärkt er jegliche furchtlose Stärke der Seele. Und selbst die Krone des Bekennertums, die die Dulder und Märtyrer durch ihr Erdulden empfangen, wird durch das doppelte Wirken des Eifers und der Inbrunst aus der Kraft des natürlichen Zornes hervorgebracht. Und sie verspüren keine Leiden in der äußersten Pein der Qualen. Möge Gott uns solchen Eifer geben im Dienst für Ihn.
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Rede 50 (223r – 224r) Über den Nutzen der Flucht vor der Welt Dies (sei ein) Beispiel dafür, wie durch Prüfung und aufmerksame weise Überlegung die Väter siegten Hart ist in der Tat und schwer und unbequem der Kampf, der in den Besitzgütern steckt. Und wie sehr auch ein Mensch unbesiegbar zu sein vermag, sobald sich ihm ein Anlaß zur Ursache von Kämpfen und großen Taten nähert, heftet sich Furcht an ihn, und er kommt noch viel schneller zu Fall als bei der Begegnung mit dem Teufel in offenem Kampf. Deshalb wird, sofern sich der Mensch nicht von dem entfernt, wovor sein Herz sich fürchtet, sein Feind | 223v immer eine Angriffsfläche finden. Und wenn er nur ein wenig einschlummert, wird dieser ihn leicht verderben. Denn wenn die Seele in den schädlichen Begegnungen (mit) der Welt befangen ist, werden diese Begegnungen selbst zum Stolperstein für sie, und sie wird gleichsam natürlich besiegt, wenn sie ihnen begegnet. Und deshalb haben unsere alten Väter, die dieselben Pfade beschritten in dem Wissen, daß der Geist weder immerwährend gesund ist, noch ohne zu wanken in einer einzigen Haltung verharren und auf der Hut sein kann, weil es Zeit(en) gibt, da er nicht erkennen kann, was ihm schadet, weise beobachtet und Entsagung als eine Waffe anlegt, die, wie geschrieben steht, von vielen Kämpfen befreit, so daß der Mensch um der Entbehrung willen sich vor vielen Sündenfällen bewahren kann. Und sie gingen in die Wüste, in der es keine Besitztümer gibt, die Ursache für die Leidenschaften sind, damit sie nicht, wenn sie schwach werden, Ursachen für einen (Sünden-) Fall finden – ich meine damit: Zorn und Begehren und Groll und || 224r Ruhm –, damit sie diese und andere dieser Art wegen der Wüste leicht bewältigen. Denn durch sie (die Wüste) wurden sie gefestigt und verteidigt wie durch einen uneinnehmbaren Turm. Und dann vermochte jeder von ihnen seinen Kampf in der Stille zu führen, wo die Sinne keine Hilfe fanden, die den uns Bekämpfenden durch schädliche Begegnungen unterstützte. Denn besser ist für uns der Tod im Kampf, als im Fallen zu leben. Rede 51 (224r – 228v) Darüber, wodurch man eine Änderung seiner verborgenen Gedanken nach einer Änderung des äußeren Lebenswandels erreichen kann Solange jemand ein Leben der Entsagung führt, kommt ihm der Fortgang aus dem Leben ständig in den Sinn. Und sein Trachten gilt ständig dem Leben nach der Auferstehung, und allzeit sinnt er auf jegliche Vorbereitung dorthin und Standhaftigkeit gegenüber jeglicher Ehre und Bequemlichkeit des Leibes, die in seinen Sinn gesät werden, und der Gedanke an die Ver-
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Rede 50 (223r – 224r) Über den Nutzen der Flucht vor der Welt Dies (sei ein) Beispiel dafür, wie durch Prüfung und aufmerksame weise Überlegung die Väter siegten Hart ist in der Tat und schwer und unbequem der Kampf, der in den Besitzgütern steckt. Und wie sehr auch ein Mensch unbesiegbar zu sein vermag, sobald sich ihm ein Anlaß zur Ursache von Kämpfen und großen Taten nähert, heftet sich Furcht an ihn, und er kommt noch viel schneller zu Fall als bei der Begegnung mit dem Teufel in offenem Kampf. Deshalb wird, sofern sich der Mensch nicht von dem entfernt, wovor sein Herz sich fürchtet, sein Feind | 223v immer eine Angriffsfläche finden. Und wenn er nur ein wenig einschlummert, wird dieser ihn leicht verderben. Denn wenn die Seele in den schädlichen Begegnungen (mit) der Welt befangen ist, werden diese Begegnungen selbst zum Stolperstein für sie, und sie wird gleichsam natürlich besiegt, wenn sie ihnen begegnet. Und deshalb haben unsere alten Väter, die dieselben Pfade beschritten in dem Wissen, daß der Geist weder immerwährend gesund ist, noch ohne zu wanken in einer einzigen Haltung verharren und auf der Hut sein kann, weil es Zeit(en) gibt, da er nicht erkennen kann, was ihm schadet, weise beobachtet und Entsagung als eine Waffe anlegt, die, wie geschrieben steht, von vielen Kämpfen befreit, so daß der Mensch um der Entbehrung willen sich vor vielen Sündenfällen bewahren kann. Und sie gingen in die Wüste, in der es keine Besitztümer gibt, die Ursache für die Leidenschaften sind, damit sie nicht, wenn sie schwach werden, Ursachen für einen (Sünden-) Fall finden – ich meine damit: Zorn und Begehren und Groll und || 224r Ruhm –, damit sie diese und andere dieser Art wegen der Wüste leicht bewältigen. Denn durch sie (die Wüste) wurden sie gefestigt und verteidigt wie durch einen uneinnehmbaren Turm. Und dann vermochte jeder von ihnen seinen Kampf in der Stille zu führen, wo die Sinne keine Hilfe fanden, die den uns Bekämpfenden durch schädliche Begegnungen unterstützte. Denn besser ist für uns der Tod im Kampf, als im Fallen zu leben. Rede 51 (224r – 228v) Darüber, wodurch man eine Änderung seiner verborgenen Gedanken nach einer Änderung des äußeren Lebenswandels erreichen kann Solange jemand ein Leben der Entsagung führt, kommt ihm der Fortgang aus dem Leben ständig in den Sinn. Und sein Trachten gilt ständig dem Leben nach der Auferstehung, und allzeit sinnt er auf jegliche Vorbereitung dorthin und Standhaftigkeit gegenüber jeglicher Ehre und Bequemlichkeit des Leibes, die in seinen Sinn gesät werden, und der Gedanke an die Ver-
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achtung der Welt bewegt sich allzeit heftig in seinem Sinn. Und er ist kühn im Geiste, und er erwirbt sich unentwegt ein starkes Herz | 224v gegen jegliche Not und Furcht, die der Tod bringt. Doch nicht einmal den Tod fürchtet er, weil er ihn jederzeit als den Heranrückenden wahrnimmt und ihn erwartet. Und seine Sorge ist auf Gott gerichtet mit allem zweifelsfreien Vertrauen. Und wenn ihm Bedrängnisse begegnen, erträgt er diese voller Freude als ein Mann, der überzeugt ist und gewiß, daß sie ihm die Krone (des Himmelslohnes) erwirken. Und voller Freude und Heiterkeit nimmt er sie an, weil er begreift, daß Gott selbst ihm diese in (Seiner) verborgenen Vorsehung um der Erlangung der unbekannten Dinge willen bereitet. Wenn es aber geschieht, daß er aus (irgendwelchen) Gründen etwas von dem Vergänglichen durch das listige Wirken jenes in allen üblen Dingen ungemein klugen Satans erwirbt, dann beginnt sogleich das Verlangen des Leibes sich in seiner Seele zu rühren, und er denkt an ein langes Leben, und Gedanken über das Wohlbehagen des Fleisches gehen in ihm auf und sprießen in ihm unentwegt, und das Körperliche gewinnt die Oberhand in ihm. Und er versucht in sich möglichst || 225r auf jedwede Weise das siegen zu lassen, was ihm Wohlbehagen verschafft, und er gibt jene Freiheit auf, die sich keinem Gedanken der Furcht unterordnet. Von daher kommen ihm durch all diese Gedanken, die Furcht erzeugen, und er denkt sich Ursachen der Angst aus und sinnt darüber nach, weil ihm die Kühnheit des Herzens genommen wurde, die er erlangt hatte, als er in seiner Entsagung über der Welt stand, um reich zu werden in seiner Seele. Weil er nun ein Erbe der Welt geworden ist, so erfährt er (nun) nach dem Maße dessen, was er davon angenommen hat, Furcht nach dem Gesetz und der von Gott gesetzten Ordnung. Zu wessen Dienst unsere Glieder vorbereitet sind, dessen Sklaven sind wir und gehorsam beim Dienen mit aller Furcht – nach den Worten des Apostels [vgl. Röm 6,16; Hebr 2,15]. Vor allen Leidenschaften steht die Eigenliebe, vor allen Tugenden die Verachtung der Bequemlichkeit. Wer seinen Leib der Bequemlichkeit überläßt, der bereitet ihm Kummer im Land des Friedens. Wer sich in seiner Jugend pflegt, ist ein Sklave (der Leidenschaften) im Alter und wird seufzen. So wie jemand, der seinen Kopf im Wasser hat, | 225v nicht die feine Luft (ein)atmen kann, die sich in den Busen ergießen soll, der leer ist davon, so kann auch nicht jemand, dessen Sinn vertieft ist in die Sorge um das Hiesige das Gespür einatmen für jene neue Welt. Wie ein todbringender Stoff mit dem Gestank die Auflösung des Körpers verbindet, so geschieht es bei ungebührlichen Anblicken mit dem Frieden des Geistes. Denn so wie nicht Gesundheit und Krankheit in einem Leib sein können, ohne daß das eine von dem anderen zerstört wird, so können auch nicht in einem Hause eine Fülle an Geld und Liebe sein, ohne daß das eine von dem anderen
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zerstört wird. So wie Glas durch den Anstoß bei der Annäherung an einen Stein nicht ganz bleiben kann, so kann auch der Heilige, wenn er bei einer Frau verweilt und sich mit ihr unterhält, nicht seine Reinheit bewahren und wird sich entweihen. So wie die Bäume von der Wucht des Wassers und der unablässigen Strömung entwurzelt werden, so geschieht es auch mit der Liebe zur Welt, die in der Strömung und durch die Prüfungen, die den Leib angreifen, aus dem Herzen (gerissen wird). Wie (heilende) Tränke die schlechten Säfte || 226r des Körpers reinigen, so reinigt auch das Kraut der Leiden die tückischen Leidenschaften im Herzen. So wie der Tote nicht die Dinge der Lebenden spüren kann, so fehlt auch in der Seele des Mönches, der in der Abgeschiedenheit des Lebens im Schweigen wie in einer Gruft begraben ist, jener Sturm, der gewöhnlich durch das Empfinden der Dinge, die unter den lebenden Menschen geschehen, entfacht wird. Wie es nicht möglich ist, daß derjenige unversehrt bleibt, der seinen Feind in der Heereschlacht verschont, so kann auch ein Asket, der seinen Leib schont, seine Seele nicht vor dem Verderben retten. Wie die Jugend sich vor schrecklichen Anblicken entsetzt und davonläuft und sich an die Rockschöße der Eltern hält und sie (zu Hilfe) ruft, so eilt auch die Seele, je mehr sie durch schreckliche Prüfungen bedrückt und gekränkt wird, zu Gott und drängt sich an Ihn und ruft Ihn an im ständigen Gebet. Und in dem Maße, in welchem die Prüfungen weiterhin an vielen Stellen angreifen, vermehrt sie ihr Gebet. Und wenn sie wiederum in einem freien Raum sein wird, | 226v überläßt sie sich der Ablenkung. So wie diejenigen, die wegen ihrer Bosheit in die Hände des Richters zur Peinigung übergeben werden sollen, demütig werden, wenn sie die Folter vor sich haben, und sogleich ihr Unrecht bekennen und ihre Züchtigung verringert wird und sie alsbald nach geringen Bedrängnissen freigelassen werden, dagegen einige Missetäter, die hartnäckig bei ihrer Aussage bleiben, der Peinigung unterzogen werden und dann nach vielen Qualen unfreiwillig gestehen, wenn ihre Rippen voller Wunden sind und sie nichts gewonnen haben, so (ergeht es) auch uns, wenn wir wegen unserer Verfehlungen, die wir unüberlegt begangen haben, durch die Gnade den Händen des gerechten Richters über alle übergeben werden und uns geboten wird, uns solange hinzustrecken vor dem Übel der Prüfungen, bis uns die Strafe dort (in der künftigen Welt) erträglich wird. Wenn wir uns, sobald sich der Stab des Richters nähert, demütig zeigen und uns unserer Fehler erinnern und die Beichte ablegen vor dem Rächer, werden wir alsbald durch kleine Prüfungen || 227r gerettet werden. Wenn wir uns aber in unseren Bedrängnissen verhärten und uns nicht als Ursache derselben bekennen, die wir würdig sind, ein Vielfaches dessen zu erleiden, sondern andere Menschen, bisweilen aber auch die Dämonen und manchmal sogar die göttliche
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Gerechtigkeit beschuldigen und uns für unschuldig an solchen Taten darstellen und so denken und reden und nicht überlegen, daß Gott uns viel (besser) kennt und versteht, daß auf der ganzen Erde Seine Satzungen gelten und daß ohne Sein Gebot kein Mensch bestraft wird, dann wird eben deshalb alles, was uns widerfährt, steten Kummer bereiten und böse Drangsal schaffen, und von einem (Kummer) zum anderen werden wir wie durch einen Strick verknüpft werden, bis wir uns selbst erkennen und demütig werden und unsere Verfehlungen uns eingestehen. Denn wenn wir diese nicht erkennen, können wir nicht zur Besserung gelangen, und nachher legen wir, durch viele Drangsale gezwungen, eine Beichte ohne Nutzen ab, wenn es keinen Trost geben kann. Aber dies, wenn jemand seine Sünden erkennt, ist eine Gabe | 227v von Gott, die in unser Denken eingeht, wenn Gott auf uns sieht, wie wir in vielfältigen Versuchungen bedrängt worden sind, damit wir nicht nach allen unseren Nöten und Leiden ohne Nutzen für uns aus dieser Welt gehen. Und es ist nicht so, daß es uns wegen der Schwere der Prüfungen am Begreifen fehlt, sondern (es geschieht) aus Unverstand. Denn oftmals gehen einige in diesem Zustand schuldbeladen und ohne gebeichtet zu haben aus dieser Welt, aber sie leugnen (ihre Schuld) und beschuldigen (andere). Doch der barmherzige Gott wartete, ob sie nicht demütig würden, damit Er ihnen vergebe und einen Ausweg bereite. Und nicht nur ihren Prüfungen hätte Er einen Ausweg bereitet, sondern auch die Sündenfälle hätte Er barmherzig bei einem kleinen Bekenntnis des Herzens verziehen. Wie ein Mensch, der dem Herrscher eine große Gabe bringt, einen sanften Blick bekommt, so verzeiht Gott, der erhabene Herrscher der Zeiten, demjenigen, der Tränen bei seinem Gebet vergießt, alle Grade der Sündenfälle und bewirkt, daß er von Ihm einen wohlgefälligen Blick erlangt. Wie ein Lamm, das die Hürden verläßt und im Umherstreunen der weidenden Herde zum Nest der Wölfe || 228r gelangt, verhält sich auch der Mönch, der sich von der Gemeinschaft seiner Mitmönche unter dem Vorwand trennt, daß er in Abgeschiedenheit leben wolle, und er pflegt Begegnungen (mit anderen Menschen) und geht davon und nähert sich beim Gang durch die Städte (verschiedenen) Anblicken und Schauspielen. Wie ein Mensch, der auf seiner Schulter eine sehr wertvolle Perle trägt und sich auf einen von Räubern heimgesuchten Weg begibt, der übel beleumdet ist, jederzeit in der Angst lebt, daß er überfallen wird, so ergeht es demjenigen, der die Perle der Keuschheit trägt und in der Welt auf dem Wege der Feinde geht. Bis er in die Herberge des Grabes gelangt, die ein Land1 des Vertrauens ist, hat er keine Hoffnung, den Räubern 1
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und Vernichtern zu entgehen. Wie sollte auch derjenige, der die kostbare Perle trägt, sich nicht fürchten können, da er doch nicht weiß, an welchem Ort und wer zu welcher Stunde sich auf ihn stürzen und ihn seiner Hoffnung plötzlich berauben wird, und an der Tür seines Hauses, was die Zeit seines Alters bedeutet, wird er beraubt werden. Wie ein Mensch, der am Tag des Klagens Wein trinkt und betrunken | 228v allen Kummer wegen seiner Schmerzen vergißt, so vergißt auch der von der Gottesliebe Trunkene in dieser Welt, die ein Haus des Klagens ist, seine ganzen Schmerzen und Kümmernisse und bleibt wegen seiner Trunkenheit unempfindlich gegenüber allen sündigen Leidenschaften. Sein Herz wird gestärkt durch die Hoffnung auf Gott, und seine Seele ist leicht wie die eines gefiederten Lebewesens, und jederzeit erhebt sich sein Geist über die Erde und fliegt in den Bewegungen seiner Gedanken höher als der Himmel und erquickt sich unter den Unsterblichen des Allerhöchsten. Ihm sei Lob und Macht in Ewigkeit. Amen. Rede 52 (228v – 230v) Über das nächtliche Wachen und seine verschiedenen Formen Wenn du den Dienst deiner Nachtwache antreten willst, dann tue mit Gottes Hilfe für dich, was ich dir sage. Beuge wie gewohnt deine Knie, und richte dich auf, und deinen Dienst beginnst du nicht sofort, sondern nachdem du zuerst gebetet und dieses (einleitende Gebet) verrichtet hast und dein Herz und deine Glieder mit der lebenspendenden Form des Kreuzes bezeichnet hast, stehe gleichsam zum Übergang eine Weile schweigend, || 229r bis deine Empfindungen zur Ruhe kommen und deine Gedanken stille werden. Und danach richte deinen inneren Blick auf Gott und flehe Ihn bekümmert an, dir Stärke in deiner Schwäche zu verleihen und daß dein Psalmodieren und die Gedanken deines Herzens Seinem heiligen Willen wohlgefällig seien, und sprich wortlos im Gebet deines Herzens so: Herr Jesus Christus, Du mein Gott, Der Du Dein Geschöpf besuchest, Dem meine Leidenschaften offenbar sind und die Ohnmacht unserer Natur und die Stärke unseres Widersachers, Du selbst mögest mich schützen vor dessen Bosheit, denn seine Macht ist stark, und unsere Natur ist erbärmlich und unsere Kraft schwach, aber Du, o Gütiger, Der Du unsere Schwäche kennst und die mißliche Lage unserer Kraftlosigkeit trägst, bewahre mich vor der Verwirrung der Gedanken und der Flut der Leidenschaften, und mache mich würdig dieses heiligen Dienstes, damit ich nicht durch meine Leidenschaften die Süße dieses Dienstes zerstöre und nicht schamlos vor Dir erscheine und dreist. Denn es Kontext bedingte Interpretation von Version B.
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ziehmt sich für uns, daß wir uns völlig frei in unserem Dienst bewegen, | 229v fern von jeglichem jugendlich verworrenen Sinn. Wenn wir aber sehen, daß wir nicht (mehr) viel Zeit bis zum Morgen haben, ehe wir fertig werden können, dann sollen wir mit Absicht und wohlbedacht eine oder zwei Lobpreisungen aus der üblichen Ordnung auslassen, damit es keinen Raum für Zerstreutheit gibt, die den Geschmack an unserem Dienst zerstört, so daß wir Unruhe in die ersten Psalmen (des Morgens) bringen. Wenn, während du deinen Dienst versiehst, ein Gedanke dich anspricht und dir zuflüstert, indem er dir sagt: Beeile dich ein wenig, und es wird mehr verrichtet, und du wirst leicht fertig damit, gib dir nicht selbst die (richtige) Regel. Wenn er dich aber sehr darin bedrängt, dann kehre sofort um einen Lobpreis oder um wieviele du willst zurück, und jeden Vers, der die Gestalt eines Gebetes hat, sprich vielmals mit Bedacht. Und wenn er (der Gedanke) dich wieder verwirrt oder bedrängt, laß das Psalmodieren und beuge die Knie zum Gebet und sprich: Ich will nicht Worte auszählen, sondern die Herberge erreichen. Denn jeden Pfad, auf den Du mich leitest, werde ich schnell beschreiten. Jenes Volk, das sich in der Wüste das Kalb gegossen hatte, || 230r zog vierzig Jahre in ihr umher, stieg die Berge und Hügel hinauf und hinab, und das verheißene Land erblickten sie nicht einmal aus der Ferne. Wenn dich aber beim Wachen das Stehen durch die Länge seiner Dauer besiegt und du vor Schwäche nicht mehr weiterkannst und ein Gedanke sagt dir, mehr noch – der Arglistige gibt es dem Gedanken ein wie auch (damals) der Schlange (und sagt): Hör auf, weil du nicht (länger) stehen kannst, dann sage ihm: Nicht so, vielmehr werde ich nur ein Kathisma sitzen, und das ist besser als Schlaf. Wenn auch meine Zunge schweigt und den Psalm nicht ausspricht, so redet doch mein Geist mit Gott im Gebet und im Gespräch mit Ihm. Wachen ist nützlicher als jeglicher Schlaf. Denn weder das Stehen ist das ganze Wachen, noch das alleinige Psalmodieren. Sondern es gibt manche, die die ganze Nacht mit dem Rezitieren von Psalmen verbringen, und andere, die es mit Bußübungen und Gebeten und Andacht und Verneigungen bis zum Boden tun, und es gibt andere, die (die Nachtwache) mit Weinen und Tränen und Seufzern wegen ihrer Verfehlungen verbringen. Von einem unserer Väter wird berichtet, daß 40 Jahre lang | 230v sein Gebet ein einziger Satz war: Ich habe als Mensch gesündigt, Du aber vergib als Gott. Und die Väter hörten ihn, wie er die Verse in Betrübnis sprach, wie er weinte und nicht schwieg, und sein Dienst bestand für ihn nur in diesem Gebet in der Nacht und bei Tage. Und es gibt (manche), die am Abend ein wenig psalmodieren, den Rest der Nacht aber zu den Troparien übergehen. Und wieder andere (verbringen die Nacht) in Lobpreisungen und mit dem Lesen (in der Heiligen Schrift). Und wiederum ein anderer macht es sich zur Regel, nicht die
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Knie nach dem Vorbild jenes (Mannes) zu beugen, mit dem der Gedanke der Unzucht rang. Unserem Gott sei Ruhm und Macht in Ewigkeit. Amen. Rede 53 (230v – 236r) Darüber, welche Würde die Demut besitzt und in welch hohem Range sie steht Ich will meinen Mund auftun, o Bruder, und von dem erhabenen Gegenstand der Demut sprechen. Und ich bin von Furcht erfüllt wie jemand, der weiß, daß er in den Bildern seiner Worte von Gott sprechen will. Sie (die Demut) aber ist das Gewand der Gottheit. Denn das menschgewordene Wort hat sich mit dieser bekleidet und hat sich uns durch diese zugesellt in unserem Leibe. Und jeder, der diese (Demut) || 231r wahrhaftig angelegt hat, hat sich Dem angeglichen, Der aus Seiner Höhe herabgestiegen ist und die Größe Seiner Erhabenheit verborgen und Seinen Ruhm verdeckt hat in der Demut, damit die Kreatur sich nicht durch Seinen Anblick versenge, denn die Kreatur konnte Ihn nicht anblicken, hätte Er nicht einen Teil von ihr (der Natur) angenommen und sich so ihr zugesellt. Auch die Worte aus Seinem Munde hätte sie von Angesicht zu Angesicht nicht hören können, denn auch die Söhne Israels konnten Seine Stimme nicht hören, als Er aus der Wolke zu ihnen sprach, bis sie zu Moses sagten: Gott möge mit dir sprechen, und erkläre uns aus dem Gehörten Seine Worte. Und Gott möge nicht mit uns sprechen, damit wir nicht sterben [Ex 20,19]. Wie konnte auch Seine Kreatur offen Seinen Anblick aufnehmen, denn so schrecklich ist der Anblick Gottes, daß (selbst) der Mittler sprach: Ich bin voller Furcht und Zittern [Hebr 12,21]. Denn erschienen war auf dem Berge Sinai diese Herrlichkeit (Seines) Ruhmes, und der Berg hatte geraucht und gebebt in der Furcht vor der Offenbarung, die auf ihm geschah, so daß selbst die Tiere, die sich seinem unteren Teil näherten, starben. Und | 231v die Söhne Israels bereiteten sich vor und machten sich bereit, nachdem sie sich auf Moses Geheiß drei Tage lang gereinigt hatten, damit sie würdig wären, die Stimme Gottes zu hören und Seine Offenbarung zu schauen. Und als die Zeit gekommen war, waren sie nicht imstande, den Anblick Seines Lichtes und die Wucht der Stimme Seines Donners zu ertragen. Aber nun, da Er Seine Gnade auf die Welt ausgegossen hat durch Sein Kommen nicht im Erdbeben, nicht im Feuer, nicht mit schrecklicher und gewaltiger Stimme – herabgestiegen wie der Regen auf das Vlies (des Lammes) und wie der Tropfen, der sanft auf die Erde fällt – ist Er, auf andere Weise zu uns sprechend, sichtbar geworden. Das ist so, als ob Er gleichsam wie in einer Schatzkammer Seine Erhabenheit unter dem Schleier des Fleisches verbarg [Hebr 10,20] und unter uns mit uns sprach unter jenem (Schleier des Fleisches), der auf Seinen
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Wink aus dem Schoße der Jungfrau und Gottesmutter geformt worden war, damit wir, da wir gesehen hatten, daß Er von unserem Geschlecht war und mit uns sprach, uns nicht vor Seinem Anblick fürchten sollten. Deshalb hat jeder, der jene Kleidung anlegt, in der Er sichtbar wurde in jenem Leibe, in den sich der Schöpfer hüllte, Christus selbst angezogen. Denn || 232r in die Gestalt, in der Er Seiner Schöpfung erschien und unter ihr lebte, wollte Er Seinen inneren Menschen kleiden und darin Seinen Mitknechten erscheinen, und statt mit einer Kleidung von Ehre und äußerem Ruhm hat Er sich so geschmückt. Deshalb wird sich die Kreatur, sei es mit Worten oder stumm, vor jedem Menschen, den sie auf diese Art gekleidet erblickt, wie vor einem Herrscher verneigen um der Ehre ihres Herrschers willen, den sie so gekleidet und in dieser Gestalt lebend gesehen hat. Denn welches Geschöpf schämte sich nicht vor dem Demütigen. Doch bis der Ruhm der Demut allen offenbar war, konnte jener Anblick voller Heiligkeit leicht mißachtet werden. Aber nun ist Seine Erhabenheit in den Augen der Welt aufgestrahlt, und jeder Mensch ehrt diese Erscheinungsform an jedem Ort, da sie sichtbar wird. Und durch diesen Fürsprecher wurde die Schöpfung gewürdigt, den Anblick ihres Schöpfers und Erschaffers zu empfangen. Deshalb fällt es nicht einmal den Feinden der Wahrheit leicht, sie (die Demut) zu verachten. Und wenn auch derjenige, der sie erworben hat, armseliger ist als alle übrige Kreatur, so wird doch der, der sie erlernt hat, geehrt als trüge er Krone und Purpur. | 232v Der Demütige wird niemals von einem Menschen gehaßt, noch durch ein Wort verletzt, noch verachtet. Weil sein Herr ihn liebt, wird er von allen geliebt. Er liebt alle, und alle lieben ihn. Alle verlangen nach ihm, und an jedem Ort wird er, wenn er sich nähert, wie ein Engel des Lichtes gesehen, und ihm wird Ehre erwiesen. Und wenn jemand zu sprechen anhebt als Weiser und Lehrer, dann verstummen sie, weil sie dem Demütigen ehrfürchtig den Platz zu reden überlassen. Die Augen aller achten auf seinen Mund, welches Wort daraus hervorgeht, und jedermann erwartet seine Worte, als seien es Gottes Worte. Seine wenigen Worte sind wie die Worte von Weisen, deren Sinn sie zu erfassen bemüht sind. Seine Worte sind süß für das Gehör der Weisen, weit mehr als die Honigwabe und der Honig für den Gaumen, und für alle ist er wie Gott, auch wenn er ungebildet ist in seiner Rede, demütig und unansehnlich. Wer verächtlich über einen Demütigen spricht und ihn nicht für einen Lebenden hält, || 233r ist so, als habe er seinen Mund gegen Gott gerichtet, und wie sehr er (der Demütige) in seinen Augen verächtlich erscheint, so wird diesem doch von aller Kreatur Ehre erwiesen. Wenn der Demütige sich Raubtieren nähert, so wird alsbald, wenn deren Blick auf ihn fällt, deren Wildheit gezähmt, und sie nähern sich ihm, als wäre er ihr Gebieter, sie nicken mit den Köpfen und wedeln
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mit den Schwänzen und lecken seine Hände und Füße, weil sie jenen Geruch, der von Adam vor seinem Sündenfall ausging, als sie sich um ihn sammelten und er ihnen im Paradies Namen gab, von ihm wahrnahmen, der aber von uns genommen wurde. Durch Seine Ankunft hat Jesus ihn uns erneuert und uns (wieder) gegeben, das heißt, daß sie (die Ankunft) dem Duft des Menschengeschlechts wieder Wohlgeruch verlieh. Wenn er (der Demütige) sich den todbringenden Schlangen nähert, so stockt plötzlich ihre Bissigkeit und Unerbittlichkeit und tödliche Grausamkeit, wenn sie die Annäherung seiner Hand spüren und diese ihre Körper berührt, und mit seinen Händen bändigt er sie, als wäre es eine Heuschrecke. Wenn er sich den Menschen nähert, dann achten sie auf ihn wie auf den Herrn. Und was rede ich von den Menschen? Auch die Dämonen sind bei ihrer Stärke und aller anderen | 233v Überheblichkeit ihres Denkens wie Staub, wenn sie zu ihm kommen, und all ihre Bosheit wird fade und ihre Tücken zerfallen. Nun aber, da wir deren (der Demut) große Würde, die ihr von Gott gegeben ist, gezeigt haben, und die darin verborgene Kraft, wollen wir weiterhin zeigen, was diese Demut ist und wann der Mensch würdig ist, diese in solcher Vollkommenheit anzunehmen, wie sie es ist. Wir machen einen Unterschied zwischen dem Demütigen dem Ansehen nach und dem, der der wahren Demut würdig befunden worden ist. Die Demut ist eine geheimnisvolle Kraft, welche die vollkommenen Heiligen nach Vervollkommnung ihres ganzen Lebenswandels erlangen. Und diese Kraft wird keinem gegeben, außer jenen, die durch die Kraft der Gnade alleinig vollkommen in der Tugend sind, soweit es innerhalb der Grenzen der Natur möglich ist. Denn die Tugend schließt alles in sich ein. Deshalb kann niemand irgendeinen Menschen, wie auch immer, für einen Demütigen ansehen, sondern nur jene, die dieses Ranges würdig befunden worden sind, von dem wir gesprochen haben. Nicht jeder, der seiner Natur nach sanftmütig || 234r und schweigsam oder verständig und still ist, hat die Stufe der Demut erreicht, sondern wahrhaft demütig ist, wer insgeheim etwas besitzt, auf das er stolz sein könnte, doch er ist nicht stolz darauf, sondern hält sich für Staub in seinem Sinn. Doch auch nicht denjenigen, der eingedenk seiner Sünden und Verfehlungen Demut zeigt und sich an diese erinnert, nennen wir einen Demütigen, bis sein Herz nicht zerknirscht ist und sein Sinn nicht von Gedanken des Stolzes in seiner Erinnerung herabsteigt, auch wenn dies schon lobenswert ist, weil er noch einen stolzen Sinn besitzt und die (wahre) Demut nicht erlangt hat und durch Listen sich diese nahe zu bringen bemüht ist. Und auch wenn dies lobenswert ist, wie ich sagte, so ist sie (die Demut) noch nicht die seinige, sondern er will sie haben, aber er hat sie nicht. Vollständig demütig ist derjenige, der nicht Überlegungen anstellen muß, wie er sich demütig zeigen
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könne, sondern in all diesem vollkommen und natürlich dies ohne Mühe erlangt hat, wie jemand, der eine große und die ganze Schöpfung und Natur übersteigende Gabe in sich empfangen hat, | 234v sich selbst aber als sündig und gering und einfach verächtlich in seinen eigenen Augen sieht. Und wie einer, der in die Geheimnisse alles geistigen Seins eingedrungen und vollkommen ist in seinem vollen Wissen über alle Kreatur, während er sich selbst (doch) für jemanden hält, der nichts weiß, und dies nicht durch spitzfindige Überlegungen, sondern weil er so ohne Zwang in seinem Herzen ist. Frage: Ist es möglich, daß ein Mensch so ist und sich in seiner Natur so verändert oder nicht? Antwort: Zweifle also nicht, daß die geheimnisvolle Kraft, die er (der Mensch) empfangen hat, dies in ihm in jeglicher Tugend ohne (sein) Bemühen vollbringt. Dies ist die Kraft, welche die seligen Apostel in der Gestalt des Feuers (der Feuerzungen) empfingen. Deshalb hat ihnen der Erlöser geboten, nicht von Jerusalem wegzugehen [Apg 1,4], bis sie schon vom Himmel die Kraft empfangen würden. Jerusalem, das ist die Stärke der Tugend, die Kraft aber ist die Demut. Die Kraft von oben ist der Tröster, der der Geist des Trostes genannt wird. Und dies ist der Geist der Visionen. Und das ist es, was in der gotterfüllten Schrift darüber gesagt wird, daß die Geheimnisse den Demütigen || 235r offenbart werden. Diesen Geist der Offenbarungen, der die Geheimnisse zeigt, werden die Demütigen in sich aufzunehmen gewürdigt. Und deshalb ist von einigen Heiligen gesagt worden, daß die Demut durch göttliche Visionen die Seele vollkommen mache. Also möge der Mensch sich nicht erdreisten, in seiner Seele zu denken, daß er in sich die Stufe der Demut erlangt habe und durch einen einzigen Gedanken der Andacht, der ihn irgendwann einmal überkam, oder auch durch wenige Tränen, die er vergossen hat, oder wegen einer einzigen guten Eigenschaft, die er von Natur aus besitzt oder durch Zwang für sich erworben hat, also gleichsam durch geringe Mühen das alles erlangt habe, was die Fülle aller Geheimnisse und die Summe aller Tugenden ist, statt durch diese Gabe. Wenn aber ein Mensch alle widrigen Geister besiegt hat und ihm nicht eines der Werke der ganzen Tugend entgangen ist, das er nicht öffentlich getan und erreicht hätte und er die Festung aller Gegner besiegt und unterworfen und danach in seinem Geiste gespürt hat, daß er diese Gabe empfangen hat, wenn nach dem Wort des Apostels der Geist | 235v es seinem Geist bezeugt [Röm 8,16], dann ist dies die Vollendung der Demut. Selig ist, wer diese erlangt hat, weil er allezeit den Schoß Jesu liebkost und umfängt. Frage: Wenn aber ein Mensch fragt: Was soll ich tun? Wie soll ich es erlangen? Auf welche Weise werde ich würdig, dies zu empfangen? Siehe, ich zwinge mich, und wenn ich denke, daß ich es erreicht habe, sehe ich, wie mir dem entgegengesetzte Gedanken durch den Sinn gehen. Antwort:
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Diesem Fragenden antwortet man so: Es reicht für den Schüler, so zu sein wie sein Lehrer und dem Sklaven (zu sein) wie sein Herr [Mt 10,25]. Sieh auf Ihn, Der dies geboten hat und Der die Gabe schenkt, auf welche Weise Er dies erlangt hat, und werde Ihm gleich, und du wirst es erreichen. Denn Er hat gesagt: Es kommt der Fürst dieser Welt, und er wird in mir nichts finden [Joh 14,30]. Siehst du, wie durch die Vervollkommnung aller Tugenden Demut erlangt werden kann? Laßt uns Dem nacheifern, Der uns das Gebot gab. Er sagt: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels (haben) Nester. Aber der Menschensohn || 236r hat nichts, wo Er Sein Haupt hinlegen kann [Mt 8,20] Ihm sei Ruhm von allen, die Vollkommenheit und Heiligung und Erfüllung erlangt haben in allen Geschlechtern, mit dem Vater, Der Ihn gesandt hat, und dem Heiligen Geist, heute und immerdar und in Ewigkeit. Amen. Rede 54 (236r ‒ 238v) In Fragen und Antworten Frage: Ist es gut, sich von allem, was die Leidenschaften anregt, fernzuhalten, und gilt eine solche Flucht als Sieg oder als eine Niederlage der Seele, wenn man dem Kampf ausweicht und sich die Ruhe erwählt. Antwort: Dazu sagen wir kurz: Der Mönch sollte überhaupt fliehen, was die tückischen Leidenschaften in ihm erregt, und sich vor allem von den Ursachen der Leidenschaften trennen und dem Morast, in dem sie wirken und wachsen, selbst wenn einige davon geringfügig wären. Wenn aber die Zeit kommt, ihnen zu widerstehen und gegen sie anzukämpfen, dann werden wir dies nicht wie ein Spiel tun, sondern listig, wenn wir in der Schau des Geistes gefangen sind. Und wir sollen unseren Sinn stets von ihnen abkehren hin zu dem natürlichen Guten, das in der Natur von Dem, Der die Menschen erschaffen hat, angelegt ist, auch wenn der Teufel durch Verführung | 236v die Wahrheit zu listiger Versuchung verdreht. Und wenn es zu sagen erlaubt ist, so sollte er (der Mensch) nicht nur vor der Verwirrung durch die Leidenschaften, sondern auch vor seinen Gefühlen fliehen und sich in die Nähe seines inneren Menschen vertiefen und dort einsam verweilen und emsig im Weinberg seines Herzens wirken, bis er seine Werke mit dem Namen eines Mönches in Übereinstimmung bringt, der ihm geheimnisvoll innerlich und offen gegeben worden ist, und vielleicht verbinden wir uns in diesem engen Verweilen bei unserem inneren Menschen gänzlich dem Begreifen unserer Hoffnung auf Christus, Der in uns lebt. Denn solange unser Geist dort einsam und abgeschieden verweilt, ist es nicht dieser, der mit den Leidenschaften kämpft, sondern die Gnade, wie denn auch die Leidenschaften in ihm sich nicht auswirken können. Frage: Wenn ein Mensch etwas für die Rein-
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heit seiner Seele tut, andere aber, die nicht seine geistige Lebensweise begreifen, daran Ärgernis nehmen, soll er sich dann wegen des Ärgernisses seiner himmlischen Lebensweise enthalten, oder das tun, || 237r was dem von ihm Beabsichtigten dient, auch wenn es für die Betrachter von Schaden ist. Antwort: Wir sagen auch hierzu, daß, wenn jemand auf rechte Weise, so, wie er es von den Vätern, die vor ihm waren, übernommen hat, etwas tut, was seinen Geist reinigt und darauf zu achten sich vorgenommen hat, um Reinheit zu erlangen, die anderen aber, die dieses sein Vorhaben nicht kennen, daran Anstoß nehmen, so ist nicht er schuldig, sondern jene. Nicht deshalb ist er enthaltsam oder fastet er oder sondert sich zumeist ab und tut das, was er wegen seines Vorhabens tun mußte, damit die anderen Anstoß nehmen, sondern damit es seinen Geist reinigt. Diese aber, weil sie sein Vorhaben hinsichtlich seiner Lebensführung nicht kennen, tadeln ihn und waren schuldig, da sie (darin) achtlos waren, jenes geistige Vorhaben zu erkennen, das dieser sich zur Reinigung seiner Seele vorgenommen hatte. Denn von ihnen hat der selige Paulus geschrieben: Das Kreuzeswort, so sagt er, ist denen, die verlorengehen, wohl eine Torheit [1 Kor 1,18]. Was aber nun? Weil das Kreuzeswort von jenen | 237v für eine Torheit gehalten wird, die nicht die Kraft des Wortes erkennen, sollte Paulus da schweigen (und) nicht verkünden? Aber siehe, bis auf den heutigen Tag ist die Tat des Kreuzes ein Ärgernis und Verwirrung für die Juden und die Griechen (Heiden). Sollen wir aber von der Wahrheit schweigen, damit diese nicht Anstoß nehmen? Paulus jedoch verstummte nicht, sondern schrie es hinaus, indem er sagte: Ich möge nicht gerühmt werden, Ruhm gibt es nur für das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus [Gal 6,14]. Dieses über das Kreuz wurde von dem Heiligen nicht gesagt, damit andere Anstoß nähmen, sondern um der zu verkündenden großen Kraft des Kreuzes willen. Und du, Heiliger, richte nun deinen Lebensweg gemäß dem Vorhaben ein, das du dir vorgenommen hast, hin zu Gott, wo dein Gewissen nicht verurteilt wird, und prüfe deinen Lebenswandel an den gotterfüllten Schriften und denen, die du von den heiligen Vätern empfangen hast. Und wenn du von ihnen nicht getadelt wirst, dann mögest du dich vor jenen (Dingen) nicht fürchten, an denen die anderen Anstoß nahmen. Denn kein Mensch kann alle in gleicher Weise (über sich selbst) in Kenntnis setzen und es ihnen recht tun und Gott und in seinem Inneren für Gott arbeiten. Selig ist jener Mönch, || 238r o du Seliger, der wahrhaftig mit all seiner Kraft nach der Reinheit seiner Seele strebt und auf dem rechten Weg – den unsere Väter auf dem Wege zu ihr beschritten, und über deren Stufen sie stiegen, als sie sich entsprechend Stand und Rang erhoben – zur Annäherung an sie durch Weisheit und im Ertragen von Bedrängnissen, aber nicht auf den Pfaden fremder Listen aufgestiegen sein
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wird. Reinheit der Seele ist die ursprüngliche Gabe unserer Natur. Und ohne Reinigung von den Leidenschaften wird die Seele weder von den Gebrechen der Sünde geheilt, noch erlangt sie den Ruhm, den sie im Frevel(n) verlor. Wenn aber jemand der Reinigung gewürdigt wird, welche die Gesundheit der Seele ist, dann empfängt in eben diesen Dingen sein Sinn die Freude im Gespür des Geistes. Denn er ist ein Sohn Gottes und ein Bruder Christi, und er vermag nicht mehr zu spüren, wieviel des Guten und des Bösen ihm begegnet, wegen jener unsäglichen Freude, die von der Reinheit kommt. Möge Gott uns würdig befinden, die Reinheit zu erlangen und in ihr das unerreichbare Licht zu erblicken und die unsägliche Freude, | 238v wo für die Frohlockenden eine Wohnstätte ist und Ruhe durch die Gnade und Menschenliebe des himmlischen Herrn Jesus Christus. Ihm sei aller Ruhm und Ehre und Anbetung mit Seinem ewigen Vater und dem hochheiligen und gütigen und lebenspendenden Geist heute und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen. Rede 55 (238v – 270v) Desselben Schreiben an unseren ehrwürdigen Vater Simeon, den Wundertäter aus Kaisareia Dein Schreiben, o du Heiliger, sind nicht (nur) geschriebene Worte, sondern Du hast darin wie in einem Spiegel Deine Liebe zu uns beschrieben und gezeigt, und wie Du meinst, daß wir seien, so hast Du geschrieben, und durch eben dieses Tun hast Du gezeigt, wie Du uns über alle Maßen liebst, so daß durch die große Liebe gleichsam unser Maß vergessen wäre. Denn es gebührte uns, Dir, Ehrwürdiger, zu schreiben, und von Euch die Wahrheit zu erfragen und zu lernen, wenn wir um unsere Rettung besorgt gewesen wären. So aber bist Du mir dank der Größe Deiner Liebe zuvorgekommen und hast uns geschrieben, und vielleicht hast Du es aus kluger Weisheitsliebe getan, || 239r damit durch Deine behutsamen und geistlichen Fragen, die Ihr mir gestellt habt, meine Seele aufgeweckt werde aus der tiefen Trägheit, in die sie sehr versunken war. Indessen vergesse auch ich aufgrund jener selben Liebe, durch die Du unser Maß vergaßest, meine Unzulänglichkeit und achte nicht auf das, was ich vollbringen, sondern was Dein Gebet bewirken kann. Denn wenn ich mein Maß vergesse und Du Gott durch Deine Gebete anflehst, daß Deine Bitte erfüllt werde, wird Dir als Seinem immerwährenden Diener von Gott alles gegeben werden, was Du in Deinem Gebet erbeten hast. Die erste Frage in dem Schreiben ist diese: Frage: Ziehmt es sich, alle Gebote des Herrn zu achten, und gibt es keine Form der Rettung für den, der sie nicht achtet? Antwort: Das braucht man, wie ich meine, keinen zu fragen. Wenn es auch viele sind, so müssen sie doch beachtet werden, anderenfalls hätte der Erlöser sie nicht zu geben brauchen, denn Unnötiges
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und Grundloses und was nicht gebraucht wird ist, wie ich meine, | 239v von unserem Herrn nicht gesagt und getan worden. War doch die Absicht Seines Kommens, die Seele von dem Üblen aus der ersten Übertretung zu reinigen und diese zu ihrer ursprünglichen Ordnung zurückzuführen, indem Er uns Seine lebenspendenden Gebote als reinigenden Trank für unsere Leidenschaften gibt. Denn was der Trank für den kranken Leib ist, das sind die Gebote für die leidenschaftliche Seele. Und es ist offensichtlich, daß die Gebote wider die Leidenschaften gegeben waren zur Heilung der Seele, die gefrevelt hatte, wie der Herr klar zu seinen Schülern gesagt hat. Wer meine Gebote hat und sie beachtet, der ist es, der Mich liebt. Und wer Mich liebt, der wird von Meinem Vater geliebt werden. Und Ich werde ihn lieben, und Ich offenbare Mich ihm. Und wir werden zu Ihm gehen und bei Ihm eine Wohnstätte haben [Joh 14,21,23]. Und weiter: Daran wird die Welt erkennen, daß ihr Meine Schüler seid, wenn ihr einander liebt [Joh 13,35]. Und es ist offensichtlich, daß die Liebe (erst) nach der Gesundheit der Seele erlangt werden kann. Die Seele aber ist nicht gesund, die nicht die Gebote achtet. || 240r Das Halten der Gebote steht noch unterhalb der geistigen Liebe. Und weil es viele gibt, die die Gebote aus Furcht halten oder wegen der künftigen Belohnung und nicht aus Liebe, verkündet Er, daß das Halten der Gebote aus Liebe der Seele das Licht gibt. Und weiter: Die Menschen mögen eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen [Mt 5,16]. Und die guten Taten, die der Herr gelehrt hat, kann man nicht in der Seele sehen, wenn die Gebote nicht gehalten werden. Und daß die Gebote nicht schwer sind für diejenigen, welche die Wahrheit lieben, sagte der Herr: Kommt, denn so sagte Er, alle, die ihr euch müht und beladen seid, Ich will euch Ruhe geben, denn Mein Joch ist sanft und Meine Last ist leicht [Mt 11, 28,30]. Und daß wir alle Gebote eifrig halten sollen, auch das hat Er aufgetragen, indem Er sagte: Wer eines von diesen kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen so belehrt, wird als Geringster im Himmelreich gelten [Mt 5,19]. Also kann ich nach diesem und allem zu unserer Rettung Festgelegtem nicht sagen, daß nicht alle Gebote gehalten werden müßten, noch daß die Seele fähig wäre, sich zu reinigen, | 240v wenn sie diese nicht hält, die ihr als Trank zur Reinigung von den Leidenschaften und Sünden von Gott gegeben worden sind. Du weißt, daß die Schlechtigkeit wegen der Übertretung der Gebote bei uns Eingang gefunden hat. Also ist es offensichtlich, daß durch das Einhalten (der Gebote) die Gesundheit kommt. Doch ohne sie zu halten, ziemt es sich für uns nicht, die Reinigung der Seele zu wünschen oder sie zu erhoffen, wenn wir nicht zuvor auf dem Weg vorangehen, der zur Reinheit der Seele führt. Und sage nicht, daß Gott uns auch ohne Einhaltung der Gebote die Reinigung der Seele durch Seine Gnade schenken kann,
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denn dies sind die Satzungen des Herrn, und Er hat der Kirche nicht geboten, solches zu erbitten. Auch die Juden zogen bei ihrer Rückkehr aus Babylon nach Jerusalem auf ihrem morgendlichen natürlichen Weg und kamen so in ihre heilige Stadt und sahen die Wunder des Herrn. Doch auch Ezechiel wurde durch das Wirken der Offenbarung auf übernatürliche Weise entrückt und kam nach Jerusalem und wurde durch göttliche Offenbarung zum Schauenden der künftigen Erneuerung. Auf diese Weise || 241r verhält es sich auch mit der seelischen Reinheit. Es gibt einige, die auf dem ausgetretenen und gesetzlichen Weg durch Einhalten der Gebote in einem sehr mühseligen Lebenswandel durch ihr Blut zur seelischen Reinheit gelangen, und es gibt andere, die durch das Geschenk der Gnade deren gewürdigt werden. Und das ist erstaunlich, daß uns nicht geboten worden ist, die durch die Gnade geschenkte (Reinheit) im Gebet zu erbitten und uns der (andernfalls notwendigen) Lebensführung zu enthalten. Denn jenem Reichen, der den Herrn fragte: Wie erbe ich das ewige Leben? [Lk 10,25] antwortete Er: Halte du rein die Gebote. Und als er fragte, welche Gebote es seien, antwortete Er ihm: Als erstes halte dich fern von bösen Werken, und Er erinnerte ihn so an die natürlichen Gebote [Mt 19,1,19]. Als er Ihn aber sehr bedrängte und fragte, was er einüben solle, sagte Er ihm: Wenn du vollkommen sein willst, verkaufe deinen Besitz und gib (den Erlös) den Armen, und nimm dein Kreuz und folge mir nach [Mt 19,21]. Das aber ist, daß du abgestorben sein sollst für deinen ganzen Besitz, und so wirst du leben durch Mich. Geh fort aus dieser alten Welt der Leidenschaften, und so wirst du in die neue Welt | 241v des Geistes eintreten. Geh hin und leg ab das Wissen und die (schlechte) Sitte und die Spitzfindigkeiten, und so wirst du das einfache Wissen der Wahrheit anlegen. Denn als Er sagte: Nimm dein Kreuz [Mt 16,24], lehrte der Herr das Abtöten (in sich selbst) gegenüber allem, was in der Welt ist. Und als Er in ihm (dem Menschen) den alten Menschen abgetötet hatte, das heißt die Leidenschaften, sagte Er zu ihm: Geh hinter mir her! Der alte Mensch kann nicht den Weg Christi gehen, wie der selige Paulus sagte, daß Fleisch und Blut das Gottesreich nicht erben kann, wie auch das Verwesliche nicht das Unverwesliche erbt [1 Kor 15,50]. Und weiter: Zieht den alten Menschen aus, der verweslich war in seinen Begierden, dann werdet ihr den neuen (Menschen ) anlegen können, der erneuert ist durch die Erkenntnis der Ähnlichkeit mit Dem, Der ihn erschaffen hat [Eph 4,22], und weiter: Irdisches Denken ist Feindschaft gegen Gott, denn es ordnet sich dem göttlichen Gesetz nicht unter, noch könnte es das. Die da im Fleisch leben, denken fleischlich, und sie können durch ein Denken des Geistes Gott nicht wohlgefällig sein [Röm 8,7-8]. Du aber, Du Heiliger, wenn Du die Reinheit Deines Herzens liebst und das geistige Denken, wie Du gesagt hast, halte
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Dich an die Gebote des Herrn, || 242r wie unser Herr gesagt hat: Wenn du in das (ewige) Leben eingehen willst, halte die Gebote [Mt 19,17] um der Liebe Dessentwillen, Der sie gegeben hat, und nicht aus Furcht oder um des Lohnes willen. Denn nicht, wenn wir das Rechte tun, kosten wir die darin verborgene Süße, sondern wenn das Verlangen nach dem Rechten unser Herz verzehrt, und nicht, wenn wir eine Sünde begehen, sind wir Sünder, sondern wenn wir sie nicht hassen und nicht bereuen. Und ich sage nicht, daß es jemanden gebe, sei es aus alter oder jüngster Zeit, der die Gebote nicht gehalten und (dennoch) die Reinheit des Herzens erlangt habe und der geistigen Schau gewürdigt worden sei. Sondern mir scheint, daß derjenige, der die Gebote nicht hielt und nicht auf den Spuren der seligen Apostel wandelte, nicht würdig ist, ein Heiliger genannt zu werden. Der selige Basileos und der selige Gregorios, von denen Du gesagt hast, daß sie die Wüste geliebt hätten und Säulen und das Licht der Kirche gewesen seien und das Leben im Schweigen gelobt hätten, sie gelangten nicht zum Leben im Schweigen, als sie im Hinblick auf das Halten der Gebote untätig waren, sondern sie lebten zuerst in Frieden (mit den anderen) und achteten die Gebote, wie sie jene halten sollen, die mit vielen (Menschen) zusammenleben, und so gelangten sie zur | 242v Reinheit der Seele und wurden der geistigen Schau gewürdigt. Ich glaube wahrhaftig, daß sie, als sie in den Städten lebten, Fremde aufgenommen, Kranke besucht, Nackte bekleidet, denen, die sich abmühen, die Füße gewaschen haben, und wenn sie jemand zu einer Meile nötigte, gingen sie zwei [Mt 5,41]. Und als sie die erforderlichen Gebote hielten, die von den unter vielen (Menschen) Lebenden einzuhalten sind, und ihr Geist begann, die ursprüngliche Unerschütterlichkeit und die von Gott kommenden geheimnisvollen Visionen zu empfinden, strebten sie von da an nach dem Leben im Schweigen, und sie zogen hinaus in die Wüste, und von da an verweilten sie in ihrem inneren Menschen, um Schauende zu sein, und sie lebten in der geistigen Schau, bis sie durch die Gnade erkannten, daß sie Hirten der Kirche Christi sein sollten. Zu dem aber, daß der große Basileos, wie Du gesagt hast, bisweilen das Zusammenleben vieler lobt (und) bisweilen das Einsiedlerleben, sage ich, daß auf zweierlei Weise den Eifrigen das Wahre eröffnet wird, einem jeden entsprechend der Stärke und dem Unterschied || 243r und dem Vorhaben, das er sich gesetzt hat. Denn bisweilen wird den Starken ein Nutzen aus dem Zusammenleben vieler zuteil, bisweilen aber auch den Kraftlosen, und in der Wüste auf dieselbe Weise ebenso. Wer die Gesundheit der Seele erlangt hat, dessen Sinn ist auch im (Heiligen) Geist aufgegangen, und wer sich für das menschliche Zusammenleben abgetötet hat, für den ist auch das Zusammenleben mit vielen nicht schädlich, wenn er enthaltsam bleibt in seinen Dingen. Und dies
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ist nicht, damit er Nutzen habe, sondern damit er nützlich sei, weil er von Gott dazu berufen war im Namen der anderen Väter. Und für den Schwachen und den, der noch wachsen muß durch die Milch der Gebote, ist das Zusammenleben mit vielen ebenso nützlich, bis er gelernt hat und weich geworden ist und Kränkungen hinnimmt in den Prüfungen und inmitten der vielen fällt und wieder aufsteht und Gesundheit der Seele erlangt. Es gibt kein Kind, das nicht mit Strömen von Milch ernährt worden wäre, und es gibt keinen Mönch, der, ohne von der Milch der Gebote genährt zu sein, sich bessert und die Leidenschaften besiegt und der Reinheit gewürdigt würde. Ebenso ist, wie ich gesagt habe, | 243v die Wüste bisweilen jenen nützlich, die (die Gesellschaft der Menschen) fliehen und bisweilen den Starken. Bei den Ersteren bewirkt sie, daß man nicht auf eine Sache stößt, von der man entflammt wird und wieder den Leidenschaften verfällt, bei den Starken aber, um nicht in Dinge verwickelt zu werden und in die Kriege des Teufels zu geraten. In Wirklichkeit bringt die Wüste, wie Du sagtest, die Leidenschaften zur Ruhe. Aber nicht nur dies wird verlangt, daß man seine Leidenschaften zur Ruhe bringe, sondern auch, daß man sie ausreiße, das heißt, sie überwinde, wenn sie gegen uns angehen. Denn die eingeschläferten Leidenschaften wachen auf, wenn ihnen ein Grund begegnet, wieder tätig zu werden. Wie aber lernst Du, daß nicht nur die Wüste die Leidenschaften einschläfert, wie ich gesagt habe? Beachte, daß zu Zeiten von Krankheit und großen Schmerzen sie uns nicht sehr angreifen. Nicht nur das, sondern sie selbst schläfern einander oftmals ein, wenn eine der anderen Platz macht. Denn die Leidenschaft der Eitelkeit veranlaßt die Unzucht zu weichen, die Unzucht bezähmt wiederum die Ruhmsucht. Also wollen wir nicht nur deshalb nach der Wüste verlangen, weil sie die Leidenschaften einschläfert, || 244r sondern weil wir durch den Mangel an sinnlichen Eindrücken und den Rückzug von allem Weisheit in ihr (der Wüste) erlangen und in uns der innere Mensch des Geistes in Christus erneuert wird und wir jederzeit uns selbst beobachten und unser Geist wachsam und jederzeit für sich auf der Hut ist, daß nicht seine Gedanken an seine Hoffnung gestohlen werden. Dieses genügt, wie ich meine, (als Antwort) auf Deine erste Frage, wenn dieses das Verlangte war. Sprechen wir also auch über das Zweite, das eben dieses war. Frage: Weshalb hat unser Herr uns Barmherzigkeit geboten, um der Herrlichkeit des Vaters im Himmel ähnlich zu werden, die Mönche aber ziehen von beiden das Leben im Schweigen vor? Die Antwort darauf ist diese. Antwort: Es ist gut, daß Du aus dem Evangelium ein Gleichnis angeführt hast und ein Beispiel zur Untersuchung dieser großartigen Lebensform – des zurückgezogenen Schweigens. Wir wollen im Vergleich zu Dir diese nicht als etwas Überflüssiges abschaffen. Der Herr hat Barmherzigkeit gebo-
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ten, um dadurch dem himmlischen Vater ähnlich zu werden, weil sie diejenigen, die sie üben, diesem (dem Ähnlichwerden) nähert. Das ist wahr, und auch wir Mönche achten nicht das Schweigen ohne Barmherzigkeit, | 244v aber wir sind bestrebt, uns vor Kummer und Verwirrung, soweit dies möglich ist, zu bewahren. Nicht, daß wir uns gegen das Erforderliche stellen wollen, wenn es uns begegnet, aber wir sorgen uns um das Schweigen in Zurückgezogenheit, damit wir in der Versenkung in Gott verbleiben, denn darin können wir uns am besten von Verwirrung absondern und uns Ihm annähern. Wenn aber einmal für eine bemessene Zeit ein nötiger Bedarf der Brüder auf uns zukommt, darf dies nicht abgelehnt werden. Denn wir halten uns stets dazu an, daß wir jederzeit innerlich barmherzig gegenüber jedem vernunftbegabten Wesen sind, weil es uns so die Lehre des Herrn gebietet. Und das ist der Unterschied unseres Lebens im Schweigen und nicht so, wie es sich gerade ergibt. Und nicht nur dieses, unser Inneres, sollen wir bewahren, sondern auch, wenn die Zeit der Taten und der Zwang der Dinge ruft, dürfen wir nicht versäumen, unsere Liebe offen zu zeigen, und besonders wenn jemand nicht das völlige Schweigen in der Abgeschiedenheit bei sich beschlossen hat, (nämlich) niemandem zu begegnen, sondern wenn jemand sich die Regel des sieben Tage oder siebenmal 7 Tage || 245r einzuhaltenden Schweigens gegeben hat. Denn diese enthalten sich nicht der Werke der Barmherzigkeit dem Nächsten gegenüber, während sie nach dieser Regel leben, außer wenn jemand besonders schroff, grob und unmenschlich ist und (nur) vor den Augen der Menschen (das heißt zum Schein) das Schweigen einhält. Denn wir wissen, daß ohne Nächstenliebe der Geist nicht im Gespräch mit Gott und durch Gottes Liebe erleuchtet werden kann. Und welcher weise Mönch, der Nahrung und Kleidung hat und seinen Nächsten als Hungernden und Nackten erblickt, gäbe nicht von dem, was er hat, sondern bewahrte etwas davon, oder auch, wer würde, wenn er jemanden erblickt, der desselben Fleisches ist wie er, von Krankheiten gequält und unter Schmerzen leidend und des Zuspruches bedürftig, aus Liebe zum Schweigen die Regel der Einsiedelei der Liebe zu seinem Nächsten vorziehen. Wenn aber etwas derartiges nicht geschieht, werden wir im Geiste die Liebe und Barmherzigkeit zu den Brüdern bewahren. Sind aber solche Dinge nahe, | 245v verlangt Gott von uns, durch unser Handeln diese (die Nächstenliebe) zu erweisen. Denn es ist offensichtlich, daß, wenn wir nichts erworben haben, uns auch nicht geboten wäre, uns in Sorge und Unruhe um der Armen willen zu stürzen. Wenn wir aber (etwas) haben, müssen wir (es) geben. Und weiter: Wenn wir uns in unserer Lebensweise vom Beisammensein (mit anderen) und Hineinmischen unter den Anblick der Menschen fernhalten, dann brauchen wir auch nicht unsere Zelle zu verlassen und unser Dasein als
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Mönch und in Abgeschiedenheit und uns an den Aufruhr der Welt und das Besuchen der Kranken und das Verrichten von derartigen Dingen auszuliefern. Denn es ist offensichtlich, daß solche Dinge vom Großen zum Kleinen führen. Wenn aber jemand mit vielen zusammenlebt und dadurch, daß er seinen Wohnsitz bei den Menschen hat, in ihrer Nähe ist und Bequemlichkeit durch die Mühen der anderen, sei es in Zeiten der Gesundheit oder der Krankheit, genießt, dann muß auch er dasselbe tun und nicht gebieterisch von den anderen Ruhe verlangen, wenn er einen Sohn seines Fleisches und derselben Gestalt in Not erblickt – ja mehr noch (eigentlich) den darniederliegenden und leidenden Christus –, und fortgehen und sich vor ihm verbergen, während er sich mit einem vorgeblichen Schweigen brüstet. || 246r Ein jeder, der so handelt, ist nicht barmherzig. Und rufe mir nicht Johannes von Thebais und Arsenios in Erinnerung, und sage, wer von diesen hat sich für derlei Dinge hergegeben oder sich um die Kranken und Armen gesorgt und (dabei) sein Schweigen in der Zurückgezogenheit vernachlässigt? Mögest du dich nicht in die Nähe solcher Dinge begeben. Denn wenn Du fern von jeglicher Bequemlichkeit und der Begegnung mit den Menschen bist, wie es diese waren, dann gebietet Dir auch der Herr, solche Dinge zu vernachlässigen. Wenn Du aber solcher Vollkommenheit fern bist und jederzeit mit den Beschwerden des Leibes und unter den Menschen lebst, warum bist Du dann nachlässig bei den Geboten, die Deinem Maß entsprechend zu halten sind, und gibst vor, dem Lebenswandel der großen Heiligen zu folgen, dem Du nicht nahe gekommen bist? Ich indessen will nicht säumen, an das Handeln des großen Heiligen Makarios zu erinnern, das auf die Entlarvung derjenigen, die sich nicht um ihre Brüder sorgen, hingewiesen hat. Denn er ging einmal, einen Erkrankten unter den Brüdern zu besuchen. Und als der Erhabene fragte, ob dieser etwas brauche, | 246v antwortete ihm der Kranke: ein wenig frisches Brot, weil damals alle Mönche meistens das Brot für ein ganzes Jahr herstellten, denn dies war an jenem Ort üblich. Sogleich stand der ehrwürdige Mann auf, und obwohl er 90 Jahre alt war, ging er von der Einsiedelei nach Alexandria und tauschte die trockenen Brote gegen weiche ein, die er in ein Schaffell packte, und brachte sie dem Bruder. Aber etwas noch Größeres als dies machte der diesem Erhabenen (Makarios) ähnliche Vater Agathon, ein Mann, erfahrener als alle Mönche zu jener Zeit, der die Zurückgezogenheit und das Schweigen mehr als alle anderen achtete. Dieser erstaunliche Mann brach zur Marktzeit auf, um das Werk seiner Hände zu verkaufen, und er traf auf dem Marktplatz einen Fremden, der da lag und krank war. Dieser (Agathon) sagte, wie von ihm berichtet wird: Ich wünschte mir, einen Aussätzigen || 247r zu finden und ihm meinen Körper zu geben und dafür seinen anzunehmen. Das ist die vollkommene Liebe. Die Gott
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fürchten, o mein geliebter (Bruder), sind gern eifrig bemüht und darum besorgt, die Gebote zu achten. Und wenn bei ihrem Tun ihre Hände auf jene geraten sollten, dann ertragen sie um ihretwillen auch Ungemach. Der Lebenspendende hat ihre Vollendung in zwei Geboten verbunden und zusammengefügt, die alle umfassen in der Liebe zu Gott und der ihr gleichen im Erlangen derselben durch die Liebe zu Seinem Ebenbild. Denn die erstere beachtet das Wirken des Geistes, die zweite aber das Schauen und das Handeln. Denn die göttliche Natur ist einfach und unkompliziert und unsichtbar, und sie kann ihrer Natur nach nichts entbehren. Das Bewußtein bedarf naturgemäß im Denken nicht des körperlichen Tuns und dessen Wirkens und der Dinglichkeit der Gedanken, weil seine Tätigkeit einfach ist und sich im alleinigen Bereich des Geistes vollzieht, entsprechend jener anbetungswürdigen Ursache, die das Empfinden des fleischlichen Spürens übersteigt. Das zweite Gebot aber, welches die Menschenliebe | 247v ist, ist seiner doppelten Natur gemäß in der Sorge um seine Beachtung von zweifacher Art. Ich sage, was wir im Bewußtsein unsichtbar tun, das wollen wir auch im Leibe verrichten, und nicht nur offen, sondern auch verborgen. Und was in den (sichtbaren) Dingen zu vollbringen ist, das soll auch im Bewußtsein vollbracht werden. Denn wie der Mensch aus zwei Teilen zusammengesetzt worden ist, ich meine aus Seele und Leib, so bedarf auch alles bei ihm gemäß seiner doppelten Anlage doppelter Beachtung. Und da allerorten das Handeln dem Schauen vorausgeht, kann sich niemand zu jener hohen Stufe erheben, wenn er nicht zuvor die geringere durch sein Tun durchlaufen hat. Nun kann kein einziger Mensch sich zu sagen erkühnen, er habe die Nächstenliebe erlangt, weil er sie in seiner Seele ausübt, wenn jener Teil vernachlässigt wird, der im Leibe verrichtet wird entsprechend seiner Kraft und der Zeit und dem Ort, die ihm Gelegenheit dazu geben. Denn (erst) dann ist glaubhaft, daß er die betrachtende Liebe kennt. Und wenn wir darin nach Kräften treu || 248r und wahrhaftig sind, dann wird der Seele die Kraft zuteil, sich in einfachen und ungezwungenen Gedanken auf die Stufe der großartigen Schau des Erhabenen und Göttlichen zu erheben. Und wo der Mensch keine Möglichkeit hat, die Nächstenliebe in sichtbaren und körperlichen Dingen zu üben, da genügt vor Gott unsere nur in Gedanken ausgeübte Nächstenliebe, besonders wenn sie Teil eines Einsiedlerdaseins und des Lebens im Schweigen und des Erfolges darin ist – dann genügt sie (diese gedankliche Nächstenliebe), wenn sie (so) geübt wird. Wenn wir aber in allen Teilen dieses Lebens im Schweigen Mängel zeigen, dann füllen wir diese Mängel durch das diesbezügliche Gebot auf, welches das Wirken mit den Sinnen ist. Dieses füllen wir auf als Ergänzung der Bequemlichkeit unseres Lebens durch die Mühsal unseres Leibes, damit nicht unsere Freiheit
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Ursache der Unterwerfung unter das Fleisch werde, während wir uns unter dem Namen eines Eremitendaseins vergeblich mühen. Denn es ist klar, daß demjenigen, der sich von den Unterhaltungen mit den Menschen vollkommen fernhält und sein Denken nur auf Gott gerichtet hat, | 248v wenn er tot ist für alles in seinem Fernhalten davon, nicht befohlen ist, für die Menschen zu arbeiten und ihnen zu dienen. Wer aber die Regel des Schweigens für die Dauer von sieben Wochen oder für jeweils eine Woche befolgt und nach Beendigung dieser Regel mit den Menschen zusammentrifft und sich unter diesen bewegt und ihre Vergnügungen teilt und seine Brüder im Kummer vernachlässigt, während er meint, daß er zugleich die Wochenregel halte, der ist nicht barmherzig sondern dreist. Denn es ist offensichtlich, daß er, da er keine Barmherzigkeit besitzt und wegen seines Hochmuts und seiner trügerischen Gedanken sich nicht dazu herabläßt, sich solcher Dinge anzunehmen. Wer den Kranken vernachlässigt, wird das Licht nicht erblicken. Wer sein Gesicht von dem, der in Bedrängnis ist, abwendet, dessen Tag wird verdunkelt werden. Und wer die Stimme des Leidenden überhört, dessen Söhne werden sein Haus in Blindheit ertasten. Laßt uns nicht den erhabenen Namen des Lebens im Schweigen in unserer Unwissenheit schmähen. Denn jede Lebensform hat ihre Zeit und ihren Ort und ihre Besonderheit. Und dann wird Gott wissen, ob Er daran (am Leben im Schweigen) sein Wohlgefallen haben wird. || 249r Und ohne dies ist das Tun all jener, die sich um das Maß der Vollkommenheit sorgen, vergeblich. Wer da hofft, daß von anderen seine Krankheiten Zuspruch und Hilfe erfahren mögen, der werde demütig und mühe sich um seinen Nächsten zu Zeiten, wenn dieser geprüft wird, damit sein Tun freudig in seiner Abgeschiedenheit geschieht, fern von jeglichem Dünkel und teuflischer Verlockung. Von einem Heiligen, der klug war, ist gesagt worden, nichts könne einen Mönch (so sehr) vor dem Dämon des Stolzes bewahren und der (Einhaltung der) Grenze seiner Keuschheit beim Aufflammen unzüchtiger Begierde förderlich sein, wie das Besuchen von Menschen, die auf ihrem Lager liegen und sich unter dem Kummer des Fleisches verzehren. Großartig ist das Durchhalten des engelhaften Lebens im Schweigen, wenn solches Denken (der Asket) um der notwendigen Demut willen auf sich nimmt. Denn wo wir unwissend sind, können wir beraubt und vernichtet werden. Dies habe ich, meine Brüder, nicht gesagt, damit wir träge und nachlässig gegenüber der Sache des Schweigens werden. Denn allerorten | 249v wollen wir davon überzeugen und nun nicht als unseren Worten Zuwiderhandelnde befunden werden. Niemand greife ein bloßes Wort auf und nehme es aus unseren Reden heraus und lasse das Übrige beiseite und halte dieses (Wort) unverstanden in seinen Händen. Ich erinnere mich, an vielen Orten gesprochen und gemahnt zu haben, daß,
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wenn es jemandem widerfahren sollte, daß er sich unter dem Zwang unserer Schwäche, die uns überfällt, in seiner Zelle in völliger Leere empfinde, deshalb nicht den völligen Auszug aus ihr wählen müsse und das Wirken außerhalb für besser als das dortige Wirken halten solle. Den vollständigen Auszug nannte ich nicht, wenn uns zeitweilig eine Notwendigkeit begegnet, um derentwillen du für einige Wochen ausziehst, um in dieser Zeit Ruhe und Leben des Nächsten zu erreichen – was du für Müßiggang und leere Zeit ansiehst. Wenn aber jemand meint, daß er vollkommen sei und höher stünde als alle, die hier sind, in seinem Wandel vor Gott und in seinem Fernhalten von allen sichtbaren Dingen, dann möge er vernünftigerweise auch davon absehen. || 250r Groß ist das Unterscheiden dessen, was von Gott gefördert wird, Der uns durch Seine Gnade gewähren möge, Sein Wort zu erfüllen, das da sagte: Wie ihr wollt, daß euch die Menschen tun, so sollt auch ihr ihnen tun [Lk 6,31]. Frage: 3. Ferner hast Du mir in Deinem Brief geschrieben, daß ein Mönch, der Gott zu lieben verlangt, sich vor allem um die Reinheit seiner Seele sorgen müsse, und Du hast gut gesprochen, wenn Du dem genügst. Antwort: Und weil Du ferner gesagt hast, die Seele habe nicht die Unbefangenheit im Gebet, solange sie noch nicht die Leidenschaften besiegt hat, so scheinen sich mir, wenn ich auch ungebildet bin, diese beiden zu widersprechen. Denn wenn sie die Leidenschaften nicht besiegt, wie sorgt sie sich dann um die Reinheit, und weil ihr durch die Regel der geistigen Wahrheit dies nicht befohlen ist, weil sie zuvor nicht ihre Leidenschaften besiegt hat, suchst Du das Höhere. Denn nicht an dem, wonach ein Mensch verlangt, erkennt man, wie er liebt, sondern aus dem, was er liebt, erkennt man, was er (sich) wünscht. Die Liebe geht naturgemäß dem Wünschen voraus. Wenn er (der Mensch) nicht Liebe zu etwas entfaltet, wünscht er auch nichts. Die Leidenschaften aber sind eine Tür, die vor der Reinheit verschlossen ist. | 250v Wenn jemand diese verschlossene Tür nicht öffnet, wird er in jenes geläuterte und reine Land des Herzens nicht eingehen. Und das, was Du sagtest, daß die Seele nicht den Mut zur Zeit des Gebetes besäße, hast Du recht gesagt. Denn der Mut steht nicht nur höher als die Leidenschaften, sondern auch (höher als) die Reinheit. Denn das ist die Ordnung der Aufeinanderfolge, wie ich sage, die Geduld muß sich zwingen, mit den Leidenschaften um die Reinheit zu ringen, wenn aber die Leidenschaften besiegt sind, erwirbt die Seele die Reinheit. Die wahre Reinheit bewirkt, daß der Geist Mut während des Gebetes erlangt. Setzen wir uns aber bei dem Gesagten nicht einem Tadel aus, wenn wir im Gebet jene Reinheit erbitten, oder ist dieses Bitten (eine Sache) des Stolzes und Dünkels, wenn wir von Gott das erbitten, was die gotterfüllte Schrift und unsere Väter uns auftragen und dem der Mönch in die Einsiedelei folgt? Ich aber denke, Du Heiliger,
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wie der Sohn an seinem Vater nicht zweifelt und ihn nicht bittet, indem er so spricht: lehre mich Kunstfertigkeit, oder gib mir etwas, so geziemt es auch nicht dem Mönch zu urteilen und von Gott zu erbitten, || 251r gib mir dieses und jenes, denn er weiß, daß weiter als der Vater für den Sohn Vorsorge trifft, die Fürsorge Gottes für uns geht. Und also ziemt es uns, demütig zu werden und über die Ursachen der Sünden zu weinen, die ohne unser Wollen, sei es in Gedanken oder in Werken, von uns begangen werden, und zerknirschten Herzens wie der Zöllner zu sprechen: O Gott, reinige mich Sünder [vgl. Lk 18,13], und heimlich und offen zu tun, wie der Herr gelehrt hat, als Er sagte: Überwindet das Böse durch das Gute. Wenn ihr alles das tut, was euch aufgetragen ist, (dann) sprecht: Wir sind wie unbrauchbare Knechte. Was wir tun sollten, haben wir getan [Lk 17,10]. Und auch Dein Gewissen möge Dir bezeugen, daß Du ein Sünder bist und des Erbarmens bedarfst. Du weißt doch auch, daß nicht die Taten die verschlossene Tür im Herzen öffnen, sondern ein zerknirschtes Herz und Demut der Seele, wenn Du die Leidenschaften durch Demut aber nicht durch Hochmut besiegst. Wer da krank ist, wird zuerst demütig und kümmert sich um die Genesung von seinen Leiden, und (erst) dann strebt er danach, Herrscher zu sein. Denn die Reinheit und Gesundheit der Seele sind | 251v das Königreich der Seele. Und was ist das (für ein) Königreich der Seele? Wie der Kranke nicht zu seinem Vater sagt: Mache mich zum König!, sondern sich zuerst um seine Krankheit kümmert und erst nach der Genesung das Reich seines Vaters überhaupt das seinige ist, so geht auch der Sünder, der Reue übt und die Gesundung seiner Seele erlangt, mit dem Vater in das Land des reinen Wesens ein und herrscht unter dem Ruhme seines Vaters. Erinnern wir uns doch an den heiligen Apostel Paulus, der von seinen Verfehlungen berichtet und seine Seele auf den letzten und niedrigsten Platz gestellt hat. Jesus Christus, sagt er, ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu erretten, deren erster ich bin. Aber deshalb hat Er sich meiner erbarmt, daß Er in mir zuerst Seine ganze Langmut erweist [1 Tim 1,15-16]. Denn ich war zunächst ein Verfolger und Hochmütiger und Lästerer, doch ich fand Erbarmen, weil ich als Unwissender im Unglauben gehandelt hatte [1 Tim 1,13]. Wann und zu welcher Zeit hat er dies gesagt? Nach großen Taten und starken Werken, nach der Verkündigung, die er in der ganzen Welt gepredigt hat über die frohe Botschaft von Christus, nach vielen Toden und vielfältigen Bedrängnissen, die er von Juden und Heiden erlitten hatte. || 252r Er blickt noch auf seine ersten (Taten), und nicht nur, daß er nicht Reinheit erlangt hatte, meinte er, sondern nicht einmal, daß er sich zu den Schülern Christi rechnen könne, dachte er, wie es angebracht ist. Denn er sagte: Ich bin nicht würdig, Apostel zu heißen, weil ich die Kirche Christi verfolgt habe [1 Kor 15,9].
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Und als er mehr als alle Menschen den Sieg über die Leidenschaften errungen hatte, sagte er: Ich zügle mein Fleisch und unterjoche es, damit ich nicht, während ich anderen predige, unerprobt sei [1 Kor 9,27]. Wenn Du aber sagst, daß er stellenweise auch Großes von sich berichtet, so möge er Dich darin (in dieser Sache) überzeugen, denn er sagt, nicht freiwillig habe er es getan, nicht um seiner selbst, sondern um der Verkündigung willen. Und wenn er dies zur Rettung der Gläubigen berichtet, stellt er sich selbst wegen solchen Lobens als jeglichen Sinnes beraubt dar und spricht aufschreiend: Ihr habt mich (dazu) genötigt [2 Kor 12,11] und weiter: Nicht durch Gott sage ich es, sondern in meiner Torheit an der Stelle dieses Lobens [2 Kor 11,17]. Sieh diese Richtschnur, die uns der heilige Paulus, der Gerechte und Wahrhaftige, gegeben hat. Bewahren wir dies also, und zeigen wir Eifer darin. Und was das Trachten nach diesem Erhabenen von Gott anbelangt, das Er weder gibt | 252v noch schenkt, so entsagen wir dem, weil Gott die Gefäße kennt, die zu Seinem Dienst ausgewählt sind. Denn der selige Paulus hat auch danach nicht um das Reich für seine Seele gebeten, sondern gesagt: Ich sage aber, daß ich darum gebeten habe, von Christus verstoßen zu sein [Röm 9,3]. Wie aber können wir wagen – und dies vor der Zeit, die Er kennt –, das Reich für die Seele zu erbitten, ohne die Gebote gehalten und die Leidenschaften überwunden und ohne unsere Schuldigkeit getan zu haben. Ich flehe darum, Du Heiliger, daß Dir dies nicht in den Sinn komme. Sondern erlange vor allem Geduld in dem, was auf dich zukommt. Und in großer Demut und Zerknirschung des Herzens über das, was in uns und in unseren Gedanken ist, laß uns Verzeihung unserer Sünden und Demut der Seele erbitten. Ein Heiliger hat geschrieben, daß desjenigen Gebet Gott nicht wohlgefällig sei, der sich nicht für einen Sünder hält. Wenn Du aber sagst, daß einige von den Vätern darüber geschrieben haben, was die Reinheit der Seele und die Gesundheit und die Leidenschaftslosigkeit und was das Schauen ist, so haben sie das nicht geschrieben, damit wir voller Hoffnung vor der Zeit danach verlangen. Denn es steht geschrieben, daß das Reich Gottes nicht in der Sichtweise der Erwartung kommt [Lk 17,20]. || 253r Die aber in solchem Denken befunden wurden, erlangten Stolz und Fall. Wir jedoch ordnen den Raum unseres Herzens durch das Werk der Reue und einen gottgefälligen Lebenswandel. Und was des Herrn ist (das Göttliche), kommt von selbst, wenn die Stätte des Herzens rein und unbesudelt sein wird. Das aber, was wir im Schauen zu erreichen suchen, ich spreche von den erhabenen göttlichen Dingen, das wird von der Kirche Gottes abgelehnt. Die es empfangen, erwarben sich Hochmut und Fall. Und dies ist kein Zeichen dafür, daß jemand Gott liebt, sondern (ein Zeichen) für die Krankheit der Seele. Und wie können wir nach den erhabenen göttlichen
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Gaben verlangen, wo doch der göttliche Paulus sich seiner Bedrängnisse rühmt und Teilhabe an den Leiden Christi für die erhabene göttliche Gabe ansieht. Frage 4: Des weiteren hast Du mir in Deinem Brief davon geschrieben, daß Deine Seele daran Gefallen gefunden habe, Gott zu lieben, daß Du diese Liebe aber noch nicht erreicht habest, obwohl Du ein großes Verlangen nach dieser Liebe hast, und wie Dir obendrein die Zurückgezogenheit in der Wüste gefällt. Und dadurch hast Du gezeigt, daß die Reinheit des Herzens in Dir eingezogen ist und das Denken an Gott sich heftig in Dir entfacht und Wärme sich in Deinem Herzen ausbreitet. | 253v Antwort: Auch dieses ist großartig, wenn es wahrhaftig so ist. Ich wünschte aber nicht, daß Du dies schriebest. Denn keines davon hat seine rechte Zuordnung. Wenn Du es aber um der Frage willen berichtet hast, hätte die Frage eine andere Anordnung haben sollen. Denn wer da sagt, daß seine Seele noch nicht den Mut im Gebet besitze, weil er die Leidenschaften noch nicht bezwungen habe, wie kann er zu sagen wagen, daß seine Seele Gefallen an der Liebe zu Gott gefunden habe? Es gibt keine Weise, auf welche sich in der Seele die Liebe zu Gott regen könnte, in deren Folge Du geheimnisvoll im Einsiedlerleben aufgehst, solange sie (die Seele) nicht die Leidenschaften bezwungen hat. Du aber hast gesagt, daß Deine Seele noch nicht die Leidenschaften überwunden und (doch) an der Liebe zu Gott Gefallen gefunden habe, was nicht die rechte Reihenfolge ist. Denn wer da sagt, daß er die Leidenschaften nicht bezwungen und Gefallen an der Liebe zu Gott gefunden habe, bei dem weiß ich nicht, wovon er spricht. Aber Du sagst, ich habe nicht gesagt, ich liebe, sondern ich habe Gefallen an der Liebe gefunden. Und auch das findet nicht statt, solange es in der Seele keine Reinheit gibt. Wenn es Dir aber nur darum geht, das Wort auszusprechen, dann sagst das nicht nur Du, sondern jeder sagt, daß er Gott lieben will, nicht nur die Christen, sondern auch diejenigen, die Gott nicht auf die rechte Weise verehren. Und dieses Wort wird von jedem als eigenes ausgesprochen, doch bei diesen Worten || 254r bewegt sich nur die Zunge, während die Seele nicht empfindet, was er sagt. Und viele, die krank sind, wissen nicht (einmal), daß sie krank sind. Denn das Böse ist die Krankheit der Seele und die Verlockung auch die Verderbnis der Wahrheit. Und viele Menschen, die daran kranken, predigen Gesundheit, und werden von vielen gelobt. Wenn aber die Seele keine Genesung vom Bösen erfährt und die natürliche Gesundheit erlangt, in der sie geschaffen worden war, damit sie aus der geistigen Gesundheit geboren wird, dann kann der Mensch nicht dasjenige ersehnen, was über die Natur des Geistes hinausgeht. Denn solange die Seele in der Krankheit der Leidenschaften befangen ist, spürt sie mit ihrem Gefühl weder die geistigen Dinge, noch vermag sie dieses zu ersehnen, sondern sie verlangt danach nur, weil
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die Ohren davon hörten und wegen der Schriften. Also habe ich oben zu Recht gesagt, daß diejenigen, die nach Vollkommenheit verlangen, alle Gebote halten sollen, weil das verborgene Wirken der Gebote die Kraft der Seele heilt. Und das geschieht nicht einfach und nicht wie von ungefähr. Denn es steht geschrieben, daß es ohne Blutvergießen keine Vergebung gibt [Hebr 9,22]. Aber zuerst hat unsere Natur durch die Menschwerdung Christi die Erneuerung empfangen | 254v und ist eine Gemeinschaft eingegangen mit Seinem Leiden und Seinem Tod. Und hernach nach der Erneuerung durch das Blutvergießen ist unsere Natur erneuert und geheiligt worden und war fähig, die neuen und vollkommenen Gebote zu empfangen. Wären sie ihnen (den Menschen) aber vor dem Blutvergießen gegeben worden, ja sogar vor der Erneuerung und Heiligung unserer Natur, hätten vielleicht diese neuen Gebote wie jene alten das Böse in der Seele abgehauen, ohne die Wurzel des Bösen selbst vollständig aus der Seele ausreißen zu können. Jetzt aber ist es nicht so, sondern das nachfolgende verborgene Wirken und die neuen und geistigen Gebote, welche die Seele gottesfürchtig einhält, erneuern und heiligen sie und heilen verborgen alle ihre Glieder. Denn es ist offenbar, welche Leidenschaft ein jegliches Gebot wortlos in der Seele heilt, und ihre Wirkung spüren der Heilende und der zu Heilende, wie es bei der blutenden Frau geschah. Du weißt, mein Lieber, wenn der leidenschaftliche Teil der Seele nicht geheilt und erneuert und verborgen geheiligt und in das geistige Leben eingebunden wird, || 255r dann erlangt sie weder Gesundheit, noch wird sie frei davon sein, sich wegen der ihr in der Schöpfung begegnenden Dinge zu betrüben. Und diese Heilung kommt, wenn es geschehen soll, durch die Gnade wie bei den seligen Aposteln, weil sie sich durch den Glauben in der Liebe Christi vervollkommneten. Und es kann geschehen, daß die Seele rechtmäßig ihre Gesundheit erlangt. Denn wer durch das Halten der Gebote und die strengsten Werke einer wahrhaftigen Lebensführung die Leidenschaften überwand, der möge wissen, daß er die Gesundung seiner Seele rechtmäßig erworben hat und der Körpergebundenheit dieser Welt entwöhnt worden ist und daß die Gewohnheit seiner (früheren) Unternehmungen von ihm abgetrennt ist und daß er, wie im Anfang, im Geistigen wiedergeboren und durch die Gnade im Reich des Geistes erkannt worden ist, im Denken des inneren Menschen, und daß eine andere einfache Welt ihn aufgenommen hat. Wenn aber der Geist erneuert und das Herz geheiligt ist, dann regen sich alle darin in Bewegung gesetzten Gedanken entsprechend der Natur jener Welt, in die es eingetreten ist. Zuerst regt sich darin die Liebe zum Göttlichen, und es verlangt nach Gemeinsamkeit mit den Engeln und nach Offenbarung der Geheimnisse des Wissens, das vom (Heiligen) Geist kommt, | 255v und sein Geist erspürt das geistige Wissen der
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Geschöpfe, und das Schauen der Geheimnisse der Heiligen Dreifaltigkeit leuchtet in ihm auf (zugleich) mit den Geheimnissen der verehrungswürdigen Vorsehung für uns, und dann verbindet es (das Herz) sich gänzlich mit dem Wissen der Hoffnung auf das Zukünftige. Betrachten wir also (Deine Lage) nach dem, wovon ich dir schrieb. Wenn deine Seele, als sie im Raum der Leidenschaften eingeschlossen war, in Wahrheit Liebe zu Gott hätte fassen können, dann hätte sie kein großes Bedürfnis gehabt, nach den Geheimnissen der geistigen Welt zu fragen und sie kennenzulernen. Es ist vielmehr offensichtlich, daß Lehren und Erkenntnisse beim Vorhandensein von Leidenschaften weder nutzen, noch vermögen sie die vor der Reinheit verschlossene Tür zu öffnen. Wenn aber die Leidenschaften von der Seele genommen sein werden, wird der Geist erleuchtet und findet seine Ordnung am reinen Ort seines Wesens und bedarf nicht des Fragens, weil er klar das Gute an (eben) seinem Orte sieht. Weil (nämlich) unsere äußeren Empfindungen nicht durch Belehrung und Fragen das (jeweilige) Wesen und die Dinge und was zu ihnen gehört erkennen, sondern jegliche Empfindung auf natürliche Weise und nicht durch Fragen das ihr Begegnende || 256r erkennt. Denn es gibt keine Lehre in der Mitte, die zwischen dem Erkennenden und dem zu Erkennenden vermittelt. Wieviel man auch einem Blinden von der Herrlichkeit der Sonne und des Mondes und dem Reigen der Sterne und dem Funkeln kostbarer Steine erzählen mag, er nimmt sie nur dem Namen nach auf und unterscheidet sie und denkt über die Schönheit nach, die sie besitzen, doch seine Erkenntnis und seine Unterscheidungsmöglichkeit sind weit entfernt von der Süße ihres Anblicks. So mögest du mich auf ähnliche Weise auch im Hinblick auf das geistige Schauen verstehen. Denn der Sinn, der die verborgenen Geheimnisse des (Heiligen) Geistes bei gesunder Natur zu schauen vermag, sieht auf gesunde Weise den Ruhm Christi und fragt nicht und forscht nicht, sondern genießt die Süße der Geheimnisse der neuen Welt, die die Freiheit seines Wollens übersteigt, entsprechend der Glut des Glaubens und der Hoffnung auf Christus, wie der selige Paulus geschrieben hat: Wenn wir sehen, was sollen wir noch hoffen, wenn wir aber nicht sehen, hoffen wir in Geduld [Röm 8,24-25]. Also müssen wir weiter hoffen und einsam und in Einfalt in unserem inneren Menschen verbleiben, | 256v wo es weder Darstellungen der Gedanken noch den Anblick von verschlungenen Dingen gibt, denn so wie der Geist sieht, nimmt er auch Gleichnisse auf. Wenn er aber auf die Welt blickt, so nimmt er, entsprechend der Wandlung der Bilder, in denen er umherschweift, in gleichem Maße von ihnen Bilder und Gestalten auf, und diese setzen in ihm, entsprechend ihrer Menge und der Unterschiedlichkeit ihrer Veränderungen, Gedanken in Bewegung. Und wenn die Gedanken in Bewegung geraten sind, prägen sie sich dem
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Geist ein. Wenn aber der Geist des inneren Menschen dorthin blickt, wo es weder etwas gibt, das zur Veränderung der Bilder beitragen kann, noch das Komplizierte sich von den anderen komplizierten Vorstellungen in der Veränderung des Vorgestellten unterscheidet, sondern alles nur Christus ist, dann ist es offensichtlich, daß der Geist das einfache Schauen annimmt, so daß nichts anderes die Kehle der Seele mit Wohlgeruch erfüllt und bewirkt, daß diese zur Zeit des Gebets mutig zu sprechen vermag. Denn dies ist die Nahrung der seelischen Natur. Und wenn der Geist sich im Raum der Erkenntnis der Wahrheit befindet, dann bedarf es keines Fragens. Denn so, wie das leibliche Auge || 257r nicht erst fragt und dann die Sonne sieht, so forscht auch das seelische Auge nicht zuerst und schaut (erst) danach das Wissen des (Heiligen) Geistes. So eröffnet sich auch das geheimnisvolle Schauen, das Du, o Heiliger, Dir wünschest, dem Geist nach der Gesundung der Seele. Solche Geheimnisse aber durch Forschen und Urteilen erlernen zu wollen, ist Torheit der Seele. Denn der selige Paulus hat gesagt, nicht durch Belehrung oder in stofflicher Weise (sei es geschehen), daß er die unsagbaren Worte der Geheimnisse, die der Mensch nicht aussprechen darf, gesehen und gehört hat [2 Kor 12,4], sondern durch Verzückung wurde er in eine Sphäre des Geistes entrückt, und er schaute die Offenbarung der Geheimnisse. Also sollst auch Du, o Heiliger, wenn Du die Reinheit liebst, die Liebe von allem abtrennen, die auf alle ausgegossen ist, und wenn Du eingetreten bist in den Weingarten des Herzens, wirke darin und tilge aus Deiner Seele die Leidenschaften, und handle so, daß Du die menschliche Schlechtigkeit nicht kennenlernst. Die Reinheit schaut Gott. Nicht infolge von Fragen strahlt sie auf und erblüht in der Seele, sondern weil sie nicht die Bosheit welches Menschen auch immer kennt. Wenn du aber willst, daß dein Herz zum Ort | 257v der Geheimnisse der neuen Welt wird, dann vermehre zuerst die leiblichen Werke durch Fasten, Wachen, Deinen Dienst, Askese, Geduld, Aufgabe Deiner Vorhaben und anderes (mehr). Binde Deinen Geist an das Lesen der Schriften und die Lehre(n) darin. Schreib die Gebote vor Deinen Augen auf, und trag ab die Schuld der Leidenschaften, wenn Du besiegt wirst, und Du wirst siegen. Und im ständigen Gespräch des Gebetes und der Bitte(n) und im Nachsinnen darüber, reiße aus Deinem Herzen jegliches Bild, jegliche Gestalt, die Du zuvor freundlich aufgenommen hast. Lehre Deinen Geist, unentwegt über die Geheimnisse der Heilsordnung des Erlösers nachzusinnen, und laß ab vom Bitten um Erkenntnis und Vision(en), die an ihrem Ort und zu ihrer Zeit die Wiedergabe durch Worte übersteigen, und befolge das Einhalten der Gebote, und bemühe Dich um Reinheit, und erbitte Dir vom Herrn im Gebet brennende Trauer, feurig in allem (die Er auch den Herzen der Apostel und Märtyrer eingegeben hat, sowie den Vätern),
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damit sie in Dein Herz tropfe und Du eines Lebenswandels voller Sinn würdig werdest. Der Anfang || 258r und die Mitte und das Ende dieses Lebenswandels ist die Trennung von allem durch die Vereinigung mit Christus. Willst Du aber die Geheimnisse schauen, dann halte durch Deine Werke in Dir selbst die Gebote, und nicht indem Du nach ihrer Erkenntnis jagst. Das geistige Schauen wirkt in uns im Bereich der Reinheit. Und Du strebe zuerst danach zu lernen, wie Du in den Bereich der Geheimnisse des (Heiligen) Geistes gelangst, und so beginne. Das erste der Geheimnisse heißt Reinheit, die durch das Wirken der Gebote zu erlangen ist. Das Schauen aber ist die geistige Schau des Sinnes, (nämlich) staunend alles zu betrachten, was war und was sein wird. Das Schauen ist der Blick des Geistes, erschauernd ob der göttlichen Vorsehung für jegliches Geschlecht und das Betrachten Seines Ruhmes und des Ungeheuerlichen der neuen Welt. Dabei wird das Herz zerknirscht und erneuert sich, und wie ein Kleinkind wird er (der Mensch) in Bezug auf Christus durch die Milch der neuen geistigen Gebote genährt, und er lebt ohne Schlechtigkeit und dringt ein in die Geheimnisse des (Heiligen) Geistes und die Offenbarungen der Erkenntnis, aufsteigend von Erkenntnis zu Erkenntnis | 258v und vom Schauen zum Schauen und vom Begreifen zum Begreifen, und er lernt und wird auf geheimnisvolle Weise gefestigt, bis er durch die Liebe aufsteigt und sich mit der Hoffnung verbindet und Freude in ihm eindringt und er erhöht wird zu Gott und gekrönt durch die natürliche Herrlichkeit seiner Erschaffung, in der er erschaffen worden ist. Auf diesen Weiden des (Heiligen) Geistes steigt der Geist zu den Offenbarungen der Erkenntnis auf und fällt und steht auf und ist siegreich und wird besiegt und wird im Ofen seiner Zelle geröstet und wird so gereinigt, und ihm wird die Gnade zuteil, und auf tätige Weise wird er des Schauens der Heiligen Dreifaltigkeit gewürdigt, nach der Du verlangst. Es sind aber drei Formen des Schauens der Naturen, in denen der Geist sich erhebt und handelt und lernt: zwei (Formen des Schauens) der geschaffenen Naturen, der vernunftbegabten und der unverständigen, der geistigen und der körperlichen, und die andere (Form des Schauens) der Heiligen Dreifaltigkeit. Das erste Schauen aber betrifft alle geschaffene Kreatur, und der Geist durchdringt sie durch die Erleuchtung des Wissens. Bei dem was aber nicht den Gefühlen unterliegt, || 259r erfolgt das Schauen durch den Geist. Und der Geist hat eine Betrachtungsweise über sich selbst, in welcher die außenstehenden Philosophen ihr Denken in der Einbildung der Geschöpfe überhöhten. Das Schauen jedoch der Söhne der Glaubensgeheimnisse ist mit dem Glauben verbunden und weidet auf den Weiden der (Heiligen) Schrift. Es sammelt den Geist, zieht ihn ab von jeglichem äußeren Umherschweifen und bindet ihn ein in die Vereinigung mit Christus wie Basileos und Gregorios.
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Und sein Schauen verweilt bei den geheimnisvollen (in der Heiligen Schrift) gegebenen Worten. Und es gibt die für den Verstand unfaßbaren von uns im Glauben empfangenen Worte, und im Schauen empfangen wir von ihnen das Wissen, das es in uns nach der Reinigung gibt. Und für die Geheimnisse des (Heiligen) Geistes, die das Wissen übersteigen, die weder die körperlichen Empfindungen spüren noch der vernunftbegabte Sinn, hat Gott uns den Glauben gegeben, durch welchen wir nur erfassen, daß sie vorhanden sind. Und durch diesen Glauben erwächst uns die Hoffnung auf sie. Im Glauben bekennen wir, daß Gott der Herr ist und der Herrscher und der Schöpfer und der Erschaffer von allem, und durch dieses Wissen | 259v gelangen wir dahin, daß wir Seine Gebote halten müssen und dies verstehen, daß die alten Gebote aus Furcht gehalten, die lebenspendenden Gebote Christi aber aus Liebe gehalten werden, wie Er selbst gesagt hat: Ich habe die Gebote Meines Vaters gehalten und bleibe in Dessen Liebe [Joh 15,10]. Es ist aber offensichtlich, daß der Sohn nicht aus Furcht die Gebote Seines Vaters hält, sondern aus Liebe, und deshalb trägt Er uns auf, daß auch wir aus Liebe Seine Gebote halten, wie Er sagt: Wenn ihr Mich liebt, haltet ihr Meine Gebote, und Ich werde Meinen Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Tröster senden [Joh 14,15-16]. Ankunft des Trösters nennt Er die Gaben der Offenbarungen der Geheimnisse des (Heiligen) Geistes, weil die Aufnahme des (Heiligen) Geistes, den die Apostel empfangen haben, die Vollkommenheit des geistigen Wissens ist. Und den Tröster hat der Herr zugesagt und versprochen, nachdem Er Seinen Vater gebeten hatte, ihnen Diesen zu geben, damit Er für immer bei ihnen bleibe, nachdem sie Seine Gebote gehalten und Reinigung erlangt haben. Siehst Du, wie durch das Halten der Gebote der Geist der Gnade des Schauens || 260r der geheimen Offenbarung des Wissens des (Heiligen) Geistes gewürdigt wird. Nicht, wie Deine Weisheit meint, daß das Werk des Haltens der Gebote eine Behinderung für das Schauen der göttlichen Geheimnisse sei, die sich beim Schweigen in der Zurückgezogenheit zeigen. Deshalb bitte ich Dich: Wenn Du in Deiner Seele spürst, daß Du in den Raum der Liebe gelangt bist, halte die neuen Gebote aus Liebe zu Dem, Der sie gegeben hat, und nicht aus Furcht, wie auch der selige Paulus sagte, als er vom Feuer der göttlichen Liebe erfaßt war: Wer trennt mich von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Kerker oder Verfolgung und so weiter? Und er fügte noch hinzu: Denn ich vertraue darauf, daß weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges mich von der Liebe Gottes trennen können in Christus Jesus unserem Herrn [Röm 8,35,38-39]. Und damit sich keiner einfallen lasse, sich großen Lohn oder Ehre oder Ruhm oder die überreiche Gabe von geistigen Dingen zu wünschen, wie Deine Heiligkeit es wünscht, sagte er: Ich habe gebetet, ausge-
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schlossen zu sein von Christus, daß Fremde Ihm zugehören [Röm 9,3]. Und damit Du begreifst, daß er nicht | 260v nach geheimem Schauen in der Zurückgezogenheit trachtete, so wie du Ehrwürdiger, sondern sich jenes wünschte, was oftmals einige Unwürdige durch die Gnade für sich erwarben, höre, was er an anderer Stelle sagte: Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen rede, aber keine Liebe habe, wäre ich wie tönendes Kupfer oder eine jauchzende Zimbel, und wenn ich die (Gabe der) Prophezeiung habe und alle Geheimnisse weiß und alle Erkenntnis, und wenn ich einen Glauben habe, Berge zu versetzen, aber keine Liebe habe, so bin ich nichts [1 Kor 13,1-2]. Denn die rechtmäßige Tür, die dahin führt, ist die Liebe. Wenn wir die Liebe erlangen, dann bringt sie uns dahin. Wenn wir aber dessen durch die Gnade gewürdigt werden ohne die Liebe, dann werden wir dies irgendwann verlieren, denn das Erlangen und der Bewahrer der höchsten heiligen Dinge und eines gotterfüllten Lebens ist die Liebe. Sobald aber ein Mönch die Liebe verliert, verliert sein Herz den Frieden, und dieses ist die göttliche Wohnstatt, und sie verschließt ihm die Tür der Gnade, durch die unser Herr || 261r eingeht und ausgeht, wie Er gesagt hat: Ich bin die Tür zum Leben, und durch Mich geht der Mensch hinein, um lebendig zu sein, und er findet die Weide [Joh 10,9] zur Nahrung für sein geistiges Leben, wo er weder durch Bosheit noch durch Verlockung behindert wird. Sondern die göttliche Liebe führt ihn in allen Formen des Aufstieges zu den Offenbarungen des Wissens und in die Schau der geheimnisvollen Dinge hinein und heraus so wie jene, die die Freiheit durch Christus haben. Und damit Du die Wahrheit dessen begreifst, daß wahrhaftig das geistige Leben das göttliche Schauen des (menschlichen) Geistes ist, höre den großen Paulus. Denn dieser schreit auf, daß ich ohne Liebe kein Wohlgefallen daran finden kann, und wenn ich durch die von der Liebe verschlossenen Tore in dieses nicht eintrete, das heißt zum Schauen (gelange), dann wünsche ich mir dies auch nicht. Und wenn es mir durch die Gnade gegeben wird, ohne die Liebe erlangt zu haben, dann trachte ich nicht danach, denn ich bin dahin nicht durch die natürliche Tür gelangt, welche die Liebe ist. Man sollte aber zuerst die Liebe zu erlangen, die das ursprünglichste Schauen der Heiligen Dreifaltigkeit ist, und danach wird mir ohne mein Zutun auf natürliche Weise | 261v das Schauen der geistigen Dinge zuteil. Betrachte nur die Weisheit des seligen Paulus, wie er alle Gaben aufgegeben hat, die ihm durch die Gnade gegeben waren, und sich die (eigentliche) Grundlage der Dinge selbst erbat, die die Gaben empfängt und sie bewahrt, wie jemand sagt. Die Gabe des Schauens bei den Kreaturen war auch Moses gegeben, und viele sind ihrer gewürdigt worden, doch nicht als fester Besitz, sondern durch Offenbarung. Ich, der ich durch den Heiligen Geist getauft bin und erfüllt von Gnade, will inner-
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lich das Gefühl des in mir lebenden Christus empfangen. Denn Christus hat die Erneuerung unserer Natur durch Seine (göttliche) Natur bewirkt, und wir haben uns mit Ihm bekleidet durch das Wasser und den (Heiligen) Geist, und in einem unaussprechbaren Geheimnis hat Er uns mit Sich vereinigt und uns zu Gliedern Seines Leibes gemacht – doch hier (nur) als Unterpfand, in der neuen Welt aber wird Er auf natürliche Weise den übrigen Gliedern das Leben geben. Weshalb willst Du also das Schauen vor der Liebe, wenn doch der gotterfüllte Paulus dies ohne die Liebe für nutzlos hielt. Denn das, was Du gesagt hast, (nämlich) das Halten der Gebote hindert mich am Schauen, || 262r macht offensichtlich, daß Du die Nächstenliebe gering geschätzt und das Schauen vorgezogen hast und dies dort schauen möchtest, wo es nicht gesehen wird, solange wir, o du mein Weiser, das Schauen nicht schauen können. Denn das Schauen zeigt sich uns selbst an seinem Ort. So wie beim natürlichen Wachstum die Seele die Verbesserung des Wissens erlangt und die Dinge der Welt empfindet und darin von Tag zu Tag vorankommt, so empfängt der Mensch auch im geistigen Bereich das geistige Schauen und das Empfinden des Göttlichen und kommt darin in dem Maße voran, in welchem sein Geist in seinem Verstandesleben wächst, und er erfolgreich vorankommt. Wenn er aber den Raum der Liebe erreicht, erblickt er die geistigen Dinge an ihrem Ort, die sich, sosehr jemand sich auch bemühte, daß sie zu ihm niederstiegen, nicht unterordnen. Wenn er aber kühn davon träumt und zu ihnen aufschaut und sie zur Unzeit betrachtet, dann wird auf einmal sein Blick stumpf, und an Stelle der wahren Dinge erscheinen ihm Traumgebilde und (trügerische) Bilder. Wenn Du dieses nun | 262v vernünftigen Sinnes erfassest, mögest du nicht das Schauen zur Unzeit suchen. Wenn es dich aber auch jetzt dünkt, daß du das Schauen erreicht habest, ist dieses Schauen (nur) der Schatten eines Phantasiegebildes, aber nicht das (wahre) Schauen, weil es bei allem der Vernunft Entspringendem eine Gestalt und ein Phantasiebild gibt, und wiederum gibt es darin auch wahres Schauen. Denn auch bei den komplizierten Naturen gibt es ein Wirken der Phantasie, und es kann sein, daß sie auch das wahre Schauen haben. Ist es aber das wahre Schauen, gibt es (dort) Licht, und das zu Betrachtende wird in der Nähe der Wahrheit gesehen. Geschieht aber das Gegenteil, dann sieht das Auge einen Schatten anstelle der Wahrheit, wenn es (nämlich) Wasser sieht, wo kein Wasser ist, und Gebäude hoch oben, die in der Luft hängen, während sie auf dem Boden stehen. Unter solcher Erscheinung der körperlichen Dinge begreife Du auch die gedanklichen Vorgänge. Wenn nicht der Blick des Geistes geläutert wird durch das Halten der Gebote und das Befolgen eines Lebens im Schweigen, wenn er nicht vollkommen das Licht der Liebe erlangt und wächst || 263r in der Erneuerung durch Christus und in der Ver-
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vollkommnung der Erkenntnis den geistigen Naturen auf der Stufe nahekommt, auf welcher er das engelgleiche Leben des Geistes sucht, dann kann er nicht sehend werden und wahrhaftig das göttliche Schauen erfahren. Und wie große Vorstellungen sich der Geist davon auch machen sollte, es wird ein Phantasiegebilde genannt und nicht die Wahrheit. Und dies, daß der Geist etwas anstelle von etwas anderem sieht, kommt davon, daß er nicht gereinigt worden ist. Denn das Wesen der Wahrheit ist immer unveränderlich und kann sich niemals in Ähnliches verändern. Die Ursache aber für das Ausdenken der (falschen) Bilder ist die Krankheit, nicht die Reinheit des Geistes. Das ist auch den Philosophen draußen geschehen, weil sie dies für das Geistige hielten, worüber sie die wahre Lehre von Gott nicht annahmen. Denn aufgrund der Anhäufung und Bewegung ihrer Gedanken und Überlegungen zu ihren Begriffen waren sie der Meinung, etwas zu sein, und danach überlegten sie, wie und warum sie leben, damit die Entdeckung ihres Seins (ihrer Herkunft) und der Wandel der Angleichung | 263v für sie beides (das eine und das andere) seien, und sie verkündeten dies mit ungebührlicher Überheblichkeit, und den einen Gott teilten sie auf in Vielgötterei, und sie redeten und kamen bei den Überlegungen ihrer Gedanken überein, und dieses Phantasieren ihrer unsinnigen Vorstellungen nannten sie die Erkenntnis der Naturen. Die wahre Erkenntnis der Naturen jedoch, der sinnlichen und der übersinnlichen und der Heiligen Dreifaltigkeit Selbst geschieht in der Offenbarung Christi, die Er die Menschen lehrte und ihnen zeigte, als Er zuerst in seiner Hypostase die Erneuerung der ganzen menschlichen Natur bewirkte und ihm (dem Menschen) die ursprüngliche Freiheit wiedergab und schenkte und uns durch Sich Selbst den Weg ebnete, um durch Seine lebenspendenden Gebote zur Wahrheit zu gelangen. Und dann (erst) ist die Natur fähig zum Blick auf das wahre und nicht ein von der Phantasie geformtes Schauen, wenn der Mensch zuerst im Ertragen von Leiden, durch sein Handeln und in Bedrängnissen den alten Menschen der Leidenschaften abgelegt hat, wie das Neugeborene || 264r sogleich die Kleidung des Mutterleibes ablegt. Dann ist der Geist fähig, geistig geboren zu werden und in der Welt des (Heiligen) Geistes gesehen zu werden und die Vision seines Vaterlandes zu empfangen. Denn das gegenwärtige Schauen der Geschöpfe ist – obwohl köstlich – nur ein Schatten des Wissens, und seine Süße unterscheidet sich nicht von den Traumgebilden des Schlafes. Das Schauen der neuen Welt aber im Geiste der Offenbarung, das der Sinn auf geistige Weise genießt, ist eine Wirkung der Gnade und nicht ein Schatten des Wissens. Und seine Süße unterscheidet sich nicht von jener, die der Apostel beschrieben hat: Was das Auge weder gesehen, noch das Ohr gehört, noch in das Herz des Menschen Eingang gefunden hat, was Gott denen, die Ihn lieben, berei-
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tet hat, den Heiligen aber hat Gott es durch Seinen Geist geoffenbart, denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes [1 Kor 2,9-10]. Und dieses Schauen ist Nahrung für den Geist, bis er stark genug ist, die höchste Schauensstufe des ursprünglichen Schauens empfangen zu können. Denn das eine Schauen leitet zum anderen Schauen über, bis der Geist in das Land der vollkommenen Liebe eingeht. Denn die Liebe ist der Ort der geistigen Dinge, und sie findet ihre Heimstatt in der Reinheit der Seele. Und wenn der Geist sich im Land der Liebe befindet, | 264v wirkt die Gnade, und der Geist empfängt die geistige Schau und wird fähig, die verborgenen Dinge zu schauen. Ich habe aber gesagt, daß auf zweierlei Weise die Gabe des Schauens der Offenbarungen dem (menschlichen) Geist gegeben wird. Das ist, wenn dies durch die Gnade für die Inbrunst des Glaubens gegeben wird, aber auch, wenn es wegen des Haltens der Gebote und der Reinheit (der Seele) geschieht. Aus Gnade wie bei den seligen Aposteln, die nicht durch das Befolgen der Gebote ihren Geist gereinigt hatten und des Schauens der Offenbarung würdig befunden wurden, sondern wegen der Inbrunst ihres Glaubens, weil sie in Einfalt an Christus glaubten und Ihm brennenden Herzens ohne zu zweifeln folgten. Und als Er Seinen verehrungswürdigen Heilsplan vollendet hatte, sandte Er ihnen den Tröster, den (Heiligen) Geist, und reinigte ihren Geist und machte ihn vollkommen und bewirkte kraftvoll, daß der alte Mensch der Leidenschaften in ihnen abgetötet wurde, und holte kraftvoll den neuen geistigen Menschen in ihnen ins Leben, und sie empfingen das Gefühl des einen und des anderen. So wurde auch der selige Paulus geheimnisvoll erneuert, und so empfing er das Schauen || 265r der Offenbarung der Geheimnisse, und in deren Besitz hoffte er (doch) nicht darauf. Obwohl er wirkungsvoll die Gnade und die Gabe empfangen hatte, richtete er dennoch Zeit seines ganzen Lebens seine Lebensbahn darauf aus, daß er nach Möglichkeit jene Gnade vergalt, deren er gewürdigt worden war, als Er zu ihm auf dem Wege wie zu einem der Seinen gesprochen und ihn nach Damaskus gesandt hatte. Es steht nicht geschrieben, daß Jesus offen mit ihm gesprochen habe, sondern wie Hananias schreibt, daß er zu ihm sagte: Bruder Saulus, unser Herr Jesus Christus, der dir auf dem Wege erschienen ist, hat mich zu dir gesandt, damit deine Augen sehen und du vom Heiligen Geist erfüllt werdest [Apg 9,17]. Und als er ihn getauft hatte, wurde er vom Heiligen Geist erfüllt, und erspürte die verborgenen Geheimnisse der Offenbarungen, wie es den heiligen Aposteln widerfahren war. Als Christus unter ihnen weilte, sagte Er: Vieles habe Ich euch zu sagen, doch ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber der Heilige Geist kommt, wird Er euch über die ganze Wahrheit belehren, und das Kommende wird Er euch verkünden [Joh 16,12-13]. Und der selige Paulus wurde offensichtlich, als er den Heiligen
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Geist empfangen hatte und durch Ihn erneuert worden war, der Geheimnisse der Offenbarung gewürdigt und, | 265v und er sah im Geiste die Offenbarungen, und er genoß das Schauen, und er vernahm unaussprechliche Worte, und er schaute die höchste (Stufe) des Schauens der Natur und erfuhr die Wonne, die himmlischen Kräfte zu schauen und genoß (den Anblick) der geistigen Ränge. Und dies möge nicht geschehen, was die Häretiker, die Euchiten genannt werden, (und) die den Verstand verloren haben, behaupten, daß er diesen Aufstieg durch sein Verlangen (danach) erlangt habe, denn der (menschliche) Geist kann sich keineswegs dorthin erheben. Sondern er wurde durch den Geist der Offenbarungen entrückt, wie er in seinem Sendschreiben an die Korinther schrieb, gegen jene eitlen Menschen, die sich mit den heiligen Aposteln verglichen, die Phantasien ihrer Gedanken verkündeten und diese geistige Visionen nannten. Dieses hat man bei vielen Häretikern vorgefunden, ich meine Origenes, Valentinus, dem Sohn des Dissan, und Markion und Manes und den übrigen alten Urhebern übler Häresien, die zur Zeit der Apostel begannen und selbst bis zum (heutigen) Tage mancherorts anzutreffen sind. Und weil schließlich || 266r einige durch die Phantasie(n) der Dämonen verdorbene Menschen die Lehre der seligen Apostel verderben wollten, war der von Gott begnadete Paulus genötigt, die Prahlerei der Häretiker zu zerstören, die sich wegen des ihnen erschienenen Schattens des Wirkens der Dämonen rühmten, während er über seine göttliche Vision in Demut und großer Furcht berichtet, wenn er davon in einer anderen Person (ehrfürchtig) spricht: Ich weiß, so aber sagte er, von einem Menschen in Christus, der vor vierzehn Jahren – ob aber im Leibe oder außerhalb des Leibes weiß ich nicht, das weiß Gott – in das Paradies entrückt wurde und Worte hörte, die dem Menschen auszusprechen nicht erlaubt ist [2 Kor 12,2,4]. Durch Entrückung aber wurde er entrückt, so sagt er, und nicht, daß er willentlich durch seinen Geist im Schauen in den dritten Himmel aufgestiegen sei, sondern er schreibt, daß er eine Vision hatte, und sagt, daß er Worte gehört habe. Was es aber für Worte oder Bilder des Geschauten sind, könne man nicht schreiben. Als sein Geist aber im Geiste der Offenbarung dieses an seinem (eigentlichen) Ort sah, erhielt er nicht den Auftrag, an einem diesem nicht zugehörigen Ort davon zu sprechen, noch hätte er, wenn er gewollt hätte, davon sprechen können, weil er es nicht mit körperlichen Sinnen gesehen hatte. | 266v Denn was der (menschliche) Geist mit körperlichen Sinnen wahrnimmt, kann er wiederum durch diese auf dem Gebiet des Körperlichen ausdrücken. Und was er in sich auf dem Gebiet des Geistes erfühlend erblickt oder hört oder spürt, vermag er nicht zu berichten, wenn er in den Körper zurückkehrt. Denn er erinnert sich nur, daß er dieses gesehen hat. Wie aber (er gesehen hat), weiß er nicht klar zu berichten. Und
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dadurch werden die lügnerischen Schriften entlarvt, die so genannten Offenbarungen, die von den Urhebern der Häresien verfaßt worden sind, jener Häresien, die verderbt sind durch dämonische Phantasien über die Wohnstätten des Himmels, auf die sie ihren Geist richten, damit er sich aus (eigenem) Wollen damit befasse, und über den Eintritt des Geistes in den Himmel und über die Orte, die für das Gericht bestimmt sind, und über die vielerlei vorgestellten höheren Kräfte und deren Handeln. Sie alle sind (nur) ein Schatten eines von Überheblichkeit trunkenen und durch das Wirken der Dämonen verstörten Geistes. Deshalb hat der der selige Paulus durch eine einzige Aussage die Tür verschlossen vor jeglicher Vision und den Verschluß derselben in das Schweigen hineingenommen, || 267r wo der Geist, auch wenn er dies zeigen könnte, keine Weisung dazu empfangen hätte. Denn er hat gesagt, daß alle Visionen, die die Zunge im Bereich des Körperlichen zu zeigen vermag, von Gedanken der Seele Ersonnenes, aber nicht ein Werk der Gnade sind. Möget Ihr also, Euer Ehrwürden, dessen eingedenk, die Phantasien tiefer Gedanken (gut) überwachen. Auf jene Mönche aber, die stolz sind und nach eitlem Ruhm lechzen und nach zur Schau getragenen Neuerungen verlangen, kommt noch mehr von dieser Auseinandersetzung zu. Ein Mann namens Malpas, der der erste unter den Betern war und meistens Mundschenk genannt wurde, dieser also, der Malpas, dessen Geschlecht aus Edessa stammen soll, hatte eines Tages die Häresie der Euchiten entdeckt, während er einen würdigen Lebenswandel führte und die schwersten Mühsale und Bedrängnisse ertrug. Man sagt aber, daß er als Schüler des seligen Julian, Wawa genannt, kurze Zeit mit ihm zusammen | 267v auf den Sinai und nach Ägypten gegangen sei und die großen Väter der damaligen Zeit gesehen habe und den seligen Antonios und von diesem geheimnisvolle Worte gehört habe, die er über die Reinheit und die Rettung der Seelen geäußert habe, und daß er behutsame Fragen zu den Leidenschaften hörte, derentwegen er (Antonios) erklärte, daß der (menschliche) Geist nach seiner Reinigung das Schauen von Geheimnissen des (Heiligen) Geistes erfahre, daß die Seele aus Gnade der Leidenschaftslosigkeit gewürdigt werde, wenn sie durch das Halten der Gebote die alten Leidenschaften ablege und zur ursprünglichen Gesundheit ihrer Natur zurückgefunden habe. Und als Malpas diese Worte hörte, loderte er in der Kraft seiner Jugend auf wie Feuer, und er kam in seine Stadt, als die Leidenschaft der Ruhmbegierde in ihm ausgebrochen war, und er suchte für sich ein abgelegenes Haus und zog sich für Werke und harte Bedrängnisse und unentwegte Gebete dorthin zurück. Und als in ihm die Leidenschaft mächtiger Ruhmbegierde aufflammte, die für ihn (nämlich) in der Hoffnung bestand, jenes Erhabene (das Schauen der Geheimnisse) zu erreichen, von dem er gehört hatte, als er
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(noch) nicht die Kunst erlernt hatte, den Feinden der Wahrheit zu widerstehen, || 268r und nicht die Hinterhalte und Verführungen und Listen des Widersachers verstand, mit denen er die Starken und Festen in das Verderben lockt, wagte er sich nur an Werke und Bedrängnisse und Uneigennützigkeit und Fasten und Enthaltsamkeit, ohne Selbstverachtung und Demut und Zerknirschung des Herzens erlangt zu haben, die die unbesiegbaren Waffen gegen die Widerstände des Bösen sind, noch gedachte er der (Heiligen) Schrift, die da sagt, wenn ihr die Werke tut und die Gebote haltet und Kümmernisse ertragt und euch für unnütze Sklaven haltet [vgl. Lk 17,10] – sondern (nur) von der hohen Meinung von sich selbst und seiner Lebensführung entflammt und brennend von dem erhabenen Verlangen nach dem, wovon er gehört hatte, zeigte sich ihm nach langer Zeit der Teufel – als dieser (nämlich) bei ihm gesehen hatte, daß er bar war des Entfaltens von Demut und nur nach Visionen trachtete, um die Geheimnisse zu erspüren, von denen er gehört hatte – in unermeßlichem Licht und sagte zu ihm: Ich bin der Tröster und bin vom Vater zu dir gesandt, | 268v um dich für das Schauen würdig zu machen, nach dem du um deiner Werke willen verlangst, und damit ich dir Leidenschaftslosigkeit gebe und Ruhe vor weiteren Werken verschaffe. Dafür aber verlangte der Arglistige von jenem Elenden, angebetet zu werden. Dieser Narr nahm ihn sogleich mit Freuden auf, weil er nicht den Krieg des Arglistigen spürte, und er verneigte sich vor ihm und befand sich alsbald unter dessen Gewalt. Und anstelle der göttlichen Vision füllte er (der Teufel) ihn mit dämonischen Phantasien aus und brachte ihn dazu, von dem Handeln (im Sinne) der Wahrheit abzulassen, und machte ihn hochmütig und verspottete ihn durch die leere Hoffnung auf Leidenschaftslosigkeit, indem er zu ihm sagte: Nun brauchst du keine Werke und Bedrückung des Leibes und Kampf gegen die Leidenschaften und Wünsche, und er machte ihn zum Begründer der Häresie der Euchiten. Und als sie viele wurden und ihre schmutzige und phantastische Lehre offenbar wurde, wurden sie von den Bischöfen jener Zeit verjagt. Und (da war) noch ein anderer namens Asina in demselben Edessa, der viele geistige Lieder geschaffen hatte, die sogar noch heute gesungen werden, || 269r und der einen lauteren Lebenswandel führte und auf unfaßliche Weise sich die schwierigsten Werke auferlegte, bis er Anerkennung erlangt haben würde. Diesen überlistete der Teufel und führte ihn aus seiner Zelle heraus und stellte ihn oben auf einen Berg namens Storia und kam mit ihm überein und zeigte ihm Bilder von Wagen und Reitern und sagte zu ihm: Gott hat mich gesandt, dich ins Paradies zu holen wie Elias. Und als er sich in seinem kindlichen Gemüt verführen ließ und einsteigen wollte, um sich in den Wagen zu setzen, wurde dieses Phantasiegebilde völlig zerstört, und er fiel aus großer Höhe herab und stürzte
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dort auf den Boden und starb eines Todes, der des Gelächters und des Schluchzens zugleich würdig ist. Dies habe ich hier nicht umsonst gesagt, sondern damit wir den Spott der Dämonen kennenlernen, die das Verderben der Heiligen erhoffen, und damit wir nicht zur Unzeit nach dem Erhabenen eines geistigen Lebenswandels verlangen, auf daß wir nicht von unserem arglistigen Widersacher verspottet werden. Denn ich sehe auch heute, daß die Jüngeren voller Leidenschaften unbekümmert hohl daherreden und uns über die Geheimnisse der Leidenschaftslosigkeit belehren. | 269v Einer von den Heiligen aber hat über die von Leidenschaften erfüllten Menschen geschrieben, die die Beziehung zwischen dem Körperlichen und dem Unkörperlichen untersuchen und sich nicht von Kranken unterscheiden, die das über die Gesundheit Überlieferte weitergeben. Als der selige Paulus von Schülern hörte, die die Gebote nicht beachtet und ihre Leidenschaften nicht besiegt hatten, aber nach der Glückseligkeit des Schauens der Geheimnisse verlangten, die nach der Reinigung kommt, sagte er zu ihnen: Legt zuerst den alten Menschen der Leidenschaften ab und dann verlangt danach, den neuen (Menschen) anzuziehen, der erneuert ist durch die Erkenntnisse der Geheimnisse nach dem Bilde seines Schöpfers [vgl. Kol 3,9-10] und verlangt nicht nach dem, was meines und das der Apostel ist, das durch die Gnade bewirkt worden ist, weil Gott sich dessen, den Er will, erbarmt und bei dem, wo Er es will, sich verhärtet [Röm 9,18]. Denn wer stellt sich gegen Sein Angesicht oder widersetzt sich Seinem Willen? Es geschieht zwar bisweilen, daß Gott etwas umsonst gewährt. Bisweilen aber verlangt Er Taten und Reinheit, und so schenkt Er. Und es kommt vor, daß Er weder nach Taten und Reinigung hier die Gabe gewährt, sondern Er behält Sich vor, daß Er dies an Seinem Ort gewährt. || 270r Dies aber stellen wir fest, daß Er so auch in Geringerem als bei diesem (der Gabe des Schauens) handelt, ich spreche von der Vergebung der Sünden. Denn bei der Taufe verzeiht Er umsonst und verlangt überhaupt nichts, sondern nur Glauben. Beim Bereuen der Sünden nach der Taufe (geschieht es) nicht umsonst, sondern Er verlangt Anstrengungen und Trauer und den Kummer der Zerknirschung und Tränen und Weinen lange Zeit hindurch, und so gewährt Er Verzeihung. Dem Räuber aber vergab Er umsonst, der durch ein Wort am Kreuze (seine Schuld) bekannte, und Er versprach ihm das Himmelreich. Von der Sünderin verlangte Er wiederum Glauben und Tränen, und von den Märtyrern und Bekennern verlangte Er mit dem Glauben ihres Herzens und dem Bekenntnis ihres Mundes auch Kummer und Martyrium, Seufzen, Todesqualen in vielerlei Form. Weil es um Deine Heiligung in diesen und solchen Dingen geht, sei wachsam im Ersteren und Letzteren, und verlange nicht nach dem Schauen, wenn es nicht die (rechte) Zeit des Schauens ist. Und solange Du
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im Raum des Leibes eingeschlossen bist, sei eifrig in Werken der Reue und ein Kämpfer gegen die Leidenschaften und ausdauernd | 270v im Halten der Gebote, und hüte dich vor dem Spott der Dämonen und den Verkündern einer unumkehrbaren Vollkommenheit in der Welt der Leidenschaften und des Wankelmuts, und dies gilt nicht (einmal) für die heiligen Engel, die Diener des Feuers1 und des (Heiligen) Geistes sind und die Erneuerung der Mitte (Menschheit) erwarten, um sich von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu befreien in der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes [vgl. Röm 8,19-21]. Die Vollkommenheit aber hier ist, wo die Sonne aufgeht und untergeht inmitten der Wolken und bisweilen Ruhe, bisweilen aber Aufruhr und irgendwann Freude, irgendwann aber Betrübtheit ist, und was sich dem widersetzt ist Teil der Wölfe – wie einer der Heiligen sagte. Gott möge den Lauf unseres Lebensweges durch die Bezeugung der Wahrheit und Seine heilige Lehre festigen. Ihm sei Ruhm und Macht und Herrlichkeit jetzt und in der unendlichen Ewigkeit. Amen. Rede 56 (270v – 284r) Von der Entsagung und vom Einsiedlerdasein Eine Seele, die Gott liebt, hat Ruhe in Gott allein. Löse dich zuerst von jeglicher äußeren Bindung, dann wirst du dich in deinem Herzen Gott verbinden können. || 271r Denn der Verbindung mit Gott geht die Lösung von den materiellen Dingen voraus. Brotnahrung wird dem Kind gegeben, wenn es abgestillt ist, und ein Mensch, der in den göttlichen Dingen vorankommen will, wird sich als erstes von der Welt trennen wie das Kleinkind von den Brustwarzen der Mutter. Das körperliche Tun geht dem seelischen voraus wie die Erde der dem Adam eingehauchten Seele. Wer kein körperliches Tun erlangt hat, kann auch das seelische nicht haben, weil dieses aus jenem hervorgeht, so wie aus dem nackten Korn die Ähre. Und wer über kein Handeln der Seele verfügt, dem bleiben auch die geistigen Gaben vorenthalten. Die um der Wahrheit willen in diesem Leben erlittenen Schmerzen lassen sich nicht mit der Speise vergleichen, die jenen bereitet ist, die Arges erlitten haben für das Gute. So wie denen, die unter Tränen säten, eine Garbe der Freude folgt [Ps 126,5,6], so folgt auch die Freude dem Leiden um Gottes willen. Süß erscheint dem Landmann das unter Schweiß geerntete Brot, und das Wirken für die Gerechtigkeit | 271v (erscheint süß) dem Herzen, das die Erkenntnis Christi aufgenommen hat. Voll guten Willens erdulde Verachtung und Demütigung, damit du Zuversicht auf Gott erlangst. Ein Mensch, der jedes harte Wort wissentlich ohne eine voraufgegangene eigene 1
Eigentlich „des Vaters“, Th: пατρός.
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Sünde von seinem Verleumder erträgt, krönt sein Haupt mit einer Dornenkrone. Selig aber ist er, weil er unverweslich gekrönt wird zu einer Zeit, die er nicht kennt. Wer wissentlich den Ruhm flieht, hat in seiner Seele das künftige Leben erspürt. Wer da sagt, er habe die Welt verlassen, und mit den Menschen um irgendwelcher Dinge willen sich zankt, damit ihm nicht etwas abgehe von seiner Ruhe, der ist vollkommen blind, weil er zwar den ganzen Leib willentlich aufgegeben hat, um ein einziges Glied aber kämpft und streitet. Wer die Ruhe des gegenwärtigen Lebens flieht, dessen Sinn hat schon das künftige Leben erblickt. Wer aber durch Habgier gebunden ist, der ist ein Sklave der Leidenschaften. Vermeine nicht, daß nur das Erlangen von Gold und Silber Habgier sei, sondern alles, was immer es sei, woran dein Verlangen || 272r hängt. Lobe nicht denjenigen, der sich körperlich plagt, denn er ist gelähmt durch seine Sinne, ich meine aber das Gehör und den aufgerissenen und unbeherrschten Mund und die Ausschau haltenden Augen. Wenn du deiner Seele als ihren Bereich zuweisest, daß sie sich auf die Barmherzigkeit gründe, dann lehre deine Seele, nicht Rechtfertigung in anderen Sachen zu suchen, damit du nicht als einer befunden werdest, der, während er mit der einen Hand schafft, mit der anderen aber vergeudet. Denn dort wird Mitleid gebraucht, hier aber Weite des Herzens. Wisse, daß den Schuldnern die Schulden zu erlassen zu den Werken der Gerechtigkeit gehört. Und dann wirst du die Stille zusammen mit der Helligkeit in deinem Geiste erblicken. Wenn du über den Weg der Gerechtigkeit hinausgehst, dann bist du an die Freiheit gebunden in jeglichem Werk. Einer der Heiligen hat sich hierzu geäußert. Er sagte, daß der Barmherzige, wenn er nicht gerecht werde, blind sei. Ich meine aber, von dem, was er selbst durch eigene Schmerzen und Mühsale erreicht hat, soll er den anderen (ab)geben, aber nicht von dem durch Lüge und Ungerechtigkeit und Listen Erlangten. Und derselbe hat an anderer Stelle gesagt: | 272v Wenn du unter den Armen aussäen willst, dann säe von deinem Eigenen. Wenn du aber vom fremden (Gut) säest, dann wisse, daß es bitterer wird als Wermut. Ich sage aber, wenn der Barmherzige nicht über der Gerechtigkeit steht, dann ist er nicht barmherzig, das heißt, wenn er nicht nur aus seinem Eigenen sich den Menschen gegenüber barmherzig erweist, sondern mit Freude Ungerechtigkeit von anderen erträgt und ihnen gegenüber barmherzig ist. Besiegt er aber die Gerechtigkeit durch die Barmherzigkeit, dann bekränzt er sich nicht mit dem Kranz, wie er im Gesetz für die Gerechten bestimmt ist, sondern (mit dem Kranz) der Vollkommenen aus dem Evangelium. Denn wenn jemand den Armen von seinem Eigentum gibt und den Nackten bekleidet und den Nächsten liebt wie sich selbst und weder kränkt noch lügt, so hat dies alles auch das alte Gesetz befohlen. Vollkommenheit nach der Ordnung des Evangeliums
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aber gebietet dies: Von dem, der dir das Deinige nimmt, fordere nichts (zurück), und jedem, der dich bittet, gib [Lk 6,30]. Und nicht nur die Ungerechtigkeit der Dinge und das Übrige, was einen von draußen überfällt, soll man mit Freuden erdulden, sondern die Seele selbst muß um des Bruders willen hingegeben werden. Dieser nämlich ist barmherzig, nicht aber, wer nur durch Geben seinem Bruder Barmherzigkeit erweist. Und || 273r auch der ist wahrhaft barmherzig, wer, wenn er etwas hört oder sieht, was seinen Bruder kränkt, in seinem Herzen (vor Mitleiden) entbrennt. Ebenso auch wer von seinem Bruder einen Backenstreich erhält, aber sich nicht erdreistet dagegenzuhalten und ihm (dem Bruder) das Herz zu betrüben. Verrichte ehrfürchtig das nächtliche Wachen, damit du den Trost findest, der sich in deiner Seele einstellt. Zeige Eifer beim Lesen in der Stille, damit dein Geist stetig zu den Wundern Gottes hingeleitet wird. Finde geduldig Gefallen an der Armut, damit sich dein Geist vom Umherschweifen sammelt. Verachte die Weite, damit du deine Gedanken vor Unruhe bewahrst. Verbirg dich vor den Vielen (Menschen), und sorge dich um deine Seele, damit du sie vor der Vergeudung der inneren Stille errettest. Liebe die Keuschheit, damit du dich während deines Gebetes vor Christus nicht zu schämen brauchst. Erwirb Reinheit in deinen Werken, damit deine Seele in deinem Gebet erstrahle und beim Gedanken an den Tod Freude in deinem Gemüt entfacht werde. | 273v Hüte dich vor den kleinen Dingen, damit du nicht in die großen stürzest. Werde nicht träge in deinem Tun, damit du dich nicht schämen mußt, wenn du unter deine Freunde trittst und sich herausstellt, daß du ohne das für den Weg Erforderliche bist, damit sie dich nicht allein in der Mitte des Weges zurücklassen. Einsichtig führe deine Werke aus, damit du nicht von deiner ganzen Bahn abgebracht wirst. Erwirb dir Freiheit in deinem Lebenswandel, damit du dich vom Sturm (der Leidenschaften) befreiest. Verbinde deine Freiheit nicht mit dem, was dem Genuß dient, damit du nicht zum Sklaven für die Sklaven wirst. In deiner Kleidung liebe die ärmlichen Gewänder, damit du die Gedanken, die dich überfallen, entwertest, ich spreche von der Hoffart deines Herzens. Wer den Prunk liebt, kann keine demütigen Gedanken erlangen, weil er in seinem Herzen die äußeren Formen nachahmt. Wie kann jemand, der an hohlem Geschwätz Gefallen findet, einen reinen Sinn erlangen, wie kann jemand, der sich ausklügelt, wie Ruhm vor den Menschen || 274r zu erhaschen sei, demütige Gesinnung erwerben, oder wie kann jemand, der unzüchtig lebt und verderbt in seinen Gliedern ist, reinen Sinnes und demütigen Herzens sein? Denn wenn der Geist von den Sinnen angezogen wird, dann nimmt er auch mit diesen tierische Nahrung zu sich. Wenn die Sinne vom Geist angezogen werden, dann haben sie auch mit ihm Teil an der Speise der Engel. Denn der demütigen Weisheit folgt die Enthaltsam-
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keit und Selbstbeherrschung. Die Ruhmsucht aber ist ein Diener der Unzucht, ein Werk des Hochmuts. Die demütige Weisheit gelangt dank der stetigen Selbstbeherrschung zur Kontemplation und schmückt die Seele durch Keuschheit. Die Ruhmsucht aber sammelt infolge des stetigen Aufruhrs und der Verwirrung der Gedanken aus der Begegnung mit den (äußeren) Dingen schmutzige Schätze und besudelt das Herz, und sieht wiederum die Natur der Dinge mit unzüchtigem Blick und beschäftigt den Geist mit schmutzigen Phantasien. Die demütige Weisheit beruhigt sich dagegen geistig infolge der Kontemplation | 274v und regt denjenigen, der sie erlangt hat, zum Lobpreis Gottes an. Vergleiche nicht jene, die Zeichen und Wunder und Kräfte in der Welt bewirken, mit denen, die aus Einsicht das Leben in der Stille führen. Die Leere des Schweigens sollst du mehr lieben als die Sättigung der Hungernden in der Welt und die Bekehrung vieler Völker zur Verehrung Gottes. Denn es ist besser für dich, dich von dem Band der Sünde zu lösen, als Sklaven aus der Sklaverei zu befreien. Es ist bekömmlicher für dich, deine Seele in Eintracht zu versöhnen mit der Dreiheit in Dir, ich spreche von Körper, Seele und Geist, als durch deine Belehrung einander Fernstehende zu versöhnen. Gregorios hat gesagt: Es ist gut, um Gottes willen über Gott zu reden, aber es ist besser für den Menschen, sich für Gott zu läutern. Es ist besser für dich, ein Stotterer zu sein, da du doch ein Wissender bist und Kundiger, als dank der Schärfe deines Geistes Ströme von Belehrungen auszugießen, und es ist nützlich(er) für dich, darum besorgt zu sein, daß das durch die Leidenschaften Abgestorbene deiner Seele durch das Kreisen deiner Gedanken um das Göttliche aufersteht, || 275r als die Gestorbenen auferstehen zu lassen. Viele haben kraftvolle Dinge vollbracht und Tote auferweckt, und sie haben sich abgemüht, die Irregeleiteten zu bekehren, und sie haben große Wunder bewirkt, und durch ihre Hände sind viele zur Gotterkenntnis hingeführt worden. Und danach sind sie selbst, die andere zum wahren Leben erweckt haben, in häßliche Leidenschaften verfallen und haben sich selbst abgetötet, und für viele wurden sie zum Ärgernis, als ihre Handlungen offenbar wurden, weil sie noch in ihrer Seele krank waren und sich nicht um die eigene Gesundheit sorgten, sondern sich in das Meer dieser Welt begaben, um die Seelen anderer zu heilen, während sie selbst noch krank waren. Und sie brachten sich auf die (schon) von mir gesagte Weise um die Hoffnung auf Gott. Denn die Schwäche ihrer Sinne war nicht fähig, der Flamme der (äußeren) Dinge zu begegnen, die das Grimmige der Leidenschaften in Raserei zu versetzen pflegen, weil sie noch des Schutzes bedurften. Damit meine ich, daß sie keine Frauen anschauen und sich nicht der Muße überlassen und kein Silber und Eigentum erwerben und sich nicht zum Vorgesetzten für andere ausgeben und sich nicht über andere er-
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heben sollten. | 275v Es ist besser für dich, nicht für gerecht gehalten zu werden wegen der geringen Fähigkeit deines Verstandes zum Widerspruch, und nicht für einen von den Klugen infolge Dreistigkeit. Werde arm aus Demut, und sei nicht reich aus Dreistigkeit. Überführe durch die Kraft deiner Tugenden diejenigen, die lehren, was deiner Auffassung widerspricht. Und nicht durch die Überredungskunst deiner Worte, durch die Milde und Ruhe deiner Lippen verschließe der Dreistigkeit der Ungebärdigen den Mund, und bringe sie zum Schweigen. Strafe die Unvernünftigen durch den Adel deiner Lebensführung und diejenigen, die dreist sind in ihren Sinnen, strafe durch die Zucht deiner Augen. Betrachte dich als einen Fremden alle Tage deines Lebens, wohin du auch gehen magst, damit du dich vor Schaden bewahren kannst, der aus der Kühnheit kommt. In jeglicher Sache halte dich für einen (Menschen), welcher der Bildung ermangelt, und du wirst dich in deinem ganzen Leben als sehr klug erweisen. Halte dich zu jeder Zeit für einen (Menschen), der nichts sieht, damit du dem Tadel entgehst, der von der Vorstellung kommt, du wollest jedermanns Lebensweise bestimmen. || 276r Segne stets mit deinem Mund, und du wirst nicht geschmäht werden. Denn Schmähung erzeugt Schmähung und das Segnen (erzeugt) Segnen. Vermittle keinem anderen, was du nicht (selbst) erlangt hast, damit du dich nicht deiner selber schämen mußt und aus einem Vergleich mit deinem Lebenswandel dir die Lüge offenbar werde. Wenn du zu jemandem von dem, was man tun soll, sprichst, dann rede im Stande eines Lernenden und nicht mit Autorität und Dreistigkeit. Und tadle dich zuvor selbst und zeige, daß du geringer bist als er, damit du deinen Zuhörern die Stufe der Demut vorführst und sie dazu bewegst, deiner Rede zu lauschen und zur Tat zu eilen. Und du wirst geachtet dastehen in ihren Augen. Wenn du es kannst, dann sprich von solchen Dingen unter Tränen, damit du sowohl dir selbst als auch deinen Zuhörern nützlich seiest und die Gnade Gottes mit dir sei. Wenn du die Gnade Gottes erlangt hast und gewürdigt worden bist, dich am Anblick der sichtbaren Kreaturen Gottes zu erbauen, worinnen die erste Stufe der Erkenntnis besteht, dann mache dich bereit und wappne dich gegen den Geist der Lästerung. | 276v Ohne Waffen sollst du auf diesem Gebiet nicht stehen, damit du nicht alsbald stürbest durch diejenigen, die dich zu fangen und zu verführen trachten. Deine Waffen aber seien Tränen und häufiges Fasten. Und hüte dich davor, häretische Lehren zu lesen, denn dies ist, was am meisten dem Geist der Lästerung Waffen gegen dich gibt. Wenn du den Bauch gesättigt hast, bringe nicht Schande über dich, indem du etwas von den göttlichen Dingen erforschest, damit du es nicht bereust. Begreife, was ich dir sage: Im satten Bauch gibt es keine Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse. Lies oft und unersättlich in den Büchern der Lehrer über die gött-
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liche Vorsehung, denn diese leiten den Verstand an, die Ordnung der Geschöpfe Gottes und Seiner Werke zu sehen, und er wird durch sie gestärkt, und durch ihre Scharfsinnigkeit bereiten sie ihn darauf vor, zum Begreifen des strahlenden göttlichen Glanzes zu gelangen, und sie bewirken, daß er geläutert zur Schau der Kreaturen Gottes schreitet. Lies auch in den uns von Gott zur Erkenntnis des ganzen Weltalls anvertrauten Evangelien, damit du über die Kraft Seiner Vorsehung für jegliche Art || 277r belehrt werdest und dein Verstand sich in die göttlichen Wunder versenke. Denn solches Lesen wird deinem Vorhaben zu Hilfe kommen. Dein Lesen geschehe in stiller Zurückgezogenheit von allen Menschen, und halte dich frei von großen Sorgen um deinen Leib und der Beunruhigung durch die (materiellen) Dinge, damit du durch süßes Begreifen den erlesensten Geschmack in deiner Seele erkostest und deine Seele dies verspüre, während du dort (in den Evangelien) verweilst. Die Worte der Erfahrenen seien für dich nicht wie die der Verführerischen (Menschen) und derjenigen, die die Worte Gottes verkaufen, damit du nicht bis an dein Lebensende in der Finsternis bleibest und dich nicht um den Nutzen aus ihnen (den Worten der Erfahrenen) bringst und zu Zeiten des Kampfes nicht in Verwirrung gerätst wie einer, dessen Sinne getrübt sind, und gar noch unter dem Anschein des Guten in den Graben fällst. Bei den Dingen, wo du zum Inneren der Stelle gelangen willst, sei dir dies ein Zeichen: Sobald die Gnade dir die Augen zu öffnen beginnt, um die Gnade der Dinge wahrhaftig zu erspüren, | 277v beginnen deine Augen plötzlich Ströme von Tränen zu vergießen, so daß oftmals die Wangen von ihrer Fülle gewaschen werden. Und dann wird der Kampf der Sinne in dir stille und beruhigt sich. Wenn dich aber jemand etwas dem Entgegengesetztes lehrt, dann glaube ihm nicht. Denn außer den Tränen sollst du kein anderes vom Leib hervorgebrachtes Zeichen suchen. Wenn sich aber der Geist über die Geschöpfe erhebt, dann rückt auch der Leib von den Tränen und von jeglicher Regung und Empfindung ab. Wenn du Honig findest, iß in Maßen davon, damit du ihn nicht, übersättigt, ausspeiest [Spr 25,16]. Die Natur der Seele ist ein leichtes und zartes Ding. Es kommt vor, daß sie im Dahineilen den Wunsch empfindet, sich zu erheben und Dinge zu lernen, die weit über ihre Natur hinausgehen. Denn häufig erreicht sie etwas durch das Lesen in den Schriften und die Betrachtung der Dinge. Wenn sie jedoch mit den von ihr verlassenen Dingen einen Vergleich anstellt, bis zu welchen Erkenntnissen sie entsprechend dem Maß ihrer Urteilskraft vorgedrungen ist, dann kommt heraus, daß sie geringer und armseliger ist, so daß sie sich in ihren Überlegungen in Furcht und Zittern hüllt, und es drängt || 278r sie erneut, zu ihrer Niedrigkeit zurückzukehren aus Angst, sich mit Schande bedeckt zu haben, weil sie sich zu geistigen Dingen vorgewagt hatte, die
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über sie hinausreichen. Denn wegen der furchtbaren Dinge gesellt sich ihr eine bestimmte Angst hinzu, und die Besonnenheit bringt den Verstand der Seele dazu zu schweigen und sich zu beherrschen und nicht schamlos zu sein, um nicht umzukommen, und nicht zu suchen, was sie übersteigt, und nicht etwas zu erforschen, was höher steht als sie. Wenn dir aber die Macht gegeben wird zu schauen, dann schaue, und trachte nicht schamlos nach dem Verborgenen, sondern verneige dich und lobpreise und danke mit Schweigen. Denn wie es nicht gut ist, (zu) viel Honig zu essen, so ist es auch nicht (gut), den erhabenen Worten nachzuforschen, damit nicht bei dem, der da ferne Dinge schauen will und sie noch nicht erreicht hat, von der Mühsal des Weges seine Sehkraft erlahme und Schaden nehme. Denn es kommt vor, daß man anstelle der Wahrheit irgendwelche Trugbilder erblickt, und wenn der Geist vom Suchen ermüdet, dann vergißt er auch seine Wachsamkeit. Denn zu Recht hat der weise Salomon gesagt, | 278v daß ein Mensch ohne Geduld wie eine Stadt ohne Mauern sei [Spr 25,28]. Läutere also, o Mensch, deine Seele, und wirf von dir ab Gedanken über Dinge, die außerhalb deiner Natur liegen, und hänge vor deine Gedanken und Regungen den Vorhang der Keuschheit und Demut, und dadurch wirst du entdecken, was in dir ist, denn den demütigen Weisen werden die Geheimnisse geoffenbart. Willst du deine Seele der Verrichtung des Gebets überlassen, das den Geist läutert, und dem Ausharren im nächtlichen Wachen, um einen hellen Sinn zu erlangen, dann entferne dich vom Anblick der Welt und brich die Unterhaltungen ab, und trage kein Verlangen danach, deine Freunde in deiner Zelle wie gewohnt zur Unterhaltung zu empfangen, auch nicht aus Güte, mit Ausnahme einiger, die gleichen Wandels und gleicher Gesinnung mit dir zusammen sind, und derjenigen, die deine Geheimnisse teilen. Und fürchte dich vor der Störung der seelischen Vereinigung (mit Gott), die sich gewöhnlich unwillkürlich regt, nachdem man sich von der Verbindung nach draußen getrennt und gelöst hat. Füge deinem Gebet die Barmherzigkeit || 279r hinzu, und deine Seele wird das Licht der Wahrheit erblicken. In dem Maße, in welchem dein Herz Ruhe findet vor den äußeren Dingen, in demselben Maße kann der Geist zum Staunen gelangen über die aus der Betrachtung (gewonnenen) Gedanken. Denn die Seele hat die Gewohnheit, schnell die Gesellschaft mit den Menschen gegen eine Unterhaltung mit Gott und göttlichen Worten auszutauschen und die eine Unterhaltung gegen jene andere, wenn wir nur ein wenig Eifer an den Tag legen. Befasse dich mit dem Lesen in den Schriften, das dir den Weg zur verfeinerten Kontemplation eröffnet, und mit dem Leben der Heiligen. Wenn du zunächst auch nicht infolge des verdunkelnden Nahens der (irdischen) Besitztümer die Köstlichkeit verspürst, solltest du das eine Gespräch gegen das andere eintauschen. Und wenn du dich zum
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Gebet anschickst und zu(r Befolgung) deiner Regel, wirst du anstelle der weltlichen Lehre, die du gesehen und gehört hast, dich beim Nachsinnen über die Schriften finden, die du gelesen hast, und du wirst die Erinnerung an jene anderen vergessen. Und so gelangt dein Geist zur Läuterung, und dies bedeutet, was da geschrieben steht, daß (nämlich) die Seele durch das Gelesene unterstützt wird, wenn sie sich zum Gebet anschickt, | 279v und sie wird wiederum durch das Gebet zum Lesen erleuchtet, und dieses wird wiederum anstelle der von außen kommenden Verwirrung als Stoff für die (verschiedenen) Formen des Gebets entdeckt, so daß die Seele sogleich hiervon erleuchtet wird, um aufrichtig und unbeirrt zu beten. Es ist schändlich, wenn diejenigen, die der Fleischeslust und Prasserei frönen, geistigen Dingen nachforschen, (ganz) so wie wenn eine Dirne über die Keuschheit große Reden führt. Ein Körper, der sehr krank ist, wendet sich ab von fetten Speisen und verabscheut sie, und ein mit weltlichen Dingen befaßter Verstand kann sich nicht der Erforschung des Göttlichen nähern. Das Feuer brennt nicht in nassem Holz. Und das göttliche Wirken wird nicht in einem Herzen entfacht, das die Ruhe liebt. Die Dirne beläßt es nicht bei der Liebe zu nur einem (Manne), und die Seele, die mit vielen Besitztümern verbunden ist, kann nicht bei den göttlichen Lehren verweilen. Gleichwie derjenige, der mit seinen Augen die Sonne nicht erblickt hat, keinem anderen deren Helligkeit nach dem bloßen Hören(sagen) erklären noch diese (Helligkeit) empfinden kann, || 280r so ergeht es auch jenem, der nicht in seiner Seele die Köstlichkeit der geistigen Werke gekostet hat. Wenn du etwas von deinem täglichen Bedarf übrig hast, verteile es unter die Armen und mache dich mutig daran, deine Gebete darzubringen, das heißt, richte deine Worte an Gott so, wie der Sohn mit dem Vater spricht. Nichts kann so sehr das Herz Gott näherbringen wie die Barmherzigkeit, und nichts bewirkt so die Stille des Geistes wie die freiwillige Armut. Es ist besser für dich, wenn du von vielen ungehobelt genannt wirst wegen (deiner) Einfalt, aber nicht überaus weise und vollkommen wegen des Ruhmes. Wenn jemand, der auf seinem Pferd reitet, dir seine Hand entgegenstreckt, um ein Almosen entgegenzunehmen, weise ihn nicht ab, weil er in dieser ganzen Zeit mittellos war wie einer von den Armen. Wenn du gibst, dann gib mit Großmut und Sanftmut auf deinem Angesicht, und gib mehr als das, was er erbeten hat. Denn es heißt: Sende dein Brot gegen das Angesicht eines Armen, und nach kurzer Zeit findest du deinen Lohn dafür [vgl. Koh 11,1]. Scheide nicht den Reichen von dem Armen, und trage kein Verlangen, den Würdigen vom Unwürdigen | 280v zu unterscheiden, sondern alle Menschen mögen dir ebenbürtig sein, wenn es darum geht, ein Gutes zu tun. Denn auf diese Weise wirst du auch die Unwürdigen an das Gute heranführen, weil die Seele
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schnell über das leiblich Erfahrene zur Furcht Gottes geführt wird. Denn der Herr hat gemeinsam zu Tische gesessen mit den Zöllnern und Dirnen und die Unwürdigen nicht ausgeschlossen, um auf diese Weise alle zur Gottesfurcht hinzuführen und damit sie sich über das Leibliche dem Geistigen nähern. Deshalb halte im Hinblick auf Wohltaten und die Ehre alle Menschen für gleich, sei es ein Jude oder ein Ungläubiger oder ein Mörder, und mehr noch, weil er seiner Natur nach dein Bruder ist und aus Unwissen die Wahrheit verfehlt hat. Wenn du aber jemandem etwas Gutes erweisest, dann erhoffe keinen Lohn von ihm, und für beides wirst du von Gott belohnt werden. Wenn es möglich ist, dann tu Gutes nicht einmal um des künftigen Lohnes willen. Wenn du deiner Seele die Grenze der Armut setzest und durch die Gnade (des Herrn) von Sorgen befreit wirst und in deiner Armut über der Welt stehen wirst, dann sieh zu, daß du nicht wegen deiner Liebe || 281r zur Armut Gefallen findest am Erwerben, auf daß du vielleicht Almosen verteilst und deine Seele in Verwirrung stürzest, indem du von dem einen nimmst und einem anderen gibst, und (dabei) deine Würde zerstörst, indem du dich dem Erbetteln von den Menschen unterwirfst und (dabei) in der Sorge um irdische Dinge das edle Denken und die Freiheit deines Sinnes aufgibst. Denn deine Stufe ist eine höhere als die Stufe der Barmherzigen. Ich flehe dich an, unterwirf dich nicht. Die Barmherzigkeit gleicht dem Aufziehen von Kindern, das Schweigen aber ist der Gipfel der Vervollkommnung. Wenn du Erworbenes besitzest, gib dieses auf einmal aus. Wenn du aber nichts besitzest, dann verlange auch nicht danach, etwas zu besitzen. Säubere deine Zelle von Nahrung und Überflüssigem, denn dies führt dich unwillkürlich und ohne danach zu trachten zur Enthaltsamkeit. Denn die Dürftigkeit der Dinge lehrt die Enthaltsamkeit. Denn wenn der Mensch Freiheit in Bezug auf seine Besitztümer und Überfluß erhält, kann er nicht Enthaltsamkeit üben. Diejenigen, welche im äußeren Kampf gesiegt haben, sind auch gefestigt worden gegen die innere Furcht, und keiner kann sie gewaltsam nötigen, und sie leiden keinen Schaden | 281v im Kampf, weder von vorn noch von hinten. Ich spreche nämlich von dem Kampf, welcher der Seele durch die Sinne und mangelnden Eifer entsteht, das heißt von Geben und Nehmen, von Hören (und) Sprache. Wenn dies auf die Seele zukommt, bewirkt es bei ihr Blindheit, und von dem Ansturm des Aufruhrs von außen kann sie nicht auf sich selbst achten in dem verborgenen Kampf der auf sie einstürmenden Dinge und durch die Stille die inneren Anfechtungen überwinden. Wenn jemand der Stadt die Tore verschließt, das heißt die Sinne (aussperrt), dann kämpft er von innen und fürchtet nicht die außerhalb der Stadt sind und dort lauern. Selig ist, wer dies begreift und in der Zurückgezogenheit ausharrt und sich nicht Beunruhigung durch die Menge der Arbei-
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ten schafft, sondern sein ganzes körperliches Tun in die Anstrengung des Gebetes umgewandelt hat und daran glaubt, daß er, da er so sehr (gemeinsam) mit Gott wirkt und sich um Ihn bemüht bei Tag und bei Nacht, auch keinen Mangel erfahren wird in seinem notwendigen Bedarf, weil er um Seinetwillen sich von der (Alltags-) Sorge und den Werken (draußen) fernhält. Erträgt es aber jemand nicht, in der Zurückgezogenheit ohne Arbeit der Hände zu sein, || 282r dann möge er dies gleichsam für Ihn als Helfer tun, jedoch nicht aus Habgier um des Gewinnes willen. Denn dies (die Handarbeit) gilt für die Schwachen, den Vollkommenen aber bedeutet es Beunruhigung. Denn den Armen und den Trägen haben die Väter zu arbeiten aufgetragen, aber dies nicht als nötiges Werk (bezeichnet). Zu der Zeit, wenn Gott dein Herz im Inneren rührt, veranlasse dich selbst zu reichlichen Kniebeugungen und Bußübungen. Und laß dein Herz sich nicht um irgend etwas sorgen, wenn die Dämonen dich dahin zu bringen versuchen, dich mit anderen Dingen zu befassen. Dann sieh hin, und du wirst dich wundern, was dir daraus hervorgehen soll. Nichts anderes unter den asketischen Taten vermag mehr oder besser und schmerzlicher den Neid der Dämonen zu wecken, als wenn sich jemand vor dem Kreuz Christi niederwirft und Tag und Nacht mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen verharrt. Willst du nicht erkalten in deinem Eifer und nicht deiner Tränen ermangeln, dann richte dich nach diesem, und selig bist du, o Mensch, wenn du dich Tag und Nacht um das dir Gesagte sorgst | 282v und nichts anderes damit suchst. Denn dann wird dir innerlich ein Licht aufleuchten, und deine Gerechtigkeit wird aufleuchten, und du wirst sein wie ein erblühtes Paradies und wie eine unversiegbare Wasserquelle. Sieh (nur), welche Güter dem Menschen aus seinem edlen Bemühen erwachsen. Oft geschieht es, daß sich bei einem Menschen, der die Knie zum Gebet gebeugt hat und die Hände zum Himmel streckt und mit seinem Angesicht zum Kreuz Christi aufschaut und alle seine Gedanken im Gebet zu Gott versammelt hat, während er unter Tränen voller Zerknirschung zu Gott betet, zu dieser nämlichen Zeit plötzlich in seinem Herzen eine Quelle regt, die Süßigkeit verströmt. Und seine Glieder sinken gelöst zu Boden, und seine Augen schließen sich, und er neigt das Angesicht zu Boden, und seine Gedanken verändern sich, so daß er keine Verbeugungen machen kann ob einer Wonne, die seinen ganzen Körper durchdrungen hat. Achte also darauf, o Mensch, was du liest. Denn wenn du nicht strebst, wirst du nichts finden, || 283r und wenn du nicht voller Inbrunst an die Tür klopfst und (dort) ewig wachsam bist, wirst du nicht erhört werden. Wer kann, wenn er dies hört, die äußere Gerechtigkeit begehren, außer jemand, der nicht in der Zurückgezogenheit ausharren kann? Wenn aber jemand dieses nicht durchhalten kann, weil es eine Gnade Gottes ist, wenn der Mensch
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innerhalb der Tür (seiner Zelle) sein kann, dann möge er nicht den anderen Weg verlassen, damit er nicht ausgeschlossen werde von beiden (Arten) des Lebensweges. Solange der äußere Mensch nicht für die Dinge der Welt gestorben ist und nicht nur für die Sünde, sondern für alles körperliche Tun, und auch der innere Mensch gegenüber den bösen Gedanken und der natürlichen Regung des Leibes erschlafft ist, so daß im Herzen die Süße der Sünde nicht aufkommen kann, kann sich auch nicht die Süße, die von Gott kommt, im Menschen regen, und seine Glieder werden nicht die Läuterung in seinem Leben erlangen, und er wird in seiner Seele die Gedanken Gottes nicht schauen. Und solange er (der Mensch) sein Herz nicht frei macht von der Sorge um die irdischen Dinge ‒ mit Ausnahme dessen, wessen die Natur bedarf ‒ | 283v und es nicht Gott überläßt, sich um dies zu sorgen, wird sich die geistige Trunkenheit in ihm nicht einstellen und jene Tröstung, mit der der Apostel getröstet wurde [vgl. Gal 2,20; 2 Kor 12,3-4] wird er nicht spüren. Dies habe ich gesagt, ohne die Hoffnung abzuschneiden, daß etwa jemand, der nicht den Gipfel der Vervollkommnung erreicht, der göttlichen Gnade nicht gewürdigt werden noch Tröstung finden könnte. Denn wahrlich, wenn jemand Abscheu faßt gegenüber dem, was unziemlich ist, und sich gänzlich davon entfernt und sich eilig dem Guten zuwendet, wird er alsbald Hilfe spüren. Wenn er sich auch (nur) ein wenig anstrengt, wird er Tröstung in seiner Seele finden und Nachlaß der Sünden erhalten und der Gnade gewürdigt werden, und er wird eine Fülle von Wohltaten empfangen. Doch ist er ein Geringerer im Vergleich mit der Vervollkommnung desjenigen, welcher der Welt entsagt hat und in seiner Seele die Geheimnisse der dortigen Seligkeit und das erlangt hat, dessentwegen Christus gekommen ist. Diesem sei Ruhm mit dem Vater und dem Heiligen || 284r Geiste in alle Ewigkeit. Amen. Rede 57 (284r – 298r) Gespräch über die Entfernung aus der Welt und alles, was den Geist verwirrt Eine große Ehre hat Gott den Menschen durch die doppelte Lehre erwiesen. Denn durch sie hat er ihnen die Tür geöffnet, um in die Erkenntnis einzugehen. Wünschest du dir einen sicheren Zeugen für das Gesagte? Sei es selbst in dir, und du wirst nicht zuschanden werden. Wenn du dies aber von außerhalb deines Verstandes erfahren willst, dann hast du einen anderen Lehrer und Zeugen, der dich zum rechten Pfad leitet. Ein verwirrter Verstand kann der Vergeßlichkeit nicht entrinnen, und die Weisheit öffnet einem solchen nicht ihre Tür. Wer mit fester Erkenntnis fähig war zu begreifen, zu welcher Gleichheit das Ende aller übergeht, der bedarf zur Absage an das Irdische
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keines anderen Lehrers. Das an erster Stelle von Gott den Menschen gegebene natürliche Gesetz ist die Beobachtung seiner Geschöpfe. Und das Geschriebene ist nach der Übertretung hinzugefügt worden. Wer sich nicht aus freien Stücken von den Ursachen der Leidenschaft entfernt, wird unfreiwillig von der Sünde angezogen. | 284v Dies aber sind die Ursachen für die Sünde: Wein, Frauen, Reichtum und Wohlbehagen des Leibes. Nicht daß diese von Natur aus Sünden sind, sondern weil die Natur durch sie leicht zu den Leidenschaften der Sünde verleitet wird, und deshalb muß der Mensch eifrig auf seiner Hut sein. Wenn du stets deiner Schwäche eingedenk bist, wirst du nicht die Grenze deiner Wachsamkeit überschreiten. Denn vor den Menschen ist die Armut ein Greuel, vor Gott aber viel mehr eine hochmütige Seele und ein dünkelhafter Verstand. Vor den Menschen ist Reichtum geachtet, vor Gott aber eine demütige Seele. Wenn du einen Anfang machen willst im guten Handeln, dann bereite dich zuerst auf die Versuchungen vor, die auf dich zukommen, damit du nicht an der Wahrheit zweifelst. Denn der Feind hat die Gewohnheit, sobald er jemanden sieht, der mit inbrünstigem Glauben einen guten Lebenswandel begonnen hat, diesen mit vielerlei und schrecklichen Versuchungen heimzusuchen, damit er, hierdurch von Furcht befallen, seinen guten Willen versiegen läßt und auf keine Weise (mehr) den Eifer aufbringt, sich einem Gott wohlgefälligen Handeln zu nähern. || 285r Nicht, weil der Widersacher solche Macht hat, denn wer könnte (dann) jemals Gutes tun, vielmehr wird dies von Gott zugelassen, wie wir vom gerechten Hiob gelernt haben. Bereite du dich daher mannhaft auf die Begegnung mit den Prüfungen vor, die auf die Tugenden zukommen, und dann beginne damit, sie (die Tugenden) zu üben. Denn wenn du dich nicht auf die Begegnung mit den Prüfungen vorbereitest, dann halte dich vom Ausüben der Tugenden fern. Ein Mensch, der daran zweifelt, daß Gott ein Helfer ist bei gutem Handeln, der fürchtet sich vor seinem eigenen Schatten und bleibt in der Zeit des Überflusses und der Sättigung hungrig, und in(mitten) seiner Stille ist er von Sturm erfüllt. Wer aber auf Gott vertraut, dessen Herz wird gefestigt, und vor allen Menschen wird seine Ehre offenbar und sein Lob vor seinen Feinden. Die Gebote Gottes stehen höher als alle Schätze der Welt. Und wer diese sich zu eigen macht, findet Gott in sich. Wer sich beständig die Sorge um Gott angelegen sein läßt, der hat auch diesen Verwalter der Schätze | 285v gewonnen. Und wer Dessen Willen zu erfüllen trachtet, wird auch die Engel des Himmels als seine Führer erhalten. Wer die Sünden fürchtet, der wird untadelig den furchtbaren Weg überwinden und zur Zeit der Finsternis das Licht vor sich finden. Die Schritte desjenigen, der die Sünden fürchtet, schützt der Herr, und zu Zeiten des Ausgleitens kommt ihm die Gnade Gottes zu Hilfe. Wer seine Verfehlungen für geringfügig
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hält, fällt in schlimmere als die vorigen (Sünden) und (ihm) wird siebenmal siebenfach vergolten. Säe Almosen in Demut, und du wirst Barmherzigkeit vor dem Gericht ernten. Wodurch du Gutes verloren hast, dadurch erwirb es auch wieder. Schuldest du Gott eine Kupfermünze, nimmt Er von dir nicht an deren Stelle eine Perle an. Das heißt, wenn du die Keuschheit verloren hast, nimmt Gott von dir kein Almosen an, wenn du in der Unzucht verharrst, weil Er die Heiligung deines Leibes von dir verlangt, denn du hast das Gebot übertreten. Mögest du nicht in dem Glauben, das Streben der Welt nach Macht oder Besitz zu verlassen, um etwas anderes kämpfen. Das Gepflanzte hast du verlassen und bist gekommen, anderes zu bekämpfen. || 286r Der heilige Ephraim hat gesagt, so wie man zur Erntezeit nicht mit winterlicher Gewandung gegen die Hitze angeht, so wird auch jeder alles das, was er sät, als dasselbe ernten. Und jedes Gebrechen wird durch die zu ihm passenden Arzneien behandelt. Und du, der du zufällig dem Neid zu unterliegen drohst, was mühst du dich, mit dem Schlaf zu kämpfen? Solange du eine kleine und noch in der Blüte stehende (nicht ausgereifte) Verfehlung hast, reiß sie aus, ehe sie sich ausbreitet und Schatten wirft und weiter reift. Sei nicht nachlässig, wenn dir ein Fehler gering erscheint, denn du wirst später in ihm einen unmenschlichen Gebieter finden und wie ein gefesselter Sklave vor ihm herlaufen. Wer aber ihm von Anfang an Widerstand leistet, wird ihn bald beherrschen. Wer ein Unrecht freudig vertragen kann und eine Möglichkeit zur Hand hat, dieses abzuwenden, der hat von Gott eine Tröstung für seinen Glauben an Diesen empfangen. Wer in demütiger Weisheit gegen ihn vorgebrachte Beschuldigungen erträgt, der hat Vollkommenheit erlangt, und über ihn staunen die heiligen Engel. Denn es ist keine einzige | 286v andere Tugend so großartig und so schwierig zu bewerkstelligen. Glaube dir nicht, du seiest stark, solange du nicht versucht worden bist und als unveränderlich befunden wurdest. Prüfe dich also in allen Dingen. Erwirb dir den rechten Glauben, damit du deine Feinde zertrittst. Dein Verstand sei nicht hochfliegend, und baue nicht auf deine Kraft, damit du nicht in natürliche Schwäche fallengelassen wirst und dann durch deinen Fall die eigene Schwäche kennenlernst. Glaube nicht deinem Wissen, damit dich nicht der Feind, dem folgend, durch seine Tücke fange. Deine Zunge sei sanft, und dich wird niemals Beunruhigung heimsuchen. Erwirb dir süße Lippen, und du wirst alle zu Freunden gewinnen. Rühme dich nicht irgendwann mit deiner Zunge deiner Werke, damit du dich nicht schämen mußt. Denn bei jeder Sache, deren sich ein Mensch rühmt, läßt Gott es zu, daß er sich verändert, damit der Mensch gedemütigt werde und alles dem Vorherwissen Gottes überlasse und nicht glaube, daß || 287r in diesem Leben etwas unveränderlich sei. Bist du aber so geworden, richte dein Auge stets zu Gott empor,
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weil der Schutz(mantel) Gottes und seine Vorsehung alle Menschen umfängt, doch wird Er nicht gesehen, außer von denjenigen, die sich von der Sünde gereinigt haben und deren stetes Sinnen dem einzigen Gott gilt. Ganz besonders wird diesen die göttliche Vorsehung offenbar, wenn sie sich einer schweren Prüfung um Gottes willen unterziehen. Denn dann spüren sie diese (Vorsehung), als erblickten sie sie mit leiblichen Augen, ein jeder in Übereinstimmung und entsprechend der Ursache der eingetretenen Prüfung, damit sie den Asketen zur Mannhaftigkeit verhelfe so wie bei Hiob und Jesus, dem Sohn Nuns, und den drei Jünglingen und Petrus und den übrigen Aposteln und den übrigen Heiligen, denen sie in menschlicher Gestalt erschien, um sie zu ermutigen und in der Ehrfurcht vor Gott zu bestärken. Wenn du aber sagst, dies sei den Heiligen aus Fürsorge von Gott gegeben worden und daß sie besonders solcher Visionen gewürdigt worden seien, dann mögen dir die heiligen Märtyrer Vorbilder zur Mannhaftigkeit sein, die oftmals zu vielen aber auch einzeln | 287v vielerorts um Christi willen kämpften und dort durch göttliche Hilfe mannhaft in ihren vergänglichen Leibern das Zerfleischen mit dem Eisen und alle möglichen Folterqualen erduldeten, Dinge, die (deren Ertragen) über die Natur hinausgehen. Denn diesen zeigten sich deutlich die heiligen Engel, damit jeder lerne, wie reich die göttliche Vorsehung denen zuteil wird, die um Seinetwillen in jeglicher Gestalt jegliche Prüfung und Bedrängnis ertragen, um deren Tapferkeit zu zeigen und zur Beschämung ihrer Feinde. Denn so sehr die Heiligen durch solche Visionen immer mehr bestärkt wurden, ebensosehr versetzten sie ihre Gegner durch ihr Dulden in Kampfeswut und brachten sie zur Raserei. Und was soll man von den wunderbaren Asketen sagen und von den Einsiedlern, die in der Einöde lebten und den Engeln eine Wohnstatt bereiteten zum Aufenthalt, die sie ständig aufsuchten wegen der Ordnung ihres Lebenswandels, und als Diener des einen (gemeinsamen) Gebieters blieben sie auch zeitweise beieinander || 288r (nämlich jene), die aus Liebe zu Gott alle Tage ihres Lebens die Einöde liebten und in den Bergen und Höhlen und in Erdschluchten ihre Wohnstatt hatten. Da sie das Irdische verlassen und das Himmlische liebgewonnen hatten und den Engeln nacheiferten, verbargen auch diese Engel zu Recht nicht ihr Trachten vor ihnen, sondern zeigten sich ihnen von selbst von Zeit zu Zeit und lehrten sie, wie es sich zu leben geziemt. Und manchmal erklärten sie ihnen Unbegreifliches. Manchmal legten aber auch die Heiligen selbst diesen ihre Fragen vor, und manchmal leiteten sie diejenigen an, die vom Wege abgeirrt waren, manchmal retteten sie diejenigen, die in Versuchung geraten waren, und manchmal holten sie die von plötzlichen Zufällen und Unglück Betroffenen mitten heraus, sei es vor einer Schlange, einem Felsen, einem Holzscheit, Steinschlag und dergleichen mehr. Wenn
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aber der Feind gegen die Heiligen kämpfte, zeigten sie sich in sichtbarer Gestalt und sagten, daß sie ihnen zur Hilfe gesandt seien, und sie verliehen ihnen Mut und Kühnheit und Erleichterung. Ein andermal vollbrachten sie für diese Heilungen. Es geschah aber auch, daß sie | 288v die Heiligen selbst, wenn sie von Leiden befallen waren, heilten. Und manchmal, wenn ihre Körper durch fehlende Nahrungsaufnahme entkräftet waren, stärkten sie sie auf übernatürliche Weise durch eine Handberührung oder Worte und flößten ihnen Kraft ein. Manchmal aber gaben sie ihnen Nahrung und Hitze Erzeugendes und verschiedenes anderes, und einigen sagten sie ihr Hinscheiden voraus, und manchmal auch die Art des Verscheidens. Und was soll man vieles aufzählen, was die Liebe der heiligen Engel zu uns zeigt und deren Sorge um die Gerechten. Denn so wie manche größeren Brüder für die kleineren, so sorgen sie für uns. Dies (alles) aber wurde gesagt, damit jeder lerne, wie nahe der Herr allen ist, die Ihn in Wahrheit anrufen [Ps 145,18], und wieviel Fürsorge Er jenen angedeihen läßt, die sich Seinem Dienst überantwortet haben und Ihm von ganzem Herzen folgen. Wenn du glaubst, daß Gott dir Seine Fürsorge angedeihen läßt, was bist du dann betrübt und sorgst dich um die zeitlichen und fleischlichen Bedürfnisse? Wenn du aber nicht glaubst, daß Gott dir Seine Fürsorge angedeihen läßt und dich deswegen ohne Ihn um das, was du zum Leben brauchst, kümmerst, || 289r dann bist du der Elendste unter allen Menschen, und warum lebst du dann überhaupt? Wirf deine Trübsal auf den Herrn [Ps 55,23], und du wirst dich nicht fürchten vor dem Erschrecken, wenn es kommt [Spr 3,25]. Und wer sich einmal Gott geweiht hat, der führt sein Leben ruhigen Geistes. Ohne Absage an den Besitz kann die Seele sich nicht vom Aufruhr der Gedanken befreien, und ohne Schweigen der Sinne wird sie nicht den Frieden im Geiste spüren. Ohne sich Prüfungen zu unterziehen, wird niemand die Weisheit des Geistes erlangen, und ohne Fleiß im Lesen begreift er die Feinsinnigkeit der Gedanken nicht. Ohne Stille der Gedanken bewegt sich der Geist nicht in den verborgenen Geheimnissen, und ohne Hoffnung aus dem Glauben kann sich die Seele nicht mutig auf die Versuchungen einlassen. Ohne die Erfahrung von Gottes Obhut kann das Herz auf Ihn nicht hoffen. Und ohne die Erfahrung des Leidens Christi zu kosten, kann es keine Gemeinschaft mit Ihm durch die Erkenntnis erlangen. Halte denjenigen für einen Mann Gottes, | 289v der um der großen Barmherzigkeit willen in sich die notwendigen Bedürfnisse abgetötet hat. Denn für denjenigen, der den Bedürftigen liebt, sorgt Gott. Und wer um Seinetwillen arm geworden ist, hat einen unerschöpflichen Schatz entdeckt. Gott braucht nichts, doch er freut sich, wenn er sieht, daß jemand seinem Ebenbild Erquickung bringt und dieses ehrt um Seinetwillen. Wenn dich aber jemand um etwas bittet, was du besitzest, dann spricht nicht
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in deinem Herzen: Das überlasse ich meiner Seele, damit ich mich daran erquicke, und Gott wird ihm von woanders her das Notwendige geben. Dies aber sind Worte der Nicht-Gerechten und derjenigen, die Gott nicht kennen. Der gerechte und gute Mensch gibt seine Ehre weder an einen anderen ab, noch läßt er es zu, daß die Zeit der Gnade untätig vorübergeht. Dem armen und bedürftigen Menschen aber wird von Gott gegeben, weil der Herr keinen einzigen verläßt. Du aber hast deine von Gott kommende Ehre abgewiesen und Seine Gnade von dir entfernt, als du den Armen zurückgewiesen hast. Wenn du aber gibst, dann freue dich und sprich: Ruhm sei Dir, o Gott, denn Du hast mich gewürdigt, || 290r jemanden zu finden, den ich erquicken konnte. Wenn du aber nichts zu geben hast, dann freue dich um so mehr und sprich, Gott dankend: Ich danke Dir, o mein Gott, daß Du mir diese Ehre gewährt hast, um Deines Namens willen arm zu werden, und mich gewürdigt hast, die Bedrängnisse zu kosten, die auf den Weg Deiner Gebote gelegt sind, in Krankheit und Armut, wie sie die Heiligen gekostet haben, die auf diesem Weg gewandelt sind. Und wenn du dich kraftlos fühlst, sprich: Selig, der da gewürdigt worden ist, von Gott geprüft zu werden in dem, wofür wir das Leben erben. Denn Gott schickt die Krankheiten um des Wohlergehens der Seele willen. Einer der Heiligen hat gesagt: Ich habe bemerkt, daß Gott einen Mönch, der nicht Gott wohlgefällig dient und sich nicht eifrig um die Rettung seiner Seele bemüht, sondern nachlässig in der Einhaltung der Askese ist, in jedem Fall in Versuchungen geraten läßt, damit er sich nicht infolge seines großen Müßiggangs abkehre und dem Bösen zuwende. Deshalb schickt Gott den Faulen und Untätigen die Prüfungen, damit sie in diesen ständig belehrt werden und nicht bei eitlen Dingen (bleiben). Denn dies tut Gott bei denen, die Ihn lieben, | 290v daß Er sie mahnt, weiser macht und sie Seinen Willen lehrt. Und wenn sie zu Ihm beten, erhört Er sie nicht alsbald, sondern erst dann, wenn sie die Kraft verläßt und sie sicher gelernt haben, daß ihnen dies wegen ihres mangelnden Eifers und ihrer Trägheit widerfahren sei. Denn es steht geschrieben: Wenn ihr eure Arme zu Mir erhebt, werde Ich Meine Augen von euch abwenden, und wenn ihr eure Bitten vermehrt, werde Ich euch nicht erhören [Jes 1,15]. Denn wenn dies auch von anderen gesagt worden ist, so ist es aber doch von solchen geschrieben, die den Weg Gottes verlassen haben. Inwiefern also sagen wir von Gott, Er sei von großer Barmherzigkeit, wenn wir doch in den Versuchungen anklopfen und flehen und nicht erhört werden, oder jedenfalls vom Propheten belehrt werden, der da sagt: Die Hand des Herrn ist nicht zu klein, um uns herauszuholen, noch ist Er schwerhörig, um uns nicht zu erhören. Aber unsere Sünden haben uns von Ihm geschieden, und unsere Unbotmäßigkeiten haben Sein Antlitz abgewandt, so daß Er uns nicht hört [Jes 59,1-2]. Geden-
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ke Gottes immerzu, dann wird auch Er sich deiner erinnern, wenn du in ein Unheil gerätst. Deine Natur war empfänglich für die Leidenschaften, und viele Versuchungen gibt es in der gegenwärtigen Welt, || 291r und das Böse hält sich nicht fern von dir, sondern es brodelt in dir und unter deinen Füßen. Geh nicht fort von dem Ort, an dem du stehst, und wenn Gott hinblickt, wirst du von (all) dem befreit werden. So wie die Augenlider einander entgegenkommen, so sind auch die Versuchungen dem Menschen nahe. Dies aber hat Gott in Seiner großen Weisheit zu deinem Nutzen vorgesehen, damit du eindringlich an Seine Tür klopfst und aus Furcht vor den Bedrängnissen in deinen Geist die Erinnerung an Ihn eingesät werde und du dich in deinen Gebeten Ihm näherst und dein Herz geheiligt werde durch das beständige Gedenken an Ihn. Und während du betest, wird Er dich erhören. Und du wirst erkennen, daß es Gott ist, der dich (aus deinen Bedrängnissen) errettet, und du wirst Den erkennen, Der dich geschaffen hat und dich stärkt und (vor dem Übel) bewahrt und Der um deinetwillen eine doppelte Welt erschaffen hat: die eine als Lehrer und Ermahner für eine bestimmte Zeit, die andere aber als Vaterhaus und dein ewiges Erbteil. Gott hat dich nicht unempfänglich geschaffen für das Leid, damit du nicht ‒ Göttlichkeit erstrebend ‒ das erbest, was derjenige | 291v erbte, der zunächst der Morgenstern, nachher jedoch wegen seiner Erhebung der Satan war. Ebenso hat Er dich weder unbeugsam noch starr (nämlich gegen die Leidenschaften) geschaffen, damit du nicht gleich der Natur der Unbeseelten (Geschöpfe) werdest und das Gute dir nicht unerworben und ohne Lohn zufiele, wie die natürlichen Vorteile den unvernünftigen Geschöpfen (zukommen). Denn allen fällt es leicht zu verstehen, wieviel Nutzen und Dank und Demut aus dem Zustandekommen dieser Anstöße hervorgehen. Denn es ist offenbar, daß der Aufbruch zum Guten und die Abkehr vom Bösen in uns leben. Und Ehre und Schande, die von diesen herrühren, erheben sich auch in uns. Denn von Schande beschämt fürchten wir uns, durch Ehre (bewegt) bringen wir unseren Dank vor Gott und streben nach Tugend(haftigkeit). Diese deine Erzieher aber hat Gott dir vermehrt, damit du nicht, frei von ihnen und unempfänglich für Kummer und über jeglicher Furcht stehend, Gott, deinen Herrn, vergissest und dich von Ihm abwendest und in Vielgötterei verfällst wie viele (andere) die, ähnlich leidgeprüft wie du || 292r und in ebensolchen Drangsalen verletzt, für kurze Zeit durch eine böse Macht nicht nur in Vielgötterei verfielen, sondern sich selbst unbesonnen den Namen eines Gottes zu geben erdreisteten. Deshalb hat Er es zugelassen, daß du unter denen bist, die dich beleidigten. Es geschieht aber auch, damit du nicht durch deine Abkehr Ihn erzürnest und die herbeigeführte Strafe dich von Seinem Angesicht tilge. Ich übergehe es, von der Ehrlosigkeit und den übrigen Lästerun-
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gen zu sprechen, die auf das Wohlleben und die Furchtlosigkeit zurückgehen, wenn auch das zuvor Gesagte kein anderer auszusprechen wagt. Deshalb hat Er durch Leiden und Kümmernisse den Kummer um Ihn in deinem Herzen vermehrt, und durch die Angst vor den Widrigkeiten hat Er dich aufgemuntert zur (Zuflucht) an der Tür Seiner Barmherzigkeit. Und durch die Rettung von diesen (Übeln) hat Er die Ursache(n) der Liebe zu Ihm in dich gesät. Als Er dir aber die Liebe eingab, hat Er dich in die Nähe der Ehre der Kindschaft gerückt, und Er zeigt, wie reich Seine Gnade ist. Denn woher würdest du Seine derartige Fürsorge und Umsicht begreifen, wenn dir nichts Widriges widerfahren wäre? Deshalb kann am ehesten | 292v auf diese Weise die Liebe zu Gott in deiner Seele vermehrt werden, das heißt durch das Begreifen Seiner Gaben und das Eingedenksein der Fülle Seiner Vorsehung. All dieses dir bereitete Gute hat seinen Ursprung in Drangsalen, damit du lernst, dafür zu danken. Sei Gottes eingedenk, damit auch Er deiner gedenke und nach deiner Errettung dir alle Glückseligkeit schenke. Vergiß Ihn nicht, während du dich zu unwichtigen Gedanken aufschwingst, damit Er dich nicht vergißt, wenn du im Streite liegst. Sei Ihm gehorsam, wenn du im Überfluß lebst, damit du bei Bedrängnissen im eindringlichen Herzensgebet Zuversicht zu Ihm erlangst. Läutere dich vor Gott, indem du Seiner stets im Herzen gedenkest, damit du nicht, weil du lange Zeit ohne Gedenken an ihn zubrachtest, mutlos seiest, wenn du vor Ihn hintrittst. Denn die Zuversicht vor Gott hängt vom Anteil der Anrufungen und Gebete zu Ihm ab. Die Liebe zu den Menschen und die Fürsorge für sie ist körperlicher Natur, die Liebe zu Gott aber vollzieht sich im Gedenken der Seele und in der Andacht des Betens und im Brandopfer, und vom langen Ausharren || 293r in diesem Gedenken an Ihn wird sie sich zuweilen dem Staunen und Wundern anschließen. Denn es heißt, das Herz derjenigen, die Gott suchen, wird erfreut werden. Suchet den Herrn, die ihr verdammt seid, und ihr werdet durch Hoffnung gestärkt werden, die ihr Sein Antlitz durch stete Buße suchet [Ps 105,3-4] und werdet geheiligt durch die Weihe Seines Antlitzes, und reinigt euch von euren Sünden. Eilet hin zu Gott, die ihr in Sünden schuldig geworden seid, Der euch eure Sünden nachzulassen und eure Verfehlungen zu übersehen vermag. Denn Er hat den Propheten geschworen und gesagt: (So wahr) Ich lebe, spricht der Herr, Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er umkehrt und lebe [Ez 33,11], und weiter: Den ganzen Tag (lang) habe ich meine Hände ausgestreckt zu den ungebärdigen Menschen und Dawiderredenden [Jes 65,2]. An dem Tag, an welchem der Sünder umkehren wird von seinem argen Weg und sich zum Herrn bekehrt und Gericht hält und Gerechtigkeit übt, soll seines Frevels nicht gedacht werden, sondern er soll das Leben haben, spricht der Herr. Und wenn der Gerechte seine Gerechtig-
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keit verläßt und sündigt und Unrecht begeht, will Ich seiner Gerechtigkeit nicht gedenken, sondern ihm sein Ausgleiten | 293v vorhalten, und er wird in der Finsternis seiner Werke, da er ihnen angehangen hat, sterben [Ez 18,2124, 33,14-16]. Weshalb? Weil der Sünder nicht gehindert werden wird durch seine Sünde an dem Tage, an welchem er sich Gott zuwendet, und den Gerechten seine Gerechtigkeit nicht retten wird an dem Tage, an dem er die Sünde begeht. Zu Jeremias aber hat Er so gesprochen: Nimm die Schreibrolle auf, und alles, was ich dir sage, schreibe auf seit den Tagen von Josias, des Königs von Juda, bis auf diesen Tag, alles Böse, von dem Ich dir gesagt habe, daß ich es über dieses Volk bringen werde, damit der Mensch, nachdem sie es gehört haben und in Furcht geraten sind, seinen argen Weg verlasse und, nachdem sie umgekehrt sind, bereuen, und Ich werde ihre Sünden von ihnen nehmen [Jer 36,2-3]. Und die (das Buch der) Weisheit hat gesagt: Wer seine Sünde verbirgt, der wird keinen Erfolg haben, wer aber seine Sünden bekennt und ihnen ein Ende bereitet, wird von Gott Barmherzigkeit erlangen [Spr 28,13]. Und Jesajas hat gesagt: Suchet Gott, und wenn ihr Ihn gefunden habt, ruft Ihn herbei, und wenn ihr Ihm nahegekommen seid, dann verlasse der Sünder seinen Weg und der ungerechte Mann seine Gedanken, und dann wendet euch Mir zu und Ich werde Mich eurer erbarmen, denn Meine Gedanken sind nicht wie || 294r eure Gedanken, noch sind Meine Wege wie eure Wege [Jes 55,6-8]. Wenn ihr aber auf Mich hört, werdet ihr die guten Dinge der Erde genießen [Jes 1,19]. Kommt her zu Mir und seid gehorsam, und eure Seelen werden leben [Jes 55,3]. Wenn du die Wege des Herrn beachtest und Seinen Willen tust, dann hoffe auf den Herrn und rufe Ihn an, und wenn du zu Ihm gerufen hast, sagt Er zu dir: Siehe, Ich bin gekommen [Jes 58,9]. Wenn den Ungerechten eine Prüfung trifft, hat er keine Hoffnung, Gott herbeizurufen, noch von Ihm Rettung zu erhoffen, weil er sich am Tag seines Friedens von Seinem Willen entfernt hat. Noch ehe du einen Kampf beginnst, suche dir Hilfe, und noch bevor du erkrankst, suche einen Arzt, und noch bevor dich Drangsal überfällt, bete, und in der Zeit der Trübsal wirst du Ihn finden, und Er wird dich erhören, und noch bevor du ausgleitest, rufe Ihn an und bete, und noch bevor du betest, bereite deine Gelübde vor, ich meine, das Notwendige für den Weg von hier. Noahs Arche wurde zur Zeit des Friedens gebaut, | 294v und hundert Jahre zuvor waren die Bäume dafür gepflanzt worden. Zur Zeit des Zornes aber kamen die Ungerechten um, während sie für den Gerechten eine Zuflucht war. Der Mund der Ungerechten wird im Gebet verschlossen, denn der Tadel des Gewissens macht, daß der Mensch keine Zuversicht (mehr) besitzt. Ein gutes Herz vergießt Tränen vor Freude im Gebet. Diejenigen, denen die Welt gestorben ist, nehmen Ungemach voller Freude auf sich, diejenigen aber, für
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die die Welt lebt, können keine Kränkung ertragen, sondern sie geraten entweder, von Eitelkeit getrieben, in Zorn und sind verwirrt, oder sie verzehren sich vor Kummer. O, wie ist solche Tugend doch nicht leicht zu bewerkstelligen, und wieviel Ruhm erlangt sie vor Gott! Wer diese Tugend üben will, das heißt Kränkungen ausgesetzt zu sein und lange dulden will, der muß sich von den Seinen entfernen und zum Wanderer werden, weil man dies nicht in seiner Heimat vollbringen kann. Denn es ist die Sache der Großen und Starken, diesen Schmerz inmitten der Ihrigen zu ertragen, und (derjenigen), denen diese Welt abgestorben ist || 295r und die der Hoffnung auf jegliche wirkliche Lust entsagt haben. So wie die Gnade sich der demütigen Weisheit nähert, so geschieht es auch dem Stolz mit den schmerzlichen Ereignissen. Die Augen des Herrn sind auf die demütigen Weisen (gerichtet), um sie zu erfreuen, das Antlitz des Herrn aber ist vor den Stolzen (gegen sie gerichtet), um sie zu demütigen. Die Demut erhält stets von Gott Erbarmen, der Hartherzigkeit und Kleingläubigkeit aber widerfahren schreckliche Begegnungen. Mach dich in allen Dingen gering vor allen Menschen, und du wirst erhöht werden über die Fürsten dieser Zeit. Bist du allen zuvorgekommen durch deinen Kuß und deine Verneigung, wirst du mehr geehrt werden als diejenigen, die erlesenes Gold und Edelsteine (aus) Ophir (als Geschenke) bringen [vgl. 1 Kön 22,49]. Mache dich gering, und du wirst den Ruhm Gottes in dir erblicken, denn dort, wo die Demut keimt, da braust der Ruhm Gottes. Wenn du danach trachtest, dich öffentlich zu erniedrigen, wird Gott bewirken, daß du von allen Menschen gerühmt wirst. Wenn du aber in deinem Herzen Demut hast, dann wird dir Gott in deinem Herzen Seine Herrlichkeit zeigen. Mache es (den anderen) leicht, dich in Bezug auf deine Größe zu verachten, aber (sei) nicht | 295v groß in deiner Niedrigkeit. Bemühe dich darum, verachtet zu sein, und du wirst vom Ruhm Gottes erfüllt sein. Trachte nicht danach, geehrt zu sein, da du doch innerlich voller Schwären bist. Verachte die Ehre, damit du geehrt werdest. Und finde keinen Gefallen an ihr, damit du dich nicht um deine Ehre bringst. Wer der Ehre hinterherjagt, vor dem flieht sie, und wer vor ihr davonläuft, den ereilt sie und wird für alle Menschen zum Verkünder seiner Demut. Wenn du dich verachtest, damit du geehrt werdest, wird Gott es von dir kundtun. Wenn du aber um der Wahrheit willen dich geringer gemacht hast, wird Gott allen Seinen Geschöpfen gebieten, dich zu loben, und sie werden vor dir die Ruhmespforte deines Schöpfers auftun, und sie werden dich loben, weil du wahrhaftig Sein Ebenbild bist. Denn wer hat einen Menschen gesehen, der vor Tugenden strahlte, den Menschen aber gering erscheinen sollte, leuchtend in seinem Lebenswandel, weise in seinem Wissen und demütigen Geistes? Selig, wer sich in allem bezähmt, weil er erhöht werden wird, denn wer sich um Gottes
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willen demütigt und erniedrigt, wird von Gott gerühmt werden, und wer um Gottes willen || 296r hungert und dürstet, den wird Gott mit Seinen guten Dingen laben. Und wer um Gottes willen Nacktheit erträgt, der wird von Ihm bekleidet werden mit dem Gewand der Unverweslichkeit und des Ruhmes. Und wer um Seinetwillen arm wird, der wird durch den wahren Reichtum getröstet werden. Erniedrige dich um Gottes willen, und dein Ruhm wird sich, ohne daß du es weißt, vermehren. Halte dich in deinem ganzen Leben für einen Sünder, damit du stets ein Gerechter bist. Sei ungebildet in deiner Weisheit, und gib dir nicht den Anschein weise zu sein, da du doch ungebildet bist. Und wenn die Demut den Einfältigen und den Unwissenden erhöht, was meinst du wohl, für wieviel Ehre wird sie dann den Großen und Ehrwürdigen ein Fürsprecher sein? Fliehe die Ruhmsucht, und du wirst gerühmt werden. Und fürchte den Stolz, und du wirst erhaben sein. Weder wurde den menschlichen Söhnen die Ruhmsucht gegeben noch Hochmut dem vom Weibe geborenen Geschlecht. Wenn du freiwillig allen irdischen Dingen entsagt hast, dann streite dich keinesfalls mit irgendwem um irgendwelche Dinge. Wenn dir die Ruhmsucht verächtlich geworden ist, dann fliehe diejenigen, die ihr nachjagen. Fliehe die Habgierigen, um nicht habgierig zu sein. | 296v Halte dich fern von den Prassern wie auch von dem Gelage. Fliehe die Unzüchtigen wie auch die Unzucht. Denn wenn schon die einfache Erinnerung an das Gesagte den Verstand verwirrt, wieviel mehr dann der Anblick und das Zusammensein mit ihnen. Suche die Nähe der Gerechten, und durch diese wirst du dich Gott nähern. Wende dich denjenigen zu, die Demut haben, und du wirst ihre Sitten erlernen. Denn wenn schon das Anblicken der Genannten nützlich ist, wieviel mehr dann die Lehre aus ihrem Munde. Liebe die Armen, denn um ihretwillen wirst du das Erbarmen Gottes erhalten. Suche nicht die Nähe der Streitsüchtigen, damit du nicht gezwungen bist, fernab der Stille zu sein. Ertrage nicht unwillig den üblen Geruch der Kranken und besonders der Armen, denn auch du bist von einem Leib umgeben. Verletze diejenigen nicht, deren Herz gekränkt ist, seien sie Reiche oder Arme, damit nicht durch deren Rute auch du verletzt werdest und Tröster suchst und nicht findest. Verachte diejenigen nicht, denen die Enden der Arme und Beine abgefallen sind, weil wir alle gleich würdig in die Unterwelt abtreten werden. Liebe die Sünder, aber verabscheue ihre Werke, damit nicht auch du in die Versuchungen gerätst, || 297r in denen sie sich befinden. Sei eingedenk, daß auch du Teil hast an der irdischen Natur, und tu allen Gutes. Verletze diejenigen nicht, die deines Gebetes und der lindernden Worte der Tröstung bedürfen, damit sie nicht untergehen und daß man nicht ihrer Seele wegen von dir Rechenschaft verlangt. Ahme vielmehr die Ärzte nach, welche die hitzigsten Krankheiten mit den
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kältesten Arzneien behandeln und die kältesten (Krankheiten) mit den entgegengesetzten Mitteln. Wenn du deinem Nächsten begegnest, zwinge dich, daß du ihm über das diesem zustehende Maß hinaus Ehre erweisest. Küsse seine Hände und Füße, und greife oft nach ihnen in großer Ehrerbietung, und lege sie auf deine Augen, und lobe ihn sogar für das, was er nicht hat. Wenn er sich aber von dir verabschiedet, sag von ihm alles erdenklich Gute und selbst etwas Ehrenvolles. Durch dieses und Ähnliches führst du ihn zum Guten und bringst ihn dazu, sich der Anrede zu schämen, mit der du ihn bedacht hattest, und du wirst in ihn den Samen der Tugenden säen. Von solcher Gepflogenheit, mit der du dich selbst unterweisest, bildet sich in dir eine gute Sitte heraus, und du erlangst viel Demut in Dir | 297v und vollbringst mühelos Großes. Nicht nur dies, sondern selbst wenn der von dir mit Ehre Bedachte irgendwelche Mängel hat, so wird er leicht von dir die Heilung annehmen, da er doch beschämt ist wegen der Ehre, die du ihm erwiesen hast. Diese Art und Weise mögest du ständig haben, (nämlich) immer wohlmeinend und ehrerbietig gegenüber allen zu sein. Reize niemanden noch ereifere oder erzürne dich weder wegen seines Glaubens noch wegen seiner bösen Werke, sondern bewahre dich davor, jemanden zu tadeln oder wegen irgendetwas zu überführen, denn wir haben einen unparteiischen Richter im Himmel. Wenn du aber jemanden zur Wahrheit bekehren willst, dann sage ihm nach deiner Trauer über ihn und unter Tränen ein oder zwei Worte, und ereifere dich nicht vor Grimm über ihn, so daß er nicht ein Zeichen der Feindschaft in dir erblicke. Denn die Liebe kennt kein Ereifern oder Erzürnen oder leidenschaftliches Tadeln des anderen. Der Beweis der Liebe und der Erkenntnis ist die Demut, die auf einem guten Gewissen beruht in Christus Jesus unserem Herrn. Ihm || 298r sei Lob mit dem Vater und dem Heiligen Geist jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen. Rede 58 (298r – 309v) Gespräch darüber, auf wie nützliche Weise Gott zuließ, daß die Seele empfänglich für die Leidenschaften ist Durch einen Sündenfall auszugleiten kommt offensichtlich von der natürlichen Schwäche, da Gott es als nützlich zugelassen hat, für die Leidenschaften empfänglich zu sein. Denn Er hat nicht vorgesehen, diesem vor dem zweiten (jenseitigen) Leben über diesen (Leidenschaften) einen Platz zu bestimmen. Für die Leidenschaften empfänglich zu sein ist nützlich zur Zerknirschung des Gewissens, in diesen aber zu verharren ist schamlos und dreist. Es gibt drei Formen, in denen sich jede vernunftbegabte Seele Gott nähern kann: entweder durch Glaubenseifer oder aus Furcht oder durch Züchtigung (durch die Hand) des Herrn. Niemand kann sich Dessen Liebe
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nähern, wenn nicht eines von diesen dreien vorausgegangen ist. Wie von der Völlerei der Aufruhr der Gedanken kommt, so auch von der Geschwätzigkeit und Ungehörigkeit der Reden Unverstand und Verblödung des Geistes. | 298v Die Sorge um irdische Dinge verwirrt die Seele, und die Verwirrung durch diese (irdischen Dinge) verwirrt den Geist und vertreibt die Stille. Dem Mönch, der sich dem himmlischen Dienst geweiht hat, ziemt es, stets und immer fern von jeglicher Sorge (um Äußerliches) zu sein, damit er, in sich selbst vertieft, nichts von der wirklichen Welt in sich finde. Denn wenn er von all diesem frei ist, kann er unbeirrt über Sein Gebot Tag und Nacht nachsinnen. Körperliche Arbeit ohne Reinheit des Geistes ist wie ein unfruchtbarer Schoß und wie trockene Brustwarzen, denn er kann sich der Erkenntnis Gottes nicht nähern. Denn sie strengt den Körper an und führt zu keinem Erfolg. So wie derjenige, der in die Dornen sät, nichts ernten kann, so wird auch derjenige, der sich durch nachtragendes Denken und Habgier selbst zunichte macht, keinen Erfolg haben, sondern auf seinem Lager vom vielen Wachen und Zusammenhalten der Dinge stöhnen. Und die (Heilige) Schrift bezeugt es, indem sie sagt: Wie Menschen, die Gerechtigkeit üben und kein einziges der Gebote des Herrn vernachlässigen, || 299r verlangen sie von Mir Gerechtigkeit und Wahrheit und wollen sich Mir, ihrem Gott, nahen, indem sie sprechen, warum haben wir gefastet, und Du hast es nicht gesehen, uns gedemütigt, und Du hast es nicht erkannt. Am Tage eures Fastens aber tut ihr euren Willen [Jes 58,2-3] und bringt alle Früchte den Götzen die bösen Gedanken und argen Überlegungen, die ihr für eure Götter in euch selbst haltet und denen ihr das Kostbarste zum Opfer bringt, das euch geziemte, Mir zu weihen durch euer gutes Tun und ein reines Gewissen. Das Bestellen des Bodens erfreut den Landmann sogar durch bis zu hundertfachem Ertrag. Wenn die Seele durch das Denken an Gott und durch unermüdliches Wachen Tag und Nacht strahlend aufleuchtet, dann errichtet der Herr über ihrer Burg eine Wolke, die sie am Tage bedeckt und durch Licht die Nacht erleuchtet, und inmitten der Dunkelheit erstrahlt ihr Licht. Denn wie die Wolke das Licht des Mondes verdeckt, so vertreiben die Ausdünstungen des Leibes die göttliche Weisheit aus der Seele. Und wie die Feuerflamme im trockenen Holz, so (verhält sich) auch der Leib zum übersättigten Bauch. | 299v Wie eine grobe Materie die Flamme wachsen läßt, so auch die unterschiedlichen Speisen die Bewegung im Leibe. In einem wollüstigen Leib lebt keine Erkenntnis von Gott. Und wer seinen Leib liebt, der wird die Gnade Gottes nicht erlangen. So wie unter Schmerzen die Frucht geboren wird, die die Gebärende erfreut, so wird auch durch die Enthaltsamkeit des Schlundes in der Seele das Wissen von Gott geboren, den Trägen aber und Wollüstigen die Schande der Frucht. Wie ein Vater sein Kind
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liebt, so hat Christus Mitleid mit dem Leib desjenigen, der Böses erleidet um Seinetwillen, und immer ist Er seinem Munde nahe. Das Streben nach Handeln in Weisheit ist kostbar. Ein Fremdling ist, wer in seinem Denken fern von allem Irdischen war. Ein Mann der Trauer ist, wer in Hunger und Durst die Tage seines Lebens zubringt wegen der Hoffnung auf die zukünftige Glückseligkeit. Ein Einsiedler ist, wer außerhalb der Welt lebt und ständig zu Gott um die künftige Glückseligkeit betet. Der Reichtum des Einsiedlers ist der Trost, der aus dem Weinen kommt, und die Freude aus dem Glauben, die in der Schatzkammer des Geistes leuchtet. || 300r Barmherzig ist, wer in seiner Gesinnung nicht den einen von dem anderen unterscheidet und allen gibt. Ein keuscher Jüngling ist nicht, wer seinen Körper unbefleckt durch (geschlechtliche) Vereinigung bewahrt hat, sondern wer sich vor sich selber schämt, wenn er allein ist. Wenn du die Keuschheit liebst, vertreibe häßliche Gedanken, indem du dich in der Lektüre übst und in ausgedehnten Gebeten, und dann wappne dich gegen die Ursachen, die aus der Natur (des Menschen) kommen. Ohne dies aber ist es nicht möglich, die Reinheit in der Seele zu erblicken. Wenn du Barmherzigkeit erlangen willst, dann lehre dich zuerst, alles auszuspeien, damit nicht dein Geist durch die Last alles dessen angezogen werde und seine Grenzen überschreite. Denn die Barmherzigkeit erweist sich bekanntlich im Ertragen von Kränkungen. Die Vollendung demütiger Weisheit besteht darin, wenn man mit Freude falsche Anschuldigungen erträgt. Bist du wahrhaft barmherzig, dann kränkst du dich nicht in deinem Inneren, wenn dir zu Unrecht das Deinige genommen wird, und erzähle nicht Außenstehenden von deinem Verlust. Eher möge der Verlust, den dir deine Beleidiger zugefügt haben, durch deine Barmherzigkeit aufgehoben werden | 300v wie die Herbheit des Weines durch Hinzufügen von Wasser. Und zeige die Größe deiner Barmherzigkeit durch jene Wohltaten, mit welchen du denjenigen, die dich kränkten, vergiltst, so wie es der selige Elisäus mit seinen Feinden tat, die ihn gefangen zu nehmen trachteten. Als er betete und sie durch Gebet blind machte, zeigte er die ihm innewohnende Kraft. Als er ihnen aber Speise und Trank gegeben hatte und sie gehen ließ, zeigte er seine Barmherzigkeit [2 Kön 6,18-23]. Wer wahrhaft von demütiger Weisheit ist, der wird, wenn er gekränkt wird, nicht in Aufregung geraten, noch wird er eine Antwort geben zu der Angelegenheit, um derentwillen er gekränkt worden ist. Vielmehr nimmt er die Verleumdung so auf, als wäre es die Wahrheit, und kümmert sich nicht darum, den Menschen Vorwürfe zu machen, weil er verleumdet worden ist, sondern bittet um Verzeihung. Denn einige haben freiwillig die Bezichtigung der Unzucht auf sich gezogen, ohne dies zu sein, andere, die weit entfernt vom Ehebruch waren, duldeten und belasteten sich unter Tränen mit
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der Frucht der Sünde, die sie nicht begangen hatten, und erbaten weinend die Verzeihung der Sünde, die sie nicht begangen hatten, von denjenigen, die sie beleidigt und verleumdet hatten, || 301r da sie in ihrer Seele durch jegliche (erdenkliche) Reinheit und Makellosigkeit gekrönt waren. Andere wieder zeigten sich, um nicht wegen ihres tugendhaften Lebenswandels gerühmt zu werden, den sie insgeheim führten, in der Gestalt Blödsinniger, gesalzen mit dem Salz Gottes, und fest in ihrer Stille, so daß sie in ihrer äußersten Vollkommenheit die heiligen Engel als Verkünder ihres Lobes hatten. Du aber vermeinst, Demut zu besitzen. Andere haben sich selbst beschuldigt, du aber erträgst es nicht, von anderen beschuldigt zu werden, und glaubst von weiser Demut zu sein. Wenn du aber erfahren willst, ob du von weiser Demut bist, dann prüfe dich an dem Gesagten, ob du nicht in Verwirrung gerätst, wenn du beleidigt und beschuldigt wirst. Viele väterliche Wohnungen nennt der Erlöser die Maße des Verständnisses derjenigen, die in jenem Lande wohnen sollen, ich meine aber ihre Beurteilungen und die Unterschiede, in welchen sie sich zu erquicken verstehen. Denn nicht den Unterschied der Orte noch den Grad der Begabungen hat Er mit den vielen Wohnungen genannt. | 301v Denn so wie jeder die sinnlich wahrnehmbare Sonne entsprechend der Reinheit seiner Sehkraft und Aufnahmefähigkeit genießt und so wie auch dann, wenn in einem Hause ein Leuchter leuchtet, der Glanz des Lichtes für jeden verschieden ist, obwohl es nicht in viele Strahlen aufgeteilt werden kann, so werden auch in der künftigen Welt alle Gerechten ungeteilt in dem einen Land ihre Wohnung erhalten, ein jeder aber wird nach seinem Maß von der einen geistigen Sonne erleuchtet, und entsprechend seiner Würdigkeit bezieht er Wonne und Freude (gleichsam) von der einen Luft und dem einen Ort und Platz und Anblick und Bild. Und niemand sieht das Maß (weder) des Überlegenen noch des Geringeren, damit nicht dem Schauenden die größere Gnade seines Freundes und das geringere eigene Maß Anlaß zu Betrübnis und Kummer werden. Dies möge dort nicht geschehen, wo es weder Kummer noch Seufzen gibt, sondern jeder sich gemäß der ihm verliehenen Gnade freut. Der äußere Anblick aber ist für alle ein und derselbe, und es ist ein (und derselbe) Ort. Und außer diesen beiden Stufen gibt es keine Stufe, die dazwischen liegt. || 302r Ich meine aber die oben und die unten, zwischen ihnen aber ist der Unterschied der Verschiedenheit des Lohnes. Wenn dies wirklich so ist, wie es ja auch wahrhaftig zutrifft, was wäre dann noch törichter oder unsinniger als das Gerede derjenigen, die da sagen: Es genügt mir, der Hölle zu entgehen, ob ich aber in das Himmelreich eingehe, kümmert mich nicht. Wo doch der Hölle zu entgehen dasselbe ist, wie in das Himmelreich einzugehen, aus diesem aber zu stürzen (bedeutet), in die Hölle einzugehen. Denn die Heili-
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ge Schrift hat uns nicht gelehrt, daß es drei Orte gebe, sondern daß, wenn der Menschensohn in Seiner Herrlichkeit kommt, Er die Schafe zu Seiner Rechten, die Böcke aber zu Seiner Linken stellen wird [Mt. 25,31,33]. Sie hat aber nicht drei Ränge genannt, sondern einen zur Rechten und einen zur Linken. Und Er scheidet die Grenzen ihrer Wohnungen und sagt, daß diese deutlich als Sünder in die ewige Pein eingehen [Mt 25,46], die Gerechten aber werden wie die Sonne leuchten [Mt 13,43], und weiter (heißt es): Vom Sonnenaufgang und vom Sonnenuntergang werden sie kommen und im Schoße Abrahams liegen im neuen Reiche, die Söhne des Reiches aber werden hinausgejagt in die äußere Finsternis, wo Weinen und Zähneknirschen | 302v (herrschen) [Mt 8,11-12], was schrecklicher ist als jegliches Feuer. Hast du aus diesem etwa nicht verstanden, daß der entgegengesetzte Zustand zu der oberen Stufe die peinigende Hölle ist? Es ist gut, die Menschen das Gute zu lehren und sie zur Beständigkeit der Vorsehung Gottes hinzuführen, vom Trug zur Erkenntnis der Wahrheit. Denn dies war die Art und Weise des Handelns von Christus und den Aposteln, und sie steht sehr hoch. Wenn aber ein Mensch durch solchen Lebenswandel und den häufigen Umgang (mit anderen Menschen) in sich spürt, wie sein Gewissen beim Anblick der Wirklichkeit schwach wird und seine Ruhe aufgestört und seine Erkenntnis getrübt wird, weil auch sein Geist noch des Schutzes und seine Sinne noch der Unterwerfung bedürfen, und er, während er andere heilen will, seine eigene Gesundheit untergräbt und von der Freiheit seines Willens in den Aufruhr des Geistes gerät, dann möge ein solcher Mensch sich an das Wort des Apostels erinnern, der da lehrte: Die Vollkommensten aber brauchen kräftige Speise [Hebr 5,14], damit er nicht umkehre und zu hören bekomme, wie es im Gleichnis heißt: Arzt heile dich selbst [Lk 4,23]. Möge er sich selber tadeln || 303r und seine Gesundheit schützen und anstelle seiner sinnlich wahrnehmbaren Worte möge sein edler Lebenswandel wirken und anstelle der Laute aus seinem Munde möge sein Handeln belehren. Und wenn er erkennt, daß seine Seele im Zustand der Gesundheit ist, dann möge er den anderen nützlich sein und diese heilen. Denn wenn er sich (weiter) weg von den Menschen befindet, kann er mehr Gutes für sie bewirken durch den Eifer in guten Werken als durch Worte, während er selber krank ist und mehr als sie (die anderen Menschen) der Heilung bedarf. Denn es heißt: Wenn ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in die Grube fallen [Mt 15,14]. Die kräftige Speise ist für die Gesunden, die geübte Sinne besitzen und jede Nahrung aufnehmen können, ich meine die Anfechtungen zu allen Sinnen, und die dank der erlernten Übung in der Vervollkommnung durch keinerlei Begegnungen in ihrem Herzen Schaden nehmen können. Wenn der Teufel den Geist solcher Menschen durch die Erinnerung an Unkeusches
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beschmutzen will, dann versucht er deren Geist zunächst durch den Hang zur Ruhmsucht, und der erste Anfang solchen Denkens wird nicht für Leidenschaft gehalten. So verfährt er gewöhnlich | 303v mit denjenigen, die für ihren Verstand auf der Hut sind. Ihnen kann man keinen ungebührlichen Gedanken eingeben. Wenn er ihn (den Menschen) jedoch heraustreibt aus seiner Festung und dieser zu dem ersteren Gedanken Überlegungen anzustellen beginnt und er ihn (den Menschen) von dort (seiner Festung) entfernt hat, dann läßt er ihn einer Sache der Unzucht begegnen und verdirbt den Geist durch sündige Dinge. Und zunächst ist er verwirrt von der plötzlichen Anfechtung wegen der zuvor geübten Keuschheit derselben, das heißt der Gedanken, die Dingen begegnet ist, von deren Anblick der Steuermann, der Geist, ausgeschlossen war. Und wenn er auch nicht endgültig besudelt wird, so zieht er (der Teufel) ihn (den Menschen) doch von seiner früheren Würde herunter. Wenn er jedoch zurückweicht und zuvor (schon) die erste Anfechtung des Gedankens abweist, das heißt die Ruhmsucht, die die Ursache des Angriffs der zweiten Überlegungen ist, dann kann er leicht mit Gott(es Hilfe) die Leidenschaft besiegen. Es ist leichter, durch die Besinnung auf die Tugenden der Leidenschaft zu entkommen, als durch Widerstand und Widerrede, weil die Leidenschaften, wenn sie ihren Ort verlassen || 304r und zum Kampf antreten, im Geist ihre Bilder und Götzen verankern. Dieser Kampf verfügt aber über eine große Macht im Geist, weil er die Gedanken in große Verwirrung stürzt. Von dieser Verwirrung aber verbleibt bei der ersten Anfechtung, von der wir sprachen, im Geist keine Spur der Leidenschaften nach deren Vertreibung zurück. Körperliche Anstrengung und die Lehre der gotterfüllten Schriften erhalten die Reinheit. Hoffnung und Furcht unterstützen die Anstrengung. Reichliches Gebet und Entfernung von den Menschen erzeugen im Geist Furcht und Hoffnung. Denn bis der Mensch den Tröster aufnimmt, bedarf er der gotterfüllten Schriften, damit es zur Besinnung auf das Gute in seinem Herzen komme und sich in ihm durch das häufige Lesen der Antrieb zum Guten erneuere und er seine Seele vor den feinen Verlockungen des Pfades der Sünde bewahre, weil er noch nicht die Kraft des Geistes erlangt hat, welche die Verlockung fernhält, die das der Seele dienliche Erinnern gefangenhält und durch die Zerstreuung des Verstandes zur Lauheit führt. Wenn aber die Kraft des Geistes Einzug hält | 304v in die Kraft der Seele, die in diesen (den Menschen) wirkt, dann schlagen anstelle des Gesetzes der Schrift im Herzen die Gebote des Geistes Wurzeln, und es bedarf nicht mehr der Hilfe der sinnlich wahrnehmbaren Materie. Denn was das Herz auch anhand der Materie lernt, so folgen doch auf die Belehrung die Verlockung und das Vergessen. Wenn aber die Belehrung durch den Geist erfolgt, dann bleibt die Erinnerung (daran) unversehrt erhal-
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ten. Es gibt gute und böse Gedanken und ebenso gute Absichten und böse. Die erste Stufe aber ist die Bewegung, die im Geist erfolgt, vergleichbar dem Wind, der sich auf dem Meer erhebt und die Wellen aufwühlt. Die zweite Stufe ist die Festigkeit und das Fundament. Und nach der Ausrichtung der Festigkeit erfolgt der Lohn für das Gute und das Böse und nicht nach der Bewegung der Gedanken. Die Seele kommt infolge der Bewegung der unbeständigen Gedanken nicht zur Ruhe. Wenn du einem jeden von ihnen einen Lohn zuerkennst, auch wenn er innen im Herzen kein Fundament hat, bist du nahe daran, zehntausendmal an jedem Tag dein Gutes und das Entgegengesetzte auszutauschen. || 305r Wie ein flügelloser Nestling ist der Geist, der durch Reue frisch herausgetreten ist aus den Verstrickungen der Leidenschaften und während des Gebetes danach strebt, sich über die irdischen Dinge zu erheben, und es doch nicht kann, sondern sich noch über das Antlitz der Erde schleppt und noch nicht aufzufliegen vermag. Doch sammelt er seine Gedanken durch Lesen und Handeln in der Furcht und in der Bemühung um die verschiedenen Tugenden. Denn ohne dies kann er nichts begreifen. Und diese bewahren seinen Geist nun für kurze Zeit unbeschmutzt und ohne Verwirrung. Später aber überfallen ihn die Erinnerungen, und sie verwirren und beschmutzen sein Herz, denn er hat noch nicht die stille Luft der Freiheit empfunden, zu der er durch das Vergessen der (irdischen) Dinge und (erst) nach langer Zeit seinen Geist sammeln kann, weil er noch die leiblichen Flügel hat, ich meine die (Schwingen) der Tugenden, die sichtbar geübt werden. Die kontemplativen Tugenden aber hat er weder gesehen, noch ist er sie zu empfinden gewürdigt worden. Denn sie sind die Flügel des Geistes, auf denen er sich den himmlischen Dingen nähert und sich vom Irdischen entfernt. Solange | 305v jemand Gott durch sinnlich wahrnehmbare Dinge dient, prägen sich die Bilder derselben auch seinem Denken ein, und in körperlichen Bildern stellt er sich das Göttliche vor. Sobald er aber ein Gespür für die im Inneren vorhandenen Dinge empfängt, wird auch entsprechend dem Maß seines Gespürs sein Geist allmählich über den Bildern der Dinge stehen. Die Augen des Herrn sind auf die Demütigen im Herzen (gerichtet), und Seine Ohren sind ihren Gebeten (geöffnet) [Ps 34,16]. Das Gebet des Demütigen geht gleichsam aus dem Mund zum Ohr. Herr, Du mein Gott, Du erleuchtest meine Finsternis [Ps 18,29], rufe aus in der Zeit deiner Zurückgezogenheit bei den guten Werken der Demut. Wenn deine Seele sich dem (Augenblick) nähert, aus der Finsternis herauszutreten, dann sei dir dies ein Zeichen: Dein Herz brennt und wird (immer heftiger) entfacht Tag und Nacht wie ein Feuer, so daß du meinst, die ganze Welt sei Abfall und Asche, und es gibt nicht (mehr) die Wonne des Verlangens nach Speise ob der Wonne der neuen Gedanken, die in dir brennen und unentwegt
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in deiner Seele aufgewühlt werden. Und plötzlich wird dir eine Quelle der Tränen erschlossen, die überquillt wie Bäche und ungezwungen sich allen deinen Werken beimischt, || 306r ich meine, beim Lesen und bei deinem Gebet, beim Nachsinnen und während du Speise und Trank zu dir nimmst, und bei jeglichem Tun von dir finden sich Tränen darinnen aufgelöst. Wenn du dieses siehst, dann sei guten Mutes in deiner Seele, denn du hast das Meer durchschwommen, und sei so um eine Vermehrung in deinen Werken bemüht, und du wirst deinen Schutz gut bewahren, damit sich dir die Gnade Tag um Tag vermehre. Solange dir dieses nicht begegnet, hast du deinen Weg noch nicht vollendet, um auf den Berg Gottes zu gelangen. Wenn, nachdem du die Gabe der Tränen gefunden und empfangen hast, diese versiegen und deine Inbrunst ohne Veränderung in irgendeiner anderen Sache erkaltet, das heißt ohne körperliche Schwäche, dann wehe dir, was du verloren hast, denn du bist entweder dünkelhaft geworden oder nachlässig und schwach. Was aber auf die Tränen folgt, nachdem man sie (die Gabe) empfangen hat, und was danach begegnet, darüber wollen wir später an anderer Stelle schreiben, in den Kapiteln über die Vorsehung, wie wir durch die Schriften und die Väter erleuchtet wurden, | 306v denen solche Geheimnisse anvertraut worden sind. Wenn du kein Tun (vorzuweisen) hast, dann sprich nicht über die Tugend. Kostbar sind vor dem Herrn Sorgen um Ihn und um Seinetwillen weit mehr als jegliches Gebet und Opfer und der Geruch von deren Schweiß weit mehr als alle Wohlgerüche. Jegliche Tugend ohne körperliche Anstrengung betrachte als eine seelenlose Fehlgeburt. Die dargebrachten Gaben der Gerechten sind die Tränen ihrer Augen, und ihr (bei Gott) wohlgefälliges Opfer sind ihre Seufzer während des nächtlichen Wachens. Die Gerechten rufen zum Herrn, gedrückt durch die Last und Bedrängnis des Leibes, und unter Schmerzen stoßen sie ihre Gebete aus, und auf die Klage ihrer Stimme kommen die heiligen Ränge (Scharen der Engel) ihnen zu Hilfe, um sie durch die Hoffnung zu ermutigen und zu trösten, denn die Engel sind durch ihr Kommen Gefährten in den Leiden und Bedrängnissen der Heiligen. Gutes Handeln und Demut machen den Menschen zu einem Gott auf Erden. Glaube und Barmherzigkeit lassen ihn der Reinheit nahekommen. Eifer und Zerknirschung können nicht so bald in einer Seele sein, so wie es in der Trunkenheit keine Zügelung der Gedanken gibt. || 307r Denn wenn der Seele Eifer gegeben wird, wird ihr die Zerknirschung des Klagens genommen. Denn der Wein wurde zum Genuß, der Eifer aber zur Freude der Seele geschenkt. Jener erwärmt den Leib, das Wort Gottes aber den Geist. Diejenigen, die von inbrünstigem Eifer ergriffen sind, werden durch das Betrachten ihrer Hoffnung in ihrem Geiste hingerissen zu der künftigen Welt. Denn so wie die vom Wein Berauschten irgendwelche ver-
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änderlichen Götzenbilder im Traum erblicken, so kennen die von der Hoffnung Berauschten und Entfachten weder Leid noch irgendwelche irdischen Dinge. Dieses und noch manches andere widerfährt denjenigen, die aufrecht im Herzen und eifrig in der Hoffnung sind, für ihr emsiges Tun und ihre Reinheit, was (nämlich) jenen bereitet ist, die auf dem rechten Pfade wandeln, davon werden sie zu Beginn auf dem Wege des Glaubens ihrer Seele kosten, denn der Herr schafft alles, soviel Er will. Selig sind jene, die ihre Lenden gegürtet haben für die Kümmernisse der Welt in Einfalt und ohne nachzudenken aus Liebe zu Gott und ohne den Rücken zu kehren (zu fliehen), denn sie werden bald zur Zuflucht des Himmelreiches | 307v gelangen und gerettet werden, und sie werden in den Wohnungen derjenigen wohnen, die sich redlich gemüht haben, und sie werden ausruhen von ihren Leiden und sich freuen in der Freude ihrer Hoffnung. Diejenigen, die sich um der Hoffnung willen auf den rauhen Pfad begeben, kehren weder um, noch mühen sie sich, darüber nachzudenken. Doch wenn sie das Meer durchschwommen haben, bringen sie Gott, auf die Unebenheit des Weges blikkend, ihren Dank dar, weil Er sie gerettet und vor den Nöten und steilen Abhängen und solchen Härten, wie sie sie nicht gekannt hatten, bewahrt hat. Diejenigen aber, die viele Überlegungen anstellen und sehr klug sein wollen und sich dem Hinundherüberlegen hingeben und ihrer Furcht, die sich vorbereiten und die schädlichen Gründe voraussehen wollen, von denen wird man die meisten stets vor den Toren ihres Hauses sitzend finden. Der auf den Weg geschickte Faule sagt: Ein Löwe ist auf dem Weg und ein Mörder auf der Straße [Spr 22,13], so wie auch jene, die sagten: Wir haben die Söhne der Riesen gesehen und sind vor ihnen geflohen wie Heuschrecken [Num 4,13,34]. Diese || 308r sind es, die an ihrem (Lebens-)Ende noch auf dem Wege sind, die stets sehr weise sein wollen, aber keineswegs auch nur einen Anfang machen wollen. Der Einfältige aber steigt ins Wasser und schwimmt im ersten Eifer (los), ohne sich um seinen Leib auch nur zu sorgen und ohne bei sich darüber nachzudenken, ob etwas herauskommen wird oder nicht bei diesem Unternehmen. Möge dir nicht (allzu) viel Klugheit zum Ausgleiten für deine Seele und zu einem Netz vor deinem Angesicht werden, sondern mache in der Hoffnung auf Gott mannhaft einen Anfang für den blutreichen Weg, damit du nicht ewig bedürftig und bar seiest der Erkenntnis Gottes, denn der Furchtsame wird niemals säen, wo Wind ist [Koh 11,4]. Besser ist der Tod für Gott als ein Leben in Schande und Trägheit. Wenn du einen Anfang machen willst mit dem Werk Gottes, dann setze als erstes ein Testament auf wie jemand, dem schon kein(e) Leben(szeit) mehr dazu verbleibt in diesem Leben, und so wie jemand, der sich auf den Tod vorbereitet hat und keine Hoffnung hat in dem gegenwärtigen Leben, als habest du die
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Grenze deiner Zeit erreicht. Und habe dies wahrhaftig in deinem Sinn, damit du nicht gehindert werdest in der Hoffnung | 308v auf das andere Leben, zu dem du gelangen und das du gewinnen willst, durch die Hoffnung auf dieses Leben hier, die dein Denken und deinen Sinn schwächt. Deshalb räume, ohne überklug zu sein, dem Glauben einen Platz in deinem Sinnen ein. Und gedenke der Tage nach deinem Tode, so wird dich niemals Schwäche überfallen, und der unerforschlichen Zeiten, nachdem du hier abgetreten bist, und des künftigen Gerichts, wie es der Weise gesagt hat, daß Tausend Jahre dieser Zeit nicht einem Tag gleich sind in der Zeit der Gerechten. Mannhaft beginne jedes gottgefällige Werk, und gehe nicht mit Doppelherzigkeit heran, und zweifle nicht in deinem Herzen, daß Gott barmherzig ist und denen, die Ihn suchen, dies vergilt, indem Er ihnen Seine Gnade nicht nach unserem Tun erweist, sondern nach dem Eifer und dem Glauben || 309r unserer Seelen. Denn es heißt: Dir geschehe, wie du geglaubt hast [Mt 8,13]. Die Unterschiede der Tugenden sind folgende: Dieser schlägt sein Haupt den ganzen Tag (lang gegen den Boden) und anstelle der Versammlung (zum gemeinsamen Gottesdienst) und der Gebetshoren verrichtet er dies. Ein anderer verbindet das Ausharren auf den Knien mit der (Viel-)Zahl seiner Gebete. Ein anderer setzt die Menge seiner Tränen an die Stelle seiner Versammlungen (zum gemeinsamen Gottesdienst) und gibt sich mit diesen zufrieden. Ein anderer vertieft sich in seine Gedanken und verbindet damit die für ihn aufgestellte Regel. Ein anderer peinigt seine Seele durch Hungern, so daß er keine Kraft hat, seinen Versammlungen (zum Gottesdienst) nachzukommen. Und ein anderer, der voller Eifer die Psalmen studiert, begeht auf diese Weise seinen reichlichen (Gottes)Dienst. Ein anderer beschäftigt sich mit dem Lesen, und sein Herz wird ihm warm davon. Ein anderer läßt sich gefangennehmen von der Betrachtung der Gedanken Gottes in den Schriften. Ein anderer, voll des Staunens über die Wunder der Verse, enthält sich, vom Schweigen ergriffen, | 309v der gewöhnlichen Übung. Und ein anderer, der dies alles erfahren hat und gesättigt und zurückgekehrt ist, verharrte untätig. Und ein anderer, der wenig davon genossen hat und hochmütig geworden ist, hat sich verführen lassen. Ein anderer wurde von seiner schweren Krankheit und seiner Schwäche davon abgehalten, seine Regel einzuhalten, ein anderer, weil er von einer Gewohnheit, irgendeinem Verlangen beherrscht war oder von Herrschsucht oder Ruhmsucht oder Habsucht oder um Besitz zu sammeln, und ein anderer hatte Erfolg, und er stand auf und wandte nicht seinen Rücken, bis er die kostbare Perle erhalten hatte. Du aber sei stets bereit, mit Freude und Eifer das Werk Gottes in Angriff zu nehmen. Wenn du rein bist von Leidenschaften und dem Zweifel des Herzens, dann führt Gott selbst dich auf den Gipfel und steht dir bei und gibt dir Weisheit
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ein, und auf wunderbare Weise empfängst du die Vollendung nach Seinem Wohlgefallen, Dem da Ruhm und Macht gebührt mit dem Vater und dem Heiligen Geist nun und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen. Rede 59 (309v – 311v) Über die Ordnung der mönchischen Lebensweise in knapper Fassung || 310r und die Unterschiede, wie und auf welche Weise die Tugenden eine aus der anderen hervorgehen Aus dem erzwungenen Tun entsteht eine unermeßliche Inbrunst, die im Herzen von den neuen Gedanken entfacht wird, die neu Eingang in das Denken finden. Dieses Tun und die Wachsamkeit verfeinern den Geist durch ihre Inbrunst und verleihen ihm (die Fähigkeit zu) sehen, und dieses Sehen bringt die inbrünstigen Gedanken, von denen wir zuvor gesprochen haben, tief drinnen in der Schau der Seele hervor, die geistige Schau genannt wird, und diese geistige Schau erzeugt Inbrunst, und von dieser Inbrunst, die von der Gnade der geistigen Schau herkommt, wird der Tränenfluß erzeugt, zunächst nur ein kleiner Teil, das heißt an einem Tag kommen sie dem Menschen mehrmals, und dann versiegen sie wieder, und von da an kommt der unaufhörliche Tränenstrom, und die Seele empfängt Beruhigung ihrer Gedanken, und durch die Beruhigung der Gedanken erhebt sie sich zur Reinheit des Geistes. Und dank der Reinheit des Geistes kommt es, daß sie die Geheimnisse schaut, weil die Reinheit | 310v im Frieden frei von Kämpfen verborgen ist. Danach aber gelangt der Geist zu den Offenbarungen und Zeichen wie der Prophet Ezechiel, die drei Stufen darstellen, auf denen sich die Seele Gott nähert. Anfang von diesem allen ist ein guter Vorsatz vor Gott und die unwandelbaren Arten von Werken des Lebens im Schweigen. Diese gehen aus einer großen Trennung und Entfernung von allen irdischen Dingen hervor. Es ist aber nicht so notwendig, von jeder Art dieser Werke zu reden, denn sie sind allen bekannt. Da es dennoch kein Schaden ist, sie darzulegen, und, wie ich meine, sie zu lesen eher Nutzen bringt, sollte man nicht zu träge sein, auch sie darzustellen, die da sind: Fasten und Lesen, nüchternes Wachen die ganze Nacht hindurch nach Maßgabe der Kräfte eines jeden und die Vielzahl der tiefen Verneigungen, die man sowohl in den Tagesstunden wie auch nachts reichlich vollziehen muß. Es mögen wenigstens 30 tiefe Verneigungen auf einmal sein, danach muß man sich vor dem verehrungswürdigen und lebenspendenden Kreuz verneigen, dann (kann man) gehen. Und es gibt einige, die, entsprechend ihrer Kraft, sich an dieses Maß halten. || 311r Andere aber bringen drei Stunden in einem Gebet zu, nüchternen Geistes, zu Boden geworfen, ohne Nötigung (dazu) und (ohne) Abirren der Gedanken. Und diese beiden Arten offenbaren und zeigen die Menge und
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den Reichtum der Gnade, die einem jeden Menschen nach seiner Befähigung zuteil wird. Was eine andere Art des Gebetes und das Verharren in diesem frei von Zwang (betrifft), so habe ich es für richtig gehalten, dies nicht bekannt zu machen, weder durch Worte der Zunge noch durch Aufzeichnungen diese Stufe darzustellen, damit nicht, der dies liest, nachdem er festgestellt hat, daß er nichts verstanden hat von dem, was er liest, auf den Gedanken kommt, daß das Geschriebene unvernünftig sei, oder daß er, wenn er feststellt, daß er dies versteht, denjenigen verachten wird, der nicht die Ordnung dieser Dinge begreift. Denn von diesem kommt ein Vorwurf, von jenem aber Gelächter, und ich werde als Barbar befunden in solchen Dingen nach dem Wort des Apostels, das er zu denjenigen sagte, die da prophezeien wollen [1 Kor 14,11]. Wer dies aber lernen will, der möge den zuvor beschriebenen Weg gehen, und folgerecht das Sinngemäße tun. Und wenn er | 311v dahin gelangt ist, möge er von selbst lernen und keinen anderen bitten, daß er ihn alles lehre. Denn es heißt: Sitze in deiner Zelle, sie wird dich alles lehren. Rede 60 (311v – 320r) Über die unterschiedlichen Arten des Kampfes, den der Teufel gegen diejenigen führt, die auf dem engen Pfad schreiten, der über der Welt steht Der Teufel, unser Widersacher, hat die uralte Gewohnheit, gegen diejenigen, welche zu dieser großen Tat aufbrechen, listig seine Kampfweisen zu unterscheiden (und) je nach der Art ihrer Waffen und entsprechend der Wachsamkeit der Personen die Art seiner Anstrengungen zu ändern. Und die er da träge vorfindet in ihrem Wollen und kraftlos in ihren Vorhaben, die bekämpft er heftig von allem Anfang an, indem er schwere Versuchungen gegen sie aufbaut, so daß er sie vom Beginn ihres Weges an die Arten seiner Arglist erfahren läßt, damit sie von ihrer ersten Anstrengung an Furcht umfängt und ihnen ihr Weg hart und schwer zu gehen scheint und sie sagen, wenn (schon) der Anfang so schwierig und hart ist, wer kann dann die vielen Anstrengungen bestehen, die auf der Mitte || 312r desselben bereitet sind. Und von da an können sie unter dem Druck der dadurch bedingten Sorgen nicht wieder aufstehen oder vorankommen, noch nach irgendetwas anderem ausblicken. Und langsam verstärkt der Teufel seinen Kampf gegen sie, damit sie sich auf diese Weise wahrhaftig fürchten und zurückweichen. Ja mehr noch, Gott ist es, Der ihm gewährt, Macht über sie zu gewinnen, und Der ihnen mit nichts zu Hilfe kommt, weil sie in Unentschlossenheit und Kälte die Bemühung um den Herrn unternommen haben. Denn es heißt, verflucht sei ein jeder, der das Werk des Herrn nachlässig tut und seinen Arm vor dem Blute bewahrt [Jer 48,10], und wiederum: Der Herr ist denen
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nahe, die Ihn fürchten [Ps 85,10]. Ohne Furcht und Kälte dem Teufel entgegenzutreten befiehlt Gott, indem Er spricht: Beginne also, ihn zu vernichten, und richte dich aus zum Kampf gegen ihn, und kämpfe mannhaft mit ihm, und Ich werde beginnen, Furcht vor dir auf alle deine Feinde unter dem Himmel zu legen [Dtn 11,25]. Denn wenn du nicht aus (freiem) Willen den Tod der Sinne um der göttlichen Gnade willen stirbst, wirst du unfreiwillig weg von Gott sterben. Was aber dein Los ist, | 312v das halte nicht für eine Last, um Seinetwillen kurzfristig Leiden auf dich zu nehmen und in (Seinen) Ruhm einzugehen. Denn wenn du in deinem Bemühen um den Herrn in deinem Leibe stirbst, wird dieser, dein Herr, dich krönen und deinen ehrwürdigen Märtyrergebeinen Ehre erweisen. Deshalb werden, wie wir oben sagten, diejenigen, welche von Beginn an nachlässig und schwach waren und sich nicht abverlangten, sich dem Tod zu übergeben, von da an in allen Kämpfen als schwächer und untauglich befunden werden. Ja mehr noch, Gott läßt zu, daß sie verfolgt und bekämpft werden, denn sie haben Ihn nicht wahrhaftig gesucht, vielmehr versuchten sie gleichsam probeweise und spöttelnd das Werk Gottes zu vollbringen. Deshalb hat dieser Teufel sie von Anfang an verfolgt und hat an ihren Gedanken geprüft, welcher Art sie sind, das heißt furchtsam und auf sich selbst bedacht und vor allem ihre Leiber schonend. Und deshalb jagt er sie wie ein Sturm, weil er die geistige Kraft, die er in den Heiligen zu sehen gewohnt ist, in ihnen nicht erblickt. Denn entsprechend dem Verlangen des Menschen nach Gott und seinem Vorsatz zur Wachsamkeit um Seinetwillen || 313r steht auch Gott ihm bei und hilft ihm und zeigt ihm Seine Obhut. Denn der Teufel kann sich dem Menschen nicht nähern oder ihn in Versuchung führen, außer wenn er nachlässig ist oder Gott ihm dies gestattet, oder wenn er (der Mensch) sich selber lähmt durch listige Gedanken aus Überheblichkeit oder durch einen ungehörigen Gedanken und Zweifel und Doppelherzigkeit. Solche erbittet sich der Teufel zur Versuchung. Die neu in den Mönchsstand Aufgenommenen und die Einfachen und die Unerfahrenen erbittet er sich nicht von Gott, sowie die großen Heiligen, um sie zu versuchen, weil er weiß, daß Gott nicht zuläßt, daß sie in seine Hände fallen. Denn er weiß, daß sie nicht für die Versuchungen des Teufels taugen, außer wenn sie eine der zuvor von uns genannten Ursachen aufgreifen. Dann zieht sich die Kraft der göttlichen Obhut von ihnen zurück. Die zweite Kampfweise des Feindes Denjenigen, die der Teufel mannhaft und stark sieht und denen ihr Tod nichts bedeutet und die mit großem Eifer ausgezogen sind | 313v und sich jeder Prüfung und Kampf und Tod ausgeliefert haben und das Leben der Welt und den Leib und jede Prüfung verachten, denen tritt der Teufel weder
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plötzlich gegenüber, noch zeigt er sich ihnen wie gewöhnlich. Sondern er verbirgt sich und gibt ihnen Raum, und er begegnet ihnen nicht in ihrem ersten Bestreben, und er rüstet sich nicht für den Kampf mit ihnen. Denn er weiß, daß jeder Anfang eines Kampfes hitziger ist, und er weiß, daß der Asket über großen Eifer verfügt, und eifrige Kämpfer lassen sich nicht leicht besiegen. Aber nicht als ob er die Kämpfer fürchte, tut der Teufel das, sondern wegen der (sie) umgebenden wahren göttlichen Kraft fürchtet er sich. Denn in demselben Maße, in dem er diese sieht, wagt er sie nicht anzurühren, bis er sieht, daß sie in ihrem Eifer erkalten und die Waffen ablegen, die sie sich in ihren Gedanken bereitet hatten, durch die Abänderung der göttlichen Worte und der Erinnerungen, die ihnen eine Hilfe waren. Und er merkt auf in der Zeit ihrer Trägheit und wenn || 314r sie sich geringfügig von ihren ursprünglichen Gedanken abwenden und von sich aus aufzufinden beginnen, was durch die Schmeichelei der Klügeleien, die in ihnen sprudeln, zu ihrer Niederlage führt, und sie selbst durch das Umherschweifen der Gedanken, das von ihrem Müßiggang kommt, den Graben des Verderbens für ihre Seelen ausheben. Von ihnen aber (den umherschweifenden Gedanken) hat die Kälte die Herrschaft in ihnen, das heißt in ihren Gedanken und Herzen, übernommen. Und dies tut der Teufel nicht aus freiem Willen, wenn er sich des Kampfes mit ihnen enthält oder sie gleichsam schont oder sich ihrer schämt oder weil er sie für unwichtig hielte, sondern weil er meint, daß eine Kraft diejenigen umgibt, die, von heißer Inbrunst zum Herrn entfacht und noch kindlich daherkommend, festen Sinnes sich (der Welt) versagen und auf Gott ihre Hoffnung setzen und glauben und nicht begreifen, gegen wen sie kämpfen. Deshalb hält Gott die Bosheit der Hinterlist von ihnen fern, damit sie sich ihnen nicht nähern kann. Denn der Feind wird schwach, wenn er ihren Behüter erblickt. Denn wenn sie den Grund dieser Hilfe nicht von sich wegstoßen, als da sind | 314v Beten, Mühen und Demut, wird ihr Beschützer und Helfer niemals von ihnen weichen. Sieh dies, und schreib es auf in deinem Herzen, daß Wollust und der Hang zur Bequemlichkeit die Ursachen für das Gewährenlassen sind. Wenn aber jemand sich dessen standhaft enthält, wird er nie vom Beistand Gottes verlassen werden, und dem Feind wird nicht gestattet werden, ihn zu bedrängen. Und wenn es einmal zugelassen wird, daß er ihm zur Mahnung zusetze, dann folgt ihm die heilige Kraft und stützt ihn, und er fürchtet sich nicht vor den Versuchungen durch die Dämonen, weil sein Denken von Mut erfüllt ist und er sie um ihretwillen (der heiligen Kraft) mißachtet. Denn diese göttliche Kraft belehrt die Menschen, so wie jemand einen Jüngling das Schwimmen lehrt, und wenn er zu versinken beginnt, hebt er ihn empor, weil er auf dem Arm des ihn Lehrenden schwimmt, und wenn er den Mut zu verlieren beginnt, weil er
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untergehen könnte, dann ruft er ihm zu und bekräftigt: Ängstige dich nicht, ich trage dich. Und so wie eine || 315r Mutter ihren kleinen Sohn zu laufen lehrt und sich von ihm entfernt und ihn heranruft, wenn aber dieser, auf sie zulaufend, zu straucheln beginnt wegen der Kindlichkeit seiner Beine und fallen möchte, eilt seine Mutter herbei und trägt ihn auf ihrem Arm. Ebenso trägt die Gnade Gottes jene Menschen und belehrt sie, die rein und (voller) Einfalt sich den Händen ihres Schöpfers überantwortet und von ganzem Herzen der Welt entsagt haben und Ihm nachfolgen. Du aber, o Mensch, der du auf dem Wege Gottes folgst, habe allezeit den Anfang deines Strebens im Sinn und den ursprünglichen Eifer vom Anfang deines Weges und die inbrünstigen Vorhaben, mit denen du aus deinem Hause aufgebrochen bist und dich in das Schlachtheer der Streiter eingereiht hast. Und so prüfe dich jeden Tag, daß nicht die Glut deiner Seele dabei ist zu erkalten im Fehlen einer der Waffen, die du angelegt hast, oder in dem des Eifers, der zuerst in dir entflammt war, das heißt im Anfang deines Bemühens. Und erhebe stets deine Stimme inmitten des Heeres und der Kinder der rechten Seite, das heißt, schärfe und ermutige | 315v deine Gedanken, und zeige den anderen, das heißt der gegnerischen Seite, daß du ein Mann der Mäßigung bist. Und wenn du zu Beginn das dich schreckende Bestreben des Versuchers erblickst, mögest du nicht schwach werden. Vielleicht ist dies für dich von Nutzen. Denn dein Erretter gewährt niemandem grundlos, sich dir zu nähern, es sei denn, daß Er auf Grund eines Planes dies zu deinem Nutzen vorsieht. Aber zeig keine Trägheit im Anfang, damit du nicht als unfähig befunden werdest, den auf dich zukommenden Drangsalen zu widerstehen, nachdem du dich (schon) in geringen Dingen als schwach erwiesen hast. Ich spreche aber von Hunger und Krankheit und wegen der schrecklichen Traumgebilde und anderem (mehr). Mögest du die Obhut Dessen nicht zurückweisen, Der der Urheber deiner Anstrengungen ist, da Er dir doch Hilfe gegen den Gegner gewährt, damit dein Feind dich nicht so vorfinde, wie er es erhofft, sondern bete unentwegt zu Gott, und weine vor Seiner Gnade, und schluchze und mühe dich, bis Er dir Hilfe niedersendet. Denn wenn du einmal deinen Retter in deiner Nähe erblickst, wirst du nicht mehr von dem Feind besiegt werden, || 316r der sich dir entgegenstellt. Dies sind zwei Arten von des Teufels Kampf. Die dritte Art (richtet sich) gegen die Mannhaften Wenn aber nach alledem der Teufel gegen jemanden antreten will und dies diesem gegenüber im Kampf nicht kann, besser noch gegenüber dem, der ihn stärkt und ihm hilft, durch welchen der Mensch sich über ihn (den Feind) erhebt, und er empfängt von ihm (dem Helfer) Stärke und Ausdauer, so daß der grobe und stoffliche Leib den fleischlosen und geistigen besiegt,
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wenn also der Feind die ganze Stärke sieht, die der Mensch von Gott empfangen hat, und daß seine äußeren Empfindungen von den sichtbaren und hörbaren Dingen nicht besiegt werden können und seine Gedanken durch seine (des Feindes) Schmeicheleien und Verführungskünste keine Schwächung erfahren, dann versucht der Arglistige eine Art zu finden, daß der dem Menschen beistehende Engel sich von dem, der seine Hilfe erfährt, entferne, so daß er hilflos dastehe, und (er versucht) in ihm die stolze Meinung anzuregen, daß er glaube, alle Stärke käme aus seiner (eigenen) Kraft und er selbst habe sich diesen Reichtum | 316v erworben und durch seine eigene Kraft habe er sich vor dem gegnerischen Mörder bewahrt. Und manchmal denkt er, durch Zufall den Feind besiegt zu haben, und manchmal wegen der Kraftlosigkeit des Feindes und (ganz) zu schweigen von den anderen Arten und blasphemischen Gedanken, deren bloße Erinnerung die Seele in Schrecken versetzt. Manchmal aber bringt er (der Feind) seine Verlockung in der Gestalt von Offenbarungen Gottes unter die Menschen, und zeigt ihm (dem Menschen) in seinen Träumen Dinge, und dann wieder stellt er (der Feind) sich ihm im Wachen als Engel des Lichtes dar und tut alles, um die Möglichkeit zu erhalten, den Menschen dahin zu bringen, daß er gleichen Sinnes mit ihm werde und ihm in die Hände falle. Wenn aber der weise Mensch seine Gedanken in seiner Festung bewahrt, mehr noch, wenn er die Erinnerung an den, der ihn stützt, behält und mit dem Auge des Herzens zum Himmel aufblickt, damit er nicht die erblickt, die ihm in seinem Inneren diese Dinge (zu)flüstern, dann wird der Feind abermals listig versuchen, andere Arten zu ersinnen. Der Angriff in einer anderen Art des Kampfes Weiter ist ihm nur noch dies geblieben, weil || 317r es der Natur verwandt ist, und deshalb hofft er ganz besonders, dem Menschen darin Verderben zu bereiten. Was ist dies? Dem Menschen in seinen natürlichen Bedürfnissen zuzusetzen. Der Geist des Kämpfers (für den Glauben) wird oft durch den Anblick und die Annäherung von sinnlich wahrnehmbaren Dingen geblendet und leicht in seinem hohen Bestreben besiegt, wenn er ihnen nahe kommt, noch viel mehr aber, wenn sie sich vor ihren (der Kämpfer) Augen befinden. Denn mit Wissen und Erfahrung benutzt der schreckliche Teufel diese List, das heißt, er tut dies höchst gescheit aus Erfahrung mit vielen Kämpfern und Starken, die bei solcherlei zu Fall gekommen sind. Wenn er aber auch nicht wirklich den Menschen zum Tun (des Sündhaften) unterwerfen kann wegen dessen Standhaftigkeit im Schweigen und der Abgeschiedenheit seines Hausens (fern) von den Ursachen und Gründen, so bemüht er sich dennoch, ihren Geist zum Träumen zu bringen und sich Truggebilde in Gestalt der Wahrheit vorzustellen, damit sie wenigstens das Verlangen danach bekä-
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men, indem er sie anstachelt und Regungen in ihnen bewirkt, | 317v um darüber in unreinen Gedanken nachzusinnen und sich darauf einzulassen und schuldig zu sein, so daß ihr Helfer sich von ihnen zurückzieht. Denn er (der Satan) weiß, daß der Sieg des Menschen und seine Niederlage, sein Reichtum und Schutz und alles im Denken des Asketen beschlossen ist und in einem kurzen Wink1 geschieht. Dann braucht nur sein Denken besiegt zu werden, und er wird von jener Höhe zur Erde niedersteigen und in seinem Wollen die Abweichung in jenem Wink zeigen und seine Zustimmung, so wie es vielen Heiligen im Träumen von den Schönheiten der Frauen widerfahren ist. Oftmals überzeugte er diejenigen, die sich der Welt auf eine Entfernung von ein oder zwei Meilen näherten, ihnen diese Frauen in Wirklichkeit zuzuführen. Denjenigen aber, die sich von der Welt fernhalten, zeigt er, weil er sie so nicht fangen kann, in Traumgebilden die Schönheiten der Frau, bald im Schmuck der Gewänder oder im lüsternen Anblick, bald in Gestalt einer nackten Frau. || 318r Um dieser und solcher und jener Dinge willen trug er in der Tat den Sieg davon. Andere wurden in ihren Phantasien wegen der Trägheit ihrer Absichten verspottet, so daß sie in die Tiefen der Verzweiflung gerieten und sich der Welt zuwandten, und sie stürzten aus der himmlischen Hoffnung ihrer Seele. Andere aber, die stärker waren als sie und durch die Gnade erleuchtet, besiegten seine Trugbilder und traten die Genüsse des Leibes mit Füßen, und sie sahen sich erfahren in der Liebe Gottes. Und oft ließ er (der Feind) sie Trugbilder von Gold und kostbaren Dingen sehen und von verborgenen Schätzen träumen. Und es kam vor, daß er ihnen dieses in Wirklichkeit zeigte und sie versuchte, damit er durch diese verschiedenen Trugbilder vielleicht einen von ihnen von seinem Lebensweg abbringen und ihn mit einem seiner Netze und Garne fangen könne. Aber Herr, mein Herr, mögest Du, Der Du unsere Kraftlosigkeit kennst, uns nicht in derlei Versuchungen führen, aus denen kaum die Starken und Erfahrenen bei solchem Streit als Sieger hervorgehen. Und dies alles wird erlaubt, daß der Versucher, der Teufel, mit den Heiligen in Versuchungen kämpft, | 318v damit in solchen Versuchungen die Liebe zu Gott in ihnen geprüft werde, ob sie (nämlich) bei der Entfernung von solchen Dingen und bei ihrem Einsiedlerleben und der Armut Gottliebende sind und in der Gottesliebe ausharren und wahrhaftig Gott lieben. Und wenn sie sich diesen Dingen nähern, daß sie sich um der Liebe Gottes willen bemühen, diese zu mißachten und zu entwerten und nicht von ihnen besiegt zu werden, noch ihre Gottesliebe zu ändern, wenn sie von ihnen verleitet werden sollen. Und so werden sie geprüft, aber nicht nur, daß sie Gott dafür kennt, sondern auch der Teufel 1
Th: νεῦμα n. „Wink“.
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selbst, der da sehr (darauf bedacht ist,) in Versuchung (zu) führen und alle anfallen wollte, wenn er nur könnte, und sie von Gott erbitten und versuchen würde, wie er sich den gerechten Hiob erbat. Und wenn Gott nur ein Geringes gewährt, kommt der Teufel als Versucher so, wie er es will, heran. Und deshalb werden die Wahrhaftigen und fest in der Liebe Gottes Stehenden in Versuchung geführt und ob sie dies alles verachten und für nichts ansehen vor ihren Augen im Vergleich mit der Liebe zu Gott, sich stets zur Demut anhalten und Dem, Der in allem || 319r ihnen zu Hilfe kam und Der die Ursache ihres Sieges ist, Lob erweisen und sich bei ihrem Kampf in Seine Hände gaben mit den an den Herrn gerichteten Worten: Du bist der Starke, o Herr, und Dein ist die große Tat. Kämpfe und sei für uns darin siegreich, o Herr! Dann werden sie geprüft wie das Gold im Schmelzofen. Die Lasterhaften, die durch solche Versuchungen geprüft werden, fallen ab wie Spreu, weil sie ihrem Feind Raum gaben, und sie gehen wegen der Trägheit ihres Sinnes als schuldig hervor, weil sie nicht gewürdigt wurden, jene Kraft zu empfangen, die die Heiligen als eine in ihnen wirkende besaßen. Denn die Kraft, die uns zu Hilfe kommt, ist unbesiegbar. Denn der Herr ist in allem stark und mächtiger als alle und jederzeit Sieger im sterblichen Leib, wenn Er herniedersteigt zum (gemeinsamen) Kampf mit ihnen. Doch wenn sie unterliegen, ist es offensichtlich, daß sie ohne Ihn unterlegen sind. Es sind diejenigen, welche sich aus eigenem Willen wegen ihres Unverstandes Seiner entblößten, weil sie nicht der Kraft gewürdigt wurden, die dem Sieger beisteht. Aber auch ihrer eigenen Kraft, die sie zur Zeit ihrer heftigen Kämpfe gewohnt waren zu besitzen, fühlen sie sich | 319v entleert. Wie aber empfinden1 sie das? Sie sehen ihre Niederlage als etwas Angenehmes in ihren Augen und daß es schwerfällt, die Härte der Auseinandersetzung mit dem Feind zu ertragen, die sie ursprünglich in Reinheit siegreich bestanden, voller Eifer aus dem Streben einer natürlichen Regung, das sie zu jener Zeit besaßen, (und zwar) mit Inbrunst und Schnelligkeit. Und diese finden sie nun nicht in ihrer Seele. Diejenigen aber, die in ihren Anfängen träge und schwach sind, fürchten sich nicht nur vor diesen Anstrengungen und dergleichen, sondern selbst vor dem Rascheln der Blätter eines Baumes erschrecken sie, und sie lassen sich von der geringen Not, die aus dem vom Hunger bestimmten Bedürfnis kommt, verwirren, und von leichter Krankheit lassen sie sich besiegen, und sie sagen sich los und kehren um. Die Wahrhaften aber und Erfahrenen sättigen sich weder von Kräutern und Gemüse, noch nehmen sie, wenn sie sich von den Wurzeln trockener Kräuter ernäh1
K fehlerhaft počivajutъ statt poč‘uvajutъ, so in Hs 1381, dazu oštuštajutъ in Sofia 1023 (A); Th: α ισ άνομαι.
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ren, vor der festgesetzten Stunde irgendetwas zu sich, sondern sie legen sich vor körperlicher Erschöpfung auf den Boden, und ihre Augen blicken stumpf von der gewaltigen Auszehrung des Leibes. Wenn sie aus dieser Not heraus sich dem Zustand nähern, den Körper zu verlassen, dann reichen sie auch so nicht die Hand zur Niederlage || 320r in der Versuchung wegen des ersehnten (Zieles) ihres Wollens. Denn sie wollen sich gern Zwang auferlegen um der Liebe Gottes willen, und sie wollen sich um Tugendhaftigkeit bemühen, statt ein vergängliches Leben mit aller darin enthaltenen Bequemlichkeit zu führen. Und wenn Versuchungen über sie kommen, sind sie noch fröhlicher, weil sie dann durch diese vollkommener werden. Aber nicht einmal in argen Drangsalen, die ihnen widerfahren, zweifeln sie an der Liebe Gottes, sondern bis sie aus dem Leben scheiden sind sie mit inbrünstigem Eifer bemüht, tapfer die Prüfungen zu ertragen, und sie weichen nicht (davor) zurück. Rede 61 (320r – 324r) Kapitel, welches darüber belehrt, was dem Menschen nützlich ist, um sich Gott in seinem Herzen zu nähern, und was die wahre Ursache ist, die ihm verborgen Hilfe bringt, und was wiederum der Grund ist, der Menschen wieder zur Demut führt Selig der Mensch, der seine Schwäche erkennt, weil die Erkenntnis derselben für ihn Begründung und Anfang der Wurzel alles Guten ist. Denn sobald jemand seine Schwäche erkennt und sie wahrhaft empfindet, hält er plötzlich seine Seele zurück | 320v vor der Schwäche, die seine Erkenntnis verdunkelt, und sammelt sich Schätze ein durch Wachsamkeit. Denn niemand kann seine Schwäche empfinden, wenn nicht zugelassen wird, daß er ein wenig geprüft werde, sei es durch das, was den Leib überfällt oder die Seele. Dann beurteilt er seine Schwäche mit Gottes Hilfe, und auf einmal begreift er deren Größe, und wenn er wiederum die Vielzahl seiner Maßnahmen sieht und die Wachsamkeit und die Enthaltsamkeit und den Schutzmantel und das Bollwerk (um) seine Seele, durch die er hofft Hoffnung zu finden, und die sich nicht einstellen wollende Ruhe vor der Furcht, dann mag er verstehen und erkennen, wie die Furcht seines Herzens offenbar werden läßt und zeigt, daß er unbedingt einen anderen braucht, der ihm hilft. Das Herz bezeugt von innen durch die in dieses hineingelegte Angst einen Mangel an etwas und macht (ihn) deutlich, und deshalb kann es nicht die Hoffnung in sich hegen, denn es ist, wie es heißt, die Hilfe Gottes, die da rettet. Wenn aber jemand begreift, dass er der göttlichen Hilfe bedarf, || 321r dann möge er viele Gebete sprechen, und je mehr er sich dessen befleißigt, (desto mehr) gelangt sein Herz zur Ruhe. Denn niemand, der bittend sein
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Verlangen äußert, kann ohne Beruhigung bleiben. Denn Gott verachtet nicht ein zerknirschtes Herz [Ps 51,19]. Solange das Herz nicht demütig wird, kann es auch vom Umherschweifen nicht ablassen. Die Demut aber bringt das Herz zur Sammlung. Denn wenn der Mensch sich demütigt, umfängt ihn auf einmal die Gnade, und dann spürt sein Herz die Hilfe Gottes, und er stellt fest, daß sich in ihm die Kraft der Hoffnung regt. Wenn der Mensch aber spürt, daß die Hilfe Gottes ihm zu Hilfe gekommen ist, wird er plötzlich von Glauben erfüllt, und er versteht von daher, daß das Gebet eine Zufluchtsstätte um Hilfe (zu bekommen) bedeutet und eine Quelle der Rettung und einen Hort der Hoffnung und einen Hafen, der vor dem Toben der Wellen schützt, und ein Licht für diejenigen, die in der Dunkelheit sind, einen Halt für die Kraftlosen und einen Schutz in der Zeit der Prüfungen und eine Hilfe, wenn eine Krankheit sich verschlechtert, und einen rettender Schild im Kampf und einen zugespitzten Pfeil gegen die Feinde und ganz einfach gesagt: Die ganze Fülle | 321v des Guten hält Einzug durch das Gebet, und künftig wird er sich durch das Gebet am Glauben erquicken. Sein Herz aber wird durch die Hoffnung leuchten und verbleibt keineswegs in der früheren Blindheit und bei der einfachen Verkündigung seines Mundes. Sondern wenn er dieses so begreift, dann gewinnt er für sich das Gebet in seiner Seele wie einen (kostbaren) Schatz. Aus großer Freude verwandelt er die Form seines Gebetes in Töne der Dankbarkeit. Und das ist das Wort, das gesagt worden ist von Dem, Der jedem Ding seine Gestalt zugewiesen hat, daß nämlich das Gebet eine Freude ist, die Dankbarkeit emporschickt. Denn dieses Gebet hat Er als eines offenbart, das den Menschen in der Erkenntnis voranbringen soll, das heißt, als ein von Gott gesandtes, weil der Mensch dann nicht unter Mühsal und Not betet wie bei dem sonst verrichteten Gebet, bevor er diese Gnade erspürt, sondern aus der Freude des Herzens und über die Wunder. Und unentwegt quellen aus ihm Regungen der Dankbarkeit hervor unter unsäglichen (vielen) Kniefällen, und von der Vielzahl der (An-)Regungen in seinem Wissen und (Anlässen) des Wunderns und Staunens über die göttliche Gnade erhebt er plötzlich seine Stimme, um (Gottes) Lobgesang anzustimmen und Ihn zu preisen, || 322r und er sendet seinen Dank empor und betet, und in höchster Verwunderung bewegt er seine Zunge. Wer in Wahrheit hier angelangt ist und nicht durch Schwärmerei und viele Zeichen dieser Sache bestimmt hat und viele Unterschiede dank seiner vielfachen Prüfung kennengelernt hat, der weiß, daß das, was ich sage, nicht (der Wahrheit) widerspricht. Und von nun an möge er aufhören, an eitle Dinge zu denken, und er möge Gott anhangen durch ständiges Gebet in Besorgnis und Furcht, irgendwann der Fülle der göttlichen Hilfe beraubt zu werden. All dieses Gute wird vom Menschen durch das Erkennen seiner
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Schwäche hervorgebracht. Denn durch sein anhaltendes Verlangen nach der Hilfe Gottes kommt er Gott nahe, indem er sich inständig dem Gebet widmet. Und in dem Maße, in welchem er sich Gott durch seinen Vorsatz nähert, kommt auch Gott ihm nahe durch Seine Gnadengaben, und Er wird ihm Seine Gnade nicht entziehen wegen seiner großen Demut, weil er so wie eine Witwe vor dem Richter Ihn unentwegt auffordert, ihn vor seinem Gegner zu schützen. Deswegen aber hält der freigiebige Gott auch vor ihm Seine Gnade zurück, damit ihm dies zum Anlaß werde, sich Ihm zu nähern, | 322v und, weil er dessen bedarf, zu Dem hin zu drängen, Der das Nutzbringende (über ihn) ausgießt. Denn einige der Bitten erfüllt Er schnell, diejenigen meine ich, ohne die er sich nicht retten kann, einige werden ihm von Ihm vorenthalten, und in einigen Fällen verjagt und vertreibt Er von ihm die versengende feindliche Kraft, in einigen (Fällen) aber läßt Er zu, daß er versucht werde, damit ihm diese Versuchung zum Anlaß werde, Gott nahe zu kommen, wie wir zuvor schon sagten, damit er belehrt werde und Prüfung erfahre in den Versuchungen. Und das ist, was die Schrift sagt: Gott ließ viele Völker (überleben), vertilgte diese nicht und übergab sie nicht in die Hände von Jesus, dem Sohne Nuns, damit Er durch sie die Söhne Israels belehre und damit die Stämme der Söhne Israels belehrt würden und den Kampf erlernten [Ri 3,1-2]. Denn der Gerechte, der seine Schwäche nicht kennt, hat seine Angelegenheiten auf der Schneide des Schermessers und ist überhaupt nicht zurückgewichen weder vor dem Fall noch vor dem Verderben bringenden Löwen, ich meine aber den Dämon des Stolzes. Und fernerhin mangelt es demjenigen, der seine Schwäche nicht begreift, an Demut, wem aber die Demut fehlt, dem gebricht || 323r es auch an Vollkommenheit. Und wem es daran mangelt, der ist in ständiger Angst, denn seine Stadt war weder auf eisernen Stützen gegründet noch auf kupfernen Pfeilern, ich meine der Demut. Die Demut aber kann der Mensch nicht (anders) erlangen als auf jene Weise, durch welche das Herz in Zerknirschung geriet und der Gedankenstolz entwertet wurde. Deshalb findet der Feind oftmals eine Spur für den Anlaß, den Menschen abzulenken. Denn ohne Demut kann die Aufgabe des Menschen nicht vollendet werden, und keinesfalls wurde seinem Freibrief das Siegel des Geistes aufgedrückt, vielmehr ist er sogar bis heute ein Sklave, und sein Werk ist nicht der Angst enthoben, denn niemand bringt sein Werk ohne Demut voran, und er wird nicht belehrt, es sei denn durch Prüfungen, und ohne Belehrung erlangt niemand Demut. Deshalb (über)läßt der Herr den Heiligen Anlässe zur Demut und Zerknirschung des Herzens und für schmerzliche Gebete. Und oftmals ängstigte Er sie durch die Leidenschaften ihrer Natur und das Ausgleiten über schmutzige und abscheuliche Gedanken und oftmals auch durch Schande und Beleidigungen von den
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Menschen und bisweilen | 323v durch Gebrechen und körperliche Schmerzen und wieder ein andermal durch Armut und Mangel am Notwendigen und bisweilen durch die Qualen eines grausamen Schmerzes und Verlassenheit und offensichtlichen Kampf mit dem Teufel, wodurch Er sie gewöhnlich in Furcht versetzt, bisweilen aber durch verschiedene schreckliche Vorkommnisse. Und dieses alles geschieht, damit er (der Heilige) Anlässe erhalte, um zur Demut zu finden, und damit er nicht in den Schlummer der Trägheit verfalle oder wegen des Zustandes, in dem sich der Asket, wenn er erkrankt ist, befindet, oder wegen der Furcht vor dem Zukünftigen. Weshalb die Prüfungen notwendigerweise für die Menschen nützlich sind. Ich meine dies aber nicht so, daß der Mensch vorsätzlich schwach werden soll durch häßliche Gedanken, damit er durch die Erinnerung an sie eine Ursache zur Demut habe, noch daß er sich bemühen solle, sich auf andere Versuchungen einzulassen, sondern weil er Gutes tun soll und enthaltsam sein zu jeder Zeit und bedenken, daß er ein erschaffenes Geschöpf ist und deshalb leicht stürzen kann. Denn jeder, der erschaffen ist, braucht die Hilfe Gottes zu seinem Schutz, und jeder, || 324r der den Schutz eines anderen braucht, zeigt (darin) seine natürliche Schwäche. Jeder aber, der seine Schwäche (ein)gesehen hat, muß notwendigerweise zur Demut finden, damit er das, was er braucht, auch von Dem, Der es ihm zu geben vermag, erhält. Und wenn er von allem Anfang an von seiner Schwäche gewußt und sie gesehen hätte, wäre er nicht träge geworden, und wäre er nicht träge geworden, wäre er nicht der Mühsal überliefert worden in die Hände derjenigen, die ihn schmähen, um ihn aufzuwecken. Also ziemt es sich für den, der auf dem Wege Gottes wandelt, Ihm für alles zu danken, was ihm widerfährt, und seine Seele zu tadeln und ihr Vorwürfe zu machen und sich bewußt zu machen, daß er nicht fallengelassen worden wäre von Demjenigen, Der für ihn sorgt, (sondern) nur wegen seiner Trägheit, damit er aufwache, oder weil er hochmütig geworden war, und damit er sich dessentwegen nicht betrübe und damit er nicht seinen Platz verlasse und seinen Kampf aufgebe und daß er nicht aufhöre, sich zu tadeln, damit ihm nicht doppelt Schlimmes widerfahre. Denn es gibt keine Ungerechtigkeit von Gott, der die Gerechtigkeit ausgießt (über uns). Da sei Gott davor! Rede 62 (324r – 326v) Von den Worten der gotterfüllten Schrift, | 324v die zur Reue auffordern und über die menschliche Schwäche gesagt worden sind, damit sie (die Men-
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schen) nicht (durch Abfall) vergehen vor dem lebendigen Gott, und daß es (jedoch) nicht rechtens wäre, diese als Anlaß zu sündigen aufzufassen Die Mannhaftigkeit, welche die Väter in den Schriften niederlegten, und die darin seitens der Apostel und Propheten (dargestellte) Kraft zur Reue dürfen wir nicht auffassen als Hilfe zum Sündigen und Zerstören der unüberschreitbaren Grenzen des Herrn, die von den ersten Tagen an durch den Mund aller Heiligen in allen Schriften und Gesetzgebungen zur Hinwegnahme der Sünde durch die Kraft Gottes aufgestellt worden sind. Damit wir die Hoffnung der Reue hätten, ersannen sie (den Ausweg), dem Gefühl die Angst der Verzweiflung zu nehmen, da der Mensch, sobald er in diese geraten ist, furchtlos sündigt. Dies aber hat Gott auf jede erdenkliche Weise verworfen. Die Furcht ist in allen Schriften, und Er hat gezeigt, daß Ihm die Sünde verhaßt ist. Denn auf welche Weise wurde das Geschlecht, das in den Tagen Noahs lebte, in der Sintflut erstickt? War es nicht wegen der Lüsternheit, als sie ob der Schönheit der Töchter Kains sich erregten? Es gab zu jener Zeit weder Geldgier || 325r noch Götzendienst noch Zauberei noch Streit. Weshalb sind die Städte von Sodom durch Feuer verbrannt worden? War es nicht, weil sie ihre Glieder der Lust und Unreinheit überließen, so daß sie diese alle nach ihrem Willen zu allem schlechten und ungebührlichen Tun beherrschten? Sind nicht wegen der Buhlerei eines (einzigen) Menschen in einer einzigen Stunde 25000 Söhne der Erstgeborenen Gottes, Israels, zu Tode gekommen? Weshalb ist von Gott der große Samson verjagt worden, der seit dem Mutterschoß für Gott ausgesondert und geweiht war wie Johannes, der Sohn des Zacharias, der großer Stärke gewürdigt worden war und großer Wunder? War es nicht, weil er seine heiligen Glieder durch die Vereinigung mit der Buhlerin besudelt hatte? Denn aus diesem Grunde hat Gott sich von ihm entfernt und ihn seinen Feinden ausgeliefert. Und ist nicht David, der nach dem Herzen Gottes war und um seiner Tugend willen gewürdigt worden war, daß aus seinem Samen die Verheißung der Väter hervorgehen und daß von ihm aufleuchten solle Christus zur Errettung der ganzen Welt, gequält worden für den Ehebruch mit einer Frau, als er mit seinen Augen | 325v ihre Schönheit erblickte und den Pfeil in seinem Herzen empfing? Deshalb entfachte ihm Gott Streit durch sein Haus, und der aus seinen Lenden Hervorgegangene verjagte ihn, und dies, nachdem er unter vielen Tränen bereut hatte, so daß er sein Lager jede Nacht durchnäßte und Gott ihm durch den Propheten sagen ließ, daß ihm seine Sünde erlassen sei [2 Sam 12,13]. Ich möchte auch an einige vor ihm erinnern. Weshalb kam der Zorn (des Herrn) und der Tod auf das Haus des Priesters Heli, des gerechten Vorstehers, der vierzig Jahre leuchtend (wie ein Vorbild) im Priesterdienst gestanden hatte. War es nicht wegen des Frevels seiner Söhne
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Chophni und Pinchas? Denn nicht er hatte gesündigt, noch hatten sie es, weil er dies wollte, getan, sondern weil er keinen Eifer an den Tag legte, die Rache des Herrn für sie zu fordern. Denn man solle nicht glauben, daß nur an denen, welche alle Tage ihres Lebens in Gesetzlosigkeit verbracht haben, (der Herr) seinen Zorn erweise wegen der unangebrachten Verfehlungen des Betreffenden, sondern an denen, die Ihm nahestehen, an den Priestern und Richtern und denen, die zu befehlen haben, an den Menschen, die Ihm geweiht sind, denen Er die Wunderwirkung des Glaubens gezeigt hat. || 326r Wie Er denn niemals übersieht, wenn Menschen auftreten, die Seine Gebote übertreten, wie bei Ezechiel geschrieben steht: Ich habe zu dem Menschen gesagt, dem Ich aufgetragen hatte, Jerusalem mit dem unsichtbaren Schwert zu zerstören und vor dem Opferaltar zu beginnen, und du sollst nicht den Alten und nicht den Jüngling übergehen. [Ez 9,6]. Damit Er zeige, wie Ihm diejenigen nahe und lieb sind, die in Furcht und Frömmigkeit vor Ihm wandeln und Seinen Willen tun. Heilig vor Gott sind tugendhaftes Handeln und ein reines Gewissen. Die aber die Wege des Herrn schmähen, verjagt Er von seinem Angesicht und entzieht ihnen Seine Gnade. Weshalb wohl traf den Balthasar plötzlich das Urteil, und es traf ihn gleichsam in Gestalt einer Hand? War es nicht, weil er sich an die unberührbaren Gefäße wagte, die Nebukadnezar aus Jerusalem geraubt hatte und aus denen er selbst und seine Kebsweiber tranken? So kommen auch jene, die ihre Glieder für Gott (von der Welt) trennten und (dann) wieder wagen, diese für schändliches Tun zu gebrauchen, durch eine unsichtbare Wunde um. Mögen wir nicht auf diese Weise | 326v in der Hoffnung auf Reue und durch den edlen Mut, die uns durch die gotterfüllten Schriften gegeben worden sind, die Worte Gottes und Seine Drohungen mißachten und Ihn durch die Unbotmäßigkeit unseres Handelns erzürnen und unsere Glieder entweihen, die wir ein für allemal dem Dienst Gottes geweiht haben. Denn so haben wir uns Ihm geweiht wie Elias und Elisäus und die übrigen Heiligen und keuschen Männer, die große Wunder vollbracht haben und von Angesicht zu Angesicht mit Gott redeten, und alle jene, die nach ihnen kamen wie Johannes der Keusche, der heilige Petrus (und) der übrige Chor des neuen Testaments, der Evangelisten und Verkünder, die sich Gott weihten und von Ihm die Geheimnisse empfingen, die einen aus Seinem Mund, die anderen durch Offenbarungen. Und sie waren Mittler zwischen Gott und den Menschen und Verkünder des (Himmel) Reiches auf der bewohnten Welt.
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Rede 63 (326v – 328r) Wodurch die Schönheit des mönchischen Lebenswandels bewahrt wird und über die (rechte) Form der Lobpreisung Gottes Es geziemt sich für den Mönch in allen seinen (Äußerungs-)Formen ein Vorbild zum Nutzen derjenigen, die ihn betrachten, zu sein, in der Weise, daß von der Menge seiner Tugenden, || 327r die wie Strahlen leuchten, die Feinde der Wahrheit, wenn sie ihn sehen, auch wenn sie es nicht wollen, eingestehen, daß die Christen eine sichere Hoffnung auf Errettung haben, und daß man von überall her zu ihm eile als einem wahren Ort der Zuflucht, so daß die Kraft der Kirche sich über ihre Feinde erhebe und viele dazu gebracht werden mögen, seinen Tugenden nachzueifern und die Welt zu verlassen; auf daß er (der Mönch) durch die Schönheit seines Lebenswandels geachtet werde. Denn das mönchische Leben ist ein Lob für die Kirche Christi. Denn es ziemt sich für den Mönch, nach allen Seiten hin schöne Beispiele zu geben: Verachtung der sichtbaren Dinge, feste Uneigennützigkeit; völlige Mißachtung des Fleisches, hehres Fasten, ein Leben in Zurückgezogenheit und Stille, Beherrschung der Sinne, Wahrung des Sehens, Trennung von jeglichem Streit über Dinge dieser Zeit, Kürze im Reden, Reinheit von nachtragendem Groll, Schlichtheit gepaart mit Vernunft, Unversehrtheit und Freiheit des Herzens bei der Erkenntnis, Kühnheit und Verstand, um zu begreifen, wie eitel und hohl | 327v das gegenwärtige Leben und wie nah jenes wahre und geistige Leben ist, (um zu begreifen), daß die Menschen ihn nicht kennen sollen, daß er sich nicht in Freundschaft und Vereinigung mit irgendeinem Menschen verbinde und mißachtet werde, daß er eine zurückgezogene und stille Wohnstätte braucht, daß er die Menschen fliehen und in unentwegten Gebeten und Lesungen ausharren soll, keine Ehrung lieben noch sich über ein Gastmahl freuen, sich nicht an dieses Leben binden soll, tapfer Prüfungen ertragen, sich von weltlichen Wünschen und dem Nachforschen der Erinnerung an sie abkehren soll, sich ständig um jenes wahre Land sorgen und über dieses nachsinnen soll, daß er ein betrübtes und bekümmertes Gesicht haben und ständig Tag und Nacht Tränen vergießen und vor allem aber seine Keuschheit bewahren und sich von Bauchdienerei rein halten soll wie auch von den kleinen und großen Dingen. Dies sind, kurz gesagt, die Tugenden des Mönchs, die ihm die vollkommene Abtötung gegenüber der Welt und seine Annäherung an Gott bezeugen. Denn es geziemt uns, || 328r sich um diese jederzeit zu kümmern und danach zu trachten, sie zu erlangen. Wenn aber jemand sagen sollte, ob es notwendig gewesen sei, diese im Einzelnen festzusetzen und nicht zusammengefaßt und in Kürze darüber zu sprechen, so sage ich, das war nötig, damit wenn jemand, der auf sein(en) Leben(swandel) achtet, auch etwas von dem Gesag-
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ten in seiner Seele sucht und feststellt, daß er eine von diesen (Tugenden) nötig hat, er von daher sein Ungenügen in jeder Tugend erkenne und ihm diese Anordnung zur Erinnerung diene. Wenn er aber alles (hier) Festgesetzte in sich erworben hat, dann wird ihm auch das Wissen von allen übrigen (Tugenden), die ich hier nicht erwähnte, gegeben, und er wird für die anderen Menschen zur Ursache, Gott zu preisen. Hier bereitet er seiner Seele eine Stätte der Verzeihung, noch bevor er aus diesem Leben scheidet. Unserem Gott [...] Rede 64 (328r – 329r) Von der Veränderung und der Wandelbarkeit, die bei jenen vorkommt, die auf dem Wege des von Gott bestimmten (Lebens im) Schweigen wandeln. Denn es ereignen sich Trauer und seelische Bedrückung und plötzliche Freude | 328v und eine ungewöhnliche Glut. Gepriesen sei, Der unsere Wege lenkt. Amen Wer sich in seinem Geiste dazu aufgeschwungen hat, in der Stille zu leben, der füge sich (diesem Entschluß), und im Befolgen und Einhalten der Ordnung der Stille verbringe er den Rest seiner Tage. Wenn es dir widerfährt – was üblich ist bei dem durch Gottes Gnade eingerichteten Zustand des Lebens in der Stille –, daß die Seele innerlich von Finsternis verwirrt wird, so wie die Sonnenstrahlen vor der Erde durch den Dunst der Wolken verborgen werden, und (sie) für eine kurze Zeit der geistigen Tröstung und des Lichtes der Gnade wegen der Schatten werfenden Wolke der Leidenschaften beraubt ist und die freudespendende Kraft ein wenig vor dir verhüllt wird und dein Geist von einem ungewöhnlichen Nebel überschattet wird, dann erschrick nicht sogleich in deiner Seele, und reiche nicht deine Hand dem Unverständnis, sondern halte durch, und lies in den Büchern der Lehrer, und zwinge dich zum Gebet, und warte auf Hilfe, und sie wird kommen, ohne daß du es merkst. Denn so wie das Antlitz der Erde durch die Strahlen der Sonne freigelegt wird von der (sie) umfangenden Finsternis der Luft, || 329r so kann auch das Gebet die Wolken der Leidenschaften zerstören und vor der Seele zerstreuen und den Geist durch das Licht der Freude und Tröstung erleuchten, das gewöhnlich in unseren Überlegungen entsteht und besonders, wenn es etwas aus den gotterfüllten Schriften empfängt, und das Wachsein, das den Geist erleuchtet. Denn das stetige Nachsinnen in der Schrift der Heiligen sättigt die Seele mit unbegreiflichem Staunen und gotterfüllter Freude.
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Rede 65 (329r ‒ 330v) Von den in der Zurückgezogenheit Lebenden, wann sie zu begreifen beginnen, wo sie durch ihre Werke angelangt sind in dem unüberschreitbaren Meer, das heißt in dem Leben der Zurückgezogenheit, und wann sie ein wenig hoffen können, daß ihre Mühen angefangen haben, ihnen Früchte zu bringen Ich sage dir etwas, und du sollst es nicht als gering mißachten, auch nicht an den übrigen Reden zweifeln, denn sie sind wahr, und auch diejenigen, die sie mir überliefert haben. Wenn du deine Augenlider schwer machst, bis dir die Tränen kommen, so mögest du nicht glauben, daß du durch deinen Lebenswandel etwas erreicht habest. Denn sogar bis jetzt dient | 329v das in dir Verborgene der Welt, das heißt, du bist im Irdischen verblieben, und als äußerlicher Mensch tust du das Werk Gottes, der innere aber ist noch ohne Früchte. Denn seine Frucht(barkeit) beginnt bei den Tränen. Und wenn du in deren Land gelangt bist, dann wisse, daß dein Sinnen aus dem Gefängnis dieser Welt herausgetreten ist und deinen Fuß auf den Weg einer neuen Zeit gesetzt und jene neue wundersame Luft wahrzunehmen begonnen hat. Und dann beginnt er (der Sinn) den Tränen freien Lauf zu lassen, denn die Schmerzen der Geburt eines geistigen Kindleins sind herangerückt, weil die Gnade, die gemeinsame Mutter aller, kommt, um der Seele auf geheimnisvolle Weise ein Bild Gottes zu gebären für das Licht der künftigen Welt. Wenn aber die Zeit dieser Geburt herangekommen ist, beginnt der Geist sogleich durch etwas aus dem Dortigen (der zukünftigen Welt) angeregt zu werden, so wie die Luft, die der Säugling in seinen Gliedern aufnimmt, durch die er sich auf natürliche Weise zu ernähren begonnen hat. Und weil er nicht (v)erträgt, was ihm (noch) nicht gewohnt ist, beginnt er seinen Körper zum Weinen zu veranlassen, das vermischt || 330r ist mit der Süßigkeit des Honigs. Und in dem Maße, in welchem sich der innere Säugling nährt, in demselben Maße nimmt die Menge der Tränen zu. Diese Stufe der Tränen, von der ich gesprochen habe, ist aber nicht jene, die nur selten den Anachoreten widerfährt, weil dieser Trost von Zeit zu Zeit jedem zuteil wird, der in der Zurückgezogenheit mit Gott lebt, und (zwar) bisweilen, wenn er in Kontemplation versunken ist, bisweilen, wenn er bei den Worten der Schriften ist, bisweilen während sie im (Zwie-)Gespräch des Betens sind. Sondern ich spreche von jener, die bei jenem vorkommt, der unentwegt Tag und Nacht Tränen vergießt. Wer aber in Ernsthaftigkeit die Wahrheit dieser Formen gefunden hat, der hat dies in der Zurückgezogenheit gefunden. Denn seine Augen sind eine Wasserquelle sogar für eine Dauer von zwei Jahren oder noch mehr. Danach aber gelangt er zur Beruhigung seiner Gedanken, und von der Beruhigung seiner Gedanken gelangt er, soweit die
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Natur in gewissem Grade dies aufzunehmen vermag, zu jener Stätte der Ruhe, von welcher der heilige Paulus gesprochen hat [Hebr 4,3]. Von dieser Stätte der Ruhe und des Friedens aus aber beginnt der (menschliche) Geist die Geheimnisse zu schauen, und dann beginnt der Heilige Geist ihm das Himmlische zu offenbaren, | 330v und Gott nimmt Wohnstatt in ihm und erweckt in ihm die geistigen Früchte. Von daher spürt er irgendwie undeutlich und gleichsam deutend die Veränderungen dessen, was seine innerste Natur zur Erneuerung von allem aufrichten will. Dies habe ich niedergeschrieben zu unserer und eines jeden Erinnerung, der dieses Schriftstück liest, wie ich es aufgenommen habe aus dem Verständnis der Schriften und aus wahrhaftigem Munde und ein wenig aus (meiner) Erfahrung, damit mir dies zur Hilfe gereiche um der Gebete jener willen, die davon ihren Nutzen haben, denn ich habe keine geringe Mühe darauf verwandt. Höre aber weiter auch das, was ich dir jetzt sagen werde, was ich aus einem Munde, der nicht lügt, gelernt habe. Wenn du in das Land des Gedankenfriedens eingehst, dann wird dir die Fülle der Tränen genommen, und danach kommen die Tränen maßvoll und zur angemessenen Zeit. Dies ist gewißlich wahr, wie es, kurz gesagt, von der ganzen Kirche geglaubt wird. Rede 66 (330v – 332v) Darüber, daß ein Diener Gottes, der arm geworden ist an weltlichen Dingen und ausgezogen ist, um Ihn zu suchen, nicht aufhören darf mit seinem Suchen aus Angst vor dem Nichterreichen || 331r der Wahrheit und nicht erkalten darf in seinem Eifer, der aus Liebe zu den göttlichen Dingen und der Erforschung ihrer Geheimnisse entfacht wird, denn auf solche Weise wurde dem Geist die Vermischung mit der Erinnerung an die Leidenschaften zugefügt Es gibt drei Stufen, auf denen der Mensch vorankommt: die (Stufe) der Neubeginnenden und die mittlere (Stufe) und die der Vollkommenen. Wer sich auf der ersten Stufe befindet, dessen Überlegungen neigen sich zwar zum Guten, aber sein Denken bewegt sich noch innerhalb der Leidenschaften. Die zweite (Stufe) ist ein Mittleres zwischen den Leidenschaften und der Leidenschaftslosigkeit, sowohl rechte wie auch linke Gedanken regen sich gleichermaßen in ihr, und sie hört, wie schon gesagt, keineswegs auf, Licht und Dunkel zu bemessen. Wenn er (der Mensch) nur kurze Zeit aufhört mit dem häufigen Lesen der gotterfüllten Schriften und dem Betrachten der Gedanken Gottes, bei deren Vorstellung er für die Bilder der Wahrheit aus eigener Kraft entflammt wird mit Wachsamkeit nach außen, von der auch die innere Wachsamkeit kommt und ein hinreichendes Werk, dann
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verfällt er den Leidenschaften. | 331v Wenn er aber seine natürliche Glut von dem nährt, worüber ich sprach, und sein Suchen und Forschen und das Verlangen danach aus der Ferne nicht aufgibt, auch wenn er dies nicht gesehen hat, sondern durch die Hinweise aus dem Lesen der gotterfüllten Schriften seine Gedanken nährt und bändigt, daß sie nicht nach links abweichen und daß er nicht irgendeinen teuflischen Samen unter der Gestalt der Wahrheit aufnimmt, und mit Liebe seine Seele hütet und zu Gott in schmerzerfülltem Gebet und geduldig fleht, dann wird Er ihm seine Bitte erfüllen und ihm Seine Tür öffnen, und vor allem wegen seiner Demut, denn die Geheimnisse werden den demütigen Weisen offenbart. Wenn er in dieser Hoffnung stirbt, so wird er, auch wenn er kein bißchen jenes Land aus der Nähe erblickt, doch meinen, daß es sein gemeinsames Erbe mit den alten Gerechten sein wird, die gehofft hatten, die Vollendung zu erreichen nach den Worten des Apostels [Hebr 11,39], und sie nicht erblickt haben, denn sie haben sich alle ihre Tage (lang) um die Hoffnung bemüht und sind (in ihr) entschlafen. Was aber sollen wir sagen, || 332r wenn ein Mensch nicht dahin gelangt, in das Land der Verheißung einzugehen, das das Bild der Vollendung ist, das heißt, deutlich, entsprechend der Fähigkeit seiner Natur? Wird ihm deshalb etwa dieses verwehrt, und verbleibt er auf der letzten (untersten) Stufe, weil sich jeder seiner Vorsätze zur Linken neigte? Soll er, weil er nicht die ganze Wahrheit erreicht hat, auf der Namenlosigkeit der letzten Stufe verbleiben, die dieses (die Wahrheit) weder begreift noch wünscht? Oder soll er zu diesem, von mir genannten, mittleren Weg aufsteigen? Denn wenn er auch dieses (verheißene Land) nicht erblickt hat, es sei denn wie in einem Spiegel, so hat er doch von ferne (darauf) gehofft, und um dieser Hoffnung willen hat er sich seinen Vätern angeschlossen. Und wenn er aus der Ferne nicht der vollkommenen Gnade gewürdigt worden ist, so konnte er doch, weil er stets mit dieser (gleichsam) im Gespräch und mit seinem Denken ihr zugewandt war und weil er voller Verlangen nach ihr trachtete, solange er lebte, böse Gedanken abschneiden, und so wie sein Herz von dieser Hoffnung erfüllt ist, geht | 332v er aus dieser Welt. Alles aber, was Demut besitzt, ist herrlich. Denn das körperlose Nachsinnen des Geistes über die Liebe Gottes wird angeleitet durch die Gedanken der gotterfüllten Schriften, es bewahrt die Seele innerlich vor den früheren schlechten Gedanken und hütet den Sinn durch das Gedenken an das künftige Gute, damit der Geist nicht ermatte in seiner Wachsamkeit und sich anstelle des Besseren mit der Erinnerung der weltlichen Dinge beschäftige, denn davon erkalten seine glühenden Regungen für die wunderbaren Dinge, und er verfällt auf eitle und unvernünftige Wünsche.
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Rede 67 (332v – 336r) Über die Formen der Hoffnung auf Gott und wer auf Gott hoffen soll und wer unvernünftig und unüberlegt auf Gott hofft Es gibt die Hoffnung auf Gott aus dem Glauben des Herzens; er ist schön und begleitet von Überlegung und Wissen. Und es gibt eine andere, trügerische Hoffnung, die die Gebote nicht achtet und verlogen ist. Ein Mensch, der sich keinerlei Sorgen um die vergänglichen Dinge macht, || 333r (vielmehr) Tag und Nacht sich dem Herrn überläßt, wegen seines Eifers für die Tugend sich um nichts Weltliches kümmert und sich nur in den Dingen Gottes übt und deshalb die Versorgung mit Essen und Kleidung und die Bereitung einer Wohnstatt und alles übrige mißachtet, ein solcher (Mensch) hofft auf gute und schöne Weise auf Gott, denn Er wird ihm Nahrung für seine Bedürfnisse geben. Und dies ist in der Tat die wahre und höchst weise Hoffnung. Denn zu Recht kann ein solcher (Mann) auf Gott hoffen, weil er Sein Knecht ist und eifrig um Sein Werk bemüht, ohne jegliche Unlust, die sich aus irgendeinem Grund einstellen könnte. Es ist geschieht zu Recht, daß Gott an einem solchen (Menschen) besonders Seine Fürsorge beweist, weil er Sein Gebot gehalten hat, das da lautet: Suchet zuerst das Gottesreich und Seine Gerechtigkeit [Mt 6,33], und trefft keine Vorsorge für das Fleisch [Röm 13,14]. Wenn wir aber so sorgen, wird die Welt uns wie ein Knecht alles bereiten, und wie vor Herrschern wird sie sich unseren unbezweifelbaren | 333v Worten fügen und sich unserem Wollen nicht widersetzen. Damit aber ein solcher (Mensch) nicht abläßt von seiner beständigen Haltung vor Gott, überläßt er sich aus Gottesfurcht nicht der Sorge um die nötigen Bedürfnisse des Leibes und ist um nichts anderes bemüht, als frei zu sein von solch kleiner und großer Sorge, die zum Genuß beiträgt. Doch er erhält dies alles auf wundersame Weise, ohne sich darum zu kümmern und sich dafür zu bemühen. Ein Mensch aber, der sein Herz begraben hat und mit der Schlange den Staub verzehrt und sich um nichts Gott Wohlgefälliges bemüht, sondern von allen Dingen des Leibes beherrscht wird und frei von jeglicher Tugend wegen seines ständigen Umgangs (mit den Menschen) und lustvoller Zerstreuung ist und irgendwelche Gründe (dafür) ersinnt, ein solcher (Mensch) ist wegen seiner Trägheit und seines Müßiggangs vom Guten abgefallen, und irgendwann, wenn er durch irgendeinen Mangel oder den Tod in Bedrängnis gerät oder durch die Früchte || 334r seiner Freveltaten niedergedrückt wird, sagt er: Ich hoffe auf Gott, und Er wird mich von meinem Kummer befreien und mir Linderung verschaffen. Du Thor, sogar bis heute hast du nicht an Gott gedacht, sondern Ihn durch das Zerstörerische deiner Taten beleidigt, und deinetwegen wurde Sein Name unter den Heiden geschmäht, wie geschrieben steht [Röm 2,24]. Und jetzt erdreistest du dich,
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vollmundig zu sagen: Auf Ihn hoffe ich, und Er wird mir helfen und für mich sorgen. Gut hat Gott durch den Propheten gesprochen, als er solche (Menschen) beschämte, nämlich: Alle Tage fragen sie Mich und wollen Meine Wege kennenlernen wie irgendwelche (Menschen), die Gerechtigkeit üben und das Recht ihres Gottes nicht aufgegeben haben und von Mir Gericht und Gerechtigkeit fordern [Jes 58,2]. Von solcher Art ist der Thor, der sich nicht einmal in seinem Denken Gott nähert, sobald ihn aber Bedrängnis umgibt, seine Hände voller Hoffnung ausstreckt. Ein solcher (Mensch) müßte oftmals (durch Feuer) gebrannt werden, damit er von hier und von da Belehrung annehme. Denn er hat kein Werk (vorzuweisen), das der Hoffnung auf Gott würdig wäre. Für seine bösen Taten und die Achtlosigkeit | 334v gegenüber den unziemlichen (Taten) ist er der Bestrafung wert. Gott aber erweist ihm in Seiner Barmherzigkeit Seine Langmut. Doch ein solcher (Mensch) möge sich nicht täuschen und die Stufe seines Lebenswandels vergessen und sagen: Ich hoffe auf Gott. Denn er wird bestraft werden, weil er nicht einmal ein geringes Werk des Glaubens (aufzuweisen) hat, und er möge seine Füße nicht auf Müßiggang einstellen und sagen: Ich glaube, daß Gott mir gibt, was ich brauche, als ob er ein Leben mit gottgefälligen Werken führe, oder sich unbedacht in einen Brunnen stürzen, ohne (auch nur) einen Begriff von Gott sich angeeignet zu haben. Wenn du nun nach dem Abfall (vom rechten Weg) sagst: Ich hoffe auf Gott, und Er wird mich retten, dann täusche dich nicht, du Thor, (denn) Arbeit um Gottes willen und Schweiß für Seine Werke gehen der Hoffnung auf Ihn voraus. Du tust Recht daran, wenn du an Gott glaubst. Aber der Glaube verlangt auch Taten und die Hoffnung auf Gott die Leiden (aus dem Festhalten) an der Tugend. Glaubst du daran, daß Gott über Seinen Geschöpfen Seine Vorsehung walten läßt und allmächtig ist, dann möge deinem Glauben || 335r auch ein entsprechendes Handeln folgen, und dann erhört Er dich. Verlange nicht danach, bei deiner Überheblichkeit den Glauben festzuhalten, ich meine den Glauben ohne (entsprechende) Werke1. Oft geht jemand, ohne es zu wissen, einen Weg, auf dem es wilde Tiere oder Mörder oder dergleichen gibt, und siehe da die umfassende Vorsehung Gottes, um (diesen Menschen) vor solchem Unglück zu bewahren oder an solchem Vorhaben aus irgendeinem Grund zu hindern, entweder bis das wilde Tier weitergelaufen ist oder dadurch, daß ihm jemand begegnet, der ihn vom Weg ablenkt. Und ein an1
Umformulierung der Aussage im Vergleich zu Th: μὴ έλε κρατεῖν ἀνέμους ε ις τὴν σὴν δράκα, πίστιν μ ι χωρ ις έργων und W: „Take no wind in thy fist, viz. faith without deeds) als Folge einer Fehllesung von grъstь „Handvoll“ als grъdostь „Überheblichkeit, Hoffart“, mit Änderung von větrъ zu věra.
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dermal wiederum kann es eine wilde Schlange sein, die ungesehen am Wege liegt, und da Gott den Menschen nicht einer solchen Prüfung aussetzen will, läßt Er die Schlange plötzlich zischen und von ihrem Platz weichen oder sich vor ihm bewegen, und er erblickt sie, ist auf der Hut und rettet sich vor ihr. Und obwohl er der heimlichen1 Sünden wegen, die nur Er kennt, dessen nicht würdig ist, rettet ihn Gott in Seiner Barmherzigkeit. Und wiederum kommt es vor, daß ein Haus zusammenfällt | 335v und samt Fundament von seinem Platz abgleitet, und Menschen sitzen dort, und in Seiner Menschenliebe gibt Gott Seinem Engel den Befehl, es aufzuhalten und nicht fallen zu lassen, bis die Menschen von dort aufgestanden sind, und aus irgendeinem Grund (unter einem Vorwand) führt er sie fort, damit niemand darunter gerate, sobald sie aber zusammen dort vorübergegangen sind, läßt Er es plötzlich einstürzen. Sollte es jedoch geschehen, daß jemand festgehalten würde, bewirkt Er, daß dieser keinen Schaden erleidet. Darin aber will Er die Größe Seiner Stärke zeigen. Dieses und dergleichen gehören zur allgemeinen und allumfassenden Vorsehung Gottes. Der Gerechte aber besitzt diese für sich allein. Den anderen Menschen gebot Gott, ihre Dinge mit Unterscheidungsvermögen zu ordnen und fügte der göttlichen Vorsehung die (menschliche) Einsicht hinzu. Doch der Gerechte braucht mit dieser Einsicht nicht das Seinige zu ordnen. Denn er hat anstelle dieser Einsicht den Glauben erlangt. Durch ihn reißt er alles Hochfahrende, das sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt, nieder [2 Kor 10,5], und vor einigen || 336r der aufgezählten Dinge fürchtet er sich nicht, denn es steht geschrieben, daß der Gerechte hofft wie ein Löwe [Spr 28,1]. Er wagt alles durch den Glauben, nicht wie einer, der den Herrn prüft, sondern als ein auf Ihn Hoffender, wie jemand, der gewappnet ist und bekleidet durch die Stärke des (Heiligen) Geistes. Und so, wie seine beständige Sorge auf Gott gerichtet ist, so spricht auch Gott über ihn: Ich bin bei ihm in der Drangsal, Ich hole ihn heraus und verschaffe ihm Ehre. Ich fülle ihm die Länge seiner Tage (gebe ihm ein langes Leben) und zeige ihm die Rettung durch Mich [Ps 91,15,16]. Wer aber schwach und träge ist in Seinem Werk, kann diese Hoffnung nicht haben, wohl aber wer immer in allem auf Gott achtet und durch die Schönheit seiner Werke Ihm nahe zu kommen sich bemüht, hin zu Seiner reichen Gnade, wie der gottbegnadete David sagte: Meine Augen sind verschmachtet, während ich auf meinen Gott hoffe [Ps 69,4]. Ihm sei Ruhm in alle Ewigkeit. Amen.
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In K, M fehlt ne vor javlennychъ, aber Th: α α νής „unsichtbar, verborgen“.
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Rede 68 (336r – 339r) Von der Absage an die Welt und von der Zurückhaltung im freimütigen Zugehen auf die Menschen Wenn wir uns freudig entschlossen haben, die Welt zu fliehen, und fremd sein wollen den weltlichen Dingen, dann trennt uns nichts so sehr von der Welt und tötet die Leidenschaften in uns ab und belebt das Geistige (in uns) wie das Weinen und | 336v das mit Nachdenken verbundene Klagen des Herzens. Das Gesicht des Bekümmerten ahmt die Demut des Geliebten nach, und nichts bringt uns (so sehr) dazu, zur Welt zurückzukehren und zu den Trunkenbolden und Sündern in ihr, und nichts trennt uns (so sehr) von den Schätzen der Weisheit und der Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse wie das Gelächter und das dreiste Überlegen. Und das ist das Werk des Dämons der Unzucht. Da ich deine Weisheitsliebe geprüft habe, o Vielgeliebter, ermahne ich dich in Liebe, vor der Versuchung durch den Feind auf der Hut zu sein, damit du nicht durch die Fülle der Reden deine Seele in der Glut der Liebe zu Christus erkalten lässt, Der für dich am Holze des Kreuzes Galle gekostet hat, und damit du sie (deine Seele) nicht anstelle jenes wundervollen Gedankens und deiner Zuversicht vor Gott mit vielen Truggebilden erfüllest und im Wachen wie im Schlafen diese (Seele) aber durch ungehörige Träumereien gefangennehmen läßt, deren üblen Geruch die heiligen Engel Gottes nicht ertragen, und damit du nicht für andere zum Anlaß des Ausgleitens und für dich selbst zum Peiniger wirst. Zwinge dich daher, || 337r die Demut Christi nachzuahmen, damit das durch Ihn in dich hineingeworfene Feuer noch stärker entfacht werde, denn durch dieses werden alle weltlichen Regungen ausgerottet, die den neuen Menschen abtöten und die Hallen des Herrn, des Heiligen und Mächtigen, besudeln. Mit dem heiligen Paulus wage ich zu sagen, daß ich ein Tempel Gottes bin [1 Kor 3,16]. Laßt uns also Dessen Tempel reinigen, wie auch Er rein ist, damit Er den Wunsch empfinde, in ihm Seine Wohnstatt zu nehmen. Heiligen wir ihn, wie auch Er heilig ist, und schmücken wir ihn mit allen guten und rechtschaffenen Werken, und beweihräuchern wir ihn mit dem Weihrauch des Friedens Seines Willens durch (unser) reines und von Herzen kommendes Gebet, das man im Umgang mit den weltlichen Dingen nicht erlangen kann. Und (so) wird die Wolke Seiner Herrlichkeit ganz das Herz überschatten und innendrin das Licht Seiner Erhabenheit alles durchleuchten, und alle Bewohner von Gottes Welt werden von Freude und Fröhlichkeit erfüllt sein, die Schamlosen und Dreisten aber werden durch die Flamme des Heiligen Geistes verschwinden. Und tadle dich, o Bruder, immer selbst, und sprich: O, du leidenschaftliche Seele, die (Zeit der) Lösung vom Leib ist für dich herangerückt. Warum erfreust | 337v du dich an dem, was du heute verlassen wirst und dessen An-
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blick du in alle Ewigkeit aufgeben wirst? Achte auf das, was vor dir ist, und überdenke, was du getan hast, wie und was es für Werke sind und mit wem du die Tage deines Lebens verbracht hast oder wer die (Frucht der) Mühen deines Tuns empfangen hat, und wen du erfreut hast mit deinem Kämpfen, damit er zu deinem Empfang ausziehe in der Zeit deines Weggangs (aus dieser Welt). Wem hast du Anlaß gegeben, sich über deinen Lebenslauf zu freuen, damit du in seinem Hafen Ruhe findest, wem zuliebe hast du mühsam und heldenhaft gerungen, damit du voller Freude zu ihm gelangst, welchen Freund hast du dir erworben in der künftigen Welt, damit er dich bei deinem Weggang (aus dieser Welt) emporhebt, auf welchem Acker hast du dich verdingt, und wer ist es, der dir deinen Lohn zu Sonnenuntergang geben wird bei deinem Abschied (von dieser Welt)? Frage dich, o Seele, und sieh, in welchem Land dein Anteil liegt und ob du an dem Acker vorübergegangen bist, der denjenigen, die ihn bestellt haben, Kummer bringt. Rufe und schreie (zum Herrn) unter Seufzen || 338r und Trauer, die deinen Gott mehr erquicken als Opfer und Brandopfer. Mögen aus deinem Mund schmerzliche Töne kommen, an denen sich die heiligen Engel erfreuen. Benetze deine Wangen im Weinen, damit der Heilige Geist auf dir ruhe und den Schmutz deiner Schlechtigkeit von dir abwasche. Stimme durch Tränen Gott dir gegenüber barmherzig, damit Er zu dir kommt. Rufe Maria und Martha zu Hilfe, damit sie dich die Töne der Klage lehren. Und rufe auch du zum Herrn: Herr, der du über Lazarus geweint und Tränen des Mitleids über ihn vergossen hast, nimm die Tränen meines Kummers an. Durch Deine Leiden heile meine Leiden, durch Deine Wunden heile meine Wunden, durch Dein Blut mache mein Blut rein, mische meinem Leib den Wohlgeruch Deines Leibes bei. Die Galle, die Dir Deine Feinde zu trinken gaben, möge mir meine Seele erquicken gegen den Kummer, mit dem mich der Widersacher getränkt hat, Dein Leib, der am Kreuzesstamm gestorben ist, möge meinen Geist zu Dir erheben, der | 338v von den Dämonen nach unten gezogen wird, Dein Haupt, das Du am Kreuze geneigt hast, möge mein Haupt aufrichten, das von den Widersachern geohrfeigt worden ist, Deine verehrungswürdigen Hände, die angenagelt worden sind, mögen mich aus dem Abgrund des Verderbens hinaufgeleiten zu Dir, wie Dein hochheiliger Mund verheißen hat, Dein Antlitz, das von den Verfluchten Backenstreiche und Bespeiung empfangen hat, möge mein Angesicht erleuchten, das durch meine Gesetzlosigkeit verfinstert worden ist, Deine Seele, die Du, als Du am Kreuze warst, dem Vater übergeben hast, möge mich durch Deine Gnade zu Dir geleiten. Ich besitze kein schmerzerfülltes Herz für die Suche nach Dir, ich habe weder Reue noch Rührung, die die Kinder zu ihrem Erbe geleiten. Ich habe, o Herr, keine Träne der Rührung, mein Geist ist mir getrübt durch
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irdische Dinge, und er kann nicht voller Schmerz zu Dir aufblicken. Mein Herz ist erkaltet von der Fülle der Anfechtungen, und es kann sich nicht erwärmen durch Tränen der Liebe zu Dir. Aber Du, Jesus Christus, Du Hort alles Guten, schenke mir vollkommene Reue || 339r und ein schmerzerfülltes Herz, damit ich mit ganzer Seele ausziehe, um Dich zu suchen, denn ohne Dich werde ich fremd für jede Glückseligkeit sein. Daher schenke mir, o Gütiger, Deine Gnade. Der Vater, der Dich aus Seinem Schoße als ewiglich während hervorgebracht hat, möge in mir mein Bild nach Deinem Bilde erneuern. Ich habe Dich verlassen, mögest Du mich nicht verlassen. Ich bin von Dir weggegangen, geh aus, um mich zu suchen, und führe mich auf Deine Weide, und nimm mich auf unter die Schafe Deiner auserwählten Herde, und nähre mich vom Gras Deiner göttlichen Geheimnisse mit jenen, denen das reine Herz eine Wohnstatt bereithält, in welcher man den Glanz Deiner Offenbarungen erblickt, das Trost und Ruhe jenen bedeutet, die sich um Deinetwillen in Kümmernissen und jeglichem Leiden geplagt haben. Mögen wir Seines Glanzes gewürdigt werden durch die Gnade und Menschenliebe unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus jetzt und in der künftigen Welt. Amen. Rede 69 (339r – 341v) Wie bekömmlich es für die Einsiedler ist, frei von Sorgen zu sein, und wie das Kommen und Gehen schädlich sind Ein Mensch, der mit der Sorge um vieles befaßt ist, kann nicht sanftmütig sein | 339v und ein zurückgezogenes Leben führen, denn die notwendigen Ursachen der Dinge, um derentwillen er sich abmüht, zwingen ihn, sich mit diesen zu befassen und darin geschäftig zu sein, auch wenn er dies nicht will und wünscht, und sie zerstören seine Stille und seine Zurückgezogenheit. Deshalb geziemt es dem Mönch, sich vor das Angesicht Gottes zu stellen und unermüdlich sein Auge auf Ihn zu richten, wenn er wahrhaftig seinen Geist bewahren will und ihn sauber halten möchte von den kleinen Regungen, die sich in ihn einschleichen, und er muß lernen, durch die Stille der Gedanken zu beurteilen, was hereinkommt und was hinausgeht. Denn viele Beschäftigungen sind ein Zeichen für das Nachlassen eines Mönches im Befolgen der Gebote Christi und offenbaren seinen mangelnden Eifer für die göttlichen Dinge. Ohne Absage an die Sorgen (um andere Dinge) suche weder das Licht in deiner Seele, noch die Stille und die Zurückgezogenheit während der Schwächung deiner Sinne. Und wo es die Bemühungen um (andere) Dinge gibt, sollst du deine Bemühungen nicht vermehren, und du wirst kein Umherschweifen (der Gedanken) in deinem Gebet finden. Denn ohne unaufhörliches Gebet kannst du dich Gott nicht nähern. || 340r Wenn
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aber nach der Mühe des Gebets dem Geist eine andere Sorge bereitet wird, so bewirkt dies die Zerstreuung der Gedanken. Tränen und das Schlagen auf den Kopf während des Gebets und das Niederwerfen voller Inbrunst wecken im Herzensinneren die Glut ihrer Köstlichkeit (der Gott entgegengebrachten Empfindungen1), und in rühmlicher Verzückung fliegt das Herz zu Gott und ruft: Meine Seele dürstete nach Dir, o Gott, dem Starken und Lebendigen, wann werde ich kommen und vor dem Angesicht Gottes erscheinen? [Ps 42,3] Wer von diesem Wein getrunken und ihn hernach verloren hat, nur der weiß, von welchem Elend er umfangen war und was ihm genommen worden ist um seiner Schwachheit willen. O, was für ein Übel ist der Anblick (von Menschen) und das Gespräch (mit ihnen) für diejenigen, die in Wahrheit in der Zurückgezogenheit leben, o, ihr Brüder, viel mehr als für diejenigen, die vom Schweigen entbunden sind. Denn so wie die Heftigkeit des Eises, das plötzlich auf die Spitzen der Gewächse gefallen ist, diese austrocknet, so lassen auch die Gespräche mit den Menschen, mögen sie noch so kurz sein und vermeintlich für einen guten Zweck, | 340v die Blüten der Tugenden austrocknen, die neu aufgeblüht sind durch die Auflösung in der Zurückgezogenheit, die mit Zartheit und Frische die Pflanze der Seele umgeben, gepflanzt an den quellenden Wassern der Reue [Ps 1,3]. Und wie die Kraft des Rauhreifs das frisch Gesprossene erfaßt und dieses verbrennt, so (tut es) auch das Gespräch mit den Menschen mit der Wurzel des Geistes, die begonnen hat, das Gras der Tugenden hervorzubringen. Und wenn das Gespräch mit Menschen, die in manchem beherrscht sind, in anderem (nur) einen geringen Mangel haben, gewöhnlich für die Seele schädlich ist, wieviel mehr gilt dies für das Reden und den Anblick der törichten, ungebildeten, um nicht zu sagen weltlichen Menschen. Denn so wie ein edler und rechtschaffener Mensch, wenn er sich betrinkt und seine Ehrbarkeit vergißt und sein Stand entehrt und seine Ehrbarkeit der Lächerlichkeit preisgegeben wird wegen der fremden Gedanken, die ihm von der Wirkung des Weines kommen, so wird auch die Makellosigkeit der Seele vom Anblick und dem Gespräch mit den Menschen beunruhigt, und sie vergißt || 341r die Art und Weise ihrer Wachsamkeit, und in ihrem Denken wird die Aufsicht über ihr Wollen ausgelöscht, und jegliche Grundlegung ihres lobenswerten Zustandes wird ausgemerzt. Wenn aber das Gespräch und die Weite im Umherschweifen (der Gedanken), die dem in der Zurückgezogenheit Lebenden widerfahren, oder auch (nur) deren Annäherung wie das Sehen und Hören genügen infolge des vielen Anblickes und Hörens, die ihm zustoßen, diesem 1
Bezieht sich auf einen ausgelassenen Absatz des syrischen Textes (vgl.W).
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Kälte und Trübung des Denkens im Hinblick auf das Göttliche bereiten, und wenn sie in kurzer Zeit so viel Schaden anrichten, was sagen wir (dann erst) von der stetigen Begegnung und langem Verweilen in diesem Zustand. Denn die Ausdünstung, die aus dem Bauch aufsteigt, verdunkelt den Geist gegenüber der Gotterkenntnis auf dieselbe Weise wie der aus der Feuchtigkeit der Erde aufsteigende Dunst und was die Luft verdunkelt. Der Stolz aber beobachtet nicht, daß er im Dunkel einherschreitet, da er infolge der erwähnten Verfinsterung nicht die Einsicht der Weisheit kennt, und erhebt sich über alle, obwohl er schlechter ist und kraftloser | 341v und die Wege des Herrn nicht erfahren kann. Der Herr aber verbirgt vor ihm Seinen Willen, weil er nicht danach verlangt hat, auf dem Wege der Demütigen zu wandeln. Uns aber gebe Gott, daß wir Seinen Willen in alle Ewigkeit erkennen. Amen. Rede 70 (341v – 345v) Von den Wegen, die bewirken, sich Gott zu nähern, und (die) dem Menschen durch die süßen Werke des nächtlichen Wachens offenbart werden, und wie diejenigen, welche ein solches Leben führen, alle Tage ihres Lebens sich an Honig erlaben Vermeine nicht, o Mensch, daß es in der ganzen Lebensweise des Mönches ein bedeutenderes Tun als das des nächtlichen Wachens gebe. Es ist in Wahrheit so, ihr Brüder, wenn dem Asketen keine Zerstreuung und Verwirrung in leiblichen Dingen und durch die Sorge um Vorübergehendes widerfahren, sondern er sich vielmehr vor der Welt hütet und sich durch sein Wachen schützt, werden in kurzer Zeit seine Gedanken wie von Flügeln getragen in göttlicher Schönheit emporsteigen und alsbald zu Dessen Herrlichkeit gelangen und dank ihrer Leichtigkeit und Zartheit in einer Erkenntnis dahinschweben, die weit über menschliches Denken hinausgeht. || 342r Sieh in einem Mönch, der mit voller Überlegung des Geistes das (nächtliche) Wachen einhält, keinen Menschen aus Fleisch (und Blut). Denn in Wahrheit ist dies ein Werk, das dem Rang der Engel entspricht. Denn es ist nicht möglich, daß diejenigen, die beständig in diesem Zustand leben, ob ihres Fastens und des Eifers ihrer Herzen und des unermüdlichen Strebens ihrer Gedanken hin zu Ihm ohne große Gaben von Gott bleiben. Eine Seele, die sich müht und darin lebt, dieses Wachen aufrecht zu erhalten, wird die Augen eines Cherubs erlangen, um unentwegt aufzuschauen und sich in den himmlischen Anblick zu versenken. Ich aber halte es für unmöglich, daß jemand, der mit Verstand und Überlegung diese großartige und göttliche Anstrengung gewählt hat und diese Last zu tragen willens ist, nicht kämpfend vorankommen wird in diesem rühmlichen Werk, das er erwählte, und am Tage sich nicht hüten wird vor Beunruhigung und Unterhaltungen und Mühen und Sorgen,
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damit er nicht leer ausgehe bei der wunderbaren Frucht und der Speise, die er sich davon zu empfangen erhofft. | 342v Wer dies aber nicht beachtet, von dem wage ich kühn zu sagen, daß er nicht weiß, weshalb er sich abmüht und des Schlafes enthält und (wozu) das häufige Psalmodieren, das Bemühen der Zunge, das Leiden im nächtlichen Stehen, ohne daß sein Geist beim Singen und beim Gebet dabei ist, sondern gleichsam durch die Gewohnheit geleitet und ohne Überlegung. Und wäre dies nicht so, wie ich gesagt habe, wie ist er dann (der Möglichkeit) beraubt worden, die gewaltige Frucht von seinem unter Mühe beständig (ausgestreuten) Samen zu ernten? Denn wenn er statt der Sorgen sich im Lesen der gotterfüllten Reden geübt hätte, das den Geist festigt und weiter reicht als die Mannhaftigkeit des Gebets und das Wachen unterstützt und mit diesem eng verbunden das Licht ist für den Verstand und das Hinführen auf den rechten Pfad und den Samen des Schauens im Gebet sät und die Gedanken vor dem Umherschweifen fesselt, um nicht nach eitlen Dingen zu verlangen, und unentwegt das Gedenken an Gott und an die Wege der Heiligen in der Seele sät, an denen Er sein Wohlgefallen hat, das bewirkt, daß der Geist || 343r Verfeinerung und Weisheit erlangt, dann hätte er die reife Frucht solchen Handelns bekommen. Weshalb richtest du, o Mensch, deine Dinge so unvernünftig ein? Da du nachts das nächtliche Stehen übst und dir im Singen und Beten Zwang auferlegst, aber am Tage erscheint es dir schwer und als kein Geringes, wenn du mit wenig Eifer wegen deiner schlimmen Leidenschaften in anderen Dingen der Gnade Gottes gewürdigt werden willst. Weshalb tust du dir nachts Gewalt an oder säest, am Tage aber läßt du deine Mühe verwehen und erweisest dich als fruchtlos. Weshalb verschwendest du das Wachen, deine Inbrunst, deine Enthaltsamkeit, die du erworben hast, und vergeudest das von dir Erworbene am Tage in beunruhigenden Unterhaltungen über andere Dinge? Denn wenn du den nächtlichen Übungen das Tageswerk mit von Herzen kommender Inbrunst ohne einen Abstand zu schaffen hättest folgen lassen, so hättest du dich in kurzer Zeit an die Brust Christi schmiegen können. | 343v Aber daraus geht hervor, wie unvernünftig du dein Leben führst, und du weißt nicht, weshalb der Mönch wachen muß. Denn du denkst, dies sei nur festgesetzt, damit du dich mühst, und nicht um eines anderen willen, das daraus hervorgehen soll. Wer aber der Gnade gewürdigt worden ist zu lernen, um welcher Hoffnung willen die Streiter (für den Glauben) sich dem Schlaf versagen und die Natur nötigen und durch das Wachen der Körper und ihrer Gedanken jede Nacht ihre Gebete verrichten, der kennt die Kraft, die aus der Wachsamkeit am Tage kommt und welche Hilfe sie dem Geist im Schweigen in der Nacht gibt, und welche Macht über die Gedanken und welche Reinheit, welches Verständnis ihm ohne Zwang und ohne Kampf geschenkt wird und ihn frei
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das Edle der Worte erkennen läßt. Ich aber sage, daß, wenn der Leib wegen seiner Schwäche versagt und nicht fasten kann, der Geist einzig durch das Wachen die Ordnung der Seele erlangen und dem Herzen Einsicht geben kann, um die geistige Kraft zu begreifen, || 344r sofern ihm nicht Zerstörung durch die Breite der Anlässe des Alltags widerfährt. Deshalb flehe ich dich an, der du einen klaren Geist vor Gott und Erkenntnis eines neuen Lebens erlangen möchtest, daß du in deinem ganzen Leben nicht im Durchhalten des (nächtlichen) Wachens erschlaffen mögest. Denn durch dieses werden dir die Augen geöffnet, um die ganze Herrlichkeit dieses Lebens(wandels) und die Kraft des Weges der Wahrheit und Gerechtigkeit zu sehen. Wenn dir abermals, was nicht geschehen möge, der Gedanke der Schwäche kommt und sich in dir einnistet als Versuchung durch deinen Beschützer, der dir gewöhnlich in solchen Dingen dich zu verändern gewährt ‒ in der Inbrunst oder in der Kälte oder aus irgendeinem Grunde, oder durch die Ohnmacht des Leibes ‒, so daß du nicht mehr die Mühsal ertragen kannst, die in deinem gewohnten reichlichen Psalmodieren und erwartungsvollen Gebet und den vielen Beugungen der Knie liegt, die du unentwegt zu vollziehen gewohnt warst, (dann) flehe ich dich in Liebe an, wenn du von solchen (Zuständen) umfangen und nicht fähig sein wirst | 344v dieses zu tun, wenigstens sitzend zu wachen und in deinem Herzen zu wachen. Und damit du nicht in deinem Herzen und durch allerlei List einschläfst, verbringe die Nacht im Sitzen und indem du gute Gedanken in dir bewegst. Und mögest du nicht dein Herz verhärten und es durch den Schlaf verdunkeln. Und (daraufhin) wird zu dir wieder durch die Gnade jene vorherige Inbrunst kommen und die Leichtigkeit und die Kraft, und du wirst vor Freude hüpfend frohlocken und Gott danken. Denn die Kälte und eine solche Last [werden dem Menschen zur Versuchung und Prüfung geschickt. Und wenn er sich mit Inbrunst aufrichtet und diese von sich abschüttelt (und) sich nur ein wenig zwingt, dann nähert sich ihm alsbald die Gnade, wie es früher war, und eine andere Kraft überkommt ihn, die alle Glückseligkeit in sich birgt und (alle) Arten des Schutzes. Und der Mensch staunt erschaudernd über die Befreiung von der vormaligen Schwere und über die Leichtigkeit der Kraft, die ihn überkommen, und auf welche Weise er plötzlich eine solche Veränderung erfahren hat. Und von da an wird er weise, so daß er, wenn ihn eine solche Schwere || 345r überfällt, diese von seiner vormaligen Prüfung erkennt. Wenn er aber beim ersten Mal nicht dagegen ankämpfen wird, kann er diese Einsicht nicht erlangen. Siehst du wohl, wie sehr der Mensch an Klugheit gewinnt, wenn er sich nur ein wenig ermuntert und zur rechten Zeit den Kampf auf sich nimmt, es sei denn, daß die Natur des Leibes versagt, denn dann ist es kein Kampf, sondern der Zwang der Ohnmacht (des Lei-
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bes). Denn dann ist es nicht von Nutzen, die Natur zu bekämpfen. In den übrigen Fällen aber ist es gut, wenn man sich in allem zwingt, was einem nützlich ist. Denn das stete mit Vernunft gepaarte Schweigen und das Lesen (der Schriften) und die maßvolle Aufnahme von Nahrung und das Wachen wecken alsbald den Sinn für das Erstaunen über die Dinge, sofern es keinen Grund gibt, das Schweigen zu stören. Denn die in den das Schweigen Beherzigenden in Bewegung gesetzten Gedanken bewirken von sich aus, ohne zu überlegen, daß beide Augen wie ein Taufbecken durch die in ihrer Fülle vergossenen Tränen die Wangen benetzen. Wenn der Leib durch Enthaltsamkeit und Wachen | 345v und durch die aufmerksame Beachtung des Schweigens bezwungen sein wird und du spürst (dann) in (aller) Schärfe die Leidenschaft der Unzucht in deinem Körper, ohne durch natürliche Bewegung in Gang gesetzt zu sein, dann begreife, daß du durch den Gedanken der Überheblichkeit versucht wurdest. Mische alsdann Asche unter deine Speise und klebe deinen Unterleib an die Erde und erforsche, was du gedacht hast, und lerne die Veränderung deiner Natur und deine Taten wider die Natur (zu erkennen). Und vielleicht erbarmt sich Gott deiner und sendet dir das Licht, damit du lernst demütig zu sein, auf daß deine Schlechtigkeit nicht wachse. So wollen wir also nicht aufhören zu kämpfen und zu streben, bis wir in Reue erkennen und Demut erlangen und unser Herz in Gott ruht. Ihm sei Ruhm in alle Ewigkeit. Amen. Rede 71 (345v – 351r) Von der Kraft der Wirkung der Übel der Sünde, woraus sie bestehen und wodurch sie ihr Ende finden Denn solange jemand nicht wahrhaftig von Herzen die Sünde zu hassen beginnt, wird er sich von der Wonne ihrer Wirkung nicht frei machen. Dies ist ein ungemein schrecklicher Kampf, der dem Menschen sogar bis aufs Blut bevorsteht. || 346r Denn in ihm wird seine Freiheit in der Einzigartigkeit seiner Liebe zu den Tugenden geprüft. Dies ist die Kraft, die Verlockung und Streitmacht genannt wird. Von ihrem Duft und wegen der ihr innewohnenden unabweislichen Gewalt wird die elende Seele schwach. Dies ist die Kraft der Macht der Sünde, durch welche der Feind gewöhnlich die Seelen der Keuschen verwirrt und die reinen Regungen zwingt, Erfahrungen zu machen, die sie niemals erfahren haben. Hier sollen wir unseren Eifer zeigen, meine geliebten (Brüder). Denn dies ist die Zeit des unsichtbaren Martyriums, in dem der Mönchsstand, wie es heißt, stets seine Kämpfe führt. Durch die Begegnung mit diesem Kampf wird der gottesfürchtige Geist in Verwirrung gestürzt, wenn er sich nicht sehr dafür rüstet. Stark bist Du, o Herr, Du Quelle jeder Hilfe, in solchen Zeiten des Martyriums jene zu stär-
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ken, die ihre Seele Dir, dem himmlischen Bräutigam, mit Freude anvermählt und das Gelübde der Heiligkeit voller Inbrunst und nicht mit Hintergedanken abgelegt haben. Gewähre ihnen, | 346v die geschwächten Mauern niederzureißen und jegliche Bewegung, die gegen die Wahrheit aufgebaut ist, damit sie nicht unter unerträglichem Zwang ihr Ziel verfehlen zu einer Zeit, in der es um einen Kampf bis aufs Blut geht. Doch nicht immer gibt es die Behauptung der Keuschheit in diesem schrecklichen Ringen, denn auch die Versuchung wird zugelassen. Wehe aber dem Schwachen, der versucht wird in diesem prüfenden Kampf. Denn große Kraft hat dieser Kampf durch die Gewohnheit der Bedrängnis, die er von jenen erhalten hat, die sich durch die Zustimmung ihrer Gedanken besiegen ließen. Hütet euch, ihr geliebten (Brüder), vor dem Müßiggang, ist doch in ihm erwiesenermaßen der Tod verborgen. Denn ohne diesen (Müßiggang), kann es nicht geschehen, in die Hände derer zu fallen, die danach trachten, den Mönch einzufangen. Weder nach den Psalmen (die wir gelesen haben) wird Gott uns an jenem Tag richten, noch nach der Trägheit im Gebet, sondern weil durch deren Unterlassen den Dämonen Einlaß gewährt wird. Denn wenn sie eine Stelle finden und hineingehen und die Tür des Brautgemachs, das heißt die geistigen Augen, verschließen, dann vollbringen sie in uns auf quälende Weise das, || 347r was für denjenigen, der ihren Willen tut, Rechenschaft vor Gott mit schwerster Strafe zur Folge hat. Und wir sind ihre Sklaven als Folge der Unterlassung jener kleinen Dinge (des beharrlichen Gebets etc.), die um Christi willen unserer Beachtung würdig wären, wie von höchst Weisen geschrieben steht. Wer sein Wollen nicht Gott unterordnet, wird sich seinem Gegner unterordnen. So wird dir das, was dir als ein Geringfügiges erscheint, zu Mauern vor dem, was uns zu Gefangenen macht. Sie (diese kleinen Dinge) innerhalb der Zelle zu verrichten, ist von weisen Kirchenmännern zum Schutz unseres Lebens im Geist der Offenbarung festgelegt worden. Dies zu unterlassen, wird von denen, die der Klugheit ermangeln und den daraus entstehenden Schaden nicht bedenken, für gering erachtet. Der Anfang und die Mitte ihres Weges ist die törichte Freiheit, die die Mutter der Leidenschaften ist. Denn es ist besser, sich zu bemühen, die geringfügigen Dinge nicht zu unterlassen, als der Sünde in ihnen Raum zu geben. Knechtschaft ist das schroffe Ende der Freiheit zur falschen Zeit. Solange Empfindungen für das, was dir an Ereignissen begegnet, in dir lebendig sind, halte dich für tot. | 347v Denn das Lodern der Sünde wird in allen deinen Gliedern nicht nachlassen, und du wirst für dich keine Rettung erlangen können. Wenn ein Mönch in seinem Herzen sagt, daß er sich davor bewahre, dann will dieser nicht begreifen, wann er den Backenstreich erhält. Wer seinen Freund verführt, verfällt der Verfluchung nach dem Gesetz. Wer sich aber selbst verführt, welche Ver-
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geltung wird er wohl erfahren? Denn als ein Wissender heuchelt er Unwissenheit. Aber daß er es weiß, zeigt er als ein von seinem Gewissen Überführter. Und das ist ihm nicht angenehm. Denn er weiß, daß er sich unwissend stellt. O, wie süß sind die Ursachen der Leidenschaften. Die Leidenschaften aber kann man abtrennen, und fern von ihnen kommt man zur Ruhe und freut sich, wenn sie ein Ende haben. Die Ursachen aber kann (d)er (Mensch) nicht vergessen. Deshalb werden wir wider Willen geprüft. Und wir sind zwar bekümmert unter (der Wirkung von) den Leidenschaften, doch wir lieben es, wenn sie in uns bleiben. Sünden wünschen wir uns nicht. Aber die Ursachen, die uns diese bringen, nehmen wir voller Lust auf. Deshalb sind die Letzteren schuld || 348r durch das Wirken der Ersteren. Wer die Anlässe für die Leidenschaften liebt, ist deren Helfer, ob er will oder nicht, und wird zum Sklaven der Leidenschaften. Wer seine Sünden haßt, läßt von ihnen ab, und wer sie bekennt, dem werden sie nachgelassen. Denn niemand kann von der Gewohnheit der Sünde ablassen, bevor er nicht Feindschaft zu ihr gefaßt hat, und Nachlaß erlangen vor dem Bekennen seiner Verfehlungen. Dies ist wahrhaft die Ursache der Demut, und diese (die Ursache) für die Reue, die von da das Herz ergreift. Wenn wir nicht zu hassen beginnen, was Haß verdient, können wir, wenn wir es in unseren Seelen tragen, weder den üblen Geruch seines Wirkens wahrnehmen noch seinen Gestank. Solange du aber nicht das Unziemliche abwirfst, begreifst du weder, von welcher Schande du umgeben bist, noch welche Scham sich daraus ergibt. Wenn du aber bei anderen deine Last erblickst, dann wirst du die Schande begreifen, die auf dir liegt. Entferne dich aus der Welt, und du wirst plötzlich ihren üblen Geruch begreifen. Wenn du sie aber | 348v nicht verläßt, wirst du nicht lernen wie (übel ihr Geruch ist), sondern du wirst dich vielmehr wie mit einem guten Duft in ihren Gestank hüllen, und die Nacktheit deiner Schande wirst du für den Umhang deines Ruhmes halten. Selig, wer sich von der Welt und ihrer Finsternis entfernt und (nur) auf sich allein achtet. Weder kann der Blick noch das Urteilsvermögen wirken oder demjenigen dienen, der inmitten eitler Dinge lebt. Denn wie könnte sein getrübtes Urteilsvermögen beurteilen, was sich geziemt. Selig, wer die Macht seiner Trunkenheit verlassen hat und sein maßloses Lärmen, nachdem er bei anderen gesehen hat, wie es darum bestellt ist, weil er dann seine Schande begreift. Denn solange jemand den Lärm seiner Sünden in sich trägt, erscheint ihm das alles prächtig, was von ihm getan wird. Wenn die Natur sich außerhalb ihrer Ordnung befindet, dann ist es gleichgültig, ob sie vom Wein oder lüsternem Verlangen trunken ist, weil beide den rechten Zustand verlassen und beide die gleiche Hitze im Leibe entfachen, in dem sie vorhanden sind. Denn die Arten (der Erregung) || 349r sind zwar verschieden, doch die Auflösung (im
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Körper) ist ein und dieselbe, und die Veränderung ist ein und dieselbe. Die verschiedenen Ursachen sind einander nicht gleich, sie unterscheiden sich nach der Aufnahmefähigkeit eines jeden. Auf jede Erleichterung folgt Leiden, und auf jedes Leiden um Gottes willen folgt Erleichterung. Wenn alle Dinge, die in dieser Welt der Vergänglichkeit unterliegen und die Vergänglichkeit auf gegensätzlichen Ursachen beruht entweder hier oder in Zukunft oder beim Verlassen (dieser Welt) und mehr noch wegen der Wonne der Unzucht oder wegen des Leidens, das sich aus dem Widersetzen gegen diese Wonne (der Verlockung) um der Heiligung willen ergibt, so richtet Gott auch dies in Seiner menschenliebenden Weise, entweder auf dem (Lebens-) Wege selbst oder an dessen Ende Qualen zu erfahren und sie dank Seiner reichen Gnade zu überwinden als eine Belohnung, jenes aber als Unterpfand. Denn selbst zur letzten Stunde verwehrt Er nicht, das Gute zu erlangen. Das Böse aber verbietet Er, denn gepeinigt zu werden entspricht der Strafe, so wie geschrieben steht, der hier Bestrafte verzehrt seine Schande. Hüte dich vor deiner (freien) Selbstbestimmung, | 349v die der tückischen Knechtschaft vorangeht. Hüte dich vor dem Trost, der dem Kampf vorausgeht. Hüte dich vor dem Wissen, das der Begegnung mit den Prüfungen vorausgeht, wie auch vor dem Häufigsten, vor dem Verlangen, ehe du deine Reue geübt hast. Denn wenn wir alle Sünder sind und nichts über Prüfungen erhaben ist und keine von den Tugenden höher steht als die Reue, wie kann dann deren Sache jemals ein Ende finden. Diese aber geziemt sich für alle Sünder und Gerechten, die stets ihre Rettung zu erlangen gewillt sind. Und es gibt keine Grenze der Vollkommenheit, weil die Vollkommenheit auch dieser Vollkommenen in Wahrheit nicht vollkommen ist. Deshalb ist die Reue weder durch die Zeiten noch die Werke selbst bis zum Tode (in ihrem Umfang) bestimmt. Sei eingedenk, daß jedem Genuß Ekel und Bitterkeit hinterherfolgen. Hüte dich vor dem Genuß, der nicht mit dem Grund zur Veränderung verbunden ist. Denn von allem, || 350r für das es verborgenermaßen eine Vorsehung von oben gibt, kannst du die Grenze und Ursache seiner Veränderung weder begreifen noch erkennen. Fürchte dich vor jenen, von denen du meinst, daß sie Rechtschaffenheit besäßen, weil sie, wie es heißt, abseits des Weges gehen. Der Welcher in Seiner Allwissenheit das Schiff der Welt zu lenken versteht, hat die Veränderung all dem Seinigen beigegeben. Und außerhalb davon ist Schatten. Der Erschlaffung der Glieder folgt Raserei und Verwirrung der Gedanken, und dem übermäßigen Handeln Verzagtheit und der Verzagtheit die Raserei. Aber die eine Raserei unterscheidet sich von der anderen Raserei. Denn auf die erstgenannte Raserei folgt ausschweifender Streit, der zweiten aber das Verlassen der Stätte des Schweigens und das Umherziehen von Ort zu Ort. Für das maßvolle und
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beharrliche Handeln gibt es keinen Preis. Das Nachlassen darin vermehrt den Genuß, die Maßlosigkeit aber die Raserei. Ertrage den Unverstand der Natur, der in dir siegreich geblieben ist, o Bruder, denn du hast dich wohl vorbereitet zu einem Sein | 350v in jener Weisheit, die ewig während die Krone des Herrschens besitzt. Mögest du nicht die Verwirrung von Adams Leib fürchten, der zu einem Sein in jener Wonne wohl vorbereitet ist, deren Erkenntnis hier außerhalb des Begreifens der an das Fleisch Gebundenen liegt, wenn nämlich das himmlische Vorbild kommt, der König des Friedens. Laß dich nicht beirren von der Veränderung der Natur, weil das Leiden darunter von kurzer Dauer für denjenigen ist, der dies freudig annimmt. Denn die Leidenschaften sind den Hundewelpen ähnlich geworden, die gewöhnt sind, sich bei den Schlächtern herumzutreiben und bei einem einzigen Laut davonzulaufen, unbeachtet aber gebärden sie sich wie Löwen. Mißachte das kleine Verlangen, damit du nicht durch dein Denken die Kraft seiner Entfachung auslösest, weil das kurze Erdulden geringer Dinge die Gefahr der großen Dinge abwehrt. Denn man kann nicht die großen Dinge bewältigen, wenn man nicht in den kleinen siegreich war. Bedenke, o Bruder, den Stand, den du einnehmen wirst. Zu ihm gehört nicht ein Leben || 351r wie das von denen, die sich wie durch wäßrigen (Schlamm) kriechend bewegen, sondern ein Leben, das die Sterblichkeit aufhebt. Und es gibt darin kein Entfachen der (zerstörerischen) Auflösung, dieser Auflösung, die durch die Verlockung der Lust der jugendlichen Natur Mühsal bereitet. Ertrage die Mühsal der Anstrengung, durch die du zur Prüfung geleitet wurdest, damit du von Gott die Krone empfangen und Ruhe finden magst nach dem Verlassen dieser Welt. Sei auch jener Labsal eingedenk, die kein Ende hat, und des Lebens ohne listige Verführung und der Schaffung der vollkommenen und unveränderlichen Ordnung und des Eingebundenseins, das dich zur Gottesliebe zwingt und die Natur beherrscht. Mögen wir dessen gewürdigt werden durch die Gnade Christi. Ihm sei mit dem Vater, Der keinen Anfang hat, und Dem Allerheiligsten Geist Ruhm nun und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen. Rede 72 (351r ‒ 352v) Von der Bewahrung des Herzens und der sehr feinen Form der Betrachtung Wenn du allein in deiner Zelle bist, übe dich beständig im Lesen der Troparien und in den im Sitzen verrichteten Gebeten und im Gedenken des Todes und in der Hoffnung auf das Künftige, wenn du noch nicht die Kraft zum wahren Schauen erlangt hast. | 351v Denn dies sammelt den Geist und läßt ihn nicht umherschweifen, bis das wahre Schauen kommt. Denn die Kraft des Geistes ist stärker als die Leidenschaften. Übe dich also in der Hoffnung
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auf das Kommende, indem du an Gott denkst. Und achte gut auf den Geist der Troparien, und hüte dich vor den äußerlichen Dingen, die in dir Wünsche erwecken; und die kleinen Dinge, die durch dich in deiner Zelle geschehen, bewahre (zugleich) mit ihnen. Und erforsche beständig deine Gedanken, und bete darum, daß du in diesem deinem Leben Augen erlangest. Von da beginnt für dich Wonne zu fließen. Dann wirst du Bedrängnisse entdecken, die süßer als Honig sind. Denn niemand kann die Leidenschaften besiegen außer durch sinnlich wahrnehmbare sichtbare Tugenden. Das Umherschweifen des Geistes aber kann niemand überwinden außer im Nachsinnen mit geistigem Wissen. Unser Geist ist leicht, und sofern er nicht mit einem Vorhaben verbunden ist, läßt er nicht ab vom Umherschweifen, und ohne Vervollkommnung der zuvor genannten Tugenden kann er diesen Schutz nicht erhalten. || 352r Wenn er aber die Feinde nicht überwinden wird, kann er nicht in Frieden leben, und wenn kein Friede herrscht, wie kann er das erlangen, was im Frieden enthalten ist? Denn die Leidenschaften sind Hindernisse für die verborgenen Tugenden der Seele, und wenn diese nicht zuerst durch die sichtbaren Tugenden fallen, kann man nicht sehen, was in ihnen ist. Derjenige, der außerhalb einer Mauer ist, kann mit denen, die innerhalb (derselben) sind, nicht (zusammen) leben. Und keiner sieht die Sonne in der Dunkelheit noch die Tugend der Seele, solange noch der Aufruhr der Leidenschaften anhält. Bete zum Herrn, daß Er dich das Verlangen nach dem Geist und der Liebe zu Ihm verspüren lasse. Wenn aber dieses Gefühl und das Verlangen nach dem Geist dich überkommt, dann wirst du die Welt verlassen, und die Welt wird dich verlassen. Das aber kann man ohne das Leben im Schweigen und Askese und das Lesen besonderer Traktate hierüber nicht spüren. Und ohne dieses braucht man nicht jenes zu suchen. Wenn du aber dieses verlangst, verwandeln sie (die Tugenden) sich allmählich und werden zu etwas Körperlichem. Wer es zu begreifen vermag, | 352v der möge es begreifen. Dem weisen Herrn hat es gefallen, daß wir im Schweiße dieses Brot essen. Aber nicht aus Zorn hat Er dies getan, sondern damit wir nicht verdorren und sterben. Eine jegliche Tugend ist die Mutter einer zweiten. Wenn du aber die Mutter verläßt, die die Tugenden gebiert, und aufbrichst, um die Töchter zu suchen, ehe du die Mutter gefunden hast, werden sie zu Nattern für die Seele, und wenn du sie nicht von dir wirfst, wirst du alsbald sterben. Rede 73 (352v – 353v) Ein Zeichen für die Wirkung der Liebe zu Gott Die Liebe zu Gott ist ihrer Natur nach inbrünstig, und wenn sie jemanden im Übermaß überfällt, versetzt sie die Seele in Ekstase. Deshalb kann das Herz
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eines Menschen, das sie gespürt hat, sie nicht in sich aufnehmen und darin verharren. Nach dem Grad der Eigenart dieser Liebe, die ihn überkommen hat, kann man in ihr eine ungewöhnliche Veränderung erkennen, und dies sind deren spürbare Zeichen. (Es sind) selige Zeichen: Das Gesicht des Menschen errötet vor freudiger Liebe, und in seinem Leib wallt Hitze auf. Die Angst weicht von ihm, || 353r und die Scham, und er ist gleichsam in Ekstase. Und die Kraft, die den Geist zusammenhält, flieht ihn, und er ist wie von Sinnen. Den schrecklichen Tod erachtet er als Freude, und sein (geistiger) Blick wird nicht losgerissen von der Betrachtung der himmlischen Dinge. Ohne da zu sein, für niemanden sichtbar, spricht er als sei er anwesend. Sein Wissen und sein natürliches Sehen vergehen, und er nimmt mit den Sinnen die Bewegung durch die Gegenstände in sich nicht wahr, und er unterhält sich beständig gleichsam wie mit einem anderen. An diesem Leiden haben sich Apostel und Märtyrer berauscht. Denn die Apostel sind durch die ganze Welt gezogen und haben sich gemüht und wurden geschmäht, ebenso die Märtyrer mit ihnen, andere irrten durch Wüsten, gesetzte Menschen wurden zu Unbesonnenen, die Weisen hielten sich für Toren. Möge Gott uns gewähren, diese Torheit zu erlangen. Über die Demut Wenn du, noch bevor du die Stadt der Demut betrittst, dich selbst betrachtest (und findest) wie ruhig du geworden bist in Bezug auf das, was die Leidenschaften bringen, dann mögest du dir nicht trauen, | 353v denn der Feind bereitet dir irgendeine Form des Fangens vor. Und sei nach der Ruhe auf einen großen Aufruhr gefaßt. Denn wenn du die Wohnstätten der Tugenden durchläufst, wirst du weder Ruhe von deiner Mühsal finden noch Linderung von hinterhältigen Anschlägen, bis du die Wohnstätte der Demut erreicht hast. Ihrer möge uns Gott in Seiner Gnade würdigen. Rede 74 (353v – 355v) Von den Arten der Tugenden und dergleichen (mehr) Die Askese ist die Mutter der Heiligkeit. Von ihr (der Askese) wird das erste Kosten des Gespürs für die göttlichen Geheimnisse erzeugt, das die erste Stufe der geistigen Erkenntnis genannt wird. Doch niemand möge sich selbst überlisten und Märchen erträumen. Denn die besudelte Seele steigt weder in das reine Königreich auf, noch kann sie sich mit dem Geist der Heiligen verbinden. Umgib die Schönheit deiner Keuschheit mit einem Wall von Tränen und Fasten und Zurückgezogenheit in der Stille. Ein kleiner Kummer um Gottes willen ist besser als große ohne Kummer vollbrachte Werke. Denn ein freiwillig angenommener Kummer strahlt als Prüfung des Glaubens durch die Liebe. Ein Werk der Ruhe aber kommt von der Sättigung des
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Gewissens. || 354r Deshalb wurden die Heiligen in Drangsalen und nicht durch Linderung in ihrer Liebe zu Christus geprüft, weil die ohne Mühsal bewirkte Tat die Rechtschaffenheit der weltlichen Menschen ist, die ihre Barmherzigkeit nach Äußerlichkeiten erweisen und nicht in sich selbst finden. Du aber, Streiter und Nachahmer des Leidens Christi, ermanne dich, damit du würdig befunden werdest, von seinem Ruhm zu kosten. Wenn wir aber mit Ihm leiden, werden wir auch mit Ihm verherrlicht [Röm 8,17]. Denn es ist offenkundig, daß (unser) Geist nicht mit Jesus verherrlicht werden kann, wenn der Leib nicht für Christus leidet. Wer sich also nicht um Menschenruhm sorgt, der wird des Ruhmes Gottes gewürdigt, und sein Leib wird mit seiner Seele gerühmt. Der Ruhm des Leibes ist die keusche Unterordnung vor Gott, der Ruhm des Geistes aber ist das wahre Schauen Gottes. Die wahre Unterordnung ist eine zweifache, sowohl in den Taten als auch in den Schmähungen. Denn wenn der Leib leidet, so leidet auch das Herz zugleich. Wenn du Gott nicht kennst, kann sich in dir nicht die Liebe zu Ihm regen, und du wirst nicht die Liebe zu Gott in dir entfachen können, wenn du Ihn nicht siehst. Die Gottesschau kommt vom Erkennen Gottes, denn das Schauen | 354v geht nicht Seinem Erkennen voraus. Gewähre mir, o Herr, Dich zu erkennen und Dich zu lieben, nicht in dem Wissen, das im Zerstreuen des Geistes durch Unterweisung kommt, sondern gewähre mir jenes Wissen, in dem der Geist Dich erblickt (und) Deine Natur rühmt in einem Schauen, das dem Sinn das Wahrnehmen der Welt nimmt. Gewähre mir, daß ich mich über das vom Wollen bestimmte Sehen erhebe, das Trugbilder erzeugt, und Dich sehe unter dem Zwang der Fessel des Kreuzes im zweiten Teil der Kreuzigung des Geistes, der Ruhe findet in der Freiheit vom Wirken der Gedanken in der steten Betrachtung von Dir, die über die Natur hinausgeht. Mache, daß in mir die Liebe zu Dir wachse, damit ich, Deinem Verlangen folgend, aus dieser Welt gehe. Rege in mir die Betrachtung Deiner Demut an, mit der Du in der Welt gelebt hast unter der Hülle, mit der Du Dich, von unseren Gliedern (genommen) bekleidet hast, damit ich in dieser reichen und unvergeßlichen Erinnerung mit Wonne die Demütigung meiner Natur annehme. Es gibt zwei Arten, zum Kreuz aufzusteigen. || 355r Die eine ist die Kreuzigung des Leibes, und die zweite das Aufsteigen zum geistigen Schauen. Die erste aber kommt von deiner Freiheit. Die zweite kommt von der Wirkung der Werke. Ihr ordnet sich der Geist nicht unter, wenn sich der Leib nicht unterordnet. Das Reich des Geistes ist die Kreuzigung des Leibes. Der Geist ordnet sich Gott nicht unter, wenn sich die Selbständigkeit nicht dem Vernünftigen unterordnet. Es ist nicht leicht, etwas Hohes jemandem zu vermitteln, der ein Neueingetretener (Mönch) ist und im Alter eines Kleinkindes. Wehe dir, o Stadt, in der dein Herrscher jung ist [Koh 10,16]. Wer
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sich Gott unterordnet, ist nahe daran, daß sich ihm alle unterordnen. Wer sich selbst erkennt, der wird Erkenntnis von allem erhalten, weil das Selbsterkennen die Vollkommenheit der Erkenntnis von allem ist. Und in der Unterordnung deiner Seele ordnet sich dir alles unter. Zu der Zeit, in der die Demut in deinem Leben herrscht, ordnet sich dir deine Seele unter, und mit ihr ordnet sich dir alles unter, weil in deinem Herzen die Demut durch Gott hervorgebracht wird. Wenn du aber außerhalb von dem bist, wirst du nicht nur von Leidenschaften, sondern auch von Zufällen | 355v verfolgt werden. Wahrhaftig, o Herr, wenn wir nicht demütig werden, hörst Du nicht auf, uns zu demütigen. Die wahre Demut ist die Geburt des Wissens, und das wahre Wissen ist die Geburt der Prüfungen. Rede 75 (355v – 363v) Vom reichlichen Fasten und der (inneren) Sammlung an einem Ort und was dies bewirkt und wie er (Isaak) durch Kenntnis der Unterscheidung sicher belehrt wurde im Tun von diesem und ähnlichem Nachdem ich lange Zeit zur Rechten und zur Linken geprüft wurde und oftmals mich selbst in diesen beiden Arten geprüft habe und vom Gegner zahllose Wunden empfangen habe und im Verborgenen großen Schutzes gewürdigt worden bin, habe ich in langen Jahren durch Gottes Gnade Erfahrung erlangt und durch Erfahrung dieses gelernt: Das Fundament von allem Guten und den Aufruf der Seele aus der Gefangenschaft des Feindes und den Weg zum Licht und zum Leben – dies beinhalten diese zwei Arten: die (innere) Sammlung an einem Ort und das unentwegte Fasten, das heißt, sich weise und vernünftig die Enthaltsamkeit des Bauches || 356r zur Regel zu bestimmen bei unbeweglichem Sitz(en an einem Ort) und reichlicher Ablösung (von anderen Dingen) und Nachsinnen über Gott. Von daher kommt die Unterordnung der Sinne, von daher die Nüchternheit des Geistes, von daher kommt die Zähmung der tobenden Leidenschaften, die im Leib aufgewühlt werden, von daher die Sanftmut der Gedanken und die lichten Regungen des Gemüts, von daher der Eifer zu tugendhaften Werken, die erhabenen und feinen Gedanken, von daher die zahllosen Tränen, die allzeit fließen, von daher die reine Keuschheit, die jeglichem Schwärmen, das den Sinn in Versuchung führt, vollkommen fernsteht, von daher das Gedenken des Todes, von daher der scharfsichtige Blick für das, was (noch) in der Ferne ist, von daher das Tiefste der geheimnisvollen Gedanken, die der Sinn durch die Kraft der göttlichen Worte erfaßt, und die innersten Regungen, die in der Seele vor sich gehen, und die Verschiedenheit und die Unterscheidung der Geister und der wahren Sicht von den nichtigen | 356v Traumgebil-
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den, von da die Angst vor den Wegen und Pfaden im Meer des Geistes, die Trägheit und Gleichgültigkeit abtrennt, und die Flamme des Eifers, die jegliche Not und Furcht erstickt, und die Inbrunst, die jedes Verlangen verachtet und dies aus dem Sinn tilgt und zusammen mit anderem jedes Erinnern an Vergängliches vergessen macht – kurz gesagt – die Freiheit des wahren Menschen und das Frohlocken der Seele und die Auferstehung mit Christus im Himmelreich. Wenn aber jemand diese beiden (Arten) vernachlässigt, dann möge er wissen, daß er nicht nur alles einbüßt, wovon die Rede war, sondern er bringt auch die Grundlage aller Tugenden ins Wanken durch die Mißachtung von diesen beiden (Arten). Und so wie diese in der Seele Anfang und Haupt von allem Wirken für Gott und die Tür und der Weg zu Christus sind, wenn jemand an diesen festhält und in ihnen verbleibt, so gelangt jemand, der sie verläßt und von ihnen abspringt, zu den diesen beiden Entgegengesetzten, ich meine aber zum Umherirren des Leibes und ungehemmter Völlerei. Diese sind die Anfänge des zuvor || 357r genannten Entgegengesetzten und werden den Leidenschaften in der Seele eine Wohnstätte geben. Und der erste Anfang des Einen (des Umherirrens) löst zuerst die Gefühle, die sich untergeordnet hatten, von den hemmenden Banden. Und was folgt daraus? Daher kommen die unziemlichen und unverhofften Begegnungen, die fast Stürzen gleichen, der Aufruhr kräftiger Wogen, das von der Schärfe der Augen geweckte heftige Entflammen, das den Körper erfaßt und festhält, das leichte Ausgleiten beim Nachsinnen, unaufhaltbare Gedanken, die zum Sturz drängen, das Erkalten der Liebe zu den Werken Gottes und das allmähliche Verblassen der Besonderheit des Lebens im Schweigen und das vollständige Aufgeben der Richtschnur des eigenen Lebens, die Erneuerung der vergessenen Übel und das Erlernen anderer, die der Mensch nicht kannte, durch die ihm, da sie ihn ständig begleiten, vielfältige Anblicke beim Übergang von einem Land in ein anderes und von einem Ort an einen anderen begegnen. Und Leidenschaften, die durch die Gnade Gottes schon aus seiner Seele | 357v getilgt und durch das Vergessen der Erinnerungen in seinen Gedanken vernichtet waren, die geraten nun wieder in Bewegung und beginnen die Seele zu ihrem Vollziehen anzuhalten. Und ich sollte nicht noch von allem Übrigen reden. Diese aber offenbaren sich uns aufgrund jener ersten Ursache, das heißt das Leiden vom Umherirren des Leibes und das Nichtertragen des Schweigens, so wie es auch mit der Herde, das heißt mit dem Tun der Schweine geschieht. Denn was haben die Schweine anderes zu tun, als nur den Bauch ohne Ordnung zu belassen und ihn ständig zu füllen, ohne eine bestimmte Zeit für die Bedürfnisse des Leibes zu haben, wie es der Vernünftige tut. Und was geht weiter daraus hervor? Von daher kommt die Schwere des Kopfes, die große Last des Körpers
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mit dem Zusammenbrechen der Schultern und dadurch die Notwendigkeit, den Gottesdienst aufzugeben, denn Trägheit stellt sich darin ein, die tiefen Verneigungen bis zum Boden auszuführen, und die Vernachlässigung der gewöhnlichen Verneigungen, die Verdüsterung und die Kälte des Gemüts. Als Folge des Aufruhrs und der großen Verdunkelung || 358r der Gedanken wird der Geist unfähig zu unterscheiden, dichte und dunkle Finsternis verbreitet sich in der ganzen Seele; große Verzagtheit bei jedem Werk um Gottes willen und auch bei den Lesungen, weil er (der Mensch) die Süße der göttlichen Worte nicht schmeckt; große Untätigkeit in den notwendigen Dingen; ein unkontrollierter Geist, der in der ganzen Welt umherschweift; er sammelt viel Saft in seinen Gliedern, unreine Phantasien nachts, von schlechten und ungebührlichen Bildern erfülltes Verlangen, das die Seele durchzieht und in dieser sich unrein verwirklicht. Und das Lager des Verfluchten und seine Kleidung und selbst der Leib wird besudelt durch die Fülle des schmutzigen Ausflusses, der wie eine Quelle aus ihm sprudelt, und nicht nur nachts, sondern auch bei Tage geschieht ihm das. Denn der Leib fließt ständig aus und besudelt den Sinn, so daß dieser um dieser Dinge willen sich von der Keuschheit abkehrt. Denn die Süße des Reizes wirkt im ganzen Leib in unaufhörlicher und unerträglicher Erregung. Und verführerische Gedanken | 358v kommen ihm, die ihm Schönheit vor ihm ausmalen. Und sie erregen und reizen seinen Geist zur Beschäftigung mit ihnen. Und ohne zu schwanken verbindet er sich mit ihnen in seinen Übungen und in seinem Trachten, wodurch sein Urteilsvermögen getrübt wird. Und dies ist, was der Prophet gesagt hat: Dies ist die Vergeltung der Schwester Sodom, die sich ernährend Brot bis zur Übersättigung aß und so weiter [Ez 16,49]. Dies wurde auch von einem der großen Philosophen gesagt: Wenn jemand seinen Leib reichlich mit Nahrung versieht, versetzt er seine Seele in Aufruhr, und wenn er einmal zu sich kommt und sich zur Festigkeit zwingen will, kann er dies nicht wegen der gewaltigen Erregung der Regungen seines Leibes und unter dem Zwang der Nötigungen und Verlockungen und des Kitzels, die die Seele durch ihre Lüste gefangen halten. Siehst du hier das feine Vorgehen dieser Gottlosen? Und abermals sagt derselbe (Philosoph): Die Nahrung des Leibes zieht alsbald bei der Weichheit und Feuchtigkeit der Jugend die Leidenschaften an und bereitet sie auf für die Seele, und sie umgibt || 359r der Tod, und sie verfällt dem Gericht Gottes. Die Seele aber, die nachsinnt und sich beständig in der Erinnerung des Notwendigen übt, ruht in ihrer Freiheit, und ihre Sorgen sind gering, und sie braucht nichts zu bereuen, weil sie für Tugend sorgt und die Leidenschaften bändigt und die Tugend hütet und sie unbewußt zum Wachstum und zur Freude ohne Leid und zu einem guten Leben und zu einem Hafen führt. Die Genüsse des Lei-
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bes stärken nicht nur die Leidenschaften und verfestigen sie in der Seele, sondern sie berauben sie auch ihrer Wurzeln. Und so reizen sie den Bauch zur Unmäßigkeit und Unordnung. Und sie nötigen dazu, die Unzucht zu erblicken und zur Unzeit die Bedürfnisse des Leibes zu stillen. Und die darin Unterlegenen wollen nicht geringen Hunger ertragen und sich beherrschen, weil er (der Unterlegene) ein Gefangener der Leidenschaften ist. Dies sind die Früchte der Schande, die von der Völlerei kommen. Die aber vor diesen genannten Früchte der Geduld, des Verweilens an einem Ort, bereiten der Seele großen Nutzen. | 359v Deshalb ist auch der Feind, der die Zeiten unserer natürlichen Bedürfnisse kennt, in denen die Natur zur (Stillung) ihres Bedarfs drängt, und (der auch kennt) wie unser Geist durch das Umherschweifen der Augen und durch die Ruhe des Bauches Wünsche entfaltet, bemüht, uns aufzustacheln, damit wir ein Zusätzliches zu den natürlichen Bedürfnissen tun, und in diesen Zeiten in uns Gedankenbilder auszusäen, um, wenn ihm das gelingen sollte, die Leidenschaften in unserer Natur durch vielerlei Verflechtung noch mehr zu bestärken und den Menschen zu Fall zu bringen. Also geziemt es uns, so wie der Feind die Zeiten kennt, daß auch wir unsere Ohnmacht kennen und wie die Kraft unserer Natur nicht genügt gegen die Bestrebungen und Regungen in jenen Zeiten und gegen die Feinheit der Gedanken, die uns in unseren Augen wie Staub in ihrer Feinheit erscheinen, und wie wir diese nicht sehen und dem begegnen können, was uns widerfährt wegen der reichlichen Prüfung, der wir durch den Feind ausgesetzt waren, also weise zu werden und nicht dem Verlangen || 360r nach unserer Ruhe nachzugeben und uns nicht vom Hunger besiegen zu lassen. Vielmehr sollten wir, wenn uns dieser überfällt und bedrängt, uns nicht von der Stätte unserer Zurückgezogenheit fortbewegen und dahin gelangen, wo uns leicht solches widerfährt, noch sollten wir uns Gründe und Formen schaffen, die Einöde zu verlassen. Denn dies sind die Fallstricke des Teufels. Wenn du in der Einöde ausharrst, wirst du nicht versucht werden, denn dort siehst du weder Frauen noch etwas, was deinem Lebenswandel schaden könnte, noch hörst du ungebührliche Stimmen. Was ist mit dir und dem Weg nach Ägypten, daß du das Wasser vom Nil [Jer 2,18] trinkst? Begreife, was ich dir sage. Zeige dem Feind deine Ausdauer in kleinen Dingen, damit er von dir nichts Großes verlange. Dein Gebiet mögen diese kleinen Dinge sein, damit du mit diesen den Widersacher zu Fall bringst, damit er keine Zeit habe und dir große Fallstricke bereite. Denn wer sich weder dem Feind unterwirft, noch (auch nur) fünf Schritte von der Stätte seiner Zurückgezogenheit weicht, wie wird er sich dann ergeben, um sie vollständig zu verlassen! | 360v Und wie kann derjenige, der versehentlich einmal aus dem Fenster schaut, das Schweigen aufgeben? Und wie sollte derjenige, welcher sich
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nicht einmal darauf einläßt, des Abends an der mageren Speise teilzunehmen, von dem Gedanken verführt werden, vor der Zeit zu essen? Und wie sollte es denjenigen, welcher sich schämt, sich von Geringem zu sättigen, nach Großem gelüsten? Und derjenige, welcher sich nicht einmal darauf einläßt, auf seinen eigenen Körper zu achten, wie wird er auf fremde Schönheiten blicken? Es ist aber auch offensichtlich, daß derjenige, welcher zunächst die kleinen Dinge mißachtet, unterliegt und so dem Feind Anlaß gibt, gegen ihn in großen Dingen zu kämpfen. Denn wer nicht Sorge trägt für das zeitliche Leben, um wenigstens für kurze Zeit darin zu verbleiben, wie soll der sich vor den Bitterkeiten und Bedrängnissen fürchten, die zum freundlichen Tod führen? Dies ist ein mit Überlegung geführter Kampf. Denn die Weisen lassen sich nicht zu großen Kämpfen bestimmen. Aber die Geduld, die von ihnen in kleinen Dingen gezeigt wird, ist das, was sie davor bewahrt, nicht in große Beschwernisse zu geraten. Deshalb bemüht sich der Teufel, daß zuerst das unerschöpfliche Gebet des Herzens aufgegeben wird. Dann suggeriert er, derart auch die feststehenden || 361r Zeiten des Gebets und die auf das Leibliche bezogene Regel zu mißachten. Und so wird zunächst der Sinn geschwächt, um vor der Zeit in geringen, kleinen unbedeutenden Mengen Nahrung zu sich zu nehmen, und nach dem Wegfall der Mäßigung gleitet man ab in Völlerei und Unzucht. Und zunächst unterliegt er (der Mensch) – oder eher erscheint es ihm geringer in seinen Augen – darin, auf die Nacktheit seines Leibes oder irgendein anderes Schönes seiner Glieder zu blicken, wenn er seine Gewänder ablegt oder wenn er hinausgeht, um die Notdurft des Leibes zu verrichten oder wenn er zum Wasser geht, und er läßt seine Gefühle schwach werden, oder er führt seine Hand dreist unter seine Gewänder und betastet seinen Körper, und dann dringt eines nach dem anderen in ihn ein. Und wer zuvor nicht die Festigkeit seines Geistes gehütet hat und um eines dieser Dinge willen sich Kummer schuf, der eröffnet dann gegen sich große und schreckliche Möglichkeiten des Zugangs. Denn die Gedanken sind, um es in einem Vergleich zu sagen, wie Wasser, und in dem Maße, wie sie von allen Seiten zusammengehalten werden, fließen sie in wohlgefügter Ordnung dahin; wenn sie jedoch nur geringfügig | 361v heraustreten, zerstören sie den Damm und verursachen ein großes Freisetzen (des Wassers). Denn der Feind steht vor unseren Augen und beobachtet, durch welchen Zugang, der ihm von unseren Gefühlen eröffnet wurde, er eintritt. Wenn wir in einer der vorgenannten Sachen nachlässig waren, dann sendet dieser Listige seine Werkzeuge gegen uns aus. Bisweilen liebt die Natur selbst von sich aus Bequemlichkeit, Unbefangenheit und Lachen und Umherschweifen (der Gedanken) und Müßiggang, und sie ist ein Quell der Leidenschaften und ein Strudel des Aufruhrs, und manchmal gibt dies der Wi-
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dersacher ein. Doch wir tauschen unsere großen Anstrengungen gegen unsere kleinen Anstrengungen aus, die wir für geringfügig erachten. Denn wenn diese, wie gezeigt wurde, von uns geringschätzig angesehenen Dinge so große Mühen und schwer zu bewältigende Anstrengungen und verwirrende Kämpfe und große Wunden zufügen, wer würde nicht eilen, durch geringe Mühe süße Ruhe zu erlangen. O Weisheit, wie wunderbar bist du, und wie siehst du alles von ferne voraus. Selig ist, wer dich gefunden hat. Denn er hat sich von der Trägheit der Jugend || 362r befreit. Wer einen Kauf für einen geringen Kauf(preis) tätigt, das heißt durch die Sorge für die Heilung der großen Leidenschaften, der handelt gut. Denn einmal hat einer der Weisen aus Schwäche gewankt, und da er dies spürte, sich schnell korrigiert. Und ein anderer, der dies sah, lachte darüber. Er aber antwortete: Nicht deshalb habe ich mich gefürchtet, sondern vor der Nachlässigkeit fürchte ich mich. Denn oft ist eine geringe Vernachlässigung der Vermittler großer Nöte. Als ich ungebührlich wankte und mich schnell korrigierte, zeigte ich nur, daß ich wachsam bin und auch das, was keine Furcht verdient, nicht für gering erachte. Dies ist Weisheit, daß der Mensch sich auch in den kleinen Dingen stets wachsam zeigt. Denn er erwirbt sich große Ruhe, und er schläft nicht, damit ihm nichts Widriges widerfahre, (sondern) trennt die Ursachen rechtzeitig ab. Und erträgt in den geringen Dingen geringen Kummer, damit er durch diesen den großen zunichte mache. Die Törichten achten die kleine Bequemlichkeit in der Nähe mehr als das ferne Königreich, weil sie nicht begreifen, daß es weit besser ist, Qualen | 362v im Kampf zu ertragen, als sich auszuruhen auf dem Lager des irdischen Königreiches, verurteilt wegen ihrer Trägheit. Den Weisen aber ist der Tod eher ein Ersehntes, als getadelt zu werden, daß sie etwas von ihren Angelegenheiten unaufmerksam erledigt hätten. So spricht auch der Weise: Sei wachsam und nüchtern, das ist wichtiger als dein Leben. Denn der Schlaf des Verstandes ist ein Abbild des wahren Todes. Der gotterfüllte Basileos hat gesagt: Wer in den kleinen Dingen träge ist, von dem glaube nicht, daß er in großen Dingen Erfolg haben wird. Für das, wodurch du leben willst, verzage nicht (durch dieses) zu sterben. Ein Zeichen der Verzagtheit ist der Kleinmut. Die Mutter von diesen beiden aber ist die Nachlässigkeit. Ein furchtsamer Mensch zeigt, daß er an zwei Gebrechen leidet: Kleingläubigkeit und Fleischesliebe. Wer aber diese mißachtet, bezeugt von sich, daß er Gott aus ganzer Seele glaubt und auf die zukünftigen Dinge hofft. Wenn aber jemand ohne Nöte und Anstrengungen und Versuchungen Gott nahe kommt, dann ahme auch du ihn nach. Unbefangener Mut || 363r des Herzens und Mißachtung von Nöten kommen von einem dieser beiden: entweder von einem verhärteten Herzen oder von einem großen Glauben an Gott. Dem verhärteten Herzen folgt der Hochmut,
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dem Glauben aber die Demut des Herzens. Der Mensch kann nicht Vertrauen zu Gott und Hoffnung auf Ihn erlangen, wenn er nicht zuerst zu einem Teil den Willen Gottes tut. Die Hoffnung auf Gott und die Tapferkeit des Herzens werden vom Zeugnis des Gewissens hervorgebracht, und durch das wahrhafte Zeugnis des Geistes haben wir die Hoffnung auf Gott. Das Zeugnis des Geistes besteht darin, daß jemand in keiner Weise von seinem Gewissen verurteilt wird, daß er etwas vernachlässigt habe, zu dem er seiner Kraft gemäß verpflichtet war. Wenn uns unser Herz aber nicht verurteilt, haben wir Zuversicht vor Gott [1 Joh 3,21]. Denn die Zuversicht kommt vom Fortschreiten in den Tugenden und einem mutigen Gewissen. Denn es ist hart, dem Leib dienstbar zu sein. Wer aber ein wenig von der großen Hoffnung auf Gott spürt, läßt sich nicht zum Sklaven machen für diesen harten Herrscher, den irdischen und vergänglichen Leib. | 363v Unserem Gott sei Ruhm in Ewigkeit. Amen. Rede 76 (363v – 364r) Vom Schweigen und dem zurückgezogenen Leben im Schweigen Das ständige Schweigen und das Beibehalten des Lebens in der Stille geschieht aus diesen drei Ursachen: entweder um des Ansehens vor den Menschen willen, oder wegen des glühenden Eifers für die Tugenden, oder weil jemand in sich gleichsam ein Gespräch mit Gott führt und sein Sinn ihn dahin (zum Gespräch) zieht. Wenn aber jemand eine (Ursache) von den (beiden) letzten nicht hat, muß er notwendigerweise unter der ersten leiden. Tugend ist nicht das Vorzeigen vieler und unterschiedlicher Werke, die mit dem Leib zu erbringen sind, sondern das in seiner Hoffnung höchst weise Herz, weil die (rechte) Umsicht dies mit den Werken um Gottes willen verbindet. Denn der Geist kann auch ohne körperliches Tun Gutes vollbringen. Der Leib aber kann ohne die Weisheit des Herzens, auch wenn er etwas tut, keinen Nutzen daraus erlangen. Dennoch erträgt es ein Mann Gottes nicht, wenn er die Freiheit erlangt, gute Werke zu tun, wenn er nicht in den Mühen seines Tuns seine Liebe zu Gott || 364r zeigen kann. Denn die erste Form ist immer erfolgreich, die zweite ist oftmals erfolgreich, bisweilen jedoch auch nicht. Glaube nicht, daß dies unbedeutend sei, wenn jemand von den Ursachen der Leidenschaften weit entfernt ist. Rede 77 (364r – 366v) Von der Regung des Leibes Die Regung in den unteren Gliedern des Leibes, die ohne scharfsinnige Überlegungen einer unziemlichen süßen Lust geschieht, die durch Hitzewallung in Bewegung gerät und die Seele unwillkürlich in Leidenschaft stürzt,
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kommt zweifelsohne von der Sattheit des Bauches. Begreife, daß auch ohne diese Ursache die Leidenschaft im Leibe brodelt, und halte für eine starke und unbesiegbare Waffe in diesem Kampf das Fernhalten vom Anblick der Frauen. Denn der Feind kann in uns nicht bewirken, was die Natur mit ihrer Kraft nicht machen kann. Meinst du, daß die Natur vergäße, was in sie natürlicherweise von Gott zur Fortpflanzung und zur Prüfung im Kampf angelegt (gesät) ist? Aber das Fernhalten von den Dingen | 364v tötet das Verlangen in den Gliedern und schafft Vergessen und Beseitigung desselben. Anders sind die Gedanken zu den ferner stehenden Dingen und die einfach im Geiste vorüberziehen und (nur) eine kühle und geringe Bewegung erzeugen. Wiederum anders sind die Gedanken, die den Geist auf unvergeßliche Weise in den Anblick der Dinge versenken, und die durch ihre Annäherung die Leidenschaften anregen und den Menschen nähren, wie das Öl das Aufflammen im Leuchter nährt, und die schon abgetötete und erloschene Leidenschaft entfachen und das Meer des Leibes aufwühlen durch die Bewegung im Schiff des Geistes. Die natürliche Regung aber, die in uns um der Fortpflanzung willen lebt, kann gerade ohne eine von außen gekommene Zugabe die Reinheit des Willens nicht trüben und die Keuschheit verwirren, denn Gott gibt der Natur nicht die Kraft, den Ihm entgegengebrachten guten Willen zu überwältigen. Aber wenn jemand bezwungen wird, sei es durch Zorn oder sein Wollen, dann zwingt ihn nicht die natürliche || 365r Kraft, die Grenze des Natürlichen zu überschreiten und sich außerhalb seiner Pflichten zu bewegen, sondern eine Zugabe, die wir der Natur aufgrund unseres Verlangens hinzufügen. Gott aber hat alles, was er geschaffen hat, schön und im rechten Maße geschaffen. Und in dem Maße, in welchem das Ebenmaß richtig in uns erhalten geblieben ist, können uns die natürlichen Regungen nicht zwingen, vom (rechten) Weg abzuweichen. Vielmehr bewegt sich der Leib nur in wohlgeordneten Regungen, als da nur zu wissen ist, daß es in uns eine natürliche Leidenschaft gibt, aber nicht um zu reizen und dahin zu gelangen, die Einhaltung der Keuschheit zu behindern oder wiederum den Sinn durch Grimm zu trüben und von der Demut in den Zorn zu überführen. Wenn wir uns aber irgendwann von den sinnlichen (Trieben) hinreißen lassen, durch die eben die Erregbarkeit gewöhnlich eine über die Natur hinausgehende Richtung annimmt – sei es, daß wir uns im Essen oder Trinken oder in einem Übermaß oder in der Annäherung an Frauen und deren Anblick oder in Gesprächen über sie ergehen ‒, wird von diesen die Flamme | 365v des Verlangens entfacht, und sie hüpft in unserem Leib. Von daher verwandeln wir die natürliche Sanftmut in Raserei oder auch wegen der Stärke des Sturms oder infolge der verschiedenen Anblicke und (weltlicher) Dinge. Solche Bewegung geschieht bisweilen auch mit (Gottes) Billigung um unseres
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Hochmuts willen, und dies ist nicht dasselbe wie jene (vorgenannten). Denn diese nennen wir Kämpfe für die Freiheit, die der Weg der allgemeinen Natur sind. Den Kampf, der (von Gott) zugelassen wird und der uns wegen unseres Hochmuts widerfährt, verstehen wir, wenn wir lange Zeit in Wachsamkeit und Beschwernis verbracht haben und vermeinen, etwas bewirkt zu haben, denn wir sind zum Kämpfen zugelassen, damit wir Demut lernen. Die anderen Kämpfe aber, die ohne diese Ursache über unsere Kräfte gehen, kommen von unserer Trägheit. Weil die Natur, wenn sie infolge der Völlerei eine Zugabe zum Sinnlichen empfangen hat, sich schon nicht mehr fügt, die von ihrer Erschaffung stammende Ordnung zu bewahren. Wer aber die Mühsale der Askese und die Unüberschreitbarkeit (der Zelle) freiwillig verlassen hat, wird gezwungen, die Sünden zu lieben. || 366r Ohne diese aber können wir uns von den Verlockungen unseres Denkens nicht trennen. In dem Maße, in welchem sich die Mühen mehren, werden diese (Verlockungen) geringer, weil Mühsale und Nöte die Sinnenlust töten. Ruhe aber nährt sie und läßt sie wachsen. Also ist klar zu erkennen, daß Gott und Seine Engel sich über die Nöte freuen, der Teufel und seine Diener aber über Völlerei und Bequemlichkeit. Wenn aber die Gebote Gottes unter Mühsalen und Ängsten eingehalten werden, wir jedoch diese verwerfen, dann folgt daraus, daß wir listig versuchen, Den, Der die Gebote erlassen hat, um der Leidenschaften willen, die aus der Bequemlichkeit kommen, zu mißachten. Und wir entkräften die Grundlagen der Tugenden, das heißt die Angst und die Mühsal, und in dem Maße der vorangegangenen Bequemlichkeit bereiten wir den Leidenschaften in uns Raum, weil in einem bedrängten Leib die Gedanken nicht in eitlen Dingen umherschweifen können. Wenn aber jemand mit Freuden Mühsal und Leiden erträgt, dann kann er auch seine Gedanken kräftig zügeln, weil diese Gedanken nicht unter Mühsalen verweilen. Wenn aber ein Mensch sich an seine früheren Sünden erinnert | 366v und sich züchtigt, dann sorgt auch Gott dafür, daß er zur Ruhe kommt, denn Gott freut sich, weil dieser selbst sich wegen der Übertretung von Gottes Weg(en) eine Strafe auferlegt hat, was ein Zeichen der Reue ist. Und in dem Maße, in welchem dieser (Mensch) seine Seele reichlich nötigt, mehrt sich die von Gott auf ihn zukommende Ehre. Jede Freude aber, die nicht in den Tugenden ihre Ursache hat, weckt plötzlich Regungen des Verlangens in demjenigen, der sie erlangt hat. Begreife, daß wir dies über jegliches Verlangen aus Leidenschaft, nicht über natürliches (Verlangen) gesagt haben. Rede 78 (366v – 370r) Von den Arten der verschiedenen Versuchungen und welche Köstlichkeit jene beinhalten, die um der Wahrheit willen geschehen und ertragen wer-
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den, und die Stufen und die Ordnung, in welcher der Mensch klüglich voranschreitet Die Tugenden werden voneinander übernommen, damit ihr Weg nicht mühsam und beschwerlich sei und sie deshalb ihrer Ordnung entsprechend ausgerichtet und erleichtert werden. Und so sollen die mißlichen Dinge um des Guten willen angenehm werden wie das Gute. Denn niemand kann in Wahrheit Selbstlosigkeit erlangen, || 367r wenn er sich dem nicht fügt, Prüfungen freudig zu ertragen. Und niemand kann Prüfungen ertragen, außer jemand der glaubt, daß es für die Bedrängnisse, die auf sich zu nehmen er sich bereitet hat, etwas die Bequemlichkeit des Leibes Übersteigendes gibt. Denn jeder, der sich auf die Selbstlosigkeit vorbereitet hat, wird zuerst von der Liebe zu den Bedrängnissen in sich bewegt, und erst dann kommt ihm der Gedanke, nichts von der Welt erlangen zu wollen. Und jeder, der sich dem Leid nähert, vergewissert sich zuerst seines Glaubens und nähert sich dann den Leiden. Wer sich von den materiellen Dingen trennt aber nicht von der Wirkung der Sinne, ich meine des Sehens und Hörens, hat sich doppelten Kummer erbeten und wird doppelt leiden und betrübt sein. Mehr noch: Was wäre es für ein Nutzen, sich der sinnlichen Dinge zu berauben und sie (zugleich) durch die Sinne zu genießen. Denn er (der Mensch) wird dasselbe durch die in ihnen vorhandenen Leidenschaften erleiden, wie er früher (in ihrem Besitze) handelnd litt, weil der Gedanke an ihr gewohntes Vorhandensein ihm nicht aus dem Sinn geht. Wenn aber die gedanklich vorgestellten Dinge ohne deren (reales) Vorhandensein dem Menschen Schmerz zufügen, | 367v was sollen wir dann von dem Zusammensein mit den auf uns zukommenden (realen Dingen) sagen? Ferner: Gut ist das Einsiedlerleben, weil es eine große Hilfe ist, denn es zügelt mächtig die Gedanken, und es verleiht Kraft durch das Verweilen darin und lehrt den Menschen große Geduld bei den ihm bevorstehenden notwendigen Leiden. Begehre nicht, von jemandem einen Rat zu erhalten, der nicht deine Lebensweise teilt, auch wenn er sehr weise ist. Halte dich eher an einen Unwissenden, der in den Dingen geprüft ist, als an einen Philosophen, der seine Rede aufgrund seiner Forschungen ohne Erfahrung der Dinge führt. Was ist denn Erfahrung? Erfahrung bedeutet nicht, daß irgendjemand sich zu irgendwelchen Dingen begibt und sie betrachtet, ohne Wissen über sie in sich aufgenommen zu haben, sondern daß er ihren Nutzen und Schaden durch tätiges Verweilen bei ihnen erkennt. Denn oft wird festgestellt, daß eine Sache einen Schaden habe, in der nur Nutzen gefunden wird. Dasselbe Bild erkenne auch bei dem diesem Entgegengesetzten, das heißt, oft sieht man eine Sache voll des Nutzens, || 368r innerlich aber ist sie voller Schaden. Auf diese Weise erleiden viele Menschen von Dingen, die nach einem Gewinn aussehen, einen Scha-
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den, und so ist auch das Zeugnis ihres Wissens nicht wahr. Mache daher jenen zu deinem Ratgeber, der geduldig die Dinge zu prüfen versteht, die der Beurteilung bedürfen. Deshalb ist nicht jeder vertrauenswürdig, einen Rat zu erteilen, (sondern) nur der, welcher zunächst seine Freiheit (gut) gesteuert hat und weder Verleumdung noch Verurteilung fürchtet. Wenn du auf deinem Weg unveränderlichen Frieden findest, dann fürchte dich, weil du dich weitab vom ursprünglichen Pfad befindest, der von den geplagten Füßen der Heiligen ausgetreten worden ist. Denn je mehr du auf dem Weg zur Stadt des (Himmel-) Reiches voranschreitest und dich der Stadt Gottes näherst, möge dies dir ein Zeichen sein, daß auf dich die Wucht der Versuchungen zukommt, und je mehr du darin fortschreitest, desto mehr vermehren sich die Versuchungen für dich. Wenn du aber in deiner Seele verschiedene und heftigste Versuchungen verspürst, dann wisse, daß in diesen Zeiten deine Seele wahrhaftig | 368v eine andere hohe Stufe erreicht hat und daß sich ihr in dem Zustand, in dem du dich befindest, die Gnade genähert hat. Denn entsprechend der Größe der Gnade in allem führt Gott die Seele in die Bedrängnisse der Prüfungen, nicht in weltliche Versuchungen, die da sind, um Bosheit zu zügeln und offensichtliche Sachen, auch nicht solche körperlicher Verwirrung solltest du darunter verstehen, sondern Versuchungen, wie sie Mönchen in ihrer Zurückgezogenheit zukommen, denn diese wollen wir nachfolgend unterscheiden. Wenn aber eine Seele kraftlos ist und nicht geeignet für große Prüfungen und darum bittet, solchen nicht unterzogen zu werden, und Gott sie erhört, dann wisse deutlich, daß in dem Maße, in welchem sie nicht zu großen Prüfungen taugt, sie ebenso für große Gaben nicht taugt. Und so wie der Angriff derartiger großer Versuchungen von ihr ferngehalten wurde, werden ihr auch die großen Gaben vorenthalten. Denn Gott gibt keine große Gabe ohne große Prüfung. Weil den Prüfungen entsprechend auch die Gaben von Gott in Seiner Weisheit bestimmt worden sind, || 369r die die von Ihm Geschaffenen nicht erfassen. Also erfährt deine Seele durch die schlimmen Bedrängnisse, die dir durch die Vorsehung Gottes widerfahren, wieviel sie von der Herrlichkeit (Gottes) empfangen hat, (denn) der Drangsal entsprechend ist auch der Trost. Was aber kommt zuerst: die Versuchung und dann die Gabe, oder kommt zuerst die Gabe und so die Versuchungen? Die Versuchung kommt nicht, wenn die Seele nicht zunächst heimlich Größe über ihr (bisheriges) Maß hinaus erlangt hat und den Geist der Gnade, die sie zuerst empfangen hat. Davon legt die Versuchung des Herrn Zeugnis ab, und ähnlich verhält es sich mit den Versuchungen der Apostel. Denn sie durften nicht in Versuchung geraten, ehe sie nicht den Tröster empfangen hatten. Denjenigen aber, die teilhaben am Guten, steht es auch zu, dessen Versuchungen zu ertragen, weil mit dem Guten auch der
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Kummer (verbunden) ist. So hat es dem allwissenden Gott gefallen, in allem zu handeln, und wenn es sich so verhält, das heißt, daß die Gabe vor der Versuchung kommt, so ging doch jedenfalls das Verspüren der Versuchungen dem Verspüren der Gnade um der Erfahrung der Freiheit willen voraus. Denn niemals | 369v geht die Gnade bei jemandem dem Verspüren der Versuchungen voraus. Die Gnade geht im Geiste voraus, im Verspüren kommt sie hinterher. Folglich kommt es uns zu, in Zeiten dieser Versuchungen zweierlei einander entgegengesetzte (Empfindungen) zu haben, die sich in nichts ähneln. Diese aber sind Freude und Furcht – Freude, wie du dies aus dem Begreifen der Versuchungen erkennst, weil wir erkannt haben, daß wir auf dem von den Heiligen betretenen Pfad schreiten, mehr noch auf dem Desjenigen, Der allem Leben gibt. Furcht aber müssen wir davor haben, daß wir nicht irgendwie aus Gründen des Hochmutes in diesen Dingen versucht werden. Die demütigen Weisen aber werden durch die Gnade befähigt, dies unterscheiden zu können und zu erkennen, was eine Versuchung wegen des Hochmutes ist und was von den aus Liebe versetzten Backenstreichen kommt. Denn es werden Prüfungen, die vom Aufsteigen und Wachsen eines Lebens im Guten kommen, von den Prüfungen unterschieden, die zugelassen werden zur Strafe für den Hochmut des Herzens. Die Prüfungen durch die Rute des Geistes || 370r im Voranschreiten und Wachsen, in denen die Seele belehrt wird, sind diese: Trägheit, Schwere des Leibes, Schwächung der Glieder, Verzagtheit, Verwirrung des Sinnes, Schmerzen des Leibes, Trübung der Gedanken, die zeitweilig die Hoffnung nimmt, Mangel an menschlicher Hilfe, Mangel an dem, dessen der Leib bedarf und dergleichen mehr. Durch diese Prüfungen erlangt der Mensch eine einsame unentwegte Seele, und ein abgetötetes Herz und große Demut. Dadurch wird der geprüft, der begonnen hat nach dem Schöpfer zu verlangen. Und dies bestimmt der Fürsorgende (Gott) entsprechend der Kraft und nach dem Bedürfnis der Empfangenden. Dies wird ihnen bereitet: Trost und Kummer, Licht und Finsternis, Kämpfe und Beistand und kurz gesagt: Es wird eingeengt und weit gemacht, und das ist ein Zeichen für das Voranschreiten des Menschen durch Gottes Hilfe. Rede 79 (370r – 372r) Von der Überheblichkeit Die Prüfungen, die mit Gottes Hilfe denen widerfahren, die keine Scham kennen und sich in ihren Gedanken vor der Gnade Gottes brüsten | 370v und in ihrer Überheblichkeit Seine Gnade mißachten, sind diese: offene Versuchungen durch die Dämonen, die die Grenze(n) der Kraft der Seele übersteigen; Verlust der Kraft ihrer Weisheit; heftiges Verspüren unzüchtiger Ge-
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danken, die für sie zur Demütigung ihrer Überheblichkeit zugelassen werden; Jähzorn; Durchsetzungswillen; Lust am Streit mit Worten; dreistes Befehlen; von Herzen kommende Mißachtung (von allem); völlige Irreführung des Verstandes; Lästerung des Namens Gottes; törichter Sinn voller Gelächter oder mehr noch Weinen; von den Menschen verachtet zu werden und die Ehre zu verlieren; Schande und Schmähung durch die Dämonen in vielen Gestalten, verborgen und offen (zu erleiden); der Wunsch, sich der Welt zuzugesellen und mit ihr in Kontakt zu sein; stets zu reden und töricht umherzuirren; stets Neues in sich zu entdecken, mit falschen Prophezeiungen vieles zu versprechen, das die eigene Kraft übersteigt. Und das sind die seelischen (Prüfungen). Bei den körperlichen (Prüfungen) widerfahren ihm (dem Menschen) schmerzliche Vorkommnisse, ständige Verwicklungen, || 371r die nicht leicht zu lösen sind, ständige Begegnungen mit bösen und gottlosen Menschen, (dazu gehört) in die Hände von Menschen zu fallen, die Kränkungen zufügen; daß das Herz ständig grundlos plötzlich in Furcht vor Gott verfällt; daß sie (die Versuchten) häufig Stürze von großen Felsen und von hohen Stellen und dergleichen mehr erleiden, was zur Zerschmetterung des Körpers führt, und am Ende Verlust von dem, was das Herz durch die Kraft Gottes stützt, und Verlust der Hoffnung, die der Glaube gibt, kurz gesagt, alles, was immer seine Kraft übersteigt, das widerfährt ihm und den Seinen. All dieses Aufgezählte gehört zu den Prüfungen bei Überheblichkeit. Der Anfang davon ist bei einem Menschen (zu sehen), wenn er beginnt, in den eigenen Augen höchst weise und klug und gewandt zu sein. Er bewegt sich in allen diesen Übeln je nach dem Maß des Aufbringens solcher Gedanken der Überheblichkeit. Folglich sollst du an der Art deiner Versuchungen die Feinheiten des Weges, den dein Sinn geht, erkennen. Wenn du aber siehst, daß einige von diesen Prüfungen vermischt sind mit den vor diesen genannten Prüfungen, dann mögest du begreifen, daß (je nachdem) wie viele davon du erfährst, | 371v ebensoviel Hochmut sich dir zuwenden will. Höre also von noch einer anderen Art: Alle nicht mit Geduld verbundenen Umstände und Bedrängnisse bedeuten doppelte Qual, denn sie zu ertragen bedeutet für den Menschen das Vertreiben seiner Not. Denn Kleinmut ist die Mutter der Peinigung, Geduld (aber) ist die Mutter des Trostes und eine Kraft, die aus der Weite des Herzens hervorzugehen begonnen hat. Diese Kraft fällt dem Menschen in seinen Bedrängnissen nicht leicht ohne die Gabe Gottes zu finden, die in unaufhörlichem Gebet und im Vergießen von Tränen erlangt wird. Wenn es Gott gefällt, den Menschen mehr zu betrüben, läßt Er es zu, daß er dem Kleinmut in die Hände fällt. Und dieser erzeugt in ihm eine große Kraft der Verzagtheit, in der er ein Ersticken der Seele verspürt. Und das ist der (Vor-) Geschmack der Hölle.
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Und von da überkommt ihn der Geist des Entsetzens, und von da sprudeln Unmengen von Prüfungen: Verwirrung, Wut, Blasphemie, Tadel, verderbte Gedanken, Wechseln von Land zu Land und ähnliches mehr. Wenn man aber || 372r die Ursache von alledem nennen soll, dann sage ich dir: deine Nachlässigkeit, weil du dich nicht darum gekümmert hast, ein Heilmittel zu suchen. Denn es gibt ein einziges Heilmittel dafür. Durch dieses findet man Trost in seiner Seele. Dies aber ist die Demut des Herzens, und ohne diese kann niemand die Mauer dieser Übel einreißen, viel eher wird er finden, daß sie ihn überwältigen. Gerate nicht in Zorn über mich, weil ich dir die Wahrheit sage. Du hast sie nicht aus ganzem Herzen gesucht. Wenn du aber willst, dann sei in ihrem Land, und du wirst sehen, wie sie dir die Beseitigung deines Übels gibt. Denn nach dem Maß deiner Demut wird dir Geduld in deinen Versuchungen gegeben. Deiner Geduld entsprechend wird die Bürde deiner Bedrängnisse erleichtert, und du wirst Tröstungen erhalten. Und entsprechend deiner Tröstung wird deine Liebe zu Gott wachsen, und entsprechend deiner Liebe wird deine Freude über den Heiligen Geist wachsen. Seinen wahren Söhnen aber nimmt | 372v unser barmherziger Vater, wenn Er eine Minderung der Versuchungen zu bewirken billigt, nicht die Versuchungen durch deren Aufhebung hinweg, sondern Er gibt ihnen Geduld darin. Und alles Wohl empfangen sie in ihrer Geduld zur Vervollkommnung ihrer Seelen. Möge auch uns Christus durch Seine Gnade gewähren, die Übel um Seiner Liebe willen zu ertragen mit Dankgebeten des Herzens in alle Ewigkeit. Amen. Rede 80 (372v – 375r) Erläuterung der Arten von Tugenden, worin die Stärke einer jeden besteht und worin sie sich unterscheiden Die Tugend des Leibes reinigt den Leib im Schweigen von seinem Schmutz, die Tugend des Geistes macht die Seele demütig und filtert sie rein von den groben verderbten Gedanken, daß sie sich nicht leidenschaftlich in solchem Denken ergehe, sondern sich vielmehr in der (eigenen) Betrachtung bewege. Diese Betrachtung bringt sie der Erkenntnis des Geistes nahe, welche die nichtstoffliche Betrachtung genannt wird. Und das ist die Tugend des Geistes. Denn diese (Betrachtung) lenkt den Sinn von den irdischen Dingen nach oben und bringt || 373r ihn der (ursprünglichen) ersten Betrachtung des Geistes nahe und ordnet den Sinn hin zu Gott und zur Betrachtung Seines unaussprechlichen Ruhms, welches die Bewegung der Gedanken über Seine Erhabenheit und Seine Natur ist und von dieser Welt und ihrem Empfinden trennt, und dadurch werden wir (im Hinblick) auf jene vor uns liegende Hoffnung bestärkt und haben die Bestätigung, sie zu erlangen. Und das ist
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die Überzeugung, von der der Apostel sprach [Gal 5,8], das heißt die Bestätigung, durch welche der Geist sich in Gedanken erfreut, das heißt, durch die uns versprochene Hoffnung. Höre, was dies bedeutet und wie eine jede von ihnen (beschaffen) ist. Körperliches Leben für Gott heißt Taten des Leibes, die zur Reinigung des Fleisches im Ausüben von Tugenden durch offensichtliche Werke geschehen, in denen der Mensch von der Unreinheit des Fleisches geläutert wird. Geistiges Leben aber ist ein Werk des Herzens, das unentwegt in der Sorge vor dem Gericht geschieht, das heißt der göttlichen Gerechtigkeit und Seiner Urteile, und das unermüdliche Gebet des Herzens und der Gedanke an die Vorsehung und die Fürsorge Gottes, die in dieser Welt gemeinsam | 373v in beiden Formen vorkommt – für den Einzelnen und umfassend –, und die Wachsamkeit gegenüber den verborgenen Leidenschaften, damit nicht etwas davon an den verborgenen und geistigen Ort gelange. Das ist das Werk des Herzens, das das geistige Leben genannt wird. In diesem Handeln auf dem Lebensweg, das das seelische Handeln genannt wird, verfeinert sich das Herz und trennt sich vom Umgang mit dem verderblichen Leben, das die Natur übersteigt. Dadurch beginnt es Einsicht zu gewinnen und nachzusinnen in der Betrachtung der sinnlich wahrnehmbaren Dinge, die für die Bedürfnisse und das Auferziehen des Leibes geschaffen sind, und wie durch deren Dienst den vier Elementen im Körper Kraft verliehen wird. Das geistige Leben aber ist ein Wirken ohne die Sinne, und das ist das, was von den Vätern niedergeschrieben worden ist, wenn (nämlich) der Geist der Heiligen das elementare Schauen empfängt und die Schwere des Leibes aus der Mitte genommen wird, und von da an das Schauen ein geistiges ist. Elementares Schauen bezieht er auf die Erschaffung der ersten Natur. Und von diesem elementaren Schauen steigt man leicht zur Erkenntnis || 374r des Lebens in Einsamkeit auf, das nach einer klaren Deutung das Staunen über Gott ist. Das ist die großartige Ordnung künftiger Glückseligkeiten, die in der Freiheit des unsterblichen Lebens im Sein nach der Auferstehung gegeben wird, denn die menschliche Natur hört dort nicht auf. Sie staunt dort ewig über Gott und achtet gar nicht auf (andere) Geschöpfe. Denn wenn es etwas (Gott) Ähnliches gäbe, könnte der Geist sich manchmal auf Gott richten, manchmal aber (auch) auf dieses. Wenn aber alle Schönheit der in der künftigen Erneuerung Lebenden unterhalb Seiner Schönheit bleibt, wie kann da der Geist in seinem Schauen aus der Schönheit Gottes heraustreten? Was also? Betrübt ihn das Sterben oder vielleicht die Last des Fleisches oder die Bedürfnisse der Natur oder Mißgeschick oder Widerstand oder das Umherschweifen des Verstandes oder die Unvollkommenheit der Natur oder das Umkreisen der Elemente oder die Unterhaltung mit einem anderen oder beschwerliche Mutlosigkeit oder die Mühsal des Leibes? Denn
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wenn es dies alles in der Welt auch gibt, | 374v so wird doch zu jener Zeit, wenn der Schleier der Leidenschaften von den Augen des Geistes weggezogen wird und er in jene Herrlichkeit blickt, der Geist jäh erschauernd emporgehoben. Und wenn Gott nicht in diesem Leben diesen Dingen eine Grenze gesetzt hätte, wie lange es sich darin zu verweilen geziemt, und wenn es vielmehr zugelassen wäre, könnte der Mensch in seinem ganzen Leben dort nicht weggehen von deren Betrachtung, (und) wieviel mehr erst dort, wo alle diese (aufgezählten Bedrängnisse) nicht sind. Denn diese erhabene Kraft ist grenzenlos, und in eben diesen Dingen werden wir dem Wesen nach im Palast des (himmlischen) Königs sein, wenn wir dessen aufgrund unseres Lebenswandels gewürdigt werden sollten. Denn wie könnte der Geist fortgehen und sich von jener wunderbaren Betrachtung Gottes entfernen und in etwas anderes hinabstürzen. Wehe über uns, daß wir unsere Seelen nicht kennen und nicht wissen, zu welchem Leben wir berufen waren. Und dieses Leben der Ohnmacht und nach der Ordnung der Lebewesen und die Kümmernisse der Welt und diese Welt selbst und ihre Bosheiten und ihre Erquickungen halten wir für etwas Bedeutsames. Aber, o Christus, der Du der einzig Starke bist, selig, wer seinen || 375r Schutz durch Dich erfährt [Ps 84,6] und (in) seinem Herzen das Aufsteigen zu Dir geboten hat. Wende Du, o Herr, unser(e) Antlitz(e) ab von der Welt hin zum Verlangen nach dir, bis wir sie so sehen, wie sie ist, und nicht einem Schatten glauben, als sei er die Wahrheit. Erschaffe aufs neue und erneuere in unserem Sinn, o Herr, den Eifer (noch) vor dem Tode, damit wir zur Zeit unseres Abtretens verstehen, wie unser Eintritt und unser Auszug in dieser Welt war, bis wir das Werk vollenden, zu dem wir nach Deinem Willen ursprünglich in diesem Leben berufen waren. Und danach laßt uns hoffen mit hoffnungsvollem Geist, die großartigen Dinge nach der Verheißung der Schriften zu empfangen, die Deine Liebe bei der zweiten Erneuerung (für uns) bereitet hat. Die Erinnerung daran wird im Glauben an die Geheimnisse bewahrt. Rede 81 (375r – 375v) Von der Reinigung des Leibes, der Seele und des Geistes Die Reinigung des Leibes ist die Unversehrtheit von der Befleckung des Fleisches und des Bauches. Die Reinigung der Seele ist die Freiheit von verborgenen Leidenschaften, die im Geiste entstehen. Die Reinigung des Geistes geschieht in der Offenbarung von Geheimnissen. Denn sie reinigt von allem, was wegen seiner groben Form den Sinnen unterliegt. | 375v Die kleinen Kinder sind reinen Leibes und ohne Leidenschaften in ihrer Seele. Aber niemand nennt sie reinen Geistes. Die Reinheit des Geistes ist die Vervollkommnung in der Hinwendung zur himmlischen Schau, die außer-
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halb der Sinne in einer geistigen Kraft aus der obigen Welt ihren Antrieb besitzt, (einer Welt) zahlloser Wunder, die sich in ihrem Sein voller Feinheit unterscheiden in ihrem unsichtbaren Dienen der im Geiste sich ereignenden göttlichen Offenbarungen in ihren jederzeit stattfindenden häufigen Veränderungen. Rede 82 (375v ‒ 376r) Hilfreiche Worte und nützliche Dinge voller Weisheit des Heiligen Geistes Über den Glauben Dies ist ihr (der Worte) Anfang. Der Glaube ist das Tor zu den Geheimnissen. Denn so wie die körperlichen Augen die sinnlich wahrnehmbaren Dinge sehen, so sieht auch der Glaube die verborgenen Schätze mit den geistigen Augen. Wir besitzen zwei seelische Augen, wie die Väter sagen, wie zwei Augen des Leibes. Aber es gibt nicht denselben Zweck der Sehweise für ein jedes von ihnen. Denn mit dem einen Auge sehen wir die Geheimnisse von Gottes Ruhm, die || 376r in den Dingen der Natur verborgen sind, das heißt Seine Kraft und Weisheit und Vorsehung, die immer in Bezug auf uns vorhanden sind, die durch die Größe Seiner Lenkung für uns zu begreifen sind. Und die himmlischen Ränge, unsere Mitknechte, sehen wir mit diesem Auge. Mit dem anderen Auge sehen wir den Ruhm Seiner heiligen Natur. Wenn es Gott gefällt, uns in die geistigen Geheimnisse einzuführen, eröffnet Er in unserem Geist ein Meer des Glaubens. Rede 83 (376r – 378r) Über die Reue Als Gnade über Gnade wird die Reue den Menschen gegeben. Denn die Reue ist die zweite Geburt durch Gott, und dieses Unterpfand haben wir aus dem Glauben empfangen, und um der Reue willen erhoffen wir Seine Gabe. Die Reue ist die Tür zur Barmherzigkeit, die denen geöffnet ist, die sie zu erlangen trachten. Durch diese Tür gelangen wir zur göttlichen Barmherzigkeit, und ohne diesen Zugang werden wir keine Barmherzigkeit finden. Denn alle haben nach (den Worten) der gotterfüllten Schrift gesündigt (und) sind ohne Verdienst gerechtfertigt durch Seine Gnade [Röm 3,23-24]. Die Reue ist eine zweite Gnade und wird im Herzen durch den Glauben und die Furcht (Gottes) geboren. Die Furcht (Gottes) aber ist der väterliche Stab, der uns lenkt, bis wir in das Paradies der geistigen Glückseligkeiten gelangen. Und wenn wir dort angelangt sind, verläßt | 376v er uns und kehrt zurück. Das Paradies ist die göttliche Liebe, die Nahrungsquelle aller Glückseligkeiten, wo der selige Paulus sich von übernatürlicher Speise ernährte. Seit er aber vom Baum des Lebens dort kostete, rief er aus und sagte, was das Auge
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nicht gesehen und das Ohr nicht gehört und in das Herz des Menschen nicht eingedrungen ist, das hat Gott denen, die Ihn lieben, bereitet [1 Kor 2,9]. Dieser Baum war Adam wegen des Rates des Teufels verwehrt worden. Der Baum des Lebens ist die Liebe Gottes, von der Adam abgefallen war, und ihm begegnete keine Freude (mehr), sondern er arbeitete und plagte sich auf dorniger Erde. Die der Liebe Gottes verlustig gegangen sind, essen das Brot des Schweißes in ihrem Tun – auch wenn sie in Rechtschaffenheit wandeln –, das dem Erstgeschaffenen nach seinem Abfall zu essen befohlen worden war. Solange wir aber nicht die Liebe finden, ist unser Schaffen auf der dornigen Erde, und unter Dornen säen und ernten wir, auch wenn unser Same der Same der Gerechtigkeit wäre, und werden jederzeit von ihm gestochen, und wie sehr wir uns auch rechtfertigen, so leben wir doch im Schweiße unseres Angesichtes. Und wenn wir die Liebe finden, || 377r essen wir das Brot des Himmels und werden gestärkt ohne Arbeit und Plage. Das Brot des Himmels ist Christus, der vom Himmel herabgestiegen ist und Sein Leben der Welt gibt [Joh 6,33]. Und dies ist die Speise von Engeln. Wer die Liebe gefunden hat, ißt Christus zu jeder Zeit und ist unsterblich. Denn wer, so heißt es, von dem Brote ißt, das Ich ihm gebe, wird den Tod in Ewigkeit nicht schauen [Joh 6,58]. Selig ist, wer vom Brot der Liebe ißt, das Jesus ist. Und daß derjenige, der vom Brot der Liebe ißt, Christus ißt, den Gott über allem, bezeugt Johannes, indem er sagt: Gott ist die Liebe [1 Joh 4,8]. Also erntet das Leben von Gott, wer in der Liebe lebt, und er erspürt (schon) von hier in dieser Welt die Luft jener Auferstehung, und in dieser Luft schwelgen die Gerechten in den Gedanken an die Auferstehung. Die Liebe ist das Reich, von dem der Herr geheimnisvoll den Aposteln versprach, daß sie in Seinem Reiche essen würden. Denn was ist dies: ihr werdet essen und trinken am Tisch in meinem Reich [Lk 22,30] anderes als die Liebe. Die Liebe reicht aus, um den Menschen anstelle von Speise und Trank zu ernähren. Dies ist der Wein, der das Herz des Menschen froh stimmt [Ps 104,15]. Selig, wer von diesem Wein trinkt. Von diesem tranken Unzüchtige und wurden sittsam | 377v und Trunkenbolde, und sie wurden Asketen, und Sünder, und sie vergaßen die Wege, die Anstoß gaben, und Reiche, und sie verlangten nach Armut, und Arme, und sie wurden reich an Hoffnung, und Schwache, und sie wurden stark, und Unwissende, und sie wurden weise. So wie man ein großes Meer nicht ohne Schiff überqueren kann, so kann auch keiner ohne Furcht (Gottes) zur Liebe gelangen. Das übelriechende Meer, das zwischen uns und dem geistigen Paradies gelegen ist, können wir auf dem Schiff der Reue überqueren, das über Ruderer der Furcht verfügt. Wenn aber diese Ruderer der Furcht das Schiff der Reue nicht lenken, auf dem wir das Meer dieser Welt zu Gott überqueren, (dann) gehen wir in dem übelrie-
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chenden Meer unter. Die Reue ist das Schiff, die Furcht aber ist sein Steuermann, die Liebe ist der göttliche Hafen. Denn die Furcht setzt uns in das Schiff der Reue und überquert das übelriechende Meer des Lebens und führt uns zum göttlichen Hafen, der die Liebe ist. Dorthin blicken alle in Reue, die sich mühen und beladen sind. Und wenn wir || 378r die Liebe erreichen, sind wir zu Gott gelangt, und unser Weg ist zu Ende, und wir sind hinübergegangen zu der Insel der dortigen Welt, wo der Vater, der Sohn und der Heilige Geist ist. Ihm sei Ruhm und die Herrschaft. Uns möge Er durch die Furcht Seines Ruhmes und Seiner Liebe würdig machen. Amen. Rede 84 (378r – 380v) Wie groß das Maß des Wissens und das Maß des Glaubens ist Es gibt ein Wissen, das dem Glauben vorausgeht, und es gibt ein Wissen, das aus dem Glauben hervorgeht. Das Wissen, das dem Glauben vorausgeht, ist ein natürliches Wissen. Das aus dem Glauben hervorgehende Wissen aber ist geistiger Natur. Was ist natürliches Wissen? Das ist Wissen, das Gutes vom Bösen unterscheidet, und wird natürliche Unterscheidungsfähigkeit genannt, denn durch dieses erkennen wir auf natürliche Weise ohne Anleitung das Gute und das Böse. In der vernünftigen Natur hat Gott dies (so) eingerichtet. Durch Unterweisung erfährt es ein Anwachsen und eine Ergänzung. Es gibt keinen Menschen, der dies nicht hätte. Und diese Kraft des natürlichen Wissens der vernünftigen Seele ist die Unterscheidung von Gut und Böse, die sich unentwegt in ihr regt. Und diejenigen, die dessen verlustig gegangen sind, stehen niedriger als die vernünftige Natur. | 378v Die sie aber besitzen, stehen aufrecht in ihrer seelischen Natur, und sie haben keine Zerstörung in dem erfahren, was Gott der Natur zur Ehre Seiner vernünftigen (Geschöpfe) gab. Diejenigen aber, die dieses Wissen zerstört haben, die Unterscheidung von Gut und Böse, tadelt der Prophet, indem er spricht: Der Mensch in seiner Würde hat es nicht begriffen [Ps 49,13]. Denn die Würde der vernünftigen Natur ist die Unterscheidungsfähigkeit, die das Gute vom Bösen unterscheidet. Und zu Recht wurden diejenigen, die dies verloren haben, mit den vernunftlosen Tieren verglichen, die keine Vernunft und Urteilsfähigkeit besitzen. Durch diese ist es uns möglich, den Weg zu Gott zu finden. Und dies ist das natürliche Wissen. Dieses geht dem Glauben voraus, und dieses ist der Weg zu Gott, und dadurch verstehen wir das Gute vom Bösen zu unterscheiden und den Glauben anzunehmen. Und die Kraft der Natur bezeugt, daß es dem Menschen geziemt, an Den zu glauben, Der dies alles erschaffen hat, und den Worten Seiner Gebote zu glauben und diese zu halten. Und aus diesem Glauben entsteht die Gottesfurcht. Und wenn er (der Mensch) ihr in seinen Werken folgt und nach und nach zum
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Handeln aufsteigt, wird das geistige Wissen vom natürlichen Wissen hervorgebracht, || 379r das die Unterscheidungsfähigkeit von Gut und Böse ist, die von Gott in unsere Natur hineingelegt worden ist. Es zwingt uns, wie es sich gebührt, an Gott zu glauben, Der alles geschaffen hat. Und der Glaube erzeugt in uns die Furcht, und die Furcht zwingt uns zu bereuen und (in ihrem Sinne) zu handeln. Und so wird das geistige Wissen dem Menschen gegeben, das ein Gespür für die Geheimnisse ist, das einen anderen Glauben des Schauens hervorbringt. Wir haben nicht gesagt, daß aus dem Glauben so das einfache geistige Wissen hervorgebracht wird, sondern daß der Glaube die Furcht Gottes hervorbringt, und wenn wir in der Furcht Gottes zu handeln beginnen, wird von der Wirkung der Gottesfurcht das geistige Wissen hervorgebracht, wie der heilige Johannes Chrysostomos sagte, daß (nämlich), wenn jemand den Willen erlangt, der aus der Gottesfurcht und dem richtigen Überlegen folgt, er alsbald die Offenbarung verborgener Dinge empfangen wird. Die Offenbarung der verborgenen Dinge aber nennt er geistiges Wissen. Nicht die Gottesfurcht ist es, die dieses geistige Wissen erzeugt, weil das, was nicht in der Natur angelegt ist, nicht hervorgebracht werden kann. Sondern die Gabe dieses Wissens erfolgt für das Handeln aus Gottesfurcht. Wenn du das Beachten der Gottesfurcht gut erforschest, | 379v stellst du fest, daß dies die Reue ist. Und das geistige Wissen hier ist das, wovon wir sagten, daß wir bei der Taufe ein Unterpfand dafür empfingen. Durch die Reue erhalten wir es jedenfalls als Gabe. Und diese Gabe, von der wir sagten, daß wir sie durch die Reue erhalten, ist das geistige Wissen, das für das Beachten der Gottesfurcht gegeben wird. Das geistige Wissen ist das Wahrnehmen der verborgenen Dinge. Und wenn jemand diese unsichtbaren und überaus erhabenen Dinge wahrnimmt, nach denen das geistige Wissen seinen Namen erhält, dann entsteht in seinem Gespür ein anderer Glaube, der jenem ersten nicht widerspricht, sondern diesen Glauben bekräftigt. Und er heißt der Glaube des Schauens. Bis dahin (war es) Hören, nun aber ist es Schauen. Das Schauen aber ist weniger fehlerhaft als das Hören. Dies alles kommt von jenem Wissen, das das Gute vom Bösen unterscheidet, das in der Natur angelegt ist. Und dies ist das, was der gute Same der Tugenden genannt worden ist. Und wenn wir dieses natürliche Wissen durch unser wollüstiges Wollen verdecken, || 380r verlieren wir all dieses Gute. Und diesem natürlichen Wissen folgen ständige Gewissensbisse und das unaufhörliche Gedenken des Todes, die Sorge und das Quälen wegen des Fortgangs (aus dieser Welt), mit diesem (sind verbunden) Kummer, Schwäche, Furcht vor Gott, natürliche Scham, Kummer wegen der vorherigen Verfehlungen, der gebührende Eifer, das Gedenken des allgemeinen Weges und die Sorge um das seinetwegen Erforderliche und das Erflehen von Gott unter Tränen, gut
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durch diese Tür einzugehen, durch die jede Natur eingehen muß, und Verachtung der Welt und reichlicher Kampf um die Tugend – das alles ist im natürlichen Wissen zu finden. Möge jeder seine Werke damit vergleichen. Wenn aber ein Mensch in Übereinstimmung mit diesen Dingen befunden wird, dann schreitet er auf dem Weg der Natur. Und wenn er über diese hinausgeht und die Liebe erreicht, erhebt er sich über die Natur, und ihn verläßt der Kampf und die Furcht und Mühsal und Krankheit bei all dem, was dem natürlichen Wissen folgt und was wir in uns finden, wenn wir dies | 380v nicht durch unser wollüstiges Wollen verdecken und darin verbleiben, bis wir die Liebe erreichen, die uns von diesem allem befreit. Und nach all dem Gesagten möge der Mensch beurteilen und sich prüfen, welchen Weg er geht, (nämlich) entweder gemäß der Natur oder gegen1 die Natur oder über die Natur hinaus. Aus den genannten Beispielen kann man deutlich und schnell die Richtung des ganzen eigenen Lebensweges ersehen. Und wenn man sich nicht da findet, was wir den natürlichen Weg nannten, so wie wir ihn bestimmt haben, und du dich nicht in dem über die Natur hinausgehenden Zustand befindest, dann ist es klar, daß du in einem Zustand wider die Natur befangen bist. Rede 85 (380v – 389r) Gewissenhafte und nützliche Worte, in Liebe jenen gesagt, die ihm (Isaak) in Demut zuhören Es gibt keinen guten Gedanken, der nicht von der Gnade Gottes wäre und ins Herz fiele, und es gibt kein böses Vorhaben, das sich der Seele nähert, wenn dies nicht zur Versuchung und Prüfung geschieht. Ein Mensch, der dahin gelangt ist, das Maß seiner Ohnmacht zu begreifen, hat die Vollkommenheit der Demut erlangt. Derjenige, der die Menschen || 381r über die Gaben Gottes belehrt, ist das zu unerschöpflicher Dankbarkeit bewegte Herz. Derjenige, der Belehrung zur Prüfung der Seele gibt, ist der Gedanke des Aufbegehrens, der ständig im Herzen umgeht. Gott erduldet jegliche Schwäche des Menschen, doch Er erduldet keinen Menschen, der ewig aufbegehrt, bis Er ihn züchtigt. Eine Seele, die aller Erleuchtung durch Wissen fern bleibt, ergeht sich in solchen Gedanken. Der Mund, der ständig dankt, empfängt Segen von Gott, und in ein Herz, das in Danksagung verharrt, senkt sich die Gnade. Der Gnade geht die Demut voran, und der Bestrafung geht der Hochmut voraus. Der Hochmütige läßt es zu, daß er der Schmähung verfällt, und wer sich wegen seines tugendhaften Handelns überheblich gibt, läßt zu, daß er der Unzucht verfällt. Und wer sich wegen seiner Weisheit 1
prězъ statt črěsъ, črězъ in Version B, in Version A nur črěsъ.
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(über andere) erhöht, läßt zu, daß er in die dunklen Netze des Unwissens gerät. Ein Mensch, der sich von jeder Erinnerung an Gott fernhält, ist einer, der in seinem Herzen durch arglistige Gedanken Kummer für seinen Nächsten bereithält. Wer im Gedenken an Gott jeden Menschen achtet, der findet auf einen heimlichen Wink Gottes Hilfe von jedem Menschen. | 381v Wer einen Beleidigten verteidigt, findet Gott als Helfer für sich selbst. Wer seinen Arm seinem Nächsten zur Hilfe reicht, erhält den Arm Gottes zur Hilfe für sich selbst. Wer seinen Bruder wegen einer Missetat anklagt, wird Gott zum eigenen Ankläger haben. Wer seinen Bruder in seiner Kammer zurechtweist, heilt seinen eigenen Fehler. Wer jemanden in der Versammlung anklagt, verschlimmert seine eigenen Wunden. Wer heimlich seinen Bruder heilt, macht die Stärke seiner Liebe offenbar. Und wer ihn vor den Augen seiner Gefährten beschämt, zeigt dem Freund die Stärke seiner Mißgunst. Wer im Geheimen rügt, ist ein weiser Arzt. Wer vor den Augen vieler heilt, stellt in Wirklichkeit bloß. Ein Zeichen der Barmherzigkeit ist die Verzeihung jeglicher Schuld. Das Zeichen bösen Denkens ist der Vorwurf gegenüber dem, der gefehlt hat. Wer der Genesung die Bestrafung hinzufügt, der straft durch Liebe. Wer aber nach Vergeltung verlangt, der ist leer an Liebe. Gott straft aus Liebe, aber Er rächt sich nicht – das möge nicht geschehen –, || 382r sondern Er trachtet danach, daß Er Sein Ebenbild heile, und Er hegt keinen Zorn in der Zeit. Diese Form der Liebe kommt von der Gerechtigkeit und wendet sich nicht leidenschaftlich aus Rache ab. Der weise Gerechte ähnelt Gott, Der den Menschen keinesfalls straft, indem Er Vergeltung übt für dessen Schlechtigkeit, sondern damit der Mensch sich bessere oder damit andere sich fürchten. Was dem nicht gleicht, ist keine Bestrafung. Wer Gutes tut um des Lohnes willen, wird sich bald abwenden. Wer aber kraft seines Wissens im Schauen über die Erkenntnis bei Gott staunt, der wird, auch wenn er vom Fleische gehalten wird, weder in seinem Sinn überheblich werden, noch jemals sich von den Tugenden abkehren. Wer seinen Sinn für eine gebührende göttliche Vergeltung erhellt, steigt mit Leib und Seele hinab in die Tiefe der Demut. Bevor sich jemand der Erkenntnis nähert, steigt er auf und ab in seinem Lebenswandel. Wenn aber jemand der Erkenntnis nahe gekommen ist, wird er machtvoll emporgehoben, und wie sehr er auch aufsteigen mag, so endet (doch) der Aufstieg seiner Erkenntnis nicht, bis jene Ära des Ruhmes anbricht | 382v und er deren ganzen Reichtum empfängt. In dem Maße, in dem ein Mensch sich zu Gott hin vervollkommnet, wird er hinter Ihm herschreiten. In der Ära der Wahrhaftigkeit aber wird Er ihm Sein Antlitz zeigen, nicht aber was Er ist (Sein Wesen). Je mehr die Gerechten in Seine Betrachtung eindringen, erblicken sie Sein Bild wie in einem Spiegel. Dort aber werden sie die Offenbarung der Wahrheit erblik-
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ken. Das im trockenen Holze entfachte Feuer wird nur mühsam gelöscht. Und die Flammen der göttlichen Glut, die in das Herz (eines Mannes), der der Welt entsagt hat, gefallen sind, werden nicht erlöschen, und sie ist heftiger als selbst das Feuer. Wenn die Kraft des Weines in die Glieder dringt, vergißt der Verstand alle Vorsicht, und das Gedenken an Gott tilgt, wenn es die Erinnerung in der Seele festhält, jede Erinnerung des (vormals) Geschauten aus dem Herzen. Der Sinn, der die geistige Weisheit entdeckt hat, ist wie ein Mensch, der ein abfahrbereites Schiff auf dem Meer entdeckt, und wenn er dort einsteigt, wird es ihn vom Meer dieser Welt wegbringen und ihn die Insel der künftigen Welt erblicken lassen. Das Empfinden der künftigen Welt ist in dieser Welt wie eine kleine Insel im Meer, und derjenige, der sich ihr (der Insel) nähert, braucht sich nicht mehr in den Wogen der Trugbilder dieser Welt || 383r abzumühen. Sobald ein Händler seinen Anteil (bei einem Geschäft) zum Abschluß gebracht hat, eilt er, um in sein Haus zu kommen, und der Mönch hat, wie gering auch die Zeit seines Wirkens noch sein mag, Sorge, von seinem Leib getrennt zu werden. Doch wenn er in seiner Seele verspürt, daß er die Zeit genutzt und er sein Unterpfand erhalten hat, verlangt er nach der künftigen Welt. Solange der Händler auf dem Meere ist, hat er die Angst in den Gliedern, daß die Wogen sich gegen ihn erheben könnten und die Hoffnung seines Tuns untergehen könnte. Und solange der Mönch in der Welt ist, ist sein Leben von der Angst umfangen, daß sich ein Sturm gegen ihn erheben und sein Werk vernichten könne, das von der Jugend bis ins Alter reicht. Der Händler hält Ausschau nach dem Festland und der Mönch auf die Stunde seines Todes. Der Seefahrer blickt nach den Sternen, wenn er mitten auf dem Meere ist, und nach den Sternen steuert er das Schiff, bis er den Hafen erreicht. Und der Mönch blickt auf das Gebet, weil es ihn ausrichtet und seinen Wandel zu jenem Hafen lenkt, wohin sein Lebenswandel im Gebet gelenkt wird. | 383v Der Seefahrer hält unentwegt Ausschau nach der Insel, vor der er sein Schiff ankern wird. Und von dort besorgt er das Nötige für die Reise und steuert sein Schiff wieder zu einer anderen Insel. So verläuft auch der Weg für den Mönch, solange er sich in diesem Leben bewegt. Er geht von Insel zu Insel, will sagen von Erkenntnis zu Erkenntnis, und in dieser Aufeinanderfolge der Inseln, das heißt der Erkenntnisse, kommt er voran, bis er das Meer verläßt und sein Wandel ihn zu jener wahren Stadt geführt hat, in der die dort Wohnenden nicht mehr Handel treiben, sondern jeder sich auf seinem Reichtum ausruht. Selig, wessen Lebenslauf nicht verwirrt wurde in dieser eitlen Welt inmitten dieses großen Meeres. Selig, wessen Schiff nicht zerschellte, sondern wer frohen Sinnes zum Hafen gelangt. Der Schwimmer taucht nackt im Meer, bis er die Perle entdeckt. Und der weise Mönch geht nackt durchs Leben, bis er in sich
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die Perle entdeckt – || 384r Jesus Christus. Und wenn er Ihn findet, sucht er schon nichts zu dem, was er besitzt, von dem Vorhandenen hinzuzugewinnen. Eine Perle wird in der Schatzkammer aufbewahrt, und die Wonne für den Mönch liegt im abgeschiedenen Schweigen. Die Jungfrau nimmt Schaden in den Versammlungen und in der Menschenmenge und der Geist des Mönches in vielen Unterhaltungen. Der Vogel strebt von jeglichem Ort zu seinem Nest, um die jungen Vögel aufzuziehen. Der Mönch, der die Gabe der Unterscheidung besitzt, eilt zu seiner Wohnstätte, um darin die Frucht seines Lebens hervorzubringen. Wenn der ganze Körper der Schlange zermalmt wird, schützt sie ihren Kopf, und der weise Mönch schützt allezeit seinen Glauben, der der Anfang seines Lebens ist. Die Wolke verdeckt die Sonne, und viele Reden verdecken die Seele, die angefangen hat, im betrachtenden Gebet erleuchtet zu werden. Der Vogel, der Reiher genannt wird, freut sich und ist froh, nach einem weisen Wort, wenn er die besiedelte Stätte verläßt und an einen öden Ort geht und sich dort niederläßt. Ebenso empfängt die Seele desjenigen, | 384v der die Lebensweise eines Mönches führt, eine himmlische Freude, wenn er sich von den Menschen entfernt und fortgeht und sich in einer Gegend des zurückgezogenen Schweigens niederläßt und dort die Zeit seines Fortgangs (aus dieser Welt) erwartet. Man hat von einem Vogel berichtet, der Sirene genannt wird, daß jeder, der die Töne seines Liedes hört, so sehr gefangengenommen wird, um hinter ihm durch die Wüste zu gehen und gleichsam in der Süßigkeit des Liedes das Leben selbst zu vergessen und hinzustürzen und zu sterben. Eben dem gleicht die Sache (mit) der Seele, wenn die himmlische Wonne durch das Lied (voll) der Köstlichkeit der göttlichen Worte in sie fällt, die durch das Gefühl in den Geist sinken. Dann folgt sie ihm ebenso, als ob sie dieses körperliche Leben vergäße und dem Leib seine Wünsche genommen wären und sie zu Gott aus diesem Leben aufsteigen könne. Wenn der Baum nicht zunächst sein erstes (altes) Laub abwirft, wird er keine jungen Zweige hervorbringen. Solange der Mönch nicht aus seinem Herzen die Erinnerung an das früher Gewesene wirft, wird er nicht die jungen Früchte und Zweige durch Christus hervorbringen. Der Wind läßt die Früchte auf den Bäumen und auf der Flur sich füllen || 385r und die Drangsal um Gottes willen die Früchte der Seele. Die Muschelschale, in der die Perle geboren wird, empfängt den Stoff aus der Luft, wie es heißt, und bis dahin ist sie sogar (nur) einfaches Fleisch, und solange das Herz des Mönches nicht den himmlischen Stoff in seiner Erkenntnis empfangen hat, ist sein Werk ein gewöhnliches und hat nicht die Frucht des Trostes in seiner Schale. Ein Hund, der seine Nase leckt, trinkt von seinem eigenen Blut, und wegen der Süße seines Blutes erkennt er nicht die eigene Wunde, und der Mönch, der sich abkehrt, um eitlen Ruhm zu
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trinken, der trinkt von seinem eigenen Leben und spürt nicht die Wunde wegen der Süße, die er im Augenblick genießt. Weltlicher Ruhm ist (wie) ein vom Wasser bedeckter Fels im Meer, den der Seemann nicht kennt, bis das Schiff darauf stößt und von unten aufgeschlitzt wird und sich mit Wasser füllt und untergeht. Dasselbe bewirkt die Ruhmsucht im Menschen, bis sie ihn versenkt und zerstört. Dies haben die Väter über sie gesagt, daß in die ruhmsüchtige Seele die Leidenschaften wieder zurückkehren, die schon einmal als Besiegte aus ihr ausgezogen waren. | 385v Eine kleine Wolke verdeckt die Sonnenscheibe, doch die Sonne ist hinter der Wolke sehr warm. Und eine kleine Verzagtheit bedeckt die Seele, doch die Freude, die danach kommt, ist groß. Nähere dich nicht den Worten der Geheimnisse in der gotterfüllten Schrift ohne Gebet und die Bitte um Gottes Hilfe, sondern sprich zum Herrn: Gib mir das Empfinden, die darin enthaltenen Kräfte zu empfangen. Halte das Gebet für den Schlüssel zu den wahren Erkenntnissen in den gotterfüllten Schriften. Wenn du dich Gott in deinem Herzen nähern willst, dann zeige Ihm als erstes in leiblichen Dingen deine Liebe. Von diesen kommt der Anfang des Lebens. Denn das Herz kommt Gott sehr näher durch Minderung der Bedürfnisse, durch die Gewöhnung an eine (einzige) Art der Nahrung, und so folgt sie (die Annäherung) durch die Werke, und der Herr hat darin die Grundlage für die Vervollkommnung angelegt. Halte also Müßiggang für den Anfang der Verdunkelung der Seele, das wortreiche Beisammensein für Dunkelheit über Dunkelheit. Das zweite aber ist die Ursache für das erste. Und (auch) nützliche Worte im Übermaß erzeugen Dunkelheit. Die Seele verarmt || 386r durch die Vielzahl der Reden, auch wenn es ihre (Vor-) Bereitung auf die Furcht Gottes betrifft. Die Verdunkelung der Seele kommt von der Unordnung des Lebenswandels. Maß und Zeit im Lebenswandel erleuchten den Geist und vertreiben die Verwirrung. Die Verwirrung des Geistes, die aus der Unordnung kommt, bewirkt Verdunkelung in der Seele, und die Dunkelheit verursacht Qual. Frieden kommt von wohlgefügter Ordnung, und Licht wird vom Frieden in der Seele hervorgebracht, und vom Licht und vom Frieden leuchtet reine Luft in den Gedanken auf. Und in dem Maße der Annäherung des Herzens an die Weisheit empfängt es den Segen Gottes. Die Unterscheidung der geistigen Weisheit von der weltlichen ist so beschaffen: Du ruhst in deiner Seele, weil in der geistigen Weisheit Schweigen in der Seele herrscht, in der weltlichen (Weisheit) aber ist die Quelle der Weisheit das Umherschweifen. Nach dem Entdecken aber der ersten (geistigen) Weisheit wird sie (die Seele) mit viel Demut und Sanftmut und Frieden erfüllt, der alle deine Gedanken regiert, und deine Glieder werden still und verstummen von dem Aufruhr und Toben. Nach dem Entdecken der zweiten Weisheit | 386v jedoch erlangst du Hochmut in
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deinem Denken und veränderte unausgesprochene Gedanken und Aufruhr im Geiste und Schamlosigkeit der Gefühle und Aufgeblasenheit. Und du mögest nicht glauben, daß ein im Leiblichen befangener Mensch Unbefangenheit im Gebet vor Gott empfängt. Die habsüchtige Seele entbehrt der Weisheit, die barmherzige aber erfährt Weisheit durch den Geist. So wie das Öl das Brennen des Leuchters nährt, nährt die Barmherzigkeit das Wissen in der Seele. Der Schlüssel zu den göttlichen Gaben wird dem Herzen in der Nächstenliebe gegeben. Und in dem Maße, in dem sich das Herz von den Banden des Leibes löst, öffnet sich vor ihm die Tür des Geistes. Der Übergang der Seele von der einen (leiblichen) Welt in die andere (geistige) Welt ist eine Aufnahme von Erkenntnis. Wie schön und lobenswert ist die Nächstenliebe, sofern das Bemühen um sie uns nicht von der Liebe zu Gott abhält. Wie süß ist das Gespräch mit unseren geistlichen Brüdern, sofern wir auch das mit Gott beizubehalten vermögen. Also ist es gut, sich darum zu bemühen, solange die Ordnung es gebietet, || 387r das heißt nicht unter diesem Vorwand vom verborgenen Dienst und Lebenswandel und dem ständigen Gespräch mit Gott abzulassen – die Störung des Zweiten durch das Tun des Ersteren. Denn der Geist reicht nicht aus für beide Gespräche. Der Anblick von weltlichen Menschen bereitet der Seele, die sich wegen des Dienstes für Gott zurückgezogen hat, Verwirrung. Auch die unentwegte Unterhaltung der geistlichen Brüder schadet, bei den weltlichen Menschen aber allein schon der äußere Anblick. Körperliche Tätigkeit verhindert das Wahrnehmen der Sinne, obwohl die Ruhe des Herzens desjenigen, welcher wegen des Friedens seines Geistes in seinem verborgenen Dienst die Freude umarmen möchte, von den Stimmen (auch) ohne Anblick aufgestört wird. Die innere Abtötung gibt es nicht ohne (Unterbinden des) Wirken(s) der Sinne. Das körperliche Leben verlangt nach der Weckung der Sinne, das seelische Leben aber nach der Weckung des Herzens. Da die Seele ihrer Natur nach besser ist als der Leib, so ist auch der Dienst der Seele besser als der Dienst des Leibes. Und so wie zuerst die Erschaffung des Leibes dem Einhauchen (der Seele) vorausging, so (geht) auch der Dienst des Leibes dem Dienst der Seele (voraus). Eine große Kraft ist die | 387v beständige kärgliche Lebensweise, weil auch der weiche Tropfen, der emsig fällt, den harten Felsen aushöhlt. Wenn (die Zeit) herankommt, daß der geistige Mensch in dir aufsteht, erwacht in dir die Abtötung von allem, und deine Seele wird warm von einer Freude, wie sie die Geschöpfe nicht kennen, und deine Gedanken gehen auf in der Süße in deinem Herzen. Und wenn die Welt in dir aufstehen will, dann nimmt das Umherschweifen des Geistes und das kleinmütige und unstete Denken zu. Welt aber nenne ich die Leidenschaften, die das Umherschweifen (des Geistes) hervorruft. Wenn sie hervorgebracht und ausgereift
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sind, werden sie zu Sünden, und sie töten den Menschen. So wie Kinder nicht ohne Mutter geboren werden, werden auch die Leidenschaften nicht ohne Umherschweifen des Geistes erzeugt, und es gibt nicht die vollkommene Sünde ohne Hinzutreten der Leidenschaften. Wenn die Geduld in unseren Seelen zunimmt, ist dies ein Zeichen dafür, daß wir insgeheim die Freude des Trostes empfangen haben. Die Kraft der Geduld ist stärker als die Gedanken der Freude, die in unser Herz fallen. Ein Leben in Gott bedeutet Ordnung der Sinne. Wenn aber das Herz wieder auflebt, brechen die Sinne zusammen. || 388r Das Aufleben der Sinne bedeutet Abtötung des Herzens, und wenn sie wieder aufleben, ist dies ein Zeichen dafür, daß das Herz Gott gegenüber abgestorben ist. Von den Tugenden, die unter den Menschen geübt werden, empfängt das Gewissen nicht den geraden Weg. Die Tugend, die jemand um anderer willen übt, kann die Seele nicht reinigen, denn sie gilt vor Gott nicht als Lohn für die Werke. Wenn aber der Mensch diese für sich selbst übt, werden beide vollkommen: sie wird als Belohnung angerechnet und bewirkt Reinigung. Deshalb trenne dich von der ersteren und halte dich an die zweite (Form der Tugendübung). Ohne die Bemühung darum, das heißt das Unterlassen der zweiten (Form), wäre es der offene Abfall von Gott. Das zweite aber füllt auch die Stelle des ersten aus, ohne dieses zu tun. Bequemlichkeit und Müßiggang sind der Verderb der Seele, und mehr als die Dämonen können sie ihr schaden. Wenn man einen kraftlosen Leib zu Werken zwingt, die seine Kraft übersteigen, bürdest du der Seele Dunkelheit über Dunkelheit auf und fügst ihr noch mehr Verwirrung zu. Überlässest du aber einen kräftigen Leib der Bequemlichkeit und dem Müßiggang, kommt jegliches Übel in der ihm innewohnenden Seele zur Vervollkommnung. | 388v Und wenn jemand das Gute will, so wird es (das Übel) doch nach kurzer Zeit den Gedanken an das Gute, den er hatte, wegnehmen. Wenn die Seele trunken ist von der Freude ihrer Hoffnung und der Seligkeit in Gott, dann spürt der Leib keine Bedrängnisse, selbst wenn er kraftlos ist. Denn er trägt eine doppelte Last und erkennt es nicht, sondern der Leib genießt die Wonne der Seele mit und fördert sie, auch wenn er unfähig ist zu jener Freude des Geistes. Wenn du deine Zunge hütest, o Bruder, erhältst du von Gott als Gabe die Ergriffenheit des Herzens, um darin deine Seele zu erblicken und darin in die geistige Freude einzugehen. Wenn dich aber deine Zunge besiegt, dann glaube mir, was ich dir sage: Niemals wirst du dich von der Dunkelheit lösen. Wenn du kein reines Herz hast, dann habe wenigstens einen reinen Mund, wie der selige Johannes sagte: Wenn du jemanden zum Guten ermahnen willst, dann beruhige ihn zuerst im Leiblichen, und ehre ihn mit einem Wort der Liebe. Denn nichts zwingt den Menschen so sehr zur Scham und läßt ihn sich vom Bösen zum Guten än-
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dern wie leibliche Wohltaten und die Ehrerbietung, die er von dir zu sehen bekommt. || 389r In dem Maße, in dem jemand den Kampf für Gott aufnimmt, faßt sein Herz Mut im Gebet, und je mehr der Mensch von vielerlei Dingen angezogen wird, verliert er (auch) die Hilfe Gottes. Sei nicht betrübt wegen der Blindheit der Augen des Leibes, denn der Tod wird sie dir vollständig nehmen. Fürchte dich nicht vor dem Tode, weil Gott vorbereitet, daß du höher als dieser Tod stehen wirst. Rede 86 (389r – 390v) Von der engelgleichen Regung, die durch die göttliche Vorsehung zum geistigen Wachstum der Seele in uns (auf)geweckt wird Der erste Gedanke, der durch die Menschenliebe Gottes den Menschen überkommt und die Seele zum Leben anleitet, ist der in das Herz dringende Gedanke über den Auszug dieser (irdischen) Natur. Diesem Gedanken folgt naturgemäß die Mißachtung der Welt, und von da an beginnt im Menschen jegliche gute Regung, die ihn zum Leben anleitet. Denn die göttliche Kraft, die dem Menschen folgt, legt gleichsam einen Grund in ihn, wenn sie in ihm das Leben offenbaren will. Wenn der Mensch diesen Gedanken, von dem wir sprachen, nicht auslöscht in den Verwicklungen des irdischen Lebens und hohlem Gerede, | 389v sondern diesen Gedanken im zurückgezogenen Schweigen wachsen läßt und in der Versenkung in sich selbst verharrt und sich darin übt, dann führt ihn das zu einer tiefen Schau, wie es keiner mit Worten benennen kann. Diesen Gedanken haßt der Satan durch und durch, und er kämpft mit seiner ganzen Kraft darum, ihn dem Menschen auszureißen, und wenn es möglich wäre, ihm das Reich der ganzen Welt zu geben, nur damit er durch die Sorge darum diesen Gedanken aus dem Sinn des Menschen entferne, würde er dies eifrig tun. Denn der Verführer weiß, daß, wenn dieser Gedanke im Menschen lebt, dessen Trachten nicht auf die Verlockungen der Erde gerichtet ist und seine (des Satans) Listen ihn nicht erreichen werden. Dies meinen wir nicht von jenem ersten Gedanken, der in uns die Erinnerung an den Tod weckt, wenn wir daran denken, sondern die Vollkommenheit dieses Ganzen, dessen zu gedenken untrennbar in den Menschen hineingelegt ist, und in seinen Betrachtungen wird er zum stetigen Staunen darüber gebracht. Jener Gedanke ist körperlich(er Natur), dieser aber ist geistige Schau und eine wunderbare Gnade, und es sind lichte Gedanken. Diese Schau || 390r ist verhüllt. Und wer dies besitzt, der fragt nicht nach dieser Welt und nähert sich nicht diesem Leib. Wirklich und wahrhaftig, ihr Geliebten, wenn tatsächlich Gott dieses wahre Schauen nur für kurze Zeit zuließe, müßte die Welt stille stehn. Dieses Schauen ist eine Fessel, vor der die Natur nicht bestehen kann. Und für den, der dieses Betrachten in
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seiner Seele empfängt, ist es eine Gnade von Gott, die stärker ist als alle einzelnen Taten, und sie wird jenen verliehen, die auf der mittleren Stufe stehen und aufrichtigen Herzens nach Reue verlangen. Sie wird bekanntlich jenen gegeben, von denen Gott weiß, daß ihnen gebührt, sich wahrhaftig von dieser Welt zurückzuziehen zu einem besseren Leben um des guten Wollens willen, das Er in ihnen gefunden hat. Sie (die Gnade) wird wachsen und in ihnen bleiben in ihrer abgesonderten und abgelegenen Wohnstätte. Laßt diese (Gnade) uns in Gebeten erflehen (und) lange (Nacht-) Wachen um ihretwillen halten. Und da es eine Gnade ohnegleichen ist, laßt uns unter Tränen von Gott erbitten, daß Er sie uns gewähre, und wir werden schon nicht mehr unter der Mühsal dieser Welt erschlaffen. | 390v Dies ist der Beginn der Vorstellungen vom Leben, die im Menschen die vollkommene Rechtschaffenheit zur Vollendung bringen. Rede 87 (390v – 391v) Über das zweite Handeln im Menschen Ein anderes Handeln nach diesem ist es, wenn der Mensch in rechter Weise durch einen guten Lebenswandel dahin gelangt, sich auf die Stufe der Reue zu erheben und sich dem (Zustand) nähert, ihre Betrachtung und ihre Ausübung zu kosten. Wenn ihn die Gnade von oben erreicht, die Süße des geistigen Wissens zu kosten, so ist dies der Anfang dazu. Von hier an wird er zunächst der göttlichen Vorsehung für den Menschen gewiß und von Seiner Liebe zu Seiner Schöpfung erleuchtet und von der Ausgestaltung der vernunftbegabten Wesen und Seiner großen Fürsorge für sie. Von hier an beginnt in ihm die göttliche Wonne und das Entflammen seiner Liebe (zu Gott), die in seinem Herzen lodert und die Leidenschaften der Seele und des Leibes verbrennt. Und von dieser Kraft spürt er, daß sie in allen Gestalten der Schöpfung und in jeglicher Sache, die ihm begegnet, ist. Und einmal (bisweilen) ist er davon so trunken wie vom Wein, und seine Glieder erschlaffen und sein Sinn verharrt im Staunen, und sein Herz ist gefangen in der Gefolgschaft Gottes, und so wird er, || 391r wie ich sagte, sein wie trunken vom Wein, und in demselben Maße, in dem seine inneren Sinne an Stärke gewinnen, wird sein Schauen erstarken, und je mehr er in einem guten Lebenswandel voranschreitet und auf sich achtet und in den Lesungen und in seinen Gebeten fortfährt, um so mehr wird er gefestigt und wird ihre Kraft in ihm wahrhaft bestätigt. Wahrlich, ihr Brüder, diesem (Mann) wird bisweilen widerfahren, daß er sich nicht erinnert, einen Leib zu haben, und nicht weiß, daß er in dieser Welt lebt. Das ist der Anfang des geistigen Schauens im Menschen, und dies ist der Anfang aller Erleuchtung des Verstandes. Und darin wächst die Einsicht in den verborgenen Dingen und er-
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starkt und gelangt dadurch zu anderen, die menschliche Natur übersteigenden Dingen und wird, kurz gesagt, gleichsam durch ihre Hand dem Menschen alles Schauen des Göttlichen vermittelt und die Offenbarungen, welche die Heiligen in dieser Welt empfangen, soweit die (gewöhnliche) Natur in dieser Welt die Gaben und Offenbarungen des (Heiligen) Geistes begreifen kann. Das ist die Wurzel des uns von unserem Schöpfer eingegebenen Empfindens. Selig der Mensch, der sich den edlen Samen bewahrte, sobald er in seine Seele fällt, | 391v und ihn aufzog und ihn nicht in eitlen Dingen und im Umherschweifen (der Gedanken) in vergänglichen und verweslichen Dingen verschleuderte. Rede 88 (391v – 393r) Über die allzeit in der Seele ablaufende Veränderung von Licht und Dunkel und den Zwang (der Entscheidung) zur Rechten und zur Linken Blicken wir, meine Geliebten, während des Gebets in unsere Seelen: Haben wir die (rechte) Betrachtung in den Versen der Belehrung und des Gebets, dann kommt das vom Leben im wahren Schweigen. Und in der Zeit, in der wir uns in der Dunkelheit befinden, mögen wir nicht in Verwirrung geraten, vor allem aber, wenn dies nicht auf uns zurückgeht. Halte dies für eine göttliche Vorsehung. Wessentwegen diese Vorsehung geschieht, weiß nur unser Gott, damit unsere Seele sichtbar werde und sich wie unter Wogen befinde. Und wenn jemand in der Schrift liest und seinen Dienst verrichtet und in jeder Sache, die ihm begegnet, Dunkelheit über Dunkelheit erfährt, dann zieht er sich zurück (von seinen Bemühungen). Und oft wird er selbst ohne Annäherung (an das Erstrebte) gelassen, und dieser (Mensch) glaubt überhaupt nicht (mehr), daß es eine Änderung gibt und daß er wieder Frieden findet. Diese Stunde ist voller Verzweiflung und Furcht, und die Hoffnung auf Gott und die Tröstung || 392r durch seinen Glauben wird völlig aus der Seele vertrieben, und sie ist ganz und gar ausgefüllt von Zweifel und Angst. Die in der Woge dieser Stunde Geprüften kennen aus Erfahrung die Veränderung, die an ihrem Ende folgt. Gott läßt die Seele in diesem Zustand nicht einen ganzen Tag, weil sie die christliche Hoffnung verlieren würde, vielmehr schafft Er ihr alsbald den Ausgang [1 Kor 10,13]. Wenn aber die Bedrängnis aus dieser Dunkelheit länger anhält, dann erhoffe bald eine Veränderung aus ihrer Mitte heraus (in ein anderes Leben). Dir, o Mensch, schlage ich vor und rate dir: Wenn du nicht die Kraft besitzest, dich zu beherrschen und im Gebet auf dein Antlitz zu fallen, dann umhülle dein Haupt mit deinem Mantel und schlafe, bis die Stunde dieser Dunkelheit an dir vorübergegangen ist. Deine Zelle aber verlasse nicht. Dieser Prüfung werden meistens jene unterworfen, die ein geistiges Leben führen wollen und nach
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der Tröstung des Glaubens in ihrem Leben verlangen, weshalb ihnen am meisten diese (dunkle) Stunde Schmerz und Mühe durch den geistigen Zweifel bereitet. | 392v Dem aber folgt heftige Blasphemie, und manchmal überkommt ihn (den Menschen) Zweifel an der Auferstehung und noch andere Dinge, die wir nicht aussprechen sollten. Dies alles haben wir in der Prüfung erfahren und haben zum Trost für viele diesen Kampf aufgezeichnet. Diejenigen, die bei den leiblichen Werken verharren, bleiben völlig außerhalb von diesen Dingen. Verzagtheit aber befällt sie, wie sie allen bekannt ist, und sie unterscheidet sich in ihrer Form von diesem (erwähnten Zustand) und diesem Ähnlichem. Genesung davon und Heilung kommt aus dem Schweigen in der Zurückgezogenheit. Denn das ist sein (des Menschen) Trost. Im Gespräch aber wird er niemals das Licht der Tröstungen empfangen. Im Umgang mit den Menschen wird er keine Heilung erfahren. Vorübergehend wird er es spüren, und danach wird es ihn mit großer Macht überfallen. Und er braucht dringend einen erleuchteten Menschen, der Erfahrung in diesen Dingen besitzt, damit er von diesem erleuchtet und jederzeit, wenn es notwendig werden sollte, gestärkt werde, aber nicht immer. Selig, wer dieses innerhalb der Tür seiner Behausung erträgt. Denn er wird nach diesem große Kraft erlangen, wie die Väter sagen. || 393r Doch nicht in einer Stunde und auch nicht plötzlich endet dieser Kampf, auch kommt die Gnade nicht auf einmal vollständig und läßt sich in der Seele nieder, sondern nach und nach, und von dieser und auf andere Weise (kommt) bisweilen die Prüfung und bisweilen der Trost. Und darin wird er (der Mensch) selbst bis zu seinem Abgang (von dieser Welt) Eifer zeigen. Sich all dem zu entfremden sollten wir hier nicht erhoffen, noch daß wir vollständig getröstet würden. Denn so hat es Gott gefallen, unser hiesiges Leben einzurichten und daß die, die auf ihrem Wege wandeln, damit leben. Ihm sei Ruhm in Ewigkeit. Amen. Rede 89 (393r – 400v) Kurze Kapitel, die verschiedene Gedanken enthalten, in denen er (Isaak) über den Schaden törichten Eifers belehrt, der gleichsam aus Gottesfurcht geschieht, und die Hilfe, die von der Milde kommt; und anderes. Gott gebe Seinen Segen Ein eifernder Mensch gelangt nicht zum Frieden des Geistes. Wem aber der Friede fremd ist, dem ist auch die Freude fremd. Wenn es jedoch heißt, daß der Friede des Geistes die völlige Gesundheit bedeute, der Eifer aber dem Frieden entgegengesetzt sei, dann folgt daraus, daß derjenige an einer schweren Krankheit leidet, der üblen Eifer hegt. O Mensch, der du gegen | 393v fremde Krankheiten deinen Eifer zu hegen vermeinst, du vertreibst die
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Gesundheit deiner Seele. Du solltest dich lieber um die Gesundheit deiner Seele bekümmern. Wenn du aber die Kranken heilen willst, dann wisse, daß diejenigen, die nicht gesund sind, mehr der Sorge bedürfen als der Schelte. Weil du aber anderen hilfst, stürzest du dich selbst auf schmerzliche Weise in schwere Krankheit. Nicht zu den Formen der Weisheit wird der Eifer unter den Menschen gezählt, sondern zu den Krankheiten der Seele, die da sind geistige Beschränktheit und große Unwissenheit. Der Anfang der göttlichen Weisheit ist die Milde und die Schlichtheit, die von einer großen und starken Seele und festem Denken kommen und die die Schwächen der Menschen erträgt. Denn ihr, so heißt es, die Starken, ertragt die Schwächen der Kraftlosen [Röm 15,1], und den, der gesündigt hat, sollt ihr im Geist der Milde zurechtweisen [Gal 6,1], und zu den Früchten des Heiligen Geistes zählt der Apostel Frieden und Geduld [Gal 5,22]. Ein Herz, das voll des Kummers ist ob des Unvermögens und der Kraftlosigkeit der offensichtlichen Bemühungen des Leibes nimmt die Stelle aller leiblichen Werke ein. || 394r Das Tun des Leibes ohne Leiden des Geistes ist wie ein Leib ohne Seele. Wer da in seinem Herzen bekümmert ist und in seinen Sinnen geschwächt, ist wie ein Kranker, der körperlich leidet und seinen Mund für jegliche ihm schädliche Nahrung offen hält. Wer in seinem Herzen bekümmert ist und in seinen Sinnen ungezügelt, ist wie ein Mensch, der einen einzigen Sohn hat und ihn nach und nach mit seinen eigenen Händen erschlägt. Kummer des Geistes ist eine kostbare Gabe von Gott, und wer ihn erträgt, wie es sich geziemt, ist wie ein Mensch, der in seinen Gliedern ein Heiligtum trägt. Ein Mensch, der seiner Zunge gegen andere Menschen in guten oder bösen Dingen Raum gegeben hat, ist dieser Gnade nicht würdig. Reue (in Verbindung) mit Unterhaltungen ist (wie) ein geborstenes Faß. Großmut (in Verbindung) mit Backenstreichen ist wie ein Messer, das in Honig getaucht wurde. Keuschheit und Umgang mit einer Frau ist wie eine Löwin mit einem Schaf in einem gemeinsamen Haus. Werke ohne Barmherzigkeit vor Gott sind wie ein Mensch, der den Sohn vor seinem Vater erschlägt. Wer an seiner Seele krankt und seine Freunde lenkt, ist wie ein Blinder, der den anderen den Weg weist. Barmherzigkeit und gerechtes Gericht in einer Seele | 394v sind wie ein Mensch, der sich vor Gott und den Götzen in einem (demselben) Haus verneigt. Barmherzigkeit steht im Gegensatz zu einem gerechten Gericht. Ein gerechtes Gericht beinhaltet gleichmäßige Ausgewogenheit, denn sie gibt einem jeden, wie ihm gebührt, und neigt sich nicht zur einen Seite und heuchelt bei der Vergeltung. Die Barmherzigkeit aber wird ein wenig von der Gnade bewegt und neigt sich allen barmherzig zu, und an dem, der Böses verdient, übt sie nicht Vergeltung, und den, der Gutes verdient, sättigt sie doppelt. Und wenn dies ein Teil der Gerechtigkeit ist, so ist
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das andere ein Teil des Bösen. So wie Heu und Feuer nicht in einem Haus bleiben können, (ergeht es ) auch mit der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit in einer Seele. So wie ein Sandkorn nicht dem Gewicht von viel Gold entspricht, so entspricht auch nicht das Bedürfnis an göttlichem Gericht der Art Seiner Wahrheit und Gerechtigkeit. So wie eine Handvoll Sand, die im großen Meer versinkt, sind die Sünden allen Fleisches vor der Art von Gottes Vorsehung und Seinem Erbarmen. Und so wie eine reich sprudelnde Quelle nicht durch eine || 395r Handvoll Erde verstopft wird, so wird auch nicht die Barmherzigkeit des Schöpfers durch die Schlechtigkeit der Geschöpfe besiegt. Wie jemand, der in das Meer sät und zu ernten hofft, ist derjenige, der (einem anderen etwas) nachtragend betet. So wie man das Leuchten des Feuers nicht daran hindern kann aufzusteigen, so kann auch den Gebeten der Barmherzigen nicht verwehrt werden, zum Himmel aufzusteigen. Wie der Lauf des Wassers an einer abschüssigen Stelle heftig strömt, so geschieht es auch mit der Kraft des Zornes, wenn er Platz in unserem Denken findet. Wer Demut in seinem Herzen erlangt hat, ist abgestorben für die Welt. Und wer für die Welt abgestorben ist, ist abgestorben für die Leidenschaften. Wer in seinem Herzen für die Seinen abgestorben ist, für den ist auch der Teufel tot. Wer den Neid gefunden hat, der hat mit ihm den Teufel gefunden. Es gibt die Demut, die von Gott kommt, und es gibt die Demut aus Liebe zu Gott, und es gibt diejenigen, die aus Furcht vor Gott demütig sind, und es gibt diejenigen, die vor Freude (über Ihn) demütig sind. Denjenigen aber, der aus Furcht vor Gott demütig ist, begleitet allzeit Mäßigung in den Gliedern, Ordnung in seinen Sinnen und ein zerknirschtes Herz | 395v, wer aber aus Freude (über Gott) demütig ist, den begleitet große Schlichtheit und ein unbändig überquellendes Herz. Die Liebe kennt keine Scham, weshalb sie auch ihren Gliedern keine Form der Ordnung zu geben vermag. Der Liebe ist es von Natur aus zu eigen, sich nicht zu schämen und ihr Maß zu vergessen. Selig, wer sie gefunden hat, den Hafen jeglicher Freude. Gott wohlgefällig ist die Versammlung der Demütigen wie die Versammlung der Seraphime. Ein demütig weiser1 Leib ist vor Gott ehrenvoller als ein reines Opfer. Diese beiden aber, das heißt die Demut und die Keuschheit, bereiten in der Seele der Dreifaltigkeit ein Unterpfand. Begegne denen, die du liebst, ehrerbietig. Und wenn du dies tust, wirst du sowohl dir selbst als auch ihnen nützlich sein, denn oftmals legt die Seele unter der Gestalt der Liebe den Zügel der Wachsamkeit ab. Sei auf der Hut vor Unterhaltungen, denn sie sind nicht jederzeit nützlich. In der Versammlung beach1
Th: σώ ρ ων.
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te das Schweigen, denn großer Schaden, der dir bevorsteht, wird durch dieses abgewehrt. Hüte den Bauch, (doch) nicht so sehr wie deinen Blick. Denn der eigene (innere) Kampf || 396r ist zweifelsohne leichter als der äußere. Glaube nicht, o Bruder, daß die inneren Vorhaben geschützt werden können, ohne den Leib gut und wohl geordnet zu haben. Fürchte die Gewohnheiten mehr als die Feinde. Wer eine Gewohnheit in sich nährt, ist wie ein Mensch, der das Feuer füttert. Das Ausmaß der Kraft der beiden liegt in der Sache selbst. Wenn die Gewohnheit einmal etwas erbittet und ihre Bitte abgeschlagen wird, wirst du sie beim zweiten Mal als kraftlos befinden. Wenn du ihr einmal ihren Willen lässest, wirst du feststellen, daß sie beim zweiten Mal noch kräftiger gegen dich angeht. Dies mögest du bei jeglicher Sache in Erinnerung behalten. Denn viel besser ist die Hilfe durch Wachsamkeit, als Hilfe, die von den Taten kommt. Dem, der das Gelächter liebt und die Menschen gern verspottet, sei kein Freund, denn er wird dich zur Gewöhnung an die Schwäche anleiten. Mit der Lässigkeit in seinem Lebenswandel mögest du nicht dein Antlitz aufmuntern. Aber hüte dich davor, ihn zu hassen. Wenn er aufstehen will, reiche ihm die Hand, und sogar bis zum Tode kümmere dich um ihn. Wenn du aber noch krank bist, | 396v dann hüte dich sogar davor zu heilen. Denn es heißt, reiche ihm den Anfang deines Stabes und so weiter. Vor dem Eingebildeten und dem, der an Neid krankt, sprich vorsichtig. Aus dem, wie du sprichst, macht dieser in seinem Herzen eine Deutung deiner Worte, wie es ihm gefällt, und aus dem Guten in dir bezieht er etwas, das andere Anstoß nehmen läßt, und deine Worte verwandeln sich in seinem Sinne entsprechend der Art seiner Krankheit. Vor demjenigen, der seinen Bruder vor dir schmähen will, zeige ein bekümmertes Gesicht, und wenn du dies tust, wirst du sowohl vor Gott wie vor diesem als ein vorsichtiger Mann gelten. Wenn du einem Bedürftigen etwas gibst, möge deinem Geben Milde deines Antlitzes vorausgehen, und mit freundlichen Worten tröste seinen Kummer. Wenn du aber so handelst, wird deine Milde in seinem Bewußtsein deine Gabe besiegen (das heißt) mehr als die Bedürfnisse des Leibes. An dem Tag, an welchem du deinen Mund auftust und etwas gegen einen anderen sagst, magst du dich für tot vor Gott halten und nichtig in allen deinen Tagen, || 397r auch wenn du meinst, daß dich deine Absicht zu Recht und zur Enthaltsamkeit etwas zu sagen bewogen hatte. Was für eine Notwendigkeit bestünde für jemanden, sein (eigenes) Bauwerk zu zerstören und das seines Freundes auszubessern? An dem Tag, an dem du Kummer hast um jemanden, der in irgendeiner Form durch Gute oder Böse leidet, sei es körperlicher oder geistiger Art, halte dich an diesem Tag für einen Märtyrer und für einen, der für Christus gelitten hat und Zeugnis abzulegen gewürdigt worden ist. Denn sei eingedenk, daß Christus um der Sün-
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der willen gestorben ist und nicht für die Gerechten und die Guten. Sieh, wie großartig diese Sache ist, sich um der Bösen willen zu betrüben und Gutes zu tun den Sündigen mehr als den Gerechten. Der Apostel erwähnt dies als etwas, das einem Wunder gleichkommt [Röm 5,6-8]. Wenn du dich wegen deiner Seele vor dir selbst rechtfertigen kannst, sorge dich nicht darum, einer anderen Wahrheit nachzujagen. In allem deinem Tun möge in dir Keuschheit des Leibes und Reinheit des Gewissens allem vorangehen. Denn ohne diese ist jedes Ding vor Gott nichtig. Begreife, daß jede Sache, die du ohne Überlegung und Erforschung unternimmst, nichtig | 397v ist, selbst wenn sie angemessen wäre. Denn Gott befindet über Richtigkeit nach der (Bemühung um) Unterscheidung und nicht nach dem unbesonnenen Tun. Ein Leuchter in der Sonne ist der Gerechte, der nicht klug ist. Ein Samen, der auf Stein fällt, ist das Gebet dessen, der einen Groll hegt. Ein Baum, der keine Frucht trägt, ist der Asket, der nicht barmherzig ist. Ein vergifteter Pfeil ist der Tadel aus Neid. Ein törichter Ratgeber ist (wie) ein blinder Wächter. (Wie) ein verborgenes Netz ist das Lob des Listigen. Das Zerbrechen des Herzens bedeutet das Zusammensitzen mit den Unverständigen. Eine süße Quelle ist die Unterhaltung der Verständigen. Ein weiser Ratgeber ist eine Mauer der Hoffnung. Ein törichter und unvernünftiger Freund ist eine Schatzkammer an Schaden. Es ist besser, ein Haus des Klagens zu sehen, als einen Weisen, der einem Törichten folgt. Es ist besser, bei den Tieren zu wohnen, als bei Menschen zu wohnen, die ein schlechtes Leben führen. Sitze (besser) mit einem Geier1 zusammen als mit einem Habgierigen und Unersättlichen. Sei einem Mörder ein Freund aber nicht einem Streitsüchtigen. Es ist besser, sich mit einem Schwein zu unterhalten als mit einem Fresser, denn der Trog des Schweines ist besser als der Mund der Esser und Fresser. (Besser) sitze || 398r inmitten der Aussätzigen als unter den Stolzen. Sei der Verfolgte, aber nicht der Verfolger. Sei der Gekreuzigte, aber nicht derjenige, der kreuzigt. Sei der Gekränkte, aber kränke nicht. Laß dich verleumden, aber verleumde nicht. Sei sanftmütig, aber ereifere dich nicht über das Böse [vgl. Ps 37,1,7-8]. Die Widerrede (Rechtfertigung) ist keine christliche Lebensweise und wird in der Lehre Christi nicht genannt. Sei fröhlich mit denen, die sich freuen, und weine mit den Weinenden [Röm 12,15], denn dies ist ein Zeichen der Reinheit. Sei krank mit den Kranken. Mit den Sündern weine, mit den Reumütigen freue dich. Sei liebenswert bei allen Menschen, aber allein in deinem Denken. Sei ein Gefährte für die Leiden aller, aber halte deinen Leib fern von allen. Schilt niemanden, noch 1
gipsъ Entlehnung zu r. γύψ; Th: μετὰ γυπῶν; Randkorrektur sъ sapsomъ ist möglicherweise zu sapsan „Wanderfalke“ zu stellen.
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tadle jene, die einen sehr üblen Lebenswandel führen. Breite dein Gewand über den Sünder, und bedecke ihn. Kannst du seine Verfehlungen dir nicht auferlegen und an seiner Statt die Strafe übernehmen, dann ertrage wenigstens die Schande, damit du ihn nicht bloßstellst. Wisse, o Bruder, daß wir deshalb hinter | 398v den Türen unserer Zelle bleiben müssen, damit wir nicht die schlechten Dinge der Menschen kennen. Und dann werden wir alle in der Unwissenheit unseres Denkens als Heilige und Gute sehen. Wenn wir aber Tadler und Strafende und Richtende und Verhörende und Rächende und Kritiker werden, was würde sonst noch unsere Wohnstätte vom Aufenthalt in der Stadt unterscheiden? Und was ist schlimmer als der Aufenthalt in der Wüste, wenn wir dies nicht unterlassen? Wenn du nicht Schweigen bewahrst im Herzen, dann laß zumindest deine Zunge schweigen. Wenn du deinen Gedanken nicht Ordnung gebieten kannst, dann sorge zumindest dafür, daß deine Sinne wohlgeordnet sind. Und wenn du nicht allein bist in deinem Geist, dann sei wenigstens allein in deinem Leibe. Wenn du dich nicht mit deinem Leib abmühen kannst, dann sei zumindest in deinem Geiste betrübt. Wenn du im Stehen nicht wachen kannst, dann wache sitzend auf deinem Lager oder auch im Liegen. Wenn du nicht immer fasten kannst, faste zumindest bis zum Abend. Und wenn du nicht bis zum Abend fasten kannst, dann sei zumindest darauf bedacht, dich nicht zu sättigen. Wenn du nicht heilig in deinem Herzen bist, sei wenigstens heilig in deinem Leibe. || 399r Wenn du nicht weinst in deinem Herzen, dann hülle zumindest dein Antlitz in Weinen. Kannst du kein Erbarmen zeigen, sprich als ein Sünder. Bist du kein Friedenstifter, sei (zumindest) keiner, der den Aufruhr liebt. Kannst du nicht eifrig sein, sei doch zumindest in deinen Überlegungen nicht wie ein Fauler. Bist du kein Asket, solltest du den Schuldigen gegenüber nicht hochmütig sein. Solltest du dem, der über deinen Freund redet, nicht den Mund schließen können, sei wenigstens auf der Hut, daß du dich mit ihm nicht gemein machst. Begreife, daß, wenn von dir ein Feuer ausgeht und andere verbrennt, Gott von deinen Händen die vom Feuer verbrannten Seelen fordern wird, und wenn du (selbst) das Feuer nicht gelegt hast, sondern dem, der es geworfen hat, zustimmst und du ein Wohlgefallen daran hast, bist du beim (letzten) Gericht sein Gefährte. Wenn du die Sanftmut liebst, sei friedlich. Und wenn du des Friedens gewürdigt wirst, wirst du allzeit froh sein. Verlange nach Einsicht, nicht (nach) Gold. Kleide dich in Demut und nicht in feines Linnen. Erwirb dir Frieden, aber kein Königreich. Es gibt keinen Einsichtigen, | 399v der nicht Demut hätte, und wer keine Demut hat, wird nichts verstehen. Es gibt keinen Demütigen ohne Friedfertigkeit. Und wer nicht friedlich ist, ist auch nicht demütig, und es gibt keinen Friedfertigen, der nicht froh wäre. Auf allen Wegen, auf denen die Men-
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schen in der Welt gehen, finden sie keinen Frieden, bis sie sich der Hoffnung auf Gott nähern. Das Herz findet keine Ruhe von Mühsal und Hindernis, bis es dies erreicht hat. Und die Hoffnung bändigt das Herz und gießt Freude in ihm aus. Dies ist es, was der verehrungswürdige und von Heiligkeit erfüllte Mund gesagt hat: Kommt zu Mir alle, die ihr euch müht und belastet seid, und Ich werde euch Ruhe geben [Mt 11,28]. Komm näher, sagt Er, um auf Mich zu hoffen, und du wirst ausruhen von Mühsal und Angst. Denn die Hoffnung auf Gott richtet das Herz auf, die Furcht vor der Hölle läßt es zusammenbrechen. Das Licht des Geistes gebiert den Glauben, und der Glaube gebiert den Trost der Hoffnung. Die Hoffnung verleiht dem Herzen Stärke. Der Glaube ist die Offenbarung der Erkenntnis. Und wenn sich der Sinn verdunkelt, verbirgt || 400r sich der Glaube, und Angst bemächtigt sich unser und schneidet unsere Hoffnung ab. Ein Glaube, der von Unterweisung kommt, befreit den Menschen nicht von Überheblichkeit und Zweifel, sondern der (Glaube), der in der Erkenntnis geschaut wird und aufstrahlt und Erkenntnis und Offenbarung der Wahrheit genannt wird. Denn solange der Geist in einer Offenbarung der Erkenntnis Gott als Gott begreift, wird sich dem Herzen die Furcht nicht nähern. Wenn wir in die Dunkelheit fallen gelassen werden, verlieren wir diese Erkenntnis. Denn bis wir demütig werden, befällt uns Angst, bis diese uns zur Demut und Reue führt. Der Sohn Gottes hat das Kreuz ertragen. Ihr, die ihr Sünder seid, faßt den Mut zur Reue. Wenn schon das (äußere) Bild von Reue den Zorn von König Achab abgewendet hat [1 Kön 21,27-29], wird uns die Wahrhaftigkeit nicht verwerfen, (nämlich) die Reue unseres Geistes. Und wenn das (äußere) Bild der Reue von jenem nicht ehrlichen (Reumütigen) den Zorn abgewendet hat, wieviel mehr (wird das) bei uns (geschehen), die wir wahrhaft unsere Verfehlungen betrauern. Die Betrübnis des Geistes genügt anstelle von jeglichem körperlichen Tun, sagt der heilige Gregorios. Ein Tempel der Gnade ist, wer ganz in Gott aufgeht und | 400v in der Sorge um das Gericht (Gottes) verbleibt. Und was bedeutet Sorge um Sein Gericht, doch (nur) das nicht ständige Suchen nach der eigenen Ruhe und den immerwährenden Kummer und die Sorge, aus Schwachheit und wegen unserer Natur keine Vollkommenheit erlangen zu können. Und der beständige Kummer darüber bedeutet, in seiner Seele das ständige Gedenken an Gott zu tragen, wie der selige Basileus sagte. Das nicht abschweifende Gebet ist es, das in der Seele den klaren Gedanken an Gott hervorbringt. Und dies ist das Aufnehmen Gottes, wenn wir durch das Gedenken Gott fest in uns tragen. So wird ein Tempel Gottes daraus. Denn dies ist die Sorge (um Ihn) in der Zerknirschung des Herzens zur Bereitung der Ruhe(statt) für Ihn.
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Rede 90 (400v – 405r) Über die unwillkürlichen bösen Gedanken, die aus der diesen vorausgegangenen Auflösung (in) der Sorglosigkeit hervorgehen Es gibt einige, die den Leib stärken und ihm um des Werkes Gottes willen ein wenig Ruhe geben wollen, bis sie kräftig sind und wieder zu ihrem Werk zurückkehren. In den wenigen Tagen der Ruhe aber sollten wir schließlich nicht unsere Wachsamkeit aufgeben und unsere ganzen Seelen der Auflösung überlassen wie Menschen, die nicht wieder zu ihrem Werk zurückkehren wollen. || 401r Diejenigen, die sich in der Zeit des Friedens mit feindlichen Pfeilen selber treffen, sind diejenigen, die wegen der Dreistigkeit ihres Wollens den Stoff (dafür) ihren Seelen erworben haben, und sie sehen sich am heiligen Ort, das heißt im Gebet, in das Gewand des Schmutzigen gekleidet. Das aber ist es, was sich zur Zeit des Denkens an Gott und des Gebets in ihrer Seele bewegt. Das sind die Dinge, die wir in der Zeit unserer Erschlaffung erworben haben, und diese verursachen uns Scham während unseres Gebets. Die Enthaltsamkeit ist für den Menschen eine größere Hilfe als das Tun, und die Erschlaffung schadet ihm mehr als die Ruhe. Von der Ruhe werden die häuslichen Kämpfe in Gang gesetzt und bedrängen seinen Geist, doch wenn sie ihn bedrängen, so hat er die Macht, sie aufzulösen. Denn wenn der Mensch die Ruhe aufgibt und sich der Stätte seines Werkes zuwendet, werden sie ihm genommen und verlassen ihn. Das, was aus der Erschlaffung stammt, verhält sich nicht so wie das, was aus der Schwäche und Ruhe kommt, auch wenn die Schwäche von der Ruhe kommt. Doch sofern er im Bereich seiner Freiheit ist, kann er wieder zur Ruhe kommen und sich nach der | 401v Ordnung seiner Regel ausrichten, weil er noch im Bereich seiner Freiheit ist. In der Erschlaffung aber verläßt er den Bereich der Freiheit. Wenn der Mensch nicht endgültig die Wachsamkeit abgeschüttelt hätte, wäre er da etwa in der Zwangslage gewesen, gegen seinen Willen sich den Dingen, die ihm Unruhe bereiten, zu unterwerfen? Wenn er die Grenze seiner Freiheit nicht ganz verlassen hätte, wären ihm nicht Dinge begegnet, die ihn zwangsweise mit dem zusammengebracht haben, dem sich zu widersetzen, er nicht gewachsen ist. Mögest du, o Mensch, keinem deiner Sinne Freiheit geben, weil du nicht wieder zu ihr zurückkehren können wirst. Denn die Ruhe schadet nur den Jungen, das Erschlaffen aber sowohl den Vollkommenen wie auch den Alten. Diejenigen, die von der Ruhe auf schlechte Gedanken verfallen, können wieder zur Wachsamkeit zurückkehren und sich zu ihrem hohen Lebenswandel aufrichten. Die aber im Vertrauen auf ihr Werk nachlässig wurden in der Wachsamkeit, wurden von ihrem hohen Lebenswandel weg zur Zerstörung ihres Lebens eingefangen. Mancher ist im Lande der Feinde geschlagen worden und starb während des
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Friedens. || 402r Und es gibt diejenigen, die unter dem Vorwand, das Leben zu erwerben, ausziehen und den Peiniger ihrer Seele empfangen. Nicht wenn wir bei etwas straucheln, mögen wir betrübt sein, sondern wenn wir darin verharren. Denn oft widerfährt das Straucheln auch den Vollkommenen. Doch wenn man darin verharrt, ist es die völlige Abtötung. Der Kummer, den wir wegen unseres Strauchelns erleiden, wird uns durch die Gnade anstelle des reinen Tuns angerechnet. Wer in der Hoffnung auf die Reue ein zweites Mal strauchelt, bewegt sich vor Gott mit übler List, ihn überfällt unerwartet der Tod, und er erreicht nicht die Zeit, auf die er seine Hoffnung setzte. Jeder, der seine Sinne gewähren läßt, läßt (auch) sein Herz gewähren. Das Handeln des Herzens ist eine Fessel für die äußeren Glieder. Und wenn jemand dies mit Urteilsvermögen tut auf die Weise wie die Väter vor uns, dann wird es durch drei andere Zeichen an ihm erkennbar: daß er nämlich weder an leiblichen Zugewinn gebunden ist, noch daß er die Völlerei liebt und daß Erregbarkeit ihm völlig fern liegt. | 402v Wo aber diese drei (sind): leiblicher Gewinn, auch wenn er gering ist, und Jähzorn und Sieg des unbeherrschten Bauches, so wisse, wenn jemand auch den alten Heiligen ähnlich zu sein scheint, daß von dem Mangel an Geduld gegenüber den inneren Dingen die Erschlaffung bei seinen äußeren Dingen kommt und nicht durch Überlegenheit die Mißachtung der Seele. Wenn dem nicht so wäre, wie könnte er die körperlichen Dinge mißachten und nicht Sanftmut erlangen? Der absichtlichen Vernachlässigung folgt fehlende Bindung an was auch immer und die Mißachtung von Bequemlichkeit und Menschenliebe. Und wenn jemand bereitwillig und freudig Schaden um Gottes willen auf sich nimmt, ist er innerlich rein. Und wenn jemand etwas nicht verachtet wegen der diesem anhaftenden Blendung, dann ist er wahrhaft frei. Und wenn jemand weder auf denjenigen zugeht, der ihm Ehre erweist, noch von dem sich abwendet, der ihn schmäht, dann hat er sich für dieses Leben abgetötet. Die Bewahrung des Urteilsvermögens ist weit besser als jedes Leben, in welcher Weise und nach welchem menschlichen Maß(stab) es auch geführt wird. Hasse nicht den Sünder, denn wir alle sind schuldig. || 403r Wenn du um Gottes willen seinetwegen bewegt bist, weine eher über ihn. Und weshalb wirst du ihn hassen? Seine Sünden hasse, und bete für ihn, damit du dich Christus angleichen mögest, wie er den Sündern nicht zürnte, sondern für sie betete. Siehst du nicht, wie Er über Jerusalem weinte? [Lk 19,41] Denn wir werden in vielem vom Teufel verspottet. Weshalb hassen wir den, der so wie wir von dem uns verspottenden Teufel verspottet wird? Und weshalb hassest du den Sünder, o Mensch? Etwa weil er kein Gerechter ist, so wie du? Wo ist Gerechtigkeit, da du doch keine Liebe hast. Warum hast du nicht über ihn geweint, sondern verfolgst ihn? Manche handeln in Unwis-
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senheit, die sich erzürnen, weil sie sich in den Werken der Sünder zum Urteilen befähigt halten. Sei ein Verkünder der göttlichen Gnade, denn Er ernährt dich, der du unwürdig bist, und obwohl du schuldig bist durch vielerlei Schuldhaftes, und Er übt an dir nicht Seine Vergeltung, und anstelle der geringen Dinge, die du vollbracht hast, vergilt Er dir mit Großem. Nenne Gott nicht gerecht, denn | 403v Seine Gerechtigkeit wird nicht an deinen Dingen erkannt. Wenn auch David Ihn gerecht nennt und so weiter, so hat doch Sein Sohn uns geoffenbart, daß Er mehr als gütig ist und gnädig. Gütig ist Er, so heißt es, zu den Arglistigen und Ruchlosen [Lk 6,35]. Warum nennst du Gott gerecht, wenn du das Kapitel findest, das von dem Lohn der Arbeiter handelt: Freund, sagte Er, Ich tue dir nicht Unrecht, denn Ich will diesem Letzten so viel geben wie dir. Wenn dein Auge arglistig ist, so bin Ich gütig [Mt 20, 13-15]. Wie kann der Mensch Gott wiederum gerecht nennen, wenn er dem Kapitel vom verlorenen Sohn begegnet, der seinen Reichtum in Unzucht verschleuderte. Und bei der bloßen Zerknirschung, die er zeigte, eilte er (der Vater) herzu, fiel ihm um den Hals und gab ihm Macht über seinen ganzen Reichtum [Lk 15,20-22]. Denn kein anderer hat solches von Ihm gesagt, daß wir (an Ihm) zweifeln, sondern Sein Sohn selbst hat dies bezeugt. Wo ist die Gerechtigkeit Gottes? Weil wir Sünder waren und Christus für uns gestorben ist? Wenn Er hier barmherzig ist, glauben wir, daß Er keine Veränderung annimmt. Möge uns nicht der Gedanke an solchen Frevel kommen, || 404r daß wir jemals sagten, Gott sei nicht barmherzig. Denn das Wesen Gottes ändert sich nicht irgendwann wie die Sterblichen. Und Er gewinnt nicht hinzu, was Er nicht hat, oder geht dessen verlustig, was Er hat. Oder Er erhält eine Zugabe wie die Kreatur. Sondern was Gott von Anfang an hat, besitzt Er ewiglich und hat es bis zum endlosen Ende, wie der selige Kyrillos in der Auslegung der Schöpfungsgeschichte sagt: Fürchte dich, so sagt er, wegen Seiner Liebe, aber nicht wegen des strengen Namens, der Ihm zugelegt worden ist. Liebe Ihn so, wie du Ihn lieben sollst, aber nicht für die Dinge, von denen du willst, daß sie dir von Ihm gegeben werden, sondern wegen der, die wir empfangen haben, und dieser Welt wegen, die Er um unseretwillen geschaffen hat. Denn wer wäre fähig, Ihm (dies) zu entgelten? Wo ist Sein Lohn in unseren Taten? Wer hat Ihn anfangs veranlaßt, uns zu erschaffen? Und wer wird Ihn für uns bitten, wenn wir (Seiner) nicht gedenken? Als wir einst noch nicht da waren, wer hat da unseren Leib zum Leben erweckt? Und wiederum, von wo fällt der Gedanke der Erkenntnis in den Staub? O, | 404v wunderbare Barmherzigkeit Gottes! O, dieses Staunen über die Gnaden(taten) unseres Schöpfers! O, welche Kraft, die allem genügt! O, du grenzenlose Barmherzigkeit, die unsere Natur, die von Sündern, Seiner Schöpfung wieder zuführt! Wer kann Ihn
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genügend rühmen? Den, der Seine Gebote übertritt und der Ihn lästert, richtet Er auf, den starren Staub erneuert Er, macht ihn verständig und vernünftig. Und den zerstreuten Staub und den gottlosen Geist und die zerstreuten Sinne macht Er zu einer vernünftigen und des Geistes würdigen Natur. Denn der Sünder vermag nicht die Gnade der Auferstehung zu begreifen. Wo ist die peinigende Hölle, um uns zu betrüben? Und wo ist die Qual, die uns vielfältig schreckt und die Freude über Seine Liebe besiegt? Und was ist die Hölle gegen die Gnade Seiner Auferstehung, wenn Er uns emporhebt aus dem Totenreich und bewirkt, daß das Verwesliche sich in Unverwesliches kleidet [1 Kor 15,53-54], und den, der in das Totenreich gefallen war, glorreich emporhebt. O, ihr Vernünftigen, kommt und bewundert, wer einen weisen Verstand hat und fähig ist, sich gebührend || 405r über die Gnade unseres Schöpfers zu wundern, oder wird er sagen, was ist der Lohn für die Sünder? Anstelle eines gerechten Lohns gibt Er ihnen die Auferstehung. Und anstelle mit einem Leib, der Sein Gesetz kennengelernt hatte, kleidet Er sie mit dem vollkommenen Ruhm der Unverweslichkeit. Diese Gnade, wenn Er uns, nachdem wir gesündigt haben, auferstehen läßt, ist größer als jene, da Er, als wir (noch) nicht waren, uns zum Sein erschuf. Ruhm, o Herr, Deiner unaussprechlichen Gnade. Diese Wogen Deiner Gnade, o Herr, haben mich verstummen lassen, und in mir ist kein Gedanke geblieben neben den Danksagungen zu Dir. Mit welchem Mund bekennen wir uns vor Dir, o gütiger König, der Du unser Leben liebst. Ruhm sei Dir für die beiden Welten, die Du geschaffen hast zum Heranwachsen und zu unserer Freude. Führe uns durch alles, was Du getan hast, zur Erkenntnis Deines Ruhms von nun an bis in Ewigkeit. Rede 91 (405r – 407v) Über die Geduld aus Liebe zu Gott und wie man Schutz daraus bezieht In dem Maße, in welchem der Mensch diese Welt geringschätzen wird und Eifer in der Furcht Gottes zeigt, nähert sich ihm auch die Vorsehung Gottes, und er spürt insgeheim | 405v den Schutz, und reine Gedanken werden ihm eingegeben, um dies zu begreifen. Und wenn jemand freiwillig auf die irdischen Güter verzichtet, so wird in dem Maße, in welchem er auf sie verzichtet, die Gnade Gottes ihm folgen und die Gnade Gottes ihn tragen. Ruhm sei Ihm, Der uns in den Dingen der Rechten und der Linken rettet und in allem eine Ursache dafür gibt, daß wir das Leben erlangen. Diejenigen aber, die aus eigenem Willen unfähig sind, sich das Leben zu gewinnen, deren Seele führt er durch unfreiwillige Leiden zur Tugend. Denn jener arme Lazarus war nicht aus eigenem Willen der weltlichen Güter beraubt, sondern auch sein Leib war von Wunden versehrt, und an zwei bitteren Leiden litt er, von
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denen eines bitterer als das andere war. Dennoch wurde er später im Schoße Abrahams geehrt. Gott ist dem betrübten Herzen nahe, das im Leid aufschreit zu Ihm. Und wenn Er bisweilen in den leiblichen Dingen Mangel bereitet oder auf andere Weise Kränkungen zufügt, so wird Er, solange wir das ertragen, dies in unseren Schutz verwandeln, so wie der Arzt bei schwerer Krankheit die Gesundheit bewirkt, indem er die kranken Glieder abschneidet. || 406r Doch für seine Seele zeigt Er große Menschenliebe entsprechend der Schwere seines Schmerzes. Wenn du aber nach der Liebe Christi verlangst und sie in dir nicht so siegreich ist, daß du leidenschaftslos wärest in deiner ganzen Bedrängnis wegen deiner Freude über Ihn, dann erkenne, daß die Welt in dir stärker lebt als Christus. Und wenn Krankheit und Entbehrung oder Zerstörung des Leibes oder die Angst vor den Dingen, die diesem schaden, deinen Sinn betrüben im Hinblick auf die Freude deiner Hoffnung und die reine Hinwendung zum Herrn, dann mögest du erkennen, daß der Leib in dir lebt und nicht Christus. Derjenige, zu dem die Liebe in dir übermächtig ist und die Oberhand (in dir) behält, der ist es, der in dir lebt. Wenn du aber nicht unversorgt sein wirst in deinen Bedürfnissen und einen Leib hast, der gesund ist, und du keine Angst vor Widersachern hast und sagst, daß du dann rein Christus entgegengehen kannst, dann mögest du wissen, daß du krankst in deinem Geist und dich des Geschmackes von Gottes Ruhm beraubst. Ich urteile nicht über dich, weil du so bist, vielmehr damit du erwägen mögest, wieviel dir bis zur Vollkommenheit fehlt, und dies auch nur zu einem Teil (der Vollkommenheit) der Väter. Und sage nicht, daß sich kein Mensch fände, | 406v dessen Geist sich vollkommen über seine Schwäche erhoben habe, während sein Leib begraben ist unter Prüfungen und Bedrängnissen, und der Anteil der Liebe zu Christus würde den Kummer des Geistes besiegen. Ich werde davon schweigen, (dir) die heiligen Märtyrer ins Gedächtnis zu rufen, könnte ich doch nicht vor der Tiefe ihrer Leiden bestehen, und wie sehr das Ausmaß des Ertragens aus der Kraft der Liebe zu Christus die viele Bedrängnis und die Pein des Leibes besiegte, sondern weil dieses so ist und (auch) nur die Erinnerung daran die menschliche Natur schmerzt und durch die Erhabenheit der Sache und den wunderbaren Anblick erschreckt. Blicken wir auf die gottlosen sogenannten Philosophen. Einer von ihnen hatte sich in seinem Sinn vorgenommen, für kurze Zeit Schweigen zu bewahren, und der römische Kaiser wunderte sich, als er von der Sache hörte, und bekam Lust, ihn auf die Probe zu stellen, und befahl daher, ihn vorzuführen. Und als er sah, wie der auf jegliche Frage, die er ihm stellte, nicht antwortete, wurde der Kaiser zornig und befahl, ihn zu töten, weil er sich von dem Thron und seiner Ruhmeskrone nicht einschüchtern ließ. Er aber fürchtete sich nicht || 407r davor und hielt sich an sein Ge-
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Isaak der Syrer – Reden zur Askese
bot und bereitete sich schweigend auf den Tod vor. Der Kaiser aber befahl den Henkern: Wenn er sich vor dem Schwert fürchtet und sein Gebot bricht, tötet ihn. Verharrt er aber bei seinem Vorhaben, (dann) bringt ihn lebend zu mir zurück. Als er sich aber dem vorgesehenen Platz näherte und diejenigen, die den Auftrag hatten, ihn hinzurichten, ihn beleidigten und bedrängten, sein Gebot aufzugeben und er werde nicht sterben, dachte er: Es ist besser für mich, zu einem Zeitpunkt zu sterben und meine Absicht aufrecht zu erhalten, um derentwillen ich mich so lange Zeit voranbewegt habe, als der Angst zu unterliegen und meine Weisheit zu schmähen und nachlässig befunden zu werden wegen einer Sache, die mir in einer Zwangslage begegnete, und er streckte sich unerschrocken zum Schwertstreich hin. Dies wurde dem Kaiser berichtet, und er war verwundert und entließ ihn in Ehren. Andere haben das natürliche Wünschen niedergetreten, andere ertrugen Verleumdungen. Andere wiederum litten klaglos unter schweren Krankheiten, und andere bewiesen Geduld in großen Bedrängnissen und Nöten. | 407v Und wenn diese um des eitlen Ruhmes und der Hoffnung willen solches ertrugen, wieviel mehr sollten da wir, die Mönche, ertragen, die wir zur Gemeinschaft mit Gott berufen sind. Dieser mögen wir gewürdigt werden durch die Gebete unserer allerheiligsten Herrin und Gottesgebärerin, der Immerjungfrau Maria, und aller derjenigen, die im Schweiße ihres Kampfes das Wohlgefallen Christi suchten. Denn Ihm gebührt aller Ruhm und (alle) Ehre und Verehrung mit Seinem Vater, der ohne Anfang ist, und dem ewigen, von gleicher Natur seienden, den Ursprung des Lebens in sich tragenden Geist heute und in alle Ewigkeit. Amen.
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Паисием Величковским. Издание Козельской Введенской Оптиной пустыни. Москва, 1854 Творения иже во святых отца нашего аввы Исаака Сириянина, бывшего епископом христолюбивого града Ниневии. Слова подвижнические. Издание третье исправленное. Сергиев Посад. Типография Св.-Тр. Сергиевой Лавры, 1911 Bedjan 1909: Bedjan, P., Mar Isaacus Ninevita. De perfection religiosa, quam ededit Oaulus Bedjan. Leipzig 1909 Bickell, G., Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Isaak von Ninive. In: Ausgewählte Schriften der syrischen Kirchenväter Aphraates, Rabulas und Isaak v. Ninive (Bibliothek der Kirchenväter). Kempten, 1874, 273-400 Dietz, M., Isaak von Ninive (ausgewählte Texte). In: Kleine Philokalie. Zürich, Einsiedeln, Köln, 1976, 75-86 Heilige Schrift: Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Hrsg. Hamp, V., Stenzel, M., Kürzinger, J. 14. Aufl. München: Pattloch 1994 Miller 1984: Miller, D., The Ascetical Homilies of Saint Isaac the Syrian. Boston, Massachusets, 1984 Novum Testamentum graece et latine. Eberhard Nestle; novis curis elaboraverunt Ervin Nestle et Kurt Aland. 20. Auflage. Stuttgart, 1961 Sfîntul Isaak Sirul. Cuvinte despre sfintele nevoinţe. Traducere, introducere şi note de Pr. Prof. Dr. Dumitru Stǎniloae. Filokalia, volumul X. Bucureşti 1981 Theotokis 1770: ΤΟΥ ΟΣΙΟΥ ΠΑΤΡΟΣ ΗΜΩΝ ΙΣΑΑΚ ΕΠΙΣΚΟΠΟΥ ΝΙΝΕΥΙ ΤΟΥ ΣΥΡΟΥ, ΤΑ ΕΥΡΕΘΕΝΤΑ ΑΣΚΗΤΙΚΑ …, ΕΠΙΜΕΛΕΙΑ ∆Ε ΝΙΚΗΦΟΡΟΥ ΙΕΡΟΜΟΝΑΧΟΥ ΤΟΥ ΘΕΟΤΟΚΟΥ Η∆Η ΠΡΩΤΟΝ ΤΥΠΟΙΣ ΕΚ∆ΟΘΕΝΤΑ. Leipzig, 1770 (Nachdruck: I. Spetsieris. Athen 1895) Wensinck 1923: Wensinck, A. J., Mystic Treatises by Isaac of Nineveh. Transl. from Bedjan's Syriac Text with an Introduction and Registers. Amsterdam, 1923
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Wörterbücher, Indices, Encyklopädien
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Дьяченко, Г., Полный церковно-славянский словарь. Издательский отдел Московского патриархата. Москва, 1993 Пенкова 2008: Пенкова, П., Речник-индекс на Синайския евхологий. София, 2008 Полный православный Богословский энциклопедический словарь. Репринт. Москва, 1992 Речник на грчко-црковнословенски лексички паралели. Ред. М. Аргировски; соработници Н. Андриjевска, А. Гуркова. Скопjе, 2003 Речник црквенословенскога jезика. Израдио прота Сава Петковић. Сремски Карловци, 1935 Симеонов сборник (по Светославовия препис от 1073 г.), т. 2. Речникиндекс. София, 1993 Синайский патерик. Указатель слов и форм, т. 1. Bucureşti, 1973; т. 2. Bucureşti, 1976 Словарь русского языка XI-XVII вв. АНСССР/РАН Институт русского языка, вып. 1-29. Москва, 1975-2011 Срезневский, И. И., Материалы для словаря древнерусского языка, т. 13. Санкт-Петербург, 1893-1903 Старобългарски речник. T. І. София, 1999; T. ІІ. София, 2009. БАН Институт за български език Старославянский словарь (по рукописям X-XI веков). Под редакцией P. М. Цейтлин, Р. Вечерки и Э. Благовой. Москва, 1994 A Dictionary of Christian Biography, Literature, Sects and Doctrines. Volume III. Hermogenes–Myensis, 291-292 Bauer 1971: Bauer, W., Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urkristlichen Literatur. Berlin, New York, 1971 Deschler, J.-P., Kleines Wörterbuch der kirchenslavischen Sprache. Slavistische Beiträge, 206. München, 1987 Dictionnaire Grec–Français, compose sur l'ouvrage intitulé. Thesaurus Linguae Graecae de Henri Etienne. Paris, 1817. Par Jos. Planche Nouvelle Édition, revue, corrigée et considérablement augmentée Gemoll 1965: Gemoll, W., Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch. München, Wien, 1965 Lampe 1971: Lampe, W. H., A Patristic Greek Lexicon. Oxford, 1971 Menge-Güthling: Griechisch–deutsches und deutsch-griechisches Wörterbuch mit besonderer Berücksichtigung der Etymologie. Teil I von H. Menge: Griechisch-deutsch. Berlin, 1903 Pawlowsky, J., Russisch-Deutsches Wörterbuch. 3. Aufl. Riga, Leipzig, 1900 Sadnik, Aitzetmüller 1989: Sadnik, L., Aitzetmüller, R., Handwörterbuch zu den altkirchenslavischen Texten. Heidelberg, 1989
330
Bibliographie
Schmoller 1989: Schmoller, A., Handkonkordanz zum griechischen Neuen Testament. Stuttgart, 1989 Slovník jazyka staroslovĕnského, sv. 1–52 (T. I–V). Praha, 1958-1997 The Encyclopedia of Religion. Mircea Eliade Editor in Chef, volume 7. New York, London, 288-289 Wörterbuch zum Gottesdienstmenäum für den Monat Dezember. Slavisch – griechisch – deutsch. Nach ostslavischen Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts, mit einem Glossar griechisch – slavisch. Bearbeitet von Dagmar Christians.Wiesbaden, 2001
ABKÜRZUNGEN Bibliotheken und Handschriftensammlungen BAR
Biblioteca Academiei RPR, Bucureşti (Bibliothek der Rumänischen Akademie der Wissenschaften) Chil Bibliothek des Klosters Chilandar, Athos ‒ Handschriftensammlung GBL/ГБЛ s. RGB/РГБ GIM/ГИМ Государственный Исторический музей (Москва). Отдел рукописей и старопечатных книг GPB/ГПБ s. RNB/РНБ LBA Litauische Zentralbibliothek der Akademie der Wissenschaften, Vilnius ‒ Russische Handschriften MDA/МДА Собрание Московской Духовной академии (РГБ, ф.173.I, Фундаментальное) NBKM/НБКМ Национална библиотека „Св. св. Кирил и Методий“, София ‒ Отдел „Ръкописи и старопечатни книги“ ÖNB Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien RGB/РГБ Российская государственная библиотека, Москва ‒ früher ГБЛ (Государственная библиотека им. В. И. Ленина), Отдел рукиописей RNB/РНБ Российская национальная библиотека (С.-Петербург), früher ГПБ (Государственная Публичная библиотека им. М. Е. Салтыкова-Щедрина), Отдел рукописей Sin/Син Синодальное (патриаршее) собрание славянских рукописей (ГИМ, ф. 80370) TSL/ТСЛ Собрание библиотеки Троице-Сергиевой лавры (РГБ, ф. 304)
Handschriften mit den Reden Isaaks des Syrers Chil 470 Chil Hss Hs 1381
serbische Hs aus dem Jahr 1355, Bibliothek des Klosters Chilandar ‒ Version A serbische und bulgarische Hss aus dem XIV. Jh. in der Bibliothek des Klosters Chilandar ‒ Version B bulgarische Hs aus dem Jahr 1381 (GBL/RGB, TSL № 172) ‒ Version B
332
Abkürzungen
bulgarische Hs aus dem Jahr 1389 (GBL/RGB, Опт. № 462; GPB/РНБ, Q.I.903) ‒ Version B K russische Hs, vierziger Jahre XV. Jh., Slavisches Institut der Universität zu Köln – Version B M russische Hs, Anfang XVI. Jh., s. MDA 109 MDA 151.2 serbische Hs, 1. Viertel XIV. Jh. (GBL/RGB, МДА, Фунд. 173.I, № 151.2) ‒ Version A MDA 109 russische Hs, Anfang XVI. Jh. (GBL/RGB, МДА, Фунд. 173.I, No 109) ‒ Version B Njamc 72 bulgarische Hs, Ende XIV. Jh., Handschriftensammlung der Bibliothek der Rumänischen Akademie der Wissenschaften No 139 ‒ Version A Pogod. 72 serbische Hs, Pergament, 60-er Jahre oder 2. Viertel XIV. Jh. (ГПБ/РНБ, Собрание М. П. Погодина) ‒ Version A Sofia 1023 bulgarische Hs, 20-er Jahre XIV. Jh. (НБКМ, № 1023). Zu diesem Codex gehört das Kiever Fragment, Pergament (ЦНБ НАН Украины, VIII, 6) ‒ Version A V Vilnius F 19–64, russische Hs, 1. Drittel XV. Jh. (Litauische Zentralbibliothek der Akademie der Wissenschaften, Vilnius) ‒ Version B Wien Slav.58 serbische Hs, 60-er Jahre XIV. Jh. (ÖNB II – 42, Cod. Slav. 58) ‒ Version A Hs 1389
Übersetzungen Th W
griechische Übersetzung des syrischen Textes in der Ausgabe von N. Theotokis, Leipzig 1770 – s. Bibliographie englische Übersetzung des syrischen Textes von A. I. Wensinck ‒ s. Bibliographie
Bücher der Heiligen Schrift Altes Testament Dtn Deuteronomium Ex Exodus Ez Ezechiel Gen Genesis Hab Habakuk Hld Hoheslied
Jer Jes Jos Koh 1 Kön 2 Kön
Jeremias Jesaja Josua Prediger (Kohelet) 1 Könige 2 Könige
Abkürzungen Mal Mich Num Ps Ri 2 Sam Sir Spr
Malachias Micha Numeri Psalmen Richter 2 Samuel Jesus Sirach Sprüche
Kol 1 Kor 2 Kor Lk Mk
Neues Testament Apg Apostelgeschichte Eph Paulus Brief an die Epheser Gal Paulus Brief an die Galater Hebr Paulus Brief an die Hebräer Jak Jakobusbrief 1 Joh 1. Johannesbrief Joh Evangelium nach Johannes
Mt 1 Petr Phil Röm 1 Tim 2 Tim
333 Paulus Brief an die Kolosser Paulus 1. Brief an die Korinther Paulus 2. Brief an die Korinther Evangelium nach Lukas Evangelium nach Markus Evangelium nach Mattäus 1. Petrusbrief Paulus Brief an die Philipper Paulus Brief an die Römer Paulus 1. Brief an Timotheus Paulus 2. Brief an Timotheus
ZITATE AUS DER HEILIGEN SCHRIFT Zitat
Rede
Altes Testament Gen
Ex
Num Dtn Jos Ri 2 Sam 1 Kön 2 Kön Hiob Ps
2,2 3,18-19 28,18 16,12 48,22 20,19 24,9-11 32,32 13,34 11,25 22,10 24,15 3,1-2 7,1 12,13 21,27-29 22,48 6,18-23 23,13 1,3 1,5 11,2 18,29 23,3 25,14 36,10 42,3 49,13 51,19 55,23 69,4 78,30-31 84,6 85,10 91,5 91,13 91,15-16 105,3-4 116,6
Zitat Ps
19 19 49 48 1 53 16 48 58 60 48 38 61 45 62 89 57 58 25 69 7 1 58 1 32 43 69 84 61 20, 57 67 5 80 60 31 25 67 57 49
Spr
Koh
Sir
Jes
Jer
Ez
Rede 119,35 126,5-6 127,1 145,18 3,25 6,27 15,13 16,18 19,17 22,13 25,16 25,28 28,1 28,13 10,16 11,1 11,4 1,28 6,19 14,3 1,15 1,19 40,4 43,2 54,1 55,3 55,6-8 58,2 58,2-3 58,9 59,1-2 65,2 2,18 20,9 36,2-3 48,10 9,6 16,49 18,21-24 33,11
1 56 25 57 57 2 21 34 41 58 56 28 67 57 74 56 58 21 21 43 57 57 48 25 21 57 57 67 58 57 57 57 75 48 57 60 62 75 57 57
Zitate aus der Heiligen Schrift Zitat Ez Mich Hab
33,14-16 36,26 7,8 1,13
Rede
Zitat
57 21 7 21
Mt
21 55 55 55 1 5 2 5, 35 5 5, 30, 67 47 58 58 53 53 5 5 5, 21 47 55, 89 48 55 58 25 58 21, 55 49 25, 49 55 55 55 14 90 5 25 14 23
Mk
Neues Testament Mt
5,4 5,16 5,19 5,41 5,48 6,7 6,10 6,25 6,32 6,33 7,7-8 8,11-12 8,13 8,20 10,25 10,28 10,38 10,39 11,12 11,28 11,29 11,30 13,43 14,30 15,14 16,24 16,25 18,3 19,17 19,18-19 19,21 19,27 20,13-15 20,22 21,22 22,21 22,37
Lk
Joh
335 Rede
25,31 25,33 25,40 25,46 26,28 26,41 8,34 9,23 16,17-18 4,23 6,30 6,31 6,35 6,36 10,25 11,8 13,24 14,26,33 15,13-16 15,20-22 17,10 17,20 17,21 18,1 18,13 19,41 21,19 21,36 22,19 22,30 3,5 3,16 6,33 6,51,58 10,9 10,28 13,35 14,15-16 14,17 14,23 14,26 14,30 15,10
58 58 41 58 48 5, 47 49 25 25 58 56 55 90 1 55 47 5 39, 48 38 90 55 55 2, 8, 29 47 55 90 5 47 48 83 30 48 83 83 55 21 55 28, 55 28 21, 55 28 53 55
336
Zitate aus der Heiligen Schrift
Zitat
Rede
Zitat
55 5, 36 48 53 47 55 5 35 75 83 83 38 21 18 67 37 83 89 51 55 25 53 74 21, 55 55 21 55 45, 55 41, 48, 55 55 4 21 89 67 89 6 54 2, 8, 55 55, 83 49 8 26 41
1 Kor
Joh
Apg
1 Petr 1 Joh
Röm
1 Kor
16,12-13 16,33 17,19 1,4 9,15 9,17 14,22 3,14 3,21 4,8 4,16 4,18 1,27-28 2,15 2,24 3,19 3,23-24 5,6-8 6,16 8,7-8 8,15 8,16 8,17 8,19-21 8,24-25 8,26 8,35 8,38-39 9,3 9,18 11,16 11,33 12,15 13,14 15,1 15,4 1,18 2,9 2,10 3,18 3,16 8,1 9,16
2 Kor
Gal
Eph Phil
Kol
1 Tim
Rede 9,27 10,13 13,1-2 13,9-10 13,12 14,11 15,9 15,10 15,50 15,53-54 4,6 10,5 11,17 12,2 12,3-4 12,4 12,7 12,7-9 12,11 2,20 3,27 5,8 5,17 5,19 5,22 6,1 6,8 6,14 3,5 4,22 1,29 2,3 2,13 3,10 4,5-6 4,13 1,24 3,1 3,5 3,9-10 4,2 1,13 1,15-16
55 88 55 25 2 59 55 26 55 90 21 67 55 16, 55 56 55 37 47 5 56 30 80 4 22 89 89 19 54 19 55 35 21 33 35 25 26 48 21 2, 13, 21 55 47 55 55
Zitate aus der Heiligen Schrift Zitat 2 Tim Hebr
3,12 1,14 2,15 4,3 4,9-10 5,14 9,8 9,22
Rede
Zitat
49 18 51 19, 65 19 58 19 55
Hebr
337 Rede
10,20 11,33 11,37 11,38 11,39 12,2 12,21 13,12-13
53 31 36 41 66 48 53 21
REGISTER Themen der Abhandlungen zur Askese von Isaak dem Syrer nach der Monographie von Архиепископ Иларион (Алфеев) „Духовный мир преподобного Исаака Сирина“. 2010
Der Autor I. Alfeev, ein bekannter Theologe und Patrologe, Kenner der Problematik der Orthodoxen Kirche und ihrer philosophischen Aspekte, hat zum ersten Mal eine Rekonstruktion des theologischen Systems Isaaks des Syrers aufgrund seiner Abhandlungen (Reden) zur Askese gegeben. Die in diesen Texten erfaßte asketisch-mystische Lehre zeichnet sich durch ungewöhnliche Tiefe der Gedanken aus. Ein Sachregister nach den bekannten Modellen als alphabetische Auflistung von Begriffen wäre kaum dienlich, um eine Aufschlüsselung des reichen und komplizierten philosophischen Inhalts dieser Reden zu bekommen. Der Verfasser hat auf theologischer und philosophischer Ebene eine systembedingte Klarheit in der Darstellung der Fraugen der asketisch-mystischen Philosophie des hl. Isaak erreicht, die eine hervorragende Grundlage bietet, um vom theologischen Standpunkt dessen Lehre besser verstehen zu können. Aus diesem Grund sind wir zu dem Entschluß gekommen, die Ergebnisse und die Struktur von Alfeevs Untersuchung für ein kurzes Verzeichnis der Themen und Hauptbegriffe, denen die Nummern der entsprechenden Reden zugeordnet worden sind, dem Leser als Hilfe zur Verfügung zu stellen. Die Reihenfolge der Reden bei Alfeev richtet sich nach der russischen Übersetzung (1911), die der bulgarischen Übersetzung aus dem XIV. Jahrhundert (Version B) entspricht, wie sie auch in der Kölner Handschrift vorliegt. In seiner Monographie stützt sich der Autor nicht nur auf die bisher bekannte Sammlung von 91 Reden, die in der Fachliteratur als I. Teil des umfangreicheren Werkes von Isaak gilt (ein Teil davon in seiner syrischen Originalsprache bei Bedjan 1909), sondern auch auf die neu entdeckten syrischen Texte des II. Teils in einer Handschrift aus dem X.-XI. Jahrhundert (Kapitel IV-XLI herausgegeben von Sebastian Brock 1995 – die einzige vollkommen erhaltene Handschrift des II. Teils) sowie zwei unedierte Kapitel „Über das Wissen“ (bei Alfeev „Главы о знании“). Es handelt sich um dasselbe Begriffssystem und dieselben Fragen, die schon im sogenannten I. Teil von Isaak ausführlich erläutert worden sind. Insofern hat der erweiterte Kontext der Relation „Ausgangssprache – Übersetzung“ mehr Sicherheit und Bestätigung bei der Inhaltsanalyse der Begriffe geboten.
I. 1. 2.
Gott, Weltall, Mensch Gottesliebe, die sich im Schöpfungswerk erweist Reden: 1, 25, 41, 48, 67, 85, 89, 90 die Welt der Geschöpfe Reden: 3, 4, 17, 18, 31, 57
Themen 3.
die Menschwerdung Gottes Reden: 4, 18, 48, 53
II. 1.
Der Weg des Eremiten Einsamkeit und Absage an die Welt Reden: 1, 2, 14, 23, 31, 39, 49, 50, 56, 69 Liebe zu Gott und Nächstenliebe Reden: 13, 14, 23, 30, 41, 56, 58 zurückgezogenes Leben im Schweigen Reden: 14, 21, 41, 42, 85, 89, 91 der Weg des Mönches zu Gott Reden: 2, 14, 21, 35, 36, 41, 56, 63, 66, 74
2. 3. 4. III. 1. 2. IV. 1. 2. 3. V. 1. 2. VI. 1. 2. 3. 4. 5.
Prüfungen auf dem Weg zu Gott Versuchungen Reden: 5, 37, 49, 57, 58, 60, 78, 79 Verlassensein von Gott Reden: 1, 2, 64, 70, 79, 88 Demut Demut als Angleichung an Gott Reden: 34, 46, 53, 58 innere Merkmale der Demut Reden: 38, 48, 49, 61, 89 äußere Merkmale der Demut Reden: 11,23, 48, 56, 57, 58 Tränen Reue Reden: 41, 47, 48, 51, 71, 83, 84, 89 bittere und süße Tränen Reden: 21, 22, 30, 40, 41, 58, 65 Schule des Gebets das Gebet Reden: 5, 11, 12, 16, 25, 30, 39, 40, 43, 48, 49, 58, 61 äußere Aspekte des Gebets Reden: 10, 40, 58, 61, 69 Gebet vor dem Kreuz Reden: 10, 56, 59 Lesen der Schriften Reden: 1, 21, 40, 56, 58, 85 das nächtliche Gebet Reden: 40, 42, 52, 70, 79
339
Themen
340 6.
7. VII. 1.
2. 3.
4.
5. 6. 7. VIII. 1. 2.
die Gebetsregel: das Gesetz der Freiheit und das Gesetz der Knechtschaft Rede: 30 Nachsinnen über Gott und das reine Gebet Rede 16 Die Höhepunkte der Vereinigung mit Gott das geistige Gebet und das Schweigen des Verstandes Reden: 16, 21, 56 das Schauen Reden: 4, 18, 21, 28, 46, 49, 80, 81, 85, 86 das Wahrnehmen, die Offenbarungen, das Durchblicken zu den Realitäten der immateriellen Welt Reden: 21, 30, 57, 87 Obhut und Überschattung durch den Höchsten, Erleuchtung Reden: 56, 58, 45, 48 das Staunen Reden: 3, 21, 31, 56, 57 Trunkenheit von der Liebe Gottes Reden: 38, 45, 48, 51, 58, 70, 73, 84, 85, 87 Glaube und Wissen Reden: 25, 26, 27, 28, 29, 38, 49, 84, 85 Das Leben in der künftigen Welt Gedanken über die zukünftige Welt Reden: 1, 21, 38, 41, 51, 87, 89 das Leben nach dem Tod Reden: 7, 18, 19, 58, 66, 80, 83, 91
Namen Personen-, Orts-, Gewässer-, Länder- bzw. Landschaftsnamen, Klöster mit Seitenangaben zu den Bezugsstellen
Abraham 235,319 Adam 32,66,67,180,274,295 Agathon 160,190 Ägypten 31,207,281 Aitzetmüller, R., Sadnik, L. XXIII Alexandria 190 Alfeev, H. XIV,XVI,XVII, 338 Ammun von Nitria 60,122 Antonios 60,85,92,93,122,160,207 Arsenius 91,92,93,133,134,190 Asina 208 Athanasios (Große Lavra des A.) VIII,XI,XIV,XIX,60 Athen 60 Athos VII,VIII,X-XIII,XIX Avra(a)mij, Avramios IX,XVI,9 Babylon 186 Balthasar 254 Basileos 22,76,187,200,283 Bedjan, P. XVI,XXI,338 Birkfellner, G. XX Bogdanović, D. VIII,XVIII,XIX Brock, S. 338 Bulgarien VII,XII Byzanz VII Carskij, I. N. (Sammlung) X Chabot, J. B. XVI Chilandar (Kloster) VII,VIII,XVIII Chophni (Sohn des Heli) 254 Christus s. Jesus Cornelius 57 Daniel 31 David 253, 262 Deppe, K. VIII,IX,XIV,XVII,XXII Dionysios Areopagites 55,60
Dissan s. Valentinus Edessa 207,208 Elia 75 Elias 22,208,254 Elisäus 27,233,254 Ephraim der Syrer XXIII,128,222 Eva 32 Ezechiel 186,241,254 Fedotova, M. X Filaret Moskovskij XVI Florovskij, G. XVI Gavriil XIX Gorskij, A., Nevostruev, K. X,XIX, XXIV Granstrem, E. Ė, Tichomirov, N. B. VIII,XI,XII,XIX,XX Gregorios 58,187,200,213,314 Hananias 205 Hannick, Ch. XI Heli 253 Hiob 119,223 Hosea 22 Ilarion (Erzbischof) s. Alfeev, H. Ioann (Starec) XI Isaak Sobaka (Birev) XIX Isaja 101 Ivanova, K. XIX Jacimirskij, A. IX,X,XX Jakob 13 Jaroslavl’ XIX Jeremias 31,161,228 Jerusalem 36,181,186,254,316
342
Namen
Jesajas 32,228 Jesus (Josua, Sohn Nuns) 57,223, 251 Jesus 63,64,180,181,295; Jesus Christus 14,112,142,160,176, 183,184,194,205,265,301; Christus Jesus 32,125,169,201, 231; Christus 10,26,28,30,3436,39,40,43,48,49,64,67-69,75, 77,84,93,101,102,105,106,114, 115,117,120,123,127,128,133, 135,136,150,157,159,165,171, 179,182,184,186-188,190,194203,205,206,210,212,219,220, 223,224,233,235,253,255,263, 265,268,274,277,279,291,293, 295,301,311,312,316,317,319, 320 Johannes (der Täufer) 57,253 Johannes (Evangelist) 295 Johannes Chrysostomos 297 Johannes (Klimakos?) 169,304 Johannes von Thebais 50,190 Johannes der Keusche 254 Johannes von Damaskus XXIII Johannes Exarch XXIII Jordan 74,149 Joseph (Sohn Jakobs) 13,31 Josias 228 Josua s. Jesus Jovčeva, M. XI Jugoslawien VII Julian (Wawa) 207
Kyrillos 317
Kain 253 Kaisareia 184 Kanaan 149 Kirillo-Belozerskij-Kloster XII,XIV Kodov, Ch. XX Konstantinopel XII,XIII Kozel’skaja Vvedenskaja Optina pustyn’ VII,XIX Krušedol (Kloster) VII
Ophir 229 Origines 206
Lazarus 264,319 Makarij (Metropolit) VIII Makarios 92,122,151,152,154,190 Maksim Grek XIX Malpas 207 Manes 206 Maria (Schwester von Martha) 264 Markion 206 Marko 162 Markus 151,152,169 Martha 264 Martinian 34 Methodie (Ieromonach) XI Miller, D. XVI Minčeva, A. VII-XI,XIII,XVII-XIX Morozova, N. XIX Moses 22,101,159,178 Moskau XII,XIX Murav̕ev, A. N. XIX Nebukadnezar 254 Nevostruev, K. s. Gorskij, A. Nil (Fluß) 281 Nil PN 153 Ninive IX,9 Nitria 60 Njamc (Kloster) IX,XX Noah 228,253 Novgorod XII Nun (Vater von Josua) 57,223,251
Paisij Veličkovskij XX,XXI Palästina XVI Panaitescu XX Patrikij, Patrikios IX,XVI,9 Paulus 31,51,71,101,120,124,136, 137,150,156,157,159,165,183,
Namen 186,194-196,198,199,201-203, 205-207,209,258,263,294 Petrus 31,57,101,120,223,254 Pinchas (Sohn des Heli) 254 Popov, G. X,XI,XIV Rozov, N. N. XII Rußland VII,XII,XIII Sadnik, L. s. Aitzetmüller, R. Salomon 27,216 Samson 253 Saulus 205 Sav(v)a (Abt und Gründer des Klosters St. Sabas bei Jerusalem) XVI,9 Serbien XII Simeon (der Wundertäter von Kaisareia) 184 Sinai IX-XI,178,207 Sisoi 79 Smolensk XII Sobolevskij, S. I. XV Sodom 253,280 Soloveck XII Spasova, M. XI Stojanov, M. XX Storia (Berg) 208
343 Stroev, P. X Šul’gina, Ė. V. XIII Taseva, L. XI Thebais 50,92,190 Theodor 87;91 Theophilos (Erzbischof) 91 Theotokis, N. X,XV-XVIII,XX, XXI,XXIV Tichomirov, N. B. s. Granstrem, E. Ė. Troice-Sergieva Lavra XII,XIX Turilov, A. A. VIII,XI,XII,XIX,XX Tver’ XII Valentinus (Sohn des Dissan) 206 Vereščagin, E. M. XV Vzdornov, G. I. XII-XIV Wawa (s. Julian) Wensinck, A. J. XXI,XXIII,XXIV Zacharias (Vater von Johannes dem Täufer) 57,253 Zakchej IX-XI,XVII, Zakchej Filosof XI, Zakchej Zagorjanin XI, Zakchei Vagilъ IX,X Zebeddäus 29
BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE REIHE B: EDITIONEN HERAUSGEGEBEN VON ROLAND MARTI, PETER THIERGEN, LUDGER UDOLPH, BODO ZELINSKY UND DANIEL BUNČIĆ
EINE AUSWAHL
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JA. BULGAKOV AUS DEN JAHREN
VON MUKAČEVO IM 18. UND
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19. JAHRHUNDERT
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2006. 982 S. GB. | ISBN 978-3-412-27205-0
ISBN 978-3-412-20845-5
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HANS ROTHE, LYDIA I. SAZONOVA (HG.)
DIE ÄLTESTE LITURGISCHE MUSIKHAND-
S IMEONPOLOCKIJ
SCHRIFT MIT FÜNFLINIENNOTATION AUS
RIFMOLOGION
DEM ENDE DES 16. JAHRHUNDERTS
EINE SAMMLUNG HÖFISCH-
BEARBEITET VON CAROLINA LUTZKA
ZEREMONIELLER GEDICHTE
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DERT MIT DEUTSCHER ÜBERSETZUNG 2015. 2 BDE. ZUS. 1184 S. 2 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-22373-1 BD. 29 | VERA BISCHITZKY (HG.) IVANGONČAROV BRIEFE AN ANATOLIJ KONI UND ANDERE MATERIALIEN 2015. CA. 280 S. GB.
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BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE NEUE FOLGE, REIHE A: SLAVISTISCHE FORSCHUNGEN HERAUSGEGEBEN VON DANIEL BUNČIĆ, ROLAND MARTI, PETER THIERGEN, LUDGER UDOLPH UND BODO ZELINSKY
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BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE NEUE FOLGE, REIHE A: SLAVISTISCHE FORSCHUNGEN BD. 74 | FRANZ POSSET
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FRIEDRICH HÜBNER
RUSSISCHE LITERATUR DES 20. JAHRHUNDERTS IN DEUTSCHSPRACHIGEN ÜBERSETZUNGEN EINE KOMMENTIERTE BIBLIOGRAPHIE (BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE. REIHE C: BIBLIOGRAPHIEN, BAND 4)
In dieser Bibliographie werden die deutschsprachigen Buchausgaben mit Erst- und Neu-Übersetzungen russischer Autoren des 20. Jahrhunderts für die Jahre 1900–1990 vollständig erfasst. Auch die außerhalb der deutschsprachigen Länder in der Sowjetunion und in Exilverlagen erschienenen Übersetzungen sind aufgenommen. Die einzelnen Kapitel des annalistisch aufgebauten Titelverzeichnisses sind mit Kommentaren versehen, in denen die rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die Arbeit einzelner Verlage, die Rolle wichtiger Vermittler und Publikationen einzelner Autoren behandelt werden. Neben der Bibliographie enthält das Buch damit einen Beitrag zu Aspekten der Rezeptionsgeschichte russischer Literatur in deutscher Sprache, die bisher unbeachtet geblieben sind. 2012. VIII, 666 S. GB. 150 X 230 MM | ISBN 978-3-412-20872-1
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STEFAN ROHDEWALD
GÖTTER DER NATIONEN RELIGIÖSE ERINNERUNGSFIGUREN IN SERBIEN, BULGARIEN UND MAKEDONIEN BIS 1944 (VISUELLE GESCHICHTSKULTUR, BAND 14)
Religiöse Erinnerungsfiguren dienten dazu, Heilssicherheit, dynastische und später nationalstaatliche Herrschaftslegitimität sowie nationale Gemeinschaft als möglichst dauerhafte, bis zum Weltenende geltende Vorstellungen zu festigen. Bei den orthodoxen Südslaven lassen sich in nachbarschaftlicher Abgrenzung und Konkurrenz unauflösbare Verflechtungen feststellen. Die dynamische Verquickung von (ost-)römischen, mittelalterlichen serbischen und bulgarischen sowie osmanischen und westeuropäisch-nationalen Diskursen, Strukturen und »Vermächtnissen« prägt diese europäische Geschichtsregion. Ihre Entwicklung vom Frühmittelalter bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts wird in dieser Untersuchung ausgeleuchtet. 2014. 905 S. 18 S/W- UND 10 FARB. ABB. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-22244-4
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KARL JAROŠ
DIE ÄLTESTEN GRIECHISCHEN HANDSCHRIFTEN DES NEUEN TESTAMENTS BEARBEITETE EDITION UND ÜBERSETZUNG
Weit über 5000 griechische Handschriften des Neuen Testaments sind bis heute bekannt. Davon werden im vorliegenden Band 104 Handschriften ediert, die aus dem ersten bis vierten Jahrhundert stammen und damit einen besonderen Thesaurus für die gesamte Christenheit darstellen. Sie umfassen bereits 60 Prozent vom griechischen Text des Neuen Testaments. Die Handschriften werden jeweils nach acht Gesichtspunkten präsentiert: Herkunft, Auf bewahrung, Beschreibung, Inhalt, Datierung, Bibliographie, Hinweise, wo die Abbildungen zu finden sind, und Transkription. Jede transkribierte Zeile ist mit einer deutschen Übersetzung versehen. Die genaue Kenntnis der ältesten griechischen Textüberlieferung ist für Theologen und für jeden wichtig, der sich ernsthaft mit der Bibel und der Entstehung der einzelnen Schriften des Neuen Testaments beschäftigen will. 2014. 952 S. 5 S/W-ABB. GB. 200 X 270 MM | ISBN 978-3-412-22215-4
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